Kleinstädte und Nachhaltigkeit: Konzepte für Wirtschaft, Umwelt und soziales Leben 9783034608985, 9783764385798

Sustainability in small towns In an era in which the individuality and vitality of small towns are under threat from g

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Kleinstädte und Nachhaltigkeit: Konzepte für Wirtschaft, Umwelt und soziales Leben
 9783034608985, 9783764385798

Table of contents :
Vorwort
1. Einleitung
Warum Kleinstädte?
Die Globalisierung und die Entwicklung der Kleinstädte
Lebensqualität und Nachhaltigkeit
2. Die Mobilisierung für den Wandel in Kleinstädten
Die Mobilisierung gegen die Globalisierung
Regional, biologisch, authentisch, entschleunigt
Netzwerke der Nachhaltigkeit
3. Umwelt und Nachhaltigkeit
Konflikte zwischen den verschiedenen Zielen der Nachhaltigkeit
Ökologische Probleme kleiner Städte
Das große Ganze: Globales und lokales Handeln
Schwedens Eko-Kommuner-Bewegung
Flächennutzung und Stadtentwicklung
Ambitionierte Kleinstadtprojekte
4. Ererbte Identitäten: Die gebaute Umwelt und der Charakter eines Ortes
Das Vermächtnis der gebauten Umwelt
Ein reiches Erbe
Die Gestaltung des sozialen Raums
Gefühl und Intersubjektivität
5. Gestaltete Nachhaltigkeit
Entwürfe für mehr Lebensqualität
Straßenleben: Stadtbild, Bewegungen und soziales Miteinander
6. Nachhaltige Wirtschaftsformen
Ökonomische Herausforderungen
Industrie ansiedeln oder Gemeinschaft gestalten?
Alternative Wirtschaftsräume
Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen
Die lokale Wirtschaft
7. Geselligkeit, Gastlichkeit und regionale Produkte
Geselligkeit
Gastlichkeit
Regionale Produkte
8. Kreativität und Kultur
Einheimische Kunst, Kultur und Kreativität
Die Debatte über die kreative Klasse
9. Gerechtigkeit: Wohnraum, Arbeit und soziales Wohl
Gerechtigkeit und soziales Wohl
Die institutionelle Infrastruktur: Bündnisse, lokales Kapital und bürgerliches Engagement
10. Fazit: Was funktioniert (und was nicht)
Können Kleinstädte Veränderungen bewirken?
Wichtige Erfolgsfaktoren
Anmerkungen
Fotonachweis
Literatur
Internetquellen
Ortsregister

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Kleinstädte und Nachhaltigkeit

Paul L. Knox Heike Mayer

Kleinstädte und Nachhaltigkeit Konzepte für Wirtschaft, Umwelt und soziales Leben

Birkhäuser Basel · Boston · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Englische Ausgabe ebenfalls erhältlich Small Town Sustainability (ISBN: 978-3-7643-8580-4) Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2009 Birkhäuser Verlag AG Basel ∙ Boston ∙ Berlin Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Christoph Schemionek, Washington, D.C., USA, unter Mitarbeit von: Simon Hartl, Patrick Schmidt, Verena Thoennessen Textredaktion: Sabine Rochlitz, Basel; Andrea Hölzl, München Layout und Satz: Paul L. Knox Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Germany ISBN: 978-3-7643-8579-8 987654321 www.birkhauser.ch

Inhaltsverzeichnis Vorwort 1. Einleitung

Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen 119 Die lokale Wirtschaft 126

9 10

7.

Warum Kleinstädte? 11 Die Globalisierung und die Entwicklung der Kleinstädte 14 Lebensqualität und Nachhaltigkeit 24

Geselligkeit 129 Gastlichkeit 140 Regionale Produkte

2. Die Mobilisierung für den Wandel in Kleinstädten 28

141

8. Kreativität und Kultur

Die Mobilisierung gegen die Globalisierung 29 Regional, biologisch, authentisch, entschleunigt 31 Netzwerke der Nachhaltigkeit 38

3. Umwelt und Nachhaltigkeit

Geselligkeit, Gastlichkeit und regionale Produkte 128

Einheimische Kunst, Kultur und Kreativität 146 Die Debatte über die kreative Klasse 155

9. Gerechtigkeit: Wohnraum, Arbeit und soziales Wohl 160

50

Konflikte zwischen den verschiedenen Zielen der Nachhaltigkeit 52 Ökologische Probleme kleiner Städte 54 Das große Ganze: Globales und lokales Handeln Schwedens Eko-Kommuner-Bewegung 58 Flächennutzung und Stadtentwicklung 62 Ambitionierte Kleinstadtprojekte 65

Gerechtigkeit und soziales Wohl 163 Die institutionelle Infrastruktur: Bündnisse, lokales Kapital und bürgerliches Engagement 172 57

10. Fazit: Was funktioniert (und was nicht) 174 Können Kleinstädte Veränderungen bewirken? Wichtige Erfolgsfaktoren 178

4. Ererbte Identitäten: Die gebaute Umwelt und der Charakter eines Ortes 66 Das Vermächtnis der gebauten Umwelt 67 Ein reiches Erbe 75 Die Gestaltung des sozialen Raums 76 Gefühl und Intersubjektivität 80

Anmerkungen

181

Fotonachweis

185

Literatur

187

Internetquellen 5. Gestaltete Nachhaltigkeit

189

86 Ortsregister

Entwürfe für mehr Lebensqualität 87 Straßenleben: Stadtbild, Bewegungen und soziales Miteinander 94

6. Nachhaltige Wirtschaftsformen

144

108

Ökonomische Herausforderungen 109 Industrie ansiedeln oder Gemeinschaft gestalten? Alternative Wirtschaftsräume 115

112

191

177

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Vorwort Weit entfernt von den geschäftigen Metropolen gelegen, finden sich kleine Städte, die von Stadtplanern, Architekten und Politikern oft vergessen werden. Diese Kleinstädte sind weder Zentren der globalen Finanzindustrie noch Hightechstandorte ihrer Länder. Sie sind Orte, deren Bewohner den Wechselhaftigkeiten der globalen Wirtschaft und des Klimawandels ausgesetzt sind. Sie sind aber dennoch Orte, von denen wir lernen können, wie sich eine nachhaltige Zukunft erfolgreich gestalten lässt. Für dieses Buch haben wir uns auf eine Reise begeben, um innovative Ansätze für kleinstädtische Nachhaltigkeit zu entdecken. Dabei haben wir gesehen, mit welch unglaublichem Enthusiasmus und welcher Energie Bewohner, Bürgermeister, Stadtplaner und Architekten die Zukunft ihrer Städte aktiv gestalten. Diese Städte sind mit anderen in einem weltweiten Austausch über nachhaltige Zukunftsstrategien verbunden. In diesem Buch diskutieren wir Ansätze einer nachhaltigen Entwicklung für Kleinstädte und präsentieren Fallbeispiele, die einige der besten und innovativsten Methoden illustrieren. Wir hoffen, hiermit zu einem verbesserten Verständnis eines nur wenig beachteten Stadttypus beitragen zu können. In einer Zeit, in der sich die meisten stadtplanerischen Diskussionen um Themen wie Metropolregionen, Mega-Regionen und Weltstädte drehen, sehen wir die Notwendigkeit, die Rolle und das Potenzial kleinerer Ortschaften kritisch zu reflektieren. Diese Kleinstädte spielen oftmals eine entscheidende Rolle innerhalb regionaler Wirtschaftssysteme. Sie verleihen der regionalen Kulturlandschaft ihren unverwechselbaren Charakter und bieten in vielen Ländern einem Großteil der Bevölkerung ein Zuhause.

Provo, John Randolph, Joe Schilling, Bernhard Steinhart und Anne-Lise Velez für ihre Beiträge danken. Wir dürfen uns außerdem glücklich schätzen, finanzielle Unterstützung durch das College of Architecture and Urban Studies, die School of Public and International Affairs sowie das Metropolitan Institute an der Virginia Tech erfahren zu haben. Danken möchten wir schließlich auch Karoline Mueller-Stahl und unseren Editoren Anda Divine, Sabine Rochlitz und Andrea Hölzl sowie Elke Renz und Werner Handschin vom Birkhäuser Verlag, die uns mit ihrer professionellen Expertise unterstützt haben. Blacksburg und Alexandria, Virginia, im Dezember 2008, Paul Knox und Heike Mayer

Dieses Buch wäre ohne die Hilfe unserer Kollegen, Freunde und Studenten nicht zustande gekommen. Ihre Anregungen, Kommentare und Fertigkeiten waren von unschätzbarem Wert. Insbesondere möchten wir Mariela Alfonzo, Kelly Beavers, Petra Bischof, Whitney Bonham, Elisabeth Chaves, Herwig Danzer, Ashley Davidson, Jessica Fanning, Mary Fisher, Susan Flack, Johann Jessen, Graeme Kidd, Dale Medearis, Johannes Michel, Elizabeth Morton, Pier Giorgio Olivetti, John 9

1. Ludlow, England. Protestplakat. 10

1

Einleitung

Warum Kleinstädte? Kleinstädte können besondere Orte sein, Städte mit einer eigenen Identität, die ihren Bewohnern ein lebendiges soziales Leben ermöglichen. Sie können Orte sein, in denen man ungestört vom lärmenden Autoverkehr flanieren kann, Städte mit reichlich Grün, in denen die Luft sauber ist. Ihre Verwaltungen können auf der Nutzung von erneuerbaren Energien und auf Recycling bestehen. Kleinstädte können nicht nur das lokale Handwerk fördern, sondern auch traditionelle Gaststätten mit regionaler Küche oder Läden, die Produkte aus der Region verkaufen. Sie können eine Zuflucht in einer hektischen Welt sein, Orte, deren Bewohner global denken, aber lokal handeln. Der Prozess der Globalisierung untergräbt jedoch diese Besonderheit kleinstädtischer Orte und bedroht deren Vitalität und Kultur. Dieses Buch zeigt, wie sich Kleinstädte der Herausforderung einer schnelllebigen und globalisierten Welt stellen können; es stellt Bewegungen, Programme und Strategien vor, die die regionalen Kulturen und Traditionen, gemeinschaftliches Leben und Gastfreundschaft, regionale Identität und Nachhaltigkeit effektiv fördern. Es behandelt im Detail das Thema 1 EINLEITUNG

der wirtschaftlichen, sozialen und umweltpolitischen Nachhaltigkeit von Kleinstädten, untersucht, wie sich der Charakter einer Stadt aus ihrer Geschichte und die lokale Küche aus der Region ableiten; außerdem, wie lokale politische Initiativen zur wirtschaftlichen Entwicklung, zur Verbesserung der Umwelt und zum Gemeinwohl beitragen können. Wenn Kleinstädte sich auf ihre spezifischen Eigenschaften konzentrieren und ihren Wettbewerbsvorteil nutzen, können sie zu stabilen Nischen in den regionalen, nationalen und globalen Ökonomien werden. Kleinstädte sind – nach unserer Definition – Orte mit höchstens 50.000 Einwohnern. Sie sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, in der globalen Wirtschaft ihren Platz zu finden. Gleichzeitig besitzen sie genügend ökologische, kulturelle und wirtschaftliche Vorzüge, die sie für die Entwicklung einer nachhaltigen Zukunft nutzen können. Kleinstädte haben einen bedeutenden Anteil an der Gesamtbevölkerung in vielen Regionen Europas, Nordamerikas, Australiens, Neuseelands und Japans. In Europa lebt ein Fünftel der Gesamtbevölkerung in Kleinstädten, außerhalb des Einzugsbereichs von Großstädten wie etwa London, Mailand und Berlin ist es nahezu ein Drittel. In anderen Regionen, wie beispielsweise im zentralen und östlichen Schottland, in weiten Teilen Skandinaviens, in Zentral- und Süditalien sowie in Südirland lebt mindestens die Hälfte der Bevölkerung in Kleinstädten. In den USA verzeichneten in den vergangenen zwei Jahrzehnten Städte mit einer Einwohnerzahl zwischen 10.000 und 50.000 Personen den größten Bevölkerungszuwachs. Diese Ortschaften machen zehn Prozent der US-amerikanischen Gesamtbevölkerung aus. Dieses Buch zeigt, wie Bürger, Stadtplaner, Architekten und politische Entscheidungsträger in Kleinstädten zusammenarbeiten können, um gemeinsam eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Das Buch stellt Bürgerinitiativen vor und belegt, wie Zusammenarbeit und soziale Netzwerke innerhalb und zwischen Kleinstädten dabei helfen können, die Nachteile, die sie von Natur aus wegen geringerer Größe und mangelnder Ressourcen haben, wettzumachen.

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Die Vielfalt der Kleinstädte Obwohl fast alle Kleinstädte der Industrieländer aus der traditionellen Marktstadt hervorgegangen sind, sind doch ihre Geschichte, ihr Erscheinungsbild und ihre Wirtschaft sehr unterschiedlich. Sie sind bis heute klein geblieben, etwa weil sie fernab von den Transportsystemen und Wirtschaftsräumen der Industrialisierung lagen. Einige entwickelten sich zu Beginn der Industrialisierung zunächst als kleine Produktionsstätten, blieben aber auf Dauer nicht konkurrenzfähig, da sie im Zuge von Technologiewandel und «fordistischer» Massenproduktion Mitte des 20. Jahrhunderts keine nennenswerten Standortvorteile aufwiesen oder auch Ende des 20. Jahrhunderts wegen der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung bei der Globalisierung nicht mehr mithalten konnten. Viele Kleinstädte haben Dekaden wirtschaftlicher und demografischer Stagnation hinter sich. Durch die überproportional starke Abwanderung der aufgewecktesten, dynamischsten und am besten ausgebildeten jungen Menschen bleiben die älteren Bevölkerungsgruppen zurück, welche eher dazu tendieren, provinziell und eng in ihren Anschauungen zu sein und keine neuen Visionen oder Führungsqualitäten zu entwickeln. Dann verlieren die Gemeinden ihre Fähigkeit, sich konstruktiv mit den für ihr Gemeinwohl wichtigen inneren und äußeren Einflüssen auseinanderzusetzen. Bei gleichzeitig schwächer werdender Wirtschaftskraft und begrenzter Kapazität, Umbrüche bewältigen zu können, werden Probleme wie Umweltschäden oder soziale Missstände chronisch. Daneben führen Rationalisierung und Globalisierung zum unaufhaltsamen Rückgang lokaler Betriebe. Damit einher geht der Verlust von lokalen Besonderheiten und Eigenschaften, von regionaler Identität. Im öffentlichen Bereich haben Steuereinsparungen und der weitverbreitete Trend zu einer neoliberalen Wirtschaftspolitik zur Schließung von Schulen, Krankenhäusern, Postämtern und zu Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr geführt. Investitionen in die bauliche Infrastruktur wurden reduziert und Sozialprogramme gestrichen. Einige Kleinstädte ziehen nichtsdestoweniger weiterhin Menschen und Investitionen an. In den meisten der hochverstädterten Regionen der entwickelten Welt wanderten Arbeitsplätze und Haushalte aus Großstadtregionen in die Kleinstädte ab. Diese Bewegung wird als Gegenurbanisierung 12

bezeichnet. Ein Grund hierfür liegt in der seit den 1970er-Jahren verbesserten ländlichen Infrastruktur, in neuen Kommunikationsnetzen, besserer Wasserversorgung oder verbessertem Fernsehempfang. Kleinstädte und ländliche Räume wurden für Unternehmen und Einzelpersonen gleichermaßen attraktiv. Dies hängt mit einer zweiten wichtigen Ursache der Gegenurbanisierung zusammen: der Reorganisation und Dezentralisierung von Unternehmen. Neben ihrer verbesserten Infrastruktur und Erreichbarkeit hatten Kleinstädte relativ billiges Land sowie günstige und – insbesondere in den USA – nicht gewerkschaftlich organisierte und flexible Arbeitskräfte zu bieten. In ländlichen Zweigniederlassungen entstanden viele Industriearbeitsplätze, in denen standardmäßig produzierte Güter kostengünstig hergestellt werden konnten. Als weitere Ursache der Gegenurbanisierung ist der Zuzug von Babyboomern und Rentnern zu nennen; die einen hofften, hier einen alternativen Lebensstil zu finden, die anderen hatten genügend finanzielle Grundlagen, um ihren Lebensabend in kleinstädtischen Ferien- und Kurorten verbringen zu können. Viele Kleinstädte, die vormals als uninteressant und langweilig galten, wurden nun von den neuen Zuzüglern als pittoresk, ruhig und erschwinglich betrachtet. Pensionäre, Telearbeiter, Langstreckenpendler und Zweithausbesitzer wurden von der Kombination aus Beschaulichkeit und günstigen Hauspreisen angezogen. Sie begannen, Kleinstädte mit renovierten Wohnsitzen, Geschäften, Restaurants und Cafés luxuriös aufzuwerten (Abb. 2). Im Allgemeinen brachte dies eine bedeutende Steigerung des städtischen Wohlstands mit sich, zog aber auch soziale Ungleichheit und Umweltprobleme nach sich. Des Weiteren trug diese Entwicklung zu einer zunehmenden Uniformität des städtischen Erscheinungsbildes und der Erlebnisqualitäten bei sowie zu einem sich verstärkenden Vermarktungswettwerb zwischen den Kleinstädten. Verschiedene Typen von Kleinstädten in unterschiedlichen Regionen haben unterschiedliche Bedürfnisse, Herausforderungen und Chancen (vgl. Tabelle 1.1). Ihr Wohlergehen ist nicht nur für ihre eigenen Bewohner, sondern auch für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt großstädtischer Regionen und ländlicher Räume entscheidend. In der nationalen Politik bleiben Kleinstädte dennoch meistens unberücksichtigt, da

sie weder unter die Rubrik (groß-)städtische Grundsatzprogramme noch die der Förderung ländlicher Räume fallen. Auch die Forschung hat sich in den vergangenen 20 Jahren kaum mit Kleinstädten befasst, da ihre Aufmerksamkeit den Auswirkungen der Globalisierung und des Technologiewandels auf Großstädte und verstädterte Regionen galt. Mit den immer spürbarer werdenden Auswirkungen der Globalisierung auf die Kleinstädte begannen sich dann aber Bürgerbewegungen zu formieren. Viele dieser Bürgerinitiativen sind Partnerschaften zwischen Ortsvereinen, ortsansässigen Geschäften und lokalen Verwaltungen. Sie beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit der Lebensqualität und der Nachhaltigkeit ihrer Gemeinden. Diese Bürgerinitiativen sind ein wiederkehrendes Thema des vorliegenden Buches, das sich auf den Ansatz der Kooperation und des Netzwerks konzentriert. Dabei werden die Verfahren vorgestellt, die am besten auf die Herausforderungen der Globalisierung und des Strukturwandels reagieren.

Tabelle 1.1: Eine Typologie der Kleinstädte Herausforderungen Wachsende Kleinstädte

Soziale Gerechtigkeit

Erschwinglicher Wohnraum Erhöhter Druck auf Flächen- und Raumnutzung Umwelt

Umweltschäden und -verschmutzung Politik des Wachstums sowie der Umweltqualität Beeinträchtigung der Kulturlandschaft Wirtschaft

Erhöhte Abhängigkeit vom Dienstleistungssektor Vereinheitlichung des Einzelhandels Arbeitsplatzabhängigkeit von anderen Gemeinden Kultur & Gemeinschaft

Bedrohte Ortsidentität Kommerzialisierung von Identität und Kultur Verbesserung der gemeinschaftlichen Leistungsfähigkeit Schrumpfende Kleinstädte

Soziale Gerechtigkeit

Abbau von öffentlichen Einrichtungen Umwelt

Vernachlässigung der Kulturlandschaft Brachflächen Wirtschaft

Niedergang der ressourcenabhängigen Industriesektoren (Old Economy) Fehlende Wachstumsmöglichkeiten Kultur & Gemeinschaft

Leerstehende Häuser Abnehmendes Steueraufkommen Fantasielose Politik Isolierte, mittellose Bevölkerung Soziale Isolation Alternde Bevölkerung

2. Flagstaff, Arizona, USA. Flagstaff war einst von Holzwirtschaft, Eisenbahn und Bergbau geprägt. Heute ist es eine prosperierende Kleinstadt mit einem gentrifizierten historischen Kern und neuen Vororten.

1 EINLEITUNG

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Die Globalisierung und die Entwicklung der Kleinstädte In den vergangenen drei Jahrzehnten sahen sich Menschen und Städte einem rasanten Wandel in bisher nicht gekanntem Ausmaß gegenüber. Der Globalisierungsprozess von Wirtschaft und Kultur hat eine «Netzwerkgesellschaft» geschaffen, in der sich Kapital, Ideen und Individuen in ständiger Bewegung befinden. Einige Städte sind zu «Weltstädten» oder «globalen Städten» aufgestiegen und haben Schlüsselpositionen innerhalb der Weltwirtschaft übernommen. Kleinstädte hingegen konnten kaum von diesem Umbruch profitieren und bekamen die negativen Auswirkungen der Globalisierung zu spüren. Lokale Ökonomien wurden plötzlich externen Einflüssen ausgesetzt und durch neue wirtschaftliche Abhängigkeiten und Umstrukturierungen geschwächt. Regionale Bräuche wurden von den gesellschaftlichen und kulturellen Kräften der Globalisierung «überschrieben». Die Globalisierung hat eine Welt von ruhelosen Landschaften geschaffen, in denen die Orte sich immer ähnlicher werden, je mehr sie sich wandeln und je weniger sie in der Lage sind, ihre charakteristischen Merkmale zu bewahren.

Der entscheidende Moment der Globalisierung war der «Systemschock» für die internationale Wirtschaft Mitte der 1970er-Jahre. Die Weltfinanzmärkte waren durch eine defizitäre Haushaltsplanung der US-Regierung sowie enorme Dollarreserven der OPEC-Länder aufgeblasen. Schnell entwickelte die internationale Finanzwelt jedoch ein neues, raffiniertes System, das neue Investitions- und Desinvestitionsmuster aufzeigte und zu radikalen sozio-ökonomischen Veränderungen führte. In den meisten OECD-Ländern begannen sich neue Wirtschafts- und Sozialstrukturen einer postindustriellen Gesellschaft abzuzeichnen, die auch in den städtischen Strukturen sichtbar wurden. Eine nie dagewesene transnationale, materielle Kultur des Konsums globaler Luxusartikel entstand. Andere Produkte wurden «mcdonaldisiert», standardisiert, konzessioniert und in den Worten von George Ritzer zu einem «Nichts» gemacht, also zu Produkten, die zentral erdacht und kontrolliert werden, aber in ihrem substanziellen Gehalt vergleichsweise leer sind.1 Wieder andere Produkte wurden «glokalisiert» als Ergebnis einer gegenseitigen Befruchtung globaler Trends und lokaler Bräuche. Da sich der Geldfluss in den regionalen, nationalen und internationalen Kapitalkreisläufen beschleunigte, erhöhte sich auch die Geschwindigkeit des alltäglichen Lebens.

3. Castleton, England. So wie viele andere Textilstädte im Großraum Manchester, die von der wirtschaftlichen Umstrukturierung betroffen sind, leidet Castleton unter wirtschaftlichem Rückgang, sozialen Missständen und Umweltschäden. 14

Die schnelle Welt Innerhalb der schnellen globalen Wirtschaftswelt stehen heute mehr als eine Milliarde Menschen über weltweite Kommunikations-, Wissens-, Produktions- und Konsumnetzwerke miteinander in enger Verbindung. Da der Kapitalismus seinem Wesen nach auf Wettbewerb beruht, findet ein rastloses Rennen statt, um neue Märkte aufzuspüren und die Turnover-Zeit des Kapitals zu reduzieren (das heißt die Zeit, die investiertes Geld braucht, um durch den Verkauf von Gütern und Dienstleistungen mit Gewinn wieder zurückzukommen). Im globalen Wirtschaftssystem ist Zeit Geld, und dies führt unvermeidlich zur Beschleunigung des Lebens. Die Gravitationszentren der schnellen Welt sind die Großstädte Europas und Nordamerikas, sie beeinflussen aber auch überall auf der Welt die wohlhabenderen Regionen, die kleinen Städte, Stadtviertel und Haushalte, die entweder als Produzenten oder als Konsumenten mit der Weltwirtschaft verbunden sind. Die Zusammenhänge zwischen rapider Industrialisierung, Beschleunigung des Alltags und Qualitätsverlust des sozialen Lebens wurden erstmals von Walter Benjamin2 thematisiert. Diese Abhängigkeiten haben sich mit der Fragmentierung und Reorganisation der postindustriellen Gesellschaften und insbesondere durch die beschleunigte Leistung von Informations- und Übermittlungstechnologien weiter intensiviert. In vielen Ländern hat sich zudem die Anzahl der Arbeitsstunden pro Woche erhöht, was zwangsläufig auch die zu Hause verbrachte Zeit für viele Menschen verkürzt. Eine wachsende Zahl an Haushalten hängt heute von mehr als einem Einkommen ab, was nicht nur ein Mehr an Arbeit bedeutet, sondern auch eine präzise Abstimmung persönlicher Zeitpläne erforderlich macht. Dieser (Zeit-)Druck steht in engem Zusammenhang mit dem Materialismus der postindustriellen Gesellschaften. Individuen definieren ihren Selbstwert, ihre soziale Stellung und ihr Wohlbefinden über den Konsum. Somit stützt sich die heutige wirtschaftliche und soziale Dynamik auf einen Kreislauf, der aus «arbeiten» und «ausgeben» besteht. Schnelllebigkeit, wie sie von der Werbung vorgelebt und vorangetrieben wird, ist zum Markenzeichen des Konsums geworden. Die Werbung suggeriert dem Betrachter, Genuss und Vergnügen seien durch schnellen Konsum zu haben. Ruhe1 EINLEITUNG

losigkeit und Termindruck sind nichts Negatives mehr, sondern gelten als Kennzeichen eines vorbildlichen, angemessenen und erfüllten Lebens. Alles unterliegt heute dem Primat der Geschwindigkeit: Lieferungen, Dienstleistungen, Kochzeiten, Zahlungen von Rechnungen, persönliche Erfüllung. Paradoxerweise zeigen Konsumentenbefragungen immer wieder, dass sich die Menschen einen ruhigeren, minder konsumorientierten Lebensstil wünschen. In der Praxis jedoch verhalten sie sich umgekehrt und bleiben zusehends dem Kreislauf von «arbeiten» und «ausgeben» verhaftet.

4. Flughafen Schiphol, Amsterdam. Ein Drehkreuz der schnellen Welt.

5. Sydney, Australien. Büroangestellte hetzen zur Arbeit.

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Wirtschaftliche Verlagerungen Wie die vorausgegangenen Entwicklungsphasen der Wirtschaft hat die Globalisierung ihre eigene räumliche Logik. Einige Orte sind gut positioniert, um von ihrer internationalen, postindustriellen und informationsorientierten neuen Wirtschaftsstruktur profitieren zu können. Bei anderen trifft dies weniger zu. Insbesondere Kleinstädte sehen sich mit der immer stärker werdenden Herausforderung konfrontiert, wirtschaftlich überlebensfähig zu bleiben. In einem von Konkurrenz umkämpften unsteten Markt, der täglich neue Konsumgüter hervorbringt und Produktionsstandorte ständig verlagert, wird dies zunehmend schwieriger. Für viele Kleinstädte beruht Wirtschaftsförderung auf der Fähigkeit ihrer Vertreter aus Politik und Wirtschaft, Investitionen internationaler Großkonzerne anziehen zu können. Dies geschieht oft um den Preis teurer Anreize und Konzessionen. Andernorts, wo solche großmaßstäblichen Investitionen fehlen, spiegelt die regionale Wirtschaftsentwicklung den ökonomischen Strukturwandel der schnellen Welt wider, mit ständig größer werdenden Büro- und Gewerbeparks, Einkaufszentren, Supermarktketten, Fastfood-Restaurants und Bekleidungsketten. Stadtplaner, Stadträte und Verwaltungen genehmigen die Ausbreitung überdimensionierter Geschäfte und Einzelhandelsketten und hoffen verzweifelt darauf, so die lokale Steuerbasis zu sichern (Abb. 6 und 7). Die Unternehmensketten gleichen jedoch immer mehr einer überhandnehmenden, fremden Spezies:

6. Supermarkt auf der Grünen Wiese. Das Bild zeigt einen neuen Supermarkt in Belper, England, der typisch ist für die Entwicklung großer Einzelhandelszentren, die die Kaufkraft von der Innenstadt abziehen. Zentralisierte Lieferketten ermöglichen niedrigere Preise, haben aber auch eine größere Abhängigkeit zwischen der Agrarindustrie und den großen Nahrungsmittelherstellern zur Folge. 16

unersättlich, wahllos und oft unsozial. In Kleinstädten brauchen Großunternehmen, Supermärkte und Einzelhandelsketten normalerweise nicht lange, bis sie das lokale wirtschaftliche Ökosystem erstickt haben. Ihre großmaßstäblichen, zentral organisierten Logistikabläufe treiben die Gleichmacherei von Gewerbe, Versorgung, Landwirtschaft, Lebensmitteln, Umwelt und Alltagsleben auf lokaler Ebene voran. Stadtzentren waren einst eine betriebsame Mischung von unabhängigen Metzgern, Tabakwaren- und Zeitschriftenläden, Cafés, Buchhandlungen, Gemüsehändlern und anderen Familienbetrieben. Gegenwärtig werden sie alle rapide durch standardisierte Supermärkte, Schnellrestaurants, Mobilfunkgeschäfte und billige Bekleidungsgeschäfte globaler Großkonzerne ersetzt. Fastfood-Restaurants sind zum Symbol dieses Trends geworden. Allein McDonald’s besitzt mehr als 28.000 Restaurants weltweit und eröffnet jedes Jahr 2.000 neue. McDonald’s ist der größte Einkäufer von Rindfleisch, Schweinefleisch und Kartoffeln und der größte Grundbesitzer von Einzelhandelsflächen. In den USA werden 40 Prozent aller Mahlzeiten außer Haus eingenommen, die meisten davon in Schnellrestaurants. Jeder vierte Erwachsene besucht täglich ein FastfoodRestaurant, und somit verwundert es nicht, dass die Mehrheit der Bevölkerung übergewichtig ist und die Zahl der Menschen mit durch Fettleibigkeit bedingten Gesundheitsproblemen, wie Diabetes und hohe Cholesterinwerte, schnell ansteigt. Die Kosten für den Einzelnen wie auch für das Gesund-

heitssystem sind bereits erschreckend. Dessen ungeachtet bleibt der Fastfood-Sektor mit seinen schlecht bezahlten Arbeitsplätzen weiterhin ein bedeutender Wirtschaftsfaktor der schnellen Welt. Supermarktketten haben sich im Wirtschaftsprofil von Kleinstädten noch viel stärker bemerkbar gemacht. In Großbritannien beispielsweise hat das Wachstum der vier führenden Vertreter – Tesco, Asda (zu Wal-Mart gehörend), Sainsbury und Safeway – dazu beigetragen, dass diese Ketten den Einzelhandel der Kleinstädte dominieren, nicht nur mit ihren riesigen Supermärkten auf der Grünen Wiese, sondern auch mit ihren kleinen Läden (Tesco Express, Tesco Metro und Sainsbury’s Local) in den Hauptstraßen der Stadtzentren. In den vergangenen Jahren wurde in Großbritannien pro Tag durchschnittlich ein Tante-Emma-Laden geschlossen, und wöchentlich gaben 50 Spezialgeschäfte wie Metzger, Bäcker und Fischhändler auf.3 Gemeinsam haben Fastfood-Restaurants und Supermarktketten nicht nur die kleinen lokalen Geschäfte vernichtet, sondern auch die örtliche Landwirtschaft beeinträchtigt. Supermarkt- und Fastfood-Industrie sind beide von agrarischen Großbetrieben abhängig. Diese Großbetriebe sind nationale und internationale Firmen, die oft in hohem Maße subventioniert werden. Um den globalen Markt mit ihren agrarischen Massenprodukten zu sättigen, stützen sie sich auf Monokulturen und extensive Landwirtschaft, was wiederum einen erheblichen Einsatz von Antibiotika, Pestiziden,

Düngern und genetisch manipuliertem Saatgut nach sich zieht. Kleinbauern und Fischer sind daher vom Markt verdrängt worden, und mit ihnen sind viele der regionalen traditionellen Nahrungsmittel verschwunden oder laufen Gefahr, in naher Zukunft zu verschwinden: nach alter Handwerkskunst hergestellter und gereifter Gouda in den Niederlanden, Ganxet-Bohnen und Jiloca-Safran in Spanien, Sardinen in Cornwall und Old GloucesterRindfleisch in England, Mangalica-Wurst in Ungarn, Pardailhan-Schwarzrüben und die goldenen französischen Linsen aus Planèze de Saint-Flour. Viele weitere Beispiele ließen sich hier nennen.4 Zur gleichen Zeit sind die Supermarktregale voll mit Fertiggerichten, mit außerhalb der Saison erhältlichem Obst und Gemüse sowie mit Produkten, die bereits weite Wege zurückgelegt haben und lange gelagert wurden. Wenn eine durchschnittliche US-amerikanische oder europäische Familie beim Essen zusammensitzt, dann haben die meisten Zutaten ihrer Gerichte eine Reise von mindestens 2.000 Kilometern – vom Landwirtschaftsbetrieb über die Verarbeitung, Verpackung und den Vertrieb bis zum Endkonsumenten – hinter sich. Die wirtschaftliche Dominanz von Fastfood- und Supermarktketten in den Kleinstädten geht mit der Dominanz nationaler und internationaler Einzelhandelsketten in anderen Bereichen einher, die für ein uniformes Erscheinungsbild der Städte sorgen: darunter Apotheken, Bekleidungsgeschäfte, Buchhandlungen, Musik- und Elektronikgeschäfte, Cafés und sogar Bestattungsunternehmen. Dieser

7. Einzelhandel auf der Grünen Wiese. Ein WalMart Einkaufszentrum in Chandler, Arizona.

1 EINLEITUNG

17

Trend bedeutet nicht nur die Erosion kleiner Läden, sondern auch eine immer kleiner werdende Auswahl an Konsumgütern, weniger Vielfalt und nachlassende Innovation. Halten beispielsweise lokale Zeitschriftenläden ein breites Angebot an unterschiedlichen Zeitschriften- und Zeitungstiteln bereit, konzentrieren sich Supermarkt- und Einzelhandelsketten normalerweise nur auf jene maximal einhundert Titel, die den größten Umsatz und somit den größten Gewinn versprechen. Dasselbe gilt für den Verkauf von CDs und DVDs. So reduzieren die Großkonzerne in den Kleinstädten nicht nur die Vielfalt der Läden, sondern auch deren Sortiment. Rationalisierungsmaßnahmen, die letztendlich mit dem externen Management der Unternehmen zusammenhängen, führen oft zu Schließungen. In Großbritannien wächst daher auch der Druck auf die traditionellen Pubs. Nach Angaben der Real-Ale-Kampagne schließen monatlich 56 Pubs, und die verbleibenden Pubs konzentrieren sich mehr und mehr in den Händen weniger Besitzer.5 Großkonzerne wie Greene King, Punch Taverns und Enterprise Inns sind bereits im Besitz Tausender Kneipen, akquirieren aber ständig neue, um den Markt weiter zu durchdringen und Kosten einzusparen. Kleinere Pubs, die nicht in ihr Geschäftsmodell passen, werden an Bauträger verkauft und in Wohnungen und Restaurants umgewandelt. Ein ähnliches Muster zeigt sich auch in Frankreich, wo die Zahl lokaler Bistros von 225.000 in den 1970er-Jahren auf heute 45.000 gesunken ist. Viele der Bistros, die überlebt haben, sehen sich der Gefahr ausgesetzt, von großen Unternehmen geschluckt zu werden, sich von Grund auf neu umgestalten oder gar komplett schließen zu müssen. Die Angleichung des Einzelhandels in den britischen Kleinstädten wurde von der New Economics Foundation dokumentiert, die auch einen Index entwickelt hat, mit dem sich Clone Towns (Klonstädte) identifizieren lassen. Es handelt sich dabei um Orte, «in denen die Individualität der Geschäfte entlang der Haupteinkaufsstraße durch die monochrome Aneinanderreihung globaler und nationaler Einzelhandelsketten ersetzt wurde. Diese farblosen Stadtzentren finden sich zu Dutzenden im ganzen Land.»6 Im Gegensatz hierzu ist eine Home Town ein Ort, dessen ursprünglichen Charakter Bewohner wie Besucher sofort erkennen können. Von den 103 von der New Economics Foundation 18

begutachteten Städten hatten lediglich 34 Prozent eine ausreichende Anzahl lokaler Geschäfte, um als «Home Town» bezeichnet zu werden. 41 Prozent hatten so wenig unabhängige Geschäfte, dass sie den Titel «Klonstadt» erhielten. Die übrigen 26 Prozent fanden sich irgendwo in der Mitte wieder. Beispiele für Klonstädte sind Stafford (Abb. 8), Winchester und Burton-on-Trent. Beispiele für Home Towns sind Lewes, Hebden Bridge und Emsworth (Abb. 15, 16 und 17). Im Allgemeinen haben Orte mit größerer Einwohnerzahl die Tendenz zur Klonstadt, Orte mit weniger Einwohnern sind eher Home Towns. Dies spiegelt somit auch die Standortwahl großer Einzelhandelsketten wider. Das Gutachten stellte weiterhin fest, dass Home Towns ein deutlich breiteres Sortiment an Waren und Dienstleistungen bereithalten. In Klonstädten hingegen dominiert eher eine bestimmte Warenkategorie, wie beispielsweise Bekleidung. Home Towns haben im Durchschnitt etwa 18 verschiedene Typen von Geschäften und im Allgemeinen mehr Einzelhändler, die Lebensmittel, Haushaltswaren und andere Dinge des täglichen Bedarfs verkaufen.

8. Stafford, England. Standardisierte Ladenfront einer Einzelhandelskette, eingefügt in die historische Fassade eines Hauses in der Greengate Street. 1 EINLEITUNG

19

Winchester, England Das Gutachten der New Economics Foundation aus dem Jahr 2005 platzierte Winchester weit oben auf der Liste der sogenannten «Clone Towns,» in denen große Einzelhandelsketten und Supermärkte die Vielfalt der lokalen Geschäfte und Dienstleistungen sowie den spezifischen Charakter der Stadt zerstört haben. Die Stadt Winchester wurde von den Römern um 70 nach Christus gegründet. Sie war eine civitas, eine regionale Hauptstadt mit einem gitterförmigen Straßennetz und einem Marktplatz (forum), der von Geschäften und öffentlichen Gebäuden gesäumt war. Wahrscheinlich wurde die Stadt aufgegeben, nachdem der letzte römische Soldat England im Jahr 407 verlassen hatte. Zur Zeit von König Arthur und seinen Rittern im späten fünften und frühen sechsten Jahrhundert gewann Winchester als Militärstützpunkt wieder an Bedeutung. Im späten neunten Jahrhundert baute Alfred der Große die Stadt zu einer bedeutenden Kirchenstadt und zur Hauptstadt von Wessex und England aus. Erneut wurden die Straßen rasterförmig angelegt. Ende des 11. Jahrhunderts wurde die große Kathedrale fertiggestellt und zeitgleich auch das Domesday Book («Buch von Winchester») vollendet, das in der königlichen Schatzkammer aufbewahrt wird. Während des Mittelalters war die Herstellung von Wolltuch für Winchester die Quelle des Wohlstands. Obwohl die Stadt nie mehr als 6.000 Einwohner hatte, blieb Winchester ein wichtiges königliches und kirchliches Zentrum, auch dann

11. Die Kathedrale von Winchester. 20

9. Die Stadtmitte von Winchester.

10. Die Stadtmitte von Winchester von Osten.

noch, nachdem die Hauptstadt nach London verlegt worden war. Im Jahr 1554 zum Beispiel heiratete Königin Mary Tudor den Prinzen Philipp von Spanien in der Kathedrale von Winchester, und 1603 wurde Sir Walter Raleigh wegen Hochverrats in Winchesters Great Hall angeklagt. Lange Zeit jedoch war Winchester nur eine kleine Marktstadt. 1724 schrieb Daniel Defoe, dass Winchester «ein Ort ohne Handel, ohne Manufaktur, ohne Orientierung» sei.7 Einige Jahrzehnte später besaß die Stadt jedoch schon einige fest etablierte Läden und eine schmale Oberschicht. Ein großer Teil der Stadt wurde neu erbaut, einige der alten Häuser erhielten Fassaden im georgianischen Stil. Mit der Eisenbahn, die 1840 die Stadt erreichte, kam beträchtlicher Reichtum nach Winchester. Dies ist nicht nur an einer größeren Zahl viktorianischer Häuser im Stadtbild ablesbar, sondern auch an einer gewissen Industrialisierung. 1891 zählte die Stadt mehr als 17.000 Einwohner. Seitdem hat sich die Bevölkerung mehr als verdoppelt. Als Verwaltungshauptstadt der Grafschaft Hampshire besaß Winchester eine relativ stabile Wirtschaft. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurde das Stadtzentrum saniert, und Filialen nationaler Einzelhandelsketten begannen sich auszubreiten. Im Jahr 2005 wurde der Umbau der Haupteinkaufsstraße zur Fußgängerzone fertiggestellt, in der Hoffnung, für Konsumenten attraktiv zu bleiben. Nur wenige der Geschäfte haben allerdings einen lokalen Charakter. Die Stadt selbst ist sich sehr bewusst, wie wichtig es für sie ist, ihr kulturelles Erbe und ihre Identität zu erhalten. Auf den Internetseiten der Stadt ist zu lesen: «Wir wollen nicht zu einer langweiligen und von Shopping Centern gekennzeichneten Klonstadt werden. Wir versuchen unseren ausgeprägten Charakter und unsere Persönlichkeit zu bewahren [...]. Wir haben über 350 Geschäfte, Restaurants, Cafés und Bars, mit einer guten Mischung aus Freizeit und Kultur. Wir sind ein hochwertiges kulturelles Ausflugsziel. Winchester muss seine Qualitäten für Bewohner und Besuchern gleichermaßen weiterentwickeln – durch neue Attraktionen und den Erhalt unseres historischen Erbes.»8

12. Die Haupteinkaufsstraße von Winchester. Hier, auf der Südseite, ist ein Teil der «Pentice» genannten Arkaden zu sehen.

13. Winchesters Haupteinkaufsstraße und das Butter Cross, ein Denkmal aus dem 15. Jahrhundert. Das Denkmal wurde durch Steuern finanziert, die Bürgern auferlegt worden waren, die während der Fastenzeit Butter gegessen hatten.

14. Die Nordseite der Haupteinkaufsstraße in Winchester. 1 EINLEITUNG

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15. Emsworth, England. Eine Home Town, in der es einen hohen Anteil alteingesessener Läden gibt. Die Hafenstadt, die früher eine bedeutende Austernindustrie besaß, ist inzwischen zum Siedlungszentrum in der Region Portsmouth geworden. Der Hafen wird fast nur noch von Freizeitseglern genutzt. Seit 2001 hält die Stadt jährlich ein kulinarisches Festival ab, das inzwischen zu den größten seiner Art in Großbritannien zählt.

16. Emsworth, England. Emsworth hat es geschafft, viele einheimische Geschäfte zu erhalten. Unter anderem gibt es zwei Gemüsehändler, zwei Metzgereifachgeschäfte, einen Fischhändler, zwei Zeitungshändler, drei Blumengeschäfte, fünf Friseurgeschäfte, einen genossenschaftlich organisierten Laden und dieses Reisebüro.

17. Emsworth, England. Weitere alteingesessene Läden auf der Haupteinkaufsstraße.

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Die Vermarktung von Städten In Gesellschaften, in denen sich Orte und Städte immer mehr angleichen, ist das Erlebnis spektakulärer und unverwechselbarer Orte, Umgebungen und Landschaften zu einem wichtigen Element der konsumorientierten Kultur geworden. Die schnelle Welt mit ihren internationalen Architekturstilen, Kleiderordnungen, Einzelhandelsketten und Pop-Kulturen wird immer öfter mit Heimatlosigkeit, Entwurzelung, dem Verlust territorialer Identität und einem nachlassenden Sinn für die Einmaligkeit eines Ortes assoziiert. Bauträger und Stadtentwickler haben hierauf mit Freizeit- und Themenparks, Einkaufszentren, Festivals in Innenstädten, restaurierten historischen Stadtvierteln und pseudo-traditionellen Dörfern und Wohngebieten reagiert. Aber je stärker man versuchte, künstlich unverwechselbare, markante Orte zu erschaffen, und je größer und spektakulärer die Projekte wurden, umso unglaubwürdiger waren die Ergebnisse. Die Globalisierung hat dazu beigetragen, dass sich Gemeinden in weiten Teilen der Welt heute stärker denn je die Frage stellen, wie sie von Touristen, Betrieben, Medienunternehmen und Konsumenten wahrgenommen werden. Orte und Städte werden daher zunehmend neu interpretiert, neu erfunden, umgestaltet, verpackt und vermarktet. Um in der globalen Wirtschaft konkurrenzfähig zu bleiben, haben sich viele Orte einer gründlichen Veränderung unterzogen. Fußgängerzonen, Kultureinrichtungen von Weltrang, Festivals, Sport- und Medienereignisse wurden geschaffen; oder anders ausgedrückt: Es entstanden «Karnevalsmasken» und «degenerative Utopien» eines globalen Kapitalismus.9 Inzwischen hat fast jeder Ort seine eigene Internetseite, auf der er sich mit Karten, Informationen, Fotos, Reiseführern und virtuellen Rundgängen dem globalen Tourismus- und Handelsmarkt anpreist. Die Frage, in wessen Hand die kulturelle Umgestaltung liegt und zu welchen Bedingungen sie stattfindet, kann entscheidend für die Lebensqualität vor Ort sein. Um die Anziehungskraft ihres Ortes zu erhöhen, zielen die meisten Stadtmarketingstrategien auf eine genau durchdachte Manipulation des kulturellen Erbes ab. Diese Manipulation findet zum Teil über die Vermarktung lokaler Traditionen, Lebensstile und Bräuche statt. Auch Umgestaltungen und Sanierungen von historischen Strukturen und Stadtvierteln sind inzwischen so weit verbreitet, dass sie zu einer 1 EINLEITUNG

Hauptstütze der «Kulturerbe-Industrie» geworden sind. Diese neue, global tätige Industrie stützt sich auf die Vermarktung der Historie von Orten und deren Kultur. In diese Richtung wirkt auch die UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization), deren Liste des Weltkulturerbes ständig erweitert wird. Die Entwicklung der KulturerbeIndustrie hat dazu geführt, dass städtisch-kulturelle Strukturen immer öfter einem entwürdigenden und trivialisierenden Disneyfizierungsprozess ausgesetzt sind. Das UNCHS (United Nations Centre for Human Settlements) hat bereits angemerkt, dass «der besondere historische Charakter einer Stadt oft in der direkten und unverhüllten Suche nach einem internationalen Image und internationalen Unternehmen untergeht [...]. Lokale Identität wird zu Zierrat, zu einem Artefakt der Öffentlichkeitsarbeit, um dem Marketing zu helfen. Für Authentizität wird gezahlt, sie ist eingekapselt, mumifiziert, sie wird positioniert und präsentiert, um Touristen anzuziehen und nicht um die Kontinuität von Traditionen oder die Geschichte ihrer Erbauer zu schützen.»10 Doch je stärker die bebaute Umwelt von allgemeinen und nicht authentischen Strukturen und Formen überlagert wird, desto höher werden die verbleibenden Strukturen geschätzt. Je mehr sich das Konsumverhalten der Menschen angleicht, desto fruchtbarer wird der Boden für kulturelle Gegenbewegungen. Je stärker internationale Unternehmen die Autorität nationaler und lokaler Regierungen in Wirtschaftsangelegenheiten beschneiden, desto stärker prägt sich der Regionalismus aus. Je allgemeiner die Verbreitung materieller Kultur und Lebensstile wird, desto mehr besinnt man sich auf lokale und ethnische Identitäten. Je schneller die Datenautobahn die Menschen in den virtuellen Raum befördert, desto stärker spüren sie das Bedürfnis nach einem subjektiven Raum − einem speziellen Ort oder einer Gemeinschaft −, wo sie sich zu Hause fühlen. Je schneller der Alltag und die Suche nach Profit und materiellem Konsum werden, desto mehr wollen die Menschen ihre Freizeit genießen. Und je mehr ihre Viertel und Städte die gleichen Supermärkte, Tankstellen, Einkaufszentren, Industriegebiete, Gewerbeparks und Vororte haben, desto stärker fühlen die Bewohner das Bedürfnis nach Enklaven des Vertrauten, nach einem Zentrum und nach Identität. Das UNCHS schreibt: «An vielen Orten sind Menschen von den Veränderungen ihrer traditionellen Kultur, ihrer spirituellen und sozialen 23

Werte sowie vom Konsumkult, der der Globalisierung immanent ist, überfordert. Im Gegenzug haben viele Orte ihre ‹Ortskultur› wiederentdeckt und betonen ihre eigene Identität, ihre Wurzeln, ihre Kultur und ihre Werte sowie die Bedeutung einzelner Stadtviertel, der Umgebung oder ganzer Städte.»11

Lebensqualität und Nachhaltigkeit Die wirtschaftliche und demografische Stagnation in den Kleinstädten, die Folgen der Globalisierung und der Druck der Gegenurbanisierung haben die Frage nach der Lebensqualität aufgeworfen. Lebensqualität ist ein facettenreicher und relativer Begriff. Was in einigen Teilen der Welt als «lebenswert» gilt, wird in anderen Teilen als höchst unbefriedigend erachtet. Dies kann mit kulturellen Unterschieden, aber auch unterschiedlichen Lebensstandards zusammenhängen, die die verschiedenen Erwartungen an Städtebau, Verkehrswesen, Infrastruktur und Dienstleistungen prägen. Trotzdem bleibt Lebensqualität ein wichtiger Begriff. Das vom britischen Department for Communities and Local Government durchgeführte Forschungsprojekt «Zum Zustand englischer Städte» ist zu dem Schluss gekommen, dass die politische Bedeutung von Lebensqualität zunimmt, da die Öffentlichkeit immer größeren Wert auf die Qualität der unmittelbaren Umgebung legt. Das Forschungsprojekt sieht

Lebensqualität im Kontext der Qualität des Raumes und der bebauten Umwelt. Folglich handelt Lebensqualität davon, «wie einfach es ist, sich an einem Ort zurechtzufinden und sich sicher zu fühlen. Es geht um die Gestaltung und den Erhalt einer besonderen Ortsidentität, indem man eine einladende und angenehme Umwelt schafft.»12 Lebensqualität hat im Wesentlichen mit der Planung und dem Management eines Ortes zu tun, an dem Menschen leben und arbeiten wollen. Lebensqualität kann daher zu einem Schlüsselelement im zwischenstädtischen Wettbewerb um Bewohner und Gewerbe werden. Weiterhin merkt der Forschungsbericht an, dass Lebensqualität im Wesentlichen etwas Lokales ist und vier große Themen umfasst: die Qualität der Umwelt, die physischen Gegebenheiten eines Ortes, sein gutes «Funktionieren» sowie das soziale Leben und die Sicherheit im öffentlichen Raum. In den USA ist eine vom Nationalen Forschungsrat in Auftrag gegebene Studie über die Lebensqualität von Gemeinden zu dem Schluss gekommen, dass «Lebensqualität sich auf drei wesentliche, voneinander abhängige Komponenten stützt: Wirtschaft, gesellschaftliches Wohlergehen und Umwelt. Die Wirtschaft, die Arbeitsplätze und Einkommen schafft, bildet die Grundlage für das Wohlbefinden der Bewohner (etwa durch die Möglichkeit, ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Schutz zu stillen) sowie für über das Nötigste hinausgehende Bedürfnisse wie Ausbildung, Gesundheitswesen

18. Bellinzona, Schweiz. Lebensqualität hängt sehr stark von der Gestaltung der Außenanlagen ab.

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und Erholung. Die Wirtschaft sollte die Umwelt so nutzen, dass nachfolgenden Generationen genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Gesellschaftliches Wohlergehen ist in hohem Maße auf soziale Gerechtigkeit angewiesen, das heißt, auf eine gerechte soziale und räumliche Verteilung der wirtschaftlichen und natürlichen Ressourcen sowie auf ein Regierungssystem, das sich um alle Bürger kümmert. […] Die Umwelt ist die entscheidende Infrastruktur, die die natürlichen Ressourcen zur Verfügung stellt, Abfallstoffe aufnimmt und den Einzelnen mit der freien Natur verbindet.»13

Sogenannte «dritte Orte» Für viele Menschen gehört zur Lebensqualität und zum Wohlbefinden das Ambiente eines Ortes und die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen. Ansprechende und attraktive Orte für Bewohner wie für Besucher besitzen nicht nur eine gute Infrastruktur und eine saubere Umwelt, sondern auch eine rege Betriebsamkeit. Zwanglose Begegnungen und gemeinsame Erfahrungen tragen zum gegenseitigen Verständnis, zur Identifikation mit dem Ort und zum Gemeinschaftssinn bei. Daher steht zu erwarten, dass von der Bevölkerung gut angenommene Orte viele Gelegenheiten bieten, sich ungezwungen zu treffen und auszutauschen: einladende Bars und Kneipen, verschiedene Möglichkeiten zum Einkaufen oder Essengehen, Straßenmärkte, Plätze zum Sitzen, Warten und Beobachten der Menschen in einem zu jeder Jahreszeit angenehmen Ambiente. Am wichtigsten aber ist es, dass den Menschen das Gefühl der Zugehörigkeit, Herzlichkeit, Gastlichkeit und Lebensfreude sowie der historischen und kulturellen Kontinuität vermittelt wird. Sogenannte «dritte Orte» spielen dabei eine wichtige Rolle. Ray Oldenburg beschreibt Wohnungen als «erste» und Arbeitsplätze als «zweite» Orte; unter «dritten Orten» (Third Places) versteht er informelle Treffpunkte, die den «Kern des zwanglosen, öffentlichen Lebens» bilden. Sie ermöglichen das «regelmäßige, freiwillige, zwanglose und gesellige Zusammensein der Menschen außerhalb von Haus und Beruf.»14 Dritte Orte sind Stätten zum Reden oder Nachdenken, Lesen oder Geschichtenerzählen, Orte, wo jedermann willkommen ist, neutraler Grund, der leicht zugänglich und keinem verschlossen bleibt. Deutsche Biergärten, englische Pubs, französische Cafés, italienische Bars,

1 EINLEITUNG

österreichische Kaffeehäuser, aber auch Buchhandlungen sind alles Beispiele für «dritte Orte». Das Lewes Arms, ein 220 Jahre altes Pub in Sussex, England (Abb. 19), ist ein hervorragendes Beispiel für einen dritten Ort. Es ist leider auch ein gutes Beispiel dafür, wie bedroht die Zukunft solcher Orte ist. Das Pub wurde einmal beschrieben als «gemeinschaftliches Wohnzimmer [...], in dem es keine Musikbox, keinen Fernseher und keine Kaugummiautomaten gibt. Es ist ein Pub zum Reden.»15 Handys sind verboten. Das Lewes Arms war das Lokal vieler ortsansässiger Vereine, darunter des Angel-, Schach- und Dartclubs und von drei Cricket-Vereinen. Seine Stammgäste organisierten regelmäßig ihre eigenen Sporttage, Erntefeste und Wettkämpfe. Das Pub schenkte dazu immer ein lokales Bier, Harveys, aus, das nur einige hundert Meter entfernt, direkt neben dem Fluss Ouse, seit 1790 von einem unabhängigen Familienbetrieb gebraut wird. Auf dem Great British Beer Festival wurde es 2005 und 2006 als bestes «Bitter» ausgezeichnet (ein helles Bier mit einem relativ hohen Hopfenanteil). Im Jahr 2006 jedoch wurde dieses beliebte Bier aus dem Lewes Arms verbannt, nachdem das Pub von der Greene King Gesellschaft erworben wurde und die neuen Besitzer ihr eigenes Bier einführten, ein IPA (India Pale Ale), das im weit entfernten Bury St. Edmunds, Suffolk, gebraut wird. Über eintausend Ortsbewohner unterzeichneten eine Petition gegen diesen Bierwechsel. Das Unternehmen ließ sich jedoch nicht davon beeindrucken und nahm den Boykott vieler alter Stammgäste bewusst in Kauf. Die Funktion des Lewes Arms als eines «dritten Ortes» wurde somit zerstört.

Kleinstädte und Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit handelt wie Lebensqualität von den untereinander zusammenhängenden Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Nachhaltige Entwicklung wird im Englischen oft unter die «drei E» gefasst: environment (Umwelt), economy (Wirtschaft) und equity in society (soziale Gerechtigkeit) (vgl. Abb. 21).16 Dies ist eine normative Betrachtungsweise, die ökologische Nachhaltigkeit mit wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Gerechtigkeit verbindet. Der Unterschied zwischen Lebensqualität und Nachhaltigkeit liegt in der längerfristigen Perspektive der Nachhaltigkeit. Die oft zitierte Definition nachhaltiger Entwicklung

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aus dem Brundtland-Bericht, der die Probleme im internationalen Maßstab untersuchte, lautet, dass nachhaltige Entwicklung eine Entwicklung ist, «die die Bedürfnisse der Gegenwart erfüllt, ohne die Bedürfnisse kommender Generationen zu gefährden».17 Dies ist allerdings nur ein relativ kleiner Teil des Konzepts der Nachhaltigkeit in dem Bericht, in dem es auch um die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums geht, um Grundbedürfnisse wie Arbeit, Nahrung, Energie, Wasser und Hygiene, um die Balance zwischen Bevölkerung und Ressourcen, um den Erhalt und die Nutzung natürlicher Ressourcen, um die Entwicklung neuer Technologien und deren Risikomanagement, um die Verbindung von Umwelt und Wirtschaft in Entscheidungsprozessen und um die Umorientierung internationaler Wirtschaftsbeziehungen.

19. Lewes, Sussex. Das Lewes Arms ist ein traditionelles Pub, das von einer nationalen Kette übernommen wurde.

20. Pest, Ungarn. Das Central Kavehaz ist ein klassisches historisches Kaffeehaus, das vor allem bei Schriftstellern beliebt ist.

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Wenn man auf kleinstädtische Nachhaltigkeit zu sprechen kommt, werden schnell die Symptome der nicht-nachhaltigen Entwicklung genannt: struktureller Niedergang der Wirtschaft, Umweltschäden, Abwanderung, räumliche Trennung der Bevölkerungsgruppen, unsoziales Verhalten und der Verlust vormals unverwechselbarer Räume. Es ist allerdings schwierig genau zu bestimmen, was eigentlich nachhaltig ist. Für viele impliziert der aus dem Naturschutz stammende Begriff der Nachhaltigkeit ein tiefsitzendes anti-städtisches Gefühl. Ungeachtet solcher Vorurteile zeigt es sich aber, dass in städtischen Umwelten die sozio-ökonomischen Aspekte der Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnen. Dazu gehören im Hinblick auf globale Einflüsse und Abhängigkeiten insbesondere der Erhalt sozio-kultureller Eigenschaften, wie etwa Nachbarschaftsbeziehungen und Vereinsleben, aber auch ein Sozialwesen, das das Entstehen von Armut und Ungleichheit bekämpft und den Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen für alle sicherstellt. Nicht zuletzt werden auch Dimensionen des sozialen, kulturellen und politischen Selbstverständnisses mit einbezogen, die Bereitschaft und Fähigkeit einer Gemeinde, den Wandel zu bestehen, um in ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht nachhaltiger zu werden.18 Da die Abhängigkeiten zwischen Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft in Kleinstädten komplex und unübersichtlich sind, fühlen sich Planer und andere

SOZIALE GERECHTIGKEIT

Verteilungsgerechtigkeit, Wirtschaftliche Möglichkeiten, Einkommensgerechtigkeit

onflikt

Eigentu

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sk lung ick tw En

NACHHALTIGE ENTWICKLUNG Ökologisch. Profitabel. Gerecht.

WIRTSCHAFT

Wirtschaftliches Wachstum und Effizienz

21. Die «3 E» der Nachhaltigkeit. Der Kreis beschreibt die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den drei Nachhaltigkeitszielen. Überlegungen hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit, der Umwelt und der Wirtschaft stehen oft im Konflikt zueinander. Wenn sie sich allerdings gegenseitig bestärken, kann das zu einer nachhaltigen Entwicklung führen. Kleinstädte sollten Programme entwickeln, die die drei Nachhaltigkeitsziele kombinieren und auf das Ziel in der Mitte des Kreises hinarbeiten. Quelle: S. Campbell, «Green Cities, growing cities, just cities? Urban planning and the contradictions of sustainable development», in: Journal of the American Planning Association, Vol. 92, Nr. 3, Sommer 1996, S. 296−312.

UMWELT

Schutz der Umwelt

Ress ourcenkonflikt Entscheidungsträger oft überfordert. Die «drei E» (Wirtschaft, Umwelt und soziale Gerechtigkeit) in der Praxis auszubalancieren, ist aufgrund ihrer oft gegensätzlichen Ziele nicht immer einfach. Insbesondere kollidieren die Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftliches Wachstum mit dem Umweltschutz. Dennoch wird der Ruf nach Ansätzen lauter, schwierige globale Probleme auf lokaler Ebene zu lösen. Die Nachhaltigkeit kleiner Städte wird daher als immer wichtiger betrachtet – und eine wachsende Zahl an Gemeinden ist sich heute der Bedeutung des reibungslosen Zusammenspiels von Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft bewusst.

1 EINLEITUNG

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22. Orvieto, Italien. Die Hauptgeschäftsstelle der Cittaslow-Bewegung im Palazzo del Gusto.

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2

Die Mobilisierung für den Wandel in Kleinstädten

Das gestiegene Interesse an Nachhaltigkeit und Lebensqualität lässt sich nicht nur als Reaktion auf die weitreichenden Folgen des ökonomischen, ökologischen und sozio-kulturellen Kräftespiels der Globalisierung verstehen, sondern auch als Konsequenz des konsumorientierten Lebensstils, der die wirtschaftliche und soziale Dynamik moderner Gesellschaften prägt. Aus dieser Perspektive kann man den Nachhaltigkeitsgedanken auch als Reaktion auf eine Kette von ineinandergreifenden Krisen sehen: Energiekrise, Klimawandel, Umweltverschmutzung, Nahrungskrise, ungesunde Ernährungsweise, Fettsucht, Verkehrskollaps, soziale Krisen. In der Folge haben sich eine Reihe von Initiativen gebildet, von sozial orientierten Bürgerinitiativen und gemeinnützigen Organisationen über professionelle Institutionen bis hin zu Regierungsorganisationen, internationalen Organisationen und zunehmend auch großen Unternehmen, die sich auf umweltfreundliche und sozial verträgliche Marktsegmente konzentrieren.

Die Mobilisierung gegen die Globalisierung Der Globalisierungsprozess und seine Konsequenzen werden in unterschiedlichen Teilen der Welt unterschiedlich angenommen: entweder akzeptiert, modifiziert oder abgelehnt. Eine beeindruckende Form des Protests gegen die Globalisierung sind altmodische Formen des Widerstands des Volkes (Abb. 23 und 24). Zu den extremsten Beispielen gehören

2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

die französischen Bauern, die aus Protest gegen die liberalen Handelsabkommen der Europäischen Union immer wieder mit Traktoren, Agrarprodukten, Mist oder Tieren die Straßen blockieren. Ebenso sichtbar sind die Massendemonstrationen bei den Gipfeltreffen der G8-Staaten, der Welthandelsorganisation oder der Weltbank. Die Hauptbedenken der Protestbewegungen richten sich gegen die neoliberale Ideologie, die der Globalisierung der Wirtschaft zugrundeliegt. Nach Auffassung von ATTAC (Association pour la Taxation des Transactions pour l‘aide Aux Citoyens) begünstige diese Ideologie eine liberale, spekulative Wirtschaftsweise, die den Interessen der multinationalen Unternehmen und Finanzmärkte diene. Dabei fördere sie die Unterminierung demokratischer Institutionen, souveräner Staaten und lokaler Entscheidungsprozesse sowie die Zunahme wirtschaftlicher Unsicherheit und sozialer Ungleichheit.19 Das Bewusstsein für die ungewollten Nebeneffekte der Globalisierung ist auch durch Umweltorganisationen geschärft worden. Dazu gehören Gruppen wie Greenpeace oder Friends of the Earth, aber auch Bewegungen, die ihren traditionell ökologischen Fokus auf das menschliche Zusammenleben und Gemeinwohl erweitert haben. Die «Grünen» sind inzwischen zu einem festen Bestandteil der politischen Bühne geworden und haben zweifellos das Interesse und die Aufmerksamkeit für städtische Regionen verstärkt. So unterliegt beispielsweise der heutige Personennahverkehr strengen Prüfungen bezüglich seiner Umweltverträglichkeit. Immer mehr Städte und Verwaltungen lassen mögliche ökologische, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in ihre Entscheidungsprozesse einfließen. Dies spiegelt sich konkret in Initiativen wie CarSharing und Fahrradverleihstationen, aber auch bei der Anlage von Fußgängerzonen wider. Es gibt viele innovative und experimentelle Ansätze wie im österreichischen Graz, wo altes Speiseöl der örtlichen Gaststätten wiederverwertet wird, um die 130 Busse der städtischen Verkehrsbetriebe zu betreiben. Die Verkehrsemissionen konnten so verringert und die Benzinkosten um 10 bis 20 Prozent reduziert werden. Die Initiative ist Teil des Programms CIVITAS der Europäischen Union, das mit 300 Millionen Euro die Nachhaltigkeit des städtischen Verkehrswesens in 36 Städten fördert.20

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23. Montreal, Kanada. Demonstranten marschieren gegen den Einsatz von Gentechnologie.

24. Genua, Italien. Polizisten bewachen eine McDonalds-Filiale während des G8-Gipfeltreffens 2001.

25. Biologisch angebaute Nahrungsmittel. Sich verändernde Konsumpräferenzen haben dazu geführt, dass viele Supermärkte inzwischen ein Grundangebot an BioFrüchten und -Gemüsen, die teilweise in der Region angebaut werden, anbieten.

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Regional, biologisch, authentisch, entschleunigt Ein wachsendes Bewusstsein für Lebensqualität und Nachhaltigkeit hat die Konsumenten zu wichtigen Trägern des Wandels gemacht. Marktforscher haben diesen Trend erkannt und das Segment der sogenannten LOHAS-Konsumenten identifiziert (Lifestyle Of Health And Sustainability). Ungefähr 16 Prozent aller Erwachsenen in den USA werden dieser Gruppe zugeordnet. LOHAS sind Personen, die aufgrund sozialer und kultureller Werte bewusste Einkaufs- und Investitionsentscheidungen treffen. Ihr Interesse gilt Produkten aus verschiedenen Bereichen des Marktes; dazu gehören ökologische Baumaterialien und Energiesysteme, alternative Medizin, Fitnessprodukte, Biolebensmittel, Mittel zur Persönlichkeitsentwicklung, Öko-Tourismus, sozial verantwortliche Investitionen und «grüne Aktien». Das in Japan ansässige Consumer Marketing Research Institute benutzt den Begriff Slow Lifers, um eine seiner umworbensten Bevölkerungsgruppen zu kennzeichnen. Slow Lifers sind in der Regel Männer mittleren Alters, die eine komfortable berufliche Stellung erreicht haben und ihre Entscheidungen nicht mehr davon abhängig machen, was sozial und finanziell Bessergestellte tun.21

Die Erfolgsgeschichte der Bio-Bewegung verdeutlicht aber auch die Schwierigkeit, die «drei E» (environment, economy und equity) der Nachhaltigkeit auszubalancieren. Das beste Beispiel für diese Problematik sind wahrscheinlich die enormen Mengen an Biolebensmitteln, die per Luftfracht von Agrarbetrieben aus Afrika und Südamerika in die Supermärkte Europas und Nordamerikas transportiert werden. Um den wachsenden Bedarf an günstigen Biolebensmitteln zu decken, werden Bioprodukte immer öfter im großen Stil hergestellt, was bereits zum Begriff der «Bio-Industrie» geführt hat. Diese Bio-Industrie beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit kleiner, lokaler Biobauernhöfe. Die Massenproduktion biologischer Lebensmittel führt außerdem dazu, dass der Bio-Begriff immer großzügiger definiert wird. Die in den USA ansässigen beiden größten Molkereien Horizon und Aurora etwa halten Tausende Milchkühe in großen Stallungen, die zwar Biogetreide als Futter erhalten, aber keinen Auslauf auf offenen Weiden.

Das vielleicht beste Beispiel dafür, dass Konsumenten Änderungen herbeiführen können, ist der Trend zu einer «bewussten Ernährung», eine Entwicklung, zu der etwa eine vegetarische Ernährungsweise, Bio- und Fair-Trade-Produkte sowie die Direktvermarktung vom Bauern zum Konsumenten gehören. Biolebensmittel haben sich in diesem Zusammenhang am stärksten etablieren können (Abb. 25).22 Doch was man genau unter «biologisch» versteht, ist umstritten. Im Allgemeinen steht aber fest, dass Biolebensmittel ohne den Einsatz von chemischem Dünger, Pestiziden oder genetisch veränderten Organismen hergestellt sein müssen und dass Nutztiere Zugang zu Weideflächen haben müssen. Die kleinen Ökobauernhöfe tragen dazu bei, den Lebensraum wild lebender Tiere und die Biodiversität von Insekten und Vögeln zu erhalten. Sie haben einen geringeren Energieverbrauch und verursachen weniger Verschmutzung als konventionelle Landwirtschaftsbetriebe.

2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

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Bauern- und Wochenmärkte Die Popularität biologischer Lebensmittel und die wachsende Nachfrage vieler Konsumenten nach frischen, regionalen Produkten hat dazu beigetragen, dass die Direktvermarktung vom Bauern zum Verbraucher äußerst beliebt geworden ist (Abb. 26 und 27). Hofläden und Wochenmärkte haben stark zugenommen. 1974, als die US-amerikanische Regierung das Gesetz zur landwirtschaftlichen Direktvermarktung verabschiedete, das Farmern erlaubte, ihre Erzeugnisse nicht nur an Straßenständen zu verkaufen, gab es in den USA weniger als 100 Wochenmärkte. 1994 gab es bereits 1.755, im Jahr 2006 dann 4.385. In Großbritannien gibt es über 1.000 Hofläden und 550 Wochenmärkte, die regional produzierte Nahrungsmittel direkt verkaufen. Die meisten Märkte haben eine lokale Basis und erhalten Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen oder von lokalen Verwaltungen. Durchschnittlich gibt es auf britischen Wochenmärkten 24 Marktstände. Der größte Markt, in Winchester, hat 100 Stände. In einigen Fällen sind Wochenmärkte so populär geworden, dass sie bereits Gefahr laufen, Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden, da ihnen ihr regionaler Charakter verlorenzugehen droht. Teilweise kommen Händler von außerhalb, um auswärtige Waren und Billig-Produkte anzubieten. Immer häufiger müssen die Bauernmärkte Regeln erlassen, die definieren, wer als «regionaler» Verkäufer gilt, und die den Verkauf nichtregionaler Produkte verbieten oder einschränken.

Lokale Ernährung Eine weitere Facette des gleichen Trends ist die Bewegung des «Eat Local». Hierbei liegt der Schwerpunkt auf dem saisongerechten Konsum von Obst, Gemüse, Fleisch und anderen Produkten, die in der unmittelbaren Umgebung angebaut werden und nicht mehrere Tagesreisen entfernt. Restaurants und Lebensmittelgeschäfte haben – als Reaktion auf die neuen Ansprüche der LOHASKonsumenten – Partnerschaften mit Kleinbauern aus der Region gegründet, um wenigstens einen Teil ihrer Waren von dort zu beziehen. In den USA sind LOHAS-orientierte Supermarktketten wie Wegmans und Whole Foods systematisch solche Partnerschaften für jedes ihrer Geschäfte eingegangen. Für die Bewegung des «Eat Local» wird auch von öffentlichen Behörden geworben, indem sie lokale und regionale Festivals unterstützen,

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26. Spilimbergo, Italien. Das jährliche Festival ist für seine einheimischen Käsesorten bekannt.

27. Orvieto, Italien. Der samstägliche Wochenmarkt im Oktober.

die darauf zielen, eine gesunde Ernährung zu propagieren, die Landwirtschaft zu diversifizieren, Ferien auf dem Bauernhof beliebt zu machen und die Wege der Lebensmittel zu verkürzen.

Fair Trade Inzwischen haben die Menschen begriffen, dass Nachhaltigkeit mit der gegenseitigen Abhängigkeit über geografische Grenzen hinweg zu tun hat. Parallel zur Verbreitung von Wochenmärkten und Hofläden entstand die Fair-Trade-Bewegung. Die Bewegung nahm ihren Ausgang in den 1960erund 1970er-Jahren in Europa. Forderungen wurden laut, gerechte Preise an Produzenten in den benachteiligten Regionen der Welt zu zahlen, um ein Minimum an sozialen und Umweltstandards zu gewährleisten. Seit den 1990er-Jahren gibt es ein Fair-Trade-Zertifizierungssystem. Die Fair Trade Labelling Organizations International, ein Zusammenschluss von insgesamt 17 nationalen

Fair-Trade-Organisationen, sichert die Qualitätsstandards für Fair-Trade-Gütesiegel und zertifiziert die Genossenschaften, die diese Anforderungen erfüllen. Güter mit dem Fair-Trade-Siegel werden zu einem garantierten Mindestpreis verkauft; er enthält einen vom Konsumenten bezahlten Aufschlag an die lokalen Genossenschaften, die damit in die örtliche Infrastruktur (Betriebe, Schulen, Krankenhäuser) investieren und somit die Lebensbedingungen der Produzenten verbessern. Fair-Trade-Produkte erfüllen die Standards bezüglich Umweltfreundlichkeit und fairer Arbeitsbedingungen gemäß den Abkommen des International Labour Office. Die Fair-Trade-Bewegung konzentriert sich insbesondere auf den Export von Kaffee, Kakao, Tee, Bananen, Baumwolle und Kunsthandwerk

28. Matlock, England. Eine der vielen Fair-Trade-Städte in Großbritannien.

aus den Entwicklungs- in die Industrieländer. In Europa, den USA und Kanada macht der Gesamtwert der fair gehandelten Produkte Schätzungen zufolge zwischen 0,5 und 5 Prozent des Verkaufs aus. Er ist somit gering im Vergleich zum gesamten internationalen Handelsvolumen, aber man schätzt, dass im Jahr 2006 weltweit über 1,5 Millionen benachteiligter Produzenten direkt vom Fair Trade profitieren konnten.23 Ein großer Teil des Erfolgs dieser Bewegung ist den europäischen Kleinstädten und ihrem breiteren Ansatz zur Nachhaltigkeit zu verdanken. Einige Kleinstädte sind sogenannte Fair-Trade-Städte geworden. Die Verwaltungen haben hier Maßnahmen zugunsten von Fair Trade getroffen und sich verpflichtet, Kaffee und Tee aus fairem Handel in ihren Büros und Kantinen auszuschenken sowie sicherzustellen, dass ein gewisses Sortiment an fair gehandelten Produkten in den lokalen Geschäften erhältlich ist. Auch bemüht man sich darum, dass in den Cafés und Restaurants vor Ort, in Betrieben und Vereinen Fair-Trade-Produkte angeboten werden. Die Bewegung der Fairtrade Towns (Fair-TradeStädte) wurde im Jahr 2000 in der englischen Stadt Garstang gegründet. 2007 hatten sich bereits 275 andere Orte in Großbritannien angeschlossen, und 230 bemühen sich gegenwärtig um den Fair-TradeStatus. Im Norden Belgiens, in Flandern, ist eine von drei Städten eine Fair-Trade-Stadt. In Frankreich gibt es bereits einhundert solcher Städte, und in Norwegen, Schweden, Italien, Irland und den USA beginnt die Bewegung allmählich Fuß zu fassen.24

29. Ashburn, Virginia. Die meisten Zutaten in der American Flatbread Pizzeria in Ashburn, Virginia, sind biologisch angebaut, und der Schwerpunkt liegt auf einheimischen Zutaten. Für den Bau des Holzofens wurde der einheimische rote Lehm verwendet. Das Bier wird in der Nähe gebraut, und die Teeblätter für den Eistee werden auf einer örtlichen Kräuterfarm angebaut und abgepackt. Eine von Hand gemalte Landkarte des Landkreises schmückt eine Wand des Lokals und beschreibt die Lage der Bauernhöfe und Molkereien, deren Produkte die Pizzeria verarbeitet.

2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

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30. Lugano, Schweiz. Das Angebot an einheimischem Obst und Gemüse im größten Kaufhaus der Stadt.

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Entschleunigung Die Veränderungen im Konsumverhalten vieler Verbraucher müssen im größeren philosophischen Zusammenhang der geänderten Lebenseinstellungen und Weltanschauungen gesehen werden. Sie sind eine Reaktion auf die negativen Auswirkungen der wirtschaftlichen und kulturellen Dynamik moderner Gesellschaften und insbesondere auf den immer schneller werdenden Kreislauf des «Arbeitens» und «Ausgebens.» Letztlich können diese Veränderungen als ein Wechsel von einem «schnellen» zu einem «entschleunigten» Lebensstil beschrieben werden (vgl. Tabelle 2.1). Der Begriff «entschleunigt» sollte nicht allzu wörtlich genommen werden. Carl Honoré schreibt: «Schnell bedeutet hektisch, zwanghaft, aggressiv, getrieben, analytisch, gestresst, oberflächlich, ungeduldig, aktiv, Quantität vor Qualität. Entschleunigt ist das Gegenteil: ruhig, vorsichtig, annehmend, still, intuitiv, gemächlich, geduldig, reflektierend, Qualität vor Quantität. Es geht darum, wichtige Verbindungen herzustellen, mit Menschen, mit der Kultur, der Arbeit, dem Essen, mit allem. [...] Die Lebensweise der Entschleunigung kann in einem einzigen Wort zusammengefasst werden: Balance. Sei schnell, wenn es sinnvoll ist, schnell zu sein, und sei langsam, wenn Langsamkeit gefordert ist. Versuche

gemäß dem zu leben, was die Musiker tempo giusto nennen – angemessene Geschwindigkeit.»25 Authentizität ist entschleunigt, Standardisierung ist schnell. Individualität ist entschleunigt, Franchising ist schnell. Ruhe ist entschleunigt, Lärm ist schnell. Bäume sind entschleunigt, Beton ist schnell. Fahrradwege sind entschleunigt, Parkplätze sind schnell. Die Lebenseinstellung der Entschleunigung findet sich in den verschiedensten Zusammenhängen. So stützt sich beispielsweise eine «entschleunigte» Medizin auf eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen und steht damit im Gegensatz zur hochtechnisierten und Medikamenten-orientierten konventionellen Medizin. Der Vorreiter der Entschleunigungsoder Slow-Bewegung ist jedoch Slow Food.

Tabelle 2.1: Gegensätzliche Ansätze: Schnell und entschleunigt Ansätze

Mehrheitlich («schnell»)

Alternativ («entschleunigt»)

Charakteristika

vereinheitlicht Sachzwänge ungerecht industriell standardisiert unternehmerisch nicht nachhaltig kopiert schlechte Qualität reproduzierbar unsensibel gegenüber der lokalen Geschichte, Kultur

individuell mannigfaltige Imperative gerecht Handwerk maßgefertigt Entwicklung an der Basis nachhaltig authentisch hohe Qualität spezifische Aktivposten sensibel hinsichtlich der lokalen Geschichte, Kultur

Beispiele

urbane Megaprojekte Industrieansiedlung Nahrungsmittelindustrie

Quartiersentwicklung Gemeinschaft gestalten Slow Food, Cittaslow

2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

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Slow Food Die Slow-Food-Bewegung wurde als direkte Antwort auf die Globalisierung ins Leben gerufen, als eine kulturelle Barrikade gegen die unerbittliche Hegemonie von McDonald’s, Starbucks, Wal-Mart und andere Protagonisten der schnellen Welt. Begründer der Slow-Food-Bewegung ist der italienische Gastronomiejournalist Carlo Petrini, der schockiert über die Pläne von McDonald‘s war, 1986 ein Restaurant am Fuß der Spanischen Treppe im Zentrum Roms zu eröffnen. Der Name «Slow Food» wurde gewählt um die Aspekte zu betonen, die das Gegenteil von Fastfood darstellen: nachhaltige Landwirtschaft, eine auf alter Handwerkskunst beruhende Produktion, frische, regionale, saisonale Produkte, seit Generationen überlieferte Rezepte, geselliges Speisen im Familien- und Freundeskreis. Die Bewegung fand großen Anklang in Italien, wo man begriff, dass Fastfood die Kultur zersetzt. Fastfood wurde nicht nur als ernstzunehmende Bedrohung für gesunde Ernährung verstanden, sondern auch als Gefahr für die Geselligkeit beim Essen, für wertgeschätzte Rituale und Lebensgewohnheiten. Nach Petrini ist die Philosophie des Slow Food tranquillo: ruhig, gelassen und stärkend für Körper und Geist. Ziel der Bewegung ist es, das «Recht auf Geschmack» zu schützen, indem sie etwa traditionelle Nahrungsmittel vor dem Verschwinden bewahrt, das Bewusstsein für den Genuss am Essen schärft (und für die sozialen Aspekte eines gemeinsamen Essens), Geschmacksschulung betreibt und die Aufmerksamkeit auf traditionelle Landwirtschaftsmethoden und -techniken lenkt. Die Slow-Food-Bewegung wurde offiziell 1989 ins Leben gerufen. In ihrer Grundsatzerklärung setzt sie sich zum Ziel, «den besonderen Geschmack der regionalen Küche wiederzuentdecken und die entwürdigenden Auswirkungen des Fastfoods zu bekämpfen» sowie «Fastfood und dem schnellen Leben entgegenzuwirken, das Verschwinden lokaler Essenstraditionen aufzuhalten und das Interesse der Bevölkerung an ihrem Essen − wo es hergestellt wird, wie es schmeckt und wie unsere Essenswahl den Rest der Welt beeinflusst − wieder zu wecken».26 Die Slow-Food-Bewegung ist regional verankert und trägt dazu bei, die lokale Wirtschaft am Leben zu erhalten. Sie arbeitet eng mit den Geschäften, Metzgereien, Bäckereien, Gaststätten und Bauernhöfen vor Ort zusammen. Des Weiteren fördert Slow Food regionale Besonderheiten, etwa 36

traditionelle Spezialitäten und Nahrungsmittel sowie bestimmte Produktions- und Anbaumethoden, zum Beispiel von Wein, Obst und Gemüse. Im Zentrum der Bewegung steht der Begriff des terroir, das heißt die Art und Weise, wie Lebensmittel und Wein Boden, Klima, Kultur und Tradition ihrer Herkunftsregion ausdrücken. In den Worten von Carlo Petrini ist terroir eine «Kombination aus natürlichen (Boden, Wasser, Hangneigung, Höhe über Meeresspiegel, Vegetation, Mikroklima) und anthropogenen Faktoren (Tradition und Anbaupraxis), die in ihrem Zusammenspiel jedem kleinen Agrarraum, seinen Produkten und Speisen einen ganz besonderen Charakter verleihen».27 Dieser Gedanke hat eine lange Geschichte. Er floss erstmals 1855 in Frankreich in die Gesetzgebung ein, als Napoleon III. die Grand-Cru-Gebiete von Bordeaux definierte. In der Folge wurden auch andere Weinregionen und Gebiete mit traditioneller Lebensmittelherstellung anerkannt, zum Beispiel Parma (Prosciutto-Schinken) und Modena (Balsamico-Essig). 1992 führte die Europäische Union Bestimmungen ein, die diese sogenannten Protected Designation of Origin (PDO) schützen. Im Jahr 2007 hatte die EU fast 750 regionale Spezialitäten identifiziert. Nach dem Verständnis von Slow Food verknüpft ein terroir die ökologischen Aspekte eines Ortes mit der Kultur und Geschichte der Menschen, die an diesem Ort leben und ihre Umgebung seit Generationen für die traditionelle Nahrungsmittelproduktion zu nutzen wissen. Mit mehr als 80.000 Mitgliedern in über 100 Ländern hat sich die Slow-Food-Bewegung in der kulinarischen Welt einen festen Platz gesichert. Ein Verbund von Ortsgruppen (Convivia) organisiert Diners, Weinproben und Festivals. Der Hauptsitz von Slow Food liegt in der italienischen Stadt Bra (29.000 Einwohner) im Piemont und beschäftigt 130 Angestellte. Diese publizieren verschiedene Ratgeber, wie den jährlich aktualisierten Osterie d‘Italia (eine Quelle für gute und kostengünstige Restaurants in Italien), und organisieren die beiden wichtigsten strategischen Projekte der Bewegung: «Arche des Geschmacks» und «Presidia». Zugrunde liegt der Gedanke, dass die osterie (Tavernen oder einfachen Restaurants, die vor allem Wein ausschenken und kleine Gerichte als Beilage reichen) die Kleinunternehmer vor Ort fördern und die regionalen Kulturen und Traditionen bewahren.

Osterie bieten traditionelle, regionale Gerichte an, befinden sich meistens in Familienbesitz, haben einen schlichten Service und eine einladende Atmosphäre, servieren gutes Essen und den Wein der Region und – am wichtigsten – sie haben erschwingliche Preise. In der Förderung dieser kleinen Gaststätten sieht Slow Food die Chance, eine Alternative zu Fastfood-Restaurants bieten zu können. Die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte der Umgebung zu stärken, steht im Zentrum des SlowFood-Programms «Arche des Geschmacks». Die

Arche des Geschmacks soll mittels Katalogisierung und Werbung bedrohte Nahrungsmittel schützen, zum Beispiel Kalbfleisch aus dem Piemont, Mais aus den Anden oder unpasteurisierte Käsesorten aus England. Um in den Katalog der Arche aufgenommen zu werden, muss ein Produkt verschiedene Kriterien erfüllen: Es muss an einen bestimmten Ort gebunden sein (zum Beispiel durch die Verwendung regionaler Zutaten und/oder durch traditionelle, ortstypische Herstellungsmethoden). Es muss ökologisch, sozio-ökonomisch und historisch mit einer bestimmten Örtlichkeit eng verbunden

31. Bra, Italien. Eine jährliche Ausstellung in der «Stadt des Käses» bietet Slow-FoodProdukte und zeigt Methoden der Herstellung.

32. Slow FoodPublikationen. Die Bücher und Zeitschriften über Slow Food handeln von qualitätsvollem Essen und Wein, traditionellen Spezialitäten, Getreidesorten, Tierrassen oder Esskultur und werben für gute, saubere und faire Lebensmittel.

2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

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sein. Es muss in limitierten Mengen von kleinen Produzenten hergestellt werden; und es ist vom Verschwinden bedroht. Ein Beispiel, welches die enge Beziehung zwischen Umwelt und regionaler Wirtschaft besonders gut hervorhebt, ist der Weinanbau in der italienischen Region Cinque Terre. Die Region im Nordwesten Italiens ist für ihre steilen Hänge entlang der Mittelmeerküste bekannt. Die Weinproduktion an diesen Steilhängen und die damit verbundene Kulturlandschaft waren bereits fast verschwunden, als sich Slow Food für den Erhalt der Weinberge einsetzte und die besondere Qualität des an diesem Ort produzierten Weins, des Sciacchetrá, hervorhob. Eine höhere Weinqualität hat höhere Verkaufspreise zur Folge, was wiederum die jüngere Generation dazu motiviert, in den Dörfern als Weinbauern tätig zu werden und die typische Kulturlandschaft zu erhalten. Spezielle Fortbildungskurse helfen den Jungbauern, die Qualität ihrer Produkte weiter zu verbessern. Presidia bedeutet im Lateinischen Garnison. In der Slow-Flood-Bewegung sind diese Presidia Vorposten der traditionellen Anbauweise und Nahrungsmittelproduktion. Ein Presidium kann ein einzelner Produzent sein, zum Beispiel ein Käsehersteller, der sich auf eine seltene Bergkäsevariante spezialisiert

hat, aber auch ein ganzes Dorf, das seine Produkte gemeinsam direkt vermarktet. Die ersten 92 Presidia, die alle in Italien liegen, wurden im Jahr 2000 benannt. 2001 unterzeichnete Coop Italia, der größte Lebensmittelhändler in Italien, ein Abkommen mit Slow Food. Darin erklärt Coop sich bereit, sich mit einigen der Presidia zusammenzuschließen sowie die pädagogischen Ziele und die Agrarpolitik von Slow Food zu unterstützen (Abb. 33). Im Jahr 2007 gab es bereits Presidia in 43 Ländern, 195 Presidia befinden sich in Italien.28 Der Salone del Gusto, das internationale Festival der Slow-Food-Bewegung, das alle zwei Jahre in Turin stattfindet, ist eine Mischung aus gastronomischem Ereignis, kulinarischer Messe und riesigem Bauernmarkt mit mehr als 130.000 Besuchern.

Netzwerke der Nachhaltigkeit Der zunehmende Erfolg von Bauernmärkten, BioBewegung, Fair-Trade-Städten und Slow Food zeigt, wie wichtig es den Menschen geworden ist, in einer globalisierten Welt die lokalen Dimensionen der Lebensqualität nicht aus den Augen zu verlieren. Strategien einer nachhaltigen Entwicklung von Kleinstädten sollten sich daher auf die endogenen Faktoren eines Ortes konzentrieren, das heißt: auf die lokalen Wettbewerbsvorteile, Ressourcen und Produkte und auf das Alleinstellungsmerkmal des Ortes. Dieser Ansatz kann unserer Meinung nach am besten dann verwirklicht werden, wenn zwischen den Kleinstädten Netzwerke geknüpft werden – Kooperationen zwischen den Geschäftsleuten, Vereinen und Verwaltungen, die ihre Informationen, Ideen und Erfahrungen austauschen. In den vergangenen Jahren hat die Zahl solcher Initiativen stark zugenommen. Einige davon sind Bürgerinitiativen, andere werden von staatlichen oder transnationalen Organisationen gefördert. Während die einen sich auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentrieren, nehmen die anderen eher die ökologische Nachhaltigkeit in den Blick. Einige wenige verfolgen auch einen ganzheitlichen Ansatz, der den Zusammenhang von Lebensqualität und den Zielen der «drei E» der Nachhaltigkeit betont.

Netzwerke zur Wirtschaftsförderung

33. Mailand, Italien. Coop Italia bietet nun auch Slow Food an.

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Für Kleinstädte auf der ganzen Welt und ihre Bewohner bedeutet Nachhaltigkeit, dass sie die Fähigkeit entwickeln, sich dem wirtschaftlichen Wandel auf regionaler, nationaler und internatio-

naler Ebene zu stellen. Da Kleinstädte oft nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, Spezialisten auf allen Fachgebieten einzustellen, besitzen sie einen gravierenden Nachteil. Außerdem tendieren viele Nachhaltigkeitsprogramme auf internationaler (zum Beispiel EU), nationaler und regionaler Ebene dazu, Kleinstädte einfach zu übergehen. Für viele Städte ist das wirtschaftliche Überleben zur obersten Priorität geworden, und die Wirtschaftsförderung gleicht daher einer Jagd nach externen Investoren. Für Kleinstädte bleibt diese Art der Wirtschaftsförderung im Allgemeinen ein Nullsummenspiel. Selbst wenn es den Städten gelingt, Investitionen anzuziehen – am häufigsten in Form von industriellen Zweigniederlassungen, Call-Centern oder Filialen von Handelsketten –, geschieht dies oft auf Kosten teuer geschnürter Anreizpakete, während die eingefahrenen Gewinne nicht in der Stadt verbleiben, sondern an den Mutterkonzern abgeführt werden. Mittel- und langfristig werden Städte verwundbar, wenn die externen Konzerne ihre Firmenstrategie ändern, ihr Geld woanders investieren und Zweigniederlassungen schließen. Da sehr viele Kleinstädte lange Phasen wirtschaftlicher Stagnation und wirtschaftlichen Niedergangs hinter sich haben, konzentrieren sich viele der neuen kleinstädtischen Netzwerke auf die lokale Wirtschaftsentwicklung. Ein gutes Beispiel hierfür ist die North Carolina Small Towns Initiative in den USA, eine gemeinnützige Organisation, die jenen Kleinstädten hilft, die durch Firmenschließungen und Entlassungen, durch Naturkatastrophen oder anhaltende Armut in Bedrängnis geraten sind. Zu den Maßnahmen der Initiative gehören Fortbildungs- und Trainingsprogramme, Forschung und Datensammlung, die Entwicklung von Partnerschaften und internetbasierten Netzwerken. Es werden Projekte gefördert, bei denen leerstehende Gebäude renoviert und umgenutzt werden, Arbeitsplätze entstehen und die Qualität der Stadtplanung verbessert wird.29

der Regionalbehörden und lokalen Gruppierungen mit ehrenamtlichen Ausschüssen aus lokalen Unternehmern und Verwaltungsbeamten.30 Die Europäische Union fördert auch das sogenannte AlpCity-Projekt, das sich auf die lokale Entwicklung und städtische Erneuerung alpiner Kleinstädte konzentriert. Viele dieser alpinen Städte haben, ähnlich wie jene in der nördlichen Peripherie, einen langanhaltenden sozialen und wirtschaftlichen Niedergang hinter sich. Sie sind gekennzeichnet durch unzureichende öffentliche und private Dienstleistungsangebote, eine verfallende Kulturlandschaft und eine alternde Bevölkerung mit eingeschränktem Zugang zur Kultur; außerdem sind sie in sensiblen Naturräumen gelegen. Im Gegensatz zu den Städten der nördlichen Peripherie sind diese Bergstädte Inseln der Ungleichheit in einer ansonsten wohlhabenden Gegend Europas.31 Andere Kleinstädte wiederum sehen sich mit dem Problem der plötzlichen wirtschaftlichen und räumlichen Expansion nach langen Perioden wirtschaftlicher Stagnation konfrontiert. Kleinstädte, die sich als Folge von Gegenurbanisierung, Aufwertungsmaßnahmen oder Suburbanisierung nun ausdehnen, leiden häufig unter «Wachstumsschmerzen»: dazu gehören zu wenig Land für Neuansiedlungen, eine hohe Abhängigkeit vom Auto, der Verlust traditioneller Funktionen, der Mangel an öffentlichen Einrichtungen und oft auch noch eine Identitätskrise. Ein Programm, das nach den besten Handlungsstrategien für traditionell kleine, aber schnell expandierende Städte sucht, ist das SusSET Projekt der Europäischen Union (Sustaining Small Expanding Towns).32 Mitglieder dieses Netzwerks sind Ellon, Inverurie und Stonehaven in Schottland; Amal, Kungälv und Strömstad in Schweden; Hel, Lebork und Puck in Polen sowie Aeghio, Messolonghi und Pyrgos in Griechenland.

In Europa hat der Regionale Entwicklungsfonds der EU im Rahmen seines Northern Periphery Programme ein Netzwerk für Kleinstädte initiiert. Hauptziel dieses Netzwerks ist die Erneuerung der Kleinstädte in Grönland, Island, auf den Färöer Inseln sowie in abgeschiedenen Gegenden Finnlands, Norwegens, Schottlands und Schwedens. Dabei setzt man auf eine gemeinsame Tagesordnung 2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

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Netzwerke für eine gesunde und nachhaltige Umwelt Eines der ersten und inzwischen größten städtischen Netzwerke, das seinen Arbeitsschwerpunkt auf Gesundheit und ökologische Nachhaltigkeit legt, ist das European-Healthy-Cities-Netzwerk der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Es wurde 1987 von der europäischen WHO-Geschäftsstelle gegründet. Ziel des Netzwerks ist es, bebaute Umwelten so zu fördern, dass sie die Gesundheit sowie eine gute Lebensqualität begünstigen. Die Hauptstrategien von European Healthy Cities sind in Health 21 und Local Agenda 21 (den beiden wichtigsten Rahmenprogrammen der WHO), in der Athener Erklärung für Gesunde Städte und in der Charta von Aalborg festgehalten.33 Indem sie ihre Schwerpunkte auf Umweltgerechtigkeit, den sozialen Bereich der Nachhaltigkeit, die Stärkung von Gemeinden sowie auf die Stadtplanung legen, zielen diese Programme darauf ab, lokale Verwaltungen in ganz Europa zur Gestaltung gesunder und nachhaltiger Siedlungskörper zu bewegen. Im Jahr 2007 gab es 1.200 Städte und Kleinstädte, die als WHO Healthy Cities ausgezeichnet waren. Das Programm befindet sich gegenwärtig in seiner vierten Phase (2003–2008), in der die teilnehmenden Städte an drei Kernthemen arbeiten: gesundes Leben im Alter, gesunde Stadtplanung sowie Untersuchungen zur Gesundheitsverträglichkeit. Biophysikalische Umweltaspekte der Nachhaltigkeit stehen im Mittelpunkt der sogenannten Ökostadtbewegung (Eco-Municipality Movement), die in den 1980er-Jahren in Schweden gegründet wurde. Sie veranstaltete 1990 in Berkeley, Kalifornien, die erste internationale Ökostadtkonferenz und definierte die folgenden Ziele: • Förderung von Recycling, sinnvollen technologischen Innovationen und Schutz der natürlichen Ressourcen • Förderung umweltbewusster Aktivitäten von Unternehmen • Stärkung des allgemeinen öffentlichen Bewusstseins für lokale und regionale Umweltund Nachhaltigkeitsaspekte • Renaturierung geschädigter städtischer Bereiche, etwa der Wasserwege oder Küsten • Reorganisation der Landnutzung, um kompakte, begrünte, sichere, ansprechende und baulich

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gemischte Viertel nahe von Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs errichten zu können • Veränderungen im Transportwesen, insbesondere die Förderung des Fußgänger- und Fahrradverkehrs anstatt des Autoverkehrs • Förderung von lokalen Bauernhöfen und öffentlichen Gemeinschaftsgärten.34 Die kanadische Stadt Okotoks, Alberta (17.145 Einwohner), war eine der ersten Gemeinden, deren Entwicklungsplan sich auf die Ökostadtprinzipien stützte. Der 1998 verabschiedete Plan verbindet Okotoks Wachstumsziele mit der Frage, wieviel neue Infrastruktur die Umwelt tragen kann. So umfasst der kommunale Wasserwirtschaftsplan beispielsweise Maßnahmen zur Wassereinsparung, eine neue Wasseraufbereitungsanlage sowie die Kooperation mit umliegenden Gebietskörperschaften, um das Trinkwasser-Einzugsgebiet zu schützen. Das Drake-Landing-Solar-Community-Viertel, ein neu gebautes Stadtviertel Okotoks, nutzt Solarenergie und speichert nicht benötigte Energie während der Sommermonate, um sie im Winter zum Heizen in die einzelnen Häuser wieder abzugeben.35 Andernorts werden die Ökostadtprinzipien für die Planung ganz neuer Städte angewendet. Eines der ambitioniertesten dieser Projekte ist die Stadt Dongtan, die gegenwärtig in der Nähe von Shanghai, China, gebaut wird. Dongtan soll 2010 fertig sein und zunächst Platz für 50.000 Bewohner bieten, deren Zahl später auf 500.000 anwachsen soll. Der Plan wurde von Arup Urban Design in London entworfen; es sollen verschiedene Technologien zur Wassereinsparung zum Einsatz kommen, der Kohlendioxidausstoß soll auf ein Minimum reduziert werden und die Stadt ohne Mülldeponien auskommen. Ein Energiezentrum wird die Verteilung der Energie regeln, die von Windkraftanlagen, aus Biokraftstoffen und der Wiederverwertung organischer Abfallstoffe kommen wird. Abfälle sollen wenn möglich recycelt werden, organische Abfälle werden entweder kompostiert oder produzieren Biogas. Die Abwässer werden gereinigt, die Rückstände zu Kompost verarbeitet und das Grauwasser zur Bewässerung verwendet.36 Ähnlich ambitioniert sind die Pläne für eine Special Free Zone in den Vereinigten Arabischen Emiraten nahe Abu Dhabi. Diese Zone soll komplett

frei von Kohlendioxidemissionen und Abfällen sein. Die neu geplante Siedlung stützt sich auf die Prinzipien antiker ummauerter Städte, die baulich gemischt und dicht bevölkert waren. Die Planung wurde von Foster + Partners, London, übernommen und kombiniert alte städtebauliche Prinzipien mit modernen alternativen Energietechnologien. Der sechs Quadratkilometer große Ort wird 50.000 Bewohnern Platz bieten und eine Universität, ein Innovationszentrum, den Hauptsitz der Abu Dhabi Future Energy Company sowie eine Wirtschaftszone für 1.500 umweltfreundliche Firmen beherbergen.37 In Japan haben das Wirtschafts- und das Umweltministerium ein Ökostadtprogramm ins Leben gerufen, das sich auf die «drei R» stützt: Reduktion, Recycling und Wiederverwendung (reuse).38 Viele der Ökostädte Japans sind Städte mittlerer Größe wie zum Beispiel Chiba, Gifu, Kawasaki, Kitakyushu, Kochi, Naoshima, Okayama, Suzuka und Toyama. Kleinere Städte innerhalb des Netzwerks sind Kamaishi, Itsukaichi, Minamata (berüchtigt für die Minamata-Krankheit, eine Quecksilbervergiftung, die in den 1950er-Jahren durch den Verzehr von über Industrieabwässer kontaminierten Meeresfrüchten aufgetreten ist), Oomuta und Uguisuzawa. Das Programm richtet seinen Fokus auf Innovation, insbesondere im Hinblick auf umweltfreundlichen Einkauf und Konsum, ökologische Industrie, größere Produzentenverantwortlichkeit, sozialverträgliche Investitionen, integrative Abfallwirtschaftssysteme, Ökosiegel und soziale Verantwortung der Unternehmen. Das Programm bietet finanzielle Anreize für die teilnehmenden Städte, da die Ministerien ein Drittel der Kosten der von ihnen genehmigten Projekte übernehmen. Schließlich gibt es noch das Netzwerk der Transition Towns, deren Ziel es ist, immer weniger Energie zu verbrauchen – eine Strategie, die die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern und den Anteil der Selbstversorgung erhöhen will. Das Netzwerk versteht sich als Antwort auf die doppelte Herausforderung der abnehmenden Ölressourcen und des Klimawandels. Die Initiative ist hauptsächlich in Großbritannien vertreten, hat aber Mitgliedsstädte in Irland, Australien und Neuseeland. Sie gründet sich auf den Gedanken, dass Kreativität, Erfindergeist und Anpassungsgabe, so wie sie hinauf auf den Gipfel des Energiebergs

2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

geholfen haben, nun auch wieder auf dem Weg nach unten helfen werden. Sie operiert mittels einer Internetseite, die von allen Mitgliedern – ähnlich wie das Online-Lexikon Wikipedia – verändert, editiert und verlinkt werden kann.39

Netzwerke für Lebensqualität Einige Kleinstadt-Netzwerke haben eine breitere Vorstellung und versuchen, eher indirekt als explizit, allen «drei E» der Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Das österreichische Projekt «Lebensqualität durch Nähe» verfolgt solch einen Ansatz und unterstützt ländliche Kleinstädte, die unter wirtschaftlicher Stagnation, Bevölkerungsabwanderung und dem Verlust sozialer und wirtschaftlicher Dienstleistungseinrichtungen leiden.40 Über 180 Kleinstädte sind inzwischen Mitglied dieses Netzwerks und unternehmen Anstrengungen, ihre kleinstädtische Lebensqualität wieder zu verbessern. Zum Beispiel die österreichische Stadt Steinbach, die schon Mitte der 1980er-Jahre damit begann, sich auf die Verbesserung ihrer Lebensqualität zu konzentrieren. Steinbach verlor während der 1960er-Jahre ihre Besteck-Industrie und musste in der Folge Wirtschaftskrisen, Abwanderung und den Verfall des historischen Stadtkerns erfahren. Seit sich die Stadt dem Netzwerk Lebensqualität durch Nähe anschloss, konnten 180 Arbeitsplätze neu geschaffen werden. Die Stadt begann, ihre traditionelle Apfelsorte zu schützen und zu vermarkten. Über 40 Prozent ihrer Bürger arbeiten ehrenamtlich. Das historische Stadtzentrum wurde revitalisiert und ein leerstehender traditioneller Landgasthof wurde in ein Café mit lokalem Supermarkt umgewandelt. Der Schlüssel zum Erfolg dieses Projekts liegt in der aktiven Einbeziehung der Bürger. Das Programm versucht, das Bewusstsein der Bürger für die Lebensqualität ihrer Stadt zu wecken. Weiterhin ist bei solchen Programmen wichtig, dass Bürgermeister und Stadträte partizipieren, da die Beteiligung der Stadt vom Gemeinderat ratifiziert werden muss. Der folgende Teil dieses Kapitels stellt zwei wichtige Netzwerke vor, die auch in den weiteren Kapiteln dieses Buchs immer wieder als Beispiele innovativer Handlungsstrategien vorgestellt werden. Das erste Beispiel ist die sogenannte Market Towns Initiative. Sie zeigt, wie sich eine zunächst «von oben nach unten» gerichtete Initiative zu einer Organisation auf lokaler Ebene entwickeln konnte.

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Das zweite Beispiel ist das Cittaslow-Netzwerk, eine lokale Bewegung, die sich als eine direkte Reaktion auf die Globalisierung versteht.

Action for Market Towns In Großbritannien gründete ursprünglich die Countryside Agency, eine Regierungsbehörde, ein Netzwerk von «Marktstädten», das inzwischen von der gemeinnützigen Mitgliederorganisation Action for Market Towns übernommen worden ist. Die Organisation hat die Aufgabe, Informationen und Ratschläge zu geben, wie man innerhalb der Market-Towns-Partnerschaften Verfahrensweisen entwickeln und austauschen kann. Außerdem vertritt die Organisation die Interessen der Kleinstädte gegenüber der Politik auf nationaler Ebene. Ein sehr erfolgreiches Produkt der Organisation ist der sogenannte «Werkzeugkasten für Market Towns», der Tipps enthält zu Bürgerbeteiligung, Projektfinanzierung, Weiterbildung, Verkehrswesen und Unternehmensförderung. Er enthält auch ein 70-seitiges Handbuch für einen «GesundheitsCheck». Mit dieser «Gesundheitsprüfung» können die Städte feststellen, welche Stärken, Schwächen und Chancen sie in den Bereichen Wirtschaftskraft, Umweltqualität und sozialem Leben haben und ob ihre Verkehrsinfrastruktur adäquat ist. In der Praxis hat der Gesundheits-Check weitverbreitete Probleme in britischen Kleinstädten aufgedeckt: fehlende Arbeitsplätze, insbesondere für junge Arbeitnehmer, ein unzureichendes Freizeitangebot, verfallende Stadtkerne, Einkaufszentren und Zufahrtsstraßen, verwahrloste Stadtviertel und ein schlechtes öffentliches Nahverkehrssystem.41 Die traditionelle Assoziation von Markstädten mit Spezialitäten und Landwirtschaft aus der Region sowie das zunehmende Interesse an regional produzierten Biolebensmitteln haben die Action for Market Towns dazu bewogen, einen Leitfaden herauszugeben, mit dem die Städte ihre regionale Nahrungsmittelwirtschaft bewerten und entwickeln können. Das Foodcheck-Handbuch gibt Kleinstädten Tipps, wie sie ihre Verbindung zum ländlichen Raum, zur traditionellen Landwirtschaft sowie zu Produktion und Verkauf lokaler, frischer Lebensmittel wieder festigen können. Die Bemühungen von Action for Market Towns haben wesentlich dazu beigetragen, dass neue Netzwerke für die regionalen Nahrungsmittelproduzenten entstanden sind. Des Weiteren wurden innovative Geschäfts42

34. Bridgport, England. Eine Beacon Town an der Küste von Dorset, wo der Schwerpunkt auf der regionalen Nahrungsmittelproduktion liegt.

35. Belper, England. Der Rückgang der Textil- und Strumpfwarenindustrie hatte ein Übermaß an brachliegenden Gewerbeflächen zur Folge. Belper liegt im Tal des Derwent, wo zu Beginn der industriellen Revolution einige der ersten Textilfabriken angesiedelt wurden. Die Fabriken gehören heute zum Weltkulturerbe.

modelle für den Vertrieb regional produzierter Lebensmittel entworfen, regionale Eigenmarken gegründet, kulinarische Festivals organisiert, Register regionaler Nahrungsmittelproduzenten angelegt sowie die Verwendung regionaler Lebensmittel in den Schulkantinen gefördert. Großbritanniens Countryside Agency hat inzwischen ein weiteres Netzwerk von 16 sogenannten «Beacon Towns» (Leitstern-Städten) gefördert, um die Bandbreite der verschiedenen Probleme von Marktstädten zu demonstrieren und Lösungsansätze für andere Städte aufzuzeigen. Beacon Towns sind nicht etwa die «Besten», sondern die Städte, deren Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Wirtschaft und lokalen Gruppen die Arbeit von anderen Städten und die Politik leiten kann. Jede der 16 Beacon Towns hat sich einer besonderen Herausforderung zu stellen. In Bridport, Dorset (Abb. 34), zum Beispiel liegt der Schwerpunkt auf der regionalen Nahrungsmittelproduktion, in Longtown, Cumbria, sind es die erneuerbaren Energien, in Belper, Derbyshire (Abb. 35), geht es um ungenutzte Gewerbeflächen, in Richmond, North Yorkshire, um das städtische Kulturerbe, in Newmarket, Suffolk, um günstigen Wohnraum und in Uttoxeter, Staffordshire, um vernetzte Verkehrsbetriebe.42 Der Gesundheits-Check der Action for Market Towns hat bei der Gründung dieser Partnerschaften oft die Rolle des Katalysators übernommen.

Cittaslow – lebenswerte Stadt Die «Philosophie der Entschleunigung» und die Slow-Food-Bewegung haben gemeinsam die ideologische Grundlage für das Netzwerk der Cittaslow-Bewegung geschaffen. Cittaslow ist ein Kunstwort aus dem Italienischen (Citta = Stadt) und Englischen (slow = langsam) und kann am besten mit «lebenswerter Stadt» übersetzt werden. Die Cittaslow-Bewegung ist wohl die am breitesten angelegte lokale Bewegung zu Fragen der Lebensqualität und Nachhaltigkeit. Sie hängt eng mit dem Slow-Food-Gedanken zusammen, und die Ziele beider Bewegungen ergänzen sich. Beide fördern die regionale, traditionelle Kultur, Freizeitangebote, Genussfreude und Gastlichkeit. Beide sind gegen große Unternehmen und Globalisierung. Sie sind aber weniger politisch als ökologisch und humanistisch motiviert.

2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

Die Cittaslow-Bewegung nahm im Oktober 1999 ihren Anfang, als Paolo Saturnini, Bürgermeister der toskanischen Bergstadt Greve-in-Chianti, ein Treffen mit den Bürgermeistern von drei anderen Gemeinden (Orvieto, Bra and Positano) organisierte, um die Merkmale zu definieren, die eine città lente, also eine entschleunigte Stadt, beschreiben könnten. Auf ihrem Gründungstreffen in Orvieto verpflichteten sich die vier Bürgermeister auf eine Reihe von Prinzipien, unter anderem darauf, eine ruhigere und weniger belastete Umwelt zu schaffen, die ästhetischen Traditionen der Region zu bewahren und das lokale Handwerk, lokale Produkte und die lokale Küche zu stärken. Weiterhin verpflichteten sie sich, neue Technologien für eine gesündere Umwelt zu nutzen, das Bewusstsein ihrer Bürger für einen entspannteren Lebensrhythmus zu wecken sowie ihre Erfahrungen, diese ambitionierten Ziele administrativ umzusetzen, untereinander auszutauschen. Ziel der Bewegung ist es, Orte mit einer robusten Vitalität zu gestalten, deren Grundlage gutes Essen, eine saubere Umwelt, nachhaltige Wirtschaftsweisen und die traditionellen Rhythmen des gemeinschaftlichen Lebens sind. Diese Ideen führten bald zu einer verbindlichen 54 Punkte umfassenden Charta. Diese Charta bezieht sich besonders auf den Genuss von Essen und Wein, auf die Pflege der Geselligkeit sowie die Förderung von einzigartigen, qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln. Um als Mitglied aufgenommen zu werden, müssen Bewerberstädte weniger als 50.000 Einwohner haben und sich verpflichten, eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen, wie zum Beispiel die Förderung der biologischen Landwirtschaft oder von Zentren, in denen Besucher traditionell hergestellte Lebensmittel probieren können. Weiterhin müssen sie Schritte unternehmen, um die Quellen und die Reinheit der Zutaten zu schützen und die Ausbreitung von Fastfood und kultureller Standardisierung zu verhindern.43 Die bewusste Wahrnehmung regionaler Kultur- und Siedlungslandschaften ist fast genauso wichtig wie der Genuss guter Speisen oder Weine. Die Charta umfasst daher auch viele Aspekte der Stadtplanung und -gestaltung. Bewerberstädte müssen sich nicht nur dazu verpflichten, das traditionelle Handwerk zu unterstützen, sondern müssen auch das moderne Gewerbe fördern, dessen Produkte zur Besonderheit und Identität der Region beitragen. Sie müssen sich 43

Erhaltung der Vielfalt und einer eigenen Identität im Zeitalter der Globalisierung und Vermassung. Der Cittaslow-Bewegung steht ein gewähltes zehnköpfiges Präsidium aus Bürgermeistern vor, mit einem Präsidenten, drei Vizepräsidenten und einem Geschäftsführer, die alle ehrenamtlich arbeiten.

36. Cittaslow. Das offizielle Logo.

weiterhin zum Schutz und Erhalt ihrer bebauten Umwelt verpflichten und sich bereiterklären, Bäume zu pflanzen, Grünflächen anzulegen, Fahrrad- und Fußwege auszubauen, Plätze von Reklametafeln und Neonlicht freizuhalten, Alarmanlagen in Autos zu verbieten, Lärmbelästigung, Licht- und Luftverschmutzung zu reduzieren, alternative Energiequellen zu fördern, das öffentliche Verkehrswesen zu verbessern und eine umweltfreundliche Bauweise bei neuen Gebäuden zu fördern. Die Bewegung hat sich zu den Qualitätsmanagementnormen gemäß ISO 9000 und zu den Umweltmanagementnormen gemäß ISO 14000 verpflichtet. Um die Ziele der Cittaslow-Bewegung zu erreichen, bedarf es zunächst des aktiven Einsatzes und der starken Überzeugungskraft des Bürgermeisters. Längerfristig hängt der Erfolg davon ab, ob es gelingt, eine neue, politische Dynamik zu entwickeln, die von Kommunalpolitikern, lokalen Geschäften und Unternehmen sowie den Einwohnern getragen wird. Eine Mitgliedschaft bei der Cittaslow-Bewegung wird sorgfältig geprüft. Erst nachdem sich Vertreter vor Ort ein Bild von der Bewerberstadt gemacht und das Engagement für die CittaslowPrinzipien dokumentiert haben, wird der Stadt die Mitgliedschaft gewährt. Städte müssen in folgenden Bereichen ihr Engagement unter Beweis stellen: Umweltpolitik, Infrastrukturpolitik, urbane Qualitäten, Aufwertung der autochthonen Erzeugnisse, Gastfreundschaft, landschaftliche Qualität, Slowcity-Bewusstsein und damit die

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Im Jahr 2001 wurden die ersten 28 CittaslowStädte zertifiziert. Alle 28 finden sich in Italien. Die Mehrheit liegt in Nord- und Mittelitalien, hauptsächlich in der Toskana und in Umbrien. 2008 waren bereits mehr als 70 Städte zertifiziert. Die meisten liegen in Italien, doch auch andere Städte in der ganzen Welt sind nun Mitglieder der Bewegung, zum Beispiel in Australien (Goolwa, Katoomba und Willunga), Belgien (Silly), Deutschland (Deidesheim, Hersbruck, Lüdinghausen, Marihn, Schwarzenbruck, Überlingen, Waldkirch und Wirsberg), Großbritannien (Aylsham, Berwick-upon-Tweed, Cockermouth, Diss, Linlithgow, Ludlow, Mold und Perth), Norwegen (Eidskog, Levanger und Sokndal), Neuseeland (Matakana), Niederlande (MiddenDelfland), Österreich (Enns), Polen (Biskupiec, Bisztynek, Lidzbark Warminski und Reszel), Portugal (Lagos, Silves, Sao Bras und Tavira), Schweden (Falköping), der Schweiz (Mendrisio), Spanien (Lekeitio, Mungia und Palf) und Südkorea (Shinan, Damjang, Wando und Jangheung). Mehr als 300 andere Städte weltweit bemühen sich gegenwärtig um die Aufnahme. Mit der Verbreitung und Internationalisierung der Bewegung sind auch Organisation und Zertifizierungsprozess internationaler geworden. «Lebenswerte Städte» in Deutschland beispielsweise haben eine gemeinnützige Vereinigung gegründet, die das deutsche Netzwerk betreut. Sie haben die Charta ins Deutsche übersetzt und sie an die nationalen Gegebenheiten angepasst. Anders als die italienische Charta enthält die deutsche Charta einen Indikator, der anzeigt, ob eine Stadt politische Maßnahmen unternimmt, genetisch veränderte Pflanzen und Organismen aus der regionalen Landwirtschaft zu verbannen. Die Stadt Überlingen (21.300 Einwohner) gab den Ausschlag für diese Maßnahme. Sie ist die erste Stadt, die gentechnisch veränderte Organismen aus ihrem Gebiet ausschloss. Die Ächtung gentechnisch veränderter Organismen passt zu den Slow-Food-Ideen im Allgemeinen und zeigt, dass die verschiedenen Länder das System an ihre eigenen Bedürfnisse

37. Chiavenna, Italien. Eine lebenswerte Stadt, in der Geselligkeit zur Normalität gehört.

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38. Überlingen, Deutschland. Als Mitglied der CittaslowBewegung hat Überlingen sich zu einer gentechnikfreien Landschaft erklärt. Cornelia Wiethaler (links) war die Gründerin der Initiative, sie hat sich dafür engagiert, genmanipuliertes Saatgut und Nahrungsmittel in der Stadt zu verbieten.

anpassen können. Die sechs Bereiche der Charta bleiben im Wesentlichen aber unverändert. Ein Hauptkritikpunkt an Cittaslow ist, dass sie lediglich schwache, rückwärts gewandte, isolierte Gemeinden hervorbringen könnte: Orte der Bewahrung, in denen der sittenstrenge Glaubensfanatismus der Entschleunigung den eifrigen Materialismus der schnellen Welt ersetzt. Aber Cittaslow-Städte streben nicht danach, geistig lähmende, unspektakuläre Orte zu sein, wo es keine Abwechslung gibt und in denen junge Leute abends nichts unternehmen können. Sie sind auch nicht unternehmer-, innovations- oder technologiefeindlich. Da sich die Cittaslow-Bewegung der Gefahren einer verordneten Entschleunigung bewusst ist, versucht sie durch Bauernmärkte, Festivals oder die einladende Gestaltung öffentlicher Plätze Sinn für Lebensfreude zu stiften. Cittaslow-Städte setzen innovative Technologien zur Reduktion der Luft-, Lärm- und Lichtverschmutzung ein und besitzen moderne Energiesysteme, Abfallverwertungsanlagen und Kompostiereinrichtungen. Sie versuchen die Wirtschaft zu beleben, indem sie einen ökologisch sensiblen, regional authentischen und gastronomisch orientierten Tourismus fördern.

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Hierin liegt allerdings eine andere Gefahr verborgen, nämlich dass die Cittaslow-Ausflugsziele paradoxerweise zu einer besonderen Eigenmarke innerhalb der Kulturerbe-Industrie werden könnten. Da die Cittaslow-Städte mit höchstens 50.000 Einwohnern sehr klein sind, kann das Charmante des Ortes im Trubel des Tourismus schnell verlorengehen. Je mehr diese Städte ihren bedächtigen Lebensstil anpreisen, desto schneller könnten sie sich verändern. In solch einem Szenario steigen dann die Preise in den Geschäften, und die Cafés verlieren ihre Authentizität. Je bekannter diese lebenswerten Städte werden, desto mehr Schweden, Deutsche, Holländer und Amerikaner werden hier ihren zweiten Wohnsitz gründen. Die Hauspreise werden steigen und sozial schwache und jüngere Bevölkerungsgruppen werden verdrängt werden. Die einzige Lösung dieses Problem scheint zu sein, die Cittaslow-Bewegung überall zu verbreiten.

Tabelle 2.2: Projektliste (tavolo di progetti) der italienischen, deutschen und britischen Cittaslow-Städte Cittaslow-Kriterien Umweltpolitik Gestaltung des Ortsbildes ISO-Zertifizierung Recycling, Kompostierung

Aktive Cittaslow-Städte

Trinkwasserschutz Gentechnikfreie Landschaft ECOLUP (Ecological Land Use Planning) Schutz der Kulturlandschaft Alternative Energien Klimawandel-Strategien Kampagne gegen Plastiktüten Biolebensmittel

Italien: Levanto, Chiavenna, San Miniato Italien: Levanto, Castelnovo Monti Italien: Città della Pieve, Castiglione del Lago, Cutigliano, Zibello, San Daniele Italien: Castelnovo Monti Deutschland: Überlingen Deutschland: Überlingen Deutschland: Hersbruck Italien: Cutigliano; Deutschland: Wirsberg, Schwarzenbruck Großbritannien: Diss Großbritannien: Cockermouth Großbritannien: Perth

Infrastrukturplanung Förderung des öffentlichen Nahverkehrs

Italien: Città della Pieve

Cittaslow-Bewusstsein Partizipative Politik Cittaslow-Arbeitsgruppen Regionale Nahrungsmittel in Schulkantinen Familienleben und Freizeit, Aktivitäten für Senioren Urbanistische Maßnahmen Stadtkernsanierung Denkmalschutz Müllmanagement Ökologisches Bauen Soziale Gerechtigkeit Gesundheit und Umwelt Regionaler Wirtschaftskreislauf («Buy Local») Gastfreundschaft Parkplatzmanagement Tourismusstrategie

Italien: Castelnovo Monti, San Miniato, Caiazzo Deutschland: Lüdinghausen; Großbritannien: Ludlow Italien: Bra, San Miniato Italien: Francavilla al Mare; Deutschland: Waldkirch

Italien: Levanto, Chiavenna, San Miniato; Deutschland: Lüdinghausen Großbritannien: Diss, Berwick-upon-Tweed, Linlithgow; Italien: Casalbeltrame, San Daniele, Trani Italien: Città della Pieve, San Daniele del Friuli, Positano, Castiglione del Lago Deutschland: Waldkirch Deutschland: Hersbruck Großbritannien: Cockermouth, Perth

Kulinarische Festivals Cittaslow-Publikationen

Italien: Orvieto, San Miniato Italien: Levanto, San Daniele; Großbritannien: Berwick-upon-Tweed, Linlithgow Großbritannien: Ludlow, Mold Italien: Caiazzo

Besondere Projekte Wasserstoffinitiative Förderung der mittelständischen Fischindustrie Didaktische Gärten

Italien: Orvieto, Penne Italien: Francavilla al Mare Italien: Cittaslow-Städte in Umbrien; Deutschland: Marihn

2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

47

Orvieto, Italien Die Stadt Orvieto (21.000 Einwohner) ist Gründungsmitglied und Hauptsitz der Cittaslow-Bewegung. Die Stadt liegt oberhalb des Flusses Paglia auf einem 190 Meter hohen, steil aufragenden Felsplateau aus Tuffgestein. Von alters her war diese Stätte ein strategischer Punkt. Orvieto war ursprünglich eine auf etruskischen Fundamenten gegründete römische Siedlung, wurde dann von den Goten und später von den Langobarden eingenommen. Im Mittelalter konkurrierte die wohlhabende Stadt mit Florenz und Siena um den Zugang zum Meer, gespalten zwischen den Guelfen (der Partei des Papstes) und den Ghibellinen (der Partei des Kaisers). Die Stadt gehörte dann lange zum Kirchenstaat, war Zufluchtsort der Päpste, wurde aufgegeben und im 19. Jahrhundert dann dem italienischen Königreich unterstellt. Die industrielle Revolution hinterließ in der Stadt aufgrund ihrer schwer zugänglichen Lage keine Spuren. Heute dominiert der Tourismus und Busreisende legen hier einen kurzen Sightseeing-Stopp ein. An der NordSüd-Route der autostrada und eine Stunde von Rom entfernt gelegen, zieht Orvieto mit seinen pittoresken Straßen und dem mittelalterlichen Dom (von ca. 1290) mit seiner spektakulären farbenfrohen Fassade jedes Jahr mehr als zwei Millionen Besucher an.

39. Der Stadtkern von Orvieto.

40. Piazza della Repubblica und das Rathaus.

41. Blick auf Orvieto. 48

Der frühere Bürgermeister Stefano Cimicchi wurde zum Gründungsmitglied der Cittaslow-Bewegung, weil es sich der Notwendigkeit bewusst war, das Stadtbild und die Lebensweise der Bewohner zu bewahren. Sein Nachfolger Stefano Mocio ist Vizepräsident von Cittaslow Italien. Beide haben bedeutende Schritte unternommen, um die Lebensqualität und Nachhaltigkeit der Stadt zu verbessern. Cittaslow-Mitglieder tragen zum sogenannten tavolo di progetti bei (vgl. Tabelle 2.2). Dies ist eine Informationsstelle, die über Strategien und Projekte informiert, die mit den verschiedenen Aspekten der Cittaslow-Charta zusammenhängen. Orvietos Beitrag ist ein nachhaltiges öffentliches Verkehrskonzept. Das historische Stadtzentrum Orvietos ist für Autos gesperrt und wird so vor Verkehr, Abgasen und Lärm geschützt. Auswärtige Besucher mit Pkw werden in große Parkhäuser geleitet, die unter einem Park und einer piazza unterhalb des Stadtzentrums verborgen sind. Per Aufzug im Inneren der Stadtbefestigung fahren die Besucher nach oben. Am anderen Ende der Stadt können Besucher, die mit dem Zug anreisen, eine Bergbahn zum Stadtzentrum nehmen. Kleine Elektrobusse fahren die Touristen durch die Stadt. Im Jahr 2003 richtete Orvieto die Feierlichkeiten zur Unterzeichnung des «Wasserstoffstadt»-Abkommens aus, das die Teilnehmer dazu verpflichtet, «Vorbereitungen für eine Wasserstoffwirtschaft zu treffen, die auf erneuerbaren Energien beruht, sodass die Menschheit endlich zu einer völlig in das Ökosystem der Erde integrierten Gemeinschaft wird, sowie ein neues auf Wasserstoff basierendes Energieregime zu fördern, das lokale und regionale Umweltressourcen nachhaltig nutzt und sie für zukünftige Generationen bewahrt».44

hohe Preise gezahlt. Sie sind eine Mischung aus den Traubensorten Trebbiano Toscano, Verdello und Grechetto, veredelt durch die «mysteriöse Alchemie» der vulkanischen Mineralien der Gegend. Die Stadt hat auch sogenannte orti sociali eingeführt. Dies sind kommunale Laubenkolonien, wo die Bürger ihr eigenes Gemüse anbauen und durch ihre Arbeit mit dem Landleben in Berührung bleiben können. Insbesondere für ältere Bürger ergibt sich hierdurch die Möglichkeit, aktiv und engagiert zu bleiben. Die Cittaslow-Organisation hat weiterhin bedeutend dazu beigetragen, das Kulturangebot der Stadt zu verbessern und auszuweiten. Beispiele hierfür sind der Umbria Jazz Winter und das kulinarische Ereignis Orvieto con gusto, die beide ein internationales Publikum anziehen.

42. Verkehrsberuhigung im centro storico.

Die Slow-Food-Bewegung hat die Entschleunigung Orvietos ebenfalls stark beeinflusst. Die Gesetze der Stadt verbieten Fastfood und große Supermärkte. Schulkantinen nutzen Bioprodukte und bieten hauptsächlich traditionelle Gerichte an. Jeden Freitagabend gibt es im Palazzo del Gusto (vormals ein Mönchskloster, das Chiostro di S. Giovanni) ein Slow-Food-Diner. Dort befindet sich auch die Zentrale der Cittaslow-Bewegung. Im zweiten Stock des Palazzo bietet eine regionale Kochschule Kurse für Amateur- und Profiköche an. In den Kellern finden Weinproben und Weinseminare statt. Für die ausgezeichneten Weißweine der Region werden 43. Elektrobusse.

2 DIE MOBILISIERUNG FÜR DEN WANDEL IN KLEINSTÄDTEN

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44. Wederath, Deutschland. 50

3

Umwelt und Nachhaltigkeit

Die Vitalität des natürlichen Lebensraums – eines der «drei E» der Nachhaltigkeit – sowie die Fähigkeit, ökologische Ressourcen für die Zukunft zu erhalten, sind entscheidend für die Nachhaltigkeit von kleinen Städten. Viele Kleinstädte bemühen sich, ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu vermindern; sie leisten ihren Beitrag zu sauberer Luft und sauberem Wasser, verringern die Müllmengen und klären die Öffentlichkeit über die Vorteile von Recycling auf; sie versuchen, der Zersiedelung entgegenzuwirken und wenden innovative Methoden der Stadtplanung an; sie sichern die Biodiversität, fördern und unterstützen eine umweltfreundliche Industrie und ökofreundliche Bauweisen. In diesem Kapitel geht es besonders darum, wie Kleinstädte umweltverträgliche Maßnahmen mit ökonomischen und sozialen Zielen verbinden können, und darum, wie sie durch ganzheitliche Ansätze vorbildhaft die drei Aspekte Umwelt, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit in Einklang bringen. Kleinstädte stehen oft im Schatten von größeren Städten. Portland, die größte Metropole im US-Bundesstaat Oregon mit über zwei Millionen Einwohnern, aber auch Freiburg, eine mittelgroße Stadt mit über 220.000 Einwohnern im Südwesten Deutschlands, werden für ihre Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsbemühungen besonders gepriesen. Während also Städte wie Portland und

3 UMWELT UND NACHHALTIGKEIT

Freiburg wegen ihrer Umweltpolitik lange Zeit im «Nachhaltigkeits-Rampenlicht» standen, wurden Kleinstädte weltweit übersehen, trotz ihrer innovativen Ansätze zu einer nachhaltigen Umweltpolitik. Schwedische Kleinstädte führten bereits in den 1980er-Jahren eine ganzheitliche Vorgehensweise bei der Stadtentwicklung ein und initiierten eine nationale und internationale Bewegung, die heute als Ökostadt-Bewegung bekannt ist. Auf der anderen Seite des Atlantiks, in den USA, begannen im Frühjahr 2008 1.000 Gemeinden – darunter viele Kleinstädte –, Aktionspläne zur Reduzierung der Kohlendioxidemission zu entwickeln, obwohl auf Bundesebene die internationalen Verträge zum Schutz des Klimas, wie das Kyoto-Protokoll, noch nicht unterzeichnet waren. Gegenwärtig entstehen viele Bürgerinitiativen, deren Aktivitäten von BiogasFernheizwärme bis hin zu Kindergärten, die nach ökologischen Kriterien geführt werden, reichen. Einer der häufigsten Fehler bei der Planung von Nachhaltigkeit – egal, ob es sich um große Metropolen oder Kleinstädte handelt – besteht darin, Umweltschutzmaßnahmen isoliert und losgelöst von einem größeren Kontext zu betrachten. Diese Vorgehensweise kann richtig sein, wenn eine Gemeinde ihre nachhaltige Zukunftsfähigkeit über ein einzelnes Pilotprojekt beweisen muss. Bei grundlegenden Systemveränderungen muss allerdings eine ganzheitliche Perspektive verfolgt werden. Wenn Einzelprojekte eine Eigendynamik entwickeln, besteht die Gefahr des Konflikts und der Konkurrenz zu anderen Zielen der Nachhaltigkeit.45 Eine isolierte Vorgehensweise trennt außerdem die Umweltschutzmaßnahmen von den notwendigen Veränderungen oder Leistungen für die lokale Wirtschaft sowie vom sozialen Wohl der Gemeinde. Um wirklich einen Wandel herbeizuführen, müssen die Anstrengungen zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit in die soziale und ökonomische Planung einer Kleinstadt einbezogen werden. Dies ist normalerweise einfach, da solche Anstrengungen auch viele Vorteile für eine nachhaltige soziale und wirtschaftliche Zukunft mit sich bringen. So wirken sich zum Beispiel die Reinhaltung und der Schutz öffentlicher Wasserstraßen positiv auf die natürliche Wasserqualität, die allgemeine Gesundheit, den Wasserhaushalt, die Biodiversität, den Freizeitwert sowie auf die Ästhetik aus. Wenn ökologische und

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andere Ziele auf diese Weise verbunden werden, können Umweltinitiativen auf eine größere Anhängerschaft und eine breitere Unterstützung zählen. Die 1988 vom schwedischen Arzt und Krebsforscher Karl-Henrik Robèrt gegründete Natural-Step-Bewegung basiert auf einer solchen systematischen Vorgehensweise zur Zukunftsfähigkeit einer Gemeinde. Die vier Leitlinien dieser Bewegung, die im Jahr 2000 von der American Planning Association übernommen wurden, sind: 1. Verminderung des verschwenderischen Umgangs mit und der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, knappen Metallen und Mineralien 2. Verminderung des verschwenderischen Umgangs mit und der Abhängigkeit von Chemikalien und synthetischen Substanzen, die sich in der Natur ansammeln 3. Verringerung der Schädigung der Natur 4. Faires und wirkungsvolles Eingehen auf menschliche Bedürfnisse.46

Konflikte zwischen den verschiedenen Zielen der Nachhaltigkeit

45. Der Jökulsárlón See in Island. Diese Gletscherflusslagune ist einzigartig und eine der größten und bekanntesten in Island. Die Lagune bildet einen See am Ausgang des Gletschers Vatnajökull. Die spektakulären blauen und weißen Eisberge dienten bereits als Kulisse für die James-Bond-Filme Stirb an einem anderen Tag und Im Angesicht des Todes. Der Klimawandel und die globale Erwärmung führen zu steigenden Meeresspiegeln und dem Schmelzen der Gletscher wie diesem in Island. Im Jahr 2007 trieben daher sehr viele Eisberge in der Lagune.

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Die Anwendung der «drei E» bei Planungsmaßnahmen im Umweltschutz kann zu größeren Konflikten mit den anderen beiden Bereichen führen. Scott Campbell, der sich wissenschaftlich mit Stadtplanung beschäftigt, verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und wirtschaftlicher Entwicklung anhand des Konflikts zwischen dem Schutz des Fleckenkauzes in den Wäldern des Pazifischen Nordwestens und der Sicherung der Arbeitsplätze für die Holzfäller.47 Ein Beispiel neueren Datums aus derselben Region ist der Konflikt zwischen dem Schutz der Lachse und der Elektrizitätsgewinnung durch Staudämme. Kleinstädte stehen häufig solchen Konflikten gegenüber. Zum Beispiel die 14.000 Einwohner zählende Stadt Truckee in Kalifornien, als das für die Stadtwerke zuständige Gremium über einen 50-Jahresvertrag abstimmen musste, der zur Finanzierung eines Kohlekraftwerks im nahen Utah beitragen sollte.48 Die Befürworter des Vertrags führten die ökonomischen Vorteile des billigen Stroms ins Feld. Die Gegner hingegen bezogen sich auf die globale Erwärmung sowie auf die Tatsache, dass die Region, die stark vom Wintertourismus abhängt, bereits schon jetzt weniger Schnee zu

verzeichnen habe. Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger schaltete sich in diese Kontroverse ein und verwies auf seine Bemühungen, Kalifornien bis zum Jahr 2020 zum umweltfreundlichsten Staat der USA zu machen, sowie auf ein Gesetz, das Verträge mit umweltverschmutzenden Kraftwerken verbietet. Er drängte den Ausschuss, gegen den Vertrag zu stimmen. Die Abstimmung fiel 4 zu 1 gegen den Vertrag aus. Heute bezieht die Stadt Truckee ihre Elektrizität von einer Anlage, die Strom durch die Verfeuerung von Holzabfällen gewinnt. Ein anderes Beispiel wiederum, das verdeutlicht, wie die Ziele der Nachhaltigkeit mit den bestehenden Gesetzen und Bestimmungen in Konflikt geraten können, hat mit dem schlichten Wäschetrocknen an Wäscheleinen zu tun. Die meisten Hausbesitzervereinigungen (homeowner associations, HOA) in den USA untersagen oder beschränken die Benutzung von im Freien angebrachten Wäscheleinen. Gemäß den Bestimmungen vieler HOAs dürfen Wäscheleinen nicht sichtbar sein, um eine Minderung der Immobilienwerte innerhalb der Nachbarschaft zu vermeiden. Wirtschaftliche Gewinnaussichten setzen sich hier gegenüber dem ökologischen Nutzen durch, den das natürliche Trocknen der Wäsche mit sich brächte. Mehrere US-Bundesstaaten – darunter Vermont und Connecticut, in denen es vor allem Kleinstädte gibt und Wäscheleinen zum vertrauten Bild gehören – haben inzwischen Gesetze verabschiedet, die das Trocknen von Wäsche im Freien ausdrücklich erlauben.49 Beispiele wie diese zeigen, dass Konflikte aufgrund von unterschiedlichen Planungszielen entstehen können. In Kleinstädten sind diese Kontroversen oft stärker ausgeprägt, da die Probleme sichtbarer und die unterschiedlichen Parteien besser bekannt sind. Andererseits können Kleinstädte aber auch von ihrer Kleinheit profitieren, da potenzielle Probleme schneller aufgedeckt und Gespräche zwischen den Betroffenen zügiger eingeleitet werden können. Kleine Städte haben normalerweise auch eine schlankere Bürokratie, sodass sich die Zusammenarbeit von Abteilungen, die sich mit ökonomischen, sozialen und ökologischen Themen befassen, einfacher gestaltet. Kleinstädte besitzen außerdem den Vorteil, dass sie über ihre sozialen Netze und einen ausgeprägten Bürgersinn eine Kultur der Nachhaltigkeit entwickeln können (siehe Kapitel 7).

46. Procida, Italien. Mit etwas mehr als 10.000 Einwohnern und einer Fläche von etwa 4 Quadratkilometern liegt die Insel Procida wie ein Juwel im Mittelmeer. Die Insel ist die kleinste Mittelmeerinsel und weniger bekannt als ihre Nachbarinseln Capri und Ischia. Einige der Orte, wie zum Beispiel das Fischerdorf Corricella, sind von einer traditionellen Architektur mit Bögen und Gewölben geprägt. Die Balkone werden zum Wäschetrocknen genutzt.

47. Lokaler Aktivismus. Ein Schild, das eine atomwaffenfreie Zone deklariert, in Lamporecchio, Toskana, Italien.

3 UMWELT UND NACHHALTIGKEIT

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Der Sonderweg kleiner Städte Kleinstädte haben großen Eigensinn und Kreativität an den Tag gelegt, wenn die nationale Politik im Konflikt mit Nachhaltigkeitszielen stand. Obwohl Atomenergie in den Vereinigten Staaten nicht verboten ist, erklärten sich einige Kleinstädte zu atomfreien Zonen. East Windsor in Connecticut (9.818 Einwohner) hat beispielsweise als Reaktion auf ein Vorhaben Anfang der 1990er-Jahre, nahe der Stadt eine Atommülldeponie zu errichten, eine Verordnung über eine nuklearfreie Zone verabschiedet. Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, hat sich die Stadt Überlingen – seit 2004 Cittaslow-Stadt – frei von genmanipulierten Organismen (GMO) erklärt. Mehr als 70 Landwirte haben sich verpflichtet, ihre 200 Hektar Land frei von genmanipulierten Saaten zu halten. Deutschlands größte gemeinnützige Umweltorganisation, der BUND, wirbt bei den Gemeinden, ihre Initiative «Keine Gentechnik auf Gemeindeland» zu unterstützen. In Deutschland haben sich auch mehr als 20 regionale Kirchengemeinden dazu entschlossen, auf ihren Ländereien keine genmanipulierten Organismen zuzulassen. Ähnliche Bewegungen, die sich gegen genveränderte Organismen wenden, sind in Kleinstädten in Italien, Österreich, der Schweiz und Australien zu finden. In den Vereinigten Staaten ist die Stadt Burlington (38.889 Einwohner) eine von 83 Städten in Vermont, die sich gegen Gentechnik ausgesprochen haben. Brooklin in Maine (841 Einwohner) hat sich zu einer GMO-freien Zone erklärt, obwohl genmanipulierte Nahrungsmittel und Organismen in den ganzen Vereinigten Staaten USA verwendet werden und von der Bundespolitik gesetzlich erlaubt sind. Diese Art Sonderweg von Kleinstädten ist ein Beleg für die Durchsetzungsfähigkeit von bürgerbewegten Umweltschutzgruppen, die um den Erhalt der Biodiversität und der natürlichen Umwelt fürchten.

Ökologische Probleme kleiner Städte Obwohl Kleinstädte in vielen Fällen führend auf dem Gebiet der ökologischen Nachhaltigkeit sind, sehen sie sich dennoch mit vielen Umweltproblemen konfrontiert. Umweltbelastungen wirken sich auf Kleinstädte gravierender aus als auf Großstädte, da kleinere Gemeinden stärker von ihren natürlichen Ressourcen sowie ihrer kulturellen und ökologischen Landschaft abhängig sind. Viehhaltung, Ackerbau und eine freie Natur, 54

die der Erholung dient, sind oft für die wirtschaftliche Basis einer Kleinstadt lebenswichtig. Umweltschäden wirken sich daher unmittelbarer auf die Gesundheit und die wirtschaftliche Existenz kleinstädtischer Bewohner aus. Umweltprobleme wie Lärm, Wasser- und Luftverschmutzung, der verschwenderische Umgang mit Land, Zersiedelung, der Verlust an Freiflächen und Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Stürme sind nur einige Beispiele, die die Lebensumwelt bedrohen. Die kleine Gemeinde Newtok in Alaska (321 Einwohner) muss zum Beispiel umgesiedelt werden, da aufgrund der globalen Erwärmung der Permafrostboden auftaut, auf dem das Dorf gebaut ist.50 Abgesehen von diesen Umweltbedrohungen haben die Bewohner Alaskas ohnehin schon damit zu kämpfen, ihren traditionellen Lebensstil aufrechtzuerhalten und ihre Existenzgrundlage, die auf Fischerei und Jagd basiert, zu sichern. Experten gehen davon aus, dass bei steigendem Kohlendioxidausstoß sich die Erde weiter aufheizen und tiefgelegenen Küstenregionen und ihren Städten das gleiche Schicksal wie Newtok widerfahren wird. Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der von der World Meteorological Organization (WMO) sowie dem United Nations Environment Programme (UNEP) 1988 eingerichtet wurde, sagt voraus, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zwischen 0,18 und 0,59 Metern ansteigen wird.51 Dies wird verheerende Folgen nach sich ziehen: Überschwemmungen, das Eindringen von Salzwasser, die Erosion von Stränden und Marschen und – auf der Seite des Menschen – das neue Phänomen von Klimaflüchtlingen. Kleinstädte sind aufgrund ihrer besonderen Abhängigkeit von bestimmten Industrien oft von Luftverschmutzung und Lärm geplagt. Am einen Ende des Spektrums stehen Städte, die aufgrund ihrer Attraktivität für Touristen Teil der schnellen Welt geworden sind; sie sind mit einer Zunahme des Verkehrs und einer größeren Nachfrage nach öffentlichen Dienstleistungen konfrontiert. Wie in Kapitel 2 beschrieben, hat die italienische Stadt Orvieto die negativen Auswirkungen des Tourismus erlebt und daraufhin entschieden, den öffentlichen Transport umzustrukturieren und den Verkehr aus dem Zentrum zu verbannen. Kleinstädte, beispielsweise solche im Mittleren Westen der USA, die vom

Rohstoffabbau oder der Nahrungsmittelindustrie – wie große Schweine- oder Hühnerfarmen – abhängig sind, unterliegen einer höheren Luft- und Wasserverschmutzung. Neben dem ökologischen Verfall der Region sehen sich die Arbeiter in der Nahrungsmittelindustrie oft auch ungesunden und unsicheren Arbeitsbedingungen ausgesetzt, wie sie von Eric Schlosser anschaulich in seinem 2001 erschienenen Buch Fast Food Nation beschrieben werden.52 Eine allgemeine Bedrohung für kleine Städte in Industrie- und Entwicklungsländern ist das schnelle Wachstum der Städte. In den Entwicklungsländern hat die Migration in urbane Räume zu einer unkontrollierten Ausdehnung von Kleinstädten geführt. Diese Städte müssen lernen, mit den negativen Auswirkungen dieses Wachstums umzugehen. So hat etwa in Kenia das Wachstum ökologisch sensible Flussufer zerstört, und die illegale Besiedlung verschmutzt das Grundwasser. Um dem zu begegnen, können Kenias Kleinstädte an dem sogenannten Green Towns Project teilnehmen. Das Projekt ist eine bisher einmalige Partnerschaft zwischen den lokalen Behörden, dem Ministerium für Kommunale Verwaltung, dem Ministerium für Landnutzung und Siedlungen, der Verwaltungsfachschule in Mombasa sowie der Landwirtschaftlichen Hochschule von Wageningen in den Niederlanden. Verschiedene Workshops und Arbeitsgruppen auf Gemeindeebene identifizieren Umweltprobleme und erarbeiten gemeinsam Lösungen. Dieses Konzept stellt einen neuartigen Ansatz dar, der sich beim Mobilisieren lokaler Freiwilliger und dem Engagement der Bürger für die Ziele der Nachhaltigkeit als erfolgreich erwiesen hat.53 In den Industrieländern hat das rasante Wachstum von Kleinstädten zum Verlust von Freiflächen geführt. Wertvolles Agrarland geht dabei oft zugunsten von lukrativen Wohnanlagen, Golfplätzen und Erholungseinrichtungen verloren. Diese Entwicklungen sind besonders in den Vereinigten Staaten problematisch, da es den meisten ländlichen Regionen und Kleinstädten an geeigneten Bauverordnungen fehlt, die eine solche Zersiedelung aufhalten könnten. Dies kann dann zur sogenannten «BocksprungBebauung» (leapfrog development) führen, bei der buchstäblich «freies Land übersprungen»54 wird, um außerhalb der Stadtgrenzen Bestimmungen und Auflagen zu entgehen. Im Gegensatz zu einigen europäischen Ländern, wo strenge Richtlinien 3 UMWELT UND NACHHALTIGKEIT

48. Umweltverschmutzung. 55

zur Raumordnung bestehen, haben die meisten Landesregierungen und Kommunalverwaltungen in den USA bislang keine vergleichbaren Maßnahmen eingeführt. Außerdem konterkarieren viele Bebauungsrichtlinien, wie gesetzlich vorgeschriebene Häuserabstände, Straßenbreiten und die Trennung von Gewerbe- und Wohnbebauung, das Bestreben, sich in einer kompakteren und zukunftsfähigeren Weise weiterzuentwickeln. In den vergangenen Jahren wurde die städtische Zersiedelung auch in Zusammenhang mit Fettleibigkeit und anderen Zivilisationskrankheiten gebracht. Forscher haben aufgezeigt, dass es eine relevante Beziehung zwischen der bebauten Umwelt und dem

Ausmaß an körperlicher Aktivität gibt. Da sich die meisten dieser Studien lediglich auf Großstädte und deren suburbane Umgebung konzentrierten, war ihre Anwendbarkeit auf Kleinstädte fraglich. Im Jahr 2006 wurden jedoch die Ergebnisse einer Studie der Saint Louis Universität in Missouri vorgestellt, die zeigten, dass die Umweltbedingungen in Kleinstädten in Missouri, Tennessee und Arkansas die Gesundheit der Bevölkerung beeinflussen. Insbesondere fanden die Forscher heraus, dass das Fehlen nahegelegener Erholungsmöglichkeiten – wie Wanderwege und Fitnesscenter – fehlende Bürgersteige und Sicherheitsbedenken die Bewegungsaktivitäten einschränken und sich letztlich negativ auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken.55 49. Aylsham, England. Lastwagen, die im Durchgangsverkehr durch kleine Ortschaften fahren, sind ein typisches Problem für kleine Städte, die keine Umgehungsstraßen haben.

50. Bellinzona, Schweiz. Elektronische Poller beschränken die Zufahrt zur Innenstadt.

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Das große Ganze: Globales und lokales Handeln Der dringende Handlungsbedarf, der aufgrund von Umweltschäden und Klimawandel besteht, hat zu zahlreichen internationalen Vereinbarungen und lokalen Initiativen geführt. 1992 wurde in Rio de Janeiro die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (häufig als «Erdgipfel» bezeichnet) abgehalten. 179 Regierungen stimmten für die Annahme eines Entwurfs zur Nachhaltigkeit. Die Einführung der auf diesem Gipfel diskutierten Ideen auf lokaler Ebene wurde als besonders wichtig erachtet. Daraufhin arbeitete man die sogenannte «Lokale Agenda 21» aus, in der sich die Kommunen verpflichten, mit der Bürgerschaft über Nachhaltigkeit zu diskutieren und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Die Diskussionen in Rio wurden besonders von den Präsentationen einiger kleiner Ökogemeinden in Schweden beeinflusst, die sich bereits seit den 1980er-Jahren mit Nachhaltigkeitsfragen befassen. Diese Präsentationen halfen wesentlich, die Agenda 21 mit ihrem lokalen Fokus auszugestalten.56 In vielen Ländern betrachtete man den Prozess der Agenda 21 als einen Weg, ein lokales Verantwortungsbewusstsein zu schaffen und die Bürger in Diskussionen über Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität zu involvieren. Die Durchführung hat sich allerdings von Land zu Land sehr unterschiedlich gestaltet. In Deutschland etwa

haben Beobachter festgestellt, dass es an der Koordination zwischen kommunaler und Bundesebene hapert.57 Dennoch sind die Prozesse der Agenda 21 zu wichtigen Vorreitern für andere nachhaltige Kleinstadtinitiativen wie zum Beispiel Cittaslow geworden. In Waldkirch im Schwarzwald löste die Agenda 21 – lange bevor die Stadt das CittaslowSiegel bekam – rege Diskussionen über nachhaltige Lebensweisen und Zukunftsfähigkeit aus. Einige der Lokalpolitiker kritisierten die theoretische Art der Agenda-21-Diskussionen, loben aber Cittaslow für ihren Pragmatismus und ihren handlungsorientierten Ansatz. Tatsächlich setzt gerade die CittaslowMitgliedschaft von Waldkirch die Ideen der Agenda 21 in einem eindrucksvollen und konkreten Aktionsprogramm um. Die Agenda 21 stellt einen freiwilligen Maßnahmenkatalog zur Nachhaltigkeit dar. Seit 1997, der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls durch 179 Nationen und der damit verbundenen Verpflichtung, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren, ist die internationale Gemeinschaft stärker geworden und konnte mehr Eigeninitiative entwickeln. Mehrere Länder haben dieses Protokoll bisher allerdings nicht unterzeichnet, allen voran die USA, die einer der größten Verursacher von Treibhausgasen weltweit sind. China übertraf im Jahr 2006 erstmals die USA als größter Emittent von Treibhausgasen, was die Notwendigkeit deutlich macht,

51. Avignonet-Lauragais, Frankreich. Windmühlen produzieren erneuerbare Energie. Die Europäische Kommission veröffentlichte 2007 weitreichende Pläne, die Energiequellen in der EU zu diversifizieren, die CO2-Emissionen um 20 Prozent zu reduzieren und Regeln für den Energiewettbewerb durchzusetzen.

3 UMWELT UND NACHHALTIGKEIT

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sich auf die ökologische Nachhaltigkeit von sich industrialisierenden Ländern zu konzentrieren. Als Reaktion auf die Untätigkeit des Bundes in den USA sind allerdings viele lokale Basisbewegungen entstanden. 2005 verabschiedete die US Conference of Mayors die «Klimaschutzvereinbarung der Bürgermeister der USA». Bereits 2007 hatten «mehr als 355 Bürgermeister, die über 54 Millionen Amerikaner in 49 Staaten repräsentieren, diese Vereinbarung unterschrieben».58 Auf der Cool Mayors-Internetseite59 – ein Forum für den Informationsaustausch lokaler Amtsinhaber – sind inzwischen 963 große und kleine Städte, die diese Vereinbarung unterschrieben haben, verzeichnet. Obwohl die meisten dieser Städte große Metropolen sind, haben auch einige Kleinstädte beeindruckende Programme an der Basis durchgeführt. Zum Beispiel verabschiedete die kalifornische Stadt Atascadero (26.411 Einwohner), eine große Verfechterin der umweltverträglichen Flächennutzung (Smart Growth), im Jahr 1998 eine Verordnung zum Schutz der einheimischen Eichen. Die Stadt Frisco in Colorado (33.714 Einwohner) unterzeichnete 2007 die Klimaschutzvereinbarung, hatte sich aber bereits lange zuvor in ihrer Umweltpolitik auf Energieeffizienz bei den städtischen Betrieben verpflichtet. 2007 stieg Frisco auf Wind- und andere regenerative Energien um, um so alle städtischen

Betriebe zu 100 Prozent mit alternativen Energien zu versorgen. Weiterhin konnte die Stadt sogenannte Carbon Credits für ihren Fuhrpark kaufen. Die «Klimaschutzvereinbarung der Bürgermeister der USA» brachte in kurzer Zeit ein beeindruckendes Netzwerk an der Basis zustande. Einige Kritiker meinen jedoch, dass ohne Unterstützung durch die Bundesstaaten und des Bundes das Potenzial auf lokaler Ebene nicht ausgeschöpft werden kann.60

Schwedens Eko-KommunerBewegung Eine der besonders beeindruckenden Umweltbewegungen von Kleinstädten ist das schwedische Netzwerk der Eko Kommuner (Ökogemeinden). Die Initiative umfasst 71 Gemeinden verschiedener Größen und somit mehr als ein Viertel aller Städte und Dörfer des Landes. Diese Eko Kommuner arbeiten gemeinsam auf eine nachhaltige und umweltverträgliche Zukunft hin. Die Mitglieder haben sich dem Natural Step Framework angeschlossen und verstehen Nachhaltigkeit als ein ganzheitliches Problem, das ökologische, ökonomische und soziale Ziele gleichermaßen umfasst. Die Städte richten in der Regel Foren ein, in denen die Bewohner ihre Ideen austauschen sowie ein gemeinsames Verständnis von Zukunftsfähigkeit entwickeln können.

52. Allgäu, Deutschland. Erneuerbare Energie aus Solarzellen auf einer Scheune im ländlichen Raum.

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Die Idee der Ökogemeinden stammt ursprünglich aus den 1980er-Jahren, als die in der Nähe des Polarkreises gelegene Kleinstadt Övertorneå damit begann, die Vision einer von fossilen Brennstoffen freien Zukunft umzusetzen. Övertorneå wurde zur ersten Ökogemeinde Schwedens und der Welt. Die Bewohner und die lokalen Behörden wurden damals durch den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang der Stadt zu diesem Schritt motiviert.61 Hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung sowie das Fehlen von sozialem Engagement alarmierten die Behörden, die daraufhin ein Bürgerforum organisierten, um über die Zukunft der Stadt zu diskutieren. Heute laufen sämtliche städtische Betriebe Övertorneås zu 100 Prozent unabhängig von fossilen Brennstoffen. Die meisten städtischen Gebäude besitzen moderne Biogas-Heizungen, der städtische Fuhrpark fährt mit Biodiesel. Der Öl- und Benzinverbrauch sank darauf erheblich, und es wurden finanzielle Mittel für andere Investitionen frei. So errichtete die Stadt ein Ökodorf, um neue Einwohner anzuziehen. Die Schule der Stadt wurde unter Verwendung von umweltfreundlichen und wiederverwertbaren Materialien und dem kompletten Verzicht auf Plastikmöbel umgebaut. Außerdem werden die politischen Entscheidungsträger, Geschäftsleute und Bürger ständig weitergebildet. 1995 gründeten die schwedischen Ökogemeinden den Dachverband Sveriges Ekokommuner (SEkom). Diese Organisation entwickelte ein System von Umweltindikatoren, das die Städte zur Überprüfung ihrer nachhaltigen Entwicklung anwenden können. SEkom-Indikatoren sind: 1. CO2-Emissionen fossiler Brennstoffe (Tonne/Einwohner) 2. Altlastenmengen der Haushalte (kg/Einwohner) 3. Anteil der Ackerfläche mit ökologisch angebautem Getreide 4. Anteil der ökologischen Forstwirtschaft (bescheinigt durch den Forest Stewardship Council (FSC) oder den Pan European Forest Council (PEFC)) 5. Prozentualer Anteil der Naturschutzgebiete 6. Recycling von Hausmüll (in Verantwortung des Herstellers (kg/Einwohner)) 7. Gesamtmenge des anfallenden Hausmülls (ohne Verantwortung des Herstellers (kg/Einwohner)) 8. Schwermetallanteil im Klärschlamm (mg/kg toxischer Substanz)

3 UMWELT UND NACHHALTIGKEIT

9. Anteil der erneuerbaren und recyclebaren Energien in Gebäuden der Gemeinde 10. Transportenergie für Geschäftsreisen mit dem Auto (t/Angestellter) und CO2-Emissionen von Geschäftsreisen mit dem Auto (t/Angestellter) 11. Kauf organischer Nahrungsmittel durch die Gemeindeverwaltung (prozentualer Anteil der Gesamtausgaben) 12. Anteil umweltverträglicher Schulen und Kindertagesstätten (zertifiziert nach Green Schools, Schools for Sustainable Development, ISO 14001 oder Eco-Management and Audit Scheme (EMAS))62 Andere Länder wie die USA, Irland, Japan, Neuseeland sowie einige afrikanische Länder sind dabei, das schwedische Ökogemeindemodell zu übernehmen. In den USA wurde 2005 das sogenannte North American Eco-Municipality Network gegründet, dem zahlreiche Städte angehören, die dieses Modell übernommen haben. Viele Kleinstädte, vor allem in den US-amerikanischen Bundesstaaten Wisconsin, Pennsylvania, New Hampshire und Minnesota, haben den Weg in eine nachhaltige Zukunft eingeschlagen. Stadträte in Ashland und Washburn aus der Chequamegon-Bay-Region in Wisconsin haben Gesetze verabschiedet, Diskussionskreise eingeführt und formale Nachhaltigkeitspläne erstellt, um ebenfalls zur Ökogemeinde zu werden. Des Weiteren hat die Region langfristig angelegte Initiativen, wie den Sustainable Chequamegon Initiative Strategic Plan 2006–2011, entwickelt. Eine in der irischen Kleinstadt Clonakilty gegründete Basisorganisation arbeitet an der Realisierung einer Nachhaltigkeits-Agenda, die sich auf das Modell der schwedischen Ökogemeinden stützt.

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Robertsfors, Schweden Die Stadt Robertsfors vertritt die fünfte Generation der schwedischen Ökogemeinden und strebt an, zu einem Modell für nachhaltige Entwicklung zu werden. Robertsfors liegt etwa 60 Kilometer nördlich von Umeå, der Hauptstadt des Landkreises Västerbotten, im Norden Schwedens. Es ist eine kleine, aber räumlich zerstreute Gemeinde mit etwa 7.050 Einwohnern. 2.000 Einwohner leben im Stadtzentrum, der Rest in den neun Ortschaften und 20 Weilern in der direkten ländlichen Umgebung.63 Die Region ist bekannt für ihre ehemalige Eisenindustrie sowie ihre lange Tradition in der Landwirtschaft. Bis in die späten 1990er-Jahre wurde Umweltpolitik nur punktuell betrieben, bis dann 1999 eine Debatte über das Potenzial von Robertsfors als Vorzeigegemeinde auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit entstand. Die Stadt trat SEkom bei und begann im Jahr 2001 mit der Planung, in die auch die Bürger einbezogen waren. Das Projekt basiert auf einem 5-Jahres-Plan, der die Entwicklung eines Modellverfahrens zum Ziel hat, welches veranschaulicht, wie sich ökonomischer, ökologischer und sozialer Wandel in Kleinstädten erreichen lässt. Die Stadt sieht sich «an der Speerspitze nachhaltiger Entwicklung und dient als ein lebendiges Modell und Prototyp für alle anderen Gemeinden, die sich mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigen».64 Sie entwarf ein Nachhaltigkeitskonzept, das als lebendiges Beispiel dafür dienen soll, dass Anpassung und Veränderung möglich sein müssen, und zwar auf der Grundlage der Bedürfnisse und Errungenschaften der Gemeinde. Für ihre Umweltverträglichkeit hat sich die Stadt Robertsfors bis zum Jahr 2050 hohe Ziele gesteckt: • Größtmögliche Autarkie bei Nahrung und anderen Grundbedürfnissen • Minimierung der Transporterfordernisse • Entwicklung geschlossener, sauberer Kreisläufe zwischen «Acker und Esstisch» sowie zwischen Stadt und Land • Ausschließliche Verwendung erneuerbarer Energiequellen • Weltweit führendes Beispiel einer vollkommen umweltverträglichen Gemeinde zu sein • Intensiver Wissensaustausch über nachhaltige Entwicklung mit dem Rest der

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53. Der Stadtkern von Robertsfors, Schweden.

54. Robertsfors. Robertsfors ist ein Ort im Nordosten Schwedens und liegt in einer sehr dünn besiedelten Region. Die Stadt selbst hat etwa 2.000 Einwohner, weitere 5.000 Einwohner sind in den umliegenden Dörfern zu Hause. Die wichtigsten Industriezweige sind die Holzwirtschaft, die Landwirtschaft und der Tourismus.

Welt und mit führenden Experten aus dem öffentlichen und privaten Bereich Um diese Ziele erreichen zu können, bemüht sich die Stadt, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen, was wiederum mit dem Ziel der schwedischen Regierung – den Ölverbrauch bis 2020 komplett einzustellen – in Einklang steht. Robertsfors hat seinen städtischen Fuhrpark auf Ethanol-Kraftstoff umgestellt, die Schulen werden auf ihre Umweltfreundlichkeit geprüft und zertifiziert und es

wird mit Biogas geheizt. Die Stadt hat auch einen Biobauernmarkt gegründet und arbeitet daran, ihr Abfall- und Kanalisationssystem zu entgiften. Die Nachhaltigkeit zu verbessern und weiter zu entwickeln, ist nicht eine einmalige Angelegenheit in Robertsfors, sondern ein langfristiges Projekt. Die Stadt revidiert und erneuert ihren Nachhaltigkeitsplan jedes Jahr. Ein ehrgeiziges Ziel ist es außerdem, den Nachhaltigkeitsprozess mit dem öffentlichen Haushaltsplan zu verbinden, sodass Entscheidungen über die Finanzierung bestimmter Projekte mit den Zielen in Einklang stehen. Des Weiteren hat die Stadt einen Koordinator eingestellt, um zu sichern, dass Verwaltungseinrichtungen die Ideen und Ziele der Nachhaltigkeit auch tatsächlich umsetzen. Robertsfors ist zwar eine kleine Stadt in einer abgelegenen Region, hat aber die globalen Aspekte des Themas Nachhaltigkeit voll erkannt. Robertsfors ist zudem eine Partnerschaft mit der Stadt Machakos in Kenia eingegegangen. Ziel der Partnerschaft ist es, Weiterbildungskurse für deren Akteure und Entscheidungsträger zum Thema Nachhaltigkeit anzubieten. Die schnell wachsende Stadt Machakos liegt etwa 65 Kilometer südöstlich von Nairobi und hat die Ideen der Eko Kommuner für sich übernommen. Gegenseitige Besuche der Schweden und Kenianer tragen zu einem gemeinsamen Verständnis von Nachhaltigkeit bei und entwickeln es konsequent weiter. Obwohl Robertsfors bedeutsame Schritte in Richtung Zukunftsfähigkeit unternommen hat, ist den Stadtplanern dennoch die Bedeutung und Notwendigkeit einer starken Wirtschaft für den langfristigen Erfolg ihrer Initiative bewusst. Außerdem könnten Probleme wie soziale Ungleichheit, Randgruppen und die anhaltende Abwanderung, vor allem der 18−24-Jährigen, in städtische Zentren wie Umeå den Erfolg des ambitionierten Vorhabens gefährden.

55. Robertsfors. Um das Modellprojekt Sustainable Robertsfors umzusetzen, hat die Stadt die Bürger miteinbezogen und etliche Veranstaltungen abgehalten. Die Information und Bewusstseinsbildung der Bürger – ob jung oder alt – gelten als Schlüsselfaktor. Inzwischen setzen die Schulen Maßnahmen zur Nachhaltigkeit um, und auch die Kinder werden an dem Projekt beteiligt.

56. Robertsfors. Die Stadt errichtet ein Fernheizsystem, das mit Holz befeuert wird. Bei der Umsetzung des Projekts arbeitet die Stadtverwaltung mit anderen Städten der Region und einem Stromversorgungsunternehmen zusammen.

57. Robertsfors. Die Bewohner des Dorfes Överklinten wollten die ehemals verlassene Mühle renovieren und wieder nutzen. Das rote Gebäude mit den weißen Fensterrahmen beherbergt nun ein Hotel, das vor allem bei Anglern beliebt ist. Es ist mit einer Sauna, einem Restaurant, 18 Gästezimmern und Internetzugang ausgestattet.

3 UMWELT UND NACHHALTIGKEIT

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Flächennutzung und Stadtentwicklung Das Erfolgsrezept für eine nachhaltige Entwicklung von Kleinstädten liegt in der Konzeption einer ökologisch sensiblen Raumplanung. Kleinstädte in Wachstumsregionen müssen der unkontrollierten Zersiedelung auf der Grünen Wiese entgegenwirken, während Städte, die vom Schrumpfen bedroht sind, Vorgehensweisen entwickeln müssen, um ihre Baulücken zu schließen und durch Umnutzungen ihre Stadtzentren lebendig zu erhalten. Drei Kleinstädte in Deutschland haben innovative Verfahren bei ihren Richtlinien zur nachhaltigen Raumplanung entwickelt. Die Stadt Überlingen (21.000 Einwohner), die vierte zertifizierte Cittaslow-Stadt in Deutschland, nimmt am ECOLUP-Programm (Ecological Land Use Planning) teil und wendet bei ihrer Raumplanung das European Eco-Management and Audit Scheme (EMAS II) an.65 Überlingen kooperiert mit drei weiteren Städten am Bodensee. Das bislang einmalige Gemeinschaftsprojekt versucht, grenzüberschreitende Partnerschaften in dicht besiedelten, aber ökologisch sensiblen Gebieten zu formieren. Der Bodensee ist das größte Süßwasserreservoir Süddeutschlands und der Nordschweiz, und viele Städte sind nahe am

Ufer gebaut. Die hohe Lebensqualität der Region trägt zum beständigen Bevölkerungswachstum und zur wachsenden Beliebtheit bei Touristen bei. Neben Überlingen nehmen die Stadt Konstanz und auf österreichischer Seite die Städte Dornbirn und Wolfurt am ECOLUP-Projekt teil, das von der Bodensee-Stiftung unterstützt wird. Im Jahr 2004 war Überlingen die erste Gemeinde der Europäischen Union, die ein EMAS-zertifiziertes System der kommunalen Raumplanung entwickelt hatte. Projektgruppen analysierten in Überlingen die Stärken und Schwächen des bisherigen Systems der Raum- und Umweltplanung. In Workshops zu wichtigen Themen der Raumplanung diskutierten die Bürger, wie sich das EMAS-System am besten umsetzen ließe. Um den Wissenstransfer zwischen den Pilot-Gemeinden zu garantieren, werden regelmäßig internationale Workshops abgehalten. Durch ECOLUP kann die Stadt Überlingen eine nachhaltige Raumplanung sicherstellen; die Planungsvorschriften sehen das Schließen von Baulücken vor, Waldgebiete und freie Flächen werden geschützt, und die Stadt fördert aktiv den Bau von begrünten Dächern sowie die Entsiegelung von Parkplätzen und anderen öffentlichen Plätzen. Weitere wichtige Aspekte umfassen Planungen für eine verbesserte Energieeffizienz, den Schutz von Wassereinzugsgebieten oder die Verkehrsberuhi-

58. Überlingen, Deutschland. Der Bade- und Kurort Überlingen profitiert von seiner Lage am Bodensee. Die öffentliche Uferpromenade wird von Touristen und Einheimischen gleichermaßen geschätzt. Die Stadt hat einen stetigen Bevölkerungsanstieg erfahren, und die Stadtplaner sind sich der Auswirkungen des städtischen Wachstums auf die sensiblen Ökosysteme des Sees bewusst. Die Planungsmaßnahmen zielen auf ökologische Nachhaltigkeit und legen einen besonderen Schwerpunkt auf den Schutz der sensiblen Auen und Uferzonen.

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gung. Die ökologische Überprüfung der Raumplanung sowie die engagierte Bürgerbeteiligung machen das Besondere des Überlinger Modells aus. Ein weiterer innovativer Ansatz im Bereich nachhaltiger Raumplanung kann in einer kleinen bayerischen Stadt nahe München besichtigt werden. Die Stadt Fraunberg (3.400 Einwohner) hat die Kategorie Gewerbegebiet aus ihrer Raumplanung komplett gestrichen.66 Stattdessen entwarf sie neue Pläne und Konzepte für Gebäude im Stadtzentrum und in den umliegenden Vierteln, die eine Mischnutzung aus Wohnen und Gewerbe vorsehen. Die Stadtverwaltung definiert diese Gebiete wegen ihres besonderen Kleinstadtcharakters als «wertvolle kulturelle Landschaften». Eine stark wachsende Bevölkerung sowie der Ausbau des nahegelegenen Münchner Flughafens waren für die Stadt ausschlaggebend, ihr traditonelles Erbe zu bewahren. Gleichzeitig sah sie sich mit einem Rückgang der bäuerlichen Familienbetriebe konfrontiert. (Im Zeitraum von 1994 bis 2002 wurden mehr als 20 Prozent der Höfe aufgegeben, heute wird nur noch ein Viertel der ursprünglich 240 Gehöfte für landwirtschaftliche

59. Überlingen, Deutschland. Holzhäuser werden in Deutschland immer populärer.

3 UMWELT UND NACHHALTIGKEIT

Zwecke genutzt.) Die Bewohner Fraunbergs gründeten die gemeinnützige Vereinigung Gemeindeentwicklung Fraunberg e.V., mit der sie zur Entwicklung des neuen Raumplanungskonzepts beisteuerten. Dahinter steht die Idee, neue Funktionen für die Bauernhäuser zu finden, die traditionell durch die einzigartige Kombination von Wohnraum und Arbeitsbereich (Wohnstallhaus) charakterisiert sind. Vormals leerstehende Gehöfte werden heute als Geschäftsräume genutzt. Andere Objekte wurden abgerissen, um neuen Projekten Platz zu machen, und öffentliche Plätze wurden verschönert. Durch solche Anstrengungen lassen sich die Lebensfähigkeit und der Charakter von Kleinstädten erhalten. Kleinstädten mit einer historisch starken Verwurzelung in der Landwirtschaft steht meist eine ungewisse Zukunft bevor, da ihre traditionell geprägte Ausrichtung nicht mehr in das veränderte Wirtschaftssystem passt. Diese Städte müssen daher Wege finden, ihr soziales und ökonomisches Überleben zu gewährleisten, während sie gleichzeitig auch die Umwelt nachhaltig schützen müssen. In Waldkirch, einer weiteren Cittaslow-Stadt in

60. Wirsberg, Deutschland. Die Marktgemeinde Wirsberg unterstützt aktiv die Nutzung regenerativer Energien und hat auf dem Dach des Rathauses eine Photovoltaikanlage installiert. Der Ortsteil Weißenbach ist als «Solardorf» bekannt.

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Deutschland, wurde den Besitzern traditioneller Schwarzwald-Bauernhöfe die Zimmervermietung an Touristen genehmigt, wenn sie im Gegenzug ihre Höfe an das lokale Kanalisationssystem anschließen ließen. Dies brachte Vorteile für die Umwelt mit sich, während sich gleichzeitig für die Landwirte und die jüngere Generation zusätzliche Einkommensquellen erschlossen. Die Kleinstadt Viernheim (33.000 Einwohner) im Südwesten Deutschlands verfolgte eine Doppelstrategie, um ein neues Viertel zu gestalten. Der Bebauungsplan bezog viele ökologische Aspekte mit ein, und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit und Informationsabende für die Bürger sorgten für breite Akzeptanz des Projekts.67 In der Nähe von zwei Autobahnen und in relativ geringer Distanz zu Mannheim und Darmstadt gelegen, hatte die Stadt während der 1990er-Jahre einen starken Bevölkerungsanstieg und eine hohe Nachfrage nach Wohnraum zu verzeichnen. Bei der Raumplanung für die neuen Siedlungsgebiete ließen sich die Planer von den Zielen einer umweltfreundlichen Bauweise und eines schonenden Umgangs mit knappen Ressourcen leiten. Der Bebauungsplan berücksichtigt die natürlichen Gegebenheiten des Terrains

61. Dongtan, China. Dongtan ist eine 86 Quadratkilometer große, nach einem Masterplan angelegte nachhaltige Stadt, die in den Sumpfgebieten im Delta des Jangtse gebaut wird. Die Stadt wird ihre eigene, erneuerbare Energie produzieren, das umliegende Weideland

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und verbietet die Bebauung wertvoller ökologischer Gebiete. Zudem werden die Zahl der Gebäude und ihre Grundfläche begrenzt. Begrünte Dächer und Bepflanzungen verbessern das Mikroklima, innovative Techniken regeln den Wasserhaushalt. Ein Fernheizwerk und Solaranlagen steigern die Energieeffizienz. Zugleich betrieben Planer und Stadt eine ungewöhnliche Öffentlichkeitsarbeit. Sie veröffentlichten Öko-Fibeln und boten kostenlose Seminare in der örtlichen Volkshochschule an. Den Erfolg des Gesamtprojekts erklären sich die Verantwortlichen durch die Kombination aus umweltfreundlicher Raumplanung und guter Öffentlichkeitsarbeit.

wird die Bewohner mit Nahrungsmitteln versorgen. Die Stadt, die im Jahr 2010 fertig sein wird, wird aus drei Dörfern bestehen.

Ambitionierte Kleinstadtprojekte Der Elan, mit dem viele Kleinstädte an der Realisierung einer gesunden und nachhaltigen Umweltpolitik arbeiten, ist beeindruckend. Die Pioniere waren meist kleine Universitätsstädte mit einer progressiv eingestellten Bevölkerung, die sich auf Experimente und damit einhergehende Veränderungen einließ. Städte mit einer ausgeprägten Verantwortung gegenüber ihren natürlichen Ressourcen nehmen ebenso oft eine Vorreiterrolle ein. In jüngster Vergangenheit kommen Nachhaltigkeitsbemühungen auch aus unerwarteten Regionen. Krisensituationen – wie der Bevölkerungsschwund in Övertorneå – oder Naturkatastrophen verändern das öffentliche Bewusstsein gegenüber Bedrohungen wie globaler Erwärmung oder Umweltzerstörung. Lokale Nachhaltigkeitsbestrebungen gibt es an vielen verschiedenen Orten der Welt. Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, baut Abu Dhabi gegenwärtig die neue Stadt Masdar für bis zu 50.000 Einwohner, die komplett mit erneuerbaren Energien, darunter auch Solarstrom, betrieben werden soll. Geplant vom Architekturbüro Foster + Partners, wird die Stadt ein zukunftsfähiger Ort in der Wüste sein. Die kleine US-amerikanische Stadt Greensburg in

Kansas (1.574 Einwohner) entschied sich für eine «grüne» Zukunft, nachdem sie zuvor von einem Tornado vollständig zerstört worden war. Stadtplaner in Keene, New Hampshire (22.563 Einwohner), nutzen die gesellschaftliche Dynamik und den sozialen Druck von Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen, um ihre Einwohner zu Verhaltensänderungen und zu einem umweltbewussteren Leben zu bewegen.68 Die Stadt Bahía de Caráquez in Ecuador mit etwa 30.000 Einwohnern wurde 1999 zur «Öko-Stadt », nachdem sie von Sturzfluten und Schlammlawinen heimgesucht worden war. Zu ihren Projekten gehören die Anpflanzung einheimischer Bäume zum Erosionsschutz, die Schaffung naturbelassener «Korridore» in der Stadt sowie die Öffentlichkeitsarbeit zu ökologischen Themen.69 Die ausgewählten Beispiele in diesem Kapitel illustrieren die verschiedenen Möglichkeiten, wie Kleinstädte mit nachhaltigen Methoden Umweltschutz betreiben können. Der dabei an den Tag gelegte Ehrgeiz ist ein Zeichen für die Kraft von Bürgerbewegungen, einen sozialen Wandel herbeizuführen.

62. Masdar City, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate. Masdar City ist als eine nachhaltige Stadt mitten in der Wüste von Abu Dhabi geplant. Der Plan wurde von Foster + Partners entwickelt und sieht eine Stadt für 50.000 Einwohner vor. Masdar City wird komplett

3 UMWELT UND NACHHALTIGKEIT

CO2-neutral sein und Solarenergie nutzen. Enge, schattige Straßen sollen den Energieverbrauch reduzieren. Autos sind nicht zugelassen, stattdessen schlagen die Planer ein sogenanntes personal rapid transit (PRT)-System vor.

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63. Hersbruck, Deutschland.

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Das Vermächtnis der gebauten Umwelt

Ererbte Identitäten: Die gebaute Umwelt und der Charakter eines Ortes

Bei den meisten kleinen Städten sind sowohl die physischen als auch die sozio-kulturellen Dimensionen der Lebensqualität in der Geschichte und Kultur der Region verankert. Das besondere «Gefühl» einer Stadt ist die Summe aus Größe, geografischer Lage, Klima, Topografie, Stadtplan, Baumaterial und Architektur. Der Charakter einer Stadt ist aber auch ein Ergebnis der dort ansässigen Industrie oder Landwirtschaft. Dabei legt die Bausubstanz nicht selten Zeugnis von Zeiten des Wohlstands ab. Es sind dies die Fundamente, auf denen die heutigen Bewohner eine kollektive Identität entwickeln und den Ort erfahren können.

Kleinstädte in Europa

Lebensqualität ist ein wichtiger Bestandteil der Nachhaltigkeit von Kleinstädten und – wie in Kapitel 1 beschrieben – im Wesentlichen etwas lokal Erfahrbares. Lebensqualität hängt davon ab, wie einfach es ist, sich an einem Ort zurechtzufinden, und wie man diesen Ort wahrnimmt. Die Attribute der bebauten Umwelt – Morphologie, Form, Grundriss, öffentliche Einrichtungen und Architektur einer Stadt – sind wichtige Aspekte der Lebensqualität. Aber es gibt auch sozio-kulturelle Dimensionen, die mit der Identität eines Ortes zu tun haben. Das Wohlbefinden der Bewohner, ihre Chancen und Lebensentscheidungen werden zum Besseren oder Schlechteren von den Gegebenheiten eines Ortes mitbeeinflusst. Ganz gewöhnliche Orte bieten den Menschen die Grundlage für ihren Alltag und ihre sozialen Kontakte. Auch wenn Satellitenfernsehen und Internet immer mehr Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, sind es letztendlich doch bestimmte Orte, an denen die Menschen lernen, wer und was sie sind, wie sie denken und sich verhalten sollen, und was das Leben für sie bereithält. Alltägliche Orte tragen auch zum kollektiven Gedächtnis der Menschen bei und werden oft zu starken emotionalen und kulturellen Symbolen.70 4 ÜBERNOMMENE IDENTITÄTEN

Viele Kleinstädte Europas haben ihren Ursprung im frühen Mittelalter oder davor, als sie als kirchliche oder universitäre Zentren, Festungen oder Verwaltungshauptstädte innerhalb regionaler Feudalsysteme gegründet wurden. Eine Reihe von demografischen, ökonomischen und politischen Krisen führte allerdings dazu, dass sich ab dem 11. Jahrhundert das Feudalsystem aufzulösen begann. Ausgelöst wurden diese Krisen durch ein beständiges Bevölkerungswachstum, dem lediglich moderate technologische Verbesserungen und nur begrenzte Flächen kultivierbaren Landes gegenüberstanden. Um ihr Einkommen aufzubessern und ihre Armeen gegeneinander aufstellen zu können, begannen die Feudalherren, immer höhere Steuern einzutreiben. Das gemeine Volk sah sich gezwungen, mehr Güter auf dem Markt gegen bare Münze zu verkaufen. Dies führte dazu, dass sich eine extensive Geldwirtschaft entwickelte. Erste Ansätze eines Handels mit einfachen landwirtschaftlichen und handwerklichen Produkten begannen sich abzuzeichnen. Die entstehenden regionalen Spezialisierungen und Handelsstrukturen begünstigten eine neue Phase der Urbanisierung, die durch den Handelskapitalismus hervorgerufen wurde. Nach dem Vorbild der Handelsstädte Venedig, Pisa, Genua und Florenz sowie der Hanse erstreckte sich schon bald ein hochkomplexes Handelssystem über ganz Europa mit einem dichten Netzwerk verschiedener Marktstädte (Abb. 67). Deren Grundriss und Bausubstanz gehen größtenteils auf diese Anfangsphase wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands zurück. Industralisierung und Moderne 67

haben dann neue Strukturen geschaffen, Bauten erweitert oder ersetzt, die Stadtgrenzen nach außen verschoben und das Zentrum reorganisiert. Mit jeder Phase städtischen Wachstums wurden die ursprünglichen Haustypen, Grundstücke und Straßenmuster umgestaltet, da neue Gebäude alte ersetzten, Grundstücke zusammengelegt oder geteilt und Straßenverläufe geändert wurden. Das Erbe der einzelnen Marktstädte ist zwar sehr unterschiedlich, ihr ursprünglicher Wohlstand hing jedoch fast immer von ihrer strategisch günstigen Lage ab: entlang von Handelswegen, an Kreuzungen, Furten und Brücken, aber auch an gut gelegenen Orten auf Bergrücken oder entlang von Flüssen und Bächen. Bauten, die die Stadt zu Beginn dominierten, waren Schlösser, Paläste, Kirchen und Klöster. Der zentrale Platz war der Marktplatz (Abb. 68 und 69). Hauptstraßen, die in der Mitte breiter waren, um einem Markt Platz zu bieten, und sich an ihrem Ende verengten, um den Zugang zu kontrollieren, kennzeichneten viele der Marktstädte. Wie der Historiker Mark Girouard anmerkt, hatten die meisten Marktstädte «zunächst nur einen einzelnen Markt, dem aber oft mit wachsendem Wohlstand der Stadt weitere folgten. Jährliche Messen und Märkte, die anfangs immer im Stadtzentrum stattfanden, zogen bald an die Peripherie, um der Belästigung durch freilaufendes Vieh in den sowieso schon überfüllten Straßen zu entgehen. Auch überdachte Märkte oder gar Markthallen entstanden. Manchmal wurde der ursprüngliche Marktplatz kleiner, wenn temporäre Marktstände in bleibende Geschäfte und Häuser umgewandelt wurden, manchmal wurde er auch größer, wenn der Platz bewusst ausgeweitet wurde.»71 Wenn Städte sich weiter ausdehnten, entstanden neue Straßen und Kreuzungen, die sich in komplexen, netzartigen und organischen Mustern räumlich ausdrückten. Der durch den Handel erreichte Wohlstand brachte auch neue Gebäude und Strukturen mit sich. Neben Markthallen entstanden Gildenhäuser, Armenhäuser, Krankenhäuser, Schulen, öffentliche Kornspeicher und Rathäuser. Straßen wurden erweitert, gepflastert und trockengelegt, Stadttore und -mauern wurden verstärkt, Wasser- und Abwassersysteme installiert und öffentliche Plätze angelegt. In weiten Teilen Europas führte die territoriale Ausbreitung von Handel und Besiedlung zu neuen Stadtgründungen. Bei den Neugründungen standen 68

64. Bellinzona, Schweiz. Viele Kleinstädte Europas haben ein reiches kulturelles Erbe an öffentlichen Gebäuden, wie zum Beispiel Kirchen oder Reste von Befestigungsanlagen. In Bellinzona gehen die Befestigungen auf die im 15. Jahrhundert von den herrschenden Sforza gebauten Anlagen zurück. Während der 1980er- und 1990er-Jahre wurden die Anlagen restauriert und von der UNESCO im Jahr 2000 als Weltkulturerbe anerkannt.

65. St. Andrews, Schottland. Vom Mittelalter bis zur schottischen Reformation im 16. Jahrhundert war St. Andrews die kirchliche Hauptstadt Schottlands. Von der historischen Kathedrale sind nur noch Ruinen übrig, die Funktion der Stadt als regionales Marktzentrum blieb jedoch erhalten.

66. Winchester, England. Der Wohlstand spätmittelalterlicher Marktstädte führte zu neuen öffentlichen Gebäuden. Diese Armenhäuser wurden 1856 erneuert und stehen dort, wo sich im 16. Jahrhundert die Armenhäuser des St. John’s Hospitals befanden.

vor allem Pragmatismus und Bequemlichkeit im Vordergrund. Um Grundstücke zügig an Siedler vergeben zu können, wurden die Städte einfachheitshalber anhand geradliniger Raster geplant, die aber oft aufgrund der Topografie oder bestehender Strukturen modifiziert werden mussten. Das Hauptinteresse der mittelalterlichen Landbesitzer, die die neuen Städte gründeten, galt ihrem Einkommen. Folglich wurde ein besonderes Augenmerk auf die Gestaltung der Marktplätze gelegt, die den Verkäufern der verschiedenen Branchen unterschiedliche Orte zuwiesen. Viele Straßen- und Platznamen zeugen noch heute von dieser räumlichen Verteilung. In der Folge haben Wachstums- und Entwicklungsphasen die Straßen und Gebäude der mittelalterlichen Marktstädte mit neuen Technologien, neuen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, neuen Lebensstilen und Moden überformt. Das 16. und 17. Jahrhundert brachte den Städten Versammlungsräume, Theater, Lustgärten, Kaffeehäuser, Geschäfte und neue Wohnhäuser. Im 19. Jahrhundert waren die Städte hauptsächlich durch die jeweilige vorherrschende Industrie (oder auch durch das Fehlen einer solchen) charakterisiert. Ihre Funktion als Marktstadt rückte in den Hintergrund. Hafen-, Mühlen-, Brauerei-, Eisenbahn-, Industrie- und Bergbaustädte hatten jeweils ihre besonderen funktionalen und architektonischen Merkmale, ebenso wie die Badeund Kurorte, die im Gefolge des zunehmenden Wohlstands im industriellen Zeitalter aufkamen.

67. Theorie der zentralen Orte. In vielen Regionen des vorindustriellen Europa entwickelten sich verschachtelte hierarchische Siedlungssysteme. Eine kleine Anzahl großer zentraler Orte – Städte – boten ein breites Angebot an höherwertigen Waren und Dienstleistungen an. Sie bedienten ein ausgedehntes Hinterland, das seinerseits aus vielen kleinen zentralen Ortschaften – Kleinstädten, Dörfern, Weilern – bestand. Diese boten eine kleinere Auswahl von Gütern des täglichen Bedarfs und Dienstleistungen an und besaßen kleinere Einzugsgebiete. Der Geograf Walter Christaller definierte dieses Muster.

68. Salisbury, England. Der Wochenmarkt (Charter Market) findet noch immer jeden Dienstag und Samstag statt. Ein Bauernmarkt findet jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat statt, und ein französischer Markt (mit einem breiten Angebot an französischen Produkten und Lebensmitteln, wie Käse, Fleisch- und Wurstwaren, Gebäck und Brot) dreimal im Jahr.

69. Salisbury, England. Bei der Neuanlage der Straßen und Gebäude im 13. Jahrhundert wurde der Marktplatz als offener Platz konzipiert. Oatmeal Row, Ox Row, Butcher Row und Fish Row entstanden nach dem Umbau von temporären Marktbuden zu permanenten Geschäften. Die Metzger der Stadt bezogen ein festes Gebäude in der Butcher Row, während die Metzger von außerhalb in der Ox Row ihre Stände aufbauten.

4 ÜBERNOMMENE IDENTITÄTEN

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70. Trevi, Italien. Das mittelalterliche Europa, ein Flickenteppich feudaler Königreiche und Herrschaften, war größtenteils ländlich. Die Städte waren meistens klein und dienten den Feudalherren als Bollwerke für ihre Verteidigung. Höher gelegene Städte waren sichere und strategisch vorteilhafte Orte, wie das Beispiel Trevi in Italien zeigt. Die Stadt liegt auf dem Monte Serano und überblickt die weiten Ebenen des Clitunno mit seinen Nebenarmen.

71. Eger, Ungarn. Der Wohlstand der Stadt im Mittelalter beruhte auf ihrer Funktion als kirchliches Zentrum. Die Stadt wurde während der Türkeneinfälle im 16. Jahrhundert zu einer wichtigen Grenzfestung. Nachdem die Habsburger Ende des 16. Jahrhunderts die Kontrolle über die Region zurückgewinnen konnten und die Bischöfe die Stadt erneut für sich beanspruchten, begann eine weitere Periode des Wohlstands für Eger, wovon noch heute die barocke Architektur zeugt.

72. Skagen, Dänemark. Die Stadt befindet sich an der Nordspitze Jütlands. Sie war ursprünglich ein abgeschiedenes und schwer zugängliches Fischerdorf, bis man in den 1940er-Jahren eine Zugangsstraße baute. Inzwischen haben Gegenurbanisierung und Tourismus sowie EU-Fördermittel die Stadt zu einer wohlhabenden Gemeinde gemacht.

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73. Assisi, Italien. Hügelstädte sind durch ihre Topografie definiert und haben enge, malerische Straßen und Gassen.

74. Trevi, Italien. Die Topografie beschränkt den motorisierten Verkehr, so bleiben die ruhigen Gassen ein willkommenes Erbe der Vergangenheit.

75. Orvieto, Italien. Die Bauweise am Hang schafft Zwischenebenen, die im Sommer eine blumenbepflanzte Privatheit vermitteln. Terrassen führen hinunter zu Pflasterstraßen, die sich hier und da zu piazzas erweitern, die meistens die Namen ihrer Kirchen tragen. Entlang enger,

4 ÜBERNOMMENE IDENTITÄTEN

schwindelerregender Pfade scheinen die Häuser sich aneinander anzulehnen und zusammenzustoßen. Diese Städte sind ungeeignet für den motorisierten Verkehr und bieten so eine besondere Lebensqualität.

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Ludlow, England Die Stadt Ludlow (10.500 Einwohner) wurde nach der normannischen Eroberung von 1066 als eine von mehreren Grenzstädten in den Walisischen Marken (Grenzregionen) gegründet. Die neu geplante Stadt wurde um das Schloss herum angelegt, teils um die Garnison zu versorgen, teils um die Umgebung zu stabilisieren (die sich noch immer gegen die Normannen wandten) und teils um Einkommen für Ludlows aristokratische Herrscher zu generieren (durch Marktgebühren, Maut, Mieten und Geldstrafen). Ludlows Straßen wurden großzügig im Schachbrettmuster angelegt. Wie andere geplante Städte war auch Ludlow für seinen außergewöhnlich großen Marktplatz bekannt. Mit dem weiteren Wachstum der Stadt wurde das Schloss ausgebaut und 1233 eine Stadtmauer errichtet, die Schloss und Stadt nach außen sicherte. Typisch für mittelalterliche Städte in England sind die sogenannten burgage plots, die auch in Ludlow zu finden sind. Es handelt sich dabei um lange schmale Grundstücke. Zur Hauptstraße hin befindet sich das Gebäude, während sich das Grundstück dahinter bis zu einer kleinen Zugangsstraße erstreckt. Diese Grundstücke wurden von den Stadtherren an jene Bürger vergeben, die das Recht hatten, in der Stadt Handel zu betreiben (und daher das Recht, Ratsherren zu wählen), und die die Grundstücksmiete bar bezahlten statt (wie es früher üblich war) Feudaldienst zu leisten, um ein Grundstück zu erhalten. Der Kern der geplanten Stadt war der Marktplatz auf der High Street, die sich vom Schloss in östliche Richtung zu einem in Nord-Süd-Richtung verlaufenden, bereits existierenden Viehtreiberpfad erstreckte. Die an dieser Stelle neu entstandene Kreuzung wurde zum Viehmarkt der Stadt und später als Bull Ring bekannt. Die Geschäfte des Marktes waren zunächst nicht mehr als eine Ansammlung loser Buden, die sich an bereits bestehende Mauern und Gebäude anlehnten. Diese ersten Geschäfte waren abschließbare Einheiten, deren Besitzer anderswo lebten. Später wurden dann Keller als Lager für die Waren ausgehoben und Wohnräume über den Geschäften errichtet. Die für Ludlow typischen Fachwerkbauten stammen aus dem 17. Jahrhundert, als die Fassaden vieler mittelalterlicher Stadthäuser aufwendig dekoriert wurden. Je höher ein Haus, desto verschwenderischer zeigte sich die Ornamentik. Ein Großteil der 72

76. Der Stadtkern von Ludlow. Das Stadtbild wird vom rechtwinkligen Straßenraster und der Nord-Süd-Straße, einem früheren Viehtreiberpfad, bestimmt.

77. Ludlow von Westen.

78. Ludlow gilt als eine der attraktivsten Kleinstädte Englands. Ihr mittelalterliches Straßenbild ist noch immer fast intakt, ebenso die berühmte Kirche aus dem 15. Jahrhundert, die Tudor-Fachwerkhäuser, die schönen georgianischen Stadthäuser sowie die kunstvollen viktorianischen Landhäuser und Villen.

Stadt wurde noch einmal gegen Ende des 17. Jahrhunderts umgebaut, der mittelalterliche Stadtgrundriss blieb jedoch erhalten. Die Fachwerkfassaden wurden nach und nach mit Backstein verkleidet. Die Veränderungen waren meist aber nur oberflächlich, da das Fachwerk hinter dem Backstein erhalten blieb. Mit den Wegezöllen Mitte des 18. Jahrhunderts wurde auch das umgebende Straßennetz verbessert, sodass die Bedeutung von Ludlow als Marktstadt wuchs. Diese Periode hinterließ ihre Spuren am deutlichsten auf der Broad Street, die von georgianischen Gebäuden mit eindrucksvollen Fassaden gesäumt wird. Die Eisenbahn erreichte Ludlow 1852. Die Stadt zog daraus jedoch keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Städten im industriellen Großbritannien und blieb weiterhin eine provinzielle Marktstadt. Nur langsam passte man sich neuen Technologien und veränderten Baurichtlinien an. Die wichtigste Entwicklung war dabei, dass man aktiv Maßnahmen zur Erhaltung der Bausubstanz ergriff. Ein Faible für Antiquarisches, das sich in Großbritannien nach 1900 breitmachte, trug dazu bei, Ludlows bauliches Erbe ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. 1947 wurden durch das nationale Parlament gesetzliche Bestimmungen zum Denkmalschutz erlassen. Ludlows Bürgerverein wurde im Jahr 1954 gegründet und der Stadtkern 1970 zu einem historischen Schutzgebiet mit 469 denkmalgeschützten Gebäuden erklärt (1992 auf 502 erhöht, als das Schutzgebiet erweitert wurde). Mit einer Umgehungsstraße im Osten wurde die Stadt 1978 vom Durchgangsverkehr entlastet. Diese Maßnahme trug wesentlich zur Wiederherstellung einer gewissen Gelassenheit und Ruhe in Ludlow bei. 2004 wurde die Stadt Gründungsmitglied von Cittaslow in Großbritannien.

79. Das Butter-CrossGebäude wurde zwischen 1742 und 1744 als Rathaus gebaut. Es besitzt eine Kuppel und einen Uhrenturm im klassizistischen Stil. Das Gebäude beherbergte auch einen Buttermarkt und im oberen Stockwerk eine Armenschule.

80. Ludlow Market. Gemälde von Louise Rayner, etwa 1865.

81. Die Gebäude der Broad Street sind baulich gut aufeinander abgestimmt und passen sich ihrer Hanglage an. Dachrinnen, Stürze und Fenstersimse werden von den benachbarten Häusern mit anderen Elementen aufgenommen.

4 ÜBERNOMMENE IDENTITÄTEN

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Kleinstädte in Nordamerika Die Geschichte der nordamerikanischen Kleinstädte ist kürzer als die der europäischen, obwohl die historischen Wurzeln der städtischen Siedlungen oft in der frühen Ankunft indigener Völker vor Tausenden von Jahren liegen. Die Ureinwohner Amerikas bevölkerten vor allem den Südwesten des Kontinents in recht großen Siedlungen. Als die europäischen Pioniere ab dem 15. Jahrhundert nach Nordamerika kamen, entstanden viele weitere kleine Städte, die in erster Linie als Stützpunkte zum Abbau von natürlichen Ressourcen dienten. Die meisten Kleinstädte im Osten der heutigen USA waren Handelszentren für Tabak und Baumwolle, welche nach Europa verschifft wurden. Kleinstädte, vor allem entlang von Wasserstraßen und Häfen, prosperierten aufgrund dieses merkantilistischen Systems. Die meisten anderen Städte waren kleine zentrale Orte, die das Hinterland versorgten (Abb. 82). Der Grundriss der nordamerikanischen Kleinstädte war schachbrettartig und wurde von der Hauptstraße und einer zentralen Querstraße dominiert. Einen charakteristischen Marktplatz wie in den Kleinstädten Europas gab es jedoch nicht. Zwischen 1830 und 1850 wurde mit dem Bau eines großen Verkehrsnetzes begonnen. Eisenbahnen und Kanäle erschlossen nach und nach das Kernland und den Westen des Kontinents. Während dies einen Boom für Städte wie Calgary, Chicago und Kansas City auslöste, da sie zu wichtigen Handelszentren für Vieh und andere landwirtschaftliche Produkte wurden,72 gingen die kleinen Städte zurück, sowohl in ihrer Größe als auch in ihrer Anzahl. Deshalb entwickelte sich in Nordamerika nie ein dichtes, hierarchisch gegliedertes städtisches System wie in Europa. Es verwundert daher auch nicht, dass sich die wissenschaftliche Literatur zum Thema Städte in Nordamerika kaum mit Kleinstädten beschäftigt hat. In jüngster Vergangenheit haben Dezentralisierung und Gegenurbanisierung dazu beigetragen, dass kleine Städte in der Nähe von Großstädten rasant wuchsen,73 jedoch viele der Städte in abgelegeneren Regionen ihre Funktionen und Bevölkerung verloren. Viele Kleinstädte, deren Existenz ausschließlich auf dem Abbau natürlicher Ressourcen wie Holz und Kohle beruhte, wurden zu Geisterstädten. Andere halten vielleicht symbolisch an ihrem industriellen oder landwirtschaftlichen 74

Erbe fest, aber ihre Arbeitsplätze liegen nun hauptsächlich im Niedriglohn-Dienstleistungssektor. Viele Kleinstädte haben auch die Ansiedlung von Wal-Mart und anderen Einzelhandelsketten und den Niedergang der ortsansässigen Fachgeschäfte in der Hauptstraße miterleben müssen. Ein paar wenige andere kleine Ortschaften wiederum haben aufgrund ihrer hohen Lebensqualität und besonderer Attraktionen junge Outdoor-Enthusiasten und hochqualifizierte Spezialisten angezogen, die ihre Arbeit von überall aus erledigen können.

82. Zentrale Orte in Nordamerika. Das nordamerikanische Stadtsystem entwickelte sich als eine merkantile Version des europäischen Stadtsystems und war über Atlantikhäfen miteinander verbunden. Mit dem weiteren Wachstum dieser Umschlaghäfen wurde auch deren Hinterland immer größer. Kleinere Siedlungen wurden zu regionalen Marktstädten. Mit der Zeit wurden diese Marktstädte zu «inländischen Einfallstoren», die verschiedene Dienstleistungen für die westwärts ziehenden Siedler anboten. Die steigende Nachfrage nach Massenware für den Export sowie die Ankunft von immer mehr Kolonisten verschoben die Besiedelung immer weiter ins Landesinnere. Dadurch wurde der Bau von Eisenbahnstrecken über große Distanzen erforderlich, und man brauchte Städte an strategisch wichtigen Orten dieser Routen, die als «Lager für Massenware» dienen konnten (nach: James Vance, Jr., The Merchant’s World: The Geography of Wholesaling, Englewood Cliffs, N.J., Prentice Hall, 1970, S. 151).

83. Decorah, Iowa. Ein zentraler Ort und zugleich landwirtschaftliches Zentrum im Mittleren Westen der USA.

Ein reiches Erbe Es sind diese Arten von unterschiedlichen kulturellen Hinterlassenschaften, die in ihrem Zusammenspiel den Charakter und die Gestalt vieler Kleinstädte in Europa und Nordamerika ausmachen. Die Bausubstanz, die aus vielen Jahrhunderten stammt, regt Fantasie und Auge gleichermaßen an. Die jüngsten Kapitel im Buch städtischer Entwicklung – Standardisierung, Rationalisierung, Gleichmacherei als Ausdruck der Globalisierung – werden dagegen als eher unsympathisch betrachtet. Die Konsequenzen des wirtschaftlichen Strukturwandels Ende des 20. Jahrhunderts zeigen sich heute sehr deutlich in leeren Fabrikhallen (Abb. 84) oder ungenutzten Flächen. Baulücken und verfallende Gebäude können, insbesondere an prominenten Orten, das Erscheinungsbild einer Kleinstadt negativ prägen und ihr Vertrauen in die Zukunft beeinträchtigen. Auch hat die wachsende Zahl an Autobesitzern und die zunehmende Abhängigkeit von den Großstädten in Bezug auf Arbeitsplätze und Dienstleistungen dazu geführt, dass das Verkehrsaufkommen zwischen Klein- und Großstädten und die damit verbundenen Staus stark zugenommen haben (Abb. 86). Unter akuten Verkehrsproblemen leiden insbesondere historische Kleinstädte, deren Zentren bis heute auf eine Ortsumgehung warten. In vielen Städten haben sich standardisierte Verkehrsproblemlösungen als ungeeignet für die historisch gewachsenen Strukturen erwiesen. Geschäfte in den Haupteinkaufsstraßen wurden zur gleichen Zeit von einer Invasion von Supermärkten, Fastfood-Ketten und Kleiderläden mit ihren nichtssagenden Gebäuden und Fassaden verdrängt. Dies hat dazu geführt, dass heute einer der wichtigsten Aktivposten, den Kleinstädte vorzuweisen haben – nämlich ihr unverwechselbarer Ortscharakter –, maßgeblich bedroht ist.

84. Chiavenna, Italien. Eine ehemalige Textilmühle ist Zeichen des wirtschaftlichen Strukturwandels.

85. Belper, England. Die Stadterneuerung während der 1960er-Jahre zerstörte viel von der originalen Bausubstanz. Insbesondere die Haupteinkaufsstraße dieser Mühlenstadt des 19. Jahrhunderts veränderte sich.

86. Lewes, England. Verkehrsstau.

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Die Gestaltung des sozialen Raums Wie Räume und Ortschaften erlebt werden, hängt nicht nur von den Bauwerken oder der Ästhetik der gebauten Umgebung ab. Die Wahrnehmung des Raumes ist immer auch ein soziales Konstrukt. Ein grundlegendes Element der sozialen Konstruktion eines Ortes ist das existenzielle Bedürfnis der Bewohner, sich über die materielle Welt selbst definieren zu können. Das soziale Gefüge von Orten wird von den Bewohnern ständig verändert, indem sie auf die jeweiligen Chancen und Zwänge, die mit ihrem Ort verbunden sind, reagieren. Während die Menschen an Orten leben und arbeiten, gestalten sie nach und nach ihre Umwelt und passen sie entsprechend ihren Bedürfnissen und Wertvorstellungen an. Gleichzeitig werden die Menschen aber auch von ihrer physischen Umwelt sowie von den Wertvorstellungen, Einstellungen und Verhaltensweisen ihrer Mitmenschen verändert. Die Menschen ändern und gestalten Orte ständig neu, aber auch die Orte beeinflussen durch ihre Veränderungen ständig ihre Bewohner. Dieser Gedanke geht auf die Philosophie von Martin Heidegger zurück, der argumentiert, dass Männer und Frauen einem entfremdeten Zustand entspringen und sich daher unter anderem über ihre sozial-räumliche Umwelt zu definieren versuchen.74 Die eigene «Schöpfung» von Orten gebe den Menschen ihre Wurzeln – ihr Heim und ihre Heimat werden somit zu Biographien dieser Schöpfung. Von zentraler Bedeutung in Heideggers Philosophie ist der Begriff der «Wohnstätte»: Dabei geht es um die grundlegende Fähigkeit, eine geistige Einheit zwischen Mensch und materieller Welt zu bilden. Durch wiederholte Erfahrung und komplexe Assoziationen erlaubt uns unsere Fähigkeit, «wohnen zu können», Orte zu konstruieren und ihnen Bedeutung zu schenken. Diese Bedeutung wird mit der Zeit intensiviert, qualifiziert und vielfach nuanciert.75 Ein weiteres wichtiges Konzept ist das der «Lebenswelt», in deren sich das alltägliche Leben abspielt, ohne dass diesen Mustern und Kontexten weitere Beachtung geschenkt würde.76 Durch die tägliche Routine an vertrauten Orten (Abb. 87–90) werden gemeinsame Werte, Bedeutungen und Erfahrungen entwickelt. Nachbarn werden vertraut mit dem Wortschatz, der Art zu reden, der Kleidung, den Gesten und dem Humor des anderen und 76

87. Citta di Castello, Italien.

88. Spilimbergo, Italien.

89. Chiavenna, Italien.

machen dieselben Erfahrungen mit der bebauten Umwelt, zum Beispiel mit Straßen, Märkten und Parks. Oft beeinflusst dies auch die Haltungen und Gefühle der Menschen sich selbst und ihrem Ort gegenüber. Dies betrifft nach Heidegger auch die symbolische Bedeutung, die sie diesem Ort beimessen. Dann entsteht eine kollektive und selbstbewusste «Gefühlsstruktur»: ein affektiver Bezugsrahmen, den die Menschen durch ihre Erfahrungen und Erinnerungen, die sie mit einem bestimmten Ort verknüpfen, miteinander schaffen.77 Die Grundlage sowohl der individuellen Lebenswelten als auch der kollektiven Gefühlsstrukturen ist Intersubjektivität: ein Schatz an gemeinsamen Bedeutungen, die aus der gelebten Erfahrung des Alltags resultieren. Ein wichtiges Element der Intersubjektivität besteht darin, individuelle und gesellschaftliche Handlungen in Raum und Zeit zur Routine werden zu lassen. Eine positive und ausgeprägte Wahrnehmung des Raums entsteht zum großen Teil durch alltägliche Begegnungen und gemeinsame Erfahrungen, die zur Intersubjektivität beitragen. Dazu braucht man viele Gelegenheiten zu zwanglosen Begegnungen und Gesprächen, freundliche Orte zum Verweilen, Essen oder Trinken, Straßenmärkte sowie Sinn für historische und kulturelle Kontinuität.

Der Ort als Text und Kontext Der Ort ist also viel mehr als bloß ein urbanes Gebilde. Er ist sowohl Text als auch Kontext: Er ist in Ziegeln und Mörtel aufgezeichnete Geschichte sowie Kontext für die soziale Interaktion der Gegenwart. Er strukturiert nicht nur den Alltag des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, sondern (mit seinen Chancen und Zwängen) auch die Lebenswege der Bewohner. Er ist der Raum, in dem man «vernünftiges»Wissen erwerben und Erfahrungen sammeln kann, und eine Bühne für Sozialisationsprozesse, soziales Lernen, aber auch das Infragestellen sozialer Normen.78 Zur Identität einer Kleinstadt gehört das Bewusstsein, mit dem Rest der Welt in Verbindung zu stehen. Der besondere und einzigartige Charakter einer Stadt hängt nicht allein von ihrer eigenen Geschichte ab, sondern auch von ihren Beziehungen zu anderen Orten. Er stellt eine Mischung aus lokalen und überregionalen sozialen Beziehungen dar. Ein Verständnis für die Identität eines Ortes kann also nur dann entstehen, wenn dieser Ort im Zusammenhang mit anderen Orten gesehen wird.79 Der Geograf Robert Sack hat zwischen «dünnen» und «dicken» Orten unterschieden. Dünne Orte sind sehr spezialisiert, haben durchlässige Grenzen zur Außenwelt, weil ihre Bewohner weitreichende Verbindungen nach außen unterhalten, und treten nicht allzu sehr in das Bewusstsein ihrer Bewohner. «Dicke» Orte hingegen werden von Menschen bevölkert, deren Lebensweise mehr nach innen gerichtet ist und die sich ihrer alltäglichen Umwelt stets bewusst sind. Sack stellt fest, dass «dünne Orte […] befreiend sein können und dass im Gegensatz hierzu das Leben in geschlossenen und dicken Orten mit einem dichten Netz festgelegter Bedeutungen und Routinen lähmend sein kann […]. Aber [die Freiheit dünner Orte] kann auch verunsichernd, entfremdend und einsam sein.»80

90. Die soziale Konstruktion von Raum. Wir leben in und durch Orte. Das Heimatgefühl der Menschen und ihre Einstellung zum «Wohnen» werden durch allgemein anerkannte Annahmen über soziale Unterschiede, Verhaltensnormen, Formen der sozialen Interaktion usw. gebildet. Es besteht eine wichtige dialektische Beziehung zwischen dem Alltag und den Räumen, in denen man lebt. Das bauliche Erbe und die intimen Plätze von kleinen Städten bieten vielerlei Gelegenheiten, das zu pflegen, was der Romanautor Milan Kundera als das «unsichtbare Band» zwischen Langsamkeit und Erinnerung bezeichnet.

4 ÜBERNOMMENE IDENTITÄTEN

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Kulturlandschaften

91. Lewes, England. Eine starke Ortsidentität ist eine wichtige Komponente der Lebensqualität. Sie kann auf verschiedene Weise verstärkt werden, zum Beispiel durch: Denkmäler für die im Krieg gefallenen Stadtbewohner.

92. Orvieto, Italien. Schilder, die traditionelle Stadtviertel bezeichnen, stärken die Ortsidentität der Bewohner.

Kleinstädte sind ihrem Wesen nach eng mit der Kulturlandschaft der Region verbunden: In der Regel lässt sich von vielen Teilen der Stadt die umliegende Landschaft erblicken, die Gebäude der Stadt sind Ausdruck der regionalen Architektur und mit Materialien aus der Region gebaut. In der Landschaft selbst sind die für die Region typischen landwirtschaftlichen Produkte erkennbar. Landschaft und Stadt sind eng miteinander verbunden. Somit werden Kulturlandschaften oft zu einem wichtigen Bestandteil der Identität von Kleinstädten. Wirtschaft, Politik und Kultur einer Region drücken sich in Feldern, Zäunen, Höfen und Weilern aus. Als ein Produkt der wirtschaftlichen und sozialen Geschichte versinnbildlichen Landschaften nicht nur das Los vieler Generationen, sondern spiegeln auch unser eigenes Verhalten wider und sogar, wie Menschen kollektiv denken und handeln. Kulturlandschaften können, in anderen Worten, kraftvoll, doch unbemerkt, den Untergrund bilden, der Wertvorstellungen und Gepflogenheiten einbürgert und verstärkt, als ob sie immer schon da gewesen wären. Beladen mit Schichten von zugeschriebenen Bedeutungen, können regionale Landschaften voller Symbolik sein, wenn sie mit bestimmten Gruppen von Menschen assoziiert werden. Die klassische Landschaft der Toskana zum Beispiel wurde mit der Gründung des modernen Italien und dem Risorgimento (dem politischen Einigungsprozess 1815–1861) zum Emblem für Italien selbst und seitdem immer wieder Gegenstand der Landschaftsmaler, romantischen Dichter und Romanschriftsteller. Ganz ähnlich sind die wohlgeordneten und bukolischen Fluren Englands nicht nur für die englische Landschaft an sich zu einem Symbol geworden, sondern auch für die traditionellen sozialen Werte und kulturellen Normen der ländlichen Kleinstädte.

93. Citta di Castello, Italien. Graffiti (hier von Florenz-Fans nach dem Sieg Liverpools über AC Mailand im EuropaCup-Finale 2005) spiegeln manchmal das Wir-Gefühl einer Stadt wider.

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94. Kulturlandschaften. Umbrien hat das gepflegte Aussehen einer Landschaft, die seit Jahrhunderten bewirtschaftet wird. Elegante

95. Umbrien, Italien. Die Landschaft einer Region ist eine wichtige Komponente der Identität von Kleinstädten. Die umgebende Natur kann von fast jedem Punkt in Orvieto gesehen werden: ein bunter Flickenteppich aus Olivenhainen, Weizenfeldern und Weinbergen

4 ÜBERNOMMENE IDENTITÄTEN

Zypressen heben sich ab von den silbergrauen Olivenbäumen auf den Hängen rund um die verstreut liegenden Höfe und Villen.

– die typische mediterrane Trias von Öl, Brot und Wein. Die Landschaft wird von den hohen Zypressen zusammengehalten, die die Wege beschatten, die zu den versteckt liegenden Bauernhäusern führen.

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Gefühl und Intersubjektivität Mit der Bausubstanz erbt also jede Stadt ihre Geschichte, die Grundlage für eine subjektive Wahrnehmung des Orts und einen ganzen Komplex von intersubjektiven Bedeutungen. Daher sind Städte immer wieder Auslöser für Gefühle – emotionale Reaktionen der Menschen auf ihre Umwelt, die Mitmenschen, auf die Rhythmen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aktivitäten der Stadt. Gefühle werden als Komponente der Lebensqualität und Nachhaltigkeit oft übersehen, weil sie schwierig zu quantifizieren und zu klassifizieren sind. Gefühle werden nicht nur durch Bedeutungen geweckt, die man Gebäuden und Orten zuschreibt, sondern auch durch das fröhliche Geschrei spielender Kinder (Abb. 96 und 97), das bunte Treiben eines Wochenmarktes, «die Art und Weise, wie die Sonne im Osten langsam aufgeht und am frühen Morgen Straßen vergoldet, unwahrscheinliche Schatten wirft und unerwartete Formen gießt»,81 oder durch die Art, wie das Mondlicht «die Stadt in eine Kulisse für eine Oper verwandelt und solche Schatten wirft, dass jede Kolonnade eine Szene für ein Drama sein könnte und jede Straßenecke ein romantischer Ort für Verabredungen».82 Gefühle können aber auch negativ sein: ausgelöst durch das Rumpeln schwerer Lastwagen in der Stadt, unsoziales Verhalten einer Gruppe Jugendlicher oder die deprimierende Ausstrahlung eines verlassenen Fabrikgebäudes.

98. Bellinzona, Schweiz. Restaurants im Freien und Straßencafés tragen zu einer geselligen Atmosphäre bei.

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96. Orvieto, Italien. Kleine urbane Nischen werden von Kindern des Viertels für spontane Spiele in Beschlag genommen: ein Zeichen lebendiger Städte.

97. Diss, England. Parks und öffentliche Freiflächen sind Orte für Ruhe, Erholung und Spiel.

Rhythmus, Abfolge und Gleichzeitigkeit Die Rhythmen, Abfolgen und Gleichzeitigkeiten einer Stadt sind die fundamentalen Gesetzmäßigkeiten, die den Rahmen für die Erfahrungen der Einwohner bilden und einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Lebensqualität leisten. Die gemeinsame Erfahrung des Alltags in vertrauter Umgebung führt zu einem kollektiven Vorrat an Bedeutungen – zu Intersubjektivität. Die Art und Weise, wie wir unseren Handlungen und den Handlungen anderer Bedeutung schenken – und wie wir überhaupt der Welt Bedeutung verleihen –, ist in den routinisierten, alltäglichen Handlungsweisen verwurzelt, die ihren Platz in unseren Köpfen irgendwo zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten haben. Rekursivität, also die ständige Reproduktion der individuellen und sozialen Verhaltensweisen durch Routinehandlungen (Zeit-Raum-Routinisierung), trägt zur Entwicklung eines sozialen Systems und sozialer Strukturen an einem bestimmten Ort bei.83 Der Respekt für die Saisonabhängigkeit und die traditionellen Rhythmen des gemeinschaftlichen Lebens ergibt ein sich wiederholendes und ineinandergreifendes Muster, das das kulturelle und öffentliche Leben formt. Die Elemente des täglichen Rhythmus – morgendliche Lebensmitteleinkäufe, ein schneller Kaffee, ein Aperitif auf dem Weg von der Arbeit nach Hause oder der Spaziergang nach dem Abendessen – sind alle von entscheidender

Bedeutung für die Dichte an Begegnungen und gemeinsamen Erfahrungen, die wiederum die Intersubjektivität als Basis für die Identität des Ortes und das Gemeinschaftsgefühl fördern (Abb. 98–99). Das Gleiche gilt für die Elemente des Wochenrhythmus, etwa Wochenmärkte, oder der saisonalen Rhythmen wie Erntefeste, Handwerksmessen oder Kunstfestivals. Diese Rhythmen sind ihrerseits abhängig von bestimmten Räumlichkeiten und Orten – nicht nur Straßen, Plätzen und öffentlichen Freiflächen –, sondern auch von «dritten Orten» wie Straßencafés, Pubs, Postämter, Drogerien, Eckläden und familiengeführten trattorie. Sie alle sind Orte des Alltags und des gesellschaftlichen und kulturellen Austauschs. Die Art und die Häufigkeit zwangloser Begegnungen und gemeinsamer Erfahrungen hängen maßgeblich von den Eigenschaften dieser Räume und Orte ab. Um ein positives Gefühl zu erzeugen, sollte die städtische Umwelt durchlässig genug für zwanglose Begegnungen sein, aber auch die Aktivitäten des Einzelnen oder der Gruppe erleichtern. Dritte Orte sollten die Fähigkeit besitzen, «Charakterköpfe», Stammgäste und Neulinge gleichermaßen willkommen zu heißen, und wie öffentliche Räume Zufallsbegegnungen, aber auch ungestörte Gespräche ermöglichen. Das Leben in Kleinstädten wird über Tages-, Wochen- und saisonale Rhythmen in Bewegung gehalten, die alle durch die städtische Form

99. Abbiategrasso, Italien. Die Möglichkeit zu zwanglosen Treffen in halböffentlichen «dritten Orten» trägt zum Rhythmus einer Stadt bei. Der frühe Abend ist die Zeit für einen Aperitif und ein entspanntes Gespräch.

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100. Marktplatz, Waldkirch, Deutschland. An den Markttagen (zweimal pro Woche) ist der Marktplatz voll mit Tischen und Ständen. Besucher von außerhalb kommen nicht nur zum Einkaufen, sondern auch, um Freunde zu treffen und Geschäfte in der Stadt zu erledigen.

101. Cremona, Italien. An Markttagen kommen die Verkäufer gegen 7 Uhr früh, eine Stunde vor Marktbeginn, und beginnen ihre Lastwagen und Anhänger zu entladen. Wie auf vielen modernen Märkten gibt es auch hier eine große Auswahl an Haushaltswaren, Kleidung, Schuhen und Gartengeräten.

102. Aylsham, England. Auf einem großen Verkaufsgelände nahe dem Stadtzentrum findet wöchentlich ein Flohmarkt für Antiquitäten, Bücher, Bilder, Möbel, landwirtschaftliches Gerät und Haushaltswaren statt, der die Menschen aus einem weiten Umkreis anzieht und die Stadt mit Betriebsamkeit und Vorfreude erfüllt. 82

mitbestimmt werden. An Werktagen bildet das regelmäßige und kontinuierliche Brummen des Verkehrs den Hintergrundrhythmus für das städtische Geschäftsleben. Die Bewegung der Menschen durch die Stadt wird durch den alltäglichen Rhythmus von Arbeit, Einkaufen und Schule gesteuert. Für einige Menschen gibt es Orte der Langsamkeit in einer ansonsten schnellen Umwelt: den traditionellen Stammtisch in deutschen Städten zum Beispiel. Abends, vor allem an Sommerabenden, zeigen sich die Muster der traditionellen Lebensart ein wenig mehr, wenn sich enge Gassen, Straßen und kleine Plätze für ein, zwei Stunden mit Menschen füllen. In Italien gibt es am Abend die passeggiata, wo man die Gelegenheit hat, Freunde und Verwandte zu sehen, sich schick anzuziehen und potenzielle Freundinnen oder Freunde kennenzulernen. Trauben von Jugendlichen versammeln sich. Männer treffen sich in Gruppen auf einen Kaffee oder ein Glas Grappa. Paare spazieren die Straße entlang und Hundebesitzer führen ihre Tiere aus. An Wochenenden stehen Einkäufe und Erholung im Vordergrund, und in vielen Städten ist der Samstag Markttag. Marktplätze sind das Herz einer jeden Kleinstadt und liegen im Zentrum der Intersubjektivität. Während des Marktes bieten sie einen Rahmen für Geselligkeit und zwanglose Kontakte. Über ihre Verkaufsstände sind sie zudem eine direkte Verbindung zur näheren Umgebung. Außerhalb der Marktzeiten sind Marktplätze ein zentraler Bezugspunkt auf der geistigen Landkarte der Bewohner. In traditionellen Marktstädten verbinden sie Gegenwart und Vergangenheit. In anderen Städten stillen sie das zunehmende Verlangen nach öffentlichen Räumen, die für alle gleichermaßen zugänglich sind, nach Orten, die ein Gegenmittel anbieten zur Kommerzialisierung und den Themenparks der schnellen Welt. Im Jahresverlauf werden die täglichen und jahreszeitlichen Rhythmen durch saisonale Messen und Feste noch weiter betont. Diese Messen und Feste mit ihren lokalen Traditionen, Handwerksbräuchen und Produkten werden in letzter Zeit in vielen Städten durch Veranstaltungen zur Tourismus- und Wirtschaftsförderung ergänzt. Inzwischen gibt es daher eine ganze Reihe saisonaler Jazz-, Blues-, Rock-, Volksmusik-, Opern- und Schauspielveranstaltungen, die von einer Stadt zur nächsten ziehen. Die Jahreszeiten geben ihren eigenen Rhythmus

103. Orvieto, Italien. Samstag ist Markttag und der wöchentliche Treff- hinaus. Die Händler verkaufen Früchte und Gemüse, Eier und Käse, punkt der Einheimischen. Von 7.00 Uhr bis 11.30 Uhr herrscht voller Honig, Fleisch, Kleidung und Kunsthandwerk, Fisch und Blumen, Betrieb, der Markt erstreckt sich weit über die Piazza Ventinove Marzo lokale Weine, Brot und Kuchen, die noch ofenwarm sind.

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Nüssen und Mandeln). Traditionell werden diese Kuchen mit vin santo genossen (einem aromatischen, süßen hausgemachten Wein). Lokale Weinkellereien produzieren Weißweine aus Trebbianotrauben. Eine Winterspezialität der Region ist die torta al testo, ein mit Schinken, Wurst oder Kräutern gefülltes Brot, das in Olivenöl zubereitet und auf einem speziellen Marmorstein im Holzofen gebacken wird. Die Weihnachtszeit bringt dann die traditionellen pinoccate-Kuchen mit Zucker und Pinienkernen sowie die torciglione-Kuchen mit Mandeln. Zu Ostern gibt es Käsekuchen, Torten und beccicuta (im Ofen zubereitete gesalzene oder süße Nudeln) und ciaramicola (einen Kuchen mit Eierglasur).

Authentizität

104. Orvieto, Italien. Bohnen sind eine Herbstspezialität.

dazu, was insbesondere für Städte mit einer engen Verbindung zur umgebenden Landwirtschaft und saisonalen Küche von besonderer Bedeutung ist (Abb. 103–107). In den Städten Umbriens beispielsweise ist der Höhepunkt des kulinarischen Kalenders die Sommersaison der scorzone (schwarzen Trüffel). Der Sommer ist auch die Saison für frische Kräuter, wie Majoran und Fenchel, und frisches Gemüse jeder Art, wie Ruccola, Spargel, Auberginen, Rettich, Endivien, Paprika, Bohnen und Artischocken. Nach der Ernte im Herbst bieten die Märkte und Speisekarten Umbriens eine Vielfalt an Schinken, Salami und Würsten an, die lokal hergestellt werden. Schweinefleisch ist eine umbrische Spezialität, die Schweine werden traditionell mit den Eicheln der Region gefüttert. Mazzafegati (Würste aus Schweineleber, Orangenschale, Pinienkernen, Rosinen und Zucker), colombaccio (Ringeltaube) und süß-saure Ochsenzunge sind besonders beliebt. Der Herbst bringt auch Champignons, weiße Trüffel, Mengen an Linsen und Bohnen, frisch gepresstes Olivenöl und Mehl für die umbrischen tagliatelle und andere Teigwaren. Der Spätherbst ist die Saison für fave dei morti (ein besonderer Mandelkuchen) und rocciata (Kuchen mit Rosinen,

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Der sich durch Standardisierung, Rationalisierung und Globalisierung verändernde Charakter moderner Städte vermittelt den Stadtbewohnern eher ein lineares als ein zyklisches oder saisonales Zeitgefühl. Die Identität eines Ortes und die Gefühle, die man ihm entgegenbringt, werden auch durch die relativ neuen Zumutungen der schnellen Welt beeinflusst. Die weite Verbreitung von Einkaufszentren, Supermärkten, Fastfood-Ketten und Kleidungsgeschäften mit ihren einförmigen Gebäuden und Fassaden wird von vielen als Gleichgültigkeit gegenüber der Zerstörung des Ortscharakters verstanden. Martin Heidegger schrieb bereits in den 1920er-Jahren, dass Rationalismus, Standardisierung, Massenproduktion und die Werte der breiten Masse die Fähigkeit der Menschen «zu wohnen» schwächten und einen gut entwickelten Sinn für den Ort zu haben. Städte werden unecht und ortlos. Dies kann das Gefühl hervorrufen, im Alltag merkwürdig «fehl am Platz» zu sein – «unheimlich», in den Worten von Freud. Moderne Sozialwissenschaftler bezeichnen diesen Prozess als Zeit-Raum-Distanzierung. Dies bedeutet, dass das menschliche Zusammenleben heute eher von unpersönlichen Kontakten (als von Kontakten von Angesicht zu Angesicht) dominiert wird. Durch die Zeit-Raum-Distanzierung sind soziale Systeme, die sich einst voneinander unterschieden, nun gleichgemacht. Zeit und Raum werden «entleert», mit der Folge, dass sich die Menschen von ihren Orten entwurzeln84 und die Authentizität der Orte untergraben wird. Dies hat zur Konsequenz, dass die Nostalgie in den postmodernen Gesellschaften

einen immer wichtigeren Platz einnimmt. Auch die Schwächung der traditionellen Rhythmen des städtischen Lebens, die durch die Rythmen der schnellen Welt ersetzt worden sind («unser eigenes Leben verflüchtigt sich hinter uns wie Zigarettenrauch»85), hat die Nostalgie befördert. «Authentizität» ist ein schwer fassbarer Begriff, vor allem wenn es sich um etwas so Komplexes und Dynamisches wie eine Stadt handelt. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Virginia Postrel nennt drei gängige Interpretationen von Authentizität. Erstens Authentizität als Reinheit, also als ursprüngliche Form einer Sache, natürlich und funktional. Zweitens Authentizität als Tradition, in der Gewohnheit verhaftet. Drittens Authentizität als Aura, als Zeugnis von Verschleiß und Anpassung im Laufe der Zeit.86 Im Gegensatz zu diesen Interpretationen kann man Authentizität auch als referenziell verstehen: als etwas, das sich auf eine andere Zeit bezieht oder diese verehrt. Dies ist das Ergebnis einer postindustriellen Verschiebung hin zu einer «Erlebnis-Industrie», die auf der Kommerzialisierung, Inszenierung und künstlich vermittelten Unvergesslichkeit von Orten und Events basiert.87 Kapitel 5 zeigt, dass all diese Interpretationen der Authentizität relevant sind, wenn es darum geht, die Nachhaltigkeit von Kleinstädten durch bauliche Maßnahmen zu fördern.

105. Orvieto, Italien. Artischocken auf dem Wochenmarkt zum Verkauf.

106. Orvieto, Italien. Kastanien sind eine weitere Spezialität.

107. Orvieto, Italien. Kürbisse, Kartoffeln und Tomaten auf dem Wochenmarkt.

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108. Wirsberg, Deutschland.

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Entwürfe für mehr Lebensqualität

Gestaltete Nachhaltigkeit

Stadtplanung trägt entscheidend zur Nachhaltigkeit von Kleinstädten bei: Sie kann Orte ästhetisch und funktional aufwerten und so die Identität eines Ortes und die Lebensqualität steigern. Dies ist auch das Anliegen der International Making Cities Liveable Organisation (IMCL) – ein lockeres Netzwerk aus städtischen Beamten, Praktikern und Wissenschaftlern aus den Bereichen Architektur, Städtebau, Stadtplanung, Gesundheit, Soziologie und Geisteswissenschaften. Laut Suzanne Lennard von IMCL kann eine gute Stadtplanung nicht nur «das Wohlbefinden der Bewohner steigern», sondern auch «die Gemeinschaft stärken, die soziale und körperliche Gesundheit verbessern und das bürgerliche Engagement erhöhen».88 Die Initiative fördert das Konzept eines sogenannten «wahren Urbanismus», der auf «lang erprobten Prinzipien» basiert und die Bedeutung der Qualität von öffentlichen Räumen (insbesondere von Plätzen und Marktplätzen) hervorhebt. Zum «wahren Urbanismus» gehören auch eine Architektur im menschlichen Maßstab mit einer Mischnutzung aus Wohnen und Gewerbe, eine kompakte urbane Struktur aus Vierteln, Straßen und Plätzen, außerdem Straßencafés und Restaurants, Bauernmärkte und Stadtfeste. Wahrer Urbanismus bemüht sich um «Orte mit kurzen Distanzen», bei denen eine intelligente Verkehrsplanung die Fortbewegung über ein Netz verschiedener Fuß- und Fahrradwege, verkehrsberuhigter Straßen und öffentlicher Transportmittel möglich macht. Weitere Schwerpunkte der IMCLBewegung sind der Erhalt der ererbten Identität (der «DNA») einer Stadt, die Unterstützung von Kunst im öffentlichen Raum und die Idee, die bebaute Umwelt selbst als Gesamtkunstwerk zu verstehen. 5 NACHHALTIGKEIT DURCH BAULICHE GESTALT

Das Ideal des «wahren Urbanismus» kann auf eine breite intellektuelle Plattform zurückgreifen. Innerhalb der Planungsberufe gibt es eine lange Tradition der Auseinandersetzung mit dem Begriff der «Lebensqualität». Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Diskussionen hauptsächlich durch die verschiedenen Reaktionen auf das vorherrschende Paradigma der Moderne bestimmt. Bereits während der 1920er-Jahre hatte sich Lewis Mumford, in Anlehnung an die Schriften von Patrick Geddes um die Jahrhundertwende, angesichts der rasanten Industrialisierung für die Bewahrung regionaler Architekturtraditionen stark gemacht. In den 1950er-Jahren entstand dann in Großbritannien eine Bewegung, die sich Townscape Movement nannte und eine Reaktion auf die Architektur der Moderne sowie auf den Mangel an Urbanität und menschlichem Maßstab in den britischen New Towns darstellte. Die Bewegung legte besonderen Wert auf die «Kunst der Vermittlung» zwischen den verschiedenen Elementen des Stadtbilds sowie auf den Wunsch, dieses durch eine bildhafte Komposition wiederherzustellen: mit einer Reihe bunter Straßenszenen, mit Gebäuden, die intime öffentliche Plätze säumen, sowie durch die Vielfalt der bebauten Umwelt. Diese Auffassungen wurden von vielen vertreten, aber kaum je in die Praxis umgesetzt. Im Jahr 1960 führte der Planer Kevin Lynch vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) den Begriff der «Ablesbarkeit» von Stadtbildern ein. Nach Lynch wird die Wahrnehmung des bebauten Raums von einigen Schlüsselelementen bestimmt (Abb. 109–111): Merkzeichen (landmarks), Wege (paths), Brennpunkte (nodes), Grenzlinien (edges) und Bereiche (districts). Während der 1970erJahre suchte der englische Architekt Christopher Alexander, der an der Berkeley Universität in den USA lehrte, nach einer «Sprache der Muster» unter den Elementen der bebauten Umwelt und im öffentlichen Raum. Er ging davon aus, dass die Kenntnis solcher Muster für eine sensible Stadtplanung von Nutzen sein müsste. Die Methodenlehren dieser Gelehrten waren zwar naiv und nicht verlässlich, und ihre Logik basierte auf einer vereinfachten Form des Umweltdeterminismus, das heißt, sie gingen davon aus, dass die bebaute Umwelt soziale und kulturelle Antworten stimuliere. Dennoch wurden ihre Ergebnisse nicht in Frage gestellt, und ihre 87

Arbeiten übten einen sehr großen Einfluss aus, vor allem da sie in die zunehmenden Diskussionen über die Qualität von Stadtlandschaften eine analytische Dimension einbrachten.89

109. Perth, Schottland. Die Haupteinkaufsstraße, ein Beispiel für die Art von Wegen, die Kevin Lynch als ein Schlüsselelement für die Ablesbarkeit der gebauten Umwelt betrachtete.

110. Bellinzona, Schweiz. Das Castelgrande, Wahrzeichen der Stadt, das die geistige Landkarte der Menschen bestimmt.

111. Todi, Italien. Wie viele Hügelstädte hat auch Todi klare Grenzlinien.

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Ganz anders sahen dies die Neorationalisten um den italienischen Theoretiker und Praktiker Aldo Rossi. In seinem Buch L´architettura della città (Die Architektur der Stadt) aus dem Jahr 1966 bemühte er sich um die Identifizierung verschiedener «Architekturtypen», die dem ökonomischen und geografischen Kontext angepasst seien und sich somit als Alternativen zu den Totalplanungen der modernen Architektur eigneten. Die Neorationalisten betrachteten die bebaute Umwelt als ein «Theater der Erinnerung» und hofften auf die Identifizierung «grundlegender Typen von Lebensräumen: Straße, Arkade, Platz, Hof, Viertel, Kolonnade, Allee, Zentrum, Stadtkern, höchster Punkt, Radius, Knotenpunkt. So dass die Stadt durchschritten werden kann. So dass sie wieder ein Text wird.»90 Während der 1970er-Jahre wurden diese Ideen von der Bewegung für die «Rekonstruktion der europäischen Stadt» um Léon Krier weiterverfolgt. Krier war der Verfechter einer Stadtplanung mit identifizierbaren, funktional durchmischten Vierteln und forderte eine handwerklich orientierte Architektur mit den Proportionen und Formen der vorindustriellen Zeit. Krier war von Tönnies’ Soziologie beeinflusst und überzeugt, dass Kleinstädte die Vorbedingungen für «Gemeinschaft» böten, die intensivste Form des Zusammenlebens.91 Im Jahr 1964 organisierte das Museum of Modern Art in New York eine Ausstellung mit dem Titel Architecture Without Architects, die das Interesse an einheimischer Architektur weckte.92 In Frankreich führte der Gedanke, traditionelle urbane Qualitäten wiederzubeleben, zu einem «Provinziellen Urbanismus». Dieser zielte insbesondere auf die Gestaltung von «Wegen, Straßen, Plätzen, Häusertypen (insbesondere freistehenden Häusern mit Höfen) und Sichtachsen, die die Grundlage der architektonischen Komposition sind, die unsere Städte so attraktiv macht, vor allem unsere Provinzstädte, die aber leider zunächst von der Ausdehnung der Vorstädte, dann von der brutalen Forcierung der ‹großen Ensembles› mit ihrer Enge und strengen Geometrie überrollt worden sind.»93 Mehrere Bauprojekte des Provinziellen Urbanismus erregten internationale Aufmerksamkeit. Eines

davon war Port Grimaud nahe Saint Tropez, das von François Spoerry im Jahr 1973 als Nachbau eines Fischerdorfes geplant und entwickelt wurde. In Italien wurde 1980 die erste internationale Architekturausstellung im Rahmen der Biennale von Venedig unter dem Thema «Die Gegenwart der Vergangenheit: Das Ende des Verbots» eröffnet. Dort suchte man eine neue Theorie der Stadtplanung durch das «Wiedererwecken des Imaginären» zu formulieren. In den USA legte der «Kontextualismus», wie er vom Architekturtheoretiker Colin Rowe vertreten wurde, einen besonderen Schwerpunkt auf die ererbten Elemente der bebauten Umwelt; dabei hob man die Bedeutung von Straße, Sichtachse und Gebäudegröße als bestimmende Elemente des städtischen Raums hervor.94 Egal, welche Denkrichtung verfolgt wurde, es war ersichtlich, dass Geschichte und Geografie wieder in den stadtplanerischen Diskurs eingetreten waren. In den 1990er-Jahren konnte Vincent Scully, Amerikas bekanntester Architekturhistoriker, behaupten: «Die bedeutendste Bewegung in der zeitgenössischen Architektur ist die Wiederbelebung von örtlichen und klassischen Traditionen sowie deren Reintegration in den Alltag der modernen Architektur in ihrem wichtigsten Aspekt: der Struktur von Gemeinden, dem Bau von Städten».95 Diese Bewegung fand zuerst ihren Ausdruck im Traditional Neighbourhood Development (TND). Dabei geht es um den Versuch, die Entwicklung von Neubaugebieten bis ins Detail so zu regeln, dass sie aussehen wie Kleinstädte aus der Vorkriegszeit, in denen den Fußgängern und der sozialen Interaktion Vorrang vor dem Auto eingeräumt wird. Die amerikanischen Architekten Andres Duany and Elizabeth PlaterZyberk gelten allgemein als die geistigen Eltern von TND, bei dem ein «traditionelles» Kleinstadtgefühl durch verbindliche Gestaltungsrichtlinien erreicht werden soll. Das typische Ergebnis sind Häuser im Stil der amerikanischen Vorkriegszeit. In einem ähnlich motivierten Versuch, Richtlinien für eine neue Typologie der Vorstädte aufzustellen, entwickelte der in San Francisco ansässige Architekt Peter Calthorpe das Konzept der Pedestrian Pockets, was sich etwa mit fußgängerfreundlichen Vororten übersetzen ließe. Anknüpfend an die Zeit, als die Vorstädte noch mit der Straßenbahn erreichbar waren, wollte Calthorpe dicht besiedelte Vorstädte in fußläufiger Entfernung zu Haltestellen des öffentlichen Verkehrs errichten. Diese 5 NACHHALTIGKEIT DURCH BAULICHE GESTALT

Vorstädte sollten Teil eines Regionalplans sein, der sich am öffentlichen Nahverkehr orientierte. Diese Ideen führten während der 1990er-Jahre zum sogenannten New Urbanism, der behauptet, die Lebensqualität könne durch die formelle Regelung von Gestaltungsprinzipien verbessert werden. Diese sollten auf Vorläufern und Typologien basieren, die sich aus der Beobachtung von Mustern in traditionellen Gesellschaften ableiten ließen (Abb. 108–110). Aufgestellt wurde dieser Grundsatz von Duany und Plater-Zyberk, deren Firma DPZ auch das Lexikon des New Urbanism verfasste und Mitglied im Congress for the New Urbanism ist, dem Netzwerk dieser Bewegung. Die Lehren und die Rhetorik des Neuen Urbanismus sind eine Mischung aus Ideen und Impulsen, die sich auf die Utopien von Intellektuellen des 19. Jahrhunderts beziehen und unter anderem folgende Elemente enthalten: • die Bewegung City Beautiful (die auf einem recht autoritären und regressiven Anspruch beruht, die moralische und soziale Ordnung durch die Anordnung und Symbolik der bebauten Umwelt herzustellen), • John Nolens Konzept der Stadtplanung als Mittel zur Wiedergewinnung klassischer bürgerlicher Ideale, • Patrick Geddes’ Idee einer «natürlichen Region», • Clarence Perrys Idee von der «Nachbarschaftseinheit», • Raymond Unwins und Barry Parkers Betonung der traditionellen und einheimischen Architektur, • die «Gartenstädte» des späten 19. Jahrhunderts und die master suburbs der 1920er-Jahre, • die britische Townscape-Bewegung, • Christopher Alexanders Ansatz einer Sprache der Muster, • Kevin Lynchs Konzept der «Ablesbarkeit» und die Postulate des Neorationalismus, des Provinziellen Urbanismus und des Kontextualismus.96 Die Anlage der Straßen spielt beim New Urbanism eine große Rolle, ebenso das Gebäudevolumen als definierendes Element des städtischen Raums, die Notwendigkeit von klaren Mustern in der bebauten Umwelt und im öffentlichen Raum sowie eindeutig erkennbare, funktional gemischte Viertel.97 Man glaubt, dass eine bürgerliche Architektur, fußgängerfreundliche Straßen und ein traditionelles Stadtplanungsvokabular (mit einer 89

Formensprache, zu der Boulevards, begrenzende Häuserblöcke, Plätze und Denkmäler gehören) als Katalysatoren für soziales Leben und Gemeinschaft dienen können. Dies soll nach der Vorstellung des Congress for the New Urbanism durch eine Art von «Malen nach Zahlen» für Stadtplaner erreicht werden. Dazu gehören detaillierte Planungsrichtlinien, die in einer Reihe von Vorschriften – zu Stadtentwicklung, Architektur, Straßentypen und Landschaft – ausgeführt sind und die Schablone für die Entwicklung von Siedlungen im Stil des Neuen Urbanismus liefern.

als eine Form der kulturellen Reduktion charakterisiert, die unauthentische Szenarien – langweilige und unwirkliche – hervorbringe. Seine Vertreter werden als architektonische derrière garde dargestellt, die sich konventionelle Gemeinplätze zunutze machten, um ein neues urbanes Zeitalter einzuläuten, das teils Klischee, teils schlechte Poesie, voller Anklänge, aber letztlich doch bedeutungslos sei. Die ausgesprochen hagiografische und sich ständig selbst zitierende Literatur, die vom Congress for the New Urbanism verbreitet wird, hat nicht gerade dazu beigetragen, die Kritiker zu beschwichtigen.98

Der New Urbanism hat das Interesse an der Stadtplanung belebt und frischen Wind in den routinisierten und bürokratisierten Betrieb der Raumplanung gebracht. Weiterhin hat er Begriffe wie Ortscharakter, Lebensqualität und Nachhaltigkeit in die Politik eingeführt und dazu beigetragen, das öffentliche Interesse an der Stadtplanung wieder aufleben zu lassen. Dennoch und trotz seiner großen Attraktivität für Investoren, sieht sich der New Urbanism scharfer Kritik, insbesondere von Sozialwissenschaftlern, ausgesetzt. Die Vorliebe des New Urbanism für neotraditionelles Design wurde

Kritiker betrachten die neotraditionelle Stadtplanung als grundsätzlich sozial rückwärts gewandt. Der Soziologe Richard Sennett definiert sie zum Beispiel als «[…] Übungen im Rückzug aus einer komplexen Welt mithilfe einer ‹traditionellen› Architektur, die sich auf einen mythischen Zusammenhang der Gemeinschaft sowie eine gemeinsame Identität in der Vergangenheit beruft». Er beschreibt ihre Gestalter als «Künstler der Klaustrophobie» und folgert, dass «die Gestaltung von Orten auf der Grundlage von Exklusion, Gleichförmigkeit und Nostalgie sozial vergiftend und psychologisch

112. Celebration, Florida, USA. Diese Stadt, die nach den Prinzipien des New Urbanism geplant wurde, ist schachbrettartig angelegt und bietet Platz für mehr als 8.000 Wohneinheiten und ein Stadtzentrum, in dem Wohn-Geschäftshäuser, eine Schule, die Außenstelle einer Hochschule sowie ein Hotel und Büros untergebracht sind.

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Die architektonische Einheitlichkeit in Celebration wird durch ein 70-seitiges Musterbuch garantiert. Die vielfältigen «Traditionen» in der Stadt wurden vom Disney-Konzern, der die Stadt geplant und gebaut hat, imaginiert.

nutzlos ist».99 Die wesentliche Schwäche des New Urbanism sei jedoch die Arroganz des Umweltdeterminismus und die Bevorzugung der räumlichen Form gegenüber sozialen Prozessen. In ihrer normativen Argumentation werde der Designkodex zum Verhaltenskodex. «Gutes» Design, also New Urbanism, wird mit Gemeinschaft, Anstand und Authentizität eines Ortes gleichgesetzt, «schlechtes» Design hingegen mit Ortlosigkeit, Überdruss und abweichendem Verhalten. Dies ist natürlich Unsinn. Orte sind immer gesellschaftlich aufgebaut, und die Beziehungen zwischen den Menschen und ihrer Umgebung sind komplex, reflexiv und rekursiv. Daraus können Kleinstädte die Lehre ziehen, dass die bauliche Gestalt zur Lebensqualität und Nachhaltigkeit beitragen, sie aber nicht bestimmen kann. «Wahrer Urbanismus», beobachtet der in Seattle ansässige Architekt und Stadtplaner Mark Hinshaw (offensichtlich ist ihm der Gebrauch dieses Terminus durch die Bewegung Making Cities Liveable nicht bekannt, aber er benutzt ihn im gleichen Sinn),

ist «kein Produkt einer einzelnen Vision», sondern entsteht vielmehr «durch die gemeinsamen Entscheidungen vieler Organisationen, Vereinigungen und Verwaltungen». Wahre urbane Gemeinschaften, sagt er, «entwickeln und formen sich in einer Vielzahl an Architekturstilen und -auffassungen ständig weiter. […] Sie besitzen eine intensive Urbanität, die Vielfalt über Gleichförmigkeit stellt.»100 Der Schwerpunkt von Stadtplanung und -gestaltung sollte auf «der Vielfalt und solchen Aktivitäten liegen, die zu erfolgreichen urbanen Orten beitragen, und insbesondere auch darauf, wie gut die bebaute Umwelt die Funktionen und Tätigkeiten an diesem Ort unterstützt. […] Mit diesem Konzept verbindet sich die Vorstellung von Stadtplanung als Planung und Management des ‹öffentlichen Raums› – wobei dieser definiert ist als das öffentliche Erscheinungsbild der Gebäude, die Räume zwischen den Straßenfronten, die Aktivitäten, die in und zwischen diesen Räumen stattfinden, und die Steuerung dieser Aktivitäten, die alle wiederum davon beeinflusst sind, wie die Gebäude selbst genutzt werden.»101

113. Seaside, Florida, USA. Seaside wurde als Badeort 1982 an der Golfküste von Florida gegründet und entwickelte sich schnell zur Ikone des New Urbanism. Der Entwurf basiert auf einem zentralen Platz und einer rasterförmigen Straßenanlage, die durch radial-konzentrische Boulevards modifiziert wurde und an die Prinzipien der City-Beautiful- und Garden-City-Bewegungen erinnert. Der Bebauungsplan schreibt den Zusammenhang zwischen Straßenbreite, Garten- und Landschaftsplanung, Parzellengröße und Gebäudetyp vor, die architektonischen Vorgaben orientieren sich an den traditionellen, pastellfarbenen Häusern des amerikanischen Südens. Das alles macht Seaside sehr fotogen.

114. Poundbury, England. Poundbury im Herzogtum Cornwall am Rande der Stadt Dorchester wurde nach den Prinzipien des New Urbanism und im neotraditionellen Baustil entworfen. Die Gemeinschaftsanlagen werden von einer privatwirtschaftlich geführten Firma verwaltet, die von allen Bewohnern getragen wird.

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Kirchsteigfeld, Deutschland Kirchsteigfeld ist ein komplett neu angelegter Stadtteil, der bewusst nach der traditionellen Formensprache der Kleinstädte Mitteleuropas gestaltet wurde. Am Rande von Potsdam gelegen, rund 36 Kilometer von Berlin entfernt, leben in Kirchsteigfeld etwa 6.000 Menschen auf einem dicht besiedelten Areal. Kirchsteigfeld wurde in den 1990er-Jahren in der Nachbarschaft zu Wohnblöcken aus DDR-Zeiten nach einem Masterplan des Architekturbüros Rob Krier und Christoph Kohl errichtet.102 Ihr Plan sah die Beauftragung verschiedener Architekten für die Gestaltung von benachbarten Gebäuden vor, um architektonische Vielfalt zu gewährleisten. Die meisten der 2.300 Wohneinheiten sind aus öffentlichen Fördermitteln finanzierte Sozialwohnungen. Die drei- bis fünfgeschossigen Wohnblöcke, die sich um Innenhöfe mit Gemeinschaftsgärten herum anordnen, wurden mit einer hohen Baudichte konzipiert. Sie reflektieren in einem größeren und weiträumigeren Maßstab die Mietshäuser des 19. Jahrhunderts in der Region. Das Straßennetz wird durch einen Teich und einen Wasserlauf aufgelockert, dessen Ränder sorgfältig begrünt und mit Bänken möbliert sind. Die großzügige landschaftliche Gestaltung der Stadt erinnert an die Gartenstadtprojekte des frühen 20. Jahrhunderts, wie zum Beispiel die Margarethenhöhe. Tatsächlich sind auch in Kirchsteigfeld das Markanteste die Freiflächen. Jeder Abschnitt hat seine eigene charakteristische Freifläche. Die auffallendste von allen ist der tränenförmig angelegte «Hufeisen-Park» im nördlichen Teil des Quartiers. Umgeben von Wohngebäuden, erinnert dieser Park mit seiner Kiesoberfläche und den geraden Baumreihen an die Place Dauphine in Paris. In Verbindung mit einem kleinen angrenzenden Platz im Zentrum eines kreisförmig angelegten Ensembles von sechsstöckigen Wohnblöcken bilden die zwei Plätze von oben betrachtet eine Art Ausrufezeichen. Auf Straßenebene ermöglicht das dicht umschlossene Rondell durch eine schmale Öffnung den Blick auf die großzügig angelegte zentrale Achse. Der wichtigste aller Plätze ist jedoch aufgrund seiner Funktion der Marktplatz mit seiner dominanten Kirche und einer Reihe von Einzelhandelsgeschäften, Dienstleistern und öffentlichen Einrichtungen (Gemeindezentrum, Bibliothek, Grundschule, weiterführende Schule und zwei Kindertagesstätten).

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115. Das Zentrum von Kirchsteigfeld.

Für einige Beobachter vermittelt diese erst fünfzehn Jahre alte Stadt «immer noch den Eindruck eines fest inszenierten Bühnenbildes, bei dem noch nicht ersichtlich ist, ob die Qualität der Gemeinschaft der detailliert durchdachten Gestaltung entsprechen wird. Einige der wunderschön angelegten Gemeinschaftsflächen machen den Eindruck, mehr zum Zweck des Anschauens als zur Nutzung gestaltet worden zu sein.»103 Die vorläufigen Ergebnisse einer Befragung der Bewohner lassen jedoch etwas anderes erkennen. Unter ihnen herrscht die Meinung vor, dass die öffentlichen Plätze und die Art, wie sie urbane Flächen rahmen und ihnen Identität und Authentizität verleihen, sehr gelungen sind. Die Bewohner «schätzen den attraktiven Blick aus ihren Wohnungen auf die schönen Innenhöfe und außerdem die Möglichkeiten, die diese Plätze als Treffpunkte bieten».104 Die halböffentlichen Grünanlagen im Inneren der Wohnblöcke werden von den Kindern benutzt, um von einem Haus zum anderen zu gelangen, und die Spielplätze sind auch von den Eltern hochgeschätzt, da sie sicher und von den Wohnungen aus leicht einzusehen sind. Der zentrale Marktplatz hat sich bei den Bewohnern zum Mittelpunkt nachbarschaftlicher Zusammenkünfte etabliert, da sämtliche Veranstaltungen der Gemeinde hier stattfinden. Größe, Funktion und Geschäfte des Platzes werden von den Bewohnern gleichermaßen geschätzt.

116. Kirchsteigfeld. Drei- bis fünfstöckige Wohnhäuser mit farbigen Fassaden prägen das Stadtbild. Grünflächen in jedem Block bieten Freiraum und Zugang zu den Parkplätzen, die diskret an die Seite verlegt wurden.

117. Kirchsteigfeld, «Hufeisen-Park». Jeder Abschnitt in Kirchsteigfeld hat seinen eigenen öffentlichen Raum, der in verschiedenen Formen und Größen angelegt wurde, um damit auf kleinem Raum Identität zu stiften.

118. Kirchsteigfeld. Der Stadtteil erinnert an frühere dichte Stadtmuster und wird von einem gut definierten Netzwerk von relativ engen Straßen mit farbigen Fassaden und großzügig angelegten Innenhöfen bestimmt. Dieses Bild zeigt die zentrale Achse mit dem angrenzenden kreisförmigen Ensemble und dem hufeisenförmigen Park, der von mittelhohen Wohnblöcken mit Innenhof gesäumt wird.

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Straßenleben: Stadtbild, Bewegungen und soziales Miteinander Stadtplanung bedeutet nicht nur Form und Formgebung. Sie umfasst auch das Stadtbild, den Kontext und die Möglichkeit, soziales Miteinander, Rhythmen und Bewegungen zu fördern. Wie in der Einleitung dargestellt, bieten beliebte und belebte Orte viele Gelegenheiten zu ungezwungenen Treffen, – «dritte Orte», Straßenmärkte, Plätze zum Verweilen, Warten und Schauen – und vermitteln das Gefühl von Identität, Zugehörigkeit, Authentizität und Dynamik. Die Architekturtheoretikerin Nan Ellin hat dies in dem Begriff «Integrativer Urbanismus» zum Ausdruck gebracht. Die Hauptmerkmale des Integrativen Urbanismus sind laut Nan Ellin Hybridität (hybridity), Verbundenheit (connectivity), Durchlässigkeit (porosity), Authentizität (authenticity) und Verletzlichkeit (vulnerability). Hybridität und Verbundenheit hängen von dem Nebeneinander, der Gleichzeitigkeit und dem Zusammentreffen städtischer Funktionen ab und verbinden Menschen und Aktivitäten an Orten besonderer Intensität. Durchlässigkeit hängt davon ab, wie sich Historisches und Zeitgenössisches, natürliche und bebaute Umwelt, soziale, kulturelle und physische Dimensionen einer Stadt visuell und materiell integrieren lassen. Authentizität hängt von den großen und kleinen Interventionen ab, die den Bedürfnissen und Vorlieben der Gemeinde entsprechen, die wiederum im lokalen Klima, in der Topografie, in der Geschichte und in der Kultur verwurzelt sind. Verletzlichkeit ist von der Bereitschaft der Stadtplaner abhängig, die Kontrolle abzugeben, die Dinge geschehen zu lassen und dem Zufall eine Chance zu geben. Eigenschaften wie diese legen eher auf den Prozess an sich als auf das zu erwartende Ergebnis Wert und auf die enge Beziehung zwischen Mensch und Ort. Das Ziel eines integrativen Urbanismus ist es, Orte zu schaffen, die sich im Fluss befinden, das heißt Orte, wo die äußeren Attribute und die Erfahrungen, die die Menschen mit ihnen machen, untrennbar miteinander verbunden sind. «Einen Ort, der sich nicht in Bewegung befindet, bezeichnen die Franzosen als Ort ohne Seele (Il n’a pas d’âme). Amerikaner sagen, ihm fehle Charakter. Orte, die sich im Fluss befinden, werden von den Franzosen als animé (belebt, lebhaft, beseelt) und von den Amerikanern als lively (aufgeweckt, belebt, lebendig) charakterisiert.»105 94

Aus dieser Perspektive betrachtet, haben viele Kleinstädte den Vorteil, schon «eingebaute» Qualitäten geerbt zu haben, die auf ihren Ursprung als mittelalterliche Marktstädte und zentrale Orte zurückgehen, in denen Gebäude, Straßen und Plätze für Fußgänger gestaltet waren und die Bewohner den Großteil ihrer Zeit im Freien verbringen mussten. Eine entscheidende Voraussetzung für die Nachhaltigkeit von Kleinstädten ist daher, dass die Stadtplanung die besonderen ererbten Eigenschaften und Vorzüge dieser Städte nicht verletzt. Weiterhin sollte Stadtplanung versuchen, diese Charakteristika zu schützen und zu verstärken – vorzugsweise im Sinne eines integrativen Urbanismus.

Inhalt: Stadtbilder Das städtische Gefüge stellt ein Ensemble von Strukturen und Plätzen dar, das – von verschiedenen Punkten innerhalb und außerhalb der Stadt betrachtet – eine Vielzahl von Stadtbildern erkennen lässt. Wie der Geograf Edward Relph feststellt, sind «[…] Stadtbilder einerseits der Kontext für zeitliche Erfahrungen und unterliegen andererseits der Zeitlichkeit. Sie sind der Schauplatz für die täglichen, wöchentlichen und saisonalen Muster der menschlichen Aktivität. Sie sind Kulisse und Bezugspunkt für Erinnerungen und Erwartungen. Sie sind ein maßgeblicher Bestandteil der Geografie der Erinnerung. In gewisser Weise ähneln sie dem menschlichen Leben. Auch Landschaften haben Rhythmen des Entstehens, Wandels und des Zerfalls.»106 Stadtbilder müssen im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Funktionen einer Stadt in Vergangenheit und Gegenwart gesehen werden. Ein Verständnis der Rolle der Stadt in Relation zur umliegenden Kulturlandschaft ist ebenfalls von großer Relevanz. Ein erster Schritt zu einer nachhaltigen Stadtplanung in Kleinstädten besteht darin, die wesentlichen Elemente eines Stadtbilds zu identifizieren. Dies kann formal und methodisch in Form einer Bestandsaufnahme geschehen, die die baulichen und natürlichen Eigenschaften einer Stadt beschreibt, diejenigen Elemente identifiziert, die den Charakter der Stadt bestimmen, und Entwicklungen lokalisiert, die zur Beeinträchtigung des Ortes führen (Abb. 119). Durch eine solche Bestandsaufnahme können dann Leitsätze für Stadtplaner entwickelt und

PARKEN IN STADTZENTRUM

Das am meisten benutzte Verkehrsmittel ist das Auto, da der Bahnhof nicht im Stadtzentrum liegt. Die Lebendigkeit der Stadt wird weiterhin davon abhängen, ob es genug Parkmöglichkeiten gibt. STADTRAND AM ROCHE WAY

Die neue Straße Roche Way ist insofern ungewöhnlich, als sie dazu beiträgt, das Stadtzentrum eindeutiger zu definieren. Sie stellt sich fast wie ein Stadtgraben dar. Der Stadtrand ist noch wenig strukturiert, da sich das städtische Muster nach dem Straßenbau erst wieder herausbilden muss.

COURT HILL THE CROSS

Der Platz am The Cross ist das Kernstück des Stadtzentrums. Seine Qualitäten sollten in einer Weise verbessert werden, die seinem Nutzen entspricht.

Der Park in Court Hill geht über in ein Naherholungsgebiet. Sein Eingangsbereich ist allerdings in einem schlechten Zustand. Verbesserungen in diesem Gebiet sollten berücksichtigt werden.

PARKPLATZ SMITH STREET

Dieser Platz bietet die größten Möglichkeiten für die Stadtentwicklung im Stadtkern. Es gibt zwar genug Stellplätze, aber der Ort macht einen öden Eindruck. Die Entwicklung dieses Raums sollte angestrebt werden durch die Schaffung von Parkplätzen, einer Verbindung zum Stadtzentrum sowie die prioritär betriebene langfristige Bebauung der angrenzenden Grundstücke.

ZUGANG ZUR MAIN STREET

Die Gebäude auf der Hauptstraße öffnen sich und bilden einen einladenden Stadtzugang. Die Wirkung dieses Zugangs könnte allerdings gesteigert werden. Verbesserungen an den Giebeln, der Bausubstanz und der Beschilderung sollten erwogen werden.

BAULÜCKEN AN DER NEW STREET GARTENANLAGEN AM ROCHE WAY

Die Landschaft am Rand der Stadt bietet den Besuchern einen Raum zur Erholung. Der nach Westen geneigte Abhang bietet eine sonnige und offene Grünfläche.

ECKE TOWNEND STREET/NEW STREET

Die Kreuzung zwischen Townend Street, New Street und Aitken Street ist ein markanter Eingangspunkt des Stadtzentrums. Die Eckgebäude definieren das Aufeinandertreffen der Straßen. Dieser Effekt wird allerdings durch die Lücke gegenüber dem Postgebäude beeinträchtigt.

Die New Street verbindet die eher suburbanen Straßen mit dem nah gelegenen Stadtzentrum. Die Lücken im neuen Straßenbild beeinträchtigen die Geschlossenheit der Gebäude und mindern die Qualität dieses Stadtteils.

Die Hügellage der Innenstadt von Dalry bestimmt die Wahrnehmung des Ortes. 119. Stadtbildstudie von Dalry. Der North Ayrshire Council gab eine Stadtbildstudie in Auftrag, die den Charakter, die Qualitäten und die Aktivitäten von Dalry analysierte. Sie umfasste die Untersuchung der Bausubstanz, der Materialien, der Raumnutzung und der Geschichte. Man fand heraus, dass Schlüsselstellen des Stadtzentrums einen erheblichen Einfluss auf die Aktivität und Qualität der Innenstadt haben. Indem sich die Stadt nun diesen Schlüsselstellen zuwendet, hofft sie die Prioritäten für die Stadtkernsanierung zu identifizieren. Nach ARP Lorimer Architects für North Ayrshire Council.

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gleichzeitig Schwerpunktthemen für Verbesserungen und Sanierungen ausgemacht werden.107 Gleichwohl werden Stadtbilder immer auch die ästhetische Sensibilität seitens ihrer Betrachter brauchen. Das Werk der beiden Stadtplaner Gordon Cullen und Edmund Bacon vermittelt einige wichtige Einsichten in diejenigen Aspekte der urbanen Gestaltung, die im Allgemeinen ein positives Echo hervorrufen. Cullen beschreibt beispielsweise, wie versperrte Ausblicke (closed vistas), Verengungen (narrows), Projektion und Rezession (projection and recession) sowie Abweichung (deflection) Stadtbildern Dynamik und Schönheit verleihen. Closed vistas entstehen, wenn Gebäude oder Monumente am Ende einer Straße sichtbar sind und somit einen klaren Bezugspunkt bieten. Narrows entstehen, wenn Gebäude dicht beisammenstehen und die Straßenbreite im Verhältnis zur Gebäudehöhe gering ist, sodass sich ein starkes Gefühl von Umzäunung und eine unvermeidliche Detailfülle ergeben (Abb. 120). Zu Deflection kommt es, wenn die Sichtachse zu den Hauptstrukturen eher schräg als im rechten Winkel angelegt ist. Projection und Recession treten auf, wenn unregelmäßige Gebäuderücksprünge und Straßenstrukturen eine auffällige Komplexität der Details erzeugen.108 Bacon betont die Ästhetik städtischer Silhouetten, die Art und Weise, wie Gebäude den Boden berühren, wie markante Stellen an Gebäuden und Monumenten für das Auge angenehm sein können. Weitere wichtige Aspekte sind für ihn der Proszenium-Effekt, also die Gegenüberstellung verschieden großer Strukturen, oder das Gefühl für Tiefe und Perspektive, Aufstieg und Abstieg sowie Konvexität und Konkavität in der räumlichen Anordnung der Gebäude.109 Diese Einsichten stimmen mit der Gestaltpsychologie überein, die die Fähigkeit betont, verschiedenen Elemente innerhalb eines Sichtfeldes als einen Gesamtkomplex wahrzunehmen. Nach dem Soziologen Peter Smith gibt es vier fundamentale Dimensionen der ästhetischen Wahrnehmung. Die erste ist die Fähigkeit, Muster inmitten komplexer visueller Elemente zu erkennen. Die zweite ist die Fähigkeit, visuelle Rhythmen wahrzunehmen: die Folge von Elementen, welche Nachdruck verleihen, betonen, in Intervallen auftreten und Richtungen herstellen. Die dritte Dimension ist die menschliche Fähigkeit, eine Ausgewogenheit im Wechselspiel von Formen, Texturen und Farben innerhalb eines 96

Sichtfeldes zu erkennen. Viertens gibt es die Sensibilität gegenüber harmonischen Formen, Proportionen und Perspektiven.110 Auf den städtischen Entwurf bezogen, sind Orientierung, Geschlossenheit Kontinuität, Ähnlichkeit und Nähe diejenigen Eigenschaften der gebauten Umwelt, die am besten diesen Fähigkeiten des Menschen entsprechen.111 Im Kontext der Nachhaltigkeit von Kleinstädten können diese Erkenntnisse für Politik und Praxis hilfreich sein, insbesondere im Hinblick auf Erhalt und Wandel. Bei jeder städtischen Planung muss auch die Frage des richtigen Maßstabs sorgfältig in Erwägung gezogen werden. Bei Kleinstädten gilt es drei wichtige Maßstäbe zu beachten: den großen Maßstab, also wie die Stadt in die Landschaft eingebettet ist, den mittleren Maßstab für die wichtigsten Plätze der Stadt sowie den kleinen Maßstab, der die öffentliche Infrastruktur bestimmt.

120. Hersbruck, Deutschland. Die Prager Straße in Hersbruck erinnert noch heute an die Goldene Straße – den einstigen Handelsweg von Nürnberg nach Prag. Der Straßenzug ist ein Beispiel für die von Cullen beschriebenen Verengungen. 5 NACHHALTIGKEIT DURCH BAULICHE GESTALT

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Lage und Landschaft Wie bereits in Kapitel 4 beschrieben, ist das Verhältnis zwischen Kleinstadt und umliegender Landschaft ein wichtiger Aspekt für die Identität eines Ortes. Daraus folgt, dass die Sichtbarkeit der Stadt in der Landschaft sowie ihr Beitrag zur Kulturlandschaft wichtige Elemente sind, die bei einer nachhaltigen Stadtplanung berücksichtigt werden müssen. Sie sollten das Ausmaß und die Art der Ausdehnung bestimmen, insbesondere im Hinblick auf Höhe, Volumen und Maßstab einer zukünftigen Bebauung. Topografie und Landschaft begrenzen die Stadt und sind ein wichtiger Teil ihrer Identität. Allerdings ist es nicht nur die umliegende Landschaft, die von vielen Punkten der Stadt aus eingesehen werden kann; auch das Gegenteil ist der Fall – die Zugänge zur Stadt erlauben einen Blick auf Teile der Stadt oder gar die ganze Silhouette. Natürlich spielt die Topografie dabei eine große Rolle. Stadtbild und Silhouette von Hügelstädten sind oft schon von weitem und aus fast allen Richtungen zu sehen und lassen die Stadt visuell als «Figur» vor dem Hintergrund erscheinen (Figur-Grund-Beziehung) sowie Volumen, Profil und Silhouette erkennen. Die Profile von Städten in flachen Regionen, wie in den Niederlanden, im Mittleren Westen der USA oder in der italienischen Po-Ebene, bieten dem Betrachter ebenfalls ikononenhafte Silhouetten. Auf der anderen Seite zeigen sich im Tal liegende Städte oft spät und dann ganz plötzlich beim Näherkommen, wenn sie nicht vorher schon von einer Anhöhe aus sichtbar sind. Viel hängt auch von der Richtung der Annäherung ab, wie es der Planer Stephen Owen in seinen Diagrammen für die englische Stadt Ludlow illustriert (Abb. 121–123). Seine Zeichnungen stellen dar, wie sich die Beziehungen zwischen den verschiedenen Komponenten von Ludlows Profil verändern, wenn sich der Betrachter auf unterschiedlichen Wegen der Stadt nähert: «Im nördlichen Teil des Bogens, und speziell von tiefer liegenden Punkten nahe der Stadt, ist das Profil eher schmal, das Schloss dominiert die Silhouette und die Figur-Grund-Beziehung ist nicht klar. Dann, wenn sich der Betrachter den Bogen entlang weiter nach Süden und Osten und die Anhöhe hinaufbewegt, verbreitert und vertieft sich das Profil. Schloss und St. Laurence Kirche beherrschen 98

die Stadtsilhouette, und es entsteht zwischen der Stadt und den Clee Hills im Hintergrund eine klare Figur-Grund-Beziehung, insbesondere von weiter entfernten Aussichtspunkten aus. Schließlich, am Ende des Bogens im Osten, verschwindet – durch eine Kombination aus größerer Entfernung, Topologie und Vegetation – das Schloss aus dem Blickfeld, die Silhouette wird nun einzig vom Turm der St. Laurence Kirche bestimmt. Das Straßenraster der mittelalterlichen Stadt auf dem sanft nach Süden abfallenden Hang stellt nun von höher gelegenen Aussichtspunkten das Hauptprofil dar. Mill Street und Broad Street schneiden durch das Profil, und die Figur-Grund-Beziehung verschwindet.»112

121. Ludlow, England. Diese Diagramme illustrieren, wie sich die sichtbaren Strukturen der Stadt verändern, je nachdem, welchen Standpunkt der Betrachter einnimmt (nach S. Owen, «Classic English Hill Towns: Ways of Looking at the External Appearance of Settlements», in: Journal of Urban Design, Vol. 12, Nr. 1, 2007, S. 111).

122. Ludlow, England. (nach S. Owen, «Classic English Hill Towns» a.a.O.)

123. Ludlow, England. (nach S. Owen, «Classic English Hill Towns» a.a.O.)

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Öffentliche Räume Der öffentliche Raum – Straßen, Alleen, Plätze, Marktplätze und Parkanlagen – ist beim integrativen Urbanismus und bei der Stadtgestaltung von großer Bedeutung. Der Raum um und zwischen den Gebäuden dient nicht nur der Fortbewegung von Fahrzeugen und Menschen, sondern fungiert auch als Treffpunkt und als Zentrum sozialer und kommerzieller Aktivitäten. Eines der größten Vermächtnisse europäischer Baukultur ist der traditionelle Marktplatz, Rathausplatz oder die piazza. Von Gebäuden umgeben und durch schmale Zugänge erschlossen, strahlen diese Orte ein Gefühl von Geborgenheit aus. Es sind alltägliche, gemeinsam genutzte Orte, die einer Stadt einen Brennpunkt, ein Zentrum und Identität verleihen. Meistens werden sie von Läden und Cafés gesäumt und von wichtigen städtischen und religiösen Einrichtungen beherrscht, die seit langer Zeit Teil der städtischen Struktur des Platzes sind. Der klassische Platz, wie zum Beispiel im italienischen Vigevano (60.000 Einwohner), ist in sich geschlossen und bis auf die Zufahrtsstraßen nach außen hin vollkommen abgegrenzt (Abb. 125–127). Der Grundriss des Platzes beruht auf regelmäßigen geometrischen Formen, während die Fassaden der umliegenden Gebäude vom Rhythmus der sich wiederholenden Elemente geprägt sind. Ein weiteres vertrautes Format ist der von einem Gebäude «beherrschte Platz» wie die Piazza del Popolo im italienischen Todi (17.000 Einwohner). Der gesamte

Platz und alle umliegenden Bauten sind auf den zentralen duomo, ausgerichtet (Abb. 124, 129). «Kernplätze» wie im englischen Chichester (23.700 Einwohner) werden von einer einzigen zentralen Struktur dominiert (in diesem Fall einem Marktkreuz). Umgekehrt stellen «gruppierte Plätze», die durch eine kurze Straße (wie in Perugia, Italien, 162.000 Einwohner) oder ein großes Gebäude (wie in Hersbruck, Deutschland, 12.500 Einwohner) verbunden sind, sowohl eine Ausdifferenzierung nach Funktionen als auch den ästhetischen Zusammenhalt her (Abb. 128, 130–132).113 Öffentliche Freiflächen sind ein weiteres wichtiges Erbe der europäischen Urbanisierung. Die meisten mittelalterlichen Städte besaßen ein größeres offenes Areal, auf dem die Bewohner ihre Tiere grasen lassen durften, Brennmaterial sammelten oder ihre Freizeit verbrachten. Manche Städte hatten auch Bogenschießplätze, wo die Männer der Stadt schießen übten. Viele dieser Plätze überdauerten die Zeit und werden heute noch als Freizeit- und Parkanlagen genutzt. Vereinzelt besitzen Städte auch noch die im 18. oder 19. Jahrhundert entstandenen Lustgärten oder Arboreten, die als Bühne gestaltet wurden. Oft sind sie Standorte von Monumenten und Statuen – «Gedächtnisstützen» für die bürgerliche Identität und die Identität des Ortes.

124. Todi, Italien. Die Piazza del Popolo.

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125. Vigevano, Italien. Die Piazza Ducale gilt allgemein als einer der schönsten Plätze Italiens. Der Platz, ein Ergebnis der Stadtplanung der Frührenaissance, wurde von Bramante für Ludovico Maria Sforza zwischen 1492 und 1493 als Vorhof des Castello Sforzesco gestaltet. Die Arkaden rund um den Platz verleihen ihm ein einheitliches Aussehen. Heute ist die piazza für die Einheimischen ein wichtiger sozialer Ort.

126. Vigevano, Italien. Die Piazza Ducale.

127. Vigevano, Italien. Die Piazza Ducale.

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129. Todi, Italien. Piazza del Popolo und Piazza Garibaldi.

130. Hersbruck, Deutschland. Oberer und Unterer Markt.

128. Perugia, Italien. Die Piazza IV Novembre, Piazza della Repubblica und Piazza Italia sind durch die breite Flaniermeile des Corso Vannucci verbunden.

131. Hersbruck, Deutschland. Oberer Markt.

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132. Perugia, Italien. Corso Vannucci.

133. Bellinzona, Schweiz. Ein moderner Platz in einem sanierten Teil des mittelalterlichen Stadtzentrums.

134. Perth, Schottland. Kunst im öffentlichen Raum kann ein entscheidendes Detail der Stadtplanung sein und zur städtischen Identität beitragen. Dieses Beispiel, ein Werk von William Soutar, steht in der Fußgängerzone der Hauptstraße. Die Skulptur dient auch als Treffpunkt.

135. Modena, Italien. Arkaden bieten Schatten und Schutz und sind Übergangszonen, die zum Verweilen einladen. Arkadengänge sind ein typisches architektonisches Element in südeuropäischen Städten.

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Details Details sind Blickfänge, und ihre sorgfältige Gestaltung trägt dazu bei, urbane Räume menschlicher zu machen und die Lebensqualität zu verbessern. Wie der Soziologe Jan Gehl in seinem grundlegenden Werk zur Stadtplanung feststellte, «[...] ist es nicht damit getan, Räume zu schaffen, die es den Menschen ermöglichen, zu kommen und zu gehen. Es müssen auch Bedingungen herrschen, welche das Herumlaufen und das Verweilen in ihnen begünstigen [...] In diesem Zusammenhang spielt die Qualität der einzelnen Segmente des Außenbereichs eine große Rolle. Die Gestaltung der einzelnen Räume mit ihren noch so kleinen Details sind entscheidende Faktoren.»114 So beleben beispielsweise Farben an Gebäuden nicht nur das Stadtbild, sondern sie helfen auch, die Figur-Grund-Beziehung zu schärfen, besonders in Städten, in denen die Landschaft im Hintergrund ist oder die dominanten Baumaterialien fahl oder blass sind. Blumen und Landschaftsgestaltung können ebenfalls einen großen Unterschied ausmachen, genauso wie Skulpturen und Kunst im öffentlichen Raum. Die Qualität und Platzierung von Bänken, Rabatten, Geländern und Brunnen können zur Steigerung der Lebensqualität beitragen, aber sie auch, falls sie schlecht entworfen und ohne Plan angebracht sind, beeinträchtigen. Nachts kann eine ausgeklügelte Beleuchtung (im Gegensatz zur normalen Straßenbeleuchtung, die leicht Lichtverschmutzung verursachen kann) das Stadtbild aufwerten, indem wichtige Gebäude und Sehenswürdigkeiten akzentuiert oder mit Flutlicht angestrahlt werden. So sorgt Beleuchtung nicht nur für Farbe und Lebendigkeit, sondern auch für eine erhöhte Sicherheit.

136. Hersbruck, Deutschland. Die Prager Straße war ursprünglich ein Teil des Handelswegs zwischen Nürnberg und Prag, der sogenannten Goldenen Straße. Sie war eine wichtige Ost-West-Verbindung, auf der Waren und Gewürze des Orients nach Nordeuropa gebracht wurden. Leinwand, Wein und andere Waren wurden in die andere Richtung gehandelt. Der Goldenen Straße wird in der Prager Straße durch Metallstreifen und Steintafeln im Straßenpflaster gedacht. Sie erinnern an Nürnberg und Prag sowie an die Waren, die entlang dieser Route gehandelt wurden.

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Auch der Bodenbelag ist wichtig (Abb. 136, 139, 140). Optisch kann er zur Maßstäblichkeit beitragen und Räume miteinander verknüpfen, indem er das Zentrum mit den Rändern verbindet und Ordnung in eine sonst vielleicht unvereinbare Gruppe von Gebäuden bringt. Muster und Texturen können große, harte Flächen auf leichter zu beherrschende menschliche Proportionen reduzieren. Symbolisch können Bodenbeläge die Identität und das historische Erbe unterstreichen. Funktional können Bodenmuster auf subtile Weise zum Weitergehen oder zum Verweilen einladen. Durchlässiges Material kann einen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit leisten, da Regenwasser wieder direkt in das Grundwasser absickern kann.

137. Straßenmobiliar. Ästhetisch ansprechende Stangen begrenzen den sicheren Fußgängerbereich und verhindern illegales Parken (Abbiategrasso, Italien).

138. Farbe. Bunte Fassaden tragen zur Lebendigkeit einer Stadt bei. Das Beispiel zeigt eine Straße in Überlingen, Deutschland.

139. Bodenbeschaffenheit. Das traditionelle Pflaster auf der Piazza Collegiata in Bellinzona, Schweiz, wurde mit versenkbaren Stromanschlüssen für die Marktstände versehen.

140. Bellinzona, Schweiz. Die Piazza Collegiata.

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Das Leben zwischen den Gebäuden Zwar sind Bausubstanz und Anlage einer Stadt in Bezug auf Ästhetik, Charakter, Identität und Authentizität wichtig für die Lebensqualität ihrer Bürger (genauso wie ihre Funktionsfähigkeit), aber der wohl wichtigste Beitrag zur Lebensqualität und Nachhaltigkeit ist die Fähigkeit der bebauten Umwelt, Leben und soziales Miteinander im öffentlichen Raum zu ermöglichen (Abb. 137–139). Jan Gehl formuliert dies folgendermaßen: «Das Leben zwischen den Gebäuden ist auf lange Sicht relevanter und interessanter zu beobachten als jede erdenkliche Kombination aus farbigem Beton und gestaffelten Gebäudeformen.»115 Es ist die soziale Erfahrung, die der Schlüssel zur Lebensqualität ist. «Verglichen mit dem Erleben von Gebäuden und anderen leblosen Objekten, bietet der Austausch mit anderen Menschen, die reden und sich bewegen, eine Fülle von Reizen.»116 Gehl vertritt die Meinung, dass die Stadtplanung einen Einfluss darauf hat, wie viele Menschen den öffentlichen Raum einer Stadt nutzen, wie lange die einzelnen Aktivitäten andauern und welche Aktivitäten besonders beliebt sind. In diesem Zusammenhang unterscheidet er zwischen notwendigen Aktivitäten (wie Einkaufen oder zur Arbeit gehen), optionalen Aktivitäten (Bummeln oder einen Kaffee trinken gehen) und sozialen Aktivitäten (wie zufällige Begegnungen, Klatschen, Plaudern, Geschichtenerzählen, Flirten und ernsthafte Gespräche). Gut gestaltete öffentliche Räume bieten mehr Möglichkeiten für soziale Aktivitäten. Menschen ziehen Menschen an. Kleinstädte haben den großen Vorteil, dass viele Menschen – obwohl sie in verschiedenen Gebäuden oder Stadtvierteln arbeiten und wohnen – dieselben öffentlichen Orte aufsuchen und sich aufgrund ihrer täglichen und wöchentlichen Rhythmen hier oft treffen. Vertrautheit und Intersubjektivität im täglichen Umgang miteinander werden stabiler. Dies erzeugt positive Gefühle, und es entwickelt sich soziale Verbindlichkeit. Der Sinn der Menschen für die bürgerliche Gesellschaft wird geschärft, und die Wahrscheinlichkeit nimmt zu, dass sie sich an den lokalen Angelegenheiten beteiligen und die lokale Politik demokratischer wird. Stadt- und Marktplätze sind die Zentren dieser Aktivitäten in Kleinstädten, dicht gefolgt von Fußgängerzonen und kleinen Parkanlagen. Da Menschen sich gegenseitig anziehen, sind es die 106

141. Chiavenna, Italien. Ungezwungene Begegnungen sind ein wichtiger Aspekt des sozialen Lebens in kleinen Städten.

142. Mendrisio, Schweiz.

143. Ludlow, England.

«stationären» Tätigkeiten (herumstehen und reden, sitzen und Menschen beobachten oder Zeitung lesen, ein Nickerchen machen, sonnenbaden, im Straßencafé sitzen), die den Straßen Leben einhauchen. Meistens gibt es ein «Randphänomen» bei diesen Aktivitäten – manche Menschen ziehen es vor, sich am Rand von Straßen und Plätzen oder in den Übergangszonen zwischen zwei Orten aufzuhalten. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, zu verweilen und zu beobachten, während sie selbst relativ unauffällig bleiben können (Abb. 144). Öffentliche Räume sind aber auch Orte der Zirkulation und Fortbewegung. Es bedarf daher einer Balance zwischen Fahrzeugen und Fußgängern, zwischen optionaler und notwendiger Fortbewegung. Fahrzeugverkehr hat einen immensen Einfluss auf die städtische Umwelt und auf die Lebensqualität der Bewohner. Der motorisierte Verkehr stellt für Kleinstädte mit kleinen, engen und verwinkelten Straßen eine große Herausforderung dar. Andererseits sind die Fußentfernungen zwischen den Einrichtungen in diesen Kleinstädten naturgemäß relativ kurz. Hier muss auf eine Stadtplanung Wert gelegt werden, die das Wegenetz für Fußgänger und, wo es die Topografie erlaubt, auch für Fahrradfahrer ausbaut. In einer stets schnelllebiger werdenden Welt wird das gemütliche Spazierengehen und das Fahrradfahren entlang sicherer und interessanter Wege zu einem wichtigen Aspekt der Lebensqualität. Das Spazieren ermöglicht eine Art mobiler Besinnlichkeit – ein langsames, aber tiefes Eintauchen in die Rhythmen des Alltags. Regelmäßiges Gehen oder Fahrradfahren entlang derselben Route hat zusätzlich

den Vorteil, dass man immer wieder dieselben Leute trifft, eine Voraussetzung für Vertrautheit, Intersubjektivität und soziales Miteinander. Die Erfahrung des Gehens bereichert auch die ästhetische Dimension der bebauten Umwelt: Zufällige Begegnungen und die sich ständig ändernden Straßenszenen führen zu gespannter Erwartung und Erfüllung, wie das von Gordon Cullen und Edmund Bacon in ihrem Werk über Stadtlandschaften beschrieben wurde. Nicht zuletzt ist Bewegung auch wichtig für die Gesundheit. Ein gutes Beispiel progressiver Stadtplanung ist das Bewegungsprogramm für Kinder im Alter zwischen 6 und 10 Jahren in Enns, einer Cittaslow-Stadt in Österreich. Um in einer schnelllebigen Welt der Neigung der Eltern gegenzusteuern, ihre Kinder (selbst wenn sie nicht weit entfernt wohnen) mit dem Auto zur Schule zu fahren und abzuholen, hat ein Bündnis zwischen lokalen Schulen, dem Österreichischen Umweltministerium und dem Klimabündnis Österreich eine Reihe von «Elternhaltestellen» eingerichtet, wo die Eltern ihre Kinder morgens mit dem Auto hinbringen können. Von jeder dieser Haltestellen gibt es einen 10-minütigen begleiteten Spaziergang zur Schule. Dieser kurze Spaziergang verschafft den Schulkindern nicht nur körperliche Bewegung und bringt ihnen das «Laufen» näher, sondern gibt ihnen vor der Schule auch Zeit für soziale Kontakte.

144. Randphänome. Da Menschen gerne herumsitzen und andere Leute beobachten, sind die Ränder eines öffentlichen Platzes gewöhnlich als Erstes besetzt.

5 NACHHALTIGKEIT DURCH BAULICHE GESTALT

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145. Bellinzona, Schweiz. Der samstägliche Markt.

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werden zu einem integralen Bestandteil einer weit größeren Agenda – zu einer lokalen Bewegung, die eine Gemeinschaft aufbaut (oder neu aufbaut), die kreativ, integrativ und nachhaltig ist, sowohl in naher als auch ferner Zukunft.»117

Nachhaltige Wirtschaftsformen

Der Erhalt und die Weiterentwicklung einer nachhaltigen Wirtschaft sind von grundlegender Bedeutung für die Dynamik und Lebensqualität von Kleinstädten. Die Wirtschaft muss für die Bewohner der Kleinstädte sichere Arbeitsplätze schaffen sowie lokale Unternehmen fördern. Bemühungen um eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung gehen über die reine Gewinnmaximierung hinaus und schließen soziale, ökologische und kulturelle Aspekte mit ein. Wirtschaftsförderung in Kleinstädten muss bei ihrer Strategie die drei Säulen der Nachhaltigkeit, die sogenannte «triple bottom line», berücksichtigen: Soziales, Ökologie und Ökonomie. Das kanadische Centre for Community Enterprise, das sich seit 25 Jahren mit Wirtschaftsförderung auf lokaler Ebene beschäftigt, schreibt, dass eine nachhaltige und auf Gemeinschaft beruhende Wirtschaftsentwicklung «der Prozess ist, in dem die Menschen Organisationen gründen und Bündnisse schließen, die gewinnbringende Geschäfte mit anderen Interessen und Werten verbinden – wie qualitativ hochwertige Arbeitsplätze, gut ausgebildete Fachkräfte, Gesundheit, günstiges Wohnen, Chancengleichheit und ökologische Verantwortung. Die Unternehmen

6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

Die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung kleiner Gemeinden steht im Kontrast zu den meisten herkömmlichen Versuchen, lokal eine Wirtschaft aufzubauen; zu diesen gehört etwa die Vorstellung, die Anzahl der Arbeitsplätze und Firmen an einem Ort um jeden Preis erhöhen zu müssen, egal, wie gut die Jobs bezahlt werden und welcher Art die Unternehmen sind. Nachhaltige Strategien hingegen konzentrieren sich auf die Qualität des wirtschaftlichen Handelns und seine Auswirkungen auf das Ganze. Dieser neue Ansatz legt besonderen Wert auf das Humankapital, stößt einen lang- und nicht kurzfristigen Strukturwandel an, ist gegen teure Steuererleichterungen für Großunternehmen, schafft Werte für die Gemeinde, konzentriert sich auf den ökologischen Nutzen und versucht, Umweltschäden zu vermeiden. Dieser Ansatz betont die wirtschaftliche und soziale Bedeutung lokaler Geschäfte wie Buchhandlungen, Fachgeschäfte, Cafés und Restaurants, die den Menschen als «dritte Orte» dienen können. Die Bürger sollten bei der Planung einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung aktiv miteinbezogen werden und «alternative Wirtschaftsräume» mitgestalten helfen, die gegenüber dem durch Globalisierung und Deindustrialisierung ausgelösten Wandel weniger anfällig sind.

Ökonomische Herausforderungen Kleinstädte sehen sich einer Reihe von wirtschaftlichen Herausforderungen gegenübergestellt, die alternative, nachhaltige Wirtschaftsstrategien schwierig, aber umso notwendiger machen. In den Vereinigten Staaten fehlt es vielen Kleinstädten an einer diversifizierten Wirtschaftsstruktur, ihre wirtschaftliche Existenz hängt oft lediglich von ein oder zwei Industriezweigen ab. Die Bewohner fanden über Generationen hinweg Beschäftigung in ressourcenintensiven Sektoren wie Bergbau, Forst- und Landwirtschaft oder im produzierenden Gewerbe (zum Beispiel in der Textil- oder Möbelindustrie). Diese Kleinstädte gelten als «Orte der Old Economy im Niedergang»,118 da Firmen, vor allem

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solche mit geringer Wertschöpfung, ihre Standorte geschlossen und die Arbeitsplätze ins Ausland verlagert haben. Nach Angaben des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums verloren die USA im vergangenen Jahrzehnt 800.000 Arbeitsplätze im Textil- und Bekleidungssektor. Von diesem Niedergang der Wirtschaft waren insbesondere Kleinstädte betroffen, die nun mit steigenden Armutsraten, Drogenmissbrauch, dem Verfall ihrer Bausubstanz, unzureichender Gesundheitsfürsorge, allgemeiner Hoffnungslosigkeit und anderen Problemen zu kämpfen haben. Das ländliche Amerika, wo sich die meisten Kleinstädte befinden, hat eine Armutsrate von über 14,2 Prozent; mehr als 11 Prozent aller ländlichen Haushalte gelten als «food insecure», das heißt, dass ihnen der Zugang zu einer ausreichenden, für einen gesunden Lebensstil notwenigen Ernährung fehlt.119 Am anderen Ende des Spektrums sehen sich amerikanische Kleinstädte, die nahe an Großstadtgebieten gelegen sind oder besondere Attraktionen bieten, mit enormen Wachstumsherausforderungen konfrontiert: Die Neubausiedlungen in den Vorstädten zerstören

ihren Charakter, Einzelhandelsketten auf der Grünen Wiese zwingen lokale Geschäfte entlang der Hauptstraße zur Aufgabe (Abb. 146 und 147), und ihr ungehindertes Wachstum trägt zum Verlust der Ortsidentität und des kulturellen Erbes bei. Während Kleinstädte in den USA diese Probleme seit nunmehr zwei Dekaden durchgemacht haben, zeigen Kleinstädte in Japan seit kurzem dieselben unerfreulichen Tendenzen. Von dem Wachstum der japanischen Wirtschaft der letzten fünf Jahre profitierten hauptsächlich die großstädtischen Zentren wie Tokio – auf Kosten der Randregionen. Eine nach amerikanischer Art liberalisierte Wirtschaft stimulierte die japanische Wirtschaft, und Sektoren wie Versicherung, Banken und Einzelhandel wurden dereguliert. Daraufhin eröffneten große nationale Einzelhandelsketten ihre Filialen am Stadtrand von kleinen Städten und bedrohten damit die Existenz lokaler Geschäfte. Japans Kleinstädte werden zunehmend zu Geisterstädten, sie verlieren ihre junge Generation an die aufstrebenden städtischen Zentren und sind

146. Petersburg, Virginia, USA. Petersburg spielte einst bei der Entstehung des Staates Virginia und im Sezessionskrieg eine wichtige Rolle. Inzwischen ist Petersburg aufgrund der ausgedehnten

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Suburbanisierung und des wirtschaftlichen Niedergangs eine schrumpfende Stadt. Die Bevölkerung ging seit ihrem Höchststand 1980 von 41.055 um 18 Prozent zurück.

immer häufiger politisch zerstritten.120 Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in Europa, wo das Phänomen als «schrumpfende Städte» bekannt ist. Der wirtschaftliche Niedergang von Kleinstädten ist ein weltweites Problem. Die New Economics Foundation stellte fest, dass zwischen 1997 und 2002 mehr als 1.000 Gemeinden in Großbritannien ihre Banken verloren und pro Woche 50 Fachgeschäfte schließen mussten.121 Die gleiche Studie belegt, dass zwischen 1999 und 2004 mehr als 3.700 Postämter und über 8.600 unabhängige Lebensmittelgeschäfte zumachten. Der Verlust lokaler Geschäfte bedeutet konkret, dass das Geld, das in den Geschäften nationaler Einzelhandelsketten ausgegeben wird, nicht in der Gemeinde bleibt, sondern in die Firmenzentralen der Großunternehmen wandert (Abb. 148). Das Schicksal einer Gemeinde wird somit immer öfter von Entscheidungsträgern großer Unternehmen abhängig, die keinerlei persönliche Verbindung zum Ort haben und denen es oft ausschließlich um den Profit geht. Im Gegensatz hierzu bleiben die Gewinne kleiner

lokaler Einzelhändler in der Gemeinde. Diese Geschäfte in lokaler Hand stellen zudem häufig Menschen aus dem Ort ein, und ihre Besitzer zeigen bürgerliches Engagement. Die Herausforderung für Kleinstädte liegt somit in der Förderung einer lokal verwurzelten Wirtschaft. Eine solche auf die örtliche Wirtschaft gerichtete Wirtschaftsförderung in die Tat umzusetzen hängt allerdings von der Fähigkeit der Entscheidungsträger ab, nicht schematisch zu denken und ihre althergebrachten Strategien zu überarbeiten. Dies bedeutet einen Paradigmenwechsel für die Wirtschaftsförderung.

147. Petersburg, Virginia, USA. Viele der Geschäftshäuser der Innenstadt stehen leer. Um die wirtschaftliche Situation zu verbessern, konzentriert sich die Wirtschaftsförderung darauf, einheimische Ge-

6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

schäfte zu unterstützen, den Tourismus zu fördern und die Stadt zu revitalisieren. Der Wochenmarkt spielt dabei eine wichtige Rolle.

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Industrie ansiedeln oder Gemeinschaft gestalten? Traditionelle Ansätze lokaler Wirtschaftsförderung haben sich fast immer auf rein quantitatives Wachstum konzentriert und nicht darauf, die örtliche Wirtschaft und die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern. Wirtschaftsförderung besteht oft darin, einen Standort bestmöglich zu vermarkten, um neue Firmen von außerhalb anzulocken. Diese Praxis der Industrieansiedlung wird im Englischen als «Jagd nach Schornsteinen» (smokestack chasing) bezeichnet. Dabei wird davon ausgegangen, dass Wirtschaftswachstum nur durch exogene Faktoren stimuliert werden kann und dass die Produktionskosten reduziert werden müssen, damit sich Unternehmen in einem Gebiet ansiedeln. Planer und Wirtschaftsförderer arbeiten daher oft Hand in Hand mit Großunternehmen und bieten ihnen Steuererleichterungen, günstiges Land und Gebäude, Zuschüsse sowie Mithilfe bei der Suche nach Arbeitskräften etc. an. Viele Städte sehen sich zu solch unternehmerfreundlichen Strategien gezwungen, da sie sich in einem ständig härter werdenden globalen Wirtschaftswettbewerb behaupten müssen. Politikwissenschaftler haben auf diese Abhängigkeiten mit der sogenannten «Theorie der City Limits» (Theorie des begrenzten städtischen Agierens) aufmerksam gemacht und beschrieben, wie Städte andere Politikfelder vernachlässigen, wenn sie lediglich unternehmerfreundliche Wirtschaftsstrategien verfolgen. In die gleiche Richtung weisen auch die «Theorie urbaner Regime» (urban regime

theory) und die These von den growth machines (Wachstumskoalitionen), die beschreiben, wie sich Verwaltung und Unternehmen im ausschließlichen Interesse der Wirtschaft zu Allianzen zusammenschließen.122 Die Theorie der City Limits lässt sich besonders gut auf die USA anwenden, wo das Städtewesen politisch und steuerlich dezentralisiert ist. Diese Struktur ist wiederum die Grundlage für eine stark ausgeprägte lokale Autonomie, die es den Verwaltungen erlaubt, in einen gegenseitigen Wettbewerb um mobile Zuzügler und Unternehmen zu treten, die das beste Verhältnis zwischen Steuern und gebotener Leistung suchen. Diesem Modell, das von einer Wahl nach rein rationalen Gesichtspunkten ausgeht, liegt der Gedanke zugrunde, dass eine auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik Einwohner und Unternehmen anzieht und hält. Politische Entscheidungsträger favorisieren daher Wachstumsstrategien und nicht eine Politik, die sich auf Umverteilung, Strukturwandel und Entwicklung konzentriert. Solch eine Wachstumsorientierung wird noch durch die politischen Allianzen verstärkt, die Wirtschaft und lokale Politik miteinander eingehen. Diese Koalitionen werden von der Theorie der urbanen Regime beschrieben, die auf der Überlegung basiert, dass «der Gegensatz zwischen öffentlicher Kontrolle des politischen Systems und privater Verfügung über Produktionsmittel, Verteilung und Warenaustausch eine fundamentale Dichotomie in der Gesellschaft darstellt, die sich in der Regel vorteilhaft für die Wirtschaft auswirkt».123 Da im Allgemeinen also die Überzeugung herrscht, Wirtschaftswachstum könne nur durch die Ansiedlung großer Unternehmen und unternehmerfreund-

148. Mendrisio, Schweiz. Dieses Outlet-Einkaufszentrum für Designermode zieht Kunden bis aus Mailand (etwa 60 Kilometer südlich) an. Zwar beschäftigt das Zentrum einerseits einige Dutzend Leute und bringt der Stadt Steuereinnahmen, doch hat es andererseits auch einen «Schatteneffekt» auf den Textileinzelhandel der Region. Kleinere unabhängige Läden in Mendrisio und den umliegenden Gemeinden haben es nun schwerer.

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liche Strategien erreicht werden, werden alternative Ansätze, die Gleichheit, Demokratie und Nachhaltigkeit berücksichtigen, nicht weiter verfolgt.

Die Gefahr, zu einer «MöchtegernStadt» zu werden

Einrichtung von alternativen Institutionen. Zusammen würden diese Maßnahmen die Abhängigkeit der Verwaltungen von auswärtigen Ressourcen und Wirtschaftsinteressen reduzieren, da ja bereits jede einzelne von ihnen die Wirtschaftskapazität einer Gemeinde aus eigenen Mitteln erhöhen würde.126

Die üblichen, unternehmerfreundlichen Ansätze zur Stadtentwicklung sind durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet. Sie konzentrieren sich typischerweise auf Großprojekte – oder Mega-Projekte – wie den Bau von Sportstadien, Unterhaltungszentren oder großen Bürokomplexen, die meist auf Kosten einer nachhaltigen lokalen Wirtschaftsförderung gehen. Kleinstädte übernehmen diese Strategien oft, da sie gerne erfolgreiche Großstadtprojekte imitieren. Die Geografen Bell und Jayne meinen allerdings, dass das Kopieren solcher Großstadtstrategien zur Entwicklung von sogenannten «MöchtegernStädten» führe, die ihren besonderen KleinstadtCharakter dabei verlören (Abb. 149 und 150).124 Wirtschaftsfreundliche Strategien sind die Folge eines globalen Städtewettkampfs um private Investitionen. Diese Projekte sind meist ziemlich einheitlich in ihrem Erscheinungsbild – nichtssagende Büroparks oder suburbane Fastfood-Restaurants und Einkaufszentren, die eine Landschaft bilden, die von Ritzer als «Inseln der McDonaldisierung» bezeichnet wird.125 Diese Projekte sind «Konsumtempel» und tragen zur weiteren Erosion der lokalen Wirtschaft bei. Ihre Wurzeln finden sich im Konsumdenken Mitte der 1950er-Jahre, als die USA ein bedeutendes wirtschaftliches Wachstum und allgemeinen Wohlstand erlebten. Eine solche Wirtschaftspolitik hat nur den wirtschaftlichen Fortschritt im Sinn; sie vernachlässigt die Randgruppen der Gesellschaft und fördert soziale Ungleichheiten. Forscher und Aktivisten haben in den 1990erJahren diese deterministische Sichtweise der Wirtschaftspolitik in Frage gestellt. Der Politikwissenschaftler David Imbroscio entwarf ein alternatives Wirtschaftsentwicklungskonzept, das aus sechs Elementen besteht. Dazu gehören folgende Strategien, die das Humankapital und die Wirtschaftsstabilität einer Gemeinde erhöhen: eine ordentliche Kosten-Nutzen-Rechnung in einer veröffentlichten Bilanz, die Konzentration auf besondere Kompetenzen, die Förderung eines wirtschaftlichen Lokalpatriotismus sowie die 6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

149. Metzingen, Deutschland. Kleine Städte auf der Schwäbischen Alb prosperierten einst wegen ihrer Textilindustrie. In den vergangenen Jahren hat sich Metzingen in eine Outlet-Stadt verwandelt. Mehr als 70 Modeunternehmen wie zum Beispiel Joop und Escada haben Geschäfte dort. Die Stadt ist auch der Hauptsitz von Hugo Boss, einer Edel-Marke der Modebranche.

150. Danville, Virginia, USA. Das Institute for Advanced Learning and Research ist das Ergebnis des strategischen Versuchs, High-Tech-Unternehmen nach Danville, eine 45.000-Einwohner-Stadt im Süden von Virginia, zu bringen. Die ganze Region ist vom wirtschaftlichen Niedergang der Textil- und Tabakindustrie betroffen. Möglicherweise ist das Institut nur eine teure politische Geste, da die Stadt sonst wenig zu bieten hat.

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Community Economic Development Auch wenn unternehmensfreundliche Ansätze in der lokalen Wirtschaftsförderung weiterhin dominieren, haben sich doch in den letzten Jahrzehnten neue Methoden der Wirtschaftsentwicklung herausgebildet. In den Vereinigten Staaten wird eine der wichtigsten dieser neuen Bewegungen als Community Economic Development (CED) bezeichnet. CED beschäftigt sich mit Fragen der sozialen Gleichheit sowie der demokratischen Vertretung von Bürgerinitiativen in der Wirtschaftspolitik. CED konzentriert sich auf kleinere Bereiche wie Stadtviertel und versucht, insbesondere solche Gruppen zu fördern, die normalerweise vom Wirtschaftssystem vernachlässigt werden (Obdachlose, Minderheiten, Einwanderer etc.). CED-Programme können verschiedene thematische Schwerpunkte setzen, zum Beispiel Gemeinschaft, Wirtschaft oder Entwicklung (Tabelle 6.1).

im entwicklungsorientierten Ansatz («ceD»), der Strukturwandel das Ziel sein. Community Economic Development hat sich eine sozial verträgliche und nachhaltige Entwicklung zum Ziel gesetzt. Damit unterscheidet es sich von herkömmlichen Entwicklungsansätzen, deren Fokus oft nur auf Wachstum (just on growth) und nicht auf gerechtem Wachstum (just growth) liegt. Die wichtigsten Verfechter von CED sind gemeinnützige Organisationen, Stadtteilinitiativen, Gemeinderäte, Volksbanken und andere Organisationen auf lokaler Ebene. CED versucht, die Lebenssituation der Bewohner zu verbessern sowie nützliche Verbindungen und Synergien zwischen Wirtschaft und Gesellschaft herzustellen. Negative Auswirkungen auf die Umwelt sollen dabei möglichst vermieden und stabile, unabhängige Gemeindestrukturen gefördert werden.

Je nach Schwerpunkt kann etwa die Gemeinde mit ihren sozialen Bindungen und Interaktionen im Zentrum stehen, wie es im «Ced»-Ansatz veranschaulicht wird. Alternativ kann auch, wie Tabelle 6.1: Die Konzepte des Community Economic Development cEd (Wirtschaft)

ceD (Entwicklung)

Ced (Gemeinschaft)

Wirtschaft (economy)

Geldverkehr

Geldverkehr und nicht-monetäre Transaktionen

Märkte und Produktion basieren auf marktwirtschaftlichen und nichtmarktwirtschaftlichen Prinzipien

Gemeinschaft (community)

Wirtschaftsraum

Heimat

Wechselseitige Verbindlichkeit (mutual commitment)

Hauptziel

Schaffen von Arbeitsplätzen, Einkommen

Stabilität und Nachhaltigkeit

Beteiligung (sharing) und Fürsorge (caring)

Hauptstrategie

Steigerung des Geld- Erhöhte lokale Einflussnahme zuflusses durch strukturelle Veränderungen

Integration von sozialer und ökonomischer Entwicklung

Beispiele

«Möchtegern-Stadt» Gemeinschaftsläden

Cittaslow

Quelle: Boothroyd, P., & Davis, C., «Community economic development: Three approaches», in: Journal of Planning Education and Research, 12, 1993, S. 230−240.

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Alternative Wirtschaftsräume Community Economic Development kann sich insbesondere für Kleinstädte positiv auswirken. In der Kombination mit nachhaltiger Entwicklung können «alternative Wirtschaftsräume» entstehen, die dem konventionellen kapitalistischen Wirtschaftssystem etwas entgegenzusetzen haben. Alternative Wirtschaftsräume stellen Gemeinschaft her, erhöhen die lokale Eigenständigkeit und stellen Dienstleistungen und Produkte für Bevölkerungsgruppen bereit, die normalerweise vom Wirtschaftssystem übergangen werden. Solche Alternativen sind wichtig, da äußere Faktoren wie globaler Handel, Zersiedelung oder der interkommunale Wettkampf um Arbeitsplätze die ökonomischen Ressourcen von Kleinstädten schwächen. Strategien zum Aufbau von alternativen Wirtschaftsräumen zielen darauf ab, Wirtschaftskreisläufe zu gestalten, die von der globalen Wirtschaft abgekoppelt sind. Man geht davon aus, dass diese Abkopplung die Autarkie einer Gemeinde fördert und sie vor externen Wirtschaftskrisen schützt. Innerhalb dieses Rahmens richtet sich der Versuch, alternative Wirtschaftsräume zu gestalten, vornehmlich auf kleinere geografische Einheiten wie Stadtviertel oder kleine Gemeinden. Als Grundvoraussetzung gilt die Annahme, dass innerhalb eines begrenzten Wirtschaftsraums die Verbundenheit und Loyalität der Bürger mit und gegenüber ihrer unmittelbaren Umgebung stärker ausgeprägt sind. Man hofft, dass die Bürger die lokalen Geschäfte aufsuchen und dass die lokalen Unternehmer davon profitieren (Abb. 151). Die Einnahmen aus diesen lokalen Einkäufen werden hauptsächlich in der Gemeinde verbleiben und innerhalb dieser wieder neu investiert. Der Gedanke, alternative Wirtschaftsräume zu entwickeln, findet sich auch bei dem Umweltaktivisten Bill McKibben, der über eine sogenannte «deep economy» schreibt. Das Konzept einer «tiefen Wirtschaft» geht auf den Begriff deep ecology zurück, der von dem norwegischen Philosophen Arne Næss 1973 geprägt wurde. Deep ecology beschreibt die Verflechtung von Mensch und Umwelt und misst den nicht-menschlichen Aspekten im Ökosystem einen größeren Stellenwert bei. Der Begriff «deep»

6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

wird deswegen verwendet, weil diese Denkrichtung für sich beansprucht, der Rolle des Menschen im Ökosystem mehr Aufmerksamkeit zu schenken als andere Ökobewegungen, die die natürliche Umwelt oft separat betrachten oder sie gar der menschlichen Sphäre unterordnen. In seinem Buch Deep Economy: The Wealth of Communities and the Durable Future setzt sich McKibben für eine umfassende Restrukturierung lokaler Ökonomien ein und legt den Schwerpunkt dabei eher auf Entwicklung als auf Wachstum. Im Gegensatz zum etablierten Wirtschaftssystem vertritt er die Meinung, dass «der Aufbau einer lokalen Wirtschaft bedeutet, die Märkte nicht mehr länger als unfehlbar anzubeten und ihnen bewusst Grenzen zu setzen. Wir müssen die Effizienz in den Hintergrund rücken und anderen Zielen mehr Beachtung schenken. Wir müssen die größten Änderungen unserer täglichen Gewohnheiten seit Generationen vornehmen – und auch ein größtmögliches Umdenken hinsichtlich unserer Weltanschauung, unserer Meinung über das, was Fortschritt bedeutet.»127 McKibben fordert strukturelle Richtungsänderungen: weg von der Wachstumsorientierung (größer, reicher, gewinnbringender und effizienter) und hin zu Lebensqualität, Sinn und Glück. Ein solches Verständnis von Entwicklung erkennt an, dass Reichtum nicht unbedingt glücklicher macht. Tatsächlich haben Ergebnisse aus der psychologischen Forschung das Gegenteil gezeigt – dass Lebenszufriedenheit hauptsächlich von nicht-materiellen Faktoren abhängt, wie Gesundheit, Familie, Freundschaft und sozialen Bindungen.

151. Blacksburg, Virginia, USA. Es gibt inzwischen sehr viele sogenannte Buy-local-Kampagnen in den USA. Diese Kampagnen werden von den Einzelhändlern der Stadt sowie von den Verkäufern des Wochenmarktes unterstützt. Beide versuchen die Konsumenten dazu zu bewegen, in den einheimischen Läden und auf dem Markt einzukaufen anstatt bei den global operierenden Ladenketten in den Vororten.

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Nischen finden

und John McKnight, die diese Methode Anfang der 1990er-Jahre entwickelten, verstehen unter den «assets» einer Gemeinde die «Begabungen, Fähigkeiten und Kompetenzen» von Einzelnen, Gruppen, Vereinigungen und Institutionen.128 Eine Konzentration auf die besonderen Vorzüge einer Gemeinde lenkt von den üblicherweise im Mittelpunkt stehenden Mängeln ab. Diese Mängel werden meistens mit negativen Klischees assoziiert, etwa mit einer Gemeinde, die eine hohe Kriminalitätsrate hat, verarmt und auf Hilfe von außen angewiesen ist. Im Gegensatz dazu macht eine Methode, die sich auf die Vorzüge konzentriert, die Gemeinden stärker, da sie die Ressourcen der Gemeinde als Möglichkeit begreift, einen Strukturwandel herbeizuführen. Bei diesem Verfahren machen die Stadtplaner in Zusammenarbeit mit der Gemeinde eine Bestandsaufnahme, um die Kompetenzen der Gemeinde zu

Kleine Städte müssen mit ihrer Wirtschaftsförderung ein Klima schaffen, in dem die Bewohner ihre wirtschaftlichen und finanziellen Bedürfnisse befriedigen können. Noch wichtiger ist es aber, ein Wirtschaftssystem zu entwickeln, das den Bewohnern ein Gefühl von Ortszugehörigkeit und Eigentum verschafft. Letztendlich wird dies zu einem stärkeren Engagement der Bürger und gemeinschaftlichem Zusammenhalt führen. Eine solche Neuausrichtung trägt zum Aufbau alternativer Wirtschaftsräume bei, da ihre Methoden und Ziele über rein ökonomische Notwendigkeiten hinausgehen. Ein ähnliches Denken liegt auch einem Ansatz zugrunde, der eine Bestandsaufnahme der in einer Gemeinde vorhandenen «assets» (Vorzüge, Kompetenzen) empfiehlt. Die Soziologen John Kretzmann

LOKALE INSTITUTIONEN

Fitnessstudio

Bücherei

Polizei

Buchgemeinschaft Kirchengemeinde

Molkereiverband

Pfadfinder

Karate Club

INDIVIDUELLE BEGABUNGEN

Mark: Zweisprachig & Schreiner Brian: Trainer & Organisator

Lilia: Radfahrerin & Reparaturtalent Kim: Gärtnerin & Nordic-WalkingSportlerin

Amerikanischer Lungenverband

Studentinnenvereinigung Gartenbauverein

Pflanzenschutzverein Automaten und Imbissstände Multikulturelle Begegnungsstätte

Schulen

Elternvereinigung

Bund für Umwelt und Naturschutz

Juan: Koch & Fußballspieler Mieterbund

Lehrergewerkschaft

Laurie: Schriftstellerin & Pflanzenkennerin

May: Künstlerin & Yoga-Anhängerin

YMCA

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Öffentliche Parkanlagen

BÜRGERSCHAFTLICHE VEREINIGUNGEN

Supermärkte Jugendvereine

Wochenmärkte

152. Bestandsaufnahme der Kompetenzen. Das sogenannte Asset Mapping ist ein wichtiges Element einer nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Gemeinden können ihre besonderen Stärken visualisieren und Diagramme wie dieses, das vom Center for Collaborative Planning in Kalifornien erstellt wurde, entwickeln. Im Zentrum sind die Kompetenzen der Einzelnen wie berufliche Fähigkeiten und sonstige Fertigkeiten aufgezeigt. Der zweite Kreis zählt die bestehenden privaten Institutionen wie Vereine und Vereinigungen auf. Der dritte Kreis benennt die lokalen Einrichtungen wie zum Beispiel staatliche Stellen, Schulen und Einzelhandelsgeschäfte. Solche Diagramme veranschaulichen die Fülle der Kompetenzen, die in einer Gemeinde vorhanden sind, und können das Gemeinschaftsgefühl stärken

analysieren (Abb. 152). Die wirtschaftlichen Kompetenzen werden identifiziert und grafisch festgehalten, zum Beispiel Arbeitserfahrungen, Fähigkeiten, «Unternehmergeist», kulturelle und kreative Kompetenzen, Konsumverhalten, verdeckte Angebots- und Nachfragepotenziale sowie Marktnischen. Kleinstädte sollten diesen alternativen Ansatz bei ihrer Wirtschaftsförderung in Erwägung ziehen, da er ihnen ermöglicht, sich auf die in der Gemeinde vorhandenen Potenziale zu konzentrieren. Schließlich sollten Kleinstädte ihre Alleinstellungsmerkmale finden und sie vermarkten, um nicht nur Investitionen von außen anzuziehen, sondern auch ihr Erbe, ihre Identität und ihre Kultur zu bereichern.129 Es besteht allerdings die Gefahr, dass die Vermarktung der städtischen Besonderheiten auch zu ihrer Kommerzialisierung führt. Kleinstädte können auch leicht in die Falle geraten, dass sie ihre größeren Gegenstücke imitieren wollen. Bell und Jayne schreiben in diesem Zusammenhang, dass Kleinstädte «zwischen der Größe globaler Metropolen und deren Strömen von Kapital, Kultur und Menschen auf der einen Seite sowie der Weite des ländlichen Raums auf der anderen Seite gefangen sind und sich mit dem Problem ihrer Definition und Neudefinierung konfrontiert sehen. Sie sind gefangen zwischen Aufstocken und Kleinbleiben.»130 Die Aufgabe besteht also darin, die richtige Balance zu finden und die besonderen Vorzüge einer Stadt einerseits zu vermarkten, sie andererseits aber auch vor Veränderung und Kommerzialisierung zu bewahren.

Erfolgreiche und nachhaltige Ökonomien – zum Beispiel die der Cittaslow-Bewegung – gedeihen in Kleinstädten am besten dann, wenn sie mit äußeren Märkten verbunden sind. Touristen besuchen diese Städte und geben Geld aus (Abb. 153–155). Die kleinstädtischen Ökonomien können sich auf bestimmte Produkte spezialisieren – oft auf Nischenprodukte –, die sich exportieren lassen und somit den lokalen Unternehmen helfen, auf einem größeren Markt konkurrenzfähig zu sein. Diese Verbindung zum externen, globalen Wirtschaftssystem ist – ironischerweise – sehr wichtig für den Erhalt der kleinstädtischen Wirtschaft. Um sogenannte «Ghetto-Wirtschaften» zu vermeiden, müssen Kleinstädte «größere, nicht-lokale Netzwerke und Märkte anzapfen».131 Dies bedeutet allerdings nicht, dass Kleinstädte globale Modeerscheinungen imitieren und ihre Identität aufgeben sollten. Die allgemeine Vereinheitlichung als Folge der Globalisierung stellt vielmehr eine Chance für kleinstädtische Wirtschaften dar, ihre Einzigartigkeit herauszustellen und daraus wirtschaftlichen Erfolg zu ziehen. Damit diese Balance gelingen kann, müssen Kleinstädte nachhaltige Wirtschaftsstrategien verfolgen, die darauf ausgerichtet sind, das lokale Unternehmertum zu fördern, die lokale Wirtschaft zu erhalten und das Sozial- und Humankapital zu entwickeln.

Größere Netzwerke anzapfen Die Gestaltung von alternativen Wirtschaftsräumen in Kleinstädten ist nicht einfach, verschiedene Herausforderungen sind dabei zu bedenken. Das größte Hindernis für Kleinstädte ist ihre eingeschränkte Wirtschaftskraft. Kleinstädtische Ökonomien – vor allem solche, die eine bedeutende wirtschaftliche Schwächung erlebt haben – haben oft eine zu geringe Nachfrage, um eine selbstständige alternative Wirtschaft aufzubauen. Dies wiederum macht eine Expansion der lokalen Wirtschaft schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

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153. Todi, Italien. Die Intimität und das historische Erbe kleiner Städte ziehen Touristen und Besucher an, die für die Existenz des Einzelhandels wichtig sind.

154. Hvar, Kroatien.

155. Vence, Frankreich.

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Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) steht im Mittelpunkt der Wirtschaftsentwicklung von Kleinstädten. KMU können weit mehr von öffentlichen Maßnahmen profitieren als ihre großen Gegenspieler. Diese Maßnahmen sollten dazu geeignet sein, Firmenneugründungen zu unterstützen, bestehende Unternehmen zu erhalten und auszubauen sowie Innovation und Unternehmertum innerhalb der Gemeinde zu fördern. Der wirtschaftliche Erfolg von Kleinstädten hängt zum großen Teil von den KMU ab (Abb. 156–160). In den USA sind 99 Prozent aller Unternehmen Kleinbetriebe mit etwa zehn Mitarbeitern. Diese Kleinbetriebe tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Wohlstand der USA bei – und die Zahl der Selbstständigen steigt weiter an. In Europa sieht die Situation ähnlich aus: Über 99 Prozent aller europäischen Unternehmen sind kleine bis mittlere Unternehmen mit bis zu 50 Angestellten. 90 Prozent dieser Betriebe beschäftigen weniger als zehn Personen, und ein durchschnittliches Unternehmen beschäftigt fünf Personen. Diese Kleinbetriebe sind für mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze in Europa verantwortlich.132 Die Bandbreite der Kleinbetriebe reicht von Handwerksbetrieben wie Metzgereien, Zimmereien und Bäckereien bis zu Technologieund Dienstleistungsfirmen. Aufgrund ihrer Größe und ihrer begrenzten Ressourcen sehen sich diese Firmen allerdings vielen Problemen gegenüber. Unter anderem müssen sie die notwendigen Finanzmittel auftreiben, ausgebildetes Personal finden, bürokratische Hürden nehmen und neue Märkte erschließen. Die Wirtschaftsförderung ist daher gefordert, diesen kleinen und mittleren Unternehmen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

net wird, also als «ökonomische Gartenarbeit». Dieser Ansatz legt seinen Schwerpunkt auf die Förderung von lokalen Unternehmen und versucht nicht, Unternehmen von außerhalb anzuziehen. Die Kleinstadt Littleton in Colorado zum Beispiel setzt inzwischen keine öffentlichen Mittel mehr ein, um externe Firmen anzuwerben. Stattdessen konzentrieren sich die Wirtschaftsentwickler der Stadt nun darauf, die richtige Infrastruktur und ein unternehmerfreundliches Klima zu schaffen und die Firmen mit wichtigen Marktinformationen zu versorgen. Diese «ökonomische Gartenarbeit» scheint ein innovativer Schritt in die richtige Richtung zu sein, denn das Netzwerk an Städten, die diesem Ansatz folgen, wird ständig größer.

156. Unterkrumbach, Deutschland. Herwig Danzer ist der Gründer der Schreinerei Die Möbelmacher. Seine Werkstatt liegt in Unterkrumbach, einem kleinen Ort in der Nähe von Hersbruck. Die Werkstatt verwendet für ihre Möbel und Kücheneinrichtungen Holz aus der Region Frankenalb. Die Firma hat sich dem Nachhaltigkeitsprinzip verschrieben und beschäftigt etwa 17 Mitarbeiter. Herwig Danzer spielte auch bei der Bewerbung von Hersbruck als erstes deutsches Mitglied der Cittaslow-Bewegung eine große Rolle.

Economic Gardening Es gibt viele interessante Ansätze, wie sich kleine und mittlere Betriebe in Kleinstädten fördern und erhalten lassen. Politiker in Kleinstädten und Wirtschaftsförderer in aller Welt erkennen zunehmend an, dass die Vergabe von kostspieligen Subventionen und Steuererleichterungen für große Unternehmen nirgendwohin führen, dass sie ihr Handeln umstellen und die ortsansässigen Betriebe pflegen müssen. In den USA verfolgen eine Reihe von Kleinstädten und Staaten einen Ansatz, der im Englischen als «economic gardening» bezeich6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

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157. Sokndal, Norwegen. Sokndal ist eine sehr kleine Stadt (3.300 Einwohner) in einer relativ abgelegenen Region. In dieser Lage sind Haushaltswarenläden ein wichtiger sozialer Treffpunkt und für das wirtschaftliche Wohlergehen der Gemeinde von entscheidender Bedeutung.

158. Hersbruck, Deutschland. Dieses kleine Geschäft ist ein Schuhmacherladen in Hersbruck. Kleine Läden wie dieser sind oft im Stadtzentrum anzutreffen. Sie sind in der Regel Familienbetriebe, die von der einheimischen Kundschaft profitieren. Solche Läden tragen zur Lebendigkeit kleiner Städte bei.

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159. Sokndal, Norwegen. In vielen kleinen Städten haben kleine Läden zwei Funktionen wie in diesem Café und Haushaltswarenladen.

160. Seppenrade, Deutschland. Diese Bäckerei ist seit fünf Generationen in Familienbesitz. Das Geschäft besitzt eine Filiale im nahe gelegenen Lüdinghausen, einem Mitglied der CittaslowBewegung seit 2007. Die Bäckerei fertigt und verkauft den für das Münsterland typischen Pumpernickel. Familie Holtermann verwendet keine industriell hergestellten Fertigmischungen, sondern bäckt ihr Brot nach traditionellen Rezepten und mit langsamen Backmethoden.

6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

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Littleton, Colorado, USA Littleton ist eine Kleinstadt etwa 16 Kilometer südlich von Denver, Colorado. Die Anfänge dieser Kleinstadt im Vorstadtgürtel von Denver gehen auf das späte 19. Jahrhundert zurück, als Littleton eine kleine Bauern- und Eisenbahnstadt war. Im Jahr 2007 listete das Money Magazine Littleton als einen der 100 lebenswertesten Orte der USA auf. Die Kleinstadt zählt 41.000 Einwohner und ist verkehrsgünstig am Highway 85 gelegen. Littletons Geschichte beginnt mit dem Goldgräberrausch Ende des 19. Jahrhunderts, als die nah gelegene Stadt Denver durch die Zuwanderung von Goldgräbern, Händlern und Bauern prosperierte. Auch Richard Sullivan Little kam als Ingenieur von der Ostküste, um ein Bewässerungssystem zu errichten und so die Landwirtschaft in den trockenen Gebieten am Fuße der Rocky Mountains zu ermöglichen. Richard Sullivan Little beanspruchte Land für sich und ließ sich schließlich mit seiner Frau dort nieder, wo sich heute Littleton befindet. Die Stadt wurde 1872 gegründet, als Familie Little ihren Landbesitz im Dorf Littleton parzellierte. Gleichzeitig expandierte auch die Eisenbahn in Colorado, was Littleton schnell wachsen ließ. 1890 entschieden sich die 245 Bewohner zur offiziellen Gründung der Stadt. Seitdem ist Littleton zur Kreisstadt aufgestiegen und zu einem wichtigen Ort für die Landwirtschaft und das produzierende Gewerbe geworden. Im 20. Jahrhundert konnte die Kleinstadt von einer prosperierenden Luftfahrt- und Elektronikindustrie profitieren, die sich im Westen der USA ausbreitete. Die Nähe zu Denver sowie das Wachstum der Rüstungsindustrie versetzten Littleton in eine wirtschaftlich vorteilhafte Lage, die allerdings nicht von Dauer war. Während der späten 1980er-Jahre erlebte Colorado eine starke wirtschaftliche Rezession. In Littleton entließ der größte Arbeitgeber der Stadt, das Luft- und Raumfahrtunternehmen Martin Marietta, mehrere tausend Fabrikarbeiter. Littletons Vertreter aus Politik und Wirtschaft überdachten daraufhin ihre Wirtschaftspolitik

161. Die Innenstadt von Littleton, Colorado.

und entwarfen einen Ansatz, der heute unter dem Begriff «economic gardening» bekannt ist. «Ökonomische Gartenarbeit» ist ein wirtschaftspolitisches Instrument, das sich auf eine Wirtschaftsentwicklung von innen nach außen konzentriert. Littleton verfolgt diesen Ansatz seit 1989. Inzwischen investiert die Stadt weniger Zeit und Geld in die Ansiedlung externer Firmen (von außen nach innen), dafür umso mehr in die Förderung kleiner und mittlerer Betriebe sowie in Firmenneugründungen mit guten Erfolgs- und Wachstumschancen. Wirtschaftsförderer konzentrieren sich heute in Littleton auf den Ausbau der Infrastruktur und anderer weicher Standortfaktoren, wie zum Beispiel Ausbildung und Kultur. Littletons Wirtschaftsförderer vernetzen auch die verschiedenen Interessensgruppen miteinander, zum Beispiel lokale Unternehmer, Handelsorganisationen und Ausbildungsstätten. Außer Infrastruktur und Vernetzung erhalten kleine Firmen auch Zugang zu Informationen und Daten über Kunden, Wettbewerber und Absatzmärkte. Insbesondere für das Wachstum kleinerer Firmen, die selbst nicht über die Mittel verfügen, an diese Daten heranzukommen, ist diese Art der Informationsbeschaffung äußerst wichtig. Welche Erfahrungen hat Littleton nun mit der Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik – economic

Tabelle 6.2: Änderungen der Beschäftigtenzahlen, 1990−2005 (in Prozent) Littleton, Colorado

Region Denver

Colorado

USA

1990–2005

+135,3

+64,2

+47,2

+21,4

2000–2005

+35,0

-2,6

+1,2

+1,5

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162. Littleton, Colorado, USA. Littleton ist eine kleine Stadt am Rande von Denver, der größten städtischen Region im US-Staat Colorado. Die Stadt war einst ein prosperierender Eisenbahnstandort und zieht ihren wirtschaftlichen Vorteil aus der Nähe zu Denver. Die lokalen Wirtschaftsförderer von Littleton haben eine neue Methode entwickelt, das sogenannte economic gardening.

gardening statt Industrieansiedlung – gemacht? Die Abkehr von der Industrieansiedlungspolitik und die Investition der öffentlichen Mittel ausschließlich in die «ökonomische Gartenarbeit» hat sich für die Stadt ausgezahlt. Seit dem Programmstart hat sich die Zahl der Arbeitsplätze in Littleton von 15.000 auf 35.000 erhöht (Tabelle 6.2). Ein Teil des Erfolgs lässt sich wohl auf das schnelle Wachstum der Großstadtregion Denver zurückführen, auf die damit verbundenen Nebeneffekte und auf das Wachstum der wissensbasierten Industrien in diesem Teil der USA.

E-Mail-Verteiler eng vernetzt, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Der Ansatz eignet sich besonders gut für Kleinstädte, da es diesen ohnehin oft an den Ressourcen mangelt, beim Subventionspoker um große Firmen mitzuhalten. Kleinstädte wie Littleton haben zudem eine ganze Reihe von unternehmerisch denkenden Menschen, die vielleicht nur ein kleines bisschen Unterstützung brauchen, um ihren eigenen Betrieb zu gründen.

Die neue, von innen nach außen gerichtete Wirtschaftspolitik hat jedoch stark an Glaubwürdigkeit gewonnen, vor allem unter der lokalen Unternehmerschaft. Immer dann, wenn die Politiker die Mittel für das economic-gardening-Programm kürzen wollten, setzten sich ortsansässige Unternehmer für dessen Erhalt ein. Die neue Strategie hat Littletons Kleinunternehmern neuen Mut gemacht und den allgemeinen Unternehmergeist in der Stadt gefördert. Dies ist für das wirtschaftliche Überleben einer Stadt ausgesprochen wichtig. Das Konzept der «ökonomischen Gartenarbeit» findet gegenwärtig in den USA immer weitere Verbreitung. «Wirtschaftsgärtner» aus dem ganzen Land treffen sich regelmäßig auf ihren Jahreskonferenzen und sind auch im virtuellen Raum über 6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

163. Littleton, Colorado. JaJa Bistro ist Weinbar und Bistro zugleich. Littletons economic-gardening-Programm half dem Besitzer, einem gebürtigen Franzosen, nicht nur bei der Eröffnung des Bistros, sondern auch bei der Einrichtung eines zweiten Ladens, Ambience Provence, der Textilien und Geschirr aus Frankreich verkauft. Das economic-gardening-Programm unterstützte den Geschäftsinhaber zum Beispiel bei der Werbung in frankophilen Kreisen und beim Erstellen von Internetseiten. Das Bild zeigt die Eröffnung des Bistros, bei der auch einige Stadträte und andere Geschäftsinhaber anwesend waren.

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164. Matakana, Neuseeland. Der genossenschaftliche Einzelhandel hat seinen Ursprung in Großbritannien in der Mitte des 19. Jahrhunderts und ist inzwischen in der ganzen Welt verbreitet. Diese gemeinnützigen Unternehmen sind immer noch für kleine Gemeinden sehr wichtig.

Community Ownership Ein anderer vielversprechender Ansatz alternativer Wirtschaftsentwicklung ist es, kleine Unternehmen zu gründen, die sich im gemeinschaftlichen Besitz der lokalen Bevölkerung befinden (community ownership). Der lokale Besitz bedeutet, dass Kontrolle und Gewinn in der Stadt bleiben und dass ein treuer Kundenstamm in den Gemeinschaftsläden einkauft. Es gibt viele Beispiele solcher Gemeinschaftsläden in Kleinstädten, die zu klein oder zu abgelegen sind, um große Einzelhandelsketten anzulocken (Abb. 164). Mehrere Städte in den USA haben ein innovatives Modell entwickelt, um den Einzelhandel in ihrer Gemeinde zu halten. In der 160 Kilometer nördlich vom Yellowstone Nationalpark gelegenen Kleinstadt Powell, Wyoming, entschieden sich die Bürger, ihre Innenstadt wirtschaftlich am Leben zu erhalten, indem sie ein Bekleidungsgeschäft eröffneten, das sich im Besitz der Bevölkerung befindet. Der Auslöser für diese Entwicklung war die Eröffnung eines Wal-Mart-Einkaufszentrums etwa 30 Kilometer von der Stadt entfernt. Powell Mercantile (Abb. 165) eröffnete 2002 und fungiert seitdem als eine Art kleinstädtisches Kaufhaus. Das Geschäft wurde 124

über die Ausgabe von Aktien finanziert, die die Bürger für 500 US-Dollar kaufen konnten. Pro Person können nicht mehr als 20 Aktien erworben werden. Mit dem Verkauf der Anteile an die Bewohner wird ihr Gefühl für Eigentum und Loyalität gestärkt, denn je mehr Anteilseigner es gibt, desto mehr Kunden hat das Geschäft. Außerdem verbleibt der Gewinn in der Stadt. Nach Angaben von McKibben erhielten

165. Powell, Wyoming, USA. Dieser Laden in Gemeinschaftsbesitz hat den Supermarkt einer nationalen Kette ersetzt, der geschlossen wurde. Die 5.370 Einwohner von Powell hätten ohne diesen Laden für Einkäufe weit fahren müssen. Engagierte Bürger eröffneten den Powell Merc, der an der Main Street liegt und Teil des lebendigen Stadtzentrums ist.

die Anteilseigner im Jahr 2007 eine Dividende von sieben Prozent pro 500-Dollar-Aktie. Powell Mercantile hat wesentlich zur Revitalisierung der Innenstadt beigetragen und weitere Geschäfte in die Main Street gezogen. Ähnliche Gemeinschaftsläden haben auch in verschiedenen Kleinstädten Nevadas und Montanas geöffnet. Das Management durch die lokale Bevölkerung erlaubt eine stärkere Kontrolle der Finanzen und Abläufe und ermöglicht eine bessere Anpassung an die Bedürfnisse der Bürger.

Alternative Finanzierungen Kleinunternehmen und lokale Gemeinschaftsläden können nur dann wirtschaftlich überleben, wenn sie gut finanziert werden. Verschiedene innovative Programme gewähren Darlehen an Firmengründer sowie an Gemeinden, die damit das lokale Unternehmertum unterstützen können. So bietet beispielsweise der Northern California Loan Fund Kleinkredite für junge Unternehmen in benachteiligten und ländlichen Regionen an. Dieser Fond gehört der wachsenden Gemeinde der sogenannten Community Development Financial Institutions (CDFI) an. Nach Angaben der in Washington, DC, ansässigen Coalition of Community Development Financial Institutions gibt es in den USA bereits mehr als 1.000 solcher CDFI. Diese Institutionen vergeben Kredite an Gemeinden und Organisationen, die von den großen Banken normalerweise als kreditunwürdig eingestuft werden. Diese neuen Finanzinstitute haben sich insbesondere in Kleinstädten und im ländlichen Raum als segensreich erwiesen. So hat sich ShoreBank Enterprise Cascadia, eine Kooperation von Ecotrust und ShoreBank, auf die Finanzierung von Projekten in Gemeinden im Nordwesten der USA spezialisiert, deren Wirtschaft vom Abbau natürlicher Ressourcen abhängig ist. ShoreBank folgt der triple bottom line der Nachhaltigkeit und berücksichtigt ökonomische, soziale und ökologische Aspekte bei ihrer Hilfe für wirtschaftlich angeschlagene Gemeinden. Die Gruppe unterstützt «die Gründung neuer Unternehmen sowie soziale und Naturschutzprojekte, die sowohl Wohlstand für die Menschen als auch gesunde Ökosysteme schaffen.»133 Nach Angaben der Organisation hat die Bank mehr als 20 Millionen US-Dollar in 200 Unternehmen und soziale Projekte investiert, die wirtschaftliche Sicherheit mit einer sauberen Umwelt verbinden. 6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

Das Gründungsmitglied ShoreBank Corporation hat viel Erfahrung mit Investitionen in wirtschaftlich schwachen Gemeinden, da die Bank bereits an der Sanierung von Chicagos South Side, einem der ärmsten Stadtviertel Chicagos, beteiligt war. Ein Unternehmen, das von ShoreBank Enterprise Cascadia als ein erfolgreiches triple-bottom line-Projekt bezeichnet wird, ist das Shoalwater Bay Wellness Center (Abb. 166). Dieses Zentrum befindet sich im Shoalwater Reservat in Tokeland, Washington, in dem einer der kleinsten und zurückgezogensten Indianerstämme lebt. Vor dem Bau des Zentrums mussten die Mitglieder des Stammes mehr als 130 Kilometer weit in ein benachbartes Reservat fahren, um sich medizinisch versorgen zu lassen. Das neue Zentrum liegt mitten im Reservat und bietet allgemein- und zahnmedizinische Versorgung, psychologische Hilfe sowie Alkohol- und Drogenberatung an. Die Einrichtung wurde nach ökologischen Gesichtspunkten entworfen. So wird beispielsweise Regenwasser vom Hausdach und den Parkplätzen in Mulden gesammelt, die mit einheimischer Fauna bepflanzt sind. Insgesamt investierte die Bank 1,57 Millionen US-Dollar in das Zentrum. Darlehen wie diese haben mehrere positive Auswirkungen: So schuf das Zentrum bislang 30 neue Arbeitsplätze, sammelt und reinigt 1,3 Millionen Liter Regenwasser pro Jahr, unterstützt Unternehmer einer sozialen Minderheit, bietet Hilfe für 600 sozial schwache Familien und sichert die lokale Bodenbesitzstruktur, die 251 Millionen US-Dollar Wert ist.

166. Tokeland, Washington, USA. Das Shoalwater Bay Wellness Center wurde 2005 eröffnet. Es ist das medizinische Versorgungszentrum für den drittkleinsten und abgelegensten Indianerstamm im US-Staat Washington. Vor der Eröffnung des Zentrums mussten die Stammesmitglieder und Einwohner von Tokeland bis zum nächsten Krankenhaus mehr als 130 Kilometer fahren. 1992 hatte der Stamm wegen der hohen Säuglingssterblichkeit sogar den medizinischen Notstand ausgerufen. Das Zentrum wurde unter nachhaltigen Gesichtspunkten gebaut und schuf etwa 30 Arbeitsplätze.

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Die lokale Wirtschaft Kleinstädte sollten ihre lokale Wirtschaft fördern oder – anders ausgedrückt – Kleinstädte sollten sich dessen bewusst sein, wie ihr Ort durch wirtschaftliche Aktivitäten geprägt wird. So ist es beispielsweise für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung wichtig, dass sich Land und Gebäude in lokaler Hand befinden. Der eigene Besitz schützt nämlich die Unternehmer vor unerwarteten finanziellen Problemen, zum Beispiel dramatischen Mieterhöhungen als Folge von städtebaulicher Aufwertung und Gentrifizierung. Die Wirtschaftsentwickler in Kleinstädten müssen auf lebendige Stadtzentren und Geschäftsstraßen achten (Abb. 165 und 166). Da Kleinstädte in der Regel eng mit ihrem ländlichen Hinterland verknüpft sind, können auch kleine Bauernhöfe zur wirtschaftlichen Stabilität der Region beitragen. Einige Programme in den USA, die sich die Existenzfähigkeit und Stabilität der lokalen Wirtschaft zum Ziel gesetzt haben, können hier ein Vorbild für andere Regionen der Welt sein. Eines dieser Programme ist das sogenannte MainStreet-Programm, das sich auf die Gestaltung wirtschaftlich dynamischer Innenstädte durch Denkmalpflege, Stadtplanung und Förderung von Unternehmen konzentriert. Der US-amerikanische National Trust for Historic Preservation ist eine gemeinnützige Mitgliederorganisation, die unter anderem das National Trust Main Street Center unterhält. Seit den 1970er-Jahren bietet das Zentrum Kleinstädten technische Unterstützung an, die ihre Main Street erhalten und aufwerten wollen. Das Zentrum kombiniert Denkmalpflege mit Wirtschaftsentwicklung und zertifiziert jene Städte, die eine «Main Street-Gemeinde» werden wollen. Das Programm ist in den USA zu einem wichtigen Element bei der Revitalisierung von kleinstädtischen downtowns geworden. Kleinstädte und ihre Zentren können nur dann erfolgreich sein, wenn es ihnen gelingt, eine ansprechende Umgebung für Einheimische, Touristen und Kunden gleichermaßen zu gestalten. Solch ein besonderes Flair entsteht, wenn sich in den Innenstädten kleine, spezialisierte Einzelhandelsgeschäfte ansiedeln, die mit den großen Ketten auf der Grünen Wiese konkurrieren können. Ein historisches Erbe, die Denkmalpflege, die Kultur, eine einmalige Lage oder eine markante Architektur können ebenfalls zum Erfolg einer

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wirtschaftlich existenzfähigen downtown beitragen. Kleinstädte müssen die Besonderheit ihres Stadtkerns pflegen.134 Dafür müssen die baulichen Maßnahmen mit solchen Wirtschaftsstrategien ergänzt werden, wie sie oben beschrieben wurden. Kleinstädte müssen eine lokale Wirtschaft gestalten, die sich nicht nur auf den Stadtkern beschränkt, sondern auch die Verbindung zum agrarischen Hinterland herstellt. Community Supported Agriculture (CSA) und ähnliche Programme sind gute Beispiele dafür, wie es Kleinstädten gelingen kann, Konsumenten aus der Stadt mit den Landwirten des städtischen Hinterlands zusammenzubringen. In den USA haben sich CSA-Programme in den vergangenen Jahren stark verbreitet. Der Grundgedanke dieser Programme ist der, dass Städter die Existenz kleiner Bauernhöfe unterstützen, indem sie im Voraus Anteile erwerben. Ein Teilnehmer bezahlt am Beginn der Aussaat beispielsweise 500 Dollar an einen CSA-Bauern. Im Gegenzug erhält er (gewöhnlich einmal pro Woche) eine bestimmte Menge von dem, was der Hof produziert. Ziel ist es, den Konsumenten durch den Kauf der Anteilsscheine direkt an den Produzenten zu binden. Der finanzielle Beitrag ermöglicht dem Landwirt ein Arbeitskapital schon vor Beginn der Saison. Der Konsument wiederum ist näher an der Produktion seiner Nahrungsmittel dran, da die wöchentlichen Lieferungen ihre eigenen Rhythmen und Saisons haben. CSA-Bauernhöfe sind noch relativ jung und im Durchschnitt nicht älter als fünf Jahre. Im Allgemeinen werden die Höfe von jüngeren Landwirten betrieben, deren Durchschnittsalter bei 43,7 Jahren liegt. Die Förderung der Bauernhöfe durch CSA-Programme verbindet zum einen die Kleinstadt mit ihrem ländlichen Hinterland und ermutigt zum anderen die jüngere Generation, den Beruf des Landwirts zu ergreifen. Weiterhin geben die CSA-Anteile den Bauern Arbeitskapital und helfen den alltäglichen Betrieb zu finanzieren. Eine nachhaltige Wirtschaft in Kleinstädten muss die Existenzfähigkeit lokaler Unternehmen ermöglichen und Orte schaffen, an denen Unternehmer und Konsumenten in Kontakt treten können. Durch Besitz in lokaler Hand und eine dynamische Wirtschaft können Kleinstädte dem Druck von Globalisierung, industriellem Niedergang und Restrukturierung besser standhalten.

167. Staunton, Virginia, USA. Die Sanierung und Entwicklung der Haupteinkaufsstraßen in kleinen Städten der USA sind wichtige Themen der Planer. Unterstützt durch das National Trust Main Street Center, haben kleine Städte wie Staunton in Virginia es geschafft, ihre Zentren lebendig zu halten. Das Programm richtet sein Augenmerk auf Fassadenund Straßenverschönerungen, aber auch auf Marketing und wirtschaftliche Entwicklung.

In seiner Beschreibung des lokalen Marktes von Oaxaca, Mexiko, charakterisiert Rondinelli die zentrale Bedeutung kleinstädtischer Ökonomien: «Auf dem Markt in Oaxaca werden landwirtschaftliche Produkte, Vieh, nichtagrarische Waren wie Garn und Feuerholz, Kunsthandwerk wie Töpferwaren, Körbe und Matten sowie Haushaltswaren und Werkzeuge angeboten. Eine beeindruckende Anzahl von Menschen findet durch den Markt direkt oder indirekt Beschäftigung – Tischler, Steinmetze, Heiler, Metzger, Schmiede, Kleinteilehändler, Heiratsvermittler, Mechaniker und Verkäufer von Saatgut und anderem. Der Markt bietet Landwirten die Möglichkeit, ihre Güter direkt zu vermarkten, und einer großen Zahl von Zwischenhändlern die Chance, sich im Handel zu betätigen. Oaxaca unterstützt Händler, die Güter auf dem Markt kaufen und weiterverkaufen, Händler, die zu kleinen ländlichen Märkten reisen und die dort erworbenen Güter in Oaxaca verkaufen, und Händler, die Güter auf dem Markt kaufen und sie in der Stadt an der Haustüre wieder verkaufen. Marktbesucher vom Land haben die Möglichkeit, in den Geschäften am Rande des Marktes einzukaufen, zum Arzt, Zahnarzt, Rechtsanwalt oder Geldverleiher zu gehen. Großhändler erwerben kleine Mengen

6 NACHHALTIGE WIRTSCHAFTSFORMEN

regionaler Produkte auf dem Markt in Oaxaca und verkaufen sie en gros an Einzelhändler in größeren Städten und bringen wieder ein paar Güter zurück nach Oaxaca. Das Beschäftigungsnetzwerk des Marktes erstreckt sich somit auch auf Einkäufer, Händler, Kraftfahrer und Kleintransporteure.»135 Rondinellis Schilderung des öffentlichen Marktes von Oaxaca erinnert an Jane Jacobs und ihren Begriff von städtischer Wirtschaft. Kleine Städte sind die «tragenden Säulen der Wirtschaft» und der wichtigste Ausgangspunkt für ländliche und landwirtschaftliche Arbeit.136 Das Zitat verdeutlicht auch, wie Kleinstädte in ein größeres städtisches System eingebunden sind. Kleinstädtische Ökonomien müssen die Verbindung zu anderen Märkten zu nutzen wissen und ein abgekapseltes Wirtschaftssystem vermeiden. Sie müssen daher eine gute Balance zwischen der Bewahrung ihrer Identität und den Möglichkeiten der globalen Wirtschaft finden.

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168. Chiavenna, Italien. Die Piazza Pestalozzi hat eine gesellige Atmosphäre.

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Geselligkeit, Gastlichkeit und regionale Produkte

Geselligkeit und Gastlichkeit finden ihren Ausdruck in Ritualen und Alltagsgewohnheiten (Abb. 169–171), wozu besonders der Genuss von Mahlzeiten in Gesellschaft anderer gehört. Die Zutaten, die Vorbereitung und das Servieren der Mahlzeit sind eng an einen Kontext gebunden. Um nachhaltig zu sein, müssen sich Angebot und Nachfrage von Lebensmitteln nach dem lokalen Kontext einer Stadt richten. Somit sollten sich Anstrengungen, die sozialen Beziehungen durch Geselligkeit und Gastlichkeit zu festigen, sensibel gegenüber dem engen Zusammenhang zeigen, der zwischen Angebot und Nachfrage von Lebensmitteln und anderen regionalen Produkten besteht. Auf diese Weise werden Kleinstädte nicht nur das demokratische Bewusstsein fördern, sondern auch die lokale Wirtschaftskraft erhöhen.

Geselligkeit

Die Dynamik von Kleinstädten hängt wesentlich von den sozialen Beziehungen ihrer Bewohner untereinander sowie von der Frage ab, wie einladend ein Ort gegenüber neuen Einwohnern und Besuchern ist. Soziale Bindungen sind eine wichtige Grundlage für gemeinschaftliches Handeln und Demokratie in kleinen Gemeinden. Diese Bindungen werden durch gesellige und gastliche Bräuche und Traditionen gefestigt. Solche Rituale sichern die historische und kulturelle Kontinuität eines Ortes und stärken die soziale Kompetenz der Gemeinschaft. Damit ist eine Gemeinde in der Lage, sich von anderen abzuheben und ihre Position im globalen urbanen System zu definieren. Kleinstädte bieten besonders gute Voraussetzungen, gesellschaftliche Bindungen zu festigen: Ihre Größe erlaubt, dass die Bewohner einerseits in engen Beziehungen zueinander stehen, sich vernetzen und verbinden, andererseits aber ihre unterschiedlichen Charaktere beibehalten können. Das ist notwendig, um neue Ideen und frischen Wind in die Beziehungen zu bringen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die hohe Dichte an Interaktionen so bedrückend werden kann, dass die eigentliche Stärke sozialer Gruppen und Bindungen sich schließlich negativ auf die Gemeinschaft auswirkt. Doch im Gegensatz zu großen Metropolen, kleinen Dörfern oder Weilern haben Kleinstädte die richtige Größe, um die positiven wie negativen Aspekte sozialer Beziehungen auszubalancieren. 7 GESELLIGKEIT, GASTLICHKEIT UND REGIONALE PRODUKTE

Der Begriff der Geselligkeit beschreibt die verschiedenen Arten, wie Gruppen miteinander interagieren. Er wird oft mit der Vorstellung von gelungenen sozialen Beziehungen verbunden, wie zum Beispiel Feiern und Trinken in netter Gesellschaft, Freundlichkeit, ausgelassener Stimmung und Zusammengehörigkeit. Kleinstädte bieten eine Vielzahl geselliger Plätze: die Kneipe an der Straßenecke, den Innenhof, in dem sich die Nachbarn zum Austausch von Neuigkeiten versammeln, den Marktplatz, auf dem die Jugendlichen nach der Schule herumlungern, oder das Straßencafé, in dem man sich zu einer guten Tasse Kaffee trifft. Geselligkeit gibt es auch im Privaten. Der Esstisch zum Beispiel, an dem sich die Familie zu Hause versammelt, ist solch ein Ort. Solche Stätten der Geselligkeit bringen die Menschen zusammen und verbinden sie. Sie bilden die Grundlage für soziale Beziehungen, die wiederum zu Engagement für die Gemeinschaft ermuntern und in der Gemeinde Sozialkompetenz schaffen. In seinem Buch Personal Knowledge: Towards a Post-Critical Philosophy beschreibt der Philosoph Michael Polanyi das Konzept der Geselligkeit als eine äußerst wichtige Form des unausgesprochenen Wissens. Er bezieht sich auf die emotionalen Aspekte der Geselligkeit sowie auf deren Potenzial, das Wissen über die Existenz, das Erbe und die Kultur einer Gemeinschaft durch gemeinsame Bräuche zu vermitteln. Für ihn spricht Geselligkeit das Bedürfnis des Einzelnen an, gegenseitige 129

emotionale Bindungen aufzubauen, um somit die Feindseligkeit des Individualismus zu überwinden. Polanyi schildert, wie Gespräche das Handwerkszeug der Geselligkeit sind: «Gegenseitiges Grüßen und höfliche Floskeln sind Ausdruck der Gemeinschaft, und jede verbale Hinwendung von einer Person zur anderen leistet einen Beitrag zur Geselligkeit, in dem Sinne, dass sich die Gesprächspartner füreinander interessieren und bereit sind, ihre Lebensgeschichten miteinander zu teilen.»137 Es sind besondere Orte nötig, die auf diese Weise Gemeinschaft zu stiften vermögen. Man braucht auch Zeit und die Bereitschaft, miteinander zu teilen. Polanyi betont die Bedeutung der Geselligkeit für die Bestätigung der Gruppenidentität. Mitgefühl und Kameradschaft können die Identifikation eines Menschen mit einer Gemeinschaft stärken und seine Bereitschaft erhöhen, an Gemeinschaftsveranstaltungen teilzunehmen. Dieses «Teilhaben an gemeinsamen Aktivitäten», wie Polanyi es nennt, wird durch Rituale und Alltagsgewohnheiten ausgedrückt. Beispiele solcher Rituale sind Stadtfeste, Sportereignisse, Ehemaligentreffen und an die Jahreszeiten gebundene Feste wie das Erntedankfest. Polanyi schreibt, dass «durch die aktive Teilnahme an solchen Bräuchen die einzelnen Gruppenmitglieder ihrer gemeinschaftlichen Existenz zustimmen und gleichzeitig das Leben ihrer Gruppe mit dem früherer Gruppen identifizieren, von denen der Brauch an sie weitergegeben wurde».138 Eine Gemeinschaft besteht fort, wenn ihre Mitglieder deren Existenz kontinuierlich bestätigen. Dies ist besonders im Kontext der wachsenden und schrumpfenden Kleinstädte von Bedeutung. Kleinstädte, die Probleme damit haben, insbesondere die junge Bevölkerung zu halten, da es häufig nicht genügend Arbeitsmöglichkeiten oder andere Nachteile gibt, verlieren potenziell dynamische Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die ansonsten zu den Hauptakteuren gemeinschaftlicher Rituale und Bräuche werden könnten. Sie verlieren ihr lebendiges Gedächtnis, da genau jene Leute die Stadt verlassen, die mit den alten Traditionen aufgewachsen sind. Am anderen Ende des Spektrums finden sich Kleinstädte, die zu schnell wachsen und deshalb ihr Gedächtnis und ihre Identität bedroht sehen, weil die Neuankömmlinge nicht mit den lokalen Bräuchen vertraut sind oder nicht interessiert, sich auf diese einzulassen.

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Andere haben Geselligkeit aus der Perspektive des Einzelnen und der Einschränkungen, die die moderne Gesellschaft dem Individuum auferlegt, definiert. Der österreichische Philosoph Ivan Illich beschreibt zum Beispiel «Konvivialität» als «individuelle Freiheit, die sich in gegenseitiger Abhängigkeit äußert und als solche einen inneren ethischen Wert darstellt».139 Als Kritiker der Moderne und des institutionalisierten Expertenwissens schreibt Illich über die Notwendigkeit, den Einzelnen neue Bedeutungen finden zu lassen. Auf diese Weise, so Illich weiter, kann die Gesellschaft traditionelles und praktisches Wissen von ihren Mitgliedern wieder zurückgewinnen und sich vom Wissen der Experten und den Zwängen der modernen Gesellschaft befreien. Illich beschreibt die Merkmale einer «konvivialen» Gesellschaft: Sie würde «das Ergebnis der sozialen Vereinbarungen sein, die jedem Mitglied einen ungehinderten und freien Zugang zu den Werkzeugen der Gesellschaft garantieren und diese Freiheit nur zugunsten derselben Freiheit eines anderen Mitglieds einschränken».140

Bedrohungen der Geselligkeit Wie auch immer man Geselligkeit definiert, der Begriff bedeutet jedenfalls, dass Menschen zusammenkommen und durch sozialen Austausch am Leben der jeweils anderen teilnehmen. Geselligkeit und soziale Beziehungen brauchen Zeit. Die schnelle, moderne Welt bedroht jedoch unsere Fähigkeit, sich Zeit zu nehmen, um andere zu treffen oder um alltägliche Rituale – wie gemeinsame Mahlzeiten – zu praktizieren. Die Washington Post berichtete 2007, dass sich die Zahl der Nahrungsmittel «zum Mitnehmen» («On the Go») von 134 im Jahr 2001 auf ungefähr 500 erhöht hat.141 Nahrungsmittelhersteller entsprechen dem Verlangen ihrer Kunden nach Bequemlichkeit. Joghurt wird zum Go-Gurt, und Schokoriegel werden halbiert, sodass man sie möglichst schnell essen kann, während man gleichzeitig mit etwas anderem beschäftigt ist. Diese handlichen Süßigkeiten werden verzehrt, während man seine E-Mails schreibt, Auto fährt oder von einem Treffen zum anderen eilt. Fertiggetränke bieten heute den schnellen Genuss von Cappuccino und ähnlichem; seit 2006 wurden mehr als 100 verschiedene Sorten dieser Getränke auf den Markt gebracht. Produkte «zum Mitnehmen» verändern unsere Essgewohnheiten in sozialer wie gesundheitlicher Hinsicht. Neueste Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Konsumenten die Kalorienaufnahme durch solche Nahrungsmittel oft drastisch unterschätzen, da man das Essen, welches man zwischendurch verzehrt, nicht bewusst wahrnimmt. Unterdessen hat die Bedeutung des gemeinsamen Familienessens, das einen großen Einfluss auf die Ernährung des Einzelnen sowie eine äußerst wichtige soziale Funktion ausübt, über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich abgenommen.142 Kleine Städte und Gemeinden sind sich dieser Entwicklungen bewusst. Ridgewood, eine 25.000 Einwohner zählende Stadt in New Jersey, USA, veranstaltete daher im Jahr 2002 die erste so genannte «Familiennacht». In dieser Nacht gab es für die Schüler keine Hausaufgaben, und Sportvereine verzichteten auf ihr abendliches Training. Dieser Versuch sollte Zeit für familiäre Aktivitäten lassen, wie gemeinsames Essen, Gesellschaftsspiele oder Gespräche. Die wachsende Bedeutung der Produkte «zum Mitnehmen» geht einher mit der zunehmenden Popularität von Fastfood, was den Anstrengungen zuwider läuft, das soziale Leben in Kleinstädten zu fördern. In Deutschland zum Beispiel besuchen fast 7 GESELLIGKEIT, GASTLICHKEIT UND REGIONALE PRODUKTE

169. Cremona, Italien.

170. Waldkirch, Deutschland. Der wöchentliche Markt ist ein «dritter Ort». Die Menschen treffen sich und reden miteinander.

171. Citta di Castello, Italien.

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172. «Zum Mitnehmen». Fastfood-Restaurants und Läden mit Fertigprodukten fördern einen hektischen Lebensstil. Die Restaurants von IKEA sind für eine schnelle Mahlzeit sehr beliebt.

90 Prozent der Bevölkerung zumindest gelegentlich ein Fastfood-Restaurant und über 60 Prozent einmal monatlich. Unter jungen Leuten ist der Trend noch auffälliger. Ein Viertel aller 14- bis 30-Jährigen isst einmal pro Woche in einem Fastfood-Restaurant. Am populärsten sind McDonald’s, Burger King und andere Schnellimbissketten. 26 Prozent der Befragten gaben auch an, dass sie gerne ins IKEARestaurant gehen (Abb. 172), was zeigt, wie populär das Möbelhaus geworden ist, nicht nur zum Einkaufen, sondern auch um dort zu essen. Obwohl fast jeder Fastfood-Restaurantbesucher in Deutschland «ein schlechtes Gewissen» nach dem Verzehr von Fastfood hat, gibt er dafür im Durchschnitt 22 Euro pro Monat aus.143 Diese Tendenzen bedrohen die Gemeinschaft in zweierlei Hinsicht. Fastfood nimmt erstens dem Essen seine Bedeutung, nämlich Zeit füreinander zu haben und zu teilen. Und dann ist Fastfood immer auch Teil eines größeren agrarindustriellen Komplexes und entfremdet den Konsumenten von der Produktion seiner Nahrung. Somit sind Bedrohungen des sozialen Lebens – vor allem in Verbindung mit dem Essen – auch eine Gefahr für das regionale Wirtschaftssystem.

Geselligkeit braucht Verschiedenheit Das Bedürfnis nach Geselligkeit und Freundschaft besteht unter allen demografischen Gruppen – Jung wie Alt. Darüber hinaus ist die Fähigkeit, gesellschaftliche Beziehungen zwischen verschiedenen demografischen und ethnischen Gruppen herzustellen, ein typisches Merkmal von Urbanität und kleinstädtischer Dynamik. Jane Jacobs hat zum Beispiel gezeigt, dass Städte dann florieren, wenn sie in sich verschieden und heterogen sind, was wiederum den Ideenaustausch und Innovationen begünstigt.144 Sie schreibt, dass Städte diesen sozialen Austausch insbesondere durch Mischnutzungen fördern müssten, wohingegen räumliche Funktionstrennungen das genaue Gegenteil bewirkten. Wo die Möglichkeit, sich zu treffen, bedroht ist, nimmt die Kommunikation ab. Stadtplaner müssen daher sicherstellen, dass jedermann das Recht hat, öffentliche Plätze zu nutzen und dort mit anderen in Kontakt zu treten, denn an diesen Orten wird Unterschiedlichkeit erfahrbar. Sich mit «dem Anderen» auseinanderzusetzen fördert das Verständnis füreinander und trägt letztendlich zur bürgerlichen Stärke einer Gemeinde bei. Das Recht auf Zugang zu öffentlichen Plätzen wird häufig den Gruppen verwehrt, die als sozial auf-

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fällig oder asozial gelten: zum Beispiel Jugendliche und Obdachlose. Dies wird besonders deutlich bei Versuchen, Jugendliche davon abzuhalten, auf öffentlichen Plätzen herumzuhängen (Abb. 173 und 174). So setzen etwa in Großbritannien einige Unternehmen Lärm erzeugende Apparate, Moskito genannt, ein, um Jugendliche von Supermärkten und Einkaufszentren fernzuhalten. Der Ton kann nur von jungen Leuten unter 25 Jahren wahrgenommen werden, da der ausgesandte hochfrequente Ultraschall von älteren Menschen nicht gehört wird. Andere Ansätze nutzen klassische oder «uncoole» Musik (Aufnahmen von Barry Manilow sind in diesem Zusammenhang sehr beliebt), um den Aufenthalt für Jugendliche unattraktiv zu machen. Ein Supermarkt in der Kleinstadt Barry in Süd-Wales war einer der ersten, der Moskitos einsetzte und seitdem erfolgreich Jugendliche daran hindert, vor dem Geschäft «herumzulungern». Heutzutage werden ungefähr 3.500 dieser Apparate in Großbritannien und Nordirland benutzt, die, wie die BBC berichtet, immer öfter auch vor öffentlichen

173. Chichester, England. Die weit verbreitete Sorge über unsoziales Verhalten von Jugendlichen hat manche Städte dazu bewogen, wichtige öffentliche Plätze zu kontrollieren.

7 GESELLIGKEIT, GASTLICHKEIT UND REGIONALE PRODUKTE

Gebäuden zum Einsatz kommen, zum Beispiel vor dem Wyvern Theater in Wiltshire. Kritiker haben inzwischen Bedenken geäußert und fordern ein Verbot dieser Geräte. Eine vom englischen Jugendbeauftragten angeführte «Zisch ab»-Kampagne (Buzz Off Campaign) versucht darauf aufmerksam zu machen, wie die Gesellschaft immer liebloser mit Jugendlichen und deren scheinbar antisozialem Verhalten umgeht.145 Ohne kriminelles Verhalten kann man das Herumhängen auf Plätzen oder vor Geschäften nämlich auch positiv als eine Form der Geselligkeit von Jugendlichen sehen, die dadurch Freundschaften und Bindungen pflegen. Beispiele wie diese werfen die Frage auf, für wen Stätten der Geselligkeit eigentlich gemacht sind und wie gesellige Bräuche die verschiedenen Gruppen beeinflussen. Geselligkeit ist ein wichtiges Konzept, das bei gemeinschaftsbildenden Prozessen in Kleinstädten berücksichtigt werden muss. Denn Geselligkeit schafft die Art von Beziehungen, die kollektives Handeln erst ermöglichen. Zu dieser gemeinschaftlichen Kompetenz tragen im Idealfall alle Bevölkerungsschichten bei, unabhängig vom Alter oder der ethnischen Zugehörigkeit.

174. Unsoziales Verhalten. In Teilen Nordeuropas sind Besäufnisse unter jungen Erwachsenen zu einem chronischen Problem geworden, nicht nur in den Großstädten, sondern auch in einigen kleineren Städten.

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Die Bedeutung von Gemeinschaft und sozialem Kapital Gesellige Bräuche und Rituale begründen das soziale Kapital und den Zusammenhalt einer Gemeinschaft. Kleinstädte befinden sich in der besonderen Situation, soziale Gruppenbildungsprozesse erleichtern zu können (Abb. 175 und 176). Das Konzept der Gemeinschaft und der Gemeinschaftsbildung im Kontext der Urbanität ist in der Vergangenheit sehr kontrovers diskutiert worden. Stadt- und Sozialtheoretiker haben sich mit den Unterschieden zwischen traditionell ländlichen und großstädtischen Gesellschaften beschäftigt. Auf der einen Seite wurde die Stadt als ein Ort der Entfremdung beschrieben, an dem der Einzelne isoliert unter Fremden lebt, die ständig aneinander vorbeihasten, ohne sich zu binden. Auf der anderen Seite werden traditionelle, ländliche Orte oder auch weniger städtische Umgebungen über ihre Dichte an sozialen Beziehungen definiert, die soziale Kontakte, Gegenseitigkeit und Solidarität begünstigen. Kleinstädte finden sich im Stadt-LandKontinuum irgendwo zwischen großstädtischer Entfremdung und ländlicher Gemeinschaft. Sie sind klein genug, um den sozialen Austausch zu ermöglichen, aber auch groß genug, um der Vielfalt Raum zu geben. Die Cittaslow-Bewegung zum Beispiel beschränkt die Größe ihrer Mitgliedsstädte und zertifiziert nur Städte mit einer Bevölkerung unter 50.000. Indem sie die Größe limitiert und sich auf Kleinstädte konzentriert, trägt sie dem Umstand Rechnung, dass soziale Beziehungen, gesellige Bräuche und die Durchsetzung der CittaslowKriterien im gesamten Stadtbereich möglicherweise gefährdet sind, wenn die Stadt zu groß ist.

Gemeinschaft und Gesellschaft Theorien über urbane Entfremdung wurden zu einer Zeit entwickelt, als sich Europa aufgrund seiner Industrialisierung in einem rasanten Urbanisierungsprozess befand. Europäische Theoretiker des Urbanismus analysierten im späten 19. Jahrhundert, wie gut Städte für soziale Beziehungen geeignet sind. In der Regel stellten sie dabei das ländliche Leben dem der großen und wachsenden Metropolen gegenüber, ohne aber auf die Kleinstädte näher einzugehen. Ferdinand Tönnies, Soziologe und 1909 Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, unterschied zwischen den Begriffen «Gemeinschaft» und «Gesellschaft», um das Landleben, das durch enge, gemeinschaftliche Bindun134

gen gekennzeichnet ist, und das eher öffentliche, anonyme und flüchtige Stadtleben zu beschreiben.146 William Flanagan, der sich mit Tönnies Ideen auseinandersetzt, schreibt, dass «das ländliche Dorf zu dem Gefühl der Einheit passte; es war beständig, klein, und das Beziehungsnetz im Dorf hatte sich über Jahre hinweg bewährt. Die Stadt jedoch führte die Einteilung in soziale Klassen ein, schuf Spannungen zwischen dem Interesse des Kapitals und der Arbeit, war von Feindseligkeit gekennzeichnet und hatte keinen Platz für die Familie.»147 Mehrere Jahrzehnte nach Tönnies Schrift über Gemeinschaft und Gesellschaft veröffentlichte Louis Wirth, der in einer Kleinstadt in Deutschland aufgewachsen war und in Chicago Soziologie lehrte, 1938 seinen Aufsatz «Urbanism as a Way of Life». Hierin kritisierte er, wie das urbane Leben die Beziehungen zwischen den Menschen untergrabe. Sowohl Tönnies als auch Wirth können als anti-städtisch betrachtet werden, da beide ein düsteres Zukunftsbild der sozialen Beziehungen in den Städten zeichneten. Die Städte wuchsen zu der Zeit, als sie schrieben, tatsächlich rasant, und das Gesundheitswesen sowie die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich waren zu Streitfragen geworden. So war die romantische Vorstellung, dass ländliche Weiler und Städtchen reicher an sozialen Beziehungen seien und deshalb eine höhere Lebensqualität böten, möglicherweise die Folge der katastrophalen Bedingungen in den Städten. Die Soziologen dieser Zeit konzentrierten sich nicht auf Kleinstädte. Ihr Augenmerk lag auf den schnell wachsenden Städten, die von der Industrialisierung profitierten. Wie bereits zuvor erwähnt, wurden Kleinstädte, vor allem die in Europa, oft von der Industrialisierung übergangen und mussten sich daher nicht mit der chaotischen neuen Gesellschaftsordnung auseinandersetzen, wie beispielsweise die englischen Großstädte Manchester, Birmingham oder London. Wirth unterscheidet bei wachsenden Großstädten drei Qualitäten des Urbanismus: Größe, Dichte und Heterogenität.148 Die Größe einer Stadt, schreibt er, bestimme die Stärke und Qualität der sozialen Beziehungen. Je größer eine Stadt, umso oberflächlicher und flüchtiger werden die sozialen Interaktionen, und umso mehr verlassen sich die Bewohner auf sogenannte sekundäre Beziehungen (im Gegensatz zu den primären Beziehungen, wie

175. Mantua, Italien. Bei gutem Wetter sind Cafés auf öffentlichen Plätzen sehr populär.

176. Gemeinschaft und Geselligkeit. Im südlichen Teil Europas sind Straßen und Plätze von einem eigenen Rhythmus geprägt. Von 10 Uhr morgens bis 12 Uhr mittags schieben sich die Einkäufer durch die Straßen. Über die Mittagszeit kehrt Ruhe ein, und die Stadt erwacht

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erst wieder gegen vier oder fünf Uhr am Nachmittag, wenn ihre Einwohner und Besucher zu einem Spaziergang aufbrechen oder in den Cafés oder Restaurants etwas zu sich nehmen. Bellinzona, Schweiz.

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zum Beispiel Familienbande). Während oberflächliche Beziehungen sich negativ auf den Umgang der Menschen untereinander auswirken können, können sie gleichzeitig aber auch eine Befreiung von Gruppendruck und sozialer Kontrolle bedeuten. Zu oft werden Kleinstädte als malerische, nostalgische Orte glorifiziert, in denen man gerne wohnen möchte. Dabei vergisst man, dass die geringe Einwohnerzahl auch Nachteile für den Einzelnen haben kann, wenn nämlich die soziale Kontrolle zu stark wird. Das zweite Merkmal der Urbanität, das Wirth nennt, ist Dichte – die Mischung aus vielen verschiedenen Menschen, und daraus folgend Wettbewerb, Spezialisierungsprozesse und Arbeitsteilung. Heterogenität ist die dritte Qualität, und Wirth beschreibt, wie Stadtbewohner sich trotz unterschiedlicher Interessen und Vorlieben miteinander austauschen können (Abb. 177). Im Gegensatz zu Jane Jacobs, die Heterogenität als ein notwendiges Element der urbanen und wirtschaftlichen Entwicklung sieht, nimmt Wirth an, dass die Menschen durch die Heterogenität der Stadt auch entfremdet werden könnten.

Doch, es gibt noch Gemeinschaft Die Auffassung, dass die Stadt die Menschen von sich selbst und den anderen entfremdet, ließ den Gedanken aufkommen, dass sich Gemeinschaft auflöst, wenn Städte wachsen. Dieser Ansatz ging von einer «community lost» aus.149 Eine Vielzahl an Studien hat jedoch gezeigt, dass Gemeinschaft

und Zusammenhalt in Städten weiterhin existieren und dass die sozialen Bande besonders unter bestimmten ethnischen Gruppen oder in bestimmten Wohnvierteln sehr stark sind. In seinem Buch Street Corner Society untersuchte der Soziologe William Foote Whyte in den 1940er-Jahren ein Wohnviertel in Boston. Er fand heraus, dass die Gemeinschaft, obwohl sie für einen Außenstehenden ungeordnet zu sein schien, tatsächlich einen starken inneren Zusammenhalt erkennen ließ. In den 1960er-Jahren veröffentlichte Herbert Gans das Buch The Urban Villager, in dem er die verschiedenen Maßnahmen des Bostoner Stadtteils West End aufzeigte, sich gegen äußere Einflüsse zu wehren. Solche Studien über Gemeinschaft haben gezeigt, dass soziale Bande auch in großen Städten weiterhin existieren. Diese Denkrichtung postuliert eine «community saved». Heutzutage leben die Menschen ihr Leben an verschiedenen Orten und nicht mehr nur in einem bestimmten Wohngebiet oder innerhalb einer bestimmten sozio-ökonomischen Gruppe. Viele arbeiten im Stadtzentrum, wo sie ein persönliches Netzwerk aus Freunden und Kollegen haben, wohnen aber in einem Vorort, wo sie zu einer anderen Gemeinschaft gehören. Dieser dritte Typ Gemeinschaft wird oftmals als «community liberated» bezeichnet, und die Vertreter dieser Denkrichtung beschreiben die sozialen Bindungen des Menschen als frei von räumlichen Beschränkungen.

177. Todi, Italien. Städte sind nicht nur durch ihre Bauten, sondern auch durch ihre sozialen und demografischen Aspekte geprägt. Heterogenität und die Möglichkeit, mit vielen verschiedenen Menschen in Kontakt zu treten, sind für Städte typisch. Verschiedene Generationen sollten sich in ihrer Stadt wohl fühlen und brauchen einen Platz für den sozialen Austausch. Diese älteren Einwohner haben sich auf einer Bank versammelt, um ein paar Mußestunden zu genießen.

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Kleinstädte und ihr Sozialkapital Kleinstädte entsprechen weder dem Klischee der urbanen Entfremdung noch dem des romantischen, traditionellen Landlebens. In der Regel haben Kleinstädte einen traditionellen Sinn für Gemeinschaft und Zusammenhalt. Dieser kann jedoch sehr schnell verloren gehen, wenn der Hauptarbeitgeber der Stadt Arbeitsplätze streicht und die Menschen sich zum Wegzug gezwungen sehen oder wenn die Stadt ein unerwartetes Wirtschaftswachstum und Zuwanderung erlebt. Kleinstädte müssen sich außerdem darüber im Klaren sein, dass sich sozialer Zusammenhalt auch negativ auf ihre Entwicklung auswirken kann. Denn wenn sich Gemeinschaften durch Bindungen verfestigen, dann sind sie gegenüber neuen Ideen und neuen Bewohnern nicht mehr aufgeschlossen genug. Doch gerade neue Ideen und äußere Einflüsse sind für kleine Städte überlebenswichtig. Viele Kleinstädte konzentrieren sich heute darauf, die Gemeinschaft zu stärken und soziales Kapital zu bilden. Der bekannteste Soziologe, der sich mit dem Thema soziales Kapital beschäftigt hat, Robert Putnam, definiert soziales Kapital als die «Bindungen zwischen Individuen – soziale Gruppen und die Normen der Gegenseitigkeit und des Vertrauens, die sich daraus ergeben».150 Wie Humankapital (Fähigkeiten) oder Finanzkapital (Geld) stellt auch Sozialkapital eine Ressource dar, die vom Individuum und der Gesellschaft genutzt werden kann. Soziales Kapital ermöglicht gemeinsame Aktivitäten, und je mehr eine Gesellschaft davon hat, desto belastbarer wird sie und desto leichter kann sie Veränderungen überstehen. Persönliche Beziehungen – durch gesellige Bräuche und Rituale intensiviert – bilden soziale Netzwerke, von denen die Bevölkerung in Kleinstädten profitieren kann. Diese Netzwerke bestehen aus zwei verschiedenen Arten der Beziehung: aus überbrückendem (bridging) und verbindendem (bonding) Sozialkapital.151 «Bonding» bringt den Einzelnen mit Gleichgesinnten zusammen (Strickgruppen, Jugendgruppen, Lesezirkel usw.), wohingegen das «bridging» (Verbindungen zwischen sozialen Gruppen oder auch zwischen verschiedenen Gemeinden) es dem Einzelnen ermöglicht, eine Brücke zu Menschen jeder sozioökonomischen Herkunft zu schlagen. Das letztgenannte Konzept ist verwandt mit der Idee der «Stärke der schwachen Bindungen», die von dem Soziologen Mark Granovetter entwickelt wurde. 7 GESELLIGKEIT, GASTLICHKEIT UND REGIONALE PRODUKTE

Er fand heraus, dass es oft gerade die schwachen Bindungen zwischen den Individuen sind, die dem Einzelnen dabei helfen voranzukommen. Auf die Gemeinschaften übertragen bedeutet dies, dass Kleinstädte ihr bridging durch Bindungen zu anderen Städten verstärken müssen. Diese Netzwerke werden den Informationsaustausch erleichtern. Überbrückende Netzwerke bringen einerseits neue Ideen und halten Kleinstädte lebendig. Andererseits müssen die Gemeinden aber auch ihr bonding festigen, da dieses wichtig für den Zusammenhalt der Gemeinschaft sowie für die Identitätsbildung und -bewahrung ist. Kleinstädte müssen die richtige Balance zwischen bonding und bridging finden. In einer Gesellschaft, in der beides schwach ausgeprägt ist, können Ungleichheiten nicht beseitigt werden und kann die Gesellschaft sich nicht wandeln. Wenn das bonding hoch und das bridging gering ist, dann verschließen sich Gemeinschaften möglicherweise gegenüber neuen Erfahrungen. Diese Gemeinden können auch unter inneren Machtkämpfen leiden, wenn die verschiedenen Gruppen sich gegenseitig misstrauen. Wenn das bridging hoch, aber das bonding gering ist, dann laufen die Gemeinden Gefahr, die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal zu verlieren, da äußere Kräfte die Existenz der Gemeinschaft zu sehr beeinflussen. Dies kann in den Kleinstädten der Fall sein, in denen die Industrie von auswärtigen Unternehmen bestimmt wird. Eine Idealsituation ist nach Auffassung der beiden Soziologen Cornelia Butler Flora und Jan Flora dann gegeben, wenn Gemeinden sowohl ein hohes bridging- als auch ein hohes bonding-Sozialkapital besitzen.152 In diesen Gesellschaften entwickeln sich gesunde soziale Beziehungen, und Netzwerke mit der Außenwelt stellen sicher, dass neue Ideen und Mittel hereinkommen. Nach Flora und Flora sollten Kleinstädte und ländliche Gemeinden deshalb bestrebt sein, sowohl ihr bonding- als auch ihr bridging-Kapital zu erhöhen, um eine «unternehmerische soziale Infrastruktur» (entrepreneurial social infrastructure) zu entwickeln.153

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Hersbruck, Deutschland Hersbruck wurde im Mai 2001 die erste deutsche Cittaslow-Stadt. Die 12.500 Einwohner zählende Stadt liegt etwa 30 Kilometer östlich von Nürnberg.154 Hersbruck wurde als kleiner Weiler zwischen dem achten und neunten Jahrhundert gegründet und war im Mittelalter eine wichtige Station entlang der Handelsroute zwischen Prag und Nürnberg. Die Stadt hat einen hohen Grad an bonding- und bridging-Sozialkapital, und ihre «unternehmerische soziale Infrastruktur» ist für ihre sehr innovativen Projekte von großem Nutzen. Dazu zählen beispielsweise der Schutz des traditionellen Weidelandes, ein Bündnis zwischen Landwirten und Gastronomen sowie Kochkurse für Kinder. Lokale Umweltgruppen haben in Hersbruck Bündnisse mit Bauern, der Stadtverwaltung und kleinen Betrieben gebildet, um das traditionelle Weideland und die Streuobstwiesen zu schützen. Diese Schutzmaßnahmen stehen im Zusammenhang mit der Förderung der regionalen und kommunalen Wirtschaftsentwicklung und bieten den Bewohnern neue Verdienstmöglichkeiten. Die in Gemeindehand liegenden Weidegründe wie der Hutanger wurden ursprünglich von Hirten bewirtschaftet, die von der Stadt beschäftigt und bezahlt wurden und die Kühe der Bevölkerung hüteten. Die Weidegründe befanden sich genau zwischen der Stadtgrenze und den Feldern und umgaben die Stadt als offenes Land. Die idyllische Landschaft wurde zeichenhaft für die Gemeinde und diente verschiedenen Zwecken: Hochgewachsene Eichen und verschiedene Obstbäume (Apfel, Kirsche usw.) spendeten nicht nur den Rindern und den wildlebenden Tieren Schatten, sondern ihre Früchte wurden zur Erntezeit unter Hersbrucks Bevölkerung versteigert. Bäume und Büsche schufen Lebensraum für Vögel, Insekten und andere Tiere. Hersbrucks Weiden wurden noch bis in die späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre genutzt. Zu dieser Zeit setzte jedoch die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion ein. Gleichzeitig wurde auch durch die effizientere Tierhaltung in Stallungen der Tradition ein Ende gesetzt, die Kühe auf die gemeindeeigenen Weidegründe zu führen. Der Hutanger wurde vernachlässigt und verwaiste. Einige ehemalige Weideflächen wurden sogar in Mülldeponien oder in kleine Wohn- und Industriegebiete umgewandelt. Somit ging nicht nur offenes Land verloren, sondern auch das Wissen um die traditionelle Bewirtschaftung, die heimischen 138

178. Die Innenstadt von Hersbruck.

179. Hersbruck.

180. Hersbruck. Typisch für bayerische Städte wie Hersbruck ist die Lage des Rathauses am Ende des zentralen Marktplatzes. Eine dichte Bebauung aus Geschäfts- und Wohnhäusern flankiert den Platz. Der Obere Markt in Hersbruck ist das Herz der Stadt.

Obstsorten und – am allerwichtigsten – die Beziehung zwischen Naturschutz und Bewirtschaftung des Landes, die wiederum der örtlichen Bevölkerung wirtschaftliche Möglichkeiten hätte bieten können. Eine lokale Umweltschutzgruppe, die bereits in den frühen 1980er-Jahren auf die Zerstörung dieser Weideflächen hingewiesen hatte, ist nun ein wichtiger Partner im städtischen Cittaslow-Bündnis. Die Strategie der Gruppe, die Weidegebiete wieder zu nutzen und dadurch zu schützen, ist eng mit dem Ziel verbunden, die lokale Wirtschaft zu fördern und zu stärken. So wurde beispielsweise von den lokalen Landwirten die Bauerngemeinschaft landwirtschaftlicher Direktvermarkter gegründet, um ihre Produkte direkt vom Hof verkaufen zu können. 1998 veranstaltete dieser Verband die erste regionale Messe für lokale Produkte (vergleichbar mit dem Salone del Gusto von Slow Food). Seither findet diese Messe jährlich in einem anderen Dorf nahe der Stadt statt. Bei einer weiteren Initiative, die die Kulturlandschaft mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Gemeinde zu verbinden sucht, handelt es sich um ein Projekt, das die Verwendung von lokalen Produkten in den Restaurants der Region unterstützt. 29 Bauern und 17 Restaurants haben einen Verbund aus Zulieferern und Gastronomen gegründet. Die Landwirte versorgen die Gaststätten mit ihren saisonalen Produkten, und die Restaurants nennen im Gegenzug auf ihrer Speisekarte die Produzenten der einzelnen Zutaten. Das Projekt nennt sich «Heimat auf’m Teller», Schilder an den Eingangstüren der Restaurants weisen auf die Teilnahme an diesem speziellen Projekt hin. Daneben werden auch Anstrengungen unternommen, Kinder über Essen und Geschmack zu unterrichten. Zwei Jahre lang können die Kinder in eine lokale Kochschule gehen, in der sie lernen, wie Essen zubereitet und serviert wird. Durch diesen Versuch will Hersbruck sicherstellen, dass auch die nächste Generation seiner Bürger über die lokalen Traditionen Bescheid weiß und den Zusammenhang zwischen dem Essen und dem Land, das es hervorgebracht hat, kennt. Das Projekt scheint erste Erfolge vorweisen zu können, denn einige der teilnehmenden Kinder sollen zu Hause die Nase gerümpft haben, als ihnen zum Mittagessen Tiefkühlpizza vorgesetzt wurde.

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181. Hersbruck. Peter Bauer ist der Inhaber des Café Bauer, eines Hotels mit Restaurant in Hersbruck. Sein Betrieb nimmt an der Initiative «Heimat auf’m Teller» teil, einem Zusammenschluss von Landwirten und Gastgebern der Region. Das Hotel wurde gründlich renoviert, um auch Allergikern Unterkunft bieten zu können. Die Möbel wurden in Herwig Danzers Möbelmacher-Werkstatt in Auftrag gegeben. Durch die Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen und Bauernhöfen integriert sich das Café Bauer in den lokalen Wirtschaftskreislauf.

Insgesamt zeigen diese Beispiele, wie Anstrengungen, die verschiedenen Akteure in einer Kleinstadt zusammenzubringen, die lokale Wirtschaft beflügeln können. Dazu kann Hersbruck als Mitglied der internationalen Cittaslow-Bewegung Brücken zu den anderen Kleinstädten schlagen und somit auf Vorbilder und bewährte Verfahren in der ganzen Welt zurückgreifen. Die Bemühungen Hersbrucks als Cittaslow-Stadt zeigen, wie sich die «drei E» der Nachhaltigkeit so miteinander verbinden lassen, dass Rücksicht auf die lokale Geschichte und Kultur genommen und der Umweltschutz mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Gemeinde in Einklang gebracht wird. Die verschiedenen Projekte in Hersbruck zeigen weiterhin, wie eine Stadt ihre lokalen Besonderheiten wieder beleben und ihre heimischen Traditionen nachhaltig schützen kann.

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Gastlichkeit Gastlichkeit und Geselligkeit sind eng miteinander verbunden. Kleinstädte müssen nicht nur gastfreundlich gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung sein, sondern auch gegenüber ihren Besuchern. Sie sollten Gäste und Einwohner gleichermaßen herzlich empfangen und eine angenehme Atmosphäre ausstrahlen. Da Tourismus oft mit Gastlichkeit assoziiert wird, haben viele Kleinstädte Strategien entwickelt, um die Zahl ihrer Besucher zu erhöhen. Dabei beziehen nachhaltige Tourismusstrategien die geografischen und kulturellen Aspekte einer Kleinstadt mit ein. Im US-amerikanischen Bundesstaat Virginia haben sich zum Beispiel mehrere Kleinstädte zusammengeschlossen und die Initiative The Crooked Road: Virginia’s Heritage Music Trail gegründet. Die drei größeren und zehn kleineren Städte entlang der 250 Meilen langen Route hoffen, auf diese Weise gemeinsam mehr Touristen in die Region der Appalachen zu bringen (Abb. 182). In Europa haben Bauernhöfe in ländlichen Gebieten oder kleinen Städten damit begonnen, Zimmer an Touristen zu vermieten. Diese Idee wird als Agrartourismus (Abb. 183) oder als «Ferien auf dem Bauernhof» bezeichnet und verspricht den Bauern zusätzliches Einkommen. Der Tourismus ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Einerseits kann er die Wirtschaft einer kleinen Stadt ankurbeln, andererseits besteht auch die Gefahr, dass durch zu viel Tourismus die Anzahl schlecht bezahlter Jobs im Dienstleistungs-

182. Virginia’s Heritage Music Trail, USA. Die Crooked Road, Virginias historische Straße der Musik, schlängelt sich durch die Berge Südwest-Virginias. Bluegrass-, Old Time- und traditionelle Country-Musik sind Teil der Kulturlandschaft dieser Region. Die Straße der Musik soll zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen und wirbt mit dem historischen Erbe, der Schönheit der Blue Ridge Mountains und der Kultur in den Appalachen um Touristen.

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bereich ansteigt. Wenn kleine Städte aufgrund ihrer Tourismusstrategien zu beliebt werden, können sie außerdem auch unter den negativen Begleiterscheinungen leiden (wie etwa Orvieto in Italien). Trotz allem kann Tourismus zur Nachhaltigkeit von Kleinstädten beitragen. Kleine Alpenstädte in Österreich, der Schweiz, Frankreich und Italien sehen sich einem enormen Veränderungsdruck ausgesetzt und setzen immer mehr auf Gastlichkeit, Tourismus und Authentizität. Diese Kleinstädte leiden unter Abwanderung, dem Schwund traditioneller landwirtschaftlicher Methoden, Überalterung, schwerer Zugänglichkeit, fehlenden planerischen Ideen und Strategien sowie – im Endergebnis – unter dem Verlust ihres kulturellen Erbes. Obwohl es, wie vom europäischen AlpCity-Netzwerk dokumentiert, manchen dieser Kleinstädte gelungen ist, kleine und mittlere spezialisierte Betriebe (besonders traditionelle Handwerksbetriebe) aufzubauen und junge Bevölkerungsgruppen zum Bleiben zu bewegen, kämpfen viele weiterhin um ihre Zukunft. Ein interessantes Projekt ist in der italienischen Region Friuli Venezia Giulia entstanden. Diese Region umfasst die Alpenregion um Carnia sowie die niedriger gelegenen Gebiete um Udine und Triest. Bei dem Projekt, das sich Albergo Diffuso nennt, handelt es sich um die Idee, ein Dorf als Ganzes in ein «Hotel» zu verwandeln und den Touristen erschwingliche und authentische Unterkünfte anzubieten. In einer zentralen Zimmervermittlung in der

Mitte der Ortschaft laufen die Anfragen zusammen und werden Reservierungen angenommen. Die allgemeinen Unkosten können so verringert werden. Häuser, die als Herbergen genutzt werden, wurden im lokalen Architekturstil renoviert, das Symbol einer Kiefer am Hauseingang gibt die verschiedenen Kategorien der Unterkünfte an. Die Gäste können im Dorf spazieren gehen, lokales Kunsthandwerk kaufen und in den Restaurants am Ort essen. Die Assembly of European Regions (AER), die politische Organisation der Regionen Europas, lobte das Konzept als ein Modell für Nachhaltigkeit und Authentizität, das die lokalen Traditionen und Kulturen respektiere. AER vermerkt, dass das «Authentische des Ortes den Kern des gesamten Projekts darstellt. Die Touristen erfahren unverfälschte Orte, in denen die Erinnerung an alte Zeiten in den Erzählungen der lokalen Bevölkerung weiterlebt».155 Die Idee kam 1978 in Carnia auf, als man überlegte, wie man die von einem Erdbeben zerstörte Region wirtschaftlich wieder beleben könnte. Heute zählt Italien mehr als 90 Alberghi Diffusi, und AER unterstützt das Modell mittlerweile auch in anderen europäischen Ländern. Der Reiz dieser einst vergessenen Bergdörfer und Kleinstädte ist besonders für Ausländer groß. Mitte der 1990er-Jahre besuchte ein schwedisch-italienischer Denkmalschützer die italienische Kleinstadt Santo Stefano di Sessanio in den Abruzzen. Er erwarb von der Stadt den Palazzo delle Logge und umliegende Gebäude und investierte mehr als 5,1 Millionen US-Dollar in deren Restaurierung.

Der Palazzo ist inzwischen ein Albergo Diffuso und spricht Zielgruppen an, die am «archäologischen Erbe der Region»156 interessiert sind. Der Ort bringt alle wichtigen Voraussetzungen mit und vermarktet sie erfolgreich: Authentizität, Kultur, lokale Gerichte und Traditionen. Auf seiner Internetseite wirbt der Albergo Diffuso für sich bei den Hauptstädten Europas und gibt seine Lage im Verhältnis zu Berlin, London, Paris und Madrid an.

Regionale Produkte Bemühungen, Geselligkeit und Gastlichkeit zu fördern, fallen leichter, wenn sie sich auf bestimmte lokale Bräuche und Rituale konzentrieren. Oft geht es dabei um das Essen, um Essgewohnheiten oder gemeinsame Mahlzeiten. Nahrungsmittel sind in einer Kleinstadt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung muss daher berücksichtigen, wie die Nahrungsmittel produziert werden und – ebenso wichtig – wie sie konsumiert werden. Die Regionalisierung der Nahrungssysteme wird immer öfter Teil der umfassenderen Versuche, die Wirtschaft zu regionalisieren. Wenn der Schwerpunkt lokaler Wirtschaftsentwicklung auf heimische Erzeugnisse gelegt wird, lassen sich sowohl Produzenten als auch Konsumenten involvieren. Solche Bemühungen haben oft positive Nebenwirkungen: Die Kulturlandschaft wird gepflegt, da die Felder bestellt werden, Besitzer kleiner Betriebe finden einen Markt für ihre Güter, Städte können ihre Besonderheiten

183. Val d`Orcia bei Siena, Italien. Eine Unterkunft des Agrartourismus.

7 GESELLIGKEIT, GASTLICHKEIT UND REGIONALE PRODUKTE

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stellung bringt Würde und Stolz in den Ort, da die Produzenten des Käses Experten ihres Fachs sind. Dies gilt auch für diejenigen, die sich um die Weideflächen und die Fütterung der Kühe kümmern. Auf diese Weise entstehen Kultur und Identität, die nicht nur für die Einheimischen von Bedeutung sind, sondern auch für diejenigen, die zufällig mit dieser Region in Kontakt kommen oder sie zu ihrem Ausflugsziel machen. Die Landschaft, die hier durch diese Tätigkeiten geschaffen und gepflegt wird, ist geprägt von verschiedenen Grassorten, Wildblumen und Scheunen, die alle wirklich eine Rolle spielen, und eine Landschaft erhalten, die einen bunten Flickenteppich von Zusammenhängen ergibt.»158

184. Chiavenna, Italien. Die «Arche des Geschmacks», ein Projekt der Slow-Food-Bewegung, schützt Produkte, die vom Aussterben bedroht sind, wie den Violino-Schinken aus Chiavenna. Dieser Schinken aus Ziegenfleisch ist ein für die Region sehr typisches Produkt und wird in den Höhlen der Gegend, die durch die alpine Geologie entstanden sind, gelagert. Der Violino war schon fast verschwunden, da immer weniger einheimische Metzger wussten, wie man ihn herstellt.

pflegen und authentisch bleiben, und die Nahrung steht im Zentrum des täglichen Zusammenlebens. Das Authentische ist ein zentraler Aspekt lokaler Besonderheit. Wie die Stadtplanerin Sue Clifford und die Umweltschützerin Angela King schreiben, handelt Authentizität vom «Echten und Wahren», was «eine Menge bedeutet».157 Was sie mit authentisch meinen, erläutern sie am Beispiel des Wensleydale-Käses, eines handgefertigten Käses aus der Grafschaft North Yorkshire in England: «Warum ist es für Hersteller und Feinschmecker so wichtig, dass dieser Käse weiterhin in genau diesem und keinem anderen Tal hergestellt wird? Neben ökonomischen Gründen wie Arbeitsplätzen geht es auch darum zu verstehen, dass die Milch der Kühe dieses Ortes, die auf den Weiden genau dieses Tals grasen, in Verbindung mit dem über Generationen gesammelten Wissen einen Käse ergibt, der etwas Besonderes ist, authentisch und gut. Seine Her142

Soziales Leben und regionale Produkte gehen Hand in Hand. So ist die Popularität von Wochen- und Bauernmärkten in den USA nicht nur Ausdruck einer neu entstandenen Wertschätzung von regionalen Produkten, sondern diese Märkte können auch Stätten der Geselligkeit sein. Im Gegensatz zu europäischen Wochenmärkten werden die amerikanischen Bauernmärkte oft zu Festen, mit Live-Musik, Kochshows und Ständen, an denen man traditionell hergestellte Produkte probieren kann.

Konsumenten als Co-Produzenten Der Slow-Food-Begründer Carlo Petrini schreibt im Zusammenhang mit guten, unverfälschten und fair produzierten Nahrungsmitteln, dass der Konsument zum Co-Produzenten werden müsse. Er ist der Auffassung, dass der «Konsum die letzte Stufe des Produktionsprozesses ist»159 und dass der Konsument wissen müsse, woher sein Essen stammt, wie es produziert wird, wer es produziert, wie es verarbeitet und wie es zubereitet wird. Nahrung, schreibt Petrini, ist «weit mehr als ein einfaches Konsumgut: Es ist Zufriedenheit, Identität, Kultur, Freude, Geselligkeit, Ernährung, regionale Wirtschaft, Überleben».160 Wenn die Konsumenten informiert und geschult sind, dann sind sie in der Lage, eine bewusste Auswahl vorzunehmen. Forschungen in den USA haben erwiesen, dass es ein großes Interesse seitens der Konsumenten gibt, regionale Produkte zu kaufen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie über Verbraucher und Landwirte in Nebraska zeigt zum Beispiel, dass die Konsumenten generell bereit sind, für regionale Nahrungsmittel mehr zu zahlen, da sie deren Geschmack und Qualität zu schätzen wissen.161 Die befragten

185. Zürich, Schweiz. Die Schweizer Supermarktkette Coop bietet seit 2007 Slow-Food-Produkte an. Im Angebot sind über 50 Produkte. Coop unterstützte auch die Gründung von fünf Presidia in der Schweiz, die Lebensmittel wie zum Beispiel ein spezielles Roggenbrot aus dem Wallis herstellen.

Landwirte hingegen hatten lediglich ein geringes Interesse am lokalen Markt und waren hauptsächlich daran interessiert, an die Nahrungsmittelindustrie zu verkaufen. Dieses Ungleichgewicht zwischen Konsumenten und Produzenten kann und sollte von Stadtplanern beeinflusst werden, indem sie beide Parteien zusammenbringen und über die einheimischen Produkte informieren. Es gibt mehrere viel versprechende Beispiele, die verdeutlichen, wie das gelingen kann. Wie in Kapitel 2 erwähnt, unterzeichnete Slow Food im Jahr 2001 einen Vertrag mit der größten Supermarktkette Italiens. Coop Italia übernahm 11 Produkte von verschiedenen Slow-Food-Presidia in sein Sortiment. Die meisten der Produkte verzeichneten eine starke Nachfrage, was wiederum zu Preissteigerungen führte. Hierauf nahm auch die Zahl der Produzenten zu, und Slow Food konnte erfolgreich eine Verbindung zwischen den Herstellern von Nischenprodukten und dem Markt für Massengüter herstellen. Die Zahl der Cinta-Cenese-Schweinefleischproduzenten (Zulieferer für eines der PresidiaProdukte) stieg zum Beispiel von 9 auf 130.162 Die Schweizer Supermarktkette Coop hat ein ähnliches Projekt initiiert (Abb. 185). Das Amt für regionale Entwicklung im südtirolischen Bozen begann 1994 ein von der Europäischen Union gefördertes Projekt, um eine traditionelle Brotsorte – das sogenannte «Vinschger Urpaarl» – wiedereinzuführen, das nach der alten Rezeptur eines Benediktinerklosters aus Roggenmehl hergestellt wird. Das Projekt brachte Bauern mit Mühlenbesitzern und Mühlenbesitzer mit lokalen Bäckern zusammen. Strenge Qualitäts7 GESELLIGKEIT, GASTLICHKEIT UND REGIONALE PRODUKTE

kontrollen sichern die Reinheit der Zutaten, und die Verbindung zu Slow Food steigerte die Verkaufszahlen. Die traditionelle Landschaft mit ihren kleinen Getreidefeldern in den Tälern der Region konnte so erhalten werden. Die Erlöse, die Landwirte, Mühlenbesitzer und Bäcker erhalten, sind höher als jene für konventionelles Getreide und Mehl. Ähnliche Strategien der gemeinsamen Vermarktung finden sich auch in den USA. Das Projekt Handmade in America im Bundesstaat North Carolina vermarktet kunsthandwerkliche Produkte aus den Appalachen, das einheitliche Label DeltaMade vertreibt in Arkansas die typischen Produkte der Region. Bemühungen wie diese haben zum Ziel, Produzenten und Konsumenten miteinander zu verbinden. Diese lokal hergestellten und in der Region verwurzelten Produkte treffen auf Resonanz bei den Konsumenten. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck stellt fest, dass im Zeitalter der kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Globalisierung die Gesellschaft ihre Ziele neu definieren muss.163 Er meint, dass sich Spezialisierung lohne und dass es möglich sei, lokale Produkte «wieder zu regionalisieren». Die Entstehungsgeschichte der Produkte spielt dabei eine immer größere Rolle, da durch die Globalisierung die einzelnen Besonderheiten verloren gehen. Bauernmärkte, Slow Food, das Bündnis zwischen Produzenten und Konsumenten, Buy-Local-Kampagnen und vieles mehr sind Reaktionen auf diese Stimmung. Die Verbindung zwischen Geselligkeit, Gastlichkeit und regionalen Produkten scheint zunächst weit hergeholt zu sein. Aber wenn Produktion und Konsum in einem lokalen Kontext stattfinden und wenn es Raum und Zeit für das soziale Zusammenleben rund um das Essen gibt, dann wird die gedankliche Verbindung zwischen diesen Ideen doch recht deutlich.

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186. Blacksburg, Virginia. Das Lyric ist ein renoviertes Kino im Stadtzentrum.

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Kreativität und Kultur

Kreativität als Ausdruck kleinstädtischer Kultur und Tradition ist ein wesentlicher Bestandteil sozialer Nachhaltigkeit. Kunst und Kultur waren schon immer wichtig für das städtische Leben. Kulturelles Erbe und Traditionen sind verwoben mit den sozialen Strukturen der Kleinstädte und sichern deren Fortbestand. Kunst, Kultur und insbesondere das Bewusstsein von den Traditionen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Identität von kleinen Städten und ländlichen Räumen zu bewahren und zu entwickeln. Schon in den 1930erJahren haben Studien in den Vereinigten Staaten die dynamische Rolle von Kreativität und Kunst im ländlichen Raum beschrieben.164 In jüngerer Zeit haben Wissenschaftler von der McKnight Foundation bei ihrer Untersuchung von Kleinstädten im ländlichen Minnesota herausgefunden, dass Kunst und Kreativität bei der sozialen und auch zum Teil wirtschaftlichen Revitalisierung von Kleinstädten als Katalysatoren wirken können. In ihren Forschungen über die Rolle der Künste in kleinen Städten kamen sie zu vier hauptsächlichen Ergebnissen. Kunst kann 1. wichtige Anlässe für Einheimische, Besucher, Nachbarn, Freunde und Familien bieten, sich zu engagieren, 8 KREATIVITÄT UND KULTUR

2. die Zusammenarbeit der Mitbürger verbessern und gemeinschaftliche Lösungen durch wechselnde Rollen und Verantwortlichkeiten hervorbringen, 3. dazu beitragen, die Identität einer Gemeinschaft zu formen, und 4. zum Aufbau einer neuen ländlichen (kleinstädtischen) Wirtschaft beitragen.165 Andere plädieren dafür, das Potenzial kultureller Aktivitäten für den wirtschaftlichen Wettbewerb zu nutzen. Diese eher instrumentale Sichtweise konzentriert sich darauf, Kunden für Kulturevents anzuziehen, schicke Stadtteile für die «Boheme» als Orte des Konsums zu gestalten oder Städte zu international anerkannten Zentren der Kreativität zu machen. Diese instrumentale Betrachtung von Kunst, Kultur und Kreativität ist in der postindustriellen Gesellschaft verwurzelt und ist im Zusammenhang mit der Entstehung einer wissensbezogenen «Erlebnis-Wirtschaft» zu sehen. Eine gegenwärtig weit verbreitete Position geht davon aus, dass die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit von Städten und Regionen wesentlich davon abhängt, inwieweit Orte in der Lage sind, bestimmte «Kopfarbeiter» anzuwerben: eine «kreative Schicht» aus Wissenschaftlern, Ingenieuren, Schriftstellern, Künstlern, Architekten, Designern und Managern.166 Diese Schicht ist nicht nur kreativ tätig, sondern konsumiert das Geschaffene auch. An diesem Punkt bekommt Kreativität aber eine rein kommerzielle Bedeutung, da sie einzig und allein dem wirtschaftlichen Profit dienen soll. Immer öfter werden Kunst, Kultur und Kreativität von Städten instrumentalisiert. Stadtplaner, Architekten und Entscheidungsträger vergessen dabei oft, auf die eigentlichen Werte kreativen Schaffens und dessen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit zu achten. Kleinstädte dürfen aber Kultur und Kreativität nicht nur als Mittel zum Zweck betrachten, sondern müssen auch auf ihre immanenten Werte und ihren Beitrag für die Gesellschaft Rücksicht nehmen. Realistisch gesehen können die wenigsten Kleinstädte mit den großen Städten konkurrieren, wenn es darum geht, kreative Köpfe zu gewinnen. Kreativität sowie Kunst und Kultur können für die Entwicklung dieser Kleinstädte eine Identität stiftende Wirkung haben.

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Einheimische Kunst, Kultur und Kreativität Eine Herangehensweise, die Kunst, Kultur und Kreativität nur als Mittel zum Zweck begreift, unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von einer Betrachtungsweise, die in ihnen vor allem ihren eigentlichen Wert sieht. Gemäß der zweckorientierten Perspektive sollen Kunst und Kultur einem Standort wirtschaftlichen Nutzen bringen. Die Position, die Kreativität um ihrer selbst willen schätzt, erkennt ihr Potenzial, gesellschaftlichen Wandel und Umdenken zu bewirken. Es gibt zwei Theorien, die jeweils repräsentativ für eine der beiden Sichtweisen sind. Die sogenannte Creative-ClassTheorie hebt den finanziellen und wirtschaftlichen Nutzen kreativer Tätigkeiten hervor. Im Gegensatz dazu beschreiben Theorien, die sich mit der Rolle der Kunst bei gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigen, wie Kreativität durch den künstlerischen und kulturellen Ausdruck einer Gemeinschaft entsteht. Letztere lassen sich besser auf Kleinstädte anwenden als die Creative-Class-Theorie. Theorien, die sich an der inneren Entwicklung der Gesellschaft orientieren, fordern, dass Kunst und Kultur nicht nur als Mittel zur kleinstädtischen Nachhaltigkeit und Erneuerung (wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, Aufbau einer Kreativindustrie etc.) benutzt werden, sondern dass man auch das, was Kreativität eigentlich ausmacht, einbeziehen sollte. Kreativität bedeutet ja nicht nur, neue Dinge, Produkte oder Konsumerlebnisse zu erfinden, sondern vielmehr auch eine Veränderung unseres Denkens und unserer Klischees zu bewirken. Durch Kunst und Kultur können sich Bewohner und Künstler eine andere Zukunft für ihren Ort vorstellen. Paradigmenwechsel lassen sich einleiten, wenn genügend kreatives Potenzial vorhanden ist. Kunst und Kultur messen auch der Vergangenheit Bedeutung bei, wenn sie sich traditioneller Fertigkeiten und Kenntnisse oder Geschichte und Geschichten bedienen. Kunst, Kultur und Kreativität können Grenzen überschreiten und die Grenzlinien zwischen Bekanntem und Unbekanntem, Vergangenheit und Zukunft verwischen. Einheimische Kunst

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187. Diss, England. 2004 feierte die Stadt ein Jahr lang Leben und Werk des Pfarrers und Hofdichters John Skelton, der 1504 nach Diss gezogen war, nachdem er zuvor Erzieher des jungen Heinrich VIII. gewesen war.

188. Überlingen, Deutschland. Die Bemalung dieses Hauses illustriert eine lang gepflegte kulturelle Tradition in Überlingen: den Schwerttanz, ursprünglich ein Fasnachtsbrauch. Heute wird er während der Schwedenprozession im Juli vorgeführt. Er wurde 1646 zum ersten Mal schriftlich erwähnt und wird traditionellerweise von den ledigen Winzern getanzt.

fördert den kreativen Ausdruck in der Gesellschaft, indem sie die einzelnen Mitglieder aktiv einbindet. Diese Prozesse bewirken soziale Veränderungen. Wirtschaftliche Vorteile werden dem sozialen Wandel vielleicht sogar folgen. Diese Vorteile werden aber noch größer sein, wenn die Bedürfnisse und Wünsche der Gemeinschaft respektiert werden und die Aktivitäten in Prozesse eingebettet sind, die gesellschaftliche Kompetenz aufzubauen vermögen.

In Kleinstädten nehmen Kultur und Kreativität verschiedene Bedeutungen an. Kleine Städte haben jeweils ihre eigene Geschichte, die ein bestimmtes kulturelles Erbe begründet. Dieses Erbe ist oft in der bäuerlichen Vergangenheit verwurzelt und findet in der Volkskunst und in Festen seinen kreativen Ausdruck. Diese Bräuche sind der «ländlichen Lebensart» ähnlicher als den kosmopolitischen Riten der Weltstädte (Abb. 188). Traditionelles Kunsthandwerk wie Klöppeln, Sticken, Töpfern oder Schreinern ist ein kreativer Ausdruck des kleinstädtischen Kulturerbes. Kulturelles Brauchtum drückt Kreativität aus – im Sinne der Ausgestaltung und des Ausdrucks von Ideen – und verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft: «Das kulturelle Erbe verbindet uns mit unserer Geschichte und unseren kollektiven Erinnerungen, es verankert unser Seinsgefühl und kann eine Quelle der Erkenntnis sein, die uns hilft, der Zukunft ins Auge zu sehen.»167 Einheimische Kunst kann auch zum sogenannten place-making beitragen. Dabei handelt es sich um die bauliche wie soziale Ausgestaltung von Orten. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2007 plädiert Jeremy Nowak vom The Reinvestment Fund für eine ganzheitliche Sichtweise auf die Rolle, die Kunst bei der Stadtentwicklung spielen kann. Er schreibt, dass «Kunst und kulturelle Aktivitäten vor Ort einen wertvollen Beitrag zum place-making leisten […]. Künstler sind Experten darin, die Werte eines Ortes aufzudecken, auszudrücken und neu zu definieren – von Gebäuden über öffentliche Plätze bis hin zu den Geschichten. Sie sind natürliche place-maker, die – um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen – eine Reihe von bürgerlichen und unternehmerischen Funktionen übernehmen, die sowohl Zusammenarbeit als auch Eigenständigkeit verlangen. Und sie befinden sich in einem kreativen Dialog mit der Vergangenheit und der Zukunft.»168 Künstler können die Bevölkerung in kreative Unternehmungen einbinden. Die Bewohner selbst können zu Künstlern werden und ihre Kreativität ausdrücken. Lokale Kunst in Form von Theater, Musik, bildenden Künsten, Tanz, Dichtung oder elektronischen Medien kann eine kulturelle Identität begründen und sozialen Wandel und

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Veränderungen hervorrufen. Die Bewohner von Kleinstädten treten bei kulturellen Veranstaltungen miteinander in Kontakt und entwickeln auf diese Weise ihr soziales Kapital. Ein Festival der Volkskunst oder eine Kunstausstellung bringen der Stadt nicht nur Besucher, sondern lassen auch die Einheimischen mit Kreativität in Berührung kommen oder gar ihre eigene Kunst präsentieren. Außerdem entstehen durch die Organisation dieser Events wichtige soziale Beziehungen und bürgerliche Kompetenzen (Abb. 190–192).

189. Diss, England. Individuell angefertigte Ortsschilder können Ausdruck der Identität und Besonderheit einer Stadt sein.

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190. Blacksburg, Virginia, USA. Das jährliche Stepping Out-Straßenfest, das immer am ersten Augustwochenende stattfindet, bringt Lebendigkeit in die Universitätsstadt.

191. Floyd, Virginia, USA. Flatfooting – eine Art Steptanz – und traditionelle Musik sind Teil des Wochenendprogramms in der Mabry Mill, einer renovierten Wassermühle am Blue Ridge Parkway.

192. Bra, Italien. Die Käsemesse, die alle zwei Jahre stattfindet, zieht mehr als 150.000 Besucher an.

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Kreativität und die Revitalisierung von Kleinstädten Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass einheimische Kultur und Kreativität zur Wiederbelebung von Kleinstädten beitragen können. Paducah, eine Kleinstadt mit 26.300 Einwohnern in Kentucky, revitalisierte beispielsweise ein von Kriminalität geprägtes historisches Stadtviertel, indem sie Künstlern Anreize bot, sich in diesem Viertel niederzulassen (Abb. 193 und 194). Lowertown ist Paducahs ältestes Viertel mit historischen Häusern im Stil der Neorenaissance, Neogotik, Neoromanik, Queen-Anne-Zeit und des Klassizismus. 1982 war das Viertel in die Nationale Liste Historischer Orte aufgenommen worden, erlebte aber schon bald darauf einen starken Verfall. Durch den Wegzug von Familien in die Vororte und die Eröffnung von Einkaufszentren am Stadtrand wurde dem ehemals geschäftigen Viertel das Leben entzogen. Lowertown wurde dann von Drogenkonsum und Prostitution geprägt, und viele der abbruchreifen historischen Häuser wurden von ausbeuterischen Eigentümern vermietet. Im Jahr 2000 begann die Stadt mit ihrem Artist Relocation Program, mit dem Ziel, Künstler durch kulturelle und finanzielle Anreize zum Zuzug in das Lowertown-Viertel zu bewegen und ihnen den günstigen Erwerb von Gebäuden, Galerien und Studios zu ermöglichen. Die örtliche Bank etwa bietet den Künstlern Hypotheken zu einem festen Zinssatz an. Das Programm geht auf die Idee von Mark Barone, einem lokalen Künstler und Bewohner des Viertels, zurück. Er und der Stadtplaner Tom Barnett erkannten das Potenzial von Künstlern, das Gebiet zu verändern. Der Bebauungsplan sieht für das Viertel eine Mischnutzung aus Gewerbe und Wohnen vor. Die Kreativen können so in den oberen Stockwerken wohnen und im selben Haus im Parterre ihre Studios und Ausstellungsräume nutzen. Bis jetzt konnte die Stadt mehr als 70 Künstler aus den gesamten Vereinigten Staaten und dem Ausland anziehen. Das Programm ist besonders für jene Künstler verlockend, die sich die hohen Immobilienpreise in Städten wie New York oder Chicago nicht leisten können. Das Projekt ist im ganzen Land bekannt und ist sehr erfolgreich, da etwa 25 Prozent der Künstler, die Paducah besuchen, sich auch dort niederlassen. Paducah profitiert von den Neubürgern in zweifacher Hinsicht. Die Wirtschaft des Stadtviertels wurde durch den Zuzug der neuen Bewohner angekurbelt, die 8 KREATIVITÄT UND KULTUR

193. Paducah, Kentucky, USA. Die Stadt initiierte im Jahr 2000 ein Projekt, das Künstlern Anreize bot, sich dort niederzulassen. Seither sind mehr als 70 Künstler in die Stadt gezogen. Das Viertel Lowertown wurde als Künstlerviertel ausgewiesen, und die Mischnutzung aus Wohnen und Gewerbe erlaubt es den Künstlern, im selben Gebäude zu wohnen und zu arbeiten.

194. Paducah, Kentucky, USA. Die Mentor House Gallery liegt im Herzen von Lowertown in Paducah. Die 5,5 Meter hohe Giraffe wurde von dem Künstler George Bandarra geschaffen. Die Skulptur verleiht dem Gebäude und dem Viertel einen individuellen Charakter.

örtlichen Grundstückspreise haben sich seit dem Jahr 2000 verdreifacht. Und nach einer gewissen Zeit der Anpassung an die unkonventionelle Nachbarschaft entdecken die alteingesessenen Bewohner zunehmend die kreativen Seiten eines Stadtviertels, das sie früher gemieden haben. Künstler können Veränderungen initiieren. Sie sind oft die Ersten, die in zwielichtige oder verfallene Stadtviertel ziehen. In Paducah waren es Künstler, die das Risiko auf sich nahmen, in ein heruntergekommenes Viertel zu ziehen. Sie entwickelten Zukunftspläne, investierten wieder in die Gebäude und konnten so die Nachbarschaft stabilisieren. Außer149

dem sind Künstler geschickt darin, alte Gebäude, wie beispielsweise Lagerhallen, an neue Bedürfnisse anzupassen – sie schätzen, wie es Jeremy Nowak ausdrückt, die Möglichkeit, den Raum neu zu gestalten. Des Weiteren bringen Künstler unternehmerische Energie in ein Stadtviertel oder eine Gemeinde ein und tragen mit ihrer geschäftlichen Tätigkeit zur wirtschaftlichen Gesamtentwicklung bei. Mehrere Kleinstädte in Minnesota haben solche stabilisierenden Kräfte erfahren. New York Mills, ein Ort mit weniger als 1.200 Einwohnern und etwa dreieinhalb Stunden nordwestlich von Minneapolis und Saint Paul, den sogenannten Twin Cities, gelegen, konnte von der Gründung eines regionalen Kulturzentrums profitieren (Abb. 195 und 196). New York Mills wurde 1884 von finnischen Einwanderern gegründet und war eine traditionellbäuerliche Gemeinde. In den letzten zwanzig Jahren musste die Stadt jedoch Abwanderung und wirtschaftlichen Verfall, insbesondere entlang seiner Main Street, erleben. In den späten 1980er-Jahren kaufte der Künstler John Davis ein renovierungsbedürftiges Bauernhaus und zog in den Ort. Er wurde zur treibenden Kraft des Wandels, da er maßgeblich daran beteiligt war, aus New York Mills ein Refugium für Künstler zu machen. Um die Einwohner zu überzeugen, gründete er einen Verwaltungsrat, der die demografische Zusammensetzung des Ortes widerspiegelte, und konnte so ein Darlehen bei der Bank beschaffen. Er überzeugte auch den Stadtrat, 35.000 US-Dollar für ein regionales Kulturzentrum bereitzustellen, das in einem ungenutzten Gebäude an der Hauptstraße untergebracht werden sollte. Das finanzielle Engagement der Bewohner von New York Mills für dieses Zentrum ist bemerkenswert. In ihrem Bericht über Kulturzentren in Minnesota schreiben die Geografinnen Ann Markusen und Amanda Johnson, dass sich eine «vergleichbare Pro-Kopf-Investition der Stadtverwaltung von Minneapolis in eine städtische Kunstinstitution auf 13 Millionen Dollar summieren würde».169 Die Renovierung des Gebäudes wurde zu einem gemeinschaftlichen Projekt, das durch viel Freiwilligenarbeit seitens der Bewohner realisiert werden konnte. Das Zentrum wurde 1992 offiziell eröffnet und ist seitdem ein wichtiger lokaler wie regionaler Treffpunkt für Künstler. Viele Künstler besuchen die Stadt und genießen das ländliche Refugium. Sie engagieren sich auch unentgeltlich und tragen zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde bei. Einmal 150

195. New York Mills, Minnesota, USA. Das Kulturzentrum in New York Mills ist eine wichtige gesellschaftliche und kulturelle Institution dieser kleinen Stadt. Als gemeinnütziger Verein bietet das Zentrum der Bevölkerung eine Vielzahl von Aktivitäten. Das Zentrum ist außerdem eine Außenstelle des Walker Arts Center in Minneapolis und bietet Kindern zum Beispiel Ballettkurse an.

196. New York Mills, Minnesota, USA. Das Kulturzentrum ist inzwischen ein beliebter Treffpunkt für Jung und Alt. Die Galerie im zweiten Stock stellt ganzjährig aus.

im Monat findet ein Künstlerforum statt, das die Vernetzung der Künstler in der Region unterstützt, und saisonale Veranstaltungen, wie zum Beispiel ein Eishaus-Bauwettbewerb, tragen zur Lebendigkeit der Stadt bei. Die Stadt selbst stellt der Organisation jährlich 10.000 US-Dollar zur Verfügung, die aber angesichts der benötigten 133.000 Dollar bei Weitem nicht ausreichen. Das Kulturzentrum brachte der Stadt neue Einwohner, eine Reihe von neuen lokalen Geschäften, eine neue Schule und sorgte für eine Belebung der Innenstadt. Auch wenn die meisten Kultureinrichtungen wie das regionale Kulturzentrum von New York Mills darum kämpfen müssen, genügend Unterstützung für ihre Arbeit zu finden, sind sie von unschätzbarem

Wert. Kulturelle Events bereichern die einheimische Bevölkerung mit hochwertigen Programmen und Inhalten. Besucher, die aufgrund dieser Veranstaltungen in die Stadt kommen, fördern damit auch die lokale Wirtschaft. Diese Zentren bringen Gemeinden neue Energie und machen die Bürger stolz – besonders wenn historisch bedeutsame Gebäude saniert werden. Künstler, die Kleinstädte besuchen und dort arbeiten, regen auch bei den Einwohnern das kreative Denken an. Es gibt zu viele Beispiele, die zeigen, wie man mit Kunst Kleinstädte wieder belebt hat, um sie hier alle zu nennen (Abb. 197–199). In vielen kleineren Städten wurden Kinos, die früher einmal sehr belebte Stätten der Kultur waren, renoviert. Sie sind heute wichtige Ausgangspunkte für weitere Maßnahmen zur Innenstadtsanierung (Abb. 186) und ziehen auch Besucher von außerhalb an. Die Kleinstadt Jackson in Michigan zum Beispiel wandelte ein früheres Gefängnis in eine Wohn-/ Arbeitsstätte für Künstler um und versucht, die dort lebenden Künstler mit Vertretern der Wirtschaft in Verbindung zu bringen. Ein Gründerzentrum soll daher in den Komplex mit integriert werden. Künstlerische Einrichtungen und die Künstler selbst können einen Ort verändern und tragen so zur Lebendigkeit einer Kleinstadt bei. Allerdings müssen solche Aktivitäten weit darüber hinausgehen, dass man «einfach nur schick und cool» wird. Kunst und Kultur sollten die Bevölkerung immer aktiv mit einbeziehen. Der soziale Nutzen dieser Art von Kunst vor Ort verändert kleine Städte.

197. Bridport, England. Das städtische Kulturzentrum hat ein Theater mit 200 Plätzen, drei Ausstellungsräumen, einem Café und einer Bar.

198. Perth, Schottland. Eine neue Konzerthalle mit 1.600 Plätzen steht auf dem ehemaligen Horsecross Market, sie wurde vorwiegend über staatliche Lotterieeinnahmen im Rahmen der Millennium-Feiern in Großbritannien finanziert.

199. Überlingen, Deutschland. Kunst im öffentlichen Raum. Der Brunnen wurde von einem regionalen Künstler (Peter Lenk) geschaffen. Der Reiter ist eine ironische Darstellung des Überlinger Schriftstellers Martin Walser. Kunst im öffentlichen Raum stimuliert und darf provozieren.

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Pogradec, Albanien Pogradec ist eine Kleinstadt im Südosten Albaniens. Sie liegt am Ohrid-See und ist das größte städtische Zentrum der Region. Mit etwa 30.000 Einwohnern ist die Stadt eher klein, aber die Nähe zu Mazedonien und Griechenland macht sie zu einer weltoffenen Stadt, in der verschiedene Kulturen und Menschen aufeinander treffen. Pogradecs historische Wurzeln gehen bis in die Antike zurück, als sich illyrische Stämme in der Region niederließen. Anschließend war die Region immer wieder Spielball der Kämpfe der verschiedenen Weltreiche der Griechen, Römer, Venezianer, Osmanen und Italiener. 1944 übernahmen die Kommunisten die Macht im modernen Albanien. Ihr diktatorischer Führer Enver Hoxha herrschte für mehr als vier Jahrzehnte über einen stalinistischen Staat und isolierte Albanien von seiner Umgebung sowie der kulturellen Entwicklung Europas und den geopolitischen Strömungen. Durch seine Lage inmitten von Hügeln und am See ist Pogradec ein beliebtes Touristenziel und diente während der Zeit des Kommunismus der Führungsschicht als Sommerfrische. Pogradec und ganz Albanien haben tief greifende politische und kulturelle Veränderungen erlebt. Während der 1990er-Jahre machte die Liberalisierung Reisen ins Ausland möglich. Politischer Wettbewerb, die Herrschaft einzelner Clans und umstrittene Wahlen führten in den frühen 1990er-Jahren in der gesamten Region zu Unruhen und Anarchie. Internationale Friedenstruppen mussten Mitte der 1990er-Jahre in Bosnien und Ende der 1990er-Jahre im Kosovo eingreifen. Albanien war dabei unmittelbar von den ethnischen Konflikten seiner Nachbarländer betroffenen. Kleinstädte in Albanien (wie auch in anderen ehemaligen kommunistischen Ländern) kämpfen darum, wieder zur Normalität zurückzufinden. Oft werden sie von der Geschwindigkeit der Einführung der Markwirtschaft überrollt und fürchten darum, ihre lokale Identität zu verlieren. Diese Länder im Umbruch erleben außerdem enorme Veränderungen in ihren Sozialsystemen. Der Wissenschaftler Charles Landry, der sich mit der Rolle von Kreativität und Kultur für die Stadtentwicklung auseinandersetzt, schreibt, dass es in Ländern wie Albanien «eher eine Kultur der Kontrolle als eine Kultur der Transparenz und Offenheit gab».170 Mitte der 1990er-Jahre gründete die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia im Auftrag 152

200. Der Stadtkern von Pogradec.

201. Pogradec. Ein Literaturcafé wurde an der Hauptstraße von Pogradec eröffnet. Das Café, das von einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin des «Kreative Städte»-Projekts initiiert wurde, dient nicht nur der Bevölkerung, sondern auch den Touristen als dritter Ort. Das «Kreative Städte»-Projekt in Pogradec hat einfallsreiche Lösungen und Ideen hervorgebracht, um den üblichen städtischen Problemen wie dem Verfall der Hauptstraße und dem Fehlen von kulturellen Einrichtungen zu begegnen.

202. Pogradec. Blick auf die Naim Frasheri Straße vor der Sanierung (2005).

der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) das Schweizer Kulturprogramm im Westbalkan und Ukraine (SCP), um diesen Übergangsländern durch künstlerische und kulturelle Projekte zu helfen. Im Jahr 2004 startete das Programm «Kreative Städte» sein erstes Projekt in Albanien in den beiden Städten Shkodra und Pogradec. Die Idee dahinter ist, durch Kunst und Kultur soziale Veränderungen herbeizuführen. Pogradecs «Kreative Städte»-Projekt wird von engagierten Bürgern vorangetrieben, die Veränderungen anstoßen und dem sozialen und städtischen Verfall begegnen wollen. Das Team begann damit, die Straßen der Stadt mit Blumenrabatten zu schmücken, und veranstaltete einen Blumenwettbewerb. Damit knüpfte man an die natürlichen Gegebenheiten der Stadt an, etwa die Pflanzenwelt und die schöne Lage am See. Ein einheimischer Künstler bemalte dann die Türen seines Hauses, was wiederum dazu führte, dass andere Hausbesitzer auch ihre Türen streichen ließen. Diese Eigeninitiativen waren der Anstoß dafür, dass die Stadtverwaltung die Hauptstraße sanierte und die Gegend weiter aufwertete. Ein Literaturcafé, das gleichzeitig als Touristeninformation fungiert, wurde eröffnet und dient als dritter Ort. Ein anderer ansässiger Künstler renovierte einen traditionellen Brunnen, der zu einem beliebten Treffpunkt geworden ist. Ein weiteres Mitglied des lokalen «Kreative Städte»-Teams brachte ein Ein-Personen-Theaterstück auf die Bühne und rief einen regionalen Theaterwettbewerb für junge Einwohner Pogradecs und der mazedonischen Nachbarstadt Struga aus. Diese kleinen kulturellen und kreativen Bemühungen hinterließen sichtbare Spuren im Stadtbild.

In Pogradec, das schon immer für seine literarische Tradition bekannt war, sind die Literaturtage zu einer regionalen Attraktion geworden, die nun auch Besucher aus der Umgebung anzieht. Lokale Kulturschaffende, Künstler und Entscheidungsträger haben auch die Tradition des Puppentheaters wieder aufleben lassen. Nationale und internationale Künstler kommen nun jedes Jahr in die Stadt, um an Pogradecs Puppentheaterfestival teilzunehmen. Pogradec plant auch, Mitglied der CittaslowBewegung zu werden, und will die einheimische Küche und lokale Kultur bei seiner touristischen Entwicklung stärker in den Vordergrund stellen. In der zweiten Runde des Schweizer Projekts «Kreative Städte» wird das Team aus Pogradec die Rolle der Mentoren für andere albanische Städte übernehmen. Diesmal sollen die Städte Vorschläge für die Region entwickeln und ihre Anstrengungen mit anderen Zuständigkeitsbereichen koordinieren. Wenn man Charles Landry nach dem Erfolg des Projekts «Kreative Städte» in Pogradec fragt, dann antwortet er, dass die Stadt «jetzt viel farbiger sei». Eine große Herausforderung wird es allerdings für Städte wie Pogradec sein, die schwerwiegenderen politischen und ökonomischen Probleme zu bewältigen, wie zum Beispiel Korruption, illegale Bauten, schwache Verwaltungen und die allgemein verbreitete Habgier. Kultur und Kreativität, die in öffentlichen Gütern wie zum Beispiel der Aufwertung des Stadtbilds, des Literaturcafés als drittem Ort und den kulturellen Events ihren Ausdruck finden, signalisieren eine neue Vorgehensweise und haben das Potenzial, zum sozialen Wandel in diesen Ländern beizutragen.

203. Pogradec. Blick auf die Naim Frasheri Straße nach der Sanierung (2007).

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Kreativität und sozialer Wandel Kunst vor Ort führt nicht nur zu äußerlichen, sondern auch zu sozialen Veränderungen und zur bürgerlichen Erneuerung von Kleinstädten. Künstlerischer und kultureller Ausdruck, der aus der Gemeinde selbst kommt, fördert das bürgerliche Engagement und Diskussionen über wichtige Themen und Herausforderungen. In Australien zum Beispiel, wo Kleinstädte oft als Landstädte bezeichnet werden, setzten Wissenschaftler und Beamte gezielt Kunstprojekte ein, um in den Kommunen die Diskussion über Nachhaltigkeit anzustoßen. Im Juni 2000 veranstaltete das Centre for Sustainable Regional Communities der La Trobe Universität von Melbourne eine Konferenz, um über die Zukunft australischer Landstädte zu diskutieren. Ähnlich wie Kleinstädte in Europa und den USA stehen diese Städte vor großen Herausforderungen: Überalterung der Bevölkerung, Abwanderung junger Leute, wirtschaftlicher Niedergang und Schrumpfung. Zusätzlich sind viele dieser Landstädte geografisch isoliert. Forscher und Entscheidungsträger haben inzwischen erkannt, dass Landstädte sich von innen heraus erneuern müssen, um ihren Herausforderungen zu begegnen. Man begann daher damit, sich auf den Ausbau des sozialen Kapitals zu konzentrieren und kleinstädtische Nachhaltigkeit anhand von verschiedenen Indikatoren zu messen. Forscher des Centre for Sustainable Regional Communities wählten hierfür fünf kleine Gemeinden in der Region der «Goldfields» in Central Victoria aus (Dunolly, Wedderburn, Carisbrook, Talbot und Maldon) und entwickelten Nachhaltigkeitsindikatoren, strategische Entwicklungspläne und Bezugsgrößen.171 Man merkte jedoch recht bald, dass die Gemeinden die anstehenden Aufgaben nicht nachvollziehen konnten, weshalb es schwierig war, die Bürger zum Mitmachen zu motivieren. Die Forscher änderten daraufhin ihren Ansatz und gingen eine Partnerschaft mit dem Cultural Development Network ein, einer gemeinnützigen Organisation, die Gemeinden, Künstler und lokale Organisationen in ganz Victoria miteinander zu verbinden sucht, um Kunst für ein breites Publikum und kommunale Nachhaltigkeit zu fördern. Das ursprüngliche Forschungsprojekt TBL Community Audit wurde in den fantasievolleren und einprägsameren Slogan Small Towns: Big Picture umbenannt. Die Partnerschaft engagierte acht Künstler, um gemeinsam mit den Forschern innerhalb der Ge154

meinden zu arbeiten. Die Künstler kamen aus den Bereichen Theater, Websitegestaltung, Fotografie, Druckkunst, Textilkunst, Töpferei und Film. Ein einheimischer Künstler fungierte als Koordinator. Der Dramatiker beispielsweise beobachtete die Entwicklung eines Index, der das soziale Gefüge der Gemeinschaft maß, und entwickelte daraus die Theater-Performance Right Where We Are. Gemeindemitglieder spielten bei diesem Stück mit und veranschaulichten die unterschiedlichen Perspektiven der einzelnen Stadtbewohner. Ein örtlicher Filmemacher drehte eine Dokumentation über das Projekt, die später in Melbourne vorgeführt wurde. Eine Kunstausstellung zeigte Kunstwerke, die von Bewohnern geschaffen wurden. Die Idee, mit Kunst die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf das Projekt zu lenken, war so erfolgreich, dass sich mehr als 1.500 Menschen daran beteiligten. Die Kunstwerke, die während des Projekts in den Gemeinden entstanden, wurden in Großstädten wie Melbourne ausgestellt und haben dazu beigetragen, bei den Großstädtern mehr Verständnis für das Leben in den Landstädten zu wecken. Darüber hinaus änderte der Landkreis seine Planungsrichtlinien und integrierte Kunst als festen Bestandteil in seinen CommunityDevelopment-Plan. Small Towns: Big Picture ist nun mit dem regionalen Connecting-Confident-Communities-Programm verbunden, das entwickelt wurde, um den kommunalen Zusammenhalt zwischen den kleinen Landstädten der Region zu stärken. Im Fall der australischen Landstädte wurde Kreativität dazu benutzt, die eigentlichen Werte von Kunst und Kultur freizulegen. Die Künstler haben die Diskussionen und Interpretationen erweitert, indem sie es den Teilnehmern ermöglichten, ihre Gefühle für, Perspektiven auf und Ansichten über ihre Stadt in ganz unterschiedlicher Weise auszudrücken. Diesem Ansatz liegt ein komplett anderes Verständnis von Kultur und Kreativität zugrunde als der Theorie der Kreativen Klasse. Kreativität wird hier nicht für den wirtschaftlichen Wettbewerb, sondern für den Ausbau des sozialen Kapitals sowie für das bürgerliche Engagement genutzt.

Die Debatte über die kreative Klasse In den vergangenen Jahren wurde Kreativität zu einem der wichtigsten Schlagworte der Stadtplanung. Planer und Architekten haben sich der Idee einer sogenannten kreativen Klasse und ihres Beitrags zu «kreativen Städten» verschrieben.172 Sie argumentieren, dass der Übergang von einer industriellen zu einer postindustriellen Gesellschaft den städtischen Arbeitsmarkt tief greifend verändert habe und dass heutzutage etwa 30 Prozent aller amerikanischen Erwerbstätigen (38 Millionen Menschen) Kreative sind. Ähnliche Untersuchungen zeigen, dass auch 38 Prozent der Erwerbstätigen in acht europäischen Ländern (26 Millionen Menschen) der sogenannten «kreativen Klasse» angehören.173 Laut Richard Florida zählen dazu Architekten, Designer, Künstler, Unterhaltungskünstler, Wissenschaftler, Manager, Vertriebsleute, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Banker.174 Leute in diesen kreativen Berufen sind sehr mobil und wählen Städte aus, die tolerant, abwechslungsreich und offen für Kreativität sind. Florida behauptet, dass es nicht die Arbeitsplätze sind, die die kreative Klasse anziehen. Vielmehr seien es das Flair oder die Umgebung der Stadt, die diese Gruppe anziehend finden. Florida zeigt, dass sich die Kreativen sehr ungleich auf Städte und Regionen verteilen, mit einem Schwerpunkt in den großen Metropolen. San Francisco, Boston und New York liegen hoch im Kurs, während traditionelle Arbeiterstädte wie Cumberland in Maryland oder Danville in Virginia eher unbeliebt sind. Florida scheint allerdings kleine Städte herabzusetzen. In einem Interview mit dem Onlinemagazin Salon sagt er: «Hoffnungslose Orte sind zum Beispiel Enid in Oklahoma oder Youngstown in Ohio, also die kleinen Orte mit einer ausgeprägten Arbeiterklasse oder Orte, die reine Dienstleistungszentren sind und somit keine Touristenziele. Sie sind alle ganz unten auf meiner Liste. Das sind die Orte, die einfach komplett vernachlässigt werden. Darum ist Größe wirklich ein Vorteil. Ist eine Stadt groß, kann sie eine Menge Alternativen anbieten und vieles machen.»175 Die Idee der kreativen Stadt ist verführerisch und viele Städte versuchen daher, «schick und cool» zu werden, um Mitglieder der kreativen Klasse 8 KREATIVITÄT UND KULTUR

204. Saugatuck, Michigan, USA. Ursprünglich lebte Saugatuck von der Holzindustrie. Heute ist es eine Künstlerstadt, und der Staat Michigan verlieh ihr das Prädikat einer Cool City.

anzuziehen. Der Staat Michigan zum Beispiel begann 2003 mit der Umsetzung eines auf Kreativität basierenden Sanierungsprogramms, nachdem die Gouverneurin Jennifer Granholm den Anstoß zur Cool-Cities-Initiative gegeben hatte. Der Staat Michigan ist durch industrielle Umstrukturierung, den Rückgang seiner Industriestandorte und hohe Arbeitslosenquoten schwer in Mitleidenschaft gezogen. Es gibt hier unzählige Städte, die Florida als «hoffnungslose Orte» bezeichnen würde. Die jungen Leute verlassen Michigan, und viele Kleinstädte sind mit der Herausforderung konfrontiert, sich wieder neu zu beleben, um ihr weiteres Schrumpfen zu verhindern. Die Cool-Cities-Initiative ist auf eine bauliche Stadterneuerung ausgerichtet. Bekommt eine Stadt in Michigan das Prädikat Cool City, kann sie sich um staatliche Unterstützung bewerben. Das Programm konzentriert sich in erster Linie auf bauliche Maßnahmen, ohne dem Potenzial von Kunst und Kultur viel Beachtung zu schenken. Die Kleinstadt Saugatuck (Abb. 204) am Fluss Kalamazoo zum Beispiel wurde als Cool City deklariert und erhielt staatliche Gelder für die Renovierung einer alten Kuchenfabrik. Das leer stehende Fabrikgebäude wurde von einigen 155

Einheimischen erworben und dann, als die staatlichen Gelder flossen, in eine Kultureinrichtung der Gemeinde umgewandelt. Das Zentrum bietet Unterrichts- und Ausstellungsräume und ist auch Veranstaltungsort eines Theater- und eines Filmfestivals. Weitere Gelder wurden zur Einrichtung eines umweltfreundlichen Skulpturengartens verwendet. Die Theorie der Kreativen Klasse ist vielfach kritisiert worden. Zunächst sollte bedacht werden, dass die ursprüngliche Idee der kreativen Klasse im Hinblick auf großstädtische Regionen entwickelt wurde. Ihre Anwendung auf Kleinstädte ist insofern fragwürdig, da Großstadtregionen von Agglomerationsvorteilen und ergiebigen Arbeitsmärkten profitieren und somit ganz selbstverständlich zu Zentren der kreativen Klasse werden. Doch selbst innerhalb des großstädtischen Rahmens ist die Theorie problematisch. Der Geograf Jamie Peck schreibt zum Beispiel, dass eine Konzentration auf die Wirtschaftskraft von Kreativen den Entscheidungsträgern erlaube, einem neoliberalen Kurs zu folgen, und ihre Aufmerksamkeit von schwierigeren politischen Fragen, wie Umverteilung oder Großstadt-Problemen wie Armut und Obdachlosigkeit, abzuwenden.176 Andere Kritiker bemängeln, dass die Theorie den Menschen zu sehr in den Mittelpunkt stelle, und vertreten die Ansicht, dass die industrielle Struktur und die damit verbundenen Jobs viel wichtiger seien als das kreative Milieu, wenn man bestimmen will, ob sich eine Stadt weit oben auf der Skala der kreativen Städte befinde.177 Andere wiederum haben untersucht, wie Kreativität und kreative Berufe definiert werden. Ann Markusen ist beispielsweise der Auffassung, dass Krankenschwestern genauso kreativ wie Wissenschaftler oder Künstler seien, da ihr Beruf ihnen die kreative Fähigkeit abverlange, täglich mit Menschen umzugehen. Sie meint, dass diese Art von Kreativität nicht gering geschätzt werden sollte. Diese Kritik beleuchtet die oft schwierige und kontroverse Debatte um die Frage, was Kreativität eigentlich sei. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die in Kleinstädten besonders stark vertretenen Berufe (Landwirte, Krankenschwestern, Lehrer usw.) auch als kreativ bezeichnet werden können. «Kreativität» wird eigentlich mit «Fähigkeit, schöpferisch tätig zu sein, etwas Neues zu schaffen» definiert, und das Schaffen von Ideen, Kunst, Kultur und Produkten in Kleinstädten mag zwar eher mit handwerklicher Arbeit einhergehen als mit sehr 156

spezialisierten Wissenschaften und Ideen. Doch lassen sich Berufe in Kleinstädten wie Landwirt, Ladeninhaber, Lehrer und Krankenschwester im Kontext von Floridas Theorie der Kreativen Klasse überhaupt als unkreativ betrachten? Was ist mit dem Landwirt, der angesichts des Klimawandels innovative Wege des Getreideanbaus finden muss? Was mit der Krankenschwester, die in ihrer Freizeit malt? Und was ist mit dem örtlichen Metzger, der im Musikverein Trompete spielt? Kleinstädtische Kreativität ist ein viel weiterer Begriff, als es die Theorie der Kreativen Klasse impliziert. Im kleinstädtischen Zusammenhang muss die Auffassung von Kreativität auch andere Dimensionen und Definitionen mit einbeziehen. Insbesondere spielen Begriffe wie Tradition, kulturelles Erbe, Hoch- und Volkskultur sowie die Kunst vor Ort eine wichtige Rolle.

Die kreative Klasse und die Globalisierung Die Ideen zu einer kreativen Klasse entstanden ursprünglich in Nordamerika und wurden dann auch auf Europa, Asien, Australien und Neuseeland übertragen. Gemeinsam ist ihnen ihre Konzentration auf Großstadtregionen und Weltstädte. Die Europäische Kommission begann im Jahr 2006 beispielsweise damit, die Rolle der Kreativindustrie näher zu untersuchen und verabschiedete 2007 die erste europäische Kulturstrategie.178 Der Fokus auf die Kultur- und Kreativindustrie steht mit der seit den 1980er-Jahren bestehenden Tradition im Einklang, jährlich eine europäische Kulturhauptstadt auszuwählen. Bei den ausgesuchten Städten handelt es sich normalerweise um größere Städte, wie Linz (Österreich) und Vilnius (Litauen), die für das Jahr 2009 ausgewählt wurden. 2007 schlug die Europäische Kommission eine neue Kulturstrategie vor («Eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung»), um die Bedeutung der Kultur bei der Entwicklung von sozialem Zusammenhalt und Vielfalt sowie beim Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Obwohl auch abgelegene und ländliche Gebiete von der Konzentration auf das kulturelle Erbe profitieren sollen, scheint doch die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit Europas das eigentliche Ziel der Agenda zu sein. Kleinstädte wurden bei der Diskussion über die kreative Klasse in Europa schlichtweg übergangen. Es sind die größeren, schickeren und oft aufstrebenden Großstädte wie Dublin oder Tallinn, über

die gesprochen wird. Die Konzentration auf große Siedlungsgebiete passt zu der derzeitigen Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Großstadtregionen. Diese großstädtischen Agglomerationen sind in das größere Netzwerk der Regionen eingebunden. Es ist geplant, dieses Städtenetzwerk noch weiter auszubauen, zum Beispiel durch Hochgeschwindigkeitsstrecken für Züge (die Strecke Paris – Stuttgart dauert mit dem Zug nur noch dreieinhalb Stunden). Die europäischen Städte sollen so zu den Motoren des weltweiten Wirtschaftswachstums werden. Selbst in Ländern, die sich traditionell über ländliche Dörfer und Kleinstädte definieren, drehen sich die Diskussionen um das Konzept der sogenannten Metropolregion. Dabei tauchen aber auch kritische Fragen über die Zukunft von Randregionen auf, der sogenannten Peripherie. Randregionen, wie zum Beispiel die Alpen mit ihren kleinen Bergdörfern, werden durch Bevölkerungsschwund und die Zerstörung ihrer traditionellen Sozialstruktur in ihrer Entwicklung gehemmt. In der Schweiz haben Stadtplaner und Architekten bereits vorgeschlagen, die strukturell schwachen Räume im «alpinen Brachland» (Abb. 205) aufzugeben und sich nur noch auf die Entwicklung der wirtschaftlich starken Metropolregionen zu konzentrieren.179

205. Aquila, Schweiz. Aquila ist ein kleines Bergdorf mit etwa 500 Einwohnern und liegt in einem Tessiner Tal etwa 40 Kilometer nördlich von Bellinzona. Die Gegend ist Teil des sogenannten «alpinen Brachlands». 2006 begann die Schweiz damit, eine «Neue Regionalpolitik» zu verfolgen. Diese Politik versucht die Zusammenarbeit von kleinen Städten in ländlichen Gebieten zu fördern, teilweise auch durch die Fusion von Gemeinden.

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Gibt es in Kleinstädten eine kreative Klasse? Die Frage, ob sich die Theorie der Kreativen Klasse auch im ländlichen und kleinstädtischen Kontext der Vereinigten Staaten anwenden lässt, wurde erstmals 2007 von Forschern des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums gestellt.180 In ihrer Studie fanden sie heraus, dass im Jahr 2000 nur 11 Prozent der nicht-großstädtischen Landkreise zu den Landkreisen mit einer kreativen Klasse gehörten. Diese ländlichen Orte zeichnen sich durch bestimmte Eigenschaften aus, die für Menschen attraktiv sind. Sie sind reich an landschaftlichen Reizen (Berge, Seen etc.) oder haben Universitäten, die in den USA oft im ländlichen Raum angesiedelt sind. Folglich handelt es sich bei den Kleinstädten mit einer kreativen Klasse oft um Ferienorte (Aspen in Colorado oder Bend in Oregon) oder um Universitätsstädte, die Studenten und möglicherweise auch andere unternehmerische Köpfe und Firmen anziehen (Blacksburg, Virginia, oder Ithaca, New York). Einige dieser Kleinstädte haben sich aufgrund historischer Zufälle weiterentwickelt, wie zum Beispiel Fairfield in Iowa. 1974 wurde hier die Maharishi International University gegründet, zu deren Fächern unter anderem die transzendentale Meditation gehört. Die Anwesenheit der Universität in Kombination mit der Strategie der «ökonomischen Gartenarbeit» (economic gardening, siehe Kapitel 6) hat kreative Köpfe angezogen und eine entsprechende Umgebung geschaffen. Die Forscher des USLandwirtschaftsministeriums schreiben außerdem, dass bei ländlichen und kleinen Städten schon die «Anwesenheit der kreativen Klasse an sich genügen kann, um den Ort aufzuwerten. So ist vielleicht ein Ort, der Künstler und Designer angezogen hat, auch für Menschen attraktiv, die sich in Künstlerkolonien wohl fühlen.»181 Dennoch scheint in der Studie die Theorie der Kreativen Klasse nicht richtig auf Kleinstädte angewendet zu sein, denn die Forscher benutzen eine ähnliche berufsbezogene Definition der kreativen Klasse, ohne den besonderen Arbeitsmarkt oder die besondere Bevölkerungssituation kleiner Orte zu berücksichtigen. Eine Untersuchung der Rolle von Kultur und Kreativität im kleinstädtischen oder ländlichen Kontext bräuchte ein anderes Konzept, um herauszufinden, was sie in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu leisten vermöchten.

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Kostspielige Kunst Viele Städte wollen ungeachtet ihrer Größe künstlerische und kulturelle Einrichtungen wie Museen, Konzertsäle, Casinos, Kongresszentren oder Sportarenen auf- oder ausbauen. Diese Einrichtungen sind normalerweise viel größer als die Kulturzentren, wie sie Orte wie Paducah oder New York Mills errichtet haben. Sie sind Großprojekte mit meist hohen Kosten für den Steuerzahler, da sie sich wirtschaftlich kaum tragen. Roanoke in Virginia ist zwar keine Kleinstadt, aber auch nicht besonders groß. Die Stadt baute ein circa 70.000 Quadratmeter großes Kunstmuseum, dessen jährliche Betriebskosten auf 3,5 Millionen US-Dollar geschätzt werden. Das Taubman Museum of Art (Abb. 206) kostete 66 Millionen US-Dollar und verkörpert mit seiner innovativen Architektur, die an Frank Gehry erinnert (der Bau wurde von dem Architekten Randall Stout aus Los Angeles entworfen), den Versuch der ehemaligen Eisenbahnstadt, mit einer überdimensionierten Kunstinstitution zur wirtschaftlichen Belebung beizutragen.182 Mittelgroße Städte wie Roanoke erhoffen sich einen «Bilbao-Effekt», ohne sich in der Regel der problematischen Kosten-Nutzen-Rechnung einer solch konsumorientierten Entwicklungsstrategie bewusst

zu sein. Wie Ann Markusen schreibt, gelingt es nur wenigen der großen und hoch spezialisierten Städte wie Las Vegas oder Orlando wirtschaftlich von solchen Einrichtungen zu profitieren, indem sie eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Unternehmen, Besuchern und Touristen anziehen. Die meisten Städte profitieren jedoch nur wenig vom Kulturtourismus. Dies steht im Kontrast zu den oft überoptimistischen Fachgutachten, die die Entscheidungsträger vom wirtschaftlichen Potenzial solcher Einrichtungen zu überzeugen suchen. Normalerweise operieren diese groß angelegten Kultureinrichtungen auf Verlustbasis, weil die Betriebskosten in Verbindung mit den Zins- und Tilgungskosten zu hoch sind. Öffentliche Investitionen lassen sich so nicht rechtfertigen. Solche Megaprojekte sehen in Kunst und Kultur nur das Mittel zum Zweck und machen aus Kleinstädten «Möchtegern-Städte». Im Gegensatz zu Großstadtregionen sind Kleinstädte oft besser in der Lage, aus Kultur und Kreativität einen Vorteil für ihre städtische Erneuerung zu ziehen, und zwar dann, wenn Kunst und Kultur Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung nehmen und nicht an einem einzigen Ort konzentriert sind. Kleinstädte profitieren von ihrer 206. Roanoke, Virginia, USA. Das Taubman Museum of Art – ein 66 Millionen Dollar teures Gebäude – ist ein gutes Beispiel für eine Kultureinrichtung, die nicht nur gebaut wurde, um für eine Kunstsammlung Ausstellungsfläche zu schaffen, sondern auch, um der Stadt Gelegenheit zu geben, sich zu profilieren.

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Größe und können so verschiedene Mitglieder und soziale Gruppen überzeugen und motivieren. Wie in Paducah oder New York Mills, wo Einwohner und Künstler gemeinsame Anstrengungen unternehmen, Kunst und Kultur voranzubringen, können Kleinstadtbewohner einen Wandel durch Kultur erreichen. Markusen meint, dass es «kleineren Städten leichter fällt, sich mit potenziellen Partnern zusammenzuschließen, um ein lebhaftes kulturelles und wirtschaftliches Leben zu entwickeln».183 Sie spricht sich daher eher für kulturelle Aktivitäten aus, die auf viele verschiedene Viertel verteilt sind, als für eine einzelne Einrichtung oder eine bestimmte Gegend, die als «Kulturviertel» ausgewiesen wird. Durch die Integration von Kultur und Kunst in die gesamte kleinstädtische Struktur können die Einwohner – und nicht nur die Touristen – an vielen kulturellen Aktivitäten teilhaben.

Die Gefahr der Kommerzialisierung Die Bemühungen, Kunst, Kultur und Kreativität der Belebung von Kleinstädten dienstbar zu machen, berühren auch das Thema der Kommerzialisierung des Raums. Wenn Kreativität ausschließlich ein Mittel zum Zweck ist, dann werden Kleinstädte lediglich zu Waren für Leute, die sich ein Leben in einer idyllischen Kleinstadt leisten können, die sich ihre lokale Identität durch das Werk von Künstlern und «Bohemiens» geschaffen hat. Die ländliche oder kleinstädtische Idylle wird kommerzialisiert, da ihre ursprünglichen Funktionen – landwirtschaftliche Arbeit, eine auf Rohstoffen basierende Wirtschaft, die Verbindung zur Natur etc. – nur noch als Idealvorstellungen oder Kulissen des modernen Lebensstils

herhalten müssen. Der Geograf Edward Relph war einer der Ersten, der diese Tendenzen als die Imagination von Landschaften bezeichnete.184 Er führt das Beispiel einer kleinen Bergbaustadt in British Columbia an, die sich dazu entschloss, «bayerisch zu werden», um sich an Touristen zu vermarkten. In diesem Fall wird Kultur zur Übernahme einer Illusion (bayerische Lederhosen in der kanadischen Provinz) in einem real existierenden Ort, der ein ganz anderes kulturelles Erbe besitzt (nämlich die Arbeitertradition in einer Bergbaustadt). Die Soziologin Sharon Zukin beobachtet in ihrem Buch Landscapes of Power: From Detroit to Disney World den Trend, urbane Landschaften in Konsumtempel zu verwandeln, der von den Herausforderungen der Deindustrialisierung und dem Aufkommen einer postindustriellen Wirtschaft noch verstärkt wird. Kunst und Kultur im kleinstädtischen Kontext laufen Gefahr, das zu erzeugen, was der Geograf David Harvey als «degenerierte Utopien» bezeichnet – harmonische Räume, die von der «realen» Welt abgekoppelt sind. Solche Räume integrieren Kunst und Kreativität als Spektakel und beschwören eine Identität im luftleeren Raum. Planer und Architekten müssen in Kleinstädten immer einen Drahtseilakt vollziehen zwischen der Kommerzialisierung von Kunst und der eigentlichen Aufgabe der Kreativität, an einer nachhaltige Belebung und Entwicklung der Gemeinde entscheidend mitzuwirken.

207. Harpers Ferry, West Virginia, USA. Die Stadt liegt im Harpers Ferry National Historical Park am Zusammenfluss von Potomac und Shenandoah. Sie ist historisch vor allem durch einen Sklavenaufstand im Jahr 1859 bekannt. Harpers Ferry hat nur etwa 300 Einwohner, wird aber pro Jahr von mehr als einer Million Menschen besucht.

8 KREATIVITÄT UND KULTUR

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208. Lewes, England.

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Gerechtigkeit: Wohnraum, Arbeit und soziales Wohl

Lebensqualität und gesellschaftliches Wohlergehen werden oft als die Hauptsorgen der wohlhabenden Mittelklasse gesehen – Themen, die sich nicht mit den Nöten der Bedürftigen befassen und darum die sozio-ökonomische Ungleichheit ausklammern. In der Literatur ist Gerechtigkeit jedoch neben Wirtschaft und Umwelt eine der «drei Säulen» der Nachhaltigkeit und steht sowohl mit wirtschaftlicher als auch mit ökologischer Nachhaltigkeit in engem Zusammenhang. Strukturwandel, neue Technologien und veränderte Bedingungen im Einzelhandelssektor haben die Wirtschaft vieler Kleinstädte in Mitleidenschaft gezogen, von denen einige nun unter hohen Arbeitslosenquoten, Armut und einer überdurchschnittlich hohen Zahl an sozial schwachen und von der Sozialhilfe abhängigen Haushalten leiden. Die Eröffnung immer neuer großer Supermärkte auf der Grünen Wiese, die größere Mobilität der Konsumenten, die steigende Beliebtheit des Internetshoppings sowie die starke Zunahme von Ansiedlungs- und Steueranreizen, die große Unternehmen begünstigten, führten zur Schließung unabhängiger Einzelhandelsgeschäfte und zum Rückzug privater Kleinunternehmen wie Kinos oder Bankfilialen. In nur fünf Jahren, zwischen 1995 und 2000, nahm in Großbritannien 9 GERECHTIGKEIT

die Zahl örtlicher Bankfilialen, Postämter, Kneipen, Lebensmittelgeschäfte und Tante-Emma-Läden um insgesamt 30.000 ab – ein Rückgang von 20 Prozent. Im gleichen Zeitraum fielen bei unabhängigen Einzelhändlern, die Frischwaren verkaufen (Bäckereien, Metzgereien, Fisch- und Gemüsehändlern), die Verkaufszahlen um 40 Prozent, während Supermärkte ihren Marktanteil wesentlich erhöhen konnten. Nicht alle dieser Verluste fielen in Kleinstädten an, aber die Auswirkungen waren hier unverhältnismäßig stark und leisteten der Entwicklung von «Geisterstädten» Vorschub.185 Indes haben auch eine neoliberale Politik und ein zunehmender wirtschaftlicher Rationalismus dazu beigetragen, dass viele nationale und lokale öffentliche Dienstleistungen privatisiert wurden. Schulen, Krankenhäuser und der öffentliche Verkehr wurden immer weniger finanziell unterstützt. Der Verlust von Geschäften und Dienstleistungen hat nicht nur für Beschäftigung und Einkommen negative Folgen, sondern auch für die allgemeine Lebensqualität, die Geselligkeit und den sozialen Zusammenhalt. In Städten mit einem hohen Anteil an Armut und Arbeitslosigkeit ist es schwierig, Unterstützung für ökologische Nachhaltigkeitskonzepte zu finden. Die Abwärtsspirale einer kumulativen wirtschaftlichen Kausalkette (Abb. 209) geht somit einher mit der Abwärtsspirale einer kumulativen sozio-kulturellen Kausalkette. Beide verstärken sich gegenseitig. Wirtschaftlicher Verfall und Investitionsabbau führen zu Arbeitsplatzverlusten, Abwanderung, reduzierter Nachfrage nach einheimischen Waren und Dienstleistungen, einem geringeren lokalen Steueraufkommen, einer schlechteren Infrastruktur und einer immer unattraktiver werdenden Umgebung für neue wirtschaftliche Investitionen. Niedrige Einkommen, eingeschränkte wirtschaftliche Möglichkeiten und das Fehlen sozialer und kultureller Annehmlichkeiten befördern Gefühle der Mutlosigkeit und Isolierung, während sozioökonomische Ungleichheiten zu gesellschaftlichen Spannungen und Missmut führen. Ein schwach ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl sowie ein schlechter sozialer Zusammenhalt tragen zu einem fatalistischen Grundgefühl bei, demotivieren die politische Führung und schrecken von Innovationen ab. Die Einschränkung von kommunalen Dienstleistungen lässt benachteiligte Haushalte und Individuen ohne ausreichende Unterstützung zurück. Nachhaltigkeit wird in solchen Situationen eine Unmöglichkeit. 161

Schließung von Geschäften und/oder Entlassungen Abwanderung; Schrumpfung des lokalen Arbeitsmarktes und Bevölkerungsrückgang

Abnahme der lokalen Nachfrage für Güter und Dienstleistungen

Verminderte Kapazität sozialen Wandel zu bewerkstelligen Instandhaltung der lokalen Infrastruktur, Versorgungsbetriebe, Gesundheits- und Ausbildungseinrichtungen, etc. wird schwieriger

Umsatzverluste im lokalen Einzelhandel und Gewerbe

Abnahme des lokalen Steueraufkommens

Rückgang des Wohlstands der Gemeinde

Geschwächte soziale Kohäsion; niedrige gemeinschaftliche Moral

Weniger Arbeitsplätze, geringere Einkommene

Zunahme von einkommensschwachen und benachteiligten Haushalten 209. Kumulative Kausalkette. Die Schließung örtlicher Betriebe führt oft zu einer sich weiter verstärkenden wirtschaftlichen und sozio-kulturellen Abwärtsspirale.

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Entmutigte Leitung und Verwaltung; Fatalismus und Konservatismus

Gerechtigkeit und soziales Wohl Die Frage nach der Gerechtigkeit hängt in hohem Maße von moralischen und politischen Einstellungen ab. Vertreter des rechten Endes des politischen Spektrums neigen dazu, an eine «wirtschaftliche Gerechtigkeit» durch den Wettbewerb des freien Marktes zu glauben, in dem Unterschiede in Können und Leistung zu mehr Produktivität von Menschen und Orten führen, sodass das soziale Wohl logischerweise an hochproduktiven Orten und Regionen höher ist. Diejenigen am linken Ende des politischen Spektrums glauben eher an eine «soziale Gerechtigkeit», die sich auf den Grundgedanken der Gleichwertigkeit der Leistung stützt. In der Mitte des Spektrums finden sich jene, die ein gewisses Maß an ungleicher Leistung als Preis für wirtschaftliche Effizienz akzeptieren. Der Geograf David Harvey meint, dass eine gerechte Verteilung nichts mit der Gleichwertigkeit von Leistungen zu tun haben müsse, sondern sich nach den Kriterien der Bedürftigkeit, des Beitrags zum Allgemeinwohl und des Verdienstes richten sollte, während sie gleichzeitig dafür sorgt, dass die Chancen der am wenigsten begünstigten Orte verbessert würden.186 In den meisten westlichen Ländern besteht seit langem Konsens darüber, dass individuelle Chancengleichheit und die Gleichheit beim Zugang zu kollektiven Ressourcen zu den Grundrechten gehören, ebenso wie die Idee, dass es einen gewissen Mindestlebensstandard hinsichtlich Einkommen, Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung geben sollte. Dieser Konsens wurde allerdings seit den 1980er-Jahren von der Hinwendung zu einer neoliberalen Wirtschaftsordnung erschüttert, in der progressive Vorstellungen über Allgemeinwohl und Zivilgesellschaft vom Widerstand des Volkes gegen höhere Steuern in den Hintergrund gedrängt wurden. Schulen, Krankenhäuser, Polikliniken, Postämter und öffentliche Verkehrsbetriebe wurden geschlossen und Investitionen in die technische Infrastruktur und in öffentliche Versorgungsbetriebe reduziert. Auch Sozialhilfeprogramme wurden gestrichen. Dennoch ist es offensichtlich, dass Gerechtigkeit der Schlüssel zu einer nachhaltigen Entwicklung ist. Neben einer robusten Wirtschaft mit einem unterschiedlichen Angebot an Arbeitsplätzen braucht man in Kleinstädten geeigneten und erschwinglichen Wohnraum (zum Kauf oder zur Miete), um die 9 GERECHTIGKEIT

gesellschaftliche Vielfalt zu bewahren und um den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Netzwerke aus Familie und Freunden aufrecht zu erhalten und zur Tragfähigkeit der öffentlichen Einrichtungen beizutragen. Dabei hilft es, dass in einer nachhaltigen Gemeinde die Bewohner die Möglichkeit haben, Kontrolle und Einfluss auf die Entscheidungen, die ihr Leben beeinflussen, auszuüben. In diesem Kapitel werden diese grundlegenden Aspekte genauer beleuchtet und anhand von Beispielen innovative Herangehensweisen für bezahlbaren Wohnungsbau, Bildung und das Gesundheitswesen aufgezeigt. Außerdem wird erörtert, welche Eigenschaften eine erfolgreiche institutionelle Infrastruktur ausmachen.

Günstiger Wohnraum Das Fehlen von qualitativ hochwertigem, günstigem Wohnraum ist eines der dringlichsten Probleme, mit denen sich Kleinstädte heute konfrontiert sehen und das ihre Lebendigkeit und ihren Bestand langfristig bedroht (Abb. 210–212). Ohne ein angemessenes Angebot von erschwinglichem Wohnraum wird es für manche Haushalte unmöglich, in der Stadt zu bleiben. Ein ernst zu nehmendes Ungleichgewicht in der demografischen Zusammensetzung der Gemeinden ist dann die Folge. Dabei sind oft gerade jene Bewohner, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind, besonders wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung, denn sie tragen zu einem gesunden Arbeitsmarktprofil im Hinblick auf Alter, Fähigkeiten und Bedürfnisse bei. Allzu oft bedeutet jedoch der relativ kleine Wohnungsmarkt in Kleinstädten, dass sowohl die Politik als auch die Marktstrategen großer Baugesellschaften kein Interesse daran haben, dem großen Problem des günstigen Wohnraums mit adäquaten Mitteln zu Leibe zu rücken. In Großbritannien zum Beispiel ist es die Politik der Regierung, öffentliche Angestellte vorrangig mit Wohnraum, darunter auch einem bestimmten Anteil günstigen Wohnraums, zu versorgen. Allerdings ziehen die sehr eng definierten Kriterien, wer öffentlicher Angestellter ist (nämlich Angestellte bei der Polizei, im Gesundheits- und Bildungswesen), nicht die Bedürfnisse der jeweiligen lokalen Wirtschaft in Betracht. Indes haben die vergleichsweise höheren Baukosten bei kleineren Einheiten in Kleinstädten manchmal auch dazu geführt, dass der soziale Wohnungsbau auf der Prioritätenliste von Behörden und Baufirmen einfach zu weit nach unten gerutscht ist, um noch bezuschusst oder als spekulatives Renditeobjekt gebaut zu werden. Vor allem der 163

Druck auf die Behörden, möglichst viele Einheiten bei begrenztem Budget bereitzustellen, arbeitet gegen die Kleinstädte und bevorzugt die Großstädte. Im Idealfall sollte sich die Aufmerksamkeit darauf richten, kleine Wohnungsbauprojekte zu fördern, die auf die örtlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind, qualitativ hochwertig sind sowie Struktur und Charakter einer Stadt samt ihrer Region abbilden. Im Osten Englands lässt sich die komplexe Problematik des Wohnungsbaus besonders gut veranschaulichen. Die Region hat den größten Anteil an Marktstädten in Großbritannien (über 17 Prozent) und auch den größten Anteil an Einwohnern, die in Land- und Küstenstädten leben. Eine starke Bevölkerungszunahme, sich ausweitende Pendlerradien um London, Norwich und Cambridge sowie der gestiegene Bedarf an Zweitwohnungen in Küstennähe haben zur Wohnungsnot in der Region geführt. Die Immobilienpreise sind in den letzten Jahren stark gestiegen, und es wird immer schwieriger, günstigen Wohnraum zu finden. Eine Wohnungsmarktanalyse der Regierung schätzt, dass jährlich 7.000 günstige Wohneinheiten benötigt werden, um die bestehende Nachfrage decken zu können. Gegenwärtig stehen allerdings nur 3.000 Einheiten tatsächlich zur Verfügung. Der «Plan für nachhaltige Gemeinden» der britischen Regierung, der im Februar 2003 auf den Weg gebracht wurde, hat inzwischen die Rahmenbedingungen für große Bauvorhaben in vier Wachstumsregionen festgelegt, von denen drei im Osten Englands liegen: Milton Keynes, Thames Gateway und der London-StanstedCambridge-Korridor. Dies wird große Auswirkungen auf die Kleinstädte der Region haben. Der Schwerpunkt des sogenannten Sustainable Communities Plan liegt auf einer sehr raschen Erstellung von Wohnraum in den ausgewiesenen Regionen. Gleichzeitig sollen mehr Wohnungen für Haushalte der mittleren Einkommensklasse, zum Beispiel für öffentliche Angestellte, bereitgestellt werden. Eine der Kleinstädte der Region mit akuter Wohnungsnot ist Newmarket (17.000 Einwohner). Das Problem wurde im Rahmen eines «Gesundheitschecks» der Countryside Agency aufgedeckt; Newmarket gehört inzwischen zum Natural England’s Network of Beacon Towns – das sind Orte, deren Bündnisse zwischen Stadtverwaltungen, Firmen und Gemeindegruppen die Arbeit anderer

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210. Şeica Mică, Rumänien. Şeica Mică ist eine kleine Stadt in Rumänien mit etwa 1.800 Einwohnern. Die Stadt macht einen tief greifenden sozialen Wandlungsprozess durch, der sich an der Infrastruktur ablesen lässt. Der größte Teil der Bevölkerung von Şeica Mică, das im 14. Jahrhundert gegründet wurde, gehörte zur deutsch sprechenden Minderheit. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verließen viele Bewohner die Stadt. Einige davon kommen jetzt wieder zurück und renovieren ihre Häuser (wie die beiden Häuser links).

211. Bridport, England. In kleinen Städten, die relativ wohlhabend und für Rentner und Zweitwohnungsbesitzer attraktiv sind, führt das begrenzte Wohnungsangebot oft dazu, dass sich ärmere Haushalte die Mieten nicht mehr leisten können.

212. Diss, England. Wohnungsbau für Senioren im Rahmen des Betreuten Wohnens.

Städte sowie die Entwicklung nationaler Richtlinien beratend unterstützen sollen (siehe Kapitel 2). Newmarket ist eine typische englische Marktstadt, ein Zentrum für Dienstleistungen und Arbeitsplätze für die umliegenden ländlichen Siedlungen. Seine Wohnungsmarktprobleme sind typisch für viele andere Marktstädte. Als Zentrum des englischen Pferderennsports erzeugt es auch eine große Nachfrage nach Wohnraum bei jungen und allein stehenden Menschen, die ganz besonders bei der Wohnungssuche benachteiligt sind. Darüber hinaus besteht ohnehin ein überdurchschnittlicher Bedarf an Wohnraum (zum Kaufen sowie zum Mieten), da in der Gegend große Teile der Bevölkerung aus Angehörigen der U.S. Air Force (USAF) und deren Familien bestehen, die auf den Militärbasen RAF Mildenhall und RAF Lakenheath arbeiten. Weiterhin wird die Wohnraumnachfrage durch Newmarkets räumliche Nähe zur Wachstumsregion Cambridge sowie durch Fernpendler nach London beeinflusst. Diese Nachfrage hat zum dramatischen Anstieg der Häuserpreise in der Stadt sowie in den zwanzig umliegenden Dörfern geführt. Einwohner der unteren und mittleren Einkommensklassen finden es immer schwieriger, in ihrer eigenen Gemeinde wohnen bleiben zu können. Die Situation wurde durch die Reduzierung der Sozialwohnungen im Rahmen des staatlichen Right-to-Buy-Modells noch verschärft. Ein anderes Problem ist der stark limitierte Baugrund, der für neuen Wohnungsbau innerhalb von Newmarket zur Verfügung steht, was die Preise noch zusätzlich in die Höhe treibt. Teilweise hängen die Probleme auch mit Newmarkets Stadtsatzung zusammen, die zugunsten des Pferderennsports Grundstücke vor Überbauung schützt. Ungefähr 1.940 Hektar in und um Newmarket finden sich im Besitz von Jockey-Clubs mitsamt ihren Gestüten, Trainingseinrichtungen, verpachteten Bauernhöfen und ungefähr neunzig Wohn- und Geschäftsimmobilien. Nachdem Newmarket im Jahr 2003 seinen «Gesundheitscheck» durchgeführt hatte, wurde günstiger Wohnraum zum vordringlichsten Problem erklärt. In der Folge wurde die Newmarket Community Partnership gegründet, deren Aktivitäten sich hauptsächlich auf Newmarkets Rolle als Beacon Town konzentrieren.187 Das Bündnis hat drei Arbeitsgruppen gebildet, um die Themen Woh-

9 GERECHTIGKEIT

213. Waldkirch, Deutschland. Das neue Wohngebiet Am Stadtrain. Die Bauherren haben sich in Baugruppen zusammengeschlossen, um die Kosten für die Architekten, die Handwerker und die Infrastruktur zu teilen.

214. Waldkirch, Deutschland. Die Häuser im neuen Stadtteil von Waldkirch sind erschwinglich.

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215. Waldkirch, Deutschland. Die Stadtplanung muss die Bedürfnisse verschiedener Generationen berücksichtigen, Nachhaltigkeitsbemühungen sollten sich auf soziale Gerechtigkeit konzentrieren. 166

nungsnot, Bestimmung von Baugrund sowie Bürgerbeteiligung anzugehen. Es arbeitet inzwischen mit sozialen Bauträgern, Ortsverwaltungen und dem Pferderennsport zusammen, um eine auf die Örtlichkeit zugeschnittene Definition von «öffentlichen Angestellten» vorzunehmen. Außerdem will es potenzielle Bauplätze und leer stehende Gebäude für die Errichtung günstigen Wohnraums identifizieren, partizipative Planungs- und Entwicklungsprozesse anstoßen, die wann immer möglich moderne Konstruktionsweisen verwenden, und mit den örtlichen Arbeitgebern zusammenarbeiten, um bezahlbare Wohnungsbauprojekte zu entwickeln. Das Bündnis ist auch an einer ökologischen Bauweise und an der lokalen Architektur interessiert, die insbesondere vom Pferdesport und von den vielen denkmalgeschützten Höfen in der Stadt geprägt ist.

Das Bildungs- und Gesundheitswesen in Kleinstädten Bildungs- und Gesundheitswesen sind wichtige Bereiche für die soziale Nachhaltigkeit von Kleinstädten und gelten üblicherweise als öffentliche Aufgaben. Diese Dienste können allerdings oft wegen fehlender Investitionen oder Investitionsabbau nicht angeboten werden – eine Folge des Bevölkerungsrückgangs oder des fehlenden politischen Willens, abgelegene oder schrumpfende Gemeinden zu unterstützen. Wirtschaftlicher und sozialer Wohlstand beruhen aber auf einer gebildeten und gesunden Bevölkerung. Der Wirtschaftswissenschaftler Andrew Isserman und seine Kollegen untersuchten den Wohlstand ländlicher Regionen in den Vereinigten Staaten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ökonomen, die auf quantitative Messgrößen wie die Zunahme von Arbeitsplätzen oder Einkommen schauen, definiert Isserman Wohlstand in qualitativer Hinsicht.188 Er analysierte ländliche Verwaltungsbezirke bezüglich Wohnqualität, Arbeitsplätzen, Armut und Bildung. Ländliche Regionen – definiert als Gebiete ohne urbanes Zentrum mit mindestens 10.000 Einwohnern oder Gebiete, in denen 90 Prozent der Bevölkerung in ländlicher Umgebung leben –, welche prosperieren, sorgen für hohe Schulabschlussquoten, die Schulleistungen sind im Allgemeinen hoch, die Arbeitslosen- und Armutsquoten niedrig, und die Einwohner profitieren vom Zugang zu günstigem und hochwertigem Wohnraum. Aus Issermans Forschungsarbeit lässt sich folgern, dass Kleinstädte und ländliche Räume nicht unbedingt unter ihrer geringen 9 GERECHTIGKEIT

Größe oder Abgeschiedenheit leiden müssen. Vielmehr kann es ihnen gut gehen, wenn sie durch richtige Investitionsentscheidungen und besondere Programme das Bildungs- und Gesundheitsniveau hoch und gleichzeitig Arbeitslosigkeit und Armut gering halten. Die Gesundheitsversorgung ist für Kleinstädte ein wichtiges soziales Thema. Viele abgeschieden gelegene Kleinstädte müssen eine erhebliche Einschränkung ihrer medizinischen Versorgung erfahren, es fehlen Ärzte, Krankenhäuser oder Apotheken. In Minnesota zum Beispiel ist die Anzahl unabhängiger Apotheken zwischen 2002 und 2008 um 20 Prozent gesunken.189 Gleichzeitig stellt die Zahl der Drogentoten – meistens durch Missbrauch von verschreibungspflichtigen Medikamenten – ein großes Problem in ländlich und kleinstädtisch geprägten Regionen dar. In Gebieten mit hohem Arbeitsplatzabbau und wirtschaftlichem Niedergang ist Medikamentenmissbrauch eine der häufigsten Todesursachen. Außerdem ist die Auswahl an gesunden Nahrungsmitteln oft gering, wenn Kleinstädte ihr landwirtschaftliches Kapital nicht durch Vorfinanzierungsmodelle (etwa wie bei der community supported agriculture in den USA, siehe Kapitel 6) oder durch Wochenmärkte zu nutzen wissen. Ähnlich wie das Gesundheitswesen leiden in Kleinstädten auch die Bildungseinrichtungen unter verschiedenen Problemen. In den USA sind kleine und ländliche Schulbezirke chronisch unterfinanziert. Der Bevölkerungsrückgang führt zum Verlust einer vernünftigen Steuerbasis und somit zum Verlust öffentlicher Gelder, die in Bildungseinrichtungen investiert werden könnten. Hinzu kommt, dass viele amerikanische Bundesstaaten die Finanzierung des Bildungssystems den Kommunen aufbürden. In Minnesota beispielsweise sind 83 Prozent der ländlichen Schulbezirke von Steuererhebungen abhängig.190 Diese Steuererhebungen (zum Beispiel die Erhöhung der Vermögenssteuer) können aber leicht bei der nächsten Kommunalwahl wieder gestrichen werden. Zum Bevölkerungsrückgang und dem allgemeinen Unwillen, öffentliche Einrichtungen zu finanzieren, kommt noch hinzu, dass viele Gemeinden nicht in der Lage sind, genügend Mittel für wichtige Investitionen in das Bildungswesen aufzubringen. Im Falle von Minnesota – ein Staat, der im Vergleich zu anderen für seine öffentlichen Bildungsausgaben bekannt ist – berichten Schulins167

pektoren, dass das Bildungsniveau in den letzten Jahren gesunken sei und man davon ausgehen müsse, dass sich dieser Trend fortsetze, sollte nicht ein anderes Finanzierungssystem gefunden werden. In der ganzen Welt gibt es Gemeinden und Kleinstädte, die sich mit diesen Themen befassen und innovative Lösungsansätze finden. Jedes Jahr kürt America’s Promise Alliance – ein gemeinnütziger Zusammenschluss von verschiedenen Bildungs- und sozialen Organisationen – die einhundert besten Gemeinden für junge Menschen.191 Kleinstädte wie Orofino in Idaho oder Lamoni in Iowa arbeiten etwa daran, den Jugendlichen bessere Ausbildungsmöglichkeiten zu bieten. Viele dieser Städte haben Bündnisse und Netzwerke unter lokalen Bürgergruppen gebildet, um verschiedene soziale und kulturelle Angebote besser zu integrieren. Einige haben auch Jugendausschüsse ins Leben gerufen, die den Bürgermeister beraten, andere haben Mentoring-Programme oder Programme zur Drogenprävention und zur kindlichen Früherziehung entworfen oder Programme für Schulabbrecher erstellt, die es ihnen ermöglichen, ihre Ausbildung wieder aufzunehmen.

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Auch Deutschlands Stadtverwaltungen werden sich der Bedeutung einer familienfreundlichen städtischen Umwelt zunehmend bewusst. Ein breites Spektrum an Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder gilt heute als eines der wichtigsten Kriterien für Lebensqualität. In Deutschland stehen diese Überlegungen im Kontext des demografischen Wandels (Überalterung der Bevölkerung, sinkende Geburtenraten, steigende Zahlen berufstätiger Frauen). Die Verfügbarkeit und die Qualität der Kinderbetreuung sind für Kleinstädte von großer Bedeutung, wollen sie den Bedürfnissen der Gesellschaft entgegenkommen.

216. Waldkirch, Deutschland. Das «Rote Haus» in Waldkirch ist ein Mehrgenerationenhaus und dient dem Stadtteil als Gemeindezentrum. Es beherbergt eine Gemeindeküche, Büros von Sozialarbeitern und Gemeinschaftsräume. Als Stadtteiltreff hat es die Nachbarschaft stabilisiert.

217. Waldkirch, Deutschland. Die Kirche St. Margarethen wurde zwischen 1732 und 1734 im barocken Stil erbaut. 9 GERECHTIGKEIT

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Waldkirch, Deutschland Waldkirch, eine Stadt mit ungefähr 20.000 Einwohnern, liegt in einem Tal im Schwarzwald. In die Schweiz oder nach Frankreich ist es nicht weit. Regelmäßige Zugverbindungen bestehen in die nächstgrößere Stadt Freiburg, die Deutschlands Vorzeigestadt für ökologische Nachhaltigkeit ist. Waldkirch schloss sich im Jahr 2002 als zweite deutsche Stadt der Cittaslow-Bewegung an. Die historischen Wurzeln der Stadt gehen auf das Jahr 926 zurück, als die Siedlung das erste Mal urkundlich erwähnt wurde. Die Region ist bekannt für ihre Edelsteinindustrie und für ihre Tradition des Orgelbaus, der um das Jahr 1799 begann. Das Besondere an der Stadt ist ihre ungewöhnlich große Anzahl bürgerlicher und sozialer Aktivitäten sowie ihre öffentlichen und privaten Anstrengungen, eine sozial gerechte Stadtplanung zu verwirklichen. Es gibt 217 verschiedene örtliche Vereine; eine Reihe von Modellprojekten beschäftigt sich mit der Frage der sozialen Nachhaltigkeit und der Rolle des bürgerlichen Engagements. Waldkirch ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Stadt soziale Nachhaltigkeit propagieren und gleichzeitig ihre Wirtschaft stärken kann, indem sie auf das sozio-ökonomische Wohl ihrer Einwohner achtet. Eines der ersten Projekte in Waldkirch war die Revitalisierung eines abbruchreifen Hauses, das sich, von einem Schrottplatz umgeben, in einem vernachlässigten Stadtviertel befand. Waldkirchs Stadtverwaltung investierte etwa 900.000 Euro in die Renovierung des Hauses, das inzwischen wegen seiner leuchtend roten Fassade als «Rotes Haus» bekannt ist. Heute dient das Gebäude als Bürgerzentrum, beherbergt das Büro eines Sozialarbeiters sowie eine Küche, die Mahlzeiten für das Viertel anbietet. Seit Herbst 2003 gibt es einen Wochenmarkt mit frischem Obst und Gemüse, Brot und fair gehandelten Produkten. Seit der Eröffnung des «Roten Hauses» sind sowohl die Kriminalität als auch der Vandalismus in diesem Teil der Stadt zurückgegangen. Bewohner des Viertels aller Altersgruppen und Ethnien konnten engere soziale Netzwerke untereinander knüpfen. Um die sozialen Anstrengungen auch mit wirtschaftlichen Chancen für die Bevölkerung zu verbinden, initiierte Waldkirch ein Beschäftigungsprogramm für Langzeitarbeitslose. Die Küche des «Roten Hauses» beschäftigt zum Beispiel Bewohner des Viertels, von denen viele später einen 170

218. Der Stadtkern von Waldkirch.

219. Waldkirch, Deutschland. Der Marktplatz ist ein zentraler Treffpunkt. Auf dem autofreien Platz findet auch der Wochenmarkt statt. Die Renovierung des Brunnens wurde durch die Bürger finanziert.

220. Waldkirch. Die Lange Straße, eine der Haupteinkaufsstraßen.

festen Job in Restaurants der Region bekommen. Andere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es in einem Secondhand-Laden und bei verschiedenen Dienstleistungen (Rasenmähen, Fensterputzen, Kurierdienste, Renovieren, Umzugsservice etc.). Ein anderes Beschäftigungsprogramm spricht Menschen an, die bald in Rente gehen werden und bereit sind, ihre Arbeitsplätze mit Arbeitssuchenden zu teilen. Dem Arbeitnehmer wird so die Möglichkeit gegeben, sich bereits vor seiner Pensionierung an den gesellschaftlichen und kulturellen Aktivitäten in Waldkirch zu beteiligen. Indem sie einen konkreten Raum anbieten, in dessen Umfeld sich soziale Netzwerke entwickeln können, und indem sie Arbeitslose wieder in Arbeit bringen, können Waldkirchs Stadtplaner ihr Ziel verwirklichen, soziale Gleichheit mit wirtschaftlichem Nutzen zu verbinden. Im Jahr 2004 wurde Waldkirch vom Bund als «Soziale Stadt» ausgezeichnet, das «Rote Haus» wurde 2007 von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum «Mehrgenerationenhaus» ernannt. Daher wird Waldkirch zukünftig 40.000 Euro im Jahr erhalten, um das Haus weiterhin als Treffpunkt für Jung und Alt betreiben zu können. Waldkirch setzt außerdem eine bundesweite Initiative zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit um. Das Projekt bildet lokale Bündnisse, die eine familienfreundlichere Stadt fördern. Man will eine städtische Umgebung schaffen, in der sich Familien wohl fühlen und in der es eine bessere Balance zwischen Arbeiten und Leben gibt. Ein wichtiges Element ist hierbei eine ausreichende Versorgung mit Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen. In Deutschland sind die Gemeinden dazu verpflichtet, Kinderbetreuungsplätze für die dort lebenden Familien bereitzustellen und zu finanzieren. Waldkirch plant, dieses Angebot in Eigeninitiative durch sein «Raum für Kinder»-Programm zu erweitern. Ein Erfolg war kürzlich die Eröffnung einer Ganztagsschule. Die Kleinstadt Waldkirch bietet zudem eine ganze Reihe von pädagogischen Einrichtungen verschiedener Ausrichtung an, wie zum Beispiel eine Montessori-Schule, eine Waldorf-Schule sowie einen Waldkindergarten.

Flächennutzung gestaltet. Die Stadtplaner bedienten sich sogenannter «Baugruppen», um ein neues Stadtviertel zu gestalten. Baugruppen setzen sich aus Leuten zusammen, die gern ein Haus bauen wollen, aber vielleicht nicht die nötigen finanziellen Mittel für einen individuellen Bau haben. Die Gruppen arbeiten bei der Planung und Durchführung des Projekts zusammen, was wiederum ein dichtes soziales Netzwerk fördert, Nachbarn zusammenbringt, Kosteneinsparungen ermöglicht, Bauherren schon zu Beginn des Hausbaus einbezieht sowie zu einer individuellen und auf die einzelnen Bedürfnisse zugeschnittenen Bauweise und Gestaltung der Umgebung führt. Diese Baugruppen finden sich in Deutschland immer häufiger, wenn es darum geht, einen Stadtteil zu revitalisieren oder eine Stadt zu sanieren. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten oder in Skandinavien, ist eine solche sozial orientierte Stadtteilentwicklung unter dem Begriff co-housing bekannt. Waldkirch konzentriert sich darauf, soziale Nachhaltigkeit in verschiedenen Bereichen des urbanen Lebens herzustellen und zu bewahren. Die Tradition, den Wochenmarkt auf dem Hauptplatz im Zentrum von Waldkirch abzuhalten, verleiht dem Ort beispielsweise etwas sehr Charakteristisches. Zweimal die Woche lockt der Markt die Bevölkerung und Besucher von außerhalb auf den autofreien Marktplatz. Die Marktbesucher nehmen sich meistens Zeit, die Waren zu probieren und mit Freunden und Bekannten zu reden. Solche «gewohnheitsmäßigen Bewegungen an wichtigen Plätzen»192 führen zu einer verstärkten Identifikation mit dem Ort, was wiederum die soziale Nachhaltigkeit fördert. Soziale Nachhaltigkeit bedeutet Zugehörigkeitsgefühl, Besitz und Identifikation mit der städtischen Umgebung – auch das ist ein zentrales Ziel der Cittaslow-Bewegung. Die Bemühungen Waldkirchs, sich seine lokale Identität zu bewahren, richten sich auch auf Stadtviertel, deren Identität gefährdet ist, da sie ihre Infrastruktureinrichtungen – kleine Läden, Postämter oder Bankfilialen – zu verlieren drohen. Waldkirch ist eine Pilotgemeinde im Projekt «Lebensqualität durch Nähe», das den Wiederaufbau örtlicher Gemeinschaften und sozialer Netzwerke zum Ziel hat.

Familienfreundlichkeit und das Streben nach Gerechtigkeit wirken sich auch auf die Art und Weise aus, wie Waldkirch seine Raumplanung und 9 GERECHTIGKEIT

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Unsoziales Verhalten In Umfragen zur Lebensqualität in Kleinstädten rangiert die Sorge über unsoziales Verhalten gleich hinter den Sorgen um Arbeitsplätze und Einrichtungen für Jugendliche. Unsoziales Verhalten wird oft als ein Aspekt der gesellschaftlichen Misere interpretiert, die – zum Teil jedenfalls – im Gefühl der Benachteiligung, Ungleichheit und des Mangels begründet liegt. Unsoziales Verhalten ist jedoch, ähnlich wie Lebensqualität, schwer zu definieren, da es im Kontext regionaler kultureller Werte und Sitten gesehen werden muss. In Großbritannien, wo unsoziales Verhalten in Großstädten zu einem Problem geworden ist, hat die Wissenschaft drei große Kategorien unsozialen Verhaltens identifiziert.193 Zur ersten gehört bösartiges Verhalten, das sich gegen einzelne Individuen oder Gruppen richtet (zum Beispiel Beleidigungen oder Drohungen von Nachbarn, Vandalismus und schwere Beleidigung). In die zweite Kategorie fallen obstruktive Verhaltensweisen, mit denen andere daran gehindert werden, öffentliche Plätze zu benutzen: einschüchterndes Gehabe jugendlicher Gruppen, Drogenmissbrauch, übermäßiger Alkoholkonsum oder Trunkenheit auf öffentlichen Plätzen. Die dritte Kategorie betrifft unsoziales Umweltverhalten, das die Lebensumwelt entweder vorsätzlich oder durch Nachlässigkeit schädigt. Dazu gehören Graffiti, zurückgelassene Fahrzeuge, angezündete Mülltonnen, Lärmbelästigung, Hundekot, Verschmutzung durch Abfall oder illegales Müllabladen. Alle drei Kategorien können sich auf das Leben in Kleinstädten auswirken. Es sind jedoch die eingeschränkte Nutzung öffentlicher Plätze und unsoziales Umweltverhalten, die den Zusammenhalt der Gemeinschaft, die Gastlichkeit, Lebensqualität und Nachhaltigkeit am meisten beeinträchtigen. Natürlich gibt es Maßnahmen und Strategien, um unsoziales Verhalten zu bekämpfen, etwa die «Moskitos» (Kapitel 7), die Jugendliche von öffentlichen Plätzen abhalten sollen. Andere Strategien sind Nachbarschaftswachen, Videoüberwachung oder eine größere finanzielle Ausstattung der örtlichen Polizei. Dennoch ist der effektivste Weg, unsoziales Verhalten langfristig zu bekämpfen, eine aktive Bürgerbeteiligung sowie die Gestaltung eines Rahmens, der sich positiv auf die «drei Säulen» der Nachhaltigkeit – Wirtschaft, Umwelt und Gerechtigkeit – auswirkt.

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Die institutionelle Infrastruktur: Bündnisse, lokales Kapital und bürgerliches Engagement Die Natur sozio-ökonomischer Benachteiligung kann es in Kleinstädten erschweren, hilfsbedürftige Personen zu erkennen. Dadurch wird es auch schwieriger, angemessene Leistungen und Unterstützung bereitzustellen, geeignete Strategien zur Beseitigung von unsozialem Verhalten zu entwickeln sowie die Lebensqualität und das soziale Wohl zu verbessern. Das Problem wird oft durch institutionelle Strukturen, politische Richtlinien und Planungsstrategien noch verschärft, die dazu neigen, Bedürftige an einer Stelle zu konzentrieren. Folglich sind die Chancen auf Nachhaltigkeit in vielen Städten sehr begrenzt. Andererseits sind aber in Kleinstädten ehrenamtliche Tätigkeit und soziale Dienste oft stark ausgeprägt – vielleicht aus Not, weil gesetzliche Leistungserbringungen fehlen – und in der Lage, wenigstens einige der Probleme von benachteiligten Haushalten zu lösen. Bei der Arbeit von Institutionen und Ehrenamtlichen in Kleinstädten sind Bündnisse zwischen den einzelnen öffentlichen, privaten und ehrenamtlichen Sektoren von großer Bedeutung. Diese können dazu beitragen, Bedürfnisse vor Ort zu identifizieren, komplexe Finanzierungsgesuche zu koordinieren, Informationsquellen zu bündeln, bürgerliches Engagement und die Konsensbildung zu fördern, und sie können sich die Kompetenz aneignen, den Wandel strategisch zu meistern. Erfolgreiche Partnerschaften können fest verwurzelte konservative Sichtweisen und den beim Thema städtische Nachhaltigkeit an den Tag gelegten Zynismus oder Fatalismus überwinden. Auch die «Diskussionsmüdigkeit», die oft charakteristisch für bürokratische Planungsprozesse ist, lässt sich so vermeiden. Partnerschaften können außerdem die Anstrengungen der Stadt konkret sichtbar werden lassen, was zweifelsohne wichtig bei der Beschaffung äußerer Unterstützung und von Geldern ist. Das Beacon-Towns-Programm in England hat gezeigt, wie wichtig der Aufbau von Partnerschaften ist. Die «Gesundheitschecks» der Mitglieder des Netzwerkes weisen meist auf die Notwendigkeit hin, stärkere und repräsentativere Partnerschaften eingehen zu müssen, egal welchen

thematischen Schwerpunkt die Stadt gesetzt hat. Thirsk, ein Ort mit 8.000 Einwohnern in North Yorkshire, schloss zum Beispiel ein Bündnis, um sich speziell dem Problem unsozialen Verhaltens zu widmen, einschließlich Kriminalität und der Angst vor Kriminalität. Safety Thirsk umfasst Vertreter verschiedener kommunaler, öffentlicher und privater Organisationen, darunter örtliche Behörden, die Polizei, die Hambleton Community Safety Partnership, Schulen, das Jugendzentrum Thirsk Clock, die Armee, den Gewerbeverband von Thirsk sowie lokale Hausbesitzervereinigungen.194 In einer weiteren Beacon Town, Faringdon in Oxfordshire (6.000 Einwohner), entwickelte ein vorbereitender Lenkungsausschuss sorgfältig eine formale Bündnisstruktur, nachdem er sich über die verschiedenen Optionen zur Zusammensetzung der Gruppe professionell hatte beraten lassen. Das Ergebnis ist eine hoch entwickelte gemeinnützige Bündnisstruktur, das Faringdon Area Project, das aus einem Verwaltungsrat, den offiziellen Mitgliedern und einem Forum besteht. Faringdons «Gesundheitscheck» deckte eine Reihe von Hindernissen auf, die Gewerbebetriebe von Neugründungen oder Expansionen abhielten: Es fehlte den Betrieben an Geschäftsräumen, Unterstützung und beratenden Netzwerken sowie am Breitband-Internetzugang. Das Faringdon Area Project sorgte für eine «Markenidentität», die diese Bedürfnisse berücksichtigt, und begann damit, eine Reihe von Hilfsmechanismen für lokale Gewerbebetriebe zu entwickeln. Diese konzentrieren sich rund um ein «Enterprise Gateway», das von der South East England Development Agency (SEEDA) der britischen Regierung gegründet wurde. Dieses «Portal» berät die Unternehmen und verbessert die Infrastruktur, sodass neue und bereits existierende Betriebe wachsen und florieren können. Es unterstützt auch verschiedene Initiativen zur Wirtschaftsförderung, die in Faringdon entstanden sind, zum Beispiel eine Gruppe, die die einheimische Lebensmittelindustrie fördert, oder eine Gruppe, die sich für Breitband-Internet einsetzt.195

Arbeitsgruppen müssen klar definiert sein, richtig verstanden und respektiert werden. Behörden, die im Alleingang handeln, können nur eingeschränkt Erfolg erwarten, da sie im Wesentlichen Außenseiter sind. Egal wie gut ihre Richtlinien, Programme oder Forschungsinstrumente entwickelt sind, der Schlüssel zu wirksamen Veränderungen liegt in der Motivation und im Handeln der Gemeinschaft. Um das nötige kreative, dynamische und gemeinschaftliche Handeln zu fördern, braucht man das starke und anhaltende Engagement der Gemeinschaft, die die anstehenden Probleme lösen und die Ziele erreichen will. Wenn professionelles Know-how und ehrenamtliche Gruppen vor Ort zusammenarbeiten und mit lokalen privatwirtschaftlichen Interessen strategische Allianzen eingehen, kann jeder die beste aller Welten erreichen. Staatliche Stellen können Know-how, finanzielle Mittel und andere Hilfe zur Verfügung stellen, für die sie zuständig sind. Ehrenamtliche Organisationen finden sich in einem strategischen Rahmen aufgehoben und kommen besser an Geld. Und die örtlichen Betriebe können besser im externen Wettbewerb bestehen. Partnerschaften und Netzwerke (wie zum Beispiel Action for Market Towns, AlpCity, Cittaslow und «Lebensqualität durch Nähe») bilden lokales Kapital und erhöhen das gesellschaftliche Wohlbefinden, indem sie einen relativ großen Teil der Bevölkerung beteiligen. Ihr tägliches Handeln und ihr täglicher Umgang miteinander, ihre Projekte und Veranstaltungen verbessern das Vertrauen und den Austausch unter den Menschen, fördern die Kooperation und tragen zum Aufbau dynamischer, flexibler, lebhafter und engagierter Gemeinden bei.196

Gute Partnerschaften haben Visionen, strategisches Know-how und die richtigen Strukturen etabliert. Die Beziehungen zwischen den Einzelnen und den Partnern sowie zwischen den beteiligten

9 GERECHTIGKEIT

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221. Vigevano, Italien.

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Fazit: Was funktioniert (und was nicht)

Da sich Kleinstädte in den Industrieländern hinsichtlich ihrer Geschichte, Gestalt und Wirtschaft so sehr unterscheiden, muss man verallgemeinernde Schlussfolgerungen mit Vorsicht genießen. Auch wäre es naiv zu glauben, dass absolut jede Kleinstadt dem Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit (Umwelt, Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit) gerecht werden kann. Dies ist jedoch eine Aufgabe nationaler und übernationaler Regionalpolitik. Aus der Perspektive der jeweiligen Kleinstädte sind vier Hauptthemen für eine langfristige und nachhaltige Entwicklung entscheidend. 1. Erhalt: Wie lassen sich die sozio-kulturellen Eigenschaften der Stadt im Zuge von wirtschaftlichem Strukturwandel, neuen Siedlungsmustern, Globalisierung und globalen Abhängigkeiten erhalten. In der Praxis: Wie lassen sich Ortsidentität, Nachbarschaftlichkeit und Geselligkeit fördern. 2. Fortschritt: Wie kann man kritisch analysieren, ob es Fortschritte in Richtung Nachhaltigkeit gibt, und wie kann man Konflikte aufspüren, die vielleicht zwischen den «drei E» der Nachhaltigkeit bestehen. In der Praxis: Man muss Indikatoren und Messgrößen entwickeln, die Einzelnen und Organisationen in Kleinstädten Verantwortung zuweisen. 10 FAZIT: WAS FUNKTIONIERT (UND WAS NICHT)

3. Soziale Entwicklung: Wie kann man Armut und sozialer Ungleichheit begegnen, für ein adäquates Gesundheits- und Bildungswesen sowie für günstigen Wohnraum sorgen, sodass wirtschaftliche und soziokulturelle Abwärtsspiralen zumindest nicht das lokale Kapital aufzehren und so die Fähigkeit zunichte machen, mit Veränderungen gerecht und fortschrittlich umzugehen. 4. Visionen: Wie sollen sich die sozialen Wertvorstellungen der Bürger ändern, um Umweltschutz und Nachhaltigkeit in die Realität umzusetzen. In der Praxis: Wie soll man die Bürger weiterbilden und informieren, wie den ehrenamtlichen und den wirtschaftlichen Sektor mobilisieren, und wie soll man eine strategische Stadtpolitik um die drei Säulen der Nachhaltigkeit gestalten. Zunächst ist klar, dass ein Laissez-faire und wirtschaftsliberale Ansätze nicht zur Entwicklung kleinstädtischer Nachhaltigkeit taugen. Neue Technologien, die wirtschaftliche Logik von Masse und Agglomeration, die sich wandelnde internationale Arbeitsteilung sowie Rationalisierungsmaßnahmen im öffentlichen Sektor schließen jegliche Aussicht auf Nachhaltigkeit in Kleinstädten von vornherein aus. Selbst jene Orte, die sich, was Arbeitsplätze und Einkommen betrifft, glücklich schätzen können, Teil der postfordistischen Wirtschaft zu sein, brauchen eine Art kollektive, fortschrittliche Einstellung zur Lebensqualität und zum sozialen Wohl, und sei es auch nur, um die negativen Nebenwirkungen und externen Effekte des Wachstums zu mildern. Wir meinen, dass gewisse Interventionen nötig sind, um das öffentliche Interesse zu schützen und eine Nachhaltigkeitsstrategie zu verfolgen. Die Frage, die sich hieraus ergibt, lautet: Welche Art von Intervention? Wir haben gezeigt, dass herkömmliche Ansätze zur lokalen Wirtschaftsentwicklung, die zu sehr auf die reine Vermarktung des Ortes setzen und Investitionen hinterherjagen, keinen Erfolg haben, da sie nicht nachhaltig sind. Selbst da, wo solche Interventionen Arbeitsplätze geschaffen haben, werden Städte im Endeffekt oft zu «Möchtegern-Städten», die ihren Charakter und ihre Identität verloren haben. Sie werden zu «Inseln der McDonaldisierung» und zu Schnellschuss-«Lösungen», die von außen gesteuert und durch plötzlichen Investitionsabbau verwundbar werden. Die regionalen, nationalen und übernationalen politischen Rahmenbedingungen haben sich ebenso als nutzlos erwiesen, um kleinstädtische Nachhaltigkeit zu fördern. So wie 175

Kleinstädte von der Wissenschaft vernachlässigt werden, werden sie auch von der internationalen, nationalen und regionalen Politik übergangen. Dies bedeutet nicht, dass politische Rahmenbedingungen nicht effektiv sein können oder nicht wünschenswert wären. Es gibt tatsächlich eine ganze Reihe politischer Optionen, um die Nachhaltigkeit von Kleinstädten zu stärken. So gibt es zum Beispiel verschiedene Optionen, um dem Problem der Aufgabe unabhängiger Einzelhandelsgeschäfte in Kleinstädten zu begegnen, die mit der zunehmenden Dominanz nationaler und internationaler Einzelhandelsketten nicht mehr mithalten können. Beispiele hierfür sind: • Die Einführung einer Wirkanalyse für große Einzelhandelsgeschäfte, mit der sie die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Gemeinde darlegen müssten. • Die Einführung der Idee eines «Planungsnutzens» in die Baugenehmigung für Einzelhandelsgeschäfte, womit die Bauträger verpflichtet würden, eingesessene Geschäfte zu berücksichtigen. • Die Begrenzung des Marktanteils großer Einzelhändler. Eine Begrenzung auf 8 bis 10 Prozent würde einen Missbrauch der Marktmacht verhindern. • Die Beschränkung der baulichen Größe von Supermärkten. • Die Forderung an die lokale Politik, Pläne für den lokalen Einzelhandel zu entwerfen, die die Innenstädte in den Mittelpunkt der Entwicklung stellen. • Die Gründung von Stiftungen, die wichtige Grundstücke in der Innenstadt im Besitz der Gemeinde halten. • Die Verpflichtung, Güter und Dienstleistungen vor Ort zu beschaffen (oder wenigstens einen Mindestprozentsatz). • Die Reduzierung der Grundsteuer für unabhängige lokale Einzelhändler. • Ein lokales Verbot oder die Einschränkung von Franchise-Unternehmen, deren Dienstleistungen, Geschäftsabläufe, Ausstattung, Arbeitskleidung und andere Merkmale standardisiert und weltweit identisch sind.197 Wirtschaftlicher Wohlstand im weitesten Sinne ist für jeglichen Ansatz zur Nachhaltigkeit auf allen Ebenen entscheidend. Er ist eine notwendige 176

Vorbedingung für bürgerliches Engagement. Wenn Bürger zwei oder drei Berufen nachgehen müssen, haben sie keine Zeit mehr, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. Wirtschaftlicher Wohlstand ist auch wichtig, weil Initiativen zur Nachhaltigkeit auf öffentliche und private Investitionen angewiesen sind. Wie wir in Kapitel 6 gesehen haben, beruht eine traditionelle Wirtschaftsförderung auf der Ansiedlung von Industrie, was oft durch die Bereitstellung von Land und Infrastruktur für Industrieparks erleichtert wird. Dieser Ansatz kann manchmal auch eine nachhaltigere Dimension erhalten, nämlich dann, wenn die Industrieansiedlung eher selektiv betrieben wird. Ein Beispiel hierfür ist die Stadt Ararat in Australien (8.200 Einwohner), wo in einem Industriegebiet, dem sogenannten Renewable Energy Park, Turbinenschaufeln für Windgeneratoren gefertigt werden. Das strategische Ziel der Stadt Ararat ist es, ein bedeutender regionaler Produzent von Komponenten für alternative Energietechnologien zu werden. Obwohl diese Initiative auswärtige Großunternehmen in die Stadt bringt, ist man auch bestrebt, die bestehenden lokalen Unternehmen zu fördern, Anreize für Neugründungen zu schaffen sowie die Wissensbasis und das lokale Kapital auf dem Gebiet erneuerbarer Energietechnologien zu erweitern.198 Ein anderes Beispiel für selektive Industrieansiedlung findet sich im deutschen Hersbruck (12.500 Einwohner), wo die Industrie aus spezialisierten Unternehmen im Bereich Gesundheit und Wellness besteht. Als Cittaslow-Mitglied hat Hersbruck die Strategie einer «Gesundheitsregion» entwickelt, die auch 13 Nachbardörfer von Hersbruck umfasst und in der insgesamt 40.000 Menschen leben. In dieser kleinen Region gibt es etwa 180 Unternehmen, die sich auf verschiedene Weise mit dem Thema «Gesundheit» beschäftigen. Zu ihnen gehören beispielsweise eine große Krankenkasse und eine private Hautklinik. Aufbauend auf diesen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und auf der touristischen Infrastruktur der Fahrrad- und Wanderwege im Pegnitztal, hat die Stadt Hersbruck 21 Millionen Euro in ein Public Private Partnership investiert, um ein neues Wellness-Center – die Frankenalb Therme – errichten zu können. Die im Dezember 2004 eröffnete Anlage am östlichen Stadtrand beherbergt Schwimmbecken, Saunen, ein Wellness-Center und ein Restaurant mit Biokost. Der gesamte Komplex wird mit Pellets beheizt. Das

Thema der «Gesundheitsregion» wird außerdem durch ein Programm verfolgt, das Hotels und Restaurants zertifiziert, deren Zimmer und Speisen frei von allergenen Stoffen sind. Die Stadt selbst hat inzwischen Richtlinien verabschiedet, die genmanipuliertes Essen in öffentlichen Kantinen und genmanipuliertes Saatgut auf den von der Stadt verpachteten Feldern definitiv ausschließt. Andernorts werden breitere Ansätze verfolgt, um eine nachhaltige lokale Wirtschaft zu fördern. Ein Beispiel ist Faringdon, England (6.000 Einwohner). Der Ort ist eine Beacon Town, in der das Enterprise Gateway (siehe Kapitel 9) neue und bestehende Unternehmen unterstützt und ihnen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellt. Als unabhängige gemeinnützige Einrichtung bietet Gateway Büroflächen (vom Schreibtisch bis zum kleinen Büro), kostenlose Seminare und kurze, praxisorientierte Workshops über wichtige wirtschaftliche Themen an. Lokale Unternehmen können das Gateway dazu nutzen, um sich für eine Stunde mit ihren Kunden zu treffen oder um für einen Tag in einem Computernetzwerk zu arbeiten oder auch um Büroräume für einen ganzen Monat anzumieten. Das Spektrum der von Gateway angebotenen Kurse reicht von Gesundheit und Sicherheit über berufliche Selbstständigkeit für Menschen über 50 bis zu Export, Marketing und Internetnutzung. Viele der Firmen, die im Gateway begonnen haben, arbeiten auf dem Gebiet der Informationstechnologie. Es finden sich aber auch Firmen aus den Bereichen Neue Medien, Marketing und Softwareentwicklung sowie Beratungsunternehmen.199 In der Beacon Town Wolverton in England (8.900 Einwohner) liegt der Schwerpunkt auf sozialem Unternehmertum. Eine strategische Allianz aus Unternehmern, Ehrenamtlichen und Behörden – Wolverton Unlimited – hat ein Programm zur Unterstützung lokaler Unternehmen ins Leben gerufen, das sich Social Advisory Group for Entrepreneurs (SAGE) nennt («sage» bedeutet im Englischen gescheit oder klug). SAGE besteht aus Einheimischen, die die richtigen Fragen zu stellen wissen, um kleine Unternehmen zu fördern und zu fordern. Ideen, die von SAGE umgesetzt wurden, sind beispielsweise der monatlich stattfindende Markt, das Back-to-Earth-Programm, in dessen Rahmen die Gemeinde ihre eigenen Lebensmittel anbauen kann, die Initiative Community-Repaint, bei der 10 FAZIT: WAS FUNKTIONIERT (UND WAS NICHT)

Farbreste gesammelt und gemeinnützigen Zwecken zugeführt werden, die Förderung des Radfahrens, ein Gemeindecafé sowie eine Gemeindezeitung.200 Ein weiteres Beispiel verdeutlicht noch einmal das Potenzial, welches Netzwerke für eine nachhaltige kleinstädtische Entwicklung haben. Business in the Community (BitC) ist ein nationales Netzwerk von mehr als 750 Mitgliedsunternehmen in Großbritannien und hat über 20 Jahre Erfahrung darin, Unternehmen und Gemeinden zusammenzubringen. In den vergangenen Jahren hat BitC mit Action for Market Towns kooperiert, um das Engagement der Wirtschaft zu fördern. BitC-Mitglieder stellen ihre Unterstützung ganz unterschiedlich zur Verfügung. Dazu zählen strategische Planung (Experten helfen bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen), technisches Know-how (Angestellte der BitCMitglieder helfen ehrenamtlich, lokale Projekte in die Tat umzusetzen), kostenloser Rat (zum Beispiel bei Verwaltungs- und Finanzfragen) und Betreuung (man bekommt einen Mentor, der die Rolle des Resonanzbodens und professionellen Beraters bei Geschäftsangelegenheiten übernimmt).201 Diese Beispiele weisen auf einen wichtigen Erfolgsfaktor bei der Nachhaltigkeit von Kleinstädten hin: Bürger und Politiker müssen in Eigeninitiative die strategische Entscheidung treffen, was für eine Stadtplanung und Wirtschaftsentwicklung sie haben wollen. Die Bevölkerung muss aktiv und involviert sein, und auch die Unternehmer müssen sich engagieren. Und die Politiker müssen erkennen, dass sie trotz des globalen Gegenwinds genügend Raum für eigenständige Konzepte haben.

Können Kleinstädte Veränderungen bewirken? Können alle oder einige der beschriebenen Initiativen von Kleinstädten etwas bewegen? Werden diese kleinen Gemeinden in der Lage sein, Trends umzukehren wie die globale Erderwärmung, sozio-ökonomische Ungerechtigkeiten oder den wirtschaftlichen Niedergang? Können sie ihre Nachhaltigkeitsbemühungen aufrechterhalten und gar noch verstärken? Es gibt große Hindernisse, die der Nachhaltigkeit von kleinen Städten im Wege stehen, und ob ihre Anstrengungen einen bedeutenden Wandel herbeiführen und den allgemeinen nicht-nachhaltigen Kurs ändern können, bleibt 177

abzuwarten. Finanzielle Zwänge, eine nationale und internationale Trägheit bei der Verabschiedung von neuen Gesetzen und Regeln, politischer Unwille, Wirtschaftskrisen und andere Rückschläge sind nur einige der Gründe, warum Kleinstädte sich in einer schwierigen Lage befinden können. Allerdings zeigen die vielen verschiedenen Beispiele und die weit reichenden Netzwerke und Kooperationen, die in diesem Buch vorgestellt wurden, dass man hoffen darf. Kleinstädte können zu Modellgemeinden für gemeinschaftliche und vernetzte Systemansätze werden. Die schwedische Bewegung Eko Kommuner begann in Studienzirkeln, die sich in den Wohnzimmern von Kleinstädten wie Övertorneå trafen, und hat sich inzwischen zu einem weltweiten Phänomen entwickelt. Solche Bewegungen haben die Kraft, Aktionen an der Basis loszutreten, Vertreter des Wandels miteinander in Verbindung zu bringen und einen Wissenstransfer zu ermöglichen. Um das Erreichte zu erhalten und weiter zu verbessern, müssen Kleinstädte ihre Erfolge kontrollieren und bewerten. Nachhaltigkeitsindikatoren und Messsysteme sind eine Möglichkeit, Bürgern und Organisationen ihre Verantwortung aufzuzeigen und den Fortschritt zu verfolgen. Die 54 Cittaslow-Kriterien sind ein Beispiel für nützliche Indikatoren, doch die Bewegung muss noch Verfahren entwickeln, um Städte erneut zu bestätigen. Der britische Klonstadt-Index für Kleinstädte zeigt Trends am anderen Ende des Spektrums auf. Das australische Programm Small Towns: Big Picture ist ein kreativer Ansatz, die Bevölkerung von Landstädten in die Entwicklung von Indikatoren einzubeziehen, und ein gutes Beispiel dafür, wie sich bürgerliche Partizipation und die Bewertung des Erreichten verbinden lassen. Kleinstädte müssen sich aber auch der möglichen Hindernisse, die sich einem Wandel in den Weg stellen, bewusst sein. Da ihre oft begrenzten administrativen und finanziellen Mittel keine großen Investitionen erlauben, müssen sie sich genau überlegen, wie sich nachhaltige Initiativen finanzieren lassen. Kooperationen und Netzwerke helfen beim Wissenstransfer und lassen Kleinstädte voneinander lernen, ohne dass sie teure Berater, Studien und Gutachten bezahlen müssten. Viele Kleinstädte können sich auch auf eine stark ausgeprägte Kultur des Ehrenamts stützen. Lokale Geschäftsleute und Bürger interessieren sich normalerweise für ihre 178

Stadt und wollen ihr auch etwas zurückgeben. Die richtige Nutzung dieser Art von Humankapital kann entscheidend zum Erfolg beitragen.

Wichtige Erfolgsfaktoren Allgemein und auf lange Sicht hängt die Nachhaltigkeit von Kleinstädten von Methoden ab, die auf sich überschneidende und gegenseitig verstärkende lokale Initiativen zurückgreifen. Insbesondere muss Nachhaltigkeit in kleinen Städten auf der Kombination folgender Faktoren basieren: • Nutzung von lokalen Wettbewerbsvorteilen, • Stärkung der Ortsidentität (Geschichte, Kultur und regionale Kulturlandschaft), • Förderung von jahreszeitlichen und anderen Rhythmen, • Bevorzugung lokaler Produkte, • Förderung von Aktivitäten im Freien (Plätze, die zum Treffen und zum «Leute beobachten» einladen), • Förderung «dritter Orte», • Pflege der bebauten Umwelt (Denkmalschutz, Verbesserung der Fußgängerfreundlichkeit, Ausbau der Grünanlagen, Baumbepflanzung, weniger Asphalt, Bündelung des Autoverkehrs und der Parkflächen), • Förderung von umweltfreundlichem Verhalten (Kompostierung, Wiederverwertung etc.), Investitionen in erneuerbare Energien und eine umweltfreundliche Infrastruktur (umweltfreundliche Kindergärten und Schulen, umweltfreundlicher öffentlicher Nahverkehr), • Beachtung der Bedürfnisse von Einwohnern und Zuzüglern und Besuchern, • Förderung nachhaltiger und langfristiger Investitionen in die Gemeinde und ihre soziale, wirtschaftliche und ökologische Infrastruktur, • Bildung eines Bewusstseins für Fragen und Initiativen zur lokalen Nachhaltigkeit, • Einbeziehung von lokalen Unternehmern und Bürgergruppen und Behörden, • Verfolgen und Messen des Fortschritts in Richtung Nachhaltigkeit. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Kongruenz, das heißt, Initiativen müssen sich ergänzen oder gegenseitig verstärken. Wie in Abbildung 21 dargestellt, gibt es Spannungen und mögliche Konflikte zwischen den drei Dimen-

sionen der Nachhaltigkeit. Kongruenz ist dann möglich, wenn Initiativen gemeinsam im tripolaren Feld der Nachhaltigkeit untergebracht sind. Wie wir in diesem Buch immer wieder gezeigt haben, müssen solche Ansätze von «unten nach oben» und nicht von «oben nach unten» gerichtet sein. Nachhaltigkeit lässt sich in Kleinstädten am ehesten erreichen, wenn gleichrangige Netzwerke gebildet werden, um sich über optimale Verfahren auszutauschen oder um zu kooperieren. Gleichzeitig spielen auch die Erfahrungen, Ressourcen und Prioritäten der jeweils eigenen Stadt eine Rolle. Das vielleicht innovativste Netzwerk der Gegenwart ist die Cittaslow-Bewegung. Ihre Satzung umfasst Umwelt-, sozio-kulturelle und wirtschaftliche Aspekte der Lebensqualität und des sozialen Wohls. Der Cittaslow-Ansatz ist speziell darauf ausgerichtet, Städte dabei zu unterstützen, eine ganze Reihe von kongruenten Initiativen auf den Weg zu bringen. Kongruenz wird durch die inhärente Flexibilität hergestellt – obwohl Ziele und Initiativen in einem einheitlichen Kriterienkatalog konkret definiert sind –, mit der sich die Cittaslow-Prinzipien von den verschiedenen Interessensgruppen interpretieren lassen. Ebenso erkennt das Rahmenwerk von Cittaslow internationale, regionale und lokale Unterschiede in den wirtschaftlichen, ökologischen und sozio-kulturellen Bedingungen von Kleinstädten an, was für die Cittaslow-Bewegung eine weitere Dimension der Flexibilität darstellt. Der Erfolg von Netzwerken und Bewegungen – wie zum Beispiel Cittaslow – ist nicht nur für die Lebensqualität in den Kleinstädten selbst, sondern auch für das regionale und nationale Wohlergehen wichtig. Kleinstädte stellen in vielen Regionen nicht nur einen wesentlichen Anteil der Gesamtbevölkerung, sondern sind auch mit der regionalen Wirtschaft und der Landschaft eng verbunden. Daraus folgt, dass langfristig der territoriale Zusammenhalt und eine ausgewogene regionale Entwicklung stark davon abhängen, dass man die Konstellationen der Kleinstädte im komplexen urbanen System beibehält, weil sie sowohl für Großstadtregionen als auch für ländliche Gegenden eine wichtige Stütze sind.

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Fotonachweis Seite 5 Seite 8 Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3–6 Abb. 7 Abb. 8–19 Abb. 20 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25–26 Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29 Abb. 30–32 Abb. 33 Abb. 34–37 Abb. 38 Abb. 40 Abb. 41 Abb. 42 Abb. 43 Abb. 44–46 Abb. 47 Abb. 48–50 Abb. 51 Abb. 52 Abb. 54–57 Abb. 58–59 Abb. 60 Abb. 61 Abb. 62 Abb. 63–66 Abb. 68 Abb. 70 Abb. 71 Abb. 72 Abb. 73 Abb. 74–75 Abb. 77 Abb. 78–79 Abb. 80 Abb. 81 Abb. 83 Abb. 84 Abb. 85–89 Abb. 90 Abb. 91–93 Abb. 94 Abb. 95 Abb. 96 Abb. 97–99

Paul Knox Paul Knox Paul Knox Heike Mayer Paul Knox Heike Mayer Paul Knox Catherine Karnow/Corbis Paul Knox Shaun Best/Reuters/Corbis Lucca Zennaro/Corbis Paul Knox Anne-Lise Velez Paul Knox Heike Mayer Paul Knox Ashley Davidson Paul Knox Archiv Agravivendi Paul Knox Anne-Lise Velez Paul Knox Anne-Lise Velez Heike Mayer José Pobiete/Corbis Paul Knox Georges Gobet/Getty Images ltrendo Travel/Getty Images Stadt Robertsfors Heike Mayer Raimund Schramm Mark Ralston/Getty Images Karim Sahib/Getty Images Paul Knox Paul Knox Anne-Lise Velez Jose Hartman/Corbis Bob Krist/Corbis Anne-Lise Velez Paul Knox Richard Klune/Corbis Paul Knox Corbis Paul Knox Thinkstock/Corbis Heike Mayer Paul Knox Heike Mayer Paul Knox Anne-Lise Velez Paul Knox Anne-Lise Velez Paul Knox

Abb. 100 Heike Mayer Abb. 101–102 Paul Knox Abb. 103–107 Anne-Lise Velez Abb. 108 Heike Mayer Abb. 109–110 Paul Knox Abb. 111 Anne-Lise Velez Abb. 112 Richard Bickell/Corbis Abb. 113 John Miller/Corbis Abb. 114 Tim Graham/Getty Images Abb. 116–117 Johann Jessen Abb. 118 Photographie Werner Huthmacher, Berlin Abb. 120 Paul Knox Abb. 124 Anne-Lise Velez Abb. 125–127 Paul Knox Abb. 131–134 Paul Knox Abb. 135–136 Heike Mayer Abb. 137 Paul Knox Abb. 138 Heike Mayer Abb. 139–145 Paul Knox Abb. 146–147 Jonathan Logan Abb. 148 Paul Knox Abb. 149 Heike Mayer Abb. 150 Institute for Advanced Learning and Research Abb. 151 Heike Mayer Abb. 153 Paul Knox Abb. 154 Carlo Irek/Corbis Abb. 155 Ruth Tomlinson/Corbis Abb. 156 Paul Knox Abb. 157 Knut Bry Abb. 158 Heike Mayer Abb. 159 Knut Bry Abb. 160 Heike Mayer Abb. 162–163 City of Littleton, Colorado Abb. 164 Elisabeth Chaves Abb. 165 Sharon Earhart Abb. 166–168 Heike Mayer Abb. 169–173 Paul Knox Abb. 174 Matt Cardy/Getty Images Abb. 175–177 Paul Knox Abb. 179 Thomas Geiger Abb. 180–182 Paul Knox Abb. 183 Fotosearch Abb. 184–185 Heike Mayer Abb. 186–187 Paul Knox Abb. 188 Heike Mayer Abb. 189–192 Paul Knox Abb. 193 Paulette Mentor Abb. 194 J.T. Crawford Abb. 195–196 Lina Belar Abb. 197–198 Paul Knox Abb. 199 Heike Mayer © für das abgebildete Kunstwerk beim Künstler Abb. 201–203 Schweizer Kulturprogramm in Südosteuropa Abb. 204 Sarah Sturtevant Abb. 205–208 Paul Knox Abb. 210 Patricia Schläger-Zirlik Abb. 211–212 Paul Knox Abb. 213–215 Heike Mayer Abb. 216–217 Paul Knox Abb. 219 Heike Mayer Abb. 220 Paul Knox Seite 180 Paul Knox Seite 186 Paul Knox Seite 190 Paul Knox

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Ortsregister Aalborg, Dänemark 40 Abbiategrasso, Italien 81, 105 Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate 40, 65 Aeghio, Griechenland 39 Alexandria, Virginia, USA 9 Allgäu, Deutschland 58 Amal, Schweden 39 Amsterdam, Niederlande 15 Aquila, Schweiz 157 Ararat, Australien 176 Ashburn, Virginia, USA 33 Ashland, Wisconsin, USA 59 Aspen, Colorado, USA 157 Assisi, Italien 71 Atascadero, Kalifornien, USA 58 Athen, Griechenland 40 Avignonet-Lauragais, Frankreich 57 Aylsham, England 44, 56, 82 Bahia de Caráquez, Ecuador 65 Barry, Wales 133 Bellinzona, Schweiz 24, 56, 68, 80, 88, 103, 105, 108, 135, 157 Belper, England 16, 42, 43, 75 Bend, Oregon, USA 157 Berkeley, Kalifornien, USA 40, 87 Berlin, Deutschland 11, 92, 141 Berwick-upon-Tweed, England 44, 47 Birmingham, England 134 Biskupiec, Polen 44 Bisztynek, Polen 44 Blacksburg, Virginia, USA 9, 115, 144, 148, 157 Boston, Massachusetts, USA 136 Bra, Italien 36, 37, 43, 47, 148 Bridport, England 42, 43, 151, 164 Brooklin, Maine, USA 54 Burlington, Vermont, USA 54 Burton-on-Trent, England 18 Bury St. Edmunds, England 25 Caiazzo, Italien 47 Calgary, Kanada 74 Cambridge, England 164, 165 Carisbrook, Australien 154 Casalbeltrame, Italien 47 Castelnovo Monti, Italien 47 Castiglione del Lago, Italien 47 Castleton, England 14 Celebration, Florida, USA 90 Chandler, Arizona, USA 17 Chiavenna, Italien 45, 47, 75, 77, 106, 128, 142 Chiba, Japan 41 Chicago, Illinois, USA 74, 125, 134, 149 Chichester, England 100 Cinque Terre, Italien 37 Citta della Pieve, Italien 47 Citta di Castello, Italien 76, 78, 131 Clonakilty, Irland 59 Cockermouth, England 44, 47 Cremona, Italien 82, 131 Cumberland, Maryland, USA 155 Cutigliano, Italien 47 Dalry, Schottland 95 Damjang, Südkorea 44 Danville, Virgina, USA 113, 155 Decorah, Iowa, USA 74 Deidesheim, Deutschland 44 Denver, Colorado, USA 122 Diss, England 44, 47, 80, 146, 147, 164 Dongtan, China 40, 64 Dorchester, England 91 Dornbirn, Österreich 62 Dunolly, Australien 154

East Windsor, England 54 Eger, Ungarn 70 Eidskog, Norwegen 44 Ellon, Schottland 39 Emsworth, England 18, 22 Enid, Oklahoma, USA 155 Enns, Österreich 44, 107 Fairfield, Iowa, USA 157 Falköping, Schweden 44 Faringdon, England 173, 177 Flagstaff, Arizona, USA 13 Florenz, Italien 48, 67 Floyd, Virginia, USA 148 Francavilla al Mare, Italien 47 Fraunberg, Deutschland 63 Freiburg, Deutschland 51, 170 Frisco, Colorado, USA 58 Garstang, England 33 Genua, Italien 30, 67 Gifu, Japan 41 Goolwa, Australien 44 Greensburg, Kansas, USA 65 Greve-in-Chianti, Italien 43 Harpers Ferry, West Virginia, USA 159 Hebden Bridge, England 18 Hel, Polen 39 Hersbruck, Deutschland 44, 47, 66, 97, 100, 102, 104, 119, 120, 138, 176 Hvar, Kroatien 118 Inverurie, Schottland 39 Ithaca, New York, USA 157 Itsukaichi, Japan 41 Jackson, Michigan, USA 151 Jangheung, Südkorea 44 Kamaishi, Japan 41 Kansas City, USA 74 Katoomba, Australien 44 Kawasaki, Japan 41 Keene, New Hampshire, USA 65 Kirchsteigfeld, Deutschland 92, 93 Kitakyushu, Japan 41 Kochi, Japan 41 Konstanz, Deutschland 62 Kungälv, Schweden 39 Kyoto, Japan 51, 57 Lagos, Portugal 44 Lamoni, Iowa, USA 168 Lamporecchio, Italien 53 Lebork, Polen 39 Lekeitio, Spanien 44 Levanger, Norwegen 44 Levanto, Italien 47 Lewes, England 18, 26, 75, 78, 160 Lidzbark, Polen 44 Linlithgow, Schottland 44, 47 Linz, Österreich 156 Littleton, Colorado, USA 119, 122, 123 London, England 11, 21, 40, 134, 141, 164, 165 Longtown, England 43 Los Angeles, Kalifornien, USA 158 Lüdinghausen, Deutschland 44, 47, 121 Ludlow, England 44, 47, 72, 73, 98, 99, 106 Lugano, Schweiz 34 Machakos, Kenia 61 Madrid, Spanien 141 Mailand, Italien 11, 38 Maldon, Australien 154 Manchester, England 14, 134 Mantua, Italien 135 Marihn, Deutschland 44

191

Masdar City, Vereinigte Arabische Emirate 65 Matakana, Neuseeland 44, 124 Matlock, England 33 Melbourne, Australien 154 Mendrisio, Schweiz 44, 106, 112 Messolonghi, Griechenland 39 Metzingen, Deutschland 113 Midden-Delfland, Niederlande 44 Milton Keynes, England 164 Minamata, Japan 41 Minneapolis, Minnesota, USA 150 Modena, Italien 36, 103 Mold, England 44, 47 Mombasa, Kenia 55 Montreal, Kanada 30 Mungia, Spanien 44 Naoshima, Japan 41 New York, USA 88, 149 New York Mills, Minnesota, USA 150, 158 Newmarket, England 43, 164, 165 Newtok, Alaska, USA 54 Norwich, England 164 Nürnberg, Deutschland 104, 138 Oaxaca, Mexiko 127 Okayama, Japan 41 Okotoks, Kanada 40 Oomuta, Japan 41 Orofino, Idaho 168 Orvieto, Italien 28, 32, 43, 47–49, 54, 71, 78–80, 83–85 Overklinten, Schweden 61 Övertorneå, Schweden 59, 65 Paducah, Kentucky, USA 149, 158 Paris, Frankreich 141, 156 Parma, Italien 36 Penne, Italien 47 Perth, Schottland 44, 47, 88, 103, 151 Perugia, Italien 100, 102 Pest, Ungarn 26 Petersburg, Virginia, USA 110, 111 Pisa, Italien 67 Pogradec, Albanien 152, 153 Portland, Oregon, USA 51 Positano, Italien 43, 47 Potsdam, Deutschland 92 Poundbury, England 91 Powell, Wyoming, USA 124 Prag, Tschechien 104, 138 Procida, Italien 53 Puck, Polen 39 Pyrgos, Griechenland 39 Reszel, Polen 44 Richmond, England 43 Ridgewood, New Jersey, USA 131 Rio de Janeiro, Brasilien 57 Roanoke, Virginia, USA 158 Robertsfors, Schweden 60, 61 Rom, Italien 36, 48 Saint Louis, Missouri, USA 56 Saint Tropez, Frankreich 89 Salisbury, England 69 San Daniele del Friuli, Italien 47 San Francisco, Kalifornien, USA 89 San Miniato, Italien 47 Santo Stefano di Sesanio, Italien 141 Sao Bras, Portugal 44 Saugatuck, Michigan, USA 155 Schwarzenbruck, Deutschland 44, 47 Seaside, Florida, USA 91 Şeica Mică/Kleinschelken, Rumänien 164 Seppenrade, Deutschland 121 Shanghai, China 40 Shinan, Südkorea 44 Shkodra, Albanien 152

192

Siena, Italien 48 Silly, Belgien 44 Silves, Portugal 44 Skagen, Dänemark 70 Sokndal, Norwegen 44, 120, 121 Spilimbergo, Italien 32, 76 Stafford, England 18, 19 St. Andrews, Schottland 68 Staunton, Virginia, USA 127 Steinbach, Österreich 41 Stonehaven, Schottland 39 Strömstad, Schweden 39 Struga, Makedonien 153 Stuttgart, Deutschland 156 Sussex, England 25, 26 Suzuka, Japan 41 Sydney, Australien 15 Talbot, Australien 154 Tavira, Portugal 44 Thirsk, England 173 Todi, Italien 88, 100, 102, 118, 136 Tokeland, Washington, USA 125 Toyama, Japan 41 Trani, Italien 47 Trevi, Italien 70, 71 Triest, Italien 140 Truckee, Kalifornien, USA 52 Turin, Italien 38 Überlingen, Deutschland 44, 46, 47, 54, 62, 63, 105, 146, 151 Udine, Italien 140 Uguisuzawa, Japan 41 Umeå, Schweden 60, 61 Unterkrumbach, Deutschland 119 Uttoxeter, England 43 Vence, Frankreich 118 Venedig, Italien 67, 89 Viernheim, Deutschland 64 Vigevano, Italien 100, 101, 174 Vilnius, Litauen 156 Wageningen, Niederlande 55 Waldkirch, Deutschland 44, 47, 57, 63, 82, 131, 165, 166, 168, 169, 170, 171 Wando, Südkorea 44 Warminski, Polen 44 Washburn, Wisconsin, USA 59 Wedderburn, Australien 154 Wederath, Deutschland 50 Willunga, Australien 44 Wiltshire, England 133 Winchester, England 18, 20, 21, 68 Wirsberg, Deutschland 44, 47, 63 Wolfurt, Österreich 62 Wolverton, England 177 Youngstown, Ohio, USA 155 Zibello, Italien 47 Zürich, Schweiz 143