Kirchenväterzitate in der Abendmahlskontroverse zwischen Oekolampad, Zwingli, Luther und Melanchthon: Legitimationsstrategien in der ... 9017387175, 9783767571426, 3767571420

Auch wenn die Heilige Schrift für die Reformatoren die letzte Instanz war, so hatten doch die Lehrdarlegungen der Kirche

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Kirchenväterzitate in der Abendmahlskontroverse zwischen Oekolampad, Zwingli, Luther und Melanchthon: Legitimationsstrategien in der ...
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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Zu diesem Buch
Vorwort zur 1. Auflage
Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad
Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli
Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Luther
Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Zur Vita von Gottfried Hoffmann
Register

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Oberurseler Hefte Ergänzungsbände Herausgegeben von Werner Klän im Auftrag der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel Band 7

Gottfried Hoffmann Kirchenväterzitate in der Abendmahlskontroverse zwischen Oekolampad, Zwingli, Luther und Melanchthon Legitimationsstrategien in der innerreformatorischen Auseinandersetzung um das Herrenmahl

Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.

Umschlagabbildung © Nikanos/Wikimedia 2006 Das menschliche Ringen um theologische Einsichten in göttliche Kundgaben geschieht in irdischer Verortung: Himmel und Erde berühren sich, wenn Menschen sich in Kirchen zum Gottesdienst sammeln, aber auch wenn in Hörsälen und Seminarräumen im Namen Gottes gestritten wird. Die Marburger Religionsgespräche von 1529 im Schloss der noch jungen Universitätsstadt – das Titelbild zeigt die mittelalterliche Schlosskapelle und den Landgrafenbau – sind ein herausragendes Beispiel für den engagierten und differenzierten Austausch theologischer Argumente im entschlossenen Eintreten für biblisch gegründete Sachverhalte. Solche irdisch verorteten Höhepunkte bekenntnisorientierter Theologie verdienen es auch heute, dass auf sie nicht nur sehr allgemein, sondern sehr genau geschaut und gehört wird, um den Ertrag für Lehre und Glauben der Gegenwart zu ziehen.

2. Auflage Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Eine eBook-Ausgabe ist erhältlich unter DOI 10.2364/1/9017387175. © Edition Ruprecht Inh. Dr. R. Ruprecht e.K., Postfach 17 16, 37007 Göttingen – 2011 www.edition-ruprecht.de 1. Auflage: Maschinenschriftliche Dissertation, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg © 1972 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Redaktion: Jorg Christian Salzmann Redaktionsassistenz und Satz: Benjamin Müller, Sonja Müller Layout: mm interaktiv, Dortmund Umschlaggestaltung: klartext GmbH, Göttingen Druck: buch bücher dd ag, Birkach ISBN: 978-3-7675-7142-6

Inhaltsverzeichnis Zu diesem Buch...............................................................9 Werner Klän: Hinführung ...............................................................9 Johannes Hund: Auswahlbibliographie............................................ 13 Vorwort zur 1. Auflage.................................................... 16

I. II. 1. 2. 2.1 2.2 2.3 3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6

Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad............................................................. 20 Die Bedeutung des patristischen Arguments für Oekolampad innerhalb der Abendmahlskontroverse ............................................ 20 Die Patristische Argumentation ...................................................... 23 Die Anfänge .................................................................................. 24 Die grundlegende neue Erkenntnis: Kein Wunder........................... 26 Das Väterzeugnis nach der genuina expositio .................................. 26 Das Väterzeugnis nach den übrigen Schriften.................................. 30 Zusammenfassung ......................................................................... 32 Der Sakramentsbegriff.................................................................... 32 Der Sakramentsbegriff nach der genuina expositio........................... 32 Die Negation des Wunders und ihre Bedeutung für den Sakramentsbegriff .......................................................................... 32 Die Klärung der Sakramentstermini aus der Negation unerträglicher Konsequenzen ......................................................... 33 Die Erhellung des Sakramentsbegriffs vom Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament her .................................... 36 Die Erhellung des Sakramentsbegriffs aus dem Nutzen der Sakramente .............................................................................. 40 Die Erhellung des Sakramentsbegriffs aus der Wirkungsweise der Sakramente .............................................................................. 45 Die Beweiskraft der von den Vätern gebrauchten Sakramentstermini......................................................................... 48 Zusammenfassung ......................................................................... 50 Der Sakramentsbegriff nach den übrigen Schriften .......................... 52 Das Antisyngramma ...................................................................... 52 Billiche Antwurt............................................................................ 54 Andere billiche Antwurt ................................................................ 57 Über Luthers Bekenntnis ............................................................... 65 Dialogus........................................................................................ 66 Zusammenfassung ......................................................................... 73

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4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.3 5. 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 6. 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 7.

I. II. 1. 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 3. 4.

Inhaltsverzeichnis

Das tropische Verständnis der Abendmahlsworte............................. 75 Die genuina expositio .................................................................... 75 Der allgemeine Ansatz der Väter..................................................... 76 Zum Tropus im Besonderen........................................................... 79 Das tropische Verständnis der Abendmahlsworte nach den übrigen Schriften ............................................................ 81 Zusammenfassung .........................................................................84 Weitere Argumentationskomplexe.................................................. 85 Die Himmelfahrt und das Wesen des Leibes Christi ........................ 85 Die genuina expositio .................................................................... 85 Die Himmelfahrt und das Wesen des Leibes Christi in den übrigen Schriften................................................................. 86 Zusammenfassung ......................................................................... 91 Die Auslegung der Einsetzungsworte durch die Väter...................... 91 De genuina expositio ..................................................................... 92 In den späteren Schriften................................................................ 93 Zur Auslegung von Johannes 6,63 .................................................. 93 Zur Methodik der Väterauslegung Oekolampads............................. 94 Zusammenfassung der bisherigen Beobachtungen ........................... 94 Die Auslegung schwieriger Stellen .................................................. 96 Einzelauslegungen ......................................................................... 97 Zur Methodik der Auslegung schwieriger Stellen .......................... 112 Folgerungen für das Oekolampad-Verständnis .............................. 115 Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli................................................................... 118 Die Bedeutung des patristischen Arguments für Zwingli innerhalb der Abendmahlskontroverse .......................................... 118 Die patristische Argumentation .................................................... 119 Wesen und Sinn des Abendmahls bei den Vätern .......................... 120 Die Schriftauslegung der Väter ..................................................... 130 Johannes 6................................................................................... 130 Die Einsetzungsworte .................................................................. 133 1. Korinther 10 und 11................................................................. 134 Zum Verständnis von 2. Kor 5,16 ................................................. 140 Der Tropus bei den Vätern ........................................................... 141 Die Christologie der Väter, ihr Gebrauch der Alloiosis, ihr Verständnis von der Leiblichkeit des Leibes Christi und der Himmelfahrt.......................................................................... 143

Inhaltsverzeichnis

4.1 4.2 4.3 5. 6.

I. II. 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 2. 3. 4. 5. 6.

I. 1. 2. II. 1. 1.1 1.2 1.3 1.3.1

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Die Christologie der Väter ........................................................... 143 Die Alloiosis bei den Vätern ......................................................... 146 Das Verständnis des Leibes Christi und der Himmelfahrt des Herrn bei den Vätern ............................................................. 147 Zusammenfassung ....................................................................... 148 Zur Methodik der Väterauslegung Zwinglis .................................. 152 Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Luther ....................................................................153 Die Bedeutung des patristischen Arguments innerhalb der Abendmahlskontroverse .......................................... 153 Die patristische Argumentation .................................................... 157 Der Väterbeweis in „Dass diese Worte … noch feststehen“............ 158 Augustin ..................................................................................... 158 Tertullian .................................................................................... 160 Irenäus ........................................................................................ 163 Hilarius....................................................................................... 164 Cyprian....................................................................................... 165 Zusammenfassung ....................................................................... 166 Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis ........................................... 167 Die Vorbereitungen zum Kasseler Gespräch 1534.......................... 168 Die Wittenberger Konkordie........................................................ 178 Zusammenfassung ....................................................................... 179 Zur Methodik der Väterauslegung Luthers.................................... 180 Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon ...........................................................182 Die Bedeutung des patristischen Arguments innerhalb der Abendmahlskontroverse ............................................................... 182 Der Konsensus der Väter .............................................................. 182 Schrift und Väter ......................................................................... 186 Die patristische Argumentation .................................................... 191 Die patristische Argumentation bis zur Editio princeps der Apologia 1531........................................................................ 192 Von den ersten Äußerungen bis zum Herbst 1527 ......................... 192 Der Brief an Oekolampad vom 8.4.1529 und die Sententiae Veterum ......................................................... 199 Das übrige Material bis zum Jahre 1531 ........................................ 215 Die Visitationsartikel und der Unterricht der Visitatoren ............... 215

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1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.4 2.

Inhaltsverzeichnis

2.3 2.4 2.5 3. 4.

Das Marburger Gespräch und das zugehörige Vätergutachten ........ 217 Das Iudicium de Zwinglii doctrina ............................................... 221 Die Apologie der Augsburgischen Konfession ............................... 224 Zusammenfassung ....................................................................... 225 Die Väteräußerungen Melanchthons von der Apologie 1531 an bis zur Wittenberger Konkordie 1536....................................... 227 Der Brief an Schnepf vom 16.9.1534 und der Zeitpunkt der Wandlung Melanchthons in der Abendmahlslehre ................... 227 Der Zettel an Luther vom Dezember 1534 und der Brief an Brenz vom 12.1.1535 ............................................................... 232 Die secunda aetas der Loci 1535 ................................................... 236 Zusammenfassung ....................................................................... 238 Ausblick ...................................................................................... 239 Zur Methodik der Väterauslegung Melanchthons.......................... 241 Folgerungen ................................................................................ 241

I. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 8.1 8.2

Zusammenfassung ........................................................246 Zur Bedeutung des patristischen Argumentes................................ 246 Zur patristischen Argumentation .................................................. 248 Zum Sakramentsbegriff................................................................ 252 Zum Tropus oder eigentlichen Wortlaut ....................................... 253 Der Leib Christi und die Himmelfahrt ......................................... 254 Die geistliche Nießung................................................................. 254 Zur Überlieferung ....................................................................... 254 Melanchthons Wandlung ............................................................. 255 Die Probleme .............................................................................. 255 Exkurs ........................................................................................ 257 Im Itinerarium Hedios heißt es:.................................................... 258 Schlussbemerkung ....................................................................... 260

2.1 2.2

Literaturverzeichnis ......................................................263 Quellen....................................................................................... 263 Sekundärliteratur ......................................................................... 266 Gilberto da Silva: Zur Vita von Gottfried Hoffmann...........269 Register .......................................................................271 Personenregister........................................................................... 271 Verzeichnis der Verwendung von Kirchenväterschriften ................ 273

Zu diesem Buch Werner Klän: Hinführung In seiner Heidelberger Dissertation hat Gottfried Hoffmann einen Beitrag zum Gespräch über die Grunddifferenzen geliefert, die im Zeitalter der Reformation zwischen den Konfessionen der lateinischen Kirche aufbrachen. Dass dabei die Väterargumentation im innerreformatorischen Disput um die Deutung des Herrenmahls untersucht wird, ist von besonderer Bedeutung, handelt es sich im 16. Jahrhundert nächst der schrifttheologischen Argumentation doch um Legitimationsstrategien: Im Streit um das Altarsakrament war es gegenüber den Altgläubigen, die sich im Konzil von Trient als entschieden römisch-katholische Kirche formieren sollten, aber auch unter den unterschiedlichen Ausprägungen reformatorischer Theologie von hoher Bedeutung, den Nachweis von inhaltlicher und argumentativer Kontinuität zur Alten Kirche zu erbringen. Der Verfasser hat dies am Ende seiner Untersuchung so formuliert: „Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, auf welche Väterzitate man sich in der Abendmahlskontroverse berief, in welchem Sinn man sie zitierte, mit welchen Mitteln man sie interpretierte und welches der innere Zusammenhang war, in dem man sie untereinander sah. Dabei wurde auch die Problematik deutlich, die für das Väterverständnis in der engen Verknüpfung der Auslegungsmethode mit dem Konsensusgedanken lag. Und nicht zuletzt hat sich auch gezeigt, dass es bei der Auseinandersetzung um die Vätermeinung nicht um ein bloßes Rechthaben, auch nicht nur um stärkende Zustimmung seitens der Väter ging, sondern letztlich um die Kontinuität der Kirche Jesu Christi. Diese Kontinuität betraf vor allem die Realpräsenz, aber auch die Christologie und die geistliche Nießung in ihrem 1 Verhältnis zur leiblich-sichtbaren Welt.“ Diesen Bemühungen konzentrierte Aufmerksamkeit gewidmet zu haben, ist das große Verdienst der nun zum Druck gebrachten Heidelberger Dissertation. Trotz mancher Einzeluntersuchung behält auch nahezu vierzig Jahre nach Abschluss dieser Arbeit das Urteil des Autors seine Gültigkeit: „Eine Durchsicht der Literatur zeigt, dass die Bedeutung des patristischen Arguments innerhalb der Theologie der Reformatoren, sozusagen sein Stellenwert, besonders für Me2 lanchthon mehrfach bearbeitet worden ist. Über die Frage jedoch, inwiefern sich die Reformatoren hinsichtlich der Abendmahlslehre auf die Väter beriefen und

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S. 260. Es sei verwiesen auf: Paul Schwarzenau, Der Wandel im theologischen Ansatz bei Melanchthon 1525–1535 (1956). Adolf Sperl, Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation (1959). Peter Fraenkel, Testimonia Patrum (1961).

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ihre Position durch sie bestätigt sahen, gibt es unseres Wissens keine Untersu3 chung.“ Freilich sind in den zurück liegenden Jahrzehnten wesentliche Aspekte der konfessionellen Profilbildung im Zuge des Reformationszeitalters erforscht worden, die als Paradigma mit dem Terminus „Konfessionalisierung“ belegt wer4 den. Dabei ist auch den Zusammenhängen von Alter Kirche und Reformation, teilweise sogar dem patristischen Argument bei einzelnen der Protagonisten in 5 den lutherischen und reformierten Profilbildungen nachgegangen worden. Hier 6 ist vor allem der Beitrag von Markus Wriedt zu nennen , der den Stand der Forschung – leider ohne Berücksichtigung dieser Arbeit – ausführlich darlegt; er kommt zu dem Schluss, dass „der von Melanchthon immer wieder festgestellte consensus patrum, bei allem kritisch zu vermerkenden Abweichenden, auf den consensus ecclesiae [sc. verweist], der nunmehr zum kritischen Maßstab der Auseinandersetzung mit den Altgläubigen wie den innerprotestantischen Gegnern 7 wird.“ Seine Hauptthese freilich lautet, dass die Annäherung Melanchthons an die Schweizer und die Oberdeutschen „mitinitiiert“ sei „durch Oekolampads »Dialogus« und die sich aus dem Melanchthon bis dahin unbekannte Zeugnis der altkirchlichen Tradition, aufgrund dessen er seine exegetischen Überzeugungen 8 revidiert.“ Der komparatistische Ansatz, den Gottfried Hoffmann verfolgt hat, ist allerdings bis heute nicht wirklich aufgenommen, erweitert oder vertieft worden. Gottfried Hoffmann hat selbst die Richtung gewiesen, in die die Forschung weiter ausgreifen müsste: „Bewusst ist darauf verzichtet worden, auch nur an einem Stück der Frage nachzugehen, ob und gegebenenfalls auf welcher Seite die Väter sachgemäß in dem von ihnen gemeinten Sinn angeführt worden sind, ob also und wo und inwiefern von einer echten Kontinuität mit der Abendmahlslehre der alten Kirche gesprochen werden kann. Diese Aufgabe reizte sehr 3 4

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S. 17. Vgl. die grundlegenden Bände: Heinz Schilling (Hg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der »Zweiten Reformation«, Gütersloh 1986 (SVRG 195); HansChristoph Rublack (Hg.): Die lutherische Konfesssionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschicht, Gütersloh 1992 (SVRG 197); Wolfgang Reinhard/Heinz Schilling (Hg.): Die Katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993, Münster 1995 (RGST 135). Vgl. die dankenswerterweise von Dr. Johannes Hund, Institut für Europäische Geschichte Mainz zur Verfügung gestellte Auswahlbibliographie, S. 13f. Wriedt, Markus: Schrift und Tradition. Die Bedeutung des Rückbezugs auf die altkirchlichen Autoritäten in Philipp Melanchthons Schriften zum Verständnis des Abendmahls, in: Günther Frank (Hg.), Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. Bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 10), 145–168. Wriedt (wie Anm. 6), 164. Wriedt (wie Anm. 6), 166.

Werner Klän: Hinführung

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und schließt sich naturgemäß an die Darlegung der Väterargumentation an.“ Die Bearbeitung dieser Aufgabe steht freilich noch aus. Auch Markus Wriedt weist lediglich darauf hin, dass „wichtige Erkenntnisse im Blick auf die Methodik der 10 Rezeptionsgeschichtsforschung“ noch zu erwarten seien. Eine grundlegende Neubestimmung der Frontlinien innerhalb der lutherischen Reformation in ihren Wittenberger, Braunschweiger und Württemberger Spielarten hat Johannes Hund geliefert, mit dem Ergebnis, dass er die Etikettierung der Links-Melanchthonianer als „Krypto-Calvinisten“ verwirft und stattdessen – zu Recht – für sie und ihre Positionen die Bezeichnung als „konse11 quent-philippistisch“ ins Gespräch bringt. Für Melanchthon selbst konstatiert er einen „Positionswechsel […] von der allgemeinen Weltgegenwart der menschlichen Natur Christi zum voluntativen Gegenwärtigwerden der menschlichen 12 Natur“, der „1532 vollendet“ sei. Später, im Zusammenhang mit der altkirchlichen christologischen Überlieferung, habe er eine „Zwischenposition“ eingenommen, die „allenfalls eine Personpräsenz der die abwesende menschliche Na13 tur tragenden göttlichen Person aussagbar“ erscheinen lasse. Das Jahr 1557 schließlich stelle „eine tiefe Zäsur im christologisch-abendmahlstheologischen Denken Melanchthons dar“, als er die sessio ad dexteram patris als lokales Fak14 tum interpretiert , so dass sich am Ende eine Stellung ergibt, „die sich in der Frage, ob im Abendmahl Christi Leib und Blut substantiell gegenwärtig seien, 15 nur noch unwesentlich von der Genfer Position unterschied.“ Der jetzt der theologischen Öffentlichkeit vorgelegte Band ist behutsam bearbeitet worden: Einige Anmerkungen hatte der Verfasser selbst bereits seit längerem nachgearbeitet; sie sind nun in die Druckfassung integriert worden. Die meisten Kirchenväterzitate sind – nach kritischer Überprüfung – in der Fassung des Manuskripts erhalten geblieben; die Auflistung der Kirchenväter-Schriften, für die der Verfasser, wie für alle Register, verantwortlich zeichnet, hilft dem heutigen Leser, auch neuere Editionen aufzusuchen. Die Fakultät der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel beehrt sich, dem früheren Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie, Prof. Dr. Gottfried Hoffmann, dieses Buch zu übergeben. Aus Anlass des 80. Geburtstages ihres langjährigen Mitglieds fasste sie den Beschluss, diese Doktorarbeit zum Druck zu bringen. Die Gründe dafür waren vielfältig. Vor allem soll der langjährige akademische Lehrer der kirchlichen Ausbildungsstätte der Selbständigen 9 S. 260. 10 Wriedt (wie Anm. 6), 168. 11 Hund, Johannes: Das Wort ward Fleisch. Eine systematisch-theologische Untersuchung zur Debatte um die Wittenberger Christologie und Abendmahlslehre in den Jahren 1567 bis 1574, Göttingen 2006 (FSÖTh 114), 664. 12 Hund (wie Anm. 11), 75. 13 Hund (wie Anm. 11), 86. 14 Hund (wie Anm. 11), 77f. 15 Hund (wie Anm. 11), 95.

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Zu diesem Buch

Evangelisch-Lutherischen Kirche eine ihm gebührende Ehrung erfahren. Zudem gilt, dass in einem immer noch ökumenisch geprägten Zeitalter, und erst recht, wenn sich Tendenzen zur Abkehr vom ökumenischen Gespräch geltend zu machen scheinen, es von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, wenn die Frage nach der Stimmigkeit historisch-legitimatorischer Strategien in der Gesamtchristenheit neu bedacht würde, nicht zuletzt „unter Vermeidung der historischen Warnhinweise und Sackgassen im Dialog miteinander, unter Beachtung des biblischen Befundes und der philosophiegeschichtlichen Herausforderungen der 16 Gegenwart“. Mehr als 25 Jahre hat Gottfried Hoffmann Dogmatik und Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften in Oberursel unterrichtet. Als Schüler von Wilhelm Oesch hat er besonders die aus dem Raum des nordamerikanischen Luthertums geprägte Spielart konkordienlutherischer Theologie vertreten. Damit hat er ein Profil der in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche aufgegangenen lutherischen Bekenntniskirchen besonders stark gemacht. Er hat freilich nie einen Zweifel daran gelassen, dass er diesen Zusammenschluss für unabdingbar hielt, um der Stimme konkordienlutherischer Theologie in Deutschland und darüber hinaus Gehör zu verschaffen und ihren Anliegen Gewicht zu verleihen. Ebensowenig hat Gottfried Hoffmann jemals die Einrichtung der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel und ihre Aufgabenstellung als Ausbildungsstätte des pastoralen Nachwuchses lutherischer Bekenntniskirchen in Frage gestellt. Diese grundsätzliche Bejahung einer vereinten konkordienlutherischen Kirche in Deutschland und einer kirchlichen Hochschule dieser Prägung schließt gewiss nicht Kritik an einzelnen Entscheidungen und Positionen aus, die dort bezogen wurden und werden. Die Grundsatzentscheidung für die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche und die Ortsbestimmung der ihr in vielfacher Hinsicht zugeordneten Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel stand für Gottfried Hoffmann allerdings immer fraglos fest. Nicht zuletzt für diese parteiliche Anwaltschaft dankt ihm die heutige Fakultät von Herzen. Dem Freundeskreis der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel e.V. sei herzlich für die Gewährung eines namhaften Druckkostenzuschusses gedankt; ohne diese Unterstützung, die zugleich ein Zeichen der Wertschätzung für und der Verbundenheit mit dem Jubilar darstellt, wäre die Drucklegung kaum denkbar gewesen.

Oberursel, 21. September 2010

Prof. Dr. Werner Klän

16 Hund (wie Anm. 11), 704. Johannes Hund hofft drauf, dass aus solch theologiegeschichtlicher Betrachtung „ein gemeinsames Verständnis der Person Christi und der Abendmahlsgabe werden könnte“ (ebd.).

Johannes Hund: Auswahlbibliographie

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Johannes Hund: Auswahlbibliographie Arffman, Kaarlo: Der Ausspruch Augustins „ego uero euangelio non crederem, nisi me catholicae ecclesiae conmoueret auctoritas“ in der Rezeption Luthers, in: Günther Frank (Hg.), Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. Bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006 (MelanchthonSchriften der Stadt Bretten 10), 131–144. Beckmann, Joachim: Vom Sakrament bei Calvin. Die Sakramentslehre Calvins in ihren Beziehungen zu Augustin, Tübingen 1926. Burger, Christoph, Gegen Origenes und Hieronymus für Augustin. Philipp Melanchthons Auseinandersetzung mit Erasmus über die Kirchenväter, in: Günther Frank (Hg.), Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. Bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 10), 13–26. Dingel, Irene: Concordia controversa. Die öffentlichen Diskussionen um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts, Gütersloh 1996 (QFRG 63). –: Die Torgauer Artikel (1574) als Vermittlungsversuch zwischen der Theologie Luthers und der Melanchthons, in: Nieden, Hans-Jörg/Nieden, Marcel (Hg.): Praxis Pietatis. Beiträge zu Theologie und Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit, FS Wolfgang Sommer, Stuttgart 1999, 119–134. Frank, Günter: Die theologische Philosophie Philipp Melanchthons (1497–1560), Hildesheim 1995 (EThSt 67). Gäbler, Ulrich: Melanchthon und die Schweiz, in: Günter Frank (Hg.), Der Theologe Melanchthon, Stuttgart 2000 (Melanchton-Schriften der Stadt Bretten 5), 227–242 Gemeinhardt, Peter: Traditionsbindung und Traditionskritik bei Melanchthon, in: Ders. (Hg.), Gebundene Freiheit? Bekenntnisbildung und theologische Lehre im Luthertum, Gütersloh 2008 (Die Lutherische Kirche, Geschichte und Gestalten 25), 31–61 Hägglund, Bengt: Theologie und Philosophie bei Luther und in der occamistischen Tradition. Luthers Stellung zur Theorie von der doppelten Wahrheit, Lunds Universitets Årsskrift. N.F. Avd. 1 Bd 51. Nr. 4, Lund 1955. Hilgenfeld, Hartmut: Mittelalterlich-traditionelle Elemente in Luthers Abendmahlsschriften, Zürich 1971 (SDGSTh 29). Hall, H.A., Melanchthon and the Cappadocians/H. Ashley Hall, in: Günther Frank (Hg.), Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. Bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 10), 27–47. Hund, Johannes: Das Wort ward Fleisch. Eine systematisch-theologische Untersuchung zur Debatte um die Wittenberger Christologie und Abendmahlslehre in den Jahren 1567 bis 1574, Göttingen 2006 (FSÖTh 114). Jung, Martin H.: Abendmahlsstreit: Brenz und Oekolampad, Blätter für württembergische Kirchengeschichte 100 (2000), 143–161. Kinzig, Wolfram: Oekolampads Übersetzung der Schrift „Contra Iulianum“ des Kyrill von Alexandrien, in: Athina Lexutt, Relationen-Studien zum Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation, FS Karl-Heinz zur Mühlen, Münster 2000 (Arbeiten zur historischen und systematischen Theologie 1), 154–187.

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Zu diesem Buch

Koch, Ernst: Auseinandersetzungen um die Autorität von Philipp Melanchthon und Martin Luther in Kursachsen im Vorfeld der Konkordienformel von 1577, LuJ 59 (1992), 128–159. –: Der kursächsische Philippismus und seine Krise in den 1560er und 1570er Jahren, in: Schilling, Heinz (Hg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“, Gütersloh 1986 (SVRG 195), 60–76. Kolb, Robert: Altering the Agenda, Shifting the Strategy: The Grundfest of 1571 as Philippist Program for Lutheran Concord, SCJ 30 (1999), 705–726. Lane, Anthony N.: Justification by Faith in Sixteenth-Century Patristic Anthologies : the Claims that were made / Anthony N.S. Lane, in: Günther Frank (Hg.), Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. Bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 10), 169– 189. Leinkauf, Thomas: Beobachtungen zur Rezeption patristischer Autoren in der frühen Neuzeit, in: Günther Frank (Hg.), Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. Bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 10), 191–207. Mager, Inge: Das Ringen um Wahrheit und Eintracht im Consensus Dresdensis vom 10. Oktober 1571, in: Nieden, Hans-Jörg/Nieden, Marcel (Hg.): Praxis Pietatis. Beiträge zu Theologie und Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit, FS Wolfgang Sommer, Stuttgart 1999, 103–118. –: Die Konkordienformel im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel. Entstehungsbeitrag – Rezeption – Geltung, Göttingen 1993 (SKGNS 33). Mahlmann, Theodor: Das neue Dogma der lutherischen Christologie. Problem und Geschichte seiner Begründung, Gütersloh 1969. –: Melanchthon als Vorläufer des Wittenberger Kryptocalvinismus, Stuttgart-Bad Cannstatt 2005 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 9), 173–230. Meijering, Eginhard Peter: Melanchthon and Patristic Thought. The Doctrines of Christ and Grace, the Trinity and the Creation, Leiden 1983 (SHCT 32). Neuser, Wilhelm Heinrich: Die Abendmahlslehre Melanchthons in ihrer geschichtlichen Entwicklung 1519–1530, Neukirchen-Vluyn 1968 (BGLRK 26). –: Die Versuche Bullingers, Calvins und der Strassburger, Melanchthon zum Fortgang von Witttenberg zu bewegen, in: Gäbler, Ulrich/Herkenrath, Erland:Heinrich Bullinger 1504–1575. Gesammelte Aufsätze zum 400. Todestag, Zürich 1975 (ZBRG 8), 35–55. Quere, Ralph Walter: Christ’s Efficacious Presence in the Lord’s Supper: Directions in the Development of Melanchthon’s Theology After Augsburg, LuthQ 29 (1977), 21– 41. –: Melanchthon’s Christum cognoscere. Christ’s Efficacious Presence in the Eucharistic Theology of Melanchthon, Nieuwkoop 1977 (BHRef 22). Rizzi, Marco: Patristische Exegese und politische Theologie im sechzehnten Jahrhundert : eine Forschungsperspektive, in: Günther Frank (Hg.), Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. Bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 10), 327–349. Schindler, Alfred: Bullinger und die lateinischen Kirchenväter, in: Zwingliana 31 (2004), 161–177.

Johannes Hund: Auswahlbibliographie

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Schwendemann, Wilhelm: Melanchthon, Maimonides und Averroes: AristotelesRezeption und -Exegese gegen religiösen Fundamentalismus, in: Günther Frank (Hg.), Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. Bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 10), 93–130. Wriedt, Markus, Schrift und Tradition. Die Bedeutung des Rückbezugs auf die altkirchlichen Autoritäten in Philipp Melanchthons Schriften zum Verständnis des Abendmahls, in: Günther Frank (Hg.), Die Patristik in der frühen Neuzeit. Die Relektüre der Kirchenväter in den Wissenschaften des 15. Bis 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2006 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 10), 145–168.

Vorwort zur 1. Auflage In seinem großen Werk „Zwingli und Luther“ schreibt Walther Köhler über die patristische Argumentation Oekolampads: „Die von dem Basler Reformator mit großem Fleiße herangezogenen Stellen auf Recht oder Unrecht zu prüfen, ist zwecklos, wenn anders der Satz von Loofs zu Recht besteht: „von ihren Voraussetzungen aus, nicht nach der Fragestellung des 16. Jahrhunderts müssen die Väter gewürdigt werden, die occidentalischen sowohl wie die orientalischen 1 Väter“. Diese Voraussetzungslosigkeit besitzt Oekolampad nicht.“ Diesem Ur2 teil Köhlers, das er an anderer Stelle auf alle Reformatoren ausdehnt , sei ein Satz gegenübergestellt, mit dem Joachim Beckmann ein Ergebnis seiner Untersuchung zum Sakramentsverständnis Calvins zusammenfasst: „Die wesentlichen und charakteristischen Anschauungen Calvins fanden sich in derselben Bedeutung auch bei Augustin, und zwar in erster Linie in den beiden Gedankenkreisen 3 des Sakramentsbegriffs und der Abendmahlslehre.“ Beide Sätze stehen gegeneinander, zumal wenn man bedenkt, dass Calvins und Oekolampads Väterbeweis 4 im Blick auf Augustin weitgehend übereinstimmen. Köhler spricht den Reformatoren die zur Würdigung und damit zum rechten Verständnis der Väter erforderliche Voraussetzungslosigkeit ab, Beckmann dagegen konstatiert eine wesentliche Übereinstimmung zwischen Calvin und Augustin – eine Übereinstimmung, die doch ohne ein sachgemäßes Verständnis Augustins durch Calvin nicht denkbar ist. Dieser Widerspruch zeigt, dass in der Frage der Kontinuität der Reformatoren mit der alten Kirche die Akten hinsichtlich der Lehre vom heiligen Abendmahl durchaus noch nicht geschlossen sind. Ehe man aber weitere Untersuchungen in dieser Hinsicht betreibt, ist es sinnvoll, sich zunächst der Frage zu stellen, wie und in welchem Sinne die Reformatoren selbst sich auf die Väter berufen haben, welches ihre Hauptargumente waren und wie sie die ihrer Gegner entkräfteten. Diese Frage ist angesichts der immensen Arbeit, die die Reformatoren an der Patristik geleistet haben, ihrer Bemühungen um rechtes 5 Verstehen und ihres jeweiligen Anspruches, im consensus ecclesiae zu stehen, durchaus berechtigt. Die Antwort soll von der hier vorliegenden Arbeit versucht werden. 1 2 3 4

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Bd 1, S. 118. Bd 1, S. 807. Vom Sakrament bei Calvin (1926), S. 163. Vgl. z. B. Beckmann, Vom Sakrament … S. 9 Anm. 1 mit unserer Arbeit Anm. 163 auf Seite 58 und Anm. 165 auf Seite 58. S. 10 Anm. 1 mit unserer Arbeit Anm. 167 auf Seite 58. S. 11 Anm. 1 mit unserer Arbeit S. 80. S. 11 Anm. 2 mit unserer Arbeit S. 79. S. 15 Anm. 1 mit unserer Arbeit Anm. 295 auf Seite 84 und S. 26f. Vgl. z.B. Oekolampads Satz: „Patrum dicta nemo interpretabitur illis ipsius melius.“ Antisyngramma k3a.

Vorwort zur 1. Auflage

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Da die Meinungen in der Auseinandersetzung besonders deutlich werden, erstreckt sich die Untersuchung auf die Kontroverse zwischen Oekolampad und Zwingli einerseits, Luther und Melanchthon andererseits. Sie geht also nicht auf die mancherlei patristischen Auseinandersetzungen ein, wie sie z.B. zwischen Oekolampad und Pirckheimer, Oekolampad und Billican, Zwingli und Jakob Strauß neben der großen Kontroverse herliefen. Dies hätte den Umfang der Arbeit außerordentlich ausgeweitet und andererseits doch nichts Neues erbracht, da alle wesentlichen Argumente in der Auseinandersetzung zwischen den Hauptpartnern auftreten, und das Typische dort voll erfasst werden kann. Der Streit endet äußerlich zwar mit dem Tod der beiden Schweizer Partner 1531, doch gehört die Väterargumentation Luthers und Melanchthons aus den Jahren 1534/35 sachlich noch dazu, so dass sich der Abschluss mit der Wittenberger Konkordie nahelegte. Einbezogen wurde, soweit es zum Verständnis der patristischen Argumentation nötig ist, auch das Verhältnis von Schrift und Väter und der Konsensusgedanke. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Äußerungen, die im Zusammenhang der Abendmahlskontroverse gemacht wurden. Eine Durchsicht der Literatur zeigt, dass die Bedeutung des patristischen Arguments innerhalb der Theologie der Reformatoren, sozusagen sein Stellenwert, 6 besonders für Melanchthon mehrfach bearbeitet worden ist. Über die Frage jedoch, inwiefern sich die Reformatoren hinsichtlich der Abendmahlslehre auf die Väter beriefen und ihre Position durch sie bestätigt sahen, gibt es unseres 7 Wissens keine Untersuchung. Pontien Polman befasst sich allgemein mit dem patristischen Argument und kommt nur im Zusammenhang seiner Ausführungen über Zwingli und Oekolampad kurz auf die patristischen Beweise gegen die 8 9 Realpräsenz zu sprechen. Jan Koopmans behandelt die Aufnahme der altkirchlichen Dogmen von der Trinität und der Christologie durch die Reformen speziell Calvin. Am nächsten kommt dem Thema – allerdings nur im Blick auf Melanch10 thon – Peter Fraenkel, der der Frage nachgeht, ob nicht das Moment der Unbestimmtheit in der Abendmahlslehre Melanchthons mit seiner Väterargumentation zusammenhängt. Es bestätigt sich, was Fraenkel allgemein zur patristischen Arbeit der Reformatoren feststellt: „Nor do we possess literature of a more spe11 cialized kind on the work done in this field during the 16th Century.“ 6

Es sei verwiesen auf: Paul Schwarzenau, Der Wandel im theologischen Ansatz bei Melanchthon 1525–1535 (1956). Adolf Sperl, Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation (1959). Peter Fraenkel, Testimonia Patrum (1961). 7 Pontien Polman, L‘élément historique dans la controverse religieux du XVIe siècle (1932). 8 S. 71ff. 9 Jan Koopmans, Das altkirchliche Dogma in der Reformation (1955). 10 Peter Fraenkel, Ten Questions Concerning Melanchthon, the Fathers, and the Eucharist in: Luther und Melanchthon, Referate und Berichte des Zweiten Internationalen Kongresses für Lutherforschung hg. von Vilmos Vajta (1961). 11 Testimonia Patrum, S. 255.

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Vorwort zur 1. Auflage

Einzelne Hinweise und Berichte zum Thema finden sich verstreut in den Werken, die den Abendmahlsstreit und überhaupt die Abendmahlslehre der Reformatoren behandeln. Am ausführlichsten äußert sich dabei Walther Köhler, der innerhalb der von ihm referierten Schriften auch kurze Inhaltsangaben zum 12 13 Väterbeweis gibt. Ähnlich, nur knapper, geht Ernst Staehelin vor. Sonst findet man kurze Bemerkungen zu dieser oder jener Einzelfrage – zumeist dazu, inwiefern Oekolampad durch seinen Dialogus Melanchthon beeinflusst hat. Die allgemein gehaltenen Zusammenfassungen laufen darauf hinaus, dass die Reformatoren ihre jeweilige theologische Stellung durch Väterstellen stützen wollten, dass diese nicht konstitutiv für ihre Auffassung gewesen seien, und dass der Väterbe14 weis nicht gelungen sei. Eines der Hauptprobleme der Darstellung ist die große Fülle und Vielfalt des Stoffes, besonders bei Oekolampad. Sie nötigte zur Beschränkung auf die ausschlaggebenden Argumente. Auch der Aufbau der Arbeit ist davon bestimmt. Eine rein zeitliche Anordnung hätte viele ermüdende Wiederholungen bringen müssen, auch hätte sie die innere Verknüpfung der Väterargumentation nicht deutlich werden lassen. Deshalb sind bei Oekolampad und Zwingli die einzelnen Argumentationskomplexe herausgestellt worden, innerhalb derer die zeitliche Reihenfolge der Argumente eingehalten worden ist. Da bei Melanchthon und Luther die Argumentation anders aufgebaut ist, nämlich direkt auf den einen Punkt der Realpräsenz, konnte bei ihnen die zeitliche Reihenfolge klarer herausgestellt werden. Dies war bei Melanchthon auch deshalb unbedingt erforderlich, weil er als einziger innerhalb der zur Bearbeitung anstehenden Zeit einen Wandel in der Abendmahlslehre vollzogen hat. Der innere Zusammenhang zwischen Abendmahlslehre und Väterargumentation nötigte auch dazu, bei ihm ausführlicher als bei den anderen Kontrahenten die Abendmahlslehre selbst einzubeziehen. Es ist darauf verzichtet worden, die Väterzitate in den Ausgaben der Reformationszeit nachzuweisen. Dazu wäre eine Spezialuntersuchung erforderlich 15 gewesen, die weit über den Rahmen dieser Arbeit hätte hinausgehen müssen. Die Fundorte der Väterstellen sind deshalb, von einigen wenigen abgesehen, die nicht verifiziert werden konnten, nach den gebräuchlichen Ausgaben angeführt 16 worden. Die Titel in den Quellennachweisen sind, soweit sie das Literaturver12 Zwingli und Luther, Bd 1 z. B. S. 95, 308f.; Bd 2 S. 108–111. 13 Das theologische Lebenswerk Oekolampads (1939), z. B. S. 280ff., S. 599f., 607ff. 14 Walther Köhler, Zwingli und Luther Bd 1 S. 118 (unter Verweis auf Loofs in RE3 Bd 1, S. 44) J. J. Herzog, Das Leben Oekolampads und die Reformation der Kirche zu Basel (1843) Bd 1, S. 34. August Wilhelm Dieckhoff, Die evangelische Abendmahlslehre im Reformationszeitalter Bd 1, (1854) S. 517. 15 Für Luther hat Ernst Schäfer, Luther als Kirchenhistoriker (1897) S. 115ff., 171ff., einiges Material zusammengetragen. 16 Nicht immer stimmt die Textgestalt der modernen Ausgaben mit der überein, die den Reformatoren vorlag. Alle Textunterschiede anzugeben hätte den Umfang der Arbeit erheblich erweitert. Es ist insofern auch nicht erforderlich, als die Frage, ob und inwieweit die reformatorischen

Vorwort zur 1. Auflage

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zeichnis enthält, in Kurzfassung angegeben. Die sonstigen Abkürzungen entsprechen den in der RGG dritter Auflage gebräuchlichen. In der Regel konnten die fremdsprachlichen Texte nicht übersetzt werden, da sie ja die Grundlage für jeweils verschiedene Interpretationen abgeben. Da die Schriften Oekolampads schwer zugänglich sind, wurden die Texte in den Anmerkungen zumeist ausgeschrieben. Gottfried Hoffmann

Väter mit ihrer Argumentation im Recht waren, hier noch nicht erörtert wird. Beispiele für den Textvergleich finden sich Anm. 42 auf Seite 27 und Anm. 47 auf Seite 27.

Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad I. Die Bedeutung des patristischen Arguments für Oekolampad innerhalb der Abendmahlskontroverse Oekolampads grundsätzliche Haltung zu den Vätern ist überall die gleiche: Die 1 2 Väter stehen unter der Schrift. Sie ist das Wort Christi, das nicht lügt. Die Väter dagegen sind Menschen, die da sündigen und irren wie wir. Sie sind Sand, auf 3 den man nicht bauen kann. Das bedeutet nicht, dass die Väter überhaupt keine Autorität hätten. Ihre Autorität ist aber von der Schrift getragen und reicht nur so weit, als sie mit ihr übereinstimmen. „Denn wir sind gehalten, weder auf die Worte der jüngeren, noch der älteren Lehrer zu schwören, sondern allein auf die 4 Wahrheit.“ Wenn der Basler nun trotzdem die Väter reichlich zu Worte kommen lässt, so hat dies wichtige Gründe. Einmal will er aufzeigen dass die von ihm vertretene Sakramentslehre durchaus nichts Neues in der Geschichte der Kirche darstellt. Die Väter selbst, unter ihnen besonders Augustin, haben ihn veranlasst, das 5 Abendmahl anders zu verstehen, als es in der bisherigen Tradition üblich war. Wenn darum der Basler etwas Neues aufzubringen scheint, so ist es in Wirklichkeit nichts Neues, sondern das Alte, das im Laufe der Zeit überlagert worden ist. Wer Oekolampad verurteilt, der verurteilt nicht nur ihn, sondern auch die Väter, 6 da er nichts anderes als sie lehrt. Das Problem, das für Oekolampad wie für seine Zeitgenossen hinter dem Neuen steht, wird an einer Formulierung aus der „andern billichen Antwort“ 1 2

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„Neque ego patres canonicis scripturis antefero, neque ideo cito, quasi humana nitar authoritate, vel ut dicitis, vos premam.“ Antisyngramma k2b. „Non reclamamus autem Evangelistis, sed adoramus etiam Iota et apicem minimum. In labiis Christi non est inventum mendacium et propterea verbum eius et nobis in lucernam est.“ Genuina Expositio b5a/b. „Das ich d' leerer geschrifft zusamen gebracht / vnn nach jrem waren verstand sie außgelegt hab / ist nit darumb geschehn / dz ich auff sie bauwe / wie mir dz ettlich aufgelegt haben. Dan sie sein menschen unn sand / möchten als wol sünden vnnd irren als wir.“ Ander Billiche Antwurt i3b. „Neque enim unquam doctorum praesertim veterum authoritatem submotam velim, quatenus a scripturis sanctis non recedant, sicut si recedant, defensandos non receperim. Etenim neque in recentiorum, neque in priscorum verba, sed veritatem iuratos nos oportet.“ Genuina Expositio g3a. „Hic non abs re fuerit adnotare aliquos ex autoribus priscis, quos in hac sententia habeo adstipulatores, quibusque in hac sententia subscripsisse me non poenitet.“ Genuina Expositio E7b „Interim comprobabimus, non temere vel frustra ab uno vel altero dicto Augustini ita sentiendi occasionem nobis concessam, e quibus Magister (sc. Petrus Lombardus) superciliose ait, ministratum nobis insaniae fomitem …“ Genuina Expositio b8b. Vgl. S. 75 Anm. 22.

Die Bedeutung des patristischen Arguments für Oekolampad

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erkennbar: „Hette aber vermeint es solle ettliche verstendigen und hitzigen schreier ermanet haben / damit sie sich baß an allen orten vmbsehen / erlerneten das hierin nichts neuwes / nichts onchristlichs / nichts onreins / füren schon für 7 mit jren urteil / so habe ich denen allererst angeholffen.“ Das Neue steht mit dem Unchristlichen und Unreinen auf einer Ebene, ja ist damit gleichzusetzen. Warum das so ist, dafür findet sich in Oekolampads Abendmahlsschriften keinerlei Ausführung. Dass es so ist, ist allgemeine, selbstverständliche Überzeugung. Sie beruht darauf, dass die Kirche, ungeachtet gewisser Zeiten der Überlagerung und Verdunkelung der Wahrheit, nicht ohne die Wahrheit ist und deshalb ein consensus ecclesiae von den Aposteln an über die Väter bis in die Gegenwart vorliegt. Alle Lehre, die neu ist, kann darum schon deshalb nicht rein und christlich sein. Der Väterbeweis ist damit ein wichtiges Mittel, die christliche Wahrheit einer Lehre zu bewähren und einleuchtend zu machen. Oekolampad steht deshalb nicht an, ihn besonders auch um derer willen zu führen, die noch bei der alten Abendmahlsauffassung um der vermeintlichen Stel8 lung der Väter willen gehalten werden. Ein anderer Grund, die Vätermeinung darzulegen, besteht darin, dass die Väter das Schriftverständnis des Baslers bestätigen. Er muss sich ja gegen den Vor9 wurf wehren, dass er die Schrift nach seiner Begier zerreiße, indem er seine neue Lehre auf sie gründet. Der Nachweis, dass die Väter wie Oekolampad gelehrt haben, zeigt, wie die Väter die Schrift verstanden haben und dass es sich bei ihm durchaus nicht um ein neues und damit falsches Schriftverständnis handelt. Im Gegenteil, über die Väter, besonders Augustin, ist ihm erst das rechte Schriftverständnis aufgegangen, sie haben ihm den Anstoß dazu gegeben und er hat festge10 stellt, dass sie recht haben. So sind die Väter zugleich Helfer und Zeugen rechten Schriftverständnisses. Dazu befähigt sie besonders die größere Nähe zur apostolischen Zeit und die damit verbundene größere Vertrautheit mit der apostolischen Redeweise und den näheren Umständen. Aber auch überhaupt waren sie berühmte Lehrer der Kirche, von hohem Verstand und wahrhaft geistlicher Gesinnung, nicht so grobe Leute wie so viele Zeitgenossen Oekolampads. In dieser Einschätzung der Väter gründet auch der hohe Wert, der den ersten öku11 menischen Konzilien seitens des Baslers zuerkannt wird. 7 8

Ander Billiche Antwurt i3b. „Sed quoniam clamabatur, hactenus in nostra sententia fuisse neminem, nosque scripturam pro nostra libidine dilacerare, non visum est abs re si nos, nec Veteres, nec Neotericos, contemnere doctores ostenderem. Sunt enim non pauci, quos remoratur hoc unum, quod olim patres in nostra sententia non fuisse constanter putent, quibus id remedii haud inutile fuisset.“ Antisyngramma k2b. 9 „… nosque scripturam pro nostra libidine dilacerare …“ aus der vorigen Anmerkung. 10 „Wie ich gesagt hab / sag ich noch / das ich auff die leerer und vätter nit gebawet hat / noch bawe / wiewol ettwas verstands auß jn genommen / vnd erfunden / das sie recht dran sein / werden aber von vylen onrecht verstanden“ Ander Billiche Antwurt k3b. 11 „… videbiturque sententia nostra antiquis synodis nihil contradicere. Nunquam enim illas quantum ad dogmata attinet, parcifecimus, imo mire suspeximus.“ Dialogus f1b.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad

Die Funktion der Väter als Helfer und Zeugen rechten Schriftverständnisses könnte leicht zu dem Gedanken führen, dass die Väter damit Norm der Schriftauslegung geworden sind, da eine andere Schriftauslegung als die der Väter ja häretisch sein muss. Oekolampad erörtert diesen Gedanken innerhalb des bearbeiteten Schrifttums nicht. Angesichts seiner grundsätzlichen Einstellung zum Verhältnis von Schrift und Vätern kann aber kein Zweifel daran sein, dass er auch 12 einer indirekten Autorität der Väter über die Schrift widersprochen hätte. Schließlich ist noch ein theologisch nicht so tiefliegendes Motiv der Väterdarlegungen zu nennen: Die Väter werden, besonders in der Sache des Abendmahls, 13 weithin ohne Urteil gelesen und falsch verstanden. Da ist es recht und billig, zu helfen, dass sie wieder richtig verstanden werden. Der Basler fühlt sich gleichsam schuldig, den falsch aufgefassten Vätern wieder zu ihrer wahren Meinung zu verhelfen. Wenn Oekolampad so allgemein von „den Vätern“ spricht, so heißt das nicht, dass er Unterschiede übersieht. Es wird noch zu zeigen sein, welche Bedeutung der Basler angesichts der Abendmahlslehre gerade Augustin gegenüber anderen Vätern der alten Kirche zuweist. Auch ist es für das Gewicht des Zeugnisses der jeweiligen Kirchenväter bedeutungsvoll, ob sie in den frühen Zeiten der alten Kirche oder später gelebt haben. Und weder an Tiefe der Erkenntnis noch an Beredsamkeit sind die Väter einander gleich; auch irren sie zuweilen. Trotzdem bilden sie, aufs Ganze gesehen, eine große Einheit auch in der Abendmahlsauffassung. Dass Oekolampad von dieser Einheit überzeugt ist, geht schon aus dem reichen Material der verschiedensten Väter hervor, das von ihm ausgebreitet wird. Der Basler ist sich dessen bewusst, dass er für seine Zeit ein neues, eigentlich 14 aber das genuine Väterverständnis vorträgt. Dass es bislang nicht Allgemeingut gewesen ist, liegt an der urteilslosen, nachlässigen, ungenauen Lektüre der Väterschriften. Die Schuld der Leser ist es, wenn sie bisher die Väter nicht rechtver15 standen haben. Indes gesteht Oekolampad zu, dass bisweilen die Väter doch 12 Obgleich es misslich ist zu sagen, was jemand zu dieser oder jener Frage geäußert haben würde, so liegt es doch im Rahmen der Gedanken Oekolampads, dass die Schrift für jeden aufmerksamen Leser klar genug ist, um verstanden werden zu können und dass gerade deshalb die Väter als aufmerksame Leser die Schrift recht verstanden haben. In dieser Klarheit der Schrift gründet ihre Richterfunktion, aber zugleich auch die Kontinuität ihrer Lehre durch die Zeiten. 13 „Ich sahe auch / das von vylen der leerer Sprüche nit recht verstanden würden / dan sie on vrteil in deren bücher pflatzsten / in sondernheit in diser matery / wie auch jetz Luther nit einen in seinem waren verstand wider mich auffbringt. “ Ander Billche Antwort i3b. 14 „Non enim abhorrere a nobis oportebat, quasi novum aliquod dogma adferamus; neque enim vel Christi verbum a nobis negligitur, vel patrum abservabiles termini suo moventur loco, quandoquidem a nobis accuratius, quam vulgo putant, sunt lecti.“ Melanchthon, Juli / August 1529, Staehelin, Briefe und Akten Bd 2, S. 344. 15 „Neque enim tam crassi fuerunt (sc. Patres), ut in extremos illos prolaberentur errores, sed nobis rectius imputandum fuerit, qui tropis et sermonibus eorum non assuevimus, omnia absque iudicio legentes, et devorantes.“ Genuina Expositio g3a.

Die Patristische Argumentation

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auch leicht missverstanden werden können, zumal wir an ihre Redeweise nicht 16 mehr gewöhnt sind. Nicht geringen Anteil an dem falschen Väterverständnis hat aber auch die fal17 sche Überlieferung. Schon in der genuina expositio hält Oekolampad (Pseudo) Cyprians „de cardinalibus operibus“ und den unter dem Namen des Ambrosius laufenden „liber de mysteriis“ für Schriften, über die jeder gemeine Mann, wenn man sie ihm zuschriebe, böse würde. Er argumentiert gegen die Echtheit vor allem von anderen Stellen anerkannter Bücher her; bei Ambrosius verweist er auch auf die Verwirrtheit der Gedankenführung und den für ihn sachlich unmöglichen Schluß von der Allmacht Gottes auf die Realpräsenz im Abendmahl. 18 Was aber Gratian aus Eusebius Enissenus und Prosper anführt, das bekümmert den Basler nicht, solange die Bücher selbst nicht eingesehen sind. Denn Gratian hat, wie das Beispiel des Augustin-Worts „caro Christi est sacramentum carnis Christi“ zeigt, viele falsche, verstümmelte und in ihrem eigentlichen Sinn entstellte Väterworte in sein Buch gebracht und so, als der bisherige Hauptvermittler der Väterkenntnis, wesentlich zu dem falschen Väterverständnis beigetragen. Literarkritisch und sachlich zugleich argumentiert Oekolampad auch in seiner 19 letzten Schrift, dem Dialogus. Ambrosius hat zwar über die Sakramente geschrieben, doch wird dieses Buch, aus dem Augustin in „de retractatione“ zitiert, 20 vermisst. Und Cyprians Sermo ist aus Cyrill, Hesychius und Paschasius zusammengeschrieben. Ambrosius wie auch Cyprian äußern sich an anderen Stellen nicht im Sinn dieser umstrittenen Schriften. Zu diesen literarkritischen Argumenten tritt ein entscheidendes sachliches hinzu: Die alte Kirche hat die mutatio panis nicht gekannt. Dies ist auch der Grund, weshalb Damaszenus, Bessarion und Theophylakt nicht als Zeugen für die Meinung der alten Kirche gel21 ten können. Neben das neue, in Wirklichkeit aber alte Verständnis der Väter tritt also auch eine kritische Sichtung der überlieferten Väterzeugnisse, von denen eine Anzahl als nicht der alten Kirche gehörig ausgeschieden wird.

II. Die Patristische Argumentation In der genuina expositio sagt Oekolampad, was er gegen Petrus Lombardus durch die Väterzeugnisse beweisen will: Die Worte „Das ist mein Leib“ sind nach demselben Tropus gesagt wie die Worte des Paulus „Der Fels war Chris-

16 17 18 19 20 21

Vgl. die vorige Anmerkung und S. 96f. Vgl. zum Folgendem Genuina Expositio kb ff. Ed. Friedberg, Graz (1955), Sp. 1325 und 1328. Dialogus m5b/6a. Dialogus m2a. Dialogus e8a.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad 22

tus“. Das ist das Thema nicht nur der ersten großen Abendmahlsschrift des Baslers, sondern der gesamten folgenden Auseinandersetzung. Man würde es freilich falsch verstehen, wenn man es im Sinne eines bestimmten Tropus auffassen wollte, vielmehr geht es um den Tropus überhaupt, darum, dass die Abendmahlsworte keine eigentliche Rede sind. Bewiesen wird also die Negation, dass der Leib Christi nicht im Abendmahl ist. Wie die ganze Väterargumentation darauf zielt, das kommt in den nachfolgenden Argumentationskomplexen zum Ausdruck. Zuvor soll jedoch auf den Anfang des Väterbeweises Oekolampads zurückgegriffen werden. Der Basler führte ihn noch zugunsten der Realpräsenz. 1. Die Anfänge Als Quelle für die patristische Argumentation Oekolampads vor der durch das Erscheinen der genuina expositio bezeichneten Wende kommt der „sermo de eucharistia“ in Betracht. Er lehrt eine volle Gegenwart des Leibes und Blutes 23 Christi unter den sakramentlichen Zeichen. Die Frage nach einer Wandlung 24 der Elemente bleibt dahingestellt. Unter den üblichen Argumenten zugunsten der Realpräsenz findet sich auch der Hinweis darauf, dass es uns nicht irre machen oder bekümmern muss, wie der, welcher zur Rechten des Vaters über den Himmeln sitzt, auch auf den Altären zugegen sei. Oekolampad vergleicht diesen Sachverhalt mit den Gesichtszügen, die sich in den Spiegeln widerspiegeln und doch vom Gesicht nicht weggehen. Basilius habe deshalb dieses Geheimnis des 25 Abendmahls antitypon, d. i. Exemplar genannt. Der von Oekolampad gebrauchte Vergleich meint nicht eine bloße Spiegelung der Gesichtszüge nach unserem heutigen Verständnis; er will vielmehr, wie der Kontext ausweist, eine Realität an verschiedenen Orten zugleich beispielhaft deutlich machen. Der von Basilius verwendete Ausdruck antitypon besagt deshalb im Sinne des Baslers zugleich

22 „Ille igitur distinctione decima, quarti libri, Asserentes Christum eo tropo dixisse, Hoc est corpus meum, quo Paulus dixerat, Petra erat Christus, proscindit et insectatur, tanqam insanos Haereticos: non animadvertens, quod interim faciat Haereticos ex praecipuis et antiquissimis doctoribus, quos in Hac sententia fuisse, abunde cum gratia dei commonstraturum me confido.“ Genuina Expositio a3b. 23 „Quocirca simpliciter et absque haesitatione credamus adesse et contineri sub hoc pane verum corpus, sub vino autem sanguinem.“ Sermo a3a. 24 „Caeterum panis vinique substantia an esse desinat (per se subsistentibus accidentibus vel per quantitatem) an in corpus Christi transeat et convertatur, an Christum ita contineat, ut simul adhuc quod videtur esse, sit, dicique debeat panis, nihil ad nos, de eo litigent otiosae scholae.“ Sermo a3a. 25 „Quomodo is qui ad dexteram patris residet super coelos, sit et in altariis vere praesens, quia nobis impossibile cognitu, ne turbemur, ne simus frustra anxii. Tenet omnipotens sedem majestatis suae in coelis, et hic mysteriis et fidei nostrae non deest. Et vultus mei lineamenta a me non transeunt, integra tamen et in multis relucent speculis. Qua ratione Basilius mysterium hoc antitypon hoc est exemplar scite vocat. “ Sermo a3a.

Die Patristische Argumentation

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Entsprechung und reale Identität von typos und antitypon. Dies ist der einzige Väterhinweis zugunsten der Realpräsenz. Andererseits fällt im „sermo de sacramento eucharistiae“ auf, dass der Genuss Christi im Glauben ungleich höher als im Sakrament gestellt wird. So wahr Christi Leib und Blut, also der ganze Christus, Gott und Mensch, die eine köstliche Perle, im Abendmahl da ist, so gewiss ist er nicht nur im Abendmahl da, 26 sondern allezeit, wenn wir an ihn glauben. „Das ist die allerseligste Mahlzeit, 27 davon uns kein Papst abhalten wird, und davon bloß der Unglaube ausschließt.“ Dieses geistliche Mahl ist, obwohl es weit über das sakramentliche geht, freilich noch vortrefflicher, wenn der Leib und das Blut Christi im Sakrament gegenwär28 tig sind. So dient das sakramentliche Mahl zur Anregung und Förderung des geistlichen Mahls. Für diese Vorordnung des geistlichen Mahls und seine Unabhängigkeit von dem sakramentlichen führt Oekolampad eine Reihe altkirchlicher 29 30 Zeugen an: zunächst die altkirchlichen Gebräuche und Origenes, aus denen hervorgeht, dass auf die sakramentliche Nießung nicht so viel Wert gelegt wor31 den ist wie zur Zeit des Baslers, sodann aber Augustins Credo et manducasti 32 und des Chrysostomos Hinweis darauf, dass die immer zur Kommunion kommen, die mit reinem Gewissen und keuschem Herzen und unsträflichem Leben kommen, die anderen aber nie, obwohl sie kommunizieren. Das Gewicht der Väter liegt im „sermo de sacramento eucharistiae“ demnach schon eindeutig auf der geistlichen Nießung des Leibes und Blutes Christi, ja des ganzen Christus im Glauben, wiewohl andererseits noch an der Realpräsenz

26 „… quasi tunc solum Christus credendus sit vere praesens et manducabilis, cum sacratum illum panem videmus vel adesse cognoscemus, sed quocumque tempore, quocunqe loco credimus, Jhesum dei Mariaeque, filium salvatorem orbis vere semper manducamus.“ Sermo b2a. 27 „Hoc beatissimum est convivium, a quo nullus nos excludet pontifex, sed sola incredulitas eiicit.“ Sermo b2b. 28 „Porro ubi sub sacramento panis caro Christi mirabiliter et ὑπερνῶς affuerit (Tametsi sacramentaria spirituali esitatione quovis modo sit inferior) spirituale convivium aliquanto spectatius efficitur.“ Sermo b2b. 29 So wurde der Leib des Herrn in Privathäusern gegessen nach dem Abendessen, aus schlichten Gefäßen, unter beiderlei Gestalt. Daraus schließt Oekolampad: „Patet nimirum ex his pietatis summam neque in sacrificiis assiduis, neque reverentia quae tantis mysteriis jure optimo impenditur, constitutam, sed fide in Christum, charitateque in proximum.“ Sermo ba. 30 „Quare Origenes in Matth. Assiduitatem communicationis inter decimas cymini menthae et aneti quae afferuntur a Pharisaeis enumerat." Sermo a4b. 31 „Vera ambrosia, verum nectar est, agnitum deum certa indubitataque fide intra mentis nostrae viscera uti cibum. Traiicere. Quis nobis hunc panem semper dispensabit? Quis dabit, ut de carnibus eius semper saturemus? Facessat pusillanimitas. Crede ait Augustinus, et manducasti.“ Sermo B1b – Aug., Io. ev. tr. 25,12 (CChr.SL 36,254). 32 „Similis et divi Chrysostomi in commentariis super epistolam ad hebraeos sententia est dicentis. Participantne qui semel anno, an qui saepius, an qui rarius. Sane nec ii qui semel anno, neque qui saepius neque qui raro. Sed qui munda conscientia, qui puro corde, quique vita irreprehensibili isti semper accedunt, qui vero non sunt eiusmodi, neque semel“. Sermo b2a – Chrys., hom. in Heb. XVII,4 (PG 63,13).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad

festgehalten wird und, wie das Zeugnis des Basilius zeigt, auch die Väter in eben diesem Sinn verstanden werden. 2. Die grundlegende neue Erkenntnis: Kein Wunder In der auf Oekolampad gekommenen Tradition wurde mit Nachdruck behauptet, dass man es im heiligen Abendmahl mit einem großen Wunder, nämlich mit der wirklichen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi zu tun habe. Dieses 33 Wunder sei zu glauben und nicht zu erforschen. Oekolampad behauptet dagegen, dass nach Meinung der altkirchlichen Väter hier kein Wunder vorliege und demgemäß nichts im Abendmahl enthalten sei, was über menschliches Verstehen hinausgehe. Die Spitze dieser Behauptung ist gegen die Realpräsenz gerichtet, die als eine zwar mit den Sinnen nicht wahrnehmbare, aber doch wirklich ge34 35 schehende Veränderung an, in oder bei den Elementen verstanden wird. Das Wunder, gegen das Oekolampad die Väterargumente anführt, ist also eine außerhalb des natürlichen Geschehens von Gott gewirkte Veränderung an den Abendmahlselementen, die grundsätzlich unserem vernünftigen Erkennen unzugänglich ist und darum nur bewundert werden kann. In einem anderen Sinne kann der Basler durchaus von wunderbarem Geschehen beim Abendmahl reden, soweit es nämlich die Herzensbewegungen betrifft, die der heilige Geist während 36 der sakramentalen Feier in den Gläubigen wirkt. 2.1 Das Väterzeugnis nach der genuina expositio Hauptbeleg sind Augustins Worte de Trinitate III, 10, die – wie Oekolampad 37 später berichtet – den Anstoß zu seinen neuen Überlegungen über das Altarsak38 rament gegeben haben. Er wertet sie als clarissimum testimonium. Augustin zähle dort 9 Arten von Wundern und Zeichen auf, durch die unseren Sinnen eine göttliche Botschaft zuteilwird, und ordne das Abendmahlsbrot der letzten, nur

33 Genuina Expositio a4a. 34 Für Oekolampad ist es gleich, ob jemand die Transsubstantiation oder die Konsubstantiation vertritt; er lehnt beide ab. 35 „Sanct Augustin habe ich angezogen, der da klar anzeigt, daß da kein wunderbar Ding sei, wie da geschieht, so sich etwas verändert, oder eine Person in einer andern Creatur erscheint; wie man hier müßte sagen … Denn er will da im Brode, außerhalb der Bedeutung und Sacrament, nicht wesentlich Neues da erfunden werden.“ Billiche Antwurt, Walch2 XX, Sp. 604. 36 „At mihi satis persuasum est, nullum hoc loco miraculum celebrandum in pane, quamvis non negem sacramentis operari deum in nobis mirifica, dum sese uberius et suavius spiritus qui datus est nobis, explicat, siquidem non deest credulitas.“ Genuina Expositio b4b/5a. 37 In „Über Luthers Bekenntnis“: „lese jn (sc. Augustin) wär da wolle am III De Trinitate Cap X. Er hatt mir vor etlichen Jaren ursach geben dem weyter nach zu sinnen.“ x5a, vgl. auch r2a. 38 „Verum clarissimo testimonio eiusdem Augustini docebimus, non esse in hoc sacramento, quod vel miraculum sit, vel hominis captum excedat.“ Genuina Expositio a7a.

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von Menschen gewirkten und nach Gebrauch vergehenden Art zu. Dazu zitiert er: 39

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„Quia haec homini nota sunt, quia per hominem fiunt, honorem tamquam religiosa possunt habere, stuporem tanquam mira non possunt. Itaque illa quae per angelos fiunt, quo difficiliora et ignotiora eo mirabiliora sunt nobis, illis autem tan42 quam suae actiones notae atque faciles.“

Als Erweis, dass hier auch wirklich vom Sakrament gesprochen wird, folgt noch: 43

„Illas etiam nubes et ignes quomodo fecerint, vel assumpserint ad significandum quod annunciabant etiam si dominus vel spiritus sanctus, illis corporalibus formis ostendebatur, quis novit hominum, sicut infantes non norunt quod in altari poni44 tur, et peracta pietatis celebratione consumitur, unde vel quomodo conflatur , unde in usum religionis assumatur. Et si nunquam discant, experimento vel suo vel aliorum, et nunquam illam rerum speciem videant, nisi inter celebrationem sacra45 mentorum, cum offertur et datur, Dicaturque illis authoritate gravissima, cuius 46 corpus et sanguis sit, nihil aliud credant nisi omnino in illa specie deum oculis apparuisse mortalium, et de latere tali percusso, liquorem illum omnino fluxisse. Mihi autem omnino utile est, ut meminerim virium mearum, fratresque meos admoneam, ut et ipsi meminerint virium suarum, ne ultra quam tutum est hu47 mana progrediatur infirmitas.“

In diesen vorliegenden Sätzen spricht sich – nach Meinung Oekolampads – Augustin dahingehend aus, dass im Abendmahlsbrot kein Wunder, keine Wandlung noch sonst etwas, das über menschliches Verstehen hinausgeht, enthalten ist; vielmehr handelt es sich nur darum, dass das Brot zu einem Zeichen angenom48 men wird. Der Basler verweist dazu besonders auf Folgendes: 1) Bei der letzten Gruppe der Zeichen, in die Augustin das Abendmahl einordnet, handelt es sich um solche, die aus irdischem Stoff bestehen und weder ein Wunder sind, wie die von den Engeln gewirkten Werke, noch eine Verwandlung erfahren, wie der Stab des Mose. Für sie ist vielmehr kennzeichnend, dass sie wieder vergehen, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben.

39 CChr.SL hominibus; homini entspricht keiner der vom CChr.SL angeführten Lesarten. 40 CChr.SL quippe quia; Oekloampads Text entspricht der Leseart in BNOJPµ (vgl. die Tabelle der Codices CChr.SL 50 S. XLVIf.). 41 CChr.SL homines; keine Leseart hat hominem. 42 Genuina Expositio a7b – CChr.SL 50, 147, 30–35. 43 CChr.SL assumpserint angeli; es ist keine Lesart angegeben, in der – wie bei Oekolampad – angeli fehlt. 44 CChr.SL conficiatur; keine Lesart hat conflatur. 45 CChr.SL auctoritate. 46 CChr.SL credent; keine Leseart hat credant. 47 Genuina Expositio a7b – CChr.SL 50,149,75–90. 48 „… qui nullum agnoscit miraculum nullamque mutationem talem, sed fatetur panem assumi in signum tantum, hocque nostram ratiocinationem non subterfugere.“ Genuina Expositio a8a.

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2) Augustin unterscheidet die Wunderwerke der Engel und die Zeichen, die von Menschen gemacht werden. Die ersteren verdienen unser Verwundern und wollen in ihrer Bedeutung erkannt sein; die letzteren dagegen, zu denen das Abendmahlsbrot gehört, sind uns in ihrer Entstehung bekannt und brauchen 49 nur verstanden zu werden. 3) Augustin will, dass wir die Abendmahlszeichen, Brot und Wein nicht missverstehen, wie es die Kinder tun, sondern unseren Verstand gebrauchen, dass wir wissen, was sie bezeichnen. Er bezieht sich dabei auf den letzten Satz des angeführten Zitats, den er als eine Ermunterung zum Gebrauch der eigenen geistigen Kräfte auffasst. „Damit die menschliche Schwachheit nicht weiter voranschreite, als es gewiss ist“ heißt nach seinem Verständnis: Die menschliche Schwachheit soll die ihr gezogene Grenze nicht überschreiten, sondern dem Menschen den Gebrauch seiner Verstandeskräfte gestatten, wo er rechtens ist. Es ist gewiss kein Fehlschluss, wenn man in dieser Augustin-Stelle das Material sieht, aus dem Oekolampad den Aufriss seiner Sakramentenlehre, wie er ihn im Anfang der genuina expositio gibt, erstellt hat. Sowohl die Unterscheidung zwischen den uns Menschen unzugänglichen Wunderzeichen der Engel und den uns verständlichen, von Menschen hergestellten Zeichen, als auch die Aufforderung, den Sakramenten gegenüber den Verstand zu gebrauchen, deuten darauf. Der Basler entwickelt seine Sakramentenlehre von einem Oberbegriff des mysterium oder sacramentum her, unter den er alles fasst, was geheimnisvoll und verborgen 50 ist. Dann unterscheidet er zwischen solchen Sakramenten, die uns Menschen völlig unerforschlich sind und anderen, die ihrem Wesen nach durchaus ver51 ständlich sind, wenn man erst einmal in ihr Verständnis eingeführt worden ist. Zu ersteren gehören das Geheimnis der Menschwerdung und Auferstehung Christi und alles, was außerhalb der natürlichen Ordnung von Gott oder den 52 Engeln auf wunderbare Weise gewirkt wird, zu letzteren die kirchlichen Sakra53 mente mit besonderem Bezug auf das heilige Abendmahl. Es ist verständlich, dass Oekolampad von daher den Vorwurf, er wolle Unbegreifliches ergründen und sei darum nicht bei Sinnen, damit zurückweist, dass man erst einmal prüfen 49 „Inter factum angeli et factum hominis plurimum distat. Illud et mirandum est et intellegendum, hoc autem tantummodo intellegendum.“ CChr.SL 50,147,43–45. 50 „Mysteria enim et sacramenta nonunquam appellamus in genere, omnia occulta, quoquo pacto, etiam si doceri ac disci possint, modo a multis sint abstrusa.“ Genuina Expositio a4b. 51 „Sacramenta igitur quaedam etiam mystis et initiatis sunt impervestigabilia, quaedam vero nihil prohibet, quin ab initiatis, quantum ad sacramentorum rationem plene cognoscantur.“ Genuina Expositio a4b. 52 „Illis adnumera sacramentum ac arcanum incarnationis ac resurrectionis, et omnia, quae praeter naturae ordinem mirabiliter a deo vel ab angelis fiunt.“ Genuina Expositio a4b. 53 „Verum de his nunc non est sermo, sed de Ecclesiasticis quae ad exercitationem et confessionem fidei tradita sunt… Itaque ut prius dixi, sacramenta dicuntur mysteria, non quod domesticis fidei, sed quod his qui foris sunt, abscondita sint.“ Genuina Expositio a5a.

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müsse, zu welcher Art die kirchlichen Sakramente gehören. Damit ist die Grundlage für ein weiteres Argument allgemeinerer Art gewonnen, das Oekolampad wie folgt kennzeichnet: „Quid enim symbolis et monumentis sacramentorum commendatur, sciunt initiati, rudes vero nesciunt. Quapropter et Doctores prisci, ubi parcius mysteriorum meminerunt, dicunt: Sciunt imbuti quid dicamus. Itaque prius dixi, sacramenta dicuntur mysteria, non quod domesticis fidei, sed quod his qui foris sunt, abscondita sint. Si enim sacramenta ad eruditionem instituta sunt, ut a visibilibus ad invisibilia manducamur, quomodo excitabuntur mentes nostrae, ab his quae modis omnibus recondita. Non ignota sint oportet, quae aedificare debent. Neque enim ex eorum genere sunt haec signa, ex quo signum Gedeonis vel Noe vel Ezechiae, ut tam raris ac inusitatis modis eveniant. Nos materiam afferimus, nos preces sacras dicimus, nos denique et quid symbola velint, docere, vel quo ducere debeant, ab authore Christo edocti sumus.“55

Die Väter bestätigen also mit ihren Worten – sciunt imbuti quid dicamus – dass die, die in die Sakramente eingeweiht sind, wohl wissen, was es darum ist, die anderen aber nicht. In welchem Sinne dieses „sciunt“ gemeint ist, kommt dadurch zum Ausdruck, dass Oekolampad zeigt, warum die Sakramente mysteria, Geheimnisse, heißen: nicht weil sie den Hausgenossen des Glaubens verborgen sind, sondern denen, die draußen stehen. Die Gläubigen kennen die Sakramente ganz und gar; der Begriff lässt keinen Raum für ein Geheimnis, das auch ihnen unerforschlich wäre. Die Aposiopesen zeigen also, dass auch die altkirchlichen Schriftsteller keine Wunder in den kirchlichen Sakramenten anerkannt haben. Noch ein weiterer Gedanke in den angeführten Sätzen des Baslers begründet das prägnante Verständnis von „sciunt imbuti“. Die Aufgabe der Sakramente ist es, unsere Sinne am Sichtbaren zu entzünden und zum Unsichtbaren zu führen. Das ist aber nicht möglich, wenn das Wesentliche an den Sakramenten unsichtbar ist. Darum steht es im Widerspruch zur Aufgabe der Sakramente, wenn in ihnen selbst etwas Unsichtbares, Wunderbares vorhanden ist. Dass diese Begründung nicht aus den Aposiopesen selbst und ihren Zusammenhängen, sondern vom Sakramentsverständnis her erfolgt ist, bedarf keiner Erläuterung. Drittens beweist Oekolampad aus den altkirchlichen Gebräuchen, dass im Sakrament des Altars kein Wunder geschieht und deshalb nichts da ist, das über 56 unser Verstehen hinausgeht. Hierzu gehört, dass die frühen Lehrer der Kirche das Abendmahl gewiss nicht als ein so großes Wunder gefeiert haben wie Oekolampads Gegner. Es findet sich weder in Augustins Katalog der Wunder der heiligen Schrift, noch bei Gregor von Nazianz, der die Wunder der Evangelisten 54 „Quis ita arguit? Quae captum transcendunt, ne viribus humanis indagentur: ergo de sacramentis nihil inquisieris? Probare primum oportebat, sacramenta haec, ex genere esse ἀκαταλήπτων et incomprehensibilium …“ Genuina Expositio a4a. 55 Genuina Expositio a5a. 56 Zum Folgenden vgl. Genuina Expositio ba und b4a.

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aufgezählt hat. Vielleicht, dass Damaszenus ein solches Wunder rühmte. Dem entsprechen auch die Sitten und Gebräuche der damaligen Zeit, z. B. das „sursum corda“ und das Gebot, an Sonntagen mit zum Himmel erhobenem Antlitz zu 57 stehen und nicht zu knien; beide zeigen, dass Christus im Himmel und nicht im Brot angebetet wurde. Auch wird berichtet, dass man die Eucharistie zu Hause gegessen habe, dass sie von Knaben den Kranken gebracht, dass sie in geflochtenen Körben getragen wurde, dass auch Kinder kommunizierten. Hätte man geglaubt, dass Christus auf diese Weise komme, dann hätte man gerufen: Ich bin nicht würdig, dass ich deine Schuhriemen auflöse. 2.2 Das Väterzeugnis nach den übrigen Schriften Das Argument, dass die Kirchenväter im Abendmahl kein Wunder in Sinne der Gegner Oekolampads kennen, wird in allen Streitschriften mit Ausnahme des 58 Dialogus ausdrücklich und mit fast den gleichen Formulierungen festgehalten. Zwar steht es nicht mehr an so exponierter Stelle wie in der genuina expositio, doch misst ihm der Basler darum nicht weniger Gewicht und Durchschlagskraft bei. So erscheint es etwa in der „andern billichen Antwurt“ in einer Reihe mit anderen Argumenten an einer Stelle, an der Oekolampad zusammenfassend die verschiedenen Gründe darlegt, die ihn gegenüber Luther als zuverlässigen und 59 sachgerechten Interpreten Augustins erscheinen lassen. Auch der Umfang, in dem der Argumentationskomplex in den späteren Schriften behandelt wird, tritt gegenüber der genuina expositio erheblich zurück. Das liegt nicht nur daran, dass die Auseinandersetzung andere Argumentationskomplexe in den Vordergrund stellte, sondern auch an dem, dass durch die Auseinandersetzung die wesentlichen Gründe für das Argument deutlicher hervortreten mussten. Diese Gründe konzentrieren sich auf die Augustinstelle aus de Trinitate. Hier liegt für Oekolampad der eigentliche Beweis. Die anderen, weitläufiger angeführten Gründe, besonders hinsichtlich der Sitten, werden zwar

57 Vgl. Canon XX des Concilium Nicaenum I in: Conciliorum Oecomenicorum Decreta ed. Centro di Documentazione – Bologna, Freiburg (1962), S. 15. 58 Antisyngramma I2b; Billiche Antwurt Walch2 XX Sp. 604; Ander Billiche Antwurt f2b/3a; Über M. Luthers Bekenntnis x5a/6a. Dass im Dialogus auf das Argument „kein Wunder“ nicht weiter eingegangen wird, hängt mit dem auf Melanchthons Sententiae Veterum bezogenen Charakter dieser Schrift zusammen. 59 „Wie ist dan nun S. Augustein so fein auff jr seiten? S. Augustein will das ein anders sey das zeychen, unn ein anders das bezeichnet. Sie sagen, das das brot, das ein zeychen, sey wesenlich der leib der darin bezeichnet ist. Ja S. Augustein helt es für ein seelmord, wa man die schrifft stracks uff den Büchstaben, und nit nach sacrament art außlegt. Item S. Augustein will nit das die gottlosen den leib Christi im sacrament essen. Die sagen, Christus diene auch da den gottlosen bübischen meßknechten. S. Augustein will nit das da mirackel geschehen, Aber die wollen das gröst mirackel haben. Bey welchen stat nun S. Augustein?“ Ander Billiche Antwurt k3b.

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zunächst noch verteidigt, doch kennzeichnet sie der Basler selbst später als „mit61 laufende red unn nit fürnemlich argument“, die mehr aus rhetorischen Grün62 den als um ihrer selbständigen Beweiskraft willen angeführt worden sind. Nur der Hinweis auf die Arkandisziplin behält sein Gewicht und tritt immer wieder 63 auf. Welches sind nun die Punkte, die Oekolampad im Kampf um den Sinn der Augustin-Stelle zugunsten seiner Auslegung geltend macht und die sich damit als die für ihn unanfechtbaren Pfeiler seines Verständnisses erweisen? Im Antisyngramma legt er den Finger darauf, dass Augustin bei keiner jener 9 Arten von Zeichen eine solche meint, nach der die bezeichnete Sache von einerlei Substanz mit dem Zeichen ist und also das Zeichen und das Bezeichnete 64 selbst vereint sind. Ähnlich argumentiert er in der „billichen Antwurt“: Wenn die Widersacher recht hätten, müsste Augustin von einem Zeichen reden, an dem sich etwas verändert oder eine Person in einer anderen Kreatur erscheint. Aber „er will da im Brode, außerhalb der Bedeutung und Sacrament, nicht we65 sentlich Neues da erfunden werden.“ Und in der Antwort über Luthers Bekenntnis ist der für ihn entscheidende Punkt der Unterschied zwischen den von den Engeln gewirkten Taten, die wir bewundern und verstehen sollen, und denen der Menschen, die wir nur verstehen sollen. Zu den letzteren aber gehört das 66 Abendmahl. 60 „Coniectura certe est, non sensisse Patres de Eucharistia, quod nunc defenditur. Utique pro sua pietate tantae rei maiestatem aliquo etiam externo cultu testati fiussent.“ Antisyngramma kb. 61 Andere Billiche Antwurt f3a. 62 „Dann so wir das gewiß wort Gottes züvor uff unser seiten haben, so behalten die mitlauffenden bewerung auch jr statt, unnd dorffen wol etliche ee zü der warheit bringen, dan ander gewaltig sprüch auß der geschrifft angezogen.“ Ander Billiche Antwurt f3a. 63 Im Dialogus z. B. bei der Auslegung des Gregors von Nazianz: „Revere mysticam mensam, panem quem simul accepisti, pocu um cuius particeps fuisti Christi passionibus initiatus.“ NAT. „Initiato sufficerent haec, non sum tam crassus, quin videam quid velit. Mensam ponit quam instruitpane et poculo, sed illam mysticam vocat, nimirum quia initiati, Christi passionem meditantur et annunciant et se particepes meriti Christi agnoscunt, et non adiungit, revere panem, qui est ipsissimus Christus, sed mysticum esse sinit.“ e5a. Die Stelle aus dem Sermo de baptismo des Gregor von Nazianz, auf die sich Oekolampad bezieht, konnte nicht ausfindig gemacht werden. Ähnlich ist aber Greg.Naz. Carmina historica 91f. PG 37, 1293: „ποῦ δὲ τράπεζα μυστική; καλῶς δικαζέτω.“ 64 „Augustinus novem genera significationum ponit, et in nullo vult rem signatam eiusdem cum signo substantiae, ita ut res significata uniantur signo. Et in his panem mysticum inter postrema numerat, eo quod in eo minus miraculorum.“ Antisyngramma I2b – Dass hier „minus miraculorum“ so viel wie „gar kein Wunder“ heißt, geht aus dem Kontext hervor: „quod vos dicitis esse supra captum nostrum, hoc ille (sc. Augustinus) dicit plane interlligibile: et quum vos miraculum maius ponatis, quam sit creatio mundi, ille miraculum esse negat.“ h8b. 65 Vgl. S. 26 Anm. 35. 66 „Es sagen unser widersacher von vielen grossen wunderzeychen. Aber S. Augustinus der die Evangelisten unn die wort: Das ist mein leyb nitt weniger gelesen und erwegen har als ay widerspricht jnen. Dann er setzt ein klaren unterscheyd dann zwischen den thaten der Engel und der menschen ist eyn grosser unterscheyd. Die that der Englen sollen wir verwunderen und verston. Aber die that des menschen sollen wir allein verston und er redt da von den Sacramenten...“

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2.3 Zusammenfassung Oekolampad weist von den Vätern her ein Wunder im Altarsakrament rundweg ab. Er versteht dabei unter einem Wunder etwas, das unserer Vernunft nicht zugänglich ist, das an den Elementen Brot und Wein geschieht und das durch eine Wirkung Gottes oder der Engel direkt, außerhalb des sonstigen natürlichen Geschehens sich ereignet. Demgegenüber vertritt er, dass zum Element außer der Bedeutung als Sakrament nichts Neues hinzutritt. Den patristischen Beweis führt er a) aus der allerklarsten Augustin-Stelle trin. III, 10 b) aus den Aposiopesen, die für ihn Ausdruck der vollen Verstehbarkeit der Sakramente sind c) aus den altkirchlichen Sitten, die er freilich mehr als rhetorische Argumente ansieht. 3. Der Sakramentsbegriff Nach Oekolampads Meinung haben die Väter unter einem Sakrament ein Zeichen verstanden, das auf das von ihm Bezeichnete hinzeigt. Das Bezeichnete selbst ist dabei abwesend – andernfalls verliert das Zeichen ja seinen Sinn. Diese Abwesenheit des Bezeichneten vom Zeichen ist die entscheidende Spitze gegenüber der bisherigen Lehrtradition vom Sakrament, nach der das vom Zeichen Bezeichnete selbst bei oder in dem Zeichen vorhanden ist. 3.1 Der Sakramentsbegriff nach der genuina expositio 3.1.1 Die Negation des Wunders und ihre Bedeutung für den Sakramentsbegriff Die im vorangehenden Abschnitt dargestellte grundlegende Erkenntnis bedeutet für Oekolampad eine negative Klärung aller Aussagen der Väter über das Sakrament und aller ihrer Sakramentsbegriffe: Sie besagen nichts, was über menschliches Verstehen hinausgeht. Es war gezeigt worden, dass Oekolampad zwar einen Gebrauch des Worts sacramentum oder mysterium kennt, dem gemäß Wunder, die über alles menschliche Verstehen hinaus gehen und darum Geheimnis sind, damit bezeichnet werden, doch ist dieser Gebrauch streng von den kirchlichen Sakramenten, Taufe und Abendmahl, getrennt. Letztere sind nur insofern ein Geheimnis, mysterium oder sacramentum, als sie für die Draußen stehenden verborgen und geheimnisvoll sind, nicht aber für die Eingeweihten. Mit dieser strengen Trennung der Sakramente in solche, die keinem Menschen, auch nicht den Gläubigen, erkennbar sind und solche, die nur den Draußenstehenden verborgen, den Eingeweihten aber völlig klar und verständlich sind, war es Oekolampad gelungen, hinsichtlich der kirchlichen Sakramente den Begriff des sacra-

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mentum im Sinne von Geheimnis mit dem des Zeichens zu verbinden, ohne dass damit der für ihn entscheidende Punkt, nämlich die völlige Verständlichkeit des Zeichens für den, der in seinen Sinn eingeführt war, aufgegeben werden musste. Hier erhellt die Bedeutung des im vorigen Abschnitt vorgetragenen Verständnisses der altkirchlichen Aposiopesen. Zugleich wird deutlich, welchen Sinn das von Oekolampad promiscue mit sacramentum gebrauchte Wort mysterion und die dazugehörige Wortfamilie haben: Bezogen auf Taufe und Abendmahl bedeuten sie nichts anderes als Zeichen. 3.1.2 Die Klärung der Sakramentstermini aus der Negation unerträglicher Konsequenzen Der Nachweis unerträglicher Konsequenzen aus der Realpräsenz nimmt in der genuina expositio einen breiten Raum ein. Er dient dazu, die Realpräsenz zu widerlegen. Oekolampad bemüht sich dabei zu zeigen, dass wesentliche dieser unerträglichen Konsequenzen nicht erst von ihm selbst, sondern schon von den Vätern gesehen und mitsamt der Realpräsenz abgelehnt worden sind. Ein Musterbeispiel solcher Argumentation findet er in den nachfolgenden Ausführungen des Chrysostomos: „Nonne per singulos dies offerimus, offerimus quidem, sed ad recordationem mortis eius facientes. Et una est haec hostia, non multae. Et quia semel oblata est haec hostia, oblata est in sancta sanctorum. Hoc autem sacrificium, exemplar est illius: idipsum semper offerimus, nec nunc quidem alium, crastina alium, sed semper idipsum. Proinde unum est hoc sacrificum, alioqui quomodo in multis locis offertur. Multi sunt Christi? Nequaquam: sed unus ubique est Christus, et hic plenus existens, et illic plenus. Sicut enim qui ubique offertur, unum corpus est, et non multa corpora, ita etiam unum sacrificium. Pontifex autem noster ille est, qui hostiam mundantem nos obtulit, ipsam offerimus et nunc, quae tunc oblata quidem, et consumi non potest. Hoc autem quod nos facimus, in commemorationen quidem eius fit, quod factum est. Hoc enim facite, inquit, in meam commemorationem. Non aliud sacrificium, sicut pontifex, sed idipsum semper 68 facimus, imo recordationem sacrificii operamur.“

Oekolampad zeigt mit dieser Stelle, dass Chrysostomos aus der Realpräsenz mit 69 Notwendigkeit viele Christusse an vielen Orten zugleich folgert. Der Kirchen-

67 Die Problematik und der formale Charakter dieser Verbindung werden daran deutlich, dass das christliche Sakrament für den darin Eingeweihten nun gerade kein Geheimnis mehr ist. 68 Genuina Expositio C4b – Chrys., hom. in Heb. XVII (PG 63,131). 69 „Quid indignus Christiano, quam multos assere Christos, et multa sacrificia unum esse Christum in coelis, et alterum in terris, imo innumerus, et tot quot sunt arae, et in una ara plurimos? Id quod ex vestra sententia sequi necesarium, si in pane corpus Christi realiter est. Hanc absurditatem“ Genuina Expositio c4a/b.

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vater entgeht aber dieser Torheit, indem er den Begriff der recordatio einführt. Was er darunter versteht, ergibt sich für Oekolampad einerseits aus der Unterscheidung zwischen dem einmal geschehenen und dem täglichen Opfer, das exemplar und μνημόσυνον des ersteren ist und andererseits aus dem betont fest71 gehaltenen einen Opfer und einen Christus. Diese numerische Einheit des Opfers bzw. Opferleibes kann angesichts der vielen Altäre und Opfer sinnvoll nur so festgehalten werden, dass der eine Christus und das eine Opfer „per recordationem“ gegenwärtig sind. Dabei versteht der Basler unter recordatio an dieser Stelle nicht nur die im Inneren des Menschen sich vollziehende Erinnerung, sondern auch 72 das Erinnerungszeichen, das uns zur Erinnerung und Meditation verhilft und insofern den Leib Christi vergegenwärtigt. Dieses Verständnis der Vergegenwärtigung wird auch an der Polemik Oekolampads deutlich. Wenn nämlich seine Gegner die Worte des Chrysostomos so verstehen, als ob derselbe Leib im Himmel und auf dem Altar ist, dann behaupten sie damit zugleich, dass Vieles Eines und Vergangenes Gegenwärtiges ist, auch dass kein Unterschied zwischen figura 73 und figuratum bestehe. Diese Behauptung ist für Oekolampad unmöglich; sie hebt Grundgegebenheiten der Wirklichkeit auf und bedeutet, dass man letzten Endes mit dem Satz vom Widerspruch in Konflikt kommt. Die Gegenwart des einen Christus und des einen Opfers an vielen Orten per recordationem kann darum nicht so verstanden werden, dass dadurch diese Grundgegebenheiten der Wirklichkeit aufgehoben werden. Im Gegenteil, das per recordationem soll sie gerade bewahren. Für den Basler ist damit klar, was Chrysostomos durch die Betonung des einen Opfers bzw. einen Christus angesichts der täglichen Opfer sagen will: Die täglichen Opfer sind nicht das Opfer Christi selbst, sondern nur Erinnerungs74 handlungen; dasselbe gilt auch vom Leib des Herrn; er ist nicht gegenwärtig, 70 „Declarat autem seipsum, quid sacrificium et oblationem dicat, nempe nihil aliud, quam recordationem oblationis. Et sicut sacrificium se habet, ita et corpus.“ Genuina Expositio c5a. Und zum letzten Satz des angeführten Zitates aus Chrysostomos: „… nec contentus repetiisse, exponit per correctionem quid sit quod dixit: idipsum semper facimus, nempe recordationem sacrificii operamur.“ Genuina Expositio c5a. 71 „Oblatio autem quottidiana, est exemplar et μνημόσυνον: Nam licet multae sunt recordationes et gratiarum actiones, unius tamen hostiae sunt, cuius ubique memoria par. Nam unus ubique est Christus: alioqui multi essent Christi. Unum, et eundem per recordationem in multis locis esse non est absurdum. Etiam ea quae praeterita vel futura sunt, recordatione fiunt praesentia et repraesentantur, alioquin omnibus modis impossibile, ut ea quae non sunt, sint: sicut et ea quae sunt, dum sunt, non possunt non esse.“ Genuina Expositio c5a. 72 Das wird deutlich an Sätzen wie „Unde hic est recordatio corporis, quae ipsum corpus dicitur“ (C5a) und an der Zuordnung zu „gratiarum actio“ sowie „sacrificium“ und „exemplar“. Vgl. auch S. 34 Anm. 71. 73 „Acuti tamen adversarii sibi servire haec dicta persuadere volunt, quasi idem Christi corpus sit in coelo et in altari, et ita esse unam hostiam, persuasuri scilicet multa esse unum, et praeterita esse praesentia, non esse diversa figuram et figuratum.“ Genuina Expositio c4b/5a. 74 Hierzu vgl. auch: „Sed quid opus praesentia eius, ut eum laudemus, et gratias agamus, annon ut gratias agamus, satis est admonitos symbolo dominico, memoria beneficium amplecti: cuius

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sondern nur das Gedenkzeichen (exemplar, μνημόσυνον). Um es in der damals üblichen Terminologie zu sagen: figura und figuratum sind weit voneinander getrennt. Nun geht der Streit aber gerade um diese Trennung von figura und figuratum. Man argumentiert gegen sie: „Derselbe Leib, der jetzt im Brot ist, ist das 75 Bild seiner selbst wie er am Kreuze war.“ Danach sind das Zeichen und das Gezeigte wohl unterschieden, aber miteinander in dem, was im Sakrament dargereicht wird, vorhanden. Dass dies nun gerade nicht die Meinung der Väter ist, sondern ein gefährliches Missverständnis, zeigt Oekolampad am folgenden Väterzitat. Tertullian schreibt adv. Marcionem: „Professus itaque se concupiscentia concupisse edere pascha, ut suum (indignum enim ut quid alienum concupisceret Deus) acceptum panem, et distributum discipulis, corpus suum illum fecit: Hoc est corpus meum dicendo, id est figura corporis mei. Figura autem non fuisset, nisi veritatis esset corpus. Caeterum vacua res, 76 quod est phantasma, figuram capere non posset.“

Oekolampad ist überzeugt, dass hier nach Tertullians Meinung figura und figura77 tum voneinander getrennt sind und nur die figura gegenwärtig ist. Er erweist es zunächst aus der gesamten Argumentation. Marcion habe aus den Einsetzungsworten geschlossen, dass der Leib Christi sich dem Sehen und Fühlen entziehe und also der Natur nach ein Scheinleib sei, und wie im Brot, so sei er auch am Kreuz gewesen. Diese letztere Meinung, die sich durchaus aus dem Abendmahlsverständnis der Gegner Oekolampads ergebe – sie stehen damit, wenn auch ungewollt, auf der Seite Marcions – wehre Tertullian ab, indem er den Ausdruck corpus durch figura corporis erkläre. Tertullian deute damit den Satz „Fecit illum corpus suum“ durch den andern „Hoc est corpus meum dicendo, id est figura corporis“. Sodann lässt sich der Basler die beiden letzten Sätze des angeführten Zitats dienen, um Tertullians Verständnis von figura aufzuzeigen. Er findet eine doppelte Beziehung, einmal die, dass es ohne res figurata keine figura geben kann, zum andern, dass es eine den Sinnen fassbare figura nicht geben kann, wenn nicht auch die res figurata den Sinnen fassbar ist. Ein Scheinleib kann darum niemals Brot zur figura haben. Nach Oekolampad sieht also Tertullian die Beziehung von figura und figuratum auf der gleichen Ebene: Beide müssen den Sinnen zugänglich sein, indem sie eine materielle Beschaffenheit (res solida) aufweisen. Damit ist aber klar, dass im Abendmahl die res figurata, der Leib Christi, nicht in meditatio etiam absentissimum benefactorem repraesen tat. Invisibile corpus, ut in pane esse asseritur, non plus provocabit ad gratiarum actionem, quantum absens, et in memoria praesens.“ Genuina Expositio d6a. 75 Genuina Expositio c5b: „… idem corpus quod nunc in pane, figuram esse sui ipsius ut erat in cruce.“ 76 Genuina Expositio c5b – Tert., adv. Marc. IV,40,3 (CChr.SL 1,656,22–3). 77 Zum Folgenden vgl. Genuina Expositio c6a–8a.

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der figura, dem Abendmahlsbrote, sein kann. Die figura kann nur ein hinweisendes Zeichen sein, dessen figuratum nicht anwesend ist. Das „nisi veritatis esset corpus“ bezieht sich deshalb nicht auf den im Brot gegenwärtigen wahren Leib, sondern auf den wahrhaftigen, unseren Sinnen zugänglichen Leib Christi. Noch ein drittes Argument Tertullians lässt sich der Basler dienen: „Aut si propterea panem corpus sibi finxit, quia corporis carebat veritate, ergo panem 78 debuit tradere pro nobis.“ Damit sei gesagt, dass der Leib als der, der er im Brot ist, am Kreuz hätte geopfert werden müssen, wenn es eine Realpräsenz im Sinne der Gegner gäbe. Denn Paulus sage „der Leib, der für euch gebrochen wird“. Solch ein Leib aber führt in jeder Hinsicht zu untragbaren Aussagen. Entweder war er – als ein nicht wirklicher Leib – unverwundbar, dann wäre Christus nicht wirklich für uns gestorben; oder aber er ist verwundbar, dann würde er – als noch nicht verklärt – von den Zähnen der Jünger zerrieben werden. Der Einwand, dass Christi Leib wohl von Natur verwundbar sei, aber nicht im Brot, widerspricht dem Charakter des Zeichens. Denn das Zeichen zeigt das, was dem Abgezeichneten widerfährt. Wird das Brot gebrochen und der darin befindliche Leib nicht verwundet, so ist das Zeichen unwahrhaftig. Wohin also Oekolampad von der obigen Voraussetzung aus auch denken mag, immer findet er ein unhaltbares Ergebnis. Es kann somit nur eine Lösung des Problems geben: Die Voraussetzung, dass der Leib Christi im Brot ist, ist falsch. Schließlich weist Oekolampad noch darauf hin, dass Tertullian das Brot als alte Figur des Leibes Christi, die schon im Alten Testament vorhanden war, versteht. Gleiches gilt vom Wein. Brot und Wein des Abendmahls stehen in einer Reihe mit den übrigen Zeichen des Alten Testaments, nur dass sie, im Gegensatz zu diesen, auf Geschehenes zurückweisen. Der Basler führt also den Nachweis, dass die figura ein Zeichen ist, welches die eigentliche Sache, auf die es hinweist, nicht in sich trägt, so, dass er dabei aufweist, wie ein anderes Verständnis von figura unverständliche und sinnlose, ja häretische Aussagen ergibt. Dabei ist es für ihn von großer Bedeutung, dass diese Schlussfolgerungen zu einem guten Teil nicht von ihm selbst, sondern von Tertullian stammen. „Quicquid dixerint, relatio duorum erit, et figuram adesse, 79 consensus priscorum docet, ac res ipsa.“ 3.1.3 Die Erhellung des Sakramentsbegriffs vom Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament her In die Reihe der Argumente, die das Sakramentsverständnis der altkirchlichen Väter im Sinne Oekolampads aufzeigen, gehören auch die Ausführungen über das Verhältnis der alttestamentlichen Sakramente zu den neutestamentlichen. Der Basler versucht zu beweisen, dass nach der Meinung der Väter die alttestamentli78 Genuina Expositio c6b – Tert., adv. Marc. IV,40,3 (CChr.SL 1,656,3f). 79 Genuina Expositio c8b.

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chen Gläubigen hinsichtlich der Sakramente nicht geringer gestellt waren als die neutestamentlichen. Zeuge für die grundsätzliche Gleichheit ist wieder Augustin: „Homini acuto suffecerit aliis sacramentis praenunciari Christum, quum venturus esset, aliis quum venisset, annunciari oportuisse: sicut modo loquentes idipsum diversitas rerum compulit etiam verba mutare. Siquidem aliud est praenunciari, aliud 80 annunciari: aliud quum venisset, aliud quum venturus esset.“

Die neutestamentlichen Sakramente verkündigen also Christus ebenso wie die alttestamentlichen, nur dass – um des verschiedenen heilsgeschichtlichen Orts willen – eine andere Zielrichtung vorliegt, die eine Änderung der Sakramente erforderte. Dazu kommt noch in weiteren Zitaten zum Ausdruck: Nicht das Manna, sondern Christus, auf den das Manna hindeutete, befreite die alttesta81 mentlichen Väter vom Tode. Wer diese Bedeutung des Manna nicht verstand, 82 der aß nichts als eine leibliche Speise, wer sie aber erkannte, der empfing eben dieselbe geistliche Speise wie auch die Gläubigen des Neuen Testaments, nämlich 83 den Christus. Oekolampad glaubt, damit genugsam dargetan zu haben, dass Augustin die alttestamentlichen Väter hinsichtlich der Beschaffenheit des Sakraments nicht geringer gestellt sein lässt als die neutestamentlichen Gläubigen. Da er selbst darauf verzichtet, in den vorliegenden Väterzitaten zu zeigen, worin die Beweiskraft liegt, muss es durch den Leser geschehen. Sie liegt für den Basler offensichtlich darin, dass der einzige Grund, den Augustin für die Veränderung der Sakramente nennt, nur der verschiedene heilsgeschichtliche Ort ist – als Verkündigungsträger sind sie einander gleich. Das hätte doch, wenn er die Realpräsenz gelehrt hätte, nicht geschehen können. Zum andern behauptet Augustin von den alttestamentlichen Vätern, sie empfingen dieselbe geistliche Speise wie auch die neutestamentlichen Gläubigen. Darin liegt, dass letztere an geistlicher Speise nichts über das hinaus empfangen, was auch die alttestamentlichen Gläubigen erhielten. Eine Realpräsenz des Leibes Christi im Abendmahlsbrot ist damit 84 ausgeschossen. Hinsichtlich der Beschaffenheit der Sakramente aber wird deut80 Genuina Expositio db – Aug., ep. 138: Ad Marcellinum (PL 33,528). 81 „… Manna, quod manducaverunt, non illos potuit de morte liberare… Ille enim liberaturus erat a morte, qui per manna figurabatur.“ Genuina Expositio db – s. 352 3 (PL 39,1551). 82 „Nam qui manna illud sie acceperunt, ut tantummodo indigentiae suae corporalis satisfieri putarent, et ventrem suum pasci, non mentem, nihil magnum manducaverunt, factum est satis eorum indigentiae. Alios Deus pavit, aliis aliquid nunciavit. Hi tales et cibum corporalem manducarunt, non cibum spiritualem.“ Genuina Expositio d2a – s. 352 3 (PL 39,1552). 83 „Suffecerat ut diceret: cibum spiritalem manducaverunt: eundem, inquit. Eundem non invenio quomodo intelligam, nisi eum quem manducamus et nos." (d2a) Und: „Erant enim ibi, qui quod manducabant, intelligebant. Erant ibi, quibus plus Christus in corde, quam manna in ore.“ Genuina Expositio d2b – s. 352 3 (PL 39,1552). 84 Vgl. dazu aus der Genuina Expositio: „Et sicut nobis corpus Christi est panis, ita illis Christus erat manna. Aut Patribus, et amicis Dei dilectissimis et omnium sanctissimis denegatum fuisset,

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lich: Sowohl im Alten wie im Neuen Testament sind sie äußerliche Zeichen, die 85 auf Christus hinweisen. Wer sie im Glauben empfängt, wird durch diesen Glauben geistlich genährt, wer sie ungläubig empfängt, hat nur ein äußerliches Ding. Mit dem Nachweis der grundsätzlichen Gleichheit der Sakramente alten und neuen Testaments hat der Basler einen Schlüssel erhalten, der es ihm ermöglicht, gewisse missverstandene Aussagen Augustins, in denen er sich über den Unterschied der alt- und neutestamentlichen Sakramente auslässt, richtig zu verstehen. Wenn der Kirchenvater davon spricht, dass die alttestamentlichen Sakramente das Heil verheißen, die neutestamentlichen es aber geben, dann ist das nicht so aufzufassen, als ob die Sakramente das Heil an sich darreichen und die Heilsursache in ihnen selbst liege, sondern in dem Sinn, dass sie das nunmehr offenbarte Heil anzeigen, welches nicht mehr mit den Vätern des Alten Bandes zu erwarten ist. Von daher fällt dann auch ein neues Licht auf die traditionelle Definition des Sakraments „Sacramentum est sacrae rei signum, ita ut imaginem gerat et causa existat“: Das Sakrament ist Ursache nicht in dem Sinn, dass es das Heil wirkt, 86 sondern dass es auf das Heil hinweist. Doch nicht nur Augustin, sondern die Väter überhaupt können mit dem aufgezeigten Schlüssel recht verstanden werden. Wenn sie sagen, sacramenta novae legis praestare salutem, dann meinen sie nicht, dass die Sakramente selbst das Heil darreichen, sondern sie schauen dabei auf den fleischgewordenen und gekreuzigten Christus zurück, der das eigentliche Sakrament ist, wenn auch alle 87 äußeren Symbole weggenommen würden. Das praestare Christum bezieht sich also für Oekolampad auf die Anzeige, dass Christus ins Fleisch gekommen und darum kein anderer Messias mehr zu erwarten ist. Nun leugnet der Basler nicht, dass die Väter sich bisweilen missverständlich ausdrücken. Er möchte darum mit einem ganz klaren Zitat aus Augustin, das als ein Glaubensbekenntnis ausspricht, was hinsichtlich der Sakramente zu wissen genügt, den Streit um die Interpretation der Väter und die Realpräsenz überhaupt entscheiden. „Firmissime tene et nullatenus dubites, ipsum unigenitum Domini, verbum carnem factum, se pro nobis obtulisse sacrificium et hostiam Deo in odorem suavitatis: cui cum Patre et spiritu sancto, a Patriarchis, Prophetis, et Sacerdotibus, tempore Veteris Testamenti animalia sacrificabantur, et cui nunc, id est tempore quod nunc inpollutis impientissimorum hominum manibus tractari vulgo dicitur.“ D5a „Nobis quidem manifestatus est Christus, panis autem noster agno illorum spiritualium non est preciosior: praeterea non magis praedicandus, neque Patriarchis fideles nostri beatiores sunt: Quos aequavit fides, non reddunt inferiores sacramenta“ db. „Nam si caro Christi in pane esset, quae in manna, vel in agno esse non poterat, non solum religionis modus, sed et religio variata esset: itaque plurimum Patribus denegatum“ da. 85 Das wird bestätigt durch „sicut enim Patres, per corporalem cibum instruebantur de spirituali: ita et nos quoqe.“ d5a. 86 Genuina Expositio d2b. 87 Vgl. S. 41 Anm. 98.

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Novi Testamenti, cum patre et spiritu sancto, cum quibus illi est una divinitas, sacrificium panis et vini, in fide et charitate, sancta Ecclesia catholica, per universum orbem terrae, offere non cessat. In illis enim carnalibus victimis, figuratio fuit carnis Christi, quam pro peccatis nostris, ipse sine peccato fuerat oblaturus: et sanguinis, quem erat effusurus, in remissionem peccatorum nostrorum. In isto autem sacrificio, gratiarum actio, atque commemoratio carnis Christi, quam pro nobis obtulit: et sanguinis, quem pro nobis idem Deus effudit. De quo beatus Paulus dicit: Attendite vobis, et universo gregi, in quo vos spiritus sanctus posuit Episcopos, regere Ecclesiam Dei, quam acquisivit sanguine suo. In illis ergo sacrificiis, quid nobis esset donandum, figurate significabatur: in hoc autem sacrificio, quid nobis donatum sit, evidenter ostenditur. In illis ergo sacrificiis, praenunciabatur filius Dei pro impiis occidendus: in hoc autem, pro impiis annunciatur 88 occisus.“

Dieses Zitat ist für Oekolampad so klar, dass er es nicht interpretiert, sondern nur die für ihn entscheidenden Punkte nennt. Es sind deren zwei: Augustin lehre hier die ratio sacramenti und erwähne nichts von der impanatio. Letzteres hätte aber 89 geschehen müssen, wenn die Einbrotung zum Glaubensbekenntnis gehörte. Aufzufinden, was er mit der ratio sacramenti meint, überlässt er wiederum dem Leser. Offenkundig bezieht er sich dabei auf den Ausdruck gratiarum actio et 90 commemoratio. Gratiarum actio oder eucharistia ist das Sakrament insofern, als 91 es ein Danksageritus für den Opfertod des Herrn ist, commemoratio aber, als es in Entsprechung zu den alttestamentlichen Opfern als Zeichen auf den menschgewordenen Gottessohn und dessen Leiden hinweist. Der wesentliche Punkt des vorgetragenen Väterbeweises wird an diesem Zitat wieder sichtbar: Die grundsätzliche Gleichheit der Sakramente des Alten und Neuen Testaments, ihr Zeichencharakter, durch den sie auf den kommenden bzw. gekommenen Christus hinweisen. Hinzu kommt noch das argumentum e silentio hinsichtlich der Einbrotung, das bei einer solchen Stelle von Gewicht ist.

88 Es handelt sich um das Augustin zugeschriebene Werk des Fulgentius von Ruspe De Fide Ad Petrum Seu De Regula Fidei. Oekolampad zitiert Fulg., fid. XVI (CChr.SL 91 A), S. 750. 89 „Rationem sacramenti docet, impanationem carnis, quae tamen necessaria erat, si quidem ad fidem pertinebat, non commendat.“ Genuina Expositio d4b. Dass Augustin hier nicht vom sacramentum, sondern vom sacrificium redet, kümmert Oekolampad nicht, da sachlich das heilige Abendmahl gemeint ist. 90 Dass Oekolampad in diesen Begriffen das Wesen des Sakramentes ausgedrückt findet, zeigt auch S. 48f. 91 „Gratias quoque agentibus patribus, immolantibusque legittimas hostias, sufficiebat creditus ille, qui venturus erat in nomine Domini: et nobis nunc utilis est gratiarum actio in pane, si venisse redemptorem testamur. Quoniam autem a Domino ipso ritus institutus est, ut pro beneficio mortis gratias agamus, debemus illum sanctiorem, beatioremque praedicare: unde et ob hoc a Doctoribus appellatus est, sacrificium laudis, et Eucharistia.“ Genuina Expositio d5b.

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3.1.4 Die Erhellung des Sakramentsbegriffs aus dem Nutzen der Sakramente Noch von einem weiteren Gesichtspunkt aus bezeugen die Väter das neue Sak92 ramentsverständnis. Ihre Aussagen über den Nutzen der Sakramente erläutern das Wesen derselben und klären die Frage nach der Gegenwart des Leibes Christi. Oekolampad will zeigen, dass die Väter ihm in folgender Meinung beipflichten: Was den Menschen geistlich nährt, ist das Wort Gottes, das von dem für uns dahingegebenen Leib und Blut Christi redet. Die Sakramente aber verdeutlichen, wovon die Worte reden, damit der Geist durch die Erkenntnis Christi desto 93 mehr genährt werde, je mehr das Gedächtnis an den Herrn die Seele erfüllt. Der Basler erbringt zunächst den Nachweis für das Wort Gottes als die eigentliche und alleinige Seelenspeise. Aus den verschiedensten Zusammenhängen zitiert er die Kirchenväter, wo sie sich darüber äußern, dass das Brot, welches ihre Seelen sättigt, der vom Himmel gekommene Christus, das Wort, die Weisheit Gottes sei. Wir müssen – schon aus Raumgründen – es uns versagen, diese Zita94 te hier näher zu behandeln. Es ist auch insofern nicht nötig, als niemand bestreitet, dass die Väter in dieser Weise geredet haben. Oekolampad findet darin bestätigt, dass die Gläubigen durchs Wort, den Glauben, ja Christus selbst geistlich 95 genährt werden. Wort, Glaube, Christus sind zwar etwas voneinander durchaus Verschiedenes, sie bezeichnen hier aber für den Basler immer dieselbe Sache. Diese Sache wird nun allerdings weder aus den Zitaten selbst noch aus den angefügten kurzen Bemerkungen Oekolampads deutlich. Was er wirklich meint, wenn er davon spricht, dass die Seele nach den Aussagen der Väter durch den 92 Grundsätzlich gehören für Oekolampad die Sakramente auf die Seite der guten Werke; der Mensch wird allein durch den Glauben gerecht, die Sakramente sind Ausfluss und Betätigung des Glaubens. Insofern liegt ihr eigentlicher Sinn in dem Bekenntnis des Glaubens und der Betätigung der Liebe. Vgl.: „… de Ecclesiasticis (sc. sacramentis) quae ad exercitationem et confessionem fidei tradita sunt, ut per ea vel in unam militiam conscribamur, vel conscripti dignos nos professione testemur.“ Genuina Expositio a5a „Profecto, ut iustiores dicendi simus, neutiquam ex sacramentis assequimur, sicut neque ab aliis externis operibus iustificabimur, quae tamen utilia sunt ac necessaria, non iam in nostrum, quam proximi usum. Corde creditur ad iustitiam: verum si fides fuerit, ut etiam cogat operibus, sive baptismi, sive martyrii, sive eleemosynae, sive communicationis, vel aliis confiteri, et in nullis erubescere Christum …“ Genuina Expositio f5b. Oekolampads Ausführungen über den Nutzen der Sakramente behandeln also eine Nebenfunktion. 93 „Verbum autem, quod in operatione mysteriorum annunciatur, pascit: et tanto magis, quo signum evidentius rei factae et promissae admonet. Promissio enim ex ore Dei est,… Et quod verbis indicatur, sacrosanctis quoque symbolis commonstratur, ut quanto magis ea quae Dominus facere iussit, animis insident, tanto latius mens agnitione vegetetur.“ Genuina Expositio e7a/b. 94 Vgl. Genuina Expositio e7b–fb. 95 Oekolampad faßt den Sinn dieser Väterstellen etwa in folgende Ausdrücke: „verbo et sapientia pasci animam“ e8a; „verbum Christi alere animas, verbum de crucifixo pro nobis Christo illum panem“ e8b; „cibus animae“ = „verbum Dei“, „satietas“ = „fides in Christum incarnatum et passum“ fa; „fide satiari hominem internum, atque adeo ipso Christo, neque opus esse, carnem in ipsam ingredi animam“ f2a.

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Glauben, ja durch Christus selbst, durch das Wort genährt werde, macht der 96 Zusammenhang deutlich, in den er diese Väteraussagen stellt. Unser innerer Mensch ist von derselben geistigen Substanz wie die Engel, die durch das Wort Gottes genährt werden und in der direkten Anschauung seiner Wahrheit selig sind. Freilich sind wir noch vom Fleisch umhüllt und belastet. Nur wie durch einen Schleier wird uns so viel von der göttlichen Wahrheit zuteil, wie in diesem Leben nötig ist. Gott gibt diese Wahrheit aber allein durch sein Wort, das die lebenspendende Seelenspeise ist. Dieses Wort muss geglaubt werden, wenn es uns geistlich sättigen soll. Nun steckt aber in uns der schreckliche Unglaube, dass wir Gottes Güte und Vaterliebe, die er uns trotz unserer Sünden reichlich erzeigt, nicht fassen und den Worten seiner Propheten nicht glauben wollen. Um diesem unseren Unglauben abzuhelfen, ließ Gott seinen Sohn Mensch werden. Wenn wir nicht so gar verderbt und aufrührerisch gewesen wären, dann hätte das Wort der Propheten wohl genügt, uns geistlich zu nähren. Gott hat so durch das allergewisseste Siegel, nämlich den Tod seines Sohnes, die Verheißung seiner Barmherzigkeit bekräftigt, „ut saltem per mortem crederemus, 97 qui puris verbis credere noluimus“. Nunmehr ist aller Grund vorhanden, an Gott als den barmherzigen zu glauben und kein Grund, an der Gabe der Sündenvergebung und des ewigen Lebens zu zweifeln. Damit ist die Heilsbedeutung des Fleischs Christi und das Wesen der geistlichen Nießung nach Oekolampads Verständnis aufgezeigt. Erstere liegt nicht primär darin, dass Christus im Fleisch die Sünde der Welt gesühnt und Gott versöhnt hat, sondern dass das Fleisch und der Tod Christi das Zeichen und Siegel für Gottes Liebe und Vatergüte und damit die entscheidende Glaubenshilfe für den ungläubigen und misstrauischen Menschen sind. Der Mensch gewordene und gekreuzigte Christus ist in diesem Sinn selbst das mysterium und sacramen98 tum der Kirche. Die geistliche Nießung des Fleischs Christi aber besteht darin, dass man durch das Wort die Heilsbedeutung des Fleischs Christi, die Inkarnation, im Glauben erkennt und sich von ihr der Wahrheit Gottes als eines barmherzigen Vaters tröstlich gewiss machen lässt. Auf Grund dieses speziellen Verständnisses der geistlichen Nießung, das Oekolampad bei den Vätern gefunden hat, ist für ihn eine Gegenwart des Leibes Christi in oder bei den Abendmahlselementen ausgeschlossen. Die Tradition, mit der der Basler sich auseinandersetzt, war darüber zwar anderer Meinung. Sie verband beides miteinander. Aber Oekolampad zeigt, dass nicht nur für ihn, sondern auch für die altkirchlichen Väter diese Verbindung von geistlicher und 96 Zum Folgenden vgl. Genuina Expositio e4a–6a. 97 Genuina Expositio e6a. 98 „Interim tamen animadverte, quando Patres dicunt: Sacramenta novae legis praestare salutem, respicere eos ad Christum ipsum incarnatum vel passum, multiphariam, in veteri testamento praesignatum, quoniam et ipse μυστήριον et sacramentum nostrum est, etiam si e medio tollantur omnia symbola externa, quibus utitur Ecclesia. Quod quia attendere plerique non curarunt, foede nonnunquam sunt lapsi.“ Genuina Expositio d2b.

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leiblicher Nießung unstatthaft war. So lehrt Origenes mit unmissverständlicher Klarheit, dass man bei dem Essen des Fleischs und Trinken des Blutes Christi nicht an einen fleischlichen Schmaus zu denken habe, sondern in einem übertragenen, figürlichen, geistlichen Sinn davon gesprochen wird. Christus ist uns eine reine und köstliche Speise, weil er ganz und gar rein ist und seine Werke heilig, seine Worte wahr sind. Der Punkt, auf den es dem Basler besonders ankommt, ist, dass Origenes mit großem Ernst für seine übertragene Deutung Gehorsam fordert und die, welche im direkten Sinn an ein Essen des Fleischs Christi denken, als Fleischliche bezeichnet und mit dem Gericht Gottes bedroht: „Sed vos, si filii estis ecclesiae, si Evangelicis imbuti mysteriis, si verbum caro factum habitat in vobis, agnoscite quae dicimus, quia Domini sunt, ne forte qui ignorat ignoretur. Agnoscite quia figurae sunt, quae in divinis voluminibus scriptae sunt, et ideo tanquam spirituales, et non tanquam carnales, examinate, et intelligite quae dicuntur. Si enim quasi carnales ista suscipitis, laedunt vos, et non alunt. Est enim et in Evangeliis litera quae occidit. Non solum in Veteri Testamento litera, quae occidat eum, qui non spiritualiter quae dicuntur advertit. Si enim secundum literam sequaris hoc ipsum quod dictum est: Nisi manducaveritis 99 carnem meam et biberitis sanguinem meam, occidit haec litera.“

Damit ist für Oekolampad ein anderes als nur übertragenes Essen des Fleischs Christi verboten. Es gibt kein anderes manducare Christum als den Glauben an 100 ihn; beide Begriffe decken sich. Wer es dennoch sucht, der ist fleischlich gesinnt und kein Glied der Kirche, er steht unter Gottes Gericht. Vermutlich hat Oekolampad von dieser und ähnlichen Stellen her seine scharfen Worte gegen die 101 Bekenner der Realpräsenz gefunden. Aus der Tatsache, dass die altkirchlichen Väter, wenn sie vom Essen des Fleischs Christi reden, nichts anderes als den Glauben an den menschgewordenen und gekreuzigten Gottessohn meinen, ergibt sich die Folgerung, dass auf das 102 Äußere des Sakraments auch verzichtet werden kann. Eben dies bezeugt auch Augustin: „Ut quid paras ventrem et dentes: crede et manducasti.“

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Oekolampad verwahrt sich dabei gegen das bislang übliche Verständnis der Stelle, wonach der den Leib Christi geistlich genießt, der da glaubt, er sei im Brot gegenwärtig. Credere heißt vielmehr – entsprechend dem schon Dargestellten – das 99 Genuina Expositio f2b/3a – Orig., hom. in Lev. 7 (PG 12,487). 100 „Idem est manducare carnem, et venire ad Christum et credere in Christum, et in fide diligere.“ Genuina Expositio f4b. 101 Vgl. z. B. Genuina Expositio la: „Pernitiosissimi omnium sunt qui… ad spem in sacramentis externis, magis quam in his, quae per illa signantur,… vocant, ut in aquae tinctione et carnis manducatione.“ 102 „Christiani itaque perpetuo sic convivantur, et dum credunt, manducant, manducandoque reficiuntur, etiam si non edant de pane illo, neque calice non bibant …“ Genuina Expositio f4b. 103 Genuina Expositio f5a – Aug., Io. ev. tr. 25,12 (CChr.SL 36,254).

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Geheimnis der Menschwerdung, des Leidens, der Auferstehung und Himmelfahrt von ganzem Herzen umfangen. Wer also in diesem streng auf die geschichtlichen Heilsgeschehnisse bezogenen Sinn glaubt, der ist geistlich genährt und bedarf keines anderen äußeren Essens. Oekolampad belegt dieses Verständnis nicht weiter aus dem Zusammenhang, es ist für ihn derart selbstverständlich, dass er es zum hermeneutischen Schlüssel macht, mit dem man den wahren Sinn der Väteraussagen erfassen kann. Überhaupt ist schon Augustins Unterscheidung von geistlicher und sakramentlicher Nießung für den Basler ein Zeugnis gegen die Realpräsenz und für ein geistliches Genährtwerden allein durch das Wort und den Glauben. Denn der Kirchenvater lehrt angesichts des missverstandenen Worts des Herrn: „wer mein Fleisch isst, der lebt in Ewigkeit“, dass die geistliche Nießung immer nütze, die sakramentliche jedoch nur in Verbindung mit ersterer und um derselben willen 104 nütze, für sich allein dagegen schädlich und verdammlich ist. Man fragt sich, wieso die genannte Unterscheidung für den Reformator tatsächlich ein Zeugnis gegen die Realpräsenz ist. Luther spricht ja ebenfalls davon, dass das sakramentliche Essen nur dann nütze ist, wenn es im Glauben geschieht und bekennt dabei die Realpräsenz. Oekolampads Gedanke ist dabei, dass Augustin diese Unterscheidung zur Erläuterung des Herrenworts „wer meinen Leib isst, der lebet ewiglich“ trifft. Das Essen des Herrenleibes bringt das ewige Le105 ben – beides kann nicht getrennt werden. Wenn also unter dem Essen des Herrenleibes das mündliche Aufnehmen des – wie auch immer sich befindlichen – Herrenleibes gemeint ist, dann muss in jedem Fall der Empfänger das ewige Leben haben. Daraus würde aber folgen, dass viele Heuchler, die den Leib des 106 Herrn ohne Glauben empfangen, das ewige Leben haben. So ist es unmöglich, dass das Essen des Herrenleibes im Sinne eines mündlichen Empfanges gemeint ist. Es geschieht nur im übertragenen Sinn als Glaube. Steht – nach Oekolampad – als Meinung der Väter fest, dass allein die geistliche Nießung durchs Wort und den Glauben es ist, die den Menschen nährt und also auf die Sakramente durchaus verzichtet werden kann, so eignet doch ande-

104 „Porro Augustinus … pulchre ac scite inter triplicem panem distinguit. Quin et 21. libro de Civitate Dei, haeresim, quae ex perverso intellectu verborum Domini: Qui manducat meam carnem, vivet in aeternum, satis indicat, quid inter spiritualem et sacramentariam intersit manducationem. Etenim coniungi possunt et seiungi. Spiritualis quidem, sive iuncta sit, sive non iuncta sacramentali, semper utilis est ac vivifica. Sacramentalis autem iuncta quidem spirituali, non per se, sed propter spiritualem additam conducibilis, eo quod incitando, et occasionem praebendo, exerenti se spiritui serviat: sola vero, inutilis esset ac damnosa.“ Genuina Expositio f8a. 105 „Primum indicat quantum bonum ex communicatione corporis et sanguinis per fidem habeamus, nempe benedictionem, vitam, incorruptionem et satietatem. Mira enim virtus eius corporis est, vivificat enim corpus Christi, etc. quae non de sacramento sonant.“ Genuina Expositio ga. 106 Offenbar ist das hier hervortretende seelsorgerliche Anliegen eines der stärksten Motive der Abendmahlstheologie Oekolampads.

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rerseits, wie schon bei der Unterscheidung Augustins angedeutet, den Sakramenten ein gewisser Nutzen. Die Frage ist, in welcher Richtung ihn die Väter sehen. Oekolampad verweist zunächst auf Origenes, um zu zeigen, dass die Sakramente uns heiligen. „ … ubi et gratias diximus, oblatis panibus vescimur, qui utique ex oratione et precibus sanctius quoddam corpus conflantur, quod sane sanctiores hos reddat, qui 107 mente integriori hoc ipso utantur.“

Die hier enthaltene allgemeine Bemerkung erläutert dann der Reformator durch 108 Ausführungen des Chrysostomos über das Gebet, wonach die heiligende Wirkung desselben darin besteht, dass niemand, der soeben mit Gott gesprochen und dabei die Wirksamkeit des heiligen Geists erfahren hat, den Teufel und seine garstigen Begierden ins Herz einlassen wird – gleichwie einer, der mit einem Könige redet, die Gemeinschaft mit Lügnern und gemeinen Leuten meidet. Oekolampad wendet das nun aufs Sakrament an. Wenn es sich schon beim Gebet so verhält, um wie viel mehr wird man dann bei der Gegenwart der heiligen Zeichen zur geistlichen Weisheit ermahnt und den in sich selbst wirkenden heiligen Geist erfahren und sich um Heiligung bemühen? Denn da denkt man ja nicht nur daran, dass man mit Gott redet, sondern sieht in heiliger Erinnerung geradezu vor Augen, wie der Herr Jesus Christus, der Sohn Gottes, seinen Leib in den Tod gibt und sein Blut vergießt. Wie soll ein Mensch, der an so großen Geheimnissen teil hat, dadurch nicht entzündet werden? Weiter zeigt Oekolampad den Nutzen des Sakraments an dem Schaden, den der erleidet, der es entbehren muss. Cyprian erinnert, wie gefährlich es sei, vom Herrenmahl abgewiesen zu werden. Er warnt vor Trennung und Zwietracht, denn seiner Meinung nach empfangen nur die, die in der Liebe bleiben und als wahrhaft Gläubige von der Kirche als dem mystischen Christusleibe nicht abgesondert werden, Christum als das tägliche Brot. Und des zum Zeichen kommunizieren sie täglich und bezeugen sich als heiliges und rechtschaffenes Glied 109 Christi. 110 Schließlich zeigt auch Cyrill den Nutzen des Sakraments. Er drückt sich zwar – so Oekolampad – hinsichtlich des Unterschiedes zwischen der res sacramenti und dem sacramentum und dementsprechend hinsichtlich der participatio spiritualis und der participatio mystica nicht klar genug aus, doch wird deutlich, dass Leben, Unvergänglichkeit und volle Genüge, die wir aus der Anteilhabe am Leibe und Blute Christi durch den Glauben haben, auch nicht in der Abendmahlsfeier geleugnet werden können. Was also durch den Glauben auch sonst, 107 Genuina Expositio f6b – Orig., Cels. lb. VII,33 (PG 11,1566). 108 Genuina Expositio f6b-7b. Das Zitat, das nach Oekolampads Angaben aus einem Sermo De Oratione des Chrysostomos stammen soll, findet sich weder im (unechten) Sermo de Oratione (PG 62,737ff.) noch in der Homilie VI de precatione (PG 64,46ff.). 109 Vgl. S. 100. 110 Vgl. zum Folgenden Genuina Expositio ga–2a.

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und bisweilen gar reichlicher, gewirkt wird, das geschieht auch „in mystica communione“, während des Genusses des Sakraments. Eine Verachtung der Sakramente bedeutet deshalb auch eine Verachtung des Segens, der den Menschen durch den Glauben gegeben ist und birgt die Gefahr in sich, dass der Glaube erstarrt. Der wahre Glaube ist aber darauf bedacht, sich auf alle Weise aus den Sakramenten einen geistlichen Gewinn zu verschaffen. Überblickt man, was Oekolampad aus den Vätern zum Nutzen der Sakramente anführt und in welche Richtung er es versteht, so zeigt sich bei aller Verschiedenheit ein gemeinsamer Zug: Immer sieht er die Väter unter dem Gesichtspunkt der Regsamkeit des Glaubens, sei es, dass wir uns eines heiligen Wandels befleißigen, sei es, dass wir die durch den Glauben erfolgende geistliche Speisung mit den Sakramenten bezeugen, sei es, dass wir darauf bedacht sind, der geistlichen Segnungen, die auch während des Abendmahls gegeben werden, teilhaftig zu werden. Der Nutzen der Sakramente, was den Empfänger selbst betrifft, ist die Übung des Glaubens, durch die der heilige Geist wunderbare Wirkungen in den Herzen der Gläubigen hervorbringt und sie zu größerer Hei111 ligkeit des Lebens führt. 3.1.5 Die Erhellung des Sakramentsbegriffs aus der Wirkungsweise der Sakramente Klarer noch als im vorangegangenen Abschnitt erkennt man Oekolampads Auffassung vom altkirchlichen Sakramentsbegriff, wenn man seinen Väternachweis daraufhin untersucht, wie denn nun die Sakramente diesen Nutzen wirken. Hierzu zitiert er Augustin: „Si ergo, inquit, apostolus Paulus … potuit tamen significando praedicare Dominum Jesum Christum, aliter per linguam suam aliter per Epistolam, aliter per sac112 ramentum corporis Christi.“

Für den Basler besagen diese Worte eine wesentliche Gleichstellung von Wort, Schrift und sakramentlichem Zeichen, die darin besteht, dass alle drei, wenn auch unterschiedlicher Weise, von Christus predigen. Die sakramentlichen Zeichen sind also nichts anderes als eine gewisse heilige und erhabene Art der Pre113 digt, die uns den Mensch gewordenen und gekreuzigten Gottessohn vor Augen 111 „Nihilominus sanctissimus eucharistiae usus est et propterea non supervacaneus ritus ille a Domino commendatur, ut corpus eius sub sacramento panis edamus. Nam ut interim de foedere charitatis, et fidei externa protestatione taceam, mirifica Spiritus sanctus fidem exercens, in credentium pectoribus operatur, trahens eos ad maiorem vitae sanctimoniam.“ Genuina Expositio f6a. 112 Genuina Expositio g2a – Aug., trin. III,IV.10 (CChr.SL 50,136,30ff.). 113 „… tribuit sacramento praedicationem Christi, non minus quam verbo vel Epistolis… ita et in sacramentalibus caeremoniis sanctum quoddam et sublime praedicandi genus est.“ Genuina Expositio g2a.

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stellt und – in dieser besonders an den Gesichtssinn gerichteten Weise – an ihn 114 erinnert. Wir erlangen durch sie die gleiche geistliche Speise wie durch das mündliche oder schriftliche Wort. Dabei ist nun allerdings auf eine für den Basler wesentliche Einschränkung zu achten, die die Verbindung der Kraft und Wirkung Gottes mit dem menschlichen Zeichen betrifft. Augustins Gleichsetzung von mündlichem Wort, Brief und sakramentlichem Zeichen veranlasst den Reformator, eben dieselbe Vorstellung, die er von dem Verhältnis von Wort und Geist hat, auch auf das Verhältnis von Zeichen und Geist zu übertragen. Er bekennt zwar, dass der wirkende Gottesgeist in den gesprochenen Worten sei, doch wird das Gesagte sogleich in dem Sinn erläutert, dass der heilige Geist nicht auf den Lippen des Predigers sitze, sondern die Brust des Hörers erfülle. Gleicherweise verhalte es sich auch mit dem Sakrament. Ihm eignet eine gewisse Art der Predigt, doch sind es die Herzen der würdigen Empfänger, in denen Gottes Kraft wirkt; zum Element selbst tritt nichts hinzu, als dass es wegen der darüber gesprochenen Gebete für uns – nicht 115 an sich selber – ein heiliges Zeichen geworden ist. Die Verbindung von Zeichen und Geist bzw. Kraft Gottes darf also nicht so verstanden werden, dass das Zeichen selbst mit dem Geist verbunden ist. Nichts tritt zu ihm hinzu. Gottes Kraft und Geist haben nur mit dem Inneren des Menschen zu tun. Nur der Geist des Menschen, nichts anderes, kann das Geistliche aufnehmen. Das Zeichen bleibt, was es ist. Für diese „Wirksamkeit“ der Sakramente gibt Augustin ein – wie Oekolampad meint – ganz klares und die Sache 116 abschließendes Zeugnis. „Nec linguam quippe eius, nec membranas, nec attramentum, nec significantes sonos linguae aeditos, nec signa literarum conscripta, corpus Christi et sanguinem dicimus, sed illud tantum quod ex fructibus terrae acceptum, et prece mystica rite 117 sumimus, ad salutem spiritualem in memoriam pro nobis dominicae passionis.“

Oekolampad erläutert nicht, was mit diesen Zeilen Augustins gezeigt werden soll. Auf Grund der Fortsetzung aber ist es offenkundig dies, dass die Sakramente, die in einer Reihe mit den mündlichen Worten, den Schriftzeichen, Pergament und Tinte gestellt sind, bleiben, was sie sind und nur den Namen des Lei114 „admonitione signorum, cibum veritatis, animabus exhiberi …“ Genuina Expositio g2b. Vgl. auch f7a/b. 115 „Tribuit sacramento praedicationem Christi, non minus quam verbo vel Epistolis, tametsi alio modo, hoc sane manifestum, quod sicut verbis inesse fatemur operantem spiritum, non quod in labiis sedeat docentis, sed quod pectus occupet auditoris, homine ministrante, ita et in sacramentalibus caeremoniis sanctum quoddam et sublime praedicandi genus est, operante in dignis suam operationem divina virtute, tamesi elemento nihil accedat, praeter hoc quod adhibitis precibus sacrum signum esse incipit.“ Genuina Expositio g2a. 116 „Vides hic clarissime, quid totam rem perficiat, denique non obticet, quid operentur, et quantum animos moveant sacramenta, ut ne in re externa quiddam mutari suspicemur.“ Genuina Expositio g2b. 117 Genuina Expositio g2b – Aug., trin. III,IV.10 (CChr.SL 50,136,37ff.).

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bes und Blutes Christi erhalten. Erst die folgenden Worte Augustins schildern die Wirkungsweise der Zeichen: „Quod quum per manus hominum ad illam visibilem speciem perducitur, non sanctificatur, ut sit tam magnum sacramentum, nisi operante invisibiliter spiritu dei, quum haec omnia quae per corporales motus fiunt, deus operetur, movens primitus invisibilia ministrorum, sive animas hominum, sive occultorum spiri118 tuum sibi subditas.“

Hier wird erläutert, wie nach Augustin die heiligen Herzensregungen durch den Dienst der Sakramente entstehen. Für Oekolampad sind dies die entscheidenden Punkte: Was das Tun der Diener und die vor Augen gelegten Elemente betrifft, so handelt es sich nicht um ein so großes Sakrament; es ändert sich an ihm nichts 119 und es bewirkt ebenso wenig wie ein toter Buchstabe. Vielmehr ist es Gottes Geist, der die invisibilia ministrorum, die Herzen der Menschen, bewegt, so dass sie durch die Erinnerung an den Tod Christi zur Betrachtung der göttlichen 120 Dinge hingerissen werden. Oekolampad versteht demnach die invisibilia ministrorum, von denen Augustin spricht, hauptsächlich von den Empfängern der Sakramente. Mit diesen Zeugnissen meint der Reformator genügend aufgewiesen zu haben, wie die Sakramente wirken. Gottes Geist erfüllt die Herzen der Gläubigen; erst indem dies geschieht, werden die Sakramente zu Zeichen, durch die die geistliche Speise dargereicht wird. An sich selbst ändert sich bei ihnen nichts, auch tritt nichts zu ihnen hinzu. Gläubigen wie Ungläubigen gegenüber tun sie sozusagen dasselbe: Sie weisen in sichtbarer Form auf den Tod Christi hin und unterscheiden sich in der wesentlichen Eigenart dieser ihrer Funktion in nichts 121 von anderen Zeichen. Erst der Geist Gottes, der zuvor in den Herzen der Gläubigen ist, wirkt, wobei er sich der Erinnerung an den Tod Christi bedient, jene heiligen Regungen, in denen sich der Glaube übt und betätigt. Notwendig sind die Sakramente darum für den eigenen inneren Menschen letztlich nicht, sie 122 sind eine Stütze, die bisweilen für den Geist sogar hinderlich sein kann, andererseits aber auch ein Anregungsmittel, das der Schwachheit unseres Leibes zu Hilfe kommt. Denn – in diesem Sinne kann man von einer gewissen Notwendigkeit reden – solange wir noch im Fleische sind, wird unser Geist, wie Chry-

118 Genuina Expositio g2b – Aug., trin. III,4 (CChr.SL 50,136,43ff). 119 „Dicit enim, quod quantum ad ministrorum operationem et materias ante oculos positas, non foret tantum sacramentum, imo non moveret magis quam mortua litera, id quod saepe experimur“. Genuina Expositio g3a. 120 „Sed spiritus dei invisibilia ministrorum, hoc est corda hominum movet, ut memoria mortis Christi, ad divina contemplanda rapiantur …“ Genuina Expositio g3a. 121 In diesem Sinne fasst Oekolampad das „primitus“ aus dem zuletzt angeführten Zitat. 122 „… quis dixerit ritum supervacaneum, tametsi absque externo strepitu, et signorum adminiculo, copiosius nonnunquam operetur, in credentibus divina virtus …“ Genuina Expositio gb/2a.

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sostomos sagt, durch äußere körperliche Zeichen auf die himmlischen Dinge 124 geführt. Nutzen und Wirkungsweise der Sakramente bei den Vätern haben damit – nach Oekolampad – deutlich gezeigt, dass für eine Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi oder auch für eine Kraft Gottes in und bei den Elementen kein 125 Raum ist. Eine Bemerkung über die Redeweise Oekolampads sei zum Schluss dieses Abschnitts noch gestattet. Des Baslers Ausführungen über die Wirkungsweise der Sakramente lassen erkennen, dass es gerade nicht die Sakramente sind, die die heiligen Herzensbewegungen wirken, sondern der Geist Gottes, der sich zwar der Erinnerung an den Tod Christi bedient, aber dabei doch der direkte Handelnde bleibt. Die Rede, dass die Sakramente die Herzen bewegen, geistliche Speise darreichen und ähnliche Formulierungen des Baslers können darum von der aufgezeigten Wirkungsweise her nur in einem weiteren, nicht eigentlichen 126 Sinn verstanden werden. 3.1.6 Die Beweiskraft der von den Vätern gebrauchten Sakramentstermini In den vorangegangenen Abschnitten ist aufgezeigt worden, wie Oekolampad von den verschiedensten Zusammenhängen her zu erweisen sucht, was die Väter unter einem Sakrament verstanden haben. Alle diese Zusammenhänge fordern geradezu den von ihm vertretenen Sakramentsbegriff; sie würden zerstört oder in unerträglicher Weise verzeichnet, wenn die Väter die Realpräsenz in den Elementen gelehrt hätten. Es fällt nun auf, dass neben dieser Erhellung des Sakramentsbegriffs von den verschiedenen Zusammenhängen her den jeweiligen Termini noch eine in ihnen selbst ruhende Beweiskraft zuerkannt wird. Die Tatsache, dass diese Termini überhaupt gebraucht werden, genügt an sich schon, 127 um das Sakramentsverständnis der Väter im Sinne Oekolampads zu erweisen.

123 Vgl. S. 77. 124 „Imo et necessaria sunt externa illa quodammodo, Si enim incorporei essemus, ut Chrysostomus super Matthaeum dicit, nude dona incorporea nobis tradita essent, quoniam vero corpori coniuncta est anima, in sensibilibus traduntur intelligenda. Scite dicta sunt haec, et pulchre ministerium nobis declarant sacramentorum.“ Genuina Expositio g7b. 125 „… At propterea tantam et quasi insititiam vim rebus inanimatis tribuere non decet, Sicut Porphirius et magi tradunt.“ Genuina Expositio g7b. 126 Vgl. S. 38 und 84. 127 Hermann Sasse hat dies erkannt, wenn er über Oekolampads figura corporis schreibt: „He took this from Tertullian without asking - for no one at that time asks in such cases - whether Tertullian’s ,figura corporis mei‘ really corresponded to what the humanists of the 16th Century understood by ,figura‘, namely a mere figure or symbol of something that is absent, as a crucifix shows or symbolizes the absent body of Christ.“ This is my Body (1959), S.141 (vgl. S. 28f.). Sasse übersieht aber dabei, dass die andere Säule der Argumentation der sachliche Kontext ist, wie er in den Argumentationskomplexen dargestellt wird.

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Der genannte Sachverhalt zeigt sich schon an der Bedeutung, die das Wort eucharistia bzw. gratiarum actio für den Basler hat. Im Blick auf das Abendmahl meint es genau das, was es sagt: Das Abendmahl ist ein Danksagungsakt. Noch deutlicher zeigt sich die eigenständige Beweiskraft an Wörtern wie exemplar bzw. ἀντίτυπον. Was exemplar meint, ist für Oekolampad unmissverständlich klar: „Ist es ein exemplar, dann trägt es das Bild und die äußere Gestalt eines anderen Körpers, der dadurch bild- und zeichenhaft zum Ausdruck gebracht 128 wird.“ Wenn also Chrysostomos etwa den Begriff exemplar oder Basilius ἀντίτυπον gebrauchen, dann sagen sie einfach dadurch, dass sie diese Begriffe gebrauchen, dass die Abendmahlselemente Abbild und Zeichen des Leibes 129 Christi sind, nicht aber der Leib selbst gegenwärtig ist. Das gleiche gilt auch für recordatio. Es gehört wesentlich zu ihr hinzu, dass der Gegenstand, an den man erinnert wird, abwesend ist. Anders hat es keinen Sinn, von recordatio zu re130 den. Fragt man, wieso Oekolampad dazu kommt, den genannten und anderen Begriffen eine Beweiskraft bei den Vätern aus sich selbst heraus zuzugestehen, so ist die Antwort, dass es sich ja für den Basler um Begriffe handelt, die aus sich selbst heraus klar und allgemein gültig sind und gar nicht anders verstanden werden können. Dass nun die altkirchlichen Väter, die sich durch besondere Frömmigkeit und tiefe Erkenntnis auszeichneten, diese an sich klaren Begriffe in einem anderen als dem ihnen eigenen Sinn gebraucht haben könnten, ist für ihn unvollziehbar. Hier ist der Grund, weshalb die von ihm für klar und allgemeingültig gehaltenen Begriffe auch bei den Vätern vorausgesetzt und zur Interpretation verwendet werden können. Die tatsächlichen Zusammenhänge, in denen die Väter diese Begriffe gebrauchen, sind deshalb für den Basler nicht nur eine Erhellung, sondern auch eine Bestätigung ihrer Bedeutung. Das Gesagte gilt auch für den Hauptbegriff sacramentum. Oekolampad kann es als eine dem allgemeinen Wissen entsprechende Definition hinstellen, dass sacramentum und res sacramenti jeweils etwas anderes sind und beide sich wie Zeichen und Bezeichnetes verhalten. Das Zeichen allgemeiner Art ist sozusagen der Oberbegriff, unter den sich das sacramentum als etwas Heiliges bezeichnend unterordnet. Von daher widerspricht es einfach dem Begriff sacramentum, wenn man vom Sakrament des Brots so redet, als ob es das Zeichen des Leibes und der 131 Leib selbst zugleich sei. Auch Augustin ist dieser Meinung gewesen. „Signa 128 „Colligitur ergo, quod corpus Christi exemplar sit, et ut Basilius dixit, ἀντίτυπον. Si exemplar, ergo figuram et habitudinem alterius gerit corporis, quod per illud in figura et significatione exprimitur.“ Genuina Expositio c5b. 129 Das besagt das „ergo“ figuram in der vorigen Anmerkung. 130 „Iam si praesens voluit Christus adesse illo modo, quid sibi vult nomen recordationis, quod fere absentium est?“ i3b. 131 „Nullus sane ignorare debebat, aliud esse sacramentum, et aliud rem sacramenti, differunt enim ut signum et id quod per signum signatur. Nam inter signum et sacramentum, hoc solum interest, quod illud quibusvis, hoc sacris tantum rebus adhibetur …“ Genuina Expositio ka.

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enim, ut Augustinus ad Marcellinum definivit, quum ad res divinas pertinent, 132 sacramenta appellantur.“ Er hat also den Sakramentsbegriff, wie er einzig möglich ist, erfasst. Die Realpräsenz steht damit im Gegensatz sowohl zum Sakramentsbegriff als auch zur Redeweise der ganzen alten Kirche, die – um zum rechten Verständnis der Abendmahlsworte zu helfen – die Gegenwart des Leibes 133 Christi als eine sakramentale, mystische oder typische ausgelegt hat. 3.1.7 Zusammenfassung a) Von der bei Augustin aufgefundenen Grundlage her, dass im heiligen Abendmahl nichts sei, was über menschliches Verstehen hinausgehe, hatte Oekolampad den Sakramentsbegriff in einer Reihe wesentlicher Zusammenhänge erhellt: Die Väter führen den Zeichenbegriff ein, um unerträglichen Konsequenzen hinsichtlich der Grundstruktur der Wirklichkeit und um der markionitischen Irrlehre zu entgehen; sie lehren, dass die Sakramente des alten und neuen Testaments wesentlich gleich sind; sie verwerfen eine andere als geistliche Nießung des Leibes Christi im Glauben und setzen den Nutzen der Sakramente in die durch sie angeregte Förderung des Glaubenslebens; die Wirkungsweise der Sakramente verstehen sie so, dass nichts zum Zeichen selbst hinzutritt, sondern der Geist Gottes in den Herzen der Empfänger wirkt, indes die Zeichen nur als Anregungsmittel dienen. In den Erörterungen wurde zugleich deutlich, dass der Sakramentsbegriff selbst und die wechselweise mit ihm gebrauchten Begriffe insofern ein Eigengewicht haben, als sie aus sich selbst heraus klar und allgemeingültig sind, so dass die Tatsache ihrer Verwendung durch die Kirchenväter schon genügt, die Realpräsenz zu widerlegen. b) Innerhalb des Väterbeweises finden sich eine Anzahl Stellen, die den Rang klarer und klarster Stellen einnehmen; von ihnen her werden die übrigen, die ihrer uns fremd gewordenen Ausdrucksweise wegen bisweilen zu Missverständnissen führen können, ausgelegt und verstanden. Diese klaren Stellen, die selbst einer Auslegung nicht bedürfen, sind Folgende:

132 Genuina Expositio ka – Aug., ep. 138: Ad Marcellinum (PL 33,527). 133 „Verum si de sacramento panis loquamur, ut sit corpus et sacramentum simul, plane contra verbi sacramenti rationem esset, et inepte exposuissent, quotquot hactenus tradiderunt adesse corpus Christi, sacramentali modo, τυπικῶς vel μυστικῶς. Quotamen loquendi modo, probe et caute omnis ecclesia uti non erubuit, ne fortasse scandalum in via poneretur caecis, et obscuritas crassiores pessundaret, tametsi nec sic inoffensi manserimus.“ Genuina Expositio ka/b. Und wenig zuvor: „In summa, ad quoscunque solidos diverteris authores, nullum non invenies, corpus Christi exponere, et dicere esse sacramentum, vel sacram figuram corporis Christi, vel mysterium, quod idem. Et similiter invenies sanguinem Christi exponi, calicem mysticum, vel mysterium, vel sacramentum sanguinis“ Genuina Expositio ka.

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Augustinus, trin. III,10 135 Tertullian, adv. Marc. IV cp 40,3 136 Augustinus (Fulgentius), fid. XVI 137 Origenes, hom. in Lev. 7 138 Augustinus, Io. ev. tr. 25,12 139 Augustinus, trin. III,4 140 Augustinus, ep. 138: Ad Marcellinum 1,7

Sie besagen a) dass das Abendmahl ein auf natürliche Weise von Menschen gewirktes Zeichen ist, in welchem für den Eingeweihten nichts enthalten ist, das über menschliches Verstehen hinausgeht. Augustin unterscheidet unter den Zeichen, die uns etwas von Gott mitteilen, wunderbare Werke der Engel und von Menschen gewirkte Werke und weist das Abendmahlsbrot den letzteren zu (Aug., trin. III,10), b) dass das Wesen des Altarsakraments gratiarum actio und commemoratio, nicht aber impanatio ist. Es wird von Augustin in genauer Entsprechung zu den alttestamentlichen, auf Christus deutenden Opfern gesetzt. Von einer Impanation sagt er an dieser bekenntnisartigen Stelle nichts (Fulg., ad Petrum Diaconum, Regula XVI), c) dass ein anderes Essen des Fleischs Christi als im übertragenen, geistlichen Sinne durch den Glauben fleischlicher Gesinnung entspricht und verworfen wird. Origenes zeigt, dass uns Christus insofern eine heilige und reine Speise ist, als er selbst rein ist und seine Worte und Werke wahr und heilig sind. Er bedroht die, die an ein Essen des Fleischs Christi im eigentlichen Sinne denken mit dem Gericht Gottes (in Lev. Homilia 7). Augustin identifiziert das Essen des Fleischs Christi mit dem Glauben (Aug., Io. ev. tr. 25,12), d) dass Brot und Wein, die Leib und Blut Christi genannt werden, kein so großes Sakrament sind, dass sie das Heil wirken könnten; sie bewegen die Herzen nicht mehr als ein toter Buchstabe. Allein der heilige Geist ist es, der die Herzen direkt bewegt, wobei er sich die Zeichen dienen lässt (Aug., trin. III,4), e) dass das Sakrament ein Zeichen ist, welches sich von anderen profanen Zeichen nur insofern unterscheidet, als es auf etwas Heiliges hinweist. Es würde darum dem Begriff des Sakraments widersprechen, wollte man sa-

134 Vgl. S. 26f. 135 Vgl. S. 35. 136 Vgl. S. 38. 137 Vgl. S. 42. 138 Vgl. S. 42. 139 Vgl. S. 45f. 140 Vgl. S. 49.

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gen, dass das Abendmahlsbrot zugleich der Leib Christi sei (Aug., ep. 138: ad Marcellinum 1,7). c) Neben den Sakramentsbegriffen als hermeneutischen Ausgangspunkten haben sich im Verlauf der Darlegungen Oekolampads noch einige hermeneutische Schlüssel für das Verständnis der altkirchlichen Texte ergeben, die hier festgehalten werden sollen: 1) Wenn die Väter von den neutestamentlichen Sakramenten sagen, dass sie das Heil darreichen, so meinen sie damit, dass Christus gekommen ist und nicht mehr erwartet werden darf. 2) Wenn die Väter von der geistlichen Nießung des Leibes Christi sprechen, dann meinen sie nicht den Glauben an die Gegenwart des Leibes Christi im Brot, sondern an den Mensch gewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Herrn. 3.2 Der Sakramentsbegriff nach den übrigen Schriften 3.2.1 Das Antisyngramma Oekolampads Aussage in der genuina expositio, dass die Väter unter einem Sakrament ein Zeichen einer abwesenden heiligen Sache verstanden, hatte das Syngramma damit zu widerlegen versucht, dass es auf die Doppelaussagen der Väter hinwies. Die Väter bezeichneten die Abendmahlselemente sowohl als Zei141 chen des Herrenleibes als auch als den Leib des Herrn selbst. Chrysostomos sagte, die Apostel haben das Fleisch des Herrn gegessen und sein Blut getrunken, Augustin redet davon, dass Christus im Abendmahl seinen Leib in den Händen getragen habe und die Jünger den Leib und das Blut Christi nüchtern empfangen; Tertullians Autorität sei nicht so groß, dass er erzwingen könne, die Worte Christi im Sinne der figura zu verstehen, auch stehen ihm andere Väter wohl größeren Glaubens gegenüber, z. B. Theophylakt, der ausdrücklich zu Matthäus 142 26 sage, es sei der Leib des Herrn auf dem Altar und nicht ein Zeichen. Die Zeichenbegriffe der Väter heben also die Tatsache, dass die Abendmahlselemente Leib und Blut des Herrn sind, nicht auf; wenn die Väter vom Sakrament, Sym-

141 „Quis igitur prohibebit quominus candide interpretemur, si quando panem et calicem symbola vocarunt, ut panis non solum symbolum et exemplar sit, sed symbolum cum re ipsa coniunctum, quando panem nunc corpus, nunc corporis symbolum adpellat …“ Apologetica k2b. 142 Gerade die Väterargumentation des Syngramma lässt keinen Zweifel daran, dass nach Meinung der Schwäbischen Prediger der Leib Christi durch das Wort dem Brot wirklich übergeben wird und nicht, wie Gollwitzer, Coena Domini, S. 62 Anm. 2 sagt, „ein nur im Wort und also nur dem Glauben gegebener bleibt“. Vgl. auch „Si pani per verbum corpus suum tradit …" Apologetica h7b.

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bol, Exemplar oder Antitypon geredet haben, so meinten sie nicht, dass der Leib 143 Christi abwesend sei. Das Antisyngramma widerlegt diese These vor allem durch allgemeine Hinweise. Die Väter interpretieren sich selbst, indem sie den Leib Zeichen nennen und nicht umgekehrt. Dasselbe tun sie ja auch bei dem Begriff der synaxis, den sie als signum communionis, oder des sacrificium, den sie als memoria sacrificii – sogar unter ausdrücklicher Billigung des Syngramma – verstehen. Es ist nicht statthaft, das Verständlichere durch das Dunklere auszulegen, wie es geschieht, wenn man 144 den Begriff des Zeichens durch den des Leibes erklärt. Der Hinweis, dass die Väter von Brot und Wein als dem Leib und Blut reden, hat darum in der Auseinandersetzung kein Gewicht. Es trägt nichts ein, wenn die schwäbischen Pastoren darauf hinweisen, dass Augustin dem Januarius schreibt, die Jünger hätten, ohne gefastet zu haben, den Leib und das Blut des Herrn gegessen. Denn aus anderen Stellen Augustins ist ja deutlich genug erkennbar, dass er hier das Zei145 chen und nicht den Leib Christi selbst meint. Abgesehen von dem eben erwähnten Zitat des Augustin ad Januarium und 146 einem noch nicht verhandelten Wort des Chrysostomos bringt das Antisyngramma nichts Neues zum Sakramentsverständnis der Väter hinzu. Das Gesagte ist aber bedeutsam genug, um ein Stück der Zusammenhänge zu erkennen, von denen der Väterbeweis Oekolampads getragen ist. Das Problem, das sich hier abzeichnet, stellt sich angesichts der Tatsache, dass die altkirchlichen Väter von den Abendmahlselementen sowohl als vom Leib und Blut des Herrn als auch als von den Zeichen des Leibes und Blutes Christi reden. Beides wird weder von den Syngrammatisten, noch von Oekolampad bestritten. 143 „… non ut neget panem esse corpus, sive vocet symbolon, sive exemplar sive ἀντίτυπον, ut Basilius, nihil priori suae verborum Christi expositioni derogabit.“ Apologetica k4b. 144 „Patrum dicta nemo interpretabitur illis ipsis melius, qui corpus exponunt per sacramentum corporis et symbolum, et non vicissim sicut et synaxin interpretantur communionis signum, quod manifestum est… Non oportebat igitur per obscuriora exponere. Quae autem illa religio, sacrificium dici memoriam sacrificii, et non corpus memoriale corporis? …“ Apologetica k3a. 145 „Iam quod Ianuario scribit discipulos non ieiunos accepisse corpus etc. satis colliquescere debebat ex aliis eius scriptis, ipsum intellexisse sacramentum corporis.“ Apologetica k4a Oder: „Nec inficias eo, alicubi illum, panem vocare corpus, et ego ita libenter appello, sed ut ille interpretatur in Epistola ad Bonifacium ac aliis locis, ita et sentio, nempe quod sit sacramentum corporis.“ Apologetica i2b. 146 Das Syngramma hatte auf Orig., hom. in Mt. 83 hingewiesen: „Christus quoque bibit ex calice, ne auditis verbis illis, dicerent, quid igitur sanguinem bibimus, et carnem comedimus? ac ideo perturbarentur. Nam et quando prius de eis verba fecit, multi solummodo propter verba scandalum passi sunt. Ne igitur tunc id quoque adcideret, primus ipse hoc fecit, ut tranquillo animo ad communicationem mysteriorum induceret“ (PG 58, 739). Die schwäbischen Pfarrer meinten dazu „Ecce inquit, apostolos carnem comedisse et sanguinem bibisse, et Christum primum hoc fecisse (neque enim vel per praecedentia, vel sequentia licebit hoc intelligere de spirituali manducatione, sed corporali).“ Apologetica k3b. Oekolampad entgegnet, Christus habe gerade darum selbst von dem Kelch getrunken, damit seine Jünger nicht durch ein falsches, eigentliches Verständnis der übertragenen Redeweise vom Genuss der Zeichen abgehalten würden.

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Umstritten aber ist, was mit den jeweiligen Aussagen gesagt sein soll und welche Aussage jeweils die andere interpretiert bzw. als die feststehende und eindeutig klare zu gelten hat, von der man ausgehen kann. Für die Syngrammatisten haben die direkten Worte, die das Brot den Leib Christi nennen, in sich selbst Gewicht; sie gelten wie sie lauten und bedeuten hinsichtlich des Sakramentsbegriffes, dass auch die Sache selbst gegenwärtig ist. Oekolampad dagegen sagt, dass die Väter mit den an sich klaren Begriffen des exemplar oder sacramentum den mit Bezug auf das Brot unverständlichen Begriff des Leibes auslegen und interpretieren. Der Begriff des Leibes ist hier gerade nicht Ausgangspunkt des Verstehens, sondern der des Sakraments, weshalb die Aussagen, die vom Brot als dem Leib reden, ohne Gewicht sind. Der Basler hat damit den Charakter der Sakramentstermini als heller und in sich klarer Begriffe durchgehalten. Für die inneren Zusammenhänge der Argumentation Oekolampads wird dabei ein Doppeltes deutlich: Der Sakramentsbegriff ist unauflöslich mit dem noch zu erörternden Tropus verbunden – eines bedingt das andere. Zweitens, wenn angesichts der Doppelaussagen der Väter die Wahl des Ausgangspunkts der Interpretation nicht willkürlich sein soll, dann muss eines von beiden, der Sakramentsbegriff oder der Tropus, unabhängig von dem andern in seiner Bedeutung klar nachgewiesen werden. Der Basler meinte, dies hinsichtlich des Sakramentsbegriffs durch die in der genuina expositio aufgezeigten Zusammenhänge getan zu haben. Dass auch der Tropus unabhängig vom Sakramentsbegriff erwiesen wird, wird sich noch zeigen. 3.2.2 Billiche Antwurt Hier ist der Sakramentsbegriff der Väter, wie er in der genuina expositio aufgezeigt wurde, voll vorausgesetzt – wie denn überhaupt hinsichtlich der gesamten Argumentation auf dem bestanden wird, was die erste Schrift ausführte. So findet denn eine eigentliche Auseinandersetzung über die Väterworte nicht statt. Wenn Väterstellen zum Sakramentsbegriff angeführt werden, so sind sie – von einer sogleich zu besprechenden Ausnahme abgesehen – nicht neu und haben mehr den Sinn beigefügter Bestätigungen, als dass sie selbst Gegenstand der Verhandlung wären. Eine Stelle jedoch verdient festgehalten zu werden, weil sie eine entscheidende Seite des Sakramentsverständnisses zu besonderer Klarheit führt und dabei eine berühmte Definition Augustins aufnimmt und auslegt. Das Syngramma hatte den Leitgedanken entwickelt, dass das Wort des 147 Herrn, das uns alle Güter bringt, auch den Leib des Herrn ins Brot bringe. Das geht dem Basler zu weit. Was zum Element hinzukommt, ist allein das Wort und nicht mehr. Das Wort bringt ja nicht selbst die Sache mit, die es bedeutet, son147 Vgl. Apologetica i6a,b und: „verbum ad panem fert, id quod in se continet. Continet autem corpus Christi verum corporale, proinde fert et corpus ad panem.“ i7a.

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dern ist nur ein äußerliches, auswendiges Zeichen, das uns ermahnt, die Dinge, auf die es hinweist, in uns zu suchen. Wenn es zur Materie hinzutritt, dann teilt 148 es derselben seine Bedeutung mit, so dass diese nun, als ein „sichtbarlich Wort“ 149 den Augen vorstellt, was die Worte den Ohren sagen. So versteht der Reformator nun auch die Sakramentsbestimmungen Augustins und des Irenäus: „Denn es ist je wahr, wie St. Augustin sprach: ,Es gang das Wort zu dem Element, oder zu der Materie, so wird es ein Sacrament. Welches auch des alten Bischofes Irenäi Rede ist, so er spricht: ‚Wie auch das irdische Brod, wenn es an sich nimmt die Anrufung Gottes, so ist es nicht ein schlecht gemein Brod, sondern eine Eucharistia; das aus zwei Dingen bestehet, nämlich, aus dem Irdischen und dem Himmlischen.‘ Hier wird Sacrament Eucharistia genannt, die Materie oder das 150 Element das Irdische; das Wort und die Danksagung das Himmlische.“

Das Sakrament besteht demnach aus zwei Dingen, der irdischen Materie und dem himmlischen Wort. Wie jedes Wort ist dieses jedoch nichts anderes als eine rein äußerliche Angelegenheit. Das muss noch ein wenig verdeutlicht werden – umso mehr, als der Reformator es nach seinen eigenen Worten aus Augustins 151 „de Magistro“ gelernt hat. Die Worte sind „ermahnende Zeichen, die uns reizen, zu suchen in uns die 152 Dinge, so durch die Worte bedeutet sind.“ Sie lehren uns nicht etwas Neues, sondern regen nur dazu an, das, was schon inwendig in uns ist, zu erkennen und 153 hervorzuheben. Der Reformator begründet dies damit, dass wir ja schon vorher inwendig wissen müssen, was die Laute, also das auswendige Wort, bedeuten. Anders kann man es ja nicht verstehen. Das äußerliche Wort steht damit grund148 „Nun vermag das äußerliche Wort nicht mehr, denn bedeuten, und in der Bedeutung ermahnen, oder erinnern, wie vor gesagt. Das es aber vermag, das bringt es alles zu dem, zu welchem es gesprochen wird. Nun das Wort ‚Leib‘ ist nicht der Leib, bedeutet aber den Leib und die Rede ,das ist mein Leib‘ hält nicht in ihr wesentlich, weder das Brod, noch den Leib, noch ihre Zusammenfügung wesentlich. Sie hält aber die Bedeutung in; darum so sie dem Brod gesagt oder zugegeben wird, und aus dem Brode und der Rede wird ein Sacrament, so hat das Sacrament seine Bedeutung, wie die Worte.“ Billiche Antwurt W2 XX,630f. 149 „Daher ist auch, daß die Sacramente werden von Gelehrten genannt sichtbarliche Worte, eben so wohl als die Schrift. Denn wie das Wort dem Gehöre, also die Sacramente den Augen vorheben: Bildnisse, welche durch die Sinne in das Gemüth getragen, und da erkannt werden. Das ist aber darum nicht, daß die Zeichen oder die Worte wesentlich seien eben dasjenige, das sie bedeuten, sondern daß sie Bedeutung sind.“ Billiche Antwurt W2 XX,631. 150 Billiche Antwurt W2 XX,630; Aug., Io. ev. tr. 80,3 (CChr.SL 36,529,5f.); Iren., haer. IV,18,4 (SC 100,606f.); vgl. S. 101. 151 Oekolampad bezieht sich offensichtlich auf Aug., mag. XI,36 und 38, XII,39 und 40, XIII,46 (CChr.SL 29,194-198,202f). 152 W2 XX,620. 153 Vgl. die Fortsetzung des im Text zitierten Wortes: „nicht daß wir sie durch sie erlernen, aber daß wir die Wahrheit in uns suchen, und also gelehrt werden. Aus Worten möchten wir je nicht weiter begreifen, denn das Geräusch und die Stimme, so wir nicht vorhin wüßten, inwendig in uns, was auswendig Worte bedeuteten. Inwendig, inwendig muß es durch den Glauben angenommen sein.“ Billiche Antwurt W2 XX,621.

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sätzlich auf derselben Ebene wie die Zeremonien, Bilder und Zeichen, wenn154 gleich es, weil es dem innerlichen Worte näher ist, gewaltiger als diese wirkt. Was das Inwendige betrifft, das den Menschen lehrt, so äußert sich Oekolampad nicht völlig ausgeglichen. Einerseits sagt er, dass wir durch das äußere Wort und die Anfechtung des Kreuzes ermuntert werden, in uns das ursprünglich anerschaffene, durch die Sünde aber „verrostete“ und verdeckte inwendige Licht 155 der Wahrheit zu suchen. Andererseits identifiziert er, unter Bezugnahme auf Augustin, das, was uns innerlich tröstet und erleuchtet, mit dem „innerlichen“ 156 heimlichen, himmlischen Lehrer Christus. Wir halten fest: Oekolampad interpretiert Augustins Sakramentsdefinition derart, dass zur irdischen Materie das göttliche Wort hinzukommt, welches dem Element seine Bedeutung als Zeichen gibt. Dieses Wort ist nichts anderes, als ein hörbares, ermahnendes Zeichen, das über seine Bedeutung hinaus nichts in sich schließt oder hinzu bringt. Zwischen ihm und der Kraft Gottes oder gar dem 157 Leibe Christi gibt es keine Verbindung. Doch erinnert und ermuntert es, das in uns vorhandene Licht der Wahrheit bzw. den in uns wirkenden innerlichen Lehrer Christus zu suchen. Oekolampad hat damit den Sakramentsbegriff und die Wirkungsweise des Sakraments in eine auf Augustin zurückgeführte Psychologie des Worts und seiner Wirkung auf den Menschen eingearbeitet. 154 „Wie da geredet wird von äußerlichen Worten, also auch von Ceremonien, Gemälden und Sacramenten mag geredet werden. Wiewohl das Wort gewaltiger, dieweil es näher dem innerlichen Worte. Jedoch alle mitein mögen sie nicht das Wenigste lehren, ich geschweige, daß sie etwas Größeres tun. Allein bedeuten, ermahnen und. erinnern ist ihr Amt.“ Billiche Antwurt W2 XX,620. 155 „Adam, unser erster Vater, ist erschaffen nach der Bildniß Gottes, in wunderbarlicher Erleuchtung der Wahrheit und Aufrichtigkeit: also daß er wenig minder denn die Engel. Aber durch die Sünde ist das Licht der Wahrheit in uns verrostet, und wir mitein sind in tiefen Koth gefallen und ganz viehisch worden, in Verachtung und Unwissenheit göttlicher Dinge. Nun, daß wir wiederum von dem Koth aufgetrieben werden, tut uns überaus noth Sporen, Stacheln und Pfeile: das sind die Anfechtungen des Kreuzes, und das inbrünstige Verkündigen des Wortes. Die machen den Menschen munter, daß er in sich selbst geht, sucht das inwendige Licht der Wahrheit, von dem der Mensch erleuchtet wird.“ Billiche Antwurt W2 XX,620. 156 „Hierum so gibt das äußerliche Wort nicht den Glauben, aber Christus gibt es; es tröstet nicht, Christus tröstet; es ehrt nicht, es erleucht nicht; aber unser innerlicher, heimlicher, himmlischer Lehrer ist Christus; wie das sich Augustin im Buche de Magistro berühmt gewaltiglich durchgründet haben...“ Billiche Antwurt W2 XX,621. 157 „So denn nun gewiß, daß des äußerlichen Wortes keine andere Kraft, denn durch Bedeutung ermahnen und erinnern: wie wird man denn ihm mögen zugeben höhere Wirkungen und die wunderbarliche Sache? Darum so fällt das Geschwätz alles: daß in wesentlicher Weise in Worten etwas eingeschlossen sei und herzugebracht werde. Und noch weniger wird bestehen, daß der Leib oder das Blut Christi den Worten gegeben sei und herzugebracht werde durch sie in das Brot und den Wein …“ Billiche Antwurt W2 XX,621. Desgleichen W2 XX,619: „Sie vermeinen aber, der Geist sei in die Worte verwickelt und von ihnen ungeschieden. O wenn dem also wäre, so würde keine Lehre vergebens sein, der Geist wäre nicht müßig Aber das innerlich beständige Wort und das äußerliche, die sind soweit von einander, als weit das Gesetz und die Gnade.“

Die Patristische Argumentation

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3.2.3 Andere billiche Antwurt Grundzug dieser Schrift ist die Einordnung des Sakramentsbegriffs in die Reihe der Zeichen, Gemälde und Parabeln, die füglich dann auch nach Art der Zeichen, Gemälde und Parabeln ausgelegt und also im übertragenen Sinne verstanden werden müssen. Oekolampad vertieft damit den schon in der genuina expositio ausgeführten Begriff des Sakraments, das sich als Zeichen den übrigen Zeichen einordnet und nur dadurch von ihnen unterschieden ist, dass es auf eine heilige Sache hinweist. Der Charakter der Schrift als Antwort auf Luthers „Dass diese Worte … noch feststehen“ bringt es mit sich, dass die Meinung einiger wichtiger Kirchenväter in geschlossener Darstellung behandelt wird. Wir gehen hier auf Augustin, Tertullian und Irenäus ein, deren Worte als klare Stellen gelten. Die Ausführungen über Hilarius werden, da es sich um die Auslegung eines auch nach Oekolampads Meinung missverständlichen Texts handelt, in anderem Zusammenhang darge158 stellt. Augustin Luther hatte den Nachweis dafür verlangt, dass Augustin das Wort Sakrament im Sinne eines Zeichens gebrauche, dessen bezeichnete Sache abwesend ist. Er hatte die Sakramentsdefinition des Kirchenvaters „Sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma“ dabei so aufgefasst, dass das Element die äußere Gestalt oder Form der darunter verborgenen gegenwärtigen Gnade, nämlich des Leibes 159 Christi, sei. Der Basler bemüht sich nun, aus Augustin nachzuweisen, dass die Sache, auf die das Sakrament hinweist, im Sakrament selbst nicht gegenwärtig ist. Dies geschieht auf folgende Weise: a) Augustin sagt zu Psalm 65: Die Dinge, die im Sakrament bezeichnet werden, 160 sind in der Vollkommenheit des ewigen Lebens. Sie sind also, wie der Reformator erläutert, jetzt noch nicht da. Man redet wohl davon, dass sie im Glauben anfänglich vorhanden seien, doch kann darunter nur eine Gegenwart in den Herzen, nicht aber in den Elementen verstanden werden. b) Wenn Luther das Wort forma im Sinne der äußeren Gestalt auffasst, unter der die unsichtbare Gnade gegenwärtig ist, so weist Oekolampad darauf hin, dass 161 Augustin das Sakrament als „Zeichen eines heiligen Dinges“ definiert. Die Eigenart eines Zeichens aber ist – wie der Kirchenvater selbst erläutert – , dass es neben der Gestalt die es den Sinnen zuträgt, etwas anderes in Erinnerung bringt, das darum nicht anders als eben allein in der Erinnerung gegenwärtig 158 Vgl. S. 108. 159 Vgl. S. 158. 160 Andere Billiche Antwurt i4a – Aug., en. Ps. 65,17 (CChr.SL 39,851): „rerum signa sunt in sacramentis, ipsae res sunt in illa perfectione vitae aeternae.“ 161 Vgl. S. 49.

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ist. Darum kann Augustins Sakramentsdefinition von der sichtbaren Gestalt der unsichtbaren Gnade nur so verstanden werden, dass es sich dabei um das sichtbare Zeichen der unsichtbaren Gnade handelt. c) Augustin unterscheidet nach Oekolampad das Sakrament und die Kraft des Sakraments und stellt fest, dass nicht jeder, der das Sakrament empfängt, auch 163 die Kraft des Sakraments, die durch dasselbe bedeutet wird, empfängt. Wer aber dieser Kraft teilhaftig wird, dem gerät sie zum Leben und nicht zum Schaden. Nun zählt aber Augustin zur Kraft des Sakraments auch den Leib 164 des Herrn. Der Bischof selbst wehrt also einen unwürdigen Genuss des Lei165 bes Christi zum Gericht ab. Damit ist aber auch zugleich auf das Argument Luthers geantwortet, dass die altkirchlichen Väter vom heiligen Abendmahl wohl als dem Leib und Blut des Herrn oder dem Sakrament des Leibes und Blutes reden, nirgendwo aber die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi 166 im Sakrament verneinen. Eine solche Negation liegt für den Basler vor, wenn Augustin den Leib des Herrn ausdrücklich auf die Seite der Kraft des Sakraments stellt und nicht auf die des Zeichens. Vis und res sacramenti sind damit in der Nachfolge Augustins für Oekolampad ein und dasselbe. d) Entscheidende Bedeutung für das Sakramentsverständnis kommt aber den Ausführungen in „de doctrina christiana“ zu. „Es ist ein erbärmliche dienstbarkeit der selen, das man die zeichen haltet, und verstach für die ding die sie bedeuten, so man nit mag die augen des gemiets über 167 die leipliche creatur, zu schopfen das ewig liecht, erhebenn.“

162 Andere Billiche Antwurt i4b – Aug., doctr. chr. II,1 (CChr.SL 32,32). 163 Andere Billiche Antwurt i4b – Aug., Io. ev. tr. 26,11 (CChr.SL 36,265): „Nam et nos hodie accipimus visibilem cibum; sed aliud est sacramentum, aliud virtus sacramenti. Quam multi de altari accipiunt et moriuntur, et accipiendo moriuntur?“ 164 „Und über die Wort (Das ist das Brot / das vom Himmel gestiegen / auff das so jemand darvon isset / nit sterbe) spricht er / Diß brot das da gehöret zur krafft des Sacraments / nitt das da gehöret zu dem sichtbarlichen Sacrament... Sie schreyen allweg / wa da einer sey / dem die negativ, das ist / das nein / entpfal. Sehen sie es hie nit? das Christus das lebendig brot gehör zu der krafft des Sacraments / unnd Sacrament / und krafft des Sacraments seind zweyerlei. Wie würt dan der leib Christi da sein wesenlich im brot? Zum Sacrament gehöret allein das materlich brot / das durch das wort ist worden ein heilig zeichen. Wa ist hier auch die leipliche gegenwürtikeit?“Ander Billiche Antwurt ka – Aug., Io. ev. tr. 26,12 (CChr.SL 36,266,20f.). „Sed quod pertinet ad virtutem sacramenti, non quod pertinet ad visibile sacramentum.“ 165 „Darumb spricht er harnach / Unn eben das ding auff welches das sacrament deutet / kumpt einem jeden zum leben / vnnd keinem zum schaden / wer sein teilhafftig würt. Ist nit das klar gnüg / das keiner onwirdiklich den leib Christi essen mag…?“ Andere Billiche Antwurt ka – Aug., Io. ev. tr. 26,15 (CChr.SL 36,268,1–3). „Res vero ipsa cuius sacramentum est, omni homini ad vitam nulli ad exitium, quicumque eius particeps fuerit.“ 166 Vgl. S. 158. 167 Andere Billiche Antwurt kb – Aug., doctr. chr. III,5 (CChr.SL 32,83,16–19): „Ea demum est miserabilis animi servitus, signa pro rebus accipere; et supra creaturam corpoream, oculum mentis ad hauriendum aeternum lumen levare non posse.“

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Für den Basler geht es also darum, dass die Zeichen als solche erkannt werden müssen und nicht mit der Sache, auf die sie hinzeigen, verwechselt werden dürfen. Solche Verwechslung liegt vor, wenn man – dem Buchstaben nach – das Zeichen, das auf eine Sache hindeutet, für die Sache selbst hält oder meint, das Zeichen selbst enthalte die Kraft, auf die es hinweist. Ein derartiges Missverständnis ist nach Augustin eine erbärmliche Dienstbarkeit der Seele, ein fleischlicher Dienst am Buchstaben, dem die wahre Freiheit, die den eigentlichen Sinn 168 der Zeichen erfasst, gegenüber steht, und ein Seelenmord. Dabei ist dem Reformator nun entscheidend wichtig, dass in die Reihe der an dieser Stelle besprochenen Zeichen ausdrücklich auch die Sakramente des Neuen Testaments einge169 ordnet sind. Dasselbe, was über das Verständnis der Zeichen allgemein gesagt ist, gilt darum auch für sie. Sie können also nur recht verstanden werden, wenn man sie nach ihrer Art, Recht und Gebrauch – und das heißt als Zeichen und 170 Figur – auslegt. Schließlich weist Oekolampad noch auf Augustins Erläuterung des Sakramentstropus in der Epistel ad Bonifacium hin; dieses für ihn noch klarer redende 171 Zeugnis wird jedoch in anderem Zusammenhang dargestellt werden. Der Reformator glaubt, damit das Sakrament als Zeichen, dessen bezeichneter Gegenstand in ihm selbst nicht anwesend ist, genugsam bei Augustin erwiesen zu haben. Die angeführten Stellen sind klar genug, andere Aussagen des Kirchenvaters entsprechend zu verstehen, wie immer er sich auch ausdrücken mag. Und nicht nur das: Das gewonnene Augustinverständnis ist der Schlüssel 172 für Cyprian, Hieronymus, Origenes und andere Kirchenväter. 168 Andere Billiche Antwurt kb – Aug., doctr. chr. III,5 (CChr.SL 32,83,1–3): „Neque ulla mors animae congruentius appellatur, quam cum id etiam, quod in ea bestiis antecellit, hoc est, intelligentia carni subicitur sequendo litteram.“ 169 „Dann er dürr mit ausgetruckten worten sagt / und die Sacrament nennet mit den worten. Der Herr selbs / unnd die leer der apostel / hat uns geben ettlich wenig zeichen für vyle / die da gantz leicht seind zu bereiten / unnd nit weitbegrifftig zu verston / unnd die reinsten zu halten / als da ist das Sacrament des tauffs / unnd die hoch verkündung des leibes und bluts Christi / welche (Sacrament) ein yeder / wan er sie empfahet würt er gelert und erkennet wahin sie deuten / damitt er sie nit eere mitt fleischlichem dienst / aber vyl meer mitt geistlicher freyheit.“ Andere Billiche Antwurt kb – Aug., doctr. chr. III,9 (CChr.SL 32,86,14–20). „...Sed quaenem pauca pro multis eademque factu facillima et intellectu augustissima et observatione castissima ipsa dominus et apostolica tradidit disciplina, sicuti est baptismi sacramentum et celebratio corporis et sanguinis domini. Quae unusquisque cum percipit, quo referantur imbutus agnoscit, ut ea non carnali servitute, sed spiritali potius libertate veneretur.“ Man beachte die Übersetzung von celebratio mit „Hochverkündigung“. 170 „Man soll und muß von zeichen / Sacramenten / gemälden / parablen / außlegugen / die wort verstan / nach zeichen oder Sacramenten recht / figürlich / und nit schlecht die rede verßtand als von andern dingen / die da nit geredt werden zu bedeuten / welche schlecht on figur außzulegen seind. Dise regel ist gewiß / und ist von S. Augustein in den büchern von der Christlichen leer gewaltiklich beybracht …“ Andere Billiche Antwurt ca. 171 Vgl. S. 80. 172 „Auß solchen klaren orten solt man lernen / wie man S. Augustein verstan müsse / wa er andeßtwa von dem Sacrament redet / er nenne es gleich ein Sacrament des leibs / oder den leib Christi / oder Eucharistiam / das ist dancksagung / oder celebrationem corporis Christi / das ist

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Wir halten fest: Der Nachweis dafür, dass Augustin die res sacramenti nicht im sacramentum selbst enthalten sein lässt, wird von zwei Seiten aus erbracht: Einmal, indem Oekolampad bei Augustins Unterscheidung von Sache bzw. Kraft des Sakraments und dem Sakrament selbst einsetzt: Die res sacramenti befindet sich in der Vollkommenheit des ewigen Lebens und gereicht in jedem Fall dem, der ihrer teilhaftig wird, zum Heil. Damit ist eine Verbindung der res mit den Zeichen selbst ausgeschlossen. Ihre besondere Spitze hat diese Feststellung dabei noch darin, dass der Leib Christi bei Augustin zur Kraft des Sakraments und nicht zum Zeichen gestellt wird. Zum andern versteht Augustin nach Oekolampad das Abendmahl und damit den Sakramentsbegriff vom Zeichenbegriff her, der in einer Linie mit Gemälden und Parabeln steht und den misszuverstehen eine Krankheit und einen Seelenmord bedeutet. Mit dem Gesagten ist der Sakramentsbegriff noch einmal klar auf das eigentliche Zeichen, d.i. auf das Element, welches durch das Wort auf die eigentliche 173 Sache hinweist, beschränkt. Von da her verwundert es nicht, wenn die Kennzeichnung des heiligen Abendmahls als Sakrament in der alten Kirche dem Basler Beweis genug dafür ist, dass die Väter mit ihm in der Abendmahlslehre überein174 stimmen. Es kommt nur darauf an, das Sakrament Sakrament sein zu lassen und nicht mehr daraus zu machen. Tertullian In der Auseinandersetzung um Tertullian nimmt die Behandlung der schon in der genuina expositio ausgelegten figura-Stelle den breitesten Raum ein. Oekolampad kennzeichnet sie hier als eine Stelle, die an sich klar genug ist, von den 175 Widersachern aber mit Gewalt verdunkelt und auf ihren Irrtum getrieben wird. Zwei Argumente Luthers greift er zunächst auf. Das erste besagt, der Basler habe den klaren Satz „er machte das Brot zu seinem Leib“ übersprungen und mit dem unklaren, dunklen Wort figura, welches er nach seiner Meinung aufgefasst habe, 176 ausgelegt. Oekolampad antwortet darauf mit der schon im Antisyngramma die hochbreisung oder Verkündigung des leibs Christi / So will er nichts anders gesagt haben / dan wie er sich hie entschlossen hatt… Ja mitt dem würt gewaltig angezeigt / das nicht wider uns schaffen alle jr sprüch unnd red / die sie auß alten glaubwürdigen lerern uns fürwenden. Unnd dörfft zwar keiner antwort mehr / Dan so sie vom Sacrament reden / so sol man durch den namen des Herren leib / verston das heilig zeichen des Herren leibs. Also versteh Cyprianum / also auch Hieronymum / und Origenem etc .“ Andere Billiche Antwurt k2a. 173 „Zum Sacrament gehöret allein das materlich brot, das durch das wort ist worden ein heilig zeichen.“ Andere Billiche Antwurt ka. 174 Es genügt ihm selbst Luther gegenüber die Kennzeichnung des Abendmahls als Sakrament. „Dieweil aber er gewiß ist / das hier meldung des Sacraments beschieht / so findet sich die außlegung frey / das man die wort nach Sacrament recht außlegen nitt allein mög / ja man soll es auch thun / will man nitt jrren.“ Andere Billiche Antwurt c2a. 175 Andere Billiche Antwurt k3b/4a. 176 Vgl. S. 160f.

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vorgetragenen allgemeinen Erwägung: Es ist nicht üblich, klare und verständliche 177 Worte durch dunkle auszulegen. Tertullian erklärt den vorangegangenen Satz durch den Begriff figura, um damit ein Missverständnis zugunsten des markionitischen Scheinleibes auszuschließen. Der vorangegangene Satz ist also unklar und bedarf der Auslegung. Luthers anderes Argument bezog sich auf das Verständnis von figura, das nach lateinischem Sprachgebrauch nicht ein „fürbild“ oder „deutzeichen“, sondern die äußere Form und Gestalt meint. Hiergegen führt Oekolampad Tertullian selbst mit drei Stellen ins Feld, wobei er als entscheidenden hermeneutischen Gesichtspunkt nicht den allgemeinen lateinischen Sprachgebrauch, sondern den persönlichen, aus den entsprechenden Stellen zu erhebenden Gebrauch Tertullians gel178 tend macht: „Nun auff das du widerumb mögst erkennen in dem wein, das es ein alte figur des 179 bluts sey, so würt fürhanden sein Esaias etc.“

Diese Worte besagen, dass Tertullian figura im Sinne eines Bedeutzeichens im Alten Testament gebraucht hat. Der Ausdruck „widerumb mögst erkennen“ zeigt nun an, dass wir es im Abendmahl ebenfalls mit einer figura im Sinne von 180 Bedeutung zu tun haben. „Ja Christus hat auch als ein dürfftling der bettlerey seines schöpffers, in seinem eigenen sacramenten, nit außgeschlagen das brot, mit welchem er sein leib gegenbil181 det.“

Die Tatsache, dass Tertullian hier das Abendmahl ein Sakrament nennt, genügt, 182 es nach Sakramenten Art auszulegen. Damit ist dann auch der an sich dunkle 183 Ausdruck repraesentare recht verstanden. 177 Andere Billiche Antwurt k4a; dass die Einsetzungsworte dunkel sind, findet Oekolampad auch expressis verbis bei Augustin gesagt: „… Wie seind ja dan die wort so klar?… Item S. Augustin bekennet / wo ein kind die wort hörte / möcht es in ein fantasey kummen / Christus leib wer also gestalt gewesen wie das brot / Aber wir sollen es baß verston …“ Andere Billiche Antwurt b3a – Aug., trin. III,10 (CChr.SL 50,149). 178 Andere Billiche Antwurt la. 179 Andere Billiche Antwurt la – Tert., adv. Marc. IV,40,5 (CChr.SL 1,657,18–20): „Ut autem et sanguinis veterem figuram in vino recognoscas, aderit Esaias:...“ 180 „Muß es widerumb da erlernet sein / so ist es auch umb der bedeutung willen ein figur“. Andere Billiche Antwurt la. 181 Andere Billiche Antwort lb – Tert., adv. Marc. 1,14,3 (CChr.SL 1,455,19–23): „Sed ille quidem usque nunc nec aquam reprobavit creatoris,... nec panem, quo ipsum corpus suum repraesentat, etiam in sacramentis propriis egens mendicitatibus creatoris.“ 182 „Er nent hie sacrament, was darff es dan weiter redt so verstand man jn nach der sacrament außlegung art“. Andere Billiche Antwort lb. 183 „Un so er spricht repraesentavit / das ist hat gegenbildet / widerumb in die gedechtniß bracht. Welches wort S. Jeronymus sich auch gern in den sacramenten bracht. Wiewol aber auch repraesentatio ein wanckel wort ist / und ein hadderischer möcht sagen / es hieß den natürlichen leib wider gegenwürtig machen. Dem mag wol begegnet werden / das kein sacrament were / so es eben der leib selbs were.“ Andere Billiche Antwort lb.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad „Also hat Gott ein euwerem Evangelio (dz jr Marcioniter auch annemen) geoffenbart, da er nennet brot sein leib, auff dz du darauß merckest, das er die figur (Luther sagt gstalt) seines leibs dem brot geben hat, wie vorlangest der prophet den leib im brot gefiguriert hat, welche geheimniß der Herr selbst hat harnach sollen 184 außlegen.“

Hier lehrt Tertullian, dass der Leib Christi, auf den zuvor durch den Propheten mit dem Wort Brot hingewiesen wurde, nun im Abendmahl durch das sichtbare 185 Brot bedeutet wird. Diesen Sinn bekommt die ganze Stelle dadurch, dass es heißt, Christus habe die figura des Leibes dem Brot gegeben. Figura kann hier ja nur im Sinne von Zeichen oder Bedeutung verstanden werden, nicht aber als Gestalt. Denn das Brot hat ja nicht die Gestalt des Leibes nach Größe, Form, Farbe und anderen Qualitäten erhalten. Damit ist für Oekolampad erwiesen, dass der Begriff figura den Sinn Bedeutung, hinweisendes Zeichen hat. Neben der Klärung des Begriffs figura befasst sich Oekolampad ausführlich mit den beiden Schlussfolgerungen, die Tertullian an der verhandelten Grundstelle zieht. „Es hett keins leibs figur (Luther sagt gestalt) können sein, wa es kein rechter leib 186 were. Denn das jhene das ein gespenst ist, kön kein gestalt fassen.“

Maßgeblich zum Verständnis dieses Syllogismus ist für Oekolampad, ob Tertullian damit Marcion gegenüber erweist, das Christus in einem wahren, nicht in einem phantastischen Leibe gelitten habe. Dieser Beweis wird aber nicht erbracht, wenn der Leib Christi – wie Luther will – unsichtbar unter dem Brot 187 gegenwärtig sein soll. Weiterhin ergibt sich Luthers Meinung auch nicht aus den Worten Tertullians. Der Ausdruck, dass eine Gestalt bzw. figura ohne den wahren Leib nicht sein kann, zwingt nicht dazu, unter Gestalt eine äußere Form zu verstehen, die nicht ohne ein Etwas, dessen Form sie ist, bestehen kann. Der Sinn ist vielmehr, dass es eine Narrheit gewesen wäre, eine figura einzurichten, 188 ohne dass die Sache, auf die sie hinzeigen soll, vorhanden ist. Schließlich wäre es auch sehr unweise Marcion gegenüber gewesen, wenn Tertullian von dem unsichtbaren Leib im Abendmahl her den sichtbaren Leib Christi hätte erweisen 189 wollen. Die andere Schlussfolgerung bei Tertullian lautet: 184 Andere Billiche Antwort lb – Tert., adv. Marc. III,19,4 (CChr.SL 1,533,18–22): „Sic enim dominus in euangelio quoque vestro reuelauit, panem corpus suum appellans, ut et hinc iam eum intellegas corporis sui figuram pani dedisse, cuius retro corpus in panem prophetes figurauit, ipso domino hoc sacramentum postea interpretaturo.“ 185 Andere Billiche Antwurt lb. 186 Andere Billiche Antwurt l2a; vgl. S. 35. 187 „Das Christus under dem brot der massen sey / mag Marcion / der ein fantastischen leib setzet wol erleiden." Andere Billiche Antwurt l2b. 188 Andere Billiche Antwurt l3a. 189 Andere Billiche Antwurt l3a.

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„Oder hat er im das brot darumb zum leib gmacht, dz er kein waren leib hette, so 190 hette darauff gefolgt, dz er das brot für uns darhett sollen geben.“

Sie meint: würde man annehmen, dass der Leib Christi im Brot ist, dann wäre 191 auf Grund von Lukas und Paulus nicht ein wirklicher, sondern ein fantastischer Leib, ja nur Brot, am Kreuz geopfert worden. Das will Tertullian aber gerade vermeiden und sagen, dass Christus einen wahren Leib gehabt habe und nicht erst um der Kreuzigung willen einen solchen im Brot habe machen wollen. Die Einsetzungsworte sind darum so zu verstehen, wie wenn ein Töpfer, der selbst einen 192 Leib hat und sich eine Tonfigur seines Leibes macht , spricht: Das ist mein Leib. Nun hat das Brot freilich nicht die äußere Gestalt, Augen, Ohren, Gliedmaßen des Leibes Christi; wenn der Herr trotzdem dem Brot die Figur seines Leibes 193 gibt, so kann sich das nur auf die Bedeutung, die es bekommt, beziehen. Wir halten fest: Oekolampad sichert sein Verständnis von figura als „Deutzeichen“ an Hand des Sprachgebrauchs, der sich im weiteren Kontext der verhandelten Stelle findet. Darnach ist es ein Ausdruck für ein alttestamentliches Zeichen, das auf neutestamentliche Sachverhalte hinweist. Sodann redet Tertullian vom Abendmahl als Sakrament. Auch würden die Schlussfolgerungen Tertullians bei einem anderen als hinweisenden Verständnis das Argumentationsziel des Kirchenvaters gegen Marcion nicht erreichen. Abgesehen von dem Rückgriff auf den Sprachgebrauch und dem Hinweis auf sacramentum ist damit im Vergleich zur Auslegung in der genuina expositio nichts wesentlich Neues hinzugetreten. Oekolampad verzichtet jedoch auf den eingehenden Nachweis absurder Konsequenzen, freilich ohne dessen Gültigkeit damit anzutasten. Irenäus In der genuina expositio war Oekolampad in apologetischem Sinn ausführlich auf Irenäus eingegangen, nicht aber im Sinne eines klaren Zeugnisses, auf das er sich gegen die Väterauslegung der Gegner stützt. In der anderen billigen Antwort, ist 194 das anders. Hier lehrt das nachfolgende Zitat, welcher Art die Testamente sind. „gleichwie das brot, so auß der erden kumpt, wan es überkompt die benamsung Gots, so ist es nit meer gmein leyisch brot, sonder ein Eucharisti, oder ein Sacrament, welches auß zweyen dingen würt, auß einem jrdischen, unn auß einem 195 himlischen.“ 190 Andere Billiche Antwurt l3b; vgl. S. 36. 191 „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“. Lk 22,19. 192 „Figura kumpt von Fingere / dz da heyßt machen wie die haffner.“ Andere Billiche Antwurt l4a. 193 Andere Billiche Antwurt l3b. 194 „Mit disen worten sagt Ireneus uns die art der sacramenten / wie sie geschicht sollen sein / unn tzwar ganz nit bewert / dz der leib Christi wesenlich im brot sey.“ Andere Billiche Antwurt m2a. 195 Andere Billiche Antwurt m2a – Iren., haer. IV,18 (SC 100,596ff.).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad

Der Basler findet hier gesagt, wie eine Eucharistia oder Sakrament entsteht: Zu dem Brot, das auf natürliche Weise aus den Früchten der Erde hergestellt ist, tritt die „Benamsung“ Gottes hinzu, nämlich der Satz „Das ist mein Leib“. Mit 196 ihm wird dem Brot ein neuer Name gegeben. Die beiden Dinge, aus denen das Sakrament nunmehr besteht, sind das irdische Brot und die Danksagung, die da nicht ohne die Einsetzungsworte Christi ist, in denen die Wohltat Christi ver197 kündigt wird. Das irdische Brot ist also nicht mehr ein „gemein“, d.i. einfaches Brot wie anderes auch, sondern es ist ein Brot, das den Namen des Leibes Christi 198 empfangen hat und so ein Sakrament und heiliges Zeichen geworden ist. Was den sachlichen Gehalt der vorliegenden Ausführungen betrifft, so ist der Basler 199 überzeugt, dass er sich genau mit Ausführungen des Irenäus an anderer Stelle und mit Augustins bekannter Sakramentsdefinition „Accedat verbum ad elementum et fit sacramentum“ deckt. Dem elementum Augustins entspricht das „irdi200 sche ding“ des Irenäus, dem verbum Augustins das „himmlische ding“. Veranlasst durch Luther legt Oekolampad noch auf drei Punkte in den Worten des Irenäus besonderes Gewicht. Er entfaltet, was in dem angeführten Zitat das Adjektiv „himmlich“ heißt, wobei er sich nicht auf Irenäus, sondern auf den neutestamentlichen und allgemein christlichen Sprachgebrauch beruft. Wieso darf man die Danksagung der Christen nicht ein himmlisch Ding nennen, wenn in der Schrift die christliche Kirche das Himmelreich genannt wird und die Heiligen himmlisch sind? Dabei geht es doch gerade um des Herrn Worte, ja recht 201 himmlische Worte, die in der Danksagung ausgesprochen werden! Der andere Punkt ist die Bedeutung von „Nennen“. Auch hier entwickelt Oekolampad den Begriff nicht aus dem Sprachgebrauch des Irenäus, sondern – offenkundig durch Luthers Argumentation veranlasst – aus dem biblischen Sprachgebrauch. Dieser unterscheidet nämlich das Nennen oder Rufen Gottes insofern, als er einerseits – im gebietenden Wort – das Schöpferwirken des all-

196 „Wie würd ein eucharistia oder sacrament? also / es ist brot / dz ist auß der erden / zu dem kumpt die benamsung Gottes / dz ist / so es in der dancksagung genannt würt / wie es Got genant hat / dz es sein leib sey.“ Andere Billiche Antwurt m2a. Vgl. auch: „Aber schlecht gibt Gott brot den nammen / Das ist mein leib. Da entpfahet brot den nammen / das ist der leib Christi / dan es bedeutet jn.“ Andere Billiche Antwurt m4a. 197 „Also würt es auß zweyen dingen / auß einem jrdischen / namlich auß dem brot / unnd auß einem himlischen / namlich auß der dancksagung / die da nitt on das wort / das uns die gutthat Christi meldet.“ Andere Billiche Antwurt m2a/b. 198 „Da bleibet brot brot / und entpfahet das wort und den namen / das es ein Sacrament werde.“ Andere Billiche Antwurt m4a. 199 „Wan nun der gemischet kelch / unnd das gemacht brot das wort Gottes überkommet / so würt die Eucharistia leibs und bluts / das ist ein sacrament.“ Andere Billiche Antwurt m2b – Iren., haer. V,2,3 (SC 153,34ff.). 200 Andere Billiche Antwurt m2b. 201 Andere Billiche Antwurt m3a.

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mächtigen Gottes einbezieht, andererseits aber Gottes Werke nur kundtut und 202 benennt. Um letzteres geht es bei den Einsetzungsworten. Drittens geht es um den Ausdruck des Irenäus, im Abendmahl sei kein „gemein Brot“. Dazu meint der Basler, es sei genug, um den Unterschied gegenüber dem gewöhnlichen Brot zu rechtfertigen, wenn das Abendmahlsbrot mit herrlichen Zeremonien zu höheren Dingen verordnet ist. Er beruft sich dabei auf die heilige Schrift, die alles, was unrein ist, „gemein“ nennt, was aber durch das Wort Gottes uns befohlen und im Gebet angenommen ist, das erklärt sie für rein 203 und nicht „gemein“. Wir halten fest: Oekolampad versteht das Irenäus-Wort so, dass die beiden Bestandteile des Sakraments das Wort und das irdische Element sind, indes die überlieferte Auffassung mit dem himmlischen Ding den Leib Christi, dem irdischen das Brot meinte. Dabei sei noch bemerkt, dass Oekolampad den himmlischen Teil des Sakraments einmal als die „Benamsung“, ein andermal als die Danksagung bezeichnet. Letzteres geschieht in vorliegendem Zusammenhang zwar immer so, dass dabei die Einsetzungsworte besonders hervorgehoben werden, doch ist zu erkennen, dass die Danksagung umfassender ist als die bloße „Benamsung“. Sie begreift offenkundig den gesamten Wortteil des Sakraments in sich, als dessen Zentrum die Einsetzungsworte und die damit gegebene Ver204 kündigung anzusehen sind. Oekolampad kennt also neben dem schon festgehaltenen Begriff der Danksagung (eucharistia) als Ausdruck für die gesamte Sak205 ramentshandlung auch diesen engeren Gebrauch des Worts. 3.2.4 Über Luthers Bekenntnis Hinsichtlich des Sakramentsbegriffs ist in dieser Schrift nichts Neues in der Väterargumentation festzustellen. Der Basler bestätigt das auch selbst gegenüber der 206 genuina expositio. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Augustin definiert er, „… das Sacrament heyß ein zeichen eins heiligen dings, also das bey einer sichtbarlichen materi etwas unsichtbarlichs daneben verstanden werde…: so wirt das wesen ein bedeutlich wesen sein, dz die materi annimpt, dieweil es durch das 207 Wort tregt ein neüwe bedeutnuß.“ Lediglich in der Auseinandersetzung um Tertullians figura wird ein neues Moment sichtbar. Oekolampad weist darauf hin, dass Tertullian den Begriff der figura mit dem des sacramentum austauschen 202 Andere Billiche Antwurt m3b. 203 Andere Billiche Antwurt m3a. 204 Vgl, S. 64 Anm. 197. 205 Vgl. S. 38. 206 „Und ist eben das ich zu anfang gsagt hab in der ersten außteilung.“ Über Luthers Bekenntnis s5a. 207 Diese Bezugnahme liegt nicht nur in dem angeführten Zitat vor, auf das Oekolampad sogleich zu sprechen kommt („Dann kumpt das wort zum Element, so wirt es ein sacrament“) s4b, sondern auch in der Definition des Zeichens, die auf Aug., doctr. chr. II,1 zurückgeht.

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kann und schließt damit das Missverständnis aus, als ob figura hier als grammatikalische Bezeichnung für ein übertragenes Wort gemeint sei. Figura bleibt der die ganze Stelle auslegende klare Begriff. 3.2.5 Dialogus Der Nachweis des altkirchlichen Sakramentsbegriffs erfährt im Dialogus eine starke Akzentverschiebung. Sie ist durch den Dissensus, wie ihn Oekolampad in der Auseinandersetzung mit Melanchthon bestimmt, bedingt: Nicht die praesen209 tia des Leibes Christi, sondern der modus praesentiae sei strittig. Das sieht nach einer Sinnesänderung Oekolampads aus, der ja in den früheren Schriften vom Sakrament geschrieben hatte, dass es ein Zeichen eines abwesenden Dings sei. Sachlich aber meint der Basler – die Ausführungen dieses Abschnitts werden es zeigen – nichts anderes als früher. Da nun mit der Weise der Gegenwart des Leibes Christi die Art seiner Nießung unablöslich zusammen hängt, so ist es verständlich, dass der Reformator im Dialogus vor allem aufzeigt, wie die Väter die Nießung des Sakraments verstanden haben. Damit ist dann auch der Modus der Gegenwart des Leibes Christi bestimmt. Das Gesagte bedeutet nicht, dass die bisherigen Argumente zum Sakramentsverständnis der Väter aufgegeben werden. Oekolampad beruft sich weiterhin 210 211 darauf, dass die Väter von der mystica mensa , dem antitypon , dem typos 212 sanguinis reden und gerade dort den Ausdruck sacramentum corporis gebrau213 chen, wo man vom Fleisch und Blut Christi selbst hätte reden müssen. Desgleichen bezieht er sich auf die den Sakramentsbegriff eingrenzenden absurden 214 Schlussfolgerungen, die er in der genuina expositio von den Vätern hergeleitet hatte. Aufs Ganze ist aber im Dialogus die manducatio spiritualis das eine der

208 Über Luthers Bekenntnis rb/2a. 209 „… quod est caput dissensionum? Ex dictis enim liquet utrinque in confesso esse, adesse Christum in coena, manducarique carnem et sanguinem eius. OEC. Dissidium magis est de modo praesentiae vel absentiae, quam de ipsa praesentia vel absentia. Nemo enim tam obtusus est, qui asserat omnibus modis, adesse vel abesse Christi corpus.“ Dialogus ea/b Diese Kennzeichnung des Dissensus ist sachlich unzutreffend. Wenn Melanchthon behauptet hatte, „Vos absentis Christi corpus, tanquam in tragoedia representari contenditis” (Dialogus a7b), so ging es ihm darum, dass der Leib Christi ganz unabhängig vom Geist und Glauben des Empfangenden im Sakrament da sei. Der Basler dagegen weitet den Begriff der praesentia corporis Christi derart aus, dass er auch eine solche darunter begreift, die nur im Geist und Glauben besteht. Dadurch kann er – im Interesse, den Dissensus als möglichst klein hinzustellen – nur von einer Verschiedenheit im modus praesentiae reden. 210 Dialogus e5a. 211 Dialogus e8a. 212 Dialogus e3b. 213 Dialogus e4a. 214 Dialogus g3a.

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beiden hervorragenden Fundamente, von denen her besonders der Charakter des Abendmahls und damit der Sakramentsbegriff bestimmt werden. Angesichts des Vorwurfs Melanchthons, er lehre ein nacktes Zeichen, hat Oekolampad in dieser Schrift die schon in der genuina expositio zur Interpretation des Sakramentsbegriffs gebrauchte Argumentation von der geistlichen Nießung her ausge216 baut und vertieft. Welches ist nun die Auffassung der Väter von der manducatio spiritualis und damit vom Wesen des Sakraments? Was die Konzilien betrifft, so findet Oekolampad Entscheidendes in den Verlautbarungen der Nicänischen Kirchenversammlung gesagt. „Baptisma nostrum non sensibilibus oculis, sed mentalibus considerandum est. Aquam vides? Considera divinam vim quae in aquis latet. Nos enim spiritu sancto et igni baptizari tradunt sacra eloquia. Nam in fide eius qui baptizat, et eius qui baptizatur per sanctam invocationem plenas sanctificatione spiritus, et divini ignis, cogita aquas. Ipse enim, inquit baptizabit in spiritu sancto et igni. Itaque descendit quidem is qui baptizatur, peccatis obnoxius, et corruptionis servitute detentus, ascendit autem ab ea servitute et peccatis liber, filius dei et haeres gratia dei factus, cohaeres autem Christi, ipsum indutus Christum sicut scriptum est, Quotqout 217 baptizati estis in Christum, Christum induti estis.“

Aus diesen Ausführungen über die Taufe erhellt für den Basler das Wesen der 218 Sakramente: Zwei Dinge, die vom Menschen auf verschiedene Weise aufgenommen werden, werden eins im Wort: das sichtbare Wasser als signum, das durch die äußeren Sinne wahrgenommen wird, und die unsichtbare Kraft Gottes als significatum, die durch den Glauben empfangen wird. Beide trägt das Wort vor. Doch ist das Einswerden nicht so zu verstehen, als ob das Wasser einerseits und die Kraft Gottes oder gar der heilige Geist andererseits selbst miteinander verbunden sind – dies wäre eine substantialis vel personalis unio duarum naturarum – sondern das eine Wort ist es, durch welches beide – das eine zu Dienst der Sinne, das andere zu Dienst des Geists – in eins begriffen sind. Dass es sich hierbei tatsächlich nur um eine verbale Zusammenfassung, nicht aber um eine reale Verbindung beider Bestandteile des Sakraments handelt, zeigen die einschränkenden und verdeutlichenden Erläuterungen Oekolampads. Wasser ist unbeseelt 215 Das andere Fundament ist die leibliche Himmelfahrt: „Eapropter si veteres audire non dedignati essent, et illum iure non respuissent, ponentem vestra duo illa praecipua fundamenta, nempe spiritualem manducationem, et corporis ascensionem non pati coenam qualem illi volunt.“ Dialogus e7b. 216 „Item non dicimus panem hunc nudum quidem signum in coena, sed efficax quodammodo, operante spiritu sancto in fidelium coetu …“ Dialogus d8b. 217 Dialogus fb/2a; das Zitat findet sich im Gelasii Cyziceni Commentarius Actorum Concilii Nicaeni Liber Secundus, caput 30. Vgl. Sacrorum Conciliorum Nova et Amplissima Collectio ed. Joannes Dominicus Mansi Bd 2 (1759) Florenz, Sp. 887. 218 „Vides hic in baptismo sacramentorum rationem? Ex duobus enim quae vario modo accipiuntur, unum efficitur …“ Dialogus f2a/b.

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und entbehrt des Verstandes, darum kann es den Geist und die Gnade Gottes 219 nicht fassen. Das sakramentliche Zeichen ist mit dem Ehering zu vergleichen, der auch nicht fähig ist, den Ehebund in sich selbst aufzunehmen, sondern das eheliche Band im Glauben der Brautleute und durch das gegenseitige Verspre220 chen innehat. Die äußeren Augen sehen nichts als den Ring, die inneren das Band der Ehe. Sind so das äußere Zeichen und die Kraft des Sakraments voneinander getrennt, so sind sie doch beide vorhanden, jedenfalls dort, wo das Zeichen im rechten Glauben gebraucht wird. Oekolampads Hauptstütze für diese Interpretation ist der Satz „In fide eius, qui baptizat et eius qui baptizatur per sanctam invocationem plenas sanctificatione Spiritus, et divini ignis, cogita aquas.“ Hier wird ihm klar ausgesagt, dass nur 221 der Glaube, nicht das Wasser, den heiligen Geist aufnehmen kann. Was vom Sakrament der Taufe gilt, gilt nun auch in strenger Parallelität für das Abendmahl. Der Reformator sieht diese Parallelität, die das rechte Verständnis des nachfolgenden Zitats bestimmt, in den Anfangsworten „etiam hic“ ver222 ankert. „Iterum etiam hic in divina mensa, ne humiliter intenti simus ad propositum panem et poculum, sed exaltata mente, fide consideremus situm esse in sancta illa mensa agnum dei tollentem peccatum mundi, qui non victimarum more a sacerdotibus sacrificatur, et nos vere preciosum illius corpus et sanguinem sumentes credere, haec esse nostrae resurrectionis symbola. Nam propter hoc neque multum accipimus, sed 223 parum, ut sciamus quod haec non satietati sed sanctimoniae serviant.“

Auch hier darf man nicht auf das äußere Zeichen, Brot und Wein, schauen, sondern muss mit dem geistigen Auge das Lamm, welches der Welt Sünde trägt und 224 nun auf dem Altar liegt, betrachten. Wie die Kraft Gottes im Wasser ist – nämlich nur im Glauben, für das geistige Auge, nicht aber in einer wirklichen Verbindung, so ist das Lamm auch auf dem Altar. Der für dieses Verständnis ent225 scheidende Ausdruck ist „ne humiliter intenti simus“. Der Basler erläutert 219 Dialogus f2b. 220 Die vage Formulierung dieses Vergleiches kommt daher, dass Oekolampad das Satzschema des von ihm zitierten Textes ganz übernommen hat. Vgl. „… in fide eius qui baptizat, et eius qui baptizatur per sanctam invocationem plenas sanctificatione spiritus, et divini ignis, cogita aquas. “ mit „in fide sponsi et sponsae, per mutuam promissionem cogita annulum coniugalis foederis indissolubile vinculum possidere.“ Dergleichen Anpassungen an die Redeweise der Väter erklären die bei Oekolampad oft anzutreffenden, eine wirkliche Realpräsenz scheinbar aussagenden Formulierungen. Was er wirklich meint, ergibt sich aus den Alternativen, die er aufstellt und aus den Stellen, wo er in seiner eigenen Diktion redet. 221 „Ad fidem respiciendum erit, si spiritus sancti vasculum inquiris.“ Dialogus f2b. 222 Dialogus f4a. 223 Dialogus f4a; vgl. S. 67 Anm. 217. 224 „Vides hic panem et vinum proponis, cave ne ad illa spectes, mentalibus tibi oculis opus est, sicutque alibi fide consideras agnum tollentem peccata mundi, mensae superimpositum.“ Dialogus f4a. 225 „Signanter dicit, ne humiliter intendamus.“ Dialogus f4a.

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humiliter intendere als „nach den Sinnen urteilen“, „nicht weiter schauen, als was vor Augen ist“. Das ist es aber gerade, was die Kapernaiten und Semikapernaiten tun. Erstere wollten, dass das Fleisch Christi den Sinnen vorgelegt werde und glaubten, es müsse auf die auch sonst übliche Weise gegessen werden. Letztere wissen zwar, dass es sich nicht so verhält, doch wollen sie den Leib Christi – wenn auch auf unsichtbare Weise – den Sinnen nicht minder leiblich zu essen 226 geben. Oekolampad versteht also unter dem „humiliter intendere“ eine jegliche Haltung, die in den äußeren Zeichen den Leib Christi als für die Sinne vorhanden bekennt, gleich ob er von ihnen erfasst werden kann oder nicht. Ihr gegenüber steht die rechte Haltung zum Sakrament, die in den Worten exaltata mente fide consideremus … ausgesprochen wird. Das bedeutet: Was den Sinnen in keiner Weise zugänglich und auch in der Tat weitab, von ihnen entfernt ist, das ergreift der Geist, der höher hinauf fährt. Die Sinne sind dem zugewandt, was ihnen zeitlich und räumlich und der Bewegung nach gegenwärtig ist, sie haben aber nichts mit dem zu tun, was vergangen ist – wie der Tod und die Auferstehung des Herrn – oder zukünftig – wie unsere Auferstehung und Verherrlichung. Das alles wird im Sakrament auch nicht ihnen vorgelegt, sondern dem Geist. Der Geist ergreift, was vergangen und dem Raume nach entfernt ist und was zukünftig geschehen wird. Ihm ist darum – hier steigert Oekolampad bezeichnenderweise die Aussage des Konzilstexts – nicht nur das Lamm gegen227 wärtig, sondern eben das Lamm, welches getötet wird und aufersteht. Dem Geist ist also nicht nur eine Person oder ein Gegenstand, sondern auch ein Geschehen gegenwärtig. Den Sinnen aber, und d. h. räumlich und zeitlich, ist weder der Leib Christi, noch sein Leiden, Sterben und Auferstehen, noch unsere Auferstehung und Verherrlichung gegenwärtig, sondern nur das Sakrament. Anders gesagt: Die res sacramenti ergreift der Geist des Menschen, das sacramentum der Mund. Die rechte Haltung dem Sakrament gegenüber ist nun das, was dem Geist dargeboten wird, mit dem Geist zu erfassen und das äußere Zeichen allein als Hilfsmittel dazu zu gebrauchen. Eben damit ist auch gesagt, was es heißt, das Sakrament im Glauben zu empfangen. Zweifellos leuchten in dieser Interpretation Oekolampads Grundstrukturen über das Verhältnis der Sensibilia zu den Intelligibilia auf. Brot, Wein, der Leib 226 Dialogus f4b. 227 „Oculi autem mentis praesentem habent etiam sensibus maxime absentem. Mens enim altius evehitur. Quid ad sensus nostros his quae in tempore, in motu, et in loco praesentia sunt, addictos pertinent ea quae olim praeterierunt, etiam non sunt, ut quod Christus passus est, et quod Christus resurrexit? Quid nunc ad sensus ea quae post multa tempora futura sunt, ut quod resurgemus, et Christi claritati configurabimur? Nihil horum sensus nunc capit, et tamen in sacramento haec assunt, sed propterea sensus non decipitur quia nihil ei proponitur. At mens apprehendit quae olim facta, et quae futura, et quae loco absunt, tamquam futura, dum vel, in signo proponuntur; et siquidem spiritus sanctus sua operatione assit, etiam maximorum donorum capax fit, non solum mens, sed et caro nostra per fidem mentis.“ Dialogus f4b.

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Christi, sein Sterben und Auferstehen, auch unsere künftige Auferstehung und Verherrlichung gehören zu den sensibilia. Sie sind Gegenstände oder Geschehnisse, die wesentlich durch Raum, Bewegung und Zeit bestimmt sind und mit leiblichen Augen an jeweils ihrem Ort und ihrer Zeit wahrgenommen werden können. Außerhalb ihres Orts und ihrer Zeit sind sie weder in einer den Sinnen 228 fassbaren noch unfassbaren Weise dem Betrachter gegenwärtig. Da ist es also allein der Geist des Menschen, der sie ergreift und so vergegenwärtigt. Wenn Oekolampad dabei sagen kann, dass die vergangenen und zukünftigen Geschehnisse „in signo proponuntur“, oder „in sacramento assunt“ so wird gerade daran, dass es sich um vergangene oder zukünftige Geschehnisse handelt und nicht allein um den Leib Christi, deutlich, dass der Ausdruck in sacramento adesse keineswegs ein reales Gegenwärtigsein des Geschehens oder der Sache selbst meint, sondern nur dies, dass das Sakrament darauf hinweist. Denn die Geschehnisse wiederholen sich ja nicht – weder real noch geistig, sondern sind nur insofern gegenwärtig, als der Geist des Menschen auf Anregung der Zeichen hin 229 höher hinauffährt und sie sozusagen mit seinen inneren Augen betrachtet. Dass der Basler diesen Sachverhalt mit dem Ausdruck ,in sacramento adesse, bezeichnen kann, hängt mit seinem Verständnis tropischer Redeweise zusammen, von 230 der im nächsten Teil die Rede sein soll. „Nec humiliter intenti“ und „mente exaltata“ – mit diesen beiden Ausdrücken glaubt Oekolampad die Meinung des Nizänischen Konzils zur Realpräsenz in seinem Sinne erwiesen zu haben. Er erläutert und stützt sie durch eine Anzahl weiterer Zitate aus verschiedenen Kirchenvätern. Immer wenn die Väter davon reden, dass im Abendmahl nichts Fleischliches oder Sinnliches vorgelegt werde, sondern die Abendmahlsgabe geistlich bzw. mit geistigem Auge erfasst werden müsse, versteht er es im Sinne seines Verhältnisses von sensibilia zu intelligibilia. Das trifft sowohl auf Chrysostomos zu, der sich angesichts des Widerspruchs zwischen dem, was vor Augen liegt und dem, was in den Einsetzungsworten gesagt ist, gegen die Vernunft und für das untrügliche Wort des Herrn entschei231 det, als auch auf den Areopagiten, der davon spricht, dass wir Menschen nicht anders als mit Hilfe von irdischen und sichtbaren Wirklichkeiten zur Betrachtung 232 der göttlichen geführt werden, als auch auf Augustin, der dazu auffordert, die 228 Vgl. S. 85ff. 229 Vgl. die Fortsetzung des auf S. 69 Anm. 227 gegebenen Zitates: „… dum sensu menti servit et symbolo foris admonetur. Igitur menti non solum agnus praesens, sed is agnus, qui pro peccatis mundi occiditur, et qui resurgit, quamvis olim accisus sit a Iudaeis: illum oculis contemplamus, et nunc sinit nostra mortalitas, et contemplando ac credendo mens accipit et manducat, fideque panem ac vinum cognoscit nostrae resurrectionis signa …“ Dialogus f4b. 230 Vgl, auch S. 53 Anm. 145. Oekolampad kann in diesem Sinne auch von einem Essen des Leibes Christi „sub sacramento panis“ reden. Vgl. S. 45 Anm. 111. 231 Dialogus f6a/b; vgl auch S. 77. 232 Dialogus f7a „... Nos vero sensibilibus imaginibus ad divinas, quantum poßibile est, subuehimur considerationes.“ Oekolampad übersetzt aus Dionysius Areopagita, De Ecclesiastica Hierarchia I,2 (PG 3,373f.).

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Sakramente nicht in fleischlicher Knechtschaft, sondern geistlicher Freiheit zu 233 verehren und die Zeichen nicht für die Sachen selbst zu nehmen. Alle diese Äußerungen liegen für Oekolampad in ein und derselben Richtung, nämlich des aufgezeigten Verhältnisses von sensibilia und intelligibilia. Es ist verständlich, dass bei einer solchen Sicht der Nachweis, dass die Väter das Abendmahl intelligibiliter aufgefasst wissen wollten, schon genügt, das Fehlen der Realpräsenz in der alten Kirche festzustellen. Zwei Punkte seien noch festgehalten, in denen Oekolampad das soeben Vorgetragene e silentio vertieft: Wenn Augustin hinsichtlich des Worts: „Es sei denn, dass ihr das Fleisch des Menschensohnes esst, so habt ihr nicht das Leben in euch“ ein bildliches Verständnis fordert, weil sonst ein Verbrechen oder eine schändliche Tat damit geboten wäre, so wird daran deutlich, dass er nur jene geistliche Nießung des Fleischs Christi kannte. Er hätte sonst hinzugefügt, dass es eine Weise gebe, in der das Fleisch Christi leiblich, doch ohne Grausamkeit 234 und Schändlichkeit genossen werde. Und Hesychius macht ganz klar, wie viel zu erkennen und zu wissen nötig ist, nämlich die vollkommene Menschheit und 235 die vollkommene Gottheit Christi, die im Leiden für uns verbunden sind – nicht mehr. Damit ist für den Basler klar genug gezeigt, wie nach dem Nizänischen Konzil der Leib und das Blut Christi wahrhaftiglich empfangen und nicht empfangen 236 werden. Die Entscheidung dieses Konzils ist ihm grundlegend für die späteren Konzile, sie wurde auch von den Kirchenvätern respektiert. Zwar geht der Basler auf die spätere Konzils- und Dogmengeschichte unter dem Gesichtspunkt des Abfalls vom wahren Sakramentsverständnis noch ausführlicher ein, es treten aber 237 keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte auf. Ein weiterer Hauptteil des Dialogus befasst sich damit, die von Melanchthon in seinem Brief an Myconius vorgelegten Väterzitate zu widerlegen. Welcher Methoden er sich da im Einzelnen bedienen kann, wird später aufgezeigt wer233 Dialogus f8a/b; Oekolampad zitiert u. a. aus Aug., doctr. chr. III,9; ein wesentliches Stück dieses Zitates findet sich S. 59 Anm. 169, die Fortsetzung nach dem Dialogus lautet: „Ut autem literam sequi et signa pro rebus quae his significantur , accipere, servilis infirmatis est: ita inutiliter signa interpretari, male vagantis erroris est.“ 234 Dialogus f8b zu Aug. doctr. chr. III,16. 235 Dialogus g5b „Et iterum ut nugis praecludatur fenestra, quantum intelligere, scineque oporteat, monstratur, nempe perfectam humanitatem, et perfectam divinitatem convenientem in ea quam circa nos habet compassionem.“ Oekolampad bezieht sich dabei auf Hesychius, comm. Lev. VI,23 (PG 93,1085). - Hesychius von Jerusalem, gestorben nach 450, war ein bedeutender Exeget alexandrinisch-allegorisierender Richtung. 236 „Ostensum enim est, quomodo in symbolo vere sumatur, vel etiam non sumatur corpus et sanguis.“ Dialogus g5b. 237 „Poterat vel quod de Niceno concilio propositum sufficere“ Dialogus k2a – Aus Raumgründen mußte auf diesen Überblick, der sich im Dialogus fa bis k2a findet, verzichtet werden. Oekolampad hat sich besonders deshalb den Konzilien gewidmet, weil Melanchthon geäußert hatte: „Ego veterum synodorum autoritatem libenter sequor… video eas prudentissime et sanctissime iudicasse.“ Dialogus c2a.

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den, hier ist nur von Wichtigkeit, dass er öfters die verschiedenen Zitate eines Kirchenvaters zusammenstellt und von einem einzigen her interpretiert, das – weil es ganz klar ist – die Rolle eines hermeneutischen Schlüssels zum Verständnis der anderen einnimmt. Diese Zitate sollen hier, soweit sie für den Sakramentsbegriff von Bedeutung sind, noch aufgewiesen werden: Chrysostomos „Si enim vasa sanctificata ad privatos usus transferre peccatum est ac periculum, sicut docet nos Balthasar, qui bibens in calicibus sacratis, de regno depositus est et de vita. Si ergo haec vasa sanctificata ad privatos usus transferre sic periculosum est, IN QUIBUS NON EST VERUM CORPUS CHRISTI, SED MYSTERIUM CORPORIS CHRISTI CONTINETUR: quanto magis vasa corporis nostri, quae sibi deus ad habitaculum praeparavit non debemus in illis dare locum diabolo 238 agendi quod vult.“

Diese Stelle ist für Oekolampad überaus klar gegenüber allem anderen, das Chrysostomos gesagt hat, und lässt den von ihm an vielen Stellen gebrauchten rhetorischen und mit Allegorien geschmückten Redestil recht verstehen. Sie wird nicht weiter interpretiert, nur dass die Worte, in denen die Negation des wahren Leibes und die Position des Zeichens des Leibes Christi ausgedrückt werden, in großen Lettern gedruckt sind. Dazu wird noch festgehalten, dass es sich um die heiligen Gefäße der Christenheit und nicht etwa des Alten Bundes handelt. Cyprian „Dedit itaque dominus noster in mensa, in qua ultimum cum apostolis participavit convivium, propriis manibus panem et vinum, in cruce vero manibus militum corpus tradidit vulnerandum, ut in apostolis secretius impressa, syncera veritas et vera synceritas, exponeret gentibus quomodo vinum et panis caro esset et sanguis, et quibus rationibus causae effectibus convenirent, et diversa nomina vel species ad unam reducerentur essentiam, et significantia et significata iisdem vocabulis cen239 serentur.“

Auch hier erfolgt keine Interpretation, da die Stelle aus sich selbst klar genug sei, um von da her alle Aussagen Cyprians zu verstehen. 238 Dialogus l4a, Opus Imperfectum Hom. 11. Dieses unechte Werk ist beigebunden der Editio Commeliniana, Heidelberg 1602; „Sancti Patris nostri Joannis Chrysostomi… Expositio in Evangelium secundum Matthaeum… Accedit Commentarius mere Latinus in Matthaeum, vulgo attributus eidem D. Chrysostomo.“ Field bemerkt dazu in der Einleitung PG 57, S. II: „Commentarius autem mere Latinus is est, qui vulgo Chrysostomi ‚Opus imperfectum in Matthaeum’ nuncupatur, de quo praeter alios egit Millius, Prolegom. Num. 1037.“ 239 Dialogus m2b – der „Sermo De Unctione Chrysmatis“ gehört ebenso wie „De Coena Domini“ zu den unechten „Sermones de Cardinalibus Operibus Christi“. Das Zitat Oekolampads findet sich in der Ausgabe des Jacobus Pamelius 1617 Bd 3 S. 278a.

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Ambrosius „Quia enim morte domini liberati sumus, huius rei memores in edendo et po240 tando, carnem et sanguinem quae pro nobis oblata sunt SIGNIFICAMUS.“

Das Gewicht dieser ganzen Aussage liegt für Oekolampad auf dem significamus, wie das auch die großen Lettern im Druck anzeigen. Versuchen wir nun, im Sinne des Reformators zu kennzeichnen, auf welche Weise in diesen Worten der Sakramentsbegriff zum Ausdruck kommt: 1) Es wird klar ausgedrückt, dass im Sakrament nicht der wahre Leib und Blut des Herrn ist, sondern nur das mysterium. Durch diese Gegenüberstellung bekommt der Begriff mysterium seine klare Bedeutung als Zeichen, in dem das Bezeichnete selbst nicht enthalten ist. 2) Im Abendmahl hat Christus Brot und Wein gereicht, am Kreuz seinen Leib und Blut. Das ist die grundlegende Tatsache, die zu beachten ist, wenn man die mancherlei Fragen hinsichtlich des Sakraments beantworten will: wie nämlich Wein und Brot der Leib und das Blut Christi sein können usw. 3) Eingedenk des Todes Christi bezeichnen wir durch das Essen und Trinken des Brots und Weins das für uns geopferte Fleisch und Blut Christi. Ein Überblick über diese Schlüsselaussagen zeigt, dass hier – in der Entkräftung der melanchthonischen Zitate – wiederum entscheidend von der Negation her argumentiert wird. Grundlegend ist, dass der Leib Christi nicht im Zeichen anwesend ist, sondern das Zeichen bleibt reines Zeichen. Von daher beantworten sich für Oekolampad alle weiteren Fragen. Der Basler hat also seine Meinung gegenüber der genuina expositio nicht geändert. 3.2.6 Zusammenfassung a) Wir versuchen, zunächst festzustellen, in welche Richtung die Argumentation in den auf die genuina expositio folgenden Schriften verläuft: Im Antisyngramma liegt das Gewicht auf dem Nachweis, dass der Begriff sacramentum ein heller und klarer Begriff ist, der bei den Vätern als Ausgangspunkt für die Interpretation der Begriffe Leib und Blut im Abendmahl dient und nicht umgekehrt; in der „billichen Antwort“ wird die Funktion des Worts im Sakrament vertieft. Das Wort bringt nicht etwa das, was es aussagt, herzu, sondern weist nur als ein hörbares Zeichen darauf hin – es bedeutet das, was wir in unserem Herzen schon wissen. Grundzug der „anderen billichen Antwort“ ist die Einordnung des Abendmahls als Sakrament in die Reihe der übrigen Zeichen, Gemälde, Parabeln, dementsprechend es dann auch nach Art der Zeichen aufgefasst werden muss; eine Gegenwart des Bezeichneten in oder bei dem Zeichen ist damit ausgeschlossen. Im Dialogus argumentiert Oeko240 Dialogus m6a – (PL 17,256).

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lampad wesentlich von dem Verständnis der geistlichen Nießung her, das die Weise der Gegenwart Christi im Abendmahl bestimmt und damit auch das Verständnis des Altarsakraments. Überblickt man diese Zusammenstellung, so zeigt sich, dass der Basler die schon in der genuina expositio dargelegte Väterargumentation nach verschiedenen, durch die Auseinandersetzung bedingten, Schwerpunkten hin abgesichert und vertieft hat. Es sind dabei Akzentverschiebungen festzustellen; eine wesentliche Wandlung jedoch lässt sich nicht erkennen. b) Als klare Stellen standen im Vordergrund: 241

Augustinus, doctr. chr. III 5+9 242 Augustinus, doctr. chr. II, 1 243 Augustinus, ep. 98: Ad Bonifacium 244 Tertullian, adv. Marc. IV 40,3 245 Irenäus, haer, IV 18 246 Concilium Nicaenum (Acta Gelasii) 247 Chrysostomos, hom. in Matth. (unecht) 248 (Pseudo) Cyprian, de unctione chrismatis 249 Ambrosius, in Ep. ad Corinthios

Sie besagen, dass das Abendmahl und die Taufe unter die Zeichen gehören und nach Art der Zeichen auszulegen sind, dass figura wirklich Deutzeichen heißt, dass nichts anderes als nur das bloße Wort zum Element hinzutritt, dass die res sacramenti mit dem Element nicht in Berührung kommt, sondern allein dem Geist des Menschen durch das Zeichen vorgelegt wird, dass nicht der wahre Leib, sondern nur das Zeichen, das auf den am Kreuz geopferten Leib hinweist, im Sakrament vorhanden ist. c) An sachbezogenen hermeneutischen Schlüsseln zur rechten Väterauslegung ergab sich zusätzlich: α) Alle Stellen, an denen die Väter vom Abendmahlsbrot und -wein als Leib und Blut Christi reden, können nicht als Gegenargument gegen Oekolampads Auffassung angeführt werden, da die Väter selbst die Begriffe Leib und Blut Christi im Abendmahl durch sacramentum und entsprechende Begriffe erläutern. Allein die Tatsache, dass die Väter vom Abendmahl als Sakrament reden, ist schon Beweis genug für ihr signifikatives Verständnis. 241 vgl. S. 58. 242 vgl. S. 57. 243 vgl. S. 60. 244 vgl. S. 60. 245 vgl. S. 63. 246 vgl. S. 68. 247 vgl. S. 72. 248 vgl. S. 72. 249 vgl. S. 73.

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β) Überall dort, wo die Väter davon reden, dass im Abendmahl nichts Fleischliches vorgelegt wird, sondern die Abendmahlsgabe mit geistlichen Augen erfasst werden müsse, werden diese und ähnliche Wendungen im Sinne des Verhältnisses von sensibilia und intelligibilia ausgelegt: Die sensibilia, zu denen auch der Leib Christi gehört, sind eingebunden in ihren Raum und Zeit und können außerhalb derselben nicht da sein; sie sind aber Hinweise auf die intelligibilia, die durch sie dem Geist gegenwärtig werden. 4. Das tropische Verständnis der Abendmahlsworte Angesichts des Wortlauts der Einsetzungsworte „das ist mein Leib“ einerseits und des von Oekolampad aufgewiesenen altkirchlichen Sakramentsbegriffs ande250 rerseits ergibt sich notwendig ein uneigentliches Verständnis des ersteren. Oekolampad begnügt sich aber nicht damit, dieses tropische Verständnis indirekt vom Sakramentsverständnis der Väter her aufzuzeigen, sondern tritt einen direkten Nachweis des tropischen Verständnisses der Einsetzungsworte bei den Vätern der Alten Kirche an, durch den wiederum das von ihm vorgetragene Sakramentsverständnis bestätigt wird. 4.1 Die genuina expositio Thema dieser grundlegenden Schrift des Baslers ist der Nachweis, dass die Brotund Kelchworte des Herrn in derselben Weise geredet seien wie die zweifellos uneigentlich geredeten Worte des Apostels Paulus 1. Kor 10: der Fels war Chris251 tus. Behufs dieses Nachweises greift Oekolampad auf die überkommenen und allgemein anerkannten Tropusregeln zurück, wobei er seinen Gegnern vorwirft,

250 Die Konsequenz vom Sakramentsbegriff zum Tropus spricht Oekolampad auch aus. Angesichts der „ratio sacramenti“, die Augustin „ad Petrum Diaconum“ lehrt (vgl. S. 38f.), und der fehlenden Erwähnung der Einbrotung ist es für den Basler klar, „non minus admittendum tropum sermonis, dum dicit Christus: Hoc est corpus meum, quam dum Paulus inquit: Petra erat Christus.“ (Genuina Expositio d5a) Es geschieht ja im Neuen Testament durch die Sakramente nichts anderes, als was auch im Alten geschah, dass wir durch eine körperliche Speise über die geistliche unterrichtet werden. Wenn man also dem Satz des Apostels den Tropus zubilligt, indem man voraussetzt, dass der Fels selbst nicht Christus war, sondern auf ihn als die geistliche Speise hinzeigte, dann ist es nicht einzusehen, wieso im Blick auf das Abendmahlsbrot, das nach Augustins Worten ja kein anderes Zeichen als die alttestamentlichen ist, auch auf keine andere geistliche Speise hinweist, nicht auch derselbe Tropus gebraucht werden kann. 251 „Tempus est, ut accedamus ad id, in quo status sermonis, nempe ut probemus verba caenae Dominicae, eodem tropo dicta, quo illa quae apostolus dixit. Petra autem erat Christus hoc est, petra significabat Christum, vel erat figura Christi. Nam in hoc totum dissidium est.“ Genuina Expositio b8a.

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dass sie von der Gewohnheit der Kirche abweichen und Tropen zurückweisen, 252 wo sie hoch vonnöten sind. Die Tropusregeln sind Folgende: 1) Die Schrift darf nicht so ausgelegt werden, dass Unpassendes daraus folgt. 2) Es muss darauf geachtet werden, was die Abfolge der Rede lehrt (engerer Kontext), 3) Man muss Schriftstelle mit Schriftstelle vergleichen, dass sie sich nicht widersprechen (weiterer Kontext). 253 Diese Regeln, nach denen wesentlich der Aufbau der genuina expositio erfolgt, fordern den uneigentlichen Verstand der Einsetzungsworte – in welcher sprachlichen Gestalt dieser tropische Sinn zum Ausdruck kommt, ist dabei zweitran254 gig. Oekolampad ist überzeugt, dass die Worte, das ist mein Leib, gemäß dem Tropus geredet sind, nach dem das Zeichen den Namen des Bezeichneten trägt. Den Nachweis, dass die Väter mit ihm in der tropischen Auffassung eins sind, führt der Basler wie folgt: 4.1.1 Der allgemeine Ansatz der Väter Die Anwendung der Tropusregeln schließt in sich, dass der uneigentliche Sinn der Abendmahlsworte von einem übergeordneten Ganzen her fest steht und setzt die Unterscheidung von Wortlaut und eigentlich gemeintem Sinn voraus. Diese Unterscheidung hat für Oekolampad große Bedeutung. Er kann einerseits sich mit starken Worten für die Gültigkeit des Wortlauts einsetzen und doch andererseits zugleich alles Gewicht auf den gemeinten Sinn legen: Ein Christ muss allen Worten Christi glauben; wer dem Herrn auch nur in einem Wort nicht glaubt, glaubt ihm in keinem, weil er auch dort, wo er zustimmt, nicht wirklich Christus hört, sondern schon von anderer Seite aus überzeugt ist. Non reclamamus … 255 Evangelistis, sed adoramus etiam Iota et apicem minimum. Es gilt aber auch, dass das untrügliche Wort Christi nur in den Herzen derer als ein helles Licht leuchtet, die es mit reinen und neidlosen Augen ansehen und nicht an den äuße256 ren Schalen der Worte hängen. „Wenn wir die Worte auch hochachten, so sind wir doch nicht so auf sie bedacht, wie darauf, das Tiefere und den eigentlichen 252 Genuina Expositio b7a. 253 „Docebimus ergo (I) omnino esse necessarium tropum quendam, et nostrum quidem familiarem sacris literis, adversariorum autem alienum (II) post haec ea quae cogant assumere tropum hunc nostrum: nempe (1) tot absurda quae effugimus, (2) et verborum contextum, et (3) scripturas illum a nobis requirentes, interimque comprobabimus, non temere vel frustra ab uno et altero dicto Augustini ita sentiendi occasionem nobis concessam, e quibus Magister superciliose ait, ministratum nobis inaniae fomitem.“ b8b Die hier angegebene Gliederung hat Oekolampad auch in den Grundzügen eingehalten; I = b8b–c4a; II,1 = c4a–d5a; zu II,1 gehört auch der Einschub d5a–h8b; II,2 = h8b–k4b: II,3 = k4b–l2a. 254 Hier gründet Oekolampads Freiheit, auch Zwinglis „significat“ gelten zu lassen. 255 Genuina Expositio b5b. 256 „… non enim in omnium cordibus lucet, purgatos amat oculos, invidiae expertes, et in extremis verborum corticibus non haerentes.“ Genuina Expositio b5b.

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Sinn der Worte zu ersehen“. Unter den Worten oder äußeren Schalen versteht der Basler hier nicht die akustische Wortgestalt, sondern die Worte mit ihrer Bedeutung, wie sie lauten. Ihnen gegenüber steht der eigentliche und gemeinte 258 Sinn, der inhaltlich etwas vom Wortlaut ganz Verschiedenes aussagen kann. In dieser Unterscheidung zwischen Wortlaut und eigentlich gemeintem Sinn, auf den es ankommt, sieht sich Oekolampad immer wieder durch Chrysostomos bestätigt: „Credamus itaque ubique deo, neque repugnemus ei, etiam si sensui et cogitationi nostrae absurdum esse videatur, quod dicit. Superetque et, sensum et rationem nostram. Quod in omnibus, et praecipue in mysteriis faciamus, non illa quae ante nos iacent solummodo aspicientes, sed verbo quoque eius tenentes. Nam verbis eius defraudari non possumus. Sensus vero noster deceptu facillimus est. Illa falsa esse non possunt, hic saepius atque saepius decipitur. Quoniam ergo ille dixit: Hoc est corpus meum, nulla teneamur ambiguitate, sed credamus, et oculis intellectus id perspiciamus. Nihil enim sensibile traditum nobis a Christo, sub rebus sensibili259 bus Omnia vero quae tradidit, in (!) sensibilia sunt (!) sic et in baptismo per aquam, quae res sensibilis est donum illud conceditur, quod autem in ea conficitur, intelligibile quidem est. Nam si tu incorporeus esses, nude ipsa dona incorporea tradidisset tibi, quoniam vero corpori coniuncta est anima tua, in sensibilibus in260 telligenda tibi traduntur.“

Der Basler stimmt – allerdings nur in einem allgemeinen Sinne – zunächst dem Kirchenvater darin zu, dass man Gott glauben müsse, auch wenn Erfahrung und Denken widersprechen. Er bestätigt auch, dass man bei den Sakramenten an den Worten festhalten müsse, freilich in der Meinung, dass ansonsten die Elemente 261 profaniert würden. Das Gegenüber, zu dem also Oekolampad die Aussage des Chrysostomos versteht, ist ein Gebrauch der Elemente, der die Zeichenfunktion übersieht und nur die irdische Materie im Sinn hat. Was das Festhalten am Wort 257 „Quae licet suspiciamus, non est nobis tamen tanta illorum cura, quanta ut introspiciamus reconditiora et quis ipsissimus verborum sensus.“ Genuina Expositio b5b. 258 Wie der eigentliche Sinn nun erfasst wird und welche Bedeutung dabei der inneren Haltung des Lesers und dem heiligen Geist zukommt, kann hier nicht ausgeführt werden. Nur dies sei angedeutet: Man gelangt zum Verständnis des eigentlichen Sinnes der Worte in der Verbindung von Gebet und gläubigem Schriftvergleich. Letzterer allein führt leicht dahin, dass man dem Irrtum anheimfällt. Denn wir suchen von Natur das Unsere, weshalb das, was unwahr ist, anerkennenswerter zu sein scheint als die Wahrheit. Deshalb muss uns Gottes Geist erleuchten und uns von einem Textverständnis abbringen, das nur das Unsere sucht und uns zu einem solchen führen, das die Ehre Christi sucht. In scripturis „praeter eius gloriam et veritatem quaerendum nihil.“ Genuina Expositio b7a. 259 Hier liegen Druckfehler vor. Der Text muss richtig lauten: „Omnia vero quae tradidit, insensibilia sunt. Sic et in baptismo …“ Dem entspricht auch Haetzers Übersetzung: „Ursach / alles das er uns geben hat / das ist unbegreyflich. Wie dann auch im Tauff durchs wasser… e ii a.“ Vgl. PG 58,743. 260 Genuina Expositio B5b – Chrys., hom. in Matth. 83,1 (PG 58,743). 261 Prophanieren heißt hier, dass man nicht darauf achtet, worauf die Elemente zeigen, sondern Brot und Wein abgesehen von ihrer Zeichenfunktion genießt. Vgl. S. 78 Anm. 262.

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betrifft und die Zuverlässigkeit desselben, so fügt der Basler hinzu, dass dies natürlich nur für den rechten Verstand der Worte gelte – nämlich, wenn man sie mit geistlichen Augen betrachte. Er bezieht sich damit auf „oculis intellectus id perspiciamus“ und fasst diesen Ausdruck als eine Ermahnung, eben sowohl bei den Worten auf den eigentlichen Sinn zu achten wie man bei den Zeichen auf 262 das achtet, was sie bedeuten. Dieser Ausdruck „oculis intellectus id perspiciamus“ ist der eigentliche Punkt, von dem her der Basler das Zitat versteht und auf die schon dargelegte Unterscheidung der sensibilia und intelligibilia bezieht. Der eigentliche Sinn der Worte gehört damit unter die intelligibilia, die nur im Geist zu erkennen sind. Davon, dass Chrysostomos hier gegen den Augenschein eine wirkliche Gegenwart des Leibes Christi in dem Element aussagen will, kann keine Rede sein. Die Richtigkeit seiner Auffassung bewährt Oekolampad an den von ihm als strenge Parallele gefassten Aussagen über die Taufe: Wollte man mit den Anhängern des Papstes Chrysostomos dahin verstehen, dass nicht Brot, sondern der Leib Christi im Abendmahl geglaubt und gereicht wird, dann wäre man auch gezwungen, das Wasser in der Taufe zu leugnen. Oekolampad begründet also seine Betonung des Wortsinnes gegenüber dem Wortlaut durch die von Chrysostomos vollzogene Unterscheidung der sensibilia und intelligibilia. Wo Christus uns Materielles vorzulegen scheint, da ist das Intelligibile zu suchen. Der Basler kann diese Unterscheidung nicht anders fassen als im Sinne des schon entfalteten Gegenübers von Fleisch und Geist, Buchstabe und Geist. Hier ist eines der stärksten Motive für den Tropus. Neben der genannten Voraussetzung des tropischen Verständnisses sieht sich Oekolampad auch insofern in seinem Ansatz von den Vätern bestätigt, als sie die von ihm genannten Tropusregeln auch tatsächlich anwenden. So wehrt, wie 263 schon unter dem Sakramentsbegriff dargestellt, Chrysostomos die aus dem eigentlichen Verstand der Einsetzungsworte fließende absurde Vorstellung von den vielen Christussen dadurch ab, dass er die Abendmahlselemente als Erinnerungszeichen versteht; Tertullian weist die Haeresie Marcions durch die Erläuterung zurück, dass der „Leib“ Christi im Abendmahl das Zeichen des Leibes ist usw.

262 Genuina Expositio b5b/6a „Haec Chrysostomus nobiscum dicit, consentimus enim credendum deo, etiam sensu et cogitatione repugnantibus. Ceterum in mysteriis sunt tenenda verba placuit semper et placet, non respiciendum ad materiam tantum, hoc enim foret prophanare sacramenta, sed tenenda sunt et verba, quae non fallut, siquidem recte capiantur, adhibitis mentalibus oculis, ut enim in his quae proponuntur materies, quid significent et spectandum, ita et in verbis danda opera, ne mal intelligantur.“ – Das Verständnis der Sakramentsworte „adhibitis mentalibus oculis“ meint ein Verständnis im übertragenen tropischen Sinn, wobei die tötende litera mit dem Wortlaut der Sakramentsworte, der spiritus vivificans mit der übertragenen Bedeutung gleichgesetzt werden. 263 Vgl. S. 33.

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Aber die Väter kommen nicht nur von den absurden Folgerungen, als der ersten Tropusregel zur uneigentlichen Auffassung der Einsetzungsworte, sondern 264 auch vom Kontexte her. Alle legen das Gewicht der Auslegung auf die Erinnerung; alle sagen, dass der Leib Christi ein Sakrament oder ein heiliges Zeichen oder – was dasselbe ist – ein Mysterium ist. Und schließlich bestätigen sie auch durch ihre Auffassung verschiedener, mit einem realen Verständnis der Einsetzungsworte im Widerspruch stehender Schriftlehren aus dem Gesamtzusam265 menhang der Schrift, dass ein Tropus hier erforderlich ist. 4.1.2 Zum Tropus im Besonderen Hierzu weist Oekolampad ein Doppeltes nach. Einmal, dass die Väter den von ihm vertretenen Tropus gekannt und gebraucht haben, zum andern, dass sie ihn – als einen in der Schrift üblichen Tropus – auf das heilige Abendmahl angewendet haben. Wie schon oft, beruft er sich dabei auf Augustin. „Maxime cavendum, ne cuiquam dei natura vel patris vel filii vel spiritus sancti commutabilis vel convertibilis esse credatur, nec moveat quod aliquando res quae significat, nomen eius rei quam significat, accipit. Spiritus sanctus dictus est corporali specie tanquam columba descindisse et mansisse super eum, Sic enim petra 266 Christus, quia significat Christum.“

Mit diesem Zeugnis belegt Oekolampad, dass der Bischof von Hippo den Tropus, „ut figurae rerum vocabulis rerum denotentur“, gekannt und ihn als der Schrift vertraut und in ihr gebräuchlich angesehen hat. Dort finden sich auch die Beispiele, die der Basler öfters für den biblischen Sprachgebrauch anführt: die Taube bei der Taufe Christi, das Anblasen der Jünger durch den Auferstandenen, die feurigen Zungen beim Pfingstfest. In diesen Beispielen soll ja nicht gesagt sein – wie der biblische Wortlaut es nahe legen konnte –, dass die Taube, der Atem Christi und die feurigen Zungen der Heilige Geist selbst gewesen seien, sondern dass es Anzeichen für die Salbung Christi bzw. für den in den Herzen der Apostel wirkenden Geist Gottes waren. Was nun die Anwendung des den Vätern und der heiligen Schrift vertrauten Tropus auf das heilige Abendmahl betrifft, so war Augustins Verständnis von der wesentlichen Gleichheit der alt- und neutestamentlichen Zeichen für den Basler 267 Grund genug, den Tropus auch aufs Sakrament anzuwenden. Er brauchte sich aber dabei nicht auf eine Folgerung zu verlassen, sondern kann zeigen, dass Augustin selbst diesen Tropus auf das Abendmahl angewendet hat. Oekolampad tut es, indem er sich mit der Interpretation auseinandersetzt, die Petrus Lombardus von dem Augustin-Wort „Sacramentum corporis Christi Corpus Christi est“ 264 Vgl. S. 91ff. 265 Vgl. z.B. S. 85ff. 266 Genuina Expositio b8b – Aug., ep. 169: Ad Evodium, c. II,9 (PL 33,746). 267 Vgl. S. 75 Anm. 250.

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gegeben hat. Der Lombarde versteht dieses Wort dahin, dass das Sakrament des Leibes Christi der wirkliche Leib Christi selbst sei, Oekolampad dagegen meint, es werde der Leib Christi genannt, weil es das Zeichen oder Sakrament des Leibes ist. Die Entscheidung zwischen beiden muss der Zusammenhang bei Augustin geben. Bonifacius hatte bei Augustin angefragt, wie es Eltern, die sich über den zukünftigen Glauben ihrer zu taufenden Kinder nicht gewiss sind, wagen können, in jener Namen zu sagen, dass sie glauben und dem Teufel abschwören. Darauf antwortet der Kirchenlehrer: „Sepe ita loquimur, ut pascha propinquante, crastinam vel perendinam domini passionem, cum ille ante tam multos annos passus sit, nec omnino nisi semel illa passio facta sit, nempe ipso die dominico dicimus. Hodie dominus resurrexit, quum ex quo surrexit, totanni transierunt. Quur nemo tam ineptus est, ut vos ita loquentes arguat esse mentitos, nisi quia istos dies, secundum illorum quibus haec gesta sunt similitudinem nuncupamus, ut dicatur ipse dies. Qui non est ipse, sed revolutione temporum similis eius, et dicatur illo die fieri propter sacramenti celebrationem, quod non illo die, sed tam olim factum est. Nonne semel immolatus est Christus in seipso, et tamen in sacramento non solum per annuas paschae solennitates, sed omni die pro populis immolatur? Nec utique mentitur, qui interrogatus responderit eum immolari. Sic enim sacramenta quandam similitudinem earum rerum, quarum sunt sacramenta non haberent, omnino sacramenta non essent. Ex hac autem similitudine plerunque etiam ipsarum rerum nomina accipiunt. Sicut ergo secundum quendam modum sacramentum corporis Christi, corpus Christi est, ita sacramentum fidei, fides est. Nihil est autem aliud credere, quam fidem habere. Ac per hoc quum respondetur parvulum credere, qui fidei non habet affectum, respondetur fidem habere propter fidei sacramentum, et convertere se ad deum, propter conversionis sacramentum, quia et ipsa responsio pertinet ad celebrationem sacramenti. Sicut de ipso Apostolus. Consepulti inquit, sumus Christo per baptismum in mortem, non ait sepulturam significavimus, sed prorsus ait, consepulti sumus. Sacramentum ergo tantae rei, non nisi eiusdem rei 268 vocabulo nuncupavit.“

Ein klareres Zeugnis kann es nach Oekolampad nicht geben. Augustin sagt ja, dass im Kinde der Glaube nicht vorhanden ist, wenn der Pate in seinem Namen sagt: Es glaube. Das ist keine Lüge, weil diese Antwort ein Sakrament, ein Zeichen ist, das auf den späteren Glauben des Täuflings hinweist. Gleicherweise verhält es sich mit dem Sakrament des Leibes Christi, das seiner Ähnlichkeit und figura wegen der Leib Christi genannt wird, nicht aber weil es selbst der Leib ist. Wenn Augustin hätte sagen wollen, dass der Leib Christi im Zeichen wäre, so 269 hätte er nicht das Gleichnis von dem Glauben, der im Kinde fehlt, gebraucht. Damit ist diese Stelle ein unübertrefflicher Väterbeweis sowohl für das, was ein Sakrament ist, als auch für den Tropus. Das Sakrament ist nichts als ein Zeichen, und um seiner Zeichenfunktion willen trägt es den Namen des Bezeichneten. 268 Genuina Expositio k3a/b – Aug., ep. 98,9: Ad Bonifacium (PL 33,363f.). 269 Genuina Expositio k3b/4a.

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Die Sakramentsdefinition, die Prosper von Aquitanien aus dieser Stelle entnom270 men hat, ist also ganz falsch zitiert. 4.2 Das tropische Verständnis der Abendmahlsworte nach den übrigen Schriften Oekolampads Ansatz, der von den Tropusregeln zum Sinn der Einsetzungsworte vordringt, wird auch in den späteren Schriften beibehalten. Das gilt sowohl für die Unterscheidung von Wortlaut und Wortsinn, als auch für die Tropusregeln selbst. Die erstere wird mit der Verteidigung des schon genannten Chrysosto271 mos-Zitats festgehalten und kommt auch in Augustins Gegenüberstellung von 272 Buchstabe und Geist zum Ausdruck. Die Tropusregeln erfahren lediglich eine für die Diskussion geschickte, in der Sache aber nichts Neues einbringende Umordnung, Umformung und klarere Begründung. So steht in der „billichen Antwurt“ die Regel von den anderen Schriftstellen, nunmehr in das Gewand der 273 analogia fidei gekleidet, am Anfang, indes die Regel von den zu vermeidenden 274 absurden Folgerungen ans Ende gerückt ist. In „über Luthers Bekenntnis“ ist die Reihenfolge wieder die alte, wobei die erste Regel von der Klarheit bzw. 275 Unklarheit des Textverständnisses aus formuliert ist. Die Begründung aber der Tropusregeln, mit denen ja die Notwendigkeit des Abendmahlstropus steht und fällt, wird entscheidend auf nachfolgende Argumente abgestellt. a) Die Regel von den zu vermeidenden absurden Ergebnissen der Schriftauslegung findet ihre altkirchliche Begründung bei der Anweisung Augustins, eine

270 Vgl. CIC, De Consecratione Dist. II c. 48. Ed. Friedberg 1955 Sp. 1331f. 271 Vgl. S. Seite 77. Oekolampad geht zusätzlich noch auf das Argument ein, ob nicht Chrysostomos, weil er die Gültigkeit des Wortes gegenüber der Vernunft so sehr betont, doch sagen wolle, dass man ohne allen Tropus einfach dem Wortlaut der Einsetzungsworte folgen müsse? Der Basler antwortet vom Gesamtskopus der Stelle aus: Chrysostomos rede gegen die, die nach nichts als Irdischem streben und nur Brot und Wein sehen, sich auch nicht vom Wort dahin führen lassen, Christus und sein Werk im Geist zu betrachten. Erst bei diesem Verständnis füge sich der letzte Teil des Zitats „Nihil enim sensibile …“ in das zuvor Gesagte ein. Denn er besagt ja gerade, dass Christus nichts den Sinnen Zugängliches hinterlassen habe, sondern dies gerade will, dass wir im Geist ergreifen, was er mit seinem Leib für uns getan hat. Das Brot aber brauchen wir, da wir noch im Leibe sind, als ein Zeichen, durch das wir erinnert und versammelt werden. Dialogus f5b. 272 Andere Billiche Antwurt k2a. Gemeint sind dort Augustins Ausführungen in Aug., doctr. chr. III,9. 273 W2 XX, 604. 274 W2 XX, 604. Es ist wahrscheinlich, dass Oekolampad diese Umstellung vorgenommen hat, um dem Vorwurf Luthers (z.B. in der Vorrede zur 1. Ausgabe des Syngramma) zu entgehen dass er von der Vernunft her argumentiere. In die gleiche Richtung zielt auch, dass Oekolampad die Ungereimtheiten und Absurditäten nicht mehr so sehr gegen die Vernunft, sondern gegen den Glauben gerichtet sein läßt; z.B. W2 XX, 609; Dialogus e2a/b. 275 Über Luthers Bekenntnis Sb.

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Schriftstelle, die etwas Schändliches zu gebieten scheint, übertragen zu verstehen: „Si praeceptiva est loquutio, aut flagitium, aut facinus vetans, aut utilitatem, aut beneficium iubens, non est figurata. Si autem flagitium aut facinus videtur iubere, aut utilitatem, aut beneficentiam vetare figurata est. Nisi manducaveritis, inquit, carnem filii hominis, et sanguinem biberitis, non habebitis vitam in vobis: facinus vel flagitium videtur iubere. Figura est ergo, praecipiens passioni Domini esse communicandum et suaviter atque utiliter recondendum in memoria, quod pro 276 nobis caro eius crucifixa et vulnerata sit.“

Oekolampad meint, dass Augustin mit diesen Worten zum wahren Verständnis der Abendmahlsworte führt. Denn wenn er Joh. 6 einen Tropus fordert, um den Herrn nicht eine Schandtat gebieten zu lassen, so gilt dasselbe auch für das heilige Abendmahl, das der gleichen Gefahr, im Sinne einer Schandtat missverstanden zu werden, ausgesetzt ist. Augustin hat nach des Baslers Meinung erkannt, dass das Abendmahl nichts anderes als die Auslegung zu dem ist, was Joh. 6 gelehrt wird. Hätte er von einem leiblichen Essen des Fleischs Christi, das keine Schandtat wäre, gewusst, so hätte er es wohl vermerken 277 müssen. Im Zusammenhang mit der Regel, absurde Auffassungen zu vermeiden, steht auch Oekolampads Behauptung, dass die Einsetzungsworte unklar seien und erst durch den tropischen Verstand hell und klar würden. Als Meinung der Alten Kirche kam das für ihn schon dadurch zum Ausdruck, dass die Väter die Einsetzungsworte durch die Sakramentsbegriffe erläutern; es wird aber auch von Augustin direkt ausgesprochen, der da bekennt, „wo ein kind die wort hörte / möcht es in ein fantasey kumme / Christus leib wer also gestalt gewesen wie das brot / Aber wir sollen es baß verston / un ein andern verstad 278 darauß nemen.“ Nicht zuletzt sind auch die Aposiopesen ein Ausdruck dafür, dass man nicht einfach weiß, was mit den Sakramentsworten gesagt ist. b) Die Kontextregel begründet Oekolampad mit Augustins Grundsatz: Von 279 Sakramenten muss man sakramentlich reden. Manche Worte werden in der Schrift in eigentlichem Sinn gebraucht, andere deuten auf etwas anderes. Wenn man nun ein Wort recht verstehen will, muss man darauf achten, „ob etwas umb bedeutniß willen geredt würt oder allein das es sein wesen heis280 se.“ Handelt es sich um Zeichen, Sakramente, Parabeln, Gemälde, so muss man sie auch als solche verstehen und nicht als eigentlich geredet auffassen.

276 Antisyngramma k7a – Aug., doctr. Chr. III,16 (CChr.SL 32,91f.). 277 Dialogus f8b. 278 Andere Billiche Antwurt b3a – Aug., trin. III,10 CChr.SL 50,149,78ff. Vgl. S. 27. 279 Vgl. Andere Billiche Antwurt b4b – cb; Über Luthers Bekenntnis s6b. 280 Andere Billiche Antwurt ca.

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Das bedeutet für das Altarsakrament: Weil es sich um ein Sakrament handelt, 281 muss es auch der Art der Sakramente entsprechend verstanden werden. 282 c) Mit ausdrücklicher Berufung sowohl auf Tertullian als auch die allgemeine 283 Haltung und Praxis der Väter begründet der Basler die auf den weiteren Kontext, d.h. die übrigen Schriftaussagen bezogene Regel: Man soll keine neue Lehre gegen die Ähnlichkeit des Glaubens annehmen. So haben die Väter im Nizänischen Konzil mit Fleiß alle notwendigen Stücke des Glaubens zusammengebracht und auch darauf gesehen, dass keine neuen Stücke dazu gesetzt werden. Als dann Nestorius auftrat und die Kirche spaltete, hat man die Einigkeit im Glauben dadurch wieder hergestellt, dass man sich an Hand der Auslegung des Athanasius mit dem begnügte, was das Nizänische Konzil beschlossen hatte. Nestorius aber wurde als einer, der einen Zusatz gemacht hatte, erkannt und ausgeschlossen. Nun ist aber im Glaubensbekenntnis nicht davon die Rede, dass das Brot der Leib Christi sei. Es ist darum ein neuer Artikel des Glaubens, den die Kirche sich nicht aufbinden lassen darf. Dazu 284 kommt, dass er sachlich den alten Artikeln des Glaubens widerspricht. Was nun Oekolampads Tropus speziell betrifft und die von ihm dafür namhaft gemachten biblischen Beispiele, so weist der Basler immer wieder darauf hin, dass die Väter, und unter ihnen insbesondere Augustin, die drei Schriftstellen vom Fels, der Taube, dem Anhauchen Christi im Sinne dieses Tropus 285 verstanden haben. Selbst Petrus Lombardus arbeitet damit. Entsprechende 286 Stellen führt der Reformator noch an, aber er ringt nicht mehr darum. Die Auseinandersetzung geht jetzt nicht mehr um die Frage, ob die Väter diesen Tropus kannten und danach jene Schriftaussagen verstanden, sondern ob der betreffende Tropus an den genannten Schriftstellen sachlich wirklich vorliegt. Oekolampad stellt sich auf die Seite der Väter. Die Väter haben die heilige Schrift nach diesem Tropus verstanden und von diesem in der Schrift gebrauchten Tropus ausgehend ist man in der Kirche zu der Redeweise gekommen, dass das Sakrament des Leibes Christi der Leib Christi genannt 287 288 wurde. Kronzeuge für sie alle ist Augustin, der im 3. Buch de Trinitate, 289 290 im 16. Buch de doctrina christiana , in den Briefen an Bonifacius , Evodi281 Vgl. auch S. 58. 282 Billiche Antwurt W2 XX,604. 283 Zum Folgenden vgl. Über Luthers Bekenntnis t2a. 284 Oekolampad denkt hier besonders an die Inkarnation, zu der die impanatio im Widerspruch stehe. 285 Billiche Antwurt W2 XX,585,613. 286 z.B. Antisyngramma l4b; Billiche Antwurt W2 XX,585,614; Andere Billiche Antwurt c3a. 287 „… daß die Alten nach solchem Verstande in den Worten des Herrn, hernach in gemeinem Gebrauch gehabt haben, das Sacrament zu nennen den Leib Christi.“ Billiche Antwurt W2 XX,614. 288 Vgl. S. 26f., 45f. 289 Oeklomapad meint vermutlich Aug., doctr. chr. lib. III,16. Vgl. S. 82 Anm. 276. 290 Vgl. S. 59 und 80.

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us , Dardanus , in der Schrift gegen Faustus und an Adimantus öffentlich dies alles dartut. Er stellt die Schriftaussagen „Das ist mein Leib“, „Die Seele ist das Blut“, „Der Fels war Christus“, in dieselbe Ordnung der Redeweisen und bezeugt, dass es zu seiner Zeit üblich war, die Sakramente mit dem Namen der von ihnen bezeichneten Dinge zu benennen. Auch warnt er 295 davor, die Zeichen für die Sachen selbst zu nehmen. Dieser in der alten Kirche üblichen Redeweise entspricht dann auch, dass die Väter nicht nur die vom Sakrament bezeichnete Sache, sondern auch die Wirkungen, die die res sacramenti durch den heiligen Geist in den Herzen der Gläubigen hervorruft, 296 in tropischer Weise von den Sakramenten selbst aussagen. 4.3 Zusammenfassung Oekolampad begründet seinen Tropus direkt aus den Zeugnissen der altkirchlichen Väter indem er aufzeigt, dass diese nach denselben Tropusregeln wie er die Schrift auslegten und auch dieselbe Voraussetzung hinsichtlich des Verhältnisses von Wortlaut und Sinn teilten. Damit ist der patristische Beweis für die Notwendigkeit des uneigentlichen Verständnisses der Abendmahlsworte geführt. Dass sie nun im Sinne der alten Kirche gemäß dem Tropus aufzufassen sind, der dem Zeichen den Namen des Bezeichneten gibt, weist Oekolampad mit den Zeugnissen nach, die die Vertrautheit der Alten Kirche mit dem genannten Tropus und auch seine Verwendung bei den Einsetzungsworten des Abendmahls erweisen. Dieser Ansatz des patristischen Beweises bleibt durch alle Schriften hindurch bestehen. Als klare Stellen seien festgehalten: 297

Augustinus, ep. 169: Ad Evodium 298 Augustinus, ep. 98: Ad Bonifacium

Erstere zeigt, dass bei den Vätern der Tropus, nach dem das Zeichen den Namen des Bezeichneten erhält, gebräuchlich ist, letztere, dass die Väter die Einsetzungsworte uneigentlich verstanden und den von Oekolampad vertretenen Tropus auf sie angewendet haben. 291 Vgl. S. 79. 292 Vgl. S. 86. 293 Vgl. Aug., c. Faust. 20,21 (PL 42,385). 294 Vgl. S. 169. 295 „... quid in tertio De Trinitate, quid in Lib 16. de doct. Christiana, quid in epistolis ad Bonifacium, Evodium et Dardanum, quid adversus Faustum et Adimantum rescripserit. In quibus libris omnia palam et dilucide narrat, In eandem locutionem classem conijcit, Hoc est corpus meum, anima est sanguis, Petra erat Christus. Consuetudinem sui seculi fuisse testatur sacramenta rerum signatarum vocabulis appellari solita. Probe monet, ne signa pro rebus accipiamus.“ Dialogus l2a. 296 „Non est enim rarum sensibilibus tribui, quod insensibilium est …“ Dialogus l2a. 297 Vgl. S. 79. 298 Vgl. S. 80.

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Als hermeneutischer Schlüssel ergibt sich, dass überall dort, wo die Väter das Sakrament den Leib Christi nennen, sie es nach dem von ihm bezeichneten Leib nennen, desgleichen, dass sie die Wirkungen, die der Leib Christi durch den heiligen Geist in den Gläubigen hervorruft, vom Sakrament selbst aussagen. 5. Weitere Argumentationskomplexe 5.1 Die Himmelfahrt und das Wesen des Leibes Christi Ein wesentliches Argument für den Tropus Oekolampads ist der Satz des Glaubensbekenntnisses, dass Christus gen Himmel gefahren ist und zur Rechten Hand Gottes sitzt. Denn wer das bekennt, der kann die Realpräsenz des Leibes Christi nicht mehr vertreten. Umgekehrt: Wer die Realpräsenz bekennt, verstößt gegen die analogia fidei und hebt die fundamentalen Glaubenssätze der Schrift und der Kirche von der Himmelfahrt Christi und seinem Sitzen zur Rechten des Vaters zugunsten einer neuen Lehre auf. Die Vertreter der Realpräsenz bekennen sich aber nun ebenfalls zur Himmelfahrt Christi und lehren, dass sie die Realpräsenz nicht aus-, sondern einschließe. Damit liegt ein verschiedenes Verständnis der Himmelfahrt Christi vor. Oekolampads Stellung ist: Das Bekenntnis zur Himmelfahrt Christi und zur Realpräsenz schließt in sich, dass der Leib Christi an mehreren Orten zugleich sein kann. Das aber widerspricht dem Wesen des Leibes. Zum Wesen des Leibes gehört es, dass er einen Raum einnimmt und in dieser seiner Ausdehnung ein bestimmtes Maß hat. Entkleidet man einen Leib seiner Raumhaftigkeit und seines Maßes, so wird die veritas corporis und also der Leib selbst aufgehoben. Das patristische Zeugnis für diese seine Überzeugung fällt dem Basler leicht; er findet durchweg nur eindeutige und klare Stellen. 5.1.1 Die genuina expositio Als entscheidendes, geradezu für den ganzen Streit geschriebenes Argument führt Oekolampad immer wieder Augustins Brief an Dardanus an: „‚Cavendum est ne ita divinitatem astruamus homini, ut veritatem auferamus corporis. Non est autem consequens, ut quod in deo est, ita sit ubique ut deus, nam et de nobis veracissima scriptura dicit, quod in illo vivimus, movemur et sumus, nec tamen sicut ille ubique sumus, sed aliter homo ille in deo, quoniam aliter et deus ille in homine proprio quodam, et singulari modo, una enim persona deus et homo est, et utrunque est unus Christus Jhesus, ubique per id quod deus est, in caelo autem per id quod homo.‘ Et in corpore Epistolae: ‚Spatia locorum

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad tolle corporibus, et nusquam erunt, et quia nusquam erunt, nec erunt, tolle ipsa 299 corpora, qualitatibus corporum, non erit ubi sint.‘“

Diese Worte sind für den Basler so klar, dass er schlicht die Konsequenz daraus zieht: „Darum bekennen wir, dass Christus mit seinem Leibe nirgendwo anders 300 als im Himmel ist.“ Er beruft sich dabei offensichtlich auf die Warnung vor der Wegnahme des wahren Leibes, die vorausgesetzt wird, wenn der Leib wie Gott überall ist, und auf die Aussage über Christus, dass er der Gottheit nach überall gegenwärtig, der Menschheit nach aber im Himmel ist. Nicht zuletzt ist auch die Aussage, dass die Existenz der Körper ohne die räumliche Ausdehnung verneint wird, von großem Gewicht. Ein weiteres Zeugnis ist das von Gratian zitierte Augustin-Wort aus dem 30. Traktat über das Evangelium des Johannes: „Donec saeculum finiatur, sursum est dominus, sed tamen etiam hic nobiscum veritas est Domini. Corpus enim in quo resurrexit, in uno loco esse oportet, veri301 tas autem eius ubique est.“

Auch dieses Wort ist für Oekolampad so klar, dass er dem Leser gegenüber auf eine nähere Auslegung verzichtet, er weist nur die herkömmliche falsche Interpretation der veritas auf den wahren Leib, der in der Gestalt des Brotes auf dem Altar liegt, zurück. Was der Basler in diesen Worten ausgesagt findet, ist offenbar dies: Augustin unterscheidet den Leib und die Wahrheit des Herrn. Letztere ist überall, erstere aber nur an einem Ort, und zwar oben im Himmel. Die Wesensverbindung von Leib und räumlicher Ausdehnung hat für Oekolampad noch eine Konsequenz hinsichtlich der geistlichen Nießung: Wie kann der Leib Christi, der doch Raum einnimmt, von der Seele des Menschen aufgenommen wer302 den, die keinen Raum einnimmt? Dies ist auch Augustins Meinung nach un303 möglich. Deshalb kann von einer Speisung der Seele durch den im Sakrament real gegenwärtigen Leib Christi nach des Baslers Meinung keine Rede sein. 5.1.2 Die Himmelfahrt und das Wesen des Leibes Christi in den übrigen Schriften Die Auseinandersetzung um den Sinn der aufgeführten Väterzitate führt zu einer Betonung und Vertiefung folgender Punkte: 299 Genuina Expositio k7b – Aug., praes. dei c. 3 (PL 33,835f.) und c. 6,18 (PL 33,838). 300 „Et ideo non alibi quam in coelo, corpore fatemur Christum“ Genuina Expositio k7b. 301 Genuina Expositio c6b – Aug., Io. ev. tr. 30,1 (CChr.SL 36,289,16ff.). Zum Text des Corpus Christianorum vgl. S. 148 Anm. 151. 302 „Omne corpus in omne corpus mutari, non defuerunt qui asserent. Corpus autem aliquod converti in animam fierique incorpoream naturam, nec quenquam sensisse scio, nec fides habet.“ Genuina Expositio e6b – Aug., Gn. litt. VII,12 (PL 34,362). 303 „Puerile alioquin et ineptus est, opinari, quod in animam nostram ingrediatur caro. Quomodo enim anima capax est carnis, quae non est corporea, nec locum praebet corpori: caro autem non est nisi in loco.“ Genuina Expositio e6a.

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a) Entscheidendes Gewicht bekommen die Aussagen der Väter, dass der Leib Christi „in uno loco“ sei. Entgegen Melanchthons Einwänden, der in ihnen 304 keinen Gegensatz zum Leib Christi an vielen Orten finden konnte, zeigt der Basler an Hand ausführlicher Auszüge aus Augustin und Fulgentius, dass das „in uno loco“ tatsächlich die Ubiquität ausschließt. Die wichtigsten Punkte der Beweisführung sind: Augustin ad Dardanum: „Et sic venturus est illa angelica voce testante, quemadmodum visus est ire in coelum, id est, in eadem carnis forma atque substantia, cui profecto immortalitatem dedit, naturam non abstulit. Secundum hanc formam non est putandus, ubique diffusus. Cavendam est enim, ne ita divinitatem astrua305 mus homini, ut veritatem corporis auferamus.“

Oekolampad weist hierzu darauf hin, dass die Natur des Leibes Christi nicht abgetan wurde, als er die Unsterblichkeit empfing und dass ausdrücklich von der Gestalt des Leibes Christi gesagt wird, „non putandus ubique diffusus“. Die nachfolgende Warnung vor einem Verlust des wahren Leibes (veritas corporis) kann in diesem Zusammenhang nicht anders verstanden werden, als dass damit die Ubiquität abgelehnt und an einem Leib von räumlicher Ausdehnung festgehalten werden soll. Fulgentius ad Thrasimundum sagt von Christus: „ … unus idemque homo localis ex homine, qui est deus immensus ex patre: unus idemque secundum humanam substantiam, ABSENS COELO quum esset in terra, et DERELINQUENS TERRAM, cum ascendisset in coelum: secundum divinam vero immensamque substantiam, nec vero coelum dimittens, cum de coelo descendit, nec terram dese306 rens cum ad coelum ascendit.“

Hier kommt die lokale Begrenztheit des Leibes Christi in den Worten absens caelo und reliquens terram zum Ausdruck. Im Übrigen finden sich in diesem ausführlichen, hier nicht ausgeschriebenen Zitat auch die Schriftstellen, derer sich Oekolampad ansonsten in seinem Schriftbeweis für die Raumhaftigkeit des Leibes Christi bedient, z. B. „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eu307 rem Vater“, ,Christus war nicht bei Lazarus, als dieser starb. Die angeführten Väterstellen interpretieren demnach für Oekolampad das in uno loco – Sein des Leibes Christi eindeutig als ein umgrenztes Ausfüllen des Raumes. Es ist insofern der Fall, als a) der Leib Christi in eben derselben Gestalt, in der er sichtbar in den Himmel einging, wiederkommt. Sein Wesen wurde demnach, als er die Unsterblichkeit empfing, nicht verändert; b) der Leib Christi nicht allgegenwärtig (ubique diffusus) ist; 304 Vgl. S. 208f. 305 Dialogus m8a – Aug., praes. dei c. 3 (PL 33,835). 306 Dialogus nb – Fulg., ad Tras. II,17,2 (CChr.SL 91,142). 307 Joh 20,17; 11,15.

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c) die Wahrheit des Leibes Christi aufgehoben würde, wenn ihm, im Unterschied zur Gottheit, die Unendlichkeit und Unermesslichkeit zugeschrieben würde; d) Christus nach seiner Menschheit wirklich die Erde verlassen hat, als er in den Himmel einging, wie er auch – umgekehrt – nach seiner Menschheit nicht im Himmel war, da er auf Erden weilte. Mit einem Wort: Die Väter ordnen der Menschheit Christi die örtliche Umgrenztheit, der Gottheit die Unendlichkeit und Unermesslichkeit zu. Dieser Auffassung der Väter von der Leiblichkeit Christi entspricht nun 308 auch die Art und Weise, in der sie Schriftstellen wie Joh. 3,13 auslegen. Luther hatte diese Stelle als ein Zeugnis dafür angezogen, dass der Leib Christi 309 schon vor der Verklärung allenthalben ist. Oekolampad dagegen versteht sie nach der Regel, gemäß der um der Gemeinschaft der Naturen willen der Person Christi unter dem Namen der Gottheit zugelegt wird, was in der menschlichen Natur geschehen ist und unter dem Namen der Menschheit, 310 was in der göttlichen Natur geschehen ist. Darnach ist Joh. 3,13 allein von der Gottheit Christi zu verstehen; nicht die Menschheit ist zugleich im Himmel und auf Erden, sondern nur die Gottheit. In dieser Auffassung des Schriftworts findet sich Oekolampad von Augustin bestätigt, der die hier vor311 ausgesetzte Redeweise durch ein Beispiel erläutert. Wenn einer nackend von einem Berg ins Tal käme, sich dort bekleidete und wieder hinaufstiege, sprechen wir mit Recht: Niemand ist hinaufgestiegen als der Bekleidete, der herabgestiegen war. Hier wird zwar von dem Bekleideten ausgesagt, dass er herabgestiegen war, doch ist damit nicht gemeint, dass er bekleidet herabgestiegen sei, vielmehr soll nur die Identität der Person ausgesagt werden. Auf die gleiche Weise wird vom Menschensohn, d.h. von Christus nach seiner Menschheit gesagt, dass er im Himmel war, obwohl er doch vor der Menschwerdung es gar nicht sein konnte. Der entscheidende Punkt für den Schweizer ist also der, dass nach diesem Gleichnis die Aussage, dass der Menschensohn im Himmel ist, ebenso wenig eigentlich genommen wird, wie im Gleichnis die Aussage, dass der Bekleidete vom Berg herabgestiegen sei. Augustins Gleichnis ist damit für Oekolampad ein Zeugnis dafür, dass die Väter e308 „Und niemand fähret gen Himmel, denn der vom Himmel herniederkommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist.“ 309 „Daß diese Worte … noch feststehen“ WA 23,149,5ff. 310 „Dan er je gut wissen treit die regel wie sich gebür zuverston etlich reden Christi in der geschrifft / von wegen der gemeinschafft un enthlehung der eigenschafften zweyer natur in Christo. Dan so Christus / der da ist Gott unn mensch / unn würt doch der person / under dem nammen Gottes zugelegt / dz warlichen in der menschlichen natur geschehen ist / unn widerumb / under dem namen menschens würt geredt / das warlich der göttlichen natur zustat.“ Andere Billiche Antwurt e2a. 311 Zum Folgenden vgl. Andere Billiche Antwurt e2b; Luther geht darauf ein in Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis WA 26,421,33ff.; Oekolampads Antwort findet sich in Über Luthers Bekenntnis T8b – Aug., agon. 25 (PL 40,304).

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benso wie er die entsprechenden Schriftstellen im Sinne der Alloiosis verstanden haben, Luthers Schriftauslegung dagegen neu und falsch ist. Auch ein weiterer gewichtiger Einwurf der Wittenberger gegen die umgrenzte Leiblichkeit des Herrenleibes, nämlich dass die Person Christi getrennt würde, hat von den Vätern her keinen Bestand. Melanchthon beruft sich darauf, dass die Kirche die untrennbare Verbundenheit beider Naturen in der Einheit der Person Christi bekannt habe und meint, dass die Naturen getrennt würden, wenn die Gottheit Christi irgendwo ohne die Menschheit ist. 312 Aber das Zeugnis Augustins zu Joh. 3,13 , das er anführt, ist überinterpretiert. Augustin sagt da nicht, dass Christus als Menschensohn im Himmel und auf Erden war, sondern dass er als Menschensohn in der Einheit der Person im Himmel war. Damit ist weder die Gleichzeitigkeit des Menschensohnes nach seiner Menschheit im Himmel und auf Erden, noch seine unräumli313 che Existenzweise erzwungen. Demgegenüber aber gibt es viele Stellen, aus denen klar hervorgeht, dass die Väter von der Gottheit die Unermesslichkeit und Allgegenwart, von der Menschheit Christi jedoch die räumliche Begrenztheit ausgesagt und doch nicht die eine Person Christi getrennt haben. Oekolampad weist auf Fulgentius als auf ein Beispiel für viele hin, der ausdrücklich von der Himmelfahrt sagt, dass Christus nach seiner ganzen Menschheit die Erde leiblich verlassen habe und dabei doch von dem einen 314 ungetrennten Christus redet. So bedeutet die Tatsache, dass jeder Natur Christi die ihr zukommenden Eigenschaften gegeben werden, noch keine Trennung der Person. Wo aber die Eigenschaften vermischt werden, da werden notwendiger Weise auch die Naturen vermischt, wie es bei den Mo315 nothelisten, Eutychianern und Manichäern der Fall war. Oekolampad versteht demnach unter der Trennung der Person Christi, dass Gottheit und Menschheit an keinem Ort miteinander vereinigt sind. Solche Trennung lehnt er ab. Seine Auffassung gestattet aber, dass die Gottheit Christi gegenwärtig ist, wo die Menschheit Christi sich nicht befindet. Insofern aber, als sie beide dort, wo die Menschheit räumlich sich befindet, vereinigt sind, kann von einer Trennung der Person Christi nicht gesprochen wer316 den. b) Mit dem Nachweis, dass der Leib Christi an einem bestimmten Ort, nämlich im Himmel sei, ist für Oekolampad die räumliche Gegenwart Christi im 312 Vgl. S. 210f. 313 Oekolampad nennt Athanasius, Gregor, Hilarius, Augustinus, Cyrill, ohne jedoch Näheres anzugeben. Dialogus n4a. 314 Dialogus n4b – Fulg., ad Tras. III,34,2 (CChr.SL 91,180). 315 Dialogus n4a. 316 Das geht auch aus dem Beispiel des Lazarus hervor, auf das sich Oekolampad bezieht: „Quum Lazarus moreretur, non erat illi corpus vel humanitas Christi praesens, et nihilominus non erat separata a divinitate, quae ubique praesens. De qua re Fulgentius ad Thras libro 2. copiosius et Augustinus ad Dardanum multisque aliis in locis.“ Staehelin, Briefe Bd 2 S. 348f.

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Abendmahlsbrot durch die Väter verneint. Ihr Bekenntnis zur Himmelfahrt steht demgemäß in direktem Gegensatz zur Realpräsenz. Dies wird noch von einer anderen Seite her bestätigt. Augustin äußert sich ganz klar dahingehend, dass es einen Leib, der nicht in bestimmtem Ausmaß Raum einnimmt, nicht 317 gibt und geben kann. Der Basler beruft sich dafür wieder – in umfänglichen Zitationen – auf den Brief an Dardanus: „Nam spacia locorum tolle in corporibus, et nusquam erunt: et quia nusquam erunt, nec erunt: tolle ipsa corpora qualitatibus corporum, non erit ubi sint. Et 318 ideo necesse est, ut non sint.“

Es ist darum unmöglich, die räumliche Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl zu verneinen und doch zu sagen, „da ist der Leib Christi“. Es gibt kein Mittelding zwischen der rein geistigen Gegenwart des Leibes Christi und der Raum einnehmenden und umgrenzenden körperlichen Gegenwart. Hier hat es auch keinen Sinn, sich auf die Allmacht Gottes zu berufen. Denn Gott tut nichts gegen die Natur des Leibes. Und dass diese bei einer gleichzeitigen Gegenwart an verschiedenen Orten aufgehoben sein würde, bringt ja Augustin durch die warnenden Hinweise zum Ausdruck, dass die Wahrheit des Leibes Christi verloren gehen würde, wenn er überall hin ausgebreitet wäre. Daran ändert auch nichts der Einwand, Aug. habe selbst unter 319 Hinweis auf Gottes Allmacht davon gesprochen, dass der Leib des Auferstandenen durch die verschlossene Tür zu den Jüngern gegangen sei – woran man doch erkennen könne, dass der Leib Christi noch eine andere Existenzweise habe als die der begrenzten Räumlichkeit. Aber dies ist nicht die Meinung Augustins; er will vielmehr sagen: Wenn Gottes Allmacht es möglich macht, dass der Leib Christi wider die Natur des Leibes auf dem Wasser wandelt, oder von hellem Glanz erstrahlt – warum sollte Gott ihn dann nicht auch für einen Augenblick subtil gemacht haben, dass er durch die verschlossene Tür gehen konnte? Diese „Subtiligkeit“ bedeutet nach Oekolampad aber nicht, dass der Leib Christi seine Raumhaftigkeit aufgegeben habe und damit 320 zwei Leiber an einem Ort seien. Vielmehr versteht er darunter eine Verfeinerung des Leibes derart, dass er – wie wir es uns heute etwa in der Art der Osmose vorstellen – einen anderen, nicht völlig verdichteten Körper durch321 dringen kann, ohne seine Ausdehnung zu verlieren. Ein solcher subtiler 317 „Constanter autem sentit Augustinus, ibi non esse corpus, ubi locum non habet.“ Dialogus m7a. 318 Dialogus m7a – Aug., praes. dei III (PL 33,835f.). 319 Über Luthers Bekenntnis t4b – Aug., agon. 24 (PL 40,304f.). 320 Über Luthers Bekenntnis t5a. 321 „Auch so wir sagend / dz Christus leib subtilcklich durch den stein od' thür wer gangen / wollend es darumm wed' verjatzget öd' verneinet haben / so ist dannocht er nit durch die thür kommen wie ein Engel oder teüfel / sonder als ein leib / welcher freylich hat sein maß gehabt / wie klein sy ioch ymmer gedacht mag werden. Nichts ist so vest vnd satt gepreßt / es mag fester sein / mag es nun fester sein so hat es noch etwas thünne oder lücke / halt es etwas thünnes / so mag es rhaumm geben den subteilen durchtringenden dingen.“ Über Luthers Bekenntnis t4a/b.

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Leib ist ein geistlicher, d.i. dem Geiste unterworfener Leib, der aber seine Raumhaftigkeit behält und damit auch in der Ewigkeit ein wahrer Leib 322 bleibt. 5.1.3 Zusammenfassung Oekolampads Väterbeweis für das ihm eigene Verständnis der Himmelfahrt und des Leibes Christi ist in seinen wesentlichen Argumenten von der genuina expositio an da. Er konzentriert sich im Laufe der Auseinandersetzung besonders auf die Absicherung der beiden Punkte, dass der Leib Christi umgrenzt an einem Ort und dass er ohne diese Raumhaftigkeit kein wahrer Leib sei. Als allerklarste Zeugnisse für viele Väterstimmen dienen Augustin und Fulgentius. 323

Augustinus, Io. ev. tr. 30,1 324 Augustinus, praes. dei cp. 3 325 Fulgentius, ad Tras. II, XVII,2

Aus diesen Stellen geht hervor, dass die Väter eine Ubiquität des Leibes Christi als mit dem Wesen des Leibes unverträglich ansehen. Sie lehren allein von der Gottheit Christi die Unermesslichkeit und Ubiquität, von der Menschheit Christi aber die Raumhaftigkeit. Es gibt keinen Leib als nur so, dass er sich an einem begrenzten Ort befindet. Dementsprechend reden die Väter von der Himmelfahrt eindeutig als von einer Ortsveränderung: Christus hat wirklich leiblich die Erde verlassen, als er in den Himmel einging. Dabei bedeuten diese Aussagen für die Väter keine Trennung der Person Christi. 5.2 Die Auslegung der Einsetzungsworte durch die Väter Das wichtigste exegetische Argument Oekolampads zur Abendmahlslehre ist dieses: Christus legt sich selbst aus, indem er spricht „Das tut zu meinem Gedächtnis“. Darnach ist das Abendmahl ein heiliger Ritus, den er zum Gedächtnis seines Todes gestiftet hat. Das Brot sollen wir als ein heiliges Zeichen mit dem Munde essen, die Wohltat Christi aber, und gerade auch seines Leibes, uns im Geiste gläubig in Erinnerung rufen. Was soll euch in diesem Zusammenhang sonst das Wort Erinnerung, das doch von etwas Abwesendem redet, wenn 326 Christus im Sakrament seinem Leib nach wirklich gegenwärtig ist? Dass diese Auslegung auch die der Väter sei, sucht er wie folgt zu zeigen: 322 Über Luthers Bekenntnis t5b. 323 Vgl. S. 86. 324 Vgl. S. 86. 325 Vgl. S. 86. 326 Vgl. S. 49 Anm. 130.

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5.2.1 De genuina expositio Was die Einsetzungsworte betrifft, so liegt der Hauptbeweis darin, dass die Väter im Anschluss an den Wiederholungsbefehl bei Lukas und Paulus bei der Sakramentsfeier allen Wert auf das Gedächtnis legen und dies auch mit dem Gebrauch der entsprechenden Begriffe zum Ausdruck bringen. So spricht Origenes davon, dass es allein die commemoratio sei, die Gott gegenüber den Menschen gnädig 327 stimme und Ambrosius versteht in der Auslegung von 1. Kor 11 die memoria redemptionis, die mit Hilfe der Zeichen des Brots und Weins von den Gläubigen erneuert wird, als das eigentliche geistliche Heilmittel, nicht das Nachtmahl 328 selbst. Noch klarer sagt er zu Vers 26b „Weil wir durch den Tod des Herrn erlöst sind, deswegen zeigen wir durch das Essen und Trinken auf den Leib und 329 das Blut, die für uns geopfert sind.“ Dem entspricht auch, nach Oekolampad, die Begrifflichkeit des Ambrosius: „(das Blut Christi) beneficii divini testis est, in 330 cuius typum nos calicem mysticum sanguinis … percipimus“. In cuius typum 331 ist im Sinne Oekolampads mit „des zum Zeichen“ zu übersetzen; calix mysticus aber ist der hinweisende Kelch, dessen Zeichencharakter den nicht Eingeweihten verborgen ist. Schon der Gebrauch dieser Begriffe significare, typus, calix mysticus durch Ambrosius genügt auch hier zum Beweis für den bloßen Zeichen332 charakter des Sakraments. Nicht anders verhält es sich bei Chrysostomos. Auch er redet vom symbolum 333 und signum und davon, dass im Leiden des Herrn das höchste Heil gelegen sei. So redet auch Hieronymus vom Leib des Herrn als vom Sakrament wie alle anderen. „Kurz, an welche gediegenen Autoren man sich immer wendet, jeder von ihnen legt ‚Leib Christi‘ aus und sagt, es sei das sacramentum oder das heilige Zeichen oder, was dasselbe ist, das mysterium des Leibes Christi. Und gleicher-

327 Genuina Expositio i4b. 328 Genuina Expositio i5b – Ambr., Commentaria in Ep. ad Cor. I, zu 11,23–25 (PL 17,242). 329 „Quia enim morte domini liberati sumus, huius rei in edendo et potando, carnem et sanguinem, quae pro nobis oblata sunt, significamus.“ Genuina Expositio i6a – Ambr., Commentaria in Ep. ad Cor. I (PL 17,243). Oekolampad zeigt selbst, dass der Satz auch anders verstanden wird: „In quibus verbis minutulus punctus a recto sensu quosdam avertit dum legunt in edendo et potando carnem et sanguinem significamus, quae pro nobis oblata sunt.“ Er meint aber, dass Ambrosius edendo carnem et bibendo sanguinem hätte sagen müssen, wenn diese Stellung der Satzzeichen gelten sollte. 330 Genuina Expositio i6a. 331 Haetzer übersetzt kennzeichnend: „… dann es ist ain zeug götlicher gütthät / zü welchs bedeutung wir den Sacramentlichen Kelch des blütß … empfhahen“. qIIa. 332 Oekolampad erläutert die soeben angeführte Stelle: „Beneficii ait, domini sanguis testis est, ubi quaeso? in cruce. In cruce enim exaltatus trahit ad se omnia, in cruce exercenda fides est, sed quid agitur in mysterio? in eius typum nos calicem mysticum percipimus? Audis hic typum et calicem mysticum.“ Genuina Expositio i6a. 333 Genuina Expositio i6b.

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weise wird das Blut Christi als der mystische Kelch oder das mysterium oder 334 sacramentum des Blutes Christi ausgelegt.“ Zwei Beweisgründe sind es demnach, die Oekolampad aus der Auslegung der Einsetzungsworte durch die Väter im Wesentlichen anführt: a) Alles Gewicht liegt im Abendmahl auf der Erinnerung an den Tod Christi, der das eigentlich heilbringende Geschehen ist, und nicht auf den Zeichen. b) Alle Väter reden im Zusammenhang der Einsetzungsworte hinsichtlich der Abendmahlselemente von sacramentum, typus, calix mysticus usw. Daraus ergibt sich wiederum, dass die genannten Begriffe für Oekolampad alle dasselbe besagen und klar genug sind, die Meinung der Väter eo ipso wiederzugeben. 5.2.2 In den späteren Schriften findet eine weitere Auseinandersetzung mit den exegetischen Äußerungen der Väter nicht statt. Die allgemeine Argumentation, die selbstverständlich weitergeht, zeigt aber, dass Oekolampads Auffassung der genannten Väterstellen sich nicht geändert haben kann. 5.3 Zur Auslegung von Johannes 6,63 Nach Oekolampads Überzeugung ist mit dem Wort „das Fleisch ist kein nütze“ eine eiserne Mauer gegen Luthers Auffassung von der Realpräsenz aufgerichtet. Die Meinung dabei ist, dass das Wort Fleisch auf den Leib Christi gehe, dessen leiblicher Genuss nicht nützt, weil er von Gott nicht dazu geordnet ist. Der äußerst knappe Väterbeweis zu dieser Auffassung von Joh. 6,65 findet sich in der genuina expositio und im Antisyngramma. In der ersten Schrift wird nur darauf hingewiesen, dass Augustin „Fleisch“ an dieser Stelle vom Leib Christi 335 verstehet, im Antisyngramma sichert der Basler die Konsequenz aus dieser Bezugnahme in seinem Sinne ab. Wenn Augustin sagt, dass Christi Fleisch ohne Glauben genossen unnütz ist, im Glauben genossen aber überaus nützlich, dann meint er nicht das Fleisch Christi im Abendmahlsbrot, sondern das, welches uns mit dem Vater versöhnt hat. Denn der Kirchenvater legt sich näher dadurch aus, dass er mit dem Hinweis auf die Auffahrt des Menschensohnes das Missverständnis der Jünger vom Essen des Fleischs Christi auflöst. Die Jünger meinten, Christus würde seinen Leib zur Speise verausgaben, jener aber redet davon, dass er unverletzt in den Himmel eingehen werde und zeigt damit, dass seine Gnade 336 nicht mit den Zähnen aufgenommen wird. So weist Augustin hinauf zum 334 Vgl. S. 50 Anm. 133. 335 Genuina Expositio k5b. 336 „Si ergo videritis filium hominis ascendentem ubi prius erat. Quid est hoc? Hinc solvit illud quod non noverant, hinc aperuit unde fuerant scandalizati, hinc plane si intelligerent: illi enim

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Himmel, indes die Gegner Oekolampads zum Abendmahlstisch hinweisen. Von einem Nutzen des Fleischs Christi im Abendmahl kann also nach Augustin keine Rede sein. 6. Zur Methodik der Väterauslegung Oekolampads 6.1 Zusammenfassung der bisherigen Beobachtungen Im Verlauf der bisherigen Darstellung ergaben sich eine Anzahl methodischer Beobachtungen sowohl an Oekolampads Auslegung einzelner Väterstellen als auch allgemeiner Art, die nunmehr festgehalten und zusammengefasst werden sollen. 1) Schon ein Überblick über das Gesamte der Argumentation Oekolampads 337 zeigt, dass ihn – gewiss in bewusster Übereinstimmung mit Augustin – die Methode der klaren Stellen bestimmt. Von den klaren Stellen, die keiner Auslegung bedürfen, ausgehend argumentiert er, legt er die übrigen Aussagen aus, widerlegt er missverständliche und anderslautende Worte, die ihm entgegengehalten werden. Diese Methode gilt für jeden einzelnen Kirchenvater, dessen klare Aussagen zur Interpretation der übrigen dienen und die Debatte über das, was er hier und da gemeint haben mag, abschließen. Sie gilt aber auch für die Kirchenväter untereinander in ihrem gegenseitigen Verhältnis. Einer wird durch den andern ausgelegt oder bestätigt, wobei Augustin als der bedeutendste und klarste in das Sakramentsverständnis und die Redeweise der alten Kirche einführt und damit der Schlüssel zum Verständnis der übri338 gen Kirchenväter geworden ist. Augustin liefert denn auch geradezu in allen Punkten das entscheidende und die Sache abschließende Zitat. putabant eum erogaturum corpus suum. Ille autem dixit se ascensurum in coelum, utique integrum. Quum videritis filium hominis ascendentem in coelum. Certe vel tunc videbitis, quia non eo modo, quo putatis, erogat corpus suum, certe vel tunc intelligetis, quod gratia eius non consumitur morsibus.“ Antisyngramma (Apologetica) s2b – Aug., Io. ev. tr. 27,3 (CChr.SL 36,271). 337 Aug., doctr. chr. II,9 (CChr.SL 32,41). 338 Geradezu klassisch formuliert Oekolampad die Schlüsselstellung Augustins in seinem Antwortbrief an Melanchthon vom Juli/August 1529: „Quoniam autem contentio orta est, quid de eo sacramento sentiendum, nonne prudenter eo recurrimus ubi dilucidius et copiosius de hoc tractant? Quod et fecimus non sine ludicio ac delectu obvia quaeque devorantes. Est inter alios applausibilis fidei et dilucidae enarrationis scriptor, Augustinus Hipponensis, quem super hac causa, ut audiremus dignum iudicavimus. Persuasum enim est, si ille clare nobiscum faciat, neutiquam a nobis dissensuros, quoquot illum antecesserunt, orthodoxos doctores, quibuscunque tandem verbis sententiam suam explicent. Quornodo enim ille diversum ab Ambrosio, a quo initiatus est, doceret? Quomodo Cypriani Tertullianisque, patriae suae clarissimorum scriptorium, fidem ignorasset? Quomodo Romanorum, Graecorum et Aegytiorum confessioni, quas alias citare non dedignatur, contradiceret? Ille igitur aurem vellicavit et ab errore revocavit, cum diligentius expenderem, quid in tertio de Trinitate, quid in lib 16. de Doct. Christiana, … rescripserit …“ Staehelin, Briefe Bd 2, S. 344.

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Voraussetzung für diese Methode ist, dass die Väter einmal in sich selbst einheitlich und geschlossen, zum andern, dass sie untereinander interpretabel sind und also in einer sachlichen Einheit stehen. Der Basler ist davon überzeugt. Er stützt diese Überzeugung bisweilen durch Hinweise auf bestimmte Beziehungen einzelner Väter untereinander, etwa, dass Augustin ein eifriger 339 Leser Cyprians gewesen sei, dass er Ambrosius gehört habe u.a., kann aber auf solche Hinweise durchaus auch verzichten. Erst in der Zeit der ausgehenden alten Kirche lässt diese Einheit nach, weshalb die jüngeren Lehrer längst nicht das Gewicht in der Argumentation wie die älteren haben. 2) Außer durch die klaren Stellen wird die Auslegung der einzelnen Väteraussagen von allgemeinen Grundgegebenheiten bestimmt, z.B. dem Satz des Widerspruchs, der Unterschiedenheit von Raum und Zeit, der Trennung von Belebtem und Unbelebtem, des Verhältnisses der Sensibilia zu den Intelligibilia. Diese Grundgegebenheiten sind sozusagen die Grenzlinien, die die Auslegung der Einzelstellen nicht überschreiten darf. Sie werden vom Basler öfters in einem bestimmten Ausdruck des Texts lokalisiert, der dann die gesamte Auslegung prägt. Die Voraussetzung, die Oekolampad auch aufzuzeigen versucht, ist, dass diese Grundgegebenheiten von den Vätern selbst geteilt werden. 3) An einzelnen mehr formalen Beobachtungen seien folgende nur festgehalten: a) Die Argumentation vom Kontext her bestimmt wesentlich das Einzelverständnis. b) Häufig wird die Realpräsenz als mit der Aussagestruktur des Texts unvereinbar erwiesen oder gezeigt, dass unter ihrer Voraussetzung der Text eine andere Gestalt haben müsste. c) Nicht selten werden Begriffe der Väter durch biblische Begriffe, wie Oekolampad sie versteht, erläutert. d) Andererseits wird aber auch, wie bei der Erläuterung Tertullians, von dem Grundsatz ausgegangen, dass der Verfasser aus seinem eigenen Sprachgebrauch erläutert werden müsse. 4) Schon in dem bisherigen Aufweis des Väterverständnisses wurden hin und wieder einzelne hermeneutische Erkenntnise verwendet, die als eine Art hermeneutischer Schlüssel dienen. Gemeint sind darunter Erkenntnisse, die vom schon erarbeiteten rechten Verständnis der Väter ausgehen und aussprechen, wie die Väter bestimmte Gedanken zum Ausdruck bringen. Dem noch unerfahrenen Leser wird damit ein bestimmtes Sachverständnis an die Hand gegeben, das es ihm ermöglicht, sich in den von seiner eigenen Zeit weit zurückliegenden und nicht immer leicht verständlichen Texten zurechtzufinden. Als solche sachhermeneutische Schlüssel lassen sich folgende aufweisen:

339 „Augustinus, sedulus Cypriani lector et admirator …“ Genuina Expositio f8a.

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a) Alles, was die Väter mit sacramentum, figura, mysterion, antitypon, mnemosynon, recordatio u.a. bezeichnen, ist ein Zeichen, das die bezeichnete Sache nicht bei sich gegenwärtig hat. Demgemäß müssen Sakramente nach Art der Sakramente verstanden werden. b) Alle Stellen, an denen die Väter vom Abendmahlsbrot und -wein als dem Leib und Blut des Herrn reden, müssen als tropische Redeweise aufgefasst werden, da die Väter das Sakrament mit dem Namen des von ihm Bezeichneten benannten. c) Wenn die Väter von den Sakramenten sagen, dass sie das Heil darreichen, so meinen sie damit nicht, dass die Sakramente selbst das Heil schenken, sondern dass sie auf den gekommenen Christus hinweisen, von dem wir das Heil empfangen. d) Wenn die Väter von der geistlichen Nießung des Leibes Christi sprechen, dann meinen sie nicht, dass man durch den Glauben an die Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahlsbrot geistlich genährt werde, sondern durch den Glauben an den menschgewordenen und gekreuzigten Christus. Nicht der Glaube an die Realpräsenz macht selig, sondern der an den menschgewordenen und gekreuzigten Christus. e) Alle Hinweise wie die, dass zum Empfang der Sakramente geistliche Augen erfordert werden, sind im Sinn der Abwendung von den irdischmateriellen und der Hinwendung zu den geistig-geistlichen Dingen zu verstehen. f) Die altkirchlichen Aposiopesen sind Ausdruck für die volle Verstehbarkeit der Sakramente und für ihren Zeichencharakter. 6.2 Die Auslegung schwieriger Stellen Einer Darstellung der patristischen Argumentation bei Oekolampad ohne seine Behandlung für ihn schwieriger Väterstellen würde ein wesentliches Stück fehlen. Die Entkräftung und Widerlegung der gegnerischen Argumente nimmt ja, wie es angesichts der traditionellen Lehre vom Abendmahl verständlich ist, einen breiten Raum ein, der nicht einfach übergangen werden darf; darüber hinaus aber muss sich das eigene Väterverständnis Oekolampads an diesen für ihn schwierigen Stellen bewähren, und nicht zuletzt geben ja gerade die Stellen, mit denen sich Oekolampad besonders auseinandersetzen muss, einen eingehenden Einblick in seine Auslegungsmethode und ihre Voraussetzungen. 340 Dass es schwierige und dunkle Stellen gibt, gesteht Oekolampad zu. Die Gründe dafür sind teils bei der Überlieferung, teils bei den Lesern zu suchen, die 340 Z.B. „Prima facie haec Irenaei legenti apparent asserere a carne Dornini ali nostram panemque esse ipsissirnum corpus Christi, ut Quidam contendunt, sed non hoc vult …“ Genuina Expositio g3b „Similiter et Cyrilli authoritatem non temere refutarim, licet satis intricate loquitur …“ Genuina Expositio i7b; „Haec omnia Hilarius, qui et ipse intellectu obscurior authoribus caeter-

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der Redeweise der Väter nicht gewöhnt sind und oft auch unaufmerksam über die Texte hin lesen. Aber auch die Väter haben, obgleich guter Absicht, selbst Anlass zum Missverständnis gegeben, indem sie die Sakramente besonders her342 vorhoben und mit übermäßigen Worten immer mehr verherrlichten. An Hand einiger typischer Stellen soll nun beispielsweise gezeigt werden, wie der Basler schwierige Stellen auffasst und in welcher Weise er dabei vorgeht. 6.2.1 Einzelauslegungen a) Augustin schreibt in der Auslegung zu Psalm 34: „Ferebatur Christus in manibus suis, quando ipsum corpus suum commendans ait: 343 Hoc est corpus meum, Ferebat enim illud corpus in manibus suis.“

Zugunsten der Realpräsenz wird hier argumentiert, dass Augustin von Christus spricht, er habe im heiligen Abendmahl seinen Leib in seinen Händen getragen. Und was im ersten Abendmahl vorhanden war, nämlich sein Leib, das befinde sich in der Tat nun auch auf dem Altar der Kirche. Im Gegensatz dazu stellt Oekolampad zunächst fest, dass die Allegorie Augustins aus sprachlichen Gründen unpassend ist. Augustin liest in der Einleitung von Psalm 34 über David „et ferebatur in manibus suis“ und bezieht dies auf Christus im heiligen Abendmahl. In Wirklichkeit ist aber, wie aus der Grundstelle, auf die Augustin die Einleitung des Psalms bezieht, hervorgeht 344 „collabebatur inter manus eorum“ zu lesen. Sodann fordert der Basler auf, die Worte genau zu besehen. Augustin sagt nicht einfach „ferebat corpus“, sondern schickt „commendans corpus“ voraus, und zwar, wie der Basler ergänzt, „nimirum in sacramento“. Und hernach fährt er fort: „Ipsa est humilitas Domini nostri Jesu Christi“. Damit erschließt er den Sinn der ganzen Allegorie. Dieser Sinn besteht – nach Oekolampad – darin, dass Christus seine Niedrigkeit und Schwachheit durch caeteris, non tam contra nos est, atque apparet …“ Genuina Expositio h4a. Die Reihe solcher Stellen ließe sich ohne Schwierigkeit fortsetzen. 341 „Multis rationibus moveor, Irenei sermonem suis temporibus non fuisse tam obscururn, atque nobis est. Exemplaria enim magna incuria descripta sunt. Interpres graecitatem reliquit… et Irenaeus ipse apostolicis tropis, tunc notioribus, peculiariter usus est …“ Genuina Expositio i5a (Die Angabe Gv ist ein Versehen). 342 Oekolampad skizziert, wie die Fehlentwicklung verlief: „Dicentes enim pii, Christus ipsum cibum animarum suarum, et sacramentum illud omnium saeculorum, non externum panem, occasionem dederunt simplicioribus asserendi, Christum in ipso pane realiter, ut aiunt, esse, et panis substantiam fieri Christi corpus. Invaluit postea pernitiosus error, scriptoribus luxuria verborum magnificentiam rei attestantibus, nunc transelementationem, nunc versionem vocare audentibus, quod crassiores capere non potuerunt, sua somnia fingentes.“ Genuina Expositio d3a. 343 Genuina Expositio a6a – Aug., en. Ps. 33,1,10 (CChr.SL 38,281,1ff.). 344 1. Samuel 21,13.

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das Zeichen des Brots bezeugt. „Ferebatur corpus suum in manibus“ ist gleichbedeutend mit collabi inter manus eorum und meint nichts anderes als 345 die Schwäche und Niedrigkeit Davids bzw. Christi. Commendans corpus aber besagt, dass uns Christus seinen wahren Leib anempfohlen habe, und 346 zwar natürlich im Sakrament. Oekolampad geht dabei von der Bedeutung commendare = anempfehlen aus und versteht es geradezu als „empfehlend hinweisen“, „zur Erinnerung anbefehlen“. Der Sinn der augustinischen Wor347 te ist dann: Christus befahl uns, und zwar durch das Sakrament, seinen Leib an, als er sagte: „Das ist mein Leib“. Denn er wies damit auf seine Niedrigkeit hin. Oekolampad sieht sich in dieser Auslegung noch durch die Zusammenfassung bestärkt, die Augustin in der zweiten Predigt über Psalm 34 gibt. „Quia cum commendaret, ipsum corpus suum et sanguinem suum accepit in manus suas quod norunt fideles, et ipse se portabat quodam modo quum diceret, Hoc est corpus meum.“ 348

Als zusätzliches Argument findet er hier noch die Aposiopese und das „quodammodo“. Letzteres ist für den Basler ein gewichtiges Zeugnis: Der Kirchenvater hätte klar reden müssen, wenn er hätte dartun wollen, dass der 349 Leib Christi im Abendmahl ist. Endlich beruft sich Oekolampad noch auf 350 andere Stellen bei Augustin, aus denen offenkundig ist, dass der Bischof den Ausdruck corpus Christi adesse als ein adesse in sacramento verstehe. Darunter meint der Basler nicht eine räumliche Gegenwart des Leibes Christi im Brot, so dass man sagen müsste, der wahre Leib Christi sei dort, wo er im Zeichen 351 ist, sondern die durch die Zeichenfunktion der Elemente gewirkte Gegenwart des Leibes Christi in der Erinnerung. Das adesse in sacramento steht im Gegensatz zur localis praesentia corporis in pane. Die Behandlung dieser Stelle in den späteren Schriften zeigt, dass das Verständnis und die Argumentation sachlich gleich geblieben sind. Auch angesichts der Einwände des Syngramma findet Oekolampad keine andere Erklärung für das quodammodo, als dass Augustin damit seine direkte Aussage

345 Genuina Expositio a6b. 346 „Non simpliciter, inquit, ferebat corpus, sed praemisit, commendans corpus, nimirum in sacramento.“ Genuina Expositio a6b. Dass Oekolampad „commendare“ im Sinn von „hinweisen“ gebraucht, wird im Dialogus m4a bestätigt: „Hoc autem ut significet et commendet, dicat …“ 347 Zur Übersetzung von „in sacramento“ mit „durch“ vergleiche Oekolampad in der Anderen Billichen Antwurt: „Befehllen den leib (namlich durch ein zeichen) heisset er den leib tragen.“ Hier wird auch die Übersetzung sacramentum = Zeichen bestätigt. Vgl. S. 28f. 348 „Audacter proloquendum errat, si declarabat ibi esse corpus suum dum dicit Quodammodo!“ Genuina Expositio a7a. 349 z.B. das „clarissimum testimonium“ Aug., trin. III,10 – Genuina Expositio a7a. 350 Genuina Expositio a6b – Aug., en. Ps. 33,2,2 (CChr.SL 38,283,41ff.). 351 Genuina Expositio a7a.

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zugunsten des Tropus verbessere. Formal stützt er sich noch mehr auf die Ausführungen Augustins in der zweiten Predigt zu Psalm 34, die in der „anderen billichen Antwort“ noch durch den Vergleich des Abendmahlsbrots mit 353 einem Kruzifix erläutert werden. Als wesentliche Punkte der Interpretation Oekolampads ergeben sich demnach folgende: 1) Der Basler fügt dem Text – auf Grund anderer Augustin-Worte glaubt er sich dazu berechtigt – ein „in sacramento“ ein, wodurch die Aussage, die man im Sinn der Realpräsenz verstehen kann, eindeutig als zeichenhaft gekennzeichnet und das „commendans corpus“ in dem entsprechenden Sinne festgelegt wird. 2) Oekolampad interpretiert den für ihn schwierigen Ausdruck „ferebatur in manibus suis“ gleichbedeutend mit collabebatur inter manus eorum, obwohl letzterer erst auf Grund einer bei Augustin nicht erwähnten Textvorlage eingeführt wird. 3) Der Basler interpretiert den Ausdruck quod norunt fideles im Sinne der von ihm spezifisch verstandenen Arkandisziplin, die eine wirkliche Realpräsenz ausschließt. 4) Der Ausdruck quodammodo dürfte nicht stehen, wenn die Realpräsenz ausgesagt werden sollte. Oekolampad interpretiert damit den Text von einer Sollgestalt her, die vorhanden sein müsste, wenn die Realpräsenz zum Ausdruck kommen sollte. 5) Schließlich stützt sich Oekolampad auf andere, klare Stellen Augustins, die seine Deutung dieser Worte bestätigen. b) Chrysostomos Die nachfolgenden Ausführungen des Kirchenvaters stehen dem Basler als Beispiel dafür, wie die Alten selbst im Überschwang der Worte so redeten, dass ungebildete Gemüter sie missverstehen mussten. Chrysostomos straft jene, die während der Sakramentsfeier sich mit weltlichen Dingen abgeben: „ … Papae: Mensa mysteriis instructa est, et agnus Dei pro te immolatur. Sacerdos pro te angitur, ignis spiritualis ex sacra mensa refluit. Seraphin adstant, sexalis faciem Dei tegentes: omnes incoporeae virtutes pro te cum Sacerdote intercedunt. Ignis spiritualis e caelo descendit, sanguis in cratere, in tuam purificationem ex immaculato latere haustus est. Et non erubescis … Num vides panem? num vinum? num sicut reliqui cibi in secessum vadunt? Absit, ne sic cogites, Quemadmodum enim si cera igni adhibita, illi assimilatur, nihil substantiae remanet, nihil superfluit, sic et hic puta mysteria consumi a corporis substantia, propter quod et 352 „Et vos ipsi non nihil nobis propicij, expenditis, quod non absque causa adiecerit, quodammodo, nempe per correctionem. Et quid sibi vult correctio, si non esset tropus in verbo? simpliciter corpus dixisse contentus esse debebat.“ Antisyngramma k4a. 353 Andere Billiche Antwurt k3a

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accedentes ne putetis, quod accipiatis divinum corpus ab homine, sed ab ipsis Seraphin ignem, quem scilicet Esaias forcipe vidit eos accipere. Reputate salutarem sanguinem, quasi e divino et impolluto latere effluere, et ita approximantes, puris 354 labiis accipite.“

Oekolampad gesteht zu, dass diese Worte zugunsten der Realpräsenz lauten, aber doch nur bei oberflächlichem Verstehen. Denn wenn man hier eine Realpräsenz herausliest, dann muss man konsequent auch die übrigen bildlichen Ausdrücke, die von den Priestern, den Diakonen u.a. gesagt sind, im Sinne einer Wandlung auslegen. Das aber geschieht nicht – man gesteht zu, dass die Diakone Diakone und nicht Seraphen sind und lässt die Bildreden stehen. Einzig beim Brot und Wein soll es keine Bildrede sein; da allein erdichtet 355 man törichte und unglaubliche Wunder. Der Basler versteht demnach die Ausführungen des Chrysostomos als durchgängige Bildrede, zu der auch die Ausdrücke Leib und Blut gehören. Sie davon auszunehmen, ist für ihn willkürliche Inkonsequenz. Andererseits steht aber der Charakter der Bildrede unwidersprochen fest. So bleibt für den, der die Realpräsenz aus dieser Stelle herausliest, nur eine doppelte Sackgasse: entweder absurde Konsequenzen hinsichtlich der Gesamtaussage des Abschnitts oder Inkonsequenz in der Behandlung dieser Väteraussage. Wesentliche Interpretationsmittel sind also die vorausgesetzte Geschlossenheit der Bildrede, deren Auflösung das innere Gefüge des Texts sprengen würde, und die absurden Konsequenzen, die ein Verständnis in Richtung Realpräsenz verbieten. c) Cyprian: „Christus nostri, qui corpus eius contingimus, panis est. Hunc autem panem nobis dari quottidie postulamus ut qui in Christo sumus, et Eucharistiam quotidie ad cibum salutis accipimus, intercedente aliquo graviori delicto, dum abstenti, et non communicantes, a caelesti pane prohibemur, et a Christi corpore separemur, ipso dicente et monente: Ego sum panis vitae, qui de caelo descendi. Si quis edit ex hoc pane, vivet in aeternum. Quando ergo dicit in aeternum vivere, si quis ederit de pane eius, ut manifestum est eos vivere, qui corpus eius attingunt, et Eucharistiam iure communicationis accipiunt: ita contra timendum est, et orandum, ne dum quis abstentus separatur a Christi corpore, procul removeatur a salute, comminante ipso et dicente: Nisi ederitis carnem filii hominis, et biberitis sanguinem eius, non habebitis vitam in vobis. Et ideo panem nostrum quottidie petimus, ut qui in 356 Christo manemus et vivimus, a sanctificatione et corpore eius non recedamus.“

354 Genuina Expositio d3a – Chrys., poenit. IX (PG 49,345). 355 Genuina Expositio d3b. 356 Genuina Expositio f7b – Cyp., domin. orat. 18 (PL 4,531).

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Für Oekolampad sind diese Worte, mit denen Cyprian die 4. Bitte auslegt, 357 eine Warnung vor Trennung und Ärgernis. Ihr Sinn ist: Das tägliche Brot, nämlich die geistliche Gemeinschaft mit Christus, empfangen die, die in der Liebe bleiben und sich von der Kirche Christi nicht abwenden, sondern an einzelnen Tagen sich durch die Teilnahme am Sakrament als Glied Christi bezeugen. Darum wiegt auch die Enthaltsamkeit vom Sakrament, als der Heiligung widersprechend, so schwer. Zur Begründung verweist Oekolampad auf die Unterscheidung zwischen dem von uns täglich erbetenen geistlichen himmlischen Brot und der Eucharistie; diese Unterscheidung sei bei näherem Zusehen in den Worten Cyprians klar zu erkennen. Als Anhaltspunkt dafür nennt der Reformator die Formulierung des Schlusssatzes: „Qui in Christo manemus et vivimus“, das bezieht sich aufs himmlische Brot, „et a sanctificatione et corpore eius non recedamus“ – das geht auf die Eucharistie, durch die wir den heiligen Wandel, mit dem wir uns auf die Kommunion vorbereiten und unsere Unschuld bezeugen, so dass wir mit Recht Glieder am Leibe Christi genannt zu werden verdienen. Corpus ist in diesem Zusammenhang natürlich nicht vom Leibe Christi im eigentlichen Sinn, sondern von der Kirche Jesu Christi verstanden. Die aufgewiesene Unterscheidung Oekolampads bestätigt er noch damit, dass Augustin als emsiger Leser und Bewunderer Cyprians ebenfalls zwischen der geistlichen und sakramentlichen Nießung unterscheidet. 358 Der Basler interpretiert also diesen Text, indem er ihn auf einen darin nicht ausgesprochenen Unterschied zwischen dem eigentlichen geistlichen Himmelsbrot und der Eucharistie als Zeugnis der Heiligung und des Chris359 tenstandes hin auslegt und diese Unterscheidung mit einem Augustin-Zitat bekräftigt. d) Irenäus: „Quomodo autem constabit eum panem in quo gratiae sunt actae corpus esse domini sui, et calicem sanguinis eius, si non ipsum fabricatoris mundi filium dicant, id est verbum eius per quod lignum fructificat, defluunt fontes, et dat quidem primum foenum, post deinde spicam, deinde plenum triticum in spica. Quomodo autem rursus dicunt carnem in corruptionem venire, et non percipere vitam, quae a corpore domini et sanguine alitur. Ergo aut sententiam mutent, aut abstineant offerendo quae praedicta sunt. Nostra autem sententia consonans est Eucharistiae, et Eucharistia rursus nostram confirmat sententiam. Offerimus enim ei, quae sunt eius, congruenter communicationem et unitatem praedicantes carnis et spiritus, Quemadmodum enim qui est a terra panis percipiens vocationem dei, iam non communis panis est, sed Eucharistia, ex duabus constans rebus, terrena et coelesti, sic et corpora nostra percipientia Eucharistiam, iam non sunt corruptibilia 357 Vgl. zum Folgenden Genuina Expositio f7b/8a. 358 Genuina Expositio g3b – Iren., haer. IV,18,4f. (SC 100,606ff.). 359 Vgl. zum Nachfolgenden Genuina Expositio g3b–4b.

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spem resurrectionis habentia. Offerimus autem ei non quasi indigenti, sed gratias 360 agentes dominationi eius, et sanctificanti creaturam.“ 361

Zum rechten Verständnis dieser Stelle, die zu bestätigen scheint, dass im Sakrament unser Fleisch durch das Fleisch Christus genährt wird und das Brot und Leib er selbst ist, gibt der Basler erst den Zusammenhang an. Irenäus wendet sich hier gegen die Häretiker, die Gottes gute Schöpfung und die Auferstehung des Leibes leugnen, und bemüht sich, sie vom Wesen unseres Sakraments und Opfers her zu widerlegen. Christus hätte niemals das Brot zum Sakrament, dass es sein Leib sei, erwählt, wenn es nicht gut wäre. Der Ausdruck corpus wird dabei im tropischen Sinn verstanden: Das Brot wird corpus domini genannt, weil es Zeichen und Figur des Leibes des Herrn ist. Viel wichtiger aber als das Argument vom Brot als der guten Schöpfung ist für Oekolampad das andere, dass unser Fleisch im Abendmahl durch den Leib und das Blut des Herrn genährt und dadurch unvergänglich werde. Dies ist, nach Oekolampad, nicht so gemeint, dass unser Leib durch den Leib Christi leiblich genährt wird und darum nicht im Tode bleiben kann, sondern so, dass im Sakrament der Auferstehung des Fleischs gedacht und auf sie gehofft wird. Dem entspricht die weitere Auslegung: Vom Sakrament wird neben der irdischen eine himmlische Natur ausgesagt, weil es der Danksa362 gung dient und Gottes Name über ihm genannt worden ist, und die „communicatio et unitas carnis et Spiritus“ meint, dass wir nicht nur mit dem Geist, sondern auch mit dem Fleisch des Auferstandenen Gemeinschaft haben, d.h. dass auch wir auferstehen und unverderblich sein werden, wie 363 Christus auferstanden ist und hinfort nicht stirbt. Die ganze Argumentation des Irenäus gegen die Leugner der Auferstehung würde aber hinfallen, wenn der Leib Christi sich mit unseren Leibern im Abendmahl vereinigte. Denn unser jetziger Leib wird nächstens zu Asche, auch wächst er und nimmt ab – was doch alles dem Leib Christi widerfahren müsste, wenn er mit unserem 360 Genuina Expositio g3b – Iren., haer. IV,18,4f. (SC 100,606f.). 361 Vgl. zum Nachfolgenden Genuina Expositio g3b–4b. 362 genuina expositio g4a; vgl. S. 64 Anm. 196 und 197. 363 Dieckhoff schreibt zu Oekolampads Interpretation der Väterstellen, die von der Speisung unseres Leibes durch das Fleisch Christi zur Unsterblichkeit handeln: „Interessant aber ist vor allen Dingen, daß auch Oekolampad zuletzt dem Gewicht der Epheserstelle und den betreffenden Aussprüchen der Väter gegenüber nicht umhin kann, selbst irgendwie ein Verändertwerden unseres Fleisches in die Natur des Fleisches Christi, also eine in die leibliche Natur des Lebens übergreifende Wirkung anzunehmen, und nur bestrebt ist, diese Annahme mit seinem Begriffe vom geistlichen Essen Christi, das allein im Glauben als solchem aufgehen soll, zu vereinigen, und abzuwehren, daß damit nicht das von den Gegnern behauptete Essen und Trinken des wesentlichen Leibes und Blutes Christi selbst gesetzt sei.“ (Evangelische Abendmahlslehre S. 553) Dieses „irgendwie“ ist bei Oekolampad ganz klar erkennbar auf die Auferstehung bezogen. Das Sakrament zeigt an, dass unser Fleisch in der Auferstehung in die Natur des Fleisches Christi verwandelt wird. Eine Veränderung unseres Fleisches bei Leibes Leben geschieht nicht. Auf der gleichen Linie liegt auch die Auslegung der naturalis unitas bei Hilarius. Vgl. S. 111 Anm. 390.

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Leib vereint wäre. Deshalb kann Irenäus keine andere als die von Oekolampad aufgezeigte Meinung haben, wenn von der Eucharistie her die gnostischen Häretiker widerlegt werden sollen. Der Basler geht demnach so vor, dass er 1) das allgemeine Anliegen des Irenäus aufnimmt, die Gnostiker vom Wesen des Sakraments her zu widerlegen; 2) „corpus domini“ als „sacramentum corporis domini“ interpretiert; 3) seine Auffassung vom Abendmahl als Zeugnis der Auferstehung Christi und unserer Auferstehung und Unvergänglichkeit widergibt, wobei er wichtige Formulierungen des Irenäus entsprechend deutet. 4) die eigentliche Begründung für dieses Verständnis liegt darin, dass bei einer realen Vereinigung des Leibes Christi mit unseren Leibern im Abendmahl das Argumentationsziel des Irenäus nicht erlangt wird. Es würde ja die unerträgliche Konsequenz entstehen, dass die Vergänglichkeit unserer jetzigen Leiber, sowie ihr Wachstum und Abnehmen auch dem Leibe Christi widerführe. e) Irenäus Die Schwierigkeiten des nachfolgenden Zitats glaubt Oekolampad am ehesten durch Abschreibfehler und Ungeschicklichkeiten des Übersetzers erklären zu können. Trotzdem versucht er, es in seinem Sinne zu erläutern: „Vani autem, inquit, omni modo, qui universam dispositionem dei contemnunt, et carnis salutem negant, et regenerationem eius spernunt. Sic autem secundum hoc videlicet nec dominus sanguine suo redemit, neque calix Eucharistiae communicatio sanguinis eius est, neque panis quem frangimus communicatio corporis eius est. Sanguis enim non est nisi a venis et carnibus et a reliqua quae secundum hominem substantia, qua caro factum verbum dei, sanguine suo redemit nos. Quemadmodum et Apostolus ait. In quo habemus redemptionem per sanguinem eius et remissionem peccatorum. Et quoniam membra eius sumus, et per creaturam nutrimur. Creaturam autem ipse nobis praestat solem suum oriri faciens, et pluens quemadmodum vult. Calicem qui est creatura sanguinem suum testatus est, et panem qui est creatura suum corpus confirmavit, ex quo nostra auget corpora. Quando ergo et mixtus calix et fractus panis percipit verbum dei, fit Eucharistia sanguinis et corporis Christi, ex quibus augetur et consistit nostrae carnis substantia, quomodo negant carnem capacem esse donationis dei, qui est vita aeterna, quae et sanguine et corpore Christi nutritur, et membrum eius fit, quemadmodum apostolus ait, in ea quae est ad Ephesios Epistola. Quoniam membra sumus corporis eius, de carne eius et de ossibus eius. Non de spirituali aliquo et invisibili homine dicens haec, Spiritus enim neque carnem neque ossa habet. Sed de ea dispositione, quae est secundem hominem, quae ex carnibus et nervis consistit, quae 364 de calice, qui est sanguis eius nutritur, et de pane, qui est corpus eius augetur.“

364 Genuina Expositio g4b – Iren., haer. V,2,2 (SC 153,30f).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad

Oekolampad geht hier ausführlich auf das zweite Argument des Irenäus, das er mit den Worten „neque calix Eucharistiae communicatio sanguinis eius 365 est“ einführt, ein. Es hat den Sinn: Gibt es keine Auferstehung, dann lügen die Sakramente. Was Irenäus dabei unter der communicatio sanguinis ver366 steht, entfaltet der Basler an Hand von 1. Kor 10,16. Ist nicht jener heilige Kelch, der zum Gedächtnis des Todes und zur Danksagung für das für uns vergossene Blut genommen wird, unser Sakrament, das uns alle, die wir durch jenes Blut, das uns unter dem Zeichen des Weins anbefohlen wird, 367 glauben versöhnt zu sein, in eine Gemeinschaft zusammenbindet? Mit anderen Worten: Oekolampad legt communicatio sanguinis als die Gemeinschaft derer aus, die da glauben, durch das Blut Christi erlöst zu sein und die Auferstehung zu erlangen. Ähnliches gilt vom Brotwort. So weist das Sakrament des Abendmahls auf das wahre Blut Christi hin, das heilskräftig ist und uns vom Tode erlöst. Gibt es nun keine Auferstehung, dann lügen die Zeichen insofern, als dann weder Christus einen wahren und heilskräftigen Leib gehabt hat noch der im Brot und Wein als Früchten der Erde verborgene Hinweis auf die Auferstehung stimmt. Wie der Basler die Beziehung zwischen der wahren Menschheit Christi und unserer Auferstehung sieht, geht aus seiner Auslegung des „membra sumus corporis“ Christi hervor. Sie besagt: Weil Christus den gleichen Leib angenommen hat wie wir, so folgt aus 368 seiner Auferstehung, dass auch wir auferstehen werden. Oekolampad sieht also bei Irenäus einen unvermittelten Zusammenhang zwischen der wahren Menschheit Christi und unserer Auferstehung; die Gleichheit des Leibes Christi und unserer Leiber garantiert die Auferstehung auch unseres Leibes. Endlich legt der Basler das Genährtwerden durch das Fleisch und Blut Christi in eben demselben Sinne aus, wie im Zitat zuvor die communicatio et unitas 369 carnis et spiritus. Weil Christi Fleisch ein wahres Fleisch und das Fleisch des Sohnes Gottes ist, darum ist es kräftig, dass es die Gläubigen nährt, lebendig macht und auferweckt. Wollte man es aber in grobem Sinne verstehen, dann

365 Vgl. Genuina Expositio g5b–6b. 366 „Ex mente autem Pauli Irenaei quoque depraehendemus“ Genuina Expositio g5b. 367 „Nonne sanctus ille calix, qui in memoriam mortis cum gratiarum actione, pro sanguine qui effusus est sumitur, sacramentum nostrum est, omnes nos in unam societatem confoederans, illo sanguine redemptos se credentes, qui in vini figura commendatur?“ Genuina Expositio g5b. 368 „… Ita Christus quoque id genus ossium et carnis, quibus nos constamus accepisse. Unde semper propter eandem carnem consectaneum est si Christus resurrexit, et nos resurgemus.“ Genuina Expositio g6a/b. 369 Vgl. S. 103. Oekolampad spricht also einerseits im Anschluss an die Formulierung des Irenäus „communicatio et unitas carnis et spiritus“ von einer Gemeinschaft mit dem Leibe Christi, die in der Gemeinsamkeit desselben Fleisches und der daraus sich ergebenden Folgen der Auferstehung für den Gläubigen besteht, und andererseits im Anschluss an 1. Kor. 10 von der communicatio corporis Christi als der Gemeinschaft derer, die an den wahren Leib Christi glauben. Beides ist, wenn man Oekolampads Auslegung des Irenäus verstehen will, zu unterscheiden.

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würde der Leib Christi in unser Fleisch verwandelt werden. Und was würde dann mit der Auferstehung derer, die nur getauft sind? Eine Durchsicht der weiteren Auseinandersetzung um die angeführten Irenäus-Stellen zeigt, dass in der „anderen billichen Antwurt“ Oekolampad zwar sein Irenäus-Verständnis unter Beiziehung von ihm eigentümlich ver370 standener biblischer Begriffe erläutert, zur eigentlichen Begründung aber nur dies hinzufügt: Irenäus kann nicht so verstanden werden, als ob das leibliche Essen des Leibes Christi unserem Leib die Unverweslichkeit schenke, weil Johannes 6 lehrt – und Irenäus hat das auch gewusst –, dass der Geist lebendig macht und wir durch den Glauben und nicht durch ein äußerlich Ding an Seele und Leib unverweslich gemacht werden. Darum setzt Irenäus, wenn er von unseren Leibern die Unsterblichkeit aussagt, „spem resurrectionis habentia“ hinzu. Dieser Zusatz besagt, dass die Unverweslichkeit unserer Leiber in der festen, auf die Inkarnation und Auferstehung Christi gegründe371 ten Hoffnung unserer Auferstehung besteht. Auch im Dialogus gibt der Basler keine Begründung seines IrenäusVerständnisses, sondern nur eine Entfaltung. Dabei fällt ein gewisser Wandel gegenüber den bisherigen Erläuterungen auf. Bisher verstand Oekolampad die res coelestis des Irenäus als die Benamsung, d.i. als das Wort Gottes, das zum Element hinzutritt und ihm den Zeichencharakter gibt, zugleich auch 372 die Wohltat Christi ausspricht und unsere Danksagung ist. Im Dialogus wird unter der „res coelestis“ mehr verstanden, nämlich die geistliche Wirkung, die der heilige Geist in den Herzen der Gläubigen direkt wirkt, wenn sie die Sakramente empfangen. Zu dieser geistlichen Wirkung gehört im 373 Abendmahl der geistliche Empfang des Leibes Christi. Was also vorher 370 Vgl. S. 65. 371 Andere Billiche Antwurt nb. 372 Vgl. S. 64 Anm. 196 und 196. 373 Zu den Worten des Irenäus „Eucharistia ex duabus rebus constans, terrena et coelesti“ sagt Oekolampad: „Libenter recipimus, Eucharistiam enim nunquam pro communi pane habuimus, sed ut in illa vere panis est, cuius est alere corpus, ita complectitur corpus Christi, quod dat etiam ipsam corpori nostro resurrectionem. Complectitur autem sacramentali modo, ita ut duo haec unum quoddam sint. Porro extra usum, panis est figura. Ubi autem accesserit operatio Spiritus sancti, cuius panis non est capax, sed nos, tunc demum corpus pane pascitur, animus autem fide et interna manducatione, Christi vero corpore reficitur. Et panis qui terrenus est, simul et caelestis esse incipit.“ Dialogus m3b. Was es nun aber heißt, dass die Eucharistie auf sakramentale Weise den Leib Christi umfasst und das Brot ein himmlisches zu sein beginnt, erläutert der Basler in einem zwar gekünstelten, aber doch aufschlussreichen Vergleich von der Sonne, einer Kohle und den Köhlern. Die Sonne nimmt den Leib eines Köhlers an, umgibt ihn zum Zeichen dessen, dass alle Köhler an Leib und Seele verherrlicht werden sollen, mit ihrem Glanz und macht eine Kohle zum heiligen Symbol dieses Glanzes mit der Verheißung, dass, wer ihrer als des himmlischen Edelsteins (carbunculo) genießt, an Geist und Leib verherrlicht wird. „Itaque si carbonarii ac fabri non iam fabriliter et prophane, sed religiose carbonem hunc sacrum in memoriam tantae gratiae, in medium protulerint, incipiantque divino munere, mentes illorum angelicis fulgoribus coruscare, non sine maxi-

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nicht eigentlich in den Sakramentsbegriff einbegriffen war, nämlich die res sacramenti, wird nunmehr als der himmlische Teil des Sakraments in den 374 Sakramentsbegriff mit aufgenommen, allerdings ohne dass sich sachlich et375 was ändert. Denn den geistlichen Genuss des Leibes Christi, der auch zur Stunde der Sakramentsfeier statthat, hatte Oekolampad von der genuina expositio an ausdrücklich gelehrt. Die Tatsache, dass im Dialogus ohne eine neue und andere Begründung das Irenäus-Verständnis abgewandelt werden kann, offenbart, dass es hier dem Basler darum geht, die Meinung des Irenäus als innerhalb bestimmter Grenzen befindlich aufzuweisen, nicht aber sie streng aus dem Wortlaut des Irenäus selbst herzuleiten und zu begründen. Wir fassen wieder die Begründung des Baslers zusammen: 1) Oekolampad geht wiederum von der Absicht des Irenäus aus, der vom Abendmahl auf die Auferstehung argumentiert. 2) Er bedient sich zur Einzelinterpretation der von Irenäus angeführten Paulus-Worte, die er zum Ausgangspunkt seines Verständnisses des Kirchenvaters macht. Das Paulus-Verständnis Oekolampads wird damit zum Interpretationsmittel des Irenäus. Gleiches gilt von Johannes 6. 3) Zur Begründung der Auslegung wird entscheidend wiederum auf die absurden und theologisch unmöglichen Konsequenzen verwiesen, die sich aus einer realen Gegenwart des Leibes Christi ergeben würden. 4) Ohne dass die Begründung der Auslegung sich ändert oder neu vollzogen wird, kann eine wichtige Änderung im Verständnis eines Begriffs des Irenäus, nämlich des der res celestis, festgestellt werden, ma certissimaque spe corporum suorum in resurrectione glorificandorum, non tu illam solennitatem duplici natura constare diceres, terrena scilicet, carbone inquam, cuius tenuis admodum nitor, et coelesti, quae mentes tam potenter irradiet, tantamque spem praestet? Non tu carbonem illum dices, carbonem solennitatis, communicationemque aeterni luminis incarnati? …“ Dialogus m4a/b. Hier ist besonders aufschlussreich die Parallelisierung von solennitas und eucharistia. Die sollenitas ist das feierliche Geschehen, bei dem das heilige Symbol der Kohle zur Erinnerung an die Wohltat der Sonne andächtig in die Mitte getragen wird und die Herzen der Köhler auf Grund göttlicher Wirkung nicht ohne die Hoffnung der Auferstehung des Leibes entbrennen. Die irdische Natur dieses Geschehens ist die Kohle, die himmlische die Wirkung, die die Herzen erleuchtet und die Hoffnung der leiblichen Auferstehung darreicht. Angewandt aufs Abendmahl bedeutet dies, dass das Brot die irdische Natur des eucharistischen Geschehens, die göttliche Wirkung in den Herzen die himmlische Natur ist. Und um dieser Wirkung willen „beginnt das Brot, ein himmlisches zu sein“, so wie die Kohle eine „Gemeinschaft des ewigen inkarnierten Lichtes genannt wird“. 374 Vgl. das S. 67 über die verbale Zusammenfassung Gesagte. 375 Zur Bestätigung dafür, dass es trotz der Begriffserweiterung bei derselben Sache bleibt, vgl. z.B.: „Nonne si omnium mentes admonitione symboli videres cum tanta spe illustratas, amoena erit locutio etiam carbonem factum esse coelestem, quamvis ipse in sua natura maneat, et sol ille, cuius corpus in coelo omnes praesentes irradiat?“ Dialogus m4b. Und vorher: „Itaque si carbonem dixero, coelestem carbonem ob similitudinem, multo verisimilius fuerit, quam si dixero corpus caeleste in carbone naturaliter contineri, et vera praedicatio, carbo est coeleste corpus.“ Dialogus m5a.

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f) Cyrill: „Oportebat fidei primum radices in animo iacere, deinde illa quaerere, quae homini quaerenda sunt. Iudaei vero antequam crederent, importuna quaerebant, hac igitur de causa dominus quomodo id fieri possit, non enodabit, sed fide id quaerendum hortatur, sic credentibus discipulis fragmenta panis dedit, dicens. Accipite et manducate, hoc est corpus meum, Calicem etiam similiter circumtulit, dicens, bibite ex hoc omnes, Hic est calix sanguinis mei, qui pro multis effundetur in remissionem peccatorum. Perspicis, quia sine fide quaerentibus mysterii modum nequaquam explanavit, credentibus autem etiam non quaerentibus exposuit. Audiant haec qui ex arrogantia nondum Christi fidem suscipere volunt. Nisi manducaveritis inquit, carnem filii hominis, et biberitis eius sanguinem, non habebitis vitam in vobis. Non enim possunt cum sanctificatione beatae vitae fieri 376 participes, qui per mysticam benedictionem Iesum non susceperunt.“ 377

Wenn nicht schon vorher zugestanden wäre, dass die geistliche Nießung des Fleischs Christi ohne die zeremoniale den ganzen Menschen lebendig mache und Johannes 6 von dem geistlichen Essen handele, so würde Oekolampad wohl doch zugestehen, dass diese Worte seine Gegner stärken. Aber er glaubt, dass Cyrill es besser und reiner meint. Die Worte sind gegen die Juden und Ungläubigen gerichtet. Man muss erst glauben, dass der allmächtige Gott wahrhaftig und allgütig ist, dann glaubt man auch, was die Sakramente lehren, nämlich, dass der Sohn Gottes Knechtsgestalt an sich nahm, sich bis zum Tode erniedrigte, leiblich auferstand und dadurch auch die Toten auferweckt. Denn darauf kommt es allein an, dass wir glauben, das Fleisch Christi, wel378 ches dem lebendig machenden Wort vereint ist, mache lebendig. Und indem wir das glauben, essen wir es. Es ist ja gewiss, dass Christus im Abendmahl unser Heil nicht an einen äußeren Ritus binden, sondern lehren wollte, dass das Heil im Glauben an ihn als den Gekreuzigten bestehe, so dass mehr darauf geachtet werde, dass Leib und Blut für uns dahingegeben sind, als dass sie im Brot und Wein enthalten seien. Gerade darauf komme es Cyrill im ganzen Kapitel an, zu lehren, dass das Fleisch Christi lebendig mache. Dass der Leib aber ins Brot gegeben sei, erweist er nicht, wenn er auch lehrt, dass durchs Sakrament der Sohn Gottes selbst empfangen werde – was man zugestehen kann, sofern man im Glauben geübt wird. Im Übrigen brauche man sich nicht damit aufzuhalten; wenn schon Cyrill und Hilarius etwas Grobes gelehrt hätten, so sind sie doch nicht so große Männer, als dass sie in dieser Sache dem Worte Gottes Eintrag tun könnten. Hinsichtlich der Argumentation Oekolampads ist demnach festzuhalten:

376 Genuina Expositio i7b – Cyr., Jo. lb. IV zu Joh 6,54. Der lateinische Text in PG 73,575f. ist gegenüber dem des Oekolampad stark verändert. 377 Vgl. zum Folgenden Genuina Expositio i8a/b. 378 Oekolampad versteht diese Vereinigung immer von der Inkarnation.

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1) Er geht von dem Skopus des ganzen Kapitels aus und bestimmt von daher die Einzelauslegung. 2) Das Verständnis wird von einer außerhalb des Texts gewonnenen Erkenntnis bestimmt. 3) Es wird nicht ausdrücklich gesagt, dass der Leib Christi im Brot sei – der Text ist also nicht dergestalt, dass er die Realpräsenz erzwingt. 4) Die „missverständliche“ Formulierung „benedictione mysterii, ipsum dei filium suscipi“ wird vom Empfang im Glauben verstanden. 5) Das Ganze ist methodisch eingebunden in das bestimmte Vorverständnis von Johannes 6. 6) Als letzter Ausweg biete sich immer noch der an, dass die Väter nicht größere Autorität als das Wort Gottes haben. g) Oekolampads Auslegung des Hilarius Keinen geringen Raum nimmt bei Oekolampad die Auseinandersetzung mit 379 Hilarius ein. Die wichtigste Stelle sei nachfolgend mit etlichen Kürzungen aufgeführt: „Eos qui nunc inter patrem et filium voluntatis ingerunt unitatem, interrogo, utrumne per naturae veritatem, hodie Christus in nobis sit, an per concordiam voluntatis? Si enim vere verbum caro factum est, et nos vere verbum carnem cibo dominico sumimus, quomodo non naturaliter in nobis existimandus est, qui et naturam carnis nostrae iam inseparabilem, sibi homo natus assumpsit, et naturam carnis suae sub sacramento communicandae carnis nobis admiscuit … Si vere igitur carnem corporis nostri Christus aussumpsit, et vere homo ille qui ex Maria natus fuit Christus est, nosque vere sub mysterio carnem corporis sui sumimus, et per hoc unum erimus, quia pater in eo est, et ille in nobis, quomodo voluntatis unitas asseritur, cum naturalis per sacramentum proprietas, perfectae sacramentum sit unitatis… De veritate carnis et sanguinis non est relictus ambigendi locus, nunc enim et ipsius domini professione, et fide nostra vere caro est et vere sanguis est. Et haec accepta atque hausta, id efficiunt, ut et nos in Christo, et Christus in nobis sit. Anne hoc veritas est? Contingat plane his verum non esse, qui Christum Jhesum verum esse deum negant. Est ergo in nobis ipse per carnem, et sumus in eo, dum secum, hoc quod nos sumus, in deo est. Quod autem in eo, per sacramentum communicatae carnis et sanguinis sumus, ipse testatur dicens: Et hic mundus iam me non videt, vos autem me videbitis, quoniam ego vivo et vos vivetis, quoniam ego in patre meo, et vos in me et ego in vobis … Quod autem in nobis naturalis haec unitas sit ipse testatus est. Qui edit carnem meam et bibit sanguinem meum, in me manet et ego in eo. Non enim quis in eo erit, nisi in quo ipse fuerit, eius tantum in se assumptam habens carnem, qui suam sumpserit. Perfectae autem huius unitatis sacramentum superius iam docuerat dicens: Sicut misit me vivens pater, et ego vivo per patrem, et qui manducat meam carnem vivet per me. Vivit ergo per patrem, et quomodo per patrem vivit, eodem modo nos per carnem eius 379 Es handelt sich um Hilarius von Poitiers, den großen abendländischen Gegner des Arianismus, gestorben 367.

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vivimus… Haec autem idcirco a nobis commemorata sunt, quia voluntatis tantum inter patrem et filium unitatem, haeretici mentientes unitatis nostrae ad deum utebantur exemplo, tanquam nobis ad filium et per filium ad patrem obsequio tantum ac voluntate religionis unitis, nulla per sacramentum carnis et sanguinis naturalis communionis proprietas indulgeretur, quum et per honorem nobis datum, dei filii, et per manentem in nobis carnaliter filium, et in eo nobis corporaliteret inseparabiliter unitis, mysterium verae ac naturalis unitatis sit 380 praedicandum.“ 381

Zum rechten Verständnis der hier ausgesagten natürlichen Einheit des Sohnes Gottes mit uns im Abendmahl bemerkt Oekolampad zunächst, dass Hilarius von einem Essen des Fleischs Christi sub mysterio rede. Damit ist die Meinung der ganzen Stelle im Sinn des zeichenhaften Sakramentsbegriffs 382 eindeutig erwiesen. Was nun Hilarius sagen will ist, dass wir nicht nur dem Willen, sondern – wie der Schluss ausweist – der Ehre nach mit Christus vereinigt sind. Diese Ehre eignet Gott dem Vater und Christus und ist uns insofern gegeben, als wir alle Christus gleicherweise angezogen haben und er in uns wirkt. Sie beruht auf der Menschwerdung, durch die Christus unseres Fleischs und wir des seinen teilhaftig geworden sind. Wer nun an ihn glaubt, der ist ein Kind Gottes und empfängt aus der Kraft des heiligen Geists alles, was Christus hat. Hilarius sieht also – nach Oekolampad – die Tatsache, dass Christus in der Menschwerdung unser Fleisch und Blut angenommen hat, als den Grund an, um des willen denen, die an Christus glauben und in denen er wirkt, die Ehre Christi zuteil wird. Dem entspricht dann auch ein Einwand: Wenn wir um der Inkarnation willen mit Christus vereinigt sind, sind es dann nicht auch die Gottlosen? Aber diese sind es insofern nicht, als Christus ein reines Fleisch angenommen hat, indes die Gottlosen zwar das gleiche Fleisch tragen, es aber durch ständigen Unglauben und Unreinigkeit beflecken. Sie zeigen damit an, dass nichts Göttliches in ihnen am Werk ist, indes Christus in den Gläubigen wohnt und wirkt und ihr Fleisch durch den Glauben rein und insofern unsterblich gemacht hat, als es zur Herrlichkeit des Vaters auferstehen wird. Schließlich erläutert Hilarius sich selbst mit den Worten tunc enim esse in nobis, dum secum hoc, quod nos sumus in deo est, d.h. Christus ist insofern in uns, als die menschliche Natur in ihm vom Sohne Gottes angenommen wurde. Der Basler stützt sich also in seiner Argumentation auf drei Punkte: Hilarius rede vom Essen des Fleischs Christi sub mysterio, er lege die unitas naturalis auf die Ehre aus, die uns mit Christus gemeinsam ist, da er unser Fleisch an380 Genuina Expositio h2b–4 – Hil., trin. VIII,13–17 (PL 10,246f). 381 Zum Folgenden vgl. Genuina Expositio h4a–6. 382 „… ut superstitiosi sentiunt, et ex verbis Hilarii arguunt: Si carnem CHRISTI cibo dominico sumimus, caro in cibo dominico erit, nec attendunt mox subdi, sub mysterio vere carnem manducari. Quare ergo non sinunt esse mysterium mysterium, et sacramentum sacramentum? aut si non intelligunt, quid sit mysterium, discant, ut contendendi fiat finis.“ Genuina Expositio h4b/c.

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genommen hat und in uns wirkt, und er interpretiere sich selbst mit dem Satz „tunc enim esse in nobis …“. Diese gekünstelte Auslegung der Hilarius-Stelle hält Oekolampad auch in den späteren Schriften fest. So sagt er in der „andern billichen Antwurt“ dass es Luthers Grundfehler sei, Augustins Regel zu verachten und die Sakramente 383 nicht sakramentlich, d.h. als Zeichen zu verstehen. Hilarius sagt wohl, dass Christus natürlicherweise in uns sei. Man muss sich aber dabei vor einem doppelten Missverstand hüten: Einmal, als ob wir Christi Natur in uns hätten, wie er seines Vaters Natur in sich hat. Auf dieses Missverständnis deuten Luthers Worte, der Christi Fleisch und Gottheit natürlich in uns haben will. Dann wäre die Folge, dass wir alle Götter sind. Zum andern, als ob wir nur so mit Christus vereint seien, dass wir eines Sinnes und Willens mit ihm wären. Das ist viel zu wenig. Den rechten Verstand gibt Hilarius vielmehr selbst: Est ergo in nobis … per carnem, et sumus in eo, dum secum, hoc quod nos sumus, in deo est. Dieser Satz meint: Christus ist dann in uns und wir in ihm, wenn das, was wir sind, bei ihm in seiner Gottheit ist, d.h. wenn Christus 384 unser Fleisch in seine Gottheit aufgenommen hat. Das rechte Verständnis des „naturaliter in nobis“ gründet sich damit auf die Inkarnation. Was das nun aber für die Gläubigen bedeutet, zeigt Oekolampad anlässlich des schon aufgelösten Einwandes. Wenn Hilarius davon redet, dass Christus natürlicher Weise in uns ist, dann meint er die ihm in seiner menschlichen Natur eigene Ehre und Würde, die er uns geschenkt hat und durch die wir eine Einheit 385 sind. Natürlicherweise mit Christus eins sein bedeutet demnach, mit der eigenen menschlichen Natur an der Herrlichkeit der menschlichen Natur Christi Anteil haben. Damit ist nun auch der Grund zur Entkräftung der Argumente Luthers geschaffen. Der Wittenberger stützt sich auf den im Anfang der Zitate gezogenen Schluss von der Menschwerdung und dem Essen des Fleischs Christi im Sakrament auf das natürliche Sein Christi in uns. Oekolampad stimmt dem Vordersatz zu, der Mittelsatz aber muss, weil er vom Abendmahl handelt, sakramentlich ausgelegt werden – so nämlich, dass durch den Glauben 386 sich die Seele von dem nährt, was durch das Zeichen bedeutet wird. Dann 383 „Diweil er von sacramenten nicht wil reden lassen als von sacramenten so geschieht im als eim stoltzen haderman recht das er sich gröolich verhauwe …“ Andere Billiche Antwurt n3a. 384 „Dz ist / Dan ist er (Christus) durchs Fleisch in vns vnd wir in jm / so eben diß das wir sein / bey jm in Got ist. Das verstand also / Wir seind menschen / so nun Christus das / das wir seind / das ist / die menscheit / bey jm selbst / das ist bey seiner gottheit hatt / vnd ist warlich mensch / so ist er natürlich in vns / vnnd also seind wir auch eins mit jm / dan wir seind je menschen / vnd also seine brüder.“ Andere Billiche Antwurt n4a. Christus ist also darum in uns, weil er unser Fleisch angenommen hat; „in deo“ meint die Gottheit Christi und ist Epexegese zu „secum“, das mit „bei sich“ übersetzt wird. 385 Andere Billiche Antwurt n4a. 386 Andere Billiche Antwurt oa.

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fügt sich die conclusio trefflich in das ein, was schon über das natürliche Sein des Leibes Christi in den Gläubigen gesagt war. Denn wo von Herzen geglaubt wird, dass der Leib Christi lebendig macht und das durch die äußerliche Verkündigung in den Sakramenten bezeugt wird, da ist der Leib Christi natürlicherweise, so wie Hilarius es versteht, in uns: Christus ist vnser natur / vnd in vns / das ist vns zum läben ergeben / vnd die glaubenden in sein seli387 keit zubringen. In derselben Linie liegt die Widerlegung des anderen von Luther besonders betonten Argumentes, des sacramentum communicandae carnis et sanguinis. Oekolampad stellt zunächst die Frage, ob hier sacramentum wirklich für des Herren Brot zu nehmen sei, besser würde es mit Geheimnis verdeutscht. Aber er gesteht es Luther zu. Nur ist damit nicht der Sinn, den der Wittenberger in carnis nobis communicandae legt, erwiesen. Was Hilarius 388 mit der natürlichen Gemeinschaft meint, hat er ja schon klar genug gesagt. Auch erläutert er sich selbst, indem er aus dem Johannesevangelium eine Stelle zitiert, die sich nicht auf das heilige Abendmahl, sondern allgemein auf unsere Gemeinschaft mit Christus und Gott bezieht: „Dise welt würt mich jetzt und nit mehr sehen / ihr aber werdet mich sähen / denn ich lebe und ir werdet 389 leben. Den ich bin in meinem vatter / vnd ir in mir / vnd ich in euch.“ Mit diesen Worten will er sagen: Als euer Bruder werde ich, wie ich meine angenommene menschliche Natur vom Tode erwecken werde, auch eure, die die 390 gleiche ist wie meine, auferwecken. Überhaupt ist dadurch, dass Hilarius sich auf Worte aus dem 6. Kapitel des Johannesevangeliums bezieht, klar, dass er den Leib und Blut Christi nicht im Sakrament haben will, denn Johannes 6 bezieht sich nicht aufs Abendmahl. Damit sind auch die übrigen Einwände Luthers widerlegt. Eine kurze Zusammenfassung der eigenen und Widerlegung der gegnerischen Argumente zum Verständnis des Hilarius gibt der Basler noch einmal 391 im Dialogus. Es bleibt dabei, dass Christus seiner Natur nach in uns wohnt, indem er uns zu Teilhabern seiner Auferstehung, Ehre und Herrlichkeit macht. Im Unterschied noch zur anderen billichen Antwurt, gesteht Oekolampad an den einschlägigen Stellen die auf das Herrenmahl bezogene Übersetzung sacramentum=symbolon, Zeichen, nicht mehr zu, sondern fasst es als arcanum im Sinne der Mitteilung der unsterblichen Natur Christi an uns. Zur Formulierung vere carnem sumimus cibo dominico weist der Basler wieder auf das sub mysterio hin; er ist aber auch bereit, die Rede, dass wir Leib und Blut Christi im Herrenmahl wahrhaftiglich genießen, gelten zu lassen – 387 Andere Billiche Antwurt ob. 388 Vgl. S. 110 Anm. 384. 389 Andere Billiche Antwurt o2a – Joh. 14,19f. (gekürzt). 390 Andere Billiche Antwurt o2a/b. 391 Dialogus l8a–mb.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Oekolampad

freilich in dem bisher dargelegten geistlichen Sinn. Luthers Gegenargument – haec accepta atque hausta id efficiunt, ut et nos in Christo et Christus in nobis sit – kann nicht vom äußeren Nehmen verstanden werden, weil sonst auch die Ungläubigen des Leibes Christi teilhaftig würden. Und wenn Hilarius sagt, non humano aut seculi sensu de rebus divinis loquendum, dann ist das nicht gegen eine Auffassung, wie sie Oekolampad vertritt, sondern gegen die Leugner der Einheit der Natur in Christo und dem Vater und den Gläubigen gerichtet. Schließlich sind die letzten Argumente: Jene, nämlich die Vertreter 392 der Realpräsenz, wissen nicht, was das heißt: Christus vere est esca, und: Hilarius sagt nirgends, dass das Brot wesentlich (substantialiter) der Leib Christi sei. Hinsichtlich der Argumentationsweise halten wir fest: 1) Durchgehend wird im Anschluss an „sub mysterio“ und dort, wo überhaupt vom Abendmahl die Rede ist, die Sakramentenregel angewandt. 2) Aus dem Text des Hilarius werden zwei Aussagen im Sinne der Selbstinterpretation des Verfassers zu tragenden Pfeilern der Auslegung verwendet. 3) Das Verständnis bestimmter, von Hilarius zitierter Schriftstellen wird zur Interpretation des Hilarius selbst verwendet und steckt zugleich die Grenzen ab, die die Auslegung nicht überschreiten darf. 4) Ebenfalls geben außerhalb des Textes liegende Überzeugungen, z.B. von der Unmöglichkeit, dass Ungläubige des Leibes Christi teilhaftig werden und von der Bedeutung der wahren geistlichen Speise, entscheidende Positionen ab, gegen die die Auslegung nicht verstoßen darf. 5) Hilarius hätte sich anders ausdrücken müssen, wenn er sagen wollte, was die Vertreter der Realpräsenz behaupten. 6) Festgehalten zu werden verdient die Bemerkung, dass man im Abendmahl von einem vere carnem sumere reden kann – freilich nur in dem bekannten geistlichen Sinne. 6.2.2 Zur Methodik der Auslegung schwieriger Stellen Die in den angeführten Beispielen, welche noch durch zahlreiche andere vermehrt werden könnten, aufgewiesenen Argumentationsweisen seien nunmehr zusammengefasst. 1) Oekolampad wendet die von ihm entwickelten sachhermeneutischen Erkenntnisse und Schlüssel konsequent an. Wo das Wort mysterium auftritt oder sonst deutlich ist, dass vom Altarsakrament die Rede ist, wird die gesamte Aussage im Sinne eines Zeichens verstanden. Überall, wo direkt vom Leib und Blut Christi im Abendmahl geredet ist, wird ein „in sacramento“ einge392 Dialogus mb.

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schoben bzw. der Ausdruck im Sinne von figura verstanden. Und wenn vom Empfang des Sohnes Gottes im Abendmahl die Rede ist, – der Sakramentstropus lässt sich hier schwerlich anwenden –, da wird es als ein Empfang im Glauben angesehen. So wird auch das Auftreten einer Aposiopese nicht anders als im Sinn des rein zeichenhaften Sakramentsverständnisses verwertet. 2) Schon die Anwendung der genannten sachhermeneutischen Schlüssel, aber auch die häufige Zusicherung, dass der Text es anders meine als er auf den ersten Anschein aussieht, zeigt, dass für das Verständnis der einzelnen Zitate die sog. klaren Stellen bestimmend sind, in denen sich der jeweilige Autor und vor allem Augustin ganz unmissverständlich und ohne dass es einer Auslegung bedarf, über das Abendmahl oder wesentliche Voraussetzungen dafür 393 ausgesprochen hat. Sie geben Auskunft über das, was der betreffende Kirchenlehrer in der zugrundeliegenden Sache gemeint hat und bestimmen darum auch den Inhalt der Stellen, die unklar und schwierig sind; anders gesagt: Sie ermöglichen es dem Leser, die einzelnen Stellen besser zu verstehen, etwa indem er Unterscheidungen auffindet, die ohne das vorhergehende Wissen um die Sache selbst nicht erkannt worden wären. 3) Was das konkrete Verständnis einer Väterstelle betrifft, so legt Oekolampad oft zunächst den Gesichtspunkt, meist eine bestimmte Frontstellung, dar, unter dem die Väter geredet haben. Dieser Gesichtspunkt, der in der Regel nicht weiter begründet wird, ist der Rahmen, in dem die ganze Aussage steht und damit auch zu sehen ist, wenn man sie richtig verstehen will. 4) Nicht selten wird die Textaussage unter der Voraussetzung der Realpräsenz durchgedacht und diese Voraussetzung e negativo widerlegt. Das lässt sich im Blick auf das innere Gefüge des Texts feststellen, das durch die Realpräsenz zerstört würde, besonders aber hinsichtlich des Kontexts und der absurden bzw. unmöglichen Konsequenzen. Die Argumentation läuft dann darauf hinaus, dass ein Verständnis im Sinn der Realpräsenz den gesamten Kontext aufheben würde. Entscheidende Bedeutung, oft als letztes tragendes Argument, haben die absurden oder theologisch unmöglichen Konsequenzen, die die Realpräsenz für den Text mit sich bringen würde. Sie sind es, die auch dann, wenn der Text an sich anders zu lauten scheint, die notwendigen Grenzmarkierungen setzen. Die Erkenntnisse, von denen her das Urteil über die Ab-

393 Dieckhoff (Die evangelische Abendmahlslehre S. 517) weist darauf hin, dass Oekolampad die für ihn positiven Aussprüche der Vater in einseitiger Weise geltend macht, ohne zu beachten, wie solche Aussprüche durch andere derselben Väter keineswegs eine entsprechende Ergänzung finden; ähnlich stellt es Herzog (Leben Oekolampads S. 343) als auffallend hin, dass Oekolampad wirklich glaubt, sich mit gutem Recht auf die Kirchenväter berufen zu können – trotz des von den Vätern behaupteten Genusses der Elemente als Grundlage der Auferstehung. Das Problem löst sich dadurch, dass Oekolampad von den klaren Stellen her denkt, die eindeutig zu seinen Gunsten reden, und damit guten Gewissens alles andere mit dem bei den Vätern üblichen Tropus erklären kann.

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surdität und Unmöglichkeit einer Konsequenz gefällt wird, gründen dabei außerhalb der auszulegenden Stelle. 5) In derselben Linie wie die Argumentation e negativo liegt der öfters anzutreffende Hinweis darauf, dass ein bestimmter Ausdruck vermisst wird, den die altkirchlichen Schriftstellen hätten setzen müssen, wenn sie die Realpräsenz hätten aussagen wollen. Umgekehrt brauchen sie einen Ausdruck, der unter dieser Voraussetzung hätte gerade nicht gebraucht werden dürfen. Der Basler vermisst also eine bestimmte Sollgestalt des Textes. 6) Dieselbe Funktion wie die klaren Stellen des jeweiligen Schriftstellers haben gewisse Erkenntnisse, die von der heiligen Schrift her gewonnen sind. Dabei wird die Übereinstimmung des jeweiligen Schriftstellers mit dem Inhalt der biblischen Aussage vorausgesetzt. Hier gründet offenkundig die Auslegungsweise, dass aus dem Verständnis der von den altkirchlichen Autoren zitierten Schriftstellen die Meinung des betreffenden Autoren selbst erfasst und dargelegt wird. 7) Ohne große Differenzierung legt der Basler einen Kirchenvater mit dem andern aus oder bestätigt ihn. 8) Im Rahmen der aufgezeigten Ansätze wird die Selbstinterpretation des einzelnen Kirchenvaters zugestanden; der einzelne Text erläutert sich selbst durch Kontext und Parallelstellen – doch geht das Verstehen nicht über die aus den klaren Stellen gewonnenen Aussagen hinaus. 9) Als Ausweg aus Schwierigkeiten der Interpretation bieten sich Vermutungen 394 über fehlerhafte Textüberlieferung und letztlich die Vorordnung der heiligen Schrift als des Worts Gottes gegenüber den Vätern an. Die Behandlung der für Oekolampad schwierigen Stellen zeigt also durchaus die Geschlossenheit seiner Väterauffassung und seiner Auslegungsmethode. Die an den klaren Stellen erarbeiteten hermeneutischen Schlüssel werden konsequent angewendet; nichts wird zugelassen, das die inhaltlich feststehende Meinung ändern könnte. Auch die sonstigen Auslegungsweisen sind kein Spezifikum der Auslegung schwieriger Stellen, sondern finden sich überall, wo der Basler die Väter auslegt. Nur in dem Fall, wo es ganz unmöglich scheint, ein mit ihm übereinstimmendes Väterverständnis aufzuzeigen, bietet sich die Vermutung der Textverderbnis oder aber der Hinweis darauf an, dass die Väter ja der heiligen Schrift nicht gleichgestellt sind. Aber diesen letzten Ausweg geht der Basler offenkundig ungern; er will die Väter möglichst ganz auf seiner Seite haben und glaubt auch, mit Hilfe der Schlüsselstellung Augustins dem Sakramentsverständnis der alten Kirche und ihrer Redeweise auf die Spur gekommen zu sein.

394 Es finden sich bei Oekolampad jedoch keine Konjekturen, die in den überlieferten Text selbst eingreifen. Die Änderungen bewegen sich im Rahmen der Zeichensetzung und ähnlicher Äußerlichkeiten.

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7. Folgerungen für das Oekolampad-Verständnis Einige Beobachtungen, die sich angesichts des vorgelegten Väterverständnisses Oekolampads über den engen Kreis dieses Themas hinaus zum Abendmahlsverständnis des Reformators, überhaupt aufdrängen, seien nachfolgend festgehalten. Walter Köhler findet im Unterschied zu den vorstehenden Ausführungen bei Oekolampad ein objektives Moment der Realpräsenz, das unter dem Einfluss Erasmischer Mystik von Anfang an da ist und im Verlaufe der Abendmahlsauseinandersetzung 1528 auf eine geistige substantielle Gegenwart hin fixiert und 395 präzisiert wird. Seine Gründe sind im wesentlichen folgende: Oekolampad äußere dass „das Fleisch Christi durch das Wort gewissermaßen in unserer Seele wohne, und dass wir so in die Natur dieses Fleischs Christi verwandelt würden,“ er rede nicht selten vom panis mysticus; er empfehle, mit den Alten zu sagen, „dass Christi Leib mystisch, ich füge hinzu, dynamisch und mit seinem Segen (cum virtute et benedictione) anwesend ist;“ ihm sei das Abendmahlsbrot etwas Besonderes trotz tropischer Deutung der Einsetzungsworte; er spreche von einer virtuellen Realpräsenz des Blutes Christi; 1528 gestehe er eine geistige substantielle Gegenwart des Leibes Christi zu. Dazu komme ein lutherisch empfundenes Sakramentsverständnis und schließlich schiebe Oekolampad die Unmöglichkeit der Multivolipräsenz des Leibes Christi mehr dem menschlichen Fassungsver396 mögen zu, als dass er es vom Leib Christi selbst behaupte. In der Tat spricht Oekolampad im Zusammenhang seiner Hilarius-Auslegung davon, „ut et carnis Christi domicilium quodammodo simus, cuius in nobis est verbum, per verbum enim credentes, naturam carnis eius adepti sumus, et per hoc 397 naturaliter secundum carnem per Christus vivimus.“ Diese Worte sind aber nicht im Sinne einer „objektiven“, „substantiellen“, „geistigen“ Gegenwart des Leibes Christi gemeint. Oekolampad kennt überhaupt keinen „geistigen“ Leib, d.h. einen Leib, der nicht an den Raum und die damit gegebene Körperlichkeit gebunden 398 wäre. Eine geistige Gegenwart des Leibes kann es deshalb für ihn nicht im Sinne einer substantiellen oder irgendwie gearteten objektiven Gegenwart des Leibes geben, sondern nur im Sinne einer Relation, d.h. dass der Mensch als geistiges 399 Wesen, sich auf den abwesenden Leib Christus bezieht. Die ganze Auslegung der Hilarius-Stelle durch Oekolampad zeigt, dass unter dem Essen des Fleischs Christi der Glaube an das gepredigte oder in der Schrift gelesene Wort verstanden wird 395 Zwingli und Luther Bd 1 S. 824. Da Ernst Staehelins Auffassung ähnlich der Köhlers ist, wird hier auf sie indirekt mit Bezug genommen. 396 Vgl. zu den angegebenen Gründen „Zwingli und Luther“ Bd 1, S. 124f., 135f., 683, 824. 397 Genuina Expositio h8a. 398 „Puerile alioquin et ineptum est, opinari, quod in animam nostram ingrediatur caro. Quomodo enim anima capax est carnis, quae non est corporea, nec locum praebet corpori: caro autem non est nisi in loco.“ Genuina Expositio e6b. „Ist der Leyb nit leyplich da / so ist er auch nit da anderst / dann in einem zeichen / wo sein leib ist / da muß er auch leiplich sein.“ Über Luthers Bekenntnis v3a. 399 Vgl. S. 67 – 69.

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und dass mit dem naturaliter in nobis esse die durch den Glauben dem Fleisch der 400 Gläubigen geschenkte Reinheit und Herrlichkeit des Fleischs Christi gemeint ist. Wir sind also, wie auch Oekolampad selbst erläutert, insofern die Wohnstätte des Fleischs Christi, als wir, indem wir durch das Wort glauben, die Natur des Fleischs Christi erlangt haben. Unter der Natur aber versteht er die Herrlichkeit, Ehre und Unsterblichkeit des Fleischs Christi, nicht das Fleisch Christi selbst. Es ist nicht zu übersehen, dass die Ausdrucksweise Oekolampads bei der Väterauslegung sich sehr stark an die Ausdrucksweise der Väter anschließt und deshalb das, was Oekolampad in diesen Formulierungen ausgesagt haben will, von den von ihm selbst gegebenen Interpretationen aus und nicht von daher, wie sie aus sich selbst klingen, verstanden werden müssen. Wir sind nicht anders die Wohnstätte des Fleischs Christi, als wie es gegenwärtig ist, nämlich in mysterio. Nun ist der Begriff mysterion und die dazugehörenden Derivate hinsichtlich des Abendmahls bei Oekolampad ganz eindeutig im Sinne der sacra figura, 401 signum oder sacramentum festgelegt. Dass das Sakrament, das dem Eingeweihten völlig verständlich ist, mysterium heißt, hängt nur damit zusammen, dass es 402 den Uneingeweihten unbekannt und geheimnisvoll ist. Von dieser, von Oekolampad selbst gegebenen grundlegenden Bestimmung des Mysteriums her wollen seine Begriffe wie panis mysticus oder das mystikoos adesse bzw. edere des Leibes Christi verstanden werden, nicht im Sinne einer nicht näher präzisierten Mystik. Es ist dann nicht nötig, wie es Köhler öfters tut, innerhalb ein und derselben Ausführung des Baslers einen zwinglichen Anfang und ein unzwingliches Ende 403 oder umgekehrt anzunehmen. Ein mystice adesse des Leibes Christi, eine Gegenwart in mysterio bzw. sacramento meint nur ein Dasein des Zeichens, nicht aber eine objektive, außerhalb des Geists des Menschen befindliche geistige Gegenwart des Bezeichneten. Und die Besonderheit des Abendmahlsbrots besteht nur darin, dass es auf den Leib hinzeigt und dadurch eine Wirkung des heiligen Geists in den Herzen derer, die durch das Zeichen erinnert werden, statthat. Diese Wirkung des Geists auf Grund der Erinnerung durch das Zeichen hat Oekolampad nie bestritten, sie ist aber nur in lockerer Weise mit dem Sakrament 404 405 zusammengestellt und geschieht auch ohne dasselbe, bisweilen noch viel 400 Vgl. die Auslegung des Hilarius und Cyrill S. 107 – 111. 401 Vgl. S. 49f. und S. 91f. – Köhler berichtet über diese Gleichsetzung auf S. 119 im ersten Band, doch beachtet er nicht ihre Bedeutung. 402 Vgl. S. 28f., 32. 403 „Zwingli und Luther“, z. B. Bd 1, S. 134, 135, 136. 404 Vgl. S. 45ff, S. 84 Anm. 296. 405 Vgl. S. 44f., aber auch; „… neque hoc omnino inficias ierim, cibo dominico verbum carnem sumi. Nam quum fidelis semper manducet carnem, etiam quando ad mensam illam externam et visibilem non accedit, quur non et illa hora, si fides multo magis inardescit, et adipe pinguedinis fiat delicatior, eo quod per sacra signa magis admonetur, atqui hoc probat in nobis esse Christum, non in pane. O pauperculam animam, quae non ante refocillatur, quam quando mensae illius fit particeps.“ Genuina Expositio h6b/7a.

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reichlicher. Für Oekolampad ist sie kein „eingesprengtes Stück“ das er womöglich von Luther übernommen hat, sondern ein wesentlicher Bestandteil seiner Anschauung über die Wirkungsweise des Geists Gottes, den er offensicht408 lich Augustin verdankt. Im Rahmen dieser Wirksamkeit ist dann auch zu verstehen, was Köhler die virtuelle Realpräsenz nennt. Köhler versteht darunter, dass die Kraft des Leibes Christi gegenwärtig ist, er meint aber darüber hinaus offensichtlich auch eine nicht näher präzisierte objektive geistige Realpräsenz des Leibes Christi, die er mit der Mystik zusammenrückt. Jedoch besagen alle von 409 ihm angegebenen Stellen, dass der Leib Christi nicht corporaliter, sondern nur im Glauben gegenwärtig ist. Hier liegt die eindeutige Grenze, die Oekolampad 410 nirgends überschreitet. Aufschlussreich dafür sind seine Ausführungen über das bloß anregende äußerliche Wort oder Zeichen und die Bedeutung des inneren 411 Lehrers. Schließlich lässt sich auch eine Neigung zur Multivolipräsenz, die 412 Köhler festzustellen glaubt, angesichts der sonstigen Kirchenväterargumen413 tation hinsichtlich des Leibes Christi nicht aufrechterhalten. Was sich im Dialogus feststellen lässt, ist allein dies, dass Oekolampad die geistliche Wirksamkeit in den Begriff des Sakraments einbeziehen kann, ohne allerdings ihre prinzipielle Unverbundenheit mit dem Zeichen und die Unabhängigkeit von ihm aufzugeben. Diese Veränderung ist insofern folgerichtig, als nach des Baslers Überzeugung auch die Wirkung des heiligen Geists tropischer Weise dem Sakrament selbst zugeschrieben werden kann.

406 Vgl. S. 47 Anm. 122. 407 Köhler, Zwingli und Luther, Bd 1 S. 125. 408 Vgl. S. 47 Anm. 118. 409 Es handelt sich um: Köhler Bd 1 S. 125 – Genuina Expositio e3b; Köhler Bd 1 S. 135 – Antisyngramma o4a; Köhler Bd 1 S. 135/6 – Antisyngramma p4a. Das Zitat lautet dort: „Aut si in nostram sententiam conceditis, corpus Christi ita esse in pane sicut pax et remissio peccatorum in verbo quid adhuc dissidemus?“ Köhler Bd 1 A. 683 Anm. 5 – Über Luthers Bekenntnis V3a. Das dort angegebene Zitat bezieht sich nicht auf den Leib Christi, sondern redet allgemein. Dazu, dass Oekolampad keine objektive geistige Gegenwart des Leibes Christi kennt, vergl. aus T4b: „Wil nun luter sagen / es sye der leyb im brot und nit leyplich / so ist er auch nit geystlich drinn als ein geyst: dann er ist kein geyst / welcher der kein fleisch unn beyn hat volgt nun das er sein rhaum habe.“ 410 Man vergleiche dazu noch den im Zusammenhang der Einigungsbemühungen geschriebenen Brief Oekolampads an Bucer vom 03.09.1530: „Non enim ideo separatur corpus vel humanitas Christi a deitate, quia haec ubique est ac immensa, illa vero circumscripta et verum locum occupans. Cum pane etiam ac vino symboliκὼς nihilominus et contemplatione fidei, corpus et sanguinem tradi et accipi dicimus.“ Staehelin, Briefe, Bd. 2 S. 481. Dass symboliκὼς tatsächlich nur rein das Zeichen meint, zeigt die Aussage über die Ungläubigen: „… reos corporis ac sanguinis fieri, etiamsi nec corpus nec sanguinem Christi contingart, nisi συμβολικῶς.“ S. 482. 411 Vgl. S. 55f.; aber auch Antisyngramma o4b–8a und t4a. 412 Köhler Bd 1 S. 136; die Zitate stehen Antisyngramma ta und t3b. 413 Vgl. S. 85ff.

Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli I. Die Bedeutung des patristischen Arguments für Zwingli innerhalb der Abendmahlskontroverse Ebenso wie von Oekolampad gilt von Zwingli, dass die grundsätzliche Haltung zu den Vätern durchweg sich selbst gleich geblieben ist. Die Abendmahlslehre ist 1 nicht auf die Väter gegründet, sondern auf Gottes Wort. Der Züricher redet von 2 ihr als von einer „res per se manifesta et verbo dei firma“. Das besagt, dass die Abendmahlslehre weder einer von anderswo herkommenden Auslegung noch einer Stütze außer des Grundes des Worts Gottes bedarf. Die Väter sind „humana autoritas“, ihre Zeugnisse können die Abendmahlslehre weder gründen noch 3 bestätigen. Diese im Wort Gottes gründende Eigenständigkeit der Abendmahlslehre gibt dem Züricher eine Freiheit gegenüber den Vätern, die bei Oekolampad so nicht zum Ausdruck gekommen ist: „es ist ouch nit so vil daran gelegen, ob sy glych nit by uns stündind; dann got ist mee dann sine apostel, ich gschwyg 4 die lerer, wiewol sy warlich by uns stan.“ Alles Gewicht liegt hier auf dem Wort Gottes; sollten die Väter mit dem, was es sagt, nicht übereinstimmen, so kann Zwingli sich ohne weiteres von ihnen lösen. Andererseits ist er aber überzeugt, die Väter auf seiner Seite zu haben. Wenn der Reformator nun die Väterzeugnisse anführt, so tut er es um zu zeigen, dass er und die Seinen nicht die ersten sind, die diese Lehre vertreten. Das geschieht einmal im Blick auf die Schwachen: Zwingli war nach seinen eigenen Worten der Überzeugung, dass seine Abendmahlsauffassung einen ungeheuren Aufruhr hervorrufen könnte. In diesem Zusammenhang war das Zeugnis, dass er nicht der erste ist, der diese Abendmahlsauffassung vertritt, von nicht geringer 5 Bedeutung. Zum andern geschieht es, um sich des Vorwurfs eines neuen Irrtumes 6 zu erwehren. Es ist eben kein neuer Irrtum, den er vorträgt, sondern die Meinung 7 der Alten, die sogar im päpstlichen Recht verankert ist. Was ihm als Ketzerei vorgeworfen wird, das ist die eigene Lehre des Papsttums, das seine eigenen Rechte

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„… dann wir allein gottes wort für unseren grund habend.“ CR 92,815,2f. (Das Dise Wort) Commentarius CR 90,816,1ff. Das Dise Wort CR 92,815,14ff: „Das aber die lerer sind von Oecolampadio und mir angezogen, ist nit geschehen, das wir uff sie gründen wellend, als wir offt gnug anzeygt, sunder das wir allenthalb har kundschafft bringind.“ Das Dise Wort CR 92,974,1ff. Commentarius CR 90,816,1-13. Ad Bugenhagii Epistolam Responsio CR 91,563,4ff. Unterrichtung CR 91,820,17ff.

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nicht hält und damit von sich selbst abgewichen ist. „Wie fräfen aber das sye, un8 redlich und unlydenlich christenem volck magstu selbs wol mercken.“ Dass Zwingli dabei die Väter als eine Einheit ansieht, geht aus seiner ganzen Argumentation hervor.

II. Die patristische Argumentation Eine Durchsicht der Zwingli‘schen Schriften ergibt, dass die Väterbeweise nicht wie bei Oekolampad mit einem großen Wurf und in sich geschlossener Beweisführung einsetzen, sondern knapp, auf einzelne wichtige Stellen beschränkt. Oft handelt es sich nur um einzelne Zeugnisse zum Nachweis, dass eine bestimmte Aussage schon von den Vätern vertreten worden ist; auch dort, wo die Väter gesammelt und unter bestimmten Gesichtspunkten geordnet angeführt werden, wie im Commentarius und in der Unterrichtung, kann sich das Material an Umfang und Reichhaltigkeit keineswegs mit dem Oekolampads messen. Das erklärt sich einmal aus der aufgezeigten Grundhaltung – angesichts dessen, dass die Abendmahlslehre für Zwingli allein auf der Schrift gründete, lag nicht viel an den Vätern –, zum anderen aber auch daran, dass der Züricher den Väterbeweis bei Oekolampad in besten Händen wusste und ihm diese Domäne mehr und mehr überließ. Immerhin zeigen Eigenheiten der Argumentation Zwinglis, dass er eigenständig gearbeitet hat. Der Nachweis, dass selbst vom Corpus Juris Canonici die Väter nicht anders als von ihm verstanden worden sind, gehört z.B. 9 hierher. Im Vergleich zu Oekolampad sind Zwinglis Erläuterungen und exegetischen Begründungen sehr kurz. Öfters werden nur Hinweise auf ein bestimmtes Kapitel gegeben, ohne dass der Text angeführt wird; oft wird auch nur gesagt, was die zitierte Stelle lehrt, ohne alle nähere Begründung. Diese Knappheit der Erläuterungen wurzelt gewiss in der persönlichen Eigenart des Zürchers, sie dürfte aber besonders auch darin begründet sein, dass Zwingli solche Äußerungen zitiert, die aus sich selbst klar sind. Natürlich gesteht er zu, dass die Väter sich bisweilen nicht eindeutig ausdrücken. Irenäus z. B. redet viel in Allegorien, und schon zur Zeit Augustins war es nicht immer möglich, sich über das Wesen des Abend10 mahls offen auszusprechen. Zu sehr war schon der Abfall vom rechten Sakramentsverständnis in die Kirche eingedrungen – ein Abfall, der dann bei Berengar und Gratian zu einem massiven Druck wurde. Aber das alles ändert doch nichts daran, dass die Meinung der Väter klar ist. Sie ruht in gewissen Grundaussagen, von denen aus es möglich ist, ihre Redeweise zu verstehen. 8 9

Unterrichtung CR 91, 820, 25f. Vgl. dazu Schmidt-Clausing, Das Corpus Juris Canonici als reformatorisches Mittel Zwinglis, ZKG 1 (1969), S. 14–21. 10 Vgl. S. 128 Anm. 48.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli

Auch die Darstellung der Väterargumentation Zwinglis gruppiert, unter tunlicher Berücksichtigung der zeitlichen Reihenfolge, die Argumente um ihren Lehrgehalt, den sie nach Meinung des Reformators aussagen. 1. Wesen und Sinn des Abendmahls bei den Vätern Nach Zwinglis Überzeugung sind die Väter mit ihm der Meinung, dass das Abendmahl ein Mahl ist, durch das die Jünger die Erinnerung an den Leib des 11 Herrn, der für sie gegeben ist, erneuern. Damit ist zugleich gesagt, dass der Leib Christi im Sakrament nicht vorhanden ist, weder als leibliches, noch als geistli12 ches Fleisch. Vielmehr sind Brot und Wein die Zeichen für den für uns auf Golgatha geopferten Leib und das am Kreuz vergossene Blut des Herrn. a) Das Väterzeugnis für diese Sakramentsauffassung findet Zwingli dort, wo die Väter davon sprechen, dass im Abendmahl der Leib Christi bedeutet werde – also in den Begriffen, mit denen die Väter vom Abendmahl reden. Der erste Beleg hierfür, der schon im Brief an Alberus steht und später immer wieder aufgeführt wird, ist Tertullians Wort aus dem 1. Buch adv. Marcion: 13 „Nec panem reprobavit, quo ipse corpus suum repraesentat.“ Das entscheidende Moment in diesen Worten besteht für Zwingli darin, dass Tertullian „repraesentat“ sagt. Er sagt nicht, wie er – wenn er der Überzeugung der Gegner wäre – sagen müsste, „das Brot ist sein Leib“, sondern es repräsentiert seinen Leib. „Repraesentare corpus“ aber heißt, in Erinnerung rufen, dass 14 Christus seinen Leib für uns dargegeben hat. Die sachgemäße Übersetzung von „repraesentat“ ist darum für Zwingli „bedütet“. Das Brot bedeutet und bekräftigt den Tod des Herrn, weshalb es ein panis symbolicus genannt wird. Zwingli hält diese Stelle für so klar, dass er von ihr her den figura-Begriff des Tertullian gegen Luther und Billicanus im Sinne von „bedütnus“, Zeichen oder Abbildung bzw. signum symbolon, significatio oder repraesentatio stützt

11 Ad Alberum Epistola CR 90,345,40ff. 12 Commentarius CR 90,809,6ff: „Nunc eos veterum producemus, qui, ut ex verbis ipsorum clare videbimus, non corpoream carnem, imo nullam (quid enim refert spiritualem carnem vocare, quod haud aliud esset, quam si aqueum ignem, aut ligneum ferrum diceres?) in isto sive sacramento, sive pane symbolico esse intellexerunt.“ – Geist und Fleisch sind für Zwingli konträre Gegensätze. Vgl. Commentarius CR 90,787,6ff.: „Nondum enim vident simul stare non posse, ,corpus esse’ et ,spiritualiter edi’. Sic enim diversa sunt: corpus et spiritus, ut utrumcumque accipias, non possit alterum esse. Si spiritus est, quod in quaestionem venit, iam certa relatione contrariorum sequitur, corpus non esse; si corpus, iam certus est, qui audit, spiritum non esse. Unde corpoream carnem spiritualiter edere nihil est aliud, quam quod corpus sit, spiritum esse adserere.“ 13 Ad Alberum Epistola CR 90,346,5f. – Tert., adv. Marc. I,14 (CChr.SL 1,455). 14 Ad Alberum Epistola CR 90,346,9ff.: „Quomodo representat panis corpus? Nimirum cum sic editur, revocatur in memoriam, quod Christus corpus suum percutientibus praebuerit pro nobis.“

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und bestimmt. Das Verständnis der berühmten figura-Stelle Tertullians ist 15 damit abgesichert. Außer dem „repraesentat“ wird von Zwingli geltend gemacht, dass Tertullian hier vom Brot redet, durch das Christus seinen Leib bedeutet habe. Auch hier steht der Gedanke dahinter, dass der Kirchenvater, wenn er die gegnerische Meinung vertreten hätte, sich anders hätte ausdrücken müssen. Es sind also zwei Stützen, auf denen Zwinglis Argumentation von dieser Stelle her ruht: dass „repraesentare“ bei Tertullian „in Erinnerung bringen“ heißt und dass er noch vom Brot spricht. Eine Begründung dafür, warum „repraesentare“ in Erinnerung bringen heißt, gibt Zwingli nicht. Er würde aber sicher auf die Augustin-Stelle verweisen, die er in der „Underrichtung“ zitiert. Dort wird von den jährlichen Osterfesten als Gedächtnis an den Tod und die Auferstehung Christi gesprochen: „Wirt aber ouch Christus so offt getödt? Nein, sunder die järlich widergedächtnis 16 bedut oder äfret das einist beschehen, und macht also yndenck, glich als ob wir 17 den herren gegenwürtig am crütz sehend.“

Zwingli übersetzt hier repraesentat mit „bedüt“ oder „äfret“, wie denn nach dem Zusammenhang an das Geschehen des Todes Christi erinnert wird. Repraesentare bei Augustin heißt also für Zwingli nichts anderes als „erinnern“ oder „bedeuten“. Dasselbe gilt dann auch für Tertullian. Ein weiteres wichtiges Zeugnis findet sich sehr oft im Zusammenhang des soeben angeführten Zitats und soll genau dasselbe aussagen: Augustin spricht davon, dass der Herr den Judas zu seinem Abendmahl hinzugenommen habe, 18

„in quo corporis et sanguinis sui figuram discipulis commendavit.“

Die Beweiskraft der Stelle liegt im Wort „figura“, dessen Sinn Zwingli im 19 Brief an Alberus dadurch klärt, dass mit ihm weder das Aussehen des Herrn, 20 etwa seiner Gesichtszüge, noch – in Anlehnung an 1. Kor. 10,11 – ein Geschehen, das auf den zukünftigen Christus hinweist, gemeint sein kann; er 15 Das Dise Wort (CR 92,973,3ff.). Gegen Luther: „Man sicht ouch diner gschrift wol an, das du im Tertulliano wenig zyts verschlissen hast, oder aber du hettist gsehen, wofür er diß wort ,figura‘ brucht, nämlich für ein bedütnus; dann er lib. 1. contra Marcionem, also spricht: ‚Er hat ouch das brot nit verschupfft, damit er sinen lychnam bedütet‘.“ Vgl. auch Ad Billicani et Rhegii Epistolas (CR 91,917,32ff.). 16 Oskar Farner erläutert in CR 91,855 Anm. 6 äfert = bildet nach. 17 Unterrichtung (CR 91,855,25ff.) – Aug., en. Ps. 21 (CChr.SL 38,121,8ff.): „Quoties pascha celebrantur, numquid toties Christus moritur? Sed tamen anniversaria recordatio quasi repraesentat quod olim factum est, et sic nos facit moveri tamquam videamus in cruce pendentem Dominum …“ 18 Ad Alberum Epistola (CR 90,346,32f.) – Aug., en. Ps. 3 (CChr.SL 38,8). 19 Ad Alberum Epistola (CR 90,347,1ff.): „Quid autem hic figuram intelligit? an speciem aspectus vultusque eius? an figuram, qua futurum aliquid praemonstret … Minime! Sed figuram hoc est formam, qua commemoremus corpus ipsius pro nobis esse traditum …“ 20 „Solches alles widerfuhr jenen zum Vorbilde“.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli

bedeutet vielmehr eine Gestalt (forma), durch die wir uns ins Gedächtnis zurückrufen, dass Leib und Blut Christi für uns dahingegeben sind. Zwingli erhebt hier die Bedeutung von figura also nicht aus dem Kontext, sondern scheidet aus drei von vornherein bekannten Bedeutungen zwei als unpassend 21 aus. Auffallend ist, dass dabei auch der Begriff figura im Sinn des alttestamentlichen, auf Christus vorwärtszeigenden Zeichens ausgeschieden wird, doch bezieht sich das, wie im Commentarius deutlich wird, nur auf das 22 „Vorwärts“ weisen, nicht auf den Charakter des Zeichens überhaupt. Interessanterweise fasst Zwingli hier den Begriff der figura gleichwie Luther im Sinn der äußeren Gestalt oder Form, nur dass sie für Zwingli ein Zeichen ist, indes sich für Luther der Leib Christi in ihr verbirgt. Dass Tertullian figura im Sinne von Zeichen und gleichbedeutender Begriffe versteht, geht für Zwingli 23 aus der schon genannten repraesentat-Stelle hervor; es wird aber auch von der Tatsache bestätigt, dass der profane Gebrauch des Worts bei Lucretius, Iu24 venalis, Catullus und Ovidius gleichlautend mit Zeichen ist. Im Übrigen ist für ihn der Begriff an sich so klar, dass allein die Tatsache seines Gebrauchs bei den Vätern genügt, sie zu seinen Zeugen zu machen. Gleichbedeutend mit figura gebraucht Zwingli in der Interpretation der Väter den Begriff sacramentum. Überall, wo dieses Wort oder das zugehörige Adverb auftreten, versteht sie der Züricher als „bedütnus“ oder Zeichen und 25 wertet sie als Zeugnis der Übereinstimmung. Das gilt auch für die früheren Schriften, in denen die Bedeutung sacramentum = ius iurandum, initiatio oder oppignoratio bei Zwingli vorherrscht. Der Züricher verwirft dort die Bezeichnung sacramentum = signum an sich nicht, sondern möchte sie nur 26 richtig verstanden wissen. Welches Gewicht ihr zukommt, zeigt die Auslegung eines Augustin-Worts, mit dem Zwingli bestätigen will, dass der Bischof, wenn er vom Essen des Leibes und Blutes Christi redet, nicht etwa Leibliches meint:

21 Vgl. S. 121 Anm. 19. 22 Commentarius CR 90,809,31ff.; vgl. auch Amica Exegesis CR 92, 739,9ff.: „Oecolampadius autem Tertullianum sequutus ad hunc modum expedivit: hoc est figura corporis; ubi figuram non pro typo aut praefiguratione aut rerum futurarum indice accipit, sed pro ἀντιτύπω, hoc est: repraesentatione aut redumbratione eius, quod vere aliquando factum est“. 23 Vgl. S. 120 Anm. 13. 24 Das Dise Wort CR 92,972,16ff. 25 So z. B. in der Unterrichtung CR 91,821,26: „Ich hab üch ein sacrament (das ist: ein bedütnus) empfolhen.“ In der gleichen Schrift spricht er sich auch allgemein über das Sakramentsverständnis aus CR 91,794,2ff.: „Nun habend die pfaffen all wol gewüßt, daß diß wort ,sacrament‘ ghein anders hieß (wie es von den christlichen lereren all weg har in dem val / hoc sensu / gebrucht ist) weder ein Zeichen.“ 26 Commentarius, CR 90,757,13ff.: „Rursum alii … dixerunt (sc. sacramentum) sacrae rei signum esse. Quod equidem non improbarem admodum, nisi hoc quoque statuerent: quod quum externe sacramentum peragas, certo interne peragatur mundatio.“

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„Denique iam exponit, quomodo id fiat, quod loqitur, et quid sit ,manducare corpus eius, et sanguinem eius bibere‘: ,Qui manducat carnem meam et bibit meum sanguinem, in me manet, et ego in illo.‘ Hoc est ergo ‚manducare illam escam, et illum bibere potum‘: in Christo manere et illum manentem in se habere. Ac per hoc, qui non manet in Christo, et in quo non manet Christus, proculdubio nec manducat (spiritaliter) carnem eius, nec bibit eius sanguinem (licet carnaliter et visibiliter premat dentibus sacramentum corporis et sanguinis Christi); sed magis 27 tantae rei sacramentum ad iudicium sibi manducat et bibit etc.”

Der Züricher legt hier den Finger darauf, dass Augustin nicht einfach „premat dentibus“ auf corpus und sanguinem bezieht, sondern vorsichtig den Begriff sacramentum einfügt. Diese Einfügung macht die ganze Stelle im Sinn der Abwesenheit des Leibes Christi unüberbietbar klar und genügt an sich, die Meinung Augustins zum Ausdruck zu bringen. Das angeführte Zitat ist aber nicht nur dadurch von Bedeutung, dass das Wort sacramentum hier eingefügt ist, sondern zeigt auch auf, was mit sacramentum gemeint ist: „Hoc carnaliter esse edere intendens, qum sacramentaliter editur; sacramentaliter 28 vero edere, esse aliud non potest, quam signum auf symbolum edere.“ Der Sinn dieser kurzen und gedrängten Bemerkung Zwinglis ist, dass das carnaliter und sacramentaliter edere zusammengehören. Fleischliches und sichtbares Essen liegt dort vor, wo etwas sakramentlich gegessen wird; es ist darum nicht möglich, dass das sakramentliche Essen etwas anderes als ein sichtbares Zeichen oder Symbol zum Objekt haben könne. So steht das sacramentaliter edere als ein carnaliter und visibiliter edere dem spiritaliter manducare gegenüber. Damit geht aus dem Zusammenhang der Stelle selbst das Verständnis von sacramentum als Zeichen hervor, wie denn alle Aussagen, in denen die für jeden sichtbare Gegenwart des Leibes und Blutes Christi ausgeschlossen wird, für Zwingli den Begriff des sacramentum als Zeichen bestätigen. Zwinglis Verständnis von sacramentum kommt abschließend noch einmal 29 in der „Antwort“ zum Ausdruck. Sacramentum ist das lateinische Wort für mysterion, das in zweifachem Sinn, entweder als Geheimnis oder als eine äußerliche Form oder Gestalt, die auf ein Geheimnis deutet, verstanden wird. In diesem letzteren Sinn wird sacramentum auf verschiedene, aber doch sinngleiche Weise definiert. Einmal: Sacramentum ist ein Zeichen eines heiligen Dinges. Zum andern: Sacramentum ist eine sichtbare Form oder Bild einer unsichtbaren Gnade. Diese beiden als allgemein anerkannt vorausgesetzten 30 Definitionen werden nun auf das Abendmahl angewendet. Das Brot und der Leib Christi verhalten sich wie das Zeichen und das Bezeichnete, sie sind nicht anders eins, als wie das Bild des Cocles, das auf dem Forum steht, mit 27 Commentarius CR 90,814,37ff. – Aug., Io. ev. tr. 26,18 (CChr.SL 36,268). Zur Überlieferung der in den Klammern stehenden Zusätze vgl. CChr.SL 36,268 Anm. 2. 28 Commentarius CR 90,815,13ff. 29 Über Luthers Bekenntnis CR 93 II,199,21ff. 30 CIC pars III Dist. II c. 32; ed. Friedberg Bd I Sp. 1324.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli

dem Cocles selbst, der schon viele 100 Jahre tot ist, eins ist. Oder mit Blick auf die andere Definition: Das Abendmahl ist das sichtbare Symbol oder Zeichen, um die unsichtbare Gnade, die uns erzeigt ist, zu preisen und zu loben. Zusammenfassend sagt er: „Je in summa, ,sacramentlich eins sin‘ ist nützid anders, weder ein bildnus tragen eins heiligen dinges; da doch das zeichen das heilig ding nit ist; darumb es aber das 31 heilig bedütet, überkumpt es den namen deß, das es bedütet.“

Alle diese Definitionen entsprechen formal der Tradition und knüpfen über 32 Gratian an Wendungen Augustins an. Ohne es ausdrücklich in diesem Zusammenhang zu sagen, beansprucht damit Zwingli, in sachlicher Übereinstimmung mit den Vätern, und besonders Augustin, zu stehen. Noch ein letzter Begriff wird von Zwingli zum Verständnis des Abendmahls als Deutemahl geltend gemacht: significatio. Es ist sozusagen der Oberbegriff, der den von Luther angeführten Brief Augustins an Januarius regiert und zu verstehen gibt, dass Augustin die Zeichen lediglich Leib und Blut Christi nennt. Luther übergeht einfach die am Anfang des Briefs stehenden Worte: „Erstlich solt du wüssen, das das aller fürnempst ist in unserem handel, das unser herr Jesus Christus unns under ein senfft joch und lychte bürde, als er selbst im euangelio redt, gethon hatt, Unnd darumb halt er die gselschafft des nüwen volcks mit wenig sacramenten zemen knüfft, die ouch zu halten ring sind, unnd in der bedütung träffenlich, als dann ist der touff mit dem nammen der tryvaltigheyt ge33 heyligot, die gemeind synes lybs unnd bluts.“

Hier zeigt Augustin deutlich an, dass die Sakramente nur bedeuten, und zwar treffliche Dinge, nämlich „die grossen that, die gott durch synen sun in diser wellt verwürckt hatt, unnd die vereinigung der Kilchen, das ist: synes 34 volcks.“ Zwingli versteht also diese Worte dahin, dass die Sakramente sowohl auf Gottes Heilswerk in Christus hinweisen als auch auf die um sie versammelte Kirche. Der entscheidende Punkt in den Worten Augustins ist für ihn die Formulierung „in der bedeutung träffenlich“, die damit den Rang eines die Sakramente in ihrem Wesen kennzeichnenden Ausdrucks erhält. Hin31 Über Luthers Bekenntnis CR 93 II,201,5ff. bei Augustin: doctr. chr. II,1 (CChr.SL 32,32) und ep. 98: Ad Bonifacium (PL 33,363). 32 Zu „Zeichen eines heiligen Dinges“ vgl. Aug., ep. 138: Ad Marcellinum (PL 33,527); Aug., civ. X,5 (CChr.SL 47,277). Zu „Form einer unsichtbaren Gnade“ vgl. PL 34,712. 33 Das Dise Wort CR 92,970,8ff. – Aug., ep. 54: Ad Januarium c. 1. (PL 33,200). „Primo itaque tenere te volo, quod est huius disputationis caput. Dominum nostrum Jesum Christum, sicut ipse in Evangelio loquitur, leni jugo suo nos subdidisse et sarcinae levi: unde sacramentis numero paucissimis, observatione facillimis, significatione praestantissimis societatem novi populi colligavit, sicuti est Baptismus, Trinitatis nomine consecratus, communicatio corporis et sanguinis ipsius.“ 34 Das Dise Wort CR 92,971,7ff.

Die patristische Argumentation

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zukommt noch als weiteres tragendes Moment communicatio im Sinne von Gemeinde. b) Dem Verständnis, dass der Leib Christi im Abendmahl durch das Brot nur bedeutet wird, entspricht, dass die Väter ein Achthaben auf das leibliche Fleisch Christi im Abendmahl zurückweisen. Zwingli beruft sich dafür auf Augustin, nach dessen Worten zu Johannes 6,56 der Leib Christi auch nicht einmal anzuschauen sei. „Exposuit autem modum attributionis et doni sui, quomodo daret carnem suam manducare, dicens: ,Qui manducat carnem meam, et bibit sanguinem meum, in me manet et ego in illo. Signum, quia manducavit et bibit, aliquis scilicet, hoc est, si manet et manetur, si habitat et inhabitatur, si haeret, et non deseratur, Hoc ergo nos docuit et admonuit mysticis verbis, ut simus in eius corpore sub ipso capite in membris eius, edentes carnem eius, non relinquentes unitatem eius. Sed qui aderant, plures non intelligendo scandalizati sunt; non enim cogitabant haec audiendo nisi carnem, quod ipsi erant. Apostolus autem dicit, et verum dicit: ‚Sapere secundum carnem mors est.’ Cum de carne sua dicat, quia ibi est vita aeterna. Ergo nec carnem debemus sapere secundum carnem. Sicut in his verbis: ,Multi itaque audientes, non ex inimicis, sed, ex discipulis suis, dixerunt: Durus est hic sermo, et quis potest eum audire? Sic discipuli durum habuerunt istum sermonem, quid inimici? Et tamen sic oportebat, ut diceretur, quod non ab omnibus intelligeretur. 35 Secretum dei intentos debebat facere, non adversos etc.“

Diese Äußerungen des Bischofs sind für den Züricher so klar, dass sie keiner Erläuterung bedürfen. Offensichtlich liegt die Beweiskraft für ihn darin, dass Augustin die Weise, wie Christus sein Fleisch dargibt, dadurch kennzeichnet, dass das „in ihm Bleiben“ Anzeichen für das „Gegessen haben“ ist. Und der scheinbare Widerspruch, dass der Herr einerseits sein lebendig machendes Fleisch zur Speise gibt und andererseits der Apostel das Essen nach dem Fleisch als den Tod kennzeichnet, löst sich so, dass das Fleisch Christi eben nicht „nach dem Fleisch“ geschmeckt werden dürfe. Der Ausdruck „nach dem Fleisch“ aber entspricht dem, was die dachten, die sich an den Worten Jesu ärgerten: dem leiblichen natürlichen Fleisch, das sie selbst waren. Zwingli versteht also unter dem „nach dem Fleisch schmecken“, dass der Leib Christi dem Leibe nach gegessen wird. „Nicht nach dem Fleisch schmecken“ schließt deshalb beides, die leibliche Gegenwart und den leiblichen Genuss mit Mund und Zähnen aus – es bleibt nur das geistliche Essen des Glaubens. 35 Commentarius CR 90,810,5ff. „ut caro Christi ne spectanda quidem sit“ 810,24f. – Aug., Io. ev. tr. 27,1f. (CChr.SL 36,270). Dass Zwingli communicatio, vom Abendmahl ausgesagt, im Sinne von Gemeinde und nicht von Gemeinschaft versteht, zeigt die Auslegung von 1. Kor. 10,16 in CR 91,860,12ff.: „Demnach verstat sich das wort ‚gemeindam‘ (=Gemeinschaft) wol, doch das du es für ‚die gemeind‘ verstandist... Das brot, das wir brechend, ist das nit die gemeind des lychnams Christi?...“ „Ir ist ein andre gemeind weder das ir in der gemeind der götzendienern essen söllind: dann ir sind die gemeind des blüts und lychnams Christi...“ Vgl. auch S. 135 Anm. 82.

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Noch klarer wehrt Augustin wenig später den Nutzen und Eigenwert des Fleischs Christi ab: „Si per carnem nobis multum profuit Christus, quomodo caro non prodest quicquam? Sed per carnem spiritus aliquid pro salute nostra egit. Caro vas fuit, quod 36 habebat – attende, non quod erat.“

Der Züricher meint, wenn für Augustin das Fleisch Christi nur Gefäß und Werkzeug war, dann hat es keinen Eigenwert und ist, insofern es für sich Fleisch ist, nicht Gegenstand der Aufmerksamkeit und Wertschätzung, wie 37 die bisherige Tradition meinte. c) Dass das Sakrament des Abendmahls bei den Vätern nichts anderes als ein Bedeutzeichen ist, erweist besonders auch ihr Verständnis von Glaube und Sakrament. Für die alte Kirche ist der Glaube die res sacramenti, die Hauptsache, um die es im Abendmahl geht. 38 Zwingli verweist dazu auf Origenes, besonders aber wieder auf Augustin, der das Wesen des Sakraments in dem einen Wort zusammenfasst: „Worumb rüstest du zan und buch? Vertruw, so hastu geessen; dann in inn vertruwen, das ist: das brot und den wyn essen. Welcher in inn vertruwt, der isst 39 inn.“

Zum Empfang des Leibes Christi gebraucht man also – das geht gegen den Widerruf des Berengar – nicht die Zähne; es wird deshalb nichts Leibliches gegessen, da ja zum leiblichen Essen der Gebrauch der Zähne gehört. Christus essen heißt, wie es das „denn in inn vertruwen …“ genau zeigt, nichts anderes als sich auf ihn verlassen und vertrauen. Dabei bezieht sich „in inn“ auf 40 Christus selbst und nicht auf das Brot bzw. den Leib Christi. Ist damit das Verständnis des Essens im Sinne von Glauben klar nachgewiesen, so findet Zwingli noch zwei Schwierigkeiten in dem Satz „in Christum vertruwen, das 36 Commentarius CR 90,810,26ff. – Aug., Io. ev. tr. 27,5. (CChr.SL 36,272). 37 Commentarius CR 90,810,29f.: „Ecce iterum dicit non attendendum esse ad carnem quidnam esset!“ 38 Zwingli zitiert Origenes zu Mt 26,26 (vgl. Ed. Lommatzsch IV, S. 416) und bemerkt dazu: „Videmus in his Origenis verbis eum in hac fuisse sententia, quod res huius sacramenti sit fides, qua Christum credimus pro nobis perlitavisse; nam is sit animae cibus.“ Commentarius CR 90,812,14. 39 Unterrichtung (CR 91,807,6ff.). Der Text, der dem Corpus Iuris Canonici entnommen ist (ed. Friedberg I,1331 – c. 46), lautet dort: „Quid paras dentem et ventrem? Crede et manducasti. Credere enim in eum, hoc est panem vivum manducare. Qui credit in eum, manducat eum.“ Bei Augustin Io. ev. tr. 25,12 und 26,1 (CChr.SL 36,254 und 260). – Zwinglis Übersetzung „das ist: das brot und den wyn essen“ geht offenkundig auf einen Druck- oder Schreibfehler zurück. Statt panem vivum wurde vinum gelesen. 40 Zwingli charakterisiert das abgewiesene Verständnis: „Man sol diß wort: ,Vertruw, so hastu geessen‘ also verston: Vertruw oder gloub, daß da fleisch und blut sye, so issestu fleisch und blut. Welche das gloubend, die essend's. Welche aber das nit glubend, essend's nit.“ Unterrichtung CR 91,807,21ff.

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sye das brot und den wyn ässen“. Die erste Schwierigkeit ist, dass es ja viele sind, die auf Christus vertrauen, aber „das sacrament, wyn und brot, selten es41 send“. Die andere: Augustin nennt das, was auch die Gläubigen essen, Wein 42 und Brot. Auf die letzte Schwierigkeit geht Zwingli nicht weiter ein. Die erste aber löst er, indem er den rechten Sinn darlegt: „Darumb so merck, das Augustinus mit den werten nütz anders wil, dann: Welcher in Christum vertruwt, der gat recht zu der gmeind, die das brot und den wyn mit einander 43 isst; der brucht das sacrament recht.“ Die Begründung für diese Darlegung liegt im letzten Satz des Zitats, der wiederum das Essen des Leibes Christi mit dem Vertrauen auf Christus identifiziert und, damit das Essen des Brots und Weins nur als Auswirkung des Glaubens, nicht als Identifizierung mit ihm verstehen lässt. Dazu kommt noch, dass Augustin das, was leiblich gegessen wird, Wein und Brot nennt, obwohl es Christus selbst Fleisch und Blut genannt hat „darumb, das es bedütliche zeichen sines fleischs und bluts sind in 44 der dancksagung“. Die augustinische Identifizierung von Glauben und Essen ist demnach bei Zwingli entscheidend für das Verhältnis von Glaube und Sakrament. Aus ihr ergibt sich, dass es der Glaube ist, um den es im Abendmahl geht und dass dieser Glaube nicht den Leib Christi im Abendmahlsbrot meint, sondern Christus selbst. Der Glaube ist vor dem Sakrament da, das Sakrament selbst ist Ausdruck und dankbare Bezeugung des Glaubens. Es besteht aus Brot und Wein, die als bedeutlich Zeichen auf das Fleisch und Blut Christi hinweisen. Dieses Verständnis vom Glauben als der Hauptsache beim Abendmahl findet Zwingli auch bei Irenäus, der unter dem Essen des Leibes und Blutes Christi nichts anderes als das innere Essen des Glaubens versteht, indes die Sakramente eine Danksagung sind, aus der wir die Auferstehung unseres Leibes erkennen dürfen, gleichwie auch Christus auferstanden ist. Irenäus redet „durch Allegorien“, d. h. er meint das „ynner essen, welches er aber mit essen deß lychnam und bluts Christi redt“, wie es Christus selbst Johannes 6 gelehrt 45 hat. Johannes 6 ist also der Ort, von dem her die Väter es gelernt haben, übertragen vom Essen des Leibes und Blutes Christi zureden. Noch von einer anderen Seite aus wird der Glaube als die Hauptsache im Sakrament bestätigt. Augustin stellt fest, dass die alttestamentlichen Väter

41 Die Schwierigkeit besteht für Zwingli darin, dass in dem Augustin – Wort das Vertrauen und das Essen des Brots und Weines zusammengebunden sind. Das steht in Spannung zu der Überzeugung Zwinglis, dass auf das Sakrament auch verzichtet werden kann. 42 Man wird nicht fehl gehen, die Schwierigkeit darin zu finden, dass Zwingli nach dem Vorangegangenen erwartet, dass die Gläubigen Christum essen, indem sie auf ihn vertrauen. 43 Unterrichtung (CR 91,808,12ff.). 44 Unterrichtung (CR 91,808,27f.). 45 Das Dise Wort (CR 92,973,19.).

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trotz anderer Zeichen die gleiche geistliche Speise gegessen haben wie wir. Es kann darum mit dem Essen des Fleischs Christi nichts anderes als der Glaube gemeint sein, weil von den alttestamentlichen Vätern unbestritten 47 gilt, dass sie den Leib Christi nicht im Zeichen gegessen haben. d) Der Gebrauch, den die Alte Kirche nach Zwinglis Auffassung vom Abendmahl gemacht hat, zeigt, dass sie es ganz anders als die überkommene Tradition, nämlich als Deutemahl verstanden hat. Zwar haben schon zu Lebzeiten Augustins die Väter sich teilweise nicht offen über das Wesen der Abend48 mahlsspeise äußern können, doch lässt der Gebrauch, den sie machen, ihre eigentliche Auffassung erkennen. Bei Origenes kommt die allgemeine Wertschätzung des Sakraments darin zum Ausdruck, dass er die häufige Teilnahme am Sakrament in eine Reihe 49 mit Fasten, Kniebeugen, Gelächter u.a. stellt, und nicht zu den zur Rechtfertigung der Seelen notwendigen Hauptstücken zählt. Er hätte das gewiss nicht tun können, wenn er das leibliche Fleisch Christi im Abendmahl ge50 glaubt und gerühmt hätte. In welchem Sinn aber nun das Sakrament gebraucht wird, erhellt bei Origenes aus den Begriffen, in denen er vom Abendmahl redet: „Et semper Jesus his, qui secum pariter agunt festivitatem, accipiens panem a patre, gratias agit et frangit, et dat discipulis secundum quod unusquisque eorum capit 51 accipere, et dat, dicens: Accipite et manducate.“ 52

Und wenig später als allerklarstes Zeugnis: 46 Unterrichtung CR 91,827,1f.: „Obglych wir andre zeichen habind, habend doch sy eben den Christum geessen, den ouch wir essend.“ Oskar Farner verweist in den Anmerkungen auf Aug., Io. ev. tr. 45,9 (CChr.SL 36,393): „Videte ergo, fide manente, signa variata. Ibi petra Christus, nobis Christus quod in altari Dei ponitur.“ Da aber Zwingli genau zitiert, ist es denkbar, dass er noch eine andere Stelle gemeint hat. 47 Unterrichtung CR 91,826,12ff.: „Nun ist aber unlougenbar, das sy das lyplich fleisch Christi noch blüt nit geessen habend; dann Christus ist darnach erst in die sechzehen hundert jar mensch worden. So müß ir ,essen‘ nüt anders gewesen sin weder: uff Christum, der sin lyb und blüt in‘n tod geben ward, vertruwen.“ 48 Von Augustin sagt Zwingli: „sua tempestate non fuisse ausum diserte veritatem proloqui, quae iam casum magna parte dederat.“ Commentarius CR 90,811,1ff. – Die Bemerkungen Zwinglis zum „Abfall“ der Kirche vom rechten Sakramentsverständnis sind nicht ganz einheitlich. Vgl. auch Unterrichtung CR 91,852,3ff.: „Nun ist es an dem, das wir anzeigind, das ouch die alten Christen und lerer biß in die 500 jar die wort Christi: ‚Das ist min lychnam‘ bedütlich, nit wesenlich verstanden habind.“ Dass sich stellenweise die wahre Sakramentslehre noch viel länger gehalten hat, geht ihm aus Gratians Dekret, dem Streit um Berengar, auch aus der Tatsache, dass die Sakramentshäuschen zu seiner Zeit erst kaum 200 Jahre alt sind, hervor. 49 Es handelt sich offensichtlich um den risus paschalis, das Osterlachen. 50 Origenes in der Auslegung zu Mt 23,23 Hom 20 ed. Lommatzsch IV, S. 220. Zwingli schließt daraus: „Ecce, ut communicationem, quae apud veteres crebrius fiebat quam nostra tempestate, inter levia et ceremonialia reiicit, nunquam profecto sic facturus, si de corporea, quemadmodum nos, carne tum sensissest, tum gloriatus esset.“ Commentarius CR 90,811,19ff. 51 Commentarius CR 90,812,17ff. – Orig., hom. in Mt. 26,26 ed. Lommatzsch, IV, S. 419.

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„Deinde docebat discipulos, qui festivitatem celebraverant cum magistro (ecce fes53 tivitatem) et acceperant benedictionis panem, et manducaverant corpus verbi (vide, an sensibile corpus hic esse putaverit) et biberant calycem gratiarum actionis 54 etc.“

Origenes redet hier vom Abendmahl als festivitas, das heißt von einem feierlichen Zusammenkommen der Gemeinde, ferner von Danksagung (eucharistia) Wiedergedächtnis (commemoratio) und Verkündigung (annunciatio) des Todes des Herren. Diese Begrifflichkeit ist aus sich selbst heraus für Zwingli ausreichend, das Abendmahl in seinem Gebrauch zu charakterisie55 ren. Darüber hinaus zeigt er aber noch an der Formulierung „secundum quod unusquisque eorum capit accipere“, dass Origenes niemals vom leiblichen Fleisch Christi reden kann. Denn das leibliche Fleisch wird allen, die es empfangen, gleicherweise gegeben – weshalb hier nur vom Glauben und der 56 Danksagung, die ja bei den einzelnen verschieden sind, geredet sein kann. Einen anderen Gesichtspunkt des Gebrauchs stellt Zwingli an Hand des Hilarius heraus. Der Kirchenvater spricht im Anschluss an Mt 9,15 von dem sacramentum der heiligen Speise, dass nämlich niemand, solange er Christus in seinem Geist erblickt, der heiligen Speise ermangele, dass andererseits aber, wo nicht mehr an den Auferstandenen geglaubt wird, die Speise des Lebens fehle: „In fide enim resurrectionis sacramentum panis coelestis accipitur; et quisquis sine 57 Christo est, in vitae cibi ieiunio relinquetur.“

Zwingli versteht den letzten Satz so, dass er sacramentum nun nicht mehr, wie im Anfang des Zitats, als „Geheimnis“ fasst, sondern als Zeichen (symbolum) und auf das Abendmahlsbrot bezieht. Die Meinung des Hilarius ist dann: Wer daran glaubt, dass Christus auferstanden ist, der isst zu Recht das sakramentale 58 Brot als ein Zeichen des himmlischen Brots. Das Herrenmahl ist also zugleich auch ein Zeichen des Glaubens an den auferstandenen Christus. Schließlich macht Zwingli noch auf einen Gebrauch des Abendmahls aufmerksam, den Augustin in einer figürlichen Auslegung von Prov. 23,1f anführt. Darnach gebührt es demütig zum Leib und Blut des Herrn hinzutre52 53 54 55

Commentarius CR 90,812,29: „manifestissime declarant, quae illi sit eucharistia …“ Die Einfügungen sind Zusätze Zwinglis. Commentarius CR 90,812,30ff. – Orig., hom. in Mt. 26,29 ed. Lommatzsch, IV, S. 420f. Commentarius CR 90,812,20f.: „Ecce, ut festivitatem adpellet: Hoc est celebrem ecclesiae concursum auf conventionem!“ 813,1f.: „Ecce eucharistiam, commemorationem, celebritatem aut annunciationem mortis domini.“ – Zur Selbstverständlichkeit von euchoristia vgl. Commentarius CR 90,775,33ff.: „Tenemus ergo nunc ipso nomine, quid eucharistia, id est: coena dominica, sit, nempe: gratiarum actio et communis gratulatio eorum, qui mortem Christi annunciant …“ 56 Commentarius CR 90,812,22ff. 57 Commentarius CR 90,813,9ff. – Hil., in Matth. 9,3 (PL 9,963). 58 Commentarius CR 90,813,13ff.

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ten, die Gnade, die dort empfangen wird, recht zu bedenken und zu wissen, 59 dass man sein Leben für die Brüder geben müsse, wie Christus es getan hat. 60 Zwingli folgert daraus, dass nach Augustins Meinung Leib und Blut Christi dazu gegessen werden, dass auch wir nicht anders unser Leben für die Brüder 61 hingeben als wie Christus es für uns getan hat. Gemäß dem Gebrauch der Väter steht also das Abendmahl in einer Reihe mit den übrigen Zeremonien der christlichen Kirche. Es ist eine Festversammlung der Gemeinde zur Erinnerung an den Tod Christi und zur Danksagung, ein Zeichen, mit dem der Teilnehmer seinen Glauben an den Auferstandenen bezeugt, und ein verpflichtender Ausdruck demütiger Liebe und Opferbereitschaft für die Brüder. Auch am Gebrauch der Väter werden damit die beiden verschiedenen Richtungen erkennbar, in die das Abendmahl weist, auf die großen Taten, die Gott durch seinen Sohn in dieser Welt gewirkt hat, 62 und auf die Gemeinschaft der Kirche. 2. Die Schriftauslegung der Väter Augustin beantwortet einmal die Frage, warum im Johannesevangelium die Einsetzung des Abendmahls nicht berichtet sei, mit dem Hinweis: „Ioannes autem de corpore et sanguine domini hoc loco nihil dixit, sed plane alibi 63 multo uberius hinc dominum locutum esse testatur.“

Zwingli zitiert diese Stelle um zu zeigen, dass für Augustin kein anderes Essen des Leibes Christi im Abendmahl in Frage komme als das, welches Johannes 6 ausgeführt werde. Darnach hat also Augustin selbst Johannes 6 als den eigentlichen Schlüssel zum Verständnis der Einsetzungsworte des Abendmahls angegeben. Zwinglis Ansatz bei Johannes 6 ist somit von Augustin, und das heißt von den Vätern her, bestätigt. 2.1 Johannes 6 Der Züricher konzentriert den Väterbeweis zu Johannes 6 auf folgende Schwerpunkte: Wenn Christus Joh 6,56 und an anderen Stellen vom Essen seines Fleischs und Trinken seines Blutes spricht, dann verstehen dies die Väter allein 64 vom Glauben an Christus. Diesem Verstand als dem geistlichen steht der 59 Commentarius CR 90,814,17ff. – Aug., Io. ev. tr. 84,1 (CChr.SL 36,537). 60 Zum Sinn von „Leib“ und „Blut“ vgl. S. 122f. 61 Commentarius CR 90,814,32ff.: „Ecce in quem usum dicat Augustinus nos corpus et sanguinem Christi edere, in eum videlicet, ut nos animam pro fratribus haud secus effundamus, quam Christus pro nobis fecit.“ 62 Vgl. S. 125. 63 Commentarius CR 90,815,31ff. – Aug., cons. ev. III,1,2 (PL 34,1158). 64 Unterrichtung (CR 91,810,16ff.).

Die patristische Argumentation

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fleischliche gegenüber. Der fleischliche Verstand fasst die Worte so, wie sie die Jünger, die von Christus abfielen, verstanden haben, nämlich vom Fleisch Christi, das sichtbar und greifbar ist und auch nicht anders als sichtbar und greifbar sein kann. Christus wehrt diesem fleischlichen Verstand mit dem Wort „Das Fleisch ist kein nütze“ und meint damit sein eigen Fleisch, sofern es gegessen wird. Lebendig macht demnach nur der geistliche Verstand, der Glaube, nicht aber das Fleisch Christi. Zur Identität von Essen und Glauben ist schon ein für Zwingli sehr klares 65 Augustin-Wort angeführt worden; ebenfalls vornehmlich auf Augustin bezieht sich der Züricher nun auch zur Bestimmung des geistlichen und fleischlichen Verstandes. Er zitiert nach dem Corpus Iuris Canonici: „Als aber yene hinweg ggangen warend, lart er die blibnen: ‚Der geist – sprach er, ist, der do läbendig macht; das fleisch ist nüt nütz. Die wort, die ich zu üch geredt hab, sind geist und läben … Habend ir sy fleischlich verstanden, so sind sy ouch geist und läbenn. Aber dir sind sy nit geist und läben; dann du verstast sy nit geistlich … Ir müssend die ding ich üch gseit hab, geistlich verston. Ir werdend nit den lychnam essen, den ir sehend, und nit das blut trincken, das do vergiessen werdend die mich werden crützgen. Ich hab üch ein sacrament … empfohlen, welche, geistlich verstanden, üch läbendig macht; aber das fleisch ist gar nüt nütz.‘ Aber wie sy es verstundend, also gabend sy ouch antwurt; dann sy verstundend das fleisch, wie 66 fleisch verkouft wirt oder in der metzg zerhowen wirt.“

Ohne weitere Begründung – weil man nämlich einfach sehen kann, was da steht – besagen die ersten vier Sätze dieses Zitats für Zwingli, dass Augustin einerseits unter dem Begriff „geistlich“ den von Christus gemeinten Sinn versteht; dieser Sinn meint nichts anderes als das Vertrauen auf Christus, der seinen Leib und 67 Blut in den Tod gegeben hat. Andererseits versteht er dementsprechend unter 68 Fleisch das, was die Abtrünnigen gemeint haben. Es steht also der geistliche, übertragene, dem Sinn Christi entsprechende Verstand der Worte dem fleischlichen, „lyplichen“ Verstand der Abtrünnigen gegenüber, die unter dem Wort Fleisch den Leib Christi analog dem Fleisch, das im Metzgerladen verkauft wird, verstanden. Bei den weiteren Sätzen des Zitats, in denen Augustin den fleischlichen Verstand abweist, warnt Zwingli vor dem päpstlichen Missverständnis: Als ob nämlich Augustin hier nur den groben Verstand von Fleisch abweisen wolle, im übrigen aber den Leib Christi auf unsichtbare und unempfindbare Weise im Abendmahl zugestehe. Es ist kaum noch möglich, die Argumentation Zwinglis 65 Vgl. S. 126. 66 Unterrichtung (CR 91,821,7ff.); CIC ed Friedberg Bd 1 Sp. 1330 (c 44). Der für Zwingli entscheidende Satz daraus stammt aus Augustins en. Ps. 98,9 (CChr.SL 39,1386). Die Auslassungen enthalten Zusätze Zwinglis. 67 Unterrichtung (CR 90,821,11ff.). 68 Unterrichtung (CR 90,821,16f.).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli

an dieser Stelle im Einzelnen zu verstehen – jedenfalls lautet der für ihn entscheidende und ganz klare Satz: „Ir werdend nit den lychnam essen, den ir sehend …“. Diesem Satz entnimmt der Züricher, dass leibliches Fleisch derart ist, dass es ergriffen, empfunden und gesehen werden kann. Es müsste also, wenn es im 69 Sakrament leiblich da wäre, darin zu sehen, zu greifen, und zu empfinden sein. Wenn darum Augustin sagt, ihr werdet nicht den Leib essen, den ihr seht, so meint er: Ihr werdet nicht leibliches Fleisch essen. Zwingli findet also in dem einen Satz Augustins den Gedanken ausgesprochen, dass Fleisch immer sichtbar, greifbar, spürbar ist und deswegen das Fleisch Christi im Sakrament nicht da sein kann – ein Gedanke, der sonst durchaus als selbständiges, aus der Sache fließendes Argument auftritt. Seine ganze Auslegung der Stelle sieht der Reformator noch durch die Ausführungen Augustins zu Joh. 6,61 bestätigt. „Als aber Jesus das marckt, spricht er: ‚Ergret üch das, das ich gseit hab: Ich geb üch min fleisch zu essen und min Blut zu trincken? Wenn ir denn erst sehen werdend den sun des menschen hinufvaren, da er vor was?‘ Was ist das? Er lößt inen das uff, das sy bewegt hat; er thut inen das uff, das sy verergret hat, damit sy inn recht verstundind; dann sy meintend, er wurde inen sinen lyb geben, und seyt aber er, er werde z’himel varen on zwyfel gantz. Wnn ir den sun des menschen sehen werdend hinufvaren, da er vor was, so werdend ir denn gwüß on zwyfel sehen, das er sinen lychnam nit gibt, wie ir meinend. Denn werdend ir verston, dass sin gnad 70 nit verzert wirt mit essen.“

Diese Worte sind für Zwingli so klar, dass sie keiner Auslegung bedürfen. Ohne Zweifel kommt es ihm dabei darauf an, dass Augustin das Missverständnis der Abtrünnigen, das sich auf das leibliche Essen des Leibes Christi, wie er vor ihnen stand, bezog, auflöst, indem er auf die Worte des Herrn von der Himmelfahrt verweist, durch die sein Leib ganz hinweg genommen wird. Dadurch ist klar, dass nach Augustins Verständnis Christus sich in seiner Antwort auf das Verständnis von „Fleisch“ bezieht, wie es die Abtrünnigen hatten, und dieses Verständnis durch den Hinweis auf die Himmelfahrt erledigt. Ein leibliches Fleisch Christi wie es in der Krippe und am Kreuz gewesen ist, nur in anderer Seinsweise, kann es deshalb im Abendmahl nicht geben. Von Augustin her ist damit Johannes 6 eindeutig als Absage an ein irgendwie geartetes leibliches Essen des Fleischs Christi und damit an eine leibliche Gegenwart im Abendmahl verstanden und ausgelegt. Nun bestreiten aber Luther und Bugenhagen den Bezug von Johannes 6,63 auf das Fleisch Christi und fassen das Wort vom allgemeinen fleischlichen Sinn und Verstand. Aber Zwingli ist überzeugt, die ganze alte Kirche hier hinter sich zu haben. Wenn die Väter den carnalis intellectus verurteilen, dann meinen sie nicht einen allgemein fleischlichen Sinn, sondern die Meinung, die die Abtrünnigen vom körperlichen Fleische Christi hatten. Mit einem einzigen Zeugnis 69 Unterrichtung (CR 91,822,21f.) – Zur Bedeutung der Stelle bei Oekolampad vgl. S. 93. 70 Unterrichtung (CR 91,822,7ff.) – Aug., Io. ev. tr. 27,3 (CChr.SL 36,271).

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kann das belegt werden. Augustin erörtert ja in der Auslegung dieser Stelle, inwiefern das Fleisch Christi nützlich ist und antwortet: „Caro vas fuit, quae habebat attende, non quod erat.“

Und wenig später: „Caro non prodest quidquam. Sicut illi intellexerunt carnem, non sic ego do ad 71 manducandum carnem meam.“

Da bezieht er die strittige Stelle ja auf das Fleisch Christi und nicht auf einen fleischlichen Verstand. Dem entspricht dann auch, dass die Väter unter dem geistlichen Verstand nicht ein allgemeines geistliches Verständnis gemeint haben, sondern dass man glaubt, was Christus unter den Gleichnissen des Brots und Weins gelehrt hat. 2.2 Die Einsetzungsworte Zwinglis Meinung ist, dass die Väter die Einsetzungsworte bis um das Jahr 500 herum nicht wesentlich, sondern „bedütlich“ verstanden haben. Er verweist dazu auf Hieronymus, der zu Matth. 26,26 sagt: „Nachdem das bedütlich überschryten erfüllt was …, nimpt er das brot, das des menschen hertz sterckt, und gat an das warzeichen des überschritt: das, wie in siner vorbedütung Melchizedek, ein priester des höchsten Gottes, do er win und brot opfret, geton hat, er (Christus) ouch die wahrheit seines lychnams und bluttes 72 bedüte oder äfrete.“

Dass der Kirchenvater hier den Satz „Das ist mein Leib“ im Sinne von „das bedeutet meinen Leib“, und zwar den wahren Leib der für euch geopfert wird, verstanden hat, geht für Zwingli daraus hervor, dass er vom Abendmahlsbrot als Zeichen oder sacramentum redet und sagt, Christus habe seinen wahren Leib und Blut „bedüten“ oder „äferen“ wollen. Die Begriffe sacramentum und repraesentare sind also wieder der Beweise genug. Im übrigen verweist Zwingli des Öfteren darauf, dass die Väter, etwa Chrysostomos und Origenes, von dem Wein, der im Nachtmahl das Blut des Herrn genannt wird, in der Nachfolge des Evangelisten als vom Weinrebengeschlecht sprechen. Sie zeigen damit an, dass die Substanz der sakramentlichen Zeichen Wein und Brot ist, und nicht der Leib 73 und das Blut Christi. Eine besondere Gelegenheit zum Väterbeweis bietet die Auslegung von Lukas 74 22,17. Luther hatte gemeint, dass Christus hier den Abschiedsbecher reicht und 71 Ad Epistolam Bugenhagii Responsio (CR 91,563,16ff.) – Augustinus, Io. ev. tr. 27,5 (CChr.SL 36,272,24f. und 31f). 72 Unterrichtung (CR 91,852,12ff.) – Hier., in Matth. IV (PL 26,202f). 73 Unterrichtung (CR 91,855,6ff.). 74 Z.B. Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,98,3ff.).

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alsdann zur Einsetzung des Abendmahls übergeht. Zwingli sagt, dass der Evangelist zusammenfassend und als Überschrift das Kelchwort vorzieht und hernach 75 76 die Sache selbst erzählt. So versteht es auch Augustin. Bei ihm sind – nach Zwinglis Auffassung – alle wesentlichen Momente seiner Auslegung vorhanden. Der Valete-Trunk und der Abendmahlskelch werden nicht unterschieden, vielmehr sind beide Kelchworte von ein und demselben nämlich dem Abendmahlskelch gesagt; diese Vorwegnahme des Kelchs im ersten Kelchwort entspricht hebräischer Redeweise, die eine Vorheranzeige gibt, indes das zweite Kelchwort den Vorgang näher erzählt. Schließlich sei noch ein letzter altkirchlicher Hinweis zur Auslegung der Ein77 setzungsworte festgehalten: Luther hatte den Relativsatz „Der für euch gegeben wird“ im Sinne von „gebrochen wird“ verstanden und auf den Leib Christi im Abendmahl bezogen. Zwingli fasst dies als eine Identifikation des Brotbrechens 78 im Abendmahl mit dem Brechen des Leibes Christi am Kreuz auf. Er wendet dagegen ein: Wenn das Brotbrechen im Abendmahl und das Brechen des Leibes Christi am Kreuz identisch sind, dann muss auch das Brot für uns geopfert und, wie Tertullian gegen Marcion folgert, gekreuzigt werden. Mit diesem kurzen 79 Hinweis zeigt Zwingli, ebenso wie Oekolampad, wie die Konsequenz, die sich s. E. aus Luthers Auslegung der Einsetzungsworte ergibt, schon von Tertullian als irrsinnig auf- und abgewiesen wurde. 2.3 1. Korinther 10 und 11 Des Reformators Auslegung von 1. Korinther 10,16 f befasst sich hinsichtlich des Väterbeweises vornehmlich mit dem Verständnis von benedicere und κοινωνία. 80 Gegenüber Bugenhagen, der benedicere als consecrare ausgelegt hatte, besteht Zwingli darauf, dass weder Ambrosius noch Athanasius noch irgendeiner der Alten benedicere in dieser Weise aufgefasst haben. Einzelbelege führt er nicht an; er bezieht sich aber auf Erasmus, der nach des Theophylakt und aller Alten Art 81 benedicere als Danksagen, gratias agere, versteht.

75 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,93,7ff.). 76 Über Luthers Bekenntnis (CR 95 II,95,14ff.): „Das Lucas zwürend vom kelch sagt, einest, ee Christus das brot gegebenn, darnach, so er das brot ggeben, hatt die gstallt, das er am obren ort gseyt, hatt er vorgenommen … wie dann sin … bruch ist. Das er aber an synem eygnen ort gesetzt hatt, das hatt er am obren ort nit wellen zellen.“ – Aug., cons. ev. III,1 (PL 34,1157). 77 Zum Folgenden vgl. Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,216,2ff.). 78 Vgl. dazu Luther WA 26,474,531f.; „Christus leib aber ist nicht gebrochen noch zustücket am creutze.“ 79 Vgl. S. 36. 80 Ad Epistolam Bugenhagii Responsio (CR 91,567,22ff.). 81 Ad Epistolam Bugenhagii Responsio (CR 91,568,3ff.).

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Koinonia fasst der Züricher als Persongemeinschaft, weshalb er lieber com82 munio als communicatio sagen möchte. Der Kelch der Danksagung ist dann nach 1. Korinther 10,16 nichts anderes, als die Gemeinschaft oder das Volk oder 83 die Gesellschaft derer, die durch das Blut Christi abgewaschen sind. Altkirchliches Zeugnis dafür ist der von den Vätern gebrauchte Begriff der synaxis. Sie wollten damit sagen, dass der ganze Leib Christi, die Kirche, durch das Abendmahl zu einer feierlichen Festversammlung verbunden wird. Worin diese Verbindung besteht, bestimmt der Reformator näher. Es ist nicht die Gegenwart des Leibes Christi, sondern die Darbringung des Deutebrots und die gemeinsame Mahlzeit. Denn es ist unmöglich, jemandes Gedächtnis zu vollziehen, wenn er selbst gegenwärtig ist. Schon aus diesem sachlichen Argument heraus kann Zwingli die synaxis nicht anders als im Sinne der Negation der Realpräsenz auf84 fassen. Neben diesem allgemeinen Hinweis führt Zwingli aber auch einzelne Väterworte, wiederum Augustin, an: „Norunt fideles corpus Christi, si Christi corpus non negligant esse.“

Und: „Hunc itaque cibum et potum societatem vult intelligi corporis et membrorum 85 suorum, quod est sancta ecclesia.“

Und aus den Corpus Iuris Canonici: „Darumb, das der herr für uns gelidten, hatt er uns in dem sacrament sin blut und fleisch empfohlen (das ist: iro gedechtnus, das sy für uns in‘n tod geben sind, uns empfohlen), zu welchem er uns selbst gemacht hatt. Dann wir sind sin lychnam 86 worden und durch sin gnad sind wir das worden, das wir empfangen habend.“

In der Klammer des letzten Zitats kommt der für Zwingli entscheidende Punkt zum Ausdruck. Im Sakrament wird das Gedächtnis des am Kreuz dahingegebenen Leibes und Blutes empfohlen. So ist das Sakrament nichts anderes als ein Zeichen. Dem entspricht dann auch, dass „commendare“ wie bei Oekolampad mit „empfehlen“ wiedergegeben wird. Die Meinung dieses Zitats ist – nach 82 Ad Epistolam Bugenhagii Responsio (CR 91,569,4f.): „Unde fortasse κοινωνίαν rectius ,communionem‘ quam communicationem interpretemur“. 83 Ad Epistolam Bugenhagii Responsio (CR 91,569,11ff.). 84 Ad Epistolam Bugenhagii Responsio (CR 91,570,30ff.): „Quod ad auctores adtinet, non fugit te, vel una ista voce συνάξεως veteres expimere voluisse hac panegyri totum corpus Christi hoc est: eius ecclesiam, coagmentari, non corporis praesentia (Quomodo enim eius commemoratio fieri posset, si ipsum praesens esset?), sed symbolici panis oblatione, hoc est: communicatione.“ 85 Ad Epistolam Bugenhagii Responsio (CR 91,571,6ff.) – Augustinus, Io. ev. tr. 26,13 und 15 (CChr.SL 36,266 und 267). 86 Unterrichtung (CR 91,861,6ff.); der in den Klammern stehende Zusatz stammt von Zwingli. CIC ed Friedberg Bd 1, Sp. 1326 (c. 36). „Quia passus est dominus pro nobis, commendavit nobis in isto sacramento corpus et sanguinem suum, quod etiam fecit nos ipsos. Nam et nos ipsius corpus facit sumus, et per misericordia eius, quod accipimus, nos sumus.“

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Zwingli – : „Wir habend durch gnad Gottes denn sun Gottes in warer menschlicher natur für einen erlöser empfangen; denn er ist mensch worden Io. 1.“ Der Züricher interpretiert damit den Satz, dass der Herr für uns gelitten und uns im Sakrament seinen Leib und Blut empfohlen hat. So ist das Sakrament nichts anderes als die Erinnerung daran, dass wir einen Erlöser haben, der wahrhaft Mensch geworden ist und seinen Leib und Blut für uns in den Tod gegeben hat. Der Rest des Zitats geht darauf hinaus, dass „wir sin lychnam worden“ dann 87 die kilch ist sin lychnam Coloß 1. Es ist damit, wie auch die beiden vorange88 henden Zitate Zeugnis dafür, dass Augustin 1. Korinther 10,16 im Sinne der Persongemeinschaft der Gläubigen verstanden hat. Bei der Väterauslegung von 1. Kor. 11,23ff. konzentriert sich das von Zwingli beigezogene Material wesentlich auf die Verkündigung des Todes des Herrn (v. 26) und das unwürdige Essen (v. 27–29). Hinsichtlich der Verkündigung des Todes des Herrn tritt Zwingli in eine nähere Erörterung eines Ambrosius-Zitats ein, das im Corpus Iuris unter dem Namen Augustins angeführt worden war. „Sidtenmal wir mit dem tod des herren erlößt sind, sind wir der sach yndenck; und so wir das fleisch und blut essend, bedütend wir die ding, die für uns ufge89 opfret sind.“ 90

Zwingli gesteht hier zu, dass der Text sich verschieden beziehen lässt. Um Vorwürfen zu entgehen, wählt er daher die Übersetzung seiner päpstlichen Gegner. Ihre Meinung aber, dass nach Ambrosius der Leib Christi im Abendmahl zum Gedächtnis des Leibes, der für uns geopfert ist, gegessen werde, ist es ein Missverständnis. Zwingli erweist ihn aus dem Unsinn, der sonst von Ambrosius ge91 lehrt würde. Man müsste dann nämlich annehmen, dass es zwei Fleisch und Blut Christi gäbe – eines, das für uns gestorben und auferstanden ist, das andere, das wir zum Gedächtnis dieses für uns gestorbenen und auferstandenen Fleischs essen. Diese zunächst nicht ganz einsichtige Konsequenz begründet er damit, dass der gestorbene und auferstandene eine Leib Christi auch gen Himmel gefahren sei. So ist er nicht mehr auf Erden und kann also nicht mehr als der auferstandene Leib den getöteten am Kreuz bedeuten. Die Entscheidung darüber, welche der sprachlichen Möglichkeiten des Ambrosius-Worts gelten soll, fällt damit von einer vernünftigen Argumentation her, die die Himmelfahrt des Leibes im Zwingli‘schen Verständnis einbezieht. Deshalb musste Ambrosius hier die

87 Unterrichtung (CR 91,861,13f.). 88 Die Zusammenstellung der drei Augustinzitate findet sich in der Responsio Ad Epistolam Ioannis Bugenhagii (CR 91,571). 89 Unterrichtung (CR 91,855,1511) – CIC ed. Friedberg Bd 1 Sp. 1332 (c. 50); PL 17,256; vgl. S. 92 Anm. 329. 90 Vgl. dazu die Erörterung Oekolampads S. 92 Anm. 329. 91 Zum Folgenden vgl. Unterrichtung (CR 91,853f.).

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Metonymie oder Katachresis gebrauchen, nämlich Leib und Blut für Brot und 92 Wein, „die bedüteten ding für das bedütend zeichen“. Die vorgetragene Auslegung stützt nun Zwingli noch mit den Worten des Ambrosius selbst, indem er auf den Satz verweist: „Wir bedütend die ding, die für uns geopfret sind.“ Für ihn ist mit dem Wort bedüten gerade das Essen dessen, was bedeutet wird, ausgeschlossen. Dies hat seinen Grund darin, dass von dem Wort: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“ her der Leib Christi so gegessen werden müsste, wie er am Kreuz geopfert wurde. Die Entscheidung über das Verständnis dieser Ambrosius-Aussage ist damit von dem Verständnis der Einsetzungsworte ausgehend vollzogen worden. Darnach hat man den Leib Christi entweder so, wie er am Kreuz geopfert wird, d. h. in derselben Beschaffenheit des sichtbaren, blutigen Leibes, oder man hat nur das Zeichen dieses Leibes. Ja, Zwingli meint sogar, dass im ersten Falle auf Grund der Zusammengehörigkeit des Wortes Leib mit dem Relativsatz dann konsequenterweise auch das Kreuzesopfer selbst neu vollzogen würde. In der Auseinandersetzung mit Luther und seinen Anhängern ging es nicht zuletzt auch um das Väterverständnis der apostolischen Worte vom unwürdigen Essen des Abendmahls und dem Schuldigwerden am Leib und Blut des Herrn (1. K. 11,27 und 29). Zwingli verstand sie so dass das Sakrament unwürdig isst, wer nicht in dem Geist und in der Haltung hinzutritt, die auf Grund der Einset93 zung des Abendmahls gefordert ist. Das Abendmahl ist aber von Christus als Danksagung und zur innigen Verbindung seines Leibes, d.i. der Kirche einge94 setzt. Darum isst das Sakrament unwürdig, wer nicht glaubt, sondern heuchelt, indem er sich mit den Zeichen Brot und Wein als zur Christengemeinde gehörig bekennt und doch nicht dem Tod Christi vertraut. Gleiches trifft auf den zu, der sich an der Gemeinde vergeht, indem er am Götzenopfer teilnimmt oder den armen Bruder verachtet. Wer so unwürdig hinzutritt, der ist schuldig am Leib und Blut des Herrn. Zwingli sieht zwei Möglichkeiten, dies zu verstehen. Die erstere, zu der er mehr neigt, fasst Leib im Sinne der Kirche, also dass der, der nicht glaubt und doch den Anschein dazu gibt, sich an der Kirche als der Gemeinschaft der Gläubigen und Danksagenden versündigt. Die andere bezieht Leib auf den wahren Leib Christi, der nicht im Brot gegenwärtig, sondern am 95 Kreuz für uns geopfert ist. Am Leib und Blut Christi schuldig sein bedeutet

92 Unterrichtung (CR 91,854,21f.). 93 Ad Epistolam Bugenhagii Responsio (CR 91,573,8f.): „Sive enim corpus et sanguinem pro: ,Corporeis istis‘ accipias sive pro ,ecclesia‘, non vult Paulus aliud, quam Christi institutum prodi ab eo, qui non ea mente accedit, qua oportet.“ 94 Ad Epistolam Bugenhagii Responsio (CR 91,573,12f.): „Christi autem institutum est gratiarum actio et corporis sui conglutinatio.“ 95 Vgl. S. 137 Anm. 93 „corporeis istis“ bezieht sich offenkundig auf den Leib und das Blut Christi am Kreuz. Dies wird bestätigt z. B. durch Unterrichtung (CR 91,851,28ff.): „denn welcher nit mit solchem glouben hinzugang, als ghört, der werde am lychnam und blut Christi schuldig, nit

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dann so viel wie am Tod des Herrn schuldig sein, indem man ihm nicht glaubt und auf ihn nicht vertraut. Diesen beiden Verstehensmöglichkeiten, die für Zwingli durchaus keinen Gegensatz darstellen, entspricht dann auch die Auffassung vom „Nichtunterscheiden den Leib des Herrn“. Zwingli entscheidet sich hier ebenfalls für Leib im Sinne der Gemeinschaft der Gläubigen, er gesteht aber auch die Auslegung „Gedächtnis des Leibes“ zu. Den Leib des Herrn im letzteren Sinn unterscheidet danach nicht, wer nicht ehrfürchtig genug vom Tod des 97 Herrn hält, der im Erinnerungszeichen der Danksagung vergegenwärtigt wird. Dass diese Schriftauslegung altkirchlichem Verständnis entspricht, erweist Zwingli besonders an Ambrosius und Augustin. Bei Ambrosius handelt es sich wesentlich um folgende Stelle, die in der „Antwort auf Luthers Bekenntnis“ von Zwingli gründlich ausgewertet wird. „Paulus sagt, das der unwirdig des herren sye, der diß mysterium oder sacrament anderst begadt, weder vonn im yngesetzt ist. Dann der mag nitt andächtig sin, der’s anderst fürnimpt, dann es vom ynsetzer ggeben ist. Und darumb so verwarnet Paulus vorhin, damit das gmut deß zugendenn nach anggebner Ordnung gotzförchtig sye zu der dancksagung des herenn. Dann es ist das gricht künfftig, das ein yeder am tag des herren Jesu Christi rechnung geb, wie er hinzugang; also das, welches one die Ordnung des ynsatzes und zucht des wandels hinzugond, schuldig sind des lychnams und bluts des herren. Dann was ist schuldig sin anders, weder gestrafft werden umb den tod des herren, so er gstorben ist für die, die sin guthat 98 für z’nichtig habend.“

Drei Argumente führt der Züricher aus diesen Worten zu seinen Gunsten an: a) Ambrosius verlangt zum rechten Gebrauch des Abendmahls den Dank für die Wohltat, die Gott uns mit dem Tod seines Sohnes erwiesen hat. Solcher Dank erfordert aber vor allen Dingen den Glauben, der die Frucht und Freude des Todes Christi empfindet. Zwingli stützt sich bei dieser Auslegung entscheidend auf die Übersetzung von εὐχαριστία als Danksagung. b) Ambrosius verlangt die Ordnung der Einsetzung, d.i. die Umstände und Art der Abendmahlsfeier, wie sie von Christus eingesetzt sind. Was das im Ein99 zelnen bedeutet, erschließt Zwingli aus 1. Kor. 11.

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die er geessen hab, sunder an dem waren lychnam, den Christus in’n Tod ggeben hatt.“ Vgl. auch Anm. 93. Amica Exegesis (CR 92,748,6): „Corpus enim Christi pro morte; eius accipi ex Pauli verbis plane eruitur.“ Amica Exegesis (CR 92,747,33ff.). Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,81,20ff.) – PL 17,256. Zwingli nennt (Über Luthers Bekenntnis CR 93 II,84ff.): 1) Dass wir in die Danksagung zur Besserung kommen sollen, 2) dass wir einträchtig seien, 3) dass niemand sich rotten, sondern und abscheiden soll, 4) dass wir andächtig, mit Dankbarkeit und Gottesfurcht hierher kämen, da man Gott Dank sagt, 5) dass man zugleich miteinander esse, um dem Verdacht des Verachtens zu entgehen, 6) dass man den Leib Christi, das ist die Kirche, unterscheide und sie nicht einer Schenke gleich achte, in der man zusammenkommt, um zu essen, 7) dass man erkenne, dass alle,

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c) Ambrosius fordert die Zucht des Wandels. Dabei gilt sowohl von der Ordnung der Einsetzung als auch von der Zucht des Wandels, dass die, die sie nicht halten, des Leibes und Blutes Christi schuldig sind – nicht in dem Sinne, dass sie an dem Leibe und Blut Christi, die sie gegessen und getrunken haben, schuldig geworden sind, sondern an Christus selbst und seinem Tode, den sie verachten, indem sie sich als Christen stellen, die sie doch gar nicht sind. Die genannten Argumente Zwinglis aus dem Ambrosius-Zitat lassen sich auf zwei für ihn entscheidende Punkte zurückführen: Ambrosius verlangt in der Einsetzung des Abendmahls nicht das Essen und Trinken des Leibes Christi im Brot und Wein – und er bezieht das Schuldigwerden nicht auf den Leib Christi in den Elementen sondern am Kreuz, also auf den Tod Christi. Wesentlich für diesen Bezug ist ihm der letzte Satz des angeführten Zitats. Aus Augustin führt Zwingli ad Januarium und den 62. Traktat zu Johannes an. „Dise spyß wil allein der verachtung nit, glych als ouch der apostel sagt, das diß sacrament unwirdigklich empfangen sye von denen, die es nit entschyedend vonn andren spysen mit eigner oder sunderer vereerung, die im ghört. Dann von stund an und er geredt hatt: ,Er isst unnd trinckt im selbs das gricht oder straaff; thut er 100 hinzu und spricht: ,Nit entscheydende den lyb‘“.

Der Züricher findet hier volle Übereinstimmung mit seinem Verständnis von „bewähren“ (= prüfen), „unwürdiglich empfangen“ und „den Leichnam des Herrn entscheiden“ (= unterscheiden). Augustin beziehe nämlich das Prüfen darauf, ob die Abendmahlsspeise unverachtet sei und nicht, ob man in ihr Fleisch und Blut Christi erkenne. Desgleichen verstehe er das „unwürdiglich empfangen“ als Gleichsetzung mit anderer Speise und nicht als die mangelnde Erkenntnis, dass Fleisch und Blut da wesentlich gegessen würden. (Eben dieser Gedanke 101 wird auch im 62. Traktat bestätigt.) Und schließlich sage Augustin, dass sich das Abendmahl zum Gericht essen, die den Leib des Herrn nicht unterscheiden – nicht aber, die nicht glauben, dass er gegessen werde. Die beiden letzten Argumente sind anscheinend auch für Zwingli nicht eindeutig genug. Sowohl die Unterscheidung zu anderer Speise hin als auch die Unterscheidung des Leibes des Herrn könnte trotz der Hinweise Zwinglis auf das, was nicht gesagt ist, noch die Meinung der Gegner Zwinglis einschließen.

die mit uns hier erscheinen, von Gott als unsere Glieder angezeigt werden, die wir mit Speise und Kleidung versorgen sollen wie uns selbst. 100 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,85,3ff.) – Aug., ep. 54: Ad Januarium (PL 33,202). 101 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,86,14ff.): „,Ein yeder, der das brot essen oder den bächer des herren unwirdig trincken wirt, der wirt des lybs und blüts des herren schuldig.‘ Dann, do der apostel das redt, do redt er vonn denen, die den lyb des herren glych wie ein andre spyß one underscheyd mund lichtverig namend.“ Aug., Io. ev. tr. 62,1 (CChr.SL 36,483). – Auf den 62. Traktat zu Johannes verweist Zwingli des öfteren in diesem Zusammenhang: Unterrichtung (CR 91,852,1); Amica Exegesis (CR 92,747,24).

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So muss denn, ähnlich wie bei Oekolampad, das Paulus-Verständnis des Züri102 chers dazu beitragen, die Lücken zu schließen. 2.4 Zum Verständnis von 2. Kor 5,16 Hier geht die Auseinandersetzung um die Frage, was es bedeutet, Christus nicht mehr nach dem Fleisch zu kennen. Zwingli versteht es im Sinne von „nicht mehr 103 auf das Fleisch Christi hoffen“. Von dieser Negation wird allein der Leib Christi, sofern er am Kreuz für uns gestorben ist, ausgenommen – alle andere Beziehung auf das Fleisch Christi, etwa sofern es erhöht ist zur Rechten des Vaters, bringt nicht mehr Trost als das Fleisch am Kreuz und ist darum nicht 104 nütze zu essen oder Sünden zu vergeben. Für diese Auslegung stützt sich Zwingli wieder auf Augustin, der von dem Fleisch gewordenen Christus sagt, dass er der Anfang des Weges zum Vater und höchstem Gut ist, auf welchem Wege wir uns, vom Heiligen Geist an das höchste Gut gebunden, nicht aufhalten dürfen. „Uns welchem wir verstond, das unns ghein ding uff dem wäg halten sol, so der herr selbs, nach derardt, unnd er sich unseren wäg zu sin begnadet hatt, unns nitt hatt wellen halten, sunder das wir fürgangind, damit wir nit zytlichen dingen, wiewol dieselben umb unseres hyls willen angenommen unnd angetragen sind, schwachlich anhangind, sunder durch di selben ding vil me frutig louffind, damit wir zu dem selbs kummind, der unsere natur von den zytlichen dingen entblößt, 105 unnd zu der gerechten des vaters gesetzt hatt.“

Diese Worte versteht Zwingli so, dass wir, nachdem wir durch die menschliche Natur Christi zu Gott gekommen sind, nicht mehr an ihr, sondern an Gott allein 106 hängen sollen. Er gründet sich dabei offensichtlich auf die „zeitlichen Dinge“, denen wir, wiewohl sie um unseres Heils willen angenommen sind, nicht anhangen sollen. Diese zeitlichen Dinge sind die Menschheit Christi. Die grundsätzliche Einstellung Zwinglis zu der Menschheit Christi ist damit durch die patristische Bestätigung der Schriftauslegung bekräftigt.

102 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,86,3ff.). 103 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,119,23ff.). 104 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,120,5ff.). 105 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,121,18ff.) – Aug., doctr. chr. I,38 (CChr.SL 32,28,20ff.): „Ex quo intellegitur, quam nulla res in uia tenere nos debeat, quando, nec ipse dominus in quantum via nostra esse dignatus est, tenere nos ulouit, sed transire, ne rebus temporalibus, quamuis ab illo pro salute nostra susceptis et gestis, haereamus infirmiter, sed per eas potuis curramus alacriter, ut ad eum ipsum, qui nostram naturam a temporalibus liberauit et conlocauit ad dexteram patris, prouehi atque peruehi mereamur.“ 106 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,121,26ff.).

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3. Der Tropus bei den Vätern Zwinglis Sakramentsverständnis kann angesichts des Wortlautes der Einsetzungsworte nicht anders aufrechterhalten werden als durch die Annahme eines Tropus. Dass solch ein Tropus vorliegt, ist dem Züricher von der Schrift und der Sache selbst her klar; es geht nicht um die Frage, welchen Sinn der geforderte Tropus ergeben muss – die war schon gelöst – sondern darum, welcher Art und 107 worin er zu finden sei. Hier allein unterscheidet er sich nach seinen eigenen Worten von Oekolampad, der, Tertullian folgend, sich für „das ist ein Bedeutnis meines Leichnams“ entschlossen hat, indes er in der Nachfolge des Ambrosius 108 sich für „Das bedeutet meinen Leichnam“ entschied. Nach Zwinglis Sicht sind also schon beide Tropen in der Alten Kirche vertreten worden, ohne dass das Verständnis des Abendmahls deswegen verschieden war. Dem entspricht auch, dass er in der Beweisführung für den Sprachgebrauch der Väter angesichts des Abendmahls genauso gut auf „bedeutet“ wie auf „Zeichen des Leibes“ zielen 109 kann. Hauptzeuge dafür, dass die Väter denselben Tropus wie Zwingli und die Seinen geführt haben, ist trotz der schon erwähnten Herleitung des significatTropus von Ambrosius nicht der Mailänder, sondern Augustin. Der Züricher 110 bezieht sich dabei vor allem auf den schon von Oekolampad herangezogenen Brief an Bonifacius als auf ein klares Zeugnis. Ohne es zunächst im Einzelnen auszuwerten, weist er nur darauf hin, dass nach den Ausführungen Augustins der Leib Christi nicht anders im Abendmahl gegenwärtig sei als die eigentliche Auferstehung Christi gegenwärtig ist, wenn wir sagen: Heute ist die Auferstehung 111 Christi. Dabei kommt es ihm in der Auseinandersetzung mit Luther darauf an, dass Augustin nicht nur das Abendmahl, soweit von ihm als Opfer gesprochen wird, nach diesem Tropus versteht, sondern auch soweit in ihm vom Leib Christi 107 Amica Exegesis (CR 92,739,5ff.): „Videbam id quoque, quod per quemcunque tandem tropum verba expediamus, huc solummodo tendere, ut vis huius verbi ,est‘ temperetur capiaturque pro: significatio aut repraesentatio est.“ 108 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,34,1ff.) – Offensichtlich ist das Hauptzeugnis des Ambrosius für Zwingli die schon S. 136 behandelte Stelle. Trotz der dort vorgetragenen mancherlei exegetischen Bemühungen muss sie für Zwingli großes Gewicht gehabt haben. Er hätte sie sonst nicht in der fidei ratio, in der es doch auf Kürze und Überzeugungskraft ankam, verwenden können (CR 95 II,811,7ff.). 109 Der Nachweis für „bedeutet“ wird vor allem mit „repraesentare“ geführt, vgl. S. 120 Anm. 13 S. 133 Anm. 72. Ein Beispiel für das „Zeichen des Leibes“ ist Unterrichtung (CR 91,854,18ff.): „Hierumb so ist über die wort Ambrosii also zu mercken, das, so er spricht: ‚so wir das fleisch unnd blut essend, bedütend wir die ding, die für uns ufgeopfret sind‘, schlechtlich sin muß, das er hie ,fleisch und blut‘ nimpt für: ,brot und wyn‘, die bedüteten ding für das bedütend zeichen. Und das heißt den Griechen metonymia oder catachresis, das ist: ein nachnennen oder andernennen, darumb, daß Christus ouch das brot also genennet halt ,sinen lychnam‘ für: ,ein bedütnus synes lychnams.‘“ 110 Vgl. S. 80f. 111 Unterrichtung (CR 91,856,12ff.).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli 112

die Rede ist. Augustin bezeugt damit den allgemein gebrauchten Tropus, dass eine Sache nach dem genannt wird, was sie bezeichnet, und bestätigt zugleich auch den besonderen Bezug des Tropus aufs Abendmahl. Ein weiteres Zeugnis der Anwendung aufs Abendmahl findet sich in der fidei ratio: „Possum etiam interpretari praeceptum illud in signo esse positum. Non enim dominus dubitavit dicere: ‚Hoc est corpus meum‘, cum signum daret corporis 113 sui.“

Augustin hatte einige spitzfindige manichäische Argumente zu dem Wort sanguis 114 est anima mit dem Hinweis darauf erledigt, dass hier von dem Blut der Tiere und nicht der Menschen geredet sei. Er verweist aber noch auf eine andere Interpretationsmöglichkeit, nämlich, dass der Befehl, das Blut – weil es die Seele sei – nicht zu essen, zeichenhaft gegeben war. Der Herr habe ja auch gewagt zu sagen, „Das ist mein Leib“, als er das Zeichen des Leibes gab. Zwingli führt nicht aus, inwiefern dieses Zeugnis für ihn spricht, weil es in sich selbst klar ist: Indem Augustin die Berechtigung, das Blut in Dt. 12 als Zeichen der Seele zu verstehen, von den Einsetzungsworten des Herrn hernimmt, setzt er voraus, dass der Herr diese Worte selbst nach dem umkämpften Tropus geredet hat. Die letzte Stelle zeigt damit den Schlüssel auf, nach dem Augustin und alle 115 Alten geredet haben und verstanden werden wollen. Sie haben bedeutungsweise geredet, wenn sie vom Abendmahl gesagt haben, dass der Leib Christi darin 116 gegessen werde. Zwingli steht nicht an, diesen Schlüssel zur Auslegung der Alten auch wirklich zu gebrauchen, wobei er einfach statt „Leib“ „Zeichen des 117 Leibes“ setzt, oft aber auch diese Bedeutung aus dem Kontext jeweils noch 118 näher zu stützen versucht. Von Brot und Wein im Abendmahl als von Leib und Blut des Herrn zu sprechen, ist damit in der Kirche, die ihrem Herrn dabei nachfolgt, durchaus üblich und angemessen – nur dass darunter das verstanden werde was Christus und die Alten darunter verstanden haben, die Zeichen des, 119 Leibes und Blutes.

112 Das dise wort (CR 92,971,10ff.). 113 Fidei ratio CR 93 II,811,26ff –PL 42,144. 114 Dt 12,23: Allein merke, dass du das Blut nicht essest; denn das Blut ist die Seele. 115 Fidei Ratio (CR 93 II,811,29f.): „En nobis clavem, qua universos veterum sermones de eucharistia reserare possumus!“ 116 Fidei Ratio (CR 93 II,812,1ff.). Vgl. auch Unterrichtung (CR 41,855,6ff.). 117 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,86,22ff.): „Das aber Augustinus hie das sacrament den lyb Christi nennet, sol üch, fr. für., nit bekümren, dann die alten habend's mit dem namen gnempt, mit dem es Christus selbs genennet halt. Sy habend aber under dem namen ouch verstanden, was Christus verstanden hatt.“ 118 So etwa in der Auseinandersetzung mit Luther über das Verständnis der Epistel Augustins ad Januarium; vgl. S. 124. 119 Vgl. S. 142 Anm. 112.

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4. Die Christologie der Väter, ihr Gebrauch der Alloiosis, ihr Verständnis von der Leiblichkeit des Leibes Christi und der Himmelfahrt Zwinglis großes christologisches Anliegen in der Auseinandersetzung um das heilige Abendmahl war, dass göttliche und menschliche Natur in Christus nicht vermischt oder ineinander verwandelt werden, sondern bleiben, was sie sind. Das bedeutet für ihn, dass die Eigenschaften beider Naturen bei je ihrer Natur blei120 ben und der anderen nicht zugelegt werden. Demnach kann der Leib Christi 121 nicht anders als circumscriptive bestehen. Es bedeutet weiter, dass jede Natur nach ihrer eigenen Art wirkt, leidet und erfahren wird. So ist die Tatsache, dass Christus aller Menschen Leben ist, auf seine Gottheit zurückzuführen, – dass er 122 ein Opfer ist, auf seine Menschheit. Die Unterscheidung der beiden Naturen wird von Zwingli also derart durchgeführt, dass er die Werke und Widerfahrnisse des Christus jeweils von bzw. an der einen oder anderen Natur geschehen lässt, wobei jede der Naturen streng innerhalb ihrer Eigenschaften und Möglichkeiten bleibt. Was nun die Gemeinschaft der beiden Naturen betrifft, so besteht sie allein darin, dass beide Naturen untrennbar in der einen unzerteilten Person des Heilandes vereint sind. Ihren sprachlichen Ausdruck findet die strenge Unterscheidung der beiden Naturen, wie sie Zwingli versteht, in der Alloiosis, dem Gegenwechsel, der dann vorliegt, wenn der Name der einen Natur gebraucht, die andere aber gemeint 123 ist. Ohne Gegenwechsel lässt sich Zwinglis Überzeugung nach die klare Unterscheidung der beiden Naturen in Christo nicht durchhalten. Andererseits ist aber die Alloiosis auch Ausdruck für die Verbundenheit beider Naturen, da sie ja 124 ohne diese Verbundenheit überhaupt nicht sinnvoll wäre. Auf Grund der strengen Unterscheidung der beiden Naturen behält der Leib Christi auch nach der Auferstehung und Himmelfahrt seine natürlichen Eigenschaften, insbesondere die räumliche Umschreibbarkeit. 4.1 Die Christologie der Väter Zwingli weist hierzu öfters auf ein Negativum hin: Luther bringt vor, was bislang nicht, weder in der alten Kirche noch bei den Scholastikern, gelehrt worden ist. 120 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,120,17ff.): „Aber ich erkenn die waren gottheit Christi und erkenn die also, das man iro darumb nit zulegen sol, das iro nit gebürt. Ich erkenn ouch die waaren menschheyt Christi und erkenn aber die also, das man darumb iro nit zulegen sol, das iro nit zimpt.“ 121 Ad Billicani et Rhegii Epistolas Responsio (CR 41,906,12f.): „Si enim Christi corpus loco non definitur et circunscribitur, vere corpus non est.“ 122 Vgl. S. 145 Anm. 136. 123 Zwinglis Ausführungen zum Gegenwechsel finden sich besonders Amica Exegesis (CR 92,679ff.); Das Dise Wort (CR 92,922ff.); Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,126ff.). 124 Um der Verbindung der Naturen willen hat Zwingli den Ausdruck Synekdoche gewählt. Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,127,9ff.).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli

Nie hat einer der Theologen gesagt, dass der Schluss von der räumlichen Unumschreibbarkeit der göttlichen Natur Christi auf die der menschlichen Natur 125 126 richtig sei. Ein Zeugnis Augustins genügt, das Gegenteil zu beweisen. Mit der Angleichung der menschlichen Natur an die göttliche öffnet man vielmehr den Marcioniten das Fenster, die da behaupten, dass Christus nicht wahrer 127 Mensch gewesen sei. Es hat auch nie ein orthodoxer Theologe davon geredet, 128 dass der Leib Christi alle Gewalt im Himmel und auf Erden habe. Positiv nun – und damit zielt der Züricher auf den eigentlichen Kern der Auseinandersetzung – besteht Zwinglis patristische Argumentation vor allem in dem Satz des Athanasianums: „Unus autem non conversione divinitatis in carne, sed adsumptione humanitatis in 129 Deo.“

Er sieht seine Christologie hier insofern ausgedrückt, als die beiden Naturen nicht verwandelt sind, sondern die menschliche Natur nur angenommen ist. Für ihn schließt der Begriff der Annahme der menschlichen Natur eine Verwandlung der göttlichen in die menschliche oder umgekehrt aus – wobei zur Vermischung oder Verwandlung der Naturen, d.i. zur Aufgabe des jeweils eigenen natürlichen Wesens, für Zwingli auch die Anteilhabe der einen Natur an den Taten und Eigenschaften der anderen gehört. Der Züricher ist nicht fähig, das Verhältnis der beiden Naturen anders als im Gegensatz von Verwandlung bzw. Vermischung und Annahme zu denken; er meint, dass das Athanasianum in seiner Betonung 130 der assumptio ihm klare altkirchliche Bestätigung dafür ist. Findet der Züricher in dem genannten Satz besonders die Unterschiedenheit der Naturen Christi ausgedrückt, so bezieht er sich, um die Einheit der Person zu bestätigen, auf den anderen Satz: „Sicut anima rationabilis et caro unus est homo, ita deus et homo unus est Chris131 tus.“

Dieser Satz, dem Zwingli die anderen altkirchlichen Vergleiche, z.B. vom glühenden Eisen, an die Seite stellt, soll einmal zeigen, dass auch er eine enge Verbindung der beiden Naturen lehrt – ohne allerdings sich über die Art und Weise 125 Ad Billicani et Rhegii Epistolas Responsio (CR 91,906,21ff.): „Nunquam hoc dixerunt ulli theologorum recte colligi: Divina natura non potest circunscribi, ergo humana Christi non potest circunscribi.“ 126 Ad Billicani et Rhegii Epistolas Responsio (CR 91,906,23): „ … id quod vel una Augustini sententia ostenditur …“ vgl. S. 144f. 127 Ad Billicani et Rhegii Epistolas Responsio (CR 91,906,10ff.): „Nam si humanam naturam Christi divinae coaequamus, iam Marcionitis fenestram adperuimus Christum non vere fuisse hominem adserentibus.“ Vgl. auch Das Dise Wort (CR 92,941,24ff.). 128 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,122,7ff.). 129 Symbolum Athanasii, Satz 33, BSLK S. 30. 130 Amica Exegesis (CR 92,683,21ff.). 131 Symbolum Athanasii Satz 35, BSLK 1930 S. 30.

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dieser Verbindung näher zu äußern –, zum anderen, dass er nicht daran denkt, aus Christus zwei Personen zu machen, wie es ihm vorgeworfen worden war. Freilich werden die genannten Gleichnisse sofort auch wieder zu Zeugnissen der Unterscheidung der beiden Naturen, insofern nämlich damit die einer jeden Natur eigentümlichen und ihr allein zugehörigen Eigenschaften und Wirkungen 132 angezeigt werden. Zwingli verwendet also die altkirchlichen Gleichnisse nicht, um das Ineinander der beiden Naturen, die Art und Weise ihrer Verbundenheit zu erläutern, sondern die Tatsache ihrer Verbundenheit und ihre Unterschiedenheit in den Eigenschaften und Wirkungen. Was nun die Konsequenzen der Unterscheidung der beiden Naturen Christi, wie sie von Zwingli verstanden wurde, betrifft, so finden sich für die wichtigsten auch einige konkrete Belege: So besagt der Satz aus dem Athanasianum 133

„aequalis patri secundum divinitatem, minor patre secundum humanitatem,“

dass die Menschheit Christi keineswegs ein Herr aller Dinge ist, wie Luther als 134 neuen Irrtum behauptet, sondern ihre natürliche Art und Eigenschaft behält. Auch kann nach den Worten Augustins „Donec saeculum finiatur, sursum est dominus, sed tamen etiam hic nobiscum est veritas domini. Corpus enim, in quo resurrexit, in uno loco esse oportet, veritas 135 autem eius ubique diffusa est.“

die Menschheit Christi nicht anders verstanden werden, als dass sie räumlich umreißbar ist und deshalb nicht überall sein kann. Und in der Auseinandersetzung um die Frage, ob die Gottheit Christi gelitten habe, entkräftet Zwingli eine bejahende Formulierung Augustins damit, dass nicht die Gottheit, sondern die 136 Seele Christi gemeint sei. Im Übrigen gebrauche Luther, der die Menschheit Christi zur Gottheit macht und diese leiden lässt, die Argumente der arianischen Ketzer und bringe damit den Streit um den Unterschied der beiden Naturen wieder auf, der von Tertullian, Hilarius, Ambrosius und Augustin wohl unter137 sucht und für viele Jahrhunderte zum Abschluss gebracht worden war.

132 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,130,16ff.). 133 Symbolum Athanasii, BSLK S. 29 Satz 31. 134 Amica Exegesis (CR 92,677,13ff.); vgl. auch Das Dise Wort (CR 92,943 9ff.). 135 Aug., Io. ev. tr. 30,1 (CChr.SL 36,289) – Ad Billicani Responsio (CR 91,966,26ff.); vgl. S. 148 Anm. 151. 136 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,147,20ff.): „Es hat Augustinum der zang ouch hinynzogen, das er etwas von mitlyden der gottheyt geredt hat, contra Felicianum. Noch so erlütret er sich, das er allein die seel Christi verstund, die hette nach dem wort ,min seel ist trutig biß inn tod‘ kumber gelidten in dem sterben des lybs …“ – Aug., c. Fel. IV (PL 42,1169+1171). 137 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,180,20ff.).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli

4.2 Die Alloiosis bei den Vätern Hinsichtlich des patristischen Beweises für die Alloiosis ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sie für Zwingli nichts anderes als die von den Vätern einschließlich seiner Gegner zugestandene Synekdoche darstellt. Er habe lediglich unter all dem, was Synekdoche genannt wird, das zusammengefasst, was in besonders enger Weise miteinander verbunden oder einander ähnlich ist. Die Alloiosis ist damit seiner Überzeugung nach nichts anderes als ein Spezialfall der allgemein 138 anerkannten Synekdoche. Ein weiterer allgemeiner Hinweis auf die Übereinstimmung mit der alten Kirche und dem Mittelalter findet sich in der Identifizie139 rung von communicatio idiomatum und Alloiosis. Nach Zwinglis Meinung ist 140 der Ausdruck communicatio idiomatum zwar nicht gerade geschickt gewählt, er meint aber nichts anderes als das, was er Gegenwechsel nennt. Sachlich bringt Zwingli also seiner Überzeugung nach nichts Neues vor. Diese Behauptung wird noch durch die andere gestützt, dass Zwingli erklärt, weshalb die Väter die Alloiosis gebraucht haben und gebrauchen mussten: Sie konnten die zwei Naturen des einen Christus in der Unterscheidung der Eigenschaften und Werke anders nicht 141 festhalten. Das bedeutet, dass die von den Vätern vertretene Christologie für Zwingli selbst der Beweis für die Alloiosis ist. Doch der Gebrauch der Alloiosis durch die Väter wird noch von anderer Seite her deutlich. Die Auslegung entscheidender Stellen des Neuen Testaments durch die Kirchenväter zeigt, dass sie zu keinem anderen Ergebnis als Zwingli kommen und also die Alloiosis gebrauchen. Ohne Alloiosis ist es nämlich unmöglich, das 142 Johannesevangelium und überhaupt das Neue Testament zu verstehen. Diesen faktischen Gebrauch der Alloiosis durch die Väter zeigt nun Zwingli im Verlauf seiner exegetischen Beweisführung an einigen für ihn wesentlichen Stellen auf. a) Zu Johannes 1,14 Der biblische Wortlaut „Das Wort ward Fleisch“ oder, wie Zwingli ihn auch wiedergibt, „Gott ist Mensch worden“, kann hier nicht so verstanden werden, wie er auf den ersten Blick lautet. Dann müsste nämlich Gott selbst in einen Menschen verwandelt sein. Da dies aber nicht möglich ist, tritt der Gegenwechsel ein. Die Aussage ist nicht von Gott gemeint, sondern vom Menschen und bedeutet so viel wie: Der Mensch ist Gott geworden, d.h. von Gott in der Einheit der Person des Sohnes Gottes angenommen. So bekennt es auch Athanasius; 143 er zeigt damit, dass auch er die Schrift nach der Alloiosis verstanden hat.

138 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,127,9ff.). 139 Amica Exegesis (CR 92,697,113ff.). 140 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,128,17ff.). 141 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,129,1ff.). 142 Über Luthers Bekenntnis (CR 93 II,128,31ff.). 143 Vgl. dazu Amica Exegesis (CR 92,683,18ff.); Das Dise Wort (CR 92,927,11ff.).

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b) Zu Johannes 3,13 „Des Menschen Sohn, der im Himmel ist“, kann hier nicht wörtlich verstanden werden. Es müsste dann ja, was bisher keiner der scholastischen Doktoren gelehrt hat, vom Leibe Christi ausgesagt werden, dass er noch vor der Auferstehung und Himmelfahrt leiblich im Himmel gewesen sei. Darum wird „Sonn des Menschen“ hier für die göttliche Natur genommen. Der Sinn ist dann, dass der Sohn Gottes, der menschliche Natur an sich genommen hat, nach seiner Gottheit – nicht nach seiner Menschheit – immer im Himmel ist, indes er von den Men144 schen nur als bloßer Mensch angesehen wird. So versteht auch Augustin diese Stelle: „Er was hie des lychnams oder fleischs halb, und was im himmel nach der 145 gottheyt, ia allenthalb der gottheyt halb.“

und zeigt damit, dass auch er den Gegenwechsel gebraucht, wie auch alle anderen Väter, unter ihnen Cyrill und Chrysostomos, „die ye flyßlich auff den gegen146 wechsel beder naturen gsehen habend.“ c) Zu Johannes 14,28 „Der Vater ist größer als ich“ – hier bezieht sich das Ich allein auf die Menschheit Christi, da er nach der Gottheit dem Vater gleich ist wie es auch Athanasius bestätigt: „Er ist dem vatter glich nach der gotheit und minder dann der vatter nach 147 der menscheyt.“ Zwinglis Nachweis der Alloiosis bei den Vätern wird also auch dadurch geführt, dass die Übereinstimmung der mittels der Alloiosis gewonnenen exegetischen Ergebnisse Zwinglis mit denen der Väter festgestellt wird. 4.3 Das Verständnis des Leibes Christi und der Himmelfahrt des Herrn bei den Vätern „Daraus sehen wir ganz klar, dass die Alten das, was immer sie mit glänzenden Worten vom Abendmahl gesagt haben, überhaupt nicht vom natürlichen, sondern vom geistlichen Essen verstanden haben. Denn da sie wussten, dass der Leib Christi an einem Ort sein müsse und eben dieser zur Rechten Gottes ist, haben sie ihn nicht herabgezogen, um ihn den übelriechenden Zähnen der Menschen 148 zum Zerbeißen zu geben.“ In diesen Worten stellt Zwingli das Verständnis des Leibes Christi bei den Vätern als den Schlüssel hin, mit dem alle anderen Aussa144 Das Dise Wort (CR 92,942,13ff.). 145 Das Dise Wort (CR 92,943,1ff.) – Aug., Io. ev. tr. 12,8 (CChr.SL 36,125). 146 Das Dise Wort (CR 92,943,5.). 147 Das Dise Wort (CR 92,943,6ff.). 148 Fidei Ratio (CR 93 II,811,17ff.): „Quo palam videmus veteres omnino non intellexisse de naturali esu corporis Christi, sed de spirituali, quicquid tandem de coena magnifice locuti sunt. Cum enim sciverunt corpus Christi in uno loco esse oportere et eum ad dexteram dei esse, non detraxerunt illud, ut dentibus hominum foetidis subderent commolendum.“

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli

gen vom Abendmahl wie überschwänglich sie auch seien, aufgeschlossen und verstanden werden können und müssen. Von der entscheidenden Aussage her, dass der Leib Christi an einem Ort, also räumlich umschreibbar, sein muss, ist sowohl das Verständnis der Väter von der Himmelfahrt selbst, als auch vom Verhältnis der beiden Naturen in Christo zueinander, als auch das Verständnis von 149 Johannes 6 und natürlich der Einsetzungsworte bestimmt. Hat die Räumlichkeit des Leibes Christi bei den Vätern ein solches Gewicht, dann ist freilich ein eindeutiger und klarer Väternachweis hierfür erforderlich. Zwingli genügt es, in der patristischen Argumentation auf ein einziges Wort 150 Augustins hinzuweisen, auf das er immer wieder zurückgreift: „Donec saeculum finiatur, sursum est dominus; sed tamen etiam hic nobiscum est veritas domini … Corpus enim, in quo resurrexit, in uno loco esse oportet, veritas 151 autem eius ubique diffusa est.“

Der Punkt, den der Reformator jeweils geltend macht, ist die Aussage: „in uno loco esse oportet“. Der eine Ort kann kein anderer als die Rechte des Vaters sein – womit eine leibliche Gegenwart im Abendmahl völlig ausgeschlossen ist. So ist 152 diese Stelle ein „schweres Geschütz“, ein Wort, an das man sich in der Ausei153 nandersetzung stark halten soll. Zwar wird der Text angefochten, indem man statt oportet mit der Mehrzahl der Handschriften potest liest. Aber Zwingli weist dies mit dem Hinweis zurück, dass Petrus Lombardus und das Corpus Iuris 154 Canonici oportet lesen. Er beruft sich also in dieser Frage auf die päpstlichen Autoritäten gegen die päpstliche sowie die lutherische Lehre. Das eine Wort des Kirchenvaters vertritt ihm dabei Augustins, ja der ganzen alten Kirche Meinung vom Leib Christi. 5. Zusammenfassung a) Zwingli führt den patristischen Nachweis für das Abendmahl als Deutemahl einmal von da her, dass die Begriffe, mit denen die Väter vom Abendmahl reden – repraesentare, figura, sacramentum, significatio – nur ein Bedeuten des Leibes und Blutes Christi aussagen, nicht aber eine leibliche Gegenwart. Zum 149 Z.B. S. 132 Anm. 69, S. 143f. 150 Z.B. Unterrichtung (CR 91,840,12ff.); Ad Billicani et Rhegii Epistolas Responsio (CR 91,906,21ff.); Amica Exegesis (CR 92,655,10ff.); Fidei Ratio (CR 93 II,811,13ff.). 151 So ohne den Zwingli'schen Einschub in Ad Billicani et Rhegii Epistolas Responsio (CR 91,906,26ff.). Das CChr.SL 36,289 liest: „Quod enim pretiosum sonabat de ore Domini … et recitabitur etiam propter posteros nostros, et donec saeculum finiatur. Sursum est Dominus; sed etiam hic est veritas Dominus. Corpus enim Domini in quo resurrexit, uno loco esse potest; veritas eius ubique diffusa est.“ 152 „machina“ Ad Billicani et Rhegii Epistolas Responsio (CR 91,906,31). 153 Unterrichtung (CR 91,840,25ff.): „… sunder halt dich starck der worten: ,Der lychnam, der uferstanden ist, der muß an eim ort sin‘, so wirst all ir gegenwürff mögen versetzen.“ 154 Fidei Ratio (CR 93 II,811,14ff.).

Die patristische Argumentation

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andern weisen die Väter ein Achthaben auf das Fleisch Christi als solches zurück. Sie identifizieren, drittens, Glauben und Essen des Leibes und Blutes Christi und fassen es als die Hauptsache im Abendmahl; viertens gebrauchen sie das Abendmahl in der Reihe der übrigen Zeremonien als Festversammlung zur Erinnerung und Danksagung an den Tod Christi, Bezeugung des Glaubens an den Auferstandenen und verpflichtenden Ausdruck demütiger Bruderliebe. Als klare Zeugnisse, sozusagen Angelpunkte der Väterzeugnisse, ragen aus der Zahl der angeführten Stellen heraus: 155

Tertullian, adv. Marc. I 14 156 Augustin, Io. ev. tr. 26,18 157 Augustin, CIC Dist. II c 32 158 Augustin, ep. 54: ad Januarium c. 1 159 Augustin, Io. ev. tr. 27,1f 160 Augustin, Io. ev. tr. 27,5 161 Augustin, Io. ev. tr. 25,12 162 Augustin, en. Ps. 3 163 Origenes, in Matth. 26,26+29

Sie besagen α) dass das Abendmahlsbrot auf den Leib Christi deutet; es werden die Begriffe repraesentare und figura gebraucht und vom Sakrament wird als vom Brot geredet (Tert., adv. Marc. I 14; Aug., en. Ps. 3); β) dass der Leib Christi im Abendmahl nicht gegenwärtig ist, indem vom leiblichen Essen und Trinken des Sakraments, nicht aber des Leibes und Blutes Christi gesprochen wird. Auch zeigt der Zusammenhang, dass sacramentum immer etwas Sichtbares und leiblich Fassbares ist und als solches zu den fleischlichen Dingen gehört (Augustin, Io ev. tr. 26,18); γ) dass das Sakrament Zeichen eines heiligen Dings ist, das lediglich den Namen dessen, das es bezeichnet, überkommen hat (Augustin, CIC Dist. II, c. 32); δ) dass das Abendmahl significatio ist, da es an zentraler Stelle nicht anders gekennzeichnet wird (Augustin, ep. 54: Ad Januarium c. 1); ε) dass das Fleisch Christi nicht nach dem Fleisch, d.h. leiblich gegessen werden darf (Aug., Io. ev. tr. 27,1); 155 Vgl. S. 120. 156 Vgl. S. 123. 157 Vgl. S. 124. 158 Vgl. S. 124. 159 Vgl. S. 125. 160 Vgl. S. 126. 161 Vgl. S. 126. 162 Vgl. S. 121. 163 Vgl. S. 129.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli

ζ) dass das Fleisch Christi nur als Werkzeug gilt und an sich selbst nicht Gegenstand der Beachtung ist (Aug., Io. ev. tr. 27,5); η) dass Glauben und Essen des Fleischs Christi identisch sind (Aug., Io. ev. tr. 25,12); θ) dass der Gebrauch, den die Väter vom Abendmahl machten, in der feierlichen Zusammenkunft der Gemeinde, Danksagung, Gedächtnis und Verkündigung bestand (Orig., in Matth. 26,26+29). b) Dem Sakramentsverständnis der Väter entspricht das Schriftverständnis. Es geht von Johannes 6 aus, das als Absage an ein wie auch immer geartetes fleischliches Essen des Leibes Christi verstanden wird. Das Essen des Fleischs Christi ist deshalb identisch mit dem Glauben. Der Auffassung von Johannes 6 entspricht dann auch die Auslegung der Einsetzungsworte, die die Väter durch „sacramentum“, „typos“, „repraesentare“ und ähnliche Begriffe erläutern. Auch nennen sie die sakramentlichen Zeichen weiterhin Brot und Wein. – 1. Korinther 10,16f fassen die Väter „benedicere“ im Sinne von Danksagen, κοινωνία als Personengemeinschaft auf; – 1. Korinther 11,23ff ist die Verkündigung des Todes Christi das eigentliche Sakramentsgeschehen; – 1. Korinther 11,27.29 verstehen sie das unwürdige Essen von der glaubensund zuchtlosen Gleichsetzung der Abendmahlsspeise mit anderer Speise und das Schuldigwerden am Leib und Blut des Herrn als Verachtung des Todes Christi. Zu 2. Korinther 5,16 meinen sie, dass wir nicht an der menschlichen Natur Christi, sondern allein an Gott hängen sollen. Klare Stellen im Zusammenhang der Schriftauslegung der Väter sind neben 164 dem schon genannten Zitat Augustin, in Joannem Tract. 25,12 folgende Väterworte: – – –

165

Augustin, en. Ps. 98,9 166 Augustin, Io. ev. tr. 27,3 167 Augustin, Io. ev. tr. 27,5

Sie besagen, dass Augustin α) das Essen des Fleischs Christi mit dem Glauben in eins setzt; β) das leibliche Essen des Leibes Christi abweist; γ) unter dem fleischlichen Verstand der Worte vom Essen und Trinken des Fleischs und Blutes des Menschensohnes ein leibliches Essen versteht, das er jedoch ausdrücklich mit dem Hinweis auf die Himmelfahrt abwehrt; δ) mit dem Fleisch, das nichts nützt, den Leib Christi meint.

164 Vgl. S. 126. 165 Vgl. S. 130. 166 Vgl. S. 131. 167 Vgl. S. 132.

Die patristische Argumentation

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c) Der durch das Sakramentsverständnis der Väter geforderte Tropus, dass das Zeichen nach dem Namen des Bezeichneten genannt wird, findet sich sowohl als allgemeiner Brauch wie auch in besonderer Anwendung auf die Einsetzungsworte bei den Vätern. Hauptzeugnisse hierfür sind Augustinus, ep. 98: Ad Bonifacium 169 Augustinus, c. Adim. 12

168

Sie besagen: α) dass der Leib Christi nicht anders im Abendmahl gegenwärtig ist als die eigentliche Auferstehung Christi am Osterfest; β) dass Christus selbst bei der Einsetzung des Abendmahls das Zeichen des Leibes mit dem Namen des Leibes benannte und von da her erlaubt ist, diesen Tropus auch andernorts anzuwenden. d) Gegenüber der mit der Realpräsenz gesetzten Vermischung und Verwandlung der Naturen Christi zeigt Zwingli, dass die Väter, ohne die Person zu trennen, die je eigenen Eigenschaften, Werke und Widerfahrnisse streng bei der jeweiligen göttlichen oder menschlichen Natur belassen. Kein Theologe der alten Kirche hat von der Unumschreibbarkeit der göttlichen Natur Christi auf die der menschlichen geschlossen, keiner hat auch davon geredet, dass der Leib Christi alle Gewalt im Himmel und auf Erden habe. Dagegen haben sie eine Verwandlung der menschlichen in die göttliche Natur abgelehnt und nur von einer Annahme der menschlichen Natur gesprochen. Hauptzeugnis für diese Christologie ist das 170

Athanasianum (Quicunque)

Es besagt, dass die menschliche Natur nur angenommen, nicht mit der göttlichen Natur vermischt bzw. in sie verwandelt ist, auch dass die Menschheit Christi keineswegs ein Herr aller Dinge ist. e) Nicht nur die Christologie der Väter fordert die Alloiosis, auch die Auslegung bestimmter Schriftstellen durch die Väter zeigt, dass sie die Alloiosis gebrauchen. f) Die Väter haben gelehrt, dass der Leib Christi an einem Ort sein müsse und dieser zur Rechten Gottes sei. Dieses Verständnis des Leibes Christi und der Himmelfahrt normiert alle anderen Aussagen der Väter über das Abendmahl, unwiderlegliches Zeugnis hierfür ist Augustinus Io. ev. tr. 30,1

168 Vgl. S. 141. 169 Vgl. S. 142. 170 Vgl. S. 143f. 171 Vgl. S. 144.

171

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Zwingli

6. Zur Methodik der Väterauslegung Zwinglis Ein Überblick über die Weise, in der Zwingli die Väter auslegt, lässt folgendes festhalten: a) Wie Oekolampad, so führt auch Zwingli den Väterbeweis von einer Reihe klarer Stellen aus, die die übrigen Aussagen der alten Kirche erschließen. Die Auswahl dieser Schlüsselstellen ist ähnlich der Oekolampads. Auch die überragende und die ganze alte Kirche vertretende Bedeutung Augustins ist die gleiche wie bei dem Basler. b) Neben jenen klaren Stellen haben die Begriffe, in denen die Väter vom Abendmahl reden, große Bedeutung. Diese Begriffe wie repraesentare, significare, sacramentum, eucharistia, gratiarum actio, typos, commemoratio, festivitas, synaxis sind aus sich selbst heraus so eindeutig, dass sie die Realpräsenz ausschließen. Doch bemüht sich Zwingli auch, aus den Kontexten zu zeigen, wie die an sich schon klare Bedeutung dieser Begriffe vom Zusammenhang her bestätigt wird und sich notgedrungen ergibt. c) Alle die genannten Begriffe werden durchweg im gleichen Sinn bei allen Kirchenvätern vorausgesetzt. Sie sind deshalb ohne weiteres von einem auf den anderen Kirchenvater übertragbar, wie denn auch ohne Bedenken der eine durch den andern ausgelegt werden kann. Die Voraussetzung, dass die alte Kirche letztlich doch eine Einheit ist, schwingt überall mit. d) Im Zusammenhang der Einzelauslegung sind besonders folgende methodische Mittel aufgefallen: 1) die Interpretation e negativo, von einer bestimmten, nicht vorliegenden Sollgestalt her, die der Text haben müsste, wenn der Begriff bzw. das Zitat eine andere als die dargelegte Meinung haben sollte; 2) der Hinweis auf die törichten Folgen, die sich bei einem anderen, als dem angenommenen Verständnis ergeben – Tertullians Argumentation gegenüber Marcion ist hier geradezu beispielhaft. 3) die Interpretation der Kirchenväter von dem jeweiligen eigenen Schriftverständnis her; 4) die Interpretation von einem als wesentlich erkannten Satz oder Satzteil her, der dann die gesamte, längere Aussage regiert; 5) die Indienstnahme besonderer Spracheigentümlichkeiten, wie z.B. das „Vorwegnehmen“ im Hebräischen.

Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Luther I. Die Bedeutung des patristischen Arguments innerhalb der Abendmahlskontroverse Die grundsätzliche Haltung des Wittenberger Reformators zu den Vätern ist in der Auseinandersetzung mit den Schweizern keine andere, als wie er sie zuvor gegenüber der römischen Kirche vertreten hatte. Ein Hinweis mag für viele sprechen: Im „Grund und Ursach aller Artikel, so durch die römische Bulle unrechtlich verdammt worden“ sagt er von den heiligen Vätern der Kirche: „Ich vorwirff sie nit. Aber die weil yderman wol weyß, das sie zu weilen geyrret haben als menschen, wil ich yhn nit weytter glawben geben den ßo fern sie mir bewey1 sung yhrs vorstands auß der schrifft thun, die noch nie geirret hat.“ In dieser Haltung weiß er sich mit Augustin, den er als den besten Lehrer der Christenheit ansieht, einig: „Ich hab erlernet, allein denen bucher die die heiligen schrifft heissen, die ehre zu thun, das ich festiglich glewbe, keiner der selben beschreiber habe yhe geirret, alle ander aber leße ich d‘massen, das ichs nit für war hab, was sie sagenn, sie beweisen mirs den mit der heiligen schrifft odder öffentlicher 2 vornunfft.“ Und mit Augustin wollen so alle Lehrer der Kirche ihre Schriften durch die heilige Schrift, als die klarere und beständigere, bewähren, befestigen und erklärt haben. „derhalbenn vns die not dringt, mit aller lerer schrifft yn die Biblien zulauffen, vnd alda gericht vnn vrteil vber sie holen, den sie ist allein der 3 recht lehen herr vnd meister vber alle schrifft vnnd lere auff erden.“ Gottes Wort, die Schrift, hat noch nie geirrt – die Lehrer können irren und haben auch geirrt, darum will Luther seine Lehre mit den Vätern nur auf die Schrift gründen, die klarer und heller als alle andere menschliche Schrift ist und sich von ihr meistern, erklären, bewähren und befestigen lassen. Diese Voraussetzung ist auch in der ganzen Abendmahlskontroverse zu spüren; sie ist so selbstverständlich, dass nur nebenher darauf verwiesen wird, gewöhnlich, um das Missverständnis abzuwehren, als wolle er sich, wenn er die Väter anführt, auf sie gründen. „Wir handeln aber itzt nicht, ob Tertullianus und ander lerer recht odder unrecht leren, denn wir wollen unsern glauben nicht auff menschen son4 dern auff Gotts wort, den einigen fels, bawen.“ Der Reformator ist also grundsätzlich von den Vätern frei, weil er allein an das Wort Gottes gebunden ist. Aber diese Freiheit ist keine unehrerbietige oder gar überhebliche: „Nicht das wir sie 1 2 3 4

Cl 2,64,11f. Aug., ep. 82 c. 3,24 (PL 33,286). Cl 2,64,26ff. WA 23,219,3ff.

154

Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Luther

verachten, denn sie habens freylich so gut gemeinet, als wirs ymer meinen kön5 nen, und yhre arbeit dargethan uns zu nütze …“ So steht alle Kritik an den Vätern unter einem gewissen Zugutehalten ihrer Mühe und besten Absicht. Sie haben z.B. Johannes 6 gebraucht, um zu beweisen, dass Fleisch und Blut Christi wahrhaftig im Sakrament sind. Das trifft zwar nicht, wie sie öfters die Sprüche der Schrift uneben führen; aber ihre Meinung vom Abendmahl, die sie damit 6 gewaltig kundtun, ist recht und gut. Die alleinige Bindung an die Schrift, die grundsätzliche Freiheit von den Vätern und die Tatsache, dass die Väter bisweilen geirrt haben, dass sie aber andererseits selbst der Schrift untertan sein wollen und in der besten Absicht ihre Arbeit getan haben, spiegeln sich in dem praktischen Grundsatz wider, den Hedio aus dem Marburger Gespräch als Regula Lutheri überliefert: „Quando patres loquuntur, accipiantur iuxta canonem scripturae. Quodsi videntur contra scribe7 re, adiuventur glossa vel reiciantur.“ Dabei schließt die Hilfeleistung durch die Glosse eine maßvolle Interpretation auf das eigene Schriftverständnis hin nicht aus – handelt es sich doch um einen Auslegungsvorgang, bei dem im Grunde die Väter besser verstanden werden, als sie sich selbst möglicherweise verstanden haben und dessen Berechtigung darin liegt, dass auch die Väter mit der Schrift übereinstimmen wollen. Andererseits müssen aber dort, wo solche Auslegung am klaren Wortlaut des Vätertexts scheitert, die Vätermeinungen um der Schrift willen zurückgewiesen werden. Wenn nun Luther trotz der grundsätzlichen Freiheit von den Vätern näher auf ihre Zeugnisse eingeht, so geschieht es, weil die „Schwärmer“ sich der Väter bedienen und sie auf ihren Sinn ziehen, um unter ihrem Namen die einfältigen Gewissen zu verwirren und die Welt zu ihrer neuen Sakramentslehre zu verfüh8 9 ren. Diesem Unrecht gilt es zu wehren. Doch ist mit diesen genannten Gründen die Motivation Luthers in ihrer Tiefe noch nicht erfasst. Man könnte sie immer noch als Rechthaberei oder historische Ehrenrettung der Väter missverstehen. Sein Anliegen ist aber ein anderes. Die deutlichsten Äußerungen finden sich darüber im Brief an Albrecht von Brandenburg. Darnach hat die christliche Kirche den Artikel von der Realpräsenz von Anfang an „jnn aller Welt bis auff diese stund eintrechtiglich gegleubet und gehalden, wie das aus weisen der lieben Veter bücher und schrifft, beide, Griechischer und Latinischer sprache, Da 10 zu der teglich brauch und das werck mit der erfarung bis auff diese stund …“

5 6 7

WA 23,219,7ff. WA 38 III,548,28ff. WA 38 III,141,7ff.; dass diese Regel der Sache nach von Augustin herkommt, zeigt der Anonymus auf – WA 30 III,141,21ff. 8 WA 23,229,13ff. 9 WA 23,219,7ff.: „Das handeln wir, ob die schwermer der Veter sprüche recht brauchen odder ob sie mit lügen umbgehen, und sehen, was die veter gehalten haben.“ 10 WA 30 III,552,5ff.

Die Bedeutung des patristischen Arguments innerhalb der Abendmahlskontroverse

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Die Übereinstimmung hinsichtlich der Realpräsenz liegt in der Kirche also in doppelter Hinsicht vor – der Zeit nach insofern, als die Kirche von Anfang an bis „auf diese Stunde“ nicht anders gelehrt hat, und dem Umfange nach, als die ganze Kirche in aller Welt einträchtiglich diesen Artikel geglaubt hat. Offenkundig klingt hier mit Bezug aufs Abendmahl die Formulierung des Vincenz von Lerinum an: Katholisch ist, „quod ubique, quod semper, quod ab omnibus credi11 tum est“. So ist die Realpräsenz für Luther wahrhaft ökumenisch. Dass es wirklich so ist, ist nicht einfach Glaubenssatz, sondern wird aus den Schriften der Väter, sowohl der griechischen wie der lateinischen, erwiesen. Das eigentliche Motiv der testimonia patrum, die Luther in der Abendmahlskontroverse behandelt, ist also die in ihrer Lehre mit sich einige Kirche Jesu Christi aller Zeiten, in der er steht und der zuwider er nichts lehren will. Damit wird der Consensus ecclesiae zu einem theologischen Argument von Rang. Es ist nämlich gefährlich zu leugnen, was die Kirche immer und überall einträchtig gehalten hat. Denn es schließt in sich, dass man keine christliche Kirche glaubt, ja sie für eine Ketzerei hält und damit sich in Widerspruch zu den Aposteln stellt, die die eine heilige christliche Kirche als Grundfeste der Wahrheit bekannten, 12 und zu Christus, der bei ihr bis an der Welt Ende zu sein verheißt. Es entsteht hier durchaus die Frage, ob der Reformator nicht doch ein zweites Prinzip theologischer Erkenntnis neben dem in der Schrift gegebenen Wort Gottes einführt. Könnte man nicht am consensus ecclesiae – vorausgesetzt, dass er eindeutig fassbar ist – ablesen, was göttliche Wahrheit ist und was nicht? Würde es sich nicht zumindest nahe legen, den consensus ecclesiae als Richter über das Schriftverständnis insofern anzusehen, als dasselbe nicht im Widerspruch zu eben diesem consensus ecclesiae stehen darf? Zweifellos widerspricht aber Luthers Beweisführung einer solchen These. Er geht in der Abendmahlskontroverse nicht so vor, dass er den consensus patrum feststellt und diesen dann als Leitfaden zum Schriftverständnis benutzt, sondern so, dass er von der klaren Schrift allein her argumentiert und dann feststellt, was die Väter sagen. Dabei ergibt sich für ihn, dass in der Frage der Realpräsenz beide gleich lehren. Die Väter sind damit Zeugen der Schriftwahrheit, nicht aber Richter derselben geworden. Nur in diesem Sinne, als mit der Schriftwahrheit übereinstimmende Lehrer der Kirche, bestätigen sie dieselbe. Es ist offenkundig, dass die aufgeworfene Frage nach den Vätern als zweitem Prinzip oder doch das Schriftverständnis korrigierendem Gegenüber damit noch nicht gelöst ist. Solange die Väter und das Schriftverständnis übereinstimmen, wird das Problem noch nicht offenbar; anders wäre es aber dort, wo das Schriftverständnis und der consensus patrum nicht übereinstimmen sollten. Dann gäbe es nur ein Entweder/Oder, wie es Luther ja auch tatsächlich den Schwärmern ge11 Vinz., comm. 2 (PL 50,639): „In ipsa item catholica ecclesia magnopere curandum est ut id teneamus, quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est …“ 12 WA 30 III,552,19ff.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther

genüber geltend macht, dass nämlich das eigene Schriftverständnis falsch ist oder die Kirche und Grundfeste der Wahrheit im Widerspruch zur Verheißung des Herrn eine Zeit lang nicht bestanden hat. Tatsächlich meldet sich das aufgeworfene Problem in der Instruktion Luthers für das Kasseler Gespräch 1534 angesichts der von Melanchthon ihm überbrachten dissentierenden Väterstellen zu Wort. In dieser Instruktion, die in Form bringt, was in den Glossae super Sententias 13 Patrum de Controversia Coenae zusammengestellt ist, nennt Luther drei Ar14 gumente für seine Stellung: Erstlich den klaren, hellen Text des Evangeliums, welcher nicht allein die Frommen, sondern auch andere, nicht ohne Ursache, bewegt. Zweitens viele Sprüche der Väter, die man nicht leicht ablehnen kann, auch nicht mit gutem Gewissen anders deuten kann als sie lauten, weil sie nach der Art guter Grammatik mit dem Text des Evangeliums übereinstimmen. Drittens, „quia periculosum est statuere Ecclesiam tot annis per totum orbem caruisse vero sensu Sacramenti, Cum nos fateamur omnes Mansisse Sacramenta et verbum etiamsi obruta multis abominationibus“. Die beiden ersten der genannten Argumente, der klare Text und die vielen Vätersprüche, können jederzeit auf ihren Inhalt hin untersucht und nachgeprüft werden. Das dritte Argument setzt eine sachliche Gleichheit zwischen beiden, die nicht erst das Ergebnis der historischen Untersuchung ist, sondern von vornherein feststeht. Dass die Kirche jahrhundertelang den wahren Sinn des Sakraments nicht gehabt habe, ist gefährlich, weil es gegen das Bekenntnis verstößt, dass das Wort und die Sakramente allezeit geblieben sind. Dieses Bekenntnis gründet, wie schon im Brief an Herzog Albrecht deutlich wurde, in der Verheißung, die der Herr seiner Kirche gegeben hat und in dem Artikel: Ich glaube an eine heilig 15 christliche Kirche. Beide schließen in sich, dass das Wort und die Sakramente tatsächlich, wenn auch mit mancherlei Gräuel bedeckt, durch die Jahrhunderte bis zur Gegenwart vorhanden gewesen sind. Insofern muss es einfach einen auch 16 historisch fassbaren universalen consensus ecclesiae geben. Das ist eine Forderung, die sich aus dem klaren Text des Evangeliums, der Verheißung des Herrn bezüglich der Dauer seiner Kirche und der Bestimmung dessen, was wesentlich zum Bestand des Sakraments gehört, ergibt und von der abzugehen gefährlich ist. Luther sieht die Gefahr dabei in der unterbrochenen Kontinuität der Kirche und der damit inbegriffenen Verleugnung der Verheißung des Herrn. Dass das Sakramentsverständnis selbst bei den Vätern ein anderes sein könnte und damit auch das eigentliche Schriftverständnis – eine theoretische Möglichkeit, die er mit dem 13 Vgl. WA 38,302ff. 14 WA 38,298. 15 Ähnlich argumentiert Luther zugunsten der Kindertaufe in: Briefe an zwei Pfarrherren, von der Wiedertaufe, 1528. WA 26,168,27ff. 16 In diesem Sinn ist auch die Formulierung des dritten Argumentes in der Glosse zu verstehen: 1) Textus Evangelicus clarus 2) Dicta patrum consona 3) Ecclesiae consensus vetus et universalis. WA 38,307.

Die patristische Argumentation

157

Vorwurf, neue Lehre aufzubringen als die Wirklichkeit Schweizer ansieht –, verbietet sich für ihn wegen des klaren biblischen Textes. So wird die Erkenntnis, dass es einen consensus ecclesiae geben muss, der seinerseits auf dem klaren Text aufruht und ja auch durch die Väter bezeugt ist, für den Wittenberger Reformator zum Argument für die Realpräsenz bei den Vätern. Es kann einfach gar keinen schwerwiegenden, die Tradition der Kirche bestimmenden Dissensus der Väter geben. Ihn zuzugestehen wäre gefährlich. Luther hat damit den Vorrang und die letztliche Alleingültigkeit der Schrift festgehalten. Er hat damit aber auch zugleich von der Schrift her eine die Realpräsenz beinhaltende Aussage über die Tradition der Kirche gemacht, die, wenn sie einer historischen Nachprüfung nicht stand hielte, die Verklammerung von hellem Schrifttext, Verheißung der Kontinuität der Kirche und Konsensus der Väter umgestalten müsste. Der Reformator war der Überzeugung, dass der historische Befund zu einer solchen Umgestaltung nicht nötigte.

II. Die patristische Argumentation Natürlich kannte und gebrauchte Luther schon vor der großen Auseinandersetzung um die Realpräsenz Väteraussagen im Zusammenhang mit dem Abendmahl; er verwendete sie jedoch als Argumente im Streit um die beiderlei Ges17 talt, in der Deutung des Abendmahls als Zeichen der Gemeinschaft der 18 Gläubigen mit dem geistlichen Leibe Christi und in der Unterrichtung zum 19 rechten Sakramentsgebrauch. Offenkundig hat sich Luther erst im Zusammenhang seiner Antwort auf Oekolampads genuina expositio genauer mit den Väteraussagen hinsichtlich der Realpräsenz befasst. Vorher schien es ihm nicht nötig, da er die traditionelle Überzeugung teilte, dass die Väter selbstverständlich in großer Einmütigkeit durch die Jahrhunderte hin die Realpräsenz gelehrt hatten. In den Schriften des Abendmahlsstreits gibt es eigentlich nur einen Ort, an dem sich Luther gründlich mit den patristischen Argumenten seiner Gegner auseinandergesetzt hat. Es sind seine Ausführungen in: „Dass diese Worte … noch feststehen.“ Wir legen diese Stelle zu Grunde und gehen von da aus auf spätere Äußerungen Luthers ein. 17 So bezeugt z. B. Cyprian, dass man in seiner Kirche sogar Kindern den Kelch reichte, De Capt. Babyl. Cl 1,436,32ff. 18 Luther verwendet öfters den altkirchlichen Vergleich vom Korn und der Weinbeere, die mit anderen Körnern und Weinbeeren im Mehl und Wein vermischt sind; auch der Gedanke des Origenes, nach dem ein Christ dem anderen „zur Speise diene“ findet sich; z.B. WA 12,489,9ff. 19 Z.B. beruft sich Luther dafür, dass das Sakrament gerade um der Sünde willen tröstlich eingesetzt sei, auf Gregor, Ambrosius und einen ,frommen Altvater‘ – wahrscheinlich Cyprian (Sermo de Digna Preparatione WA 1,330,4ff.); von Augustin zitiert er: „Is cibus nihil eque odit ac saturum fastidientemque stomachum, nihil ita querit sicut animam esurientem …“ (WA 1,330,13ff.; WA 2,746,30ff. u. a.)

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther

1. Der Väterbeweis in „Dass diese Worte … noch feststehen“ Zwei allgemeine Dinge sind es, auf die Luther zu seinen Gunsten zunächst hinweist: Oekolampad muss selbst oft genug bekennen, dass der Vätertext gegen ihn zu sein scheint. Das heißt aber so viel als dass er die Vätertexte auf seinen Sinn 20 drehen und wenden muss. Das andere ist, dass die Väter, obwohl sie viel vom Sakrament gehandelt haben, nie sagen, es sei schlicht Brot und Wein, oder der Leib und das Blut Christi seien nicht da. Stattdessen reden sie so, als zweifelte ihrer keiner daran, dass da Christi Leib und Blut wäre: „Es sollte ja unter so vielen vetern und so viel schrifften ein mal eine negativa gefallen, wie ynn andern artickeln geschicht, nu aber stehen sie alle auff der affirmativa eintrechtig und bestendiglich. Unser schwer21 mer aber schier nichts denn von der negativa reden können.“ Der eigentliche Väterbeweis wird dann in kurzer, das Wesentliche herausarbeitenden Weise geführt. Der Reformator gliedert ihn auf einzelne Kirchenväter auf; diese Gliederung wird im Folgenden beibehalten. 1.1 Augustin Luther fasst als den entscheidenden Punkt der Argumentation Oekolampads dies, dass Augustin oft die Wörter mysterium, sacramentum, signum, invisibile, intel22 ligibile gebraucht. Aber mit dem Nachweis, dass Augustin diese Begriffe vom Abendmahl gebraucht, ist noch nichts erstritten. Denn man kann sie auch so verstehen, dass der Leib Christi unsichtbar unter dem Zeichen da ist. Und dafür, dass es sich so verhält, beruft sich der Wittenberger auf Augustins Sakramentsdefinition: „Sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma.“

23

Forma bedeutet hier so viel wie Gestalt. So ist das Sakrament eine sichtbare Gestalt der unsichtbaren Gnade, wobei die unsichtbare Gnade als gegenwärtige gemeint ist. „Denn S. Augustin spricht nicht, das Sacramentum sey eine figur odder zeichen eins zukünfftigen odder abwesends dinges, wie die geschicht des alten testaments sind, sondern eine gestalt des gegenwertigen und doch unsicht24 baren dinges.“ Augustins eigene Sakramentsdefinition erklärt nun, wie er sich selbst, wenn er vom Sacramentum oder signum corporis et sanguinis Christi 20 21 22 23

WA 23,127,29ff. WA 23,129,12ff. WA 23,209,29ff. WA 23,211,1f.; diese Definition stammt aus dem CIC de Consecratione Dist II c 32 (Ed Friedberg Bd 1, Sp. 1324). Sie ist bei Augustin nicht aufzufinden. Die Stelle, die am ähnlichsten lautet, steht Aug., ep. 105: Ad Donatistas 3 (PL 33,401): „si autem malus est, operatur per illum Deus visibilem Sacramenti formam; ipsa autem donet invisibilem gratiam.“ 24 WA 23,211,5f.

Die patristische Argumentation

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redet, verstanden wissen will. Alle solche Stellen sind demnach nicht ein Argument gegen, sondern für Luther. Zur Bekräftigung seiner These weist Luther noch auf zwei helle und klare Aussagen hin: „Es ist offenbar, das die Jünger, da sie das erste mal den leib und blut des HERRN empfiengen, haben sie es nicht nüchtern empfangen. Aber es hat dem heiligen geiste gefallen, das zu ehren solchem sacrament am ersten des HERRN leib ynn den 25 mund des Christen gieng, ehe denn andere speise.“

Hier nennt Augustin das Abendmahl ein Sakrament und sagt doch, dass die Jünger den Leib und das Blut des Herrn im Sakrament zu sich genommen haben, ja, dass der Leib des Herrn vor anderer Speise in den Mund der Christen gehe; er wird also empfangen und leiblich in den Mund genommen wie andere sichtbare leibliche Speise. Damit ist Augustins Sakramentsverständnis im Sinne der äußerlich sichtbaren Gestalt des gegenwärtigen Leibes und Blutes bestätigt. Ähnlich heißt es zu Psalm 33: „Christus ward ynn seinen henden getragen, Da er seinen leib den Jüngern gab 26 und sprach ‚Das ist mein leib‘, Ja er trug denselbigen leib ynn seinen henden“.

Diese Worte, nach denen der Leib Christi im Abendmahl in den Mund genommen und in den Händen getragen wird, sind für Luther so klar, dass er das Gewissen seiner Widersacher daraufhin anredet. Er kann sich nicht vorstellen, dass sie ihrer Auslegung sicher sind; sie müssen sich ja selbst sagen, dass es hier nicht darum geht, wie Augustin möglicherweise verstanden werden kann, sondern dass er so, wie sie sagen, verstanden werden muss. Und wie sollte nicht angesichts dieser beiden hellen und klaren Sprüche ihr Gewissen ihnen sagen, dass Augustin dort, wo er vom Sakrament oder Zeichen redet, nicht bloß ein leeres Zeichen eines abwesenden Dings meint, sondern dies, dass der Leib Christi im Zeichen drinnen ist? Dem dargelegten Augustin-Verständnis entspricht dann auch, dass die Stellen, die den meisten Schein zugunsten der schweizerischen Auffassung haben, nicht das besagen, was von ihnen ausgesagt wird. Es handelt sich um die Auslegung zu Psalm 98 und Johannes 6: „‚Yhr werdet nicht den leib essen, den yhr sehet, noch trincken das blut, das die vergiessen werden, so mich creutzigen werden, Ein geheymnis hab ich euch gege27 ben, wo yhrs geistlich versteht, so machts euch lebendig‘ etc. Und Johan. vi. ,Was 28 schickestu zeene und bauch zu? Gleube, so hastu schon geessen‘.“

25 26 27 28

WA 23,213,4ff. – Aug., ep. 54: Ad Januarium c. 6 (PL 33,203). WA 23,213,21ff. – Aug., en.Ps. 55,1,10 (CChr.SL 38,281); vgl. S. 97f. WA 23,243,2ff. – Aug., en. Ps. 98,9 (CChr.SL 39,1386). WA 23,243,5f. – Aug., Io. ev. tr. 25,12 (CChr.SL 36,254).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther

Beide Stellen legen sich nach Luther selbst aus: In der letzteren redet Augustin von den Zähnen und vom Bauch und wendet sich damit gegen die Kapernaiten, nach deren Meinung der Leib Christi mit den Zähnen zerbissen und mit dem Bauch verdaut wird; die erstere erklärt sich selbst als gegen die gerichtet, die da meinten, Christus würde seinen Leib in Stücke zerschneiden und austeilen. An beiden Stellen geht es Augustin nicht darum, den Genuss des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl zu verdammen, sondern das fleischliche Essen der Art, wie man „Würste und Brot“ isst. Wollten die Schwärmer die erstere Stelle in ihrem allgemeinen Bezug auf den Leib Christi festhalten, dann dürften sie den Leib Christi überhaupt nicht, auch nicht geistlich genießen. Ihr Grundfehler ist, dass sie den Leib Christi dem übrigen Fleisch gleichstellen, als ob er wie dasselbe zerrissen werde und vergänglich und verdaulich sei. Aber er ist ein unvergänglich, 29 unsterblich, unverweslich Fleisch. Luther sieht also das eigentliche Hindernis zum rechten Väter-Verständnis bei den Schweizern darin, dass sie den Leib Christi insofern unserem Leibe gleich stellen, als er nicht anders gegessen werden kann als ein Stück Rindfleisch – nämlich zerkleinert, verdaulich und vergänglich. Für sie ist Christi Leib denselben Widerfahrnissen ausgesetzt wie unsere Leiber. Damit verstehen sie von vornherein alle Aussagen der Väter nur in der Relation fleischlich, d.h. wie anderes Fleisch auch –, und geistlich – d.h. nur übertragen. Eine andere Verstehensmöglichkeit scheidet für sie von vornherein aus. Was schließlich den bekannten Spruch Augustins betrifft, dass Christus an einem Ort leiblich sein muss, seine Wahrheit aber allenthalben ist, so setzt sich Luther nicht weiter mit ihm auseinander. Weder bejaht noch verneint er den Sinn, den die Schweizer in ihm finden; wohl aber bestreitet er das Gewicht, das sie ihm im Gegensatz zu den vielen sonstigen, die Realpräsenz bejahenden Väterzeugnisse zulegen. Weil es ihnen gefällt, dass Christus im Himmel und nicht im Abendmahl sei, darum lassen sie sich von dem Spruch Augustins so leicht bere30 den. Offenkundig hat hier Luther keine Antwort zum Spruch selbst gefunden, seine Argumentation gegen die lokale Gegenwart des Leibes Christi kommt im ganzen Zusammenhang nur von der Schrift her, gegen die das Wort des Kirchenvaters nicht ankommt. Immerhin aber zeigt diese Stelle, wie das Gewicht der Kirchenväteraussagen verschieden wiegt, je nachdem, ob sie mit der aus der Schrift gewonnenen Lehre übereinstimmen oder nicht. 1.2 Tertullian 31

Zum Verständnis der bekannten figura-Stelle wirft Luther dem Oekolampad einen methodischen Grundfehler vor. Im Gegensatz zu den alten Lehrern, die 29 WA 23,243,24ff. 30 WA 23,133,11ff. 31 Vgl. S. 35f.

Die patristische Argumentation

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nach der Weise des heiligen Geists die Schrift von den hellen und klaren Stellen ausgehend auslegen und so die dunklen Stellen hell machen, nimmt Oekolampad das „dunkel und wankel“ Wort figura, gibt ihm seinen eigenen Sinn und macht damit, ohne den Kontext zu beachten, den ganzen hellen und klaren Text dunkel. Schrift und Väter werden also von Luther, was das Auslegungsprinzip der klaren Stellen betrifft, gleich behandelt. Klar sind für ihn an der Tertullian-Stelle die einleitenden Worte: „Da steht nun Tertullians und spricht, Christus habe das brod ym abendmahl zu seinem leibe gemacht, lauts der wort ‚Das ist mein leib‘. Hie ist kein dunckel noch wanckelwort, denn brod zu leib machen ist dürre, klar 32 und helle geredt“. Unklar aber ist die Bedeutung von figura. Oekolampad will es als Gleichnis, Vorbild oder Deutzeichen verstehen, wie man die alttestamentlichen Geschichten figura der neutestamentlichen nennt. Aber solche Bedeutung ist ein Missbrauch; nach rechter Art lateinischer Sprache wie Tertullian sie gebraucht, ist figura eine Form oder Gestalt – etwas, das lang, dick, breit, rund, weiß, schwarz ist, das man sehen, fühlen und handeln kann. Diese Auffassung des Begriffs figura wird nun auch durch die sachliche Argumentation Tertullians bestätigt: Etwas, das überhaupt keine fassbare Realität 33 hat, kann auch keine Gestalt oder Form haben. Deshalb kann es auch keine Gestalt des Leibes ohne den Leib selbst geben. Die umstrittene Stelle hoc est corpus meum, id est figura corporis kann darum gar nicht anders verstanden werden, als dass das Brot die Gestalt des Leibes Christi ist, dass also der Leib Christi unter dem Brot da ist. Gleicherweise fordert auch der andere Syllogismus Tertullians gegen Marcion die Realpräsenz. „Oder hat er darumb das brod zum gespenst seins leibs gemacht, das er nicht einen rechten leib hatte, so hat er müssen das brod für uns 34 geben.“ Hier will Tertullian darauf hinaus, dass wegen des Satzes „Das ist mein Leib, der für euch gegeben ist“ das Brot geopfert sein musste, wenn es an die Stelle des Leibes getreten wäre. Weil dies aber unmöglich ist, so setzt er den Leib im Brot voraus und zeigt damit an, dass seiner Meinung nach die Einsetzungsworte den Leib Christi und das Brot so zusammenfassen, dass der Leib im Brot ist. Luther geht also davon aus, dass mit dem Satz „Das ist mein Leib, der für euch geopfert wird“, auf das gezeigt wird, was im Abendmahl dargereicht wird. Dargereicht wird, was für uns geopfert wurde, und das müsste das Brot sein, wenn nicht der Leib im Brot gereicht würde. Neben der genannten Stelle befasst sich Luther näher mit Tertullians Auslegung zu Jeremia 11,19. Es steht dabei nicht zur Debatte, dass die Übersetzung „Lasst uns das Holz in sein Brot werfen“ falsch ist, sondern was Tertullian hin-

32 WA 23,219,8ff. 33 WA 23,221,32f.: „… denn das iene so eitel ist (wie denn ein gespenst ist), kan keine gestalt fassen.“ 34 WA 23,223,25ff.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Luther

sichtlich des Abendmahls damit sagen will. Auf zwei Stellen bezieht sich Luther: Wider die Juden und Adv. Marcion lib 3. „On zweivel, ist das holtz an seinen leib geworffen, Denn so hatts Christus selbst ausgelegt, da er das brod seinen leib nennet, wilchen leib zuuor der prophet, ein 35 brod verkundigt hat etc.“ „On zweivel (spricht Tertullian) ynn sein brod, das ist an seinen leib. Denn so hats Gott auch ynn ewrem Euangelio (yhr Marcioniter) selbs ausgelegt, da er das brod seinen leib nennet, auff das man daher mercken muge, das er das brod hat zu seines leibs gestalt gemacht odder gegeben, welchen leib zuvor der prohet ynn brods ges36 talt gezeiget hat, welchs geheymnis der herr selbs hernach solle auslegen etc.“

Beide Stellen erläutert Luther dahin, dass Tertullian unter dem Holz das Kreuz und unter dem Brot den Leib Christi versteht, wobei unter dem Brot nach der Auslegung, die der Herr im Abendmahl gibt, das Abendmahlsbrot gemeint ist. Der Sinn des Jeremia-Worts ist dann der, dass das Kreuzesholz an das Abendmahlsbrot geworfen ist, d.h. dass das Abendmahlsbrot, welches Christi Leib ist, 37 gekreuzigt ist, Tertullian macht also ,aus brod und leib ein ding‘ indem er das Brot den Leib Christi nennt, der gekreuzigt ist. Anders gesagt: Tertullian hat das Brot als eine Gestalt des Leibes Christi verstanden, die Jeremia in seiner Weissa38 gung dem Leib Christi schon zugesprochen hat. Luther meint damit, dass im Sinne Tertullians die Jeremia-Weissagung erfüllt ist: das Kreuzesholz und das Brot sind aufeinander geworfen. Doch gilt das vom Brot nur insofern, als der mit ihm verbundene Leib Christi am Kreuz hing und dieser Leib um der im Abendmahl bestehenden Einheit von Brot und Leib willlen Brot genannt wird. Indem Jeremia aber nicht vom Leib, sondern vom Brot spricht, auf das das Holz geworfen wird, weissagt er, dass das Brot die Gestalt des Leibes sein wird. Noch eine letzte Tertullian-Stelle führt der Wittenberger an: „Das fleisch wird gewasschen, das die seele gereynigt werde, Das fleisch wird gesalbet, das die seele Gott geweihet werde, Das fleisch wird gezeichent, das die seele verwaret werde, Das fleisch wird durch der hende aufflegung beschattet, das die seele ym geist erleuchtet werde, Das fleisch wird gespeiset mit dem leib und blut 39 Christi, das die seele von Gott gemestet werde“.

Hier ist der entscheidende Punkt die Aussage, dass unser Fleisch mit dem Leibe und Blute Christi gespeist werde. Mit dem Blick auf die übliche Auslegungsweise der Schweizer rät Luther selbst, sie möchten Leib Christi als Brot und Blut Christi als Wasser oder Wein verstehen – aber er verlangt, was sie s.E. nicht leisten können, nämlich dass sie diese Deutung als zwingend gewiss machen! 35 36 37 38 39

WA 23,225,21ff. – Tert., adv. Iud. 10,12 (CChr.SL 2,1378). WA 23,227,4ff. – Tert., adv. Marc. III,19 (CChr.SL 1,533). WA 23,227,3. WA 23,227,18ff. WA 23,228,1ff. – Tert., ressur. 8 (CChr.SL 2,931).

Die patristische Argumentation

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1.3 Irenäus Hier gibt der Reformator zunächst das Gesamtthema an, innerhalb dessen Irenäus argumentiert. Gegenüber den Valentinianern, die die Auferstehung des Fleischs leugnen, gründet sich der Kirchenvater auf das Abendmahl, in welchem der Leib des Empfängers mit dem Leib und Blut Christi als einer ewigen Speise 40 genährt wird. Wie sollte dieser so genährte Leib nicht auch ewig leben? Näher geht der Reformator dann auf folgende Stelle ein: „Gleich wie das brod, so aus der erden kompt, wenn es überkomet das nennen von Gott, so ists nicht mehr schlecht brod sondern ein sacrament, welches stehet ynn zweyen dingen, einem yrdischen und einem hymelisschen. Also auch unser leibe, wenn sie das sacrament empfahen, sind sie schon nicht mehr verweselich, weil sie 41 die hoffnung der aufferstehung haben.“

Luther legt hier den Finger darauf, dass Irenäus das Brot, nach dem es von Gott einen neuen Namen empfangen hat, nicht mehr als einfaches Brot anspricht, sondern als ein Brot, das aus zwei Dingen besteht, einem irdischen und einem himmlischen. Das irdische Ding ist das Brot, welches von der Erde ist, das himmlische kann nichts anderes als der Leib Christi sein, der durch Gottes Nennen oder Wort da ist. Das Irdische und Himmlische sind also nicht ein Ding, sondern zwei. Nun versteht allerdings Oekolampad beide nur als ein Ding, nämlich als Brot, das insofern irdisch ist, als es aus der Erde kommt, und himmlisch, als die Danksagung darüber gesprochen ist. Aber abgesehen davon, dass dann jedes Brot, über dem die Danksagung gesprochen wird, himmlisch genannt werden könnte, so ist doch von Irenäus gesagt, dass „nach dem wort Gotts nicht mehr schlecht brod, 42 sondern neben dem yrdisschen brod auch ein hymelisch ding da“ ist. Unter dem Nennen oder Rufen, also dem Wort Gottes, versteht hier Irenäus nicht ein 43 menschliches Danken oder Segnen, sondern wie Paulus Röm 4,17 ein Rufen, das da schafft, was es sagt. Drei Dinge sind demnach im Sakrament da: Das Wort oder Nennen (vocatio Dei) Gottes und das Sakrament, das aus zwei Dingen, nämlich dem schlichten Brot und dem Leib Christi besteht. Das entscheidende Argument für Luther ist also dieses, dass der Kirchenvater nach der Konsekration nicht mehr von einem, sondern zwei Dingen spricht, die nebeneinander da sind, wobei das eine eindeutig als das irdische Brot gekennzeichnet ist und das andere als ein himmlisches Ding. Was soll das himmlische Ding anders sein als das, was im Wort Gottes über dem Brot ausgesagt ist, nämlich der himmlische Leib Christi?

40 41 42 43

WA 23,229,21ff. – Iren., haer. IV,18,4 (SC 100,606f.); vgl. S. 101. WA 23,229,31ff. – Iren., haer. IV,18,5 (SC 100,611ff.); vgl. S. 101. WA 25,231,35f. „Gott, der da lebendig macht die Toten und ruft dem, was nicht ist, dass es sei.“

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther

Der letzte Satz des angeführten Irenäus-Zitats bildet, im Zusammenhang mit 44 einigen anderen Zeugnissen, für Luther ein weiteres Argument gegen Oekolampad und seine Freunde. „ … Die alten lerer haben vom sacrament auff die weise geredt, das es dem leibe auch gebe ein unsterblich wesen, doch verborgen 45 ym glauben und hoffnunge bis an Jüngsten tag.“ Dieser Gedanke, dass das Sakrament dem Leib ein unsterbliches Wesen gibt, fordert, dass nicht nur einfaches Brot im Sakrament sei, sondern etwas Ewiges, Himmlisches, Lebengebendes. Luther legt dabei Wert darauf, dass nach Irenäus vom Leib des Empfängers gesagt wird, dass er – damit er ewiglich lebe – mit dem Leib und Blut Christi 46 gespeist werde. Es geht dabei also um ein leibliches Essen des Leibes Christi. Das Sakrament ist damit nicht ein Zeichen des abwesenden Leibes Christi, sondern der Leib Christi selbst. 1.4 Hilarius Hier verweist Luther auf die eine, schon von Oekolampad behandelte Stelle aus De Trinitate lib. 8. In seiner Übersetzung lautet sie „So das wort warhafftig ist fleisch worden und wir auch warhafftig das wort, so fleisch ist worden, zu uns nemen ynn der speise des Herrn, wie solts denn zu glauben sein, das er nicht natürlich ynn uns bleibe, der die natur unseres fleischs an sich genommen hat, da er mensch ward, die selbigen nymer mehr zuverlassen, und dazu die natur seins fleischs sampt seiner ewigen natur vermisscht hat unter dem sac47 rament de fleischs, des wir ynn gemein teilhafftig werden“.

Die für ihn entscheidenden Aussagen sind, dass wir im Herrenmahl das Wort, das Fleisch geworden ist – besser das eingefleischte Wort, verbum carnem – nehmen und Christus deshalb mit seiner Natur und Wesen, nicht aber allein geistlich, in uns ist, zum anderen, dass vom sacramentum carnis nobis communicandae, dem Sakrament des Fleischs, das unter uns „ingemein geteilt“, d.h. unter uns alle ausgeteilt wird, die Rede ist, und drittens, dass Christus die Natur seines Fleischs zusamt seiner ewigen Natur vermische. Luther meint mit der letzten Wendung, dass Christus sein Fleisch und seine Gottheit dem Sakrament beigefügt (admiscuit), unter das Sakrament „gemischt“ habe. Wenig später zitiert und übersetzt er: „Wenn wir reden wöllen, wie Christus warhafftig und natürlich ynn uns sey – lernen wirs nicht von yhm reden, so reden wirs gewis als die narren und gotlosen, Denn so spricht er: ,Mein fleisch ist ein rechte speise, vnd mein blut ein rechter tranck, Wer mein fleissch isset vnd trinckt mein blut der bleibt ynn mir und ich ynn yhm.‘ Es ist kein zweiuel gelassen, das warhafftiger leib und blut sey, weil es 44 45 46 47

WA 23,235,9ff. – Iren., haer. IV,18,5 (SC 100,611). WA 23,233,23ff. WA 23,235,11ff. WA 23,236,10ff. – Hil., trin. VIII,13 (PG 10,246); vgl. S. 108.

Die patristische Argumentation

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beyde durch des herrn eigen bekennen vnd vnsern glauben warhafftig fleisch und warhafftig blut ist, Welche so zu uns genomen und sie getruncken werden, schaf48 fen, das wir ynn Christo und Christus ynn uns sey!“

Hier kommt es darauf an, dass Christus, wie er „nach der Gottheit natürlich ist ym vater und ein ding wesentlich, Also sey Christus durch das sacrament, so wir 49 essen und trincken, natürlich und wesentlich ynn uns und wir ynn yhm“ „Natürlich“ meint dabei die wirkliche Vereinigung des Leibes Christi mit uns, nicht bloß die Geistliche oder willentliche – eine Vereinigung, die durch das leibliche Essen und Trinken hergestellt wird. Denn vom wahren Leib und Blut Christi wird gesagt: „haec accepta et hausta efficiunt in nobis etc.“, was nicht anders als 50 vom natürlichen Essen und Trinken lautet. Alle diese Aussagen des Hilarius stellt Luther einfach hin und fasst sie, wie sie direkt lauten. Seine Gegner aber fordert er auf zu beweisen, dass ihr vom Wortlaut abgehendes Verständnis, ihr „Glossieren“, „gewis und recht sey, so sein 51 müsse und nicht anders sein künde“. 1.5 Cyprian In gleicher Weise wie Hilarius führt der Reformator auch Cyprian an, der – im Brief an Papst Cornelius – davon schreibt, dass die Christen in der Verfolgung durch das Sakrament gestärkt werden müssten. Die wichtigsten Worte aus dem angeführten Zitat lauten: „ … Denn wie sollen wir sie leren odder reitzen, das sie yhr blut vergiessen über seins namens bekentnis, so wir yhn Christus blut versagen, wenn sie streiten sollen? Odder wie können wir sie geschickt machem zum kelch der marter, so wir sie nicht zuvor zulassen zu trincken ynn der gemeine den kelch des Herrn, wie sichs 52 gebürt ym sacrament.“

Cyprian redet also davon, dass den Christen das Sakrament zur Stärkung im Martyrium gereicht werden solle und sagt dürre „das sie des Herrn leib und blut 53 empfahen ynn solchem darreichen.“ Dem entspricht an anderer Stelle, was Cyprian von den Abtrünnigen sagt: Sie kommen von den Altären des Teufels zum Heiligtum des Herrn „und wöllen an den leib des herrn mit dem maul, das noch eraus stinckt von yhrer ubelthat und noch reucht von dem tödlichen geschmeis, verachten alles was S. Paulus 1. Corin. X und XI dawidder sagt, sondern thun frevel und gewalt an

48 49 50 51 52 53

WA 23,237,32ff. – PG 10,247. WA 23,238,7ff. WA 23,288,10ff. WA 23,239,22. WA 23,241,3ff. – Cyp., ep. Synod. ad Cornel. (PL 3,856; PL2 3,883). WA 23,241,10f.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther

seinem leib und blut und sundigen nu mit hand un maul schwerer widder den 54 Herrn denn da sie yhn verleuckten.“

Auch hier zeigt der Kirchenvater an, dass die Abtrünnigen den Leib des Herrn 55 „ynn den hals und maul nemen“ und freventlich mit Hand und Mund an seinem Leibe handeln. Natürlich weiß der Reformator, wie die Schweizer diese Worte auslegen werden, nämlich als Zeichen von Leib und Blut. Aber das ist eben die Grundfrage: Ob man so ändern und neu deuten darf, ohne einen Beweis zu haben. Ist‘s gestattet, dann gibt es freilich keinen Spruch, der nicht den Schwärmern dient. „Sol man aber die wort lassen gelten was sie lauten nach der sprachen art, das brod brod heisse, leib leib heisse etc. odder müsse mit gutem grund andere deutung beweisen, So ist nicht ein spruch noch buchstabe ynn aller 56 welt, der den schwermern bey stehe.“ 1.6 Zusammenfassung Luthers patristische Argumentation bewegt sich um zwei für ihn entscheidende Brennpunkte, deren erster die Begrifflichkeit ist, in der die Väter vom Abendmahl reden. Sacramentum, figura und andere Begriffe schließen nach dem Gebrauch der Väter den wahren Leib und Blut Christi im Abendmahl nicht aus, sondern ein. Ausgangspunkt für dieses Verständnis ist besonders Augustins Definition vom Sakrament, als der inivibilis gratiae forma. Der andere Brennpunkt, der den ersten zugleich bestätigt, ist die Ausdrucksweise der Väter hinsichtlich des Abendmahls. Sie sprechen in ganz hellen und klaren Worten mit eindeutigem Bezug auf die Abendmahlselemente davon, dass der Leib und das Blut Christi von den Empfängern in der Hand gehalten werden und in den Mund eingehen und unser Fleisch damit gespeist werde. Mit anderen Worten, die Väter fassen den Leib des Herrn und das Sakramentsbrot in eins. Als helle und klare Stellen treten im Beweisgang Luthers besonders hervor: 57

– – – – – –

Augustin, CIC III Dist. II c 32 58 Augustin, ep. 54: Ad Januarium c. 6 59 Augustin, en. Ps. 33 60 Tertullian, adv. Marc. IV 403 61 Tertullian, resurr. 8 62 Irenäus, haer. IV 18

54 55 56 57 58 59 60 61 62

WA 23,241,18ff. – Cyp., laps. 15 (PL 4,478f.; PL2 4,493). WA 23,241,24. WA 23,241,30ff. Vgl. S. 158. Vgl. S. 159. Vgl. S. 159. Vgl. S. 160f. Vgl. S. 162. Vgl. S. 163.

Die patristische Argumentation – – –

167

63

Hilarius, trin. 8 64 Cyprian, ep. synodica: Ad Papam Cornelium 2 65 Cyprian, laps. 15 f

Diese Stellen besagen für ihn: – dass sacramentum bei Augustin soviel wie äußere Gestalt einer gegenwärtigen unsichtbaren Gnade bedeutet (CIC III Dist. II c 32) – dass Christus im Abendmahl selbst seinen Leib in der Hand getragen habe, (Augustin, en. Ps. 33) – dass Leib und Blut Christi von den Empfängern in Hand und Mund genommen werden (Augustin, ad Jan. ep 54 cb; Cyprian ep. synodica 2; laps. 15 f) – dass Christus das Brot zu seinem Leib gemacht habe und figura nicht bloßes Zeichen, sondern äußere Gestalt heißt, (Tertullian, adv. Marc. IV; resurr. 8) – dass im Sakrament nach dem Nennen der Worte Christi zwei Dinge da sind, ein irdisches und ein himmlisches, (Irenäus, haer. IV 18) – dass im Sakrament das natürliche Fleisch Christi uns ausgeteilt und mündlich gegessen und getrunken wird, wodurch eine natürliche und wesentliche Vereinigung Christi mit uns zustande kommt (Hilarius, trin. 8). 2. Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis In dieser für lange Zeit letzten Schrift Luthers zum Sakramentsstreit steht der Väterbeweis nicht zur Debatte. Der Reformator befasst sich mit den der Schriftauslegung und damit auch der Väterauslegung zugrundeliegenden Voraussetzungen seiner Gegner sowie den Schriftstellen selbst und streift Väterzeugnisse nur ganz vereinzelt und mehr zufällig. Zweifellos ist dieser Rückgang der Väterargumentation Ausdruck dafür, dass es auf sie letztlich nicht ankommt und dass die Entscheidungen, die anderswo fallen, letztlich auch für die Väter und ihr Verständnis maßgeblich sind. So ist nur weniges hier festzuhalten: a) Der Reformator bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass seine Gegner auf die von ihm vorgebrachten Vätertexte selbst nicht geantwortet haben. Sie setzen einfach ihre Glossen den Väterworten hinzu, ohne das Verständnis aus 66 dem Text selbst zu erzwingen. Damit wiederholt er seine hermeneutische Forderung, dass der klare Text selbst das Verständnis zu geben hat und nicht eine von anderswoher vorgefasste Meinung. b) Formulierungen des Ambrosius und Gregor vom Blut Christi, nämlich „So oft es gegossen wird, für die Sünde gegossen wird, so soll ich‘s billig 67 täglich nehmen“ und 63 64 65 66 67

Vgl. S. 164f. Vgl. S. 165. Vgl. S. 165. WA 26,432,26f. WA 26,471,11f. – Ambr., sacr. IV,6 (PL 16,464).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther 68

„Das Blut Christi wird in der Gläubigen Mund gegossen“ zeigen, dass beide Väter offenkundig den Zusatz zum Kelchwort, „das für euch vergossen wird“ nicht auf das Vergießen des Blutes am Kreuz, sondern in Analogie zum Abendmahlsbrot, das für uns gebrochen wird, auf das Austeilen des Blutes Christi im Abendmahl bezogen haben. Zwar versteht die übliche Auslegung diesen Relativsatz vom Vergießen des Blutes Christi am Kreuz, doch rechnet Luther immerhin mit der Möglichkeit, dass dieser Bezug auf das Vergießen am Kreuz eine zwar nützliche, doch den Verstand des Texts nicht treffende Auffassung gewesen ist. c) Im Zusammenhang mit dem allgemeinen Nachweis, dass der Tropus Oekolampads weder in der Schrift noch auch sonst in den Sprachen zu finden ist, kommt der Reformator noch einmal auf Tertullians figura-Wort zu sprechen, mit dem Oekolampad sich selbst betrogen habe. Tertullian wolle aber keinen Tropus an dieser Stelle, sondern erkläre, wie das Brot der Leib Christi sei. Luther bezieht sich damit, wie schon früher, auf den die Worte Tertullians einleitenden Satz „fecit panem corpus suum.“ Hier wird das Entscheidende gesagt, nämlich dass das Brot der Leib Christi ist. Wie das aber der Fall ist, wird durch das „hoc est figura mei“ erläutert. Figura kann dann nichts anderes heißen als dass das Brot die Gestalt des Leibes ist. Sollte Oekolampads Auffassung gelten, so müsste Tertullian gesagt haben: Er machte das Brot zu seinem Leib, d.i. zu einer Redeweise seines Leibes. Dem steht aber entgegen, dass er hier nicht von dem Wort Brot, sondern von 69 dem natürlichen Brot selbst redet. 3. Die Vorbereitungen zum Kasseler Gespräch 1534 Nach den Aussagen im Bekenntnis vom Abendmahl Christi finden sich in Luthers Veröffentlichungen keine Stellen mehr, in denen er auf die Väter näher eingeht. Das Entscheidende war für ihn gesagt; hinzu kam, dass Melanchthon sich der Väter besonders angenommen hatte und dort, wo man sich gemeinsam 70 äußerte, sozusagen die Feder führte. Erst im Zusammenhang mit dem Kasseler Gespräch vom Dezember 1534 wurde Luther veranlasst, sich noch einmal intern zur Patristik zu äußern. Es geschah in Form einer Instruktion die Melanchthon 68 WA 26,471,14f.; gemeint ist Papst Gregor I, dial. IV,58 (PL 77,425). 69 WA 26,386,22ff. – Die schwer zu verstehende Schlussfolgerung gegenüber Oekolampad geht davon aus, dass weder in der Wirklichkeit noch nach dem Brauch der Schrift Brot selbst auf den Leib hinweist. Nur das Wort Brot kann in übertragenem Sinn vom Leib gebraucht werden. Wenn darum, wie Oekolampad will, Tertullian figura nicht im Sinn der äußeren Gestalt verwendet hat, so müsste er es im Sinn des übertragen gebrauchten Wortes gemeint haben. Das wäre aber töricht angesichts dessen, dass es hier um das Brot selbst und nicht um den übertragenen Gebrauch des Wortes Brot geht. 70 Vgl. S. 220f.

Die patristische Argumentation

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mit nach Kassel nahm, und einer Anzahl Glossen, die Luther zu einer Reihe ihm 71 von Melanchthon angegebener Väterstellen machte. Ihnen wenden wir uns zunächst zu. Melanchthon zitiert die Väter in abgekürzter, das wesentliche zusammenfassender Form; Luthers Glossen dazu bestehen meistens aus wenigen Wörtern; nicht alles ist heute noch eindeutig verständlich. Nachstehend werden der Text 72 samt seiner Intention und die Interpretation Luthers gegenübergestellt. a) Augustinus contra Adimantum cap. 12: 73

„Non enim Dominus dubitavit dicere: hoc est corpus meum cum signum daret corporis sui“.

Durch die Betonung von signum erhält der cum-Satz konzessiven Charakter. Der Herr hat keine Bedenken gehabt, „Das ist mein Leib“ zu sagen, obschon er das Zeichen seines Leibes gab. Das Zeugnis sieht also ganz danach aus, dass Augustin hier das Brotwort als bloße Redeweise, nach der das Zeichen nur den Namen des Bezeichneten erhält, einführt. Luther geht mit seiner Bemerkung zu signum auf den Zusammenhang des Augustin-Worts näher ein: „Sicut sanguis est anima, id est signum animae, scili74 cet inclusae et praesentis. Nam hoc agit et infra: Petrus erat Christus etc.“ Augustin erörtert das rechte Verständnis von Lev 17,14: „Das Blut ist die Seele alles Fleischs“. Die Manichäer hatten sich auf diese Stelle berufen, um ihre Behauptung zu beweisen, dass mit dem vergossenen Blut auch die Seele verderbe. Zugunsten dessen, dass die Seele nicht vergehe, hatte Augustin u.a. erwidert, Lev. 17,14 sei „in signo esse positum“ und gleicher Weise geredet wie „Hoc est Corpus meum“ oder auch „Petra erat Christus“. Luther will nun dazu sagen, dass in der zur Debatte stehenden Stelle signum nicht anders das Zeichen des Brots ist, als wie das Blut das Zeichen der Seele. Solange das Blut im Leibe fließt, ist es das Anzeichen dafür, dass das Leben d.h. die Seele, in ihm gegenwärtig und da ist. So ist auch das Brot im Abendmahl das Zeichen des gegenwärtigen Leibes. Dass diese Auslegung richtig ist, bestätigt sich für ihn an den Ausführungen Augustins 75 über den geistlichen mitfolgenden Felsen Christus. Für Luther ist darum das 71 WA 38,294ff. und WA.B 12,157ff. Der Inhalt und die Formulierung der ,Additio D. M. Luth.‘ (vgl. WA 38,308) stimmen mit den Glossae und der Instruktion überein. Eine Durchsicht ergibt keine neuen Gesichtspunkte. 72 Das geschieht auch im Blick auf die Ausführungen über Melanchthon S. 232ff. 73 Leider hat Otto Clemen WA 38,302ff. nicht vermerkt, ob die von ihm gesperrt gedruckten Wörter im Manuskript selbst von Melanchthon schon hervorgehoben waren. Sie sind aber derart treffend, dass dies sehr wahrscheinlich ist. – Aug., c. Adim. 12,3 (PL 42,144). 74 WA 38,302. Augustin schreibt immer „Petra“ (vgl. S. 169 Anm. 75). Wieso Luther auf Petrus kommt, ist unerfindlich. Ob es sich um einen Lesefehler handelt? 75 Vgl. PL 42,146. „Sic est enim sanguis anima, quomodo petra erat Christus, sicut dicit Apostolus: Bibebant enim de spirituali sequente petra, petra autem erat Christus. Notum est autem filios Is-

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther

„Dominus non dubitavit“ gerade darin begründet, dass er unter bzw. mit dem 76 Zeichen den gegenwärtigen Leib gab. „Cum signum daret“ wäre dann entsprechend mit „als er das Zeichen gab“ zu übersetzen. b) Augustinus Psalmo 98 „Non hoc corpus quod videtis etc. manducaturi estis et bibituri illum sanguinem, quem effusuri sunt, qui me crucifigent, sacramentum aliquod vobis commenda77 vi.“

Offenbar wird hier die Identität des Leibes, den die Jünger gesehen haben und des Blutes, das vergossen wurde, mit dem was im Abendmahl gegessen und getrunken wird aufgehoben und statt des Leibes und Blutes das Sakrament zu 78 essen und zu trinken eingeführt. Zusätzlich wird noch auf den Begriff der Empfehlung verwiesen: „Et hic verbo commendationis aliquo utitur. Commendavit nobis isto sacramento sanguinem suum et corpus.“

Das meint wohl, Christus habe uns durch das Sakrament seinen Leib und Blut anempfohlen und nicht wirklich übergeben. Melanchthon bezieht sich im letzten Satz aller Wahrscheinlichkeit nach auf Augustins Auslegung zu Psalm 34, bei der 79 schon Oekolampad das commendare besonders hervorgehoben hatte. In Übereinstimmung mit seiner Auslegung von 1527 versteht Luther die Ver80 neinung vom Leib Christi, insofern er sichtbar und betastbar ist. Sie hebt die Tatsache, dass der Leib im Sakrament verborgen, aber doch gegenwärtig ist, nicht 81 auf. Das Sakrament ist der Schleier , der den gegenwärtigen Leib verbirgt. „Commendare“ wird dementsprechend im Sinne von „anvertrauen“, „übergeben“ geradezu ein Ausdruck für die Realpräsenz. c) Prosper „Sicut ergo coelestis panis, qui Christi caro est, suo modo vocatur corpus Christi, cum revera sit sacramentum corporis Christi illius, quod visibile, palpabile est, in cru-

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77 78

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rael petra percussa bibisse aquam in eremo, de quibus loquebatur Apostolus, cum haec diceret; nec tamen ait, Petra significabat Christum, sed ait, Petra erat Christus.“ Dass unter dem Zeichen etwas anderes gegenwärtig ist, lehrt Luther auch von den anderen Beispielen, auf die die Schweizer sich beriefen. So ist der heilige Geist bei der Taube usw. Vgl. die Ausführungen über die „förmliche“ Einigkeit WA 26,442,8ff. WA 38,303,1ff. – Aug., en. Ps. 98,9 (CChr.SL 39,1386). Die beiden Augustin – Zitate sind also durchaus nicht widerspruchsvoll, wie O. Clemen, WA 38,309, sagt: „… schickte Melanchthon Luther einige patristische Stellen aus seiner Sammlung zu, die ihm teils (wie die beiden Augustinzitate am Anfang) widerspruchsvoll, teils für die symbolische Auffassung der Einsetzungsworte zu zeugen schienen.“ Vgl. S. 97. Vgl. WA 23,243,13ff. „sacramento id est velamine“ WA 38,303,25.

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ce positum est. Sic immolatio, quae sacerdotis manibus fit, passio est non rei veri82 tate sed significante mysterio.“

Auch hier soll, ähnlich wie im ersten Zitat, der Benennung des Brots als Leib Christi die Tatsache gegenübergestellt werden, dass es sich in Wirklichkeit um das Sakrament des am Kreuz befindlichen Leibes Christi handelt. Dazu kommt noch der Vergleich: Das Brot wird in der Weise Leib Christi genannt, wie das Opfer des Priesters ein Leiden Christi ist: nicht nach der Wahrheit der Sache, sondern gemäß dem deutenden Zeichen. Entsprechend dem ersten Zitat ist auch hier Luthers Auffassung demgegenüber: Das Brot wird der Leib Christi genannt, da es in Wahrheit das Sakrament, d.h. der „Deckel“ jenes Leibes Christi ist, der sichtbar am Kreuz gehangen hat. d) De Doctrina Christiana „Ipse Dominus et Apostolica tradidit disciplina baptismi Sacramentum et celebrationem corporis et sanguinis Domini. quae unusquisque cum percipit, quo referantur, imbutus agnoscit. Ut autem literam sequi et signa pro rebus his, quae signi83 ficant, accipere servilis est infirmitas.“

Taufe und Abendmahl sind also, und zwar nicht für jedermann erkennbar, auf etwas anderes als was sie selbst sind, bezogen: dass das Zeichen nicht für das Bezeichnete genommen werden darf, wie der Buchstabe lautet, bedeutet also offensichtlich, dass das Brot nicht der Leib ist, sondern auf ihn hinweist. Nach Luthers Meinung bezieht sich „quae unusquisque cum percipit“ auf Leib und Blut Christi, die auf die Liebe hinweisen. Augustin will nicht abwehren, dass der Leib Christi überhaupt im Abendmahlsbrot da sei, sondern dass das Abendmahlsbrot selbst als der sichtbare Leib Christi angesehen wird. Im übrigen 84 verweist er auf Bugenhagens Büchlein. e) De Doctrina Christiana „Nisi manducaveritis etc. facinus vel flagitium videtur jubere. Figura est ergo praecipiens passioni Dominicae esse communicandum et suaviter et utiliter recon85 dendum in memoria.“

Offensichtlich wird dieses Wort in dem Sinn angeführt, dass im Abendmahl der Leib Christi eben nicht gegessen wird, sondern nur eine Anteilnahme und Erinnerung an dem Leiden Christi stattfindet. Das Abendmahl ist figura im Sinne von Zeichen. 82 WA 38,303,8ff. Schon Otto Clemen konnte die Stelle bei Prosper nicht nachweisen. 83 WA 38,303f. – Aug., doctr. chr. III,9 (CChr.SL 32,86). 84 WA 38,304,26: „De hac re Pomerani libellus clarum textum.“ Wahrscheinlich meint Luther die Publica de Sacramento Corporis et Sanguinis Christi Confessio 1528. Vgl. G. Geisenhof, Bibliotheca Bugenhagiana I, Bibliographie der Druckschriften des Dr. J. Bugenhagen, 1908. 85 WA 38,304,4ff. – Aug., doctr. chr. III,16 (CChr.SL 32,91f).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther

Im Sinne Luthers wehrt Augustin hier aber nur das kapernaitische Essen ab. Im Übrigen bezieht er die übertragene Redeweise, die Figura, in den Worten des Herrn nicht auf das Abendmahl, sondern – entsprechend seinem sonstigen Verständnis von Joh. 6 – auf den Glauben und die Liebe der Kirche zu Christus. f) Contra Adversarium legis „Sacramenta, id est sacra signa, Christum carnem suam nobis dantem fideli corde et ore suscipimus. Atque in omnibus scripturis secundum fidei regulam figurate dictum vel factum si quid exponitur de quibuslibet rebus et verbis non aspernanter 86 sed sapienter audiamus.“

Dieses Zitat soll besagen, dass die Abendmahlsworte figurate, d.h. im übertragenen Sinn zu verstehen sind, wie viele andere Geschehnisse und Worte in der Schrift auch. Luther dagegen lässt den ersten Teil der Aussage stehen und bezieht den zweiten, dem wie im vorigen Zitat Joh. 6,53 f zu Grunde liegt, auf die Liebe zu Christus. g) Augustinus contra Faustum „Huius sacrificii caro et sanguis ante adventum Christi per victimas similitudinum promittebatur. In passione Christi per ipsam veritatem reddebatur. Post ascensum 87 Christi per sacramentum memoriae celebratur.“

Hier wird die Wahrheit des Leibes Christi im Leiden den gleichnishaften Opfern des alten Bundes und dem Sakrament der Erinnerung nach der Auffahrt Christi gegenübergestellt. Luther betont demgegenüber, dass Augustin hier trotzdem vom „Fleisch und Blut“ redet und fasst sacramentum im Sinne von „sub signo“. h) Ad Bonifacium „Nonne semel immolatus est Christus in seipso? et tamen in sacramento quotidie immolatur. Sunt enim Sacramenta similitudines quaedam, secundum quendammo88 dum Sacramentum corporis Christi corpus Christi est.“

Hier wird die Frage, wie es möglich ist, dass Christus, der doch einmal geopfert wurde, täglich im Sakrament geopfert wird, mit dem Hinweis beantwortet, dass das Sakrament des Leibes Christi gleichnishaft der Leib Christi ist. Dem entspricht dann auch das tägliche Opfer. Luther lässt dagegen die Aussage, dass Christus täglich im Sakrament geopfert wird, für das Nachfolgende bestimmend sein. Darnach sind die Sakramente zwar Gleichnisse, aber nur insofern, als Brot und Wein ihrem Wesen nach nicht einfach mit dem Leib und Blut Christi identisch sind. Andererseits sind sie jedoch 86 WA 38,304,7ff. – Aug., c. adv. leg. II,34 (PL 42,658). 87 WA 38,304,12ff. – Aug. c. Faust. 20,21 (PL 42,385). 88 WA 38,304,16ff. – PL 33,363.

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der Leib und das Blut Christi insofern, als sie im Abendmahl mit dem Leib und Blut Christi zu einerlei Wesen verbunden sind. Damit ist es wirklich ebendersel89 be Christus, der täglich geopfert wird. i) Augustinus de fide ad Petrum „Tempore veteris Testamenti animalia sacrificabantur. Tempore novi Testamenti 90 sacrificium panis et vini in illis figuratio fuit carnis Christi quam erat oblaturus. 91 In hoc autem actio et commemoratio carnis Christi est.“

Hiernach sind die alttestamentlichen Opfer Hinweis auf das in Zukunft darzubringende Opfer des Leibes Christi; das neutestamentliche Opfer von Brot und Wein aber ist Danksagung und Erinnerung an das Fleisch Christi. Luthers Auffassung dieser Stelle ist nicht eindeutig zu erkennen. Er bemerkt zu „sacrificium“: Ista est omnium durissima, und zwar offensichtlich deshalb, 92 weil damit das Abendmahl als Opfer angesehen wird. Bei dieser Auffassung erschließen sich auch die anderen Bemerkungen zur Stelle am leichtesten. Es handelt sich nicht einfach um ein Opfer von Brot und Wein sondern des „himmlischen Brots und Weins“, wie bei den Tieren. Unter dem „himmlischen Brot und Wein“ versteht Luther offenbar Leib und Blut Christi, die im Neuen Testament entsprechend den alttestamentlichen Tieropfern geopfert werden. Dazu stimmt dann auch die Bemerkung, dass im Abendmahl eine Erinnerung des gegenwärtigen Leibes Christi statthat, da sonst ja die alttestamentlichen Opfer besser gewesen wären als das unsere. j) In Johannem „Hunc panem Christum significavit manna, hunc panem significavit altare Dei. Sacramenta illa fuerunt, in signis diversa sunt, sed in re, quae significatur, paria sunt. Qui non manet in Christo, procul dubio nec manducat eius carnem, etiamsi tantae rei sacramentum sibi manducat. Hic est ergo panis, qui de coelo descendit, 89 Luthers Bemerkung zu quendam modum lautet: „praedicantem identiam cogitat“, WA 38,304,35; zu Sacramentum: „id est panis est species“. Erstere Bemerkung ist ziemlich dunkel, zumal das Wort identia in keinem der gebräuchlichen Wörterbücher zu finden ist. Praedieantem dürfte Attribut zu modum sein, sodass der Sinn dieser Bemerkung wohl folgender ist: „Er denkt an den gewissen modus, der die Identität aussagt.“ D.h. er denkt an den modus locutionis, der zwei Dinge als identisch aussagt, weil sie miteinander gegeben sind, obgleich sie nicht identisch sind. Luther hätte damit den quendam modum im Sinn der von ihm vertretenen Synekdoche interpretiert, vgl. WA 26,444,1ff. Brot und Wein sind danach insofern similitudines, als sie nicht einfach im Sinn der praedicatio identica Zwinglis mit Leib und Blut Christi identisch sind, sondern zu einem – sakramentlichen – Wesen verbunden sind. Brot und Wein sind sozusagen die mit dem Leib und Blut Christi gefüllten similitudines – wobei das „gefüllt“ keineswegs räumlich verstanden werden darf. 90 Hier muss ein Punkt gesetzt werden. 91 WA 38,304,21ff.; vgl. S. 39 Anm. 88. 92 Dass die Väter so gelehrt haben, gesteht Luther auch im Marburger Kolloquium hinsichtlich des Fulgentius zu. Vgl. WA 30 III,140, nach dem Bericht des Anonymus.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther

ut, si quis manducaverit ex ipso, non moriatur. Sed qui pertinet ad virtutem sac93 ramenti, non qui pertinet ad visibile sacramentum.“

Hiernach sind sowohl das Manna, als der alttestamentliche Altar verschiedene Sakramente, die aber alle auf das gleiche, nämlich den Christus als das Lebensbrot hindeuten. Von ihm gilt: Wer nicht in Christus bleibt, isst sein Fleisch nicht, auch wenn er das Sakrament genießt. Damit gibt es, auch im Sakrament, kein anderes Essen des Fleischs Christi, als das durch den Glauben. Luther aber versteht unter dem Fleisch, das nicht isst, wer nicht in Christus bleibt, die caro mystica, d.h. die Gemeinschaft der Gläubigen als den lebendigen Christusleib. Sie ist die virtus sacramenti, und wer von ihr als dem Lebensbrot isst, der stirbt nicht. Es ist also ausdrücklich von diesem Lebensbrot, das die virtus sacramenti meint, die Rede und nicht von dem sichtbaren Sakrament als der species des gegenwärtigen Leibes Christi. k) Augustin „Quo die voluit, in coelum ascendit, illuc levavit corpus suum, und e venturus est, ut judicet. – Quomodo est ergo panis corpus eius? Ista, fratres, ideo ducuntur sacramenta, quia in eis aliud videtur, aliud intelligetur quod videtur, speciem habet corporalem, quod intelligitur, fructum habet spiritualem. Corpus ergo Christi si vis intelligere, Apostolum audi dicentem: Vos estis corpus Christi et membra, ergo vos estis 94 corpus Christi et membra mysterium vestrum in mensa positum.“

Offensichtlich soll die Himmelfahrt Christi hier die Frage beantworten, wie das Brot der Leib Christi ist. Die Antwort, die unterscheidet, was man sieht und was man erkennt, nennt als letzteres nur die geistliche Frucht, dass die Christen der Leib Christi sind. Das Brot ist demnach insofern der Leib Christi, als es die Gemeinschaft der Christen als den Leib Christi erkennen lässt. Luther stimmt allem, was Augustin sagt, zu, allerdings in dem Sinn, dass dadurch die anderen Aussagen vom Sakrament nicht aufgehoben sind. Der Hinweis auf die Himmelfahrt bestimmt demnach nicht das Verständnis der Sakramente. l) Ambrosius ad Corinthios „Quia enim morte Domini liberati sumus, huius rei memores in edendo et potan95 do carnem et sanguinem, quae pro nobis oblata sunt, significamus.“

Der Punktation nach ist der Satz so zu verstehen, dass Fleisch und Blut Christi durch das Essen und Trinken bedeutet werden. Luther dagegen stellt „quae pro nobis oblata sunt“ als Objektsatz zu significamus, das er im Sinne von „wir 93 WA 38,305,3ff.; hier sind verschiedene Stellen zusammengezogen: Aug., Io. ev. tr. 26,12 (CChr.SL 36,265) bis „paria sunt“. Der nächste Satz stammt aus Tract. 26,18 (CChr.SL 36,268). Die folgenden Sätze finden sich wieder Tract. 26,12 am Schluss. 94 WA 38,305,11ff. – Aug., s. 272 (PL 38,1246). 95 WA 38,305,20ff. – PL 17,256.

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zeigen an“ versteht, und ordnet Fleisch und Blut als Objekt zum Essen und Trinken. m) Ambrosius „Testamentum, quod sanguine constitutum est, in cuius typum nos calicem mysti96 cum percipimus.“

Testamentum ist hier offensichtlich auf den neuen Bund bezogen, der durch das Blut des Herrn begründet ist. Als Zeichen dieses Blutes empfangen wir den mystischen Kelch. Luther bezieht „Testamentum, quod sanguine constitutum est“, auf den durch Tierblut begründeten alten Bund; in Entsprechung zu diesem Blut empfangen wir nun den mystischen Kelch, d.h. das Blut Christi. n) Ambrosius „Ante benedictionem alia species nominatur, post benedictionem corpus significa97 tur.“

Diese Formulierung, dass das Brot nach der Segnung der Leib Christi genannt werde, wehrt Luther in dem Sinn ab, als ob es sich nur um eine Bezeichnung handele. An sich sei es der Leib Christi, der uns gegenüber nun auch als solcher genannt und bekannt werde. o) Tertullianus lib 3 contra Marcionem ubi non legitur de figura Geometrica sed alio loco „Sic enim Deus in Euangelio quoque vestro revelavit panem corpus suum appellans ut et hinc iam intelligas corporis sui figuram panem dedisse cuius retro corpus 98 in panem propheta figuravit“.

Wie Melanchthon schon anmerkt, sei hier nicht von figura als figura geometrica, d.h. äußere Gestalt die Rede, sondern von figura als Zeichen. Luther dagegen beharrt darauf, dass hier von figura im Sinne der äußeren Gestalt die Rede sei und der Prophet dies vorausgesagt habe. p) Irenaeus lib 4 contra Valent „Sed et suis discipulis dans consilium primitias Deo offerre ex suis creaturis, non quasi indigenti, sed ne ipsi ingrata essent, cum qui (!) creatura panis est, accepit dicens: Hoc est corpus meum, Et calicem similiter, qui ex ea creatura, quae est secundum nos suum sanguinem confessus est et novi testamenti novam docuit obla96 WA 38,306,3f. – PL 17,256. 97 WA 38,306,5f. – Amb., myst. IX,54 (PL 16,424). 98 WA 38,306,7ff. – Tert., adv. Marc. lb. III,19,4 (CChr.SL 1,533).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Luther

tionem quam Ecclesia offert Deo qui alimenta nobis praestat primitias suorum 99 munerum“.

Hier vergleicht der Text das Abendmahl mit den Erstlingsgaben des Alten Testaments und versteht so unter der Abendmahlsgabe die der Schöpfung entstammenden Elemente, über denen der Name des Leibes und Blutes nur genannt wird. Luther aber besteht darauf, dass es doch ausdrücklich heiße, es sei der Kelch das Blut Christi; deshalb sei er es auch wirklich. q) Origenes in Matthaeum et Leviticum „Panis est verbum Iustitiae quem manducantes animae nutriuntur. Petrus autem est verbum agnitionis Christi. Caro eius verus est cibus id est verbum. Agnoscite quod figurae sint quod et in novo testamento sit litera occidens. Hic in Levitico di100 serte de figura admonet“.

Diese Stellen sollen offenbar zeigen, dass panis, petrus, caro nichts anderes sind als übertragene Ausdrücke für das Wort. Luther lehnt diese Ausführungen als zu sehr allegorisch ab und bestreitet überhaupt die Zuverlässigkeit des Origenes. r) In veteri Canone graeco „Προτιθέντες ταῦτα τὰ ἀντίτυπα τοῦ σώματος καὶ αἵματος.“

101

Antitypon wird also offensichtlich nur als Zeichen verstanden. Luther fasst es als Gestalt, unter der der Leib Christi da ist. s) Epiphanius „ἐν ταῦθα [sic!] δὲ ἐν χριστῷ ἰσχυροποιούμεθα διὰ τῆς δυνάμεως τοῦ ἄρτου καὶ τῆς τοῦ ὕδατος ἴσχυος ἵνα οὐκ ἄρτος ἡ δὲ δύναμις ἐν αὐτῷ εἰς ζωογόνησιν τῆς 102 πίστεως καὶ εὐεργείας καὶ ἐλπίδος.“

Hier werden Brot und Kraft des Brots, Wasser und Kraft des Wassers unterschieden. Was stärkt, belebt und reinigt, ist die Kraft des Brots bzw. Wassers; die Speise aber, die gegessen wird, ist das Brot. Luther geht auf dieses Zitat überhaupt nicht ein.

99 WA 38,306,12ff. – Iren., haer. IV,17,5 (SC 100,591f.). 100 Die ersten beiden Sätze stammen aus der Matthäusauslegung ed. Lommatzsch IV,420f. Oekolampad zitiert in der Genuina Expositio e8b statt: „Petrus autem esto …“ „Potus autem est …“ Der andere Teil ist eine Zusammenfassung zu Orig., hom. in Lev. 7; vgl. S. 42 Anm. 99. 101 Aus der Basiliusliturgie, F.E. Brightman, Liturgies Eastern and Western I, S. 329,24. Es ist denkbar, dass Melanchthon die 1526 in Rom erschienene Ausgabe eingesehen hat. Vgl. Brightman S. LXXXIII. 102 WA 38,307,3ff. – Epiph., haer. III Tom. II,16 – exp. fid. (PG 42,812).

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Aufs Ganze gesehen scheint sich der Reformator bei der Beantwortung des 103 Zettels nur mit der ersten Stelle intensiver befasst zu haben. Der dort von ihm als Zeichen einer gegenwärtigen Sache verstandene Begriff des signum beherrscht die Glossen zu allen anderen Vätersprüchen. So werden sacramentum, signum, antitypon durchweg als species, d.i. Gestalt oder als „Schleier“, „Deckel“ des gegenwärtigen Leibes und Blutes Christi verstanden. Figura ist bei Tertullian, entsprechend den früheren Äußerungen Luthers, more geometrico gesagt. Die Worte Hoc est corpus meum sind nicht eine bloße Redeweise, sondern bringen die Wirklichkeit des im Brot gegenwärtigen Leibes Christi zum Ausdruck. Dementsprechend werden die Begriffe Leib und Blut in den Väterstellen nicht nur signifikativ, sondern auch ontologisch gefasst. Augustins Regel, nach der man nicht Zeichen und Bezeichnetes verwechseln dürfe, wird entweder auf die Unterscheidung des Brots vom Leibe oder die des sichtbaren, betastbaren Leibes vom unsichtbar gegenwärtigen Leibe Christi bezogen. Alle Wendungen, die davon reden, dass das Sakrament in einem gewissen Sinne der Leib Christi ist, werden im Sinne der ersteren Unterscheidung verstanden. Die letztere wird unter Abwehr des kapernaitischen Essens dort geltend gemacht, wo Augustin das Essen des sichtbaren Leibes Christi verneint. Die Wendungen, die von einem Bedeuten des Sakraments reden, werden besonders im Zusammenhang mit Johannes 6 entweder auf die Liebe oder – was damit gleichbedeutend ist – auf das gläubige Essen, d. h. das Essen innerhalb der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen und damit des Leibes Christi, bezogen. Von den angeführten Väterstellen weist er die des Origenes zurück, da er zu sehr allegorisiere; auf Epiphanius geht er überhaupt nicht ein. Diese in den Glossen zutage tretende Auslegungsweise entspricht völlig den Äußerungen Luthers zum Verständnis Augustins, wie sie in der für das Kasseler Gespräch mitgegebenen Instruktion vorliegen: Aus Augustins Büchern kann klar gezeigt und bewiesen werden, dass der Kirchenvater entweder von dem Zeichen des gegenwärtigen Leibes redet, wie an der Adamantus-Stelle, oder vom Zeichen des mystischen Leibes, d.i. der Kirche Christi, wie es besonders in der Auslegung zu Johannes geschieht, wo der Ausdruck „das Fleisch Christi essen“ so viel heißt 104 wie in der Gemeinschaft, Einigkeit und Liebe der Kirche sein. Ein einziger Spruch, „der stärkste wider uns“, wird besonders herausgehoben: „Ihr werdet

103 Das geht aus der Bezugnahme auf die im weiteren Kontext dieser Stelle stehenden Ausführungen über den Felsen Christus hervor. Vgl. S. 169 Anm. 75. 104 WA 38,298: „Dicta S. Augustini de Signo, quae contraria nostrae sententiae videntur, non sunt firma satis contra ista iam tria dicta, Maxime cum ex Augustini scriptis clare possit ostendi et convinci Eum loqui de signo praesentis corporis, ut illud contra Adimantum: Non dubitavit dominus appellare Corpus suum, cum daret signum corporis sui, Vel de signo corporis mystici, In quo valde multus est, praesertim in Iohanne, Ubi copiose docet Manducare carnem Christi esse in corpore mystico seu, ut ipse docet, in societate, unitate, Charitate Ecclesiae. Istis enim verbis utitur.“

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Martin Luther 105

den Leib nicht essen, den ihr sehet.“ Aber auch dieser Spruch lässt sich so verstehen, dass er nicht wider die klaren Worte Christi streitet, wenn man ihn auf den sichtbaren Leib bezieht, um damit das kapernaitische Essen abzuwehren. Im Übrigen sieht Luther Augustin allgemein in einer doppelten Frontstellung, aus der heraus sich die problematischen Formulierungen erklären: Einmal muss er gegenüber Heiden und Juden lehren, dass der Leib Christi nicht sichtbar oder leiblich gegessen wird, wie sonst Fleisch gegessen wird; zum andern muss er gegenüber den falschen Christen betonen, dass man das Sakrament vergeblich esse, wenn es nicht geistlich, in der Kirche eingeleibt, gegessen wird. So erklären sich aus dem Gegenüber einerseits zum kapernaitischen Verständnis und andererseits zum glaubenslosen Genuss Augustins Formulierungen, die von der Voraussetzung der Gegenwart des wahren Leibes und Blutes Christi in den Zeichen ausgehen. Luthers abschließende Meinung ist demnach die, dass es nur wenige Sprüche sind, die anders als im Sinn der Realpräsenz zu lauten scheinen. Diese wenigen Sprüche lassen sich, wenn man den üblichen Gebrauch des Worts sacramentum und die Frontstellung bedenkt, in der sie gesagt sind, durchaus im Sinn der Realpräsenz verstehen. Sie sind darum nicht eindeutig und klar genug, um auf sie eine abweichende Meinung der Väter zu gründen – zumal viele andere Vätersprüche ganz hell und klar auf die wahre Gegenwart des Leibes und Blutes Christi lauten und nicht mit gutem Grund und Gewissen anders gedeutet werden können. Es zeigt sich also, dass Luthers Väterinterpretation des Jahres 1534 die gleiche ist wie 1527. 4. Die Wittenberger Konkordie Die nächste bedeutende Erwähnung der Väter findet sich erst wieder im Text der 106 Wittenberger Konkordie. Wie die Verhandlungsberichte zeigen, haben die 107 Väter bei den Besprechungen offenbar keine Rolle gespielt. Immerhin beginnt Melanchthon aber die Zusammenfassung des Ergebnisses mit den Worten des Irenäus, dass die Eucharistie aus zwei Sachen, einer himmlischen und einer irdischen bestehe: „Sie bekennen lauts der wort Irenej, das in diesem Sacrament zwey ding sind, eines himlisch vnd eins irdisch, Demnach halten vnd leren sie, das mit dem brot vnd wein, warhafftig vnd wesentlich zu gegen sei, vnd darge-

105 Vgl. S. 170. 106 Obwohl der Text dieser Lehrerklärung der Oberdeutschen von Melanchthon stammt, wird sie doch an dieser Stelle aufgenommen, da Melanchthon im Auftrag der Versammelten gehandelt hat und für das Zustandekommen der Konkordie Luthers Verständnis dieses Textes entscheidend gewesen ist. 107 Vgl. den Bericht des Myconius W2 17,2090ff. und der Oberdeutschen ARG 36 S. 68ff. Dazu Hans Graß, Die Abendmahlslehre bei Luther und Calvin, S. 148 Anm. 153.

Die patristische Argumentation

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reicht vnd empfangen werde, der leib vnd das blut Christi.“ Damit wird der Zusammenhang mit der alten Kirche hergestellt und zugleich alles Nachfolgende auf diese Grundaussage bezogen. Dass unter der res coelestis Leib und Blut Christi verstanden werden, geht aus dem nachfolgenden Satz hervor. Worauf Luther die res coelestis in dem Irenäus-Wort bezogen hat, ist nach seinem bisher 109 aufgezeigten Irenaeus-Verständnis eindeutig, ebenso aus seinem Gesamtver110 ständnis der Wittenberger Konkordie: auf das eucharistische Brot, das im Akt des Darreichens und Essens aus einer irdischen und einem Himmlischen res 111 besteht, eben dem Brot und dem Leib des Herrn. 5. Zusammenfassung Es hat sich gezeigt, dass in Luthers Väterauffassung seit der ausführlichen Auseinandersetzung in „Dass diese Worte …“ kein Argument, das einen neuen Gesichtspunkt eingebracht hatte, aufgetreten ist. Die Väterauslegung ist sich gleich geblieben, bis hin zur Auffassung besonders umstrittener Stellen, wie z. B. des figura-Worts Tertullians. Auch die Begegnung mit den Stellen Augustins, „quae 112 contraria nostrae sententiae videntur“ ändert daran nichts. Es kann darum auf 113 die schon vorgetragene Zusammenfassung zurückgegriffen werden, zu der lediglich die beiden Stellen 114

Ambrosius, sacr. IV,6 115 Gregor I, dial. IV,58

nachzutragen sind. 108 Bizer, Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreites S. 118. Der lateinische Text findet sich CR 3,75f. 109 Vgl. S. 163f. 110 Luther verstand die Konkordie als Beitritt der Oberdeutschen zu der von ihm vertretenen Abendmahlslehre. Dies zeigen seine Hinweise besonders auf die Apologie, mit der er etwaige Unklarheiten gedeckt sah und die er auch gegen etwaige Abweichungen einzusetzen gedachte. Vgl. WA.B 7,423,26ff.: „Aber so weit haben sie sich schon begeben, das sie wollen vnser Confessio vnd Apologia trewlich halten vnd leren… Ich acht, Es sey yhr rechter ernst. Wo nicht, sind sie leichtlich mit der angenomen Apologia zu straffen.“ WA.B 7,461,15ff.: „At ipsi tarn sancte et graviter omnia acceperunt, etiam nostram Apologiam, ut eos respuere non licuerit. Dixi etiam: si vos secus egeritis, ipsam Apologiam opponemus vobis.“ – Für das Verständnis der Wittenberger ist auch das wenig beachtete Diktat Bugenhagens wichtig, in dem er den Begriff der indigni noch einmal ausdrücklich im Sinne der „impii et increduli inter Corinthios, qui fratres, id est christiani esse volebant, et digni erant excommunicatione“ erläutert. Vgl. Ernst Bizer, Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreitss im 16. Jahrhundert, 1962, S. 115, Anm. 6. 111 So formuliert es Luther in der Instruktion an Melanchthon WA 38,298. 112 Vgl. S. 166. 113 Vgl. S. 167. 114 Vgl. S. 167. 115 Die Frage, in welchem Sinne Buzer und die Seinen dieses Irenäus – Wort verstanden haben, sprengt den Rahmen dieser Arbeit.

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6. Zur Methodik der Väterauslegung Luthers Die Beobachtungen zur Methodik der Väterauslegung Luthers lassen sich wie folgt zusammenfassen: a) Mit dem Nachweis, dass die Väter bestimmte Begriffe wie signum u.a. gebrauchen, ist noch nichts erstritten. Luther will vielmehr nachgewiesen haben, wie die Väter selbst diese Begriffe verstehen. Dazu muss man ihre eigenen Definitionen dieser Begriffe ansehen. Eine Evidenz der Begriffe aus sich selbst heraus gibt es also für ihn nicht, wohl aber dies, dass sich der aus den Definitionen der Väter erkannte Sprachgebrauch gut in den allgemeinen einfügen kann. b) Die hellen und klaren Stellen sind der Ausgangspunkt für das Verständnis der Väter. Das gilt nicht nur für die Textabschnitte, sondern auch innerhalb der Sätze selbst ist von dem was klar ist, auszugehen. Dabei bestätigen sich die verschiedenen klaren Stellen untereinander. Was jeweils klare Stelle ist und woran man sie erkennt, darüber findet sich keine Erörterung; der Umgang mit den Texten zeigt, dass solche Stellen angeführt werden, die von der Sache, um die es geht, handeln und eindeutig als aus sich heraus verstehbar angesehen werden. Zur Erklärung dunkler Stellen wird besonders sorgfältig das Gegenüber, im Blick auf das der Text geschrieben ist, und der Zusammenhang der jeweiligen Argumentation beachtet, im übrigen aber das aus den klaren Stellen Erkannte konsequent durchgehalten. c) Das auffälligste methodische Moment Luthers, das schon aus seiner Schriftauslegung bekannt ist, ist der Rückzug auf den Wortlaut. Was der Wortlaut sagt, das gilt aus sich selbst heraus. Wer die Väterworte anders, als sie lauten, auffasst, bei dem liegt das onus probandi – wobei nicht nur die Möglichkeit, sie anders zu verstehen, bewiesen werden muss, sondern die Notwendigkeit. Die hermeneutische Bedeutung des onus probandi liegt also darin, dass der Text dem Wortlaut nach solange gelten muss, bis der, der davon abweicht, schlüssig eine andere Bedeutung erwiesen hat. d) Im Vollzug der Väterargumentation hebt Luther Voraussetzungen des Väterverständnisses ins Bewusstsein und nimmt zu ihnen Stellung. Zu diesen Voraussetzungen gehört bei den Schweizern z.B. die mangelnde Unterscheidung des Fleischs Christi vom gewöhnlichen Fleisch. Diese mangelnde Unterscheidung hindert sie, gewisse Texte im Sinne der Väter zu verstehen, die diese Unterscheidung vollzogen haben. Stattdessen beziehen sie die Texte auf ihre eigenen Voraussetzungen. Dem entspricht, dass sie den Texten, die ihrer Meinung entgegenzukommen scheinen, leicht besonderes Gewicht verleihen. Luthers Heilmittel gegen diese Gefahr ist der ständige Rückbezug auf den Wortlaut der klaren Stellen. e) Im Blick auf die einzelnen methodischen Mittel lassen sich bei Luther ähnliche Einzelheiten finden, wie bei den schon angeführten schweizerischen Reformatoren: Der Hinweis auf die Sollgestalt, die der Text bei einer bestimm-

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ten Aussage haben müsste; die Interpretation eines Väterbegriffs im Sinne der Schrift; die Erklärung einer ganzen Aussage von einem kleinen als wesentlich erkannten Satzteil her, die Beachtung der allgemeinen Frontstellung, in der eine Aussage gemacht ist. f) Schließlich ist noch auf ein gewisses quantitatives Moment hinzuweisen, dass das Gesamturteil über die Meinung der Väter bestimmt. Es sind nur wenige Stellen, die in eine andere als die von Luther vertretene Richtung weisen; sie lassen sich zudem noch in einer Weise verstehen, dass sie den übrigen klaren Stellen nicht zuwider sind. Diese wenigen Stellen aber können nicht Anlass sein, von der Meinung der überragenden Mehrzahl der anderen patristischen Äußerungen abzutreten.

Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon I. Die Bedeutung des patristischen Arguments innerhalb der Abendmahlskontroverse Die im Zusammenhang mit der patristischen Argumentation Melanchthons im Abendmahlsstreit anzutreffenden Äußerungen über die Bedeutung der Väter werden im Folgenden nach zwei Seiten hin dargestellt. 1. Der Konsensus der Väter Schon die ersten Äußerungen Melanchthons zur Vätermeinung setzen voraus, 1 dass die Väter eine Einheit sind. „Veteres constanter in hac sententia sunt“, „Ve2 teres scriptores ecclesiastici senserunt“ – diese und ähnliche die Vätermeinung 3 zusammenfassende Formulierungen finden sich immer wieder. Ihnen entspricht, dass dann auch diese Meinung, eben der consensus ecclesiae, in kurzen Sätzen wiedergegeben wird. Nun ist sich Melanchthon aber schon bei seinem ersten Hinweis auf die Väter im Abendmahlsstreit dessen bewusst, dass es Äußerungen gibt, die in einem anderen Sinne als die von ihm zusammengefasste Vätermeinung verwendet werden. „Verum multi ex illis excerpunt id, quod commodum est, caetera dissimu4 lant.“ Das bedeutet zumindest eine gewisse Unklarheit etlicher Väteraussagen, denen aber andere, die man nicht umgehen kann, gegenüber stehen. Im gleichen Sinn, nur ausführlicher, äußert sich Melanchthon an Oekolampad unter dem 8.4.1529 über die Väter: „Du sammelst gewisse Vätermeinungen, die dir zu dienen scheinen … Ich erkenne in den Stellen, die aus den Vätern zitiert werden, eine gewisse Ungleichheit; man wird aber, wenn man die Worte der gewichtigsten Autoren verständig auswählt, finden, dass die meisten von ihnen die von uns vertretene Meinung als allgemeine Meinung der alten Kirche, soweit sie uns 5 bekannt ist, ausweisen.“ Oekolampad interpretiert als beredter Mensch gewisse 1 2 3

4 5

Clemen, Suppl. Melanchthoniana VI,1 S. 277, am 23.01.1525 an Thomas Blaurer. CR 1,810. Vgl. z. B. CR 1,901: „nolo ego ab ipso ecclesiae consensu dissentire“; Clemen, Suppl. VI,1 S. 404: „Ego veteres aliud non sensisse puto …, Ego autem arbitror totius ecclesiae sententiam tum fuisse …“ Clemen, Suppl. VI,1 S. 278. CR 1,1049f.: „Colligis etiam quasdam veterum sententias, quae pro te videntur facere … In iis locis, qui citantur ex veteribus, agnosco quandam esse dissimilitudinem; sed tamen ex his, si quis prudenter eligit gravissimorum auctorum dicta, inveniet pleraque, quae ostendunt, hanc, quam nos sequimur, veteris ecclesiae, quatenus nobis nota est, communem fuisse sententiam.“ – ex his bezieht sich auf die dicta gravissimorum auctorum.

Die Bedeutung des patristischen Arguments innerhalb der Abendmahlskontroverse

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Väterstellen allzu gewandt und dreht sie auf seinen Sinn. Angesichts dessen, dass 7 die Väteraussagen nicht alle gleicher Meinung zu sein scheinen, kommt es demnach auf die gewichtigsten Schriftsteller und die sachgemäße Auswahl der Väteraussagen an. Wie Melanchthon beides, nämlich einerseits den Konsensus der Väter und andererseits die Notwendigkeit, diesen Konsensus nicht unkritisch erst aus den Väterzeugnissen herauszuarbeiten, mit einander verbindet, ist näher aus dem an Myconius gerichteten Widmungsschreiben zu den Sententiae Veterum zu erkennen. Dort finden sich die methodischen Erläuterungen, die der Feststellung und dem Aufweis des Konsensus dienen. a) Melanchthon sendet dem Freund „locos veterum scriptorum …, qui testan8 tur, illos idem sensisse, quod nos sentimus.“ In dem dazu ausgeführten Begründungszusammenhang wird ersichtlich, dass es sich nicht um irgendwelche alte Schriftsteller der Kirche handelt, sondern um solche, deren Schriften anerkannt werden. Der Reformator glaubt nämlich, dass diese geschrieben 9 haben, was allgemein Meinung der Kirche war. Sie sind sozusagen die Expo10 nenten, in denen sich die Überzeugung der Kirche ausspricht. Im Einzelnen handelt es sich um Cyrill, Chrysostomos, Vulgarius, Hilarius, Cyprian oder ein anderer, ihm gleichaltriger Autor, Irenäus und Augustin, dem eine längere Interpretation gewidmet ist. b) Im Unterschied zu anderen, die eine große Zahl von Zeugnissen beibringen, in denen das meiste mehrdeutig und dunkel ist, beschränkt sich Melanchthon 11 auf die Aussagen, die so klar wie nur möglich sind. Eine Reihe von Kirchenvätern kommt damit für eine Argumentation nicht in Frage: Aus Origenes, der nach seiner Art mit Allegorien spielt, kann nichts Gewisses ersehen werden; bei Hieronymus finden sich Stellen, die zwar Melanchthons Meinung nicht eben sehr befestigen, aber auch den Gegnern keineswegs beistehen. Unter den Äußerungen des Gregor von Nazianz konnte keine genügend klare Stelle gefunden werden. Und was Basilius den Großen betrifft, so zitiert Gratian ein Zeugnis, das der Meinung der Wittenberger gewiss nicht entgegensteht. Er zitiert auch aus Augustin ein Zitat, das er freilich unpassend aufs Abendmahl bezieht. Zwei Stellen bleiben schließlich übrig, die die Gegner 6

CR 1,1050: „… tu quidem homo disertus quosdam locos nimis callide interpretaris et ad tuam causam detorques.“ 7 Melanchthon sieht darin die „Samenkörner“ der Abendmahlsauseinandersetzung; CR 1,1050: „Video, quae semina harum disputationum sparsa sint in veterum libris.“ 8 CR 2,29. 9 CR 2,29f.: „… ita et veteres, quorum scripta probantur, censeo consulandos esse … Existimo enim, hoc communiter sensisse Ecclesiam, quod isti scripserunt.“ 10 Zu diesen Exponenten zählt Melanchthon auch Johannes Damaszenus, der – obwohl er kein sehr alter Schriftsteller gewesen zu sein scheint – geschrieben hat, „quod diu iam senserat publice Graeca Ecclesia.“ CR 2,30. 11 CR 2,30: „Nos tantum ea recitavimus, quae videbantur esse quam maxime perspicua.“

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

zur Befestigung ihrer Überzeugung aus den alten Schriftstellern hervorgezogen haben. Angesichts dieses Materials möchte Melanchthon allerdings ein neues Dogma, das den größten Zerfall der höchsten Dinge mit sich bringt, 12 nicht ohne gewissere Zeugnisse bekennen. c) Im Zusammenhang der Auseinandersetzung um das Augustin-Wort, nach dem der Leib des Herrn an einem Orte sein müsse, äußert Melanchthon: „Jedermann weiß, wie viel darauf ankommt, an welchem Ort und bei welcher Gelegenheit etwas gesagt wird, oder dass vieles anders gesagt wird, wenn man auf eine Sache überhin anspielt als dort, wo man eine vollständige Rede 13 darüber hält.“ Er hat also den Kontext der Situation und der Zielsetzung der jeweiligen Väteraussprüche wohl im Auge. Er weiß darum, dass Formulierungen, die in einem bestimmten Lehrzusammenhang gesagt sind, nicht einfach in einen anderen übertragen werden dürfen, dass Äußerungen, die eine Sache im Vorbeigehen streifen, nicht grundlegend für die Meinung des Betreffenden in einem anderen Lehrstück sein können. Solche Äußerungen auf ein anderes Lehrstück, das dem Verfasser gar nicht im Sinn lag, zu beziehen und dasselbe von daher entscheidend zu gestalten, bedeutet für Melanchthon so viel wie mit Vermutungen umzugehen, auf die man sich in einer solch 14 wichtigen Sache wie der Abendmahlsfrage nicht stützen kann. Er fordert darum, dass die Worte, wie es üblich ist, nach der ihnen zugrundeliegenden Sache angenommen werden und dass klare und gewisse Zeugnisse, die von der Sache selbst handeln, beigebracht werde. Eine die Sache nicht behandelndes und in anderem Zusammenhang gesagtes Väterwort kann jedenfalls gegen klare Zeugnisse nicht geltend gemacht werden. Der Reformator stützt damit den Konsensus auf die klaren und von der Sache selbst handelnden Stellen der Väter und scheidet die Menge der nebenbei geäußerten Väterworte aus, von denen, wie er wohl weiß, viele auf einen argwöhnischen Geist 15 nachteilig einwirken können. d) Schließlich spielt, wie soeben schon anklang, auch bei der Herausarbeitung des Konsensus ein quantitatives Moment eine Rolle. Wenn einer großen Zahl von Zeugnissen einerseits nur eine ganz geringe Zahl noch dazu unklarer Zeugnisse andererseits gegenübersteht, so kann auf letztere hin kein neues Dogma aufgerichtet werden. Es ist deutlich geworden, wie Melanchthon den Konsensus der Väter auf die anerkannten Schriftsteller und die klaren Stellen, die thematisch vom Abendmahl 12 Vgl. CR 2,30. 13 CR 23,745: „Nemo ignorat, quantum referat, quo loco, qua occasione aliquid dicatur, aut multa aliter dici, cum obiter ad aliquam rem alludimus, quam ubi tota de re instituitur integra oratio.“ 14 CR 23,748: „Nam alias aliter loquuntur, cum in alio argumento obiter hanc rem attingunt, sed non est iudicanda conjecturis haec causa, certa et clara testimonia proferenda sunt, ex quibus veteris Ecclesiae sententiam colligamus.“ 15 CR 747: „Non ignoro multa passim occurrere dicta in scriptoribus, quae suspicax ingenium varie afficere queant.“

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handeln, aufbaut. Dass er nicht einfach auf der Hand liegt, sondern im Sinne der aufgezeigten Methode kritisch aus den Vätern erarbeitet werden muss, ändert aber nichts an dem wirklichen Vorhandensein dieses Konsensus. Er ist „recepta 16 17 sententia“ , auch schon in der alten Kirche, und kann deshalb einfach mit den 18 Worten „Die Alten haben gemeint“ eingeführt werden. An der Tatsache des consensus patrum im Abendmahl hat der Reformator Zeit seines Lebens festgehalten. Die Meinung der Kirche, der alten Skribenten, der antiquitas oder vetustas war für ihn immer etwas, das mit wenigen Sätzen inhaltlich wiedergegeben werden kann. Was sich jedoch für ihn – nachweisbar ab 19 1534 – geändert hat, das ist der Inhalt dieses consensus, der Personenkreis, der dafür in Anspruch genommen wird und die klaren Stellen. So fällt an jenem 20 Zettel mit Väteräußerungen, den er Luther vor dem Kasseler Gespräch übergab, z. B. auf, dass Origenes, der in den Sententiae veterum von vornherein abgewiesen worden war, nunmehr mit einem gewichtigen Votum erscheint. Ähnliches gilt von Tertullian. Und Augustin, von dem als positiver Beitrag in den sententiae nur eine einzige Stelle angeführt worden war, ist nun gleich mit 10 Stellen vertreten. Neu sind Epiphanius, Prosper und ein Stück aus der Basiliusliturgie. Und Irenäus und Ambrosius, die in den sententiae schon angeführt waren, erscheinen 21 nunmehr mit anderen Stellen. Diese Hinweise zeigen, dass Melanchthon den Kreis der Väter zur Feststellung des Consensus ausgeweitet hat; einige werden auch anders bewertet als zuvor. Und eine ganze Anzahl bisher nicht angeführter klarer Stellen tritt auf. In späteren Jahren verweist Melanchthon noch auf Gregor

16 CR 23,749; vgl. auch Apologie X, Satz 4; ebenfalls Bindseil, Epistolae … S. 40. 17 CR 2,29; „qui testantur, illos (sc. veteres) idem sensisse, quod nos sentimus.“ 18 Wilhelm Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 405, schreibt: „Von einem consensus ecclesiae, das heißt von einer einheitlichen Meinung aller Kirchenväter, kann Melanchthon nicht mehr sprechen. Doch verteidigt er weiterhin eine bestimmte sententia veteris ecclesiae.“ Nun ist es gerade nicht Melanchthons Meinung in den Sententiae veterum, eine bestimmte sententia veteris ecclesiae neben einer anderen zu verteidigen, sondern die sententia, die sich auf die klaren Stellen stützt und damit sachgemäß erarbeitet ist. Er bestreitet, und darin liegt sein wesentliches Argument, dass sich die Gegner auf klare Stellen stützen können. Augustins in – uno – loco – Wort ist für Melanchthon gerade keine klare Aussage für die Lehre vom heiligen Abendmahl; nach seiner Überzeugung hat die alte Kirche eine gemeinsame Meinung hinsichtlich des Abendmahls gehabt. Aber diese gemeinsame Meinung ist nicht überall klar und eindeutig zum Ausdruck gekommen. 19 Vgl. S. 227ff. 20 Dass dieser Zettel für die Wandlung der Konsensusvorstellung Melanchthons in Anspruch genommen werden darf, ergibt sich aus S. 232f. und der Tatsache, dass die Zeugnisse, auf die sich Melanchthon nach 1534 beruft, gerade auch die auf dem Zettel verzeichneten umfassen. 21 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Melanchthon damit die von Oekolampad bestrittene Verfasserschaft von De Sacramentis und De Mysteriis durch Ambrosius auch seinerseits aufgegeben hat. – Altaner, Patrologie sieht beide Schriften für echt an: „Nach Morin handelt es sich um stenographisch aufgenommene und dann überarbeitete Vorträge des Ambrosius (EP 1336/40). Mit Faller, Frank, Botte und Conolly darf jetzt die Echtheit der Schrift De sacramentis behauptet werden.“ (S. 344)

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von Nazianz, Clemens von Alexandrien, Theodoret, Dionysius und Beda. Der Erweiterung des Autorenkreises und der Verlagerung der klaren Stellen entspricht auf der anderen Seite der gleichzeitig auftretende Hinweis auf die unechten und den Vätern untergeschobenen Zeugnisse. Spricht Melanchthon noch in den Sententiae von dem Cyprian zugesprochenen Sermon, dass er auf jeden Fall alt zu sein scheint, so zählt er ihn offenbar Anfang 1535 mit zu den unechten Zeugnissen, die jüngeren Datums sind. Denn – diese Äußerung findet sich expressis verbis u.E. hier zum ersten Mal – die Zeugnisse, die einer typischen oder tropischen Auffassung des Abendmahls entgegenstehen, sind entweder νεώτεροι 23 ἢ νόθοι. Ähnliche Bemerkungen sind seit dieser Zeit immer wieder anzutref24 fen. So enthalten die Bücher des Theophylakt und des Beda allerlei Zusätze, und dem Ambrosius sind ganze Bücher untergeschoben worden. Melanchthon scheut sich nicht, in diesem Zusammenhang vom „Betrug in den päpstlichen 25 Skribenten“ zu reden. Die Unterscheidung von echten und unechten, untergeschobenen Väterzeugnissen gewinnt damit für den Reformator ein großes Ge26 wicht. Sie ist die Voraussetzung für die Erkenntnis dessen, was die alte Kirche wirklich gelehrt hat. Man wird nicht zu viel sagen, wenn man der Einsicht Melanchthons, dass eine Reihe der zunächst von ihm als echt angesehenen Zeugnisse der alten Kirche unecht seien, einen entscheidenden Anteil am Wandel seiner 27 Konsensus-Vorstellung zuschreibt. 2. Schrift und Väter Von den ersten Äußerungen im Abendmahlsstreit an bis zu seinen letzten Aussagen zur Abendmahlslehre hat Melanchthon immer wieder den Grundsatz und 22 CR 9,963: „Negat Heshusius, se assentiri Origeni, qui nominat panem et vinum σύμβολα τοῦ σώματος καὶ αἵματος. Reiicit contumeliose Clementem Alexandrinum. Pronunciabit eodem modo de Augustino, Ambrosio, Prospero, Dionysio, Tertulliano, Beda, Basilio, Nazianzeno, qui nominat ἀντίτυπον σῶμα, Theodoreto, qui ait de pane, φύσιν οὐ μεταβαλὼν. Quae est igitur tanta autoritas Heshusii, ut ipsi potius assentiamur, quam tot probatis ceteribus scriptoribus …?“ 23 Vgl. S. 233f. 24 CR 7,605. 25 CR 9,849. 26 CR 9,473: „Und wie Theodosius geboten hat, man solle der alten rechtgläubigen Scribenten Zeugnis und Confessiones im Concilio hören: dieses wäre in dieser Sach auch nötig. Und ist Unterscheid zu halten zwischen den reinen alten und den neuen Scribenten, und zwischen Büchern, die man weiß, wer sie gemacht hat, und Bastarten, wie unter dem Namen Ambrosii widerwärtige Reden zusammengeflickt seyn.“ 27 Peter Fraenkels Bemerkung: „Melanchthon‘s evolution seems to go hand in hand with the constant use of the same patristique apparatus“ (Ten Questions, S. 164 und ähnlich auch in Testimonia Patrum S. 47) gilt also nicht für die Abendmahlslehre. Wenn Herrlinger, Theologie Melanchthons, S. 128, den durchgehenden Gebrauch des Hilarius und Cyrill durch Melanchthon als Beweis für die Konstanz seiner Auffassung anführt, so beachtet er nicht den Wandel im Blick auf die übrigen Argumente und den anderen Gebrauch des bekannten Hilariuszitates. Vgl. S. 237f.

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die Forderung vertreten, zu lehren und zu meinen, was die alten Väter gelehrt haben. Er will weder Urheber noch Verteidiger eines neuen Dogmas in der Kir28 che sein. Welche Gründe sind für diese Haltung erkennbar? Eine erste Antwort findet sich immer wieder in allgemeinen Wendungen: „Non est boni viri temere 29 a veteri scriptorum sententia discedere; non esse tutum ab his auctoribus disce30 dere.“ Positiv entspricht diesen Äußerungen etwa: es ist „tröstlich zu wissen, 31 dass unser Glaub Zeugnis in der Kirchen hat“. Melanchthon ist also der Meinung, dass es frevelhaft und unsicher sei, von der Meinung der Kirche abzugehen, wiederum tröstlich und stärkend, die Väter auf seiner Seite zu haben. Verschiedene Gesichtspunkte macht er dabei geltend: Die Väter sind geistlich erfahren; sie haben – etwa auf den alten Synoden – sehr weise und heilig geurteilt. Wie die geistlich erfahrenen Zeitgenossen, so solle man auch die Väter, 32 deren Schriften anerkannt sind, gerne um Rat fragen. Sie haben aber auch die allgemeine Meinung der Kirche, die recepta in ecclesia sententia, niedergeschrieben, 33 und es ist gefährlich, von dieser Meinung abzuweichen. Fast immer geht es auch, ausgesprochenerweise oder unausgesprochen, um die Anfechtung. In der Anfechtung werden die Argumente, mit denen man von der allgemeinen Meinung der Kirche abgehen will, durch und durch geprüft. Da reichen schlau erdachte Gründe, mögen sie vorher noch so plausibel erschienen sein, nicht aus, um dem Gewissen genug zu tun. Wer darum leicht neue Dogmen einführt, der 34 hat offenbar nicht genügend geistliche Anfechtungen erfahren. Man geht nun freilich fehl, wenn man Melanchthons Berufung auf die Väter lediglich als den sichernden Rückbezug auf die geistliche Erfahrung der Alten, auf ihre Bestätigung als weise und heilige Ratgeber, auf die tröstliche Erfahrung nicht allein zu stehen, versteht. Der eigentliche Grund ist, dass die Väter mit ihrer Meinung das Zeugnis der Schrift haben. Hier liegt die Voraussetzung für ihre Autorität und damit die eigentliche Antwort auf die Frage nach den Gründen für den ständigen Rückbezug auf die Väter. Es ist für Melanchthon selbstverständlich und eindeutig klar, dass der Glaube allein auf Gottes Wort stehen soll und nicht von menschlicher Meinung ab35 hängt, die doch irren kann und irrte. Dieser Selbstverständlichkeit entspricht 28 Z. B. CR 1,901 „Ego nullius in ecclesia novi dogmatis autor esse velim. Itaque semper eum (sc. Billicanum) sum hortatus, ut veteres scriptores adhiberet in consilium.“ 29 CR 1,830; vgl. auch 2,29f.: „… magna est temeritas, dogmata serere, non consultu ecclesia.“ 30 CR 1,911. 31 WA.B 5,158. 32 CR 2,29f.: „Ut enim vivos libenter consulimus, quos iudicamus usum aliquem habere spiritualium rerum, ita et veteres, quorum scripta probantur, censeo consulendos esse.“ 33 CR 2,30: „Neque vero tutum est, a communi sententia veteris Ecclesiae discedere.“ 34 Vgl. S. 188. 35 CR 2,29: „Quanquam autem fides non pendeat ab humana autoritate, sed a verbo dei, tamen cum scriptura imbecilles a fortioribus confirmari velit, iuvat habere ecclesiae testimonia in omni genere tentationum.“ Dem entspricht WA.B 5,158: „… wiewohl unser Glaube allein auf Gottes

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die Vorordnung der Schrift im Argumentationsgang. So wird in den Visitations36 artikeln erst der Schriftbeweis geführt und dann auf die Väter erwiesen. Oder der Reformator rät in einem Privatbrief an Johann Mantel, im vertrauten Gespräch die Vertreter der Schweizer Abendmahlslehre zuerst hinsichtlich ihrer Schriftstellen ungewiss zu machen und ihnen stärkere entgegenzuhalten und 37 dann die Väter anzuführen. Auch dort, wo er die Gegner abweist, steht die Schrift voran: „sententiam Zwinglii nec scripturis nec autoritate veterum scrip38 torum posse defendi.“ An all diesen Stellen, in denen die Vorordnung der Schrift als der göttlichen Autorität klar zum Ausdruck kommt, wird aber auch zugleich erkennbar, wie einerseits Schrift, Evangelium, Gottes Wort und andererseits die Väter in völliger Übereinstimmung gesehen werden. Ein Beispiel dafür, wie diese Übereinstimmung der Gedankenführung Melanchthons zum Ausdruck kommt, findet sich 39 in den sententiae veterum. Melanchthon fragt nach den Gründen, die das Abgehen von der recepta sententia in ecclesia rechtfertigen. In der Anfechtung nämlich werden die Worte „Das ist mein Leib“ Blitze sein. Er weiß, wie dann noch so vernünftig erscheinende Gründe, die von der Schrift abweichen, zerschlagen werden. Deshalb folgt er lieber der Meinung der alten Kirche, die das Schriftzeugnis hat. Man sieht, wie Melanchthon hier die Aussagen der Schrift und die Meinung der Kirche hinsichtlich des Sachgehalts der Abendmahlslehre auswechselbar nebeneinander stellen kann. Wer von der recepta sententia ecclesiae abweicht, weicht zugleich auch von der Schrift ab, wie denn die Schrift andererseits die recepta sententia deckt. Schrift und alte Kirche sind, was ihre Lehraussagen angeht, 40 geradezu eine Größe geworden – eine Größe, die freilich in sich selbst unumkehrbar geordnet ist. Das Verhältnis Schrift-Väter ist damit eindeutig bestimmt: Auf die Schrift allein ist der Glaube zu setzen, aber die Väter haben den Schrift41 glauben. Sie sind darum ecclesia pura und die von der Schrift abgeleitete Autorität der vera ecclesia Dei. Melanchthons Grundsatz, kein neues Dogma in die Kirche einzuführen oder zu verteidigen, gründet in dieser Bindung an die Schrift und der Überzeugung, dass die alten Väter lehren, was die Schrift sagt. Die Lehre der Alten Kirche ist damit nicht nur die der Alten, sondern die der Kirche Jesu Christi aller Zeiten. Neue Dogmen dürfen darum nicht eingeführt werden.

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wort stehn soll, so ist‘s dennoch trostlich zu wissen, daß unser Glaub Zeugnis in der Kirchen hat.“ CR 26,19; 26,65. CR 2,15. CR 1,1109f.; vgl. auch „… wie beschwerlich es sei, von den Worten des Evangelii, dazu auch von der ganzen alten Kirchen zu weichen …“ WA.B 5,157. CR 23,749: „Sed quid fiet in tentatione …“ Dies bestätigt Peter Fraenkel, Testimonia Patrum, in anderen Zusammenhängen, z. B. S. 34: „… the patristic argument is integrated with the scriptural argument, because the return to Scripture is identical with the return to the best teaching of the Fathers.“ Der ganze Begriff der ecclesia pura ist bei Melanchthon von der Übereinstimmung mit der Schrift her verstanden und geprägt.

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Die alleinige Autorität der Schrift und die Übereinstimmung der Väter mit der Schrift bleiben der tragende Ansatz Melanchthons auch nach seinem 1534 erfolgten Wandel in der Abendmahlsauffassung der alten Kirche. Dies zeigt schon allein die häufige Verbindung der Begriffe „alte Kirche“, „alte Skribenten“ u.ä. mit dem Adjektiv purum, das nichts anderes als die Bezogenheit der alten Kirche auf die Schrift und die Übereinstimmung mit ihr besagt. Es wird aber auch in allgemeinen Formulierungen ausgesprochen: „etsi non contemno Ecclesiae testimonia, tamen necesse est tenere regulam: Quod humanis scriptis anteferenda sit doctrina a Deo per Prophetas et Apostolos tradita, quorum oratio certe 42 piis est perspicua.“ Schließlich hat sich auch an der Weise, wie Melanchthon in der Abendmahlslehre weiterhin argumentiert, formal nichts geändert. Zum Beispiel führt er 1541 über den rechten Gebrauch des Abendmahls aus: „… De quo pie et fideliter secuti sumus institutionem in Evangelio expresse traditam, et veterem Ecclesiae purioris consuetudinem. Nam nec novas opiniones, nec novos cultus in Ecclesia comminisi licet, nec mutandi, nec mutilandi sunt cultus divinitus traditi. Retinemus igiter ritum coenae Domini traditum voce Evangelii et 43 retinemus integre …“ Auch hier gründet er sich auf die im Evangelium überlieferte Einsetzung, die als von Gott überliefert weder verändert noch verkürzt werden darf. Das „et“ vor der „vetus consuetudo“ führt nicht etwas Zusätzliches oder gar ein zweites Prinzip ein, sondern drückt die Übereinstimmung aus, dass der, der dem Evangelium folgt, zugleich der Gewohnheit der alten Kirche folgt – eben weil die alte Kirche rein ist, indem sie an der im Evangelium eingesetzten Weise des Abendmahls festgehalten und nichts Neues eingeführt hat. Ist im grundsätzlichen Verhältnis von Schrift und Vätern auch nach 1534/35 44 im Zusammenhang der Abendmahlsäußerungen keine Änderung festzustellen, so ist andererseits eine auffallende Verschiedenheit der Zielrichtung der Väterzitate zu vermerken. Wurden sie zuvor hauptsächlich eingeführt, um zu zeigen, dass die Abendmahlsauffassung Luthers das Zeugnis der Väter hat und insofern durch sie bestätigt wird, so zielen die Zeugnisse nunmehr daraufhin, die Meinung der alten Kirche selbst im Unterschied zu Luther zu Gehör zu bringen. Angesichts dessen, dass es sich für Melanchthon bei der alten Kirche um die vera et pura ecclesia handelt, bekommt das Väterzeugnis in dieser neuen Situation ein ganz anderes Gewicht. Es kennzeichnet nunmehr die Meinung Luthers und 45 seiner Anhänger als etwas Neues, das der alten Kirche unbekannt war. Später, 42 CR 5,235. 43 CR 4,311f. 44 So auch Peter Fraenkel, Testimonia Patrum, S. 44: „Expansion, rather than fundamental change, seems to be the keyword for the history of Melanchthon use of the patristic argument.“ 45 Vgl. S. 233 und die häufigen Aussagen, nach denen der alten Kirche alles, was mit einer direkten Verbindung von Brot und Leib Christi zusammenhängt, unbekannt war: keine physica coniunctio, inclusio panis, adoratio usw. z.B. CR 3,514f.; 3,536; 5,62; 8,278; 9,372. Auch die Berichte Melanchthons über seine Aussprachen mit Luther und dessen Verwunderung über die tropische Abendmahlsauffassung der alten Kirche gehören hierher, z.B. 3,503f.; 8,278. Dass Melanchthon

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in der Auseinandersetzung mit Heßhusius, spricht er von einem novum dogma, 46 das in der Kirche nicht erlaubt ist. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang Melanchthons Rat an Albert Hardenberg in Bremen, der sich zu einer Disputation über die Abendmahlsfrage rüstet. Er solle auf jeden Fall mit den Väterzeugnissen anfangen und hauptsächlich darauf drängen: „cum novum sit Pontificum dogma pugnans cum puriore Antiquitate, cogitandum esse, quid sentiendum 47 sit.“ Der ganze Väterbeweis zielt also darauf ab, zu erweisen, dass die Position der Gnesiolutheraner, die hier mit der römischen in eins gesetzt wird, neu ist. Mit diesem Erweis ist aber im Grunde schon klar, dass sie nicht aufrecht erhalten werden kann. Es ist von daher verständlich, dass Melanchthon je länger je mehr zur Sammlung und zum Studium der Väterzeugnisse aufforderte und auch Gehör für sie 48 verlangt. Er selbst beabsichtigte, noch einmal die Väterzeugnisse in dieser Sache 49 zu sammeln. Doch macht er die alten reinen Väter nicht nur zum Nachweis des novum dogma geltend, auch manche sonstige spitzfindige Streitfrage würde sich 50 dabei lösen, wie denn überhaupt die Beschäftigung mit dem Konsensus der 51 Alten zur inneren Festigung nützlich ist. Es sieht so aus, als ob Melanchthon nun doch mit dem starken Einsatz der Väter einen grundsätzlichen Wandel im Verhältnis Schrift – Väter, etwa im Sinn eines zweiten theologischen Prinzips vorgenommen habe. Wenn man jedoch bedenkt, dass es die purior antiquitas ist, die Melanchthon zu hören verlangt, d.h. die Alten die mit der Schrift übereinstimmen, so muss man zugestehen, dass der Reformator lediglich mit seinem ursprünglichen Ansatz von der Übereinstimmung zwischen Schrift und Väter wirklich ernst gemacht hat. Ist die erste Kirche wirklich reine Kirche, dann Muss die Abendmahlslehre späterer Jahrhunderte mit der ihren übereinstimmen; es kann keinesfalls etwas neu auftreten, das 52 nicht schon in ihr gelehrt worden ist. Anders gesagt: Die alte Kirche bekommt

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CR 3,503 der Überzeugung war, Luther stimme mit der alten Kirche überein, wie Fraenkel Ten Questions, S. 152 andeutet, ist angesichts des vorangegangenen Gegensatzes zwischen dem διδάσκαλος und ihm gänzlich undenkbar: „ὁ διδάσκαλος dixit, se potius omnes veteres scriptores, omnium testimonia repudiaturum esse, quam mutaturum suam sententiam.“ CR 9,963. CR 9,1062. Vgl. S. 188 Anm. 39. CR 8,278: „Congeram igitur in unum libellum testimonia eruditae vetustatis …“ CR 3,515: „Error foecundus est, ut dicitur, multas quaestiones parit illa physica coniunctio: An separatim, an sint inclusae partes: quando adsint: an extra usum? Horum nihil legitur apud veteres.“ CR 9,784; „Existimo autem ad confirmandas mentes consensu vetustatis plurima conducere.“ Dies wird durch Fraenkels Ausführungen in Testimonia Patrum, S. 197, bestätigt: „It appears to have been one of the very important features in Melanchthons doctrine of theological principles: it is the rule that we shall not teach anything that has no precedent, i.e. that has never existed before in the course of Church history.“ Dieser Grundsatz ist die Grenze der von Fraenkel im zweiten Teil seines Buches dargestellten kritischen und dogmatischen Patrologie Melanchthons.

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in ihrer Lehre eine Kontrollfunktion für spätere Geschlechter. Diese Kontrollfunktion, die Melanchthon selbst immer wieder mit dem Stichwort „kein neues Dogma“ kennzeichnet, war schon vor seinem Wandel in der Abendmahlsanschauung der alten Kirche vorhanden. Sie wurde nur nicht so deutlich, da ja die Übereinstimmung zwischen Schrift und Väterverständnis feststand und die Väter nur den Lehrgehalt der Schrift bezeugten. Erkennbar war sie freilich schon, nämlich gegenüber den Schweizern, die ja durch den Väternachweis von ihrem „neuen Dogma“ abgebracht und zur Vätermeinung zurückgeführt werden sollten. Nach dem Wandel in Melanchthons Väteranschauung kehrt sich die Kontrollfunktion nunmehr nicht nur gegen Zwingli, sondern auch gegen Luther und die Gnesiolutheraner. Melanchthon will damit nicht ein anderes theologisches Erkenntnisprinzip einführen, indem er nun die Väter als verbindliche Schriftausleger angesehen hätte, von denen ausgehend das Schriftverständnis zu vollziehen wäre. Die Schrift bleibt Grund und Begründung der Lehre, sie bleibt auch in sich selbst klar 53 so dass sie diese Funktion wirklich erfüllen kann, die Väter aber stimmen mit ihr überein und bestätigen insofern das Selbstverständnis der Schrift. Es handelt sich also um zwei Größen, von denen jede erkennbar ist und deren letztere ganz von der ersteren abhängt, auf sie bezogen ist und mit ihr übereinstimmt. Nur von dieser Übereinstimmung her übt sie ihre Kontrollfunktion für das Schriftver54 ständnis aus.

II. Die patristische Argumentation Bei den bisher dargestellten Reformatoren war es verhältnismäßig einfach festzustellen, was sie als Vätermeinung vortrugen. Das Hauptgewicht konnte darum jeweils darauf gelegt werden, wie sie diese Meinung von den Vätern her begründeten. Bei Melanchthon ist es anders – einmal schon dadurch, dass er mit interpretierenden Bemerkungen zu den Vätern sehr sparsam umgeht. Ihm lag daran, die Väter für sich selbst sprechen zu lassen und sich deshalb auf das zurückzuziehen, was wirklich für sich selbst sprach. Zum andern aber bedarf die Frage, was denn Melanchthon überhaupt als Meinung der Väter aussagen will, durchaus einer besonderen Bemühung. Er ist nämlich der einzige unter den bearbeiteten

53 Vgl. S. 189. 54 Man kann diese Zuordnung der beiden Größen an der Behandlung des Begriffes κοινωνία 1. Kor. 10,16 und dem Problemkreis ῥητόν – διάνοια erkennen. Mit den beiden letzteren Begriffen bezeichnet Melanchthon die von den Reformierten aufgeworfene Frage, ob die Einsetzungsworte wörtlich oder übertragen zu verstehen seien. Der Reformator meint, dass der Konsensus der alten Kirche hier nicht zu verachten sei. Er fährt dann aber fort: „Aiunt οἱ Μεθωναῖοι se τὸ ῥητὸν tueri, cum Paulus tantum dicat, esse κοινωνίαν σώματος.“ Der entscheidende Punkt ist also Paulus und nicht die alte Kirche, die freilich mit Paulus übereinstimmt. CR 8,278.

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Reformatoren, der hinsichtlich der Realpräsenz des Leibes Christi eine wesentliche Wandlung in seiner Väterauffassung vollzogen hat. Diese Wandlung, die aufs engste mit der Wandlung seiner Abendmahlslehre überhaupt zusammenhängt, ist in ihrer Art sowie ihrem Zeitpunkt umstritten und kann auch angesichts der von Melanchthon geübten Zurückhaltung in seinen Äußerungen zum Abendmahlsstreit nicht leicht erkannt werden. Dazu fordert die vorwiegend aus pädagogischen Gründen festgehaltene formelhafte Ausdrucksweise des Reformators, die zu verschiedenen Zeiten gleich klingt, aber durchaus nicht das gleiche meinen muss eine nähere Klärung dessen, was als Meinung der Väter überhaupt ausgesagt werden soll. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die nachstehende Darstellung allein in zeitlicher Reihenfolge davon ausgehen, wie Melanchthon die Väter anführt. Aus dem, was er zitiert und worauf er jeweils den Finger legt, ergibt sich, wie er jene allgemeinen, zusammenfassenden Formulierungen meint. Dabei muss freilich bedacht werden, dass der Reformator gewiss nicht jede einzelne Väteraussage mit übernehmen wollte. Es kommt also darauf an, aus der Verbindung von Kontext und Väterargument selbst heraus zu erkennen, was er als Vätermeinung aussagen will. Von da her wird dann auch für die Frage nach dem Zeitpunkt ihrer Wandlung und nach dem Verständnis der Abendmahlsaussagen überhaupt ein gewisser Ertrag zu erwarten sein. 1. Die patristische Argumentation bis zur Editio princeps der Apologia 1531 1.1 Von den ersten Äußerungen bis zum Herbst 1527 Die erste Äußerung Melanchthons zur Meinung der Väter im Blick auf die Gegenwart Christi im Abendmahl findet sich nach den derzeitig zugänglichen Quellen im Brief an Thomas Blaurer vom 23. Januar 1525. Es heißt dort: „Veteres constanter in hac sententia sunt, ut verum christi corpus ὄντως ibi esse do55 56 ceant.“ Eine nähere Begründung für diesen Satz führt er nicht an, sondern verweist nur auf die von ihm angelegte Sentenzensammlung. Fragt man, was ὄντως ibi näher bedeutet, so führt der Kontext darauf, dass die Vätermeinung nichts anderes als Melanchthons eigene Überzeugung besage. Diese Überzeugung bringt er mit der mehrfachen Bemerkung zum Ausdruck, dass er nicht um der Vernunft willen von den Schriftworten abweichen wolle. Was das heißt, zeigt 57 der wenige Tage zuvor geschriebene Brief an Oekolampad. Der Wittenberger weist darin ein tropisches Verständnis des Worts „est“ zurück und zweifelt auf Grund der Einsetzungsworte nicht daran, dass die Jünger im Mahle Christi den 55 Clemen, Suppl. Mel. VI,1 S. 277. 56 Es ist wahrscheinlich, dass Melanchthon besonders Hilarius im Auge hat, mit dessen Worten er im Brief an Thuring CR 1,911 das „ibi esse“ belegt. 57 CR 2,11f.; zum Datum vgl. Clemen, Suppl. Mel. VI,1 S. 275.

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natürlichen Leib Christi empfangen haben. Ihn hält angesichts der Argumente 59 Oekolampads dies, dass Paulus einfach „Leib“, „Blut“ sagt , eine Formulierung, 60 die nicht anders als auf das Brot und den Kelch zu beziehen ist. Diese von Brot und Kelch ausgesagten Schriftworte begründen also für Melanchthon, dass die Jünger den natürlichen Leib Christi im Abendmahl empfangen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass dies auch als die Meinung der Väter in Melanch61 thons Formulierung ὄντως ibi esse ausgedrückt wird. Dass die vorgetragene Auffassung des ὄντως ibi zutrifft, bestätigt der um die Jahreswende 1525/26 geschriebene Brief Melanchthons an Matthäus Alber in 62 Reutlingen. Dort wird die Vätermeinung in den Satz zusammengefasst „panem fieri natura Christi corpus.“ Zum ersten Mal begegnet dabei auch eine Begrün63 dung. Melanchthon beruft sich auf ein „wie es scheint nicht unechtes Werk“, in 64 welchem Cyprian sagt, omnipotentia verbi panem mutari fierique carnem, 65 sodann auf Theophylakt, der sich gegen das Brot als Symbol ausspricht und Johannes Damaszenus, aus dem erhellt, was die griechische Kirche meint, nämlich dass das Brot der Natur nach der Leib Christi werde. Zwei der Väterzitate beziehen die Realpräsenz des Leibes Christi eindeutig auf das Brot, das der Leib Christi wird. Das Theophylakt-Zitat wendet sich gegen das symbolische Verständnis der Abendmahlsworte. Damit sind Melanchthons entscheidende Abendmahlsaussagen gedeckt: Das Argument, nicht vom einfachen Wortsinn abgehen zu können und das Ergebnis, dass der natürliche Leib Christi da ist, und zwar eindeutig aufs Brot bezogen. Dabei handelt es sich, was die Belege betrifft, um den Repräsentanten der alten griechischen Kirche und um den bedeutendsten Vertreter der frühen lateinischen Christenheit. Es fällt auf, dass Melanchthon 58 CR 2,11: „… nihil tutius adhuc visum est, quam ne discederem a verbis tum historiae evangelicae tum Pauli. Nam τρόποι verbi est me nihil movent, nec dubito, quin in Christo coena naturale corpus Christi sumpserint discipuli“. 59 CR 2,12: „… me Paulus cogit, ut sentiam, Christum voluisse hoc etiam modo in ecclesia versari. Vocat enim simpliciter et saepe corpus sanguinem. Nec detorqueri mihi in figuras haec posse videntur.“ 60 Vgl. auch die Bemerkung Melanchthons an Moiban, Mitte September 1526 (Datum nach Clemen, Suppl. Mel. VI,1 S. 338): „Sensu communi carent, qui negant pronomen ad panem pertinere.“ 61 Auch Neuser gesteht zu, dass das „ὄντως ibi“ sich auf das Brot bezieht; er begründet es damit, dass Melanchthon im Brief an Matthäus Alber die Kirchenvätermeinung damit kennzeichnet, dass das Brot der Leib Christi werde. Abendmahlslehre Melanchthons, S. 401. 62 J. Hartmann, Matthäus Alber, Tübingen 1863, S. 95 Anm. 10; Melanchthons Werke in Auswahl, hg. von R. Stupperich VII,1 1971, S. 249ff. 63 So ist der Ausdruck „inquit in opere, ut videtur non suppositicio Cyprianus“ zu übersetzen und nicht, wie Neuser in „Die Abendmahlslehre Melanchthons“, S. 323: „So sagt nämlich Cyprian – nicht nebenbei, wie ersichtlich ist – in seinem Buch.“ 64 Vgl. S. 203 Anm. 109. 65 Der Text lautet: „Et Vulgarius: et alia in eam sententiam multa.“ Melanchthons Werke in Auswahl, hg. von R. Stupperich VII,1 1971, S. 251. – Vulgarius (= der Bulgare) ist Theophylakt, Erzbischof von Achrida, gestorben um 1108.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

die Vätermeinung panem mutari fierique carnem ohne Kritik anführt. Nun hatte er schon 1520 die Transsubstantiation sachlich zwar zugestanden, andererseits aber doch als Glaubensartikel strikte abgelehnt. „Dass der wahre Leib Christi gegessen werde, ist ein Glaubensartikel – auf welche Weise auch immer der heili66 ge Leib die Gestalt des Brots annimmt.“ Die Transsubstantiation galt ihm also als eine Weise, in der man das Verhältnis von Brot und Leib Christi denken konnte, durch die aber andere Vorstellungsweisen nicht ausgeschlossen waren. Offensichtlich will Melanchthon die Väter auch jetzt noch nicht dieser ihrer Vorstellungsweise wegen tadeln, durch die sie zum Ausdruck bringen, dass der Leib dort ist wo das Brot ist, obwohl er selbst inzwischen die Transsubstantiation für seine Person nicht mehr vertritt. Eine dritte Zusammenfassung der Vätermeinung findet sich Anfang September 1526 in einem Brief an Moiban: „Tu teneto id, quod veteres ecclesiastici 67 scriptores senserunt: corpus Christi esse in eucharistia.“ Mit ihr begegnet zum ersten Mal der Ausdruck, der im Zusammenhang der Väterargumentation innerhalb gewisser Modifikationen zur Standardformel Melanchthons für die Vätermeinung geworden ist: corpus Christi in eucharistia bzw. in coena adesse. Leider äußert sich Melanchthon an dieser Stelle nicht weiter über die Väter, so dass man ihr außer der Tatsache, dass er sich mit ihnen identifiziert, nichts entnehmen kann. Die neu aufgetretene Formulierung besagt nach Wilhelm Neusers These eine bewusste Änderung der Kirchenvätermeinung Melanchthons. Zuvor habe er im Brief an Matthäus Alber betont, dass das Brot zum Leib Christi werde, nun rede er sehr allgemein nur davon, dass der Leib Christi „in coena“ oder „in eucharistia“ gegenwärtig sei. Die neue Formel spiegele Melanchthons neue, seit Mitte 68 1526 vertretene Abendmahlslehre wider, nach der die Gegenwart des Leibes Christi nicht mehr auf das Brot, sondern auf die Abendmahlsfeier im Ganzen bezogen ist. Betrachtet man Melanchthons neue Zusammenfassung der Vätermeinung, so ist aus ihr allerdings nicht zu ersehen, ob sie der Ausdruck einer neuen Vätermei69 70 nung ist oder nicht – zumal ihre Bestandteile schon früher aufgetreten sind. 66 CR 1,145: „Equidem sententiam de transsubstantiatione haud gravatim amplector, sed inter articulos fidei non temere numeraverim. Verum Christi corpus manducari, fidei articulus est: quocunque tandem modo sacrosanctum corpus figuram panis induat.“ 67 CR 1,810. Zum Datum vgl. Clemen, Suppl. Mel. VI,1 S. 332. 68 „… im Brief an Matthäus Alber betont Melanchthon mehrmals als Meinung der Kirchenväter, das Brot werde zum Leib Christi. Seit Mitte des Jahres 1526 wird nun die Gegenwart des Leibes Christi nicht mehr auf das Brot, sondern auf das Abendmahl im ganzen bezogen. Die neue Formel spiegelt Melanchthons Abendmahlslehre wider, wie sie vorstehend dargelegt ist.“ Die Abendmahlslehre Melanchthons S. 401. 69 Dass der Leib Christi im Abendmahl ist, besagt noch gar nichts darüber, dass die Gegenwart Christi nur an den Akt und nicht auch an das Brot gebunden ist. Dieser Gegensatz liegt in der Formel nicht drin; sie drückt nur aus, dass es um das von Christus eingesetzte Mahl und nicht

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Sie müsste deshalb sowohl von der Abendmahlslehre als auch von der Väterargumentation her als Ausdruck für eine neue Auffassung Melanchthons erst nach71 gewiesen werden. Was die Väterargumentation betrifft, so werden die nachfolgenden Untersuchungen zeigen, ob sich eine Wandlung kundtut. Zur Abendmahlslehre allgemein sei hier nur ein Hinweis gestattet. Neuser selbst weist darauf hin, dass Melanchthon Mitte 1527 noch streng „in pane“ und „in calice“ 72 formuliert. Es ist nun aber nicht gut denkbar, dass der Reformator „in pane“ und „in coena“ nebeneinander gebraucht hat, wenn letzteres das erstere negieren sollte. Andererseits: Gebraucht Melanchthon die Formulierung „corpus Christi esse in eucharistia“ bzw. „in coena“ zu einer Zeit, da er zugestandenermaßen die Realpräsenz aufs Brot bezieht, so kann man diesen Ausdruck nicht als Wiederspiegelung einer neuen Abendmahlslehre und damit eines neuen Väterverständnisses werten. In der Tat bietet sich eine andere Erklärung für das Aufkommen der Formel „corpus Christi esse in coena bzw. in eucharistia“ an. Etwa um dieselbe Zeit wie bei Melanchthon tritt die entsprechende deutsche Wendung „Christi Leib ist im Abendmahl“ auch bei Luther auf. In seinen früheren Abendmahlsschriften spricht Luther vom „Leib und Blut Christi im Sakra73 74 ment“; er sagt dass der Leib Christi „da“ sei, auch liest man vereinzelt, dass der 75 Leib Christi „im Essen und das Blut im Trinken sei“, aber die Wendung „der Leib Christi ist im Abendmahl“ findet sich erst, und zwar gleich reichlich, in der 76 Schrift „Dass diese Worte … noch feststehen“. Eine nähere Betrachtung zeigt dabei, dass als engerer Kontext außerordentlich häufig die These Zwinglis oder Oekolampads auftritt, dass der Leib Christi im Himmel sei. Dieser These wird dann die Behauptung gegenüber gestellt, dass der Leib Christi im Abendmahl ist. Von daher spricht eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Ausdruck „corpus Christi esse in eucharistia bzw. in coena“ auch bei Melanchthon nichts

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etwas außerhalb desselben geht, ohne über die Art der Gegenwart des Leibes und Blutes zu entscheiden. Das „in coena“ findet sich schon im Brief an Oekolampad vom 12.1.1525: „in Christi (das Christo CR 2,11 ist ein Druckfehler) coena naturale corpus Christi sumpserunt discipuli.“ Das „adesse“ entspricht dem „corpus ὄντως ibi esse“ vom 23.1.1525 an Thomas Blaurer. Clemen Suppl. Mel. VI,1 S. 277. Neuser bemüht sich, diesen Nachweis anzutreten. Eine Auseinandersetzung mit seinen Ausführungen zur Abendmahlslehre kann aus thematischen Gründen nur an einzelnen Punkten geführt werden. Hier findet sich ein merkwürdiger Selbstwiderspruch Neusers: Einerseits setzt er mit dem Auftreten der Formel „in eucharistia“ bzw. „in coena“ den Wandel in der Abendmahlsauffassung Melanchthons in den August 1526 (vgl. S. 194 Anm. 68), andererseits versucht er aufzuzeigen, dass der Wechsel während der Visitation 1527, zwischen den Weidaer Artikeln und den articuli visitationis stattgefunden habe. Die Abendmahlslehre Melanchthons S. 268ff. Z.B. WA 18,165,33; 191,30; 207,18; WA 11,442,3f. Z.B. WA 18,196,18; 204,26; WA 11,438,29; 441,20. WA 18,175,6. Z.B. WA 23,153,12; 153,24; 159,9; 159,22; 161,21; WA 26,265,14; 298,32f.; 300,18; 302,24 u.a.

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anderes als die Gegenthese gegen die schweizerische Auffassung vom Leibe Christi im Himmel aussagt und keineswegs als Absage an die Verbindung des Leibes Christi mit dem Brot verstanden sein will. Aus dem Jahre 1527 finden sich – nach der Datierung Otto Clemens – folgende Zusammenfassungen der Vätermeinung: 77

„Christum adesse praesentem in Eucharistia“ (April 1527 an Spengler) 78 „vere adesse corpus Christi“ (17.11.1527 an Thuring) 79 „quod sit verum corpus in Eucharistia“ (2. Novemberhälfte an Agricola) Dazu kommen noch einige allgemeinere Bemerkungen: „Hoc scito, Lutheri sententiam perveterem in ecclesia esse.“ (Ende Oktober 80 1527) „De Eucharistia iubeo te, quod et ante feci, diligenter veterum Ecclesiasticorum libros inspicere. Ego hactenus nihil inveni quam quod adhuc docuimus …“ (2. 81 Oktoberhälfte 1527) „perveterem mihi videri sententiam esse de synaxi, quam hactenus secuti sumus.“ 82 (17.11.1527)

Die erstere der drei genannten Vätermeinungen ist ähnlich alleinstehend gebraucht wie im Brief an Moibanus vom September 1526. Dafür entfaltet aber Melanchthon das, was er meint, näher durch altkirchliche Zeugnisse bei den beiden anderen. Im Brief an Thuring verweist er auf Hilarius, der da öffentlich 83 sage: „vere carnem et vere sanguinem ibi esse.“ Gleicher Meinung sei auch Chrysostomos zu Johannes 6. Und Cyprian sage im Sermo de coena domini, 84 „duas in eucharistia naturas esse“ und vieles andere. Was Melanchthon mit der zusammenfassenden Wiedergabe des Hilarius-Zitats „vere carnem et vere sanguinem ibi esse“ meint, ist nicht von vornherein eindeutig zu ersehen. Zwar war die gleiche Zusammenfassung schon im Brief an Blaurer vom 23.1.1525 aufgetreten und dort vom Kontext her als auf das Brot und den Wein bezogen erkannt worden, so dass es nahe liegt, sie hier gleicherweise zu verstehen. Angesichts der von Wilhelm Neuser aber vertretenen These, dass Melanchthon um den September 1527 einen Wandel der Gegenwart des Leibes Christi vom Brot weg auf das 77 CR 1,901; zum Datum vgl. Clemen Suppl. Mel. VI,1 S. 358. 78 CR 1,911; das Datum setzt Clemen Suppl. Mel. VI,1 S. 402, allerdings ohne Angabe von Gründen, auf den 17.11.1527. 79 Clemen, Suppl. Mel. VI,1 S. 404. Es ist allerdings fraglich, ob der Brief an Agricola in den November 1527 gehört. Die Bemerkung: „de tota caussa scribit nunc Lutherus“ in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zusendung von Irenäus – Zitaten und ihrer Auslegung durch Luther, deutet eher auf die Abfassungszeit von „Daß diese Worte noch feststehen“ hin. Der Brief ist vermutlich Mitte März 1527 geschrieben worden. 80 CR 1,823 an Eberbach; zur Datierung vgl. Cemen Suppl. Mel. VI,1 S. 396. 81 CR 4,964 an Aquila; zur Datierung vgl. Clemen Suppl. Mel. VI,1 S. 392. 82 CR 1,830 an Eberbach; zur Datierung vgl. Clemen Suppl. Mel.VI,1 S. 402. 83 Melanchthon bezieht sich offensichtlich auf Hil., trin. VIII,14 (PG 10,247): „... De veritate carnis et sanguinis non est relictus ambigendi locus... vere caro est, et vere sanguis est...“ Vgl. S. 108. 84 Vgl. S. 203 Anm. 109.

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Abendmahl im Ganzen vollzogen habe, könnte nunmehr mit ibi auch nur der lockere Bezug auf die Feier gemeint sein. Ähnliches gilt für die Zusammenfassung des Cyprian-Zitats, „duas naturas in eucharistia esse“ obwohl es da schwer fällt, den Bezug nur auf die Feier und nicht auf das in der Feier empfangene Brot anzunehmen. Beide Väterargumente finden sich jedoch im parallelen Brief an Agricola, und zwar in reichhaltigerer Form, so dass von daher Licht auf das Ver85 ständnis der Zusammenfassungen im Brief an Thuring fällt. Zunächst kommt im Schreiben an Agricola zum Ausdruck, dass Melanchthon mit Luthers Irenäus-Auslegung völlig übereinstimmt. Sodann belegt er die Vätermeinung, quod est verum corpus in Eucharistia, mit folgenden Worten des Hilarius: „De veritate carnis et sanguinis non relictus est ambigendi locus. Nunc enim et ipsius domini professione et fide nostra vere caro est, et vere sanguis est. Et haec accepta atque hausta id efficiunt, ut et nos in Christo et Christus in nobis sit‘. Vi86 des esse claram sententiam Hilarii.“

Man kann nicht sagen, dass das obige Zitat eine eindeutige Antwort angesichts der von Neuser aufgestellten These gibt. Eine Zusatzbemerkung, aus der das Verständnis Melanchthons zu ersehen wäre, findet sich nicht; für Melanchthon war ja die Meinung des Hilarius in dem Zitat klar zum Ausdruck gekommen. Versteht er sie nun heimlich im Sinn einer neu gefassten, die Realpräsenz vom Brot und Wein ablösenden Gegenwart des Leibes und Blutes Christi, oder in klarer Beziehung auf Brot und Wein? Aufschlussreich für die Antwort ist die gegenüber dem Brief an Thuring erweiterte Wiedergabe der Meinung des Cyprian: „Cyprianus de coena domini dicit aperte eucharistiam ita ex duabus naturis constare, sicut Christus ex divina et humana. Quem locum si totum legeris, videbis autorem sine controversia voluisse verum corpus in Eucharistia 87 esse“ Es ist nicht vorstellbar, dass der Vergleich der beiden Naturen in der Eucharistie mit der göttlichen und menschlichen Natur Christi nur von der Feier, nicht aber vom Brot und Wein selbst gemeint sein sollte. Das duabus naturis constare kann nicht nur von einer actio, sondern muss vornehmlich von einer res verstanden sein. Eucharistia meint darum nicht nur die feierliche Handlung, sondern die im Mittelpunkt dieser Handlung stehende Speise. 85 Gleich, wie man den Brief an Agricola datiert: In jedem Fall bietet er der These Neusers Schwierigkeiten. Setzt man ihn mit Clemen Mitte November 1527 an, so interpretiert er den Brief an Thuring und überhaupt das Verständnis von „in coena esse“ nach dem von Neuser postulierten Wechsel in Melanchthons Abendmahlsanschauung in einem Sinn, der diesem Postulat widerspricht. Datiert man auf Mitte bis Ende März 1527, so zeigt er das Verständnis der von Neuser als entscheidender Ausdruck speziell Melanchthon’scher Abendmahlsauffassung angesehenen Formel in einem Sinne, der dieser Auffassung widerspricht. 86 Clemen, Suppl. Mel. VI,1 S. 404. 87 Vgl. S. 197 Anm. 86.

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Das gleiche sagen auch die Hinweise auf Chrysostomos, aus dessen Ausfüh88 rungen zu 1. Kor. 11 das Folgende besonders hervorgehoben wird: „Idem sane facit, qui Christi sanguinem bibit indigne: Sanguinem gustasti dominicum, et fratrem tuum non agnoscis, et praesertim die, qua carnem ejus lingua 89 contingere dignus effectus es …“ 90

Offensichtlich kommt es Melanchthon gerade auf diese Aussage an, nach der das Fleisch von der Zunge berührt, das Blut Christi getrunken wird. Sowohl das Cyprian-Zitat als auch die Stellen aus Chrysostomos zeigen demnach, dass das für Melanchthon klare Hilarius-Wort von ihm im Sinn einer wirklichen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in und mit den Elementen verstanden ist. „Accepta“ und „hausta“ sind darum nicht in irgendeinem übertragenen, sondern im vom konkreten Essen und Trinken des Mundes gemeinten Sinn vom Leib 91 und Blut Christi ausgesagt. Wo das Abendmahlsbrot ist, da ist der Leib Christi, wer es empfängt, empfängt den Leib Christi. Das „ibi esse“ der HilariusZusammenfassung kann darum nicht anders als auf das Abendmahlsbrot und den Abendmahlswein bezogen sein. Melanchthon hat es wie seine Zusammenstellung der Väterzitate zeigt – nicht anders verstanden als die Zitate des Cyprian und des Chrysostomos. In der Tat zeigt sich damit kein anderes Verständnis des „ibi esse“ als im Brief an Ambrosius Blaurer vom Januar 1525. Der Satz „verum corpus Christi in Eucharistia esse“ bedeutet so, als Wiedergabe der Meinung der Väter ausgesagt, nichts anderes, als dass der Leib Christi tatsächlich in der Abendmahlsspeise selbst da ist. Offenkundig legt man zu viel in die Formel „corpus Christi in eucharistia bzw. in coena adesse“ hinein, wenn man sie als Ausdruck einer die Realpräsenz von den Abendmahlselementen ablösenden Abendmahlslehre werten will. Dem widersprechen nicht nur die angeführten Väterstellen, sondern auch das ungefähre gleichzeitige Auftreten der Formel bei Luther und die ständige Betonung der Übereinstimmung zwischen Luther und 88 Melanchthon leitet den Hinweis auf Chrysostomos ein: „Sic Chrysostomus super locum Pauli ep. I ad Chorint.: Si igitur ad Eucharistiam accedis, quae gratitudo et quae gratiarum actio est …“ Er gibt also zunächst den Anfang der Stelle an, der PG 61,229 lautet: „Si ergo propter eucharistiam accedis, tu nihil eucharistiae indignum facito … Accedis gratias agens pro iis quae accepisti.“ In der Pariser Ausgabe 1558, 464/5 heißt der Satz: „Si tu accedas propter eucharistiam, id est gratiarum actionem, tu quoque nihil facias … Accedis enim gratias agens pro iis …“ Melanchthon fährt dann fort: „Item. Verum ubi loco sanguinis animalium ratione carentium sanguinem proprium Christi induxit.“ Er bezieht sich damit offensichtlich auf PG 61,230: „Veteris enim testamenti calix erant libamina et sanguis brutorum… Omnia igitur pro sanguine brutorum sanguinem suum induxit.“ 89 Clemen, Suppl. Mel. VI,1 S. 404; Melanchthon hat das Zitat zusammengezogen, vgl. PG 41,230: „Gustasti sanguinem Dominicum, et neque fratrem ita agnoscis“ und PG 41,231: „Et haec facis postquam ad Christi mensam exceptus fulsti, illo die quo dignatus fuisti carnes eius lingua tangere.“ 90 Melanchthon verweist auf drei Chrysostomos-Stellen, von denen allein die vorliegende genau wiedergegeben wird. 91 In diesem Sinn legt auch Luther gerade auf „accepta et hausta“ Wert. WA 23,238,12ff.

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der alten Kirche, gerade auch nach dem Torgauer Gespräch vom September 92 1527. 1.2 Der Brief an Oekolampad vom 8.4.1529 und die Sententiae Veterum Vom Herbst 1527 bis zur ersten Ausgabe der Apologie sind es folgende Schriften, in denen sich Melanchthon näher über die Väter auslässt: Die Articuli visitationis und der Unterricht der Visitatoren 1527/28, der Brief an Oekolampad vom 8.4.1529, die Berichte vom Marburger Gespräch und das Gutachten vom Oktober 1529, die Sententiae Veterum vom März 1530, das „iudicium de Zwinglii doctrina“ vom Juli 1530 und die Erstausgabe der Apologie vom Frühjahr 1531. Von diesen Schriften werden in der gegenwärtigen Forschung jedoch nicht alle als solche anerkannt, in denen Melanchthons Meinung zum Ausdruck kommt. Das gilt besonders vom „Unterricht der Visitatoren“ 1528, der nach Neusers Meinung eine starke Überarbeitung in den Abendmahls93 sätzen durch Luther erfahren hat und für das Vätergutachten vom Oktober 1529, das in seinem Kommentar zu den Väterstellen nicht von Melanchthon 94 stammen könne. Es werden deshalb nur zwei eindeutig von Melanchthon stammende Äußerungen bearbeitet, um dann von da aus zu sehen, wie sich die übrigen Stücke ihnen einfügen. Der Brief an Oekolampad vom 8.4.1529 Inhaltlich ist es nur ein Gedanke, auf den Melanchthon hinweist: „Meiner Meinung nach ziehen die Alten nicht unpassend das Abendmahl bei, wenn sie von der Auferstehung disputieren. Denn Christus hat den Aposteln bedeutet, dass er auferstehen werde, weil er die Gemeinschaft seines Leibes eingesetzt hat. Es war ja notwendig, dass der Leib, der uns mitgeteilt werden sollte, lebe. Wenn die Alten gemeint hätten, dass ein abwesender Leib vergegenwärtigt würde, wie 95 bewiesen sie von daher die Auferstehung?“ Melanchthon will also darauf hinaus, dass die Alten das Abendmahl als eine Austeilung des gegenwärtigen und lebendigen Leibes verstanden haben müssen, da sonst ihr Schluss vom Abend92 Vgl. S. 196, die Bemerkung an Eberbach Ende Oktober 1527; aber auch später, am 2.11.29 an Feselius: „Ego scio, sententiam Zwinglii nec scripturis nec autoritate veterum scriptorum posse defendi. Quare de coena domini ita doceas ut docet Lutherus“ (CR 1,1110). 93 So Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 288 z. B.: „Im ersten Abschnitt ist die Formel der ‚Vermischung von Brot Wein‘, würde Melanchthon sagen, wieder eingesetzt worden.“ 94 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 411f.: „Die Zitate stammen von Melanchthon; denn sie kehren alle in den Sententiae veterum wieder. Hingegen wird im Kontext lutherisch gelehrt … Veit Dietrich, der Augenzeuge ist, gibt zu Recht Luther als Hauptverfasser an.“ 95 CR 1,1050: „Veteres, cum de resurrectione disputant, allegant Coenam, nec inepte meo quidem iudicio; significavit enim Christus Apostolis, se resurrecturum esse, quia sui corporis κοινςνίαν instituit. Necesse enim erat, ut viveret corpus, quod nobis impartiendum erat. Quod si veteres sensissent, absens corpus repraesentari, quomodo inde probarent resurrectionem?“

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mahl auf die Auferstehung keine Beweiskraft hatte. Dass er dabei von einer „Austeilung“ des Leibes redet, lässt sich schwerlich anders verstehen, als dass die Realpräsenz auf das Brot bezogen ist. In die gleiche Richtung weisen auch das Verständnis der κοινωνία corporis und die Betonung der proprietas verborum im selben Brief. Doch liegt dies nicht mehr im Rahmen dieser Darstellung. Die Sententiae Veterum Melanchthon fasst im Widmungsschreiben an Myconius das, was die Väter vom Sakrament lehren, in die Worte: „corpus et sanguinem Domini vere adesse in 96 coena dominica!“ Es ist derselbe Ausdruck, mit dem er auch seine eigene Abendmahlslehre und die seiner Gesinnungsgefährten zusammenfasst. Um zu verstehen, was Melanchthon mit diesem Ausdruck in den Sententiae meint, ist es erforderlich, die Väterzitate selbst auf ihren Inhalt hin anzusehen. Der Witten97 berger zitiert sehr ausführlich, um den gesamten Kontext sprechen zu lassen. Nachstehend kann darum nur eine kurze Zusammenfassung gegeben werden, die unter zwei Fragen auszuwerten ist: Worauf legt Melanchthon in den angeführten Zitaten offensichtlich wert? Welche sachliche Aussage wird durch ein eigenes Zitat belegt? Aus Cyrill wird die Verbindung der Gläubigen mit Christus erläutert. Sie besteht nicht nur geistlich, durch Glauben und Liebe, sondern auch dem Leibe nach. „ … omnes enim uno pane participamus. An fortassis putat ignotam nobis mysticae benedictionis virtutem esse? Quae cum in nobis fiat, nonne corporaliter quoque facit communicatione carnis Christi, Christum in nobis habitare? … Unde considerandum est, non habitudine solu quae per charitatem intelligitur, Christum in nobis esse, verum etiam et participatione naturali …“

Die Fortsetzung dieses Zitats veranschaulicht diese participatio naturalis durch das Beispiel von zweierlei flüssigem Wachs, das vermischt wird, und begründet sie sodann: „Non poterat enim aliter corruptibilis haec natura corporis ad incorruptibilitatem 98 et vitam traduci, nisi naturalis vitae corpus ei coniungeretur.“

Der Leib Christi und der Leib des Kommunikanten werden also miteinander verbunden. Ein weiteres Zitat aus Cyrill beschäftigt sich mit der Frage, wie es möglich sei, dass Christus uns sein Fleisch gibt und beantwortet sie unter Hinweis auf die 99 vielerlei Wunder des Alten Bundes mit der Allmacht Gottes. 96 CR 2,29. 97 CR 23,748: „… non temere fidem habendam esse vulgo citatis testimoniis, sed considerandum esse, quo loco, quo consilio dicta, sint … Nam si in foro arbitrantur incivile esse, non inspecta tota lege pronuntiare, multo magis in controversiis religionis, decet nos integra testimonia requirere.“ 98 CR 23,732f. – Cyr., Jo. lb. X,2 zu Joh 15,1 (PG 74,342).

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Und ein dritter Cyrill-Abschnitt spricht von der lebendig machenden Kraft des Leibes Christi und schließt aus der körperlichen Berührung des Jüngling zu Nain auf die Kraft des Abendmahls, in dem Christi Fleisch gegessen wird. „Non ergo verbo solum semper, ut diximus, verum etiam tactu mortuos excitabat, ut ostenderet corpus quoque suum vivificare posse, quod si solo tactu suo corrupta redintegrantur, quomodo non vivemus qui carnem illam et gustamus et manduca100 mus?“

Aus Chrysostomos belegt Melanchthon, dass es um eine wirkliche Verbindung mit dem Leibe Christi geht. Wir sind durch die Abendmahlspeise ein Leib und Glieder aus seinem Fleisch und Gebein. „Ut autem non solum per dilectionem, sed reipsa in illam carnem convertamur, per cibum id efficitur, quem nobis largitus est. Cum enim suum in nos amorem indicare vellet, per corpus suum se nobis commiscuit, et in unum nobiscum redegit, ut 101 corpus cum capite uniretur.“

Im nächsten Zitat warnt Chrysostomos davor, dass nicht nur die, die den Herrn gekreuzigt haben, sondern auch die, die das Sakrament unwürdig (nämlich unrein) empfangen, an seinem Leib und Blut schuldig werden. Denn Christus ist nicht nur Mensch geworden und für uns gegeißelt, sondern er verbindet sich mit uns durch das Sakrament sozusagen zu einer Masse, er macht uns wirklich zu seinem Leib und nährt uns mit seinem Leib. „Qua igitur re mundiorem esse non oportet eum, qui hoc sacrificio participaturus 102 est, quos radios solares non deberet excedere manus illa, que hanc coronam pertractat, os quod igne impletur spirituali, lingua quae cruentatur hoc admirabili 103 sanguine? … proprio corpore nos alit, et sibi coniungit, atque conglutinat …

Ein letztes Zitat aus Chrysostomos bringt zum Ausdruck, dass der der mit dem Vater erhöht thront, zur Stunde des Abendmahls von aller Hände gehalten wird 104 und sich denen gibt, die ihn umgeben und umfassen wollen.

99 CR 23,734f. – Cyr., Jo. lb. IV zu Joh 6,53 (PG 73,574f.). 100 CR 23,736f. – Cyr., Jo. lb. IV zu Joh 6,54 (PG 73,575f.). 101 CR 23,737f. – Chrys., hom. in Jo. 46,3 (45,3) zu Joh 6,41 (PG 59,260). 102 Statt „coronam“ ist „carnem“ zu lesen. Der griechische Text lautet: „Τίνος οὖν οὐκ ἔδει καθαρώτερον εἶναι τὸν ταύτης ἀπολαύοντα τῆς θυσίας; ποίας ἡλιακῆς ἀκτῖνος τὴν χεῖρα τὴν ταύτην διατέμνουσαν τὴν σάρκα, τὸ στόμα τὸ πληρούμενον πυρὸς πνευματικοῦ, τὴν γλῶσσαν τὴν φοινισσομένην αἵματι φρικωδεστάτῳ; … ἀλλ‘αὐτὸς ἡμᾶς τρέφει οἰκείῳ αἵματι, καὶ διὰ πάντων ἡμᾶς ἑαυτῷ συμπλέκει“. 103 CR 23,738f. – Chrys., hom. in Matth. 82,5 (83,5) zu Mt 26,26f. (PG 58,1 Sp. 743f.). Melanchthon bietet eine andere Übersetzung als Migne. 104 CR 23,739 – Chrys., sac. III,4: „O ingens miraculum, O magnam Dei benevolentiam erga nos. Is qui sedet supra cum patre, illa hora omnium manibus detinetur, et dat se volentibus circumdare et complecti.“ (PG 48,642).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

Aus Theophylakt zitiert Melanchthon einen Satz, der ausdrücklich das Brot als Symbol ablehnt und das Brotwort demonstrative, versteht. Demonstrative meint hier, dass auf einen Gegenstand gezeigt und gesagt wird, was er ist, „ne quis putaret, ea quae cernuntur, typum esse.“

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Der Gedanke ist dabei, dass man ja etwas anderes sieht, als was es ist, und deshalb leicht die Meinung aufkommen könnte, dass das Brot nur Typus des Leibes und nicht der Leib selbst sei. Dass der Leib Christi auf das Brot bezogen ist, geht auch aus dem zweiten Theophylakt-Wort hervor. „Hoc est corpus meum, hoc inquam, quod sumitis. Non enim figura tantum et exemplar quoddam Dominici corporis panis est, sed in illum convertitur corpus 106 Christi …“

In diesem Zusammenhang wird auch die Frage beantwortet, wieso das Fleisch Christi nicht sichtbar dargereicht wird – weil wir davon zurückschrecken würden. Das Zitat des Hilarius argumentiert gegen eine bloße Willenseinheit zwischen Gott dem Vater und dem Sohn vom Sakrament aus, durch das ja schon eine natürliche Einheit zwischen Christus und uns gewirkt wird. Sie besteht darin, dass wir den wahren Leib und das wahre Blut essen und trinken. „De naturali enim in nobis Christi veritate quae dicimus, nisi ab eo discimus, stulte atque impie dicimus. Ipse enim ait. Caro mea vere est esca, et sanguis meus vere est potus. Qui edit carnem meam, et bibit sanguinem meum, in me manet, et ego in eo. De veritate carnis et sanguinis non relictus est ambigendi locus. Nunc enim et ipsius Domini professione, et fide nostra, vere caro est et vere sanguis est. Et haec accepta atque hausta id efficiunt, ut et nos in Christo, et Christus in nobis sit 107 …“

Cyprian ist mit zwei Zitaten vertreten; die Echtheit des einen ist Melanchthon nicht gewiss, er meint aber, es stamme von einem alten Autor, und darauf kommt es ihm an. Das erste Zitat stellt darauf ab, dass wir hinsichtlich des Sakraments zu 108 tun haben, was Christus getan und zu tun befohlen hat. Das andere befasst sich mit dem Abendmahlsbrot: „Panis iste quem Dominus discipulis porrigebat, non effigie, sed natura mutatus, omnipotentia verbi factus est caro, et sicut in persona Christi humanitas videbatur, et latebat divinitas, ita sacramento visibili ineffabiliter divina se infudit essentia, ut 105 CR23,739; der Text hat in PG 123,443 eine etwas andere Gestalt: „Non enim dixit, Hoc est figura, sed, Hoc est corpus meum. Ineffabili enim operatione transformatur, etiamsi nobis videatur panis.“ 106 CR 23,739f. – Theoph., en. in Marci zu 14,6–9 (PG 123,650f.). 107 CR 23,740f. – Hil., trin. VIII (PL 10,246f.). 108 CR 23,741 – Cyp., ep. Ad Caecilium (CSEL III,2 S. 712,13ff.).

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esset religioni circa sacramenta devotio, et ad veritatem, cuius corpus sacramenta 109 sunt, sincerior pateret accessus, usque ad participationem spiritus.“

Demnach ist Christus nach seinem Leib und nach seiner Gottheit im Abendmahlsbrot gegenwärtig. Was von Irenäus zitiert wird, läuft darauf hinaus, dass unsere Leiber im Abendmahl durch den Leib und das Blut des Herrn genährt und darum des ewigen Lebens teilhaftig werden. Wie nun die Eucharistie aus einer irdischen und einer himmlischen Sache besteht, so werden auch unsere Leiber, die die 110 Eucharistie empfangen, nicht mehr verderblich sein. Zwei Bücher des Ambrosius, de mysteriis initiandis und de sacramentis, führt Melanchthon an. Sie sind zwar umstritten, doch hält er sie auf Grund verschiedener Indizien für echt. Zusammenfassend sagt er von ihnen: „quod non tantum 111 significet panis corpus Domini, sed re ipsa corpus Christi detur in coena.“ Als Beweis dafür zitiert er eine längere Reihe von Beispielen, die da zeigen, wie die Kraft der Segnung größer ist als die der Natur und wie die Natur selbst durch die Segnung gewandelt wird. Solche Beispiele sind unter anderem der Stab des Mose und die Verwandlung des Wassers in Blut in Ägypten. „Si tantum valuit humana benedictio, ut naturam converteret, quid dicemus de ipsa consecratione divina, ubi verba ipsa Domini Salvatoris operantur? Nam sacramentum istud quod accipis, Christi sermone conficitur …, non valebit Christi 112 sermo, ut species mutet elementorum?“

Melanchthon fasst daraufhin die Meinung des Ambrosius in die Worte: „panem 113 non esse tantum signum, sed naturam panis mutari.“ Es empfiehlt sich, an dieser Stelle innezuhalten und die ausführliche Besprechung der nun folgenden Augustin-Zitate für sich zu nehmen. Sieht man die angeführten Texte auf die Frage hin an, welchen Themen Melanchthon überhaupt ein Zitat gewidmet hat, so sind es folgende: 1) die Verbindung und Ernährung des Leibes der Kommunikanten mit dem 114 Leibe des Herrn zu einem Leib 115 2) das leibliche Umfangen und Essen des Leibes des Herrn 116 3) die wirkliche Gegenwart des Leibes Christi im Brot 109 Melanchthon zitiert aus dem gemeinhin Cyprian zugeschriebenen Traktat Ad Cornelium Papam de Cardinalibus Operibus Christi, zu dem neben dem Sermo de Coena Domini auch De Unctione Chrysmatis gehört. Er findet sich noch in der Cyprian – Ausgabe des Jacobus Pamelius, Köln 1617, Bd III S. 273a. Näheres zu dieser unechten Schrift in PL 4,844; vgl. PL 189,1643f. 110 CR 23,742; Melanchthon verweist auf Iren., haer. V,2 (SC 153,28f.); Iren., haer. IV,18 (SC 100,596ff.). 111 CR 23,743. 112 CR 23,744 – Amb., myst. 9 (PL 16,422). 113 CR 23,744. 114 Es handelt sich um folgende Zitate: Cyrill 1, Chrysostomos 1 und 2, Hilarius, Irenäus 1 bis 3. 115 Chrysostomos 3, Cyrill 3.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon 117

4) die Berufung auf die Allmacht Gottes 118 5) die Bindung an die Einsetzung Melanchthon widmet also gerade den Themen eines oder mehrere Kirchenväterzitate, die in der Abendmahlsauseinandersetzung Brennpunkte der Diskussion geworden waren und bestätigt im Blick auf das Sakrament als Zeichen der in ihm gegenwärtigen Sache, die leibliche Nießung, die wunderbare Allmachtswirkung des Herrn und seines Worts und die Einsetzung Luthers Position. Die andere Frage ist, was Melanchthon in den angeführten Texten durch Großdruck besonders hervorhebt und woran ihm also offenkundig besonders gelegen ist. a) Melanchthon betont, dass Christus leiblich durch das Abendmahl in uns ist. Dies geht aus der Großschreibung des corporaliter und des participatione naturali im ersten Cyrill-Zitat, aber auch aus der Großschreibung von re ipsa im Chrysostomos-Abschnitt hervor. Corporaliter steht im Gegensatz zu einer nur aus Glaube und Liebe bestehenden Verbindung zu Christus. Es meint, dass der Leib Christi selbst durch die communicatio carnis Christi, d. h. die Mitteilung des Fleischs Christi, so mitgeteilt wird, dass er mit unserem Leibe verbunden ist. Eben dieses meint auch der Ausdruck participatio naturalis. Sie besteht darin, dass der natürliche Leib Christi mit unserem Leib verbunden ist. Naturalis heißt hier geradezu so viel wie „leiblich“, weil es nämlich der Natur des Christus entspricht, dass er einen wahren Leib hat. Der participatio naturalis bei Cyrill entsprechend betont Melanchthon im ersten Zitat des Chrysostomos das re ipsa: Wir werden re ipsa, d.h. wirklich, in das Fleisch Christi verwandelt. Sein Leib bildet mit uns und unserem Leib eine Einheit. Es handelt sich also nicht nur um eine geistige, sondern eine leibliche Gemeinschaft, die durch die Speise, die uns geschenkt ist, zustande kommt. Also auch der Begriff re ipsa ist geradezu bestimmt durch die Leiblichkeit. b) Melanchthon legt Wert darauf, dass die Aussage von dem Leib Christi, der im Abendmahl ausgeteilt und gegessen wird, im Sinn eines – wie auch immer gearteten-Essens mit dem Munde verstanden wird. Die von ihm großgedruckten Worte im letzten Cyrill-Zitat „Qui carnem illam et gustamus manducamus“ können dem Zusammenhang nach nicht anders als so verstanden werden. Denn die Schlussfolgerung von Geringeren zum Größeren, von der lebenspendenden Berührung des Jünglings zu Nain auf das lebenspendende Essen des Leibes Christi müsste hinfallen, wenn letzteres nicht als ein leibli119 ches Berühren – welcher Art auch immer – gemeint wäre. 116 Vulgarius (Theophylakt) 1 und 2, (Pseudo) Cyprian 2, Ambrosius, Irenäus 4. 117 Cyrill 2. 118 Cyprian 1. 119 Vgl. die Ausführungen über die Manducatio Ceremonialis S. 207ff. und die Äußerung im Marburger Vätergutachten über Cyrill S. 219.

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c) Eine letzte Großschreibung findet sich in dem zweiten Vulgarius-Zitat: „Hoc est corpus meum, hoc inquam, quod sumitis“. Hier betont Melanchthon die Beziehung der Aussage „Leib Christi“ auf das Brot, das empfangen wird. Dieses Brot ist der Leib Christi. Von einer lockeren Beziehung der Gegenwart des Leibes auf die ganze Handlung und einer Ablösung desselben vom Brot kann also keine Rede sein. Dreierlei hebt also Melanchthon besonders hervor: Die leibliche Verbindung des Kommunikanten mit dem Leibe Christi zu einem Leibe, die leibliche Nießung des Leibes Christi, den Bezug des Hoc est auf das Brot. Angesichts dieser Hervorhebungen entsteht die Frage, wie sie sich mit der allgemeinen Zusammenfassung der Vätermeinung durch die Formel corpus et sanguinem Domini vere 120 121 adesse in coena dominica oder vere eum ibi adesse verhalten. Wilhelm Neuser meint, dass sie nur eine allgemeine Beweisführung für die – vom Element abgelöste und nur an die Handlung gebundene – Realpräsenz darstelle. Er begründet es damit, dass die Zusammenfassung der Vätermeinung 122 unergiebig sei. Diese Begründung überzeugt nicht. Nicht ein von späterer Entdeckung her mögliches Verständnis der zusammenfassenden Formel Melanchthons interpretiert den Väterbeweis, sondern die von Melanchthon selbst hervorgehobenen Stellen interpretieren die Formel. Andernfalls müsste man annehmen, dass der Reformator nicht das, was er durch Großdruck als Vätermeinung hervorhebt, mit dieser Formel zum Ausdruck bringen wollte. Dazu besteht aber angesichts der häufigen Identifikation mit der Vätermeinung gar kein Anlass. Dass der Reformator sich offensichtlich genau überlegt hat, was er hervorhebt, geht daraus hervor, dass keiner der Begriffe betont ist, die eine Wandlung aussagen. Nicht die Wandlung will er aus den Vätern bewiesen haben, sondern die Gegenwart des Leibes Christi bei dem dargereichten und empfangenen Brot, so dass mit diesem Brot der Leib Christi leiblich gegessen wird und so eine leibliche Verbindung mit dem Herrn geschieht. Der Ausdruck „mit“ bietet sich für dieses Verständnis geradezu an; er verhindert eine simple Identifikation des Brots und des Leibes und bringt die Identität der Gegenwart beider gut zum Ausdruck – einer Identität, die sich auf die Tatsache der Gegenwart, und nicht 123 die Art und Weise derselben bezieht.

120 CR 2,29. 121 CR 23,751. 122 Neuser, S. 396 Anm. 453 (Die Abendmahlslehre Melanchthons). 123 Melanchthon formuliert im Gutachten über die Lehre Zwinglis aufschlussreich, wie er das „cum“ versteht: „Corpus Christi realiter esse cum pane, sine distantia geometrica.“ CR 2,223. Dort, wo das Brot ist, ist demnach der Leib, ohne dass ein räumlicher Abstand zwischen beiden besteht. Bei dieser Auffassung des cum ist es Melanchthon ohne weiteres möglich, auch die Präposition „in“ zu gebrauchen – wie er es bei allem den Reformatoren eigenen Wissen um die Unzulänglichkeit dieser Verhältniswörter auch tatsächlich tut. CR 2,223 oder 2,311. Vgl. auch Herrlinger, Theologie Melanchthons, S. 135.

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Auch der nähere Gebrauch der die Vätermeinung zusammenfassenden Formel und Ihrer Modifikationen in den Sententiae bestätigt, dass sie Ausdruck der von Melanchthon bei den Vätern hervorgehobenen Identität der Gegenwart von Brot und Leib Christi sind. So heißt es im Blick auf die angeführten und von Melanchthons selbst als clara et aperta testimonia hervorgehobenen Zitate des 124 Hilarius, und Cyrill „manifeste affirmant corpus Christi adesse in coena“. Und die Abendmahlslehre des Ambrosius fasst der Reformator z. B. in den Satz zusammen, „quod non tantum significet panem corpus Domini, sed re ipsa corpus 125 Christi detur in coena.“ Das Brot bezeichnet also nicht nur den Leib Christi, sondern der Leib Christi wird wirklich im Abendmahl gegeben. Der zweite Teil dieser Aussage ist die Erläuterung dessen, dass das Brot nicht nur den Leib bedeutet, es ist mehr. Dieses „mehr“ wird nun nicht mit einer Identifikation von Brot und Leib ausgesagt, die in der Abendmahlsauseinandersetzung oft missverstanden wurde, sondern so, dass der Akt des Darreichens des Brots und des Leibes Christi ein und derselbe Akt ist. Dieser Bezug des zweiten Satzteils auf das Brot wird dadurch bestätigt, dass der Wittenberger wenig später die Ausführungen des Ambrosius in das Wort zusammenfasst: „panem non esse tantum 126 signum, sed naturam panis mutari.“ Die von Melanchthon hervorgehobenen Väteraussagen enthalten ein Moment, das wenigstens nicht unerwähnt bleiben soll. Es handelt sich um die Aussagen, die die leibliche Verbindung der Kommunikanten zu einem Leib mit Christus aussagen. Diese Aussagen, die sich bei Cyrill, Chrysostomos und Hilarius finden, haben offensichtlich ein großes Gewicht. Melanchthon beginnt die Sententiae mit einem Cyrill-Zitat, das die participatio naturalis und das corporaliter hervorhebt und der nächste Abschnitt, der dem Chrysostomos gewidmet ist, setzt wieder mit einem Zitat ein, in dem die wirkliche, leibliche Verbindung zu einem Leib mit Christus hervorgehoben wird. Es steht fast so aus, als ob die Beweisführung Melanchthons für die Realpräsenz bei dem von den Vätern gelehrten leiblichen Einswerden mit Christus einsetzt, also sozusagen bei dem Ergebnis, bei dem, was durch das Abendmahl zustande kommt. Man darf solche Beobachtung nicht überbewerten. Der Wittenberger neigt dazu, seine Argumentation immer von dem her aufzubauen, das ganz gewiss ist und von allen Kontrahenten unbedingt anerkannt werden muss. Vielleicht sah er diese Väteraussagen 127 als die allerklarsten und in jeder Hinsicht unwiderlegbaren an und es erschien ihm der Gedanke, dass der Leib Christi gegessen und mit dem Brot gereicht wird von daher leichter nachvollziehbar.

124 CR 23,748f. 125 CR 23,743. 126 CR 23,744. 127 Cyrill und Hilarius bieten solche klaren Worte, dass ihnen gegenüber auch das Augustin-Wort, das vom Leib des Herrn in uno loco handelt, weichen muss. CR 23,748f.

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Es ist nun die Frage zu stellen, ob die übrigen Ausführungen Melanchthons in den Sententiae, die besonders zu den von Gratian angeführten Augustinworten gemacht worden sind, im Sinn der bisher erarbeiteten Vätermeinung verstan128 den können, ja müssen, oder ob sie, wie es behauptet wird, eine neue Abendmahlslehre aufweisen. Mit der Antwort auf diese Frage wird bewährt, ob sich Melanchthon, indem er die Vätermeinung durch die Formel „corpus Christi in coena adest“ zusammenfasst, mit der in den angeführten Zitaten erkennbaren Vätermeinung identifiziert oder nicht. Unmittelbar nachdem Melanchthon die einzelnen Augustin-Worte des Gratian nach ihrer Herkunft gekennzeichnet hat, heißt es zur Auslegung Augustins über Johannes 6: „de fructu sacramenti seu de manducatione spirituali multa dicit, quae nos non inviti amplectimur. Atqui haec non impediunt manduca129 tionem ceremonialem.“ Was bedeutet manducatio ceremonialis? Neuser meint, es sei eine äußerliche Nießung gemeint, die sich nicht auf den Leib Christi, sondern auf den Leib des 130 Essenden beziehe. Der Begriff richte sich gegen eine Äußerung Oekolampads, gemäß der Cyrill lehre, „spiritualem carnis Christi manducationem absque ceremoniali vivificare“. Melanchthon wolle die Zwingli‘sche Lehre korrigieren, die auf die Gnadenmittel verzichtet oder sie geringschätzt. Neuser versteht demnach die folgende Begründung Melanchthons, in der er zu zeigen versucht, wieso das, was über die geistliche Nießung gesagt ist, die manducatio ceremonialis nicht aufhebt, als eine Erläuterung dafür, dass Gott die geistliche Nießung an die Zeremonien, nämlich, an das gepredigte Wort und die Sakramente gebunden hat. Die allgemeine Richtung dieser Aussage Melanchthons wäre dann, dass Gott 131 nicht ohne, sondern durch die Zeremonien handelt. Nun zeigen aber die Ausführungen Oekolampads ein anderes Bild. Der Basler gibt mit den zitierten Worten gar nicht die Meinung Cyrills wider, sondern 132 sagt im Gegenteil angesichts der von ihm zuvor angeführten Worte Cyrills: „Equidem nisi iam antea concessum esset, spiritualem carnis Christi manducationem absque cremoniali vivificare, et in vita conservare totum hominem, et de

128 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 291: „Die Ablösung Melanchthons von Luthers Lehre erfolgt, wie wir sahen, unter größter Geheimhaltung … Ungewollt offenbart er seine Haltung schon in der Schrift ,Sententiae veterum‘.“ 129 CR 23,746. 130 Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 388: „Der Kontext gibt zu erkennen, daß manducatio corporalis und ceremonialis die äußere Nießung bezeichnen; die Begriffe sind identisch.“ Zwei Seiten vorher schreibt Neuser zum Verständnis von manducatio corporalis: „Hiermit meint Melanchthon nicht Luthers ,leibliche Nießung‘ des Leibes und Blutes Christi, sondern – wie die Übersetzung im Visitationsbuch besagt – die ,eusserlich niessung‘ des Brotes und Weins. Corporalis bezieht sich auf den Leib des Essenden und nicht auf den Leib Christi.“ 131 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 388f. 132 Oekolampad zitiert den auf S. 107 behandelten Abschnitt des Cyrill.

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spirituali intelligendum esse caput Euangelii loannis sextum, non tarn intellectui 133 meo fiderem, quin verba illa suffragari adversariis suspicarer.“ Der in den vorangegangenen Ausführungen Oekolampads vollzogene Nachweis, dass das geistliche Essen des Fleischs Christi im Sinne von Glauben nur und allein den Menschen rette, das sakramentliche dagegen nicht, ist also gerade der entscheidende Grund dafür, dass Oekolampad das Cyrill-Wort, das im Sinne eines leiblichen Essens des Leibes Christi im Brot lautet, so nicht auffassen kann. Ceremonialis manducatio bedeutet demgemäß bei Oekolampad nicht nur, dass der Leib des Kommunikanten Brot und Wein zu sich nimmt, sondern dass er den Leib Christi im Brot isst. Dem entspricht auch der Text selbst. Oekolampad stellt ja der spiritualis carnis Christi manducatio nicht nur eine bloße ceremonialis manducatio gegenüber, sondern eine „ceremonialis manducatio carnis Christi“. Wie er auch am Ende der Behandlung des Cyrill-Zitats noch einmal zusammenfasst, dass Christus unser Heil nicht an einen „ceremoniarius ritus“ binden wolle, – wobei klar erkennbar ist, dass er unter diesem ceremoniarius ritus einen sol134 chen versteht, „quod in pane corpus, et in vino sanguis contineatur“. Melanchthons Bezugspunkt ist also nicht eine allgemeine Geringschätzung der Gnadenmittel, bzw. das Verständnis der Sakramente als leeres Zeichen, sondern das Argument, dass der Leib Christi geistlich, d.h. im Glauben genossen werde und deshalb ein leiblicher Genuss des Leibes Christi unnötig, ja schädlich sei. Gerade diese falsche Folgerung weist Melanchthon zurück und hält an der manducatio ceremonialis fest, die in der Gegenüberstellung Oekolampads eindeutig auf den Leib Christi geht und auch in der Gedankenführung Melanchthons das gleiche Objekt wie die manducatio spiritualis hat. Darüber hinaus wäre das ganze Argument Melanchthons auch sachlich hinfällig, wenn unter der manducatio ceremonialis nur das Essen des Brots und Weins verteidigt würde – das haben ja Oekolampad und Zwingli mitsamt allerlei gleichzeitiger geistlicher Wirkungen durchaus zugestanden. Die manducatio ceremonialis, die Melanchthon als durchaus nicht im Widerspruch zur manducatio spiritualis stehend verteidigt, ist also eine ceremonialis 135 corporis Christi manducatio. Dass sie durch die geistliche Nießung nicht auf133 Genuina Expositio i8a. 134 Genuina Expositio i8b. 135 Auch die Darlegungen Neusers über den Sinn von „manducatio corporalis“ in den Visitationsartikeln (Die Abendmahlslehre Melanchthons S. 386) überzeugen nicht. Woraus geht in der deutschen Ausgabe, die doch nach Neusers Meinung ein in der Abendmahlslehre von Luther überarbeitetes Dokument darstellt, hervor, dass „äußerliche Nießung“ nur die Nießung von Brot und Wein meine? „Äußerlich“ wird doch im Unterschied zum Glauben, der innerlich ist, gesetzt und schließt angesichts des „ym brot der wahrhafftige Leib Christi“ das Essen des Leibes und Trinken des Blutes Christi ein. Das zeigt sich auch in dem von Neuser angeführten Bericht über Marburg CR 1,1100: „Auf das erste Johannis am 6ten, ist geantwortet, daß dasselbige Kapitel der Einsetzung des Sacraments nicht entgegen sey. Denn wiewohl Christus da allein von geistlicher Nießung seines Leibes lehret, nämlich vom Glauben, so ist‘s doch allhie eingesetzt, auch leiblich zu essen, und wird damit dem geistlichen Essen nichts abgebrochen noch gehin-

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gehoben ist, liegt daran, dass die Sakramente, wie auch das Wort, die Herzen bewegen und Glauben wirken und insofern also gerade nicht von der geistlichen 136 Nießung ausgeschlossen werden, sondern umgekehrt sie fördern. Neben der Stellungnahme zu Johannes 6 geht Melanchthon ausführlich auf das von den Schweizern besonders herausgestellte Wort Augustins vom Leibe Christi ein: „Donec seculum finiatur, Dominus sursum est, Sed tamen etiam hic nobiscum est veritas Domini, Corpus enim, in quo resurrexit, in uno loco esse oportet, veritas 137 autem ubique diffusa est.“

Der Reformator zitiert den gesamten Abschnitt, er weist auch auf andere Lesearten hin (die er als fehlerhaft ansieht) und erklärt diese Stelle als ein Beispiel dafür, wie das, was an einem Ort gesagt ist, in anderem Zusammenhang einen ganz anderen Sinn bekommt. Augustin rede nämlich von dem sichtbaren Umgang, wie er zwischen dem lehrenden Christus und seinen Jüngern bestand. Dieser Umgang komme Christus jetzt nicht unter den Menschen weit und breit zu, weil er an einem Orte, nämlich im Himmel, ewig stattfinde. Es erscheint Melanchthon unpassend, diese Aussage nun aufs Abendmahl zu ziehen. Wen diese Stelle überzeugt, dass nach Augustins Meinung der Leib Christi nicht im Abendmahl sei, der bedient sich einer entsprechend der Größe der Sache zu geringen Wahrscheinlichkeit. Denn wenn man diesen einen Satz auf andere Weisen der Gegenwart überträgt, wie weiß man dann, dass Augustin ihn von diesen anderen und nicht bloß von der, von der er gegenwärtig redete, verstanden wissen wollte? „Gemeinhin sagt man, dass die Worte gemäß der zugrunde liegenden Materie zu verstehen seien; wenn wir das hier tun, kann man leicht erkennen, dass diese Stelle nicht denen diene, die leugnen, dass der Leib des Herrn im Abend138 mahl da sei.“ Melanchthon glaubt nicht, dass Augustin mit dieser Stelle den Leib Christi so an einen Ort binden wollte, dass er niemals anderswo sein könnte, zumal es die Schrift nirgends tut. Seiner Meinung nach kann außer dem Urteil der menschlichen Vernunft nichts beigezogen werden, weshalb Christus an einen Ort eingeschlossen werden sollte. Wenn die Väter geglaubt hätten, dass dies ausreiche, dann hätte es niemals jene Streitigkeiten über die Gegenwart des

dert, sondern wir lehren, daß auch solch geistlich Essen im Sacrament seyn soll, also ist laut der Worte: hoc est corpus meum, die äußerliche Nießung eingesetzt, ob sie schon Joh. am 6ten nicht eingesetzt ist.“ – Was soll denn im Gegenüber zur geistlichen Nießung auch leiblich gegessen werden wenn nicht der Leib Christi? In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass Melanchthon in der Apologie XIII,5 von den ritus sagt: „cum baptizamur, cum vescimus corpore Domini, cum absolvimur“. 136 Zum Sakramentsverständnis vgl. S. 205f. 137 CR 23,747 – Aug., Io. ev. tr. 30,1 (CChr.SL 36,289). 138 CR 23,747 „Vulgo aiunt verba secundum subjectam materiam accipienda esse, quod si hic facimus, facile poterit intelligi hunc locum non patrocinari his, qui negant corpus Domini adesse in coena.“

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

Leibes Christi im Abendmahl gegeben. Es sieht ja jeder die absurden Folgen. Aber alle meinten, dass das Urteil der Vernunft der Schrift weichen müsse. Melanchthon interpretiert hier Augustin von dem Zusammenhang aus, in dem die Väter mit der Schrift stehen, der auch ihr allgemeines Urteil über die Vernunft bestimmt. Die Schrift bestätigt nirgends, dass der Leib Christi so an einen Ort gebunden sei, dass er nicht anderswo sein könne. Für diese Meinung ist allein die menschliche Vernunft verantwortlich. Hätte diese bei den Vätern gegolten, so wären niemals die Abendmahls-Streitigkeiten entstanden; es wäre – wegen der Absurditäten klar gewesen, dass der Leib Christi nicht im Abendmahl ist. So aber haben die Väter gemeint, dass die Vernunft der Schrift zu weichen habe. Diese allgemeine Meinung gilt natürlich auch für Augustin. Und dafür, dass dieser den Leib Christi nicht an einen Ort bindet, zitiert Melanchthon: „Tamen unus Christus secundum unitatem personae in coelo erat, quando in terra loquebatur, sic erat filius hominis in coelo, quemadmodum filius Dei erat in terra, Filius Dei in terra in suscepta carne, Filius hominis in coelo in unitate perso139 nae.“

Der Sinn dieser Worte ist, dass der Menschensohn, obwohl er auf Erden wandelte, dennoch in der Einheit der Person im Himmel war. Damit ist für Melanchthon auch bei Augustin die Bindung des Leibes an einen Ort grundsätzlich durchbrochen; das sursum corda – Wort Augustins kann also nicht für eine sol140 che Bindung geltend gemacht werden. Auf zwei Punkte ist im Zusammenhang des Gesamtverständnisses der sententiae noch einzugehen, auf die Frage, ob nicht der in ihnen erkennbare Sakra-

139 CR 23,748 – Aug., Io. ev. tr. 27,4 (CChr.SL 36,271). 140 Es ist unverständlich, wie W. Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons S. 362, die Mahnung Melanchthons, ex hoc Augustini loco nichts hinsichtlich des Abendmahls zu urteilen, auf das soeben angeführte Zitat vom Wandel des Menschensohns im Himmel beziehen kann. Weder distanziert sich Melanchthon von diesem Wort wegen einer möglichen Zwingli'schen Umdeutung, noch führt er es als Zeugnis einer allgemeinen Gegenwart der Person Christi an (S. 361), vielmehr dient es dem Widerspruch zu der These, dass Augustin grundsätzlich dem Leibe Christi nur ein Sein an einem Orte zugebilligt habe. Dieser Widerspruch ist bewiesen, wenn Augustin ein Sein des Menschensohnes, der nicht ohne den Leib gedacht werden kann, im Himmel aussagt, obwohl er auf Erden wandelte. Dass Melanchthon mit seiner Mahnung das in – uno – loco – Wort meint, zeigt der Kontext: Zuvor heißt es in eindeutigem Bezug „Neque vero quisquam mihi persuaserit, Augustinum hoc loco sic alligare corpus Christi ad unum locum …“ CR 23,748. Auch würde die Gegenüberstellung zu den klaren und offen daliegenden Worten des Hiarius und Cyrill ihren Sinn verlieren. Wenn Melanchthon mit diesem Augustinwort die Bindung des Leibes Christi an einen Ort bestreitet, dann ist auch die These Gollwitzers neu zu überdenken, dass Melanchthon „die Ubiquität des corpus Christi nicht nur nie gelehrt, sondern sie auch nie anerkannt“ habe. (Coena Domini S. 69) Denn das Augustinzitat ist im Gedankengang Melanchthons sinnlos, wenn es nicht ein Sein des Leibes im Himmel zur Zeit des Erdenwandels Christi aussagen soll. Zwar ist es ein durch die unitas personae vermitteltes Sein im Himmel, aber ein wirkliches Sein, da es sonst nicht dem in uno loco esse entgegengestellt werden könnte.

Die patristische Argumentation

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mentsbegriff dem dargelegten Verständnis der Gegenwart des Leibes Christi widerspreche, und auf die Bedeutung des Verständnisses der Einsetzungsworte. Wilhelm Neuser meint, dass Melanchthon in den Sententiae die Realpräsenz organisch in einen übergeordneten Sakramentsbegriff einordne. Dieser Sakramentsbegriff entspreche dem, den er aus den Jahren 1520 und 1521 gehabt habe. Das Sakrament ist Zeichen der verheißenen Gnade oder der Verheißung, und das heißt für Neuser, es ist Zeichen des Verheißungsworts, sozusagen sichtbare Er141 läuterung des Verheißungsworts, das die eigentliche Sakramentsgabe ist. Melanchthon bietet seiner Meinung nach „eine konsequente Theologie des Verkün142 digungsworts, gerade in Bezug auf das Abendmahl“. In den Sententiae fügt er nun die Realpräsenz in den Sakramentsbegriff so ein, dass „Leib und Blut Christi“ im Abendmahl der handelnde Herr sind, also einfach mit der Person Christi gleichgesetzt werden, die gegenwärtig ist und sich selbst gleichzeitig, aber nicht lokal, mit Brot und Wein in Freiheit gibt. Leib und Blut Christi sind, so verstanden nicht die eigentliche Gabe des Abendmahls, die viel mehr in dem Wort der Sündenvergebung besteht, sondern nur auf dasselbe hinweisende und es verge143 wissernde Beigabe. Neuser beruft sich für dieses Verständnis der Realpräsenz in den Sententiae besonders auf folgende Textstelle: „(sacramenta) sunt tradita, ut per ea coram Deo erigantur corda nostra, et fidem concipiant. Adest Deus et 144 impellit ac movet corda per haec quae auribus atque oculis percipimus“. Er erläutert diese Worte: „Die Sakramente ‚sind überliefert, dass durch sie in Gegenwart Gottes (!) unsere Herzen ermutigt werden und sie Glauben fassen. Gott ist gegenwärtig (!) und stößt die Herzen an und bewegt sie durch das was wir durch Ohren und Augen erfassen‘. Für ‚Gott‘ kann ‚Christus‘ stehen. Die Worte ‚adest Deus‘ und ‚coram Deo‘ bezeichnen dann die Realpräsenz, das heißt, Leib und Blut Christi sind mit der Person Christi gleichgesetzt. Die Abendmahlsgabe 145 wäre dann zugleich der handelnde Herr“. Demgegenüber muss man aber doch geltend machen, dass die allgemeinen Ausführungen Melanchthons über die Sakramente nicht einfach als Aussage hinsichtlich der Realpräsenz verstanden werden können. Melanchthons Absicht ist hier doch nicht, die Realpräsenz im Abendmahl zu erläutern, sondern allgemein zu sagen, dass durch die Sakramente 146 der Glaube empfangen wird. Dass Gott da ist (adest) gilt von der Taufe ebenso

141 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchtons, S. 341. 142 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchtons, S. 268. 143 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchtons, S. 344f. 144 CR 23,746. 145 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 345. 146 „Coram deo“ sollte nicht mit „adest Deus“ gleichgesetzt werden. Es heißt „vor Gott“ und nicht „in Gegenwart Gottes“. Das geht aus dem unmittelbar vorher gebrauchten „coram hominibus“ hervor, aber auch aus dem „erigantur corda“ sowie dem allgemeinen Sprachgebrauch der Reformatoren.

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wohl wie vom Abendmahl, desgleichen, dass Christus da ist. Damit ist aber noch 147 keineswegs gesagt, dass dies die Realpräsenz ist, die das Abendmahl meint. Es lässt sich also die von Neuser postulierte Einfügung der Realpräsenz in den Sakramentsbegriff der Sententiae nicht aufweisen; aber auch der aufgezeigte Sakramentsbegriff selbst ist nicht der Melanchthons. Wenn der Reformator das 148 Augustin-Wort „Accedat verbum ad elementum et fit sacramentum“ aufnimmt, so versteht er es nicht in dem Sinn, dass das äußere Zeichen auf das Wort, das zu ihm hinzutritt, hinweist, sondern dass beide, Zeichen und Wort, ein Drittes als Gegenüber haben, eben das, was das Wort verheißt und das Zeichen zeigt. Dies ergibt sich aus der Erläuterung des Augustin-Worts: „Nam haec duo sunt in sacramento: Res quae significat promissam gratiam, et Verbum quo 149 promittitur gratia, et quo Deus instituit signum“. Sowohl das Wort, als auch die äußere Sache zielen auf die Gnade, die durch das eine verheißen, durch das andere gezeigt wird. Wenn Melanchthon darum vom Sakrament als „signum promissae gratiae“, oder einfach als „signum promissionis“ spricht, so heißt das 150 nicht, es sei das Zeichen des zum Element hinzugetanen Verheißungsworts, sondern der verheißenen Gnade. Nun versteht Melanchthon unter dem elementum Augustins oder der res nicht nur einen irdischen Gegenstand. Es kann genauso gut ein Widerfahrnis äußerer oder innerer Art oder eine Handlung sein. So könnte man die Anfechtung ein Sakrament nennen, denn sie ist eine res, die man an sich zwar als Zeichen des Zorns Gottes auffasst, zu der aber Gott ein Wort hinzugetan hat, das Gnade verheißt. Wo also die Anfechtung ist, da ist sie 151 nicht mehr Anzeichen des Zornes, sondern der Gnade Gottes. 147 Wenn Melanchthon gegen Ende der Sententiae (CR 23,750) darauf hinweist dass auch viele andere Stellen der Heiligen Schrift, ihn dazu bewegen, dass Christus wahrhaftiglich dem Altarsakrament gegenwärtig sein könne, dann gilt das nicht in dem Sinn, dass die Abendmahlsgegenwart dadurch begründet und bestimmt wird – das geschieht vielmehr durch die Einsetzungsworte –, sondern dass sie durch diese Stellen verständlich und leichter einsichtlich wird. Und die Tatsache, dass der Reformator die Ausdrücke Leib Christi, Leib und Blut Christi einerseits und „Christus“ andererseits promiscue für die Gegenwart Christi gebraucht, besagt an sich über das Verständnis der Realpräsenz nur so viel, dass Leib und Blut Christi von der Person Christus nicht getrennt werden. Sie können daher nicht von vornherein für ein Verständnis der Realpräsenz in Anspruch genommen werden, das Leib und Blut in einen vagen Personalismus und eine nur kontemporäre Gegenwart der Person Christi bei der Abendmahlshandlung hinein auflöst. Davor sollte schon die Tatsache bewahren, dass sich bei Luther ebenfalls der wechselseitige Gebrauch von Leib Christi und Christus befinden. Vgl. WA 26,302,30; 316,18 und 40f.; 318,16. 148 Aug., Io. ev. tr. 80,3 (CChr.SL 36,529). 149 CR 1,956. 150 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 341: „Das Sakrament ist signum promissae gratiae oder signum promissionis; denn die verheißene Gnade ist – wie das Augustinwort aussagt – das Verheißungswort.“ 151 CR 1,957: „Afflictio est sacramentum. Est enim res, cui adiunxit Deus verbum, quo promittit gratiam, ut; Cum iudicamur, a Domino corripimus, ne cum hoc mundo damnemur … Quanquam igitur sensus carnis reclament, et iudicet afflictionem signum esse irae, tamen statuere de-

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In gleicher Weise sind nun auch Taufe und Abendmahl Sakramente, nämlich Zeremonien, denen eine Verheißung beigegeben ist. Sie sind also nicht bloß Illustrationen zum Wort, dass sie das, was das Wort sagt, noch einmal bild- oder gleichnisweise erläutern sollen, sondern sie sind bestimmt von Gott, durch ein besonderes Wort eingesetzte und mit einer Gnadenverheißung versehene Zei152 chen, Akte, Zeremonien, bei denen Gott selbst ist und die wie ein Pfand seinen 153 Gnadenwillen bezeichnen und den Glauben wirken. Dass sie solche Zeichen oder Zeremonien sind, kommt zwar durchs Wort zustande, durch das sie eingesetzt und als solche gekennzeichnet sind, doch wird dadurch nicht aufgehoben, dass die Zeremonien selbst es sind, durch die die Gnade bezeugt und der Glaube geweckt wird. Wenn Melanchthon demnach den Begriff Augustins vom verbum 154 visibile aufnimmt, dann nicht so, dass das Sakrament nur ein das Wort des Evangeliums begleitendes, verdeutlichendes, näher interpretierendes Zeichen ist, sondern eine Handlung, die Kraft des Worts, durch das sie eingesetzt, und der Gnadenverheißung, die ihr gegeben ist, dasselbe wirkt wie das Wort, nur auf 155 seine in die Augen fallende Weise. In der Tat gehört für Melanchthon das Essen des Leibes Christi im Abendmahl zu der von Gott eingesetzten äußeren Hand156 lung, durch die wir der Gnade Gottes gewiss werden. Lassen sich also aus den Ausführungen Melanchthons keineswegs widersprüchliche Aussagen gegen die von den Vätern her aufgezeigte Identität der Gegenwart von Brot und Leib Christi im Abendmahl aufzeigen, so wird dieselbe von den Äußerungen des Reformators über die Schriftstellen, die ihn zu seiner Überzeugung bringen, geradezu bestätigt. Sowohl im Begleitbrief an Myconius wie in den Erläuterungen selbst weist Melanchthon jede metaphorische oder 157 allegorische Auslegung des Satzes „Hoc est corpus meum“ ab. Es gibt keinen Grund, warum unter dem Namen des Leibes nur das Zeichen des abwesenden

bemus non ex nostro sensu, sed ex verbo Dei, afflicionem signum esse gratiae seu misericordiae.“ 152 „Nos autem sacramenta communi contuetudine nuncupamus haec duo, Baptismum et Coenam Domini, quia sunt ceremoniae quadam divinitus institutae, quibus sunt additae promissiones gratiae“ CR 1,957. 153 CR 1,957: „Ut enim velluserat Gedeoni non tantum pro nota qua exercitus eius ab hostibus, tanquam castrensi tessera discernetur, sed magis signum voluntatis dei et promissae victoriae pignus. Ita et nobis sacramenta sunt signa voluntatis dei …“; CR 23,746: „ (sacramenta) sunt tradita, ut per ea coram Deo erigantur corda nostra, et fidem concipiant. Adest Deus et impellit ac movet corda per haec quae auribus atque oculis percipimus.“ 154 Aug., Io. ev. tr. 80,3 (CChr.SL 36,529). 155 CR 1,958: „Sicut enim voluntas Dei ostenditur in Verbo seu promissione, ita etiam ostenditur in signo tanquam in pictura. Et ut verbum percipitur auribus, ut exsuscitet fidem in corde, sic incurrit signum in oculos, ut et ipsum exsuscitet fidem in corde.“ 156 Vgl. Seite 207ff. „zur äußerlichen Nießung“. 157 CR 2,30: „Quibusquam valde hebetes videmur, quod in verbis Evangelii hoc est corpus meum, non videamus metaphoram, nec intelligamus, nos ad infinitis quaestionibus unius beneficio metaphorae liberari“.

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Leibes verstanden werden soll. Ja, in den Zeiten der Anfechtung werden die Worte Hoc est corpus meum Blitze sein und das Gewissen, das von einer in der 159 Kirche angenommenen Meinung abweicht erschrecken. Es ist deshalb kein 160 Grund, von den Worten abzuweichen. Zweierlei fällt an diesen Sätzen auf: Einmal der klare Bezug auf die Einsetzungsworte, deren erster Teil hier das eigentliche Argument abgibt, zum andern die Abweisung jeglichen anderen Verstandes, als wie die Worte lauten. Dass das Leibwort dabei vom Abendmahlsbrot ausgesagt ist, ist für Melanchthon selbst161 verständlich. Ein loser Bezug nur auf das Mahl oder die Sakramentshandlung im Ganzen ist hier nicht möglich. Damit stützen die Ausführungen über das Verständnis der Einsetzungsworte geradezu die Auffassung einer Identität der Gegenwart von Brot und Leib Christi, wie sie aus den Väteraussagen deutlich wurde. Die Untersuchung der sententiae hat demnach hinsichtlich des Väterverständnisses kein anderes Bild ergeben, als das in den Briefen an Thuring und Agricola aus dem Jahre 1527. Der Leib Christi wird wirklich mit dem Brot in eins leiblich gegessen und ist insofern im Abendmahl wirklich da. Die sonstigen Äußerungen Melanchthons widersprechen dieser Meinung nicht, im Gegenteil, sie stützen sie noch. Es kann deshalb nicht angenommen werden, dass der Ausdruck corpus Christi in coena adesse eine andere, lockerere Meinung Melanch162 thons als die der von ihm zitierten Väter zum Ausdruck bringen soll. Das Gesagte wird auch durch den Brief des Reformators an Aquila vom 163 21.8.1529 bestätigt. Er übersendet darin Worte des Chrysostomos, „in quibus palam vides eum sensisse, quod corpus domini vere adsit in coena“ und zitiert 164 dann das schon aus den Sententiae bekannte Chrysostomos-Wort, das von dem in den Händen gehaltenen Leib Christi spricht. Im selben Brief tritt er auch wie 165 schon wenige Wochen zuvor Thomas Blaurer gegenüber ausdrücklich für die 166 Abendmahlsauffassung Luthers ein. 158 CR 23,749: „Non enim invenio firmam rationem, cur nomine corporis in verbis coena oporteat tantum absentis corporis signum intelligi“. 159 CR 23,749. 160 CR 23,750: „Tantum repugnat verbis absurditas, quae impingit in iudicium rationis, Haec non est satis magna causa cur a verbis discedamus“. 161 Vgl. S. 193 Anm. 60 – Es ist nicht anzunehmen, auch von niemandem behauptet, dass Melanchthon in den Jahren 1527–30 seine Meinung geändert habe. 162 Vgl. Peter Fraenkel: „it is not surprising, that there is a considerable emphasis also in the Sententia Veterum de Sacra Coena upon the functional element of the Sacrament, side by side with the Lutheran doctrine of the Real Presence.“ Ten questions … S. 156. 163 CR 4,970. 164 Vgl. S. 201 Anm. 104. 165 Am 20 Juni 1529: „De controversia illa περὶ δείπνου κυριακοῦ sic crucior, ut acerbius in vita nihil expertus sim. Omnes fluctus tentationem obruunt me et tamen nihil invenio, cur discedam a sententia Lutheri.“ Bindseil, Epistolae, S. 39. 166 CR 4,970: „Ulricum longa epistula hortatus sum his diebus, ut non patiatur, se a scripturae sententiae quam Lutherus defendit, abduci.“

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1.3 Das übrige Material bis zum Jahre 1531 1.3.1 Die Visitationsartikel und der Unterricht der Visitatoren Nur eine kurze Bemerkung über die Stellung der Väter findet sich in den lateini167 schen Visitationsartikeln: Huc faciunt veterum scriptorum sententiae. Sie bezieht sich auf den Satz esse cum pane verum corpus Christi, cum calice verum sanguinem, samt der dazugehörigen Begründung aus der Schrift. Eine Argumentation von den Vätern her liegt hier also nicht vor; lediglich die Übereinstimmung der Väter mit dem genannten Satz wird behauptet. Etwas ausführlicher redet die deutsche Fassung von den Vätern. Nachdem der Schriftbeweis für die Aussagen, dass „ym brot der warhafftige leib Christi, vnd ym weyn das ware blut Christi ist“ geführt wurde, werden die Pfarrer zur Väterlektüre ermahnt und Hilarius in diesem Zusammenhang als Zeuge dafür angeführt, „das man daran nicht zweiveln sol, das da warhafftiger leib und blut Chris168 ti sey“, weil es Christus gesagt habe. Das ist die gleiche Zusammenfassung, wie 169 sie Melanchthon zu Hilarius im Brief an Thuring 1527 gegeben hatte. Ist nun „cum pane“ im lateinischen Text als Ausdruck eines Wandels in der Abendmahlslehre Melanchthons zu werten? Neuser bejaht dies und erklärt den Unterschied der beiden Fassungen mit einer Überarbeitung des deutschen Texts durch Luther. Melanchthon habe in Torgau 1527 seine neuen Abendmahlsgedanken, die auf eine Ablösung des Leibes Christi vom Brot hinausliefen und nur eine allgemeine Realpräsenz bei der Handlung aussagten, Luther vorgetragen und sein Zugeständnis erlangt. Später seien jedoch in der Überarbeitung des deutschen Texts die entsprechenden Formulierungen wieder ausgemerzt wor170 den. Nun verhält es sich mit dem Ausdruck „cum pane“ ähnlich wie mit dem anderen „in coena“. Was er wirklich besagt, kann aus ihm selbst heraus nicht ent171 nommen werden, die Begründung muss von anderswoher kommen. Neuser begründet dann auch seine These entscheidend aus dem Sakramentsverständnis, der neuen Konsekrationslehre Melanchthons und der Abwehr der σύμμιξις im 172 Brief an Camerarius vom 23.10.1527. Und in der die Kirchenväter zusammen173 fassenden „in coena“ Formel findet er die Bestätigung dafür. In der Tat muss 167 CR 25,19. 168 CR 26,64f. 169 Vgl. S. 196. 170 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 287ff. 171 Auch Luther gebraucht vereinzelt, und zwar schon vor dem Torgauer Gespräch und nicht in der Zusammenstellung mit „in“ und „unter“ den Ausdruck „mit“: „Ich wil seinen leib mit dem brod leiblich essen und ym hertzen dennoch zu gleich gleuben, das es sey der leib der für mich gegeben wird zur vergebug der sunden …“ WA 23,179,10f. 172 CR 1,920 (Datierung nach Clemen, Suppl. Mel. VI,1 S. 393). 173 Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 401.

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sich die neue Abendmahlsthese in der Kirchenvätermeinung widerspiegeln; nachdem, was aber in den Sententiae veterum als Kirchenvätermeinung Melanchthons deutlich geworden ist, kann von einer neuen Abendmahlslehre Melanchthons nicht gesprochen werden. Es zeigte sich vielmehr, dass „cum pane“ sachgemäß die Identität der Gegenwart von Brot und Leib zum Ausdruck 174 bringt und die Auswahl der Zitate auf die entscheidenden Differenzpunkte zugunsten Luthers eingeht. Die Kirchenvätermeinung Melanchthons widerstreitet also Neusers These. Dass – nach den Hinweisen auf Melanchthons Sakramentsverständnis – auch das neue Konsekrationsdenken Melanchthons nicht für 175 sie geltend gemacht werden kann, sei hier nur angedeutet. Gleiches gilt für die 174 Vgl. S. 206, besonders auch Anm. 106. 175 Nach Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 273f., 277, 367–369, will Melanchthon die Gegenwart Christi nicht auf die Konsekration, sondern die „ordinatio“ gründen. Die Konsekration sei „magisch“, insofern als das Konsekrationswort den Leib Christi herbeibringe und damit das opus–operatum–Denken fördere. Der Priester handele an Stelle des Herrn selbst und verfüge über Leib und Blut Christi. Demgegenüber bedeute eine Realpräsenz „iuxta ordinationem“ Christi, dass sein Leib in der Kirche sein soll, wenn das Abendmahl recht, d. h. einschließlich des Glaubens gefeiert wird. Die Gegenwart des Leibes Christi ist also verheißen; auf Grund der Treue Christi widerfährt sie im Vollzug des Abendmahls den Gläubigen. Sowohl dem Priester wie den Kommunikanten ist damit die Verfügbarkeit des Leibes Christi oder irgendeine Mitwirkung an seiner Gegenwart entnommen. Die Gegenwart des Leib Christi beruht darauf, dass Christus durch sein Verheißungswort Glauben wirkt. Für Neuser gibt es also nur ein magisches Verständnis des Konsekrationswortes oder ein Verheißungswort, das auf die Einsetzung, d. h. auf die Zusage zurückgreift, dass der Herr dort, wo er im Glauben angenommen wird, in der Abendmahlsfeier leiblich gegenwärtig sein wolle. Demgegenüber ist aber auf Folgendes aufmerksam zu machen: Wenn Melanchthon im Brief an Thuring (CR 1,948f.) die Tatsache, dass Christus seinen Leib und Blut gibt, nicht auf die virtus verborum, sondern auf die institutio Christi zurückführt, dann versteht er die virtus verborum in einem ganz bestimmten herkömmlichen Sinn, nämlich von einer in den Worten befindlichen Kraft, die losgelöst von der Einsetzung, allein durch das Sprechen der Worte entbunden, die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi wirkt. Ein solches Verständnis ist magisch. Melanchthon will aber nicht die von der Einsetzung herkommende Wirksamkeit der Abendmahlsworte und handlung auflösen. (Immerhin sagt er einschränkend im Brief an Thuring von der virtus verborum „id enim, ut sonat, magicum est“, CR 1,948). Wo dem Befehl Christi entsprechend das getan wird, was er im ersten Abendmahl getan hat (vgl. das entsprechende Cyprian – Zitat in den Sententia CR 23,741), da ist der Leib Christi da. Zu diesem Tun gehört auch das äußerliche Essen („… Christus dixit, hoc facite in mei memoriam. Ergo corpus Christi est in ecclesia, dum manducatur …“, WA.TR 2,392f.). Davon, dass ein konstitutiver Bestandteil dieses Tuns die Frömmigkeit des Priesters oder der Glaube des Empfängers sei, findet sich bei Melanchthon zur fraglichen Zeit nichts. Das Gegenteil besagen vielmehr die ständige Betonung der Einsetzung und des Wortes Christi sowie die Argumentation hinsichtlich der manducatio ceremonialis des Leibes Christi. Gegenüber den bisherigen Konsekrationsvorstellungen unternimmt Melanchthon demnach ein Doppeltes: Er bestimmt als das, was geschehen muss, damit der Leib Christi in der Kirche gegenwärtig ist und gegessen wird, nicht nur das Brot- und Kelchwort, sondern weitet es aus auf die ganze von Christus befohlene Handlung. Zum andern führt er die Tatsache, dass durch solches äußeres Tun der Leib Christi gegenwärtig ist, nicht auf die Bitten der Priester oder des Volkes oder die Vollmacht der Priester oder eine in den Worten per se innewohnende Kraft zurück, sondern auf die Einsetzung und die in ihr gegebene Zusage des Herrn. Keineswegs aber macht er die Gegenwart des Herrn im Abendmahl noch von etwas anderem als dem von

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Abwehr der σύμμιξις . Es liegt also kein Grund vor, die Hilarius-Zusammenfassung in den Visitationsartikeln anders zu verstehen als wie im Brief an Thuring. 176

1.3.2 Das Marburger Gespräch und das zugehörige Vätergutachten Aus den Berichten über das Marburger Gespräch ergibt sich wenig Konkretes über die Väterargumentation Melanchthons. Übereinstimmend berichten Christus befohlenen äußerlichen Geschehen abhängig oder lockert diese vom Herrn zugesagte Bindung der Gegenwart seines Leibes an dieses äußerliche Geschehen. Dafür, dass auch Luther nicht anders als Melanchthon die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi begründet, vgl. WA.B 7,327: „Nos certe docemus, panem et vinum esse corpus et sanguinem Christi non consecrante ministro, sed sic volente per institutionem suam Christo …“ 176 Neuser (Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 279–286) meint, Melanchthon bringe im Brief an Camerarius (CR 1,920) seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass er mit seiner Abendmahlslehre nicht durchgedrungen sei, obwohl Luther ihr in Torgau zugestimmt habe. Er übersetzt den Satz „Ego nullo modo puto mihi hanc controversiam adhuc attingendam esse“ mit „Ich will auf keine Weise mehr mit dieser Kontroverse zu tun haben“ und bezieht Kontroverse auf die σύμμιξις. Luther sei deren Vertreter und Melanchthon habe mit ihm um sein neues Verständnis der Realpräsenz gerungen. In Torgau habe er sich mit ihm insofern geeinigt, als Luther es als möglich anerkannt habe; später habe Melanchthon jedoch feststellen müssen, dass die die neue Auffassung ausdrückenden Formulierungen in den Visitationsartikeln geändert seien. Nun wende er sich enttäuscht ab und wolle mit der ganzen Kontroverse nichts zu tun haben. Die Schwierigkeit dieser Auffassung des Briefes an Camerarius liegt in folgendem: a) Es kommt in der Briefstelle nirgends zum Ausdruck, dass Luther Melanchthon gegenüber irgend ein Zugeständnis gemacht habe. Er bleibt vielmehr bei seiner alten Meinung. Wenn also Melanchthon der Meinung gewesen war, dass Luther eine σύμμιξις im Gegensatz zu ihm vertrete, dann wäre Luther gerade nicht von ihr abgegangen. b) Es überzeugt nicht, den Satz „Ego nullo modo …“ als Ausdruck der Unzufriedenheit Melanchthons auf Grund der Änderungen im Visitationsbuch zu werten. Träfe Neusers Auffassung von einem Zugeständnis Luthers in Torgau zu, so wäre hier ein Ausdruck der Zufriedenheit über das in Torgau Erreichte zu erwarten. Stattdessen soll Melanchthon nun plötzlich auf alle seit Torgau geschehenen Ereignisse hinsichtlich des Visitationsbuches Bezug nehmen, ohne ein Wort davon gesagt zu haben? Wenn Melanchthon davon wirklich so tief getroffen war – müsste dann nicht irgendeine Andeutung darüber sich an dieser Stelle finden? Zudem gibt es in der ganzen Überlieferung keinen Hinweis auf eine Auseinandersetzung um die Änderung der Abendmahlsstellen in den Visitationsartikeln. c) Die Übersetzung „Ich will auf keine Weise mehr mit dieser Kontroverse zu tun haben“ müsste eher lauten: „Ich jedenfalls glaube nicht, dass ich mich mit dieser Kontroverse jetzt weiter befassen muss.“ Melanchthon drückt also nicht seinen Unwillen aus, sondern eher die Befriedigung, dass er sich mit der Kontroverse nicht beschäftigen muss. d) Die Briefe an Jonas (CR 1,913 – Clemen Suppl. Mel VI,1 S. 3847) und Aquila (CR 4,963) besagen beide Melanchthons volle Zustimmung dazu, dass Luther in seiner Abendmahlslehre nicht wankend wurde. Die Annahme, dass er im Brief an Camerarius sich von dieser Abendmahlslehre, die er doch genau kannte, als σύμμιξις absetzt, ist außerordentlich schwierig. Auch scheint die σύμμιξις nur ein Thema („καὶ“) unter anderen gewesen zu sein. – Die Behandlung der weiteren Fragen ist Sache einer besonderen Untersuchung, sie müsste auch die Frage einbeziehen, ob unter dem Mitarbeiterkreis Luthers Tendenzen einer σύμμιξις festzustellen sind. Zu Melanchthons Anfechtungen vgl. z. B. S. 214 Anm. 165.

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Zwingli, Hedio und Bucer, dass Melanchthon in den Vorverhandlungen mit Zwingli das in uno loco esse des Leibes Christi nicht zugestanden habe, selbst 177 wenn es Augustin gesagt haben sollte. Melanchthon nimmt also nicht an, dass Augustin den Leib Christi notwendigerweise an einen Ort im Himmel lokalisiere, aber selbst wenn es der Fall wäre, würde er es nicht gelten lassen. Nach Zwinglis Aufzeichnungen stellt Melanchthon allgemein noch fest, dass die meisten Sätze, die aus Augustin zitiert werden, mehr Zwingli verteidigen, aber beina178 he alle anderen Väter ganz klar die Meinung Luthers stützen. In den eigenen Berichten Melanchthons wird die Väterauslegung nur im Zusammenhang mit Augustin erwähnt: Wenn man schon zuließe, dass Johannes 6,63 Das Fleisch ist kein nütze, vom Fleisch Christi versteht, so in dem Sinne, „dass Christi Fleisch nicht nütze sey denen, so nicht glauben, wie auch diese 179 Worte Augustinus ausleget.“ Und wenn Augustin von den Sakramenten sagt, es seien Zeichen, die etwas bedeuten, so folgt daraus nicht, dass der Leib Christi 180 nicht da sei. Schließlich urteilt Melanchthon über die vielen Vätersprüche, die von Oekolampad und Zwingli angeführt wurden: „Es waren aber weitläufige Sprüche, deren etliche gar nicht vom Sacrament geredt waren, als dass ein Leib einen Raum muss haben; item: dass Christus einen wahren Leib habe. Dagegen wurden meinem gnädigen Herrn, dem Landgrafen, viel klarer Sprüche aus den Vätern schriftlich zugestellt, die da lehren, dass wahrer Leib und Blut Christi im 181 182 Abendmahl sind.“ Die eigentliche Antwort auf den Väterbeweis der Schweizer in Marburg findet sich also im Gutachten, das im Oktober 1529 dem Landgrafen erstellt wurde. 183 Ihm wenden wir uns nun zu. Da nur die Zitate, nicht aber der Kommentar dazu von Melanchthon stam184 men sollen, ist der Gehalt der kommentierenden Bemerkungen zu erheben und mit dem bisher Erarbeiteten zu vergleichen. Wir gehen dabei von den Bemerkungen zu den angeführten Stellen selbst aus und verweisen sonst nur auf das, was für die Väterargumentation von Bedeutung ist. 177 W. Köhler, Das Marburger Religionsgespräch 1529, S. 43f. 178 W. Köhler, Das Marburger Religionsgespräch 1529, S. 42. 179 An Herzog Heinrich von Sachsen, CR 1,1104. 180 An den Kurfürsten Johann von Sachsen CR 1,1101. 181 Zur Formulierung „wahrer Leib und Blut sind im Abendmahl“ vgl. S. 195. 182 An Herzog Heinrich CR 1,1105. 183 WA.B 5,155ff. 184 So Wilhelm Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons: „Erst nach Beendigung des Gespräches wird seine Sammlung der Kirchenväterzitate – von anderer Hand kommentiert – dem Landgrafen zur nachträglichen Rechtfertigung übergeben.“ S. 310. „Die Zitate stammen von Melanchthon, denn sie kehren alle in den Sententiae veterum wieder. Hingegen wird im Kontext lutherisch gelehrt.“ S. 411. Zur Begründung: (a) Melanchthon würde nicht schreiben „Denn wiewohl unser Glaube allein auf Gottes Wort stehen soll …“ Aber vgl. dazu CR 1,410 „fundamentum aliud praeter scripturam poni non potest.“ und S. 187 Anm. 35. (b) Veit Dietrich gibt Luther als Hauptverfasser an.

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Zu Hilarius de Trinitate VII ist bemerkt: „Hie siehet man, wie er spricht, dass Christus wahrlich und natürlich empfangen wurd, nicht allein geistlich.“ In den 185 bisherigen Zusammenfassungen des Hilarius-Zitats war der Begriff „vere“ wohl anzutreffen, nicht aber „naturaliter“. Er wird aber von Melanchthon in den Sententiae bei Cyrill hervorgehoben. Die Bemerkung zum Hilarius-Zitat steht also durchaus im Zusammenhang seiner sonstigen Äußerungen. 186 Das gleiche gilt für den Kommentar zu Chrysostomos. „Hie steht klar, dass wir nicht allein durch die Liebe, sondern re ipsa eingeleibt werden“. RE IPSA ist in den Sententiae durch Majuskeln hervorgehoben. Das erste Cyprian-Zitat „Die wir vermahnen und reizen“ findet sich nicht in 187 den Sententiae, sondern bei Luther. Aus Irenäus wird offensichtlich auf einen Satz verwiesen, der zwar unmittelbar vor einem auch in den Sententiae angeführten Text steht, sonst aber weder von Melanchthon noch von Luther hervor188 gehoben wird. Der Kommentar dazu „wäre Christus nicht wahrer Gott, so möcht er nicht an viel Orten sein. So folgt nun, dass seine Meinung das ist, dass Christus leiblich im Sacrament sei“ ist für Melanchthon ungewöhnlich – nicht 189 wegen des „an vielen Orten“, sondern weil sich sonst keine solche Folgerung aus einem Irenäus-Wort bei ihm findet. Allerdings kommt sie auch nicht bei Luther vor. Der Bemerkung zum anderen Irenäus-Zitat „Hie steht klar, dass das Fleisch gespeist wird“ entspricht in den Sententiae ein ähnlicher Kommentar zu 190 derselben Stelle, sowie der Großdruck von „Qui carnem illam et gustamus et manducamus“ im Chrysostomos-Zitat. Die Entsprechung zwischen den beiden Naturen in Christus und Brot und Leib im Sakrament im Anschluss an das zwei191 te Cyprian-Wort ist bei Melanchthon direkt so nicht ausgesprochen. Dass wir 185 Vgl. S. 196. 186 „Wir haben die Frucht unser Wohltat empfangen etc re ipsa etc“ entspricht offensichtlich, wenn auch fehlerhaft, dem ersten Chrysostomos–Zitat in den Sententiae: „nos ipsius beneficii utilitatem cepimus …“ CR 23,737f. – PG 59,260. Auch das zweite Zitat findet sich in den Sententiae CR 23,738. 187 Vgl. S. 165. Die Angabe in WA.B 5,159 Anm. 6 stimmt nicht. In den Sententiae zitiert Melanchthon aus ep. ad Caecilium (CSEL III,2 S. 712,13ff.); im Gutachten wird aus der ep. syn. (PL 3,856) zitiert. 188 „Quomodo autem constabit …“ PG 7,1027. Die Fortsetzung findet sich sowohl im Gutachten wie in den Sententiae: „Quomodo autem rursus dicunt...“ CR 23,742. Der nicht ganz einsichtige Kommentar im Gutachten setzt sichtlich in eins, dass das Brot der Leib Christi und Christi Leib an vielen Orten ist. 189 Vgl. CR 1,1036, wo sich Melanchthon mit der These Zwinglis auseinandersetzt, dass Christus an einem Ort im Himmel sei und nicht zugleich im Himmel und auf Erden sein könne: „Et non est fingendum, alicubi esse divinitatem Christi, ubi non sit humanitas. Quid hoc est aliud, quam separare Chritum?“ Oder CR 1,949: „Et quod quidam disputant, Christi corpus non posse multis in locis esse: id non satis probant. Christus enim exaltatus est super omnes creaturas, et adest ubique.“ Vgl. auch CR 1,760. 190 CR 23,742: „Ad hunc modum, et alio loco Irenaeus ratiocinatur non posse carnem prorsus perire, quia corpore Christi nutriatur.“ 191 Melanchthon redet im Brief an Agricola (vgl. S. 196f.) davon, dass die Eucharistie aus zwei Naturen bestehe, so wie Christus aus der göttlichen und menschlichen Natur, und gibt als Mei-

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nach Cyrills Worten „leiblich item mit natürlicher Nießung“ vereinigt werden, wird in den Sententiae durch den schon genannten Großdruck und den von „corporaliter“ und „participatione naturali“ hervorgehoben. Auch die Urteile über die beiden Bücher des Ambrosius de mysteriis initiandis und de sacramentis entsprechen einander. Was also den eigentlichen Kommentar zu den Stellen selbst betrifft, so lassen sich an einigen Punkten gegenüber dem sonst vorliegendem Material Unterschiede in der Väterargumentation bei voller sachlicher Übereinstimmung feststellen. Wenn im Rahmen des Gutachtens allgemein betont wird, dass in den angeführten Vätersprüchen „nicht von geistlicher Nießung allein, sondern klar von 192 der äußerlichen geredet wird“, so entspricht das Melanchthons ganzer bisheri193 gen Väterargumentation. Und dass die äußerliche Nießung durch die Bezugnahme auf Johannes 6, die die Väter vornehmen, nicht aufgehoben wird, ist ein Gedanke, den er ebenso im Bericht an den Kurfürsten Johann wie in den Sen194 tentiae zum Ausdruck bringt. Bezeichnend für Melanchthon ist auch der Hinweis auf das angefochtene Gewissen und die Ablehnung der Argumentation aus der Vernunft. Auch dass der Glaube allein auf Gottes Wort stehen soll, ist für ihn bei dem Unterschied, den er zwischen der Schrift als Gottes Wort und den Vä195 tern als Menschenwort macht, selbstverständlich. Wie es nun auch gewesen sein mag – ob Melanchthon in Zusammenarbeit mit Luther oder Luther in Zusammenarbeit mit Melanchthon dieses Gutachten verfasst hat, in jedem Falle ist 196 es bis vielleicht auf eine Bemerkung, die bei einer Verfasserschaft Melanchthons von Luther her zugeflossen sein könnte, voll durch die übrige Väterargumentation Melanchthons gedeckt, so dass es als Zeugnis für das Väterverständnis des Reformators schwerlich ausgeschieden werden kann.

nung des Autors kund, dass der Leib Christi in der Eucharistie sei. Nun parallelisiert das „Cyprian“–Zitat allerdings nicht Brot und Leib im Abendmahl mit der menschlichen und göttlichen Natur Christi, sondern spricht von dem Brot, das in den Leib verwandelt wird, in den sich die Gottheit ergießt. Die beiden Naturen sind also nach diesem Zitat im Sakrament die menschliche (der Leib Christi) und die göttliche. Es ist möglich, dass Melanchthons Formulierung im Brief an Agricola dies im Auge hat. Dann wäre ein solcher Kommentar, wie er im Gutachten zur Stelle steht, allerdings schwerlich von ihm denkbar. 192 WA.B 5,157,26f. 193 Vgl. S. 207ff. 194 CR 1,1100: „Auf das erste Johannis am 6ten, ist geantwortet, daß dasselbige Kapitel der Einsetzung des Sacraments nicht entgegen sey. Denn wiewohl Christus da allein von geistlicher Nießung seines Leibes lehret, nämlich vom Glauben, so ist‘s doch allhie eingesetzt, auch leiblich zu essen, und wird damit dem geistlichen Essen nichts abgebrochen noch gehindert, sondern wir lehren, dass auch solch geistlich Essen im Sacrament sein soll; also ist laut der Worte: hoc est corpus meum, die äußerliche Nießung eingesetzt, ob sie schon Joh. am 6ten nicht eingesetzt ist.“ Zu den Sententiae vgl. CR 23,746. 195 Vgl. S. 218 Anm. 184. 196 Vgl. S. 219 Anm. 191.

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1.3.3 Das Iudicium de Zwinglii doctrina Außer den schon behandelten Sententiae gibt es aus dem Jahre 1530 nur noch eine Äußerung, die sich etwas ausführlicher auf die Väter bezieht; sie ist im Corpus Reformatorum abgedruckt unter der Überschrift Iudicium de Zwinglii doctrina. Die Äußerung zu den Vätern lautet: „ … per sacramentum εὐχαριστίας nobis corpus et sanguinem Christi porrigi et exhiberi credimus. Corpus vero et sanguinem Christi sola et inscrutabili fide percipi dicimus, ut Cyrillus inquit, licet nec verba Chrysostomi reformidemus dicentis: o miraculum, o Dei misericordiam, qui cum patre sursum sedet, hora illa omnium tenetur manibus, et dat se volentibus accipere et amplexari, et alia plura huius et aliorum Patrum dicta, quamvis iis rarius utamur, ut Chrysostomos ipse praecipit, inquiens: An non potius mox in coelum transis, et abiciens omnem carnalem animae cogitationem, nuda anima et pura mente, ea, quae in coelis sunt, circumspicis. Cum Augustino etiam fatemur, Christum, propter veri corporis modum, in uno quodam coeli loco esse, non quidem localiter, sed eo modo, qui huic sacramento proprio convenit, Nam utrinque fatemur, sacramenta tantum in 197 vero usu sacramentorum rationem habere et sacramenta esse …“

An diesem Text fällt auf, dass die Väterzitate in völlig anderer Weise behandelt werden als bisher. Es wird als Aussage des Cyrill betont, dass wir Leib und Blut Christi allein durch den unerforschlichen Glauben empfangen – indes doch noch in den sententiae neben dem corporaliter die participatio naturalis und das leibliche manducare bei Cyrill hervorgehoben wurden. Die Betonung des Glaubens 198 bei Cyrill erinnert eher an Oekolampad. Sodann wird Chrysostomos einschränkend eingeführt, und zwar genau das Zitat, auf das Melanchthon im Brief an Aquila vom 21.8.1529 hingewiesen, und das er in den sententiae als ganz klare und überzeugende Stelle angeführt hatte. Der Verfasser des Iudicium scheut zwar vor diesen Worten nicht zurück, er gebraucht sie aber, wie auch ähnliche andere Vätersprüche, seltener. Dabei beruft er sich auf Chrysostomos selbst und verweist auf die im Kontext des von Melanchthon angeführten Zitats stehenden Sätze: „An non potius mox in coelum transis et abiiciens omnem carnalem animae 199 cogitationem, nuda anima et pura mente, ea, quae in coelis sunt, circumspicis.“ Mit ihnen wehrt er offenkundig ein Verständnis des Chrysostomos-Zitats wie es lautet ab. Der Leib Christi wird nicht in den Händen der Kommunikanten gehalten, sondern das, was im Himmel ist, wird mit bloßer Seele und reinem Sinn geschaut. Damit ist die bisherige Auffassung des Zitats in den Sententiae korrigiert und das fleischliche Verständnis auf alles bezogen, was den Leib Christi anders als „nuda anima et pura mente“ erfassen will. Dieser Begriff von fleischlichem Denken ist aber typisch etwa für Oekolampad, wie denn die ganze Argu197 CR 2,224. 198 Vgl. auch die Cyrill–Auslegung im Dialogus k2a–l2a. 199 Chrys., sac. III,4 (PG 48,642).

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon 200

mentation der im Dialogus entspricht, nicht aber dem, was als Melanchthons Meinung sich bisher ergeben hatte. Schließlich fällt auf, dass eine Diskrepanz innerhalb des Iudiciums hinsichtlich des Leibes Christi besteht. In These 4 folgt es nicht aus der Leiblichkeit des Leibes Christi, dass er an einen Ort gebunden ist; er kann zugleich an verschiedenen Orten sein – es sei räumlich oder auf andere verborgene Weise. Gegen Ende wird um der Beschaffenheit des wahren Leibes willen sein Sein an einem Ort festgehalten. Auf das „in uno loco“ Wort Augustins wird im ersten Teil keine Rücksicht genommen, es hindert nicht, dass der Leib Christi zugleich an vielen Orten – auch räumlich – sein kann. Im andern Teil wird von Augustin her betont, dass der Leib Christi wegen der Beschaffenheit eines wahren Leibes an einem Ort ist. Auch in diesem Punkt entspricht also die Väterargumentation des zweiten Teils des Iudiciums etwa der Oekolampads, aber nicht der der Sententiae. Nun wird zwar die Aussage, dass der Leib Christi im Himmel an einem bestimmten Ort sei, erläutert: „Non quidem localiter, sed eo modo, qui huic sacramento proprie convenit. Nam utrinque fatemur, sacramenta tantum in vero usu sacramentorum rationem habere et sacramenta esse“. Doch lässt sich unter dieser Erläuterung schwerlich etwas vorstellen. Zur Not kann man noch verstehen, dass der Leib Christi an einem Ort im Himmel auf solche Weise, sein soll, wie sie dem Sakrament zukommt. Was aber die Begründung, dass Sakramente nur im wahren Gebrauch Sakramente sind, damit zu tun hat, ist schlechterdings, unverständlich. Neben dieser schweizerischen Väterargumentation finden sich nun aber ande201 rerseits Formulierungen ganz im Sinne der lutherischen Abendmahlslehre. So macht der zweite Teil den Eindruck eines von gemäßigter schweizerischer Richtung, etwa Oekolampad, stammenden Textes, der von lutherischer Seite überarbeitet worden ist. Das Rätsel löst sich, wenn man den Brief und die Thesen Bucers an Luther 202 vom 25. August 1530 beizieht. Eine Gegenüberstellung der Bucer‘schen Thesen mit dem zweiten Teil des Gutachten Melanchthons zeigt, dass bei Verschiedenheit des lateinischen Wortlauts beide Satz für Satz dem Gedankengang und dem Inhalt nach übereinstimmen – allerdings ohne jene klare lutherische Formulierung „in pane“ und ohne den Schlusskanon aus dem Nizänischen Konzil:

200 Dialogus l6b: Zunächst wird der Kontext mit den Worten „an non potius …“ zitiert, dann interpretiert Oekolampad „Vide mi Nathanael, nonne Chrysostomus vult omnia per spiritualem hominem hic considerari? Carnalis iterum crucifiget Christum, videns sacrificantem. Ex terra coelum faciet, audiens translatum in coelum. At tu nunc vides in nostra sententia, recedere omnem carnalem cogitationem, puramque mentem requiri.“ 201 CR 2,224: „Christum praesentem corpus et sanguinem suum nobis manducandum et bibendum distribuere certo statuimus …“ CR 2,225: „… Pactum etiam, per quod in pane et vino corpus et sanguis Christi nobis exhibentur …“ 202 WA.B 5,570.

Die patristische Argumentation

Bucer (WA.B 5,570) I. Prop. Transsubstantiationem negamus. II. Prop. Item negamus, corpus Christi localiter esse in pane, ut si quis imaginetur ita contineri in pane corpus, sicut vinum in vase aut flamma in ferro candenti. III. Prop. Interim autem affirmamus, corpus Christi in coena vere adesse, et Christum re ipsa praesentem vero suo corpore veroque sanguine et nos pascere verbis ad hoc suis, quae ministri recitant, et sacris symbolis pane et vino utentem. IV. Prop. Ut enim baptismo virtutem regeneratricem, ita symbolis eucharistiae ipsum Christi corpus et sanguinem exhiberi confitemur. V. Prop. Percipi vero haec dicimus sola et simplici et inexquisita fide, ut D. Cyrillus inquit. Etsi non abhorreamus etiam ab his D. Chrysostomi verbis: „O ingens miraculum, o magnam Dei benevolentiam erga nos! is, qui sedet supra cum Patre, illa hora omnium detinetur manibus, et dat se volentibus circumdare et complecti“. Et si quae apud hunc vel alius similia reperiuntur, „verum ea, quemadmodum hic idem docet, intelligimus, ut abiecta omni carnali cogitatione in coelestibus haec geri, et nuda anima puraque mente cerni dicamus“. VI. Prop. Fatemur quidem cum D. Augustino, Christum esse in loco aliquo coeli, propter veri corporis modum nihilominus tamen et in coena vere ac re ipsa praesentem agnoscimus, non localiter tamen, sed modo huic sacramento proprio, qui constat per verba, sed credita, et symbola, sed fide percepta. Utrumque enim confitemur sacramenta tantum esse, cum in usu sunt. VII. Prop. Pactum siquidem, quo credimus, pane et vino proposito sisti nobis, adesse et porrigi Christi corpus et sanguinem, isthuc cum his solum esse initum, pro quibus immolata sunt, verba Euangelistarum testantur.

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Iudicium (CR 2,224f.) Transsubstantiationem et corpus localiter in pane esse negamus. Illorum etiam opinionem reiici mus, qui corpus in pane, ut vinum, in cantharo, vel ignis in candenti ferro contineatur, esse dicunt. Sed tamen Christi corpus in coena vere adesse fatemur, ac Christum praesentem corpus et sanguine suum nobis manducandum et bibendum distribuere certo statuimus, eumque ad haec perficienda verbi Ministerio ac corporis et sanguinis sui sacramento uti adserimus. Ut enim per baptismum nos regenerari fatemur: ita per sacramentum eucharistias nobis corpus et sanguinem Christi porrigi et exhiberi credimus. Corpus vero et sanguinem Christi sola et vinscrutabili fide percipi dicimus, ut Cyrillus inquit, licet nec verba Chrysostomis reformidemus dicentis: O miraculum, o Dei misericordiam, qui cum patre sursum sedet, hora illa omnium tenetur manibus, et dat se volentibus accipere et amplexari et alia plura huius et aliorum Patrum dicta, quamvis iis rarius utamur, ut Chrysostomos ipse praecipit, inquiens: an non potius mox in coelum transis, et abiiciens omnem carnalem animae cogitationem, nuda anima et pura mente ea, quae in coelis sunt, circumspicis. Cum Augustino etiam fatemur, Christum, propter veri corporis modum, in uno quodam coeli loco esse, non quidem localiter, sed eo modo, qui huic sacramento proprie convenit. Nam utrinque fatemur, sacramenta tantua in vero usu sacramentorum rationem habere et sacramenta esse. Pactum etiam, per quod in pane et vino corpus et sanguis Christi nobis exhibentur, ibi adesse et cum illis solis confirmati credimus, pro quibus corpus illud traditum et sanguis pretiosus effusus fuit, ut Evangelistae ipsi testantur.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

VIII. Prop. Fatemur tamen etiam, eos, qui fide praediti sunt, ita se posse circa haec sacra non ex fide habere, ut nihilominus rei evadant corporis et sanguinis, non absentium, sed praesentium, id quod usu venit Corinthiis. IX. Prop. Omnino enim Christianorum sacramenta praesentis Christi, non absentis signa sunt et testimonia.

Sed nihilominus fatemur, etiam credentes non ita sese erga hoc sacramentum gerere posse, ut corporis et sanguinis Christi, quae vers praesentia sunt et non absentia, non fiant rei. Nam Christianorum sacramenta simpliciter praesentis et non absentis Christi signa sunt atque testimonia.

Selbst die unverständliche Erläuterung des Seins des Leibes Christi an einem Ort im Himmel klärt sich dadurch auf, dass im Bucerschen Text zusätzlich die Worte stehen: „Nihilominus tamen et in coena vere ac re ipsa praesentem agnoscimus“, an die sich die Erläuterung die im Bezug auf den Leib Christi im Himmel so große Schwierigkeiten macht, erst sinnvoll einfügt. Man muss daher annehmen, dass es sich bei dem zweiten Teil des Iudiciums Melanchthons um die Bu203 cer‘schen Thesen handelt. Wie die Thesen Bucers mit dem Iudicium Melanchthons zusammen gekommen sind, darüber lassen sich nur Vermutungen anstel204 len. Ganz unwahrscheinlich ist es, wegen der Diskrepanz zum ersten Teil und zur Väterauslegung der Sententiae, dass Melanchthon selbst beide zusammengearbeitet haben soll. Sie werden später, bei der Zusammenstellung des Materials, überarbeitet und verbunden worden sein, wobei irgendeiner der Abschreiber versehentlich eine Zeile ausgelassen hat. Als Quelle für Melanchthons Väterauffassung scheidet der zweite Teil des Iudicium jedenfalls aus. 1.3.4 Die Apologie der Augsburgischen Konfession 205

In der editio princeps der Apologie führt Melanchthon im 10. Artikel die Väter gleicherweise wie in den sententiae an. Die corporalis praesentia Christi, das 203 So urteilt übrigens schon A. F. Hoppe, der Herausgeber von Walch2, in W2 21a, Sp. 1552. 204 Betrachtet man die Gleichheit und Unterschiedenheit beider Texte, so könnten sie beide Übersetzungen verschiedener Übersetzer von derselben Vorlage sein – angesichts der Freiheit die sich die Übersetzer der Reformationszeit nahmen. Für den Bucer‘schen Text scheidet eine solche Vermutung auf Grund der Quellenlage aus. Ob es sich bei dem „Melanchthon“-Text um eine Rückübersetzung ins Lateinische handelt, die von einer deutschen Fassung der Bucer‘schen Thesen stammt? Eine solche Übersetzung der Bucer‘schen Thesen ins Deutsche könnte es im Zusammenhang der Verhandlungen während des Augsburger Reichstages durchaus gegeben haben. – Die weiteren Erörterungen erfordern eine Spezialuntersuchung an Hand der Archive und Sammlungen. Gesichert ist auf Grund des Autographs Melanchthons (vgl. die Vorbemerkung CR 2,222 und Anm. 6 Sp. 223) der erste Teil des Iudicium bis zu These 8 und These 10; „unde Coelestinus sua hauserit nescimus …“ (CR 2,223 Anm. 6) Dass es sich beim zweiten Teil des Iudicium um einen Text handeln muss, der im lutherischen Raum gesammelt wurde, zeigt auch das Fehlen der in der Reinschrift Bucers an Luther gestrichenen Worte: „qui constat per verba, sed credita et symbola, sed fide percepta.“ (Vgl. WA.B 5, 567). 205 Bekenntnisschriften der ev. luth. Kirche, Göttingen 1930, S.248.

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heißt „quod in coena Domini vere et substantialiter adsint corpus et sanguis Christi et vere exhibeantur cum illis rebus, quae videntur, pane et vino, his qui sacramentum accipiunt“, bekräftigt nicht nur die römische Kirche, sondern von je her und noch jetzt auch die griechische. Auf drei Zeugnisse verweist Melanchthon, wobei er zeitlich die ganze griechische Kirche umgreift: den Canon missae, wie er bei den Griechen in Gebrauch ist, Vulgarius und Cyrill. Die ersten beiden dieser Zeugnisse werden im Gegenüber zur bloßen figura des Brots mit panem mutari zusammengefasst, das letztere mit „Christum corporaliter nobis exhiberi in coena“. Sowohl das Vulgarius-Wort wie das Zitat des Cyrill sind schon in den sententiae aufgeführt; ersteres unter Hervorhebung des HOC EST, letzteres unter Großdruck des CORPORALITER und PARTICIPATIONE NATU206 RALI. Melanchthon will offenkundig mit den beiden Zitaten ebendasselbe betonen, was er schon in den Sententiae zum Ausdruck gebracht hatte. Es ist nicht nur mehr Brot da, sondern der Leib Christi, der zeitlich und räumlich 207 zusammen mit dem Brot ausgeteilt wird. Die Oktavausgabe der Apologie, die 208 nicht vor Juli 1531 erschienen sein dürfte, lässt die nähere Inhaltsangabe des eucharistischen Gebets der griechischen Kirche weg, ebenfalls auch das Zitat des Vulgarius. Mit beiden fällt auch der Ausdruck mutato pane bzw. panem in carnem mutari. Ob dahinter eine besondere Absicht steht, lässt sich aus den gleich209 zeitigen sonstigen Äußerungen Melanchthons nicht feststellen. 1.4 Zusammenfassung Es hat sich gezeigt, dass der Väterbeweis Melanchthons bis zur ersten Ausgabe der Apologie 1531 von den ersten Zeugnissen an einheitlich durchläuft. Dabei hat sich zwischen der Argumentation der Sententiae Veterum von 1530 und den übrigen Äußerungen der Jahre 1527 bis 1530 einschließlich des Gutachtens von 1529 keinerlei Unterschied ergeben. Wohl tritt eine neue die Vätermeinung zusammenfassende Formel auf, doch zeigt der Väterbeweis selbst, dass damit die äußerliche, mündliche Nießung des Leibes Christi nicht aufgegeben ist. Dem entspricht auch, dass die alten Väterzusammenfassungen, nach denen der Leib Christi „da“ ist oder die Natur des Brots verwandelt würde, weiter gebraucht werden.

206 Vgl. S. 170. 207 Im Iudicium de Zwinglii Doctrina sagt Melanchthon: „Bucerus nunquam audet dicere, si velit sententiam Cinglii auf Oecolampadii sequi, corpus Christi realiter esse cum pane, sine distantia geometrica.“ (CR 2,223). 208 Melanchthon war erst Anfang Juni zur Bearbeitung der Apologie gekommen (CR 27,406). 209 Sehr wahrscheinlich ist der Wegfall der mutatio – Stellen Ausdruch antirömischer Tendenz.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

Die Väterzitate, die von Beginn ihres Auftretens an konstant durchgehalten wer210 den und die damit großes Gewicht haben, sind: 211

Hilarius, trin. VIII 212 (Pseudo) Cyprian, Sermo de Coena Domini 213 Theophylakt, in Mt. 26,26 214 Theophylakt, in Marc. 14,6–9 215 Chrysostomos, hom. in Jo. 6,41, Homil. XLVI,3 al. XLV 216 Chrysostomos, hom. in Matth. 26,26 Homil. 82,5 bzw. 83,5 217 Chrysostomos, sac. 218 Cyrill, Jo. 15,1 Ib 10,2 219 Cyrill, Jo. 6 220 Cyrill, Jo. 6 221 Irenäus, haer. V 2,2 222 Irenäus, haer. IV, 18 223 Ambrosius, myst.

Was Melanchthon durch sie bewiesen findet, ist: die leibliche, natürliche, wirkliche Verbindung mit dem Leib Christi; das mündliche Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi; die ausdrückliche Ablehnung, dass das Brot nur ein Symbol sei; die Überzeugung, dass das Brot der Leib Christi werde; die Meinung, dass unsere Leiber nicht verderben können, da sie durch den Leib Christi genährt werden. Gegenüber den Argumenten der Schweizer bezüglich Augustin macht er geltend, dass sie zumeist nicht vom Abendmahl handeln, dass durch den Hinweis auf die geistliche Nießung die leibliche, äußerliche nicht aufgehoben wird, dass das „in uno loco“ Wort Augustins in ganz anderem Zusammenhang stehe, von dem her nicht auf das Abendmahl geschlossen werden dürfe und Augustin im 210 Nur eine einzige Ausnahme, die aber keine Bedeutung hat, konnte festgestellt werden: Chrysostomos PG 41,230f. Diese Stelle, die 1527 im Brief an Agricola erwähnt ist, findet sich später nicht wieder. 211 Vgl. S. 196, 202. – Die Kirchenväter sind in der zeitlichen Reihenfolge ihres Auftretens in den Argumentationen Melanchthons aufgeführt, wobei Hilarius wegen des offenkundigen Bezugs auf ihn im Brief an Blaurer vom Jan. 1525 an die Spitze gestellt wurde. Mit einem ausgeführten Zitat erscheint er erst hinter Theophylakt. 212 Vgl. S. 193, 202. 213 Vgl. S. 202. 214 Vgl. S. 202. 215 Vgl. S. 201. 216 Vgl. S. 201f. 217 Vgl. S. 201f. 218 Vgl. S. 200f. 219 Vgl. S. 200f. 220 Vgl. S. 200f. 221 Vgl. S. 203f. 222 Vgl. S. 203f. 223 Vgl. S. 203.

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Übrigen den Leib Christi nicht an einen Ort binde, da er, ohne auf die Argumente der Vernunft zu achten, vom Menschensohn aussagt, dass er in der Einheit der Person im Himmel war, obwohl er auf Erden wandelte. 2. Die Väteräußerungen Melanchthons von der Apologie 1531 an bis zur Wittenberger Konkordie 1536 2.1 Der Brief an Schnepf vom 16.9.1534 und der Zeitpunkt der Wandlung Melanchthons in der Abendmahlslehre Es hängt gewiss mit dem ergebnislosen Auslaufen der Konkordien-Versuche Bucers im Frühjahr 1531 und dem von Hoffnung getragenen Vorsatz der Wit224 tenberger, zu warten und das scharfe Schreiben sein zu lassen, zusammen, dass die Abendmahlsäußerungen Melanchthons bis zum erneuten KonkordienAnsatz 1534 sehr spärlich sind. Dem entspricht, dass sich in dem vorliegenden Material auch kaum Äußerungen zu dem Abendmahlsverständnis der Väter finden lassen. Eine eindeutige Bemerkung bringt erst der Brief vom 16.9.1534 an Schnepf: „Magna est fateri praesentiam veram et substantialem. Illa scis ignota fuisse veteri Ecclesiae quae de mutatione panis, de divisione corporis et sanguinis 225 plerique postea disputarunt“. Mit diesen Worten sieht er sich hinsichtlich der vera et substantialis praesentia in voller Übereinstimmung mit der alten Kirche. Die mutatio panis und divisio corporis sind jedoch neuere Gedanken, die nicht zur alten Kirche gehören. Diese Bemerkung Melanchthons ist insofern interessant, als in den Sententiae unter dem Namen des Ambrosius, Cyprians und Vulgarius die mutatio panis als Meinung der alten Kirche angeführt worden war und Vulgarius neben dem bei den Griechen in Gebrauch stehenden Canon Missae noch in der ersten Ausgabe der Apologie als Zeuge für die mutatio panis in der griechischen Kirche erschien. Mit der Äußerung an Schnepf hat sie Melanchthon nicht mehr als Zeugnisse der alten Kirche in Anspruch genommen – sie mussten demnach aus späterer Zeit stammen. In der Tat spricht Melanchthon am 12.1.1535 in 226 einem Brief an Brenz von „untergeschobenen“ Zeugnissen , und 1541 schreibt er im Vorwort zur Basler Ausgabe seiner Werke, dass einige der in den Sententiae 227 angeführten Zitate unecht sind. Dort nennt er auch im Zusammenhang mit 224 Vgl. S. 242 Anm. 290. 225 CR 2,787. 226 CR 2,824. 227 CR 23,731: „Sunt sententiae recentes collectae περὶ δείπνου κυριακοῦ quarum aliquae in illis autoribus qui citantur, sunt supposititiae. Haec et similia quaedam mallem omissa esse. – Memini olim Tubingae Lempum nobis pingere in tabula transsubstantiationem, ut vocant. Mirabar insulsitatem hominis tum quoque, neque iam velim citatis nothis sententiis, titulo Cypriani aut Ambrosii, aut Theophylacti, confirmari abusus Sacramenti. Comperi, miram fuisse audaciam et impudentiam describentium veteres libros, qui ut imponerent doctis, multa de suo adscripserunt pugnantia cum autoribus.“

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

der Transsubstantiation die Namen, unter denen jene falschen Zitate überliefert sind – Cyprian, Ambrosius, Theophylakt. Es sind die Namen, mit denen in den Sententiae Veterum die mutatio panis verbunden ist. Offensichtlich war Melanchthon also schon vor dem Brief an Schnepf zur Überzeugung gekommen, dass die Zitate aus Cyprian, Ambrosius und Vulgarius unecht seien und die Alte Kirche die mutatio panis nicht vertreten hat. Es entsteht die Frage, wodurch und wann Melanchthon zu dieser Erkenntnis gekommen ist und ob und ggf. welche Entsprechungen in der Abendmahlslehre überhaupt damit verbunden waren. Gewöhnlich meint man, dass sich Melanchthon von der Väterargumentation Oekolampads habe beeinflussen lassen und verweist auf eine Bemerkung, die Melanchthon in einem Brief an Luther vom Juli 1530 über den Dialogus ge228 macht hat. Doch besagt diese Bemerkung lediglich, dass Oekolampad sorgfältiger gearbeitet zu haben scheine als sonst. Der Basler hatte die in den Sententiae angeführten Stellen des Ambrosius, „Cyprian“ und Theophylakt sowohl mit literarkritischen Mitteln als auch mit dem sachlichen Argument abgelehnt, dass 229 die alte Kirche die mutatio nicht gekannt habe. Melanchthon dagegen führt in der Apologie die mutatio–Aussagen des Theophylakt und des canon missae als Zeugnisse für die Abendmahlslehre der griechischen Kirche an. Ausgehend von Cyrill über Theophylakt bis zum canon missae fasst er damit die Lehre der griechischen Kirche hinsichtlich der corporalis praesentia als eine Einheit auf, wobei gerade auch durch die mutatio-Stellen zum Ausdruck kommt, dass es sich um eine vom Brot ausgesagte Gegenwart des Leibes Christi handelt. Sieht Melanchthon Cyrill, Theophylakt und den canon missae in einer Einheit, so ist er zumindest offen dafür, dass die alte Kirche die mutatio panis gelehrt habe, selbst wenn er, wofür es keinen Anhaltspunkt gibt, von der späten Herkunft des „Cyprian“ – Zitats inzwischen überzeugt und hinsichtlich der Echtheit von de mysteriis des Ambrosius schwankend gewesen wäre. Auch die Verteidigung Theophylakts deutet daraufhin, dass er nach Melanchthons Überzeugung die Meinung 230 der alten Kirche nicht falsch wiedergegeben hat. Alles das sieht nicht danach aus, dass sich Melanchthon bei der Abfassung der Apologie von Oekolampad hat beeinflussen lassen oder gar seine These, die alte Kirche habe von der mutatio 231 nichts gewusst, übernommen habe. 228 CR 2,217 am 20.7.1530: „Oecolampadius scripsit contra me dialogum, ut mihi videtur accuratius, quam solet alioqui scribere, quem afferam, si quando deus nos reduxerit istuc.“ 229 Vgl. S. 23 Anm. 21. 230 Vgl. BSLK S. 248, Anm. 2: „Das: ut nobis videtur non stultus ist gegen Oekolampads Gegenschrift gerichtet.“ Plitt (Apologie S. 157 Anm. 1), auf den sich diese Bemerkung stützt, formuliert zwar etwas vorsichtiger, doch ist ein anderer Bezug gar nicht denkbar. 231 Dies hat schon Frank, Theologie der Concordienformel Bd III 1863 gesehen: „… aber die Beschaffenheit der später erschienenen Apologie, mit ihrer Berufung z.B. auf Theophylakt, während gerade darüber Oekolampad im Hinblick auf Melanchthons Citate in seiner Schrift … sich scharf zurechtweisend geäußert hatte (vgl. Galle, S. 397 Anm.), … macht die Annahme unmöglich, daß schon damals Melanchthon in seiner Auffassung des kirchlichen Altertums und des Dogmas überhaupt irre gemacht worden sei.“ – Wenn Oekolampad im Dialogus (e8b) über

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Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob sich nicht nach der ersten Ausgabe der Apologie eine Beeinflussung feststellen lasse. Hierfür kommt, was die Väter betrifft, neben dem Wegfall der mutatio–Stellen in der Oktavausgabe 232 der Apologie, der allerdings verschieden interpretierbar ist, Melanchthons Bezug auf Augustin im Brief des Thomas Blaurer vom 25.8.31 an seinen Bruder Ambrosius in Frage. Mit den einführenden Worten Blaurers lautet das Zitat: „… ut significem tibi de literis, quae ad me perlatae sunt a Philippo Melanchthone, in quibus censet, nos posse aliquid apud Lutherum conficere. Verba epistolae sunt: Optarem autem, te aut tuum fratrem πρὸς ἡμέτερον θεολόγον ἐπιστέλλειν περὶ ἐκείνου πράγματος, quare, cum a vobis dissentire velit, ponat τὸ σῶμα Χριστοῦ οὕτως πως σὺν τῷ ἄρτῳ εἶναι, ὥσπερ πανταχοῦ ὁ Χριστός ἐστιν. Εἰ γὰρ οὕτως πάρεστι κατὰ τὴν κοινωνίαν ὑποστάσεων, σῶμα οὐ πάρεστι σωματικῶς, ἀλλὰ ὁ Χριστὸς πάρεστιν οὐ κατὰ σῶμα, ἀλλὰ κατὰ τὴν θεότητα καὶ ταῦτα συμφωνεῖ τῷ Αὐγουστίνῳ. De hac re velim, inquit, te aut alium quempiam, sed si233 ne contumelia et sine mentione nominis mei interrogare.“

Die Frage ist, ob Melanchthon hier die Augustin-Argumentation des Dialogus 234 Oekolampads übernommen hat. Die Meinung Melanchthons wäre dann etwa folgende: Man solle Luther fragen, worin der eigentliche Grund für die Trennung bestehe, wenn er doch meint, dass der Leib Christi in etwa so mit dem Brot sei, wie Christus überall ist. Diese Gegenwart, die auf Grund der Gemeinschaft der Naturen ausgesagt wird, besage ja gar kein leibliches Gegenwärtigsein des Leibes, sondern eine Gegenwart „nicht nach dem Leib, sondern nach der Gottheit, und das stimmt mit Augustin“. Anders gesagt: Diese Ubiquität des Leibes Christi ist ja gar keine Ubiquität des Leibes selbst, sondern nur der Gottheit Christi – und das stimmt mit Augustin, nämlich dass der Leib Christi an einem Ort im Himmel sei, die Gottheit aber überall, überein. Dies wäre in der Tat genau Oekolampads Verständnis vom Leibe Christi und eine Argumentation, die davon ausgeht, dass der Leib Christi, wenn er nicht im Sinne der zirkumskriptiven Existenzweise gegenwärtig ist, überhaupt nicht gegenwärtig ist. Einem solchen Verständnis widerspricht aber Melanchthons Brief vom 24.12.1532 an Rothmann, in dem er sich klar gegen Zwingli wendet und, nachdem er auf die zentralen Themen der Verkündigung und Lehre hingewiesen hat, fortfährt: „Quorsum opus est, illas prophanas disputationes, quod nusquam nisi in coelo sit Christus, et quod sedeat uni affixus loco, spargere? Certe scriptura

die Transsubstantiation, die er mit der mutatio panis in eins fasst, schreibt: „quam certe Melanchthon nequaquam approbat, et veteribus ignotam agnoscit“, so handelt es sich, wie das certe ausweist, um eine Vermutung. 232 Er könnte genau so gut dadurch erklärt werden, dass Melanchthon das Missverständnis der Transsubstantiation vermeiden wollte. 233 Bindseil, Epistolae S. 85. 234 Vgl. S. 85ff.

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Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

iubet invocare Christum. Fatendum igitur est, eum adesse vere et verbo et signo, cum eo utimur, ubi promisit, se adesse velle (sicut et Deus vere aderat ad propitiatorium propter promissionem), velle consolari. Et nostri non probant illam μεταμόρφωσιν qua Papistae dicunt corpus in species illas includi, quasi vinum in lagenam. Sed adesse vere dicunt Christum in coena, quod nihi habet incom235 modi“. Dieser Abschnitt zeigt deutlich, wie Melanchthon vom Leibe Christi denkt. Die Behauptung, dass Christus nirgendwo denn im Himmel sei und dass er an einen Ort fest angeheftet da sitze, gehört für ihn zu den profanen und unnützen Disputationen, die er als Rationalismus zurückweist. Christus ist vielmehr wahrhaftig beim Zeichen. Melanchthon gebraucht das Wort Christus dabei so, dass es sich nicht nur um die Gottheit oder die Person Christi handelt, sondern auch um Christi Menschheit selbst. Denn der Satz „quod nusquam nisi in coelo sit Christus, et quod sedeat uni affixus loco“ ist ja nur als Aussage von der Menschheit und damit gerade von dem Leibe Christi sinnvoll – Zwingli hatte ja nie bestritten, dass Christus nach seiner Gottheit überall gegenwärtig ist. Wenn Christus bei dem Zeichen ist, so ist der ganze Christus, auch der Leib, direkt gemeint. Melanchthons Ausführungen im Brief an Rothmann stünde, wenn die dargestellte Auffassung dieses Stückes richtig sein sollte, also im geraden Gegen236 satz zu dem Stück, das Thomas Blaurer mitteilt. In der Tat lassen sich Melanchthons Ausführungen aus Blaurers Brief in einem anderen, angemessenen Sinn verstehen. Wenn Melanchthon darauf verweist, dass Luther den Leib Christi in etwa so beim Brot sein lässt, wie Christus überall ist, dann will er daraus nicht die Folgerung gezogen haben, dass der Leib überhaupt nicht da ist, sondern dass er auf Grund der Gemeinschaft der Naturen nicht auf die leibliche zirkumskriptive Weise da sei (σωματικῶς κατὰ σάρκα) sondern auf göttliche Weise (κατὰ τὴν 237 θεότητα). ,,Christus“ ist dann gleich wie im Brief an Rothmann so gemeint, dass mit der Gottheit auch die volle Gegenwart der Menschheit und also auch des Leibes Christi zugleich ausgesagt ist. Und der Hinweis auf Augustin besagt dann nicht die Übereinstimmung des soeben Ausgeführten mit dem bekannten Wort Augustins, dass der Leib an einem Ort im Himmel sein müsste, die Gottheit aber überall, sondern weist Thomas Blaurer allgemein darauf hin, dass das Vorgetra-

235 CR 2,620. 236 Man müsste, wenn man nicht mit einem unverständlichen Schwanken Melanchthons rechnen will, die Überlieferung dieses Stückes besonders untersuchen. 237 Der Satz an Blaurer entspricht dann inhaltlich und auch im Blick auf manche Redewendungen dem Satz aus dem Iudicium de Zwinglii Doctrina vom Juli 1530: „Quanquam dicimus, quod corpus Christi realiter adsit; tamen non dicit Lutherus adesse localiter, scilicet in aliqua mole, circumscriptione; sed illo modo, quo Christi persona seu totus Christus praesens est omnibus creaturis.“ CR 2,224.

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gene mit Augustin übereinstimmt. Das Ganze wäre dann ein Versuch Melanchthons, die Brüder Blaurer zu einem Konkordien-Ansinnen an Luther zu bewegen, das seine Grundlage in der gemeinsamen Aussage des nicht auf körperliche, sondern göttliche Weise beim Brote gegenwärtigen Leibes Christi hat. Diese Grundlage fügt sich sachlich durchaus in das Iudicium de Zwinglii doctri239 240 na, den Brief an Rothmann und die Forderung an Bucer vom 22.1.1531 ein. Und dass Melanchthon, wenn auch heimlich, eine solche Ermunterung zur Konkordie an die Brüder Blaurer ergehen lässt, braucht angesichts der seit Ende März 1531 offenbar wieder genährten Hoffnung, dass es zu einer wahren und 241 beständigen Konkordie mit Bucer kommen könnte, nicht zu verwundern. Auch dieser Brief kann darum nicht im Sinne einer Beeinflussung durch Oekolampads Väterargumentation hinsichtlich des Leibes Christi gewertet werden. Offensichtlich sieht sich Melanchthon in der Mitte des Jahres 1531 noch in vol242 lem und klarem Gegensatz zu Oekolampad und ganz auf der Seite Luthers. Darauf deutet auch eine Bemerkung über Campanus: „περὶ εὐχαριστίας homo acutus invenit medium inter contradictiones, inter Lutherum et Oecolampadium. Non opinor, homines applausuros esse tam ineptis sycophantis, praesertim 243 cum etiam genus sermonis sit obscurissimum“. Bei dieser Sachlage ist dann allerdings auch kein Anhaltspunkt dafür gegeben, den Wegfall der mutatio– Stellen in der Oktavausgabe der Apologie auf den Einfluss Oekolampads zurückzuführen. Melanchthons Wandlung muss also später, wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem neuen Konkordien-Ansatz Bucers 1534 erfolgt sein. Im Blick auf die These, dass die alte Kirche die mutatio panis nicht gekannt habe, ist sie auf Grund des Briefs an Schnepf schon Anfang September 1534 vollzogen; ob 238 Er soll gerade im Gegensatz zu der Berufung Zwinglis auf das genannte Wort Augustins dem Thomas Blaurer beteuern, dass das Vorgetragene mit Augustin übereinstimmt. Vgl. dazu auch Melanchthons Argumentation in den Sententiae - S. 210. 239 Vgl. S. 230 Anm. 237. 240 CR 2,470: „Si vera praesentia cum anima admittitur, facile est et cum signo admittere, sicut certe Deus in propitiatorio non solum aderat in animis sanctorum, sed etiam apud ipsum propitiatorium. Quare dabis operam, ut hoc, quod reliquum in controversia maneat, etiam expediatur.“ 241 Melanchthon hatte am 7.03.1531 an Camerarius schwerstes Misstrauen gegenüber Bucer auf Grund von Gerüchten geäußert: „De concordia Taurica etiam arbitror istic sermones parum commodos seri. Integra nobis res est, et illum fucatum et ementitum συγκρητητισμὸν sic enim videbatur, scias nos non accepisse … Etsi multa videntur adversarii largiri, immo de tota causa cedere, sed simplicitatem tamen requirebamus.“ CR 2,486. Hier klingt der gleiche Vorwurf wie in Augsburg an: „Fucum faciunt hominibus per hoc, quod dicunt, vere adesse corpus …“ CR 2,223. Es scheint aber dieses Misstrauen in Wittenberg bald behoben worden zu sein. Luther schreibt am 28.03.1531 an Frosch in Augsburg: „Martinus Bucerus satis diligenter et, ut verba sonant, syncere nobiscum cogitat sentire et docere. deoque, quantum ad personam eius attinet, bona spe ducor, vel ipsum saltem rediturum esse in viam.“ WA.B 6,60. 242 Melanchthons bekannte Äußerung über den Abendmahlsartikel der Apologie (CR 2,498) besagt nichts darüber, dass er sich seines Inhaltes unsicher geworden sei. „περὶ εὐχαριστίας pauca dixi, profecto non ut exularem hoc negotium, quod utrinque mallem consilescere, qui (?) non volunt ἡγούμενοι nostri convenire.“ 243 An Rothmann am 21.7.1531. CR 10,133.

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damit schon Konsequenzen hinsichtlich der Abendmahlslehre überhaupt verbunden waren, darüber geben die Quellen keine Auskunft. Notwendig waren sie nicht, da Melanchthon schon von 1520 an die Transsubstantiation, die er damals 244 noch gerne annahm, nicht als Glaubensartikel bejahte, und auch in den „Sententiae Veterum“ die „mutatio panis“ nicht das eigentliche Beweisziel, sondern Argument für die Identität der Gegenwart des Leibes Christi und des Abend245 mahlsbrots war. 2.2 Der Zettel an Luther vom Dezember 1534 und der Brief an Brenz vom 12.1.1535 Die nächste Äußerung Melanchthons zu den Vätern ist der Zettel mit den Väter246 zitaten, den er Luther vor der Abreise nach Kassel vorgelegt hat. Es ist eine indirekte Äußerung insofern, als ja nur die Väterzitate vorliegen und Melanch247 thons eigene Meinung darauf nicht geäußert ist. Immerhin lässt sich aber aus dem Sachverhalt selbst und aus der Wahl der Stellen einiges erschließen. 248 Eindeutig sind von den angeführten 20 Väterstellen über die Hälfte im Verlauf der bisherigen Auseinandersetzung von schweizerischer Seite, besonders von Oekolampad, angeführt worden, z. T. als „klare Stelle“. Bei letzteren handelt es 249 sich um Augustinus contra Adimantum cap 12, de doctrina christiana, de figu250 251 252 ris, Ad Bonifacium, Tertullianus lib 3 contra Marcionem, Augustinus de 253 fide ad Petrum. Einige Zitate waren überhaupt noch nicht in der Debatte aufgetreten; sie entstammen offensichtlich der eigenen Väterlektüre Melanchthons. Manche Handschriften wurden, wie die, aus der das Epiphanius-Zitat stammt, 254 erst später aufgefunden. Zwei Stellen, Augustinus Psalmo 98 und Tertullian 255 adv. Marc. lib 3, waren schon von Luther ausführlich behandelt worden. Die erstere davon hatte Melanchthon in den Sententiae Veterum mit der Bemerkung erwähnt, dass sie die manducatio ceremonialis nicht hindere; offensichtlich wird sie jetzt in anderem Sinne eingeführt – wie auch die letztere Stelle mit einer der lutherischen Auffassung entgegengesetzten Bemerkung verbunden ist. Besondere Beachtung verdient, dass mit dem Canon vetus graecus nun auch ein entscheidendes Zeugnis der alten griechischen Kirche im Gegensatz zu dem bisher ange244 CR 1,145. 245 Vgl. S. 205. 246 WA 38,302ff.; Dazu WA.B 12,157ff. 247 Vgl. S. 169 Anm. 73. 248 Vgl. S. 169ff. 249 Vgl. S. 142. 250 Vgl. S. 58. 251 Vgl. S. 60, 80. 252 Vgl. S. 61f. 253 Vgl. S. 38. 254 Vgl. WA 38,307 Anm. 2. 255 WA 23,243,1ff. und WA 23,277,4ff.

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führten griechischen Canon neu auftritt. Dazu passt, dass Origenes als ein Zeuge hervorgehoben wird, der ausführlich zum figurativen Verständnis der Abendmahlsworte ermahnt. Schließlich wird auch „commendare“ eindeutig im Sinne Oekolampads aufgefasst. Inhaltlich laufen die angegebenen Vätersprüche darauf hinaus, dass das Brot als Sakrament oder Zeichen im Gegensatz zum gegenwärtigen Leib ausgesagt wird und deshalb nicht vom in ihm gegenwärtigen Leib verstanden werden kann. Das Brot wird nur der Leib genannt, ist es aber nicht in Wirklichkeit; es trägt nur den Namen des Bezeichneten. Der Begriff figura ist nicht more geometrico, als äußere Gestalt einer gegenwärtigen Sache, sondern als hinweisendes Zeichen verstanden – ebenso auch antitypon oder ähnliche Begriffe. Brot und Wein sind Zeichen der Danksagung und der Erinnerung an das Fleisch Christi. Melanchthon hat sich also, ehe er nach Kassel ging, offenbar intensiv mit den Vätern befasst. Eingehend scheint er auch, vielleicht schon seit längerer Zeit, das von Oekokolampad vorgelegte Material durchgearbeitet zu haben. Dabei muss sich ihm eine andere, als die bisher von ihm vertretene Sicht der altkirchlichen Abendmahlslehre ergeben haben. Die Tendenz aller angeführten Stellen zielt ja darauf, dass das Abendmahlsbrot Zeichen und nicht zugleich der Leib Christi ist. In diesem Sinne hätte Oekolampad diese Zusammenstellung ebenso gut machen können. Andererseits fällt auf, dass die sonstigen Väterargumente der Schweizer, also etwa die zirkumskriptive Beschaffenheit des Leibes Christi nicht vertreten sind. Offenkundig handelt es sich nicht nur darum, dass Melanchthon mit etlichen Väterstellen sozusagen nicht zustande gekommen sei und deshalb Luther um Hilfe gebeten habe, sondern um eine neue Vätermeinung, deren Belegstellen er Luther zu bedenken gibt. Denn wenn Melanchthon Origenes wieder als Zeuge beizieht, den er doch in den Sententiae als einen, der „nach seiner Art mit Allegorien spielt“, abgewiesen hatte, so bedeutet das doch, dass die Abendmahlsaussagen des Alexandriners nun nicht mehr abseits der Lehre zu mindestens eines großen Teils der Väter stehen. Melanchthon ist also nicht nur mit der Auffassung nach Kassel gereist, dass die alte Kirche die mutatio panis, wie auch die divisio corporis nicht gekannt habe, sondern dass zumindest ein beachtlicher Teil der Väter das Abendmahlsbrot als Zeichen und nicht als den wahren Leib Christi aufgefasst habe. Luthers Deutung und Erläuterung der Väterstellen dürften auf ihn keinen Eindruck gemacht haben. Das Gesagte wird durch einen Brief Melanchthons an Brenz gestützt, den er am 12.1.1535, also drei Tage nach seiner Rückkehr aus Kassel geschrieben hat. Er drückt darin seine Sicht der alten Kirche mit folgenden, griechischen Worten aus: „Ich sehe aber, dass es viele Zeug256 nisse der alten Schriftsteller gibt, die zweifellos das Abendmahlsbrot vom Typos 256 Melanchthon sagt μυστήριον. Die Übersetzung „Abendmahlsbrot“ ergibt sich aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, nach dem nicht nur die Handlung, sondern gerade auch die dargereichten Elemente mysteria sind und aus den Väterstellen, die Melanchthon vor dem Kasseler Gespräch Luther übergeben hatte und die ja auf den Zeichencharakter der Elemente gehen.

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her und tropisch auslegen; die entgegengesetzten Zeugnisse sind entweder neue257 ren Datums oder unecht. Achtet darauf, ob ihr die alte Meinung verteidigt.“ Was an diesen Worten auffällt, ist die Einstimmigkeit, in der hier die Väter gesehen werden: Die Zeugnisse der Alten interpretieren das Abendmahl als Zeichen, die Zeugnisse, die das Gegenteil aussagen, sind jünger oder unecht. Damit wird die ganze alte Kirche zugunsten des tropischen Verständnisses des Abendmahls in Anspruch genommen und nicht einmal ein Zwiespalt innerhalb derselben zugestanden. Auf welche jüngeren oder unechten Zeugnisse sich Melanchthon bezieht, kann hier nur vermutet werden – offensichtlich sind es die schon im Zusammenhang mit der mutatio panis erwähnten Zeugnisse, zu denen möglicherweise noch der in der Apologie angeführte Canon der Griechen kommt. Melanchthon klassifiziert ihn jedenfalls in einem Brief an Veit Dietrich vom 258 Jahre 1540 als jüngeren Datums. Die Tatsache, dass Melanchthon die alten Väter hier geschlossen auf der anderen Seite sieht, ist bemerkenswert. Selbst wenn jene Zeugnisse, in denen die mutatio zum Ausdruck kommt, wegfallen – sollten dann nicht die anderen, auf die sich Melanchthon eigentlich stützte, noch gelten? Oder ist der Wittenberger durch sein weiteres Väterstudium, insbesondere des Augustin, dahin gekommen, dass diese Aussagen eben nicht so, wie sie lauten, sondern tropisch zu verstehen seien? So ganz ohne Überzeugungskraft können die von ihm bisher angeführten Väterworte nicht gewesen sein, denn Melanchthon sagt selbst von den Oberdeutschen: „Nun neigen sie sich Luther zu. Und sie werden gerade durch einige 259 Zeugnisse der kirchlichen Schriftsteller dazu bewogen.“ Hiernach sieht es so aus, als ob die die Konkordie suchenden Oberdeutschen einerseits und Melanchthon andererseits sich gegenseitig durch die Väterzeugnisse zum Wechsel ihrer bisherigen Positionen gebracht haben. Wie es nun auch mit der Einstimmigkeit der Väter im tropischen Abendmahlsverständnis bei Melanchthon sich verhalten habe – viele Äußerungen Melanchthons in den Briefen sind ja stark durch augenblickliche Stimmungen bestimmt – dass viele Väter anders als Luther lehren, davon ist er zu dieser Zeit fest überzeugt gewesen. Dies kommt nicht nur darin zum Ausdruck, dass Melanchthon sich Brenz mitteilt, von dem er doch weiß, wie er in der Abendmahlslehre steht, sondern dass er auch verschiedentlich gegenüber seinen Freunden darauf hinweist, wie nicht geringe Zeugen er auf seiner 260 Seite hat. Die neue Überzeugung ist also nicht erst durch das Kasseler Ge257 CR 2,824. 258 CR 3,1035: „In recentiore (sc. κανὼν λειτουργίας) verba: τοὺτον ἄρτον ποίει σῶμα Χριστοῦ. Haec non sunt in veteri.“ 259 CR 2,824. – „Nunc ipsi se ad Lutherum inflectunt. Et quidem moventur nonullis testimoniis Ecclesisticorum scrptorum.“ 260 Am 12.1.1535 an Brenz (CR 2,824): „Itaque tantum hoc te oro, ut hac de re nihil temere statuas, sed deliberes etiam ξύν τῇ παλαιᾶ ἐκκλησιᾳ.“ Am 7.7.1535 an Camerarius (CR 2,882): „… de illa tota re, mi Joachime, tecum coram constitui loqui, et non sine teste, hoc est, non sine gravissimis autoribus.“

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spräch selbst entstanden, zumal nach dem Bericht Bucers anscheinend über die 261 Väter nicht verhandelt worden ist, sondern muss sich davor durch die gründlichere Beschäftigung mit den Vätern selbst bei Melanchthon ergeben haben. Wenige Wochen später, im Brief an Bucer vom 5. Februar 1535, spricht Melanchthon nicht mehr von einer einstimmigen tropischen Auffassung der Väter. 262 Jetzt heißt es: „Mira est dissimilitudo“. Diese Feststellung ist das Ergebnis einer von ihm veranstalteten Sammlung aller von beiden Seiten vorgebrachten Väterzeugnisse, die als Vorarbeit zu einer ausführlichen Besprechung der Abendmahlslehre unter den Gelehrten der Evangelischen gedacht war. Melanchthon hatte schon immer diesen Gedanken vertreten, der nun aber angesichts der auf beiden Seiten berechtigten Berufung auf die Kirchenväter unter einen neuen Gesichtspunkt trat: Die Kirche sollte in dieser Sache urteilen, ohne Sophisterei und ohne 263 Tyrannei. Melanchthon hoffte, dass bei einer solchen von Liebe und Freiheit getragenen Besprechung frommer und gelehrter Leute die Wahrheit offenbar 264 würde und die Einheit zustande käme. Das Ergebnis solcher Besprechung sollte 265 sich im Rahmen der alten Kirche halten. Offensichtlich versprach sich dabei Melanchthon einiges von seiner Mitwirkung für die bessere Unterrichtung und 266 Befriedung der Kirche. Die im Brief an Brenz ausgedrückte Meinung, dass die ganze alte Kirche tropisch gelehrt habe, ist also nun nach nochmaliger intensiver Sammlung und Beschäftigung mit den beiderseitigen Argumenten der Erkenntnis von der „ver267 wunderlichen Ungleichheit“ gewichen. „Verwunderlich“ deshalb, weil diese Ungleichheit nicht zu der Vorstellung der Geschlossenheit der alten Kirche passt, die Melanchthons Denken bestimmte. Offensichtlich ist diese Ungleichheit nun aber für ihn in Verbindung mit dem Abendmahlsstreit zugleich zur Aufgabe und zur Chance geworden. Zur Aufgabe insofern, als im Rahmen der verschiedenen Väteraussagen eine einzige, überzeugende, klare Abendmahlslehre erarbeitet werden muss, zur Chance dadurch, dass die Verschiedenheit der Aussagen keiner der streitenden Parteien volle Rückendeckung gibt.

261 Vgl. Bucers Bericht über Kassel, ARG 1938, S. 219ff. 262 CR 2,842. 263 Am 3.2.1535 an Bucer (CR 2,824): „Σφόδρα δὲ εὐχαίμην τὴν εὐσεβῆ ἐκκλησίαν, ταύτην δίκην δικάσαι, ἂνευ σοφιστικῆς καὶ ἂνευ τυραννίδος.“ 264 Am 12.1.1535 an Brenz (CR 2,842): „Sed optarim etiam bonos viros amanter inter se conferre posse de re tanta. Ita posset coire concordia sine Sophistica.“ Am 3.2.1535 an Bucer (CR 2,842): „Quo spectarint mea consilia a principio – nempe ut, re deliberata communiter, et veritas patefieret, et concordia constitueretur … omnibus votis opto, ut tandem aliquando amanter et liebere pii ac docti viri inter se colloqui possint.“ 265 Nec iudico utile esse Ecclesiae, singulos, contempto fratrum iudicio νεωτερίζειν. CR 2,824. 266 CR 2,842: „Mea scripta testantur, quam multa in dogmatis explicarim, quae antea confuse a nostris disputabantur. Utinam et in hoc negotio aliquid opis Ecclesiae adferre possim.“ 267 CR 2,842: „Collegi omnia testimonia, quae reperire potui utriusque partis, ut de iis colloqui possemus. Mira est dissimilitudo.“ CR 2.

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2.3 Die secunda aetas der Loci 1535 Man wird annehmen dürfen, dass Melanchthons Beitrag zur Lösung der von den Vätern überkommenen Ungleichheit sich in den Hinweisen findet, die die 1535 erschienene aetas secunda der Loci bietet. Der Reformator greift hier die Frage auf, ob in den Einsetzungsworten eine Metapher vorliege und ob die Messe ein Opfer sei. Er meint, dass diese und ähnliche Streitfragen leicht entschieden werden könnten, wenn die Gewohnheit der alten Kirche nicht geändert worden wäre. Sodann äußert er den Wunsch nach einer Synode, die die Streitfragen gottesfürchtig und erfolgreich behandelt. Dabei markiert er seine Position insofern, als er weder Urheber noch Befürworter eines neuen Dogmas sein will, das nicht gesicherte Zeugnisse der alten Kirche hat. „Was aber die kirchlichen Schriftsteller über die Abendmahlsworte gedacht 268 haben, wird aus ihren Worten deutlich.“ Die Frage nach der Metapher beantwortet Melanchthon nun in einem verhältnismäßig kurzen Abschnitt: „Paulus inquit, Panis est communicatio corporis Christi, poculum est communicatio sanguinis Christi. Itaque datis his rebus, pane et vino in coena domini, exhibentur nobis corpus et sanguis Christi. Et Christus vere adest sacramento suo, et efficax est in nobis, sicut Hilarius inquit, Quae sumpta et hausta faciunt, ut Christus sit in nobis, et nos in Christo. Mirum profecto et ingens pignus summi erga nos amoris, summae misericordiae, quod hac ipsa coena testatum vult, quod se ipsum nobis impertiat, quod nos sibi adiungat tanquam membra, ut sciamus, nos ab 269 eo diligi, respici, servari.“

Der Text ist zweifellos nicht so klar, dass man ihn eindeutig verstehen muss. Es fällt auf, dass zur Entscheidung der Frage nach der Metapher der Einsatz aus 1. Kor 10,16 genommen wird, indes noch in den Sententiae von den Einsetzungsworten her argumentiert wurde. Der Satz Datis his rebus … erläutert dabei offenkundig das Verständnis von communicatio: Brot und Becher sind die „Kommunikationsmittel“, das, wodurch Leib und Blut Christi uns ausgeteilt werden. Diese Austeilung kann verschieden verstanden werden, angefangen von einem räumlich nicht fassbaren Ineinander von Brot und Leib und Wein und Blut bis zu einer Zueignung des ganzen Christus, und damit auch seines Leibes und Blutes, an die Seele des Kommunikanten. Zweifellos wird hier aber der Konkordien-Vorschlag vom Dezember 1534 aufgenommen, wie die beiden Hauptpunkte, die zugleich erfolgende Darreichung des Brots und des Leibes und 270 das Beieinandersein des Sakraments und des Leibes Christi , zeigen. Man wird 268 CR 21,479: „Quid autem de verbis Coenae senserint Ecclesiastici scriptores, ex dictis eorum apparet.“ 269 CR 21,479. 270 Nach Bucers Bericht, der im wesentlichen mit CR 2,827 übereinstimmt, lautet der betreffende Abschnitt: „... von der warhafftigen gegenwurtigkait, bericht er, das sye bekennen, das der leib Christi wesenlich vnd warhafftigklich, empfangen werde, so wir das sacrament empfahen, vnd

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also diese Formulierung Melanchthons in der Interpretationsbreite dieses Konkordien-Vorschlags sehen müssen. Worauf es im Zusammenhang dieser Arbeit ankommt, ist die Frage, in welchem Sinne Hilarius hier angeführt wird. Es soll damit auf jeden Fall bezeugt werden, dass Christus in uns wirksam ist, und zwar dadurch, dass das Brot gegessen und der Wein getrunken wird. Es steht zu überlegen, ob das quae sumpta atque hausta, das sich bei Hilarius eindeutig auf caro und sanguis Christi bezieht, von Melanchthon gleicherweise und also nicht nur auf die signa bezogen wird. Doch ist der Parallelismus „datis his rebus, pane et vino in coena domini exhibentur – Quae sumpta et hausta faciunt, ut Christus sit in nobis“ so stark, dass man das Pronomen Quae nicht anders als nur auf die signa beziehen kann. Die für Melanchthon entscheidende Aussage des Hilarius ist also die, dass Christus in uns ist und wir in ihm und dass dies durch das Essen und Trinken des Sakraments geschieht. Das Gewicht liegt also nicht auf der Bestätigung des „vere adest sacramento suo“ – diese Aussage ergibt sich aus dem, was Hilarius von der Wirkung des Sakraments gesagt hat, von selbst, sondern darauf, dass durch das Essen und Trinken Leib und Blut Christi ausgeteilt werden und Christus wirklich in uns ist und wir in ihm. Noch klarer als in der ersten, äußert sich Melanchthon in der Editio secunda vom gleichen Jahre. Dort weist der Schlusssatz des Abschnitts ganz eindeutig 271 darauf, dass die Väter die Wirksamkeit Christi in uns bezeugen. Neben dem schon bekannten Hilarius-Wort wird zusätzlich noch das schon aus den Sententiae bekannte Zeugnis Cyrills angeführt, das besonders die Weise der durchs Sakrament vermittelten Gegenwart Christi in uns ausführt: „… non habitudine solu, quae per caritatem intelligitur, Christum in nobis esse, verum etiam partici272 patione naturali.“ Die Gegenwart Christi in uns und die Anteilhabe an ihm ist also eine natürliche, das heißt eine Gegenwart und Verbindung des ganzen Christus, gerade auch seines Leibes nicht nur mit unserem Geiste, sondern auch mit unserem Leibe. Es ist also nicht nur eine Gegenwart, die – wie man auf schweizerischer Seite zugestand – dem Geist gegenwärtig ist und nur insofern auch dem Leib, als der Geist mit dem Leib zusammenhängt, sondern eine Gegenwart, die ebenso direkt, wie sie dem Geiste des Kommunikanten gegenwärtig ist, auch dem Leibe gegenwärtig ist. Melanchthon hatte schon in den Sententiae die participatio naturalis stark hervorgehoben, zugleich aber auch – mit einem anderen Zitat – das leibliche manducare et gustare. Auf letzteres, das die Gegendas broth vnd wein zaichen seyen, signa exhibitiva, welliche so man raichet vnd empfahet, werde zu gleich geraicht vnd empfangen der leib christj, Vnd hallten allso, das das brot vnd der leib, sllso bey ain seyen, nit mit Vermischung jres wesens, sondern als sacrament vnd das jhenig, so sampt dem sacrament gegeben wirt, quo posito aliud ponitur, Dann derweil man auff baiden tailn hellt, das brot vnd wein bleibet, Hallten sye solliche sacramentalem coniunctionem.“ ARG 1938,228; vgl. WA.B 12,16. 271 CR 21,478: „Ita mentes statuant Christum efficacem in nobis esse. Hae diligenter monent veteres scriptores, quoties concionantur de Sacramento.“ 272 CR 21,478 Anm.

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wart des Leibes mit dem Brote identifiziert, verzichtet er hier; nur die participatio naturalis, sozusagen das Ergebnis des Gebrauchs des Sakraments, bleibt bestehen. Melanchthon stellt also in der secunda aetas als wesentliche Aussage der Väter zum Verständnis der Einsetzungsworte heraus, dass durch den Gebrauch des Sakraments eine Verbindung des Leibes und Geists des Kommunikanten mit dem ganzen Christus, also auch seinem Leibe, gewirkt wird. Die Frage nach der Verbindung des Leibes des Herrn mit dem Brot und damit die Frage nach dem Verständnis der sich auf das Brot beziehenden Einsetzungsworte bleibt dabei offen, sie wird durch die allgemeine Formulierung, dass der Herr wahrhaftig bei seinem Sakramente ist, nicht wirklich beantwortet. Dem entspricht, dass ein mündliches Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi durch den Bezug des Relativpronomens im Hilarius-Zitat auf Brot und Wein nicht mehr ausgesagt wird. Die alte Kirche wird damit von Melanchthon zum Zeugen einer durch den Gebrauch des Sakraments gewirkten leiblichen Verbindung des Kommunikanten mit seinem Herrn, die durch das Essen und Trinken des Brots und Weins vermittelt wird, ohne dass eine Verbindung des Brots mit dem Leibe Christi selbst 273 stattfindet. Weitere Äußerungen Melanchthons zur Abendmahlslehre der Väter lassen sich bis Ende Mai 1556 nicht finden. Die Wittenberger Konkordie selbst, deren Abendmahlstext mit einem Väterwort beginnt, ist eher Luthers Werk. Es ist interessant, dass das Väterwort, mit dem die Konkordie einsetzt, zu denen gehört, die keineswegs im Mittelpunkt der Äußerungen Melanchthons zu dieser Zeit stehen. Auch zeigen die Berichte, dass die Väter bei den Verhandlungen kaum eine Rolle gespielt haben. 2.4 Zusammenfassung Im September 1554, im Brief an Schöpf, kommt eindeutig zum Ausdruck, dass Melanchthon die mutatio panis – wie auch die divisio corporis Christi – nicht mehr als Meinung der alten Kirche ansieht. Seit wann dies der Fall war, lässt sich aus dem derzeit fassbaren Material nicht feststellen. Da Melanchthon noch im August 1531 ganz auf der Seite Luthers steht, bildete sich die neue Überzeugung vermutlich im Zusammenhang mit dem erneuten Konkordien-Versuch von 1534. Ob damit sogleich auch die in den Sententiae Veterum und der Apologie von den Vätern ausgesagte Identität der Gegenwart des Brots und Leibes Christi aufgegeben wurde, darüber findet sich keine Aussage. Eindeutig jedenfalls zeigt der Brief an Brenz vom 12.1.1535, der sachlich mit dem an Luther vor dem Kasseler Gespräch überreichten Zettel übereinstimmt, den Wandel auf, der also 273 Dem entspricht auch Melanchthons Äußerung an Agricola vom 1. Januar 1535: „Tantum igitur reliqua est quaestio de physica coniunctione panis et corporis, qua quaestione quid opus est? Et certe Sacramentorum naturam tu sine hac quaestione tractas pie et graviter in tua catechesi.“ CR 2,827.

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schon vorher stattgefunden haben muss. Die wirklich alten Väter reden von den Abehdmahlselementen als signum oder typos im Gegensatz zum Leib Christi. Die anderslautenden Zeugnisse sind unecht oder verderbt. Der Kreis der Autoren, die für die alte Kirche angeführt werden, wandelt sich. Augustin tritt stark hervor, und einige andere, unter ihnen Origenes und Epiphanius, erhalten Gewicht. Hinzu tritt der vetus canon graecus. Wenig später, im Schreiben an Bucer vom 5.2.1535 stellt Melanchthon nach nochmaliger Einsicht in die Zeugnisse, die von beiden Seiten angeführt werden, eine verwunderliche Ungleichheit 274 fest. Die Lösung dieses Zwiespaltes, der sich schwerlich mit der Geschlossenheit der altkirchlichen Abendmahlsüberzeugung verträgt, findet sich für ihn darin, dass er unter Berufung auf Hilarius, der nun etwas anders verstanden wird, und Cyrill eine durch das Essen und Trinken der Elemente vermittelte Verbindung des Kommunikanten mit Christus und seinem Leib lehrt, nicht aber mehr eine Verbindung des Abendmahlsbrots mit dem Leib des Herrn. Entscheidende Argumente beider Seiten sind damit in den neuen Väterkonsensus eingegangen. Angesichts dessen, dass alle Väterstellen auf dem Luther übergebenen Zettel für Melanchthon gewichtig gewesen sein dürften, ist eine Auswahl nicht leicht zu treffen. Wir nennen deshalb die Zitate, die durch Anmerkungen entsprechend hervorgehoben sind oder den neuen Sinn der Sakramentstermini besonders erschließen: 275

Augustin, c. Adim. 12 276 Augustin, en. Ps. 98 277 Augustin, ep. 98: Ad Bonifacium 278 Augustin (Fulgentius), fid. 279 Ambrosius, ad Corinthios I 280 Tertullian, adv. Marc. III 281 vetus canon graecus

2.5 Ausblick Im Zusammenhang unseres Themas ist nunmehr nicht näher auf die späteren Äußerungen Melanchthons zur Kirchenvätermeinung einzugehen. Sie bestätigen den dargestellten Wandel der Überzeugung des Reformators, indem sie erstens immer wieder davon sprechen, dass die Zeugnisse für die mutatio oder conversio 274 Man könnte aus diesem Schwanken schließen, dass Melanchthons neue Überzeugung noch nicht so alt war und sich erst in der Zeit der Vorbereitung auf Kassel gebildet hatte. 275 Vgl. S. 169. Die Reihenfolge der Zitate entspricht der Melanchthons. 276 Vgl. S. 170. 277 Vgl. S. 172. 278 Vgl. S. 173. 279 Vgl. S. 174. 280 Vgl. S. 175. 281 Vgl. S. 176.

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panis und die inclusio unecht und untergeschoben sind. Dementsprechend ist der Kreis der für die wirklich alte Kirche zeugenden Autoren gegenüber den Sententiae veterum im Sinne des an Luther überreichten Zettels stark erwei283 tert. Zweitens betonen diese Äußerungen immer wieder, dass die Alten von den Abendmahlselementen als von antitypa, typoi, signa und figurae gesprochen haben, wobei diese Begriffe im Gegensatz zum Leib und Blut Christi verstanden 284 werden. Und schließlich besagen sie als positive Vätermeinung die Gegenwart des Leibes Christi „in usu“. Melanchthon nimmt Luthers Synekdoche der Abendmahlsworte auf, bezieht sie aber nicht mehr auf das Brot, sondern nur auf 285 das Essen des Brots. Der Leib Christi wird im Abendmahl, ohne selbst an das 286 Brot „geheftet“ zu sein, dem ausgeteilt, der das Brot genießt. Christus ist, vergleichbar der Gegenwart Gottes bei der Bundeslade, mit seinem Leib wahrhaft 287 und wesentlich da, wo das Brot gegessen wird und bewirkt durch dieses Essen eine Verbindung mit seinem Leib, so dass wir seine Glieder sind und seine Wohl288 taten empfangen. Melanchthon entspricht damit einerseits dem von den Vätern ausgesagten Zeichencharakter des Abendmahlsbrots und gibt andererseits – besonders im Anschluss an Hilarius – nicht auf, dass Christus auch mit seinem Leibe wirklich in uns ist und wir in ihm, so dass die Kommunikanten im Sinne einer natürli282 Vgl. S. 186. 283 Vgl. S. 186 Anm. 22. 284 Z.B. am 25.5.1540, CR 3,1033: „… si inciderem in hominum eruditum in Scriptis Ecclesiae Graecae, diligenter interrogaturus essem de dissimilitudine τῶν κανόνων τῆς λειτουργίας et quid sentirent eruditiores. In recentiore sunt haec verba: Τοῦτον ἄρτον ποίει σῶμα Χριστοῦ Haec non sunt in veteri …“ Oder am 6.09.1543, CR 5,176: „Profecto enim vetustas longe aliter locuta est de hac re, quam recentior aetas. Nazianzenus simplicissime nominat ἀντίτυπα σώματος καὶ αἵματος χριστοῦ. Et possem plura similia testimonia recitare.“ Oder: 21.3.1559 CR 9,785: „Memini me Luthero ante annos 20 in itinere cum et placidior et hilarior esset, recitare veterum Graecorum et Latinorum dicta, quae expresse dicunt, panem et vinum σύμβολα, item ἀντίτυπα esse, item signum; item figuram … Augustinus contra Adamantum expresse inquit: Non dubitavit dominus dicere: hoc est corpus meum, cum daret signum corporis. Tertullianus expresse inquit: hoc est corpus meum, id est figura corporis …“ usw. Melanchthon beabsichtigte, ein Büchlein mit Väterzitaten gegen die „inclusio“ zusammenzustellen. CR 8,278: „Congeram igitur in unum librum testimonia eruditae vetustatis, quae ostendunt illius purioris aetatis consensum, quae illam recentiorem inclusionem in panem prorsus ignorat.“ 285 23.4.1538. Vgl. CR 3,503f. 286 22.3.1538. CR 3,514: „Egoque ne longissime recederem a veteribus, posui in usu Sacramentalem praesentiam, et dixi, datis his rebus, Christum verc adesse, et efficacem esse. Id profecto satis est. Nec addidi inclusionem, aut coniuinctionem talem, qua affigeretur τῷ ἄρτῳ τὸ σῶμα aut ferruminaretur, aut misceretur. Sacramenta pacta sunt, ut rebus sumptis adsit aliud.“ 287 Vgl. S. 240 Anm. 285. 288 Z. B. CR 9,371: „Sic autem adest (sc. filius Dei) in hoc ministerio substantialiter, ut communicatione sui corporis et sanguinis nos membra faciat sui corporis, et testetur, se nobis applicare sua beneficia et velle se in nobis efficacem esse, et nostram miseram massam insertam sibi velle servare, et vivificare, sicut et Hilarius loquitur: Haec sumta! et hausta faciunt, ut ipse sit in nobis, et nos in ipso. Sic et Irenaeus, et Synodus Nicaena loquuntur, hanc consociationem cum ipsius corpore, et applicationem beneficiorum, et efficaciam complectentes.“

Die patristische Argumentation

241

chen Anteilhabe Glieder am Leibe Christi geworden sind. Er hält also durch, was schon in den Sententiae Veterum als Ergebnis des Abendmahlsgebrauchs besonderes Gewicht gehabt hatte. Melanchthon hat damit die einander widersprechenden Positionen der Väter, ihre dissimulatio, zu einer Synthese gebracht, von der 289 er überzeugt war, dass sie den Vätern am allernächsten sei. 3. Zur Methodik der Väterauslegung Melanchthons Die knappen Ausführungen des Reformators zum konkreten Väterzitat haben nur wenig Material für seine Weise der Väterauslegung ergeben. Nach dem Wechsel 1534 finden sich überhaupt keine Einzelhinweise, zuvor Näheres nur in den Sententiae. 1) Melanchthon argumentiert ebenso wie die anderen Reformatoren von den klaren Stellen her, die für ihn aus sich selbst heraus, ohne Kommentar, verstanden werden können. Dabei handelt es sich, wie die ausführlichen Zitate in den Sententiae zeigen, durchaus nicht um einzelne isoliert verstandene Sätze, sondern um Aussagen, die in ihrem Kontext gesehen und verstanden werden. 2) Ort und Umstände der Rede spielen darüber hinaus besonders dort eine Rolle, wo es darum geht, unklare und nicht eindeutige Aussagen zu verstehen und zu bewerten. Auch dies ist von Gewicht, ob ein Gegenstand nur beiläufig erwähnt wird oder selbst der eigentliche Gegenstand der Aussage ist. Aus diesen Umständen ist dann zu ersehen, ob und inwieweit eine Aussage, die in einer bestimmten Beziehung und Zusammenhang gemacht ist, auch in anderer Hinsicht noch gilt. Grundsätzlich sind die Aussagen von der ihnen zugrundeliegenden Sache zu verstehen und dürfen nicht einfach auf etwas anderes bezogen werden. 3) Die Tatsache, dass eine Aussage nicht in der heiligen Schrift enthalten ist, kann Melanchthon Grund genug für die Annahme sein, dass z. B. Augustin diese Aussage auch nicht machen wollte; der Sinn der heiligen Schrift kann – somit zur Erhellung des Sinnes einer Kirchenväteraussage beitragen. Der Gedanke, der damit zur Anwendung kommt, ist, dass die Väter sich ja nach ihren eigenen Aussagen der Schrift unterwerfen und man deshalb annehmen darf, dass sie mit ihren Worten den Lehrgehalt der heiligen Schrift meinen. 4. Folgerungen Über den engeren Rahmen des Themas hinaus seien noch einige Folgerungen für das Melanchthon-Verständnis festgehalten. Sie schließen sich vornehmlich an Feststellungen Peter Fraenkels an. 289 23.4.1538. CR 3,515: „Ego hoc modo et religiose, καὶ εὐαγῶς et verecunde de symbolis me loqui existimo, et proxime ad veterum sententiam accedere.

242

Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

Die Arbeit hat in einer gewissen Weise bestätigt, was Fraenkel als allgemeine Meinung über Melanchthons Entwicklung in der Abendmahlslehre zum Ausdruck bringt – dass der Reformator zunächst Luthers Lehre von der Gegenwart Christi in den Elementen mit der Lehre der Väter identifiziert habe, später aber durch Oekolampads Einfluss eine mehr spiritualistische Lehre von der Gegenwart Christi im 290 Abendmahl gelehrt habe. Zutreffend ist jedenfalls auf Grund der Väterargumentation, dass Melanchthon bis ins Jahr 1531 eine Realpräsenz „in“ den Elementen, bekannt hat. Wieweit der Wandel, der 1534 deutlich wird, allein auf Oekolampad zurückging, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. U. E. ist Melanchthon einerseits durch die Entdeckung, dass die mutatio-Zeugnisse unecht sind und andererseits durch die intensive Beschäftigung mit Augustin zur Wandlung in der Abendmahlsauffassung der alten Kirche gekommen. Ein Anstoß durch Oekolampad soll dabei nicht ausgeschlossen sein, doch ist er sicherlich nicht maßgeblich gewesen. Mit dem Gesagten ist allerdings nun eine der Grundfragen der Theologie Melanchthons, die des Traditionalismus, angerührt. Hat Melanchthon, wie Otto 291 Ritschl meint, im Laufe der Zeit eine weitere, selbständige Größe – die Väter – in die Theologie eingeführt? Oder hat er, wie Peter Fraenkel zeigt, eine von der 292 Schrift aus die Väter normierende kritische Patrologie getrieben? War die Erkenntnis, dass die Väter anders lehren, als er erst gedacht hatte, tatsächlich der entscheidende Grund für seinen Wandel in der Abendmahlslehre? Oder waren die Väter ein zwar wichtiger, aber letzten Endes nicht entscheidender Umstand, so dass anderes, sei es die Schrift, seien es kirchliche oder politische Motive, den Ausschlag gaben? Diese Fragen können hier nicht vollständig beantwortet werden, da die Basis der Untersuchung ja nur ein Teilgebiet ausmacht. Doch soll der Ertrag der vorliegenden Untersuchung in sie eingebracht werden. Adolf Sperl hat gegenüber Otto Ritschl geltend gemacht, dass nichts dazu berechtige, die neue Kirchenväter-Überzeugung Melanchthons „als den einzigen und wirklich zureichenden Grund für die Sonderentwicklung anzusehen. Vielmehr scheint das Scheitern des Augsburger Reichstages und damit der Hoffnung auf eine reichsrechtliche Anerkennung der Reformation wesentlich zu dem Um293 schwung beigetragen zu haben …“ Er sieht also eine wesentlich eigene und unabhängige Entwicklung Melanchthons, zu der die Väter, als es galt, Luther 290 Fraenkel, Ten Questions … S. 147: „It is generally thought that Melanchthon first identified Luthers‘s doctrine of a presence of Christ in the elements with the teaching of the Fathers, but that Oecolampadius succeeded in persuading him – though only partly – that many Ancients, had taught a more spiritualist doctrine of the Presence.“ 291 Dogmengeschichte Bd 1, S. 276: „Was ihm so aber ursprünglich nur ein Hülfsmittel zur Erkenntnis des richtigen Sinnes der Bibel gewesen war, das wurde ihm unter der Hand immer mehr zu einer auch um ihrer selbst willen verbindlichen dogmatischen Autorität und trat so als eine gleichartige Instanz neben die Lehrnorm der heiligen Schrift.“ 292 Testimonia Patrum S. 255: „It will be our contention in this chapter that Melanchthon is, at least within bis own circle, the originator of a distinct literary type of patrology, which might be called critical and dogmatic.“ 293 Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation S. 175.

Die patristische Argumentation

243

gegenüber zu treten, ihm den ,Mut, und den „Schein eines Rechtes“ gaben. Sperl gründet seine Ansicht u.a. darauf, dass sonst nicht erklärt werden könne, warum die Argumente, die Oekolampad früher, z. B. durch den Brief vom Juni 1529 vorgetragen hat, keine Wirkung gehabt haben, indes der lediglich sorgfälti294 ger gearbeitete Dialogus ihn umstimmte. Demgegenüber hat die Arbeit gezeigt, dass in den Jahren 1530/31 in der Tat keine Umstimmung Melanchthons durch Oekolampads Väterargumentation stattgefunden hat. Der Wandel tritt erst 1534 ein, und es steckt offenbar eigene Arbeit Melanchthons dahinter, wie z. B. Melanchthons Unterscheidung zwischen dem vetus und dem recentior canon graecus, die sich bei den Schweizern nicht findet, anzeigt. Bei dieser Arbeit sind offensichtlich auch die textkritischen Argumente Oekolampads zum Zuge gekommen, so dass sich die Väterkenntnis des Wittenber295 gers z. T. auf anderes und neues Material stützt. Daraus ergab sich dann die zum ersten Mal 1534 formulierte These, dass die alte Kirche weder die mutatio panis noch die divisio corporis gekannt habe. Die Behauptung, dass Melanchthon wirklich auf Grund seiner neuen Vätererkenntnis zu seinem Wandel in der Abendmahlslehre gekommen sei, ist also noch nicht widerlegt. Ebenfalls im Gegenüber zu Otto Ritschl steht die These Peter Fraenkels. Er ist der Meinung, dass sich Melanchthon in seiner grundsätzlichen Haltung zu den Vätern nie gewandelt habe. Die immer weiter ausgedehnten patristischen Studien haben viel mehr den Sinn, aufzuzeigen, wie die eine wahrhaft katholische Lehre, die von dem primum et verum der Schrift in die Kirche eingegangen ist, durch dieselbe bis auf die Gegenwart trotz aller Widerstände des Teufels überliefert worden ist. Darum kann Melanchthon die Väter zugleich als Zeugen der Wahrheit anrufen 296 und sie kritisieren. Er ist so der erste kritisch-dogmatische Patrologe wie beson297 ders am Beispiel der Rechtfertigung deutlich wird. Dabei ergibt sich angesichts unseres Themas die Frage, warum Melanchthon nicht auch in der Abendmahlslehre mit den Vätern kritisch umgegangen ist, wenn er es etwa in der Rechtfertigungslehre offenkundig getan hat? Melanchthon ist durch das veränderte patristische Material zu der Erkenntnis gekommen, dass die alte Kirche die mutatio panis nicht kannte. Mit dieser Erkenntnis aber war die entscheidende Frage des Abendmahlsstreits, die nach dem Verständnis des Zeichens, in ein neues Stadium getreten. Die mit der mutatio panis gesetzte Notwendigkeit der Verbindung des Brots und Leibes Christi war nun hingefallen. Augustins Tropus – und Signumäußerungen sowie alle signum-Begriffe der alten Kirche erhielten so ein anderes Gewicht. 294 Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation S. 174 Anm. 23. 295 Vgl. S. 184f. 296 Vgl. S. 242 Anm. 292. Zur Methode Melanchthons vgl. Testimonia Patrum S. 271: „The aim of this method is to find within the teaching of each Father the elements of true antiquity as opposed to a merely fictitious antiquity; ultimately it is to find in their teaching the Word of God itself.“ 297 Testimonia Patrum S. 292ff.

244

Das patristische Argument in der Abendmahlskontroverse bei Melanchthon

Jetzt stellte sich wirklich die Frage, ob nicht Brot und Wein reines Zeichen und also Leib und Blut Christi nicht direkt mit ihnen verbunden oder an sie „angehef298 tet“ sind. Jetzt waren auch die Aussagen der Väter, die Leib und Blut Christi direkt auf Brot und Wein bezogen, in sich nicht mehr so gewiss (wie sie es Luther waren), dass sie ein tropisches Verständnis ausschlossen. Mit dem Wegfall der mutatio panis hatten diese Aussagen sozusagen ihren Schutz verloren, der ihren direkten Bezug auf Brot und Wein sicherstellte. Das galt nun auch für die Schriftworte selbst. Kannte die alte Kirche die mutatio panis nicht und hatte sie die Abendmahls299 elemente als typos, figura, signum usw. ausgelegt, so musste auch die Schrift 300 entsprechend verstanden werden. Die Antwort auf die von Fraenkel gestellte Frage lautet also: Melanchthon hat deshalb die Väter nicht von der Schrift her kritisiert, weil ihm auf Grund neuen Materials aufgegangen war, dass die Väter die mutatio panis und damit auch die Identifikation des Brots und Leibes im Abendmahl nicht gekannt haben. Die Väter haben damit eine negative Kontrollfunktion ausgeübt. Sie sind also nicht – das wäre gegen Otto Ritschls These zu sagen – ein zweites theologisches Prinzip, auch nicht bloß – gegen Sperls Meinung – Rückendeckung in der Auseinandersetzung um eine letztlich anderswoher gewonnene 301 Überzeugung, auch nicht – in Ergänzung zu Fraenkel – nur von der Schrift normierter und kritisierter Traditionsstrom, sondern Grenzstein, außerhalb dessen es kein sachgemäßes Schriftverständnis geben kann. In wieweit freilich bei der Erarbeitung dessen, was die alte Kirche wirklich gelehrt hat, bestimmte Hoffnungen im Herzen Melanchthons in die Urteilsbildung über den Konsensus der alten 302 Kirche mit eingeflossen sind, das ist eine andere Frage. Was dagegen die von Fraenkel aufgeworfene Frage der funktionalen Abend303 mahlsauffassung und ihrer Verbindung zu den Vätern betrifft, so ergibt sich: Schon in den Sententiae veterum war festgestellt worden, dass die Väterargumente, die von einer durch das Abendmahl gewirkten leiblichen Vereinigung Christi mit den Kommunikanten sprachen, großes Gewicht hatten. Sie stehen aber in einem Zusammenhang anderer Väterstellen, die eine eindeutige Identität der Gegenwart 298 Vgl. S. 240 Anm. 286. 299 Vgl. S. 233. 300 Das unterschiedliche Verständnis der Synekdoche bei Melanchthon CR 3,503f. und Luther WA 26,444,1ff. trifft genau den Punkt, dass für Luther der Leib Christi mit dem im Abendmahl ausgeteilten und gegessenen Brot selbst auf unfassbare Weise verbunden ist, indes er für Melanchthon nur bei der Handlung – so wie der Herr bei der Bundeslade – gegenwärtig ist. 301 Vgl. S. 190 Anm. 52. Das dort angeführte Zitat Fraenkels deutet die in der Negation normierende Funktion der Väter beim Schriftverständnis an. 302 Die Aussicht, dass Frankreich und England sich dem Evangelium anschließen würden, wenn eine Konkordie zustande käme, scheint für Melanchthon ein starker Antrieb gewesen zu sein. Vgl. z.B. das Consilium ad Gallos vom 1.8.1534, CR 2,751. 303 Ten Questions … S. 147 „What we would like to do here is first to examine the element of vagueness that Bossuet saw in Melanchthon‘s later eucharistic teaching; to see how far back it can be traced; and to ask whether it may not be connected with the certain persistent themes of the Preceptor‘s patristic argumentation in this context …“

Die patristische Argumentation

245

von Brot und Leib Christi lehren. Eine funktionale Auffassung in dem Sinn, dass der Leib Christi nur dem Austeilen, Essen und Trinken, nicht aber „in“ den Elementen selbst gegenwärtig wäre, kann darum gerade von der Väterargumentation her für die Zeit bis 1531 nicht behauptet werden. Sie ist mit Sicherheit erst ab 1534 nachweisbar, dann allerdings in engem Zusammenhang mit jenen Väterstellen, die die natürliche Vereinigung mit Christus aussagen. Offenbar ist für die funktionale Auffassung der Realpräsenz die Kombination der Zeichenstellen und dieser die leibliche Vereinigung aussagenden Stellen von großer Bedeutung gewesen. Peter Fraenkel stellt das funktionale Moment des Sakraments freilich auch schon vor 1531 heraus. Dass er selbst es in einem anderen Sinne versteht als soeben dargelegt, geht schon daraus hervor, dass er es mit der Realpräsenz im Sinne Luthers verbunden sieht. Es besteht darin, dass Melanchthon schon von Anfang an in seinen früheren Äußerungen davon spricht, dass der wahre Leib Christi 304 gegessen werde, dass die Teilhabe am Tisch des Herrn darin bestehe, den Leib 305 Christi zu essen und das Blut zu trinken, dass der Begriff des Mahls immer 306 307 wieder auftaucht. Dieses funktionale oder besser aktuale Moment hebt, wie der Väterbeweis von 1525 an zeigte, die Realpräsenz nicht auf, noch schwächt es sie ab. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass es auf einen Einfluss der Väter zurückzuführen sei, da es längst vorhanden ist, ehe die Väterargumente in Erscheinung treten. Es dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Reformatoren in ihrer Polemik gegen das Messopfer auf die Einsetzung des Altarsakraments als eines Mahles, in dem das Sakrament ausgeteilt und gegessen wird – also eine 308 bestimmte Handlung stattfindet – zurückgegriffen haben.

304 CR 1,145: „Verum Christi corpus manducari fidei articulus est …“ 305 Loci communes CR 21,221; „De participatione mensae domini. Signum gratiae certum est participatio mensae domini, hoc est manducare corpus Christi et bibere sanguinem …“ 306 Vgl. S. 194f. 307 Vgl. Neuser, Die Abendmahlslehre Melanchthons, S. 14, Anm. 20. Dort wird der Begriff Aktualpräsenz vorgeschlagen: Freilich hat diesen Begriff schon Johannes Betz, Die Eucharistie in der Zeit der griechischen Väter Bd 1,1 1955, in anderem Sinn gebraucht. (Untertitel: Die Aktualpräsenz der Person und des Heilswerkes Jesu im Abendmahl …). 308 Vgl. z.B. Luther, Vom Mißbrauch der Messe, 1521, WA 8,513ff. „… ßo muß keyn messe, soll sie anders Christus eynsatzung und exempell gemeß seyn, gehalden werden, es werde denn das sacrament gebrochen und vom priester unter vill ausgeteyllt. Wirtt aber yrgent eyne anders gehallden, ßo ist dasselbige nitt eyn Christliche messe, sonder gantz stracks wider Christus Ordnung und eynsatzung.“

Zusammenfassung I. Zur Bedeutung des patristischen Argumentes Alle bearbeiteten Reformatoren sind der Überzeugung, dass die heilige Schrift den Vätern vorgeordnet ist. Diese Vor- oder Überordnung beruht auf einem qualitativen Unterschied: Die Schrift ist Gottes Wort und darum göttliche Autorität; die Schriften der Kirchenväter sind Menschenwort und haben darum menschliche Autorität. Unterschiede zeigen sich in den der Abendmahlskontroverse gewidmeten Schriften, wenn es um die Frage nach dem Gewicht und der Bedeutung der Väter innerhalb dieser grundsätzlichen Nach- und Unterordnung unter die Schrift geht. Am freimütigsten äußert sich Zwingli: „Es ist ouch nit so 1 vil daran gelegen, ob sy glych nit by uns stündind“. Hier spricht eine gewisse Unbekümmertheit, die sich ganz auf die Schrift stellt und der Frage nach der Lehre der Väter kein großes Gewicht beilegt. Es genügt, Gottes Wort für sich zu haben. Die Motive zur Väterargumentation liegen im Praktischen, dass man angesichts der großen Aufregung, die seine angeblich neue Lehre hervorruft, zeige, wie schon früher nicht anders gelehrt worden ist und den Selbstwiderspruch, in welchem sich die römische Seite zu ihrem eigenen päpstlichen Recht befindet, kundmache. Es ist anzunehmen, dass auch Zwingli um die theologische Problematik, die in der „neuen Lehre“ enthalten ist, angesichts der allgemeinen Überzeugung damaliger Zeit wusste, doch kommt es in seinen Äußerungen im Zusammenhang der patristischen Argumentation nicht zum Ausdruck. Anders ist es bei Oekolampad. Für ihn haben die Väter Autorität, aber nur eine eingegrenzte. Sie reicht so weit, als ihre Aussagen mit der Schrift übereinstimmen. Grundsätzlich geht es also auch bei ihm um die Autorität der Schrift, wobei er voraussetzt, dass die Väter – wenn auch nicht in allem, was sie sagen, so doch in einem breiten Konsensus hinsichtlich der Abendmahlslehre – lehren, was die Schrift lehrt. Für ihn verbindet sich darum mit dem „Neuen“ in der Lehre der Kirche der Begriff des Unreinen und Unchristlichen. Die Übereinstimmung mit den Vätern ist nötig, weil sie die Übereinstimmung mit der christlichen Wahrheit anzeigt. Die Väter bestätigen, dass das Schriftverständnis, das man hat, das rechte ist. Ganz grundsätzlich stellt sich Martin Luther dem Problem. Auch für ihn gelten die Väterworte nur soweit, als ihre Lehre aus der Schrift bewiesen werden kann. Auch für ihn haben die Väter bei bester Absicht doch in mancher Hinsicht geirrt. Er kann sie aber den Schweizern nicht zugestehen, weil es dabei – und dies kommt mit aller Klarheit bei ihm zum Ausdruck – um die Katholizität der Kirche und die Gültigkeit der Verheißung des Herrn geht. Wollte man zugeste1

Vgl. S. 118.

Zur Bedeutung des patristischen Argumentes

247

hen, dass die Väter die Realpräsenz nicht gelehrt haben, so würde das bedeuten, dass eine Zeit lang das Sakrament, ja die Kirche als Grundfeste der Wahrheit nicht bestanden hat. Das ist angesichts der Verheißung des Herrn unmöglich. Unmöglich ist aber für Luther auch ein anderes Schriftverständnis als das seine – denn der Text ist klar. Bei Luther sind also drei Momente miteinander verklammert: das Schriftverständnis, die Verheißung der Kirche und der Konsensus der Väter. Eines gibt es nicht ohne das andere. Besteht ein anderer Konsensus der alten Kirche, als wie ihn Luther aus der Schrift erkannt hat, so liegt entweder ein falsches Schriftverständnis vor oder die Verheißung, dass die Kirche bleibt, ist zunichte geworden. Hält man an der Verheißung der Kirche fest, so stehen die Väter gegen das Schriftverständnis und werden zu einer Kontrolle für dasselbe; hält man am Schriftverständnis fest, so fällt die Verheißung hin. Luther war sich über diesen inneren Zusammenhang der drei Momente vollends im Klaren – angesichts des historischen Befundes der Väteraussagen sah er jedoch keine Notwendigkeit, ihre Verklammerung zu lösen oder umzugestalten. Es ist müßig, Spekulationen darüber anzustellen, was Luther getan hätte, wenn sich ihm die Überzeugung zwingend aufgedrängt hätte, dass die Väter aufs Ganze gesehen mit seinem Schriftverständnis nicht übereinstimmten. Grundsätzlich ist er – das 2 zeigen die Auseinandersetzungen mit Melanchthon – bereit, den Konsensus der Väter aufzugeben und an dem klaren Text der Schrift auch gegen die Väter festzuhalten. Insofern steht er näher an Zwingli als etwa Melanchthon. Dass er aber an dem klaren Schrifttext hätte festhalten können, ohne nicht zugleich auch an der Verheißung der Kirche und ihrem Charakter als Grundfeste der Wahrheit festzuhalten, dürfte bei dem Gewicht, dass dieses Moment bei ihm als Verheißung des Herrn hatte, gewiss sein. Wahrscheinlich wäre seine Lösung in die Richtung einer stärkeren Differenzierung der Lehre und des Konsensusgedankens der alten Kirche gegangen. Der Ansatz Melanchthons, den er sein ganzes Leben beibehalten hat, ist der gleiche wie bei Luther und Oekolampad: Die Schrift ist Gottes klar zu verstehendes Wort, die Väter sind Menschen mit menschlicher Meinung. Aber es ist ein Konsensus bei ihnen festzustellen, der das Zeugnis der Schrift hat. Insofern stehen Schrift und Väter in einer Einheit, und insofern ist die alte Kirche die reine Kirche. Ihr gegenüber neue Dogmen einzuführen bedeutet, sich in Widerspruch zur Wahrheit der Schrift und der Kirche zu stellen. Auch bei Melanchthon steht der Gedanke der Kontinuität der einen christlichen und katholischen Kirche hinter dieser Auffassung, obwohl er sie im Zu3 sammenhang der Väterargumentation des Abendmahlsstreits nicht ausführt. Das 2

3

Melanchthon äußert am 22.03.1538 an Vitus: „ὁ διδάσκαλος dixit, se potius omnes veteres scriptores, omnium testimonia repudiaturum esse quam mutaturum suam sententiam.“ CR 3,503. Vgl. aber z.B. CR 12,488f.: „10. Et de illa Ecclesia catholica recte dicitur, Ecclesiam non errare. Retinet enim fundamentum, etsi alii aurum, alii stipulas supraaedificant. 11. Opiniones ignotae

248

Zusammenfassung

Problem bricht für ihn auf, als sich ihm im Zusammenhang mit einer anderen Autorenbewertung und Stellenauswahl ein Konsensus der Väter aufdrängt, der inhaltlich nicht in Übereinstimmung mit dem steht, was er zuvor als Väter- und Schriftlehre vertreten hat. Wenn dieser neue Inhalt des Väterkonsensus stimmt und der Konsensus als solcher feststeht – von beidem war Melanchthon überzeugt – dann musste notgedrungen entweder das bisherige Schriftverständnis nicht zutreffen oder die Kontinuität der ecclesia catholica aufgegeben werden. 4 Letzteres konnte er nicht. In der Tat lässt sich zeigen, dass Melanchthon nun in der Schrift ein anderes Abendmahlsverständnis vorfindet, bei dem er besonders den κοινωνία Begriff von 1. Kor. 10,16 zur Interpretation der Einsetzungsworte 5 heranzieht. Der Konsensus der Väter hat damit praktisch zu einer Korrektur des Schriftverständnisses geführt, ohne dass grundsätzlich die Vorordnung der Schrift aufgegeben worden wäre. Die in ihrem Konsensus eindeutig fassbaren Väter haben eine Kontrollfunktion ausgeübt. Der Unterschied zwischen Melanchthon und Luther liegt letztlich darin, dass ersterer in der Frage des Abendmahls von dem Konsensus, wie er sich ihm aus dem Väterstudium eindeutig ergeben hatte, nicht abgehen konnte, indes Luther das mit dem klaren Schrifttext gegebene Abendmahlsverständnis nicht verlassen konnte und von daher eher die Eindeutigkeit des aus den Vätern gewonnenen Konsensus preiszugeben im Stande war.

II. Zur patristischen Argumentation Sowohl Oekolampad und Zwingli als auch Luther und Melanchthon gehen in ihrer Väterargumentation von klaren Stellen aus, in denen sich die Meinung der Väter ausspricht und die das Verständnis aller anderen Aussagen maßgeblich bestimmen. Sie alle sind damit Schüler Augustins, dessen Grundsätze der Schriftauslegung sie auf die Väter anwenden. Die klaren Stellen, auf die sie sich berufen, sind freilich verschieden. Nachstehend werden die wichtigsten an Hand des Leitfadens angeführt, den die Reformatoren selbst darreichten, indem sie diese Stellen als ganz klare, sozusagen als Spitzenargumente hinstellten.

4 5

veteri Ecclesiae, etiamsi hoc tempore sunt receptissimae, tamen non sunt dogmata catholicae Ecclesiae. 12. Quia catholica Ecclesia includit veterem Ecclesiam.“ CR 3,503: „Ego vero non postulo mihi credi. Quid sensisset Ecclesia, non alienum putabam inquirere.“ CR 9,962: „Et in hac controversia optimum esset retinere verba Pauli: Panis quem frangimus, κοινωνία ἐστὶν τοῦ σώματος … Et vocabulum κοινωνία declarandum est … id est, hoc, quo fit consociatio cum corpore Christi.“ Responsio Philip. Melanth. Ad Quaestiones de Conversia Heidelbergensi 1.11.1559.

Zur patristischen Argumentation

Oekolampad

Zwingli

Luther

Melanchthon

249

Melanchthon ab 1534

Ambrosius ep. 1 ad Kor. 11,26 (S. 73) Augustinus trin. III, 10 (S. 27f.) ad Petrum Reg. XVI (Fulg.) (S. 38f.) Io. ev. tr. 25,12 (S. 42) trin. III, 4 (S. 46) ep. 138: Ad Marcellinum 1,7 (S. 49) doctr. chr. III,9 u. II,1 (S. 57f.) ep. 98: Ad Bonifacium (S. 59, 80) Io. ev. tr. 30,1 (S. 86) praes. dei c. 3 (S. 87) c. Adim. 12 (S. 84) ep. 169 ad Evodium c. 2 (S. 79)

Io. ev. tr. 26,18 (S. 123) ep. 54: ad Januarium c. 1 (S. 124) Io. ev. tr. 25,12 (S. 126) CIC c. 32 (S. 126)

sacr. IV,6 (S. 167)

myst. c. 9 (S. 203)

CIC c. 32 (S. 158)

Io. ev. tr. 27,4 (S. 210)

ep. 54: ad Januarium c. 6 (S. 159) en. Ps. 33 (S. 159) c. Adim. 12 (S. 169)

in ep. I ad Cor. 11,26 (S. 174)

ad Petrum Reg. XVI (Fulg.) (S. 173)

c. Adim. 12 (S. 169)

Io. ev. tr. 27,5 (S. 126, 133) Io. ev. tr. 27,1f. (S. 125f.) ep. 98: Ad Bonifacium (S. 141f.) Io. ev. tr. 30,1 (S. 145f., 148) en. Ps. 98,9 (S. 131) c. Adim. 12 (S. 142) Io. ev. tr. 27,3 (S. 132) en. Ps. 3 (S. 121)

ep. 98: Ad Bonifacium (S. 172)

en. Ps. 98,9 (S. 170)

250

Zusammenfassung

Oekolampad

Zwingli

Luther

Chrysostomos hom. in Mt. 11 (unecht) (S. 72f.)

Cyprian de unctione chrysm. (unecht) (S. 72) Cyrill

Melanchthon

Melanchthon

hom. in Jo. 6,41; Hom. 45/46,3 (S. 201) hom. in Mt. 26,26; Hom. (82/83,5) (S. 201) sac. III, 4 (S. 201) ep. Synod. ad Cornel. c. 2 (S. 165f.)

de Coena Domini (unecht) (S. 202f.) Jo. 15,1 X,2 (S. 200) Jo. 6,53 IV,2 (S. 200) Jo. 6,54 IV,2 (S. 201)

Fulgentius ad Tras. II, 17,2 (S. 87) Gregor I. dial. lib. IV,58 (S. 167f.) Hilarius trin. VIII, 14 (S. 164f.)

trin. VIII, 14 (S. 202)

trin. VIII, 14 (S. 167)

Zur patristischen Argumentation

Oekolampad Irenäus haer. IV, 18 (S. 63f.)

Origenes comm. in Lev. 7,5 (S. 42)

Tertullian adv. Marc. IV, 40,3 (S. 35)

Zwingli

Luther

Melanchthon

haer. IV, 18 (S. 163)

haer. IV, 18 (S. 203) haer. V, 2 (S. 203)

251

Melanchthon

comm. in Mt. 26,26 (S. 128) comm. in Mt. 26,29 (S. 128f.) adv. Marc. I, 14 (S. 120)

adv. Marc. IV, 40,3 (S. 160) resurr. c. 8 (S. 162)

adv. Marc. III, 19,4 (S. 175)

Theophylakt Ev. Matth. 26,26 (S. 202) Ev. Marci 14,6–9 (S. 202) Concilium Nicaenum (S. 68) Athanasianum Satz 33+31 (S. 145) vetus Canon graecus (S. 176)

Welches sind nun die Punkte, an denen die Väterargumente der Kontrahenten aufeinandertreffen und welche Probleme werden dabei deutlich?

252

Zusammenfassung

1. Zum Sakramentsbegriff Nach der Überzeugung Oekolampads und Zwinglis schließen die Definitionen, in denen die Kirchenväter – besonders Augustin – das Altarsakrament als Zeichen, figura oder ähnliches aussagen, die Realpräsenz aus. Luther und Melanchthon (vor 1534) dagegen meinen, dass sie die Realpräsenz einschließen, wenn auch nicht ausgesprochenerweise. Die Schweizer erkennen in Stellen wie z. B. Augustins de Trinitate III, 10 oder ad Petrum Diaconum Aussagen, die umfassend das Wesen des Abendmahls zum Ausdruck bringen, die Wittenberger. dagegen sehen in ihnen nur Teilaussagen, die in einen größeren, die Realpräsenz voraussetzenden Zusammenhang eingebettet sind. Sie sind ihm nicht schon deshalb entnommen, weil sie unter ihrem besonderen Gesichtspunkt die Realpräsenz nicht verbaliter aussagen. In diesem Zusammenhang wurzelt Luthers methodische Forderung nach Väteraussagen, in denen die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi unter dem Brot und Wein ausdrücklich negiert wird. Erst sie konnten ja eindeutig zu verstehen geben, dass die Voraussetzung der Realpräsenz nicht galt und die Schweizer mit ihrem Ansatz, der die Sakramentswirklichkeit in den von ihnen angeführten Zeichenstellen voll ausgesagt fand, im Recht waren. Luther bestreitet demnach die Zeichenaussagen als in sich klare Stellen – die Schweizer bestehen darauf. Die Gründe der Wittenberger die Realpräsenz vorauszusetzen, sind einmal die klaren Väterworte, die ihrem Wortlaut nach vom Abendmahlsbrot als dem Leib Christi sprechen. Zum andern ist es der ganz klare Bibeltext und die Gewissheit, dass die Kirche die Sakramente trotz allem, was an Abscheulichem in ihr zu finden ist, behalten hat. Demgegenüber sehen die Schweizer die Zeichenaussagen der Väter geradezu als Schlüsselstellen an, die die z. T. schon zu Augustins Zeit verdeckte eigentliche Meinung der alten Kirche und der Schrift zum Vorschein bringen – nämlich vom sichtbaren Zeichen auf das Unsichtbare, vom Materiellen auf die geistig-geistlichen Güter hinzuführen. Die eigentliche Konfrontation der Kontrahenten hinsichtlich des Sakramentsbegriffs erfolgt also dort, wo von den Vätern ausdrücklich die Realpräsenz verneint wird. Oekolampad verweist hierzu unter Assistenz Zwinglis auf Augustins Ausführungen zu Psalm 65, Johannes 6 (Tract. 26,12), de doctr. chr. III,5, Psalm 98, auf (Pseudo) „Cyprian“ in „de unctione chrysmatis“ und (Pseudo) Chrysostomos zu Matthäus (Hom. XI). Demgegenüber laufen Luthers Äußerungen, soweit sie sich feststellen lassen, darauf hinaus, dass die angegebenen Stellen die geforderte Negation nicht besagen. Tract. 26,12 redet Augustin hinsichtlich der Zuordnung des Leibes Christi zur „virtus sacramenti“ gar nicht vom leiblichen Leib Christi, sondern von der Gemeinschaft der Kirche als des mystischen Leibes Christi, innerhalb derer das Sakrament allein heilbringend empfangen werden kann und deren Zeichen das Sakrament unbeschadet der Gegenwart des Leibes Christi ist. Und die Warnungen, die Augustin in de doctr. chr. III 5 vor einer

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Verwechslung des Zeichens mit dem Bezeichneten gibt, meinen hinsichtlich des Abendmahls, dass das Brot nicht als der sichtbare Leib Christi aufgefasst werden dürfe (119). Die einzige Stelle, die Luther als die stärkste wider sich ansieht, ist Augustins Äußerung zu Psalm 98: „ihr werdet den Leib nicht essen, den ihr sehet“. Diese Stelle redet aber nur vom sichtbaren Leib Christi und hebt die unsichtbare Gegenwart des erhöhten Leibes nicht auf. Der Grundfehler der Schweizer, der es ihnen unmöglich macht, diese Stelle und überhaupt Augustins Auslegung zu Johannes 6 recht zu verstehen, ist ja der, dass sie das Fleisch Christi anderem Fleisch, das sichtbar ist und mit den Zähnen zerbissen wird, gleich stellen. Zwei Stellen werden von beiden Parteien direkt zu ihren Gunsten in Anspruch genommen: Tertullian adv. Marc. IV 40 und Irenäus haer. IV 18. Oekolampad fasst figura an der ersteren Stelle unter Berufung auf den sonstigen Sprachgebrauch Tertullians als Deutzeichen, Luther dagegen unter Bestätigung aus de resurrectione als äußere Gestalt. Und bei der Irenäus-Stelle geht es darum, ob der himmlische Bestandteil des Sakraments nur das Wort bzw. der wirkende Geist ist, oder der Leib Christi, wie Luther und Melanchthon sie auffassen. 2. Zum Tropus oder eigentlichen Wortlaut Entscheidende Bedeutung innerhalb der Väterargumentation hatten für Luther und Melanchthon jene Stellen, an denen vom Abendmahlsbrot als dem Leibe gesprochen und beide in eins gesetzt werden. Der Wortlaut dieser Aussagen bestätigte für sie ausschlaggebend den Sinn der Zeichenstellen. Umgekehrt haben aber alle diese Väterworte für die Schweizer keinerlei Beweiswert, weil sie von den Wittenbergern anders als wie sie gemeint sind, nämlich dem Wortlaut nach aufgefasst werden. Gemeint sind sie aber durchweg nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der Väter im Sinn des Tropus. Dies geht eindeutig aus den Briefen Augustins an Evodius, Adimantus und Bonifacius hervor. Demgegenüber ist Luther überzeugt, dass die Adimantus-Stelle klar vom gegenwärtigen Leibe Christi redet und der Tropus dieser von den Schweizern angeführten Tropusbeweise im Sinn einer Unterscheidung des Zeichens von der bei ihm selbst gegenwärtigen Sache gemeint ist. Luther behauptet damit, dass nach Augustins Überzeugung die biblischen Stellen vom mitfolgenden Fels, von der Taube u.a. nicht ein leeres Zeichen aussagen, sondern ein solches, das mit dem, was es aussagt, gefüllt ist, indes der Hinweis auf den Tropus das Missverständnis abwehrt, als ob das Zeichen und die Sache, im Abendmahl also das Brot und der Leib Christi, die zu einer Einheit verbunden sind, selbst identisch seien. Aus den Tropusaussagen Augustins selbst geht also für Luther hervor, dass sie die Gültigkeit des Wortlauts der Einsetzungsworte nicht aufheben. Gerade das ist aber nach Oekolampads und Zwinglis Meinung der Fall.

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Zusammenfassung

3. Der Leib Christi und die Himmelfahrt Seitens Zwinglis und Oekolampads wurde die das Abendmahl normierende Bedeutung insbesondere der Augustinstellen ad Dardanum und in Joann Tract 30,1 zur Geltung gebracht. Luther bestreitet diese Bedeutung, ohne sich näher mit dem Inhalt auseinanderzusetzen. Umso ausführlicher äußert sich Melanchthon in den Sententiae: Die Aussage Augustins Tract 30,1 ist in anderem sachlichen Zusammenhang gemacht, sie auf die Abendmahlslehre zu übertragen, ist ungewiss, zumal man nicht weiß, ob Augustin diese Aussage auf eine andere Weise der Gegenwart seines Leibes als die, von der er spricht, übertragen haben wollte. Melanchthon geht also davon aus, dass man in der Rede nicht immer alle möglichen Aspekte eines Sachverhalts im Auge hat und deswegen Formulierungen nicht einfach auf ein anderes Subjekt übertragen werden dürfen. Das Hauptargument der Wittenberger ist also, dass die von Oekolampad und Zwingli angeführten Stellen nicht vom Abendmahl handeln und deshalb auch nicht dafür geltend gemacht werden können. 4. Die geistliche Nießung Zur These der Schweizer, dass die Väter durch die Identifikation vom Essen des Fleischs Christi und Glauben die leibliche Nießung des Leibes Christi im Abendmahl ausschließen, äußern sich die Wittenberger nur allgemein. „Crede et manducasti“ ist, wie auch Augustins Auslegung zu Psalm 98, gegen das kapernaitische Essen gerichtet und fordert zum Glauben auf, ohne damit das leibliche Essen des Leibes Christi im Sakrament zu verneinen. Ähnlich redet auch Melanchthon: Die Ausführungen Augustins zu Johannes 6 und Psalm 98 hindern die sakramentale Nießung nicht. Damit liegt der gleiche Gegensatz wie bei den Zeichenstellen vor. Für die Schweizer sind die Väteraussagen von der geistlichen Nießung klare Stellen, die das Essen des Leibes Christi umfassend aussagen, für die Wittenberger sind es unter einem bestimmten Gesichtspunkt gemachte Äußerungen, die die Realpräsenz voraussetzen. 5. Zur Überlieferung Nicht zuletzt stellte sich heraus, dass die Fragen der Echtheit, des Alters und der Anerkennung der Väter in der gegenseitigen Argumentation eine beachtliche Rolle spielen. Luther und Melanchthon (vor 1534) weisen Origenes zurück, weil er zu sehr mit Allegorien spielt, indes die Schweizer ihn voll heranziehen. Umgekehrt lehnen Oekolampad und Zwingli Ambrosius „De sacramentis“ ab, weil er aus inhaltlichen Gründen nicht von ihm stammen könne. Auch zählen Theophylakt und Damaszenus als spätere Schriftsteller überhaupt nicht, indes sie den Wittenbergern als zuverlässige Tradenten der altkirchlichen Abendmahlslehre gelten.

Zur patristischen Argumentation

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6. Melanchthons Wandlung Unter die Frage, wo die Väterargumente wirklich aufeinandertreffen, gehört auch die Wandlung Melanchthons, die an zwei Punkten festzustellen ist, dem Material, aus dem der Konsensus der Väter erhoben wird und am Zeichenbegriff. Alle Schriften, die die mutatio panis aussagen, sind entweder unecht oder jüngeren Datums und werden deshalb ausgesondert. Und im Blick auf den Zeichenbegriff war Melanchthon offenbar nicht im Stande, die Aussagen insbesondere Augustins in die bislang von ihm und Luther vertretene Sicht der alten Kirche einzufügen. Er übernahm den Zeichenbegriff der schweizerischen Väterargumentation insofern, als er die Realpräsenz vom Abendmahlsbrot ablöste, und hielt an den eigenen klaren Stellen dadurch fest, dass er die Gegenwart des Leibes Christi der Abendmahlshandlung zuwies. So entstand eine neue Sicht der Abendmahlslehre der Väter, in die beide Momente, sowohl das die Sache selbst nicht in sich schließende Zeichen, als auch die durch das Zeichen vermittelte leibliche Verbindung des Kommunikanten mit dem Leib des Herrn aufgenommen worden sind. 7. Die Probleme Die Gegenüberstellung hat ergeben, dass der Väterbeweis der Reformatoren abgesehen von der Wandlung Melanchthons 1534 jeweils in sich geschlossen ist. Die als klar angesehenen Stellen interpretieren oder limitieren die klaren Stellen der Kontrahenten. Oekolampad und Zwingli verstehen von Augustin her die ganze alte Kirche; sie gehen von seinen Zeichenstellen aus und sichern sie durch die Tropusworte und die Aussagen über den Leib und die Himmelfahrt Christi sowie die geistliche Nießung. Luther und Melanchthon dagegen setzen bei den direkten Aussagen der Kirchenväter ein, die sie eigentlich verstehen. Von ihnen her interpretieren sie die Zeichenstellen und das Verständnis der geistlichen Nießung; die Väteraussagen über den Leib Christi und die Himmelfahrt aber handeln ihres Erachtens gar nicht vom Abendmahl und können nicht darauf übertragen werden. Umgekehrt entkräften die Schweizer mit den Tropusstellen die direkten Aussagen und alle anderen Stellen, auf die sich Luther und zunächst auch Melanchthon berufen. Der innere Grund für jenes strenge Durchhalten der klaren Stellen ist der beiderseits vorausgesetzte consensus ecclesiae. Er allein ermöglicht und fordert das aus den klaren Stellen Erkannte auch bei den „schwierigen“ Väterworten zu finden. Von diesem vorausgesetzten Konsensus aus sind auch erst die besonderen Auslegungsweisen – die gegenseitige Interpretation der Kirchenväter, die Schlüsselstellung Augustins, die Erläuterung der Sententiae patrum durch Bibelstellen – verständlich. Damit werden aber auch die beiden Probleme deutlich, die sich angesichts der Argumentationsweise der Reformatoren prinzipiell aufdrängen.

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Zusammenfassung

a) Sowohl die Erklärungen Oekolampads zu den „schwierigen“ Stellen, etwa des Cyrill, des Hilarius, des Irenäus oder Cyprian als auch die Erläuterungen Luthers etwa zu dem Augustin-Zitat ad Bonifacium hinterlassen einen unbefriedigenden Eindruck. Die Vätertexte sind so formuliert, dass sie aus dem Rahmen, den die jeweils klaren Stellen gezogen haben, ausbrechen. Sowohl Oekolampad hat dies gespürt, als auch Luther. Beide haben aber trotzdem an dem, was ihnen auf Grund der klaren Stellen Vätermeinung war, konsequent festgehalten. Melanchthon, der es am schärfsten empfunden hat, hat seine Vätermeinung geändert. In der Tat liegt das Problem in der konsequenten Anwendung der klaren Stellen. So angemessen es ist, beim Verstehen von dem auszugehen, was eindeutig den zugrundeliegenden Sachverhalt ausspricht, so problematisch ist es, in den schwierigen Stellen nichts anderes oder doch nichts Widersprechendes zu dem eindeutig Ausgesagten zu finden – wenn nicht von vornherein gewiss ist, dass diese schwierigen Stellen innerhalb des Konsensus der klaren stehen. Diese Gewissheit aber war den Reformatoren mit der Konsensus-Vorstellung der alten Kirche gegeben. Es handelt sich auch hier wieder um drei sich gegenseitig bedingende Momente, an deren einem die Schwierigkeit auftrat. Entweder hielt man an der Meinung der klaren Stellen und dem Konsensus fest, dann machten die „schwierigen Stellen“ Schwierigkeiten; oder man änderte den Sinn der klaren Stellen, (wie Melanchthon es tat) oder man gab den Konsensus auf (wie letzten Endes Luther bereit gewesen wäre, wenn es ihm nicht gelungen wäre, der „schwierigen Stellen“ Herr zu werden). Die Reformatoren haben also nicht die Argumente beigezogen, wie sie ihnen gerade passten und sich um den eigentlichen Sinn der Väteraussagen wenig gekümmert. Vielmehr war es die von ihnen gebrauchte Methode in der Verbindung mit der KonsensusVorstellung der alten Kirche, die sie gewisse Grenzen ihres Väterverständnisses nicht überschreiten ließ. b) Das andere Problem ist das der klaren Stellen selbst. Die Wittenberger und die Schweizer berufen sich von wenigen Ausnahmen abgesehen auf je verschiedene, inhaltlich entgegengesetzte klare Stellen. Das sieht so aus, als ob die Auswahl der klaren Stellen der Willkür überlassen ist. Wenn Luther und Melanchthon sich als letztes Argument auf den Wortlaut der ist-Aussagen zurückziehen und Zwingli und Oekolampad auf die Zeichenstellen, die sie von den Aussagen über den Leib Christi und die Himmelfahrt normieren lassen, ist es dann letztlich ein bestimmtes Wirklichkeitsverständnis, etwa des Worts oder der Leiblichkeit oder des Geists, das dieses oder jenes Wort zur klaren Stelle werden lässt? Luther deutet dieses Problem einmal in der

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Auseinandersetzung um die Augustin-Stelle vom Leibe Christi an dem ei6 nen Ort im Himmel an. Aber was er dort von den Schweizern sagt, kann ja ebenso gut für ihn gelten. Die allen Reformatoren gemeinsame Antwort auf die obige Frage liegt in ihrer Überzeugung, dass Texte unter Einbezug des Kontexts aus sich selbst heraus verstanden werden können. Dies schließt in sich, dass sie in einem Streitfall Richter sein können und damit als dritte und entscheidende Kraft zwischen zwei Kontrahenten sich dort, wo man wirklich auf sie hören will, durchsetzen. Dazu gehört auch, dass sie sich selbst in ihren klaren Stellen und hinsichtlich des Umfanges ihrer Gültigkeit erschließen. Für die Väterkontroverse bedeutete das auf die Länge der Zeit einen Prozess der Differenzierung, der die überkommene Konsensus-Vorstellung umwandeln musste und auch für die Methode der Väterauslegung nicht ohne Folgen bleiben konnte. 8. Exkurs Bei der Darstellung der Väterargumentation der vier großen Kontrahenten ist darauf verzichtet worden, das Marburger Kolloquium einzubeziehen. Alle Quellen dieses Gesprächs sind ja Gedächtniswiedergaben, die mehr oder weniger subjektiven Charakter tragen. Dazu kommt, dass die Väterargumente nur selten nachgewiesen werden; zumeist handelt es sich nur um Andeutungen, die oft erst aus der Kenntnis der Väterargumentation in den Schriften der Reformatoren heraus voll zu verstehen sind. Und schließlich finden sich keine neuen Väterargumente von Bedeutung, wie auch die Art der Argumentation und gegenseitigen 7 Entkräftung der Väterworte die gleiche ist, die die Schriften gezeigt haben. 6 7

WA 23,131,13ff. Oekolampad führt Augustins doctr. chr. – offensichtlich 1b III,5+9 – dafür an, dass man dem Element nicht zu viel zubilligen solle (WA 30 III,114,16f.). Zwingli stützt sich mit seiner Auslegung von Joh 6 auf Augustin Io. ev. tr. 27,3 (WA 30 III,118,5f.), der das körperliche Essen des Leibes Christi durch die Himmelfahrt ausschließt. In der Frage nach dem Wesen des Zeichens verweist Oekolampad auf Augustins trin. III,10 (WA 30 III,142,13). Alle diese Stellen sind aus den Abendmahlsschriften als klare Stellen bekannt. Für die These, dass der Leib Christi nur in räumlicher Ausdehnung existieren und deshalb nicht im Abendmahl sein kann, berufen sich die Schweizer vor allem auf Augustin Io. ev. tr. 30,1, ad Dardanum 3 und Fulgentius ad Tras. II,17,2 (WA 30 III,135,5ff.; 139,13f. 19f.). Auch diese Argumente sind immer wieder als klare Stellen angeführt worden. Desgleichen entspricht die gegenseitige Entkräftung der Väterstellen dem Gesagten: Luther argumentiert, dass die die Raumhaftigkeit des Leibes aussagenden Stellen nicht vom Abendmahl handeln. Fulgentius schrieb ad Tras. gegen die Manichäer, um die Wahrheit des Leibes Christi zu beweisen. Dass er vom Abendmahl anders dachte, geht daraus hervor, dass er vom Abendmahl als einem Opfer des Leibes und Blutes Christi spricht. Ähnliches gilt von Augustin; auch er sagt an anderer Stelle – Aug., ep. 54: ad Januarium c. 6 – dass der Leib und das Blut des Herrn von den Jüngern nüchtern empfangen werden solle. Der Mangel der Väter ist, dass sie das, was sie an dem einen Ort sagen, am andern weglassen. Im Übrigen gilt grundsätzlich, dass Väteraussagen, die nicht mit der Schrift stimmen, durch passende Auslegung

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Zusammenfassung

Ist aus den angeführten Gründen auf eine nähere Darstellung des Marburger Kolloquiums verzichtet worden, so sollen doch noch nachstehende Bemerkungen einen gewissen Ertrag für das Verständnis des Geschehens und seiner Überlieferung einbringen. 8.1 Im Itinerarium Hedios heißt es: „Oecolampadius repetiit corpus Christi non esse in sacramento ut in loco. Oecolampadius quaerit sine contentione, quomodo ibi sit corpus. Lutherus. Nos initio scripturam accepimus, haec nihil contra nos. Adde patres, neque illi contra nos. Vos autem tantum duos, Augustinum et Fulgentium habetis, reliqui contra vos sunt. Lutherus nescit doctorem, qui nos concordet, quando nullus vidit nostra. Miramus autem, quid de loco desceptemus, quia conclusum et a tota Christianitate acceptum, ut deus extra loco gerere possit. Hoc petit, ut media sumamus, quibus concordemus, ne in populo seditio fiat, et ut tollatur hoc pessimum dissidium. – Loci de trinitate. De signis factis per angelos, per homines. Lutherus adducit locum ex Augustino: Ich hab unseren Herrgott gesehen, id quod dicunt homines propter verba: Hoc est corpus meum. – Lutherus admittit, ut vocetur sacramentum sacrae rei signum, concedit sancta symbola esse, et sic, ut amplius aliquid significent et intellictui repraesentent. Puerile est, si quis dicat videndo panem: dominum vidi, oportet ergo erigere intellectum. Qui autem purum signum esse dicit, hoc grave est mihi admittere. Aliud de signis nostratibus et de 8 signis a deo institutis.“

Zu dieser Stelle, und zwar von den Worten „Lutherus nescit doctorem“ an, bemerkt Köhler: „Die folgenden Worte von H., die unmittelbar an die oben zitierten anschließen, sind z. T. ganz unklar. Der erste Satz scheint dasselbe wie die kurze Notiz von C. ausdrücken zu wollen: Väter zu zitieren ist zwecklos. Die loci de trinitate befremden im Zusammenhang. Gelten sie als Dokument der 9 Einigkeit.“ Wir wenden uns zunächst den „befremdenden“ Loci de trinitate zu. Köhler interpretiert sie im zweiten Band seines Werks „Zwingli und Luther“ als 10 Aussage über die Trinitätslehre. Gibt es für diese Worte eine einfachere Erklärung? Sie ergibt sich, wenn man den folgenden Satz, den Köhler in seiner Interpretation nicht berücksichtigt, hinzunimmt: De signis factis per angelos, per homines. Dieser Satz ist offenkundig ein Stichwort für die Argumentation, die die von Engeln hergestellten Zeichen von den von Menschen hergestellten unterscheidet. Oekolampad hatte diese zu mildern oder, wo es nicht möglich ist, zurückzuweisen seien (WA 30, III,139,3ff.; 141,6ff.). Zwingli antwortet, dass Fulgentius eine Metonymie gebrauche, wie sie Augustin im Brief an Bonifacius lehrt, also offertur im Sinne von memoria oblationis versteht, was Luther wiederum nicht als Beweis, sondern Übertreibung abtut (WA 30 III,140,1ff.). 8 WA 30 III,142,3ff. 9 Das Marburger Religionsgespräch 1529, S. 121. 10 Das Marburger Religionsgespräch 1529, S. 110: „Und Christus ist doch Gott, wie die Trinitätslehre beweist.“

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Unterscheidung als eines seiner Hauptargumente geltend gemacht und darauf hingewiesen, dass Augustin das Abendmahl zu den von Menschen hergestellten 11 Zeichen zählt. Diese Aussagen finden sich in Augustins de trinitate, 8b III,10. Die natürliche Erklärung für die befremdlichen „loci de trinitate“ ist deshalb, dass hier auf die Aussagen aus Augustins de Trinitate hingewiesen werden soll, wie sich öfter Stellenangaben im Itinerar finden. Freilich geht es dann nicht nur um eine, sondern mehrere Stellen. Bei den stichwortartigen Hinweisen ist es durchaus denkbar, dass nur eine einzige Stelle dem Inhalt nach kurz erwähnt wird, indes mehrere vorgetragen wurden. Es gibt aber auch einen Anhalt dafür, dass mehrere Stellen aus de trinitate vorgetragen worden sind. Köhler verweist auf den Bericht Oekolampads im Dialogus, gemäß dem der Basler die Frage, auf welche Weise der Leib Christi im Brot sei, mit Augustins Wort aus de trinitate III so beantwortete, dass wir 12 nicht wie die Kinder vom Sakrament denken sollten. Köhler stellt selbst diesen Bericht in den näheren Zusammenhang unserer Stelle. Bedenkt man, dass die Frage „quomodo ibi (scil. in sacramento) sit corpus“ die Eingangsfrage der Nachmittagsdiskussion war und weiter, dass sowohl Hedio als auch Collin beinahe gleichlautend als Aussagen Luthers die Sätze haben „Vos Augustinum et Fulgentium habetis, sed reliqui patres a nobis stant“ und „Lutherus admittit sacramentum sacrae rei signum esse …“, Collin aber noch einmal Oekolampad 13 zwischen beide Sätze einführt, so legt es sich nahe, dass der im Itinerarium Hedios Luther ganz zugeschriebene Abschnitt gar nicht von ihm allein stammt, sondern Stichworte eines Disputationsbeitrages Oekolampads, zu dem auch jene Stelle aus de trinitate III 4 gehört, enthält. Oekolampad hatte dann seinen Sakramentsbegriff von den für ihn grundlegenden Stellen aus de Trinitate erläutert, woraufhin Luther mit dem Augustin-Wort „Ich hab unseren Herrgott 14 gesehen“ geantwortet und eine ausführliche Erläuterung über seine Auffas15 sung des Sakraments als sacrae rei signum gegeben hätte. Luthers AugustinHinweis wäre dann eine echte Entgegnung in dem gleichen Sinne gewesen, wie er durchweg die Zeichenstellen Augustins aufgefasst hat: als Zeichen der gegenwärtigen Sache, des gegenwärtigen Leibes Christi. Dieses Verständnis des Zeichens dürfte dann auch den von Hedio stark reformiert formulierten letzten Sätzen des Abschnitts zugrunde liegen. Noch eine Kleinigkeit sei festgehalten. Köhler weiß mit der Bemerkung Lu16 thers, anima est sanguis, nichts recht anzufangen. Er schlägt vor, sie so zu ver11 12 13 14 15

Vgl. S. 26ff. Das Marburger Religionsgespräch 1529, S. 122. WA 30 III,142,7 und 15; 33 und 36. Diese Stelle konnte nicht verifiziert werden. Osianders Bericht WA 30 III,144f. gibt auf Seite 148,20ff. eine zusammenfassende Stellungnahme Luthers zu den Zeichenstellen Augustins und den Vätern allgemein, die sehr gut an dieser Stelle ihren Platz gehabt haben könnte. 16 WA 30 III,143,4.

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Zusammenfassung 17

stehen, als ob Luther sagen wolle, dass diese Stelle nicht zur Sache gehöre. Der Sinn ist doch wohl ein anderer. Luther will sagen: Die Seele ist nach Augustins Auffassung von Lev. 17,14 in dem Blute gegenwärtig. Er verteidigt damit die von Oekolampad oft angeführte Adimantus-Stelle in der gleichen Weise, wie er es 18 später Melanchthon gegenüber getan hat. Unter dem Stichwort „item contra 19 Manichaeos“ dürfte Oekolampad auch auf diese Stelle eingegangen sein, die ja zu seinen Hauptargumenten zugunsten des Tropus gehörte. 8.2 Schlussbemerkung Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, auf welche Väterzitate man sich in der Abendmahlskontroverse berief, in welchem Sinn man sie zitierte, mit welchen Mitteln man sie interpretierte und welches der innere Zusammenhang war, in dem man sie untereinander sah. Dabei wurde auch die Problematik deutlich, die für das Väterverständnis in der engen Verknüpfung der Auslegungsmethode mit dem Konsensusgedanken lag. Und nicht zuletzt hat sich auch gezeigt, dass es bei der Auseinandersetzung um die Vätermeinung nicht um ein bloßes Rechthaben, auch nicht nur um stärkende Zustimmung seitens der Väter ging, sondern letztlich um die Kontinuität der Kirche Jesu Christi. Diese Kontinuität betraf vor allem die Realpräsenz, aber auch die Christologie und die geistliche Nießung in ihrem Verhältnis zur leiblich-sichtbaren Welt. Bewusst ist darauf verzichtet worden, auch nur an einem Stück der Frage nachzugehen, ob und gegebenenfalls auf welcher Seite die Väter sachgemäß in dem von ihnen gemeinten Sinn angeführt worden sind, ob also und wo und inwiefern von einer echten Kontinuität mit der Abendmahlslehre der alten Kirche gesprochen werden kann. Diese Aufgabe reizte sehr und schließt sich naturgemäß an die Darlegung der Väterargumentation an. Es ist aber eine Aufgabe, die umfangmäßig auch nur auf einem Teilgebiet den Rahmen dieser Arbeit sprengen müsste. Denn sie ist nur dann zu lösen, wenn festgestellt worden ist, was die alte Kirche nun wirklich vom Abendmahl gelehrt hat. Gerade 20 hier liegt aber durchaus eine „vielfache Uneinigkeit in der Forschung“ vor. Das gilt besonders für die Augustin-Interpretation, in der die Meinungen weit auseinander gehen. Auf Beckmanns Auffassung war schon in der Einleitung 21 hingewiesen worden, ihm gegenüber steht als ein Repräsentant der römischkatholischen Forschung Karl Adam, nach dessen Überzeugung Augustin „auf 22 dem Wege zur Verwandlungslehre“ ist. Die Argumente des römisch-katho17 18 19 20 21 22

Das Marburger Religionsgespräch 1529, S. 36: „‚Die Seele ist Blut‘ gehört nicht hierher (?)“. Vgl. S. 169. WA 30 111,142,22. Hans Graß in LG3 Bd 1 Sp. 21. Vgl. S. 9. Karl Adam, Zur Eucharistielehre des heiligen Augustinus, ThQ 112 (1931), S. 519.

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lischen Augustin-Verständnisses laufen darauf hinaus, dass jene Stellen, auf die sich besonders die reformierte rein symbolisch-signifikative Deutung stützt, im Rahmen der von Augustin andernorts bezeugten Realpräsenz verstanden wer23 den müssen und deshalb mit den Begriffen similitudo usw. eine mit der Wirklichkeit des Bezeichneten gefüllte Sache gemeint sei. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass damit wesentliche Elemente der Väterargumentation der Reformatoren auch heute noch debattiert werden. Ein letztes Wort sei noch zu der eingangs zitierten Auffassung Loofs gesagt, nach der es zwecklos sei, die von den Reformatoren angeführten Väterstellen auf 24 Recht oder Unrecht zu prüfen. Loofs Urteil geht offenkundig auf David Friedrich Strauß zurück, der der Meinung war, dass der konfessionelle Streit über die Bedeutung der Einsetzungsworte veraltet und wertlos sei, weil er auf einer „unrichtigen Disjunktion“ beruhe. Bedingt durch die abstrakte Denkweise des Abendlandes und der neueren Zeit sei das, was der Orientale angesichts der Einsetzungsworte in eins denke, getrennt worden und in die verschiedenen konfessi25 onellen Aussagen zerfallen. Im Wesentlichen entspricht – unter Einbezug der Mysterien-Vorstellungen – auch Loofs dieser Ansicht. Im Grunde wird damit von vornherein die Möglichkeit verneint, eine Lehrkontinuität hinsichtlich des Abendmahls zwischen der alten Kirche und der Reformation, sei es der reformierten oder lutherischen, festzustellen. Zwei Überlegungen zeigen jedoch, dass mit den genannten Gründen die Aufgabe, die Kontinuität zur alten Kirche hin 26 aufzuzeigen, nicht hinfällt. Wenn – um mit einer inneren Kritik der These David Friedrich Strauß einzusetzen – die Konfessionen wirklich das zertrennt und je ein Teil für sich behalten haben, was das Neue Testament und die alte Kirche als Einheit besessen haben, dann muss doch die Konfession, die an der Realpräsenz festhält, den Vätern ungleich näher stehen als die andere. Mit anderen Worten: War allgemein in der alten Kirche die scharfe Abgrenzung zwischen „Symbolik“ und „Realistik“ noch nicht vollzogen, so muss ja die Herauslösung der „Realistik“ allerdings einen gehörigen Bruch mit der Tradition bedeuten, bei aller Unterschiedlichkeit in einzelnen Fragen. Schon von daher wäre ein Vergleich der reformatorischen Positionen mit solchen der alten Kirche unter dem Gesichts27 punkt der Kontinuität durchaus sinnvoll. Das aber führt zur anderen Überlegung: Gewiss müssen die Kirchenväter von ihren eigenen Voraussetzungen her verstanden werden, das hindert aber nicht, dass spätere Jahrhunderte Fragen an die Väter stellen und Antworten erwarten können. Man wird dabei längst nicht 23 Vgl. z.B. Schmaus, Michael: Katholische Dogmatik IV,1, 3. und 4. Auflage, 1952, S. 259f.; LThK2 Bd 3, 1959, Sp. 1149. 24 Vgl. S. 9. 25 David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu2 , 1837 Bd 2, S. 437f. 26 RE3 Bd 1, S. 43f. 27 Die Frage, ob die Kennzeichnung der konfessionellen Aufteilung des altkirchlichen Erbes durch D. Fr. Strauß sachlich zutrifft, bleibe hier dahingestellt.

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immer direkte Antworten erhalten, man wird aber – und sei es, dass die eigenen Fragestellungen dabei selbst gewandelt werden – Antworten erhalten, die in eine bestimmte Richtung weisen und andere Richtungen abwehren. In diesem Sinne ist es sicher sinnvoll, nach der Kontinuität in der Abendmahls28 lehre zu fragen und die weitere Aufgabe anzugehen.

28 Eine beachtliche Untersuchung dazu lieferte von seiten der römisch-katholischen Kirche Johannes Betz, Die Eucharistie in der Zeit der griechischen Väter, Bd. I,1 1955. Seiner Überzeugung nach ist es eine „Grundanschauung der patristischen Eucharistielehre, dass Christus selbst es ist, der da zum Mahle lädt, sich in einer Speise verleiblicht und seine Gläubigen mit seinem Fleisch und Blut speist.“ S. XXIII.

Literaturverzeichnis Die Abkürzungen richten sich nach IATG2 (Schwertner, Siegfried: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenverzeichnisse mit bibliographischen Angaben, Berlin/New York 2 1994). Die Abkürzungen für die Kirchenväterschriften richten sich nach Lexikon der antiken christlichen Literatur (Döpp, Siegmar; Geerlings, Wilhelm: Lexikon der antiken christlichen Literatur, Freiburg i. Br. 1998), und dem Augustinus-Lexikon (Mayer, Cornelius: AugustinusLexikon, Vorspann, Basel 2 1996).

Quellen Zur Arbeit wurden alle Schriften der Reformatoren eingesehen, die vom Abendmahl handeln oder doch vermuten ließen, daß der Autor sich dazu geäußert habe. Nachstehend werden jedoch nur die Quellen einzeln angegeben, die auf das Thema mehr oder weniger eingehen.

1) Oekolampad Da es noch keine Gesamtausgabe der Schriften Oekolampads und auch kaum Einzeldrucke neueren Datums gibt, mussten die Originaldrucke eingesehen werden. Die beigefügte Nummer bezieht sich auf Staehelin, Ernst: Oekolampad-Bibliographie. Verzeichnis der im 16. Jahrhundert erschienenen Oekolampaddrucke, Nieuwkoop 2 1963. Ion Oecolampadii sermo de sacramento eucharistiae 1521; Bibliographie Nr. 40 (Sermo). Ioannis Oecolampadii de genuina verborum Domini, Hoc est corpus meum, iuxta vetustissimos authores, expositione liber 1525; Bibliographie Nr. 113 (Genuina Exposito). Vom Sacrament der Dancksagung. Von dem waren nateurlichen verstand der worten Christi: Das ist mein Leib nach der gar alten Lerern erklärung jm Latein bschriben durch Ioann. Ecolampadium verteütscht durch Ludvigen Hätzer. 1526; Bibliographie Nr. 125 (Expositio Deutsch). Apologetica Ioann. Oecolampadii. De dignitate eucharistiae Sermones duo. Ad Theobaldum Billicanum quinam in verbis Caenae alienum sensum inferant. Ad Ecclesiastas suevos Antisyngramma. 1526; Bibliographie Nr. 124 (Apologetica). Billiche antwurt Joan. Ecolampadij auff D. Martin Luthers bericht des Sacraments halb sampt einem kurtzen begriff auff etlicher Prediger in Schwaben schrifft die wort des Herren nachtmals antreffend. 1526; Bibliographie Nr. 129 (Billiche Antwurt). Ioannis Oecolampadii ad Billibaldum Pyrkaimerum de re Eucharistiae responsio 1526; Bibliographie Nr. 131 (Responsio). Ad Billibaldum Pyrkaimerum de Eucharistia, Ioannis Husschin, cui ab aequalibus a prima adolescentia Oecolampadio nomen obvenit, Responsio posterior. 1527; Bibliographie Nr. 140 (Responsio pst.). Das der mizverstand D. Martin Luthers uff die ewig bstendige wort Das ist mein leib nit beston mag. Die ander billiche antwort Joannis Ecolampadij. 1527; Bibliographie Nr. 143 (Andere Billiche Antwurt). Uber D. Martin Luthers Buch Bekentnuß genant zwo antwurten Joannis Ecolampadij vnd Huldrych Zwinglis. 1528; Bibliographie Nr. 155 (Über Luthers Bekenntnis).

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Literaturverzeichnis

Quid de Eucharistia veteres tum Graeci, tum Latini senserint, Dialogus in quo Epistolae Philippi Melanchthonsi et Joannis Oecolampadij insertae. 1530; Bibliographie Nr. 164 (Dialogus). Briefe und Akten zum Leben Oekolampads, bearbeitet von Ernst Staehelin, Bd 1 (1927), Bd 2 (1954), (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte Bd X und XIX).

2) Zwingli Die beigefügten Nummern beziehen sich auf Finsler, Georg: Zwingli-Bibliographie, Verzeichnie der gedruckten Schriften von und über Ulrich Zwingli, Nieuwkoop 2 1968. Ad Matthaeum Alberum, Rutlingensium ecclesiasten, de coena dominica Huldrychii Zuinglii epistola 1524; Bibliographie Nr. 39. De vera et falsa religione commentarius 1525; Bibliographie Nr. 45 (Commentarius) Subsidium sive coronis de eucharistia Huldycho Zuinglio autore 1525; Bibliographie Nr. 53 (Subsidium). Ad Joannis Bugenhagii Pomerani epistolam responsio Huldrychi Zuinglii 1525; Bibliographie Nr. 55. Ein klare underrichtung vom nachtmal Christi durch Huldrychen Zuingli tütsch … 1526; Bibliographie Nr. 60 (Unterrichtung). Ad Theobaldi Billicani et Urbani Rhegii epistolas responsio 1526; Bibliographie Nr. 62 Responsio brevis ad epistolam … in qua de eucharistia quaestio tractatur 1526; Bibliographie Nr. 71. Antwurt Hudrychen Zwinglins über doctor Strussens büchlin, wider inn geschriben, das nachtmal Christi betreffende. 1527; Bibliographie Nr. 77. Amica exegesis, id est: expositio eucharistiae negocii ad Martinum Lutherum 1527; Bibliographie Nr. 78 (Amica Exegesis). Früntlich verglimpfung und ableynung über die predig des treffenlichen Martini Luthers wider die schwermer … 1527; Bibliographie Nr. 79 (Verglimpfung). Das dise wort Jesu Christi: „Das ist min lychnam, der für üch hinggeben wirt“, ewigklich den alten eynigen sinn haben werdend … 1527; Bibliographie Nr. 82 (Das Dise Wort). Über D. Martin Luthers Buch, Beketnnuß genant, zwo antwurten Joannis Ecolampadii und Huldrychen Zwinglis 1528; Bibliographie Nr. 86 (Über Luthers Bekenntnis). Ad Carolum, Romanorum imperatorem, Germaniae comitia Augustae celebrantem fidei Huldrychi Zunglii ratio 1530; Bibliographie Nr. 92 (Fidei Ratio). Christianae fidei a Huldrycho Zvinglio Praedicatae, brevis et clara expositio 1536; Bibliographie Nr. 100 (Fidei Expositio). Briefwechsel Zwinglis nach dem Corpus Reformatorum. Huldrych Zwinglis Werke, hg. v. M. Schuler und J. Schulthess Bd 1–8, 1828–42. Huldrych Zwinglis sämtliche Werke, hg. von Egli u.a. 1905ff. (Corpus Reformatorum Bd 88–101).

3) Luther Die beigefügten Nummern beziehen sich auf Aland, Kurt: Hilfsbuch zum Lutherstudium. Gütersloh 2 1957. Daß diese Worte Christi (Das ist mein Leib etc) noch fest stehen wider die Schwarmgeister 1527; Aland Nr. 679 (Daß diese Worte). Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis 1528; Aland Nr. 2 (Bekenntnis).

Quellen

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Marburger Gespräch und Marburger Artikel 1529; Aland Nr. 452 (Marburg). An den Fürsten und Herrn Albrecht von Preußen. Ein Sendbrief D.M. Luthers wider etliche Rottengeister 1532; Aland Nr. 21. Glossae D.M. Lutheri super sententias patrum de controversia coenae, exhibitas ipsi a D. Phil. Melanchthone 1534; Aland Nr. 129 (Glossae). Briefwechsel nach WA.B 1-7. D.M. Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Weimar 1883ff. (WA). D.M. Luthers Werke. Briefwechsel Bd 1-7, Weimar 1930ff. (WA.B). D.M. Luthers Werke. Tischreden Bd 1, Weimar 1912. (WA.TR). Luthers Werke in Auswahl. Hrsg. von Otto Clemen, Bd 1-8, 1950. Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften, hrsg. von Dr. Joh. Georg Walch. Neue revidierte Stereotypausgabe. 1880ff (Walch 2).

4) Melanchthon Articuli de quibus egerunt per visitatores in regione Saxoniae 1527. Unterricht der Visitatorn an die Pfarrhern ym Kurfürstenthum zu Sachssen. 1528. Philipp Melanthons Bericht von dem Marpurgischen Colloquio an den Churfürsten Johannem zu Sachsen 1529. Phil. Mel. summarischer Bericht von der Marpurgischen Handlung an Herzog Heinrichen zu Sachsen 1529. Gutachten an den Langrafen Philipp von Hessen 1529. Sententiae veterum aliquot scriptorum de coena Domini 1530. Apologia confessionis Augustanae 1531 (Editio Princeps). Apologia confessionis Augustanae 1531 (Oktavausgabe). Glossae D.M. Lutheri super sententias patrum de controversia coenae, exhibitas ipse a D. Phil. Melanchthone 1534. Loci communes theologici recens collecti et recogniti a Philippo Melanthone. 1535. Briefwechsel nach Corpus Reformatorum, Bindseil u.a. Philippi Melanthonis Opera quae supersunt omnia edidit Carolus Gottlieb Bretschneider 1834 ff (Corpus Reformatorum Bd 1–28). Epistolae, iudicia, consilia testimonia etc edidit H.E. Bindseil, 1874. Supplementa Melanchthoniana, hrsg. vom Verein für Reformationsgeschichte, I, 1 1910; II, 1 1911; V 1.2 1915 und 1929; VI, 1 1926 (Clemen). Melanchthons Werke in Auswahl, hrsg. von Robert Stupperich, Bd. 1ff., 1951ff.

5) Weitere Quellen Für die einzelnen Kirchenväterschriften s. das Register S. 274. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche hg. vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß, Göttingen 1930. Brightman, F.E.: Liturgies Eastern and Western, Bd 1, 1896. Corpus Iuris Canonici hg. von E. Friedberg, 2 Bde. Graz 1955. (CIC). Corpus Christianorum Series Latina, Turnhout 1983ff. (CChr.SL). Corpus Scriptorum ecclesiasticorum Latinorum, Wien 1864ff. (CSEL). Enchiridion Patristicum. Loci ss. patrum, doctorum scriptorum ecclesiasticorum quos in usum scholarum collegit M.J. Rouet de Journel D. J. 22. Aufl. Freiburg i. Br. 1962.

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Zur Vita von Gottfried Hoffmann Mit diesem Buch erhält unser Amtsbruder und Kollege, Prof. em. Dr. Gottfried Hoffmann, ein Geschenk, das er selbst produziert hat. Sicherlich ist das ein etwas ungewöhnlicher Vorgang, aber gleichzeitig ist genau dieser Vorgang charakteristisch für Hoffmanns Einsatz für die Kirche Jesu Christi, für die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche und für die Lutherische Theologische Hochschule: ein Einsatz, der auf der einen Seite von Beharrlichkeit und Fleiß und auf der anderen Seite von Bescheidenheit gekennzeichnet war und ist. Mit seinem Einsatz hat er Entstehung und Entwicklung sowohl der Lutherischen Theologischen Hochschule als auch der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche begleitet und mitgestaltet. Hoffmanns eigene Biographie ist mit der Geschichte „seiner“ Kirche und „seiner“ Hochschule eng verwoben. 1949–1950 war er zunächst am gemeinsamen Proseminar der Evangelisch-Lutherischen Freikirche und der EvangelischLutherischen (Altlutherischen) Kirche in Groß Oesingen eingeschrieben. Somit war er präsent und mitwirkend, als der Keim für die Gründung der Lutherischen Theologischen Hochschule gelegt wurde. Ab dem Wintersemester 1950/51 war Hoffmann Student in Oberursel – also recht bald nach der Einweihung des Hochschulgeländes am Taunus – wo er bis zum Wintersemester 1951/52 blieb. Nach Zwischensemestern an der Universität Heidelberg legte er erfolgreich sein Erstes Theologisches Examen 1954 in Oberursel ab. Das Zweite Theologische Examen folgte 1956. Ab diesem Zeitpunkt häuften sich die akademischen und kirchlichen Ämter, was heutige Amtsbrüder nur ins Staunen versetzen kann: Nach dem Vikariat in Heidelberg, Frankfurt am Main und Oberursel 1954–1957 – das waren Zeiten, in denen wegen des Pfarrermangels Vikare überall und lange gebraucht wurden! – und der Ordination am 20.01.1957 war er Gemeindepfarrer in Oberursel 1957–1965. Gleichzeitig übernahm er den Hebräischkurs an der Hochschule (1956–1961). Danach kam 1963–1965 ein Lehrauftrag an Proseminar und Hochschule. In den Jahren 1965–1968 wechselt er als Gemeindepfarrer nach Hörpel in die Lüneburger Heide und übernahm 1966–1968 die Aufgabe des stellvertretenden Präses der Evangelisch-Lutherischen Freikirche. Oberursel konnte aber nicht auf ihn verzichten, so dass er 1968–1993 wieder hier tätig war, zunächst als Dozent und dann als Professor für Systematische Theologie. In diesen Jahren prägte er mit seinem Bestehen auf klare dogmatische Aussagen eine ganze Generation von Studierenden. Zwischendurch (1982–1983) war er auch Gastdozent am Concordia Seminary der Lutheran Church – Missouri Synod in St. Louis, USA, die Verbundenheit mit den nordamerikanischen Brüdern und Schwestern bestätigend. Mitten in dieser unermüdlichen Tätigkeit für Kirche und Hochschule hat Hoffmann sein Promotionsprojekt durchgeführt und es 1972, bezeichnenderweise im Gründungsjahr der Selbständigen EvangelischLutherischen Kirche, mit der Heidelberger Dissertation bei Peter Brunner, die

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Zur Vita von Gottfried Hoffmann

die Fakultät der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel jetzt veröffentlichen lässt, erfolgreich absolviert. Die obige Auflistung erwähnt freilich nicht die unermüdliche Arbeit in zahlreichen Kommissionen und Ausschüssen, ohne die manche kirchliche Entwicklung nicht zustande gekommen wäre. Es ist gerade diese „unscheinbare“ Arbeit, die einen viel Zeit und Energie kostet und die in der Regel „hinter den Kulissen“ geleistet wird, die vieles voranbringt. Nicht zu vergessen ist Hoffmanns Engagement im Kreis der Freunde und Förderer der Lutherischen Theologischen Hochschule seit den Anfängen in den 1950er Jahren. Einiges an der Hochschule wäre in ihrer Geschichte nicht möglich gewesen, wenn es den „Freundeskreis“ nicht gäbe. Alles in allem verkörpert Bruder Hoffmann in seiner Lebenstätigkeit ein Anliegen unserer Hochschule: fest verankert zu sein in Geschichte und Theologie des Konkordienluthertums, wie es sich in der Selbständigen EvangelischLutherischen Kirche, ihren Gemeinden und ihren Einrichtungen ausdrückt. Aus diesem Grunde freue ich mich, dass die Fakultät der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel Hoffmanns Dissertation anlässlich seines 80. Geburtstags einem breiteren Publikum zugänglich machen kann. Möge die Biographie unseres Amtsbruders und Kollegen sowie dieses aus seiner Hand entstandene Werk für die neueren Generationen von Studierenden und Pfarrern ein Ansporn sein, sich für Kirche und Hochschule beharrlich, aber bescheiden, dazu begleitend und mitgestaltend zu engagieren. Oberursel, am Tag des Apostels und Evangelisten Matthäus 2010 Prof. Dr. Gilberto da Silva, Rektor

Register Personenregister Adimantus 84 Agricola, Johannes 197, 214, 220, 226, 238 Alber, Matthäus 193f. Ambrosius von Mailand 23, 73, 74, 92, 95, 134, 136–139, 141, 145, 157, 167, 174f., 179, 185, 203, 204, 206, 220, 226–229, 239, 254 Aquila 196, 214, 217, 221 Areopagita, Dionysius 70, 186 Athanasius von Alexandria 83, 89, 134, 146, 147 Augustinus, Aurelius 16, 20, 23, 25– 29, 30–32, 37–39, 42–47, 49–59, 64f., 70f., 74f., 79–91, 93–95, 97– 99, 110, 113f., 117, 119, 121–128, 130–133, 134–136, 138, 139–142, 144, 145, 147–152, 153f., 157, 158– 160, 166f., 169–174, 177–179, 183– 185, 203f., 206f., 209f., 212f., 218, 222, 226, 229–232, 234, 239–243, 252–257, 259f. Basilius von Cäsarea 24, 26, 49, 53, 183 Beckmann, Joachim 16 Beda Venerabilis 186 Bessarion 23 Billican, Theobald 17 Blaurer, Ambrosius 198, 230f. Thomas 182, 192, 195, 196, 214, 226, 229–231 Bonifacius 53, 59, 74, 80, 84, 124, 151, 172, 232, 239, 253, 256 Brenz, Johannes 227, 232–235, 238 Brightman, Frank Edward 176 Bucer, Martin 117, 218, 222–224, 227, 231, 235, 239 Bugenhagen, Johannes 132, 134, 171 Calvin, Johannes 16 Camerarius, Joachim 215, 217, 231, 234

Campanus, Johannes 231 Catullus, Gaius Valerius 122 Chrysostomos, Johannes 25, 33f., 44, 47f., 52f., 70, 72, 74, 77–79, 81, 92, 99f., 133, 147, 183, 196, 198, 201, 203f., 206, 214, 219, 221, 223, 226, 252 Clemen, Otto 169–171, 182, 192–198, 215, 217 Clemens Alexandrinus 186 Cyprian von Karthago 23, 44, 59, 72, 74, 95, 100f., 157, 165, 167, 183, 186, 193, 196–198, 202f., 204, 216, 219f., 226–228, 252, 256 Cyrill von Alexandria 23, 44, 89, 107f., 116, 147, 183, 186, 200f., 206–208, 210, 219, 221, 225f., 228, 239, 256 Damaszenus, Johannes 23, 30, 183, 193, 254 Dardanus 84f., 90 Dieckhoff, August Wilhelm 18, 102, 113 Dietrich, Veit 199, 234 Eberbach, Philipp 196, 199 Eusebius Enissenus 23 Evodius 79, 84, 253 Faustus 84 Fraenkel, Peter 17, 186, 188–191, 214, 242–245 Friedberg 23 Fulgentius von Ruspe 39 Gollwitzer, Helmut 52 Graß, Hans 178, 260 Gratian 23, 86, 119, 124, 183, 207 Gregor I. 167f., 179 Gregor von Nazianz 29, 31, 183, 185f. Hedios 258 Heinrich von Sachsen 218 Herzog, Johann Jakob 18, 113 Hesychius 23, 71 Hieronymus, Sophronius Eusebius 59, 92, 133, 183

272

Register

Hilarius von Poitiers 57, 89, 96, 102, 107, 108–112, 115, 129, 145, 164f., 167, 183, 196–198, 202, 206, 215, 217, 219, 226, 236, 237–241, 256 Irenäus von Lyon 55, 57, 63–65, 74, 101–106, 119, 127, 163f., 166f., 179, 183, 197, 203, 219, 226, 253, 256 Iuvenalis, Decimus Iunius 122 Januarius 53, 124 Johann von Sachsen 218 Jonas, Justus 217 Köhler, Walther 16, 18, 115–117, 218, 258f. Koopmans, Jan 17 Lombardus, Petrus 20, 23, 79, 83, 148 Lommatzsch, Carl 126, 128, 129, 176 Lucretius Carus, Titus 122 Luther, Martin 17f., 22, 30, 57, 61f., 64–66, 89–91, 110–112, 124, 132– 134, 137f., 153–181, 189, 195–199, 204, 214–220, 229f., 232–234, 238– 240, 242–245, 246–248, 252f. Marcellinus 37, 50–52, 124 Marcion 35, 62f., 120, 152, 161f. Melanchthon, Philipp 17f., 22, 66, 67, 71, 87, 89, 156, 168–170, 175, 178, 179, 182–241, 242–245, 247f., 252– 256, 260 Millius 72 Myconius, Friedrich 71, 178, 183, 200, 213 Neuser, Wilhelm 185, 193, 195–197, 199, 205, 207f., 210–212, 215–218, 245

Oekolampad, Johannes 16–19, 20–119, 134f., 140f., 152, 157f., 160f., 163f., 168, 170, 182, 192f., 195, 199, 207f., 218, 221f., 228f., 231–233, 242f., 246–248, 252–256, 258–260 Origenes 25, 42, 44, 51, 59, 92, 126, 128f., 133, 149, 157, 176, 177, 183, 185, 233, 239, 254 Ovidius, Publius Ovidius Naso 122 Paschasius 23 Pirckheimer, Willibald 17 Polman, Pontien 17 Prosper 23, 81, 170f., 185 Ritschl, Otto 242f. Rothmann, Bernhard 230f. Sasse, Hermann 48 Schäfer, Ernst 18 Schnepf, Erhard 227 Schöpf 238 Schwarzenau, Paul 17 Sperl, Adolf 17, 242 Staehelin, Ernst 18, 22, 89, 94, 117 Strauß, David Friedrich 17, 261 Tertullian 35f., 51, 52, 57, 60–65, 74, 78, 83, 95, 120–122, 134, 141, 145, 149, 152, 160–162, 166f., 177, 179, 185, 232, 239, 253 Theodoret 186 Theophylakt 23, 52, 134, 186, 193, 202, 226, 228, 229, 254 Thrasamundus 87, 89, 91, 257 Thuring, Balthasar 192, 196f., 214–217 Zwingli, Ulrich 16–18, 76, 118–152, 191, 195, 207, 208, 210, 218, 246– 248, 252–257, 258

Verzeichnis der Verwendung von Kirchenväterschriften

273

Verzeichnis der Verwendung von Kirchenväterschriften Ambrosius in ep. ad Cor. I 73, 74, 92, 136, 138f., 174f., 239 myst. 175, 185, 203, 226 sacr. 167, 179, 185, 203, 254 Athanasianum 144f., 151 Augustinus agon. 88, 90 c. Adim. 84, 142, 151, 169, 232, 239, 253 c. adv. leg. 172 c. Faust. 84, 172 c. Fel. 145 civ. 43, 124 cons. ev. 130, 134 doctr. chr. 58f., 65, 71, 74, 81f., 94, 124, 140, 171, 232, 252, 257 en. Ps. 57, 97, 98, 121, 131, 149, 150, 159, 166f., 170, 232, 239, 252, 254 ep. 54: ad Januarium 124, 139, 142, 149, 159, 166f., 257 ep. 82: 153 ep. 98: ad Bonifacium 53, 59, 74, 80, 83, 84, 124, 172, 232, 239, 253, 256 ep. 105: ad Donatistas 158 ep. 138: ad Marcellinum 37, 49ff., 124 ep. 169: ad Evodium 79, 83f., 253 Gn. litt. 86 Io. ev. tr. 25, 42, 51, 55, 58, 86, 91, 93f., 123, 125, 126, 128, 130, 132f., 135, 139, 145, 147, 148ff., 159, 173f., 209, 210, 212, 213, 252, 254, 257 mag. 55 praes. dei 84, 85f., 87, 90f., 257 retr. 23 sermo 272 174 sermo 352: De utilitate agendae poenitentiae 37 trin. 26f., 32, 45ff., 51, 61, 82, 84, 98, 252, 259 Chrysostomos de oratione 44 de precatione 44 hom in Jo. 201, 219, 226 hom in. Joh. 201, 219, 226

hom. in Matth. 47f., 77f., hom. in. Heb. 25, 33 opus imperf. 72, 74 poenit. 99f. sac. 201, 214, 221, 226 CIC 81, 123, 131, 135, 149, 158, 166f. Concilium Nicaenum I 30, 67f., 74 Cyprian de cardinalibus operibus 72, 202f. de digna preparatione 157 de unctione chrysmatis 72, 74, 252 domin. orat. 44, 100 ep. ad Caecilium 202, 219 ep. syn. 165, 167 laps. 165ff. s. de coena domini 196, 203, 226 Cyrill Jo 107, 200f., 226 Dionysius Areopagita h.e. 70 Epiphanius von Salamis haer. 176 Fulgentius ad Thrasamundum 87, 89, 91, 257 fid. 38f., 51, 75, 173, 232, 239, 252 Gregor I. dial. 168, 179 Gregor von Nazianz Carmina historica 31 Hesychus comm. Lev. 71 Hieronymus in Matth. 133 Hilarius von Poitiers in Matth. 129 trin. 108f., 164f., 167, 196, 202, 219, 226 Irenäus haer. 55, 63f., 74, 101, 103, 163, 166f., 175f., 179, 203, 219, 226, 253 Origenes Cels. 44 hom. in Lev. 42, 51, 176 hom. in Mt. 25, 53, 126, 128, 149

274

Register

Tertullian adv. Iud. 162 adv. Marc. 35, 36, 60ff., 74, 120f., 149, 160f., 162, 166f., 175, 232, 239, 253 resurr. 162, 166f. Theophylakt en. in Marci 202, 226 en. in Matth. 202, 226

Vetus Canon Graecus 176, 232, 239 Vinzenz von Lerinum Comm. 155 Vulgarius → Theophylakt