Kinetische Bühnen: Sean Kenny und Josef Svoboda - Szenografen als Wiedererfinder des Theaters [1. Aufl.] 9783839428764

The room is playing along: A book on groundbreaking innovations in kinetic scenography since the 1960s, which have subst

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Kinetische Bühnen: Sean Kenny und Josef Svoboda - Szenografen als Wiedererfinder des Theaters [1. Aufl.]
 9783839428764

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
HERAUSGEBERWORT
VORWORT
EINLEITUNG. Über die “Dreifaltigkeit”: Architektur, Szenografie und Kinetik
Ziel und Schwierigkeiten der Forschung zur Szenografie
Stärkung der Interdisziplinarität in der Szenografie
Musiktheater als Ort des Geschehens
Auswahl der Produktionen
Methode und Ablauf der Untersuchung
Blick auf die szenografen
Josef Svoboda
Theaterstrukturen nach dem zweiten Weltkrieg in Großbritannien und der Tschechoslowakei
Ausbildung, Einflüsse und Gestaltungsprinzipien
Gründe für die Nutzung von Technologie
Konzepte der Theatergebäude
Konkrete Projekte für Theatergebäude
Expo-Ausstellungen
Hi-Tech-Innovationen in der Szenografie der 1960er und 1970er Jahre “Oliver!” “May the good Dickens forgive us”
Szenografisches Konzept
Technische und organisatorische Aspekte der Produktion
Theaterstrukturelle Bedingungen
Innovation
Postskriptum 1
“Blitz!” Sozialmilieu der Handlung
Realitätsanspruch der Szenografie
Konzeptuelle Anforderungen an die Szenografie
Gestalterische und organisatorische Herausforderungen
Organisation und Umsetzung der Arbeit
Auswirkung der Innovation auf die theaterstrukturellen Bedingungen
Postskriptum 2
“Clownaround” A Funny Kind of Musical
„Rabbit-out-of-the-hat“ Konzept
Clown Machine
Kritik
Postskriptum 3
„Der Ring des Nibelungen“ Die Vorgeschichte der „Ring“-Inszenierung
“Eröffnung eines neuen Kapitels der Wagner-Regie”
Inszenierung der szenografischen Innovation
Über das Konzept der Szenografie
Technologische Innovationen in der Szenografie
Organisation der Arbeit
Fragen der Finanzierung
Postskriptum 4
Ergebnisse und Diskussion Fazit
Aktuelle Entwicklungen in der Hi-Tech-Szenografie
Postskriptum 5
Abbildungsliste
Literaturverzeichnis
Filmverzeichnis
Appendix

Citation preview

1

Nebojša Tabacˇki KINETISCHE BÜHNEN

Szenografie & Szenologie

Band 10

2

Editorial Die Reihe Szenografie & Szenologie versammelt aktuelle Aufsätze und Monografien zum neuen Ausbildungs- und Berufsfeld Szenografie. Im Kontext neuer Medientechniken und -gestaltungen, Materialien und narrativer Strukturen präsentiert sie Inszenierungserfahrungen in öffentlichen Vor-, Aus- und Darstellungsräumen. Zugleich analysiert die Reihe an Beispielen und in theoretischer Auseinandersetzung eine Kultur der Ereignissetzung als transdisziplinäre Diskursivität zwischen Design, Kunst, Wissenschaft und Alltag. Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Martina Dobbe, Universität der Künste, Berlin Prof. Dr. Petra Maria Meyer, Muthesius Kunsthochschule, Kiel Prof. Dr. Hajo Schmidt, Fernuniversität Hagen Die Herausgeber Dr. Ralf Bohn ist Professor für Medienwissenschaften und arbeitet im Schnittpunkt von philosophischer, psychoanalytischer und technischer Medienanalyse. Dr. Heiner Wilharm ist Professor für Designtheorie und Gestaltungswissenschaften und arbeitet mit Schwerpunkt Zeichen, Kommunikation und Inszenierung. Die Herausgeber lehren am FB Design der FH Dortmund und begleiten den MasterStudiengang Szenografie und Kommunikation wissenschaftlich und konzeptionell.

Nebojša Tabacˇki (Dr.-Ing.) ist Architekt und Szenograf. Als freischaffender Designer ist er im Bereich Film und Theater tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind Architektur-, Szenografie- und Technikgeschichte.

3

Nebojša Tabacˇki KINETISCHE BÜHNEN Sean Kenny und Josef Svoboda – Szenografen als Wiedererfinder des Theaters

4

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Nebojša Tabacˇki Umschlagabbildung: „The House of Dancing Water“, Casino „City of Dreams“, Macao 2012 Foto: © City of Dreams, mit freundlicher Genehmigung von City of Dreams, www.thehouseofdancingwater.com Redaktion: Ralf Bohn Korrektorat: Elvira Veselinovic´ Lektorat: Dietmar Theis, Kathinka Schreiber, Susanne Lehmann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2876-0 PDF-ISBN 978-3-8394-2876-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfreigebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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Inhaltsverzeichnis 9

HERAUSGEBERWORT

15

VORWORT

19

EINLEITUNG

Über die “Dreifaltigkeit”: Architektur, Szenografie und Kinetik 28

Ziel und Schwierigkeiten der Forschung zur Szenografie

31

Stärkung der Interdisziplinarität in der Szenografie

34

Musiktheater als Ort des Geschehens

37

Auswahl der Produktionen

41

Methode und Ablauf der Untersuchung

49

Blick auf die szenografen

Sean Kenny 51

Josef Svoboda

52

Theaterstrukturen nach dem zweiten Weltkrieg in Großbritannien und der Tschechoslowakei

56

Ausbildung, Einflüsse und Gestaltungsprinzipien

61

Gründe für die Nutzung von Technologie

67

Konzepte der Theatergebäude

79

Konkrete Projekte für Theatergebäude

93

Expo-Ausstellungen

6

99

Hi-Tech-Innovationen in der Szenografie der 1960er und 1970er Jahre “Oliver!”

“May the good Dickens forgive us” 101

Szenografisches Konzept

107

Technische und organisatorische Aspekte der Produktion

109

Theaterstrukturelle Bedingungen

111

Innovation

112

Postskriptum 1

117

“Blitz!”

118

Realitätsanspruch der Szenografie

123

Konzeptuelle Anforderungen an die Szenografie

125

Gestalterische und organisatorische Herausforderungen

127

Organisation und Umsetzung der Arbeit

134

Auswirkung der Innovation auf die theaterstrukturellen Bedingungen

135

Postskriptum 2

139

“Clownaround”

141

„Rabbit-out-of-the-hat“ Konzept

144

Clown Machine

149

Kritik

151

Postskriptum 3

Sozialmilieu der Handlung

A Funny Kind of Musical

7

153

„Der Ring des Nibelungen“

155

“Eröffnung eines neuen Kapitels der Wagner-Regie”

157

Inszenierung der szenografischen Innovation

167

Über das Konzept der Szenografie

169

Technologische Innovationen in der Szenografie

173

Organisation der Arbeit

177

Fragen der Finanzierung

180

Postskriptum 4

183

Ergebnisse und Diskussion

195

Aktuelle Entwicklungen in der Hi-Tech-Szenografie

200

Postskriptum 5

211

Abbildungsliste

215

Literaturverzeichnis

226

Filmverzeichnis

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Appendix

Die Vorgeschichte der „Ring“-Inszenierung

Fazit

8

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Heiner Wilharm, Ralf Bohn

GLOBE und BLITZ Vorwort der Herausgeber Die Reihe Szenografie & Szenologie versteht sich auch als Diskussionsplattform, um dem Ausbildungs-, Berufs- und Praxisfeld von szenografischer Ereignisplanung ein Forum zu bieten. Dass der vorliegende Band gerade anhand der Darstellung von Produktionen, die Verbindung zu den technischen und ökonomischen Produktionsmitteln aufzeigt, verdeutlicht, welchen Spagat die Ereignis- und Eventplanung zwischen konzeptueller, Entwurfs- und technischer Arbeit zu leisten hat, zwischen Regie und Szenografie, Theaterund Musicalinszenierung, Lichtkunst, Tragwerkslehre und Elektrotechnik. Die Notwendigkeit der Vermittlung ist die sich allmählich institutionalisierende Antwort auf eine zunehmende Polarisierung von hochkomplexer Technik und konkretem Gebrauch im Design. Die szenografische Antwort ist die der Ausdifferenzierung und Reduktion bei gleichzeitiger Transformation in narrative Dauer, die Vereinigung von Präsenz und Sinn. So wie der Medienwissenschaftler Friedrich Kittler davon spricht, dass die Romane der Romantiker die Drehbücher der hundert Jahre später gedrehten Filme inspirierten, so kann der Szenograf Welten entstehen lassen, die nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit und die Zeiten beweglich machen, um die Fragen der Zeit aktuell zu stellen. Damit machen Szenografien sich aber auch in gewissem Maße von der Unbedingtheit eines aktuellen Technikgebrauchs unabhängig. Wenn die Simulationskraft der Inszenierung sich avancierter technischer Möglichkeiten bedient, muss es Gegenkräfte geben, die aus der perfekten Simulation der Wirklichkeit den Funken Fiktion herausschlagen, die Publikum und Mitspieler verstehen lassen, dass es sich nicht um Wirklichkeitsproduktion, sondern um deren Verkleidung handelt. Je stärker der Einsatz wirklichkeitsdefinierender Techniken, um so heftiger der Wunsch nach ihrer medialen Sublimation, nach der Rückkehr von Magie und Zauberei, nach „Kunst“. Anders als bekennende Kunstformen können szenografische – in Waren- und Werbekultur, Messe- und Ausstellungspräsentation etwa – den Widerspruch einer materialistisch fundier-ten Fiktionalisierung aushalten. Es macht die Stärke der Untersuchungen von Tabački aus, diesen Widerspruch als wechselseitige Bedingung von Kreativität und innovativer Technologie zu explizieren und in ausgesuchten Produktionen Kennys und Svobodas an konkreten Projekten in ihrer technikhistorischen Dimension und den Auswirkungen auf die Geschichten nachzuweisen. Es zeigt sich, dass die Zeit- und Raumdisposition des ästhetischen Spiels immer auch auf äußere Umstände zurückgeht. In materieller wie finanzieller Hinsicht steht

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Heiner Wilharm, Ralf Bohn

hier nur die eine Frage: wie lässt sich die Wirklichkeit als technischer Status quo mit Hilfe szenografischer Gestaltung so darbieten, dass das gegenwärtig Gebotene Vertrauen einzuflößen weiß und entspannen kann? Die Anerkennung der faktisch wie intellektuell wechselseitigen Abhängigkeit des Sozialen und Privaten, Politischen und Technischen, des Imaginären und Fiktiven vom Wirklichen scheint eine wohltuende Erdung zu ermöglichen. Derart gebunden, dürfen Vorstellungen in einer Welt auf Reisen gehen, deren Sicherheitsbedürfnis global geworden ist, deren Katastrophen sich als kontrollierbar und rückgängig zu machen erweisen sollen. Wenn aber jede Krise ihr eigenes Drehbuch hervorbringen muss, kann von Präsenz nicht mehr die Rede sein – ebenso wenig wie vom Risikospielraum eines Theaters, das mit kinetischen Bühnen die Rampe überschreitet. Was der Begriff „Experimentierraum“ nur unzureichend beschreibt, kann mit wenigen Strichen illustriert werden, da Tabački die wesentlichen Vorlagen für die Zeit der letzten „analogen“ und der ersten „digitalen“ Techniken beispielhaft herausgearbeitet hat. Shakespeares erstes Theater, das Globe, 1599 gebaut, soll mehr als 3000 Zuschauern Platz geboten haben. Mit dem Rundbau war den damaligen akustischen Problemen bei solchen Zuschauermengen begegnet worden, da sich die Öffentlichkeitswirkung des Theaters und seine Möglichkeit, auf aktuelle politische Konflikte einzugehen, geändert hatte. Dass den Stücken Shakespeares dennoch nachgesagt wurde, sie hielten sich aus der Tagespolitik heraus, korrespondiert mit einer Anmerkung Tabačkis zur Arbeit Svobodas im kommunistischen Prag: „Wo das gesprochene Wort zensiert wurde, kam die Szenografie mit ihrer Mehrdeutigkeit zum Einsatz.“ Dazu aber bedarf es eben auch einer ausgefeilten Bühnentechnik und -inszenierung, um mittels Geste die Eindeutigkeit der Worte zu unterlaufen. Es handelt sich also um eine körpertechnische Transformation von Eindeutigkeit. So trägt auch der Name Globe die Signatur einer Zeit, die neue Welten entdeckt, alte besiegt (die katholische Armada) und das Theatrum Orbis Terrarum sich zum ersten Mal in Globen zu simulieren wagt. Wie Elisabeth I. die Hand auf den Globus legt und ihre Haltung gegenüber Spanien in einer eindeutigen Geste instituiert, kann Shakespeare seinen Hamlet den Totenschädel des Yorick in die Hand nehmen lassen und in vergleichbarer Weise auf das Verhältnis von imperialem Raum und Endlichkeit der Zeit verweisen. In dieser Verschiebung des In-die-HandNehmens von Raum und Zeit präzisiert sich die fundamentale Funktion der Szenografie, die es der Burleske der damaligen Zeit erlaubte, aus der Artistik des Marktgewerbes in diese Architektur eines gebauten Theaters umzuziehen. Das Geld, das man vorher im Vorbeigehen erbettelte, muss im Globe freilich einem eigenen Wirtschaftskreislauf gehorchen: viele Vorstellungen für ein großes Publikum werden nötig. Präsenz zu planen und zu disziplinieren,

globe und blitz

setzt übrigens die banale Erfindung relativ genau gehender Uhren, solcher die erstmals einen Minutenzeiger hatten, voraus. Shakespeares Theater ist mehr aus den Erfindungen und der Politik seiner Zeit geboren als aus der Lektüre des Aristoteles. Eine gut sortierte Bibliothek genügt als Voraussetzung, damit ein mittelmäßig akademisierter Kopf seine Stücke mit realistischen Details so ausstatten kann, dass der Londoner Zuschauer sich unmittelbar nach Venedig versetzt fühlt und sieht. Es sind die Details, die den Realismus fingieren, nicht die großen Effekte. Es ist die neue Erfindung des Lautsprechers und seiner Verstärkertechnik, die es Hitler und Göbbels ermöglichen, sowohl auf Großveranstaltungen als auch im Radio Götterstimmen zu simulieren, die Hunderttausende und Millionen gleichzeitig affizieren. Auch hier ist die Wechselwirkung von Fiktion und Realität, d.h. deren Unterscheidbarkeit, evident. Es gilt: erst das Netz unter den Trapezkünstlern macht den Wagemut der Nummer deutlich. Wer die Produktionsmittel nicht beherrscht, kann auch die fiktiven Wirkungen nicht begreifen. Die Anekdote, dass der Hohe Kommissar dem lädiert aus dem KZ befreiten Kurt Schumacher verbot, öffentliche Reden zu führen, weil dieser krakelte wie ein Nazi, konnte die SPD noch korrigieren. Schumacher war einfach nicht damit vertraut, dass sich in den 12 Jahren seiner Einkerkerung die Verstärkertechnik so optimiert hatte, dass es genügte, mit normaler Lautstärke in ein Mikrofon zu sprechen, um große Menschenmengen zu erreichen. Hier zeigt sich, dass die avanciertesten Medientechniken durchaus konservativ verwendbar sind. Tabački führt das im Einzelnen an der Inszenierung von Wagners Ring aus, den das moderne Regietheater immer wieder in aktuelle Zeit versetzen will. Als „unsterbliches“ Werk wird es damit zu einer Zeiterscheinung. Deutlicher noch wird das an der Produktion Blitz!, die Kenny 1962 in London aufführt. Ob man bei den Angriffen der V2 in London Angst bekommt, weil man live dabei war, oder ob man den wohligen Kitzel von action verspürt, weil man einer späteren Generation angehört, dies zu kalkulieren, ist Aufgabe der Zeitsteuerung, der Distanzierung und Näherung, der Zeitlichkeit der Realität in der Überzeitlichkeit der Fiktion. Achtung vor dem Detail kann dabei heißen, die (finanziellen) Mittel aufs Äußerste zu strapazieren, indem man tatsächlich neue Welten en detail erschafft, oder aber mit kleinem Budget und wenigen Interventionen die ganze Welt in Frage zu stellen. Die Mittelabhängigkeit selbst zu destruieren, liegt nicht in der Hand dessen, der inszeniert. In seiner Hand aber liegt es, Ökonomie und Imagination einem Dritten als Hier und Jetzt, als vermittelbar zu vermitteln, trotz aller Polarisierung. Wenn man aber nicht handelt, seine Visionen nicht realisiert und die Drehbühne der Welt in den Fortschritt treibt, kommt einem, wie dem zaudernden Hamlet, das Opfer der Zeit unvermittelt entgegen. Das lehrt doch der Schädel des Yorick, diesem „unklugen Blitzkerl“, „ein(em) Bursch von unendlichem Humor, voll von den

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Heiner Wilharm, Ralf Bohn

herrlichsten Einfällen“. Nicht umsonst war er der Narr des Hofes. Noch die inszenatorische Funktion dieses Schädels in der Komödie der Friedhofsszene – gibt den Techniken der Szenografie die Aufgabe vor. Sie müssen sich von den Interessen lösen, die auf sich zu nehmen sie in riskanter Überbietung des einen mit dem nächsten Großevent geheißen sind, Zweitverwertung für die „Schädelstätte“ der Reproduktionsindustrie. Der ureigenste Aufführungscharakter eignet der Blitz der Aktualität, in dem die Unterscheidung „Inszenierung oder Wirklichkeit“ sich als kinetische Einheit präsentiert. Einmal doch Aristoteles. Das Ereignis, mahnt er in seiner Poetik, ist auf dem Theater nur dann tatsächlich Ereignis, wenn „Handelnde handeln“.

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kinetische bühnen

„Look out honey, cause I´m using technology Ain´t got time to make no apology Soul radiation in the dead of night Love in the middle of a fire fight“ 1

1 Osterberg/Williamson: Search & Destroy, aus: Iggi Pop & The Stooges: “Raw Power”, 1973.

vorwort

ˇ Tabacki ˇ Nebojsa

VORWORT In den 1960er und 1970er Jahren sind die aufwendigsten technologischen Experimente in der Szenografie der Nachkriegszeit umgesetzt worden. Im Zentrum des Interesses stand die kinetische Bühne, die den Bühnenraum durch die Bewegung der szenografischen Baukörper in einen dynamischen Zustand der konstanten Veränderungen versetzte. Sie diente nicht nur als vorherrschendes Denkmuster für die Modernisierung der Szenografie, sondern auch für die erfinderischen Konzepte andersartiger Theatergebäude. Sean Kenny (19321973) und Josef Svoboda (1920-2002) gehören zu den wichtigsten Vertretern dieser Phase. In gleichem Maße beschäftigten sie sich mit Innovation in der Szenografie und in der Theaterarchitektur mit der Begründung, dass diese zwei Disziplinen nicht getrennt von einander zu betrachten sind. Sie haben die kinetischen Konzepte der Theateravantgarde der 1920er Jahre weiter entwickelt und sie in der Praxis getestet. Anhand dieser Konzepte sind die innovativen Lösungen für Theatergebäude konzipiert worden, die eine Kontinuität der sich wiederholenden Impulse aus der Szenografie seit Anfang des 20. Jahrhundert aufweisen, mit dem Ziel, die Konzeption des Theaters zu überdenken und sie neu zu erfinden. In diesem Prozess haben Kenny und Svoboda den Weg für heutige kinetische Extravaganzen und deren Theaterräume vorbereitet. Was sie genau getan haben, was die Ergebnisse ihrer Arbeit waren und was heute davon zu halten ist, soll hier zur Debatte stehen. Mein Interesse für die Forschung über diese Zeit impliziert auch die aktuelle Beschäftigung mit den neuesten Technologien in der Szenografie am Anfang des 21. Jahrhunderts. Der wiederkehrende Aufwand bei den Extravaganzen von Cirque du Soleil und seinen Spin-Offs begründet Fragen über die Erkenntnisse der Szenografen Kenny und Svoboda, die sich zur damaligen Zeit am intensivsten mit dem kinetischen Bühnenraum beschäftigt hatten. Ob heutzutage noch etwas aus dem Erfahrungsschatz und den damaligen Einsichten für die aktuelle Phase in der Szenografie zu gewinnen ist, ist die zentrale Frage dieser Untersuchung. Für eine sinnvolle und schöpferische Verwendung der Referenzen aus der Vergangenheit im zeitgenössischen Kontext muss die Zielvorstellung der damaligen Herangehensweise verstanden werden.2 Aus diesem Grund habe ich den Versuch gestartet, einen Bogen zwischen den 1960er Jahren und den aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet zu spannen. 2 „Die Einstellung zur Vergangenheit wird nur schöpferisch, wenn der Architekt fähig ist, ihren inneren Sinn zu erfassen.“ (Gideon: Raum, Zeit, Architektur, 28.)

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kinetische bühnen

Mein Ziel ist, den Einsatz der Hochtechnologie in der Szenografie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen und die gewonnenen Erkenntnisse für die weitere Forschung sowohl in der Praxis als auch in der Theorie verfügbar zu machen. Die vorliegende Untersuchung knüpft an die Erkenntnisse von Christopher Baugh an, der sich in dem Buch „Theatre, Performance and Technology – The Development of Scenography in the Twentieth Century“ mit der Verwendung von Technologie in der Szenografie des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt. Seine Analyse wirft ein Licht auf das kommerzielle Musiktheater als den Ort, wo die Verwendung von Technologie am intensivsten ausgetestet wurde. Der Leitgedanke war, universelle Strukturen im Theater zu schaffen und sich dadurch dem Ideal der Moderne anzunähern.1 Aus diesem Grund bildet die Rekonstruktion von vier bahnbrechenden Szenografien für das Musiktheater, die Kenny und Svoboda in den 1960er und 1970er Jahren entworfen haben, den Kern dieser Untersuchung. Sie wird besonders unter dem Aspekt der Arbeitsprozesse beobachtet. Die Rekonstruktion der Arbeitsprozesse in der Vorbereitungsphase, die dem Einsatz der Szenografie in der Inszenierung bevorsteht, bietet die Basis für das Verständnis, was sie zu ihrer Zeit als Neuerung verstanden haben, was davon bis heute geblieben ist und was nicht mehr relevant ist. In der vorhandenen Literatur zum Thema sind die Arbeiten von Sean Kenny leider vernachlässigt. Da sie einen besonderen Platz in der Geschichte der Szenografie und der Theaterarchitektur einnehmen, habe ich diese Gelegenheit genutzt, sie im Rahmen dieser Forschung vorzustellen. Diese Arbeiten illustrieren sowohl die bemerkenswerten szenografischen Lösungen als auch die radikalen Konzepte für Theatergebäude jener Zeit, die in Vergessenheit geraten sind. Die kinetischen Experimente in der Szenografie belebten die Idee des Mehrzwecktheaters in den 1960er Jahren wieder, ein Thema, das zu der Zeit heiß diskutiert war. Unter dem Mehrzwecktheater wurde ein flexibler Raum verstanden, der die Bühne, das Auditorium und die Eingangshalle vereinte. Mit Hilfe der Hochtechnologie erhoffte man sich schnelle Veränderungen der Bühne und dadurch des Raumes für verschiedene Theaterinszenierungen, Ausstellungen und andere kulturelle Ereignisse. Als ausgebildete Architekten nahmen Kenny und Svoboda intensiv an diesem Diskurs teil und entwarfen mehrere innovative Konzepte für Theatergebäude. Abgesehen von fragmentarischen Realisationen einiger Ideen wurden diese Entwürfe nie gebaut. Ob Kennys und Svobodas Idee vom Mehrzwecktheater nur eine unrealistische Utopie war oder zu umsetzbaren Erkenntnissen führen könnte, ist nur anhand der komparativen Analyse der Theaterentwürfe dieser Szenografen zu erörtern. 1 Baugh: Theatre, Performance and Technology, 216f.

vorwort

Wegen der Verschränkung von Erneuerung in der Szenografie mit neuen Konzepten für Theatergebäude ist diese Untersuchung an der Schnittstelle zwischen Architektur- und Szenografiegeschichte situiert. Die Rekonstruktion der szenografischen Arbeiten und der MehrzwecktheaterKonzepte erfolgte anhand des Archivmaterials aus der San Francisco-, Oakland- und New York Public Library, der Billy Rose Theatre Collection New York, dem Shubert Archive New York, dem Blythe House Archive London, dem Cameron Mackintosh Archive London, dem National Theatre Archive London, dem Royal Opera House Covent Garden Archive London, der Theatersammlung und Documenta Artistica Berlin und dem Archiv der Akademie der Künste Berlin. Zu meiner Recherche trugen sowohl die Columbia University Library, das Theatre Institute Prague, das The Strand Archive als auch die Archive von The Times-, The Guardian- und Der Spiegel-Archiv bei. Interviews wurden geführt mit Ian Albery, Jeff Phillips, Mike Barnet und Jill Pearson, die als Teammitglieder bei drei der rekonstruierten Produktionen mitgearbeitet haben. Ich bedanke mich bei den Genannten für die Bereitschaft, mir bei dieser Untersuchung zur Seite zu stehen. Für die hilfreiche Unterstützung bedanke ich mich bei Prof. Dr. Susanne Hauser und Prof. Dr. Kathinka Schreiber. Mein besonderer Dank geht an Prof. Biljana Sovilj für die technische Unterstützung bei der Umsetzung der 3D Illustrationen und des begleitenden Videomaterials. Danken möchte ich auch Dr. Bojan Aleksov, Torsten Baumgarten, Stephanie Blasius, Ramona Bongard, Julia Creed, Dimitris Donias, Melanie Dyck, Volker Maria Hügel, Lothar Kleist, Reinhard Kleist, Susanne Lehmann, Waleska Leifeld, Prof. Dr. Bri Newesely, Iven Saadi, Vanja Savić, Bojan Šarenac, Toma Tasovac, Momir Tabački, Teodora Tabački, Prof. Dr. Dietmar Theis, Dr. Elvira Veselinović und Mathis Winkler.

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kinetische bühnen

einleitung

EINLEITUNG Über die “Dreifaltigkeit”: Architektur, Szenografie1 und Kinetik2 Die Idee, eine in ihrem Wesen „unbewegliche“ architektonische Form in Bewegung zu bringen, dabei keine optischen oder dekorativen Mittel zu benutzen, sondern ihr die dynamische Eigenschaft über eine tatsächliche Bewegung zu geben, besteht mit Unterbrechungen seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Wladimir Tatlins Turmprojekt für die III. Internationale (1917/19), das Sinnbild der russischen Avantgarde, ist einer der ersten Schritte in der Auseinander­setzung mit gewagten Visionen der kinetischen Architektur.3 1 Der Begriff ngr. Σκηνογραφία [Skinografía] ist die Zusammensetzung zweier griechischer Wörter: Σκηνή [Skini] = Bühne (hölzernes Gerüst, auf dem die Schauspieler spielten) und Γραφή [Grafí] = Schreiben, Zeichnen, Malen (Gemoll/Vretska/Heinze Kronasser: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch, 177, 678). Im heutigen Gebrauch des Begriffes „Szenografie“ wird im theatergeschichtlichen Diskurs die Tätigkeit der Gestaltung des gesamten visuellen Konzepts für die Theaterproduktionen jeglicher Art verstanden. Nicht selten geht die Szenografie über die von Drama- oder Librettovorlage gegebenen Grenzen der visuellen Gestaltung hinaus und macht ihren kreativen Einfluss bis in die Regie der Inszenierung geltend (Howard: What is scenography?, 125). Der Begriff „Szenografie“ hat sich zwar in manchen europäischen Ländern (z.B. Italien, Russland oder Länder der Region Ex-Jugoslawiens) auch für die Gestaltung von filmischen Sets durchgesetzt, in den meisten Ländern wird aber für diese Tätigkeit eine andere Bezeichnung benutzt: Deutschland – Szenenbild, USA /Großbritannien – Production Design; Frankreich – décors; Griechenland – Art Director / Art, Spanien – Diseñador de Producción, Tschechien – filmový výtvarník u.s.w. Da besonders nach dem Zweiten Weltkrieg viele Szenografen sich auch bei der Entwicklung von Ausstellungskonzepten engagierten, wanderte die Benutzung des Begriffes in andere Designbereiche. Der Begriff Szenografie wurde für die Konzeption der Ausstellungen übernommen, weil er über diese spezifische Tätigkeit mehr aussagt als die Bezeichnungen „Gestaltung“ oder „Ausstellungsdesign“ (Kilger: Das szenographische Konzept der DASA, Ebd., 31). Die Ausstellungs-Szenografie bleibt jedoch ein Sonderbegriff in der Terminologie. In diesem Fall wird nämlich die theatralische Handlung, die die visuelle Essenz der Szenografie in allen ihren Facetten und Veränderungen während einer Aufführung verkörpert, mit der Raum-Inszenierung einer Ausstellung gleichgestellt. 2 “Kinetics, branch of classical mechanics that concerns the effect of forces and torques on the motion of bodies having mass.” Siehe Britannica Online Encyclopedia, www.britannica.com/EBchecked/ topic/318197/kinetics vom 10.06.2012. 3 Kinetic Architecture: “Architecture evolved in the belief that the static, permanent forms of traditional architecture were no longer suitable for use in times of major change. Kinetic architecture was supposed to be dynamic, adaptable, capable of being added to or reduced, and even disposable. Archigram, Futurism, Metabolism, and the work of Friedman and Fuller have been suggested as examples of Kinetic architecture.” Curl: A Dictionary, http://www.encyclopedia.com/doc/1O1-Kineticarchitecture.html vom 31.08.2012.

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kinetische bühnen

Die Konzeption basierte auf der Bewegung der drei geometrischen Baukörper um die eigene Achse inmitten einer doppelten Spirale aus Stahl.4 Auf der Suche nach Möglichkeiten, kinetische Architekturformen in der Praxis umzusetzen, legte man einen langen Weg zurück. Die Realisation solcher Vorhaben gelang selten, wie in dem Fall von Angelo Invernizzis drehbarem Haus,5 das sich immer nach der Sonne ausrichtet. Die meisten Projekte blieben wie Tatlins Turm nur eine Konzeptidee. Cedric Prices Projekt Fun Palace,6 das seine innere Komposition interaktiv hätte ändern können, oder die japanische Idee vom space elevator,7 einem Aufzug, der die Erde mit dem Weltall verbindet, sind solche Beispiele. Nichtsdestotrotz begründeten sie einen spannenden Austausch der Ideen zwischen Ingenieur­ wesen, Kunst und Architektur. Die beste Voraussetzung jedoch, sich mit den kinetischen Möglichkeiten der Architektur auseinan­ der­ zusetzen und sie auszutesten, hatte eine andere künstlerische Disziplin. Die Befreiung von den funktionellen und konstruktiven Zwängen der Bauentwurfslehre, die Tatlin mit dem Monument der III. Internationale demonstrierte,8 bereitete in der Szenografie des 20. Jahrhunderts eine Plattform für kinetische Experimente, die es in der Architektur nicht gab.

4 Haberlik: 50 Klassiker, 49. 5 Eines der ersten Beispiele der kinetischen Architektur schuf der italienische Ingenieur Angelo Invernizzi. Die Villa Girasole, gebaut 1935 in der Nähe von Verona, richtet sich ständig nach der Sonne und die Konstruktion ermöglicht die Drehung des Hauses um bis zu 360 Grad. Siehe die Abschrift der Radiosendung Engines of Our Ingenuity No. 2586: The Villa Girasole von Prof. Dietmar Froehlich, http://www.uh.edu/engines/epi2586.htm vom 31.08.2012. 6 “Price’s first large-scale project was to be a “laboratory of fun” and “a university of the streets,” as its patron described it. Inspired by a fascination with technology, Price planned for an open steel-gridded structure that could support a completely flexible program. Hanging rooms for dancing, music, and drama; mobile floors, walls, ceilings, and walkways; and advanced temperature systems that could disperse and control fog, warm air, and moisture were all intended to promote active “fun”.” Riley: The Changing of the avant-garde, 44. 7 Als Teil der Dauerausstellung des National Museum of Emerging Science and Innovation in Tokyo, wird Anime „Space Elevator - Future Dreamed by Scientists“ gezeigt, an dem ein internationales Team von Wissenschaftlern und Künstlern zusammen gearbeitet hat. Der Film illustriert die Idee vom Weltraum-Aufzug, der die Erde mir dem Weltall verbindet. Siehe http://www.peregrinationes. de/tokyo/mesci.html vom 18.12.2011. Die konkreten Konzept-Ideen zu dem Thema wurden von Studenten des Ingenieurwesens im 2010 in Tokyo in Rahmen eines Wettbewerbs vorgestellt. Siehe Blog-Eintrag „Engineering students aimed for the stars on the outskirts of Tokyo on Sunday (August 8, 2010) as they competed to create what many hope may eventually lead to the world’s first space elevator.” http://www.geo.tv/8-10-2010/69750.htm vom 15.09.2010. 8 “Beide Schulen (Witebsk und Moskau) beschäftigten sich vornehmlich mit formal-ästhetischen Problemen an der Schnittstelle von bildender Kunst und Architektur, (…) In Witebsk interessierte man sich vermehrt für die künstlerischen Möglichkeiten im reduzierten, streng geometrischen Ausdruck. Architektur wurde zwar als integraler Bestandteil der Kunst begriffen, allerdings reduziert auf ein reines Formproblem und losgelöst von konstruktiven oder funktionalen Faktoren.” Medicus: Tatlins Turm, 2.

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Die Auseinandersetzung mit der Kinetik in der Szenografie reicht weit in die Geschichte zurück. Um die überraschenden Raumverwandlungen im Theater umzusetzen und damit die dramaturgischen Höhepunkte zu unterstützen, fand ein Austausch dieser zwei Disziplinen statt, der eine konstante Erweiterung der Raumvorstellung in der Szenografie auslöste.9 Obwohl als Disziplin in die darstellenden Künste eingeordnet, balancierte die Szenografie seit der Antike zwischen Architektur, Ingenieurwesen und Kunst. Seit 458 v. Chr. als die skene10 ein integraler Teil der Theateraufführungen wurde, wie anhand der Überlieferungen vermutet wird,11 wurden die ersten Mechaniken verwendet. Für die Darstellung von Orten, an denen die Handlung des Dramas stattfand, benutzte man neben den bemalten Holztafeln zusätzlich auch mechanische Apparate.12 Die Spuren im Marmorboden des antiken Theaters in Eretria weisen auf die Benutzung von schweren mechanischen Ausrüstungen hin und unterstützen die These, dass seit ihren Anfängen die Szenografie auch von der Technik und nicht nur von der dekorativen Malerei geprägt war.13 Mechane14, periaktoi15 oder ekkyklema16 waren im antiken Griechenland ein Teil der Szenografie. Die Verflechtung von Architektur, Szenografie und Kinetik existiert seit den Anfängen des europäischen Theaters, auch wenn die Ursprungsoption der Szenografie aus Mangel an festen Beweisen nicht eindeutig ist. Die Einbeziehung aktueller technischer und technologischer Weiterentwicklung stärkte die Interdisziplinarität der Szenografie durch die Jahrhunderte, und nicht selten vermengten sich die Aufgaben zwischen Entwerfen für die Bühne, Entwerfen der Bühne und manchmal auch Entwerfen des Theaters. Abhängig von sozialen, politischen oder gesellschaftlichen Umständen wurden in verschiedenen Zeitaltern unterschiedliche Aspekte von Aufgaben an die Szenografen gestellt, und der Beruf erlebte mehrfache Transformationen bezüglich des nötigen Wissens, um den Anforderungen der Zeit zu genügen. 9 “Theatergeschichtlich betrachtet ist der Begriff Szenografie gleichsam Ausdruck eines Wandels der Bühnenraumkonzepte und einer Erweiterung der damit verbundenen Raumvorstellung.” Meyer: Der Raum, der dir einwohnt, in: Bohn/Wilharm, Inszenierung und Ereignis, 112. 10 „(...) scene, or scene house (the literal meaning is „hut“ or „tent“), where the single actor retired to change his mask (and perhaps his costume) as he duscard one character and assumed another.“ Brockett/ Mitchell/Hardberger: Making the Scene, 4f. 11 Ebd., 4f. 12 Pappalardo: Antike Theater, 22. 13 Brockett/Mitchell/Hardberger: Making the Scene, 9. 14 Mechane – ein Kran, benutzt für die Hebung der Schauspieler und der szenografischen Elemente. Ebd., 10. 15 Periaktoi – vertikale Prismen mit drei unterschiedlich bemalten Seiten, die um ihre vertikale Achse gedreht wurden. Ebd., 16. 16 Ekkyklema – eine Plattform auf vier Rädern, die für die Darstellung der Innenräume benutzt wurde. Ebd., 9.

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Für die spektakulären Kämpfe der Gladiatoren in Roms Amphitheatern wurden von machinatores17 Kenntnisse aus der Mechanik verlangt, um die komplexe Maschinerie für die effektvollen Auftritte von Sklaven und Tieren entwerfen zu können.18 In der Renaissance fand noch keine klare Differenzierung zwischen Künstlern, Architekten und Szenografen statt. Die erste Drehbühne wurde z. B. von Leonardo da Vinci im Jahr 1490 konstruiert und bei der Aufführung von „Il Paradiso“ zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert.19 Von einem der erfolgreichsten Szenografen aus der berühmten Familie Bibiena, Giuseppe Bibiena (1669-1757), wurde behauptet, er habe mehr Theater gebaut als irgendein Architekt seiner Zeit.20 Im Barock waren Ingenieurkenntnisse für aufwendige Bühnenapparaturen und Spezialeffekte besonders gefragt, um die Veränderung der Szenografie innerhalb weniger Sekunden ermöglichen zu können.21 Dank der Finanzierung durch das aufkommende Bürgertum wurde im 19. Jahrhundert an die Opulenz der barocken Herrscher angeknüpft und „Technologie“ wurde auf der Bühne weiterhin bewundert. Die Industrialisierung brachte die komplizierte Theatermaschinerie mit sich, die den Anstieg der Zahl der beschäftigten Mitarbeiter an Theatern förderte. Die Veränderung der Anforderungen an die Szenografie verursachte Anpassungen der Arbeitsprozesse und der Organisation im Laufe der Zeit. Die kinetischen Experimente blieben damit immer eng verbunden. Die Umstände bestimmten, welche Berufsgruppen für die Umsetzung der Ideen engagiert werden mussten und beeinflussten damit den Grad der Interdiszplinarität. Der Wandel der Bühnenraumkonzepte hatte im 20. Jahrhundert mehrere wichtige Stationen. Die Gastspiele fernöstlicher Theatertruppen22 zwischen 1900 und 1935 beeinflussten die Erweiterung der semiotischen Systeme des westlichen Theaters.23 Die Veränderung der Wahrnehmung der Zuschauer durch hanamichi24 oder die Art der Benutzung von Objekten auf der Bühne, 17 Die Ingenieure (bzw. Szenografen), die für das Entwerfen der Maschinen für die römischen Spektakel zuständig waren. Ebd., 23. 18 Ebd., 23. 19 Schuberth: Das Bühnenbild, 44. 20 Brockett/Mitchell/Hardberger: Making the Scene, 139. 21 Ebd., 99f. 22 Die japanische Truppe Kawakamis kam 1900 nach Europa und gastierte in London, Paris, Berlin, Budapest, Prag und Wien. Die Kabuki-Truppe mit Ichikawa Sadanji gastierte 1928 in St. Petersburg und Moskau. Der chinesische Frauendarsteller Mei Lanfang gastierte mit seiner Truppe von März bis November 1935 in Moskau und übte einen großen Einfluss auf die wichtigen Vertreter der Theateravantgarde wie Eisenstein, Craig, Brecht oder Piscator aus. Fischer-Lichte: Theater Avantgarde, 235. 23 Ebd., 182. 24 Der Laufsteg im japanischen Kabuki-Theater, der sich durch das ganze Auditorium erstreckt. Neben der Bühne ist hanamichi eine wichtige Plattform für die Inszenierung.

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um sie in ein theatralisches Zeichen zu verwandeln,25 übten einen wichtigen Einfluss auf das westliche Theater aus. Bis 1914 wurden mehrere Aspekte des fernöstlichen Theaters assimiliert. Das theatralische Zeichen wanderte von der Sprache auf den Körper, und es wird polyvalent und polyfunktional. Die abbildende und dekorative Funktion wurde durch die Expression ersetzt und die einzelnen Zeichen wurden „nach rhythmischen Prinzipien zueinander in Beziehung gesetzt“.26 Die Veränderung der Raumvorstellungen und die Rhythmisierung des Bühnenraumes startete ohne Zweifel mit Adolphe Appia (1862-1928) und Edward Gordon Craig (1872-1966). In seinem Versuch, den Körper auf der Bühne zu befreien, wurde auch Craig vom fernöstlichen Theater inspiriert.27 In dem berümten Aufsatz „The Actor and the Über-Marionette“ schlug er 1908 vor, die Schauspieler durch die „Über-Marionette“ auszutauschen.28 Seine Absicht war nicht, auf die Schauspieler zu verzichten, sondern sie zum Repräsentieren zu befähigen und dadurch die Imitation bzw. Nachahmung aus dem Theater zu verbannen.29 Im selben Jahr schrieb Craig den Aufsatz „Motion“,30 eine Einleitung für zwei begleitende Portfolios mit Radierungen, wo er sich für die Vereinigung von Architektur, Musik und Bewegung einsetzte. Die Portfolios enthielten Bewegungsstudien einer kinetischen Bühne und stellten den Entwurf „Space Stage“ vor. Es handelte sich dabei um eine Bühne mit Aufzügen, Treppen, Plattformen und Projektionsflächen, die in der Lage war, sich ständig zu verändern – „A Thousand Scenes in One“ verlangte die Koordination zwischen Schauspieler, Bühne, Licht, Farbe und Bewegung. Diese Bühne nannte Craig „architectonic“, im Gegensatz zu „pictorial“.31 Die in die Szenografie eingeführten Elemente wie Treppen, Podeste mit unterschiedlichen Höhen oder monochrome Leinwände, die in den realisierten Projekten von Appia und Craig zu sehen waren, förderten zwar 25 „So kann Regen beispielsweise durch Geräusche, Beleuchtung, Kostüm, Requisit, Gestik oder Worte bedeutet werden: der Regenmantel vermag in diesem Fall dieselbe Funktion zu erfüllen wie das Geräusch fallenden Tropfen, die schützend über den Kopf gehaltene Hand, trübes flackerndes Licht, das Aufspannen eines Regenschirms oder das Aussprechen der Worte: „Es regnet“. Ein theatralisches Zeichen ist also nicht nur imstande, als Zeichen eines Zeichens zu fungieren, das es materiell selbst darstellt, sondern darüberhinaus als Zeichen eines Zeichens, das jedem beliebigen anderen Zeichensystem angehören vermag.“ (Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters, 182.) 26 Fischer-Lichte: TheaterAvantgarde, 226. 27 McKinney/Butterworth: The Cambridge Introduction to Scenography, 20. 28 Craig: The Actor and The Über-Marionette, in: Rood: Gordon Craig on Movement and Dance, 37. 29 McKinney/Butterworth: The Cambridge Introduction to Scenography, 19. 30 Craig: Motion, in: Rood: Gordon Craig on Movement and Dance, 58; Oenslager: Stage design,188. 31 Ebd., 188.

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rhythmische Bewegungen der Schauspieler auf der Bühne und erzeugten eine dynamische Komposition, die Szenografie an sich blieb aber noch statisch.32 Erst die russischen Konstruktivisten führten transparente Holzkonstruktionen ein, die frei im Raum standen und kinetische Elemente beinhalteten. Ljubov Popova benutzte in „Der großmütige Hahnrei“ (1922) zum ersten Mal mechanisch bewegte Teile der Szenografie. Die Drehung von Rädern und Windmühlenflügeln wurde eng mit der Dramaturgie verknüpft. Um die rasende Eifersucht des Hahnreis zu betonen, wurden die Räder schneller gedreht. Die depressive Stimmung dagegen wurde von verlangsamter Drehung begleitet. Zu dem damals aktuellen Begriff Biomechanik, der sich auf die Bewegung der Schauspieler auf der Bühne bezieht, führt Popova die Elektromechanik als Ausdruck in die Szenografie ein.33 Der Kubismus verlangte von Szenografen wieder erweiterte Ingenieurkenntnisse, was sogar dazu führte, dass die Szenografen, wie z. B. Warwara Stepanowa im „Tod des Tarelkin“,34 im Programmheft gelegentlich als „Konstrukteure“ bezeichnet wurden. Als Inspirationsquelle für die mechanisierte Szenografie diente die pulsierende Stadt am Anfang des 20. Jahrhunderts. Um die Dynamik der Stadt auf der Bühne wiederzugeben, benutzte Alexander Wesnin in der Inszenierung „Der Mann, der Donnerstag war“ (1923) drehbare Podien, schwenkbare Laufbänder, Aufzüge, Dreh- und Geheimtüren, Rutschbahn, Gleitstange und Kran. Die internationale Ausstellung neuer Theatertechnik in Wien, die Frederick Kiesler 1924 organisierte, versammelte die wichtigsten Impulse der Theateravantgarde an einem Ort. Hier fand ein Austausch der Ideen zwischen russischen Konstruktivisten, italienischen Futuristen, De Stijl- und BauhausKünstlern statt. Als einer der führenden Denker der Theateravantgarde agierte Kiesler als Bindeglied zwischen Berlin und Wien. Es sammelte für die Ausstellung in Wien progressive Konzepte für Theatergebäude, Szenografieund Kostümskizzen, Szenografie-Modelle und Poster. Der Begriff „Space Stage“ wurde von Kiesler bei dieser Gelegenheit weiter verfolgt, diesmal aber als eine schwebende Raumbühne, die im Ausstellungsraum aufgebaut war. Im Unterschied zu Craigs Idee, die teilweise auf einer mechanisierten Bühne basierte, die sich ständig verändert, setzte Kiesler eine neue Idee entgegen, die den Schwerpunkt auf die „elektro-magnetischen“ Bewegungen der Zuschauer um die Rundbühne verlagerte. „Das Theater der Zeit ist ein Theater der Geschwindigkeit” äußerte sich Kiesler über die Raumbühne in dem Ausstellungskatalog – “Deshalb ist seine konstruktive Form und das Spiel der Bewegung polydimensional, das heißt sphärisch”.35 32 Kersting: Raumkonzepte, 23. 33 Ebd., 24. 34 Ebd., 68. 35 Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik, Ausstellungskatalog, Wien 1924. http://www. kiesler.org/cms/index.php?idcatside=74&lang=1 vom 27.11.2013.

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In Deutschland war Erwin Piscator für die kinetischen Inszenierungen dieser Zeit bekannt. Den Höhepunkt dieser Phase stellt die technisch aufwendigste Szenografie der Inszenierung „Der Kaufmann von Berlin“ (1929)36 von Laszlo Moholy-Nagy dar. Es handelte sich um eine komplexe Drei-EtagenSzenografie mit Laufbändern, die auf der Drehscheibe aufgebaut war.37 Piscator begründete die Mechanisierung der Bühne mit dem politischen Programm des Marxismus. Die technische Revolution stand seiner Meinung nach im Einklang mit den gesellschaftlichen Veränderungen. Durch die Mechanisierung der Szenografie wurde eine neue Ebene von Zeichen im Theater eingeführt, die die Wahrnehmung der Zuschauer noch einmal veränderte. Wie Piscator selbst erklärte, konnten technische Neuerungen „durch perfekte Funktionalität und Exaktheit besser zu einer Erkenntnis der Wirklichkeit verhelfen“.38 Die Maschinerie als Szenografie war einerseits ein technischer Apparat, aber gleichzeitig auch ein Wahrnehmungsapparat, der spezielle Wahrnehmungsformen ermöglichte.39 Eine neue Dimension von Gefühlseindrücken wurde entdeckt, die der kinetische Bühnenraum vermitteln konnte. Abgesehen vom persönlichen Interesse Laszlo Moholy-Nagys, der sich als praktizierender Szenograf mit neuen Materialien, Mechaniken und kinetischen Apparaten auseinandersetzte,40 stand der menschliche Körper und seine Transformation im Zentrum der Bauhaus-Experimente im Theater. Inspiriert von Edward Gordon Craigs Überlegungen, die Schauspieler mit der „Über-Marionette“ zu ersetzen,41 experimentierte Oskar Schlemmer mit der Abstraktion von Kostüm und Maske. Die rhythmischen Bewegungen der Tänzer in solchen Kostümen verwandelten ihren Körper in eine Art dynamische Architektur. Die Theaterexperimente am Bauhaus führten schnell zu der Erkenntnis, dass Innovation am Theater auch eng mit neuen Konzepten 36 „Piscators Inszenierung des „Kaufmann von Berlin“...war nicht nur ein Höhepunkt des aktuellen politischen Theaters, sondern auch die aufwendigste Realisation einer kinetischen, mitspielenden Szenenkonstruktion. Laszlo Moholy-Nagy hatte für Mehrings episches Schauspiel vom Aufstieg und Fall eines Ostjuden im Berlin der Inflationszeit eine voll mechanisierte Drei-Etagen-Bühne mit zwei auf die Drehscheibe montierten Laufbänder entworfen. Die Fahrt eines Eisenbahnzuges wurde z. B. mit einem auf der ersten Brücke aufgebauten Coupé vorgeführt, an dem, bei der Drehung der Bodenscheibe um 180°, unterstützt vom Film, Reklameflächen und Lichter der Großstadt vorbeirasten. Die künstlerische Wirkung der dynamischen konstruktiven Szene war von der Geschwindigkeit, der räumlichen Veränderung (der erste Teil umfaßte allein 12 Szenen in 19 Phasen) und der Aktionskonzentration abhängig, die jedoch beeinträchtigt wurde von der unzulänglichen technischen Apparatur.“ Kersting: Raumkonzepte, 211, 281-284. 37 Ebd., 281-284. 38 Ebd., 210. 39 Fischer-Lichte: TheaterAvantgarde, 327. 40 Kersting: Raumkonzepte, 194f. 41 Schlemmer/Moholy-Nagy/Molnár: The theater of the Bauhaus: 26f.

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von Theatergebäuden zusammenhängt. Die utopischen Entwürfe von Farkas Molnár (U-Theater, 1924), Joost Schmidt (Mechanische Mehrzweckbühne, 1925) oder Andreas Weininger (Kugel-Theater, 1926) blieben auf dem Niveau der abstrakten Ideen und sollten mehr als Anregung zum Umdenken der Theaterkonzepte und weniger als konkrete Entwürfe gesehen werden.42 Das bedeutendste Projekt blieb Total Theater (1927), das Walter Gropius für Erwin Piscator entworfen hat.43 Es handelt sich um die erste detaillierte Entwicklung der Idee eines Mehrzwecktheaters, das seinen Innenraum verändern konnte, um mehr als eine Theaterform zu bedienen. Durch die Drehung eines AuditoriumSegmentes hätte sich das Proszenium-Theater in ein Amphitheater oder eine Arena verwandeln können. Das Projekt wurde nie realisiert. Diese Idee wurde aber nach dem Zweiten Weltkrieg von Sean Kenny und Josef Svoboda wieder aufgenommen und weiter ausgearbeitet. Eine detaillierte Untersuchung ihrer Arbeiten,44 deren intensiver Austausch mit der Hochtechnologie45 eine neue Phase in der Szenografie hervorbrachte, führte zur Entdeckung mehrerer Konzepte für Mehrzwecktheater, die diese progressiven Szenografen damals entworfen haben. Das kinetische Potential der Theaterarchitektur wurde an diesen Projekten ausführlich erforscht. Mit wenigen Ausnahmen (Theater der Sussex Universität) erlebten die meisten Entwürfe keine praktische Umsetzung und dadurch auch keine öffentliche Wahrnehmung. Während man die nicht realisierten MehrzwecktheaterEntwürfe von Svoboda in dem Buch „Josef Svoboda – Scenographer“ 46 findet, sind die Mehrzwecktheater-Entwürfe von Kenny nur im Blythe House Archiv in London zu bewundern. Diese Entwürfe bildeten innovative Konzepte, die sowohl wichtige Impulse als auch Richtlinien für die weitere Entwicklung der Theaterarchitektur zu ihrer Zeit bereitstellten.

42 Kersting 1986: 189 43 Woll: Das Totaltheater, 152ff. 44 Den besten Überblick zu Sean Kennys Projekten bietet Blythe House Archive in London, wo unter der Referenznummer THM/166 insgesamt 14 Kartons und 2 Schubladen mit Entwürfen vorzufinden sind. Die Dissertation von Harold J. Hunter „An Architectural Approach to Scenic Design: The Work of Sean Kenny“ (University of Ohio, 1978) gibt eine gute Zusammenfassung über seine szenografische Projekte. Das Opus von Josef Svoboda ist dank seiner Biografen Denis Bablet (1970), J.M. Burian (1993) und vor allem Helena Albertová (2008) der Öffentlichkeit gut zugänglich. 45 Die Bedeutung des Begriffes Hochtechnologie wird als „Technologie, die auf dem neuesten technischen Stand beruht und in besonderer Weise für Innovationen und hohe Produktivität in verschiedenen Wirtschaftsbranchen sorgt.“ (Bibliographisches Institut: Duden 2011.) 46 Albertová: Josef Svoboda, 225ff.

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Eine grundlegende soziale und ökonomische Veränderung der Gesellschaft seit den 1950er Jahren brachte neuen Aufschwung der Technik hervor,47 der sich in den kommenden Jahrzehnten entfaltete. Die rapiden technischen und technologischen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg48 ermöglichten eine bahnbrechende Entwicklung von Bühnenkonzepten, die in den 1960er und 1970er Jahren zu besonderen Leistungen geführt haben. Das Interesse an der „Biomechanik“ und an der Bewegung der menschlichen Körper auf der Bühne verschwindet aus der Szenografie nach dem Zweiten Weltkrieg, und der Schwerpunkt verlagert sich auf die architektonischen Elemente des Theaters, die Bühne und das Theatergebäude. Die gewagten Visionen der kinetischen Bühne und des Mehrzwecktheaters, die die künstlerische Avantgarde noch Anfang des 20. Jahrhunderts in bescheidenem Rahmen etablierte, wurden in den 1960ern und 1970ern insbesondere von Sean Kenny und Josef Svoboda, die eine Ausbildung als Architekten hatten, mit neu entwickelten Mitteln49 auch praktisch umgesetzt. Durch ihre Arbeit und ihre Bemühungen, mit fortschrittlichen Konzepten sowohl die Szenografie als auch die Theaterarchitektur zeitgemäßer zu gestalten, wurde die traditionsreiche Verflechtung der Disziplinen Architektur, Szenografie und Kinetik wieder initiiert, die als Ergebnis neue Lösungen hervorbrachte. Welche Vorschläge sich als Resultat von Kennys und Svobodas Überschreitung der Grenzen zwischen diesen Disziplinen ergaben, was davon am Anfang des 21. Jahrhunderts noch aktuell ist und was nicht mehr, ist hier anhand einer Vergleichsanalyse ihrer innovativsten Arbeiten in der Szenografie im Kontext der aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet festzustellen.

47 Sarup: An Introductory Guide, 143f. 48 „The decline of the unifying and legitimating power of the grand narratives of speculation and emancipation can be seen as an effect of the blossoming of techniques and technologies since the Second World War, which has shifted emphasis from the ends of action to its means.” Ebd., 137. 49 “Aus den Fortschritten der Elektronik – vor allem der Halbleitertechnik aus den 1950er Jahren – entsprangen neben den Massenmedien und Massenkommunikationsmitteln (Fernsehen, ComputerVerbundnetze, Datenbanken, Telekommunikation, ein weltweites Telefonnetz, Computersatz und Laserdruck usw.) moderne Sicherheitstechnologien im Verkehr (Flugsicherheit, städtische Verkehrsleitsysteme, Pkw-Elektronik, Navigation bei ungenügender Sicht usw.), leistungsgesteuerte Haushaltsgeräte (Waschautomaten, Multifunktionsküchen- und Heimwerkergeräte, Mikrowellenherde usw.), die gesamte EDV (von der elektronischen Büroorganisation und industriellen Fertigungssteuerung bis zum Personal Computer und Taschenrechner für jedermann), klinische Diagnose- und Therapiezentren und vieles andere mehr (Bankautomaten, Supermarktkassen, Lichtorgeln, Synthesizer, elektronische Dimmer usw.).” Siehe www.wissen.de/thema/technikgeschichte-auftragsforschung-im-zeitalter-derhochtechnologien1940-bis-heute?chunk=Die-Hochtechnologiegesellschaft vom 12.06.2012.

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Ziel und Schwierigkeiten der Forschung zur Szenografie Ob Kennys und Svobodas Erkenntnisse aus dem Bereich der hochtechnologischen, szenischen Bauten der 1960er und 70er Jahre wichtige Referenzen für die Gegenwart beinhalten, ist eine der zentralen Themen dieser Forschung. Das Interesse besteht natürlich nicht an einer direkten Übernahme ihres szenografischen Erbes in die heutige Praxis. Die szenografischen Lösungen und Konzepte sind in ihrer Natur immer zeitabhängig und wie die Theaterinszenierungen nur in ihrer Zeit aktuell oder fortschrittlich. Auf der anderen Seite es ist wichtig, diese Referenzen aus der Vergangenheit und den Umgang mit diesen in einem zeit­genös­sischen Kontext zu stellen, weil „... die Vergangenheit unablässig in die Zukunft ragt“.50 Eines der bekanntesten Beispiele dieser Praxis am Theater ist Meyerholds Auseinandersetzung mit der commedia dell´ arte. Der Theaterforscher C. Moody, der sich mit diesem Thema beschäftigte, erklärt, inwiefern der Austausch mit der vergangenen Theaterform Meyerholds Arbeitsweise beeinflusst hat: “Meyerhold found that the commedia dell´ arte coincided with his gradually crystallizing understanding of the essences of theatre and it also helped him to achieve it.“ 51 Die Szenografie ist als zeitlich und als räumlich begrenztes Phänomen (im materiellen Sinne),52 nicht einfach zu erforschen. Vlasta Gallerová zieht eine Parallele zwischen der Szenografie und dem menschlichen Leben. Beides betrifft eine Existenz, bezeichnet mit „hier und jetzt“, einen Moment, den man nicht anhalten und zu dem man nicht zurückkehren kann.53 Die Szenografie existiert eigentlich nur in dem Moment der Aufführung, sowohl durch die unmittelbare Interaktion mit den Schauspielern als auch dank der Beleuchtungsstimmungen für jede einzelne Szene, die sie zum Leben erwecken, und kann nur in diesem 50 Giedion: Raum, Zeit, Architektur, 28. 51 Moody: Vsevolod Meyerhold, 859–869. 52 Die räumlichen Grenzen einer Szenografie im materiellen Sinne stellen an dieser Stelle ihren fiktionalen räderlosen, räumlichen Charakter im aktuellen Diskurs nicht in Frage. In ihrer Dissertation „Scenogrphy in Action“ (Holder: Scenography in Action, 15f) bezieht sich Magdalene Holder auf die Terminologie von Gay McAuley (McAuley: Space in Performance) und verwendet den Begriff Fictional Space in szenografischem Kontext. Fictional Space stellt einen Raum dar, der eng mit dem Text verknüpft ist und über die Grenzen des Sichtbaren hinausgeht. Mit der Analyse von Ingmar Bergmans Inszenierung „A Doll´s House“, demonstriert sie die fiktionale Verkleinerung und Vergrößerung in der Szenografie. Der Szenografie wird dadurch ein ränderloser Charakter zugeschrieben. Fank de Oudsten schreibt auch über die Ränder, aber in einem anderen Kontext. In dem Aufsatz „Szenografie. Obszenografie“ (Oudsten, in: Bohn/Wilharm: Inszenierung und Ereignis, 386) wird in dem transdiziplinären Charakter der Szenografie die Demonstration der Entfaltung ihrer Ränder gesehen. 53 Gallerová/Machalický/Malina/Ptáčková: Jaroslav Malina, 23.

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Zusammenhang bewertet werden. Die Fotografie, selbst Videomaterial, stellt eine fragwürdige Basis für die kunsthistorische Forschungsarbeit in diesem Kontext dar. Das Videomaterial ist für die Anforderungen dieser Forschung nicht wirklich geeignet, weil hier das Auge durch das Kameraobjektiv ersetzt wird,54 eine Problematik auf die Anne Neuschäfer und Dietrich Steinbeck aufmerksam gemacht haben.55 Für eine Analyse bleiben hauptsächlich die archivierten Berichte und, wenn das Geschehen nicht zu weit in der Vergangenheit liegt, die Aussagen der Zeitzeugen als Basis für die Rekonstruktion. Ob die Zerlegung der Szenografie in ihre Arbeitsprozesse eine Hilfestellung bietet, um die Entstehung von Arbeiten, die sich mit dem gleichen Phänomen auseinandersetzen, besser zu verstehen, oder uns das zu einer neuen Aporie führt, ist schwer zu sagen, weil es dem fachlichen Diskurs an solchen Beispielen mangelt. Aufgrund fehlender Studien zu Arbeitsprozessen in der Szenografie und der Vernachlässigung der Analyse von Entstehungswegen szenografischer Konzepte bzw. der Einflüsse anderer Teammitglieder, gibt es zu meiner Fragestellung in der Literatur bisher keine Antwort. Die genannten Fakten lenkten meine Aufmerksamkeit auf dieses unbekannte Terrain – wissen zu wollen, ob man durch die Analyse der Arbeitsprozesse von Kenny und Svoboda und ihrer interdisziplinären Verhaltens­muster in den 1960er und 1970er Jahren doch etwas erkennen kann, was sowohl für die Kunst- und Theatergeschichte als auch für die heutige Praxis auf diesem Gebiet von nachhaltiger Bedeutung ist. Dass die Szenografie einen interdisziplinären Charakter hat und nur mit einem Team umzusetzen ist,56 steht hier nicht zur Debatte. Mein Standpunkt war die Vermutung, dass Kennys und Svobodas progressive, szenografische Konzepte in enger Relation zu ihren Entstehungsprozessen und theaterstrukturellen Bedingungen standen, wobei nicht nur die Szenografen selbst für das Resultat verantwortlich waren, sondern der interdisziplinäre Austausch mit anderen Fachgebieten. Als ausgebildete Architekten hätten Kenny und Svoboda wahrscheinlich nicht die notwendigen technischen Kenntnisse besitzen können, um alleine und ohne fachliche Hilfe das Entwerfen von hochtechnologischen Mechaniken zu beherrschen. Wie also haben sie das gemacht? 54 „Die Aufzeichnung einer Aufführung auf Videokassette macht den Theaterzuschauer zum Fernzuschauer, denn Sehbereich und Tiefenschärfe werden eingeschränkt, da an die Stelle des menschlichen Auges das Objektiv tritt, das innerhalb des Sehfeldes selektioniert.“ Neuschäfer: Das „Théâtre du Soleil“, 11. 55 „Theaterhistorische `Rekonstruktionen` dokumentieren in der Regel Begriffe von theater-künstlerischen Ereignissen oder Leistungen, an denen Intentionen und Wirkungen, jedoch nie die objektiven ästhetischen Sachverhalte studiert werden können.“ Ebd., 11; Steinbeck: “Gibt es theaterhistorische Rekonstruktionen?”, 26f. 56 Howard: What is scenography?, XVIII.

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Um diese Frage zu beantworten, muss man sich mit der Entwicklungs- und Realisationsphase Kennys und Svobodas bahnbrechender Arbeiten befassen. Die Aufgabe dieser Untersuchung liegt deswegen in der Analyse ihrer szenografischen Arbeiten in Hinsicht auf einzelne Aspekte der Entstehungsprozesse, die dann jeder für sich unter die Lupe genommen werden. Der Schwerpunkt verlagert sich dadurch auf die Arbeitsprozesse von Kenny und Svoboda, die in die Analyse ihrer szenografischen Arbeiten mit einbezogen werden müssen. Meine Forschung stützt sich auf die Rekonstruktion der Prozesse, die eine Szenografie auf dem Weg zu ihrer Realisation begleiten, allerdings in dem Bewusstsein, dass ein Teil dieser Prozesse nicht zu entschlüsseln ist. Das Ziel dieser Untersuchung ist nicht, in das Intuitive der Schaffensprozesse von Kenny und Svoboda einzudringen und die Geburt einer Idee zu identifizieren. Mein Augenmerk bleibt auf die Arbeitsprozesse gerichtet, die die Realisation einer Idee möglich gemacht haben. Dabei ist „mit diesen schwarzen Löchern zu rechnen. Inklusiv denken und entwerfen – das definiert Szenografie als beweglichen Prozess mit einem Ergebnis, in dem prinzipiell eine unbekannte, ephemere Restmasse übrig bleibt: das Enigma des Werkes.“ 57 Mit einem Rekonstruktionsversuch der interdisziplinären Arbeitsprozesse von Kenny und Svoboda in ihren sozialen, organisatorischen, ästhetischen wie auch theoretischen und ideengeschichtlichen Zusammenhängen verfolge ich zwei Ziele. Zum einen hoffe ich zum Verständnis der bahnbrechenden Ideen in der Szenografie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beizutragen, zum anderen auch Ansätze zum Ursprung der progressiven Konzepte von Theatergebäuden der 1960er und 1970er Jahre zu liefern. Die Absicht ist, die komplexen Prozesse, die zur Entstehung konkreter, szenografischer Beispiele beigetragen haben, in die Untersuchung szenografischer Werke mit einzubeziehen. Der Anspruch dieser Arbeit ist nicht, ein Prinzip oder eine Formel zu entdecken, die zur Entstehung der innovativen Ideen in der Szenografie oder Architektur in jener Zeit geführt haben, sondern sich kritisch mit der interdisziplinären Arbeit von Kenny und Svoboda und deren Resultaten an konkreten Beispielen auseinanderzusetzen. Damit erhoffe ich mir, eine fundierte Plattform für weitere Rekonstruktionsversuche auf diesen Gebieten anzubieten.

57 Oudsten: Szenografie. Obszenografie, in: Bohn/Wilharm: Inszenierung und Ereignis, 387.

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Stärkung der Interdisziplinarität in der Szenografie Ab 1960 führten Kenny und Svoboda sukzessiv neue Bühnenkonzepte ein, vor allem im Musiktheater und in der Oper. Durch die neu entwickelten Technologien und Computertechnik waren sie in der Lage, die Erweiterung bisheriger Raumvorstellungen dynamisch umzusetzen. Die Hochtechnologie (Hi-Tech)58 wird zum begleitenden Leitmotiv und ein Werkzeug in den Händen von Kenny und Svoboda, die durch die Benutzung dieser Technologie den Zeitgeist der gesellschaftlichen Veränderungen im Theater widerspiegeln wollten.59 Eine Balance zwischen der Beherrschung von Technik und deren sowohl kreativem als auch dramaturgisch sinnvollem Einsatz erfolgreich zu finden, war für Kenny und Svoboda ein wichtiger Leitgedanke. Ralf Bohn und Heiner Wilharm thematisieren im aktuellen theoretischen Kontext dieses Phänomen: „Der Szenograf, der sich weder zum Büttel von Medientools noch zum Manager bloßer Direktiven machen lassen will, verspricht, den Riss zwischen Technikbeherrschung in einem lange schon industrialisierten Designprozess und kreativen Widerstand im alltäglichen Interaktions- und Kommunikationskontext erfahrbar zu machen.“ 60

Mit der Steigerung des technischen bzw. technologischen Aufwands in der Szenografie ist eine entsprechende Vergrößerung der szenografischen Teams seit den 1960er Jahren sowohl in der Entwicklungs- als auch in der Umsetzungsphase zu beobachten. Falls die kreative Beherrschung der Technik bei Kenny und Svoboda in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen umgesetzt wurde, wie hier angenommen und dargestellt, mussten die Techniker durch ihren Einsatz Einfluss auf das Kunstwerk genommen haben. Die Theatertechniker waren in den 1960er Jahren noch nicht mit den neuesten Technologien vertraut, und externe fachspezifische Mitarbeiter mussten für die technisch ambitionierten Projekte engagiert werden. Die spezifischen Aufgaben machten sie zum gleichberechtigten Partner des kreativen Teams. Die Techniker mussten mit dem inneren Sinn der Aufgabenstellung vertraut 58 Im szenografischen Kontext werde ich „Hochtechnologie“ bzw. „Hi-Tech“ als Begriff benutzen, um darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Szenografie handelt, die mit Hilfe der neuesten Technologie hergestellt wurde, die zu der Zeit auf dem Markt vorhanden war. Dazu zählen vorwiegend: Mikro- und Optoelektronik, Automatisierungstechnik (Robotertechnik) und Weltraumtechnik. 59 Corathiel: 27 Sean Kenny, in: o.N.,1961, 31ff. 60 Bohn/Wilharm: Inszenierung und Ereignis, 10.

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werden, um die passende Lösung finden zu können, was dafür spricht, das in diesem Prozess das Kunstwerk zwischen Entwurfs- und Endphase mehrfache Transformationen erlebte. Für die Konzeptidee bzw. den Entwurf blieb der Szenograf eigenverantwortlich, die technische Entwicklung, die Ausarbeitung und die Umsetzung der Idee wurde aber ein Ergebnis des szenografischen Teams im Sinne der création collective. Der seit 1960 verwendete Begriff création collective, detailliert analysiert von Anne Neuschäfer in ihrer Untersuchung zu den strukturellen Bedingungen des Théâtre du Soleil, wird als eine künstlerische Schöpfung dargestellt, die als Resultat von mehreren individuellen Beiträgen entsteht. Wie Neuschäfer schildert, ist „ein Stück der création collective im Soleil sowohl von der Truppe gemeinsam erfunden wie auch in seiner Erfindung auf die Gemeinschaft der Companie bezogen“.61 Die Interdisziplinarität wird im zeitgenössischen Diskurs als Voraussetzung für die Entfaltung des Potentials gesehen, das Szenografie als Disziplin besitzt. Diese Eigenschaft der Szenografie wird von Frank den Oudsten in dem Aufsatz „Szenografie. Obszenografie“ diskutiert: „Die Szenografie ist transdisziplinär – Transdisziplinarität hat mit Rändern zu tun. Wenn die Disziplinen sich durchdringen, bewegt sich die Peripherie. Wenn transdisziplinäres Potential sich entfaltet, falten sich die Ränder. In der Szenografie geht es immer um ein Verhältnis der Positionen von Zentren und Rändern, vom fest im Kern verankerten Eigensinn und einem von Neugier und Abenteuer vorangetriebenen „Anderssinn“. Das Andere, das hinter dem Horizont des Eigenen zu entdecken ist, setzt immer eine genuine Repositionierung und eine zentrifugale Tendenz vom Zentrum zum Rand voraus. Die hartnäckige Bewegung in der Richtung vom Rand, wo die stabilen Eigenreferenzen im Nebel des Unbekannten ins Schwanken geraten, ist zentral für die Grundhaltung des Szenografen.“ 62

Um über die Grenzen des eigenen Berufsbildes hinauszutreten und neue Wege zu räumlichen Darstellungen zu finden, sind Kenny und Svoboda auf eine Kooperation mit anderen Fachbereichen angewiesen gewesen. Die Ingenieure berechneten die Konstruktionen oder entwickelten Lösungen für die kinetischen Elemente der Szenografie, die Technologen halfen bei der Verwendung von neuen Spezialeffekt-Apparaten oder neuen Materialien und die Medienfachleute bei der Benutzung von Fernseh- und Videoausrüstung. Unabhängig von Zeitgeist, dramaturgischen Anforderungen und Mode wechselten die Disziplinen, aus denen Kenny und Svoboda neue Mitarbeiter 61 Neuschäfer: Das „Théâtre du Soleil“, 159. 62 Oudsten: Szenografie. Obszenografie, in: Bohn/Wilharm: Inszenierung und Ereignis, 386.

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auf die Entdeckungsreisen mitnahmen. Architektur, Ingenieurwesen, Technologie, Medien oder Kunst waren nur einige von vielen Bereichen, die die Interdisziplinarität der Szenografie und deren räumliche Auffassung in ihren Arbeiten grundsätzlich beeinflusst haben.

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Musiktheater als Ort des Geschehens In einem der tiefgründigsten theoretischen Werke über die Entwicklung der Szenografie im 20. Jahrhundert, „Theatre, Performance and Technology – The Development of Scenography in the Twentieth Century“, schließt Christopher Baugh seine Analyse mit der Feststellung ab, dass das 20. Jahrhundert von der Ablehnung der Bühnen-Konzepte der Vergangenheit und deren Ästhetik geprägt war.63 Der Drang der Nachkriegsmoderne, neue universelle Performance- und Theaterformen zu finden, resultierte in der Auseinander­setzung mit neuen Technologien und aktuellen wissenschaftlichen Entdeckungen, in denen man Mittel sah, um diese Ziele zu erreichen. Das Musiktheater ist eine der drei Theaterformen, die davon am meisten profitiert hat. Die lange Tradition des Austausches mit den jeweils letzten techno­ logischen Entwicklungen und die Realisierung extravaganter szenografischer Lösungen setzte sich fort und half besonders einer Form des Musiktheaters, dem Musical, damals aktuellen Ansprüchen näher zu kommen. Baugh formuliert dieses Phänomen folgendermaßen: „The final decades of the twentieth century certainly left little space for the aspiration to make art that could claim a rational basis within some potentially universal structure of human understanding. Perhaps only the commodification of the Western musical-theatre spectacle might illustrate, ironically, that this modernist optimism has achieved some international fulfilment within the process of capitalist globalisation.“ 64

Durch die Verwendung computergesteuerter Technik, darunter Bühnen-, Ton- und Lichtausrüstung, wurde das Musical befähigt, präzise Wiederholungen der emotionalen Höhepunkte wiederzugeben, erklärt Baugh. Durch die Verwendung moderner Tontechnik konnten auch Sänger mit schwächeren Stimmen besetzt werden, was das Musical unabhängig von den Sängern machte. Die Shows wurden zu einer universellen Struktur geformt, die man unabhängig sowohl von Ort und Darstellern als auch ihren dramaturgischen Höhen und Tiefen wiederholen konnte, solange Interesse am jeweiligen Musical vorhanden war.65 Die Tatsache, dass beim Erfolg eines Musicals den Einnahmen praktisch keine Grenzen gesetzt waren,66 63 Baugh: Theatre, Performance and Technology, 216. 64 Ebd., 216f. 65 Ebd., 209. 66 “Investing in a musical can be risky, but when the show hits, there´s literally no limit to the return”, „Smash“: Staffel 1, Episode 10 „Understudy“, USA 2012, R: Bernstein.

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nutzte Kenny bei den Musical-Produktionen aus. Er unterstützte seine Szenografien dank größeren Budgets mit dem gewagten technischen Aufwand, der in klassischen Theatern nicht umsetzbar war. Sowohl der Einsatz von Computersteuerung für die Bewegung der szenografischen Baukörper als auch die neue Kommunikationstechnologie für die Theatertechniker waren wegen der präzisen Wiederholung der szenischen Vorgänge den üblicherweise langen Spielzeiten zuträglich. Das Nachkriegsmusical eröffnete für Kenny die Perspektive, gesellschaftlichen Entwicklungen zu folgen und den modernsten technologischen Entwicklungen nachzueifern. Deswegen bieten Kennys Arbeiten im kommerziellen Musiktheater eine hervorragende Basis für die Forschung über die Benutzung der Hochtechnologie in der Szenografie in den 1960er und 1970er Jahren. Im Vergleich zur stark ausgeprägten kommerziellen Natur des Musicals hatte die Oper, als haute couture des Musiktheaters, es schwer in der Nachkriegszeit. Die Krise der Oper war schon 1955 evident, wofür ihr bürgerlicher Charakter, gesellschaftlicher Konservativismus und ihr mangelndes Interesse an Erneuerung verantwortlich gemacht wurden. Adorno verglich die Oper mit dem Museum: „Sie entspricht in der Tat weitgehend dem Museum, auch was dessen positive Funktion anlangt: dem vom Verstummen Bedrohten zum Überdauern zu verhelfen; was auf der Opernbühne geschieht, ist vollends meist wie ein Museum vergangener Bilder und Gesten, an die ein retrospektives Bedürfnis sich klammert.“ 67 In einem Spiegel-Interview 1967 kritisierte Pierre Boulez die Lage der zeitgenössischen Oper und propagierte sogar die Sprengung der Opernhäuser als Voraussetzung für einen neuen Anfang.68 Seiner Meinung nach stagnierte die Oper seit Mitte der 1930er, und er sah keine Hoffnung in Auftragsarbeiten, wie sie damals die Opernhäuser in Deutschland vergaben, eine neue Phase zu etablieren. Er setzte sich für die neuen experimentellen Bühnen ein, weil er glaubte, nur in anders konzipierten Theaterhäusern, ohne Proszenium, sei eine gute Basis für die Entwicklung neuer Opernformen vorhanden. Gleichwohl ist seit Mitte der 1960er Jahre eine neue Richtung zu beobachten, die Experimente mit der neuesten Technologie wagte - zumindest in den szenografischen Konzepten von Josef Svoboda für Operninszenierungen. Die staatliche Finanzierung der Oper in Großbritannien und die zusätzliche Aufstockung des immer knapperen Budgets durch Wirtschaft und Industrie schufen gute Voraussetzungen für die Benutzung der teuren neuesten Entwicklungen der Hochtechnologie im Royal Opera House Covent Garden. 67 Adorno: Gesammelte Schriften, Musikalische Schriften I-III. Bd. 16, 37. 68 Boulez: Sprengt die Opernhäuser in die Luft. Siehe http://www.spiegel.de/spiegel/print/ d-46353389.html vom 26.04.2011.

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Diese Zeit wurde von starken Regisseuren geprägt (Götz Friedrich, Václav Kašlík, Otomar Krejča), die mit der manieristischen Tradition der Operninszenierung brechen wollten. Die Thematik der Oper regte offensichtlich die Imagination von Josef Svoboda an, mit symbolischen und stilisierten Lösungen,69 eine neue visuelle Erscheinung des sich immer wiederholenden Repertoires der Opernhäuser zu erreichen. Obwohl dies nach Boulez nur eine kosmetische Veränderung oder ein oberflächlicher Modernismus für die Oper als Musikform bedeutete,70 wurde eine der wichtigsten Arbeiten der Hi-Tech-Szenografie ausgerechnet für das Royal Opera House in den 1970ern realisiert – „Der Ring des Nibelungen“ (1974-76). Die Szenografie, die für ihre Bühnenkonzepte Hochtechnologie beansprucht, also die Technologie, die auf dem neuesten, anspruchsvollsten technischen Stand zu jener Zeit ist, spiegelt sich hervorragend in dieser Produktion wieder. Deswegen bezieht die Untersuchung auch diese Form des Musiktheaters mit ein.

69 Albertová: Josef Svoboda, 137. 70 Boulez: Sprengt die Opernhäuser in die Luft. Siehe http://www.spiegel.de/spiegel/print/ d-46353389.html vom 26.04.2011.

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Auswahl der Produktionen Die ausführliche Recherche zu szenografischen Hi-Tech-Experimenten lenkte meine Aufmerksamkeit auf drei Musical-Produktionen von Kenny und eine Opernproduktion von Svoboda. Es handelt sich um Lionel Barts Produktionen „Oliver!“ (1960), „Blitz!“ (1962), Gene Kellys Musical-Extravaganza „Clownaround“ (1972) und die bereits erwähnte Londoner Inszenierung der Oper „Der Ring des Nibelungen“ (1974-76). „Der Ring“ stellt in diesem Kontext den Höhepunkt einer spannenden Ära des intensiven Austausches mit der Hochtechnologie dar und schließt (vorübergehend) diese Phase in der Szenografiegeschichte ab.71 Das Gemeinsame dieser vier Szenografien und Grund für ihre Auswahl ist folgendes: Alle Beispiele sind für das Musiktheater gemacht worden, haben sich als jeweils bahnbrechende Fortschritt im Bereich der Hochtechnologie erwiesen, hatten kinetische Eigenschaften sowie einen diskursiven Charakter der szenografischen Lösungen. Ein diskursiver Charakter ist im Rahmen dieser Untersuchung von Interesse, weil solche Arbeiten vielschichtig sind und dadurch eine gute Basis für die Analyse anbieten. Im Unterschied zur merkantilen Szenografie, die „einer mono-perspektivischen Botschaft, deren inhärente Leere mittels einer attraktiven szenografischen Verpackung kompensiert wird“, agiert die diskursive Szenografie, sie „stellt Fragen, initiiert das Gespräch, ist polyvalent und vielfältig interpretierbar und hat eine dialogische Natur, die jede Behauptung und im Laufe ihrer Entfaltung sofort untergräbt mit eingebetteter Skepsis.“ 72 Was diese Produktionen nicht gemeinsam haben, ist das Betriebssystem – Repertoire- und En-suite-Spielbetrieb. Weil der Schwerpunkt der Rekonstruktion auf den Arbeitsprozessen und damit auch dem Vergleich zwischen diesen zwei Spielbetrieben liegt, habe ich die Produktionen ausgesucht, die diese beiden Betriebssysteme vertreten, aber die übliche Arbeitsweise geändert haben. Es handelt sich um En-suite-Musicals, die für Tourneen gedacht waren und in diesem Sinne zum häufigen Ab- und Aufbau geplant waren und um eine Opern-Inszenierung, deren komplexer Aufbau mehr für En-suite- als für einen Repertoire-Spielbetrieb geeignet war. Die Auswahl dieser vier Arbeiten repräsentiert nicht die einzigen interessanten oder fortschrittlichen

71 Die hochtechnologischen Experimente in der Szenografie des Musiktheaters setzten sich unregelmäßig erst in den 1980er Jahre mit John Napier und seiner Arbeiten für Musicals „Starlight Express“ (1984), „Time“ (1987) und „Miss Saygon“ (1989) fort. („The Story of Musicals“ 2012, R: Franklin). 72 Oudsten: Szenografie. Obszenografie, in: Bohn/Wilharm: Inszenierung und Ereignis, 375.

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Theaterproduktionen mit Konzepterneuerungen in der Szenografie zu dieser Zeit. Es handelt sich aber um Beispiele, die jeweils für das Austesten der Grenzen in der Anwendung der Hochtechnologie und des kinetischen Potentials in der Szenografie der 1960er und 1970er Jahre stehen. Schließlich ermöglichen die Charakteristiken, die diese Produktionen vergleichbar machen und sie von einander unterscheiden, das Verfolgen der Beschäftigung mit dem gleichen kulturgeschichtlichen Phänomen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, den kinetischen Bühnen, sowohl im Repertoire- als auch im En-Suite-Spielbetriebssystem. Trotz der offensichtlichen Einschränkungen, denen diese Analyse unterliegt, können ihre fragmentarischen Erkenntnisse zu weiteren Untersuchungen auf diesem Gebiet anregen. Kenny und Svoboda waren als Architekten ausgebildet. Der Schwerpunkt dieser Untersuchung sind also Arbeiten von Szenografen, die eine Ausbildung als Architekten ins Berufsbild mitgebracht haben. Das Spezifische daran sind die Kenntnisse aus den Bereichen Bauwesen, Statik und Mechanik, welche Architekten zwar nicht zu allen Tätigkeiten des Ingenieurwesens befähigen, aber ein gutes Vorstellungsvermögen begründen und ein Gefühl für die technischen Möglichkeiten vermitteln. Darüberhinaus waren sie durch diese Ausbildung mit der Praxis einer engen Zusammenarbeit mit Bauingenieuren, Statikern und Kollegen aus anderen fachbezogenen Disziplinen vertraut. Die Wahl von Kenny und Svoboda stellt zwei Szenografen der 1960er und 1970er Jahre gegenüber: Sean Kenny, zu seiner Zeit gefeiert und heute vollkommen vergessen, und Josef Svoboda, einen der bekanntesten und produktivsten Szenografen des 20sten Jahrhunderts. Da Svobodas Lebenswerk vor allem dank seiner Biografen Denis Bablet, Jarka Burian oder Helena Albertová der Öffentlichkeit bekannt ist, habe ich mich nur für eine seiner Arbeiten entschieden. Trotz der umfangreichen Literatur mit Angaben zur Szenografie für „Der Ring des Nibelungen“,73 wurden bisher sowohl die Umstände am Royal Opera House zu der Zeit der Entstehung dieser Produktion als auch die szenografischen Arbeitsprozesse noch nicht detailliert rekonstruiert. Die Idee ist, das bekannte Werk aus einer anderen Perspektive zu betrachten, damit eine neue Sicht auf die bekannte Szenografie zu bekommen und sie im Kontext der anderen wichtigen Projekte aus dieser Zeit neu zu betrachten. Bei Sean Kenny habe ich mich für drei Arbeiten entschieden, die nicht nur eine bemerkenswerte Entwicklung im Umgang mit Hochtechnologie in der szenografischen Konzeption zeigen, sondern auch die Ergebnisse einer der beeindruckendsten Karrieren in der Szenografie der 1960er und 1970er Jahre dokumentieren. Die 3D Rekonstruktionen von drei Szenografien Kennys, die 73 Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 82ff; Royal Opera House/Snelson: The Ring, 91ff; Albertová: Josef Svoboda, 158ff.

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eines der Ergebnisse der Untersuchung sind, ermöglichen einen Einblick in seine Arbeiten, die selbst in Archiven wegen der lückenhaften Dokumentation nur schwer zugänglich sind. Sie tragen auch zum Verständnis der Entwicklung von Hi-Tech-Szenografie für Extravaganzas und Stadionkonzerte bei, die danach folgte. Das Musical „Oliver!“ (1960) ist der Anfang einer neuen Ära in der Szenografie Großbritanniens. Die Benutzung von Elektromotoren, welche die rapide Veränderung der Sets ermöglichte, Integration der Beleuchtung in die Szenografie hinein und Computer-Steuerung waren die ersten Maßnahmen der Hi-Tech-Szenografie nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Musical „Blitz!“ (1962) ging noch weiter in der Verwendung von selbstgesteuerten Bühneneinheiten, der Einführung von Stahl als Baumaterial und der Bewältigung der Bewegung von mehreren Tonnen schweren szenografischen Elementen. Die ShowExtravaganza „Clownaround“ (1972) verlässt die klassische Guckkastenbühne, weil sie für die Gastspiele in Arenen konzipiert war. Sie integriert die dynamische Eigenschaft in die Szenografie hinein, macht sich auf diese Weise von der Theatermechanik unabhängig und gilt als Vorreiter der heutigen mobilen Konzertbühnen für die aufwendigen Stadion-Konzerte. Die Inszenierung der vier Opern des Wagnerschen Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ (1974-76) sehe ich als Höhepunkt dieser Phase. Mit Hilfe der modernen Technologie wurde die neue Mechanik in die klassische Bühne integriert, um die Grenzen der räumlichen Vorstellungen des Proszenium-Theaters noch einmal endgültig zu verändern. Die vier Produktionen stellen spezifische Wege zur Realisation der HiTech-Szenografie dar. Die Rekonstruktion der Arbeitsweise dokumentiert die Veränderung des szenografischen Berufsbildes und bietet einen neuen Blick auf die traditionsreiche Verflechtung der Disziplinen – Architektur, Szenografie und Kinetik. Diese Produktionen erprobten die Anwendbarkeit der hochentwickelten Technologie auf die Kenntnisse aus der Architektur und dem Ingenieurwesen. Sie zeigen, wie man über die Beschäftigung mit den kinetischen Bühnen in der Szenografie zum Umdenken der Konzeption von Theatergebäuden gekommen ist. Im Unterschied zu Sichtweisen von Theoretikern wie Joslin Mckinney und Philip Butterworth, nach deren Meinung die Erneuerung in der Szenografie selten aus dem Mainstream-Theater kam, weil der ökonomische Druck kontraproduktiv war, wird hier genau das Gegenteil vertreten.74 Die vier Produktionen zeigen nicht nur, welche szenografischen 74 „Economic pressures placed upon commercial theatre have frequently stifled developments in scenography. Although commercial theatre has sometimes relied on the spectacular developments of design and technology, this has rarely led to any reappraisal of the role and impact of scenography.“ (McKinney/ Butterworth: The Cambridge Introduction to Scenography, 55.)

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Neuerungen aus dem kommerziellen Musiktheater kamen, sondern dass sich die wichtigen Impulse der Szenografie bezüglich der Theaterkonzeption auch aus dem Mainstream-Theater entwickelten. Eine historische Distanz ist vorhanden, die eine plausible Rekonstruktion ermöglicht, mit der Absicht, die abgelaufenen Prozesse so präzise wiederzugeben, wie die Quellen es erlauben.

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Methode und Ablauf der Untersuchung Die Dokumentation und die weitere Materialien, die mir für die Rekonstruktion zur Verfügung standen, waren wenig umfangreich. Das Archivmaterial beinhaltete Zeitungsberichte, Fotos, technische Zeichnungen, Skizzen, Notizen und Programmhefte. Dazu habe ich Interviews und Email-Korrespondenzen mit Ian Albery (production manager für die Produktionen „Oliver!“ und „Blitz!“), Jeff Phillips (production manager für „Ring“), Mike Barnet (stage engineer für „Ring“) und Jill Pearson (production office „Ring“) geführt. Mit Hilfe dieser Quellen tastete ich mich sowohl an die Rekonstruktion der vier Szenografien als auch an die Nachvollziehung der Entwicklung des Konzeptes, der technischen Ausarbeitung, der Organisation und der Umsetzung der Szenografie unter den jeweiligen politischen, ökonomischen und strukturellen Bedingungen am Theater heran. Die öffentliche Wahrnehmung der Projekte und deren Einfluss habe ich anschließend beschrieben. Eine der gängigsten Forschungsmethoden für die wissenschaftliche Untersuchung der Szenografie ist die Semiotik. Als zeichentheoretische Wissenschaft geht Semiotik über die Deutung der Zeichen in Bereichen wie z. B. Literatur oder Film hinaus und analysiert die Sozial- oder Kulturphänomene als Zeichensysteme.75 In der Interpretation der verschiedenen soziologischen oder kulturellen Formen, Produkte oder Herangehensweisen als Zeichen werden kulturelle Phänomene in der Semiotik als „Zeichenproduktion“ aufgefasst. In der Theaterwissenschaft werden der menschliche Körper und die Objekte auf der Bühne als theatralische Zeichen dekodiert, weil die Semiotik „das Theater als ein System der Bedeutungsproduktion“ begreift.76 Die Deutung oder die Auffassung des Sinns findet in einem breiten Kontext der ideologischen und sozialen Zusammenhänge statt, was in manchen Bereichen (z. B. Film) zur Schaffung von Regeln für die Deutungsstrategien führt.77 Die Semiotik beschäftigt sich auch mit der geschichtlich bedingten Veränderung der semiotischen Prozesse von Kulturphänomenen. Sie stellt ein Gegenmittel zur Ideologie in dem Sinne dar, dass sie manche Bedeutungen als privilegiert, die anderen aber als unterdrückt, ignoriert oder versteckt entlarvt.78 Als methodische Herangehensweise bietet die Semiotik aber nicht ein Werkzeug, das überzeugend zur schlüssigen Interpretation und zum Verständnis von 75 Heath: Screen Reader 2, 10 zitiert von Bann: The Cambridge history of literary criticism, 99. 76 Fischer-Lichte: Die Zeichensprache des Theaters, in: Möhrmann/Theaterwissenschaft heute, 234; Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters, 195. 77 Wiesing: Artifizielle Präsenz, 34. 78 White: The content of the form, 192 zitiert von Bann: The Cambridge history of literary criticism, 109.

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Arbeitsprozessen, beispielsweise dem Umgang mit Hochtechnologien führen kann. Die Semiotik verwendet die zeichentheoretische Analyse von kulturellen Prozessen oder Produkten, um zum Verständnis von ideologischen, ästhetischen und sozialen Zusammenhängen zu gelangen, die darauf einen Einfluss genommen haben. Dieser Ansatz ist jedoch nicht geeignet für die vorliegende Untersuchung. Das Ziel ist, eine Analyse der Arbeitsprozesse im historischen und sozialen Kontext der gegebenen Bedingungen und Umstände durchzuführen, um zu sehen, wie diese Prozesse – insbesondere die Nutzung von Hochtechnologie in der Szenografie der 1960er und 70er Jahre – das Endprodukt beeinflusst haben. Der theaterwissenschaftliche Diskurs ist nicht gerade reich an Beispielen, die den Einfluss der Theaterstrukturen auf Inszenierungen untersuchen. Gerd Taube macht in seinem Aufsatz „Das freie Theater – Die Alternative“ darauf aufmerksam und thematisiert die gegenseitige Beeinflussung der Theaterstrukturen und der Theaterästhetik. Wenn man das theatrale Kunstwerk einer fundierten Analyse unterziehen will, ist laut Taube festzustellen, dass der zeichentheoretische Ansatz, also Semiotik als Methode, nicht ausreicht, weil diese für die Analyse theaterstruktureller Bedingungen nicht geeignet ist:79 „Zu untersuchen wäre im Zusammenhang mit der Analyse konkreter szenischer Ereignisse auch die Art und Weise, wie Theater gemacht wird, um damit sowohl den damit implizierten politischen Gehalt als auch den Einfluss dieser Art und Weise des Theatermachens auf die Ästhetik des szenischen Ereignisses zu verifizieren.“ 80

Für die hier vorliegende Untersuchung war eine methodologische Vorgehensweise nötig, welche die Bedingungen und Umstände für die Schaffung eines Kunstwerks einschließt und sie als integralen Teil des untersuchten Phänomens berücksichtigt. Deswegen habe ich mich für ein hermeneutisches Vorgehen entschieden, das die historischen Bedingungen und Umstände in die Analyse kultureller Ereignisse miteinbezieht und sie zum integralen Bestandteil der Interpretation von kulturellen Prozessen oder Produkten macht. Die Hermeneutik betrachtet die Phänomene innerhalb des Rahmens der Erfahrung und berücksichtigt Referentialität.81

79 Taube: Akteure zwischen Büro und Bühne. Siehe http://www.theaterpolitik.de. vom 15.09.2010. 80 Ebd. 81 In diesem Kontext: Bezug auf die konkrete menschliche Erfahrung zu nehmen und daraus die Schlüsse zu ziehen. Referentiality: “relating to a referent, in particular having the external world rather than a text or language as a referent.” (Oxford Dictioaries, siehe http://www.oxforddictionaries.com/ definition/english/referential vom 12.12.2013).

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Im Laufe ihrer langen Geschichte veränderte sich die methodische Herangehensweise der Hermeneutik. Von der Beschäftigung mit der Mehrdeutigkeit des Textes und der aufklärerischen Arbeit in der Beseitigung der Deutungsfehler im 18. Jahrhunderts, entwickelte sich die Hermeneutik in Richtung des Entdeckens des inneren Sinnes einer Textvorlage, entweder durch die Rekonstruktion des Sprachkontexts oder durch psychologische Prozesse der Identifikation mit dem Verfasser, um dessen Absichten nachzuvollziehen. Friedrich Schleiermacher (1768-1834) und Wilhelm Dilthey (1833-1911) hielten die Rekonstruktion der Absichten des Autors für die Voraussetzung, um zur korrekten Deutung der Textvorlage zu gelangen. Schleiermachers methodische Vorgehensweise verlief auf zwei Ebenen: die Wiederherstellung des Sprachkontexts zwischen dem Verfasser und dem Leser zur Zeit der Entstehung des Textes und der psychologische Prozess, der zur Enthüllung der Absichten des Autors führt.82 Dilthey wiederum schlug die Identifikation mit dem Autor als einen Weg vor, der zum inneren Sinn der Textvorlage führen sollte.83 In seiner Zeit verlässt die Hermeneutik den ausschließlichen Fokus auf den Text und wendet sich auch den kulturellen oder soziologischen Randbedingungen zu. Zumindest seit Dilthey und der pragmatischen Wende der Hermeneutik wurde diese Methode über den reinen Text hinaus in weiten Bereichen der Lebenserfahrung eingesetzt.84 „Mit der pragmatischen Wende der Hermeneutik“ erklärt Matthias Jung – „wurde dann vollends deutlich, daß es hier um Interaktionszusammenhänge geht, in denen der Vorgriff des Verstehens und die Eigenstruktur des Verstandenen sich wechselseitig durchdringen. Verstehen hat demnach die Form eines Lernprozesses, der durch das an ihren Folgen erkennbare Gelingen bzw. Mißlingen von Interpretationen gesteuert wird.“ 85 Im 20. Jahrhundert wurde der zeitgeschichtliche Unterschied86 zwischen der untersuchten Vorlage und dem aktuellen Leser thematisiert, die Absichten des Autors verloren etwas an Bedeutung und der Schwerpunkt wurde auf das Konzept des Verstehens verlagert.87 Martin Heideggers (1889-1976) Auffassung der Hermeneutik positioniert das Verstehen als einen essenziellen Teil des menschlichen Daseins in der Welt neu. Im Unterschied zur bis dahin objektiven Herangehensweise in der Hermeneutik, in der die eigene Perzeption des Interpreten keine Rolle spielte, behauptete Heidegger, dass genau die eigene

82 Ebd., 259; Compagnon: Literature, theory, and common sense, 39-41. 83 Holub: The Cambridge history, 258. 84 Jung: Hermeneutik zur Einführung, 71ff. 85 Ebd., 151. 86 Damit ist der Unterschied zwischen zwei Zeitpunkten in der Geschichte gemeint – die Zeit, in der die Vorlage entstanden ist, und die Zeit, in der die Vorlage gelesen / thematisiert wird. 87 Compagnon: Literature, 41.

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Geschichtlichkeit und die Vorurteile das Verstehen ermöglichen.88 Dasein wird als Entwurf gekennzeichnet, der eine Zukunftsprojektion mit zwei Dimensionen darstellt: die ursprünglichen Vorhaben, Vorsicht und Vorgriff, als etwas was wir vorab schon in die Interpretation mitbringen, und die Interpretation selbst, die als Projektion (Woraufhin) der Annahmen zum Verständnis der Welt führt.89 Das Verstehen bedeutet nicht mehr nur die Entschlüsselung von etwas, was schon passiert ist, sondern stellt eine Projektion dar. Vorurteile wurden seitdem in den Prozess des Verstehens integriert, und die Auffassung des Autors wurde mit der Bedingungen seiner Existenz verknüpft.90 Hans-Georg Gadamer (1900-2002) beschäftigte sich vielleicht am intensivsten mit dem geschichtlichen Kontext des Verstehens in der Hermeneutik. Er führt das aktive Bewusstsein über die Geschichte ein (Wirkungsgeschichte)91 und etabliert die Horizonte92 des Verstehens, sowohl den Vergangenheitshorizont der Textvorlage als auch den Gegenwartshorizont des Interpreten, und deren Verschmelzung (Horizontverschmelzung).93 Mit aktivem Bewusstsein der eigenen Geschichte kann man die Hermeneutik benutzen, um geschichtliche Phänomene zu erörtern. Man wird also zunächst die Wirkung der Geschichte verinnerlichen, um sich besser zu verstehen.94 Sowohl der eigene Horizont als auch die aus geschichtlichen Interpretationen resultierenden Vorurteile (historischer Horizont), werden nicht als Hindernis gesehen. Da der Horizont nicht statisch ist, sondern in der Bewegung gesehen wird, bedeutet der Prozess des Verstehens eine Horizontverschmelzung, wobei sich der historische mit dem eigenen Horizont vermischt.95 Die „Anwendung“ der gewonnen Erkenntnisse findet laut Gadamer gleichzeitig mit der Interpretation statt, wobei die „Anwendung“ nicht als eine konkrete Praxis, sondern als ein Austausch im

88 Holub: The Cambridge history, 267. 89 „Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff struktierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird.“ (Heidegger: Sein und Zeit, 151.) 90 Compagnon: Literature, 41. 91 „Wenn wir uns aus der für unsere hermeneutische Situation im ganzen bestimmenden historischen Distanz eine historische Erscheinung zu verstehen suchen, unterliegen wir immer bereits den Wirkungen der Wirkungsgeschichte. Sie bestimmt im voraus, was wir uns als fragwürdig und als Gegenstand der Forschung zeigt, und wir vergessen die ganze Wahrheit dieser Erscheinung, wenn wir die unmittelbare Erscheinung selber als die ganze Wahrheit nehmen.“ (Gadamer: Wahrheit und Methode, 305f.) 92 „Horizont ist der Gesichtskreis, der all das umfasst und umschießt, was von einem Punkt aus sichtbar ist.“ (Ebd., 307.) 93 Ebd., 311; Compagnon: Literature, 42; Holub: The Cambridge history, 265-270. 94 Holub: The Cambridge history, 269. 95 „Der Horizont der Gegenwart bildet sich gar nicht ohne die Vergangenheit. Es gibt so wenig einen Gegenwartshorizont für sich, wie es historische Horizonte gibt, die man zu gewinnen hätte. Vielmehr ist Verstehen immer der Vorgang der Verschmelzung solcher vermeintlich für sich seiender Horizonte.“ (Gadamer, Wahrheit und Methode, 311.)

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Dialog mit der Vergangenheit verstanden wird.96 In der Hermeneutik führt dieser Dialog über die Fragen und Antworten zum besseren Verständnis der Geschichte. Um den Sinn eines Texts zu verstehen, muss laut Gadamer die gesamte Geschichte der Literaturkritik dieses Textes, also alle Bedeutungen, die dieser Text für die Leser aus der Vergangenheit hatte, aber auch in der Gegenwart und in der Zukunft haben wird, in die Analyse miteinbezogen werden. Genauso wie Gadamer bettete Habermas die Hermeneutik in die menschliche Erfahrung ein, kritisierte diesen aber für den Mangel an objektiven Sichtweisen. Er lehnte die Einbeziehung von Vorurteilen,97 die aus der Tradition begründet sind, ab, und suchte nach objektiven Kriterien, die eine kritische Sichtweise der Hermeneutik ermöglichen. Eine solche Sicht ist nach Habermas nur möglich, wenn wir uns von Vorurteilen abgrenzen, um eine kritische Reflexion zu schaffen, die die Hermeneutik zur Ideologiekritik befähigt.98 Während die Semiotik sich auf die Strukturen des Werkes konzentriert, erforscht die Hermeneutik soziale und ideologische Gegebenheiten des Werkes und des Interpreten, um die Einflüsse auf das Werk und deren Auswirkung nachvollziehen zu können. Um zu den Gegebenheiten zu kommen, die auf die Beschäftigung mit der Hochtechnologie und der Kinetik in der Szenografie zurück führen, muss man die Vorbereitungsphase einer Produktion aus der verfügbaren Quellen rekonstruieren. Durch die Arbeitsprozesse in der Vorbereitungsphase gelangt man zu den vorgegebenen Umständen, unter denen diese Arbeiten entstanden sind. Sie legen die Entscheidungsprozesse offen, die bei der Analyse ästhetischer oder funktionaler Aspekte einer Szenografie nicht erkennbar sind. Für die Auseinandersetzung mit konkreten szenografischen Beispielen bietet die Hermeneutik eine bessere methodische Basis. Sie stellt in Aussicht, anhand des vorselektierten Archivmaterials und der Erinnerungen von Zeitzeugen, über die Arbeitsprozesse und Verhaltensmuster in den 1960er und 70er Jahre und deren Auswirkung auf die zeitgenössische Praxis zu einer Gesamtdeutung des Prozesses zu kommen. Bei der Rekonstruktion der szenografischen Arbeiten handelt es sich jedoch nicht um einen Versuch, die Absichten der Szenografen in dem Sinne zu erkennen wie in der hermeneutischen Tradition Schleiermachers versucht wurde, einen Autor besser zu verstehen.99 Angestrebt ist ein Verstehen nach der Auffassung ausgleichender Hermeneutik Paul Ricoeurs (1913-2005),100 in der die zwei 96 Holub: The Cambridge history, 271. 97 Ebd., 284. 98 Holub: The Cambridge history, 275. 99 Jung: Hermeneutik zur Einführung, 64. 100 „The Gadamer-Habermas debate is obviously a particular version of the larger conflict between these two hermeneutics. Habermas´ call for a critique of ideology depends on insights developed in the

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verschiedenen Herangehensweisen an die Hermeneutik von Gadamer und Habermas harmonisiert wurden. Laut Ricoeur beabsichtigt die Hermeneutik einen Dialog zwischen dem Text und dem Leser, mit dem Ziel, die von dem Text projizierte Welt zu verstehen. Die Aufgabe der Hermeneutik ist es, das Ereignis aus dem Leben in den Text zu übersetzten; durch die Rezeption der Leser findet es dann den Weg wieder zurück ins Leben.101 Ergänzend zur Rekonstruktion der vier ausgewählten Szenografien sind in dieser Arbeit auch die archivierten Fakten über die Arbeitsaufteilung, die Anzahl der beteiligten Teams, die Betreuung des logistischen Aufwands, die Ent­schei­dungs­hierarchie des Theater-Managements, die Finanzquellen der Produktion und deren komplexer gegenseitiger Einfluss vorgestellt, um exemplarisch zu zeigen, wie diese Prozesse sowohl im Repertoire- als auch En-Suite Spielbetriebssystem in den 1960er und 1970er Jahren abliefen. Darüberhinaus wird eine mögliche Interpretation des Geschehens angeboten. Es ist wichtig zu betonen, dass sich diese Untersuchung auf die Inszenierung bzw. das Theaterereignis mit dem Schwerpunkt Vorbereitungszeit konzentriert. Die Phase der Entstehung und der praktischen Umsetzung einer Szenografie für ein bestimmtes Theaterereignis steht im Vordergrund und nicht die Analyse einer bestimmten Aufführung. Die einzelnen Aufführungen bieten keine gute Basis für die historische Rekonstruktion, da „die drohende Überbewertung eines einzelnen Theaterereignisses“ kaum zu vermeiden ist und sie „immer unmittelbare Aktualisierung in der Gegenwart bedeuten und dass ihnen deshalb im Unterschied zum Text von vorneherein ein großes Maß an Vergänglichkeit – Tribut an die Mode – eigen ist.“ 102 Die ausgewählten Szenografien, die Prozesse und die Umstände, die zur Realisation eines Theaterereignisses führten, sind anhand der vorhan­denen Dokumentationen chronologisch beschrieben, um eine Plattform für das Verständnis der Entscheidungen nachzuvollziehen, die zu den innovativen Arbeiten führten. Durch die Beschreibung des praktischen Handelns bei konkreten Theaterinszenierungen ist die Reflexion der szenografischen Praktiken der 1960er und 70er Jahre beabsichtigt. Die wissenschaftliche Analyse erfolgt durch die Darstellung des Wandels der ausgewählten szenografischen Konzepte bzw. ihre Veränderung, die in dem Prozess der technischen Umsetzung der Entwurfsidee stattgefunden hat. Es handelt sich um die Darstellung der individuellen Wege, als Beispiele für kreativen Zugang zur Umsetzung der hermeneutics of suspicion. Gadamer´s ontological theory of understanding, like the hermeneutics of faith, aims to mediate tradition, disclosing some earlier meaning in the light of present concerns. Ricoeur tries to reconcile these differences by a general strategy of mutual implication.“ Holub: The Cambridge history, 282. 101 Bečanović-Nikolić: Hermeneutika i poetika, 40. 102 Neuschäfer: Das „Théâtre du Soleil”, 11.

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technischen Innovation. Zusätzlich gebe ich die Rahmenbedingungen für innovative Szenografien an Theaterhäusern und die Resonanz bzw. den Einfluss dieser progressiven räumlichen Konzepte auf die Theaterarchitektur wieder. Aufgrund der Tatsache, dass die Theaterereignisse inhaltlich und konzeptionell unterschiedlich waren, konnte die Vergleichbarkeit für die Fallanalyse nicht immer hergestellt werden. Die Rekonstruktionen variieren von Fall zu Fall in ihren Einzelheiten, unabhängig davon, wie gut die Inszenierungen dokumentiert waren. Da in dieser Arbeit zwei visuelle Disziplinen behandelt werden, Szenografie und Architektur, ist zu beachten, dass die hier gegebene Darstellung auch ein perzeptives Interesse an den ausgewählten Beispielen berücksichtigt. Dabei ist zu beachten, dass die Rekonstruktion der ausgewählten Beispiele aus einer Kombination der visuellen und der geschriebenen Referenzen entstanden ist. Trotz der aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Philosophie und Psychologie der Perzeption, die eine rein visuelle Deutung wissenschaftlich rechtfertigt,103 kann sie ohne konzeptuelle Analyse in diesem Fall fehlleitend sein. Dass sich hinter der altmodischen visuellen Konzeption der Musicals „Oliver!“ oder „Blitz!“ eine bahnbrechende Erneuerung in der Szenografie verbirgt, ist über einen rein visuellen Zugang schwer zu erraten. Die Bedeutung dieser Arbeiten für die Geschichte der Szenografie liegt letztendlich nicht in ihrer Ästhetik. Das gilt auch für die Produktionen „Clownaround“ und „Der Ring“, die eine neue Ästhetik und neuentwickelte Materialen verwendet haben. Die Bedeutung dieser vier Szenografien liegt jeweils in den gewagten technologischen und kinetischen Experimenten, die die Szenografie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grundsätzlich verändert haben. Obwohl ich mit meinem Forschungsansatz versuche, den Schwerpunkt vom Szenografen als Ideenträger auf das szenografische Team zu verlagern, kann eine fundierte Untersuchung die Szenografen natürlich nicht ausblenden. Daher gehe ich zuerst auf Kenny und Svoboda ein, insbesondere auf die Einflüsse ihrer Ausbildung, die Gründe für die Nutzung der Hochtechnologie und ihre Auffassungen von die Theaterarchitektur.

103 Mitrović: Visuality for Architects, 24.

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Abb. 1

Sean Kenny

blick auf die szenografen

BLICK AUF DIE SZENOGRAFEN Sean Kenny Sean Kenny (1932-1973) wurde in Portroe (Landkreis Tipperary/Süd-Irland) geboren. Nach dem Abschluss des Architekturstudiums ging er in die USA, um an der Frank Lloyd Wright´s School of Architecture in Taliesin East, Wisconsin bzw. Taliesin West, Arizona für zwei weitere Jahre (1951-1953) als Stipendiat der Taliesin Fellowship zu studieren. Dem Motto learning by doing folgend, hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, an anspruchsvollsten Projekten von Frank Lloyd Wright mitzuarbeiten und dadurch ihre bisherigen Ausbildungs­ kenntnisse zu vertiefen. Die Idee einer kollektiven Siedlung, ähnlich wie beim Kibbutz („eine Verbindung von Schule, Architekturbüro und Farm“),1 verlangte von den Teilnehmenden die Übernahme unterschiedlicher Aufgaben während des Aufenthaltes an der Schule. Das Ausbildungsprogramm selbst bot eine spannende Auseinandersetzung mit Malerei, Skulptur, Musik, Drama und Tanz „in their places as divisions of architecture“. 2 Nach einigen Jahren seines abenteuerlichen Aufenthaltes in den USA, währenddessen er auch ein halbes Jahr mit Apache Indianern lebte und an der archäologischen Expedition George Vanderbilts im Pazifik teilnahm, kehrt Kenny zurück nach Irland. Seine Entschlossenheit, keine Häuser zu bauen, die nicht mit seinen progressiven Ansichten im Einklang standen („I refused to do bad work and I wouldn´t compromise“),3 führt dazu, dass er nur einen Auftrag erhält – ein Haus in County Donegal für einen irischen Geschäftsmann. Ohne weitere Aufträge und damit ohne berufliche Perspektiven, verlässt er Dublin und geht nach Montreal, wo er für achtzehn Monate als Architekt für die Canadian National Railroads arbeitet. Im Jahr 1957 entscheidet er sich, wieder zurück nach Europa zu gehen, diesmal aber nach London. Eine kurze Zeit arbeitet er für die British Broadcasting Corporation (BBC TV Sender), entwirft eine Szenografie für „Shadow of a Gunman“ im Lyric Theatre, Hammersmith und wird dann durch Zufall von einem alten Freund aus Dublin, Brendan Behan eingeladen, um die Szenografie für das Theaterstück „The Hostage“ im Theatre Workshop zu entwerfen. Kenny selbst gab in Interviews zu, diesen Job nur angenommen zu haben, weil er als Arbeitsloser fast am Verhungern war. Gleichzeitig hoffte er auf die Möglichkeit, sich am Theater entfalten zu können, weil sich in der Architekturpraxis für 1 Wright: Schriften und Bauten,174. 2 Muller: Everyone will ask for more, in: Daily Mirror, o.S. 3 Eichelbaum: Sean Kenny Sets the Stage, in: Theatre Arts, o.S.

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ihn diese Gelegenheit nicht bot. Durch “The Hostage“ machte er Peter Coe auf sich aufmerksam, der ihn für die Eröffnungsinszenierung „Lock Up Your Daughters“ (1959) im Mermaid Theatre verpflichtete. Bei dieser Gelegenheit lernte er auch Lionel Bart kennen, der die Songs für das Musical geschrieben hatte. Als Resultat der erfolgreichen Zusammenarbeit stellte ihn Bernard Miles als resident designer bei der Mermaid Theatre für £25 die Woche ein. Kenny nahm an den Inszenierungen „Treasure Island“, „Great Expectations“ und „Henry V“ teil. Es folgten weitere Engagements bei der English Stage Company in Oxford, dem Royal Court Theatre und anderen kleineren Theaterhäusern. Der Wendepunkt trat durch seine Zusammenarbeit mit Peter Coe und Lionel Bart für „Oliver!“ (1960) im New Theatre ein, die Kenny in die erste Liga der englischen Szenografen katapultierte. Sein beeindruckendes Oeuvre beweist seine Fähigkeiten als vielfältiger Designer und zeigt den Charakter einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Er arbeitete erfolgreich als Architekt, Szenograf, Szenenbildner und Ausstellungsdesigner. Innerhalb von nur etwas mehr als einem Jahrzehnt avancierte er zum gefragtesten Designer der 1960er Jahre sowohl in Großbritannien als auch in den USA. Seine beispiellose Karriere endete abrupt 1973 als er einem Herzversagen erlag.

Abb. 2 Josef Svoboda

blick auf die szenografen

Josef Svoboda

Ohne Zweifel gehört Josef Svoboda (1920-2002) zu den wichtigsten Szenografen des 20. Jahrhunderts. Sein Lebenswerk ist dank zahlreicher eigener Veröffentlichungen, und den Arbeiten seiner Biografen (Bablet, Burian, Albertová), hinreichend bekannt und bedarf hier keiner ausführlichen Beschreibung. Ich werde nur einige Fakten nennen, die für diese Arbeit relevant sind. Geboren in Čáslav, Tschechien, absolvierte Svoboda zwei Jahre lang eine Schreinerlehre, fügte ein Jahr praktischer Arbeit als wandernder Schreinergeselle und weitere zwei Jahre auf der Handwerker-Meisterschule an, bevor er sich an einer Schule für Innenarchitektur einschrieb. Neben anderen hervorragenden Lehrern wurde Svoboda von František Tröster4, einem der einflussreichsten tschechischen Szenografen dieser Zeit, im Fach Entwurf unterrichtet. Über ihn bekam Svoboda seinen ersten professionellen Auftrag als Szenograf („Panoš Jan”, 1941). Nach einigen amateurhaften Produktionen während des Zweiten Weltkrieges bekam er die Chance, 1945 für das Opera Theatre of 5th May zu arbeiten. Der Erfolg kam gleich mit der ersten Inszenierung („Kunála´s Eyes“, 1945). Daraus resultierten nicht nur weitere Engagements, sondern auch die Position des Chefs der Ausstattungsabteilung des Opera Theatre of 5th May. Parallel zu seiner Tätigkeit als Szenograf absolvierte er das Studium an der Kunstakademie in Prag (1945-1951), im Studio des Architekten Pavel Smetana, und war zu dieser Zeit auch als externer Student an der Karlsuniversität in Prag eingeschrieben, wo er Kunstgeschichte und Philosophie studierte.5 Seine erstaunliche Karriere in der Szenografie dauerte bis 2002 und zählt um die 600 Inszenierungen.

4 František Tröster (1904-1968), tschechoslowakischer Szenograf, wurde 1937 für seine Arbeit mit der Goldenen Medaille der Triennale in Milan und dem Grand Prix in Paris ausgezeichnet. Albertová: Josef Svoboda, 43. 5 Ebd., 246f.

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Theaterstrukturen nach dem zweiten Weltkrieg Grossbritannien und der Tschechoslowakei

in

„Originalität ist immer ein Austauschprozess mit der Tradition, und man kann Neuerfindung ohne ein Gespür für die Konventionen, die der Künstler übernimmt und verändert, nicht wirklich verstehen.“ 6

Der Konservativismus in der Tradition des englischen Theaters hinterließ auch deutliche Spuren in der Szenografie. Was in der Renaissance entwickelt und im Barock verfeinert wurde, blieb bis zur zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts unverändert.7 Die Szenografen waren hauptsächlich Maler, was ihre Herangehensweise maßgeblich bestimmt hat. Man darf nicht vergessen, dass vor dem Zweiten Weltkrieg, wie John Bury8 in einem Interview für „Prompt“ erklärte, die Benutzung von realen Objekten auf der Bühne in Großbritannien nicht als künstlerische Tätigkeit angesehen wurde.9 Die Verwendung von realen Materialen (z.B. sichtbare Holzflächen als szenografisches Ausdrucksmittel) wurde als „billig“ bezeichnet und deswegen nicht anerkannt. Der finanzielle Druck ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Das Syndikat „The Group“ wurde 1947 gegründet und hatte um die 75% der Theaterhäuser in Großbritannien in seiner Obhut. „The Group“ hatte Anspruch auf 30% bis 40% der Einnahmen der laufenden Produktionen und besaß für den Fall unbefriedigender Einnahmen ein Vetorecht, konnte also Produktionen aus dem Repertoire nehmen lassen.10 Seit den 1950er Jahren entstanden die ersten experimentellen Theaterhäuser, die zu deutlichen Veränderungen der szenografischen Konzepte beitrugen. Ihre volle Entwicklung und Verfeinerung folgte Anfang der 1960er Jahre. Hinzu kam, dass die Zensur 1968 abgeschafft wurde. Harold J. Hunters Dissertation gibt einen historischen Überblick über die experimentelle Natur der Theaterhäuser in denen Kenny seine Laufbahn begonnen hat.11 Sein erstes Engagement als Szenograf war 1957 und vollzog sich vor allem an drei Londoner Theatern, die eine Alternative zu populären West-End-Produktionen darstellten. Es handelt sich um das Theatre Workshop, die English Stage Company und The Mermaid Theatre. 6 Bordwell/Adam/Greenaway/Lang: Der schöne Schein der Künstlichkeit, 118. 7 Hunter: An Architectural Approach to Scene Design, 3ff. 8 John Bury (1925-2000) war einer der erfolgreichsten englischen Szenografen seiner Generation. 9 „Before the war, using real things on the stage wasn´t consider to be ´Art´. The show had to be ´designed´, painted on flats. It was consider ´cheap´ to use real materials. You rather painted things on.” Bury: Designers Theatre, in: Prompt Nr. 2, 12. 10 Hunter: An Architectural Approach to Scene Design, 4f. 11 Ebd., 15ff.

blick auf die szenografen

Das Theatre Workshop wurde 1945 gegründet und tourte bis 1953 durch Großbritannien, als sich die Truppe am Londoner Theatre Royal Stratford East niederließ. Unter der Regisseurin Joan Littlewood wurde als Reaktion auf das allgemeine Unterhaltungstheater in Großbritannien ein ungewöhnliches Repertoire gepflegt. Man setzte sich mit gesellschaftskritischen Themen auseinander und unterstützte junge Autoren, wie z.B. Brendan Behan und Shelagh Delaney. Viele Projekte gingen später an die West-End-Theaterhäuser und die erfolgreiche Produktion „Oh, What a War“ wurde sogar verfilmt. Littlewood war auch die Auftraggeberin für Cedric Prices Projekt Fun Palace, einen interaktiven Raum in Stratford East, London.12 Fun Palace wurde zwar nie realisiert, übte aber einen wichtigen Einfluss auf die nächste Generation von Architekten aus, die Interesse an der Hochtechnologie und an der Kinetik zeigten, wie z. B. Renzo Piano und Richard Rogers. Die English Stage Company wurde 1956 mit dem festen Sitz im Royal Court Theatre in London gegründet. Es handelt sich um eine Truppe, die ausschließlich zeitgenössische, nichtkommerzielle Theateraufführungen hervorbrachte. Man spielte Brecht, Beckett, Ionesco. Nach anfänglichen Aufführungen in improvisierten Räumen seit 1951, öffnete The Mermaid Theatre im Jahr 1959 in Puddle Dock seine Türen mit der Premiere des Musicals „Lock Up Your Daughters“. Das Theater war in einer für diesen Zweck renovierten Großmarkthalle untergebracht und war das erste Theater in Großbritannien ohne klassisches Proszenium und Guckkastenbühne. Die elisabethanische Bühne stand frei im Raum, war von drei Seiten von Publikumsplätzen umgeben und hatte eine exponierte, aufgehängte Beleuchtung oberhalb der Bühne. Sean Kenny gehörte zum ersten Team, das hier arbeiten, experimentieren und sich entfalten durfte. Die tschechischen Szenografen des 20. Jahrhunderts waren durch das reiche nationale Erbe und durch die Einflüsse der Moderne aus der Kunst und Architektur ihrer Nachbarn geprägt. Joe Brandeskys Buch „Czech Theater Design in the twentieth century“ trägt dazu bei, den Kontext besser zu verstehen, der Svobodas Arbeiten prägte und beeinflusste. In der Zeit zwischen 1930 und 1940 war die freie Entfaltung der Szenografie in der Tschechoslowakei unter dem Einfluss von Stilrichtungen wie Kubismus, Konstruktivismus und Expressionismus möglich. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte in der Stalin-Ära (1948 – 1953) ein zwanghafter sozialistischer Realismus, der bedeutende Einschränkungen für die weitere Entwicklung der Szenografie in der Tschechoslowakei mit sich brachte. Trotz der Stagnation, die unter den sozialistischen Hardlinern 12 Riley: The Changing of the avant-garde, 44.

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auch im Theater stattfand, sind bereits in den 1950er Jahren erste Schritte unternommen worden, um die Szenografie als technologische Disziplin zu erforschen. 1953 wurde, einem Vorschlag von Miroslav Kouril folgend, das Scenographic Laboratory gegründet. Unterstützt von Josef Svoboda, der zu dieser Zeit ein Mitglied des Komitees für Technologie war, fanden die ersten Experimente in den Werkstätten des Prager Nationaltheaters statt. Als Leiter der Ausstattungsabteilung baute Svoboda, so weit es die finanziellen Möglichkeiten erlaubten, die Werkstätten für diesen Zweck aus. Damit schuf er die Voraussetzungen für die künstlerische und konzeptionelle Entfaltung in der Szenografie, welche das etwas entspanntere politische Klima ab Mitte der 1950er Jahre wieder erlaubte. Nach der Befreiung von den sowjetischen Zwängen fand unter Chruschtschow ab 1956 eine florierende Entwicklung der Szenografie in verschiedenen Richtungen - abstrakt, kinetisch oder metaphorisch - statt. Der intensive Einsatz technologischer Innovationen für die Bühne wurde seit Ende der 1950er Jahre vor allem durch die staatliche Finanzierung des Theaters in Tschechien ermöglicht. Die veraltete Theatermechanik brachte Svoboda dazu, auf die gleiche Weise wie Kenny, neue Wege für die räumliche Inszenierung zu suchen. Obwohl er schon in den 1960er Jahren regelmäßig im Ausland gearbeitet hatte, entstand sein szenografisches Vokabular vor allem in den Werkstätten und auf der Bühne des Prager Nationaltheaters. Die beeindruckende Anzahl der Produktionen (10 bis 20 Inszenierungen pro Jahr in den 1950er und den 1960er Jahren), die er als Szenograf zu dieser Zeit betreute, gab ihm genügend Möglichkeiten, auszuprobieren, zu experimentieren und aus Fehlern zu lernen. Wie Helena Albertová berichtet,13 wusste Svoboda genau, wie man Hersteller für seine Erneuerung findet und wie sie von neuen Ideen überzeugt werden konnten - eine wichtige Eigenschaft, die auch Kenny besaß. Albertová zufolge sah Svoboda seine Innovationen nur als Verfeinerung oder Perfektionierung der schon vorhandenen Bühnentechnik im Theater: „He considered his discoveries in set design to be no more than the result of an effort to bring already known theatrical means to greater perfection.“ 14 Der Prager Frühling 1968 mit dem darauffolgenden Einmarsch der WarschauerPakt-Truppen in die Tschechoslowakei bedeutete eine neue Wende für das Land. Eingeschränkte Freiheiten, unter der eisernen Hand der Sowjetunion und ein endgültiges Scheitern des Liberalisierungs- und Demokratisierungs­ prozesses hatten vielschichtige Folgen, darunter die Gleichschaltung kritischer künstlerischer und journalistischer Tätigkeit, die „Umstrukturierung“ der Kommunistischen Partei und die Auswanderung vor allem von Fachkräften 13 Albertová: Josef Svoboda,133. 14 Ebd., 170.

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und Intellektuellen.15 Laut Silke Sterns Bericht waren allein in Österreich „(...) in der Zeit vom 21. August bis zum 8. September 1968 86.354 Nächtigungen tschechoslowakischer Staatsbürger in provisorischen Auffanglagern registirert worden, (...).“ 16 In diesem Umfeld fand die Entfaltung der künstlerischen Tätigkeiten im Theater sicherlich keinen fruchtbaren Boden. Diese Umstände führten aber im Laufe der nächste Dekade zur Entwicklung der spezifischen semiotischen Theatersprache, die eine jüngere Generation der Szenografen meistern würde. Obwohl noch für das Nationaltheater tätig, gastierte Svoboda in den 1970er Jahren regelmäßig im Ausland, wo er die Gelegenheit nutzte, sich weiter mit der Technologie zu beschäftigen. Die Inszenierungen, an denen Svoboda im Ausland in den 1970er Jahren arbeitete waren überwiegend Operund Ballettproduktionen, die ohne Zweifel beste Voraussetzungen für weitere Experimente boten. Wie Albertová pointiert beobachtet: „(...) the visual side of opera and ballet openly admits that it should be not only a musical experience but also a visual, magnificent, spectacular experience.“ 17 Neben anderen Neuheiten führte dies auch zur ersten Verwendung eines Lasers als szenografisches Mittel. Günter Rennerts „Die Zauberflöte“ (1970) an der Münchener Staatsoper war die erste Inszenierung, für die Svoboda einen von Siemens angefertigten Laser für vier Minuten strahlen ließ. Die Überhitzung des Lasergeräts, das sich in dem Zuschauerraum befand, stellte ein Sicherheitsrisiko dar, weswegen die Verwendung auf wenige Minuten begrenzt wurde. Es war der Höhepunkt einer Produktion, die ausschließlich mit unterschiedlichen Lichtstimmungen gestaltet wurde. Svobodas Konzepte in dieser neuen Dekade galten in der Tschechoslowakei selbst als zu dominant und techniklastig. Die neue Generation von Szenografen (Jaroslaw Malina, Jan Dusek, Petr Matásek) lehnte diesen szenografischen Stil ab und suchte nach anderen Ausdrucksmitteln.

15 Brandesky: Czech theatre design in the twentieth century, 46. 16 Stern: Die tschechoslowakische Emigration, in: Karner: Prager Frühling, 1036. 17 Albertová: Josef Svoboda, 137.

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Ausbildung, Einflüsse und Gestaltungsprinzipien

„The logic of architecture is important to design; too often todays design is illogical.“ 18

Sean Kennys Ausbildung, sowohl das Architekturstudium in Dublin als auch die prägende zweijährige Lehre bei Frank Lloyd Wright, bestimmte seine architektonische Herangehensweise an die Szenografie. Dies wurde in der Dissertation „An Architectural Approach to Scene Design: The Works of Sean Kenny“ von Harold J. Hunter (Ohio University 1978) untersucht. „A set is architecture not decoration. All I do is to apply the principles of architecture to the theatre“ sagte Kenny in dem Interview für die Zeitschrift „Prompt“.19 Hunters Dissertation versuchte, genau diese Aussage zu überprüfen. Sie untersuchte den Einfluss und die Anwendbarkeit von Wrights modernen Prinzipien auf die Arbeiten von Kenny. Hunter führt aus, dass man nach Wrights Überzeugung, die Architektur erst grundsätzlich verändern und befreien kann, wenn der fließende Raum das Gebäude beherrscht und es dadurch in alle Richtungen öffnet. 1908 veröffentlichte Wright einen Essay „In the Cause of Architecture“ in der Zeitschrift Architectural Record, in dem er die Postulate der organischen Architektur aufgelistet hat.20 Diese Richtlinien repräsentieren das Vokabular, das er in seinen Prairie Style Houses angewendet hat. Im Jahr 1952 verfeinerte Wright noch einmal diese Richtlinien in Architectural Record, diesmal aber in Bezug auf Usonian Houses. Folgende Kriterien sind dort vorzufinden: Einfachheit und Einheitlichkeit des Designs, Individualität des Hauses, natürlicher Bezug zur Umgebung, Benutzung von Naturfarben, Hervorhebung des Materialcharakters, Benutzung von Maschinen zur Optimierung der Arbeit, Öffnung des Raumes, Rhythmisierung der Fenster, Beachten der Achsen und der Balance beim Entwerfen, Integration der Natur in den Wohnraum, Benutzung von Ornamenten nur als Integralteil des Raumes, Verwendung von einer Form als Leitmotiv für die Gesamtgestaltung und vor allem Streben nach Integrität.21 In seiner Dissertation untersuchte Hunter Wrights wichtigste Arbeiten und formulierte aus allen diesen Postulaten folgende Grundeinsicht, die seiner Meinung nach auf die szenografischen Arbeiten anwendbar ist: „manipulation 18 Kenny: The action takes place, in: The Tutler, o. A. 19 Kenny: Designers Theatre, in: Prompt No.2, 11. 20 Lind: The Wright style, 28ff. 21 Ebd., 28ff.

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of space ... in conjunction with the use of materials, color, plasticity and fluidity...“ 22 Das Prinzip plasticity bezieht sich auf die richtige Auswahl von Materialien, die zur Integrität der Bausubstanz entscheidend beiträgt. Unter fluidity wurde die Modifizierung des Raumes verstanden, die fließende Bewegungen von Menschen innerhalb dieses Raumes ermöglicht. Nach der Prüfung der Stimmigkeit der Grundeinsicht in den Arbeiten von Kenny, kommt Hunter zu dem Ergebnis, dass Kennys Zugang zur Szenografie tatsächlich ein architektonischer war, wie dieser es selbst auch behauptete. Was Wrights Positionierung gegenüber Technik und Technologie angeht, war diese durchaus positiv. Wenn der technische Fortschritt eine bessere Konstruktion in der Architektur ermöglichte und die Integrität der gebauten Objekte dadurch gestärkt wurde, dann war die Benutzung der neuen Techniken gerechtfertigt. Letztendlich lautet ein Postulat des Essays über die organische Architektur: „Put the machine to work to serve civilisation. Maximize its usefulness (for example, use furniture with clean-cut, straight-line forms).“ 23 Der Einsatz von Technik ohne Verankerung in räumliche Konzepte dagegen sollte vermieden werden. Wrights Buch „Schriften und Bauten“ gibt einen Überblick seines Verständnisses der Moderne, das er sicherlich an seine Schüler weitergegeben hat. In dem Buch sind die 14 Anweisungen „An den jungen Mann in der Architektur“ zu finden, die wohl auch Kennys Herangehensweise an der Szenografie grundsätzlich geprägt haben. Hier ein paar universelle Prinzipien aus dieser Liste: „1. Vergessen Sie die Architekturen der Welt, sie sind nur in ihrer Art und ihrer Zeit gut. (...) 4. Gehen Sie auf die Bauplätze, wo Sie die Maschinen und Methoden, die die modernen Gebäude machen, im Einsatz sehen oder bleiben Sie in der unmittelbaren und einfachen Konstruktion, bis Sie ganz natürlich aus der Natur der Konstruktion den Bauentwurf erarbeiten können. 5. Fangen Sie unverzüglich damit an, sich daran zu gewöhnen, im Geist „warum“ zu fragen, wenn Ihnen irgendwelche Wirkungen gefallen oder missfallen. (...) 7. Gewöhnen Sie sich daran, zu analysieren – mit der Zeit wird die Analyse Sie dazu befähigen, dass die Synthese Ihre geistige Gewohnheit wird.“ 24

Wie die Postulate zeigen, befürwortete Wright einen Bruch mit der Tradition und empfahl den jungen Kollegen, die räumlichen Wirkungen 22 Hunter: An Architectural Approach, 103. 23 Lind: The Wright style, 30. 24 Wright: Schriften und Bauten, 194f.

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zu analysieren und zu hinterfragen. Kenny verstand die gute Szenografie als Ergänzung der Bühne und nicht als etwas, was auf der Bühne gebaut ist. Die Lösung sollte sowohl der Bühne als auch dem Theaterstück gehören und nicht eine Ausstattung um der Ausstattung willen sein. Auf seinen Arbeitsskizzen, die in der Billy Rose Theatre Division (NYPL) archiviert sind, sieht man immer die räumlichen Darstellungen inklusive dem Auditorium und selten nur die szenografischen Entwürfe, wie sonst üblich in der szenografischen Praxis. Seiner Meinung nach war eine der Hauptaufgaben der Szenografen, eine Anordnung der Bühne und des Auditoriums zu schaffen, die ein spannendes Verhältnis zwischen Schauspieler und Zuschauer während des Spiels erzeugt. „Intimacy, remoteness, space, colour, darkness or light, are only possible when the designer becomes not a decorator“ pointierte Kenny in dem Aufsatz „A plea for simplicity“, den er für World Theatre geschrieben hat – „but the artist who arranges a room in such a fashion that a story can be told with words, song or movement in the way the writer or composer intended.“ 25 Die Einflüsse auf seinen Stil sind nicht nur auf die Architektur begrenzt. Nach eigenen Angaben war er kein Bewunderer von Gordon Craig, fand aber die Arbeiten von Meyerhold und die des Bauhaus beeindruckend. Kenny sah keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Entwerfen von Sets und dem Entwerfen von Gebäuden, weil das Ziel in beiden Fällen die Schaffung eines dramatischen Raums war. Je besser das Bühnenwerk, glaubte er, desto weniger hat der Designer zu tun und illustrierte dies mit dem Vergleich zwischen der einfachen Lösung der Szenografie für „Uncle Vanja“ (1963) und den aufwendigen Sets für „Blitz!“ (1962). Unabhängig von der Qualität des Werkes stand die Auswahl der Materialen für ihn an erster Stelle, sogar vor dem Symbolismus als Ausdrucksmittel. Er begründete es nicht nur mit der Struktur des Materials, sondern auch mit dessen Klang, der zum szenografischen Mittel gehört - Holz für „Oliver!“ (1960), Stahl für „Maggie May“ (1965) oder Stein bzw. Felsen für „The Flying Dutchman“ (1966). Bei der „Maggie May“-Inszenierung war das Klangbild von Stahl für ihn wichtiger als das Aussehen des Materials und diente als Anhaltspunkt für die Entwicklung der Szenografie. An dieser Stelle überschneiden sich die theoretischen Ansätze von Kenny und Svoboda in ihrem Verständnis der Szenografie. Obwohl nicht ablehnend gegenüber traditionellen Materialen wie Holz oder Stoff, zeigte Svoboda großes Interesse für Metall, Plexiglas, Plastik, Polyester, Spiegel-Folien und vieles mehr. Ähnlich wie Ralph Koltai26 interessierte er sich sowohl für die technische 25 Kenny: A plea for simplicity, in: World Theatre, 45. 26 Ralph Koltai, britischer Szenograf deutscher Abstammung, zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten Szenografen Großbritanniens der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt seiner beeindruckenden Karriere, die etwa 250 Produktionen zählt, waren die Experimente mit neuen Materialen in der Szenografie.

blick auf die szenografen

Qualität der neuen Materialien (Gewicht, Oberfläche, Spiegelung, Akustik) als auch für ihr Ausdruckspotential (assoziative Eigenschaft). In Alfréd Radoks Inszenierung „Faust“ aus dem Jahr 1967 verwendete Svoboda unterschiedliche Materialien für den Bühnenboden. Manche haben schalldämpfende und manche verstärkende akustische Eigenschaften. Dadurch wurde das Echo von Wagners Schritten, in der Szene seiner Verwandlung in Mephistopheles, gedämpft – um die schauspielerische Transformation dramaturgisch zu betonen. Beim Laufen zum hinteren Teil der Bühne hörte man deutlich den Klang der Schritte des Darstellers und sein Laufen in die Gegenrichtung verlief in totaler Stille. Die Verwandlung sollte mit Hilfe von „acoustic scenography“ stattfinden.27 Leider wurde diese Inszenierung nie aufgeführt, und außer Svobodas Beschreibungen ist keine Dokumentation vorhanden. Svobodas gestalterische Prinzipien waren stark im dramaturgischen Text verankert: „When I create a set design, I try by its means to capture the philosophy of the text; for me that is the basis of the whole design.“ 28 Zusammen mit dem Regisseur versuchte er, die Essenz des Textes zu erfassen und die künstlerischen Mittel zu finden, um sie am besten gestalterisch auszudrücken. Dies geschah während einer Reihe von Gesprächen mit Hilfe von Zeichnungen und Modellen. Die Szenografie musste seiner Meinung nach die spirituelle Atmosphäre des Dramas visualisieren und nicht das Geschehen bebildern. In einem Interview mit Danis Bablet erklärte Götz Friedrich, dass die Zusammenarbeit mit Svoboda immer ein Austausch zweier gleichberechtigter Partner war.29 Es wäre fast unmöglich zu sagen, welche Ideen von ihm und welche von Svoboda kamen. Nach Svobodas eigenen Angaben lag die Inspiration für seine Arbeit im Impressionismus und dessen Farbskala des Lichts. Ähnlich wie bei den Impressionisten waren für Svoboda Licht, Form und Bewegung die wichtigen Bestandteile der Szenografie. Die Impressionisten benutzten das Wissen über das Licht, was zu einer Kooperation der Künste mit der Wissenschaft führte und zum Beginn der Modernen Kunst beitrug. Diese Kooperation sah Svoboda als essentiell für die künstlerische Arbeit im 20. Jahrhundert an. Seiner Meinung nach bot die Wissenschaft eine rationale Basis für die Kunst und ermöglichte dadurch weitere Untersuchungen bzw. Forschungen auf diesem Gebiet. In dem Katalog anlässlich der Ausstellung seiner Arbeiten an der Akademie der Künste (1969) in Berlin wurde diesbezüglich folgendes geschrieben: „Die bildnerische Komposition des Raumes ist in seinem Werk durch die szenische Technik existenzbedingt und vervielfacht, die zum gleichwertigen 27 Albertová: Josef Svoboda, 126. 28 Ebd., 108 zitiert von Svoboda: Tajna teatralnovo prostranstva, 40. 29 Bablet: Josef Svoboda, 68.

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Element der Bühnenausstattung wird. In diesem Sinne führt Svobodas Weg in zwei Richtungen: nach dem Licht und nach der mechanischen Bewegung der Raumteile, die zur endlichen dramatischen Atmosphäre zusammengezählt werden.“ 30

Den wichtigsten Einfluss während Svobodas Ausbildung übte vermutlich František Tröster aus. Seit 1939 unterrichtete Tröster Entwurf an der Zentralen Schule für Innenarchitektur in Prag, wo Svoboda studiert hat. Interessanterweise war er auch ein Architekt, der seinen beruflichen Weg in der Szenografie fand. Durch Studienreisen (Dänemark, Schweden, Deutschland, Frankreich) Anfang der 1930er Jahre kam Tröster in Kontakt mit modernen Tendenzen und Bauhaus-Arbeiten und verbreitete diese Einflüsse nach der Schließung des Bauhauses an der Schule für Kunsthandwerk in Bratislava, wo er auch eine Zeitlang unterrichtete. Beeinflusst von Piscators und Brechts Arbeiten in Deutschland und Meyerholds Experimenten in Russland, begann er eine erfolgreiche Karriere als Szenograf. Noch Ende der 1930er Jahre experimentierte Tröster mit kinetischen Elementen auf der Bühne und erforschte Bewegung, Zeit, Rhythmus und Licht als Mittel zur Psychologisierung des Raums. Er gehörte zu den innovativsten tschechischen Szenografen des 20. Jahrhunderts, der neben anderen Auszeichnungen die Goldmedaille der Biennale für bildende Kunst in Sao Paolo (1959) und den Titel Nationalkünstler für sein Lebenswerk (1968) erhielt.

30 Bablet: Katalogmaterial II, o.S.

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Gründe für die Nutzung von Technologie „I suppose I approach this job more as an architect than a theatrical person“ sagte Kenny im Times-Artikel „The Stage Designer who Makes One Sit Up“ und erklärte seine Position zur Nutzung der Technologie: „I´d be just as happy to drop a couple of ropes across a very good story as to design a monster piece of machinery. But machinery is necessary to me at the moment as a means of showing people that you can have different kinds of stages. Stages that come out over to the audience; stages that appear in the walls; ceilings that move; floors that move.“ 31

Kenny sah in der Szenografie eine Nische, in der er seine architektonische Ausbildung am besten einsetzen konnte. Er fühlte sich nie als Architekt, der seine Branche verlassen, sondern als Architekt, der sich für eine andere Disziplin entschieden hatte. Die Nutzung der Technologie war ein rebellischer schöpferischer Akt für Kenny, ein Protest gegen die traditionellen Theatergebäude, in denen er gearbeitet hatte. Er sah das Proszenium-Theater als Hindernis für die weitere Entwicklung der szenografischen Konzepte und suchte einen Weg für die Erweiterung der künstlerischen Freiheiten nicht nur von Szenografen sondern auch von Theaterautoren und Komponisten. Im Theater mit konvertiblen Decken, beweglichen Wänden und auswechselbaren Zuschauerplätzen konnten sich seiner Meinung nach die Theatergeschichten frei entfalten – „a writer then could write about a man who jumped out of a window onto a white horse and rode over the hill“.32 In dem Interview mit Elisabethe Corathiel „27 Sean Kenny“ beklagte sich der Designer: „All around us a brave new world, inspired by progressive thought and streamlined slickness is springing up, while our outmoded theatres, lagging behind, fail to reflect it. Managements are timid, anxious only to `give the public what it wants´ and the public is too indifferent to get out of the rut. So, we go on, year after year (...)“ 33

Die Interdisziplinarität spielte eine wichtige Rolle in seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Technologie. In dem Vortrag auf dem Seminar Public Libraries and the Arts im College of Librarianship Wales sprach Kenny 31 o.N.: The Stage Designer, in: The Times, 14. 32 Seidenbaum: A New Dimension, in: Los Angeles Times, 12. 33 Corathiel: 27 Sean Kenny, in: o.S., 30ff.

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über die Wichtigkeit der gegenseitigen Interaktion von verschiedenen Künsten und die Stärkung ihres Bezuges zum täglichen Leben. Aus dem Mangel an Austausch mit anderen Disziplinen steige der Frust und führe zu Stagnation in einzelnen Gebieten, was im Gegensatz zu seiner Definition eines Künstlers stehe. Was seiner Meinung nach einen Künstler ausmacht ist „that strech of man´s imagination, it is man doing impossible, going beyond.“ 34 Kenny war sich sowohl der Beschränkungen als auch der Gefahren in der Nutzung von fortschrittlichen Technologien bewusst, weil sie schnell der Zweck statt nur das Mittel werden konnten. Er betonte immer wieder, dass seine Bemühungen, die moderne Wissenschaft in seine Entwürfe einzubeziehen, nur ein Ziel haben - sie für die Schaffung einer besseren und flexiblen Bühne einzusetzen. Seiner Meinung nach würden die flexiblen Theaterhäuser nicht den Einfallsreichtum der Designer verlangen, sondern verschiedenste Inszenierungsmöglichkeiten des Raumes beinhalten. Er plädierte eigentlich nicht für das Bauen von neuen Theaterhäusern, sondern für die Zerstörung der traditionellen Theatergebäude. „The only thing to do“ sagte er in einem Daily Express Interview, „is to go down to the basement and with a bloody great bomb blow the lot sky high, Coward, Rattigan and all.“ 35 Er sah das Theater der Zukunft mehr als einen Ort und nicht als ein Gebäude. Er wünschte sich einen Ort der Freude – „with balloons and Picasso and Miles Davis and Bellet and children – no more museums or cathedrals of medieval ritual as the theatre has become“.36 Seine Vision hatte den Ursprung im griechischen Theater der Antike. Es handelte sich dabei mehr um ein Ereignis mit stark ausgeprägtem sozialem Charakter. In dem Versuch, das Theater neu zu definieren, schlug er vor, die Theatermacher in einem Zelt unterzubringen. Das Zelt sollte je nach Bedarf verändert werden und fünfzig Jahre aktive Arbeit und Auseinandersetzung mit dem Raum anbieten. Kenny glaubte, dass sich nach dieser Periode eine neue Form des Theaters herauskristallisieren würde. Erst dann dürfte man anfangen zu bauen, müsste aber immer eine gewisse Flexibilität des Raumes gewährleisten, weil das Theater aktiver und wandelbarer als die Architektur ist. „The ideal theatre would be completely flexible, you´d be able to change the arrangement of the stage to suit the play“, sagte er in einem Interview.37 Josef Svoboda sah die Motivation für die Nutzung der Technologie vor allem in den Anforderungen der Dramaturgie, die schnellere Transformation der Räume benötigte: 34 Kenny: A theatre of books, in: Library Assosiation Record, 321. 35 Aynsley: Inside Show Business, in: Daily Express, o.S. 36 Seidenbaum: A New Dimension, in: Los Angeles Times, 12. 37 Kenny: Designers Theatre, in: Prompt No.2, 11.

blick auf die szenografen

„For our production style nowadays we need above all a space which can, by its practicality and its ability to make rapid transformations, call for an intensification of the meaning and expressive possibility of the production. Such a space is capable of transforming synchronatically with the progress of the production / performance, with the passage of its moods, with the development of its meaningful and dramatic line. It does not lie to us with an illusion of being something it is not; it acknowledges that it is indeed – the space for a play.“ 38

Svoboda fand, dass die Theatertechnik zwei sich gegenseitig ergänzende Qualitäten beinhalten muss: Funktionalität und Unauffälligkeit. Er war gegen die Akkumulation von technischen Effekten und ihre Verwendung ohne dramaturgische Funktion. Die Theatertechnik dürfe nicht benutzt werden, um das Publikum zu faszinieren. Ihre wichtigste Aufgabe sei es, die Variabilität statt stereotypische Lösungen zu bieten, die das Publikum mit ihrer Monotonie langweilen. Wie in Denis Bablets Biografie zu lesen ist, nutzte er 85% der traditionellen und 15% der neuen mechanischen Lösungen.39 Um diese 15% der neuen Mechanik zu beschreiben, benutzt Svoboda folgende Termini: kleine Bühnenmechanik und Konstruktionsspiel. Die bis dahin nur in der Industrie benutzte kleine Mechanik wurde in den Werkstätten des Prager Nationaltheaters an die Anforderungen der spezifischen Produktionen angepasst. Es handelt sich um hydraulische und Elektromotoren, Rollbänder, elektronische Bedienungsanlagen, eine Reihe von Kino- und Diaprojektoren u.s.w. Das Hauptprinzip seiner technischen Innovationen war sowohl die Unauffälligkeit als auch die vielseitige Anpassungsfähigkeit. Diese mechanischen Elemente waren nie wirklich „fertig“, um die Möglichkeit für eine weitere Veränderung bzw. Verwendung offen zu lassen. Seiner Meinung nach musste die Mechanik für das Publikum unhörbar und unsichtbar bleiben, um den Theaterzauber nicht mit ihrer Exponierung, Lärm und technischem Auftritt zu zerstören. Um das zu erreichen nutzte er spezielle dämpfende Materialen (Nylon, Kautschuk) oder platzierte die Elektromotoren so weit weg von der Bühne wie möglich. Für die Bewegung verwendete er Rollbänder. Diesbezüglich war er aber nicht dogmatisch. Falls eine Geschichte das Exponieren der Technik aus dramaturgischen Gründen verlangte, war er auch bereit es zu tun, wie z. B. bei „Hofmanns Erzählungen“ (1946) oder „Die Trauung“ (1968). In beiden Fällen waren die Diaprojektoren sichtbar, um eine parallele Welt des Geschehens auf der Bühne zu unterstützen. Im Bewusstsein der Einschränkungen der Guckkastenbühne arbeitete er an den technischen Verbesserungen, um die Qualität des vorhandenen 38 Albertová: Josef Svoboda, 47, zitiert von: Le Théâtre en Tchécoslovaquie, DÚ 1962: 15. 39 Bablet: Josef Svoboda, 34.

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dramaturgischen Raums zu erhöhen. „Ich strebe nach einer beweglichen Szenerie, in der die Bewegung zum Gesetz wird, einer Szenerie, die ihre Form, ihre Struktur im Verlauf des Dramas gemäß seinen Bedürfnissen, seiner innere Bewegung, in Übereinstimmung mit seinem Gehalt, verwandeln kann.“ 40 Dafür ist die vorhandene traditionelle Maschinerie, darunter auch die Drehbühne – zu stereotyp, weil ihre Bewegungen festgelegt sind. Svobodas Meinung nach waren deswegen für jede Inszenierung neue technische Mittel nötig (beweglicher Bühnenboden, mobile Paneele, drehbare Podien, hydraulische Aufzüge...). Er beschäftigte sich intensiv mit technologischen Erneuerungen und dem kinetischen Potential der Bühne, betonte aber auch die Wichtigkeit einer sicheren finanziellen Grundlage für solche Experimente: “Postwar scenic experiment correlated with the condition and potential of technology existing outside the theatre. It could grow only from a strong economic foundation, from a wide circle of collaborators and from financial security, which enabled experiment to achieve at least a relative degree of definition and finish. In short, experiment today require more than paper, burlap, paints, a ladder, and enthusiasm unsupported by knowledge and exactness.” 41

Svoboda stellte sich gar nicht die Frage ob, sondern auf welche Weise die moderne Technologie die Szenografie unterstützen soll.42 In „The Bagpiper of Strakonice“ (1958) benutzte er horizontale Rollbänder, sowohl als Mittel für die Veränderung der Szenografie als auch für die Bewegungsmöglichkeit der Schauspieler. Für „Hamlet“ (1959) verwendete er 24 mobile Paneele 3x9m, die durch die unterschiedliche Positionierung entlang der Bühne immer wieder neue Raumaufteilungen schufen. Für diese Produktion benutzte Svoboda zum ersten mal die Spot-Beleuchtung - „low-voltage lamps normally used by freight trucks, which were a type of parabolic-mirror light with five times as great an intensity as normal theatre spotlights, but producing relatively little parasitic light“.43 Die Oper „Dalibor“ (1961) mit langen instrumentalen Pausen bot die Gelegenheit für weitere dynamische räumliche Konzepte, um die Übergänge zwischen einzelnen Szenen fließender zu gestalten. Auf zwei Drehscheiben, die leicht versetzt waren, wurden zwei Prismen in unterschiedlicher Höhe platziert, die einen dominanten architektonischen Charakter hatten. Die Spotlights-Reihen von hinten verspielten die Drehung der zwei Formen und erzeugten einen Eindruck, als ob sich die Prismen näherten bzw. voneinander 40 Svoboda: Josef Svoboda, o.S. 41 Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 25. 42 Ebd., 17. 43 Albertová: Josef Svoboda, 92.

blick auf die szenografen

entfernten. „The Owner of the Keys“ (1962) war eine weitere Gelegenheit, das kinetische Potential der Bühne zu erforschen. Um das Verschwinden eines Teiles des Sets umzusetzen, der aber noch nicht abgespielt war, platzierte er zwei Zimmer eines Appartements jeweils auf Schienen, die zusammen oder getrennt entlang der Schienen gleiten konnten. Die Einheiten formten dadurch nicht nur unterschiedliche räumliche Kompositionen, sondern man konnte sie auch in der Tiefe der Bühne durch die perspektivische Verkleinerung, einen zusätzlichen Vorhang und Licht-Verblendungseffekte (Lichtvorhang) verschwinden lassen. Die Szenografie für „Romeo und Juliet“ (1963) stellte einen komplexen dynamischen Raum dar und wurde zum Vorreiter von action scenography, die in den 1970ern von einer jüngeren Generation der tschechischen Szenografen ausgearbeitet und erweitert wurde. Die Grundidee war, die minimalistische Formsprache der Architektur und deren präzise Proportionen in den Vordergrund zu bringen. Die schwebende Loggia musste ohne Schwenkungen und unnötige Turbulenzen bewegt werden können, um die Präzision der architektonischen Elemente ausdrücken zu können. Die Bewegung der drei Einzelelemente des Dekors veränderte ihre Funktion mehrmals während der Inszenierung. Ein Teil der Plattform wurde z. B. vertikal hoch und runter gefahren und verkörperte unabhängig von der Höhe eine Bank, eine Brüstung oder eine Wand. Die zwei anderen Elemente fügten sich auf ähnliche Weise dazu und schafften die subtile Veränderung des Raumes. Die räumliche Wirkung der Inszenierung „Romeo und Juliet“ wurde von Svoboda folgendermaßen beschrieben: „Die außerordentliche Beweglichkeit dieser Elemente, deren Bewegung sich dem Rhythmus der Handlung anpasste, gewährleistete eine nahtlose Abfolge der Szene und wirkte auf den Betrachter wie ein poetisches Fluidum.“ 44 Die Veränderungen wurden durch ein eingespieltes Stagehand-Team umgesetzt, wie Helena Albertová in der ausführlichen Beschreibung der Inszenierung schildert.45 Diese Inszenierung stellt bis dahin die präziseste szenische und technische Arbeit von Svoboda dar. Die Inszenierung „Hamlet“ (Brüssel, 1965) hatte eine kubistische, frontale Wand á la M.C. Escher, aus der sich die einzelnen Segmente wie Treppen oder Wandflächen im Rhythmus der dramaturgischen Handlung nach vorne oder hinten bewegten. Im gleichen Jahr entwarf Svoboda für das Theaterstück „The Insect Play“ (1965) zwei großformatige, leicht zum Publikum geneigte Spiegelwände (hexagonale versilberte Plexiglasscheiben in Rahmen), die das Geschehen auf den zwei konzentrischen Drehscheiben wiedergaben. Die Szenografie für „Der Troubadour“ (1966) bestand aus zwei drehbaren Ebenen mit jeweils einem Turm darauf. Im Zusammenhang mit der dramaturgischen 44 Svoboda: Josef Svoboda, o.S. 45 Albertová: Josef Svoboda, 108.

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Handlung, entfernen sich die Türme oder nähern sich an. Damit stellte man die Dualität zwischen zwei Brüdern dar.

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Konzepte der Theatergebäude Im Dezember 1961 hat Kenny in einem Interview für Plays and Players seine Reise nach Kuba angekündigt, wo er als Berater für die Entwicklung eines neuen Schemas von Kulturzentren des Landes tätig sein wollte.46 Seiner Meinung nach war die Zeit gekommen, um etwas Konkretes zu unternehmen und nicht nur über die Erneuerungskonzepte zu reden. Die kubanische Regierung wollte kleine Gemeindezentren bauen, die auch für die Theaterinszenierungen ausgestattet sein sollten. Die Theatertruppen aus Havanna hätten dadurch die Gelegenheit, durch das Land zu reisen und die Kulturereignisse auch für die Arbeiterklasse in der Provinz zugänglich zu machen. Die Zentren waren auch für das Ausüben anderer künstlerischer Tätigkeiten geplant. Zu Kennys tatsächlichem Engagement in Kuba kam es zwar nie, diese Episode aber drückte noch mal die Frustration darüber aus, dass seine Arbeit als Künstler und Innovator nur von einem kleinen Teil der privilegierten Gesellschaft wahrgenommen wurde. Er hat sich stark für den Aufbau einer Infrastruktur von Kulturzentren in der englischen Provinz eingesetzt, die eine Auseinandersetzung mit Theater, Malerei, Skulptur oder Musik hätten anbieten können. Gleichzeitig plädierte er für die Einführung des zeitgemäßen Dramas (Eugene O´Neill, Arthur Miller) als Lektüre an den Schulen. Auf diese Weise könnten sich die Schüler im kleinen Schultheater mit dramatischen Texten auseinandersetzen, die sozialen Milieus ihrer Zeit erforschen. Kenny beschuldigte die Theaterorganisation, sich hauptsächlich mit dem Profit zu beschäftigen, statt in die nächsten Generationen der Theaterbesucher zu investieren und langfristig zu denken. Sein Wunsch war es, auch für die ganze Gesellschaft zu arbeiten und deswegen hat er jede Gelegenheit genutzt, um sich an Projekten außerhalb des Theatermilieus zu beteiligen. Kenny rebellierte gegen die altmodischen Bühnen und die Ausrüstung an den Theaterhäusern, die einen Designer ständig zu Kompromissen zwingen. Man verschwendete viel Zeit, um die existierenden Einschränkungen der vorhandenen Bühnen zu überwinden oder sich gegen das West-End-Theatermanagement durchzusetzen. Meistens war das Resultat nur ein Bruchteil der ursprünglichen Idee. Kenny warf den Theaterhäusern die Unfähigkeit vor, die Anforderungen der Zeit zu reflektieren und sich den zeitgenössischen Strömungen anzupassen. In dem Aufsatz „27 Sean Kenny / Creative Artists in the Theatre“ schrieb Elisabethe Corathiel folgendes über Kennys Überzeugungen:

46 Kenny: Time for Action, in: Plays and Players, 9.

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„Kenny has an unshakable conviction that, just as the architecture of a period expresses the mentality – the soul, if you like – of its time, the theatre, equally, should express the spirit of contemporary life. It should be real, even to point of being noisily articulate. Symbolism, evocative ideas, useful short cuts, must be based on concrete reality.“ 47

In dem gleichen Aufsatz ist Kennys Ablehnung gegenüber sowohl der Guckkastenbühne als auch der freien Rundbühne als Theaterkonzept nachzulesen. Nach Craig und Kiesler war Kenny der dritte Szenograf im 20. Jahrhundert, der sich mit dem Termin Space Theatre beschäftigte, und seine eigene Version vorgeschlagen hat. Es handelt sich dabei um einen Entwurf (Abb. 3), der zwar nicht gebaut wurde, aber viel Aufmerksamkeit durch Kennys Interviews und die Veröffentlichung der Skizzen Anfang der 1960er Jahre bekam. Der geplante Theaterraum hätte den Zuschauern verschiedene Positionierungen geboten. Das Publikum hätte vor dem Bereich für das Spiel, aber auch dahinter, seitlich, bzw. auf Galerien platziert werden können. Der Raum hätte dem Betrachter die freie Entscheidung überlassen, ob er eine passive oder aktive Rolle in der Aufführung übernehmen will. Die Entfernung zwischen Schauspieler und Zuschauer, verursacht durch das Proszenium der Guckkastenbühne, war eine der wichtigsten Aufgaben des Space Theatre. Der Vorhang, die fixierten Sitzreihen und die Abblendung der Beleuchtung wurden als Hindernis in diesem kinetischen Raum gesehen. Um die Magie des Theaters zu entfesseln, betonte Kenny, müssten die Aufführungen lebendig und dynamisch sein. Das könnte seiner Meinung nach erst vollkommen verwirklicht werden, wenn neue Theaterhäuser gebaut würden, die den Anforderungen vom Space Theatre überhaupt gerecht würden. Die Vision vom neuen Theater beinhaltete Bühnen-Plattformen, die man heben oder versenken könnte, bewegliche Wände und Paneele und Zuschauerplätze, die für unterschiedliche Aufführungen mechanisch verstellbar wären. “What we want is a space which can be adaptable to any form of production. Somewhere which with a minimum of machinery and scenery, you could adapt to different styles of plays by altering the interior relationship of the house to the relationship required between actor and spectator.” 48

Die Form des Raumes wird hier als eine Art des Ausdrucks gesehen, die für die Selbstentfaltung genauso wichtig wie das Sprechen oder die Bewegung unseres Körpers ist. Kenny plädierte für Räumlichkeiten, die dem Nutzer 47 Corathiel: 27 Sean Kenny, o.S., 31. 48 Aynsley: Inside Show Business, in: Daily Express, o.S.

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Abb. 3 Sean Kenny, Space Theatre, 1960. größere Möglichkeiten geben, sich selbst im eigenen Raum besser ausdrücken zu können. Er präzisierte die gewünschten Änderungen sowohl im Theater als auch in der Architektur: ”(...) in my opinion the architecture of the future will encourage people to revive individual manual skill, though they will express themselves in materials with new possibilities. I would like to pull the old theatres down and rebuild places where people can enjoy themselves most. In my places of entertainment there would be no canvas at all in the theatres themselves. The old-fashion-type of scenery is quite unnecessary. I would scrap the existing lighting arrangements and do away with wiring altogether, using electronic methods instead, and much smaller, more easily portable lamps, which could be placed just where they are needed, with results a hundred-fold more effective and flexible. Yes, I approach life from the architectural point of view- and vice versa. I´d have everyone housed in modern homes, too, and reflect their real life in the modern theatre…” 49

Die Interviews und Zeitungsartikel spiegeln Kennys Ambition wieder, seine Konzeptideen für ein neues Theatergebäude praktisch zu verwirklichen. Die Auseinandersetzung mit den räumlichen Möglichkeiten innerhalb des Theaters resultierte in konkreten Entwürfen, die reif für die Umsetzung waren. Er sah die Chance für eine weitere Entwicklung der Szenografie nur in neuen räumlichen Umrissen: 49 Corathiel: 27 Sean Kenny, o.S., 32.

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„What I´d like to do is divide my time between designing sets and building theatres, making them fabulous places of entertainment, radically different from our present concept. I feel the theatre must convey a sense of enormous spectacle – something electrifying, yet with the content value.“ 50

Im Jahr 1963 entwickelte Sean Kenny ein konkretes Theater-Konzept und nannte es Study ´63. Es handelt sich dabei um einen Entwurf, der sowohl die Bühne als auch das Auditorium mit einer freien Hülle umwickelte. Die Außenhülle verhinderte nicht die veränderlichen Positionierungen der Bühne und der Zuschauerplätze, die abhängig von der Art der Aufführung realisiert werden sollten. Diese Außenhülle war als eine gewölbte Schale gestaltet, die sich den inneren Veränderungen anpassen konnte (Abb. 4).

Abb. 4 Sean Kenny, Study ´63: Veränderung der Theaterform (Arena, Proszenium, Amphitheater) 1963. 50 Eichelbaum: Sean Kenny Sets the Stage, in: Theatre Arts, o.S.

blick auf die szenografen

Drei modulare Züge-Systeme waren geplant: die erste Gruppe für die laufende Aufführung, die zweite Gruppe für die nächste Produktion und die dritte Gruppe für die Vorbereitungen der darauffolgenden Projekte (Abb. 5). Alle drei Systeme waren mobil, gegenseitig austauschbar und kombinierbar durch eine Fernsteuerung. Hinter-, Haupt- und Vorbühne hatten Hebungs- bzw. Senkungsmöglichkeiten. Auf einer Seite der drei Bühnen waren hufeisenförmig Szenografie-Lager, Werkstätte, Probe- und Serviceräume positioniert. Auf der gegenüberliegenden Seite lagen das Auditorium und der Eingangsbereich.

Abb. 5 Sean Kenny, Study ´63: Isometrie Skizze, 1963.

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Durch die freie Positionierung der Bühne und einen Teil der Zuschauerplätze waren verschiedene Anordnungen möglich (Abb. 6). In der Ausarbeitung wurde dargestellt, wie sich der Raum in die klassische Proszenium-Bühne (Abb. 7), das Amphitheater (Abb. 8), die Zirkus-Arena (Abb. 9, 10) oder die Arena mit zwei Bühnen umwandeln lässt (Abb. 11). Kenny zeigte in dieser Studie, wie sich ein Mehrzweckraum in verschiedene Theatertypen verändern konnte, um sich den unterschiedlichen Anforderungen des dramatischen Textes anpassen zu können. Das Konzept zeigte eine ähnliche Gedankenfolge wie das unrealisierte Projekt von Walter Gropius „Total Theater“ (1927). In dem Fall von Study `63 ging Kenny noch weiter, weil die Außenhülle der Veränderung des inneren Raums folgte, was bei Gropius nicht der Fall war.

Abb. 6 Sean Kenny, Study ´63: Grundriss Diagramm, 1963.

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Abb. 7 Sean Kenny, Study ´63: Proszenium-Bühne / Grundriss, Aufriss, 1963.

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Abb. 8 Sean Kenny, Study ´63: Amphitheater / Grundriss, Aufriss, 1963.

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Abb. 9 Sean Kenny, Study ´63: Arena-Bühne / Grundriss, Aufriss, 1963.

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Abb. 10 Sean Kenny, Study ´63: Arena Skizze, 1963.

Abb. 11 Sean Kenny, Study ´63: Arena mit zwei Bühnen, Skizze 1963.

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Im Verlauf seiner langen Karriere arbeitete Josef Svoboda überwiegend im klassischen Theater mit der Proszenium-Bühne. Wie Albertová darlegt, respektierte er die Guckkastenbühne („because it is the most theatrical space available“),51 war sich aber auch der Einschränkungen dieser Form des Theaters bewusst. Unzufrieden mit den Entwicklungen in der Theaterarchitektur seiner Zeit, arbeitete er seine eigenen Konzepte aus. Das Atelier-Theater stellte einen Versuch dar, die neuen Möglichkeiten in der Gestaltung des Theaterraums zu entdecken.52 Es handelte sich dabei um einen architektonisch neutralen Raum, der verschiedene Relationen zwischen Publikum und Bühne für jede neue Inszenierung anbietet. Das Atelier-Theater war ein rechteckiger Raum. Die multifunktionellen Galerien befanden sich auf mehreren Ebenen und waren mit den Kommunikationsvertikalen in den Ecken verbunden. Die Position der Galerien war mechanisch verstellbar, unabhängig von ihren Rollen in der Inszenierung als Licht-Träger, Projektionsfläche, Spielebene oder Zuschauerraum. Die Zuschauerplätze waren geteilt in Gruppen von 100, auf Luftkissen gestellt und dadurch leicht veränderbar, sogar während der Inszenierung. Falls nicht gebraucht, konnte man die einzelnen Segmente aus dem Raum entfernen und mehr Platz für das Spiel bekommen. Die Versenkungen dienten auch als Lastaufzüge und Kommunikationswege zwischen Bühne und Werkstätten. Die Beleuchtungsbrücken und der Schnürboden waren auch mobil und leicht verstellbar. Die Atelier-Theater-Idee wurde zum Teil in dem konkreten Entwurf für das neue Theater Laterna Magika (1980) ausgearbeitet, aber leider nie realisiert. Svoboda beschrieb den idealen Theaterraum als „a working instrument, a production space where one makes real experiments“.53 Er schlug 1988 zwei weitere Varianten vor: „methabolic theatre“ and „space for polyvalent productions“.54 Metabolic theatre hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Zelt-Theater von Sean Kenny. Es handelt sich um ein Theatergebäude, das sich alle 25 Jahre mit wenig Aufwand und niedrigen finanziellen Kosten ändern ließ und so auf die Anforderungen der Zeit anpasst. Die zweite Variante – Raum für polyvalente Produktionen, war ein Mehrzweckraum, der sich verschiedenen Inszenierungswünschen leicht anpassen könnte. Svoboda bekräftigte hier die Wichtigkeit der Proberäume. Seiner Meinung nach sollten diese Räume in gleicher Proportion und Größe sein wie der Bühnenraum, technisch gut ausgestattet und in der unmittelbaren Nähe von der Kostümwerkstatt. Dies würde ermöglichen, dass man die Szenografie parallel zu den Proben weiter 51 Albertová: Josef Svoboda, 225 zitiert von Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 19. 52 Svoboda/Burian: The secret, 20. 53 Albertová: Josef Svoboda, 232 zitiert von Svoboda: Tajna tetralnogo prostranstva: 131. 54 Albertová: Josef Svoboda, 232.

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entwickeln und den Schauspielern eine Chance geben könne, in noch nicht fertigen Kostümen zu arbeiten, um sich besser auf die Rolle vorzubereiten. „This is how a character comes to life“ begründete Svoboda seine Vorschläge – „A character takes time to shape, it has to mature. Time is needed to search for the best solution.“ 55 Die besten Resultate in der Entwicklung der Szenografie könnten seiner Meinung nach nur erreicht werden, wenn man den Raum noch während der Proben an die Bewegungen und die Handlungen der Schauspieler anpasst und verändert. Dies wären die besten Voraussetzungen, um maximale Resultate einer jeden Inszenierung zu schaffen. Svoboda befürwortete die Theaterräume mit 600, max. 800 Zuschauerplätzen für das klassische Drama und bis 1200 Plätzen für die Oper.56 Diese neuen Konzepte von Kenny und Svoboda zeigen, wie sich die Suche nach anderen Formen der Theatergebäude im Laufe der Zeit entwickelte. Anfang der 1990er Jahre, nach vier Jahrzehnten seiner Arbeit als Szenograf und einer konstanten Suche nach neuen technischen und technologischen Erneuerungen für die Bühne, kam Svoboda zu einer widersprüchlichen Erkenntnis. Die aufwendige Bühnenmechanik ist als fester Bestandteil der Theaterhäuser nicht mehr nötig, weil sie sehr schnell veraltet und in einem Kanon der Wiederholung gefangen ist. In den meisten Fällen ist die vorhandene Technik nicht kompatibel mit neuen technologischen Innovationen und dadurch unflexibel für die variable Verwendung. Deswegen fand Svoboda den besten Weg in der Entwicklung der eigenen modularen Bühnentechnik, die sich den Anforderungen der Zeit anpassen kann.

55 Ebd., 232. 56 Ebd., 232.

blick auf die szenografen

Konkrete Projekte für Theatergebäude

„I want to make people aware that the theatre is not a building but negative space for a relationship between actor and audience; from this realisation everything grows outwards.“ 57

Noch 1962, nach der „Blitz!“ Premiere, äußerte Sean Kenny den Wunsch, wieder als Architekt zu arbeiten und Theaterbauten zu entwerfen. „I am fed up with the West End theatre as it is at present“, sagte er in einem Interview - „and I just don´t want to do any more plays“.58 Durch die dauerhaften Kompromisse und Einschränkungen des traditionellen Theaters und der Guckkastenbühne sah Kenny offensichtlich keine Perspektive für eine Weiterentwicklung der Szenografie. Der nächste Schritt war klar – sich mit den neuen Theaterkonzepten und deren Verwirklichung auseinanderzusetzen. Die erste Gelegenheit dazu bekam Kenny im Jahr 1963. Sein Auftrag war, ein neues Theater für das Dunes Hotel in Las Vegas zu entwickeln (Abb. 12).

Abb. 12 Sean Kenny, Vorschlag für das neue Theater im Dunes Hotel, Las Vegas, 1963. Auf der Skizze steht ein Hinweis: „Suitable for: revues, plays, conventions, conferences, recitals, boxing.“ 57 Kenny: The action takes place; in: The Tutler, o.S. 58 o.N.: West End´s golden boy decides to quit, in: Daily Mirror, o.S.

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Die Arbeit an diesem Entwurf benötigte intensive Kooperation mit Disziplinen wie Elektronik und Maschinenbau, um die multifunktionale Einsatzflexibilität des Raumes zu gewährleisten. Das Theater wurde als ein Komplex von Plattformen konzipiert, deren Positionen mit der Unterstützung von Hydraulik, Elektronik und Elektromagnetik geändert werden konnten. Es wurde geplant, die Plattformen durch die Fernbedienung hoch bzw. runter zu fahren, zu schaukeln, um die vertikale Achse zu drehen und unzählige Kombinationen im Raum einzunehmen. Sowohl die Stützen, als auch Gelenke, die als Träger der zwei Hauptplattformen gedacht waren, hätten durch den hydraulischen Druck in flexiblen Röhren gesteuert werden können. Der elektrische Generator sollte unter der Bühne untergebracht werden. Kenny beschrieb sein Konzept (Abb. 13, 14) folgendermaßen:

Abb. 13 Sean Kenny, Vorschlag für das neue Theater im Dunes Hotel, Las Vegas, 1963.

blick auf die szenografen

„Everything moves. The floor shifts around. The ceiling rolls back like a convertible. You have a big space. You can put the audience where you want, and can move them both around. You can lift the audience out of the theatre and sit them outside it so that the whole floor of the building becomes the stage. Everything is on movable platforms. You can raise a platform high up and have a helicopter land on it. Or you can slide the audience into the middle of the floor and have Jaguars full of girls driving round them, or you can push everything to one side to let six white horses gallop in.“ 59

Abb. 14 Sean Kenny, Vorschlag für das neue Theater im Dunes Hotel, Las Vegas, 1963. Auf der Skizze steht ein Hinweis: „Suitable for: revues, plays, conventions, conferences, recitals, boxing.“ 59 Boot: Las Vegas `63, in: Scene Magazine, 12ff.

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Die Investoren fanden die Idee spannend, waren aber in der ersten Linie daran interessiert, die Casino-Gäste so lange wie möglich in die Nähe der Spieltische zu locken. „And every time I talked to them about the theatre“ erklärte Kenny in einem Essay für Manchester University – „they kept saying that the Casino had to be arranged directly opposite the front doors of the theatre so that nobody could get to the theatre even to be turned away without walking past gambling tables“.60 Die Entscheidung wurde getroffen - erst mal die Szenografie für die Weihnachtsshow 1963 im alten Theater zu entwerfen, und im folgenden Jahr das neue Theater im Dunes Hotel zu bauen. Die Szenografie für die französische Revue „Casino de Paris“ wurde eigentlich ein Prototyp des Theaterkonzeptes, eine verkleinerte Version der geplanten Theatermaschinerie. Zweieinhalb Stunden Revue wurde von Frederic Apcar inszeniert und am 26 Dezember 1963 im Dunes Hotel uraufgeführt. Das Ensemble zählte ca. hundert Künstler. Die britische Firma Lede Group Ltd. (Bracknell, Berkshire) wurde beauftragt, die Szenografie zu bauen. Die Herstellung fand in Glasgow statt und dauerte neun Monate lang, inklusive Anfertigung der technischen Zeichnungen. Die verantwortlichen Ingenieure waren John Newson und Ronald Albery. Die Arbeit in der Werkstatt dauerte sechs Monaten lang und verlief in „rund um die Uhr Arbeitsschichten“ mit jeweils 60 Mitarbeitern.61 Die einzelnen Teile des Prototypen wurden im September 1963 in Großbritannien zusammengesetzt, ausprobiert, wieder auseinandergenommen, per Schiff nach New York geschickt und mit der Bahn in fünf Wagons nach Las Vegas transportiert. Kenny entwarf eine mechanische Bühne, welche aus fünf Einheiten bestand (Abb. 15). Die Haupteinheit hatte acht kreisförmige Plattformen (die größte hatte einen Durchmesser von 5,50 m), die mit hydraulischen kranartigen Armen bewegt wurden. Die ferngesteuerten Bewegungen, für die man nur einen Mann am Kontrollpult brauchte, waren nicht nur auf die Plattformen begrenzt. Die ganze Haupteinheit konnte sich vorwärts und rückwärts entlang der Hauptachse bewegen. Die Bühne selbst war 19,20 m breit. Weitere vier Einheiten waren selbstfahrende mechanische Gruppen: zwei Treppensätze und zwei Türme, die von versteckten Fahrern in alle Richtungen bewegt werden konnten. Diese Einheiten haben auf die gleiche Weise funktioniert, wie die vier Hauseinheiten in der Produktion „Blitz!“ – jeder Fahrer war in Radio-Kontakt mit dem Production Manager, und die Bewegungsrouten waren mit UVFarben markiert. Sowohl Plattformen als auch Treppen bzw. Türme hatten eigene eingebaute Licht-, Ton-, Mikrofon-, Feuereffekt- und WassereffektAusrüstung. Stanley Eichelbaum berichtete über diese mechanische Bühne in San Francisco Examiner: 60 Kenny: The shape of the Theatre, o.S. 61 „For weeks, Kenny had been getting by on two-three hours sleep per night as he beat the bugs out of his electronic system.“ Seidenbaum: A New Dimension in Stagecraft, in: Los Angeles Times, 12.

blick auf die szenografen

„A 60-ton colossus that is controlled by electronic impulses and radio wave length, like the Skybolt. Its most amazing feature is a series of metal discs (large enough to hold several performers) attached to expanding steel arms and biceps, which whisk the cast around the stage and into the theatre itself, to within a few of the ringside tables.“ 62

Abb. 15

Sean Kenny, Casino de Paris, 1963.

Für die Realisation dieser 65 Tonnen schweren Konstruktion benutzte man Material, das ursprünglich für das Bauen der britischen Nuklearrakete Blue Streak gedacht war. Das Fernsteuerungssystem der Szenografie, ursprünglich für die Navigation der Raketen entwickelt, wurde vom Elektronik-Ingenieur John Holdsworth und seinem Assistenten David B. Rogers an die Bedürfnisse der Show angepasst. John Newson, der Vorsitzende der Firma Lede Ltd., erklärte, wie die Navigation funktionierte: „The „mag slip“ or celsen is a device used for transmitting movement commands to a piece of machinery. The movement is first carried out by the operator on a small replica, and when a button is pressed the machine itself carries out exactly the same operation.“63

Ein speziell angefertigtes Modell der Bühne im Maßstab 1:10 wurde während der Proben benutzt, um die Bewegung von Plattformen und Treppen 62 Eichelbaum: Feathers and Electronics, in: San Francisco Examiner, o.S. 63 O.N.: Rocket device moves a stage, in:Sunday Times, o.S.

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zu programmieren. Diese Bewegungen wurden dann über dem Kontrollpult auf die Konstruktion übertragen. Falls während der Aufführung etwas schief gegangen wäre, hätte man schnell auf die manuelle Steuerung der Bühne wechseln können. In Presse-Berichten liegen unterschiedliche Angaben über die Produktionskosten vor, was die Feststellung der tatsächlichen Kosten der Szenografie schwierig macht.64 In den Interviews über dieses Projekt sprach Kenny das unbenutzte Potential der Wissenschaft für die Kunstprojekte an. Er sah dieses Problem als Hindernis für die weitere Entwicklung der Szenografie. Kenny kritisierte das reaktionäre Verhalten von Theatern in Großbritannien gegenüber zeitgemäßen Entwicklungen in der Technologie und in der Wissenschaft. Außerdem wäre, seiner Meinung nach, so ein Projekt im Londoner West End nie umsetzbar gewesen, weil das Theater-Management nie ein so hohes Risiko eingegangen wäre. Die Summe von ¾ Millionen Dollar zu investieren, ohne zu wissen ob das Geld wieder eingespielt wird, wäre inakzeptabel. Las Vegas dagegen, als eine Stadt der Spieler und risikobereiten Investoren, war offensichtlich die richtige Adresse für die neuen gewagten Experimente. „In the business of theatre“ hob Kenny hervor – „there´s no room to experiment, because of a strict budget and plot line. But in Las Vegas there´s no story and no limit to the budget.” 65 Der Prototyp wurde als die erste Phase in der Entwicklung des Dunes Hotel Theaters gesehen, was in den USA nicht so unüblich war, besonders wenn es sich um neue architektonische Konzepte handelte. Mies, Skidmore, Owings und Merrill haben angeblich die Anfertigung der Prototypen verlangt, bevor man mit der Bauphase angefangen hat. Zusammen mit Nuklear- und Maschinenbau-Ingenieuren in Bracknell (Berks) untersuchte Kenny das elektromagnetische Potential für sein dynamisches Theater-Konzept. Man suchte nach Möglichkeiten, die runden Plattformen nicht nur wie im Prototyp mit kranartigen Stützen und Gelenken durch den Theaterraum zu bewegen, sondern sie auch schweben zu lassen. Peter Rawstone schrieb über den geplanten Entwurf in dem Artikel „Flying Saucers in the Theatre“: „This astonishing machine, which is 21 ft. in diameter, is also equipped with two slim telescopic arms that end in metal discs, again for galaxies of actors. They can sweep out over your head, retract, expand, rise and fall in a gesture, as Kenny puts it, of extending a hand on a full-length arm right out across 64 Evening News und Las Vegas Review-Journal berichteten über die gesamten Show Kosten von $4,000,000; The Financial Times, San Francisco Examiner und Stage dagegen gaben $2,000,000 als Show Kosten an. Für die Herstellung der Szenografie variiert die Summe in Berichten zwischen $250,000 (Las Vegas Review-Journal), $800,000 für Bühne, Transport und Zusammenstellung (Evening News, Daily Express) und $1,000,000 zusammen mit Kostümen (Stage). 65 Eichelbaum: A Theater Revolutionary, in: San Francisco Examiner, o.S.

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the audience. Apart from the obvious turnabout such machines would impose on traditional ideas of the shape and use of the acting area, he suggests that either electro-magnetism or jacks should be employed for vertical and horizontal rearrangement of blocks of audience seats and tables, which could be integrated or withdrawn from the play action.“ 66

Das Prinzip der klassischen Moderne form follows function wird hier in die Tat umgesetzt, indem das Theatergebäude seine Form abhängig von dem Geschehen drinnen verändert. Kenny glaubte daran, dass die Theaterarchitektur auf der Bühne anfängt und sich von dort aus weiter entfaltet: „It is like a power station. It happens because of the turbine. The stage is the turbin of the theatrical power station and all follows from that, or should.“ 67 Die Show „Casino de Paris“ war ein Erfolg, lief bis 1965 und machte aus Line Renaud einen internationalen Star. Hollywood Reporter berichtete zwar über Kennys Aufenthalt in Las Vegas noch einmal im Juli 1964 über seine Aufgabe, die Sets für eine weitere Variante von „Casino de Paris“ im Dunes Hotel zu betreuen, aber die zweite Phase in der Entwicklung des Theaters wurde nie umgesetzt. Der Bau des neuen Theaters wurde offensichtlich abgesagt. Ein wichtiger Schritt wurde hier trotzdem erfolgreich vollzogen. Durch den Einsatz der beweglichen Plattformen, die in den Zuschauerraum hinaus reichten („reaches out toward the audience like a shining steel cobra“), veränderte Kenny zum ersten Mal das statische Verhältnis zwischen der Bühne und dem Auditorium.68 Das Proszenium wurde verlassen und der klassische Vorhang wurde durch den Nebel-Vorhang ersetzt, um die Veränderungen zwischen den Szenen dramatischer erscheinen zu lassen. Lede Group Ltd. entwarf speziell dafür eine Nebel-Maschine, die aus 18 Teilen bestand und den parfümierten Nebel geräuschlos produzierte. Die Financial Times schrieb über das neue szenografische Konzept: „In achieving a breakaway from the limitations of the conventional box-like structure of the theatre a whole new field of production techniques for writers, choreographer, producers and actor has been opened up.“ 69

66 Rawstone: Flying Saucers in the Theatre, in: o.A., o.S. 67 Lawrence: Stage Designer Visits Dubuque, in: o.A., o.S. 68 Speegle: Folding Staircase, in: S. F. News Call Bulletin, 20. 69 O.N.: $2m. Show on Push Button Stage, in: The Financial Times, o.S.

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Bis 1973 hatte Sean Kenny mehrere Gelegenheiten als Architekt, an konkreten Entwürfen für die Theaterhäuser mitzuwirken. Er war als Berater am Entwurf des London National Theatre beteiligt und baute für dieses Theaterhaus die Drehbühne in dem Old Vic Theatre ein, wo die Theaterstücke während der Bauarbeiten gezeigt wurden. Darüber hinaus baute er das Royal Shakespeare Theatre um. Die Bühne wurde in diesem Fall zurückgezogen, um Platz für einen Orchestergraben und 700 zusätzliche Zuschauerplätze zu bekommen. Zusammen mit Paul Tvrtkovic, Michael Percival und Ernest Chew entwarf er 1971-72 New Winter Garden Theatre (heute New London Theatre). Der Komplex enthielt drive-in Theater mit 900 Plätzen, Festsaal, Showrooms, fünf unterirdische Parkhaus-Etagen und einen Wohnblock mit 62 Wohnungen. Als Entwurfsberater für das Theater schlug er vor, auf die Drehbühne die ersten Reihen der Zuschauerplätze zu positionieren, so dass man beim Drehen der Scheibe um 180 Grad ein Proszenium-Theater in ein Rundtheater umwandeln konnte. Am wichtigsten aber war seine Arbeit für das Theater der Sussex Universität (Abb. 16). Die Idee war, einen experimentellen Theaterraum zu schaffen, der sowohl die Aufführungen antiker und elisabethanischer Dramen als auch zeitgenössischer Stücke ermöglichte. Aus finanziellen Gründen wurde keine aufwendige hydraulische Mechanik eingesetzt, der Raum bewahrte aber die Flexibilität durch die schnelle Veränderung der Positionierung von Zuschauerplätzen. Die Zerlegbarkeit des vorhandenen Inventars berücksichtigte die mögliche Weiterentwicklung des Theaters. In Rahmen der Sanierungsmaßnahmen der Sussex-Universität 2012 wurde angekündigt,70 dass die Theaterbühne anhand von Kennys originalem Enfwurf rekonstruiert wird. Das Theater sollte ein nivelliertes Auditorium bekommen, um die Modifizierung des Theaterraums zu ermöglichen, so wie sich Kenny das Theater ursprünglich vorgestellt hat.

70 „The stage will be realigned more closely with the original design, with the creation of a level floor auditorium. Possibilities to modify performance space/s will be reintroduced as per the initial plans of the architect Sir Basil Spence and theatre consultant Sean Kenny.” Estate and Facility Management University of Sussex: Frequently asked question, siehe http://www.sussex.ac.uk/efm/projects/ current-projects/attenborough-centre-for-the-creative-arts-acca/frequently-asked-questions-faqs vom 20.09.2012.

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Abb. 16 Sean Kenny, Sussex University, Arts Center, Theatre Workshop Studio, 1968. Die Zeichnungen zeigen zwei Varianten für die Einordnung der Zuschauerplätzen.

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Josef Svoboda betonte genauso wie Kenny immer, dass er vor allem Architekt war, sowohl durch seine Ausbildung, als auch Dank der inneren Zuneigung zu dem Beruf. Nach der Ausstellung seiner Arbeiten in Paris 1966, wurde er vom französischen Kulturminister André Malraux darum gebeten, das neue Nationaltheater Théâtre d´Est-Parisienne zu entwerfen. Zusammen mit dem Architekten Marc le Caisme, der für die Fassade zuständig war, arbeitete er an diesem Entwurf zwischen 1972 und 1974 (Abb. 17). Helena Albertová veröffentlichte einen Report aus Svobodas Privatarchiv, der dieses Projekt näher beschreibt.71 Die Grundidee war, das Foyer, den Zuschauerraum und die Bühne in einem Raum zu integrieren. Diese Einheit (60 x 60 x 9 m), in der Beschreibung Studio genannt, stellte einen Mehrzweckraum dar. Die Inszenierung wäre damit nicht nur auf die Bühne beschränkt, weil die Bühnentechnik im ganzen Raum vorhanden wäre. Gleichzeitig könnte man das Foyer nicht nur als sozialen Treffpunkt, sondern auch als Ausstellungsraum nutzen. Die Bühnentechnik72 bot in diesem Fall viel mehr Möglichkeiten, darunter auch für die Gestaltung progressiver Ausstellungskonzepte. Das Studio bot verschiedene Varianten der Organisation des Raumes, je nach Bedarf und Ereignis. Die Wände des Raums waren unbeweglich, hatten aber eine Hilfskonstruktion, die man entweder für die Szenografie oder für die Exponate verwenden konnte. Der Boden und die Decke waren in dem Raster 3 x 3 m aufgeteilt. Insgesamt 160 m2 Bodenfläche war flexibel einstellbar. Die einzelnen Module konnten innerhalb dieser Fläche um max. 3m vertikal versenkt oder hochgefahren werden. Die restlichen Paneele auf dem Boden konnte man entfernen, die Position der Treppen im Vestibül (eine Etage unten) verändern, und die Eingänge im Studio neu positionieren. Die akustischen Deckenpaneele waren auch vertikal verstellbar (min. H=3 m / max. H=9 m) und dienten auch als Verblendung für die Beleuchtung. Die Deckenkonstruktion beinhaltete zwei Beleuchtungsbrücken oder Kräne, die über die ganze Länge des Studios unterschiedliche Positionen einnehmen konnten. Die Kräne waren auch für die Bewegung der schweren szenografischen Elementen gedacht, man konnte aber auch einen Teil der Zuschauerplätze aus dem anderen Studio daran aufhängen und einen Balkon für mehr Zuschauerplätze schaffen. Die einzelnen Beleuchtungsgruppen (Module 3 x 3 m) waren horizontal und vertikal verstellbar. Ein Hebesystem für die Gewichte bis 1,7 t befand sich in der Deckenkonstruktion und konnte die schweren Elemente entlang des 3 x 3 m Rasters transportieren. Ein optionaler Schnürboden (20 x 20 x 30 m), mobile Modulvertikalen (3 x 3 x 9 m) mit 71 Albertová: Josef Svoboda, 226. 72 „(...) advanced lighting technology, electronics, film and slide projection, television techniques, and machinery of every kind, including a way of transporting heavy objects.“ Ebd., 226.

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Technik und Beleuchtung, eine Seitenbühne (ca. 400 m2) mit der Drehscheibe und verstellbare Zuschauerplätze boten diesem dynamischen Raum unzählige Organisationsmöglichkeiten an. Zwei solche Studios waren im Theater geplant, um Organisationskosten zu sparen.73 Während in einem Raum die Aufführung läuft, konnte der andere Raum für die Probe benutzt werden. Man hätte dann die Gelegenheit, von Anfang an in dem Raum zu arbeiten, in welchem die Premiere stattfinden soll und die Technik auch während der Proben zur Verfügung zu haben. Aus finanziellen Gründen wurde das Projekt leider nie realisiert, der Entwurf war aber hoch geschätzt. Er brachte Svoboda 1976 die Anerkennung der französischen Akademie – Chevalier de l´Ordre des Artes et des Lettres.

Abb. 17 Josef Svoboda, Théâtre d´Est-Parisienne, 1972-74.

73 Ebd., 225.

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Ein weiteres Projekt war das Gebäude für Laterna Magika (Abb. 18).74 Zusammen mit den Architekten Karel Koutsky, Jindrich Smetana, Jan Kozel und Petr Slabina entwarf Svoboda einen variablen Raum, der sich schnell und ökonomisch in Guckkastentheater, Amphitheater, Arena oder Ring verwandeln konnte. Der Antrieb für dieses Vorhaben war der große Erfolg der Produktion „The Wonderful Circus“ aus dem Jahr 1977. Das Design war angepasst an die technischen Anforderungen von Laterna Magika, und der Raum für die Aufführungen konnte sich auf drei Seiten bis auf die Höhe von 4m zu den Straßen öffnen, wodurch die Innenräume einen Charakter der Außenräume bekamen. Sechs Segmente mit jeweils 99 Zuschauerplätzen sollten mit Hilfe von Luftkissen bewegt werden und die Neigung dieser „Auditorium“-Segmente (bis zu 6 m Höhe) für jede Inszenierung hydraulisch speziell anpassen. Trotz der Veränderung der Neigung behielten die Plätze immer automatisch ihre vertikale Position zum Raumboden. Durch die freie Bewegung der Segmente und ihre Kombinationsmöglichkeiten konnte man unterschiedliche Raumaufteilungen umsetzten. Der Boden des zentralen Raumes des Theaters war auf Straßenniveau, so dass die Segmente bei den geöffneten Fassadenwänden sogar draußen positioniert werden konnten. Der Boden war aufgeteilt in Module, die durch ihre Hebung und Gruppierung die bestmögliche Position der Bühne ermöglichten. Die unterirdischen Räume des Theaters waren mit der U-Bahn-Station (Národní) verbunden und beinhalteten freie Räume, die für Straßentheater oder Straßenfeste benutzt werden konnten. 1980 wurde klar, dass dieses Projekt keine Chance hatte, realisiert zu werden. Laterna Magika wurde 1992 im neuen Teil des Nationaltheaters in Prag (Nová scéna) vorübergehend untergebracht, bevor sie ein eigenes Gebäude bekam.

74 Ebd., 228f.

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Abb. 18 Josef Svoboda, Laterna Magika, 1980.

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Abb. 19 Sean Kenny, Welsh Mobile Theatre für 400 Zuschauer, 1967.

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Expo-Ausstellungen Sowohl Kenny als auch Svoboda arbeiteten für die Expo-Weltausstellungen und waren sogar beide gleichzeitig in Montreal 1967 als Designer beschäftigt. Beide sahen diese Arbeit als Gelegenheit, um zu experimentieren und neue Ideen auszuprobieren. Die großzügigen Budgets erlaubten beiden Künstlern,75 neue Konzepte zu versuchen, die sie im engen finanziellen Rahmen einer Theaterproduktion nicht realisieren konnten. Während der Expo-Ausstellung in Montreal organisierte das Canadian Theatre Centre die internationale Theaterkonferenz „Colloquium ‚67“ im Hotel Bonaventure, an der Experten aus 40 Ländern teilnahmen. Kenny nutzte diese Gelegenheit noch einmal, um seine Vision des Theaters als Ereignis vorzustellen – nicht unbedingt als Gebäude, sondern als Aktivität im freien Raum. „All the building should be as an envelope“ schilderte Kenny, „– an airplane hangar would do – for a multipurpose theatre: “We say it is impossible to design a multi-purpose theatre and it probably is, but let´s try it“.76 Um seine Idee zu demonstrieren, stellte er zwei Projekte vor – das Welsh Mobile Theatre für 400 Zuschauer (Abb. 19) und ein Unterwassertheater auf den Bahamas. Das Mobile Theatre, gepackt in drei Lkws, konnte an einem halben Tag aufgebaut werden, es war in der Herstellung nicht teuer und an die speziellen Bedürfnisse des ländlichen Wales angepasst. Für das Unterwassertheater, einem Auftrag des „Thunderball“Produzenten Kevin McClory, war die Positionierung der Zuschauer in einer Glaskugel geplant, während die Darsteller draußen im Wasser auftraten. Die Reaktionen der Teilnehmer waren unterschiedlich. Mert Cramer (California Institute of Technology) stimmte Kenny zu und setzte sich für eine Nutzung der modernen Technologie im Theater ein. Joseph Mielzinger, berühmter amerikanischer Szenograf und Theater-Designer, und der Theaterkritiker Kenneth Tynan waren ausdrücklich dagegen. Mielzinger wies auf die Gefahren solcher Vorhaben hin: „I beg you to think with great suspicion of a mechanical theatre that moves in all directions - you will end up with a tail that wags the dog – and the dog will be deader than any theatre.“ 77 Seiner Meinung nach hätte man zu viel Geld und Aufwand investieren müssen, um den reibungslosen Betrieb des Mehrzweck-Theaters umzusetzen. Kenneth Tynan äußerte die Sorge über 75 Die geschätzten Kosten für die Expo in Montreal 1967 waren 100 Millionen Dollar. Nur für Girotron, eine Achterbahn für die Expo ´67 von Sean Kenny entworfen, standen insgesamt 3 Millionen Dollar zur Verfügung, diese kostete aber etwas über 2 Millionen Dollar (The Globe and Mail vom 24.06.1967). Die Ausstellung im britischen Pavillon, die Sean Kenny entwarf, kostete £100.000,- (Daily Mail vom 04.03.1968). 76 Vineberg: Theatre Designer Unges Innovation, in: o.A., 70. 77 Ebd., 70.

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die Dominanz der Mechanik gegenüber dem Performer und erinnerte an die Probleme der „Blitz!“-Produktion: „every time an actor seemed to be taking charge of the play, the machines moved threateningly on him!“ 78 Die Konferenz dauerte sieben Tage. Nach der Auseinandersetzung mit Themen wie Theatertechnologie oder die Zukunft der Theatergebäude wurde auf die Gefahren der Nutzung der Technologie aufmerksam gemacht. In der Berichterstattung sind deutlich zwei Fraktionen zu erkennen: Die erste Gruppe, die sich für MehrzweckTheaterhäuser ausgesprochen hat, und die zweite Gruppe, die verschiedene Theaterhäuser, sowohl Proszenium- als auch experimentelle Bühnen, als Lösung für die Zukunft gesehen haben. Sean Kenny gestaltete für die Expo in Montreal die Ausstellung (Abb. 20) Shaping the Nation („a psychodelic travelator through British history“) und zusammen mit George Djurkovic und Boyd Auger Gyrotron, eine Art Achterbahn.79

Abb. 20 Sean Kenny, Konzeptentwurf für die Ausstellung Shaping the Nation, Expo ´67, Montreal.

78 Ebd., 70. 79 Tylor: Crowed scenery at Expo, in: Design Journal 1967, o.S.

blick auf die szenografen

Es handelte sich um eine der Attraktionen in dem Expo-Vergnügungspark La Ronde, die Besucher auf eine Reise ins Weltall mitnehmen sollte. „The visitor is supposed to enjoy a high speed space flight, followed by a descent into Hell to be swallowed by a monster.” 80 Die Achterbahnfahrt führte die Besucher erst mal in den Orbit. Aus dem Weltall stürzten die Mitfahrenden dann in einen Vulkan, in welchem sie in kochender Lava versenkt wurden und am Ende vor einem Monster (einer 9 m hohen krebsähnlichen Gestalt) landeten, das sie verschlang. Die Fahrt ging durch zwei Pyramiden, von denen eine 65 m hoch war. Die Pyramiden waren mit einer Brücke auf 30 m Höhe verbunden. Insgesamt 85 Waggons mit jeweils vier Sitzplätzen fuhren die Schienen entlang in die Hauptpyramide, in der sich die Weltalldarstellung befand, und dann in die kleine Pyramide, in welcher der Vulkan untergebracht wurde. Die Fassade bestand aus einem Fachwerk-Netz von Aluminiumrohren. Diese Geisterfahrt wurde dem Thema der Expo-Ausstellung „Man and his World“ entsprechend gestaltet. Das Architects´ Journal kritisierte die theatralischen Effekte im Inneren der Räume der Achterbahnreise als unglaubwürdig und nicht gut umgesetzt. In Zeitungsberichten ist auch über die Gyrotron-Panne in der ersten Woche zu lesen, wonach die Besucher drei Stunden in der Pyramide stecken blieben und herausgeholt werden mussten. Der architektonische Wert des Baus und die Popularität der Achterbahnfahrt jedoch wurden positiv bewertet. Die von Kenny für die Expo ´67 in Montreal entworfenen Elemente wurden auch in der Produktion „Gulliver“ (Mermaid Theatre, 1968) verwendet und einige Teile aus „Gulliver“ wurden für die Expo `72 in Brasilien eingeplant. „I´m simply a designer“, gab Kenny in dem Interview „The Designer Talks“ mit Michael Billington zu – „involved in designing things for leisure. All forms of leisure involve me and they all relate to each other.“ 81 Wie schon erwähnt, nahm Josef Svoboda an Expo-Weltausstellungen seit 1958 teil. Sowohl die Innovationen, die er für die Expo ´58 (Brüssel) und Expo ´67 (Montreal) entwickelte, als auch deren Verwendung im Theater sind ausführlich erforscht und bedürfen keiner ergänzenden Beschreibung.82 Laterna Magika wurde als ein System entwickelt, das die Interaktion zwischen dem Künstler auf der Bühne und dem gefilmten Material entweder durch Dialog, Musik oder Tanz umsetzt. Polyecran war eine Videoinstallation, zusammengesetzt aus acht Projektionsflächen, deren Projektionen mit der Musik synchronisiert wurden. Beide Innovationen wurden Bestandteile seiner weiteren szenografischen Arbeiten („Their Day“ 1959, „The Lantern“ 1960, „The Tales of Hoffmann“ 1962, „Julietta“ 1963 u. a.) 80 Ebd., o.S. 81 Billington: The Designer Talks, o.A., 47. 82 Bablet: Josef Svoboda, 179ff; Albertová: Josef Svoboda, 51ff.

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Für die Expo-Ausstellung ´67 in Montreal entwickelte Svoboda ein weiteres szenografisches Konzept. Polyvision (Abb. 21) bezeichnete einen Raum, in dem vier audiovisuelle Installationen untergebracht wurden. Die Installation „Symphonie-Polyvision“ war eine 30 m lange Komposition geometrischer Elemente: Würfel, Hyperboloid, Zylinder, Kugel, deren Oberflächen als Projektionsfläche dienten. Die Objekte konnten sich sowohl um ihre vertikale Achse drehen, als sich auch vorwärts bzw. rückwärts bewegen, und erzeugten damit einen dynamischen Raum mit wechselnden Bildern. Der komplexe Aufbau mit Projektoren innerhalb und außerhalb von Kubuselementen wurde mit zwei Spiegelflächen multipliziert. Durch die Spiegelreflexionen konnte man gleichzeitig alle projizierten Flächen der geometrischen Elemente wahrnehmen. Die Installation „The Creation of the World – Polydiaecran“ ähnelte einem überdimensionalen LED-Bildschirm. Insgesamt 112 Würfel (Schachbrettmuster: 8x14 Module) mit jeweils 1x1 m Projektionsfläche dienten als vergrößerte Pixel, die zusammen ein einheitliches Collagebild ergaben. Aus dem Inneren der Würfel wurden Diabilder auf die vordere Oberfläche projiziert. Insgesamt 160 Bilder pro Würfel wechselten innerhalb einer Installationsgesamtdauer von 10 Minuten, währenddessen sich die Würfel entlang der horizontalen Achse vorwärts und rückwärts bewegten. Die Erkenntnisse aus diesen neu entwickelten Systemen (Laterna Magika, Polyecran, Polyvision) fanden Anwendung in Svobodas szenografischen Arbeiten bis 1999, also fast bis zum Ende seines professionellen Engagements. Bezugnehmend auf die Vorteile der Ausstellungsprojekte für die Szenografie sagte Svoboda: “Everything I have ever done has in fact been borrowed from exhibitions, prolonging the exhibitions short term investment into theatrical life. That is why I worked on Laterna Magica and on Polyecran. I could never have actualized either on theatre budget.” 83

83 Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 26.

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Abb. 21 Josef Svoboda, Polyvision, Expo ´67, Montreal.

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HI-TECH-INNOVATION IN DER SZENOGRAFIE DER 1960er UND 1970er JAHRE

“Oliver!” Premiere 30.06.1960, New Theatre London Licence and Managing Director: Donald Albery Book, Music and Lyrics by Lionel Bart Directed by Peter Coe Designed by Sean Kenny Orchestrations by Eric Rogers Lighting by John Wyckham Musical Director: Ronnie Franklin, Marcus Dods Choreography: Malcom Clare Production Manager: Ian Albery „The first objective has been to make a machine do what normally would have to be done by men.“ 1

“May the good Dickens forgive us” 2

Die Uraufführung von Lionel Barts Musical „Oliver!“ fand am 30. Juni 1960 im New Theater im Londoner West End statt. Als Vorlage für die Handlung3 diente der Roman von Charles Dickens „Oliver Twist, or The Parish´s Boy Progress“, der ursprünglich in Fortsetzungen in der Zeitschrift „Bentley‘s Miscellany“ von Februar 1837 bis April 1839 erschien. Frei gestaltet um die berühmte gesellschaftskritische Geschichte, die um 1850 in Nordengland und London angesiedelt war, verfolgte das Musical die Abenteuer des Waisenkindes Oliver Twist. Durch insgesamt sechzehn Songs, elf im jeweils ersten und zweiten Akt - inklusive sechs Wiederholungen von Songs in zweiten Akt, wurde Olivers Weg vom Waisenhaus bis zur Wiedervereinigung mit seinem Großvater erzählt. Dickens Roman thematisierte zur Zeit seiner 1 B.J.H.: The push-button musical, in: Coventry Evening Telegraph, o.S. (Zitat: Bruce Hay, Company Manager des New Theatre London) 2 Lionel Barts Aussage anlässlich der Premiere von „Oliver!“. Ellis: Lionel Bart’s Oliver!, in: The Guardian, siehe www.guardian.co.uk/stage/2003/jun/18/theatre.samanthaellis vom 05.03.2010. 3 Für Handlungsbeschreibung siehe Bunnett/Kennedy/Muir: Collins Guide to Musical, 278.

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Entstehung die Frühindustrialisierung im viktorianischen England, vor allem Kinderarbeit, Massenarmut und Verbrechen. Barts Libretto dagegen stellte eine vereinfachte Variante des Originals der, wie Albert Goldberg in der Los Angeles Times bemerkte: „In fact, it is better to forget the novel and take show for what it is – rather playful exercise that declines to take serious matters seriously and glosses over evil with the face of innocence and good humour.“ 4

Trotz der Tatsache, dass manche Kritiker, darunter Philip Hope-Wallace (The Guardian), eine anspruchsvollere Dramatisierung verlangten, scheint Lionel Bart es doch geschafft zu haben „to preserve the Hogarthian flavour of the original while producing a work that is essentially light entertainment“.5 Oft wurde die Atmosphäre des Musicals mit William Hogarths sozialkritischen MilieuStudien von London verglichen, obwohl sie ein Jahrhundert früher entstanden sind. Robert Muller bezeichnete das Libretto in Daily Mirror als „a clean-cut book, no more than a digest, a strip-cartoon version of Oliver Twist that nevertheless manages to be so succinct, so true to the original“.6 Die Songs, der Aufbau der Charaktere, die spannende Inszenierung und dynamische Szenografie wurden in allen Rezensionen ohne Vorbehalt gelobt. Das Musical hatte eine verdichtete Handlung und die Songs gingen übereinstimmend aus dem Spiel heraus. Durch die negative Darstellung des Fagin in der ursprünglichen Textfassung wurde Charles Dickens Antisemitismus vorgeworfen, diese Figur erlebte dann in weiteren Bearbeitungen deutliche Veränderungen. In der Vorbereitung für die Buchausgabe von „Oliver Twist“ hat Dickens „Jude“ durch „er“ oder „Fagin“ ausgetauscht und dadurch die ursprünglichen rassistischen Andeutungen gemildert. Um das Buch für ein Musical zu adaptieren, musste Fagin noch eine Veränderung erleben. Lionel Barts machte aus ihm mehr eine Comic-Figur statt eines bösartigen Schurken. Philip Hope-Wallace warf Bart sogar vor, Fagins Rolle auf „a queer old auntie“ reduziert zu haben. Obwohl Bart und Ron Moody, der Fagin gespielt hat, jüdische Wurzeln hatten – geisterten immer wieder Vorurteile herum, wie z.B. in der New York Post noch bevor das Musical an den Broadway kam: „it seems unlikely that New York audience would rush to see a show in which a Jew is depicted as such reprehensible character“.7

4 Goldberg: Oliver!, in: Los Angeles Times, 12 / Part IV. 5 Caen: Oliver!, in: Show, 77. 6 Muller: Everyone will ask for more, in: Daily Mirror, o.S. 7 o.N.: o.A., in: New York Post (24.03.1961), o.S.

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Trotz seines Rufes als vielversprechender junger Komponist, der bereits mit Musicals „Lock Up Your Daughters“ (1959) und „Fings ain‘t wot they used t‘be“ (1960) erste Erfolge gefeiert hatte, wurde Lionel Barts „Oliver!“ von zwölf Londoner Theatermanagements zunächst abgelehnt. Erst mit Sir Donald Albery, der sich bereit erklärte, das Musical für £15 000 auf die Bühne zu bringen, fand die Produktion ihren Weg zum New Theatre.8 Die 14 Hervorrufe des Ensembles nach der Premiere, wie Variety berichtete, bezeichneten den Anfang eines der erfolgreichsten West-End-Musicals seiner Generation.9 Das einzige, was Lionel Bart in dieser Situation sagen konnte, als ihn Sir Donald Albery auf die Bühne schubste, war: „May the good Dickens forgive us“.10

Szenografisches Konzept Robert Muller schrieb in Daily Mirror begeistert über Sean Kennys Konzept: „He seems to have disembowelled the stage, made it appear twice as large as it really is, and with the aid of simple wooden stairs and beams reconstructed Dickensian London. It is an absolute triumph of scenic ingenuity.“ 11

Die amerikanischen Journalisten waren nach der Broadway-Premiere auch nicht weniger begeistert. „Lets put the first credits where they properly belong in the musical „Oliver!“ which opened Monday night at the Shubert Theatre“ schrieb Sidney J. Harris für die Chicago Daily News – „They belong to the set designer, Sean Kenny, who has brought an architect´s sense of scale, form, rhythm and tension to the stage.“ 12 Harry MacArthur beschrieb in The Evening Star die Sets folgenderweise: „Sean Kenny has designed an assortment of stairs and platforms, some on turntable, others sliding in and out, still others dropping down from above (...) 8 In dem Artikel „Dickens mit Bart, Musical“ wurde von 180.000 DM berichtet, die man für die Produktion ausgegeben hat. O.N.: Dikens mit Bart, in: Der Spiegel 32/1960, o.S. siehe http://www. spiegel.de/spiegel/print/d-43066411.html vom 07.09.2012. 9 Unterschiedliche Angaben bezüglich der Anzahl von Hervorrufen sind in der Presse zu finden. Daily Mirror berichtete über die 23 Hervorrufe des Ensembles. Goring: Broadway says we must have Oliver!, in: Daily Mirror, o.S. 10 Ellis: Lionel Bart’s Oliver!, in: The Guardian, siehe www.guardian.co.uk/stage/2003/jun/ 18/ theatre.samanthaellis vom 05.03.2010. 11 Muller: Everyone will ask for more, in: Daily Mirror, o.S. 12 Harris: Oliver! Sets Top the Show, in: Chicago Daily News, o.S.

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Since the scene changes take place in full view, director Peter Coe doesn´t let them interrupt the action, but has his players weaving around and through moving scenery with what appears to be complete abandon (...) Anyhow, it isn´t every night that you get to see choreographed sets and there is ample fascination in watching these dance in and out, separate, swing around and interconnect again.“ 13

Abb. 22 Sean Kenny, Szenografie Foto „Oliver!“, New Theatre London, 1960.

Das Musical wurde mit einem Ensemble von 40 Schauspielern, darunter 16 Kinder, inszeniert und in 17 verschiedene Szenen aufgeteilt. Die Szenografie für „Oliver!“ (Abb.22) bestand grundsätzlich aus vier Gruppen von Holzkonstruktionen mit Treppen und Podesten. Die Hauptkonstruktion, aus zwei gebogenen Treppenläufen, die zu einer höheren Plattform führten, befand 13 MacArthur: Urchins, Laughs, in: The Evening Star, A–12.

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sich auf einer zentralen Drehscheibe. Zwei weitere Konstruktionsgruppen mit mehreren Ebenen und Stufen waren jeweils auf einer zusätzlichen drehbaren Plattform aufgebaut. Die vierte Baueinheit, vertikal mit den Treppenläufen auf mehreren Ebenen aufgeteilt, war die einzige unbewegliche szenografische Einheit. Dazu kamen noch mehrere fliegende14 Elemente: die aufgehängte Brücke, das auf der frontalen Bühnenwand aufgemalte Stadtpanorama, der Bretterzaun hinter der Haupteinheit, spärliches Mobiliar nur für einige Szenen und die einzelnen Requisiten, die von den Schauspielern selbst auf die Bühne mitgebracht und wieder mitgenommen wurden. Durch die unterschiedliche Positionierung der Holzkonstruktionen auf drei Drehscheiben und mit Hilfe von fliegenden Elementen, die von oben heruntergelassen wurden, entstand eine dynamische Szenografie. Ohne Pausen für das Umbauen der Szenen, bebilderte sie alle Stationen des Musicals mit fließenden Übergängen von einer Szene in die nächste. Die nackten fachwerkähnlichen Balkenkonstruktionen mit stilisierten, fast grafischen Architekturzitaten erweckten durch die verschiedenen Kombinationen das viktorianische London wieder zum Leben. Darunter waren die Darstellungen von: Arbeitshaus (Abb. 23), Empfangsbereich des Arbeitshauses, Sargtischlerei, Straße von London / Paddington Green, Unterkunft der Diebe oder Thieves‘ Kitchen (Abb. 24), Kneipe „Three Cripples”, das Haus von Mr. Brownlow (Abb. 25) und Londons Brücke (Abb. 26). Die Bewegung der Szenografie wurde in die Inszenierung mit integriert und so choreographiert, dass sich die Schauspieler auf den szenografischen Elementen während der Szenenveränderung bewegen konnten. Als die Veränderungsendposition der Szenografie erreicht wurde, standen die Akteure genau an der Stelle, wo die nächste Szene anfing und spielten ununterbrochen weiter. Auf diese Weise bekam man einen fließenden Rhythmus, der das Spiel kontinuierlich und ohne Unterbrechungen (abgesehen von der Pause zwischen zwei Akten) getragen hat. Der Vorhang wurde nur zwei Mal benutzt – zwischen zwei Akten und am Ende der Aufführung. Abgesehen davon fanden alle Veränderungen vor den Augen der Zuschauer statt. Die Stadtansicht von London, die auf der frontalen Bühnenwand aufgemalt war, stellte das einzige malerische Element der Szenografie dar.

14 Auf den Zügen in dem Schnürboden der Proszeniumbühne aufgehängten szenografischen Elementen, die in bestimmten Momenten der Inszenierung auf der Bühne runter gelassen werden, nennt man fliegende Elemente. Mit „fliegende Bauten“ bezeichnet man beim Film die temporären Objekte im Szenenbild.

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Abb. 23 Sean Kenny, „Oliver!“/ Arbeitshaus Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

Abb. 24 Sean Kenny, „Oliver!“ / Unterkunft der Diebe Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

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Abb. 25 Sean Kenny, „Oliver!“ / Haus von Mr. Brownlow Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

Abb. 26 Sean Kenny, „Oliver!“ / Londons Brücke Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

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Die Konzeptidee entstand während Kennys Recherche über jene Zeit, bei der er durch die alten Stadtteile von London gelaufen ist. „What I visualised was a great millwheel“ erklärte Kenny – „an enormous turning thing – with wooden beams, bridges across streets, heavy wooden doors.“ 15 In dem Versuch, die Welt mit Oliver Twists Augen zu sehen, verlängerte Kenny die Stützen, karikierte die Balken und verwinkelte die Treppen. Das Ziel war, das Gefühl der Einsamkeit und der Verlorenheit eines Kindes zu erzeugen. Die expressionistische Gestaltung von bekannten Stadtelementen hatte ausgeprägte visuelle Ähnlichkeit mit den Theaterarbeiten von russischen Konstruktivisten der 1920er Jahre. Die Szenografien für „The Magnanimous Cuckold“ (Liubov Popova 1922),16 „Lake Lyul“ (Viktor Shestakov 1923)17 oder „The Sorceress“ (Isaak Rabinovich 1922)18 waren ähnliche Konstruktionen mit Treppenläufen und Podesten aus Holz. Die Bewegung der szenografischen Elemente und die biomechanische Interaktion zwischen Schauspielern und Szenografie waren zur der Zeit sehr aktuell. Auf ähnliche Weise wurde auch die kahle Form der Konstruktionsgruppen mit wenigen grafischen Mitteln wie z.B. das Schild des Bestattungsunternehmens oder der Schriftzug „Books“ für die Buchhandlung punktuell ausgestattet. Die Mechanik wurde von Kenny als Mittel zur Manipulation des Raumes eingesetzt, in dem die Bühne mit Hilfe der drei Drehscheiben in zwölf verschiedene Räumlichkeiten verändert wurde. Obwohl im Schatten, blieben die restlichen unbeweglichen Teile der Szenografie sichtbar, störten aber die Wahrnehmung der Zuschauer nicht. Das Panorama von London gab der Szenografie Tiefe und vereinte die Baugruppen durch den monochromen Sepia-Farbton mit dem bemalten Hintergrund in ein einstimmiges, atmosphärisches Bild. In der EmailKorrespondenz mit Ian Albery wurde sowohl Kennys Arbeitsweise an diesem Beispiel geschildert als auch der Grund, warum das Panorama von London direkt auf die Bühnenwand statt auf einem Hintersetzer gemalt wurde: “Other setting elements like backcloths he did not usually ‘design’ but rather presented a number of historic photographs by others which he would then discuss with me or direct with the scenic artist - at that time I usually worked with the firm Alick Johnstone of Macklin St, London. In essence the photos were used as the inspiration for the scenic artist to develop into a coherent stage ‘picture’.  If we were short of depth to the stage Sean would happily suggest the idea of painting the back wall of the stage - as at the New Theatre, London for Oliver!” 19 15 Eichelbaum: Sean Kenny Sets the Stage, in: Theatre Arts, 19f. 16 Rudnitsky: Russian and Soviet Theatre, 122ff. 17 Ebd., 136f. 18 Ebd., 160ff. 19 Albery: Email-Korrespondenz, Oktober 2009, Privatarchiv Nebojša Tabački.

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Die Ziegelwand-Struktur schien durch das Panoramabild durch, brach den Illusionismus der bis dahin üblichen gemalten Hintersetzer und betonte noch ein wichtiges Baumaterial des viktorianischen Londons im Gegensatz zur körnigen Holzstruktur der Szenografie.

Technische und organisatorische Aspekte der Produktion Durch den Einsatz von Technologie kennzeichnete die Szenografie für „Oliver!“ eine Wende in dem englischen Theater. Obwohl die Wiederentdeckung der Drehbühne in Europa schon Ende des 19. Jahrhunderts stattfand,20 blieben die Theater in Großbritannien fern von technischen Neuerungen. Die erste Aufgabe des bühnentechnischen Teams war, die Mechanisierung der Szenografie ohne entsprechende Ausrüstung im New Theatre in London durchzuführen. Die Produktion hatte insgesamt drei Wochen Zeit für die Vorbereitung, die in Wimbledon stattfand. Nach Aussagen von production manager Ian Albery war Sean Kenny nicht damit vertraut, wie man seine Ideen technisch umsetzen könnte. Wenngleich ausgebildeter Architekt, wurde Kenny als untypischer Designer bezeichnet, der seine Entwürfe oft nicht ausgearbeitet, sondern verbal erklärt hat. Als Manager der Produktion war Albery für die Umsetzung der Ideen zuständig, die Kenny im Fall von „Oliver!“ durch das Bewegen von ein paar Streichholzschachteln auf dem Tisch demonstriert hat. “Usually all I had to go on were very rough schematic sketch plans or a discussion using matchboxes he moved around on a table to demonstrate how he envisaged the set working. He had no idea however as to how this could be achieved.” 21

Mit groben Skizzen alleine gelassen, um das mechanische Konzept zu entwickeln, kam Albery auf die Idee, den Ingenieur Bill Tottle, managing director von Hall Stage Engineering aus Brixton in London, als Verstärkung 20 Die erste Drehbühne wurde von Leonardo da Vinci im Jahr 1490 konstruiert und bei der Aufführung von „Il Paradiso“ zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Die Drehbühne wurde nur von ihm noch bis 1496 eingesetzt, aber dann erst wieder 1758 als mavari-butai im japanischen Kabuki-Theater der Edo-Zeit wiederentdeckt. (Hainaux: Stage Design Throughout World Since 1935, 21.) Die Wiederentdeckung der Drehbühne fand erst 1896 statt, als Carl Lautenschläger auf die Idee kam, für die Produktion „Don Juan“ in dem Münchener Residenztheater, einen Elektromotor als Antriebssystem für die Drehbühne zu benutzen. (Eckert: Das Bühnenbild, 24.) 21 Albery: Email-Korrespondenz, Oktober 2010, Privatarchiv Nebojša Tabački.

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in das Team zu holen. Die Grundidee wurde von Tottle ausgearbeitet und verfeinert, was zum ersten Einsatz von Motoren für die Bewegung der Szenografie in Großbritannien führte. Ein Reibungsantriebssystem wurde verwendet,22 um die Geräusche der Elektromotoren gering zu halten. Jeweils ein Motor mit der Leistungsstärke von 735,5 Watt wurde unter den drei aufgesetzten Scheiben versteckt. Die Drehung der zentralen Baugruppe und der zwei Satellit- bzw. Seitenteile erfolgte entlang der ausgelegten Schienen. Die Bewegung wurde durch die Betätigung von Schaltern der elektromagnetischen Fernbedienungsanlage ausgeführt. Peter Denton berichtete in Croydon Times, wie die Steuerung der Szenografie umgesetzt wurde: „The centrepiece, although electrically driven, is controlled by one man who sits in a concealed cabin built into the set. The cabin is only about four feet square, but from his seat inside he starts and stops the whole set turning at the touch of a few controls.“ 23

Diese speziell für das Musical entwickelte Ausrüstung wurde in dem Tourneenbericht des Coventry Evening Telegraph - Selsyn Transmitter and Receiver Motors genannt. „At the touch of a button on a specially designed control unit the central revolve on which most of the scenery is mounted rotates to pre-set positions. Two-sode trucks supporting additional scenery are moved in a similar way.“ 24

Die gewünschte Geschwindigkeit der Drehung wurde nach Aussagen von Albery durch die Neigung der Motoren zum Bühnenboden erzeugt. Die zentrale Scheibe konnte 180° und die Seitenteile 30°- 45° Drehung durchführen. In die Szenografie wurden viele versteckte Mikrofone eingebaut. Aus dem ursprünglichen vollen Kreis der zentralen Drehscheibe, wie auf den technischen Zeichnungen von Neil Parkinson angedeutet,25 wurde nach dem Vorschlag von Ian Albery ein Segment rausgenommen, um mehr Platz auf der Bühne für die Schauspieler und die choreographierte Tanznummer zu bekommen. Einige szenografische Elementen wie z.B. die London-Brücke, das Eingangstor des Arbeitshauses, die zusätzliche Wand für die Unterkunft der Diebe, die Eingangstür und die Fensterfront des Brownlows Hauses, die Fenster der Kneipe „Three Cripples“ oder die Särge aus der Bestattungswerkstatt wurden 22 friction drive motor 23 Denton: The quiet genious of a man behind the scenes, in: Croydon Times, o.S. 24 B.J.H.: The push-button musical, in: Coventry Evening Telegraph, o.S. 25 Parkinson: Technische Zeichnung für “Oliver!”, Blythe House Archive, THM /166.

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von oben mit Zügen runtergelassen, nachdem die Drehscheiben ihre Position für die bestimmte Szene erreicht hatten. Insgesamt wurde 1220 laufende Meter Holzmaterial für die Szenografie verwendet. Für die Herstellung der Szenografie war die Firma E. Babbage & Co zuständig. Die Beleuchtung wurde zum ersten Mal auf dem Zügegerüst aufgehängt und absichtlich zur Schau gestellt. Dadurch wurde eine präzise Beleuchtung von einzelnen Bühnenteilen (Spotlight) ermöglicht. Die Beleuchtung der Szenografie, meisterhaft umgesetzt durch den Lichtdesigner John Wyckham, verhalf der Dramaturgie der Inszenierung mit atmosphärischen Kontrasten und Schatten. „Much of the settings effectiveness traces directly to the lighting by John Wyckham;“ lobte New York World-Telegram – „it´s as good as dialogue, as descriptive as action“.26 Aufgehängte und exponierte Beleuchtung wurde ein integrierter Teil der Szenografie, indem sie den Eindruck sowohl vom Sternenhimmel als auch von den Gaslampen der Londoner Straßen vermittelte. Die Bedienung der Bühnenbeleuchtung stellte auch eine Innovation dar und erfolgte zum ersten Mal über das Schalterpult.27 Ohne Zweifel war der John Wyckhams Beitrag zum szenografischen Gesamterlebnis enorm. Mit starken Kontrasten und verlängerten grafischen Schatten hatte die Szenografie einen expressionistischen Look, wie auf einigen Fotos zu sehen ist. Die Verantwortung für die konzeptionelle Entscheidung und dadurch auch die Umgestaltung in Positionierung der Lichtquellen lag aber bei Kenny, letztlich ist es sein Erfolg.

Theaterstrukturelle Bedingungen Sir Donald Albery (1914-1988), zu der Zeit der Manager vom New Theatre, war eine bekannte und einflussreiche Persönlichkeit in der Londoner Theaterszene. Er hatte ein breites Spektrum der Interessen für verschiedene Theaterformen und konnte sich in gleichem Maße für unbekannte Autoren wie für das kommerzielle Musical begeistern. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere leitete er fünf Londoner Theaterhäuser (Wyndham Theatres Ltd.): Albery-, Criterion-, Piccadilly-, Wyndham‘s- und Warehouse Theatre. Obwohl bekannt für seine Finanzkraft, ging er sicherlich ein gewisses Risiko mit der Produktion „Oliver!“ ein. Er verfügte über eine vielfältige Theatererfahrung, die er als familiäres Erbe in sich trug,28 und hatte ein sicheres Gefühl für die Theatergeschäfte, sein 26 Nadel: Oliver! First Night Review, o.A., o.S. 27 „pre-set transistorised switchboard“ (B.J.H.: The push-button musical, in: Coventry Evening Telegraph, o.S.)

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Mut, das Musical „Oliver“ zu produzieren, bleibt dennoch bemerkenswert. Alle drei Theater, die Sir Donald Albery zu der Zeit verwaltete, hatten erfolgreiche Produktionen auf dem Spielplan und es gab keinen Grund, diese Situation mit der Einführung eines neuen Musicals zu gefährden. Wie von seinem Sohn Ian Albery zu erfahren ist, lag die Reputation von Sir Donald Albery überwiegend im Bereich des Dramas. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre forderte er die englische Theatertradition mit bahnbrechenden Inszenierungen heraus. 29 Die Produktion der Musicals dagegen fand oft in Kooperation mit fachspezifischen Produzenten statt („Irma la Douce” mit H. M. Tennant). Nachdem alle Musical-Produzenten „Oliver!“ abgelehnt hatten, wendete sich Lionel Bart aus lauter Verzweiflung an ihn. Obwohl Charles Dickens nicht als Stoff für einen Kassenerfolg galt, erkannte Sir Donald Albery das dramaturgische Potential des Musicals. Seine Offenheit für neue Ideen,30 für die er bekannt war, muss bei der Entscheidung, das Musical zu produzieren, auch eine Rolle gespielt haben. Er war sowohl mit Barts als auch Kennys früheren Arbeiten mit Joan Littlewood am Theatre Royal in London vertraut und schätzte sie. Dass Sir Donald Albery seinen Sohn Ian Albery als technischen Leiter für das Projekt an der Seite hatte, der die Umsetzung der Szenografie in die Wege leitete und betreute, könnte auch eine zusätzliche Absicherung gewesen sein. Wie Ian Albery schilderte, gab es zu der Zeit viel Misstrauen bezüglich des ambitionierten technischen Vorhabens, und niemand wusste genau, ob alles wie geplant funktionieren würde. Aus all diesen Gründen wurde das Musical erst im Wimbledon Theater (südwestlich von London) ausprobiert, bevor man die Show nach West End holte. Über Sir Donald Albery berichtete The New York Times folgendes: „He was known for his enterprise in finding and promoting new plays, and for his wideranging taste, his shrewd eye for commercial success and his willingness to take risks.” 31 Man kann also davon ausgehen, dass die Umsetzung des Musicals „Oliver!“ vor allem Sir Donald Albery selbst zu verdanken ist. Die Herausforderung 28 „Sir Donald was born into a family with longstanding theatrical ties. His grandfather was a playwright, his grandmother an actress and theater manager and his father one of the most influential figures in the London theatre in his own day.” (O.N.: Sir Donald Albery, in: The New York Times siehe olinehttp://www.nytimes.com/1988/09/17/obituaries/sir-donald-albery-is-deadat-74influentialbritish-stage-director.html. vom 05.09.2010.) 29 „Waiting for Godot” (1955), “Tea & Sympathy” (1957), “A Taste of Honey” (1959), “The Hostage” (1959), “Fings Aint’ Wot They Used T’ Be” (1960). 30 Im Laufe seiner Karriere setzte sich Sir Donald Albery für die neue Generation der jungen Theaterautoren wie Beckett, Green, Behan bzw. der Regisseure wie Littlewood oder Delaney und verhalf ihre Etablierung. 31 O.N.: Sir Donald Albery, in: The New York Times, siehe olinehttp://www.nytimes.com/ 1988/09/17/obituaries/sir-donald-albery-is-deadat74influential-british-stage-director.html. vom 05.09.2010.

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der konservativen Theaterlandschaft Großbritanniens und der freie Geist des risikobereiten Theatermanagers waren höchstwahrscheinlich die Gründe für diese Entscheidung gewesen.

Innovation Diese Produktion stellte die erste Phase der technologischen Verselbständigung der Szenografie von der klassischen Theatermechanik nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Sie war zwar noch zum Teil von dem Zügesystem der Proszeniumbühne abhängig, brachte aber eine technologische Erneuerung, die konstante Leistungen unabhängig von der Ausrüstung an den Theatern hervorbringen konnte. Mit eigenen Technikern war die Produktion perfekt für die Tournee geeignet, weil man sich nicht auf die Fachkräfte vor Ort verlassen musste. Bruce Hay, company manager erklärte: „With a large scale show you often find that there are not enough trained staff to work it, particularly on mid-week matinees. I do not want to suggest that provincial theatre staff are inefficient, or in any way less qualified technically than their London counterparts. But in many cases provincial theatres are not equipped to handle these things as well as London.“ 32

Abgesehen vom technischen Fortschritt, betonte Bruce Hay, dass die automatische Veränderung der Szenografie vor den Augen der Zuschauer, durch ihre Schnelligkeit und Genauigkeit, überzeugt hat. Genau hier ist der Optimismus der Moderne im Musical Anfang der 1960er Jahre vorzufinden.33 Der Wunsch, hohe Qualität einer universellen Produktion unabhängig vom Ort des Geschehens anzubieten, setzt sich durch mit dem Einsatz modernster Technologie. Demzufolge machte die Produktion “Oliver!” den ersten Schritt in der Verselbständigung der szenografische Mechanik von dem Raum, in dem die Aufführung stattfindet. Die Weiterentwicklung dieser Idee wurde von Sean Kenny im Verlauf seiner Karriere bei den Produktionen „Blitz!“ (1962) und „Clownaround“ (1972) fortgesetzt. Die Experimente mit dynamischen Bühnenkonzepten nahmen in den kommenden Jahren noch einen zweiten Entwicklungsweg außerhalb des Theaters. Das Phänomen Stadion-Konzert begann sich mit dem Beatles32 B.J.H.: The push-button musical, in: Coventry Evening Telegraph, o.S. 33 Baugh: Theatre, Performance and Technology, 216f.

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Auftritt im Shea-Stadion im Jahr 1965 zu etablieren.34 Nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten und verschiedenen Experimenten mit Multimedia-Veranstaltungen in den 1960er Jahren setzte sich diese neue Form von Konzertauftritten unter freiem Himmel in der 1970er Jahren endgültig durch. Das Stadion-Konzert als eine Alternative ohne klare räumliche Einschränkungen, die Theaterhäuser oder Konzertsäle ohne Zweifel hatten, ermöglichte die weitere freie Entfaltung der Hi-Tech-Szenografie. Die ersten Arbeiten von Mark Fisher für die Pink Floyd-Tour „Animal“ 1977 demonstrieren einen eindeutigen Weg zur dynamischen Szenografie, die der Entwicklung der Technologie immer eng folgte.35

Postskriptum 1

Whitney Bolton schrieb für den Morning Telegraph nach der BroadwayPremiere von „Oliver!“ folgendes: „I have no intention of advising you that „Oliver!“ is the biggest, best, boldest, brashest, most amazing and spectacular musical that ever come to Broadway. But it is one of the most attractive, at times most rollicking of such musicals. If it has its moments of drear, and it does, my dears it does, they are not long and not frequent and just when you begin to think that they could have smartened things up just in that point, the settings change before your eyes in a fascinating bellet of wood and lightning... I loved „Oliver!“ and I shall not pretend I didn´t. I loved almost every blooming moment of it and count as not scarring the minutes when I didn´t.“ 36

Die Kritiker haben das Musical definitiv nicht nur gelobt. Anlässlich der Premiere betonte die Times die schwachen Stellen des Librettos. Die Dramaturgie des Stoffes im ersten Akt hatte laut des Artikels „Hotch-potch Musical Version of Oliver Twist“ außer charmanten Mengen an Pathos nicht viel Dramatisches anzubieten.37 Der Wendepunkt der Geschichte im zweiten Teil, als die Erzählung zum Melodrama wurde, kam zu spät, und ließ den Mord an Nancy fast unmotiviert vorkommen. Lionel Barts Problem mit der 34 Holding: Mark Fisher, 16. 35 Ebd., 26. 36 Bolton: Oliver! Visually Magnificent, Morning Telegraph, o.S. 37 O.N.: Hotch-potch Musical Version of Oliver Twist, in: The Times, o.S.

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Geschichte und dem Plot wird zurückgeführt auf Dickens bzw. auf die Art der Episodenveröffentlichung der Originalgeschichte in monatlichen Magazinen. Die Idee dabei war, die Geschichte langsam in den kommenden Ausgaben zum Plot zu entwickeln. Dem Libretto wurde ein Mangel an Dramatik, sogar bei einem Musical als nicht besonders anspruchsvoller Theaterform, vorgeworfen. Glenna Syse von Chicago Sun-Times kritisierte z. B. vor allem die Episoden: „It´s the sub-plots and the subsidiary characterisations that are deadly. They don´t have a decent song to sing and they´re portrayed as ridiculous cliches. (...) They drag down the show and supply the question marks.“ 38

Die Village Voice teilte diese Meinung. Es wurde betont, dass jegliche Abwesenheit von Georgia Brown (Nancy), David Jones (Artfull Dodger) und Clive Revill (Fagin) aus dem Musical stark bemerkbar ist, weil die Nebenrollen zu schwach sind. In der deutschen und englischen Presse hat man auch die wechselnde Qualität der Songs kritisiert: „Nicht alle musikalischen Einfälle, mit denen Bart seine verharmloste DickensFassung illustriert, sind besonders geglückt oder besonders originell, einige erinnern deutlich an Kurt Weill („Observer“: „Eine farbige Zweigroschenausgabe der Dreigroschenoper“).“39

Nichtsdestotrotz wurde „Oliver!“ innerhalb von sechs Jahren 2618 Mal im Londoner West End aufgeführt und ist damit das erfolgreichste Musical der Nachkriegszeit seit „Annie Get Your Gun“.40 Laut Angaben der Presse erwiesen sich sieben von insgesamt sechzehn Songs als Hits. Die Produktion gastierte in Südafrika, Australien, USA, Kanada, Japan und einigen europäischen Ländern (Holland, Schweden, Dänemark). Bis 1966, als das Musical seine letzten Rekord-Aufführungen feierte, hatte die Show laut Times- und VarietyBerichten seinen elften Oliver, zehnten Artful Dodger und vierten Fagin bzw. die vierte Nancy. Um die 800 Jungen wurden innerhalb dieser Zeit nur in London beschäftigt und sechs Ehen zwischen Beschäftigten in der Produktion geschlossen.

38 Syse: Oliver! Musical Great, in: Chicago Sun Times, o. S. 39 O.N.: Dikens mit Bart, in: Der Spiegel 32/1960, o.S. siehe http://www.spiegel.de/spiegel/ print/d- 43066411.html vom 07.09.2012. 40 Amerikanisches Musical (Londoner Premiere am 06. Juni 1947 im Coliseum Theatre; insgesamt 1304 Aufführungen).

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Nach der erfolgreichen fünfmonatigen Promotions-Tournee durch Amerika (Los Angeles, San Francisco, Detroit, Toronto) im Jahr 1962, die die investierte Summe von $250.000,- zurückbrachte und $100.000,- einspielte, feierte das Musical am 6. Januar 1963 seine Broadway-Premiere im Imperial Theatre. „It is one of the most impressive British products to be imported here since the first Rolls Royce“ schrieb New York Daily News nach der ersten Vorstellung.41 Gemeinsam produziert von David Merrick („uses a divining rod that is tuned in only on the wavelenght of money“) und Donald Albery,42 wurde „Oliver!“ in den nächsten zwei Jahren 775 Mal in New York gezeigt und anschließend noch mal auf eine sechsmonatige Tournee durch die USA geschickt. Die Produktion wurde 1963 mit drei Tony Preisen ausgezeichnet, darunter Lionel Bart für Musik, Sean Kenny für Szenografie und Donald Pippin für Dirigieren. Das Musical wurde 1968 erfolgreich von Columbia Pictures verfilmt, wurde für elf Oscars nominiert und bekam sechs Oscars in folgenden Kategorien: bester Film (John Woolf), beste Regie (Carol Reed), bestes Szenenbild (John Box), bester Ton (Crew), beste Musik (Johnny Green) und beste Choreographie (Onna White). In den späten 1970er Jahren erlebte das Musical unter Cameron Mackintosh eine originaltreue Neuinszenierung im Albery Theatre, die für zwei Jahre erfolgreich lief. Victoria Radin schrieb im Observer über die Wiederaufnahme des Musicals. Sie lobte erneut Kennys Set als den Star der Inszenierung, würdigte „Oliver!“ als „classic of the British stage“, äußerte sich aber auch sehr kritisch sowohl über die Frauenrollen als auch die Pointe bei Dickens‘ „Dreigroschenoper“: „(...) but what a limp wristed and anti-woman model it is. The undertaker´s wife and Bumble´s new widow-bride are music hall burlesque who could have been played easily in drag: the only woman in the piece is Nancy, whose involvment with Sykes is literally the death of her. And the moral, the point of it all, is that the only good lot for a boy is to be well-born.“ 43

Für fünf Wochen in der Weihnachtszeit 1983 erlebte das Musical eine weitere Inszenierung von Peter Coe im Aldwych Theatre. Für alle diese Inszenierungen, einschließlich die Queen´s Theatre Produktion in Hornchurch (Essex) im Jahr 1986, wurde Sean Kennys Szenografie benutzt. Cameron Mackintoshs Produktion aus dem Jahr 1994 war eine leicht veränderte Neuinszenierung von Lionel Barts „Oliver!“ und die erste englische Produktion,44 die nicht 41 Chapman: Oliver!“ Review, in: New York Daily News, o.S. 42 Presse Ankündigung zwischen Press-Clippings: Advance for AM´s Sunday, July 25 1965, Billi Rose Theatre Collection Archive. O.N.: Presse Ankündigung, o.A., o.S. 43 Radin: Return of the perfect pickpockets, in: Observer, o.S. 44 Sam Mendes übernahm die Regie und Anthony Ward die Szenografie in der Neuinszenierung

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die Szenografie von Sean Kenny benutzt hat. Kennys Entwurf blieb nach der Premiere im Londoner West End in den Neuinszenierungen, also noch 26 Jahre lang, im Einsatz. Damit wurde nicht nur ein Rekord im Leben einer Szenografie aufgestellt, sondern auch eine Demonstration des kreativen Aufpralls, der als Zünder für die weiteren Entwicklungen auf dem Gebiet wirkte. Wie Sydney J. Harris es pointierte: “(…) that lovely, brooding, poignant and imaginative settings of Sean Kenny, as it turns slowly through the night, reminding us what “creation” really means.”45

im Jahr 1994. 45 Harris: Oliver! Sets Top the Show, in: Chicago Daily News, o.S.

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“Blitz!” Premiere 08.05.1962, Adelphi Theatre, London Licence and Managing Director: Donald Albery Music, Lyrics and Direction by Lionel Bart Book by Lionel Bart & Joan Maitland Associate Director: Eleanor Fazan Orchestration by Bob Sharples Production designed by Sean Kenny Costumes designed by Bernard Sarron Lighting and Projections by Richard Pilbrow Choreography by Teddy Green Production Manager: Ian Albery General Manager : Anne Jenkins Stage Manager : George Rowbottom Orchestra Conducted by Marcus Dods

“Let us rebel, break down, invent and reconstruct a new theatre. Let us destroy and liberate. Let us free the theatre from the cumbersome shakles of outmoded tradition.“ 46

Sozialmilieu der Handlung Während das Musical „Oliver!“ im New Theatre noch erfolgreich lief, feierte die Produktion „Blitz!“ ihre offizielle Premiere am 8. Mai 1962 im Adelphi Theatre in London, nachdem am 7. Mai zunächst eine Aufführung für humanitäre Zwecke gezeigt wurde. Die Premiere wurde, symbolisch dem Thema entsprechend, am Tag der deutschen Kapitulation im Jahr 1945 angesetzt. Der Regisseur Lionel Bart setzte sich diesmal mit dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Er inszenierte das Leben in einem Londoner Stadtteil in der Zeit der Bombardements der deutschen Luftwaffe aus dem Jahr 1940, bekannt als „Blitz!“. Mit einem Ensemble von 60 Schauspielern und Tänzern wurde in zwei Akten dargestellt, wie sich das Leben in diesen schwierigen Zeiten in London abspielte. Die Geschichte thematisiert den Heroismus und die 46 Kenny/Dempsey: The shape of the Theatre, in: Toronto Daily Star, o.S.

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Standfestigkeit der East-End-Bewohner, in den Tagen während bzw. nach den Luftangriffen. Die Handlung47 erstreckt sich über die Zeit von sechs Monaten, die zwischen dem ersten und dem zweiten Akt vergehen. Im Sozialmilieu eines armen Arbeiterviertels werden die Themen wie Patriotismus, Kriegsdienst­ver­ wei­ge­rung, Nachkriegstrauma und Tradition angesprochen. Durch vierzehn Songs im ersten und zehn Songs im zweiten Akt werden die Figuren mit eigenen Schicksalsschlägen konfrontiert und finden zum Schluss alle für sich ihren eigenen Frieden. Lionel Bart selbst schilderte die Handlung als “(…) three human stories inside an epic canvas; the major human conflict—the major plot—personifies the spirit of London and how that spirit developed during the period of the piece.” 48 Die Broschüre, die als Begleitmaterial zur Aufführung bzw. als Pressematerial diente,49 ist auch eine wichtige Quelle, um Lionel Barts Standpunkt über die Konzeption des Musicals zu erfahren. Er hielt die Emanzipation des Musicals von dessen sanfter romantischer Form für die überraschendste und inspirierendste Entwicklung, die im Nachkriegstheater stattgefunden hat. Die Produktion „Blitz!“ war selbst als ein Beispiel für die neu gewonnene sowohl formale als auch intellektuelle Integrität – „bridges the gulf between ages and cultural standards with great and, one believes, socially valuable success“.50 Gleichzeitig war, wie in der deutschen Presse berichtet wurde,51 dieses Projekt auch eine Danksagung an die neue Heimat von Lionel Bart. Als siebter Sohn einer jüdischen Familie aus Wien, die nach der Annexion Österreichs durch das nationalsozialistische Deutsche Reich nach Großbritannien flüchtete und dort die Gelegenheit für einen neuen Anfang bekam, spielte die Abtragung der Dankesschuld bei der Auswahl des Stoffes sicherlich auch eine wichtige Rolle.

Realitätsanspruch der Szenografie Der Spiegel-Bericht anlässlich der Vorpremiere, die am 12. April 1962 im Regal Cinema in Edmonton, einer nördlichen Vorstadt Londons, probeweise 47 Die Handlungsbeschreibung ist im „Collins Guide to Musicals“ zu finden. Bunnett/Kennedy/ Muir: Collins Guide, 50. 48 Mandelbaum: Who’s This Geezer Hitler? Siehe http://www.broadway.com/buzz/10852/ cdswhos-this-geezer-hitler/ vom 01. 02.2010 49 Bart: Lionel Bart on “Blitz!”, in: Adelphi Theatre Presse-Heft, o.S. 50 Ebd., o.S. 51 O.N.: BLITZ - Dieser Schlot Hitler, in: Der Spiegel 18/1962, o.S. Siehe http://www.spiegel.de/ spiegel/print/d-45140064.html vom 07.09.2012.

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vor 2500 Zuschauern aufgeführt wurde, illustriert den dynamischen Anfang der Aufführung: „Während sich der Vorhang hob, gab es Fliegeralarm, und auf der Bühne wurde eine riesige Imitation der Londoner Untergrundstation Bank sichtbar. Bewohner des East-End-Viertels liefen in den Eingang, um sich vor den Bombenwürfen in Sicherheit zu bringen. Kurz darauf entschwand die Kulisse nach oben in den Schnürboden der Bühne und gab den Blick frei auf einen tieferen Bahnsteig der Station, auf dem sich fünfzig Londoner zur Nachtruhe betteten. „Unser Hotel!“ sangen sie. Im Hintergrund verkehrten noch rote U-Bahn-Züge.“ 52

Sean Kenny, der parallel zur Entwicklung des Librettos zwei Jahre lang am szenografischen Konzept arbeitete, entwarf für diese Produktion aufwendige Sets für insgesamt zwölf Szenen und vierzehn Veränderungen. Darunter waren sowohl der Eingang als auch der Bahnsteig der U-Bahn-Station Bank, der Spielplatz auf der Dachterrasse einer Schule, Petticoat Lane, eine Gasse, der Markt (Abb. 27, 28), die U-Bahn-Station Victoria (Abb. 29), mehrere Strassen von East London, vor der „Marry Spinster“, eine Allee, Whitechapel High Street und das Korlinsky´s Kosher Restaurant (Abb. 31).

Abb. 27 Sean Kenny, „Blitz!“, Markt Szene Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

52 Ebd., o.S.

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Abb. 28 Sean Kenny, „Blitz!“, Markt Szene, 1962. Die Szenografie bestand grundsätzlich aus vier mehrstöckigen Hauseinheiten, die sich andauernd in allen Richtungen bewegten, um die verschiedenen Straßenfronten zu bilden, einer mobilen Brücke auf zwei Türmen, die ihre Höhe verändern konnten und einzelnen aufgehängten szenografischen Elementen. Zusätzlich wurden mehrere kleinere Elemente „eingeflogen“, von Schauspielern mitgebracht bzw. bewegt oder auf eine andere Weise auf die Bühne gebracht. Im Vergleich zum „Oliver!“ wurde hier eine Stilisierung des realistischen Looks der Szenografie gepflegt. Im Prolog wurden die Bombenangriffe inszeniert und während des Interludiums zwischen der zweiten und dritten Szene des ersten Aktes wurden Feuerwehrmänner eingesetzt (Abb. 30), um den Brand im East-End-Viertel zu löschen. Die Glaubwürdigkeit dieser Szene ist in The Illustrated London News Artikel über „Blitz!“ zu lesen: „(...) great projected fans and plums of springing flame, with patterns of roof and girder that change among billowing smoke and the move of gigantic towers. They are the shadows of toiling men; there is a sustained thunder of sound. For a few minutes, so real it is, so terrifying evocative that we are anywhere but in a theatre.All-shaking thunder strikes flat the thick rotundity of the world.“ 53



53 O.N.: o.A., in: The Illustrated London News, o.S.

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Abb. 29 Sean Kenny, „Blitz!“ / Victoria Station Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

Abb. 30 Sean Kenny, „Blitz!“ / Bombenangriffe, 1962. Der Einsturz von einigen Fassadenteilen der Hauseinheiten nach der Bombenexplosion wurde so lebensnah umgesetzt, dass viele Zuschauer tatsächlich erschrocken waren. Während der Luftangriffsszenen, die mit viel Rauch und Feuer inszeniert waren, wurden auch die meisten Front- und Rückprojektionen verwendet (Abb. 30). Die Hinterwand im Adelphi Theatre stellte eine riesige Projektionsfläche für die zusätzlichen Projektionseffekte

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dar. In der Bank U-Bahn-Station-Szene wurde z. B. hinter den Schauspielern ein Video projiziert. Das Video zeigte wie die Bahn in die Station einfährt, anhält, um die Passagiere hinauszulassen, und beim Wegfahren in der Tiefe verschwindet. Der originaltreuen Rekonstruktion der Orte in der Szenografie folgten die anderen Aspekte der Inszenierung. Der Ausschnitt aus einer Kriegsrede von Winston Churchill, die über die Lautsprecher übertragen wurde, oder speziell geschriebene Schlager in damaligem Stil für die Schlagersängerin der Kriegszeit Vera Lynn, verhalfen zur Zurückversetzung in die Kriegszeit, die die meisten Musical-Besucher miterlebt hatten. „In einer anderen Szene war der Bahnhof Victoria Station so prächtig und naturgetreu aufgebaut, daß die Zuschauer jubelten. Außerdem fielen Bomben, es blitzte und krachte, Flammen züngelten über die riesenhafte Bühne, Rauch füllte sogar das halbe Auditorium.“ 54

Obwohl der Realitätsanspruch der Szenografie sehr prägnant war, hatten die visuellen Veränderungen der Szenen einen stark ausgeprägten, dynamischen Charakter. Die fließende Bewegung der szenografischen Elemente vor den Augen der Zuschauer, die im Rhythmus der Songs bzw. der Schauspieleraktionen auf der Bühne eingefädelt waren, ermöglichten die zügige Veränderung der Szenografie. Die Manipulation des Raumes wurde durch die unzähligen Kombinationen von vier Hauseinheiten mit jeweils vier verschiedenen Fassadenseiten, mehreren vertikalen und horizontalen Positionen der mobilen Brücke, zusätzlichen fliegenden oder hereingefahrenen szenografischen Elementen und insgesamt 27 Projektionsquellen umgesetzt. The Illustrated London News Bericht weist darauf hin, dass die Bewegung der Szenografie im Fokus der Zuschauerfaszination war, mehr als die Sets selbst: „The structures move with a precision that is quite relentless: it is an ordered dance of giants. After their manoeuvres it is something of a shock to discover that has become an East End street, confined and shabby. The excitement of the night is less in the ultimate appearance of the sets than in the shadow-choreography before the structures lock and interlock.“ 55

54 O.N.: BLITZ - Dieser Schlot Hitler, in: Der Spiegel 18/1962, o.S. Siehe http://www.spiegel.de/ spiegel/print/d-45140064.html vom 07.09.2012. 55 O.N.: o.A., in: The Illustrated London News, o.S.

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Abb. 31 Sean Kenny, „Blitz!“ / Korlinsky´s Kosher Restaurant Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

Konzeptuelle Anforderungen an die Szenografie Im Interview „Further thoughts on Blitz!“, erschienen im Stage & Televison Today,56 schilderte Kenny das Konzept der Szenografie. Die schwierige Aufgabe lag vor allem in dem Versuch, das Publikum sowohl zu erschrecken als auch zum Lachen zu bringen, besonders, weil man davon ausging, dass der größte Teil der Zuschauer tatsächlich die Zeit der Luftangriffe auf London erlebt hatte. Das Publikum zu bewegen, indem man es an schreckliche, aber auch witzige Situationen aus dem Jahr 1940 erinnert, war kein einfaches Vorhaben. Im Gegensatz zu Lionel Bart, der selbst die Situation erlebt hat, verfügte Kenny nicht über starke Erinnerungen an die Kriegszeit in London, da er zu der Zeit in seiner Heimat Irland war. Aus diesem Grund hat Kenny ausführliche Recherchearbeit unternommen, sich mit dem East-End-Viertel vertraut gemacht, die verfügbaren Dokumentationsquellen erforscht, um sich in die Zeit einfühlen und den Look des Musicals detailgetreu wiedergeben zu können. Anlässlich eines Interviews mit Sean Kenny schrieb Lord Snowdown in The Sunday Times über die Vorbereitungszeit: „A year ago Kenny began regular tours 56 Gordon Smith: Further thoughts on Blitz!, in: Stage & Televison Today, o.S.

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of London, east of Aldgate, examining bomb-shattered buildings, running his eye over peeling walls, watching market sellers from the way they dress.“ 57 Zusätzlich hilfreich für die Forschungsarbeit fand Kenny die Crown Units Filme aus der Zeit.58 Er äußerte sich in dem Interview nicht als Befürworter, aber auch nicht als Gegner von realistisch gebauten Sets, sondern als ein Vertreter der Meinung, dass jede Produktion eine individuelle Herangehensweise erfordert. Zusätzlich glaubte er, dass die altmodische Szenografie das Publikum aus dem Theater vertreiben würde, weswegen grundsätzliche Veränderungen unternommen werden mussten. Diesbezüglich beschrieb Kenny folgende drei Standpunkte in dem Interview „Further thoughts on Blitz!“, die entscheidend zur Lösung des szenografischen Konzeptes beigetragen haben: “ ‘Audiences are accustomed to seeing spectacle on a continuous level’, he says. ‘They are no longer content to sit through obviously devised sequences before a drop curtain while hordes of people rush about building a new set behind it. This devise is so thoroughly old-fashioned that it is unforgivable.’ ‘Choreography’ is Mr. Kenny´s word for the movement of the trucks, which form the basis of set for ‘Blitz!’ for the shifting of the sets is, in this case part of the visual action of the play. ‘This form of scenery has never been used on any stage before’, Sean Kenny said. ‘It is bound to have an influence on the stage décor of the future, for it has every advantage, even to being adaptable to various stages on tour, although, of course it does require a flat stage.’ “ 59

Darüberhinaus hob Kenny die Wichtigkeit der Teamarbeit für die praktische Umsetzung der Szenografie hervor und bezog sich dabei auf die Erfahrung von Sergej Diaghilievs Ballet Russes: 57 Lord Snowdon: Where Blitz! Began, in: The Sunday Times, o.S. 58 „A few months into World War Two, the GPO Film Unit was transferred to the Films Division of the Ministry of Information. Its new name - the Crown Film Unit - reflected its special status as film producer for the state itself. … Crown’s output occupies a special place in the history of wartime film. This is partly because it was central to continuation of the pre-war ‘documentary movement’ into the era of war. The ‘movement’ had been relatively marginalised from initial government propaganda plans, but the creation of Crown cemented the central place of its filmmakers thereafter. Initial producer Ian Dalrymple seems to have successfully steered its course so as to avoid damaging entanglements with civil service politics.” (O.N.: Crown Film Unit, in: BFI Screenonline, siehe http://www.screenonline.org. uk/film/id/469778/ vom 27.12.2011.) 59 Gordon Smith: Further thoughts on Blitz!, in: Stage & Televison Today, o.S. (Der Bühnenboden ohne Neigung war noch kein Standard in Großbritannien in den 1960er Jahren. Viele Theaterhäuser in London hatten noch den schrägen Bühnenboden, eine Relikt des Barocktheaters.)

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“I have seem to have collected a good deal of the glory; yet the décor itself is essentially a team effort, calling not only for uncountable hours of discussion but for give-and-take all around, and many of the ideas have come from Lionel Bart and from Richard Pilbrow, who designed the lightning. This sort of production can only be achieved by a band of people who like and respect each other and are content to work as a team rather than as a collection of individuals. As Diaghilev discovered early this century, that is how the best works for the stage are developed.” 60

Die Aussagen von Ian Albery bestätigen diese Arbeitsweise. Der kreative Austausch fand nicht nur zwischen Regie, Szenografie und Licht-Design statt, sondern auch innerhalb der einzelnen Abteilungen.

Gestalterische und organisatorische Herausforderungen Das Musical „Blitz!“ bot hervorragende Möglichkeiten für die Gestaltung der Szenografie. Die Aufgabe war, das Chaos des Bombardements zu visualisieren - Feuer, Rauch, einstürzende Häuser und Feuerwehrmänner im Einsatz. Die Anforderung von vielen Motiven verursachte zusätzlich das Bauen von ziemlich großen szenografischen Elementen. Weiterhin wurden aus dem gleichen Grund Hauseinheiten entworfen, die durch Drehung bzw. Bewegung unterschiedlich gestaltete Seiten enthüllten, die schnell und kontinuierlich neue Szenen entstehen ließen. Besondere Anforderungen lagen in der Eröffnungsszene, die in Panik versetze Menschen darstellt, welche versuchen, in die MetroStation Bank zu flüchten. Die Aufgabe war, einen nahtlosen Übergang vom Straßen-Niveau in die unterirdische Station umzusetzen und den Zuschauern das Gefühl der Bewegung nach unten zu geben. Dieses Problem wurde durch die Idee der mobilen Brücke gelöst, die die Hebung der ganzen Straßen-Szene zusammen mit noch laufenden Menschen vor den Augen des Publikums vorsah und die gleichzeitige Enthüllung der Treppenhäuser, in denen die Schauspieler von oben nach unten bis zum Bühnenboden rannten, der jetzt die Plattform der Metro-Station Bank darstellte. Die Choreographie solcher Veränderungen der Szenografie wurde zunächst am Modell geprüft, während man Lionel Barts Musik von der Kassette laufen ließ. Auf diese Weise hat man die Dynamik der Veränderung einzelner Elemente mit dazugehörigen Songs dramaturgisch 60 Ebd., o.S.

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abgestimmt und die Funktionalität des Konzeptes ausgearbeitet, bevor man mit den Proben anfing. Die Umsetzung der Szenografie war nach Aussagen von Sean Kenny die aufregendste Zeit der Vorbereitungen, die mit langen Besprechungsrunden mit Ingenieuren, Baubühne und anderen Mitarbeitern, die für die Herstellung der Szenografie zuständig waren, begann. Da die Erfahrung mit der Realisation von Shows dieser Größe nicht vorhanden war, musste man eine eigene Logistik für das Vorhaben definieren. Zu der Zeit war das Projekt die anspruchsvollste und die teuerste Theaterproduktion, die bis dahin in Großbritannien, wahrscheinlich auch in Europa realisiert worden war. Technisch gesehen bezeichnet diese Produktion einen Wendepunkt in der bisherigen Tradition der Szenografie. Sie führte das Metall als Baumaterial ein, setzte zusätzliche Elektromotoren mit Fernsteuerung ein, bewältigte die Hebung von mehreren Tonnen schweren Elementen, ermöglichte die schnelle Veränderung der komplexen Szenografie, setzte auf Dynamik und Rhythmus dieser Veränderungen und ermöglichte dadurch ein kontinuierliches Spiel. Um die Bewegungen der szenografischen Elemente zu koordinieren, wurde die kabellose Kommunikationstechnik zum ersten Mal eingesetzt. Das technische Team musste nicht nur selbst sicher sein, dass die geplante Umsetzung funktionieren würde, sondern auch das Theater-Management musste davon überzeugt werden. Ein großes Vertrauen zwischen den organisatorischen, finanziellen und technischen Abteilungen der Produktion musste vorhanden sein. Für den Proberaum wurde eine vereinfachte Imitation der Szenografie hergestellt, in der die Schauspieler proben konnten. Parallel dazu hat man an der Herstellung des Originals gearbeitet. In Bezug auf die Umsetzung einer dermaßen komplexen Szenografie hob Kenny das Wichtigste hervor: “A great team of many people is involved in a show of this size, so it is never the designer alone who wholly and solely designs all the visual effects. He is influenced by the director, the author, composer, choreographer and so on, plus the backstage management and the people who work the trucks. They found short cuts, easier ways to do things and saved an endless amount of time.“ 61

Die Vorpremiere fand in Regal Cinema in Edmonton statt, einem weit entfernten Vorort in nordöstlichen Teil Londons. Dort lief das Musical zunächst zwei Wochen und drei Tage, bevor es im Adelphi Theatre aufgeführt wurde. Etwa 20 Theaterhäuser in London waren geprüft worden, bis man die geeignete Größe der Bühne mit flachem Bühnenboden im Regal Cinema gefunden hatte. Man wollte diese technologisch anspruchsvolle Theateraufführung erst mal weit 61 O.N.: o.A., in: Adelphi Theatre Presse-Heft, o.S.

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weg von der neugierigen West-End-Presse und der Öffentlichkeit ausprobieren, aber gleichzeitig aus Kostengründen in London bleiben. Falls die Vorpremiere in der Provinz stattgefunden hätte, wären auf die Produktion sehr hohe Reiseund Tourneekosten zugekommen. Zusätzlich hatte das Regal Cinema zu der Zeit wahrscheinlich die größte Bühne Großbritanniens, was für die Menge der technischen Ausrüstung und die Größe der einzelnen szenografischen Elemente sehr geeignet war. Bis das Musical Anfang Mai im Adelphi Theater aufgeführt wurde, führte man Nachtschichten ein, um die Szenografie noch zu verändern. Es wurden unterschiedliche Variationen ausprobiert, um das Bausystem zu perfektionieren und so lange gearbeitet, bis man mit dem Resultat zufrieden war. Kennys Ambition war es, zu zeigen, dass man im Theater eine aufregende und dynamische Aufführung produzieren kann, die um einiges bewegender und spannender als Film und Fernsehen ist, weil sie sich direkt vor den Augen der Zuschauer abspielt.

Organisation und Umsetzung der Arbeit Ungewöhnlich große konstruktive Elemente der Szenografie haben die Bühne im Regal Cinema komplett für die Proben gesperrt. Der Choreograph Teddy Green probte mit den Tänzern in einer Lagerhalle in Covent Garden, RegieAssistentin Eleanor Fazan mit einer Gruppe der Schauspieler in Wyndham Theatre und Lionel Bart mit dem dritten Teil des Ensembles in Büroräumen in der Shaftesbury Avenue. Man hatte insgesamt nur vier Tage vor der Vorpremiere, um die einzelne Teile des Musicals im Regal Cinema zusammen zu fügen. Über die technischen und organisatorischen Seiten der Produktion ist der Bericht “How a Team Tackled New Problems and New Challenges” von Ian Albery für The Stage von größter Bedeutung: „’This is a team effort, and no one lets it down.‘ T.C. Worslay´s

62 comment on “Blitz!” expresses very aptly my own feelings with regard to the entire technical side of this extremely complicated production. Without the very closest understanding and co-operation between all the people concerned – the various contractors, the stage management, lighting and sound experts, the stuffs of five theatres, linked together by my production office 63 – this show could never have been mounted successfully.“ 64

62 Thomas Cuthbert Worsley (1907–1977) war ein berühmter Theater- und Fernsehkritiker bei The London Financial Times. 63 Donmar Productios Ltd., London 64 Albery: How a Team Tackled New Problems and New Challenges, in: The Stage, o.S.

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Ian Albery, der als production manager an der Produktion tätig war, berichtete in dem Artikel ausführlich über die organisatorischen Herausforderungen. Die Produktion musste sich mit vielen neuen Problemen auseinandersetzen. Die Szenografie beinhaltete eine extrem große und schwere Konstruktion, die sich mit der Geschwindigkeit und der Leichtigkeit einer Revue bewegen musste. Dazu sollte sich die Szenografie, ohne Zwischenpausen oder Zwischen­vorhang, vor den Augen der Zuschauer verändern. Die Antwort darauf und der einzige Weg war der Einsatz von Mechanik und Fernsteuerung. Der Vorteil war, dass das technische Team, inklusive Firmen wie Hall Stage Equipment und E. Babbage and Co., schon zusammen an anspruchsvollen Theater Produktionen wie „Oliver!“ und „Bonne Soupe“ gearbeitet hatten. Es handelte sich um fest angestellte, erfahrene technischen Mitarbeiter, die ein eingespieltes Team bildeten. Hall Stage Equipment war für die Herstellung der Szenografie und E. Babbage and Co. für die Entwicklung der Mechanik zuständig. Die Szenografie bestand aus fünf Haupteinheiten: vier bewegliche und drehbare Häuser und eine Aufzug-Brücke, die von zwei beweglichen Türmen gehalten wurde. Anhand der archivierten technischen Zeichnungen und Produktionsfotos sind drei Häuser rekonstruierbar (Abb. 32). Sie waren eine besondere Leistung des Ingenieurs Bill Tottle (Hall Stage Engineering Brixton, London). Wie Ian Albery erklärte, entwickelte Tottle die Grundidee von Kenny und verfeinerte die Lösung. Dazu kamen noch große Mengen an eng aufgehängten und sehr schweren, fliegenden szenografischen Elementen, von denen einige mehr als eine Tonne wogen. Die 12 Tonnen schwere AufzugBrücke stellte für sich eine hervorragende Leistung der Elektrotechnik im Bereich der Bühnenmechanik dar. Die Plattform hatte 11 m Spannweite, ohne Zwischenstütze und hatte sechs horizontalen Anhaltemöglichkeiten zwischen dem Bühnenboden und der höchsten Ebene auf 7,3 m (Abb. 33). Zwei Türme, die als Träger der Brücke dienten, waren 8,5 m hoch, befanden sich im vorderen Teil der Bühne direkt hinter dem Proszenium und hatten vier Anhalte-Positionen in ihrer Vorwärts und Rückwärts Bewegungstrassen auf der Bühne. Die Brücke hatte verschiedene Funktionen während der Inszenierung – als Balkenträger für die Victoria Station Szene, ein Teil des zerstörten Hauses oder die Plattform für die Feuerwehrmänner. In den Türmen waren die Treppenhäuser untergebracht, die eine schnelle vertikale Verbindung zwischen dem Bühnenboden und der Plattform darstellten. Die Präzision innerhalb dieser vorgegebenen Einschränkungen war nicht nur wegen Sicherheitsmaßnahmen sondern auch wegen kurzer Entfernungen zwischen den fliegenden szenografischen Elementen wichtig.

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Abb. 32 Sean Kenny, „Blitz!“ / drehbare Hauseinheiten Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

Abb. 33 Sean Kenny, „Blitz!“ / vertikale Positionen der mobilen Brücke Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

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Wie Albery erklärt, war das technische Team mit folgenden Fragen konfrontiert: - Sollen die einzelnen szenografischen Elemente entlang der Schienen bewegt werden? - Auf welche Weise können die Motoren betrieben werden? - Das Fahrgestell bzw. die Fahrunterkonstruktion musste offensichtlich aus Stahl gebaut werden, aber welches Material sollte für den Schalungsaufbau benutzt werden? Die Benutzung des Reibantriebssystems für die Motoren, schon angewendet bei „Oliver!“, gab die Antwort auf eine der entscheidenden Fragen. Die Erfahrung mit der Steuerung der Drehung durch die Fernbedienung wurde in den Produktionen „Bonne Soup“ und „Not to Worry“ erfolgreich getestet. In allen drei Produktionen haben sich die Bewegungseinheiten entlang speziell gelegter Schienen bewegt. Es war schon von Anfang an vorhersehbar, dass die Bewegungen der Hauseinheiten sehr komplex sein würden. Sie waren jeweils im Grundriss 2,74 x 3,96 m groß, 6,40 m hoch und 12 t schwer (Abb. 32).65 Der Regisseur Lionel Bart war aber nicht in der Lage, dem technischen Team mehr als ein paar grobe Anweisungen zu geben, bevor er zusammen mit dem Ensemble die Inszenierung festlegte. Diese Informationen waren erst wenige Tage vor der Premiere verfügbar. Dazu wurde festgestellt, dass für die anspruchsvollen Bewegungstrassen viele Schienen und eine Menge an Kabeln benötigt werden würden. Dies hätte aber die Sicherheit der Schauspieler und besonders der Tänzer ernsthaft gefährden können. Aus allen diesen Gründen war das technische Team gezwungen, eine andere Lösung zu finden, die keine Auslegung von Schienen voraussetzte. Laut Alberys Bericht wurde das Problem mit zwei batteriegespeisten elektrischen Motoren für jeweils eine Hauseinheit bewältigt. Einer von diesen ermöglichte die Bewegung sowohl vorwärts bzw. rückwärts als auch in alle anderen Richtungen. Der andere Motor diente der Drehung eines Hauses im Uhrzeigersinn bzw. in der Gegenrichtung bis zu 360°. Jedes Haus wurde ferngesteuert von einem Techniker bzw. Fahrer, die in kleinen Kabinen im Basisbereich der Hauseinheiten untergebracht wurden. Wegen der besseren Orientierung blieben die Fahrer immer in der gleichen Position, während sich die Hauseinheit um sie herum drehte. Das größte Problem war, dass die Fahrer nicht sehen konnten, wo sie sich genau auf der Bühne befanden. Aus diesem Grund wurden zur besseren Orientierung die Bewegungsrouten der vier Häuser mit vier unterschiedlichen UV Farben auf dem Bühnenboden 65 Manche Quellen berichten von 7,62 m Höhe der Hauseinheiten. (Eichelbaum: Sean Kenny Sets the Stage, in: Theatre Arts, o.S.)

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gekennzeichnet.66 Albery, der auf die Idee gekommen ist, erklärte, wie das System funktioniert hat:

„Over each truck´s drive wheel a UV light was mounted (operated off the same heavy duty battery as the motor drive) with a crossed wire sight aiming device that had to be kept directly over the UV colour coded track on the stage to be followed. The UV track had ancilliary marks to indicate when approaching a ‘stop’ position and the ‘stop’ position itself.“ 67

Für deputy stage manager Neville Thomson, der aus dem Produktionsteam „Not To Worry“ zur Produktion „Blitz!“ dazukam, wurde eine aufgehängte Plattform zwischen den Teilen von Soffitten68 mit der Steuerungsausrüstung eingerichtet. Von oben aus hatte er den perfekten Überblick auf die Bühne, um die Bewegungen der Hauseinheiten inklusive Hebung der Brücke steuern zu können. Über Intercom, eine über bestimmten Frequenzen funktionierende kabellose Sprechanlage, war er in der Lage, jedem Fahrer zusätzliche Anweisungen zu geben. Falls es zu Unstimmigkeiten in der Bewegung der Hauseinheiten käme oder die Akteure bzw. andere szenografische Elemente im Weg wären, konnte er schnell reagieren. Die vier Hauseinheiten waren andauernd im Einsatz. Sie hatten ungefähr bis zu zwanzig Bewegungen, entweder einzeln oder in Zweier- bzw. Dreiergruppen, durchzuführen. Manche Gruppierungen, wie zum Beispiel die Formation der neuen East-End-Straße, dauerten vielleicht nur 90 Sekunden. Die Basis und die Konstruktion der einzelnen Häuser bestand aus Stahl und die Oberflächenverkleidung aus Holz. Zusätzlich verwendete man verschiedene Arten von Projektionsstoffen und pop-up Paneele für die schelle Veränderung der Hausfassaden. Der begabte Ingenieur Bill Tottle (Hall Stage Equipment) war für die Verfeinerung und die Entwicklung der Motoren verantwortlich. Die enge Beziehung und gute Zusammenarbeit zwischen Hall Stage Equipment und der Firma Babbage´s schaffte die Voraussetzungen, sobald die experimentelle Phase abgeschlossen war, die Szenografie innerhalb der bemerkenswert kurzen Zeit anzufertigen. Das extreme Gewicht dieser fünf Baukörper (vier Häuser und eine Brücke) und das zusätzliche Gewicht der fliegenden szenografischen Elemente erforderte zusätzliche Umbauten im Regal Cinema Edmonton und Aldelphi Theater. Viele Veränderungen mussten sowohl im Zügesystem als auch in der Verstärkung des Bühnenbodens vorab unternommen werden. Einzelne Hauseinheiten hatten das Problem der punktuellen Überladung, wobei auf nur einer schwenkbaren 66 UV-Farbe ist bei normalem Licht unsichtbar, leuchtet unter Schwarzlicht bzw. UV-Licht auf. 67 Albery: E-Mail Korrespondenz, 07.03.2010 / 08.01.2012, Privatarchiv Nebojša Tabački. 68 Soffitten sind aufgehängte Teile der Szenografie, die sich im Schnürboden der Proszeniumbühne befinden.

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Rolle in jedem Moment bis zu zwei Tonnen Gewicht lasten konnte. Das war besonders problematisch im Adelphi Theater, wo die Hauptstützen der Bühne nicht nur ungewöhnlich weit auseinander lagen, sondern auch wegen der Bühnenneigung selbst, die einen flachen Bühnenboden unter der geneigten Oberfläche verbarg. Deswegen musste man eine erhebliche Verstärkung einbauen. Das Gesamtgewicht der Konstruktionen wurde in beiden Theatern durch den neuen (blinden) Bühnenboden aufgefangen und aufgeteilt. Der Zusatzboden bestand aus einem speziellem Laminat: 2,54 cm Tischlerplatte, 4 mm Stahlplatte und 0,47 cm eingelassene Hartfaserplatte. Der Boden wog ca. 8 Tonnen. Wenn man die dazugehörige Konstruktion rechnet, hat das Publikum tatsächlich nur einen kleinen Teil des ganzen Aufwandes gesehen. Eines der letzten großen Probleme war die Frage der Kontrolle über die Führung der Show. Ohne präzise Kontrolle konnte das Musical nicht funktionieren. Abgesehen von einigen szenografischen Komponenten im hinteren Teil der Bühne waren alle Elemente mobil. Dazu kamen noch die Spezialeffekt-Maschinen für die leicht kontrollierbare Zufuhr von Rauch, die im Handumdrehen die ganze Bühne mit Rauch ausfüllen konnten, die WindMaschinen und die Kabinen für die Feuerwehrmänner, um bei Bedarf schnell reagieren zu können. Die bei der Produktion „Bonne Soupe“ verwendeten Lösungen waren nicht geeignet, weil sich in diesem Fall das bühnentechnische Team andauernd bewegen musste. Die Benutzung von Mikrophonen und Kopfhörern wurde in der „Bonne Soupe“ schon ausprobiert, diesmal war aber mehr Flexibilität verlangt. Bis zum Moment, als das Skript kam, wurde schon Monate zuvor nach einer Lösung für die Radio-Kommunikation gesucht. Nachdem alle Hersteller der kabellosen Kommunikations-Systeme in Großbritannien angefragt worden waren und noch keine passende Lösung gefunden war, überredete Ian Albery die Firma Multitone Electric Company Limited, speziell für die „Blitz!“ Produktion eine experimentelle Kommunikationsausrüstung zu entwerfen und herzustellen. Die Firma Multitone Electric entwickelte ein System, das schon in Krankenhäusern benutzt wurde. Ausführliche Proben und Tests waren notwendig, um sicher zu sein, dass weder elektrische Motoren noch die sich bewegenden Stahlkonstruktionen den Empfang stören würden. Danach wurden die Geräte in der Produktion „Not to Worry“ im Garrick Theatre angewendet, um sich noch mal zu vergewissern, ob die Anlage im vollen Produktionseinsatz zuverlässig war. Das Resultat war befriedigend, und eine größere Anlage wurde für „Blitz!“ verwendet, die die Bewegung sowohl der Szenografie als auch der „fliegenden“ Elemente gesteuert hat. Der größte Teil der Vorbereitungsarbeit musste im Edmonton, parallel zum regulären Kino-Programm, gemacht werden. Diese Arbeit leiteten company manager George Rowbottom, der schon bei „Oliver!“ im Team war, und sein

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stage manager Barry Busbridge. Der Transport der Szenografie von Edmonton zum Adelphi Theater musste nach Albery wie ein Militäreinsatz geplant werden. Nachdem der Zusatz-Bühnenboden und die elektrische Betriebsanlage schon drin waren, warteten vor dem Theater noch 27 geladene Transporter auf den Umzug. Die Arbeit wurde sorgfältig zwischen vielen verschiedenen technischen Teams aufgeteilt, die parallel gearbeitet haben. Um Zeit zu sparen, wurden die szenografischen Elemente auf die maximalen Längen geteilt, die durch die Eingangstüre des Adelphi Theaters passten. Den mobilen Kran setzte man in beiden Theaterhäusern ein, um das Gewicht von bis zu 5 Tonnen transportieren zu können. Trotz allen diesen Neuerungen betonte Albery die Wichtigkeit des menschlichen Faktors in der Umsetzungsphase. Es wurde sehr viel Zeit investiert, um die neueste und die effektivste Technik zu bekommen, aber im Grunde genommen wurde die Arbeit von Menschen durchgeführt. Der Erfolg dieser Produktionsphase ist dem technischen Team von Babbage´s, Hall´s und „Blitz!“ Produktion zu verdanken. Wie viele Mitarbeiter insgesamt an der Herstellung der Szenografie gearbeitet haben, ist heute nicht mehr festzustellen. Nach der Schätzung von Ian Albery waren auf dem Höhepunkt der Vorbereitungen in Edmonton ca. 300 Fachkräfte beschäftigt. Die Spezialisten für die Szenografie, mechanischen Konstruktionen, Bühnentechnik, Requisite und Kostüm waren unterschiedlich lange beschäftigt. Einige Mitarbeiter waren nur für einige Wochen unter Vertrag genommen worden, die anderen etwas länger. Jeder Vertragspartner musste sich streng an den Organisationsplan halten. Den Verpflichtungen des Vertrags folgend, mussten die Vertragspartner für die Herstellung der szenografischen Elemente ein eigenes Team benutzen, die fertigen Teile nach Edmonton transportieren, sie an der restlichen Konstruktion anbringen und testen. In den ersten Wochen war das Team gezwungen, parallel zum regulären Kinobetrieb auf der Bühne hinter der großen Leinwand zu arbeiten. Zwischen 18 und 23 Uhr wurde eine Pause eingelegt, um die Filmvorführungen ungestört zu ermöglichen. Der Kino-Betrieb wurde zehn Tage vor der Vorpremiere eingestellt und das Team arbeitete eine Woche lang 24 Stunden täglich in zwei Schichten – 12 Stunden Arbeit und 12 Stunden Pause. Um die Kontinuität der Arbeit zu gewährleisten, waren entweder der Assistent des Produktion Managers, der leitende Elektroingenieur oder der Chef der Baubühne immer vor Ort. Obwohl die Sicherheitsmaßnahmen, wie Ian Albery betonte, gesetzlich sehr streng festgelegt waren und die absolute Priorität der Produktion hatten, gingen mehrere Unfälle und Verletzungen auf Kosten der Überarbeitung. Dazu kamen noch die ungewöhnlichen Arbeitshöhen, die Benutzung von Dreiphasenwechselstrom und vor allem überforderte Mitarbeiter, die keine Erfahrung für diese Art der komplexen technischen Arbeit besaßen.

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Auswirkung der Innovation auf die theaterstrukturellen Bedingungen Für die Steuerung der Szenografie dieses ersten komplett mechanisierten Musicals in Großbritannien mussten die Bühnentechniker speziell eingearbeitet werden. Die Show wurde mit Hilfe von insgesamt dreizehn Mitarbeitern durchgeführt, statt ungefähr fünfzig Bühnentechnikern, die bis dahin für ein anspruchsvolles Musical benötigt wurden. Hier treffen wir auf ein Argument, das unter anderen Gründen auch für die Durchsetzung der mechanisierten Szenografie im Barock verantwortlich war. Giacomo Torelli (1608-1678) setzte mechanische Innovationen schon in seiner ersten Oper „La Finta pazza“ im Jahr 1641 ein.69 Er senkte die Seitenflügel unter der Bühne, die sich auf Rädern entlang der Schienen, welche parallel zur Bühnenkante gelegt wurden, bewegen konnten. Die Flügel waren mit einem Seil an einem Zylinder, der in der mittleren Achse orthogonal zu der Bühnenkante aufgestellt wurde, fixiert. Die Maschinerie funktionierte als Ausgleichsgewichtssystem. Beim Drehen der Zylinder fand ein gleichzeitiger Austausch aller 16 Seitenflügel statt. Für diese Aktion wurde nur ein Mann gebraucht, statt 16 Bühnenarbeiter, wie bis dahin nur für den Flügelaustausch üblich. Die Erneuerung benötigte weniger Mitarbeiter, was für das Theater erhebliche finanzielle Erleichterungen bedeutete. Damit hat Torelli entscheidend zur Dynamik der Veränderungen der Szenografie beigetragen und zusätzliche Spannung in die Operninszenierung eingebaut. Die Veränderung der Bühne vor den Augen der Zuschauer hat die Popularität der Oper maßgeblich gesteigert. Obwohl die Gesamtkosten der Produktion „Blitz!“ erheblich größer waren als für ein traditionelles Musical,70 und der Transport der Szenografie für Tourneen sicherlich komplizierter umzusetzen war, verteidigte Sean Kenny das Konzept mit zwei Argumenten: - eine langlebige Aufführung spart erheblich an Lohnkosten für die Mitarbeiter, durch die Reduzierung des beteiligten Personals; - das neue Konzept der ununterbrochenen Inszenierung ohne Zwischen­ pausen zeigt, dass die Theateraufführung genauso viel wie der Film oder Fernsehen bieten kann und dadurch mehr Zuschauer ins Theater lockt.

69 Bjurström: Giacomo Torelli, 53ff. 70 O.N.: BLITZ - Dieser Schlot Hitler, in: Der Spiegel 18/1962, o.S. siehe http://www.spiegel.de / spiegel/print/d-45140064.html vom 07.09.2012.

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Abgesehen davon betonte Kenny, dass für so ein gewagtes Vorhaben die Überzeugung des Theatermanagements entscheidend ist. Dazu erklärte er, was die Benutzung der modernen Technologie noch bewiesen hat: “The management must have faith in the show before embarking on a project such as this “, Mr. Kenny added. “But we have proved that it is now possible, by making use of modern engineering techniques, to have fully flexible scenery and to stage in almost any theatre spectacles which up to now would have been regarded as only possible on films.” 71

„The biggest-ever British musical“ wie Daily Mirror berichtete hat um die £100,000,- gekostet,72 zu der Zeit eine ungeheuer hohe Summe. Aus der Korrespondenz mit dem production manager der „Blitz!“ Produktion Ian Albery ist es zu verstehen, dass Sean Kennys Stärke auch darin lag, für seine Vision die Produzenten zu begeistern und zu überzeugen. Besonders wenn es um neue, gewagte Konzepte in der Szenografie geht, wird viel Geschick vom Szenografen verlangt, um Ideen durchzusetzen und verwirklichen zu dürfen.

Postskriptum 2 Das Musical wurde 568 Mal aufgeführt. Die Produktion machte keine Gewinne, spielte aber die investierte Summe ein. Die Transportkosten wären zu hoch für eine Tournee gewesen und das Musical wurde deswegen nur in London aufgeführt. Kennys dritter Grund für die Verwendung der Technologie - die Anpassungs­ fähigkeit der Sets für verschiedene Bühnen, konnte in diesem Fall in der Praxis nicht gerechtfertigt werden. Diese Episode der Geschichte Großbritanniens erwies sich auch nicht als für den Export in die USA geeignet, weshalb „Blitz!“ es nie zum Broadway schaffte. Wie den Presseberichten zu entnehmen ist, waren abgesehen vom visuellen Erlebnis hauptsächlich nostalgische Erinnerungen an die Zeit für den Erfolg des Musicals verantwortlich. „This is a very sentimental evening“ wurde in der Telegraph Kolumne (At the Play) anlässlich der Premiere geschrieben – „that does, however, recapture something well worth remembering“.73 Die teilweise erfolgreich inszenierte Kriegsnostalgie war aber offensichtlich nicht ausreichend, 71 Gordon Smith: Further thoughts on Blitz!, in: Stage & Televison Today, o.S. 72 Mulchrone: Will Bart´s Blitz go off with a Bang?, in: Daily Mirror, o.S. 73 O.N.: At the Play /„ Blitz!“, in: Telegraph, o.S.

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um die fehlenden Facetten wie Zweifel, Furcht, Moral und Verletzungen, die der Krieg auch verursacht hat, nicht zu bemerken. Die Nachteile des Musicals lagen vor allem in der Inszenierung und dem schwachen Libretto, nicht in seiner Umsetzung. Trotz einiger Hit-Schlager, schaffte Lionel Bart es nicht, den musikalischen Witz aus „Oliver!“ zu übertreffen.74 Daily Mirror berichtete über die Reaktionen der Besucher: „it is slow, they say. And diffuse. And mawkish. And tuneless.“ 75 Die positive Kritik bekam Sean Kenny für die Szenografie und teilweise die Schauspieler, vor allem Amelia Bayntun für ihre Interpretation der Frau Blitztein. Kenneth Tynan zerriss „Blitz!“ in seiner Observer Kolumne: „mawkish where it tries to be poignant, flat where it means to be funny, and second-hand where it aims at period authenticity, Blitz! is a misfire on the grand scale...“.76 Er würdigte zwar Kennys Szenografie als den wertvollsten Teil der Inszenierung, aber bemerkte noch etwas. Die Sets waren so dominant, dass sie sogar die Schauspieler in den Hintergrund gedrängt haben: „They swoop down on the actors and snatch them aloft; four motor-driven towers prowl the stage, converging menacingly on any performer who threatens to hog the limelight; and whenever the human element looks like gaining control, they collapse on it in a mass of flaming timber. In short, they let the cast know who´s boss. They are magnificant, and they are war: who (they tacitly inquire) needs Lionel Bart?“ 77

Tynan vermutete, dass der nächste Schritt die Szenografie ist, die sich nach der Vorhangöffnung wie eine Armee auf das Publikum stürzt und es aus dem Theater vertreibt. Dann bleibt nur noch eine Aufgabe für Sean Kenny, meinte er – Sets zu entwerfen, die selbst applaudieren können. Dennoch steht die Produktion „Blitz!“ ohne Zweifel als ein Meilenstein der europäischen Theatergeschichte da und dokumentiert die rapide Entwicklung der dynamischen räumlichen Konzepte in der Szenografie innerhalb von wenigen Jahren. Sean Kennys progressive Szenografie rückte in den Vordergrund des Interesses und lenkte sehr viel Aufmerksamkeit der Presse auf sich, obwohl das Musical selbst nicht ganz den großen Erwartungen entsprach. „Mr. Kenny´s scenery,“ berichtete Pat Wallace - „which is one of the sensations of the show, is terrific and, without any doubt, an essential part of Blitz´s successful impact. It is solid, yet magnificently mobile and it´s dramatic effect, as scene after scene is 74 O.N.: BLITZ - Dieser Schlot Hitler, in: Der Spiegel 18/1962, o.S. siehe http://www.spiegel. de/ spiegel/print/d-45140064.html vom 07.09.2012. 75 Mulchrone: Will Bart´s Blitz go off with a Bang?, in: Daily Mirror, o.S. 76 Tynan: „Blitz!“ Review, in: Observer, o.S. 77 Ebd., o.S.

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transformed in front of one´s eyes, is incredible.“ 78 Sean Kenny bestätigte mit dieser Produktion seinen Ruf als führender Szenograf Großbritanniens, nutzte aber gleichzeitig diese Gelegenheit sich kritisch gegenüber dem traditionellen Theater zu äußern. Durch Interviews und Zeitungsartikel provozierte er eine Diskussion zu diesem Thema und präsentierte seine Vision des Theaters der Zukunft in der Öffentlichkeit. Dieser Teil von Kennys sozial-gesellschaftlichem Engagement als Architekt wird später detailliert erörtert werden.

78 Wallace: One of ours, in: o.A., o.S.

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“Clownaround” Premiere 27.04.1972, Oakland Coliseum, Oakland (USA) Produced by Theatre Now, Inc. New York Dircted by Gene Kelly Conceived and written by Alvin Cooperman Lyrics by Alvin Cooperman Music by Moose Charlap Choreography by Howard Jeffrey Orchestrations by Jack Eliott, Allyn Ferguson Musical Director Boris Kogan Entire production designed by Sean Kenny Production Stage Manager Joe Calvan

“As architecture tends toward the ephemeral, the temporary, and the kinetic it is read more as entertainment and advertisment. As buildings become events more than static monuments, they will one day be said to be ‘directed’ by an architect.” 79

A Funny Kind of Musical „Clownaround – A Funny Kind of Musical“, eine der letzten Szenografien von Sean Kenny, feierte am 28. April 1972 in Oakland Coliseum (Oakland, USA) Premiere nachdem eine Aufführung als Preview am 27. April 1972 gezeigt wurde. Im Endeffekt wurden eigentlich alle Aufführungen in Oakland (27-30 April) in den Zeitungsannoncen als „Welt Premiere“ bezeichnet. Deswegen ist es schwer zu sagen, ob die Premiere am 27. April oder 28. April 1972 stattgefunden hat. Einen Artikel über die Show in dem Oakland Tribune folgend habe ich den 28. April als Premierendatum übernommen.80 Es handelte sich um eine zirkusartige Unterhaltungsshow für die ganze Familie, produziert vom Theatre Now aus New York. Das Theater wurde 1967 gegründet und spezialisierte sich auf Konzerte und die Broadway-Theaterattraktionen, die als Tourneeproduktionen USA-weit gastiert haben. Ruth Buzzi und Dennis Allen waren die Stars der Schauspieler- bzw. Tänzertruppe, die als Clowns 79 Tsypin/Taymor: George Tsypin Opera Factory, 72. 80 O.N.: 2 More Coliceum Performers Hurt, in: Oakland Tribune, o.S.

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verkleidet verschiedene Episoden in dreizehn Szenen und genauso vielen Songs vorgetragen haben. Obwohl nur 47 Künstler in der Besetzungsliste zu finden sind, zeigen die Fotos der Aufführungen doch, wie angekündigt, ein Ensemble von 70 Menschen. Das kreative Team bestand aus erfahrenen und erfolgreichen Theater-, Fernseh- und Filmemachern. Abgesehen von Gene Kelly, einem berühmten Schauspieler und Tänzer, und Sean Kenny, der in Amerika durch den Tony-Preis für Brodways „Oliver!“ Produktion bekannt wurde, hatte das Team noch zwei erfahrene und preisgekrönte Mitglieder. Der Komponist Mark „Moose“ Chaplan bekam sowohl den Tony Preis für das Musical „Peter Pan“ (1954) als auch 10 Emmy-Preise für seine Arbeit beim Fernsehen. Der Autor Alvin Cooperman schrieb viele bekannte Drehbücher für Musicals und für das Fernsehen und war der stellvertretende Präsident von Madison Square Garden. Diese spezielle Theaterform balancierte zwischen Zirkus und Musical mit einer Melange aus Tanz, Gesang und Akrobatik. Eine lange Faszination von Narren und Clowns inspirierte Alvin Coopermann zu dieser Musical-Extravaganza „based on them, their symbols in everyday life, their artistry and their effect on the spectator“. 81 Auf die Frage von Robert Taylor in dem Oakland Tribune Interview, warum sich die Produktion für die Arenas entschieden hat, erklärte Cooperman: „I´ve also felt that arena have a tremendeus ambiance and charisma, that an audience feels it´s a part of what´s going on on the floor, that the show can reach out and touch people“.82 Gene Kelly, der fast ein Jahr an den Vorbereitungen gearbeitet hatte, beschrieb die Produktion als seine neueste Herausforderung und hob die Besonderheiten hervor: „This is a show unlike any that has ever been done before. It´s what I would describe as a new kind of musical, where everything in it from dancing to acrobatics, animals, the most unusual set ever designed for a stage, colorful costumes and magnificent, totally original musical score.“ 83

Wie in The Hartford Courant im Januar 1972 angekündigt, wurden insgesamt vierzig Aufführungen - von San Diego (April 1972) bis zu den letzten Vorstellungen in New York (Juni 1972) geplant. Der offizielle Pressebericht der Clownaround-Produktion nannte aber im April 1972 veränderte TourneeStationen84. Die geplante Premiere wurde zunächst in Inglewood Forum (Los Angeles) angekündigt, aber aus logistischen Gründen in die Sport Arena San 81 Cooperman: Clownaround, in: Theatre Now Presse-Heft, o.S. 82 Taylor: Clowing it up, in: Oakland Tribune, 37. 83 Kelly: Clownaround, in: Theatre Now Presse-Heft, o.S. 84 Oakland (27-30 April), San Francisco (2-7 Mai), Inglewood/Los Angeles (10-21 Mai), Dallas (24-28 Mai), Houston (30 Mai – 4 Juni), Pittsburgh (6-11 Juni) und New York (13-25 Juni).

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Diego verlegt. Leider standen wieder logistische Schwierigkeiten im Weg und die Produktion wurde am Ende im Oakland Coliseum in Oakland am 27. April 1972 uraufgeführt. Statt dem Tourneeplan zu folgen, wurde die Show nur sechs85 Mal in Oakland (27-30 April) und sechs Mal in San Francisco (2-7 Mai) aufgeführt. Der erwartete Erfolg blieb leider aus. Noch während der Probenzeit zog sich Gene Kelly aus familiären Gründen aus der Produktion zurück. Die Produzenten gingen Pleite, und die weiteren Termine wurden abgesagt. Aus diesem Grund ist sehr wenig Material in Archiven und Bibliotheken über diese Produktion vorhanden. Die Rekonstruktion folgt anhand technischer Zeichnungen, Fotos, Souvenir- und Pressematerial.

„Rabbit-out-of-the-hat“ Konzept Die Idee entstand, als Alvin Cooperman das Konzert von Sly and the Family Stone in Madison Square Garden sah. „I realised that football, fights, rock concerts and arena entertainment are the living theatre of today and I wanted children to be able to share and be part of it“ erklärte er.86 Cooperman kreierte die Show über die Clowns ohne klassische Bühnenfassung und ohne Dialog, sondern als ein dynamisches Musical, dass in der konstanten Bewegung von eine Szene in die nächste wanderte. Mary Murphy wurde beauftragt, den Artikel „22 Tons of Fun to “Clownaround“ Clown Machine“ für die Los Angeles Times zu schreiben, der dem Promotionzweck diente. In diesem Artikel äußerte sich das kreative Team über das Konzept der Produktion folgenderweise - der Autor Alvin Cooperman beschrieb die Show als „today´s living theatre with charisma, soul and vibrating ambience“, Gene Kelly sah sie als „a pastiche, an exravaganza, a show about clowns steeped in the improvised strolling minstrel tradition of the comedia dell`arte“ und Sean Kenny – „a theatre for the children of tomorrow.“ 87 „The idea was to design a stage“, erklärte Kenny weiter, „for an arena since everything else plays on the flat, proscenium style, which cuts off about one-fourth of the audience“.88 Die Szenografie musste mehrere Kriterien bedienen: 85 Die Campbell´s Soup´s Werbung für die Show, die als Sponsoren für die Aufführungen in Oakland involviert waren, kündigte fünf Termine an: April 27(7:30 pm), April 28 (8:00 pm), April 29 (2:00 pm), April 30 (2 pm/6:30 pm) (Campbell´s Soup Werbeanzeige, Oakland Tribune, April 5 1972, Oakland Public Library). Laut einer anderen Ankündigung (5 April 1972) waren dagegen sechs Aufführungen in Oakland Coliseum geplant. Es ist zu vermuten, dass an zwei von insgesamt vier Tagen zwei Aufführungen jeweils um 14h und 18:30h gezeigt wurden. (“Clownaround“ At Coliceum, Cow Palace, April 5 1972, San Francisco Examiner & Chronicle, SFPl History Room Archive) 86 Murphy: 22 Tons of Fun, in: Los Angeles Times, 10. 87 Ebd., 10.

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- Unabhängigkeit von dem Raum, in dem die Show stattfindet; - Veränderbarkeit; - Integration der Ausrüstung für Licht und Ton in der Szenografie; - Transparenz / Teildurchsichtigkeit der Szenografie; - Gewährleistung der vertikalen Kommunikation für die Akteure (Aufzug, Treppe / Leiter). Um die Unabhängigkeit von den Spielorten zu ermöglichen und gleichzeitig die schnelle Veränderbarkeit der Szenen umsetzen zu können, musste die Mechanik samt Licht und Ton in die optisch spannende Szenografie integriert werden. Bei der Bewegung von Clowns in den höheren Ebenen musste die Transparenz berücksichtigt werden. Gute Sicht von allen Plätzen und natürlich ein Hauch Magie, oder das „Kaninchen-aus-dem-Hut-Konzept“ („rabbit-outof-the-hat concept“),89 wie Kenny es nannte, gehörte zu den Prioritäten der Show. Die Show war in zwei Akte aufgeteilt und stellte folgende Szenen dar: Prologue, I see a Clown, The Fun Fair, Silhouette, The Animal Band, Balloon, ThingA-Ma-Jig, The Flickers, Sunny Day, Wheels, I Need a Ship, Clownaround und Clowns Say Goodnight (but not Goodbye). Die Aufführung bot folgende Attraktionen: trainierte Hunde, Gruppen-Tanznummer, Chrys Holt (die an ihren Haaren an einem mit Helium gefüllten Ballon hing), eine Parade mit dem chinesischen Drachen, einen riesigen Schmetterling, „tanzende“ Knochen, die ein Skelett formten, und noch einiges mehr. Anita Earle berichtete nach der Premiere in San Francisco Cronicle über die Highlights: „Some of the most delightful bits involve afghan dogs who box and jump rope, tap dancers dressed as lions; a wry bit of slapstick contartionism by the show star´s clowns, Ruth Buzzy and Dennis Allen; a pas de six employing the revolving discs; and a mammoth balloon released and guided through the stadium, suspending an aerialist by her hair“.90

Aus Gene Kellys Interview mit Robert Taylor kann man über die weiteren Höhepunkte der Show erfahren: „For one number the clown machine turns into an aviary. For another a balloon 25 feet in diametar rises into arena, then turns into a dancing clown. At other times the set becomes a carneval, a jungle, a storm-tossed ship with the 70 actors, 88 Ebd., 10. 89 Ebd., 10. 90 Earle: A Rapid Fire-Circus’, San Francisco Chronicle, o.S.

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dancers and gymnast impersonating harlequins, dragons, butterflies, slapstick comedians, sailors, and of cours, circus clowns.“ 91

Die Neuigkeiten dieser eigentlich zirkusartigen Vorstellung waren die speziell dafür geschriebenen Songs und die Szenografie. Abgesehen davon unterschied sich die Show, wie Robert Taylor berichtete, konzeptuell nicht wirklich von ähnlichen Unterhaltungsshows für die ganze Familie wie z. B. Ringling Bros oder Ice Follies. Gene Kelly bezog sich oft auf die commedia dell´arte in seinen Versuchen, das Konzept zu erklären. Damit meinte er nicht die CharakterRollen, die diese Theaterform eigentlich ausmachen, sondern einen anderen Aspekt - die reisenden Künstler, die für verschiedene Altersgruppen gespielt haben. Das, was die Produktion zu bieten hatte, war vor allem ein innovatives Konzept in der Szenografie – „a monster-size and almoust threatening piece of metallic machinery which designer Kenny and director Gene Kelly have trouble humanizing.“ 92 Die Einführung der Clown Machine wurde mit Hilfe der Hauptakteure Ruth Buzzi und Dennis Allen inszeniert: „They´re transformed into clowns as the drapes which have hidden the set – and much of their comic business – are swept away (...)“ 93

91 Taylor: Clowing it up, in: Oakland Tribune, 37. 92 Ebd., 37. 93 Ebd., 37.

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Clown Machine Sean Kenny gestaltete für diese Produktion eine dynamische Szenografie genannt Clown Machine, die Kostüme und das Licht-Design. Neun Monate waren insgesamt nötig, um die Szenografie zu entwickeln, auszuarbeiten und zu bauen. Clown Machine war ein kuppeartiges Gerüst mit dynamischen Eigenschaften der Veränderung seiner Form für die Bedürfnisse der dreizehn verschiedenen Szenen (Abb. 34). Diese Veränderungen konnten innerhalb einiger Minuten vor den Augen der Zuschauer ausgeführt werden. Vernon Scott berichtete darüber in dem Artikel „Gene Kelly Is Sending New Show on Road“: „Star of the show is a 55-foot high construction the likes of which have never before been seen. In matter of minutes it can be converted into a ship, a jungle, a fun fair, a series of motion picture screens.“ 94

Abb. 34 Sean Kenny, „Clownaround“, Montage der Clown Machine, 1972.

94 Scott: Gene Kelly Is Sending New Show on Road, in: The Hartford Courant, 42.

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Abb. 35 Sean Kenny, „Clownaround“ / mobile Teile der Clown Machine Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj Die Clown Machine (Abb. 35) stand auf einer Rampen-Plattform, die in drei kreisförmige Bereiche aufgeteilt war. Drei Drehscheiben innerhalb dieser Bereiche zusammen mit der Aufzugsplattform in der Mitte des Sets sowie zwei Drehscheiben auf den seitlichen Laufsteg-Plattformen waren drei dynamische Teile der Szenografie, die für den Transport der Künstler dienten.95 Die vertikale Kommunikation folgte über diverse leicht gebogene Leitern oder über den elektrischen Aufzug in der Mitte des Sets. Die horizontalen Bewegungen verliefen über konzentrische Laufstege auf mehreren Ebenen oder über die Drehscheiben. Die Veränderungen der Szenografie folgten, wie aus den Presseberichten zu verstehen ist, durch die Künstler selbst: „By means of projections and props, the machine is transformed into a forest, a ship, a fairground and other settings, with dancers and acrobats performing on its dizzy reaches.“ 96

Die Szenografie verfügte über zwölf bespielbare Plattformen, darunter die Aufzugsplattform die innerhalb der Konstruktions­rahmen zu den SpielPlattformen führte. Das eigenständige System beinhaltete auch Requisite, eingebaute Beleuchtung, mechanische und Toneffekte, die die Künstler 95 Earle: A Rapid Fire-Circus’, San Francisco Chronicle, o.S. 96 Ebd., o.S.

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während der Aufführung bedient bzw. gesteuert haben. Durch die Integration von Mechanik, Beleuchtung und Tonausrüstung in die Szenografie hinein kündigte diese Produktion die nächste Phase der Verselbständigung der dynamischen Sets an. Die physische Metamorphose der Szenografie inklusive Licht bzw. Ton wurde vollkommen selbständig umgesetzt, ohne jegliche Hilfe der traditionellen Bühnenmechanik (Abb. 36).

Abb. 36 Sean Kenny, „Clownaroud“ / Schiff-Szene Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj Clown Machine war 15,2 m breit, 40,8 m lang und 15,8 m hoch (Abb. 37). Über 600 Konstruktionsteile unterschiedlicher Größe wurden verwendet. Die Stangenlänge variierte zwischen 0,75 m und 1,80 m bis hin zu 950 kg schweren Teilen, die 5,5 m lang und 1,80 m breit waren. Die 22 Tonnen schwere Konstruktion aus rostfreiem Edelstahl (bzw. Chromstahl) und Aluminium wurde innerhalb von zwölf Wochen von der Firma Feller Scenery Studios aus New York gebaut. Der leitende Bauherr und einer der Firmeninhaber Peter Feller, der für über 200 Broadway Shows die Szenografie gebaut hat, bezeichnete das Set als „the most challenging we have ever been involved with“.97 Über die Arbeitsabläufe ist leider nicht viel zu erfahren. Peter Feller verkaufte seine Firma, nachdem er in den Ruhestand gegangen war; diese setzte ihre Arbeit als East Coast Scenery Company fort. Er starb 1991 in Tierra Verde, ohne jegliche Dokumentation über die Produktion „Clownaround“ hinterlassen zu haben. 97 O.N.: Clownaround, in: Theater Now Presse-Heft, oS.

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Abb. 37 Sean Kenny, „Clownaround“ / Clown Machine Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj Sieben Lastwagen waren für die geplante Tournee im Einsatz, um die Clown Machine von einem zum anderen Veranstaltungsort zu transportieren. Für die Zusammenstellung der Bühne und die Set-Konstruktion benötigte man ungefähr 20 Stunden, oder etwas mehr als zwei Arbeitstage, wie die Produktion berichtete. Für „Clownaround“ wurde die Logistik ausgearbeitet, die später für die Konzerttourneen der Rockbands verwendet und weiter ausgearbeitet wurde. Die komplexe Bühne für 143 Konzerte der The Rolling StonesTournee „Bridges to Babylon“ (1989-99) konnte innerhalb von fünf Tagen auf- und abgebaut werde.98 Die Ausrüstung der Bühne wurde in Hi- und Low-Tech aufgeteilt. Die Hi-Tech-Ausstattung („custom built decorative elements, video, sound and lighting“) reiste mit der Crew und die Low-TechKonstruktionsteile („supporting structure“) wurden vor Ort ausgeliehen.99 „With the financial investment in large scale stadium rock concerts running up to $1 million per show,” erklärte Eric Holding – “three or four performances are required each week in order to make a tour economically viable. This will often take place in different cities up to 400 miles apart, which creates a demanding 98 Roßkothen: Bridges to Babylon, in: TROX Life Magazine, 31; Holding: Mark Fisher, 88. 99 Holding: Mark Fisher, 88.

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timetable that cannot be achieved by simply moving the entire show from stadium in linear sequence.“ 100 Für Madonnas „Sticky & Sweet“ Tournee (2009) waren 16 Lastwagen für den Transport der Bühne und weitere 36 Laswagen für die Konzert-Technologie im Einsatz.101 Nur die Bühnenüberdachung (45 t) für Madonnas aktuelle „MDNA“-Tournee (2012) wiegt doppelt so viel wie die ganze Szenografie für „Clownaround“ gewogen hatte und es dauert sechs Stunden sie aufzubauen.102 Durch die Entwicklung der Technologie steigt natürlich der Aufwand, die Arbeitsbedingungen aus den 1970er Jahren sind nicht mit heutigen Bedingungen zu vergleichen und die Aufbauzeiten sind nicht gleich zu stellen. Nichtsdestotrotz: sowohl die Konzeption der Clown Machine als auch die Logistik der geplanten Tournee positionieren diese Szenografie eindeutig als Vorreiter der kinetischen Konzertbühnen für die Superstars der Musikindustrie. Nach Aussagen von Gene Kelly erlaubte die Produktion totale künstlerische Freiheit und hatte Vertrauen in das neue Konzept, das besondere Leistungen von den Künstlern forderte. In dem Souvenir-Heft wurden die Anforderungen folgenderweise von Gene Kelly beschrieben: „Sean Kenny has designed the most spectacular set as ever seen, but it also is one of the most difficult to work on, principally because it is a totally new concept for most of our cast. Everyone performs on different levels, some as high as 50 feet in the air. It takes a lot of getting used to dancing on a circular runway 50 feet in the air. If our dancers weren´t also gymnasts, they would have a pretty hard time of it.“103

Aus diesem Grund hat man monatelang gebraucht, um das passende Ensemble von insgesamt 70 Künstlern finden zu können. Die Proben dauerten insgesamt vier Wochen, vom 17. März bis 27. April 1972. Die Künstler probten sechs Tagen die Woche je acht Stunden, und der Proberaum befand sich im MetroGoldwyn-Mayer Studio 27 in Culver City.

100 Ebd., 88. 101 Sladék: Madonna in Prague, siehe http://www.praha.eu/jnp/en/entertainment/leisure_ activities/madonna_in_prague.html vom 11.07. 2012. 102 TsahiB: Madonna in Israel, in: International shipping & Logistics, siehe http://internationalshippingstorage.blogspot.de/2012/06/madonna-in-israel-mdna-tour-by-sonigo.html vom 11.07. 2012. 103 Kelly: Clownaround, in: Theatre Now Presse-Heft, o.S.

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Kritik Robert Taylor zeigte in dem Artikel „Clowning it up“ wenig Begeisterung für die Show nach der Premiere: „It´s like a circus without the elephants (but with trained birds and dogs and a couple of ponies) and an ice show without ice (but with a roller-skating number and plastic animals for the kids in the audience to ride.)“ 104

Stanley Eichelbaum kritisierte das schwache Konzept von Alvin Cooperman: „Most of all, it needs to shape up from its presant, loose – jointed form of a musical variety show employing circus acts and dance numbers to no strong or comprehensive effect.“ 105

Anita Earle wies in San Francisco Chronicle darauf hin, dass die Szenografie nicht gut ausgenutzt worden war. Sie betonte auch die Nachteile der integrierten Beleuchtung: „Mostly, though, the clown machine is not exploited as much as it could be, and lightning on it seemed incomplete as of Thursday nights opening. In one of the show nicest moments, the Thinkerbelle-like creature in body stockings and fairy wingshounting the upper reaches of the structure could hardly be seen.“ 106

Der gemischten Form, die Show, Musical und Zirkus vereinte, fehlte offensichtlich ein klarer Faden, der die einzelnen Szenen stärker zusammen gehalten hätte. Die Künstler konnten die professionellen Clowns, die speziell für die Arbeit in großen Arenen ausgebildet sind, nicht mit ihrem Slapstick-Stil ersetzten. Der speziell für die Show geschriebenen Musik von Moose Charlap´s wurde auch einiges vorgeworfen: „The songs are soupy, or happy-go-lucky affairs, pre-recorded to a muffled state of nothingness.“ 107 Das einzige was an dieser Produktion gelobt wurde, waren die kreative Auswirkung der Szenografie, die Kostüme und die Requisiten von Sean Kenny. Obwohl visuell beeindruckend, zeigte sich die Clown Machine doch nicht so dynamisch, wie man erwartete. Eichelbaum deutete im San Francisco Examiner darauf hin: „There are moving parts (but not as many as I expected) and the setting 104 Taylor: Clowing it up, in: Oakland Tribune, 37. 105 Eichelbaum: Colorful, Circusy Clownaround, in: San Francisco Examiner, o.S. 106 Earle: A Rapid Fire-Circus’, San Francisco Chronicle, o.S. 107 Eichelbaum: Colorful, in: San Francisco Examiner, o.S.

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is at its best when the entire cast scrambles into its many levels during the musical numbers.“ 108 Robert Taylor äußerte sich ähnlich: „Only once does the whole thing come alive, near the end of the two and a half hours show when sails are hoisted all around it, silken waves billow below, and 50 or 60 dancers scamper over it waving flags.“ 109 Der Show wurde vorgeworfen, nicht wirklich innovativ gewesen zu sein. Manche Szenen haben angeblich von der Szenografie profitiert, die anderen aber nicht. Nichtsdestotrotz haben die Kinder, wie man aus Berichten lesen kann, die Show am meisten genossen und für sie war die Unterhaltung im Grunde genommen auch gemacht worden. In einer Szene wurden die Kinder sogar eingeladen, auf die Bühne zu kommen, was bei der Premiere ein Chaos verursachte. Selbst bei diesem interaktiven Versuch, das Publikum zu animieren, musste leider Gene Kelly selbst intervenieren, um die Kinder zu beruhigen. Den Spagat zu einer Unterhaltung für die ganze Familie schaffte die Produktion dennoch nicht. Zu den negativen Schlagzeilen haben auch die Verletzungen von drei Künstlern beigetragen. Während der Seilakt-Szene (Oakland Coliseum, 28 April 1972), die ohne Sicherheitsnetz performt wurde, fiel Daniel Acosta von 18 m Höhe110 auf die Bodenplattform und wurde schwer verletzt111. Sein Partner schaffte es, sich an das Seil zu klammern und verhinderte seinen Absturz dem gefährlichen Fall. Am nächsten Tag (Matinee Performance am 29. April 1972) erlitten weitere zwei Künstler, Ray Zecca und Jerry Smith, leichte Verletzungen in der „Schiff im Sturm“-Szene beim 12 m Sprung von der Clown Machine112. Nach den Zeitungsberichten war der menschliche Faktor der Grund für die Unfälle, es kann jedoch nicht ganz ausgeschlossen werden, dass die ungewöhnlichen Höhen und Performance-Ebenen der Clown Machine zu diesen Vorfällen beigetragen haben. Die Unfälle passierten bei den ersten zwei offiziellen Aufführungen, was sicherlich keine gute Werbung für die Show bedeutete.

108 Ebd., o.S. 109 Taylor: Clowing it up, in: Oakland Tribune, 37. 110 O.N.: Aerialist Hurt, in: Sutherday Oakland Tribune, 1. 111 Die Saturday Oakland Tribune beschrieb die Ursache des Unfalls: „The act called for Acosta to climb on Carillo´s back a tone point, than jump down to the wire. Acosta landed on the wire, than lost his balance and fell before the stunned audience of about 6 000.“ Ebd., 1. 112 Sunday Examiner & Chronicle berichtete über die Ursache des Unfalls: „ (...) when they dived some 40 feet onto an inflated rubber bag.“ (O.N.: 2 Aerialist Injured, in: Sunday Examiner & Chronicle, o.S.) Der Bericht von Oakland Tribune war ähnlich: „(...) were injured completing 40-foot diving somersaults onto an air-bag during Saturday´s matinee.“ (O.N.: Aerialist Hurt, in: Sutherday Oakland Tribune, 1.)

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Postskriptum 3 Die Show wurde mit der Absicht entworfen, in großen Hallen vor 15.000 Menschen aufgeführt zu werden und dies in einem Aufführungszeitraum von einigen Jahren. Die Produzenten hatten in die Produktion insgesamt $750.000 investiert. Nur die Requisiten und die zusätzliche technische Ausrüstung, darunter 12 Screens, 12 Projektoren, 8 Strobo-Lichter, 4 Nebel-, Bubble- bzw. Wind Maschinen und noch einiges mehr, haben $37.500,- gekostet. Sogar ein Clownaround-Spielzeug war im Rahmen der Merchandising-Strategien geplant. Die Show bekam leider wenig Werbung und lief nur zwei Wochen – eine in Oakland Coliseum (Oakland) und eine in Cow Palace (San Fransisco). Besonders schlechte Besucherzahlen in Cow Palace (San Francisco) führten zur Absage der geplanten Tournee.113 Die Transportkosten der Szenografie waren hoch. In Sorge um die Zukunft ihrer Investition wegen der hohen Ausgaben und der bescheidenden Zuschauerzahlen, entschied sich die Produktion, das Projekt in San Francisco vorläufig aufzugeben. Am 22. Mai stand in der lokalen Presse die offizielle Meldung über die Schließung der Show. „Public apathy and a shortage of funds“ wurde von dem Produzent William Court Cohen als Grund angegeben.114 Der Hollywood Reporter meldete Cohens Aussage,115 dass die Show noch nicht endgültig aufgegeben sei. Die Produzenten hofften, die Refinanzierung der Produktion im Herbst 1972 abzuschließen und mit der Tournee fortzufahren. Als Rechtfertigung wurde die Show „Disney on Parade“ genannt, die auch ein paar Millionen verloren hatte, bevor sie erfolgreich wurde. Aus der Briefkorrespondenz vom 11. September 1972 zwischen Sean Kenny und der Produktion (Unterschrift unleserlich) ist zu erfahren, dass noch einige Versuche gestartet wurden, um die Show in einer Vergnügungspark-Arena mit 7500 Plätzen an der Ostküste unterzubringen. Gene Kelly versuchte auch, die Produktion zu retten, indem er einen Partner suchte, um die Produktion an der Westküste wieder aufführen zu lassen. Soweit bekannt, sind alle diese Versuche gescheitert. 113 In dem Artikel „That´s Show Biz“ meldete Jack Rosenbum, dass die Samstag Show (6. Mai 1972) in Cow Palace nur 700 Besucher hatte. (Rosenbaum: Our Man on the Town, in: o.A.) In dem Artikel „“Clownaround Closes Down“ wurde berichtet, dass die Produktion in Cow Palace an einigen Tagen sogar weniger als 500 Besucher hatte. (O.N.: Clownaround Closes Down, in: o.A., o.S.) Die Besucherzahlen in Oakland waren auch nicht erwatungsgemäß, aber doch viel höher. Lokale Presse berichtete über die 6000 Zuschauer am 28. April im Oakland Coliseum. (O.N.: 6000 See High-Wire Fall, in: o.A., o.S.) 114 O.N.: Clownaround Closes Down, in: o.A., o.S. 115 O.N.: Clown Show cancels L. A. Engagement, in: o.A., o.S.

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„der ring des nibelungen“ (1974-76) 153

„Der Ring des Nibelungen“ Royal Opera House Covent Garden, London 1974 -76 „Das Rheingold“ (Premiere 30.09.1974) „Die Walküre“ (Premiere 01.10.1974) „Siegfried“ (Premiere 17.09. 1975) „Die Götterdämmerung“ (Premiere 16.09.1976) Produced by Covent Garden, London Music and Word by Richard Wagner Conductor Colin Davis Producer Götz Friedrich Settings designed by Josef Svoboda Costumes designed by Ingrid Rosell Lighting by William Bundy Choreographic Movement by Eleanor Fazan

„I want to have a kinetic space, where movements becomes law, a stage which can change form and structure in the course of a play depending on the needs and naturally in accordance with the content of the play“ 116

Die Vorgeschichte der „Ring“-Inszenierung Im Rahmen des hundertjährigen Jubiläums seit der ersten Aufführung 1876 in Bayreuth, fand die neue Inszenierung von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ im Royal Opera House Covent Garden statt. Für die Regie waren Götz Friedrich und für die Szenografie Josef Svoboda verantwortlich. Die Premieren von „Das Rheingold“ und „Die Walküre“ fanden im September bzw. Oktober 1974 statt. Im Jahr 1975 folgte „Siegfried“ und ein Jahr später „Die Götterdämmerung“. Nach dem Scheitern der Revolution im Jahre 1848, zu dessen leidenschaftlichen Befürwortern Richard Wagner gehörte, hatte er sich ins politische Asyl in die Schweiz zurückgezogen. Dort hat er begonnen an der 116 Svoboda zitiert von Bablet: Ausstellungskatalog für Josef Svobodas Ausstellung in der Akademie der Künste (1966), o.S.

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„Ring“-Oper zu schreiben, die er mit Unterbrechungen erst 1874 fertigstellte. Die Tetralogie117 sollte ursprünglich dem Helden Siegfried die Möglichkeit geben, die existierenden gesellschaftlichen Verhältnisse und die Machtgier zu vernichten, in der Absicht, eine neue, gerechtere Welt zu erschaffen. Dieses Konzept wurde aber als Utopie verworfen und verändert. Wagner führt in das neue Konzept den machtbesessenen Gott Wotan ein. Wotan wurde zur Metapher für einen unvermeidlichen Zusammenbruch der Welt, die auf Gier nach Gold und Macht beruht, und dem Heldendrama einen pessimistischen Ton der Resignation gibt. Peter Heyworth schrieb anlässlich der Premiere von „Die Götterdämmerung“ im Observer Review einen der besten Kommentare über Wagners Tetralogie und Götz Friedrichs Inszenierung: „The work is not about Norse gods and goblins, who exist in the mists of time. It is about man in society, about a world that in its lust for power and wealth finally destroys itself. As the crisis of our own civilisation – and it is fundamentally the same as Wagner lived in – has deepened, the relevance of his four-part cycle has become more apparent. These – and not a mere aesthetic search for a new „style“ – are some of the factors that have caused Götz Friedrich at Covent Garden to seek for a new realism.“ 118

Die Vorbereitungsgespräche und die ersten Entscheidungen bezüglich der Produktion fanden in den Opera Sub-Committee Sitzungen im Jahr 1971 statt. Die Tatsache, dass sich der ursprünglich favorisierte Peter Hall entschieden hatte, nicht die Regie der „Ring“-Inszenierung für Produktion zu übernehmen, veranlasste den Vorstand von Royal Opera House, einen neuen Regisseur zu suchen. Der Wunsch wurde geäußert, einen Regisseur zu engagieren, der eine „genuinely fresh conception to the work“ einbringen konnte.119 Im Gespräch waren Günther Rennert, Otto Schenk, Michael Geliot, Peter Potter und Václav Kaslik. Nach Peter Halls endgültiger Absage Ende 1971 und der Entscheidung, die Produktion „Die Götterdämmerung“ auf das Jahr 1974 zu verschieben, wurden auf der Opera Sub-Committee Sitzung vom 11. Januar 1972 zum ersten Mal Kontakte mit Götz Friedrich, Otto Schenk (der Verpflichtungen in Wien bis Anfang 1976 hatte) – und auch August Everding war im Gespräch, hergestellt. Für die Szenografie wurden Tim O´Brian und Günther SchneiderSimssen in Betracht gezogen. Das Gespräch mit Friedrich verlief sehr gut, er zeigte sich „particularly imaginative and stimulating and eager to work with 117 Die detaillierte Darstellung der Oper „Der Ring des Nibelungen“ befindet sich im Buch „Opera – Komponisten/Werke/Interpreten.“ Batta/ Neef, Opera : Komponisten, Werke, Interpreten: 794ff. 118 Heyworth: A Ring for our time, in: Observer, o.S. 119 O.N.: Opera Sub-Committee Bericht (21.07.1971), o.S.

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sculptors and painters, was very interested“.120 Er schlug die Reihenfolge der Inszenierung vor – „Das Rheingold“ und „Die Walküre“ für den Herbst 1974, „Siegfried“ für den Frühling 1975 und „Die Götterdämmerung“ im Herbst 1976. Im Gespräch mit Friedrich wurde der Vorschlag, Schneider-Siemssen als Designer zum zweiten Mal für den Ring zu verpflichten (er hatte den vorherigen Zyklus am Royal Opera House entworfen), „depressing prospect“ genannt. Im Februar 1972 verpflichtete sich Friedrich, die Regie für den „Ring“ zu übernehmen und bald darauf traf er sich mit dem Dirigenten Colin Davis. Das Gespräch verlief sehr gut, was im Bericht über die Opera Sub-Committee Sitzung am 20. September 1972 vermerkt wurde. Davis befürwortete die Auswahl von Friedrich, trotz einigen Unstimmigkeiten mit den SubCommittee Mitgliedern und sagte dazu folgendes: „Friedrich was a man of real intellectual and artistic statue, great integrity, a fertile mind and a stimulating and exciting personality; and his approach to the „Ring“ was wholly undogmatic.“ 121 Es wurde die Wichtigkeit betont, dass man es vermeiden müsse, einen „unimaginativen“ „Ring“ auf die Bühne zu bringen. Die Auswahl von Friedrich wurde bestätigt. Die Unstimmigkeiten wiederholten sich bei der Auswahl der Szenografen - „clearly continuing unease about inviting Rose to design the Ring“,122 die Entscheidung wurde letztendlich Friedrich überlassen. Erst nach den Gesprächen im Mai 1973 mit Nolan, O´Brian und Svoboda entschied sich Friedrich für Svoboda als Designer. Da Svoboda bis dahin nur im Gespräch als Szenograf für die Inszenierung „Tannhäuser“ (1973 mit Kaslik) erwähnt wurde, kann man davon ausgehen, dass diese Einladung von Friedrich kam. Sie wurde aber von dem Opera Sub-Committee einstimmig unterstützt.

„Eröffnung eines neuen Kapitels der Wagner-Regie“ 123 Sowohl die Bravo- als auch die Buh-Rufe, die es nach der ersten Aufführung von „Die Walküre“ gab, und auch die Kritik, die am nächsten Tag nach der „Das Rheingold“-Premiere folgte, illustrieren deutlich die verursachte Kontroverse. Die Inszenierung spaltete im gleichen Maße das Publikum wie auch die Kritiker. Das neue Konzept der Inszenierung von Wagners Kult-Werk konnte sicherlich nicht alle Wagner-Fans und Opernfans zufriedenstellen. Deswegen 120 Ebd. (11.01.1972), o.S. 121 Ebd. (20.09.1972), o.S. 122 Ebd., o.S. 123 Zitiert aus “The Guardian” von o.N.: Zu neuen Ufern, in: Der Spiegel 42/1974, o.S. Siehe http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41652212.html vom 05.10.2010.

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möchte ich zuerst die positive Resonanz anführen. Mike Ashman berichtete in der Zeitschrift Music and Musicians Folgendes: „With a masterly and highly musical hand Götz Friedrich has demonstrated that opera can, and need to, work on many levels apart from transparent, picture-book, „fourth wall“ naturalism. In this, Friedrich is not of course unique, not even in this country, but in terms of carrying out a mammoth production incorporating pioneering technical achievements brilliantly executed by the Royal Opera´s staff the next result of this completed Ring is of primarily importance in the world of music and theatre.“ 124

The Times lobte die Produktion als „rich, moving, inspiring“, der Sunday Telegraph berichtete „intellingent, imaginative and visually exciting“ und der Observer schrieb “(...) an illuminating confrontation with a masterpiece that at every encounter reveals new meanings and new truths“. Im Artikel “Zu neuen Ufern” (Der Spiegel 42/1974) wurden drei aktuellen “Ring”-Inszenierungen von deutschen Theaterregisseuren aus dem Jahr 1974 verglichen. Es handelte sich um die Produktionen in London (Götz Friedrich), Leipzig (Joachim Herz) und Kassel (Ulrich Melchinger). Aus der Analyse stellte sich deutlich heraus, dass sich Götz Friedrich für einen theatralischen Zugang zu Wagners Epos entschieden hat: “Von „vordergründiger Aktualisierung“ sieht Friedrich ab. Der „Ring“, sagt er, „spielt auf der Bühne“, und so inszeniert er jeden Teil der Tetralogie im angemessenen Bühnen-Stil: das naive „Rheingold“ als mittelalterliches Mysterienspiel, die kriegerische „Walküre“ zwischen Western und Strindberg, den „Siegfried“ als „Comédie larmoyante““ und die „Götterdämmerung“ wird im Jahr 2000 spielen. „in einer Zukunftsgesellschaft, die keine Zukunft mehr hat“.” 125

Der Schwerpunkt lag auf der theatralischen Qualität des Werkes und nicht auf einem neuen ideologischen Lesen der Wagner-Oper. Götz Friedrich verstand den „Ring“ als „the story of a dying civilisation and how long it takes to die.“ 126 Er glaubte daran, dass das Theater in der Lage ist, seine eigene Realität zu schaffen, die eine Offenheit gegenüber Assoziationen und Schlussfolgerungen für die Zuschauer bietet. Peter Heyworth wies genau darauf in seiner ObserverKolumne hin: „His production is full of sly political allusions, but he leaves 124 Ashman: Ring, in: o.A., o.S. 125 O.N.: Zu neuen Ufern, in: Der Spiegel 42/1974, o.S. Siehe http://www.spiegel.de/ spiegel/ print/d-41652212.html vom 05.10.2010. 126 Cairns: The Forging of the Ring, in: The Sunday Times, 31.

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the audience to discover their significance for itself, and to take or leave them, as it chooses.“ 127 Friedrich benutzte das Wort „Welttheater“ als er über das Opernkonzept sprach – „a piece of theatre which holds up a mirror to the world.“ 128 Seine Idee war es, die germanische Saga in einem universellen Kontext der Weltgeschichte zu zeigen. Dies nahm Svoboda zum Anlass, um alle Mittel, die man für diese Theaterinszenierung verwenden konnte, zu benutzen – von einfachen, fast naiven Theatertricks bis hin zur Entwicklung von computergesteuerten technischen Erneuerungen. Svoboda selbst beschrieb die Idee als „a vital cross-section carved from the history of planet Earth“.129 Aufgrund der langen Zeit ihrer Entstehung (15 Jahre zwischen der Verfassung von „Das Rheingold“ und „Die Götterdämmerung“) wurde die Entscheidung getroffen, die vier Teile der Oper nicht einheitlich zu inszenieren. Die Szenografie für alle vier Opern war dagegen, wie Friedrich in The Sunday Times Interview betonte, stilistisch einheitlich: „not illustration, not illusion – but light“.130

Inszenierung der szenografischen Innovation Die Rekonstruktion des Anfangs von „Das Rheingold“ ist dank verschiedenen Quellen möglich. David Gillard berichtete in Daily Mail: „It begins with a flickering red smudge eruption out of the blackness, like a malignant volcano, the feeble whirr of the projector that sends us this image, contrasting sharply with the sonority of the score. The red splash enlarges menacingly, turns to blue, then green and the whole stage slowly rises upward, propelled by a mighty piston, a black pillar, crowned with a rock of gold.“ 131

Nach Svobodas eigenen Aussagen hatte der erste Teil den Charakter eines Mysterienspiels. Die leere Bühne mit dem offenen Vorhang stand unspektakulär, während das Publikum den Zuschauerraum füllte. Mit den ersten Klängen der Musik in der absoluten Dunkelheit, eröffnete das Licht den Blick auf die Bühne wieder, aus der sich die Plattform langsam erhob und sich schnell über die vertikale Achse drehte. Eine Metapher von der Entstehung der Welt etablierte gleichzeitig eine neue Ebene, auf der sich die vier Teile 127 Heyworth: The Hand of a Master, in: Observer, o.S. 128 Heyworth: Completing The Ring, in: Observer, o.S. 129 Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 83. 130 Cairns: The Forging of the Ring, in: The Sunday Times, o.S. 131 Gillard: Ye gods, this whets the appetite, in: Daily Mail, o.S.

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der Oper entfalten würden. Das Geschehen wurde mit der Laserprojektion auf dem Rundhorizont zusätzlich betont: „Then a very intense five centimeter point of light created by a red laser appeared on the cyclorama. Its fragmented granulation was the product of a special optical system which created kinetic laser graphics enriched by other colors, green and blue.“ 132

Abb. 38 „Das Rheingold“, Spiegelung der Rheintöchter Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj

Abb. 39 „Das Rheingold“, Spiegelung der Rheintöchter Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj 132 Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 83.

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Die Plattform hörte langsam auf, sich zu drehen, neigte sich in Richtung der Hinterbühne und enthüllte das Spiegelbild der Rheintöchter (Abb. 38, 39). Sie befanden sich in der Unterbühne, waren nur über die Spiegelreflexion zu sehen und schienen zu schweben. Damit etablierte man noch eine Ebene, auf der sich die Handlung abspielte und nur über das Spiegelbild zu sehen war. Der schwedische Journalist Leif Aare beschreibt diese Szene folgenderweise: „Auf der unteren Seite sind monumentale Spiegel, die sich ihrerseits in den Spiegeln der Unterbühne begegnen. Die Lichteffekte sind Prismenfarben mit Betonung auf grün und Gold. Doppelexponierte leicht umrissene Frauenkörper spiegeln sich in Spiegeln ... Alberich kommt aus der schwarzen Tiefe, des unter dem Fluss gelegenen Nibelheim hoch gekrabbelt, den man auch im Spiegel sieht. Man befindet sich lange darüber in Zweifel, ob es die Körper der Rheintöchter oder nur die Lichtreflexe sind die er jagt, bevor er die Liebe verflucht um stattdessen das Gold und die Macht zu bewältigen. In dieser Szene gibt es eine rätselhafte, impressionistische Sensualität, die mit der Wassermusik Wagners kongenial ist.“ 133

Abb. 40 „Das Rheingold“, Treppenmechanismus der Plattform Rekonstruktion 2012, Nebojša Tabački / Biljana Sovilj Eine weitere dynamische Veränderung der Szenografie geschah im letzten Teil der Inszenierung. Als sich die Götter auf dem Weg nach Walhall machten, neigte sich die Plattform für 45° in Richtung des Zuschauerraums und verwandelte sich in eine Treppe (Abb. 40). Der zweite Teil des Treppensatzes, versteckt hinter dem Rundhorizont, kam aus der Hinterbühne nach vorne und 133 Aare: Der Ring in London, in: DN, o.S.

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formte gemeinsam mit der Plattform/Treppe eine pyramidale stufige Schräge. Die dazugehörigen Spiegel-Paneele reflektierten das Licht sehr stark, so dass man den Eindruck hatte, die Götter in einem Lichtnebel verschwinden zu sehen (Abb. 41). Desmond Shawe-Taylor berichtete in The Sunday Times das die Walhall: „... looked best as it glimmered in the half-light, and increasingly dull the better it was lit; at the end it suffered a strange transformation into a sort of visionary Manhattan.“ 134 Seine Meinung über den ersten Teil der Tetralogie war aber durchaus positiv: “Das Rheingold“ with its scenes set in the depths of the Rhine, on the mountain hights and in the murky clefts of Niebelheim, its mysterious and cloudy transitions, its distant view of the newly-built Vallhala and its concluding procession across the rainbow bridge, is above all things a spectacular piece.“ 135

Abb. 41 Josef Svoboda, „Das Rheingold“, 1974. „Die Walküre“ (Abb. 42) wurde als psychologisches Drama des 19. Jahrhunderts konzipiert. Die Plattform wurde diagonal zum Publikum positioniert und stellte einen integralen Teil der abstrakten Landschaftsprojektion dar. „Since 134 Shawe-Taylor: Mixed Glories, in: The Sunday Times, o.S. 135 Ebd., o.S.

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several generations have passed since Rheingold“ pointierte Götz Friedrich – „the stage platform for Walküre has changed: black earth soaked with blood.“ 136 Die Bühne veränderte sich von Akt zu Akt durch das Hinzufügen zusätzlicher szenografischer Elemente, wie verschiedene Felsenteile oder die Einrichtung von Hundings Hütte. Aus den Presseberichten ist es möglich, sowohl über den Anfang der „Walküre“ mehr zu erfahren als auch darüber wie einige szenografische Veränderungen stattgefunden haben: „„Die Walküre“ began with the square platform whirling around in the down the ramps in persuit of Sigmund ... At the point where it subsides and Wagner directed the curtain to rise, another neither invisible nor inaudiable group of stage-hands placed a substantial table and seats within a version of Hunding´s hut that, though uninclosed, was rather more habitable than any recently presented to the long-suffering Wagner public.“ 137

Abb. 42 Josef Svoboda, „Die Walküre“, 1974. 136 Friedrich: Utopia and Reality, in: o.A., o.S. 137 Shawe-Taylor: Mixed Glories, in: The Sunday Times, o.S.

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Die Dynamik des epischen Schicksalsdramas und die psychologischen Veränderungen wurden durch die konstante Veränderung der Szenografie unterstützt. Nur im 2. Akt wurden fünf verschiedene Positionen der kinetischen Plattform durchgeführt. Die mit einem roten Stoff bespannte Oberfläche der Plattform, expressionistisch verstärkt durch die zusätzlichen felsenartigen geometrischen Formen, vermittelte das Bild eines apokalyptischen Schlachtfelds. Die Idee für diesen Teil der Oper war „critique of the conflict between the world and human character“ darzustellen.138 Fokussiert auf diesen Konflikt, blieb nach The Sunday Times die Inszenierung eher unspektakulär bis zum 3. Akt und dem stürmischen Auftritt der Walküren sowie auch der Erscheinung der Feuer-Mauer um die schlafende Brünnhilde. Der FeuerEffekt wurde laut Mike Ashmans Artikel „Behind the Ring“ mit Hilfe des Reichenvogel-Projektors erreicht – „a complex system of refracting glass.“ 139

Abb. 43 Josef Svoboda, „Siegfried“, 1975. „Siegfried“ (Abb. 43) wurde als eine schwarze romantische Komödie über den Superhelden in der Tradition der Comics über Superman oder Batman und des Theaters des Absurden inszeniert. Um die Konzeption zu beschreiben, benutzte 138 Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 83. 139 Ashman: Behind the Ring, in: Music & Musicians, 35.

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Götz Friedrich den Terminus comédie larmoyante, ein Genre des französischen Theaters des 18. Jahrhunderts. Die Herausforderung des dritten Teils der Oper lag in der szenografischen Darstellung der Natur, was Svoboda für eine der schwierigsten Aufgaben des Szenografen hielt. Wenn man aber ein starkes Element in der Designkomposition hat, wie es die kinetische Plattform in diesem Fall war, genügen ganz einfache, fast primitive Zusatzkomponenten, um eine Reihe von guten szenografischen Bildern zu erzeugen. So wurde der Wald im 1. und 2. Akt von 7 cm breiten, 15 m langen und auf 20 cm versetzten Streifen aus Plastikfolie gestaltet. Die Folienstreifen befanden sich direkt oberhalb der Plattform. Die Sänger mussten sich ihren Weg durch die versetzten Streifen durchkämpfen, die dann ganz schnell ihre ursprüngliche Position wieder einnahmen. Von beiden Seiten des Proszeniums wurden Windmaschinen positioniert, die die Folienstreifen bewegten und immer wieder neue Zwischenräume formten. Der Effekt ähnelte der Bewegung von Ästen im Wind und der kinetische Vorhang bekam dadurch den assoziativen Charakter des Waldes. Diese Lösung trug auch zur Verfremdung der naiv hergestellten Tiere, wie Bär oder Drachen, bei. In der Szene, wo Siegfried den Bären durch den Wald führt, hat man eigentlich nie das Tier wirklich gesehen. Die Folienstreifen bewegten sich zwar, aber kehrten schnell wieder auf ihre Anfangsposition zurück, so dass man das Gefühl hatte, etwas zu sehen, was man nie zu sehen bekommen hat. Es handelt sich um den alten Trick, oft bei Horror- oder Science-Fiction-Filmen verwendet, um die Spannung zu erhöhen. Den Zuschauern wird nur ein Bruchstück gezeigt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Bild auszumalen. „Svoboda´s strip forest in Siegfried also seems a work of fine ingenuity: it has the „properties“ of a forest, „ie“ it reveals (Alberich, Wanderer), hides (Fafner, Mime´s smithy) and frames (Siegfireds´ solos) the dramatic action“. 140 Der Auftritt des Drachens wurde auf ähnliche Weise inszeniert. Die Plattform wurde erst in Richtung Hinterbühne leicht geneigt, der Drache darauf positioniert und die Plattform dann in Richtung Zuschauerraum gekippt. Der Drache rollte vorwärts und kam mit zwei Riesenkrallen durch den Folienstreifen-Vorhang. Der Drache bestand aus Metall-Teilen, die von versteckten Statisten bewegt wurden. Vier Statisten animierten den Kopf und weitere achtzehn Menschen die restlichen Teile des Drachens. Eleanor Fazans Choreografie vereinheitlichte die Bewegungen von 22 Menschen unter der Konstruktion, um den Fortgang des Drachens fließend zu machen. Die Berichte über diese Szene sind unterschiedlich. Nach Svobodas Aussagen war der Auftritt beeindruckend und beängstigend und trotz einfachen Tricks nicht lächerlich. In der Presse wurde über diese Szene aber anders berichtet: „Das ist 140 Ebd., 35.

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das größte komische theatralische Ereignis im Ring, und ich bekenne mich dazu, dass in einem Märchen als Komödie, das Grausame des Drachens wie in einem großen Kinderspektakel dargestellt wird.“ 141 oder „Auch wirkte der Lindwurm, obwohl ihn 20 Mann zu bewegen hatten, ziemlich unglaubwürdig. Sein Tod verlor dann sogar den erwarteten Spannungseffekt.“ 142 Philip Hope-Wallace schrieb für Guardian: „I think it is the worst „Wurm“ staging and dragon slaying ever seen.“ 143 Wenn man aber bedenkt, dass Götz Friedrich „Siegfried“ als eine (schwarze) Komödie mit einer guten Dosis Ironie gesehen hat, dann war die theatralische Naivität in manchen Momenten sehr passend. Der Kampf zwischen Siegfried und dem Drachen war als eine überzeugende Pantomime inszeniert, was einen satirischen Charakter hatte. Siegfrieds Motiv war die Suche nach der Identität, nicht gieriger Drang nach Macht und Gold. Als der Drache besiegt wurde, kippte man die Plattform wieder nach hinten und er rollte in Richtung Hinterbühne zurück. „I enjoy the kind of set design where you can play it like an instrument,“ äußerte sich Svoboda diesbezüglich „- like you play the piano, the notes are determined in advance, but you can fit them together, you can improvise“. 144 Die Begegnung von Wotan (als Wanderer) und Erda gehört zu den wichtigsten Momenten des ganzen Ring-Zyklus, in dem der Untergang der Götter beginnt. Elisabeth Forbes beschreibt diese Szene und nimmt Bezug auf die Plattform, deren Bewegungen nicht selten von der Presse als zu dominant kritisiert wurden. „Josef Svoboda´s peripatetic platform is blessedly still for most of the first two acts, only giving a convulsive heave to allow the body of the slain dragon Fafner to be shanted of stage. So when at the beginning of the third act the platform tilts up to reveal the shadowly outline of Erda enmeshed in the roots of the world-ash tree, the effect is overwhelming“.145 Die Inszenierung des Feuers im 3. Akt war auch eine Herausforderung. Eine der weiteren Eigenschaften der Plattform war es auch, als Projektionsfläche zu dienen, was sich für die Szene als besonders geeignet erwiesen hat. In seinem Buch „The Secret of Theatrical Space“ beschreibt Svoboda, wie das Feuer als Projektion benutzt wurde: „In Siegfried we covered the platform with ridges of extended metal, painted metallic silver on one side and matte black on the other; the metal was laid on a bed of black felt. The resulting surface provided great traction, and it was possible to move on it up to an inclination of thirty degrees. The platform tilted toward the spectator with the silvery surfaces of extended metal at the 141 O.N.: Siegfried, in: o.A., o.S. 142 Ogus: Siegfried, in: Orpheus, o.S. 143 Hope-Wallace: Walküre, in: Guardian, o.S. 144 Svoboda zitiert von Albertová: Josef Svoboda, 162. 145 Forbes: Siegfired, in: Financial Times, o.S.

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same angle, accepted unusually intense frontal projections. The opposite surface of the metal swallowed the upstage contra-light and prevented the creation of undesirable parasitic light. It looked as though the entire platform was actually on fire. Siegfried moved freely on its surface. The projection covered him and his costume; he seemed to be moving through flames.“ 146

Als Siegfried die Brünnhilde wachküsste, wurde diese Szene mit einem harten Lichtstrahl beleuchtet, um darauf hinzuweisen, dass sein Weg damit noch nicht zu Ende war. Die Szenografie für „Die Götterdämmerung“ stellte eine Zukunftsversion dar. Nach dem Abschied von Brünnhilde, macht sich Siegfried im 1. Akt auf dem Weg zu neuen Abenteuern. Auf der schräg positionierten Plattform wurde das Wasser projiziert, und „an der Hinterkante erscheint Siegfried mit großem Ruder wie er auf uns zukommt.“ 147 Siegfrieds Kanufahrt wurde leider in vielen Presse-Berichten als unglaubwürdig bezeichnet („like Hiawatha paddling down the Mississippi“),148 aber wie der Observer bemerkte: „his passage at least gives the sense of the river as a great natural barrier.“ 149 Die Plattform wurde dann zum Bühnenbodenniveau gesenkt und aus dem Schnürboden wurden die großen Linsenglas-Elemente heruntergesenkt, um den Hof der Gibichungen zu bilden. Die durchsichtigen Scheiben mit tausend kleinen kreisförmigen Linsen haben den Lichteinfall gestreut und den Zuschauerraum verkleinert gespiegelt (Abb. 44). Drei große Linsen (2 m x 2 m) wurden als quadratische Scheiben im Vordergrund relativ niedrig aufgehängt. Wenn sich der Sänger hinter der Linse befand, sah das Publikum sein Abbild vergrößert. Auf dieser Weise hat man noch zwei optische Ebenen, sehr ähnlich wie beim Filmschnitt, eingeführt und damit zur dramaturgischen Spannung beigetragen. Die Linsen verzerrten die Figuren auf der Bühne und gaben einen Hinweis auf den kommenden Verlust der Identität Siegfrieds. Die Bühne verwandelt sich noch mal rückgängig zu Brünnhildes Felsenszene, wo Siegfried in der Gestalt von Gunther Brünnhilde den Ring wegnimmt. Im 2. Akt bleibt die Plattform in der schrägen Position mit Treppenzusätzen. In der ersten Szene des 3. Aktes nimmt die Plattform wieder ihre Position aus dem „Rheingold“ ein: „Die (altgewordenen) Rheintöchter werden mehrfach verspiegelt von der Unterkante der Plattform und von der verdreckten Spiegelfolie, auf der die Mädchen sich tummeln. Der Rhein ist „verschmutzt“. Aus dem „Aquarium“ 146 Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 84. 147 O.N.: Die Götterdämmerung, in: o.A., o.S. 148 Pleasants: Royal Opera Completes Its Ring des Niebelungen, in: Herald Tribune, o.S. 149 Heyworth: Götz Firedrich, in: Observer, o.S.

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scheint jeder Lebensstoff gewichen. Siegfried erscheint oben auf der Vorderkante der aufgeklappten Plattform, ehe er nach unten auf die Vorbühne kommt.“ 150

Abb. 44 Josef Svoboda, „Die Götterdämmerung“, 1976. In der zweiten Szene des 3. Aktes nahm die Plattform ihre „Wald“ Position (Siegfried, 2. Akt) ein, aber jetzt bestand der Wald nur aus vier Stämmen. In dem Moment, in dem Siegfried Klarheit über seine Taten erlangt, fällt er tot um. Die Bühne leerte sich, um den toten Held auf der Bühne während des Trauermarsches alleine zu lassen. Aus dem Schnürboden wurden die LinsenglasScheiben heruntergelassen und verdeckten Siegfrieds Körper, so dass sowohl Brünnhilde als auch Gutrune, verwirrt zwischen den Scheiben laufend, ihn erst mal nicht sehen können. Für den Brand von Wallhall, als Höhepunkt der Wagner-Oper, fand Svoboda auch eine Lösung als Projektion. Ein Modell der Walhall-Szenografie wurde aus Spiegelteilen im Maßstab 1:10 gebaut, auf einer Wiese außerhalb von Prag aufgestellt und um das Modell herum ein Feuer angezündet. Danach filmte man die Spiegelungen des Feuers auf dem Modell ab. Dieser Film wurde mit einem Foto von den Sängern, die auf die Plattformtreppen saßen, kombiniert. Mike Ashman erklärte die Umsetzung der Projektion folgenderweise:

150 Ebd., o.S.

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„The projection of gods burning in Valhalla is a film constructed of still photographs (taken on a Crush Bar stairs with costumed actors and a covering stagecloth), on to which a further film of the flames was dubbed. The cloud and some of the flame are achieved by hand-painted discs circulating, discoteque colour-wheel style, in front of a projector light.“ 151

Nachdem das projizierte Filmmaterial ausgestrahlt wurde und Walhall „zu Grunde ging“, schaltete man die Projektion aus und die Bühne blieb leer, wie am Anfang des ersten Teiles der Oper. Nur noch eine Person überquert verloren die leere Bühne („Alberich, der Systemveränderer, ist überflüssig und beschäftigungslos geworden“) und weist auf die Möglichkeit eines neuen Anfangs hin.152 Abgesehen von zwei Farben – pink (Gibichungen) und rot (Brünnhildes Stein), blieb dieser letzter Teil des Zyklus durchgehend in der dominierenden Farbskala aus weiß, grau und schwarz.

Über das Konzept der Szenografie Der Ursprung einer Idee ist bei Theaterprojekten immer schwierig festzustellen, weil es sich um eine kreative Teamarbeit handelt. Da dies auch nicht der Sinn der Rekonstruktion ist, beziehe ich mich hiermit nur auf die archivierten Fakten. In Gesprächen über die Konzeption der Oper haben sich Colin Davis und Götz Friedrich für einen minimalistischen Zugang zur Szenografie ausgesprochen, um ohne Hindernisse durch die massiven szenografischen Elemente dem Publikum eine gute Sicht auf die Akteure zu ermöglichen. Laut Royal Opera House Berichten Minutes of a Meeting of the Opera Sub-Committee trafen sich Friedrich und Davis zum ersten Mal im März 1972. In dem Interview „The Forging of the Ring“ erzählte Davis,153 dass die Idee bei einem Treffen in Hamburg in Form einer Skizze von Friedrich entstand, die eine quadratische Bühne darstellte. Svoboda kam in das Team im Mai 1973, also etwa mehr als ein Jahr nach den ersten Konzeptionsgesprächen, was darauf hinweist, dass die groben Vorstellungen für die Visualisierung der Oper schon da waren, bevor Svoboda mit der Entwicklung der Szenografie angefangen hat. Offensichtlich sind zumindest grobe Umrisse des Konzeptes schon vorhanden gewesen, die 151 Ashman: Behind the Ring, in: Music & Musicians, 35. 152 WB: London, Götterdämmerung, in: Oper und Konzert, o.S. 153 Cairns: The Forging of the Ring, in: The Sunday Times, o.S.

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Svoboda als Anhaltspunkte für das Design der Szenografie dienten. Was die Sänger betrifft, wollte man diese überdimensional groß aussehen lassen, was die extravaganten und fantasievollen Kostüme von Ingrid Rosell erklärt. „Scenography makes sense only when it becomes an instrument in the hands of a director,“ pointierte Svoboda seinen Standpunkt in dem autobiografischen Buch „The Secret of Theatrical Space“ – „when it becomes a space for inspiration, a kind of technical and design plaything.“ 154 Sowohl der Szenograf als auch der Regisseur, wie in Denis Bablets Interview mit Götz Friedrich zu lesen ist, haben den gleichen Standpunkt gehabt.155 Friedrich betonte die Wichtigkeit der flexiblen Szenografie, die sich der dramaturgischen Handlung anpassen kann. Die Szenografie muss nicht grandios sein, sondern gute Elemente für das Spiel haben und eine funktionierende ästhetische Einheit mit der Musik bilden. Seiner Meinung nach wird die Szenografie vor allem nach ihrer Funktionalität und Ästhetik bewertet. Die Aufgabe des lyrischen Zugangs zur Szenografie ist es, eine revolutionäre Vision des zeitgenössischen Musiktheaters zu schaffen. In diesem Fall resultierte die enge Zusammenarbeit zwischen dem Szenografen und dem Regisseur in einem gemeinsam entwickelten Szenario, das nicht auf der ursprünglichen Bühnenfassung beruhte. Dieses Szenario ist ein Beweis dafür, dass es sich hier um zwei gleichberechtigte Partner handelte, die an einer gemeinsamen künstlerischen Vision arbeiteten und so die altmodische Rolle der Szenografen als Dekorateur oder Ausstatter eliminierten. Götz Friedrich erklärte folgendermaßen seine Gedanken über die Konzeption der „Ring“ Inszenierung: „Every artistic realisation, often described by too narrow term „interpretation“, must establish its „today“ and „here“ in order the better to understand the time span which Wagner projects from a mythical past through his own epoch and on into the distant future. And each artistic realisation must take into account the risk and limitations of its own reality which will be measured in relation to the Utopian. This is the idea behind the new production in London 1974/75.“ 156

Es handelte sich hier um den Versuch, Wagners Oper aus der eingekapselten Tradition des 19. Jahrhunderts zu befreien und ihr eine zeitgemäße künstlerische Form zu geben. Friedrichs Meinung nach war die wichtigste Rolle des Theaters nicht, zu illustrieren, sondern eine Gegenstimme zu Musik und Wort anzubieten. Eine lange und fundierte Beschäftigung mit dem „Ring“ war erforderlich, um eine einfache, fast naive Art von Sehen und Hören zu 154 Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 20. 155 Bablet: Josef Svoboda, 77. 156 Friedrich: Utopia and Reality, in: o.A., o.S.

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erreichen. „In the theatre“ erklärte Friedrich in einem Interview - „as in life, we must – what shall I say – go to the limit, to search for the secret behind it.“ 157

Technologische Innovationen in der Szenografie „Without doubt this new Ring cycle sets absolutely new standards in many departments“ schrieb Tom Sutcliffe für Classical Music Weekly und resümierte es: „Josef Svoboda´s designs, wholly integrated with Firedrich´s conception in their practicality, provide some of the most stunning images I have ever seen in theatre. At last Edward Gordon Graig´s dreams of the visual impact of which a Wagner production should be capable are being matched. Yet each image, whether it follows or ignores Wagner´s wishes, serve to underline clearly aspects of the total work: nothing is there for prettiness or convenience.“ 158

Alle vier Teile der Oper wurden ohne Benutzung des Vorhangs durchgeführt, und die Veränderung der Szenografie fand vor Augen der Zuschauer statt. Da der Handlungsort der Oper nach Götz Friedrich die Theaterbühne des Royal Opera House war, fand Svoboda die Inspiration für dieses vierteilige Bühnenfestspiel genau dort - in dem Bühnenraum der Royal Opera House selbst, besser gesagt in dem Raum unter der Bühne. Das Gebäude verbarg nämlich eine Reliquie des Theaterbaus des neunzehnten Jahrhunderts - die zentrale Bühnenversenkung (12,2 m x 12,2 m x 3,5 m), zusammengesetzt aus fünf Versenkungsplattformen, die Svoboda als Anhaltspunkt für die Entwicklung der Szenografie nutzte. Er versenkte alle fünf Plattformen bis zum Niveau vom Hochparterre und etablierte damit die Ebene, wo Nibelheim, Rhein und das Erdinnere untergebracht wurden. Der Bühnenboden innerhalb dieser Öffnung wurde mit einer 60 cm dicken Plattform (9,8 m x 11,3 m) ersetzt, die auf einer dreiteiligen Teleskopstütze lag. Die Stütze war mit fünf hydraulischen Pumpensystemen ausgestattet. Dadurch konnte die Plattform binnen Sekunden von dem Bühnenniveau auf 1,50 m gehoben werden, wieder verschwinden und sich um die vertikale Achse drehen. Vier zusätzliche diagonale teleskopische Stützen am obersten Teil der Hauptvertikale ermöglichten die Neigung der Plattform bis 45° in alle vier Richtungen. Es 157 Cairns: The Forging of the Ring, in: The Sunday Times, o.S. 158 Sutcliffe: Collin / Götz in tune, in: Classical Music Weekly, o.S.

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gab drei verschiedene auswechselbare Bodensysteme für die oberste Seite der Plattform. Die Holzverkleidung mit einem Treppenmechanismus für „Das Rheingold“, konnte bei der Neigung der Plattform in Richtung der Zuschauer für mehr als 15° die glatte Oberfläche in Stufen verwandeln. Für „Die Walküre“ wurde eine weitere Variante von rotbraun gemaltem Holzboden eingesetzt und für „Siegfried“ bzw. „Die Götterdämmerung“ eine Metall-Oberfläche, die mit verschiedenen Teppichstoffen kombiniert war. Die Metallvariante beinhaltete eine kleinere Plattform, die Brünnhildes Felsen darstellte und aus der Plattformebene nach oben geneigt werden konnte. Die unterste Seite war mit 36 Spiegelpaneelen verkleidet,159 so dass die Zuschauer, wenn die Plattform zum hinteren Teil der Bühne geneigt war, auch sehen konnten, was unterhalb der Bühne passierte. Die Benutzung der Spiegelfläche, um das Geschehen unter der Bühne zu reflektieren, kam unterschiedlich an. Mike Ashman schrieb in Music und Musicians: „In general I feel that the mirror-reflected scenes beneath the platform are more spectacular then effective.“ 160 „Through its universality“ erklärte Svoboda „the platform became an instrument which allowed us to play all four operas – twelve hours of music – an instrument which was able to change the psycho-plastic space, to ignite our imagination so that we easily found additive means of shaping this space further.“ 161 Die Konstruktion der Plattform, die durch ihre vielseitige Verwendung das Leitmotiv der Inszenierung wurde, basierte auf einem ferngesteuerten hydraulischen Mechanismus, der fließende und fast geräuschlose Bewegungen der Konstruktion mit Menschen drauf möglich machte. Die präzise Steuerung der Plattform ermöglichte die freie Bewegung der Sänger über die Oberfläche. Fünf Bewegungsfunktionen – „rotate / lift / long side tilt / short side tilt / special (ie the ´diving-board´ ramp which is Brünnhildes rock“)162 wurden von vier speziell dafür engagierten Operateuren,163 die in Arbeitsschichten arbeiteten, bedient. Die Kontrollpults wurden in der Seitenbühne, direkt neben dem Arbeitstisch des Bühnenmanagers, untergebracht. Ingenieur Mike Barnett (Tele-Stage Associates Ltd) war als Hydraulik159 Für die Verkleidung der untersten Seite der Plattform sind verschiedene Angaben vorzufinden. Mike Ashman schreibt über „36 plastic mirrors“ (Ashman: Behind the Ring, in: Music & Musicians, 34.) und Helena Albertová „perfect mirror foil“ (Albertová: Josef Svoboda, 159). Jeff Phillips, Produktion Manager der Produktion, erklärte das es sich dabei um leicht verformbare Spiegel-Folien handelte, die an Metallrahmen unter der Plattform befestigt waren. (Aus dem Gespräch mit Jeff Phillips, Berlin 2011). 160 Ashman: Behind the Ring, in: Music & Musicians, 34. 161 Albertová: Josef Svoboda, 159. 162 Ashman: Behind the Ring, in: Music & Musicians, 34. 163 Mike Ashman schreibt über vier Operateure, die die Plattform steuerten. (Ashman: Behind the Ring, in: Music & Musicians, 34.) Der Ingenieur Mike Barnet, der die Plattform entwarf und aufbaute, erwähnte fünf Operateure (Telefon-Interview, 2011).

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und Konstruktionsberater engagiert, um Svobodas Idee zu entwickeln. Nach Barnetts Aussage164 stellte Svoboda eine Art Modell vor, das aus einem dreibeinigem Stativ mit beweglichem Gelenkkopf und einem Stück Holz oben drauf bestand, um die Bewegungen der Plattform zu demonstrieren. Keine präzisen zeichnerischen Vorlagen für die Ausarbeitung waren am Anfang vorhanden und das technische Team hatte die Freiheit, das Modell frei zu interpretieren. Erst später in der Entwicklungsphase kamen zusätzliche Zeichnungen von Svoboda, mit dem sich Barnett im Laufe des Entwurf- und Ausarbeitungsprozesses drei Mal traf, hinzu. Die Basisanweisungen waren aber klar formuliert – die Plattform sollte sich heben, senken, drehen und in allen Richtungen +/- 45° neigen können. Dazu musste die Plattform bis zu 60 Menschen tragen können, wie die Chor-Szene in der „Götterdämmerung“ es verlangte. Eine zusätzliche wichtige Anforderung war die Geräuschlosigkeit der Mechanik, weil man befürchtete, durch die Geräusche den Zauber der Bewegung der Plattform zu zerstören. Dass man dafür ein hydraulisches System brauchte, war abzusehen, geräuschlose hydraulische Pumpen waren aber zu der Zeit kaum auf dem Markt vorhanden. Eine damals neu entwickelte spezielle hydraulische Pumpe (variable volume pump), musste aus den USA importiert werden, um diese Anforderung gewährleisten zu können. Es war zum ersten Mal in Großbritannien, dass eine solche innovative Hydraulik im Theater Verwendung fand.165 Wie Barnett schilderte, waren hydraulische Systeme zwar z.B. in Deutschland seit 1948 im Gebrauch, aber die Art, wie sie funktionierten war um einiges zeitaufwendiger. Man brauchte einen ganzen Tag, um die Luft in speziellen Kammern zu komprimieren, um am nächsten Tag - durch den Druck auf ein Flüssigkeitssystem - die Bühnenelemente für eine Aufführung lautlos bewegen zu können. Mit Entwicklung und Umsetzung der hydraulischen Plattform waren vier Firmen beauftragt. Mike Barnet bei Tele-Stage Associates Ltd. entwarf die Plattform und leitete das Bauteam, Hall Stage Equipment Ltd. waren für den Bau der Plattformkonstruktion,166 P. E. Kemp Engineers Ltd. für die Herstellung der einzelnen Konstruktionsteilen (Treppensätze) und Stage & Studio Engineering Ltd. für die restliche Zusatzelementen aus Holz zuständig. Man nutzte die Bauelemente aus der Industrie (für die Drehapparatur nutzte man ein Bestandteil des Baukrans und das hydraulische Antriebssystem beinhaltete eine Variante der Ventilteile, die man für eine der amerikanischen Saturn Raketen verwendete),167 um eine 164 Das Telefoninterview habe ich mit Mike Barnett am 01.06.2011 geführt. 165 Es handelt sich um das hydraulische System „Intra-vane pump“. 166 Die Firma Hall Stage Equipment Ltd hat auch an den Produktionen „Oliver!“ und „Blitz!“ mitgearbeitet. 167 „The hydraulic propulsion system incorporates a variant on a moog valve used in one of America´s Sturn rockets.“ (Ashman: Behind the Ring, in: Music & Musicians, 34.)

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Konstruktion zu schaffen, die auf dem Prinzip der Flugsimulation-Maschine arbeitet. Für die Rotation der Plattform wurde Motor „Kontak“ DB2, ein mehrfachgekuppelte Druckölmotor (reversible fluid motor) mit 14 Zylindern verwendet, um die maximale Drehung von 10 ft/min zu ermöglichen. Die Kosten der Plattform-Konstruktion waren laut Tele-Stage und Hall-Stage Rechnung £39,434. Die Überschreitung des geplanten Bugdets von £30,000 wurde mit „excessive overtime due to delay in starting construction, therefore more work needed on site“ begründet.168 Der Rundhorizont (Cyclorama) umrahmte die Bühne hinter dem Proszenium und diente als Projektionsfläche. John Falding beschrieb die Benutzung des Rundhorizonts: “The sides and back of the stage are enveloped in a Cinema-Scope-type screen on which coloured lights are projected with beauty and a regard for the score.“ 169 Insgesamt drei farblich verschiedene Rundhorizonte wurden für den ganzen „Ring“-Zyklus verwendet. Hinter dem Rundhorizont befand sich eine Zusatzplattform mit Treppen, wo die vertikalen Glaspaneele für die Walhall-Szene im „Rheingold“ angebracht waren. Nach der Explosion der Regenbogenbrücke wurde der Rundhorizont heruntergelassen und die Zusatzplattform nach vorne bis zum Anschluss an die Hauptplattform vorgezogen. Die zweite Erneuerung war die Benutzung des Lasers. Obwohl Svoboda mit dem Laser schon bei der Oper „Die Zauberflöte“ an der Münchener Staatsoper (1970) gearbeitet hatte, wurde die Benutzung des von Siemens angefertigten Lasers aus Sicherheitsgründen auf fünf Minuten begrenzt. Das Lasergerät befand sich damals in dem Zuschauerraum und es stellte bei Überhitzung des Gerätes eine Gefahr für die Sicherheit dar. Diesmal wurde der Laser als integraler Teil des Beleuchtungssystems eingesetzt, war aber nicht vor Ort in der Verwendung. Die Laserstrahlen wurden im Siemens Labor in Erlangen gefilmt und später als Rückprojektion auf dem Rundhorizont wiedergegeben. Abgesehen von dem starken visuellen Image, beschwerten sich manche Zeitzeugen über das laute Geräusch des Projektors, das von der Musik stark abgelenkt hat. Lady Antonia Frazer berichtete in einem The Times Leserbrief über „...loud whirr of a cinema projector. This was noisily engaged in creating a flickering Red Thing, part of the novel scenery for the opening.“ 170 Die drei Vergrößerungslinsen für den Hof der Gibichungen, die Hauptattraktion wegen ihres Vergrößerungseffektes waren, wurden aus Japan importiert. Leider war dieser Effekt nur für einen Teil des Publikums wahrnehmbar. Die Zuschauer, die seitlich oder in der Galerie saßen, konnten 168 Die Angaben befinden sich in den Produktionsunterlagen und Rechnungen für die „Ring“ Produktion 1974 (Royal Opera House Covent Garden Archive). 169 Falding: Das Rheingold, in: Birmingham Post Music Critic, o.S. 170 Fraser: Red Thing at the Opera, in: The Times, o.S.

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den Vergrößerungseffekt kaum oder gar nicht sehen. Dies wurde in der Presse oft als Anlass für Aufregung genommen, wegen der hohen Kosten der Linsen.171 Die restlichen perforierten Plexiglas-Platten für diese Szene, die an insgesamt 19 Zügen hingen, wurden mit Ausnahmen von ein paar Paneelen, die aus Deutschland bestellt wurden, in den Werkstätten der Royal Opera House angefertigt. Die Spezial-Effekte sind auch erwähnenswert. In einem Artikel über die Produktion berichtete Mike Ashman detailliert darüber: „Three kinds of smoke are used: dry ice pumped in via hoses,; steam piped from a conveniently-placed boiler; and sharp burst of smoke (eg the atomic-like cloud released when Siegfried-Gunther penetrates Brünnhilde´s screen) are ´shot´ from an oil gun. There are several other examples, but one which proves particularly irksome for the stage crew is the second interval of Götterdämmerung, when deafening air-compressors pump up the ´wave´ bags on which the Rheinmaidens will disport themselves.“ 172

Organisation der Arbeit Die technische Ausstattung des Royal Opera House war zu dieser Zeit nicht auf sehr hohem Niveau. Das Zügesystem im Schnürboden wurde beispielsweise noch manuell betätigt. Die gesamte Theatermechanik, inklusive Ausgleichsgewichtssystem und Aufzüge, stammte aus dem Jahr 1895 und wurde seitdem nicht erneuert. Götz Friedrich äußerte sich diesbezüglich in Classical Music Weekly: „I must say that technically Covent Garden is far from what it should be... Conditions for the stage hands and electricians are not good. Don´t believe because they showed they could pull it off for this Ring that all is OK. The time taken for the lighting has to be inordinate. In Germany or other theatres, I have a computerised lighting board. If we are going to try and do more artistically here, we need better technical conditions.“ 173

171 Die drei Vergrößerungslinsen aus Japan kosteten £1000 pro Stück. Zusätzlichen Transportkosten betrugen die Kosten ca. £1400 (Ashman 1976a: 34). 172 Ashman: Behind the Ring, in: Music & Musicians, 35. 173 Sutcliffe: Collin / Götz in tune, in: Classical Music Weekly, o.S.

der

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Als eine Illustration der komplexen Bedienung der Szenografie gebe ich die Liste mit Anweisungen für die Bühnentechniker am Royal Opera House für die Inszenierung von „Die Götterdämmerung“ wieder: „Prolog and Act 1: Stage set to open; White „Rheingold“ cyclorama Siegfried Expended Metal Floor „Bulb“ around of central column with hair growing out of it, 4“ thick at foot thining out to ½“ to form cord for norns blue painted sheering cloth covering lifts over Silver foil floor with 3 black applique „holes“ Access treads and Rostra Position1: Platform tipped down at front. Front of platform Tipps up to position 2. Underneath platform are Norns with ropes coming from „bulb“ around central column. Possibly dancers under blue painted cloth to simulate living organism. Slow projections at end of Norns scene. Rope breaks and blue carpet splits to each side revealing silver floor. Laser film from bridge. Platform turns into position 3 – Brünnhilde rock (As „Siegfried“ final position, with ramp open). During this scene, blue carpet and bulb from central coumn are struck. For Rheinjourney, platform moves to Position 4 (similar to Position 2). There Siegfried doubles appear in black „holes“. Platform moves to position 5 for Gibichung Hall. During move, black „Walküre“ cyclorama lifts behind white cyclorama, which then drops. Hanging plastic sheets or mirrors drop in. Two benches and solumn with drinking horn are set on platform. Access is required P.S. and Centre Back. Platform moves to Position (as Position 2) Brünnhildes rock, some plastic sheets fly out. Interval Act 2: -Stage set to open; black „Walküre“ cyclorama Silver Carpet to cover platform Platform braced at corners Access stairs at front of platform 2 Rostra expending over edge of platform with access Possibly major access required at back of platform No.1 Elevator free to move

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Platform remains stationary during whole of Act 2 in Position 7 – raked slightly forward. Plastic shapes are flown in and out during this Act. At the end of Act 2, eight metal grilles with shimmering discs representing confetti are flown inInterval Act 3: -Stage set as follows; 4 hanging trees 8 soft plastic sheets black „Walküre“ cyclorama Airbag under silver floor Possibly new Valhalla with collapsing mirrors Position 8 – front of platform Tipps up. First elevator may during this scene. Platform Tipps forward to position 9 (similar to first position of „Siegfried“ Act 2) Trees fly in. Access required behind US/PS corner. Position 10 – Platform sinks to Gibichung Hall position and trees fly up. Plastic sheets fly in at different times and soft plastic sheets fall to ground. Funeral Pyre comes on in two pieces, to a position at stage level behind platform. This followed by Valhalla Scene which is undecided at present.“ 174

Götz Friedrich betonte, dass diese „Ring“-Produktion mit solchen technischen Bedingungen, die zu der Zeit am Royal Opera House herrschten, nirgendwo in Europa umgesetzt werden könnte, weil sich niemand auf 14-16 Stunden Arbeit pro Tag einlassen würde. Aus organisatorischen Gründen brauchte man immer einen Tag Pause zwischen Aufführungen der Ring-Opern, was immense Belastung und Aufwand für das technische Team bedeutete. Die Plattform wurde gleich nach der Aufführung einer „Ring“-Oper in 30-40 einzelne Konstruktionsteile zerlegt, zwischengelagert und die Bühnenversenkungen wieder auf das Bühnenniveau für eine andere Inszenierung gebracht. Einen Tag vor der nächsten „Ring“ Aufführung fing man um 14 Uhr an, die Plattform für die Morgenvorstellung wieder aufzubauen. Der Ab- und Aufbau verlief laut Mike Barnet ziemlich chaotisch und der Zeitdruck war groß. Für das technische Personal des Royal Opera House war diese Zeit nach Mike Barnet „learning curve“,175 weil sich die Bühnentechniker zum ersten Mal mit der fortschrittlichen hydraulischen Technologie befassten. Die genaue 174 Die Liste der technische Anweisungen für „Die Götterdämmerung“ 1976 (Royal Opera House Covent Garden Archiv). 175 Aus dem Telefon-Interview mit Mike Barnet (01.06.2011).

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Zahl der Mitarbeiter ist heute nicht mehr festzustellen, Barnet erwähnte sechs bis sieben Teamleiter, die die Teams von Technikern, Elektrikern und Beleuchtern koordinierten. Die Angestellten des Royal Opera House mussten schnell lernen, mit diesem System umzugehen, die Szenografie in der vorgegebenen Zeit zusammenzusetzen bzw. auseinanderzunehmen und sowohl die Unregelmäßigkeiten als auch die Probleme rechtzeitig zu erkennen. Da die Bühnentechniker nicht entsprechend qualifiziert waren, wurden die speziellen Aufgaben von externen Fachleuten übernommen. Erschöpfung durch schlaflose Nächte und die ständige Auseinandersetzung mit den neuen Schwierigkeiten, führte nicht nur zu Situationen wie Schlafen im Stehen sondern auch zu Verletzungen.176 Insgesamt fünf Bühnen-Manager, mit Ausnahme für „Die Walküre“, wo nur vier Manager im Einsatz waren, leiteten die Aufführungen. Ein Team von 32 Bühnentechnikern, sogar 40 für „Die Götterdämmerung“, machten die Aufführungen möglich. Sie betätigten manuell die Züge, steuerten die Plattform oder kümmerten sich um die Szenografie-Teile bzw. die Spielrequisite. Die Kommunikation zwischen den Bühnentechnikern lief über Kopfhörer, Tafeln mit Leuchttasten oder Monitoren. Über die Aufgaben der Elektriker für eine Aufführung, die sowohl für die Beleuchtung als auch Steuerung der Projektoren zuständig waren, berichtete Mike Ashman: „A performance shift crew of 20 electricians (four a piece on the switchboard, the follow-spots and up in the flies; eight on stage for humping, setting, focousing and colour-changes) plus the chief electrician and one assistant operate up to 200 lamps and 26 film and standard projectors.“ 177

Es ist auch interessant, zu demonstrieren, wie das zusätzliche Personal wie zum Beispiel Statisten organisiert wurden. In dem Buch „The Ring: An Illustrated History Of Wagner‘s Ring At The Royal Opera House” sind die Verpflichtungen der Statisten am Royal Opera House zu der Zeit der „Ring“Produktion vorzufinden.178 Die Aufregung der Presse über die 22 Menschen, die die Drachenkonstruktion für eine Szene von acht Minuten animiert haben, lieferte viel Raum für Spekulationen über die Kosten der Produktion. Wie Snelson berichtet, hatten von 22 Menschen nur 10 einen Wochenlohn von £28 und waren damit auf 33 Probenstunden der Woche, sechs Tage die Woche verpflichtet. Parallel zu ihren Aufgaben bei anderen laufenden Aufführungen, 176 Der technischer Leiter William Bundy fiel bei einer Probe von dem Bühnenniveau in den Unterbühnenraum und brach den Arm, weil er im Dunkeln die leichte Veränderung der Neigung von Plattform nicht wahrgenommen hat. (Telefon-Interview mit Mike Barnet, 01.06.2011.) 177 Ashman: Behind the Ring, in: Music & Musicians, 34. 178 Royal Opera House/Snelson: The Ring, 113.

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doubelten sie auch für Wotan, Siegfried, Loge oder Alberich zusätzlich zur Animation des Drachen Fafner. Die Proben mit dem Ensemble dauerten täglich bis 21.30 in der Vorbereitungszeit für „Das Rheingold“ und „Die Walküre“ insgesamt sechs Wochen, Sonntags inklusiv.

Fragen der Finanzierung Auf der Opera Sub-Committee Sitzung vom 20. Februar 1974 wies Sir Claus Moser auf die schwierige finanzielle Lage des Hauses hin und erklärte, dass Arts Council (staatliche Förderung) die versprochene Finanzierung nicht aufstocken konnte. Er schlug drei Optionen vor: - Die neue „Ring“-Produktion auf Eis zu legen und den alten „Ring“ wiederaufzuführen, - „Das Rheingold“ bis 1975/76 zu verschieben und die anderen Teile der Oper wie geplant umzusetzen oder - Die neue „Ring“ -Produktion abzusagen. Man musste entweder sparen oder Wege suchen, fehlende finanzielle Mittel zu finden. Da die Sänger sich vertraglich schon festgelegt hatten, hätte es teurer werden können, die Produktion aufzugeben. So wie der „Ring“ konzipiert war, mit einem Bühnenelement und projektionsabhängigen Veränderungen der Szenografie für alle vier Opern, würde man beim Aufgeben der geplanten Produktion doch nicht so viel sparen können wie verlangt. Deswegen wurde die Entscheidung getroffen, doch mit der Produktion fortzufahren. Bis dahin war der „Ring“ eine der teuersten Produktionen von Royal Opera House. Commercial Union Assurance Society Ltd und The Baring Foundation waren wichtige Partner, die eine beachtliche finanzielle Unterstützung179 beigesteuert haben. Ohne Hilfe aus dem privaten Sektor wäre die Produktion nicht umsetzbar gewesen. Die Opern-Welt gab bekannt, dass diese Produktion „die künstlerische, technische und finanzielle Leistungsfähigkeit des Hauses bis an die Grenze ihre Belastbarkeit in Anspruch nahm“.180 Man darf nicht vergessen, dass die Oper zur Zeit der schnell steigenden Inflation in Großbritannien 179 Annual Reports 1974/75, 1975/76, 1976/77 Royal Opera House Covent Garden Archive: Commercial Union Assurance Society Ltd steuerte für alle vier Oper insgesamt £105.000 (£30.000 Das Rheingold & Die Walküre, £35.000 Siegfried, £40.000 Die Götterdämmerung). The Baring Foundation investierte insgesamt £100.000 (£50.000 Das Rheingold & Die Walküre, £45.000 Siegfried, £5.000 Die Götterdämmerung). 180 Fabian: Die Tetralogie als Welttheater, in: Opern Welt, o.S.

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gemacht wurde. Ausgelöst durch die Ölkrise stieg die Inflationsrate von 9,2 % aus dem Jahr 1973 auf 16 % im Jahr 1974 und auf 24,2 % im darauf folgenden Jahr.181 Die Krise erschütterte natürlich auch das Royal Opera House. Um die finanzielle Lage zu sichern, hätten die Aufführungen ausverkauft sein oder die Eintrittspreise erhöht werden müssen. Letzteres wurde aber vom Vorsitzenden des Boards Sir Claus Moser abgelehnt, als etwas, was sich auf lange Sicht als kontraproduktiv erweisen könnte. Zusätzlich entstand ab 1974 die Tendenz, dass die staatliche Finanzierung regionale und kleinere Kulturinstitutionen statt der großen und etablierten Londoner Häuser, wie Royal Opera House, bei der Aufteilung des Budgets bevorzugte. Am Ende der Spielzeit 1974/75 bestand ein Defizit von £150.000 im jährlichen Bericht des Royal Opera House, und diese Summe verdoppelte sich am Ende der Spielsaison 1975/76. „Of course standards cost money“ rechtfertigte Sir Claus Moser die Situation auf der jährlichen Sitzung, - „but in financial analyses our survival as a great international house must depend on the government.“ 182 Diese staatliche Finanzierung des Hauses (Arts Council Grant) betrug £2.550.000 für das Jahr 1974 und £3.350.000 für das Jahr 1975, was den steigenden Kosten durch die Inflation entsprechend proportional war. Die Kürzungen des Budgets waren zwar notwendig, die Politik des Hauses lehnte aber entschieden die Minderung des künstlerischen Standards ab und fand den Weg nur durch die Kofinanzierung aus dem privaten Sektor, um diese Ziele zu erreichen. Abgesehen von der Verschiebung der „Siegfried“Premiere aus finanziellen Gründen von Mai auf September 1975 und „Die Götterdämmerung“ von September 1975 auf September 1976, wurden alle Opern wie geplant umgesetzt. Sir Claus Moser erläuterte 1976 seine Sicht über die Situation der Finanzierung und warnte vor möglichen Folgen der Krise: „We have, as I have said, made stringent economies in order to keep within our causing fundamental or irreparable damage to artistic standards. But this is a finite process. Regular cuts in expenditure must affect standards, and could in the end inflict damage which would take years to make good again.“ 183

Die Spekulationen in der Presse über die Gesamtkosten von einer Viertelmillion Pfund wurden durch John Tooley vom Royal Opera House Covent Garden dementiert mit der Aussage: „(...) the figure is well under £200.000 and it covers all four parts of the ‘Ring’“.184 Die Kosten der Produktion waren 181 Die höchste Inflationsrate Großbritanniens von 1917 (22%) bis 2011 (4,8%). 182 Annual Report 1974/75, Royal Opera House Covent Garden Archive. 183 Annual Report 1975/76 (c), Sir Claus Moser, Royal Opera House Covent Garden Archive.

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vielleicht im Jahr 1974, aus der die Aussage stammt, noch gültig, aber bis 1976 überstiegen mit der galoppierenden Inflation die Kosten dennoch die genannte Summe.185 Die Presse hat vor allem oft bestimmte Kosten hervorgehoben, um den verschwenderischen Charakter der Produktion zu betonen. In dem Fall von speziell angefertigten Linsen für den Hof der Gibichungen wurde die Summe von £10.000 erwähnt, die für große Aufregung sorgte. Eigentlich waren nur die drei Glaslinsen (arc-lamp diffusion lenses) aus Japan mit 1,80m Durchmesser tatsächlich teuer und haben insgesamt £4.400 gekostet. Die restlichen Paneele wurden überwiegend in den Werkstätten des Royal Opera House angefertigt. Der berühmte Drache mit £3.400 Herstellungskosten (The Sunday Telegraph) wurde auch oft in den Presseartikeln als Beispiel einer kostspieligen Investition erwähnt. Das Ende des zweiten Aktes wurde als „die teuersten fünfzig Sekunden“ (Die Zeit) beschrieben, wo vierzig Personen in extravaganten Kostümen die Hochzeitsprozession bildeten. Sicherlich war die Produktion finanziell anspruchsvoll, aber wenn man sie mit anderen Produktionen im Royal Opera House in der Spielzeit 1974/75 vergleicht, wie z.B. „Faust“ (£83.522) oder „Un Ballo in Maschera“ (£74.986), stellt sich heraus, dass die einzelnen Opern eigentlich nicht viel teurer waren als die anderen ambitionierten Projekte des Hauses. Das Gesamtbudget für Szenografie und Kostüme wurde zwar bei „Das Rheingold“ und „Die Walküre“ um £40.072 überzogen,186 aber diese Kosten mit dem Voranschlag zu vergleichen, ist wegen unvollendeter Ausarbeitung der Entwürfe zurückzuweisen. Dies wird auch in den Archivberichten begründet. Die Ausgaben für „Siegfried“ zum Beispiel blieben im geplanten Rahmen. In der Spielzeit 1974/75 wurden jeweils viermal „Das Rheingold“ und „Die Walküre“ aufgeführt. In der nächsten Spielzeit 1976/77 wurden diese beiden Inszenierungen nochmals jeweils dreimal aufgeführt, auch von „Siegfried“ gab es vier Vorstellungen. Die Spielzeit 1976/77 zeigte zweimal alle vier Opern des „Ring“-Zyklusses und einmal zusätzlich „Die Götterdämmerung“. Alle Aufführungen zwischen 1974 und 1976 der „Ring“-Inszenierungen waren zwischen 90% und 93% ausgelastet.

184 Tooley: Covent Garden Pressebericht. The Guardian, o.S. 185 In jährlichen Berichten des Royal Opera Houses (Annual Reports 1974/75, 1975/76, 1976/77) sind die tatsächliche Kosten der Produktion zu finden: £263.830 - davon £115.913 „Das Rheingold“ und „Die Walküre“; £60.808 „Siegfried“ und £87.109 „Die Götterdämmerung“. 186 Die Kosten für Szenografie und Kostüme für „Das Rheingold“ und „Die Walküre“: £132,539, bei geplanten £92,467.

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Postskriptum 4 Starke Konzepte in der Szenografie laufen immer Gefahr, das Ensemble oder in diesem Fall die Musik in den Schatten zu stellen. Jeremy Noble schrieb für Sunday Telegraph: „Hardly a moment of the music is left to tell its own story or create its own atmosphere, not even the orchestral preludes with which Wagner always asserts the primacy of the ear over the eye.“ 187

Die schlechte Sicht auf die Szenografie und das Geschehen auf der Bühne wurde oft erwähnt, besonders die einschränkenden Sichtlinien von den höheren Galerieplätzen. Der Spiegelungseffekt der Rheintöchter, Projektionen auf dem Rundhorizont, Walhall oder die Walküren-Szene waren von der Galerie aus nicht zu sehen. Svoboda wurde in einem Artikel sogar die Banalität im Design vorgeworfen.188 Alan Blyth schrieb in der Zeitschrift Opera: „As it is, Svoboda and to some extent the producer are happier in projecting more concrete ideas, the whole of „Rheingold“, the „Siegfried“ dragon, the Gibichung court, much less certain in evoking poetry (Forest Murmurs and Woodbird, the second Rhinemaiden scene) or the epic quality of, say, the Ride of the Valkyries and the Immolation, whose staging is not far from being banal. Just when one wants to be carried out of oneself in most of Akt 3, „Walküre“, and „Götterdämmerung“ from Siegfrieds death onwards, our guides fail us. In the elaboration of detail, something of the work´s grandeur and emotional strength has been lost.“ 189

Dominic Gill kritisierte in der Financial Times die Darstellung des Rheins über der verspiegelten Seite der Plattform – „a bitty, flickery place more reminiscent of a weird nightclub basement than a river-bed“.190 „Die Walküre“ wurde besonders kritisiert, vor allem im Jahr 1976 als alle vier Teile retrospektiv hintereinander gezeigt wurden. Max Loppert schrieb für Financial Times: „What seemed wanting, strongly though not crucially, in Friedrich´s „Rheingold“ – the ability to amplify emotional warmth and grandeur as there is in the music – is a loss that ultimately cripples „Die Walküre“-“.191 Daily Telegraphs Bemerkung war: 187 Noble: Rubbing it in, in: Sunday Telegraph, o.S. 188 Blyth: London Opera Diary, in: Opera, o.S. 189 Ebd., o.S. 190 Gill: Das Rheingold, in: The Financial Times, o.S. 191 Loppert: Die Walküre, in: Financial Times, o.S.

„der ring des nibelungen“ (1974-76) 181

„Potency of „Valkyrie“ only fitfully realised“.192 Philip Hope-Wallace rezensierte „Die Walküre“ im Guardian folgendermaßen: „The scenery, second time round in the case of this item in the tetralogy, seems unobtrusive; seldom helpful in the matter of placing, dimly old fashioned in the matter of too long scurrying clouds and wheeling, ip-ended divans and the bird costume „alienates“ form at least the heroine who needs in this opera´s climax to be very much the demigod daughter, not a pelican with a merely gleaming instrumental ton.“ 193

Bryan Robertson, der in Spectator die Szenografie für „Die Götterdämmerung“ scharf kritisiert hat, beschrieb die Szene der Opferung Brünnhildes als „angrily business-like Modesty Blaise shooting her way out of the wrong set – Dr. No´s laboratory“.194 Nichtsdestotrotz würdigte sogar Robertson, als einer der schärfsten Kritiker, die Inszenierung als „one of the great achievements of our time“ und hob Svobodas Verdienste dafür hervor, aber bemerkte auch folgendes: „he does have a recurrent tendency to inflate a simple technical device or get carried away with designers´materials without the transformative energy to keep the device or those materials in their place“.195

192 K.N.: Potency of Valkyrie, in: Daily Telegraph, o.S. 193 Hope-Wallace: Siegfried, in: Guardian, o.S. 194 Robertson: The last light show, in: Spectator, o.S. 195 Ebd., o.S.

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ERGEBNISSE UND DISKUSSION Fazit

Die Szenografie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist nicht einfach zu klassifizieren. Sie entzieht sich erfolgreich den strukturalistischen Versuchen, klare Umrisse der Stilrichtungen zu definieren. Die Einflüsse aus Kunst, Architektur und Medien waren in den ersten Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg vielfältig. Kombiniert mit traditionellen Techniken entstand eine Mischung verschiedener visueller Ausdrucksformen, die unabhängig von der Mode und den aktuellen Entwicklungen in den verwandten Disziplinen den dominanten Stil ständig variierte. Zu dieser Zeit existierten parallel mehrere Stilrichtungen in der Szenografie, die nicht selten nur lückenhafte Kontinuität aufweisen. Deswegen kann man die vier vorgestellten Produktionen von Kenny und Svoboda als nur eine von vielen fragmentarischen Einheiten betrachten, die diese Untersuchung zusammenfasst. Die Konstante bzw. das Leitmotiv war in diesem Fall die technische Erneuerung, die dem höchsten Stand der Technik zu der Zeit entsprach. Sie steuerte zwei Entwicklungsrichtungen, die hier zu beobachten sind: die Entfernung von den mechanischen Systemen der Guckkastenbühne, indem die Produktionen wie zum Beispiel „Clownaround“ in die neuen Räumlichkeiten verlegt wurden, und die Erneuerung bzw. die Erweiterung der existierenden Theatermechanik des Proszeniumtheaters, wie die Produktionen „Oliver!“, „Blitz!“ oder „Der Ring“ nachweisen. Diese Innovationen ermöglichten die unabhängige Bewegung der szenografischen Elemente, demonstrierten die Anwendbarkeit neuer Technologien und der Kinetik als Mittel für die schnellere Veränderung des Bühnenraumes und befreiten die Szenografie von den vorgeschriebenen Bewegungsmustern der klassischen Theatermechanik. Das kinetische Potential wurde als Metapher für dramaturgische Wendepunkte, für die innere Veränderung der Handlungsträger oder für den Verlauf der Zeit benutzt und übernahm damit eine aktive Rolle in der Inszenierung. Das Entwerfen einer Szenografie fängt immer mit dem Skript oder dem Libretto an. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob die Verwendung der Technologie und die Einführung einer technischen Verbesserung in Verbindung mit der narrativen Struktur der Textvorlage1 oder dem Setting2 gebracht werden kann. Die episodenhafte Erzählstruktur der Originalvorlage von Dickens‘ „Oliver Twist“ wurde im Musical „Oliver!“ verlassen und der vereinfachte Kern der 1 Prince: Narratology, in: From Formalism to Poststructuralism, 130. 2 Ebd., 124f.

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Geschichte als klassisches Drei-Akt-Drama mit zwei Wendepunkten dargestellt. Sowohl die lineare Erzählstruktur der Abenteuer des Waisenkindes Oliver als auch die sieben verschiedenen Motive verlangten explizit keine Innovation in der Szenografie. Das Musical „Blitz!“, eine Mischform des Brechtschen epischen Theaters mit Shakespeares Drama-Elementen, hatte mehrere Erzählebenen und den Anspruch, eine neue zeitgemäße Form des Musicals zu etablieren. Der Realitätsanspruch in der Inszenierung von Luftangriffen auf London und die schnelle Veränderung von 13 verschiedenen Szenen verlangten in diesem Fall nach einer innovativen Lösung. Der Einsatz neuer Technologie ergab sich sowohl aus der narrativen Struktur (parallele Erzählebenen) als auch aus den Anforderungen durch die vielen Motive. Das Musical „Clownaround“ hatte keine narrative Struktur, keine Geschichte und keine Setting-Vorgaben, die einzelne Auftritte verbindet. Die einzigen gemeinsamen Bindeglieder waren die Clowns. Die Erneuerung kam definitiv nicht aus dem Libretto, sondern aus der Theaterform. Die Musical-Extravaganza, eine Sonderform des Theaters, hatte den Anspruch, die Zuschauer durch jegliche Art von Effekten zu unterhalten und benötigte die extravagante szenografische Lösung. Sie war unabhängig von den Anforderungen des Librettos gewünscht. Die vier „Ring“-Opern haben eine komplexe narrative Struktur des Märchens und des Mythos.3 Eingebettet in die Tradition des 19. Jahrhunderts, verlangte die Geschichte selbst nicht nach der Innovation in der Szenografie. Sie ergab sich aus der Anforderung der Zeit und der Absicht des Theatermanagements, mit der Tradition zu brechen. Wie man sieht, war die Auseinandersetzung mit der Technologie nur in einem Fall („Blitz!“) in dem Skript bzw. dem Libretto verankert, was aber nicht die einzige zu klärende Frage darstellt. Die Suche nach dem Ursprung der Erneuerung führt zu den Arbeitsprozessen und dem Weg der Entstehung von Kennys und Svobodas vorgestellten Produktionen. Aus den vorhandenen Informationen über die Vorbereitungsphase des kreativen Teams gehen keine Hinweise darauf hervor, dass die Regisseure oder die Theater-Managements Einfluss auf den gestalterischen Aspekt der untersuchten Szenografien nahmen. Aus der Rekonstruktion der Arbeitsprozesse der szenografischen Teams ist dagegen zu sehen, dass in allen vier Inszenierungen nicht allein die Szenografen für die Innovationen verantwortlich waren. Im Endeffekt waren sie nur die Urheber der Konzept-Idee. Für den Entwurf, die Ausarbeitung und die Umsetzung waren die fachspezifischen Ingenieure mit ihren Teams verantwortlich. Die Ingenieure waren in den Entwurfsprozess als Teil des kreativen Teams einbezogen und beeinflussten in der Entwicklungsphase die Entstehung des Endproduktes. Die Konzept-Idee erlebte mehrfache Transformationen auf 3 Ebd., 112ff.

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dem Weg zur ihrer Realisation. So gesehen ist die Neuerung dem technischen Team zuzuschreiben und nicht den Szenografen, wobei sie aus schon existierenden Elementen bestand (Elektro-Motoren für „Oliver!“, RaketenSteuerung für „Casino de Paris“, Intercom für „Blitz!“). Die technologischen Innovationen im Theater wurden zwar oft aus der Industrie übernommen, mussten aber für die spezifischen Bedürfnisse der Inszenierungen angepasst, verändert oder neu entworfen werden. Sowohl Kenny als auch Svoboda waren in der Position der Auftraggeber, die keine präzisen Vorstellungen über die technischen Möglichkeiten und der Optionen bei der Umsetzung ihrer Ideen hatten. Die Anweisungen der Szenografen erfolgten hauptsächlich mündlich und die Demonstration der Bewegungsrouten in machen Fällen mit Streichholz-Schachteln. Ohne Kooperation mit den Fachingenieuren hätten die Innovationen nicht zustande kommen können. Anderseits waren die Szenografen die Ideengeber und ohne deren Vorstellungskraft von neuen kinetischen Mustern wären die Innovationen gar nicht entstanden. Die Feststellung der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Szenografen und ihren technischen Teams zeigt nicht nur die Natur der interdisziplinären Muster in den vorgestellten Arbeiten von Kenny und Svoboda auf. Sie deutet darauf hin, dass der Fortschritt und die Weiterentwicklung der Szenografie der 1960er und 1970er Jahre nur in der kreativen Kooperation mit anderen Disziplinen umsetzbar waren. Die kreative Zusammenarbeit fing beim Entwurf an und verlief über alle Entwicklungsphasen bis hin zur Anfertigung der Szenografie als Endprodukt. Eine weitere Station in der Erarbeitung der Frage nach dem Ursprung der Erneuerung führte mich ausserhalb der konkret untersuchten Theaterereignisse in die Zeit, bevor sich Kenny und Svoboda mit der Problematik der Szenografie und der Theaterarchitektur auseinandergesetzt hatten. Ihre Ausbildung war durch zwei wichtige Vertreter der Moderne, Frank Lloyd Wright und František Tröster, geprägt und deren Einfluss darf nicht übersehen werden. Beide gehörten der ersten Liga der internationalen Designszene an. Die Anwendung von Prinzipien der Moderne aus der Architektur auf die Szenografie war ein fließender Übergang, weil Kenny und Svoboda die Szenografie nicht als Dekoration, sondern als dreidimensionalen Raum verstanden haben. Weil sich der Raum unter den dramaturgischen Aspekten verändern musste, um jegliche Art von Veränderungen auf der Bühne (Settings, Handlungsträger, Zeit) wiederzugeben, sah man in der Technologie ein Mittel, dieses Ziel zu erreichen. Beide haben immer betont, dass sie Architekten sind. Der Kern ihres Bedürfnisses, die Szenografie zu modernisieren, lag eindeutig in der ArchitekturModerne und ihrem Versuch, universelle Richtlinien für die Dramatisierung des Raumes zu formulieren. Daraus wurden auch interdisziplinäre Muster und die Veränderung der bis dahin üblichen Arbeitstrukturen im Theater abgeleitet.

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Im Musical „Oliver!“ wurden szenografische Elemente verwendet, die sich durch Fernsteuerung und entlang festgelegter Routen bewegen konnten. Für die Veränderungen der drei mechanisierten, szenografischen Gruppen wurde nur noch ein Techniker gebraucht. Im Musical „Blitz!“ konnten vier unabhängige szenografische Einheiten die Bewegungen in allen Richtungen frei umsetzen, unabhängig von der Theatermechanik. Pro Einheit wurde ein Techniker gebraucht, um diese Veränderungen umzusetzen. Dazu kam noch die mobile Brücke, die entlang der festgelegten Route sowohl ihre vertikale als auch ihre horizontale Position durch Fernsteuerung ändern konnte. Dafür war nur ein Bühnentechniker nötig. Clown Machine in der Musical-Extravaganza „Clownaround“ war die Konzeption der Szenografie als Maschine. Es handelt sich hier um die Wiederentdeckung und die Weiterentwicklung einer Idee, die das russische Theater bereits Anfang des 20. Jahrhunderts etabliert hatte.4 Die Darsteller selbst übernahmen die Steuerung dieser Maschine und ersetzten zum Teil die Bühnentechniker bei den Aufführungen. Die kinetische Spielfläche in der Oper „Der Ring des Nibelungen“ wurde selbst ein Teil der Szenografie, die über das Schaltpult von einem Techniker gesteuert werden konnte. Diese neuen szenografischen Lösungen reduzierten die Anzahl von Bühnentechnikern bei den Aufführungen, verursachten aber die Aufstockung der Mitarbeiter während der Vorbereitungsphase und beeinflussten damit die strukturellen Veränderungen in der Theaterorganisation – 300 Arbeitskräfte im Einsatz („Blitz!“), über mehrere Monate 60 beschäftigte Fachkräfte („Casino de Paris“) oder sechs bis sieben Teamleiter, die Teams von Technikern, Elektrikern und Beleuchtern koordinierten („Ring“). 12 Stunden Schichten rund um die Uhr wurden eine gängige Erscheinung in den Endphasen der Produktionen. Die Ingenieure, als feste Teammitarbeiter in allen vier Produktionen, holten ihre fachspezifischen Teams an Bord. Der finanzielle Aufwand, der durch die Beschäftigung von so vielen Mitarbeitern entstand, wurde durch die Reduzierung der Bühnentechniker während der Aufführungen gerechtfertigt. Die automatische Steuerung der Szenografie für die Broadway-Produktion von „Oliver!“ bedeutete für den Produzenten David Merrick, wie die Herald Tribune berichtete,5 eine Reduzierung der beschäftigten Bühnentechniker von 30 auf 19. Die West-End- Produktion von „Oliver!“ konnte die Zahl der Mitarbeiter von 50 auf 13 reduzieren. Man darf nicht die Natur des Musical-Geschäftes, sowohl am Londoner West End als auch am Broadway, aus den Augen verlieren. Die „stop clause“ in noch erhaltenen Verträgen für die Broadway Inszenierung von „Oliver!“ zeigt deutlich, das es hier um ein Geschäft mit klar vereinbarten Einnahmebeträgen handelt. Laut Vertrag mit 4 Baugh: Theatre, Performance and Technology, 62. 5 O.N.: Stuart W. little: “The More It Changes...”, in: Herald Tribune, o.S.

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Imperial Theatre (New York) vom Dezember 1963 lag die Mindesteinnahme bei $34,000,- für das erste Jahr, $36,000,- für die nächsten vier Monate und $38,000,- für weitere vier Monate. Die Aufteilung des Profites: 25-30 % Theater Anteil und 70-75 % Produzenten Anteil.6 Bezüglich des finanziellen Erfolgs haben die vier Produktionen unterschiedliche Ergebnisse vorzuweisen. „Oliver!“ war ein Kassenschlager, „Blitz!“ hatte zwar das investierte Kapital einspielen können, brachte aber keine Gewinne und „Clownaround“ erwies sich als Flop und führte zur Insolvenz der Produktion. Die vier „Ring“-Opern hatten für alle Aufführungen zwischen 90 % und 93 % Besucherauslastung und wurden als Erfolg gefeiert. Der Anzahl der Aufführungen weist nicht darauf hin, dass die Produktion das investierte Kapital zurück brachte, dies wurde aber auch nicht erwartet. Die Finanzierung der Oper war und ist heute noch, unabhängig von dem Erfolg ihrer Produktionen, auf Subventionen angewiesen. Anders als das WestEnd Theater konnten selbst die erfolgreichen Produktionen ihre finanziellen Ausgaben nicht durch die Eintrittskarten begleichen. Noch etwas ist bezüglich der Finanzierung anzumerken. Abgesehen von „Oliver!“ handelt es sich hier um groß budgetierte Produktionen, die zu ihrer Zeit den üblichen Rahmen sprengten. Dies erzeugt noch eine Abhängigkeitsebene, die zwischen dem Budget und der technischen Innovation in der Szenografie steht. Aus diesem Grund konnten innovative Ideen entweder in kommerziell orientierten Theaterhäusern oder in staatlichen Institutionen, die eine zusätzliche Finanzierung durch private Investoren hatten, umgesetzt werden. Wie Svoboda oft betonte, kamen alle seine Erneuerungen im klassischen Theater aus Ausstellungsprojekten, wo die Budgets deutlich größer waren.7 Die kommerzielle Natur des Musicals war ein fruchtbarer Boden für die Auseinandersetzung mit der Technologie, weil die üblich langen Spielzeiten eine langfristige finanzielle Sicherheit und Profit garantierten. Im Fall vom Royal Opera House handelte es sich um was anders – ein Bewusstsein darüber, dass Qualität und Innovation im Theater Geld kosten und dass Wege gefunden werden müssen, diese zu ermöglichen. Als Wahrnehmungsapparate knüpften diese vier Szenografien an die Erkenntnisse der Theateravantgarde an und demonstrierten weitere Facetten der Gefühls- und Perzeptionsebenen in größeren Maßstäben.8 Die Drehung der Segmente der Holzbalkenkonstruktion in „Oliver!“ hatte den Charakter eines überdimensionierten Chronograph-Mechanismus des 19. Jahrhundert, der als Zeichen für die erfinderische viktorianische Epoche fungierte. Die 6 Aus dem Vertrag für „Oliver!“ zwischen David Marrick und Select Theatres Corporation, 31. August 1965 (The Shubert Archive, New York). 7 Svoboda/Burian: The secret of theatrical space, 26. 8 Fischer-Lichte: TheaterAvantgarde, 327.

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industrielle Revolution stand für Progress und den unaufhaltsamen Fortschritt der Technik, die in Form von neuen Apparaten und Maschinen nicht nur in das menschliche Leben, sondern auch in die Szenografie eindrangen.9 Die stop-motion Szenografie schaffte die Atmosphäre einer vergangenen Zeit durch ihr Leitmotiv des verfremdeten Uhrwerkmechanismus, das so bildhaft in dem George Méliès Homage-Film „Hugo“ 10 zur Atmosphäre des 19. Jahrhunderts beitrug. Die kinetischen Elemente der Szenografie für „Blitz!“ trugen sowohl zur Reminiszenz der Angstzustände, die durch die Zerstörungseffekte der Bombardement-Szenen dargestellt wurde, als auch zur Kriegsnostalgie, die mit schneller Verwandlung der bekannten Motive in Schutzbunker inszeniert wurde, bei. Die Dominanz der Szenografie gegenüber den Schauspielern, ein oft benutztes Argument der Gegner von starken, kinetischen Bühnenkonzepten, wurde in „Blitz!“ dramaturgisch gelungen umgesetzt. Die räumliche Wirkung der abrupten Veränderung der Straßenfronten, durchgeführt mit der Bewegung der Hauseinheiten und der Brücke, erinnerte an die Veränderung des Stadtbildes nach den Angriffen der deutschen Luftwaffe auf London. Der fließende Raum bebilderte die durch den Krieg verursachte Metamorphose des Stadtviertels East End und des Lebens seiner Bewohner. Die Benutzung der Metapher in „Clownaround“ folgte dem „Kaninchen-aus-dem-Hut“ Konzept. Die Clown Machine hatte den Charakter einer überdimensionierten Zauberkiste, die sich andauernd vor den Augen der Zuschauer verwandelte. Die Assoziationen an die Requisiten eines Zauberkünstler waren zahlreich: eine Fahnenkette (70 Akteure auf der Clown Machine mit winkenden Fahnen), eine Taube aus einem Hut (Chrys Holt, mit ihren Haaren an einen riesigen Ballon befestigt, schwebte über die Arena), eine Tierdressur (Animal Band mit trainierten Hunden) oder ein Levitationstrick (Carillo Brothers Seil-Akt). Im Unterschied zur kindergerechten Benutzung der Metapher in „Clownaround“ war der Wirkungsapparat der mobilen Plattform in der „Ring“-Inszenierung etwas subtiler und komplexer. Die Eröffnungsszene, in der sich die Plattform von dem Bühnenboden abhob und um die vertikale Achse drehte, etablierte eine zusätzliche Spielebene, stand aber zusammen mit der Laserprojektion metaphorisch auch für die Entstehung der Welt. Die Drehung der Plattform illustrierte den unaufhaltsamen Verlauf der Zeit und ihre zahlreichen Positionen für die dadurch verursachten Veränderungen der Welt im Laufe der Geschichte. Die Reflexionen der Spiegelfolien assoziierten die Reflexionen des Wassers, die Streifen der Plastikfolie stellten den Wald dar und die Vergrößerungsscheiben brachten die Illusion der filmischen Montage. Der Einsatz des kinetischen Potentials der Bühne als Wahrnehmungsapparat 9 Baugh: Theatre, Performance and Technology, 11ff. 10 „Hugo“ (2011), Regie: Martin Scorsese, Szenenbild: Dante Ferretti.

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war in allen vier Produktionen reich an Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten und betonte dadurch die dramaturgischen Höhepunkte. Der rein visuelle Aspekt der vorgestellten Produktionen ist aus heutiger Sicht etwas weniger interessant als ihre konzeptuellen Veränderungen. Obwohl Kenny eine Abstraktion im Design der Spielorte in den Produktionen „Oliver!“ und „Blitz!“ anwendete, wirken beide Szenografien sehr altmodisch für die 1960er Jahre. Das bemalte Stadtpanorama als Rücksetzer im „Oliver!“ oder der Anspruch an realistisch nachgebaute Originalschauplätze im „Blitz!“ sind die mitgeschleppten Überreste der szenografischen Tradition, die schon von der Theateravantgarde der 1920er Jahre abgeschafft worden waren. Man darf dabei nicht vergessen, dass es sich hier um Produktionen für das kommerzielle MusikTheater handelt und ihre Ästhetik demensprechend gestaltet wurde. Kennys Szenografie für die Produktion „Lily White Boys“ (Royal Court Theatre) aus dem gleichen Jahr wie „Oliver!“ beeindruckt mit ihrer Einfachheit und Klarheit der Komposition, die sehr fortschrittlich für die Zeit anmutet. „Clownaround“ und „Der Ring“ haben es geschafft, die szenografische Tradition endgültig hinter sich zu lassen, indem sie neue Materialien verwendeten und sich mit der neuen ästhetischen Formensprache beschäftigten. Wenn auch diese Szenografien mit den reflektierenden Materialien wie Spiegel, Edelstahl oder Chrom neue ästhetische Akzente setzten, bezeugen sie den Tribut an die Mode der 1970er Jahre und bleiben deswegen der Zeit ihrer Entstehung eng verbunden. Die visionären, ästhetischen Ansätze, die manchen Beispielen aus der Architektur der 1970er Jahre gelungen sind,11 schafften sie leider nicht. Dennoch vermindert diese Tatsache nicht ihre Bedeutung, weil diese nicht in ihren ästhetischen Qualitäten liegt. Die letzte und die wichtigste Ebene, die aus dieser Arbeit folgt, ist die Auswirkung der vorgestellten Produktionen. Die Auseinandersetzung mit dem kinetischen Bühnenraum ging bei den beiden Szenografen über die Bedürfnisse der konkreten szenografischen Lösungen hinaus und positionierte sie als aktive Mitstreiter in dem Diskurs über die neuen Theatergebäude der 1960er und 1970er Jahre. Als ausgebildete Architekten, die sich in der Szenografie beruflich verwirklicht haben, kamen Kenny und Svoboda zu dem gleichen Ergebnis – für die weitere Entwicklung der Szenografie sind neue Theatergebäude nötig. Eine anfängliche Tendenz war, einen universellen Raum zu erschaffen, der seine Innen- und in Kennys Fall auch Außenform schnell verändern konnte. Wie in dieser Arbeit vorgestellt, haben Svoboda und Kenny zahlreiche Studien, Konzepte und konkrete Entwürfe angefertigt, um diese Idee zu untersuchen und die Möglichkeiten zu prüfen. Manche Ideen wurden zwar in vereinfachter

11 Kenzo Tanges Kuweit Botschaft (1970) in Tokyo.

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Form realisiert (Sussex University Theatre), ihre Konzepte des flexiblen Theaters fanden aber nie einen fruchtbaren Boden. Kenny war sich bewusst, dass es keine „richtige“ Theaterform gibt und befand deswegen einen leeren, neutralen Raum als eine gute Ausgangsposition. Von da aus konnte man, wie er glaubte, verschiedene Konzepte von innen heraus in einer organischen Art entstehen lassen. Er initiierte das Gespräch zum Thema zu einer Zeit, als das in der Tradition Großbritanniens verankerte Proszenium-Theater sich als einzige richtige Lösung etabliert zu haben schien. Seine Tätigkeit als Szenograf begann Ende der 1950er Jahre, als in Großbritannien schon viel über die Zwänge der Proszeniumbühne diskutiert wurde. Das Mermaid Theatre, in dem sich die vorhanglose Bühne auf gleicher Ebene wie das Publikum befand, wurde 1959 eröffnet und vom Publikum begeistert aufgenommen. Eine weitere offene Bühne befand sich im Chichester at Stratford, einem Theater, das im Jahr 1962 fertig gestellt wurde. Dieses Theater hatte aus finanziellen Gründen einige Nachteile. Aus Mangel an Erfahrung fanden die Regisseure außerdem keinen passenden Weg, die offene Bühne zu bespielen, was schnell zu Vorurteilen über die experimentellen Räume führte. Das Problem der Positionierung von Schauspieler und Szenografie auf einer Bühne, die von allen Seiten einsehbar war, dienten als Hauptargument, zu dem traditionellen Proszenium zurück zu kehren. Einer der letzten Versuche die experimentelle Bühne in Großbritannien zu etablieren fand 1963 mit der Fertigstellung des Nottingham Playhouse statt, einem zum Teil verwandelbaren Theater mit einem kreisförmigen Auditorium. Gleichwohl war die Theaterinfrastruktur in Großbritannien während der 1960er Jahre in einem Zustand12, als sei die Zeit stehen geblieben. Mit konkreten Beiträgen (Sussex University Theatre, Winter Garden Theatre) war Kenny direkt an der Etablierung alternativer Theaterkonzepte in Großbritannien beteiligt. Er nutzte seine Popularität als Szenograf, um diese Ideen voranzutreiben, aber die Entscheidungsträger waren nicht an dem neuen Konzept interessiert. Mit wenigen Ausnahmen waren für die entstandenen, experimentellen Bühnen in erster Linie die Theatermacher selbst verantwortlich und haben ihre Ideen in eigener Regie mit begrenzten Mitteln umgesetzt – Bernard Miles (Mermaid Theatre) war Regisseur, Drehbuchautor bzw. Schauspieler; Jim Haynes (Edinburgh Traverse) war Autor und Theatermacher; Peter Hall (Barbican Theatre) war Regisseur und Autor.

12 Richard Pillbrow, der Light Designer für „Oliver!“ und „Blitz!“, berichtete über den Zustand der Theater in Großbritannien in dem Essay „Stages and Scenery“: „There is hardly one theatre in Britain to-day with a wholly efficient stage and auditorium of any type, and our designers and directors are constantly beset by limitations of out dated (or non-existent) equipment, appalling cramped conditions and bad sight-lines and acoustics.“ (Pillbrow: Stages and Scenery, o.S.)

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Stephen Joseph13, der sich für die Einführung der Raumbühne (theatre in the round) in Großbritannien engagierte, hatte den gleichen Wunsch wie Kenny – dem Theater seine ursprüngliche gesellschaftliche Rolle als „entertainment of people by people“ wiederzugeben.14 Kennys Wunsch war es, einen Ort zu schaffen, der Kirmes, Museum und Theater vereint. Dort könnten die Kinder mit Luftballons in der Hand an Picassos Gemälden vorbei laufen, während sich ihre Eltern nebenan ein Theaterstück anschauen. Das war Kennys Vision des wahren Theaters (the real theatre). Seiner Meinung nach würden solche Orte die Kunst wieder mit dem Leben verbinden und das Theater für ein breiteres Publikum zugänglich machen. Die Hinterlassenschaft von Kenny ist vielschichtig. Seine innovativen Arbeiten haben die Szenografie Großbritanniens eindeutig revolutioniert, die Arbeitsweise und das Berufsbild geändert. Er prägte die Hi-Tech-Szenografie mit und bereitete den Weg für eine weitere Verästelung dieser Bewegung vor. Es handelt sich um die Szenografie für die großen Arena-Shows und für die Stadion-Konzerte. Inspiriert durch die Archigram Ideen von reisenden Städten, die durch die multimedialen Spektakel wie Woodstock in den 1960er Jahren angeregt waren,15 entwickelte Mark Fisher (1947-2013) seit Ende der 1970er Jahre die kinetischen Bühnen für die Konzerttourneen der Rockbands. Die Szenografien für Pink Floyd- („Animal“ 1977, „The Wall“ 1980, „Division Bell“ 1994), The Rolling Stones- („Steel Wheels“ 1989, „Voodoo Lounge“ 1994, „Bridges to Babylon“ 1997) oder U2-Tourneen („ZooTV“ 1992, „Popmart“ 1994) stellten die Weiterentwicklung des Prozesses dar, den Kenny mit dem „Clownaround“ angefangen hatte. In der Auseinandersetzung mit der Hochtechnologie thematisieren diese Arbeiten die Zeit und das Image, die zwei wichtigsten Phänomene der kinetischen Architektur.16 In manchen Fällen („Steel Wheels“, „Voodoo Lounge“) handelte es sich um die skelettartigen Tragwerkkonstruktionen, die als Träger für kinetische Elemente der Szenografie dienten und dem gleichen Prinzip wie „Clownaround“ folgten. Eine weitere modifizierte Anwendung fand die Hi-Tech-Szenografie im Konzept von Mark Fisher für die Eröffnungs- und Schlusszeremonie der Olympischen Spiele in Peking 2008 und London 2012. Aus den Erkenntnissen, die Kenny aus den Hi-Tech-Experimenten gewann, folgten die Konzepte, die auch für Theorie und Praxis der Theaterarchitektur sehr wichtig sind. Diesbezüglich liegt sein Verdienst zum Teil in der 13 “In 1962, Stephen Joseph converted an abandoned cinema in Stoke-on-Trent into the Victoria Theatre, the first permanent theatre-in-the-round in the UK.” (Siehe http://www.sjt.uk.com/stephenjoseph.asp vom 02.03.2012.) 14 Wardle: Stephen Joseph “Theatre in the Round” / Arts in Society, in: New Society, o.S. 15 Holding: Mark Fisher, 19. 16 Ebd., 9.

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Realisation der Theaterhäuser, an denen er als eigenverantwortlicher Architekt oder als Mitglied des Teams gearbeitet hat. Sein theoretischer Beitrag liegt zum größeren Teil in Essays, Vorträgen und Interviews, die die öffentliche Kritik des veralteten Konzepts des Proszenium Theaters erheblich steigerten. Seine Visionen haben starken sozialkritischen Charakter, die dazu beitragen sollten, das Theater von der elitären Institution des Bürgertums zurück zu seinen Ursprüngen, der Unterhaltung für alle Bürger, zu verwandeln. Seine Beschäftigung mit neuen Formen der Theaterhäuser/Theaterorte resultierte bald in der Auffassung, dass es keine Idealform gibt. Deswegen propagierte er die Idee von einem (Hyper)body,17 einem leicht veränderbaren System, das den Bedürfnissen aller bekannten Theaterformen dienen kann. Als Vertreter der Nachkriegsmoderne konnte er sich leider nicht von dem Ideal einer universellen Lösung trennen und erkannte nicht die Gefahren und weiteren Einschränkungen, die solche Orte in sich bergen. Seine Ideen entstanden zu der Zeit als der strukturalistische Diskurs die Theorie und der Modernismus die Architektur (International Style) noch dominierte. Obwohl bereits Ende der 1960er Jahre die Dekonstruktion und der Poststrukturalismus in den theoretischen Diskursen auftauchten, erhielten sie keine breite öffentliche Aufmerksamkeit bis in die 1970er Jahre. Den Postmodernismus und den Dekonstruktivismus in der Architektur, die in den späten 1970er Jahre neue Denkmuster über den Raum erzeugten, hat er nicht mehr erlebt. Svobodas Oeuvre hat einen unverwechselbaren Beitrag zur szenografischen Praxis und Theorie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert geleistet. Die unzähligen Innovationen haben eine breite Facette an Stilrichtungen in der Szenografie geschaffen. Bereits 1946 legte er mit dem Theaterstück „The Hopeful Travellers“ einen Grundstein der Bewegung Action Scenography,18 die erst in den 1970er Jahren mit der nächsten Generation der tschechischen Szenografen ihr volles Potential entwickelte. Die wichtigen Vertreter waren Otokar Schindler, Jaroslav Malina und Miroslav Melena. Im Jahr 1963 gründete Jan Schmid Studio Ypsilon, das ein wichtiger Ort für die weiteren Experimente der Action Scenography wurde.19 Die neuen Stilrichtungen entstanden aber auch aus der Ablehnung von Svobodas szenografischen Konzepten. Als Antwort auf seine imposanten Hi-Tech-Szenografien der 1960er Jahre orientierten sich die jüngeren Szenografen an der arte povera, um die Schauspieler ins Zentrum des Spiels zu rücken und sie zu aktiven Gestaltern der Bühne zu machen.20 17 Oosterhuis: Hyperbodies, 17f. 18 „The bed came apart to form a garden, as needed; the wardrobe became a helicopter and pillows became flags.“ (Albertová: Josef Svoboda, 22.) 19 Brandevsky: Czech theatre design in the twentieth century, 61. 20 Ebd., 47, 61.

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Svoboda schöpfte auch aus der Kunst- und Kulturtradition seiner Heimat, die durch prä- und modernistische Einflüsse der Nachbarländer geprägt war, und dem kreativen Widerstand der Künste während schwieriger Zeiten in Tschechien. Die komplexen, politischen Umstände während und nach dem Zweiten Weltkrieg führten zur Benutzung von Metaphern als Möglichkeit für kritische Äußerungen. Wo das gesprochene Wort zensiert wurde, kam die Szenografie mit ihrer Mehrdeutigkeit zum Einsatz. Die Einflüsse kamen auch von den Prager Strukturalisten.21 Szenografie ohne semiotischen und dramaturgischen Wert wurde eliminiert und nicht mehr gebraucht. Die multifunktionale Eigenschaft und die polyvalente Bedeutung der Objekte auf der Bühne wurden von tschechischen Szenografen grundsätzlich erforscht. Zwischen 1958 und 1963 erhielten Tröster, Svoboda und Vychodil die wichtigsten internationalen Szenografie-Preise.22 Die Weiterentwicklung der Szenografie hörte selbst nach 1968 nicht auf, als die Zensur unter der eisernen Hand der Kommunisten wieder eingeführt wurde. Die Arbeit der experimentellen Theaterhäuser wurde toleriert, und die Künstler haben gelernt, mit der Zensur umzugehen. Svobodas Auswirkung auf dem Gebiet der Theaterarchitektur ist nicht weniger bedeutend als seine theoretische und praktische Arbeit in der Szenografie. Genauso wie Kenny versuchte er, einen universellen Raum zu schaffen, der flexibel ist und sich alle 25 Jahre mit wenig Aufwand verändern läßt. Er verstand, dass die Veränderungen im Theater schneller als in der Architektur kommen und dass dieses Kriterium bedient werden sollte. Er zeigte sich auch als Befürworter der (Hyper)bodys bzw. der räumlichen Systemen, die dem Fluss der stetigen Veränderungen folgen können. Svobodas spätere Konzepte für Theaterhäuser verzichteten auf komplexe Bühnentechnologie. Er kam zu der Schluss­folgerung, dass nur ein neutraler Ort mit einer einfachen Basisausrüstung in Kombination mit immer neuen, speziell für jede Aufführung angefertigten technischen Zusatzelementen der Bühnentechnik eine unbegrenzte Anzahl an Möglichkeiten bietet. Das ist genau der Ansatz, den die ambitionierte Hi-Tech-Szenografie am Anfang des 21. Jahrhunderts verwendet, um neue innovative Konzepte umzusetzen. Obwohl seine konkreten Konzepte des Theaters heute nur noch als eine Station in der Entwicklung der Theater- und Architekturgeschichte interessant sind, waren seine theoretischen Überlegungen tatsächlich visionär. Es ist aber nicht zu leugnen, dass die finanzielle Seite solcher Vorhaben dabei ausgeblendet wurde. Genau dieser Aspekt bestimmt aber, welche Art von Theater sich die Weiterentwicklung der Hi-Tech-Szenografie leisten kann. Darüberhinaus ist aus heutiger Perspektive 21 Ebd., 42.; Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters, 182. 22 Ebd., 46.

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zu bemerken, dass die zusätzlichen Veränderungen der Theater mit wenig Aufwand wie Svoboda es sich vorgestellt hatte, nicht umzusetzen sind. Wenige Beispiele der flexiblen Theaterrooms (Theatre/California Institute of the Arts, Theatre Room/University of Texas, Schaubühne in Berlin) zeigen die begrenzte Flexibilität der Theatermechanik, haben hohe Kosten für die Instandhaltung und teilweise aufwendige Bedienung.23 Obwohl es unmöglich ist, Svoboda und Kenny nur einer Stilrichtung der Szenografie zuzuordnen, weil ihr Oeuvre eine Vielfalt an verschiedenen Einflüssen aufweist, vereint beide Künstler die intensive Beschäftigung mit der Technologie und die Etablierung der Hi-Tech-Szenografie der 1960er und 70er Jahre. Hi-Tech-Szenografie kann man als Schaffung des kinetischen Raumes mit Hilfe von Hochtechnologie bezeichnen, die immer unter dem dramaturgischen Aspekt einer konkreten Vorlage umgesetzt wird. Kunstund kulturgeschichtlich gesehen wurde Sean Kenny, zusammen mit anderen einflussreichen Szenografen/innen Großbritanniens wie Joycelin Herbert, Alan Tagg und John Bury, der Bewegung new movement zugeordnet. Dies bezieht sich aber hauptsächlich auf die Produktionen „Sugar in the Morning“ (1959), „The Lily White Boys“ (1960) oder „Progress to the Park“ (1961), die sich an die Arbeiten von Casper Neher für Bertold Brechts Inszenierungen anlehnen. Sein wichtigster Beitrag zur Szenografiegeschichte liegt aber im Bereich des Musicals. Wie Clive Barnes in einem New York Post Artikel bemerkte: „... his influence on British stage design is incalculable. His imagination in the hightech use of modern theatrical technology, paved the way for all the British musical extravaganza which followed.“ 24 Zusammen mit Tröster und Vychodil gehört Svoboda zu den erfolgreichsten tschechischen Szenografen der Nachkriegszeit, denen der internationale Durchbruch gelang. Als innovativster, produktivster und einflussreichster Szenograf des 20. Jahrhunderts bleibt er eine Ausnahmeerscheinung. Die Vielfalt seiner Arbeiten entzieht sich einer Einordnung Svobodas zu einer bestimmten Stilrichtungen in der Szenografie. Deswegen ist sein Vermächtnis, wie auch das von Kenny, im breiteren Kontext der zweiten Generation der Modernisten einzuordnen.

23 Bellman: Scenography and stage technology, 94. 24 Barnes: Oliver! Revival, in: New York Post, o.S.

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Aktuelle Entwicklungen in der Hi-Tech-Szenografie Zur Demonstration der aktuellen Ambitionen in der Hi-Tech-Szenografie stelle ich im Folgenden zwei für diese Entwicklung stellvertretende Produktionen näher vor. Es handelt sich um die Las-Vegas-Produktion „Ká“ 25 des Cirque du Soleil und Macaos Wassershow-Extravaganza „The House of Dancing Water“.26 Der herrschende Trend in Las Vegas Anfang des 21. Jahrhunderts heißt high quality. Die Hotel- und Casino Manager wollen den Besuchern eine hohe Qualität der Angebote präsentieren, egal ob es sich um Casinos, Hotels, Restaurants oder um Unterhaltung handelt. Diesem Trend folgend entstand die Produktion „Ká“ von Cirque du Soleil, die speziell für MGM Grand als Dauershow entwickelt wurde. Die investierte Summe übertraf die Ausgaben für alle Broadway Produktionen aus dem Jahr 2004 und setzte neue Maßstäbe in der Unterhaltungsindustrie.27 „When you make that kind of investment“ sagte Gemal Aziz,28„- you want something spectacular to come out of it“.29 Der Umbau des existierenden Showrooms in MGM Grand dauerte 15 Monate. Abgesehen von der komplexen Technologie, die eingebaut werden musste, bekam der Theaterraum das mystische Flair eines Tempels. Die Idee für die Show war, eine epische Geschichte zu erzählen, sich mit der Kampfkunst auseinanderzusetzen, die neue Technologie anzuwenden und das Puppenspiel einzubeziehen. Mark Fisher entwarf sowohl das Theater als auch die Szenografie für die Show. Als Vorlage hatte er nicht ein Skript, sondern das Diagramm einer Reise als Metapher für das menschliche Leben: Meer, Strand, Berge, Wald, Wiese und Stadt. Die Aufgabe bestand darin, die invertierten Welten darzustellen und die Gravitationswahrnehmung der Zuschauer zu verändern.30 25 Cirque du Soleil „Ká“ (MGM Grand Hotel & Casino, Las Vegas) Premiere: 5. Februar 2005, Guide: Guy Laliberte, Creator and Director: Robert Lapage, Director of Creation: Guy Caron, Theater and Set Designer: Mark Fisher, Composer and Music Arranger: René Dupéré, Costume Designer: Marie-Chantale Vaillancourt, Puppet Designer: Michael Curry, Make-Up Designer: Natalie Gagne, Prop Designer: Patricia Ruel, Sound Designer: Johnathan Deans, Lighting Designer: Luc Lafortune, Interactiv Projections Designer: Holger Forterer. 26 Show „The House of Dancing Water“, City of Dreams Casino, Macau, Premiere: 17.09.2010, Regie: Franco Dragone, Scenic Designer & Dancing Water Theater Designer: Michel Crête, Technical Stage Manager: Matthew Abercrombie, Costume Design: Suzy Benzinger. 27 Die Show hat 165 Millionen Dollar gekostet. Der Anteil von MGM Grand war $135 Millionen, die restlichen $30 Millionen wurden zwischen Cirque du Soleil und MGM Grand aufgeteilt. (Ká Extreme, Canada 2005, R: Dubé-Dupuis.) 28 President and Chief Operating Officer MGM Grand Hotel and Casino, Las Vegas. 29 Ká Extreme, Canada 2005, R: Dubé-Dupuis.(14:47 Min.) 30 “There was a lot of conversation about inverted worlds, about antigravity, about whether we can disturb audiences perception of what is normal and what is gravity.” Ebd. (3:50 Min.)

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In seinem Versuch, den Theaterraum zu beschreiben, benutzte Fisher das Wort void, also „Hohlraum“ oder „Leerstelle“. Dort nämlich, wo die Bühne im klassischen Proszeniumtheater ist, befindet sich tatsächlich ein Loch. Das Auditorium und der Bühnenraum sind nur durch einen Laufsteg getrennt oder – besser gesagt – zu einer Einheit verbunden. Die Architektur des Theaters ist gleichzeitig die Szenografie für die Show. Die klare Grenze zwischen Darstellern und Zuschauern ist endgültig aufgehoben. Fisher beschreibt die narrative Wahrnehmungsreise der Zuschauer, die noch beim Casino anfängt: „The narrative starts at the transition between the casino and the theatre and then opens out as the audience come into the theatre and then opens out more when they get the show.“ 31 Die Narration wird als Metapher für die dreifache Transformation der Wahrnehmung von Besuchern benutzt, die zwischen dem Betreten und dem Verlassen des Hotels nach der Show stattfindet.32 Die Hauptelemente der Szenografie sind zwei bewegliche Plattformen: Sand Cliff Deck und Tatami Deck. Sand Cliff Deck (7,62 x 15,24 x 1,8 m) ist eine 45 t schwere hydraulische Plattform, die einen vertikalen Bewegungsweg von mehr als 20 m hat. Durch den Gelenkmechanismus ist es möglich, ein breites Spektrum an Positionen, Neigungen und Drehungen durchzuführen. Sie ist mit drei kreisförmigen Öffnungen und 86 Stäben für die Darsteller ausgestattet, die ihnen zusätzliche Verstecke und Haltemöglichkeit bieten. In einer Szene kommen diese Stäbe unter pneumatischem Druck senkrecht heraus und verschwinden danach wieder unter der Oberfläche. Die zweite Plattform, genannt Tatami Deck, ist 9 x 9 m groß und kann wie eine Schublade 12m horizontal nach vorne herausgefahren werden. Die restlichen drei kleineren Plattformen befinden sich seitlich und vor der Hauptplattform. Sie können unabhängig voneinander hoch und herunter gefahren werden, wie die klassischen Bühnenversenkungen. Eine weitere technologische Innovation besteht in den interaktiven Projektionen. Dafür haben fünf Programmierer innerhalb mehrerer Monate ein Computerprogramm speziell für die Show geschrieben. Die Erneuerung besteht darin, dass sich das Projektionsbild verändert, sobald der Darsteller an der Projektionsfläche vorbei geht oder sie berührt. Da es sich hier nicht um klassisches Theater handelt, gibt es keine üblichen Auftritte oder Abgänge. Die Darsteller sind für die meisten Szenen an speziellen Seilen befestigt, die ihnen Bewegungsrouten fast über den gesamten Theaterraum ermöglichen. Um den Performern bessere Kontrolle über ihre Bewegungen zu geben, werden spezielle Joysticks verwendet. Sie können mit den Joysticks ihre Bewegung entlang des Sicherheitsseils mit einer 31 Ebd. 32 Prince: Narratology, in: From Formalism to Poststructuralism, 117,130.

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vorprogrammierten Geschwindigkeit selbst umsetzen und müssen sich so nicht nur auf die Rigger33 verlassen. Nicht selten verlassen die Darsteller den Bühnenraum und das Spiel findet über den Zuschauern statt. Manche Szenen dagegen, wie Wheel of Death, werden zwar mit Sicherheitsnetz ausgeführt aber ohne Sicherheitsseile. Durch die konstante Bewegung der szenografischen Elemente sowie der Darsteller gehört dieser Stunt damit zu dem gefährlichsten im zeitgenössischen Theater. Der praktizierte Freifall aus 18 m Höhe könnte leicht zu dem ungeplanten Fall aus 27 m Höhe führen, wie Jaque Paquin34 erklärte.35 Trotz der strengen Sicherheitsvorkehrungen und der doppelten Absicherung für manche Szenen bleibt immer ein Restrisiko.36 Dies ist aber offensichtlich auch Teil der Show, der die Faszination des Betrachters steigert. Denn seit 2005 sahen über fünf Million Besucher die Show.37 Die Wassershow-Extravaganza „The House of Dancing Water“ erforderte - genauso wie die Produktion „Ká“ - nicht nur eine spezielle Szenografie für die Show, sondern auch den Entwurf und den Bau eines Theaters mit 2000 Zuschauerplätzen, das die speziellen Anforderungen der Show erfüllen konnte. Es handelt sich um eine Unterhaltungsshow, deren märchenhaftes Narrativ die Zeit der Legenden wiederbelebt. Es wird die Abenteuerland-Reise eines Helden erzählt. Er befreit mit Hilfe seiner Gefährten die in Ungnade ihrer Stiefmutter gefallene Prinzessin und besiegt die herrschende Hexe. Die Show ist eine Mischform aus Wasserspielen, Akrobatik- und Tanztheater. Der traditionsreiche Austausch zwischen dem westlichen und fernöstlichen Theater erreicht hier den artistischen Höhepunkt. Die Show entfernt sich jedoch von ihrem Pendant Cirque du Soleil, weil die einzelnen zirkusartigen Szenen die Umrisse eines Drei-Akt-Dramas andeuten. Die Produktion „The House of Dancing Water“ ist ein Feuerwerk atemberaubender Auftritte wie Wassersprung, Motocrossund Trapezakrobatik, die durch ihren hohen Risikofaktor beeindrucken. Die weltweit einmalige, kinetische Bühne sorgt ebenso für Erstaunen. Mit einer Investition von 250 Millionen Dollar handelt es sich hier wahrscheinlich bis heute um das teuerste Theaterereignis, das speziell für das Casino „City of Dreams“ in Macao (Sonderverwaltungszone der Volksrepublik 33 Rigger oder Höhenarbeiter sind sowohl für den Auf- und Abbau der Bühnen als auch für die Bedienung der Sicherheitsseile verantwortich, an den die Künstler bei gefährlichen Stunts aufgehängt sind. 34 Acrobatic Equipment and Rigging Designer 35 Ká Extreme, Canada 2005, R: Dubé-Dupuis. 36 Wie Las Vegas Sun (30.06.2013) berichtete, verunglückte Cirque du Soliel Artistin Sarah (Sasoun) Guillot-Guyard beim tragischen Unfall am 29.06.2013. Sie fiel vom Sand Cliff Deck in den Unterbühnenraum während der „Ká“ Abendvorstellung. Siehe lasvegassun.com/blogs/katsreport/2013/jun/30/cirque-suffers-another-accident-artist-falls-ka-mg/ vom 18.12.2013. 37 Nerve Center: Cirque du Soleil “Ká”, Discovery Channel (1:37).

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China) entworfen wurde. Fünf Jahre Vorbereitungs- und zwei Jahre Probenzeit waren nötig, um diese internationale Show mit 77 Darstellern zu realisieren. Das Theater ist in Form einer Arena mit einer kreisförmigen Bühne in der Mitte gebaut. Ein komplexer Bühnenunterbau, gefüllt mit 135 Millionen Litern Wasser (Wassermenge benötigt für ca. fünf olympische Schwimmbäder), befindet sich unter der Bühne. Über der Bühne wurde als freistehende Konstruktion eine Art Schnürboden gebaut. Dort ist die zusätzliche Ausrüstung (Seile für die Darsteller, Beleuchtung) auf den ringförmigen Zwischenpodesten untergebracht. Diese Podeste dienen außerdem als Rigger-Arbeitsplattform, aber auch als Landungs- bzw. Startpositionsfläche für die Darsteller, die an den Sicherheitsseilen hängen. Die Bühne ist in mehrere Segmente aufgeteilt. Das Hauptsegment kann 65 Tonnen heben und die anderen Segmente zwischen 25-30 Tonnen. Das Pumpensystem hat 63 Öffnungen im Bühnenboden, die mit 400 Volt Stromanschlüssen ausgestattet sind, um Wasserstrahlen in verschiedenen Kombinationen bis zu 70m hoch katapultieren zu können (Abb. 45).38 Diese komplexe, szenografische Maschinerie ermöglicht Wahrnehmungsvielfalt. Das Publikum wird hier einer Menge von Gefühlseindrücken ausgesetzt. Als Zuschauer wird man Teil des Hi-Tech-Spektakels – wie in der Tradition des antiken Rom, weil man zugleich abwechselnd Sportwettbewerb, Zirkus und Theater beobachten kann. Manche werden sogar durch die eigenen nassen Kleider (die ersten Zuschauerreihen bekommen Handtücher) daran erinnert, an einem adrenalinhaltigen Ereignis teilzunehmen. Der Reiz der Show liegt aber vor allem in Augenblicken, in denen entweder ein Formenspiel aus Wasser oder ein gefährlicher Stunt magische Momente bescheren, die für ein paar Sekunden den Atem stocken lassen. Mit Hilfe der mechanischen und hydraulischen Ausrüstung wird die komplette Szenografie aus dem Wasserbecken unterhalb der Bühne nach oben gebracht und verschwindet nach der abgespielten Szene wieder im Wasser. Abgesehen von einigen gebauten szenografischen Elementen (Brücke, Haus, Schiff), wird sämtliches Potential des Wassers als Szenografie genutzt. Die Hi-Tech-Apparatur gewährleistet das schnelle Entstehen und Verschwinden der flüssigen Formen und ermöglicht damit fließende Übergänge von einer Szene in die nächste. Neben der „Selbstdarstellung“ als Meer, Regen oder Wasserfall wird das Wasser benutzt, um ein breites Spektrum an offenen und geschlossenen räumlichen Formen darzustellen. Ihre zahlreichen semiotischen 38 Es handelt sich um ein ähnliches System, das für die Wasser-Shows vor dem Hotel Bellagio in Las Vegas benutzt wird. Die Show wird alle 15 Minuten ab 19.30h jeden Tag vorgeführt und stellt eine von vielen Attraktionen auf dem Strip. Eine ähnliche Wasser-Show befindet sich auch vor dem Burj Khalifa Tower in Dubai. Siehe: “Bellagio Fountains: How do they work?”, http://www. bmtechservice.com/1/post/2011/10/bellagio-fountains-how-do-they-work.html vom 24.02.2014.

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Referenzen bleiben offen und ihre Deutung bleibt den Zuschauern überlassen. Um dies zu ermöglichen, wurde die Hochtechnologie eingesetzt, die üblicherweise für das Starten von Kampfflugzeugen verwendet wird. Der Wechsel von szenografischen Elementen findet in den Wasserkanälen unter der Bühne statt, wo ein Team von professionellen Tauchern alle Veränderungen betreut. Die schwere Maschinerie unter der Wasseroberfläche verändert ihre Position während der Aufführung, was für die Darsteller gefährlich werden konnte. Also mussten Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, um die Sicherheit der Darsteller zu gewährleisten. Es werden Taucher eingesetzt, die alles was unter der Wasseroberfläche passiert kontrollieren - inklusive der Landungen der Darsteller im Wasser. Um reibungslose Aufführungen zu gewährleisten, waren bei jeder Vorführung 130 Mitarbeiter des technischen Teams im Einsatz, was an die aufwendigsten Inszenierungen des 19. Jahrhunderts erinnert. Henry Irving (1838-1905) beschäftigte als Theatermanager für die Bedienung der Szenografie39 im Lyceum Theater in London zwischen 1878 und 1898 bis zu 135 Arbeiter.40

Abb. 45 „The House of Dancing Water“, Casino „City of Dreams“, Macao 2012. 39 Es wurde bei Brockett nicht präzisiert, um welche Produktionen es sich handelte. Die wichtigsten Produktionen des Szenografen Hawes Craven („Faust“, „Romeo and Juliet“, „Macbeth“, „Henry VIII“) sind aufgelistet, mit dem Irving zusammengearbeitet hat, ohne klaren Hinweis, ob sie im Lyceum Theatre aufgeführt wurden. (Brockett/Mitchell/Hardberger: Making the Scene, 202ff.) 40 Ebd., 202ff.

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Postskriptum 5 Die aktuellen Projekte wie „Ká“ oder „The House of Dancing Water“ demonstrieren, wie die Grenzen zwischen Szenografie, Architektur, Technologie und Ingenieurswissenschaften auch kontinuierlich weiter verwischen, damit die innovativen, kinetischen Konzepte in der Szenografie am Anfang des 21. Jahrhunderts umgesetzt werden können. Der Ort des Geschehens bleibt das Musiktheater im weitesten Sinne, wobei der Schwerpunkt auf Extravaganzen verlagert wurde. Eine Mischform zwischen Musical und Zirkus, die Gene Kelly Anfang der 1970er Jahre mit dem „Clownaround“ versuchte zu etablieren, setzte sich heute in einer ähnlichen Form durch. Seit Ende der 1990er Jahre, als die Produktion „O“ 41 von Cirque du Soleil das Wasser als szenografisches Element einführte, wurde die Kinetik des Bühnenraumes um noch ein Mittel bereichert, das für die „fließenden“ Veränderungen des Raumes besonders gut geeignet war. Die populären Fontänen-Shows für die Unterhaltung der Besucher im öffentlichen Raum wie vor dem Bellagio Hotel (Las Vegas) oder Burj Khalifa (Dubai), die mit Hilfe der starken Jet-Shooter das Wasser bis zu 150m Höhe katapultieren, wurden in die Szenografie für die Musikshows assimiliert. Götz Friedrichs Bemerkung zur Visualisierung des Wassers im „Ring“: „We shall not have some imitation of water. Covent Garden is not a circus.“,42 um eine klare Trennung zwischen Theater und Zirkus betonen zu wollen, ist heute weit überholt. Das Wasser auf der Bühne wurde mittlerweile ein oft benutztes, szenografisches Element, sogar die Bühne selbst, vor allem im kommerziellen aber auch im avantgardistischen Theater.43 Die Produktionen wie „O“,„La Rêve“,44 „The House of Dancing Water“ oder „Golden Mask Dynasty“ 45 fusionieren Theater, Tanz und Zirkus zu einer neuen Theaterform, heute Musikshows oder Extravaganzen genannt, und versuchen mit gewagten, kinetischen Bühnen diese Mischform an ihren Grenzen zu testen. Die neuen Theater, in denen die genannten Produktionen aufgeführt werden, sind für die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Musikshows entwickelt worden. Das Wasser wird nicht selten zum Hauptelement der Performance, um das alles andere aufgebaut ist, sogar das Theater selbst. Obwohl sich die 41 „O“, Cirque du Soleil, The Bellagio Hotel Las Vegas, Regie: Franco Dragone, Premiere: 15. 10.1998. 42 Cairns: The Forging of the Ring, in: The Sunday Times, o.S. 43 Die Produktion „Moon Water“ der Cloud Gate Dance Company aus Taiwan illustriert die Benutzung des Wassers auf der Bühne im avantgardistischen Tanztheater (Choreographie: Lin Hwai-Min). 44 „La Rêve“, Cirque du Soleil Wynn Las Vegas, Regie: Franco Dragone, Premiere: 06.05.2005. 45 „Golden Mask Dynasty“, OCT Theatre Peking.

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Konzeptionen dieser Orte von Kennys und Svobodas Theater-Visionen entfernt haben, weil die veränderten Ansprüche neue Lösungen verlangten (komplexe Maschinerie für die Bewältigung der großen Wassermengen auf der Bühne), haben manche ihrer Ideen die Aktualität bis heute nich verloren. Kennys Konzept für das Unterwassertheater auf den Bahamas befürwortete die Idee, die Zuschauer in einer Glaskugel unter der Wasseroberfläche unterzubringen, um das Theater im Wasser beobachten zu können. Die Show „La Rêve“ im Wynn Resort (Las Vegas) bietet etwas sehr ähnliches. In diesem Arena-Theater ist die Bühne durch einen Wassertank ersetzt (Abb. 46). Die Konzeption der Show ist vergleichbar mit der schon erwähnten Produktion „The House of Dancing Water“. Beim Kauf einer VIP-Karte Diver’s Dream Package können die Zuschauer, die einen Taucherschein besitzen, zusätzlich zum klassischen Show-Besuch auch den Unterbühnenraum besichtigen und eine Show direkt aus dem Wassertank der Unterbühne von unten anschauen.46 Die Komplexität der Abläufe unter dem Wasser für diese Produktion birgt offensichtlich ein Potential in sich, selbst als eigenständige Show zu funktionieren. Wasserkanal Wassertank / Bühne Auditorium

Abb. 46 „La Rêve“ Theatre / Grundriss, Wynn Resort, Las Vegas

Wenn auch das Wasser die größten Veränderungen in der Konzeption der neuen, kinetischen Bühnen verursachte, gibt es noch weitere Erbschaften von Kenny und Svoboda. Der Nebel ersetzte endgültig den klassischen Vorhang, der nicht mehr gebraucht wird. Es handelt sich um einen Effekt, den Kenny in „Casino de Paris“ und „Blitz!“ benutzte. Die Veränderung der Bühne und der Szenografie ist in neuen Theatern ein Teil der Show und wird zur Schau gestellt. Für die Enthüllungseffekte werden meistens nur noch ephemere Mittel wie Nebel oder Wasser benutzt. Die Ambition, das Publikum in 46 Corbin: „La Rêve from below“, siehe http://www.lasvegassun.com/news/2010/aug/31/le-revebelow/ vom 21.12.2013.

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das Spektakel miteinzubeziehen, verursachte die weitere Ausarbeitung der flexiblen, hydraulischen Bühnensegmente, die die Darsteller dem Publikum näher bringen konnten. Tatami Deck in „Ká“ kann die Spielfläche bis zu 12 m nach vorne herausfahren und ist eine ähnliche Idee, welche Kenny für „Casino de Paris“ anwendete. Zwei runde Spielflächen hatten kranartige Arme, die sich in Richtung der Zuschauer bewegten und die Performer dem Publikum näherten. Sand Cliff Deck folgt dem gleichen Prinzip wie Svobodas kinetischer Bühnenteil im „Ring“, wenngleich durch die Erweiterung des Bewegungsradius der Spielfläche bereichert (senkrechte Position und das System der pneumatischen Stäbe). Verschiedene Arten von kinetischen Bühnen­segmenten wurden Standard in den neuen Theatern und sind immer als Teil der Szenografie an die spezifischen Anforderungen angepasst. Die flexiblen Auditorien, die sowohl Kenny als auch Svoboda in ihren Projekten für Mehrzwecktheater wünschten, werden auch heute im Theater verwendet, wenn auch nur sporadisch und kleiner (Konzerthalle in Kristiansand, Norwegen). Die volle Entfaltung ihres Potentials finden sie in Sport-Komplexen. Die unlängst gebaute Reyno de Navarra Arena in Pamplona (Spanien, 2012) verfügt über 12000 Zuschauerplätze, die zum Teil fixiert und zum Teil verstellbar sind. Die zusätzlichen ausfahrbaren Auditorium-Segmente sind unter dem Boden der Spielhalle versteckt. Beim Ausfahren teilen sie die große Halle auf und verkleinern die Arena für Events, die nicht so viele Zuschauerplätze benötigen. Die Erkenntnis, dass die technische Innovation in der Szenografie nicht von der Veränderung der Theatergebäude zu trennen ist, verlangte neue Konzeptionen der Theater für Musikshows und Extravaganzen. Obwohl manche neuen Theater für die Shows auch eigenständige Gebäude sind (OTC Theater Peking), sind sie überwiegend in Hotel- und Casino-Komplexen untergebracht. Die Erneuerung beschränkt sich in beiden Fällen auf den Bühnenraum und seine kinetische Eigenschaften. Die neuen, kinetischen Räume haben die Bühne in einen Hohlraum (void) verändert. In diesem Raum entfaltet sich über mehrere Untergeschoss-Etagen das ganze kinetische Potential des Mehrzwecktheaters. Die Unterbühnenmaschinerie hebt, senkt oder dreht üblicherweise mehrere Bühnensegmente, die den Bühnenraum schnell verändern. Sie bewältigt das komplexe System zur Umlenkung größerer Wassermengen und bedient die Veränderung der szenografischen Baukörper durch die Wasserkanäle der Unterbühne, außerdem bringt sie die Infrastruktur für die technische Leitung der Show unter. Die Ambition, ein flexibles Theater für alle Inszenierungstypen zu verwirklichen, scheint jedoch nicht realisiert. Die seltenen Beispiele wie das Shakespeare Theater in Gdansk, das zur Zeit gebaut wird, zeigen, dass das Interesse am Mehrzwecktheater nicht ganz verschwunden ist. Der Architekt Renato Rizzi entwarf einen Merzweckraum, der die Eigenschaft besitzt, als

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elisabethanische, Proszenium- oder Arena-Bühne umgebaut zu werden. Eine konvertible Dachkonstruktion bietet die Möglichkeit, die Decke oberhalb der elisabethanischen Bühne zu öffnen und Shakespeares Stücke unter freiem Himmel zu erleben. Einige weitere Beispiele der flexiblen Theaterräume wurden gebaut,47 stießen aber nie auf breite Akzeptanz. Die realisierten Beispiele blieben die Ausnahmen. Die Entwicklung der Hi-Tech-Szenografie und der kinetischen Bühnen haben eigentlich eine Gegenthese bewiesen, die heute die Umsetzung zumindest finanziell rechtfertigt – ein Theater für eine Produktion. Es handelt sich um einen Trend, der schon Ende der 1980er Jahre anfing. Die langen Spielzeiten der erfolgreichen Musikshows und die speziellen szenografischen Anforderungen favorisierten das Bauen von Theatern für nur eine Show.48 Die Aufgaben der Szenografen und ihr Berufsbild änderten innovative Musikshow-Produktionen noch einmal. Der Szenograf Michel Crête, langjähriger Designer des Cirque du Soleil, entwarf für „The House of Dancing Water“, genauso wie Mark Fisher für „Ká“, sowohl die Szenografie als auch das Theater.49 Damit setzten sie wenigstens einen Teil des Ideals durch, für das Kenny und Svoboda seit den 1960er Jahren plädiert hatten: Die Szenografen selbst haben die Konzeption des Theaters für die Show von innen heraus organisch entwickelt, um den Anforderungen an eine innovative Szenografie gerecht zu werden. Im Unterschied zu Kennys und Svobodas Idee des Mehrzwecktheaters können die neuen Theaterräume lediglich eine Serie neuer Bewegungs­muster umsetzen. Die faszinierende Flexibilität der heutigen, kinetischen Bühnen ist aber gleichzeitig eine Einschränkung für alle anderen Produktionen. Es ist ein Paradox, das die fantastische Flexibilität dieser Bühnen die Mehrzweck-Philosphie der modernistischen Versionen verweigert. Je origineller der neue kinetische Raum wird, desto unflexibler wird er – was letztendlich in der Natur des Originals liegt,50 nämlich einzigartig zu sein. Dieses Phänomen ist in seinem Ursprung so stark in der Moderne verwurzelt, dass man sich fragt, ob diesem Erbe überhaupt zu entkommen ist. Handelt es sich hier um eine tatsächliche Entwicklung der Hi-Tech-Szenografie oder um einen pastiche – eine Imitation des vergangenen Stils?51 Aus der Sicht Fredric 47 Bellman: Scenography and stage technology, 90ff. 48 Für Andrew Lloyd Webbers Musical „Starlight Express“ wurde 1988 in Bochum ein Starlight Express Theater gebaut. 49 Das Dancing Water Theatre ist zusammen mit Pei Partnership Architects entworfen worden. Siehe www.peipartnership.com vom 10.09.2012. 50 „The modernist aesthetic was organically linked to the conception of an authentic self and a private identity which can be expected to generate its own unique vision of the world and to forge its own unmistakable style.“ (Sarup: An Introductory Guide to Post-Structuralism and Postmodernism, 146.) 51 „The poststructuralists argue against this; in their view the concept of the unique individual and the theoretical basis of individualism are ideological. Not only is the bourgeois individual subject a thing of the

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Jamesons52 ist die stilistische Innovation in der postmodernen Gesellschaft gar nicht mehr möglich. Warum beschäftigt man sich dann heute noch mit den technologischen Innovationen in der Szenografie? Der gesellschaftliche Druck, im heutigen globalen Wettbewerb innovativ zu sein, sich dadurch von der Konkurenz abzuheben und einen größeren Marktanteil zu beanspruchen, spiegelt sich besonders im kommerziellen Theater wieder. Die technologisch fortschrittliche Szenografie unterstützt die Musikshows und Extravaganzen in diesem Wettrennen und hilft dabei, die Produktionen als einzigartig zu vermarkten. Sie steigert erheblich nicht nur die Chancen, die Investition einzuspielen, sondern auch beträchtliche Gewinne zu erzielen. Sie gibt der Produktion einen Wiedererkennungswert und gestaltet zusammen mit anderen Aspekten der Produktion wie Titelsong, Logo oder Hauptdarstellern ihr Markenzeichen (Brand) mit.53 Wenn solche Produktionen erfolgreich sind, dienen sie meist als Lockvogel für die Casinos oder als Geldmaschinen für Investoren. Der ursprüngliche Grund für die Auseinandersetzung mit der Technologie, der aus den Anforderungen der Dramaturgie oder aus dem Wunsch, neue kinetische Theaterräume zu schaffen, abgeleitet wurde, ist in Vergessenheit geraten. Die Veränderung einer Kunstbewegung über Jahrzehnte ist unvermeidlich, aber ziemlich fragwürdig, wenn ursprünglich kreativer Input mit der fundierten sozial-gesellschaftlichen Basis zunichte gemacht wird. Warum also machen die Szenografen noch mit? Bezugnehmend auf „The House of Dancing Water“ gibt der Szenograf Michel Crête die einfache Antwort auf diese Frage – „If you can bring a little of happiness in everyday life of people, it´s great“.54 Dies mag sich wie ein Echo der Sichtweisen von Condorcet anhören,55 der geglaubt hat, dass die Förderung der Kunst und der Wissenschaft die Menschen glücklicher machen kann. Obwohl diese Hoffnung von Poststrukturalisten schon längst als gescheitert erklärt wurde, past, it is also a myth, it never really existed in the first place; it was just a mystification. And so, in a world in which stylistic innovation is no longer possible all that is left, Jameson suggests, is pastiche. The practice of pastiche, the imitation of dead styles, can be seen in the ´nostalgia film´.“ (Ebd., 146) 52 Fredric Jameson ist amerikanischer Literaturkritiker und -theoretiker. Er ist ein bekannter Theoretiker der Postmoderne. 53 „Trademark,  any visible sign or device used by a business enterprise to identify its goods and distinguish them from those made or carried by others. Trademarks may be words or groups of words, letters, numerals, devices, names, the shape or other presentation of products or their packages, colour combinations with signs, combinations of colours, and combinations of any of the enumerated signs.” Siehe http://www.britannica. com/EBchecked/topic/601724/trademark vom 27.12.2013. 54 Behind the scenes, City of Dreams 2010, R: Dragone. 55 „Philosophers like Condorcet wanted to use this accumulation of spezialised culture for the enrichment of everyday life. They hoped that the art and sciences would promote not only the control of natural forces but also understanding of the world and of the self, moral progress, the justice of institutions and even the happiness of human beings.“ (Sarup: An Introductory Guide, 143.)

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brachte die Hi-Tech-Szenografie am Ende das Theater genau dorthin, wohin Kennys Visionen es ebenfalls führten – zurück zu den Menschen und zurück zu den Orten der Unterhaltung für alle – oder für fast alle, jedenfalls diejenigen, die sich teure Eintrittskarten leisten können. Die Hi-Tech-Szenografie stellt eine Ausnahmeerscheinung in der Szenografiegeschichte dar und ist mit den gängigen Arbeitsweisen in der Szenografie nicht zu vergleichen. Die Rekonstruktion von Kennys und Svobodas Arbeiten haben gezeigt, wie es ihnen in den 1960er und 1970er Jahren gelang, innovative Szenografien zustande zu bringen. Die aktuellen, progressiven Produktionen setzen diese Tradition auf ähnliche Weise fort. Ihre Realisation benötigt ein interdisziplinäres Team von Mitarbeitern, beträchtliche finanzielle Unterstützung, ein risikobereites Theatermanagement und natürlich eine/n visionäre/n Szenografen/in. Ein historischer Überblick mit dem Schwerpunkt auf die Experimente der Hochtechnologie der 1960er und 70er Jahre zusammen mit der Darstellung der verwandten Produktionen am Anfang des 21. Jahrhunderts zeigt die Beschäftigung mit dem Phänomen Kinetik in einem langen Lernprozess. Von Walter Gropius bis Mark Fischer und Michel Crête blieb die Erkenntnis, dass die Innovation in der Hi-Tech-Szenografie nur mit neuen der Theatergebäude umsetzbar ist. Die vorantreibende Rolle der Auseinandersetzung mit der Hochtechnologie in der Szenografie blieb von der Avantgarde der 1920er Jahre bis heute unverändert, was auf ihr innovatives Potential hinweist. In diesem Entwicklungsgang bestätigte die Szenografie ihren Ruf als Labor für neue Ideen.56 Sie erweiterte die Wahrnehmungsfacetten des Raumes, beteiligte den kinetischen Raum an der Inszenierung, brachte neue Ästhetik durch den performativen Charakter der Materialien und rechtfertigte ihre Experimente Anfang des 21. Jahrhunderts auch durch die finanziellen Erfolge. Die Entwicklung ging zwar nicht unbedingt in die Richtung, die sich Kenny und Svoboda vorgestellt haben, brachte aber neue kinetische Muster in den Bühnenraum und agierte als führende Kraft in der Forschung über neue Formen von Theaterbühnen. Unabhängig davon, ob man sich für die Extravaganzas wie „Ká“ oder „House of Dancing Water“ begeistert, ist deren gewaltiger Beitrag zur Entwicklung der Szenografie und des Theaters nicht zu leugnen. Die wichtigste Leistung der Hi-Tech-Szenografie ist das Schaffen von neuen Formen des kinetischen Bühnenraums, die auf die Theaterarchitektur einen Einfluss nahmen. Die Idee vom kinetischen Raum, die aus der Architektur ins Theater und von da aus in den Zirkus wanderte, um ihr Potential zu erforschen, hat ihren Weg zurück in die Architektur gefunden. Was in diesem Prozess des konstanten Austausches geschah, ist, dass sich die Architektur die 56 Tsypin/Taymor: George Tsypin Opera Factory, 72.

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Eigenschaften der Szenografie angeeignet hat. Statt ihre primäre Charakteristik der Dauerhaftigkeit zu bewahren, übernahm sie die Vergänglichkeit der Szenografie. Die heutigen Hi-Tech-Theater sind Orte mit der präzisen Funktion für eine Show und eingeschränkter Dauer von etwa 10 bis 20 Jahren geworden. Nachdem die Shows abgespielt sind, werden die Theater vermutlich genauso wie die Szenografie abgebaut und ein neutraler Raum für ein neues Theater und eine neue Show hinterlassen. Mit ihren Anforderungen für den neutralen Raum als Ausgangsposition für die Entwicklung einer neuen Konzeption der Theatergebäude lagen Kenny und Svoboda am Ende doch nicht falsch. Die heutige Phase in der Hi-Tech-Szenografie demonstriert sicherlich eine von vielen Stationen auf der Entdeckungsreise nach Möglichkeiten ihre Existenz in der globalisierten Welt. Interessanterweise brachte der Einsatz der hochentwickelten Technologie tatsächlich eine Instabilität in die aktuellen Konzepte,57 zumindest die der Darsteller, und unterminierte manche Ideen von Kenny und Svoboda. So gesehen kann man nicht sagen, dass die Erwartungen mancher Theoretiker der Postmoderne wie z.B. Lyotard bezüglich der Anwendung des Wissens und der Wissenschaft nicht erfüllt worden sind. Laut Lyotard sollen wissenschaftliche Innovationen dafür verwendet werden, die alten Konzepte zu destabilisieren und neue Konzepte zu schaffen.58 Dies weist auf die Entwicklung der Hi-Tech-Szenografie hin, unabhängig davon, ob sie diese Phase selbst gewählt hat oder in sie hineingeraten ist. Durch ihre enge Verknüpfung mit dem Kapital konnte sich diese fragmentarische Spalte in der Szenografie nicht dem multinationalen Kapitalismus entziehen. Der Produktionswahn und das Streben nach Aktualität sind bei Konzernen wie Cirque du Soleil auch schwer zu verleugnen.59 Eine andere Erkenntnis ist aber wichtig: Diese aktuelle Phase der Hi-Tech-Szenografie ist nicht als die endgültige Verwirklichung einer Idee anzusehen, sondern nur als eine weitere vorantreibende Station einer aufregenden Reise mit dem Ziel, das Theater wieder zu erfinden. Die Ergebnisse meiner Forschung über die hochtechnologischen Experimente in der Szenografie der 1960er und 1970er Jahre zeigen den Einfluss von Utopien auf die kinetischen Bühnen für Theater und Stadion-Konzerte sowie auf die Theaterarchitektur heute. Dass die Idee vom Mehrzwecktheater, zumindest so wie Kenny und Svoboda sie gesehen haben, gescheitert ist, liegt auch daran, dass die neuen kinetischen Theaterbühnen aus den Bemühungen entstanden, 57 „Lyotard´s view of science and knowledge is that of a search not for consensus but for “instabilities”; the point is not to reach agreement but to undermine from within the very framework in which the previous “normal science” had been conducted.” (Ebd., 153.) 58 Ebd., 153. 59 Cirque du Soleil hatte 21 laufenden Shows in 2012 in Nord- und Südamerika, Europa, Asien und Australien. Siehe www.cirqueducoleil.com vom 01.03.2012.

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den Zirkus und nicht das Theater zu revolutionieren. Im Unterschied zu Kennys und Svobodas Vorschlägen haben diese neuen Räume das Auditorium statisch belassen, um die Sicherheitsnetze und die Maschinerie der Unterbühne von den Zuschauern zu verstecken. Die extravagante Bühnenkinetik im neuen Theater hinterlässt den Eindruck, dass man als Zuschauer eine aktive Rolle in der Inszenierung hat, weil sich der Raum nicht mehr nur durch Gehen oder Wahrnehmen sondern durch die Bewegung von Raum-Elementen erfassen lässt. Das Resultat ist der Eindruck einer unmittelbaren Teilnahme an einem spektakulären Ereignis. Die Rekonstruktion der Arbeitsprozesse in der Szenografie ist wichtig, weil sie zur Verständigung der Wendepunkte in der Geschichte des inszenierten Raumes führt und auf die Revision der Raumauffassung hinweist, die Szenografie und anschließend die Theaterarchitektur revolutioniert hat. Da sich die Umstände am Theater, die Arbeitsstrukturen und die Theaterkonzepte seit Kennys und Svobodas Zeiten geändert haben, können wir von einer direkten Übernahme ihrer Erfahrungen natürlich heute nicht profitieren. Was aber die Rekonstruktion für die heutige Praxis hergibt, ist die Verwendbarkeit ihrer Arbeitsweisen, die im radikalen Umgang mit Einschränkungen und der engen Vernetzung der Szenografie mit anderen Disziplinen, vor allem der Architektur und Hochtechnologie liegt. Diese Vernetzung hat ihnen geholfen, eine innovative Sichtweise auf die Szenografie und die Theaterarchitektur zu artikulieren. Da sich dieser Austausch als so fruchtbar erwies, stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob die szenografische Ausbildung an den Universitäten und Kunstakademien in Zukunft ihr Lernprogramm mit Architektur-, Technik- und Technologie-Fächern bereichern soll? Eine Sensibilisierung des Nachwuchses für eine Kooperation mit anderen Disziplinen ist sicherlich ratsam. Obwohl Kennys und Svobodas Idee von dem Merzwecktheater aus heutiger Sicht nur eine weitere Einschränkung für die Theaterpraxis bedeutet und die Schaffung der universellen Strukturen ihre Relevanz verloren hat, bleibt die Suche nach der Flexibilität der Theaterräume. Wenngleich sich heute eine Vielfallt an institutionellen und außerinstitutionellen Theaterorten etabliert hat, die eine entsprechende Vielfallt an konzeptionell unterschiedlichen Inszenierungen bedienen, bleibt nachzudenken, ob man den temporären Räumen mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, wie Kenny es geraten hat? Solche Orte können nicht nur die Entwicklung des Theaters besser unterstützen, sondern sich den konstanten Veränderungen der Theaterkonzepte schneller anpassen und vielleicht auch neue Wege einschlagen. Die temporären Theaterräume tragen das Potential, die vorgegebenen Formen aufzulösen und neue Formen anzunehmen, was mit den stetigen Veränderungen des Lebens assoziiert wird. Kenny und Svoboda haben mit der Idee vom kinetischen Raum letzendlich diesen Leitgedanken verfolgt. Was von ihren Hi-Tech-Experimenten geblieben

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ist, sind die Vorschläge für die Wiedererfindung des Theaters. Ob man sich von ihnen inspirieren lässt, sie wieder aufgreift und weiter ausarbeitet, aus den Gedanken lernt oder sie verwirft und sich davon distanziert, stellt die Tatsache nicht in Frage, dass sie einen wichtigen Meilenstein in der Szenografie- und Architekturgeschichte dokumentieren. Es bleibt spannend, zu beobachten, in welche Richtung sich die Hi-TechSzenografie weiter entwickelt, und ob sich ihr Einfluss auch außerhalb der Entertainment-Architektur verbreiten oder aus finanziellen Gründen dort gefangen bleiben wird. Bis dahin harrt das Theater als ein Ort aus, der die unmittelbare Teilnahme an einem kinetischen Ereignis erlaubt, das nicht mal annähernd mit Computerspiel-Simulationen und 3D Filmen zu vergleichen ist. Nach der Aufführung von „Ká“ hatte ich das Gefühl, an einer AchterbahnFahrt teilgenommen zu haben. Die Bemerkung darüber, dass man die wahre Natur des Raumes nur durch die Bewegung in ihm auffassen kann, stimmte hier nicht ganz.60 Meine Wahrnehmung des Raumes im Ká Theater hatte sich mehrmals grundsätzlich verändert, ohne dass ich mich durch ihn bewegen musste. An diesem Abend bewegte sich der Raum zu mir.

60 „Um die wahre Natur des Raumes zu erfassen, muss der Beschauer sich selbst in ihm bewegen.“ (Giedion: Raum Zeit Architektur, 280.)

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“As a designer, my plea is this – freedom and simplicity.” 61

61 Kenny: A plea for simplicity, in: World Theatre, 48.

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ABBILDUNGSLISTE

Abb. 1: Sean Kenny, © Scene Magazine, 9.03.1963, aus: Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 2: Josef Svoboda, mit freundlicher Genehmigung von © Sarka Hejnova, Josef Svoboda Archiv, Prag. Abb. 3: Sean Kenny, Space Theatre 1960., aus dem Programmheft für „Blitz!“, © Cameron Mackintosh Archive London. Abb. 4: Sean Kenny, Study ´63: Veränderung der Theaterform (Arena, Proszenium, Amphitheater) 1963, Urheber unbekannt, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 5: Sean Kenny, Grundriss Diagramm, 1963, Urheber unbekannt, aus: Mappe „Study ´63“, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 6: Sean Kenny, Isometrie Skizze, 1963, Urheber unbekannt, aus: Mappe „Study ´63“, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 7: Sean Kenny, Proszenium-Bühne / Grundriss, Aufriss, 1963, Urheber unbekannt, aus: Mappe „Study ´63“, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 8: Sean Kenny, Amphitheater / Grundriss, Aufriss, 1963, Urheber unbekannt, aus: Mappe „Study ´63“, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 9: Sean Kenny, Arena-Bühne / Grundriss, Aufriss, 1963, Urheber unbekannt, aus: Mappe „Study ´63“, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 10: Sean Kenny, Arena Skizze , 1963, Urheber unbekannt, aus: Mappe „Study ´63“, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 11: Sean Kenny, Arena mit zwei Bühnen, Skizze , 1963, Urheber unbekannt, aus: Mappe „Study ´63“, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 12: Sean Kenny, Vorschlag für das neue Theater im Dunes Hotel, Las Vegas, 1963, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson.

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Abb. 13: Sean Kenny, Vorschlag für das neue Theater im Dunes Hotel, Las Vegas, 1963, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 14: Sean Kenny, Vorschlag für das neue Theater im Dunes Hotel, Las Vegas, 1963, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 15: O.N., Foto „Casino de Paris“, 1963, © St. Louis Globe,11.11.1963, aus: Scrapbook, Blythe House Archive London, Reference TXM/166. Abb. 16: Sean Kenny, Sussex University, Arts Center, Theatre Workshop Studio, 1968, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 17: Josef Svoboda, Théâtre d´Est-Parisienne, 1972-74, © Sarka Hejnova, Josef Svoboda Archive, Prag. Abb. 18: Josef Svoboda, Laterna Magika, 1980, © Sarka Hejnova, Josef Svoboda Archive, Prag. Abb. 19: Sean Kenny, Welsh Mobile Theatre für 400 Zuschauer, 1967, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 20: Sean Kenny, Ausstellung Shaping the Nation, Expo ´67, Montreal, © Daily Mail vom 04.03.1968. Abb. 21: Josef Svoboda, Polyvision, Expo ´67, Montreal. Photo: Jaromir Svoboda. © Zdena Svobodová. Abb. 22: O.N., „Oliver!“ Szenografie-Foto, 1960, mit freundlicher Genehmigung von © Cameron Mackintosh Ltd., London, aus: Cameron Mackintosh Ltd. Archive. Abb. 23: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der Szene „Arbeitshaus“ aus „Oliver!“ (1960), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 24: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der Szene „Unterkunft der Diebe“ aus „Oliver!“ (1960), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 25: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der Szene „Haus von Mr. Brownlow“ aus „Oliver!“ (1960), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 26: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der Szene „Londons Brücke“ aus „Oliver!“ (1960), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački.

ABBILDUNGSLISTE 213

Abb. 27: Duncan Melvin, Produktionsfoto „Blitz!“, 1962, © Foto: Duncan Melvin, aus: Adelphy Theatre Programmheft „Blitz!“ (1962), Cameron Mackintosh Ltd. Archive London. Abb. 28: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der Szene „Markt“ aus „Blitz!“ (1962), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 29: David Sim, Produktionsfoto „Blitz!“, 1962, © Foto: David Sim, aus: Adelphy Theatre Programmheft „Blitz!“ (1962), Cameron Mackintosh Ltd. Archive London. Abb. 30: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der Szene „Victoria Station“ aus „Blitz!“ (1962), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 31: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der Szene „Korlinsky´s Kosher Restaurant“ aus „Blitz!“ (1962), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 32: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der drei drehbaren Hauseinheiten aus „Blitz!“ (1962), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 33: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der mobilen Brücke aus „Blitz!“ (1962), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 34: O.N., Aufbau der Szenografie für „Clownaround“, 1972, Urheber unbekannt, aus: Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson. Abb. 35: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der Clown Machine aus „Clownaround“ (1972), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 36: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der Clown Machine aus „Clownaround“ (1972), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 37: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation der SchiffSzene aus „Clownaround“ (1972), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 38: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation: Spiegelung der Rheintöchter („Das Rheingold“ 1974), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 39: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation: Spiegelung der Rheintöchter („Das Rheingold“ 1974), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački. Abb. 40: Biljana Sovilj / Nebojša Tabački, 3D Computersimulation: Treppenmechanismus der Plattform („Das Rheingold“ 1974), 2012, © Biljana Sovilj / Nebojša Tabački.

214 kinetische bühnen

Abb. 41: Donald Southen, Produktionsfoto „Das Rheingold“, 1974, mit freundlicher Genehmigung von © Royal Opera House Covent Garden, aus: Royal Opera House Covent Garden Archive, London. Abb. 42: Reg Wilson, Produktionsfoto „Die Walküre“, 1974, © Foto: Reg Wilson / Rex Features photographic press agency, London, aus: Royal Opera House Covent Garden Archive, London. Abb. 43: Donald Southen, Produktionsfoto „Siegfried“, 1975, mit freundlicher Genehmigung von © Royal Opera House Covent Garden Archive London, aus: Royal Opera House Covent Garden Archive, London. Abb. 44: Donald Southen, Produktionsfoto „Die Götterdämmerung“, 1976, mit freundlicher Genehmigung von © Royal Opera House Covent Garden Archive London, aus: Royal Opera House Covent Garden Archive, London. Abb. 45: „The House of Dancing Water“, Casino „City of Dreams“, Macao 2012, mit freundlicher Genehmigung von © City of Dreams, www. thehouseofdancingwater.com.

Abb. 46: „La Rêve“ Theatre / Grundriss, Wynn Resort, Las Vegas, © Wynn Resort, www.wynnlasvegas.com.

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227

APPENDIX

228 kinetische bühnen

A-1 Sean Kenny, „Oliver!“ Grundriss, 1960, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson.

appendix 229

230 kinetische bühnen

A-2 Sean Kenny, „Oliver!“ Ansicht / Aufriss, 1960, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson.

appendix 231

232 kinetische bühnen

A-3 Sean Kenny, „Blitz!“ Grundriss, Aufriss, 1960, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson.

appendix 233

234 kinetische bühnen

A-4 Sean Kenny, „Blitz!“, Details: Grundriss Haus 1, 1960, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson.

appendix 235

A-5 Sean Kenny, „Blitz!“, Details: Ansicht Haus 1, 1960, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson.

236 kinetische bühnen

A-6 Sean Kenny, „Clownaround“ Ansicht, 1960, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson.

appendix 237

238 kinetische bühnen

A-7 Sean Kenny, „Clownaround“ Grundriss, 1960, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson.

appendix 239

A-8 Sean Kenny, „Clownaround“ Grundriss, 1960, Blythe House Archive London, Reference TXM/166, Gift of Judy Geeson.

Szenografie & Szenologie Ralf Bohn Inszenierung als Widerstand Bildkörper und Körperbild bei Paul Klee 2009, 282 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1262-2

Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung und Vertrauen Grenzgänge der Szenografie 2011, 392 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1702-3

Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung der Stadt Urbanität als Ereignis 2012, 372 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2034-4

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Szenografie & Szenologie Ralf Bohn, Heiner Wilharm (Hg.) Inszenierung und Effekte Die Magie der Szenografie 2013, 410 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2303-1

Christine Schranz Von der Dampf- zur Nebelmaschine Szenografische Strategien zur Vergegenwärtigung von Industriegeschichte am Beispiel der Ruhrtriennale 2013, 214 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2693-3

Heiner Wilharm Szene ohne Theater Die Ordnung der Inszenierung Oktober 2014, ca. 450 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 36,99 €, ISBN 978-3-8376-2665-0

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