Kinder und Dinge: Dingwelten zwischen Kinderzimmer und FabLabs [1. Aufl.] 9783839425534

We are born into a world of objects that attract and seduce us, awaken our desire, or repulse us. Objects are closely in

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German Pages 228 Year 2014

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Kinder und Dinge: Dingwelten zwischen Kinderzimmer und FabLabs [1. Aufl.]
 9783839425534

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Kindliche Dingwelten im Lichte des material-cultural turns: Eine Einführung
Kinder, Dinge und Kultur
Der Zauber der Dinge in der Kindheit Materielle Kinderkultur im Kontext von Sach- und Erinnerungsforschung
Digitale Welten begreifen Kinderworkshops im FabLab
Herstellen und Lernen Der Wert des Selbstgemachten
Ästhetik in der Dingwelt von Kindern
Das Kinderzimmer und die Dinge Von Normalitätsentwür fen und heterotopen Orten in der Kinderkultur
The meaning of musical instruments and music technologies in children’s lives
Puppen – Besondere Dinge für Kinder?
Glossar
Die AutorInnen

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Christina Schachtner (Hg.) Kinder und Dinge

Christina Schachtner (Hg.)

Kinder und Dinge Dingwelten zwischen Kinderzimmer und FabLabs

Veröffentlicht mit Unterstützung des Forschungsrats der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt aus den Förderungsmitteln der Privatstiftung der Kärntner Sparkasse. Die Studie wurde mit Mitteln des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) und der Volkswagenstiftung finanziert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © 2013 Birgit Writze, Klagenfurt Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2553-0 PDF-ISBN 978-3-8394-2553-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7

Kindliche Dingwelten im Lichte des material-cultural turns: Eine Einführung Christina Schachtner | 9

Kinder, Dinge und Kultur Christina Schachtner | 25

Der Zauber der Dinge in der Kindheit Materielle Kinderkultur im Kontext von Sach- und Erinnerungsforschung Burkhard Fuhs | 63

Digitale Welten begreifen Kinderworkshops im FabLab Irene Posch | 89

Herstellen und Lernen Der Wert des Selbstgemachten Elisabeth Augustin | 103

Ästhetik in der Dingwelt von Kindern Birgit Writze | 129

Das Kinderzimmer und die Dinge Von Normalitätsentwürfen und heterotopen Orten in der Kinderkultur Jutta Buchner-Fuhs | 149

The meaning of musical instruments and music technologies in children’s lives Jytte Bang | 175

Puppen — Besondere Dinge für Kinder? Insa Fooken | 199

Glossar | 217

Die AutorInnen | 221

Vorwort

Wenn ich auf die Entstehung dieses Buches zurückblicke, so fallen mir viele ein, die daran mitgewirkt haben, auch wenn sie nicht als AutorInnen in Erscheinung treten. Von Heidi Schelhowe kam die Idee, im Rahmen unseres Kooperationsprojekts ›Subjektkonstruktionen und digitale Kultur‹1 nicht nur die virtuellen Räume zu untersuchen, sondern unser wissenschaftliches Interesse auf FabLabs auszudehnen, auf die neuen Hightech-Werkstätten für jedermann, in denen mittels digitaler Maschinen Gegenständliches produziert wird. So geschah es, dass die Materialität der Dinge Eingang fand in die von uns untersuchte virtuelle Welt digitaler Medien. Karim Jafarmadar vom Happylab Vienna und Christopher Döring von der Open Design City Berlin gaben uns wichtige Einblicke in die Praxis der FabLabs. Ich danke Karim Jafarmadar und Irene Posch, dass sie uns die wissenschaftliche Begleitung der Kinderworkshops ›Laubsägen war gestern!‹ im Happylab Vienna ermöglichten. Aber natürlich wäre die Studie nicht gelungen, wenn nicht auch die Kinder und ihre Eltern ihre Zustimmung zur Studie gegeben hätten. Die Interviews mit den Kindern und unsere Anwesenheit bei den Workshops basiert auf Vertrauen, das uns glücklicherweise entgegengebracht wurde und für das ich mich an dieser Stelle bedanke. Die Erhebung der Daten erforderte von den Forscherinnen einen hohen Einsatz, da sie hauptsächlich am Abend und am Wochenende stattfinden musste. Die Forschungsarbeit vor Ort wurde sehr engagiert von Nicole Duller, Katja Ošljak und Heidrun Stückler geleistet. Darüber hinaus haben die drei Forscherinnen wertvolle Beiträge bei der Auswertung des empirischen Materials geleistet. Die Kinder nutzten unseren offenen Forschungsansatz und erzählten nicht nur von den Dingen, die sie im FabLab herstellten, sondern auch von anderen Dingen, die ihnen wichtig sind. Sie ließen uns erkennen, dass sie die Dinge der digitalen Welt in einen Zusammenhang bringen mit allen anderen Dingen 1 | Die Gesamtergebnisse des Projekts sind in dem Buch ›Digitale Subjekte. Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart‹ (2014) erschienen.

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in ihrer Lebenswelt. Das nahm insofern Einfluss auf die Konzeption dieses Buches, weil das Spektrum der Dinge erweitert wurde, die in diesem Buch analysiert werden. Jytte Bang, Jutta Buchner-Fuhs, Insa Fooken, Burkhard Fuhs und Irene Posch ergänzen und bereichern mit ihren Beiträgen die Forschungsergebnisse der FabLab-Studie. Ich danke ihnen, dass sie sich für dieses Buchprojekt begeistern ließen. Regina Zirbisegger hat es übernommen, die Texte für die Veröffentlichung formal aufzubereiten, was sie mit hohem Engagement und viel Geduld erledigt hat. Schließlich möchte ich mich für die produktive Zusammenarbeit mit Roswitha Gost, Kai Reinhardt und Gero Wierichs vom Transcript Verlag bedanken, die für unsere Fragen und Anregungen immer offen waren. Christina Schachtner Klagenfurt 2014

Kindliche Dingwelten im Lichte des material-cultural turns: Eine Einführung Christina Schachtner

Das vorliegende Buch steht in der Tradition eines wissenschaftlichen Diskurses über Dinge und Materialitäten, der sich seit den 80er Jahren nach Peter J. Bräunlein als material-cultural turn (Bräunlein 2012: 18) zeigt. ›Turns‹ bezeichnen keine Paradigmenwechsel, sondern Blickwechsel, die Konsequenzen für Theorie und Methode haben (a.a.O.: 14). Sie stimulieren das Überschreiten eigener Fachgrenzen (ebd.), forcieren interdisziplinäre Perspektiven, die bereits in theoretischen Ansätzen erkennbar sind, die als Vorläufer des materialcultural turn bezeichnet werden können.

1. V OM »A UFFORDERUNGSCHAR AK TER « DER D INGE UND SOZIOMATERIELLEN K ONFIGUR ATIONEN : Z UR G ENESE DES MATERIAL- CULTUR AL TURNS Schon in der Zeit vor den 80er Jahren gab es AutorInnen unterschiedlicher Disziplinen, die sich mit der Bedeutung von Dingen und ihren Beziehungen zu Kultur und Gesellschaft beschäftigt haben, ohne dass diese Ansätze einen vielbeachteten Platz in der sozial- und kulturwissenschaftlichen Theoriebildung eingenommen hätten. Ich werde im Folgenden ausgewählte theoretische Eckpunkte dieses Diskurses skizzieren, soweit sie für die in diesem Buch behandelten Themen und Forschungsfelder von Relevanz sind. Aus einer sozialpsychologischen Perspektive führte Kurt Lewin in den 20er Jahren den »Aufforderungscharakter« (Lewin 1982: 64) der Dinge ein. Er wollte darauf aufmerksam machen, dass sich die Menschen nicht einer neutralen, sondern einer stimulierenden Dingwelt gegenübersehen, die ihnen freundlich oder feindlich begegnet, die lockt, motiviert, erschreckt. Dinge sind, wie Lewin schreibt, mit »willensartigen Tendenzen« ausgestattet, die sich bereits dem Kleinkind offenbaren. Als Beispiele, die den Säugling zum Zugreifen motivieren, nennt Kurt Lewin das glitzernde Spielzeug, ein Bändchen, den Zip-

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fel eines Tuchs (ebd.). John Dewey rückte aus einem pädagogisch-philosophischen Blickwinkel den Zusammenhang zwischen dem Gebrauch der Dinge und Erkenntnis in den Mittelpunkt seines Forschungsinteresses. Nicht durch Eindrücke, die die Dinge dem passiven Geist aufprägen, erfahren wir laut Dewey etwas über die Dinge, sondern durch deren Gebrauch und durch die Beobachtung der Konsequenzen, zu denen der Gebrauch führt (Dewey 1949: 355). Dewey nahm an, dass die Menschen von Natur aus die Neigung haben, die Eigenschaften der Dinge zu erkunden, was schon bei Kindern zu beobachten sei (a.a.O.: 354). Mit Lewin müsste man entgegnen, dass der Gebrauch zumindest auch von den Dingen stimuliert wird, durch die von ihnen ausgehenden Appelle und Aufforderungen. Die sozialen Implikationen der Dinge haben neben der subjektbezogenen auch eine gesellschaftsbezogene Dimension, wie Karl Marx deutlich machte. Dinge in Gestalt von Arbeitsmitteln sagen nach Marx etwas aus über gesellschaftliche Verhältnisse: »Dieselbe Wichtigkeit, welche der Bau von Knochenreliquien für die Erkenntnis der Organisation untergegangener Tiergeschlechter hat, haben Reliquien von Arbeitsmitteln für die Beurteilung untergegangener ökonomischer Gesellschaftsformationen [...]. Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird« (Marx 1975: 194ff.).

Eine Erklärung dafür, dass die Arbeitsmittel Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse sind, liefert Hannah Arendt, für die der Mensch als Homo faber Werkzeuge und Geräte erfunden hat, um damit eine Welt zu errichten, die er der instrumentellen Logik des Werkzeugs angepasst hat. Die Dingwelt des Homo faber ist nach Arendt eine von der Zweck-Mittel-Logik beherrschte Welt: »Sofern der Mensch Homo faber ist, kennt er nichts als seine vorgefassten Zwecke, zu deren Realisierung er alle Dinge zu Mitteln degradiert [...]« (Arendt 1960: 143). Im Unterschied zu Marx, dem die Analyse der Maschinenwelt zur Aufdeckung gesellschaftlicher Verhältnisse dient, bleibt für Arendt das Subjekt in Gestalt des Homo faber im Mittelpunkt des Interesses. Homo faber ist als Schöpfer der Werkzeuge und Maschinen nach Arendt einerseits Akteur, der sich andererseits dem Rhythmus der Arbeitsgeräte anpasst, nachdem er sie erfunden hat. Er verwandelt sich vom Akteur zum Anhängsel seiner Maschinen und Werkzeuge, die ihm die »Initiative für die Bewegung abnehmen« (Arendt 1960: 133). Die Logik der technischen Artefakte drängt sich dem Menschen auf, weil er, so Arendt, »ein bedingtes Wesen ist in dem Sinne, dass jegliches, ob er es vorfindet oder selbst macht, sofort eine Bedingung seiner Existenz wird« (ebd.). Sowohl Marx als auch Arendt machen deutlich, dass sich in der Beziehung zwischen dem Subjekt und den Dingen auch die Machtfrage stellt.

Kindliche Dingwelten im Lichte des material-cultural turns: Eine Einführung

Das neu entflammte Interesse an den Dingen in den 80er Jahren war kulturwissenschaftlich geprägt und – wie Daniel Miller es sieht – wesentlich inspiriert durch die von Lévi-Strauss (1967) entwickelte Verbindung von Strukturalismus und Semiotik (Miller 2008: 274). Diese Verbindung implizierte, dass kulturelle Codes nicht nur in der Sprache enthalten sind, sondern auch in anderen Medien, wozu Dinge zählen können (ebd.). Dieser gedankliche Ansatz beeinflusste nach Miller bereits Michel Foucault, der sich in seinem Werk ›Die Ordnung der Dinge‹ (1971) mit der Rolle der Dinge bei der Etablierung einer sozialen Ordnung auseinandersetzte sowie später Jean Baudrillard, der in ›Das System der Dinge‹ (1991) das Sammeln und die Bedeutung des Besitzes alltäglicher Gegenstände analysierte (Miller 2008: 274). Mihály Csíkszentmihályi und Eugene Rochberg-Halton entwarfen in ihrem Buch »Der Sinn der Dinge« (1989) eine kulturpsychologische Sicht auf die Dinge. Sie legten den Fokus ihres Interesses auf die in der Interaktion mit den Dingen entstehenden soziomateriellen Konfigurationen, in denen sich Menschen und Dinge wechselseitig beeinflussen und in denen sich darüber hinaus Lebensverhältnisse und Kultur formen. So hat nach Csíkszentmihályi und Rochberg-Halton der Kühlschrank die Einkaufs- und Essgewohnheiten verändert, das Fernsehen hat das Beziehungsgefüge in den Familien geprägt und das Automobil hat eine zunehmende Mobilität sowie die Entstehung von Vorstädten zur Folge (Csíkszentmihályi/Rochberg-Halton 1989: 32). Tilman Habermas stellte in seinem 1996 erschienenen Buch »Geliebte Dinge« ebenfalls aus einer psychologischen Perspektive die symbolische Bedeutung der Dinge für die Identitätsbildung ins Zentrum seiner Analyse, die wesentlich an dem von Kurt Lewin formulierten Aufforderungscharakter der Dinge anknüpft. Der Symbolcharakter der Dinge ist auch für Alfred Lorenzer der Ansatzpunkt seiner kulturpsychologischen Untersuchung der Dinge als präsentative und diskursive Bedeutungsträger. Lorenzer ist eine systematische Untersuchung der Symbolik der materiellen Welt und der Interaktionsbeziehungen zu verdanken, die Menschen einschließlich Kinder zur Welt der Gegenstände entwickeln. Er unterscheidet zwischen sinnlich-symbolischen und sprachsymbolischen Interaktionsformen, die die »Basisschicht der Subjektivität« (Lorenzer 1981: 163) bilden. Der aktuelle Diskurs über Menschen und Dinge ist wesentlich durch das von Bruno Latour vorgelegte soziologische Konzept der Akteur-Netzwerk-Theorie geprägt. Für Latour sind neben den Menschen auch Kultur- und Naturdinge als Akteure an den Handlungsabläufen beteiligt. Kein Akteur handelt nach Latour alleine, sondern stets im Verbund mit anderen AkteurInnen, anders gesagt, in einem Netzwerk (Latour 2007: 81). Der populär gewordene Satz »Die Menschen sind nicht mehr unter sich« (Latour 2000: 231) verweist auf die Handlungsmacht der Dinge, ohne dass ihnen Latour eine deterministische Wirkung zuschreibt. Hartmut Böhme liefert eine Erklärung für diese Hand-

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lungsmacht, wenn er schreibt: »Artefakte sind inkorporierte Handlungsschemata. Sie enthalten [...] Skripte derjenigen Operationen, die ihnen angemessen sind« (Böhme 2006: 82). Ein Hammer beispielsweise will ergriffen werden und zwar angemessen (a.a.O.: 83). Das Wörtchen ›will‹ verweist auf das Skript des Hammers. Das Skript der Dinge macht sie, wie Lorenzer es ausdrückte, zu Bedeutungsträgern. Allerdings ging Lorenzer nicht so weit, dass er die Dinge als Akteure sah (Lorenzer 1981: 155) wie Latour, der sich mit seinem Ansatz radikal von bisherigen Handlungstheorien absetzt, die Handlungen ausschließlich dem menschlichen Subjekt zurechnen (Böhme 2006: 73). Bruno Latour versucht mit seinem Konzept der Akteur-Netzwerk-Theorie letztlich die Genese und den Charakter gesellschaftlicher Strukturen zu erfassen. Die Annahme, dass die Dinge als Akteure auftreten, spielt aber auch in aktuellen theoretischen Ansätzen eine Rolle, die sich mit der Konstitution des Subjekts beschäftigen. Eine eigene Studie, in der ich in den 90er Jahren die Bedeutung der Interaktionsbeziehungen zwischen SoftwareentwicklerInnen und der Computertechnik auf der Subjektebene untersuchte, verwies bereits auf den Handlungscharakter der Technik, der in der Logik, aber auch in den Sehnsüchten der Menschen gründet, die die Technik jeweils materialisiert (Schachtner 1997: 19; Schachtner 2003: 161ff.). In der Entwicklung und im Gebrauch der Computertechnik setzen sich – so das Ergebnis der Studie – die SoftwareentwicklerInnen zu diesem Handlungscharakter in Beziehung und konstituieren dabei ihre Subjektivität im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Veränderung technischer Implikationen (ebd.). Ernst Schraube und Estrid Sørensen bezeichnen in ihrer Einführung in den Schwerpunkt ›Materiality‹, den die Zeitschrift ›Subjectivity‹ im April 2013 gewählt hatte, Subjektivität als soziomaterielles Phänomen, weil sie von einer Verschränkung von Subjektivität und Materialität ausgehen (Schraube/Sørensen 2013: 2f.). Schraube formulierte schon früher: »Nicht nur wir tun etwas mit den Dingen, auch die Dinge tun etwas mit uns« (Schraube 2012: 17). Schraube und Sørensen wollen sich von einer »Psychologie abgrenzen, die die Komplexität der soziomateriellen Welt in rein psychologischen Variablen auflöst; sie wollen vielmehr mit der Materialität die Welt in die Psychologie zurückbringen« (Schraube/Sørensen 2013: 3). Daniel Miller fragt schließlich, ausgehend von Latours Ansatz, in dem der Dualismus zwischen Subjekt und Objekt aufgebrochen wird: »Kann es eine Theorie der Dinge geben?« (Miller 2008: 275). Für ihn hat die Dingwelt so sehr die Kultur durchdrungen, dass die Dinge als ständiger Handlungsrahmen fungieren, selbst dann und gerade dann, wenn sie gar nicht sichtbar sind, was er mit dem Terminus »humility of things« (Miller 2008: 277) zu beschreiben sucht. Er will daher eine Theorie der Dinge weder in der Soziologie verankern wie Latour, noch in der Psychologie wie Schraube/Sørensen, sondern plädiert für eine eigenständige Disziplin, die er »material culture studies« nennt (Mil-

Kindliche Dingwelten im Lichte des material-cultural turns: Eine Einführung

ler 2008: 280). Dieser Terminus hebt auch auf die immaterielle Seite des Materiellen ab, die mit der Computertechnik besonders deutlich in Erscheinung tritt. Miller stellte selbst fest, dass digital gestützte Kommunikation von einem nur materiellen Dingbegriff nicht erfasst werden kann (ebd.). Es ist aus meiner Sicht noch viel grundsätzlicher: Die Computertechnik entsteht erst durch das Zusammenspiel zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen, zwischen Hardware und Software, zu der neben den Computerprogrammen auch die Kommunikation zählt. Dieses Zusammenspiel entfaltet sich in der Interaktion zwischen der Technik und den menschlichen AkteurInnen und muss immer wieder aufs Neue entfacht werden (Schachtner 1997: 16; Schachtner 1993: 43). Die Immaterialität des Materiellen gilt als Charakteristikum nicht nur für die computertechnischen, sondern für alle Dinge, wenn wir ihnen eine Symbolik zuschreiben, wie es Lorenzer mit den Begriffen präsentative und diskursive Symbolik und Böhme es mit dem Begriff Skript tun. Dies impliziert fließende Übergänge zwischen Materialität und Kultur nicht nur im Verhältnis zwischen den Dingen und den menschlichen AkteurInnen, sondern auch in den Dingen selbst. Trotz unterschiedlicher Ansatzpunkte und Blickrichtungen des wissenschaftlichen Diskurses über Dinge zeichnen diesen Diskurs gegenwärtig folgende Gemeinsamkeiten aus: • • •

Ablehnung eines Ding- oder Technikdeterminismus Annahme von Wechselbeziehungen zwischen den Dingen und menschlichen AkteurInnen der Netzwerkgedanke, formuliert auch als soziomaterielle oder materiellkulturelle Konfigurationen.

Den verschiedenen Diskurssträngen, die die Dinge in ihre Theoriebildung einbeziehen, ist immer wieder auch ein kritischer Bezug auf bisherige wissenschaftliche Ansätze zu entnehmen, die dem Sozialen den Vorrang gegenüber der Materialität geben. John Dewey sieht den Grund für die Ausgrenzung der Materialität aus der Theoriebildung in der griechischen Philosophie, die Erkenntnisse umso wertvoller einstuft, je mehr sie sich mit Abstraktionen und nicht mit der sinnlichen Welt der Dinge beschäftigt (Dewey 1949: 347). Das Immaterielle, das Ideale, das Geistige sei aus der Perspektive griechischer Denker Sache der Vernunft, die alleine Wahrheit erfasse (a.a.O.: 345). Die Sinne dagegen hätten es mit der physischen Welt und der Erfahrung zu tun, die wechselhaft, veränderlich und uneinheitlich sei (ebd.). Etwas theoretisch zu erfassen heiße aus der Perspektive der antiken Philosophie, der Region des Wandelbaren zu entrinnen; Wahrheit sei vollkommen und werde durch den Wirrwarr der sinnlichen Welt nicht berührt (ebd.). Daniel Miller konstatiert diese Hierarchie zwischen Immaterialität bzw. Spiritualität und Materialität

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auch heute noch als beherrschendes Prinzip in den Humanwissenschaften: »Mere materialism, when contrasted with spirituality, is generally regarded as a kind of primitive consciousness [...]« (Miller 2008: 272). Das neu aufgekommene Interesse an der Dingwelt ist nach Bräunlein nicht unabhängig von der Flüchtigkeit moderner Lebenswelten zu sehen. Dinge vermitteln in Zeiten des Flüchtigen die Erfahrung von Kontinuität (Bräunlein 2012: 14ff.). Phänomene des Flüchtigen wurzeln heutzutage auch in zunehmenden Umweltkatastrophen, wie sie sich im Jahre 2011 in Fukushima als Folge eines Tsunamis und einer anschließenden Atomkatastrophe ereigneten. In der am stärksten vom Tsunami betroffenen Stadt, in Minamisanriko, begannen Hunderte von freiwilligen HelferInnen nach der Katastrophe in den Trümmern nach Fotos zu suchen, auf denen Menschen abgebildet waren. Die Fotos wurden einem aufwendigen Reinigungsprozess unterzogen und in einer Schule öffentlich aufgehängt. Die Menschen gingen hin, um nach Fotos von ihrer Familie zu suchen, von der oft nur wenige überlebt hatten. Die Reportage (Sendung ›Minamisanriko – Schicksal einer Stadt‹, 3 SAT am 6.3.2013) ließ einige der freiwilligen Helfer zu Wort kommen, die ihr Tun als sehr bedeutsam einstuften. Warum diese Fotos für die betroffenen Menschen so wichtig waren, blieb offen. Möglicherweise zählten die Fotos zu den wenigen, wenn nicht einzigen Dingen, die ihnen aus der Zeit vor der Katastrophe und ihrem damaligen Leben übrig geblieben waren. Fotos zeigen Szenerien, sie dokumentieren Beziehungen und stimulieren Erinnerungen; sie können Menschen dabei unterstützen, am Faden ihres früheren Lebens anzuknüpfen, Kontinuität herzustellen, die für das Erleben eigener Kohärenz unverzichtbar ist. Die Erfahrung von Kohärenz durch die Dinge ist nicht nur im Erwachsenenalter von Bedeutung, sondern bereits in der frühen Kindheit. Die Dinge schlagen für Kinder Brücken zu anderen Menschen, aber auch zu ihrem Körper, seinem Begehren und seinen Wünschen; sie binden Kinder in die soziomateriellen Konfigurationen ein, in denen sie ihre Subjektivität ausbilden (Winnicott 1973: 10ff.). Nichtsdestotrotz hat der material-cultural turn in die Kindheitsforschung bislang wenig Eingang gefunden. Das vorliegende Buch möchte einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen. Es möchte darüber hinaus auch einen Beitrag zur allgemeinen Kultur- und Dingforschung leisten, der am Beispiel der kindlichen Dingwelt konkretisiert wird. Der Versuch, den material-cultural turn in die Kindheitsforschung zu tragen, trifft auf eine gewandelte wissenschaftliche Perspektive auf Kindheit. Die moderne Kindheitsforschung betrachtet Kinder nicht länger als Objekte, sondern als Akteure und rückt damit die Interaktionen der Kinder ins Blickfeld, die diese nicht nur in Bezug auf ihre soziale, sondern auch auf ihre dingliche Umwelt entfalten.

Kindliche Dingwelten im Lichte des material-cultural turns: Eine Einführung

2. A USLÖSER FÜR DIESES B UCH : D IE F AB L AB -S TUDIE Nicht die vertrauten Dinge waren es, sondern ganz neue Dinge, die die Idee zu diesem Buch lieferten. Diese neuen Dinge aus dem Bereich digitaler Technologien waren Gegenstand einer Studie in einem FabLab, die im Rahmen des binationalen Forschungsprojekts ›Subjektkonstruktionen und digitale Kultur«1 von einem Forschungsteam2 an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt durchgeführt wurde. Ein FabLab oder ein Fabrication Laboratory ist eine Hightech-Werkstatt für jedermann, in der mit computergestützten Maschinen verschiedenste Produkte durch die sog. Fabber hergestellt werden. Das Konzept wurde von dem Physiker Neil Gershenfeld am Massachusetts Institute of Technology entwickelt; im Jahre 2002 gründete Gershenfeld das erste FabLab am South End Technology Center in Boston. Gershenfeld wollte erreichen, dass die Menschen an der Entwicklung ihrer Werkzeuge beteiligt werden, damit diese der Lösung ihrer Probleme dienen können (Boeing 2011). Sie sollten auf diese Weise Kontrolle über die Technik erhalten und ein kritisches Bewusstsein gegenüber der Massenproduktion entwickeln. Mittlerweile existieren 127 FabLabs in 35 Ländern.3 Weitere Details zum Konzept der FabLabs und zur FabLab-Bewegung finden sich in dem Beitrag von Irene Posch in diesem Band (s. auch Walter-Herrmann/Büching 2013). Die erwähnte FabLab-Studie, auf der ein Teil der Buchbeiträge basiert (Augustin, Schachtner, Writze) war im Happylab Vienna angesiedelt. Das Happylab Vienna ist ein Projekt der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften (INNOC) und wurde im November 2010 als Verein gegründet. Mittlerweile verfügt der Verein über ca. 1200 aktive NutzerInnen (zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen) im Alter zwischen 15 und 70 Jahren. Das Happylab Vienna versteht sich als Treffpunkt für technikinteressierte Menschen jeden Alters. Es will ganz im Sinne von John Dewey ein learning by doing initiieren sowie ein Lernen voneinander und miteinander (www.happylab.at, letzter Zugriff: 29.11.2013). Der Auswahl des Happylabs Vienna für diese Studie waren eine Recherche zu FabLabs in Europa vorausgegangen sowie Expertengespräche in der Open Design City in Berlin und im Happylab Vienna. Letzteres stellte sich als Untersuchungsobjekt als besonders günstig heraus, weil dort Workshops mit Kindern geplant wurden und eine wissenschaftliche

1 | An dem Forschungsprojekt ›Subjektkonstruktionen und digitale Kultur‹ waren vier Forschungsteams der Universitäten Bremen, Münster, Klagenfurt und der TU HamburgHarburg beteiligt. 2 | Forschungsteam der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt: Elisabeth Augustin, Nicole Duller, Katja Ošljak, Christina Schachtner, Heidrun Stückler, Birgit Writze. 3 | http://fab.cba.mit.edu/about/labs/ [letzter Zugriff: 3.12.2013].

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Begleitung erwünscht war und weil die räumliche Nähe des Happylabs Vienna mehr Präsenz der Forscherinnen ermöglichte. Einbezogen in die Untersuchung waren 23 Kinder im Alter zwischen neun und vierzehn Jahren, die an den vom Happylab Vienna angebotenen zweitägigen Workshops »Laubsägen war gestern!« im Dezember 2011 teilnahmen. Die kostenlosen Workshops wurden in verschiedenen Wiener Printmedien sowie durch Flyer in der sozial gemischt strukturierten Nachbarschaft des Happylabs Vienna beworben; teilgenommen haben überwiegend Kinder aus bildungsnahen und monetär begünstigten sozialen Schichten. Die Eltern übten mehrheitlich qualifizierte Berufe aus. Auffallend ist auch, dass die teilnehmenden Kinder überwiegend Schulen besuchten, die reformpädagogisch orientiert waren oder musische Schwerpunkte z.B. Musik, Tanz, Kunst, Medienpädagogik hatten. Das deutet darauf hin, dass Eltern und Kinder sich für gestaltungsorientierte Lernsettings interessieren, die den Körper und das manuelle Tun in den Lernprozess einbeziehen, wie es auch das Konzept der Workshops vorsah. Die FabLab-Studie kann als Fallstudie charakterisiert werden, weil sie sich auf nur eine Institution sowie auf ausgewählte Angebote dieser Institution bezieht. Es wurde ein verstehend-interpretativer Forschungsansatz gewählt, der nicht auf Repräsentativität abzielt, sondern die Sinnbedeutungen der erhobenen Daten ergründen will und sich dabei der Interpretation bedient (Schachtner 2005: 131). Mit dem Ziel, verschiedene Zugänge zu diesen Sinnbedeutungen zu gewinnen, wurden mehrere Forschungsmethoden miteinander kombiniert, ein Vorgehen, das auch als Triangulation bezeichnet wird (Flick 2000: 249ff.). Zur Anwendung kamen das thematisch strukturierte Interview, die Beobachtung, Gruppendiskussionen sowie die Methode der Visualisierung. Im Vorfeld der Workshops wurden mit insgesamt sechs Mädchen und sechs Jungen im Alter zwischen neun und dreizehn Jahren Interviews geführt, denen ein Frageleitfaden zugrunde lag, der folgende Themen umfasste: Zugang zum Happylab, Motive und Erwartungen, Erfahrungen mit handwerklichen Tätigkeiten und mit digitalen Medien, Lieblingsdinge, Stellenwert von Konsumgütern. Das Interview begann mit einer Einstiegsfrage der Forscherin, die die Kinder zum Erzählen ermutigen sollte und entwickelte sich dann zu einem dem Alltagsgespräch angenäherten Dialog zwischen den Kindern und der Forscherin, bei dem es den Kindern überlassen wurde, ihre inhaltlichen Prioritäten zu setzen. Die Interviews fanden bei den Kindern zuhause und oft in den Kinderzimmern statt, was den Forscherinnen einen sinnlichen Eindruck von den Dingen im familiären Umfeld der Kinder erlaubte. Dies stellte sich als erkenntniserweiternd heraus, da die Kinder während des Interviews oft auf Dinge um sie herum verwiesen, um der Forscherin von der Herkunft dieser Dinge und deren Bedeutung für sie zu erzählen. Alle Workshops wurden von mehreren Forscherinnen beobachtend begleitet und protokolliert; die Aufmerksamkeit richtete sich auf den chronologi-

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schen Ablauf der Workshops, auf die gestaltenden Tätigkeiten einzelner Kinder, auf die Interaktion der Kinder untereinander, mit der Workshop-Leiterin, mit den technischen Geräten und mit den von ihnen hergestellten Produkten. Sie bedruckten im Verlauf der Workshops ein mitgebrachtes T-Shirt mit einem von ihnen am Bildschirm entworfenen Motiv, sie entwickelten mit Hilfe des Programms Google SketchUp ihr Traumhaus, das mittels eines 3 D-Druckers als materieller Gegenstand in Miniaturform ausgedruckt wurde, stellten ein elektronisches Musikinstrument her, das als Drawdio bezeichnet wird und programmierten ein Computerspiel. Die Forscherinnen bewegten sich abwechselnd im Raum, saßen an den Tischen der Kinder oder etwas abseits; sie führten insofern eine nicht-teilnehmende Beobachtung durch, als sie sich nicht an den Arbeiten der Kinder beteiligten, aber sie beantworteten Fragen oder stellten welche an die Kinder. Am Ende der Workshops wurden mit den Kindern Gruppendiskussionen durchgeführt, bei denen diese gebeten wurden, über das Herstellen ihrer Produkte zu sprechen sowie über deren weitere Verwendung, z.B. ob sie sie behalten wollten oder lieber verschenken, verkaufen oder tauschen. Außerdem wurden sie aufgefordert, ein Bild zum Thema ›Ich und die Dinge, die ich im FabLab gemacht habe‹ zu zeichnen. Das Bild sollte Aufschluss darüber geben, wie sich die Kinder zu den selbst angefertigten Dingen ins Verhältnis setzen, ob sie sich z.B. eher im Mittelpunkt dieser Dinge sehen, als Schöpfer der Dinge oder ob die Dinge die Bilder beherrschen und sie selbst gar nicht mehr präsent sind.

Abbildung 1: Laura (13 Jahre) inszeniert mittels der Worte ›mein‹ und ›unser‹ ihren Aneignungsprozess

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Die Methode der Visualisierung kontrastiert sowohl das Interview als sprachliches Instrument als auch die Methode der Beobachtung, die auf Wahrnehmung und Sprache basiert. Sie führt Szenarien vor Augen, wie hier im Bild von Laura ein Mensch-Dinge-Arrangement. Auch Gefühle erschließen sich dem/der BetrachterIn des Bildes; zu sehen sind ein Gesicht mit großen Augen, leicht geöffnetem Mund und erhobene Arme, die ein freudiges Staunen zum Ausdruck bringen. Der Wert von Bildern besteht darin, dass sie Zusammenhänge und Kontexte sichtbar werden lassen, dass sie das körperliche Sein des Menschen in Szene setzen sowie dem Schwer-Sagbaren eine sichtbare Form zu geben vermögen. Insofern können durch die Methode der Visualisierung die verbalen Mitteilungen in den Interviews sowie die Beobachtungsnotizen der Forscherinnen ergänzt, vertieft, modifiziert, differenziert werden (Schachtner 2005: 138). Es liegen neunzehn Visualisierungen vor. Die Auswertung der Interviews orientierte sich an den Prinzipien der Grounded Theory, die vorsieht, theoretische Aussagen aus der Empirie heraus im Weg eines induktiven Interpretierens zu entwickeln, was eine gegenstandsverankerte Theoriebildung darstellt (Ballenthien/Büching/Ošljak 2013: 273ff.). Das von Anselm Strauss und Barney Glaser in den frühen 60er Jahren entwickelte Konzept der Grounded Theory (Strauss 1991) beginnt mit dem offenen Codieren des empirischen Materials; die ermittelten Codes werden in einem weiteren Schritt zu Schlüsselcodes verdichtet. Schlüsselcodes zeichnen sich dadurch aus, dass sie in verschiedenen Variationen auftreten können und dass eine große Anzahl an empirischen Phänomenen auf die Schlüsselcodes bezogen werden kann (Strauss 1991: 67). Die Interviews wurden in dieser Untersuchung zunächst getrennt ausgewertet und anschließend wurden die in den Interviews identifizierten Schlüsselcodes einem Quervergleich unterzogen. Die Auswertung der Interviews ergab folgende Schlüsselcodes: Dinge und Selbstentwurf, die Ästhetik der Dinge, emotionale Beziehungen zu den Dingen, Lieblingsdinge, Dinge als Erinnerungsobjekte, Herstellen und Lernen. Diese Schlüsselcodes lassen erkennen, dass die Herstellung, der Gebrauch und der Besitz von Dingen eng mit den Persönlichkeiten der Kinder verwoben sind. Sie haben es im FabLab, aber auch in ihrer sonstigen Lebenswelt mit zwei Arten von Dingen zu tun: mit Dingen, die sie als Werkzeuge nutzen und mit Dingen, die sie herstellen, kaufen oder die sie geschenkt bekommen. Es handelt sich um eine dynamische Unterscheidung der beiden ›Dingarten‹, denn das Werkzeug kann plötzlich zum Objekt der Wahrnehmung werden und umgekehrt. Der CNC Cutter beispielsweise wurde den Kindern im FabLab als Werkzeug präsentiert, doch als ein neunjähriger Junge in Bezug auf den CNC Cutter fragte: »Also, ist der Computer der Chef?«, wird das Werkzeug plötzlich zu einem Akteur, der aus der Sicht des Jungen die eigene Handlungsmacht in Frage stellt. Die Auswertung der Visualisierungen erfolgte im ersten Schritt durch eine Beschreibung der Dinge, Handlungen, Worte, die auf den Visualisierungen

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zu sehen sind und im nächsten Schritt durch die Interpretation des Gezeichneten im Hinblick auf das Thema ›Ich und die Dinge, die ich im FabLab gemacht habe‹. Der Quervergleich der Einzelauswertungen ergab neben häufig auftretenden Phänomenen über die verschiedenen Zeichnungen hinweg auch Phänomene, die auf geschlechtsspezifische Unterschiede verweisen. Tendenziell zeigen die Visualisierungen lachende Gesichter und Smileys, die die Aktivitäten der Kinder im FabLab als lustvolles Unternehmen erscheinen lassen. Wie schon die von Laura angefertigte Visualisierung, dokumentieren auch eine Reihe anderer Visualisierungen den Aneignungsprozess der Dinge, sei es, dass die selbst hergestellten Dinge mit besitzanzeigenden Pronomen (z.B. mein 3D-Modell) belegt werden oder die Dinge in ein Nahverhältnis zum Körper gebracht werden, indem sie in der Hand gehalten werden oder wie das T-Shirt am Körper getragen werden. Ein häufiges Motiv auf den Visualisierungen bilden auch die Herstellungsprozesse der verschiedenen Dinge, die z.B. nicht selten durch eine Veränderung der Größe ein und desselben Gegenstands im Verlauf der Herstellung symbolisiert werden. So werden die Entwürfe der T-Shirt-Motive z.B. deutlich kleiner dargestellt als das gedruckte Motiv. Das könnte ein Ausdruck von Stolz über das fertige Produkt sein, aber auch im Sinne von John Dewey auf neue Erfahrungen verweisen, die die Kinder im Herstellungsprozess gemacht haben und die in ihren Augen dem Produkt nun ein größeres Gewicht geben. Geschlechtsspezifische Unterschiede repräsentieren die Visualisierungen insofern, als die Jungen sich vorwiegend in Aktion zeigen, z.B. am Computer arbeitend oder mit dem Drawdio musizierend, und ihren Körper nur mit wenigen Strichen skizzieren, während sich die Mädchen im Zentrum der Visualisierungen inmitten der Dinge platzieren und vor allem Gesicht und Haare sehr detailliert zeichnen. Die Kinder beschränken sich weder bei der Wahl ihrer T-Shirt-Motive und bei der Konstruktion ihrer Traumhäuser noch in den Interviews auf Dinge, die die virtuelle Welt bietet. Motive aus Computerspielen wie ›Pokémon‹, ›Assasin’s Creed: Revelation‹ oder ›Assasin’s Creed: Brotherhood‹ sind zwar beliebte T-Shirt-Motive, aber daneben finden sich auch Motive aus der physikalischen Welt wie ein Klavier, Palmen, Muffins, eine Eistüte, Drachen, ein Delphin. Noch stärker breiteten die Kinder im Interview das Spektrum der Dinge aus, die ihnen aktuell wichtig sind oder es früher einmal waren. Dazu zählten das Playmobil, das Handy, die Sido-CD, das iPhone, das Nintendo 3 DS ebenso wie der Schlüsselanhänger, der Legobausatz, die riesengroße Werkbank, das Kuscheltier, der Fußball. Sie entwarfen gegenüber den Forscherinnen ein Universum der Dinge als Handlungsfeld und Bühne der Selbstdarstellung. Die Tendenz der Kinder, die digitalen Dinge einzureihen in das Spektrum aller Dinge, die ihre Lebenswelt bevölkern, hat dazu geführt, dass sich auch dieses Buch nicht auf die Dinge beschränkt, die im FabLab produziert wurden oder die dort als Werkzeuge dienten. Es handelt darüber hinaus auch von an-

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deren Dingen, die uns die Kinder als für sie wichtig beschrieben. Neben dem Forschungsteam kommen in diesem Buch GastautorInnen unterschiedlicher disziplinärer Zugehörigkeit zu Wort, die auf der Basis eigener Forschungsergebnisse einmal mehr dazu beitragen, die Vielfalt kindlicher Dingwelten wissenschaftlich zu erschließen.

3. D IE B EITR ÄGE IM Ü BERBLICK Im ersten Beitrag frage ich grundsätzlich nach der Bedeutung der Dinge und beziehe diese Diskussion auf die Dinge in der kindlichen Lebenswelt. Ich erörtere im Zusammenhang mit dem Versuch, den Begriff ›Dinge‹ zu bestimmen, deren Doppelcharakter, der sich zum einen auf die materielle und immaterielle Dimension der Dinge und zum andern auf deren Instrumentalität und deren Erlebnisbedeutung bezieht. Ich setze mich anschließend unter Bezug auf die empirischen Ergebnisse der FabLab-Studie mit den Interaktionsformen auseinander, die von den Dingen als hybride Objekte evoziert werden, diskutiere die kulturellen Implikationen der Dinge und befasse mich anschließend mit dem Aufwachsen im Netzwerk der Dinge aus der Sicht der Akteur-NetzwerkTheorie. Der Beitrag von Burkhard Fuhs widmet sich der Frage, »wie die materielle Kultur der Kinder als Ausdruck von Kindheit verstanden werden kann und welche Auswirkungen der materielle Wandel auf die Welt der Kinderdinge hat« (s. Beitrag Fuhs). Fuhs entwickelt eine historische Perspektive auf die Dinge der Kinder und die Dinge für Kinder wie Bilder, Spielzeug, Kinderliteratur, die für ihn immer schon Mediendinge waren. Diese Medien betrachtet Fuhs als wichtigste Rohstoffquelle kindlicher Fantasien; ihr entnehmen die Kinder ihre Themen und Helden, um ihre inneren Welten und Entwicklungsaufgaben zu gestalten. Irene Posch gibt einen Überblick über die FabLab-Bewegung und die technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der FabLabs. Diese verstehen sich nach Posch als Orte, die ihre NutzerInnen ermächtigen, von KonsumentInnen zu ProduzentInnen und sogar zu ErfinderInnen zu werden. Anhand der von ihr konzipierten und durchgeführten Workshops für Kinder im Happylab Vienna zeigt sie auf, wie für Kinder ein Ermöglichungsraum erschaffen wird, in dem sie mit Hilfe digitaler Technologie ihre ästhetischen Vorstellungen, ihre technischen Fertigkeiten und Träume mobilisieren und entfalten können. Elisabeth Augustin richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Herstellprozesse im Happylab Vienna und auf die damit verbundenen Lernerfahrungen. Sie analysiert die enge Verbindung von Herstellen und körperlichem Erleben, beschreibt das Basteln und Herstellen als ein Handeln, das sinnliche Erfahrungen ermöglicht, ein gesteigertes Gefühl der Selbstwirksamkeit produziert und schließlich auch als eine Praktik des ›Sinnbastelns‹ im Dienste von

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Identitätsarbeit betrachtet werden kann. Ebenfalls unter Bezug auf die FabLabStudie stellt Birgit Writze die Ästhetik der Dinge in den Mittelpunkt ihres Artikels. Indem sie sich eines alltagsweltlich orientierten Ästhetikbegriffs bedient, kann sie diesen auf die dingliche Lebenswelt von Kindern beziehen. Kinder sammeln nach Writze ihre ästhetischen Erfahrungen nicht primär in der Auseinandersetzung mit Kunst, sondern in der Auseinandersetzung mit Symbolen und Produkten der Konsum- und Populärkultur sowie beim Hantieren und Gestalten der Dinge, z.B. beim Schneiden von Videos oder bei der Bearbeitung von Bildern am Bildschirm im Zuge einer kreativen Mimesis. Jutta Buchner-Fuhs richtet ihr Forschungsinteresse auf das Kinderzimmer, das sie in Anlehnung an Michel Foucault als Heterotopie beschreibt, als einen Ort, in dem Kinder als AkteurInnen ihren Eigen-Sinn entfalten. Kinder gehen nach Buchner-Fuhs Allianzen und Beziehungen mit den im Kinderzimmer vorhandenen Dingen ein, die ebenso agency besitzen wie die kindlichen AkteurInnen. Buchner-Fuhs entfaltet ihre Analyse diskursanalytisch und bezieht sich dabei auf Interviews und Raumbeschreibungen. Inspiriert von Bruno Latour (1996; 1998) vertritt sie die These, dass Dinge und kindliche Selbstinszenierungen eine untrennbare Verbindung darstellen. Musikinstrumente sind die Dinge, die im Mittelpunkt des Artikels von Jytte Bang stehen. Kinder, die ein Musikinstrument lernen, sind nach Bang immer in beides involviert: in die Handhabung des Instruments als technisches Artefakt und in die mit diesem Instrument erzeugte Musik. Die Instrument-Musik-Beziehung wird von den Kindern als eine Einheit erlebt. Sie zu betreten bedeutet für Bang das Eintreten in einen Dialog mit den historischen, kulturellen, institutionellen und kreativen Dimensionen des Artefakts. Im abschließenden Beitrag von Insa Fooken geht es um Dinge, die seit jeher in der Welt der Kinder präsent sind: um Puppen. Puppen bieten nach Fooken aufgrund ihrer Menschenähnlichkeit einen spezifischen Resonanz- und Gestaltungsraum für Kinder. Puppen fungieren als Übergangsobjekte, die zwischen dem kindlichen Ich und der Welt vermitteln, sie helfen bei der Verarbeitung von Alltagserfahrungen. Puppen führen aber auch an die Abgründe kindlichen Erlebens. Mit ihnen lassen sich Wut, Hass, Gemeinheit, Destruktivität ausleben, wie anhand der Novelle ›Romeo und Julia auf dem Dorfe‹ von Gottfried Keller verdeutlich wird. Puppen sind nach Fooken eine »bedrohte Spezies«. Die verschiedenen disziplinären Zugänge, die dieses Buch versammelt, sollen die Vielschichtigkeit soziomaterieller Netzwerke erkennen lassen, in denen sich Kinder von klein auf bewegen.

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L ITER ATUR Arendt, Hannah (1960): Vita Activa, Stuttgart. Ballenthien, Jana/Büching, Corinna/Ošljak, Katja (2013): »Das Potential der Grounded Theory für die Technik- und Medienforschung«, in: Tanja Carstensen/Christina Schachtner/Raphael Beer (Hg.), Digitale Subjekte. Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart, Bielefeld, S. 273-291. Boeing, Niels (2011): »Das Feuer der Renaissance neu entfachen«, in: Technology Review, http://heise.de/tr/artikel/Das-Feuer-der-Renaissance-neu-ent fachen-1212679.html [letzter Zugriff: 27.3.2011]. Böhme, Hartmut (2006): Fetischismus und Kultur. Eine Andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg. Bräunlein, Peter J. (2012): »Material Turn«, in: Georg-August-Universität Göttingen (Hg.), Dinge des Wissens. Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen, Göttingen, S. 30-44. Csíkszentmihályi, Mihály/Rochberg-Halton, Eugene (1989): Der Sinn der Dinge. Das Selbst und die Symbole des Wohnbereichs, München/Weinheim. Dewey, John (1949): Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik, Hamburg. Flick, Uwe (2000): Qualitative Forschung, 5. Auflage, Reinbek bei Hamburg. Foucault, Michel (1971): Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a.M. Habermas, Tilmann (1996): Geliebte Objekte. Symbole und Instrumente der Identitätsbildung, Berlin/New York. Latour, Bruno (1996): Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin. Latour, Bruno (1998): »Über technische Vermittlung«, in: Werner Rammert (Hg.), Technik und Sozialtheorie, Frankfurt a.M., S. 29-82. Latour, Bruno (2000): Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaften, Frankfurt a.M. Latour, Bruno (2007): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt a.M. Lewin, Kurt (1982): Psychologie der Entwicklung und Erziehung, hg. von Franz E. Weinert/Horst Gundlach, Band 6, in: Graumann, Carl-Friedrich (Hg.), Kurt-Lewin-Werkausgabe, Bern/Stuttgart, S. 41-480. Lorenzer, Alfred (1981): Das Konzil der Buchhalter, Frankfurt a.M. Marx, Karl (1975): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band 23, MEW, Berlin. Miller, Daniel (2008): »Material Culture«, in: Tony Bennett/John Frow (Hg.), The Sage Handbook of Cultural Analysis, London, S. 271-290. Schachtner, Christina (1993): Geistmaschine. Faszination und Provokation am Computer, Frankfurt a.M.

Kindliche Dingwelten im Lichte des material-cultural turns: Eine Einführung

Schachtner, Christina (1997): Technik und Subjektivität. Das Wechselverhältnis zwischen Mensch und Computer aus interdisziplinärer Sicht, Frankfurt a.M. Schachtner, Christina (2003): »Mensch und Maschine. Nachdenken über ein ambivalentes Verhältnis«, in: Jahrbuch für Bildungs- und Erziehungsphilosophie 5, Hohengehren, S. 157 -169. Schachtner, Christina (2005): »Netze verbinden, fangen auf und bilden Raum«, in: Christina Schachtner/Gabriele Winker (Hg.), Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten, Frankfurt a.M., S. 127-143. Schraube, Ernst (2012): »Das Ich und der Andere in der psychologischen Technikforschung«, in: Journal für Psychologie, 20/1, S. 1-12. Schraube, Ernst/Sørensen, Estrid (2013): »Exploring sociomaterial mediations of humans subjectivity«, in: Subjectivity, Vol. 6, S. 1-11. Strauss, Anselm (1991): Grundlagen qualitativer Sozialforschung, München. Walter-Herrmann, Julia/Büching, Corinne (2013): FabLab. Of Machines, Makers and Inventors, Bielefeld.

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Kinder, Dinge und Kultur Christina Schachtner »Selbst wenn man nicht mehr an den Dingen hängt, ist es nicht unbedingt gleichgültig, ob man daran gehangen hat, denn immer ist es aus guten Gründen gewesen, die den anderen entgehen« (M ARCEL P ROUST 1958)

Als ich vor einiger Zeit begann, mich mit der Bedeutung von Dingen im Leben von Kindern zu beschäftigen, fielen sie mir plötzlich ein: die Dinge auf der weißen Fliese, die ich dort vor Jahren arrangiert hatte. Auf der Fliese liegen ein kleiner Ring, dessen Kopf eine Rose aus Email bildet, ein Paar winzige weiße Schuhe aus Porzellan im Stil der 20er Jahre, eine schwarze Puppe ohne Beine, eine kleine Zinnvase. Immer wieder mal betrachte ich die Dinge, nehme sie in die Hand, reinige sie, ordne sie neu. Die Dinge stammen aus meiner Kindheit, sie sind nicht wertvoll, aber ich kann mich offensichtlich nicht von ihnen trennen. Den kleinen silbernen Ring habe ich als Kind getragen, auch dann noch, als er an einer Stelle brach, weil mein Ringfinger dicker geworden war. Die Emailschuhe symbolisieren etwas, das über das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hinauswies: Sie waren aus dem Besitz meiner Großmutter, die als junge Frau von der Stadt aufs Land gezogen war. Das Zinnväschen füllte ich mit Frühlingsblumen, wenn ich im Mai einen kleinen Marienaltar in meinem Zimmer auf baute. Die Existenz der schwarzen Puppe verwundert mich. Ich mochte keine Puppen als Kind. Vielleicht habe ich an der Puppe, die keine Beine mehr hat, meine aggressiven Seiten ausgelebt. Die Dinge sind nicht stumm. Sie sprechen zu uns, erzählen von früheren Ereignissen, von Wünschen, von erfüllten und unerfüllten, von dem, was uns angetrieben oder auch blockiert hat. Dieser Beitrag fragt grundsätzlich nach der Bedeutung von Dingen mit Blick auf die Dinge im Leben von Kindern. Ausgehend von einem Streifzug durch die Kindheits- und Sozialisationsforschung und vom Versuch, das Wesen der Dinge unter Berücksichtigung der neuesten Dinge, der Computertechnik, zu bestimmen, wende ich mich der Interaktion mit Dingen zu. Mein Erkenntnisinteresse richtet sich (1) auf die

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Interaktionsformen, die von den Dingen evoziert werden, (2) auf die sozialisatorischen Konsequenzen dieser Interaktionen, (3) auf den Zusammenhang von Dingwelt und Kulturaneignung und schließlich (4) auf ein neues Verständnis des Verhältnisses zwischen Menschen und Dingen aus der Perspektive der Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour. Der Beitrag will einen Rahmen spannen, an den die in diesem Buch diskutierten Themen anschließen können. Er bietet Erklärungen dafür an, warum die Dinge einen »Aufforderungscharakter« (Lewin 1982: 64) besitzen, wie und warum dieser in der Interaktion mit Dingen wirksam werden kann, wie die Dinge Persönlichkeiten prägen können und welche Rolle sie bei der Aneignung von Kultur spielen. Die theoretischen Überlegungen basieren auf empirischen Ergebnissen, insbes. auf den Ergebnissen der FabLab-Studie, in der die befragten Kinder nicht nur über die im FabLab von ihnen hergestellten Dinge sprachen, sondern auch über andere Dinge, die für sie bedeutsam sind. Neben den Interviews mit den Kindern, den Gruppendiskussionen und den Beobachtungsprotokollen werden die von den Kindern angefertigten Visualisierungen in diesen Beitrag einbezogen.

1. Z UM V ERSTÄNDNIS VON K INDHEIT UND S OZIALISATION Der soziale und kulturelle Stellenwert der Dinge in der Lebenswelt von Kindern ist durch ein neues Verständnis von Kindheit und Sozialisation brisant geworden. Die Dinge stellen aus der Sicht der aktuellen Kindheits- und Sozialisationsforschung einen nicht ignorierbaren Bezugspunkt der eigenständig handelnden kindlichen AkteurInnen dar. In diesem Kapitel soll das gewandelte Verständnis von Kindheit und Sozialisation nachgezeichnet werden, um das Wirklichkeitsfeld abzustecken, in dem die Dinge für Kinder Bedeutung gewinnen, in dem Kinder den Doppelcharakter der Dinge erfahren und sich zu den Dingen ins Verhältnis setzen.

1.1 Das Kind: Vom Objekt zum Akteur Eine entscheidende Zäsur in der Wahrnehmung von Kindheit und Kindern stellt nach Michael Honig die Aufklärung dar (Honig 1999: 43). Die Entdeckung der Aufklärung besteht darin, dass Kinder erst durch Erziehung zum Menschen werden. Erziehung ist nach Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) die Kunst, »ohne Vorschriften zu leiten und durch Nichteinwirken alles zu erreichen« (Rousseau 1963: 114). Rousseau skizziert nach Michael Honig mit Emile einen Prototypen »des freigesetzten, seiner traditionellen Bindungen ledigen, sich selbst konstituierenden Subjekts« (Honig 1999: 45). Die Konstruktion der kindlichen Persönlichkeit am Beispiel von Emile folgt dem Individualisie-

Kinder, Dinge und Kultur

rungsprinzip der Moderne, das für die Erziehung des männlichen Kindes gilt. Das Pendant zu Emile ist Sophie, die Rousseau als dessen Gefährtin präsentiert (Rousseau 1963: 413ff.). Mädchen und Jungen haben nach Rousseau unterschiedliche Neigungen: »Die Knaben suchen Bewegung und Lärm, Trommeln, Kreisel und kleine Wagen, die Mädchen lieben mehr das, was ins Auge fällt und dem Schmuck dient: Spiegel, Geschmeide, Putz, über alles aber Puppen. Die Puppe ist die besondere Freude dieses Geschlechts; ganz gewiß ist diese Neigung auf seine spätere Bestimmung ausgerichtet« (Rousseau 1963: 426).

Die in der Tradition der Aufklärung stehenden Verständnisse von Kindheit und Kindern sind von einem dualistischen Denken geprägt, das Jungen und Mädchen kontrastierende Eigenschaften und Aufgaben zuschreibt, an denen sich Erziehung orientieren soll. Dieses Denken prägt auch den Ansatz des Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), der in seinem 1801 erschienenen Buch ›Wie Gertrude ihre Kinder lehrt‹ schreibt: »Der erste Unterricht des Kindes sei nie die Sache des Kopfes, er sei nie die Sache der Vernunft – er sei ewig die Sache der Sinne, er sei ewig die Sache des Herzens, die Sache der Mutter. [...] Der menschliche Unterricht gehe nur langsam von der Übung der Sinne zu der Übung des Urteils, er bleibe lange die Sache des Herzens, ehe er die Sache der Vernunft, er bleibe lange die Sache des Weibes, ehe er die Sache des Mannes zu werden beginnt« (Pestalozzi 1978: 194).

Wenn man etwas als die Sache eines Menschen bezeichnet, dann ordnet man ihm dieses Etwas als charakteristisches Merkmal und/oder als Aufgabe zu (Schachtner 2007:12). Pestalozzi ordnet dem männlichen Subjekt die Rationalität zu und dem weiblichen die Gefühle. Er beschränkt sich aber nicht darauf, einen männlichen und weiblichen Charakter zu unterscheiden, er definiert die Ausbildung von Rationalität als das Ziel von Erziehung und konstatiert damit explizit eine Hierarchie zwischen dem Rationalen und dem Emotionalen und implizit eine Hierarchie zwischen dem männlichen und weiblichen Subjekt. Der bekannteste Vertreter der Aufklärung, Immanuel Kant (1724-1804), schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er in seinem Buch ›Über Pädagogik‹ empfiehlt: »[...] die Erziehung der Töchter den Müttern zu überlassen und sie mit Büchern zu verschonen. Sie müssen mehr den Menschen als Bücher kennen. Ehre ist ihr größte Tugend und Häuslichkeit ihr Verdienst« (Kant 1901: 128). Diese geschlechtsspezifische Prägung von Erziehungsvorstellungen durch die Aufklärungspädagogik ist nicht zu vernachlässigen, denn sie spielt noch heute in der Erziehung und Sozialisation von Kindern eine Rolle, auch im Hinblick auf die Dinge und den Umgang mit Dingen. Für Jungen und Mädchen

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gilt jedoch gleichermaßen, dass sie aus der Perspektive der Aufklärung Lernende sind, auch wenn sie Unterschiedliches lernen sollen. Die Vorstellung, dass sie ohne Erziehung nicht zu Menschen werden, macht sie »zum Objekt pädagogischer Beherrschung« (Honig 1999: 46). Die Reformpädagogik knüpft nach dem ersten Weltkrieg an die in der Aufklärung entwickelte Unterscheidung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind an, sie bricht aber mit der Vorstellung, dass Kinder unvollkommene Wesen sind, die der Erziehung bedürfen, um Vollkommenheit zu erreichen. Sie betont den Eigenwert und die Einzigartigkeit des Kindes. ›Vom Kinde aus!‹, wird zum leitenden reformpädagogischen Erziehungsprinzip. Das Kind wird, so Honig, zur Majestät, zum moralischen Vorbild für die Erwachsenen (Honig 1999: 53). Zugleich erscheint das Kind aus reformpädagogischer Perspektive als Opfer der Gesellschaft, eine Vorstellung, die nach Honig bis in die heutige Waldorfpädagogik hineinreicht (Honig 1999: 56). Diese beiden differierenden Verständnisse von Kindheit signalisieren ein Dilemma. Wie kann ein Kind Majestät sein, wenn es zugleich Opfer ist? Die dem Kind zugeschriebene Opferrolle torpediert seinen Akteursstatus; dieser Widerspruch lässt widersprüchliche pädagogische Botschaften an Kinder erwarten. Ausgehend von der Entdeckung der Aufklärung, dass Kindheit ein Werden darstellt, hielt die Idee der Entwicklung Einzug in das Verständnis von Kindheit, die im 20. Jahrhundert zum selbstverständlichen Bestandteil pädagogischer Theorie und Praxis wird. Die Entwicklung des Kindes wird als linearer Prozess gedacht. Es entstehen entwicklungspsychologische Ansätze, die verschiedene Entwicklungsstufen unterscheiden, die Kinder erfolgreich abschließen sollen, um die nächste Stufe erreichen zu können (Oerter/Montada 1982; Piaget 1983: 39ff.). Zu den bekanntesten Vertretern der Entwicklungsidee zählt Erik Erikson, für den die Entwicklung der Ich-Identität die zentrale Entwicklungsaufgabe in Kindheit und Jugend darstellt. Die Adoleszenz ist nach Erikson »die letzte und abschließende Phase der Kindheit« (Erikson 1966: 136). Mit dieser Phase soll die Entwicklungsarbeit abgeschlossen sein. Das Kind soll eine Ich-Identität erreicht haben, in den Worten von Erik Erikson »einen spezifischen Zuwachs an Persönlichkeitsreife, den das Individuum [...] der Fülle seiner Kindheitserfahrungen entnommen haben muss, um für die Aufgaben des Erwachsenenlebens gerüstet zu sein« (Erikson 1966: 123). Der Erikson’sche Entwicklungsansatz suggeriert die Vorstellung von einem identischen Ich-Kern, der am Ende der Adoleszenz zu seiner endgültigen Form gefunden haben soll. Entscheidende, bis heute wirksame Impulse erhält die Kindheitsforschung nach Michael Honig in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Verständnis von Kindheit als Lebenswelt und der Wahrnehmung von Kindern als Gestalter dieser Lebenswelt (Honig 1999: 133). »Kinder werden«, so Honig, »als kompetente soziale Akteure porträtiert, die ihre Lebensführung selbständig

Kinder, Dinge und Kultur

disponieren« (Honig 1999: 142). Gegenstand der Aufmerksamkeit werden die Wirklichkeitskonstruktionen von Kindern als differenziertes Gegenüber zur Erwachsenenwelt sowie ihre sozialen Beziehungen insbesondere zu Gleichaltrigen (Honig 1999: 134). Der prägende Einfluss der peer-group auf Verhaltensmuster, Wertorientierungen, Entscheidungen, Zukunftswünsche von Kindern wird entdeckt, der sich bis ins Jugendalter hinein fortsetzt (Zoll 1993: 147). Das empirische Material der FabLab-Studie belegt mit zahlreichen Beispielen, dass sich Kinder im Sinne der in den 80er Jahren entstandenen Vorstellungen von der kindlichen Persönlichkeit als AkteurInnen generieren. Am zweiten Tag eines Workshops im Happylab Vienna1 sollten die Kinder ein Traumhaus am Bildschirm designen, das später durch einen 3D-Drucker als plastischer Gegenstand in Miniaturform ausgedruckt werden sollte. Eigenständig entwarfen die Kinder Traumhäuser, deren Formen kaum an die Häuser in der Stadt erinnerten, in der sie lebten. Sie »probieren aus«, hält die beobachtende Forscherin im Protokoll fest, »wie weit sie mit ihren Gestaltungsexperimenten gehen können«.

Abbildung 1: Das Traumhausmodell eines 13-Jährigen

1 | Es handelt sich um das FabLab, in dem die in der Einleitung zu diesem Beitrag genannte Studie durchgeführt wurde.

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Eine andere Form von Eigenständigkeit entwickelte ein Zehnjähriger, der sich im Interview als leidenschaftlicher Bastler charakterisierte. Was er zum Basteln braucht, sucht er sich in seiner Umgebung zusammen. Er berichtete: »Also, ich bastle das mit Klopapierrollen, mit Küchenrollen, mit leeren Dosen, mit allem eigentlich, was sonst im Müll landen würde, bastle ich einfach was draus.« Der Zehnjährige praktiziert eine eigenwillige Aneignung der Dingwelt jenseits vorgefertigter Bastelbausteine und gängiger Wertvorstellungen. Akteurstatus gewinnen Kinder heutzutage auch in einem Feld, das in den pädagogischen Utopien nie vorgesehen war: im Feld der Waren und des Konsums (Honig 1999: 159). Die Voraussetzung zur Wahrnehmung des Akteurstatus ist hier der Besitz von Geld, zu dem die Kinder durch Taschengeld oder Geldgeschenke zu bestimmten Anlässen kommen. Selbstbewusst berichteten die Kinder in den Interviews, dass sie über eigenes Geld verfügen. Es zeigt sich ein hoher Reflexionsstand darüber, wie mit Geld umgegangen wird, ob es angespart oder ausgegeben wird und von welchen Kriterien die Kaufentscheidungen abhängig gemacht werden. Die zwölfjährige Johanna z.B. kauft primär nur, wenn sie etwas braucht; manchmal, wenn sie etwas Schönes sieht, kauft sie aber ein bisschen mehr. Der zehnjährige Luca findet, dass er sich ein- bis zweimal im Jahr etwas kaufen kann, das zehn Euro kostet, was ihm als eine hohe Summe erscheint. Ein Neunjähriger achtet darauf, ob auf den Verpackungen chinesische Schriftzeichen zu sehen sind, die für ihn bedeuten, dass das Produkt durch Kinderarbeit entstanden ist, was ihn vom Kauf abhält. Diese Beispiele weisen darauf hin, dass Kinder zu Marktteilnehmern werden, die sich im Kontext der Informationen, die sie in der Schule oder von ihren Eltern erhalten, nicht nur Gedanken über ihre individuellen Kaufentscheidungen machen, sondern auch über die Produktionsbedingungen von Waren. Kinder als eigenständige Akteure zu betrachten, schließt den Entwicklungsgedanken nicht aus; er bildet das Kernstück der Sozialisationsforschung, die in den 80er Jahren neue Akzente erhalten hat (Hurrelmann/Ulich 1980). Seither wird »Sozialisation als ein Prozess definiert, durch den in wechselseitiger Interdependenz zwischen der biophysischen Grundstruktur individueller Akteure und ihrer sozialen und physischen Umwelt relativ dauerhafte Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen auf persönlicher ebenso wie auf kollektiver Ebene entstehen« (Hurrelmann/Grundmann/Walper 2008: 25).

Das Forschungsinteresse gegenwärtiger Sozialisationsforschung richtet sich auf das Kind als »realitätsverarbeitendes Subjekt« (Andresen/Hurrelmann 2010: 45), das seine Persönlichkeit in einer ständigen und intensiven Auseinandersetzung mit seiner äußeren Welt und seiner inneren Welt bildet und dabei von der Umwelt beeinflusst wird (ebd.).

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Der den Kindern zugeschriebene Akteursstatus dürfte auch für den zunehmenden Einfluss konstruktivistischer Annahmen auf lerntheoretische Konzepte mitverantwortlich sein. Das Lernen von Kindern wird aus konstruktivistischer Perspektive als selbstgesteuerte, konstruktive, überlebensdienliche, kognitive und emotionale Tätigkeit begriffen (Siebert 2003: 13). Gelernt wird nach Horst Siebert »nicht das, was gelehrt wird, sondern das, was viabel erscheint« (Siebert 2003: 15). Diese Annahme impliziert das Subjekt als eigenwilligen Akteur und Konstrukteur seiner Lernwege, dessen Konstruktionen nichtsdestotrotz nach Siebert in einen sozialen Kontext eingebettet sind (ebd.).2 Der Blick auf die Kindheit aus sozialisationstheoretischer Perspektive rückt die sozialen Ungleichheiten ins Blickfeld wissenschaftlicher Betrachtung, die die Entwicklungschancen von Kindern prägen.« Welche Formen sozialen Lebens Kinder praktizieren«, so Honig, »hängt [...] auch von den kulturellen und materiellen Ressourcen (ab), über die sie verfügen« (Honig 1999: 140). Andresen/Hurrelmann argumentieren ähnlich: »Kein Kind kann die sozialen und physischen Umweltbedingungen abstreifen, die die Rahmenbedingungen für sein Handeln darstellen« (Andresen/Hurrelmann 2010: 42). Barbara Rendtorff beschäftigt sich mit den geschlechtsspezifischen Ungleichheiten im Sozialisationsprozess der Gegenwartsgesellschaft. Sie unterscheidet in Anlehnung an den argentinischen Kinderanalytiker Ricardo Rudolfo zwei fundamentale kindliche Handlungsformen: das Oberfläche-Machen und das Löcher-Bohren (Rendtorff 2011: 71ff.; Rudolfo 1996: 148f.). Das Oberfläche-Machen äußert sich im Verschmieren von Brei und Flüssigkeiten, im späteren Kindesalter in der Herstellung ungestörter, harmonischer Spielszenarien. Das Löcher-Machen zeigt sich in Versuchen, etwas zu durchbohren, z.B. eine Semmel oder die Augen einer Puppe. Es ist ein eruptiver Akt, der die Harmonie stört, er führt in eine andere Region (Rendtorff 2011: 82). Rendtorff behauptet, dass Mädchen tendenziell am Löcher-Machen gehindert werden und bei Jungen die Bedeutung des Oberfläche-Machens unterschätzt wird (ebd.). Wenn diese Annahme stimmt, zeigt sich in aktuellen Erziehungspraktiken eine Fortsetzung dualistischen Denkens, wie es uns schon in der Aufklärungspädagogik begegnet ist. Das gewandelte Verständnis von Kindheit als Lebenswelt, das sich in den 80er Jahren etablierte, lenkt die Aufmerksamkeit, das soll abschließend betont werden, nicht nur auf das Soziale als Bezugspunkt kindlicher Handlungsakte, sondern auch auf die Dinge in der Lebenswelt von Kindern, zu denen sich die kindlichen AkteurInnen und KonstrukteurInnen ins Verhältnis setzen. Woran ein Kind wächst, so Rendtorff, sind die »Subjekt-Signifikanten« (Rendtorff 2011: 75), zu denen sie neben den elterlichen Zuschreibungen auch Bilder und 2 | Die Workshops im Happylab Vienna sprechen die Kinder ausdrücklich als AkteurInnen und KonstrukteurInnen an. Siehe auch den Artikel ›Herstellen und Lernen‹ von Elisabeth Augustin in diesem Band.

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Gegenstände zählt. Aus der Fülle der angebotenen Signifikanten wählt das Kind unvorhersehbar diejenigen aus, »aus denen es sein Bild von sich selbst komponiert« (ebd.). Diese These unterstreicht die bereits erwähnte Interdependenz zwischen Kontextbedingungen und Subjektkonstruktion. Sie unterstellt eine relative Autonomie des Subjekts im Verhältnis zu seinem Umfeld, das sich aus sozialen und dinglichen Komponenten zusammensetzt.

1.2 Zum Wert der Dinge im Sozialisationsprozess Die Dinge sind Bestandteile kindlicher Lebenswelt und insofern wirksame Faktoren im Sozialisationsprozess. »Um das Wesen und Werden von Menschen zu begreifen«, so Mihály Csíkszentmihályi und Eugene Rochberg-Halton, »muss man das Geschehen zwischen Menschen und Dingen verstehen« (Csíkszentmihályi/Rochberg-Halton 1989: 21). Im folgenden Abschnitt werde ich zunächst eine Definition des Begriffs Ding vornehmen, die diesem Beitrag zugrunde gelegt wird, um darauf auf bauend den Doppelcharakter der Dinge zu erörtern.

1.2.1 Dinge: Eine Begriffsbestimmung Csíkszentmihályi und Rochberg-Halton verstehen unter einem Ding »eine bestimmte Informationseinheit, die sich mit erkennbarer Identität im Bewusstsein abbildet«, anders gesagt, »ein Informationsmuster, dessen hinreichende Kohärenz oder Binnenstruktur ein konsistentes Bild oder Sprachschema evozieren kann« (Csíkszentmihályi/Rochberg-Halton 1989: 32). An dieser Definition orientiert sich die hier geführte Diskussion über Dinge; allerdings wird in leichter Abweichung von dieser Definition, der zufolge Dinge auch rein immaterieller Natur sein können, den Dingen in diesem Beitrag ein Doppelcharakter, bestehend aus materiellen und immateriellen Bestandteilen, zugeschrieben, der sich in der Herstellung konstituiert. Alle materiellen Dinge besitzen laut Roland Barthes eine immaterielle Dimension, denn für Roland Barthes sind Dinge bzw. Objekte3 stets bearbeitete und geformte, den »Herstellungs- und Qualitätsnormen unterworfene Materie« (Barthes 1988: 189). Diese in der Herstellung von Dingen einfließenden Normen repräsentieren das Immaterielle, das in der Herstellung von Dingen in deren materielle Substanz eindringt, diese formt und die sich, worauf Barthes verweist, in materieller Form millionenfach verbreiten kann (ebd.), wenn man an Massengüter wie Telefon, Waschmaschine, Handys denkt. In diesem Beitrag werden sowohl hergestellte Dinge, z.B. Dinge, die Kinder basteln, als auch solche Dinge einbezogen, die die Kinder vorfinden wie z.B. das Holz im Wald, das sie zum Basteln verwenden. Hannah Arendt bezeichnet die vorge3 | Barthes verwendet die Begriffe Ding und Objekt synonym.

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fundenen Dinge als »Naturdinge« (Arendt 1960: 136). Dazu gehört nach Arendt »all das, was nicht ›gemacht‹ ist, sondern aus sich heraus wächst und eine Gestalt annimmt« (ebd.). Allerdings sind auch die Naturdinge nicht losgelöst von kulturellen Codes; die Gestaltung von Wäldern orientiert sich häufig am Verwertungsinteresse von Nutzhölzern, die Anlage von Parks an Vorstellungen vom Erholungswert von Natur und schließlich ermöglicht die Gentechnologie das Eindringen von ökonomischen Interessen in die Pflanzenwelt selbst. In FabLabs, die ein zentrales Analysefeld mehrerer Beiträge in diesem Buch darstellen, sind die Dinge im Herstellungsprozess einem ständigen Wechsel zwischen Materialität und Immaterialität unterworfen. Das Motiv, das auf ein T-Shirt gedruckt werden soll, ist zunächst in der Phantasie vorhanden, wird dann zu einem Bild auf dem Bildschirm, wo es eine immateriell-materielle Zwischenexistenz führt, um kurze Zeit später auf dem T-Shirt eine anfassbare Qualität zu erhalten.

1.2.2 Zur Instrumentalität und Erlebnisbedeutung der Dinge VertreterInnen verschiedener Disziplinen verweisen in unterschiedlicher Begrifflichkeit auf einen weiteren Doppelcharakter der Dinge, der sich nicht in der Herstellung der Dinge als materiell-immaterieller Charakter sondern in der Verwendung der Dinge konstituiert. Dieser Doppelcharakter umfasst die Instrumentalität und die Erlebnisbedeutung der Dinge. Für den Philosophen Roland Barthes sind die Dinge Objekte, die zum einen zu etwas dienen, z.B. »auf die Welt einzuwirken, die Welt zu modifizieren, auf aktive Weise in der Welt zu sein [...]« (Barthes 1988: 189). Zum andern ist den Dingen nach Barthes ein Sinn eigen, der ihren instrumentellen Charakter übersteigt (ebd.). Der Sinn eines Füllfederhalters kann, so Barthes, darin bestehen, den Sinn des Reichtums, der Einfachheit, der Seriosität, der Phantasie zur Schau zu stellen (Barthes 1988: 190). So gesehen ist der Füllfederhalter sehr viel mehr als reines Schreibwerkzeug. Alfred Lorenzer empfiehlt, in den Gebrauchswert der Gegenstände eine Unterscheidung zwischen dem instrumentellen Gebrauch eines Gegenstandes und seiner Erlebnisbedeutung einzutragen (Lorenzer 1981: 19). Dieser Doppelcharakter sei jedem Gegenstand eigen, auch dem nur nützlichen Werkzeug (Lorenzer 1981: 20). In diesem Sinne argumentieren auch Csíkszentmihályi/Rochberg-Halton wenn sie feststellen, dass der instrumentelle Gebrauch der Dinge »in der symbolischen Domäne der Kultur« (Csíkszentmihályi/Rochberg-Halton 1989: 38) erfolge, die für das Subjekt als Erlebnisbedeutung in Erscheinung trete. Für das die Dinge gebrauchende Subjekt kann die eine oder andere Seite eines Dings im Vordergrund stehen; gebraucht es ein Ding als Werkzeug, so erlebt es den instrumentellen Gebrauchswert, steht das Ding für ein Ereignis oder ist es Teil eines Rituals, so dominiert die Erlebnisbedeutung. Der zehnjährige Luca zeigte im Interview auf die im Raum stehende Werkbank, die ihm

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zum Basteln mit Holz dient; er betonte mit seiner Geste die instrumentelle Seite der Werkbank. Die elfjährige Safira dagegen bezeichnete den ebenfalls mit einem bestimmten Nutzwert ausgestatteten Schlüsselanhänger überraschend als ihren »Schutzengel« und betonte damit eine bestimmte Symbolik, die der Schlüsselanhänger für sie besitzt. Sie erzählte, dass sie in ihrer früheren Schule nicht beliebt gewesen sei und nur eine einzige Freundin gehabt habe, die ihr zum Geburtstag den Schlüsselanhänger geschenkt habe. Der Schlüsselanhänger ist für sie Zeichen der Freundschaft und schützt sie als solcher, so kann man in Verbindung mit der Wortwahl Schutzengel interpretieren, vor Antipathien oder gar vor Angriffen ihrer MitschülerInnen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass für die Subjekte mal die eine, mal die andere Seite der Dinge wichtiger wird. Die Werkbank kann auch zum Symbol für die praktischen Kompetenzen des Zehnjährigen werden, während der ›Schutzengelcharakter‹ des Schlüsselanhängers gegenüber dem instrumentellen Gebrauch des Schlüsselanhängers zurücktreten kann. Der Doppelcharakter der Dinge führt nach Alfred Lorenzer zu kontrastierenden Erfahrungen. Die Welt der Dinge um uns herum ist nicht nur »ein Feld für rationale Erfahrungen, für instrumentelles Gebrauchen und für soziale Strategien, sondern das Gehäuse unseres Erlebens, das Spielfeld einer Selbstverwirklichung, die sich nicht mit dem rational-zweckmäßigen Benutzen der Gegenstände bescheiden kann, sondern die Gegenstände als Momente eines Szenariums der eigenen Erlebniswünsche nehmen will« (Lorenzer 1981: 19).

Lorenzer bezieht die rationale Erfahrung auf den instrumentellen Gebrauch der Dinge und den emotional aufgeladenen Bezug auf deren Erlebnisbedeutung. Sherry Turkle argumentiert ähnlich, wenn sie schreibt: »We think with the objects we love; we love the objects we think with« (Turkle 2007: 5). Auch sie verweist auf das Zusammenspiel von Rationalität und Emotionalität im Gebrauch der Dinge. An, mit und durch die Dinge und deren Materialität, durch ihren Gebrauchswert und Erlebnisgehalt entwickeln sich unsere Gedanken, aber auch unsere körperlichen Sinne und unsere Motorik, wie Aida Bosch hervorhebt (Bosch 2011: 17). Das emotionale Verhältnis zu den Dingen zeigt sich in der FabLab-Studie besonders deutlich anhand der Lieblingsdinge, von denen die Kinder im Vorfeld der Workshops im Happylab Vienna berichteten. Der 13-jährige Felix zählt zu seinen Lieblingsdingen das »coole Motorrad, was ich gebaut hab’«. Er hat es aus einem Revell-Bausatz gebaut; der Stolz, den er über sein Werk empfindet, drückt sich auch darin aus, dass er das Motorrad für die ganze Familie sichtbar in einen Glaskasten im Wohnzimmer gestellt hat. Die zwölfjährige Elena bezeichnete eine Medaille, die sie für ihre sportlichen Leistungen beim Laufen bekommen hat, als eines ihrer Lieblingsdinge; für die ebenfalls zwölfjährige Sophia ist das aktuelle Lieblingsding ihr Laptop.

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Warum?, fragte die interviewende Forscherin. Sie antwortete: »Weil man auch Zeit, viel Zeit eigentlich dort verbringt«. Dinge werden zu Lieblingsdingen, wenn sie das Subjekt in seiner Besonderheit zeigen, z.B. seine besonderen Fähigkeiten wie manuelle oder sportliche Leistungen oder dem Subjekt besonders nah sind, weil man viel Zeit mit diesem Ding verbringt. An die Lieblingsdinge sind Gefühle wie Stolz, Freude, Zärtlichkeit geknüpft. Die emotionale Beziehung zu den Dingen ist aber nicht zwangsläufig nur von angenehmen Gefühlen beherrscht. Auch Ärger und Zorn können auf Dinge gerichtet sein.4 Die zwölfjährige Elena berichtete, dass sie sich über die rosafarbenen Kleider ärgert, die ihr ihre Großmutter immer wieder schenkt. Die Farbe Rosa ist für die 13-Jährige ein Symbol für Kindlichkeit, der sie sich entwachsen wähnt. Durch die Geschenke der Großmutter sieht sie sich zurückgedrängt in eine Lebensphase, die sie hinter sich lassen will. Während sich die Kinder von den emotional negativ besetzten Dingen distanzieren, wollen sie ihren Lieblingsdingen nahe sein. Diese sind häufig mobil und damit transportabel; die Kinder können sie immer mit sich führen, immer wieder berühren und anschauen (Habermas 1996: 106): Dritte sind oft vom Gebrauch dieser Dinge ausgeschlossen, vielleicht, weil, wie Tilmann Habermas interpretiert, der Umgang mit den Lieblingsdingen als intime Äußerung erlebt wird, die niemand beobachten und niemand stören soll (Habermas 1996: 162). So eng die Beziehung zu den Lieblingsdingen auch ist, die Lieblingsdinge können im Verlauf der Kindheit wechseln. Die elfjährige Safira erzählte, dass der Schlüsselanhänger ein »Kuscheltier-Nashorn« als Lieblingsding abgelöst hat. Das Kuscheltier hatte sie im Urlaub in einen Fluss ohne Wasser gesetzt und dort vergessen. Als sich der Fluss wieder mit Wasser füllte, wurde das Kuscheltier weggeschwemmt. Sie habe eine Woche über den Verlust geweint, dann aber ein anderes Ding, den Schlüsselanhänger, zum Lieblingsding erkoren. Manchmal wandern die Lieblingsdinge auch schlicht in die »Rumpelkammer« (Winnicott 1973: 14) des Vergessens. Der zwölfjährige Lukas hatte ein Playmobil als Lieblingsding als er jünger war, das nun, wie er sagt, »ganz viel in meinem Zimmer herum (steht)« und mit dem inzwischen der jüngere Bruder spielt. Der Wert der Dinge speist sich für die Subjekte aus deren Doppelcharakter, der als ein flexibles Gemisch aus instrumentellem Gebrauch und Erlebnisbedeutung vorzustellen ist und an den sich rationale, körperliche und emotionale Erfahrungen knüpfen. Welchen Wert einzelne Dinge für die Subjekte besitzen, steht nicht ein für alle Mal fest; der subjektive Wert der Dinge ist einem Zyklus unterworfen in Abhängigkeit von Lebensalter, Lebenssituation, Lebenszielen.

4 | Zur Entwicklung von Aggressionen gegenüber Dingen siehe auch den Beitrag von Insa Fooken in diesem Band.

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2. Z UR I NTER AK TION MIT D INGEN »Jetzt löten!, Jetzt löten!, Löten! Löten!«, ruft ein Junge während des Workshops im Happylab Vienna, nachdem die Leiterin des Workshops angekündigt hatte, die Kinder sollten nun ein elektronisches Musikinstrument, ein so genanntes Drawdio, bauen. Das Reden über das Hantieren mit Werkzeugen und das Herstellen von Dingen nimmt in den Interviews mit den Kindern, in deren Visualisierungen sowie in der Kommunikation der Kinder untereinander während der Workshops einen großen Raum ein.5 Selbstbewusst präsentiert sich die elfjährige Safira in ihrer Visualisierung inmitten der Dinge, die sie im FabLab hergestellt hat und zu denen sie sich jeweils handelnd in Beziehung setzt. Das selbst bedruckte T-Shirt trägt sie, der eine Arm greift zur Computermaus, der andere hält das Drawdio in die Höhe, hinter dem Bildschirm hat sie ihr Traumhaus platziert. Über allem steht ein lachendes Gesicht, das an eine strahlende Sonne erinnert.

Abbildung 2: Eine 11-Jährige als kompetente Akteurin inmitten der im FabLab selbst produzierten Dinge Die Elfjährige ordnet die Dinge in ihrer Visualisierung um sich herum an; sie selbst bildet den Mittelpunkt und präsentiert sich damit als kompetente Akteurin im Verhältnis zu den selbst hergestellten Dingen ganz im Sinne der aktuellen Kindheitsforschung, in der der Akteursstatus von Kindern proklamiert wird. Der 13-jährige Felix machte im Interview deutlich, wie wichtig ihm 5 | Siehe zum Thema Herstellen von Dingen auch den Beitrag ›Herstellen und Lernen‹ von Elisabeth Augustin in diesem Band.

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die Interaktion mit Dingen ist. Er bemerkte: »Das Herumbasteln und Sägen, das freut mich einfach, es macht mir einfach relativ viel Spaß etwas auszuprobieren«. Ähnliche Passagen tauchen auch in den anderen Interviews mit den Kindern auf. Die Worte »herumbasteln« und »ausprobieren« signalisieren, dass die Faszination im Verhältnis zu den Dingen, hier den Werkzeugen, wesentlich in deren experimentellen Möglichkeiten gründet. Das Interesse von Kindern an der Interaktion mit Dingen kann anhand dessen, was bereits über das Verhältnis zwischen Individuum und Dingwelt gesagt wurde, nicht überraschen. Die Wirksamkeit der Dinge entfaltet sich in der Interaktion mit den Dingen und diese beginnt, wie der Kinderanalytiker Donald W. Winnicott beobachtet hat, bereits in den ersten Lebensmonaten. Um die Bedeutung dieser Interaktion auch im späteren Lebensalter von Kindern zu begreifen, ist es hilfreich, auf Winnicotts Beobachtungen und deren Deutung zurückzugreifen. Für Winnicott stellt die frühkindliche Interaktion mit den Dingen einen fundamentalen Prozess der Subjektwerdung dar (Winnicott 1983: 11ff.). Der Ansatz von Winnicott wird durch die Arbeiten von Lorenzer ergänzt, der sein Forschungsinteresse ebenfalls auf die Interaktion des Subjekts mit der Dingwelt richtet (Lorenzer 1983: 155ff.). Lorenzer analysiert beide Seiten: das Subjekt und das Ding. Er vermag dadurch auch die Impulse zu zeigen, die von den Dingen ausgehen, was ihm im zweiten Schritt ermöglicht, verschiedene Interaktionsformen als Antwort auf diese Impulse zu unterscheiden. Im Folgenden sollen im Hinblick auf die hier verhandelte Frage nach der persönlichkeitsbildenden Kraft der Dinge die beiden gedanklichen Ansätze diskutiert werden.

2.1 Die ersten Dinge Winnicott beobachtete, dass Kinder bereits in den ersten Lebensmonaten mit Dingen wie mit dem Teddy, dem Schnuller, dem Bettzipfel interagieren. Sie lutschen und saugen an diesen Dingen, werfen sie aus dem Bett. Selbst eigene Körperteile werden wie Dinge gebraucht. »Manche Säuglinge«, so Winnicott, »stecken den Daumen in den Mund und streicheln dabei mit den Fingern durch Innen- und Außendrehung des Unterarms ihr Gesicht« (Winnicott 1973: 11). Winnicott bezeichnet die ersten Interaktionen mit Dingen als ein Spiel, das für ihn eine »Grundform des Lebens« (a.a.O.: 62) darstellt. Mütter wissen um die Bedeutung dieses Spiels, weshalb sie es zulassen, dass die ersten Dinge schmutzig werden, um sie ihren Kindern nicht entziehen zu müssen, was die Kontinuität der Erfahrung unterbrechen würde (a.a.O.: 13). In diesem Spiel des Kleinkindes mit seinen ersten Dingen konstituiert sich ein intermediärer Raum, in dem innere psychische und äußere Realität fließend ineinander übergehen (a.a.O.: 11; Turkle 2007: 315). Es besteht für das Kind kein Druck, zwischen innerer und äußerer Realität zu unterscheiden. Das Kind erlebt sich zeitweise als Teil der äußeren Welt, anders gesagt, in enger Verschmelzung

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mit den Dingen, um sie dann wieder als von sich abgetrennt zu erfahren, z.B. wenn es einen Gegenstand wegwirft. Im intermediären Raum entdeckt das Kind allmählich in einem spielerischen Prozess sich selbst als abgegrenzte Einheit und die Dinge um sich herum als eigenständige Objekte. Die Dinge, mit denen das Kind hantiert, markieren die Grenze zwischen Innen und Außen bzw. zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven und werden von Winnicott daher als Übergangsobjekte bezeichnet. Das Übergangsobjekt und die Beziehung zu ihm ist nach Winnicott durch folgende Merkmale gekennzeichnet: • • • • • •

durch einen Verzicht auf eigene Omnipotenz im Umgang mit den Dingen das Übergangsobjekt darf nicht verändert werden, es sei denn, das Kind verändert es selbst durch zärtliche Liebe ebenso wie durch Misshandlung durch ein Gefühl der Wärme, das das Übergangsobjekt vermittelt durch den Eindruck, dass es lebendig ist durch den allmählichen Verlust seines Status als Übergangsobjekt (Winnicott 1973: 14ff.).

Diese Merkmale des Übergangsobjekts erinnern an die bereits beschriebenen Merkmale der Lieblingsdinge und der Beziehung zu ihnen. Winnicott weist darauf hin, dass auch im späteren Kindesalter das Bedürfnis nach einem speziellen Gegenstand auftauchen kann, wenn sich das Kind vom Verlust eines Liebesobjekts bedroht fühlt (a.a.O.: 14). Die elfjährige Safira, deren Lieblingsding, der Schlüsselanhänger, einen Ersatz für den Mangel an Zuneigung durch MitschülerInnen darstellt, kann als Illustration der Winnicott’schen These gesehen werden. Von den anderen Kindern, die über Lieblingsdinge berichten, wissen wir nichts über vergleichbare situative Erfahrungen. Wir wissen jedoch, dass sich die zehn- bis elfjährigen InterviewpartnerInnen in der beginnenden Pubertät befinden und die zwölf- bis 13-Jährigen mitten in dieser biografischen Umbruchphase stecken. Gemeinsam ist beiden Gruppen der drohende oder schon fortgeschrittene Verlust des Kindseins und damit verbunden, der Verlust vertrauter Verhaltensweisen und liebgewordener Gegenstände, vielleicht auch der Verlust von FreundInnen z.B. bei einem Schulwechsel. Die jeweiligen Lieblingsdinge könnten für solche Verluste entschädigen und zugleich die Grenze zwischen Kindsein und Erwachsenwerden markieren. Das aus dem Revell-Bausatz angefertigte Motorrad, das der 13-jährige Felix als Lieblingsding nennt, hat schon etwas mit der Aktivität eines Erwachsenen zu tun, auch wenn der Herstellungsprozess ein kindliches Tun darstellt. Die zwölfjährige Sophia wiederum reiht sich mit ihrem Lieblingsding, dem Laptop, klar in die Welt der Jugendlichen ein. Die Bedeutung der spielerischen Interaktion mit Übergangsobjekten sieht Winnicott in der Freiheit des Spiels, in seinen Worten, in dem »ungerichteten

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Zustand« (a.a.O.: 67), der diesem Spiel eigen ist, »in dem sich die unintegrierte Persönlichkeit gewissermaßen verströmen kann« (ebd.). Unter einer unintegrierten Persönlichkeit scheint Winnicott eine Persönlichkeit zu verstehen, die sich Ideen, Gefühle, Einfälle erlaubt, die nicht notwendig in einem Zusammenhang stehen. Diesem Zustand entspringt die Möglichkeit zu einer kreativen Wahrnehmung der Welt, die schöpferisches Tun anstelle von Anpassung oder eines bloß instrumentellen Gebrauchs der Dinge befördert. So wird der intermediäre Raum, den Kinder beginnend in ihren ersten Lebensmonaten mit Hilfe der Dinge spielerisch gestalten, zu einem unverzichtbaren Entwicklungsraum. Winnicott erklärt: »Gerade im Spielen und nur im Spielen kann das Kind und der Erwachsene sich kreativ entfalten und seine ganze Persönlichkeit einsetzen, und nur in der kreativen Entfaltung kann das Individuum sich selbst entdecken« (a.a.O.: 66). Übergangsobjekte begleiten Kinder von erlebter Abhängigkeit bis zur Entdeckung einer relativen Unabhängigkeit, sie stimulieren die Individuation (Turkle 2007: 315; Habermas/Paha 2002: 11). Der Umgang mit den ersten Dingen im Leben eines Kindes lässt dieses, wenn der Umgang nicht reglementiert wird, eine entspannte Situation erleben. In der Hoffnung, das Gefühl von Entspannung zu aktualisieren, greifen Menschen in schwierigen Lebenssituationen nach Aida Bosch häufig zu vertrauten Gegenständen, so z.B. bei drohendem Identitätsverlust in der Emigration (Bosch 2011: 80). Darüber hinaus vermittelt der Gebrauch der Dinge schon dem Kleinkind ein Gefühl der Sicherheit. Eine Bedingung hierfür ist ebenfalls die Freiheit der spielerischen Interaktion mit den Dingen, die dem Kind erlaubt, Dinge wegzuwerfen, um dann wieder nach ihnen zu greifen. Das Kind erfährt, dass das Ding auch dann noch existiert, wenn es das Ding nicht mehr in der Hand hält oder dieses gar seinen Blicken entzogen ist (Bosch 2011: 74). Das so genannte Fort- und-Da-Spiel, bei dem Kleinkinder einen Gegenstand wegwerfen, um dann wieder nach ihm zu greifen, oder, wenn der Gegenstand mit einem Faden verbunden ist, diesen mit Hilfe des Fadens wieder zu sich heranziehen, und das Kinder unermüdlich spielen, ist ein typisches Spiel, mit dem sich Kinder die so genannte »Objektpermanenz« (ebd.) immer und immer wieder bestätigen. Dadurch entsteht ein Gefühl von Sicherheit bezogen auf die Dinge in der kindlichen Lebenswelt, aber auch in Bezug auf Menschen seiner Umgebung, denn das Fort-und-Da-Spiel steht auch für das Kommen und Gehen der Mutter (Benjamin 1990: 41). Erfahrungen des spielerischen Flanierens zwischen innerer und äußerer Realität, von kreativer Wahrnehmung, Gefühle der Sicherheit und der Entspannung, die sich in der Interaktion mit Dingen sehr früh im Leben eines Menschen einstellen, erzeugen ein tiefes Wissen, das das Verhältnis der Subjekte zu den Dingen grundsätzlich prägt und das nicht nur in der Kindheit und im Jugendalter, sondern ein ganzes Leben hindurch aktualisiert werden kann (Winnicott 1973: 14, 24, 49).

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2.2 Dinge als evokative Objekte Wie kommt es, dass Kinder schon in den ersten Lebensmonaten damit beginnen, mit den Dingen zu interagieren? Was wir von dieser Interaktion sehen, sind die von den Kindern ausgehenden Handlungsimpulse. Aber das ist nur der eine Handlungspart. Der andere kommt in gewisser Weise den Dingen zu, die nach Kurt Lewin einen »Aufforderungscharakter« (Lewin 1982: 64) besitzen; Sherry Turkle spricht den Dingen einen evokativen Charakter zu (Turkle 2007). Schon das glitzernde Bändchen oder der Zipfel der Bettdecke verlocken, wie unter Bezug auf Winnicott beschrieben, das Baby zum Zugreifen. Die Dinge begegnen dem Kind freundlich oder feindlich, lockend oder abweisend (ebd.); sie provozieren Fragen. Als Beispiel für den evokativen oder Aufforderungscharakter der Dinge lässt sich aus der FabLab-Studie der 3D-Drucker zitieren, ein technisches Gerät, das kaum ein Kind bislang gesehen hatte. Die Konfrontation der Kinder mit dem 3D-Drucker, auf dem sie ihr selbst designtes Traumhaus aus Plastik ausdrucken sollten, evozierte einen Schwall an Fragen wie »Wer hat den 3DDrucker erfunden?«, »Wie lange gibt es den 3D-Drucker schon?«, »Wie teuer ist ein 3D-Drucker?« »Warum geht das (das Ausdrucken) nur in Plastik, nicht mit Papier?«, »Kann man auch Strom ausdrucken?«; ein Junge spekuliert »Man könnte sich ja auch Waffen ausdrucken!«. Alfred Lorenzer liefert eine Erklärung für den evokativen Charakter der Dinge, indem er diese als Niederschlag menschlicher Praxis und sozialer Lebensformen, kurz, als Entwürfe für unser Leben charakterisiert (Lorenzer 1981: 18). Die Form und die Materialität eines Dings verkörpert bestimmte Handlungs- und Bewegungsvorstellungen, bestimmte Denk- und Gefühlsmuster; Stühle, wie wir sie in Europa kennen, materialisieren die Idee von einer bestimmten Form des Sitzens, das Auto und seine Ausstattung eine bestimmte Form des Reisens, nämlich eine individuelle. Lorenzer bezeichnet die Dinge als Bedeutungsträger und unterscheidet in Anlehnung an Susanne Langer, die allerdings von Symbolik spricht, zwei Arten von Bedeutungsträgern: diskursive und präsentative (Lorenzer 1973: 31; Langer 1965: 102ff.). Die Annahme von diskursiven und präsentativen Bedeutungsträgern ist nicht zu verwechseln mit dem materiell-immateriellen Doppelcharakter der Dinge oder dem weiteren Doppelcharakter, der sich auf die Instrumentalität und die Erlebnisbedeutung der Dinge gründet. Wenn von Doppelcharakter gesprochen wird, ist ein und dasselbe Ding gemeint; Lorenzer dagegen hat unterschiedliche Dinge im Blick, wenn er von diskursiven oder präsentativen Bedeutungsträgern spricht. Gleichwohl ist der Übergang fließend, können doch, wie Barthes feststellt, einzelne Werkzeuge auch eine Bedeutung bekommen, die über ihre diskursive Logik hinausweist. Diskursive Bedeutungsträger funktionieren nach dem Ursache-WirkungsPrinzip wie die klassische und die digitale Maschine oder Computerprogram-

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me. Die einzelnen Bedeutungselemente können nacheinander benannt in eine logische Reihenfolge gebracht und sukzessive verstanden werden (Lorenzer 1973: 28; Langer 1965: 103). Eine diskursive Symbolik ist häufig den Dingen eigen, die wir als Werkzeuge benutzen. Auch präsentative Bedeutungsträger bestehen aus verschiedenen Elementen, die aber keine Einheiten mit unabhängigen Bedeutungen darstellen. Der Sinn präsentativer Bedeutungsträger erschließt sich vielmehr durch das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente; die Bedeutungsträger werden in ihrer Ganzheit verstanden (Langer 1965: 103). Typisches Beispiel eines präsentativen Bedeutungsträgers ist das Bild, dessen Wirkkraft in seiner Ganzheit besteht. Präsentative Beispiele aus der FabLabStudie sind die Motive, die die Kinder auf ihre T-Shirts druckten. Als Motive fungierten u.a. ein Adler, Pokémon, ein Fantasiewesen aus einem Computerspiel, Donald Duck, eine Palme, ein Motorrad, ein Drachen und wiederholt Motive aus der Computerspielreihe »Assassin’s Creed«. Nicht die einzelnen Details auf den Bildern ergeben einen Sinn, sondern das Ganze, das aus der Summe der Details entsteht. Sowohl diskursive als auch präsentative Bedeutungsträger können eine Erinnerungsfunktion besitzen (Habermas/Paha 2002: 2ff.). So erinnern Werkzeuge, Schmuckgegenstände, Haushaltsgeräte in Museen an zurückliegende Lebens- und Arbeitsweisen. Ältere Menschen bewahren oft Gegenstände auf, die sie an ihr früheres Leben erinnern. Aber auch für Kinder können Dinge eine Erinnerungsfunktion besitzen. Der zehnjährige Daryan, der aus der Türkei kommt und einen muslimischen Hintergrund hat, zeigt während des Workshops auf den Bildschirm seines Computers, wo ein quaderförmiges Gebäude zu sehen ist, und erklärt der Leiterin des Workshops: »Das ist die Kaaba. Weißt du, wie wichtig das für unsere Familie ist?«. Die Kaaba ist das zentrale Heiligtum im Islam und befindet sich im Innenhof der al-Haram-Moschee in Mekka. Das Bild der Kaaba, das der Zehnjährige auf seinen Bildschirm holt, erinnert an einen entfernten Ort; er baut sich mit Hilfe dieses Bildes hinein in die Kultur, aus der er kommt und betont – vielleicht, weil die Herkunftskultur im Migrationsland wenig sichtbare Konturen hat – deren Bedeutung für die gesamte Familie. Er drückt damit implizit aus, dass die Herkunftskultur nicht nur für die Ich-Identität wichtig ist, sondern auch für die Wir-Identität. Beim Entwurf seines Traumhauses orientiert er sich ebenfalls an einem Modell aus der muslimischen Welt. Er zeichnet den Burj Khalifa, das in Dubai stehende höchste Gebäude der Welt, und bedauert, dass sein Traumhaus nur in Miniaturgröße ausgedruckt werden kann. Die zehnjährige Emilia, die mehrere Jahre in Holland gelebt hat, möchte ein Bild des Malers Escher auf ihr T-Shirt drucken. Sie hat Bilder von Escher in einem holländischen Museum gesehen. Auch hier dient das Bild als Mittel der Erinnerung an eine vergangene Lebensphase. Habermas/Paha haben in empirischen Untersuchungen herausgefunden, dass Dinge in Übergangssitu-

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ationen z.B. beim Wechsel in eine andere Stadt oder in ein anderes Land als Mittel der Erinnerung fungieren (Habermas/Paha 2002: 7). Dinge können nach Aida Bosch aber auch eine in die Zukunft weisende Bedeutung gewinnen. Die Zehnjährige sucht, nachdem sich das ausgewählte »Escher-Bild« wegen der vielen Grauabstufungen nicht als T-Shirt-Motiv eignet, gezielt nach einem neuen Motiv. Sie sucht und findet das Bild von einem Klavier. Der Forscherin, die gerade neben ihr sitzt, erzählt sie, dass sie Klavier spielt und demnächst in einem Konzert mitspielen wird; sie erwägt den Gedanken, Pianistin zu werden, ist aber unsicher, ob sie ausreichend Talent besitzt. Die Zehnjährige spielt mit einem möglichen Entwicklungsziel, das aufgedruckt auf ein T-Shirt weiteres Gewicht erhält und das sie durch die grüne Farbe, die das abgebildete Klavier bekommt, weil ihr ganzes Zimmer grün sei, in ihre alltägliche Lebenswelt einbindet.

Abbildung 3: Dinge, die in die Zukunft weisen (Emilia, 10 Jahre)

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Den diskursiven und präsentativen Bedeutungsträgern entsprechen laut Lorenzer spezifische Interaktionsformen. Er unterscheidet zwischen sprachsymbolischen Interaktionsformen, die wir in der Beziehung zu diskursiven Bedeutungsträgern entwickeln und sinnlich-symbolische Interaktionsformen, die sich auf präsentative Bedeutungsträger richten (Lorenzer 1981: 159). Die Bedienung des Computers bei der Suche nach einem T-Shirt-Motiv oder beim Designen des Traumhauses, aber auch das Bohren von Löchern auf einer Platine verlangen sprachsymbolische Interaktionsformen in dem Sinne, dass einzelne Handlungsschritte nacheinander in einer fixen Reihenfolge erfolgen müssen. Das betrifft sowohl das manuelle Handeln z.B. bei der Betätigung der Tastatur als auch die gedanklichen Schritte beim Bedienen eines Computers, dessen Funktionslogik dem Wenn-Dann-Prinzip folgt. Besonders intensiv entwickelte sich die Interaktion mit dem Bohrer sowie die Interaktion untereinander während des LöcherBohrens. Die Kinder beobachteten sich wechselseitig, kommentierten das Bohrverhalten der anderen: »Der bohrt schnell!«, »Der bohrt langsam. Dafür ist er genauer!«, und zu einem Mädchen »Willst du das selbst machen?«. Sie kommentieren auch die eigenen Bohrversuche: »Oh, Fehlschlag! Wird das jetzt Einfluss auf mein Ding (das Drawdio, d.V.) haben?«, »Soll ich etwas anders machen?«. Das Löcher-Bohren evoziert nicht nur viele Fragen, sondern auch Verunsicherung, vielleicht, weil die Kinder darin keine Übung haben, vielleicht, weil das Löcher-Machen, wie Barbara Rendtorff feststellt, ein eruptiver Akt ist, der immer die Möglichkeit des Störens und Zerstörens birgt (Rendtorff 2011: 82). Es fällt auf, dass das Löcher-Machen vor allem für die Jungen zu einem aufregenden Unternehmen wird; das einzige Mädchen im Workshop, das sich zu den aufgeregt kommunizierenden Jungen gesellt, wird von mehreren Jungen gefragt, ob sie wirklich selbst bohren wolle. Der Verlauf dieser Szene könnte ein Hinweis darauf sein, dass, wie Rendtorff annimmt, das Löcher-Machen in unserer Kultur als Sache des männlichen Geschlechts gilt, dessen Beherrschung bei Jungen nicht nur unterstützt, sondern auch von ihnen erwartet wird und diese daher unter einem gewissen Druck stehen, es gut zu machen, während Mädchen tendenziell am Löcher-Machen gehindert werden, was sich in den Fragen der Jungen an das Mädchen ausdrückt (ebd.). Beim LöcherMachen mischen sich die von Lorenzer thematisierten sprachsymbolischen und sinnlich-symbolischen Interaktionsformen. Einerseits ist ein hohes körperliches und sinnliches Engagement erforderlich und andererseits stellt das gebohrte Loch ein Symbol systematischen Handelns dar, das für die Jungen möglicherweise männliche Identität bestätigt. Die Interaktion mit den Dingen hört nicht mit deren Fertigstellung auf; sobald die Produkte fertig sind, ziehen sie sinnlich-symbolische Interaktionen auf sich. Die Kinder versuchen, auf ihrem Drawdio sofort eine Melodie zu spielen. Einer Zehnjährigen gelingt es, das Lied »Alle meine Entchen« zu spielen, andere Kinder machen es ihr nach; zwei Mädchen versuchen, eine eigene Melodie

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zu komponieren, andere begnügen sich mit der Erzeugung einiger Töne. Sinnlich-symbolische Interaktionen zeigen sich auch in der Art und Weise, wie die Kinder über ihre Motive auf den T-Shirts reden. Die 13-jährige Julia, auf deren TShirt zu lesen ist ›Märchenprinzen. Ich komme‹ ist stolz auf dieses Motiv, weil es lustig klingt. Auf einem anderen T-Shirt ist ein Muffin zu sehen und darüber der Satz »Vorsicht: Ich bin dumm.« Warum sie dieses Motiv gewählt habe, fragt eine der Forscherinnen. Und wieder kommt die Antwort: »Ich finde das lustig!« »Warum lustig?«, will die Forscherin wissen. Die Antwort der 13-Jährigen: »Weil Muffins cool sind. Wenn das oben rausquillt, das finde ich witzig.«

Abbildung 4: »Wenn das oben rausquillt, das finde ich lustig«, T-Shirt-Motiv einer 13-Jährigen

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In den sinnlich-symbolischen Bezügen zu den selbst hergestellten Dingen spielen Humor und Witz eine wichtige Rolle. Humor verkehrt das Schwere ins Leichte. Das könnte älteren Kindern entgegenkommen, die sich bereits in einer Umbruchphase sehen, in der sie beginnen, sich mit neuen, aber noch ungewissen Erwartungen auseinanderzusetzen, die Verunsicherung und Selbstzweifel auslösen und als überfordernd erlebt werden. Zu diesen Erwartungen zählt auch die Erwartung, sich als Mann oder Frau zu verstehen, die z.B. mit dem Spruch ›Märchenprinzen. Ich komme‹ humorvoll pariert wurde. Die Bedeutung von Humor für Kinder wird auch durch die Untersuchung von Fuhs/ Naumann/Schneider unterstrichen, in der herausgefunden wurde, dass humorvolle Darstellungen für Kinder ein wichtiger Indikator für die positive Bewertung einer Internetseite sind (Fuhs/Naumann/Schneider 2010: 120).

Abbildung 5: Sinnlich-symbolische Bezüge zu den Dingen (Julia, 13 Jahre) Nach Lorenzer kommen die Dinge den Menschen aufgrund dessen, dass sie menschliche Lebenspraxis und soziale Lebensentwürfe verkörpern, mit bestimmten Bedeutungen entgegen, die als materiell-immaterieller Charakter beschrieben wurden. Diese Bedeutungen setzen sich aber nicht umstandslos in den Köpfen der Subjekte fest. Die Interaktion mit den dinglichen Bedeutungsträgern entfaltet sich als Interaktionsspiel, bei dem die Kinder dem Bedeutungsangebot der Dinge eigene Bedeutungen hinzufügen, wie sich insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem 3D-Drucker im Happylab Vienna

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zeigte. Dieser Gegenstand evozierte Fantasien auf den verschiedensten Ebenen u.a. auch auf der Ebene des Verhältnisses von Mensch und Maschine, wie die Fantasien eines Zehnjährigen illustrieren. Er fragt: »Kann ich mich (mit Hilfe des 3D-Druckers, d.V.) auch verdoppeln?« und entscheidet sich gleich anschließend für eine aus seiner Sicht optimistische Konsequenz einer solchen Verdoppelung: »Wenn ich mich öfter ausdrucke, kann einer für mich in die Schule gehen«. Die Dinge evozieren Fantasien, Ideen, Wünsche, die weit über die in sie eingelagerten Bedeutungen hinausgehen, andererseits können sie sich aufgrund dieser Bedeutungen als widerständig erweisen. Darauf wollte wohl auch Barthes verweisen, als er schrieb, dass die Dinge als sinnerfüllte Objekte »unmenschlich und eigensinnig [...], ein wenig gegen den Menschen gerichtet« (Barthes 1988: 188) sind. Diese Widerständigkeit erfuhr der zehnjährige Daryan am eigenen Körper, als er den Lötkolben nicht fachgerecht betätigte und sich den Finger verbrannte. Entsetzt ruft er: »360 Grad haben mich fast erwischt!«. Anschließend sitzt er, seinen Finger in ein Wasserglas haltend, im Abseits. Später kommt er zurück und will es nochmals versuchen, aber nun stellt er der Workshopleiterin eine Bedingung: »Ich will, dass sie in meiner Nähe bleiben, dann mach ich es [...]«. Die Freiheit im Interaktionsspiel mit den Dingen ist nicht grenzenlos. Die in sie eingelagerten Bedeutungen erfahren wir als Widerständigkeit, an der wir lernen oder scheitern können (Bosch 2011: 14). Der Zehnjährige, der sich den Finger verbrannte, ist zunächst gescheitert, um kurz darauf das Scheitern als Ansporn für einen neuen Lötversuch zu nehmen. Dieses Beispiel illustriert, was John Dewey als Lernen beschreibt: »[...] man macht Gebrauch von den Dingen und erfährt etwas über sie durch Beobachtung der Konsequenzen, zu denen diese Verwendung führt« (Dewey 1949: 355).6 In der Verwendung der Dinge erfahren die Kinder aber nicht nur etwas über diese Dinge, sondern auch etwas über sich selbst. Kinder können in dieser Verwendung eigene Kompetenzen entdecken und schulen; sie werden aber auch mit ihren Limits konfrontiert, was die Chance eröffnet, diese zu überwinden. Insofern produzieren die Dinge auch die kindlichen ProduzentInnen. Was Csíkszentmihályi und Rochberg-Haltung allgemein formuliert haben (Csíkszentmihályi/RochbergHalton 1989: 21), kann auch auf Kinder übertragen werden: Die Persönlichkeit der Kinder stellt in großem Ausmaß eine Widerspiegelung der Dinge dar, mit denen sie interagiert. Sichtbar wird dieses Widerspiegeln der Dinge in den kindlichen Persönlichkeiten, als am zweiten Tag eines der Workshops im FabLab die Hälfte der Kinder die selbst designten T-Shirts trägt. Wie wir aus den Gesprächen mit den Kindern wissen, sind die verschiedenen Designs nicht 6 | Mit der Beziehung zwischen Lernen und Herstellen hat sich Elisabeth Augustin in ihrem Beitrag ›Herstellen und Lernen‹ in diesem Band auseinandergesetzt.

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nur ästhetische Elemente, sie repräsentieren vielmehr Lebensgeschichten und Lebenswünsche, die die Kinder durch das Tragen der T-Shirts als Teil ihrer Persönlichkeit zeigen (Habermas 1996: 162).

3. D INGE UND K ULTUR »Wir glauben in einer praktischen Welt der Verwendungen, der Funktionen und der totalen Domestikation des Objekts zu leben und sind in Wirklichkeit, durch die Objekte, auch in einer Welt des Sinns [...]«, schreibt Roland Barthes, der, wie erwähnt, den Begriff Objekt synonym mit dem Begriff Ding verwendet (Barthes 1988: 197). Sinn verweist auf Kultur (ebd.), wenn wir dem Kulturbegriff von Schütz/Luckmann folgen, die Kultur als ein Konglomerat von Sinnzusammenhängen verstehen, die intersubjektiv geteilte Werte, Regeln, Lebensorientierungen, Deutungs- und Handlungsmuster miteinander kombinieren (Schütz/Luckmann 1975). Auch Schütz/Luckmann gehen davon aus, dass sich diese Sinnzusammenhänge wesentlich durch die Gegenstände und deren Beziehungen zueinander vermitteln (Schütz/Luckmann 1975: 25), eine These, die dem bereits eingeführten Ansatz von Alfred Lorenzer entspricht, wonach die Dinge Träger sozialer Bedeutungen sind (Lorenzer 1981: 23ff.). Wurde bislang unter Rückgriff auf den theoretischen Ansatz von Alfred Lorenzer die Interaktion mit Dingen unter dem Gesichtspunkt der Subjektivierung von Kindern betrachtet, so soll nun die Kultivation, d.h. der Prozess, in dem sich Kultur und Individuum, angeregt durch die Herstellung und den Umgang mit Dingen, wechselseitig hervorbringen, Gegenstand der Analyse sein. Subjektivierung und Kultivation sind keine voneinander unabhängigen Prozesse, jedoch verspricht die analytische Trennung vertiefte Einsichten in das Zusammenspiel von Kultur und Subjektwerdung.

3.1 Kultur in der Interaktion mit Dingen erfahren und internalisieren Kinder werden in die schon vor ihrer Geburt existierenden Sinnzusammenhänge hineingeboren, die nach Schütz/Luckmann Produkt intersubjektiven Handelns sind (Schütz/Luckmann 1975: 24). Sie bilden ihre Lebenswelt, in der sie lernen sollen, am intersubjektiven Handeln zu partizipieren. Die Lebenswelt ist Schauplatz und Zielgebiet wechselseitigen Handelns (Schütz/ Luckmann 1975: 25). Um handeln zu können, müssen Kinder ihre Lebenswelt verstehen, anders gesagt, die lebensweltlichen Sinnstrukturen identifizieren, Zusammenhänge durchschauen, Handlungsmöglichkeiten und -aufforderungen erkennen. Die Welt ist ihnen zur Auslegung aufgegeben. Neben den ersten Bezugspersonen sind es die Dinge und die Interaktion mit diesen Dingen, die

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sie darin unterstützen. Die Dinge, die sie besitzen, benutzen oder herstellen, inkorpieren, wie bereits dargelegt, »soziale Bedeutungen und Sinnstrukturierungen symbolischer Art« (Bosch 2011: 24). Sie eröffnen den Kindern einen Zugang zur Kultur. Die Dinge können der Darstellung von Kultur dienen oder ein Modell für Kultur bilden. Im ersten Fall zeigen sie an, was ist, im zweiten, was sein könnte, wodurch sie zum Motor für kulturelle Evolution werden können (Csíkszentmihályi/Rochberg-Haltung 1989: 44). Den von Aida Bosch vorgelegten Analysen über Mode kann die darstellende Funktion der Dinge entnommen werden. Materialien und Schnitte von Kleidung spiegeln Status, Macht, die Körperkonzepte einer Epoche, Schönheitsund Identitätsideale wider (Bosch 2011: 17). Auch Schmuck, ob in Form von Federn, Knochen, Muscheln, Korallen, Steinen, Hölzern, Früchten, Metallen wie Gold, Silber, Kupfer gibt Einblick in kulturelle Werte und Lebensformen verschiedener Epochen und Regionen der Welt. So kann Schmuck »durch die Kraft der Farben, den Glanz des Materials«, wie Bosch schreibt, »soziale Macht und Überlegenheit symbolisieren« (Bosch 2011: 43). Michalis Kontopodis beschreibt die darstellende Funktion der Dinge anhand des Umgangs mit Nahrungsmitteln in einem Berliner Kindergarten. Die Kinder hatten Weihnachtsplätzchen im Kindergarten gebacken und durften nach dem Mittagsschlaf zur Vesper jeweils ein Plätzchen essen. Für den griechischen Forscher war es nicht nachvollziehbar, dass die Kinder nicht so viel essen konnten wie sie wollten. Er deutete die festgelegten individuellen Portionen als Ausdruck einer kulturellen Tradition, die in der protestantischen Ethik wurzelt, wonach ein gemäßigter Konsum als gottgefällig gilt sowie als Ausdruck aktueller Schönheits- und Gesundheitsvorstellungen, denen zufolge Fettleibigkeit weder schön noch gesund ist (Kontopodis 2012: 2). Die Kinder aus der FabLab-Studie thematisierten in den Interviews und in der Kommunikation während der Workshops die Mode in ihrer soziokulturellen Bedeutung. Ihr Blick richtete sich vor allem auf Modemarken wie Burton, DC, Billabong, Vans, Quicksilver-Mützen und Converse-Schuhe. Für alle, die über Marken sprachen, waren diese mit einem bestimmten Image ausgestattet. Dieses Image wurde meist nur sehr allgemein als cool beschrieben. Cool steht für das, was angesagt ist, was Bewunderung und Anerkennung verspricht, wie der zwölfjährige Sebastian erklärt. Ihm sei es, wie er mehrmals betonte, wichtig, coole Marken zu tragen, wofür er auch eigenes Taschengeld einsetze. Die anderen Kinder dagegen gaben an, dass sie abwägen, ob ihnen das coole Image einen höheren Preis wert sei. Inwieweit diese abwägende Haltung tatsächlich ihr Konsumverhalten prägt oder ob sie einer angenommenen sozialen Erwünschtheit entspricht, konnte in dieser Untersuchung nicht überprüft werden. Wie erwähnt, können die Dinge zu einem kulturellen Modell werden, das Handlungsziele vorgibt. Anhand des »Klavier-Motivs«, das die zehnjährige Emi-

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lia auf ihr T-Shirt druckte, wurde die Vorbildfunktion der Dinge bereits kurz angesprochen. Auch diese Funktion findet sich in verschiedenen historischen Epochen und geografischen Regionen. Csíkszentmihályi und Rochberg-Halton schildern in Anlehnung an Evans-Pritchard (1956) den Kampfspeer der Nuer, Angehörige eines Stammes im Südsudan, als ein Ding mit Vorbildfunktion. Der Kampfspeer symbolisiere, was in der Stammeskultur als erstrebenswert gilt: »Stärke, Schnelligkeit, Macht und Beständigkeit; die Fähigkeit, Respekt einzuflößen und seine Umwelt unter Kontrolle zu bringen« (Csíkszentmihályi/ Rochberg-Halton 1989: 44). Csíkszentmihályi/Rochberg-Halton sehen in der Tatsache, dass der Nuer den Speer ständig in der Hand hält, ihn schärft und poliert, den Versuch, sich diese Eigenschaften anzueignen (ebd.). Eine mögliche Modellfunktion hat auch das Bild, das ein 13-jähriger Junge aus der FabLabStudie als Motiv für sein T-Shirt gewählt hat. Das Bild zeigt die Schauspielerin Angelina Jolie. Er habe das Zeichnen dieses Bildes schon zuhause geübt, erzählt er. Als Grund für die Wahl des Motivs gibt er die Schönheit der Schauspielerin an, die ihn sehr fasziniere. Dieses Bild könnte ein Modell dafür sein, wie er sich das Aussehen einer zukünftigen Freundin wünscht. Indem die Kinder von den in die Dinge eingelagerten Bedeutungen angesprochen werden und sie sich dieser Dinge in kulturkonformer Weise bedienen, übernehmen sie existierende kulturelle Bedeutungen in ihr Handlungsrepertoire und reproduzieren sie (Lorenzer 1981: 156; Csíkszentmihályi/ Rochberg-Halton 1989: 64). Der Verweis auf die Aneignung von Kultur soll jedoch nicht suggerieren, dass Kinder es heutzutage mit einer einheitlichen Kultur zu tun haben. Die Einheit einer Kultur war immer schon ein Konstrukt; in der Gegenwartsgesellschaft zeigt sich die Illusion einer homogenen Kultur deutlicher als je zuvor. Im Zuge zunehmender Mobilität, zunehmender wirtschaftlicher, politischer und medialer Vernetzung kreuzen sich Text- und Bilderströme aus verschiedenen Teilen der Welt und durchdringen einander (Welsch 2001: 263). Dinge werden von einem Teil der Welt in einen anderen Teil transportiert, sei es in materieller Form oder in Bildern. Ihre Bedeutungen vermischen sich mit den Bedeutungen der Dinge aus anderen Kulturen. In der FabLab-Studie wurde das Aufeinandertreffen von Dingen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten durch den aus der Türkei stammenden zehnjährigen Daryan mit muslimischem Hintergrund deutlich gemacht, der als T-Shirt-Motiv und als Modell für sein Traumhaus jeweils Dinge aus der muslimischen Welt wählte. Er weist ausdrücklich mehrmals darauf hin, dass es sich um Dinge von besonderer Wichtigkeit für seine Familie handle. Er lenkt sowohl die Aufmerksamkeit der anderen Kinder als auch die der Workshopleiterin auf diese Dinge und platziert das dem Burj Khalifa nachgebildete Traumhaus als größtes Ding in der Mitte seiner Visualisierung.

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Abbildung 6: Der Burj Khalifa im Zentrum der im FabLab selbst hergestellten Dinge (Daryan, 10 Jahre) Der Transport der Kaaba und des Burj Khalifa in die High-Tech-Welt eines österreichischen FabLabs kann als Versuch des Jungen gewertet werden, der Herkunftskultur Raum in der gegenwärtigen kulturellen Umgebung zu sichern und damit der eigenen Identität Kohärenz zu geben. Im Verlauf des Workshops führen diese Versuche zu einem Konflikt mit den anderen Kindern, dessen Genese aufgrund des Tempos, in dem sich der Konflikt entwickelte, nicht mehr vollständig nachgezeichnet werden kann. Es beginnt damit, dass der Zehnjährige von Moscheen erzählt, die es in einem Computerspiel gibt, während in Österreich nur eine Minarett-Moschee existiere, was der Zehnjährige zu bedauern scheint. »Du bist so ein Opfer«, reagiert ein anderer Junge; der Angesprochene kündigt dem zweiten Jungen Prügel an, worauf der Bedrohte kontert: »Ich finde die Ausländerpolitik von H.C. Strache gar nicht mal so schlecht«. H.C. Strache gilt als rechtspopulistischer österreichischer Politiker, dem eine diskriminierende Haltung Ausländern gegenüber zugeschrieben wird. Der Verweis auf diesen Politiker thematisiert einen gesellschaftlichen Konflikt, der sich an Fragen der Stellung von und des Umgangs mit MigrantInnen entzündet hat. Kultur ist keine geschlossene Kugel (Welsch 2001: 258). Schon Kinder sind heutzutage immer häufiger mit Dingen konfrontiert, die aus verschiedenen Kulturen stammen und verschiedene Werte und Lebensstile repräsentieren. In dieser Konfrontation steckt die Aufforderung auszuwählen, zu modifizieren,

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zu priorisieren, neue Kombinationen zu schaffen. Dass diese Aufforderung nicht nur als Bereicherung, sondern auch als Bedrohung oder als Überforderung erlebt werden kann, deutet sich in dem Dialog zwischen den beiden Jungen im FabLab über Moscheen in Computerspielen und Ausländerpolitik an.

3.2 Kultur mit Hilfe der Dinge gestalten Würden Kinder die von den Dingen verkörperten kulturellen Bedeutungen lediglich übernehmen, würde Kultur zu einem starren System werden. Sie wäre dann nicht mehr in der Lage, ein flexibles Gehäuse sowohl für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft noch für die Subjektwerdung des Individuums zu bieten. Wie schon anhand des von Alfred Lorenzer eingeführten Interaktionsspiels angesprochen, entwickeln Kinder in der Interaktion mit den Dingen auch gestaltende Aktivitäten. Sie entwickeln Gestaltungskompetenz im Zuge ihrer Versuche, kulturelle Vorgaben zu verstehen. Auch Schütz/Luckmann betonen die Möglichkeit und Fähigkeit der Subjekte, in kulturelle Sinnzusammenhänge einzugreifen und sie zu verändern (Schütz/Luckmann 1975: 23). Sowohl das Verstehen als auch das Gestalten gründet in der Notwendigkeit zur Auslegung des in die Dinge inkorporierten Sinns, die stets vor dem Hintergrund eigener Fragen und Erfahrungen erfolgt. Die Öffnung für individuelle Perspektiven kann erfolgen, weil die Dinge verschiedenen Sinnlektüren zugänglich sind (Barthes 1988: 190). In Verbindung mit dem Eigen-Sinn des Subjekts fördert dieser Spielraum neue Sinnkonstruktionen und daraus resultierende Handlungsformen, denen die Fähigkeit entspringt, Kultur mitzuformen. Zentral für die Entwicklung dieser Gestaltungskompetenz ist, wie bereits Alfred Lorenzer mit seinem Verweis auf die Interaktionsspiele deutlich machte, das Spiel mit den Dingen. Das Spiel kennzeichnet der Spieltheoretiker Johan Huizinga als »umzäuntes geheiligtes Gelände« (Huizinga 1956: 17). Kinder schaffen sich von klein auf eigene Spielräume, abgesondert von den Erwachsenen, z.B. Spielecken in der elterlichen Wohnung, in denen sie mit Spielsachen und Alltagsgegenständen Szenarien gestalten und die die Erwachsenen nur mit Erlaubnis betreten dürfen. Später sind es Sandburgen und Verstecke in Hecken und Sträuchern, die die Faszination von Kindern auf sich ziehen (Schachtner 2012: 196). Abgelegene Garagen, auf die man hinaufklettern und auf denen man herumtoben kann, sind, wie Christine Ahrend in einer Studie herausgefunden hat, viel interessanter als ausgewiesene Spielplätze (Ahrend 2001: 133). Kinder lieben solche Orte, weil es uneingesehene Orte sind, die das spielerische Experimentieren mit der Dingwelt in besonderer Weise stimulieren und fördern. Auch das FabLab könnte aus der Sicht der Kinder ein uneingesehener Ort sein, der ihre Experimentierfreude und Gestaltungskompetenz bei der Herstellung und im Umgang mit den Dingen und deren Bedeutungen besonders inspiriert. Zwar gibt es eine Workshopleiterin und einen Coleiter,

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aber die Kinder wissen sich unbeobachtet und unkontrolliert von ihren Eltern. Das wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass sie ihre Aktivitäten weitgehend computergestützt entfalten, wodurch sich weitere Räume erschließen, die sie als uneingesehen erleben können: die virtuellen Räume. Die Möglichkeit, im virtuellen Raum des Cyberspace Motive für ihre T-Shirts zu suchen oder selbst mit Hilfe eines Zeichenprogramms zu zeichnen, Modelle für Traumhäuser zu suchen oder selbst zu entwerfen oder ein Computerspiel zu generieren, wurde in allen Workshops begeistert angenommen; die Kreation der medialen Produkte wurde von Erzählungen über lebensgeschichtliche Ereignisse, mediale Erlebnisse aus Filmen und Computerspielen, Modemarken, Hobbies begleitet, womit die Kinder die neu entstehenden Produkte in das Repertoire vorhandener Dinge und damit verbundener Erfahrungen aufnahmen.7 Das Spiel mit den Dingen, die zunächst auf dem Bildschirm einen immateriellen Charakter haben, der sich später teilweise in einen materiellen verwandelt, entwickelt sich immer auch als ein Spiel mit kulturellen Sinnelementen, bei dem vorgefundene Sinnelemente neu interpretiert, kombiniert und eigene hinzugefügt werden. Ein Beispiel dafür, wie in ein selbst hergestelltes technisch-mediales Produkt Eigenes hineinverlagert wird, liefert der neunjährige Florian. Er fällt während des Workshops dadurch auf, dass er sich durch den Raum tanzend bewegt. Als er zusammen mit einem elfjährigen Mädchen ein Computerspiel entwickelt, versucht er, eine Spielfigur so zu programmieren, dass sie genauso tanzt wie er. Das Bewegungsmotiv, das für den Neunjährigen im so genannten real life eine wichtige Rolle spielt, soll auch im Computerspiel vorkommen, wodurch das Spiel eine bestimmte Sinnbedeutung erhält. Sowohl das Verstehen als auch das Gestalten kultureller Bedeutungen ist stets verwoben mit dem Körper, seinen Sinnen und seinen Bewegungen, wie im Begriff der sinnlich-symbolischen Interaktionsformen anklingt. Das Spiel mit den Dingen ist nicht denkbar ohne Beteiligung des Körpers und seiner Sinne (Winnicott 1973: 64). Die im Spiel mit den Dingen gesammelten Erfahrungen haben materiellen Charakter, denn sie haben mit der physischen Welt zu tun (Dewey 1949: 346). An der Materie der Dinge, an ihrem Geruch, ihrem Geschmack bilden sich unser Tast-, Geruchs- und Gesichtssinn sowie unser Denken aus (Bosch 2011: 17). Unter dem Einfluss der Dinge und ihrer Handhabbarkeit formt sich unser Körper, aber der Einfluss verläuft auch in die umgekehrte Richtung, wie die Versuche des neunjährigen Jungen, seine Bewegungsvorstellungen in ein Computerspiel zu transferieren, illustrieren. Die Eigenwilligkeit der Kinder im Umgang mit den Dingen und ihren Bedeutungen kann Sinnzusammenhänge entstehen lassen, die in Anlehnung an Hermann Bausinger als Kultur der Kinder bezeichnet werden (Bausinger 7 | Zur Bedeutung medialer Motive in der kindlichen Lebenswelt siehe auch den Beitrag von Birgit Writze in diesem Band.

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1987) im Unterschied zur Kultur für Kinder, die von Erwachsenen für Kinder entwickelt wird und die sich z.B. in der Kindermode ausdrückt. Die Kultur der Kinder dagegen ist eine Kultur, die Kinder selbständig erschaffen (Klaas u.a. 2011: 11). Elemente dieser Kultur sind nach Michael Honig Geheimnisse, Gerechtigkeitsvorstellungen, Streit (Honig 1999: 135), aber auch selbständig gestaltete kulturelle Produkte. Am 18.6.2013 wurde in der deutschen Presse berichtet, dass Aborigines-Kinder in der Tanami Wüste in der nördlichen Region von Australien eine neue Sprache geschaffen hätten: Light Warlpiri (Süddeutsche Zeitung vom 18.6.2013). Es handelt sich, so hieß es, um eine Sprache, die aus den Sprachen Warlpiri, Englisch und Kriol, einer englisch basierten Kreolsprache, entwickelt worden sei. Sie verfüge über ein eigenständiges linguistisches System, was es erlaube, von einer neuen Sprache zu sprechen. Als diese Kinder in den vergangenen Jahren selbst zu Eltern wurden, hatten sie das Light Warlpiri ihren Kindern gelehrt. Auf diese Weise wurde die sprachliche Kultur der Kinder zum Bestandteil der generationenübergreifenden allgemeinen Kultur. Anfänge für eine Kinderkultur der Dinge könnten auch in den Aktivitäten des zehnjährigen Luca gesehen werden, der die scheinbar wertlosen Dinge in seiner Umgebung wie Klopapierrollen, Küchenrollen, leere Dosen und alles, »was sonst im Müll landen würde«, als Rohmaterial für die Herstellung neuer Dinge nutzt. Er stattet die Dinge mit neuen Bedeutungen aus, schafft sich eine eigene Dingwelt. Es ist vorerst seine individuelle Welt, aber die Idee, aus dem Wertlosen neue Dinge zu machen, könnte Verbreitung finden und eine neue Dingkultur jenseits standardisierter Fertigprodukte entstehen lassen. Die Kultur der Kinder, bestehend aus spezifischen Realitätskonstruktionen, Äußerungsformen und – so möchte ich hinzufügen – aus Dingen, wird in der heutigen Kindheitsforschung, wie Michael Honig schreibt, als Ergebnis einer »sinnkonstituierenden und sinnaneignenden Tätigkeit begriffen, die den Erwachsenen als fremde Eigenwelt entgegentritt« (Honig 1999: 135). Sie ist das wahrnehmbare Zeichen, dass Kinder Kultur nicht nur internalisieren, sondern sie auch mit- und umformen. Sie ist das Versprechen, dass eine Gesellschaft Geschichte macht (Erdheim 1988: 197).

4. A NSTELLE EINES S CHLUSSWORTS : A UF WACHSEN IM N E T Z WERK DER D INGE Als die Leiterin des Workshops im FabLab die Funktionsweise eines CNC Cutters erklärt, unterbricht der neunjährige Florian: »Also, ist der Computer der Chef!?« Der Neunjährige erfasst intuitiv eine Frage, die sich auch vor dem Hintergrund der in diesem Beitrag erfolgten Charakterisierung der Dinge als Niederschlag sozialer Praxis aufdrängt: Was ist der Status der Dinge im Ver-

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hältnis zu den Menschen? Diese Frage ist durch die digitalen Dinge, die im Zentrum der Aktivitäten in einem FabLab stehen, so brisant geworden wie nie zuvor, weil wir mit diesen Dingen auf einer sprachlich-geistigen Ebene kommunizieren, weil diese Dinge scheinbar – wenn auch gesteuert von einem Computerprogramm – Fähigkeiten der Selbstorganisation entwickeln und die BenutzerInnen dadurch mit überraschenden Aufforderungen konfrontieren wie ein Mensch. Es ist nicht nur so, dass wir »etwas mit den Dingen (tun), auch die Dinge tun etwas mit uns« (Schraube 2012: 17). Das verlangt nach einer Neukonzeption des Verhältnisses zwischen Menschen und Dingen, dem ich mich mit besonderem Blick auf Kinder und Dinge abschließend widme.

4.1 Zur Kontinuität zwischen Menschen und Dingen Die in diesem Beitrag vertretene Auffassung, dass die von den Menschen geschaffenen Dinge, auch den Menschen, seine Erfahrungen, sein Denken und Handeln konstituieren (Schraube 2012: 2), bricht mit einer in der westlichen Kultur lange dominierenden Position, die eine strikte Trennlinie zwischen Menschen und Dingen zieht. Mit dem Historiker Bruce Mazlish kann diese Position als Diskontinuitätsansatz bezeichnet werden, die den Menschen eine Privilegierung gegenüber den Dingen bescheinigt (Mazlish 1998: 9ff.), die ihn heraushebt aus der Welt der Dinge, seine Einzigartigkeit betont. Diese Konsequenz der Diskontinuitätsannahme ist tief in den Sozialwissenschaften verwurzelt, aber sie ist nach Mazlish »eine Krücke, die man abwerfen muss, um den Kontakt zur Wirklichkeit zu behalten und sich nicht in Phantasiewelten zu verlieren« (Mazlish 1998: 11). Mazlish, der die Geschichte des Verhältnisses der Menschen zu Maschinen »vom Faustkeil bis zum Elektronenrechner« (Mazlish 1998) untersucht hat, stellt der Diskontinuitätsannahme die Kontinuitätsannahme gegenüber, die besagt, dass der Mensch und die Maschinen, die er erschaffen hat, zusammengehören, dass Mensch und Maschine eine Kontinuität bilden (Mazlish 1998: 11). Diese Kontinuität besteht nach Mazlish auf der individuellen und auf der kulturellen Ebene. Bereits Karl Marx verwies auf den unauflösbaren Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen und maschinellen Strukturen: »Dieselbe Wichtigkeit, welche der Bau von Knochenreliquien für die Erkenntnis der Organisation untergegangener Tiergeschlechter hat, haben Reliquien von Arbeitsmitteln für die Beurteilung untergegangener ökonomischer Gesellschaftsformationen. [...]. Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird« (Marx 1975: 194ff.).

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Wenn wir diese Kontinuität nicht anerkennen, vergeben wir nach Mazlish die Möglichkeit, uns selbst zu verstehen, kommen uns doch in den Maschinen unser Denken, unsere Träume, unsere Emotionen entgegen. Die auf das Verhältnis zu Maschinen und Werkzeugen bezogenen Mazlish’schen Thesen können vor dem Hintergrund des in diesem Beitrag über die Herstellung und die Interaktion von und mit Dingen Gesagte, auf die Gesamtheit der hergestellten Dinge übertragen werden einschließlich der so genannten Naturdinge, soweit sie einer Bearbeitung durch den Menschen unterzogen werden.

Abbildung 7: Verschmolzen mit dem selbst hergestellten Drawdio (Matthias, 12 Jahre) So folgerichtig die Kontinuitätsannahme erscheinen mag, sie ist – angesichts des Wunsches nach Einzigartigkeit – zuweilen beunruhigend und kann Ängste erzeugen, die uns in zahlreichen Sciencefiction-Filmen begegnen. Eines der prominentesten medialen Beispiele für solche Ängste ist der von Viktor Frankenstein künstlich hergestellte Mensch in Mary Shelleys Roman ›Frankenstein‹, der seinem Schöpfer als Monster gegenübertritt. Auch die Kinder im

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FabLab beschäftigt, inwieweit ihnen ihre mit Hilfe digitaler Technik erzeugten Dinge ähnlich werden können, wie die eingangs zitierte Bemerkung ›Also, ist der Computer der Chef!?‹ des neunjährigen Florian, die sich zwischen Feststellung und Frage bewegt, zeigt. Andere Kinder wie der zehnjährige Matthias fragen »kann ich mich verdoppeln?«, oder die dreizehnjährige Johanna, die wissen will »kann man auch eine Person scannen?«. Mit Ausnahme des Zehnjährigen, der meint, dass das zweite Ich für ihn in die Schule gehen könnte, was von mir als optimistische Konsequenz gedeutet wurde, sagen die Kinder wenig darüber, was die Vorstellung maschinell hergestellter Menschen in ihnen auslöst. Für Mazlish impliziert die Kontinuitätsannahme nicht, dass die Differenzen zwischen Mensch und Maschine verwischen. Als solche hebt er hervor: • • • •

dass der Mensch im Unterschied zu den Gehäusen der Technik einen Körper hat (ich würde sagen ein Körper ist, d.V.) dass das menschliche Leben von biologischen Rhythmen bestimmt ist dass der Mensch ein Bewusstsein besitzt, einschließlich eines Bewusstseins von seinem Tod dass er sich im Kopf Dinge ausdenken kann, also die Fähigkeit der Imagination und Antizipation besitzt. (Mazlish 1998: 309ff.)

Es sind nicht allein die einzelnen Kompetenzen und Eigenschaften, die nach Mazlish das spezifisch Menschliche ausmachen, sondern deren Kombination (a.a.O.: 331). In diesen Merkmalen klingt eine Überlegenheit des Menschen gegenüber Maschinen an; andererseits stellt Mazlish in Frage, ob wir wirklich so privilegiert sind, wie wir glauben und er zieht auch in Erwägung, dass die eine oder andere Eigenschaft im Zuge der technischen Evolution von Maschinen übernommen werden könnte (a.a.O.: 309). Unter Rekurs auf die Kontinuitätsannahme ist die eingangs zitierte Bemerkung des Neunjährigen »Also, ist der Computer der Chef!?« berechtigt, ist doch von einer gemeinsamen Ebene auszugehen, auf der sich Mensch und Maschine begegnen. Nach wie vor offen ist allerdings die in der Bemerkung des Neunjährigen angesprochene Frage nach der Handlungsträgerschaft.

4.2 Menschen und Dinge als kollektive Handlungsträger: die Akteur-Netzwerk-Theorie Wer handelt?, will der Neunjährige letztlich wissen, der fragt, wer Chef ist. Kann es sein, so impliziert seine Bemerkung, dass nicht wir, sondern der CNC Cutter das Geschehen beherrscht? Wo ist die Handlungsmacht verankert? Kommen wir zur Beantwortung dieser Fragen auf die Studie in dem Berliner Kindergarten zurück (Kontopodis 2012). Kontopodis stellt fest, dass die

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Kinder selbst am wenigsten aktiv waren. Sie aßen nur das eine Plätzchen und konnten auch fast nichts anderes tun, denn nur ein Plätzchen war verfügbar. Die Dinge waren es aus seiner Sicht – das eine Plätzchen auf einem Teller pro Stuhl –, die die Situation beherrschten. Sie verkörperten den Wert der individuellen Portion und bildeten zusammen mit den Kindern ein Netzwerk, das handelte (Kontopodis 2012: 4). Es gibt demnach in dieser Situation keinen individuellen, sondern einen kollektiven Akteur. Agency ist nach Kontopodis nicht allein im menschlichen Subjekt verankert, sie kann auch Eigenschaft eines Netzwerks, bestehend aus Menschen und Dingen, sein (Kontopodis 2012: 1). Kontopodis stützt seine Interpretation der in dem Berliner Kindergarten beobachteten »Plätzchen-Szene« auf die von Bruno Latour entwickelte AkteurNetzwerk-Theorie, die besagt, »dass nie klar ist, wer oder was handelt, wenn wir handeln« (Latour 2007: 81), denn wir handeln nicht alleine. Auch nichtmenschliche Wesen können im Netzwerk Handlungspotential entfalten, denn, so Nina Degele und Timothy Simms, die den Begriff Aktant dem Begriff Akteur vorziehen, Aktanten sind nicht auf menschliche Wesen beschränkt (Degele/Simms 2004: 265). Der Ausdruck Akteur-Netzwerk soll nicht suggerieren, dass ein einzelner Akteur Ursprung des Handelns ist; dieser sei vielmehr »das bewegliche Ziel eines riesigen Aufgebots von Entitäten« (Latour 2007: 81). Zu diesen Entitäten werden in der Akteur-Netzwerk-Theorie alle Dinge aus der Kultur- und Naturwelt gezählt. Es entstehen Mischwesen, Hybride, zusammengesetzt aus menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten. Als Teile eines Akteur-Netzwerks greifen die Dinge in das soziale Miteinander ein und verstärken damit die sozialen Normen; sie »härten menschliche Sozialität« (Degele/Simms 2004: 264). Der zehnjährige Daryan türkischer Herkunft unterstreicht mit den ins Spiel gebrachten und in Gegenstände transformierten Bauwerke aus der islamischen Welt sein Selbstverständnis; man könnte auch sagen, sein Selbstverständnis wird dadurch gehärtet. Zugleich nehmen diese Dinge Einfluss auf seine Beziehungen zu den anderen Kindern; sie provozieren deren Stellungnahme, die das Verhältnis zwischen Daryan und den anderen verfestigen. Auch die Aufschriften auf den T-Shirts unterstreichen Vorlieben, Wünsche, Ziele, Aktivitäten, die sichtbar gemacht für alle, formend in die Kommunikation untereinander eingreifen. Die Dinge als Beteiligte am Handlungsablauf zu verstehen, führt eine Argumentation fort, wie sie in der These vom Aufforderungscharakter bzw. vom evokativen Charakter der Dinge sowie in der These von den Dingen als Bedeutungsträger angelegt ist. Solche theoretischen Ansätze befinden sich im Kontrast zu bislang in den Sozialwissenschaften dominierenden Auffassungen, dass Dinge niemals am Ursprung sozialer Aktivitäten beteiligt sein können (Latour 2007: 123f.). Die Fragen des Neunjährigen nach der Handlungsträgerschaft bei der Benutzung eines CNC Cutters können auch mit Latour nicht eindeutig beantwortet werden. Wie Latour schreibt, können die Dinge ermächtigen, er-

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möglichen, anbieten, ermutigen, aber sie können nicht determinieren (Latour 2007: 124). Auch die Dinge handeln nicht allein, sondern im Verbund mit Menschen. Latour plädiert dafür, das Handeln als einen »Knoten, eine Schlinge, ein Konglomerat der vielen überraschenden Handlungsquellen« (Latour 2007: 77) zu begreifen. Die Vorstellung des Handelns als ein Knoten, eine Schlinge, ein »Wespennest« (Latour 2007: 79), wie er ergänzt, lässt es nahezu unmöglich erscheinen, einzelnen Handlungsbeteiligten die gesamte Handlungsmacht zuzuschreiben, einen »Chef« zu identifizieren, wie der Neunjährige formuliert. Aber es gibt für die einzelnen Handlungsbeteiligten Spielräume, die den von Latour behaupteten überraschenden Handlungsquellen entspringen und die den Psychologen Ernst Schraube veranlassen zu schreiben: »Die Menschen stehen in einem Möglichkeitsverhältnis zu den Dingen (Schraube 2012: 17). Wie weit gehen diese Möglichkeiten? Wie leicht ist es, aus dem Verbund mit den Dingen auszusteigen? Einer der Workshop-Teilnehmer, der neunjährige Florian, schildert einer Forscherin ein Dilemma, in das er als Teil des Handlungskollektivs Mensch-Computer geraten ist. Er bezeichnet sich als umweltbewusst, sagt, dass er nicht will, dass alle Bäume der Welt gefällt werden und keine Luft mehr zum Atmen bleibt. Dieses Engagement kollidiert aus seiner Sicht mit seiner engen Bindung an seinen Computer als Spielpartner und als »Überbringer« von Liebesbotschaften an seine Freundin. Er verbringe täglich drei bis vier Stunden am Computer und entfalte mit diesem ihm wichtige Aktivitäten. Aber der Computer habe Nachteile, die sich gegen sein Umweltbewusstsein richteten, denn er erzeuge Abgase. Das Dilemma von Florian besteht darin, dass er die Handlungspartnerschaft mit seinem Computer der Umwelt zuliebe nicht einfach aufgeben kann. »Was soll ich denn machen?«, sagt er zur Forscherin, »ohne Computer könnte ich nicht lääben!«. Nicht nur diesem Jungen dürfte es schwerfallen, aus der Handlungspartnerschaft mit dem Computer auszusteigen. Je mehr Zeit wir mit einzelnen Dingen verbringen, je mehr Interessen an diese Dinge gebunden sind, je mehr wir unsere Kommunikation und unsere Arbeit im Verbund mit den Dingen abwickeln, je stärker wir unsere Identität im Kontakt mit den Dingen entwickeln, desto weniger können wir die Handlungsnetzwerke aufgeben, die sich zwischen den Menschen und den Dingen entsponnen haben. Die digitalen Medien verstärken diese Bindung durch die Fusionierung mit Bild-, Sound-, Filmmedien, durch ihre universale Verwendbarkeit sowie durch ihre Miniaturisierung z.B. in Form eines Smartphones, was uns erlaubt, sie ständig bei uns zu haben, ständig ihrem »Aufforderungscharakter« ausgesetzt zu sein. Während nur 7% der Kinder von sechs bis dreizehn Jahren im Jahre 2012 ein Smartphone hatten (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/ KIM-Studie 2012/www.mpfs.de: 54), besaß zum selben Zeitpunkt jeder zweite Jugendliche zwischen zwölf und neunzehn Jahren in Deutschland ein Smartphone (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/JIM-Studie 2012/

Kinder, Dinge und Kultur

www.mpfs.de: 52). Im Jahre 2013 besaßen bereits 72% der zwölf-19-Jährigen ein Smartphone (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/JIM-Studie 2013/www.mpfs.de: 53)8. Alles spricht dafür, dass sich die Bedeutung der Dinge verstärkt, dass sich die Handlungspartnerschaften zwischen den Menschen und den Dingen vermehren und intensivieren, dass sie auch schon die Lebenswelt von Kindern prägen, genauer, dass sie deren Lebenswelt bilden. Nicht in der Auflösung oder Reduzierung solcher Handlungspartnerschaften liegen die Chancen für Kinder, sondern darin, dass sie sich in diesen Handlungspartnerschaften als AkteurInnen behaupten.

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8 | Die KIM-Studie 2013 lag zum Zeitpunkt der Endkorrekturen an diesem Buch noch nicht vor.

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Christina Schachtner

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Der Zauber der Dinge in der Kindheit Materielle Kinderkultur im Kontext von Sach- und Erinnerungsforschung Burkhard Fuhs

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie die materielle Kultur der Kinder als Ausdruck von Kindheit verstanden werden kann und welche Auswirkungen der mediale Wandel auf die Welt der Kinderdinge hat. Die Überlegungen gehen transdisziplinär vor, da die unterschiedlichen Teilwissenschaften der Kinder- und Kindheitsforschung immer nur einen kleinen Ausschnitt der Dingwelt in den Blick nehmen und teilweise die Materialität des Kinderlebens gänzlich aus dem Auge verlieren (z.B. Luber/Hungerland 2008). Kinder entdecken nicht nur die Welt der Dinge, sondern gestalten auch ihre Identität und ihre Beziehungen über Dinge. Das Leben der Kinder ist immer auf Dinge bezogen, die im Handeln mit dem eigenen Körper verbunden und immer emotional aufgeladen sind. In den Dingen vereinen Kinder als AkteurInnen die Innen- und Außenwelt, und über die Fantasie werden die Dinge mit ihrem Handlungspotential Teil der kindlichen Welt und Bildungserfahrungen. In der Geschichte der Kindheit sind Dinge entstanden, die in der Regel sofort als Kinderdinge identifiziert werden können: So werden der Teddybär, der Ball, die Puppe, die Schaukel, die Eisenbahn, die Puppenstube oder das Bilderbuch unschwer als Dinge der Kinder und Kindheit erkannt. Andere Dinge – etwa aus der Erwachsenenwelt – eignen sich die Kinder im Handeln temporär an, ohne dass sie zu dauerhaften Kinderdingen werden, beispielsweise Küchengeräte, die als Musikinstrumente umgedeutet und umgenutzt werden. Die Frage nach dem Akteursstatus der Dinge, wie sie Bruno Latour (1998) stellt, gewinnt durch die Mediatisierung der Spielobjekte eine neue Dimension, die bisher in der Erforschung der Kinderwelt als einem Akteursnetz zwischen Kind und Dingen ebenfalls ausgeblendet wird. Zwar ist in den letzten Jahren der Körper der Kinder wiederholt Thema der Kindheitsforschung gewesen (Hengst/ Kelle 2003; Kelle/Tervooren 2008), aber die Objekte der Kindheit sind seltsam bedeutungslos und fristen nach einige Anläufen in den 80er Jahren (Köstlin

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Burkhard Fuhs

1987; Weber-Kellermann 1979) in kulturgeschichtlichen Abhandlungen (Kutschera 1975) und Spielzeugmuseumspublikationen (Hahn/Hahn 2010) ein Dasein abseits der Kindheitsdiskussionen um den (medialen) Wandel der Kindheit. Die materielle Kultur der Kinder erweist sich trotz (oder gerade wegen) der Etablierung einer neuen Kindheitsforschung immer noch als eine »pädagogisch verdünnte Zone« (Hengst 1994: 2).

1. K INDERDINGKULTUR ALS K ULTUR FÜR UND K ULTUR VON K INDERN Die Kinderdingkultur umfasst grundsätzlich alle Dinge, die Teil von Kindheit sind. Diese komplexe Welt der Dinge und Tatsachen sind in vielfältiger Weise generational geordnet. Kinder sind im Gebrauch von Dingen besonderen (pädagogisierten) Regeln ausgesetzt, die zum einen dem eigenen Schutz der Kinder dienen und die zum anderen – so die pädagogische Intention – den Kindern einen entwicklungsspezifischen Dinggebrauch ermöglichen sollen. Die Entstehung moderner Kindheiten ist eng verbunden mit einer speziellen Kindersachkultur, die spezifische Kinderdinge hervorgebracht hat (Köstlin 1987; Weber-Kellermann 1979). Gemeint sind etwa das Spielzeug oder die Kinderkleidung, aber auch bestimmte Möbel, wie das Kinderbett oder der Kinderstuhl oder auch die eigenen Sachwelten der Kindergarten- und Schulkultur. Die Dingwelt für Kinder hat – dies hat schon Ingeborg Weber-Kellermann (1987) deutlich gemacht – in der Erwachsenenwelt stets einen Zeichencharakter. Der Zeichencharakter der Kinderdingwelt wird etwa in der Kinderkleidung sichtbar. So lassen sich Jungen und Mädchen häufig an der Kleidung unterscheiden. Auch können bis heute Arm und Reich an der Kleidung (und den Accessoires) insbesondere der älteren Kinder und jungen Jugendlichen abgelesen werden. Aber auch pädagogische Werte und Normen sind in die Kindersachkultur eingeschrieben, wenn z.B. Kleidungsstücke eine alternative Lebensweise anzeigen oder in besonderer Weise Sportlichkeit betonen. Die Sachkultur der Kinder orientiert in der Geschichte der Kindheit vor allem an den beiden Kindheitskonzepten »Spielkindheit« und »Bildungskindheit« (Fuhs 1999: 345ff.), das heißt, dass sich die Objekte im Verfügungsbereich der Kinder entweder dem Spielen oder Lernen zuordnen lassen. Ein Ding ist heute pädagogisch besonders wertvoll, wenn es nicht nur die Kinder interessiert und zum Spielen anregt, sondern Lernprozesse anstößt. Insbesondere in den Medienangeboten wird diese Engführung der Kindheit auf das Lernen etwa an den »lehrreichen« Computerspielen deutlich, die versprechen Bildung und Unterhaltung so zu verbinden, dass die Kinder das Lernen als Spaß erleben. Während speziell gefertigte Kinderdinge in der Geschichte der Kindheit lange Zeit den wohlhabenden Kindern vorbehalten waren, entsteht im 20. Jahr-

Der Zauber der Dinge in der Kindheit

hundert eine industrielle Massenkultur für alle Kinder. Dieser Prozess geht mit einer Equipierung der Kindheit und ihrer Kommerzialisierung einher (Hengst 2013). Dinge für Kinder werden zu beliebten Geschenken zum Geburtstag und zu Weihnachten; die Kinder selbst werden durch die Verbreitung und das erhöhte Taschengeld zu Käufern von Dingen. Diese Industrialisierung der Kindersachkultur und die Entstehung eines Massenmarktes wurden in den 80er Jahren im Sinne einer Kapitalismuskritik scharf kritisiert, und die Verbindung eines industriellen und auf Werbung basierenden Spielzeugmarktes wurde als besonders problematisch für die Kinder gesehen (Bauer/Hengst 1980). Durch den Warencharakter seien die Kinder von der Welt der Erwachsenen getrennt und würden die Wirklichkeit nur noch »aus zweiter Hand« erfahren (ebd.). Dass nahezu alle Dinge der Kinder heute einen Warencharakter haben und durch Kaufakte auf einem Kinderwarenmarkt in die Kindheit kommen, ist ein besonderes Merkmal heutigen Kinderlebens und aktueller Kindheiten. Eng damit verbunden ist die Werbung für die Kindersachkultur. In der Werbung verbinden sich Medienerfahrungen (und die Bilder und Emotionen der Werbespots) eng mit den Dingen der Kindheit (Rosenstock/von Gottberg 2009). Die KidsVerbraucherAnalyse 2013 des Egmont Ehapa Verlages (KidsVA) zeigt die neueste Entwicklung auf dem Kinderkonsummarkt: Das Taschengeld ist leicht gestiegen und liegt im Durchschnitt bei den sechs-13-Jährigen bei 27,56 Euro (Koch 2013:10). Diese Altersgruppe verfügt pro Jahr über 2,5 Milliarden Euro und gibt ihr Geld vornehmlich für Süßigkeiten (66%), Zeitschriften (49%), Eis (39%) oder Spielzeug (23%), Sticker (20%), Kino (14%) und Sammelfiguren (14%) aus (ebd.). Die Computer- und Internetznutzungen steigen, aber Lesen wird dadurch nicht verdrängt. Kinder wünschen sich Online-Spiele und Videos, aber auch vermehrt traditionelles Spielzeug wie Brettspiele, Kartenspiele und die elektrische Eisenbahn. »Die Kinder sind offenbar zunehmend in der Lage, mehrere Beschäftigungen parallel abzuwickeln – ein Phänomen, das viele Erwachsene im Hinblick auf ihren eigenen Beruf und ihre Freizeit beklagen« (KidsVA 2013). Dinge sind heute nicht mehr durch Tradition, sondern durch Wahl (optional) in der Kindheit verankert. Soziale und emotionale Prozesse steuern das Wahlverhalten der Erwachsenen und Kinder bei der Inkorporierung von Dingen in die eigene Lebenswelt. Es sind auch nicht mehr allein die Erwachsenen, die Dinge nach ihren alleinigen Erwachsenennornen aussuchen und als Geschenke in die Wirksphäre der Kinder einbringen. Kinder sind heute über den Warenmarkt, der für sie produziert wird, über die Werbung informiert. Die Kinder bilden eigene Dinginteressen aus und kommunizieren diese auch gegenüber den Erwachsenen z.B. in Geschenkwünschen. Viele Kinder (wollen, müssen, können) neben dem Taschengeld in ihrer Freizeit Geld verdienen (Feil 2003: 87ff.) und sparen für den Erwerb bestimmter Objekte. Die Dingkultur der Kinder ist heute zwar immer noch von Erwachsenen gerahmt, aber die

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Machtbalancen haben sich verschoben, und Kinder heute sind in hohem Maße an der Herstellung ihrer materiellen Kultur beteiligt. Dies gilt auch für den Einfluss, den die Kinder bei den Kaufentscheidungen der Eltern haben (ebd.). Die Kinderdingkultur darf also nicht mit der Kultur für Kinder gleichgesetzt werden (Bausinger 1987). Kinder nutzen auch Dinge, die nicht für sie produziert wurden, sie nutzen Dinge auf eine eigene Weise, die von den Nutzungsvorstellungen der Erwachsenen abweichen kann, und sie sind an der Ausstattung ihrer Kindheit mit Dingen aus dem Kinderwarenmarkt in hohem Maße beteiligt. Diese doppelte Perspektive auf Dinge für Kinder und die kindliche Dingkultur als eine Kultur des Agierens mit Dingen, die von den Kindern als AkteurInnen in die Kindheit eingebracht werden, ist für die im Weiteren dargestellte Analyse der materiellen Kultur zentral. Dies lässt sich auch und vor allem an der Kindermedienwelt ablesen.

2. D IE D INGWELT DER K INDER ALS SOZIAL GEORDNE TE W ELT VON U NGLEICHHEITEN In den Dingen der Kinder und der Kindheit sind stets soziale Ungleichheiten eingeschrieben. Arm und Reich, adlige, bürgerliche oder bäuerliche Herkunft waren durch alle Jahrhunderte an der Kleidung der Kinder ablesbar. Kinder konnten stets der sozialen Gruppe, der sie angehört haben, zugeordnet werden und sie haben sich, wie historische Dokumente belegen, auch selbst zugeordnet und gegen Kindergruppen anderer sozialer Herkunft abgegrenzt. Für die Epoche der Kaiserzeit um 1900 haben dies Imbke Behnken, Jürgen Zinnecker und Manuela du Bois Reymond (1989) eindrucksvoll untersucht. Aus den Interviews von Zeitzeugen, die als Arbeiter-, Kleinbürger- und Großbürgerkinder aufgewachsen sind, werden nicht nur die unterschiedlichen Erfahrungsund Lebenswelten in der biografischen Erinnerung sichtbar, sondern auch die sehr unterschiedlichen Dingwelten. Da stehen Kinder je nach Herkunft auf den Straßen der Armenquartiere oder halten sich in den Gärten der Villen auf. Und während die großbürgerlichen Kinder von Spielzeug, Kindermädchen und Schokolade berichten konnten, haben die Arbeiterkinder eine Straßensozialisation erlebt, die durch Arbeitsgeräte, aber auch durch Pferde und andere Nutztiere geprägt war. Die Kommerzialisierung und Industrialisierung des Spielzeuges und der zunehmende Wohlstand breiterer Bevölkerungskreise hat zu einer grundlegenden Veränderung im Spielzeugbesitz geführt und ebenso wie das Kinderzimmer (Buchner-Fuhs 2000) hat das Spielzeug Eingang gefunden in den Alltag fast aller Kinder. Heute ist nicht mehr die Frage, ob ein Kind Spielzeug hat oder nicht, sondern welche (pädagogische) Qualität die Dinge im Leben eines Kindes haben und welche Bildungsvorstellungen mit der Nutzung von Dingen verbunden sind. Insbesondere der Besitz von Bü-

Der Zauber der Dinge in der Kindheit

chern, das Lesen und Vorlesen sind mit sozialen Unterschieden verbunden (Richter/Plath 2005: 88). Die soziale Ungleichheitsforschung hat diese Einschreibungen sozialer Ungleichheiten in den Habitus, den sich die Kinder in der Familie aneignen (Büchner/Brake 2006) deutlich herausgearbeitet und die Mechanismen der Reproduktion von sozialen Positionen über Bildungskarrieren offengelegt (Betz 2008), die in der frühen Kindheit ihren Anfang nehmen. Dass die Kinder nicht nur Armut deutlich erleben (World Vision 2010: 79), sondern dass sie auch vielfältige Träume eines besseren Lebens für sich selbst und einer besseren Welt für alle haben, wird in den zwölf Kinderporträts der World Vision Studie 2010 mehr als deutlich. Insbesondere die Mediatisierung der Kindheit hat in den letzten Jahrzehnten zu einer Veränderung der kindlichen Dingkultur und zu neuen Ungleichheiten geführt. Während das Fernsehen etwa schon seit Jahrzehnten fest zur Kindheit gehört und bei fast allen Kindern im Alltag angekommen ist (und auch das Radio zur Lebenswelt von Kindern gehört), kommen neue Dinge der Medienwelt wie Video, Gameboy, Computer hinzu und erweitern die kindliche Mediendingwelt, die bis dato vor allem aus Büchern, Bilderbüchern, Comics, Zeitungen, Zeitschriften, Schallplatten, Kassetten, CDs bestanden hatte um die neuen Geräte und Nutzungsformen. 2012 finden sich in den Haushalten und damit in der Lebenswelt von Kindern eine Vielzahl von Mediengeräten und das Handy, der Internetzugang oder die Digitalkamera gehören zum selbstverständlichen Alltag von Kindern und Erwachsenen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/KIM-Studie 2012/www.mpfs.de: 8). Die Kinder selber besitzen unterschiedliche Geräte, wobei deutliche Unterschiede sichtbar werden. Rund 60% haben einen CD-Player, rund 50% eine Spielekonsole und ebenso viele ein Handy, rund ein Drittel der Kinder besitzen einen eigenen Fernseher und ein Radio. Eine Digitalkamera haben rund 15%. 14% der Kinder lesen noch jeden Tag, rund 50% mindestens einmal in der Woche (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/KIM-Studie 2012/www. mpfs.de: 9). Die Studie zeigt auch, dass die digitalen Mediendinge bereits im Vorschulalter angekommen und sich dort zunehmend verbreiten, ohne bereits eine vorherrschende Stellung gegenüber dem Spielen zu haben. So hat die »1. World Vision Kinderstudie 2007 […] bereits festgestellt, dass die soziale Schicht einer der wesentlichen Erklärungsfaktoren für die Medienausstattung der Kinderzimmer in Deutschland« ist (World Vision 2010: 119). Geräte, die pädagogisch eher positiv besetzt sind wie CD-Player und Radio finden sich häufiger bei Kindern der Oberschicht. Geräte, die als problematisch eingestuft werden (Spielekonsolen, Fernsehen, DVD-Player) finden sich häufiger in unteren Schichten (ebd.). Kinder im Alter von 6-11 Jahren haben nach Schicht (so die soziale Differenzierung der Studie) demnach im Kinderzimmer ein eigenes Fernsehen:

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• • • • •

Unterschicht 37%, untere Mittelschicht 43%, Mittelschicht 32% obere Mittelschicht 17%, Oberschicht 9% (a.a.O.: 120)

Die Verbreitung von digitalen Medien in der Kindheit ist also mit neuen Formen der sozialen Ungleichheit verbunden, die sich zum einen in pädagogischen Vorstellungen und Regeln der Eltern ausdrücken und zum anderen tief in den Geschmack der Kinder eingeschrieben sind und in ihren Interessen, Wahlentscheidungen und Mediennutzungsformen sichtbar wird. Eine Untersuchung der Dingwelten von Kindern kann indes bei diesen Ergebnissen nicht stehen bleiben. Es gilt vielmehr zur Bedeutung der Dinge für die Kinder selbst vorzudringen.

3. D IE MAGISCHE W ELT UND DIE V ERL ÄSSLICHKEIT DER D INGE Dinge haben in der Kindheit eine andere Bedeutung als Dinge im Jugend- oder Erwachsenenalter. Die Entdeckung der Welt, ihre Benennung und das Lernen, in der Welt erfolgreich zu handeln, sind für Kinder eng verbunden mit dem Umgang mit Dingen. Kinder haben nicht nur eine andere Sicht, sondern sie haben eine besondere Sicht auf Dinge, da Kinder im Unterschied zu Erwachsenen nicht gehalten sind, arbeitsbezogene und nutzorientierte Handlungsformen mit den Alltagsdingen zu verbinden. Schon ein erster Zugang zur Spielzeugforschung zeigt die Komplexität kindlicher Dingwelten zwischen Pädagogik und Kommerz, zwischen Realität und Magie, zwischen erwachsener Zweckbestimmung und einem Medium der kindlichen Selbst- und Weltreflexion (Ernst/Ernst 2000: 146). Für Kinder ist es eine lange Entwicklung der Selbst- und Weltwahrnehmung, bis sie zu den Objektvorstellungen kommen, die für Jugendliche und Erwachsene in der Regel selbstverständlich sind. Aus der Entwicklungspsychologie wird deutlich, wie sich unsere Vorstellungen über die Welt und die Dinge erst sehr allmählich entwickeln. So zeigen Untersuchungen zur »Objektkognition«, dass kleine Kinder erst lernen müssen, dass es eine reale Welt außer ihnen selbst gibt (Rakoczy/Haun 2012: 342). Seit den Untersuchungen von Piaget wird diese Fähigkeit von Kindern »Objektpermanenz« genannt (ebd.). Es ist ein langer Weg über die Entwicklung eines Selbstkonzeptes, das sich von der Welt getrennt wahrnimmt, über Vorformen einer naiven Physik und eines allmählichen Verstehens von Kausalität und der Herausbildung eines numerischen Denkens, währenddessen sich Kinder eine rationale Dingvorstellung aneignen, wie sie heute für Erwachsene gefordert wird (a.a.O.: 344).

Der Zauber der Dinge in der Kindheit

Während Kinder sich die noch fremde Welt durch »Explorations- und Neugierverhalten« (Schneider/Hasselhorn 2012: 202) immer weiter erschließen, gehört es für die Erwachsenen zu den Lebensaufgaben, sich ein stabiles dauerhaftes Bild von der Welt zu machen und sich erfolgreich in dieser angeeigneten Welt zu etablieren. Während es noch in der Jugend darum geht, eine eigene Identität aufzubauen (Silbereisen/Weichold 2012) und die Lebensziele an Zugewinn zu orientieren, ist es für die Erwachsenen im mittleren Alter wichtig, ihr entfaltetes Leben aufrecht zu erhalten und zunehmend Verluste zu vermeiden (Freund/Nikitin 2012: 268). Erwachsene sind im Unterschied zu Kindern in der Regel bestrebt, die Welt aus festen Dingen bestehend zu sehen: Dinge, die ihnen bekannt sind und mit denen sie mit Erfolg umgehen können.

4. D IE PÄDAGOGISCHE V ERSACHLICHUNG DER W ELT Während die Bildungsräume von Kindern, die von Erwachsenen kontrolliert werden, eher rational sachlich gestaltet sind, finden sich die kindlichen Emotionen in den selbstgewählten Medieninhalten und in der Begeisterung vieler Kinder z.B. für Harry Potter oder Lillifee. Das Vergnügen an Hexen, fantastischen Gestalten und an magischen Geschichten kann als Gegenprogramm gegen eine rationale Alltagswelt gesehen werden (Richter/Fuhs 2005). Die mediale Lust an der Magie führt zur Aufhebung der starren naturwissenschaftlichen Alltagswelt und schafft Räume für Kinder, die intermediär wieder Innen- und Außenwelten fantasievoll zusammenführen und zu einer Remythologisierung der Lebenswelt führen. Ein genauer Blick zeigt, wie wichtig die Fantasie für die Untersuchung der Perspektive von Kindern ist: »Mähler (1995) hat das Vorschulalter als eine Entwicklungsphase beschrieben, in der zwei Weltsichten, eine realitisch-naturalistische und eine magisch-animistische Weltsicht, simultan nebeneinander existieren. Vorschulkinder pendeln noch häufig zwischen diesen Bewusstseinsebenen hin und her« (Hasselhorn/Schneider 2012: 595). Auch Gerd E. Schäfer hat deutlich betont, wie bedeutsam für Kinder und kindliche Bildungsprozesse die Fantasien der Kinder sind. Erst in einem »intermediären Bereich« aus Außenwelt und Innenwelt entsteht Bildung und es gelingt den Kindern durch Spielen, durch Fantasien, durch ästhetisches Handeln und durch Spielzeug, das als »poetisch« verstanden werden muss, weil es innere und äußere Realität verbindet und so eine Entwicklung von neuen Beziehungen zu sich selbst, zu anderen und zu den Dingen erst möglich macht (Schäfer 2005: 135). »Phantasien verbinden [das kindliche Innenleben, BF] mit Bildung aus der äußeren Wirklichkeit. Damit wird die innere Wirklichkeit strukturiert und ein Stück weit ›denk-

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bar‹ gemacht. Viele der bisher beschriebenen kindlichen Phantasien waren nun Teil kindlicher Spiele. Man könnte fast meinen, kindliche Spiele wären gleichsam die materialisierte und inszenierte Form der kindlichen Phantasien« (Schwabe/Schäfer 2005: 165).

Spielen ist also ein intermediärer Raum, der von Innen- und Außenwelt durchdrungen ist und gleichermaßen als Arbeit an den Dingen und Arbeit an sich selbst verstanden werden kann. Kinder verbinden in der Regel im Spiel gekonnt die realistischen, praktischen Anforderungen im Umgang mit den Dingen mit ihren Spielfantasien, die im Spiel umgesetzt werden. Nicht immer gelingt die realistische Rahmung kindlicher Fantasie im Spiel, wie folgender Interviewausschnitt mit Lena (geb. 1954) zeigt: »Ich backe einfach gerne, das habe ich schon immer gerne gemacht, schon als Kind. Ich wollte immer was backen. Ich erinnere mich noch, dass ich einmal im Sandkasten einen Kuchen backen wollte, so einen richtigen Kuchen. Und da habe ich dann unterschiedliche Zutaten gemischt mit dem Sand, es sollte ja ein Sandkuchen werden. Aber es hat immer scheußlich geschmeckt. Und da bin ich in die Küche und habe ein Ei aus dem Kühlschrank geholt, das war gar nicht so leicht. Und das Ei habe ich unter den Sand gemischt und dann alles in ein Förmchen gefüllt, aber geschmeckt hat es natürlich nicht. Da war ich sehr enttäuscht und bin zu meiner Mutter gegangen und habe alles erzählt. Und die hat dann gelacht und gesagt: ›Na komm, wir backen jetzt einen richtigen Kuchen zusammen‹« (Lena, 1954, Thüringen).

An diesem Beispiel wird deutlich, wie vielschichtig die kindliche Realitätskonstruktion im Spiel ist. »Diese Realität [des Spiels, BF] lässt aufgrund der Komplexität, wegen der Ganzheitlichkeit der sich konstituierenden psychischen Prozesse und wegen der entwicklungsrelevanten Vielgestaltigkeit […] keinen verführten Reduktionismus zu« (Mogel 2008: 74). Die Rahmung des Spiels, das immer als Spiel praktisch definiert und von der Wirklichkeit abgegrenzt werden muss, damit sich Fantasie schadlos entfalten kann, ist einer der Grundmerkmale des Spiels (Fritz 2004: 159), und die doppelte Sicht der Kinder auf die Welt (realistisch-naturalistisch vs. magisch-animistisch) durchzieht die gesamte Kindheit, auch wenn die Kinder zunehmend mehr Denk-Strukturen entwickeln, die von Erwachsenen heute als vernünftig und realistisch begrüßt werden. Kinder behalten lange die doppelte Sicht zwischen magisch und realistisch auf die Welt bei. Kinder aber, so ein Ergebnis der Entwicklungspsychologie, verbergen mit zunehmendem Alter ihre Fantasien vor den Erwachsenen: »Insbesondere bei Anwesenheit ›vernünftiger‹ Erwachsener tendieren Kinder zu klarer Trennung zwischen Wirklichkeit und Fantasie; sind sie jedoch sich selbst überlassen,

Der Zauber der Dinge in der Kindheit

gewinnen magische und animistische Überzeugungen leicht die Oberhand« (Hasselhorn/Schneider 2012: 595).

Den Erwachsenen erscheinen die älteren Kinder realistischer als sie sind, da offensichtlich ein sozialer Druck zum Vernünftig-Sein von den Erwachsenen ausgeht. Die für die Kinder dringend notwendige Errichtung intermediärer Räume, die die Innen- und Außenwelt durch Spielfantasien verbindet, hat in den pädagogischen Institutionen keinen Platz und wird in die Peerkultur abgedrängt. Diese Stigmatisierung der kindlichen Weltsicht lässt sich gut an der in der Geschichte immer wieder vorgetragenen Kritik am Spielen der Kinder nachzeichnen. Für das 20. Jahrhundert etwa verbindet sich Spielkritik mit Konsumkritik: »Hauptkonsumartikel ist fraglos das Spielzeug. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Spielzeug e.V. in Bamberg führt ein Spielzeugeinzelhandelsgeschäft heute im Durchschnitt 20.000 bis 25.000 Artikel. […] Die Kehrseite dieses Trends zum Massenkonsum besteht in einem merklichen Verlust an Eigentätigkeit« (Rolff 1983: 155). Was hier kritisiert wird, ist die Populärkultur, die im 20. Jahrhundert entstanden ist. Kinder leben in dieser Massenkultur und sie leben diese Massenkultur, sie gehört zu einer Form der eigenständigen Kinderkultur. Die Bewertung dieser Massenkultur der Kinder wurde im gesamten 20. Jahrhundert als Ausdruck eines schlechten Geschmacks kritisiert und oftmals als gefährlich eingestuft (Maase 2012). Auch für die kindliche Massenkultur (Fuhs 2011) gilt, was für alle Populärkultur charakteristisch ist: Es ist eine Kultur der Freiheit, das heißt die Tätigkeiten und Dinge sind von den Akteuren freiwillig gewählt und hoch emotional besetzt und es ist eine Kultur des Performativen, der »imaginären Selbstermächtigung«, wie es Otto Hügel (2003: 30) beschreibt. Es sind identitätsstiftende Tätigkeiten, deren Verbot bei den Kindern auf große Frustration und Widerstand stößt. Kartensammeln und Tauschen z.B. kann für Kinder lustvoll und glücksbringend sein.

5. Z AUBER DER D INGE IN DER K INDHEIT — AUS S ICHT DER E RWACHSENEN Die Welt der Kinder – das wurde schon hinreichend festgehalten – unterscheidet sich von der Welt der Erwachsenen, und die Kinder haben eine besondere Beziehung zu den Dingen, die sich mit Begriffen wie Neugierde, Zauber, emotionale Aneignung oder Ablehnung und in Verbindung mit Dingen als Teil der eigenen Identität und als Anker kindlicher Träume und Fantasien beschreiben lassen. Erwachsene erinnern sich gerne an die »schöne« eigene Kindheit zurück (Fuhs 1999: 123), auch wenn diese vielleicht schwer war und problemati-

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sche Anteile hatte. Die schöne Kindheit ist ein verbreitetes Muster, das subjektive Kindheitsdeutungen bündelt (Buchner-Fuhs/Fuhs 2011: 7). So erzählt eine Erzieherin in einer Studie zum Kindheitsglück geradezu poetisch von zauberhaften Welten ihrer Kindheit: »Wenn ich an diese Zeit denke, huscht immer ein Lächeln über meine Lippen. Jeder Tag war offen für ein neues Abenteuer mit meinen zwei besten und weiteren guten Freunden. Die ganze Gegend, vor allem der Wald, war unser Aktionsfeld. Gelegentliche Streitereien und etwaige Folgen (Sanktionen der Erwachsenen) auf unsere Taten konnten dem Tatendrang keinen Abbruch tun. Ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, wir wußten immer was zu tun. Langeweile war uns gänzlich fremd, obwohl Spielzeug kaum oder überhaupt nicht vorhanden war« (m, 56) (Bucher 2001: 34).

Die ganze Gegend wird zu einem Ort der Abenteuer. Die Kinder – so die Erinnerungen – haben sich im Tun diese Welt angeeignet, es ist kein bloßes Schauen, sondern die Welt wird zum Aktionsraum, der voller Möglichkeiten ist. Die Kinder sind AkteurInnen, die die Aufforderungen der Welt aufnehmen und handelnd sich die Welt erschließen, auch wenn sie dabei manchmal die Regeln der Erwachsenen brechen. Es sind Akteursnetze, die hier agieren und die das Handlungspotential etwa des Waldes nutzen. Die bunte, emotionale Welt, die soweit verschwunden ist, war eine Welt des gemeinsamen Handelns, das mit kindlicher Fantasie die immer gleiche Gegend in einen immer neuen Erlebnisraum verwandelte, der keine Langeweile kannte. Auch in Autobiografien und Romanen oder Erzählungen über Kindheit wird diese Magie des Kindererlebens immer wieder beschrieben und beschworen. Glückliche Kindheitserinnerungen, emotionale Verbindungen der Dingwelt mit der Fantasie lassen sich viele finden. So beschreibt z.B. Elisabeth von Arnim 1901 ihre Kindheit, und wieder sind es die Dinge, die erinnert werden und im Gedächtnis zu »leuchten« beginnen: »Einen Steinwurf entfernt von dem hohen Eisentor war und ist immer noch ein Gasthaus mit zwei uralten Lindenbäumen davor, wo wir nach unsrer Ankunft an einem kleinen Tisch mit einer rot- und blaukarierten Decke zu Mittag aßen, und die Lindenblüten fielen in unsere Suppe, und die Bienen summten im duftenden Schatten über uns« (von Arnim 1995: 13).

Fast jeder einzelne Tag »in diesen wunderbaren, langen Jahren« habe sich »vollkommen deutlich« in ihr Gedächtnis eingeprägt, schreibt die Autorin weiter über »all die verzauberten Jahre, die zwischen dem zweiten und dem achtzehnten Lebensjahr liegen« (a.a.O.: 15). In älteren Jahren aber verschwindet die Magie, es kommen Zweifel an der Wirklichkeit der Kindheit, die plötzlich der erwachsenen Elisabeth peinlich wird: »Zwei Tage lang kämpfte ich gegen den

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starken Wunsch an, dorthin zu gehen, der mich so plötzlich ergriffen hatte, und ich versicherte mir, ich würde nicht gehen, es wäre absurd zu gehen, unwürdig, sentimental und dumm […] und daß ich alt genug sei, um vernünftig zu bleiben« (a.a.O.: 16). Hier wird der Prozess des Verlustes der Zauberwelt der Kindheit sichtbar, der in anderen Erinnerungen ausgespart bleibt. Bei Tolstoj (1852) etwa werden die Erinnerungen ganz ins Poetische gewendet: »Die Stimmen der Leute, das Pferdegetrappel und das Knarren der Wagen, den frohen Wachtelschlag, das Summen der Insekten, die in unbeweglichen Schwärmen in der Luft schwebten, den Geruch von Wermut, Stroh und Pferdeschweiß, die tausend verschiedenen Farben und Schatten, die die glühende Sonne über das hellgelbe Stoppelfeld, die blaue Ferne des Waldes und die weiß-violetten Wolken, die weißen Spinnwebfäden, die durch die Luft glitten und sich auf die Stoppeln legten – all das sah, hörte und fühlte ich« (Tolstoj 1991: 47).

Diese poetische Verwandlung der Dingwelt zeigt, wie sehr das Glück – aus der Sicht der sich erinnernden Erwachsenen – in der sinnlichen Wahrnehmung der Welt liegt. Die Eindrücke werden nicht sortiert, unter Kategorien subsumiert und hierarchisiert, sondern stehen ungewertet nebeneinander. Ein solches Glück ist dem tätigen Erwachsenen, der eine feste geordnete Dingwelt braucht, um erfolgreich zu handeln und das Nützliche im Alltag vom Banalen, das sich in der Kindersicht findet, zu trennen, in der Regel verwehrt. Die Sehnsucht aber bleibt offensichtlich und gibt den Erwachsenen Raum, sich die verschwundene Kinderwelt in literarischer Form verwandelt anzueignen. In der Regel entfalten Kinder im 19. und 20. Jahrhundert ihre Zauberwelt außerhalb der Hauses in Bereichen, die den Erwachsenen nicht im Blick sind oder die die Erwachsenen in ihren Tätigkeiten nicht stören. Aber auch die Wohnung und die Dinge der Innenwelten können für die Kinder etwas Magisches haben und zu wunderbaren Entdeckungen führen. Walter Benjamin, der seine Berliner Kindheit um 1900 beschreibt, nimmt die LeserInnen mit in seine Faszination für das Telefon (Benjamin 1977: 22) oder in seine Beschreibung des Wintermorgens: »Im Ofen wurde Feuer angezündet. Bald sah die Flamme, wie in ein viel zu kleines Schubfach eingepfercht, wo sie vor Kohlen kaum sich rühren konnte, zu mir hin. Und doch war es ein so Gewaltiges, das dort in nächster Nähe, kleiner als ich selbst, sich einzurichten anfing, und zu dem die Magd sich tiefer bücken mußte als zu mir. Wenn es versorgt war, tat sie einen Apfel zum Braten in die Ofenröhre. Bald zeichnete sich das Gatter der Kamintür im roten Flackern auf der Diele ab. Und meiner Müdigkeit kam vor, sie habe an diesem Bilde für den Tag genug« (a.a.O.: 35).

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Es ist dieser Bezug zur eigenen Person, der die Magie der Dinge im sinnlichen Erleben in Gang setzt und zu Bildern führt, die satt machen können für einen ganzen Tag. Für Benjamin ist jedenfalls eindeutig, dass die Kinderwelt eine Welt voll Sinnlichkeit und voller Farben ist (a.a.O.: 75), wo Kommoden für Kinder fantastische Dingwelten eröffnen konnten, wenn man nur eine der Schubladen aufzog: »Nichts ging mir über das Vergnügen, meine Hand so tief wie möglich in ihr Inneres zu versenken« (a.a.O.: 119ff.). Dass die Fantasiewelt der Welt, der Zauber der Dinge, stets gefährdet war und ist, wird an vielen Stellen deutlich, und nicht selten steht die Kinderwelt mit den Werten und Normen der Erwachsenen, mit ihrer Vernünftigkeit und Ordnung in Konflikt. Im 20. Jahrhundert kommt es in der Kinderliteratur zur offenen Gegenwehr der Kinder gegen die Rationalisierung der fantastischen Kinderwelt. Pippi Langstrumpf ist ein Mädchen, das reich genug, stark und klug genug ist, es gegen die Welt der Erwachsenen aufzunehmen: »Und die Schutzleute beeilten sich, in die Stadt zurückzukommen, und sagten zu allen Müttern und Vätern, Pippi wäre wohl nicht richtig für ein Kinderheim geeignet. Sie erzählten nichts davon, daß sie oben auf dem Dach gewesen waren. Und die Mütter und Väter meinten, es wäre wohl am besten, Pippi in der Villa Kunterbunt wohnen zu lassen. Und wenn sie in die Schule gehen wollte, so könne sie die Angelegenheit selbst ordnen« (Lindgren 1968: 53).

Zweihundert Jahre früher hatte ein reales Kind, nicht das Glück, sich gegen den Vater durchsetzen zu können. Aus der Erinnerung beschreibt Goethe seine Erfahrungen als Kind. Als kleiner Junge durfte er nicht nach draußen, um mit den anderen Kindern zu spielen. Er betrachtete die Welt von seinem Fenster im zweiten Stock aus, aber auch diese isolierte Welt ist in der Rückschau eine magische, sinnliche gewesen, in der die Dinge eine besondere Färbung hatten: »Im zweiten Stock befand sich ein Zimmer, welches man das Gartenzimmer nannte, weil man sich daselbst durch wenige Gewächse vor dem Fenster dem Mangel eines Gartens zu ersetzen gesucht hatte. Dort war, wie ich heranwuchs, mein liebster, zwar nicht trauriger, aber doch sehnsüchtiger Aufenthalt. Über jene Gärten hinaus, über Stadtmauern und Wälle sah man in eine schöne fruchtbare Ebene: es ist die, welche sich nach Höchst hinzieht. Dort lernte ich in der Sommerzeit gewöhnlich meine Lektionen, wartete die Gewitter ab und konnte mich an der untergehenden Sonne, gegen welche die Fenster gerade gerichtet waren, nicht satt genug sehen. Da ich aber zu gleicher Zeit die Nachbarn in ihren Gärten wandeln und ihre Blumen besorgen, die Kinder spielen, die Gesellschaften sich ergötzen sah, die Kegelkugeln rollen und die Kegel fallen hörte, so erregte dies frühzeitig in mir ein Gefühl der Einsamkeit und einer daraus entspringenden Sehnsucht« (Goethe 1982: 18).

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Lässt man literarische Quellen zur Analyse des Wandels von Kindheit zu, so ergibt sich eine interessante Parallele. Trotz des scharfen Kontrastes des kontrollierten Jungen (Goethe) und des freien Mädchen (Pippi als literarische Figur) haben beide Texte eine große Gemeinsamkeit in der Frage wie Kinder ihre Fantasie in und mit der dinglichen Welt leben können. Beiden Beschreibungen ist ebenfalls gemeinsam, dass die Welt, in der die Kinder handeln, einen besonderen Zauber hat.

5.1 Medialität und Spielzeug Die magische Welt der Dinge ist eng mit dem Spielzeug verbunden. Schon im 16. Jahrhundert entwickelte sich eine »rege Hausindustrie«, die im ländlichen Raum Spielzeug herstellte (Kutschera 1979: 14) und die städtischen Handwerker – etwa die berühmten Hersteller des Nürnberger Tands schufen Spielzeuge der allerfeinsten Qualität, die europaweit vermarktet wurden (ebd.). Ab dem 18. Jahrhundert entsteht eine Spielzeugindustrie, deren Produkte heute noch beeindrucken können. Farbige Glaskugeln aus dem 16. Jahrhundert, Zwitschervögel aus dem 19. Jahrhundert, Musikinstrumente für Kinder aus dem 18. Jahrhundert, farbiges Holzspielzeug aus dem 19. Jahrhundert, Puppen, Tiere, Wagen, Puppenstuben, Kindertheater – die Geschichte des Spielzeugs ist gekenzeichnet durch seine Vielfalt und seine Perfektion (ebd.). Auf den Jahrmarktsfesten des 18. und 19. Jahrhunderts boten die Spielzeughändler ihre Waren feil, und Spieldinge waren so für viele Kinder und deren Fantasien zwar sichtbar, aber nur für reiche Kinder erschwinglich (Hahn/Hahn 2010: 13). In Goethes Schauspiel »Jahrmarktsfest zu Plundersweilern« aus dem Jahre 1773 tritt ein Spielwarenhändler aus Nürnberg auf: »Liebe Kindlein, Kauft ein! Hier ein Hündlein, Hier ein Schwein; Trummel und Schlegel, Ein Reitpferd, ein Wägl. Kugel und Kegel, Kistchen und Pfeifer, Kutschen und Läufer, Husar und Schweizer; Nur ein paar Kreuzer, Ist alles Dein! Kindlein, kauft ein!« (Goethe zit.n. Hahn/Hahn 2010: 13)

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Der Beleg zeigt, dass Kinder Ende des 18. Jahrhunderts schon als Konsumenten und Käufer angesprochen werden und Spielzeug ein fester Bestandteil von Kindheit war. Schaut man auf Abbildungen zum Kinderleben und zur Kindheit (Weber-Kellermann 1979), wird ersichtlich, dass Kinder häufig mit Spielzeug abgebildet worden sind. Da finden sich auf einem Abbild der Familie des Landgrafen Moritz von Hessen mit seinen 14 Kindern aus dem Jahre 1630 unterschiedliche Spielzeuge in den Händen der kleinen Kinder: ein Steckenpferd, eine Armbrust, eine Trommel, eine Puppe, ein Hund, verschiedene Rasseln und Blumen (a.a.O.: 29). Oder es spielen Bettelknaben auf einem Bild des 18. Jhs Karten (a.a.O.: 22). Oder auf einem Stich von Chodowiecki aus dem Jahre 1774 sind Kinderspiele zu sehen wie Reifen treiben, Drachen steigen lassen, Kreisel schlagen oder Ball und Faden (a.a.O.: 83). Auf einem farbigen Bild aus ›Herzblättchen Zeitvertreib‹ (a.a.O.: 206) ist ein Kinderzimmer mit reichhaltigem Spielzeug zu sehen: Puppen, Konstruktionsspielzeug aus Holz, exotische Tiere, Porzellan, ein Gewehr und ein Pferdewagen (a.a.O.: 139). Auch Weihnachtsbilder aus dem 19. Jahrhundert zeigen eine reiche Spielzeugwelt der Kinder (a.a.O.: 206). Der Befund ist eindeutig: Für die reichen Kinder des Adels und des Bürgertums entsteht seit dem 16. Jahrhundert eine professionelle Spielzeugproduktion, die eine große Perfektion und eine große Vielfalt umfasst. Das Spielzeug spiegelt neben den Geschlechterrollen auch typische gesellschaftliche Rollen wie Krieger, Kaufmann, Ingenieur wider und bereitete die Kinder auf ihre zukünftigen Aufgaben vor. Arme Kinder waren von dieser kommerziellen Spielzeugwelt vollständig ausgeschlossen, es sei denn sie waren in der Kinderarbeit der Heimproduktion bei der Herstellung von Kinderspielzeug für Reiche tätig (Weber-Kellermann 1979: 43). Für die reichen Familien war dagegen die Spielzeugwelt als Norm in vielfältiger Weise präsent. Auf Bildern, in Zeitschriften, in Warenkatalogen, in Kinderbüchern gab es einen Bilddiskurs über die Dingwelt von Kindern: Das pädagogisch Wünschenswerte und das kommerziell Mögliche standen zur Diskussion. Die Geschichte der Kindheit wurde maßgeblich vom Diskurs über die Dinge, die Kinder haben sollten und haben durften, bestimmt. Die Kritik an der Industrialisierung des Spielzeugs im 20. Jahrhundert, wie sie seit den 1970/80er Jahren immer wieder vorgetragen wird, geht also an der historischen Wirklichkeit vollständig vorbei und zielt auf normative Argumentationen. Die Massenproduktion führte zu einer Partizipation breiter Bevölkerungsschichten an einer Spielwelt, die in den oberen Schichten schon lange Zeit üblich war und zum festen Bestandteil von Kindheit gehörte. Ob das Massenspielzeug eine geringere Qualität hat, im Spielwert und in der Materialität (etwa Kunststoff), ob es banaler ist als das ›Gute Spielzeug‹ reicher Kinder, ist eine ganz andere Frage. In jedem Fall – bei aller möglichen Kritik am Konsum –, es hat eine Demokratisierung des Spielzeugs stattgefunden und es sind neue Formen der Partizipation an den kulturellen Errungenschaften einer sich entwickelnden Kindheit entstanden.

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5.2 Mediendinge in der Kinderkultur Aber nicht nur die magische Welt der Kinder und die Dinge für Kinder (Spielzeug) sind in einem medialen Diskurs der Erwachsenen seit spätestens dem 18. Jahrhundert präsent. Die Medialität der Dinge der Kindheit wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die bürgerliche Kindheit grundsätzlich und vor allem in dem Sinne eine Medienkindheit war, dass sich im Besitz von Kindern seit dem 18. Jahrhundert vor allem Mediendinge finden lassen. Das Kinderzimmer war von Beginn an ein medialer Raum, in dem – neben dem Spielzeug – Bücher und Bilder einen zentralen Stellenwert eingenommen haben. Für die Etablierung einer Bildungskindheit sind die Erwachsenen darauf angewiesen, dass die Welt medial im Bild und im Buch präsent ist. Auch die Schule ist mit Schulbuch und Wandbild vor allem ein medialer Raum. Die Kinderliteratur des 19. Jahrhunderts wird zum wichtigsten Bestandteil von Kindheit, das Bilderbuch betont diese Medialität noch um eine visuell-ästhetische Komponente. Kinderreime, Kinderlieder und Bilderbögen, die als Vorläufer der Comics verstanden werden können, weisen in dieselbe Richtung. Stets wurden im historischen Verlauf in die Dingwelten der Kindheit jeweils die neuen Medien (Kino, Radio, Groschenheft, Fernsehen, Schallplatte, Kassette, CD, DVD, PC, Spielkonsole) aufgenommen. Kindheit ist und war Medienkindheit: Die Herausbildung der heutigen Kindheit mit ihren Spezialräumen und ihrer Kinderdingkultur zwischen den Dingen, die die Erwachsenen für die Kinder bereitstellen und den eigenständigen Nutzungsformen der Kinder, ist seit dem 18. Jahrhundert in hohem Maße eine mediale Welt. In den Kinderzimmern finden sich die materiellen Spuren, die diese Kindermedienkultur notwendigerweise begleiten, etwa in Form von Bücherregalen und die Geräte wie Fernseher, Radios oder Computer. Kontinuitäten lassen sich nicht nur im Bereitstellen von Büchern (Regalen) und Spielmaterialien, sondern auch im Umgang mit technischen Medien feststellen, die ihren Weg ins Kinderzimmer fanden. Die Geräte wurden an die Kindheit adaptiert, erhielten, was gesondert zu untersuchen wäre, eine kindorientierte Ausstattung und ein (buntes) Kinderdesign etwa in Farbe und Form (z.B. der Kinder CD-Spieler). In der Mediennutzung wird der Akteursstatus der Kinder in der Welt der materiellen Kultur besonders deutlich. Kinder haben ihre bestimmten Interessen, sie sind von bestimmten Geschichten, Hörspielen, Bildergeschichten, Musikstücken oder Filmen begeistert und lassen andere Dinge, die sich in ihrem Kinderzimmer befinden, unberührt. Oder sie nutzen ein Medienangebot für eine Zeit intensiv und wenden sich dann ab und einem neuen Angebot zu – auch Kinder haben individuelle Geschmackspräferenzen. Die Dinge der Kinder sind in hohem Maß medial und das nicht erst seit Ende des 20. Jahrhunderts. Die Märchenbücher etwa waren und sind für Kin-

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der oft sehr wichtig. Aber auch viele Spielgeräte haben einen medialen Charakter, wenn sie zeichenhaft auf eine andere, fantastische Welt verweisen, etwa als Spielzeuglok auf die reale Lokomotive. Diese materielle Kultur für Kinder des 19. und 20. Jahrhunderts spiegelt nicht zufällig die technische und soziale Fortschrittsgeschichte, etwa der Eisenbahn, der Luftfahrt oder des Autos, wider. Die Dinge sind Botschafter dieses Prozesses, der die Kinder in die Moderne einbezieht. Auch heute findet sich schon in der frühen Kindheit Spielzeug, das ein Handy oder einen PC in symbolischer Weise darstellt, bevor die realen Geräte in die Kindheit Einzug nehmen. Medialität muss also für die Kindheit in einem weiten Begriff gefasst werden und sollte die Symbolik der Dinge, die auf Werte und Normen aus der Erwachsenenwelt verweisen, auf theoretischer und praktischer Ebene in die Forschung einbeziehen.

5.3 Dinge im Akteursnetz von Freunden An unterschiedlichen Stellen ist deutlich geworden, dass die Kinder ihre Spielund Fantasie-Kinderwelt in der Regel in einem Akteursnetzwerk mit Freunden entfalten. Nicht das einzelne Kind in seiner Mediennutzung führt zu einem Verständnis des Wandels von Kindheit, sondern nur die Freundesgruppe, die eine zentrale Bedeutung für die Herstellung von Kindheit durch die Kinder hat. Macht man sich klar, dass die Gegenwart von Erwachsenen die Kinder tendenziell dazu drängt, vernünftig zu sein und die Mischung aus Magie und Realismus, die die Kindheit bestimmt, zurückzustellen, wird deutlich, wie wichtig Freunde sind, um Kindheit zu leben und zu gestalten. Die Freundschaften der Kindheit werden performativ Tag für Tag hergestellt (doing friendship), und die Dinge im Leben der Kinder sind ein wichtiges Medium, Freundschaft zu erfahren und zu stabilisieren. In vorelektrischen Zeiten waren die Kommunikationsformen zur Herstellung von Freundschaften vor allem schriftlich (Zettel unter der Schulbank, Brief, Poesiealbum). Daneben wurden Freundschaften durch den Austausch von Dingen (Geschenken) und Geheimnissen hergestellt. In dem Maße, wie Kinder sich nicht mehr selbstverständlich am Nachmittag sehen, weil sie nicht in derselben Straße wohnen und weil Kinder unterschiedliche Freizeittermine haben, werden die neuen Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und -pflege genutzt: Telefon, Handy, soziale Netzwerke. Wobei die Nutzung der neuen Kommunikationsformen auf die Freundschaften zurückwirken. Für Kinder und ihr Wohlbefinden ist es in jedem Fall zentral, dass sie Freundschaften eingehen und pflegen können – die neuen Medien sind für diese neue Freundschaftskultur nahezu unverzichtbar geworden. Die Welt der Kinderdinge kann ein Kind nur mit FreundInnen vollständig teilen. In dem Maße, wie die Fantasie-Interessen der Kinder in die populäre Massenkultur abgedrängt werden, kann es nicht verwundern, dass schon Kinder ihre Freundschaftskulturen um

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massenkulturelle Phänomene (Musik, Kleidung, Filme) organisieren. Eine reine Kritik an der Massenkultur für Kinder reicht daher nicht aus, wenn die Perspektive der Kinder und ihre Interessen ernst genommen werden sollen. Wer Alternativen in der Kinderkultur wünscht, und dies über ein nostalgisches Bedauern hinaus, dass die Kinderkultur der eigenen Kindheit verschwunden ist, der muss die kindlichen Praktiken heute erst verstehen, bevor er oder sie sie verdammt.

6. B ESIT Z UND E IGENTUM : S AMMELN UND TAUSCHEN BEI K INDERN Der Beitrag beschäftigte sich bisher vor allem mit der materiellen Kultur, die von Erwachsenen bereitgestellt wird (und wurde). Ein solcher Zugang zur kindlichen Dingwelt nimmt die Perspektive der Kultur für Kinder ein (Bausinger 1987). Davon zu unterscheiden ist die Kultur der Kinder (ebd.), die im Folgenden nicht anhand von Dingen, die Kinder selbst produzieren, sondern anhand von Dingen, die Kinder eigenständig in ihr Leben aufnehmen oder weggeben, behandelt wird. Die gesamte Dingwelt, über die die Kinder verfügen, wird und muss von Erwachsenen verantwortet werden. Kein Euro, den die Kinder ausgeben, ist nicht zuvor durch die Hand eines Erwachsenen gegangen. Das bereits erwähnte Taschengeld kann dabei als pädagogisches Geld (Feil 2003: 35) verstanden werden, das den Kindern ermöglicht, in beschränktem Maße als KäuferInnen aufzutreten und Erfahrungen mit Geld zu machen. Aber der Besitz der Kinder und die »Tausend Dinge des Kinderzimmers« sind nicht Eigentum der Kinder im eigentlichen Sinne des Grundgesetzes. Die Erwachsenen achten in der Regel darauf, wie die Kinder wertvolle Dinge, etwa eine teure Puppe, eine Eisenbahn, ein Fahrrad, wertvolle Bilderbücher, ein altes Blechspielzeug behandeln. Erwachsene behalten sich vor, Nutzungsrechte einzuschränken, wenn die Kinder nicht die grundlegenden Werte und Normen mit dem Umgang materiell wertvoller Dinge einhalten. Ein Interviewausschnitt soll als Beleg für mögliche Konflikte zwischen Kinder- und Erwachsenensicht bezogen auf den Wert von Dingen dienen: »Ich erinnere mich an einen Kölner Dom, den meine Oma mir geschenkt hatte, so ein kleines Modell aus Metall, rotbräunlich und sehr, sehr schwer. So ein kleiner schwerer Dom aus Metall, der sehr detailliert gearbeitet war. Und den wollte ich gegen irgendetwas anderes tauschen mit einem anderen Kind. Was das andere war, das ich damals unbedingt haben wollte, weiß ich heute nicht mehr. Keine Ahnung, obwohl es mir so wichtig gewesen war, keine Ahnung. Ich habe den Dom getauscht, also weggegeben für etwas Einfaches, Billiges. Ich erinnere mich noch genau, dass sich da meine Oma

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furchtbar aufgeregt hat. Sonst war sie ja nicht so, und ich konnte alles von ihr haben, da war sie sehr großzügig. Aber dass ich den Kölner Dom abgegeben habe, das war unmöglich für sie. Und da habe ich gelernt, dass dieses ›Teil‹ offensichtlich teuer war, dass es wertvoll war und nicht gegen etwas getauscht werden durfte, das weniger wert war. Und ich habe gelernt, dass der Kölner Dom für meine Oma einen besonderen Wert hatte und dass es sie verletzt hat, dass ich ihn nicht geschätzt habe. Und später – als mir der Wert einer solchen Sache klarer war – ist mir bewusst geworden, dass ich in einigen Dingen einen anderen Geschmack als meine Oma hatte. Meine Oma habe ich sehr geliebt, aber diesen Dom mochte ich nicht« (Lena, 1961).

In der Konsumgesellschaft haben Kinder viel Besitz, der aber in der Nutzung reglementiert ist, und sie haben wenig Eigentum, über das sie wirklich frei verfügen können. Wir haben es hier mit einer eingeschränkten, gerahmten Wirtschaftsfähigkeit zu tun, die bisher nicht untersucht wurde. Grundsätzlich kann gesagt werden: Je weniger eine Sache für Erwachsene von Wert ist und je weniger eine Sache als Eigentum einem Erwachsenen zugeordnet werden kann, desto eher können sich Kinder diese Sache aneignen. Es sind so vor allem die banalen, wertlosen Dinge, die zum eigentlichen Eigentum von Kindern werden. Für Kinder gilt (wie für Erwachsene auch), dass sie eine Art von Grundausstattung an Dingen haben, die sie für den Alltag für unerlässlich halten. Diese werden zumeist in einer Tasche mit sich geführt (Meggle 1997).

6.1 Körpernahe Dingsammlungen Die Hosentasche ist für Jungen lange Zeit das Transport- und Sammelgefäß solcher überlebensnotwendiger Dinge gewesen; ein Ort, der die Dinge auch vor dem Zugriff der Erwachsenen schützt, die diese Dinge, möglicherweise in Verkennung ihres eigentlichen Wertes für Kinder, entsorgen könnten. Ein kurzer Online-Blick (mit Suchfunktion) in die Hosentasche von Tom Sawyer (Twain 2009) bringt die Vielfalt der Dinge in der Hosentasche hervor: Die »weltlichen Schätze« von Tom Sawyer: Ein Zweipennystück, allerhand selbsterfundenes Spielzeug, Murmel und Plunder, ein Taschenmesser (ein echtes »Barlow« von unaussprechlicher Pracht), kein weißes Taschentuch (Tom verachtete jeden Jungen, der eins hatte), Zündholzschachtel mit einer Wanze, Zündhölzer, Glaskugel, ein Stückchen Rotstift, eine Nadel, ein Stück Kreide, einen Klumpen Federharz, drei Angelhaken, Marbeln (»so gut wie Kristall«), eine Baumrinde (ein Vertrag, Pirat zu werden), eine Kerze, ein Stück Kuchen, eine Drachenleine (Twain 2009: online). Diese Aufzählung der notwendigen Dinge für einen Jungen am Mississippi im 19. Jahrhundert, die allesamt in der Hosentasche verschwinden und wieder bei Bedarf hervorgeholt werden können, zeigen die schon bekannte Mischung aus realistischer praktischer Weltsicht und der fantastischen Welt, in

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der die Jungen sich bewegten. Es wäre ein eigenes Projekt, die Hosentaschen heutiger Kinder näher zu betrachten. Zugleich offenbart sich in der Menge und Sammlung von Tom Sawyer eine ironisch-romantische Perspektive Mark Twains auf die Schätze der Kindheit.

6.2 Die eigene Logik der Kindersammlungen Kinderschätze können in der Regel nicht von Erwachsenen erkannt und geschätzt werden und müssen so von den Kindern geschützt werden: »In meiner Kindheit hatten wir in der Küche eine Eckbank, da konnte ich als Kind in diese Ecke kriechen und mich umdrehen und hinsetzen. Da hat mich keiner gesehen. Und da war so ein Brettchen von der Bank, so mit Flügelschrauben drin, und auf dem Brettchen hatte ich meine Schätze versteckt: einen Indianer aus Plastik mit großem Kopfschmuck, einen silbernen Knopf mit einem Anker drauf, eine Glaskugel, die innendrinnen blaue Schlieren hatte, ein Wiking-Auto (einen Lastwagen) und einen schneeweißen Kieselstein. Da konnte keiner dran, so gut war das versteckt. Und die Erwachsenen waren ja zu groß, um in die Eckbank zu kriechen« (Georg, 1957).

Die Eigenlogik der Kinder, die bestimmte Dinge emotional hoch besetzen und andere liegen lassen und dies unabhängig von ihrem materiellen Wert und einer möglichen Wertschätzung durch Erwachsene, macht es für Erwachsene schwer, die Sammlung der Kinder zu verstehen. Klar ist nur: »Die Sammler sind alle Kinder, wie alle Kinder Sammler sind. […] Daß Kinder sammeln, weiß ›jedes Kind‹. Warum sie das jedoch tun, darüber gibt es viele Deutungen. […] Kinder sammeln. Für den Blick der Erwachsenen häuft das Kind scheinbar wahllos, unstrukturiert und ohne Ordnung, ›sinnlos‹ Dinge aus seiner unmittelbaren und mittelbareren Lebenswelt an. […] Kronkorken, Briefmarken, Münzen, Plüschtiere und Sammelbilder […] Sticker […] Alltagsdinge wie Dosen, Radiergummis oder Streichholzschachteln. […] Befragt man die Kinder danach, ist die Antwort meist einsilbig: ›Weils’s schön ist‹, oder ›weil’s sich gut anfühlt‹« (Köstlin 1994: 107).

Das Sammeln der Kinder ist also ein Problem für Erwachsene, insbesondere fällt es Erwachsenen schwer, die fehlende Logik in den Sammlungen zu verstehen und zu akzeptieren. Immer wieder findet sich in der spärlichen Literatur dieses Unverständnis zum kindlichen Sammeln: Suse, die Sammelsuse aus dem gleichnamigen Kinderbuch, »sammelte Schachteln und Tüten, leere Zahnpastatuben, Tablettenröhrchen und Silberpapier. Sie sammelte vertrocknete Blumen, Lutscherstiele und Vogelfedern. Sie sammelte Steine, Grashalme und Kirschkerne. Sie sammelte Birkenblätter, Lindenbaumblätter, Tannenzapfen und Flaschenverschlüsse« (Fatke/Flitner 1983: 600).

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Die scheinbare ›Wahllosigkeit‹ des Sammelns wird von den Autoren in eine kinderpsychologische Deutung gestellt: Die Kinder ordnen die Welt und geben ihr Sinn, indem sie sich mit den Dingen verbinden; sie ordnen durch das Sammeln das zeitliche und räumliche Chaos in ihrer Lebenswelt und bearbeiten dadurch Themen der Selbst- und Welterfahrung und sie bestimmen und erweitern ihre Identität (Fatke/Flitner 1983: 600) Auch beim Sammeln finden wir eine Welt vor, die das Praktische mit dem Emotional-Fantastischen verbindet und so an der Welt und dem eigenen Selbst gleichermaßen und zugleich arbeitet (Duncker 2007). Die kindlichen Sammlungen sind oftmals geschlechtsspezifisch (Gmeiner 1994): Mädchen eher Puppen, Halbedelsteine, Schmuck; Jungen eher Briefmarken, Münzen, Steine. Die Sammlungen sind heute kommerzialisiert: es werden vor allem Bilder gesammelt, die einem vorgegebenen Schema folgen (ebd.). Auch Bjarne Rogan (1999) kommt in seiner Untersuchung zum kindlichen Sammeln dazu, dass es geschlechtsspezifische Praktiken gibt. So würden Jungen eher systematisch sammeln und auf Vollständigkeit achten, während Mädchen eher ästhetische Sammlungen anlegen würden, die auf den ersten Blick nicht als Sammlung gesehen würden, etwa Blumen im Zimmer. Festzuhalten bleibt, dass im Sammeln, die Eigentätigkeit der Kinder sichtbar wird, dass diese aber für Erwachsene fremd bleibt, weil es Tand, Wertloses und Banales ist, was die Kinder hoch emotional besetzen. Dass die Wertlosigkeit der gesammelten Dinge für die Erwachsenen eine Grundbedingung dafür ist, dass die Dinge in der Verfügung der Kinder relativ unkontrolliert genutzt werden können, bleibt unerkannt.

7. TAUSCHEN VON D INGEN Sammeln ist für fast alle Kinder ein Thema und das Tauschen, die soziale Einbindung, gehört für viele dazu. Längst tauschen und verkaufen Kinder ihre überflüssigen (erkalteten) Dinge nicht mehr nur auf dem Flohmarkt. Auch die Mediatisierung des Tauschens ist bei den Kindern angekommen und die Kinder nutzen mit den Eltern durchaus auch ebay, um alte Spielsachen zu verkaufen und neue Spielsachen zu erwerben. Lisa Poppe (2013) hat in ihrer Masterarbeit eine spezielle Internetbörse für Kinder untersucht, die es den Kindern ermöglicht, eigenständig ihre Sachen gegen die Sachen anderer Kinder zu tauschen. Tausch-Dich-Fit ist eine ausgezeichnete und von der Bundesregierung geförderte Seite für Kinder, auf der Kinder kindgerecht und ungefährdet das Tauschen mit anderen Kindern einüben können. Nach einer sicheren Anmeldung, der die Eltern zustimmen müssen, und die den Klarnamen und die EMail-Adresse der Kinder schützt, können die Kinder Dinge mit wenig Wert ins Netz

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einstellen und mit anderen Kindern gegen deren Dinge tauschen. Geld fließt bei diesen Tauschgeschäften nicht. Das, was die Kinder einstellen, wird vom Team der Seite kontrolliert, ebenso wie die Kommunikation der Kinder. Es ist sichergestellt, dass weder Adressen noch reale Namen getauscht werden. Die Börse bietet viele Möglichkeiten, das Tauschen zu üben und Erfahrungen zu machen. Es können Fotos eingestellt und Texte zu den Objekten erstellt werden. Das jeweilige Angebot kann ästhetisch gestaltet werden. Die Kinder lernen mit einem Pseudonym aufzutreten und mit anderen Kindern über den Wert ihrer Dinge zu reden und ein Geschäft abzuschließen. Es stellen sich viele Fragen: Was bietest du dafür? In welchem Zustand ist ein Ding, ist es den Tausch wert? Was ist so toll an dem Buch? Und so weiter. Am Ende werden die Dinge gegenseitig auf die Post gebracht und bei Streitigkeiten hilft das Team der Seite beim Schlichten. Es sind alle möglichen Dinge aus dem Kinderzimmer, die auf der Seite angeboten werden, aber es müssen Kinderdinge sein: Bücher, Puppen, Bauklötze, Figuren, Bilder. Dinge, die für die Kinder an Wert verloren haben, die aber – so die zentrale Erfahrung – für andere Kinder sehr wohl wertvoll sein können. Kinder entwickeln so eine hohe Kompetenz, Dinge ins Netz mit Foto und Text einzustellen, zu bewerben und bei Verhandlungen mit anderen Kindern zu einem Abschluss zu kommen, der beide Seiten zufriedenstellt. Sie zeigen sich freundlich und durchaus geschäftstüchtig, sprechen aber auch die (ehemalige) Faszination eines Dinges an (z.B. in dem sie berichten, was ihnen an einem Buch gefiel). Aber die Analyse der Börse www.tausch-dich-fit.de zeigt auch, dass Kinder eine eigene Logik beim Tauschen haben, die nicht mit der Geld-Gleichwertigkeit, die die Erwachsenen anstreben, gleichzusetzen ist. Es entstehen komplexe Kommunikationen über den Wert einzelner Objekte. So wurde in einem Fall die Seitenzahl von Büchern zum Maßstab genommen, oder es wurden drei Objekte gegen zwei getauscht. Noch wissen wir zu wenig über diese Logik der Kinder, aber es wird ersichtlich, dass die Kinder die neuen Medien in einem eigenen Sinne nutzen können, um ihre Dingwelt zu organisieren. Pädagogisch gesehen stellen sich hier viele Fragen, aber die Förderung von Dingtausch auch im Netz könnte ethisch eine wichtige Herausforderung für die Stärkung einer Nachhaltigkeit der kinderkulturellen Dingwelt sein.

F A ZIT : D IE D INGE DER K INDHEIT — EIN ZENTR ALER Z UGANG ZUR VERGESSENEN K INDERKULTUR Kinderkultur ist emotional besetzte materielle Kultur mit einer eigenen kindlichen Werteskala, die stets mit Handlungen verbunden ist und in der Regel zur Errichtung und Stabilisierung von Freundschaftsnetzen führt. Wenn das Tauschen (auch vor allem mit Medien wie Bilder, Bücher, Computerspiele,

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Filme, Musik) eine zentrale Funktion der kindlichen Dingwelt ist, kann der materiellen Kinderkultur eine Doppelfunktion zugesprochen werden. Neben der Verbindung der Innen- und Außenwelten dient die Dingkultur auch dazu, eine Balance zwischen den eigenen Interessen, der eigenen Identität und des eigenen Besitzes und des sozialen Austausches mit Anderen herzustellen. Den medialen Gegenständen kommt beim Tauschen deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil geteilte Mediendinge auch gemeinsame Medienerfahrungen bilden, über die sich Kinder mit Netz kommunikativ verständigen. Tauschen und Sammeln sind praktische Handlungen, die den Kindern ermöglichen, sich emotional mit den Dingen zu verbinden und sie wieder loszulassen. Erworbene Dinge werden in die eigene Lebenswelt eingebaut. Spiel und Fantasie sind die zentralen Formen der Aneignung von Welt für Kinder. Zugleich rational und magisch stellen die Dinge die wichtigste Form für Kinder dar, die Innenwelten und Außenwelten zu verbinden und sich zu entwickeln. Der Zauber, den die Dinge im spielerischen Handeln erhalten, ist für Kinder eine besonders beglückende Erfahrung, sie tauchen mit ihren Freunden in immer neue Welten ein und erschließen sich Handlungs- und Bildungsräume, an denen sie wachsen können. Es kann als Ergebnis festgehalten werden, dass die autobiografischen und literarischen Kindheitserinnerungen den Zauber der Dinge in der Kindheit benennen und dass dieser Zauber der Dinge mit dem Erwachsenwerden verloren geht. Ehemalige Kinder erinnern sich oftmals sehnsüchtig an jene magische Momente zurück. Fragt man nach der Bedeutung der Medien für die kindliche materielle Kultur, so muss festgehalten werden, dass Medien zentral für die Kinderkultur waren und sind. Mediendinge nehmen einen großen Raum ein und viele Kinder investieren ihr Taschengeld in Medienobjekte. Medieninhalte sind die wichtigste Rohstoffquelle für kindliche Fantasien, aus den Medien nehmen Kinder ihre Themen, Helden, ästhetischen Elemente, um ihre inneren Welten und Entwicklungsaufgaben zu gestalten und diese inneren Bilder und Geschichten zugleich in der Außenwelt zu verankern. Medieninhalte sind die zentrale Spur an der entlang sich kindliche Dingkultur entwickelt, weil die emotionale Besetzung der Dingwelt über Narrationen geht. Zugleich ist die mediale Ausgestaltung der eigenen intermediären Welt anschlussfähig an die Welten der Peers, die Inhalte und Fantasien können kommuniziert werden und dienen für das Spielen mit FreundInnen als gemeinsame soziale Grundlage.

Der Zauber der Dinge in der Kindheit

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Digitale Welten begreifen Kinderworkshops im FabLab Irene Posch

Das Aufkommen digitaler Technologien, allen voran der Personal Computer (PC), hat die menschliche Interaktion mit der Umwelt auf vielen Ebenen verändert. Technologische Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit übertragen digitale Manipulationsmöglichkeiten zunehmend auch auf physische Gegenstände: Am Computer erstellte Modelle können mithilfe digitaler Fertigungstechnologien haptische Realität erhalten. Eine Vorreiterrolle in der Verbreitung dieser digitalen Fertigungstechnologien nehmen so genannte Fabrikationslabore, oft auch mit dem englischen Wort ›Fabrication Laboratory‹ oder dessen Abkürzung ›FabLab‹ bezeichnet, ein, die diese Art der Produktion einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich machen wollen. Um speziell auch Kindern das Experimentieren, Gestalten und Lernen mit computergestützten Produktionstechniken zu ermöglichen, wurden spezifisch auf junge NutzerInnen ausgerichtete Workshop-Programme zusammengestellt. Im Folgenden gebe ich einen Überblick über die FabLab-Bewegung und die ihr zugrunde liegenden technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sowie über die Potentiale und den Handlungsrahmen der Arbeit von und mit Kindern in einem FabLab. Konkret stelle ich eine Workshopreihe vor, die Kindern einen ersten Einblick in das Arbeiten mit digitalen Technologien gibt. Die Idee eines öffentlich zugänglichen FabLabs wurde erstmals 2002 am South End Technology Center in Boston realisiert. Ursprünglich als Öffentlichkeitsarbeit eines Institutes am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gedacht, hat sich das Konzept mittlerweile auf fünf Kontinente verbreitet. Als FabLabs definieren sich Werkstätten und Labors, die mit wesentlichen Maschinen der digitalen Fertigung ausgestattet sind, und diese auch einer breiten Gemeinschaft zugänglich machen. So lautet die Selbstbeschreibung des FabLabs in Wien:

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»Ideen brauchen Raum, um entwickelt und umgesetzt werden zu können. Ein ›Fab Lab‹ bietet nicht nur den Raum, sondern auch die nötigen Maschinen, um eigene Projekte zu verwirklichen […] und bezeichnet eine offene High-Tech-Werkstatt, in der mit computergesteuerten Maschinen verschiedenste Produkte selbst hergestellt werden können« (http://happylab.at).

1. D IGITALE E NT WÜRFE BEGREIFBAR MACHEN Unter digitaler Fabrikation wird die Fertigung eines physischen Gegenstandes verstanden, wenn dieser von einer digitalen Datei ausgeht und mithilfe von computergestützten numerisch gesteuerten Maschinen, auch CNC-Maschinen genannt, produziert wird.

Abbildung 1: Schematische Darstellung des Prozesses der digitalen Fertigung: am Beginn steht die Idee eines Gegenstandes, der realisiert werden soll. Diese Idee muss digital abgebildet werden und in einem Dateiformat, das die jeweilige computergesteuerte Fertigungsmaschine lesen kann, gespeichert werden. Diese produziert entsprechend der digitalen Vorgabe das physische Objekt. Der Grundstein für die digitale Fertigung wurde 1952 gelegt, als durch die Verbindung eines Computers mit einer Fräse die erste computergesteuerte Maschine geschaffen war und durch die Steuerung des Fräskopfes mit dem Computer präzisere Ergebnisse als durch die Steuerung per Hand erreicht werden konnten (Gershenfeld 2012: 43). Diese Grundfunktion ist bis heute bei einer Vielzahl an computergesteuerten Geräten dieselbe geblieben: Über die gesteuerte Plattform wird der Funktionskopf und der auf ihm montierte Schneideaufsatz – das können Fräsbohrer, Laser- oder Wasserstrahlen oder Messer sein – bewegt und dadurch das zu bearbeitende Material beschnitten. Es handelt sich dabei um die so genannte subtraktive Fertigung. Vor allem

Digitale Welten begreifen

für den industriellen Fertigungsprozess haben computergesteuerte Maschinen seit ihrer Erfindung stetig an Bedeutung gewonnen. Kaum ein kommerzielles Produkt kommt in seiner Produktion nicht mit derartigen Maschinen in Berührung. Mitte der 1980er Jahre wurden schließlich die ersten Rapid-Prototyping Maschinen, oft auch vereinfacht 3D-Drucker genannt, entwickelt, Maschinen, die aus einer digitalen Datei direkt fertige physische Modelle herstellen können (Gershenfeld 2012: 44). Während der Zugang zu automatisiertem Schneiden und Fräsen Produktionsroutinen für Prototypen und Kleinserien signifikant vereinfacht, sind es vor allem 3D-Druck-Technologien, von denen zunehmend angenommen wird, dass sie unseren Umgang mit physischen Modellen nachhaltig verändern werden. Am weitesten verbreitetet sind heute 3D-Drucker, die ein dreidimensionales Modell erstellen, indem sie in einer dünnen Düse Plastik erhitzen und dieses über einen computerkontrollierten Arm schichtweise in der entsprechenden Form auftragen, bis das Resultat dem digitalen Modell entspricht. Da hier die Modelle quasi ›aus dem Nichts‹ aufgebaut werden, nennt man diese Verfahren additive Fertigung. Mehr als andere Technologien ziehen 3D-Drucker auch die Faszination von Bastlern und Technikenthusiasten auf sich. Mit einer Menge an selbstgebauten, kostengünstigen und innovativen Geräten machen sie die aufgrund ihrer enormen Anschaffungskosten lange nur großen Industrieunternehmen oder Universitäten zugängliche Technologie für eine breitere Öffentlichkeit und zunehmend sogar für Privathaushalte verfügbar (Mota 2012: 281). Die Verbreitung und Demokratisierung dieser Technologien, die Möglichkeit der individuellen Fertigung auch geschützter, patentierter oder auch potentiell gefährlicher Objekte, rufen jedoch auch immer wieder Kritiker, wie beispielsweise Sherman (2012), auf den Plan. Die rasanten Entwicklungen der letzten Jahre lassen nur schwer erahnen, wie weit diese Technologien in Zukunft unser Leben beeinflussen werden. Teile der industriellen Produktion, der Mode- und Designbranche, der Architektur und der medizinischen Forschung sind schon fest in der Hand digitaler Fertigungstechnologien und eine Ausweitung ihrer Einsatzgebiete scheint in vielen Fällen sinnvoll (Lipson/Kurman 2013: 30), stellt die herrschenden Systeme zugleich aber vor neue Herausforderungen (Weinberg 2010: 7). Neben der Fertigung von Artefakten, die mit anderen Routinen schlicht nicht möglich wäre, werden ›persönliche Fertigungstechniken‹ als Alternative propagiert, die lautet: anstatt Produkte kaufen, diese selbst entwerfen und die Daten über das Internet zugänglich machen. Die dafür benötigte Infrastruktur findet sich im Wesentlichen in der Ausstattung eines FabLabs wieder (FabLab 2013):

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Lasercutter zur Bearbeitung von Acrylglas, dünnem Holz, Karton etc. • • • •

CNC-Fräsen, um gröbere Werkstoffe wie Holz und Metall zu bearbeiten Präzisionsfräsen für präzise Formen und Leiterplatten Vinylcutter zum Schneiden von Folien und dünnen, flexiblen Materialien Computerprogramme und Werkzeuge zur Programmierung von Prozessoren

2. F ABRIK ATIONSL ABORE ALS O RTE TECHNIKBEZOGENER G ESTALTUNG Die FabLab-Initiative startete 1998 mit einer Lehrveranstaltung mit dem Titel ›How to Make (Almost) Anything‹ (auf Deutsch: ›Wie man (fast) alles selber machen kann‹) am MIT. Die zugrunde liegende Idee war, computerkontrollierte Maschinen zur Fertigung individueller Projekte einzusetzen – Gegenstände zu realisieren, die nicht seriell gefertigt werden und nicht am Massenmarkt verfügbar sind (Gershenfeld 2005: 5). Aufgrund des starken Zuspruchs wurde zuerst ein Labor am Campus und als nächster Schritt ein Labor im Stadtzentrum von Boston für die breite Öffentlichkeit eröffnet. Zu den Hauptzielen von FabLabs zählt die Demokratisierung digitaler Fertigungstechnologien. Während die eingesetzten Technologien per se nicht neu sind, besteht die neuartige Idee darin, professionelle Maschinen zu geringen Kosten zugänglich zu machen und dadurch einem breiteren Publikum die Möglichkeit zu geben, an deren Entwicklung und Nutzung teilzunehmen. Diesem Gedanken entsprechend, haben sich unterschiedliche, private und öffentliche Organisationen entschlossen, ein FabLab zu eröffnen. Zunehmend erweitern auch Bibliotheken ihr Inventar um Maschinen digitaler Fertigung im Sinne der technischen Bildung (Kurt/Colegrove 2012). Weltweit sind derzeit über 200 Labore als bestehend oder in Planung gelistet, wobei weit über die Hälfte bereits eröffnet und in Betrieb sind. FabLabs verstehen sich als Orte, die ihre NutzerInnen ermächtigen, von KonsumentInnen zu ProduzentInnen – und vielleicht sogar ErfinderInnen – zu werden. Sie wollen ein Ort sein, der das ›Tun‹ in das Zentrum stellt, Raum für Fehler lässt und das konstruktive Element sowie die disziplinübergreifende Kooperation in den Vordergrund rückt und damit einen wesentlichen Beitrag zum Lernprozess im Umgang mit aktuellen digitalen Technologien leistet. Die internationale Vernetzung der Labs ermöglicht zudem, auch länderübergreifend an lokalen Problemen zu arbeiten. (Neil Gershenfeld in Eychenne 2011: 8). Die meisten Labore unterhalten, oft nach Sprache und Region zusammengefasst, einen regen Austausch untereinander. Die Ausrichtung sowie die Nutzungsbandbreite der einzelnen FabLabs ist dabei höchst unterschiedlich. Viele

Digitale Welten begreifen

Labore sind vor allem aufgrund knapper finanzieller Mittel nicht öffentlich, sondern nur selektiven Gruppen zugänglich – Studierenden der Institution oder zahlenden Mitgliedern der Organisationen. Um sich dennoch einem großen Publikum zu präsentieren, veranstalten FabLabs ›offene Labortage‹ oder spezifische Kurse, die sich an potentielle neue NutzerInnen wenden. Ein eigenes Bildungsprogramm, die Fab-Akademie, bildet in zahlreichen Laboren weltweit Leute aus mit dem Ziel, dass diese wiederum in Zukunft ein FabLab in ihren lokalen Gemeinschaften auf bauen können. Die für die FabLab-Gemeinschaft relevanten Fragen und Entwicklungen werden jährlich auf der Internationalen FAB-Konferenz diskutiert. Das Konzept der FabLabs ist stark von dem die Idee begründenden Institut am MIT geprägt, aber es handelt sich um keine geschützte Marke. Jede interessierte Person kann ein FabLab eröffnen. Gemeinsam ist den FabLabs eine Grundausstattung in Bezug auf die Geräte und eine Charta, die Regeln für das (Zusammen-)Arbeiten in einem FabLab beschreibt (siehe folgende Seite). Das derzeitig große Interesse an digitalen Fertigungstechnologien lebt einerseits von der Faszination für technische Entwicklungen, andererseits reihen sich FabLabs in eine Menge von Initiativen ein, die sich seit Anfang des 21. Jahrhunderts dem Selbermachen, der Aneignung aktueller Technologien für persönliche Zwecke und dem Propagieren von »NutzerInnen-geleiteten Innovationen« (von Hippel 2005) verschrieben haben. Vielen dieser Initiativen ist gemein, dass digitale Medien einen wesentlichen Teil ihrer Praxis ausmachen: Sie dienen der Inspiration, der Dokumentation und der Verbreitung von Ideen und nicht zuletzt werden sie auch als Gestaltungsmedium eingesetzt. Prominente Vertreter sind das 2005 gegründete MAKE Magazin1 und die 2006 gegründete ›Maker Fair‹, die jährlich hunderttausende BesucherInnen und AusstellerInnen anzieht und 2013 das erste Mal auch in Europa, in Italien, abgehalten wurde. Zudem gibt es zahlreiche Internetseiten wie Instructables2, wo Anleitungen online geteilt werden oder Thingiverse3, wo digitale Pläne für physische Projekte von den NutzerInnen online gestellt werden; Plattformen wie Etsy4 oder DaWanda5, wo Selbstgemachtes zum Verkauf angeboten wird oder Lieferanten wie Sparkfun6 oder Adafruit 7, die sich auf technikbezogenes Basteln spezifiziert haben und entsprechende Bauteile, Kits und Tutorien anbieten. Zudem gibt es eine Menge an Plattformen, die die Kollaboration oder 1 2 3 4 5 6 7

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Make Magazin ist unter www.makezine.com abrufbar. Instructables ist unter www.instructables.com abrufbar. Thingiverse ist unter www.thingiverse.com abrufbar. Etsy ist unter www.etsy.com abrufbar. DaWanda ist unter www.dawanda.com abrufbar. Sparkfun Electronics ist unter www. sparkfun.com abrufbar. Adafruit Industries ist unter www.adafruit.com abrufbar.

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gegenseitige Hilfe von gleichgesinnten Bastlern in den Vordergrund stellen (Kuznetsov/Paulos 2010: 296).

›Die Fab-Charta‹ 8 •













Was ist ein FabLab? FabLabs sind ein globales Netzwerk lokaler Labs, die durch den Zugang zu Werkzeugen digitaler Fabrikation Innovation ermöglichen. Was gibt es in einem FabLab? FabLabs haben eine sich kontinuierlich entwickelnde Grundausstattung, die es ermöglicht, (fast) alles selbst herzustellen. Die gleiche Ausstattung in Labs weltweit ermöglicht die Mobilität von Nutzern zwischen FabLabs und das gemeinsame Arbeiten an Projekten. Was bietet das FabLab Netzwerk? Unterstützung in operativen, technischen, finanziellen, logistischen und Bildungsfragen, über die in einzelnen Labs verfügbaren Möglichkeiten hinaus. Wer kann ein FabLab nutzen? FabLabs verstehen sich als Gemeinschaftsressource, die offenen Zugang für Einzelne, sowie Zugang zu spezifischen Programmen bieten. Wofür bist du verantwortlich? Sicherheit: weder Menschen noch Maschinen Schaden zuzufügen Betrieb: Unterstützung bei Reinigung, Instandhaltung und Weiterentwicklung des LabsWissen: zur Dokumentation beitragen und Einführungen geben Wem gehören Erfindungen aus dem FabLab? Entwürfe und Verfahren, die in FabLabs entwickelt wurden, können nach Belieben der ErfinderInnen geschützt und verkauft werden, sollten aber für individuelle Nutzung und Lernzwecke zur Verfügung stehen. Wie können Firmen FabLabs nutzen? Kommerzielle Projekte können in FabLabs erdacht und deren Prototyp entwickelt werden; sie dürfen jedoch nicht den Bedürfnissen anderer BenutzerInnen im Wege stehen und sollen über die Grenzen des Labs hinauswachsen. Es wird erwartet, dass sie sich positiv auf die Entwicklungen, die Labs und die Netzwerke, die zu ihrem Erfolg beigetragen haben, auswirken.

8 | Die Fab Charta in deutscher Übersetzung. Die Charta in der englischen Originalform (Fab Charter 2013) oder in der Übersetzung in die jeweilige Landessprache kann auf den Webseiten und in den Laborräumen der einzelnen FabLabs gefunden werden.

Digitale Welten begreifen

3. D IGITALE F ABRIK ATION IN K INDERWORKSHOPS Die erwähnten Möglichkeiten individueller Gestaltung, die Realisierung persönlicher Projekte und die Nutzung neuer Technologien für die Umsetzung sowohl technischer als auch kreativer Ideen kann auch für Kinder relevant und spannend sein. Das Vermitteln technischer Kompetenzen an neue Zielgruppen war von Anfang an eines der Hauptziele von FabLabs (Mikhak et al. 2002; Gershenfeld 2005: 17). Die Arbeit von oder mit Kindern im FabLab erfordert jedoch eine besondere Vorbereitung. Von erwachsenen NutzerInnen wird erwartet, dass sie sich eigenständig über die Möglichkeiten und Bedienung einzelner Geräte informieren und nötiges Wissen zur Erstellung der digitalen Dateien individuell aneignen. Bei Kindern ist dieser Ansatz nur bedingt anwendbar. Einerseits kommen sie meist mit wesentlich weniger Vorwissen in das Labor, andererseits wäre es auch aus rechtlicher und sicherheitstechnischer Perspektive fahrlässig, sie alleine mit den vorhandenen Maschinen hantieren zu lassen. Um jedoch auch jüngeren Interessierten aktuelle Entwicklungen nicht vorzuenthalten und aus der Überzeugung heraus, dass in FabLabs vorhandene Werkzeuge und Methoden auch für Gestaltungsaktivitäten von Kindern sowie für deren Verständnis aktueller Technologien von wesentlicher Bedeutung sein können, wurde in Wien das FabLab-Kinder- und Jugendprogramm ins Leben gerufen. Spezifische Programme für Kinder haben sich mittlerweile in zahlreichen FabLabs etabliert. Hier möchte ich auf die Hintergründe und die Durchführung der zweitägigen Kinder- und Jugendworkshops, die ich für das allgemein zugängliche Happylab Vienna konzipiert habe und die seit dem Sommer 2011 angeboten werden, eingehen.

3.1 Ziele des Kinder- und Jugendprogramms Kinder mit aktuellen Technologien vertraut zu machen, ist ein häufiger Fokus spezifischer pädagogischer Programme. Zu den Hauptzielen zählen das Erlernen mathematischer und naturwissenschaftlicher Inhalte und der Umgang mit den Technologien an sich, um auf zukünftige Anforderungen des Arbeitsmarkts vorbereitet zu sein (Pearson/Young 2002: 12) sowie die Unterstützung individuellen Ausdrucks durch Zugang zu aktuellen Technologien (Eisenberg/ Buechley 2008: 62; Resnik et al. 2009: 60). Dem für das FabLab Wien erstellten Workshopkonzept liegt vor allem der Gedanke zugrunde, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben die im Labor vorhandenen Technologien kennenzulernen, mit ihnen erste Experimente durchzuführen und auf diese Weise eine Basis für weiteres Engagement zu schaffen. Auch bei kleinen Projekten soll das kreative Gestalten und die eigenständige Auseinandersetzung mit den verwendeten Technologien im Vordergrund stehen. Wichtig ist, dass die Kinder im Rahmen des Möglichen für sie bedeutsame Ideen umsetzen, um

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dadurch eine aktive und für sie relevante Auseinandersetzung mit der Materie zu erreichen. Das Programm inkludiert eine Vorstellung des Labors und der globalen FabLab-Idee sowie die Gestaltung und Produktion von zwei- sowie dreidimensionalen Objekten, die Nutzung der Elektronikwerkstatt und eine Einführung in das Programmieren. Es umfasst derart – wenn auch in sehr vereinfachtem und selektivem Rahmen – die wesentlichen Technologien und technischen Routinen, die in einem FabLab möglich sind. Der Workshop erstreckt sich über zwei Tage zu jeweils fünf Stunden, an denen die zehn-15-Jährigen in Gruppen zu zwölft, begleitet von zwei Betreuenden, das Arbeiten im Labor kennenlernen.

3.2 Computerunterstütztes Gestalten Am Anfang jedes Moduls steht eine Einführung in die jeweilige Thematik, in der die Technologien vorgestellt werden und deren aktueller Einsatz im FabLab und darüber hinaus besprochen wird. Sie bietet den Kindern Gelegenheit, Fragen zu stellen und ihre persönlichen Vorstellungen zu diskutieren. Ein wesentlicher Grundsatz des Workshops ist der Einsatz kostenlos verfügbarer und plattformunabhängiger Softwareprogramme, der es den Teilnehmenden erleichtern soll, Gelerntes leichter auch außerhalb des Labors an Computern zu Hause oder in der Schule anwenden zu können. Der Workshop führt jeweils in grundlegende Prinzipien der Programme ein, die es Kindern ermöglichen sollen, selbständig weiterzuarbeiten. Die während der beiden Tage erstellten Artefakte können anschließend mit nach Hause genommen werden und bleiben derart ein Zeugnis ihrer Erfahrungen im Labor und ihres Gestaltungsprozesses mit digitalen Technologien. Der erste praktische Teil des Workshops setzt sich mit der Gestaltung und Produktion digital erstellter zweidimensionaler Daten auseinander. Mit Hilfe des Computers und des Schneidplotters werden T-Shirts mit individuellen Mustern und Motiven hergestellt. Das von den Kindern erdachte Design wird zuerst am Computer erstellt, dann mit dem Schneidplotter aus Textiltransferfolie ausgeschnitten und schließlich in einer Thermopresse auf das Leibchen gepresst. Zum Einsatz kommt das Bildbearbeitungsprogramm GIMP9 und das Vektorprogramm Inkscape10, um das Motiv als Vektorgrafik für den Schneidplotter vorzubereiten. Während die Materialien vorgegeben sind – es können nur Textilien mit Motiven bedruckt werden – ist die konkrete Ausführung gänzlich den TeilnehmerInnen überlassen. Die TeilnehmerInnen sind ange9 | Das Bildbearbeitungsprogramm GIMP kann unter www.gimp.org heruntergeladen werden. 10 | Das Vektorzeichenprogramm Inkscape kann unter www.inkscape.net heruntergeladen werden.

Digitale Welten begreifen

halten, alle Schritte selbst durchzuführen und bekommen so einen Eindruck davon, welche kreativen und technischen Fertigkeiten nötig sind, um mit den Technologien umgehen zu können und befriedigende Resultate zu erhalten. Der Einsatz des Computers und der computergesteuerten Schneidemechanismen erlauben eine weit größere Detailtreue und Präzision als die rein manuelle Bearbeitung. Die entstehenden Resultate sehen ›wie gekauft‹ aus, wie es die Kinder gerne lobend bezeichnen. Indem ein Alltagsgegenstand persönlich gestaltet wird, wird auch ein wesentliches Thema der Selbermach-Kultur aufgegriffen: die Individualisierung der Gegenstände. Auch wenn das Objekt nicht von Grund auf selbst gemacht ist, ist es das in seinen wesentlichen, ornamentalen Teilen, und vermag daher eigene Präferenzen auszudrücken. Aufbauend auf die zweidimensionale Gestaltung digitaler und physischer Objekte mit Hilfe des Schneidplotters oder des Lasercutters wird anschließend die dreidimensionale Gestaltung und Produktion thematisiert. Am Anfang steht wieder die Vorstellung aktueller Projekte und ein Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen. Nach Einführung und Diskussion sind auch hier die Kinder aufgerufen, ihre eigenen Motive und Ideen zu realisieren. Mit Hilfe der Software SketchUp11 können am Computer dreidimensionale Objekte frei kreiert werden und diese schließlich am 3D-Drucker physisch realisiert werden. Die einzige Beschränkung für die Modelle der Teilnehmenden ist die Größe, in der sie ausgedruckt werden können, um sicher zu gehen, dass der Druck aller Modelle möglich ist, da der Druckprozess sehr lange dauert. Denjenigen, denen die Freiheit alles zu machen, für die kurze Zeit des Workshops zu wenig Orientierung gibt, schlagen wir vor, ein Modell von ihrem persönlichen Traumhaus zu kreieren und so ein wichtiges und weit verbreitetes Einsatzgebiet für 3D-Drucker, die Visualisierung von Architekturprojekten, anhand ihrer eigenen Arbeit zu erfahren. Einige haben aber auch sehr konkrete Vorstellungen von dem, was sie machen wollen und welche Rolle das selbst ausgedruckte Objekt in ihrer Spielzeugsammlung oder ihrem Alltag einnehmen soll. 3D-Drucktechnologien machen den direkten Übergang vom digitalen zum realen Objekt besonders eindrucksvoll deutlich. Die persönlichen Erfahrungen in der Erstellung des digitalen Modells, das die Kinder selbst heruntergeladen und modifiziert oder eigenständig erstellt haben, bieten ein konkretes Gegenstück zu der auf den ersten Blick magisch wirkenden 3D-Druck-Technologie. Die Betrachtung des 3-dimensionalen Drucks, der dem eigenen Design entspricht, bringt schließlich die Auseinandersetzung mit der komplexen Technologie auf eine persönliche Ebene. Sie ermöglicht die Diskussion empfundener Unzulänglichkeiten sowie die Artikulation von Erwartungen oder Hoffnungen, die Kinder in Bezug auf die Technik haben.

11 | Die 3D-Software SketchUp kann unter www.sketchup.com heruntergeladen werden.

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Wie anfangs bereits erwähnt, bilden auch Elektronik und Programmierung wesentliche Komponenten in einem FabLab, indem sie es ermöglichen, die Objekte um aktive Elemente zu erweitern. Auch hier liegt der Fokus darauf, einen ersten Einblick zu geben und kleine Projekte zu realisieren, in denen individuelle Ideen verwirklicht werden können, da für vollständige eigenständige Arbeiten der gegebene Zeitrahmen zu kurz ist. Um in elektronische Komponenten und Begriffe einzuführen, wird ein ›Drawdio‹ gebaut. Es handelt sich dabei um einen einfachen elektronischen Schaltkreis, bei dem durch Berührung der Kontaktpunkte durch unterschiedliche Widerstände unterschiedliche Töne erzeugt werden können (vgl. Silver 2009: 242). Das Selbermachen inkludiert hier das Ätzen der Platine, das Bohren der Löcher, um die Platine bestücken zu können und das Verlöten der einzelnen Bauteile auf der Platine. Der Schaltkreis ist hier bereits vorgegeben, die Kinder sind also nicht so frei in dem, was sie umsetzen können wie in den anderen Modulen. Die individuellen Möglichkeiten liegen hier vielmehr in der Anwendung des Drawdio-Instrumentes, wie und welche leitenden Oberflächen benutzt werden, um Musik zu erzeugen: Bleistiftminen, Körperflächen, Metalloberflächen etc. (vgl. Silver 2009: 243). Als Einführung in die Programmierung werden schließlich mit ›Scratch‹12 (einfache) interaktive Animationen und Spiele programmiert. Die Programmierumgebung Scratch ist speziell auf Kinder und BenutzerInnen ohne Vorerfahrung ausgerichtet mit dem Ziel, ihnen eine einfach zugängliche Möglichkeit zu bieten, erste Ideen digital umzusetzen (Resnik et al. 2009). Die Teilnehmenden werden mit Elementen der Programmierung vertraut gemacht und schaffen es oft sogar, eine erste interaktive Animation zu erstellen. Die Resultate werden auf der Scratch Onlineplattform gespeichert und können von den Kindern bei Bedarf auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgerufen und weiterentwickelt werden. Am Schluss stellen die Kinder ihre erstellten Artefakte der restlichen Gruppe vor, oft werden auch noch persönliche Assoziationen zu den verwendeten Technologien und ihre Erfahrungen im Entstehungsprozess diskutiert. Der Workshop schließt mit der Verteilung einer Urkunde, die eine erfolgreiche Teilnahme bescheinigt und zudem alle verwendeten Softwareprogramme auflistet, so dass die Kinder diese auch außerhalb des Labors herunterladen, installieren und benutzen können.

12 | Das Programm Scratch kann unter www.scratch.mit.edu heruntergeladen werden.

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Abbildung 2: Überblick über die Workshop-Aktivitäten. Von links oben nach rechts unten: Erstellen der digitalen Daten für den Schneidplotter mithilfe der Software Inkscape; Fixieren des Motivs am T-Shirt mit der Thermopresse; im Hintergrund der Vinylcutter, mit dem das Motiv aus Textiltransferfolie ausgeschnitten wurde; Erstellen der dreidimensionalen Daten für den 3D-Drucker mithilfe der Software SketchUP; Lösen der gedruckten Modelle von der Trägerplatte des 3D-Druckers; Bohren und Löten der Drawdio-Platine; Spiele- und Animationsprogrammierung mit der Scratch

A BSCHLIESSENDE B EMERKUNGEN Das Programm zur Einführung in die Möglichkeiten eines FabLabs und der dort verfügbaren Technologien wurde von den Kindern und Jugendlichen sehr gut aufgenommen. Aufgrund der Kürze des Workshops kann nur sehr partiell auf die einzelnen (technischen) Möglichkeiten eingegangen werden. Die Frei-

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heit in der individuellen Gestaltung ist durch die Material- und Technologievorgaben und nicht zuletzt auch durch die beschränkte Zeit beschnitten. Was das Programm bieten kann, ist ein Einblick in aktuelle technische Entwicklungen, eine Erweiterung zum Schulcurriculum, in dem oft zu wenig Ressourcen vorhanden sind, um diese Themen aufzugreifen und die Voraussetzungen zu schaffen, den Computer als kreatives Gestaltungswerkzeug einzusetzen (Posch/Fitzpatrick 2012: 499; Posch 2013: 68). Das Übertragen der digitalen Interaktionen in physische Objekte ermöglicht die Materie auf verschiedenen Ebenen zu begreifen: Kinder können ihre digitalen Kreationen physisch anfassen und die Einflüsse computerunterstützter Produktion anhand persönlicher Beispiele verstehen. Während sich die Interaktion mit Computertechnologien lange alleine auf digitale Welten bezog, kann über digitale Herstellungsroutinen die Brücke zur physischen Umwelt geschlagen werden, die Lebenswelt haptisch beeinflusst werden. Nicht bieten kann das Workshop-Programm aufgrund des begrenzten Zeitrahmens die eigenständige Erarbeitung komplexer Lösungen, was sowohl ein wesentlicher Aspekt der FabLab-Bewegung als auch der Gestaltung von kindlichem Umgang mit Technik ist (Papert 1980: 31; Blikstein 2013: 206). Um auch diesem Ziel näher zu kommen, wurde ein Nachmittagsprogramm ins Leben gerufen, in dem einmal wöchentlich das Labor Kindern zu Verfügung steht und diese bei ihren Arbeiten Hilfe von TutorInnen bekommen können (siehe auch Posch 2013). Allgemein steht die theoretische Auseinandersetzung in Bezug auf Kinder und deren Interaktion mit neuen digitalen Fertigungstechnologien erst am Anfang.

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Herstellen und Lernen Der Wert des Selbstgemachten Elisabeth Augustin

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit kindlichen Herstellprozessen sowie mit den Lernerfahrungen, die mit dem Herstellen von Selbstgemachtem einhergehen. Die Autorin geht der Frage nach, warum Kinder basteln und Dinge selbst herstellen in einer Zeit, die geprägt ist durch den Konsum von Waren aus Massenproduktion. Welchen Wert messen Kinder dem Selbstgemachten bei? Mit Blick auf eine zunehmende »Mediatisierung« (Krotz 2007) sämtlicher Lebensbereiche wendet sich der Artikel jenen Veränderungen beim Herstellen und Basteln zu, die sich durch den verstärkten Computereinsatz im kindlichen Tun abzeichnen. Empirische Basis für den vorliegenden Artikel sind zwölf Interviews mit Mädchen und Jungen zwischen neun und elf Jahren sowie sechs Beobachtungsprotokolle zu Workshops für Kinder mit dem Titel »Laubsägen war gestern!« im Happylab Vienna1, einer offenen High-Tech-Werkstatt.2

1. D IE (NEUE) L UST AM H ERSTELLEN Der Trend zu selbst hergestellten Dingen ist in vielen europäischen Ländern wie Österreich, Deutschland und England angekommen. In ihrem Artikel »Ich häkle, also bin ich« (2013) weist Barbara Schwarcz auf den gegenwärtigen Do-it-yourself-Boom als Gegentrend zu Massenkonsum und Fließbandware hin. David Gauntlett sieht derzeit ein starkes Engagement innerhalb einer wachsenden ›Making-and-doing-Kultur‹, die Chancen auf gesteigerte Kreativität, soziale Verbindungen und persönliches Wachstum berge (Gauntlett 2012: 11). Doch was macht die Faszination am Selbermachen aus? Warum haben 1 | www.happylab.at [letzter Zugriff: 12.6.2013]. 2 | Die empirischen Daten wurden im Zuge des FWF-/VW-Projektes »Subjektkonstruktionen und digitale Kultur« (2009-2013) erhoben. Für weitere Details zum Projekt und zur Erhebungsmethode siehe die Einleitung von Christina Schachtner in diesem Band.

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Kinder Spaß am Basteln und Bauen, am Sägen und Stricken? Schwarcz nennt Partizipation am Gestaltungsprozess als einen Grund für den Trend zum Selbermachen: »Individualismus und Kreativität, Spaß und Eigeninitiative sind angesagt, Stangenware out. Man will nicht nur konsumieren, sondern mitgestalten« (Schwarcz 2013). Basteln, Bauen, Sägen und Zeichnen sind beliebte Freizeitaktivitäten der interviewten Kinder. Ergebnisse der KIM-Studie 2012 zeigen ein ähnliches Bild: Laut KIM-Studie 2012 malen, zeichnen und basteln 38 Prozent der befragten Kinder im Alter zwischen 6 und 13 Jahren einmal oder mehrmals pro Woche (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/KIM-Studie 2012/www. mpfs.de: 12). Das Moment der Erfindung und das Ausleben von Kreativität bereiten den Kindern Freude. Digitale Medien nehmen im Spiel der befragten Kinder eine wichtige Rolle ein, was Veränderungen beim Spielen und Herstellen nach sich zieht. Der neunjährige Florian berichtet im Interview stolz davon, dass er bereits eine eigene Website betreibt, die über ihn und seine Interessen informiert. Durch die weite Verbreitung Digitaler Medien zeigt sich eine zunehmende Integration von Digitalen Medien in den Alltag. Der Prozess der »Mediatisierung« (Krotz 2007) benennt die gestiegene Bedeutung von Medien im Alltag in nahezu allen Lebensbereichen wie der Freizeit, der Arbeit, der Unterhaltung, Beziehungen und der Politik. Friedrich Krotz beschreibt den Prozess der Mediatisierung wie folgt: »Die Medien spielen für Alltag und soziale Beziehungen der Menschen, für ihr Wissen, Denken und Bewerten, ihr Selbstbild und ihre Identität, für soziale Institutionen und Organisationen und insgesamt für Kultur und Gesellschaft eine zunehmend wichtigere Rolle« (a.a.O.: 32). Die AutorInnen Buchner-Fuhs und Fuhs (2011) bringen die Bedeutung von Medien für die heranwachsende Generation unter dem Schlagwort ›Medienkindheit‹ auf den Punkt. Sie schreiben: »Vielfach wird heute von einer Medienkindheit gesprochen, das heißt, dass Kinder heute große Teile ihres Lebens vor und mit Medien verbringen« (a.a.O.: 130). Nutzen die ›digital natives‹ Medien scheinbar mühelos, so zeigt die KIM-Studie 2012 ein kontrastierendes Bild. Bei der Abfrage konkreter Medienhandlungen wie »Alleine ins Internet gehen« oder »im Computer Ordner anlegen« wird deutlich, dass die Medienbedienung nicht allen Kindern leicht fällt, woraus geschlossen werden kann, dass sich medientechnische Kompetenz, als Teilaspekt einer umfassenderen Medienkompetenz, bei den ›digital natives‹ erst ausbilden muss. Die VerfasserInnen der KIM-Studie 2012 argumentieren entgegen einer unhinterfragten Übernahme des Konzepts der ›digital natives‹, indem sie schreiben: »Es ist also ein Trugschluss, dass Kinder die im Medienzeitalter aufwachsen, diese Technik auch automatisch bedienen können« (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/KIM-Studie 2012/www.mpfs.de: 59). Herstellen ist eine Konstruktionsleistung des Menschen, deren Bedeutung über das Hergestellte hinausreicht. Die Herstellung von Dingen ermöglicht

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dem Menschen durch das selbstbestimmte Tun und die erfahrenen Mühen während des Prozesses der Herstellung das Erleben von Selbstgewissheit und die Ausbildung eines Selbstgefühls (Arendt 1967: 193f.). In welcher Weise Dinge gestaltet sind, ist nicht nur abhängig vom gestaltenden Subjekt, sondern auch von den Werkzeugen, die für den Herstellprozess verwendet werden. Betrachten wir Kinder wie auch Technik als Akteure, zeigt sich, dass Technologien und Inhalte/gestaltete Dinge aufeinander einwirken. Die Beschaffenheit der Zähne einer Säge oder die definierte Pinselstärke einer Mal- und Zeichensoftware beim computerunterstützten Herstellen bestimmen das Ergebnis mit.3 Wo liegen nun Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen traditionellen und computerunterstützten Herstellprozessen? Für Marshall McLuhan stellen sich Technologien als Medien dar, welche die körperlichen und geistigen Möglichkeiten des Menschen erweitern. McLuhan führt aus: »All media are extensions of some human faculty – psychic or physical« (McLuhan 1967: 26). Fassen wir Werkzeuge als mediale Erweiterungen des Menschen auf, wird deutlich, dass eine Säge wie auch eine Computermaus oder ein Softwareprogramm nicht prinzipiell voneinander unterschieden sind, sondern vielmehr graduell in ihren Ausprägungen.4 Ein zentraler Unterschied von computerunterstützten Herstellprozessen zu traditionellen Herstellverfahren ist, dass Computer softwarebasierte Werkzeuge sind. Der Einsatz von Software führt zu automatisierten Wirkungsweisen, die im Hintergrund – für Laien verborgen – ablaufen. Der Übersetzungsprozess mittels Computer ist, so zeigt die durchgeführte FabLab-Studie, für Kinder schwer zu durchschauen und wird von ihnen als abstrakt empfunden. Eine Untersuchung von Computerzeichnungen von Kindern im Vor- und Grundschulalter von Axel von Criegern und Anja Mohr bestätigt, dass Kindern die Übertragungswege beim Arbeiten am Computer wenig plausibel sind. Ein weiterer Unterschied des Malens am Computer ist laut Criegern und Mohr die größere Distanz von zeichnerischer Bewegung und Darstellung (Criegern/Mohr 1999: 251ff.). Arbeitsprozesse mittels Computer sind zudem durch Wiederholbarkeit gekennzeichnet. Eingaben wie ›Löschen‹ und ›Rückgängig‹ ermöglichen es, einzelne Schritte so lange zu wiederholen, bis das Ergebnis zufriedenstellend ist.

1.1 Spielen und Gestalten — Herstellen als ästhetisches Handeln Herstellen kann als ästhetisches Handeln bestimmt werden, bei welchem spielerische und gestalterische Prozesse wirksam sind, die nach Constanze Kirchner 3 | Zum theoretischen Hintergrund der Akteur-Netzwerk-Theorie siehe den Beitrag »Dinge in der kindlichen Lebenswelt« von Christina Schachtner in diesem Band. 4 | Auf die unterschiedlichen Qualitäten von Sinneswahrnehmungen bei der Computernutzung gehen Birgit Writze und Jutta Buchner-Fuhs in ihren Beiträgen in diesem Band ein.

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anthropologisch verankert sind: »Zeichnen, Malen, Formen, Bauen, Basteln, Sammeln und Ordnen sind anthropologisch verankerte Tätigkeitsformen, die ebenso wie die Kinderzeichnung in ihrem Ursprung mit dem Spiel verwandt sind. Im ästhetischen Verhalten durchdringen sich spielerische und gestalterische Produktionsprozesse« (Kirchner 1999: 311). Ästhetik im hier verwendeten Sinne bezieht sich auf die Handlungsebene und bezeichnet schöpferisches Tun im Allgemeinen.5 Im Gegensatz zur verwendeten Terminologie von Constanze Kirchner, die im oben angeführten Zitat von »ästhetischem Verhalten« spricht, wird an dieser Stelle der Begriff ›ästhetisches Handeln‹ eingeführt, um das absichtsvolle Tun im Herstellprozess besser fassen zu können. Bestimmen wir Herstellen als ästhetisches Handeln, so sind auch Konstruktionsleistungen mit Digitalen Medien als Werkzeuge zur Herstellung eingeschlossen, da sich nicht nur bei traditionellen, sondern auch bei computerunterstützen Herstellprozessen spielerische und gestalterische Tätigkeiten zeigen. Digitale Medien und die Angebote des World Wide Web wie beispielsweise Grafik- und Bildbearbeitungsprogramme oder die Internetplattform www.youtube.com sind als neue Orte der Kreativität für Herstellprozesse bedeutsam. David Gauntlett fasst die Relevanz des World Wide Web für kreative Schaffensprozesse wie folgt zusammen: »However, the Web has certainly made it easier for everyday people to share the fruits of their creativity with others, and to collaboratively make interesting, informative, and entertaining cultural spaces« (Gauntlett 2012: 5). Basteln im traditionellen Sinne wie auch gestalterische Prozesse mithilfe Digitaler Medien haben gemeinsam, dass sie geplante wie auch spielerisch kreative Aspekte umfassen. Das Spiel ist dem Spieleforscher Jürgen Fritz zufolge Übungs-, Erkenntnis- und Aneignungsmittel: »[Das] Spiel ist der ›unscharfe Rand‹ unserer Wirklichkeit. Spiel verbindet Wirklichkeit mit Möglichkeit. […] Es ist ein ›Treibmittel‹ für die Selbstausdehnung des Menschen – im Materiellen wie im Geistigen« (Fritz 1992: 9). Im Akt des Herstellens werden die Grenzen der Identität überschritten, ein Prozess, der als Identitätsarbeit beschrieben werden kann. Identitätsarbeit im Sinne von Heiner Keupp meint die individuelle Verknüpfungsarbeit von Erfahrungsfragmenten und bezeichnet einen fortlaufenden Prozess der Sinnkonstruktion (Keupp/Ahbe/Gmür 2002: 9f.). Selbst hergestellte Dinge fordern zu Selbstreflexion und bei Misslingen zu Selbstkritik auf, wodurch die gewohnte Wahrnehmung unterbrochen und Identitätsarbeit in Gang gesetzt wird. Diese Unterbrechungen der gewohnten Wahrnehmung bezeichnet Michael Ziemons (2003) als Perturbationen. Nicht nur selbst hergestellte Dinge, sondern auch die Werkzeuge der Herstellung, zum Beispiel der Computer, können Lernmöglichkeiten durch Störungen hervorrufen. Karl H. Hörning verweist in »Experten des Alltags« (2001) auf die 5 | Weitere Dimensionen schließt der umfassendere Ästhetikbegriff ein, den Birgit Writze in ihrem Artikel »Ästhetik in der Dingwelt von Kindern« in diesem Band entwirft.

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»bedeutungsunterminierende und desorientierende Rolle der Technik« (a.a.O.: 95). Im Sinne von Hörning provoziert der Computer Bedeutungen, indem im Gebrauch Fehler auftreten oder die Wahrnehmung gestört wird, wodurch Reflexionsprozesse angestoßen werden. Im Herstellen eines Werkes drückt sich des Weiteren der Wunsch des Individuums nach der eigenen Dauerhaftigkeit aus. Es ist der Wunsch, die Zeit zu überdauern und etwas Bleibendes von sich zu schaffen, das als eine Triebfeder für Herstellprozesse fungiert. Hannah Arendt hat dies bereits in Bezug auf das Herstellen von Kunstwerken festgehalten: »Was hier [im Kunstwerk, d.V.] aufleuchtet, ist die sonst in der Dingwelt, trotz ihrer relativen Dauerhaftigkeit, nie rein und klar erscheinende Beständigkeit der Welt, das Währen selbst, in dem sterbliche Menschen eine nicht-sterbliche Heimat finden. Es ist, als würde in dem Währen des Kunstwerks das weltlich Dauerhafte transparent, und als offenbare sich hinter ihm ein Wink möglichen Unsterblichseins…« (Arendt 1967: 212).

Übertragen auf selbst hergestellte Dinge bietet das Postulat von Hannah Arendt eine Erklärung für die universale Faszination am Herstellen von Dingen, die den Augenblick und selbst die Lebensspanne eines einzelnen Menschen überdauern. Die Beständigkeit der Dingwelt gibt, so die These von Arendt, dem sterblichen Wesen Mensch einen unsterblichen Ort der Dauerhaftigkeit.

1.2 Entspannung im ›Herstell-Flow‹ Herstellen als Tätigkeit ist eng mit körperlichem Erleben verbunden. Basteln und Herstellen sind sinnliche Erfahrungen und haben durch die körperliche Aktivität eine lustvolle Komponente. Jean Baudrillard sieht in der Herstellung von Dingen durch handwerkliche Vorgänge eine Art libidinöse Erfüllung, die durch die starke körperliche Beteiligung zustande kommt (Baudrillard 1991: 72). Aus den Interviews sowie aus den Beobachtungen der Kinder während des Workshops »Laubsägen war gestern!« kann geschlossen werden, dass die Lust am Herstellen aus der erlebten Entspannung während des konzentrierten Tuns resultiert. Für den zwölfjährigen Sebastian bedeutet Basteln einen Ausgleich zur Schule und zum Lernen: »Dass es einfach halt eine Alternative ist, auch z.B. zum nur Lernen und so und Vokabeln und so was, auch mal irgendwas machen.« Der Zwölfjährige betont das Machen, die körperliche Aktivität, als wesentlichen Aspekt der Alternative zur Schule. Beim Herstellen werden einzelne Handgriffe und körperliche Handlungsabläufe stetig wiederholt, wodurch die Befähigung bei der Ausführung steigt und Handlungen automatisiert werden. Durch diese eingeübten Tätigkeitsabläufe ist es möglich, dass sich im Tun ein Zustand entspannter Aufmerksamkeit einstellt. Der Entspannungszustand während des Bastelns und Herstellens kann mit jenem

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»Alpha-Zustand« verglichen werden, den Ludger Schiffler als »angenehmen, entspannten Ruhezustand« (Schiffler 2012: 15) beschreibt. Im Gegensatz zur Tiefenentspannung ist der ›Alpha-Zustand‹ ein leichter Entspannungszustand, der durch Atemtechniken, Musik oder die Verbindung von Worten mit einer aufmerksamen Körperhaltung hervorgerufen wird (a.a.O.: 105). Herstellen kann, in Weiterführung der Ausführungen zu Lernen und Entspannung von Ludger Schiffler (2012), als eine Phase entspannter Aufmerksamkeit charakterisiert werden, die durch eine Kombination aus psychischer und physischer Entspannung entsteht (a.a.O.: 108). Herstellen ermöglicht eine spezifische Form des positiven Selbsterlebens, das als Fließerleben (Flow) bezeichnet werden kann. Im Flow-Erlebnis ist eine Person auf ihre Handlungen fokussiert und die »Selbstgrenzen dehnen sich auf das Objekt ihres Interesses und ihrer Handlungen aus« (Habermas 1996: 87). Im Tun fühlen sich die Handelnden »eins mit sich selbst« (a.a.O.: 88). Das Flow-Erlebnis kann den Selbstwert einer Person steigern und der Entspannungszustand während des Tuns wirkt sich förderlich gleichsam auf Psyche und Physis aus. Insbesondere in den Bereichen des Sports, des Spiels, der Kunstproduktion (Malen, Komponieren, Musizieren) und bei geistigen Tätigkeiten sind solche Flow-Erlebnisse vorzufinden. Treffen eine hohe Konzentration und eine optimale Balance zwischen Anforderung und Können aufeinander, kann es zu einer Verschmelzung von Bewusstsein und Handlungen kommen. Dass sich ein Flow-Erlebnis nur einstellt, wenn Anforderungen und Fähigkeiten gut aufeinander abgestimmt sind, verdeutlicht Csíkszentmihályi in seinem Buch »Das flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und Langeweile: im Tun aufgehen« (1985) wie folgt: »Sie [die Ergebnisse, d.V.] lassen vermuten, daß jede Aktivität innerlich lohnend sein kann, vorausgesetzt, sie ist passend strukturiert und unsere Fähigkeiten sind ihren Herausforderungen angepaßt« (Csíkszentmihályi 1985: 16). Das Flow-Modell von Mihaly Csíkszentmihályi geht der intrinsischen Motivation für Handeln auf den Grund und erklärt die Freude an anstrengenden geistigen und körperlichen Tätigkeiten. Herstellen eröffnet Räume für Ganzheitserfahrungen, die auch im Spiel erlebt werden können. Diese Gemeinsamkeit von Spiel und Herstellen tritt deutlich zutage, wenn wir uns die Ausführungen von Donald W. Winnicott vergegenwärtigen, wonach das Spiel von Kindern durch einen Zustand des Vertieftseins ins Tun charakterisiert ist, welcher mit der Phase der Konzentration von älteren Kindern und Erwachsenen verglichen werden kann. (Winnicott 1997: 63)6 Im Spiel wie auch im tätigen Herstellen erschließen sich Kinder durch Praktiken des Ordnens und Verwandelns jene (Werk-)Stoffe, aus welchen die Welt gebaut ist. In Auseinandersetzung mit den Positionen 6 | Für weitere Hinweise zur Theorie von Donald W. Winnicott siehe den Beitrag »Dinge in der kindlichen Lebenswelt« von Christina Schachtner in diesem Band.

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von Ernst Röttger (»Das Spiel mit den bildnerischen Mitteln«, Band 1-7, 19651967) zeigt Werner Neumann die gemeinsame Schnittfläche von Herstellen, er spricht von ›Werken‹ im schulischen Sinne, und Spielen auf. Neumann führt aus: »Der Vorgang des ›Spielens‹ erschließt experimentell eine ›neue Welt‹, und indem diese Welt dem solcherart Tätigen sich kundtut, kommt er ›zu sich‹ – findet er sich bereichert« (Neumann 1986: 59). Durch die spielerische Auseinandersetzung mit Materialien setzen sich Kinder forschend mit Dingen und Strukturen der Welt auseinander. Flow-Erlebnisse sind im Zuge der Workshops im Happylab Vienna an mehreren Stellen beobachtbar gewesen. Die Kinder arbeiten während der zweitägigen Workshops konzentriert an ihren 3D-Modellen, experimentieren mit dem hergestellten Drawdio, zeichnen T-Shirt-Motive und löten sehr aufmerksam, ohne sich von anderen Kindern stören zu lassen. Sie sind in ihr Tun vertieft, wie exemplarisch aus der Beobachtung der 13-jährigen Johanna und der zehnjährigen Emilia hervorgeht: »Johanna arbeitet konzentriert vor sich hin. Sie lässt sich von Elena und Laura nicht ablenken, obwohl diese immer wieder etwas zu ihr herrufen und lachen. [...] Emilia arbeitet bzw. experimentiert [mit dem Drawdio, d.V.] vor sich hin. Das eine oder andere Kind kommt manchmal vorbei [...] und sieht ihr zu. Sie blickt aber nicht auf und beachtet die anderen nicht weiter.«

Bei den Kindern der beobachteten Workshops wechseln konzentriertes Arbeiten mit Phasen kollaborativen Lernens ab, wie in Abschnitt 3.3 ›Lernen in der Gruppe zwischen Kooperation und Konkurrenz‹ gezeigt wird.

1.3 Herstellen und Herzeigen — kompetent durch Selbermachen Zwei beobachtete Phänomene liefern Antworten auf die Frage, warum die Kinder der untersuchten Workshops Herstellen als positiv erleben. Zunächst gehe ich unter Bezugnahme auf das bereits skizzierte Flow-Modell von Csíkszentmihályi auf das Ergebnis ein, wonach die Kinder Spaß an jenen Aktivitäten haben, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Im Anschluss entwickle ich den Gedanken weiter, dass Herstellen Kompetenzen sichtbar macht und diskutiere, was dies für die Kinder im Kontext von Anerkennung bedeutet. Kindern machen jene Tätigkeiten und Herstellprozesse besonderen Spaß, die den Fähigkeiten ihrer Altersstufe angemessen sind, da sich die Handelnden dann im ›Flow-Kanal‹ befinden. In diesem Schwebezustand, der sich zwischen Überforderung/Angst und Frustration/Langeweile einstellt, ist ein völliges Aufgehen von Menschen in der Aktivität möglich und positive Gefühle wie Freude, Befriedigung und Glück stellen sich ein. (Csíkszentmihályi 1975: 58) Neben den von Csíkszentmihályi angeführten intrinsischen Motiven, spielen Aspek-

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te der Anerkennung durch erfolgreiches Handeln eine wichtige Rolle für das positive Erleben von Herstellprozessen. Sind Aufgaben zu schwierig, machen sie den Kindern keinen Spaß und sie hören rasch auf. Der zehnjährige Gerhard berichtet im Interview von seiner »Urgründlichkeit«. Bildnerische Erziehung mag er deshalb nicht gerne, »weil da müssen wir mit Wasserfarben, weil da, weil ich da immer alles anbatz‹«. Auch Stricken mag er nicht, da ihm die handwerklichen Fähigkeiten dazu fehlen: »Nee, Wolle – mag ich nicht. [...] na ja, einfach dieses mit der Nadel so, mit dem Faden – das ist mir zu kompliziert.« Die 13-jährige Laura erzählt im Interview, dass ihr Stricken keinen Spaß macht, da es ihr zu schwierig ist: »…irgendwie kann ich das nicht besonders gut, weil da hab ich immer zu wenig Faden oder ich hol’s raus oder so, das geht nicht.« Aus der Beobachtung von Felix während des Workshops geht hervor, dass die eigenen Fähigkeiten in Zusammenhang mit der Freude am Tun stehen. Zunächst kommentiert er das Drawdio mit der abwertenden Aussage: »Das ist fad.« Er versucht dann trotzdem selbst eine Melodie zu spielen und ruft begeistert aus: »Ich kann das auch spielen!«.

1.4 Herstellen macht Kompetenzen sichtbar Wie Richard Sennett in seinem Buch »Handwerk« (2008) ausführt, sind es weder Wettbewerbe, noch gesellschaftliche moralische Imperative, die Menschen dazu antreiben, gute handwerkliche Leistungen zu erbringen. Vielmehr führt Sennett sorgfältiges und gutes Handwerken auf ein menschliches Grundbestreben zurück: »Sie [Ausdrücke wie ›handwerkliche Fertigkeiten‹, d.V.] verweisen auf ein dauerhaftes menschliches Grundbestreben: den Wunsch, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen« (Sennett 2008: 19). Dieser Wille zu guten Leistungen trifft im Herstellprozess auf die Begeisterung, die durch das Lösen von Problemen entsteht. Bei Kindern ist zu beobachten, dass sie Freude an der Bewältigung von Herausforderungen haben. In Bezug auf das kindliche Spiel spricht Barbara Rendtorff von der Funktionslust der Kinder und meint damit die grundlegende Lust zur Bewältigung von schwierigen Aufgaben (Rendtorff 2011: 71). Die Fertigstellung von Dingen ist befriedigend, da im hergestellten Ding selbst die Kompetenzen der Herstellenden objektiviert sind. Der neunjährige Florian kann durch ein selbst gebasteltes Gesellschaftsspiel anderen Kindern und Erwachsenen seine Kreativität zeigen: »Puhh, ja. Das war ganz allein meine Idee, normalerweise schaue ich mir das von Fernsehsendungen ab und so.« Ein hergestelltes Werk zeigt, was eine Person zu leisten in der Lage ist und welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sie besitzt. Mit großer Freude zeigen die Kinder der Workshop-Reihe »Laubsägen war gestern!« einander ihre fertigen selbst hergestellten Dinge. Der zehnjährige Luca präsentiert am Ende des Workshops sein bedrucktes T-Shirt und ruft begeistert aus: »Das ist total schön. [...] Nein, noch viel viel schöner.« Die zwölfjährige

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Elena zeichnet und malt gerne. Durch ihre selbst geschaffenen Werke kann sie zeigen, welche Fähigkeiten sie besitzt: »Ja, weil man halt die Fantasie und so was, zeigen kann, was man alles macht.« Die selbst hergestellten Dinge verweisen auf die zur Herstellung notwendigen Kompetenzen. Im Interview mit Felix wird deutlich, dass erreichte Leistungen den Selbstwert erhöhen. Felix erzählt über seine selbst hergestellten Dinge: »Mhm ja, da war ich immer sehr stolz auf meine Dinge, die ich selbst gebaut hab, so wie diese Bausätze. Das hat mir sehr gefallen, da war ich immer sehr stolz auf mich, wenn ich das fertig hatte. [...] Weil das oft lang gedauert hat und ich geduldig bin bei dieser Sache. [...] Weil’s mich einfach freut, sie anzusehen. Es freut mich einfach und dann denke ich ›Ich hab’s geschafft, juhu!‹.« In der eben zitierten Interviewpassage von Felix wird deutlich, dass ein Teil der Freude von dem Gefühl der Handlungswirksamkeit herrührt, das im Herstellprozess erlebt wird. Die Wirkmächtigkeit entsteht aus dem Gefühl heraus, das eigene Handeln kontrollieren zu können, eine These, die wir auch bei Hannah Arendt finden. Für Hannah Arendt sind Menschen als HerrInnen ihrer Handlungen idealtypisch im ›Homo faber‹ versinnbildlicht. Sie schreibt: »Homo faber ist in der Tat ein Herr und Meister, nicht, weil er Herr der Natur ist oder verstanden hat, sie sich untertan zu machen, sondern auch, weil er Herr seiner selbst, seines eigenen Tuns und Lassens ist…« (Arendt 1967: 197). Das Konzept der Selbstwirksamkeit geht auf Albert Bandura zurück. Bandura bezeichnet mit dem Begriff Selbstwirksamkeitserwartung (»efficacy beliefs«) die Erwartung einer Person, Handlungen erfolgreich aufgrund eigener vorhandener Kompetenzen umsetzen zu können: »Perceived self-efficacy refers to beliefs in one’s capabilities to organize and execute the courses of action required to produce given attainments« (Bandura 1997: 3). Kontrolle über die eigenen Fähigkeiten und die hergestellten Dinge zu haben und sich selbst in der Lebenswelt als wirkmächtige/n Akteur/in zu erleben, ist für Kinder besonders wichtig. Bauen Kinder früh eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung auf, können sie später herausfordernde Situationen leichter bewältigen als Personen mit einer geringen Selbstwirksamkeitserwartung. In einer zunehmend globalisierten und komplexer gewordenen Umwelt ist, so führt Albert Bandura aus, eine gut ausgeprägte Selbstwirksamkeitserwartung zur proaktiven Lebensgestaltung besonders wichtig: »These transnational realities are creating a new world culture that places increasing demands on collective efficacy to shape the quality of lives and the social future« (a.a.O.: vii). Die Bedeutung des Herstellens für die Handlungsmächtigkeit (»agency«) einer Person betont David Gauntlett (2012). Stricken wie auch Bloggen, beides für Gauntlett kreative Herstellprozesse, sind für den Autor eine aktive Aneignung der Welt und Ausschöpfung der Möglichkeiten einer Person in ihrer Lebenswelt (Gauntlett 2012: 2).

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Abbildung 1: Der 10-jährige Emil betont in seiner Visualisierung die eigene Handlungswirksamkeit

1.5 Gemeinsames Herstellen verbindet Herstellen fördert durch das aufeinander bezogene Handeln Gemeinschaftsbildung. Kreative Akte, so führt David Gauntlett im folgenden Zitat aus, verbinden: »Making is connecting because acts of creativity usually involve, at some point, a social dimension and connect us with other people;« (Gauntlett 2012: 2). Die soziale Relevanz des Herstellens zeigt sich auf zwei Ebenen: Erstens auf der Handlungsebene durch das Tun selbst und zweitens auf der Ebene der Kommunikation, wenn Feedback auf die individuellen Herstellprozesse gegeben wird. Während der Workshops »Laubsägen war gestern!« im Happylab Vienna zeigten sich soziale Vergemeinschaftungsprozesse durch gemeinsames Herstellen. Die beiden 13-jährigen Mädchen Julia und Johanna arbeiten zu zweit am Modell ihres Traumhauses und Felix (13) designt mit Sebastian (12) zusammen am Computer. Felix und Sebastian sind Fans des Computerspiels »Minecraft« und entwerfen kooperativ eine 3D-Figur, einen

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so genannten »Creeper« nach ihrer Vorlage.7 Laura (13) und Elena (12) kennen einander bereits von der Schule und sind Freundinnen. Im Workshop gestalten sie gemeinsam den Aufdruck für die T-Shirts und beide bedrucken das T-Shirt in gleicher Weise. Sie drucken auf das T-Shirt eine Eistüte und ihre Spitznamen. Auch das 3D-Modell haben sie gemeinsam entworfen. Nicht nur bei den Workshops im Happylab Vienna ist gemeinsames Herstellen von Bedeutung. Johanna (13) berichtet im Interview davon, dass sie auf einer Party mit anderen Kindern zusammen T-Shirts gestaltet und bedruckt hat. Es ist davon auszugehen, dass gemeinsame Herstellaktivitäten während der Workshops und darüber hinaus anderenorts die Beziehungen zwischen den Kindern festigen. Innerhalb der Familie schafft gemeinsames Basteln und Herstellen positive Erlebnisse und Bezugspunkte.

Abbildung 2: Laura (13 Jahre) und Elena (12 Jahre) gestalten gemeinsam den Aufdruck ihres T-Shirts im Sinne von »making is connecting« (Gauntlett 2012: 2) 7 | Zum Zusammenhang von Ästhetik und Mimesis siehe den Beitrag von Birgit Writze »Ästhetik in der Dingwelt von Kindern« in diesem Band.

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Der zehnjährige Luca berichtet im Interview davon, dass er mit seinem kleinen Bruder gemeinsam bastelt: »Ja, mit meinem kleinen Bruder sehr viel.« Die selbst hergestellten Dinge ermöglichen es den Kindern, Anschluss an Gruppen zu finden und in der Peergroup anerkannt zu sein. Dinge, die alle haben, verbinden. Um in der Schule zur Gruppe der Gleichaltrigen dazuzugehören, hat der zehnjährige Junge Luca ein Fingerskateboard und dazugehörige Schanzen gebastelt. Die Popularität selbst hergestellter Dinge lässt sich, so kann aus der FabLab-Studie geschlossen werden, durch die sozialen Vergemeinschaftungsprozesse, die durch das Herstellen ermöglicht werden, erklären.

2. D ER W ERT DES S ELBSTGEMACHTEN IM S PANNUNGS VERHÄLTNIS VON I NDIVIDUALISIERUNG UND M ASSENKONSUM Ein Blick auf beliebte Websites zeigt, dass die individuelle Aneignung von Massenwaren ein boomendes Geschäftsmodell ist. Auf der Internetplattform https://constrvct.com/können NutzerInnen Kleidungsstücke individuell schneidern und bedrucken lassen. Mit dem Web-Angebot ›nike id‹ (www.nike. com) hat der Sportartikelhersteller auf den Trend zu kundenindividueller Massenproduktion (›Mass-Customization‹) reagiert. Das Geschäftsmodell ›MassCustomization‹ gibt der Kundin/dem Kunden ein »kommerzielles Einzigartigkeitsversprechen« (Jenß 2005: 209), das ihrem Individualisierungswunsch entgegenkommt. Die interaktiven Möglichkeiten Digitaler Medien sind für kundenindividuelle Herstellprozesse fundamental. Wie ist diese Entwicklung zu ›Mass-Customization‹ im Spannungsfeld von Massenkonsum und Do-ityourself-Trend zu erklären? Bezugnehmend auf das im Zuge der Workshops »Laubsägen war gestern!« erhobene Material ist danach zu fragen, welche Gratifikationen individualisierte Produktionsprozesse und das Selbermachen den Herstellenden bieten? Erklärungsansätze finden wir, wenn wir den Aspekt der Individualisierung näher betrachten. Unter Individualisierung wird in diesem Artikel unter Anschluss an die AutorInnen Beck und Beck-Gernsheim die Auflösung vordefinierter Lebensformen sowie die rückläufige Bedeutung von Normalbiografien verstanden. Beck und Beck-Gernsheim schreiben:

»Individualisierung meint zum einen die Auflösung vorgegebener sozialer Lebensformen – zum Beispiel das Brüchigwerden von lebensweltlichen Kategorien wie Klasse und Stand, Geschlechterrollen, Familie, Nachbarschaft usw.; oder auch […] [den, d.V.] Zusammenbruch staatlich verordneter Normalbiographien, Orientierungsrahmen und Leitbilder« (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 11f.).

Fortschreitende Individualisierung bedeutet für den Einzelnen/die Einzelne eine Chance, aber auch einen Zwang zu wählen, was einen Widerspruch er-

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kennen lässt. Neben verbesserten Chancen auf die Umsetzung eigener Entscheidungen kann Individualisierung zu Verunsicherungen führen, worauf Anthony Giddens verwies, indem er das Paradoxon des ›Wahlzwangs‹ formulierte: »In posttraditionalen Kontexten haben wir keine andere Wahl, als zu wählen, wer wir sein und wie wir handeln wollen« (Giddens 1996: 142). Etwas selbst herzustellen, erhöht durch die individuellen Auswahlprozesse das Involvement einer Person. Im Trend um Individualisierung zeigt sich der Wunsch, gesehen zu werden und der Unsichtbarkeit von Uniformität zu entkommen. Für Zygmunt Bauman drückt sich im individuellen Personenkult unserer Zeit der Wunsch aus, begehrt zu sein. Bauman führt wie folgt aus: »Hinter dem Traum vom Berühmtsein verbirgt sich ein anderer Traum, der Traum, sich nicht mehr in der grauen, farb- und gesichtslosen Masse der Waren aufzulösen und darin aufgelöst zu bleiben, der Traum, sich in eine beachtenswerte, beachtete und begehrte Ware zu verwandeln, eine Ware, die man unmöglich übersehen […] kann« (Bauman 2009: 22).

Wie im Folgenden dargelegt wird, zeigt sich ein Trend zur Individualisierung von Dingen bei den befragten Kindern. Dinge selbst herzustellen und durch das Herstellverfahren zu individualisieren hat für die Kinder einen hohen Wert. Die im Rahmen der beiden Workshops »Laubsägen war gestern!« interviewten Kinder zeigen eine besondere Wertschätzung für selbst gebastelte Dinge wie Spielzeuge, Bekleidung und Schmuck. Die beiden 13-jährigen Zwillingsschwestern Johanna und Laura basteln zuhause aus Perlen oder Watte Ohrringe. Schmuckstücke eignen sich laut Aida Bosch besonders, um sich innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppierung hervorzutun, da Schmuck einen geringen Gebrauchswert, jedoch einen hohen Symbolwert besitzt.8 Der Prestigegewinn durch ›unnütze‹ Dinge signalisiert Macht und Freizeit, wodurch diese Dinge zur sozialen Verortung beitragen (Bosch 2011: 35ff.). Gebastelter Schmuck sowie Geburtstags- und Weihnachtskarten, wie sie die elfjährige Safira herstellt, sind bei den Kindern beliebte Geschenke für Freundinnen und Freunde. In die selbst hergestellten Dinge legen die Kinder einen Teil von sich selbst, denn diese repräsentieren den ressourcenintensiven Prozess der Herstellung. Selbst hergestellte Geschenke symbolisieren durch die eingesetzten Ressourcen wie Zeit und Materialien die soziale Beziehung zwischen den Kindern und festigen diese. Die den Dingen inhärente Symbolik macht selbst gefertigte Dinge für die Kinder besonders wertvoll, wie die 13-jährige Johanna im Interview erzählt: »Ja, ich find’, weil da, das ist erstens auch billiger und das ist einfach schöner, selbst 8 | Zur Symbolik von Dingen siehe auch den Beitrag »Dinge in der kindlichen Lebenswelt« von Christina Schachtner in diesem Band.

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gemachte Sachen zu haben, finde ich. Sind auch eine Erinnerung und so.« Die Interviewpassage von Johanna verdeutlicht das Spannungsverhältnis, welches die Kinder beim Herstellen erfahren. Selbst gemachte Dinge sind in der Wahrnehmung der Kinder nicht nur schöner als massenhaft produzierte Konsumwaren, sie sind oftmals auch kostengünstiger. Aus ökonomischer Perspektive zeigt sich, dass Kinder monetär von Erwachsenen abhängig sind, da die verfügbaren Geldmittel den Kindern von Erwachsenen zugeteilt werden. Innerhalb der Kultur der Kinder9 setzen ökonomische Zwänge auf der Handlungsebene kreatives Potential frei. Es entstehen Gegenkulturen, die, wie im Falle des zehnjährigen Luca, den Abfall der Konsumgesellschaft weiterverarbeiten und so neuen Wert und neue Werte herstellen. Luca bastelt mit Klopapierrollen und leeren Dosen, »mit allem eigentlich, was sonst im Müll landen würde, bastle ich einfach was draus«. Rationalisierungen des Mangels beim Herstellen aufgrund knapper finanzieller Ressourcen deuten, so kann die Perspektive der Befragten nachgezeichnet werden, die Kinder für sich positiv um.

2.1 Gestalten und Verändern Folgen wir den Ausführungen des Soziologen Richard Sennett in seinem Buch »Handwerk« (2008), so können wir festhalten, dass beim Basteln und Herstellen besonders veränderbare Dinge das Interesse von Menschen wecken (Sennett 2008: 163). Unsere Untersuchung im Rahmen der FabLab-Workshops »Laubsägen war gestern!« liefert für Richard Sennetts Thesen empirische Belege. Aus den Interviews und Beobachtungen geht hervor, dass die Kinder jene Bastelangebote und Spiele bevorzugen, die kreative Freiräume zur eigenen Gestaltung bieten. Auch in Zeiten vielfältiger und zahlreicher medialer Angebote durch die Computer-, Spiele- und Medienindustrie spielen die interviewten Kinder nach wie vor gerne mit Legobausteinen, wobei der Aspekt der Gestaltungsfreiheit für die Kinder im Vordergrund steht, wie dies der zehnjährige Gerhard verdeutlicht: »Weil ich da viel Neues machen kann, finde ich. Weil immer, wenn ich jetzt was zusammenstecke, kommt was Neues raus – auf beiden Seiten – jetzt beim Denken und beim Zusammenstecken.« Durch die Umsetzung von eigenen Ideen können die Kinder Individualität zeigen und

9 | Inwiefern – aus Perspektive der Kinder – diese Geldmittel selbstbewusst und eigenständig verwaltet werden, darauf geht Christina Schachtner im Beitrag »Dinge in der kindlichen Lebenswelt« in diesem Band ein, indem sie aufzeigt, wie aus der Verwertung von Vorgefundenem und Weggeworfenem eine Kultur der Kinder entsteht. Es zeigt sich in der Analyse ein widersprüchliches Spannungsverhältnis zwischen der Abhängigkeit der Kinder von den monetären Zuwendungen durch Erwachsene und selbstständigen wie auch eigensinnigen Aneignungsprozessen der Kinder.

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sich von anderen absetzen, wie ich das bereits am Beispiel des Schmucks dargelegt habe. Kompetenzen und Ideen werden von den Kindern als wertvolles Kapital betrachtet, um sich von anderen abzuheben. Für den neunjährigen Florian sind seine Fähigkeiten und Ideen deshalb ein Geheimnis, das er nicht mit anderen teilen möchte: »Ich zeig’ halt einfach nicht so gern was her oder so, mein Geheimnis. [...] [Die Ideen, d.V.] gern behalten, damit sie [die anderen Kinder, d.V.] es mir nicht nachmachen.« Die Favorisierung von individuellen Gestaltungsfreiräumen beim Basteln und Herstellen zeigt sich nicht nur in der Freizeit, sondern auch im schulischen Bereich.10 Die 13-jährige Johanna findet »cool«, was sie ohne Zwänge selbst gestalten kann: »Ich finde das toll, dass man so was einfach was Cooles machen kann und man kann sich aussuchen, was man macht [...] in der Volksschule hat’s mir nicht so gut gefallen, weil da haben sie gesagt: ›Ja, da musst du jetzt das machen‹ [...]«. Aus den Beobachtungen der beiden Workshops »Laubsägen war gestern!« geht hervor, dass die Kinder am Bedrucken der T-Shirts am meisten Spaß hatten und am wenigsten Begeisterung für das Zusammenbauen des ›Drawdios‹ aufgebracht haben, was darauf zurückzuführen ist, dass die Kinder beim Herstellen der T-Shirts viele Gestaltungsfreiheiten hatten, jedoch beim Bau des ›Drawdios‹ einem genauen Bauplan folgen mussten.11 Ein Ding individuell zu gestalten und zu verändern, aktiv auf es einzuwirken, eröffnet dem Menschen die Möglichkeit, sich als wirksames und autonomes Subjekt zu erleben. Jean Baudrillard führt in seinem Buch »Das System der Dinge« (1991) aus, dass die zunehmende Massenproduktion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine »seelenlose Mechanisierung« (Baudrillard 1991: 72) von Herstellprozessen gefördert habe. Diese Überwindung der Äquivalenz zwischen Produkt und Arbeit, sprich zwischen fertigem (Konsum-)Objekt und seinem Herstellprozess, führe zu einer Entfremdung der Nutzerin/des Nutzers vom Produkt der Herstellung. Der Mensch werde bei der Produktion von Waren zunehmend zum Zuschauer der durch Maschinen ablaufenden Prozesse (a.a.O.: 74).12 10 | Bei der Unterscheidung in schulischen und außerschulen Bereich (Freizeit) zeigt sich ein Trend zur Pädagogisierung der kindlichen Lebenswelt. Pädagogisch strukturierte Freizeitangebote (Musikschule, Sportverein, Hort) prägen die Freizeitgestaltung der Kinder heute. Auch der untersuchte Workshop »Laubsägen war gestern!« im Happylab Vienna kann zu einem solch pädagogisch strukturierten Freizeitangebot gezählt werden. 11 | Allerdings zeigten die Kinder große Neugier und Interesse, als es daran ging, die Drawdios auszuprobieren und damit zu experimentieren. In Abschnitt 3 gehe ich auf dieses Beispiel mit Bezug auf Lernen durch Erfahrung näher ein. 12 | Zur Entwicklung der Trennung von Produktions- und Konsumsphäre siehe auch: Schrage, Dominik (2009): Die Verfügbarkeit der Dinge, Frankfurt a.M.: Campus Verlag. Das Auseinandertreten der gesellschaftlichen Bereiche Herstellen und Verbrauchen ist

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Der von Baudrillard beschriebenen Entfremdung von Produkten steht der aktuelle Trend zum Selbermachen entgegen. Bei der Herstellung von Dingen in FabLabs kann der/die Einzelne aktiv Produktionsprozesse steuern und eigene Ideen umsetzen. René Bohne, Leiter des FabLabs Aachen13, betont in einem Zeitungsinterview mit Annette Jensen, dass die Zukunft der Fertigung in der Herstellung von Einzelstücken liege: »Bohne ist überzeugt, dass die 3D-Fertigung sich auch im privaten Alltag durchsetzen wird: Etwas, was man brauche, selbst herzustellen, habe doch einen ganz anderen Wert als bloß zu kaufen, was die Industrie anbiete« (Jensen, Annette 2011: 105). Auch für den zwölfjährigen Sebastian liegt der besondere Wert seines im Happylab Vienna bedruckten T-Shirts in der individuellen Gestaltung, wodurch sein T-Shirt zum Unikat wird und sich das Produkt von anderen Massenwaren abhebt: »Ja [...] ich hab mir gedacht, da könnte ich mir halt so ein individuelles [T-Shirt bedrucken, d.V.], was man nicht kaufen kann.« Die individuelle Gestaltung zieht Aufmerksamkeit auf sich. Gerhard Franck beschreibt menschliches Handeln im Kontext einer ökonomischen Theorie des Prestiges, der Reputation sowie der Prominenz. Er bezeichnet in der »Ökonomie der Aufmerksamkeit« (1998) die Zuwendung anderer Menschen, deren Aufmerksamkeit und Beachtung, als die »unwiderstehlichste aller Drogen« (Franck 1998: 10). Francks Theorie zufolge strengen sich Menschen in den verschiedenen Bereichen des Lebens wie Beruf oder Mode zu besonderen Leistungen an, da sie dafür mit dem knappen Gut der Aufmerksamkeit anderer belohnt werden.

2.2 Vom Spiel zur Konsumkritik Es zeichnet sich ab, dass die interviewten Kinder im Zuge der FabLab-Workshops über Herstellprozesse intensiv reflektieren. Ein tieferes Verständnis für die sie umgebende Warenwelt und Produktionsverhältnisse wird durch das Herstellen von Dingen gefördert, sie werden achtsamer für die sie umgebende Lebenswelt. Vera Kaltwasser beschreibt das Konzept Achtsamkeit wie folgt: »Achtsamkeit in diesem Sinne bedeutet eine Lenkung der Aufmerksamkeit: Sie beruht auf der menschlichen Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion, zum Gewahrwerden dessen, was man über die Sinne vermittelt bekommt und was man im Augenblick denkt« (Kaltwasser 2008: 45). Im Sinne von Kaltwasser entsteht Achtsamkeit durch eine bewusste Reflexion des Tuns und der Sinneseindrücke. Die FabLab-Untersuchung zeigt, dass den Eltern als Sozialisationsinstanzen bei der Ausbildung kritischer Perspektiven Schrage zufolge strukturbildend für das moderne Wirtschaftssystem. (Schrage 2009: 17) 13 | Für weitere Informationen zum FabLab Aachen siehe die URL: www.rene-bohne. de/und http://hci.rwth-aachen.de/fablab [letzter Zugriff am 18.6.2013].

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auf Produktionsverhältnisse und die Warenwelt eine prägende Rolle zukommt. Ausgehend von ersten Informationen über Produkte wird, so zeigen empirische Belege, ein kritisches Konsumverhalten trainiert. Der neunjährige Florian wägt bei seinen Kaufentscheidungen ab und kalkuliert die Produktionsbedingungen mit ein. Die Marke ›Lego‹ ziehe er der Marke ›Playmobil‹ vor, da ›Lego‹ mehr in Europa produziere, so der Neunjährige im Interview. Beim Einkauf achtet er auf die Produktinformationen auf den Verpackungen: »Ja, die Mama hat’s mir mal erzählt oder so. Abgesehen, ich schau immer bei Lego-Verpackungen und seh da nie eine chinesische Schrift. Playmobil seh’ ich schon.« Die von Florian formulierte Kritik steht jedoch seinen persönlichen Handlungs- und Spielinteressen entgegen: »Aber zum Beispiel zum Rollenspiel brauch’ ich Playmobil ganz besonders.« Die oben zitierte Interviewpassage von Florian macht deutlich, dass VerbraucherInnen den Warenmarkt als ambivalent erleben. Die Ambivalenz entstehe, so Jean Baudrillard, aufgrund der vorherrschenden Produktionsverhältnisse. Die paradoxe Situation der VerbraucherInnen erläutert Baudrillard (1991) wie folgt: »Im Vollzug seines persönlich bestimmten Verbrauchs wird er [der Verbraucher, d.V.] sich seines Subjekt-Seins bewußt, obwohl er nur ein Objekt der wirtschaftlichen Nachfrage ist« (Baudrillard 1991: 190). Auf die wechselseitige Abhängigkeit von Kindheit und Konsumgesellschaft verweist Zygmunt Bauman in »Leben als Konsum« (2010). Konsumgesellschaften benötigen Kinder als KonsumentInnen zur Reproduktion – und dies von frühesten Lebensjahren an. In westlichen Industrienationen ist das »Konsumieren ein universelles Menschenrecht und eine universelle Menschenpflicht zugleich« (Bauman 2010: 74). Die steigende Bedeutung individueller Herstellprozesse in den letzten Jahren sowie die Verwendung von Open-source-Software und Creative-Commons-Lizenzen in den FabLabs verweist auf neue Dimensionen einer digitalen Kultur, in welcher Medien- und Materialkompetenz demokratisch designte Dinge hervorbringen und das autonome Subjekt stärken. Der Zweck von selbst hergestellten Dingen liegt nicht nur im Konsum derselben, sondern hat seinen Sinn, neben dem Verbrauch, im Akt der Herstellung selbst. Der Reflexionsprozess während des Herstellens transformiert Waren in persönliche Dinge, in welchem sich die Lebenswelt des/der Herstellenden widerspiegelt. Selbst hergestellte Dinge und mitgestaltete (Massen-)Waren bieten Möglichkeiten der Anerkennung durch andere und des Auslebens von Individualität, was den Erfolg der eingangs beschriebenen Web-Angebote für kundenindividuelle Massenproduktion wie ›nike id‹ oder des Online-Shops ›CONSTRVCT‹ für 3DPrints mitbegründet.

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3. E RFAHRUNGSLERNEN DURCH H ERSTELLEN Im folgenden Abschnitt gehe ich auf den Zusammenhang von Herstellen und Erkenntnis ein, indem ich der Frage nachgehe, wie Kinder beim Herstellen von Dingen lernen. Die Beobachtung der Kinder während der beiden Workshops »Laubsägen war gestern!« im Happylab Vienna förderte detaillierte Ergebnisse zu den Lernprozessen der Kinder zutage. Die Mädchen und Jungen der Zielgruppe zeigen große Neugierde an der Funktionsweise von Technik. Das persönliche Interesse der Kinder an digitalen Technologien und Computern trägt zur starken Beteiligung der Kinder an Technologieworkshops bei. Der informelle Lernkontext der Workshops und der technologische Hintergrund wecken die Wissbegierde der Kinder am Neuen, wie aus dem Interview mit Johanna hervorgeht: »Ja, eigentlich aufs 3D-Drucken, weil das hab ich noch nie gemacht…«. Im Anschluss an Sherry Turkle skizziert Heidi Schelhowe Computer als evokatorische Objekte, die Lernanreize bieten: »Digitale Medien besitzen das Potenzial, dass sie solche Explorationen und Neuentdeckungen durch ihren Aufforderungscharakter und durch die Interaktion mit ihnen evozieren« (Schelhowe 2007: 115). Auf die Rolle von Technik im Erkenntnisprozess verweist Karl H. Hörning, der den Begriff ›Aufforderungscharakter‹14 früh in die Diskussion um die Bedeutung von Digitalen Medien eingeführt hat: »Die technischen Dinge haben einen ›Aufforderungscharakter‹ [...], sie werden zu einem ›Agens‹, das unsere Projekte und Markierungen herausfordert oder unterläuft und uns so zu Kommunikation und Reflexion antreibt« (Hörning 2001: 14). Die (selbst) hergestellten Dinge unserer Lebenswelt evozieren den Auf bau von Wissensstrukturen und führen auf der Handlungsebene zu Aktionen.15 Bei einer Besichtigungsrunde durch das Happylab Vienna stellt Florian, neun Jahre alt, viele Fragen an die Workshopleiterin. Er will mehr Hintergrundwissen über den 3D-Drucker in Erfahrung bringen und fragt: »Wie lange gibt es 3D-Drucker schon?« und »Wer hat den 3D-Drucker erfunden?«. Der Wissensdrang von Kindern resultiert, so Constanze Kirchner, aus dem Bedürfnis der Heranwachsenden nach Teilhabe an der Lebenswelt: »Die spezifische Disposition für ästhetisches Verhalten in der mittleren Kindheit geht mit den Bedürfnissen der Kinder nach Teilhabe an der Wirklichkeit einher…« (Kirchner 1999: 313). Um Kinder im ländlichen Raum oder Kinder in Entwicklungs14 | Den Begriff »Aufforderungscharakter« prägte der Psychologe Kurt Lewin (18901947) in seinen frühen Arbeiten. Später verwendete Lewin den Begriff der »Valenz«. 15 | Zum evokativen Charakter von Dingen siehe den Beitrag »Dinge in der kindlichen Lebenswelt« in diesem Band von Christina Schachtner und den Artikel von Christina Schachtner (2013): »Digital media evoking interactive games in virtual space«, in: Subjectivity, Volume 6/1, S. 33-54.

Herstellen und Lernen

ländern zu unterstützen, wurde ein Konzept für mobile FabLabs entwickelt mit dem Ziel, soziale Klüfte zu verringern und Bildungschancen für regional oder ökonomisch Benachteiligte zu eröffnen. Sherry J. Lassiter (2009) führt aus, dass mobile FabLabs auf Basis eines praktischen Wissenserwerbs folgende Kompetenzen fördern: Kritisches Denken, komplexes Problemlösen, kommunikative Fähigkeiten, Zusammenarbeit sowie Kreativität und Erfindungsgabe/ Innovation (Lassiter 2009: 10).

3.1 Erfahrungswissen — Lernen mit allen Sinnen Im Rahmen der Workshops »Laubsägen war gestern!« machen die Kinder Lernerfahrungen mit allen Sinnen. Sie sehen das Farbenspiel der Säure beim Ätzen der Platinen, sie riechen die Chemikalien beim Bedrucken der T-Shirts, die sich in ihren Händen frisch von der Presse noch warm anfühlen. Beim Löten fühlen die Kinder die Hitze und spüren den Schmerz, wenn sie versehentlich – wie der zehnjährige Daryan – beim heißen Lötkolben anstoßen. Im Tun eignen sich die Kinder ihre Umwelt und das Wissen von der Welt mit allen Sinnen an. Luca, zehn Jahre alt, zeigt während des Workshops zwei anderen Kindern, wie heiß sein frisch bedrucktes T-Shirt ist. Sie greifen es an und staunen. Ein weiteres Beispiel für die sinnliche Wissensaneignung ist der zwölfjährige Andi, der die selbst gelötete Platine mit seiner Zunge testet. Das Tun ermöglicht den Kindern über Erfahrungen einen direkten Zugang zur Welt. Nach Oskar Negt zielt exemplarisches Erfahrungslernen darauf ab, Zusammenhänge herzustellen. Im Rückbezug auf den eigenen Lebenszusammenhang werden Kompetenzen aufgebaut (Negt 1998: 27). Anstelle aus einem Buch oder durch eine Erzählung von Sekundärerfahrungen zu lernen, was ein 3D-Drucker ist, können die Workshop-TeilnehmerInnen den 3D-Drucker beim Drucken beobachten und die im 3D-Drucker hergestellten Modelle aus Plastik in die Hand nehmen und dadurch besser ›begreifen‹. Im Anschluss an John Deweys Ansatz des »Learning by Doing« können wir Lernen als eine Auseinandersetzung mit Erfahrungen im Tun verstehen. Erfahrung entsteht durch das aktive Ausprobieren, so die Position von John Dewey, der sagt: »Die aktive Seite der Erfahrung ist Ausprobieren, Versuch – man macht Erfahrungen. [...] Wir wirken auf den Gegenstand ein, und der Gegenstand wirkt auf uns zurück; darin eben liegt die besondere Verbindung der beiden Elemente. Je enger diese beiden Seiten der Erfahrung miteinander verflochten sind, um so größer ist ihr Wert« (Dewey 1994: 141). Erfahrungen basieren auf kognitiven und emotionalen Verarbeitungsprozessen. Die Autoren Erpenbeck und Sauter definieren Erfahrung in ihrem Werk »Kompetenzentwicklung im Netz« (2007) wie folgt: »Erfahrungen sind stets Komplexe von Wissen und Werten, zu eigenem Gedächtnisbesitz und zu eigenen Emotionen und Motivationen ›verinnerlicht‹« (Erpenbeck/Sauter

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2007: 26). Herstellprozesse öffnen einen Erfahrungsraum, in welchem Lernen möglich ist. Im hergestellten Produkt kommen intellektuelle wie emotionale Erfahrungen zum Ausdruck, die im Tun reflexiv gebildet werden. Basteln und Herstellen können zentrale Aspekte konstruktivistischen Lernens enthalten, wie das Anknüpfen an die eigenen Interessen der Kinder, das Herstellen eines evokatorischen Objektes und die anschließende Reflexion und Kommunikation über den Herstellprozess.16 Aus den Interviews geht hervor, dass die Kinder im schulischen sowie im außerschulischen Bereich spielerische und lustvolle Lernerfahrungen durch Herstellprozesse sammeln. »Das Herumbasteln und Sägen, das freut mich einfach, das macht mir einfach relativ viel Spaß, etwas auszuprobieren.«, berichtet der 13-jährige Felix. Florian, neun Jahre alt, hat aus Interesse an Elektronik einen defekten Computer auseinandergebaut, um die Funktionsweise des Gerätes besser zu verstehen: »Nur irgendwann ist er [der Computer, d.V.] wirklich dauernd abgestürzt, aus irgendeinem Grund. Und das war nicht einmal die Tastatur oder so. Der ist noch immer da und ich habe ihn zerlegt [schmunzelt].« Lernen durch Ausprobieren ist ein Prozess nach dem Prinzip ›Trial & Error‹. Die Kinder lernen beim Experimentieren, mit Fehlern umzugehen, die eine wichtige Lernchance sein können. Der zehnjährige Luca erzählt im Interview, dass er versuchsweise seinen überhitzten Nintendo, eine Spielekonsole, zum Abkühlen ins Gefrierfach des Kühlschranks gelegt hatte. Heute lacht er darüber; er hat aus seinem Fehler gelernt: »…und dann war ich so dumm und habe ihn [den Nintendo, d.V.] ins Gefrierfach gelegt [Interviewpartner und Interviewerin lachen]…kaputt.« Für Heidi Schelhowe sind das Ausprobieren und das Fehler-Machen ein angemessener Zugang zum Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten im Computerbereich (Schelhowe 2007: 29). Denn Lernen muss, so schreibt Schelhowe weiter, auf der Handlungsebene zu einem Wissensvorrat werden: »Lernen besteht darin, dass man erfolgreiches Handeln wiederholen kann« (Schelhowe 2007: 31).

16 | Dieser Artikel bietet eine kleine Auswahl zentraler Aspekte konstruktivistischen Lernens. Für weitere Aspekte siehe Heidi Schelhowe: Technologie, Imagination und Lernen (2007).

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3.2 Autodidaktisches Lernen — Hilfe und Selbsthilfe Digitale Medien sind für die befragten Kinder ein integraler Bestandteil ihrer Lebenswelt, dem sie sich spielerisch nähern. Autodidaktisch eignen sie sich Programme am Computer an, wie zum Beispiel der neunjährige Florian, der bereits mit dem Softwareprogramm ›Google SketchUp‹ experimentell Formen konstruiert hat. Der Computer wird von den Kindern vielfach zur selbständigen Informationssuche verwendet. Felix berichtet im Interview, dass er auf der Videoplattform www.youtube.com Basteltipps recherchiert. Auch während des Workshops »Laubsägen war gestern!« suchen die Kinder im Internet parallel zu den Erklärungen der Workshopleiterin nach weiterführenden Informationen. Matthias und Emil ›googeln‹ den Begriff ›Lasercutter‹ umgehend, als dieser von der Workshopleiterin vorgestellt wird. Heidi Schelhowe zeigt auf, dass Computerfertigkeiten häufig in einem ›Learning-by-doing-Prozess‹ entwickelt werden und die erworbenen Fähigkeiten oftmals impliziter Natur sind (a.a.O.: 28). Anwendungswissen, das zur Computernutzung notwendig ist, kann als praktisches Wissen charakterisiert werden, das implizit vorhanden ist. Der Begriff ›praktisches Wissen‹ im Anschluss an Michael Polanyi vereint theoretische wie auch praktische Kenntnisse und ist deshalb besonders geeignet, computerunterstützte Lernprozesse zu beschreiben (Polanyi 1985: 16). Autodidaktisches Lernen wird in der Praxis ergänzt durch Lernen am Modell: In vielen Fällen ziehen die Kinder die Hilfe von Lehrkräften und ExpertInnen einem autodidaktischen Vorgehen vor. Bei schwierigen Aufgaben ist den Kindern die Expertise der Erwachsenen wichtig und sie wenden sich mit ihren Fragen an diese. Aus den Beobachtungen geht hervor, dass Daryan sich mit seinem zu bedruckenden T-Shirt an die Workshopleiterin wendet, damit diese das Bild exakt aufklebt. Selbst traut sich Daryan dies nicht zu. Auch beim Druck des 3D-Modells ist die Hilfe der Fachkräfte vor Ort für die Kinder wichtig. Bei Fragen suchen die Kinder die direkte Hilfe der Workshopleiterin, anstelle sich an den vorbereiteten Powerpointfolien zu orientieren. Beim Stanzen und Löten der Platine für das ›Drawdio‹ lassen die Workshop-TeilnehmerInnen ihre bisherigen Arbeitsschritte immer wieder kontrollieren, um die Funktionstüchtigkeit des ›Drawdios‹ zu gewährleisten. Es hängt augenscheinlich mit der Komplexität der Aufgabe und dem Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zusammen, ob die Kinder autodidaktisch vorgehen oder sich an ExpertInnen wenden.

3.3 Lernen in der Gruppe zwischen Kooperation und Konkurrenz Beim Basteln während der Workshops »Laubsägen war gestern!« zeigen sich Lernprozesse sowohl als kooperative wie auch als konkurrenzorientierte Tätig-

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keiten. Im Interview erfahren wir darüber hinaus von kooperativen Lernerfahrungen unter Geschwistern. Der zehnjährige Luca berichtet davon, dass er seinem kleinen Bruder (5) am Computer oder beim Basteln hilft, wenn dieser Handgriffe noch nicht beherrscht. Kinder, die beim Workshop »Laubsägen war gestern!« mit Aufgaben schneller vorangekommen sind, helfen im Anschluss anderen Kindern, falls diese Schwierigkeiten haben. Emil und Jonathan helfen Matthias am Computer ein Bild abzuspeichern und einer der Jungen kommentiert: »Das hat sie [die Workshopleiterin, d.V.] schon gesagt […] ich zeig’s dir.« Während des Workshops wird auch der neunjährige Florian immer mehr vom Einzelgänger zum Helfer und Berater der anderen Kinder. Zunehmend interessiert er sich für die Dinge und Arbeitsweisen der anderen Kinder im Workshop und gibt seine zunächst gut gehüteten »Geheimnisse« und Kompetenzen schlussendlich doch weiter. Durch die Weitergabe von Wissen können sich die Kinder als kompetent erleben. Wissen wird zum Statussymbol innerhalb der Gruppe. Bei den kreativen Schaffensprozessen während der Herstellung des 3DTraumhauses im Happylab Vienna zeigt sich ein Konkurrenzverhalten zwischen den Kindern. Im Workshop arbeiten die vier befreundeten Mädchen Laura, Elena, Julia und Johanna zunächst zusammen, teilen sich im Laufe der Ideenfindungsphase jedoch in zwei Untergruppen auf. Johanna wirft Laura und Elena vor, ihre Ideen zu kopieren und ruft verärgert aus: »Ihr macht uns alles nach!«. Um ihre eigenen Ideen zu schützen, wirft Elena ihr selbst bedrucktes T-Shirt über den Bildschirm und beendet mit ihrer Handlung die Diskussion. Konkurrenz ist nicht nur auf Ideen und Fähigkeiten bezogen, sondern herrscht auch in Bezug auf den Zugang zu technischen Ressourcen vor. Die Kinder handeln sich im Streitgespräch die Reihenfolge des Zugangs zum Computer aus. Des Weiteren ist zu sehen, dass die eigenen Leistungen untereinander verglichen und bewertet werden. Kritikfähigkeit und eine wertschätzende Feedbackkultur können im Zuge von Technologie-Workshops trainiert werden.

3.4 Fantasie und Utopie — Zur reflexiven Auseinandersetzung mit Technik Der spielerische Umgang mit Technik in den untersuchten Workshops regt die Fantasie der Kinder an. In der handwerklichen Auseinandersetzung mit Computern, Maschinen und Bausätzen entwickeln sie Ideen für technologische Innovationen und persönliche Zukunftsperspektiven. Zu den Hobbys des neunjährigen Florian zählt das Erfinden und auf seiner eigenen Website verlinkt er von ihm als spannend angesehene Neuheiten aus dem Bereich der Technik. Aus der Gruppendiskussion im Anschluss an den Workshop »Laubsägen war gestern!« geht hervor, dass für einen teilnehmenden Jungen das Interesse am Konstruieren und Drucken des 3D-Traumhauses mit dem Berufswunsch ein-

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hergeht, Architekt zu werden. Die zwölfjährige Elena möchte später auf eine Schule für Grafikdesign und erhofft sich vom Workshop »Laubsägen war gestern!«, dass sie dort Referenzen für die Bewerbung erstellen kann. Im Interview sagt sie: »…ich möchte dann die Sachen, wenn ich es schaffe, in die Mappe geben und denen [den Zuständigen in der Schule für Grafikdesign, d.V.] zeigen, was ich alles gemacht habe. Ja, ich hoffe…« Diese empirischen Belege verdeutlichen, was Oskar Negt 1998 in seinem Artikel »Lernen in einer Welt gesellschaftlicher Umbrüche« formuliert hat. Nach Negt ist in einer von sozialen Umbrüchen geprägten Gegenwart ein neuer Begriff kulturellen Lernens notwendig, der die beiden Merkmale Orientierung und Kompetenz vereine (Negt 1998: 22). Lernen muss Orientierungswissen zur Verfügung stellen, wofür Negt fünf zentrale Schlüsselkompetenzen formuliert: Identitätskompetenz, Technologische Kompetenz als Fertigkeit wie auch als Reflexionskompetenz, Gerechtigkeitskompetenz, Ökologische Kompetenz und eine Historische Kompetenz im Sinne von Erinnerungs- und Utopiefähigkeit (a.a.O.: 35f.).

Z USAMMENFASSUNG Basteln und Herstellen sind nach wie vor beliebte Freizeitaktivitäten von Kindern, wobei Digitale Medien ein selbstverständlicher Bestandteil des kindlichen Spielens geworden sind. Im Rahmen des Beitrages wurde der Gedanke entwickelt, dass nicht nur Erwachsene, sondern auch die ›digital natives‹, also jene Generation, die mit Laptops, Mobiltelefonen und Spielekonsolen aufwächst, erst einen kompetenten Umgang mit Digitalen Medien entwickeln muss. Mit Blick auf den Medienbegriff von Marshall McLuhan, der Medien als Organerweiterungen des Menschen betrachtet, wurde in Kapitel 1 am Beispiel von Mal- und Zeichensoftware diskutiert, dass zwischen traditionellen und computerunterstützten Herstellprozessen nur ein gradueller, jedoch kein prinzipieller Unterschied besteht. Basteln und Herstellen als ästhetisches Handeln ermöglichen sinnliche Erfahrungen. Im konzentrierten Tun stellt sich ein Zustand entspannter Aufmerksamkeit ein. Dieser »Alpha-Zustand« (Schiffler 2012) wird als angenehmer Ruhezustand erlebt. Bei Herstellprozessen können Flow-Erlebnisse festgestellt werden, wie sie auch im Sport, in der Musikproduktion oder im Spiel beobachtet werden. Im Zuge der empirischen Untersuchung der Workshops »Laubsägen war gestern!« im Happylab Vienna ist festzuhalten, dass Kinder jene Herstellaktivitäten bevorzugen, bei denen Anforderungen und Fähigkeiten in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Des Weiteren zeigt sich, dass die Kinder sehr stolz auf ihre selbst geschaffenen Werke sind. Herstellen führt zu einer gesteigerten Selbstwirksamkeitserwartung, die ein wichtiger Faktor

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menschlicher Handlungsmächtigkeit und einer proaktiven Lebensgestaltung ist. Dinge selbst herzustellen, kommt dem Wunsch nach Einzigartigkeit und Individualität nach. Kinder wollen durch ihre Herstell-Leistungen gesehen und dafür anerkannt werden. Dinge und Werkzeuge haben einen Aufforderungscharakter und evozieren Kommunikation und Reflexion. Die vorgestellte FabLab-Studie verdeutlicht den Zusammenhang von Herstellen und Erkenntnis im Hinblick auf die folgenden vier Momente: 1. Techniklernen erfolgt bei den Workshops »Laubsägen war gestern!« mit allen Sinnen. Im aktiven Tun und Ausprobieren bilden sich intellektuelle wie auch emotionale Erfahrungen und Wissen. Fehler und Perturbationen der Wahrnehmung zeigen sich bei den untersuchten Workshops nicht als Lernhindernis, sondern als eine wichtige Chance selbstreflexiven Lernens. 2. Die Kinder im untersuchten Sample zeigen Fähigkeiten zu autodidaktischem Lernen, bei welchem der Computer und das Internet einen zentralen Stellenwert einnehmen. Bei Aufgaben, deren Bewältigung sich die Kinder nicht zutrauen, wenden sie sich jedoch primär an Lehrkräfte und Erwachsene. 3. Die beobachteten Lernprozesse umfassen sowohl kooperative wie auch konkurrenzorientierte Facetten. Neben dem willigen Weitergeben von Wissen sind Ideen und Kompetenzen für die Kinder oftmals ein gut gehütetes Geheimnis. Wissen ist innerhalb der Gruppe ein Statussymbol zur Distinktion. 4. Der spielerische Umgang mit Technik regt Kinder zum Fantasieren an. Zukunftsträume spiegeln sich in den Herstellprozessen wider und das Verhältnis von Mensch und Maschine wird reflexiv bearbeitet. Schlussfolgernd kann festgehalten werden, dass Herstellen als Praktik des ›Sinnbastelns‹ als Identitätsarbeit nach Heiner Keupp u.a. (2002) aufgefasst werden kann sowie zu einem positiven Selbsterleben führt. Herstellen zeigt sich als wichtige Chance für den Kompetenzerwerb, für Reflexion und Weltverstehen. Die Beherrschung von Werkzeugen wie den Computer bedeutet für Kinder Kontrolle, Macht und die erfolgreiche Anwendung von Kompetenzen. Sie erleben sich im Gestalten von Dingen und Bedienen der Technik als wirksam. In diesem Artikel konnte gezeigt werden, wie Kinder durch experimentelles und spielerisches Herstellen Wissen erwerben und durch die Auseinandersetzung mit den hergestellten wie auch in der Lebenswelt vorgefundenen Dingen zu »Experten des Alltags« (Hörning 2001) werden. Indem Kinder Dinge in alltägliche Praktiken einbeziehen und selbst herstellen, erlangen sie ein praktisches, situationsabhängiges und zumeist implizites Wissen.

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Ästhetik in der Dingwelt von Kindern Birgit Writze

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit der Ästhetik in der dinglichen Lebenswelt von Kindern. Da der Begriff Ästhetik von einer gewissen Unschärfe geprägt ist, wird zunächst festgehalten, dass Ästhetik hier im etymologischen Sinne des altgriechischen Wortes »aisthesis« verstanden wird, was so viel bedeutet wie Wahrnehmung, Sinneseindruck oder Empfindung. Die Sinne sind die Brücke zu unserer Umwelt. Sie stellen eine Verbindung zwischen dem Innen und Außen dar und sind Voraussetzung für den Zugang zur Welt (Zimmer 1995: 15f.). In Anlehnung an den deutschen Philosophen Alexander Gottlieb Baumgarten (1750/2008: §1) beschreibt Wolfgang Welsch Ästhetik als »die Thematisierung von Wahrnehmungen aller Art, sinnenhaften wie geistigen, alltäglichen wie sublimen, lebensweltlichen wie künstlerischen« (Welsch 1990: 9). Diese weite Definition von Ästhetik ist für die Argumentation dieses Artikels besonders geeignet, da sie den Fokus nicht auf den Bereich der Künste beschränkt, sondern den Blick auch auf die alltägliche Lebenswelt der Menschen richtet. Um Ästhetik zu verstehen, schreibt der US-amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey, »[...] muss man bei ihren Grundelementen ansetzen; bei den Ereignissen und Szenen, die das aufmerksame Auge und Ohr des Menschen auf sich lenken, sein Interesse wecken und, während er schaut und hört, sein Gefallen hervorrufen [...]« (Dewey 1988: 11). Eine ähnliche Auffassung vertritt der britische Kultursoziologe und Anthropologe Paul Willis, wenn er von »Elementaren Ästhetiken« (Willis 1991: 38) spricht. Ihm zufolge sammeln Kinder den Großteil ihrer ästhetischen Erfahrungen nicht primär in der Auseinandersetzung mit Kunst, sondern anhand von Erfahrungen, die ihnen in ihrem Alltag und in der Auseinandersetzung mit den Symbolen und Produkten der Konsum- und Populärkultur begegnen. Möchte man etwas über die Ästhetik der Kinder erfahren, gilt es den Blick auf jene Dinge zu richten, mit denen Kinder ihrem Selbstentwurf und ihrer Vorstellung von Ästhetik Ausdruck verleihen: die Auswahl ihrer Kleidung, ihre Präferenzen in Hinblick auf Musik, Fernsehen, Spiele und Lektüre, die Dekoration ihrer Kinderzimmer und jenen Dingen, die sie selbst basteln und herstellen (a.a.O.: 12).

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An der alltagsweltlichen Dimension von Ästhetik setzt dieser Artikel an. Auf Basis der Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt ›Subjektkonstruktionen und digitale Kultur‹ in dessen Rahmen von dem Klagenfurter Forschungsteam die Aktivitäten von Kindern im Happylab Vienna untersucht wurden, werden die Fragen diskutiert, wie sich das persönliche Verständnis von Ästhetik bei Kindern bildet, welchen Einfluss Medien und Gleichaltrige auf die kindliche Ästhetik haben und wie Kinder mithilfe von Kleidung ihre ästhetischen Vorlieben nach außen kommunizieren. Um diese Fragen zu beantworten, geht der Artikel zunächst auf die Bedeutung von Ästhetik in der Lebenswelt von Kindern ein, gefolgt von einer Erläuterung über den Zusammenhang zwischen Kindern, Dingen und Sinnen. Im darauf folgenden Abschnitt beschäftigt sich der Artikel mit dem ›Wie‹ des ästhetischen Lernens. Dafür zieht der Artikel das Prinzip der Mimesis heran und geht auf die Bedeutung von Medien als Quelle ästhetischer Erfahrung und Anreiz zu ästhetischem Handeln ein. Das abschließende Kapitel beschäftigt sich mit kindlichen Repräsentationen von Ästhetik anhand der Kleidung der Kinder. Die empirische Basis dieses Artikels bilden Erkenntnisse, die durch Interviews, durch Beobachtungen während der Workshops sowie anhand der von den Kindern angefertigten Visualisierungen gewonnen wurden. Untersucht wurden Kinder im Alter von neun bis 14 Jahren, die an Workshops unter dem Titel »Laubsägen war gestern!« im Happylab Vienna1 teilnahmen. Die angemeldeten Kinder wurden im Vorfeld zu den Dingen, die ihnen im Leben wichtig sind, befragt und während des Workshops beim Herstellen von Dingen beobachtet. In den Interviews sprachen die Kinder über Dinge, die sie kaufen, die sie selbst herstellen, die sie sich ersehnen, aber auch über solche Dinge, die sie ablehnen. Im FabLab fertigten die Kinder unter professioneller Anleitung komplexe Gegenstände: Sie designten am Computer T-Shirt-Motive, entwarfen dreidimensionale Modelle von ihren Traumhäusern, die sie im Anschluss unter Verwendung eines 3D-Druckers materialisierten, programmierten ein einfaches Computerspiel und bastelten ein Musikinstrument. Visualisierungen, die von den Kindern im Anschluss an den Workshop angefertigt wurden, geben Aufschluss darüber, wie die Kinder selbst den Workshop und die Dinge, die sie im FabLab hergestellt haben, wahrgenommen haben.

1 | Das Happylab Vienna ist ein so genanntes FabLab, kurz fabrication laboratory. FabLabs sind High-Tech- Werkstätten, in denen Privatpersonen Raum wie auch Maschinen zur Verfügung gestellt werden, um eigene Ideen und Projekte zu verwirklichen (www.happylab.at). Mehr dazu finden Sie im Artikel von Irene Posch in diesem Band.

Ästhetik in der Dingwelt von Kindern

1. Ä STHE TISIERUNG DER KINDLICHEN L EBENSWELT Wolfgang Welsch zufolge erleben wir gegenwärtig einen regelrechten »Ästhetik-Boom« (Welsch 1996: 9). Ästhetisierungsprozesse durchziehen den Alltag der westlichen Welt und führen zu einer »Ästhetisierung der gesamten Lebenswelt« (Bubner 1989: 651). Städte werden zu Erlebnisräumen, Konsumgüter werden ästhetisch aufgeladen und Körper individuell stilisiert. Der Trend zur Ästhetisierung macht auch keinen Halt vor der Lebenswelt der Kinder. Eine komplexe Industrie hat sich auf die Wünsche der jungen KonsumentInnen spezialisiert. Beinahe jedes Modelabel entwirft neben der Kollektion für Erwachsene auch eine Kollektion für Kinder. Passend dazu gibt es Schmuck, Accessoires, Kosmetik und Parfüm derselben Marke speziell für Kinder. Die Verkaufsflächen von Spielwarengeschäften werden in Erlebnisräume verwandelt: Auf riesigen Flächen wird dort Spielzeug angepriesen. An jeder Ecke dieser Läden laden Produkte ein ausprobiert zu werden. In der Abteilung für Computer- und Videospiele stehen Konsolen, auf denen die neuesten Spiele getestet werden können. Die Gänge der Geschäfte wurden in Rennstrecken verwandelt, auf denen das Angebot an Tretrollern, Scootern und Fahrrädern sogleich getestet werden kann. Auch die Produkte selbst sind ästhetisch aufgeladen. Stofftiere und Actionfiguren sprechen auf Knopfdruck und Roboter-Hunde bellen und schlagen auf Befehl Saltos. Sogar Schreibwaren werden sinnlich angereichert. Es gibt parfümiertes Papier und Stifte, die beim Schreiben den Duft von Früchten und Blumen verbreiten. Im Supermarkt setzt sich das Spiel fort. Dort gibt es bunt verpackte, stark gesüßte Getränke, deren Etiketten Comicfiguren zieren. Im Gang für Süßigkeiten kämpfen die präsentierten Produkte um die Aufmerksamkeit der Kinder. Sogar an der Frischtheke gibt es Wurst, die extra für Kinder in die Form eines Teddybären gepresst wurde. Kinder haben heutzutage die Wahl zwischen vielfältigen ästhetischen Medienprodukten. Es gibt Bücher, Comichefte und Zeitschriften für junge LeserInnen. Teenie-Stars aus Musik, Film und Fernsehen lassen Kinderherzen höher schlagen. Beinahe alle Sender widmen der jungen Zielgruppe einen großen Teil ihres Tagesprogramms. Allein im deutschsprachigen Raum gibt es 15 Fernsehsender, die ausschließlich Formate für Kinder senden. Die Angebote für die Kleinsten reichen im Internet von Websites über Communities bis hin zu Online-Spielen und Videochannels. Jährlich erscheinen hunderte Computer- und Konsolenspiele für den Nachwuchs. Die Auswahl an Spielen für Smartphones und Tablets wächst täglich. Im iTunes-Store belegen Spiele aktuell die Top-Plätze im Ranking der umsatzstärksten Apps. Kinder sind zu einer wichtigen Zielgruppe geworden. Sie sind die Käufer von morgen, beeinflussen schon heute die Kaufentscheidungen ihrer Eltern maßgeblich und besitzen auch selbst Kaufkraft.

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Diese Darstellung legt die Vermutung nahe, die Ästhetisierung der Lebenswelt sei vornehmlich eine ökonomische Strategie, bei der Produkte mit ›Lifestyle‹ angereichert werden, um sie von Konkurrenzangeboten abzugrenzen. Welsch bemerkt zynisch: »Durch die Verbindung mit Ästhetik lässt sich auch Unverkäufliches verkaufen und Verkäufliches zwei und dreimal verkaufen« (Welsch 1993: 16). Ästhetik jedoch ist mehr als nur eine oberflächliche Fassade zur Förderung des Absatzes. Alle Dinge der menschlichen Objektewelt weisen, wie Christina Schachtner in diesem Band ausführt, einen »Doppelcharakter« auf, besitzen demnach neben einer funktionalen auch immer eine soziokulturelle Dimension. Diese soziale Dimension umfasst auch ästhetische Aspekte. Dinge werden stets nicht nur anhand funktionaler Gesichtspunkte wahrgenommen, sondern auch anhand ästhetischer. Das wiederum schafft Ordnung, wie die Kultursoziologin Aida Bosch argumentiert: »Ästhetik schafft symbolische, sinnlich erfahrbare Ordnungen, die es vermögen, das Chaos der Welt und das Chaos der Wahrnehmung zu bändigen und in eine Ordnung, einen Rhythmus zu überführen, in eine individuell schön empfundene Form und in eine kollektiv geteilte Erfahrung« (Bosch 2010: 97). Ästhetik durchdringt und formt Kultur gleichermaßen. Kultur und Ästhetik sind eng miteinander verknüpft. Die Kultur, in der wir leben, prägt unser Verständnis davon, was wir individuell als ästhetisch ansprechend oder abstoßend wahrnehmen. Zum Beispiel ist der Halsschmuck der Frauen des Padaung-Stammes2 in Südostasien in unserem Empfinden ebenso bizarr, wie für dieses Volk der westliche Kleidungsstil erscheinen mag. Ästhetisches Empfinden und kulturelle Umgebung fließen ineinander. Ästhetische Präferenzen sind somit keine individuellen Entscheidungen, sondern ebenso durch kulturelle Lebensumstände gefärbt und Kennzeichen einer Kultur oder einer Lebensart (a.a.O.: 98). Ästhetisches Empfinden wird im Zuge des Sozialisationsprozesses erworben. Im Interview erzählen uns die Zwillingsschwestern Laura und Johanna, dass sie zu Hause Ohrringe aus Holz und Perlen basteln. Gelernt haben die beiden Mädchen das von ihrer Großmutter. Laura erklärt: »Die Ohrringe hab ich halt mit meiner Oma gemacht, die hat das halt gelernt, wie man das halt auffädelt, damit es nicht schiach [umgangssprachlich für hässlich, d.V.] ausschaut oder so. Und die hab ich halt eben selbst gemacht, die sind einfach.« Das Wissen darüber was als schön und was als hässlich gilt sowie die Fähigkeit, ästhetisch Ansprechendes herzustellen, werden innerhalb

2 | Es handelt sich dabei um Spiralen aus Messing, die den Frauen bereits in der Kindheit um den Hals geschmiedet werden. Die Last des schweren Halsschmucks führt zu einer Deformierung der Schulterknochen, so dass der Hals optisch verlängert wird. (Waddington 2002: 1)

Ästhetik in der Dingwelt von Kindern

der Kultur weitergegeben. Als Wissensvermittler fungieren LehrerInnen, Familienmitglieder, FreundInnen und Medien. Der Blick auf die ästhetischen Vorlieben eines Menschen verlangt, wenn wir dem Ansatz von Aida Bosch folgen, auch einen Blick auf seine kulturelle Umgebung und (Lebens-)Geschichte. Unsere persönliche Geschichte prägt unser ästhetisches Empfinden. Ein Blick zurück in unseren frühkindlichen Spielschrank eröffnet uns ein Gespür für unser ästhetisches Bewusstsein (Kahrmann 2001: 722). Gerade die Erfahrungen, die wir in der Kindheit sowohl durch die Rezeption, als auch durch die Produktion von sinnlich wahrnehmbaren Objekten und Phänomenen sammeln, sind zentral für die Bildung des persönlichen Ästhetikverständnisses (Röll 2005: 29). Ästhetische Bildung ist Bildung der Sinne, Vorstellungen und Empfindungen. Der Schatz an sinnlichen Erfahrungen, den wir uns im Lebensabschnitt der Kindheit aneignen, schult kognitive und kommunikative Kompetenzen: »Die Kenntnis ästhetischer Formensprache und deren Ausdrucks- und Wirkungsmöglichkeiten befähigt nicht nur zur komplexen Wahrnehmungsfähigkeit, der Entzifferung von Zeichensystemen, sondern auch zur kommunikativen Kompetenz (Medienkompetenz)« (ebd.). Aufgrund ihres Bedürfnisses nach Teilhabe an der Wirklichkeit, schreibt die Kunstpädagogin Constanze Kirchner, zeigen insbesondere Kinder mittleren Alters eine hohe Disposition für ästhetisches Verhalten: »Neugier, Wissbegier, Experimentieren und Entdecken, Aufmerksam-Werden, Sinnstiften, Umdeuten, Variieren noch nicht festgelegter Bedeutungen, Offenheit gegenüber Unbekanntem etc. konstituieren mit der Phantasietätigkeit und der Fähigkeit zur Symbolbildung das ästhetische Vermögen« (Kirchner 1999: 313). Die Aneignung von ästhetischen Denkmustern erfolgt spielerisch im Zuge von Bedeutungskonstruktionen: »Mit den Mitteln des Spieles, Gestaltens und Phantasierens verbinden Kinder die innere und äußere Welt und eignen sich grundlegende Formen des ästhetischen Denkens an« (Schäfer 1999: 21). Gehen wir davon aus, dass die Lebensumstände und die Kultur, in der Kinder aufwachsen, prägenden Einfluss auf die Bildung ihres Ästhetikverständnisses hat, dann gilt es zu fragen, wie Kinder gegenwärtig aufwachsen und welche ästhetischen Erfahrungen sie in ihrem Alltag machen.

2. K INDHEIT IM W ANDEL Kindheit befindet sich gegenwärtig im Wandel. Die Familien, in denen Kinder gegenwärtig aufwachsen, sind tendenziell kleiner also noch vor wenigen Jahrzehnten. Während die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie 1985 in Österreich noch 1,82 betrug, betrug sie im Jahre 2012 nur mehr 1,67. Gleichzeitig wuchs das real verfügbare Einkommen der Privathaushalte pro Kopf in

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dieser Zeit durchschnittlich um 0,9 Prozentpunkte pro Jahr. Infolgedessen haben Familien mehr Geld zur Verfügung, um die materiellen Wünsche ihrer Kinder zu erfüllen. Dem höheren Bedarf hat sich die Produktion angepasst. Dementsprechend ist auch die Zahl der verfügbaren industriell gefertigten Spielzeuge deutlich gestiegen. Kinder wachsen heute in wesentlich pluralistischeren Familienstrukturen auf als noch vor zwanzig Jahren. Alleinerziehende Elternteile und Patchwork-Familien bilden keine Ausnahmen mehr (Statistik Austria 2013). Darüber hinaus haben sich auch die Sichtweise auf Kindheit als Lebensphase und Einstellung zu Erziehung und Umgangsformen zwischen Eltern und Kindern grundlegend verändert.3 Die Freizeitangebote für Kinder sind vielfältiger, wenngleich auch pädagogisierter. Statt frei mit Freunden in der Natur herumzutoben, verbringen Kinder einen Großteil ihrer Freizeit in Sportvereinen, Musikschulen oder mit außerschulischen pädagogischen Zusatzangeboten, wie den Workshops im Happylab Vienna, die wir im Rahmen dieser Studie untersucht haben.4 Medien sind in der Lebenswelt der Kinder allgegenwärtig und bilden einen festen Bestandteil des Sozialisationsprozesses. Friedrich Krotz spricht in diesem Zusammenhang von Mediatisierung. »Mediatisierung meint, dass durch das Aufkommen und durch die Etablierung von neuen Medien für bestimmte Zwecke und die gleichzeitige Veränderung der Verwendungszwecke und Funktionen alter Medien sich die gesellschaftliche Kommunikation und deshalb auch die kommunikativ konstruierten Wirklichkeiten, also Kultur und Gesellschaft, Identität und Alltag der Menschen verändern« (Krotz 2007: 53).

Diese Veränderungsprozesse, die sich durch alle Lebensbereiche von Kindern ziehen, haben, den AutorInnen Burkhard Fuhs, Sophie Naumann und Susanne Schneider (2010) zufolge, zu einer neuen materiellen Kinderkultur und zu veränderten Formen kindlicher Ästhetik geführt (Fuhs/Neumann/Schneider: 111). Mit der Interaktion zwischen Kindern und Dingen, den sinnlichen Erfahrungen, die sich daraus ergeben und dem daraus resultierenden Wandel ästhetischer Wahrnehmung befasst sich das folgende Kapitel.

3. K INDER , D INGE UND S INNE Für die Entwicklung von Kindern spielen Dinge eine große Rolle. Durch den Umgang mit Dingen entdecken sie ihre Umwelt. Die sinnliche Wahrnehmung von Objekten ist zentral für die Bildung der kindlichen Identität. Indem Kinder Dinge erforschen und begreifen, begreifen sie Stück für Stück sich selbst. Die3 | Vgl. dazu den Beitrag von Christina Schachtner in diesem Band. 4 | Vgl. dazu die Einleitung sowie den Beitrag von Irene Posch in diesem Band.

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se sinnlichen Eindrücke bilden ein Reservoire an Erfahrungen, auf das Kinder in ihrem späteren Leben immer wieder unbewusst und bewusst zurückgreifen (Zimmer 1995: 19). John Dewey beschreibt diesen Vorgang in einem seiner Hauptwerke »Kunst als Erfahrung« wie folgt: »Die Sinne sind diejenigen Organe, durch die das lebendige Geschöpf unmittelbar an den Vorgängen der es umgebenden Welt teilnimmt. Durch diese Teilnahme werden ihm in den Eigenschaften, die es erfährt, das mannigfaltige Wunder und der Glanz dieser Welt gegenwärtig« (Dewey 1988: 31).

Durch die Erforschung von Dingen mithilfe ihrer Sinne konstruieren die Kinder ihre Welt und lernen sich selbst dazu in Beziehung zu setzen. Damit bauen sie Schritt für Schritt am »ästhetischen Konstrukt« (Welsch 1992: 50) ihrer individuellen und geteilten Wirklichkeit. Dinge leisten aber noch weit mehr. Denn dort, wo unsere Sinne an Grenzen stoßen, eröffnen die Dinge uns neue Perspektiven. Sie dienen uns als Erweiterung unseres Körpers, als »Prothesen« (Freud 1930: 450f.), die uns helfen, die Unvollkommenheit unserer menschlichen Körper auszugleichen (Anders 1956: 35f.). Durch diese Erweiterungen können wir Phänomene wahrnehmen, die sich unseren Sinnen entziehen. Die Sensoren einer Kamera beispielsweise sind weitaus lichtempfindlicher als die Rezeptoren des menschlichen Auges. Während uns unsere Augen beim Blick auf den nächtlichen Himmel lediglich eine Handvoll Sterne erkennen lassen, gewährt uns der Blick durch die Linse eine Vorstellung von der unendlich großen Anzahl an Himmelsobjekten, die uns umgeben. Während der Tiefenpsychologe Sigmund Freud (1930: 450f.) und der Philosoph Günther Anders (1956: 35f.) unter Prothesen vorwiegend Dinge wie Kleidung, Werkzeuge und Fortbewegungsmittel verstehen, weist der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan darauf hin, dass auch Medien Erweiterungen des menschlichen Körpers darstellen (McLuhan 1964: 15). Laut McLuhan erweitern Medien unsere menschlichen Sinne in besonderem Maße, indem sie die Wahrnehmung weiten, intensivieren und beschleunigen. Medien ermöglichen es uns Dinge zu sehen, die räumlich und zeitlich weit entfernt sind oder solche, die zu klein oder groß sind, um sie mit freiem Auge zu erkennen. Sie zeigen uns ebenfalls fantastische Dinge, die nicht real existieren, sondern dem kreativen Geist einer anderen Person entsprungen sind. Sie ermöglichen uns Phänomene durch andere Augen zu sehen und erweitern so unsere Perspektive und unser Wissen über die Welt. Derzeit arbeiten ForscherInnen an Anwendungen im Bereich der Augmented Reality (AR). AR ist die computergestützte Anreicherung der materiellen Welt mit sinnlichen Informationen. Eingesetzt wird diese Technologie in vielen Bereichen des täglichen Lebens. Wir kennen das Phänomen von Sport-

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übertragungen, bei denen zusätzliche Informationen, wie Linien oder Pfeile, eingeblendet werden oder Audio-Guides in Museen, die den BesucherInnen Hintergrundinformationen zu den Exponaten zur Verfügung stellen. Smartphones machen diese Technologie auch individuell nutzbar (Krotz 2012: 31). Das kostenlose App ›Peak‹ beispielsweise informiert den/die UserIn, richtet man die Kamera des Mobiltelefons auf einen Berg, über den Namen und die Höhe des Gipfels, der vor ihm/ihr liegt. Das App ›Shazam‹ liefert Informationen zu Titel und Interpreten jedes beliebigen Liedes, das gerade in Hörweite läuft. Es gibt auch AR-Anwendungen für Kinder. Das Magazin National Geografic Kids beispielsweise ergänzt seine Printausgabe mit digitalem Content. Richtet man Mobiltelefon oder Tablet-PC auf speziell gekennzeichnete Stellen in den Büchern und Zeitschriften, erhält man zusätzliche Informationen in Form von Videos, digitalen Karten und kleinen Wissensspielen. Der amerikanische Comicverlag Marvel verfolgt eine ähnliche Strategie. Scannen die LeserInnen die mit dem ›Marvel-AR-Logo‹ gekennzeichneten Seiten mit dem Mobiltelefon oder Tablet-PC ein, erwarten sie Hintergrundgeschichten, Interviews mit den Comiczeichnern und animierte Geschichten ihrer Helden. Von dem Spiel »Minecraft«, das auch unter den Kindern aus dem Workshop im Happylab Vienna sehr beliebt ist, gibt es ebenfalls eine AR-Erweiterung namens ›Minecraft Reality‹. Die App ermöglicht es, Objekte aus dem MinecraftUniversum in die materielle Umgebung einzubinden. Das Haus beispielsweise, das im Spiel konstruiert wurde, kann im eigenen Vorgarten perspektivisch platziert und von allen Seiten bewundert werden. Die Dinge und die Ästhetik einer Person beeinflussen sich also gegenseitig. Durch die Sinne erfahren wir die Dinge, die uns umgeben. Die Erfahrungen, die wir durch die Wahrnehmung von Dingen machen, beeinflussen unser Verständnis von der Welt und dem, was wir individuell als ästhetisch ansprechend oder abstoßend wahrnehmen. Einen großen Teil der ästhetischen Erfahrungen, die Kinder gegenwärtig machen, sind medienvermittelt. Welche Bedeutung Medien als Quelle ästhetischer Erfahrungen haben, zeigt das folgende Kapitel.

4. M EDIEN ALS Q UELLE ÄSTHE TISCHER E RFAHRUNG Medien als Erweiterung der Sinne ermöglichen es Kindern Erfahrungen zu machen, die ohne Medien nicht erfahrbar wären. Technische Innovationen erweitern diesen Erfahrungsraum stetig. Das wiederum heißt jedoch auch, dass die Generation heute andere ästhetische Erfahrungen macht als Generationen vor ihr. Folgen wir dem Ansatz von Franz Josef Röll verändern sich dadurch auch ästhetische Denkmuster (Röll 2005: 29). Medien haben als Bestandteil der gegenwärtigen Kinderkultur großen Ein-

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fluss auf die Ästhetik von Kindern. Die Medienhelden der Kinder fungieren als rezeptionsästhetische Sozialisationsinstanzen. Auch die Jugendforscherin Beate Großegger weist darauf hin, dass Kinder- und Jugendkulturen, was die Ästhetik betrifft, stark von medialen Bilderwelten beeinflusst werden: »Medien und Markenprodukte sind feste Bestandteile des kindlichen und jugendlichen Alltags. Sie liefern Inspiration für die Lebens- und Selbstorientierung der Kinder und Jugendlichen und sie haben prägenden Einfluss auf deren ästhetische Bedürfnisse und Praxen« (Großegger 2010: 1). Dass Medien als Quelle der Inspiration dienen, zeigte sich auch in den Beobachtungen, die in den Workshops durchgeführt wurden. Bei der Wahl der Motive für das zu bedruckende T-Shirt orientierten sich die Kinder und Jugendlichen, insbesondere die Jungen, an ihren Vorbildern aus den Medien. In jedem der beiden Workshops gab es jeweils drei Jungen, die ihre T-Shirts mit Figuren oder Schriftzügen aus Computerspielen bedruckten. Vier der Jungen entschieden sich für ein Sujet des Computerspiels ›Assassin’s Creed‹, einer bedruckte sein Shirt mit einem Bild des Computerspielhelden ›Super Mario‹ und einer wählte als Motiv einen ›Creeper‹, einen feindlichen NichtspielerCharakter aus dem Computerspiel »Minecraft«. Vier der Kinder ließen sich von Comic-Helden und Filmstars inspirieren. Ein Junge wählte die Comicfigur ›Donald Duck‹, jeweils ein Junge und ein Mädchen bedruckten ihr Shirt mit Figuren aus der crossmedialen ›Pokémon-Reihe‹. Patrick (12) wählte als Motiv das Gesicht des Hollywoodstars ›Angelina Jolie‹. Auf die Frage, warum er sich gerade für dieses Bild entschieden hat, meinte er: »Weil ihre Gesichtszüge so schön sind. Sie ist ja auch bekannt als eine der schönsten Frauen der Welt.« Bei der Wahl seiner Ästhetik orientiert sich Patrick am Populären. Dahinter könnte der Wunsch stecken, die Schönheit, die der Schauspielerin zugesprochen wird, auf sich selbst zu übertragen. Diese mimetische Orientierung an Medienhelden hat großen Einfluss auf die Ästhetik der Kinder. Der 13-jährige Felix erzählt im Interview von seiner Leidenschaft für Computer- und Konsolenspiele. Sein Lieblingsspiel ist »Minecraft«, ein Open-World-Spiel, bei dem man aus quadratischen Blöcken, die aus unterschiedlichen Materialien, wie beispielsweise Erde, Holz oder verschiedenen Erzen bestehen, eine 3D-Welt bauen kann. Auch während des Workshops loggt sich der Junge in das Online-Spiel ein und unterhält sich mit seinen Freunden darüber. Sogar den Bildschirmhintergrund im FabLab modifiziert er mit einem Sujet des Spiels. Im FabLab überträgt er die eckig kantige Ästhetik des Spiels auf seine Produkte. Als Motiv für das Shirt entscheidet sich der Junge für das Gesicht eines ›Creepers‹, einem feindlichen Charakter aus dem Spiel, der aus grün-braun-gemusterten Blöcken besteht. Statt einem 3DTraumhaus konstruiert er gemeinsam mit seinem Tischkollegen eine dreidimensionale Skulptur des Spiele-Charakters. Selbst auf seiner Visualisierung erhalten alle von ihm im Fablab hergestellten Dinge eckige Formen. Die kanti-

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ge Ästhetik des Spiels empfindet er als ästhetisch ansprechend und bringt das durch seine Produkte zum Ausdruck.

Abbildung 1: Visualisierung der Produkte aus dem FabLab (Felix, 13 Jahre) Die KIM-Studie 2012 zeigt, dass Kinder in Deutschland einen Großteil ihrer ästhetischen Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Medien machen. Sie wachsen in mediatisierten Welten auf. Die Haushalte, in denen sie leben, sind mit vielerlei Technik ausgestattet. Handys, Fernseher und Computer mit Internetzugang finden sich in beinahe jedem Haushalt. Neun von zehn Familien besitzen ein Radio, CD- und DVD-Player und drei von vier nennen eine mobile oder stationäre Spielkonsole ihr Eigen. Viele der technischen Geräte im Familienbesitz gehören zu dem persönlichen Besitz der Kinder. In Kinderzimmern am häufigsten anzutreffen sind CD-Player (58%), Handys (49%) und Spielkonsolen (51%). Computer, die ausschließlich für die Nutzung durch das Kind bestimmt sind, sind in der befragten Altersgruppe noch eher selten anzutreffen. Nur 21% der sechs-13-Jährigen haben einen eigenen Rechner und nur 15% einen Computer mit Internetzugang. Tablet-PCs und Smartphones sind bislang in dieser Altersgruppe eher die Ausnahme. Der Vergleich zu den Vorgängerstudien zeigt einen deutlichen Anstieg der Anzahl von technischen Geräten, die sich im Eigenbesitz der Kinder befinden. Der Vergleich zeigt zudem, dass es einen rückläufigen Trend bei Konsolen, Radios und Fernsehern gibt, während Computer und Internetzugänge deutlich zunehmen. Eine Erklärung dafür ist, dass das Universalmedium Computer viele jener Funktionen in sich vereint, für die früher mehrere Geräte nötig waren. Kinder besitzen nicht nur eine Vielzahl technischer Geräte, sondern verbringen auch einen großen Teil ihrer Freizeit mit der Beschäftigung mit Medien. Die KIM-Studie 2012 kam zu dem Ergebnis, dass 79% der Kinder jeden bzw. fast jeden Tag fernsehen, 17%

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sehen ein- bis mehrmals pro Woche fern. In ihrer Freizeit hören sie gerne Musik (44% täglich; 38% mehrmals pro Woche) und spielen Computer-, Konsolenund Online-Spiele (22% täglich; 44% mehrmals pro Woche). Über die Hälfte (52%) der Kinder surft im Internet und beinahe ebenso viele Kinder (48%) nutzen das Mobiltelefon in der Freizeit (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/KIM-Studie 2012/www.mpfs.de: 8). Technische Geräte und Medien spielen eine wichtige Rolle im Leben der Kinder. Indizien dafür finden sich auch in den Interviews. Sie sind deshalb so wichtig, weil Kinder eine Menge Zeit mit Medien verbringen. Auf die Frage, warum ihr der Computer besonders wichtig ist, erklärt Sophia im Interview so: »Na ja, der ist teuer und [überlegt] irgendwie wichtig halt einfach, weil man, auch Zeit, viel Zeit eigentlich dort verbringt…« Keinen Computer zu besitzen ist für viele der befragten Kinder geradezu undenkbar. Florian (9) erklärt überzeugt, dass er sich unter keinen Umständen vollstellen kann, keinen Computer zu haben: »Na, ich würd’ ausflippen.« In den Interviews wurden die Kinder zu ihren Lieblingsdingen 5 befragt. Auffallend war, dass viele der Kinder den Computer beziehungsweise Laptop oder Tablet-PC als ihr Lieblingsding benannten. Warum gerade der Computer die Kinder ganz besonders in seinen Bann zieht, erklärt Sebastian (12) wie folgt: »Weil halt er am vielfältigsten ist.« Der internetfähige Computer als Universalmedium ist das Gerät, das den Kindern den Zugang zu einer Vielzahl ästhetischer Medienprodukte, wie Bildern, Musik, Videos, Filmen, Büchern und Spielen ermöglicht. Im Interview erzählt uns der 13-jährige Fabian, dass er mit dem Computer Musik hört, Musikvideos ansieht, sich auf dem Laufenden hält, welche Bilder und Videos seine Freunde publizieren und nach Bastelanleitungen stöbert. Fabian bastelt leidenschaftlich gerne mit Holz und Dingen, die er in seiner Umgebung findet. Die Inspiration für seine Werke holt er sich online. Der Computer ist im Hinblick auf Ästhetik in weiterer Hinsicht relevant: Zum einen hat er, wie alle Dinge der menschlichen Objektewelt, selbst eine ästhetische Dimension: Unternehmen legen großen Wert auf das optische Erscheinungsbild ihrer technischen Innovationen. Um für den Kunden ästhetisch möglichst ansprechend zu wirken, werden Platinen und Schaltkreise in hochwertig anmutende Materialien wie Edelmetalle oder Glas gehüllt und aufwendig verpackt. Die haptischen Berührungspunkte der Geräte werden so designt, dass sie sich möglichst ›gut‹ anfühlen. Die Tasten des Keyboards schmiegen sich an die Fingerkuppen, ebenso wie die Maus an die Handinnenseite.

5 | Über das emotionale Verhältnis zwischen Dingen und Kindern, das sich besonders deutlich anhand der Lieblingsdinge zeigt, siehe den Beitrag von Christina Schachtner in diesem Band.

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Weiters begünstigt der Computer ästhetisches Handeln.6 Am Computer können die Kinder zeichnen, Modelle gestalten, Videos schneiden, Musik produzieren und Bilder bearbeiten. Florian (9), der sich selbst als »Technikfreak« bezeichnet, entwirft in seiner Freizeit mithilfe von Google SketchUp, einer lizenzfreien Designsoftware, das die Kinder auch beim Workshop im Happylab Vienna verwenden, dreidimensionale Modelle am Computer. Stolz erzählt er im Interview: »Das Programm hab ich ja schon zuhause und da hab ich schon ganz viel konstruiert. Ich weiß nicht, 10 Millionen Sachen, okay, eigentlich sind’s nur 20 oder so, glaube ich.« Darüber hinaus können Kinder mithilfe des Computers ihre individuellen ästhetischen Präferenzen nach außen kommunizieren. Der neunjährige Florian hat eigens dafür eine Website. Während des Interviews präsentiert er seine Homepage und erklärt, was er auf seiner Homepage veröffentlicht: »Startseite – der pinke, äh, der Rosarote Panther, Weltallgeschichten, Fotos und Erfindungen, RudiCruby – das ist ein Zauberer, Videos, meine Spitzenlieder…« Eine Mädchengruppe aus dem Workshop kommuniziert ihre Vorstellung von Ästhetik über soziale Netzwerke, wie Facebook, indem sie Bilder, wie beispielsweise Klassen- und Urlaubsfotos, veröffentlicht oder weiterbreitet. Wie eingangs erwähnt, lernen Kindern Ästhetik spielerisch. Indem sie, wie die Kinder in den Workshops, Ästhetisches nachnahmen und umgestalten eignen sie sich ästhetisches Vermögen an. Dieser Prozess von Christoph Wulf und Gabriele Weigand als »Mimesis« (Wulf/Weigand 2011: 89ff.) bezeichnet.

5. M IMESIS IM ÄSTHE TISCHEN H ANDELN VON K INDERN Mimesis, als kreativer Prozess der Annäherung, ist ein zentrales Moment ästhetischen Lernens, denn im mimetischen Handeln schaffen die Kinder die Formen und Farben nach und nehmen sie in ihre mentale Bilderwelt auf (a.a.O.: 84). Dieser kreative Prozess des Anähnelns, so argumentiert der Erziehungswissenschaftler Christoph Wulf (2008: 75), ist Übernahme und Aneignung zugleich. Es kommt nicht darauf an, die Vorlage möglichst originalgetreu zu kopieren. Vielmehr geht es darum, in der Interaktion mit dem Original ein eigenständiges ästhetisches Produkt zu schaffen (Wulf 2007: 100f.). In einem Interview mit dem Journalisten Dirk von Gehlen äußert sich Anais Hofstettler, Herausgeberin des Magazins ›Copy Paste Reality‹, ähnlich zu dieser Thematik: »Eine Kopie ist immer eine Auseinandersetzung mit etwas. [...] Es ist eine spielerische Beteiligung an etwas. Der kreative Umgang mit der Kopie ist eine Art Kreativitätstechnik und ein wichtiges Mittel zum Selbstausdruck« (Hofstettler/Von Gehlen 2011: 162). 6 | Vergleiche dazu den Beitrag von Elisabeth Augustin in diesem Band.

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Die Kinder kopieren die Inhalte nicht einfach, sie interagieren mit ihnen. Dabei werden Bilder und Ideen anderer vereinnahmt und in die eigene mentale Bilderwelt integriert. Wie Kinder Objekte zu ihrer Lebenswelt in Beziehung setzen, illustriert folgende Beobachtung aus dem Workshop: Im Kurs sollten die Kinder T-Shirts mit Foliendruck selbst gestalten. Es wurde den TeilnehmerInnen freigestellt, das Motiv selbst am Computer zu entwerfen oder ein Bild aus dem Internet herunterzuladen und in Folge für den Druck zu adaptieren. Der zehnjährige Daryan, ein Junge türkischer Herkunft, wählte ein Sujet aus dem Computerspiel ›Assassin’s Creed: Revelations‹, das er aus dem Internet herunterlud und am PC weiterbearbeitete. Bei der Bearbeitung war es ihm wichtig, eine Moschee im Bildhintergrund besonders hervorzuheben. Hierfür bat er die Workshopbetreuerin um Hilfe, zeigte auf das Bild und erklärte: »Man muss die Moschee erkennen. [...] Das ist die Kaaba. Weißt du, wie wichtig das für unsere Familie ist.« Durch das Bedrucken mit dem selbst designten Motiv verwandelt sich das industriell hergestellte einfache weiße Shirt zu einem persönlichen Gegenstand, der für seinen Besitzer/seine Besitzerin unterschiedliche Funktionen erfüllen kann. Ein T-Shirt kann der Selbstdarstellung dienen, indem es zum Beispiel das Besondere einer Person hervorhebt oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe symbolisiert. Es kann der Erinnerung an Personen oder an Orte aus der Vergangenheit dienen, aber auch die Handlungskompetenz erhöhen, indem sie das Selbstgefühl der Person stärkt, die es trägt (Habermas 1996: 383). Für Daryan fungiert das T-Shirt als Mittel zur Selbstdarstellung. Durch das Motiv kommuniziert er seine Begeisterung für Computerspiele und stellt zugleich seine Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe dar. Er zeigt damit, dass er stolz auf seine kulturelle und religiöse Identität ist. Im mimetischen Handeln machen sich Kinder fremde Bilderwelten zu eigen. Das fertige Produkt empfinden die Kinder nicht als minderwertige Kopie, sondern als eigenständiges Werk: Die zwölfjährige Johanna stellt die Dinge, die sie im Workshop angefertigt hat, in ihrer Visualisierung in einer Gedankenblase dar. Auch wenn die Vorlagen für ihre Schöpfungen aus dem Internet stammen, betrachtet sie die fertigen Produkte als eigenständige, ihrem Geist entsprungene Leistung. Als Motiv für das T-Shirt wählte sie das Bild eines Muffins aus dem Internet, das sie mit dem Wort »Donut« beschriftet und mit dem ironischen Statement »Vorsicht, ich bin dumm« ergänzt. Am Ende des Herstellungsprozesses bezeichnete sie das Shirt als »selbst designt« (siehe Abb. 2). Kinder orientieren sich in ihren Vorlieben für Motive an ihrem Umfeld und eignen sich ihr ästhetisches Vermögen mimetisch an. Nachgeahmt wird, was gefällt. Inspiration liefern das soziale Umfeld, wie zum Beispiel FreundInnen, Familie und die Medien.

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Abbildung 2: Kinder eignen sich Bilderwelten mimetisch an (Johanna, 13 Jahre) Auch während des Workshops konnte beobachtet werden, dass sich die Kinder intensiv aufeinander beziehen. Vor allem in jenen Phasen, in denen die Kinder eigenständig am PC Motive für T-Shirts, 3D-Modelle und Computerspiele anfertigen sollten, fiel auf, dass sie mehrmals ihre eigenen Tische verließen, um zu sehen was die anderen machen. Immer wieder hallten Sätze wie »Was machst du?« oder »Wie hast du das gemacht?« durch den Raum. Die Kinder richteten ihr Tun aneinander aus. Besonders deutlich zeigt sich dieses Verhaltensmuster bei einer Gruppe von Mädchen, die auch außerhalb des Workshops miteinander befreundet waren. Gleich nachdem die Kinder den Auftrag erhielten ein T-Shirt-Motiv zu gestalten, versammelten sich die vier Mädchen an einem Tisch, um sich zu beraten. Als eine die Idee äußert, die Shirts mit einem Bild von sich selbst zu bedrucken springen alle Mädchen begeistert von ihren Stühlen und eine ruft: »Machen wir das alle!«

6. M ODE ALS ÄSTHE TISCHES A USDRUCKSMIT TEL Will man etwas über die Ästhetik der Kinder erfahren gilt es, wie eingangs erwähnt, den Blick auf jene Dinge zu richten, mit denen Kinder ihrer Vor-

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stellung von Ästhetik Ausdruck verleihen. Das trifft insbesondere auch für die Kleidung als Mittel zur individuellen Inszenierung des Körpers zu. Bekleidung ist ein zentraler Bestandteil der menschlichen Objektewelt. In Kleidung hüllen wir unsere nackten Körper und mit ihr gestalten wir unsere Erscheinung. Sie dient uns nicht nur in funktionaler Hinsicht als Schutz vor Kälte, Nässe, Verletzung und Scham, sondern auch in sozialer Hinsicht. Marshall McLuhan zufolge stellt Kleidung eine Erweiterung unserer Haut dar, mithilfe derer wir uns selbst sozial positionieren: »Clothing as an extension of the skin, can be seen both as a heat-control mechanism and as a means of defining the self socially« (McLuhan 1964: 130). Mit dem Satz »Wir sprechen mithilfe von Kleidung«, bringt Roland Barthes (1985) es auf den Punkt: Bekleidung und Schmuck sind Ausdruck von Identität, Kultur, Status und ästhetischen Präferenzen. Mithilfe der Kleidung können bestimmte Aspekte unserer Persönlichkeit hervorgehoben oder verborgen werden. Sie erfüllt eine Art »Scharnierfunktion« (Bosch 2010: 34) zwischen Innen und Außen. Sie dient sowohl der Selbstkommunikation als auch der Selbstvergewisserung. Auch für Kinder sind Mode und Schmuck Mittel zum Selbstausdruck, zugleich aber auch Instrumente zur Selbstfindung. Nach dem Bricolage-Prinzip (Lévi-Strauss 1973: 29) basteln Kinder aus dem Vorrat an Symbolen, Stilen und Ästhetiken, die ihnen die Medien- und Konsumgesellschaft zur Verfügung stellt, spielerisch am Selbstkonzept.7 Sebastian (12) erzählt uns im Interview, dass er ausschließlich Kleidung bestimmter Skater- Marken trägt. Auf die Frage warum, erklärt er, dass er die Klamotten »halt irgendwie cool« findet und diese Labels auch unter seinen MitschülerInnen als angesagt gelten. Um diese Dinge besitzen zu können, opfert er sogar sein Taschengeld. Mit der Kleidung will er Status und Zugehörigkeit symbolisieren. Indem er die Kleidung dieser Hersteller trägt, versucht er die Attribute, die der Marke zugeschrieben werden, auf sich selbst zu übertragen. Er möchte cool, sportlich, urban sein und von anderen so wahrgenommen werden. Die meisten Kinder jedoch erzählen in den Interviews, dass sie bei der Wahl ihrer Kleidung keinen großen Wert auf Marken legen. Die meisten der befragten Kinder kaufen ihre Bekleidung bei H&M, einem schwedischen Textileinzelhandelsunternehmen, das sich auf die Produktion und den Vertrieb von Kleidung im unteren Preissegment spezialisiert hat. Wirft man einen Blick auf die Sommer-Kinderkollektion 2013 des Unternehmens, fällt auf, dass die Angebotspalette auf die Vorlieben der Kinder und deren ästhetische Orientierung an medialen Vorbildern abgestimmt wurde. Das Motto des Unternehmens lautet »Prints, Prints, Prints!« (www.hm.com) Bei den T-Shirts für Jungen findet 7 | Mehr zum Verhältnis von Dingen, Körper und Kultur im Beitrag von Christina Schachtner in diesem Band.

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man Aufdrucke mit Sujets aus Computerspielen wie z.B. ›Angry Birds‹ oder ›Supermario‹, Bilder von Popstars wie dem südkoreanischen Sänger ›Psy‹ und Motive, die Comic-Helden wie ›Bart Simpson‹, ›Mickey Mouse‹, ›Star Wars‹ und ›Hulk‹, zeigen. Die T-Shirts für Mädchen zieren hingegen eher Tiermotive und florale Muster, aber auch Bilder von Popstars wie ›Justin Bieber‹, oder der Band ›One Direction‹ (www.hm.com). Die Auswahl an Elementen, die die Textilindustrie Kindern für die Konstruktion des Selbst zur Verfügung stellt, ist groß. Dennoch scheint der Vorrat an vorgefertigten Produkten Kinder nicht gänzlich zu befriedigen. Einen Hinweis darauf gibt das Interview mit Elena. Darin erklärt sie überzeugt, dass sie Kleidung bewusst nicht bei Textilketten wie H&M oder Zara kauft, weil sie nicht aussehen will, wie die anderen Mädchen in ihrer Klasse. Damit möchte sie sich von den anderen abgrenzen und ihre Individualität betonen. Die Auswahl an Zeichen und Symbolen, die die Massenindustrie bereitstellt, reicht ihr dafür nicht aus. Ihre Kleidung kauft sie daher am liebsten in kleinen Boutiquen und wählt hauptsächlich Dinge von unbekannten Marken aus. Diese Aussage weist darüber hinaus darauf hin, dass es eine Differenz zwischen der Ästhetik für Kinder und der Ästhetik der Kinder gibt. Eine ähnliche Beobachtung machten auch die KinderheitsforscherInnen Burkhard Fuhs, Sophie A. Naumann und Susanne Schneider als sie die Wahrnehmung und Bewertung von Medien für und durch Kinder untersuchten. Sie stellten fest, dass Kinder auf Illustrationen andere Dinge wahrnehmen und das Gesehene anders bewerten als Erwachsene. Was Erwachsene als kindgerechte Darstellungen ansehen, betrachten Kinder nicht selten als langweilig und würden im Gegensatz dazu ›dramatischere‹ Darstellungsformen bevorzugen (Fuhs/Naumann/Schneider 2010: 117). Etwas Ähnliches konnte auch während des Workshops im Happylab Vienna beobachtet werden. Felix erzählt im Workshop, dass ihm das T-Shirt, das er im Happylab gemacht hat, besser gefällt als die Shirts, die man im Laden kaufen kann. Auf die Frage nach dem ›Warum‹ erklärt er selbstbewusst, wie aus dem Beobachtungsprotokoll hervorgeht: »Ich hab es selber gemacht.« Durch das Gestalten der T-Shirt-Motive können die Kinder ihre eigenen Vorstellungen von Ästhetik zum Ausdruck bringen. Ein weiteres Indiz für die Differenz zwischen der Ästhetik für und der Ästhetik der Kinder findet sich auch in den Interviews, die im Rahmen unserer Untersuchung geführt wurden. Elena (12) erzählt schmunzelnd von kleinen Dingen, wie Ohrringen und Haarspangen, die ihr ihre Oma schenkt: »Alles mit rosa, weil sie denkt, ich bin noch immer so jung und so.« Die Großmutter schenkt ihrer Enkelin rosafarbene Dinge, weil sie diese Farbe als passend für ein junges Mädchen erachtet. Elena möchte jedoch als junge Frau wahrgenommen werden und verzichtet daher bewusst auf diese Farbe bei der Wahl ihrer Kleidung und Accessoires. Die Kinder haben Spaß daran, ihre eigenen ästhe-

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tischen Vorstellungen zu verwirklichen und nach außen zu kommunizieren. Viele der Kinder ließen es sich nicht nehmen, die Shirts, die sie am ersten Tag des Workshops gebastelt haben, am zweiten Tag gleich anzuziehen.

C ONCLUSIO Der Artikel hat gezeigt: Ästhetische Erfahrungen bilden die Basis ästhetischen Lernens. In der Auseinandersetzung mit ihrer Lebenswelt und den Dingen, die sie umgeben, eignen sich Kinder ästhetisches Vermögen an. Jene Dinge, die Kinder bewusst im Laufe ihres Sozialisationsprozesses wahrnehmen, erleben und selbst herstellen, beeinflussen ihr individuelles Verständnis davon, was sie als ästhetisch ansprechend oder abstoßend empfinden. Dinge spielen in diesem Zusammenhang eine weitere wichtige Rolle, denn Dinge helfen ihnen ihre Perspektive zu erweitern und die Welt um sich zu entdecken. Der Erwerb von ästhetischem Vermögen erfolgt im Zuge kreativer mimetischer Auseinandersetzungen mit Dingen. Im mimetischen Handeln lernen Kinder ästhetische Formen und Ausdruckweisen. Der Prozess ist jedoch keine reine Übernahme, sondern vielmehr eine Kombination aus Übernahme und Umgestaltung. Das Produkt der Mimesis empfinden die Kinder nicht mehr als fremdes, sondern als eigenes, ihrem Geist entsprungenes Produkt. Medien sind Dinge, denen Kinder in ihrem Alltag gegenwärtig sehr häufig begegnen. Sie wachsen in mediatisierten Lebenswelten auf. Wie die KIM-Studie 2012 zeigt, besitzen Kinder gegenwärtig eine Vielzahl technischer Geräte und verbringen viel Zeit in der Auseinandersetzung mit Medien. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Kultur der Kinder. Ästhetisches Empfinden wiederum ist kulturell bedingt. Die Kultur, in der sie aufwachsen und leben, formt ihr persönliches Verständnis von Ästhetik. Wie die Beispiele aus den Interviews und Beobachtungen im Rahmen des Forschungsprojektes »Subjektkonstruktionen und digitale Kultur« illustrieren, tragen Medien, neben anderen Sozialisationsinstanzen, wie Familie und Freunde, stark zur Bildung von ästhetischen Vorstellungen bei. Medien, insbesondere der Computer als hybrides Werkzeug, sind Quelle ästhetischer Erfahrungen und dienen als Vorlage für ästhetisch-mimetisches Handeln. Besonders deutlich zeigte sich dies am Beispiel der T-Shirts, die im Rahmen des Workshops »Laubsägen war gestern« im Happylab Vienna hergestellt wurden. Dass diese medialen Erfahrungen und die kreative Auseinandersetzung mit medialen Repräsentationen prägenden Einfluss auf die Ästhetik der Kinder haben, wird am Beispiel von Felix, der die kantige Ästhetik des Spiels »Minecraft« aufgreift und auf alle seine im Workshop hergestellten Produkte überträgt, besonders deutlich.

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Das Kinderzimmer und die Dinge Von Normalitätsentwürfen und heterotopen Orten in der Kinderkultur Jutta Buchner-Fuhs

Die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit Kindern und die Erforschung von Dingen weisen eine bemerkenswerte Parallele auf: Sowohl in der neueren Kindheits- als auch in der neueren Forschung zur Materiellen Kultur/Technikforschung sind agency-Konzepte zentraler Bestandteil der theoretischen Verortungen. Die Jahrestagung der Sektion Soziologie der Kindheit in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2013 hat das Thema »Kinder als Akteure – Agency und Kindheit«. Kinder als Tätige und als aktiv Gestaltende von Kindheit zu betrachten steht im Widerspruch zu traditionellen Vorstellungen von Kindheit als Schutzraum. Konzepte von doing childhood und childhood agency lassen sich nicht – so die Grundannahme in der neuen Kindheitsforschung – mit der Vorstellung vom Kind »auf Menschen in Vorbereitung« (Heinzel/Kränzl-Nagl/ Mierendorff 2012: 14) verbinden, sondern betonen die Selbstorganisation und die Wirkmächtigkeit von Kindern (a.a.O.: 13ff.). Alte Konzepte sind fragwürdig geworden, auch das verbindet die Kindheits- und die Dingforschung. Aus der Perspektive der Erforschung von (technischen) Dingen wird die Denkfigur »Objekt« hinterfragt, die den Dingen lediglich eine passive Gestalt, ein Gegenüber zum Menschen zugesteht. Agency verstanden als Handlungsmacht und Handlungspotential von materiellen Dingen, technischem Gerät, also auch digitalen Dingen, die einen materiellimmateriellen Charakter haben, und agency, die auf die Handlungsmächtigkeit von Kindern zielt, rücken ins Zentrum der Erforschung der materiellen Welt im Wirkbereich von Menschen. Positionen werden neu ausgelotet, und die Frage nach Reichweiten und Begrenzungen bestehender Konzepte wird diskutiert, was sowohl für die Kindheits- als auch für die Ding- und Technikforschung gilt (vgl. den Überblick zur theoretischen Auslotung von »agency« von Bethmann et al. 2012; zur sozialtheoretischen Einordnung von agencyKonzepten Raithelhuber 2008; zur Kindheitsforschung Eßer 2008; zur Ding-

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forschung Tietmeyer/Hirschberger/Noack/Redlin 2010). Das Zusammenspiel von agency der Kinder und agency der Dinge im Handlungsbereich von Kindern führt so zu einer Vielzahl ungestellter und unbeantworteter Fragen und Probleme, die auch im Folgenden nur angedacht werden können.

1. A NNÄHERUNGEN : D AS K INDERZIMMER ALS ZU ENTDECKENDER F ORSCHUNGSGEGENSTAND Der folgende Beitrag möchte Überlegungen zu agency und zur Wirkmächtigkeit von Akteuren und Aktanten nicht weiter theoretisch vertiefen, sondern eine erfahrungsgesättigte Annäherung versuchen, die Kinder und Dinge in Beziehung setzt und offen für eine anwendungsorientierte Mixtur verschiedener Theorielagen ist. Für eine dingorientierte Beschäftigung mit dem Kinderzimmer erweisen sich – wie zu zeigen sein wird – agency-Konzepte vor allem, wenn sie mit Überlegungen zur Normierung und dem theoretischen Modell der Heterotopie (Foucault) verbunden werden, als ertragreich. Letzterem wird besondere Aufmerksamkeit zuteil, weil die Darstellung des Kinderzimmers als historisch entstandener Raum zu kurz greift und die utopischen Vorstellungen, die hier eingeschrieben sind, erst in der Sicht auf den heterotopen Charakter des Raumes deutlich werden. Das Kinderzimmer ist – dies vorweg – stets eingebunden in eine generationale Ordnung. Es trifft auch auf das kindorientierte Leben in einem Verhandlungshaushalt zu, in dem Kinder viele Freiräume genießen, dass es letztlich die Erwachsenen sind, die Kindern Räume zugestehen und die Gestaltung verantworten. Diese erwachsenenzentrierte Sicht reicht indes nicht aus, um das Kinderzimmer als Ort von Kindern, Dingen und Handlungen sozialwissenschaftlich zu erfassen. Negiert wird die Perspektive der Kinder. Heinz Hengst verweist auf Máire Messenger Davies, für die »die zeitgenössischen Kinderzimmer keine zweitklassigen Orte [sind], die Kindern von Erwachsenen zugewiesen werden, sondern eine Kinderdomäne« (Hengst 2013: 84). Auch wenn die Kinder die RegisseurInnen sind: Wir haben es mit einem Akteursnetz aus Kindern, Dingen und Erwachsenen zu tun. Das Kinderzimmer entfaltet sich stets in einem Dreieck, das aus Kindern, Erwachsenen und einem komplexen Raum mit seiner Dingvielfalt besteht. Die Perspektive der Kinder und die akteursbezogene Sicht auf die Dinge zu stärken – diese Herangehensweisen sollen bei der Untersuchung des Kinderzimmers als Teil von Kinderkultur verfolgt werden. Das Kinderzimmer wird stets von den Kindern hervorgebracht, da das Handeln von Kindern den Kindheitsraum »Kinderzimmer« erst entstehen lässt, der in der Auseinandersetzung mit der Materialität gestaltet und gelebt wird. Eigenständigkeit, Eigenwil-

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ligkeit und Kreativität sind nur einige der Merkmale und Ausdrucksformen, die den Eigen-Sinn von Kinderkultur betonen. Hengst (a.a.O.: 83) betont die notwendige »Aufwertung der Innenräume« und nennt in diesem Zusammenhang die wenigen englischsprachigen Studien zum »neuen Kinderzimmertyp und zur neuen Kinderzimmerkultur«, die sich mit den neuen Medien im Kinderzimmer befassen. Doch der Blick auf die »digital bedrooms« reicht nicht aus, soll die Komplexität des Raumes erfasst werden. Als »Rückzugsort« in Bezug auf die eigene Gestaltung oder auch im Kontext von Identität ist das Kinderzimmer in meiner Studie am Ende der 90er Jahre behandelt (Buchner-Fuhs 1998). Arbeiten zum Kinderzimmer sind nach wie vor nur spärlich vorhanden (Hengst 2013: 83ff.). Der folgende Beitrag betritt Neuland. Einleitend wird auf den Zusammenhang von Kinderzimmern und dem well-being von Kindern eingegangen, und es wird dargelegt, dass das eigene Zimmer sich als sehr wichtig für das Wohlbefinden von Kindern erweist. Vor diesem Hintergrund erscheint die bisherige weitgehende Ausblendung des Kinderzimmers in Forschungen zum Kinderleben und zur Kindheit mehr als fraglich. Im Fortgang beschäftigt sich der Beitrag mit dem Komplex Normierung und Normalität des Kinderzimmers. Das Bett etwa wird als Teil der ›Standardeinrichtung‹ vorgestellt, die, was widersprüchlich erscheint, individualisiert und normiert zugleich ist. Danach geht es um Dingvielfalten und die Frage, ob und wie im Kinderzimmer Selbstinszenierungen der Kinder in der Auseinandersetzung mit Dingen stattfinden. Am konkreten Beispiel von Sportobjekten wird nach der Symbolik von Pokalen und der agency von solchen Dingen gefragt. Der abschließende Teil handelt vom Kinderzimmer als einem heterotopen Ort und bringt unterschiedliche Perspektiven neu zusammen. Methodisch wird so verfahren, dass Interviews und vereinzelt auch Raumbeschreibungen die diskursanalytische Behandlung des Themas ergänzen. Ethnografische Zugänge und hier speziell die Interviews mit Kindern sind zentral, wenn Innensichten auf Kinderzimmer erfolgen sollen. Die Interviews stammen aus verschiedenen Kontexten, und die Darstellung ist bewusst explorativ gehalten. So wird eine Mutter aus Bremen ebenso zu Wort kommen wie Kinder aus Klagenfurt und Erfurt. Die Klagenfurter Interviews haben Studierende im Rahmen ihrer schriftlichen Prüfungsleistung zur Lehrveranstaltung »Das Kinderzimmer als Heterotopie. Medien und Technik in einem pädagogisch verdichteten Raum« (unter meiner Leitung im Wintersemester 2012/13) geführt. Die Befragungen in Bremen und Erfurt habe ich im Juni und Juli 2013 selbst durchgeführt. Alle genannten Personen haben Pseudonyme erhalten.

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2. K INDERZIMMER UND WELL- BEING — W OHLBEFINDEN UND DIE P ERSPEK TIVE VON K INDERN 88 Prozent der Kinder in Deutschland haben ein Kinderzimmer, das weist die aktuelle Studie »LBS Kinderbarometer« aus (Bericht Kibaro 2011: 16). Wenn nur zwölf Prozent der Kinder über kein eigenes Zimmer verfügen, kann von einer gesellschaftlich verbreiteten und akzeptierten Wohnform für Kinder gesprochen werden. Statistisch gesehen – so ließe sich sagen – ist das Kinderzimmer »normal« und allein das Vorhandensein und die Verbreitung stellen faktisch Normalität her. In eine solche Bewertung sind »normalistische und normative« Konnotationen (Kelle 2013: 21) eingeschrieben, die – so lässt sich eine Argumentation von Helga Kelle auf den hiesigen Kontext übertragen – das Kinderzimmer zu Beginn des 21. Jahrhunderts als »richtig« und »üblich« bezeichnen. Kein Zimmer zu haben ist zum Zeichen für Ausgrenzung geworden. Im Kontext von well-being ist nach den Standards, nach den wohnlichen Differenzierungen und nach sozialen Ungleichheiten, die mit dem Raum für Kinder verbunden sind, zu fragen. In der Studie »Meine Familie ist arm« wird auf die fehlenden »Selbstgestaltungsmöglichkeiten im Wohnbereich« (Chassé/Zander/Rasch 2010: 202) hingewiesen. Befragte Kinder im Grundschulalter vermissen ein fehlendes Kinderzimmer oder erleben es auch als Einschränkung und »teilweise als Konfliktpotential«, wenn sie ihr Zimmer mit Geschwisterkindern teilen müssen. Da die alleinige Verwendung von abstrakten Begrifflichkeiten wie »fehlende Selbstgestaltungsmöglichkeiten« dazu beitragen könnte, die Einschränkungen im Wohnbereich für Kinder aus armen Familien zu verschleiern, soll exemplarisch ein Junge, der für die Studie »Meine Familie ist arm« interviewt worden ist, kurz vorgestellt werden. Frank, acht Jahre alt, lebt mit Mutter, deren Lebensgefährten und Stiefschwester in einer 4-Zimmerwohnung, die folgendermaßen beschrieben wird: »in der Nähe eines Autobahnzubringers«, »mit Blick auf ein Gewerbegebiet«, »viele Einrichtungsgegenstände scheinen vom Sperrmüll zu stammen« – die Verantwortlichen der Studie kommen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Wohnvorstellungen und -erfahrungen zu dem Schluss, es handele sich um »keine Wohnung, die man vorzeigen kann« (a.a.O.: 276). Frank gehört zu den stark und mehrfach benachteiligten Kindern. Er bezeichnet sein Kinderzimmer als »Buchte«, und die Forschenden notieren: »Es ist ein schmaler Schlauch mit Sperrholzmöbeln, sehr spärlich ausgestattet, es gibt nur wenige, allesamt kaputte Spielsachen, die neben Brotkrümeln, Papier und anderem Müll im Zimmer verstreut liegen« (a.a.O.: 94). Der Junge renne hin und her, er springe herum, so die Forschenden. Sein Zimmer ist kein Ruhe- und Rückzugsraum für ihn. Wenn es geht, dann hält er sich außerhalb der Wohnung auf, und führt, wie sich mit Bezug auf Jürgen Zinnecker (2001) feststellen lässt, in

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Zeiten einer längst »verhäuslichten Kindheit« noch eine Form der reduzierten »Straßenkindheit«. Aus Gründen eingeschränkten Wohnraums auf die Straße verwiesen zu sein, also eine »Straßenkindheit« zu erleben und leben zu müssen, das stellt heutzutage eine deutliche Belastung für das Leben der Kinder dar, die als Form einer sozialen Benachteiligung verstanden werden muss, die Exklusionserfahrungen für Kinder zur Folge hat, die vielschichtig spürbar sind – etwa wenn keine Freunde eingeladen, kein Kindergeburtstag zu Hause gefeiert werden kann oder die Wertschätzung des eigenen Raums und seiner Dinge durch das Kind, die Eltern und Freunde fehlt. Wohnliche Einschränkungen nehmen Kinder selber sehr deutlich wahr, und Chassé, Zander und Rasch deuten folgerichtig ein nicht vorhandenes Kinderzimmer grundsätzlich als »Einschränkung der Muße- und Regenerationsmöglichkeiten der Kinder« (Chassé/Zander/Rasch 2010: 202). Diese Sicht wäre allerdings noch zu differenzieren und um den Aspekt des Wohlbefindens und der Lebensqualität von Kindern zu erweitern; hier steht die Erforschung des Zusammenhangs von Kinderkultur und Raum erst am Beginn. Das bereits erwähnte LBS-Kinderbarometer, das eine repräsentative Studie (mit Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention) darstellt, arbeitet das »Wohlbefinden« von Kindern als wichtige Kategorie heraus. Untersucht wurden in diesem Zusammenhang auch die Wohnsituation und das Wohnumfeld. Keinen Raum zur Verfügung zu haben ist immer eine Exklusionserfahrung für Kinder heute, einen Raum zu haben reicht allerdings nicht aus. Er muss eine bestimmte Qualität aufweisen, wenn die Kinder sich wohlfühlen sollen. Allein das Vorhandensein eines Kinderzimmers – so ein Ergebnis der Studie – habe keine Auswirkung auf das Wohlbefinden. Zentral dagegen ist, dass es nicht »beengt« sein darf, dass also die Kinder die Raumsituation für ihre Interessen nutzen können. Die empirischen Befunde lassen den Schluss zu, dass ein eigener Raum, der ausreichend Platz bietet, Lebensqualität für Kinder ist. »Arbeitslosigkeit und Migrationshintergrund wirken sich insofern auf die Wohnstruktur aus, als dass diese Kinder seltener über ein eigenes Kinderzimmer verfügen. […] Das Wohlbefinden in Familie, Schule und Wohnumgebung ist […] durch ein beengtes Kinderzimmer getrübt. Genügend Platz für alle in der Wohnung hängt darüber hinaus mit dem Wohlbefinden im Freundeskreis zusammen« (Bericht Kibaro 2011: 16).

Ein Kinderzimmer, so das Ergebnis, das subjektiv genügend Platz bietet, hat direkte Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Kinder und das nicht nur eng familiär gedacht, sondern auch auf das weitere Lebensumfeld der Kinder bezogen, da das well-being die gesamte Lebenssituation beeinflusst:

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»It is assumed that the issue of children’s well-being goes far beyond the extent to which they are able to exercise their rights. Children’s overall well-being is an important prerequisite for children attaining the fullness of their lives and becoming the persons they are meant to be« (children’s worlds – International Survey of Children’s Well-Being, 28.7.2013).

Für das Kinderzimmer ist von Bedeutung, dass objektive Kriterien zur Einschätzung der Bedeutung des Raumes nicht ausreichen. Die kindliche Wahrnehmung des subjektiven Wohlbefindens gilt es zu beachten, und das Wohlbefinden wird zu einem zentralen Faktor, ob und wie das Kind in seiner Umgebung sein Potential entwickeln kann. Diese Zusammenhänge müssen – nicht zuletzt in Forschungen zu Kindern und zur Kindheit – deutlich ernster genommen werden als es bisher geschehen ist.

3. Z UR N ORMIERUNG UND N ORMALITÄT VON K INDERZIMMERN Historisch gesehen, waren eigene Zimmer für wohlhabende Kinder und ihre spielerischen Aktivitäten bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt. Die Zeit des Biedermeiers gilt als ›Wiege‹ des Kinderzimmers, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den Zeiten des zunehmenden Wohlstandes kam es zu einer Veralltäglichung und zu einer massenhaften Verbreitung für nahezu alle Kinder. Das frühe Kinderzimmer wurde zum »Zwecke von Erziehung arrangiert«, betont Christa Berg in ihrem historischen Beitrag »Erinnerte Kindheit im Raum« (Berg 2001: 912), der die Wohnverhältnisse von bürgerlichen und proletarischen Kindheiten im 19. Jahrhundert thematisiert. Der Raum der Kinder war ein aus erwachsener Perspektive gestalteter – und die Erziehung wurde geschlechtsspezifisch ausgerichtet –, was Konsequenzen für die repräsentierten Dingwelten hatte (Buchner-Fuhs/Fuhs 2011: 73ff.). Die konstruierte ›Normalität‹ des Kinderzimmers im 19. Jahrhundert, soweit es überhaupt vorhanden war, war ein mit Pferden, Karren, Bauklötzen, Puppen, Puppenhäusern, Säbeln und anderen geschlechtsspezifischen Spielzeugen ausgestatteter Raum. Die Mehrzahl der Kinder verfügte indes über keinen eigenen Raum. Auch das eigene Bett war keineswegs selbstverständlich. »Wir wohnten in einer Stube mit Alkoven. […] Darin standen für uns drei Bettstellen, eine für den Vater, der früh um sechs in die Möbelfabrik ging, und eine für die Mutter, die das Kleinste zu sich nahm, eine für uns drei Jungen, zwei lagen in der üblichen Kopfrichtung, in der Mitte, der dritte, zu Füßen« (Löbe 1954: 8).

Die Errichtung und Verbreitung von Kinderzimmern trägt zur Gestaltung von Kindheit bei. Normierte Größen von Kinderzimmern gehören z.B. zur Stan-

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dardausstattung moderner Fertighäuser. Wohnungsgrundrisse weisen den Raum für Kinder aus und zu, und es wäre eine eigene (repräsentative) Befragung wert, ob und wie Kinder heutzutage bei einem Einzug in eine neue Wohnung oder in ein Haus entscheiden dürfen, welchen Raum sie bewohnen möchten, welche Umzüge und Neuordnungen es im Verlauf des Heranwachsens gibt und welche Partizipationsmöglichkeiten Kinder an erwachsenen Entscheidungsprozessen haben. Wurden oben das Wohlbefinden und der subjektive Faktor des ›ausreichenden Platzes‹ angesprochen, so soll im Folgenden auf normierte Größen(vorstellungen) eingegangen werden. Der DIN-Norm von 1967 zufolge sollten Zimmer für Kinder 8,5 (ein Bett) bzw. 13 Quadratmeter (zwei Betten) umfassen. Ende der 80er Jahre, nach Abschaffung der Norm, die für den Sozialen Wohnungsbau galt, finden sich heutzutage unterschiedliche Regelungen. Gleichwohl ist die alte Norm noch bekannt und soll weiterhin als Empfehlung dienen. In Bezug auf den privaten Wohnungsbau finden sich heutzutage Größenangaben von 12 bis 15 Quadratmetern. »Ein Kinderzimmer sollte mindestens 12 qm groß sein. Außer Bett, Tisch und Regal, die einen festen Platz haben, sollte im Kinderzimmer noch Freiraum übrig bleiben. Fehlt dieser in kleinen Zimmern, kann durch den Einbau eines Hochbetts ein kleines Reich zum Spielen entstehen« (architektur-albrecht, online 8.7.2013).

Unter dem Titel »Der optimale Grundriss« ist das gleichnamige Fachbuch angezeigt, das dem Kinderzimmer mindestens 15 Quadratmeter zugesteht (Rühm 2004: 19). Räume unter dieser Größe würden – so die Argumentation – den komplexen Nutzungen nicht gerecht. Als ein Gestaltungsmerkmal wird der Raumteiler empfohlen, der die Fläche funktionsorientiert einteilt. Der Raum wird als Rückzugs- und Schlafraum vorgestellt, der viele Möglichkeiten zum Spielen bereitstellen soll: »Kinderzimmer werden von allen Wohnräumen gewöhnlich am intensivsten genutzt – hier wird gespielt, gebastelt, gelernt, häufig genug geturnt und getobt und natürlich geschlafen. […] Babys und Kleinkinder sind nachts fraglos am besten in einem Zimmer in der Nähe des Elternschlafzimmers aufgehoben« (a.a.O.: 18).

Das Kinderzimmer zählt zu den ›normalen‹ Bedingungen des Aufwachsens. Es kann und soll multifunktional genutzt werden. Unstrittig ist das Bett, das mit Schrank und (Schreib-)Tisch zur Standardmöblierung gehört. Das Bett, die Schlafstätte, ist vermutlich das Möbel, das im Raum für Kinder die längste Kontinuität aufweist. Die Möblierung des Kinderzimmers ist ohne ein Bett nur unvollständig – historisch betrachtet war das Bett das zentrale Möbel, und auch heute fungiert die Schlafstätte wie ein Marker, der das Zimmer nicht nur

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zum eingeschränkten Spiel-, sondern zum vollständigen Kinderzimmer werden lässt. Das Kinderzimmer als Schlafzimmer trennt den Schlaf bereich der Kinder vom Schlaf bereich der Eltern funktional ab. Das Bett im Kinderzimmer ist bei der genaueren Betrachtung ein pädagogisch und kulturwissenschaftlich höchst interessantes Möbel, da es in seiner normativen Ausrichtung der eigenen Schlafstätte des Kindes auf Widersprüche verweist, die einer differenzierteren Analyse lohnen. Das Bett suggeriert, dass es sich hier um einen Ort des Schlafens handelt. Doch diese vorgestellte Praxis trügt. Aus Elterninterviews geht hervor, dass das Schlafen im eigenen Bett ein langfristiger Er- und Beziehungsprozess ist, der individuell sehr unterschiedlich verläuft. Zwar zeigen eigene (Kinder-)Betten das selbstständige Schlafen im Kinderzimmer an, aber aus Gesprächen mit Eltern geht hervor, dass die Kleinen häufig bei den Eltern übernachten. Die Möblierung repräsentiert die Eigenständigkeit des Kindes, die mehr oder weniger unsichtbare Praxis betont das Behütetsein und oftmals auch die körperliche Nähe von Kindern und Erwachsenen, während das Kinderzimmer nach außen Distanzierungen der Generationen betont. Da gebe es Eltern, so erläuterte die Mutter der sechsjährigen Sarah aus Bremen im Interview, die zwar behaupteten, dass ihr Kind in seinem Bett schlafe, aber so genau nähmen sie das dann oft nicht. Das eigene Kind schlafe auch als Schulkind noch bei den Eltern im Bett, das sei nichts Ungewöhnliches. Das höre sie von vielen Eltern. Sie selbst übten auch keinen Druck aus. Allerdings erprobe ihre Tochter die Eigenständigkeit und das bestärke sie. Wenn Besuch komme, dann erkläre Sarah, dass sie in ihrem Zimmer schlafe, was sie dann auch tatsächlich praktiziere. Die Sexualität der Erwachsenen, die mit dem Wunsch des Kindes, im Elternbett zu schlafen, kollidiert, wird dabei nicht thematisiert. Als Objekt verfügt das Bett, das mit Kissen und Tieren ausgestattet ist, über einen Aufforderungscharakter, es kann als Spielfläche, zum Ausruhen, Kuscheln, zum Lesen und zur Nutzung von anderen Medien und selbstverständlich zum Schlafen genutzt werden. Dass das Einschlafen ein Problem darstellen kann, und dass »nachts die Wahrnehmung anders zu sein scheint als tags« (Serocki 1997: 168) und deshalb Gründe vorhanden sein können, sich zu fürchten, ist ein Problem, das viele Eltern kennen (Schurian 2008). Einschlafen als Thema wird zum Beispiel von Kinderbüchern behandelt, die als Gute-Nacht-Geschichten das Finden in den Schlaf erleichtern sollen. Im Vergleich mit dem Schlafzimmer von Erwachsenen, das Heidrich nicht nur als »intimsten Bereich im Haus oder in der Wohnung«, sondern auch als einen der »normiertesten Räume« bezeichnet, mit einem »vorgeplanten Einrichtungsschema« und oftmals von steriler Atmosphäre geprägt (Heidrich 1997: 264), ist das Schlafen im Kinderzimmer Teil einer bunten und vielfältigen Kinderkultur, die das kindliche Wohnen multifunktional charakterisiert. Die

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Normierung des Kinderzimmers ist nicht immer in gleicher Weise sichtbar wie bei den Erwachsenen-Räumen – auch wenn sich hier seit Heidrichs Ausführungen gewisse Lockerungen ergeben haben, was weitergehend zu untersuchen wäre. Durch die Farben- und Formenvielfalt der Dinge und Materialien im Kinderzimmer ist die Normierung scheinbar kaschiert. Gleichsam ist sie vielen Dingwelten inhärent und in der Regel mit den typischen Einrichtungsgegenständen Bett, Schrank, Regal und Tisch auch im Kinderzimmer vorhanden. Das Kinderzimmer ist jedoch prinzipiell ein offener Raum, und für Kinder gehört es zur Wohnqualität, Freunde in ihr Zimmer einladen zu dürfen. Bereits eine kurze Online-Recherche zu Kinderbetten zeigt, dass das Bett für Kinder längst nicht mehr allein eine Zweckfunktion erfüllt. Das Bett ist zum von Erwachsenen gestalteten Fantasieort mutiert, es finden sich zum Beispiel das »Prinzessinenbett Rapunzel in Cremeweiß mit rosafarbenen Türmen in Extrabreite« (was u.a. die Frage aufwirft, ob die Extrabreite des elterlichen Ehebetts den bisherigen singulären Status verliert) oder etwa ein blau-weißes Bett mit applizierten Segelschiffen auf dem Kopfende, das Teil eines Gesamtensembles »Schiff ahoi im Kinderzimmer« ist (Schöner Wohnen, online 10.7.2013). Die gewünschte Individualisierung (Prinzessin, Kapitän) ist durch das industriell produzierte Bett vorgegeben. Die konkrete Aneignung ist freilich damit nicht untersucht. Themenzimmer und Themenbetten sind, wenn sie auf dem Möbelmarkt erworben wurden und nicht mit einfachen Mitteln selbst hergestellt sind, teuer und exklusiv. Sie liefern Identitätsangebote (hier: Prinzessin und Kapitän), die nichts darüber aussagen, ob und wie sie von den Kindern wahrgenommen werden. Interviews mit Kindern sind nötig, wenn ihre Sicht ernst genommen werden soll. Auf die Frage, was ihm am besten in seinem Zimmer gefalle, antwortete zum Beispiel ein sechsjähriger Junge aus Klagenfurt im Interview »das Bett und der Fernseher« und lieferte auch sofort die Erklärung mit: »Da sind echte Lichter drin. So eins hat keiner in der Schule« (zit.n. Wurzer 2013: 24.) Dieses besondere Bett, das Teil eines Auto-Kinderzimmers ist, bedarf der genaueren sachorientierten Beschreibung. In Bezug auf die Form und Anmutung des Objekts ist das Bett ein Rennwagen. Es ist rot lackiert, mit vier Rädern ausgestattet, die eine breite Sportwagenbereifung aufweisen, und verfügt über ein erhöhtes Heckteil mit einer Stange und ein niedrigeres Frontteil. Letzteres hat zwei Scheinwerfer, die nicht nur aufgemalt sind, sondern vom Kind aktiv anund ausgeschaltet werden können. Die Matratze ist integriert. Der Junge, das hat Fabio Wurzer in seinem Transkript vermerkt, sei stolz auf sein Bett gewesen, das er sich zusammen mit der Mutter habe aussuchen dürfen. Ließe sich mit Bezug auf Bourdieu vom Rennwagen-Bett als Distinktionsmerkmal sprechen, so zeigt das Zitat die entsprechende Bewertung aus

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der Perspektive des interviewten Jungen. Er weiß um das Alleinstellungsmerkmal des automobilen Bettes im Kinderzimmer, das seinem Besitzer im schulischen Kontext Einzigartigkeit verleiht. In Bezug auf das Zimmer ist das Auto-Bett Programm, da das Thema »Auto« überall im Zimmer präsent ist. Es finden sich zahlreiche Auto-Modelle verschiedener Größen; Kisten, die mit Autos bestückt sind, und auch ein selbstgemaltes Auto-Bild. Der Junge lebt in einer automobilen Welt, die er – so sein subjektives Erleben – gestalten darf. Das Bett und die Spielzeuge sind Autos zum Anfassen; der Wandschmuck dagegen visualisiert das begehrte Objekt. Der Fernseher wird vor allem zum Spielen benutzt, und an erster Stelle nennt der Junge »Autorennen«. Das spiele er auch mit seinen Freunden. Wie die aktive Gestaltung des medialen Autorennens in Verschränkung zur Materialität der Spielzeugautos, die für (offline) Spielaktivitäten benutzt werden, und in Bezug zu vorhandenen Sachbüchern zum Thema »Auto«, gelebt und erlebt wird, das wäre weitergehend zu fragen. Festzuhalten ist, dass die Leidenschaft des Jungen für Automobile und seine Nutzung der verschiedenen Dingqualitäten ihn zu einem sachkundigen Kenner automobiler Lebenswelten werden lässt. In die Rolle des Rennfahrers oder der Prinzessin (im oben genannten Prinzessinnenbett) zu schlüpfen bedient bekannte geschlechtstypische Bilder, die die Technik wieder zum Bestandteil von Jungenkultur und die schöne Prinzessin, die auf den Prinzen wartet, zum Bestandteil von Mädchenkultur deklarieren.

4. D INGLICHE I NSZENIERUNGEN UND S UBJEK TKONSTRUK TIONEN AM B EISPIEL DES S PORTS Während eingangs das Kinderzimmer mit Bezug auf die Materialisierung und Normierung der häuslichen Bedingungen des Aufwachsens betrachtet wurde, ändert sich im Folgenden die Perspektive von den durch die Eltern geschaffenen Rahmenbedingungen zu den von Kindern eigenständig gestalteten Raumdimensionen. Die Möblierung ist ohne die (Mit-)Gestaltung der Eltern nicht denkbar, und oftmals sind es speziell die Mütter, die von den Kindern im Zusammenhang mit der Einrichtung genannt werden. Jenseits dieser erwachsenenzentrierten Dimension der Einrichtung des Kinderzimmers stellt sich die Frage nach den selbstbestimmten Handlungen der Kinder, die mit und durch die Dinge hergestellt und (re)produziert werden. Hierzu wissen wir wenig. Kritisch, weil kaum im Zusammenhang mit Kindern beachtet, heißt es zur fehlenden Kinderperspektive in der Forschung in einem klassischen Handbuch zur »Kinderkultur« aus dem Ende der 1970er Jahre: »Wohnen ist ein elementares Grundbedürfnis und -recht unserer Kultur und in verschiedener Hinsicht eine der Voraussetzungen zur freien Entfaltung des Individuums« (Euler/Stabenow 1978: 209). Zur freien Entfaltung des Individuums

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gehören in westlichen Kulturen Wohnräume, die privat sind, selbstbestimmt gestaltet und auch abgeschlossen werden können. Im Folgenden aber geht es nicht um eine Bestandsaufnahme der möglichen und praktizierten Freiräume der Kinder in ihrem Zimmer, sondern um eine genaue Betrachtung ausgewählter Dinge, die Kinder in ihrem Zimmer beherbergen. Das Kinderzimmer wird im Weiteren als Raum für ein Ding-Ensemble gesehen, das der Selbst-Inszenierung dient. Kinder arrangieren die Dinge im Zimmer nicht nur um, indem sie sie zum Beispiel im Zimmer verteilen, sondern sie können mit Dingen Allianzen und Beziehungen eingehen. Dinge repräsentieren daher nicht nur Ausschnitte der Welt, für die sie symbolisch im kindlichen Raum stehen. Dinge können über eigenes Potential verfügen. Zur Wirkmächtigkeit von Dingen sei hier auf die Akteur-Netzwerk-Theorie verwiesen: Bruno Latour hat etwa am Beispiel des Schlüssels (Latour 1996) oder der Schusswaffe (1998: 31ff.) klassische SubjektObjekt-Relationen infrage gestellt. Eine schwere Kiste, die Uli Stein, der für das Projekt »Kinderleben« (Büchner et al. 1998) interviewt wurde, in Ermangelung eines Zimmerschlüssels dazu verwendete, sein Kinderzimmer »abzuschließen«, wurde im familiären Miteinander als Wunsch nach Privatheit verstanden und weitgehend akzeptiert. Da die folgende Handlung, das Einsetzen des schweren Objekts, auch heutzutage denkbar ist, soll an dieser Stelle ein Rückgriff auf den alten Datenbestand erfolgen. Uli Stein (10 Jahre) beschreibt, wie er seine Privatheit im Kinderzimmer herstellt, folgendermaßen: »Ja, ich hab zwar keinen Schlüssel für mein Zimmer, aber ich hab so eine Konstruktion, also keine Konstruktion, sondern so einen schweren Kasten, da sind so schwere Metalldinger drin, die hat mein Vater selber gemacht. Die stell ich so vor die Tür. Davor steht so mein Bett. So eine Leiste, das kann dann nicht bewegt, sondern nur so ein bisschen aufgemacht werden. Das ist dann schon, dann kommen die (gemeint sind die Geschwister, d.V.) da nicht rein« (Buchner-Fuhs 1998: 172).

Auch der Vater schaffe es nicht, so Uli Stein stolz, die Kiste aus dem Weg zu räumen. Allerdings könne er die Tür einen Spalt weit öffnen. Der Vater wolle immer mit ihm diskutieren, er selbst habe dann aber keine Lust. Die Kiste gebietet auch hier Schutz, und der Sohn weiß, dass sein Vater diese Konstruktion, die seinem Ausschluss dient, nicht schätzt. Es gebe immer ein bisschen Streit, wenn der Vater ihn auffordere, die Kiste wegzuräumen. Der Vater verbietet die Kiste nicht, fordert aber ein, dass der Sohn mit sich reden lässt. Die Kastenkonstruktion allerdings verhilft dem Sohn, seine Privatheit gegen die Geschwister durchzusetzen. Diese Situation kann – wie geschehen – als ein »Beispiel für die gestärkte Stellung des Kindes im Verhandlungshaushalt« interpretiert werden (a.a.O.: 173). Diese Sicht trifft heute immer noch zu,

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und weitere Belege für Bedeutungen von Dingen, die vor 15 Jahren erhoben und dargelegt wurden, haben auch heute noch ihre Gültigkeit (z.B. Poster, Sammlungen, Auseinandernehmen technischer Geräte a.a.O.: 147ff.). Im Weiteren soll ein neuer (exemplarischer) Zugang zur Wirkmächtigkeit von Dingen im Kinderzimmer erfolgen, indem ausgewählte Sportutensilien wie zum Beispiel Pokale einer genaueren Analyse unterzogen werden. Über den Aufforderungscharakter von Pokalen in Kinderzimmern ist bisher zu wenig nachgedacht worden, ihre Bedeutung ist nur oberflächlich klar. Der materielle Wert von Pokalen ist eher gering, sie könnten Wegwerfartikel sein oder in Schränken verschwinden. Trotzdem scheint den glänzenden Trophäen ein Aufforderungscharakter inne zu liegen, der sie tendenziell zum Ausstellungsobjekt macht. Ausgestellte Pokale erinnern zunächst an einzelne sportliche Ereignisse eines Kindes. Werden Pokale gesammelt, reihen sich Einzelereignisse aneinander, und es entsteht eine von und durch die Dinge repräsentierte Sportgeschichte als Erfolgsgeschichte im Kinderzimmer. Pokale markieren aber nicht nur den erreichten Erfolg, sondern sind zugleich dingliche Erinnerungsmarker, die ein Sportereignis, den Ort und die Zeit dokumentieren. Wird der Sport weiterhin aktiv betrieben, ist mit der Sammlung und Präsentation von Pokalen neben der Vergangenheits- auch eine Gegenwarts- und Zukunftsdimension verbunden. Es geht um den Aufforderungscharakter (auch in der Zukunft erfolgreich Sport zu betreiben) von Pokalen, da das jeweilige Objekt darauf verweist, dass weitere sportliche Anstrengungen nötig sind, wenn die Sammlung erweitert werden soll. Zu jeder Sammlung gehört die Frage ihrer Präsentation. Als »territorial markers« (Habermas 1996: 127) können die Orte bezeichnet werden, die mit den Dingen im Wohnraum verbunden sind. Sie tragen zur Aneignung und zur Personalisierung des Wohnbereichs bei. Sportpokale sind darüber hinaus der materialisierte Beweis einer sportlichen Identität. Diese Überlegungen lassen sich anhand von Interviewbelegen empirisch überprüfen. Im Interview, das die Studentin Stephanie Scharf (Scharf 2013: 13) geführt hat, erklärte der zwölfjährige Markus aus Klagenfurt zu Beginn, dass er in seinem früheren Zimmer Plüschtiere, aber noch keine Pokale gehabt habe. Das habe sich geändert. Sein Zimmer sei ihm wichtig, aber nicht die Farben oder anderes, sondern, »weil meine ganzen wichtigen Gegenstände da drin sind« (ebd.). Damit meint er Sportdinge wie Säbel, Handbälle und Pokale. Seit sechs Jahren ist er aktiv im Fechtsport tätig, hinzu kommt seit einiger Zeit das Handballspielen. Er hat viele Pokale, das Fensterbrett dient als Präsentationsfläche. Dazu kommen Pokale, die ihm weniger wichtig sind und die er im Schrank verstaut hat. Aus Perspektive der Mutter sind es nicht primär die Pokale, sondern vor allem die Sportgegenstände, die ihrem Sohn wichtig sind. Der folgende Interviewausschnitt ist hinsichtlich der Formulierung und Wortwahl bemer-

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kenswert, die die Mutter wählt, um das Größerwerden ihres Kindes entlang der Sportaktivitäten zu kommentieren. »Die große Veränderung ist, dass ich merke, dass es ihm sehr wichtig ist, dass man seine Sportgegenstände, die er zum Trainieren hat, im Zimmer sieht. Da legt er großen Wert darauf« (a.a.O.: 16). Die Mutter kommentiert, dass nicht allein die Dinge, sondern vor allem das Sehen, also das Ausstellen der Dinge, die die Anstrengung des Trainings symbolisieren, für ihren Sohn von Bedeutung ist. Die präsentierten Sportgegenstände dienen aber nicht nur der Kommunikation nach außen gegenüber den Eltern und Freunden, sondern auch der Selbstvergewisserung. In diesem Zimmer wohnt ein Sportler, der trainiert – so die Botschaft der Kinderzimmerausstellung –, was der Mutter zufolge oberste Priorität hat. Das Training, also die von Erwachsenen gerahmte körperliche Aktivität und Ausbildung, wird besonders wertgeschätzt. Im Kinderinterview zeichnete sich dagegen ein anderes Bild ab. Aus Markus’ Sicht sind zwar auch alle Trainingsgegenstände, die er in seinem Zimmer aufbewahrt wichtig, aber in besonderer Weise bedeutungsvoll sind für ihn die Pokale. Sie nennt er zu Beginn des Interviews und zeigt sie stolz. Hier ist eine deutliche Differenz zur Mutter. Die Pokale sind nicht nur ein materialisierter Ausdruck für das mit ihrem Erwerb verbundene praktizierte Training, sondern eine materialisierte Form der Anerkennung und Wertschätzung bereits vollbrachter Leistungen. In diesem Sinne ist ein Pokal ein Objekt mit eingeschriebener Vergangenheit. Eine Pokal-Sammlung dokumentiert stets auch eine Zeitspanne, in der die Objekte erworben worden sind. Im Rückgriff auf die Vergangenheit und in der Zurschaustellung von Langfristigkeit geht es nicht nur um den sportlichen Erfolg, den stets der Pokal als Objekt symbolisiert, sondern um ein biografisches Identitäts-Projekt. Markus hat zwar viele Interessen, er versteht sich aber als Sportler, der bereits über eine eigenständige Sportbiografie verfügt. Markus erläutert, dass er sich früher nicht sehr oft in seinem Zimmer aufgehalten hat: »Jetzt verbringe ich ein bisschen mehr Zeit dort. Ich war immer draußen und hab’ Sport gemacht. Heute finde ich das Zimmer besser. Es sind nicht mehr so viel kindische Dinge darin, Gott sei Dank. Jetzt bin ich mehr im Zimmer. Ich mache meine Hausübung da und repariere die Säbel. Mit den Freunden [die auch Sportler sind, d.V.] sind wir auch manchmal hier« (a.a.O.: 14). Markus spricht den Abschied von seiner Kinderzeit an, der sich in den Dingen der Kindheit, die verschwunden sind, ausdrückt. Die Trennung von den früheren Objekten scheint noch nicht ganz vollzogen zu sein, die Säbel jedenfalls bieten den »kindischen Dingen« Einhalt. Die Selbst-Inszenierung als Sportler, der Erfolg hat und aktiv sein Training betreibt, geschieht mittels der Dinge, die Markus selbst auswählt und entsprechend in seinem Zimmer (u.a. als Sammlung) nicht nur ablegt, sondern auch präsentiert.

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Die zwei Jahre ältere Christina, die ebenfalls in Klagenfurt wohnt, ist eine begeisterte Reiterin. Mit Stolz zeigt sie ihre fünf Pokale, die sie auf Reitturnieren bisher gewonnen hat. Hinzu kommen Schleifen und Medaillen, die – ebenfalls im Zimmer gut sichtbar drapiert und platziert – ihre sportlichen Leistungen dokumentieren. Diese Objekte sind durch die mit ihnen verbundenen Handlungen wertvoll. An dieser Stelle soll die Perspektive von den Fällen zu einer Verallgemeinerung gewechselt und nach der Theorie gefragt werden, die dieser Deutung von Dingen zugrunde liegt. Theoretisch lässt sich einwenden, dass die bisher vorgenommene Untersuchung der sportbezogenen Dinge auf der Ebene ihrer Symbolik verbleibt. Die Dinge werden lediglich in ihrem Verweischarakter interpretiert. In der (historischen) Kulturforschung und in der Anthropologie gibt es zahlreiche Beispiele und Belege für einen solchen Umgang mit Objekten, denen – das ist unterschiedlichen Ansätzen gemeinsam – grundsätzlich eine Stellvertreterposition zugewiesen wird. Damit erschöpft sich die Sicht auf die Dinge aber nicht. Über eine einfache Symbolisierung hinaus werden die Dinge in ihrer Eigenständigkeit betrachtet, indem sie selbst als Handelnde verstanden werden. Eine erweiterte Akteursperspektive kommt zur Entfaltung, und der theoretische Zugang ist ein anderer. In diesem Kontext soll exemplarisch ein kurzer Blick auf eine Studie zur Wirkungsmächtigkeit von alltäglichen Dingen erfolgen, die Michalis Kontopodis (2012) empirisch in einem Kindergarten untersucht hat. Das methodische Vorgehen ist Folgendes: Die Studie wird ausschnitthaft anhand einer Situation und ihres theoretischen Ansatzes vorgestellt. Der gewonnene Ertrag soll danach zum Ausgangspunkt genommen werden, um erneut in die Kinderzimmer und auf das sportliche Equipment zu schauen. Die Situation der untersuchten Kindergartensituation ist einfach und banal: jeweils ein Plätzchen liegt auf einem Teller vor jedem einzelnen Kind, und die Kinder essen, was per Video-Aufnahmen festgehalten ist. Kontopodis interessiert die Frage, wie diese Alltagspraxis zustande kommt, warum z.B. die Kinder wirklich nur das eine vor ihnen liegende Cookie essen. »Agency« – so sein Ansatz – ist nicht per se angesiedelt in (menschlichen) Subjekten, sondern in der Verbindung von Materialität und Sozialem. »Agency can be translated and distributed over relational networks that include people and things […]« (Kontopodis 2012: 1). In materiell-semiotischer Perspektive beschäftigt er sich mit den Dingen und den Kindern: »The question that I would like to pursue here is: who or what defined in this constellation how things were done? Children were for sure the less active agents. […] Of course, the teacher’s presence was needed to maintain silence and restrict the movement in the lunch room – but in a way the things themselves, i.e. the one cookie per one dish per

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one chair per child at the table, controlled the children’s actions much more than the teacher could have directly done in such a little time […]. The things themselves did also more than the teachers or the children in the sense that they embodied a long history of values involved in the making of individual portions – not all of which the teacher was conscious about. In this way, the things shaped the teacher’s action by rendering a few possibilities of acting self-evident, while rendering others as beyond imagination. The network of cookie + dish + chair + table materialized knowledge and did much more than the teacher or any child alone could do during eating« (a.a.O.: 4f.).

Kontopodis kommt abschließend mit Bezug auf Latour und Haraway zu folgenden Schlussfolgerungen, die im hiesigen Zusammenhang für die oben beschriebenen Kinderzimmer fruchtbar gemacht werden sollen: »Especially if ethnography is extended to document the connections between the actants […] and the interdependencies of semiotic and material action […], it offers a privileged access to questions regarding the role that things play in children’s and, more generally, in people’s everyday lives« (a.a.O.: 8). Mit seinem materiell-semiotischen Ansatz richtet er den Blick auf die Dinge als Handelnde und auf die Strukturierung von Alltagspraxen. Übertragen auf das sportliche Equipment in den oben beschriebenen Kinderzimmern schließen sich weitere Überlegungen zu den sportlichen Dingen und ihrer Wirkungsmächtigkeit an. Auf bewahrt im Kinderzimmer, platziert auf der Fensterbank, auf Stühlen oder auch an der Wand, haben die Sportutensilien (einschließlich der Pokale, Medaillen und Schleifen) im Leben der Kinder eine eigene Bedeutung. Eigenständig, so erklärte Markus, repariere er die Säbel. Es braucht keine erinnernden Eltern, die die Reparatur einfordern würden. Den gebrauchten Säbeln liegt ein eigener Aufforderungscharakter inne, der von Markus verstanden und entsprechend umgesetzt wird. Die im Zimmer von Christina verteilten Objekte wie Zaumzeug und Pferdeputz-Utensilien sowie Trainingsdresse, Handbälle und die genannten Säbel, die in Markus’ Zimmer sichtbar auf bewahrt werden, fordern zur Anwendung auf. Hier deutet sich ein aufschlussreicher Zusammenhang zur Entwicklung der Motivation von Kindern an. Entwicklungspsychologische Studien eskamontieren in der Regel leider die Materialität der Dinge aus ihren Theoriebezügen. Gleichwohl sind Dinge nicht selten für Experimente und Forschungen unverzichtbar. Ein bekannter Versuch von Heckhausen und Roelofsen aus dem Jahr 1962, der heutzutage als zentrale »Studie zu Reaktionen auf Erfolg und Misserfolg« (Haase/Heckhausen 2012: 479) gilt, ist ohne Material wie Bausteine nicht denkbar. Beim Versuch geht es um das Turmbauen um die Wette und gemessen wurden das Alter, die Schnelligkeit im Vergleich der Kinder (wer wird als Erste, als Erster fertig?) sowie typische Reaktionen auf die erfolgreichen oder nichterfolgreichen Handlungen (a.a.O.: 479f.)

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Aus psychologischer Sicht sind die Materialien, hier die Bauklötze, unerheblich. Im Zentrum stehen z.B. der gelungene Handlungsausgang, die Emotion Stolz und die Anreize im Leistungshandeln. Die Materialien scheinen austauschbar und ohne nähere Bedeutung zu sein. Gleichwohl ist es wichtig festzuhalten, dass die Dinge für das Erleben von Stolz für die Kinder und auch die antizipierte Selbstbekräftigung zentral sind. Nimmt man also die Dinge und ihre Wirkungsmacht ernst, so entsteht über das Zusammenspiel von Pokalen, Säbeln, Medaillen, Schleifen, Reitstiefeln, Zaumzeug und die Präsentation der Objekte auf Möbeln und ausgewählten Plätzen im Kinderzimmer ein Netzwerk des Agierens, das Handlungen strukturiert und eine motivationale Kraft aufweist. Im Unterschied zu den Dingen der Motivationsstudie, die von Erwachsenen arrangiert, ihre Wirkung nur im direkten Vergleich der konkurrierenden Kinder entfalten, wirken die im Zimmer platzierten Sportdinge ohne die Anwesenheit anderer Kinder, da sie von den Kindern selbst inszeniert wurden. Die Dinge, so lässt sich sagen, geben die Sporthandlungen vor und schaffen die Anreize für das Leistungshandeln. Gleichwohl sind Konkurrenzsituationen in indirekter Weise präsent, da freilich die Pokale in Wettbewerben gewonnen worden sind. Der Aufforderungscharakter der Dinge kommt aus der Vergangenheit, zielt auf die aktuelle Anwendung und ist gleichzeitig zukunftsorientiert. Die präsentierten Dinge, die in die Erinnerung, Gegenwart und Zukunft eingeschrieben sind, fordern auf und motivieren. Die Dinge in diesen Beispielen sind zwar vielfältig, aber nicht beliebig. Ihre Wirkmächtigkeit entfalten sie aber erst in kindlicher Regie der Zimmernutzung. Die Sichtbarkeit und die Ausstellung der Sportobjekte, die im Kinderzimmer erfolgt, zeugt – auch das sei erwähnt – durchaus von der Widerständigkeit der Kinder, wenn die im Zimmer verteilte Ding-Präsentation dem elterlichen Ordnungswillen entgegensteht. Aus der vorgestellten Perspektive der Dinge, ihrer Bedeutsamkeit und Wirkmächtigkeit, verliert der von Erwachsenen möblierte und kontrollierte Raum an Bedeutung, und das Kinderzimmer wandelt sich zu einem biografischen Ort der Selbst-Inszenierung, in dem mit und durch die Wirksamkeit der Dinge Anerkennung und Selbstwirksamkeit erfahren werden können.

5. D AS K INDERZIMMER ALS H E TEROTOPIE Foucault (1967/2006) hat für sein Heterotopie-Konzept sechs Faktoren gebündelt, die hier nur sehr verkürzt dargestellt werden können. Sie sollen als Bezugsrahmen für die weiteren Überlegungen zum Kinderzimmer gelten.

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(1) Heterotopien werden in jeder Kultur hervorgebracht, (2) sie erfüllen in historischen Verläufen unterschiedliche Funktionen, (3) sie haben vereinigende Eigenschaften, indem sie unverbundene Orte zusammenbringen (z.B. der Garten; er »ist die kleinste Parzelle der Welt und zugleich ist er die ganze Welt« Foucault 1967/2006: 324), (4) sie haben eine zeitliche Dimension (z.B. Akkumulation und Ausdehnung, lokalisiert in der Bibliothek oder im Museum, oder »Akkumulation auf Zeit« wie etwa der Jahrmarkt, a.a.O.: 325), (5) es gibt das System der »Öffnung und Abschließung« (ebd.) und (6) sie weisen über die Räume hinaus (illusionäre Raume) wie das frühere Freudenhaus oder reale Räume, die eine vollkommene Ordnung kennzeichnen (a.a.O.: 326f.). Heterotopien sind Anders-Räume, und Foucault spricht davon, dass das »Schiff« geradezu beispielhaft für die Heterotopie sei. Es entspricht einer verkürzten Vorstellung, das »Schiff« nur in seiner Nützlichkeit und Ökonomie zu betrachten, es ist auch »das größte Reservoir für die Phantasie« (a.a.O.: 327). Manuela Pietraß und Christina Schachtner (2013) haben überzeugend dargelegt, dass der Ansatz Foucaults für die theoretische Erklärung des Zusammenhangs von Virtualität und Realität im Cyberspace gewinnbringend verwendet werden kann (vgl. zur Cyber-Heterotopie auch die Beispiele in Hengst 2013: 88). »Heterotopien«, so Pietraß und Schachtner, »sind Orte, an denen wir auf Bekanntes und zugleich auf Neues, Unbekanntes, Kritisches, der Möglichkeit nach Vorhandenes treffen. Sie durchkreuzen das dualistische Denken, das zwischen Virtualität und Realität strikt trennt, bilden irgendetwas dazwischen, verkörpern mixed realities, die nicht statisch, sondern dynamisch sind. Kinder und Jugendliche kennen solche Räume sehr genau und nutzen sie, um dort das Eigene zu entwickeln, fernab vom kontrollierenden Blick der Erwachsenen. Zu den bisherigen Heterotopien der Heranwachsenden wie der Dachboden, das Ruinengrundstück, das Indianerzelt sind heutzutage die virtuellen Räume im Cyberspace gekommen. Und vielleicht ist es gerade deren heterotopischer Charakter, der sie für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene so attraktiv macht« (Pietraß/Schachtner 2013: 265).

Das Kinderzimmer ist kein Ort, der bisher als heterotop bezeichnet worden ist. Auch Foucault freilich hatte nicht das Kinderzimmer vor Augen. Zu groß wäre vermutlich der erwachsenenorientierte Kontrollaspekt gewesen, der sich mit diesem Raum verbindet. Doch das Kinderzimmer, und zwar das, in dem sich Kinder gerne aufhalten und sich wohlfühlen, ist – wenn sowohl die Kinder als auch die Dinge und ihre Wirksamkeit ernst genommen werden – kein nur von den Eltern kontrollierter Raum. Es kann ein Reservoir für Fantasie und Träume sein. Das Kinderzimmer kann z.B. kleinen Bibliotheken Raum geben,

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kann – wie oben dargelegt – museale Funktionen erfüllen und Dingen, die aus subjektiver Sicht wichtig sind, Ausstellungsfläche bieten. Foucaults Beispiele dienen im Folgenden als Grundlage für die Überlegungen zur Heterotopie der Kinderzimmer. Im Kinderzimmer können spielerisch zoologische Gärten oder Jahrmärkte errichtet werden, Schiffe können z.B. auf Postern vordergründig ›nur‹ als Wandschmuck verwendet werden, in der Betrachtung des Bildes kann die Fantasie das Schiff in Bewegung setzen und z.B. mit Bildern, die den Kindern aus anderen medialen Kontexten vertraut sind, verbinden. Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass das Kinderzimmer eine Vielzahl von Dingen beherbergt, die es Kindern ermöglichen, sich an »anderen Orten« (Foucault 1967/2006: 321) aufzuhalten. Als Beispiel mag das Kinderzimmer eines zehnjährigen Mädchens dienen. Verfolgt wird die These, dass das Kinderzimmer ein Ort mit heterotopen Qualitäten ist. Ein solcher Ansatz rückt die Perspektiven der Kinder und der Dinge ins Zentrum. Das Interview mit Nina (so das Pseudonym) habe ich im Juli 2013 in Erfurt durchgeführt. Nina lebt mit ihrer Familie in einer sehr geräumigen, über zwei Etagen sich erstreckenden Altbauwohnung. Sie ist vielseitig interessiert, spielt im Fußballverein und wächst mit Klavier- und Reitunterricht auf. Es soll darauf verzichtet werden, die soziale Herkunft in einem soziologischen Sinne genauer zu beschreiben, vielmehr sollen diese Hinweise, die das Milieu sichtbar werden lassen, genügen. Nina wollte sich zunächst nicht interviewen lassen, als ihre Mutter aber sagte, sie müsse auch nicht ihr Zimmer aufräumen, zeigte sich Nina hoch erfreut, und dem Interview stand nichts mehr im Wege. Als ich zum vereinbarten Interviewtermin komme – das Kinderzimmer ist ein heller und ca. 18 qm großer Raum – ist das Zimmer gänzlich unaufgeräumt. Überall liegen Dinge verstreut, und vor dem Bett liegt eine weitere Matratze, wo die Freundin gerade übernachtet hatte. Ich freue mich, dass ich, obwohl ich für die Familie eine fremde Person bin, die ungeordnete Dingvielfalt sehen und erleben darf. Das ist für die Ethnografie von Kinderzimmern eine besondere Situation. Die im hiesigen Beitrag bisher skizzierten Räume waren zum Interviewtermin sehr ordentlich aufgeräumt, was für eine weitere Untersuchung von Dingen im Kinderzimmer zu reflektieren wäre. Die Ausnahme bildet das eingangs genannte äußerst einfach gehaltene Zimmer des achtjährigen Frank, der zu den stark und mehrfach benachteiligten Kindern zählt, die für die Studie »Meine Familie ist arm« interviewt worden sind. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass das Ordnung halten im Kinderzimmer laut Jürgen Zinnecker ein »zentraler Konflikt zwischen Eltern und Kind« ist (Zinnecker 1996: 419). Auf meine Bitte hin, das Kinderzimmer zu beschreiben, benennt Nina folgende Gegenstände: Kleiderschrank, Bett, großes Bücherregal, Schreibtisch

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mit Stuhl, viele Bilder an der Wand, Sitzsack von der Schwester, Schaukelstuhl (vom Flohmarkt), Spieleschrank, Einrad, Schuhe. Der Stellenwert, den das große Bücherregal für sie besitzt, erläutert Nina gleich zu Beginn des Interviews. Sie möchte es umstellen, und zwar so, dass sie es vom Bett aus direkt (anstelle des Schreibtisches) sieht und der Weg näher ist, wenn sie »nachts mal aufstehen und ein neues Buch holen« möchte. Bücher sind ihre große Leidenschaft und die erste halbe Stunde des Interviews verbringt sie damit, Inhalte ihrer Lieblingsbücher zu erzählen und sie z.T. mit der entsprechenden Buchverfilmung zu vergleichen. Als Lieblingsbuch (sie hat inzwischen die gesamte Trilogie gelesen) nennt sie »Arthur und die vergessenen Bücher« (von Gerd Ruebenstrunk). Besonders gefallen ihr auch »Nina und das Geheimnis der Lagunenstadt« (Moony Witcher), »Herr der Diebe« (Cornelia Funke) und auch »Der geheime Garten« (Frances Hodgson Burnett). Das Bücherregal ist mit rund 100 Büchern bestückt, und es finden sich hier aktuelle Jugendbücher, aber auch Bilderbücher oder auch Sachbücher aus früheren Kindertagen. Nina ist stolz auf ihre Bücher, und sie hat sie – noch eine Angabe, die für die weitere Deutung wichtig ist – alle gelesen. Ihre oben genannten favorisierten Bücher ›entführen‹ sie in fremde Städte und Länder, und sie erzählt von Venedig, Bologna, sie sieht sich in fremden Gärten. Sie wünscht sich für ihr späteres Leben einen Garten, und Venedig kennt sie aus einem alten Fotoalbum der Mutter, das auf bewahrt wird. Biografisches vermischt sich mit Familiengeschichte und Abenteuererlebnissen, die medial auf bereitet sind. Das Buch wird für Nina zu einem Medium, das wiederum auf technische (neue) Medien Bezug nimmt: Arthur z.B. geht mit Technik um, die playstation etwa ist selbstverständlich (zur Medienkonvergenz Hengst 2013: 42ff.). Nina taucht im Interview tief in die Buchwelten ein, weiß um die Helden und ihre Erlebnisse und wechselt mühelos die Perspektive, wenn sie z.B. erläutert, dass und warum sie Harry Potter nicht mag. Das Lesen im Kinderzimmer (im Bett) ist für Nina zentral. Wenn sie Streit mit ihrer Schwester hat, dann knallt sie auch schon mal gerne die Tür und schließt ihr Zimmer ab. Sie schließt sich mit ihren Büchern ein. Bücher gehören ins Kinderzimmer, hier ist der Ort ihrer Nutzung. Meine Frage, ob ihr dann nicht langweilig sei, verneint sie vehement. Sie habe ja ihre Bücher. Dann lege sie sich ins Bett und lese. Wann sie wieder rauskommt? »Ich lass sie zappeln. Entweder wenn ich mich beruhigt habe oder wenn es Abendbrot gibt«. Früher habe sie keinen Zimmerschlüssel gehabt, und sie habe nicht abschließen können. Auch die jetzige Zimmertür sei nicht einfach zu bedienen, es gebe einen Trick, sie müsse sich gegen die Tür lehnen und dann gehe es. Die Bibliothek im Kleinen, die Öffnung und Verschließbarkeit des Raumes bieten bereits erste Anknüpfungspunkte zum Kinderzimmer als heterotopen Ort. Auch museale Aspekte sind zu finden: So enthält das Zimmer eine offene Sammlung von Dingen mit Pferdemotiven. Nina erläutert dezidiert, wo Bilder

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von Pferden anzutreffen sind: auf einer DVD, einem Kalender, der Bettwäsche, zwei Mülleimern, vielen Sammelstickern, Zeitungen, einem Notizblock, auf Briefpapier und einem Spitzer und einer Kette, die zwei Pferdeanhänger hat. Außerdem hat sie ein Einhorn (ein magisches Pferd) und erwartungsgemäß einige Pferdebücher. Hinzu kommen spezielle Schuhe, die sie ganz zu Beginn des Interviews erwähnte. Hier handelt es sich um Reitstiefel, die im Zimmer gut sichtbar abgestellt sind. Die Dinge, die mit Pferden verbunden sind, sind im ganzen Zimmer verstreut, und ich erkenne erst bei genauerer Orientierung die vielen kleineren oder größeren Pferdedarstellungen. Die Pferdedinge bringen Ordnung in das scheinbare Chaos. Sie bilden ein Netz, das die heterogene Dingvielfalt zusammenhält. Die Unordnung trägt zum Schutz der Privatheit und Abgeschlossenheit bei. Es bedarf nicht unbedingt des Schlüssels, um das eigene Zimmer z.B. vor kontrollierenden Blicken zu schützen. Die unübersichtliche Dingvielfalt ist für Nina indes kein Chaos. Vielmehr strukturieren die Dinge in ihren Arrangements und Netzen die Handlungen. Bemerkenswert ist, dass Nina von sich aus im Interview geschlechterbezogen argumentiert. Sie habe eine spezielle Sammlung, und zwar eine StarWars-Sammelmappe. So etwas sei eher nicht für Mädchen. Die Mappe ist im Unterschied zum übrigen Zimmer penibel geordnet. Sie schaue sich die Karten an und stecke sie wieder hinein. Wichtig seien die Nummern, also die Reihenfolge, die sie strikt einhält. Star-Wars-Filme dürfe sie noch nicht anschauen, aber die ganzen Figuren kenne sie. Auch beim Reiten hat sie klare Vorstellungen. Auf meine Frage, ob Reiten eher etwas für Mädchen oder Jungen sei, antwortete sie: »Für beide.« Der Besitzer ihres Pferdes sei ein Mann, der wisse auch unglaublich gut über Pferde Bescheid. Die Jungen würden auch die Turniere gewinnen. Voltigieren sei mehr für Mädchen, Stunts dagegen mehr etwas für Jungen. Sie selbst reite noch nicht so lange, sie habe auch noch keine Medaillen oder Pokale. Das Kinderzimmer und seine Dingvielfalt schaffen im vorgestellten Beispiel einen Anders-Raum, der heterotope Qualitäten aufweist. Das Eintauchen in andere Welten lässt der Fantasie Raum, und es entstehen über, mit und von den Dingen ausgehende »mixed realities« (Pietraß/Schachtner 2013: 257ff.). Dass es sich bei den bisherigen Ausführungen nicht um ›neue‹ Medien, sondern um ein Konglomerat von Büchern und Dingen handelt, die den ›alten‹ Medien zugeordnet werden können, ist offensichtlich. Die »physikalische Welt jenseits des Digitalen« und die »digitale Welt des Cyberspace« sind längst in vielen Familienwohnungen gemeinsam vorhanden. Im Weiteren soll noch kurz auf die KIM-Studie eingegangen werden, die u.a. einen Überblick über die kindlichen Freizeitinteressen gibt. Im Hinblick auf das Kinderzimmer wird die KIM-Studie mit der bereits genannten LBS Studie ergänzt.

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»Die mit Abstand höchste Zustimmung bekommt das Thema ›Freunde/Freundschaft‹, für das sich mit 95 Prozent fast alle Kinder interessieren (finde ich sehr interessant/ interessant). Drei Viertel der befragten Kinder begeistern sich für ›Musik‹, etwa je zwei Drittel zeigen Interesse an ›Computer-, Konsolen- und Onlinespielen‹, ›Sport‹, ›Internet und Computer‹, ›Kino/Filme‹, ›Schule‹ und am Thema ›Handy‹. Jedes zweite Kind zeigt sich aufgeschlossen beim Thema ›Bücher/Lesen‹ und 30 Prozent haben Interesse am aktuellen Weltgeschehen« (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest/KIMStudie 2012/www.mpfs.de: 6).

Aber auch andere Bezüge werden deutlich. 60 Prozent der Kinder etwa, das lässt sich anhand der beigefügten Grafik erkennen, interessieren sich für Tiere. »Bei Haushalten, in denen Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren leben, besteht eine Vollausstattung bei Handy und Fernseher sowie annähernd bei Computer und Internetzugang. Auch Radio, CD- und DVD-Player sind in etwa neun von zehn Haushalten vorhanden. Spielkonsolen stehen in drei von vier Familien zur Verfügung, stationäre Konsolen sind mit 59 Prozent etwas häufiger anzutreffen als mobile Spielkonsolen mit 54 Prozent« (a.a.O.: 8).

Der Familienalltag ist komplex und längst ein mit vermeintlich ›neuen‹ Medien ausgestatteter technisch-medialer geworden. Die LBS-Studie »Kinderbarometer« weist auf die Bedeutung des Internetzugangs im Kinderzimmer hin. Kinder mit eigenem Zugang nutzen das Internet sehr gerne, um neue Kontakte aufzubauen und alte zu pflegen. Regelmäßig erleben Kinder die Internetnutzung als Entspannungsmöglichkeit (33%), aber auch als etwas, das sie stolz macht (29%) und bei dem sie etwas lernen können (28%). Im Zusammenhang mit Kinderzimmern ist der Einzug der »digitalen Welt des Cyberspace« (ab welchem Alter, in welchem Umfang, wie kontrolliert?) freilich eine von Erwachsenen bestimmte Entscheidung, aber die digitalen Medien sind keinesfalls allein für die heterotope Qualität des Kinderzimmers verantwortlich. Die digitalen heterotopen Welten sind an die physikalischen heterotopen Welten im Kinderzimmer anschlussfähig, und »mixed realities« verbinden auch Medien mit realen Dingen. Wie hier Möglichkeiten und Grenzen auszuloten sind, wie Schutz- und Freiräume gewährt werden können und Kindern die Option zugestanden wird, eigenständig und eigenwillig zu handeln, das ist ein anderes Thema.

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F A ZIT : A K TEURSNE T ZE IN EINEM BESONDEREN R AUM Das Kinderzimmer ist zunächst ein spezifischer Raum, der die (normativen) Kindheitsvorstellungen von Erwachsenen zum Ausdruck bringt. Die ältere Generation richtet zu Beginn den Raum für die jüngere Generation ein, und im Kontext eines kindorientierten Erziehungsstils erweckt die Bezeichnung ›Kinderzimmer‹ die Vorstellung, dass es sich hier um einen ›kindgerechten‹ Raum handelt, wo die heranwachsenden Kinder als AkteurInnen gesehen werden, die weitestgehend Gestaltungsfreiräume haben, eigenständig handeln und Formen der kindlichen Privatheit erproben können. Die dichte Verflechtung von Erwachsenenvorstellungen und kindlichen Praxen zeigt sich vor allem in der materiellen Ausstattung des Kinderzimmers. Die Vielfalt der Dinge beinhaltet zum einen Altersnormierungen, Bildungs-, Freizeit- und Konsumvorstellungen der Erwachsenen. Zum anderen konkretisieren Dinge den EigenSinn der Kinder. Dinge sind stets präsent; sie formen Kindheit und werden von Kindern geformt, verändert. Sie begleiten nicht nur das Aufwachsen, sondern schaffen auch in einem aktiven Sinne gedacht Optionen, sich mit materialisierten und symbolisierten Welten auseinanderzusetzen. Die Analyse hat gezeigt, dass es nicht länger haltbar ist, das Kinderzimmer nur als Raum, der von Erwachsenen möbliert und kontrolliert ist, zu deuten. Durch und mit der Wirksamkeit der Dinge wird das Kinderzimmer zu einem biografischen Ort der Selbst-Inszenierung. Anhand empirischer Befunde wurde ausgeführt, dass die Symbolik der Dinge und die agency von Dingen unterschiedliche Reichweiten der Erschließung materieller Kultur darstellen. Das Kinderzimmer, das aus subjektiver Sicht der Kinder über genügend Platz verfügt, ist ein zentraler Ort für das well-being von Kindern. Kinder bringen den Ort hervor, und das Kinderzimmer ist ein Aktionsraum für kindliche Aktivitäten, nicht zuletzt für die Arbeit an der eigenen Identität. Das Kinderzimmer ist ein höchst differenter Ort, der sich von den Wohnformen der Erwachsenen unterscheidet – es ist ein Anders-Raum, der – so ein Ergebnis des Beitrags – heterotope Qualitäten aufweisen kann. Erst wenn sich Kinder in ihrem Raum wohlfühlen, entfaltet das Kinderzimmer eine positive biografische Kraft, und erst, wenn die Kinder den realen Raum im Sinne der Heterotopie umgestaltet haben, in der sich Fantasie mit Erfolgen (zu denken ist an die Pokale) und realen Dingen zu einem eigensinnigen Anders-Raum verbinden, entsteht ein Kinderzimmer im eigentlichen Sinne des Wortes. Dinge und Selbst-Inszenierungen gehen eine untrennbare Verbindung ein. Ausgewählte Dinge wie Sportutensilien und Pokale im Kinderzimmer wurden in ihrer Bedeutsamkeit und Wirkmächtigkeit vorgestellt. Pokalsammlungen repräsentieren die Sportgeschichte als Erfolgsgeschichte der Kinder im Zimmer. Als »territorial markers« tragen sie zur Aneignung und Personalisierung des eigenen Wohnbereichs der Kinder bei, und Pokale sind stets eine

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materialisierte Form der Anerkennung und Wertschätzung. Dinge und Objekte aber wurden nicht nur in ihrer Verweisfunktion dargestellt, die ihnen eine Stellvertreterposition zuweist. Mit Bezug auf Kontopodis (2012) wurde nach der Wirkmächtigkeit von Dingen im Kinderzimmer gefragt. Herausgearbeitet wurden der Aufforderungscharakter und das Netzwerk der Dinge, das sowohl Handlungen strukturiert als auch eine motivationale Kraft aufweist. Die doppelte Sicht auf die Dinge (Symbolik und agency) unterstreicht, dass das Kinderzimmer anhand der eingenommenen Perspektive der Dinge neu gedacht werden muss. Anerkennung und Selbstwirksamkeit können erfahren werden, und die Kinder sind die RegisseurInnen, die eigenständig (und durchaus auch widerständig) gestalten.

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Jutta Buchner-Fuhs

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The meaning of musical instruments and music technologies in children’s lives Jytte Bang

In this chapter, I will investigate the role of musical instruments in children’s lives. A musical instrument is a thing which has the capacity to produce a variation of sounds perceived as music when the musician follows certain conventions and rules. The child who learns to play a musical instrument involves him/herself both with music as a cultural field and with the steady technical and expressive requirements from the particular musical instrument. However, whereas music accompanies very many activities in everyday life of children, fewer children have such an active relationship with a musical instrument. The more so when what is practiced by the instrument is classical music. This gap between music as consumed (listening to) and music as practiced (playing) is interesting from a developmental perspective: what does it mean for a child to play a musical instrument? And in which ways may the gap between consuming music and playing music be relevant in children’s live in the recent historical period of advanced liberalism? In the chapter, I will investigate the role of musical instruments for children who practice classical music.

1. M ASS - PRODUCTION AND MASS - CONSUMP TION OF MUSIC Over the past more than a hundred years, the development and advancement of music technologies have improved the availability of music for mass consumption. Of course, the writing down of notes and the printing of sheet music formalized music and turned it into an object of distribution. The music became an object similar to a book and this implied, among other things, that musicians started referring to the printed page as »the music« just as much as to the sounds and the performances (Johnson 2002: 52). The sheet music initiated the distribution of music so that musicians can now practice, perform, and interpret a musical work anywhere and anytime they like. However, with the music technologies such as the microphone and the disc record

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gramophone invented in the 1880s (Morton Jr. 2004: 24), music became an object of mass-production and mass-consumption not seen before. In this process, children have become consumers as well. Today, children grow up with a western culture in which the market of music and the direct or indirect commercials (such as radio stations playing the same ›hits‹ over and over again, hence pushing the professional career of particular artists) not only makes the popular music of the day available – it pushes it forward and urges the children to buy or (more recently) to stream particular popular hits which, then, come to circulate among the children. The online availability on the internet furthers this development of mass-consumption of music concurrently with the advancements of technological devices, such as Smartphones. In general, the inventing of, and the use of ever new multi-functional music technologies, is an example of the mutual co-construction of technology and people (Schraube 2009). The mass-consumption of music is a phenomenon that has come to guide the activity of musicians, producers and music companies, as well as those who use the music in their everyday life. These reproducing music-consumer dialectics has turned music into an important means for conducting of the everyday social life among children. Children have access to various sorts of music that makes up the musical life-world which Klaus Holzkamp terms a media landscape (Holzkamp 2012a: 134). Most often, however, children seem to have a preference for current popular hits and there is a tendency that tastes formed in the youth persist into the adult years (Russel 1997: 146). This continuously puts pop music of the day into the centre of children’s musical preferences; further, it seems to remain as a preferred taste so that it probably becomes a kind of value at a personal level, upon which other kinds of music are being evaluated as ›good‹ vs. ›bad‹, or ›me‹ versus ›non-me‹. Constituting such a kind of ground for music taste, pop music of the day, more than other sorts of music, contributes to the on-going re-productive circle of mass-production and mass-consumption of music. Pop music, in particular, becomes the musical ground for children’s everyday life and it is listened to and used in various settings such as when spending time with friends at home or at public places, when practicing performance dance at the dance institute, when partying, when doing things alone to fill out the emptiness of the space and have a cosy time, to regulate or express one’s state of mood such as trying to feel more happy and outgoing or dig oneself into a private psychological space. In other words, music technologies invite children to use popular music in very many ways and music accompanies many different activities and moods. The everyday use of music technologies and of mass-distributed music does not require any kind of knowledge about the ways in which the music has been created (or technically produced). One can listen (or dance) to music without having a particular focus on the music itself, as long as it serves its purpose of regulating one’s mood or supports social activities. Listening and dancing

The meaning of musical instruments and music technologies in children’s lives

to music can happen indifferently to the process of creating it and a hit can be played in unattended ways; it can be played over and over again just because it ›sounds great‹ or makes one ›feel good‹; this repeated (however non-attending) focus on the hit goes on until it becomes ›so much last year‹ after a shorter or longer period of time. Hits keep the music industry going.

2. W HAT KIND OF THINGS ARE MUSIC INSTRUMENTS ? However, even though many children approach music from the perspective of mass-consumption and mass-technologies, some of them also play a musical instrument themselves. One may hypothesize that having an active relationship with the musical instrument as a particular thing with particular features and requirements may make a difference as to the meaning of music in those children’s lives. Contrary to the network things that can be referred to as music technologies, musical instruments constitute of another kind of things. (1) They are the means by which music is being played as a creation. Different music instruments have different characteristics: they are built differently and out of different materials; they must be handled – and they sound – differently; (2) they are things that are not approached easily if the child wants to learn to play. The child who might want to learn how to play music him/herself needs to become highly attentive to the characteristics and the requirements stemming from this kind of things. The flow of using already produced music through a technological device is promptly stopped and replaced by a very slow pace which stands in a notably contrast to the pace when using mass-produced music; (3) when playing an instrument, the instrument as materiality becomes inseparable from the music that is being produced by it. In some way, one may simply consider the music instrument a ›tool‹ for the ›producing‹ of music; that is, as means for an end similarly to practical tools which are part of handcraft activities. However, the practical handcraft metaphor for music instruments, according to which there is a tool which is used ›to get something done‹, draws on a linear-causal idea of things as ›tools‹ separate from what they ›are for‹: the tool is to ›get something done‹ and the product is the result of a process which appears as finished in the end of the process. Such a simple tool perspective does not hold true for musical instruments. Of course, one may claim that when a child plays an instrument, it is simply to ›produce‹ a melody and the instrument is the proper tool; but with music instruments, there is no temporal separation between process and product, those are identical. This is the reason why the meaning of music instruments in children’s lives must be analyzed inseparable from the music that they ›produce‹; one needs to distinguish these kind of things from both practical tools and other things in children’s lives (such as bikes or Nintendos); (4) Because the music instruments must be ana-

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lyzed inseparable from the music that the child learns to play, a further distinction needs to be made within the field of music itself. I would suggest that how the child approaches the music instrument and the meaning it acquires to them depends on what kind of music is being played. Even though there is a general repertoire of technical requirements and culturally accumulated and mediated standards across all sorts of music, there is a variation as to how and to which extent different sorts of music draw on these standards. One supposedly should expect to find variation concerning the child’s relationship with the instrument depending on the music learned: classical music, jazz, pop etc. So, to avoid both reductionist and too general analytical approaches to music instruments as important things in the lives of children, one must focus on the interrelationship between music instrument and the sort of music learned. The analytical focus should not merely be put on the musical instrument as a thing which ›produces‹ sounds (music); it should be put on the interrelatedness of thing-and-sound with thing and sound both being cultural artefacts. It may be that it is merely sounds that are being produced when first a child approaches a musical instrument; however, once the child starts learning the instrument, the many dimensions of the dialectically determined artefact opens up and ›speaks‹ to the practitioner in the form of requirements and demands as well as invitations stemming from the musical instrument as well as from sheets. What is required from the practitioner is to play music; and playing music requires instrumental technical skills. From this moment the immediacy of the instrument as a sound-producer is transgressed and the instrument-music interrelationship is about to begin. As an example of human activity, playing the musical instrument and playing the music should be considered one interrelated (dialectical) analytical unit; that is, an object according to which the music ›plays‹ the musical instrument fully as much as the musical instrument plays the music. What is the means and what is the end in fact goes in both directions and it is through this interrelation between the musical instrument and the music that the possible cultural worlds of music making in general become reachable. In short, the meaning of musical instruments is inseparable from the meaning of music. The interrelatedness of thing and the activity carried out by including the thing is a general point which holds true for artefacts as such. Artefacts are both the results of, and means for, human societal praxis and therefore they are inseparable from both the contextual use in which they acquire their specific meaning and from the overall reification of cultural meaning across, or within, different historical periods of time. As for music, it has a very long cultural history which is expressed also in the mutual development of musical instruments and music genre. Before I go on to analyze how the instrument-music unit becomes a meaningful unit in the lives of children, I will first specify these general points concerning the artefacts in a theoretical manner. I will do so by

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relating Evald Ilyenkov’s (Ilyenkov 1977; Bakhurst 1991: 175ff.) concept of ›the ideal‹ to Marx Wartofsky’s (1974) theory of primary, secondary and tertiary artefacts. By doing so, it is intended to improve the opportunities to analyze more detailed which role music instruments may play in children’s lives.

3. THE IDE AL CHAR ACTER OF ARTEFACTS AND THEIR PRIMARY, SECONDARY, AND TERTIARY DIMENSIONS Following a common distinction between materiality and non-materiality, music instruments and music may be viewed from two different and disconnected perspectives: from an objectivist position, music instruments are material things with particular physical characteristics and music is the continuation of physical sounds which reaches the ear and are perceived by the listener. The connection between music instrument and music lies in the physical activities unfolded while producing the sounds. From a subjectivist position, on the other hand, the non-material character of music lies in the interpretive perception of the sounds reaching the ear as music. Music, from this position, is a result of psychic activity which puts together the sounds. Such a separation of materiality (the realm of physical ›things‹) and non-materiality (the realm of ›mentality‹) is associated with the empiricism of, among others, John Locke (1961) and with Cartesian dualism. The philosopher Evald Ilyenkov’s theory of artefacts (1977) and his concept of ›the ideal‹ constitute an alternative theoretical frame which attempts to overcome the problematic dualism of materiality and non-materiality. In the case of music instruments and music, the dualism is problematic because it offers no way to understand the music instruments and the music as artefacts, that is, as human made things with a cultural and societal history. With a dualist account on music instruments, music, and playing/listening, we are being trapped in immediacy; there is nothing beyond the material and the non-material aspects of the ever ongoing ›now‹; finding oneself in such a conceptual and analytical trap, it becomes difficult to understand both how music instruments and music constitute a phenomenal whole and also to understand the role of music instruments in children’s lives as more than the presence of materiality. This ›more‹ is the crucial part of the analysis which may be grasped theoretically by Ilyenkov’s theory. Ilyenkov basically tries to approach both positions (objectivism and subjectivism) dialectically by trying to incorporate the positive insights from both while overcoming their weaknesses (Ilyenkov 1977; Bakhurst 1991: 175ff.). For that purpose, he introduces the concept of the ideal which covers phenomena that are both subjective and objective. Those phenomena are the artefacts, that is, any kind of object (not only material things) produced by humans for

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human purposes. Since the human world basically is artefactual, this makes ›the ideal‹ an essential quality of human cultural life. The ideal dimension of artefacts implies that the objective and the subjective are no longer mutually exclusive categories. To understand how ideality gets into the world, one has to turn the attention towards the human activity. It is through the human activity that humans realize their societal life: they invent and produce things for own needs, hence in the same process create new societal needs (Leontiev 1981). The role of these things-as-artefacts can only be understood properly by resolving the dualist account on artefacts: a table, for instance, is a natural entity; yet, a purely objectivist notion of the table would leave out the societal dimensions of the table – the becoming and the use of the table for the purpose of societal needs. Such an account would fail to express the difference between being a table and being a lump of wood (Bakhurst 1991: 182). However, there is a difference and it can only be conceived through the understanding of human activity. Humans objectify (reify) their own activity in objects which, in this process, become artefacts. The human activity becomes embodied in the artefact and any natural thing being manufactured acquires an ideal form in this process. By ideal form is meant an embodiment of purpose by which the object acquires significance, and it is this significance that is the ideal form of the object (ibid.). This elevates it from being a mere natural object to being a cultural object with ideal properties. Those objects are not mental projections; rather, it is through material activity that the objects become artefacts in that humans invest them with significance (ideal form). This implies (1) that ideal phenomena have an objective existence in the world, and that (2) this objective existence is realized through human activity. Along similar theoretical lines, Marx Wartofsky (1974) considers an artefact a part of human practice and an integral part of the development of human societal living. The artefact has, he claims, a dual function in that it is both a means to an end (a tool) and at the same time objectifies an intention (similarly to Ilyenkov’s idea of invested significance). Considered as a tool, it is a primary artefact and considered as objectified intention (the ideal dimension), it is a secondary artefact. The artefact being simultaneously primary and secondary may be conceived as two sides of the same coin: it is in the capacity of being a tool that it also represents (symbolizes) an intention to be used in a certain way; namely the way it is used as a tool. The secondary dimension of the artefact indicates that any particular artefact is also a ›type‹ which transcends a particular use and represents a repetition of such uses in general. Hence, the artefact exemplifies its own use and can be viewed itself as a prototype, that is, a reproducible object which may be replaced by other similar artefacts which also are representatives, or symbolic examples, of a general praxis. In this general sense, any artefact becomes an instrument of cultural transmission of acquired skills and understanding and a guide to the reproduction of a specific prac-

The meaning of musical instruments and music technologies in children’s lives

tice and human activities. The secondary qualities of an artefact imply that the representativeness (symbolic qualities) of the particular artefact may become relatively detached from the actual practical use (as a tool) and in this way may become the object for extended use following human imagination and reflection; one should not think of artefacts in limited or rigid ways; rather, there is a creative flow stemming from the on-going reproduced and transcended use. As a continuation of the dual identity of an artefact and the possibility of detaching its representativeness, Wartofsky finds that there is a third way in which artefacts appear; that is a dimension which becomes possible when the artefact-as-symbol becomes non-representational; this may happen if it becomes separated from the contexts of its use as a tool and as a representative symbol. Those so-called tertiary artefacts themselves come to constitute a world of objects with (new) similar primary and secondary qualities. Wartofsky suggests that they constitute the domain of our ›useless‹ (non-functional) activity such as play and imagination Wartofsky (1974). The tertiary artefacts are characterized by being abstracted from their direct representational function; they constitute a domain in which there is freedom in the imagination differently from, say, rules adopted for everyday practice.

4. THE ARTEFACT QUALITIES OF MUSIC INSTRUMENTS AND OF MUSIC

As argued earlier, the analytical focus when researching the meaning of musical instruments in children’s lives must lie on the interrelationship between music instrument and the sort of music played; this, rather than the instrument in itself as a thing which ›produces‹ sounds (music). Both thing and sound (= music) are cultural artefacts in Ilyenkov’s (1977) and Wartofsky’s (1974) sense. To conceive the specific dialectical character of instrument-and-music, I will need to ignore the fact that Wartofsky tends to specify the different dimensions of artefacts also as different categories. It may be relevant to deal with artefacts as ›tertiary‹ as a result of societal processes that encourages abstractions and non-representativeness in special sorts of artefacts, such as with art. However, I would suggest that when analyzing musical instruments, all of the three dimensions are simultaneously embodied in the process of actually playing the instrument/the music. Following a Marxian philosophy (like Ilyenkov does), the dialectic of materiality and ideality of artefacts constitutes an important approach by help of which one can investigate the reciprocal and transactional relationship of humans and their environment. Within this overall theoretical perspective, I suggest that when having the instrument-and-music as the analytical object, this object embodies all three dimensions: the object constitutes a dialectical unit of primary, secondary, and tertiary artefacts with a particular

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ideal form which is specific to this artefact. To sum up: instruments-and-music consists of two artefacts (musical instruments and music) with interrelated ideal forms. Further, when practicing music – that is, when viewed from the perspective of human activity (playing the music) as a unit – the two become an analytical object which constitutes a dialectical interrelationship between the musical instrument as a ›tool‹, and the music as the ›product‹. One cannot analyze the meaning of musical instruments without analyzing the meaning of music; those are inseparable. Obviously, a music instrument is a primary artefact with material qualities in that it is a ›tool‹ which is used to ›produce‹ music. Further, it is a secondary artefact in that it is representative to (symbolizes) its own generalized use: any violin or any piano, for example, is a representative example of what violins and pianos are for; they are for playing music and in this sense any particular instrument exemplifies the possible cultural world of playing music. Further, music as an artefact embodies non-representative artefactual qualities: it is expressive and something ›is done‹ by music even if not in a direct and practical sense and even when not followed by an end product like with craftwork. Following Christina Schachtner’s (this volume) conceiving of things, musical instruments have a double character: they have a practical/ instrumental character which makes them suitable for playing music; and they also embody the possibilities for the children to have meaningful experiences (Erlebnisbedeutung) in their life-worlds.

5. E XPLORING THE INSTRUMENT- MUSIC DIALECTICS — THE CASE OF CL ASSICAL MUSIC

To explore what musical instruments mean in children’s lives in some more detail, I (a) will take the classical music as an analytical example. I will explore the instrument-music dialectic by first focusing on the music: what sort of music is classical music: what are its characteristics and requirements? And then (b) I will analyze the interwoven character of mastering the instrument and playing the music; this analysis I will carry out on the basis of a group interview of three 13-years old children, who are in a long process of learning to play classical music. Such a phenomenological first-person perspective intends to get more specific and fruitful answers to the question of what it specifically means to the children to master a musical instrument as an artefact (Zahavi 2008: 11ff.). Recent theorists of developmental processes in childhood (Hedegaard et al. 2008; Hedegaard et al. 2012; Bang 2009; Bang 2012) takes as its methodological ground the idea of the child’s perspective which draws on insights from phenomenology as well as from cultural-historical, critical, and ecological psychology (Holzkamp 2012a; Barker 1968; Gibson 1979). The focus for researchers of the child’s perspective is put on the child’s experiences

The meaning of musical instruments and music technologies in children’s lives

of being »me« viewed relative to the experienced meaningfulness of participating in various activities in the life-world of the children. It is researched, in which specific ways the child’s participation in shared social and cultural settings is a vehicle of his/her developmental changes. This perspective implies that the research of the role of music instruments in children’s lives must also reflect upon the meaning of particular activities (practicing the instrument within a particular sort of music) relative to the overall life-world of the children. I shall return to this issue after first having analyzed the artefact of classical music and how children approach their musical instrument within this musical genre.

5.1 The characteristics and requirements of classical music — what is it that the young performers meet? In his book Who Needs Classical Music? Julian Johnson discusses what characterizes classical music (in relation to pop music) (Johnson 2002: 42ff.). Based on his writings, I will excerpt the following interconnected dimensions which, taken together, constitute a complex set of values and musical requirements which make the music a special and culturally developed artefact in its own right; those characteristics are also what guide the young performers when approaching the musical instrument as an artefact: •





One of the things that characterize classical music is its indirect relation to the everyday life as such. Classical music does not relate directly to the everyday life but takes aspects of the experiences of everyday life that are being reworked and reflected back in altered forms. It invites the young performer to take part in musical experiences where there is a letting go of the immediacy found in the child’s everyday life. Classical music does not live up to the common idea of music as a ›mood‹, an ›ambience‹, or an ›environment‹; rather, it requires of the young performer to be acknowledged as an object with its own specific structural and linguistic characteristics. S/he needs to attend to how the music is made with its notes, chords, instrumentation, structure, and form. S/he must learn to acknowledge classical music’s self-consciously attending to its own musical language and learn to be concerned with its own materials and formal patterning. Because of the tension between the physical materials (being an object) and the thought/ideas (the composer’s work), the young performer needs to understand classical music as a sensuous object and a patterning which is more than the sum of the sensuous parts; s/he must learn to understand that the particular work of the music played exists between the idea of the work and its realization in performance.

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Its object qualities lay in its unfolding of a discursive and temporal narrative and the young performer needs to learn how the form in music arises from such temporal unfolding. S/he needs to understand the meaning of the differentiation of events and materials, the patterning of their development and variation, the contrast, interruption, and transcendence in the music. Engaging with the work requires following the unfolding of difference and the subtle changes in character, mood, pace, attitude, tone, and bearing, as well as sudden events that threaten the work’s coherence, right through to the denouement and resolution. It is story-like in that its unfolding depends on narrative devices of character, transformation, development, interaction, anticipation, recall, pacing, and plot. The young performer must learn to understand duration also as patterns of repetition, transformation, recall, and anticipation Since it provides the young performer with an immediate experience in which it reflect on itself within its unfolding process, the child needs to understand how the music is meaningful without having a paraphrasable meaning. It ›speaks‹ in sentences without words. S/he must learn to understand the music in this way while practicing it.

These complex dimensions of classical music: its lack of immediacy; its insistence on being a complex object with a richness of narrative and story-like details; its wordless meaning to be understood and transformed into performance – all of this obviously require much effort of the young performer, who only over an extended period of time (many years) will become a skilled performer.

5.2 The development of skills and practice strategies According to Susan Hallam et al., one can identify certain patterns in the development of practice strategies in young people (Hallam et al. 2012: 653). The time of practice extends with the development of skills, and vice versa. Professional musicians practice by trying to get an overview of the music; they listen to the music and they try to identify the difficult places with regard to the formal structure of the music. The difficult places are being segregated into small units which are gradually put together during the study of the music. There seems to be a connection between such goal-directed strategies and the musical development and expertise. The newcomer does not necessarily correct his/ her failures and in general s/he lacks a schemata of the music practiced. Such skills develop as part of the self-regulating strategies of the young practitioner and one can identify the emergence of specific skills such as having well defined goals for practicing; increased focus on the tasks; practice small difficult parts separately and repeatedly; practice slowly; listen to recordings and think about the music. Those are demanding requirements which may cause ambiv-

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alence as to whether the child actually wants to continue his/her learning process. Whereas the newcomer may enjoy the progress acquired in the early phases and very skilled musicians may enjoy playing very well, practicing between those two skill positions may be a quite demanding and, at times, perhaps less pleasant experience due to increasing requirements described.

6. THE CHILDREN ’S VOICES These characteristics of classical music and music learning tend to turn the instrument-music relationship into a continuous endeavor to improve the performance and work on the details; there seems to be something endless and boundless about the instrument-music relationship; there are new horizons, many of which lie in the detail, and they appear along the way of practicing and of the coming to understand the piece of music played; not only new pieces but the details of already learned pieces constitute ever progressive challenges to the child. Mastering the instrument positively such as playing a piece of music with effort and delight, always brings along a tiny productive ›negativity‹: it is never really finished, it can always be played differently and maybe better. Even when the child masters the technical challenges of a piece of music well, there is always the questing left: how was the understanding and feeling of the music expressed, did we feel touched by listening to it? For example, a tragic, or a happy, piece of music should sound authentic and playing it mechanically sounds ›wrong‹. In a study which attempted to understand teens’ development of skills for agency and their subjectively experienced challenges (high-school aged teens work on arts, technology, and leadership projects), Reed W. Larson found that experienced challenges might be both indirectly related to the learning process, such as family issues or school work, and directly related to the process due to experienced boredom or the character of the work itself (Larson 2011: 92f.). Apparent internal motivational or emotional challenges often seemed related to external components of the teen’s actual situation. They wanted to be able to work but reported feeling only little focused or feeling lazy. Hence, the experienced challenges among teens seem to lie in the fact that their minds are not always cooperating with their goals; they cannot not just ›push a button‹ to make themselves motivated and they experience frequent emotional challenges in that process. Similar to this study one might expect children to also experience such motivational and emotional challenges while learning to play a musical instrument: the work itself is challenging as argued above and in addition to this, practicing is neither disconnected to the life of the child nor to his/her self-experience. To better understand how children actually approach their instruments, their musical learning process, and how they think and feel about learning

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classical music, I have carried out a semi-structured group interview with three 13-years old girls who have passed the early phases of practicing and are no longer total newcomers. In the interview, I wanted to focus on (1) their relationships with their musical instruments as things; (2) their relationship with the music that they practice; and (3) in which ways practicing classical music may (or may not) be a meaningful part of their life-worlds. I have a personal relationship with the girls and was fortunate that they accepted my invitation to carry out an interview. The interview took place in my home with the following children: Ellen who started playing the violin at the age of three, Julie who started playing the violin at the age of nine, and Josephine who started playing the piano at the age of nine.

6.1 What children think of musical instruments as things In the interview I first asked the children to describe the instruments that they play as things and they did so by referring partly to the outer look of the instruments, to what others might say about them, and to bodily considerations while handling the instruments: Josephine: »I like it when there is some golden decoration on a piano.« Ellen: »A grand piano looks like some coffin that vampires sleep in…especially when it is open (everyone laughs)….(the violin) looks good….if I had not seen a violin before I think that I would say it looks a bit like a machine-thing (laughs a bit)…(points)…there are the buttons that one uses to tune it.« Julie: »If I could not play the violin I might think that it looks quite complicated, because one cannot just like…push down, I mean, the keyboard is straight forward…with a violin one has to hold it and one cannot just see what to do with it (shows by moving the hands on the strings).« Ellen: »There was one period when I felt really tense in my arm and it always ached when I had been practicing – but I don’t do that anymore…If one is nervous and doesn’t feel sure that one masters the piece then one is totally tense in the muscles and then it can be quite difficult to make it sound good and to do the vibrato.« Julie (takes up her violin as if she were to play): »It feels light, it is easy to hold (moved the violin to her shoulder)….Well, people they always do like…(she takes the violin with her right hand and puts it to her right shoulder in a stiff and clumsy way to illustrate how other children have handled her violin when they have showed interest in; her disfigured way of holding the violin makes everyone laugh).«

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6.2 What the children think about the music that they play However, the perspective on the instruments changes when I ask them to describe a piece of music that they have practiced recently. Rather than being an outer ›thing‹ and an object of conversation, for all three girls the musical instrument now is described as an inseparable part of the music. One can see how they have started to focus on the details of sounds and of narratives as well as the meaning of the musical pieces; the minor parts of the pieces are identified as significant parts of a whole and as such they constitute a source of both pleasure and technical difficulty: Ellen: »At the moment I play a piece by an Italian composer…it is a caprice or etude and…one….there is…(sings the scale run)…there is a note that is repeated all of the time… and after each note, all of the time one goes to the d-string and it’s like that throughout the piece…and then there is a place where one goes to the 11th position and that sounds very good…I asked my teacher what a caprice is and she said that it is when one is in the mountains and there are some very naughty sheep and they push and tease…and this piece is like that….I just think that it is a rather good piece…that is quite fun…the whole piece is build up by a few scales but it still sounds very difficult even though it is very simple and I like that.« Josephine: »I have practiced Beethoven’s für Elise…it is long and difficult and I need to focus on each note…like ›this note should not be forte and this one should, and this one should not and this one should‹ (laughs)…and if I play it wrongly then she (the teacher) stops me and says ›no, no, this one should not be forte, it is only this one that should’… all the time very detailed….and the piece changes…sometimes it’s a bit more ›happy‹ and then it gets gloomy and sad, and then it ends…the theme is repeated all of the time….I really like the piece…I like the first intermezzo because it is a bit more happy and one ›jumps‹ a bit more and one runs up and down the keyboard and that is fun when one masters it…and in the end there is a change where is moves from a bit happier to more gloomy and then the theme returns…and then I like the transition to the gloomy part because it comes suddenly…oh, the piece also quite a bit tells a story…in a way there is a story…it is good to help imagine a story…it is easier to imagine the phrases because one knows how it is like…it is said that he (Beethoven) wrote the piece for…that it is a real story, right? Therefore it is easier to think in one’s head how it is to sound.« Julie: I am practicing a piece by Seitz…I really like it, in the beginning it is quite happy and also I like to play two strings at a time, that is quite fun…it sounds quite good…I don’t know…first it is happy and then it turns a bit sad and then there is a fun place because one has to play rather fast….and also I really like the ending.«

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In all of the cases, the girls constantly switch in rather blurred ways between talking about the technical challenging related to playing their musical instrument and talking about the music that they are practicing. The musical instrument is no longer talked about as an outer thing but as a way to express the meaning of the music by way of technical details. Mastering the technical details seems to be a source of positive musical experiencing in the girls: they all enjoy the particular details of the sounds they produce through the instrument (the 11th position »sounds very good«; it is fun to »run up and down the keyboard«; playing two strings at the same time »sounds quite good«); but at the same time, the ever new technical challenges feel demanding. In short, the children learn to play and they practice by finding themselves in such a tension filled emotional space. In all three cases there seems to be a close interrelation between the meaning of the music that they try to grasp (the music changes from ›happy‹ to ›sad‹, for instance, and it expresses something that may have happened in real life or it expresses general human feelings such as happiness, joy, despair, sorrow, or hope in an altered form) and the technical details as very significant parts of the whole; to the girls, those details are a source of both understanding the meaning of the music as well as of expressing their understanding through the musical temporality, narrative, and its linguistic form (it is easier to »think in one’s head« how it sounds when one has a feel of the story). They are digging themselves into what Johnson terms classical music’s »self-consciously attention to its own musical language«; to its letting go of the immediacy of everyday life and the returning of everyday life themes in altered forms; and to the interrelationship of musical idea and musical form (Johnson 2002: 3). The three cases seem to evidence the theoretical ideas explored earlier: that one cannot analyze the meaning of musical instruments without analyzing the meaning of music; that is, those are inseparable. The musical instruments both exemplify, and open the gates, to the possible worlds of classical music. This is how Wartofsky’s three-dimensional concept of the artefact comes into play: the instrument is a primary artefact as it is a ›tool‹ for making music; it is a secondary artefact in that it is a representative of the generalized cultural meaning of making the music; further, it becomes a tertiary artefact in the moment it is inseparably interrelated with playing music. As expressed in the examples, the instrument-music relationship becomes a unit to the children; the tying together of the ideal artefact dimensions of (1) the instrument (being produced for the purpose of playing music) and (2) the music (like other art forms) as a method for building life (Vygotsky 1925/1971) opens up for new ways of ›using‹ the artefacts. The tertiary ideal dimension lies in the instrument-music unit embodying non-representative qualities, which may be explored in an open manner that, further, may open up new possible worlds of understanding and expressing the musical meaning. To enter the instrument-music unit (like

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the girls above) is to enter into a dialogue with historical, cultural, institutional, and creative dimensions of the artefact; that is, to enter into a dialogue with its ideal capacities, musically and humanly. Being occupied with what expressive difference it makes if one plays a particular note forte or piano becomes a matter of the performer’s responsible care taking of the idea of the particular piece – the meaning of the music as such may change by help of such minor, yet great, differences of the detail.

7. V ALUE ORIENTATION AND CHILDREN ’S PARTICIPATION IN ACTIVIT Y SE T TINGS

In the above analysis, I have been occupied with the meaning of musical instruments as interrelated with the music played. This interrelatedness only happens when the requirements and the demands stemming from both the musical instrument and the music is taken seriously; this indicates (as one can see from the interview) that working oneself into the instrument-music interrelationship becomes a personal matter for those who take responsibility for the qualities of instrument as an artefact. The children do not work within this unit in any detached way; on the contrary, they grow into it as persons and allow their self-relationship get influenced by the (implicit and explicit) values of the activities. In this sense, it constitutes both a capacity for personal development and self-reflection but also – since playing an instrument in the classical genre is not exactly a common activity among children – a capacity for ›being different‹. In the next section of the article, I will explore the social meaning of playing the instrument; I will discuss this theme from the perspective of value orientation among children and reflect upon how the value orientation of both classical music and the longstanding effort that it requires gets along with recent societal perspective of the individual.

7.1 An intergenerational view on value orientation According to Vern Bengtson and Mary Christine Lovejoy value orientation has an existential dimension and develops as interrelated with the social structure of people’s lives in both a historical and a local contextual manner (Bengston/ Lovejoy 1973: 103). According to this view, researching value orientation means focusing on how life experiences are related to the individual’s location in social structure as well as on the interrelationship between the various elements informing a value system throughout the life-course of the individual and the period of history in which the individual unfolds his/her life (ibid.). Following this perspective, value orientation may vary and differ with progression through age-related social positions and developmental processes of the child;

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and it may change also with the agenda and discourses of a historical period of time as this is reflected (co-constructed, opposed, ignored) in the particularities of complex human everyday life. Bengtson and Lovejoy consider this interrelationship between individual and period of societal history intergenerational. Some socially evolved values are very broad (such as the value of using and listening to music as a positive experience in people’s lives) and some are more specific and not shared by a larger community but rather created through the interaction with specific and significant others in some social context (playing classical violin or piano, for instance). This opens up for an exploration of variability and changeability of particular and overall value orientations among individuals and groups of individuals. A somewhat simplistic intergenerational view on values might suggest that values follow generations; that children of today share no (or only little) values with the older generations. In fact this idea is not far from recent sociological analysis of late modernity. However, less simplistically, there may be both variations of value orientations at the same generational level (such as class mates and peers), on the one side, and similarities of value orientations across generational levels on the other side. Such intergenerational criss-crossings of value orientations become understandable from a cultural-historical perspective, according to which children concurrently participate in several institutional setting in their everyday life. Mariane Hedegaard theorizes how children participate in activities at home, at school, in after-school activities, etc (Hedegaard 2008b: 10ff.). The individual child’s participation in these multi-contextual institutional settings offers the child different developmental possibilities, some of which may add to each other, some of which run parallel, and some of which may even contradict each other as to value orientation. Hedegaard argues that it is through the participation in these varied activity settings that the child develops his/her motives and competencies; and further, that developmental changes are connected to the changes in the child’s social situation. Such a change may happen when a child participate in new institutional activities such as playing a musical instrument. Margaret Barrett finds that even young children use music for self-regulation and identity work (Barrett 2010: 404) and Ben Schnare et al. are interested in how musical activities among musicians are associated with self-development (the »hoped for self« and the »the feared self«, for instance) (Schnare et al. 2011: 95). As described earlier, practicing the instrument requires much effort and persistent will to push oneself through the on-going technical challenges. Participating in the case of the musical instrument requires the unfolding of a personal and longstanding relationship with a cultural artefact within the institutional settings such as practice, lessons, and concerts. Other institutional settings – such as school – do not require the same degree of personal involvement and will. It is possible to attend school without persistently putting effort into all subject matters and work in the detail. After-school activities are different

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too because they are based mostly on what the child feels like doing in his/her immediate environment. In short, when viewed from the child’s perspective, playing a classical instrument is one sort of activity among several others in the everyday of the child. What this particular activity means to the single child depends on the wholeness of particular complex meaning of the multiple activities and institutional settings in which the child takes part.

7.2 Growing up with advanced liberalism However, one issue may be worth to mention. When relating the cultural-historical perspective to the intergenerational perspective, one might find that some activities and some values orientations are more in accordance with recent societal tendencies than are others. Developing specialized skills within a particular institution does not necessarily fit with the overall view on the individual in advanced liberalism (Walkerdine/Bansel 2010). Valerie Walkerdine and Peter Bansel suggest the term of super-alienation as a special (radical) form of the traditional Marxian concept of alienation; super-alienation refers to the phenomenon of entrepreneurial individuals operating in accordance with the competitive market logics; these individuals unfold self-realization through their work and feel ›free‹ in the sense that they embody that which their company is selling and make it their own value; that is, a value concerning themselves (ibid.). In advanced liberalism, the value orientation concerning the self is that of the consumer; the self-regulation of the entrepreneurial individual is influenced by consumption and market logics. If we try to apply these ideas about advanced liberalism and the individual on the field of musical instruments and music technologies, we may find not only a variation but maybe even a contradiction. While the musical instrument requires much effort and specialized skills, all moving forward with a slow pace and persistent will, the mass consumption of pop music through music technologies is associated with ever changing focus on what is ›new‹ and what is ›old‹; this value orientation among children and adolescents seems interrelated with the music industry and its market logic: the music industry is continuously interested in filling out the circulating quest for ›newness‹: new bands; new artists; new performances. In advanced liberalism, pop music turns into such an industry which produces musical ›goods‹ for the market. Children (and adolescents) are the consumers who direct their value orientation towards pop music of the day. In this way, pop music becomes a part of the individual’s self-realization under the conditions of advanced liberalism and a way to position oneself as a legitimate member of a performance culture. One may find that children find themselves in recirculating market logics which may grow to super-alienation if they cannot escape it. Viewed in this way, artefacts which invite children into a cultural room of specialized skills, focus on the cultural values of the particular artefact

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and activities related to it, may be considered also a critical comment to advanced liberalism’s perspective on the individual. These dynamic movements are what constitute the lives of children in recent western society; the children themselves seem to be aware of these dynamics and value orientations and they take them seriously as we can see from the interviews. The three girls reflect both upon their musical interests and how they are met by others; and upon pop music and what one can do with it.

8. C L ASSICAL MUSIC AND POP MUSIC In the interviews, the three girls seem to experience a clash between value orientations since pop music is streamed all of the time and classical music is not streamed at all. They feel that they meet some fixed prejudices and some more or less explicit aversions and negativism concerning the object of their musical interest among peers: Josephine: »I do feel disappointed if some of my friends put up their hand and say that they don’t like it…I have tried to talk with M about it because she did put up her hand and she said that she had nothing against it but she doesn’t listen to it and she also finds it to be a bit boring…it can be a bit ›hmmrf!‹ when she says that it is boring because, you know, I play it and if I am going to play at the morning assembly at school, I can feel like ›oh, I’m going to play!‹ and I know that some children will think ›argh, classical music‹… then I can think about it a bit.« Julie: »Even M, who actually is very nice, thinks that it is boring and that means that there are thousands of other children who also think that way….and so one can be like…›people think it is boring‹…get a bit disappointed…get annoyed because one’s friends aren’t really supportive….I would never go say to someone like ›argh, I think that dance is really boring‹.« Ellen: »One of my friends started to play the piano and I expected that she would play something similar to what Josephine plays (classical music), so that we could talk about classical music together and so that I would have one more who would understand it… but she plays rhythmic music and pop songs….I can talk with her about the piano but I cannot talk with her about classical music.«

Quite obviously, all of the girls feel frustrated that the realm of musical activities that they appreciate are neither recognized as relevant nor acknowledged as valuable among their peers and friends. The activities appear to be somewhat disconnected to the ordinary everyday life with friends who only seem to know classical music from an outer perspective. However, even though they do

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feel this lack of meaningful connection to peers, being engaged with instrument-music relationship persists to also be part of their everyday life without disturbing other relations that they do have with their friends. In this sense, it occurs to be a variation (rather than a conflict, even though it probably could be if conditions of life were differently and more tension-filled) of value orientation which develops and consolidates itself along the way. The variation perspective is repeated when it comes to the question of how playing an instrument oneself in the classical music genre gets along with the pop music widely distributed and circulated by music technologies. Again there seems to be a hidden intergenerational issue running through the narrative of what is acceptable to like and what is not. Apparently, one should keep a research focus on similar differentiations also within the genre itself, in that pop is not just pop. Mirroring possible general tendencies in the three girls’ reflections, children seem to operate with an invisible demarcation between recent (cool) pop and old (not cool) pop. In general, ›old‹ and ›new‹ is a repeated scheme for musical value orientation, hiding presumably an even deeper schematic value stemming from the cultural influence of Enlightenment ideas, such as the idea that change is progressive and humanism moves forward historically. When asked about pop, the girls say: Ellen: »Pop is too…not electro-like, but a bit too artificial in a way…it’s okay with dance music but I don’t think that I would be able to concentrate about it if I just were to sit down and listen to a pop CD….I would have to do something while listening […] pop music is more like dance music…classical music tells a story…pop music is more like it is repeated again and again and one just has to dance and have fun with one’s friends… also, the texts are much the same in pop music.« Josephine: »I wouldn’t play the last and newest hits, I wouldn’t do that…it should be more like…I wouldn’t mind playing some Michael Jackson or Beatles or so, that would be okay….I respect it more…it is not just all about the technological stuff.« Ellen: »Beatles and Michael Jackson it’s more like their own kind of pop…the pop music of today is mostly repetitions all of the time […] when someone asks ›what is your favorite pop song?‹ and I mention a rather old song…one which is quite unique…then people say ›argh, it’s really old‹…It is as if it always must be the newest of the new.« Josephine: »There is a difference between what I just hear and what I really listen to… LISTEN to…but one can never avoid the new music…what is played in the radio can still become catchy tunes, one cannot avoid them and therefore I do listen to that music sometimes and I think ›well, you could get this one on the brain‹, right? But it is not something I would say is especially good music or unique.«

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9. D E VELOPMENTAL CONSIDER ATIONS When trying to generalize what is said here, it seems that playing a classical music instrument improves reflexivity about music in general as well as how different kinds of music relate to different kinds of activities and institutional settings. Further, it seems to improve the development of self-reflexivity in terms of how the self relates to values and activities in peer groups and in society. The three girls seem to be influenced by their musical interests in the sense that they reflect upon pop music in a selective and somewhat critical way; and as they allows it to fill out some space in their everyday life, they do not accept all kind of pop music; some of the new pop music does not receive much respect among the girls and is being characterized as something impossible to ›avoid‹ because playlists and music technologies seem to force it upon them wherever they are. Both in the case of classical music and in the case of pop music, »boring« is an often used term. Apparently, it is a term used for sort of music that one does not feel comfortable with or cannot relate meaningfully to with regard to personal values. What is being »boring« and what is not seems to depend on the role it plays in the children’s lives. There is a connection between musical identity, musical preferences and behavior and classical music often indicate being ›boring‹ whereas pop and dance music indicates having fun and being popular (Clarke/Dibben/Pitts 2010: 138). These emotional and value oriented connotations of different kinds of music potentially turns the taste of music and the playing a classical music into an important developmental matter in a wider sense. In some way, playing a classical music instrument not merely means that the children develop skills within specific cultural settings; it also means that by doing so, they embody values which become inseparable from who they are as societal beings. In this sense, the emerging values related to the musical development of the children become a kind of comment to overall societal values as they are crystalized into the specific range of values in children’s lives. In other words, one might conclude that playing a classical musical instrument may contribute to a kind of a resistance position in which ›new‹ does not just mean ›good‹ but may as well mean ›boring‹ or even ›bad‹. For the children – within such a positively experienced resistance position – playing a musical instrument may contribute to counterbalancing the influence of advanced liberalism’s consumer identity in children’s lives and add to the development of discriminative potentialities and self-reflexivity.

C ONCLUSION In the article I have found that musical instruments play a complex role in children’s lives. The technical requirements of the instrument – taken together

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with the music as an artefact – offer the children opportunities for the development of particular skills and the participation in cultural institutionalized activities; these improve the development of personal competencies such as a will to overcome resistance, focus on the requirements of an object, a developing interest in intergenerational mediated culture. Further, within the tension between advanced liberalism’s view on the individual and the variation of the multi-contextual activity setting of the children’s everyday life, the classical musical instrument may enable a position of resistance to the consumer logic of recent western society. In this way, the different sorts of music co-exist in the everyday life and may counterbalance each other in the process of value orientation among children.

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Puppen — Besondere Dinge für Kinder? Insa Fooken »Die Puppe, ist sie nicht die Begleiterin der Menschheit von ihrer frühesten Kindheit an? Wer weiß, wieviel wir ihr zu verdanken haben? […] War nicht im selben Augenblick, in dem die erste Puppe aus einem Lehmklumpen oder vielleicht etwas zusammengerolltem Gras geformt wurde, die Phantasie geboren worden und mit ihr das Spiel, die Dichtung, die schönen Künste?« (Lagerlöf 1974: 258).

Im vorliegenden Beitrag werden Puppen exemplarisch als ›besondere Dinge‹ in den kindlichen Lebenswelten betrachtet. Puppen sind seit Urzeiten (kulturspezifische) Menschheitsbegleiter und bieten aufgrund ihrer Menschenähnlichkeit einen spezifischen Resonanz- und Gestaltungsraum für Kinder und deren Entwicklung. Angesichts der aktuell zu beobachtenden Überflutung der Kinderzimmer mit Dingen wird die These aufgestellt, dass Puppen zu einer ›bedrohten Spezies‹ in der Lebenswelt postmoderner Kinder geworden sind. Dies wird bedauert. Daher werden einige historische Texte sowie alltagsbezogene Beobachtungen herangezogen, die den potentiellen ›Mehrwert‹ dieser ›besonderen‹ Objekte veranschaulichen. Auch die hier skizzierten Zusammenhänge zwischen Puppen und kindlicher Entwicklung sprechen für Sinn und Zweck von Puppen in den Kinderwelten, insbesondere dann, wenn ihr Dingcharakter ›offen‹ ist. Dass Puppen als kulturelle Artefakte sowohl aus machtpolitischer als auch inklusionspädagogischer Perspektive nicht zu unterschätzende Botschafter der herrschenden Verhältnisse in den kindlichen Lebenswelten sein können, wird mit einem kurzen Rekurs auf brasilianische Forschungsarbeiten diskutiert.

1. D IE P UPPE — EIN UR ALT ’ D ING DER B ESEELBARKEIT KINDLICHER L EBENSWELTEN Die Existenz von Puppen ist ubiquitär – ihr Ding-Charakter macht die Puppe zu einem kulturellen Artefakt, den es zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften gab und gibt. Die bislang älteste erhaltene ›Puppe‹ ist 24.000 Jahre

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alt. Sie befindet sich im mährischen Museum der tschechischen Stadt Brünn und stammt aus der Eiszeit – eine aus Mammut-Elfenbein gefertigte Figur, deren Kopf und Arme über Zapfen mit dem Körper beweglich verbunden sind und wie bei einer Puppe oder Marionette in verschiedene Positionen gebracht werden können (British Museum 2013). Handelte es sich bei dieser prähistorischen Figur um (Kinder-)Spielzeug? Die Antworten auf Fragen dieser Art sind strittig. In seiner zweibändigen kulturhistorisch vergleichenden Bestandsaufnahme über Puppen und Puppenspiele konstatiert Max von Boehn: »Die Puppe, also das mehr oder minder vollkommene Abbild des Menschen, existierte schon Jahrtausende, ehe das erste Kind sich ihrer bemächtigt hat« (von Boehn 1929: 4). Der Umgang mit solchen Figuren stellte erste Versuche der Menschen dar, sich selbst zu objektivieren. Dabei hat sich die menschliche Fähigkeit zur Symbolisierung besonders in rituellen Kontexten herausgebildet: »Die Puppe ersetzt […] nicht nur den Menschen, den man den Göttern opfern wollte, sondern sie wird zu diesem Menschen, weil die Symbolisierungsfähigkeit der Menschen sie dazu gemacht hat« (Fritz 1992: 68). Auch wenn solche frühen Puppenformen wahrscheinlich weder als Spielzeug gedacht noch genutzt wurden, war es möglicherweise doch so, dass bereits in diesen frühen Zeiten der Menschheitsgeschichte der Übergang von der religiösen Funktion dieses ›Dings‹ zum Spielzeug der Kinder fließend war bzw. die Objekte spätestens nach Beendigung ihrer rituellen Funktionen an Kinder weitergegeben wurden (Sutton-Smith 1986: 26f., Wittkop-Ménardeau 1962: 15). Grundsätzlich besteht weitgehend Konsens darüber, dass Puppen zu den ältesten kindlichen Spielsachen überhaupt gehören und sich in den verschiedensten vorchristlichen Kulturen nachweisen lassen (Lode 2008: 11f.). Spätestens ab dem Mittelalter wächst die Bedeutung der Puppe als Spielzeug für Kinder stetig weiter, vor allem für Mädchen. Alexander Caswell Ellis und Granville Stanley Hall stellen im Rahmen ihrer am Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführten großangelegten Puppenuntersuchung eine Fülle von anthropologischen und etymologischen Erkenntnissen zusammen, die – trotz manchmal problematischer Quellenlage – auf die Nutzung von puppenähnlichen Dingen als Spielobjekte durch Kinder verweisen (Ellis/Hall 1887: 54ff., Lohmann/Fooken 2009: 54ff.). So gehörten Puppen bei Volksgruppen, deren Wörter für ›Puppe‹ eng mit den Bezeichnungen für ›Mädchen‹ bzw. ›kleine Kinder‹ verbunden waren, zumeist eindeutig in den Bereich des Kinderspielzeugs. Andere Stämme und Kulturen hingegen, bei denen Puppen als Götzen oder Schutzgottheiten vor allem symbolische Funktionen innehatten, lassen sich diesbezüglich weniger eindeutig zuordnen. Welchen Stellenwert haben diese Überlegungen im Zusammenhang mit Fragen nach den Dingen in den kindlichen Lebenswelten? Mit der in diesem Beitrag aufgestellten These der Puppe als einem ›besonderen Ding‹ wird daran angeknüpft, dass Menschen grundsätzlich eine Neigung dazu haben, Dinge

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zu ›beseelen‹. Bereits kleine Kinder sind fähig zur Mentalisierung und können mit der Vorstellung spielen, dass auch die Dinge in ihrer Umwelt Gefühle, Absichten und Gedanken haben könn(t)en. Man kann davon ausgehen, dass das vor allem dann passiert, wenn ›das Ding‹ – wie im Fall der Puppe – menschenähnliche Züge aufweist. In diesem Zusammenhang spielen vor allem die mehr oder weniger rudimentären Augen- und Gesichtsformen bzw. die figuralen Aspekte einer menschenähnlichen Körperlichkeit eine wichtige Rolle (Rittelmeyer 1989: 111). Aber diese ›Animierung‹ gelingt auch dann, wenn die Materialität eines Gegenstands das zunächst einmal gar nicht unmittelbar evoziert. Wie kommt es zu dieser Beseelung von Dingen? Hier spielt in jedem Fall immer auch der Blick des betrachtenden Menschen eine zentrale Rolle, seine mentalen Strukturen und individuellen Bedürfnislagen, die wiederum von kulturgebundenen Wahrnehmungsmustern beeinflusst sind. Zudem ist es nicht zuletzt der unmittelbar haptische Zugriff des menschlichen Gegenübers, der ›das Ding‹ beseelt und eine spezifische Beziehung zu ihm herstellt. In solchen Momenten entsteht ein intermediärer Raum, ein Beziehungsraum, in dem innerpsychische Prozesse mit Merkmalen der äußeren (materiellen) Realität verbunden werden – dies ist eine grundlegende Erfahrung, die gerade für Kinder eine wichtige Option bzw. Bedingung für Entwicklung und Entfaltung darstellt (Fooken 2012a: 30ff./2012b: 34). So verwundert es auch nicht, dass es oft die geliebten Dinge der Kindheit sind, die – real oder erinnert – als bewahrenswerte und identitätsrelevante Lieblingsdinge im weiteren Lebensverlauf Bestand haben, nicht zuletzt deswegen, weil sie aufgrund ihrer Symbolkraft stark mit biografischen Erinnerungen aufgeladen sind (vgl. Habermas 1996: 180ff./1999: 112ff.). Aber ganz unabhängig von persönlichen Bezügen und konkreten Vorerfahrungen neigen Menschen (und vor allem Kinder) ohnehin dazu, Dinge zu animieren oder zu anthropomorphisieren bzw. sie zu protomenschlichen Bezugspartnern zu machen. Ellis und Hall, die Autoren der bereits erwähnten empirischen Puppenuntersuchung, sprechen in diesem Zusammenhang von einem ›Puppeninstinkt‹ und erwähnen eine Vielzahl von Dingen in der Lebenswelt der von ihnen untersuchten 845 Mädchen und Jungen, die von diesen Kindern als Puppenersatzobjekte gewählt und somit ›puppifiziert‹ (»dollified«) wurden (Ellis/ Hall 1897: 46; Lohmann/Fooken 2010: 46). Befragt nach ihren Präferenzen für bestimmte Puppen wird deutlich, dass die befragten Kinder neben dem Spiel mit herkömmlichen Puppenformen eine Vielzahl von Objekten und Dingen in ungewöhnlicher Weise als ›Puppen‹ nutzten. Die Auswahl dieser ›puppifizierten‹ Dinge ist durchaus verblüffend: Kopfkissen und Handtücher, die in der Mitte mit einer Schnur zusammengebunden waren, Besen, Knöpfe, Haarbürsten, Hausschuhe, Löffel, Blumen, Bleistifte, Wäscheklammern und verschiedene Sorten von Obst und Gemüse. Ein dreijähriges Mädchen wählte sich einen Hocker als Puppe, die sie »stooly« nannte und wie eine Puppe anzog; sie

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nahm dieses Puppenersatzobjekt mit zu Tisch und ins Bett, fütterte und pflegte ihre ›Puppe‹, wenn sie ›krank‹ war und brachte ihr zu guter Letzt auch noch ›Lesen und Schreiben‹ bei. Ellis und Hall bewerteten ein solches Verhalten im Übrigen nicht als ein psychopathologisches Phänomen, sondern eher als eine Art ›Puppifizierungs-Kompetenz‹, ähnlich wie heutzutage die Kreierung so genannter ›imaginärer Gefährten‹ durch Kinder nicht als Störung, sondern eher als ein kreativer Kunstgriff zur Erweiterung des sozialen Erlebnisraums eingeschätzt wird (Taylor 1999).

2. G IBT ES EIN › GUTES D ING ‹ BZ W. WAS IST EINE › GUTE P UPPE ‹ FÜR K INDER ? Fast zweihundert Jahre vor der ersten Puppen-Untersuchung mit wissenschaftlichem Anspruch verwies bereits Jean Paul in seiner »Erziehlehre Levana« auf die hohe Bedeutung der Dinge in der Lebenswelt der Kinder und mahnte die Erwachsenenwelt, die kindliche Fantasie gerade in Bezug auf Puppen nicht durch allzu artifiziell-perfekte Nachbildungen der Realität einzugrenzen: »Vergesst es doch nie, dass Spiele der Kinder mit toten Spielsachen darum so wichtig sind, weil es für sie nur lebendige gibt und eine Puppe so sehr ein Mensch ist […]. Der Verfasser erinnert sich […] eines zweijährigen Mädchens, das, nachdem es lange mit einer alten, bis aufs Holz heruntergekommenen Puppe sich getragen, endlich eine sehr artig und täuschend gekleidete […] in die Hände und Arme bekam: – bald darauf knüpfte das Kind [aber] nicht nur den alten Umgang mit dem hölzernen Aschenbrödel wieder an, sondern ging auch so weit, dass es einen schlechten Stiefelknecht des Vaters in die Arme und gleichsam an Kindes- oder Puppen-Statt aufnahm und ihn ganz so liebreich behandelte und einschläferte als das gedachte Urbild […]« (Paul 1807/1975: 605f.).

Die Entstehung von Lustlosigkeit beim Spiel mit perfekten Puppen und das sich daraus entwickelnde Bedürfnis nach einer wirklichen Beziehung zu den Dingen, mit denen man zu tun hat, findet sich beispielsweise auch beim fiktionalen Kind ›Momo‹ im zivilisationskritischen Märchen-Roman von Michael Ende (1973). Momo wird es schrecklich langweilig im Spiel mit der fabelhaften und mechanisch perfekt sprechenden Puppe ›Bibigirl‹, die ihr vom ›grauen Herrn‹ geschenkt wurde. Als dieser Momo insistierend fragt: »Möchtest du mir wohl sagen, was dieser vollkommenen Puppe denn nun noch fehlt?« senkt Momo den Blick und antwortet: »Ich glaub […], man kann sie nicht lieb haben« (Ende 1973: 93). Die Wahl von ungewöhnlichen Puppenersatzobjekten, so wie es sich beim Beispiel von Jean Paul oder auch in der Untersuchung von Ellis und Hall zeigt, wird manchmal mit einem vermuteten Mangel an Puppen in den damaligen

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kindlichen Lebenswelten in Verbindung gebracht. Sicherlich gab es in früheren Zeiten weitaus weniger Spielzeug und somit auch weniger Puppen, dennoch sprechen diese Ergebnisse vor allem für die Kreativität und Originalität kindlicher Fantasietätigkeit und den Erfindungsreichtum in der ›Not‹. In der heutigen Zeit sind Mangel und Beschränkung möglicherweise ganz anders gelagert. So stellt sich die Frage, ob in unseren postmodernen kindlichen Lebenswelten die Dinge angesichts ihrer immer eindeutiger werdenden Determininiertheit eine solche Fantasietätigkeit überhaupt noch zulassen. Viele der Puppenobjekte, die heutzutage auf dem Spielzeugmarkt verfügbar sind, haben einen stark vorprogrammierten, stereotypen Ausdrucksappell, der freie und offene Spielräume eher einengt. Andererseits spiegelt sich in solchen Einschätzungen natürlich immer auch der ›pädagogische Anspruch‹ der Erwachsenen wider und die diesbezüglichen Positionen von Kindern und Eltern sind oft nicht deckungsgleich. Die Frage, wie ›technisch‹, ›natürlich‹ oder ›realistisch‹ Puppen ausgestattet sein sollten, um ›kindgerechte Dinge‹ zu sein und als ›gute‹ Puppen zu fungieren, wird seit Langem kontrovers behandelt. Dabei ist das grundsätzliche Phänomen der Beseelung von Puppen bzw. der illusionären Erzeugung von Lebendigkeit und der Schaffung künstlicher Menschen durch die Mechanisierung und Technisierung von Puppenfiguren ein ungebrochen virulentes Thema (Müller-Thamm/Sykora 1999). Seit der Entwicklung selbsttätiger Puppen und Automaten im 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit mit ihren offenen Möglichkeiten von Computerisierungen, Cyborgs, Robotik etc. werden immer wieder ähnliche Fragen aufgeworfen: Handelt es sich um Fortschritt oder Fluch? Was passiert beispielsweise, wenn die klare Unterscheidung zwischen Leben und Leblosigkeit bei der Wahrnehmung von Puppenfiguren verschwimmt? Sigmund Freud erwähnt in diesem Zusammenhang die magisch-fatale Rolle der automatischen Puppe Olimpia in E.T.A. Hoffmanns Erzählung »Der Sandmann« (1817/1996) und konstatiert, dass deren Lebensähnlichkeit bei manchen Erwachsenen ein befremdliches Empfinden von Doppelgängertum und ein Gefühl des Unheimlichen erzeugt. Nach Freud entsteht diese Irritation vor allem dann, wenn die Fähigkeit zur klaren Unterscheidung zwischen Leblosigkeit und Lebendigkeit bedroht wird. Interessanterweise verweist er auch darauf, dass Kinder diese Irritation kennen, sich aber von der phantasmagorischen Wirkung der Puppen oft weniger verunsichern lassen als Erwachsene: Das Kind habe sich zumeist »vor dem Beleben seiner Puppen nicht gefürchtet, vielleicht es sogar gewünscht« (Freud 1919/1970: 257). Wenn dem so wäre, müssten Kinder angesichts ihrer Fähigkeit zur Symbolisierung im spielerischen Kontext des ›wie wenn‹ und ›als ob‹ mit der Pseudo-Realität mancher Puppenfiguren möglicherweise besser zurecht kommen als Erwachsene das oft vermuten. Allerdings stellen sich vor dem Hintergrund der gewaltigen digital-technischen Möglichkeiten zur Erschaffung interaktiver virtueller und ›täuschend

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echter‹ Welten mit menschenähnlichen (Puppen-)Robotern diese Fragen aktuell doch noch einmal neu. Wie kann oder soll man unter diesen veränderten Bedingungen die ›Angemessenheit‹ der Dinge, speziell auch der Spielpuppen und ihrer Ausstattung für Kinder bewerten? Claus Stieve geht davon aus, dass der Sinngehalt der Dinge – und das würde somit auch für die Puppe als einem ›besonderen Ding‹ gelten – in einer »präreflexive[n] Sozialität« (Stieve 2008: 69) zum Ausdruck kommt. Es handele sich somit um einen »intersubjektiven Sinngehalt […], der sich in den Dingen materialisiert und unser Verhalten prägt, bevor er uns bewusst wird« (ebd.). Lässt sich daraus ein spezifischer Appell der ›neuen Puppen‹ in den Zeiten neuer virtueller und computerisierter Welten ableiten? Was sind unter diesen Vorzeichen die entscheidenden Determinanten der Kind-Ding-Beziehung? Wer bestimmt wen? Was ist in diesem Zusammenhang ein ›gutes Ding‹ bzw. eine ›gute Puppe‹? So akzentuiert Christian Rittelmeyer in jedem Fall die Bedeutung der Bestimmtheit des ›Dings‹ und entlässt damit die Erwachsenen nicht aus ihrer (pädagogischen) Verantwortung für die Dinge, die sie den Kindern in deren Lebenswelten zur Verfügung stellen: »In der Hingabe an den Gegenstand gibt das Kind nur dann sein eigenes Wollen nicht auf, wenn dasselbe trotz der Bestimmtheit des Gegenstandes diesen noch mitbestimmt: Die Andersheit der Puppe muss auch graduell im Spielenden ›aufgehen‹, d.h. für dessen Phantasie, für dessen Ich offen sein« (Rittelmeyer 1989: 113). Anders hingegen argumentiert Rolf Oerter, der in seiner Darstellung zur Psychologie des Spiels aus entwicklungspsychologischer Sicht stärker auf die zunehmende Eigenständigkeit und damit auf die Unabhängigkeit des Kinds von den Dingen vertraut: »Die Behandlung des Gegenstandes im Spiel verläuft in zwei getrennte Richtungen. Zum einen werden Gegenstände exploriert, dienen als Handlungsgenerator und werden schließlich nachkonstruiert. Zum anderen werden Gegenstände verwandelt, ihrer objektiven Funktion (ihres Gebrauchswertes) entkleidet und erhalten andere Funktionen. Schließlich braucht das Kind den Gegenstand zur Durchführung von Handlungen überhaupt nicht mehr, sondern benutzt stattdessen Gesten oder Worte« (Oerter 1999: 51).

Wahrscheinlich lässt sich aber die Wirkung der Dinge auf Kinder (bzw. vice versa) gar nicht so generell und pauschal bestimmen. So wird man davon ausgehen können, dass alle potentiellen Wirkfaktoren zum einen eingebettet sind in differenzielle, zeithistorische und hierarchisierte gesellschaftliche Zusammenhänge (differenziert über den sozialen Status, Bildungszugänge, Machtverhältnisse, Gender-Arrangements etc.) und zum anderen immer auch Ausdruck individueller Präferenzen und Persönlichkeiten des jeweiligen Kinds sind. Aber auch wenn sich somit das per se ›gute Ding‹ und eine für Kinder ›beste Puppe‹ nicht universell und kontextunabhängig festmachen lassen,

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gehe ich dennoch davon aus, dass man halbwegs konsensuell ästhetische Kriterien von ›Dingen‹ und Puppen bestimmen kann, die förderlich für die Entwicklung von (fast) allen Kindern sind und einen konstruktiven Anregungsgehalt besitzen.

3. D ER ›M EHRWERT‹ DES PUPPENBEDINGTEN Z UGANGS ZUR W ELT Im Folgenden möchte ich zunächst drei kleine Alltags-Szenen schildern, die für mich den ›Mehrwert‹ der Puppe als einem ›besonderen Ding‹ für kindliche Entwicklung anschaulich demonstrieren. Es geht dabei vor allem um die Entwicklungsbereiche der emotionalen Regulationsfähigkeit, der psychischen Autonomie und der sozialen Beziehungsfähigkeit. 1. Szene: Als im Jahr 2012 die spanische Nationalmannschaft das Endspiel der Fußball-Europameisterschaft gewann, war Folgendes im Fernsehen zu sehen: Während die Spieler der Siegermannschaft ausgelassen (mit übergroßen Kuscheltieren) in der Mitte des Spielfelds herumtollen, sieht man einige Spielerfamilien am Spielfeldrand. Eine Mutter schiebt ein etwa dreijähriges MädchenJungen-Pärchen auf das Spielfeld und feuert sie offenkundig an, zum Vater zu laufen. Die beiden fassen sich an, in ihrer freien Hand hält das Mädchen eine Puppe, und sie beginnen zu laufen. Die Entfernung muss für die beiden Kinder riesig gewesen sein. Nach kurzer Zeit wird der Junge langsamer, stolpert und trudelt seitlich ab. Das kleine Mädchen verzögert sein Tempo, lässt den Bruder dann los, klemmt sich mit einem Ruck ihre Puppe unter den Arm und läuft und läuft, bis sie in die Arme ihres Vaters fliegt. Spontan dachte ich: Sie hat sich durch ihre Puppe anfeuern zu lassen und konnte so all ihren Mut zusammennehmen, um ihr Ziel erreichen: Mit der Puppe als Übergangsobjekt unterm Arm (Winnicott 1953) entstand ein bedingender Ermöglichungsraum. 2. Szene: In der Entwicklungspsychologie wird innerhalb der Bindungsforschung zur Einschätzung kindlicher Bindungsstile der so genannte ›FremdeSituations-Test‹ eingesetzt (vgl. Grossmann/Grossmann 2012: 137ff.) Dieses Verfahren stellt eine Art kleines ›Minidrama‹ für Kinder im Altersbereich zwischen etwa ein bis zwei Jahren dar. Kinder kommen zusammen mit ihrer Bezugsperson in einen unbekannten, neutralen Raum, in dem sich auch Spielzeug befindet. Im Verlauf der verschiedenen Test-Sequenzen verlässt die Mutter für etwa drei Minuten den Raum und das Kind ist ganz alleine. Über Kameras oder Einweg-Spiegel wird beobachtet, wie Kinder mit dieser Herausforderung umgehen. Ich beziehe mich hier auf einen Demonstrationsfilm, in dem gezeigt wird, wie unterschiedlich Kinder auf diese Situation reagieren können. So sieht man beispielsweise ein knapp zweijähriges kleines Mädchen,

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das nach kurzer Irritation die ungewohnte Situation im fremden Raum in einer Art Rollenumkehr mit seiner Puppe bewältigt. Als sie ihr plötzliches Alleinsein zunächst etwas ungläubig registriert, fällt ihr Blick auf einen großen Kreisel. Sie hockt sich davor, platziert ihre Puppe behutsam so, dass diese den Kreisel auch anschauen kann, setzt den Kreisel in Bewegung, spricht die Puppe leise an, streichelt ihr fürsorglich über den Kopf und ›erklärt‹ ihr die Funktionsweise des Kreisels. So stellt sie mit der von ihr ›beseelten‹ Puppe einen Übergangsraum zwischen ihren inneren psychischen Prozessen und der äußeren ›Bedrohung‹ her. In der Gestaltung eines Dialogs mit der Puppe als ›besonderem‹ Ding gelingt es dem Kind, die Herausforderung zu meistern und seine psychische Sicherheit wieder herzustellen. 3. Szene: In einer Berliner S-Bahn beobachte ich eine Mutter, ihre etwa fünfjährige Tochter und deren (Mädchen-)Puppe, die alle drei locker nebeneinander sitzen. Sie sind sehr einfach gekleidet. Mutter und Tochter sprechen leise und dabei freundlich zugewandt miteinander. Als die Bahn plötzlich rumpelnd in eine Kurve fährt, schaut die Tochter zunächst die Mutter fragend an, die Mutter lächelt zurück und legt der Tochter sanft den Arm über die Schulter. Unmittelbar danach blickt die Tochter in Richtung Puppe, sieht, dass diese umzukippen droht, spricht die Puppe mit »ooh« an, setzt sie behutsam wieder aufrecht hin, legt ihrerseits den Arm um die Puppe, lächelt ihr zu und fragt: »Geht’s?«. Es ist ein kurzer Moment wechselseitiger Empathie und Fürsorge, der so gar nichts gemein hat mit der Vorstellung von Puppen als Disziplinierungsagenten im Dienst traditioneller Weiblichkeitssozialisation. Selbst wenn es in dieser kleinen Situation auch um nachahmendes Lernen von klassisch weiblich bzw. mütterlich konnotiertem Verhalten geht, steht im Vordergrund die konstruktive Interaktion mit dem ›Ding Puppe‹, in der selbstbestimmt Empathie und soziale Kommunikation praktiziert und elaboriert werden. Nun könnte man zu Recht kritisch fragen: Geht es im Zusammenhang mit Puppen immer nur um positiv konnotiertes und sozial angepasstes Verhalten? Nein, keinesfalls. Es geht auch um die Abgründe und Schattenseiten kindlichen Erlebens und Verhaltens, um Wut, Hass, Gemeinheit, Eifersucht, Destruktivität und andere negativ konnotierte Handlungsvarianten. Wie gerade im kindlichen Spiel eine Dynamik vom unschuldigen Explorieren zur fortschreitenden Destruktion (im heimlichen Einvernehmen) ablaufen kann, findet sich eindrucksvoll in einem historisch-literarischen Text dargestellt. In Gottfried Kellers Novelle »Romeo und Julia auf dem Dorfe« aus dem Novellenzyklus »Die Leute von Seldwyla« (1856/2000) bahnt sich in der Beschreibung einer kindlichen Spielszene wie in einem Brennglas die spätere Tragödie an, um die es in der Novelle geht. Ganz unabhängig vom metaphorischen Bedeutungsgehalts dieses Exposés handelt es sich auf der phänomenalen Ebene erst einmal

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um eine psychologisch höchst differenzierte Beobachtung kindlicher Spieldynamik. Die Ausgangssituation: Nach der Feldarbeit ihrer beiden Väter durchstreifen die beiden Kinder, Junge und Mädchen, alleine die wildwüchsige Umgebung. Das kleine zerstörerische Drama nimmt seinen Lauf, sein Ausgang ist aber offen und (noch) nicht fatal: »Nachdem sie in der Mitte dieser grünen Wildnis einige Zeit hingewandert, Hand in Hand, und sich daran belustigt, die verschlungenen Hände über die hohen Distelstauden zu schwingen, ließen sie sich endlich im Schatten einer solchen nieder und das Mädchen begann seine Puppe mit den langen Blättern des Wegekrautes zu bekleiden, so daß sie einen schönen grünen und ausgezackten Rock bekam; eine einsame rote Mohnblume, die da noch blühte, wurde ihr als Haube über den Kopf gezogen und mit einem Grase festgebunden, und nun sah die kleine Person aus wie eine Zauberfrau, besonders nachdem sie noch ein Halsband und einen Gürtel von kleinen roten Beerchen erhalten. Dann wurde sie hoch in die Stengel der Distel gesetzt und eine Weile mit vereinten Blicken angeschaut, bis der Knabe sie genugsam besehen und mit einem Steine herunterwarf. Dadurch geriet aber ihr Putz in Unordnung und das Mädchen entkleidete sie schleunigst, um sie aufs neue zu schmücken; doch als die Puppe eben wieder nackt und bloß war und nur noch der roten Haube sich erfreute, entriß der wilde Junge seiner Gefährtin das Spielzeug und warf es hoch in die Luft. Das Mädchen sprang klagend darnach, allein der Knabe fing die Puppe zuerst wieder auf, warf sie aufs neue empor, und indem das Mädchen sie vergeblich zu haschen sich bemühte, neckte er es auf diese Weise eine gute Zeit. Unter seinen Händen aber nahm die fliegende Puppe Schaden, und zwar am Knie ihres einzigen Beines, allwo ein kleines Loch einige Kleiekörner durchsickern ließ. Kaum bemerkte der Peiniger dies Loch, so verhielt er sich mäuschenstill und war mit offenem Munde eifrig beflissen, das Loch mit seinen Nägeln zu vergrößern und dem Ursprung der Kleie nachzuspüren. Seine Stille erschien dem armen Mädchen höchst verdächtig und es drängte sich herzu und mußte mit Schrecken sein böses Beginnen gewahren. ›Sieh mal!‹ rief er und schlenkerte ihr das Bein vor der Nase herum, daß ihr die Kleie ins Gesicht flog, und wie sie darnach langen wollte und schrie und flehte, sprang er wieder fort und ruhte nicht eher, bis das ganze Bein dürr und leer herabhing als eine traurige Hülse. Dann warf er das mißhandelte Spielzeug hin und stellte sich höchst frech und gleichgültig, als die Kleine sich weinend auf die Puppe warf und dieselbe in ihre Schürze hüllte. Sie nahm sie aber wieder hervor und betrachtete wehselig die Ärmste, und als sie das Bein sah, fing sie abermals an laut zu weinen, denn dasselbe hing an dem Rumpfe nicht anders denn das Schwänzchen an einem Molche. Als sie gar so unbändig weinte, ward es dem Missetäter endlich etwas übel zumut und er stand in Angst und Reue vor der Klagenden, und als sie dies merkte, hörte sie plötzlich auf und schlug ihn einigemal mit der Puppe, und er tat, als ob es ihm weh täte, und schrie au! so natürlich, daß sie zufrieden war und nun mit ihm gemeinschaftlich die Zerstörung und Zerlegung fortsetzte. Sie bohrten Loch auf Loch in den Marterleib und ließen aller Enden die Kleie entströmen, welche sie sorgfältig auf einem flachen Steine zu einem Häufchen sammelten, umrühr-

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ten und aufmerksam betrachteten. Das einzige Feste, was noch an der Puppe bestand, war der Kopf und mußte jetzt vorzüglich die Aufmerksamkeit der Kinder erregen; sie trennten ihn sorgfältig los von dem ausgequetschten Leichnam und guckten erstaunt in sein hohles Innere. Als sie die bedenkliche Höhlung sahen und auch die Kleie sahen, war es der nächste und natürlichste Gedankensprung, den Kopf mit der Kleie auszufüllen, und so waren die Fingerchen der Kinder nun beschäftigt, um die Wette Kleie in den Kopf zu tun, so daß zum erstenmal in seinem Leben etwas in ihm steckte. Der Knabe mochte es aber immer noch für ein totes Wissen halten, weil er plötzlich eine große blaue Fliege fing und, die summende zwischen beiden hohlen Händen haltend, dem Mädchen gebot, den Kopf von der Kleie zu entleeren. Hierauf wurde die Fliege hineingesperrt und das Loch mit Gras verstopft. Die Kinder hielten den Kopf an die Ohren und setzten ihn dann feierlich auf einen Stein; da er noch mit der roten Mohnblume bedeckt war, so glich der Tönende jetzt einem weissagenden Haupte und die Kinder lauschten in tiefer Stille seinen Kunden und Märchen, indessen sie sich umschlungen hielten. Aber jeder Prophet erweckt Schrecken und Undank; das wenige Leben in dem dürftig geformten Bilde erregte die menschliche Grausamkeit in den Kindern, und es wurde beschlossen, das Haupt zu begraben. So machten sie ein Grab und legten den Kopf, ohne die gefangene Fliege um ihre Meinung zu befragen, hinein und errichteten über dem Grabe ein ansehnliches Denkmal von Feldsteinen. Dann empfanden sie einiges Grauen, da sie etwas Geformtes und Belebtes begraben hatten, und entfernten sich ein gutes Stück von der unheimlichen Stätte« (Keller 1856/2000: 79f.).

Lust und Laster des Lebens – alles findet sich in dieser kleinen Episode der Auseinandersetzung mit der Puppe als einem ›besonderen Ding‹ wieder. Ein ähnlich ambivalenter »Aufforderungscharakter« (Lewin/Dembo/Festinger/Sears 1944: 360), den Dinge (und speziell auch Puppen) für die Qualität und Dynamik des kindlichen Spiels haben können, findet sich auch in einem der Lehrfilme von Kurt Lewin aus den 1920er Jahren, der eindrückliche Dokumente über die damalige Welt der Kinder und deren Konfliktsituationen enthält (Fern-Universität Hagen 2007). Auch hier wird deutlich, dass Kinder ihre Puppen im Spiel ganz gerne lustvoll ›quälen‹, um sie danach gastfreundlich zu ›bewirten‹ und am Ende des Tages friedlich mit ihnen zu Bett zu gehen. Der Spannungsbogen menschlicher Beziehungen, changierend zwischen Nähe und Distanz, Zuneigung und Abneigung, Liebe und Hass, lässt sich in der Interaktion mit den Dingen (und insbesondere mit Puppen) vergleichsweise angstfrei durchdeklinieren. Realität und Spiel – beides kann angesichts der Menschenähnlichkeit der Puppe ausgelotet werden, ohne dass sofort der ›Ernst des Lebens‹ zuschlagen muss.

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4. D IE P UPPE — EIN › BESONDERES D ING ‹ IM KINDLICHEN E NT WICKLUNGSPROZESS Wie hängen kindliche Entwicklungsprozesse und die Puppe als ein ›besonderes Ding‹ zusammen? In den zuvor skizzierten Szenen wird deutlich, dass Puppen in jedem Fall individualisierte und einzigartige persönliche Dinge sind. Wie aber sehen die Anfänge solcher intensiven Kind-Ding-Beziehungen aus und wie geht die Entwicklung von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenleben weiter (Fooken 2012a: 54ff.). Grundsätzlich kann man feststellen, dass bereits Babys Erstaunliches gelingt: Sie können mit einem puppenähnlichen ›Ding‹ eine Art ›Übergangsobjekt‹ als Symbol für die Mutter kreieren und sich damit sowohl der inneren Verbundenheit mit der Bezugsperson vergewissern als auch gleichzeitig eine erste Ahnung ihrer eigenen Unabhängigkeit erfahren (Winnicott 1953/1973). Zudem geht es in diesen frühen Entwicklungsstadien bei den Interaktionen zwischen Kind und Puppe um die Förderung der Sensumotorik, um Bedürfnisse nach Exploration wie auch nach Macht und Kontrolle, es geht um die Freude an der eigenen Handlungsfähigkeit und Wirkmächtigkeit sowie um Erfahrungen von Unterstützung bei den ersten Schritten in die Selbständigkeit. In den nachfolgenden Entwicklungsphasen dienen Puppen dann vor allem als Partner für die Nachahmung von konkreten, in der äußeren Welt beobachteten Erfahrungen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Entwicklung von Fürsorge, Empathie und sozialer Kommunikation. Im Kleinkind- und Vorschulalter geht es dabei vor allem um die Fähigkeit zur Symbolisierung und um das lustvolle ›Als-ob-Spiel‹. Kinder sind in all diesen Zusammenhängen keine passiven Sozialisationsobjekte, sondern immer auch ›Gestalter‹ und ›Konstrukteure‹ ihrer eigenen Entwicklung und Lebenswelt. Lässt man ihnen offene Spiel- und Entwicklungsräume, können sie mit dem ganzen Repertoire der eigenen Möglichkeiten spielen – mit ihren Stärken, Kompetenzen, aber auch mit ihren Ängsten, den negativen Gefühlen, mit Macht- und Kontrollbedürfnissen. In dieser Zeit können Puppen bei der Verarbeitung von Alltagserfahrungen helfen und als Projektionsfläche für Wünsche, Gefühle und Rollenumkehr dienen. Geschlechtsspezifische Anforderungen scheinen nun allerdings größer zu werden: Jungen nehmen oft nur noch über hypermaskuline ›ActionFiguren‹ am Puppenspiel teil und auch bei Mädchen findet sich zunehmend eine Orientierung an hyperfemininen Puppenfiguren. Dabei vermitteln die heutzutage unübersehbar verbreiteten, stark stereotypisierten Puppenfiguren den Kindern relativ verengte und höchst einseitige Botschaften über herrschende Schönheits- und Attraktivitätsstandards (Dittmar/Halliwell/Ive 2006: 283). Für beide Geschlechter kann man dabei angesichts der inflationären Flut von Kuscheltieren konstatieren, dass Puppen mittlerweile zu einer Art ›bedrohten Spezies‹ geworden sind. Die klassische Kinder-Spielpuppe, die in etwa immer

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dem Lebensalter des Kindes entsprach, scheint auf dem Rückzug bzw. von Mode- und Prinzessinnenpuppen á la Barbie und Lillifee ausgebootet worden zu sein. Und auch die für dieses Alter typische Phase der wilden Gedanken, großen Gefühle und des Durchspielens einer Vielfalt sozialer Rollen läuft mittlerweile eher in der ›Kuscheltier-Dingwelt‹ als in Puppen-Szenarien ab (Holler/ Götz 2011: 24f.). Allerdings gilt, dass das Vorhandensein einer einzigartigen, individualisierten Beziehung zwischen dem Kind und ›Lieblingsding‹ zumeist eine gute Erfahrung ist, um Achtsamkeit zu lernen und Verantwortung zu übernehmen. Das wiederum ist dann zumeist relativ unabhängig davon, ob es sich um ein Kuscheltier oder eine Puppe handelt. Im weiteren Grundschulalter finden sich bei Mädchen nur noch gelegentlich komplexe Rollenspiele mit ihren Puppen. Deutlicher als die Auseinandersetzung mit sozialen Rollen scheint nun der Einfluss der Puppen für die (Geschlechts-)Identitätsbildung zu sein. Dabei geht es um eine erste Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Weiblichkeitsnormen und Schönheitsidealen. Die ›Entlassung‹ der Puppe aus dem Kreis der Lieblingsdinge dient hier jetzt dazu, das Ende der Kindheit zu markieren. Puppen gelten auf einmal als ›Kinderkram‹ und manchmal muss (heimlich) ausgelotet werden, ob man noch offen mit Puppen spielen darf. Das gilt noch stärker für die Zeit der beginnenden Adoleszenz – in dieser Phase haben die üblichen Spielpuppen als ›besondere Dinge‹ in der Regel ausgedient, es sei denn, es kommt noch einmal zu einer neuen (kritischen) Auseinandersetzung mit spezifischen Schönheitsstandards, die durch bestimmte Puppentypen lanciert werden. Kuscheltiere hingegen werden in dieser Phase manchmal wieder als Übergangsobjekte für die emotionale Stabilisierung bedeutsam. Inwieweit das Ende der (Mädchen-)Kindheit auch das Ende des Puppenspiels bedeutet, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ein gängiger Topos in der einschlägigen ›Jungmädchen-Literatur‹ und beim Tagebuch-Schreiben. So plagte sich die spätere Psychoanalytikerin Karen Horney noch als Adoleszente damit herum, dass sie weiterhin leidenschaftlich gerne mit Puppen spielen mochte. Im Alter von 15 Jahren kommentiert sie ihre Geschenke zum Weihnachtsfest folgendermaßen: »Zusätzlich zu Dir, liebes Tagebuch, fand ich einen Negerjungen (Puppe), den ich mir sehnlichst gewünscht hatte. Ich möchte wieder mit Puppen spielen, obwohl ich schon ein 15-Jähriger Backfisch bin und in der Schule ›gesiezt‹ werde« (Horney 1980: 17).

5. P UPPEN — H ERRSCHAF TSINSTRUMENT ODER PÄDAGOGISCHE C HANCE ? Auch für Kinder existieren Dinge nicht nur einfach an und für sich, sondern sind immer auch machtvolle Sinnträger und Bedeutungsübermittler. Nach Mihály Csíkszentmihályi und Eugene Rochberg-Halton funktionieren Din-

Puppen — Besondere Dinge für Kinder?

ge in zwei unterschiedlichen Modalitäten: Differenzierung und Integration (Csíkszentmihályi/Rochberg-Halton 1989: 50ff.). Entweder wird durch den Besitz der Dinge die Individualität, Besonderheit und Einzigartigkeit hervorgehoben bzw. das, was den Einzelnen von den anderen unterscheidet, oder die Dinge, die wir besitzen, sagen uns, wohin und zu wem wir gehören bzw. wie und in welchem Ausmaß wir direkt oder symbolisch mit unserem sozialen Umfeld verbunden sind. Dabei haben solche ›Mensch-Ding-Kontexte‹ auch immer einen Bezug zu Fragen von Macht, Herrschaft und Kontrolle. Sie sind zum einen Ausdruck von Machtkonstellationen und zum anderen begründen sie diese gleichzeitig. So spricht Foucault (1976) in diesem Zusammenhang nicht von ungefähr von einer »Mikrophysik der Macht«: Dinge und Objekte dienen als Herrschaftsinstrumente, um Machtansprüche durchzusetzen und soziale Hierarchien zu definieren und zu verfestigen. Welcher Stellenwert kommt in diesem Zusammenhang den Puppen zu? Ich möchte im Folgenden einige brasilianische Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Elementarpädagogik vorstellen. In Gesellschaften mit deutlichen Differenzierungs- und Diskriminierungspraktiken gegenüber sozialen und ethnischen Gruppen spielen Fragen dieser Art in der einschlägigen Forschung offenkundig eine größere Rolle als bei uns. So wird das Thema der ›Dinge‹ als Instrumente von Macht, Herrschaft, sozialer Zuweisung und Exklusion dort anders diskutiert als in den mitteleuropäischen Gesellschaften und Forschungskontexten (Fooken/Lohmann 2013a: vii). Wie wird argumentiert? Selbst wenn es sich beim Puppenspiel immer um eine Ko-Konstruktion zwischen Kind und Puppe handelt, geht man davon aus, dass Puppen durch ihre Art der Beschaffenheit und ihres Ausdrucks in gewisser Weise auch immer das mit ihnen spielende Kind ›produzieren‹. Demnach sind es insbesondere die von der Puppe vermittelten Botschaften über Körper- und Ausdrucksnormen, die die Selbst- und Körperwahrnehmung der Kinder mitsamt dem dazugehörigen Erleben von Identität/Ähnlichkeit oder Alterität/Anderssein beeinflussen. Dabei wird diese Einflussnahme nicht losgelöst von den bestehenden gesellschaftlichen Diskursen, den Herrschafts- und Machtverhältnissen sowie den Marktinteressen der Spielzeugindustrie gesehen (Fooken/Lohmann 2013b: 12). In den Interaktionen mit den Dingen seiner Lebenswelt kann sich das Kind in seiner Welt- und Selbstsicht bestätigt fühlen, es kann aber auch auf Widersprüche stoßen. Das heißt: Was passiert, wenn das durch die Puppe verkörperte Menschenbild nicht mit der eigenen Selbst- und Körperwahrnehmung des Kindes übereinstimmt? Was ›sagen‹ die Puppen den Kindern dann über ihren Platz in der Gesellschaft? Nehmen Kinder wahr, dass manche (oder sogar die meisten) Puppen anders aussehen, zum Beispiel eine andere ›Hautfarbe‹ haben, als sie selbst? Werden diese Themen in professionell-pädagogischen Kontexten diskutiert? Viele der in Brasilien verfügbaren Puppen verkörpern ein (Körper-)Ideal,

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von dem die meisten Kinder schon allein durch Haut-, Haar- und Augenfarbe abweichen. So veranschaulicht Leni Vieria Dornelles, welche Probleme das ›Anderssein‹ für die Subjektgenese von Kindern mit sich bringt, die nicht dieser idealen Norm (weiß, blond, blauäugig) entsprechen (Dornelles 2013). In ihrer Studie konstatierten die (dunkelhäutigen) Vorschulkinder beim Anblick einer ›schwarzen Puppenfee‹, dass es eine »böse Fee« sei, der man die Haut abziehen und durch eine weiße ersetzen müsse (a.a.O.: 34). Selbst dann, wenn schwarze Puppen verfügbar sind, scheinen sie oft einem Prozess des ›Weißmachens‹ zu unterliegen (a.a.O.: 37) – somit wird bei diesen Kindern durch die Konfrontation mit (hegemonial) bestimmten Dingen Differenz- und Exklusionserleben erzeugt. Das Thema des ›Andersseins‹ und der Abweichung von herrschenden Normen wird darüber hinaus aber auch im Kontext inklusionspädagogischer Überlegungen aufgeworfen. Dieser Diskurs ist wiederum nicht auf Brasilien begrenzt, sondern hat über entsprechende EU-politische Vorgaben und Richtlinien mittlerweile auch bei uns eine hohe Aktualität. So sind die europäischen Staaten und speziell auch die pädagogischen Professionen dazu aufgefordert, Ausgrenzungen abzubauen und Inklusion zu ermöglichen. Auch hier erweist sich eine inklusionspädagogische Pilotstudie aus dem Kreis der brasilianischen ForscherInnen als aufschlussreich (Marques 2013). In einer elementarpädagogischen Einrichtung wurde mit individuell hergestellten Puppen gearbeitet, die alle möglichen Formen von ›Abweichungen‹ (Krankheiten, Handicaps, Behinderungen etc.) repräsentieren. In behutsam geführten Dialogen mit den Kindern über diese Puppen und ihren Hintergrund sowie durch die Interaktionsmöglichkeit mit ihnen wurden Entwicklungs- und Spielräume geschaffen, in denen sich die Kinder interessiert und neugierig auf ›Normabweichungen‹ einlassen konnten. Ein ähnlicher elementarpädagogischer Ansatz findet sich auch in der Arbeit mit den so genannten ›Persona Dolls‹ (Azun/Enßlin/Henkys/Krause/Wagner 2009). Durch den Einsatz von ›besonderen‹ Puppen mit ›normabweichenden‹ Merkmalen, die einen individuellen Namen und eine eigene ›Lebensgeschichte‹ haben, wird zunächst an möglicherweise bestehende Vorurteile der Kinder angeknüpft, um diese dann durch zunehmende Vertrautheit Schritt für Schritt abzubauen. Durch das konkrete Anschauen, Anfassen, Befragen und somit durch ein wirkliches Sich-Einlassen können diese ›besonderen‹ Puppen als Sympathieträger fungieren (Lohmann/Fooken 2013: 200f.). Ähnliche Erfahrungen finden sich auch in einem weiteren brasilianischen Pilotprojekt, in dem es darum geht, den Kindern die unendliche Vielfalt der Dingwelt und die enorme Diversität der ›Puppen-Menschen‹ nahe zu bringen, um sie damit vertraut und zu guter Letzt neugierig auf diese Unterschiedlichkeit zu machen (Souza 2013). Wenn Kinder ermutigt werden, sich auf das Besondere von Puppen einzulassen, kann das in einem emanzipatorischen Sinn ›subversiv‹ wirken. Da-

Puppen — Besondere Dinge für Kinder?

mit so etwas passieren kann, ist es wichtig, dass die Dinge (sprich: die Puppen) offen sind und nicht stereotypisiert festgelegt. Eine solche Offenheit der Dinge kann vielfältige, positive und empathische, aber auch ambivalente und widersprüchliche Formen der Beseelung zulassen – es können intermediäre Kind-Ding-Zwischenräume entstehen, in denen sich mit Fantasie und Lust ›Menschwerdung‹ entfalten kann.

L ITER ATUR Azun, Serap/Enßlin, Ute/Henkys, Barbara/Krause, Anke/Wagner, Petra (2009): Mit Kindern ins Gespräch kommen. Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung mit Persona Dolls. Das Praxisheft, Berlin. Boehn, Max von (1929). Puppen (= Puppen und Puppenspiele, Band 1), München. British Museum (2013): www.britishmuseum.org/whats_on/past_exhibitions/ 2013/ice_age_art [letzter Zugriff: 27.8.2013]. Csíkszentmihályi, Mihály/Rochberg-Halton, Eugene (1989): Der Sinn der Dinge, München/Weinheim. Dittmar, Helga/Halliwell, Emma/Ive, Suzanne (2006): »Does Barbie make the girls want to be thin? The effect of experimental exposure to images of dolls on the body image of 5-to-8-year-old girls«, in: Developmental Psychology, 42/2, S. 283-292. Dornelles, Leni Vieira (2013): »Spielzeug als eine Strategie zur Produktion kindlicher Körper/Toys as a strategy for the production of children’s bodies«, in: Insa Fooken/Robin Lohmann (Hg.), Puppe – Boneca – Doll. Spielzeug, Frühpädagogik und gesellschaftliche Diskurse in Brasilien/Toys, elementary education, and social discourses in Brazil, Münster, S. 25-58. Ellis, Alexander Caswell/Hall, Granville Stanley (1897): »A study of dolls«, in: Granville Stanley Hall/Alexander Caswell Ellis (Hg.), A study of dolls, New York/Chicago, S. 3-69. Ende, Michael (1973): Momo oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte. Ein Märchen-Roman, Stuttgart. Fern-Universität Hagen (2007): Kurt Lewin. DVD, Autor: Prof. Dr. Helmut E. Lück, Hagen. Fooken, Insa/Lohmann, Robin (Hg.) (2013a): Puppe – Boneca – Doll. Spielzeug, Frühpädagogik und gesellschaftliche Diskurse in Brasilien/Toys, elementary education, and social discourses in Brazil, Münster. Fooken, Insa/Lohmann, Robin (2013b): »Einleitung: Puppen – Dinge, Kinderspielzeug oder mehr?/Introduction: dolls – things, toys or more?«, in: Insa Fooken/Robin Lohmann (Hg.), Puppe – Boneca – Doll. Spielzeug, Früh-

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pädagogik und gesellschaftliche Diskurse in Brasilien/Toys, elementary education, and social discourses in Brazil, Münster, S. 11-24. Fooken, Insa (2012a): Puppen – Heimliche Menschenflüsterer. Ihre Wiederentdeckung als Spielzeug und Kulturgut, Göttingen. Fooken, Insa (2012b): »Wider die ›Puppenstarre‹ – Ein Plädoyer für die (Wieder-)Aneignung des intermediären und imaginären Raums im Spiel mit Puppen«, in: Hildegard Schröteler von Brandt/Thomas Coelen/Andreas Zeising/Angela Zische (Hg.), Raum für Bildung. Ästhetik und Architektur von Lern- und Lebensorten, Bielefeld, S. 33-41. Foucault, Michel (1976): Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin (= Internationale Marxistische Diskussion, Band 61), Berlin. Fritz, Jürgen (1992): Spiele als Spiegel ihrer Zeit: Glücksspiele, Tarot, Puppen, Videospiele, Mainz. Grossmann, Karin/Grossmann, Klaus E. (2004): Bindung – das Gefüge psychischer Sicherheit, 5. vollst. überarb. Auflage, Stuttgart. Habermas, Tilmann (1999): »Persönliche Objekte und Bindungen im Prozess der Ablösung vom Elternhaus«, in: Urs Fuhrer/Ingrid E. Josephs (Hg.), Persönliche Objekte, Identität und Entwicklung, Göttingen, S. 109-133. Habermas, Tilmann (1996): Geliebte Objekte. Symbole und Instrumente der Identitätsbildung, Berlin/New York. Holler, Andrea/Götz, Maya (2011): Nicht ohne meinen Teddy! Die Gefährten der Kindheit. Eine Kooperationsstudie der Stiftung »Chancen für Kinder durch Spielen« und des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/Gefaehrten derKindheit_IZI.pdf [letzter Zugriff: 26.3.2011]. Horney, Karen (1980): The adolescent diaries of Karen Horney, New York. Keller, Gottfried (1856/2000): »Romeo und Julia auf dem Dorfe«, in: Gottfried Keller, Die Leute von Seldwyla (= Sämtliche Werke, Band 4), Basel/Zürich, S. 74-159. Lagerlöf, Selma (1974): »Ein Emigrant«, in: Selma Lagerlöf, Große Erzählungen, München, S. 239-259. Lewin, Kurt/Dembo, Tamara/Festinger, Leon/Sears, Pauline Snedden (1944): »Level of aspiration«, in: Joseph McVicker Hunt (Hg.), Personality and the behavior disorders, Vol. I, New York, S. 333-378. Lode, Antje (2008): Skulptur und Puppe. Vom Menschenbildnis zum Spielzeug. Berlin. Lohmann, Robin/Fooken, Insa (2013): Fazit: »Hilf mir zu sehen!« – Jenseits der Puppenoberfläche/Conclusion: »›Help me to see!‹ – beyond the surface of the doll«, in: Insa Fooken/Robin Lohmann (Hg.), Puppe – Boneca – Doll. Spielzeug, Frühpädagogik und gesellschaftliche Diskurse in Brasilien/Toys, elementary education, and social discourses in Brazil, Münster, S. 197-209.

Puppen — Besondere Dinge für Kinder?

Lohmann, Robin/Fooken, Insa (2010): Eine wissenschaftliche Untersuchung über Puppen. Deutsche Übersetzung der Studie »A study of dolls« von Ellis und Hall, 1897. Herausgegeben von der Stiftung »Chancen für Kinder durch Spielen«, Wiesbaden. Müller-Tamm, Pia/Sydora, Katharina (Hg.) (1999): Puppen. Körper. Automaten. Phantasmen der Moderne, Köln. Marques, Circe Mara (2013): »Puppen im pädagogischen Kontext der Früherziehung – Lasst uns mit ›anderen‹ Puppen spielen?/Dolls in the Pedagogical Context of Early Childhood Education – Let’s play with ›different‹ dolls?«, in: Insa Fooken/Robin Lohmann (Hg.), Puppe – Boneca – Doll. Spielzeug, Frühpädagogik und gesellschaftliche Diskurse in Brasilien/Toys, elementary education, and social discourses in Brazil, Münster, S. 59-111. Oerter, Rolf (1999): Psychologie des Spiels, Weinheim/Basel. Paul, Jean (1807/1975): Levana oder Erziehlehre, § 51, München. Rittelmeyer, Christian (1989): »Der Blick der Puppe«, in: Wilfried Lippitz/ Christian Rittelmeyer (Hg.), Phänomene des Kinderlebens. Beispiele und methodische Probleme einer pädagogischen Phänomenologie, Bad Heilbrunn, S. 107-116. Souza, Fernanda Morais de (2013): »Dialoge verknüpfen: Kinder und Puppen in Interaktion/Weaving Dialogues: children and dolls in interaction«, in: Insa Fooken/Robin Lohmann (Hg.), Puppe – Boneca – Doll. Spielzeug, Frühpädagogik und gesellschaftliche Diskurse in Brasilien/Toys, elementary education, and social discourses in Brazil, Münster, S. 113-195. Stieve, Claus (2008): Von den Dingen lernen. Die Gegenstände unserer Kindheit (= Phänomenologische Untersuchungen, Band 27), München. Sutton-Smith, Brian (1986): Toys as Culture, New York. Taylor, Marjorie (1999): Imaginary companions and children who create them, New York. Wittkop-Ménardeau, Gabrielle (1962): Von Puppen und Marionetten. Kleine Kulturgeschichte für Sammler und Liebhaber, Zürich/Stuttgart. Winnicott, Donald W. (1973): Vom Spiel zur Kreativität, Stuttgart. Winnicott, Donald W. (1953): »Transitional Objects and Transitional Phenomena: a study of the first not-me possession«, in: The International Journal of Psychoanalysis, 34, S. 89-97.

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Glossar

3DDrucker

fertigen dreidimensionale Werkstücke durch Schmelz- und Härtungsprozesse. Das Design erfolgt computergestützt. Flüssige oder pulverförmige Kunststoffe und Metalle sind typische Werkstoffe für den 3D-Druck.

al-HaramMoschee

Die al-Haram-Moschee ist die größte Moschee der Welt. Sie befindet sich in Mekka, Saudi-Arabien.

Aibo

steht als Abkürzung für ›artificial intelligence robot‹, einen von Sony produzierten Unterhaltungsroboter, der als Spielzeug entwickelt wurde.

Anime

in Japan produzierte Zeichentrickfilme mit genretypischen Stilelementen.

App

Kurzform für Applikation und bezeichnet ein Mikroprogramm für Æ Smartphones.

Assassin’s Creed

ist eine Konsolen- und Computerspielreihe der Firma Ubisoft Montreal. Das Action-Adventure-Spiel hat wechselnde historische Bezugsrahmen.

Assassin’s Creed: Revelations

ist ein Konsolen- und Computerspiel aus der gleichnamigen Computerspielreihe Assasin’s Creed der Firma Ubisoft Montreal. Das Action-Adventure-Spiel ist während der historischen Kreuzzüge angesiedelt. Altersfreigabe: USK 16

AvatarSerie

»Avatar – Der Herr der Elemente« ist eine US-amerikanische Zeichentrickserie des Senders Nickelodeon. Die fiktive Zeichentrickwelt ist im historischen Ostasien orientiert. Stilistisch ist die Serie durch japanische Æ Animes beeinflusst.

Burj Khalifa

ist ein Wolkenkratzer in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) und mit 828 Metern das derzeit höchste Gebäude der Welt.

CNCCutter

Eine computergesteuerte Schneidemaschine.

CNC-Fräse Eine CNC-Fräse bezeichnet eine computergesteuerte Fräse, die das dreidimensionale Fräsen ermöglicht. Die Abkürzung CNC steht für computerunterstützte numerische Steuerung.

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Kinder und Dinge — Dingwelten zwischen Kinderzimmer und FabLab CNCCNC ist die Abkürzung für ›computer numerically controlled‹ und Maschinen beschreibt die computergestützte Steuerung und Regelung von Werkzeugmaschinen (CNC-Maschinen), bzw. die dafür eingesetzten Geräte (Controller, Computer). Creative Commons

ist eine gemeinnützige Organisation, die verschiedene StandardLizenzverträge veröffentlicht hat, durch welche NutzerInnen die Verwendungsrechte für freie Inhalte definieren können. Website der Organisation: http://creativecommons.org/

Creeper

sind Nicht-SpielerInnen-Charaktere im Computerspiel Æ Minecraft. Nicht-SpielerInnen-Charaktere sind vom Computer automatisch gesteuerte Spielfiguren, über die SpielerInnen keine Kontrolle ausüben können. Kommt ein SpielerInnen-Charakter einem Creeper zu nahe, explodiert der Creeper und verletzt den SpielerInnen-Charakter.

Digital natives

bezeichnet Personen, die mit Æ Digitalen Medien aufgewachsen sind.

Digitale Medien

sind auf digitalen Codes basierende elektronische Medien. Digitale Medien basieren – im Unterschied zu analogen Medien – auf Computertechnologie.

Drawdio

aus einem Bleistift und einer speziellen Platine hergestelltes elektronisches Musikinstrument. Bauanleitung unter: http://web.media. mit.edu/~silver/drawdio/oder unter http://wiki.happylab.at/w/Draw dio am 13.8.2013.

FabLab

steht abgekürzt für Fabrication Laboratory und bezeichnet offene Hight-Tech-Werkstätten, die für Privatpersonen zugänglich sind. Mit computergesteuerten Maschinen wie Æ 3D-Drucker, Æ CNCFräsen und Æ Lasercuttern können hoch individualisierte Einzelstücke und Ersatzteile angefertigt werden.

Fingerskate- sind meist handgemachte Spielzeug-Mini-Skateboards aus Holz, boards die mit den Fingern gesteuert werden.

Google SketchUp

ist eine Computersoftware zur Erstellung von 3D-Modellen und Animationen.

Happylab Vienna

Das »Happylab Vienna« ist ein Æ FabLab in Wien, das von der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften seit November 2010 betrieben wird. URL: www.happylab.at/am 19.6.2013.

High-Tech- Æ FabLab Werkstatt Lasercutter sind computergesteuerte Schneidewerkzeuge, mit denen durch thermische Verfahren (Laser) plattenartige Materialien (Metall, Holz) geschnitten werden können. Matrix

ist die virtuelle Realität in der gleichnamigen Science-Fiction-Filmtrilogie.

Glossar Minecraft

ist ein Open-World-Computerspiel der Firma Mojang. Aus würfelförmigen Blöcken können die Spieler eine 3D-Welt bauen.

MIT

Massachusetts Institute of Technology

Nintendo

ist ein japanischer Hersteller von Spielekonsolen und Videospielen. Der Begriff Nintendo wird zur Bezeichnung von verschiedenen Spielekonsolen verwendet.

OpenSourceSoftware

bezeichnet Computerprogramme, deren Quelltext öffentlich zugänglich ist. Die Software kann – je nach Lizenz – frei kopiert, verwendet und weiterbearbeitet werden.

PETA

Tierschutzorganisation.

Pokémon

sind Fantasiewesen aus der gleichnamigen Videospielreihe des japanischen Herstellers GAME FREAK. Inzwischen gibt es neben den Videospielen auch Kinofilme, Kartenspiele und Æ Anime.

Powerpoint ist eine Präsentationssoftware der Firma Microsoft Corporation. Schneidplotter

schneiden am Computer erstellte Konturen aus Folien (ÆTextiltransferfolie) und anderen dünne Materialien. Entfernt man manuell die überschüssigen Folienreste, kommen die Motive und Schriftzüge zum Vorschein.

Scratch

ist eine Programmiersprache und eine kostenlose medienpädagogisch orientierte Entwicklungsumgebung für Kinder. Entwickelt wurde Scratch am MIT (Massachusetts Institute of Technology).

Segways

sind elektronische Ein-Personen-Transportmittel mit zwei Rädern und einer Lenkstange, welche sich durch das Neigen in eine Richtung in diese Richtung fortbewegen.

Smartphones

bezeichnen internetfähige Mobiltelefone, deren Funktionen über Æ Apps gesteuert werden.

Spiegelneurone

bezeichnen in der Hirnforschung handlungssteuernde Nervenzellen. Spiegelneurone spielen eine Rolle unter anderem bei der Sprachentwicklung, der Handlungssteuerung durch Beobachtung und Imitation oder dem Einfühlungsvermögen.

Tablet

oder Tablet-Computer bezeichnet flache, tastaturlose tragbare Computer.

Textiltransferfolie

bezeichnet die Folie, aus der mittels ÆSchneidplotter am Computer designte Bilder und Schriftzüge ausgeschnitten und mittels Æ Thermopresse auf Textilien fixiert werden.

Thermopresse

bezeichnet die Presse, mittels der vom ÆSchneidplotter ausgeschnittene Motive und Schriftzüge auf Textilien gepresst werden.

World Wide Web

Das World Wide Web bezeichnet ein System elektronischer HypertextDokumente, die durch Links verknüpft sind. Die Webseiten werden über das Internet aufgerufen und in einem Webbrowser dargestellt.

Vinylcutter schneiden Folien und dünne, flexible Materialien.

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Die AutorInnen

Mag. Augustin, Elisabeth; Studium der Germanistik und Medien- und Kommunikationswissenschaften in Klagenfurt und Wien. Von 2008 bis 2013 arbeitete Elisabeth Augustin als Universitätsassistentin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt im Arbeitsbereich »Neue Medien – Technik – Kultur« und als Projektmitarbeiterin im FWF-/VW-Projekt »Subjektkonstruktionen und digitale Kultur«. Derzeit ist Elisabeth Augustin Lehrbeauftragte an der Alpen-AdriaUniversität Klagenfurt und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Lehrentwicklung an der Universität Graz. Veröffentlichungen: Zusammen mit Duller, Nicole und Schachtner, Christina (2012): »Das Spiel mit den Identitäten«, in: derStandard.at, URL: http://science.orf.at/stories/1707981, 16.11.2012; »We are being confronted with violence everywhere: on the street, in the media, in schools. A report on a video project with teenagers as an attempt to prevent violence at schools« (2010), in: Viktorija Ratkovic/Werner Wintersteiner (Hg.), Yearbook Peace Culture 2010. Culture of Peace. A Concept and A Campaign Revisited, S.  248-260; »Literarische Geschichtsverhandlungen. Zum Schulddiskurs bei Peter Henisch« (2009), VDM Dr. Müller. E-Mail: augustin. [email protected] Bang, Jytte; Associate Professorin am Institut für Psychologie der Universität Kopenhagen. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Entwicklungspsychologie sowie das Verständnis von Entwicklungsprozessen auf der Grundlage ökologischer und kultur-historischer Theorie. Zudem forscht sie zu Grundproblemen der Psychologie und zur Überwindung des Subjekt-Objekt-Dualismus. Sie interessiert sich insbesondere für Kinder und deren Beziehungen zur Umwelt sowie für die damit verbundenen theoretischen Fragen. Von 2006-2007 war sie Gastwissenschaftlerin an der Clark University, MA, USA. Sie ist Mitglied der Forschungsgruppe SUBSTANce, die die Wechelwirkungen von Subjektivität und gesellschaftlichen Normen untersucht. Sie arbeitet im redaktionellen Beirat der Zeitschriften Culture & Psychology, Integrative Psychological & Be-

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Kinder und Dinge — Dingwelten zwischen Kinderzimmer und FabLab

havioral Science, Journal of Anthropological Psychology und Psyke & Logos. E-Mail: [email protected] PD, Dr. phil. habil, Dipl.-Päd. Buchner-Fuhs, Jutta; Professur zur Vertretung an der Hochschule Fulda im Fachbereich Sozialwesen. Forschungsschwerpunkte: Kinder und Kindheit, kulturwissenschaftliche Technikforschung, Mensch-Tier-Verhältnisse, historische Kulturforschung, Gender, Fotobefragung. Veröffentlichungen: Zusammen mit Fuhs, Burkhard (2011): Gute Kindheit? Vorstellungen, Entwürfe und Lebensweisen gelingender Kindheit im historischen Wandel; »Tiererziehung als Menschenerziehung?« (2012), in: Jutta Buchner-Fuhs/Lotte Rose (Hg.): Tierische Sozialarbeit. Ein Lesebuch für die Profession zum Leben und Arbeiten mit Tieren, S. 49-69; »Den technischen Wandel bewältigen. Kulturtheoretische Überlegungen zu biografischen Umbrüchen« (2013), in: Reinhard Johler u.a. (Hg.): Kultur_Kultur: denken, forschen, darstellen, 38. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Tübingen, S.  530-539. Ausgewählte Forschungsprojekte: Zeitreise in die Kindheit. Erinnerungen an die Fünfziger- und Sechzigerjahre aus Thüringen (= Lehrforschungsprojekt). Mehrere Professuren zur Vertretung in der Erziehungswissenschaft (Philipps-Universität Marburg), Gastprofessur am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Lehrstuhlvertretung am Bereich Volkskunde/Kulturgeschichte der Universität Jena. Dr. Fooken, Insa; Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Siegen, 1972 Diplom in Psychologie an der Universität Bonn. Berufstätigkeit als Psychologin und Therapieausbildung. Seit 1976 an der Universität Bonn als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Von 1992-2013 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Siegen. Forschungsschwerpunkte: »Gender« und »Aging«, Kriegskinder im Alter, Resilienz, Puppen und menschliche Entwicklung. Lehre an der Universität Kassel und Fachhochschule für Soziale Arbeit in Bern; Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen in der Forschungsgruppe »Kinder des Weltkriegs«. Einschlägige Veröffentlichungen: Puppen – Heimliche Menschenflüsterer. Ihre Wiederentdeckung als Spielzeug und Kulturgut (2012); »Wider die ›Puppenstarre‹ – Ein Plädoyer für die (Wieder-)Aneignung des intermediären und imaginären Raums im Spiel mit Puppen« (2012), in: Hildegard Schröteler-von Brandt/Thomas Coelen/Andreas Zeising/Angelika Zische (Hg.), Räume für Bildung. Ästhetik und Architektur von Lern- und Lebensorten; Zusammen mit Lohmann, Robin (2013): PUPPE – BONECA – DOLL. Spielzeug, Frühpädagogik und gesellschaftliche Diskurse in Brasilien.

Die AutorInnen

DDr. Fuhs, Burkhard; Professor für Lernen und Neue Medien, Schule und Kindheitsforschung an der Universität Erfurt. Studium der Diplom-Pädagogik und der empirischen Kulturforschung. Seit 1985 in unterschiedlichen Projekten zur Kindheitsforschung tätig. Veröffentlichungen zum Wandel der Kindheit, zur Biografieforschung, zu Qualitativen Methoden und zur Technisierung des Alltags. Vorsitzender des »Erfurter Netcodes« e.V. Zurzeit Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Veröffentlichungen: »Kindheit und mediatisierte Freizeitkultur« (2010), in: Heinz-Hermann Krüger/Cathleen Grunert (Hg.), Handbuch Kindheits- und Jugendforschung; Zusammen mit Claudia Lampert und Roland Rosenstock (2010): Mit der Welt vernetzt. Kinder und Jugendliche in virtuellen Erfahrungsräumen Tagungsband; »Kinder im qualitativen Interview – Zur Erforschung subjektiver kindlicher Lebenswelten« (2012), in: Friederike Heinzel (Hg.), Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. Dipl.-Ing. Mag. Posch, Irene; Studium der Medieninformatik und Informatikmanagement an der Technischen Universität Wien, der Universität für Angewandte Kunst Wien und der Middlesex University London. Doktoratsstudium am Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung an der TU Wien. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Integration aktueller Technologien in Kunst- und Handwerksdisziplinen und deren Erschließung für neue Zielgruppen. Sie war als Lektorin an der Universität für Kunst und industrielle Gestaltung Linz sowie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt tätig und hat Forschungsaufenthalte in den Niederlanden und in den USA absolviert. Einschlägige Veröffentlichungen: »Introducing the FabLab as interactive exhibition space« (2010), in: Proceedings of the 9th International Conference on Interaction Design and Children; in Zusammenarbeit mit Geraldine Fitzpatrick: »First steps in the FabLab: experiences engaging children« (2012), in: Proceedings of the 24th Australian Computer-Human Interaction Conference; »Fabricating Environments for Children«, in: Julia Walter-Herrmann/Corinne Büching (2013) (Hg.), FabLab. Of Machines, Makers and Inventors. DDr. Schachtner, Christina; Professorin für Medienwissenschaft am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Forschungsschwerpunkte: Digitale Medien, Soziale Bewegungen im Zeitalter des Internet, Subjektkonstruktionen und digitale Kultur, kulturwissenschaftliche Technik- und Dingforschung. Leiterin des FWF-Projekts »Kommunikative Öffentlichkeiten im Cyberspace«. 2010 Visiting Fellow am Goldsmiths, University of London, Department of Media and Communications. 2013 Gastprofessorin an der Shanghai International Studies University. Einschlägige Veröffentlichungen: »Technik und Subjektivität« (1997); »Digital

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Kinder und Dinge — Dingwelten zwischen Kinderzimmer und FabLab

media evoking interactive games in virtual space«, in: Subjectivity, Vol. 6/2013; zusammen mit Tanja Carstensen, Heidi Schelhowe, Raphael Beer: Digitale Subjekte, Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart (2013). http://christinaschachtner.wordpress.com/ Mag. Writze, Birgit; Magistra für Medien- und Kommunikationswissenschaften. Diplomstudium der Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Von 2011 bis 2013 war Birgit Writze an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft als externe Lehrbeauftragte und als Projektmitarbeiterin im FWF-/VW-Projekt »Subjektkonstruktionen und digitale Kultur« im Arbeitsbereich »Neue Medien – Technik – Kultur« und beschäftigt. Seit 2011 ist Birgit Writze als freiberufliche Kommunikationsberaterin tätig. E-Mail: [email protected]

Kultur- und Medientheorie Erika Fischer-Lichte, Kristiane Hasselmann, Alma-Elisa Kittner (Hg.) Kampf der Künste! Kultur im Zeichen von Medienkonkurrenz und Eventstrategien August 2014, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-89942-873-5

Sandro Gaycken (Hg.) Jenseits von 1984 Datenschutz und Überwachung in der fortgeschrittenen Informationsgesellschaft. Eine Versachlichung 2013, 176 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2003-0

Kai-Uwe Hemken Exposition / Disposition Eine Grundlegung zur Theorie und Ästhetik der Kunstausstellung August 2014, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2095-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur- und Medientheorie Annette Jael Lehmann, Philip Ursprung (Hg.) Bild und Raum Klassische Texte zu Spatial Turn und Visual Culture Juli 2014, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1431-2

Kai Mitschele, Sabine Scharff (Hg.) Werkbegriff Nachhaltigkeit Resonanzen eines Leitbildes 2013, 222 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2422-9

Hermann Parzinger, Stefan Aue, Günter Stock (Hg.) ArteFakte: Wissen ist Kunst – Kunst ist Wissen Reflexionen und Praktiken wissenschaftlich-künstlerischer Begegnungen Juli 2014, 400 Seiten, Hardcover, zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2450-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur- und Medientheorie Vittoria Borsò (Hg.) Wissen und Leben – Wissen für das Leben Herausforderungen einer affirmativen Biopolitik (unter Mitarbeit von Sieglinde Borvitz, Aurora Rodonò und Sainab Sandra Omar) Juli 2014, ca. 260 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2160-0

Tanja Carstensen, Christina Schachtner, Heidi Schelhowe, Raphael Beer (Hg.) Digitale Subjekte Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart 2013, 300 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2252-2

Frédéric Döhl, Renate Wöhrer (Hg.) Zitieren, appropriieren, sampeln Referenzielle Verfahren in den Gegenwartskünsten Januar 2014, 288 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2330-7

Beate Flath (Hg.) Musik/Medien/Kunst Wissenschaftliche und künstlerische Perspektiven 2013, 198 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb. , 28,99 €, ISBN 978-3-8376-2346-8

Urs Hangartner, Felix Keller, Dorothea Oechslin (Hg.) Wissen durch Bilder Sachcomics als Medien von Bildung und Information 2013, 336 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-1983-6

Christian Hißnauer, Stefan Scherer, Claudia Stockinger (Hg.) Zwischen Serie und Werk Fernseh- und Gesellschaftsgeschichte im »Tatort« Juli 2014, ca. 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,99 €, ISBN 978-3-8376-2459-5

Vincent Kaufmann, Ulrich Schmid, Dieter Thomä (Hg.) Das öffentliche Ich Selbstdarstellungen im literarischen und medialen Kontext Juni 2014, ca. 240 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2409-0

Marcus S. Kleiner, Holger Schulze (Hg.) SABOTAGE! Pop als dysfunktionale Internationale 2013, 256 Seiten, kart., zahlr. z.T. farbige Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2210-2

Christopher F. Laferl, Anja Tippner (Hg.) Künstlerinszenierungen Performatives Selbst und biographische Narration im 20. und 21. Jahrhundert Juli 2014, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2215-7

Bastian Lange, Hans-Joachim Bürkner, Elke Schüßler (Hg.) Akustisches Kapital Wertschöpfung in der Musikwirtschaft 2013, 360 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2256-0

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Kathrin Audehm, Iris Clemens (Hg.)

GemeinSinn Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2013

2013, 136 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2322-2 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort.

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