Katholisches Kirchenrecht: Ein Studienbuch [2 ed.] 3825258572, 9783825258573

Was ist Kirchenrecht? Wie wird es begründet? Mit welchen Grundbegriffen arbeitet es? Welche inhaltlichen Schwerpunkte gi

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Katholisches Kirchenrecht: Ein Studienbuch [2 ed.]
 3825258572, 9783825258573

Table of contents :
Frontmatter
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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts (Ludger Müller)
I. Grundlegung des Kirchenrechts
§ 1 Rechtsdenken in der Kirche
A. Ambivalente Rechtserfahrung
B. Rechtsphilosophische Voraussetzungen
§ 2 Ansätze zu einer Grundlegung kirchlichen Rechts im Ius Publicum Ecclesiasticum
§ 3 Infragestellung des kanonischen Rechts durch Rudolph Sohm
§ 4 Hans Barion und die Grundlegung des Kirchenrechts
A. Die Auseinandersetzung mit Rudolph Sohm
B. Barions Grundlegung des Kirchenrechts
§ 5 Theologische Grundlegung kirchlichen Rechts in der „Münchener Schule“
A. Der kerygmatisch-sakramentale Ansatz von Klaus Mörsdorf
B. Grundlegung kirchlichen Rechts im sakramentalen Charakter der Kirche
II. Quellen des Kirchenrechts
§ 6 Historischer Überblick
§ 7 Das kodif izierte Recht der katholischen Kirche
A. Der Codex Iuris Canonici von 1917
B. Weiterentwicklung des Rechts der Lateinischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil
C. Die Kodifikation des Ostkirchenrechts
§ 8 Göttliches und menschliches Kirchenrecht
A. Göttliches Recht
B. Menschliches Kirchenrecht
C. Das Verhältnis von göttlichem und rein menschlichem Kirchenrecht
III. Allgemeine Normen
§ 9 Gesetz und Gewohnheit als Rechtsquelle in der Kirche
A. Das kirchliche Gesetz
B. Die Gewohnheit als Rechtsquelle
C. Zuordnung von Gesetzgeber und kirchlicher Gemeinschaft
D. Arten kirchlicher Gesetze
§ 10 Interpretation und Anwendung kirchlicher Gesetze
A. Die Interpretationsregeln des CIC
B. Authentische Interpretation
C. Recht und Einzelfallgerechtigkeit
D. Die Mittel der Einzelfallgerechtigkeit
§ 11 Amtliches Handeln in der Kirche
A. Geistliche Vollmacht
B. Kirchenamt
Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche
I. Verkündigungsdienst der Kirche
§ 12 Verkündigungsrechtliche Grundfragen
A. Glaubensverkündigung und Religionsfreiheit
B. Lehramt der Kirche
C. Ökumenische Verpflichtung
§ 13 Dienst am Wort Gottes
A. Missionstätigkeit und Katechumenat
B. Liturgische Verkündigung (Predigt)
C. Katechese
§ 14 Bildung und Erziehung
A. Zentrale Grunddaten
B. Schulen
C. Religionsunterricht
D. Hochschulen
§ 15 Förderung und Schutz des Glaubensgutes
A. Soziale Kommunikationsmittel
B. Glaubensbekenntnis und Treueid
C. Lehrprüfungs- und Lehrbeanstandungsverfahren
II. Sakramentenrecht
§ 16 Grundfragen
A. Munus sanctificandi – Gottesdienst – Liturgie
B. Die Sakramente im Allgemeinen
§ 17 Die Eucharistie
A. Sakramententheologisch-ekklesiologische Grundlagen
B. Die Feier der Eucharistie
C. Recht auf Eucharistie
§ 18 Taufe
A. Theologisch-rechtliche Grundlagen
B. Die Feier der Taufe
C. Taufempfänger
§ 19 Firmung
A. Sakramententheologisch-ekklesiologische Grundlagen
B. Der Firmspender
C. Empfänger der Firmung
D. Die Feier der Firmung
§ 20 Weihe
A. Theologische Grundlagen
B. Spendung des Weihesakraments
C. Der Weiheempfänger
§ 21 Bußsakrament
A. Theologische Grundlagen
B. Die Beichtbefugnis
C. Feier des Bußsakramentes
D. Beichtgeheimnis
§ 22 Krankensalbung
A. Theologische Grundlagen
B. Rechtliche Ausgestaltung
§ 23 Das Sakrament der Ehe
A. Theologisch-kanonistische Grundlagen
B. Ehefähigkeit
C. Ehewille
D. Eheschließung
Dritter Teil: Innere und äussere Verfasstheit der Katholischen Kirche (Christoph Ohly)
I. Kirchliches Verfassungsrecht
§ 24 Aspekte der communio-Struktur
A. Ekklesiologische Grundeinsicht
B. Communio als Rechtsbegriff
C. Differenziertes Kirchenverständnis und ökumenische Relevanz
§ 25 Der Christgläubige in der Kirche
A. Kirchengliedschaft
B. Gemeinsame Rechte und Pf lichten
C. Dienst der Kleriker
D. Zur Frage des Kirchenaustritts
§ 26 Strukturen und Organe der Gesamtkirche
A. Verfassungsrechtliche Grundstrukturen
B. Bischofskollegium – Fortdauer der apostolischen Körperschaft
C. Das Amt des Papstes – Fortdauer des Petrusamtes
§ 27 Wesen und Organe der Teilkirchenverbände
A. Differenzierung der Teilkirchenverbände
B. Bischofskonferenz und Regionalkonvent
C. Partikularkonzilien und Metropolitenamt
§ 28 Formen und Strukturen der Teilkirche
A. Diözese als Grundform der Teilkirche
B. Amt des Bischofs
C. Diözesanbischof und Beratungsorgane
D. Pfarrei als zentrale Seelsorgestruktur
II. Grundelemente der Beziehung von Kirche und Staat
§ 29 Vision einer „Gesunden Laizität“
A. Modelle der Zuordnung
B. Staatskirchenrecht oder Religionsrecht?
C. Ansatz aus kirchlicher Perspektive
§ 30 Verfassungs- und Vertragsrecht
A. Verfassungsrecht
B. Vertragsrecht
C. Europäisches Recht
§ 31 Verfassungsrechtliche Fundamentalnormen
A. Religionsfreiheit
B. Religiös-weltanschauliche Neutralität und Parität
C. Selbstbestimmungsrecht
D. Rechtsstatus als Körperschaft des öffentlichen Rechts
§ 32 Exemplarische Sachbereiche der res mixtae
A. Religionsunterricht
B. Militärseelsorge
C. Kirchensteuer und Kirchenaustritt

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Für die 2. Auflage wurde der Text umfassend aktualisiert.

Dies ist ein utb-Band aus dem Verlag Brill | Schöningh. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

ISBN 978-3-8252-5857-3

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Katholisches Kirchenrecht

Aus dem Inhalt: ● Grundlegung des Kirchenrechts ● Quellen des Kirchenrechts ● Allgemeine Normen ● Verkündigungsdienst der Kirche ● Sakramentenrecht ● Kirchliches Verfassungsrecht ● Die Beziehung der Kirche zum Staat

Christoph Ohly Ludger Müller

Katholisches Kirchenrecht 2. Auflage

Ohly | Müller

Was ist Kirchenrecht? Wie wird es begründet? Mit welchen Grundbegriffen arbeitet es? Welche inhaltlichen Schwerpunkte gibt es? Was sind seine Aufgaben? Ludger Müller und Christoph Ohly erschließen ­kompakt und doch eingehend die Grundlagen, Begriffe und Quellen des Kirchenrechts. Tabellen und Übersichten erleichtern das Verständnis. Studierende erhalten neben wichtigen Grundlagen für ihr Studium auch Hilfestellung bei der Prüfungsvorbereitung.

2. A.

Theologie | Recht Religionswissenschaft

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utb 4307

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh – Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen – Böhlau · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag – expert verlag · Tübingen Psychiatrie Verlag · Köln Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main

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Ludger Müller und Christoph Ohly

Katholisches Kirchenrecht Ein Studienbuch 2., aktualisierte Auflage

BRILL | SCHÖNINGH

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Die Autoren: Ludger Müller (verst. 20. April 2020), Dr. theol., Dr. iur. can. habil., M. A., Diakon der Diözese St. Pölten, Universitäts-Professor für Kirchenrecht in Ruhe der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Gastprofessor am „Istituto di Diritto Canonico e Diritto Comparato delle Religioni“ der Facoltà di Teologia di Lugano, o. Hochschul-Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule päpstlichen Rechts Heiligenkreuz, Diözesanrichter in St. Pölten, 2011 Ernennung zum Konsultor des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte. Christoph Ohly, Dr. theol. habil., Lic. iur. can., Priester des Erzbistums Köln, Professor für Kirchenrecht, Religionsrecht und kirchliche Rechtsgeschichte an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) und deren Rektor; Gastprofessor an der Kanonistischen Fakultät der Kirchlichen Universität „San Dámaso“ in Madrid, Kirchlicher Anwalt am Bischöflichen Offizialat Trier, 2008 Ernennung zum Konsultor der Kongregation für den Klerus (bis 2017).

Umschlagabbildung: Decretum Gratiani, Distinctio prima; Zierinitiale: H(umanum).

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 2., aktualisierte Auflage 2022 © 2018 Brill Schöningh, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress.

Internet: www.schoeningh.de Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart UTB-Band-Nr: 4307 ISBN 978-3-8252-5857-3 eISBN 978-3-8385-5857-8

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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts (Ludger Müller) I. Grundlegung des Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 § 1 Rechtsdenken in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A. Ambivalente Rechtserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Rechtsphilosophische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 15 § 2 Ansätze zu einer Grundlegung kirchlichen Rechts im Ius Publicum Ecclesiasticum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 § 3 Infragestellung des kanonischen Rechts durch Rudolph Sohm 19 § 4 Hans Barion und die Grundlegung des Kirchenrechts . . . . . . . 21 A. Die Auseinandersetzung mit Rudolph Sohm . . . . . . . . . . . 22 B. Barions Grundlegung des Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . 23 § 5 Theologische Grundlegung kirchlichen Rechts in der „Münchener Schule“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 A. Der kerygmatisch-sakramentale Ansatz von Klaus Mörsdorf 24 B. Grundlegung kirchlichen Rechts im sakramentalen Charakter der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Quellen des Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 § 6 Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 § 7 Das kodifizierte Recht der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . 35 A. Der Codex Iuris Canonici von 1917 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B. Weiterentwicklung des Rechts der Lateinischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil . . . . . . . . . . . . . . . . 38 C. Die Kodifikation des Ostkirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 § 8 Göttliches und menschliches Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 42 A. Göttliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 B. Menschliches Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 C. Das Verhältnis von göttlichem und rein menschlichem Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Allgemeine Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 § 9 Gesetz und Gewohnheit als Rechtsquelle in der Kirche . . . . . . 45 A. Das kirchliche Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 B. Die Gewohnheit als Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

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Inhaltsverzeichnis

C. Zuordnung von Gesetzgeber und kirchlicher Gemeinschaft 48 D. Arten kirchlicher Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 § 10 Interpretation und Anwendung kirchlicher Gesetze . . . . . . . . . 51 A. Die Interpretationsregeln des CIC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. Authentische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 C. Recht und Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 D. Die Mittel der Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 § 11 Amtliches Handeln in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 A. Geistliche Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 B. Kirchenamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche I. Verkündigungsdienst der Kirche (Christoph Ohly) . . . . . . . . . . . . . . 65 § 12 Verkündigungsrechtliche Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 A. Glaubensverkündigung und Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . 66 B. Lehramt der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 C. Ökumenische Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 § 13 Dienst am Wort Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 A. Missionstätigkeit und Katechumenat . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Liturgische Verkündigung (Predigt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 C. Katechese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 § 14 Bildung und Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 A. Zentrale Grunddaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 B. Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 C. Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 D. Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 § 15 Förderung und Schutz des Glaubensgutes . . . . . . . . . . . . . . . . 119 A. Soziale Kommunikationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 B. Glaubensbekenntnis und Treueid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 C. Lehrprüfungs- und Lehrbeanstandungsverfahren . . . . . . . . 127 II. Sakramentenrecht (Ludger Müller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 § 16 Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 A. Munus sanctificandi – Gottesdienst – Liturgie . . . . . . . . . . 131 B. Die Sakramente im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 § 17 Die Eucharistie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 A. Sakramententheologisch-ekklesiologische Grundlagen . . . 142 B. Die Feier der Eucharistie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 C. Recht auf Eucharistie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 § 18 Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 A. Theologisch-rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

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Inhaltsverzeichnis

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B. Die Feier der Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 C. Taufempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 § 19 Firmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 A. Sakramententheologisch-ekklesiologische Grundlagen . . . 159 B. Der Firmspender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 C. Empfänger der Firmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 D. Die Feier der Firmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 § 20 Weihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Theologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 B. Spendung des Weihesakraments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 C. Der Weiheempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 § 21 Bußsakrament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 A. Theologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 B. Die Beichtbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 C. Feier des Bußsakramentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 D. Beichtgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 § 22 Krankensalbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 A. Theologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 B. Rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 § 23 Das Sakrament der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 A. Theologisch-kanonistische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 181 B. Ehefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 C. Ehewille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 D. Eheschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Dritter Teil: Innere und äussere Verfasstheit der Katholischen Kirche (Christoph Ohly) I. Kirchliches Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 § 24 Aspekte der communio-Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 A. Ekklesiologische Grundeinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 B. Communio als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 C. Differenziertes Kirchenverständnis und ökumenische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 § 25 Der Christgläubige in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 A. Kirchengliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 B. Gemeinsame Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 C. Dienst der Kleriker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 D. Zur Frage des Kirchenaustritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 § 26 Strukturen und Organe der Gesamtkirche . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 A. Verfassungsrechtliche Grundstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . 243

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Inhaltsverzeichnis

B. Bischofskollegium – Fortdauer der apostolischen Körperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 C. Das Amt des Papstes – Fortdauer des Petrusamtes . . . . . . 252 § 27 Wesen und Organe der Teilkirchenverbände . . . . . . . . . . . . . . . 264 A. Differenzierung der Teilkirchenverbände . . . . . . . . . . . . . . . 264 B. Bischofskonferenz und Regionalkonvent . . . . . . . . . . . . . . . 266 C. Partikularkonzilien und Metropolitenamt . . . . . . . . . . . . . . 271 § 28 Formen und Strukturen der Teilkirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 A. Diözese als Grundform der Teilkirche . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 B. Amt des Bischofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 C. Diözesanbischof und Beratungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . 281 D. Pfarrei als zentrale Seelsorgestruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 II. Grundelemente der Beziehung von Kirche und Staat . . . . . . . . . . . . 293 § 29 Vision einer „Gesunden Laizität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 A. Modelle der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 B. Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . 296 C. Ansatz aus kirchlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 § 30 Verfassungs- und Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 A. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 B. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 C. Europäisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 § 31 Verfassungsrechtliche Fundamentalnormen . . . . . . . . . . . . . . . 308 A. Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 B. Religiös-weltanschauliche Neutralität und Parität . . . . . . . . 310 C. Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 D. Rechtsstatus als Körperschaft des öffentlichen Rechts . . . . 313 § 32 Exemplarische Sachbereiche der res mixtae . . . . . . . . . . . . . . . . 315 A. Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 B. Militärseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 C. Kirchensteuer und Kirchenaustritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

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Vorwort Das wissenschaftliche Studium bedarf stets unterschiedlicher Blickrichtungen. Neben der Vertiefung in Einzelfragen und der Entfaltung der Problemstellungen ist ebenso die Zusammenfassung und, um es mit einem Wort von Hans Urs von Balthasar zu formulieren, „Einfaltung“ erforderlich. Das gilt auch für die Kirchenrechtswissenschaft. So wichtig eine umfassende Behandlung der Grund- und Einzelfragen in Hand- und Lehrbüchern ist, so notwendig erweist sich auch eine kompakte Darstellung des Kirchenrechts. Die Autoren dieses Buches sind seit dem vierten Band des bekannten Lehrbuchs des Kirchenrechts in der Tradition von Eduard Eichmann, Klaus Mörsdorf und Winfried Aymans an seiner Neubearbeitung und Fortentwicklung beteiligt. Dieses Faktum zeigt ihr Bemühen sowohl um Entfaltung als auch um Einfaltung, um Vertiefung und Zusammenfassung zugleich. Ähnlich hatte schon Vitus Pichler (1670–1736) neben seinem mehrbändigen großen Lehrbuch „Candidatus jurisprudentiae sacrae“ ein bündiges Lehrbuch für die Hand der Studenten verfasst: „Candidatus abbreviatus jurisprudentiae sacrae“. Diesem Vorbild wollen sich die Autoren mit dem vorliegenden Band anschließen. Das Studienbuch „Katholisches Kirchenrecht“ soll den Studierenden der Katholischen Theologie eine zusammengefasste Darstellung des Kirchenrechts zu allen Gegenstandsbereichen bieten, die für das theologische Vollstudium (das „fachtheologische“ Studium) verpflichtend vorgeschrieben sind. Skizzen und Abbildungen zielen an geeigneten Stellen darauf ab, Inhalte prägnant zu visualisieren. Nicht geboten werden kann eine Darstellung des gesamten Kirchenrechts; es soll aber andererseits mehr behandelt werden als nur einzelne „Lieblingsthemen“ der Autoren oder ein Blumenstrauß von als aktuell empfundenen kirchenrechtlichen Sachbereichen. Durch einschlägige Hinweise auf die entsprechenden Paragraphen des Lehrbuchs von Aymans – Mörsdorf (– Müller) und des Handbuchs des katholischen Kirchenrechts in seiner dritten Auflage wird gewährleistet, dass weiterführende Informationen jederzeit und schnell aufgefunden werden können. Wer ein Lehramtsstudium mit dem Fach Religion oder (in Österreich) das Studium der Katholischen Religionspädagogik absolviert, dürfte anhand des jeweils geltenden Studienplans bzw. Curriculums ohne Schwierigkeiten ermitteln können, welche Paragraphen dieses Buches für das Studium Verwendung finden. Die Autoren verbinden mit dem Studienbuch den Wunsch, den Studierenden der Katholischen Theologie nicht nur das erforderliche kirchenrechtliche Fachwissen, sondern zugleich den Geschmack und die Freude an jenem Recht der Kirche zu vermitteln, das in seiner wissenschaftlichen Durchdringung als theo-

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Vorwort

logische Disziplin im Dienst der vielfältigen Sendung der Kirche in der Welt von heute steht. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht, sofern sich nicht aus dem Sachzusammenhang etwas anderes ergibt. Die Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis im Handbuch des Katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl., hrsg. von Stephan Haering, Wilhelm Rees und Heribert Schmitz, Regensburg 2015, XXV–LXVIII. Die Verfasser sind Frau Dr. Nadine Albert vom Verlag Ferdinand Schöningh für die stets geduldige und kompetente Begleitung des Projekts, Herrn Mag. Dr. iur. can. Klaus Zeller, LL.M. für die umsichtigen Hinweise und Korrekturarbeiten und P. Mag. Martin Krutzler OCist, LL.M. für die Erstellung der Grafiken zu großem Dank verpflichtet. St. Pölten und Trier, am 28. Januar 2018 Ludger Müller und Christoph Ohly

Vorwort zur 2. Auf lage Am 20. April 2020 ist mein geschätzter Kollege Ludger Müller verstorben. Die Tatsache, dass das Studienbuch nach seinem ersten Erscheinen im Jahr 2018 gute Aufnahme gefunden hatte und recht bald eine zweite Auflage notwendig werden könnte, war ihm in den Monaten seiner schweren Erkrankung Grund zu Freude und Dankbarkeit. Die Umsetzung dieses Vorhabens mitzuerleben, war ihm indes nicht mehr vergönnt. So bleibt mir die Aufgabe, ihm die nun vorliegende zweite Auflage des Studienbuches mit Dankbarkeit zu widmen. Duktus und Ausrichtung des Studienbuches sind bestehen geblieben, kleinere Korrekturen und notwendig gewordene Ergänzungen in Text und Literatur wurden vorgenommen. Im Sinne eines generellen Hinweises sei an dieser Stelle auf das inzwischen erschienene vierbändige Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht (LKRR) verwiesen, das für das vertiefende Studium wertvolle Hilfen bietet. Die zwischenzeitlich eingegangenen Anregungen, Abhandlungen zu weiterführenden aktuellen Rechtsfragen (Reform des kirchlichen Sanktionsrechts; rechtliche Dimensionen der sexualisierten Gewalt an Schutzbefohlenen durch

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Vorwort zur 2. Auflage

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Kleriker, Ordensangehörige und andere Beschäftigte im kirchlichen Dienst; vermögens- und prozessrechtliche Fragestellungen) in das Studienbuch aufzunehmen, habe ich nicht umgesetzt. Begründet sehe ich das vor allem in Wesen, Umfang und Ziel des Studienbuches, das den Studierenden der Katholischen Theologie eine zusammengefasste Darstellung des Kirchenrechts zu allen Gegenstandsbereichen bieten möchte, die seitens der kirchlichen Vorgaben für das theologische Vollstudium verpflichtend vorgeschrieben sind. Für die genannten Sachbereiche sei daher auf die einschlägigen Publikationen verwiesen. Mit der nun vorliegenden Auflage verbinde ich weiterhin die Hoffnung, dass das Studienbuch auch den künftigen Studierenden ein guter und hilfreicher Begleiter auf dem Weg zu einem tieferen Verständnis des Kirchenrechts als instrumentum veritatis et caritatis in der Gemeinschaft der Kirche sein kann. Schließlich möchte ich all denen meinen Dank für viele wertvolle Hilfen aussprechen, die das Zustandekommen dieser Auflage ermöglicht haben: Frau Dr. Nadine Albert vom Verlag Ferdinand Schöningh, meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Frau Mag. Theol. Nina Jungblut und Herrn Mag. Theol. Sebastian Marx sowie Herrn Tobias Lipinski als wissenschaftlicher Hilfskraft. Köln, am 6. Januar 2022 Christoph Ohly

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts Aymans – Mörsdorf, KanR I, §§ 1–3, § 5 B I; Winfried Aymans, § 3 Die Kirche – Das Recht im Mysterium Kirche, in: HdbKathKR3; Ludger Müller, § 2 Recht und Kirchenrecht, in: HdbKathKR3.

I. Grundlegung des Kirchenrechts Weiterführende Literatur: Antonio Rouco Varela – Eugenio Corecco, Sakrament und Recht – Antinomie in der Kirche?, Paderborn 1998; Péter Erdő, Theologie des kanonischen Rechts. Ein systematisch-historischer Versuch, Münster 1999; Libero Gerosa – Ludger Müller, Kirche ohne Recht? Stand und Aufgaben der Kirchenrechtswissenschaft heute, Paderborn 2003.

§ 1 Rechtsdenken in der Kirche A.  Ambivalente Rechtserfahrung Wie oftmals in der heutigen Gesellschaft kommt es auch in der Kirche einerseits zu einem Übermaß an rechtlichen Regelungen, andererseits aber zumindest in der allgemein herrschenden Rechtserfahrung zu einer Trennung des Rechts von wesentlichen Gehalten moralischer und religiöser Art. Das Recht breitet sich immer mehr aus und scheint zugleich immer beliebiger zu werden. Diese Entwicklung führt das Recht in die Krise. Die hier umrissene Erfahrung gilt für weltliches ebenso wie für das kirchliche Recht. Selbst die vielfachen Prozesse, die zu einer Reform der Kirche führen sollen – synodale Versammlungen, Diözesanforen o. ä. –, führen zu einer Fülle von Beschlüssen, die nach der Absicht ihrer Urheber rechtlich verbindlich sein sollen. Hier wird dem Recht eine reformerische Kraft zugetraut. Ein hervorragendes Beispiel ist die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die eine hohe Anzahl an Neuregelungen hervorgebracht hat. Kennzeichnend hierfür ist die von Heribert Schmitz herausgegebene Reihe „Nachkonziliare Dokumentation“ mit gesamtkirchlichen Reformdokumenten, deren abschließender Indexband die Bandzahl 58 trägt, die aber immer noch

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

durch weitere Allgemeindekrete, Ausführungsverordnungen usw. hätte ergänzt werden können. Zur nachkonziliaren Gesetzgebung des Apostolischen Stuhls kommt eine umfassende teilkirchliche Gesetzgebung hinzu, die sich ebenfalls das Ziel gesetzt hatte, die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils in rechtliche Form zu gießen.1 Auf gesamtkirchlicher Ebene hat sich durch die kirchlichen Gesetzbücher von 1983 und 1990 eine gewisse Beruhigung im Bereich der Gesetzgebung ergeben. Zugleich ist eine immer geringere Wertschätzung des Rechts in der Kirche – auch durch Träger hoher kirchlicher Ämter – zu beobachten. Diese Art von Antijuridismus und prinzipieller Ablehnung von Recht in der Kirche gab es schon auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil.2 Wenn man von einer (inner-)kirchlichen Rechtsordnung spricht, geht es immer um zwei Aspekte: um die Übereinstimmung mit dem Wesen der Kirche einerseits und andererseits um die Wahrung dessen, was eine rechtliche Ordnung ausmacht. Die fundamentalen Fragen des Kirchenrechts wurden in älteren Lehrbüchern nur kurz und knapp angesprochen. Zumeist wurde erst der Kirchenbegriff entwickelt und unabhängig davon in einem nächsten Schritt der Begriff des Rechts deduziert. Eine schlichte „Addition“ dieser beiden Begriffe führte dann zum Begriff des Kirchenrechts, mit dem im Folgenden gearbeitet wurde. Der Gedankengang lautete also vereinfacht: Kirche + Recht = Kirchenrecht. Diese „additive Methode“ hatte schon im 19. Jahrhundert der Grazer Kirchenrechtler Karl Gross (1837–1906) mit folgenden Worten kritisiert: Nicht minder unbefriedigend und unzulänglich muss die Methode anderer bedeutender Juristen, welche das canonische Recht bearbeiteten, erscheinen, wornach zuerst der Begriff von Kirche und der Begriff von Recht (nach einer der verschiedenen rechtsphilosophischen Ansichten) definirt und sodann beides in Einem Satz einfach zusammengefasst wird, um den Begriff von Kirchenrecht zu erlangen. Denn das sieht ja doch beinahe so aus, als ob man ein Stückchen Salpeter, ein Stückchen Schwefel und ein Stückchen Kohle mit einem Zwirnsfaden zu einem Bündel zusammenbinden und nun meinen wollte, man habe Pulver erhalten.3

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3

Kritisch zur nachkonziliaren Gesetzgebung: Georg May, Der CIC und die Entwicklung des Kirchenrechts bis 1974, in: HKG, Bd. VII, Freiburg u.a. 1979, 152–179, hier 162–169. Vgl. Vgl. Peter Krämer, Das Recht im Selbstvollzug der Kirche. Erwägungen wider die Gefahr einer Verrechtlichung, in: TThZ 85 (1976) 321–331. Karl Gross, Zur Begriffsbestimmung und Würdigung des Kirchenrechts. Eine akademische Antrittsvorlesung, Graz 1872, 5.

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§ 1 Rechtsdenken in der Kirche

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Die Befassung mit den Grundfragen des Kirchenrechts muss aufweisen, dass die Kirche nicht nur eine Gemeinschaft der Glaubenden, sondern auch eine Rechtsgemeinschaft ist. Weil die Kirche (auch) eine menschliche Gemeinschaft ist, kann sie ein Recht haben; sie muss aber nicht schon aufgrund ihres Gemeinschaftscharakters rechtlich normiert sein, denn es gibt auch Gemeinschaften ohne Recht. Ob die Kirche legitimerweise ein Recht hat, ergibt sich erst aus der Frage, was zum Wesen der Kirche hinzugehört; die Legitimität des Kirchenrechts ergibt sich aus dem zugrundeliegenden Kirchenverständnis.

B.  Rechtsphilosophische Voraussetzungen Es gibt ganze Kataloge von Definitionen des Rechts.4 Das lässt die Frage stellen: Ist es überhaupt möglich, das Recht zu definieren? Bei der Frage nach der Definition des Rechts ist zu beachten, dass es darum geht, das zu erfassen, was das Recht als solches ausmacht. Es geht nicht um die Frage, was in dieser oder jener Gemeinschaft rechtens ist, sondern um das, was jede Rechtsordnung charakterisiert – auch in Abgrenzung zu anderen Normen­systemen. Auch wenn es nicht möglich zu sein scheint, das „Wesen“ recht­lichen Ordnens in einem einzigen Satz zu erfassen, lassen sich doch einige Charakteristika feststellen. Als Wesenselemente eines Rechtsbegriffs sollen daher thesenhaft die folgenden benannt werden:5 1. These: Die Rechtsordnung regelt die gegenseitigen Beziehungen der Menschen zu ihren Mitmenschen, und zwar sowohl zu den einzelnen Mitmenschen als auch zu menschlichen Gemeinschaften und zur menschlichen Gesellschaft insgesamt. Das gilt auch für das Kirchenrecht. Es ist nicht seine Sache, die unmittelbare Gottesbeziehung zu regeln – das ist schlicht unmöglich. Es geht (nur) um die Regelung der innerkirchlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Gläubigen, zwischen Gläubigen und der kirchlichen Autorität sowie zwischen einzelnen kirchlichen Rechtspersonen (Pfarren, Diözesen usw.). 2. These: Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden rechtlich geregelt nur hinsichtlich solcher Handlungen, die äußerlich feststellbare Wirkungen haben. 4 5

Vgl. Anton Stiegler, Der kirchliche Rechtsbegriff, München – Zürich 1958, 3–7. Vgl. zum Folgenden Ludger Müller, Der Rechtsbegriff im Kirchenrecht. Zur Abgrenzung von Recht und Moral in der deutschsprachigen Kirchenrechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, St. Ottilien 1999, bes. 330–332.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

Was rein im Herzen des Menschen verbleibt, ist rechtlich ohne Belang. Die Absicht, eine Ehe zu schließen, ist rechtlich irrelevant, solange sie sich nicht in einem äußeren Handeln manifestiert: dem Ja-Wort bei der Eheschließung. Die Mordabsicht wird erst dann ein Fall für die Justiz, wenn eine entsprechende Tat hinzukommt. 3. These: Die Rechtsordnung als Ganze ist charakterisiert durch Judiziabilität. Damit soll gesagt sein: Es ist nicht erforderlich, dass das Einhalten jeder einzelnen Rechtsnorm erzwungen werden kann  – noch viel weniger sind physische Zwangsmittel erforderlich –; es muss aber gewährleistet sein, dass die Rechtsordnung insgesamt eingehalten wird. Zu diesem Zweck ist jedenfalls notwendig, dass in einem geordneten Verfahren (Prozess) festgestellt werden kann, welches Verhalten eines der Rechtsgemeinschaft Angehörenden rechtens ist und welches nicht. 4. These: Nur eine solche Verpflichtung kann als Rechtspflicht normiert werden, die im vollen Umfang erfüllt werden kann. Zielgebote wie z.B. das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe können ebenso oder sogar in einem höheren Maß verbindlich sein. Damit aber ein Gebot oder Verbot rechtlich verpflichten kann, muss es möglich sein, es nicht nur anzustreben, sondern voll zu verwirklichen.

§ 2 Ansätze zu einer Grundlegung kirchlichen Rechts im Ius Publicum Ecclesiasticum Weiterführende Literatur: Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978; Andreas Kowatsch, Freiheit in Gemeinschaft – Freiheit der Gemeinschaft. Das geltende Kirchenrecht und die alte Lehre von der „libertas Ecclesiae“, Berlin 2015.

Die rechtliche Ordnung der Kirche war lange Zeit unproblematisch. Erst die Reformatoren zeigten eine gewisse Rechtsfremdheit, z. T. auch Rechtsfeindlichkeit. Diese galt aber eigentlich nicht so sehr der rechtlichen Ordnung als solcher als vielmehr dem päpstlichen Dekretalenrecht. Erst ca. 150 Jahre nach Reformation und Konzil von Trient ergab sich die Notwendigkeit, über die Grundlagen des kirchlichen Rechts nachzudenken. Im 18. Jahrhundert entstand in Würzburg um den dortigen Kanonisten Johann Caspar Barthel (1697–1771) eine neue kirchenrechtliche Schule, in der es zunächst um die Übernahme der Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht aus der weltlichen in die kirchliche Rechtswissenschaft ging, also v. a. um eine neue Lehrmethode. Zugleich konnte die so entstandene neue wissenschaft-

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§ 2 Ansätze zu einer Grundlegung kirchlichen Rechts im Ius Publicum Ecclesiasticum

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liche Disziplin des öffentlichen Kirchenrechts, des Ius Publicum Ecclesiasticum (kurz: IPE) dazu dienen, die innere Verfassung der Kirche und die Stellung der Kirche im Staat systematisch zu behandeln. Angesichts der Auseinandersetzung mit den aufklärerischen weltlichen Herrschern bestand das Ziel seitens der kirchlichen Rechtswissenschaft im Nachweis der Gleichberechtigung von Staat und Kirche. Es musste in einer auch für weltliche Juristen nachvollziehbaren Art und Weise aufgezeigt werden, dass die Kirche eine Eigenrechtsmacht hat, d.h. das Recht auf eine eigene, von ihr selbst und nicht vom Staat erlassene innere Rechtsordnung. Die Schule des IPE wurde von Würzburg aus zunächst über jesuitische bzw. (nach der Aufhebung der Gesellschaft Jesu im Jahr 1773) ex-jesuitische Kanonisten fortgeführt und im 19. Jahrhundert in Rom zu voller Blüte gebracht. Insbesondere nach der Zerstörung des traditionellen Verhältnisses von Kirche und Staat durch die Französische Revolution und durch Napoleon war es zur Entwicklung zum absolutistischen, sich selbst genügenden Staat gekommen. Der Staat wurde deutlicher als zuvor als einzige Quelle des Rechts verstanden. In dieser Situation musste versucht werden, die Autonomie der Kirche gegen den aufkommenden umfassenden Allzuständigkeitsanspruch des Staates zu verteidigen. Dies geschah in der Römischen Schule des Ius Publicum Ecclesiasticum durch die Anwendung des Begriffs der „societas perfecta“ auf die Kirche.6 Begriffsmerkmale der societas perfecta miteinander in Verbindung stehende Menschen ein Ziel, das in seiner Art das höchste ist zur Erreichung dieses Zieles notwendige Mittel

Staat

Kirche

Bürger

Gläubige

Gemeinwohl

Seelenheil

äußere Zwangs­ gewalt

v. a. geistliche Mit­tel, auch äußere Zwangsgewalt

Die Kirche nimmt nach der Societas-perfecta-Lehre für sich in Anspruch, auch physische Zwangsmittel zur Durchsetzung ihrer Rechtsordnung anwenden zu können. Da die Kirche faktisch aber keine Polizeigewalt hat, wird dieser Mangel in der Theorie des IPE durch den behaupteten Rechts­anspruch auf die Hilfe des weltlichen Arms „gelöst“. Deshalb begann can. 2198 CIC/1917 mit den Worten:

Genauer muss von der „societas iuridice perfecta“ gesprochen werden. Es geht nicht darum, dass die Kirche in jeder Hinsicht, also auch moralisch, v. a. in Bezug auf das Handeln der Kirchenlieder, vollkommen ist, sondern lediglich um ihre rechtliche Vollkommenheit, d.h. um ihre Autonomie vom Staat.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

Ein Delikt, das allein das Gesetz der Kirche verletzt, wird seiner Natur entsprechend nur von der kirchlichen Autorität verfolgt, unter Beanspruchung jedoch, sofern dieselbe Autorität es für notwendig oder nützlich hält, der Hilfe des welt­ lichen Armes … (Übersetzung und Hervorhebung L. M.)

Hauptthemen des IPE waren:  



die Eigenständigkeit der kirchlichen Gewalt und die Grenzen der staatlichen Gewalt in kirchlichen Angelegenheiten, die „potestas indirecta“ der Kirche, d.h. die Überordnung der Kirche über die staatliche Autorität, insofern durch weltliche Maßnahmen das geistliche Wohl der Menschen betroffen ist, und schließlich eine allgemeine Konkordatstheorie, also eine Theorie über den auf dem Weg des Vertrages zwischen Kirche und Staat (Konkordat) zu erreichenden Ausgleich staatlicher und kirchlicher Interessen.

Das IPE ist eine im Kern rationale Theorie des Kirchenrechts, die im Nachhinein theologisch ausgeschmückt wurde. Es fehlt der theologische Nachweis der These, dass die Kirche eine societas perfecta ist und als solche eine eigene Rechtsordnung haben muss. Das IPE bietet keine Ekklesiologie und will dies von seinem Ursprung her auch nicht. Die außerordentliche Wirkung der Schule des IPE ist darauf zurückzuführen, dass sie einerseits durch die Päpste und die Römische Kurie unterstützt (z.B. durch Errichtung von Lehrstühlen des IPE) und andererseits ihre Argumentation vom kirchlichen Lehramt bis zum Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils herangezogen wurde.7 Die heutige Situation (zumindest in Europa) ist nicht mehr vorrangig durch die Konfrontation der Kirche mit dem Staat geprägt; daneben gewinnt die Gesellschaft als reich gegliederte Wirklichkeit an Bedeutung. In dieser Situation ist eine in erster Linie apologetisch ausgerichtete Ekklesiologie nicht mehr notwendig. Es muss eine Theorie des Kirchenrechts ausgearbeitet werden, die vom Wesen der Kirche und der ihr von Jesus Christus gegebenen Sendung ausgeht. Zu einem solchen Umdenken in der Ekklesiologie kam es auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“, in der Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“ und in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et 7

Das letzte Lehrbuch des IPE, verfasst von dem Kurienkardinal Alfredo Ottaviani (1890–1979), erschien in vierter Auflage kurz vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils: Alaphridus Ottaviani, Institutiones iuris publici ecclesiastici, adiuvante Iosepho Damizia, II Bde., Roma 41958– 1960.

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§ 3 Infragestellung des kanonischen Rechts durch Rudolph Sohm

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spes“. In diesen Dokumenten wurde die kanonistisch-apologetische Societas-perfecta-Lehre nicht mehr aufgegriffen. Im klaren Unterschied von früher – auch in der Schule des Ius Publicum Ecclesiasticum – vertretenen Ansichten, wonach für die katholische Kirche auch vom Staat der Vorrang vor allen anderen Konfessionen und Religionen verlangt wurde, forderte das Konzil nunmehr religiöse Freiheit für alle Menschen und Religionen. In der weiterhin erhobenen Forderung nach Freiheit der Kirche ist jedoch ein legitimes Erbe des IPE zu erkennen.

§ 3 Infragestellung des kanonischen Rechts durch Rudolph Sohm Weiterführende Literatur: Klaus Mörsdorf, Altkanonisches „Sakramentsrecht“? Eine Auseinandersetzung mit den Anschauungen Rudolph Sohms über die inneren Grundlagen des Decretum Gratiani, in: Mörsdorf  S, 3–20; Ludger Müller, Die Periodisierung der kirchlichen Rechtsgeschichte in der Auseinandersetzung zwischen Ulrich Stutz und Rudolph Sohm, in: Iuri Canonico Promovendo. FS Schmitz (65), 621–644.

Der protestantische Jurist Rudolph Sohm (1841–1917) hat die Legitimität rechtlicher Ordnung in der Kirche fundamental in Frage gestellt. Seine zentrale These lautete:

Das Wesen der Kirche ist geistlich, das Wesen des Rechts ist weltlich. Das Wesen des Kirchenrechts steht mit dem Wesen der Kirche im Widerspruch.8

Wesentlich für das Verständnis der Lehre Sohms sind die beiden Fakten, dass er (1.) Protestant war und (2.) Jurist. Als Protestant hatte er eine bestimmte Überzeugung vom Wesen der Kirche, als Jurist vertrat er eine bestimmte Rechtslehre. Nach Sohm ist das Recht aus sich heraus weltlich. Es gibt nur eine staatliche Rechtsordnung. Da das Recht nur ein rein äußeres Verhalten erzwingen will, ist es religiös irrelevant. Die Kirche hat kein eigenes Recht, sondern nur eine Konventionalordnung, also eine Ordnung, der nur unterworfen ist, wer jener Gesellschaft angehören will, in der diese Ordnung gilt. Und ebenso wie jede Ordnung in einer nichtstaatlichen Gemeinschaft ist nach Sohm auch das Recht der katholischen Kirche ein abgeleitetes Recht, d.h. ein solches, das seine Geltung aus der staatlichen Rechtsordnung bezieht.

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Rudolph Sohm, Kirchenrecht I: Die geschichtlichen Grundlagen, Leipzig 21923 (Nachdr.: Berlin 1970), 1 oder 700 u. ö. → durchgehende Perspektive!

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

Aufgrund seines protestantischen Glaubens beruft sich Sohm auf die Lehre Luthers von der Unsichtbarkeit der Kirche. Allerdings radikalisiert er die bei Luther vorliegende Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche und erkennt nur der unsichtbaren Kirche zu, überhaupt Kirche zu sein. Luther unterscheidet zwischen der Ecclesia visibilis, die sich im Hören des Wortes Gottes und in der gottesdienstlichen Versammlung zeigt, und der Ecclesia abscondita, der all jene angehören, die wirklich gerechtfertigt sind, und lässt zugleich die Möglichkeit einer Verbindung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche bestehen. Sohm dagegen lehnt die Sichtbarkeit der Kirche gänzlich ab. Nach ihm ist alles Sichtbare an der Kirche weltlich. „Die Kirche Christi ist unsichtbar … Auch sofern sie Wort- und Sakramentsgemeinschaft hervorbringt, ist sie nur Welt, gar nicht Kirche. Es gibt keine sichtbare Kirche“.9 Dieses Kirchenverständnis Sohms lässt sich im Unterschied zu jenem von Luther schematisch folgendermaßen darstellen:

Martin Luther: Verbindung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche

Rudolph Sohm: Trennung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche

© jeweils: P. Martin Krutzler OCist, 2018

Nach Sohm haben die protestantischen Kirchenrechtslehrer die Reformation verraten, während Luther das kanonische Recht insgesamt verworfen habe, er habe kein Recht in der Kirche haben wollen. Das kanonische Recht – so Sohm – ist jüdisches Gesetzeswerk, das dem Evangelium von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben widerspricht. Rudolph Sohm, Kirchenrecht II: Katholisches Kirchenrecht, Leipzig 1923 (Nachdr. Berlin 1970), 135.

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§ 4 Hans Barion und die Grundlegung des Kirchenrechts

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Wie die Lehre Luthers von der verborgenen und der sichtbaren Kirche so stellt Sohm auch Luthers Einstellung zum Recht in der Kirche in überzogener Weise dar: Das kanonische Recht war Luther fremd, er hat es aber nicht grundsätzlich abgelehnt. Abgelehnt hat er die päpstliche Gesetzgebung, nicht aber die alten Canones der Konzilien und Synoden. Luther hat im Gegenteil selbst für die Ordnung seiner Gemeinden gesorgt, sei es durch Vorlage von gottesdienstlichen Ordnungen, sei es durch die Überweisung des äußeren Kirchenregiments an den Landesherrn.10 Sohm hat das Problem der Beziehung Kirche und Recht endgültig formuliert. Sohms These ist immer noch aktuell. So formulierte der katholische Kirchenrechtler Klaus Mörsdorf:

Der von den Fachgenossen oft Totgesagte oder Totgeglaubte hat der Kirchenrechtswissenschaft einen Stachel eingepflanzt, der sie nicht eher zur Ruhe kommen läßt, bis die Frage der theologischen Grundlegung des Rechtes der Kirche geklärt ist.11

§ 4 Hans Barion und die Grundlegung des Kirchenrechts Weiterführende Literatur: Peter Krämer, Theologische Grundlegung des kirchlichen Rechts. Die rechtstheologische Auseinandersetzung zwischen Hans Barion und Joseph Klein im Licht des II. Vatikanischen Konzils, Trier 1977; Marietherese Kleinwächter, Das System des göttlichen Kirchenrechts. Der Beitrag des Kanonisten Hans Barion (1899– 1973) zur Diskussion über Grundlegung und Grenzen des kanonischen Rechts, Würzburg 1996.

Hans Barion (1899–1973) war zunächst Dozent, dann (1933–1939) ordentlicher Professor für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Staatlichen Akademie in Braunsberg, danach an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (1939–1945). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er aufgrund seiner Verbindung zur NSDAP nicht wieder als Professor in Bonn ernannt. Schon im Rahmen seiner Habilitation im Jahre 1930 in Bonn hatte sich Barion mit der These von Rudolph Sohm befasst und seine Antrittsvorlesung als Privat10

11

Vgl. hierzu Hans Liermann, Luther ordnet seine Kirche, in: Ders., Der Jurist und die Kirche, München 1973, 175–193. Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht als theologische Disziplin, abgedruckt in: Mörsdorf S, 54–67, hier 59.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

dozent zum Thema „Rudolph Sohm und die Grundlegung des Kirchenrechts“12 gehalten.

A. Die Auseinandersetzung mit Rudolph Sohm Barion legt Wert darauf, dass eine Auseinandersetzung mit Sohm dessen Argumente ernst nehmen müsse, zumal seine These eine unübersehbare Wirkung nicht nur in der wissenschaftlichen Welt zeige. Als Gründe für die Wirkung der These von Rudolph Sohm nennt Barion: 1. die logische Geschlossenheit seiner Gedanken, 2. die religiöse Überzeugung Sohms, 3. die Übereinstimmung mit der Zeitströmung. Eine sachgerechte Interpretation Sohms muss vom Kirchenbegriff ausgehen. Unzureichend sind nach Barion Versuche zur Widerlegung von Sohm, die ausgehen von der Erkenntnis, dass die Erzwingbarkeit nicht zum Wesen des Rechtes gehört, oder von Sohms Aussage, dass das Kirchenrecht mit „eiserner Notwendigkeit“ entstanden ist, vom idealen, ja utopischen Charakter seines Kirchenbegriffs, oder auch schließlich von der Aufgliederung der Kirche in Rechtskirche und Liebeskirche. Im Unterschied zu diesen Argumenten gegen Rudolph Sohm kommt Barion zu der Auffassung, dass die Auseinandersetzung mit der Bestreitung der Legitimität von Kirchenrecht nur theologisch geführt werden kann. Entscheidend ist nach Barion der Zusammenhang von Glauben, Kirchenbegriff und Kirchenrecht. In der Erkenntnis dieses Zusammenhangs liegt Barions unverzichtbarer Beitrag zur Diskussion um die These von Sohm:

Sohm … hat mit imponierendem Scharfblick richtig gesehen, daß das Kirchenrecht nur um der Kirchenlehre willen besteht, daß es seine Aufgabe ist, die geschichtliche Form der Offenbarung zu wahren … Der Glaube bestimmt den Kirchenbegriff, der Kirchenbegriff bestimmt das Kirchenrecht. Wer sich zur Glaubensüberzeugung Sohms bekennt, dem fällt es schwer, … das Kirchenrecht zu begründen; der Katholik muß von seinem Glaubensstandpunkt aus, nicht um juristischer Überlegungen willen, Sohms Gedanken ablehnen und das Kirchenrecht anerkennen.13

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Veröffentlicht: Tübingen 1931. Hans Barion, Rudolph Sohm und die Grundlegung des Kirchenrechts, 26.

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§ 4 Hans Barion und die Grundlegung des Kirchenrechts

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B. Barions Grundlegung des Kirchenrechts Wie begründet Hans Barion selbst angesichts der von ihm bestrittenen These Sohms die Legitimität des Kirchenrechts? Für Barion steht im Mittelpunkt der Grundlegung kirchlichen Rechts die Beziehung zwischen Klerikern und Laien, d.h. in seiner Sprache die Lehre von der Kirche als societas inaequalis (als ungleicher Gesellschaft), und von der kirchlichen Hierarchie. 1. Die Kirche als societas inaequalis Die Frage nach den Grundlagen des Kirchenrechts ist für Barion identisch mit der Frage nach der Herrschaft in der Kirche. Die Kirche, so Barion, ist eine ungleiche Gesellschaft von Führern und Geführten und das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen ist rechtlich ohne Bedeutung.

Die Kirche ist eine Societas inaequalis, in der Führer und Geführte nicht nur praktisch, sondern grundsätzlich unterschieden sind, und wo sogar die Fähigkeit, Führungsgewalt zu erhalten und auszuüben, nicht Gemeinbesitz aller Gläubigen, sondern den Klerikern vorbehalten ist. Das Verhältnis der Kleriker und Laien ist rechtlich ein Verhältnis der Über- und Unterordnung.14

2. Die Bedeutung der Hierarchie für die Grundlegung des Kirchenrechts Den Zusammenhang zwischen Grundlegung des Kirchenrechts und Hierarchie hat Barion kurz und prägnant aufgewiesen mit den Worten:

Die Hierarchie trägt das kirchliche Recht, sie wird getragen vom göttlichen Recht.15

Dieses „Drei-Schichten-Modell“ zur Grundlegung des Kirchenrechts kann schematisch folgendermaßen dargestellt werden:

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Ders., Sacra Hierarcia. Die Führungsordnung der katholischen Kirche, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann. Ein Gedenkbuch, Berlin 1951, 18–45, hier 25. Ders., Erwiderung, in: Eunomia. Freundesgabe für Hans Barion zum 16. Dezember 1969, Privatdruck o. O. o. J., 203–219, hier 216.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

Die unterste Schicht ist das göttliche Recht, das in der Heiligen Schrift und in den dogmatischen Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes zu finden ist. Dieses göttliche Recht ist sozusagen die „Grundnorm“. Auf dieser baut die Hierarchie auf, der die Herrschaft in der Kirche zukommt. Von der Hierarchie geht das rein kirchliche Recht aus, das den weitaus größten Teil des Kirchenrechts ausmacht. Trotz seiner Auseinandersetzung mit der These von Rudolph Sohm legt Barion keine konsequent theologische Theorie des kanonischen Rechtes vor. „H. Barion begnügt sich vielmehr mit der Aussage, dass Christus die Kirche gewollt und ihr eine rechtliche Struktur eingestiftet hat, durch die die geschichtliche Form der Offenbarung gewahrt werden soll. Das ist aber eine zu schmale Basis, um das kirchliche Recht theologisch zu begründen.“16

§ 5 Theologische Grundlegung kirchlichen Rechts in der „Münchener Schule“ Weiterführende Literatur: Ludger Müller, Die „Münchener Schule“. Charakteristika und wissenschaftliches Anliegen, in: AfkKR 166 (1997) 85–119.

A.  Der kerygmatisch-sakramentale Ansatz von Klaus Mörsdorf Werke: Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, mehrere Aufl., zuletzt: III Bde., München – Paderborn – Wien 111964, 121967, 111979 (zit.: Mörsdorf Lb); Winfried Aymans u.a. (Hg.), Schriften zum Kanonischen Recht, Paderborn u.a. 1989 (zit.: Mörsdorf S).

Klaus Mörsdorf (1909–1989), Jurist und katholischer Theologe, war Professor für Kirchenrecht in München, wo er 1947 das Kanonistische Institut (heute „KlausMörsdorf-Studium für Kanonistik“) gründete. Das zentrale Interesse Mörsdorfs und seiner „Münchener Schule“ galt den kirchenrechtlichen Grundlagenfragen

Peter Krämer, Theologische Grundlegung, 62.

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§ 5 Theologische Grundlegung kirchlichen Rechts in der „Münchener Schule“

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und der Interpretation des geltenden Kirchenrechts „gemäß den Bedingungen“ der „theologischen Erkenntnisse“ der Kanonisten.17 1. Wesen und Aufgabe der Kirchenrechtswissenschaft Mörsdorf geht von einer grundsätzlichen Dreiteilung der Aufgaben der Kirchenrechtswissenschaft aus: Theologische Grundlegung des Kirchenrechts, Kirchliche Rechtsgeschichte und Kirchenrechtsdogmatik. Theologische Grundlegung des Kirchenrechts

Kirchliche Rechtsgeschichte

Kirchenrechtsdogmatik 1. Analytische Aufgabe: a) Feststellung des geltenden Rechts b) Auslegung der Gesetzestexte unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden theologischen Erkenntnisse

2. Synthetische Aufgabe = Ausbau eines kanonistischen Systems; daraus folgt die Aufgabe einer kritischen Beobachtung der kirchlichen Gesetzgebungstätigkeit

Der systematischen Kirchenrechtswissenschaft, also der Kirchenrechtsdogmatik, die sich mit der Interpretation des geltenden innerkirchlichen Rechts befasst, kommt nach Mörsdorf eine analytische und eine synthetische Aufgabe zu. Das heißt: Der Kanonist (= der Kirchenrechtswissenschaftler) muss zunächst feststellen, was überhaupt geltendes Recht in der katholischen Kirche in einer bestimmten Frage ist, denn dieses findet sich nicht ausschließlich in einem einzigen Gesetzbuch. Sodann geht es um die Auslegung der einzelnen Gesetzestexte und schließlich um den Ausbau eines kanonistischen Systems. Letztere Aufgabe impliziert eine kritische Behandlung der kirchlichen Gesetze. Der Kanonist muss Theologe sein. Daraus ergibt sich folgende Einschätzung der Natur der Kirchenrechtswissenschaft durch Mörsdorf:

Die Kanonistik ist eine theologische Disziplin mit juristischer Methode.18

17 18

So die Formel des Mörsdorf-Schülers Winfried Aymans: KanR I, 71. Klaus Mörsdorf, Lb11 I, 36.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

2. Die Kirche als Volk Gottes in hierarchischer Ordnung In Abwandlung einer Formulierung seines Lehrers Eduard Eichmann kam Mörsdorf zu dem folgenden Ausgangspunkt für die Grundlegung kirchlichen Rechts: Die Kirche ist das in hierarchischer Ordnung lebende neue Gottesvolk zur Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden.19

Nur eine Gemeinschaft kann eine Rechtsordnung haben. Aus dem Volk-GottesGedanken kann aber noch nicht abgeleitet werden, dass tatsächlich eine kirchliche Rechtsordnung möglich und legitim ist; vor allem ergeben sich hieraus keine Konsequenzen für die Form der Herrschaft in der Kirche (Hierarchie ≈ Monarchie oder Volk Gottes ≈ Demokratie oder …). Nach Mörsdorf ist das Recht der Kirche begründet   

im Ursprung der Kirche, dem Auftrag Christi: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, in der Hierarchie, d.h. in einer Herrschaft, die sich auf den Ursprung der Kirche berufen kann (Hierarchie = heiliger Ursprung, heilige Herrschaft), und, wie über Mörsdorf hinausgehend, aber durchaus in seinem Sinn gesagt werden kann, im Wesen der Kirche als einer Communio.

3. Der kerygmatisch-sakramentale Charakter der Kirche Die Frage nach der Legitimität der kirchlichen Rechtsordnung kann nur aus dem Wesen der Kirche beantwortet werden, das sich nach Mörsdorf am deutlichsten in den Wesensvollzügen der Kirche zeigt, der Verkündigung des Wortes Gottes und der Feier der Sakramente. Wort und Sakrament weisen rechtlichen Charakter auf. Der rechtliche Charakter der Wortverkündigung ergibt sich aus dem Auftrag des Herrn. Das Wort des Sohnes Gottes ist verbindlich für jeden, der an Christus glaubt. Verbindlich ist nicht nur das, was mich „im Herzen anspricht“, also das, was die Christenheit „kraft innerer freier Zustimmung als Wort Gottes anerkennt“ (so Sohm).20 Der rechtliche Charakter des Sakraments ergibt sich aus seinem Charakter als Symbol; Sakrament ≈ Rechtssymbol. Wie ein Rechtssymbol (z.B. ein Verkehrsschild) bringt das Sakrament durch das sichtbare Zeichen eine tiefere Bedeutung mit sich, die sich erst durch den Kontext erschließt (beim Verkehrszeichen die Straßenverkehrsordnung, beim Sakrament der Glaube der Kirche und ihre Rechtsordnung). Viele Sakramente haben unmittelbare Rechtswirkungen. 19 20

Ebd., 21. Rudolph Sohm, Kirchenrecht I: Die geschichtlichen Grundlagen, 23.

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§ 5 Theologische Grundlegung kirchlichen Rechts in der „Münchener Schule“

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Durch rechtliche Mittel (Abgrenzung von gültiger und ungültiger, erlaubter und unerlaubter Handlung) soll zudem die Identität des Sakraments mit dem von Christus Gewollten gewährleistet werden. Wortverkündigung und Sakramentenspendung sind wesentlich an die hierarchischen Amtsträger der Kirche gebunden, die Christus, das unsichtbare Haupt der Kirche, sichtbar zu vertreten haben.

B.  Grundlegung kirchlichen Rechts im sakramentalen Charakter der Kirche Weiterführende Literatur: Ludger Müller, Die Kirche als Wurzelsakrament, in: Reinhild Ahlers u.a. (Hg.), Ecclesia a Sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht, Paderborn 1992, 125–135; Christoph Ohly, Deus Caritas est. Die Liebe und das Kirchenrecht, in: Michaela C. Hastetter u.a. (Hg.), Symphonie des Glaubens. Junge Münchener Theologen im Dialog mit Joseph Ratzinger / Benedikt  XVI., St. Ottilien 2007, 103–129; ders., Ius communionis. Zur Aktualität eines sakramental-rechtlichen Schlüsselbegriffs, in: AfkKR 180 (2011) 370–388.

Die folgenden Überlegungen gehen von der Überzeugung aus: „Ort“ für die theologische Grundlegung kirchlichen Rechts kann nur der sakramentale Charakter der Kirche sein, das Wesen der Kirche als Communio. 1. Christus – Kirche – Sakramente Eine ältere Tradition der Kirche aufgreifend, haben Otto Semmelroth und Karl Rahner in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Lehre von der Kirche als Wurzelsakrament entfaltet;21 sie wurde vom Zweiten Vatikanischen Konzil aufgegriffen (vgl. LG 1, wo die Kirche als Zeichen und Werkzeug zur Vermittlung des Heils bezeichnet wird; vgl. auch LG 8, 1). Es besteht eine strukturelle Identität zwischen den sieben Sakramenten, Jesus Christus („Ursakrament“) und der Kirche („Wurzelsakrament“). Hierdurch werden der ekklesiale Gehalt der Einzelsakramente und ihre christologische Begründung wie auch die christologische Rückbindung und die sakramentale Struktur der Kirche klar hervorgehoben.

Otto Semmelroth, Die Kirche als Ursakrament, Frankfurt 1953; Karl Rahner, Kirche und Sakramente, Freiburg u.a. 1961.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

Einzelsakramente

Ursakrament

Wurzelsakrament

Taufe, Firmung …

Jesus Christus

Kirche

äußeres Element:

z.B. Übergießen mit Wasser, Salbung mit Öl – jeweils mit ausdeutenden Worten

wahrer Mensch

sichtbare Struktur, Gemeinschaft von Menschen

inneres Element:

Gnade

wahrer Gott

Gnade, Gemeinschaft mit Gott

Der Akt, der am Anfang der Kirche gestanden hat, ist die Verpflichtung zu einer sakramentalen Handlung: „Tut dies zu meinem Gedenken“. Die Eucharistie hat eine entscheidende ekklesiologische Bedeutung. Aus dem Handeln der Kirche in Verkündigung des Wortes Gottes, Feier der Sakramente und kirchlicher Liebestätigkeit kann das Wesen der Kirche erkannt werden. Besser gesagt: Das Wesen der Kirche besteht in Wort, Sakrament und Diakonie (oder Caritas). 2. Wort, Sakrament, Diakonie Schon Gottlieb Söhngen warnte davor, die Kirche einseitig als „Kultgemeinschaft“ zu verstehen.22 Die Sendung der Kirche zur Verkündigung des Wortes Gottes könne so aus dem Blick geraten. Tatsächlich gibt es einen engen Zusammenhang von Wort und Sakrament in zweierlei Richtung: Das Verkündigen und das Hören des Wortes Gottes ist nicht ein einfacher Akt der Information, vielmehr zugleich ein Akt der Heilsvermittlung.

Das Sakrament hat einen eminent worthaften Charakter. Das deutende und ver­ kündigende Wort gehört zum sakramentalen Zeichen.

In Wortverkündigung und Sakramentenspendung führt die Kirche zum Glauben hin, sie ermöglicht die Vertiefung des Glaubenslebens und vermittelt auf diese Weise die göttliche Gnade. Es besteht aber notwendig ein enger Zusammenhang von worthaftem und heilsvermittelndem Element sowohl des Sakramentes wie des Wortes. Wenn aber das Wort, das in der Kirche verkündigt wird, von jenem Gott zeugt, der die Liebe ist, und wenn die Sakramente der Kirche ebenfalls als „Sakramente der Liebe Gottes“23 anzusehen sind, zeigt sich die Liebestätigkeit der Kirche und der Christen als Glaubwürdigkeitszeugnis dieser Verkündigung und dieser Sak Gottlieb Söhngen, Symbol und Wirklichkeit im Kultmysterium, Bonn 21940, 18. Diesen Gedanken des Thomas von Aquin (vgl. STh III, q. 73 ad 3) griff Papst Benedikt XVI. in seinem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Sacramentum caritatis“ vom 22.2.2007 auf (AAS 99 [2007] 105–180); (dt.: VApSt 177).

22 23

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ramentenfeier. Daher muss mit Papst Benedikt XVI. die Diakonia als dritter Wesensvollzug der Kirche neben Martyria und Leiturgia genannt werden24 – ein Wesensvollzug, der sich ebenfalls als Ursprung rechtlicher Ordnung in der Kirche zeigt. „Diese Ordnung hat sie [die Kirche] nicht aus sich selbst, sondern aus dem, der das wahre Wort, das wahre Sakrament, die wahre Liebe ist: Jesus Christus. Liebe fordert Wahrheit, Liebe fordert Ordnung, Liebe fordert das Recht zum Schutze und zur Förderung der Liebesordnung der kirchlichen Communio.“25 3. Wurzelsakrament und Recht Von den Wesensvollzügen der Kirche in Wortverkündigung, Sakramentenspendung und Diakonie führt der nächste Schritt zum Wesen der Kirche. Das Recht hat in der kirchlichen Communio, im „Wurzelsakrament“ Kirche seinen Platz auf der Seite der „sakramentalen Zeichenhaftigkeit der Kirche“. Diesbezüglich lehrt das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Kirchenkonstitution „Lumen gentium“:

Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. (LG 8, 1)

Schematisch lässt sich die Gegenüberstellung, die in LG 8 zu finden ist, folgendermaßen darstellen: Kirche = komplexe Wirklichkeit menschliches Element

göttliches Element

mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft

geheimnisvoller Leib Christi

sichtbare Versammlung

geistliche Gemeinschaft

irdische Kirche

mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche

Nach LG 8, 1 können „göttliches und menschliches Element“ der Kirche, „sichtbare Versammlung und geistliche Gemeinschaft“ unterschieden werden; dadurch 24

25

Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika „Deus caritas est“ vom 25.12.2005, in: AAS 98 (2006) 217–252; dt.: VApSt 171. Christoph Ohly, Deus Caritas est, 128.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

wird nahegelegt, dass das Kirchenrecht v. a. dem menschlichen Element der Kirche, der Kirche als mit hierarchischen Organen ausgestatteter Gesellschaft, als sichtbarer Versammlung, als irdischer Kirche zuzuordnen ist. Das bedeutet aber nicht, dass das „menschliche Element“ mit den himmlischen Gaben der Kirche, mit der geistlichen Gemeinschaft, dem geheimnisvollen Leib Christi und dem Wirken des Heiligen Geistes nichts zu tun hätte. Die Rechtsgestalt der Kirche hat ihren Ursprung im göttlichen Element der Kirche; ihre Ausgestaltung und Wirksamkeit aber findet sie zunächst in der Kirche als menschlicher Gemeinschaft. Auf der anderen Seite sind die Wirkungen kirchenrechtlicher Normen oder Entscheidungen wiederum Ausdruck bzw. Konsequenz dessen, was das Heil der Gläubigen betrifft. Das Zweite Vatikanische Konzil hat an den Beginn der Dogmatischen Konstitution über die Kirche den Gedanken von der Sakramentalität der Kirche gestellt:

Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit (LG 1).

Das meint die Lehre von der Kirche als Communio. Die Kirche ist Communio cum Deo, innigste Vereinigung mit Gott, und Communio fidelium, Einheit der Gläubigen, die das Ziel hat, zur Einheit der ganzen Menschheit zu führen. So ist die Kirche eine Gemeinschaft eigener Art. Sie ist nicht nur eine sichtbare Versammlung, sondern zugleich eine geistliche Gemeinschaft. Ihr Recht ist daher ebenfalls ein Recht eigener Art und dennoch Recht im wahren Sinn des Wortes.26 Das Recht der Kirche steht im Dienst an der Sendung der Kirche und soll ihr helfen, ein wahrhaftiges Zeugnis für die göttliche Liebe zu sein, die in Jesus Christus offenbar geworden ist.

II. Quellen des Kirchenrechts Aymans – Mörsdorf, KanR I, § 4 Weiterführende Literatur: Libero Gerosa, Kirchenrecht, Paderborn 2001, 24–44; Péter Erdő, Die Quellen des Kirchenrechts. Eine geschichtliche Einführung, Frankfurt a. M. u.a. 2002; Georg May – Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, 37–104.

26

Vgl. Ludger Müller, Kirchenrecht – analoges Recht? Über den Rechtscharakter der kirchlichen Rechtsordnung, St. Ottilien 1991.

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§ 6 Historischer Überblick

31

Zu unterscheiden sind: 

 

materielle Rechtsquelle = geschriebene oder ungeschriebene Quelle, woraus die Rechtsordnung ihren Inhalt gewinnt (im Kirchenrecht v. a. bestimmte Glaubenslehren), formelle Rechtsquelle = geschriebene Quelle, die von den Rechtsgenossen unmittelbar als rechtsverbindlich angesehen wird, Rechtserkenntnisquelle = (historische) Quelle, aus der sich das zu einer bestimmten Zeit gelebte Recht erkennen lässt.

§ 6 Historischer Überblick Weiterführende Literatur: Mathias Schmoeckel, Kanonisches Recht. Geschichte und Inhalt des Copus iuris canonici. Ein Studienbuch, München 2020.

Früheste Rechtsquelle der Kirche ist die Heilige Schrift, die jedoch keine reine Rechtsquelle ist. In ihr geht es nicht in erster Linie um rechtliche Regelungen. Vor allem das Neue Testament ist dennoch sowohl (auch aktuelle) materielle Rechtsquelle als auch formelle Rechtsquelle (zumindest für die Christen der Urkirche) und Rechtserkenntnisquelle. Nach einer Zeit mündlicher Tradierung der Weisungen für das Leben der Christen und der christlichen Gemeinden wurden Sammlungen von Lebensordnungen notwendig, weil die Weisungen in Vergessenheit zu geraten drohten. Die Ausbreitung des Christentums machte differenziertere Normen erforderlich. Der folgende Beispieltext geht aus von der Praxis der „Immersionstaufe“, also der Taufe durch Eintauchen des Täuflings in das Wasser, und liefert Anweisungen

Wahrscheinlich um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert entstanden die ersten Kirchenordnungen: z.B. Didache und Didaskalie. Diese stellen keine formellen Rechtsquellen dar, sondern vielmehr Privatarbeiten kirchlicher Amtsträger. Sie überliefern die zu ihrer Zeit geübte Ordnung in der Gemeinde und nahmen nur dann eine gesetzgeberische Kompetenz in Anspruch, wenn dies – im Falle eines bischöflichen Autors – im Hinblick auf die Adressatengemeinde möglich war. Inhalt: im Wesentlichen kirchliche Verfassung, v. a. aber Gottesdienst und Disziplin.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

für alle Fälle, in denen das bevorzugte „lebendige“, also das fließende Wasser eines Baches oder Flusses nicht zur Verfügung steht. Für die Geschichte des Kirchenrechts ab dem 4. Jahrhundert sind drei Momente kennzeichnend:

Betreffs der Taufe. Tauft folgendermaßen: Nachdem ihr vorher dies alles mitgeteilt habt,27 tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes in lebendigem Wasser! Wenn dir aber lebendiges Wasser nicht zur Verfügung steht, taufe in anderem Wasser! Wenn du es aber nicht in kaltem kannst, dann in warmem! Wenn dir aber beides nicht zur Verfügung steht, gieße dreimal Wasser auf den Kopf im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Vor der Taufe sollen der Täufer und der Täufling fasten und, wenn es möglich ist, einige andere! Du sollst dem Täufling gebieten, einen oder zwei Tage vorher zu fasten! (Didache 7, 1–4)

  

synodale Tätigkeit (erst nach dem Ende der Christenverfolgungen im größeren Maß möglich), päpstliche Dekrete (setzen historisch das Erstarken des römischen Bischofsstuhls voraus), staatliche Gesetzgebung (vor allem im römischen Ostreich).

Im 4. bis 7. Jahrhundert gab es v. a. regionale Sammlungen kirchlicher Rechtsnormen. Die ersten Canonessammlungen waren historisch, die späteren systematisch geordnet. Sammlungen von Rechtsquellen werden in der Zeit des fränkischen Reichs z. T. auch zur Erreichung kirchenpolitischer Ziele eingesetzt. Die wichtigste Kirchenrechtssammlung zu Beginn dieser Zeit war die Collectio Dionysio-Hadriana, d. i. die Karl dem Großen von Papst Hadrian überreichte überarbeitete Fassung der Collectio Dionysiana. Sie sollte dem Programm Karls des Großen einer Reinigung der kirchlichen Verhältnisse im Frankenreich dienen. Im 9.  Jahrhundert entstanden die „pseudoisidorischen Fälschungen“, deren Hauptziel in der Stärkung der Freiheit des Bischofs gegen Metropoliten, weltliche Macht und Chorbischöfe lag. Sogar verbotene Mittel (Fälschungen) wurden also für das Anliegen einer Kirchenreform eingesetzt! Unter Leo IX. (1049–1054) und Gregor VII. (1070–1090) kam es wiederum zu einer Reformbewegung, der sog. „gregorianischen Reform“. Mittel zur Durchsetzung der Reform waren u.a. Verwendung der pseudo-isidorischen Fälschungen,

27

Gemeint ist die Verkündigung vor der Taufe, der Katechumenat.

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§ 6 Historischer Überblick

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Schaffung neuer Fälschungen und neuer Kirchenrechtssammlungen. Ziele der gregorianischen Reform waren: 1. Freiheit der Kirche von der weltlichen Gewalt, freie Entwicklung der eigenen Kräfte der Kirche, Freiheit von Eigenkirchenwesen und Laieninvestitur; 2. erneute Orientierung der Kirche am alten Ideal. Höhepunkt der Bemühung um eine Sammlung der kirchlichen Rechtsquellen war die „Concordia discordantium canonum“ (zumeist „Decretum Gratiani“ genannt), vermutlich 1141/42 von Magister Gratian in Bologna verfasst bzw. kompiliert; Gratian wollte die Widersprüche der Quellenstellen vermerken und miteinander vermitteln. Er fasste den gesamten älteren Rechtsstoff der Kirche bis zur Lateransynode von 1139 inklusive zusammen. Der folgende Beispieltext aus dem „Decretum Gratiani“ (C. XII, q. 1, c. 7) lässt die Arbeitsweise Gratians erkennen. Gratian nennt erst zusammengefasst den wichtigsten Inhalt des folgenden Rechtstextes, danach die Quelle (beides hier kursiv wiedergegeben), um dann den Text ausführlich zu zitieren. Gelegentlich folgen Erläuterungen Gratians zur Erklärung widersprüchlich erscheinender Quellentexte (sog. Dicta Gratiani):

C. VII. Klerikern und Gottgeweihten ist es nicht erlaubt, Prozesse zu führen oder Ei­ gentum zu haben. Ebenso Hieronymus an einen gewissen seiner Leviten, über die zwei Gattungen von Menschen. Es gibt zwei Gattungen von Christen. Die eine Gattung aber ist jene, der es zukommt, dem göttlichen Dienst verpflichtet und der Kontemplation und dem Gebet hingegeben sich von aller Unruhe der zeitlichen Dinge fernzuhalten, nämlich die Kleriker und die Gottgeweihten, d.h. die Konversen.28 Κληρός (klerós) bedeutet nämlich im Griechischen soviel wie lateinisch „sors“ (Los). Daher werden derartige Menschen Kleriker genannt, d.h. durch das Los erwählte. Alle hat nämlich Gott zu den Seinigen erwählt. Denn diese sind Herrscher, d.h. solche, die über sich und andere in den Tugenden herrschen und so in Gott die Herrschaft haben. Und dies bezeichnet die Krone auf ihrem Kopf.29 Diese Krone haben sie von der Anordnung der Römischen Kirche her zum Zeichen der Herrschaft, die in Christus erwartet wird. Das Scheren des Kopfes ist das Ablegen alles Zeitlichen. Jene nämlich sollen, zufrieden mit Nahrung und Kleidung und ohne Eigentum untereinander, alles gemeinsam haben. 28 29

D.h. in heutiger Terminologie die Ordensleute. D.h. in heutiger Terminologie die Ordensleute.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

§. 1. Es gibt aber die andere Gattung von Christen, nämlich die Laien. Λαός (laós) nämlich heißt Volk. Diesen ist es erlaubt, Zeitliches zu besitzen, aber nur zum Gebrauch; denn nichts ist erbärmlicher, als um des Geldes willen Gott zu verachten. Diesen ist es zugestanden zu heiraten, die Erde zu bebauen, untereinander Richter zu sein, Prozesse zu führen, Opfergaben auf die Altäre zu legen, den Zehnten zu zahlen, und so können sie zum Heil kommen, wenn sie die Laster durch gute Taten meiden.

Die nach dem „Decretum Gratiani“ ergangenen päpstlichen Entscheidungen („Dekretalen“) wurden privat, z.  T. auch offiziell gesammelt. Die wichtigsten Sammlungen wurden später mit dem „Decretum Gratiani“ im „Corpus Iuris Canonici“ zusammengefügt (diesen Titel trägt diese Sammlung von Canonessammlungen ca. seit der Zeit des Konzils von Trient).30 Zum „Corpus Iuris Canonici“ zählen die folgenden Sammlungen und sie werden wie folgt zitiert: Titel

traditionelle Zitierweise31 z.B.

heutige Zitierweise

c. 2 D. 20 (= capitulum 2, Distinctio 20); c. 7 C. XII q. 1 (= capitulum 7, Causa XII, quaestio 1) c. 26 D. III de cons. (= capitulum 26, Distinctio III de consecratione)

D. 20, c. 2

Liber Extra (1234); eigentlich: Dekretalen Gregors IX.

c. 2 X de consuetudine I 4 (= capitulum 2, Liber extra, Liber I, Titulus 4 de consuetudine)

X, 1, 4, 2

Liber Sextus (1298)

c. 4 de regularibus, III, 14, in VIo (= capitulum 4, Liber III, Titulus 14 de regularibus, in [libro] sexto)

VI, 3, 14, 4

Clementinen (1314)

c. 1 in Clem. I, 2 (= capitulum 1, in Clementinis, Liber I, Titulus 2)

Clem. 1, 2, 1

Decretum Gratiani (ca. 1141); eigentlich: Concordia discordantium Canonum

30

Pars I: Pars II: Pars III:

C. 12 q. 1 c. 7 D. 3 c. 26 de cons.

Zum Corpus Iuris Canonici vgl. auch Christoph Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 2017, 40–47. Daneben finden sich in alten Schriften noch andere Zitationsweisen.

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§ 7 Das kodifizierte Recht der katholischen Kirche

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Titel

traditionelle Zitierweise31 z.B.

heutige Zitierweise

Extravagantes Ioannis XXII. (1325/1500)

c. 2, Extrav. Joann., de elect., 1 (= capitulum 2, Extravagantes Ioannis XXII., Titulus 1 de electione et electi potestate)

Extrav. Joann., 1, 2

Extravagantes communes (1500/1503)

c. 1, Extrav. comm., de maiorit. I, 8 (= capitulum 1, Extravagantes communes, Liber I, Titulus 8 de maioritate et oboedientia)

Extrav. comm., 1, 8, 1

Auch in der Folgezeit wurden weitere gesamt- und teilkirchliche Gesetze erlassen; man denke nur an die Beschlüsse des Konzils von Trient! Es kam aber nicht mehr zu so bedeutenden Rechtssammlungen, insbesondere nicht zu amtlichen Sammlungen.

§ 7 Das kodifizierte Recht der katholischen Kirche A.  Der Codex Iuris Canonici von 1917 Weiterführende Literatur: Stephan Kuttner, The Code of canon law in historical perspective, in: Jurist 27 (1967) 129–148; Winfried Aymans, Die Quellen des kanonischen Rechts in der Kodifikation von 1917, in: IusC 15 (1975), Nr. 30, 79–95; Christoph Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 32017, 183–186.

1. Die Idee der Kodifikation Eine Definition der Kodifikation kann lauten:

Kodifikation ist „die in einem Gesetzbuch erfolgende systematische, allgemeine, ein ganzes Rechtsgebiet umfassende Ordnung von mit der Promulgation in Kraft gesetzten“32 Rechtssätzen.

Kodifikation ist ein Produkt der Aufklärung und des Absolutismus. Sie ist getragen von den folgenden Gedanken: Franz Kalde, Art. Kodifikation, in: LThK3 6 (1997) 166.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

1. Logische Geschlossenheit des Gesetzbuches, 2. Überzeugung, jede gesetzgeberische Aufgabe durch die Vernunft lösen zu können, 3. Grundgedanke des Positivismus: Alle Rechtssätze müssen in Form von gesatztem Recht vorliegen, um Verbindlichkeit zu erlangen. Vorteil einer Kodifikation ist ein hohes Maß an Rechtssicherheit. Eine Kodifikation kann aber den Inhalt der Rechtsordnung nie vollständig wiedergeben. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts kam es im weltlichen Bereich zu großen Kodifikationen, beginnend in Bayern. Unter Federführung des Freiherrn Wigulaeus Xaverius Aloysius von Kreittmayr wurden der Codex iuris Bavarici criminalis (1751), der Codex iuris Bavarici judiciarii (1753) und der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis (1756) erstellt und erlassen. Deutlich später erschienen Kodifikationen in anderen Staaten, z.B. das Allgemeine preußische Landrecht (1794) und das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (1811). Der kirchliche Gesetzgeber schloss sich dieser Entwicklung recht spät an. 2. Die Gründe für die Kodifikation des kanonischen Rechts Hauptursache für die Kodifikation des Rechts der Lateinischen Kirche war v. a. die Unübersichtlichkeit, aber auch die Antiquiertheit des kanonischen Rechts. Schon bei der Vorbereitung des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/1870) wurde der Wunsch nach einer Sichtung und Klärung des kanonischen Rechts laut. Es gab sehr verschiedene Vorschläge für die Reform des kanonischen Rechts, darunter auch den Vorschlag, sich bei dieser Aufgabe an der Methode der neueren staatlichen Gesetzgebung zu orientieren. An der Diskussion nach dem vorzeitigen Ende des Ersten Vatikanums beteiligten sich auch die Kanonisten, die allerdings keineswegs einhellig für eine Kodifikation des Kirchenrechts waren. Andererseits gab es Kanonisten, die sogar (Teil‑)Entwürfe eines kirchlichen Gesetzbuches erstellten, so z.B. den Eichstätter Professor Joseph Hollweck, der im Jahr 1899 eine solche Vorarbeit zum kanonischen Sanktionsrecht veröffentlichte.33 Die verschiedenen Privat-Entwürfe einer Kodifikation gingen vom damals geltenden Recht aus. Die Verfasser beabsichtigten nicht, „neues Recht“ zu schaffen. Neben Kanonisten, die klar für eine Kodifikation des kanonischen Rechts votierten, gab es Kanonisten von Rang und Namen (genannt sei nur der protestantische Jurist Emil Friedberg), die sich dagegen aussprachen – vor allem deshalb, weil ihnen ein so großes Vorhaben schlicht undurchführbar zu sein schien. Die kirchlichen Strafgesetze, Mainz 1899; zu diesem vgl. Klaus Zeller, Joseph Hollweck (1854– 1926), in: Philipp Thull (Hg.), 60 Porträts aus dem Kirchenrecht. Leben und Werk bedeutender Kanonisten, St. Ottilien 2017, 365–375.

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§ 7 Das kodifizierte Recht der katholischen Kirche

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3. Die Vorbereitung des Codex Iuris Canonici Die Frage der Kodifikation des kanonischen Rechts verschwand auch nach dem Ersten Vatikanischen Konzil nicht mehr aus der Diskussion. Die Anregungen, die zum I. Vatikanum von den verschiedensten Gruppen des Episkopats gekommen waren, veranlassten den Gesetzgeber zu ersten Versuchen einer Teilkodifikation. So unternahm Papst Pius IX. (1846–1878) im Jahr 1869 eine Teilreform des kanonischen Sanktionsrechts unter Anwendung des Kodifikationssystems. Ähnliches tat in noch größerem Maße Papst Leo XIII. (1878–1903): 1897 Neuregelung der Bücherzensur, 1900 Modernisierung des Sanktionsverfahrens usw. Leo XIII. hielt sich jedoch für zu alt, um das Vorhaben der Kodifikation des gesamten kanonischen Rechts zu beginnen. Der entscheidende Schritt wurde daher erst von Papst Pius X. (1903–1914) unternommen. Mit den Worten „Arduum sane munus“ („eine sehr schwierige Aufgabe“) begann sein Motu proprio vom 19. März 190434 mit dem der Papst – entsprechend seinem Motto „omnia instaurare in Christo“ („alles in Christus erneuern“) – die Notwendigkeit der Erneuerung des Kirchenrechts proklamierte. Der Papst setzte eine Kardinalskommission zur Durchführung der Kodifikationsarbeiten ein, der Pietro Kardinal Gasparri vorstand. Unterstützt wurde die Kommission von Konsultoren und Mitarbeitern v. a. aus der Römischen Kurie und von Päpstlichen Universitäten in Rom, aber auch aus der ganzen Welt, soweit es die politischen Verhältnisse (v. a. während der Kriegszeit) zuließen. Papst Pius  X. erlebte die Fertigstellung dieses seines großen Werkes nicht mehr, und so war es sein Nachfolger Benedikt XV. (1914–1922), der den Codex Iuris Canonici am Pfingstsonntag des Jahres 1917 (27. Mai 1917), also noch vor dem Ende des Weltkriegs promulgierte, d.h. als rechtsverbindlich veröffentlichte. Am Pfingstsonntag des folgenden Jahres, dem 19. Mai 1918, trat der CIC in Kraft. 4. Charakteristika des CIC Durch den Codex Iuris Canonici von 1917 wurde eine Reform des Kirchenrechts im Wesentlichen in formaler Hinsicht beabsichtigt und durchgeführt. Reformen im materiellen Sinn traten demgegenüber sehr in den Hintergrund. Hierbei ging es vor allem um zweierlei: 1. um die Ausscheidung nicht mehr geltenden Rechtes, 2. um die Herbeiführung einer klaren Entscheidung bei Streitfragen. Dieses Programm lässt klar die konservative Absicht der kodikarischen Gesetzgebung von 1917 in Bezug auf die materiell-rechtliche Seite erkennen. In der Umgestaltung der in Sammlungen vorliegenden Rechtssätze in die Gestalt eines ASS 36 (1903–1904) 549–551.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

Codex ist der Fortschritt zu erkennen, den der Codex Iuris Canonici von 1917 tatsächlich gebracht hat: eine entscheidende Erleichterung für die Beherrschung der kirchlichen Gesetze.

B. Weiterentwicklung des Rechts der Lateinischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Immer wieder ist es in der Geschichte der Kirchenrechtsquellen zu Unübersichtlichkeit durch ungehindert wachsenden neuen Rechtsstoff gekommen, was jeweils zu neuen Kirchenrechtssammlungen und schließlich zur Kodifikation des kirchlichen Rechts zu Beginn des 20. Jahrhunderts geführt hatte. Um diese Entwicklung für die Zukunft zu verhindern, setzte Papst Benedikt  XV. in seinem Motu proprio „Cum iuris canonici“ vom 15. September 191735 eine Kommission zur authentischen Interpretation des CIC ein, die sich auch um die Einarbeitung neuer gesetzlicher Regelungen in den CIC kümmern sollte. Zugleich wurde verfügt, dass die Kardinalskongregationen ohne dringende Veranlassung keine neuen Gesetze erlassen, sondern sich im Regelfall auf „Instructiones“ (allgemeine Verwaltungsverordnungen) beschränken sollten. Allerdings hat sich das päpstliche Gesetzesrecht trotz aller Vorsichtsmaßnahmen weiterentwickelt und ist in vielen Fragen über den CIC hinausgegangen. 1. Die Entstehung des Codex Iuris Canonici von 1983 Heribert Schmitz, § 6 Codex Iuris Canonici, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Heribert Schmitz, Reform des kirchlichen Gesetzbuches Codex Iuris Canonici 1963–1978. 15 Jahre Päpstliche CIC-Reformkommission, Trier 1979; Georg May, Der CIC und die Entwicklung des Kirchenrechts bis 1974, in: Hubert Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. VII, Freiburg u.a. 1979, 152–179; Christoph Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, München 32017, 257–264; Yves Kingata, Benedikt XVI. als kirchlicher Gesetzgeber. Ein Überblick über die legislative Tätigkeit des Papstes, in: AfkKR 181 (2012) 487–512; Stephan Haering, Änderungen des Kirchenrechts unter Papst Franziskus, in: Klerusblatt 99 (2019) 28–35.

„Gewiß ein wenig zitternd vor Bewegung, aber zugleich mit demütiger Entschlossenheit …“ – mit diesen Worten begann die Ansprache, mit der Johannes XXIII. (1958–1963) in St. Paul vor den Mauern am 25. Januar 1959 drei große Vorhaben seines Pontifikates ankündigte,36 nämlich

AAS 9 (1917) 483 f. AAS 51 (1959) 65–69, hier 68 f.

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eine Diözesansynode für die Diözese Rom – diese blieb von begrenzter Bedeutung,  ein Ökumenisches Konzil, nämlich das Zweite Vatikanische Konzil, das für die weitere Geschichte der katholischen Kirche entscheidend wurde, und schließlich  die Reform des Kirchenrechts, wodurch die Arbeiten des Konzils „gekrönt“ werden sollten. 

Papst Johannes XXIII. hatte klar erkannt, dass ein aggiornamento (wörtlich: „Aufden-Tag-Bringen“), also eine Reform der Kirche notwendig war, die nicht nur eine vertiefende theologische Neubesinnung über die Kirche bedeutete, sondern auch konkrete rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Das Zweite Vatikanum hat sich auf das Kirchenrecht ausgewirkt: ganz allgemein durch seine theologische Lehre, die Konsequenzen für das Recht der Kirche nach sich ziehen musste,  durch konkrete Anweisungen für das neu zu gestaltende Recht,  gelegentlich durch den Erlass unmittelbar anwendbaren neuen Rechts.37 

Die Reformarbeiten konnten natürlich erst nach dem Abschluss des Konzils beginnen und lagen – ähnlich, wie es beim CIC von 1917 der Fall gewesen war – in der Hand einer Kardinalskommission, die durch Fachleute aus der ganzen Weltkirche unterstützt wurde. Am 25. Januar 1983, 24 Jahre nach seiner Ankündigung, wurde der revidierte Codex Iuris Canonici von Papst Johannes Paul II. (1978–2005) promulgiert und trat am Ersten Advent desselben Jahres, dem 27. November 1983, in Kraft. In den Jahren nach der Promulgation ist es zunächst sehr behutsam, seit dem Beginn des Pontifikats von Papst Franziskus jedoch zunehmend zu Fortschreibungen des Gesetzbuches gekommen.38 Exemplarisch zu nennen sind hier vor allem die großen Reformarbeiten zum kanonischen Verfahren für Ehenichtigkeitserklärungen (Eheprozess)39 und zur Erneuerung des kirchlichen Sanktions-

Vgl. Winfried Aymans, Einführung [in das neue Gesetzbuch der Lateinischen Kirche] (= Arbeitshilfen 31), Bonn 1983, 7–28, hier 8. 38 Vgl. Yves Kingata, Gesetzgeber, 487–512; Stephan Haering, Änderungen, 28–35. Einen aktuellen Überblick zu den Normen bietet https://www.kirchenrecht.theologie.uni-mainz.de/gesetzesaenderungen [Zugriff: 22.2.2022]. 39 Franziskus, Motu proprio „Mitis Iudex Dominus Iesus“ vom 15.8.2015, in: AAS 107 (2015) 958– 967.970. 37

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

recht (Liber VI De Sanctionibus poenalibus in Ecclesia).40 Derzeit liegt die lateinisch-deutsche Fassung des Codex Iuris Canonici in ihrer 10. Auflage (2021) vor.41 2. Merkmale der Reformarbeit Die Hauptaufgabe der Codexreform sollte darin bestehen, den CIC im Sinn der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils zu überarbeiten sowie die nachkonziliare Gesetzgebung auf das Bewährte hin zu überprüfen und systematisch einzuarbeiten. Entsprechend dem von Beginn an klaren Zusammenhang zwischen Reform des Kirchenrechts und Zweitem Vatikanischem Konzil (Papst Johannes Paul II.: der CIC ist das „letzte Konzilsdokument“) ist die Lehre des Zweiten Vatikanums als der Kontext anzusehen, aus dem heraus die Regelungen des CIC/1983 zu interpretieren sind.42 Kennzeichnend für den revidierten CIC ist daher vor allem, dass die Kirche als Communio aufgefasst wird.43 Tragendes Subjekt der Rechtsordnung ist nicht mehr in erster Linie der Kleriker, sondern der Christgläubige.

C.  Die Kodifikation des Ostkirchenrechts Richard Potz, § 7 Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: HdbKathKR3.

Bezüglich der Reform des kirchlichen Gesetzbuchs darf man nicht übersehen, dass der CIC nicht das Gesetzbuch der Katholischen Kirche ist. Es handelt sich vielmehr nur um das Gesetzbuch der Lateinischen Kirche. Daneben gibt es seit 1990 auch ein Gesetzbuch der katholischen orientalischen Kirchen. Die Kodifikation des Ostkirchenrechts ist dadurch gekennzeichnet, dass zwei „Anläufe“ nötig waren, um sie erfolgreich abschließen zu können. Wie es bei der Kodifikation des Lateinischen Kirchenrechts der Fall war, so kam auch hinsichtlich des orientalischen Kirchenrechts der Kodifikations­gedanke im Rahmen der Vorbereitung zum I. Vatikanum ins Gespräch. Doch wurde er erst deutlich später, nämlich zwölf Jahre nach dem Abschluss der Lateinischen Kodifikation konkret in Angriff genommen. Im Jahr 1929 wurde die „Kardinalskommission für die Studien zur Franziskus, Apostolische Konstitution „Pascite gregem Dei“ vom 23.5.2021, in: Comm 53 (2021) 9–12. Normentext: Ebd., 17–65. 41 Codex des Kanonischen Rechts. Lateinisch-deutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis, Kevelaer 102021 (Stichtag: 30.9.2021). In diese Ausgabe sind folglich die Bestimmungen des Motu proprio „Competentias quasdam decernere“ vom 11.2.2022 noch nicht aufgenommen. 42 Vgl. Ludger Müller, Codex und Konzil. Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils als Kontext zur Interpretation kirchenrechtlicher Normen, in: AfkKR 169 (2000) 469–491. 43 Vgl. hierzu Winfried Aymans, Die Kirche im Codex. Ekklesiologische Aspekte des neu-en Gesetzbuches der lateinischen Kirche, in: Ders., Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie, Berlin 1995, 41–64. 40

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Vorbereitung der orientalischen Kodifikation“ von Papst Pius  XI. (1922–1939) eingesetzt. Nachdem die Vorbereitungsstudien innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren abgeschlossen worden waren, wurde am 17. Juli 1935 die „Päpstliche Kommission zur Redaktion des ‚Codex Iuris Canonici Orientalis‘“ errichtet. Diese Kommission hatte die Aufgabe, den Text der Canones festzulegen und die Redaktion des „Codex Iuris Canonici Orientalis“ durchzuführen. Papst Pius XII. (1929– 1958) hat von den 24 Titeln, aus denen der vollendete Entwurf des Codex Iuris Canonici Orientalis bestand, Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts zehn Titel, die besonders dringend erschienen, in vier Apostolischen Schreiben Motu proprio promulgiert. Die übrigen Titel, die zum großen Teil auf päpstlichen Auftrag hin schon zur Promulgation vorbereitet und gedruckt worden waren, verblieben im Archiv der Kommission. Im Jahr 1958 starb Papst Pius XII., und von seinem Nachfolger Johannes XXIII. wurde im Januar 1959 das Zweite Vatikanische Konzil angekündigt. Das änderte natürlich Vieles auch im Blick auf die orientalische Kodifikation, aber erst im Jahr 1972 wurde die Kommission zur Redaktion des CICO aufgelöst und die Päpstliche Kommission zur Revision des Codex Iuris Canonici Orientalis eingerichtet. Nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils kam es zur Weiter­arbeit an der Kodifikation des Ostkirchenrechts bzw. zu ihrer Revision. Im Oktober 1986 wurde ein Gesamtentwurf des „Codex des Kanonischen Orientalischen Rechts“ Papst Johannes Paul II. übergeben, der eine weitere Überprüfung des Entwurfs anordnete. Am 28. Januar 1989 wurde der letzte Entwurf mit dem Titel „Codex der Canones der Orientalischen Kirchen“ dem Papst mit der Bitte vorgelegt, ihn zu promulgieren. Mit Unterstützung einiger Sachverständiger prüfte der Papst den letzten Entwurf persönlich und ordnete seinen Druck an. Am 18. Oktober 1990 wurde der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium – so lautet der endgültige Titel des Gesetzbuchs  – endlich promulgiert, am 1.  Oktober 1991 trat er in Rechtskraft. Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium ist ein einheitliches Gesetzbuch für alle (ca. 20) katholischen Ostkirchen, die ein je eigenes theologisches, liturgisches, spirituelles und disziplinäres Erbe haben. Papst Johannes Paul  II. hat wiederholt die beiden Gesetzbücher der katho­ lischen Kirche, also den CIC und den CCEO, als die beiden Lungenflügel bezeichnet, mit denen die Kirche atmet. Die beiden Gesetzbücher gelten jedoch für zwei recht unterschiedliche kirchliche Gebilde: Auf der einen Seite steht die große Lateinische Kirche mit einer einheitlichen Tradition, auf der anderen Seite handelt es sich um eine Vielfalt von kleineren Kirchen mit einer je eigenen liturgischtheologischen Tradition. Der CCEO ist so ein Zeichen dafür, dass Einheit in der katholischen Kirche nicht identisch ist mit Uniformität – weder im Blick auf das spirituelle Erbe noch im rechtlichen Sinn. Auch hinsichtlich des CCEO ist es seit seiner Promulgation zu Normenveränderungen gekommen. Exemplarisch zu nennen sind hier das kanonische Verfah-

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

ren für Ehenichtigkeitserklärungen (Eheprozess)44 sowie die Normenangleichungen zwi-schen CCEO und CIC.45

§ 8 Göttliches und menschliches Kirchenrecht Aymans – Mörsdorf, KanR I, § 3 C (Lit.); Wilhelm Rees, § 9 Die Rechtsnormen, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Thomas Meckel, Das ius divinum positivum – eine unverhandelbare Kategorie des Kirchenrechts, in: Bernd Dennemarck – Heribert Hallermann (Hg.), Von der Trennung zur Einheit. Das Bemühen um die Pius-Bruderschaft, Würzburg 2011, 265–314, bes. 272–314; Ludger Müller, Naturrecht und kanonisches Recht im Wandel. Zur Diskussion über das Naturrecht in der katholischen Kirchenrechtswissenschaft heute, in: Werner Freistetter  – Rudolf Weiler (Hg.), Mensch und Naturrecht in Evolution, Wien – Graz 2008, 283–308.

A.  Göttliches Recht 1. Wesen und Arten Nach christlicher Überzeugung gründet alles Recht, weltliches wie kirchliches Recht, letztlich in Gott. Dennoch werden einzelne Handlungsanweisungen ausdrücklich als „göttliches Recht“ bezeichnet und so von jenem Recht unterschieden, das lediglich auf den menschlichen Gesetzgeber zurückgeht. Normen des göttlichen Rechts gehören zum Zentrum der christlichen Lehre und sind in ihrem Kernbestand dem Willen des menschlichen Gesetzgebers in der Kirche entzogen. Als „göttliches Recht“ wird das positive göttliche Recht und das davon unterschiedene Naturrecht bezeichnet. menschliches Kirchenrecht (ius mere ecclesiasticum; ius humanum)



göttliches Recht (ius divinum) positives göttliches Recht (Offenbarungsrecht, ius divinum positivum)

Naturrecht (ius [divinum] naturale)

Positives göttliches Recht sind bestimmte in der Heiligen Schrift enthaltene Aussagen bzw. bestimmte auf der Heiligen Schrift beruhende Grund­entscheidungen,

Franziskus, Motu proprio „Mitis et misericors Iudex“ vom 15.8.2015, in: AAS 107 (2015) 946–957. Franziskus, Motu proprio „De concordia inter Codices“ vom 31.5.2016, in: AAS 108 (2016) 602– 606; Vgl. auch Ders., Motu proprio „Competentias quasdam decernere“ vom 11.2.2022, in: ORital 162 (2022), Nr. 37, 15.2.2022, 8.

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§ 8 Göttliches und menschliches Kirchenrecht

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die in der Tradition der Kirche als bindende Weisungen mit dem Auftrag zu ihrer konkreten vollen Verwirklichung verstanden worden sind und werden.  Das Naturrecht, also Regelungen menschlichen Verhaltens, die sich aus der von Gott geschaffenen46 Natur (v. a. des Menschen) und aus seiner Würde ergeben (z.B. die Menschenrechte), ist ebenso Bestandteil des göttlichen Rechts. Die Rechtssprache des CIC bringt göttliches Recht mit verschiedenen Worten zum Ausdruck: „ius divinum“, „ius naturale“, „statuente Domino“ u.a. 2. Beispiele Die Wesenseigenschaft der Unauflöslichkeit der Ehe ist nach herrschender Lehre im göttlichen Recht verankert, und zwar im Naturrecht, weil sie sich aus der Natur der Ehe (schlechthin), nicht nur der sakramentalen Ehe ergibt. Die Ehe als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, die zumindest auch auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet ist, fordert die Treue; die nachteiligen Folgen von Scheidung und Untreue für die Kinder aus gescheiterten Ehen liegen auf der Hand. Der Jurisdiktionsprimat des Papstes ist ein Beispiel für positives göttliches Recht; er basiert auf der Lehre der Kirche, wie sie sich schließlich in der dogmatischen Konstitution des Ersten Vatikanischen Konzils „Pastor aeternus“ vom 18. Juli 1870 niedergeschlagen hat. Das Konzil hat ausgehend von Ansätzen in der neutestamentlichen Lehre (bes. Mt 16, 16–19) und als Ergebnis der kirchlichen Tradition als unfehlbare Lehre vorgelegt, dass der Bischof von Rom, der Nachfolger des hl. Petrus, „den Primat über den gesamten Erdkreis innehat“.47 Der päpstliche Primat meint die höchste, volle, unmittelbare und universale Gewalt des Papstes (c. 311 CIC). 3. Konkretisierung in menschlichem Kirchenrecht Wie an den genannten Beispielen abzulesen ist, ergeben sich aus dem göttlichen Recht, sei es natürliches oder positives göttliches Recht, lediglich sehr allgemeine normative Vorgaben. Die erste Aufgabe des menschlichen Gesetzgebers besteht im Erkennen dessen, was göttliches Recht ist; sodann muss das so erkannte göttliche Recht in gesatztes Recht „gegossen“ werden, damit es praktisch angewendet werden kann. Die Erkenntnis dessen, was göttliches Recht ist, und seine Konkretisierung in menschlichem Kirchenrecht kann jedoch in der jeweiligen historischen Situation der Kirche ggf. zu einer Wandlung der positivierten Gesetzeslage führen. „In sich“ bleibt das göttliche Recht stets identisch, „für uns“ kann es anders erscheinen (vgl. die ähnliche Problematik der Dogmenentwicklung).

Deshalb die Bezeichnung als natürliches „göttliches“ Recht. DenzH 3059; vgl. ebd. 3059–3064.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

B.  Menschliches Kirchenrecht Weitaus der größte Teil des geltenden Kirchenrechts ist rein menschliches Recht. Zu einem Teil besteht die Aufgabe menschlichen Kirchenrechts darin, das „ius divinum“ zu konkretisieren und die notwendigen Regelungen zu bieten, damit das göttliche Recht auch praktisch angewendet werden kann. Wenn beispielsweise die Unauflöslichkeit der Ehe göttlichen Rechts ist, muss durch menschliches Recht festgelegt werden, woran zu erkennen ist, dass eine bestimmte Beziehung zwischen Mann und Frau als Ehe anzusehen und damit unauflöslich ist; mit anderen Worten: Zur Durchsetzung des göttlich-rechtlichen Anspruchs auf Unauflöslichkeit der Ehe ist ein Eheschließungsrecht erforderlich, das aber rein menschliches Recht ist und daher für Wandlungen im Laufe der Geschichte offensteht. Wenn – ein anderes Beispiel – dem Bischof von Rom der Jurisdiktionsprimat zukommt (göttliches Recht), muss durch eine Papstwahlordnung (rein menschliches Recht) dafür gesorgt werden, dass ohne weiteres erkennbar ist, wer der Nachfolger des heiligen Petrus, also der Papst ist. Daneben gibt es aber durchaus auch Gesetze, die einfach nur etwas regeln, weil es irgendeine Regelung geben muss. So sind beispielsweise die Normen des kirchlichen Vermögensrechts relativ weit entfernt vom Zentrum der kirchlichen Rechtsordnung und hängen z.  T. nur noch mittelbar mit der verbindlichen Weisung Christi zusammen. Das heißt: Auch innerhalb des menschlichen Kirchenrechts gibt es ein qualitatives Gefälle je nach der Nähe zum göttlichen Recht. Für alles Recht in der Kirche aber gilt, dass es geeignet sein muss, der kirchlichen communio und damit der Sendung der Kirche bestmöglich zu dienen.

C.  Das Verhältnis von göttlichem und rein menschlichem Kirchenrecht Alexander Hollerbach hat im Anschluss an seinen Lehrer Erik Wolf die „Funktion des göttlichen Gesetzes im Verhältnis zum menschlichen Recht in der Kirche“ so umschrieben, dass jenes das menschliche Kirchenrecht (1.) legitimiere, (2.) limitiere und (3.) normiere.48 1. Das vom menschlichen Gesetzgeber gesetzte Recht findet zumindest letztlich seinen Legitimationsgrund im Willen Jesu Christi.

Alexander Hollerbach, Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche, in: Mensch und Recht. FS Erik Wolf (70), 212–235, hier 225 f.

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§ 9 Gesetz und Gewohnheit als Rechtsquelle in der Kirche

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2. Dieser Wille ist auch eine unübersteigbare Grenze jeglichen kirchlichen Rechts, so dass menschliches Recht gegen göttliches Recht nicht verstoßen kann. 3. Schließlich wird jede Norm menschlichen Rechts inhaltlich – mehr oder weniger – bestimmt durch das göttliche Recht. So gilt für die Normen des kirchlichen Vermögensrechts zwar ein hohes Maß an Ge­staltbarkeit durch den menschlichen Gesetzgeber, doch immer so, dass auch der Erwerb und die Verwaltung kirchlichen Vermögens der kirchlichen Sendung zu dienen haben, da kirchliches Vermögen nur zur Verwirklichung der eigenen Zwecke der Kirche legitim ist, nämlich der Durchführung des Gottesdienstes, des Unterhalts von Klerus und anderen Kirchenbediensteten, sowie der Werke des Apostolats und der Caritas (vgl. c. 1254 CIC). So ergibt sich auch für dieses Gebiet des kirchlichen Rechts keine völlige Gestaltungsfreiheit; es handelt sich zwar um ius mere ecclesiasticum, aber dennoch ist es durch das ius divinum der kirchlichen Sendung grundgelegt, es findet in ihr seine Zielsetzung und würde gegebenenfalls durch sie korrigiert. Ius divinum und ius mere ecclesiasticum gehören also grundsätzlich zusammen. Weil das ius divinum menschlicher Erkenntnis und der Konkretisie­rung durch menschliches Recht bedarf, ist es nicht schlechthin unveränderlich, und das ius mere ecclesiasticum ist nicht einfach nach Belieben gestaltbar und veränderlich, sondern muss sich stets am ius divinum messen lassen.

III. Allgemeine Normen § 9 Gesetz und Gewohnheit als Rechtsquelle in der Kirche Aymans – Mörsdorf, KanR I, §§ 12–14. 17–20; Wilhelm Rees, § 9 Die Rechtsnormen, in: HdbKathKR3.

A.  Das kirchliche Gesetz 1. Begriff Weiterführende Literatur: Winfried Aymans, Lex canonica. Erwägungen zum kanonischen Gesetzesbegriff, in: AfkKR 153 (1984) 337–353.

Die kirchlichen Gesetzbücher enthalten keine eigene Definition des Gesetzes; Bestandteile einer Begriffsbestimmung des Gesetzes können aber c. 7 CIC (Promulgationsbedürftigkeit des kirchlichen Gesetzes) und c. 29 CIC (Wesensmerk-

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

male von Allgemeindekreten, die ja Gesetze im strengen Sinne sind) entnommen werden. Diese Elemente des Gesetzesbegriffs sind:    

passiv gesetzesfähige Gemeinschaft, gemeinsame Vorschrift, zuständiger Gesetzgeber, Promulgation.

Hiermit sind im Wesentlichen äußere Merkmale des kanonischen Gesetzes angesprochen. Winfried Aymans bietet folgende Definition:

Das kanonische Gesetz ist „eine auf die Förderung des Lebens der Communio ausgerichtete und mit den Mitteln der Vernunft als allgemeine, rechtsverbindliche Vorschrift gestaltete Glaubensweisung, die von der zuständigen Autorität für eine passiv gesetzesfähige Personengemeinschaft erlassen und gehörig promulgiert ist.“49

Hiernach sind folgende Begriffselemente des kirchlichen Gesetzes zu unterscheiden: Allgemeine rechtsverbindliche Glaubensweisung Vernunft als Gestaltungsmittel

= innere Wesensmerkmale

Förderung des Lebens der Communio Zuständige Autorität Bestimmter Personenkreis als Adressat

= äußere Wesensmerkmale

Gehörige Promulgation 





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Allgemeine Rechtsverbindlichkeit: Das Gesetz ist für eine Gemeinschaft rechtlich verbindlich; es gilt nicht nur für einen Einzelfall, sondern für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen. Grundsätzlich gelten Gesetze für unbestimmte Zeit, sie sind auf Dauer angelegt. Vernunftgemäße Glaubensweisung: Das Gesetz muss sittlich gut, gerecht und befolgbar sein. Es darf keine Willkür herrschen. (Materielle) Erkenntnisquelle für das kanonische Gesetz ist der Glaube („ordinatio fidei“), (formelles) Gestaltungsmittel des Gesetzes ist die Vernunft. Förderung des Lebens der Communio meint, dass das Gesetz letztlich auf das Heil aller Christen hingeordnet ist. Spannungen zwischen Einzelinteresse und GeWinfried Aymans, Lex canonica, 353.

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§ 9 Gesetz und Gewohnheit als Rechtsquelle in der Kirche

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samtinteresse in der Kirche sind möglich, müssen aber im Blick auf das Leben der Communio bzw. das Leben in der Communio gelöst werden.  Zuständigkeit des Gesetzgebers: Gesetzgebung kommt prinzipiell nur den Vorstehern von Gesamtkirche (Papst und Bischofskollegium) und Teilkirche (v. a. Diözese) zu (Diözesanbischof ). Auch bischöfliche Kollegialorgane (z.B. in Einzelfällen die Bischofskonferenz) können Gesetzgebungsvollmacht haben.  Gesetzesfähige Gemeinschaft: Das Gesetz richtet sich an eine zum Empfang eines Gesetzes fähige Gemeinschaft. Adressat kann jede Gemeinschaft oder Personengesamtheit im Zuständigkeitsbereich des Gesetz­gebers sein, die gesamte Kirche bzw. Teilkirche oder nur z.B. eine juristische Person oder eine genau umschriebene Personengesamtheit.  Promulgation: Dies ist die rechtsverbindliche Publikation eines Gesetzes, durch die ein Gesetz ins Dasein tritt und Anspruch auf Befolgung erhebt. Gesamtkirchliche Gesetze werden in der Regel in den Acta Apostolicae Sedis, dem offiziellen Publikations- und Promulgationsorgan des Apostolischen Stuhls promulgiert, teilkirchliche Gesetze in den Amtsblättern der Diözesen bzw. Bischofskonferenzen. 2. Verpflichteter Personenkreis Das rein kirchliche Recht verpflichtet nur die katholischen Christen, die das siebte Lebensjahr vollendet haben und hinreichenden Vernunftgebrauch besitzen (c. 11 CIC). Nichtkatholische Christen können vom rein kirchlichen Recht betroffen sein, wenn sie mit dem Leben der katholischen Kirche in Beziehung treten, z.B. wenn sie Sakramente in der katholischen Kirche empfangen wollen, was im Ausnahmefall möglich ist (vgl. c. 844 CIC). Katholiken, die sich von ihrer Kirche lossagen, bleiben dem katholischen Kirchenrecht weiterhin unterworfen, auch wenn dieser Anspruch kaum einmal geltend gemacht werden kann.

B.  Die Gewohnheit als Rechtsquelle Es sind zu unterscheiden: (schlichte) Gewohnheit, Rechtsgewohnheit und Gewohnheitsrecht. Bestimmte Gewohnheiten (die sog. Rechtsgewohnheiten) können zu Recht werden. Die Rechtsgewohnheit unterscheidet sich von der schlichten Gewohnheit durch zwei Merkmale (vgl. c. 25 CIC): 1. die Übung durch eine passiv gesetzesfähige Gemeinschaft und 2. die Absicht, Recht einzuführen. Gewohnheitsrecht ist die zu Recht gewordene Rechtsgewohnheit. Die Bildung von Gewohnheitsrecht setzt die Rechtsgewohnheit und die „Genehmigung“ durch den Gesetzgeber voraus (vgl. c. 23 CIC). Die „Genehmigung“ durch den Gesetzgeber

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

könnte ausdrücklich erteilt werden, sie liegt aber im „Normalfall“ dann vor, wenn die im Gesetz (c. 26 CIC) genannten Bedingungen für das Zustandekommen von Gewohnheitsrecht erfüllt sind (sog. „Legalkonsens“). Aus einer (gesetzmäßigen, außergesetzlichen oder gesetzwidrigen) Rechtsgewohnheit wird nach c. 26 CIC unter den folgenden Voraussetzungen ein Gewohnheitsrecht: Art der Rechtsgewohnheit

gesetzmäßig (consuetudo secundum legem)

außergesetzlich50 (consuetudo praeter legem)

gesetzwidrig (consuetudo contra legem)51

Verhältnis zu Gesetzesrecht

entspricht dem Gesetz

im gesetzesfreien Raum

Widerspruch

Frist

kein Fristenlauf

30 Jahre

30 Jahre

C. Zuordnung von Gesetzgeber und kirchlicher Gemeinschaft Weiterführende Literatur: Hubert Müller, Das Gesetz in der Kirche „zwischen“ amtlichem Anspruch und konkretem Vollzug. Annahme und Ablehnung universalkirchlicher Gesetze als Anfrage an die Kirchenrechtswissenschaft, München 1978; Ludger Müller, Kirchenrecht als kommunikative Ordnung, in: AfkKR 172 (2003) 353–379.

1. Gesetzgebung und Rezeption Nach alter kirchenrechtlicher Tradition ist die Aufnahme (Rezeption) kirchlicher Gesetze durch die Gemeinschaft der Gläubigen rechtlich bedeutsam. Dies kommt in der folgenden These des mittelalterlichen Kanonisten Gratian zum Ausdruck: Gesetze treten ins Dasein, indem sie promulgiert werden, sie werden befestigt, indem sie durch die Handlungsweise der Rechtsanwender bestätigt werden (Dictum Gratiani post c. 3 D. IV). Nach der Ansicht Gratians kommt dem Handeln der vom Gesetz Betroffenen die „Bekräftigung“ des Gesetzes zu. Nicht der Anspruch des Gesetzes auf Geltung, wohl 50

51

„Außergesetzliche Gewohnheit“ ist eine solche, die in einem Bereich geübt wird, der vom kirchlichen Gesetz nicht geregelt ist. Gegen ein Gesetz, das künftiges Gewohnheitsrecht verbietet, kann nur eine 100jährige oder „unvordenkliche“ Gewohnheit, d.h. eine solche Gewohnheit, deren Geltungsdauer nicht mehr ermittelt werden kann, die Kraft eines Gesetzes erlangen.

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§ 9 Gesetz und Gewohnheit als Rechtsquelle in der Kirche

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aber seine Wirksamkeit ist (auch) vom Handeln der „passiv gesetzesfähigen Gemeinschaft“ abhängig. Die Kirche muss die Christgläubigen zunächst überzeugen, um sie zur Befolgung der kirchlichen Vorschriften bereit zu machen. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn ein nach seinen äußeren Bedingungen rechtmäßig zustandegekommenes Gesetz von der Rechtsgemeinschaft nicht rezipiert wird, verliert es letztlich auch seinen Anspruch auf Rechtsgeltung. Berühmtestes Beispiel für ein nicht rezipiertes kirchliches Gesetz ist die Apostolische Konstitution „Veterum sapientia“ Papst Johannes‘ XXIII. vom 22. Februar 1962,52 mit der das Lateinische wieder als Unterrichtssprache in den theologischen Hauptvorlesungen vorgeschrieben werden sollte; in der lateinischen Sprache nicht hinreichend gebildete Lehrer seien nach und nach durch geeignete zu ersetzen. Dieses Gesetz war (fast) ganz ohne Konsequenzen; es wurde nicht befolgt und hat seinen Geltungs­anspruch verloren, da der Gesetzgeber die Einhaltung des Gesetzes nicht urgiert hat. 2. Gesetzes- und Gewohnheitsrecht als Ausdruck der Communio-Struktur der Kirche Die kirchliche Rechtsbildung in Gesetzes- und Gewohnheitsrecht läuft auf unterschiedliche Weise und in verschiedenen Richtungen ab; an ihr sind die kirchliche Autorität und die Gemeinschaft der Gläubigen in je eigener Weise beteiligt. Das kann verdeutlicht werden an der ähnlichen Struktur der Entfaltung von Glaubenswahrheiten, bei welcher sich im Miteinander von Lehramt und Glaubenssinn des Gottesvolkes die Communio-Struktur des Glaubenslebens der Kirche offenbart (Rezeption einer lehramtlich vorgelegten Lehre – Anregungen für das vertiefte Erfassen und die jeweils zeitgemäße Neuformulierung der christlichen Lehre aus dem Glaubensleben der Gemeinschaft der Gläubigen). Hinsichtlich Gesetzes- und Gewohnheitsrecht liegt der Unterschied in der Vorgehensweise vor allem darin, wer die Initiative ergreift: Bei der Gesetzgebung handelt zunächst der Gesetzgeber, dessen Gesetz – zwar nicht zu seiner Geltung, wohl aber zu seiner Wirkung – der Rezeption durch die Gemeinschaft der Kirche bedarf; im Falle des Gewohnheitsrechts bedarf die von der passiv gesetzesfähigen Gemeinschaft initiierte Rechtsgewohnheit der Bestätigung durch den Gesetzgeber. In beiden Fällen müssen kirchliche Gemeinschaft und kirchliche Autorität zusammenwirken. Die Struktur von Gesetzes- und Gewohnheitsrecht kann man daher als konkreten Ausdruck der Communio-Struktur der Kirche ansehen, als Beleg für den „kommunikativen Charakter“ der kirchlichen Rechtsordnung.

AAS 54 (1962) 129–135, hier 134.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

D.  Arten kirchlicher Gesetze Kirchliche Gesetze sind in mehrfacher Weise voneinander zu unterscheiden; abgesehen vom Gegenstandsbereich sind Gesetze in formaler Hinsicht nach ihrer bestimmenden Kraft (im Gewissen) und nach der äußerlich „zwingenden“ Kraft zu unterscheiden. Das Gesetz verpflichtet zum einen im Gewissen zu seiner Befolgung; es kann darüber hinaus aber auch mit rechtlichen Mitteln verpflichten, so dass nicht nur in einem geordneten Verfahren festgestellt werden kann, welches Verhalten erlaubt, geboten oder verboten ist, sondern auch, ob eine Sanktion eingetreten ist oder verhängt werden kann und ob sich diese an die handelnde Person richtet oder den Rechtsakt unmittelbar betrifft. Unterscheidung nach der bestimmenden Kraft des Gesetzes (im Gewissen) erlaubendes Gesetz

gebietendes Gesetz

verbietendes Gesetz

Das Gesetz verlangt auch eine innerliche Zustimmung. Der Gesetzesunter­gebene ist moralisch gehalten, den rechtmäßigen Gesetzesinhalt zu befolgen. Unterscheidung nach der zwingenden Kraft des Gesetzes nicht sanktioniertes Gesetz (lex imperfecta)

sanktioniertes Gesetz Sanktionsgesetz

inhabilitierendes Gesetz

irritierendes Gesetz

Nicht jedes Gesetz kann und muss sanktioniert sein. Die „Erzwingbarkeit“ gehört nicht zum Wesen des Gesetzes. Neben nicht sanktionierten Gesetzen, ohne deren Einhaltung die Rechtsordnung jedoch nicht bestehen könnte, gibt es solche Gesetze, die im Falle ihrer Übertretung einen rechtlichen Nachteil androhen, sei es eine Sanktion gegenüber dem Gesetzesübertreter, sei es eine Sanktion, die unmittelbar die illegitim gesetzte Rechtshandlung betrifft, indem sie entweder eine Person unfähig macht, eine bestimmte Handlung zu setzen (lex inhabilitans, z.B. das Ehehindernis der Weihe, das einen Kleriker unfähig macht zu heiraten), oder indem sie die Rechtshandlung selbst wegen irgendwelcher Fehler für ungültig erklärt (lex irritans, z.B. ungültige Eheschließung eines Katholiken ohne Wahrung der kanonischen Eheschließungsform).

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§ 10 Interpretation und Anwendung kirchlicher Gesetze

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§ 10 Interpretation und Anwendung kirchlicher Gesetze Aymans – Mörsdorf, KanR I, §§ 15. 28 Weiterführende Literatur: Georg May – Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, 183–269; Hubert Müller, Barmherzigkeit in der Rechtsordnung der Kirche, in: AfkKR 159 (1990) 353–367; Thomas Schüller, Die Barmherzigkeit als Prinzip der Rechtsapplikation in der Kirche im Dienste der salus animarum. Ein kanonistischer Beitrag zu Methodenproblemen der Kirchenrechtstheorie, Würzburg 1992; ders., Auslegung von Gesetzen im Kirchenrecht. Ein rechtshistorischer und antekanonistischer Beitrag zur Debatte, in: Theologia Iuris Canonici. FS Ludger Müller (65), 127–138.

A.  Die Interpretationsregeln des CIC Der CIC bietet Interpretationsregeln, die sich vor allem in den cc. 16–22 finden. Nach der für die Interpretation zentralen Norm des c. 17 ist die Grundregel von den Aushilfsregeln zu unterscheiden. Grundregel „Kirchliche Gesetze sind zu verstehen gemäß der im Text und im Kontext wohl erwogenen eigenen Wortbedeutung“ (= grammatikalische Interpretation)

Aushilfsregeln „wenn sie zweifelhaft und dunkel bleibt, ist zurückzugreifen auf Parallelstellen, wenn es solche gibt (= Gesetzesanalogie), auf Zweck und Umstände des Gesetzes (= genetische Interpretation) und auf die Absicht des Gesetzgebers“ (= teleologische Interpretation)

Die Anwendung der Aushilfsregeln ist erst zulässig, wenn die Grundregel zu keinem Ergebnis führt. Text und Kontext des Gesetzes sind nicht nur im Gesetz bzw. im Gesetzbuch selbst zu finden, sondern auch im theologischen Kontext. Für den CIC von 1983 und den CCEO stellt das Zweite Vatikanische Konzil den entscheidenden Kontext dar.53

Vgl. Ludger Müller, Codex und Konzil, 469–491.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

B.  Authentische Interpretation In der Kirche sind verschiedene Weisen der Interpretation zu unterscheiden: Jeder Kirchenrechtswissenschaftler interpretiert die kirchliche Rechtslage; hierbei handelt es sich um eine Art der privaten Gesetzesinterpretation, die doktrinelle Interpretation. Auch im Verhalten der Rechtsgemeinschaft ist eine Gesetzesauslegung impliziert, die usuelle Interpretation: „Die Gewohnheit ist die beste Auslegerin der Gesetze“ (c. 27 CIC). Eine amtliche Interpretation ist in jedem Verwaltungsakt und in jedem Urteil implizit mitgegeben. Daneben gibt es die Interpretation des Gesetzes durch den Gesetzgeber selbst oder eine von diesem damit beauftragte Instanz, die „authentische Interpretation“, die selbst ein Gesetz darstellt und auch dann verpflichtet, wenn sie einmal – als Interpretation – inhaltlich unzutreffend sein sollte; in diesem Falle gilt sie nicht als „Wahrspruch“ (≈ Interpretation), sondern als „Machtspruch“ (als Gesetz).54 Schematisch lassen sich die verschiedenen Arten von Gesetzesinterpretation in folgender Weise darstellen: amtliche Interpretation in der Art eines Gesetzes = authentische Interpretation

in der Art eines Urteils

private Interpretation in der Art einer Verwaltungs­ entscheidung

doktrinelle Interpretation (Wissenschaft)

usuelle Interpretation (Verhalten der Rechtsgemeinschaft)

C.  Recht und Einzelfallgerechtigkeit Wegen der Allgemeinheit des Gesetzes können konkrete Umstände einer bestimmten Situation nicht im Gesetz berücksichtigt werden. In bestimmten Situationen kann die Anwendung einer Norm jedoch als zu hart oder als ungerecht empfunden werden. Die orthodoxen Kirchen kennen seit früher Zeit die Oikonomia (οἰκονομία) = milder Umgang der Kirche in der Anwendung von Gesetzen (Gegenbegriff: ἀκρίβεια; Akribeia = Strenge). Oikonomia wird seitens der kirchlichen Autorität geübt.55 Auch in der katholischen Kirche gibt es das Bemühen, den Bedingungen des Einzelfalls gerecht zu werden. Darum werden im letzten Canon des CIC von 1983 (c. 1752) salus animarum und aequitas canonica genannt, und So Aymans – Mörsdorf, KanR I, 180. Vgl. hierzu Hamilikar S. Alivizatos, Die Oikonomia. Die Oikonomia nach dem kanonischen Recht der Orthodoxen Kirche, hg. von Andréa Belliger, Frankfurt a. M. 1998.

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§ 10 Interpretation und Anwendung kirchlicher Gesetze

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zwar nicht deshalb, weil es vom Inhalt des Canons her (Versetzung von Pfarrern) erforderlich wäre; das Gesetzbuch endet vielmehr sozusagen programmatisch mit den Gedanken von Heil der Seelen und kanonischer Billigkeit, weil das gesamte Kirchenrecht von diesen Prinzipien her anzuwenden ist.

D.  Die Mittel der Einzelfallgerechtigkeit Mittel der Einzelfallgerechtigkeit sind aequitas canonica, Dispens und Epikie, die in der folgenden Weise voneinander zu unterscheiden sind:

Wesen

Anwender

aequitas canonica

Dispens

Epikie

Milde bei der Gesetzesanwendung

Aufhebung der Gesetzesverpflichtung im Einzelfall

Feststellung, dass das Gesetz im Einzelfall nicht verpflichtet

kirchliche Autorität

kirchliche Autorität

betreffender Gläubiger

Die selbstverständliche Grenze aller Mittel der Einzelfallgerechtigkeit ist das (natürliche und positive) göttliche Recht. Beispiel: Vom Ehehindernis des bestehenden Ehebandes, das auf dem Naturrecht (Unauflöslichkeit der Ehe) beruht, kann weder dispensiert werden, noch kann der Pfarrer eine zweite Ehe aufgrund der aequitas canonica zulassen oder ein Ehewilliger, der bereits einmal geheiratet hat, in Anwendung von Epikie ein weiteres Mal gültig heiraten. 1. Die aequitas canonica

Aequitas canonica ist ein allgemeines Prinzip sowohl bei der Abfassung als auch bei der Anwendung rein menschlichen Kirchenrechts und bei der Ausfüllung von Rechtslücken. Die aequitas canonica stellt die salus animarum in den Vordergrund und sucht rechtliche Lösungen zu finden, die den Bedingungen des Einzelfalls möglichst gerecht werden.

Das Wort aequitas bedeutet wörtlich „Gleichheit“ und bringt einen Grundzug des Gerechtigkeitsgedankens zum Ausdruck, dass nämlich Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Sofern Gerechtigkeit durch die strikte Anwendung des Gesetzes nicht erreicht werden kann, ermöglicht das Prinzip der aequitas

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

canonica der kirchlichen Autorität eine elastische Handhabung der Rechtsnormen, die im Regelfall zu größerer Milde führt. Ziel der Anwendung der aequitas muss also stets ein höheres Maß an Gerechtigkeit sein, als es die strikte Anwendung des Gesetzes ermöglicht. Da der Richter seine Entscheidung in einem Streitverfahren „nach Recht und Gerechtigkeit“ finden muss, ist ihm die Anwendung der aequitas canonica verwehrt, die ja ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien hervorriefe, mithin für die eine Partei größere Milde, für die andere aber eine Belastung mit sich brächte. Bei Personenstandsverfahren (z.B. Ehenichtigkeitsprozessen) geht es um die Feststellung der objektiven (theologischen) Wahrheit; eine Anwendung der aequitas canonica kommt hier deshalb nicht in Betracht. Bei der Anwendung des kirchlichen Sanktionsrechts dagegen ist sowohl dem Richter als auch dem Ordinarius ein weiter Bereich des Ermessens eingeräumt (vgl. z.B. cc. 1344–1346 CIC). 2. Die Dispens (cc. 85–93 CIC)

Dispens ist die hoheitliche Befreiung von der verpflichtenden Kraft eines rein kirchlichen Rechtssatzes in einem begründeten Einzelfall.

Die Dispens ist ein Akt der Verwaltung, ihre Wirkung besteht in der Beseitigung der Verpflichtungskraft eines Rechtssatzes. Für die Erteilung der Dispens ist ein gerechter und vernünftiger Grund erforderlich, da sie eine Ausnahme vom Gesetz bedeutet. Indispensabel sind neben dem göttlichen Recht auch solche rein menschlichen Gesetze, welche die Wesenselemente von Rechtseinrichtungen oder Rechtshandlungen festlegen (c. 86 CIC). Indispensabel ist beim Eingehen eines Vertrages der Vertragswille (= Wesenselement der Rechtshandlung); indispensabel ist auch der Ehewille (c. 1057 § 1 CIC). 3. Die Epikie Im Unterschied zur Dispens, die ausdrücklich im CIC geregelt ist, und der aequitas canonica, die im CIC zumindest erwähnt wird, findet sich für die Epikie kein Anhaltspunkt in der kirchlichen Rechtsordnung. Dennoch stellt auch sie ein Mittel der Einzelfallgerechtigkeit dar, wenn sie in einem engen Sinn gefasst wird. Jede Anwendung der Epikie, die zu einer Vorherrschaft der subjektiven Überzeugung vor dem geltenden Recht führte (ggf. unter Berufung auf eine „pastorale Lösung“), würde die Rechtsordnung insgesamt in Zweifel ziehen. Im hier zugrundezulegenden engen Sinn ist die Epikie folgendermaßen zu definieren:

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Epikie ist die wegen gravierender Umstände nach dem Urteil seines sorgfältig gebildeten Gewissens zu treffende Feststellung des Einzelnen, dass ein rein menschliches Gesetz für ihn im konkreten Einzelfall nicht verbindlich ist.

Epikie kommt insbesondere in Betracht bei: konträrem Wegfall des Gesetzeszweckes, also dann, wenn die Befolgung des Gesetzes nicht zu Recht, sondern „zu Unrecht oder wenigstens einer schweren Schädigung führen würde“,56  Normenkollision, so dass mehrere im konkreten Fall geltende Normen nicht gleichzeitig befolgt werden können oder  sonstiger physischer oder moralischer Unmöglichkeit der Gesetzeserfüllung. „Moralische Unmöglichkeit“ meint eine Unzumutbarkeit, genauer gesagt einen Notstand oder einen schweren Nachteil, wobei jedoch eine exakte Abwägung einerseits des schweren Nachteils, andererseits aber auch von Inhalt und Zweck des Gesetzes und der daraus hervorgehenden Verpflichtung sowie eines allfälligen Ärgernisses erforderlich ist. 

Epikie kommt nicht in Betracht bei Normen des göttlichen Rechts sowie bei irritierenden und inhabilitierenden Gesetzen, da dies die Konsequenz der Ungültigkeit der Handlung hätte. Bei sanktionsbewehrten Gesetzen kann ggf. der Grund, der zur Anwendung der Epikie geführt hatte, im Sinne eines Sanktionsmilderungs- oder ‑ausschlussgrundes (vgl. cc. 1323–1324 CIC) geltend gemacht werden.

§ 11 Amtliches Handeln in der Kirche A.  Geistliche Vollmacht Aymans – Mörsdorf, KanR I, §§ 38–41; Marcus Nelles, § 12 Die Geistliche Vollmacht, in: HdbKathKR3; Helmuth Pree, § 13 Ausübung der Leitungsvollmacht, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Peter Krämer, Dienst und Vollmacht in der Kirche. Eine rechtstheologische Untersuchung zur Sacra-Potestas-Lehre des II. Vatikanischen Konzils, Trier 1973; Thomas Meckel – Matthias Pulte (Hg.), Leitung, Vollmacht, Ämter und Dienste. Zwischen römischer Reform und teilkirchlichen Initiativen, Münster 2021.

Aymans – Mörsdorf, KanR I, 177.

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Erster Teil: Grundfragen des Kirchenrechts

1. Theologische Vorüberlegungen a) Gemeinsames und besonderes Priestertum Das Zweite Vatikanische Konzil hat in den Art. 10 und 11 der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ die Beziehung von Laien und Klerikern unter Rückgriff auf die Lehre vom gemeinsamen und besonderen Priestertum dargestellt. Hiernach ergibt sich das Folgende:57 



Das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen ist in der Taufe verankert (vgl. LG 10, 1). Es wird ausgeübt durch die Mitwirkung am eucharistischen Opfer und durch das Opfer des eigenen Lebens, das zugleich zum Zeugnis für den christlichen Glauben wird (vgl. PO 2, 1). Das besondere Priestertum leitet sich nicht aus der Gemeinde ab; es ist keine „Steigerung“ des gemeinsamen Priestertums. Das Spezifikum des besonderen Priestertums liegt vielmehr in der Befähigung zum Handeln in Vollmacht, in Stellvertretung Christi, insofern Christus der Diener aller geworden ist (in Bezug auf alle Kleriker) bzw. bezüglich des Priesters in Stellvertretung Christi, insofern Christus das Haupt der Kirche ist (in persona Christi capitis; vgl. PO 2, 2). Der Priester repräsentiert zum einen Christus als Haupt der Kirche dieser gegenüber, zum anderen aber auch das Gottesvolk Gott gegenüber; er handelt in Stellvertretung Christi und im Namen des Gottesvolkes.

b) Die Einheit der geistlichen Vollmacht Im ersten Jahrtausend galt in der Kirche ein System der „relativen Ordination“, d.h. der Weihe für eine bestimmte Ortskirche. Im Mittelalter kam es zur Entstehung der absoluten Ordination (Weihe unabhängig von der Zuweisung eines bestimmten Amtes). Das Bewusstsein von der Einheit der geistlichen Vollmacht ging nach und nach verloren. Die „potestas ordinis“ wurde vor allem dem sakramentalen Bereich zugeordnet, die „potestas iurisdictionis“ der äußeren Kirchenleitung. Das Zweite Vatikanum hat ein solches Verständnis nicht mehr fortgeführt, indem es nicht mehr von „potestas ordinis“ und „potestas iurisdictionis“ spricht, sondern einfach nur noch von der „potestas“ oder der „potestas sacra“. Zentral ist LG 21, 2 Satz 2:

Die Bischofsweihe aber verleiht, zusammen mit dem Heiligungsdienst, die Dienste des Lehrens und des Leitens, die aber ihrer Natur nach nur in Gemeinschaft mit dem Haupt und den Gliedern des Kollegiums ausgeübt werden können. 57

Vgl. hierzu: Ludger Müller, Weihe, in: Reinhild Ahlers u.a. (Hg.), Ecclesia a Sacramentis, 103–123; Aymans – Mörsdorf, KanR III, 232 f.

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Hierzu erging folgende verbindliche Interpretation in der vom Papst der Kirchenkonstitution vorangestellten „Erläuternden Vorbemerkung“, Nr. 2, Abs. 2:

In der Weihe wird die seinsmäßige Teilnahme an den heiligen Ämtern verliehen, wie unbestreitbar aus der Überlieferung, auch der liturgischen, feststeht. Mit Bedacht ist der Ausdruck Ämter (munera) verwendet und nicht Vollmachten (potestates), weil das letztgenannte Wort von der zum Vollzug völlig freigegebenen Vollmacht verstanden werden könnte. Damit aber eine solche zum Vollzug völlig freigegebene Vollmacht vorhanden sei, muss noch die kanonische, das heißt rechtliche Bestimmung (determinatio) durch die hierarchische Obrigkeit hinzukommen. Diese Bestimmung der Vollmacht (determinatio) kann bestehen in der Zuweisung einer besonderen Dienstobliegenheit oder in der Zuordnung von Untergebenen, und sie wird erteilt nach den von der höchsten Obrigkeit gebilligten Richtlinien.

Die Vollmacht (auch „Kirchengewalt“ genannt) wird hier in ontologischer Hinsicht und im Hinblick auf die Ausübung unterschieden („potestas“ und „exsecutio potestatis“). Die Weihe verleiht die Vollmacht, die jedoch im Blick auf ihre erlaubte, z. T. auch auf ihre gültige Ausübung einer näheren rechtlichen Bestimmung bedarf. Ein Beispiel: Durch die Weihe erlangt der Kleriker die seinsmäßige Befähigung zur Eheschließungsassistenz, diese muss aber zur Gültigkeit der Eheschließung entweder durch die Zuweisung eines Amtes (z.B. des Pfarramtes) oder durch die Erteilung der notwendigen Trauungsbefugnis (facultas) ermöglicht werden. 2. Rechtliche Ausgestaltung a) Die Grundnorm des c. 129 CIC Der erste Canon des Titels „Leitungsgewalt“ im ersten Buch des CIC legt das Fundament für die folgenden näheren Regelungen und bietet zugleich Anlass für Meinungsverschiedenheiten, indem c. 129 CIC in seinem § 1 die Übernahme von Leitungsgewalt allein Klerikern ermöglicht. Die Leitungsgewalt (= Jurisdiktionsgewalt) ist im göttlichen Recht grundgelegt. Sie kann nicht von der Weihevollmacht real abgetrennt werden und kann sich daher auch nicht als eine zweite Gewalt verselbständigen, denn Voraussetzung für die Übernahme von Leitungsgewalt ist der Empfang des Weihesakraments. Nach § 2 dieses Canons können Laien aber „bei der Ausübung dieser Gewalt … mitwirken“. Was heißt das? Unzweifelhaft ist c. 129 § 2 CIC vor allem die Grundaussage für die Mitwirkung von Laien im gesamten Rätewesen. Auch die Vorbereitung von Verwaltungsakten durch Laien, die sodann durch einen Inhaber von Leitungsgewalt zu setzen sind,

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ist unzweifelhaft ein solcher Akt der Mitwirkung bei der Ausübung von Leitungsgewalt. An späterer Stelle im kirchlichen Gesetzbuch ist es allerdings zu einer Re­ gelung gekommen, die mit diesen Grundsätzen nicht vereinbart werden kann, denn c. 1421 § 2 CIC ermöglicht nach entsprechender Entscheidung der Bischofskonferenz die Mitwirkung eines Laien im Kollegialgericht.58 Die Reform des kirchlichen Ehenichtigkeitsprozesses durch die Apostolischen Schreiben Motu proprio „Mitis Iudex Dominus Iesus“ für die Lateinische Kirche bzw. „Mitis et Misericors Iesus“ für die katholischen Ostkirchen vom 15. August 201559 hat sogar die Möglichkeit geschaffen, dass das Kollegialgericht im Ehenichtigkeitsverfahren neben einem Kleriker als Vorsitzendem zwei Laienrichter aufweist. Diese „Reform“ steht im Widerspruch zum Grundsatz der Einheit der geistlichen Vollmacht, von dem das Zweite Vatikanische Konzil ausgegangen ist (vgl. z.B. LG 28–29).60 Das aber wäre nur dann theologisch möglich, wenn die Mitglieder des Richterkollegiums nur als Mitwirkende an der Ausführung von Leitungsgewalt anzusehen wären. Dagegen spricht jedoch: „Ein Kollegium, das als solches aus geistlicher Vollmacht handelt, vermag dies nur, weil und insofern seine Mitglieder Träger geistlicher Vollmacht sind.“61 Da die kirchliche Rechtsordnung stets mit der Lehre der Kirche übereinstimmen muss, sind rechtliche Lösungen zu suchen, die mit den zugrundeliegenden theologischen Fakten übereinstimmen. b) Unterscheidungen Leitungsgewalt ist zu unterscheiden hinsichtlich ihrer Übertragungsweise, ihres Gegenstands- und ihres Ausübungsbereichs. Übertragungsweise ordentliche Vollmacht eigenberechtigte Vollmacht

stellvertretende Vollmacht

delegierte Vollmacht für einen Einzelfall (schriftlich, mündlich, „konkludentes Handeln“62)

für die Gesamtheit aller Fälle (stets schriftlich)

Vgl. hierzu Christoph Ohly, in: Aymans – Mörsdorf – Müller, KanR IV, 305–311 (Lit.). AAS 107 (2015) 946–970. 60 Vgl. hierzu Ludger Müller, Das kirchliche Ehenichtigkeitsverfahren nach der Reform von 2015 (Aymans – Mörsdorf – Müller, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Ergänzungsband), Paderborn 2017, 20 f. 61 Winfried Aymans, Laien als kirchliche Richter? Erwägungen über die Vollmacht zu geistlicher Rechtsprechung, in: AfkKR 144 (1975) 3–20, hier 17. 62 „Konkludent“ ist die Delegation dann, wenn aus einem Handeln zweifelsfrei geschlossen werden kann, dass die handelnde Person die andere Person delegieren will. 58 59

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Ordentliche Vollmacht wird übertragen mit der Amtsverleihung; sie kann eigenberechtigt oder stellvertretend sein. So hat der Diözesanbischof mit der Übernahme seines Amtes eine umfassende eigenberechtigte, ordentliche Leitungsgewalt in seiner Diözese. Der Generalvikar hat ordentliche stellvertretende Leitungsgewalt; er handelt für den Diözesanbischof. Gegenbegriff der ordentlichen ist die delegierte Vollmacht, die ohne Amtsverleihung und unabhängig von einem ansonsten übertragenen Kirchenamt für einen Einzelfall oder für die Gesamtheit aller Fälle übertragen werden kann. Beispiele: Der Diözesanbischof delegiert einen Priester als Richter in einem speziellen Sanktionsverfahren. Der Generalvikar delegiert den Dekan (Dechanten) mit der Amtseinführung neuer Pfarrer in seinem Dekanat. Ausübungsbereich forum internum sakramentaler Bereich

forum externum

nichtsakramentaler Bereich

Geistliche Vollmacht wird entweder im „inneren“ oder im „äußeren Bereich“ ausgeübt. „Äußerer Bereich“ ist derjenige Rechtsbereich, in dem das Handeln ohne weiteres nach außen hin erkenn- und beweisbar ist; z.B. die Amtsenthebung, die durch ein Dekret geschehen muss. Die kirchliche Autorität kann aber auch im „inneren Bereich“ handeln, so dass die Handlung zwar für den Betroffenen ihre volle Wirkung erlangt, nach außen hin aber nicht in Erscheinung tritt. So kann von einer kirchlichen Sanktion, z.B. der Exkommunikation bei Abtreibung, im inneren Bereich befreit werden – und dies sogar im Rahmen des Bußsakramentes („innerer sakramentaler Bereich“) –, wenn das bislang nicht in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Delikt nicht durch die Aufhebung der Exkommunikation bekannt werden soll. Sollte das Delikt später bekannt werden, so müsste der Akt der Befreiung von der Sanktion ggf. nochmals, nunmehr im äußeren Bereich, gesetzt werden. Gegenstandsbereich Gesetzgebung

Rechtsprechung

Verwaltung

Im Unterschied zum staatlichen Recht kennt das Kirchenrecht keine Gewaltentrennung (Legislative  – Judikative  – Exekutive), wohl aber eine Gewaltenunterscheidung. Papst und Diözesanbischof sind stets zugleich Gesetzgeber, Richter

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und höchster Verwalter in ihrem Bereich. Auf der Ebene der jeweiligen Vertretungsorgane werden diese Gegenstandsbereiche aber unterschieden, und zwar so, dass Gesetzgeber nur der Bischof in seiner Diözese ist und der Papst und das Bischofskollegium in der Gesamtkirche; Papst und Bischofskollegium jedoch können ihre Gesetzgebungsgewalt delegieren. In den Aufgaben der Verwaltung und Rechtsprechung dagegen werden Papst und Bischof in ordentlicher Weise durch ihre Kurie unterstützt, z.B. ist der Generalvikar der Vertreter des Diözesanbischofs im Gesamtbereich der Verwaltung und der Gerichtsvikar (zumeist „Offizial“ genannt) vertritt den Bischof in der diözesanen Rechtsprechung. Auch in der Römischen Kurie gibt es Verwaltungsorgane (Kongregationen, Räte usw.) und Gerichte, nämlich die Römische Rota und die Apostolische Signatur.63

B. Kirchenamt Aymans – Mörsdorf, KanR I, §§ 42–45; Christoph Ohly, § 14 Das Kirchenamt, in: HdbKathKR3.

1. Begriff Während nach dem CIC/1917 das Kirchenamt im weiteren vom Kirchenamt im engeren Sinn unterschieden werden musste, vertritt der CIC/1983 einen weiten Begriff des Kirchenamtes. Nach c. 145 § 1 CIC sind folgende Begriffsmerkmale zu nennen: Dienst mit geistlicher Zielsetzung (nicht beschränkt auf seelsorgliche Aufgaben; umfasst alle Dienste, die unmittelbar der kirchlichen Sendung dienen),  Einrichtung kraft göttlicher oder kirchlicher Anordnung (die Ämter von Papst und Diözesanbischof gehen direkt auf göttliches Recht zurück, alle anderen Kirchenämter sind Einrichtungen menschlichen Kirchenrechts),  dauerhafte Einrichtung (das Kirchenamt hat rechtlichen Bestand, unabhängig davon, ob es besetzt ist oder nicht). 

Ein Kirchenamt stellt die dauerhafte rechtliche Verbindung der zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben erforderlichen Rechte, Pflichten und (ggf.) Vollmachten dar. Das Kirchenamt entspricht dem Wesen von ordentlicher Leitungsvollmacht (potestas ordinaria), die auch Amtsvollmacht genannt werden kann. Im Unterschied dazu stellt die Delegation von Leitungsvollmacht (potestas delegata)

Traditionell wird auch die Apostolische Pönitentiarie als Gericht bezeichnet. Sie ist aber eine Verwaltungsbehörde mit gnadenerweisender Tätigkeit.

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die Rechte und Befugnisse im Hinblick auf die Erfüllung bestimmter einzelner oder immer wiederkehrender Aufgaben nur vorübergehend zur Verfügung. 2. Unterscheidungen Wegen des weiten Amtsbegriffs, der im CIC/1983 zugrundegelegt wird, sind einige Unterscheidungen erforderlich, um der Vielfalt der Kirchenämter gerecht zu werden. Unter diesen Unterscheidungen, die in der Kirchenrechtswissenschaft entwickelt wurden, sind jene von Grundamt und Hilfsamt sowie von bevollmächtigtem und vollmachtsfreiem Amt von besonderer Bedeutung. a) Grundamt und Hilfsamt Grundämter sind solche Kirchenämter, die entsprechend dem Prinzip der communio hierarchica64 für die jeweilige verfassungsrechtliche Gemeinschaft der Gläubigen konstitutiv sind (Papst – Gesamtkirche, Metropolit – Kirchenprovinz, Diözesanbischof – Diözese, Pfarrer – Pfarrei). Das betreffende Grundamt gehört zum Begriff jeder verfassungsrechtlichen Teilgemeinschaft hinzu: Neben der Gemeinschaft der Gläubigen ist das Papstamt ein Wesensmerkmal der Gesamtkirche, das Pfarramt ein Wesensmerkmal der Pfarrei usw. Hilfsämter sind nicht schon mit der Errichtung der jeweiligen kirchlichen Teilgemeinschaft gegeben, sondern treten erst durch entsprechende Amtsübertragung ins Dasein (z.B. Generalvikar, Pfarrvikar). b) Bevollmächtigtes und vollmachtsfreies Amt Unter den Hilfsämtern sind bevollmächtigte und vollmachtsfreie Ämter zu unterscheiden; Grundämter sind immer bevollmächtigte Ämter. Zur Ausübung bevollmächtigter Ämter ist Weihevollmacht und kirchliche Leitungsvollmacht erforderlich; sie können nur Klerikern übertragen werden. Eine besondere Form des geistlichen Amtes ist das Amt, das der Seelsorge in vollem Umfang dient (c. 150 CIC). Ein solches Amt kann nur einem Priester übertragen werden, weil es die Ausübung der Priesterweihe erforderlich macht. Zur Ausübung vollmachtsfreier Ämter ist keine Inhaberschaft geistlicher Vollmacht erforderlich; sie können auch Laien übertragen werden.

Siehe hierzu § 24 B 2.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche Das dritte und vierte Buch des Codex Iuris Canonici bilden nicht nur die systematische Herzmitte des kirchlichen Gesetzbuches. Mit Hilfe ihrer kodikarischen Verortung, die gegenüber dem Sachenrecht des CIC/1917 eine grundlegende Veränderung erfahren hat, verweisen die Normen des Verkündigungs- und Heiligungsdienstes vielmehr auf die elementaren Bausteine der kirchlichen Sendung selbst: Wort und Sakrament. Mit der lehramtlichen Feststellung, dass die Liebe „genauso zu ihrem Wesen wie der Dienst der Sakramente und die Verkündigung des Evangeliums“1 gehört, müssen die beiden Elemente schließlich zu einer Trias vervollständigt werden. Wort, Sakrament und caritative Diakonie stehen in einem untrennbaren Zusammenhang des kirchlichen Heilsdienstes. In ihrer Sendung, die sie von Jesus Christus als ihrem Herrn empfangen hat, ist die Kirche gerufen und bevollmächtigt, „das Reich Christi und Gottes anzukündigen und in allen Völkern zu begründen“ (LG 5, 2). Ankündigung und Begründung des Gottesreiches durchdringen somit das gesamte Heilshandeln der Kirche in ihren drei Wesensvollzügen. Es richtet sich grund­legend an alle Menschen (glaubens- und kirchenbegründend) sowie vertiefend an jene, die in der Gemeinschaft der Kirche zum Glauben gelangt sind (glaubens- und kirchenerhaltend). Der Verkündigung des Wortes Gottes in der Gestalt des Evangeliums kommt dabei eine primäre Funktion zu. Sie zielt in ihren diversen und rechtlich normierten Formen darauf ab, die Antwort des Glaubens hervorzurufen und in gleicher Weise zu erhalten. Verkündigung und Aufnahme des Wortes Gottes gehen jedoch über eine reine Kundgabe hinaus. Als Träger des Heils durchdringt das Wort Gottes seinen Empfänger nicht allein informativ, sondern zugleich performativ. Das bedeutet: Das Wort verwandelt den Menschen nahezu sakramental und drängt in ihm zur Tat, wie sie durch die Annahme im Glauben sichtbar, im Sakrament als Heilszeichen erfahrbar sowie in der tätigen Liebe zu Gott und zum Menschen erkennbar wird. Das Wort strebt auf seine Verleiblichung im Sakrament und in der Liebe hin. Umgekehrt eignet dem Sakrament ein unverzichtbarer Bezug zum Wort und zur caritativen Diakonie. Die Kirche als „allumfassendes Heilssakrament“ (LG 48) sowie der Vollzug ihrer Sakramente gründen im verkündeten und bezeugten 1 Benedikt XVI., Enzyklika „Deus caritas est“, Nr. 22, ebenso Nr. 25a. Auch Ders., Motu proprio „Intima ecclesiae natura“ vom 11.11.2012, in: AAS 104 (2012) 996–1004; dt.: ORdt 42 (2012), Nr. 49 vom 7.12.2012, 11 f.

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Wort. Die sakramentale Handlung erfährt hier ihre Wurzel, aus der heraus die wirkmächtige Zuwendung göttlicher Gnade möglich wird. Ohne das bezeugte Wort bestünde die Gefahr eines magischen Miss­verständnisses der sakramentalen Handlung. Das Sakrament geht aber zugleich über das Wort Gottes hinaus, indem es den Menschen mit Christus gleichgestaltet, in die Kirche eingliedert und in seinem regelmäßigen Vollzug dem Wachstum des göttlichen Lebens dient. Stärker als dem Wort Gottes kommt folglich dem Sakrament der Platz in der Kirche zu: „Im Vollzug der sichtbaren Zeichen verbürgt es denen, die auf das Wort hin zum Glauben gekommen sind, die gnädige Zuwendung Gottes“.2 Zugleich bestärkt es im Christen die Erkenntnis, den Erfordernissen eines Lebens im Glauben durch die Umsetzung des biblischen Doppelgebotes (Gottes- und Nächstenliebe) gerecht zu werden. Wort, Sakrament und Caritas (oder Diakonie) sind als Grundvollzüge der Kirche aufeinander bezogen.3 Das Wesen der Kirche als Trägerin und Vermittlerin des göttlichen Heils fordert die Verkündigung des Wortes, den Vollzug der Sakramente und die Werke der caritativen Diakonie. In diesem inneren und äußeren Zusammenhang der kirchlichen Bauelemente sieht das II. Vatikanische Konzil die allgemeine Berufung aller Getauften zur Heiligkeit grundgelegt. Sie kommt nicht einem einzelnen Stand in der Kirche zu, sondern bezeichnet die Grundberufung eines jeden Christen (LG 39–42), der im Glauben auf das Wort Gottes geantwortet hat und stets neu antwortet, aus den Sakramenten der Kirche lebt und das göttliche Heil in der Tat der Liebe zur Frucht kommen lässt. Heiligkeit kennzeichnet daher keine außerordentliche Tugendleistung des Christen, sondern die aus dem Glauben erwachsene Bereitschaft, den Erfordernissen seiner Berufung in der Welt mit der Bereitschaft zu begegnen, sie mit jener göttlichen Liebe anzunehmen und zu verwirklichen, die in Wort und Sakrament beständig genährt wird. In diesem grundlegenden Kontext von Wesen und Sendung der Kirche müssen jene Normen gesehen und verstanden werden, die der Gesetzgeber in Bezug auf den Dienst am Wort Gottes sowie auf das sakramentale und gottesdienstliche Handeln der Kirche in den Büchern III und IV des kirchlichen Gesetzbuches zusammengetragen hat.

Aymans–Mörsdorf, KanR III, 2. Vgl. dazu Alfred E. Hierold, Grundfragen karitativer Diakonie, in: HdbKathKR3, 1458–1462 (mit Lit.). Auch Ludger Müller, Die Kirche als Wurzelsakrament, in: Reinhild Ahlers u.a. (Hg.), Ecclesia a Sacramentis, 125–135.

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I. Verkündigungsdienst der Kirche Weiterführende Literatur: Libero Gerosa, Das Recht der Kirche, Paderborn 1995, bes. §§ 7–9; Münsterischer Kommentar zum CIC (im Folgenden: MKCIC) zu cc. 747–833 (Heinrich Mussinghoff, Hermann Kahler), Essen 1985 ff. Als Lektüre lehramtlicher Dokumente wird empfohlen: VatII LG 9–38, VatII DV, VatII AA, VatII AG, VatII GE, VatII DH; Paul VI., Adhortatio Apostolica „Evangelii Nuntiandi“ vom 8.12.1975, in: AAS 68 (1976) 5–76; dt.: NKD 57, 32–195; Johannes Paul II., Adhortatio Apostolica „Catechesi Tradendae” vom 16.10.1979, in: AAS 71 (1979) 1277–1340; dt.: VApSt 12; Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Verbum Domini“ vom 30.9.2010, in: AAS 102 (2010) 681–787; dt.: VApSt 187; ders., Enzyklika „Redemptoris missio“ vom 7.12.1990, in: AAS 83 (1990) 249–340; dt.: VApSt 100; Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii Gaudium“ vom 24.11.2013, in: AAS 105 (2013) 1019–1137; dt.: VApSt 194.

Der Verkündigungsdienst der Kirche und seine rechtliche Ordnung gründet im Auftrag Christi, zu allen Völkern (ad gentes) zu gehen, sie zu taufen und sie alles halten zu lehren, was er den Jüngern geboten hat (vgl. Mt 28, 19 f., dazu cc. 211 und 781 CIC). Mit dieser Sendung erhält die Gemeinschaft aller Gläubigen Anteil am prophetischen Amt Christi (vgl. VatII, LG 12), dem eine martyrologische, d.h. bekennende Charakteristik eignet. Der menschgewordene Sohn Gottes ist der Gesandte des Vaters und er bezeugt in Wort und Tat den göttlichen Heilswillen zur Erlösung der Menschen. In seiner Nachfolge wird die Kirche zur berufenen Zeugin des Evangeliums. Das kirchliche „munus docendi“, das seine konkrete Entfaltung durch die hierarchische Struktur der Kirche und die darin gründenden unterschiedlichen Verantwortlichkeiten der Gläubigen erfährt, ist in allen Bereichen auf das Bezeugen und Verkündigen des Evangeliums und des damit verbundenen Glaubensgutes der Kirche (depositum fidei) ausgerichtet. Es beinhaltet sowohl jene Tätigkeiten, die stärker den innerkirchlichen Bereich berühren (z.B. Predigt und Katechese), als auch jene Aufgaben, die einen ausgeprägten Bezug zur Welt besitzen (z.B. Mission, Religionsunterricht und kirchliche Hochschulen). Die Treue gegenüber der Offenbarung Gottes sowie die Fähigkeit der Kirche, diese in die konkreten Lebensbedingungen der Menschen hinein zu verkündigen, stellt jenen „Spannungsbogen“4 dar, der die rechtliche Ordnung des Verkündigungsdienstes umgreift. Die Normen dienen sowohl der Förderung als auch dem Schutz des Glaubensgutes. Daher betreffen sie einerseits konkrete Personen als Träger des Verkündigungsdienstes, andererseits aber auch Form und Inhalt der Verkündigung sowie die jeweils mit ihnen verbundenen möglichen Aymans – Mörsdorf, KanR III, 4.

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Rechtsfolgen. Auf diese Weise will das kodikarische Verkündigungsrecht „der Seelsorge und der Mission der Kirche heute dienen“ und ist von daher „ein geeignetes Instrument im Dienst der Sendung Christi“.5 Als solches ist es im Sinne der Rechtsentwicklung regelmäßig auf eine notwendige Reform hin zu überprüfen.

§ 12 Verkündigungsrechtliche Grundfragen A.  Glaubensverkündigung und Religionsfreiheit Gerhard Luf, § 66 Glaubensfreiheit und Glaubensbekenntnis, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Ludger Müller, Zum Glauben verpflichtet? Anmerkungen zu c. 748 § 1 CIC, in: Communio in Ecclesiae. FS Aymans (65), 389–404; Christoph Ohly, Sensus fidei fidelium. Zur Einordnung des Glaubenssinnes aller Gläubigen in die Communio-Struktur der Kirche im geschichtlichen Spiegel dogmatisch-kanonistischer Erkenntnisse und der Aussagen des II. Vaticanum, St. Ottilien 2000; ders., Recht und Pflicht der Kirche. Der Verkündigungsdienst gemäß c. 747 § 1 CIC im Licht von „Dei Verbum“ und „Verbum Domini“, in: Michaela C. Hastetter – Ioan Moga – Christoph Ohly (Hg.), Symphonie des Wortes. Beiträge zur Offenbarungskonstitution „Dei Verbum“ im katholisch-orthodoxen Dialog. Festgabe des Neuen Schülerkreises zum 85. Geburtstag von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI., St. Ottilien 2012, 185–204. Als Lektüre wird empfohlen: Internationale Theologische Kommission, Sensus Fidei und Sensus Fidelium im Leben der Kirche vom 4.3.2014 (= VApSt 199).

Die ersten beiden Canones des dritten Buches bilden zusammen eine Art „Portal“, durch das man in den Normenbereich des Verkündigungsrechts eintritt. In Übereinstimmung mit den Aussagen des II. Vatikanischen Konzils proklamieren sie die Kirche als aktive Verwalterin des Glaubensgutes und bestätigen in der gewünschten Deutlichkeit das Grundrecht auf religiöse Freiheit. 1. Glaube Der Begriff „Glaube“ wird nach kirchlicher Auffassung als Antwort des Menschen auf die göttliche Offenbarung umschrieben, die in Jesus Christus in endgültiger Weise geschehen ist und gemäß seinem Auftrag weitergegeben (tradiert) werden muss (vgl. DV 5). „Glaube“ umschließt dabei sowohl den individuellen wie gemeinschaftlichen Glaubensakt (fides qua creditur) als auch die Glaubensinhalte (fides quae creditur), für deren Integrität die Kirche durch die authentische Verkündigung des kirchlichen Lehramtes (Papst und Bischöfe) bürgt. Gemäß der Heinrich Mussinghoff, in: MKCIC, Einleitung vor 747/4 (Stand: Mai 1986), Rdnr. 14.

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Aussage in DV 7, 1 gibt es zwei wesentliche Elemente, die das Glaubensgut (depositum fidei) prägen: die Bewahrung der göttlichen Offenbarung und ihre Weitergabe. Es heißt dort: Was Gott zum Heil aller Völker geoffenbart hatte, das sollte – so hat er in Güte verfügt  – für alle Zeiten unversehrt erhalten bleiben und allen Geschlechtern weitergegeben werden. Darum hat Christus der Herr, in dem die ganze Offenbarung des höchsten Gottes sich vollendet (vgl. 2 Kor 1, 20; 3, 16–4, 6), den Aposteln geboten, das Evangelium, das er als die Erfüllung der früher ergangenen prophetischen Verheißung selbst gebracht und persönlich öffentlich verkündet hat, allen zu predigen als die Quelle jeglicher Heilswahrheit und Sittenlehre und ihnen so göttliche Gaben mitzuteilen. Die Weitergabe des in Schrift und Tradition der Kirche anvertrauten Evangeliums Jesu Christi erfordert eine getreue Darlegung und Verkündigung (vgl. 1  Kor 11, 23). Das „Bewahren“ bedeutet demgegenüber jedoch kein starres Festhalten an einem monolithischen Block von Glaubenswahrheiten. Es beinhaltet Bewahrung und Schutz, aber zugleich Erforschung, Vertiefung und Weitergabe, denn:

Diese apostolische Überlieferung kennt in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt: es wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen, die sie in ihrem Herzen erwägen (vgl. Lk 2, 19.51), durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt, durch die Verkündigung derer, die mit der Nachfolge im Bischofsamt das sichere Charisma der Wahrheit empfangen haben; denn die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen. (DV 8, 2)

Folglich sind die vier in c. 747 § 1 CIC verwendeten Verben zusammen zu lesen, um das Gesamt des Glaubensgutes und die ihm innewohnende Verantwortung der Kirche erfassen zu können. Die göttliche Wahrheit, die im Evangelium in der Person Christi verkündigt und im Glaubensgut der Kirche anvertraut ist, wird von ihr heilig bewahrt (sancte custodit), tiefer erforscht (intimius perscrutaretur), sowie treu verkündigt und ausgelegt (fideliter annuntiaret atque exponeret). 2. Recht und Pflicht der Glaubensverkündigung Christus hat seiner Kirche das Glaubensgut anvertraut. In dieser Handlung gründet daher einerseits das der Kirche zukommende und von ihrem Wesen her an-

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geborene Recht (ius nativum), „auch unter Einsatz der ihr eigenen sozialen Kommunikationsmittel, unabhängig von jeder menschlichen Gewalt“ das Evangelium zu verkündigen (c. 747 § 1 CIC i. V. m. Apg 4, 20). Dieses Recht kann der Kirche von niemandem genommen werden, weder von einzelnen Personen noch von politischen oder staatlichen Instanzen. Das Recht bleibt daher auch dort bestehen, wo sich die Kirche oder einzelne Gläubige in einer Zeit der Verfolgung befinden. Nicht selten kommt aber gerade diesem Zeugnis der Märtyrer eine besondere geistliche Fruchtbarkeit zu (sanguis martyrum est semen christianorum).6 Andererseits liegt im Anvertrauen des Glaubensgutes zugleich die Pflicht der Kirche zur Verkündigung begründet, von der sie sich aufgrund des göttlichen Auftrags nicht dispensieren kann. Dem angeschlossen findet sich in c.  747 §  2 CIC  – anders als in can.  1322 CIC/1917  – eine gesonderte Aussage über die sittlichen Grundsätze (principia moralia), die in einer engen Verbindung mit dem Glauben stehen. Es ist ein der Kirche zukommendes Recht, diese Grundsätze aufzustellen und sie insbesondere in der Darlegung der kirchlichen Soziallehre oder in der Beurteilung menschlicher Angelegenheiten zu verkündigen, „insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern“ (vgl. GS 76, 5). Die Kirche erkennt demzufolge an dieser Stelle eine objektiv gegebene Grenze der umfassenden Lehrkompetenz in diesem Bereich der Verkündigung an. Hinsichtlich der „menschlichen Dinge jedweder Art“ muss der Bezug zu den Menschenrechten oder zum Heil der Seelen gegeben sein. Mit Blick auf die Formulierung des c. 747 § 1 CIC werden zwei Desiderate offenkundig, die den gesamten Canon als theologischen Leitcanon zum Verkündigungsrecht betreffen. Zum einen ist zu betonen, dass mit der „Kirche“ nicht allein das kirchliche Lehramt gemeint ist, auch wenn die nachfolgenden Canones sich vornehmlich mit den lehramtlichen Ausübungsweisen der Verkündigung befassen.7 Alle Glieder der Kirche haben aufgrund von Taufe und Firmung Anteil am prophetischen Amt Christi und sind berufen, aktive Mitträger des Glaubensgutes zu sein (vgl. DV 8, 3). Insbesondere die Aufnahme der Lehre vom „Glaubenssinn aller Gläubigen“, wie sie LG 12 ausführt, hätte folglich der kodikarischen Aussage gut angestanden. Denn kirchliches Lehramt und Glaubenssinn der Gläubigen korrespondieren unter Beachtung ihres eigenen Wesens miteinander und stellen so im Bereich des munus docendi einen vernehmbaren Ausdruck der konstitutiven Communio-Struktur der Kirche8 dar:

Vgl. Tertullian, Apologeticum 50, 14. Hier ist zudem an die Kompetenz der Kongregation für die Glaubenslehre zu denken, die gemäß Art. 48–51 PB „die Lehre über Glaube und Sitten … zu fördern und zu schützen“ bestellt ist. 8 Vgl. dazu Aymans–Mörsdorf, KanR I, 208–212. Vgl. dazu Abb. § 12 B 1. 6 7

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Das heilige Gottesvolk nimmt auch teil an dem prophetischen Amt Christi, in der Verbreitung seines lebendigen Zeugnisses vor allem durch ein Leben in Glauben und Liebe, in der Darbringung des Lobesopfers an Gott als Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen (vgl. Hebr  13,  15). Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Jo 2, 20 u. 27), kann im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie „von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien“ ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert. Durch jenen Glaubenssinn nämlich, der vom Geist der Wahrheit geweckt und genährt wird, hält das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramtes, in dessen treuer Gefolgschaft es nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wirklich das Wort Gottes empfängt (vgl. 1  Thess 2,  13), den einmal den Heiligen übergebenen Glauben (vgl. Jud 3) unverlierbar fest. Durch ihn dringt es mit rechtem Urteil immer tiefer in den Glauben ein und wendet ihn im Leben voller an. (LG 12, 1)

Die Teilhabe am prophetischen Amt Jesu Christi bedeutet demnach Handeln als Zeuge des Glaubens. Zugleich wird diese Tat des Einzelnen ekklesial eingebunden in das Leben der Kirche. Dabei kommt der Gemeinschaft aller Gläubigen als Ganzer (Kleriker und Laien) die Unfehlbarkeit im Glauben (infallibilitas in credendo) zu, die diese im übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes kundtut, wenn sie „von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien“ ihre allgemeine Übereinstimmung in Glaubens- und Sittenfragen äußert. Von dieser allgemeinen Berufung muss das kirchliche Lehramt unterschieden werden. Formal beruht dessen Ausübung auf einem besonderen Auftrag. Die Träger des Lehramtes handeln in apostolischer Vollmacht, die in der Bischofsweihe übertragen wird (vgl. LG 18 ff.). Sie stehen damit jedoch nicht über dem Glaubensurteil, sondern unterliegen ihm sozusagen „als erste Gläubige der Kirche“.9 Dies stellt eine bewusste Ergänzung und Vollendung des ekklesiologischen Ansatzes des I. Vatikanischen Konzils dar. Zum anderen vermag c. 747 § 1 CIC nicht deutlich zu machen, dass das Wort Gottes ein Aufbauelement der Kirche ist, nach dessen rechtlichen Strukturen sich das Kirchenrecht legitimiert. In den cc. 834 und 840 CIC ist dies für das Sakramentenrecht besser gelungen.10 9 10

Aymans – Mörsdorf, KanR I, 212. So in c. 840 CIC: „Die Sakramente des Neuen Bundes sind von Christus dem Herrn eingesetzt und der Kirche anvertraut; als Handlungen Christi und der Kirche sind sie Zeichen und Mittel, durch die der Glaube ausgedrückt und bestärkt, Gott Verehrung erwiesen und die Heiligung der Menschen bewirkt wird; so tragen sie in sehr hohem Maße dazu bei, daß die kirchliche Gemeinschaft herbeigeführt, gestärkt und dargestellt wird; deshalb haben sowohl die geistlichen Amtsträger als auch die übrigen Gläubigen bei ihrer Feier mit höchster Ehrfurcht und der gebotenen Sorgfalt vorzugehen“. Hervorhebungen von C. O.

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Infolgedessen könnte zukünftig ein inhaltlich korrigierter und erweiterter Canon lauten:11

§ 1 – Christus der Herr hat der ganzen Kirche das geschriebene oder auf andere Weise bezeugte Wort Gottes als Glaubensgut anvertraut, damit sie unter dem Beistand des Heiligen Geistes die geoffenbarte Wahrheit voll Ehrfurcht hört, heilig bewahrt, tiefer erforscht und treu verkündigt und auslegt; auf diese Weise trägt das in rechter Weise verwaltete Glaubensgut in sehr hohem Maße dazu bei, dass die kirchliche Gemeinschaft mit Lebenskraft gestärkt, sichtbar aufgezeigt und erfahrbar wird; daher ist es die Pflicht der Kirche und ihr angeborenes Recht, unter Einsatz aller dem Evangelium entsprechenden Mittel und unabhängig von jeder menschlichen Gewalt allen Völkern die Heilsbotschaft zu verkündigen. § 2 – Kraft Taufe und Firmung besitzt die Gesamtheit der Gläubigen Unfehlbarkeit im Glauben. Diese besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert. Durch jenen Glaubenssinn der Gläubigen hält das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramtes, in dessen treuer Gefolgschaft es nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wirklich das Wort Gottes empfängt, das einmal anvertraute Glaubensgut unverlierbar fest. Durch dieses dringt es mit rechtem Urteil immer tiefer in den Glauben ein und wendet ihn im Leben voller an. § 3 (wie c. 747 § 2 CIC) – Der Kirche kommt es zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze auch über die soziale Ordnung zu verkündigen wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern.

3. Religiöse Freiheit In seinen beiden Paragraphen greift c. 748 CIC zwei fundamentale Grundgedanken des II. Vatikanischen Konzils auf. In Übereinstimmung mit der Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis Humanae“ entspricht es grundlegend der menschlichen Würde, sich mit den Fragen, die Gott und die Kirche betreffen, zu befassen und darin die Wahrheit zu suchen sowie diese zu erkennen, anzunehmen und zu bewahren (vgl. DH 1, 2). Die Norm des c. 748 § 1 CIC spricht unter Verwendung der konziliaren Aussage von einem Recht und einer Pflicht, die dem Menschen „kraft göttlichen Gesetzes“ zukommen und insofern in die Nähe einer rechtlichen Verpflichtung und 11

Siehe Christoph Ohly, Recht und Pflicht der Kirche, 203 f.

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Berechtigung gerückt zu sein scheinen. Doch ist „angesichts der Unverfügbarkeit der personalen Glaubensentscheidung“12 wohl eher von einer moralischen Verpflichtung zu sprechen, wenn bereits die konziliare Erklärung selbst die charakteristische Wirkkraft der Wahrheit bestimmt:

In gleicher Weise bekennt sich das Konzil dazu, dass diese Pflichten die Menschen in ihrem Gewissen berühren und binden, und anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt. (DH 1, 3; vgl. dazu auch DH 2, 2.)

Als untrennbares Spiegelbild zu dieser Norm betont c. 748 § 2 CIC, dass niemand jemals das Recht hat, „Menschen zur Annahme des katholischen Glaubens gegen ihr Gewissen durch Zwang zu bewegen“. Der dem Menschen innewohnenden Verpflichtung, die Wahrheit zu suchen, vermag dieser nur in Freiheit nachzukommen. Physische Gewalt oder psychischer Druck, die zur Annahme (oder zur Verleugnung) des Glaubens führen würden, verbieten sich aus der dem Menschen von Gott geschenkten und daher unverfügbaren Freiheit des Glaubensaktes, der in seiner Würde begründet liegt:

Denn obgleich die Offenbarung das Recht auf Freiheit von äußerem Zwang in religiösen Dingen nicht ausdrücklich lehrt, lässt sie doch die Würde der menschlichen Person in ihrem ganzen Umfang ans Licht treten; sie zeigt, wie Christus die Freiheit des Menschen in Erfüllung der Pflicht, dem Wort Gottes zu glauben, beachtet hat, und belehrt uns über den Geist, den die Jünger eines solchen Meisters anerkennen und dem sie in allem Folge leisten sollen. (DH 9)

Der rechtssystematische Ort dieser Norm zu Beginn des Verkündigungsrechts unterstreicht gegenüber ihrer Vorgängerin im Missionsrecht (can. 1351 CIC/1917) die wegweisende Bedeutung der Rechtsaussage. Neben der Würdigung des Umstandes, dass das kirchliche Gesetzbuch das Grundrecht der Religionsfreiheit an dieser Stelle aufgenommen und sich ausdrücklich als kodikarische Norm zu eigen gemacht hat, erfährt die Formulierung jedoch auch immer wieder Kritik. Sie macht sich an der Tatsache fest, dass die Aussage neben der Freiheit zur Annahme des Glaubens eine entsprechende Ergänzung hinsichtlich der Bewährung im Glauben vermissen lasse. Vielmehr müs12

Gerhard Luf, Glaubensfreiheit und Glaubensbekenntnis, 969.

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se auch nach der Annahme des Glaubens „innerkirchlich der notwendige Raum bleiben für das freie Festhalten am Glauben und für die Gestaltung des Lebens aus dem Glauben in frei verantworteter Entscheidung“.13 Gilt folglich die Religionsfreiheit nicht für die Gläubigen in der Kirche? Mit dem II. Vatikanischen Konzil ist ohne Zweifel zu betonen,

dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln. (DH 2, 1)14

Diese Freiheit des Glaubensaktes ist daher nicht nur mit Blick auf Staat und Gesellschaft,15 sondern auch innerhalb der Kirche einer menschlichen Verfügung entzogen. Zugleich ist aber mit Blick auf den Gläubigen, der aufgrund seines Glaubens durch das Tor der Taufe in die Gemeinschaft mit Christus und seiner Kirche eingetreten ist (vgl. c. 849 CIC), festzuhalten, dass dieser unter einer stärkeren Verpflichtung des Glaubens steht. Der kirchliche Glaube fordert ihn stärker heraus als den ungetauften Menschen.16 Folglich „darf es der Kirche als einer Glaubensgemeinschaft nicht gleichgültig sein, ob und was ihre Glieder glauben“. 17 Vielmehr muss sie, wenn die Gefahren der Häresie, der Apostasie oder des Schismas nach c. 751 CIC drohen oder vorliegen, zum Schutz des Glaubens und der Gläubigen eingreifen und das entsprechende Verhalten beurteilen. Doch bringt dieses Vorgehen kein Urteil über den persönlichen Akt des Glaubens mit sich, der als solcher frei bleibt, sondern begreift dessen Auswirkungen auf die kirchliche Gemeinschaft. Folglich ist die innerkirchliche Freiheit in der Aussage des c. 748 § 2 CIC inklusiv mitgegeben. Dem widerspricht auch nicht die Forderung des c. 752 CIC, die im Anschluss an LG 25 normiert, dass einer Lehre, die der Papst oder das Bi13

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So Heribert Schmitz, Tendenzen nachkonziliarer Gesetzgebung, in: AfkKR 146 (1977) 381–419, hier 416. Siehe dazu auch DH 3, 1; 6, 4; 10, 1. Vgl. DH 6. Siehe Heinrich de Wall – Stefan Muckel, Kirchenrecht, bes. 64–74. Winfried Aymans spricht in diesem Zusammenhang von einer geistlichen oder heiligen Freiheit (libertas sacra), die die innerkirchliche Stellung des Gläubigen als Träger von Menschenrechten und innerkirchlichen Freiheitsrechten kennzeichnet (Aymans – Mörsdorf, KanR II, 81–90, hier 84 f.). Peter Krämer, Kirchenrecht I, Stuttgart 1992, 38.

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schofskollegium in Glaubens- oder Sittenfragen verkündigen, religiöser Verstandes- und Willensgehorsam entgegenzubringen und daher alles zu meiden sei, was dieser Lehre nicht entspricht. Die innere Überzeugungskraft der kirchlichen Lehre als Ausdruck göttlicher Wahrheit sowie die Tatsache, dass Papst und Bischöfe diese mit der Autorität als Nachfolger der Apostel vorlegen, verpflichten den Gläubigen zu dem geschuldeten Gehorsam, ohne jedoch seine Freiheit zu untergraben. Die Spannung von Freiheit und Gehorsamsverpflichtung ist Ausdruck eines lebenslangen Bemühens um Annahme und Umsetzung des Glaubens, der als Glaube der Kirche nicht je neu erfunden wird, sondern dem einzelnen Gläubigen vorgegeben ist. Daraus lassen sich zwei Konsequenzen für die kirchliche Verkündigung ableiten: 1. die Kirche hat nicht das Recht, sich aller nur denkbaren Mittel in der Verkündigung zu bedienen und 2. in der Kirche gibt es eine legitime Vielfalt von Glaubensformen sowie Prioritäten im Glaubensvollzug, die den Fortschritt der Kirche im Glauben befördern.18 Der katholische Glaube ist folglich von einer Spannbreite geprägt, die sowohl sterile Uniformität als auch zerstreuende Beliebigkeit vermeidet.

B.  Lehramt der Kirche Aymans – Mörsdorf, KanR I, § 108; Winfried Aymans, § 62 Begriff, Aufgabe und Träger des Lehramts, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Christoph Ohly, Der Glaubenssinn der Gläubigen. Ekklesiologische Anmerkungen zum Verständnis eines oft mißverstandenen Phänomens im Beziehungsverhältnis von Dogmatik und Kanonistik, in: AfkKR 168 (1999) 51–82; Ilona Riedel-Spangenberger, Verkündigungsdienst und Lehrautorität der Kirche, in: Iuri Canonico Promovendo. FS Schmitz (65), 153–174.

1. Zueinander von Lehramt und Gemeinschaft der Gläubigen Das II. Vatikanische Konzil betont, dass allen Gläubigen aufgrund von Taufe und Firmung ein unverzichtbarer Anteil an der Verkündigungs- und Lehraufgabe der Kirche zukommt (vgl. bes. LG 12; 33, 2; 35, 1). Die Kirche als Ganze ist daher Trägerin von Glaube und Verkündigung, von Bekenntnis und Lehre. Der konkre Vgl. dazu DV 5; 8, 3 zum Fortschritt im Glauben sowie UR 11, 3 zur „Hierarchie der Wahrheiten“, die innerhalb der katholischen Lehre „je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens“ existiert.

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te Vollzug dieser gemeinsamen Verantwortung ereignet sich jedoch in der Kirche als hierarchisch strukturierter Glaubensgemeinschaft in einer qualifizierten Weise des Zueinanders von Gläubigen und Trägern des kirchlichen Lehramts (Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Papst). Dabei ist die Vollmacht des Lehramts nicht in einem aus sich heraus handelnden Ordnungsreflex der Kirche begründet. Vielmehr findet es seinen eigenen (und damit göttlichen) Ursprung in der bevollmächtigten Sendung der Apostel durch Jesus Christus (vgl. LG 19), die diese durch Handauflegung und Gebet – d.h. durch die Geschichte der Kirche hindurch im Sakrament der Weihe – auf ihre Nachfolger (die Bischöfe) übertragen haben. Folglich ist von der allgemeinen Lehraufgabe der Kirche, an der alle Gläubigen Anteil haben und die in verschiedenen Ständen und Aufgaben ausgeübt wird (z.B. in Ehe und Familie,19 in der pfarrlichen Katechese,20 im Zeugnis eines heiligen Lebens21 usw.), die amtliche Lehrverkündigung zu unterscheiden.22 Diese wird seitens der Bischöfe als Teilhabe an der Vollmacht Christi und damit in seiner personalen Autorität als „Haupt der Kirche“ (caput Ecclesiae) ausgeübt. Die Bischöfe sind – in untrennbarer Gemeinschaft mit dem Papst als dem Haupt des Bischofskollegiums – die mit der Autorität Christi ausgestatteten Lehrer des Glaubens (vgl. LG 25), den sie als Glauben der Kirche verbindlich bezeugen. Das Zueinander von Lehramt und Gemeinschaft der Gläubigen, das ein Kennzeichen der kirchlichen Communio-Struktur im Bereich des munus docendi darstellt (siehe Abb. S. 78), zeigt sich in einer doppelten Weise. Zum einen ist die amtliche Lehrverkündigung auf die Rezeption der Glaubenslehre in der Kirche angelegt. Jede verkündete Lehre zielt darauf ab, in der Kirche aufgenommen zu werden, auch wenn es in Inhalt und Form der Lehre Unterschiede gibt. So kann eine nicht definitive Lehre einem Verfalls- oder Korrekturprozess unterliegen, wenn sie nicht angenommen wird. Das trifft zwar auf eine definitive und endgültig vorgelegte Glaubensentscheidung nicht zu. Doch auch sie muss als unaufgebbarer Teil des Glaubensgutes stets neu auf ihre Verlebendigung als Glaubenswirklichkeit der Kirche ausgelegt sein. Umgekehrt kann aus dem Glaubenssinn der Gläubigen die Initiative zu einem authentischen Glaubenszeugnis erwachsen (beispielsweise im Bereich der Volksfrömmigkeit, der Theologie oder des liturgischen Lebens), das durch das kirchliche Lehramt autorisiert wird. Die Träger des kirchlichen Lehramts stehen dabei weder über der Kirche noch sind sie Delegierte, die im Auftrag der Kirche handeln. Ihnen kommt vielmehr eine im Handeln Jesu Christi eigenbegründete Autorität in der Kirche zu, die sie befähigt, im Namen der und für die Kirche ein Glaubensurteil zu fällen und zu verkünden. Darin wird deutlich, dass das Glaubensleben 21 22 19 20

Vgl. dazu LG 35, 2–3, ebenso cc. 226 und 774 § 2 CIC, dazu cc. 407, 618, 627 § 1 CCEO. Siehe bes. cc. 529 § 2, 776, 777 CIC, dazu c. 624 § 3 CCEO. Vgl. dazu cc. 210 und 211 CIC, dazu cc. 13 und 14 CCEO. Siehe dazu Winfried Aymans, Begriff, Aufgabe und Träger des Lehramts, 911 f.

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und die kirchliche Verkündigung vom Lehramt und von der Gemeinschaft der Abbildung: Gläubigen aktiv und doch je gemäß dem Die communio-Struktur der Kirce in deigenen en drei BWesen ereicegetragen n ihrer Sewerden. ndung Im Leben der Kirche wirken beide Seiten oft ineinander, „denn einerseits hat es der Glaubenssinn der Gläubigen immer auch mit Elementen der amtlichen VerkünWeiterführende Literatur: WINFRIED AYMANS Die Communio Ecclesiarum als dort Gestaltdigung zu tun …; andererseits wird das ,hoheitliche Lehramt meistens tätig, gesetz der einen Kirce, in: AfKR 1139 (11970) 69–90; DERS., Der strukturelle Aubau wo bereits bestimmte theologische Ansichten oder religiöse Haltungen gleichsam des Gotesvolkes, in: AfKR 114e (11979) 211–47. von unten her gewachsen sind“.23

MUNUS DOCENDI

MUNUS SANCTIFICANDI

Vorgabe → Rezeption (Verkündigung → Glaube)

Potestas sacra ̴ Participatio actuosa

Initiative → Autorisierung (Sensus idei idelium → Verkündigung)

qualiizierte Rollenverteilung zwaiscen Gläubigen und Klerikern in sakramentalen und anderen gotesdienstlichen Feiern der Kirce

KIRCHE als allumfassendes Heilssakrament (LG 4e) Communio Gleicheit der Gläubigen (c. 20e) communio idelium Untersceidung: Laien und Kleriker (c. 207) communio hierarcica Ekklesiale Wirklickeit (c. 36e) communio Ecclesiarum

MUNUS REGENDI Vorgabe → Rezeption (Gesetz → Annahme) Initiative → Autorisierung (Gewaohnheitsrect → Gesetz) [synodales und konsiliares Elemente

So ebd., 921.

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2. Träger und Ausübungsformen des hoheitlichen Lehramts Rechtsquellen: Johannes Paul  II., Motu proprio „Ad tuendam fidem“ vom 18.5.1998, in: AAS 90 (1998) 457–461; dt.: AfkKR 167 (1998) 154–157; Kongregation für die Glaubenslehre, Formeln und lehrmäßiger Kommentar für Glaubensbekenntnis und Treueid, in: AAS 90 (1998) 542–551; dt.: AfkKR 167 (1998) 178–188. Bezüglich der Ausübung des hoheitlichen Lehramtes, mit dem die Bischöfe in Einheit mit dem Papst den Glauben der Kirche verbindlich bezeugen (vgl. LG 25, 1), müssen im Gefüge der kirchlichen Verfassung zwei Ebenen unterschieden werden. a) Universalkirchliche Ebene Mit Blick auf die Gesamtkirche üben der Papst als Haupt des Bischofskollegiums oder das Bischofskollegium mit dem Papst als dessen Haupt (vgl. LG 25, 2 und 3) das hoheitliche Lehramt aus. 1. Das gilt zunächst generell für die authentische Verkündigung des Evangeliums und der damit verbundenen kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre, mit der in der Regel aber keine definitive Entscheidung verbunden ist. Wo Papst und Bischöfe als einzelne oder in kollegialer Verbundenheit dieses Lehramt ausüben, können sie als Lehrer des Glaubens den „religiösen Verstandes- und Willensgehorsam“ seitens der Gläubigen einfordern (vgl. c.  752 CIC; c.  599 CCEO). Der Gehorsam besteht vornehmlich darin, die verkündete Lehre bereitwillig verstehen zu lernen und solche Lehrauffassungen zu meiden, die ihr entgegenstehen. Die Gläubigen – Laien und Kleriker – sind deshalb verpflichtet, kirchliche Lehrschreiben des Papstes oder des Bischofskollegiums, die Glaubenslehren vorlegen oder irrige Auffassungen verurteilen, anzunehmen (vgl. c. 754 CIC; dazu c. 10 CCEO). Übernimmt infolgedessen ein Gläubiger ein spezifisches Amt in der Kirche, muss dieser nach c. 833 CIC gemäß der vom Apostolischen Stuhl gebilligten Formel dem Glaubensbekenntnis folgenden Satz hinzufügen: „Außerdem hange ich mit religiösem Gehorsam des Willens und des Verstandes den Lehren an, die der Papst oder das Bischofskollegium vorlegen, wenn sie ihr authentisches Lehramt ausüben, auch wenn sie nicht beabsichtigen, diese in einem endgültigen Akt zu verkünden“.24 2. In spezifischer Weise vermögen Papst und Bischofskollegium als mit der Autorität Christi ausgestattete Lehrer des Glaubens das verbindlich zu verkündigen, was definitiv zum Glaubensbestand der Kirche gehört. Sie sind auch mit dem Anspruch auf Unfehlbarkeit (infallibilitas in docendo) ausgestattet. Gemäß

Kongregation für die Glaubenslehre, Formeln und Kommentar, 180.

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c.  750 CIC (c.  598 CCEO)25 ist zunächst inhaltlich zu unterscheiden, ob die Lehrinhalte als formell im geschriebenen oder im (sonstwie) überlieferten Wort Gottes enthalten und zugleich als von Gott geoffenbarte Wahrheiten zu glauben (§ 1) oder als zumindest mittelbar aus der Offenbarung folgend endgültig zu bewahren sind (§ 2). Diese Unterscheidung ist auch deshalb von Bedeutung, da ein Fehlverhalten gegen oder gar die Leugnung verschiedener Inhalte zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen (vgl. c. 751 CIC). Daraus ergibt sich mit Blick auf den Inhalt folgende Übersicht:

Unfehlbare Verkündigung einer als von Gott geoffenbarten Lehre (§ 1) Zustimmung: „fide divina et catholica […] credenda sunt” (de fide credenda) Beispiele (laut Kommentar der Glaubenskongregation): Artikel des Glaubensbekenntnisses; christologische und mariologische Dogmen; Einsetzung der Sakramente durch Jesus Christus sowie ihre Gnadenwirksamkeit; reale Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie und ihr Opfercharakter; Gründung der Kirche durch Jesus Christus; Lehre über die Existenz der Erbsünde; die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele; die Lehre über den Primat und die Unfehlbarkeit des Papstes; … Sanktion: Exkommunikation (c. 1364 § 1), ggf. weitere Strafen (c. 1364 § 2) Zusatz zum Glaubensbekenntnis (c. 833): „Fest glaube ich auch alles, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird, sei es durch feierliches Urteil, sei es durch das ordentliche und allgemeine Lehramt“.

Endgültige Verkündigung einer Lehre, die mittelbar (einschlussweise) aus der Offenbarung folgt (§ 2) Zustimmung: „firmiter amplectenda ac retinenda sunt” (de fide tenenda) Beispiele (laut Kommentar der Glaubenskongregation): Entwicklung des Verständnisses der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit vor der dogmati Die Normen der beiden Gesetzbücher wurden durch das Motu proprio „Ad tuendam fidem“ von Johannes Paul II. in die aktuell geltende Fassung gesetzt, um eine bestehende Gesetzeslücke zu schließen, die mit der Neufassung der Professio fidei (c. 833 CIC) durch die Glaubenskongregation offensichtlich geworden war. Siehe dazu § 15, B.

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schen Definition durch das Vaticanum I; Vorbehalt der Priesterweihe für Männer; Unerlaubtheit der Euthanasie, Prostitution, Unzucht; Rechtmäßigkeit der Papstwahl; Heiligsprechungen; Ungültigkeit der anglikanischen Weihen; … Sanktion: gerechte Strafe (c. 1371) Zusatz zum Glaubensbekenntnis (c. 833): „Mit Festigkeit erkenne ich auch an und halte an allem und jedem fest, was bezüglich der Lehre des Glaubens und der Sitten von der Kirche endgültig vorgelegt wird“.

Ebenso aber ist formal zu unterscheiden, auf welche Weise die definitive Lehre vorgelegt wird (cc. 749; 750 § 1 CIC; cc. 597; 598 § 1 CCEO). Die Aufgabe des definitiven Glaubenszeugnisses üben Papst und Bischofskollegium sowohl in ihrem ordentlichen als auch in dem außerordentlichen (oder auch feierlichen) Lehramt aus. Dafür ist Folgendes festzuhalten:

Ordentliches und allgemeines Lehramt (c. 750 § 1) Vorgehensweise: nicht durch einen formalen Definitionsakt, sondern durch die beständige übereinstimmende Bezeugung des Glaubens in Lehre oder Verhalten der Gemeinschaft der Bischöfe mit dem Papst (Festhalten der Gläubigen an der Lehre unter Leitung des Lehramtes) Vornehmlicher Bezug: alle Glaubenswahrheiten, die nicht formal definiert worden sind Außerordentliches (feierliches) Lehramt (cc. 749 und 750 § 1) Vorgehensweise: durch einen formalen Definitionsakt Formen: Ex-cathedra-Entscheidung des Papstes (zuletzt 1950 mit der Dogmatisierung der Lehre von der Aufnahme Mariens mit Leib und Seele in den Himmel) – Ökumenisches Konzil oder Brief-/Fernkonzil des Bischofskollegiums mit dem Papst (zuletzt 1962–65 im II. Vatikanischen Konzil) Notwendigkeit: Unfehlbare Glaubensentscheidungen liegen nur da vor, wo dies durch den formalen Akt offenkundig feststeht

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b) Partikularkirchliche Ebene Die einzelnen Bischöfe (insbesondere die Diözesanbischöfe) sowie die in kollegialen Organen wie Bischofskonferenzen, Synoden und Partikularkonzilien versammelten Bischöfe üben ihr Lehramt als authentische Lehrer des Glaubens gegenüber den ihnen anvertrauten Gläubigen in den Teilkirchen bzw. Teilkirchenverbänden aus (vgl. c. 753 CIC; c. 600 CCEO).26 Solchen Glaubensäußerungen des authentischen Lehramts der Bischöfe ist seitens der Gläubigen mit „religiösem Gehorsam“ (religiosum animi obsequium) zu folgen. Im Gegensatz zum universalkirchlich eingeforderten religiösen Verstandes- und Willensgehorsam (c. 752 CIC; c. 599 CCEO) ist der religiöse Gehorsam bei Nichtbefolgung mit keiner fest umschriebenen Sanktion belegt. Unter Beachtung, dass die Gläubigen die Äußerungen der Bischöfe wohlwollend aufnehmen und als Maßstab des persönlichen und kirchlichen Glaubensvollzuges beachten sollen, wäre ein andauernder hartnäckiger Ungehorsam lediglich mit der Norm des c. 1371 n. 2 CIC zu verfolgen (iusta poena). Die einzelnen Diözesanbischöfe sind neben der Verantwortung in der kollegialen Verkündigung des Glaubens zugleich die „Leiter des gesamten Dienstes am Wort Gottes in ihren Teilkirchen“ (c. 756 § 2 CIC; c. 600 CCEO). Neben der Verpflichtung, diesen Dienst persönlich und in häufiger Weise zu versehen, obliegt ihnen darin zugleich die äußere Ordnung des Verkündigungsdienstes in der Teilkirche. Diese vollzieht sich insbesondere durch die Anteilhabe von Priestern und Diakonen an der Lehrverkündigung aufgrund von Weihe und Sendung sowie von Laien aufgrund von Taufe und Sendung. 3. Teilhabe an der amtlichen Lehrverkündigung An der amtlichen Lehrverkündigung der Bischöfe mit dem Papst (vgl. c. 756 CIC) gewinnen Priester, Diakone und Laien aufgrund einer je eigenen Bevollmächtigung Anteil. Als unmittelbare Mitarbeiter stehen den Bischöfen neben den Diakonen insbesondere die Priester aufgrund ihrer Weihe zur Seite. Ihre „eigene Aufgabe“ ist es, das Evangelium zu verkündigen (vgl. c. 757 CIC).27 Dies geschieht vornehmlich in der liturgischen Verkündigung (Predigt), aber aufgrund bischöflicher Sendung auch in anderen Bereichen des kirchlichen Verkündigungsdienstes (z.B. als Professor der Theologie). Vgl. dazu Johannes Paul II., Motu proprio „Apostolos suos“, 158–177, mit der nach längerer Diskussion die Lehrautorität der Bischofskonferenz bestätigt wurde. Eine Lehrverkündigung der Bischofskonferenz erlangt demnach die Qualität einer Äußerung des authentischen Lehramtes, wenn sie einstimmig verabschiedet oder nach einer Zwei-Drittel-Mehrheit in der Vollversammlung vom Apostolischen Stuhl rekognosziert (überprüft) wurde (IV, Art. 1). 27 Vgl. dazu auch c. 528 § 1 CIC mit Blick auf den Pfarrer (c. 289 § 1 CCEO). Grundlage dafür sind die Aussagen in PO 4 und LG 28, 1, für die Diakone LG 29. 26

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Durch Wort und Beispiel legen sowohl die Mitglieder der Institute des geweihten Lebens kraft ihrer Weihe an Gott (c. 758 CIC) als auch alle Laien kraft Taufe und Firmung (c. 759 CIC) Zeugnis für das Evangelium ab.28 Darüber hinaus können sie durch kirchenamtliche Sendung zur Verkündigung des Evangeliums und zum Dienst am Wort Gottes nomine Ecclesiae beauftragt werden (z.B. in der liturgischen Verkündigung oder als Religionslehrer).

C.  Ökumenische Verpf lichtung Aymans–Mörsdorf, KanR II, § 50; Thomas A. Amann, § 65 Der ökumenische Auftrag, in: HdbKathKR3; ders., § 72 Ökumenische Gottesdienstgemeinschaft, in: HdbKathKR3. Rechtsquelle: Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus vom 25.3.1993, in: AAS 85 (1993) 1039–1119; dt.: VApSt 110. Weiterführende Literatur: Heribert Hallermann (Hg.), Ökumene und Kirchenrecht – Bausteine oder Stolpersteine?, Mainz 2000; Helmuth Pree, Par cum pari. Rechtliche Implikationen des ökumenischen Dialogs, in: AfkKR 174 (2005) 353–379; Wilhelm Rees (Hg.), Ökumene – Kirchenrechtliche Implikationen, Wien – Berlin 2014.

Um die Relevanz der ökumenischen Verpflichtung der Kirche hervorzuheben, wie sie das II. Vatikanische Konzil als Vermächtnis des Herrn (vgl. Joh 17) maßgebend formuliert hat,29 stellt c. 755 CIC am Ende der Einleitungs­canones zum Verkündigungsdienst die ökumenische Dimension des kirchlichen Lehramts heraus. Demzufolge obliegt es dem gesamten Bischofskollegium und besonders dem Apostolischen Stuhl, die ökumenische Bewegung in der Katholischen Kirche zu fördern und zu leiten (§ 1). Damit wird die Selbstverpflichtung der höchsten kirchlichen Autorität normiert, dem Ziel der Ökumene mit der angestrebten Wiederherstellung der Einheit unter den Christen („unitatis redintegratio inter universos christianos“) zu dienen. Förderung und Leitung bedeutet nach Mussinghoff/Kahler sowohl „Vertiefung und Anregung“ als auch „Koordination und Korrektur der ökumenischen Bewegung bei den Katholiken durch gemeinsame Gespräche, Gebete und soziales Handeln mit den anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften und vor allem Beobachtung und Vergleich der Gesprächsergebnisse zwischen den verschiedenen christlichen Denominationen auf Welt- und Ortsebene“.30 Zugleich werden aber ebenso die Bischöfe und Bischofskonferenzen in die Pflicht genommen (§ 2), auf der Grundlage der universal Vgl. dazu cc. 211; 228 § 1 CIC (cc. 14; 408 § 2 CCEO). Vgl. dazu UR 4; 5; 9; 11, 3 sowie Art. 135–138 PB zum Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen. 30 Heinrich Mussinghoff – Hermann Kahler, in: MKCIC, c. 755, Rdnr. 4 (Stand: Dezember 1998). 28 29

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kirchlichen Bestimmungen (vor allem des Direktoriums zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus) praktische Normen für die Partikularkirchen zu erlassen (z.B. die Errichtung einer diözesanen ÖkumeneKommission oder die Ordnung der kirchlichen Trauung für konfessionsverschiedene Paare). So sehr mit dem „Ökumenismus-Canon“ die „grundlegende Veränderung“31 erkennbar wird, die die Katholische Kirche in ihrem Verhältnis zu den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften eingenommen hat, ist es umgekehrt aber zu bedauern, dass das kirchliche Gesetzbuch zur ökumenischen Verantwortung aller Gläubigen nichts ausführt. Hier wäre eine entsprechende Norm im Katalog der allen Gläubigen gemeinsamen Pflichten und Rechten sinnvoll gewesen. Ein offensichtlich angedachter Canon wurde im Verlauf der Codex-Reform wieder verworfen.32 Gleichwohl ist hervorzuheben, dass der ökumenische Gedanke – neben dem ausführlichen Ökumenischen Direktorium – an nicht wenigen Stellen des Gesetzbuches selbst Aufnahme gefunden hat, so unter den Aufgaben der päpstlichen Gesandten (c. 364 n. 6 CIC), als Verpflichtung der Diözesanbischöfe (c. 383 § 3 CIC) und der Pfarrer (c. 528 § 1 i. V. m. c. 529 § 2 CIC), als Element in der Klerikerausbildung (c. 256 § 2 CIC), in den Bestimmungen zum Ökumenischen Konzil (c. 339 § 2 CIC), zur Diözesansynode (c. 463 § 3 CIC) sowie zu den Partikularkonzilien (c. 443 § 6 CIC), in den Normen zur konfessionsverschiedenen Ehe (c. 1128 CIC). Ein eigener Abschnitt, wie er im Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen vorzufinden ist (Titel XVIII: Ökumenismus oder Förderung der Einheit der Christen, cc. 902–908 CCEO), ist daraus jedoch nicht erwachsen.

§ 13 Dienst am Wort Gottes Aymans – Mörsdorf, KanR II, § 110; Winfried Aymans, § 19 Die Träger kirchlicher Dienste, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Anna Elisabeth Meiers, „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4, 20). Streiflichter zur Wiederentdeckung der missionarischen Dimension der Kirche, in: Heribert Hallermann u.a. (Hg.), Reform an Haupt und Gliedern. Impulse für eine Kirche „im Aufbruch“, Würzburg 2017, 149–180; Christoph Ohly, Der Dienst am Wort Gottes. Eine rechtssystematische Studie zur Gestalt von Predigt und Katechese im Kanonischen Recht, St. Ottilien 2008.

Aymans – Mörsdorf, KanR III, 23. So can. 20 im Schema „De Populo Dei“ (1977).

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Die Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum bringt die grundlegende Bedeutung des Wortes Gottes für das Leben des Christen und für die ganze Kirche zum Ausdruck, indem sie feststellt:

Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht. (DV 21)

Die Aussage steht nicht zufällig im Kontext der Liturgie, die als bevorzugter Ort des Verkündigens und des Hörens des göttlichen Wortes verstanden wird. Zugleich verweist sie auf die bedeutsame Verbindung zwischen der Verkündigung des Wortes Gottes und dem eucharistischen Opfermahl, die sowohl die tätige und zugleich unterschiedliche Teilnahme aller Gläubigen am liturgischen Geschehen als auch die Unersetzbarkeit des priesterlichen Dienstes für die Feier der Eucharistie beinhaltet. Zugleich reicht die Verkündigung und Bezeugung des Wortes Gottes weit über das liturgische Geschehen hinaus. Nicht nur am Ende der Eucharistiefeier steht das Sendungswort: „Ite, missa est!“ – „Geht, es ist Sendung!“ (= Ihr seid gesandt).33 Das Wort Gottes selbst erinnert die Kirche daran, dass ihr Wesen darin besteht, allen Menschen das Evangelium zu verkündigen (vgl. Mt 28, 19 f.). Sie ist konstitutiv missionarisch (vgl. AG 2) und weiß sich aus ihrem trinitarischen Ursprung her berufen, die Sendung des Sohnes durch den Vater im Heiligen Geist fortzusetzen. Diese „Grundpflicht des Gottesvolkes“ (AG 35) kann die Kirche nur da erfüllen, wo sie selbst aus dem Wort Gottes lebt, es in der Liturgie vernimmt und empfängt, über es nachsinnt und es zum Maßstab für das tägliche Handeln aus dem Geist des göttlichen Wortes macht. Als Erfordernis ist dies umso mehr dort zu erkennen, wo die große Herausforderung des aktuellen kirchlichen Kontextes erkennbar wird. Viele Menschen kennen den christlichen Glauben nicht und gleichzeitig befinden sich nicht wenige Christen insbesondere in den Ländern einer ersten Evangelisierung „faktisch im Katechumenats-Status“.34 Die Wege der Hinführung zum Glauben und seiner Wei33

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Die deutsche Übersetzung mit „Gehet hin in Frieden!“ nimmt diesen missionarischen Grundgedanken zu wenig auf. Selbstverständlich ist der Christ Bringer jenes Friedens, den die Kirche in Jesus Christus empfangen hat. Doch gerade als solchen gilt es, ihn zu verkündigen. Die Liturgie der Kirche setzt daher in Bewegung, drängt zur Verkündigung und ist vom missionarischen Bewusstsein der Kirche als Gesandte des Herrn bestimmt. Joseph Ratzinger, 40 Jahre Konstitution über die Heilige Liturgie. Rückblick und Vorblick, in: JRGS 11, Freiburg i. Br. 2008, 695–711, hier 707 (erstmals veröffentlicht in: LJ 53 [2003] 209–221).

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tergabe an den traditionellen Lernorten wie Familie, Pfarrei und Schulunterricht sind schwächer geworden. Die objektive Diagnose der Situation erfordert daher das, was das päpstliche Lehramt in Folge des II. Vatikanischen Konzils vielfach mit den Begriffen „Evangelisierung“ und „Neuevangelisierung“ ausdrückt.35 Die Kirche wird damit an ihren Grundauftrag, mehr noch, an ihr Wesen und ihre Sendung erinnert: „Da­zu ist die Kirche ins Leben getreten“ (AA 2). Das bedeutet: Der Dienst am Wort Gottes, der durchaus eine primär liturgische Dimension besitzt, muss im Zusammenhang der kirchlichen Initiation seine ursprünglich missionarische, katechumenale und daher erstverkündigende Dimension zurückgewin­nen. Das hat zur Folge, den Glauben als einen lebenslangen Prozess – manche sprechen von der Pilgerschaft des Glaubens – zu verstehen, der mit Blick auf seine Annahme und Bezeugung stets neu der Erneuerung und Vertiefung bedarf. Mit anderen Worten: Die Verkündigung (in Mission und Katechese) lebt aus der beständigen Nahrung (in Liturgie, Gebet und Betrachtung). Liturgie und Mission sind folglich auf enge Weise miteinander verbunden und stellen doch zugleich verschiedene Vollzugsformen des Dienstes am Wort Gottes dar. In der sachlichen Verbindung beider Bereiche ist daher die Legitimation gegeben, die Normen zum Dienst am Wort Gottes in Predigt und Katechese (cc. 756– 780 CIC) und zum missionarischen Auftrag der Kirche (cc. 781–792 CIC) gemeinsam zu behandeln.

A.  Missionstätigkeit und Katechumenat Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 113; Matthias Pulte, § 64 Missionarischer Auftrag, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Matthias Pulte, Das Missionsrecht. Ein Vorreiter des universalen Kirchenrechts, Nettetal 2006; Christoph Ohly, Der Dienst am Wort Gottes. Eine rechtssystematische Studie zur Gestalt von Predigt und Katechese im Kanonischen Recht, St. Ottilien 2008, 756–771.

1. Begriff „Mission“ Der Grundansatz, dass die Kirche als Ganze berufen ist, allen Völkern das Evangelium zu verkündigen (vgl. c. 747 § 1 CIC; c. 595 § 1 CCEO), wird im Einleitungscanon zum Missionsrecht (c. 781 CIC; c. 584 CCEO) erneut aufgenommen, gleichzeitig aber ekklesiologisch verdeutlicht und konkretisiert. Das geschieht durch den Verweis auf die missionarische Natur der Kirche und auf die damit zusammenhängende Sendung aller Glieder der Kirche, die durch Taufe und Firmung Anteil daran erhalten. Zugleich weist die Formel „partem suam“ (ihren Teil) Vgl. dazu als Überblick Anna Elisabeth Meiers, Missionarische Dimension, 153–164.

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auf eine differenzierte Teilhabe der Gläubigen am Missionsauftrag hin, die ihren Bezugspunkt in der hierarchischen Verfasstheit der Kirche findet. Der Begriff „Mission“ bezeichnet in diesem Normenbereich vornehmlich die Verkündigung des Evangeliums unter den Menschen, die (noch) nicht an Christus glauben. Dabei umgreift er inhaltlich neben der Aussendung der Kirche als Grundauftrag zugleich die Christianisierung und die damit verbundene implantatio Ecclesiae als Verkündigung und Annahme des Glaubens durch Menschen, die mit der Taufe in die Kirche eingegliedert werden. Daher spricht c. 786 CIC (ähnlich c. 590 CCEO) eigens von der spezifischen Missionstätigkeit („actio proprie missionalis“), durch welche die Kirche in Völkern und Gruppen eingepflanzt wird, „in denen sie noch nicht Wurzel gefasst hat“. Das vollzieht sich vor allem durch die Aussendung von Verkündigern (Missionaren), die solange wirken, bis die Ortskirche vollumfänglich eingerichtet ist und mit eigenen Kräften und Mitteln die Aufgabe der Evangelisierung selbständig fortführen kann. Mit dem Gedanken der Mission eng verbunden ist seit dem II. Vatikanischen Konzil der Gedanke der „Inkulturation des christlichen Glaubens in die Lebenswelten und Traditionen der Völker“36 oder auch der „Interkulturalität“37, die stärker die Begegnung der christlichen Botschaft mit den Kulturen betont, in denen der christliche Glaube noch nicht verkündigt wurde oder nach einer ersten Evangelisierung nicht mehr gelebt wird. Die konziliare Missionstheologie und ihre rechtliche Umsetzung in den kirchlichen Gesetzbüchern hat somit gegenüber dem CIC/1917 eine doppelte Veränderung in der Akzentsetzung mit sich gebracht. Lag die Verantwortung für die Mission unter den Nichtchristen ausschließlich beim Apostolischen Stuhl (vgl. can. 1350 § 2 CIC/1917), wird sie im geltenden Missionsrecht mit Hilfe der theologischen Begründung des kirchlichen Missionswesens als eine Aufgabe der ganzen Kirche charakterisiert, die in unterschiedlicher, an der hierarchischen Struktur der Kirche orientierter Weise wahrgenommen wird. Damit verbunden ist die Akzentverschiebung bezüglich der sog. „Volksmissionen“ (Pfarrmissionen). Diese Form der pfarrlichen Glaubenserneuerung findet anders als in den cann. 1349– 1351 CIC/1917 in den geltenden Gesetzbüchern nur einmal Erwähnung im Zusammenhang des Predigtrechts (vgl. c. 770 CIC; c. 615 CCEO). Dabei erinnert die Norm an die Notwendigkeit solcher Unternehmungen, die den heutigen Erfordernissen entsprechen sollen und darauf abzielen, Hilfe zur beständigen Vertiefung des Glaubens zu bieten. Beide – Mission und „Volksmission“ – finden ihre Legitimation, aber auch ihre Berechtigung nunmehr im missionarischen Wesen Matthias Pulte, Missionarischer Auftrag, 936. Vgl. zur begrifflichen Nuancierung von Mission, Evangelisierung und Neuevangelisierung auch Anna Elisabeth Meiers, Missionarische Dimension, 161–164. 37 So Joseph Ratzinger, Glaube. Wahrheit Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg 2003, 46–65, bes. 49–54. 36

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der Kirche, das Mission, Evangelisierung und Neuevangelisierung miteinander verbindet. 2. Leitung der Mission Der allgemeinen Missionsaufgabe aller Gläubigen entspricht im Sinne der kirchlichen Communio-Struktur die bischöfliche Leitung der Mission. Die universale Leitung und Koordinierung von Vorhaben und Aktionen, die der Mission und der missionarischen Zusammenarbeit dienen, liegen beim Papst und beim Bischofskollegium (vgl. c. 782 § 1 CIC), die in ihren jeweiligen Wirkweisen insbesondere durch die Kongregation für die Evangelisierung der Völker38 oder auch einschlägige Bischofssynoden39 unterstützt werden. Entgegen der Norm des can. 1350 CIC/1917, der von einem Alleinstellungsanspruch des Apostolischen Stuhls – und hier insbesondere des Papstes – ausging, bedeutet dies jedoch nicht, dass alle Initiativen allein von den Trägern der kirchlichen Höchstgewalt ausgehen müssen. Im Gegenteil, das missionarische Bewusstsein aller Gläubigen fordert geradezu ihre Anteilnahme an der Sendung der Kirche und die Initiierung entsprechender Vorhaben, weil und insofern es der universalkirchlichen Koordinierung und zugleich der partikularkirchlichen Kenntnisse und Erfahrungen bedarf. Die gemeinsame Sorge um die missionarische Tätigkeit (vgl. LG 31; AG 2) sowie die eine Verantwortung von Papst und Bischofskollegium (vgl. LG 23; AG 29) sind daher ein spezifischer Ausdruck der Lehre von der bischöflichen Kollegialität und der Communio Ecclesiarum des II. Vatikanischen Konzils, die im Codex Iuris Canonici ihren rechtlichen Niederschlag gefunden hat. Infolgedessen hebt das geltende Missionsrecht weitere Verantwortliche in der Leitung der Mission hervor. So haben die einzelnen Bischöfe „als Förderer der Gesamtkirche und aller Kirchen“ eine entscheidende Fürsorgepflicht für die Missionsarbeit zu erfüllen, indem sie insbesondere „missionarische Vorhaben anregen, pflegen und erhalten“ (c. 782 § 2 CIC). Dabei kommt es gemäß c. 791 CIC dem Diözesanbischof in Zusammenarbeit mit allen für die diözesane Missionsaufgabe Verantwortlichen zu, missionarische Berufungen zu fördern (n. 1), Priester zur Unterstützung der Missionen freizustellen (n. 2), einen jährlichen Missionstag zu halten (n. 3) und einen jährlichen Beitrag (stips) zur Unterstützung der Missionsaufgaben des Apostolischen Stuhls zu leisten (n.  4). Der Diözesanbischof in einem Missionsgebiet besitzt nach c. 790 § 1 CIC die Aufgabe, missionarische Vorhaben und Werke zu fördern (n. 1), Vereinbarungen zur Mitwirkung geeigneter kanonischer Lebensverbände (Institute des geweihten Lebens, Gesellschaften apostolischen Lebens), Vereine und auch Neuer Geistlicher Gemeinschaften an-

Vgl. Art. 85–92 PB. Vgl. dazu Matthias Pulte, Missionarischer Auftrag, 938, Anm. 13.

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zustreben (n. 2), mit deren Hilfe die Tätigkeit aller auf seinem Territorium wirkenden Missionare koordiniert werden kann (§ 2). In einer besonderen Weise fungiert die Bischofskonferenz. Neben der weitreichenden Vollmacht, Inhalt und Struktur eines Katechumenates für Taufbewerber zu ordnen,40 wird die Bischofskonferenz in c. 792 CIC (vgl. AG 38, 6) verpflichtet, eigene Missionswerke einzurichten und zu fördern sowie Gläubige zu unterstützen, die aus Studien- und Fortbildungsgründen oder aus anderen Motiven (Flucht wegen Verfolgung aus Glaubensgründen, Ausgleich des Priestermangels, Unterstützung von kanonischen Lebensverbänden, Missionsprojekte u.a.m.) die Diözesen der Bischofskonferenz aufsuchen. Gerade dieser Gedanke verdeutlicht den Eindruck, dass in der Kirche, der als Ganzer die Verkündigung aufgetragen ist, nur bedingt von missionierenden Diözesen und zu missionierenden (missionierten) Gebieten und ihrer eindeutigen Unterscheidung voneinander gesprochen werden kann. Letztlich ist es ein Kennzeichen des innerkirchlichen Austauschs von Gaben, Talenten und Charismen, die dem einen Ziel dienen, das dem Menschen in Jesus Christus geschenkte Heil wirksam zu verkündigen und zur Annahme des Glaubens unter Wahrung der persönlichen Freiheit zu ermutigen.41 Der Austausch dieser Gaben des Glaubens ist zugleich Hinweis darauf, dass der Glaube dem Menschen nicht gehört, sondern sowohl in seinem Inhalt als auch in seinem Vollzug anvertraut und zur Weitergabe übereignet wird. 3. Träger der missionarischen Tätigkeit Im Unterschied zu den Leitungsorganen der Mission auf universal- und partikularkirchlicher Ebene benennt das kirchliche Recht verschiedene Träger der konkreten missionarischen Tätigkeit, ohne damit die Verpflichtung eines jeden Gläubigen zu missionarisch-bezeugender Verkündigung des Glaubens im eigenen Lebensumfeld zu schmälern. Unter Würdigung der kirchlichen Missionsgeschichte verweist das kirchliche Gesetzbuch zunächst auf die Mitglieder der kanonischen Lebensverbände, aus denen vor allem die Religiosenverbände und Säkularinstitute als Institute des geweihten Lebens Erwähnung finden (vgl. c. 783 i. V. m. c. 758 CIC). Da sie sich kraft ihrer Weihe an Gott dem universalen Dienst der Kirche widmen, sind sie zugleich verpflichtet, ihre Hingabe nach Eigenart des Instituts auch in ihrer missionarischen Ausrichtung zu leben und diese zu fördern. Grundsätzlich gilt das aufgrund der missionarischen Berufung der Kirche für alle Lebensverbände. Folglich müssen auch hier die Mitglieder der Gesellschaften des apostolischen Lebens mitbedacht sein. Gleichzeitig bedarf es aber der ausdrücklichen Berücksichtigung des Eigencharakters des jeweiligen Instituts, namentlich in der Frage, ob das Gründungs Vgl. c. 788 CIC, dazu ausführlicher unter Pkt. 4 (Charakteristika und Mittel). Vgl. dazu c. 586 CCEO.

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charisma einen spezifisch missionarischen Aspekt in sich trägt und so dem Institut eine missionarische Ausrichtung gibt. Jeder Gläubige – ob Laie oder Kleriker, ob Frau oder Mann – kann durch die zuständige kirchliche Autorität eine kirchenamtliche Sendung (missio canonica) als Missionar empfangen (vgl. c. 784 CIC).42 Besondere Eigenschaften, wie sie in AG 25 und 26 Erwähnung finden, werden zwar nicht mehr ausdrücklich gefordert, doch scheint der Hinweis auf die persönliche und fachliche Eignung des Kandidaten gemäß c. 589 CCEO zumindest mit Blick auf die zu erwartenden Anforderungen des missionarischen Einsatzes legitim. Die Sendung, die auf Lebenszeit oder „auf Zeit“ ausgesprochen wird, erfolgt nicht mehr allein durch die höchste Autorität der Kirche (vgl. can. 1350 § 2 CIC/1917), sondern durch jene, die für den betreffenden Gläubigen Zuständigkeit besitzt, sei es der Apostolische Stuhl, seien es die Diözesanbischöfe oder die ihnen rechtlich Gleichgestellten (c. 381 § 2 CIC). In jedem Fall wird die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der betreffenden Missionsgemeinschaften hilfreich sein, die vor Ort die missionarische Verantwortung tragen. Die Arbeit der Missionare unterstützen sollen nach c.  785 §  1 CIC die Kat­ echisten, d.h. Frauen und Männer, die sich nach einer entsprechenden Ausbildung und ausgewiesen durch das Zeugnis eines christlichen und geistlichen Lebens der Verkündigung des Wortes Gottes, der Mithilfe in den liturgischen Feiern und den Werken der Caritas widmen. In Abgrenzung zum Katecheten – darunter wird der Laie verstanden, der ohne eine spezifische Ausbildung in der Pfarrei insbesondere in der Sakramentenkatechese mitwirkt (vgl. c. 776 CIC) – ist der Katechist ein „beauftragter Helfer in der Missionsarbeit und insofern selbst Missionar mit besonders umschriebenem Aufgabenfeld“.43 Aus seiner Zuweisung zum Missionar ergibt sich, dass der Missionar in der Regel ein Kleriker ist, der aufgrund von Weihe und Sendung eine Leitungsverantwortung erfüllt.44 Die Ausbildung der Katechisten sollte gemäß c. 785 § 2 CIC in dazu bestimmten Schulen oder unter der persönlichen Leitung von Missionaren erfolgen.45 Was der Begriff „Katechist“ weltkirchlich bezeichnet, stellen im deutschen Sprachraum die Berufe der Gemeindereferenten und Pastoralreferenten (in Österreich: Pastoralassistenten) dar. Im Blick auf die aktuelle Situation der Kirche insbesondere in den deutschspra-

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Vgl. dazu AG 23–27. Aymans – Mörsdorf, KanR II, 89. So auch die Norm des c. 591 2° CCEO, die von cooperatores ministrorum sacrorum spricht. Siehe dazu die Einrichtung des damit verbunden Amtes durch Franziskus, Motu proprio „Antiquum ministerium“ vom 10.5.2021, in: Comm 53 (2021) 81–87. Vgl. dazu beispielsweise den viersemestrigen „Lehrgang zur Ausbildung von Katechisten“ an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Päpstlichen Rechts Benedikt XVI. Heiligenkreuz bei Wien. Siehe https://www. hochschule-heiligenkreuz.at/willkommen/lak-katechistenkurs/ [Zugriff: 22.2.2022].

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chigen Diözesen wäre daran zu denken, entsprechende Laiendienste zu installieren, die noch stärker den missionarischen Aspekt im kirchlichen Dienst betonen. 4. Charakteristika und Mittel Die kirchlichen Gesetzbücher geben keine bestimmte Methode der Mission vor. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Kultur vermögen Katechese, Liturgie, Caritas, Musik und Kunst sowie das kirchliche Leben als solche wertvolle und unverzichtbare Zugänge zum Verständnis des christlichen (katholischen) Glaubens zu eröffnen. Das beste Mittel für die missionarische Arbeit liegt gemäß der Aussage in AG 11 jedoch im authentischen Zeugnis des Missionars und des Katechisten: Verba docent, exempla trahunt – Worte belehren, Beispiele reißen mit! So betont c. 787 § 1 CIC (c. 592 § 2 CCEO) die Bedeutung dieses Lebenszeugnisses in Wort und Tat für den aufrichtigen Dialog, der sich zwischen dem Missionar und dem nicht an Christus glaubenden Menschen entwickeln soll. Der Beitrag des Missionars ist darauf ausgerichtet, dass dem Menschen in einer seiner „Eigenart und Kultur entsprechenden Weise die Wege zur Erkenntnis der Botschaft des Evangeliums geöffnet werden“, und dieser schließlich frei um die Zulassung zum Taufempfang bitten kann. Der ehrliche Dialog ist daher sowohl von der Achtung der religiösen Freiheit (vgl. c. 748 § 2 CIC; c. 586 CCEO) als auch von der Glaubenssehnsucht des Missionars geprägt, den ungetauften Menschen zur Einheit mit Christus und zur Aufnahme in die Kirche zu führen.46 Gemäß dem Wunsch des II. Vatikanischen Konzils, den frühkirchlichen Katechumenat wiederherzustellen,47 und damit die Taufvorbereitung eines Erwachsenen über die Anforderungen des can. 752 § 1 CIC/1917 hinaus auf ein tragfähiges Fundament zu stellen, verpflichtet c. 788 § 3 CIC (c. 587 §§ 2 u. 3 CCEO) die Bischofskonferenzen dazu, Normen zur Errichtung und Ordnung des Katechumenates zu erlassen (s. Abb. S. 95).48 Der Katechumenat ist in Aufgabe und Struktur seit seiner Einrichtung in den deutschsprachigen Diözesen gut aufgenommen worden. Davon zeugt nicht zuletzt die Feier der Zulassung zur Taufe, die nach einer entsprechenden Zeit der Vorbereitung in der Regel zu Beginn der Österlichen Bußzeit durch den Diözesanbischof in der Kathedrale der Diözese vorgenommen wird. Vgl. Joh 1, 35–51, bes. 1, 42. So die Aussage in SC 64, die auf die Verantwortung der Ortsoberhirten verweist. 48 Vgl. Ordo Initiationis Christianae Adultorum, Città del Vaticano 1972; dt.: Liturgische Institute Deutschlands, Österreichs und der Schweiz (Hg.), Die Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche. Manuskriptausgabe zur Erprobung, Trier 2001. Siehe auch: Deutsche Bischofskonferenz, Partikularnorm vom 15.11.1995, in: Heribert Schmitz – Franz Kalde, Partikularnormen der Deutschen Bischofskonferenz, Metten 1996, 44 f.; Österreichische Bischofskonferenz, Dekret vom 6.11.1992, in: Abl. ÖBK, Nr. 11 (1994) 3 f.; Schweizer Bischofskonferenz, Katechumenatsordnung mit Partikularnorm, in: SKZ 154 (1986) 71. 46 47

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Mystagogisce Vertiefung Katecumenat entferntere Vorbereitung

Katecumenat nähere Vorbereitung

Erstverkündigung Phasen: Erste Phase StufenFeiern:

Zwaeite Phase

Erste Stufe Feier der Aufnahme in den Katecumenat

etwaa zu Beginn des Vorjahres

Dauer: je nac Situation

Drite Stufe Feier der Sakramente des Christwaerdens Taufe, Firmung, Eucaristie – Stärkungsriten (Skrutinien) – Riten der unmitelbaren Vorbereitung

Zwaeite Stufe Feier der Zulassung zur Taufe

Weitere Feiern und – Gebete und SegRiten nungen – Übergabe des Glaubensbekenntnisses – Übergabe des Vaterunsers Zeitpunkte:

Drite Phase

zu Beginn der österlicen Bußzeit

→ etwaa ein Jahr

in der Osternact

→ ca. 6 Wocen

→ z. B. bis Pingsten

Nach: Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche, in 16.die Kirce, 116. Nac:Die Die Feier der Eingliederung Erwaacsener

Gekennzeicnet ist der Katecumenat durc zwaei konstitutive Dimensionen: die Unterwaeisung (Katecese waeiten Sinne) und die begleiteGekennzeichnet ist im derGlauben Katechumenat durchim zwei konstitutive Dimensionen: die te Einführung im in die cristlice Lebensführung c. 7ee 2 CIC; c. 5e7 Ein§ 11 Unterweisung Glauben (Katechese im weiten (vgl. Sinne) und§die begleitete in dem der CCEO). in Auf Grundlage eines Vorkatecumenates, führung dieder christliche Lebensführung (vgl. c. 788 § 2 CIC; c. 587 § 1Wunsc CCEO). nac einer systematiscen Unterwaeisung im Glauben und einer Einführung Auf der Grundlage eines Vorkatechumenates, in dem der Wunsch nach einer systematischen Unterweisung im Glauben und einer Einführung in die Glaubenspraxis heranreifen kann, wird der Kandidat in einer liturgischen Feier zum Ka-

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techumenat zugelassen, in ein dazu bestimmtes Buch der Katechumenen eingetragen (vgl. c. 788 § 1 CIC; c. 587 § 1 CCEO) und der systematischen Unterweisung im Glauben unterstellt. Die Unterweisung löst sich dabei nicht automatisch vom dialogalen Charakter der Begegnung mit dem Katechumenen, setzt aber durch die Vorgabe und Erläuterung der Glaubensinhalte, des Glaubenslebens, der Liturgie, der Caritas und des Apostolates einen spürbaren Schwerpunkt auf die Unterweisung. Die Bedeutung des Katechumenates wird unter anderem auch dadurch hervorgehoben, dass die Gläubigen den Katechumenen mit Gebet und Zuwendung begleiten, er zugleich aber eine Rechtsstellung in der Kirche genießt, die ihm trotz der noch nicht erfolgten Eingliederung durch die Taufe bereits gewisse Vorrechte (praerogativa) zuerkennt (vgl. c. 788 § 2 CIC; c. 58 § 3 CCEO). Zu den Mitteln der Mission zählt schließlich auch die Verpflichtung der Kirche, sich in besonderer Weise den Neugetauften zuzuwenden (vgl. c.  789 CIC). Die Ordnung des Katechumenates sieht dafür eine Zeit der mystagogischen Vertiefung (Nachkatechumenat) vor, die der Unterweisung zur volleren Kenntnis des Glaubens und der mit dem Glauben übernommenen Verpflichtungen, insbesondere zu einem Leben der Heiligkeit in Liebe zu Christus und seiner Kirche (vgl. c. 210 CIC; c. 13 CCEO), führen sollen.49 Der Kat­echumenat erinnert deshalb an die lebenslange Notwendigkeit einer Vertiefung und Schulung im Glauben, die den Getauften befähigt, „jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3, 15). Auf diese Weise stellt er zugleich eine Möglichkeit auch für jene Gläubigen dar, die zwar zumeist als Kinder die Taufe empfangen haben, danach aber nicht in die Glaubenspraxis der Kirche eingeführt wurden oder den Bezug dazu verloren haben.50

B.  Liturgische Verkündigung (Predigt) Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 111; Christoph Ohly, § 63 Die Verkündigung in Predigt und Katechese, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Christoph Ohly, Der Dienst am Wort Gottes. Eine rechtssystematische Studie zur Gestalt von Predigt und Katechese im Kanonischen Recht, St. Ottilien 2008, bes. 450–674; Andreas Wollbold, Predigen. Grundlagen und praktische Anleitung, Regensburg 2017; Heribert Hallermann, „… dass nur öffentlich predige, wer gesandt ist“. Kanonistische Nachfragen und Perspektiven zum Verbot der „Laienpredigt“, Paderborn 2017. Dazu Christoph Ohly, Berufung zur Heiligkeit. Ein Anliegen des II. Vatikanischen Konzils im Licht der kirchlichen Gesetzbücher und ihrer Wirkungsgeschichte, in: Ius canonicum in communione christifidelium. FS Hallermann (65), 167–185. 50 Vgl. zum kirchlichen Hintergrund Ratzinger, Die neuen Heiden und die Kirche, in: JRGS 8/2, Freiburg i. Br. 2010, 1143–1158. 49

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Als Lektüre wird empfohlen: Kongregation für den Gottesdienst und die Sa­ kramentenordnung, Homiletisches Direktorium vom 29.6.2014 (= VApSt 201).

1. Grundlegende Bestimmungen Die Beziehung zwischen Christus, dem menschgewordenen Wort Gottes, und der Kirche „kann nicht einfach nur als Ereignis der Vergangenheit verstanden werden, sondern es ist eine lebendige Beziehung, in die persönlich einzutreten jeder Gläubige berufen ist“.51 Die Kirche lebt aus dem Wort Gottes, das sich ihr in lebendiger Weise in Schrift und Tradition unter Leitung des kirchlichen Lehramtes erschließt (vgl. DV 9). Dabei vernimmt sie als „Lehrmeisterin des Hörens“52 das göttliche Wort in der Haltung gläubigen Gehorsams, bewahrt es heilig, erforscht es und legt es treu aus (vgl. DV 10, 2). Das Hören, Annehmen und Verkündigen des Wortes Gottes, das umfassend als „Dienst am Wort Gottes“ bezeichnet werden kann, wird in einer besonderen Weise im Bereich der kirchlichen Liturgie wirksam. Deshalb gehört die Predigt neben der Katechese zu den herausragenden Mitteln kirchlicher Verkündigung, zu denen gemäß c. 761 CIC alle dem Evangelium gemäßen Formen der Verkündigung (z.B. Darlegung der Lehre in Schulen und Akademien, auf Konferenzen und Versammlungen, in öffentlichen Erklärungen, Presseorganen und anderen sozialen Kommunikationsmitteln) hinzugezählt werden müssen.53 Predigt und Katechese haben sich nach c. 760 CIC in ihrer Ausübung an Schrift und Überlieferung sowie an Liturgie, Lehramt und Leben der Kirche zu orientieren, um das Mysterium Christi als Zentrum kirchlicher Verkündigung vollständig und treu (integre ac fideliter) vorzulegen. Das Ziel ihrer Tätigkeit liegt in der Ehre Gottes und im Heil der Gläubigen, denen auch alles vorgelegt wird, was die Würde der Person, die Freiheit des Menschen, das Wesen der christlichen Familie und ihre Aufgaben, die Verpflichtungen des Menschen in der Gesellschaft sowie die Durchdringung weltlicher Angelegenheiten im Licht des Glaubens betrifft (vgl. c. 768 CIC; c. 616 CCEO).54 2. Begriffe Die terminologische Vielfalt zur liturgischen Verkündigung in den liturgischen Büchern, lehramtlichen Dokumenten und kirchlichen Gesetzbüchern zwingt zu einer kanonistischen Sprachregelung, die zumindest für den rechtlichen Bereich Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Verbum Domini“, Nr. 51. Ebd. 53 Vgl. dazu CD 13, 3; DV 24; UR 6; OT 2. Nach c. 772 § 2 CIC (ähnlich c. 653 CCEO) bedarf es insbesondere für die elektronischen Kommunikationsmittel einschlägiger Partikularnormen der Bischofskonferenz. Siehe dazu Deutsche Bischofskonferenz, Partikularnorm Nr. 8 zu c. 772 § 2, in: AfkKR 164 (1995) 458 f.; Österreichische Bischofskonferenz, Dekret zu c. 831 § 2, in: AfkKR 163 (1994) 162. 54 Vgl. dazu CD 12. 51 52

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Klarheit zu schaffen versucht. Danach lässt sich zunächst die umfassende Aufgabe der Kirche in Beziehung zum Wort Gottes als Dienst der Verkündigung des Evangeliums (munus Evangelii annuntiandi) bezeichnen, die alle diesbezüglichen Tätigkeiten umfasst. Im Sinne der liturgischen Verkündigung steht nachfolgend der Begriff „Predigt“ (praedicatio) zur Verfügung (nicht mehr concio wie in cann. 1337 ff. CIC/1917), dem als „Teil der liturgischen Handlung“ (SC 35, 2) eine herausragende Bedeutung zukommt. Dabei kann die Predigt eine Vielzahl verschiedener Formen (Ansprache, Unterweisung …) annehmen. Doch als liturgische Verkündigung bedarf sie der Bevollmächtigung und Sendung. So beruht sie im Fall der Kleriker auf sakramentaler Bevollmächtigung, im Fall von Laien gemäß c. 766 CIC auf kirchenamtlicher Beauftragung. Von ihr ist das Glaubenszeugnis zu unterscheiden, zu dem jeder Gläubige aufgrund von Taufe und Firmung (ohne kirchenamtliche Sendung) berufen ist und das zu Beginn oder am Ende der Liturgie eingefügt werden kann. Die höchste Form der Predigt stellt schließlich die Homilie dar, die gemäß SC 52 und c. 767 CIC (c. 614 CCEO) die Predigt in der Eucharistiefeier kennzeichnet. Sie bleibt wegen der Einheit des Kultaktes (vgl. SC 56) und der sakramentalen Begründung des Leitungsdienstes den geistlichen Amtsträgern vorbehalten. Als Kurzformel kann daher festgehalten werden:

Jede Homilie ist eine Predigt, aber nicht jede Predigt ist eine Homilie.

3. Träger des Predigtdienstes Der Verpflichtung der geistlichen Amtsträger, den Predigtdienst hochzuschätzen und den Menschen das Evangelium Christi zu verkündigen, entspricht gemäß c. 231 CIC (c. 16 CCEO) das Recht aller Gläubigen, aus dem Wort Gottes geistliche Hilfe zu empfangen. Deshalb erinnert der kirchliche Gesetzgeber vor allem an den charakteristischen und personalen Dienstauftrag aller Kleriker,55 nicht ohne aber auch entsprechende Regelungen für andere Gläubige zu treffen. Die Bischöfe besitzen kraft der gültig empfangenen Bischofsweihe das Recht, überall zu predigen (ius praedicandi), auch in den Kirchen und Kapellen der Ordensinstitute päpstlichen Rechts (vgl. c. 763 CIC; c. 610 § 1 CCEO). Dieses Predigtrecht kann nur dann eingeschränkt werden, wenn ein Ortsbischof als zuständige Autorität dem einzelnen Bischof das Predigen in der betreffenden Teilkirche generell oder für spezielle Situationen verwehren sollte. Dem Recht steht zugleich die Verpflichtung des Diözesanbischofs gegenüber, oft selbst zu predigen sowie

Vgl. c. 762 CIC: „… munus praedicationis magni habeant sacri ministri, inter quorum praecipua officia sit Evangelium Dei omnibus annuntiare“. Hervorhebung durch C. O.

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für die getreue Beachtung der Predigtvorschriften zu sorgen (vgl. c. 386 § 1 CIC; c. 196 § 1 CCEO). Kraft der empfangenen Weihe kommt den Priestern und den Diakonen die Befugnis zu, überall zu predigen (facultas praedicandi). Dafür wird gemäß c. 764 CIC (c. 610 §§ 2 und 3 CCEO) die Zustimmung des zuständigen Kirchenrektors vorausgesetzt. Eine Begrenzung der Befugnis oder sogar ein Predigtverbot sind möglich.56 Damit wird deutlich, was die zur Weihevollmacht hinzukommende Predigtbefugnis ausmacht. Die Befugnis ist mit der sakramentalen Weihe gegeben und gilt sozusagen als „Regelungsmechanismus“ zur Ausübung der Vollmacht, der insbesondere da tätig wird, wo die zuständige kirchliche Autorität aus schwerwiegenden Gründen eine zeitweilige Einschränkung oder ein Verbot der Predigtvollmacht aussprechen muss. Eine gesonderte Erlaubnis des zuständigen Oberen ist für die Predigt vor Ordensleuten in deren Kirchen und Kapellen erforderlich (vgl. c. 765 CIC; c. 612 § 2 CCEO). Nach Maßgabe der Vorschriften der Bischofskonferenz und vorbehaltlich der Reservation der Homilie gemäß c. 767 § 1 CIC können Laien zum Predigtdienst zugelassen werden (admitti possunt laici), wenn das unter bestimmten Umständen notwendig oder in Einzelfällen als nützlich angeraten ist (vgl. c.  766 CIC; c. 610 § 4 CCEO). Die Zulassung bezieht sich zwar generell auf die nicht-eucharistische Liturgie als kirchenamtlichen Gottesdienst (vgl. c.  834 §  2 CIC), doch muss sie in ihrem Ausnahmecharakter gegenüber der vorrangigen Aufgabe der Kleriker verstanden werden. 4. Ordnung des Predigtdienstes Sowohl die Unterschiede in den Predigtarten als auch die differenzierte Trägerschaft des Predigtdienstes machen eine rechtliche Ordnung notwendig. Neben den universalkirchlichen Vorgaben kommt es insbesondere dem Diözesanbischof zu, entsprechende Normen zu erlassen, die von allen zu beachten sind (vgl. c. 772 § 1 CIC; c. 609 CCEO). a) Homilie Die Homilie ist nach c. 767 § 1 CIC (c. 614 §§ 1 u. 4 CCEO) die herausragende Form der Predigt, mit Hilfe derer das Kirchenjahr hindurch aus dem heiligen Text (ex textu sacro) die Geheimnisse des Glaubens und die Normen für das christliche Leben entfaltet werden. Als Teil der Liturgie ist sie dem sacerdos (Bischof und Priester) bzw. dem Diakon vorbehalten (reservatur). Die Rechtsaussage bezieht sich in Anlehnung an SC 52 unzweideutig auf die Eucharistiefeier und beinhaltet Vgl. dazu Ilona Riedel-Spangenberger, Predigtverbot, in: LKStKR III, 276–278. Das betrifft auch Priester und Diakone, die ihr geistliches Amt aufgegeben haben; siehe Johannes Paul II., Instructio „Ecclesiae de mysterio“ zu einigen Fragen über die Mitarbeit von Laien am Dienst der Priester vom 15.8.1997, in: AAS 89 (1997) 852–877; dt.: VApSt 129, hier Art. 3 § 5.

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demzufolge die darin betonte Einheit des Kultaktes (Wortgottesdienst und Opfermahl) als theologisches Argument für die normierte Reservation. Gerade der Bischof oder der Priester tragen als Zelebranten das Wort Gottes in die feiernde Versammlung der Kirche hinein, repräsentieren Christus auch in der Verkündigung des Wortes Gottes und verbinden es im Anschluss mit dem eucharistischen Opfer des göttlichen Wortes, das im eucharistischen Hochgebet real gegenwärtig gesetzt wird. Im Idealfall bezieht sich die Maßgabe daher auf den Hauptzelebranten, der die Eucharistiefeier leitet und zugleich die Verkündigung und Auslegung vollzieht. Mit Blick auf die Aussage der Allgemeinen Einführung in das Mess­buch (AEM), nach der „in der Regel“ (de more) der Zelebrant die Predigt halten soll, ist jedoch auch an einen anderen Priester oder Diakon zu denken, die hier beide als Inhaber des sakramentalen Amtes wirken.57 Die damit verbundene Frage, inwieweit unter Berücksichtigung von c. 766 CIC (c. 610 § 4 CCEO) ausnahmsweise auch Laien zur Homilie zugelassen werden könnten, ist im Kontext der Diskussion um die sog. „Laienpredigt“ vielfach erörtert und in der Praxis umgesetzt worden. Aus der de-more-Aussage der AEM lässt sich dies jedoch nicht ableiten, da der gesamte theologische Zusammenhang der AEM vom Zelebranten als Träger der Homilie ausgeht. Die Möglichkeit zur Zulassung von Laien, nach dem Evangelium in Kindermessen (oder auch besonderen Gruppenmessen) einige Worte an die Kinder bzw. die Gläubigen im Sinne einer liturgischen Katechese zu richten,58 muss daher im Licht der kodikarischen Gesetzgebung (mit Aufhebung von gewährten partikularrechtlichen Ausnahmeregelungen) und der nachfolgenden Instruktionen des Apostolischen Stuhls gedeutet werden.59 Danach können Laien die Homilie des Priesters oder Diakons nicht ersetzen, wohl aber im Sinne einer Einführung (Statio) oder eines Glau-

Missale Romanum ex decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum, auctoritate Pauli PP. VI promulgatum, Ordo Missae. Editio typica, Typis Polyglottis Vaticanis 1970; Editio typica altera, Typis Polyglottis Vaticanis 1975 (Institutio generalis Missalis Romani auch in: Ephemerides liturgicae 83 [1969] 319–356), hier Nr. 42. 58 Vgl. Heilige Kongregation für den Gottesdienst, Directorium de Missis cum pueris vom 1.11.1973, in: AAS 66 (1974) 30–46; dt.: NKD 46, 9–49 sowie Deutsche Bischofskonferenz, Richtlinien und Anregungen für den Gottesdienst mit Kindern vom 21.–24.9.1970, in: AfkKR 140 (1971) 543–544. 59 Dazu zählt vor allem Deutsche Bischofskonferenz, Richtlinien für die Beteiligung der Laien an der Verkündigung vom 7.3.1974, in: AfkKR 143 (1974) 147 f. Im Zusammenhang mit den Richtlinien sind sowohl der Beschluss der Gemeinsamen Synode (Gesamtausgabe, 1977, 169–178) als auch das Reskript der Kongregation für den Klerus vom 20.11.1973 (ebd., 182–185) zu beachten, ebenso die bis 1983 erlassenen Reskripte der Kongregation zur Verlängerung der Sonderregelung (1977, 1982). Die bischöflichen Richtlinien hatten die Homilie durch vom Bischof beauftragte Laien in außerordentlichen Fällen vorgesehen (Nr. 1.4.1). In einzelnen Diözesen führte dies jedoch zu einer dauerhaften Beauftragung. Zur Entwicklungsgeschichte der Homilie durch Laien bis zum CIC/1983 siehe Christoph Ohly, Der Dienst am Wort Gottes, 517–553. 57

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benszeugnisses ergänzen.60 Die Reservation der Homilie ist in den Instruktionen mehrfach bestätigt worden. Demnach geht es „nämlich nicht um eine eventuell bessere Gabe der Darstellung oder ein größeres theologisches Wissen, sondern vielmehr um eine demjenigen vorbehaltene Aufgabe, der mit dem Weihesakrament ausgestattet wurde.“61 Daher ist der Diözesanbischof nicht ermächtigt, von diesem Vorbehalt zu dispensieren, da die Dispens nicht nur die Befreiung vom Gesetz im Einzelfall gemäß c. 85 CIC (c. 1536 § 1 CCEO), sondern die „Selbstermächtigung des Diözesanbischofs zur Predigtbeauftragung“62 zur Folge hätte. Der Vorbehalt der Homilie betrifft auch alle nichtkatholischen Amtsträger getrennter Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften. Ihnen ist es nicht erlaubt, die Homilie zu halten. Ebenso darf der Priester oder der Diakon nicht im Bereich der Göttlichen Liturgie oder bei der Feier des Abendmahles die Predigt halten.63 Gemäß c. 767 § 2 CIC (c. 614 § 2 CCEO) ist in allen Messfeiern, die an Sonnund gebotenen Feiertagen mit Beteiligung von Gläubigen zelebriert werden, eine Homilie zu halten (homilia habenda est). Schwerwiegende Gründe (z.B. Erkrankung oder sprachliche Unfähigkeit des Zelebranten) können ihren Wegfall legitimieren, nicht jedoch ortsübliche Traditionen wie Frühmessen ohne Homilie oder „Predigtferien“. Zudem empfiehlt der Gesetzgeber in Anlehnung an die Liturgiekonstitution, bei Messfeiern mit Gläubigen auch an Wochentagen, in den geprägten Zeiten des Advents, der Österlichen Bußzeit sowie anlässlich eines Festes oder eines traurigen Anlasses eine Homilie zu halten (vgl. c. 767 § 3 CIC). Verantwortlich für die gewissenhafte Einhaltung dieser Vorschriften ist der Pfarrer oder der Kirchenrektor (vgl. c. 767 § 4 CIC; c. 614 § 2 CCEO). In diesen rechtlichen Maßgaben wird die mens legislatoris erkennbar, die Homilie in ihrer Bedeutung zu fördern. Damit verbunden ist aber zugleich die aus der liturgischen Praxis erwachsene Einsicht, um der Bedeutung der Homilie willen überlange Einführungen oder Schlussworte zu vermeiden. Das gilt jedoch auch für die Homilie selbst. Es gilt, an den Grundsatz des Maßhaltens zu erinnern: „Modus omnibus rebus … optimum est habitu“.64 Häufigkeit und Länge der Homilie (aber auch Vgl. Johannes Paul II., Instructio „Ecclesiae de mysterio“, Art. 3, § 2. Ebd., hier Art. 3, § 1 sowie Instructio „Redemptionis Sacramentum“ vom 25.3.2004, in: AAS 96 (2004) 549–601; dt.: VApSt 164, Nr. 64–66 u. 161. 62 Aymans – Mörsdorf, KanR III, 67 mit Verweis auf Pontificium consilium de legum textibus interpretandis, Responsum vom 20.6.1987, in: AAS 79 (1987) 1249; AfkKR 156 (1987), 161 f. Die Instructio „Ecclesiae de mysterio“, Art. 3 § 1 betont zudem, dass es sich um ein Gesetz handelt, „das die Aufgaben des Lehrens und Heiligens betrifft, die untereinander eng verbunden sind“. Infolgedessen fällt die Norm unter jene Gesetze, die Wesenselemente von Rechtseinrichtungen festlegen (c. 86 CIC) und daher indispensabel sind. 63 Vgl. dazu Ökumenisches Direktorium (1993), Nr. 104 (e), 126, 133–134. 64 Titus Maccius Plautius, Poenulus, V. 238 (nach Johannes L. Ussing: Titus Maccius Plautus, Comodiae, Hauniae 1875); dt.: „Mäßigung in allen Dingen … ist das Beste.“ (Übersetzung L. M.) 60 61

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anderer liturgischer Predigten) sind daher um ihrer Wirkung willen auch an der Aufnahmefähigkeit der Zuhörer auszurichten (vgl. c. 769 CIC; cc. 616 § 1 u. 626 CCEO). Demzufolge ist die Predigt als liturgische Verkündigung generell und insbesondere die Homilie ein vor allem geistliches Geschehen der Unterrichtung und Ermutigung, durch das „die Gläubigen bewegt werden, die Gegenwart und Wirksamkeit des Wortes Gottes im Heute des eigenen Lebens zu entdecken“.65 b) Die sog. „Laienpredigt“ Auch wenn c. 767 § 1 CIC (c. 614 § 4 CCEO) die Homilie als Predigt in der Eucharistiefeier den geistlichen Amtsträgern reserviert und damit einen positiven Vorbehalt setzt, aus dem ein Verbot der Homilie für Laien folgt, ist damit kein generelles Laienpredigt verbot ausgesprochen. Die Diskussion um die „Laienpredigt“ hat sich fast ausschließlich mit der Frage nach der Predigt von Laien in der Eucharistiefeier befasst und damit den Blick auf die Möglichkeit zur liturgischen Verkündigung aufgrund kirchenamtlicher Sendung (missio canonica) verstellt. Deshalb gilt es zu fragen, wann und wie die Predigt durch Laien kirchenrechtlich möglich ist. In der Folge des II. Vatikanischen Konzils hat der kirchliche Gesetzgeber das Laienpredigtverbot des can. 1342 § 2 CIC/1917 aufgehoben.66 Alle Gläubigen sind aufgrund von Taufe und Firmung und ihrer Teilhabe am prophetischen Amt Christi (vgl. LG 12 u. 33) zum Glaubenszeugnis verpflichtet und können folglich auch zur Mitarbeit in der Ausübung des Dienstes am Wort Gottes berufen werden.67 Ihre generelle Zulassung begrenzt c. 766 CIC (ähnlich c. 610 § 4 CCEO) durch zwei spezifische Kriterien. Zum einen muss die Notwendigkeit angesichts besonderer Umstände gegeben sein. Dazu gehört nach Aussage von AA 17, 1 und AG 17 insbesondere der Einsatz von Kat­echisten im Zusammenwirken mit Missionaren, ebenso allgemein aber auch der grundsätzliche Mangel an Klerikern. Zum anderen nennt die Norm das Kriterium der Nützlichkeit in Einzelfällen, in denen spezifische Fähigkeiten und Kenntnisse von Laien es als sinnvoll erscheinen lassen, diese zur liturgischen Verkündigung (Predigt) zu bestellen. Zu den genannten Kriterien treten zwei weitere hinzu. So ist die Kompetenz, die Predigt von Laien zu ordnen, der Bischofskonferenz zugewiesen. Die Partikularnorm der Bischofskonferenz wird die persönlichen Voraussetzungen zur Zulassung ebenso benennen wie die Formalitäten von Beauftragung und ihrer Beendigung. Gemäß der Instructio „Ecclesiae de mysterio“ bedarf diese Ordnung der recognitio (Über-

Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Verbum domini“, Nr. 59. Siehe dazu auch Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“, Nr. 135–144 sowie 145–159 Notwendigkeit einer guten Vorbereitung. 66 Can. 1342 § 2 CIC/1917: „Concionari in ecclesia vetantur laici omnes, etsi religiosi“. 67 Vgl. dazu cc. 204 § 1, 211, 230 § 3, 759 CIC; cc. 7 § 1, 14, 403 § 2 CCEO. 65

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prüfung) durch den Apostolischen Stuhl.68 Ihre Normen sind vom einzelnen Diözesanbischof zu beachten. Zugleich bedarf es für die Anwendung des c. 766 CIC der Beachtung des Reservationsvorbehalts des c. 767 § 1 CIC. In der Folge dieser Bestimmung, die zugleich die bis dahin ad experimentum geltenden Sonderbestimmungen im Bereich der deutschsprachigen Bischofskonferenzen aufhob,69 erließ die Deutsche Bischofskonferenz keine Partikularnorm im Sinne des c.  766 §  1 CIC, sondern eine „Ordnung für den Predigtdienst von Laien“.70 Diese sollte den einzelnen Diözesanbischöfen als Orientierung gelten. Katholische Laien können ihr zufolge zur Predigt in Wortgottesdiensten bestellt werden. Zudem ist „bei der Feier der Eucharistie“ eine Beauftragung möglich, „und zwar im Sinne einer Statio zu Beginn des Gottesdienstes, sofern der Zelebrant nicht in der Lage ist, die Homilie zu halten und kein anderer Priester oder Diakon dafür zur Verfügung steht“.71 Die Aussage „sofern der Zelebrant nicht in der Lage ist“ lässt zunächst an eine physische Unmöglichkeit denken (z.B. Krankheit); im Sinne einer moralischen Unmöglichkeit kann aber auch die Überbeanspruchung durch vielfältige seelsorgerliche Aufgaben benannt werden. Aber gerade dieser Gedanke führt mit Blick auf die heutige Situation in vielen Diözesen zu der Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf die primären Erfordernisse der priesterlichen Berufung, die zuvörderst in der facettenreichen Sendung zur Verkündigung liegen. Gegen diese Statio-Regelung, die in der Praxis nicht selten zum Ersatz der Homilie geführt hat, bestehen bis heute liturgietheologische und rechtliche Einwände.72 Gemäß der Vorgabe des c. 766 § 1 CIC hat die Österreichische Bischofskonferenz ein Dekret erlassen, das sich inhaltlich eng an die Ordnung der deutschen Bischöfe anlehnt und mit der recognitio des Apostolischen Stuhls versehen wurde. Jedoch verzichtet das Dekret auf die Bestimmung zur Statio und erklärt in Übereinstimmung mit den kodikarischen Normen, dass „auch Laien mit dem Predigtdienst beauftragt werden [können], allerdings nicht für die Predigt (Homilie) in der Eucharistiefeier (c. 767 § 1)“.73 Vgl. Johannes Paul II., Instructio „Ecclesiae de mysterio“, Art. 2, § 3, Abs. 3. Siehe Anm. 123. 70 Deutsche Bischofskonferenz, Ordnung für den Predigtdienst von Laien vom 24.2.1988, in: AfkKR 157 (1988) 192 f.; dazu auch Pastorales Wort der deutschen Bischöfe zum Beschluß der Laienpredigt vom 24.2.1988, in: Abl Köln 157 (1988) 92–94 sowie Liturgische Einführung zur Ordnung des Predigtdienstes von Laien vom 24.2.1988, in: Abl Köln 157 (1988) 94. 71 Deutsche Bischofskonferenz, Ordnung für den Predigtdienst von Laien, § 1, Ziff. 2. 72 Vgl. u.a. Johannes Paul II., Instructio „Ecclesiae de mysterio“, Art. 3 § 2. 73 Österreichische Bischofskonferenz, Dekret über die Ordnung des Predigtdienstes von Laien vom 6.11.1992, in: Abl. ÖBK, Nr. 13 (1994) 2–3; AfkKR 163 (1994) 507–508. In erneuerter Fassung und an die römischen Instruktionen angepasste Fassung: Dies., Allgemeines Dekret über die Ordnung des Predigtdienstes von Laien vom 27.5.2002, in: Abl. ÖBK, Nr. 33 (2002) 4–5; AfkKR 171 (2002) 200–202, hier Einleitung. 68 69

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Die Schweizer Bischofskonferenz hat hingegen kein Dekret zu c. 766 CIC erlassen; die einschlägigen Bestimmungen zur Beauftragung von Laien im kirchlichen Dienst74 gehen jedoch weiterhin von der Möglichkeit der Zulassung von Laien zur Predigt in der Eucharistiefeier aus und stehen damit in Widerspruch zu c. 767 § 1 CIC. c) Sonderformen der Predigt Um spezifische Situationen wirksamer erfassen zu können, kann der Diöze­ sanbischof gemäß c. 770 CIC (c. 615 CCEO) gesonderte Bestimmungen erlassen, die das Predigtrecht innerhalb der Diözese und vornehmlich für die Pfarreien ergänzen. Dazu gehören Orientierungshilfen für geistliche Exerzitien oder auch Volksmissionen (Pfarrmissionen), die in regelmäßigen Abständen gehalten werden und der katechumenalen Vertiefung des Glaubens und des geistlichen Lebens der Gläubigen in ihrem Alltag dienen. Darüber hinaus werden gemäß c. 771 § 1 i. V. m. c. 772 § 1 CIC (c. 192 § 1 CCEO) besonders die Bischöfe und Priester daran erinnert, das Wort Gottes auch den Gläubigen in kategorialen Bereichen der kirchlichen Sendung zu verkündigen, die nicht von der pfarrlichen Seelsorge erfasst werden (z.B. Flüchtlinge, Touristen, Auswanderer)75 oder als Nichtglaubende der Kirche fernstehen (vgl. c. 771 § 2 i. V. m. c. 772 § 1 CIC; c. 192 § 2 CCEO).

C. Katechese Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 112; Christoph Ohly, § 63 Die Verkündigung in Predigt und Katechese, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Christoph Ohly, Der Dienst am Wort Gottes. Eine rechtssystematische Studie zur Gestalt von Predigt und Katechese im Kanonischen Recht, St. Ottilien 2008, bes. 675–756.

1. Klärung des Begriffs Die Katechese zählt neben der Predigt zu den beiden herausragende Formen der kirchlichen Verkündigung. Beiden kommt ein Primat unter all jenen Mitteln zu, die sich der Darstellung des Glaubens und seiner Verwirklichung im christlichen Leben widmen. Das Recht auf das Hören der Katechese ist als Menschenrecht in der Suche nach der Wahrheit manifestiert (vgl. c. 748 § 1 CIC) und als Christenrecht in der Taufe begründet (c. 843 § 2 CIC). Ihm entspricht die Verpflichtung seitens der Kirche Schweizer Bischofskonferenz, Beauftragte Laien im kirchlichen Dienst vom Januar 2005 (=Dokumente der Schweizer Bischöfe 12), Freiburg 2005, hier 2. Teil, II, 1. 75 Dazu Pontificium consilium de spirituali migrantium atque itinerantium cura, Instructio „Erga migrantes caritas Christi“ vom 3.5.2004, in: AAS 96 (2004) 762–822; dt.: VApSt 165. 74

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und aller ihrer Glieder, für die katechetische Unterweisung Sorge zu tragen. Aus kirchenrechtlicher Perspektive ist daher die Katechese von zwei Dimensionen geprägt. Einerseits bezeichnet sie in einem weiten Sinne die Einweisung und Einübung (institutio, tirocinium) der Katechumenen im Katechumenat (vgl. c. 788 CIC; c. 587 CCEO), innerhalb dessen den Taufbewerbern eine rechtliche Sonderstellung zukommt.76 Sie verhilft ihnen, sich gemäß c. 865 CIC (c. 682 CCEO) auf den Empfang der Taufe und die Eingliederung in die Kirche vorzubereiten. So lässt sich festhalten:

Katechese im weiteren Sinne bezeichnet den Katechumenat als Vorbereitungszeit des erwachsenen Katechumenen auf den Empfang der sog. Initiationssakramente.

Andererseits steht die Katechese nach c. 773 CIC (c. 617 CCEO) in einem engen Sinne aber auch für die fortlaufende und beständige Unterweisung (institutio) der Gläubigen in Lehre (doctrina) und praktischer Erfahrung (experientia) christlichen Lebens, durch die der Glaube lebendig werden, sich entfalten und zu Taten führen soll (c. 773 CIC).77 Daher muss hinzugefügt werden:

Katechese im engeren Sinne ist die Glaubensunterweisung von Gläubigen in lehrmäßiger, eher systematischer Darlegung der Glaubenslehre, verbunden mit dem Bemühen um Einübung in das christliche Leben, im Auftrag der zuständigen kirchlichen Autorität, also in Teilhabe an der amtlichen Lehrverkündigung der Kirche, vornehmlich außerhalb der Liturgie und der Schule.

In diesem doppelten Verständnis muss die Katechese schließlich sowohl vom schulischen Religionsunterricht gemäß cc.  804 und 805 CIC (cc.  636 und 637 CCEO) als auch von der Familienkatechese nach cc. 774 § 2, 776 CIC (c. 618 CCEO) abgegrenzt werden. Ersterer ist vornehmlich an einer Glaubensvermittlung in Orientierung am Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule sowie am Verkündigungsauftrag der Kirche ausgerichtet.78 Letztere begründet sich als eigene Form im Recht und in der Pflicht der Eltern und Paten, als „erste Künder und Erzieher des Glaubens“ (AA 11, 1) in der Familie als „Hauskirche“ (LG 11, 2) tätig zu wer Siehe cc. 206; 1170; 1183 CIC; cc. 9; 875 CCEO. Vgl. Johannes Paul II., Adhortatio Apostolica „Catechesi tradendae“, Nr. 22 u. 25. 78 Vgl. dazu Die Deutschen Bischöfe, Katechese in veränderter Zeit vom 22.6.2004 (= Die deutschen Bischöfe 75), Bonn 2004, hier 5.2. 76 77

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den. Im Zusammenhang mit der Erkenntnis der missionarischen Dimension der Kirche und dem damit verbundenen Erfordernis der Neuevangelisierung bedarf es der bleibenden Verbindung der „drei klassischen Lernorte des Glaubens“, die in ihrem heutigen Zusammenwirken nicht selten auseinanderfallen: Familie, Pfarrei, Schule.79 Diese innere Verbindung wird kodikarisch vor allem durch die Verpflichtung des Pfarrers betont, die Aufgabe der Eltern bei der Katechese in der Familie (c. 776 CIC; c. 624 CCEO) und den Anteil der Laien an der Sendung der Kirche (c. 529 § 2 CIC; c. 289 § 1 CCEO) in Katechese und Religionsunterricht zu fördern und zu pflegen. 2. Organisation Die Normen zur Organisation der Katechese betreffen solche zuständigen kirchlichen Autoritäten, die sowohl die äußere wie die innere Strukturierung der Katechese auf universal- und partikularkirchlicher Ebene verantworten. Die Norm des c. 775 § 1 CIC betont den umfassenden Verantwortungsbereich des Apostolischen Stuhls für die Katechese der ganzen Kirche (spezifisch der Päpstliche Rat zur Förderung der Neuevangelisierung). Dies zeigt sich vor allem in der Pub­likation einschlägiger Lehrschreiben, katechetischer Direktorien und eines Weltkatechismus (inklusive des dazugehörigen Kompendiums), der als Vorbild für bischöfliche Katechismen dienen soll.80 Sie bilden den universalen Rahmen für die partikulare Konkretisierung. Die Bischofskonferenz besitzt zur Ordnung der Katechese für ihr Territorium nach c. 775 § 2 CIC (c. 621 § 3 CCEO) die Kompetenz, nach vorheriger Bestätigung (praevia confirmatione) durch den Apostolischen Stuhl Kat­echismen herauszugeben81, die Ausdruck ihrer lehramtlichen Vollmacht sind. Für die Herausgabe bedarf es nach Art. 13 Abs. 1 des Statuts der Deutschen Bischofskonferenz einer 2/3-Mehrheit aller stimmberechtigten Bischöfe sowie einer 2/3-Mehrheit aller Diözesanbischöfe und der ihnen Gleichgestellten. Sowohl die Deutsche Bischofskonferenz als auch die Österreichische Bischofskonferenz haben davon Gebrauch gemacht.82 Ebenso kann die Bischofskonferenz gemäß c. 775 § 3 CIC (c. 622 § 2 So Andreas Wollbold, Handbuch der Gemeindepastoral, Regensburg 2004, 281; ausführlich 278–284. 80 Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche. Editio typica latina, Città del Vaticano – München 2003; Directorium „Generale pro Catechesi“ vom 15.8.1997, Città del Vaticano 1997; dt.: VApSt 130; Benedikt XVI., Motu proprio „Vor zwanzig Jahren“ zur Approbation und Veröffentlichung des Kompendiums des Katechismus der Katholischen Kirche vom 28.6.2005, in: ORdt 35 (2005), Nr. 26, 7; Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung, Direktorium für die Katechese vom 23.3.2020 (= VApSt 224). 81 Vgl. Franziskus, Motu proprio „Competentias quasdam decernere“ vom 11.2.2022, in: ORital 162 (2022), Nr. 37, 15.2.2022, 8. 82 Siehe Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Bd. I: Das Glaubensbekenntnis der Kirche (1984), Kevelaer u.a. 41989; Bd. II: Leben aus dem Glauben (1995), Kevelaer u.a. 1995. 79

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CCEO) ein katechetisches Amt zur Koordination und Hilfestellung für die einzelnen Diözesen einrichten. Unter Wahrung der universalkirchlichen Vorschriften kann der Diözesanbischof nach c. 775 § 1 CIC (c. 623 § 1 CCEO) Normen zur Ordnung der Kat­echese erlassen, die auf das spezifische Leben in der Diözese ausgerichtet sind. In diesem Zusammenhang ist die Verpflichtung des c. 780 CIC zu sehen, eine gebührende Vorbereitung und beständige Fortbildung der Katechisten bzw. der mit der Katechese beauftragten Laien ebenso zu ermöglichen wie eine angemessene Ausbildung in den pädagogischen Disziplinen, die der jeweiligen Art der Vermittlung dienen. Darüber hinaus soll der Diöze­sanbischof für geeignete Hilfsmittel für die Katechese Sorge tragen, und wenn dies als sinnvoll angesehen wird, einen eigenen Katechismus herausgeben und besondere katechetische Vorhaben fördern. 3. Verantwortungsträger In Übereinstimmung mit dem Grundgedanken, dass alle Glieder der Kirche am prophetischen Amt Christi Anteil besitzen, stellt c. 774 § 1 CIC (c. 619 CCEO) heraus, dass die Sorge um die Katechese „je zu ihrem Teil“ (pro sua cuiusque parte) bei allen Gliedern der Kirche liegt. Das heißt: Alle Gläubigen sind auf ihre Weise und gemäß ihrer jeweiligen Stellung im Organismus der Kirche zum Zeugnis in Wort und Tat verpflichtet. Die Katechese ist daher ein Handeln der ganzen Kirche in differenzierter Form und Gestalt. Diese gemeinsame Verantwortung betrifft folglich die Eltern und die Paten als Erstverkündiger (vgl. c. 774 § 2 CIC; c. 618 CCEO) ebenso wie die einzelnen Gläubigen (vgl. 776 CIC; c. 624 § 3 CCEO), die geistlichen Amtsträger (vgl. cc. 775–778 CIC; cc. 621–624 CCEO) und beauftragte Laien im Sinne der Katechisten (vgl. c. 785 CIC). Im Verständnis, dass die kirchliche Katechese „ein Geben und ein Nehmen“ ist, soll daher auch jeder Gläubige bereit sein, seinen Beitrag zu leisten, unbeschadet der Ausnahme einer rechtmäßigen Verhinderung (vgl. c. 776 CIC). In notwendiger Ergänzung zur universalen Sorge aller Gläubigen um die Katechese betont c. 773 CIC die diesbezügliche Verantwortung aller Seelsorger im Sinne einer ihnen eigenen und schweren Pflicht. Dabei ist im Sinne des c. 775 CIC (c. 617 CCEO) der Diözesanbischof als Erstverantwortlicher für die Förderung, Koordination und Überwachung der Katechese in seiner Teilkirche zuständig. Er hat Normen in Fragen der Katechese zu erlassen, geeignete Hilfsmittel (beispielsweise einen Katechismus) zur Verfügung zu stellen und spezielle katechetische Vorhaben zu koordinieren. Da die Pfarrei oder Pfarreiengemeinschaft gemäß den Worten von Papst Johannes Paul II. den „Motor und bevorzugten Ort der Katechese“83 darstellt, kommt dem Pfarrer kraft seines Amtes die umfassende Verpflichtung zur Sorge um die Johannes Paul II., Adhortatio Apostolica „Catecesi tradendae“, Nr. 67 b u. Nr. 64–66.

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katechetische Bildung speziell gegenüber den ihm Anvertrauten zu (c. 776 i. V. m. c. 528 § 1 CIC; c. 624 CCEO). Dabei soll er die Mitarbeit der seiner Pfarrei zugewiesenen Priester und Diakone ebenso berücksichtigen wie die der mit der missio canonica ausgestatteten und vom Bischof beauftragten Laien (Katechisten; Pastoral- und Gemeindereferenten bzw. ‑assistenten) bzw. jener bereitwilliger Laien, die ohne einen bischöflichen Auftrag im Bereich der Katechese mitwirken (Katecheten). Zur Mitarbeit angenommen werden sollen auch Angehörige der kanonischen Lebensverbände, d.h. der Institute des geweihten Lebens sowie der Gesellschaften des apostolischen Lebens, die unter Beachtung ihres eigenen Charismas entsprechende Hilfestellung leisten. Zugleich haben die Oberen der Lebensverbände gemäß c. 778 CIC Sorge dafür zu tragen, dass in den Einrichtungen der eigenen Niederlassungen entsprechende Katechesen „mit Eifer“ (sedulo) erteilt wird. 4. Formen der Katechese Die Ausrichtung der Katechese in ihrem engen und weiten Sinn auf verschie­dene Adressaten erfordert eine Reihe spezifischer Formen der Katechese, die sich sowohl vom Inhalt als auch von der Methodik her unterscheiden. Im Sinne der einschlägigen Norm des c. 777 CIC können dazu gezählt werden:     

die grundlegende Sakramentenkatechese, die den Erfordernissen in c. 842 §§ 1 und 2 CIC entspricht (n. 1) die Kinderkatechese zur Vorbereitung auf die Erstbeichte, Erstkommunion und Firmung (n. 2) die weiterführende (auch mystagogische) Katechese für Jugendliche und junge Erwachsene zur Glaubensvertiefung (Tauf- und Firmerneuerung) (n. 3) die an der spezifischen Situation orientierte Katechese für körperlich und geistig Behinderte (n. 4) und die allgemeine Glaubenskatechese für Jugendliche und Erwachsene in verschiedenen Formen und Vorhaben (variis formis et inceptis) (n. 5).

Erkennbar wird, dass die Bestimmung lediglich einen rechtlichen Rahmen setzt, innerhalb dessen viele Variationsmöglichkeiten für den Bereich der Pfarrei und darüber hinaus gegeben sind. Gerade der Blick auf verschiedene universalkirchliche Wirklichkeiten (z.B. Weltjugendtage mit ihrer liturgisch-katechetischen Ausrichtung, Neue Geistliche Bewegungen, Nightfever, Exerzitien, Prayer-Festivals, Glaubensschulen u.a.m.) bezeugen die Notwendigkeit sowie die Nachfrage nach einer das Leben des jungen Christen begleitenden Katechese und geistlichen Führung. Hier ist sicher auch an verschiedene Formen sowohl der Begleitung von Ehen und Familien als auch von Projekten im Sinne der Neuevangelisierung getaufter, aber nicht praktizierender Christen zu denken.

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§ 14 Bildung und Erziehung

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5. Inhalt und Hilfsmittel Inhalt und Ziel der Katechese sind im besten Sinne deckungsgleich. Sie will mit den ihr gemäßen Mitteln „das Geheimnis Christi vollständig und getreu“ vorlegen (c. 760 CIC), um so die katholische Lehre voller kennen und in die Praxis des Glaubenslebens besser umsetzen zu lernen (c. 779 CIC). Dabei wird bezüglich der Qualität der Mittel keine Grenze formuliert. Sie müssen sich insbesondere mit Blick auf die didaktischen Hilfen und sozialen Kommunikationsmittel als „besonders wirksam“ (efficaciora) erweisen. Gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass nicht die Mittel und damit die Methodik der Katechese im Mittelpunkt stehen. Im Gegenteil: Es gilt der Grundsatz, dass das Zentrum der Katechese (Jesus Christus als das menschgewordene Wort Gottes) ihren Inhalt und die Eigenart ihrer Logistik (Methoden und Hilfsmittel) bestimmt. Deshalb bedient sich die Katechese neben den Katechismen und Direktorien vor allem auch jener sozialen Kommunikationsmittel audiovisueller, elektronischer und digitaler Art, die der Glaubensverkündigung auf wirksame Weise zu helfen vermögen. Gleichwohl gilt es daran zu erinnern, dass das entscheidende Mittel der Katechese immer das persönliche Zeugnis des einzelnen Christen ist, das auf authentische Weise von einem Glauben in Lehre und Praxisvollzug kündet. Papst Franziskus drückt dies in seinem Schreiben „Evangelii gaudium“ wie folgt aus:84

Der erste Beweggrund, das Evangelium zu verkündigen, ist die Liebe Jesu, die wir empfangen haben; die Erfahrung, dass wir von ihm gerettet sind, der uns dazu bewegt, ihn immer mehr zu lieben … Um aus tiefster Seele Verkündiger des Evangeliums zu sein, ist es auch nötig, ein geistliches Wohlgefallen daran zu finden, nahe am Leben der Menschen zu sein, bis zu dem Punkt, dass man entdeckt, dass dies eine Quelle höherer Freude ist.

§ 14 Bildung und Erziehung Aymans  – Mörsdorf, KanR III, §  114; Norbert Lüdecke, §  68 Das Bildungswesen, in: HdbKathKR3. Als grundlegende Lektüre wird empfohlen: VatII, Declaratio de Educatione Christiana „Gravissimum educationis“, in: AAS 58 (1966) 728–739; dt. Übers. besorgt im Auftrag der deutschen Bischöfe. Einleitung und Kommentar von Johannes Pohlschneider u.a., in: LThK.E II, 357–404 [GE].

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Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“, Nr. 264 u. 268.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Als weiteren wichtigen Teil des Verkündigungsrechts behandeln die kirchlichen Gesetzbücher unter der Überschrift „Katholische Erziehung“ (De educatione catholica) das kirchliche Schul- und Hochschulrecht mit den Schwerpunkten Schule und Religionsunterricht (cc.  796–806 CIC; cc.  631–639 CCEO), Katholische Universitäten und andere Hochschuleinrichtungen (cc. 807–814 CIC; cc. 640–645 CCEO) sowie Kirchliche Universitäten und Fakultäten (cc. 815–821 CIC; cc. 646– 650 CCEO). Auch wenn der Begriff educatio in den Rechtsnormen vornehmlich mit „Erziehung“ übersetzt wird, muss der fachspezifische Terminus im Sinne der konziliaren Erklärung Gravissimum educationis um die Gedanken der Bildung und Ausbildung (formatio) ergänzt werden. Im Blick auf das Wachsen im Glauben und seines Vollzugs in den vielgestaltigen Zusammenhängen des Lebensalltags haben alle drei Dimensionen nicht nur ihre Berechtigung. Vielmehr kommen sie in unterschiedlichen Lebensstadien stärker zum Tragen. Kinder und Jugendliche werden wohl eher unter dem Aspekt der Erziehung in den Fertigkeiten des Lebens betrachtet werden, Erwachsene stärker unter dem Aspekt der Bildung. Beides wirkt jedoch ineinander und kann nicht voneinander getrennt werden.

A.  Zentrale Grunddaten In drei Einleitungscanones zum Normenbereich der educatio catholica bietet der Gesetzgeber einige zentrale Grunddaten für das kirchliche Verständnis der educatio. Demzufolge wird die Erziehung in einem ganzheitlichen Sinne verstanden, namentlich als „umfassende Bildung der menschlichen Person“.85 Der Mensch wird dabei im Licht der christlichen Anthropologie als Geschöpf Gottes verstanden, dem eine Unverwechselbarkeit in seiner Persönlichkeit eignet. Eine den Menschen in seiner Ganzheit umfassende Bildung berührt daher auf lebenslange Sicht alle Aspekte seiner Existenz und ist gemäß c. 795 CIC (c. 629 CCEO) auf die beständige Entfaltung aller körperlichen, geistigen und geistlich-religiösen Anlagen sowie des darin gründenden Verantwortungsbewusstseins in Freiheit und Würde ausgerichtet. Bildung und Erziehung im christlichen Sinne tragen sowohl eine individuelle, auf die einzelne Person bezogene Dimension in sich, ebenso und unverzichtbar aber auch eine gemeinschaftliche Ausrichtung, die den Menschen als Teil der Menschheit und konkret einer zivilen Gesellschaft und der kirchlichen Gemeinschaft begreift. Der Grundgedanke von Bildung und Erziehung steht deshalb im Zusammenhang von Rechten und Pflichten. Alle Menschen besitzen aufgrund ihrer persona-

Aymans – Mörsdorf, KanR III, 95.

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len Würde ein unveräußerliches Recht auf Erziehung und Bildung (vgl. GE 1, 1).86 Jeder Gläubige, der durch die Taufe der Kirche eingegliedert wird, wird gemäß c. 96 CIC zum Träger von Rechten und Pflichten, zu denen auch das Recht auf eine „christliche“ (spezifisch katholische) Erziehung nach c. 217 CIC (c. 20 CCEO) und auf den Erkenntniserwerb der christlichen Lehre nach c. 229 § 1 CIC (c. 404 § 1 CCEO) gehört. Infolgedessen hebt c. 794 CIC (c. 628 CCEO) das „Pflichtrecht“87 der ganzen Kirche zur Erziehung hervor, d.h. ein Recht, das nicht beliebig zur Disposition steht und daher zugleich eine Verpflichtung mit einschließt. Die Kirche ist von Gott gesandt (im Sinne von berechtigt und verpflichtet), „den Menschen zu helfen, dass sie zur Fülle des christlichen Lebens zu gelangen vermögen“ (§ 1).88 Es ist ihr vornehmliches Recht, dies zu tun, da es ihr aus der Verpflichtung durch den Herrn der Kirche sowohl gegenüber den Ungetauften als auch gegenüber den Gläubigen als Gliedern der Kirche zukommt. Daher sind alle Gläubigen, insbesondere aber die Seelsorger (§ 2) verpflichtet, an diesem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Kirche gemäß ihren Möglichkeiten mitzuwirken. Das Pflichtrecht der Kirche muss jedoch im Kontext jenes Pflichtrechts der Eltern und Erziehungsberechtigten gesehen werden, da sie in ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern ein unverwechselbares und daher primäres Recht zu Erziehung und Bildung unter Einbezug ihrer Verpflichtung besitzen. Die Kirche sieht dies in einer besonderen Weise im Ehebund und in den wesentlichen Pflichten der Ehe (c. 1095 CIC) sowie im Raum der Familie (vgl. c. 627 § 1 CCEO) begründet und verwirklicht. Das bestätigt c. 226 § 2 CIC (c. 407 § 1 CCEO) mit dem elterlichen Erziehungsrecht und der Pflicht, für die christliche Erziehung der Kinder „gemäß der von der Kirche überlieferten Lehre zu sorgen“. Die kirchliche Würdigung und Bedeutung des elterlichen Pflichtrechts unterstreicht der Gesetzgeber mit der – zumindest theoretischen – Norm des c. 1366 CIC (c. 1439 CCEO), dass Eltern oder Elternvertreter, die bewusst eine nichtkatholische Taufe oder Erziehung der Kinder veranlassen, mit einer Sanktion (Zensur oder gerechte Strafe) belegt werden können. Dem elterlichen Pflichtrecht zugeordnet ist zudem die Verantwortung, die Mittel und Einrichtungen zu wählen, mit denen am sinnvollsten für die katholische Erziehung der Kinder gesorgt werden kann (c. 793 § 1 CIC; c. 627 § 2 CCEO). Dazu zählen vor allem alle kirchlichen Bildungseinrichtungen (Kindergärten, Schulen, Internate), aber auch jene, die im Zusammenwirken mit dem Staat für eine entsprechende Erziehung sorgen (c. 793 § 1 CIC; c. 627 § 3 CCEO). Vgl. dazu u.a. auch Art. 2; 6; 7; 140; 141 Bonner Grundgesetz, die das Fundament für das Recht auf und die Pflicht zur Erziehung mit Blick auf die Einzelperson, auf Eltern und Erziehungsberechtigte und auf die Kirche und ihre Einrichtungen darstellen und in den Verfassungen der Bundesländer sowie den einschlägigen Bestimmungen der Konkordate ihre Entfaltung finden. 87 Aymans – Mörsdorf, KanR III, 96. 88 Vgl. dazu auch GE 3, 3 u. 4. 86

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B. Schulen Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 115. Weiterführende Literatur: Matthias Jestaedt, Das Recht der Eltern zur religiösen Erziehung, in: Dietrich Pirson u.a. (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Berlin 32020, 1671–1749; Kerstin Schmitz-Stuhlträger, Das Recht auf christliche Erziehung im Kontext der Katholischen Schule. Eine kanonistische Untersuchung unter Berücksichtigung der weltlichen Rechtslage, Berlin 2009.

Eine besondere Hilfe zur Erfüllung der elterlichen Erziehungs- und Bildungsaufgabe sieht die Kirche in den Schulen, die Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene auf ihrem Lebensweg begleiten (vgl. c. 796 § 1 CIC; c. 631 § 1 CCEO). 1. Ergänzung des elterlichen Pflichtrechts Mit den Bestimmungen zum Schulrecht macht die Kirche das bestehende Spannungsverhältnis zwischen Eltern und Schulpflicht deutlich. Auf der einen Seite schätzt sie die Schulen als Erziehungs- und Bildungseinrichtungen hoch, da sie in ihrer eigenen Geschichte dem Schulwesen im Bewusstsein seiner Bedeutung eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Kirchliche Schulen sind bis heute vielfach bevorzugte Bildungs- und Erziehungsorte. Die Kirche ist folglich weit davon entfernt, die staatlich festgeschriebene Schulpflicht kritisch zu hinterfragen. Auf der anderen Seite betont sie jedoch deren subsidiären Charakter. Das elterliche Pflichtrecht kann durch die Schule nicht ersetzt, wohl aber im besten Sinne des Wortes ergänzt werden. Daher soll auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonal und Eltern, möglicherweise auch durch Versammlungen oder Elternvereinigungen, abgezielt werden (c. 796 § 1 CIC). Eng verbunden mit dem elterlichen Pflichtrecht ist die Wahlfreiheit bezüglich der Schulen. Die Eltern müssen in der Auswahl der Schulen „wirklich frei sein“ (c. 797 CIC; c. 627 § 3 CCEO), um die ganzheitliche Erziehung ihrer Kinder nach den Maßgaben des Glaubens sichergestellt zu wissen. Es ist daher die Aufgabe der Kirche und ihrer Gläubigen, sich in der zivilen Gesellschaft gegen jede Form eines Schulmonopols und für die freie Schulwahl einzusetzen. Ist eine entsprechende Erziehung in den zur Verfügung stehenden Schulen nicht möglich, sollen die Eltern mit Hilfe der Kirche zum einen dafür sorgen, dass diese außerhalb der Schule (Pfarrkatechese, universal- und partikularkirchliche Glaubensveranstaltungen …) geschehen kann (vgl. c. 798 CIC; analog c. 633 CCEO). Zum anderen obliegt es der Kirche und allen Gläubigen, sich dafür einzusetzen, dass die zivilen Bildungsgesetze auch den Gedanken der religiösen und sittlichen Erziehung nach dem Gewissen der Eltern und unter Berücksichtigung des Rechts auf religiöse Freiheit (Art. 4 GG) würdigen (vgl. c. 799 CIC).

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2. Kirchliche Schulen Zugleich nimmt die Kirche gemäß c. 800 § 1 CIC (c. 631 § 1 CCEO) für sich das Recht in Anspruch, Schulen jedweder Art (generis) und Stufe (gradus) zu gründen und zu leiten.89 Nach Art gehören dazu allgemein- und berufsbildende sowie technische Schulen, nach Stufe die verschiedenen Schulformen der allgemeinbildenden Schulen (z.B. Grund- und Realschulen, Gym­nasien, Gesamtschulen). Dieses Recht zu unterstützen und bei der Verwirklichung in Gründung und Erhaltung mitzuhelfen, ist die Aufgabe aller Gläubigen gemäß ihren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (§ 2). Als Träger der kirchlichen Schulen kommen sowohl Organe der kirchlichen Verfassung als auch Einrichtungen des kirchlichen Vereinigungsrechts in Frage. So normiert c. 802 § 1 CIC (c. 635 CCEO) die Kompetenz des Diö­zesanbischofs, entsprechende Schulen in der Trägerschaft der Diözese oder anderer diözesaner Personengesamtheiten zu gründen und zu fördern, vorbehaltlich der einschlägigen staatlichen Bestimmungen im Bereich des Schulrechts.90 Unter Würdigung der geschichtlich bedeutsamen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen zahlreicher Institute des geweihten Lebens erinnert c. 801 CIC daran, dass die Ordensinstitute (instituta religiosa) 91 der ihnen eigenen Erziehungsaufgabe auch weiterhin in den von ihnen mit Zustimmung des Diözesanbischofs gegründeten und unterhaltenen Schulen nachkommen. Im deutschen Sprachraum zeichnen sich seit geraumer Zeit starke Veränderungen in der kirchlichen Schullandschaft ab, insbesondere da, wo Orden und Kongregationen die bisherige Aufgabe aufgrund der personellen Entwicklung nicht mehr zu erfüllen vermögen. Der Übergang in die diözesane Trägerschaft ist bei Absicherung der damit verbundenen logistischen und inhaltlichen Perspektiven ein hilfreicher Schritt zum Erhalt der kirchlichen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen. Doch wird es in Zukunft möglicherweise auch unter den Neuen Geistlichen Gemeinschaften verstärkt jene geben, die für solche Aufgaben aufgrund des eigenen Charismas im Bereich der Erziehung und Bildung zur Verfügung stehen. Um dieses Engagement zu fördern, ist ein entsprechendes Zusammenwirken mit den Diözesen und ihren Einrichtungen unbedingt notwendig. Kirchliche Schulen werden gemäß c. 803 CIC als katholische Schulen bezeichnet, wenn dafür die schriftliche Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität (Diözesanbischof oder Apostolischer Stuhl) vorliegt.92 Die Bezeichnung ist daher nicht automatisch mit der Errichtung der Schule gegeben, sondern bedarf eines In Ergänzung dazu siehe c. 802 § 2 CIC (c. 635 CCEO) mit dem Verweis auf Berufsschulen und technische Schulen. 90 Zum Überblick vgl. Aymans – Mörsdorf, KanR III, 101–103. 91 Ergänzend hierzu sind die Säkularinstitute und Gesellschaften apostolischen Lebens sowie damit befasste kirchliche Vereinigungen zu nennen. 92 Vgl. dazu insgesamt auch die Bestimmungen zu den katholischen Schulen in cc. 631–639 CCEO. 89

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eigenen hoheitlichen Verwaltungsaktes (c. 37 CIC). Wird die Schule von der zuständigen kirchlichen Autorität (z.B. Diözesanbischof ) oder einer anderen kirchlichen öffentlichen juristischen Person geführt, liegt die Anerkennung als „katholisch“ nahe, da die Schule eine Einrichtung der Kirche ist. Handelt es sich jedoch um eine Einrichtung innerhalb der Kirche, muss dem Errichtungsdekret das die Schule als „katholisch“ qualifizierende Dekret hinzugefügt werden. Ihre Legitimation findet die Bezeichnung nach c. 803 § 2 CIC (c. 639 CCEO) in der katholischen Prägung von Unterricht und Erziehung sowie in der Rechtgläubigkeit und Rechtschaffenheit des Lehrpersonals. Mit anderen Worten: Inhalt und Personen prägen die katholische Qualifizierung der Schule, zudem die erforderliche Sicherung einer anerkannten wissenschaftlichen Qualität gemäß c. 806 § 2 CIC. Das Aufsichts- und Visitationsrecht über alle katholischen Schulen, die sich auf dem Territorium seiner Diözese befinden, steht gemäß c. 806 § 1 CIC (c. 638 § 1 CCEO) dem Diözesanbischof zu. Das Recht bezieht sich, unbeschadet der Autonomie der inneren Leitung, auch auf die Schulen in der Trägerschaft von Ordensinstituten und beinhaltet zugleich die Kompetenz, allgemeine Vorschriften zur Ordnung der katholischen Schulen zu erlassen.

C. Religionsunterricht Wilhelm Rees, § 69 Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR3, (Lit.). Weiterführende Literatur: Heike Künzel, Die „Missio Canonica“ für Religionslehrerinnen und Religionslehrer, Essen 2004; Stephan Leimgruber – Ludger Müller, Religionsunterricht zwischen Norm und Wirklichkeit, Paderborn 2000; Thomas Meckel, Religionsunterricht im Recht. Perspektiven des katholischen Kirchenrechts und des deutschen Staatskirchenrechts, Würzburg 2011; Markus Ogorek, Religionsunterricht, in: Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Berlin 32020, 1799–1862.

1. Kirchenrechtliche Normen Im Rahmen des kodikarischen Schulrechts verweist der kirchliche Gesetzgeber mit lediglich zwei Einzelnormen auf den Religionsunterricht (institutio), der im Zusammenhang der verkündigungsrechtlichen Trias Familie  – Pfarrei  – Schule eine unverzichtbare Stellung einnimmt. Der Grund für diese Zurückhaltung ist in der Tatsache zu suchen, dass das universalkirchlich geltende Recht auf unterschiedlichste staatliche Gesetzgebungen trifft und deshalb nur eine Art Rahmengesetzgebung vorzulegen vermag.93

Vgl. Aymans – Mörsdorf, KanR III, 104 f.

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Die Einordnung des gegenüber der Familien- und Pfarreikatechese eigenständigen, wenngleich inhaltlich mit ihnen verbundenen Religionsunterrichts in den Bereich des Verkündigungsrechts charakterisiert ihn als ein elementares Mittel im Bereich kirchlicher Erziehung und Bildung:94

Der Religionsunterricht bezeichnet die schulische Sonderform der Katechese. Er erfolgt nach schulischen Bildungsprinzipien und ergänzt in seiner sachbezogenen Form der Glaubensunterweisung die familiäre und pfarrliche Katechese. Seine Prägung als schulisches Lehrfach erfährt er insbesondere durch die Tatsache, dass seine Adressaten Schüler sind, die aus unterschiedlich geprägten kirchlichen Kontexten stammen.

Als solcher stellt der Religionsunterricht eine unverzichtbare Hilfe mit Blick auf das elterliche Pflichtrecht in der Erziehung ihrer Kinder dar und sollte daher in allen kirchlichen (katholischen) Schulen und, nach Maßgabe des staatlichen Rechts, auch in den staatlichen (öffentlichen) Schulen als Lehrfach vertreten sein. Folglich bestimmt c. 804 § 1 CIC (analog c. 636 § 1 CCEO), dass der Religionsunterricht „in den Schulen jeglicher Art“ (in quibuslibet scholis) der kirchlichen Autorität untersteht. Umfang und Ausrichtung dieses Rechts hängen mit dem Blick auf die staatlichen Schulen, in denen Religionsunterricht erteilt wird, von den einschlägigen staatlichen Rechtsbestimmungen ab. Als kirchlicher Autorität kommt zunächst der Bischofskonferenz die Aufgabe zu, allgemeine Normen für den Religionsunterricht in ihrem Rechtsbereich zu erlassen, um ein einheitliches Vorgehen in den betreffenden Diözesen zu gewährleisten.95 Der Diözesanbischof besitzt die Vollmacht, auf dieser Grundlage den Religionsunterricht in seiner Diözese durch nähere Regelungen zu normieren und zugleich zu überwachen. Dazu gehört unter anderem die Pflicht, für eine angemessene Ausbildung der Religionslehrer Sorge zu tragen. Die Vollmacht des Ortsordinarius (Diözesanbischof, General- oder Bischofsvikar) ist zum einen auf das Lehrpersonal bezogen. Nach cc. 804 § 2 und 805 CIC (c. 636 § 2 CCEO) kommt ihm das Recht der Ernennung bzw. Approbation (falls die Ernennung durch einen Dritten erfolgt) von Religionslehrern (Frauen und Männer) zu, die sich ihrerseits nachweislich durch Rechtgläubigkeit, ein Zeugnis christlichen Lebens und durch pädagogisches Geschick auszeichnen sollen. Cha Ausführlich dazu Wilhelm Rees, Religionsunterricht, 1019–1026. Vgl. dazu u.a. Die Deutschen Bischöfe, Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen vom 16.2.2005 (= Die deutschen Bischöfe 80), Bonn 2005; Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in Grundschule / Primarstufe vom 24.4.2006 (= Die deutschen Bischöfe 85), Bonn 2006.

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rakteristischer Ausdruck der Ernennung oder Approbation besteht in der Erteilung der missio canonica, d.h. jener kirchenamtlichen Sendung, mit der die Religionslehrer kirchenamtlich beauftragt werden und folglich nomine Ecclesiae – im Namen und im Auftrag der Kirche – lehren (verkündigen).96 Zugleich ist mit diesem Recht die Kompetenz verbunden, Lehrpersonen nach eingehender Prüfung abzuberufen, wenn sich diese hinsichtlich Glaube, Lebensführung oder fachlicher Befähigung als nicht (mehr) geeignet erweisen. Zum anderen kommt dem Ortsordinarius gemäß c. 827 § 2 CIC (c. 658 § 2 CCEO) die Aufsicht über die Lehrmittel zu. Alle Bücher und andere Lehrmittel bedürfen für ihre Verwendung im Religionsunterricht der Genehmigung (approbatio), sei es im Vorfeld ihrer Herausgabe, sei es im Sinne einer nachträglichen Gutheißung. Die kodikarischen Normen weisen den schulischen Religionsunterricht eindeutig als „katholisch“ im Sinne eines konfessionell gebundenen Unterrichts aus, der im Dienst der Verkündigung des Glaubens und der katholischen Erziehung steht. Das verdeutlichen die Bestimmungen bezüglich der Zuständigkeit der kirchlichen Autorität, der Katholizität des Lehrpersonals sowie der Vermittlung des katholischen Glaubens. Damit ist jedoch eine Teilnahme von nichtkatholischen Schülern am Religionsunterricht nicht kategorisch ausgeschlossen, ebenso wenig die Berücksichtigung ökumenischer und interreligiöser Aspekte des Glaubens.97 2. Der Religionsunterricht im Gefüge von Staat und Kirche Trotz der prinzipiell institutionellen Trennung von Staat und Kirche operieren beide Partner in der Bundesrepublik Deutschland in zahlreichen Rechtsbereichen aufgrund der Überzeugung miteinander, „der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen“ zu dienen (GS 76, 3). Zwar versteht sich der Staat als ein religiös-weltanschaulich neutrales Gebilde, doch bedeutet die Neutralität keine Sterilität in der Beziehung zu den Religionsgemeinschaften.98 So verbietet Art. 140 des Bonner Grundgesetzes (GG) i. V. m. Art. 137, Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) eine Staatskirche, zugleich aber bezeugt Art. 4 GG die Gewährleistung aller religiösen Freiheiten im Sinne der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. Insbesondere die Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur (1933–1945) haben die Verfasser des Grundgesetzes in Anerkenntnis des jüdisch-christlichen Erbes dazu bewogen, jene geistlichen Voraussetzungen, von denen ein Staat lebt, nicht außer Acht zu lassen. Daraus ist eine Vielzahl von Bestimmungen erwachsen, die den Religionsgemeinschaften (vor allem den beiden großen christlichen Konfessionen) in ihrer öffentlichen

Vgl. Wilhelm Rees, Religionsunterricht, 1021–1025. Eingehend dazu Thomas Meckel, Religionsunterricht, 150–159. 98 Weiterführend dazu Christoph Ohly, Gesunde Laizität, 357–374. 96 97

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Bedeutung für Staat und Gesellschaft eine gehobene und zugleich paritätische Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. Zu diesen rechtlich normierten Berührungspunkten zwischen Staat und Kirche (res mixtae) gehört auch und vor allem der Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen, der neben seiner kodikarischen Verortung (zusammen mit den Normen der Bischofskonferenz99) gerade auch in verfassungs- und konkordatsrechtlicher Perspektive eine fundierte Absicherung erfährt.100 Seine Verankerung im öffentlichen Schulsystem soll u.a. dazu verhelfen, „Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne“101 als fundamentale Bildungsziele der Schulen zu erreichen. Verfassungsrechtlich tritt vor allem Art. 7 des Bonner Grundgesetzes in den Vordergrund, der als „Schulartikel“ das Grundrecht auf Religionsunterricht bzw. – zur Wahrung der negativen Religionsfreiheit – auf ein Ersatzfach (Ethik, Philosophie) gewährleistet:

Abs. 2: Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Abs. 3: Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

Ihm zugeordnet sind die einschlägigen Bestimmungen sowohl der Länderverfassungen als auch der Schulgesetze. Konkordatsrechtlich sind für den Religionsunterricht neben den Artikeln 21 und 22 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 die entsprechenden Bestimmungen der geltenden Länderkonkordate einschlägig. 99

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Deutsche Bischofskonferenz, Rahmenrichtlinien zur Erteilung der kirchlichen Unterrichtserlaubnis und der Missio Canonica für Lehrkräfte mit der Fakultas „Katholische Religionslehre“ samt Rahmengeschäftsordnung vom 12./15.3.1973, in: AfkKR 142 (1973) 491–493; Dies., Kirchliche Anforderungen an die Studiengänge für das Lehramt in katholischer Religion vom 23.9.1982 (= Die deutschen Bischöfe 23), Bonn 1982. Ausführlich Thomas Meckel, Religionsunterricht, 255–365. Art. 131, Abs. 2 der Bayerischen Verfassung. Ähnlich Art. 7 Verf-NRW; Art. 33 Verf-RhPf; Art. 26 Verf-Saarland.

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Aus dem Gesamt der Bestimmungen ergeben sich folgende rechtliche Charakteristika, die den Religionsunterricht als res mixta zwischen Staat und Kirche qualifizieren: 1. Die öffentlichen (staatlich verantworteten) Schulen (allgemein- und berufsbildende Schulen) stellen den Ort des Religionsunterrichts dar; bekenntnisfreie, weltanschaulich gebundene und private Schulen sind davon ausgenommen. 2. Der Religionsunterricht wird als selbständige, verpflichtende, noten- und versetzungsrelevante Lehrveranstaltung mit einer angemessenen Wochenstundenzahl und verfassungsverbürgter Befreiungsmöglichkeit (durch Eltern oder Schüler ab dem vollendeten 14. Lebensjahr) unter Beachtung der Verpflichtung zum Ersatzunterricht qualifiziert. 3. Die Ausbildung und Bereitstellung des Lehrpersonals sowie die Personal- und Sachkosten verantwortet der Staat (Bundesland). 4. Es besteht eine staatliche Schulaufsicht bezüglich der Beachtung des Lehrplans und der Stundenzahl, der Vorschriften über die Abmeldung von Schülern und die Niederlegung der Unterrichtsverpflichtung durch Religionslehrer, des Dienstrechts und der Fachaufsicht über die Unterrichtserteilung. 5. Die Erteilung des Religionsunterrichts erfolgt „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“; damit sind die kirchliche Verantwortung für die Lehrpläne und ihre Überprüfung sowie „Einsichts- und Beanstandungsbefugnisse“102 verbunden. 6. Kirchliche Einflussrechte bei der Auswahl, Berufung und Abzug der Lehrkräfte bestehen durch die kriterienorientierte Überprüfung von Lehre und Lebenswandel im Zusammenhang mit der missio canonica gemäß den kirchenrechtlichen Normen zum Religionsunterricht (cc. 804-805 CIC; c. 636 CCEO), den Rahmenrichtlinien und der Rahmengeschäftsordnung. Von der Verfassungsnorm des Art. 7 GG und ihren Maßgaben weichen aktuell drei Bundesländer aus unterschiedlichen Motiven ab. Gemäß Art. 141 GG (Bremer Klausel) sind von Art. 7 GG die Bundesländer ausgenommen, in denen am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestanden hat. So wird seit 1947 in Bremen ein überkonfessioneller christlicher Unterricht „in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“ erteilt.103 In analoger Weise nimmt Berlin den Klauselschutz in Anspruch, wenn die Erteilung des Religionsunterrichts zwar nicht gemäß einer einschlägigen verfassungsrechtlichen Bestimmung, wohl aber nach § 13 des Berliner Schulgesetzes vom 26. Juni 1948 Aymans – Mörsdorf, KanR III, 118. Art.  32 der Bremer Landesverfassung vom 21.10.1947, einsehbar unter Transparenzportal Bremen – Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. August 2019 [Zugriff: 22.2.2022].

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als Angelegenheit der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften beurteilt wird, denen dafür unentgeltlich schulische Räume zur Verfügung gestellt werden.104 Eine weitreichendere Ausnahme stellt das Bundesland Brandenburg dar, das nach der deutschen Wiedervereinigung den Religionsunterricht nach Art. 7 GG nicht übernommen, sondern auf der Grundlage eines dreijährigen Modellversuchs mit dem Schuljahr 1996/1997 das Pflichtfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“ (LER) mit schriftlicher Abmeldemöglichkeit eingeführt hat. Eine kirchlich getragene Verfassungsbeschwerde führte am 11.  Dezember 2001 zu einem Verständigungsbeschluss, der das Fach bestätigte und zugleich die Möglichkeit für einen konfessionellen Religionsunterricht (Mindestteilnehmerzahl: zwölf Schüler) eröffnete.105 Aktuell stehen insbesondere die vielfältigen Fragen um den Religionsunterricht für Muslime sowie einen kooperativen Religionsunterricht im Mittelpunkt des Interesses. Letzterer kommt unter Absehen der konfessionellen Bindung in den Diözesen Nordrhein-Westfalens (mit Ausnahme des Erzbistums Köln) zum Tragen, um gesunkene Teilnehmerzahlen konfessionsübergreifend auszugleichen.106 Die verfassungsmäßige Grundlage für den konfessionell ausgerichteten Religionsunterricht in der Republik Österreich stellen Art. 15 und 17 des Staatsgrundgesetzes von 1867 dar. Hinzu treten entsprechende Bestimmungen des Bundesgesetzes zum Religionsunterricht in der Schule von 1949 (mit nachfolgenden Novellierungen). Danach trägt die gesetzlich anerkannte Kirche bzw. Religionsgemeinschaft unter Gewährleistung der eigenverantwortlichen Verkündigung ihrer Lehre für den Unterricht Sorge. Dazu zählen insbesondere die Erstellung von Lehrplänen samt Lehrinhalten und -methoden sowie die Auswahl, Bestellung und Begleitung des Lehrpersonals mittels der missio canonica. Dienstrechtlich sind die Religionslehrer der staatlichen Aufsicht unterstellt.107 Im Gegensatz dazu besteht in der Schweiz keine bundesrechtliche Absicherung des Religionsunterrichts. Art. 15, Abs. 4 der Bundesverfassung von 1874 legt lediglich fest, dass unter Wahrung der Glaubens- und Gewissensfreiheit niemand zur Teilnahme am Religionsunterricht gezwungen werden darf. Die konkrete Kompetenz bezüglich des Religionsunterrichts liegt vielmehr bei den einzelnen Vgl. Thomas Meckel, Religionsunterricht, 329–331. Dazu Christian Stark, Religionsunterricht in Brandenburg. Art. 141 GG als Ausnahme von der Regel des Art. 7 Abs. 3 GG, in: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. FS Listl (70), 391–406. Dazu auch Wilhelm Rees, Religionsunterricht, 1028–1030 (mit Lit.). 106 Wilhelm Rees, Religionsunterricht, 1033-1048. 107 Vgl. Ludger Müller, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, 133–141; Katharina Pabel, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts in Österreich, in: ÖARR 59 (2012) 64– 86. 104 105

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Kantonen, deren Regelungen entsprechend divers ausfallen. Danach gibt es sowohl den Religionsunterricht in den staatlichen Schulen mit oder ohne kirchliche Mitwirkung sowie den kirchlichen Religionsunterricht mit oder ohne staatliche Mitwirkung.108

D. Hochschulen Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 117; Ulrich Rhode, § 70 Die Hochschulen, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Heribert Schmitz, Studien zum kirchlichen Hochschulrecht, Würzburg 1990; ders., Neue Studien zum kirchlichen Hochschulrecht, Würzburg 2005; Zenon Kard. Grocholewski u.a. (Hg.), Katholisch-Theologische Fakultäten zwischen „Autonomie“ der Universität und kirchlicher Bindung, Heiligenkreuz 2013; Christian Waldhoff, Theologie an staatlichen Hochschulen, in: Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Berlin 32020, 1891–1977; Manfred Baldus, Kirchliche Hochschulen, in: Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Berlin 32020, 1979–2033.

Um die historisch begründete und in ihrer Entwicklung ersichtliche Bedeutung der Universitäten und Hochschulen für die Verkündigung herauszustellen, hat der kirchliche Gesetzgeber das Hochschulwesen der Kirche aus seinem kodikarischen Schattendasein herausgeholt (vgl. cann. 1375–1380 CIC/1917) und ihm in beiden geltenden Gesetzbüchern einen rechtssystematisch gebührenden Platz eingeräumt. Zu den Hochschulen gehören die Katholischen Universitäten und andere Hochschuleinrichtungen (cc. 807–814 CIC; cc. 640–645 CCEO), die als ein katholischer Beitrag zu Wissenschaft und Kultur verstanden werden, sowie die Kirchlichen Universitäten und Fakultäten (cc. 815–821 CIC; cc. 646–650 CCEO), die sich der Theologie und der ihnen verbundenen Wissenschaften widmen und vornehmlich auf die damit zusammenhängenden Erfordernisse der Kirche und ihrer Sendung ausgerichtet sind. 1. Katholische Universitäten Rechtsquelle: Johannes Paul II., Constitutio Apostolica „Ex corde Ecclesiae“ vom 15.8.1990, in: AAS 82 (1990) 1475–1509, dt.: VApSt 99. Weiterführende Literatur: Josef Ammer, Zum Recht der „Katholischen Universität“ – Genese und Exegese der Apostolischen Konstitution „Ex corde Ecclesiae“ vom 15. August 1990, Würzburg 1994; Christoph Ohly, Evangelisierung und Katholische Universität.

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Vgl. Wilhelm Rees, Religionsunterricht, 1031 f. (Lit.).

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Kirchenrechtliche Überlegungen zu einem aktuellen Erfordernis, in: Ius quia iustum. FS Pree (65), 609–623.

Katholische Universitäten und die ihnen nach c. 814 CIC (c. 640 § 2 CCEO) gleichgestellten anderen Hochschulen109 gründen im Recht der Kirche, solche Einrichtungen der Lehre und Forschung zu errichten und zu führen, da sie „zur höheren Kultur der Menschen und zur volleren Entfaltung der menschlichen Person wie auch zur Erfüllung des Verkündigungsdienstes der Kirche“ beitragen (c. 807 CIC; c. 640 § 1 CCEO). Sie widmen sich in der Regel allen wissenschaftlichen Disziplinen unter Achtung der ihnen eigenen Autonomie sowie unter Berücksichtigung der katholischen Lehre (vgl. c. 809 CIC),110 wobei sowohl die Nachfrage als auch die Leistungsfähigkeit des Trägers ihren jeweils genauen Einrichtungsumfang begründen. Als Träger kommen naturgemäß alle verfassungs- und vereinigungsrechtlichen Personengesamtheiten (Apostolischer Stuhl, Bischofskonferenz, Diözesen, kanonische Lebensverbände, kanonische Vereine) in Frage. Gemäß ihrer Bedeutung für die kirchliche Verkündigung legt deshalb c. 809 CIC den Bischofskonferenzen eine Sorgepflicht nahe, auf ihrem Territorium Katholische Universitäten zu errichten, soweit dies möglich und ratsam ist. Die Katholische Universität verfügt nach Maßgabe des Rechts über Autonomie, die sich vor allem in dem Recht ausdrückt, sich eigene Statuten zu geben, die sowohl die innere Struktur (z.B. Leitungsorgane) als auch den äußeren Vollzug der Einrichtung (z.B. Selbstverwaltungsorgane) ordnet. Sie bedarf der Genehmigung durch die zuständige Autorität.111 Im Rahmen dieser Organisationspflicht legt es sich nahe, die Katholischen Universitäten einer staatlichen Anerkennung zuzuführen, da sie nicht zuletzt mit Blick auf die Hochschulqualifikationen sowie die Zuerkennung von akademischen Graden „in das Graduierungssystem des jeweiligen Staates eingebunden sein müssen“,112 um in der Universitätslandschaft eine entsprechende Anerkennung zu finden. Für die katholische Ausrichtung der Universität trägt formal die Bezeichnung „katholisch“ Rechnung, deren Legitimität an die Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität (Apostolischer Stuhl, Bischofskonferenz, Diözesanbischof ) im Rahmen der Errichtung oder der Anerkennung der Universität als solcher gebunden ist.113 Darüber hinaus zeigt sich der katholische Charakter insbesondere in der Berufung eines wissenschaftlich und pädagogisch geeigneten und den Maßgaben des Glaubens entsprechenden Lehrpersonals (vgl. c. 810 §§ 1 u. 2 CIC). Katholische Dozenten sollen demzufolge bezüglich Glaube und Lebensführung Zum aktuellen Bestand siehe Ulrich Rhode, Hochschulen, 1051 u. 1055–1057. Vgl. auch Johannes Paul II., Constitutio Apostolica „Ex corde ecclesiae“, Art. 2 § 5. 111 Siehe ebd., Art. 3 § 4. 112 Ulrich Rhode, Hochschulen, 1053. 113 Dazu Johannes Paul II., Constitutio Apostolica „Ex corde Ecclesiae“, Art. 3. 109 110

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

untadelig sein, sich in Forschung und Lehre unter Beachtung der gebührenden Freiheit der kirchlichen Lehre verpflichtet wissen und zusammen mit dem Verwaltungspersonal und den Studierenden sowie den nichtkatholischen Dozenten eine für die Universität charakteristische Dienstgemeinschaft bilden.114 Die katholische Identität zeigt sich schließlich neben der Errichtung einer Universitätsseelsorge (vgl. c. 813 CIC; c. 645 CCEO) in der Verpflichtung der zuständigen Autorität, eine theologische Fakultät, ein Institut oder zumindest einen theologischen Lehrstuhl zu errichten, der entsprechende Lehrveranstaltungen für alle Studierenden anbietet (vgl. c. 811 CIC; c. 643 CCEO). Dozenten, die in diesem Kontext eine theologische Disziplin vertreten, bedürfen zur Ausübung ihrer Tätigkeit eines Auftrags (mandatum) der zuständigen kirchlichen Autorität (vgl. c. 812 CIC; c. 644 CCEO).115 2. Kirchliche Universitäten und Fakultäten Rechtsquellen: Johannes Paul II., Constitutio Apostolica „Sapientia Christiana“ vom 15.4.1979, in: AAS 71 (1979) 469–499; dt.: VApSt 9; Franziskus, Apostolische Konstitution „Veritatis Gaudium“ vom 8.12.2017, in: Comm 50 (2018) 11–50.433; dt.: VApSt 211; Kongregation für das katholische Bildungswesen, Durchführungsverordnung (Ordinationes) vom 27.12.2017, in: Comm 50 (2018) 51–74; dt.: VApSt 211; sinngemäß sind bis zu ihrer jeweiligen Revision anzuwenden: Kongregation für das katholische Bildungswesen, Akkomodationsdekret vom 1.1.1983, in: AAS 75 (1983) 336–342 (für Deutschland); dies., Akkomodationsdekret vom 1.11.1983, in: AAS 76 (1984) 616–621 (für Österreich). Weiterführende Literatur: Matthias Pulte – Anna-Christina Schmees, Was ist neu in der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium über das katholische Hochschulwesen?, in: Ansgar Hense – Matthias Pulte (Hg.), Kirchliche Hochschulen und konfessionelle akademische Institutionen im Lichte staatlicher und kirchlicher Wissenschaftsfreiheit, Würzburg 2018, 241–271; Matthias Ambros, Sendung nach innen wie nach außen. Die Zukunft der Theologie und der Theologischen Fakultäten im Licht der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium, in: Stephanie von Luttitz – Ludwig Mödl (Hg.), Theologie. Und wie es weitergeht, Würzburg 2018, 43-69; Christoph Ohly, Mit überlegter und prophetischer Entschlossenheit. Aspekte der Neuausrichtung kirchlicher Universitäten und Fakultäten gemäß Veritatis gaudium, in: Ordnung der Wissenschaft (1/2019), 27–34.

Im Sinne eines (theologischen) Leitcanons stellt c. 815 CIC (c. 646 CCEO) das Recht der Kirche heraus, „kraft ihres Auftrags“ (vi muneris sui) kirchliche Universitäten oder Fakultäten zu führen, die der „Erforschung der theologischen oder 114 115

Siehe ebd., Art. 4. Dazu ausführlich Catherine Declercq, La enseñanza de la Teologia en las Universidades Católicas. Contribución a la Nueva Evangelización, Madrid 2017.

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§ 14 Bildung und Erziehung

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der mit diesen verbundenen Wissenschaften“, der Lehre samt der wissenschaftlichen Ausbildung zur Übernahme von kirchlich-theologischen Ämtern und Aufgaben sowie der kirchlichen Glaubensverkündigung dienen. In der Universalität des philosophisch-theologischen Studiums umfassen sie – innerhalb einer Fakultät oder auf verschiedene Fakultäten einer Kirchlichen Universität verteilt – alle theologischen Einzeldisziplinen (biblische, historische, systematische und praktische Disziplinen) sowie die ihnen zugeordneten verwandten Disziplinen (Philosophie, Spiritualität, Literatur …). Als solche sind die Einrichtungen entweder vom Apostolischen Stuhl errichtet oder anerkannt und mit dem Recht ausgestattet, akademische Grade zu verleihen (vgl. cc. 816 § 1; 817 CIC; cc. 648; 649 CCEO).116 Im Fall der Errichtung üben die Universitäten und Fakultäten ihre Aufgaben in rechtlicher Abhängigkeit vom Apostolischen Stuhl (Kongregation für das katholische Bildungswesen) aus, der vor Ort durch den Magnus Cancellarius 117 vertreten wird. Sind die Einrichtungen vom Apostolischen Stuhl rechtlich anerkannt, kann die Aufsicht durch einen Diözesanbischof oder durch einen Vertreter der Bischofskonferenz erfolgen. In jedem Fall müssen die Universitäten und Fakultäten gemäß c. 816 § 2 CIC (c. 650 CCEO) eigene Statuten und Studienordnungen besitzen, welche die innere und äußere Struktur regeln und der Genehmigung durch den Apostolischen Stuhl bedürfen.118 Sowohl der Bischofskonferenz als auch dem betreffenden Diözesanbischof kommt dabei die generelle Sorgepflicht zu, die Entwicklung entsprechender Hochschulen zu fördern, „in denen theologische und andere, zur christlichen Kultur gehörende Wissenschaften gelehrt werden“ (c. 821 CIC). Universitäten und Fakultäten setzen sich jeweils aus verschiedenen Gruppierungen zusammen, die das Leben in Forschung, Lehre und Selbstverwaltung prägen.119 Neben den akademischen Autoritäten (Rektor, Dekan, Kollegialorgane wie Senat und Fakultätsrat), den Studenten und dem Verwaltungspersonal sind es vor allem die Dozenten, denen gemäß c. 818 i. V. m. cc. 810 und 812 CIC eine gehobene Aufmerksamkeit zuteil wird. Sie müssen sich sowohl durch wissenschaftliche und pädagogische Eignung als auch hinsichtlich Rechtgläubigkeit und Lebensführung auszeichnen.120 Die Prüfung dieser Eignungsvoraussetzungen wird in einem spezifischen Verfahren durchgeführt. In der Regel gehört dazu in Vgl. Franziskus, Constitutio Apostolica „Veritatis gaudium“, Art. 2; so schon Johannes Paul II., Constitutio Apostolica „Sapientia christiana“, Art. 1 und 2. 117 Vgl. ebd., jeweils Art. 12–14. 118 Vgl. Franziskus, Constitutio Apostolica „Veritatis gaudium“, Art. 7 und 37–44; so schon Johannes Paul II., Constitutio Apostolica „Sapientia christiana“, Art. 6 und 38–45. Vgl. dazu Ulrich Rhode, Hochschulen, 1063–1065. 119 Vgl. dazu Franziskus, Constitutio Apostolica „Veritatis gaudium“, Art. 11–21 (Die Universitätsgemeinschaft und ihre Leitungsorgane), Art. 22–30 (Lehrkörper), Art. 31–35 (Die Studenten), Art. 36 (Die Angestellten in Leitung, Verwaltung und anderen Diensten). 120 Vgl. ebd., Art. 26. 116

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wissenschaftlicher Hinsicht ein kanonisches Doktorat (oder Lizentiat), zumindest im deutschsprachigen Raum auch die Habilitation. Dozenten, die Disziplinen lehren, die mit der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre verbunden sind, bedürfen der kanonischen Sendung (missio canonica), im Fall der anderen Disziplinen und von nichtkatholischen Dozenten der Lehrbefugnis (venia legendi). Beide werden vom Magnus Cancellarius bzw. vom zuständigen Diözesanbischof erteilt. Für eine endgültige Anstellung oder bei Beförderung zur höchsten Stufe des akademischen Lehrers oder in beiden Fällen ist – unbeschadet eines nachfolgenden Stellenwechsels  – einmalig ein vorausgehendes nihil obstat des Apostolischen Stuhls notwendig.121 Die venia legendi sowie die missio canonica können aus doktrinellen oder auf die Lebensführung bezogenen Gründen nach einem geordneten Verfahren entzogen werden.122 Eine eigene Stellung nehmen die katholisch-theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten ein. In der Bundesrepublik Deutschland werden neben acht theologischen Fakultäten in kirchlicher Trägerschaft (Eichstätt, Frankfurt / St. Georgen, Fulda, Paderborn, Köln / KHKT, Trier und Vallendar) und drei Hochschulen für Philosophie und Kirchenmusik elf katholisch-theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten (Augsburg, Bochum, Bonn, Erfurt, Freiburg, Mainz, München, Münster, Regensburg, Tübingen und Würzburg) gezählt. Zwei Fakultäten sind zudem Einrichtungen zugeordnet, die akademische Grade im Kanonischen Recht verleihen: das ad instar facultatis errichtete und mit vollem Promotionsrecht ausgestattete Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Universität München und das Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster, das ein kanonistisches Lizentiatsrecht besitzt. In der Republik Österreich existieren vier theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten (Graz, Innsbruck, Salzburg, Wien) sowie eine an der Katholischen Privatuniversität Linz, daneben drei kirchliche Hochschulen (Heiligenkreuz, St. Pölten, Trumau). In der Schweiz gibt es eine Fakultät an der staatlichen Universität Freiburg i. Ue. sowie drei kirchliche Fakultäten (Chur, Lugano, Luzern). Die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten sind vornehmlich durch die einschlägigen Bestimmungen der Konkordate oder Staat-Kirche-Verträge normiert. In Bezug auf das Verhältnis dieser Fakultäten zu den kirchlichen Autoritäten verweisen die Konkordate generalisierend auf die davon betroffenen kirchlichen Vorschriften. Da die CA „Sapientia Christiana“ ihren Geltungsanspruch in Bezug auf die staatlichen Fakultäten jedoch unter dem Vorbehalt der Konkordate und Verträge verstand,123 hat der Apostolische Stuhl in einem sog. Akkomodationsdekret vom 1. Januar 1983 die Vorschriften der Konstitution und Vgl. ebd., Art. 27 § 2. Vgl. ebd., Art. 30. Siehe dazu auch § 15 C (Lehrprüfungsverfahren). 123 Vgl. Johannes Paul II., Constitutio Apostolica „Sapientia christiana“, Art. 8. 121 122

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§ 15 Förderung und Schutz des Glaubensgutes

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der Ordinationes auf die Situation der staatlichen Fakultäten angepasst und sie auf diese Weise als eine für Staat und Kirche relevante res mixta bestätigt.124 Für die nunmehr geltende Apostolische Konstitution „Veritatis Gaudium“ gilt derselbe Konkordatsvorbehalt,125 so dass wiederum Akkomodationsdekrete für die betroffenen Staaten erforderlich sind.

§ 15 Förderung und Schutz des Glaubensgutes Dominicus M. Meier, § 67 Schutz der Glaubens- und Sittenlehre, in: HdbKathKR3. Als grundlegende Lektüre wird empfohlen: VatII, Decretum de instrumentis communicationis socialis „Inter Mirifica“, in: AAS 56 (1964) 145–157; dt. Übers. besorgt im Auftrag der deutschen Bischöfe. Einleitung und Kommentar von Karlheinz Schmidthüs, in: LThK.E I, 111–135 [IM]; Kongregation für die Glaubenslehre, Instructio über einige Aspekte des Gebrauchs der sozialen Kommunikationsmittel bei der Förderung der Glaubenslehre vom 30.3.1992 (= VApSt 106).

Was gemäß der Apostolischen Konstitution „Pastor Bonus“ über die Römische Kurie insbesondere für die Kongregation für die Glaubenslehre gilt126, stellt letztlich einen Auftrag an die gesamte Kirche dar. Sie ist als treue Verwalterin des Glaubensgutes dazu bestellt, den Glauben zu fördern (promovere) und zu schützen (tutari). Deshalb nimmt sie für sich in Anspruch, die ihr eigenen Kommunikationsmittel zu besitzen und zu verwenden. Dazu zählen in klassischer Weise Bücher, Zeitungen, Zeitschriften und im weitesten Sinne die sog. Print-Medien. Ebenso dazu gezählt werden durch die jüngere Entwicklung Film, Rundfunk und Fernsehen, Internet und jegliche Formen des elektronischen und digitalen Datenund Nachrichtenaustauschs sowie der damit verbundenen Formen aktueller Kommunikationswege. Der Gebrauch der Kommunikationsmittel schließt das Recht mit ein, sie in ihrer Bedeutung für die Verkündigung des Evangeliums zu fördern (positiver Aspekt), sie aber auch aufgrund eines den Glauben möglicherweise gefährdenden Gebrauchs und Inhalts kritisch zu beurteilen und gegebenenfalls vor ihnen zu warnen. Damit ist das Ziel verbunden, dass „der Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel von menschlichem und christlichem Geist belebt wird“ (c. 822 § 2 CIC). Das Recht zum freien Gebrauch der Kommunikationsmittel im Bereich der kirchlichen Verkündigung entspricht den menschlichen Grundrechten der Mei Für Deutschland: AAS 75 (1983) 336–341. Für Österreich: AAS 76 (1984) 616–621. Vgl. dazu Aymans – Mörsdorf, KanR III, 1157–1162. 125 Vgl. Franziskus, Constitutio Apostolica „Veritatis gaudium“, Art. 8. 126 Vgl. Art. 48 PB. 124

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nungs- und Informationsfreiheit sowie der Presse- und Rundfunkfreiheit demokratischer Staaten.127 Das kirchliche Recht vereint für den Bereich der Förderung und des Schutzes des Glaubens sowohl die Bestimmungen zu den sozialen Kommunikationsmitteln und insbesondere zu den Büchern (cc. 822–832 CIC; cc. 651–666 CCEO) als auch die Norm zum Glaubensbekenntnis (c. 833 CIC). Dem zugewiesen werden muss das Thema der Lehrprüfungs- und Lehrbeanstandungsverfahren, die in Verbindung mit c. 751 (Versagensformen gegenüber dem Glauben) und den Bestimmungen zum mandatum (in Form der missio canonica) gemäß cc. 804–805; 812; 818 CIC (cc. 636; 644 CCEO) außerkodikarisch normiert sind.

A. Soziale Kommunikationsmittel Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 118. Weiterführende Literatur: Christoph Ohly, Der Dienst am Wort Gottes. Eine rechtssystematische Studie zur Gestalt von Predigt und Katechese im Kanonischen Recht, St. Ottilien 2008, bes. 641–674; Wilhelm Rees, Kirche, Kommunikation und (neue) Medien. Kirchenrechtliche Grundlagen und Aspekte, in: Flexibilitas Iuris Canonici. FS Puza (60), 261–287.

Das Recht der Kirche, alle dem Evangelium gemäßen Mittel der Kommunikation für die Verkündigung zu verwenden, drückt das Dekret „Inter mirifica“ des II. Vatikanischen Konzil wie folgt aus:

Unter den erstaunlichen Erfindungen der Technik, welche die menschliche Geisteskraft gerade in unserer Zeit mit Gottes Hilfe aus der Schöpfung entwickelt hat, richtet sich die besondere Aufmerksamkeit der Kirche auf jene, die sich unmittelbar an den Menschen selbst wenden und neue Wege erschlossen haben, um Nachrichten jeder Art, Gedanken und Weisungen leicht mitzuteilen. Unter ihnen treten vor allem jene „Mittel“ hervor, die in ihrer Eigenart nicht nur den einzelnen Menschen, sondern die Massen und die ganze menschliche Gesellschaft erreichen und beeinflussen können: die Presse, der Film, der Rundfunk, das Fernsehen und andere gleicher Art. Man nennt sie darum zu Recht „soziale Kommunikationsmittel“. (IM 1)

127

Dazu Heinrich Mussinghoff/Hermann Kahler, in: MKCIC, Einleitung vor 822 (Stand: Nov. 2001).

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Grundsätzlich bedeutet dies in der rechtlichen Normierung dieser Aussage: Die Aufgabe des rechten Gebrauchs der sozialen Kommunikationsmittel ist nicht allein den Hirten der Kirche (c. 822 § 1 CIC) anvertraut, sondern allen Gläubigen zugewiesen. In Übereinstimmung mit dem Recht und der Verpflichtung, das Evangelium einzeln und gemeinschaftlich zu verkündigen (vgl. cc. 211; 215; 216 CIC; cc. 14; 18; 19 CCEO), sollen daher alle Gläubigen darum besorgt sein, entsprechende Hilfen zu leisten (c. 822 § 3 CIC; c. 651 § 2 CCEO). Das Aufsichtsrecht dafür liegt gemäß c. 823 CIC (c. 652 CCEO) universalkirchlich beim Papst, hinsichtlich der Teilkirchen bei den Bischöfen und bei der Bischofskonferenz (ggf. auch bei einem Partikularkonzil). Der Bischofskonferenz wird die Kompetenz zugewiesen, die Mitwirkung der Gläubigen in den elektronischen Medien zu normieren. Die Deutsche Bischofskonferenz hat zu c. 831 § 2 CIC folgende Partikularnorm erlassen:

1. Bei Sendungen im Hörfunk und Fernsehen, die die katholische Glaubens- und Sittenlehre betreffen, dürfen Weltgeistliche und Ordensleute, die über eine ausreichende fachliche Qualifikation verfügen und die entsprechende kirchenamtliche Beauftragung besitzen, mitwirken, sofern nicht der für sie oder der für den Sendeort zuständige Diözesanbischof im Einzelfall anders bestimmt. 2. Weltgeistliche und Ordensleute müssen in Fernsehsendungen als solche erkennbar sein.128

Darüber hinaus bestimmt c. 831 § 1 CIC (c. 660 § 1 CCEO) für die Mitwirkung an Zeitungen und Zeitschriften mit einer kirchenfeindlichen Tendenz, dass Gläubigen dies nur aus einem gerechten und vernünftigen Grund erlaubt ist, während Kleriker und Angehörige von Ordensinstituten einer ausdrücklichen Erlaubnis (licentia) des Ortsordinarius bedürfen. Der Grundsatz zur Nutzung der sozialen Kommunikationsmittel erfährt insbesondere mit Blick auf die Bücher einige detaillierte Bestimmungen, die insgesamt der noch immer geltenden Bedeutung des Buches Rechnung tragen. Doch wird die rasant zunehmende Relevanz der elektronischen und digitalen Kommunikationsformen, die sich anstellen, das Buch zu verdrängen, zukünftig stärker darauf ausgerichtete universalkirchliche Normen erfordern. Die generelle Bücheraufsicht der Kirche wurde geschichtlich wesentlich geprägt durch den Index der verbotenen Bücher (Index librorum prohibitorum), der im 128

Abgedruckt in: AfkKR 164 (1995) 456–465, hier 459. Siehe auch Österreichische Bischofskonferenz, Dekret über die Mitwirkung von Klerikern und Ordensleuten in Rundfunk und Fernsehen (can. 831 § 2) vom 4.11.1993, in: Abl. ÖBK, Nr. 12 (1994) 2 f.; Schweizer Bischofskonferenz, Partikularnorm zu c. 772 § 2 vom 9.4.1987, in: SKZ 155 (1987) 309.

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16. Jahrhundert von Paul III. eingeführt und 1571 durch eine eigene Indexkongregation hervorgehoben wurde. Mit dem CIC/1917 (cann. 1395–1405) ging diese Aufgabe in den Zuständigkeitsbereich des Hl. Offiziums über. Die letzte amtliche Ausgabe des Index erschien im Jahre 1948. Im engeren Sinn stellt er ein Verzeichnis ausdrücklich verbotener Schriften dar. Im weiteren Sinn steht er für die den Verzeichnissen zugrundeliegenden Bücherverbote (Indizierungen) mit ihren Folgen (z.B. Sanktionen). Mit Dekret der Kongregation für die Glaubenslehre vom 15.  November 1966 wurde der Index aufgehoben und die damit verbundenen Strafandrohungen des can. 1399 CIC/1917 außer Kraft gesetzt. Die vorausgehende Prüfung und Beurteilung der theologischen Bücher wurde mit Dekret vom 19. März 1975 neu geregelt. Die heutige Bücheraufsicht, die prinzipiell auf die sozialen Kommunikationsmittel ausgeweitet ist, gestaltet sich in ihrer geltenden Rechtsgestalt wesentlich anders. Grundsätzlich gilt das bischöfliche Aufsichtsrecht mit dem Ziel, „die Unversehrtheit der Glaubenswahrheiten und der Sittenlehre zu bewahren“ (c. 823 § 1 CIC; c. 652 § 2 CCEO). Das kann zunächst eine der Buchpublikation nachfolgende Prüfung und Beurteilung betreffen. Dadurch können Gläubige vor irrigen und glaubensgefährdenden Auffassungen gewarnt werden. Dies entspricht dem Recht des Gläubigen auf eine authentische Verkündigung des Glaubens (vgl. cc. 213; 214 CIC; cc. 16; 17 CCEO). Richten sich entsprechende Veröffentlichungen von katholischen Christen offenkundig und hartnäckig gegen den Glauben und die Kirche mit dem Ziel, diese zu verunglimpfen und Hass und Verachtung hervorzurufen, besteht zumindest gemäß c. 1369 CIC (c. 1448 § 1 CCEO) die rechtliche Möglichkeit einer Sanktionierung mittels einer gerechten Strafe (iusta poena). Hier gilt es mit Blick auf die zu erzielende Wirkung zwischen dem Ausmaß der Rechtsverletzung durch den Autor und dem gebotenen Glaubensschutz der Gläubigen sinnvoll abzuwägen. Das bischöfliche Aufsichtsrecht verwirklicht sich jedoch vornehmlich durch die der Drucklegung vorausgehende Prüfung und Beurteilung. Zuständig für den Einzelfall ist der Ortsordinarius (vgl. c. 134 CIC) des Verfassers oder des Ortes der Veröffentlichung (vgl. c. 824 § 1 CIC; c. 662 § 1 CCEO), der die Erlaubnis (licentia) in Form des Imprimatur oder die Billigung (approbatio) erteilt. Für die Urteilsfindung kann er sich gemäß c. 830 CIC (c. 664 CCEO) der Hilfe von Gutachtern bedienen, die in der Regel in einem eigenen Gutachterverzeichnis der Bischofskonferenz aufgeführt und zu dieser Tätigkeit bestellt sind. Im Fall der Ablehnung der Druckerlaubnis, die nur beim Vorliegen schwerwiegender Gründe ausgesprochen werden kann, besteht seitens des Bischofs eine Begründungspflicht gegenüber dem Autor. Die Druckerlaubnis ermöglicht die gestattete Veröffentlichung. Sie stellt keine Empfehlung dar, sondern spiegelt lediglich eine Feststellung wider, dass der Veröffentlichung nichts im Wege steht. Zu den davon betroffenen Büchern zählen:

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private Übersetzungen der Heiligen Schrift (c. 825 § 2 CIC) Gebetbücher (c. 826 § 3 CIC) Schriften in Kirchen und Kapellen (c. 827 § 4 CIC) Sammlungen von Dekreten oder Akten (c. 828 CIC) Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften (c. 831 § 1 CIC) Veröffentlichungen durch Mitglieder der Ordensinstitute (c. 832 CIC).

Die Approbation hingegen wird als zustimmende Beurteilung verstanden, die im Buch selbst abgedruckt sein muss.129 Sie ist im Einzelnen notwendig für  

  

die authentische Herausgabe der Heiligen Schrift und ihrer Übersetzungen durch den Apostolischen Stuhl oder die Bischofskonferenz (c. 825 § 1 CIC) die Herausgabe von liturgischen Büchern durch den Apostolischen Stuhl (c. 838 CIC) und deren Übersetzungen durch die Bischofskonferenz nach römischer recognitio (c. 826 § 1 i. V. m. c. 838 § 3 CIC; c. 656 § 2 CCEO) die erneute Herausgabe liturgischer Übersetzungen (c. 826 § 2 i. V. m. c. 828 CIC) die Herausgabe von Katechismen und katechetischen Schriften (c. 827 § 1 CIC; c. 658 § 1 CCEO) die Bücher für Religionsunterricht und Theologiestudium (c. 827 § 2 CIC; c. 658 § 2 CCEO)

Sowohl Druckerlaubnis als auch Approbation gelten jeweils nur für die Herausgabe eines Werkes im Originaltext als erteilt und betreffen nicht mögliche Neuausgaben oder Übersetzungen (vgl. c. 829; c. 663 § 1 CCEO). Bezüglich der Drucklegung aller anderen theologisch ausgerichteten Bücher wird nur noch die Empfehlung ausgesprochen, sie dem Urteil des zuständigen Ordinarius zu unterwerfen (vgl. c. 827 § 3 CIC; c. 659 CCEO). Eine rechtliche Verpflichtung dazu besteht nicht mehr.

B.  Glaubensbekenntnis und Treueid Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 109 B. Rechtsquellen: Kongregation für die Glaubenslehre, Erlass zur Ablegung von Glaubensbekenntnis und Treueid vom 9.1.1989, in: AAS 81 (1989) 104–106; dies., Formeln und lehrmäßiger Kommentar für Glaubensbekenntnis und Treueid bei der Übernahme eines

Pontificium consilium de legum textibus interpretandis, Responsum vom 20.6.1987, in: AAS 79 (1987) 1249.

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im Namen der Kirche auszuübenden Amtes vom 29.6.1998, in: AAS 90 (1998) 542–551; dt.: AfkKR 90 (1998) 178–188. Weiterführende Literatur: Ludger Müller, „Im Bewußtsein der eigenen Verantwortung …“ Die Gehorsamspflicht im kanonischen Recht, in: AfkKR 165 (1996) 3–24; Heribert Schmitz, „Professio fidei“ und „Iusiurandum fidelitatis“. Glaubensbekenntnis und Treueid – Wiederbelebung des Antimodernisteneides?, in: AfkKR 157 (1988) 353–439.

Die Pflicht der Kirche, allen Menschen das Evangelium zu verkündigen, korrespondiert umgekehrt mit deren Recht, daß ihnen die Wahrheit des Evangeliums unverkürzt und authentisch vorgestellt wird. Die Wahrheit ist für die Kirche und für den einzelnen Christgläubigen keine neutrale Sache, sie ist vielmehr in der Person Jesu Christi zu finden, wenn dieser von sich sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Folglich kann die Kirche nicht einfach sagen, im Besitz der Wahrheit zu sein; vielmehr ist sie gerufen, die in Jesus Christus geoffenbarte Wahrheit stets tiefer zu erkennen und sie dementsprechend treu zu verkündigen (vgl. c. 747 § 1 CIC; c. 595 § 1 CCEO). In seiner Homilie der Eucharistiefeier vom 2. September 2012 mit den Mitgliedern seines Schülerkreises thematisierte Papst Benedikt XVI. diese Frage nach der Wahrheit und die daraus entstehende Verpflichtung des Gläubigen, sich dieser zu unterstellen: Niemand kann die Wahrheit haben, die Wahrheit hat uns, sie ist etwas Lebendiges! Wir sind nicht ihre Besitzer, sondern wir sind von ihr ergriffen; nur wenn wir uns von ihr führen und treiben lassen, bleiben wir in ihr; nur wenn wir mit ihr und in ihr Pilger der Wahrheit sind, dann ist sie in uns und durch uns da. Ich glaube, das müssen wir wieder neu erlernen, dieses Nicht-Haben der Wahrheit. So wie kein Mensch sagen kann: „Ich habe Kinder“ – sie sind keine Habe, sie sind ein Geschenk, und sie sind uns als Gabe Gottes aufgetragen –, so können wir nicht sagen: „Ich habe die Wahrheit“. Aber die Wahrheit ist zu uns gekommen und drängt uns. Wir müssen lernen, uns von ihr treiben zu lassen, uns von ihr führen zu lassen. Dann wird sie auch wieder leuchten: wenn sie uns selber führt und durchdringt.130

Demzufolge wird es im Leben des Christgläubigen immer ein Zurückbleiben hinter der Wahrheit geben, das aber von der Verpflichtung zur tieferen Einsicht nicht befreit. Im Gegenteil! Die Begegnung mit Jesus Christus im Leben der Kirche ruft den Menschen zur Umkehr und Erneuerung (vgl. LG 9, 3). Das betrifft 130

Zur Einsicht unter: https://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/homilies/2012/ documents/ hf_ben-xvi_hom_20120902_ratzinger-scuelerkreis.html [Zugriff: 22.2.2022].

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§ 15 Förderung und Schutz des Glaubensgutes

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vor allem den Bereich des Glaubens und des Gewissens, der höchstpersönlich und daher indispensabel ist. Mit Blick auf die Gemeinschaft der Kirche kommt es jedoch denjenigen, die im amtlichen Verkündigungsauftrag der Kirche stehen, zu, das Evangelium und das damit verbundene Glaubensgut der Kirche getreu zu verkündigen. Um diese Verantwortung in Erinnerung zu rufen, werden nach alter kirchlicher Tradition gemäß c. 833 CIC alle, die im Namen und im Auftrag der Kirche ein Amt oder eine herausragende Aufgabe im Leben der Kirche übernehmen, verpflichtet, vor Übernahme des Amtes das Glaubensbekenntnis nach der vom Apostolischen Stuhl gebilligten Formel persönlich abzulegen und so die innere und äußere Kongruenz mit dem Glauben der Kirche zu betonen. Dazu gehören: c. 833 CIC

Verpflichtete

Entgegennehmende Autorität

(n. 1)

Teilnehmer eines Ökumenischen Konzils, eines Partikularkonzils, einer Bischofssynode, einer Diözesansynode

Vorsitzender oder Beauftragter der Versammlung

(n. 2)

zur Kardinalswürde Erhobene

Papst

(n. 3)

zum Bischofsamt (oder einem diesem gleichgestellten Amt) Ernannte

Beauftragter des Apostolischen Stuhls (Apostolischer Nuntius)

(n. 4)

Diözesanadministrator

Konsultorenkollegium (Domkapitel)

(n. 5)

General-, Bischofs- und Gerichtsvikar

Diözesanbischof

(n. 6)

Pfarrer, Regens und Seminarprofessoren der Theologie und Philosophie, Kandidaten der Diakonenweihe

Ortsordinarius

(n. 7)

Rektor und Professoren einer kirchlichen oder katholischen Universität

Magnus Cancellarius, Ortsordinarius oder Rektor,

(n. 8)

die Oberen in klerikalen Ordensinstituten und Gesellschaften apostolischen Lebens

nach Maßgabe der Konstitutionen

Für das Glaubensbekenntnis existiert seit dem Jahre 1989 eine gesamtkirchlich geltende Fassung, die dem nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis drei Zusätze (Formeln) beifügt, die sich auf Aussagen des II. Vatikanischen Konzils beziehen und die verschiedenen Ebenen der Zustimmung enthalten:

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

gegenüber direkt geoffenbarten Glaubenswahrheiten:

credenda sunt (c. 750 § 1 CIC; c. 598 § 1 CCEO)

gegenüber einschlussweise geoffenbarten Wahrheiten:

firmiter amplectenda ac retinenda sunt (c. 750 § 2; c. 598 § 2 CCEO)

gegenüber sonstigen verbindlichen Glaubenslehren:

religiosum tamen intellectus et voluntatis obsequium praestandum est (c. 752 CIC; c. 599 CCEO).131

Darüber hinaus haben bestimmte Personen vor Übernahme eines spezifischen Amtes einen Treueid (iusiurandum fidelitiatis) abzulegen.132 Dazu zählen gemäß den Bestimmungen der Kongregation für die Glaubenslehre die in c. 833 nn. 5–8 CIC Genannten. Bereits im Codex Iuris Canonici von 1983 wurden in verschiedenen Einzelnormen spezifische Personen zur Ablegung eines Treueides oder eines Versprechenseides verpflichtet. Dazu zählen die Bischöfe (c. 380 CIC), die Amtsträger in der Diözesankurie (c.  471 n.  1 CIC), die Vermögensverwalter (c. 1283 CIC) und die Gerichtspersonen (c. 1454 CIC). Nicht erst im Gefolge der postkodikarischen Bestimmungen zum Glaubensbekenntnis und zum Treueid ist die Sinnhaftigkeit eines Treueides diskutiert worden.133 Die verschiedenen Argumente, die dafür oder dagegen sprechen, sind zumeist berechtigt, führen aber letztlich immer wieder zu der Frage nach Wesen und Ziel von Glaubensbekenntnis und Treueid im Leben der Kirche. Nur von dort her erfahren sie ihren Sinn sowohl für die Förderung als auch für den Schutz des Glaubens. Dabei muss festgestellt werden: Glaubensbekenntnis und Treueid haben in ihrer Intention und Ausrichtung unterschiedlichen Charakter. Das Glaubensbekenntnis ist die Grundlage, auf der und aus der heraus die zu übernehmende Aufgabe zu verwirklichen ist. Der Treueid beinhaltet das auf die Zukunft gerichtete und unter Anrufung des Namens Gottes gegebene Versprechen, in diesem Sinn die Aufgabe erfüllen zu wollen. Die Verknüpfung mit der Pflicht zur Ablegung der Professio Fidei ist daher nicht allein formaler Natur, denn der Treueid wird der Sache nach ausdrücklich als Ergänzung zum Glaubensbekenntnis verstanden. Während das Glaubensbekenntnis unverzichtbare Voraussetzung für die Erlangung und Ausübung des Amtes ist, handelt es sich beim Treueid um das öffentliche Versprechen hinsichtlich der Amtspflichten. Mit dem Treueid verpflichten sich die Amtsträger durch einen religiösen Akt der Gottesverehrung in Zu den Formeln und ihren inhaltlichen Ausrichtungen siehe oben § 12 B 2. Zur Angleichung des c. 750 CIC (c. 598 CCEO) an die Formeln siehe Johannes Paul II., Motu proprio „Ad tuendam fidem“, 150–157. 132 Der lateinische Text ist veröffentlicht in: AAS 81 (1989) 1169. Die deutsche Übersetzung findet sich in: Kongregation für die Glaubenslehre, Formeln und Kommentar, 180 f. 133 Siehe dazu bes. Heribert Schmitz, Professio fidei, bes. 387–429. Dazu auch hilfreich Aymans – Mörsdorf, KanR III, 24–36. 131

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§ 15 Förderung und Schutz des Glaubensgutes

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besonderer Weise, das Zugesagte zu erfüllen. Die Inhalte des Eides bzw. des Versprechens sind Konkretisierungen von bestehenden kanonischen Rechtspflichten im Hinblick auf die Übernahme besonderer Verantwortung im kirchlichen Dienst.

C. Lehrprüfungs- und Lehrbeanstandungsverfahren Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 109 D. Rechtsquellen: Kongregation für die Glaubenslehre, Agendi ratio doctrinam examine vom 29.6.1997, in: AAS 89 (1997) 830–835; dt.: AfkKR 166 (1997) 142–147; Die deutsche Bischofskonferenz, Verfahrensordnung für das Lehrbeanstandungsverfahren bei der Deutschen Bischofskonferenz vom 9./12.3.1981 (= Die Deutschen Bischöfe 30), Bonn 1981. Weiterführende Literatur: Heribert Heinemann, Lehrbeanstandung in der katholischen Kirche, Trier 1981; Ulrich Rhode, Die Lehrprüfungs- bzw. Lehrbeanstandungsverfahren, in: Ludger Müller (Hg.), Rechtsschutz in der Kirche, Münster 2011, 39–57; Reinhard Wenner, Das Lehrbeanstandungsverfahren bei der Deutschen Bischofskonferenz. Gesetzgeber und Gesetzgebungsverfahren, in: AfkKR 160 (1991) 102–109.

Dem Schutz des Glaubens dienen auch jene Verfahren zur Überprüfung und Beurteilung theologischer Meinungen, die in der Folge des II. Vatikanischen Konzils in erneuerter Form erlassen wurden.134 Im Spannungsfeld von kirchlichem Lehramt und Theologie, von Glaubensschutz und theologischer Freiheit stehen sie immer wieder in der Diskussion. Man wird aber Peter Krämer zustimmen müssen, wenn dieser generell feststellt:

Die theologische Basis für Lehrprüfungsverfahren bildet die Tatsache, daß der Glaube auch inhaltlich bestimmt ist und entsprechend den jeweiligen Zeiterfordernissen in der jeweiligen Sprach- und Kulturwelt ausgesagt werden muß. Mit dieser Notwendigkeit ist nämlich zugleich die Möglichkeit gegeben, Lehrmeinungen zu vertreten, die zur kirchlichen Glaubenslehre im Widerspruch stehen. Um aber ihre Identität zu wahren, kann die Kirche solche Lehrmeinungen nicht einfach unbeachtet lassen, sondern muß sich um die Reinerhaltung ihres Glaubens bemühen und dabei zugleich dem Einzelnen, der eine solche Lehrmeinung vertritt, einen hinreichenden Rechtsschutz gewähren.135

134 135

Dazu Aymans – Mörsdorf, KanR III, 45 f. Peter Krämer, Kirchenrecht I, Stuttgart 1992, 61. Dazu auch Dominicus M. Meier, Schutz der Glaubens- und Sittenlehre, 988.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

1. Verfahren bei der Kongregation für die Glaubenslehre Mit Datum vom 29. Juni 1997 hat die Kongregation für die Glaubenslehre eine Verfahrensordnung für die Lehrprüfung und Lehrbeanstandung erlassen, die die bestehende Ordnung vom 15.  Januar 1971 ablöste. Neben einem allgemeinen Lehrprüfungsverfahren gemäß Art. 51 „Pastor Bonus“ sieht die Ordnung ein besonderes Lehrprüfungsverfahren zur Überprüfung von Büchern, Schrifttum und Vorträgen vor. In einer Vorprüfung (Art. 1–7) werden zur Kenntnis gebrachte irritierende Lehrmeinungen durch den Kongress der Kongregation geprüft. Dieser entscheidet über das weitere Vorgehen. Kommt die Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Angelegenheit weiter verfolgt werden muss, wird zunächst der betreffende Diözesanbischof informiert und gebeten, die Fragen mit dem Autor zu klären. Kommt daraufhin die Kongregation zu der Überzeugung, dass die Angelegenheit nicht erledigt ist, kann ein Lehrbeanstandungsverfahren eröffnet werden. Im ordentlichen Verfahren (Art. 8–22) werden solche Angelegenheiten behandelt, die zwar „schwere lehrmäßige Irrtümer“ (Art. 8) betreffen und eine intensive Durchdringung notwendig machen, aber kein unmittelbares Eingreifen erfordern. Das Verfahren setzt sich gemäß den Bestimmungen aus zwei Phasen mit jeweils verschiedenen Verfahrensschritten zusammen: Erste Phase (Interne Vorgänge gemäß Art. 8–16) 1. Kongregation bestellt Gutachter (darunter einen relator pro auctore).

2. Consulta der Kongregation berät die Gutachten zusammen mit dem relator pro auctore, den übrigen Gutachtern und dem betreffenden Diözesanbischof; es erfolgt kein Gespräch mit dem Autor. 3. Ordentliche Versammlung der Kongregation berät die Angelegenheit; wird das Verfahren nicht eingestellt, wird die Entscheidung bezüglich möglicher Beanstandungen dem Papst zur Bestätigung vorgelegt. 4. Information ergeht an den Diözesanbischof und weitere zuständige Dikasterien. Zweite Phase (Externe Vorgänge gemäß Art. 17–22)

1. Erfolgt erst, wenn tatsächlich Irrtümer ausgemacht werden konnten (von daher verbleibt der Autor in der ersten Phase zunächst außen vor). 2. Benachrichtigung des Diözesanbischofs und Mitteilung der Beanstandungen an den Autor mit Einladung zu einem Gespräch. 3. Innerhalb von drei Monaten muss eine Antwort des Autors erfolgen, der einen Ratgeber hinzuziehen kann. 4. Die Antwort des Autors ergeht zusammen mit einem Gutachten des Diözesanbischofs an die Kongregation.

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§ 15 Förderung und Schutz des Glaubensgutes

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5. Gespräch des Autors mit der Kongregation. 6. Entscheidung der ordentlichen Versammlung der Kongregation, gegebenenfalls erfolgt die Bestellung anderer Fachgutachter. 7. Beendigung des Verfahrens bei Klärung, ansonsten Beschluss entsprechender Maßnahmen. 8. Approbation durch den Papst. 9. Information an den Diözesanbischof, die betreffende Bischofskonferenz und die zuständigen Dikasterien. Im außerordentlichen Verfahren (Art. 23–27) werden hingegen solche Angelegenheiten behandelt, die aufgrund ihrer Dringlichkeit ein unmittelbares Eingreifen notwendig machen, insbesondere im Falle eines klaren Glaubens­irrtums mit einem vorliegenden Schaden für die Gläubigen (Art. 23). Eine vom Congressus bestellte Kommission prüft dazu die Angelegenheit und die ordentliche Versammlung entscheidet über die vorgelegten Ergebnisse. Nach Approbation durch den Papst unterrichtet die Kongregation den Ortsbischof sowie die davon betroffenen Dikasterien über die Entscheidung. Der Autor kann eine schriftliche Stellungnahme über den Ortsordinarius an die Kongregation verfassen, worüber die ordentliche Versammlung eine Entscheidung trifft. Der Autor muss seine dargelegten Auffassungen berichtigen. Die Kritik an diesem Verfahren formiert sich vor allem gegen die schon im ersten Schritt ausgesprochene päpstliche Approbation, die dem Autor letztlich nur eine Verneinung seiner bisherigen Aussagen ermöglicht. Die Verfahren können mit Sanktionen enden, sofern der Autor die vorgelegten Irrtümer „nicht in befriedigender Weise und in angemessener öffentlicher Form richtigstellen“ kann (Art. 28). Diese richten sich nach Art und Um­fang der festgestellten Irrtümer oder Fehlmeinungen. Im Fall nachgewiesener Häresie, Apostasie oder Schisma gemäß c. 751 CIC erfolgt die Sanktion nach c. 1364 § 1 CIC (Feststellung der Exkommunikation latae sententiae), sonst gemäß c. 1371 n. 1 CIC (iusta poena). Ebenso ist in diesem Zusammenhang an den Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis (missio canonica) zu denken. 2. Verfahren bei der Deutschen Bischofskonferenz Das Lehrbeanstandungsverfahren der Deutschen Bischofskonferenz ist der Ausdruck dafür, dass die Zuständigkeit solcher Prüfungsverfahren nicht allein auf der universalkirchlichen Ebene liegen kann. Teilkirchliche Kompe­tenzen und Bestimmungen können zu einer stärkeren Berücksichtigung der Zusammenhänge vor Ort führen. Daher hat die Deutsche Bischofskonferenz ein eigenes Lehrbeanstandungsverfahren normiert, das keine rechtsverbindliche Entscheidung im Einzelfall trifft, sondern dem betreffenden und gemäß cc. 386 u. 392 CIC (cc. 196 u. 201 CCEO) zuständigen Diözesanbischof als qualifizierte Entscheidungshilfe dienen will.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Eingeleitet wird das Verfahren durch den Diözesanbischof oder den Ordinarius des Tätigkeitsortes des Autors. Das Verfahren kann auch bei anfallender Kritik durch den Autor selbst zur klärenden Unterstützung erbeten werden. Das Verfahren bleibt jedoch versagt, wenn bei der Kongregation für die Glaubenslehre bereits ein Verfahren anhängig ist (§ 35) oder wenn es sich um die missio canonica für Religionslehrer handelt. Die Leitung des Verfahrens liegt beim Vorsitzenden der Glaubenskommission der Bischofskonferenz (§ 21). Für das Verfahren werden folgende Aspekte als notwendig und prägend erachtet: 1. Verpflichtendes Gespräch zwischen dem betreffenden Ordinarius und dem Autor zur Verfahrensabwendung (§ 5) 2. Eröffnung des Verfahrens bei absichtlicher Nichtteilnahme des Autors (§ 6) 3. Errichtung einer zuständigen Theologen- und Bischofskommission unter der Leitung der Glaubenskommission sowie Bestellung von Gutachtern, Berichterstatter und Anwalt des Autors (§§ 7–20) 4. Zuleitung der Gutachten an die Glaubenskommission, die aufgrund der schriftlichen Unterlagen, einer mündlichen Beratung, eines Gesprächs mit dem Diöze­sanbischof und mit dem Autor eine Entscheidung trifft (§§ 21–29) 5. Entscheidung ergeht an den Autor und an den Ordinarius mit der Feststellung, ob eine Verfälschung des Glaubens vorliegt oder nicht, sowie mit einem Rat für eine eventuelle Maßnahme (§§ 30–33) 6. Verfahrenseröffnung und Entscheidung werden dem Apostolischen Stuhl und dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz mitgeteilt (§ 34) 7. Beschwerderecht des Autors beim Apostolischen Stuhl ohne aufschiebende Wirkung (§ 32) Das Verfahren der Deutschen Bischofskonferenz, das nach 35 Jahren sicher einer Aktualisierung nicht zuletzt mit Blick auf die Verfahrensdauer und die fehlende Verbindlichkeit bedarf, kann aber bis heute – zusammen mit dem Verfahren bei der Kongregation für die Glaubenslehre  – zumindest „als Versuch gelten, im Rahmen des derzeit Möglichen eine gerechte Lösung für ein schwieriges Problem herbeizuführen“.136 Eine rechtliche Fortentwicklung beider Verfahren ist aber nicht nur denkbar, sondern auch erforderlich.

Aymans – Mörsdorf, KanR III, 45 f.

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§ 16 Grundfragen

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II. Sakramentenrecht Weiterführende Literatur: Reinhild Ahlers (Hg.), Ecclesia a Sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht, Paderborn 1992.

§ 16 Grundfragen A.  Munus sanctificandi – Gottesdienst – Liturgie Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 119 A; Ludger Müller, § 71 Begriff, Träger und Ordnung der Liturgie, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Peter Krämer, Das Zueinander von Pflicht und Recht im Gottesdienst, in: LJ 53 (2003) 3–32; Stephan Haering, Liturgie und Recht, in: GdK, Teil 2, Bd. II, Regensburg 2008, 403–454.

1. Zur Begrifflichkeit a) Der gesetzessystematische Ort des Sakramentenrechts Gliederung des CIC/1917

Gliederung des CIC/1983

Buch I

Allgemeine Normen

Buch I

Allgemeine Normen

Buch II

Personen

Buch II

Das Volk Gottes

Buch III

Verkündigungsdienst der Kirche

Buch III

Sachen

Buch IV

Heiligungsdienst der Kirche

Buch V

Kirchenvermögen

Buch IV

Prozesse

Buch VI

Sanktionen in der Kirche

Buch V

Delikte und Strafen

Buch VII

Prozesse

Der kirchliche Gesetzgeber von 1983 hat sich für eine neue Gliederung der kodikarischen Bücher entschieden. An die Stelle der aus dem römischen Recht stammenden Gliederung des CIC/1917 „personae, res, actiones“ sollte eine endogene, ursprünglich theologische, der Sache angemessenere Gliederung treten im Anschluss an den Ternar „munus sanctificandi, regendi, docendi“. Die Gliederung in Lehr-, Heiligungs- und Leitungsdienst war jedoch nicht konsequent auf den CIC anzuwenden, weil v. a. der Leitungsdienst nicht ganz von den anderen Funktionen der geistlichen Gewalt zu unterscheiden ist.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Für das heutige Verständnis der Lehre von den drei Ämtern Christi und der Kirche, dem Lehr-, Heiligungs- und Leitungsamt, die eine bis in die Frühe Kirche zurückgehende Geschichte aufweist,137 ist die Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ entscheidend:

Die Bischofsweihe überträgt mit dem Amt der Heiligung auch die Ämter der Lehre und der Leitung, die jedoch ihrer Natur nach nur in der hierarchischen Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Kollegiums ausgeübt werden können. (LG 21, 2)

Lehre, Heiligung und Leitung sind Funktionen der geistlichen Gewalt, die in ihrer Fülle in der Bischofsweihe übertragen wird. Gegenstand des Buches des CIC „De Ecclesiae munere sanctificandi“ ist die Heiligung des Menschen und die Verehrung Gottes im Gottesdienst. b) Der Begriff der Liturgie Die Liturgie ist Ausübung des priesterlichen Dienstes Jesu Christi und hat eine doppelte Dimension: Es geht um die Heiligung des Menschen ebenso wie um die Verehrung Gottes. Der amtliche Gottesdienst (=  Liturgie) wird „von Haupt und Gliedern des mystischen Leibes Jesu Christi“ vollzogen. Voraussetzungen für amtlichen Gottesdienst sind: 1. Vollzug im Namen der Kirche, 2. rechtmäßige Beauftragung des Leiters der Liturgie, 3. Billigung der liturgischen Handlungen und Texte durch die kirchliche Autorität. Diese Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit von „amtlichem“ Gottesdienst, d.h. von Liturgie gesprochen werden kann. Von liturgiewissenschaftlicher Seite wurde kritisch angemerkt, dass der Begriff des munus sanctificandi den Aspekt der Gottesverehrung vernachlässige.138 Dagegen wurde darauf hingewiesen, dass das lateinische Wort „sanctificare“ sowohl Heiligung der Gläubigen als auch Gottesverehrung meint.139 Nach der Ansicht des kirchlichen Gesetzgebers gehört zum Begriff der Liturgie sowohl die Heiligung der Menschen als auch die Gottesverehrung. Sowohl die Sakramente als auch die Sakramentalien, das Stundengebet usw. stellen Akte der Gottesverehrung dar (vgl. die Überschrift vor c. 1166 CIC). 137 138

139

Vgl. Winfried Aymans, Die Kirche im Codex, bes. 48–55. So Reiner Kaczynski, Liturgie und Recht. Anmerkungen zum neuen Codex der lateinischen Kirche, in: Gd 17 (1983) 41–43; Walter von Arx, Liturgie im neuen CIC (2): Das Liturgieverständnis des CIC, in: Gd 18 (1984) 136. Vgl. Peter Krämer, Liturgie und Recht, in: LJ 34 (1984) 66–83.

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§ 16 Grundfragen

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Gottesdienst Liturgie (cultus Dei publicus)

private Frömmigkeitsübungen (pia exercitia)

Handeln der Kirche

Handeln in der Kirche

Unter den verschiedenen Gottesdienstformen, die alle für das Leben der Kirche wichtig sind, sind Liturgie als „amtlicher Gottesdienst“ und private Fröm­ migkeitsübungen (Gebete, Werke der Buße und der Caritas) zu unterscheiden. Liturgische Handlungen gehen „den ganzen Leib der Kirche“ an, stellen ihn dar und erfüllen ihn (c. 837 § 1 CIC). Konsequenz: Die liturgischen Feiern als Feiern der ganzen Kirche sind „nach Möglichkeit unter zahlreicher und tätiger Beteiligung der Gläubigen zu vollziehen“ (c. 837 § 2 CIC). Wenn Riten gemäß ihrer Eigenart auf gemeinschaftliche Feiern mit Beteiligung der Gläubigen angelegt sind, ist ihre Feier in Gemeinschaft – im Rahmen des Möglichen – der vom Einzelnen „privat“ vollzogenen vorzuziehen (SC 27, 1). 2. Ordnung der Liturgie a) Zuständigkeiten Gesetzgeber in liturgischen Fragen war bis zum Tridentinum in erster Linie der Bischof; zur Konzentration auf den Apostolischen Stuhl kam es letztlich erst im 19. Jahrhundert. Dies schlägt sich im CIC von 1917 nieder, wonach es ausschließlich Sache des Apostolischen Stuhls ist, „sowohl die heilige Liturgie zu ordnen als auch die liturgischen Bücher zu approbieren“ (can. 1257 CIC/1917). Daraus zog Papst Pius XII. den Schluss: „Deshalb steht nur dem Papst das Recht zu, eine gottesdienstliche Praxis anzuerkennen oder festzulegen, neue Riten einzuführen und gutzuheißen sowie auch jene zu ändern, die er für änderungsbedürftig hält.“140 Das Zweite Vatikanische Konzil brachte auch in dieser Frage eine Wende und sprach neben dem Apostolischen Stuhl auch dem Diözesanbischof das Recht der Regelung der Liturgie zu (vgl. SC 22). Der Apostolische Stuhl hat nach dem CIC141 folgende Kompetenzen: Normierung hinsichtlich der Liturgie in der ganzen Kirche, Herausgabe liturgischer Bücher,  Überprüfung der von den Bischofskonferenzen approbierten Anpassungen,  

Pius XII., Enzyklika „Mediator dei“ vom 20.11.1947, in: AAS 39 (1947) 521–580, hier 544. Vgl. auch Franziskus, Motu proprio „Magnum principium“ vom 3.9.2017, in: AAS 109 (2017) 967–970; dt.: AfkKR 186 (2017-2019) 195–198. Dazu Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Dekret zur Anwendung der Bestimmungen des can. 838 des Kodex des Kanonischen Rechts, Prot. N. 394/21, einsehbar unter http://www.cultodivino.va/content/ cultodivino/it/documenti/decreti-generali/decreti-generali/2021/ad-dispositiones-can--838-codicis-iuris-canonici-efficiendas/decretum/deutsch.html [Zugriff: 22.2.2022].

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Bestätigung volkssprachlicher Ausgaben, Überwachung der liturgischen Ordnung.

Dem Diözesanbischof kommt eine umfassende Kompetenz zur Regelung von Liturgie und Gottesdienst zu, während der Bischofskonferenz in liturgischen Fragen die Herausgabe volkssprachlicher Ausgaben der liturgischen Bücher sowie Einzelkompetenzen zukommen. Kompetenzen zur Ordnung der Liturgie Papst

Bischof

Bischofskonferenz

bezogen auf die gesamte katholische Kirche (auch orientalische Kirchen)

bezogen auf die Diözese

bezogen auf das Gebiet der Bischofskonferenz

umfassend

umfassend, unter Wahrung übergeordneten Rechts

volkssprachliche Ausgabe der liturgischen Bücher und Einzelkompetenzen

Es gibt eine grundsätzliche Spannung hinsichtlich des Wesens der Liturgie. Einerseits gilt: Die liturgische Feier ist Feier der Kirche, Ausdruck des gemeinsamen Glaubens und von Christus gestiftete Versammlung. Deshalb ist eine liturgische Ordnung notwendig, welche die Identität der Liturgie als christliche Liturgie sicherstellen muss. Die strikte Einhaltung dieser Ordnung verlangen beide Gesetzbücher der katholischen Kirche (c. 838 § 2; 846 § 1 CIC; c. 668 § 2 CCEO). Andererseits ist die Liturgie die Feier einer konkreten Gemeinschaft in einer konkreten Situation; deshalb gibt es einen gewissen Raum für Vielfalt. b) Quellen des liturgischen Rechts Es gibt zwei wichtige Quellen liturgischen Rechts: Gesetz und Gewohnheit. Aus der mit der Absicht der Rechtsbildung geübten Gewohnheit einer passiv gesetzesfähigen Gemeinschaft wird Gewohnheitsrecht durch den Konsens des zuständigen Gesetzgebers (im Regelfall in der Gestalt des „Legalkonsenses“).142 Die besondere Bedeutung des Gewohnheitsrechts bezüglich der Liturgie hat sich in der „Liturgischen Bewegung“ des 20. Jahrhunderts gezeigt, die einen wichtigen Schritt hin zur Besinnung der Kirche über die Liturgie auf dem Zweiten Vatikanum darstellte.

Näheres zum Gewohnheitsrecht siehe § 9.

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§ 16 Grundfragen

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Bezüglich des positiven liturgischen Rechts hat der kirchliche Gesetzgeber eine Bescheidung des kirchlichen Gesetzbuches vorgesehen: Liturgische Gesetze sind im Regelfall nicht im CIC bzw. im CCEO enthalten. Unterscheidung liturgischer Gesetze mehr den disziplinären Bereich betreffend

mehr den Ritus betreffend

im Regelfall im CIC

im Regelfall außerhalb des CIC (bes. Praenotanda und Einzelrubriken der liturgischen Bücher)

regeln Grundfragen oder dienen dem Schutz des Gottesdienstes

„legen die Riten fest“ (c. 2 CIC), d.h. regeln eher Einzelfragen

Unter den Einleitungscanones des CIC (cc. 1–6) ist in c. 2 auch eine „Kollisionsnorm“, wonach der CIC einen Vorrang vor dem bisherigen liturgischen Recht hat, wenn dieses den Regelungen des CIC zuwiderläuft. Außerdem gilt auch bezüglich des liturgischen Rechts, was c.  20 CIC über das Verhältnis von früherem und späterem Gesetz sagt, und die Rechtsvermutung des c. 21 CIC, dass im Zweifelsfall von der Weitergeltung früheren Rechts auszugehen ist. c) Liturgische Dienste Das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen widerspricht nicht einer Unterschiedlichkeit von Stellung und Aufgaben (vgl. c. 208 CIC). C. 835 CIC nennt die möglichen Inhaber von Leitungsfunktionen und anderen liturgischen Diensten und vermittelt hierbei aufgrund seiner geringen Berücksichtigung des gemeinsamen Priestertums ein eher hierarchisch orientiertes Kirchenbild: Bischof

Hoherpriester, vorzüglicher Ausspender der Geheimnisse Gottes und Leiter, Förderer und Wächter des gesamten liturgischen Lebens in der ihm anvertrauten Kirche (§ 1)

Priester

Ausübung des Heiligungsdienstes unter der Autorität der Bischöfe (§ 2)

Diakon

Anteil an der Feier des Gottesdienstes (§ 3)

Laie

Anteil am Heiligungsdienst (§ 4)

C. 834 § 2 CIC verlangt, dass der „amtliche Gottesdienst“ von rechtmäßig beauftragten Personen dargebracht werden muss. Gegen diese Formulierung ist einzuwenden: „Dargebracht“ (defertur) wird der Gottesdienst von der gesamten Kir-

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

che; bei der Frage nach den „rechtmäßig beauftragten Personen“ geht es nicht um die Trägerschaft (das „Darbringen“), sondern um die Leitung des Gottesdienstes. Zur Leitung ist eine Beauftragung der Kirche erforderlich, damit von einem Handeln im Namen der Kirche gesprochen werden kann.

B. Die Sakramente im Allgemeinen Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 119 B.

1. Theologische Vorüberlegungen Wort und Sakrament sind die Aufbauelemente der Kirche (Mörsdorf ).143 Der Fundamentaltheologe Gottlieb Söhngen hat auf den engen Zusammenhang von Wortverkündigung und Sakramentenfeier hingewiesen:

Die Einheit von Wort und Sakrament kann im christlichen Kult nicht innerlich genug verstanden werden; wir dürfen geradezu von einer wechselseitigen Erfüllung von Wort und Sakrament sprechen. Vom Worte wird das Sakrament mit der Fülle mächtiger Geistigkeit und vom Sakramente wird das Wort mit der Fülle geistiger Wirklichkeit erfüllt … Die katholische Kirche ist Kirche des Sakramentes und des Wortes; und zwar in ihren Sakramenten selbst ist sie Kirche des Sakramentes und Wortes, wie sie auch in ihrer Verkündigung des Wortes Kirche des Wortes und Sakramentes ist.144

Daraus ergibt sich (vgl. auch cc. 836; 843 § 2 CIC):  

Im Verkündigen und Hören des Wortes Gottes wird Heil vermittelt. Das Sakrament hat einen eminent worthaften Charakter. Zum sakramentalen Zeichen gehört wesenhaft das ausdeutende Wort hinzu.

Der Gottesdienst geht aus dem Glauben hervor (vgl. c. 836 CIC). Die Sakramente erwachsen aus dem Glauben, aber umgekehrt stärken sie den Glauben auch. Ohne ein Mindestmaß an Glauben kommt die Begegnung mit dem Herrn weder im Sakrament noch in den sonstigen liturgischen Handlungen zustande. Es ist Aufgabe der geweihten Amtsträger, den Glauben zu wecken und zu vertiefen, um so eine fruchtbare Beteiligung am liturgischen Leben zu erreichen. Hieraus ergibt 143 144

Siehe hierzu § 5 A 3. Gottlieb Söhngen, Symbol und Wirklichkeit im Kultmysterium, 18 f.

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§ 16 Grundfragen

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sich die Notwendigkeit katechetischer Hinführung zu den Sakramenten (Erstkommunion- und Firmunterricht, Ehevorbereitung usw.). Das Zweite Vatikanische Konzil hat eine enge Verbindung zwischen Sakramenten und Kirche hergestellt. Nach der Dogmatischen Konstitution über die Kirche ist auch die Kirche selbst „Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). In ähnlicher Weise bezeichnet LG 48, 2 die Kirche als „allumfassendes Heilssakrament“. Hieraus ergibt sich: In den Sakramenten wird das sakramentale Wesen der Kirche vollzogen. Christus und die Kirche sind die Träger der sakramentalen Feier, die der Gottesverehrung, der Heiligung der Menschen sowie der Herbeiführung, Stärkung und Darstellung der kirchlichen Gemeinschaft dient (vgl. c. 840 CIC). Dieser enge Zusammenhang von Kirche und Sakramenten hat eine fundamentale Bedeutung für das Kirchenrecht, denn dieses hat seinen Ort in der sakramentalen Zeichenhaftigkeit der Kirche.145 2. Allgemeine Normen a) Begriffsbestimmungen Initiationssakramente Die Sakramente der Initiation sind die Taufe, die Firmung und die Eucharistie (c. 842 CIC), dies aber in unterschiedlicher Weise: Während die Taufe und die Firmung nur Initiationssakramente sind und dem Menschen nur ein einziges Mal gespendet werden dürfen, ist die Eucharistie zwar ein Initiationssakrament, aber auch mehr; sie ist „Sakrament des Alltags“146 und auch Sterbesakrament. Zur vollen christlichen Initiation sind Taufe, Firmung und erstmaliger Empfang der Eucharistie erforderlich. Die Taufe „inkorporiert“147 den Menschen in die Kirche, d.h.: Sie fügt ihn als Glied in den Leib der Kirche ein. Die Taufe ermöglicht den gültigen Empfang der anderen Sakramente (vgl. c. 842 § 1 CIC). „Inkorporation“ meint den einmaligen Akt der Taufe, wogegen „Initiation“ eher einen dynamischen Aspekt hat. Der erste Canon zum Firmrecht, c. 879 CIC, spricht daher vom „iter initiationis“, vom Weg der christlichen Initiation. Der „Weg der Initiation“ hat sakramentale und katechumenale Elemente. Die Reihenfolge der Schritte zur Initiation bei erwachsenen Taufbewerbern und bei Kindern ist unterschiedlich. 

Mörsdorf, Lb11 I, 14. Siehe hierzu § 5 B 2 und 3. So die Formulierung von Karl Rahner, Eucharistie und alltägliches Leben, in: Rahner S 7, Einsiedeln u.a. 1966, 204–220. 147 Das Wort „incorporare“ verwendet der CIC nur im Zusammenhang mit der Taufe. 145 146

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Erwachsene:

Kinder:

katechumenale Initiation

sakramentale Initiation

katechumenale Initiation

Vorkatechumenat – Katechumenat

Taufe – Firmung – Eucharistie (in einer einzigen Feier)

Neophytenkatechese

sakramentale Initiation

katechume­ nale Initiation

sakramentale Initiation

katechume­ nale Initiation

sakramentale Initiation

Taufe

Erstkommunionvorbereitung

erster Empfang der Eucharistie

Firmunterricht

Firmung

stets begleitend: katholische Kindererziehung durch Eltern und Paten

In den katholischen Ostkirchen werden die Sakramente der Initiation je nach der Tradition der betreffenden Ostkirche gemeinsam gespendet (auch bei der Kindertaufe!). Character indelebilis Nach c. 845 § 1 CIC können die Sakramente von Taufe, Firmung und Weihe nicht wiederholt werden, da sie ein unauslöschliches Prägemal eindrücken (character indelebilis). Hinter dieser Regelung steht eine ältere kirchliche Tradition:



Wer sagt, in drei Sakramenten, nämlich der Taufe, Firmung und Weihe, werde der Seele keine Prägung eingeprägt, das heißt ein geistliches und unauslöschliches Zeichen, weshalb sie nicht wiederholt werden können: der sei mit dem Anathema belegt.148

Das lateinische Wort „character“ (griechisch: σφραγίς, ursprünglich der Prägestempel bei der Münzherstellung) bringt die Zugehörigkeit, die Inbesitznahme zum Ausdruck. Durch Taufe, Firmung und Weihe wird der Mensch für Gott in Besitz genommen; diese Sakramente können nicht verlorengehen und auch kein zweites Mal gespendet werden. Bei nicht zu behebenden begründeten Zweifeln bezüglich der gültigen Spendung dieser Sakramente sind sie nur bedingungsweise zu spenden (c. 845 § 2 CIC).

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Konzil von Trient, Sess. VII, Canones über die Sakramente im Allgemeinen, can. 9: DenzH 1609.

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§ 16 Grundfragen

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b) Regelungsgewalt und Zuständigkeiten bezüglich der Sakramente Klar zu unterscheiden sind die Zuständigkeiten hinsichtlich der gültigen Sakramentenfeier von jenen hinsichtlich ihrer Erlaubtheit. Diese werden geregelt in c. 841 CIC. Für die Erlaubtheitserfordernisse der Sakramente gelten dieselben Zuständigkeiten wie für die Regelung der Liturgie insgesamt (c. 838 §§ 3 und 4 CIC; vgl. auch cc. 846; 214 CIC). Hinsichtlich der Gültigkeitserfordernisse geht der CIC von folgenden Grundsätzen aus: Die Sakramente sind für die ganze Kirche dieselben. Die Sakramente gehören zu dem der Kirche von Gott anvertrauten Gut.  Konsequenz: Alleinzuständigkeit der höchsten Autorität der Kirche hinsichtlich der Gültigkeitserfordernisse für die Sakramente.  

Zuständigkeit der kirchlichen Autorität: Gültigkeitserfordernisse

Erlaubtheitsvoraussetzungen

höchste Autorität der Kirche

höchste Autorität der Kirche, Bischofskonferenz, Diözesanbischof

Erfordernisse göttlichen Rechts

Erfordernisse menschli­ chen Rechts

beurteilen (Lehramt)

festlegen (Gesetzgeber)

festlegen (Gesetzgeber)

Die Zuständigkeit der höchsten Autorität der Kirche ist nochmals zu unterscheiden je nachdem, ob es sich um Vorgaben der geoffenbarten Glaubenswahrheiten handelt (z.B. eucharistische Materie) – in diesem Fall geht es nur um die Feststellung („Beurteilung“) dessen, was im Glaubensgut enthalten ist – oder ob es sich um positivrechtliche Gültigkeitserfordernisse handelt (z.B. Eheschließungsform) – diese werden seitens der höchsten kirchlichen Autorität (Papst oder Bischofskollegium gemeinsam mit dem Papst) festgelegt. Bei der Feier der Sakramente sind die liturgischen Bücher getreu zu beachten und der Spender ist verpflichtet, die Sakramente nach seinem eigenen Ritus (z.B. lateinischer oder byzantinischer Ritus) zu feiern (c. 846 CIC). Diese Norm widerspricht nicht der Möglichkeit einer Ausgestaltung der liturgischen Feier. Die in den liturgischen Büchern vorgesehenen Spielräume dürfen selbstverständlich genutzt, nicht aber in eigenmächtiger Weise ausgedehnt werden. Der Gesetzgeber meinte offensichtlich, gerade im Zusammenhang mit den Sakramenten die Forderung nach Befolgung der Gesetze149 betonen zu sollen, denn die Sakramente sind eine Feier der gesamten Kirche. Siehe § 9 B. Zur Gewohnheit als Rechtsquelle im Bereich der Liturgie.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

c) Das Recht auf Sakramentenempfang C. 843 § 1 CIC normiert die Pflicht der Amtsträger zur Spendung der Sakramente. Dies entspricht dem Recht der Gläubigen auf die geistlichen Güter der Kirche (c. 213 CIC) und dem Recht auf Feier des Gottesdienstes im eigenen Ritus (c. 214 CIC). Eine Sakramentenverweigerung ist nur in sehr engen Grenzen möglich. Das ergibt sich aus c. 18 CIC, wonach Gesetze, welche die freie Ausübung von Rechten einschränken, eng auszulegen sind. Es gibt drei Voraussetzungen für die Zulassung zu den Sakramenten: Bitte Disposition  Freisein von rechtlichen Hindernissen  

Die Bitte um das Sakrament muss angemessen, zur rechten Zeit und am rechten Ort vorgebracht werden („opportune“, c. 843 § 1 CIC). Die Disposition umfasst den entsprechenden Glauben des Empfängers und die notwendige Vorbereitung sowie den Willen, das zu tun, was die Kirche tut, wenn sie das betreffende Sakrament feiert. Als Grund für die Verweigerung eines Sakraments kann natürlich nur ein nach außen hin eindeutig greifbarer Mangel der erforderlichen Disposition zum Sakramentenempfang in Betracht kommen. Ein rechtliches Hindernis zum Empfang des Sakramentes kann begründet sein in der kirchlichen Sanktion von Exkommunikation oder Interdikt, im hartnäckigen Verharren in einer offenkundigen schweren Sünde,  im Vorliegen eines Ehe- bzw. Weihehindernisses,  im Mangel des Taufempfangs – von der Taufe selbst abgesehen – und  in der Zugehörigkeit zu einer nichtkatholischen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft.  

Die Amtsträger müssen die Sakramente spenden, wenn die drei genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Um dem Erfordernis der rechten Disposition zum Sakramentenempfang genüge zu tun, statuiert c. 843 § 2 CIC die Pflicht der Seelsorger und – entsprechend ihrer eventuellen kirchlichen Aufgabe – aller Christgläubigen, diejenigen, die Sakramente empfangen wollen, durch Verkündigung z.B. in der katechetischen Unterweisung darauf vorzubereiten. d) Erlaubte Sakramentengemeinschaft Thomas A. Amann, § 72 Ökumenische Gottesdienstgemeinschaft, in: HdbKathKR3. Zwischen dem Sakramentenempfang und der Kirchengliedschaft besteht ein enger Zusammenhang. Ausnahmsweise ist aber der Sakramentenempfang durch

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§ 16 Grundfragen

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nichtkatholische Christen zulässig. Diesbezüglich sprach das Zweite Vatikanische Konzil folgende Mahnung aus:

Man darf jedoch die Gemeinschaft beim Gottesdienst nicht als ein allgemein und ohne Unterscheidung gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen ansehen. Hier sind hauptsächlich zwei Prinzipien maßgebend: Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen (UR 8, 4).

C.  844 CIC regelt die Voraussetzungen für die erlaubte Sakramentengemeinschaft. Als Grundsatz gilt: „Katholische Spender spenden die Sakramente erlaubt nur katholischen Gläubigen; ebenso empfangen diese die Sakramente erlaubt nur von katholischen Spendern“ – Ausnahmen finden sich in c. 861 § 2 CIC bezüglich der Nottaufe und in c. 844 §§ 2–4 CIC. Bezüglich des Empfangs der Sakramente in der katholischen Kirche durch nichtkatholische Christen wird deutlich unterschieden zwischen Angehörigen einer nichtkatholischen Kirche des Ostens und Angehörigen einer nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaft. Die nichtkatholischen orientalischen Kirchen haben alle Sakramente, insbesondere das Weihesakrament, und daher bis auf die Gemeinschaft mit dem Papst alle kirchenbildenden Elemente, während die nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaften nur im Sakrament der Taufe mit der katholischen Kirche verbunden sind. Eine uneingeschränkte Gemeinschaft im sakramentalen Bereich würde die Glaubens- und Kirchengemeinschaft voraussetzen. Deshalb können nur in dem Maße, in dem diese Gemeinschaft wiederhergestellt wird, auch weitere Fortschritte bezüglich einer größeren Gemeinschaft im sakramentalen Bereich erzielt werden. Nach c. 844 CIC gelten folgende Bedingungen einer erlaubten Sakramentengemeinschaft:

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Katholiken in einer nicht­katholischen Kirche

a) Notwendigkeit oder geistlicher Nutzen b) kein Irrtum oder Indifferentismus c) physische oder moralische Unmöglichkeit, einen katholischen Spender aufzusuchen d) gültige Spendung dieser Sakramente in der betreffenden Kirche

Angehörige einer nichtkatholischen Ostkirche in der katholischen Kirche a) spontane Bitte b) rechte Disposition

Angehörige einer nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaft in der katholischen Kirche a) Todesgefahr oder andere schwere Notlage nach Urteil der Bischofskonferenz oder des Diözesanbischofs b) Unmöglichkeit, einen Amtsträger der eigenen kirchlichen Gemeinschaft aufzusuchen c) spontane Bitte d) rechte Disposition

Ökumenische Gemeinschaft im Gottesdienst, vor allem im sakramentalen Bereich, ist an bestimmte Voraussetzungen und Bedingungen gebunden. Wer diese – entgegen c. 844 CIC bzw. c. 671 CCEO – nicht beachtet und z.B. die sogenannte Interkommunion praktiziert, kann gemäß c. 1365 CIC bzw. c. 1440 CCEO mit einer Sanktion belegt werden.

§ 17 Die Eucharistie Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 123; Reinhild Ahlers, § 78 Die Eucharistie, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Reinhild Ahlers, Communio Eucharistica. Eine kirchenrechtliche Untersuchung zur Eucharistielehre im Codex Iuris Canonici, Regensburg 1990.

A.  Sakramententheologisch-ekklesiologische Grundlagen Im CIC/1983 finden sich „theologische Leitcanones“ vor allem zu Beginn neuer Abschnitte, und so auch zu Beginn des Titels über die Eucharistie. Die theologischen Leitcanones zum Eucharistierecht (cc.  897, 899 CIC) betreffen folgende Themenbereiche:

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§ 17 Die Eucharistie

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die hervorragende Stellung der Eucharistie unter den Sakramenten, die kirchenbildende Kraft der Eucharistie und ihre ekklesiale Dimension,  Zusammenhang Eucharistie – übrige Sakramente – Apostolatswerke,  Gedächtnis des Todes Christi/Opfercharakter der Eucharistie.  

Die Eucharistie ist der zentrale Vollzug der Kirche, in dem sich alle Grundvollzüge der Kirche vereinen. In der Eucharistiefeier stellt sich die Kirche selbst dar, die Teilhabe am Leib Christi in der Eucharistie konstituiert die Kirche als Leib Christi. Man kann sogar sagen, dass die Einsetzung der Eucharistie der kirchestiftende Akt Jesu schlechthin ist. In diesem Sinne bezeichnet auch der CIC von 1983 die Eucharistie als das erhabenste Sakrament (c. 897). Die Eucharistie nimmt unter den anderen Sakramenten und im gesamten Leben der Kirche eine Sonderstellung ein, sie ist die Quelle der anderen Sakramente. Deshalb beginnt die Darstellung des Rechtes der einzelnen Sakramente in diesem Buch nicht bei der Taufe, sondern bei der Eucharistie. Wie Papst Benedikt XVI. in seinem Apostolischen Schreiben „Sacramentum Caritatis“ erläutert hat, ist die Eucharistie als das „Kausalprinzip der Kirche“ anzusehen, und das aufgrund des Kreuzesopfers Jesu Christi.150 Die Kirche ist communio mit Gott und der an Gott Glaubenden untereinander, die sich in der Eucharistie als dem gemeinsamen Mahl des Leibes und Blutes Christi vollzieht. Die Kirche lebt und wächst, wenn sie Eucharistie feiert. In der Eucharistie hat die Kirche den Gipfelpunkt ihres Lebens, aber gleichzeitig auch die Quelle, aus der sie immer wieder schöpft. Nach Reinhild Ahlers kann man aber auch umgekehrt sagen: Wenn die „Kirche ganz darauf verzichten würde, Eucharistie zu feiern, würde sie aufhören, Kirche zu sein.“151 Aus der hohen Bedeutung der Eucharistie ergeben sich praktische Konsequenzen für das Leben des einzelnen Christen, nämlich 1. die „Sonntagspflicht“ (c.  1247 CIC), also die auf apostolischer Tradition der Kirche beruhende Verpflichtung des einzelnen Christgläubigen, am Sonntag, dem Gedenktag der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus, an der Feier der Eucharistie teilzunehmen,152 und 2. die Verpflichtung zum Kommunionempfang, die in c. 898 CIC grundsätzlich als Verpflichtung zu tätigem Anteil an der Eucharistiefeier und häufigem Kommunionempfang formuliert wird, in c.  920 CIC jedoch in minimalistischer Vgl. Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Sacramentum caritatis“, Nr. 14. Reinhild Ahlers, Eucharistie, in: Dies. u.a. (Hg.), Ecclesia a Sacramentis, 13–25, hier 17. 152 Der vorsätzliche Verstoß gegen diese Pflicht ist eine schwere Sünde, so der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK 2181). Die Sonntagspflicht wird dabei in jedwedem anerkannten katholischen Ritus (römischer Ritus, katholische Ostkirchen, „Anglican Use“, „Karthäuser-Ritus“, …) erfüllt. 150 151

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Weise auf den mindestens jährlich einmaligen Kommunionempfang im Regelfall in der österlichen Zeit reduziert wird.153 Das Gegenüber und Miteinander von besonderem und gemeinsamem Priestertum ist für die Kirche wesentlich und muss daher auch in der Eucharistiefeier zum Tragen kommen (vgl. c. 899 CIC). → Forderung nach aktiver Teilhabe aller Gläubigen an der Eucharistiefeier – „jeder auf seine Weise gemäß der Verschiedenheit der Weihen und der liturgischen Dienste“. Nicht ein „Hören“ der Heiligen Messe ist gefordert, sondern innerer Mitvollzug und Beteiligung am liturgischen Geschehen vor allem im gemeinsamen Gebet. Hierzu lehrt die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils:

Der Amtspriester … vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe. (LG 10, 2)

Die Eucharistie ist ein wesentliches Element von Diözese (vgl. c. 369 CIC) und Pfarrei (vgl. c. 528 § 2 CIC). Nach Eugenio Corecco wird im CIC/1983 aber „die eucharistische Gemeinschaft von der theologisch nicht notwendigen, aber administrativ funktionaleren Gemeinschaft der Pfarrei sozusagen überwältigt.“154 Die Pfarrei muss hingegen v. a. eine Eucharistiegemeinschaft sein, d.h. eine von verschiedenen möglichen Formen von „Eucharistiegemeinschaften“, wobei es die pfarrliche Eucharistiegemeinschaft aber immer geben muss. Die notwendige eucharistische Dimension der Ortsgemeinschaften hat das Zweite Vatikanum mit den folgenden Worten zum Ausdruck gebracht:

153

154

Zu beachten ist jeweils das, was über die Berechtigung zum Kommunionempfang zu sagen ist; s. § 17 C 1 b. Eugenio Corecco, Die kulturellen und ekklesiologischen Voraussetzungen des neuen CIC, in: Libero Gerosa – Ludger Müller (Hg.), Eugenio Corecco. Ordinatio Fidei. Schriften zum kanonischen Recht, Paderborn u.a. 1994, 85–108, hier 108.

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§ 17 Die Eucharistie

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Diese Kirche Christi ist wahrhaft in allen rechtmäßigen Ortsgemeinschaften der Gläubigen anwesend … In diesen Gemeinden … ist Christus gegenwärtig, durch dessen Kraft die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche geeint wird. Denn „nichts anderes wirkt die Teilhabe an Leib und Blut Christi, als dass wir in das übergehen, was wir empfangen“. (LG 26 mit Zitat von Leo d. Gr.)

B. Die Feier der Eucharistie 1. Träger der Eucharistie Träger der eucharistischen Feier wie der Liturgie überhaupt in ihrer doppelten Dimension als Opfer- und als Mahlgemeinschaft ist nicht der Priester allein, sondern sind Christus und die Kirche.155 Im CIC/1917 kam die Bedeutung der mitfeiernden Christen zu kurz; sie steht jedoch letztlich hinter der Regelung des can. 813 § 1 CIC/1917: „Der Priester darf die Messe nicht ohne einen Ministranten feiern, der ihm dient und die Antworten gibt.“ In der Allgemeinen Einführung in das Römische Messbuch von 1969 hieß es in ähnlicher Weise: „Nur aus schwerwiegenden Gründen darf eine Messe ohne Altardiener gefeiert werden. Es entfallen dann die Begrüßungen und der Segen am Schluß der Messe“ (AEM 211).156 Diesbezüglich ist nunmehr c. 906 CIC/1983 heranzuziehen, wonach der Priester „ohne gerechten und vernünftigen Grund“ die Eucharistie nicht ohne die Teilnahme wenigstens eines Gläubigen feiern darf. Zweierlei fällt an diesem Canon auf: 1. Anders als can. 813 CIC/1917 geht das kirchliche Gesetzbuch von 1983 davon aus, dass es einen „gerechten und vernünftigen Grund“ geben kann, warum die Eucharistiefeier ausnahmsweise ohne Anwesenheit weiterer Christgläubiger erlaubt sein kann, z.B. dann, wenn ein Priester der Aufforderung des c. 904 CIC zur möglichst täglichen Zelebration nachkommen will. 2. Statt vom Messdiener ist in dieser Norm von irgendeinem Gläubigen die Rede. Nach der Norm des CIC von 1983 geht es also nicht um den Dienst am Altar und das Geben der erforderlichen Antworten, sondern um die Konstituierung der eucharistischen Tischgemeinschaft. Auch wenn der Priester die Messe allein feiert, ist und bleibt sie ein Tun des ganzen Gottesvolkes. Das sagt der CIC ausdrücklich in c. 904 im Zusammenhang mit der Aufforderung zur häufigen, möglichst täglichen Zelebration.

155 156

Vgl. Klaus Mörsdorf, Der Träger der eucharistischen Feier, in: Mörsdorf S, 519–533. Eine ähnliche Regelung findet sich in Nr. 254 der AEM von 2002.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

In der Konstituierung der eucharistischen Gemeinschaft liegt die wichtigste Aufgabe der mitfeiernden Gläubigen; deren „tätige Teilnahme“ ist aber nicht erst dann gegeben, wenn jeder einen Dienst in der Liturgie ausübt. 2. Zelebrant und liturgische Dienste Der Priester ist zwar nicht alleiniger Träger der eucharistischen Feier, hat aber dennoch eine besondere Rolle: Er steht der heiligen Messe vor und hat eine doppelte Repräsentationsrolle, indem er das gläubige Volk Gott gegenüber und Gott den Gläubigen gegenüber vertritt. Deshalb formuliert c. 900 § 1 CIC: „Zelebrant, der in der Person Christi das Sakrament der Eucharistie zu vollziehen vermag, ist nur der gültig geweihte Priester.“ Daraus ergibt sich: Zur Gültigkeit der Messfeier ist (nur) die gültig empfangene Priesterweihe erforderlich, zur erlaubten Messfeier gelten jedoch weitere Voraussetzungen (vgl. c. 900 § 2 CIC), v. a. die Einhaltung der Vorschriften des liturgischen Rechts. Das kodikarische und das liturgische Recht sehen verschiedene Dienste in der Eucharistiefeier vor (vgl. z.B. c. 230 CIC: Lektor, Kommentator, Kantor und andere Aufgaben; ersatzweise auch Dienst am Wort, Leitung liturgischer Gebete, Spendung der Taufe, Austeilung der heiligen Kommunion). C. 907 CIC verbietet es aber Diakonen und Laien, Gebete zu sprechen und Aufgaben zu erfüllen, die dem Priester zukommen, insbesondere dürfen sie das eucharistische Hochgebet nicht sprechen. Die Rollen bei der Eucharistiefeier müssen richtig verteilt sein. Hierzu heißt es in der Instruktion mehrerer Römischer Kongregationen vom 15. August 1997 zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester, Art. 6, Abs. 2, § 2:

Um auch auf diesem Gebiet die kirchliche Identität jedes einzelnen zu wahren, sind Mißbräuche verschiedener Art abzuschaffen, die der Bestimmung des can. 907 entgegenstehen, demgemäß es den Diakonen und Laien in der Eucharistiefeier nicht erlaubt ist, Gebete oder Gebetsteile – insbesondere das eucharistische Hochgebet und die Doxologie  – vorzutragen oder Handlungen und Gesten zu verrichten, die dem zelebrierenden Priester vorbehalten sind. Ein schwerer Mißbrauch ist es überdies, wenn Laien gleichsam den „Vorsitz“ bei der Eucharistiefeier übernehmen und dem Priester nur das Minimum belassen, um deren Gültigkeit zu garantieren. Auf derselben Linie liegt der offensichtliche Verstoß, falls jemand, der das Weihesakrament nicht empfangen hat, bei liturgischen Feiern Paramente verwendet, die Priestern und Diakonen vorbehalten sind (Stola, Meßgewand oder Kasel, Dalmatik). Schon der bloße Anschein von Verwirrung, die durch abweichendes liturgisches Verhalten entstehen kann, ist zu vermeiden. Wie die geistlichen Amtsträger an ihre Pflicht zu erinnern sind, alle vorgeschriebenen sakralen Paramente anzuziehen, so können Laien nicht tragen, was ihnen nicht zusteht.

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§ 17 Die Eucharistie

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Einzelne Bischofskonferenzen haben in der Nachkonzilszeit mit Genehmigung des Apostolischen Stuhls die Möglichkeit geschaffen, dass Laien als Kommunionspender beauftragt werden. Seit 1973 gilt hierfür universalkirchlich der „Ritus ad deputandum ministrum extraordinarium sacrae communionis distribuendae“ der Sakramentenkongregation. Diese Entwicklungen schlagen sich auch im CIC nieder. Nach c. 910 § 1 CIC sind der Bischof, der Priester und der Diakon ordentlicher Spender der Kommunion, nach § 2 dieses Canons ist außerordentlicher Spender der Akolyth wie auch ein anderer Gläubiger, der nach Maßgabe von c. 230 § 3 CIC dazu beauftragt ist. Zu diesem Canon erging am 1. Juni 1988 eine authentische Interpretation.157 Danach darf der nach den cc. 910 § 2 und 230 § 3 CIC bestellte außerordentliche Kommunionspender die Kommunion nicht austeilen, wenn ein ordentlicher Spender anwesend ist, der an der Ausübung seines Dienstes in keiner Weise gehindert ist. Die Entscheidung der CIC-Interpretationskommission sollte verhindern, dass aus dem außerordentlichen Dienst der Kommunionhelfer ein ständiger Dienst wird. Diese Entscheidung aus dem Jahr 1988 wurde in Artikel 8, Abs. 2 der Instruktion über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester vom August 1997 nochmals bekräftigt. 3. Riten und Zeremonien Mehrere Canones befassen sich mit der eucharistischen Materie. Hiernach gilt der Grundsatz, dass die Eucharistiefeier immer mit Brot und Wein, dem ein wenig Wasser beizumischen ist, zu feiern ist (c. 924 § 1 CIC). Nach c. 927 CIC ist es auch im äußersten Notfall streng verboten, die eine Gestalt ohne die andere oder auch beide Gestalten außerhalb der Eucharistiefeier zu konsekrieren. C. 924 § 2 CIC verlangt, dass das Brot aus reinem Weizenmehl bereitet und frisch sein muss, und nach c. 926 CIC ist ungesäuertes Brot zu verwenden. Die Forderung nach reinem Weizenbrot als Materie für die eucharistische Feier hat zur Konsequenz, dass das Weizenbrot nicht künstlich verändert worden sein darf. Das bringt Probleme für Zöliakiekranke mit sich, die kein Brot zu sich nehmen dürfen, das Gluten enthält. Ein ähnliches Problem besteht bezüglich der anderen Materie, also hinsichtlich des Weins, der für Alkoholkranke verboten ist. Bezüglich dieser Problemkreise hat die Glaubenskongregation am 19. Juli 1995 ein Schreiben an die Präsidenten der Bischofskonferenzen veröffentlicht,158 das im Jahr 2003159 und 2017160 bestätigt und präzisiert wurde. Hiernach ist nur die Verwendung von Hostien mit vermindertem Anteil an Gluten zulässig, nicht aber von glutenfreien Hostien; diese sind vielmehr, wie die Kongregation ausdrücklich festhält, ungültige Materie. Bezüglich alkoholkranker Priester ist die Kommunion durch Eintauchen der Hostien in den Kelch oder nur unter der Gestalt des Brotes 159 160 157 158

AAS 80 (1988) 1373; AfkKR 157 (1988) 191. Notitiae 31 (1995) 608–610; dt.: AfkKR 164 (1995) 150 f. AfkKR 172 (2003) 475–477. AAS 109 (2017) 857–859.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

vorzuziehen, wobei ein anderer Gläubiger die Kelchkommunion empfängt. Der Ordinarius kann aber auch die Erlaubnis zur Verwendung von Traubensaft geben.

C.  Recht auf Eucharistie 1. Recht und Pflicht der Gläubigen a) Teilnahme an der Messe Grundsätzlich ist jeder Katholik zur Mitfeier der heiligen Messe berechtigt. Das ergibt sich aus dem Recht auf die geistlichen Güter, das in c. 213 CIC normiert ist, und aus dem in c. 214 CIC normierten Recht auf die Feier des Gottesdienstes im eigenen Ritus. Gläubige können jedoch in verschiedener Weise an der Messe teilnehmen. Folgende Partizipationsweisen sind zu unterscheiden: 1. die aktive Teilnahme der Gläubigen von der reinen Anwesenheit eventueller Zuschauer, 2. im Bereich der aktiven Teilnahme die schlichte Teilnahme der Christgläubigen in Gebet und Gesang von der Ausübung eines Dienstes bei der eucharistischen Feier, 3. unter den Diensten wiederum können unterschieden werden solche, die auf der sakramentalen Ordination aufbauen, v. a. also die Partizipationsweise des Zelebranten, von solchen Diensten, die keine Weihe, sondern nur eine Beauftragung voraussetzen, z.B. Lektor, Ministrant, Organist. 4. Daneben muss im Bereich der aktiven Teilnahme der Gläubigen zwischen der Berechtigung zur Teilnahme am eucharistischen Opfer und am eucha­ristischen Mahl unterschieden werden. Wer zur Teilnahme am eucharistischen Opfer berechtigt ist, ist noch nicht unbedingt auch zum eucharistischen Mahl berechtigt. Schematisch lassen sich die unterschiedlichen Partizipationsweisen der Gläubigen folgendermaßen darstellen: aktive Teilnahme Schlichte Teilnahme (in Gebet und Gesang)

reine Anwesenheit

Ausübung eines Dienstes Aufgrund Weihe

Teilnahme am eucharistischen Opfer

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Aufgrund Beauftragung

Teilnahme am eucharistien Mahl

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§ 17 Die Eucharistie

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Das Recht zur schlichten Teilnahme an der Eucharistiefeier kann keinem katholischen Christen verwehrt werden, auch dann nicht, wenn er in seinem Glauben oder in seinem Leben nicht in völliger Übereinstimmung mit der Kirche steht, und auch dann nicht, wenn eine solche Abweichung in Glauben und Lebensführung zu kirchlichen Sanktionen geführt hat. Dem Exkommunizierten und Interdizierten ist nach c. 1331 § 1 und c. 1332 CIC allerdings jeglicher Dienst bei der Eucharistiefeier untersagt. Wenn diese Sanktionen verhängt oder festgestellt wurden, muss der Täter ferngehalten werden von diesem Dienst oder muss von der Feier abgesehen werden. Darüber hinaus betreffen die Konsequenzen kirchlicher Sanktionen die Berechtigung zur Teilnahme am eucharistischen Mahl, also zum Empfang der Kommunion. An der passiven Anwesenheit und an der schlichten aktiven Partizipation, also der Teilnahme an der Eucharistie ohne Ausübung eines Dienstes darf niemand gehindert werden – es sei denn, sein Verhalten stellte eine objektive Störung der liturgischen Feier dar. b) Recht auf den Empfang der Eucharistie Aus der konstitutiven Bedeutung der Eucharistie für das Leben der Gläubigen erwächst das in c. 912 CIC normierte Recht auf den Empfang der Eucharistie. Diese Norm klingt wie eine Wiederholung und Konkretisierung von c. 213 CIC, der im Grundrechtskatalog aller Gläubigen unter anderem das Recht auf den Sakramentenempfang festschreibt. Im Unterschied zu c. 213 CIC, der ein Recht der „christifideles“, also der katholischen Christen normiert, spricht c. 912 CIC von allen Getauften, also allen Christen, nicht nur den Katholiken („quilibet baptizatus“). Durch das hier zugesicherte Recht verwirklicht der Christ sein Christsein in besonderer Weise; er darf daher nur aufgrund rechtlich genau festgelegter Kriterien behindert werden. Als ein solches rechtlich fassbares Kriterium ist aber auch der größere oder geringere Grad der Communio mit der katholischen Kirche anzusehen. Die Zulassung nichtkatholischer Christen zum Kommunionempfang ist also nicht in jedem Falle verwehrt; sie ist dann möglich, wenn die Voraussetzungen des c. 844 CIC erfüllt sind.161 Zudem wird in c. 843 § 1 CIC als Voraussetzung für den Empfang von Sakramenten unter anderem die rechte Disposition verlangt. Die Entscheidung darüber, ob der Empfänger der eucharistischen Kommunion recht disponiert ist, ist aber dem Kommunionspender im Regelfall entzogen und wird in c. 916 CIC bezüglich seiner sittlichen Situation dem Empfänger selbst zugewiesen, der sich zu prüfen hat, ob er sich einer schweren Schuld bewusst ist, und nur dann die Messe zelebrieren bzw. die Kommunion empfangen darf, wenn es hierfür einen schwerwie161

Siehe hierzu § 16 B 2 d.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

genden Grund gibt; „in diesem Fall muss er sich der Verpflichtung bewusst sein, einen Akt der vollkommenen Reue zu erwecken, der den Vorsatz miteinschließt, sobald wie möglich zu beichten.“ Damit der Spender das Recht auf den Empfang der Eucharistie einschränken kann, müssen nach c. 912 CIC objektive Kriterien vorliegen. Dieser Gedanke wird auch in c. 915 CIC durchgehalten, der eine solche Einschränkung macht und die Verweigerung der Kommunion gegenüber Exkommunizierten und Interdizierten und solchen Christen normiert, „die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren.“ Die Spendung der Eucharistie kann also nach c. 915 CIC nur in eng begrenzten Fällen verweigert werden, während der Kreis der zum Eucharistieempfang nicht Berechtigten gemäß c. 916 CIC weitaus größer ist. Für die Exkommunikation und das Interdikt reicht es nicht aus, dass diese von selbst eingetreten sind. Sie müssen vielmehr entweder verhängt oder festgestellt worden sein, also in der kirchlichen Öffentlichkeit feststehen. Auch bei der Nichtzulassung aufgrund eines sündhaften Verhaltens, das nicht mit einer Sanktion belegt ist, wird die Offenkundigkeit betont. Damit ein bestimmtes Verhalten eines Christen die Konsequenz des c. 915 CIC nach sich ziehen kann, müssen die hier genannten Voraussetzungen erfüllt sein, nämlich: 1. Das betreffende Verhalten muss eine schwere Sünde darstellen, wobei kirchenrechtlich nur darauf abgestellt werden kann, ob die objektiven Merkmale einer schweren Sünde erfüllt sind.162 2. Das Verhalten des Christen muss offensichtlich sein, d.h. es muss nicht nur beweisbar, sondern tatsächlich einer gewissen Öffentlichkeit bekannt sein. 3. Schließlich kann der Canon nur dann angewendet werden, wenn der Betreffende in seinem Verhalten hartnäckig verharrt, wenn er also kein Zeichen der Besserung zu erkennen gibt. Als rechtlicher Hinderungsgrund für die Zulassung zur Eucharistie sind auch das Fehlen der geistigen Fassungskraft und der katechetischen Vorbereitung auf den erstmaligen Empfang dieses Sakraments anzusehen. Bei Fehlen dieser Voraussetzungen darf die Kommunion nicht gespendet werden. Die Zulassung von Kindern zur Eucharistie wird in den cc. 913 und 914 CIC geregelt. Diese Regelung lässt sich schematisch wie folgt zusammenfassen:

Vgl. Erklärung des PCI vom 24. Juni 2000, in: Comm 32 (2000) 159–162; dt.: AfkKR 169 (2000) 135–138.

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§ 17 Die Eucharistie

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Zulassung von Kindern zur Eucharistie in Todesgefahr (c. 913 § 2 CIC)

außerhalb von Todesgefahr (c. 913 § 1 CIC)

Unterscheidung zwischen Leib des Herrn und normaler Speise

Begreifen des Geheimnisses Christi gemäß ihrer Fassungskraft (hinreichende Kenntnis, sorgfältige Vorbereitung)

Fähigkeit zum ehrfürchtigen Empfang der Kommunion

Fähigkeit zum gläubigen und andächtigen Empfang der Kommunion

Nach c. 917 CIC darf die Eucharistie am selben Tag wiederum (iterum) empfangen werden. Die am 11. Juli 1984 ergangene authentische Interpretation des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten erklärt dazu, dass hiernach nur die zweimalige Kommunion am selben Tag erlaubt ist.163 Der Christ, der die Kommunion empfangen will, hat sich innerhalb eines Zeitraums von wenigstens einer Stunde vor der Kommunion aller Speisen und Getränke – mit Ausnahme von Wasser und Arznei – zu enthalten (c. 919 § 1 CIC). Ausnahmen gelten nach c. 919 §§ 2 und 3 CIC für Priester, die mehrmals zelebrieren, und für ältere und kranke Personen. 2. Recht und Pflicht der Priester zur Zelebration a) Gültigkeits- und Erlaubtheitsvoraussetzungen (vgl. c. 900 CIC) Kein Priester kann von Rechts wegen an der gültigen Zelebration gehindert werden, aber nicht jeder Priester darf ohne weiteres zelebrieren; zur erlaubten Zelebration sind verschiedene Vorschriften zu beachten. Die Gültigkeit der Eucharistiefeier hängt also nur an der Priesterweihe; es gelten aber folgende Erlaubtheitsvoraussetzungen: Freisein von Sanktionen: Exkommunikation, Interdikt und Suspension (vgl. aber die Ausnahmen des c. 1335 CIC),  Wahrung des Nüchternheitsgebots (siehe aber die bereits genannten Ausnahmen des c. 919 CIC),  Verbot der mehrmaligen Zelebration am selben Tag, auch diesbezüglich gelten Ausnahmeregelungen (siehe im Folgenden),  Zulassung zur Zelebration durch den Pfarrer bzw. Kirchenrektor. Zum Nachweis der Befähigung und Berechtigung des Priesters zur Zelebration kann er sich seines Dienstausweises (Zelebret) bedienen. Der Priester kann aber auch dann zur Zelebration zugelassen werden, wenn vernünftigerweise anzunehmen ist, dass diesbezüglich kein Hindernis vorliegt. 

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AAS 76 (1984) 746 f.; AfkKR 153 (1984) 453 f.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Die mehrmalige Zelebration am selben Tag kann vom Ordinarius genehmigt werden; es gibt aber auch gesetzliche Ausnahmen von diesem Verbot. Die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch in der Editio tertia typica nennt in Nr. 204 folgende Ausnahmen: 1. Zelebration oder Konzelebration bei der Chrisam-Messe und der Messe vom Letzten Abendmahl, 2. Zelebration oder Konzelebration der Messe der Osternacht und der Messe am Ostertag, 3. bis zu dreimalige (Kon‑)Zelebration zu Weihnachten, sofern die Messen „zu ihrer Zeit gefeiert werden“, 4. bis zu dreimalige (Kon‑)Zelebration zu Allerseelen, 5. Konzelebration mit dem Bischof oder seinem Beauftragten bei einer Synode und bei einer Pastoralvisitation oder anlässlich eines Priestertreffens bzw. bei einer Zusammenkunft von Ordensangehörigen und Zelebration zum Nutzen der Gläubigen. C. 905 CIC mit seinem Grundsatz, dass der Priester nur einmal am Tag zelebrieren soll, hat eine Schutzfunktion für den Priester. Bei der Gewährung der Erlaubnis zur Bination oder Trination wegen Priestermangels sollte der Ortsordinarius daher eher zurückhaltend sein. b) Konzelebration und Einzelzelebration Der CIC erteilt eine umfassende Erlaubnis zur Konzelebration (c. 902 CIC) und zugleich ein Recht auf Einzelzelebration, allerdings nicht gleichzeitig mit einer Konzelebration in derselben Kirche oder Kapelle.164 Ausdrücklich verboten ist die Konzelebration mit Priestern und Amtsträgern von nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften (c. 908 CIC), die sogenannte „Interzelebration“. Diese stellt ein Delikt dar und ist mit einer Sanktion bedroht (c. 1365 CIC); die Zelebration einem Amtsträger einer kirchlichen Gemeinschaft, die keine apostolische Sukzession haben, ist sogar als besonders schweres Delikt der Kongregation für die Glaubenslehre zur Behandlung vorbehalten.165 c) Pflicht zur Zelebration Niemand empfängt die Weihe nur zu seinem eigenen geistlichen Nutzen. Die Priester sind vielmehr dazu verpflichtet, ihre geistliche Vollmacht zum Nutzen der Kirche auszuüben. So gibt es nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht 164 165

Vgl. auch AEM (2002), Nr. 199. Vgl. Aymans – Mörsdorf – Müller, KanR IV, 168.

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§ 18 Taufe

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des Priesters zur häufigen Zelebration; die tägliche Zelebration wird ausdrücklich empfohlen (cc.  904; 276 §  2 n.  2 CIC). Aufgrund des jeweiligen Dienstes oder angenommener Mess-Stipendien können sich besondere Pflichten zur Zelebration ergeben (vgl. z.B. die Zelebrationsverpflichtung des Pfarrers an Sonntagen und gebotenen Feiertagen nach c. 530 n. 7 CIC).

§ 18 Taufe Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 120; Alfred E. Hierold, § 77 Taufe und Firmung, in: HdbKathKR3.

A.  Theologisch-rechtliche Grundlagen 1. Die Grundnorm des c. 849 CIC Zur Darstellung der theologisch-rechtlichen Grundlagen des Taufrechts ist vom Leitcanon zum Titel über die Taufe, von c. 849 CIC, auszugehen. Dieser Canon enthält eine Vielzahl von theologischen Aussagen, die nur zu einem geringen Teil unmittelbar anwendbares Recht darstellen. Diese Aussagen betreffen das Folgende: a) Die Taufe ist die „Eingangspforte zu den Sakramenten“, d.h. der Empfang der Taufe ist die Voraussetzung für den Empfang der anderen Sakramente (so schon c. 842 CIC). b) Der tatsächliche Empfang der Taufe „oder wenigstens das Verlangen danach“ ist zum Heil notwendig. Die hier wohl aus can. 737 § 1 CIC/1917 übernommene Lehre von der „Begierdetaufe“ erscheint nicht mehr angemessen, da das Zweite Vatikanische Konzil in LG 16 die Heilsmöglichkeit schuldlos Ungetaufter umfassender und theologisch gut begründet gelehrt hat.166 Die Erwähnung der „Begierdetaufe“ ist in diesem Zusammenhang aber v. a. deshalb fehl am Platze, weil die Begierdetaufe ja gerade kein Sakrament ist, sondern ein außersakramentaler Weg zum Heil. Und selbstverständlich bewirkt die „Begierdetaufe“ auch nicht die Eingliederung in die Kirche. c) C. 849 CIC nennt v. a. die Heilswirkungen der Taufe, und zwar:  Befreiung von den Sünden,  Neuschaffung als Kind Gottes,  unverlierbare Gleichgestaltung mit Christus (character indelebilis),  Eingliederung in die Kirche. Vgl. auch LG 14, 1; AG 7, 1; KKK 1257.

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Hier geht es um die erste Verbindung des Menschen mit Christus und seine Eingliederung in die Kirche – eine kanonistisch fundamentale Aussage! Der normative Gehalt von c. 849 CIC betrifft Form und Materie der Taufe. Diese Aussage des c. 849 gibt nur die dogmatische Lehre über Materie und Form des Sakraments der Taufe wieder: Gefordert sind die Waschung mit wirklichem Wasser und die Verwendung der Taufworte. 2. Rechtswirkungen der Taufe Im Taufrecht des CIC/1983 findet sich wie schon im CIC/1917 keine eingehende Bestimmung über die Rechtswirkungen der Taufe, insbesondere über die Eingliederung des Getauften in die Kirche – außer der Aussage des c. 849 CIC über die Inkorporation in die Kirche durch die Taufe. Das Nähere über die ekklesiale und verfassungsmäßige Dimension der Taufe, über die Verleihung einer Grundstellung in der Kirche (cc. 96, 204 CIC) und die Verpflichtung auf die kirchlichen Gesetze (c.  11 CIC), wird im Zusammenhang mit dem Verfassungsrecht der Kirche und den Allgemeinen Normen behandelt.167 Nach Eugenio Corecco ist deutlicher, als es im CIC/1983 geschehen ist, darauf hinzuweisen, dass eine weitere Implikation der Taufe in der Verleihung von „sensus fidei“ und „sacerdotium commune“ an die Gläubigen liegt. Die Wirkungen von Glaubenssinn und gemeinsamem Priestertum aller Gläubigen sind nach Corecco für die gesamte kirchliche Rechtsordnung grundlegend.168 Der CIC/1983 hat in diesem Zusammenhang jedoch vor allem die individuellen Wirkungen der Taufe im Blick.169

B.  Die Feier der Taufe 1. Riten und Zeremonien Übereinstimmend mit dem in c.  2 CIC normierten Vorrang des liturgischen Rechts regelt c. 850 CIC, dass die Taufe außer bei einem Notfall so gespendet wird, wie es in den liturgischen Büchern vorgesehen ist. In der Regel ist der Taufritus in seiner ganzen Fülle anzuwenden (vgl. auch cc. 853, 854 CIC). In Übereinstimmung mit dem liturgischen Recht empfiehlt der CIC in c. 856 die Taufe in der Regel am Sonntag, nach Möglichkeit aber in der Osternacht. Andererseits aber hält der Canon fest, dass die Taufe grundsätzlich an jedem Tag Zur Kirchengliedschaft siehe § 25 A 4, zu den Rechten und Pflichten aller Christgläubigen siehe § 25 und zur Verpflichtung durch rein kirchliche Gesetze siehe § 9 A 2. 168 Vgl. hierzu Eugenio Corecco, Taufe, in: Reinhild Ahlers u.a. (Hg.), Ecclesia a Sacramentis, 27–36. 169 Vgl. Dominik Burghardt, Institution Glaubenssinn. Die Bedeutung des sensus fidei im kirchlichen Verfassungsrecht und für die Interpretation kanonischer Gesetze, Paderborn 2002, 109. 167

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gespendet werden kann. Außer im Notfall sollte jedoch an den Tagen der Fastenzeit inklusive der Karwoche keine Tauffeier stattfinden, um den inneren Bezug von Taufe und Ostern nicht zu verschleiern. Mit dem Wunsch der Taufe in der Osternacht steht des öfteren in Spannung, dass die Taufe nach c. 867 CIC innerhalb der ersten Wochen nach der Geburt gespendet werden soll. Wenn sich ein Kind aber in Todesgefahr befindet, ist es unverzüglich zu taufen. Bei der Wahl des Tauftermins ist auf die Gesundheit der Mutter, auf das Heil des Kindes und auf pastorale Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen. Die Notwendigkeit der Taufe unmittelbar nach der Geburt, u. U. sogar noch im Krankenhaus, wie es früher oft Praxis war, wird offensichtlich nicht mehr erkannt. Der CIC geht im Gegenteil sogar davon aus, dass die Taufe im Regelfall nicht im Krankenhaus gespendet werden darf; Ort der Taufspendung ist vielmehr in der Regel die eigene Pfarrkirche, nur im Notfall darf außerhalb einer Kirche oder Kapelle getauft werden (c. 857 CIC). Das ist darin begründet, dass die Taufe auch die Feier der Eingliederung in die Kirche ist – und zwar auch in eine konkrete Gemeinde, die daher grundsätzlich an dieser Feier zu beteiligen ist. Der CIC/1983 geht nicht von der Erwachsenentaufe als Normalfall aus (vgl. cc. 851–852; 865 CIC). C. 852 CIC unterscheidet zwischen der Erwachsenen- und der Kindertaufe. Für beide Arten der Taufe gilt ein je eigener Ritus und gelten teilweise andere Voraussetzungen. Schematisch lässt sich die „Taufmündigkeit“ folgendermaßen darstellen: Bis 7 Jahre:

Kind (c. 852 § 1 i. V. m. c. 97 § 2 CIC) – Kindertaufordo

Ab 7 Jahre:

Erwachsener (c. 852 § 1 i. V. m. c. 97 § 2 CIC) – Erwachsenentaufordo; Taufe dem Bischof anzutragen (c. 863 CIC)

Ab 14 Jahre:

Taufe dem Bischof auf jeden Fall anzutragen (c. 863 CIC) Recht der freien Rituswahl (Lateinische oder eine katholische orientalische Kirche) (c. 111 § 3 CIC) Religionsmündigkeit nach weltlichem Recht (in Deutschland, Österreich und Liechtenstein; in der Schweiz ab 16 Jahre)

2. Taufspender Der CIC trifft keine ausdrückliche Regelung über die Befähigung zur Taufspendung. Aus der Regelung des c. 861 § 2 CIC ist aber zu schließen, dass diese im Notfall jeder von der rechten Intention geleitete Mensch hat. Er muss noch nicht

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einmal selbst die Taufe empfangen haben.170 Hinter dieser Regelung steht die Überzeugung von der Heilsnotwendigkeit der Taufe. Die Berechtigung zur Taufspendung regelt c. 861 CIC folgendermaßen: ordentlicher Spender:

Bischof, Priester, Diakon

außerordentlicher Spender:

Katechist, andere beauftragte Person

Notfall:

jeder von der rechten Intention geleitete Mensch

Von der Berechtigung ist die Zuständigkeit zur Taufspendung nochmals zu unterscheiden. C. 861 § 1 i. V. m. c. 530 n. 1 CIC sieht eine Erstzuständigkeit des Pfarrers für die Taufen in seiner Pfarrei vor; bei der Erwachsenentaufe (ab dem siebten, jedenfalls aber ab dem 14.  Lebensjahr) gilt die Erstzuständigkeit des Diözesanbischofs. 3. Taufpate Weiterführende Literatur: Reinhild Ahlers, Das Tauf- und Firmpatenamt im Codex Iuris Canonici, Essen 1996.

Nach c. 872 CIC liegt der Sinn des Patenamtes vor allem darin, dass er dem Täufling (bei Kindern: neben den Eltern) beim Weg der christlichen Initiation zur Seite steht. Er hat außerdem eine liturgische Rolle bei der Taufspendung und ist Zeuge für den Empfang der Taufe. Für die Übernahme des Patenamtes gelten folgende persönliche Anforderungen (c. 874 § 1 CIC):         

rechtmäßige Bestellung, Eignung, Bereitschaft, im Regelfall Vollendung des 16. Lebensjahrs, katholische Konfession, volle Initiation durch Taufe, Firmung und Eucharistie, dem Glauben und dem Patenamt entsprechende Lebensführung, Freisein von kanonischen Sanktionen, nicht Vater bzw. Mutter des Täuflings.

Angehörige einer nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaft können Taufzeugen neben einem katholischen Taufpaten sein (c. 874 § 2 CIC); wegen der engeren Im CCEO (c. 677) ist die Taufe durch einen Ungetauften nicht vorgesehen.

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§ 18 Taufe

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Gemeinschaft zwischen den nichtkatholischen (Ost‑)Kirchen und der katholischen Kirche können Angehörige einer nichtkatholischen Kirche als Taufpaten neben einem katholischen Taufpaten mitwirken.171

C. Taufempfänger 1. Anforderungen an den Taufempfänger (cc. 864–871 CIC) Auch bezüglich des Empfängers der Taufe sind zur Gültigkeit und zur Erlaubtheit notwendige Anforderungen zu unterscheiden. Es gibt nur zwei Gültigkeitserfordernisse: der Taufempfänger muss ein Mensch und ungetauft sein. Als Erlaubtheitserfordernisse sind nach c. 865 CIC bezogen auf die Erwachsenentaufe zu nennen: Taufglaube, Taufbitte und Taufversprechen. Allerdings darf ein Erwachsener, der sich in Todesgefahr befindet, schon dann getauft werden, wenn er nur gewisse Kenntnisse über den christlichen Glauben aufweist und auf irgendeine Weise seinen Willen bekundet hat. Vor dem Empfang der Taufe ist daher eine Vorbereitung des Täuflings unerlässlich. Diese geschieht im Katechumenat. Wie c. 788 § 2 CIC im Rückgriff auf AG 14, 1 formuliert, dient das Katechumenat folgenden Zwecken: 1. Einführung in die Glaubenslehre und die Gebote des christlichen Glaubens und Erläuterung derselben sowie 2. Einübung in das Leben des Glaubens, die Liturgie, die Liebestätigkeit des Gottesvolkes und in seine apostolische Tätigkeit. Die Normen für den Katechumenat (c. 788 § 3 CIC) sind von der Bischofskonferenz zu erlassen. Diesbezüglich verweisen die Deutsche und die Österreichische Bischofskonferenz im Wesentlichen auf die Praenotanda der liturgischen Bücher, während die Schweizer Bischofskonferenz etwas ausführlichere Regelungen erlassen hat.172 Wie in anderen Bereichen auch entscheiden bezüglich der Kindertaufe die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten (vgl. c. 867 § 1 CIC), die ja auch gemeinsam mit den Paten auf die Taufe vorbereitet werden (vgl. c. 851 n. 2 CIC). Daher müssen die Eltern, zumindest aber ein Elternteil, für das Kind die Taufe erbitten, und es muss eine begründete Hoffnung auf die christliche Erziehung des zu taufenden Kindes bestehen. Man kann also sagen, dass der Taufglaube, die Taufbitte und das Taufversprechen auch bei Taufunmündigen vorhanden sein müssen, nur treten hier die Eltern an die Stelle der zu taufenden Kinder. 171 172

Ökumenisches Direktorium 1993, Nr. 98b. AfkKR 155 (1986) 499 f.

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C. 868 § 2 CIC normiert, dass die Taufe eines Kindes in Todesgefahr auch gegen den Willen der Eltern erlaubt ist. Hier scheint der Gesetzgeber das von ihm an mehreren Stellen hervorgehobene Elternrecht übersehen zu haben.173 Nachdem das Zweite Vatikanische Konzil so eindeutig das Recht auf religiöse Freiheit anerkannt hat, sollte es nicht mehr möglich sein, eine solche Entscheidung gegen den ausdrücklichen Willen der Eltern zu treffen. Dennoch wurde die Regelung des c. 868 § 2 CIC in der letzten Phase der Reformarbeiten wieder in den CIC aufgenommen. Durch c. 868 § 2 CIC darf die Grundnorm des c. 748 § 2 CIC nicht außer Kraft gesetzt werden, wonach Zwang bei der Annahme des Glaubens ausgeschlossen ist. 2. Recht auf Taufe Die Taufe darf nicht nach Belieben gespendet oder willkürlich versagt werden. Es sind vor allem das Recht auf Taufe und die freie Gewissensentscheidung des Menschen zu beachten, aber auch Voraussetzungen, die für die erlaubte Taufspendung gelten. Wenn die Voraussetzungen für den Empfang der Taufe erfüllt sind, besteht ein Rechtsanspruch auf Taufe. Diese Voraussetzungen sind unterschiedlich bei der Erwachsenen- und bei der Kindertaufe, wie im Folgenden schematisch dargestellt wird. Normalfall

Todesgefahr

Erwachsenentaufe (c. 865 CIC)

Taufwille; hinreichende Unterrichtung im Katechumenat; Aufforderung, seine Sünden zu bereuen

gewisse Kenntnis der grundlegenden Glaubenswahrheiten; Bekundung des Taufwillens in gewisser Weise; Versprechen, sich an die Gebote zu halten

Kindertaufe (cc. 867–868 CIC)

Taufbitte, zumindest aber Zustimmung der Eltern; Vorbereitung der Eltern; begründete Hoffnung auf katholische Kindererziehung

unverzügliche Taufe, auch gegen den Willen der Eltern (!)

Wenn die Hoffnung auf eine katholische Kindererziehung völlig fehlt, ist die Taufe entsprechend dem Partikularrecht174 aufzuschieben (c. 868 § 1 n. 2 CIC): Zu einem konkreten Fall der Taufe gegen den Willen der Eltern im 19. Jahrhundert vgl. Josef Gelmi, Mortara, Edgar, in: LThK3 VII (1998) 480 f. 174 Vgl. Die Feier der Kindertaufe. Pastorale Einführung, 2. Aufl. 2008, Nr. 17–20; vgl. zum Ganzen auch Bernd Dennemarck, Der Taufaufschub. Dogmatisch-kanonistische Grundlegung und rechtliche Ausgestaltung im Hoheitsgebiet der Deutschen Bischofskonferenz, St. Ottilien 2003. 173

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§ 19 Firmung



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Taufaufschub dann, wenn die Eltern den christlichen Glauben ablehnen, jedes vorbereitende Gespräch verweigern oder aus der Kirche ausgetreten sind und keine Bereitschaft zeigen, anderweitig für die Glaubenserziehung ihres Kindes zu sorgen, keine Entscheidung des Pfarrers allein, sondern nur im Einvernehmen mit dem Dechanten, Entscheidung für Taufaufschub möglichst einvernehmlich mit den Eltern, im Zusammenhang mit dem Taufaufschub eventuell erbetene Segnung des Kindes nur so, dass eine Verwechslung mit der Taufe unmöglich ist.

§ 19 Firmung Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 121; Alfred E. Hierold, § 77 Taufe und Firmung, in: HdbKathKR3.

A. Sakramententheologisch-ekklesiologische Grundlagen 1. Heilsindividuelle und ekklesiale Bedeutung der Firmung Bis heute wirkt sich hinsichtlich des Verhältnisses von Taufe und Firmung aus, dass letztere aus postbaptismalen Riten entstanden ist. Dementsprechend ist zumeist von Taufe und Firmung in einem Atemzug die Rede, weil diese beiden Sakramente die nicht wiederholbaren Sakramente der Initiation darstellen. Wenn ein Unterschied zwischen beiden Sakramenten gemacht werden kann, dann liegt dies wohl darin, dass die Firmung v.  a. eine ekklesiale Bedeutung hat, die ihr gleichzeitig einen eigenen Ort im Mysterium Kirche verleiht. Es geht um die Begabung mit dem Heiligen Geist, die den Christen in besonderer Weise zum Zeugen seines Glaubens macht. So lehrt das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Kirchenkonstitution:

Durch das Sakrament der Firmung werden sie [die Gläubigen] vollkommener der Kirche verbunden und mit einer besonderen Kraft des Heiligen Geistes ausgestattet. So sind sie in strengerer Weise verpflichtet, den Glauben als wahre Zeugen Christi in Wort und Tat zugleich zu verbreiten und zu verteidigen. (LG 11)

Genauer gesagt geht es um die Befähigung und die sakramentale Stärkung zum Ablegen des Zeugnisses für Christus. Den Unterschied zwischen Taufe und Fir-

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mung sieht Reinhild Ahlers darin, „daß bei der Taufe das Heil des einzelnen im Vordergrund steht, bei der Firmung aber das Zeugnis.“175 Die Firmung ist eines der Initiationssakramente. Das bedeutet, dass die christliche Initiation immer auch das Ziel hat, den betreffenden Gläubigen zu einem tätigen Glied der Kirche zu machen. Eine „Versorgungsmentalität“ der Christen widerspricht dem Wesen kirchlicher Sendung. In der Firmung wird dem Christen die Gabe des Heiligen Geistes geschenkt, aber nicht nur als Gabe, sondern zugleich als Aufgabe. Ihm ist aufgetragen, diese Gabe immer wieder neu zu nutzen, um durch das eigene Leben zum Zeugen für Christus und seinen Geist zu werden. Die Gabe des Geistes ist zugleich lebenslange Aufgabe und verpflichtet zum Verbleiben in der Kirche „dem Herzen nach“ (LG 14, 2). 2. Der theologische Leitsatz des c. 879 CIC Nach c. 879 CIC hat das Sakrament der Firmung die folgenden Wirkungen: Geschenk der Gabe des Heiligen Geistes, vollkommenere Verbindung mit der Kirche,  Stärkung,  größere Verpflichtung zur Zeugenschaft für Christus und zur Ausbreitung und Verteidigung des Glaubens (vgl. auch cc. 225 § 1; 759 CIC).  

Die Firmung ist Erlaubtheitsvoraussetzung (nie Gültigkeitsvoraussetzung) für Aufnahme ins Priesterseminar (c. 241 § 2 CIC), Aufnahme ins Noviziat (c. 645 § 1 CIC),  Übernahme des Patenamts (c. 874 § 1 n. 4 bzw. c. 893 CIC),  Empfang der Weihe (cc. 1033 und 1050 n. 3 CIC),  Zulassung zur Eheschließung (c. 1065 § 1 CIC).  

B.  Der Firmspender Weiterführende Literatur: Hubert Müller, Der Bischof als erstberufener Spender des Firmsakramentes, in: Der Dienst für den Menschen in Theologie und Verkündigung. FS Brems (75), 313–327.

1. Befähigung zur Firmspendung Der Vorbehalt der Firmspendung zugunsten des Bischofs stammt aus der frühchristlichen Praxis. „Während in den ersten Jahrhunderten der Kirche die Riten Reinhild Ahlers, Firmung, in: Dies. (Hg.), Ecclesia a Sacramentis, 37–52, hier 41.

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§ 19 Firmung

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der christlichen Initiation, die eine Einheit bildeten, in der Regel vom Bischof als dem Vorsteher der (Stadt-)Gemeinde vollzogen wurden, stellte sich mit dem seit dem 4. Jahrhundert einsetzenden Massenzustrom zum Christentum hinsichtlich der Spendung dieser Sakramente die Alternative, entweder den Presbytern, die die Katechumenen in den Kleinstädten und auf dem Lande tauften, auch die Firmspendung zu übertragen oder aber Taufe und postbaptismale Riten, die unmittelbar aufeinander folgten, zu trennen und letztere dem Bischof vorzubehalten. Während sowohl die Kirchen des Ostens als auch die Kirchen Spaniens und Galliens die erste Möglichkeit wählten, entschied sich die Kirche Roms für die zweite Lösung …“176 Die katholischen Ostkirchen halten zumeist weiterhin an der Verbindung von Taufe, Firmung und Eucharistie im einheitlichen Akt der Aufnahme in die Kirche fest. Deshalb ist in den orientalischen Kirchen nach c. 694 CCEO der Priester der Spender der Myronsalbung; die Verbindung zur Teilkirche wird jedoch dadurch gesichert, dass das zu verwendende heilige Myron nach c. 693 CCEO „allein vom Bischof geweiht“ wird, sofern nicht partikularrechtlich sogar festgelegt ist, dass diese Vollmacht dem Patriarchen vorbehalten ist. Das II. Vatikanische Konzil bezeichnete den Bischof als „ursprünglichen Spender“ der Firmung (vgl. LG 26). Der Bischof hat eine besondere Verantwortlichkeit für die Firmspendung, um die ekklesiale Bedeutung der Firmung zu veranschaulichen. Diesen Zusammenhang macht der Firmritus deutlich:

Der Bischof ist der ursprüngliche Spender der Firmung. Für gewöhnlich wird das Sakrament von ihm gespendet, weil so der Zusammenhang mit der ersten Geistausgießung am Pfingsttag besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Denn die Apostel selbst haben den Heiligen Geist, den sie empfangen hatten, durch Handauflegung den Gläubigen weitergegeben. Die Spendung durch den Bischof verdeutlicht die enge Verbindung der Gefirmten mit der Kirche und ihre Verpflichtung, den Menschen von Christus Zeugnis zu geben.177

Der CIC von 1983 greift zwar nicht die Begrifflichkeit des Zweiten Vatikanums („minister originarius“, ursprünglicher Spender) auf, sondern bezeichnet den Bischof weiterhin als ordentlichen Firmspender, spricht aber nicht mehr vom Priester als außerordentlichem Firmspender. C. 882 CIC lautet vielmehr: „Der ordentliche Spender der Firmung ist der Bischof; gültig spendet dieses Sakrament auch 176

177

Hubert Müller, Der Bischof als erstberufener Spender des Firmsakramentes, 313 f.; vgl. auch den weiteren geschichtlichen Überblick ebd., 314  f. sowie die dort angegebene weiterführende Literatur. Firmritus, Praenotanda, Nr. 17.

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der Priester, der mit dieser Befugnis kraft allgemeinen Rechts oder durch besondere Verleihung der zuständigen Autorität ausgestattet ist.“ Neben den Priestern, denen von Rechts wegen die Firmvollmacht zukommt (z.B. in Todesgefahr jedem Priester), kann der Diözesanbischof Priestern die Vollmacht verleihen, die Firmung zu spenden. Diese Regelung verdeutlicht, dass der Bischof der eigentlich Verantwortliche für die Firmspendung ist, was der Bezeichnung als „erstberufener“ Spender entspricht. Dem­entsprechend soll der nichtbischöfliche Spender in der Predigt daran erinnern, dass der Bischof der ursprüngliche Spender der Firmung ist. Ohne die Firmvollmacht (facultas confirmandi) kann der Priester die Firmung nicht gültig spenden. 2. Berechtigung, Zuständigkeit und Verpflichtung (cc. 884–887 CIC) Von der Frage der Befähigung ist jene nach der Berechtigung und der Zuständigkeit zur Erteilung der Firmung klar zu unterscheiden. Diesbezüglich gilt nach den cc. 886 und 887 CIC das Folgende: ordentlicher Firmspender Gültig



Erlaubt



überall

in der eigenen Diözese alle Gläubigen; fremde Diözesanen jedoch nur, sofern kein Verbot von deren eigenem Ordinarius besteht  eigene Diözesanen überall  in einer fremden Diözese ihm nicht untergebene Gläubige nur mit wenigstens vermuteter Zustimmung des Diözesanbischofs

außerordentlicher Firmspender 

in dem ihm zugewiesenen Gebiet



in dem ihm zugewiesenen Gebiet Auswärtige nur, wenn kein Verbot von deren eigenem Ordinarius besteht



Aus der Befähigung zur Firmspendung ergibt sich zugleich die dementspre­ chende Pflicht. Der Diözesanbischof hat diese Pflicht kraft seines Amtes und muss persönlich die Firmung spenden (c.  884 §  1 CIC) oder dafür sorgen, dass ein Firmspender zur Verfügung steht. Nach c. 885 § 1 CIC muss der Diözesanbischof dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die um die Firmung in rechter Weise bitten, diese auch empfangen können. Auch ein Titularbischof kann zur Firmspendung verpflichtet sein, sofern er Auxiliarbischof (sog. „Weihbischof“) ist und es sich aus seinem Amt ergibt. Der Priester, dem die Firmvollmacht gegeben wurde, ist innerhalb der Grenzen dieser Befähigung auch zur Spendung der Firmung ver-

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§ 19 Firmung

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pflichtet. Er erhält ja die Befugnis zur Firmspendung, damit er sie gegenüber bestimmten Gläubigen ausübt (c. 885 § 2 CIC).

C.  Empfänger der Firmung Über den Empfänger der Firmung finden sich nur wenige Normen im CIC. Auch hinsichtlich des Firmempfangs muss zwischen Befähigung und Berechtigung unterschieden werden. Fähig zum Empfang der Firmung ist nach c. 889 § 1 CIC jeder Getaufte, der noch nicht gefirmt ist. Dies ist die logische Konsequenz einerseits daraus, dass die Firmung wie jedes andere Sakrament den vorherigen Empfang der Taufe voraussetzt, und andererseits daraus, dass die Firmung zu jenen Sakramenten zählt, die einen character indelebilis verleihen, d.h. die nicht wiederholt werden dürfen. C. 889 § 2 CIC regelt das Recht zum Empfang der Firmung und fordert für den Regelfall: 1. die hinreichende Unterrichtung, d.h. eine katechetische Vorbereitung auf den Firmempfang, die sich auf den christlichen Glauben insgesamt bezieht, 2. die rechte Disposition zum Firmempfang und 3. die Fähigkeit zur Erneuerung der Taufversprechen. In Todesgefahr brauchen diese Voraussetzungen nicht überprüft zu werden; es reicht die irgendwie feststellbare Intention des Gläubigen, das Sakrament der Firmung zu empfangen. C. 890 CIC normiert die Pflicht des Gläubigen zum rechtzeitigen Empfang der Firmung. Die Eltern und die Seelsorger, besonders die Pfarrer, müssen für den rechtzeitigen Empfang dieses Sakramentes und für die hinreichende katechetische Vorbereitung auf die Firmung („Firmunterricht“) sorgen. Wann die „rechte Zeit“ zum Firmempfang gegeben ist, ist im CIC nicht näher geregelt. Der CIC schreibt aber vor, dass das Sakrament der Firmung um das Unterscheidungsalter zu spenden ist (c. 891). Das Unterscheidungsalter ist erreicht, wenn der Mensch den Vernunftgebrauch erlangt hat. Nach c. 97 § 2 CIC gilt die gesetzliche Vermutung, dass dies nach Vollendung des siebten Lebensjahres der Fall ist. Auch der Firmritus sieht die Firmspendung etwa um das siebte Lebensjahr vor. Sowohl der Firmritus als auch c. 891 CIC ermöglichen es der Bischofskonferenz, ein anderes Firmalter festzusetzen. In Deutschland und Österreich ist der Empfang der Firmung im Jugendalter (ca. 12.–14. Lebensjahr) üblich. Spätestens seit dem Apostolischen Schreiben „Sacramentum caritatis“ von Benedikt XVI. (2007; hier Nr. 18) ist die Reihenfolge der Initiationssakramente beispielsweise in einigen Diözesen der USA umgekehrt worden. Die Firmung wird der Erstkommunion vorgelagert oder in derselben Feier gespendet, um das innere Fortschreiten auf die

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Eucharistie als „Quelle und Höhepunkt“ (LG 11) der Initiation und des gesamten christlichen Lebens zu verdeutlichen.

D.  Die Feier der Firmung C. 880 CIC regelt Form und Materie der Firmung. Materie ist vom Bischof geweihtes Pflanzenöl (Chrisam). Das bei der Firmung verwendete Chrisam soll die Verbindung zum Diözesanbischof und über diesen zur Gesamtkirche deutlich machen. Das ist um so wichtiger, wenn nicht der Bischof die Firmung persönlich spendet. Das Sakrament wird gespendet durch die mit Chrisam auf der Stirn erfolgende Salbung unter Auflegung der Hand und durch die in den genehmigten liturgischen Büchern vorgeschriebenen Worte. Die Spendeformel lautet nach dem deutschsprachigen Firmordo: „Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist.“ Die Salbung mit dem Daumen wird so ausgeführt, dass die Hand dabei auf dem Kopf des Firmlings liegt.178 Nach c. 881 CIC ist die Firmung im Regelfall in einer Kirche während der Eucharistiefeier zu spenden. Dadurch wird der Zusammenhang der Firmung mit der gesamten christlichen Initiation deutlicher, die in der Teilhabe an Leib und Blut Christi zu ihrem Höhepunkt kommt. Daher sollen die Firmlinge auch die Eucharistie empfangen, durch die sie vollends in die Kirche eingefügt werden. Ausnahmen sind jedoch möglich, vor allem dann, wenn die zu firmende Person noch nicht die Eucharistie empfangen hat und auch nicht in der Firmmesse zur Ersten Heiligen Kommunion geführt werden soll. Dem Firmling soll ein Pate zur Seite stehen. Dessen Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Gefirmte sich als wahrer Zeuge Christi verhält und lebt. Der Firmpate hat mithin die Funktion eines Mentors. Nach c. 893 § 2 CIC wird empfohlen, den Taufpaten auch als Firmpaten zu nehmen. Wenn kein Firmpate gefunden werden kann, der als weitere Ansprechperson für den Firmling neben den Eltern fungieren soll, wird die Firmung ohne Paten gespendet. In diesem Fall kann ein Elternteil den Firmling zur Firmung präsentieren.

Zur abweichenden Disziplin in den orientalischen Kirchen hinsichtlich der Myronsalbung vgl. cc. 693–694 CCEO.

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§ 20 Weihe

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§ 20 Weihe Aymans  – Mörsdorf, KanR III, §  122; Johann Hirnsperger, §  82 Die Ordination, in: HdbKathKR3.

A. Theologische Grundlagen 1. Der theologische Leitsatz des c. 1008 CIC Wie viele Abschnitte des Sakramentenrechts beginnt auch das Weiherecht des CIC von 1983 (cc.  1008–1054 CIC) mit einem theologischen Leitcanon. In der durch das Motu proprio Papst Benedikts XVI. „Omnium in mentem“ vom 26. Oktober 2009 veränderten Fassung lautet dieser Canon:

Durch das Sakrament der Weihe werden kraft göttlicher Weisung aus dem Kreis der Gläubigen einige mittels eines untilgbaren Prägemals, mit dem sie gezeichnet werden, zu geistlichen Amtsträgern bestellt; sie werden ja dazu geweiht und bestimmt, entsprechend ihrer jeweiligen Weihestufe mit einem neuen und besonderen Titel dem Volk Gottes zu dienen.

Anders als im CIC von 1917 (can.  948) steht nicht die Unterschiedenheit von Klerikern und Laien im Vordergrund, sondern die Verbundenheit der geistlichen Amtsträger mit den übrigen Gläubigen. Zwischen beiden, Klerikern und Laien, gibt es eine tiefgreifende Gemeinschaft, was der Beschreibung der Kirche als communio entspricht. Darüber hinaus werden in c. 1008 CIC vor allem drei Aspekte herausgestellt: 1. Das Sakrament der Weihe wird auf göttliche Einsetzung zurückgeführt („ex divina institutione“); vgl. auch LG 18, 1: „So wird das aus göttlicher Einsetzung kommende kirchliche Amt in verschiedenen Ordnungen ausgeübt von jenen, die schon seit alters Bischöfe, Priester, Diakone heißen.“ 2. Das Sakrament der Weihe verleiht ein „unauslöschliches Prägemal“ („character indelebilis“), das bedeutet eine bleibende Bestimmtheit des betreffenden Christen als geistlicher Amtsträger. 3. Das Sakrament der Weihe befähigt die geistlichen Amtsträger entsprechend der jeweiligen Weihestufe zum Dienst am Volk Gottes. Alle Geweihten können mit geistlicher Vollmacht („sacra potestas“) handeln.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

2. Weihesakrament und Weihestufen Das eine Sakrament der Weihe wird in drei verschiedenen Weihestufen gespendet: Diakonat, Presbyterat und Episkopat (vgl. c. 1009 CIC). Über das Weihesakrament lehrt das Zweite Vatikanische Konzil: Wer sodann unter den Gläubigen die heilige Weihe empfängt, wird im Namen Christi dazu bestellt, die Kirche durch das Wort und die Gnade Gottes zu weiden (LG 11, ,2).

Diese Aussage gilt für alle Weihestufen in gleicher Weise. Mit der Weihe in den verschiedenen Weihegraden wird jedoch in unterschiedlicher Weise Anteil an der Gnade des Weihesakraments verliehen: 1. In der Bischofsweihe wird die Fülle des Weihesakramentes übertragen. 2. Die Priester (presbyteri) haben nicht die höchste Stufe der priesterlichen Weihe, sind aber mit den Bischöfen in der priesterlichen Würde verbunden. 3. Die Diakonenweihe beruft nicht zum Priestertum, sondern zur Dienstleistung (non ad sacerdotium sed ad ministerium) „in der Diakonie der Liturgie, des Wortes Gottes und der Liebestätigkeit“ (LG 29, 1). Während der Diakon Christus repräsentiert, insofern dieser der Diener aller geworden ist, sind Priester und Bischöfe, die dem „sacerdotium“ angehören, darüber hinaus in der Lage, Christus zu repräsentieren, insofern er das Haupt der Kirche ist. Dem entspricht der Text des durch „Omnium in mentem“ neu eingeführten § 3 von c. 1009 CIC: Die die Bischofs- oder Priesterweihe empfangen haben, erhalten die Sendung und die Vollmacht, in der Person Christi, des Hauptes, zu handeln, die Diakone hingegen die Kraft, dem Volk Gottes in der Diakonie der Liturgie, des Wortes und der Liebe zu dienen.

B. Spendung des Weihesakraments 1. Weihespender (cc. 1012; 1015 § 1 CIC) Die Befähigung zur Weihespendung hängt an der Bischofsweihe. Jeder, der die Bischofsweihe empfangen hat, kann gültig die Weihe spenden – mag er nun Diözesan- oder Auxiliarbischof sein, im Dienst des Apostolischen Stuhls stehender Titularbischof oder ein emeritierter Bischof, die von ihm gespendete Weihe ist

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§ 20 Weihe

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stets gültig, wenn auch vielleicht unerlaubt. Auch ein Bischof, der suspendiert oder seines Amtes enthoben wurde, kann das Weihesakrament gültig spenden. Für die erlaubte Weihespendung gelten weitere Vorschriften: Erlaubtheitsvoraussetzungen Bischofsweihe

Priester- und Diakonenweihe

Päpstlicher Auftrag (c. 1013 CIC)

Ausführliche Zuständigkeitsregeln der cc. 1015–1023 CIC

Für die Bischofsweihe ist in jedem Fall ein päpstlicher Auftrag erforderlich. Ein Bischof, der einen anderen ohne päpstlichen Auftrag zum Bischof weiht, zieht sich die von selbst eintretende Exkommunikation zu, ebenso derjenige, der auf diese Weise zum Bischof geweiht wurde (c. 1382 CIC). Eine Bischofsweihe ohne päpstlichen Auftrag ist als schismatischer Akt anzusehen. Die Bischofsweihe wird im Regelfall, d.h. sofern nicht eine entsprechende Dispens vorliegt, von wenigstens drei Bischöfen, möglichst aber von allen anwesenden Bischöfen gespendet (c. 1014 CIC). Auf diese Weise wird die Aufnahme des neuen Bischofs in das Bischofskollegium verdeutlicht. Hinsichtlich der Diakonenweihe ist der Ordinarius für jene Weihekandidaten zuständig, die in seiner Diözese Wohnsitz haben oder die in den Dienst seines Inkardinationsverbandes (Diözese, Ordensgemeinschaft o. ä.) treten wollen, hinsichtlich der Priesterweihe aber der Ordinarius jenes Inkardinationsverbandes, dem der Kandidat durch den Diakonat bereits angehört. Wenn für den weihenden Bischof eine Zuständigkeit nicht gegeben ist (z.B. bei Ordensklerikern), muss ein Weiheentlassschreiben vorliegen. Ein Zuwiderhandeln ist mit Sanktion bedroht (c. 1383 CIC). 2. Form und Materie, Ort und Zeit der Weihespendung (c. 1009 § 2 CIC) Zur Gültigkeit der Weihespendung sind erforderlich: a) Handauflegung und Weihegebet, b) die Intention des Spenders, zu tun, was die Kirche tut, c) die Intention des Empfängers, das Weihesakrament zu empfangen.

C.  Der Weiheempfänger Auch hinsichtlich der Weihe sind Gültigkeitsvoraussetzungen von Erlaubtheitsvoraussetzungen zu unterscheiden.

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1. Gültigkeitsvoraussetzungen auf der Seite des Empfängers (c. 1024 CIC) Es gibt zwei Gültigkeitsvoraussetzungen für den Weiheempfang: Empfang der Taufe Nur ein Getaufter kann ein Sakrament empfangen; das gilt auch für das Weihesakrament. Ein Neugetaufter darf erst geweiht werden, wenn er sich nach dem Urteil des Ordinarius hinreichend bewährt hat (c. 1042 n. 3 CIC); das ist aber nur eine Erlaubtheitsvoraussetzung.  Männliches Geschlecht Durch Apostolisches Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ Johannes Pauls II. vom 22. Mai 1994179 wurde als endgültig zu haltende Lehre verkündigt, dass die Kirche nicht die Vollmacht hat, Frauen zu Priestern zu weihen. Angesichts der vom Zweiten Vatikanischen Konzil hervorgehobenen Einheit des Weihesakraments kann sich hinsichtlich der Diakonenweihe wohl kaum etwas anderes ergeben. 

2. Erlaubtheitsvoraussetzungen auf der Seite des Empfängers In Konkretisierung von c. 1025 § 2 verlangt 1029 CIC grundsätzlich die Eignung des Weihekandidaten und einen Bedarf der Kirche. Einzelne Anforderungen sind neben dem Freisein von Weihehindernissen vor allem: Freiheit zum Weiheempfang (c. 1026 CIC) Bezüglich des Weiheempfangs gibt es keine ausdrückliche Norm, welche die Freiheit des Weiheempfängers mit denselben Konsequenzen forderte, wie sie bezüglich Furcht und Zwang bei der Eheschließung gelten. Die Freiheit ist aber jedenfalls zur Erlaubtheit der Weihespendung erforderlich; zur Gültigkeit der Weihe genügt die Intention des Ordinanden, das Weihesakrament zu empfangen, insofern also auch seine Freiheit.  Ausbildung (cc. 1027; 232–264 CIC) im Regelfall ein philosophisch-theologisches Studium (c. 1032 CIC), in Deutschland die kirchliche Abschlussprüfung, die im Regelfall mit dem Abschluss eines Magisters der Theologie gleichwertig ist,180 in Österreich der Abschluss des Magisters der Theologie in der fachtheologischen Studienrichtung,181  Mindestalter (c. 1031 CIC) Das Mindestalter ist unterschiedlich geregelt: für die Priesterweihe 25 Jahre, für die Diakonenweihe im Hinblick auf die Priesterweihe 23 Jahre. Unverheiratete Bewerber für den Ständigen Diakonat müssen mindestens 25 Jahre alt sein, verheiratete Bewerber für den Ständigen Diakonat 35 Jahre; diese benö

Abgedruckt in: AfkKR 163 (1994) 150–153. Vgl. Deutsche Bischofskonferenz, Rahmenordnung für die Priesterbildung i. d. F. vom 12.3.2003. 181 Vgl. Österreichische Bischofskonferenz, Rahmenordnung für die Ausbildung der Priester (Ratio nationalis institutionis sacerdotalis) vom 15.3.2007, in: Abl ÖBK, Nr. 48 vom 1.7.2009. 179 180

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§ 20 Weihe

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tigen zusätzlich das Einverständnis der Ehefrau. Kandidaten für das Bischofsamt müssen wenigstens 35 Jahre alt sein (c. 378 § 1 n. 3 CIC). Als weitere (Erlaubtheits‑)Voraussetzungen für den Empfang der Diakonen- bzw. Priesterweihe nennt der CIC:      

Empfang der Firmung (c. 1033) Aufnahme unter die Weihekandidaten in einem liturgischen Akt (c. 1034) Ausübung der Ämter des Lektors und des Akolythen (c. 1035) eigenhändig abgefasste und unterschriebene Bitte um Zulassung zur Weihe (c. 1036) Übernahme der Zölibatsverpflichtung (ausgenommen verheiratete Bewerber für den Ständigen Diakonat) bzw. ewige Gelübde in einem Ordensinstitut (c. 1037) Weiheexerzitien (c. 1039).

3. Weihehindernisse Unter den Weihehindernissen sind Irregularitäten von einfachen Weihehindernissen zu unterscheiden:

   

 

dauernde Weihehindernisse (Irregularitäten): c. 1041 CIC

einfache Weihehindernisse: c. 1042 CIC

können nur durch eine Dispens behoben werden

können von selbst wegfallen

psychische Erkrankung, Apostasie, Häresie, Schisma, Eheschließungsversuch, vorsätzliche Tötung eines Menschen oder Mitwirkung bei einem Schwangerschaftsabbruch, Verstümmelung eines anderen, Selbstverstümmelung, Selbstmordversuch, illegitime Vornahme einer Weihehandlung.



 erheiratetsein des Weihebewerbers, V ausgenommen verheiratete Bewerber für den Ständigen Diakonat,  Ausübung eines Amtes, das mit dem geistlichen Amt nicht vereinbart werden kann,  mangelnde Bewährung eines Neugetauften im kirchlichen Leben.

Die hier genannten Weihehindernisse verbieten lediglich den Empfang bzw. die Spendung der Weihe. Eine trotz Weihehindernisses gespendete Weihe ist gültig. Nach c.  1040 CIC gibt es keine anderen als die im kodikarischen Weiherecht aufgezählten Weihehindernisse.182 182

Dennoch hat die Kongregation für die Glaubenslehre ein Verbot der Weihe von Zöliakie- oder Alkoholismuskranken ausgesprochen (vgl. AfkKR 164 [1995] 150 f.). Hierfür fehlte ihr jedoch die notwendige Gesetzgebungskompetenz.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

§ 21 Bußsakrament Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 127–130; Christoph Ohly, § 79 Das Bußsakrament, in: HdbKathKR3.

A. Theologische Grundlagen 1. Die Lehre über das Bußsakrament und die Grundaussage des c. 959 CIC Der Titel über das Bußsakrament wurde schon im CIC von 1917 mit einem Canon eingeleitet, der eher lehrhaften Charakters ist, von can. 870:

Im Sakrament der Buße werden den in rechter Weise disponierten Gläubigen durch die richterliche Lossprechung seitens des rechtmäßigen Sakramentenspenders die nach der Taufe begangenen Sünden nachgelassen.

Schlüssel zum Verständnis dieses Textes sind die Worte „iudicialis absolutio“ („richterliche Lossprechung“), die auf die Beschlüsse des Konzils von Trient zurückzuführen sind, wo die Lossprechung als richterliches Handeln angesehen wurde (Sessio XIV, cap. 5). Die Priester haben die Vollmacht, Sünden nachzulassen. Um aber ein Urteil sprechen zu können, müssen sie den Sachverhalt kennen, und deshalb sind die Sünden vollständig zu bekennen. Durch die Lehre vom richterlichen Handeln im Bußsakrament183 soll die Absolution als hoheitlicher Akt des Priesters dargestellt werden, der aber keine Verurteilung bedeutet, sondern – mit den Worten des Konzils von Trient – die „Ausspendung einer fremden Wohltat“, also einen Gnadenakt. Die sakramentale Lossprechung ist ein kirchlicher Akt. Das Zweite Vatikanische Konzil ist in der Kirchenkonstitution auf die ekklesiologische Dimension des Bußsakraments eingegangen: Die aber zum Sakrament der Buße hinzutreten, erhalten für ihre Gott zugefügten Beleidigungen von seiner Barmherzigkeit Verzeihung und werden zugleich mit der Kirche versöhnt, die sie durch die Sünde verwundet haben und die zu ihrer Bekehrung durch Liebe, Beispiel und Gebet mitwirkt (LG 11, 2).

183

Klaus Mörsdorf, Der hoheitliche Charakter der sakramentalen Lossprechung, in: TrThZ 57 (1948) 335–348, abgedruckt in: Mörsdorf S, 534–547.

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§ 21 Bußsakrament

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Hier wird ebenso wie im Dekret über Dienst und Leben der Priester (PO 5, 1) gelehrt, dass die Versöhnung mit Gott zugleich Versöhnung mit der Kirche bedeutet. Das ist darin begründet, dass die Sünde nie eine „Privatangelegenheit“ ist; sie beeinträchtigt nicht nur die Gemeinschaft zwischen dem einzelnen Gläubigen und seinem Gott, sondern auch die Beziehung des einzelnen Getauften zur Kirche.184 Die ekklesiale Dimension des Bußsakraments wird auch durch die Lossprechungsformel zum Ausdruck gebracht:

Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Die Vergebung der Sünden schenkt Gott durch den Dienst der Kirche. Das macht deutlich, dass die kirchliche communio zugleich „communio cum Deo“ und „communio fidelium“ ist; die Gemeinschaft mit Gott wird durch die als „Wurzelsakrament“ zu verstehende kirchliche communio vermittelt. Das wird in besonderer Weise anhand der Struktur des Bußsakramentes deutlich. Nach der Grundaussage des c. 959 CIC bewirkt die Absolution zweierlei: a) Vergebung durch Gott, b) Versöhnung mit der Kirche. In c. 959 CIC wird deutlich auf die heilsvermittelnde Funktion der Kirche aufmerksam gemacht. Die „pax cum Ecclesia“ zielt letztlich auf die Wiederzulassung des Sünders zur Eucharistie und setzt als solche das Heilsangebot Gottes voraus. Nur weil die Kirche unter diesem göttlichen Heilsangebot steht, kann sie das Heil vermitteln. Der Gerichtsgedanke, der im CIC/1917 im Vordergrund zu stehen schien, wird zurückgedrängt; Aufgabe des Priesters im Beichtsakrament ist nicht die Verurteilung des Sünders, sondern seine Begnadigung. 2. Die Wege zur Versöhnung C. 960 CIC unterscheidet den ordentlichen Weg zur Versöhnung von mehreren außerordentlichen Wegen:

184

Vgl. auch Libero Gerosa, Exkommunikation und freier Glaubensgehorsam. Theologische Erwägungen zur Grundlegung und Anwendbarkeit der kanonischen Sanktionen, Paderborn 1995, 342.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

ordentlicher Weg

außerordentliche Wege

Bußsakrament

sakramentale Feiern

liturgische nicht­sakramentale Wege

Außerliturgische Wege

Einzelbeichte als „Privatbeichte“ oder in gemeinschaftlicher Feier mit Einzelbekenntnis der Sünden

Absolution ohne Sündenbekenntnis im Einzelfall bei Todesgefahr, Generalabsolution

nichtsakramentale Gottesdienste, v. a. Bußandachten (vgl. Ordo paenitentiae, Praenotanda Nr. 36)

z.B. Gebet, Fasten, Werke der Nächstenliebe, vollkommene Reue mit dem Vorsatz zur baldmöglichsten Beichte

Die Bezeichnung des Bußsakraments mit persönlichem und vollständigem Bekenntnis der Sünden als einziger ordentlicher Weg zur Wiederversöhnung im Falle einer schweren Sünde besagt zugleich, dass jeder andere (außerordentliche) Weg zur Versöhnung mit Gott und der Kirche nur dann gegangen werden kann, wenn der Empfang des Bußsakraments physisch oder moralisch unmöglich ist (vgl. c. 960 CIC).

B.  Die Beichtbefugnis Die Gültigkeitsvoraussetzungen für die Spendung des Bußsakraments auf der Seite des Spenders werden in cc. 965 und 966 § 1 CIC so geregelt, dass der Spender des Bußsakramentes nur der Priester ist, der aber die Befugnis benötigt, seine Weihegewalt gegenüber dem betreffenden Christgläubigen auszuüben. Die Versöhnung des Sünders mit Gott und der Kirche setzt die Befähigung des Spenders voraus, in Stellvertretung Christi zu handeln, insofern Christus das Haupt der Kirche ist; diese Befugnis wird erst mit der Priesterweihe verliehen. Was aber meint der CIC mit der Befugnis („facultas“) zur Absolution von Sünden? 1. Das Wesen der Beichtbefugnis Der CIC/1917 hatte in can. 872 geregelt: „Außer der Weihegewalt ist auf seiten des Sakramentenspenders zur gültigen Absolution von Sünden die ordentliche oder delegierte Jurisdiktionsgewalt über den Pönitenten erforderlich.“ Diese Formulierung ermöglichte das Missverständnis, dass zwei Gewalten erforderlich seien, nämlich die Weihe- und die Jurisdiktionsgewalt. Die Formulierung des c. 966 § 1 CIC („daß der Spender außer der Weihegewalt die Befugnis besitzt, sie gegenüber den Gläubigen, denen er die Absolution erteilt, auszuüben“) macht deutlich: Inhaltlich wirksam ist die Weihegewalt, die facultas hat nur die formale

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§ 21 Bußsakrament

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Bedeutung einer „Entsperrung“ der Weihegewalt, damit diese zu einer unmittelbar ausübbaren Gewalt wird. 2. Übertragung der Beichtbefugnis, Recht und Pflicht zur Entgegennahme der Beichte Nach den cc. 966–973 und 976 CIC kann die Beichtbefugnis einem Priester von Rechts wegen oder durch Verleihung zukommen; unter denjenigen, denen die Beichtbefugnis von Rechts wegen zukommt, sind die Träger der Beichtbefugnis vollen Rechts von jenen minderen Rechts zu unterscheiden. Nur die Träger vollen Rechts können die Beichtbefugnis anderen Priestern weitergeben. Diese verschiedenen Arten der Übertragung der Beichtbefugnis lassen sich schematisch folgendermaßen darstellen: Beichtbefugnis von Rechts wegen jeder Priester in Todesgefahr eines Gläubigen

durch Verleihung

kraft Amtes Träger vollen Rechts

Träger minderen Rechts

Papst, Kardinäle, Bischöfe; Ordinarien, Personalprälaten

Bußkanoniker, Pfarr, pfarrergleiche Priester

für alle Fälle auf bestimmte Zeit

auf unbestimmte Zeit

für einen Einzelfall

Die Beichtbefugnis ist zur Gültigkeit der Absolution erforderlich. Daneben kann es Erlaubtheitsvoraussetzungen geben. So kann einem Bischof die Entgegennahme von Beichten durch den Diözesanbischof in einem Einzelfall untersagt werden. Ein Ordenspriester bedarf zur erlaubten Ausübung der durch den Ortsordinarius verliehenen Beichtbefugnis der Erlaubnis seines Oberen. Die Beichtbefugnis von Priestern, die ihre Befähigung kraft Amtes oder in ständiger Weise, also nicht nur für bestimmte Zeit oder einen Einzelfall, kraft Verleihung haben, gilt von Gesetzes wegen für die Entgegennahme von Beichten überall auf der Welt. Die so verliehene Beichtbefugnis kann jedoch hinsichtlich Gültigkeit wie Erlaubtheit eingeschränkt werden. Eine Einschränkung hinsichtlich der Entgegennahme von Beichten gilt hinsichtlich Weihekandidaten und Novizen. Nach c. 985 CIC dürfen der Novizenmeister und sein Gehilfe sowie der Rektor eines Seminars oder einer anderen entsprechenden Bildungseinrichtung die Beichte ihrer Alumnen, die sich im selben Haus aufhalten, im Regelfall nicht hören, es sei denn, dass diese in Einzelfällen von sich aus darum bitten (vgl. c. 262 CIC). Derjenige, der die Kandidaten

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

beurteilen soll, darf nicht in Versuchung geführt werden, Wissen aus der sakramentalen Beichte seiner Entscheidung zugrundezulegen – sei es auch unbewusst. Im Einzelfall kann aber ein Weihekandidat oder ein Novize von sich aus beim Novizenmeister oder beim Regens beichten. Jeder, dem von Amts wegen die Seelsorge aufgetragen ist, ist nach c. 986 § 1 CIC verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die ihm anvertrauten Gläubigen beichten können. Daraus ergibt sich im Regelfall die eigene Verpflichtung zum Beichthören und die Verpflichtung zu einem regelmäßigen Beichtangebot zu einer Zeit, die den Beichtenden entgegenkommt. In dringender Notlage ist jeder Beichtvater, also jeder Priester mit Beichtbefugnis, verpflichtet, die Beichte von Gläubigen entgegenzunehmen, in deren Todesgefahr sogar jeder, der die Priesterweihe empfangen hat (c. 986 § 2 CIC). 3. Verlust der Beichtbefugnis Je nach der Art der Verleihung endet die Beichtbefugnis auf verschiedene Art und Weise: Die kraft Amtes verliehene Beichtbefugnis geht durch Verlust des betreffenden Amtes verloren; die durch eigenen Verwaltungsakt verliehene Beichtbefugnis kann aus schwerwiegendem Grund ausdrücklich widerrufen werden (c. 974 CIC); die auf Zeit verliehene Beichtbefugnis endet außerdem durch Ablauf der Zeit und die für einen Einzelfall verliehene Beichtbefugnis durch Spendung des Bußsakraments in diesem Einzelfall. Im Falle eines allgemeinen Irrtums oder eines positiven und begründeten Rechts- oder Tatsachenzweifels ersetzt die Kirche bei einer dennoch entgegengenommenen Beichte nach c. 144 § 2 CIC die fehlende Beichtbefugnis des Priesters.

C.  Feier des Bußsakramentes 1. Der Beichtwillige Die Zuwendung zu Gott im Sakrament der Buße setzt nach c. 987 CIC außer den allgemeinen Voraussetzungen für den Empfang von Sakramenten (vgl. c. 843 § 1 CIC) zweierlei voraus: a) Reue und b) Vorsatz der Besserung. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, ist eine Beichte sinnlos. Ausdrücklich untersagt ist der Sakramentenempfang Exkommunizierten und Interdizierten, sofern nicht in der Beichte von diesen Sanktionen absolviert werden kann. Diese beiden Sanktionen sind also rechtliche Hindernisse für den Sakramentenempfang im Sinne des c. 843 § 1 CIC.

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§ 21 Bußsakrament

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Hinsichtlich der Beichte formuliert der CIC zwei Rechte des Pönitenten: a) die Inanspruchnahme der Hilfe eines Dolmetschers bei der Beichte (vgl. c. 990 CIC), – der ebenso zur Wahrung des Beichtgeheimnisses verpflichtet ist wie der Beichtvater (vgl. c. 983 § 2 CIC), b) das Recht auf die freie Wahl des Beichtvaters, der auch einem anderen Ritus zugehörig sein kann (c. 991 CIC). In Aufnahme einer alten Tradition der Kirche (IV. Laterankonzil, Capitulum „Omnis utriusque sexus“, 1215) formuliert der CIC die Verpflichtung zum Empfang des Bußsakraments. Nach c.  988 §  1 müssen schwere Sünden, die nach dem Empfang der Taufe begangen wurden, in der Einzelbeichte bekannt werden, und nach c.  989 ist jeder Gläubige verpflichtet, seine schweren Sünden zumindest einmal im Jahr zu bekennen. Zudem sind alle Christgläubigen eingeladen, auch ihre lässlichen Sünden zu bekennen (c. 988 § 2 CIC), und ihnen wird ein häufiger Empfang des Bußsakramentes angeraten. 2. Spendung des Bußsakramentes Der für die Entgegennahme sakramentaler Beichten eigene Ort ist die Kirche oder die Kapelle (c. 964 § 1 CIC), wo sich immer ein Beichtstuhl an einem offen zugänglichen Ort befinden muss, den die Gläubigen benutzen können. Für den Beichtstuhl muss die Bischofskonferenz Normen erlassen. Daneben kann es auch ein Beicht- oder Aussprachezimmer geben, das aus einem „gerechten Grund“ benutzt werden darf, z.B. weil die Beichtenden es wünschen. Die Corona-Pandemie (seit 2020) hat das bereits früher häufig diskutierte Thema „Beichte per Telefon?“ erneut in Erinnerung gerufen. Kann eine sakramentale Absolution in Notfällen auch auf dem telefonischen oder digitalen Weg erlangt werden? Mit Schreiben der Glaubenskongregation vom 25. November 1989 wurde entschieden, dass Beichte und Lossprechung über Telefon zwar gültig, mit Ausnahme eines extremen Notfalls aber nicht erlaubt ist, weil die Feier eines Sakramentes auch rituelle Elemente einschließe. Die durch das Medium des Telefons verstärkte „Privatisierung der Versöhnung“ widerspreche dem, was das Zweite Vatikanische Konzil über die aktive und gemeinschaftliche Teilnahme der Gläubigen an den Sakramenten gelehrt hatte.185 Grundsätzlich ist aber die Frage zu stellen: Erfordert die Zeichenhaftigkeit des Sakramentes nicht die unmittelbare persönliche Anwesenheit? Beim Bußsakrament handelt es sich um Gottesdienst. Ein Medium wie Brief, Telefon, SMS oder 185

Kongregation für die Glaubenslehre, Nota zur Gültigkeit und Erlaubtheit der Spendung des Bußsakraments über Telefon, vom 25.11.1989, in: AfkKR 158 (1989) 484; vgl. zum Ganzen auch Alfred E. Hierold, Beichte per Telefon? Bemerkungen zum „Ort“ für das Bußsakrament, in: Fides et ius. FS May (65), 163–176.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Internet ist nicht in der Lage, die gottesdienstliche Dimension mit ihren Aspekten der Heiligung der Menschen und der Verehrung Gottes zum Ausdruck zu bringen. 3. Die Generalabsolution Die Generalabsolution ohne vorangegangenes persönliches Sündenbekenntnis wurde erstmals ermöglicht durch pastorale Richtlinien der Glaubenskongregation über die Erteilung der Generalabsolution „Sacramentum paenitentiae“ vom 16. Juni 1972;186 vgl. jetzt c. 961 § 1 CIC. Die Generalabsolution ist gültig nur möglich unter den folgenden Bedingungen:

Bedingungen auf der Seite des Empfängers

Objektive Bedingungen

generell für jede Absolution

Reue und Vorsatz der Besserung

c. 987 CIC

speziell für die Generalabsolution

Vorsatz, schwere Sünden „zu gebotener Zeit“ persönlich zu beichten

c. 962 § 1 CIC

zu wenig Zeit, die einzelnen Bekenntnisse zu hören

wegen Todesgefahr oder wegen schwerer Notlage nach Urteil des Diözesanbischofs

c. 961 § 1 n. 1 CIC c. 961 § 1 n. 2 CIC

Nach c. 961 § 2 CIC soll die Bischofskonferenz Kriterien festlegen, nach denen der Diözesanbischof beurteilen kann, wann die Umstände einer Notlage gegeben sind, die zur Erteilung der Generalabsolution berechtigen kann. Diesbezüglich sind die europäischen Bischofskonferenzen zu unterschiedlichen Entscheidungen gekommen. Die Italienische und die Deutsche Bischofskonferenz haben entschieden, dass in ihrem Gebiet keine solche Notlage vorliegt. Die Österreichische Bischofskonferenz hat einen ähnlichen Beschluss gefasst mit der Einschränkung, dass in ihrem Gebiet ein Notfall dann eintreten kann, wenn trotz aller Vorkehrungen eine große Anzahl von Gläubigen gleichzeitig das Bußsakrament empfangen möchte und zu wenige Beichtväter zur Verfügung stehen; das könne aber bei Schulbeichten nicht der Fall sein. Zu einer solchen Entscheidung über das Vorliegen einer Notlage hat der CIC den Bischofskonferenzen jedoch keine Kompetenz gegeben. Die Schweizer Bischofskonferenz hingegen hat tatsächlich, wie im CIC vorgesehen, lediglich Kriterien für die Beurteilung einer Notsituation durch den Diözesanbischof erarbeitet.

AAS 64 (1972) 510–514.

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§ 21 Bußsakrament

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Bei der Zulassung der Möglichkeit einer Generalabsolution ohne persönliches Schuldbekenntnis ist die Lehre von Papst Johannes Paul  II. im Apostolischen Schreiben „Reconciliatio et paenitentia“ (Nr. 33, Abs. 3) zu beachten:

Niemals darf der ausnahmsweise Gebrauch der dritten Form der Bußfeier zu einer Geringachtung oder gar zur Aufgabe der gewöhnlichen Formen führen. Ebensowenig darf diese Form als Alternative zu den beiden anderen187 angesehen werden: Es ist nämlich nicht der Freiheit der Hirten und Gläubigen überlassen, sich einfach für diejenige der genannten Formen zu entscheiden, die man für die geeignetste hält.

D. Beichtgeheimnis Das Beichtgeheimnis (vgl. c. 983 CIC) ist die Verpflichtung zu strenger Geheimhaltung dessen, was in der Beichte und im Zusammenhang mit der Beichte in Erfahrung gebracht wurde. Im Hintergrund des Beichtgeheimnisses steht der Vertrauensschutz für den Pönitenten. Nach dieser Norm gibt es keine Befreiung und keinen Entschuldigungsgrund für den Bruch des Beichtgeheimnisses. An das Beichtgeheimnis ist der Priester ebenso gebunden wie der eventuell beteiligte Dolmetscher und jeder andere, „der aus der Beichte zur Kenntnis von Sünden gelangt ist“ (c. 983 § 2 CIC). Das Beichtgeheimnis ist innerhalb der kirchlichen Rechtsordnung doppelt abgesichert: zum einen durch das Zeugnisverweigerungsrecht der Kleriker gemäß c. 1548 § 1 n. 2 CIC und durch die Normierung der Zeugnisunfähigkeit des Beichtvaters nach c. 1550 § 2 n. 2 CIC und zum anderen durch die Sanktionsandrohung bei Verletzung des Beichtgeheimnisses in c. 1388 CIC. Das Beichtgeheimnis wird auch durch weltliche Rechtsordnungen respektiert:   

187

Deutschland: Art. 9 Reichskonkordat; §§ 383 Abs. 1; 386 Zivilprozessordnung; § 53 Strafprozessordnung, Österreich: §  320 Zivilprozessordnung, §  48 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Schweiz: Art. 321 Nr. 1 Strafgesetzbuch.

Gemeint sind Feier der Versöhnung für einzelne und Gemeinschaftliche Feier der Versöhnung mit Bekenntnis und Lossprechung der einzelnen.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

§ 22 Krankensalbung Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 132; Bernhard Sven Anuth, § 81 Die Krankensalbung, in: HdbKathKR3.

A. Theologische Grundlagen Wie es nur bei wenigen Sakramenten der Fall ist,188 kann man sich hinsichtlich der Krankensalbung auf eine Aussage in der Heiligen Schrift berufen, allerdings nicht auf ein Herrenwort, sondern auf eine Aussage im Jakobusbrief:

Ist jemand unter euch krank? Er soll die Ältesten der Kirche zu sich rufen lassen, und sie sollen über ihn beten, indem sie ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, wird ihm vergeben werden. (Jak 5, 14–15)

Aus diesem biblischen Text lassen sich die folgenden Aspekte ableiten: 1. die ekklesiale Dimension der Krankensalbung: „die Ältesten der Kirche“ sollen gerufen werden, die Kirche nimmt durch ihre Amtsträger Anteil an der Krankheit des Christen; 2. die Aufrichtung des Erkrankten in seiner leibseelischen Existenz, durch die er Anteil erhält am Sieg Christi über Krankheit und Tod: „das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten“; 3. die sündenvergebende Wirkung der Krankensalbung; auch dieses Sakrament hebt angesichts der Verwiesenheit des Menschen auf den Tod seine Sündhaftigkeit ausdrücklich ins Bewusstsein: „wenn er Sünden begangen hat, wird ihm vergeben werden“. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in seiner Kirchenkonstitution noch weitere Aspekte angesprochen:

188

Hiermit soll nicht die Einsetzung aller Sakramente durch Jesus Christus bestritten werden; vgl. zu dieser Thematik aus kirchenrechtlicher Perspektive im Blick auf die Eucharistie Reinhild Ahlers, Communio Eucharistica, 36–38.

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§ 22 Krankensalbung

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Durch die heilige Krankensalbung und das Gebet der Priester empfiehlt die ganze Kirche die Kranken dem leidenden und verherrlichten Herrn, dass er sie aufrichte und rette (vgl. Jak 5, 14–16), ja sie ermahnt sie, sich bewusst dem Leiden und dem Tode Christi zu vereinigen (vgl. Rom 8, 17; Kol 1, 24; 2 Tim 2, 11–12; 1 Petr 4, 13) und so zum Wohle des Gottesvolkes beizutragen (LG 11, 2).

1. Durch die Salbung und das Gebet kann die Kirche zum geistlichen Wohl des kranken Gläubigen beitragen, ihm „Hilfe und Trost“ geben. 2. Der Gläubige, der sich in seiner Krankheit mit dem Leiden und Sterben Christi vereinigt, kann auch seinerseits zum geistlichen Wohl der Kirche beitragen. In kanonistischer Hinsicht wird die ekklesiale Dimension des Sakraments der Krankensalbung in erster Linie dadurch angedeutet, dass das zu verwendende Öl im Normalfall vom Bischof zu segnen ist. Die Sorge um die Kranken ist nicht dem einzelnen Priester allein überlassen; letztlich sorgt sich die ganze Kirche um ihre erkrankten Glieder. Während bis zum Zweiten Vatikanum durchgängig von der „Letzten Ölung“ gesprochen wurde (vgl. z.B. can. 937 CIC/1917), hat das Konzil in der Liturgiekonstitution festgehalten, dass dieses Sakrament „auch – und zwar besser – ‚Krankensalbung‘ genannt werden kann“, weil es „nicht nur das Sakrament derer“ ist, „die sich in äußerster Lebensgefahr befinden“ (SC 73). Konsequenz: Die Krankensalbung ist nicht nur Todkranken zu spenden, sondern allen Gläubigen, die wegen gefährlicher Krankheit oder vorgerückten Alters mit dem Tod konfrontiert sind. Voraussetzung für die Spendung des Sakraments ist eine ernste Krisensituation des Erkrankten.

B. Rechtliche Ausgestaltung 1. Empfänger der Krankensalbung Weil die Krankensalbung für ernsthaft erkrankte Christen bestimmt ist, nennt c. 1004 § 1 CIC die folgenden Voraussetzungen für den Empfang dieses Sakraments: 1. Es muss sich um einen Gläubigen (fidelis, nicht christifidelis) handeln, also um einen Getauften; für den Empfang der Krankensalbung durch nichtkatholische Christen gilt jedoch c. 844 CIC;189 2. der betreffende Christ muss den Vernunftgebrauch erlangt haben, also das siebte Lebensjahr vollendet haben; diesbezüglich ist Kleinlichkeit jedoch fehl am Platz (vgl. c. 1005 CIC); 189

Siehe hierzu § 17 B 4.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

3. es muss eine schwere Erkrankung oder Altersschwäche vorliegen, die eine zumindest entferntere Lebensgefahr mit sich bringt. Die Krankensalbung verleiht keinen „character indelebilis“ und kann daher bei erneuter Erkrankung oder größerer gesundheitlicher Gefährdung abermals gespendet werden (c. 1004 § 2). C.  1007 CIC untersagt die Spendung der Krankensalbung dann, wenn der Kranke „in einer offenkundigen schweren Sünde hartnäckig verharrt.“ Diese Norm bedeutet nicht, dass ein solcher gefährlich erkrankter Christ keinen religiös-pastoralen Beistand erfahren soll; sofern aber selbst im Angesicht des Todes eine hartnäckige Abwendung von Gott fortbesteht, ist es weder erlaubt noch auch sinnvoll, die Krankensalbung zu spenden. 2. Die Feier der Krankensalbung C. 998 CIC sagt in seinem zweiten Halbsatz: Die Krankensalbung „wird gespendet, indem die Kranken mit Öl gesalbt und die in den liturgischen Büchern vorgeschriebenen Worte gesprochen werden.“ Das Krankenöl wird vom Diözesanbischof oder vom priesterlichen Leiter der Teilkirche (z.B. Territorialabt oder Apostolischer Präfekt) gesegnet. Dieses Öl muss der Pfarrer vom Diözesanbischof erbitten und sorgfältig aufbewahren (c. 847 § 2 CIC). Sollte es dennoch in einem besonderen Fall nicht möglich sein, mit der Spendung der Krankensalbung so lange zu warten, bis das vom Bischof gesegnete Krankenöl zur Verfügung steht, so kann der Spender im Rahmen der betreffenden Krankensalbung das Öl selbst segnen. C. 1000 CIC hält fest, dass bei der Spendung der Krankensalbung die Worte und Riten der liturgischen Bücher genau einzuhalten sind, was schon nach c. 846 § 1 CIC vorgeschrieben ist. In einem Notfall, der bei der Krankensalbung öfter vorliegen könnte, genügt aber „eine einzige Salbung auf der Stirn oder an einem anderen Körperteil, wobei die vollständige Formel zu sprechen ist“ (c. 1000 § 1 CIC). Die Spendeformel lautet bei der Salbung auf der Stirn: „Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes“, bei der Salbung an den Händen: „Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf.“ Die Salbung auf der Stirn und auf den Händen soll im Normalfall unmittelbar mit der eigenen Hand des Spenders vorgenommen werden. In Ausnahmefällen, z.B. bei einer ansteckenden Krankheit, sind Hilfsmittel zulässig; der Spender muss es keineswegs in Kauf nehmen, sich anzustecken. Nach c.  1001 CIC haben Seelsorger und Angehörige dafür zu sorgen, dass die Krankensalbung rechtzeitig gespendet wird. Sakramente sind immer nur Sakramente der Lebenden; Tote können kein Sakrament empfangen. Wenn also der Kranke, zu dem der Priester gerufen worden ist, zwischenzeitlich bereits sicher verstorben ist, kann und darf das Sakrament nicht mehr gespendet werden; wenn diesbezüglich jedoch ein Zweifel besteht, ist das Sakrament zu spenden (vgl. c. 1005 CIC).

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§ 23 Das Sakrament der Ehe

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Ganz neu ist die Möglichkeit der gemeinsamen Feier der Krankensalbung, wie sie c. 1002 CIC vorsieht. Die Voraussetzung der ernsten Erkrankung der Empfänger gilt aber auch in diesem Fall. 3. Der Spender der Krankensalbung Nur der Priester (und der Bischof ) kann die Krankensalbung spenden (c. 1003 § 1 CIC). Diese Aussage ist zwar nicht unfehlbar definiert, dennoch wäre jede Spendung der Krankensalbung durch einen Nichtpriester (Diakon oder Laien) ungültig. Das würde auch die Entstehung gesetzeswidrigen Gewohnheitsrechts unmöglich machen, denn aus einer Reihe ungültiger Akte kann kein Gewohnheitsrecht entstehen; eine solche Gewohnheit wäre nicht „vernünftig“ im Sinne des c. 24 § 2 CIC. Die Einschränkung der Spendung der Krankensalbung auf den Priester wird heute gelegentlich bedauert. Es wird vorgebracht, dass beim heutigen Priestermangel eine Ausweitung mindestens auf den Diakon, wenn nicht sogar auf pastorale (Laien‑)Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wünschenswert sei. Solche Forderungen sind allerdings von der höchsten kirchlichen Autorität klar zurückgewiesen worden. Nach Meinung der Glaubenskongregation greift die kanonische Rechtsordnung „auf die theologisch sichere Lehre und auf die jahrhundertealte Praxis der Kirche zurück“.190 Eine Änderung der Regelung hinsichtlich des Spenders der Krankensalbung – allenfalls im Sinne einer Erweiterung des Spenderkreises auf alle Kleriker191 – wäre jedenfalls der höchsten Autorität in der Kirche vorbehalten.

§ 23 Das Sakrament der Ehe Weiterführende Literatur: Rüdiger Althaus  – Joseph Prader  – Heinrich J. F. Reinhardt, Das kirchliche Eherecht in der seelsorgerischen Praxis. Orientierungshilfen für die Ehevorbereitung und Krisenberatung. Hinweise auf die Rechtsordnungen der Ostkirchen und auf das islamische Eherecht, Essen 52014.

A.  Theologisch-kanonistische Grundlagen Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 133–136; Nikolaus Schöch, § 84 Die Ehe in der kirchlichen Rechtsordnung, in: HdbKathKR3.

Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester vom 15.8.1997, Art. 9 § 2 (= VApSt 129); Dies., Note der Kongregation für die Glaubenslehre über den Spender des Sakraments der Krankensalbung vom 11.2.2005, in: AfkKR 174 (2005) 164 ff. 191 Vgl. die Diskussion in der CIC-Reformkommission: Comm 9 (1977) 342. 190

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

1. Ehe – Vertrag, Bund oder Sakrament? a) Die Ehe als Vertrag

Vertrag ist die in nachweisbarer Form geschehene Einigung zweier oder mehrerer Partner auf einen gemeinsamen Willen bezüglich eines bestimmten Gegenstandes.

Elemente eines Vertrages: Vertrag im Allgemeinen

„Ehevertrag“

Vertragssubjekt

vertragschließende Parteien

Ehewillige

Vertragsobjekt

z.B. Gegenstand, der hergestellt oder gekauft werden soll

Traditionell: Recht auf den ehelichen Akt

Vertragswille

der den Vertrag tragende beiderseitige Wille

Ehewille

Vertragsform

schriftlich – ggf. vor amtlichen Zeugen –, mündlich oder durch Handschlag

Eheschließungsform: vor dem Assistenzberechtigten und mindestens zwei Zeugen

Die Ehe ist allenfalls ein Vertrag eigener Art. Die Elemente des allgemeinen Vertragsbegriffs können nicht ohne weiteres auf die Ehe übertragen werden, was insbesondere für die Bestimmung eines Vertrags-„objekts“ gilt. Doch stellt sich die Frage: Wie ist das Vertragsobjekt nach der Lehre des II. Vatikanischen Konzils zu bestimmen? Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Erfassung der Ehe nach dem Muster eines Vertrages unbestreitbare Vorteile, vor allem in juristischer Perspektive, aber auch Grenzen hat, die in erster Linie die religiös-theologische Dimension der Ehe betreffen. Möglichkeiten und Grenzen des Vertragsdenkens in Bezug auf die Ehe: Möglichkeiten:

Grenzen:

a) Rechtsfolgen der Eheschließung (Rechte und Pflichten der Partner)

a) juristisch: Keine umfassende Vertragsfreiheit hinsichtlich der Ehe (Vertragsinhalte, Kündigungsmöglichkeit)

b) Betonung des Konsenses, der freien Zustimmung der Partner

b) theologisch: sakramentale Dimension der christlichen Ehe wird nicht deutlich

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§ 23 Das Sakrament der Ehe

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b) Die Ehe als Bund Weiterführende Literatur: Joachim Eder, Der Begriff „foedus matrimoniale“ im Eherecht des CIC, St. Ottilien 1989; Norbert Lüdecke, Eheschließung als Bund. Genese und Exegese der Ehelehre der Konzilskonstitution „Gaudium et spes“ in kanonistischer Auswertung, 2 Teilbde., Würzburg 1989.

Die Lehre von der Ehe als Bund wurde vom Zweiten Vatikanum vorgelegt („Gaudium et spes“, Art. 47–51):

Die innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe in der Ehe, vom Schöpfer begründet und mit eigenen Gesetzen geschützt, wird durch den Ehebund, d.h. durch ein unwiderrufliches personales Einverständnis, gestiftet. So entsteht durch den personal freien Akt, in dem sich die Eheleute gegenseitig schenken und annehmen, eine nach göttlicher Ordnung feste Institution, und zwar auch gegenüber der Gesellschaft. (LG 48, 1)

Vorbild des Bundesmodells ist der Bund zwischen Gott und Israel. J. Eder: Bundeslehre hebt Initiative Gottes bei der Stiftung der Institution Ehe wie auch der einzelnen Ehe hervor; der Vertragsgedanke ist ein Aspekt innerhalb des Bundesgedankens. Anders N. Lüdecke: Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel; Vertrags- und Bundesmodell sind unvereinbar. c) Die Sakramentalität der Ehe Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt in „Lumen gentium“ 11, 2:

Die christlichen Gatten endlich bezeichnen das Geheimnis der Einheit und der fruchtbaren Liebe zwischen Christus und der Kirche und bekommen daran Anteil (vgl. Eph 5, 32).

Die Taufe ist die Voraussetzung für den Empfang der anderen Sakramente (c. 849 CIC/1983). Andererseits: Die gültige Ehe unter Getauften ist immer Sakrament. Sakrament ist nicht nur die Ehe zwischen zwei Katholiken, sondern auch die Ehe zwischen einem katholischen und einem nichtkatholischen Christen ebenso wie die Ehen zwischen zwei nichtkatholischen Christen (s. hierzu im Folgenden). Anders als bei den anderen Sakramenten geht der CIC bei der Ehe nicht nach dem Schema „Spender – Empfänger“ vor. Dahinter dürfte die in der Westkirche herrschende Lehre stehen, dass die Eheleute selbst zugleich Spender und Empfänger dieses Sakraments sind.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

d) Die Gleichsetzung von Ehevertrag und ‑sakrament Die These von der Untrennbarkeit von Ehevertrag und Ehesakrament (c. 1055 § 2 CIC/1983) ist aus der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat hervorgegangen. Die Gleichsetzung von Vertrag und Sakrament ist theologisch problematisch: Eine gültige Ehe unter Getauften ist immer nur als sakramentale Ehe möglich. Daraus folgt: Auch die Ehen nichtkatholischer Christen werden als Sakrament angesehen, sofern diese nicht ausdrücklich die religiöse Dimension bzw. die Sakramentalität der Ehe ausschließen; das gilt auch dann, wenn es nach dem Eheverständnis der betreffenden nichtkatholischen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft kein Ehesakrament gibt. Diese Lehre wurde am schärfsten kritisiert von Joseph Klein (1896–1976): Die Kirche objektiviere die Erlösungsgnade, um über sie verfügen zu können; die Gleichsetzung von Vertrag und Sakrament sei ein Ausdruck kirchlichen Machtstrebens, ein Zeichen der Verrechtlichung in der Kirche.192 2. Die Wesenseigenschaften der Ehe Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 136.

Die eheliche Treue hat zwei Dimensionen: Einheit (= Einpaarigkeit) und Unauflöslichkeit (= Dauerhaftigkeit). a) Die Einheit der Ehe Die Ehe schließt jede andere eheliche oder eheähnliche Beziehung aus (v. a. gegen Polygamie). Die Wesenseigenschaft der Einheit war im Lauf der Kirchengeschichte kaum umstritten.193 Nach geltendem Recht kommt eine gültige Ehe nicht zustande, wenn auch nur einer der Partner bei der Eheschließung den Vorsatz hat, eine zweite Frau zu heiraten oder eheähnliche Beziehungen zu haben (vgl. c. 1101 § 2 CIC). b) Die Unauflöslichkeit der Ehe Die Lehre Jesu Christi ist nach dem Zeugnis des Neuen Testaments eindeutig: „Jeder, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet und der eine vom Mann Entlassene heiratet, bricht die Ehe“ (Lk 16,  18; vgl. Mt 5,  32; Mk 10,  2–12; Mt 19, 3–9). Eine Schwierigkeit bereiten die matthäischen „Unzuchtsklauseln“ („Jeder, der seine Frau entlässt, außer wegen Unzucht, der macht sie zur Ehebrecherin, und Joseph Klein, Die Ehe als Vertrag und Sakrament im Codex Iuris Canonici, in: Ders., Skandalon. Um das Wesen des Katholizismus, Tübingen 1958, 239–287, hier 251. 193 Zum Fall des Landgrafen Philipp von Hessen, dem Luther, Melanchthon und andere Reformatoren den Beichtrat gegeben haben, lieber eine zweite Frau zu nehmen als die erste Frau zu entlassen, vgl. Paul Mikat, Die Polygamiefrage in der frühen Neuzeit, Opladen 1988. 192

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§ 23 Das Sakrament der Ehe

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wer eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch“ Mt 5, 32; vgl. Mt 19, 9) und die paulinische Regelung bezüglich der Ehe eines Christen und eines Nichtchristen in 1 Kor 7, 10.15 f.: Wenn sich der bisherige Ehepartner eines bzw. einer Neugetauften weigert, die Ehe im Frieden fortzusetzen, ist der christliche Partner bzw. die christliche Partnerin nicht gebunden. Eine solche Ehe darf geschieden werden, was Paulus aber ausdrücklich als seine Regelung und nicht als Regelung des Herrn bezeichnet (1 Kor 7, 10.15 f.). Beide Stellen dürften als Versuche einer Abmilderung der harten Unauflöslichkeitsforderung Jesu anzusehen sein. Während die Kirche in ihrer Geschichte die paulinische Regelung aufgegriffen hat, so dass sie auch heute noch praktiziert wird (sog. „paulinisches Privileg“), wurde auf die matthäischen Unzuchtsklauseln nicht als Ansatzpunkt für eine mildere Praxis zurückgegriffen. Ein Beispiel hierfür findet sich bei Origenes:

Schon haben auch einige der Vorsteher der Kirche gegen das, was geschrieben steht, gestattet, dass eine Frau zu Lebzeiten des Mannes heiraten kann. Sie handeln damit gegen das Wort der Schrift …, freilich nicht gänzlich unvernünftig. Man darf nämlich annehmen, dass sie dieses Vorgehen im Widerspruch zu dem von Anfang an Gesetzten und Geschriebenen zur Vermeidung von Schlimmerem zugestanden haben …194

Scheidung und Wiederverheiratung „ist gegen die Schrift und gegen das von Anfang her Festgelegte, aber nicht gänzlich sinnlos – ein Brauch, den einige der Vorsteher in der Kirche zur Vermeidung von noch Schlimmerem wagen.“195 Nach geltendem Recht ist die sakramentale und als solche vollzogene Ehe absolut unauflöslich (c. 1141 CIC). Eine nicht vollzogene und eine nicht sakramentale Ehe dagegen kann ggf. aufgelöst werden. c) Besondere Festigkeit aufgrund des Sakraments Einheit und Unauflöslichkeit sind Eigenschaften der Ehe schlechthin, also auch der Ehe unter Nichtchristen; sie sind kein Spezifikum der sakramentalen Ehe. Durch das Sakrament wird jedoch eine besondere Festigkeit von Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe begründet. Sie wirkt sich aus einerseits in der gnadenhaften Unterstützung der Eheleute, andererseits in ihrer unbedingten Verpflichtung zur Wahrung der ehelichen Treue. Eine weitere Konsequenz aus der Sakramentalität der Ehe unter Getauften liegt darin, dass – anders als die nichtsakramentale Ehe – 194

195

Origenes, Kommentar zum Matthäus-Evangelium 14, 23, Übers. nach Joseph Ratzinger, Zur Frage der Unauflöslichkeit der Ehe, in: Franz Henrich – Volker Eid (Hg.), Ehe und Ehescheidung, München 1972, 35–56, hier 40. Ebd.

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

die (geschlechtlich vollzogene) sakramentale Ehe durch niemanden aufgelöst werden kann, auch nicht durch den Papst. 3. Wesenserfordernisse der Eheschließung

Eheschließung ist die gegenseitige, die Ehe begründende Erklärung des Ehewillens, die von zwei dazu befähigten Partnern in der vorgeschriebenen Form vorgenommen wird.

Aus dieser Arbeitsdefinition ergeben sich drei konstitutive Voraussetzungen einer gültigen Eheschließung (die „drei Säulen des Eherechts“): a) Ehefähigkeit, b) Ehewille, c) Eheschließungsform. Wenn eine der konstitutiven Voraussetzungen fehlt oder rechtserheblich eingeschränkt ist, bricht das ganze Gebäude „Ehe“ zusammen, d.h. es kommt keine gültige Ehe zustande.

© jeweils: P. Martin Krutzler OCist, 2018

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§ 23 Das Sakrament der Ehe

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B. Ehefähigkeit 1. Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen für die Eheschließung Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 137; Rüdiger Althaus, Die Vorbereitung der Eheschließung, in: HdkKathKR3, § 85; Christoph Ohly, Die Ehevorbereitung. Anmerkungen im Anschluss an „Amoris Laetitia“, in: Matthias Pulte – Thomas A. Weitz (Hg.), Veritatis vos liberavit. FS Assenmacher (65), 525–544.

a) Die Grundnorm des c. 1066 CIC Der Canon betrifft nur die rechtlichen Voraussetzungen; es ist nur die Rede von Umständen, die entweder der gültigen oder auch nur der erlaubten Eheschließung im Wege stehen. Denn eine kirchliche Eheschließung ist nur möglich, wenn ihrer Gültigkeit nichts im Wege steht: Es muss feststehen, dass ein tragfähiger Ehewille gegeben ist, und es dürfen keine Ehehindernisse vorliegen. Zugleich muss aber auch überprüft werden, ob die zur Erlaubtheit erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Wenn eine zur Gültigkeit oder zur Erlaubtheit notwendige Bedingung nicht erfüllt ist, muss die Eheschließung verhindert werden. Aber auch nur in diesem Fall darf sie verhindert werden. Der Feststellung dieser Voraussetzungen dient ein doppeltes Verfahren: Brautexamen und Aufgebot. b) Zuständigkeit Die Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen für die Eheschließung ist im Regelfall Sache des Heimatpfarrers von Braut oder Bräutigam. Die Brautleute haben ggf. die Wahl zwischen mehreren ordentlich zuständigen Pfarrern, sofern sie nicht beide ausschließlich ein und derselben Pfarrei angehören. c) Brautexamen aa) Dokumente Erforderlich sind: Taufzeugnis Der Taufschein dient dem Nachweis des Ledigenstandes bei Katholiken. Aus ihm geht alles hervor, was den Personenstand des Christgläubigen betrifft. Er wird ausdrücklich „zum Zweck der Eheschließung“ bei derjenigen Pfarrei angefordert, in welcher die betreffende Person die Taufe empfangen hat. Wenn ein Taufschein nicht beigebracht werden kann oder wenn es sich um einen nichtkatholischen Christen handelt, kann der Ledigenstand auch auf andere Weise nachgewiesen werden: durch weltlich-rechtliche Urkunden, Zeugenaussagen oder auch durch den Ledigeneid.



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bürgerliche Trauungsurkunde Um ein Auseinanderklaffen des weltlichen vom kirchlichen Lebensstand zu vermeiden, verlangt die Kirche im Regelfall, dass die Urkunde über die standesamtliche Trauung beigebracht wird.  ggf. (kirchen‑)amtliche Todesurkunde des verstorbenen Gatten Der Tod des Partners aus der ersten Ehe ist im Regelfall durch eine kirchliche oder weltliche Urkunde nachzuweisen. Wenn das nicht möglich ist, muss die Angelegenheit dem Bischöflichen Generalvikariat vorgelegt werden. In diesem Fall muss ein kirchliches Verfahren zur Todeserklärung durchgeführt werden.  ggf. Nachweis der kirchenamtlichen Auflösung oder Nichtigerklärung der früheren Ehe Wenn der Partner aus der ersten Ehe noch lebt, ist eine Eheschließung nur möglich, wenn die Ehe vom Papst wegen Nichtvollzugs oder im Falle der nichtsakramentalen Ehe dem Bande nach gelöst worden ist, oder wenn die Ehe nicht gültig zustandegekommen ist, was in einem kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren förmlich festgestellt worden ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzung muss im Regelfall schon aus dem Taufschein hervorgehen. Wenn das nicht der Fall ist, muss das Dekret bzw. das Urteil vorgelegt werden, aus dem die Auflösung bzw. die Nichtigerklärung der Vorehe hervorgeht. 

bb) Brautexamensniederschrift Die Brautexamensniederschrift hat folgende Inhalte: 1. Angaben zur Person, 2. Befragung bezüglich des rechten Ehewillens und evtl. vorliegender Ehehindernisse; im Zweifel hierüber muss die Niederschrift dem Generalvikariat vorgelegt werden, 3. bei religions- und bekenntnisverschiedenen Brautpaaren: Frage an den katholischen Partner bezüglich Glaubenszeugnis und katholischer Kindererziehung.

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Übersicht: Der Weg der Zulassung zur Eheschließung Liegt ein Taufschein vor? Ja

Nein

Ist eine frühere Eheschließung im Taufschein vermerkt?

Ist der/die Ehewillige getauft?

Nein

Ja

Ja

Nein

Liegt ein Nichtigkeitsurteil/ein Dekret der Eheauflösung vor?

Kann der Ledigenstand anderweitig nachgewiesen werden?

Antrag auf Dispens vom Ehehindernis der Religionsverschiedenheit

Ja

Zulassung zur Eheschließung

Nein

Ja

Nein

Eheschließung nicht möglich – ggf. Beratung im Blick auf ein Ehenichtigkeitsverfahren bzw. eine Auflösung der Vorehe

Dispens erteilt

Dispens nicht erteilt

Eheschließung nicht möglich

Die Erklärungen werden von den Brautleuten unterschrieben, und der Seelsorger versichert mit seiner Unterschrift, dass die notwendigen Belehrungen erfolgt sind und im Verlauf des Brautgesprächs keine Hinweise auf einen Ehenichtigkeitsgrund zum Vorschein gekommen sind. d) Aufgebot Als Mittel zu den Nachforschungen, die vor der Eheschließung notwendig sind, erwähnt der CIC/1983 in c. 1067 vor allem das Aufgebot. Es handelt sich hierbei um ein altes Rechtsinstitut, das schon vom IV. Laterankonzil (1215) herangezogen wurde, um dem Verbot der klandestinen Ehen zur Durchsetzung zu verhelfen. Ebenso griff auch das Konzil von Trient auf dieses Mittel zurück. Das Aufgebot ist die Bekanntgabe der Eheschließungs­absicht der Brautleute gegenüber der kirchlichen Öffentlichkeit; etwaige rechtliche Hindernisse, die der Eheschließung entgegenstehen, sind dem Pfarramt oder dem Ordinariat (Generalvikariat) mitzuteilen (c. 1069 CIC). e) Trauungsverbote In folgenden Fällen darf die Eheschließung außer in einem Notfall nicht ohne besondere Erlaubnis des Ortsordinarius vorgenommen werden (c. 1071 CIC):

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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

1. Eheschließung von Wohnsitzlosen, 2. nach weltlichem Recht unzulässige oder unmögliche Eheschließung, 3. Eheschließung bei Bestehen natürlicher Verpflichtungen aus einer früheren ehelichen oder eheähnlichen Verbindung, 4. Eheschließung bei offenkundigem Abfall vom katholischen Glauben, 5. Eheschließung eines mit einer Zensur Belegten (z.B. eines Exkommunizierten), 6. Eheschließung von Minderjährigen ohne Wissen oder gegen den begründeten Widerspruch der Eltern, 7. Eheschließung durch Stellvertretung. Zur Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen für die Eheschließung ist das jeweils geltende Ehevorbereitungsprotokoll zu verwenden. 2. Wesen und Sinn der Ehehindernisse Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 138 A; Norbert Lüdecke, § 86 Die rechtliche Ehefähigkeit und die Ehehindernisse I, in: HdbKathKR3.

a) Eheschließungsfreiheit und Ehehindernisse Nach c. 1058 CIC gilt der Grundsatz der Eheschließungsfreiheit, dem nur rechtliche Hindernisse entgegenstehen können. Ehehindernisse sind Ausnahmen von diesem Grundsatz und müssen eng ausgelegt werden (vgl. c. 18 CIC). b) Definition Ein Ehehindernis ist ein Umstand, der einer Person unabhängig von ihrem Eheschließungswillen anhaftet und einer Eheschließung entgegensteht.

Das Ehehindernis kann der Person eines/einer Ehewilligen absolut anhaften (z.B. die heilige Weihe) oder auch relativ, also nur im Blick auf bestimmte Personen, wie bei den Ehehindernissen aus einem familiären Naheverhältnis. Eine bestimmte Eigenschaft einer Person steht der Eheschließung entgegen. Neben den Ehehindernissen können auch ein Mangel der Eheschließungsform oder ein Ehewillensmangel einer Eheschließung entgegenstehen. Sie sind folgendermaßen vom Ehehindernis abzuheben: Der Mangel der Eheschließungsform haftet nicht den Personen an, sondern dem Akt des Eingehens der Ehe.  Der Ehewillensmangel ergibt sich aus dem Willen der Personen und kann nur von diesen Personen selbst beseitigt werden. Das Ehehindernis dagegen kann 

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nur durch eine äußere Ursache beseitigt werden: Zeitablauf (mangelndes Mindestalter), Tod des Partners der ersten Ehe (Eheband), Taufe des nichtchristlichen Partners (Religionsverschiedenheit); die Wirkung eines Ehehindernisses kann durch Dispens beseitigt werden. Vom mangelhaften Ehewillen kann eine äußere Ursache nicht befreien, sondern nur eine Wandlung im Willen der betreffenden Person. Einen Sonderfall stellen die sog. „Konsenshindernisse“ dar, also solche Konsensmängel, die der Betreffende nicht von sich aus beheben, sondern aus denen er sich nur mit fremder Hilfe befreien kann. Das gilt für Ehenichtigkeitsgründe der cc. 1095–1099 und 1103 CIC. c) Die Wirkung der Ehehindernisse Der CIC/1917 hatte zwischen trennenden und verbietenden Ehehindernissen unterschieden. Der CIC/1983 spricht nur noch von trennenden Ehehindernissen (vgl. c. 1073 CIC). Das Ehehindernis stellt nach geltendem universalkirchlichem Recht ein inhabilitierendes Gesetz dar (vgl. c. 10 CIC), d.h.: es macht die betreffende Person unfähig, eine Ehe einzugehen. Die obige Definition des Ehehindernisses ist daher folgendermaßen zu ergänzen: Das Ehehindernis steht der Eheschließung mit der Wirkung entgegen, dass bei Vorliegen eines Ehehindernisses keine gültige Ehe geschlossen werden kann.

d) Das Eheverbot Nach c. 1077 CIC kann der Ortsordinarius die Eheschließung im Einzelfall verbieten. Im Unterschied zum verbietenden Ehehindernis des CIC/1917 stellt das Eheverbot einen Verwaltungsakt in einem Einzelfall dar, kein für alle geltendes Gesetz. Das Eheverbot kann nur im Einzelfall, zeitlich befristet und aus schwerwiegendem Grund erlassen werden, konkret in einigen Fällen von Ehenichtigkeitsverfahren, z.B. dann, wenn eine Ehe wegen Eheführungsunfähigkeit nach c. 1095 n. 3 CIC für ungültig erklärt wurde (vgl. auch c. 1682 § 1 CIC i. d. F. 2015). In diesem Fall kann dem Partner, dessen psychische Verfassung der Grund für die Ungültigkeit der betreffenden Ehe war, eine erneute Eheschließung solange untersagt werden, bis durch ein entsprechendes psychologisches oder psychiatrisches Gutachten nachgewiesen wird, dass der Grund für die Eheführungsunfähigkeit nicht mehr vorliegt. e) Überblick: Trauungsverbot – Eheverbot – Ehehindernis Trauungsverbot, Eheverbot und Ehehindernis kommen darin überein, dass sie der Eheschließung im Wege stehen, unterscheiden sich aber hinsichtlich Ad-

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ressaten, Geltungsumfang und Wirkung. Das lässt sich folgendermaßen darstellen: Adressat

Geltungsumfang

Wirkung

Ehehindernis

Heiratswillige

allgemein normiert

Ungültigkeit

Trauungsverbot

kirchl. Amtsträger

allgemein normiert

Verbot

Eheverbot

Heiratswillige

Einzelfall

Verbot

3. Die Ehehindernisse im Einzelnen Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 138 B–C; Norbert Lüdecke, § 86 Die rechtliche Ehefähigkeit und die Ehehindernisse II–III, in: HdbKathKR3.

Im CIC ist im Kapitel „Die trennenden Ehehindernisse im Einzelnen“ keine Ordnung zu erkennen. Aus der Sicht der Kirchenrechtswissenschaft lassen sich aber vor allem drei Gattungen von Ehehindernissen unterscheiden. Ehehindernisse können: 1. in der Natur der Ehe begründet sein, 2. den spezifisch religiösen Bereich betreffen oder 3. der Wahrung der öffentlichen Ordnung dienen. a) In der Natur der Ehe begründete Ehehindernisse Bestehendes Eheband Aus dem Wesen der Ehe als unauflösliche Gemeinschaft ergibt sich, dass bei Fortbestehen der ersten Ehe keine zweite Ehe eingegangen werden kann (vgl. c. 1085 CIC); das Ehehindernis ist indispensabel.  Mangel des erforderlichen Alters Der Mann ist mit Vollendung des 16., die Frau mit Vollendung des 14. Lebensjahres ehemündig; die Bischofskonferenzen können ein höheres Ehemündigkeitsalter entsprechend den jeweiligen weltlichen Gesetzen festlegen (c. 1083 CIC). Ziel: die zur Eheschließung und zur Führung der Ehe notwendige Reife soll gegeben sein. Von diesem Ehehindernis sollte besser nicht dispensiert werden; indispensabel ist es aber nicht.  Familiäre Nahverhältnisse Familienmitglieder sollen grundsätzlich aus dem Kreis der möglichen Ehepartner ausgeschlossen werden. Zu unterscheiden sind verschiedene Arten familiärer Nahverhältnisse und daher verschiedene Ehehindernisse. Die Verwandtschaftsverhältnisse haben aber gemeinsam, dass sie in irgendeiner Weise auf 

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einen gemeinsamen Stamm zurückgehen und die größere oder geringere Verwandtschaftsnähe in der geraden Linie oder der Seitenlinie nach Graden berechnet wird.  Blutsverwandtschaft C. 1091 CIC: Blutsverwandtschaft beruht auf natürlicher Abstammung. Das Ehehindernis besteht in allen Graden der geraden Abstammungslinie und bis zum vierten Grad der Seitenlinie einschließlich (Cousin/Cousine). In der geraden Linie und im zweiten Grad der Seitenlinie (Bruder/Schwester) wird nie dispensiert.  Gesetzliche Verwandtschaft Gesetzliche Verwandtschaft geht aus der Adoption hervor (vgl. c. 1094 i. V. m. c. 110 CIC). Das Ehehindernis besteht in der geraden Linie und im zweiten Grad der Seitenlinie. Das Ehehindernis ist dispensabel.  Schwägerschaft Schwägerschaft geht aus einer gültigen Eheschließung hervor und besteht zwischen dem einen Ehepartner und den Blutsverwandten des anderen. Ein Ehepartner ist mit den Blutsverwandten des anderen Ehepartners im selben Grad verschwägert wie dieser mit seinen Angehörigen blutsverwandt ist. Das Hindernis besteht in allen Graden der geraden Linie. Das Ehehindernis ist dispensabel.  Öffentliche Ehrbarkeit Das Ehehindernis der öffentlichen Ehrbarkeit ist der Schwägerschaft nachgebildet; im Unterschied zu dieser entsteht es aus einer ungültigen Ehe bzw. einem dauerhaften und öffentlich bekannten eheähnlichen Verhältnis. Es erstreckt sich nur auf den ersten Grad der geraden Linie. Das Ehehindernis ist dispensabel. Übersicht: Die Berechnung der Verwandtschaftsgrade: A (gemeinsamer Stamm) B1

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C1

C2

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Zur Erläuterung:196 A – B1 (Vater – Tochter o. ä.) oder B1 – D1 (Großmutter – Enkel o. ä.) oder A – C2 (Großvater – Enkelin) ist Verwandtschaft in gerader Linie. B1 – B2 (Schwester – Bruder) oder C1 – C2 (Cousin – Cousine) ist Verwandtschaft in der Seitenlinie. Die Verwandtschaftsgrade entsprechen der Zahl der Zeugungen: A – B1 ist erster Grad, B1 – D1 ist zweiter Grad, A – C2 ist ebenfalls zweiter Grad usw. Geschlechtliches Unvermögen Unter Impotenz im Sinne des Ehehindernisses ist ausschließlich die Beischlafs­ unfähigkeit zu verstehen; die Zeugungsunfähigkeit als solche macht die Eheschließung weder unerlaubt noch ungültig (vgl. c. 1084 CIC). Nur die der Eheschließung voraufgehende und dauerhafte Unfähigkeit zur geschlechtlichen Vereinigung macht die Ehe ungültig. Das Ehehindernis der Impotenz ist indispen­sabel.



b) Den spezifisch religiösen Bereich betreffende Ehehindernisse 

Religionsverschiedenheit Die religionsverschiedene Ehe im Sinne des kanonischen Rechts ist die Ehe zwischen einem katholischen Christen und einem Ungetauften.

Das Ehehindernis ist dispensabel; bezüglich der Dispensgewährung gelten dieselben Vorschriften wie für die Erteilung der Erlaubnis der Eheschließung im Fall von Bekenntnisverschiedenheit (cc. 1125, 1126 CIC). Problematisch ist insbesondere die Ehe zwischen einer christlichen Frau und einem Moslem.197 Weihe Wer die Weihe empfangen hat, kann keine gültige Ehe eingehen (c. 1087; vgl. c. 277 § 1 CIC). Das Ehehindernis besteht von der Diakonenweihe an; es ist dispensabel, die Dispens ist dem Apostolischen Stuhl vorbehalten mit einer einzigen Ausnahme: Von dem aus der Diakonenweihe hervorgegangenen Ehehindernis kann der Ortsordinarius bei drohender Todesgefahr dispensieren.  Gelübde Wer in einem Ordensinstitut das öffentliche und ewige Gelübde der Keuschheit abgelegt hat, kann keine gültige Ehe schließen. Das Ehehindernis ist dispensabel; bei Orden päpstlichen Rechts ist die Dispens dem Apostolischen Stuhl vorbehalten. 

Vgl. des Näheren: Aymans – Mörsdorf, KanR I, § 30 D V. Vgl. hierzu Elke Freitag, Ehe zwischen Katholiken und Muslimen. Eine religionsrechtliche Vergleichsstudie, Wien – Berlin 2007.

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c) Wahrung der öffentlichen Ordnung Entführung C. 1089 CIC normiert das Ehehindernis der Entführung oder Freiheitsberaubung. Das Ehehindernis besteht nur im Falle der Entführung der Frau. Das Ehehindernis fällt ohne weiteres weg, wenn die Entführung bzw. Freiheitsberaubung beendet ist. Eine Dispens während des Fortbestehens der Freiheitsberaubung scheint im Blick auf den freien Ehewillen nicht möglich.  Verbrechen C. 1090: Zwei Tatbestände: Gattenmord zum Zweck der erneuten Eheschließung oder gemeinschaftlicher Gattenmord; Dispens dem Apostolischen Stuhl vorbehalten. 

Exkurs: Bekenntnisverschiedene Ehe a) Begriff Die bekenntnisverschiedene Ehe ist die Ehe zwischen zwei Getauften, von denen einer der katholischen Kirche, der andere aber einer nichtkatholischen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft angehört.

Nach c. 1124 ist das Eingehen einer bekenntnisverschiedenen Ehe ohne ausdrückliche Erlaubnis der zuständigen Autorität verboten. b) Geltende Rechtslage Der CIC/1983 behandelt die konfessionsverschiedene Ehe in einem eigenen Abschnitt (cc. 1124–1129). Gegenüber der bisherigen Rechtslage wurde vor allem eine wichtige Änderung vorgenommen: Bekenntnisverschiedenheit ist kein (verbietendes) Ehehindernis mehr, das Eingehen einer bekenntnisverschiedenen Ehe ist nur noch eine erlaubnisgebundene Handlung. In Deutschland wie in Österreich kann jeder Kleriker mit allgemeiner Befugnis zur Eheassistenz im Regelfall die Erlaubnis zum Eingehen einer bekenntnisverschiedenen Ehe erteilen. Die konfessionelle Situation in den beiden Ländern gilt als gerechter und vernünftiger Grund zur Gewährung dieser Erlaubnis, wie er in c. 1125 CIC gefordert wird. Für die Erteilung der Erlaubnis zur Eheschließung im Fall von Bekenntnisverschiedenheit gilt nach cc. 1125 und 1126 CIC folgende Bedingung: Der katholische Partner muss sich ausdrücklich bereiterklären, die Gefahr des Glaubensabfalls zu beseitigen und sich nach Kräften um die katholische Taufe und Erziehung der Kinder zu bemühen; von dieser Verpflichtung des katholischen Partners ist der nichtchristliche Partner zu informieren.

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C. Ehewille Aymans  – Mörsdorf, KanR III, §  139; Marcus Nelles, §  87 Der Ehekonsens, in: HdbKathKR3.

Die Ehe wird durch die Willenserklärung der Partner begründet und erhält ihre letzte Festigkeit durch die Aufnahme der ehelichen Geschlechtsgemeinschaft (cc. 1057, 1141, 1142 CIC). Der Ehewille kann durch keine menschliche Macht ersetzt werden; er ist indispensabel. 1. Allgemeine Bestimmungen C. 1057 § 2 CIC definiert den Ehekonsens als das gegenseitige Sich-Schenken und ‑Annehmen der Ehepartner, um die Ehe als einen unwiderruflichen Bund zu begründen. Es geht bei der Eheschließung um die Person des geliebten Menschen, um die Lebensgemeinschaft mit ihm bzw. ihr. Die Ehewillenserklärung geschieht durch Worte oder Zeichen bei persönlicher Anwesenheit der Ehepartner; nötigenfalls kann ein Dolmetscher bei der Trauung mitwirken. Die Möglichkeit der Eheschließung durch Stellvertreter, die es im Recht der Lateinischen Kirche (anders als in jenem der orientalischen Kirchen) gibt, ist dem Charakter der Eheschließung als Sakramentenfeier, d.h. als Gottesdienst nicht angemessen. Wesentliche Konsensmängel im Erkennen oder Wollen bewirken, dass eine gültige Ehe nicht zustandekommt. 2. Mängel im Erkennen a) Fehlen des notwendigen Mindestwissens Der Ehewille beinhaltet einen kognitiven Anteil; das Wollen kann erst dann verantwortbar sein, wenn der Mensch weiß, worum es geht, d.h. was der Gegenstand des Wollens ist. C. 1096 § 1 fordert zum Eingehen einer Ehe jedoch nur ein Minimum an Wissen. Dies betrifft: 1. die Verschiedengeschlechtlichkeit (Gemeinschaft von Mann und Frau), 2. die Dauerhaftigkeit der Ehe, 3. ihre Ausrichtung auf Nachkommenschaft, 4. die geschlechtliche Dimension der Ehe. Nähere Kenntnisse werden nicht verlangt. Der Gesetzgeber wollte die Eheschließung nicht allzu sehr von intellektuellen Anforderungen abhängig machen. Auch weniger intelligenten und weniger aufgeklärten Christen muss es möglich sein, eine gültige Ehe einzugehen, anderenfalls die Gefahr bestünde, das Recht auf Ehe und Familie auszuhöhlen.

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b) Irrtum Die Eheschließung ist das Ja-Wort zu einem bestimmten Mann bzw. zu einer bestimmten Frau. Es ist daher erforderlich, dass das Ja-Wort bei der Eheschließung sich auf die gewollte Person bezieht. Bei einem Irrtum hinsichtlich der Person ergibt sich daher aus der Natur der Sache, dass keine gültige Ehe entsteht. Der Irrtum hinsichtlich einer persönlichen Eigenschaft des Partners hat im Regelfall nicht die Wirkung, dass die Ehe nicht gültig zustandekommt. Anders ist es, wenn diese Eigenschaft mehr gewollt wird als die betreffende Person (vgl. c. 1097 CIC). Das setzt aber voraus, dass mit der betreffenden Eheschließung nicht in erster Linie die eheliche Gemeinschaft, sondern irgendetwas anderes verwirklicht werden soll. Der einfache Irrtum bezüglich der Wesenseigenschaften der Ehe oder ihrer sakramentalen Würde hat im Grundsatz keine ehevernichtende Wirkung (c. 1099 CIC), sofern er nicht den Willen bestimmt, d.h.: Die irrtümliche Ansicht – z.B. die Ehe sei nicht unauflöslich – für sich genommen macht die Ehe noch nicht ungültig. Erst wenn diese Ansicht zur Absicht wird, wenn also jemand nicht nur meint, die Ehe sei nicht unauflöslich, sondern die Ehe ausdrücklich auch als nicht unauflösliche Gemeinschaft will, wenn er also die Unauflöslichkeit der Ehe ausdrücklich ausschließt, ist die Grenze zwischen Gültigkeit und Ungültigkeit der Ehe überschritten c) Arglistige Täuschung Arglistige Täuschung macht die Eheschließung nur ungültig: 1. wenn sie gegenüber einem Partner angewendet wird, um die Leistung des Ehekonsenses zu erlangen, 2. wenn sie eine Eigenschaft des anderen Partners betrifft, die eine schwere Störung des ehelichen Lebens hervorrufen kann. Unerheblich ist, von wem die arglistige Täuschung ausgeht, ob vom anderen Partner oder von Dritten. Es geht um den Schutz des Getäuschten, nicht um das Handeln des Täuschenden. Der CIC nennt ausdrücklich ein Beispiel für arglistige Täuschung im Zusammenhang mit dem Ehehindernis der Impotenz (c. 1084 § 3). Der Gesetzgeber weist hier implizit darauf hin, dass Unfruchtbarkeit eine solche Eigenschaft des Partners ist, die das eheliche Leben schwer stören kann. Aber auch in diesem Falle wäre die Ehe nicht ungültig wegen des Vorliegens von Sterilität, also wegen Zeugungsunfähigkeit, sondern nur dann, wenn über diesen Umstand arglistig zur Erlangung des Konsenses getäuscht wurde. Arglistige Täuschung liegt natürlich dann vor, wenn auf eine Frage eine unwahre Antwort gegeben wird, aber auch schon dann, wenn ein Umstand verschwiegen wird, der das eheliche Leben schwer stören kann.

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3. Mängel im Wollen a) Der innere Vorbehalt C. 1101 § 1 CIC stellt die Rechtsvermutung auf, dass der innere Ehekonsens mit der äußeren Kundgabe des Ehewillens übereinstimmt. Ein Zwiespalt zwischen dem inneren Wollen und der äußeren Willenserklärung ist möglich, müsste aber bewiesen werden. Eine Simulation liegt nur dann vor, wenn ein ausdrücklicher Willensakt gegen die Ehe selbst oder eines ihrer Wesenselemente oder ihrer Wesenseigenschaften gesetzt wurde. Unterschieden werden: Totalsimulation Ablehnung der Ehe insgesamt trotz des nach außen hin abgegebenen Ja-Worts.

Partialsimulation Ausschluss einer Wesenseigenschaft oder eines Wesenselementes der Ehe, z.B.: Unauflöslichkeit oder Einheit der Ehe, Ausschluss der ehelichen Nachkommenschaft.

Da die Sakramentalität nicht nur eine Wesenseigenschaft der Ehe ist, sondern die Ehe unter Getauften einfachhin identisch ist mit dem Sakrament der Ehe, wird ein Ausschluss der Sakramentalität nicht als Partial‑, sondern als Totalsimulation gewertet. Negative Totalsimulation liegt dann vor, wenn die kirchliche Trauung nicht als Akt der Begründung der Ehe verstanden wird. b) Furcht und Zwang Zwang oder schwere von außen her eingeflößte Furcht machen eine Ehe ungültig (c. 1103 CIC), wenn die gezwungene Person keine andere Wahl hat als das Ja-Wort. Zwang ist die unmittelbare Androhung physischer Gewalt; schwere Furcht ist ein Druck, der auf psychische Weise wirkt. Spezialfall: „Ehrfurchtszwang“; d.h. durch Missbrauch einer engen Beziehung (v. a. Eltern – Kinder) wird das Eingehen einer Ehe erzwungen; „Zwangsmittel“ in diesem Fall ist der Verlust der guten Beziehung zu den Eltern o. ä. Zwei Merkmale müssen erfüllt sein, damit der Tatbestand von Furcht und Zwang erfüllt ist: 1. Die Furcht muss schwer sein. 2. Die Furcht muss von außen eingeflößt worden sein. Nicht erforderlich ist hingegen, dass derjenige, der diese Furcht einflößt, die Absicht hat, auf diese Weise das Zustandekommen der Ehe zu bewirken.

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4. Bedingte Eheschließung Nach der Rechtslage des CIC/1983 kann eine Ehe auch in bedingter Weise eingegangen werden, so dass sie nur dann gelten soll, wenn die Bedingung erfüllt ist. Nach c. 1102 §§ 1 und 2 CIC/1983 ist zu unterscheiden: Futurbedingung unzulässig, macht die Eheschließung ungültig

Gegenwarts- oder Vergangenheitsbedingung nur mit schriftlicher Erlaubnis des Ortsordinarius; die Ehe ist gültig, wenn die Bedingung erfüllt ist

Hinter der Möglichkeit der bedingten Eheschließung steht das Verständnis der Ehe als Vertrag; das Zustandekommen eines Vertrags kann an eine Bedingung geknüpft werden. Die Ehe aber ist ein Sakrament, und Gott sagt im Sakrament seine Gnade unbedingt zu. Eine gänzliche Abschaffung der rechtlichen Möglichkeit einer bedingten Eheschließung, wie in c. 826 CCEO geschehen, wäre daher sakramententheologisch sachgerechter gewesen. 5. Verantwortete Elternschaft Nicht jede Entscheidung der Eheleute gegen die Zeugung von Kindern ist als Ausschluss der Nachkommenschaft zu betrachten; nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils (GS 50) gibt es durchaus Raum für verantwortete Familienplanung. – Als Mittel hierfür kommen solche nicht in Betracht, die auf eine Vernichtung des ungeborenen Lebens hinauslaufen (Abtreibung, Intrauterinpessar u. ä.). Ehe und eheliche Liebe sind ihrem Wesen nach auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet. Kinder sind gewiss die vorzüglichste Gabe für die Ehe und tragen zum Wohl der Eltern selbst sehr viel bei (GS 50, 1). Daher müssen sie [die Eheleute] … in einer auf Gott hinhörenden Ehrfurcht durch gemeinsame Überlegungen versuchen, sich ein sachgerechtes Urteil zu bilden. Hierbei müssen sie auf ihr eigenes Wohl wie auf das ihrer Kinder – der schon geborenen oder zu erwartenden – achten; sie müssen die materiellen und geistigen Verhältnisse der Zeit und ihres Lebens zu erkennen suchen und schließlich auch das Wohl der Gesamtfamilie, der weltlichen Gesellschaft und der Kirche berücksichtigen. Dieses Urteil müssen im Angesicht Gottes die Eheleute letztlich selbst fällen (GS 50, 2).

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Es ist zu unterscheiden zwischen einem grundsätzlichen Ausschluss von Nachkommenschaft und einem (ggf. zeitlich begrenzten) Verzicht auf eigene Kinder. Unterscheidungskriterium: Besteht ein unumstößlicher Wille gegen Nachkommenschaft (Ausschluss) oder gibt es eine zumindest gewisse Offenheit in dieser Frage (kein Ausschluss)? Wird die Ausrichtung der eigenen Ehe auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft angenommen oder gilt die Entscheidung gegen Kinder unbedingt? 6. Die Konsenshindernisse des c. 1095 CIC Die Nichtigkeitsgründe des c. 1095 CIC wurden seit Anfang der 1970er Jahre in Urteilen der Römischen Rota aus naturrechtlichen Grundsätzen entwickelt, vor allem aus der Überlegung, dass der Ehewillige das wertend erfassen können muss, wozu er vor dem Traualtar sein „Ja“ sagt, und aus dem Grundsatz, dass niemand zu etwas Unmöglichem verpflichtet werden kann.198 Den Fallgestaltungen des c. 1095 CIC ist gemeinsam, dass die Ehe erst dann ungültig ist, wenn die (psychischen) Ursachen ein Hindernis darstellen, nicht schon dann, wenn sie das Eingehen und die Führung der Ehe (nur) erschweren. a) Mangelnder Vernunftgebrauch Nach c. 1095 n. 1 CIC machen Umstände, die den Vernunftgebrauch ausschließen, eine Eheschließung ungültig. Dies können dauerhafte Umstände sein, z.B. aufgrund einer Geistesstörung, aber auch nur ein vorübergehender Mangel des Vernunftgebrauchs z.B. aufgrund von Drogen oder Alkohol. b) Urteilsunvermögen Nach c. 1095 n. 2 CIC bewirkt ein schwerwiegender Mangel des Urteilsvermögens hinsichtlich der gegenseitig zu übertragenden Rechte und Pflichten die Ungültigkeit der Ehe. Hierbei geht es nicht um das (theoretische) Wissen, sondern um die Fähigkeit, die Pflichten und Rechte der Ehe zutreffend wertend zu erfassen: Was bedeutet die Ehe für mein künftiges Leben? Ein Urteils­unvermögen kann beispielsweise durch eine affektive Unreife verursacht sein. Ein Sonderfall des Urteilsunvermögens ist ein Mangel der inneren Willensfreiheit, ein psychogener Zwang, wodurch dem oder der Ehewilligen die freie Wahl unmöglich gemacht wird. c) Eheführungsunfähigkeit Wer aus Gründen psychischer Natur nicht in der Lage ist, die wesentlichen ehelichen Pflichten zu erfüllen, kann keine gültige Ehe eingehen. Es kommt eine Zum Ursprung des c. 1095 CIC vgl. Josef Weber, „Erfüllungsunvermögen“ in der Rechtsprechung der Sacra Romana Rota, Regensburg 1983.

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Fülle von Ursachen in Betracht: neben Geisteskrankheiten, Suchterkrankungen und einer starken Reifungsverzögerung auch psychosexuelle Anomalien wie die Unfähigkeit zur Treue (Erotomanie, auch Nymphomanie bzw. Satyriasis genannt).

D. Eheschließung Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 140; Martin Rehak, § 88 Die Eheschließung, in: HdbKathKR3.

1. Die Einführung der kanonischen Eheschließungsform Um die Praxis der klandestinen Eheschließungen zu bekämpfen, führte das Konzil von Trient trotz ernstzunehmender und heftig vorgetragener Gegenargumente eine verpflichtende Rechtsform ein: die Eheschließung vor dem Pfarrer und zwei Zeugen. Das Dekret „Tametsi“ vom 11. November 1563 erklärt daher:

Diejenigen, die versuchen werden, eine Ehe anders zu schließen als in Gegenwart des Pfarrers oder – mit Erlaubnis des Pfarrers bzw. des Ordinarius – eines anderen Priesters und zweier oder dreier Zeugen: die erklärt das heilige Konzil für völlig unfähig, auf diese Weise eine Ehe zu schließen, und es erklärt, dass solche Eheschließungen ungültig und nichtig sind, wie es sie im vorliegenden Dekret ungültig macht und für nichtig erklärt.199

Die kirchliche Eheschließungsform hat nach dem Konzil von Trient einige Modifizierungen erfahren, v. a. wurde die aktive und freiwillige Assistenz des Priesters bei der Eheschließung gefordert. Die Formpflicht galt ursprünglich nur an jenen Orten, an denen die tridentinischen Reformdekrete verkündet worden waren (sog. „tridentinische Orte“); erst seit dem CIC/ 1917 gilt die Pflicht, die Ehe in der kanonischen Eheschließungsform einzugehen, für alle Katholiken weltweit. 2. Die Eheschließung nach geltendem Recht a) Die ordentliche Rechtsform der Eheschließung aa) Gestalt der ordentlichen Eheschließungsform Die Brautleute erklären auf Befragen eines Trauungsberechtigten in Gegenwart zweier Zeugen ihren Ehewillen (c.  1108 CIC). Mögliche Trauungsberechtigte: Priester oder Diakone, in Ausnahmefällen auch Laien (vgl. c. 1112 CIC); u.a. in 199

DenzH 1816; vgl. DenzH 1813–1816.

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Österreich und Deutschland ist die Möglichkeit der Assistenz von Laien bei der Eheschließung jedoch nicht gegeben. Der Trauungsberechtigte muss bei der Eheschließung aktiv tätig werden, er muss den Konsens erfragen bzw. den Konsensaustausch leiten. Nach der herrschenden Lehre in der Lateinischen Kirche sind es die Brauleute selbst, die einander das Sakrament der Ehe spenden. Der Trauungsberechtigte kann daher nur als „Amtszeuge“ verstanden werden. Die ekklesiale Dimension des Ehesakraments wird so jedoch nicht hinreichend deutlich. In den katholischen wie nichtkatholischen Ostkirchen dagegen wird der Priester als Spender des Ehesakraments verstanden; die Mitwirkung eines Priesters ist daher zur Gültigkeit der Eheschließung von orientalischen Christen erforderlich – auch bei einer Eheschließung eines orientalischen mit einem lateinischen Christen. Ein Diakon kann in einem solchen Fall keine Trauung vornehmen (vgl. c. 1108 § 3 CIC). bb) Trauungsbefugnis kraft Amtes Ortsordinarius für sein Gebiet, Ortspfarrer für seine Pfarrei (c. 1109), Personalordinarius und Personalpfarrer, wenn einer der Ehewilligen ihm unter­geben ist (c. 1110 CIC)

durch Delegation seitens des Ortsordinarius oder des Ortspfarrers generelle Delegation

spezielle Delegation

immer schriftlich

schriftlich, mündlich oder einschlussweise (durch „konkludentes Handeln“)

Die Trauungsbefugnis ist zur Gültigkeit der Ehe erforderlich. Im Falle eines allgemeinen Irrtums oder eines positiven und begründeten Rechts- oder Tatsachenzweifels ersetzt die Kirche die fehlende Trauungsbefugnis des Klerikers (c. 144 CIC). cc) Formpflicht Die Formpflicht gilt für jede Eheschließung, an der auch nur ein Katholik beteiligt ist (c.  1117 CIC; die im CIC/1983 ursprünglich enthaltene Ausnahme von der Form­pflicht für Katholiken, „die in einem formalen Akt von der Kirche abgefallen sind“, wurde zwischenzeitlich gestrichen). Bei der Eheschließung von Katholiken mit nichtkatholischen Orientalen gilt zur Gültigkeit nur das Erfordernis der Beteiligung des Priesters; die Wahrung der kanonischen Form ist in diesem Fall nur zur Erlaubtheit vorgeschrieben (vgl. c. 1127 § 1 CIC).

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§ 23 Das Sakrament der Ehe

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b) Besondere Formen der Eheschließung Noteheschließung Kann ein Trauungsberechtigter nicht rechtzeitig und ohne schweren Nachteil erreicht werden, so genügt zur Gültigkeit der Eheschließung die Konsenserklärung vor zwei Zeugen, und zwar bei drohender Todesgefahr oder wenn es sich um einen Umstand handelt, der voraussichtlich einen Monat lang andauert (c. 1116 CIC). Wenn ein nichttrauungsberechtigter Priester oder Diakon zu erreichen ist, ist dieser heranzuziehen.  Geheime Eheschließung Aus schwerwiegenden Gründen kann eine Ehe unter Ausschluss der Öffentlichkeit, aber unter Einhaltung der ordentlichen Eheschließungsform geschlossen werden. Die Ehe ist tatsächlich geheim, rechtlich aber zu beweisen. Alle Beteiligten sind zur Geheimhaltung verpflichtet; die Eheschließung wird in einem Buch eingetragen, das im Geheimarchiv der Diözese aufbewahrt wird (cc. 1130–1133 CIC). Die Geheimhaltungspflicht endet für den Ortsordinarius dann, wenn die Heiligkeit der Ehe in Gefahr gerät oder wenn ein schweres Ärgernis droht. 

c) Eintragung der Eheschließung in den Kirchenbüchern Die Eheschließung ist in das Ehebuch der Pfarrei des Trauungsortes und in die Taufbücher jener Pfarrkirchen einzutragen, in denen die Brautleute die Taufe empfangen haben (vgl. cc. 1121–1123 CIC). Auf diese Weise kann sie jederzeit nachgewiesen werden. 3. Gültigmachung einer ungültigen Ehe Aymans – Mörsdorf, KanR III, § 143; Sabine Demel, § 90 Die Konvalidation der Ehe, in: HdbKathKR3.

Sofern der beiderseitige Ehewille fortbesteht, kann eine ungültige Ehe durch einfache Gültigmachung oder Heilung in der Wurzel gültig gemacht werden. a) Die einfache Gültigmachung der Ehe (convalidatio simplex) Voraussetzungen und Wesen der einfachen Gültigmachung Eine Ehe ist wegen des Vorliegens eines Ehehindernisses, eines Ehewillensmangels oder des Mangels der kanonischen Eheschließungsform ungültig oder wird von zumindest einer der Parteien für ungültig gehalten. Die Gültigmachung besteht darin, dass der Ehekonsens von einem bzw. beiden Ehepartnern erneuert wird. Die Art und Weise der Gültigmachung hängt davon ab, welcher Ehenichtigkeitsgrund gegeben ist und ob dieser beweisbar ist oder nicht.



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Zweiter Teil: Wesensvollzüge der Kirche

Vorliegen eines Ehehindernisses Das Hindernis muss von selbst weggefallen oder durch Dispens behoben worden sein (c. 1156 § 1 CIC). Ist das Hindernis beweisbar, muss der Ehewille von beiden Partnern in der kanonischen Form erneuert werden (c. 1158 § 1 CIC). Ist das Hindernis nicht beweisbar und beiden Partnern bekannt, so genügt es, dass der Ehewille von beiden Partnern privat und geheim erneuert wird (c. 1158 § 2 CIC). Ist das Ehehindernis geheim und nur einem Partner bekannt, so reicht dessen private und geheime Konsenserneuerung aus (c. 1158 § 2 CIC).  Unzureichender Ehewille Der Partner, der keinen gültigen Ehewillen geleistet hat, muss dies zur Gültigmachung der Ehe nachholen (c. 1159 § 1 CIC). Bei einem nicht beweisbaren Konsensmangel genügt es, dass der betreffende Ehepartner nunmehr privat und geheim der Ehe zustimmt (c. 1159 § 2 CIC); ist der Konsensmangel beweisbar, so muss der Konsens in kanonischer Form ausgetauscht werden (c. 1159 § 3 CIC).  Mangel der Eheschließungsform Im Falle des Mangels der Eheschließungsform muss der Ehewille vor dem Pfarrer und zwei Zeugen ausgetauscht werden (c. 1160 CIC). 

b) Heilung in der Wurzel (sanatio in radice) Wesen der Heilung in der Wurzel Nach c. 1161 § 1 CIC kann eine ungültige Ehe durch die zuständige kirchliche Autorität in der Wurzel ohne Konsenserneuerung mit Geltung vom ursprünglichen Augenblick der (ungültigen) Eheschließung gültig gemacht werden. Unterschiede gegenüber der einfachen Gültigmachung: Wegfall der Konsenserneuerung und damit der kanonischen Eheschließungsform – Rückwirkung der kanonischen Folgen (c. 1161 §§ 1 u. 2 CIC).  Voraussetzung Bei der Eheschließung und im Augenblick der Heilung der Ehe in der Wurzel muss bei beiden Partnern ein hinreichender Ehewille gegeben sein; anderenfalls kann die sanatio in radice nicht gewährt werden (vgl. cc. 1161 § 3, 1162 CIC).  Zuständigkeit Für die Gewährung der sanatio in radice ist zunächst der Apostolische Stuhl zuständig (vgl. c. 1165 § 1 CIC). Auch der Diözesanbischof kann die Heilung in der Wurzel in Einzelfällen gewähren, sofern nicht entweder ein Ehehindernis vorliegt, dessen Dispens dem Apostolischen Stuhl vorbehalten ist, oder die Ehe wegen eines Hindernisses göttlichen Rechts ungültig ist, das zwischenzeitlich weggefallen ist (vgl. c. 1165 § 2 CIC). 

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§ 23 Das Sakrament der Ehe

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Gültigmachung einer ungültigen Ehe – Schematische Übersicht convalidatio simplex (einfache Gültigmachung)

sanatio in radice (Heilung in der Wurzel)

Voraussetzung

ungültige Ehe wegen Ehehindernisses, Ehewillensmangels oder Mangels der kanonischen Eheschließungsform

ungültige Ehe wegen Ehehindernisses oder Mangels der kanonischen Eheschließungsform (nicht bei einem Ehewillensmangel möglich!)

Wirkung

vom Augenblick der Gültig­ machung an (ex nunc)

vom Augenblick der ursprünglich ungültigen Eheschließung an (ex tunc)

Zuständigkeit

nicht notwendig die kirchliche Autorität, ggf. sogar ein Betroffener allein

Apostolischer Stuhl oder Diöze­sanbischof

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche Was versteht man unter dem kirchlichen Verfassungsrecht? Das kirchliche Verfassungsrecht behandelt die rechtliche Struktur der Kirche. Dabei ist gemäß der ekklesiologischen Lehre des II. Vatikanischen Konzils nicht nur die innere Ausgestaltung der Kirche gemäß göttlicher Offenbarung in den Blick zu nehmen. Wesentlich gehört dazu auch das Grundverständnis der Katholischen Kirche im ökumenischen Zusammenhang der gesamten Christenheit. Es lässt sich daher von einem Verfassungsrecht der Kirche sprechen, das sowohl in seinen in das Innere der Kirche hineinwirkenden Dimensionen als auch in seinen in das Außen der institutionell verfassten Katholischen Kirche hineinreichenden Wirkungen zu behandeln ist. Wo aber findet sich dieses Verfassungsrecht im gesatzten Recht der Kirche? Gibt es dazu ein eigenes Buch im Sinne des munus regendi, ähnlich den Büchern für die rechtliche Ordnung des Verkündigungsdienstes (munus docendi) und des Heiligungsdienstes (munus sanctificandi)? Lässt sich dafür auf eine Art „Grundgesetz“ der Katholischen Kirche zurückgreifen, wie es sich in Analogie zu den Verfassungen der Staaten, beispielsweise mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, aufzeigen ließe?1 Der kirchliche Gesetzgeber hat das zweite Buch des CIC/1983 unter die Überschrift De Populo Dei gesetzt. Der Titel erinnert an die wortgleiche Überschrift des zweiten Kapitels der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ des II. Vatikanischen Konzils, in dem vor aller Unterscheidung der Kirchenglieder (Laien und Kleriker) von der Kirche als Ganzer und das heißt als sakramental grundgelegter Gemeinschaft aller Gläubigen gesprochen wird. Legt man die konziliaren Aussagen als eine Art Raster auf das zweite Buch De Populo Dei des CIC/1983, wird dem aufmerksamen Betrachter schnell ersichtlich, dass das kodikarische Buch nur in seinem ersten Teil (De Christifidelibus) – und auch hier nur bedingt – dieser konziliaren Intention entspricht. In seinem zweiten Teil werden darüber hinaus die hierarchische Verfassung der Kirche (De Ecclesiae constitutione hierarchica) und in seinem dritten Teil (De institutis vitae consecratae et de societatibus vitae apostolicae) die verschiedenen Einrichtungen der

Vgl. dazu Winfried Aymans, Das Projekt einer Lex Ecclesiae Fundamentalis, in: HdbKathKR (1983), 65–71.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

kanonischen Lebensverbände – ein bestimmender Teil des kirchlichen Vereinigungsrechtes – behandelt. Zunächst ist zu begrüßen, dass offensichtlich die Abkehr von der für den piobenediktinischen Codex von 1917 bestimmenden Maßgabe De Personis hin zur theologischen Kategorie der Kirche als communio vollzogen wurde. Die Kirche wird in ihrem theologischen Verständnis nicht heilsindividualistisch, sondern als Mysterium, das sich in der Struktur der communio verwirklicht, verstanden. Das schlägt sich im Zusammenhang des kirchlichen Gesetzbuches nieder. Das entspricht zu einem Teil dem Inhalt des kirchlichen Verfassungsrechts. Dass das gesamte zweite Buch aber nicht einfach identisch ist mit dem kirchlichen Verfassungsrecht, machen allein zahlreiche Hinweise in den anderen Büchern des kirchlichen Gesetzbuches deutlich, die verfassungsrechtlichen Charakter und demzufolge auch eine Relevanz für die rechtliche Struktur der Kirche besitzen. Darüber hinaus ist aber zu kritisieren, dass entgegen den Intentionen zu Beginn des Codexreformprozesses in demselben Buch neben den kirchenverfassungsrechtlichen Normen zugleich vereinigungsrechtliche Bestimmungen2 aufgenommen worden sind. Damit wird der fundamentale Unterschied nicht genügend erkennbar, der zwischen dem Verfassungs- und dem Vereinigungsrecht der Kirche besteht. Dieser Unterschied drückt sich in der Differenzierung ihrer jeweiligen Zielrichtung wie folgt aus:

Das Verfassungsrecht behandelt die rechtliche Struktur der Kirche als solcher, das Vereinigungsrecht hingegen ist eine Struktur in der Kirche.3

Es gilt festzuhalten: Es ist nicht gerechtfertigt, das zweite Buch des CIC/1983 schlichtweg als „Verfassungsrecht“ der Kirche zu bezeichnen. Es beinhaltet sowohl verfassungsrechtliche Materien unter dem ekklesiologischen Prinzip der Kirche als communio als auch vereinigungsrechtliche Rechtsmaterien, die nach dem Prinzip der consociatio dem Vereinigungswillen und dem Recht auf Vereinigung seitens der Gläubigen gemäß c. 215 CIC entsprechen. Noch deutlicher wird diese notwendige Unterscheidung im Blick auf die jeweiligen materiellen Schwerpunkte. Ist unter dem Verfassungsrecht „als der für die Kirche konstitutiven Grundordnung jenes Normgefüge göttlichen und menschlichen Kirchenrechts zu verstehen, durch das einem jeden Gläubigen, der in der

Vgl. cc. 294–297, 298–329, 573–746. Aymans – Mörsdorf, KanR II, 1; Hervorhebungen im Original.

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vollen Kirchengemeinschaft (plena communio) steht, von Rechts wegen sein Platz zugewiesen wird“4, umgreift es 1. den sich aus der Eingliederung in die Kirche gemäß cc. 96, 204–206 CIC (cc. 7–9 CCEO) ergebenden rechtlichen Grundstatus der Gläubigen (cc. 208–223 CIC; cc. 11–26 CCEO), 2. die Unterscheidung der Gläubigen in Laien und Kleriker gemäß c. 207 § 1 CIC (c. 323 § 2 CCEO) und 3. den damit verbundenen hierarchischen Aufbau der Kirche gemäß cc. 330–572 CIC. Diese sakramental begründete und ekklesiologisch-verfassungsrechtlich entfaltete Einordnung des Gläubigen in die Kirche ist verpflichtend. Aus diesem verfassungsrechtlichen Gefüge kann der Christgläubige auch bei wechselnden örtlichen Aufenthalten nicht herausfallen. Das Vereinigungsrecht hingegen umfasst alle möglichen Formen, die sich aus dem grundlegenden Recht der Gläubigen auf Zusammenschluss und unter Beachtung der von Gott frei geschenkten Charismen an einzelne Gläubige (Gründercharisma) ergeben. Die consociatio bezeichnet dabei im weitesten Sinn alle Formen von Vereinigungen, die sich innerhalb der Vereinigungsfreiheit entfalten. Sie ist rechtlich dadurch bestimmt, dass sie 1. eine Personengesamtheit ist, also Christgläubige als Mitglieder hat, 2. die Mitgliedschaft freiwillig ist (anders als im Bereich des Verfassungsrechts), 3. der gemeinsamen Verwirklichung des eigenen Apostolates der Gläubigen dient, 4. der kanonischen Ausrichtung nach c. 215 CIC (c. 18 CCEO) entspricht (Caritas, Frömmigkeit, christliche Berufung in der Welt) und 5. sich mit ihrer Tätigkeit im Rahmen des bonum commune Ecclesiae bewegt. Dazu zählen im umfassenden Sinne die kanonischen Vereine (private oder öffentliche Vereine), die kanonischen Lebensverbände (Institute des geweihten Lebens wie Orden, Kongregationen und Säkularinstitute sowie Gesellschaften apostolischen Lebens), mögliche freie Zusammenschlüsse von Gläubigen (c. 215 CIC;

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Ebd., 7.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

c. 18 CCEO) sowie – mit zahlreichen Differenzierungen – die Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen.5

I. Kirchliches Verfassungsrecht Wenn das kirchliche Verfassungsrecht die rechtliche Struktur der Kirche behandelt, gehört dazu sowohl die innere Ausgestaltung der Kirche als auch ihr Verhältnis zu den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften der christlichen Ökumene. So sind im Folgenden wesentliche Grundfragen der kirchlichen Verfassungsstruktur anzusprechen, u.a. die auch ökumenisch relevanten Implikationen einer kanonistischen Communio-Theologie, die Grundstellung des Christgläubigen im Gefüge der Kirche sowie die maßgebenden Rechtsnormen zum Wesen und zu den Organen der Universalkirche und der Partikularkirchen.

§ 24 Aspekte der communio-Struktur A.  Ekklesiologische Grundeinsicht Winfried Aymans, §  3 Die Kirche  – Das Recht im Mysterium Kirche, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Gerhard Ludwig Müller, Das trinitarische Grundverständnis der Kirche in der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“, in: MThZ 45 (1994) 451–465; Ludger Müller, Die Kirche als Wurzelsakrament, in: Reinhild Ahlers u.a. (Hg.), Ecclesia a Sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht, Paderborn 1992, 125– 135.

Wie versteht sich die Kirche in ihrem Wesen und ihrer Struktur aus eigener Perspektive? Darauf haben die Konzilsväter des II. Vatikanischen Konzils mit einer beeindruckenden Grundentscheidung geantwortet, die sich sowohl an biblischen als auch an patristischen Vorgaben orientiert. Danach kann das Wesen der Kirche Zur Vertiefung siehe Aymans – Mörsdorf, KanR II, §§ 82–106. Dazu auch Thomas Schüller, Allgemeine Fragen des kirchlichen Vereinsrechts, in: HdbKathKR3, 796–812; Ders., Die privaten und öffentlichen kirchlichen Vereinigungen, in: ebd., 813–824; Dominicus M. Meier, Kirchliche Bewegungen und neue geistliche Gemeinschaften, in: ebd., 825–830; Stephan Haering, Grundfragen der Lebensgemeinschaften der evangelischen Räte, in: ebd., 831–845; Ulrich Rhode, Die Religiosenverbände, in: ebd., 846–878; Dominicus M. Meier, Die Säkularinstitute, in: ebd., 879– 889; Rudolf Henseler, Die Gesellschaften apostolischen Lebens, in: ebd., 890–900; Heribert Schmitz, Die Personalprälaturen, in: ebd., 901–910.

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vor allem durch eine bildhafte Begriffssprache ausgedrückt werden (vgl. LG 6). Die Bilder der Kirche, wie beispielsweise das Bild vom Weinstock, vom Schafstall, vom Haus, machen dem Menschen ein erstes Empfinden, ja eine erste Aussage über das theologische Wesen der Kirche bewusst. Die Kirche ist eine geheimnisvolle Wirklichkeit (Mysterium), die folglich nicht adäquat definiert werden kann. Mit anderen Worten: Das Wesen der Kirche vermag nur in Ansätzen beschrieben zu werden, die zu einem Ganzen zusammengefügt werden müssen. Dabei können die verwendeten Bilder weder im Sinne einer bloßen Metapher noch als eindeutige begriffliche Identifizierung gesehen werden. Das Bild berührt zwar eine innerweltliche und daher für den Menschen verständliche Realität, transformiert diese jedoch zugleich auf eine theologische Ebene. Demzufolge werden diese Bilder in der Kanonistik im Gefolge von Michael Schmaus, Otto Semmelroth und Yves Congar auch „theologische Bildbegriffe“ genannt.6 Dieser Grundansatz kann mit Hilfe der trinitarischen Schlusskomposition verständlich gemacht werden, die die Kirchenkonstitution an das Ende des zweiten Kapitels über die Kirche (LG 9–17) setzt und in der die Bilder der Heiligen Schrift und der Kirchenväter zusammengeführt werden. Dort heißt es:

So aber betet und arbeitet die Kirche zugleich, dass die Fülle der ganzen Welt in das Volk Gottes eingehe, in den Leib des Herrn und den Tempel des Heiligen Geistes, und dass in Christus, dem Haupte aller, jegliche Ehre und Herrlichkeit dem Schöpfer und Vater des Alls gegeben werde (LG 17).

Demzufolge verhält es sich mit der Kirche wie mit einem Volk, das sich aber nicht selbst sammelt, sondern auf göttlicher Berufung aufruht.7 Sie ist wie ein Leib, der sich durch ein Zueinander von Haupt (Christus) und Gliedern (Gläubige) auszeichnet.8 Die Kirche ist aber ebenso ein Bauwerk (Tempel), das seine Lebendigkeit durch das Wirken des Heiligen Geistes in den Gliedern, den lebendigen Steinen des Baues,9 erhält. Um eine einseitige Betonung sowie eine reduzierende Interpretation der Bilder zu verhindern, spricht Joseph Ratzinger in seinen Überlegungen zur Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils davon, die Kirche als „Volk Gottes vom Leib Christi her im Heiligen Geist“ zu verstehen.10 Sie ist immer alles in einem und kann nicht auf eine dieser Wirklichkeiten beschränkt werden. Des6 7 8 9 10

Vgl. dazu Winfried Aymans, Die Kirche, 32 f. Vgl. u.a. Jes 9, 1–6; 1 Petr 2, 9. Dazu KKK 781–789. Vgl. LG 7, 4. Vgl. dazu u.a. 1 Kor 12, 12–26; Kol 1, 18.24. Auch KKK 790–795. Vgl. 1 Petr 2, 5. Vgl. dazu auch KKK 797–801. Siehe Joseph Ratzinger, Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: JRGS 8/1, Freiburg i. Br. 2010, 258–282, hier 269–275.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

halb vermag das Konzil selbst schließlich festzuhalten, dass auf diese Weise die Kirche einer Ikone der Dreifaltigkeit gleicht.11 Doch es bedarf eines weiteren Schrittes, um schließlich zu der auch rechtlichen Relevanz dieser Überlegungen zu gelangen. Wenngleich die Bilder zu der Feststellung führen, dass die Kirche ein nicht exakt aussagbares Mysterium ist, gilt es mit dem Blick auf die Gleichsetzung von Mysterium und Sakrament zugleich festzustellen: Die Kirche ist Mysterium, „weil und insofern sie sakramentalen Wesens ist“.12 Das II. Vatikanische Konzil formuliert dies erstmals ausdrücklich:

Die Kirche ist ja in Christus gleichsam Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit. (LG 1)

Damit wird gesagt, dass die Kirche sowohl ein unsichtbares göttliches Geheimnis ist als auch sichtbare äußere Gestalt besitzt, und zwar beides in einem. Deshalb lehnt die Kirchenkonstitution diesen Gedanken an das kirchliche Bekenntnis zu Jesus Christus als dem wahren Gott und wahren Menschen an und stellt Inkarnation und Kirche in eine bemerkenswerte Analogie zueinander:

Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit [unam realitatem complexam], die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. Deshalb ist sie in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes. (LG 8, 1)

In der Kirche und durch sie hindurch erstrahlt demzufolge das göttliche, unsichtbare Element ihres Wesens ebenso wie das menschliche und damit sichtbare 11

12

LG 4, 2. Mit den Bildern kann zugleich die theologische Grundlegung des Kirchenrechts entfaltet werden. Vgl. dazu § 5. Winfried Aymans, Die Kirche, 37.

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Element. Auf diese Weise wird ihr sakramentales Wesen, zugleich aber auch ihre daraus sich ableitende Bestimmung zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Gabe und Aufgabe, zwischen Begnadung und Verantwortung erkennbar. Eine Gegenübersetzung beider Dimensionen – beispielsweise in der Konfrontation einer „Kirche von oben“ und einer „Kirche von unten“ – verbietet sich daher.13

B.  Communio als Rechtsbegriff Aymans – Mörsdorf, KanR II, § 49. Weiterführende Literatur: Christoph Ohly, Ius communionis. Zur Aktualität eines sakramentalrechtlichen Schlüsselbegriffs, in: AfkKR 180 (2011) 370–388; Thomas Meckel, Konzil und Codex. Zur Hermeneutik des Kirchenrechts am Beispiel der christifideles laici, Paderborn 2017.

Die vorausgehenden Überlegungen haben deutlich werden lassen, dass Natur und Gestalt der Kirche von sakramentaler Art sind. Im Menschlichen wird Göttliches erfahrbar, wahrnehmbar und lebbar. Der Schlüsselbegriff, der diese Wirklichkeit ausdrückt und zugleich fähig ist, deren rechtliche Komponenten zu erfassen, ist der zentrale Begriff des II.  Vatikanischen Konzils schlechthin: communio. Als solcher ist er auch in die kanonistische Sprache des CIC/1983 eingegangen. In der Theologie – und spezifisch auch in der Kanonistik – vor dem II. Vatikanischen Konzil wurde der Begriff fast ausschließlich im Sinne der eucharistischen Kommunion verwendet.14 In die deutsche Sprache nicht adäquat übersetzbar verwendet das Konzil den Terminus, um – stärker ekklesiologisch – die gnadenhafte Gemeinschaft der Menschen mit Gott und zugleich der in Gott verbundenen Menschen untereinander auszudrücken. So verbinden sich in ihm beide Bedeutungen. Communio bezeichnet sowohl die eucharistische Kommunion mit Gott als auch die daraus sich konstituierende und sich nährende ekklesiale Kommunion aller Getauften, die beide unlösbar miteinander verbunden sind (Kirche und Eucharistie). Dieser sakramentalrechtliche Schlüsselbegriff muss folglich im Sinne einer kanonistischen communio-Theologie entfaltet und gewürdigt werden.

Vgl. Christoph Ohly, Inkarnation und Kirche – Eine Analogie und ihre Konsequenzen, in: Katholisches Säkularinstitut Cruzadas de Santa María (Hg.), Kriterien der Wahrheit christlicher Glaubenserfahrung, St. Ottilien 2006, 77–104. 14 Nur in vereinzelten Rechtsnormen des CIC/1917 erscheint er in einem ekklesiologischen Kontext, so z.B. can. 87 (ecclesiasticae communionis vinculum impediens), can. 961 (communione cum Sede Apostolica habentem), can. 2257 § 1 (a communione fidelium) und can. 2268 § 1 (in communione Ecclesiae permanentes). 13

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

1. Kirche als communio fidelium Die Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen (communio fidelium, rechtssprachlich exakter communio christifidelium) und daher in ihrem Wesen konstitutiv von einem personalen Aspekt geprägt. Die Gläubigen bilden die Kirche, die hier – im Sinne der biblischen Bilder – vornehmlich als Volk Gottes erkennbar wird. Im Einklang mit der Struktur der Kirchenkonstitution betont dieser Aspekt des Communio-Begriffs die Tatsache, dass die Kirche vor aller Unterscheidung grundlegend eine Gemeinschaft der Gläubigen ist, die durch die Gnadengabe der Taufe15 zum Heil und zum Leben mit Gott in der kirchlichen Gemeinschaft berufen sind. Die Kirche ist demzufolge „nicht eine anonyme Institution (Heilsanstalt), sondern eine aus dem Heilswirken Jesu Christi (Stiftung) hervorgehende Gemeinschaft, die wesentlich bestimmt ist durch die im Wirken des Hl. Geistes geschehende gemeinschaftliche Teilhabe … an den Gnadenmitteln von Wort und Sakrament“ als „in personale Vollzüge eingebettete geistliche Wirklichkeiten“.16 So betont c. 208 CIC (c. 11 CCEO) die in der Taufe begründete fundamentale Gleichheit aller Getauften: „Unter allen Gläubigen besteht, und zwar aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus, eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit …“ Daraus kommen den Gläubigen all jene Pflichten und Rechte zu, die mit ihrem Status verbunden und in einem eigenen sog. „Gemeinstatut der Gläubigen“17 (cc. 209– 223 CIC; cc. 12–26 CCEO) zusammengetragen sind. Der Begriff communio fidelium findet sich zwar nicht ausdrücklich im CIC/1983, ist darin dem Inhalt nach aber in der Sichtweise der Kirche gegenwärtig. 2. Kirche als communio hierarchica Unmittelbar und unlösbar verbunden mit der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen ist der zweite Aspekt des Begriffs, namentlich die Tatsache, dass die Kirche zugleich eine hierarchisch strukturierte Gemeinschaft darstellt (communio hierarchica). Bildlich gesprochen wird dem Volk-Gottes-Begriff der Bildbegriff von der Kirche als Leib Christi hinzugefügt. Das II. Vatikanische Konzil wendet diesen Terminus vornehmlich für die innere Struktur des Bischofskollegiums an, selten im Blick auf die gesamte Kirche.18 Dennoch ist die darin erfasste Wirklichkeit für die Kirche gegenwärtig. In Anlehnung an die Aussage des Kanonisten George Phillips (1804–1872), der die ganze Kirche als „Hierarchie“ bezeichnet, treten in Einheit mit den konziliaren Überlegungen zwei Gesichtspunkte für den Begriff hervor:

17 18 15 16

Vgl. c. 849 CIC, der die Taufe als ianua sacramentorum bezeichnet. Aymans – Mörsdorf, KanR II, 12. Ebd., 70. Vgl. PO 15, 2.

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1. Die Kirche besitzt in Jesus Christus einen hierarchischen Ausgangspunkt, der ihr „heiliger Ursprung“ (ἱερὰ ἀρχή, auch heilige Herrschaft) ist und die „heilige Vollmacht“ überträgt, als ganze universales Sakrament des Heils (vgl. LG 48) in der und für die Welt zu sein. 2. Die Kirche ist in sich zugleich hierarchisch – d.h. von ihrem Ursprung her – gegliedert. Ihre Struktur gründet nicht in einem rein innerkirchlichen Ordnungsbedürfnis menschlichen Ursprungs, sondern im Handeln Jesu Christi selbst, der seine vom Vater empfangene Vollmacht den Aposteln überträgt (potestas sacra) und im Sinne der apostolischen Sukzession durch das Sakrament der Weihe in der und durch die Geschichte hindurch vermittelt.19 So muss dem Bekenntnis zur fundamentalen Gleichheit der Getauften zugleich jene Differenzierung hinzugefügt werden, die auf dem Willen des Herrn der Kirche beruht. Daher formuliert c. 208 (c. 11 CCEO) weiter: „Unter allen Gläubigen besteht, und zwar aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus, eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken.“ Die hierarchisch begründete Unterscheidung ist folglich göttlichen Rechts und hebt die spezifische Sendung der betreffenden Gläubigen (christifideles laici und christifideles clerici) hervor. Folgerichtig heißt es in c. 207 § 1 CIC: „Kraft göttlicher Weisung gibt es in der Kirche unter den Gläubigen geistliche Amtsträger, die im Recht auch Kleriker genannt werden; die übrigen dagegen heißen auch Laien.“ Die Umschreibung macht die positive Bedeutung von Laien und Klerikern im Gesamt der Kirche erkennbar. Sie sind aufeinander bezogen und bilden trotz oder gerade wegen ihrer differenzierten Bestimmung die Gesamtheit der Gläubigen. Dabei bilden die Kleriker einen für die Sendung der Kirche bedeutsamen Stand bestimmter Gläubiger, der sich nicht durch Privilegien, sondern durch den Dienst an den übrigen Getauften auszeichnet, der seinen Grund in der ontologischen Gleichgestaltung mit Christus in der sakramentalen Weihe findet. Sowohl den Laien (cc. 224–231 CIC; cc. 400–409 CCEO) als auch den Klerikern (cc. 273–289 CIC; cc. 367–393 CCEO) kommen dafür spezifische Pflichten und Rechte zu. Ist diese Unterscheidung der Gläubigen konstitutiv für die Kirche, erwächst aus ihr zugleich die innere Struktur der Kirche. Sie besteht in der Zuordnung eines Hirten mit heiliger Vollmacht zu einem Teil des Gottesvolkes (Bischof – Teilkirche) bzw. zur Gesamtheit der Gläubigen (Papst – Universalkirche). Verfassungsrechtlich bedeutet dies, dass für die Kirche der jeweilige Teil des Gottesvolkes ebenso konstitutiv ist wie das apostolische Amt. Daher ist der CIC/1983 bemüht, zunächst die Gesamtheit der Gläubigen als solche darzustellen (z.B. die Diözese oder die Pfarrei), im Anschluss daran das betreffende kirchliche Amt und schließlich even Vgl. dazu c. 1008 i. V. m. cc. 129 und 274 CIC.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

tuelle bevollmächtigte Vertreter und Hilfsorgane, die diesem Amt zugewiesen sind. Dafür sind u.a. zu nennen: 1. Vikarielle Vertretung Papst: Diözesanbischof:

Pfarrer:

Römische Kurie (cc. 360–361 CIC) Apostolische Gesandte (cc. 362–367 CIC) Diözesankurie (cc. 469–474 CIC) General- und Bischofsvikar (cc. 475–481 CIC) Gerichtsvikar (c. 1420 CIC) Auxiliarbischof (cc. 403–411 CIC) Pfarrvikar (cc. 545–552 CIC)

2. Konsiliare (beratende) Hilfestellung Papst: Diözesanbischof:

Pfarrer:

Bischofssynode (cc. 342–348 CIC) Konsistorium der Kardinäle (cc. 349–359 CIC) Diözesansynode (cc. 460–468 CIC) Priesterrat (cc. 495–502 CIC), Konsultorenkollegium bzw. Kathedralkapitel (c. 502 CIC) Diözesanpastoralrat (cc. 511–514 CIC) Diözesanvermögensverwaltungsrat (cc. 492–494 CIC) Pfarrpastoralrat (c. 536 CIC) Vermögensverwaltungsrat (c. 537 CIC)

Die Kirche ist als communio in diesen beiden Elementen durch ein strukturiertes und qualifiziertes Zusammenwirken von Gläubigen (Laien und Klerikern) bestimmt, das für alle Bereiche der kirchlichen Sendung maßgeblich ist.20 3. Kirche als communio Ecclesiarum Weiterführende Literatur: Winfried Aymans, Die Communio Ecclesiarum als Gestaltgesetz der einen Kirche, in: AfkKR 139 (1970) 69–90; Ilona Riedel-Spangenberger, Die Communio als Strukturprinzip der Kirche und ihre Rezeption im CIC/1983, in: TThZ 98 (1988) 217–238.

Die communio-Struktur der Kirche besitzt jedoch nicht nur eine Relevanz für das Innere der Teil- bzw. Gesamtkirche. Sie wird zudem erkennbar in der communio, die zwischen den Teilkirchen in der Gesamtkirche und im Verhältnis von Gesamtund Teilkirche (Universal- und Partikularkirche) besteht. Die Kirche erweist sich Vgl. dazu § 12 B 1 mit Abbildung.

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hier als communio Ecclesiarum. Der Begriff fügt in seiner Bedeutung den beiden vorausgehenden Bildern (Volk Gottes, Leib Christi) den dritten Bildbegriff der Kirche als Tempel des Heiligen Geistes hinzu. Die Kirchenkonstitution des II. Vatikanischen Konzils formuliert in Art. 23, 1 LG im Zusammenhang mit der bischöflichen Kollegialität eine wichtige Aussage zur Beziehung von Universalkirche und Teilkirchen:

Die kollegiale Einheit tritt auch in den wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Bischöfe zu den Teilkirchen wie zur Gesamtkirche in Erscheinung. Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen. Die Einzelbischöfe hinwiederum sind sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen, die nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind. In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche.

Gemäß dieser Aussage besteht die Kirche21 in und aus Teilkirchen: „… ad imaginem Ecclesiae universalis formatis in quibus et ex quibus una et unica Ecclesia catholica exsistit“. Im Schema der geplanten Lex Ecclesiae Fundamentalis (LEF) war diese Formel zu einer fundamentalen Aussage in c. 2 § 1 erwachsen. Nach der Aufgabe des Projekts wurde sie in c. 368 CIC (c. 177 § 1 CCEO) wieder aufgegriffen. Um den Inhalt und die Auswirkung dieser Formel rechtlich zu würdigen, müssen die beiden darin benannten Elemente in den Blick genommen werden. a. Die Kirche besteht in den Teilkirchen Die Gesamtkirche besteht in den Teilkirchen (in jeder Teilkirche), d.h. in jeder Teilkirche werden das gesamte Leben und die Sendung der Kirche in Wort, Sakrament und Caritas sichtbar. Die Kirche tritt hier „in Erscheinung“, sie gewinnt konkrete und erkennbare Gestalt. So heißt es in LG 26, 1:

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Der Begriff Ecclesia wird in den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils allein für die Gesamtkirche (Ecclesia universalis) und die Teilkirche (Ecclesia particularis) verwendet, da nur dort die Kirche in ihrer Gesamtheit von Wesen und Sendung gegenwärtig ist. Die Pfarrei hingegen wird vornehmlich mit dem Terminus communitas parochialis bezeichnet. Sie ist folglich nicht die Ortskirche (Teilkirche wie beispielsweise die Diözese), sondern zumeist die Gemeinschaft der Gläubigen, durch die ein Mensch zum ersten Mal mit der Kirche in Berührung kommt. Man kann daher von der „Kirche am Ort“ sprechen. Das Konzil nimmt lediglich eine Ausnahme in dieser terminologischen Konzeption vor, wenn es in LG 11,  2 von der Familie als Ecclesia domestica (Hauskirche) spricht und sie damit als Urzelle kirchlicher Existenz und des Wachstums im Glauben würdigt.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Diese Kirche Christi ist wahrhaft in allen rechtmäßigen Ortsgemeinschaften der Gläubigen anwesend, die in der Verbundenheit mit ihren Hirten im Neuen Testament auch selbst Kirchen heißen. Sie sind nämlich je an ihrem Ort, im Heiligen Geist und mit großer Zuversicht (vgl. 1 Thess 1, 5) das von Gott gerufene neue Volk. In ihnen werden durch die Verkündigung der Frohbotschaft Christi die Gläubigen versammelt, in ihnen wird das Mysterium des Herrenmahls begangen, auf daß durch Speise und Blut des Herrn die ganze Bruderschaft verbunden werde. In jedweder Altargemeinschaft erscheint unter dem heiligen Dienstamt des Bischofs das Symbol jener Liebe und jener Einheit des mystischen Leibes, ohne die es kein Heil geben kann. In diesen Gemeinden, auch wenn sie oft klein und arm sind oder in der Diaspora leben, ist Christus gegenwärtig, durch dessen Kraft die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche geeint wird. Denn nichts anderes wirkt die Teilhabe an Leib und Blut Christi, als daß wir in das übergehen, was wir empfangen.

Wird dieser Gedanke der Gegenwart der Kirche in der Teilkirche jedoch ungebührlich überhöht, besteht die Gefahr der Verabsolutierung und Introvertierung der Teilkirche. Sie stellt in diesem Fall ihre Eigenständigkeit so sehr heraus, dass die Verbundenheit zu den übrigen Teilkirchen nur allein mehr als ein freiwilliger Zusammenschluss verstanden werden könnte. Dies würde jedoch der katholischen Lehre vom Verhältnis der Universal- zur Partikularkirche widersprechen. Daher ist der zweite Formelteil als konstitutive Ergänzung (und umgekehrt) hinzuzunehmen. b. Kirche besteht aus den Teilkirchen Die Kirche besteht zugleich aus den Teilkirchen, jedoch unabhängig von der Anzahl der Teilkirchen. Für die äußere Entfaltung ist die tatsächliche Anzahl der Teilkirchen unerheblich. Vielmehr stellt die Formel ex quibus auf die formalen Elemente der Kirchengemeinschaft ab, die die verfassungsrechtlich bedeutsamen Institutionen des Papsttums und des Bischofskollegiums umschließen und dadurch auf die Einheit der Kirche als Gegenstand des Glaubens abzielen (credo unam Ecclesiam). Mit anderen Worten: Inhaltlich unterscheidet sich das Tun der Kirche in den Teilkirchen nicht von dem der Gesamtkirche (Verkündigung desselben Glaubens, Feier derselben Sakramente, Leitung durch dasselbe geistlicheapostolische Amt). In formaler Hinsicht ist dies jedoch mit Blick auf die größere Einheit der Kirche unterschiedlich ausgestaltet. So umfasst beispielsweise die Verkündigung des Glaubens durch Papst und Bischofskollegium kein inhaltliches Sondergut, besitzt aber einen anderen formalen Anspruch hinsichtlich der Adressaten und der Verbindlichkeit. Im Bereich der Sakramente ist dieser formale Unterschied beispielsweise bei der Bischofs-

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weihe in der Notwendigkeit gegeben, dass diese ihre rechtliche Legitimation erst durch das päpstliche mandatum sowie durch die hier­archica communio im Bischofskollegium findet, die durch den Papst gewährt wird.22 Auch in diesem Fall besteht eine Gefahr, wenn das zugrundeliegende Prinzip überzogen und in eine ungebührliche Überhöhung der Gesamtkirche geführt wird. Beide Elemente – das innere und das äußere Kriterium – müssen folglich in einer gesunden Dialektik zueinander gesetzt werden. Es gibt weder das „nur in“ noch das „nur aus“. Die Formel macht im Gesamt deutlich, dass „die Gesamtkirche weder ein auf freiwilligem Zusammenschluß beruhender Kirchenbund ist noch umgekehrt als eine einzige Superdiözese verstanden werden kann, in der den einzelnen Diözesen (Teilkirchen) die bloße Funktion von praktisch notwendigen Verwaltungsbezirken zufiele“.23 c. Verfassungsrechtliche Konsequenzen Der Formel des in quibus et ex quibus eignet schließlich eine Reihe von verfassungsrechtlich bedeutsamen Auswirkungen für Leben und Sendung der Kirche auf ihren unterschiedlichen Ebenen.24 Dazu gehören: 1. Die innere und äußere Verbundenheit der Teilkirchen zueinander bringt verschiedene Zwischenstufen hervor, die als Teilkirchenverbände mit diversen Organen für das Leben der Kirche bedeutsam sind: die Kirchenprovinz (cc. 431–433 CIC), die Kirchenregion (c. 433 CIC) sowie der Plenarverband (mit der Bischofskonferenz gemäß cc. 447–459 CIC und dem Plenarkonzil gemäß c. 439 CIC). 2. Die Formel lässt zudem die Bedeutung des diözesanbischöflichen Amtes stärker hervortreten. Der Bischof ist der Hirte der jeweiligen Teilkirche, der seine Vollmacht gemäß c. 381 § 1 CIC (c. 178 CCEO) in ordentlicher, eigenberechtigter und unmittelbarer Weise ausübt. Damit verbunden ist ein durch das II. Vatikanische Konzil in CD 8b initiierter ekklesiologischer Paradigmenwechsel in der Sicht des Bischofsamtes, der insbesondere im Dispenswesen zum Ausdruck kommt (Wechsel vom Konzessions- zum Reservationssystem).25 3. Die Formel eröffnet den Blick auf das synodale Element in der Kirche, z.B. in Konzilien und Synoden, in denen den Trägern der apostolischen Vollmacht entscheidendes Stimmrecht, den übrigen das beratende Stimmrecht zukommt.

Vgl. dazu cc. 336 und 1382 CIC (cc. 49 und 1459 CCEO). Aymans – Mörsdorf, KanR II, 15. Vgl. dazu auch Achim Buckenmaier, Universale Kirche vor Ort. Zum Verhältnis von Universalkirche und Lokalkirche, Regensburg 2009. 24 Vgl. Aymans – Mörsdorf, KanR II, 16 f. 25 Vgl. Dies., KanR I, 275–277. 22 23

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

C.  Differenziertes Kirchenverständnis und ökumenische Relevanz Aymans – Mörsdorf, KanR II, § 49. Als Lektüre lehramtlicher Dokumente wird empfohlen: VatII LG  14–15, VatII UR 13–24; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung „Dominus Iesus“ über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche vom 6.8.2000, in: AAS 92 (2000) 742–765; dt.: AfkKR 169 (2000) 503–525, hier Nr. 16–17. Weiterführende Literatur: Kurt Kardinal Koch, Aktuelle Fragen des ökumenischen Dialogs aus der Sicht des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, in: Wilhelm Rees (Hg.), Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte, Münster 2014, 47–65; Ders., Wohin geht die Ökumene? Rückblicke – Einblicke – Ausblicke, Regensburg 2021.

In den bisherigen Überlegungen zur rechtlichen Relevanz des Communio-Begriffs ist stillschweigend davon ausgegangen worden, dass sich die damit zusammenhängende Erkenntnis vornehmlich auf die Katholische Kirche (Lateinische Kirche und Katholische Ostkirchen) bezieht. Doch besitzt der Communio-Begriff aufgrund seiner Ausgestaltung im II. Vatikanischen Konzil auch eine fundamentale ökumenische Bedeutung, die sich in der Sicht eines differenzierten Kirchenverständnisses entfaltet und daher ebenso als wesentliches Element einer kanonistischen Communio-Theologie ausgemacht werden kann. 1. Urteil des CIC/1917 Eine Communio-Theologie hat im CIC/1917 kaum Niederschlag gefunden. Diese Tatsache ist nicht nur terminologisch, sondern auch verfassungsrechtlich relevant. Darin wird ersichtlich, dass das Gesetzbuch aufgrund der dogmatischen Gegebenheiten seiner Entstehungszeit die Nicht-Katholiken in ihrer gemeinschaftlichen Verfasstheit nicht wahrzunehmen bereit war. Die Kirche galt als in sich vollkommene Gesellschaft (societas perfecta), die alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel besaß, ohne andere Verwirklichungen des Christlichen wahrnehmen zu müssen – außer für den Fall, dass ein Nicht-Katholik durch die Eheschließung mit einem katholischen Christen in den Rechtsbereich der Katholischen Kirche eintrat. Die Nicht-Katholiken kamen, wenn überhaupt, als einzelne, nie jedoch als Vergemeinschaftungen in den Blick. Und wenn doch, galten sie grundsätzlich und wenig differenziert als secta (haeretica, schismatica, acatholica). Diese rein negative Qualifizierung übersah nicht nur bestehende Gemeinsamkeiten zwischen Katholiken und Nicht-Katholiken, sondern zudem inhaltliche und formale Unterschiede, die zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb der Nicht-Katholiken bestehen (Orthodoxie, Protestantismus, Freikirchen …).

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2. Sicht des II. Vatikanischen Konzils a. Grundlegender Wandel Das II.  Vatikanische Konzil hat bewusst die kirchenbildenden und kirchen­ erhaltenden Elemente der Wahrheit und der Heiligkeit in den nichtkatholischen Gemeinschaften stärker herausgestellt und mit der Communio-Terminologie das Fundament für ein differenziertes Kirchenverständnis gelegt. Wenn das Glaubensbekenntnis die Kirche als eine, heilige, katholische und apostolische bezeichnet, dann ist damit zugleich die verfassungsrechtlich relevante Frage verbunden: Wo wird die Kirche Jesu Christi als solche sichtbar und erkennbar? Die Antwort darauf gibt die Kirchenkonstitution mit der Feststellung, dass die „einzige Kirche Christi“ in dieser Welt „als Gesellschaft verfaßt und geordnet ist und in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird, verwirklicht ist [subsistit in]“.26 Gleichzeitig wird damit nicht ausgeschlossen, „daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“.27 Gegen vereinseitigende Tendenzen wird damit zweierlei betont. Zum einen: Die einzige Kirche Jesu Christi ist nur in der katholischen Kirche voll verwirklicht, d.h. die Kirche Jesu Christi ist keine additive Größe alles Christlichen, aller Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Sie „drängt vielmehr auf konkrete Realisierung und ist institutionell entweder voll oder annähernd oder in geringerem Maße verwirklicht“.28 Damit wird die exklusive Gleichsetzung von Kirche Jesu Christi und Katholischer Kirche, wie sie in der einschlägigen Formel der Enzyklika „Mystici corporis“ von Pius XII. (1943) noch hatte Niederschlag finden können, aufgegeben. Das bedeutet aber keine Aufgabe katholischer Identität und des damit zusammenhängenden ekklesiologischen Selbstverständnisses. Festgehalten wird mit dem subsistit in vielmehr die Überzeugung des Glaubens, dass die Kirche Jesu Christi sich in der Katholischen Kirche in allen wesensgemäßen und institutionell sichtbaren Formen darstellt und daher sichtbar wird, sich als solche aber nicht allein in ihr erschöpft. Das heißt zum anderen: Auch außerhalb ihrer institutionell begründeten Grenzen gibt es jene Elemente der Heiligung und der Wahrheit, die auf ihre katholische Fülle hinzielen. b. Communio plena Um diesen ekklesiologischen Zusammenhang terminologisch zu fassen, verwendet das Konzil den Begriff communio plena für die volle Einheit mit der Katholischen Kirche, die sich als communio fidelium, communio hierarchica und communio So in LG 8, 2. Ebd. 28 Aymans – Mörsdorf, KanR II, 10. 26 27

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Ecclesiarum darstellt. Hier handelt es sich also um die volle, d.h. institutionell voll verwirklichte und mit Blick auf die kirchenbildenden Elemente vollumfängliche Verwirklichung der Kirche Christi in der katholischen Kirche. Das betont die Kirchenkonstitution in Art. 14, 2, wenn sie mit Blick auf die katholischen Gläubigen feststellt:

Jene werden der Gemeinschaft der Kirche voll eingegliedert, die, im Besitze des Geistes Christi, ihre ganze Ordnung und alle in ihr eingerichteten Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verband mit Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden sind, und dies durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft.

Allerdings kann dieser Gnadenstand des katholischen Christen, der sich in der Formulierung „Spiritum Christi habentes“ als notwendig leiblich und geistlich erweist, durch hartnäckig verharrendes sündiges (c. 915 CIC; c. 712 CCEO) oder auch strafrechtlich relevantes Verhalten (cc. 1331–1333 CIC; cc. 1429–1435 CCEO) nicht voll verwirklicht sein. Dann spricht man von einer communio plena non plene. Mit deutlichen Worten betont das Konzil deshalb an gleicher Stelle:

Nicht gerettet wird aber, wer, obwohl der Kirche eingegliedert, in der Liebe nicht verharrt und im Schoße der Kirche zwar „dem Leibe“, aber nicht „dem Herzen“ nach verbleibt. (LG 14, 2)

c. Communio non plena In Abgrenzung dazu stellt der Terminus communio non plena heraus, dass eine in der Taufe sakramental begründete Kirchengemeinschaft mit allen nichtkatholischen Christen besteht, zugleich aber nicht alle wesenhaft kirchenbildenden Elemente voll verwirklicht sind:

Mit jenen, die durch die Taufe der Ehre des Christennamens teilhaft sind, den vollen Glauben aber nicht bekennen oder die Einheit der Gemeinschaft unter dem Nachfolger Petri nicht wahren, weiß sich die Kirche aus mehrfachem Grunde verbunden. Viele nämlich halten die Schrift als Glaubens- und Lebensnorm in Ehren, zeigen einen aufrichtigen religiösen Eifer, glauben in Liebe an Gott, den

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allmächtigen Vater, und an Christus, den Sohn Gottes und Erlöser, empfangen das Zeichen der Taufe, wodurch sie mit Christus verbunden werden; ja sie anerkennen und empfangen auch andere Sakramente in ihren eigenen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften. Mehrere unter ihnen besitzen auch einen Episkopat, feiern die heilige Eucharistie und pflegen die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter. Dazu kommt die Gemeinschaft im Gebet und in anderen geistlichen Gütern; ja sogar eine wahre Verbindung im Heiligen Geiste, der in Gaben und Gnaden auch in ihnen mit seiner heiligenden Kraft wirksam ist und manche von ihnen bis zur Vergießung des Blutes gestärkt hat. So erweckt der Geist in allen Jüngern Christi Sehnsucht und Tat, daß alle in der von Christus angeordneten Weise in der einen Herde unter dem einen Hirten in Frieden geeint werden mögen. Um dies zu erlangen, betet, hofft und wirkt die Mutter Kirche unaufhörlich, ermahnt sie ihre Söhne zur Läuterung und Erneuerung, damit das Zeichen Christi auf dem Antlitz der Kirche klarer erstrahle. (LG 15)

Diese Aussagen fassen in allgemeiner Weise all jene Vergemeinschaftungen unter einen Begriff, die nicht voll mit der katholischen Kirche in Einheit leben (communio non plena). Um die unterschiedliche Nähe der einzelnen kirchlichen Vergemeinschaftungen zur communio plena der Katholischen Kirche auszudrücken, unterscheidet das II. Vatikanische Konzil innerhalb der communio non plena zwischen den Ecclesiae seiunctae (getrennte Kirchen) und den Communitates ecclesiales seiunctae (getrennte kirchliche Gemeinschaften). Dabei kommt jenen nichtkatholischen Gemeinschaften theologisch die Bezeichnung Kirche zu, die gemäß der Konzilslehre das Weihesakrament und die damit verbundene apostolische Sukzession sowie die Sakramente der Eucharistie und der Buße in ihrer Integrität bewahrt haben. Dazu ist gemäß UR 19 zumeist von den Gemeinschaften im Orient die Rede, die in Trennung zur katholischen Kirche leben: die altorientalischen Kirchen sowie die Kirchen der Orthodoxie. Mögliche Vergemeinschaftungen im sog. Abendland können allerdings dazu gezählt werden, wenn die genannten Kriterien erfüllt sind. Von diesen Kirchen unterscheidet das Konzil die getrennten kirchlichen Gemeinschaften. Sie haben zahlreiche kirchenbildende Elemente mit der Katholischen Kirche gemein.29 Diese rechtfertigen in ihrem Bestand aber nicht die Bezeichnung Kirche, da sie konstitutive Aspekte des Weihesakramentes und damit der apostolischen Sukzession sowie der Sakramente der Eucharistie und der Buße nicht beinhalten. Gleichzeitig werden sie nicht allein Gemeinschaften, sondern ausdrücklich kirchliche Gemeinschaften genannt, um das Vorhandensein einiger kirchenbildender Elemente zu verdeutlichen. 29

Dazu zählen gemäß UR  20–22 vor allem die Taufe, das Bekenntnis zum dreifaltigen Gott, die Liebe zur Heiligen Schrift sowie sakramentale Grundstrukturen kirchlichen Lebens.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

d. Ertrag Führt man die Aspekte der Communio-Theologie mit Blick auf die communio plena und communio non plena der Kirche zusammen, können vier Einsichten systematisiert werden: 1. Die Kirche Jesu Christi ist in der Katholischen Kirche institutionell vollumfänglich verwirklicht (LG 8) = communio plena. 2. Nichtkatholische Christen werden nicht mehr nur als Einzelne in den Blick genommen, sondern leben in Bekenntnisgemeinschaften und stehen mit der Katholischen Kirche in einer communio etsi non plena. 3. Die communio non plena ist größer oder geringer je nach Dichte der in ihnen gegebenen kirchenbildenden Elemente. Deshalb wird in ihr zwischen den getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften unterschieden. 4. Je nach Grad der Nähe der communio non plena zur communio plena fol­gen daraus praktische Konsequenzen bis hin zur communicatio in sacris.30

§ 25 Der Christgläubige in der Kirche A. Kirchengliedschaft Aymans – Mörsdorf, KanR II, § 51; Rüdiger Althaus, § 16 Zugehörigkeit zur Kirche, in: HdbKathKR3, Felix Bernard, § 15 Die Berufung zur Kirche, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Georg Gänswein, Kirchengliedschaft gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Zur Vorgeschichte, Erarbeitung und Interpretation der konziliaren Lehraussagen über die Zugehörigkeit zur Kirche, St. Ottilien 1991; Ders., Kirchengliedschaft – Vom Zweiten Vatikanischen Konzil zum Codex Iuris Canonici. Die Rezeption der konziliaren Aussagen über die Kirchengliedschaft in das nachkonziliare Gesetzbuch der Lateinischen Kirche, St. Ottilien 1995.

Mit der kanonistischen Communio-Theologie ist zugleich die Möglichkeit gegeben, eine differenzierte Antwort auf die Frage zu geben: „Wer gehört zur Kirche?“ Um diese Frage der Kirchengliedschaft auf der Grundlage der konziliaren Aussagen und kodikarischen Normen klären zu können, müssen zunächst zwei Konzepte skizziert werden, die diese Frage über lange Zeit hin geprägt haben. Mit dem II. Vatikanischen Konzil wurden sie schließlich von ihren Mängeln gereinigt und zu einem neuen Gesamtentwurf zusammengefügt.

Siehe dazu insbesondere c. 844 CIC. Dazu auch Thomas A. Amann, Der ökumenische Auftrag, 944–963.

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§ 25 Der Christgläubige in der Kirche

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1. Apologetischer Kirchenbegriff Im Bereich der dogmatischen Theologie herrschte über lange Zeit die Gliedschaftslehre der sog. Apologetik vor. Viele Lehrbücher bis in das 20. Jahrhundert hinein künden von dieser Doktrin. Begründer dieser Auffassung ist der Jesuitenpater und Kardinal Robert Bellarmin (1542–1621), der in seiner Auseinandersetzung mit den Reformatoren einen kontroverstheologischen Ansatz in der Frage zur Kirchengliedschaft vorlegte. Ziel seiner Überlegungen war es, gegen einen eher spiritualistischen Kirchenbegriff von Martin Luther (1483–1546) die Sichtbarkeit der Kirche zu betonen und auf diese Weise ihre äußeren Merkmale festzuhalten. Die Kirche ist danach ein

coetus hominum eiusdem christianae fidei professione et eorundem sacramentorum colligatus, sub regimine legitimorum pastorum ac praecipue unius Christi vicarii, Romani Pontificis.31

Entflechtet man diese Aussage, dann betont Bellarmin vor allem, 1. dass zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche Jesu Christi, die die Katholische Kirche ist, nur der gehört, der denselben Glauben bekennt (vinculum symbolicum), dieselben Sakramente empfängt (vinculum liturgicum) und die Leitung der rechtmäßigen Hirten, insbesondere des Papstes anerkennt (vinculum hierarchicum), 2. dass die Kirche, entgegen der Auffassung Luthers von der Unsichtbarkeit der wahren und einzigen Kirche, eine Gemeinschaft von Menschen ist, „so sichtbar und greifbar, wie die Gemeinschaft des römischen Volkes oder das Königreich Frankreich oder die Republik Venedig“,32 3. dass die Kirche, entgegen der Auffassung Luthers von der fehlenden Heilsbedeutung der irdisch-sichtbaren Kirche, in ihren drei von Christus empfangenen Grundfunktionen (Lehren  – Heiligen  – Leiten) für den einzelnen Christen Heilsbedeutung besitzt. Die apologetische Theologie hat aus dieser Definition ihren Ansatz zu einer Kirchengliedschaftslehre entwickelt, nach der gilt: Nur derjenige gehört zur wahren Kirche Jesu Christi (=  Katholische Kirche), der die Taufe empfangen hat, den 31

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Robert Bellarmin, Controversiae generales IV, 3, 2. In eigener Übersetzung: Die Kirche ist „eine Versammlung von Menschen, die durch das Bekenntnis desselben christlichen Glaubens und derselben Sakramente unter der Leitung der rechtmäßigen Hirten und insbesondere des einzigen Stellvertreters Christi, des Römischen Pontifex, verbunden ist.“ Ebd.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

rechten Glauben bekennt und sich der hierarchischen Leitung der Kirche unterstellt. Wenn eines von diesen drei vincula fehlt oder unvollkommen verwirklicht ist, liegt keine Zugehörigkeit zur Kirche mehr vor. In exklusivistischer Weise wird hier also nur der als Glied der Kirche bezeichnet, der alle drei vincula bewahrt. Diese Auffassung hat sich generell bis in die Kirchenenzyklika „Mystici corporis“ von Papst Pius XII. halten können, auch wenn die betreffende Aussage im beigefügten Wort reapse eine zaghafte Öffnung vermuten lässt:

In Ecclesiae autem membris reapse ii soli annumerandi sunt, qui regenerationis lava­ crum receperunt, veramque fidem profitentur, neque a Corporis compage semet ipsos misere separarunt, vel ob gravissima admissa a legitima auctoritate seiuncti sunt.33

2. Kanonistischer Kirchenbegriff Zur gleichen Zeit entwickelte sich im Bereich der Kanonistik eine anders akzentuierte Auffassung von der Kirchengliedschaft. In ihrer ausgeprägten Form findet sich diese in can. 87 CIC/1917:

Baptismate homo constituitur in Ecclesia Christi persona cum omnibus christianorum iuribus et officiis, nisi ad iura quod attinet, obstet obex, ecclesiasticae communionis vinculum impediens, vel lata ab Ecclesiae sanctio.34

Demzufolge ist der Empfang der Taufe das sakramental entscheidende Geschehen, welches das Personsein in der Kirche begründet und die Gliedschaft in der Kirche grundlegt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass – nun inklusivistisch – alle Christen zur Kirche gehören, die, gemäß dogmatischer Lehre, die Katholische Kirche ist (est). Lediglich wird gesagt, dass es in diesem umfassenden Sinne Christen gibt, die entweder strafweise durch die Exkommunikation (katholische Christen) oder faktisch durch eine Sperre (nichtkatholische Christen) an der Ausübung ihrer Gliedschaft gehindert sind. Alle gehören, wenn auch in beschränkter 33

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DenzH 3802. Hervorhebung v. C. O. In dortiger Übersetzung: „Zu den Gliedern der Kirche sind aber in Wirklichkeit nur die zu zählen, die das Bad der Wiedergeburt empfangen haben und den wahren Glauben bekennen, die sich nicht selbst beklagenswerterweise vom Gefüge des Leibes getrennt haben oder wegen schwerster Vergehen von der rechtmäßigen Autorität abgesondert wurden”. In eigener Übersetzung: „Durch die Taufe wird der Mensch in der Kirche zur Person mit den Rechten und Pflichten aller Christgläubigen, wenn nicht bezüglich der kirchlichen Rechte eine Sperre (obex), welche die kirchliche Gemeinschaft behindert, entgegensteht oder eine von der Kirche verhängte Strafe (sanctio)“.

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Weise, zur katholischen Kirche. Die nichtkatholischen Christen werden folglich in dieser weitreichenden Identifizierung mit der Katholischen Kirche kirchenrechtlich als „rechtlich behinderte Katholiken“35 verstanden. 3. Differenzierte Kirchengliedschaft Auch wenn beide Auffassungen ekklesiologisch und verfassungsrechtlich auf Dauer nicht überzeugen konnten, hat das II. Vatikanische Konzil ihren wahren Kern aufgenommen und in die Sicht einer differenzierten Kirchengliedschaftslehre gemäß LG 14–16 (communio plena – communio non plena) integriert. Danach begründet sich die Kirchengliedschaft in der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche Jesu Christi im Empfang des Taufsakraments, sie verwirklicht sich jedoch in unterschiedlichen Zugehörigkeiten zu Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften und drückt folglich eine unterschiedliche Intensität (Dichte) der jeweiligen communio zur communio plena aus. Daher gilt terminologisch folgende Unterscheidung: Die Kirchengliedschaft bezeichnet in umfassender Weise den Grundstatus des Getauften, der sich gemäß c. 96 CIC mit der Taufe und der Eingliederung in die Kirche Jesu Christi ergibt. Dem Getauften kommt das kanonische Personsein als Ausdruck der Trägerschaft von Rechten und Pflichten in der Kirche zu, er ist unwiderruflich „Glied“ am Leib Christi, der die Kirche ist.36 Das kanonische Personsein muss demzufolge vom menschlichen Personsein, das unver­äußerliche und „grundlegende Rechte der menschlichen Person“ (c. 747 § 2 CIC) umfasst, unterschieden werden; eine Trennung beider ist jedoch nicht möglich. Ungetaufte besitzen daher nur gewisse Rechte in der Kirche, vornehmlich dann, wenn sie mit dem kirchlichen Rechtsbereich in Berührung kommen (so besitzen sie beispielsweise das Klagerecht vor einem kirchlichen Gericht gemäß c. 1476 CIC). Den Katechumenen hingegen kommen mit dem Recht auf den Empfang der Taufe, wenn die erforderlichen Voraussetzungen nach cc. 206, 748 § 1, 865 CIC erfüllt sind, bereits gewisse „Vorrechte“ (praerogativa) zu, die ihnen als Taufbewerbern eigen sind (cc. 1170, 1183 § 1 CIC). Die Kirchenzugehörigkeit hingegen steht in einer gewissen Unterscheidung von der Kirchengliedschaft für die „reale, aus dem konkret konfessionell vollzogenen Taufgeschehen oder einer möglichen Konversion sich ergebende Zugehörigkeit und Hinordnung zu der entsprechenden institutionell fassbaren Kirchengemeinschaft“.37 Aymans – Mörsdorf, KanR II, 11. Daher verbietet es sich konsequenterweise von „Mitgliedern“ der Kirche zu spre­chen, da dieser Terminus der Kirche eine theologisch unhaltbare Nähe zu den Strukturen eines Vereins zusprechen würde. Die Kirche ist jedoch kein Verein, sondern ein lebendiger Organismus (Volk – Leib – Tempel), dem der Mensch durch die Taufe eingefügt wird. 37 So Gerhard Ludwig Müller, Kirchenzugehörigkeit und Kirchenaustritt aus dogmatischer Perspektive, in: Elmar Güthoff  – Stephan Haering  – Helmuth Pree (Hg.), Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht, Freiburg i. Br. 2011, 77–89, hier 78. 35 36

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Aus der differenzierten Kirchengliedschaftslehre ergeben sich zwei entscheidende Konsequenzen, zunächst mit Blick auf den katholischen Christen. Die Eingliederung in die Kirche ist nicht abstrakt, sondern erfolgt durch eine konkrete Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche. Durch die Taufe (oder die Konversion) wird der katholische Christ gemäß Wohnsitz (cc. 102, 106, 107 CIC) einer Pfarrei und mit dieser einer Diözese (Teilkirche) zugewiesen, die zugleich einem Teilkirchenverband (Kirchenprovinz, Kirchenregion, Plenarverband) und der Gesamtkirche (Lateinische Kirche und Katholische Ostkirchen) zugehört. Er ist durch die Taufe bzw. Konversion Glied der Kirche, die in und aus den Teilkirchen besteht. Für den nichtkatholischen Christen bringt die Differenzierung ebenfalls eine nicht unerhebliche Folge im Blick auf den eingeschränkten Geltungsanspruch kirchlicher Normen gemäß c. 11 CIC mit sich. Demnach sind durch rein kirchliche Gesetze nur katholische Christen verpflichtet, d.h. diejenigen, die in der Katholischen Kirche die Taufe empfangen oder in sie konvertiert sind. 4. Kodikarische Normen zur Kirchengliedschaft Durch die Zurückstellung des kirchlichen Grundgesetzes (LEF) und die damit verbundene Inkorporation verfassungsrechtlich bedeutsamer Bestimmungen in den CIC/1983 kam es im Codexreformprozess zu einigen Ungenauigkeiten in der Systematik des kirchlichen Gesetzbuches bezüglich der Kirchengliedschaftsfrage. Georg Gänswein hat daher für eine Neustrukturierung der einschlägigen Normen geworben und sie in einen inhaltlich stringenten Zusammenhang gestellt.38 In einer Übersicht bedeutet dies: C. 96

C.  204 § 2 C.  204 § 1 C. 205 C. 206 C. 207 C. 208

Grundlagencanon zur Gliedschaft in der Kirche Jesu Christi (Kernbegriffe: persona als Träger von Rechten und Pflichten; christianus als umfassende Bezeichnung für den Getauften) Institutionelle Verwirklichung der Kirche Christi in der Katholischen Kirche gemäß LG 8 Christifidelis (als Bezeichnung für den katholischen Christen) als Träger der kirchlichen Sendung in der communio plena Vollbesitz der Gliedschaftsrechte in der communio plena Katechumenen mit Vorrechten (praerogativae: cc. 788 § 3, 1170, 1183 § 1) Differenzierungen im Status als christifidelis Wahre Gleichheit in Würde und Tätigkeit

5. Sendungsspezifische Unterschiede unter den Gläubigen Durch den Empfang der Taufe wird das kanonische Personsein des Christen in der Kirche ebenso begründet wie die daraus folgende Gleichheit aller Getauften Georg Gänswein, Kirchengliedschaft, 211–213. Ebenso Aymans – Mörsdorf, KanR II, 49–69.

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(cc. 96, 204 § 1 und 208 CIC). In Anlehnung an diese ekklesiologisch bedeutsame Grundbestimmung formuliert c. 207 CIC allerdings auch eine sendungsspezifische Unterscheidung der Christifideles:

§ 1 Kraft göttlicher Weisung gibt es in der Kirche unter den Gläubigen geistliche Amtsträger, die im Recht auch Kleriker genannt werden; die übrigen dagegen heißen auch Laien. § 2 In diesen beiden Gruppen gibt es Gläubige, die sich durch das von der Kirche anerkannte und geordnete Bekenntnis zu den evangelischen Räten durch Gelübde oder andere heilige Bindungen, je in ihrer besonderen Weise, Gott weihen und der Heilssendung der Kirche dienen …

Diese Normaussage muss für ihr tieferes Verständnis in zweifacher Hinsicht entfaltet werden. a. Grundstatus und Lebensstände Um die hier rein negativ begründete Umschreibung des Laien in Abgrenzung zum Kleriker für eine erste positive Grundaussage verwenden zu können, bedarf es eines Anschlusses an die Norm des c. 204 § 1 CIC. Demzufolge ist mit dem Christgläubigen (Christifidelis) der „Grundstatus“ des Christen verbunden, was dazu berechtigt, diesen „Grundstatus“ positiv mit dem Status als „Laie“ gleichzusetzen. Es lässt sich folglich vom Christifidelis Laicus sprechen. Der Laie gehört durch die Taufe der Kirche als Volk Gottes mit allen daraus folgenden Rechten und Pflichten an und nimmt durch die Teilhabe am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi an der Sendung der Kirche in der Welt teil: „‚Indoles saecularis‘ bezeichnet … die aus Taufe und Firmung erwachsende spezifisch christliche Beziehung zur Welt und Sendung für die Welt, die für den Laien (aufgrund seiner bleibenden vollen Verflechtung in Bezüge und Aufgaben der Welt) die Ausübung seines gemeinsamen Priestertums in Kirche und Welt entscheidend prägt“.39 Innerhalb dieses „Grundstatus“ ist es dem Gläubigen jedoch möglich, in einen „Sonderstatus“ einzutreten, der als „Lebensstand“ zu einer inneren Differenzierung des allen Getauften gemeinsamen Standes – Glieder der Kirche zu sein – führt.40 Der Lebensstand beruht in der Regel auf einer persönlichen Berufung, die durch die Kirche anerkannt bzw. zugelassen wird. Sie begründet den ehelichen und ehelosen Lebensstand ebenso wie den Stand des geweihten, eremitischen oder anachoretischen Lebens oder den Stand des Klerikers. Dabei schließen sich für die Lateinische Kirche manche Lebensstände aus (z.B. die Ehehindernisse der 39

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Elisabeth Braunbeck, Der Weltcharakter des Laien. Eine theologisch-rechtliche Untersuchung im Licht des II. Vatikanischen Konzils, Regensburg 1998, 94. Vgl. dazu Aymans – Mörsdorf, KanR II, 60–62.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

empfangenen Weihe oder des ewigen Gelübdes gemäß cc. 1087 und 1088 CIC), andere hingegen können miteinander verbunden sein (z.B. der verheiratete ständige Diakon nach cc. 1031 § 2 und 1050 n. 3 CIC oder der Kleriker im gottgeweihten Leben nach c. 207 § 2 und c. 266 CIC). Grundsätzlich durchdringen sie sich jedoch gegenseitig „und können nur in ihrem Zusammenspiel für die Auferbauung der Kirche als des einen priesterlichen Gottesvolkes fruchtbar gemacht werden“.41 b. Verfassungsrechtliche Unterscheidung Ausgehend von dieser positiven Beschreibung des Laien im Grundstatus als Christgläubiger ist zugleich eine Differenzierung in verfassungsrechtlicher Hinsicht vorzunehmen, wie sie c. 207 § 1 CIC formuliert. „Kraft göttlicher Weisung“ (ex divina institutione) werden alle Gläubigen in Laien und Kleriker unterschieden. Der Dienst des Klerikers ist demnach für die Kirche konstitutiv, da er vom Herrn der Kirche ihr selbst eingestiftet wurde und im Weihesakrament durch die Geschichte hindurch bleibend vermittelt wird. Das bedeutet in negativer Umschreibung, dass alle Gläubigen, die nicht Kleriker (clerici oder ministri sacri) sind, (weiterhin) als „Laien“ bezeichnet werden. Dabei üben die Kleriker aufgrund der empfangenen sakramentalen Weihe den bevollmächtigten Dienst gegenüber allen Gläubigen aus,42 demgemäß sie entsprechend der Weihestufe in der Person Christi, des Hauptes (Bischöfe und Priester) oder des Dieners der Kirche (Diakone), handeln (cc. 1008 und 1009 CIC).43 Für beide – Laien und Kleriker – ist jedoch ihr Status als Christgläubiger konstitutiv, so dass sich eine sprachliche Unterscheidung nahelegt, die zugleich Gemeinsames betont: Christifideles Laici und Christifideles Clerici. Als solche stehen sie in einer unverzichtbaren Beziehung zueinander, die zugleich die gesamte Communio-Struktur der Kirche in ihren drei Diensten des Lehrens, Heiligens und Leitens auszeichnet.

Peter Krämer, Kirchenrecht II, Stuttgart 1993, 27. Siehe dazu die Aussage in LG 10 zur Beziehung von gemeinsamem Priestertum aller Getauften und dem auf dem Weihesakrament beruhenden Priestertum des Dienstes. 43 Vgl. Christoph Ohly, Omnium in mentem. Ein notwendiger Schritt zur Klärung von Wesen und Sendung des Diakons?, in: In mandatis meditari. FS Paarhammer (65), 561–577. 41 42

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Merkmale der Begriffe Laie (Christifidelis Laicus) • Positiv (Grundstatus): Durch die Taufe in die Kirche eingegliedert und daher Träger der kirchlichen Sendung in allen Dienstbereichen (cc. 96 und 204 § 1 CIC; c. 7 § 1 CCEO) • Negativ (Abgrenzung): Nicht-Kleriker (c. 207 § 1 CIC; c. 323 § 2 CCEO) • Spezifizierung (Lebensstand): Ehe und Familie (c. 226 CIC; c. 407 CCEO); gottgeweihtes Leben (c. 207 § 2 CIC) in Orden, Kongregationen, Säkularinstituten (cc. 573, 710, 731 § 2 CIC; cc. 410, 563 § 1 CCEO) oder individuellen Formen als virgo consecrata, Eremit, Anachoret oder anderen Formen (cc. 603–605 CIC; cc. 481, 570, 571 CCEO). • Kirchenamtliche Tätigkeit (Sendung): Mitwirkung nomine Ecclesiae in individuellen Formen (Katechist; Pastoralreferent; Pastoralassistent; Gemeindereferent; Religionslehrer) • Schwerpunkt: Laie mit betontem Weltcharakter („Weltchrist“ gemäß LG 31, 2) oder mit stärker kontemplativer Ausrichtung (eschatologisches Zeugnis als Christ der evangelischen Räte) Kleriker (Christifidelis Clericus) • Grundstatus: Durch die Taufe in die Kirche eingegliedert und daher Träger der kirchlichen Sendung (cc. 96 und 204 § 1 CIC; c. 7 § 1 CCEO) • Sonderstatus (Lebensstand): Durch den Empfang der Weihe mit Christus als Haupt bzw. Diener der Kirche gleichgestaltet und als Träger des Amtspriestertums im Dienst des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen stehend (LG 10; cc. 1008 und 1009 CIC; cc. 323 § 1, 325, 743, 744 CCEO) • Schwerpunkt: als Kleriker einer Teilkirche (Weltkleriker) oder in einem inkardinationsberechtigten kanonischen Lebensverband (c. 207 § 2 CIC)

In dieser verfassungsrechtlich relevanten Perspektive erfasst daher der Begriff „Laie“ seine sowohl positive als auch negative inhaltliche Bestimmung.44 Der Laie ist der Gläubige im Grundstatus als Getaufter, der als solcher das kirchliche Leben aktiv mitträgt, sowie der Nicht-Kleriker. Der Laie vermag über das dem Grundstatus zugrundeliegende Handeln (vornehmlich im Sakrament der Ehe und in der Familie) hinaus in spezifischer Weise der kirchlichen Sendung zu dienen. Ohne dafür ein eigenes kirchliches Amt zu übernehmen, zeigt sich dies vor allem in der Mitwirkung im kirchlichen Synodal- und Rätewesen (beispielsweise im pfarrli Vgl. dazu die vom CIC/1983 abweichende Formulierung zur Bezeichnung „Laie“ in c. 399 CCEO. Siehe auch Heribert Hallermann, Art. Laie. II. Kath., in: LKStKR 2, 669–671.

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chen Pastoral- und Vermögensverwaltungsrat, in diözesanen Organen und Synoden), in der pfarrlichen Katechese oder auch in der missionarischen Tätigkeit der Kirche. Im Sinne eines ausdrücklich kirchlichen Dienstes, der mit einem Kirchenamt gemäß c. 145 CIC verbunden ist, nimmt der Laie in kirchenamtlicher Weise an der Sendung der Kirche teil (beispielsweise als Pastoralreferent bzw. Pastoralassistent, Gemeindereferent, Religionslehrer, Katechist).

B.  Gemeinsame Rechte und Pf lichten Aymans – Mörsdorf, KanR II, §§ 53–54; Reinhild Ahlers, § 17 Die rechtliche Grundstellung der Christgläubigen, in: HdbKathKR3; Gerda Riedl, § 18 Die Laien, in: HdbKathKR3. Als Lektüre lehramtlicher Dokumente wird empfohlen: VatII LG 9–47; VatII AA; Johannes Paul II., Adhortatio Apostolica Postsynodalis „Christifideles laici“ über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt vom 30.12.1988, in: AAS 81 (1989) 393– 521; dt.: VApSt 87.

1. Terminologie Die ekklesiologische Kirchengliedschaftslehre des II. Vatikanischen Konzils ist nicht nur inhaltlich, sondern auch in rechtssystematischer Perspektive in die kirchlichen Gesetzbücher eingegangen. Vor aller Unterscheidung der Glieder der Kirche (c. 207 CIC; c. 323 CCEO) wird das Gemeinsame und Verbindende aus der in der Taufe gründenden fundamentalen Gleichheit in Würde und Tätigkeit der Christgläubigen (c. 208 CIC; c. 11 CCEO) mit ihren nach c. 96 CIC übernommenen Pflichten und Rechten herausgestellt. Das geschieht in den Gesetzbüchern erstmals in einem eigenen gesonderten Katalog von Rechten und Pflichten aller Christgläubigen. In Anlehnung an die einschlägige Überschrift aus der LEF/1980 (De christifidelium officiis et iuribus fundamentalibus) wird dieses Statut in der kanonistischen Fachliteratur häufig „Grundstatut der Gläubigen“ genannt, das die kirchlichen Grundrechte und -pflichten umfasse. Nach Winfried Aymans sollte jedoch die „verführerische Nähe zu den Grundrechten und Grundpflichten des weltlichen Rechts“45 vermieden und hinsichtlich der spezifischen Christenrechte vom „kirchlichen Gemeinrechtsstatut aller Gläubigen“ – kurz: „Gemeinstatut“ – gesprochen werden. Das Statut beinhaltet somit zahlreiche dem Christgläubigen aufgrund seines Personenstandes in der kirchlichen communio zukommenden Rechte und Pflichten. Demzufolge muss von der kirchlichen Beurteilung der Menschenrechte die Frage nach den Gemeinrechten aller Gläubigen in der Kirche unterschieden Aymans – Mörsdorf, KanR II, 72.

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werden, auch wenn es zwischen beiden Rechtsmaterien verschiedene Berührungspunkte gibt. 2. Menschenrechte und kirchliche Gemeinrechte Zentraler Kern der historischen Entwicklung hin zur Erklärung der Menschenrechte von 1948 ist das Bemühen, dem Menschen die ihm eigene Würde zu wahren, die er nicht erst dem Staat und seinen Institutionen, einem Parteiprogramm oder der öffentlichen Gewalt verdankt. Die Menschenwürde ist ihm selbst vor aller Staatlichkeit geschenkt, in der Sichtweise des christlichen Glaubens durch sein Geschaffensein ad imaginem Dei.46 Die Würde des Menschen und die ihm daraus zukommenden Menschenrechte sind demzufolge sowohl der Kirche als auch dem Staat vorgegeben. Daher erkennt keine rechtliche Einrichtung dem Menschen seine Rechte zu; sie anerkennt und fördert die Tatsache, dass der Mensch diese Rechte bereits besitzt und darin geschützt werden muss. Aus dieser Überlegung heraus ergibt sich auch die in der Erklärung des II. Vatikanischen Konzils über die Religionsfreiheit „Dignitatis Humanae“ niedergelegte Sicht und das Verständnis der Menschenrechte im Licht des kirchlichen Glaubens. Danach anerkennt und schützt die Kirche die Grundrechte, die dem Menschen aus der Menschenwürde zukommen.47 Sie nimmt diese in ihre Rechtsordnung mit der Verpflichtung auf, sie auch im Raum der Kirche bestmöglich zu schützen.48 Dies geschieht jedoch gemäß der ekklesiologischen Vorgabe ihres Wesens, wonach die Kirche geistlichen Charakters ist und in sich eine auf Jesus Christus zurückgehende potestas sacra (heilige Vollmacht) trägt – eine Vollmacht, die dem Heil des Menschen dient und somit auch an die Grenzen jener Rechte rühren kann, die ihm vom Staat her zugewiesen worden sind. Am deutlichsten wird dies am Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit. Inhaltlich bezeichnet dieses Menschenrecht staatlich und kirchlich dasselbe, namentlich die Freiheit des Subjekts in seiner religiösen Grundentscheidung gegenüber jeglichem äußeren Zwang. Für den Staat bedeutet dies, sich zum Verzicht auf entsprechende Gewalt- und Druckmittel zu verpflichten, für die Kirche, sich auf die dem Wesen der Kirche entsprechenden Vollmachten zu beschränken (beispielsweise im Vorgehen gegen eine offenkundige Häresie). Wenn die kirchlichen Gemeinrechte die gesetzlich normierten Rechte und Pflichten aller Christgläubigen darstellen und ihren rechtlichen Grundstatus erfassen, stehen sie in der Kirche als communio fidelium hierarchica zugleich in einer untrennbaren Beziehung zur damit verbundenen sacra potestas.49 Es geht hierin folglich um die rechte Zuordnung von Gemeinrechten und der innerkirchlichen 48 49 46 47

Vgl. DH 9. Vgl. dazu GS 41, 3. Siehe auch § 12 A. Siehe dazu die Beiträge in Ludger Müller (Hg.), Rechtsschutz in der Kirche, Münster 2011. Vgl. im Folgenden Aymans – Mörsdorf, KanR II, 84–90.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Vollmacht, in der Person Christi, des Hauptes der Kirche, zu lehren, zu heiligen und zu leiten. Dieses qualifizierte Zusammenwirken von Gläubigen und den Trägern der geistlichen Vollmacht macht deutlich: Die Gemeinrechte sind echte Freiheitsrechte, zwar nicht im Sinne der Menschenrechte (die den Gläubigen als menschlichen Personen zukommen), sondern im Sinne einer grundlegenden Freiheit zur Teilhabe an der Sendung der Kirche. Kennzeichnet die Freiheit des Staatsbürgers eine Freiheit gegenüber der staatlichen Gewalt und eines möglichen Eingriffs ihrerseits in seine Grundrechte, stellt die Freiheit in der kirchlichen Rechtsordnung eine geistliche Freiheit (libertas sacra) dar. Diese Freiheit ist demzufolge keine Freiheit gegenüber der Kirche, sondern vielmehr eine Freiheit in der Kirche als fassbare Berechtigung, aktiv an der Sendung der Kirche mitzuwirken, je nach der „eigenen Stellung und Aufgabe“ (c. 208 CIC). Die geistliche Freiheit stellt somit das Grundprinzip aller im Gemeinstatut zusammengetragenen Rechte und Pflichten dar, die auf eine aktive Mitwirkung am Aufbau des Leibes Christi abzielen. 3. Gemeinrechte und -pflichten im Einzelnen Zunächst eine Vorbemerkung: Da das Menschenrecht der Religions- und Glaubensfreiheit mit der Erklärung „Dignitatis Humanae“ von der Kirche anerkannt und bestätigt worden ist, folgt im Gemeinstatut keine ausdrückliche Erwähnung. Das mag zu bedauern sein, doch der Gesetzgeber hat sich entschlossen, auf dieses Recht im Bereich des Verkündigungsdienstes zu spre­chen zu kommen.50 Mit der Überzeugung, dass die Kirche zur Erreichung ihrer Sendung keine dem Evangelium widersprechenden Mittel anwenden darf, bestätigt c.  748 §  2 CIC (c.  586 CCEO) ausdrücklich die Religionsfreiheit als libertas in accedendo (Freiheit zur Auf- und Annahme). Die in diesem Zusammenhang stehende Sicht der Religionsfreiheit als libertas in remanendo (Freiheit zu bleiben) wird hingegen an dieser Stelle nicht expressis verbis benannt, muss jedoch im Gesamtkontext der Lehre des II. Vatikanischen Konzils als vorgegeben angesehen werden. Demnach hat niemand das Recht, einen Menschen durch Zwang zur Annahme des katholischen Glaubens gegen sein Gewissen zu bewegen. Aus der Systematisierung des Gemeinstatuts ergeben sich folgenden Themenschwerpunkte mit Blick auf die Rechte und die Pflichten der Gläubigen:  1. Fundamentale Gleichheit in Würde und Tätigkeit je nach eigener Stellung (c. 208 CIC; c. 11 CCEO)  2. Wahrung der Gemeinschaft mit der Kirche (c. 209 CIC; c. 12 CCEO)  3. Persönliche Heiligung und Heiligung der Kirche (c. 210 CIC; c. 13 CCEO)  4. Beitrag zur Verkündigung der Heilsbotschaft (c. 211 CIC; c. 14 CCEO) Siehe dazu § 12 A.

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 5. Gehorsam in Verantwortung (c. 212 CIC; c. 15 CCEO)  6. Recht auf geistliche Hilfe in Wort, Sakrament und Leitung (c. 213 CIC; c. 16 CCEO)  7. Recht auf authentischen Gottesdienst (c. 214 CIC; c. 17 CCEO)  8. Recht auf geistliches Leben (c. 214 CIC; c. 17 CCEO)  9. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (c. 215 CIC; c. 18 CCEO) 10. Freiheit zur apostolischen Betätigung (c. 216 CIC; c. 19 CCEO) 11. Recht auf katholische Erziehung (c. 217 i. V. m. c. 226 § 1 CIC; c. 20 CCEO) 12. Freiheit zu theologischer Forschung und Äußerung (c. 218 CIC; c. 21 CCEO) 13. Freie Wahl des Lebensstandes (c. 219 CIC; c. 22 CCEO) 14. Persönlichkeitsschutz (c. 220 CIC; c. 23 CCEO) 15. Innerkirchlicher Rechtsschutz (c. 221 CIC; c. 24 CCEO) 16. Beitrags- und Sozialpflicht (c. 222 CIC; c. 25 CCEO) 17. Verpflichtung zum Gemeinwohl (c. 223 CIC; c. 26 CCEO) Um die beschriebenen Rechte geltend machen zu können, kommen den Gläubigen verschiedene Normen zugute, die ihrem Rechtsschutz dienen. So vermögen sie gemäß cc. 221 § 1 und 1400 CIC (cc. 24 § 1 und 1055 CCEO), Rechte vor dem zuständigen kirchlichen Gericht einzufordern, gleichwohl nach c.  1446 CIC (c. 1103 CCEO) die Mahnung besteht, Rechtsstreitigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden. Ebenso steht ihnen das Recht auf Beschwerde gegen eine Entscheidung der kirchlichen Autorität nach cc. 1732–1739 CIC (cc. 996–1004 CCEO) zu. 4. Rechte und Pflichte der Laien In gesonderter Weise hebt ein eigenes Statut (cc. 224–231 CIC; cc. 400–409 CCEO) die Rechte und Pflichten der Laien hervor. Dies ist in dem Bemühen begründet, gegenüber dem Klerikerrecht (cc. 232–293 CIC; cc. 328–398 CCEO) einen eigenen Normenkomplex herauszustellen, der sich spezifisch auf Laien bezieht. Im Einzelnen machen die Bestimmungen aber deutlich, dass dies nicht immer stringent realisiert ist. So beziehen sich einige Normen ebenso auf Kleriker (Ständige Diakone). Manche nehmen eher den sog. Weltlaien in den Blick, andere hingegen auch und gerade den Laien, der in einer gewissen Entfernung zur Welt in einem kanonischen Lebensverband lebt. Es scheint für eine zukünftige Reform des Codex sinnvoller, das Gemeinstatut aller Christgläubigen so zu fassen, dass darin alle Rechte und Pflichten benannt sind, die sich sowohl auf Laien als auch auf Kleriker beziehen. Zu den angeführten Rechten und Pflichten gehören: 1. Verbreitung des Glaubens (c. 225 § 1 CIC; c. 406 CCEO) 2. Gestaltung der zeitlichen Dinge im Geist des Evangeliums unter Berücksichtigung der kirchlichen Soziallehre (c. 225 § 2 i. V. m. c. 227 CIC; c. 401 i. V. m. 402 CCEO)

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

3. Kirchliche Pflichten in Ehe und Familie (c. 226 CIC; c. 407 CCEO) 4. Übernahme von Ämtern und Aufgaben: Beauftragung und Konsiliarität (c. 228 CIC; c. 408 CCEO) 5. Kenntniserwerb der christlichen Lehre sowie in den theologischen Disziplinen (c. 229 CIC; c. 404 CCEO) 6. Liturgische Dienste (c. 230 CIC; c. 403 § 2 CCEO) 7. Kirchliche Dienste (c. 231 CIC; c. 409 CCEO). Papst Franziskus hat am 10.1.2021 mit dem Motu proprio „Spiritus Domini“ die Bestimmungen Pauls VI. zur Übernahme des Lektorats und Akolythats durch Laien aktualisiert und an die bereits langjährige Praxis angepasst.51 Demzufolge können die Dienste sowohl Frauen als auch Männern übertragen werden.

C.  Dienst der Kleriker Aymans – Mörsdorf, KanR II, §§ 55–57; Rüdiger Althaus, § 23 Die Aus- und Fortbildung der Kleriker, in: HdbKathKR3; Rafael M. Rieger, § 25 Das Ausscheiden aus dem klerikalen Stand, in: HdbKathKR3; Hugo Schwendenwein, § 21 Die Zugehörigkeit zu einem geistlichen Heimatverband, in: HdbKathKR3; Ders., § 22 Die Rechte und Pflichten der Kleriker, in: HdbKathKR3. Als Lektüre lehramtlicher Dokumente wird empfohlen: VatII OT; VatII PO; Johannes Paul II., Adhortatio Apostolica Postsynodalis „Pastores dabo vobis“ über die Priesterausbildung im Kontext der Gegenwart vom 25.3.1992, in: AAS 84 (1992) 657–804; dt.: VApSt 105. Rechtsquellen: Kongregation für den Klerus, Das Geschenk der Berufung zum Priestertum. Ratio Fundamentalis Institutionis Sacerdotalis vom 8.12.2016, abgedruckt in: VApSt 209; Deutsche Bischofskonferenz, Rahmenordnung für die Priesterausbildung vom 12.3.2003 (= Die Deutschen Bischöfe 73), Bonn 2003; Deutsche Bischofskonferenz, Rahmenordnung für Ständige Diakone in den Bistümern der Bundesrepublik Deutschland vom 19.5.2015 (= Die Deutschen Bischöfe 101), Bonn 2015.

1. Systematische Einteilung Das Klerikerrecht besitzt eine lange kirchengeschichtliche und -rechtliche Tradition. Es hat sich über Jahrhunderte hin entfaltet und bildete im CIC/1917 einen wesentlichen Bestandteil, so sehr, dass man diesen Codex auch als Klerikerhandbuch bezeichnete. Der Kleriker ist als solcher aber allein im Licht der gesamten kirchlichen Sendung zu verstehen. Er personifiziert als Bischof, Priester oder Diakon die auf Christus zurückgehende hierarchische Strukturierung der Kirche Franziskus, Motu proprio „Spiritus Domini“ vom 10.1.2021, in: Comm 53 (2021) 66–67.

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durch das apostolische Amt. Als Träger von Rechten und Pflichten, die ihm aus der apostolischen Vollmacht zukommen, ist er konstitutiver Bestandteil der ganzen Kirche. Im Folgenden werden einige charakteristische Grundzüge des Klerikerrechts vorgestellt, um dieses in seiner Anbindung an die Kirche als das hierarchisch gegliederte Volk Gottes vom Leib Christi her auch verfassungsrechtlich zu durchdringen. Systematisch gegliedert ist das Klerikerrecht des CIC folgendermaßen: Kapitel I Kapitel II Kapitel III Kapitel IV

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Ausbildung der Kleriker (cc. 232–264) Inkardination (cc. 265–272) Pflichten und Rechte der Kleriker (cc. 273–289) Verlust des klerikalen Standes (cc. 290–293)

2. Ausbildung Die Förderung von priesterlichen Berufungen ist gemäß c. 233 CIC (c. 329 CCEO) Aufgabe der gesamten kirchlichen Gemeinschaft, vor allem aber der christlichen Familien und Erzieher sowie der geistlichen Amtsträger, insbesondere der Pfarrer und der Bischöfe. Nicht nur Jugendliche, sondern auch Männer reiferen Alters sollen dabei im Blick sein (c. 233 § 2 CIC; c. 329 § 1 n. 2 CCEO). Die sogenannten „Kleinen Seminare“ werden als entsprechende Einrichtungen besonders empfohlen, sind aber nicht obligatorisch. In ihnen soll den Jugendlichen eine erforderliche religiöse Bildung in Verbindung mit einer geistes- und naturwissenschaftlichen Ausbildung vermittelt werden, die nach den Erfordernissen des jeweiligen Landes zum Hochschulstudium berechtigt (c. 234 §§ 1 und 2 CIC; cc. 331 § 1, 332 § 1, 344 § 3 CCEO). Die Ausbildung der Kleriker im eigentlichen Sinn erfolgt unter den Gesichtspunkten persönlicher und geistlicher Bildung wenigstens vier Jahre im Priesterseminar (cc. 235 § 1, 237 CIC; cc. 331 § 2, 332 § 2, 334 § 1 CCEO) und mit Blick auf die philosophischen und theologischen Studien wenigstens sechs Jahre an den Seminaren, Fakultäten oder Universitäten (cc.  250–252 CIC; cc.  348–350 CCEO). Als „ständige, ganzheitliche, gemeinschaftliche und missionarische Formung“, die nach der „Grundausbildung“ eine „ständige Fortbildung“ umschließt – folgt die „Formung“ der Kleriker – hier insbesondere der Priester – den Maßgaben sowohl der für die Lateinische Kirche geltenden „Ratio Fundamentalis Institutionis Sacerdotalis“ (2016)52 als auch den teilkirchlichen Rahmenordnungen, die von den Bischofskonferenzen für die Priester- und Diakonenausbildung erlassen worden sind. Die Kandidaten für den Ständigen Diakonat werden in einem eigens dafür bestimmten Haus (oder einer entsprechenden Einrichtung) ausgebildet. Die angeführten Begriffe entstammen der Einführung der Ratio Fundamentalis, dazu weiter Nr. 54– 88.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

3. Inkardination Jeder Kleriker muss gemäß c. 265 CIC (c. 357 § 1 CCEO) einem geistlichen Heimatverband inkardiniert sein, so dass es keine Kleriker ohne geistliches Haupt (acephali) oder ohne Einbindung (vagi) geben darf.53 Die Inkardination erfolgt durch die Diakonenweihe für eine Institution mit Inkardinations­berechtigung. Dazu zählen die Teilkirche als Grundform (Diözese, Gebietsprälatur, Gebietsabtei, Apostolisches Vikariat, Apostolische Präfektur, Apostolische Administratur, Militärordinariat) sowie die Kanonischen Lebensverbände und die Personalprälatur als Ergänzungsformen. Bei der Inkardination in Ordensinstitute und Gesellschaften apostolischen Lebens muss der Inkardination als Kleriker die dauerhafte Inkorporation nach c. 266 § 2 CIC (c. 428 CCEO) vorausgehen. Durch die Inkardination, die ein dauerhaftes Bezugsverhältnis von Gehorsam und Sorge zwischen dem Kleriker und dem Ordinarius bzw. Oberen begründet, erlangt der Kleriker als Gegenleistung für die Verpflichtung zum kirchlichen Dienst Rechte bezüglich 1. dienstlicher Verwendung, 2. personaler Betreuung und 3. wirtschaftlicher Versorgung. Die Inkardination stellt demzufolge ein geistliches, personales und zugleich ökonomisch ausgerichtetes Bezugsverhältnis zwischen Ordinarius und Kleriker dar. Ein Wechsel in einen anderen Inkardinationsverband erfolgt durch die Umkardination, d.h. ipso iure durch rechtmäßigen Aufenthalt in einer fremden Teilkirche über fünf Jahre, wenn einem entsprechenden Antrag von beiden Diözesanbischöfen nicht widersprochen wird (c. 268 § 1 CIC; c. 360 § 2 CCEO) oder durch einen Verwaltungsakt (Litterae excardinationis et incardinationis) nach c.  269  f. CIC (c. 366 CCEO), wenn ein gerechter Grund im Nutzen der Kirche oder im Wohl des Klerikers vorliegt. Die Exkardination wird erst mit erfolgter Neuinkardination in eine andere Teilkirche wirksam (c. 267 § 2 CIC; c. 364 CCEO). Davon zu unterscheiden ist die Transmigration nach c. 271 CIC (c. 360 CCEO), welche die von der kirchlichen Autorität bewilligte Verlegung des Tätigkeitsbereichs in eine andere Teilkirche bei bestehender Inkardination darstellt.

Vgl. dazu Franziskus, Motu proprio „Competentias quasdam decernere“ vom 11.2.2022, in: ORital 162 (2022), Nr. 37, 15.2.2022, 8. Danach lautet c. 265 (c. 357 § 1 CCEO) neu: „Jeder Kleriker muss entweder einer Teilkirche oder einer Personalprälatur oder einem Institut des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft, die diese Befugnis haben, oder auch einem öffentlichen klerikalen Verein, der diese Befugnis vom Apostolischen Stuhl erhalten hat, inkardiniert sein, so dass es Kleriker ohne Inkardination in keiner Weise geben darf“.

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§ 25 Der Christgläubige in der Kirche

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4. Pflichten und Rechte Für die Kleriker gibt es einen eigenen Katalog von Rechten und Pflichten (cc. 273– 289 CIC; cc. 367–393 CCEO), der sich auf ihren Stand und ihren Dienst bezieht. Gleichzeitig kommen ihnen als Gläubigen auch jene Rechte und Pflichten zu, die im Gemeinstatut aller Gläubigen angeführt sind. Gegenüber dem CIC/1917 hat der Katalog der Pflichten und Rechte der Kleriker zahlreiche Änderungen erfahren, die sich vor allem aus den einschlägigen Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils ergeben. Dazu gehören vor allem a) der Verzicht auf die klassischen klerikalen Standesprivilegien (Anspruch nach außen), wobei einige bekannte klerikale Vorrechte gemäß konkordatären Bestimmungen weiterhin Geltung besitzen,54 b) die Beibehaltung klerikaler Rechte in der Kirche (Anspruch nach innen), wenn es u.a. um Versorgung und soziale Absicherung geht, c) eine starke Reduzierung der detaillierten Lebensanweisungen und d) die Verpflichtung zu lebenslangem Studium, Heiligung und Vervollkommnung. In systematischer Hinsicht ergeben sich daraus folgende Rechte und Pflichten: Gebote  1. Gehorsamspflicht (c. 273 CIC; c. 370 CCEO)  2. Pflicht zur Aufgabenerfüllung (c. 274 § 2 CIC; c. 371 § 2 CCEO)  3. Pflicht zur brüderlichen Zusammenarbeit (c. 275 § 1 CIC; c. 379 CCEO)  4. Anerkennung des Laienapostolates (c. 275 § 2 CIC; c. 381 § 2 CCEO)  5. Streben nach Heiligkeit und Vollkommenheit (c. 276 CIC; c. 368 CCEO)  6. Verpflichtung zur zölibatären Lebensweise (c. 277 CIC; cc. 373 und 374 CCEO)  7. Pflicht zum Weiterstudium (c. 279 CIC; c. 372 CCEO)  8. Pflicht zur einfachen Lebensführung (c. 282 CIC; c. 390 CCEO)  9. Residenzpflicht (c. 283 § 1 CIC; c. 386 § 1 CCEO) 10. Klerikerkleidung (c. 284 CIC; c. 387 CCEO) 11. Friedenspflicht (c. 287 § 1 CIC; c. 384 § 1 CCEO) Verbote 1. Mitgliedschaften in klerikerfremden Vereinigungen (c. 278 § 3 CIC) 2. Meidung standesfremden Verhaltens (c. 285 § 1 n. 2 CIC; c. 382 CCEO) 3. Weltliche Ämter (cc. 285 § 3, 289 § 2 CIC; c. 383 CCEO)

Dazu zählt in Deutschland beispielsweise das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß Art. 9 RK und § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

4. Verwaltung von Laienvermögen mit Rechenschaftsablage (c. 285 § 4 CIC; c. 385 § 3 CCEO) 5. Handel und Gewerbe (c. 286 CIC; c. 385 § 2 CCEO) 6. Gewerkschaften und Parteien (c. 287 § 2 CIC; c. 384 § 2 CCEO) 7. Militärdienst (c. 289 § 1 CIC; c. 383 n. 2 CCEO) Empfehlung Vita communis (c. 280 CIC; c. 376 CCEO) Rechte 1. Ämtervorbehalt (c. 274 § 1 CIC) 2. Vereinigungsrecht (c. 278 §§ 1 und 2 CIC; c. 391 CCEO) 3. Recht auf Vergütung und Versorgung (c. 281 CIC; c. 390 CCEO) 4. Recht auf Urlaub (c. 283 § 2 CIC; c. 392 CCEO) Verweisnorm für Ständige Diakone Nichtbindung gemäß c. 288 i. V. m. cc. 284, 285 §§ 3 und 4, 286, 287 § 2 CIC 5. Verlust des klerikalen Standes Wenngleich die einmal empfangene Weihe gemäß dem character indelebilis unverlierbar ist (c. 290 CIC; c. 394 CCEO), kann der klerikale Stand auf zweifache Weise verloren gehen: durch die rechtmäßig verhängte Strafe der Entlassung (c. 1336 § 1 n. 5 CIC; c. 1433 § 2 CCEO) und durch ein Reskript des Apostolischen Stuhls auf Antrag des Klerikers. Letzteres kann Diakonen aus schwerwiegendem, Priestern aus sehr schwerwiegendem Grund gewährt werden (c. 290 n. 3 CIC; c. 394 n. 3 CCEO). In beiden Fällen spricht man von einer „Laisierung“. Entgegen der Begrifflichkeit bezeichnet der Vorgang jedoch allein die rechtliche Rückversetzung in den Laienstand. Die einmal empfangene Weihevollmacht bleibt erhalten und ist in spezifischen Notfällen (Todesgefahr) auch auszuüben (cc. 976, 986 § 2 CIC; cc. 725, 735 § 2 CCEO). Der in c.  290 n.  1 CIC (c.  394 n.  1 CCEO) erwähnte Umstand der Ungül­ tigerklärung der Weihe durch richterliches Urteil oder Verwaltungsdekret stellt keine „Laisierung“ dar, da der Betreffende gemäß dem kirchlichen Urteil in Wirklichkeit niemals Kleriker war, sondern nur irrtümlich für einen solchen gehalten wurde.

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§ 25 Der Christgläubige in der Kirche

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D.  Zur Frage des Kirchenaustritts Rüdiger Althaus, § 16 Zugehörigkeit zur Kirche, in: HdbKathKR3, hier 279–288. Weiterführende Literatur: Ludger Müller – Wilhelm Rees, Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche. Kanonistische Klärungen zu den pastoralen Initiativen der Österreichischen Bischofskonferenz, hrsg. vom Generalsekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz (= Die österreichischen Bischöfe 10), Wien 2010, darin: Ludger Müller, Der Kirchenaustritt – ein Delikt?, 76–88; Elmar Güthoff – Stephan Haering – Helmuth Pree (Hg.), Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht, Freiburg i. Br. 2011.

Der katholische Christ, der durch Taufe oder Konversion in der communio plena steht, kann in seinen Gliedschaftsrechten aufgrund strafrechtlich relevanter Handlungen, die kirchliche Sanktionen nach sich ziehen (cc. 1331–1333 CIC; cc. 1429– 1435 CCEO), oder auch durch das offenkundige und hartnäckige Verharren in Haltungen, die dem Glauben und den Sitten der Kirche widersprechen, beeinträchtigt werden. Er verbleibt zwar aufgrund des irreversiblen Gnadengeschenks der Taufe bzw. der Konversion in der kirchlichen Gemeinschaft (semel catholicus, semper catholicus), muss aber Rechtsminderungen hinnehmen (z.B. cc. 874 § 1 n. 3, 893 § 1, 915, 916 CIC; cc. 685 § 1 nn. 1 und 2, 711, 712 CCEO), die auf die Notwendigkeit seiner Umkehr und dem damit einhergehenden Recht auf volle Wiedereingliederung in die eucharistische Gemeinschaft der Kirche ausgerichtet sind. Im Status der Rechtsminderung steht er in der communio plena non plene. Diese Rechtsminderung trifft auch den katholischen Christen, der den nach staatlichem Recht möglichen Austritt aus der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts erklärt, um sich – in der Regel – aus der Verpflichtung zur Entrichtung der Kirchensteuer zu entziehen. Über das Wesen und die Folgen des sog. Kirchenaustritts wird seit vielen Jahren diskutiert und gerungen. Für einige Zeit haben auch öffentlichkeitswirksame gerichtliche Aus­einandersetzungen diese Diskussion begleitet. Dabei stehen bis heute insbesondere zwei Fragen im Zentrum. Zum einen, ob es einen modifizierten Kirchenaustritt geben kann, demgemäß der katholische Christ lediglich aus der Körperschaft öffentlichen Rechts, nicht jedoch aus der Kirche als Glaubensgemeinschaft austreten kann. Zum anderen, welche konkreten Rechtsfolgen (Exkommunikation aufgrund eines schismatischen Akts oder andere Formen der Rechtsminderung) der Kirchenaustritt nach sich zieht. Festzuhalten gilt zweifelsohne, dass es einen Kirchenaustritt im theologischen Sinne nicht geben kann. Ist der Christ durch Taufe bzw. Konversion einmal in die Kirche eingegliedert, bleibt er auf immer Glied der Kirche. Doch können seine Gliedschaftsrechte Beschränkungen erfahren. So auch im Fall des Kirchenaustritts. Das derzeit geltende Dekret der Deutschen Bischofs­konferenz vom 20. Februar 2012 sieht im Kirchenaustritt vor der zuständigen zivilen Behörde einen

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

öffentlich relevanten Akt sowie „eine willentliche und wissentliche Distanzierung von der Kirche“ und „eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft“. Die Norm bestimmt daher: „Wer vor der zuständigen zivilen Behörde aus welchen Gründen auch immer seinen Kirchenaustritt erklärt, verstößt damit gegen die Pflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren (c. 209 § 1 CIC), und gegen die Pflicht, seinen finanziellen Beitrag dazu zu leisten, dass die Kirche ihre Aufgaben erfüllen kann (c. 222 § 1 CIC i. V. m. c. 1263 CIC)“. So verbleibt der katholische Christ zwar in der kirchlichen Gemeinschaft, wird aber in den einzeln aufgeführten Rechten seines Status als Christgläubiger eingeschränkt. Die Seelsorger sind verpflichtet, den aus der Kirche Ausgetretenen pastoral nachzugehen und sie zu einem Umdenken zu motivieren. Bis zu einem Wiedereintritt gelten nach Abs. II des Dekrets folgende Rechtsbeschränkungen:

1. Die aus der Kirche ausgetretene Person  darf die Sakramente der Buße, Eucharistie, Firmung und Krankensalbung – außer in Todesgefahr – nicht empfangen,  kann keine kirchlichen Ämter bekleiden und keine Funktionen in der Kirche wahrnehmen,  kann nicht Taufpate und nicht Firmpate sein,  kann nicht Mitglied in pfarrlichen und in diözesanen Räten sein,  verliert das aktive und passive Wahlrecht in der Kirche,  kann nicht Mitglied in öffentlichen kirchlichen Vereinen sein. 2. Damit aus der Kirche ausgetretene Personen eine kirchliche Ehe schließen können, muss die Erlaubnis zur Eheschließungsassistenz beim Ortsordinarius eingeholt werden. Diese setzt Versprechen über die Bewahrung des Glaubens und die katholische Kindererziehung voraus. 3. Falls die aus der Kirche ausgetretene Person nicht vor dem Tod irgendein Zeichen der Reue gezeigt hat, kann das kirchliche Begräbnis verweigert werden. 4. Falls die Person im kirchlichen Dienst steht, treten die im kirchlichen Dienstrecht vorgesehenen Folgen in Kraft. 5. Falls die Person aufgrund einer kirchlichen Ermächtigung Dienste ausübt, muss diese Ermächtigung widerrufen werden.55

55

Abgedruckt in AfkKR 181 (2012) 551–552; zur Rechtslage in Österreich vgl. die „Regelung der Österreichischen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt“ mit den „Hinweisen zur Durchführung der Regelung der Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt“ und den „Erklärenden Ausführungen der Österreichischen Bischofskonferenz nach c. 34 CIC zu den Auswirkungen des staatlichen Kirchen-austrittes auf die kirchlich Rechtsstellung des Ausgetretenen“, in: Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche, 11–16.

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§ 26 Strukturen und Organe der Gesamtkirche

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§ 26 Strukturen und Organe der Gesamtkirche Mit Hilfe der kanonistischen Communio-Theologie lässt sich erkennen, dass die Struktur der Kirche in ihrem Inneren (Verfassung) als auch nach außen (Ökumene) wesentlich durch communiale Beziehungen geprägt ist. Dabei kann insbesondere im Inneren das Verhältnis von Ecclesia universalis und Ecclesiae particulares mit Hilfe der ekklesiologischen Formel aus LG 23 erfasst werden. Die Kirche besteht in und aus den Teilkirchen. Das bedeutet: Die Kirche ist in den Teilkirchen ebenso gegenwärtig, wie sie aus ihnen besteht. Die gesamte Kirche ist daher immer auch und zugleich teilkirchlich strukturiert. Beiden Ebenen wendet sich das kirchliche Verfassungsrecht zu. Für die Systematik im weiteren Vorgehen ist daher ein Gedanke zum Verhältnis von Gesamtund Teilkirche entscheidend. Von der Gesamtkirche sagt die Kongregation für die Glaubenslehre: „Sie ist nicht das ‚Ergebnis‘ von deren Gemeinschaft; sie ist vielmehr im Eigentlichen ihres Geheimnisses eine jeder einzelnen Teilkirche ontologisch und zeitlich vorausliegende Wirklichkeit“.56 Darin wird das Motiv sichtbar, zunächst die Gesamtkirche vor der Teilkirche in den Blick zu nehmen, auch wenn die tägliche Erfahrung sowie eine stärker emotionale Nähe zur konkreten Teilkirche eine andere Reihenfolge nahelegen würde. Zwischen Gesamt- und Teilkirche muss schließlich der Bereich der Teilkirchenverbände betrachtet werden, die eine nicht konstitutive, wohl aber hilfreiche und historisch gewachsene Zwischenebene von Gesamtkirche und Teilkirche darstellen.

A.  Verfassungsrechtliche Grundstrukturen Winfried Aymans, § 26 Gliederungs- und Organisationsprinzipien, in: HdbKathKR3.

Die Universalkirche besteht nach LG 23, 1 in und aus Teilkirchen und empfängt von dort her ihr inneres konstitutives Gefüge. Jede Teilkirche ist gemäß c. 369 CIC (c. 177 § 1 CCEO) ein Teil des Gottesvolkes, der dem Bischof in Zusammenarbeit mit dem Presbyterium zu weiden anvertraut wird. Sie ist konstitutiv durch personale Kriterien bestimmt, auch wenn nach c. 732 § 1 CIC zu ihrer äußeren Begrenzung ein entsprechendes Territorium gehört. Die Grundstrukturen der Kirche müssen daher in ihrer Entfaltung auf der Grundlage von konstitutiven und determinativen Elementen unterschieden werden. In der Zuweisung beider Ele Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben über einige Aspekte der Kirche als Communio vom 28.5.1992, in: AAS 85 (1993) 838–850; dt. VApSt 107, hier Nr. 9. Kritisch dazu Ludger Müller, Das Recht im Leben und in der Sendung der Kirche. Internationales kanonistische Symposion vom 19. bis zum 24. April 1993 im Vatikan, in: AfkKR 162 (1993) 608–634, hier 631–634.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

mente wird die Kirche als geistig-geistliche und zugleich in den räumlichen Kontext der Welt hinein eingefügte Glaubensgemeinschaft erkennbar. Unter verfassungsrechtlicher Perspektive müssen folgende Unterscheidungen vorgenommen werden: 1. Der Begriff Gesamtkirche (Ecclesia universalis) ist mit der Katholischen Kirche gleichzusetzen. Als solche tritt sie auch in völkerrechtlicher Hinsicht in den Blick und besitzt gemäß c. 113 § 1 CIC den Charakter einer persona moralis. Das besagt: Da die Kirche sich der göttlichen Weisung ihres Herrn verdankt, kann auf sie die rechtliche Figur der juristischen Person (als Trägerin von Rechten und Pflichten, die durch einen Rechtsakt zugewiesen werden) nur bedingt angewendet werden. Daher hat der Gesetzgeber sie zusammen mit dem Apostolischen Stuhl und dem Bischofskollegium mit einem Begriff verbunden, der auf den formalen Unterschied hinweist, dass ihr keine menschliche Autorität als Verleiherin der Rechtspersönlichkeit gegenübersteht. Die Kirche ist kraft ihres Wesens Rechtssubjekt, d.h. mit Wirkung sowohl nach innen (kanonische Rechtsordnung) als auch nach außen (Völkerrecht). 2. Zunächst ergibt sich eine innere Differenzierung der Gesamtkirche aufgrund örtlich-historischer Entwicklungen. Die Gesamtkirche ist untergliedert in Ecclesiae sui iuris, die durch den gemeinsamen Glauben, die gemeinsamen Sakramente und dieselbe hierarchische Leitung verbunden sind, wenngleich sie auch unterschiedliche Rechtsnormen und spirituelle Reichtümer haben. Zu ihnen gehören die Lateinische Kirche sowie die orientalischen Kirchen (Katholische Ostkirchen), die in Kircheneinheit mit dem Apostolischen Stuhl von Rom stehen. Zu ihnen zählen die Kirchen der alexandrinischen (koptischen), der antiochenischen (westsyrischen), der armenischen, der chaldäischen (ostsyrischen) sowie der konstantinopolitanischen (byzantinischen) Tradition. Untergliedert sind sie in Patriarchatskirchen, Großerzbischofskirchen, Metropolitankirchen und weitere Kirchen eigenen Rechts.57 3. Die Gesamtkirche, die sich in Ecclesiae sui iuris gliedert, setzt sich im Inneren dieser Untergliederungen in und aus Teilkirchen (Ecclesiae particulares) zusammen, die mit dem Ziel einer verstärkten Zusammenarbeit und aufgrund pastoraler Prinzipien zu Teilkirchenverbänden zusammengeschlossen sind. Dabei unterscheidet man: a) den Plenarverband, b) den Regionalverband (Kirchenregion) und c) den Provinzialverband (Kirchenprovinz). 4. Jede Teilkirche (Ecclesia particularis) als unterste konstitutive Ebene der kirchlichen Verfassung ist gemäß c. 374 § 1 CIC „in verschiedene Teile, das heißt Vgl. Carl Gerold Fürst, Art. Katholische Ostkirchen, in: LKStKR 2, 404–406.

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§ 26 Strukturen und Organe der Gesamtkirche § 26 Strukturen und Organe der Gesamtkirce

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Gesamtkirce (Ecclesia universalis) Katholisce Kirce (communio plena) Einheit von Ecclesiae sui iuris: Lateinisce Kirce und Katholisce Ostkircen

Teilkircenverbände (Ecclesiarum particularium coetus) Plenarverband Regionalverband (Kircenregion) Provinzialverband (Kircenprovinz)

Teilkirce (Ecclesia particularis) Diözese (cc. 36e und 369 CIC) Ersatzformen (cc. 36e, 370 und 3711 CIC) Untergliederung: Pfarreien (c. 374 § 11 CIC) Dekanat/Pfarrverbund (c. 374 § 2 CIC)

Verfassungsrectlice Gliederungsformel Taufe/Konversion +h Wohnsitz → Pfarrei → Teilkirce → Teilkircenverband → Gesamtkirce

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Pfarreien“ aufzugliedern. Zugleich sind auf dieser Ebene sowohl Zusammenschlüsse von Pfarreien nach c. 374 § 2 CIC als auch Personalpfarreien nach c. 518 CIC sinnvoll und möglich. Daraus ergibt sich mit Blick auf den Christgläubigen eine verfassungsrechtliche Gliederungsformel. Durch Taufe oder Konversion wird der Mensch der Katholischen Kirche eingegliedert. Durch seinen Wohnsitz gemäß cc.  100–107 CIC (cc. 911–916 CCEO) gehört der Christgläubige in der communio plena einer konkreten Ritusfamilie an, d.h.: 1. einer Ecclesia sui iuris (Lateinische Kirche oder Ostkirchen), 2. einer Teilkirche (Ecclesia particularis) und darin der Wohnsitzpfarrei sowie 3. einem bestimmten Ritus in der Ritusfamilie (Römischer Ritus, ostkirchliche Ritusfamilien).

B.  Bischofskollegium – Fortdauer der apostolischen Körperschaft Aymans – Mörsdorf, KanR II, § 59; Georg Bier, § 29 Ökumenisches Konzil, in: HdbKathKR3; Sabine Demel, § 27 Die Träger der obersten Leitungsvollmacht, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Bartholomeus J. Putter, Das Kollegialitätsprinzip der Bischöfe im heutigen Kirchenrecht, Essen 2014.

1. Theologischer Leitcanon Der theologische Leitcanon zum Normenbereich der höchsten Autorität der Kirche (c. 330 CIC; c. 42 CCEO) vermittelt durch den Rückgriff auf die einschlägigen Aussagen in LG 22, 1 und in der Nota explicativa praevia (Nep) zwei entscheidende Grunddaten der gesamtkirchlichen Ekklesiologie: 1. Das Amt des Petrus und der übrigen Apostel sind der Kirche „nach Weisung des Herrn“ (statuente Domino) gegeben; sie sind demzufolge göttlichen Rechts und konstitutiver Bestandteil der Kirche Jesu Christi in ihrer Apostolizität. 2. Papst und Bischofskollegium sind in der Nachfolge des Herrn wie Petrus und die Apostel auf das engste miteinander verbunden, indem sie „ein einziges Kollegium bilden“ (unum Collegium constituunt). Im Bischofskollegium lebt der Zwölferkreis der Apostel als apostolische Körperschaft fort. Dabei fällt auf, dass der Begriff „Kollegium“ für das Zueinander von Petrus und Apostel verwendet wird, das Verhältnis von Papst und Bischöfen jedoch als „Verbundenheit“ (inter se coniunguntur) umschrieben wird. Die Kanonistik sieht darin das Bemühen des Gesetzgebers, im Bischofskollegium weit mehr als nur ein

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§ 26 Strukturen und Organe der Gesamtkirche

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„Kollegium im Rechtssinn“ zu sehen.58 Als solches ist es allgemein Träger von Rechten und Pflichten in der Kirche und im Besonderen Träger der Höchstgewalt in der Kirche, die sich im Ökumenischen Konzil durch einen kollegialen Akt verwirklicht. Darüber hinaus möchte die Formulierung jedoch verdeutlichen, dass das Bischofskollegium nicht allein eine Rechtsinstitution, sondern zugleich ein lebendiger und strukturierter Organismus der Gemeinschaft aller Bischöfe ist, der konstitutiv mit der Kirche verbunden ist.59 2. Mitgliedschaft In Anlehnung an die Aussage in LG 22, 1 stellt c. 336 CIC (c. 49 CCEO) für die Mitgliedschaft im Bischofskollegium zwei aufeinander bezogene Elemente heraus: 1. die sakramentale Weihe (Bischofsweihe) sowie 2. die hierarchische Gemeinschaft (communio hierarchica) mit dem Haupt und den Gliedern des Bischofskollegiums. Das erste Element ist aufgrund des in der Weihe verliehenen character indelebilis unverlierbar (semel ordinatus semper ordinatus), das zweite Element hingegen ist verlierbar und stellt so etwas wie ein „Steuerungsinstrument“ zur legitimen Ausübung bischöflicher Vollmacht dar. Beide Elemente sind unverzichtbar und damit konstitutiv. Eines allein begründet die legitime Ausübung bischöflicher Vollmacht nicht. Mit anderen Worten: Ein nicht zum Bischof geweihter Priester kann nicht Mitglied des Bischofskollegiums sein, ebenso nicht der, der die hierarchische Gemeinschaft mit dem Papst und den übrigen Bischöfen nicht oder nicht mehr besitzt (z.B. ein exkommunizierter Bischof ). 3. Struktur und Bedeutung a. Hierarchische Strukturierung Der Blick in das Bischofskollegium lässt deutlich werden, dass es verschiedene Weisen der Ausübung des bischöflichen Dienstes gibt, die zugleich auf eine innere hierarchische Struktur der Gemeinschaft schließen lassen. Die Vollmachten und Tätigkeiten der Diözesanbischöfe unterscheiden sich von jenen der Titularbischöfe (Auxiliar- und Kurienbischöfe, Apostolische Gesandte). Aus diesem Grund bezeichnet c. 336 CIC (c. 49 CCEO) in Übereinstimmung mit Nep 1 die communio der Bischöfe als hierarchica. Dabei wird das Kollegium nicht im streng rechtlichen Sinne als Kreis Gleichrangiger verstanden, die ihre Vollmacht auf Vgl. Aymans – Mörsdorf, KanR II, 192. Siehe dazu die Aussagen in Nep 1 und 4. Mitunter wird das Bischofskollegium deshalb auch als corpus, ordo, coetus oder congregatio bezeichnet.

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einen Vorsitzenden übertragen, sondern als Gemeinschaft, deren Struktur und Autorität durch die Offenbarung vorgegeben sind. Diese hierarchische Struktur lässt sich auf verschiedene Ebenen innerhalb des Bischofskollegiums anwenden: 1. Hierarchische Gemeinschaft von Haupt (Papst) und Gliedern (übrige Bischöfe): Die Gemeinschaft mit dem Papst ist für jeden Bischof konstitutiv für die Ausübung seiner in der Weihe empfangenen Vollmacht. Ihr eignet konsekutiv die Gemeinschaft mit allen anderen Gliedern des Bischofskollegiums. 2. Rechtliche Zuordnung zwischen den Mitgliedern des Bischofskollegiums: Gemäß Nep 2 bedarf die bischöfliche Vollmacht, die in der Weihe empfangen wird, einer rechtlichen Bindung (determinatio iuridica potestatis), die dem Geweihten einen konkreten Platz im Bischofskollegium vermittelt. Das geschieht entweder durch Zuweisung eines Amtes (in concessione particularis officii), was die sog. „Titularbischöfe“ (mit Titel einer nicht mehr existenten Teilkirche) betrifft, oder durch die Zuweisung von Gläubigen (in assignatione subditorum) in einer Teilkirche (Diözese) im Fall der sog. „Ortsbischöfe“. b. Differenzierte Tätigkeit Allen Bischöfen kommt gemäß c.  375 CIC kraft ihrer Weihe der gemeinsame Auftrag zu, die drei Ämter Jesu Christi in bischöflicher Vollmacht auszu­üben: das munus docendi (LG 25), das munus sanctificandi (LG 26) und das munus regendi (LG 27). Sie tun dies jedoch in rechtlich verschiedener Qualifikation als einzelne (Diözesan- und Titularbischöfe) aber auch und gerade in Gemeinschaft. Überall, wo Bischöfe in den Teilkirchenverbänden (z.B. in der Bischofskonferenz oder im Partikularkonzil) sowie auf der Ebene der Gesamtkirche gemeinsam tätig werden, handeln sie beratend oder entscheidend. Als Träger der Höchstgewalt werden die Bischöfe als Kollegium im rechtlichen Sinne zusammen mit dem Papst als dem hierarchischen Haupt des Kollegiums im Ökumenischen Konzil tätig. c. Ekklesiologische Bedeutung Mit dem Blick auf die Trägerschaft höchster Gewalt in der Kirche liegt es nahe, dass dem Bischofskollegium eine für die Kirche konstitutive Bedeutung eignet. Gemäß der konziliaren Aussage in LG 23, 1 repräsentiert der einzelne Bischof seine ihm anvertraute Teilkirche im Bischofskollegium und damit in der Weltkirche. Gleichzeitig vergegenwärtigt er in seiner Teilkirche die Gesamtkirche und bindet diese in die gesamtkirchliche Einheit des Glaubens, derselben Sakramente und der hierarchischen Leitung ein. Zusammen mit dem Papst als dem Haupt des Bischofskollegiums repräsentieren alle Bischöfe die Kirche als solche, da mit ihnen zugleich die beiden anderen personalen Elemente der Teilkirchen mitgegeben sind (die Gläubigen und das Presbyterium). Das Bi-

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schofskollegium ist daher eine Art „hierarchischer Brennpunkt“ der Kirche, die in und aus den Teilkirchen besteht. Wie der Papst „als sichtbares und immerwährendes Prinzip“ die Gesamtkirche repräsentiert, so repräsentieren die einzelnen Bischöfe als „sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit“ in ihren Teilkirchen die Gesamtkirche und zusammen mit dem Papst als Haupt des Kollegiums die Kirche als in und aus den Teilkirchen bestehende lebendige Gemeinschaft aller Gläubigen in Christus, dem Haupt der Kirche. Daher kann festgestellt werden:

Die spezifische ekklesiologische Funktion des „Bischofskollegiums“ ist es infolgedessen, immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in der Vielheit der ganzen Kirche zu sein. Das Bischofskollegium ist also Repräsentant der ganzen Kirche, insofern sie „communio Ecclesiarum“ ist.60

4. Tätigkeitsweisen Gemäß c.  336 CIC (c.  49 CCEO) übt das Bischofskollegium als Kollegium im Rechtssinn zusammen mit dem Papst als seinem Haupt die Höchstgewalt in der Kirche aus. Das Bischofskollegium ist „Träger höchster und voller Gewalt in Hinblick auf die Gesamtkirche“. Damit ist die Lehre aus LG 22, 2 auch in das kirchliche Gesetzbuch eingegangen, wonach das Bischofskollegium zusammen mit seinem Haupt Träger der höchsten Gewalt in der Kirche ist. Es übt diese in voller Weise da aus, wo es zusammen mit seinem Haupt tätig wird, vornehmlich im Ökumenischen Konzil (c. 337 § 1 CIC; c. 50 § 1 CCEO) und im sog. Fernkonzil (oder auch „Briefkonzil“ gemäß c. 337 § 2 CIC, c. 50 § 2 CCEO). In beiden Fällen handelt es sich um die Verwirklichung bischöflicher Kollegialität, die in einem kollegialen Akt ihren Ausdruck findet, innerhalb dessen der Papst als primatiales Haupt des Kollegiums konstitutiv mitwirken muss. Gegenstand einer solchen Entscheidung sind immer Angelegenheiten des Glaubens und der Disziplin, welche die Universalkirche betreffen. a) Ökumenisches Konzil aa) Fragen der Vorbereitung und Vorsitz Zu den Elementen der Vorbereitung gehören gemäß c.  338 CIC (c.  51 CCEO) Einberufung und Vorsitz sowie Beratungsgegenstände und Geschäftsordnung. Ein Ökumenisches Konzil kommt nach c. 338 § 1 CIC (c. 51 § 1 CCEO) nur zustande, wenn es vom Papst einberufen wird. Ihm kommt es zu, den Vorsitz zu führen, entweder persönlich oder durch einen von ihm beauftragten Stellvertreter. 60

Aymans – Mörsdorf, KanR II, 199; Hervorhebungen im Original.

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Ebenso fallen die Verlegung, die Vertagung oder die Aufhebung des Konzils sowie die Approbation der Konzilsbeschlüsse in seine alleinige Kompetenz. Diese Norm gründet in der Konzilslehre, dass der Papst Haupt des Bischofskollegiums ist.61 Die Beratungsgegenstände eines Konzils bestimmt nach c. 338 § 2 CIC (c. 51 § 2 CCEO) der Papst. Die Konzilsväter haben jedoch das Recht, den vom Papst vorgelegten Fragen weitere mit Approbation des Papstes hinzuzufügen. Ebenso ist es Sache des Papstes, die für ein Konzil geltende Geschäftsordnung festzulegen, die nicht nur den logistischen Ablauf des Konzils reglementiert, sondern zugleich in ihrer jeweiligen Eigenart eine ekklesiologische und folglich kirchenhistorische Bedeutung besitzt. Beide Gegenstände sind in ihrem Entstehen Ausdruck und Frucht der Kollegialität des Bischofskollegiums und der darin repräsentierten Teilkirchen. Wird im Verlauf des Konzils der Apostolische Stuhl durch Amtsbehinderung, Amtsverzicht oder Tod des Papstes vakant, ist das Konzil von Rechts wegen unterbrochen (ipso iure intermittitur), bis der neue Papst die Fortführung anordnet oder es auflöst (c. 340 CIC; c. 53 CCEO). Das kann weitreichende Folgen für eine veränderte Themenstellung oder auch für die Geschäftsordnung haben. ab) Teilnahmerecht und Stimmrecht Nach LG 23 steht allen Bischöfen das Recht zu, aufgrund der Bischofsweihe und der communio hierarchica am Ökumenischen Konzil teilzunehmen (ordentliches und vollberechtigtes Teilnahmerecht). Die Norm des c.  339 §  1 CIC (c.  52 §  1 CCEO) bestimmt infolgedessen, dass alle Bischöfe, die Mitglieder des Bischofskollegiums sind, das Recht und die Pflicht besitzen, am Ökumenischen Konzil mit beschließendem Stimmrecht teilzunehmen. Dies ist Ausdruck der universalen Verantwortung (LG  23), die einem jeden Bischof, wenn auch in rechtlich unterschiedlicher Weise, übertragen ist und hier ihren höchsten Ausdruck findet. Zum Ökumenischen Konzil können darüber hinaus nach c. 339 § 2 CIC (c. 52 § 2 CCEO) auch Nicht-Bischöfe eingeladen werden, deren Stellung näher zu regeln ist (Beobachter, Periti, Berater). Ihnen kommt ein außerordentliches Teilnahmerecht zu, dem allerdings kein Stimmrecht entspricht, außer es wird, insbesondere mit Blick auf katholische Kleriker, die Vorsteher von Teilkirchen, jedoch keine Bischöfe sind, individuell anders bestimmt.

Vgl. Nep 3: „Da aber der Papst das Haupt des Kollegiums ist, kann er allein manche Handlungen vollziehen, die den Bischöfen in keiner Weise zustehen, z.B. das Kollegium einberufen und leiten, die Richtlinien für das Verfahren approbieren usw.“

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ac) Sanktion und Promulgation Die Beschlüsse eines Ökumenischen Konzils erlangen nach c. 341 § 1 i. V. m. c. 338 § 1 CIC (cc. 54 § 1, 51 § 1 CCEO) erst dann Rechtskraft, wenn sie zusammen mit den Konzilsvätern vom Papst gebilligt (approbata), von ihm bestätigt (confirmata) und auf seine Anordnung hin verkündet (promulgata) worden sind. Die konziliare Beschlussfassung ist demnach ein streng kollegialer Akt, in dem sich der Gesamtwille des Bischofskollegiums manifestiert, dessen Haupt der Papst ist. Demzufolge kann es keinen Konzilsbeschluss geben, bei dem der Papst als primatiales Haupt des Kollegiums nicht mitgewirkt hat. So kann erst von einem Konzilsbeschluss gesprochen werden, wenn der Papst diesem beigetreten ist (una cum Concilii Patribus) und ihn genehmigt hat. Auf ebensolche Weise bedürfen Dekrete des Bischofskollegiums nach c. 341 § 2 CIC (c. 54 § 2 CCEO) einer Bestätigung und Promulgation, wenn diese gemäß einer vom Papst eingeführten oder frei angenommenen Weise als kollegiale Akte gesetzt wurden. Dahinter steht nach c. 337 § 3 CIC (c. 50 § 3 CCEO) die Kompetenz und Verantwortung des Papstes, „gemäß den Erfordernissen der Kirche die Weisen auszuwählen und auszurichten, in denen das Bischofskollegium seine Aufgabe hinsichtlich der Gesamtkirche kollegial ausüben soll.“ Der Terminus decreta bezeichnet in c. 341 § 1 CIC (c. 54 § 1 CCEO) in genereller Weise die Konzilserlasse. Damit wird nicht spezifisch ausgedrückt, dass sie Gesetze gemäß c. 29 CIC oder Einzelfalldekrete gemäß c. 48 CIC (c. 1510 § 2 n. 1 CCEO) darstellen. Der Begriff umgreift vielmehr in allgemeiner Weise das, was das Konzil beschließt. So hat das II. Vatikanische Konzil die Einteilung seiner Beschlüsse (decreta) in vier Konstitutionen (constitutiones), neun Dekrete (decreta) und drei Erklärungen (declarationes) vorgenommen. b) Fernkonzil bzw. Briefkonzil Die Ausübung der Höchstgewalt ist für das Bischofskollegium in Einheit mit seinem Haupt auch unter Verzicht des örtlichen Ereignischarakters eines Ökumenischen Konzils möglich. Nach c. 337 § 2 CIC (c. 50 § 2 CCEO) vollzieht sich dies durch einen außerordentlichen, in Form eines schriftlich vollzogenen kollegialen Aktes aller Bischöfe, die an ihren Orten verbleiben. Die Handlung wird entweder vom Papst in die Wege geleitet oder auf der Grundlage einer entsprechenden Initiative der Bischöfe frei angenommen. Die Kollegialerlasse, die auf diese Weise zustande gekommen sind, bedürfen nach c. 341 § 2 CIC (c. 54 § 2 CCEO) ebenfalls zu ihrer Verbindlichkeit der Bestätigung und Promulgation durch den Papst. Zwei Eigenheiten dieses Vorgehens werden besonders erkennbar. Die Initiative muss, anders als beim Ökumenischen Konzil, nicht beim Papst liegen. Er kann nach c. 337 § 2 CIC (c. 50 § 2 CCEO) eine einschlägige Initiative der Bischöfe frei annehmen. Zugleich bietet das Fernkonzil die Möglichkeit, die Frage der Durch-

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führung eines Ökumenischen Konzils angesichts der heutigen großen Zahl von Bischöfen neu zu bedenken. Zweifelsohne ist das Versammlungsprinzip des Ökumenischen Konzils mit der dadurch möglichen Aussprache der Konzilsväter nicht zu unterschätzen. Doch kann es heutzutage auch durch andere Mittel der Kommunikation weitestgehend ergänzt oder gar ersetzt werden.62

C.  Das Amt des Papstes – Fortdauer des Petrusamtes Aymans  – Mörsdorf, KanR II, §§  60.  62; Hugo Schwendenwein, §  28 Der Papst, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Barbara Ries, Amt und Vollmacht des Papstes. Eine theologisch-rechtliche Untersuchung zur Gestalt des Petrusamtes in der Kanonistik des 19. und 20. Jahrhunderts, Münster 2003.

Das kirchliche Gesetzbuch entfaltet in wenigen Canones die Lehre über das Papstamt, wie sie vom I. und II.  Vatikanischen Konzil grundgelegt wurde. Dabei stehen sowohl Wesen und Amtsvollmacht des Papstamtes als auch zentrale, damit verbundene Ausführungs- und Beratungsorgane (Römische Kurie, Kardinalskollegium, Bischofssynode und Apostolische Legaten) im Mittelpunkt. Sie weisen das Papstamt neben seinem unipersonalen Charakter zugleich als ein in die Communio-Struktur der Kirche eingebettetes Amt aus. Staatskirchenrechtliche Verträge bestimmen den Papst zudem in seiner weltlichen Souveränität als Staatsoberhaupt des Vatikanstaates und damit als Subjekt des Völkerrechts.63 1. Bischof der Kirche von Rom Der theologische Leitcanon zum Papstrecht (c. 331 CIC; c. 43 CCEO) stellt heraus, dass der Bischof der Kirche von Rom sowohl verschiedene Titel in der Kennzeichnung seines Amtes besitzt als auch seine ihm zukommende Vollmacht durch verschiedene Wesenszüge geprägt ist, welche die Fülle der päpstlichen Primatialgewalt erfassen. Danach ist der Bischof der Kirche von Rom, in dem das Amt fortbesteht, das der Herr in einzigartiger Weise dem Petrus, dem Ersten der Apostel, verliehen hat und das auf seine Nachfolger weitergegeben werden sollte, Haupt des Kollegiums der Bischöfe, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche. Das bedeutet gemäß biblischer Weisung und kirchlicher Tradition: Als Nachfolger des Apostels Petrus steht der Papst an der Spitze der Bischöfe, ebenso wie Petrus im Kreis der Apostel eine herausragende Stellung einnimmt. Damit ist er zugleich Stellvertre Vgl. dazu die Überlegungen von Christoph Ohly, Die römische Bischofssynode, 197 f. Siehe Norbert Witsch, Der Vatikanstaat, in: HdbKathKR3, 538–542.

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ter Christi auf Erden und nicht nur Träger des obersten Hirtenamtes, sondern zugleich auch das „Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft“.64 Diesen drei Grundtiteln hat die Tradition der Kirche weitere Bezeichnungen und Titel hinzugefügt, die jeweils historische Entfaltungen der päpstlichen Vollmacht kennzeichnen. Dazu gehören unter anderem: Papst (Papa, geistlicher Vater), um die geistliche Vaterschaft im Hirtenamt zu verdeutlichen, Romanus Pontifex, um die Relevanz des römischen Bischofssitzes für die Universalkirche hervorzuheben, sowie Patriarch des Abendlandes, mit dem die Führungsfunktion des Papstes in der Lateinischen Kirche ausgedrückt wird. Im März 2006 verzichtete Papst Benedikt XVI. aufgrund der Unbestimmbarkeit des Begriffs „Abendland“ auf diesen Titel. Dieses viel diskutierte Vorgehen ändert jedoch nichts an der vom II.  Vatikanischen Konzil feierlich erklärten Anerkennung der antiken Patriarchalkirchen.65 Im Gegenteil: Möglicherweise kann der Verzicht aus Gründen eines historischen Realismus auf Dauer dem ökumenischen Dialog von Nutzen sein. Darüber hinaus gilt der Papst als Primas von Italien (Ehrentitel ohne Jurisdiktion), als Erzbischof und Metropolit der römischen Kirchenprovinz mit den dazugehörigen Suffragandiözesen, Gebietsabteien und Diözesen, die dem Apostolischen Stuhl direkt unterstellt sind, und als Diener der Diener Gottes (Servus servorum Dei), ein Titel, der auf Papst Gregor d. Gr. (590–610) zurückgeht. Andere Titel in der alltäglichen Anrede wie beispielsweise Heiliger Vater oder Eure Heiligkeit kommen hinzu. 2. Kennzeichen der päpstlichen Amtsgewalt Die genannten Titel stellen eine verbalisierte Umschreibung der mit dem Papstamt verbundenen päpstlichen Amtsgewalt (Primatialgewalt) dar. Sie wird durch das Amt vermittelt (potestas ordinaria) und umfasst die gesamte geistliche Vollmacht des Papstes. Allerdings wird sie nach c. 332 § 1 CIC (c. 44 § 1 CCEO) nicht durch eine kanonische Amtsverleihung (provisio canonica) gemäß c.  147 CIC übertragen, da es keine dem Papst übergeordnete Autorität in der Kirche gibt. Die Amtsübernahme erfolgt vielmehr missione divina aufgrund der beiden konstitutiven Elemente der Papstwahl nach c. 332 § 1 CIC (c. 44 § 1 CCEO), d.h. durch die Annahme der rechtmäßigen Wahl und die empfangene Bischofsweihe.66 Terminologisch und ekklesiologisch ist darauf zu verweisen, dass die päpstliche Primatialgewalt eine Vollmacht in der Kirche darstellt. Sie ist eingebunden in die gesamte Communio-Struktur der Kirche und folglich weder eine Vollmacht der Kirche, die dem Papst durch die Kirche übertragen wird, noch eine Vollmacht über LG 18,2. Vgl. dazu LG 23. 66 Zur Papstwahl siehe § 26 C 5 b. 64 65

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die (oder gegenüber der) Kirche, die den Papst als Gegenüber zur Kirche erscheinen ließe. Die Papstgewalt gehört zur Kirche und ist als Höchstgewalt von Christus selbst in sie hineingestellt. Sie wird in c. 331 CIC (c. 43 CCEO) in Übereinstimmung mit LG 22, 2 als höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt umschrieben, die der Papst immer frei ausüben kann. Die genannten Kennzeichen weisen auf Einzel­aspekte dieser Vollmacht hin: 1. Höchstgewalt (potestas suprema): Der Papst ist von keiner kirchlichen Institution abhängig. Deshalb bedürfen gemäß c. 333 § 3 CIC (c. 45 § 3 CCEO) seine Entscheidungen keiner Bestätigung und gegen seine Dekrete und Urteile gibt es keine Berufungsmöglichkeit (Rekurs). Demzufolge kann der Papst auch von keiner kirchlichen Instanz zur Verantwortung gezogen werden: Prima Sedes a nemine iudicatur (c. 1404 CIC; c. 1058 CCEO). 2. Vollgewalt (potestas plena): Dem Papst kommt die ganze Gewalt zu, die Christus seiner Kirche auf Erden übertragen hat. Sie umgreift formal und materiell alles, was für die Sendung der Kirche erforderlich ist. 3. Unmittelbare Gewalt (potestas immediata): Der Papst kann jederzeit und überall in das Leben der Kirche – auch in die Teilkirchen – eingreifen. Das beeinträchtigt nicht die eigene und unmittelbare Gewalt des Ortsbischofs, sondern stellt diese, sofern notwendig, in einen größeren, universalkirchlichen Zusammenhang. Damit verbunden ist das unmittelbare Recht der Gläubigen, sich gemäß c. 1405 § 1 n. 4 CIC (c. 1060 § 1 n. 4 CCEO) direkt an den Papst zu wenden. 4. Universalgewalt (potestas universalis): Die Papstgewalt erstreckt sich über alle Teilkirchen (localis) und über alle Gläubigen (personalis). Der Papst ist nicht nur Bischof von Rom, sondern als solcher zugleich Bischof der ganzen katholischen Kirche (Catholicae Ecclesiae episcopus). 5. Bischöfliche Gewalt (potestas vere episcopalis): Sie kommt dem Papst als Bischof von Rom zu. 6. Frei ausübbare Gewalt (semper libere exercere): Die freie Ausübung legitimiert keine Willkür, sondern fordert die Freiheit gegenüber einem unrechtmäßigen Eingriff von außen ein. 7. Kompetenz der Kompetenz (c. 333 § 2 CIC; c. 45 § 2 CCEO): Der Papst ent­scheidet über die unipersonale (päpstliche) oder kollegiale (bischöfliche) Ausübung der Höchstgewalt. 8. Letztinstanz (c. 333 § 3 CIC; c. 45 § 3 CCEO: Ein Rekurs an ein Ökumenisches Konzil oder an das Bischofskollegium gegen eine päpstliche Entscheidung ist nicht zulässig (c. 1372). 3. Behinderung und Vakanz Für den Fall, dass der Papst an der Ausübung seines Amtes gehindert ist oder der Stuhl Petri durch den Tod des Papstes vakant wird, gilt der Grundsatz, dass in der

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Leitung der Gesamtkirche gemäß c. 335 CIC (c. 47 CCEO) nichts verändert werden darf. Die dafür erlassenen Spezialgesetze regeln das dafür zu beachtende Vorgehen. Für die Amtsbehinderung (sede romana prorsus impedita) fehlen sowohl genauere Bestimmungen zu einschlägigen Situationen als auch zum weiteren Vorgehen. In Anlehnung an c. 412 CIC (c. 233 § 1 CCEO) liegt eine Amtsbehinderung wohl im Fall von Gefangenschaft, Verbannung, Exil oder dauernder Geisteskrankheit vor, die nicht einmal eine Amtsausübung durch schriftliche Anweisungen möglich machen.67 Ist der päpstliche Stuhl durch den Tod des Papstes vakant geworden, ruht die päpstliche Primatialgewalt. Sie geht in diesem Fall nicht auf das Kardinals- oder Bischofskollegium über, wohl aber wird die Leitung dem Kardinalskollegium anvertraut, was die Erledigung der laufenden Geschäfte sowie die Vornahme des Papstbegräbnisses und der Papstwahl angeht. Der Eintritt einer Vakanz durch den Amtsverzicht des Papstes war über viele Jahrhunderte zwar rechtlich normiert, kam aber in der Praxis der Päpste sowie im Verständnis eines von Gott auf Lebenszeit übertragenen Amtes letztlich nicht vor. Die geltende Norm des c. 332 § 2 CIC (c. 44 § 2 CCEO) sieht für den Amtsverzicht die Freiheit des Verzichts sowie die hinreichende Kundgabe als Gültigkeitsbedingungen vor, nicht jedoch die Notwendigkeit der Annahme durch die Kirche. Am 11. Februar 2013 kündete in überraschender Weise Papst Benedikt XVI. seinen Amtsverzicht zum 28. Februar 2013 an. In seiner Erklärung (declaratio) verweist er ausdrücklich auf die beiden Gültigkeitsbedingungen:

Im Bewusstsein des Ernstes dieses Aktes erkläre ich daher mit voller Freiheit, auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, das mir durch die Hand der Kardinäle am 19. April 2005 anvertraut wurde, zu verzichten, so dass ab dem 28. Februar 2013, um 20.00 Uhr, der Bischofssitz von Rom, der Stuhl des heiligen Petrus, vakant sein wird und von denen, in deren Zuständigkeit es fällt, das Konklave zur Wahl des neuen Papstes zusammengerufen werden muss.68

4. Stellvertretungsorgane Aymans – Mörsdorf, KanR II, §§ 64–67; Heribert Schmitz, § 32 Römische Kurie, in: HdbKathKR3; Yves Kingata, § 33 Die päpstlichen Gesandten, in: HdbKathKR3.

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Siehe dazu ausführlich Georg Müller, Sedes Romana impedita. Kanonistische Annäherungen zu einem nicht ausgeführten päpstlichen Spezialgesetz, St. Ottilien 2013. Benedikt XVI., Declaratio vom 11.2.2013, in: AAS 105 (2013) 239–240; dt.: AfkKR 182 (2013) 215. Dazu u.a. Matthias Pulte, Der Amtsverzicht Papst Benedikts XVI. vom 11.2.2013. Erwägungen aus kirchenrechtlichem Blickwinkel, in: TThZ 123 (2014) 67–81.

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a) Römische Kurie Der Terminus Römische Kurie steht als Inbegriff für alle Stellvertretungsorgane des Papstes im Bereich der universalkirchlichen Verwaltung (Administration) und Rechtsprechung (Judikatur). Als kirchliche Institution geht sie auf Papst Sixtus V. (1585–1590) zurück, der 1588 insgesamt 15 Behörden zur Unterstützung des Petrusamtes schuf. Nach zahlreichen Reformen der Kurie, die immer wieder im Verlauf der Geschichte und in jüngerer Zeit durch die Anregungen des II. Vatikanischen Konzils durchgeführt wurden, umfasst sie heute verschiedene Einrichtungen der Verwaltung sowie die päpstlichen Gerichtshöfe. Durch sie besorgt der Papst nach c. 360 CIC die „Geschäfte der Gesamtkirche“. Im Rahmen der ihnen zugewiesenen Zuständigkeiten üben sie ihre Aufgaben „in seinem Namen und seiner Autorität zum Wohl und zum Dienst an den Teilkirchen“ aus. Darüber hinaus sind der Kurie zahlreiche Einrichtungen zugewiesen, die keine hoheitlichen Vollmachten innehaben, jedoch den übrigen Dikasterien entsprechend zuarbeiten. Die kodikarischen Begriffe „Apostolischer Stuhl“ oder „Heiliger Stuhl“ bezeichnen nach c. 361 CIC nicht nur den Papst, sondern können auch die in seinem Namen handelnden kurialen Einrichtungen umfassen. Gemäß der Norm des c. 360 CIC werden Ordnung und Zuständigkeiten der Kurie durch besonderes Gesetz (lex peculiaris) normiert. Die derzeit geltende Ordnung liegt mit der Apostolischen Konstitution „Pastor bonus“ vom 28.6.1988 vor, die im Ganzen von der Communio-Theologie des II. Vatikanischen Konzils durchdrungen ist.69 Sie ist mit der von Papst Franziskus in Angriff genommenen Kurienreform Gegenstand von zahlreichen Korrekturen und Veränderungen, aus denen die künftige Kurienkonstitution „Praedicate Evangelium“ hervorgehen soll.* Die Konstitution *

Kurz vor Drucklegung des Studienbuches hat Papst Franziskus am 19.3.2022 (Hochfest des hl. Josef ) die Apostolische Konstitution „Praedicate Evangelium“ veröffentlicht. Mit dem Pfingstsonntag (5.6.2022) tritt sie in Kraft und löst damit die bisher geltende Apostolische Konstitution „Pastor bonus“ ab. Die einzelnen Bestimmungen der Konstitution konnten für das Studienbuch nicht mehr berücksichtigt werden. Auf zwei grundlegende Neuerungen sei an dieser Stelle lediglich hingewiesen. Der Titel der Konstitution stellt nachdrücklich die Fokussierung der kurialen Organisation und Arbeit auf die Neuevangelisierung und die Mission heraus. Folglich steht das künftige Dikasterium für die Neuevangelisierung, das die bisherige Kongregation für die Evangelisierung der Völker und den bisherigen Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung vereint, an erster Stelle aller nun als gleichberechtigt gewerteten Einrichtungen der Kirche. Geleitet wird dieses Dikasterium durch den Papst selbst. Die zweite Neuerung besteht in der terminologischen Gleichsetzung der kurialen Behörden. Kongregationen, Räte und sonstige Behörden werden künftig einheitlich als Dikasterien bezeichnet. Umstritten ist die Frage nach der Leitungskompetenz der Dikasterien. Während die Konstitution vorsieht, dass die Leitung einzelner Dikasterien aufgrund päpstlicher Bevollmächtigung durch Laien ausgeübt werden kann, sehen Kritiker dieser Bestimmungen die Leitungsvollmacht als notwendig an die im Weihesakrament übertragene Weihevollmacht gebunden an (vgl. die potestas-sacra-Lehre des II. Vatikanischen Konzils, dazu bes. LG 21).

Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Pastor bonus“ vom 28.6.1988, in: AAS 80 (1988) 841–934. Siehe dazu Christoph Ohly, Legitimation und Plausibilität. Zum ekklesiologischen Ort der Römischen Kirche, in: AfkKR 185 (2016) 25–41.

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unterscheidet die kurialen Behörden in Dikasterien (dicasteria) und Einrichtungen (instituta).70 Die Einrichtungen umfassen insbesondere die Präfektur des päpstlichen Hauses und das Amt für die liturgischen Feiern des Papstes.71 Hinzu kommen derzeit eine Reihe von Päpstlichen Kommissionen, die sich verschiedenen Themen in Kirche und Welt stellen.72 Zu den Dikasterien werden folgende Behörden gezählt: 1. das Staatssekretariat mit den zwei traditionellen Sektionen für allgemeine Angelegenheiten, die den täglichen Dienst des Papstes regeln, sowie für die Beziehungen mit den Staaten und zu Fragen der Teilkirchen (PB 39–47). Mit Wirkung vom 9.11.2017 hat eine von Papst Franziskus errichtete dritte Sektion ihre Arbeit aufgenommen, die sich unter dem Titel „Sektion für den diplomatischen Stab“ um das weltweite diplomatische Corps des Heiligen Stuhls kümmert; 2. die Kongregationen, die nach Sachgebieten der kirchlichen Verwaltung differenziert und kollegial verfasst sind sowie von einem Kardinalpräfekten geleitet werden (PB 48–116), darunter die Kongregation a) für die Glaubenslehre, b) für die Orientalischen Kirchen, c) für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, d)  für die Selig- und Heiligsprechungsverfahren, e)  für die Bischöfe, f ) für die Evangelisierung der Völker, g) für den Klerus, h) für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens sowie i) für das Katholische Bildungswesen; 3. die Päpstlichen Gerichte (PB 117–130) mit der Apostolischen Signatur (oberster Gerichtshof der Kirche und oberste Gerichtsverwaltungsbehörde) und der Römischen Rota (oberstes ordentliches Berufungsgericht), während die Apostolische Pönitentiarie kein Gericht im strengen Sinn, sondern eine Einrichtung mit gnadenerweisender Tätigkeit (u.a. Gewährung von Absolutionen und Dispensen) darstellt;73 4. die Päpstlichen Räte (PB 131–170), die keine Verwaltungsbehörden im strengen Sinne, sondern Kontakt- und Beratungsorgane bezüglich der die Sendung der Kirche in der Welt von heute betreffenden Angelegenheiten darstellen, zu denen nach aktuellem Stand der derzeit laufenden Kurienreform folgende Räte samt angebundener Kommissionen gehören: a) Rat zur Förderung der Einheit der Christen mit der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, b) Rat für die Gesetzestexte, dem auch die authentische Interpretation gesamtkirchlicher Gesetze sowie die erbetene Prüfung von teilkirchlichen Ge Vgl. PB, Art. 1. Vgl. PB, Art. 180–182. 72 Dazu gehören u.a. die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt (SCV), für Sakrale Archäologie, für Lateinamerika, für den Schutz von Minderjährigen sowie die Internationale Theologenkommission und die Päpstliche Kommission Ecclesia Dei, die beide der Kongregation für die Glaubenslehre zugewiesen sind. 73 Vgl. cc. 1442–1445 CIC. 70 71

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setzen obliegt, c) Rat für den Interreligiösen Dialog mit der Päpstlichen Kommission für religiöse Beziehungen zu den Muslimen, d) Rat für die Kultur mit der Päpstlichen Kommission für die Kulturgüter der Kirche, e) Rat zur Förderung der Neuevangelisierung, f ) Rat für die sozialen Kommunikationsmittel (seit 2016 eingegliedert in das Dikasterium für Kommunikation),74 5. die Päpstlichen Ämter (PB 171–179), denen folgende Einrichtungen zugehörig sind: a) die Apostolische Kammer, die vom Camerlengo geleitet wird, b) die Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls, c) die Präfektur für die ökonomischen Angelegenheiten des Apostolischen Stuhls (seit 2016 in das Wirtschaftssekretariat überführt). Die Dikasterien bestehen in der Regel aus den Entscheidungsträgern (Kardinalpräfekt oder Erzbischofpräses; Sekretär; Kardinäle, Bischöfe) sowie Konsultoren und Offiziale (Behördenbeamte), die sich aus geeigneten Klerikern und Laien zusammensetzen. Die Ernennung erfolgt auf fünf Jahre mit der Möglichkeit zur Verlängerung.75 Mit Vollendung des 75. Lebensjahres bzw. im Fall von Tod oder Amtsverzicht des Papstes scheiden alle Mitglieder aus ihren Ämtern aus, während der Sekretär die laufenden Geschäfte weiterführt.76 Die Dikasterien behandeln gemäß ihrer jeweiligen Zuständigkeit jene Angelegenheiten, die dem Apostolischen Stuhl vorbehalten sind oder ihnen aufgrund päpstlicher Zuweisung zukommen.77 Im Bereich der Verwaltung müssen wichtigere Entscheide dem Papst zur Genehmigung vorgelegt werden, es sei denn, der Leiter besitzt besondere Befugnisse.78 In Einzelfällen können Dikasterien auch gesetzgeberisch tätig werden, bedürfen dazu jedoch einer gesetzlichen Maßgabe oder päpstlichen Zuweisung sowie der ausdrücklichen päpstlichen Genehmigung (approbatio) des Gesetzgebungsaktes.79 Im Rahmen der Zuständigkeit besitzt jedes Dikasterium auch die Pflicht, einschlägige Verwaltungsbeschwerden entgegenzunehmen.80 Die bisherigen Päpstlichen Räte für die Laien und für die Familie wurden am 1.9.2016 in das neu errichtete sog. Dikasterium für Laien, Familie und Leben zusammengeführt (Franziskus, Motu proprio „Sedula mater“ vom 15.8.2016, in: AAS 108 [2016] 963). Die Päpstlichen Räte für die Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs, die Pastoral im Krankendienst, Gerechtigkeit und Frieden sowie Cor Unum wurden mit Wirkung vom 1.1.2017 zum neuen sog. Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen zusammengeschlossen (Franziskus, Motu proprio „Humanam progressionem“ vom 17.8.2016, in: AAS 108 [2016] 968). 75 Vgl. PB, Art. 5 § 1. 76 Vgl. ebd., Art. 5 und 6. Vgl. dazu Franziskus, Motu proprio „Come una madre amorevole“, in: AAS 108 (2016) 715–717. 77 Vgl. PB, Art. 14. Mögliche Kompetenzkonflikte entscheidet die Apostolische Sig­natur. 78 Vgl. ebd., Art. 18 § 1. 79 Vgl. ebd., Art. 18 § 2. 80 Vgl. ebd., Art. 19 § 1.

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b) Päpstliche Gesandte Nach c. 362 CIC kommt dem Papst das mit seinem Amt verbundene und unabhängige Recht zu, Gesandte zu ernennen, sie zu Teilkirchen und unter Beachtung des Völkerrechts zu Staaten zu entsenden, sie zu versetzen und abzuberufen. Das damit verbundene päpstliche Gesandtschaftswesen81 besitzt eine lange Tradition und findet – unter Beachtung der vom II. Vatikanischen Konzil in CD 9–10 geäußerten Wünsche – in seiner heutigen Gestalt insbesondere in den beiden nach c. 363 CIC bestimmten Formen seinen Ausdruck. Danach werden von den Legaten des Papstes als dessen ständigen Vertretern bei Teilkirchen und Staaten (§ 1), die in der Regel Titularbischöfe sind, jene Repräsentanten des Apostolischen Stuhls unterschieden, die als Delegaten oder Beobachter bei internationalen Räten, Konferenzen oder Versammlungen mitwirken und Laien sein können (§ 2). Der päpstliche Legat, der seinen Dienst innerkirchlich ausübt, wird Apostolischer Delegat genannt, hingegen wird er in seiner Funktion als diplomatischer Vertreter bei Staaten oder Regierungen als Apostolischer Nuntius bezeichnet, wenn ihm zugleich das Recht des Dekans des diplomatischen Korps (Doyen) zukommt. Die Grundnormen des päpstlichen Gesandtschaftswesens (cc. 362–367 CIC) werden durch das bis heute geltende Motu proprio „Sollicitudo omnium Ecclesiarum“ von Papst Paul VI. vom 24.6.1969 präzisiert. Die Bedeutung der innerkirchlichen Aufgaben des Legaten wird darin offenkundig. Er soll die Verbindung zwischen dem Apostolischen Stuhl und den Teilkirchen stärken und wirksam gestalten. Dafür ist er einerseits dem Staatssekretariat zugeordnet, andererseits kommt ihm nach c. 366 CIC eine gegenüber dem zuständigen Ortsoberhirten exemte Rechtsstellung (mit Ausnahme von Eheschließungen) zu, die ihm einen entsprechenden Einsatz auch in pastoralen Diensten ermöglicht. Zu seinen spezifischen Aufgaben gehören nach c. 364 CIC insbesondere: 1. Berichterstattung an den Apostolischen Stuhl über die Situation der Teilkirchen (n. 1) 2. Unterstützung der Bischöfe mit Rat und Tat unter Beachtung ihrer rechtmäßigen bischöflichen Vollmacht (n. 2) 3. Pflege der Beziehungen zur Bischofskonferenz, ohne ihr Mitglied zu sein (n. 3) 4. Übermittlung der Namen von Kandidaten für das Bischofsamt an den Apostolischen Stuhl und Durchführung des Informativprozesses (n. 4) 5. Förderung von Initiativen, die den Frieden, den Fortschritt und die Zusammenarbeit der Völker betreffen (n. 5) 6. Unterstützung von ökumenischen und interreligiösen Beziehungen (n. 6)

Neben diesem aktiven Gesandtschaftsrecht besteht zugleich ein passives Recht, Gesandte der betreffenden Staaten am Heiligen Stuhl zu akkreditieren.

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7. Schutz der kirchlichen Sendung durch vereintes Handeln mit den Bischöfen bei den Regierungen (n. 7) 8. Erfüllung aller ihm zukommenden Befugnisse und Aufträge (n. 8). Nimmt er als Päpstlicher Legat zugleich die Vertretung des Apostolischen Stuhls bei Staaten oder Regierungen wahr, kommen nach c. 365 CIC spezifische Aufgaben hinzu: 1. Förderung und Pflege der Staat-Kirche-Beziehung (§ 1 n. 1) 2. Behandlung der Fragen, die die Beziehung von Kirche und Staat betreffen, insbesondere durch Konkordate und ähnliche Vereinbarungen (§ 1 n. 2) 3. Unterrichtung der Bischöfe über die betreffenden Angelegenheiten sowie Einholung von Meinungen und Rat der Bischöfe (§ 2).

5. Beratungsorgane Aymans – Mörsdorf, KanR II, §§ 62–63; Markus Graulich, § 30 Die Bischofssynode, in: HdbKathKR3; Ders., § 31 Die Kardinäle, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Helmut Finzel, Die Bischofssynode: zwischen päpstlichem Primat und bischöflicher Kollegialität, St. Ottilien 2016; Christoph Ohly, Die römische Bischofssynode. Eine Institution im Licht ihrer aktuellen Entwicklung, in: Heribert Hallermann u.a (Hg.), Reform an Haupt und Gliedern. Impulse für eine Kirche „im Aufbruch“, Würzburg 2017, 181–200.

a) Bischofssynode Seit dem II. Vatikanischen Konzil hat sich die römische Bischofssynode zu einem herausragenden Beratungsorgan des Papstes entwickelt. Ihre Einrichtung geht auf den Wunsch der Konzilsväter zurück und wurde noch während des Konzils von Papst Paul VI. durch das Motu proprio „Apostolica sollicitudo“ vom 15.9.1965 initiiert. Ihre weitere rechtliche Ausgestaltung findet diese synodale Einrichtung in den einschlägigen Normen des CIC (cc. 342–348), durch die Apostolische Konstitution „Episcopalis communio“ vom 15.9.2018 und die geltende Instruktion vom 1.10.2018.82 Die einschlägigen Normen stellen die Bischofssynode als beratende Versammlung von Bischöfen dar, nicht jedoch als Entscheidungsorgan des Bischofskollegiums oder als Träger der Höchstgewalt in der Kirche. Vielmehr vertritt die Synode nach c. 342 CIC das Bischofskollegium, um Franziskus, Apostolische Konstitution „Episcopalis communio“ vom 15.9.2018, in: AAS 110 (2018) 1359–1378; Generalsekretariat der Bischofssynode, Instruktion „Al Romano Pontefice“ vom 1.10.2018, in: Comm 50 (2018) 441–459.

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1. die enge Verbundenheit zwischen Papst und Bischöfen zu fördern, 2. dem Papst in Fragen des Glaubens, der Sitten und der kirchlichen Disziplin beratend zur Seite zu stehen und 3. Themen des kirchlichen Wirkens in der Welt zu erörtern. Daher kommen dem Papst in Bezug auf die Synode zum einen alle rechtlichen Sachverhalte zu, die ihre Einberufung, den Vorsitz und die Feststellung der Beratungsgegenstände berühren, zum anderen die Entscheidung über die von den Bischöfen nach Beratung vorgelegten Wünsche und Voten. In der Regel erfolgt die Entscheidung in Form eines nachsynodalen Apostolischen Schreibens zur Synodenthematik. Insbesondere die Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sowie aktuell von Papst Franziskus haben in diesem Zusammenhang wegweisende lehramtliche Schreiben hervorgebracht, die das Leben und die Sendung der Kirche maßgebend prägen. In Einzelfällen kann der Papst nach c. 343 CIC der Synode Entscheidungsgewalt übertragen. Die Bischofssynode gilt durch die dauerhafte Einrichtung des General­sekretariats und des Sekretariatsrates (Bischofsrat) nach c. 348 CIC als eine beständige Institution in der Kirche, die verschiedene Formen der Ausübung kennt. Diese unterscheiden sich gemäß cc. 345 und 346 CIC sowohl in der Arbeitsweise als auch in der Zusammensetzung. Die ordentliche oder außerordentliche Generalversammlung befasst sich jeweils mit Fragen, die unmittelbar das Wohl der Gesamtkirche betreffen, wobei letztere in der Regel um einer schnellen Erledigung des Themas willen einberufen wird. Die Spezialversammlung behandelt hingegen Fragen, die sich unmittelbar auf eine oder mehrere Regionen beziehen. Die inhaltliche Differenzierung der Versammlungsformen hat Konsequenzen für die Zahl und Funktion der zu bestimmenden Synodalen, die in c. 346 CIC in genereller und in der Synodenordnung (Art. 5–7) in spezifischer Weise festgelegt sind. Dabei ist zum einen der Bezug zu den gewählten bzw. ernannten Ortsbischöfen, zum anderen zu den Leitern der römischen Dikasterien, die von Amts wegen Mitglieder der Bischofssynode sind, gegeben. Die jüngeren Bischofssynoden haben deutlich werden lassen, dass es sich um eine Rechtsfigur im kirchlichen Verfassungsgefüge handelt, die einer beständigen Entwicklung unterliegt und das synodale Element in der Kirche herauszustellen vermag. Es bleibt eine mit ihr verbundene Aufgabe, möglicherweise auch einen legitimen Weg zu weisen, „falls die Durchführung eines Ökumenischen Konzils nach Art des jetzt geltenden Rechts an ihre praktischen Grenzen stößt“.83 Aktuell wird das Ereignis der Bischofssynode in seiner Konstellation durch die päpstliche Initiative einer (vorausgehenden) sog. „Weltsynode“ (2021-2023) zum Thema „Für eine synodale Kirche – Gemeinschaft, Teilhabe und Mission“ neu Aymans – Mörsdorf, KanR II, 232. Siehe dazu § 26 B 4 mit Anm. 325.

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ausgerichtet. Damit ist das Ziel verbunden, die Beteiligung aller Gläubigen am Sendungsauftrag stärker zu institutionalisieren und die Ausgestaltung einer „synodalen Kirche“ zu fördern.84 Partikularkirchlich sind in einer gewissen Unabhängigkeit davon synodale Prozesse wahrzunehmen, die in den Ortskirchen angestoßen wurden. Als Beispiele können trotz ihrer unterschiedlichen inhaltlichen und strukturellen Ausrichtung das Plenarkonzil der Kirche in Australien und der sog. „Synodale Weg“ in Deutschland genannt werden.85 b) Kardinalskollegium Der Kardinalat ist eine Einrichtung kirchlichen Rechts und findet seinen Ursprung in jenen Bischöfen, Priestern und Diakonen in der Kirche von Rom, denen spezifische Aufgaben in der Liturgie und der Caritas zukamen. Er gilt als höchste kirchliche Würde, auch wenn Studien in jüngerer Zeit seinen Amts­charakter nachzuweisen versuchen.86 Der Begriff leitet sich von cardinalis (wichtig, vorzüglich) bzw. cardo (Türangel, Angelpunkt) ab und bezeichnet die Bedeutung des betreffenden Klerikers. Die darauf beruhende Struktur des Kardinalskollegiums in drei Rangklassen gilt gemäß c. 350 CIC heute fort: 1. Kardinalbischöfe: Zu ihnen zählen die Titularbischöfe der suburbikarischen Diözesen sowie die Patriarchen der katholischen Ostkirchen. Sie beraten den Papst in wichtigen Angelegenheiten. 2. Kardinalpriester: Zu ihnen zählen in der Regel die Kardinäle, die als Diözesanbischöfe in der Weltkirche tätig sind. Ihnen ist eine römische Titelkirche anvertraut. 3. Kardinaldiakone: Zu ihnen zählen die übrigen Kardinäle, insbesondere die Kurienkardinäle, denen römische Diakonien zugeteilt werden. Durch Papst Alexander III. wurde dem Kardinalskollegium 1179 das ausschließliche Papstwahlrecht übertragen. In den Versammlungen (Konsistorien) konnte es seinen großen Einfluss festigen. Nach Errichtung der kurialen Kongregationen durch Papst Sixtus V. (1588) ging die damit verbundene Vollmacht aber stärker auf die einzelnen Kardinäle als Leiter der Dikasterien über. Bereits vom Konzil von Trient gewünscht, kann seit Papst Pius XII. (1939–1958) eine zunehmende Internationalisierung des Kardinalskollegiums beobachtet werden. Vgl. dazu u.a. das aktuelle Vorbereitungsdokument, abrufbar unter https://www.vaticannews.va/ de/vatikan/news/2021-09/vatican-news-vorbereitungsdokument-synode-wortlaut.html [Zugriff: 22.2.2022]. 85 Vgl. § 27 C. 86 Vgl. Philipp Reisinger, Sanctae Ecclesiae Cardinales  – Peculiaris Episcoporum Coetus. Neue kirchenrechtliche Perspektiven für die Kardinäle und das Kardinalskollegium, St. Ottilien 2012, 73–78. 84

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Die Kardinäle werden gemäß c. 351 CIC vom Papst frei ernannt. Wer noch nicht Bischof ist, soll die Bischofsweihe empfangen (§ 1). Zudem hat der Papst nach c. 351 § 3 CIC die Möglichkeit, aus politischen oder anderen Beweggründen einen Kardinal ohne Nennung seines Namens zu kreieren (reservatio in pectore), der allerdings erst mit Bekanntgabe seines Namens alle ihm zukommenden Rechte und Pflichten erhält. Dem Kardinalskollegium steht nach c. 352 CIC der Dekan als primus inter pares vor. Das geltende Recht (cc. 349–359 CIC) stellt drei Aufgaben des Kardinalskollegiums heraus: 1. Beratung: Nach c. 353 CIC helfen die Kardinäle dem Papst auf kollegiale Weise in den ordentlichen (öffentlichen) und außerordentlichen Konsistorien durch Beratung der von ihm vorgelegten Fragen. Eine besondere und singuläre Form der Beratung findet sich unter Papst Franziskus im sog. K9-Rat, einem Rat aus neun Kardinälen der Weltkirche, die ihm im Kontext der angestrebten Kurienreform zur Seite stehen. 2. Zusammenarbeit: Durch die kirchlichen Ämter, die die Kardinäle in der Weltkirche als Diözesanbischöfe oder Kurienmitarbeiter innehaben, tragen sie gemäß c. 356 CIC wesentlich zur Zusammenarbeit mit dem Papst bei, indem sie ihm „in der täglichen Sorge für die Gesamtkirche Hilfe leisten“ (c. 349 CIC). Ebenso können sie nach c. 358 CIC Sonderaufgaben wie die eines päpstlichen Legaten oder eines Sondergesandten erfüllen, um den Papst zu bestimmten Angelegenheiten zu vertreten. 3. Papstwahl: Das Papstwahlrecht ist nach c. 349 CIC durch Spezialgesetz geregelt. Die Rechtsgrundlage bildet derzeit die Apostolische Konstitution „Universi Dominici gregis“ von Papst Johannes Paul II. vom 22.2.1996,87 die in einzelnen Aspekten (Wahlmehrheit und Vorgehen nach Amtsverzicht des Papstes) von Papst Benedikt XVI. ergänzt wurde.88 Das Wahlkollegium (höchstens 120 Kardinäle) ist nicht mit dem Kardinalskollegium identisch, da die Kardinäle, die zu Beginn des Konklaves das 80. Lebensjahr vollendet haben, das aktive Wahlrecht verlieren, nicht jedoch das Recht zur Teilnahme an den ordentlichen und außerordentlichen Konsistorien. Für die Wahl des Papstes ist eine Zweidrittelmehrheit zuzüglich einer weiteren Stimme notwendig. Ein zum Papst gewählter Bischof besitzt gemäß c. 332 § 1 CIC mit der Annahme der Wahl die päpstliche Vollmacht. Ein noch nicht zum Bischof Geweihter muss hingegen unmittelbar nach der Wahl die Bischofsweihe empfangen. Das Papstamt stellt

Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Universi dominici gregis“ vom 22.2.1996, in: AAS 88 (1996) 305–343; AfkKR 165 (1996) 136–161. 88 Dazu ausführlich Christoph Ohly, Universi Dominici Gregis. Das geltende Papstwahlrecht im Licht der Folgenormen von Papst Benedikt XVI., in: Dienst und Einheit. Annäherungen an das Primatsverständnis in ökumenischer Perspektive. FS Horn (80), 214–233. 87

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keine gesonderte Weihe dar, sondern wurzelt im Bischofsamt. Der Bischof von Rom ist gemäß c. 331 CIC „Hirte der Gesamtkirche“.

§ 27 Wesen und Organe der Teilkirchenverbände Die Verfassungsebenen im Verhältnis von Gesamt- und Teilkirche kennen verschiedene, zumeist historisch gewachsene Ausdifferenzierungen von Teilkirchenverbänden, in denen einem entsprechenden Teil des Gottesvolkes (portio populi Dei) als Gebietskörperschaft ein hierarchisches Organ zugeordnet wird. Auch wenn der CIC/1983 ausdrücklich nur die Kirchenprovinz und die Kirchenregion nennt, sind dennoch drei Ebenen zu unterscheiden.

A.  Differenzierung der Teilkirchenverbände Aymans – Mörsdorf, KanR II, § 68.

Für den ersten Teilkirchenverband ist jene Ebene zu nennen, die der Gesetzgeber ohne eigenen Begriff, wohl aber mit entsprechenden Organen anführt. Der Plenarverband umfasst die Gebietskörperschaft desjenigen Territoriums, auf das sich gemäß cc. 439 § 1 und 441 die Autorität des Plenarkonzils (als eine Form der Partikularkonzilien) sowie der Bischofskonferenz erstreckt. Mit dem Begriff wird seitens der Kanonistik ein Terminus zur Verfügung gestellt, der das Hoheitsgebiet dieser beiden Organe zum Ausdruck bringt.89 Nach c. 447 CIC ist die Bischofskonferenz als rechtsetzendes und beständiges Organ auf ein bestimmtes Territorium bezogen. In der Regel ist der Ple­narverband mit den Teilkirchen innerhalb einer Nation (gegebenenfalls auch eines Sprachraums) identisch. So lässt sich beispielsweise von der Kirche in Deutschland als Teilkirchenverband und näherhin vom Plenarverband auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland sprechen. Der Plenarverband besitzt keine Rechtspersonalität, sondern lediglich das in ihm wirkende Organ der Bischofskonferenz gemäß c. 449 § 2 CIC. Dennoch kommen ihm durch seine Organe Stabilität und rechtliche Bedeutung zu. Der Regionalverband ist für die Lateinische Kirche jene Gebietskörperschaft, die eine Kirchenregion umfasst. Die Kirchenregion ist eine gemäß c. 433 § 1 CIC auf Antrag der Bischofskonferenz vom Heiligen Stuhl errichtete Vereinigung von benachbarten Kirchenprovinzen innerhalb eines Plenarverbandes, insbesondere im Fall großer Teilkirchen und Bischofskonferenzen. Sie ist nicht zwingend vorgeschrieben und bezeichnet somit ein fakultatives Zwischenglied zwischen der Kir Vgl. Aymans – Mörsdorf, KanR II, 273.

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chenprovinz und dem Plenarverband, dem nach c. 433 § 2 CIC allerdings Rechtspersönlichkeit gewährt werden kann. Der Konvent der Bischöfe einer Kirchenregion stellt gemäß c. 434 CIC keine Bischofskonferenz im rechtlichen Sinne dar. Einzelvollmachten können ihm zwar durch den Apostolischen Stuhl zugewiesen werden. Aber regulär kommt ihm vornehmlich die Aufgabe zu, die Zusammenarbeit und das pastorale Handeln der Bischöfe in der Region zu fördern. Ebenso wie beim Plenarverband ist auch diese verfassungsrechtliche Gliederungsstufe eines Teilkirchenverbandes im CCEO nicht berücksichtigt worden. Der Begriff der Region besitzt hier eine andere Bedeutung, so beispielsweise im Hinblick auf die Planung und Durchführung gemeinsamer Aktivitäten von Teilkirchen.90 Der Provinzialverband schließlich ist als Gebietskörperschaft territorial mit der Kirchenprovinz identisch. Eine Kirchenprovinz bezeichnet nach c. 431 §§ 1 und 2 CIC einen von der höchsten kirchlichen Autorität errichteten und territorial genau umschriebenen rechtlichen Verbund benachbarter Diözesen, dessen Errichtung zwingend vorgeschrieben ist.91 Nach c. 432 CIC besitzt die Kirchenprovinz von Rechts wegen Rechtspersönlichkeit (§  2). Ihre Aufgabe ist es nach c.  431 §  1 CIC, ein gemeinsames pastorales Vorgehen der betreffenden Diözesen zu fördern und die Beziehungen der Diözesanbischöfe untereinander zu pflegen. Sie besitzt im Metropoliten ihr geistliches Haupt und im Provinzialkonzil (als weitere Form der Partikularkonzilien) ihr kollegiales Leitungsorgan. Neben der Errichtung ist auch die Aufhebung sowie jegliche Veränderung einer Kirchenprovinz nach Anhörung der betroffenen Bischöfe ausschließlich der höchsten kirchlichen Autorität selbst vorbehalten (c. 431 § 3 CIC). Die Bedeutung der Kirchenprovinz wird auch dadurch betont, dass es in der Regel nach c. 431 § 2 CIC keine vom Metropolitanverband exemten Diözesen geben darf. Wenige exemte Diözesen, die existieren, bilden eine Ausnahme. Sie werden Diözesen sui iuris genannt, insofern sie unmittelbar dem Apostolischen Stuhl unterstehen (z.B. Diözesen in der Schweiz, in Liechtenstein, Luxemburg und in Skandinavien). So können die aktuell existierenden Teilkirchenverbände mit ihren Organen wie folgt skizziert werden: Plenarverband (= Verband von Teilkirchen in der Regel einer Nation) Organ 1: Bischofskonferenz (cc. 447–459 CIC) Organ 2: Plenarkonzil (cc. 439 § 1 und 441 ff. CIC) Regionalverband (= Kirchenregion gemäß c. 433 § 1 CIC) Zusammenschluss zweier oder mehrerer Kirchenprovinzen Organ: Regionalkonvent (Bischofsversammlung) Vgl. cc. 329 CIC und 622 § 1 CCEO. Der Provinzialverbund ist im CCEO nur für die Patriarchal- und Großerzbischofskirchen vorgesehen (vgl. cc. 133–139 CCEO).

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Provinzialverband (= Kirchenprovinz gemäß c. 431 CIC) Organ 1: Metropolit (Erzbischof ) (cc. 432 § 1, 435–438 CIC) Organ 2: Provinzialkonzil (cc. 432 § 1, cc. 440 ff. CIC) Die Kirchenprovinzen in den deutschsprachigen Territorien umfassen jeweils folgende Suffraganbistümer: Kirchenprovinzen in Deutschland Bamberg mit den Diözesen Eichstätt, Speyer und Würzburg Berlin mit den Diözesen Görlitz und Dresden-Meißen Freiburg mit den Diözesen Mainz und Rottenburg-Stuttgart Hamburg mit den Diözesen Hildesheim und Osnabrück Köln mit den Diözesen Aachen, Essen, Limburg, Münster und Trier München und Freising mit den Diözesen Augsburg, Passau und Regensburg Paderborn mit den Diözesen Erfurt, Fulda und Magdeburg Kirchenprovinzen in Österreich Wien mit den Diözesen Eisenstadt, Linz und St. Pölten Salzburg mit den Diözesen Feldkirch, Graz-Seckau, Gurk und Innsbruck Schweiz – Erzbistümer Luxemburg, Straßburg und Vaduz Keine Kirchenprovinzen; Bistümer direkt dem Hl. Stuhl unterstellt Da die Bischofskonferenz unter den Organen der Teilkirchenverbände in ihrer aktuellen und öffentlichen Wirkung gegenüber allen anderen Organen zweifelsfrei eine besondere Stellung einnimmt, wird sie im Folgenden die ausführlichste Beachtung aus dem Blick ihrer rechtlichen Bestimmung finden müssen.

B.  Bischofskonferenz und Regionalkonvent Aymans – Mörsdorf, KanR II, §§ 69–71; Wilhelm Rees, § 35 Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: HdbKathKR3; Georg Bier, § 36 Die Kirchenprovinz, in: HdbKathKR3. Rechtsquellen: Johannes Paul II., Motu proprio „Apostolos suos“ vom 21.5.1998, in: AAS 90 (1998) 641–658, dt.: AfkKR 167 (1998) 158–173.

Die Bischofskonferenz und der Regionalkonvent sind nicht nur unterschiedlichen Teilkirchenverbänden zugeordnet. Sie besitzen darin auch höchst unterschiedliche Bedeutung, die sich u.a. auch in der Wahrnehmung der kirchlichen Öffentlichkeit ausdrückt. Dennoch eignet ihnen die Gemeinsamkeit, dass sie „moderne

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Ausprägungen der kollegialen Anlage des bischöflichen Dienstes darstellen“.92 Deshalb werden sie an dieser Stelle zusammengeführt. 1. Bischofskonferenz Die Bischofskonferenz stellt im Vergleich zu den Synoden und Konzilien eine junge Einrichtung der Kirchenverfassung dar. Im 19. Jahrhundert kamen die Bischöfe in mehreren europäischen Ländern zu Beratungen zusammen (1830: Belgien; 1848: Deutschland; 1849: Österreich; 1863: Schweiz). Die Päpste würdigten diese Konferenzen zwar wegen ihrer pastoralen Nützlichkeit, kirchenrechtlich wurden sie jedoch nicht zur Kenntnis genommen. Das II. Vatikanische Konzil hat an diese Entwicklung angeknüpft und  – nach einer ersten Erwähnung in SC 22 § 2 als „Bischofsvereinigungen“ („Episcoporum coetus“) – im Bischofsdekret „Christus Dominus“ die Magna Charta der neuzeitlichen Bischofskonferenz geschaffen, die von Papst Paul VI. rechtlich umgesetzt und schließlich im CIC/1983 (cc.  447–459) kodikarisch aufgenommen wurde.93 Damit hat die Bischofskonferenz erstmals einen Platz in der Verfassung der Kirche erhalten. Nach c.  447 CIC bezeichnet die Bischofskonferenz als ständige Einrichtung den Zusammenschluss der Bischöfe (coetus Episcoporum) einer Nation oder eines bestimmten Gebietes (Sprach- oder Kulturraum), die ihren Hirtendienst für die Gläubigen dieses Gebietes gemeinsam ausüben (coniunctim … exercentium), mit dem Ziel, „das höhere Gut, das die Kirche den Menschen bietet, zu fördern, und zwar insbesondere durch Formen und Methoden des Apostolats, die den jeweiligen örtlichen und zeitlichen Verhältnissen nach Maßgabe des Rechts in geeigneter Weise angepasst sind“.94 Die Norm verdeutlicht den Zweck der Bischofskonferenz. Sie hat ein wesentlich pastorales Ziel, ihre gesetzgeberische Funktion ist hingegen sekundär und sollte stets auf die pastorale Ausrichtung bezogen sein. Das Recht, Bischofskonferenzen zu errichten, aufzulösen oder zu verändern, steht nach c. 449 § 1 CIC einzig der höchsten Autorität der Kirche (Kongregation für die Bischöfe)95 zu, während den betreffenden Bischöfen ein Anhörungsrecht zugestanden wird.96 Von Rechts wegen gehören der Bischofskonferenz gemäß c. 450 § 1 CIC an:

Aymans – Mörsdorf, KanR II, 276. Vgl. dazu CD 37–38 sowie Paul VI., Motu proprio „Ecclesiae sanctae“ vom 6.8.1966, in: AAS 58 (1966) 757–787, hier I, Nr. 48 § 1. 94 Zur Kritik an der Formulierung siehe Aymans – Mörsdorf, KanR II, 278–280. 95 Vgl. PB, Art. 82. 96 Anders in CD 38, 3 und Motu proprio „Ecclesiae sanctae“ I, 41, nach denen die Errichtungskompetenz bei den Bischöfen lag. Die Änderung liegt wohl in der Sorge um die Einheit der Kirche begründet. 92 93

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a) alle Diözesanbischöfe, b) die ihnen rechtlich Gleichgestellten gemäß c. 381 § 2 CIC, c) die Bischofskoadjutoren, d) die Auxiliarbischöfe sowie e) die übrigen Titularbischöfe, denen vom Apostolischen Stuhl oder von der Bischofskonferenz ein besonderes Amt übertragen worden ist, das sie auf diesem Territorium ausüben. Kriterien für die Mitgliedschaft sind demnach die Bischofsweihe und die pastorale Sendung innerhalb des betreffenden Hoheitsgebietes der Bischofskonferenz. Die übrigen Titularbischöfe und der Gesandte des Papstes (Nuntius) sind gemäß c.  450 §  2 CIC nicht von Rechts wegen Mitglieder der Bischofskonferenz. Die Statuten regeln aber eine mögliche Mitwirkung. Entscheidendes Stimmrecht bei den Vollversammlungen der Bischofskonferenz besitzen nach c. 454 § 1 CIC von Rechts wegen die Diözesanbischöfe, die ihnen rechtlich Gleichgestellten und die Bischofskoadjutoren. Die Auxiliarbischöfe und die übrigen Titularbischöfe haben – je nach den Bestimmungen der Statuten – entscheidendes oder beratendes Stimmrecht. Wenn über die Statuten und deren Änderungen Beschlüsse gefasst werden, haben nach c. 454 § 2 CIC nur die Diözesanbischöfe, die ihnen rechtlich Gleichgestellten und die Bischofskoadjutoren entscheidendes Stimmrecht. Die Frage nach dem theologischen Status der Bischofskonferenz war seit dem II. Vatikanischen Konzil Gegenstand zahlreicher lehramtlicher Dokumente sowie theologischer Diskussionen. Bei näherer Beobachtung lassen sich darin vor allem zwei Positionen ausmachen. Einerseits wird das theologische Fundament der Bischofskonferenz in Frage gestellt, indem davon ausgegangen wird, dass kollegiales Handeln im strikten Sinne nur für das ganze Bischofskollegium gegeben ist. Die Bischofskonferenz ist demzufolge die allein kirchenrechtliche Realisierung einer kollegialen Gesinnung (affectus collegialis), die sich in einem gemeinsamen (coniunctim) Handeln äußert. Andererseits wird in der Bischofskonferenz eine hierarchische Zwischeninstanz gesehen, in der sich und durch die sich in einem bedeutsamen Maße die Kollegialität des bischöflichen Amtes kirchenverfassungsrechtlich verwirklicht. Die Bischofskonferenz besitzt demzufolge ihr theologisches Fundament in der sakramentalen Dimension des Bischofsamtes und in der mit ihm verbundenen theologischen Kategorie der communio Ecclesiarum. Tatsächlich ist auch demnach die Bischofskonferenz eine Einrichtung rein kirchlichen Rechts.97 Damit verbunden ist die Frage nach der Vollmacht und den Zuständigkeiten der Bischofskonferenz. Mehrheitlich wird unter Kanonisten von einer potestas or Vgl. zum Einblick Achim Buckenmaier, Lehramt der Bischofskonferenzen? Anregungen für eine Revision, Regensburg 2016, hier bes. 9–67.

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dinaria propria der Bischofskonferenz gesprochen. Die Bischofskonferenz besitzt gemäß c. 449 § 2 CIC Rechtspersönlichkeit und ist damit im Sinne der cc. 113–123 CIC als persona iuridica publica Trägerin von Rechten und Pflichten, die sich in den ausdrücklich vom kirchlichen Gesetzbuch geregelten Einzelkompetenzen (enumerative Kompetenz) ausdrückt.98 Für ihre kollegialen Akte gelten die allgemeinen Bestimmungen unbeschadet der speziellen Bestimmungen zur Bischofskonferenz. Zu den Zuständigkeiten gehören: 1. Autonomes Satzungsrecht (c. 451 CIC): Jede Bischofskonferenz ist verpflichtet, sich Statuten zu geben, die der überprüfenden Bestätigung des Apostolischen Stuhls (recognitio) im Hinblick auf deren formale und inhaltliche Rechtmäßigkeit bedürfen.99 Darin sind u.a. die innere Struktur und die Organe der Konferenz (Vorsitz, Vollversammlung, Ständiger Rat, Generalsekretariat, Kommissionen) gemäß cc. 451–453, 457 und 458 CIC zu bestimmen. 2. Erlass von allgemeinen Dekreten (c. 455 CIC): Die allgemeinen Dekrete der Bischofskonferenz, zu deren Erlass die Bischofskonferenz aufgrund des allgemeinen Rechts oder einer Anordnung des Apostolischen Stuhls berechtigt ist (Normativkompetenz), bedürfen der Überprüfung (recognitio) des Apostolischen Stuhls (§ 2) und der Promulgation (§ 3). Liegt keine einschlägige Vollmacht der Bischofskonferenz vor, bleibt die Zuständigkeit des einzelnen Diözesanbischofs uneingeschränkt erhalten (§ 4). 3. Lehrkompetenz: Mit dem Motu proprio „Apostolos suos“ von Papst Johannes Paul II. vom 21.5.1998 ist in Übereinstimmung mit c. 753 CIC geklärt, dass die Bischofskonferenz auch Lehrkompetenz besitzt, jedoch nur aufgrund des allgemeinen Rechts oder nach besonderer Gewährung durch den Apostolischen Stuhl.100 Ihre Lehrdokumente bedürfen wie die Allgemeindekrete der Zweidrittelmehrheit der stimmberechtigten Mitglieder und der Überprüfung durch den Apostolischen Stuhl, die jedoch bei einstimmiger Annahme entfällt. 4. Verwaltungsvollmachten für Einzelfälle: Die Bischofskonferenz besitzt nach universalem Recht eine Vielzahl von Kompetenzen für Verwaltungsentscheide in Einzelfällen (decretum singulare), die die Rechtsmaterien des Gesetzbuches betreffen.101 Das Vorgehen bestimmt sich nach den Maßgaben der Statuten. 5. Mitwirkungsrechte: Hierbei handelt es sich um Formen der Mitwirkung bei Rechtshandlungen, die von Dritten vorgenommen werden. Darunter fallen das Vgl. dazu eingehend Wilhelm Rees, Bischofskonferenz, 564–572. Statut und Geschäftsordnung der Deutschen Bischofskonferenz (2002) i. d. F. vom 15.3.2011, in: AfkKR 182 (2013) 225–234; Statuten der Österreichischen Bischofskonferenz (2001) i. d. F. vom 18.6.2005, abgedruckt in: Abl. ÖBK, Nr. 40 vom 1.10.2005, II, 4; Statuten der Schweizer Bischofskonferenz vom 1.8.2001, in: AfkKR 170 (2001) 499–502. 100 Johannes Paul II., Motu proprio „Apostolos suos“, Nr. 20. 101 Eingehend Aymans – Mörsdorf, KanR II, 289–290. 98 99

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Zustimmungsrecht,102 das Anhörungsrecht103 sowie das Recht auf Information über erfolgte Rechtshandlungen.104 6. Außerkodikarische Kompetenzen: Der Bischofskonferenz kommen zudem in außerkodikarischem Recht geregelte Kompetenzen zu.105 7. Beziehungen zu anderen Bischofskonferenzen: Gemäß c. 459 § 1 CIC sollen vor allem benachbarte Bischofskonferenzen Verbindungen aufbauen und pflegen, die der Verwirklichung der communio Ecclesiarum dienen (durch Berichte, Dokumente, Informationsaustausch). Daraus sind weltweit institutionalisierte Einrichtungen der Kooperation entstanden, so der Rat der europäischen Bischofskonferenzen (CCEE), der lateinamerikanische Bischofsrat (CELAM), das Symposion der Bischofskonferenzen Afrikas und Madagaskars (SCEAM) sowie die Föderation der Bischofskonferenzen Asiens (FABC). Im Zuge einer von Papst Franziskus geforderten „heilsamen Dezentralisierung“106 im kirchlichen Verfassungsgefüge steht auch der Gedanke im Zentrum, den Bischofskonferenzen mehr Kompetenzen zukommen zu lassen. Dabei muss auf Dauer jedoch ein ekklesiologisches Gleichgewicht im Auge behalten werden, das einerseits von der unverwechselbaren Verantwortung des einzelnen Diözesanbischofs, andererseits auch vom kollegialen Charakter der bischöflichen Vollmacht lebt.107 2. Regionalkonvent Das Organ, das in Struktur und Aufgabe der Bischofskonferenz ähnelt und zugleich von ihr unterschieden werden muss, ist der Regionalkonvent gemäß c. 434 CIC als Bischofsversammlung auf der Ebene der Kirchenregion. Seine Aufgabe ist es, die Zusammenarbeit und das gemeinsame pastorale Handeln in der Region zu fördern. In Abgrenzung zur Bischofskonferenz des Plenarverbandes betont c. 434, dass die nach den kodikarischen Bestimmungen der Bischofskonferenz zugeteilten Kompetenzen dem Konvent nicht zustehen.108 Grundsätzlich hat der Regionalkonvent lediglich beratenden Charakter. Jedoch können ihm einzelne Kompetenzen ausdrücklich vom Heiligen Stuhl verliehen werden. Solche Einzelkompetenzen mögen vor allem dann empfehlenswert sein, 104 105

Vgl. z.B. c. 300 CIC. Vgl. z.B. c. 372 § 2 CIC. Vgl. z.B. c. 467 CIC. Vgl. z.B. im Lehrbeanstandungsverfahren. Siehe Kongregation für die Glaubenslehre, Agendi ratio in doctrinam examine, 142–147. 106 Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“, Nr. 16. 107 Vgl. dazu Achim Buckenmaier, Lehramt der Bischofskonferenzen, 76–86. 108 Mit Blick auf die innere Struktur des Regionalkonvents ist in Übereinstimmung mit der Bischofskonferenz des Plenarverbandes ebenso zu beachten, dass gemäß der PCI-Entscheidung vom 23.5.1988 Auxiliarbischöfe weder den Vorsitz noch den stellvertretenden Vorsitz übernehmen können (in: AAS 81 [1989] 338; AfkKR 157 [1988] 469). 102 103

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wenn die Region sich durch besondere kulturelle und vor allem weltlich-rechtliche Bedingungen vom übrigen Gebiet des Plenarverbandes unterscheidet (z.B. im Fall der Bayerischen oder der Westdeutschen Bischofsversammlung).109

C.  Partikularkonzilien und Metropolitenamt Aymans – Mörsdorf, KanR II, §§ 70–71; Wilhelm Rees, § 35 Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: HdbKathKR3; Georg Bier, § 36 Die Kirchenprovinz, in: HdbKathKR3.

1. Partikularkonzilien Unter die Partikularkonzilien zählt das kirchliche Gesetzbuch in cc. 439–446 CIC das Plenar- und das Provinzialkonzil. Während das Plenarkonzil dem Plenarverband zugewiesen ist und so häufig durchgeführt werden soll, „wie es der Bischofskonferenz selbst notwendig oder nützlich erscheint“ (c. 439 § 1 CIC), stellt das Provinzialkonzil ein Leitungsorgan der Kirchenprovinz dar, das im Hinblick auf seine Durchführung „dem Urteil der Mehrheit der Diözesanbischöfe dieser Provinz“ (c. 440 § 1 CIC) unterliegt. Aufgrund ihrer geschichtlichen Bedeutung stellen die Konzilien „beredte Zeugnisse für die kollegiale Natur des bischöflichen Dienstes“110 dar. Daher hat das II. Vatikanische Konzil die Erneuerung dieser kirchlichen Versammlungsformen gewünscht, um so „besser und wirksamer für das Wachstum des Glaubens und die Erhaltung der Disziplin in den verschiedenen Kirchen, entsprechend den Gegebenheiten der Zeit“ (CD 36, 2) Sorge tragen zu können. Nüchtern muss man jedoch feststellen, dass diesem Auftrag bis in den gegenwärtigen Moment nicht entsprochen worden ist. Der Gesetzgeber hat auf eine genaue Frist verzichtet und die Durchführung an das Urteil der betreffenden Bischöfe – und im Fall des Plenarkonzils an die Approbation des Apostolischen Stuhls – gebunden.111 Beide Konzilsformen stimmen in wesentlichen Rechtsbereichen überein. Da das Konzil Träger und Organ der geistlichen Vollmacht ist, kommt den betreffenden Bischöfen nach c. 443 §§ 1–2 CIC das entscheidende Stimmrecht zu, allen anderen Gläubigen, die ebenfalls Mitglieder des Konzils sind (Kleriker, Laien, Vertreter der Institute des geweihten Lebens), besitzen nach c. 443 §§ 3–5 CIC das beratende Stimmrecht, das sie an der Ausübung der geistlichen Vollmacht gemäß c. 129 § 2 CIC mitwirken lässt und über dessen Vollzug die Konzilsordnung (c. 441 Ein entsprechender Umstand kann beispielsweise in der für den föderativen Staat charakteristischen Kulturhoheit der Länder ausgemacht werden, die um einer wirksameren Einflussnahme im Bereich von Bildung, Schule und Hochschule willen besondere Kompetenzen des Bischofskonvents erforderlich machen könnte. 110 Aymans – Mörsdorf, KanR II, 300. 111 Vgl. dazu c. 445 CIC. 109

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n. 4 CIC) nähere Bestimmungen erlässt. Ebenfalls gemein ist beiden Konzilien die in c. 446 CIC normierte Verpflichtung, nach Abschluss alle Konzilsakten dem Apostolischen Stuhl zur Überprüfung (recognitio) zu übersenden. 2. Metropolitenamt Im Unterschied zur herausragenden Stellung der Metropoliten in der frühen Geschichte der Kirche ist das Amt des Metropoliten in der geltenden Rechtsordnung begrenzt gefasst.112 Als Erzbischof seiner ihm anvertrauten Diözese steht der Metropolit nach c.  435 CIC (c.  134 §  1 CCEO) der Kirchenprovinz vor. Als Ausdruck dieser metropolitanen Vollmacht sowie der damit verbundenen besonderen Gemeinschaft mit der Universalkirche trägt der Metropolit das Pallium, das ihm vom Papst gemäß c. 437 CIC (c. 156 CCEO) verliehen wird. Seine wichtigsten Vollmachten berühren das Provinzialkonzil gemäß c. 442 CIC sowie die Gerichtsorganisation nach c. 1438 CIC. Zu diesen Aufgaben kommen ihm nach c. 436 CIC (c. 133 CCEO) vereinzelte Aufsichtsrechte über die Diözesen und Bischöfe der Suffraganbistümer zu. Diese betreffen insbesondere 1. die Wahrung von Glaube und kirchlicher Disziplin (§ 1 n. 1), 2. die Durchführung einer vom Apostolischen Stuhl anerkannten kanonischen Visitation (§ 1 n. 2), 3. die Ernennung eines Diözesanadministrators, wenn dessen Bestellung nach c. 421 § 2 CIC nicht fristgerecht erfolgte oder die an ihn gestellten Erfordernisse gemäß c. 425 § 3 nicht eingehalten wurden (§ 1 n. 3), 4. die Ausübung besonderer partikularrechtlich bestimmter Aufgaben und Vollmachten (§ 2), 5. die Ausübung geistlicher Handlungen in den Suffraganbistümern nach vorheriger Verständigung mit dem Diözesanbischof (§ 3), 6. die Unterrichtung des Apostolischen Stuhls über die unrechtmäßige Abwesenheit eines Diözesanbischofs von seiner Diözese länger als sechs Monate (c. 395 § 4 CIC) oder über eine kirchliche Sanktion, die den Diözesanbischof an der Ausübung seines Amtes hindert (c. 415 CIC), 7. das Vorschlagsrecht für die Ernennung eines Diözesanbischofs oder eines Koadjutors gemäß c. 377 § 3 CIC, 8. sowie verschiedene Informationsrechte nach cc. 413 § 1, 467 und 501 § 3 CIC. Im Zusammenhang mit dem Metropoliten verweist c. 438 CIC darauf, dass die bischöflichen Bezeichnungen eines Patriarchen und eines Primas in der Lateinischen Kirche reine Ehrentitel ohne kirchliche Jurisdiktionsvollmacht darstellen.113 Siehe CD 40, 2. Der Patriarch in den katholischen Ostkirchen verfügt hingegen über Jurisdiktionsvollmacht, die er gemäß cc. 56, 102–120 CCEO mit der Patriarchalsynode bzw. der Ständigen Synode ausübt.

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§ 28 Formen und Strukturen der Teilkirche

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§ 28 Formen und Strukturen der Teilkirche Mit der ekklesiologischen Durchdringung des bischöflichen Amtes hat das II. Vatikanische Konzil zugleich den Blick auf die Bedeutung der Teilkirche für das kirchliche Verfassungsgefüge geschärft. Die Formel aus LG 23, 1, nach der die Kirche in und aus den Teilkirchen (in quibus et ex quibus) besteht, lässt erkennen, dass die Teilkirche mit dem bischöflichen Vorsteheramt zu den Konstitutiva der Kirche gehört, wie sie das Glaubensbekenntnis als eine, heilige, katholische und apostolische Kirche herausstellt. Für die kirchenrechtliche Entfaltung dieser kirchlichen Wirklichkeit müssen die damit zusammenhängenden Einzelaspekte gemäß ihrer kanonischen Ordnung beleuchtet werden. Dazu gehören die Diözese als Grundform der Teilkirche, das Amt des Bischofs mit den Mitwirkungsorganen auf diözesaner Ebene sowie die Pfarrei als zentrale Seelsorgestruktur der Diözese.

A.  Diözese als Grundform der Teilkirche Aymans – Mörsdorf, KanR II, § 72; Franz Kalde, § 37 Diözesane und quasidiözesane Teilkirchen, in: HdbKathKR3.

Die Teilkirche als konstitutives Element der Kirchenverfassung wird in vollkommener Weise in der Diözese sichtbar: „Grund- und Vollform der Teilkirche ist die Diözese“.114 Neben der Diözese gibt es nach c. 368 CIC Vorstufen bzw. Ersatzformen, die als Teilkirche nicht oder noch nicht zur Diözese erwachsen sind: Gebietsprälatur und Gebietsabtei (c. 370 CIC; cc. 311 § 1 und 312 CCEO), Apostolisches Vikariat und Apostolische Präfektur (c. 371 § 1 CIC; cc. 311 § 1 und 312 CCEO) sowie die auf Dauer errichtete Apostolische Administration (c.  371 §  2 CIC). Sie werden auch „quasidiözesane Teilkirchen“ genannt. Hinzu kommen andere Ersatzformen, die durch außerkodikarische Gesetzgebung normiert sind, so beispielsweise das Militärordinariat und die Personalordinariate der ehemals anglikanischen Gläubigen.115

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Aymans – Mörsdorf, KanR II, 315. Vgl. dazu Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Spirituali militum curae“ vom 21.4.1986, in: AAS 78 (1986) 481–486; AfkKR 155 (1986) 138–142; Benedikt XVI., Apostolische Konstitution „Anglicanorum coetibus“ vom 4.11.2009, in: AAS 91 (2009) 985–990. Dazu Christoph Ohly, Personaladministration und Personalordinariat. Neue verfassungsrechtliche Strukturen im Hinblick auf die Entwicklung eines ökumenischen Kirchenrechts, in: Wilhelm Rees (Hg.), Ökumene, 105–120. Im Blick auf die korrigierten Komplementärnormen vom 19.3.2019 siehe Ders., Vernunft als Gestaltungsmittel des kirchlichen Gesetzes. Die revidierten Normen zur Apostolischen Konstitution „Anglicanorum coetibus“, in: TThZ 128 (2019) 319–333.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

1. Wesensumschreibung Für die Diözese wird synonym auch der Begriff Bistum (= Bischoftum) und im Recht der katholischen Ostkirchen der Begriff Eparchie gemäß c. 177 § 1 CCEO verwendet. Demgemäß wird die Diözese (Eparchie), in der die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Jesu Christi wahrhaft wirkt und zugegen ist, gemäß c. 369 CIC durch die folgenden drei personalen Elemente bestimmt. a) Teil des Gottesvolkes Die Diözese bildet einen „Teil des Gottesvolkes“ (portio populi Dei). Sie besteht aus einer Gemeinschaft von katholischen Christgläubigen und bezeichnet deshalb nicht, wie es ihr begrifflicher Ursprung im römischen Recht nahelegen würde, eine politische Ordnungseinheit oder einen territorial bestimmten Verwaltungsbereich. Der Teil des Gottesvolkes, der für die Bildung einer Diözese konstitutiv ist, wird in der Regel durch ein begrenztes Territorium umschrieben. Als solche ist die Diözese in der Regel eine ritusgebundene Gebietskörperschaft. Alle der jeweiligen Rituskirche (Lateinische Kirche) angehörigen Gläubigen, die innerhalb dieses umschriebenen Gebietes wohnen (Wohnsitz oder Quasi-Wohnsitz), gehören nach c. 372 § 1 CIC der betref­fenden Diözese an. Das Territorium ist in Bezug auf die Umschreibung der Diözese somit kein konstitutives, sondern ein determinatives Element. Für den Ausnahmefall sieht c. 372 § 2 CIC die Möglichkeit vor, dass in demselben Gebiet, in dem territorial umschriebene Diözesen bestehen, zusätzliche Teilkirchen gebildet werden können, die von personalen Kategorien (Ritus oder anderen vergleichbaren Gesichtspunkten) bestimmt sind. Jedoch brauchen auch solche Teilkirchen in der Regel eine gebietliche Umschreibung oder eine andere Zuständigkeitsordnung (Militärordinariat). b) Amt des Bischofs Der Bischof ist der rechtmäßige Hirte der ihm anvertrauten Diözese. Die Anvertrauung ist Ausdruck der apostolischen Sendung, die nicht in einem Ordnungswillen der Kirche, sondern im Willen des Herrn der Kirche gründet. Der konstitutive Charakter des bischöflichen Amtes für die Diözese besteht darin, für diesen Teil des Gottesvolkes geistliches Haupt zu sein. Das Handeln in der Person Christi, des Hauptes,116 macht den Bischof zum geistlichen Vater für die Diözese an Christi statt. Das bedeutet nicht, dass eine Diözese bei Vakanz des bischöflichen Stuhls aufhört zu bestehen. Nicht die konkrete Person des Bischofs, sondern das bischöfliche Amt als solches ist mit Blick auf die Teilgemeinschaft konstitutiv. Daher gilt: Es gibt keine Diözese ohne bischöfliches Amt. Eine Teilgemeinschaft des Gottesvolkes besitzt nur dann den Status einer Teilkirche, wenn in ihr dieses bischöfliche Amt gegeben ist. Im Einzelnen kann das Amt des geistlichen Haup Vgl. LG 21 und CD 2.

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tes in Form und Inhalt unterschiedlich ausgestaltet sein (z.B. als Metropolit oder im Fall des Apostolischen Präfekten als Priester). c) Zusammenwirken mit dem Presbyterium Der Bischof hat bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben mit dem Presbyterium seiner Diözese zusammenzuwirken. Mit dem Presbyterium ist zunächst grundsätzlich die Gemeinschaft der priesterlichen Mitarbeiter des Diözesanbischofs gemeint. Es ist für die Diözese ebenso konstitutiv.117 Über die genaue Art und Weise der Kooperation zwischen Bischof, Presbyterium und Diakonen lässt c. 369 CIC (c.  177 §  1 CCEO) hinsichtlich des dreifachen Amtes des Bischofs jedoch nichts erkennen. Doch ist grundsätzlich an die Mitwirkung in allen drei Bereichen der kirchlichen Sendung zu denken, sei es in der pfarrlichen Seelsorge, sei es in Formen der Mitwirkung an der bischöflichen Leitungsvollmacht in Verwaltung und Rechtsprechung. 2. Erscheinungsform der Gesamtkirche Die Diözese ist gemäß cc. 368 und 369 CIC (cc. 177 § 1, 313 CCEO) Teilkirche. Das für das rechte Verhältnis der Kirchenverfassung bedeutsame Zuordnungsverhältnis der Teilkirche (Diözese) und der Gesamtkirche findet seinen Ausdruck in der Formel aus LG 23, 1, nach der die katholische Kirche in und aus den Teilkirchen besteht. Dadurch wird nicht nur ein System autokephaler Einzelkirchen ausgeschlossen, sondern ebenso eine universale Wirk­lichkeit, in der die Diözesen allein verwaltungstechnisch notwendige Untereinheiten darstellen. Vielmehr gewinnt die Gesamtkirche in der Diözese konkrete Gestalt, da hier inhaltlich die gesamte Sendung der Kirche in der Verkündigung des Gotteswortes und in der Feier der Sakramente (Eucharistie) gegenwärtig wird. In diesen Grundvollzügen der kirchlichen Sendung weist die Gesamtkirche gegenüber der Diözese keine zusätzlichen Inhalte auf, so dass die Gesamtkirche ereignishaft in der Teilkirche präsent ist. 3. Errichtung einer Diözese Gemäß c. 373 CIC (cc. 177 § 2, 311 § 2 CCEO) ist die Errichtung von Teilkirchen (Diözesen) der höchsten kirchlichen Autorität vorbehalten. Diese erfolgt in der Regel durch eine Apostolische Konstitution des Papstes, das heißt in einer besonderen und feierlichen Form. Die Norm sieht für die Errichtung einer territorialen Teilkirche – anders als bei den personalen Teilkirchen nach c. 372 § 2 CIC – eine Mitwirkung der Bischofskonferenz nicht ausdrücklich vor. Sie bestimmt darüber 117

Vgl. Konrad Hartelt, Verbunden in Weihe und Sendung. Diözesanbischof und Presbyterium, in: Ilona Riedel-Spangenberger (Hg.), Rechtskultur in der Diözese. Grundlagen und Perspektiven, Freiburg i. Br. 2006, 343–363.

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hinaus, dass die auf diese Weise errichtete Teilkirche (Diözese) von Rechts wegen öffentliche juristische Person ist. Als solche ist sie Trägerin von Rechten und Pflichten. 4. Gliederung der Diözese Jede Diözese und jede personale Teilkirche ist nach c. 374 § 1 CIC zu strukturieren. Der Normalfall sieht dafür die Gliederung in Pfarreien (paroeciae) vor. Um die Seelsorge durch gemeinsames Handeln zu fördern, können nach c. 374 § 2 CIC (c. 276 § 2 CCEO) mehrere benachbarte Pfarreien zu eigenen Zusammenschlüssen vereinigt werden, so z.B. in Form von Dekanaten118 oder auch Pfarrverbünden oder Pfarreiengemeinschaften.

B.  Amt des Bischofs Aymans – Mörsdorf, KanR II, § 73; Heribert Schmitz, § 38 Der Diözesanbischof, in: Hdb­KathKR3; Matthias Pulte, § 39 Bischofskoadjutor und Auxiliarbischof, in: HdbKathKR3.

1. Wesen und Begriffe Die Kirche ist in ihrem Wesen eine bischöflich verfasste Gemeinschaft aller Christgläubigen. Gemäß LG 20, 3 ist die den Aposteln von Christus anvertraute Sendung auf die Bischöfe übergegangen. Diese üben ihren Dienst nach c. 375 § 1 CIC als „Lehrer des Glaubens, Priester des heiligen Gottesdienstes und Diener in der Leitung“ aus, und dies an „Gottes Stelle“ (LG 20, 3) und als „Stellvertreter und Gesandte Christi“ (LG 27, 1): „Wer die Bischöfe hört, hört Christus, und wer sie verachtet, verachtet Christus und den, der Christus gesandt hat“ (LG 20, 3). Die Bevollmächtigung zu den drei Diensten erfolgt durch die sakramentale Bischofsweihe. Die Bischöfe vermögen diese gemäß c. 375 § 2 CIC nur in hierarchischer Gemeinschaft mit dem Haupt und den Gliedern des Bischofskollegiums auszuüben. Grundsätzlich ist der bischöfliche Dienst auf die Leitung einer Diözese als Vollform der Teilkirche angelegt. Diözesanbischof (Ortsbischof) ist demnach jeder Bischof, dem eine Diözese anvertraut ist. Dazu sind auch der Bischof der Gebietsprälatur sowie der Militärbischof zu zählen. Die konstitutive Zuordnung eines Bischofs zu einer Teilkirche wird bei den Bischöfen, die nicht Diözesanbischöfe sind, durch das Festhalten an der Weihe auf den Titel einer nicht mehr bestehenden Diözese gewahrt. Sie heißen daher Titularbischöfe und üben die bischöflichen Aufgaben in verschiedenen Funktionen aus: als Bischofskoadjutor oder Auxiliarbischof (Weihbischof) in einer Diözese gemäß cc. 403–411 CIC, als Vorsteher einer 118

Vgl. dazu die Aussagen zu Amt und Aufgaben des Dechanten (Dekans) gemäß cc. 553–555 CIC.

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quasidiözesanen Teilkirche (Gebietsabt, Apostolischer Vikar) oder in anderen Aufgaben zum Wohl einer Teilkirche, von Teilkirchenverbänden oder der ganzen Kirche (Römische Kurie, Päpstliche Legaten). 2. Bischofsbestellung a) Universalkirchliche Verfahren Das kirchliche Gesetzbuch präsentiert für die Bestellung eines Bischofs Normen, die sich auf das Bestellungsverfahren, auf die Eignungsvoraussetzungen sowie auf das Vorgehen nach erfolgter Ernennung bzw. Wahlbestätigung beziehen. Für den Geltungsbereich der Lateinischen Kirche bestimmt c. 377 § 1 CIC, dass die Bestellung der Bischöfe durch den Papst erfolgt, und zwar durch freie Ernennung (nominatio) oder durch Bestätigung (confirmatio) der rechtmäßig Gewählten. Damit sind in der Norm beide derzeit geltenden Verfahrensweisen zur Bischofsbestellung in der Lateinischen Kirche nebeneinander benannt. Gleichwohl wird in der Regel das freie Ernennungsrecht des Pap­stes angewandt, für das sich dieser eines geordneten Verfahrens bedient. Zivilen Autoritäten werden gemäß c. 377 § 5 CIC keinerlei Rechte und Privilegien mehr im Zusammenhang mit der Bestellung eines Bischofs eingeräumt.119 Davon unberührt bleiben die Erinnerungs- und Einspruchsrechte, die in den politischen Klauseln der einschlägigen Konkordate festgelegt worden sind und als Ablösung früherer Einspruchs- oder Nominationsrechte zu verstehen sind. Sie besitzen gemäß c.  3 CIC weiterhin Rechtskraft. Die Kandidaten für das Bischofsamt werden auf zweifachem Weg ausgewählt. Im absoluten Listenverfahren müssen die Bischöfe einer jeden Kirchenprovinz oder bei gegebenen Umständen einer Bischofskonferenz gemäß c. 377 § 2 CIC in geheimer Beratung alle drei Jahre eine Liste mit den Namen geeigneter Priester erstellen und dem Apostolischen Stuhl übermitteln. Zudem hat jeder einzelne Bischof das Recht, dem Apostolischen Stuhl Namen von geeigneten Priestern mitzuteilen. Für den Fall der Besetzung eines bestimmten Bischofsamtes (Diözesanbischof ) wird der Kandidat in einem relativen Listenverfahren gemäß c. 377 § 3 CIC ermittelt, bei welchem dem päpstlichen Legaten (Nuntius) eine Schlüsselstellung zukommt. Soweit nichts anderes in konkordatären Vereinbarungen bestimmt ist, hat der Nuntius nach entsprechenden Ermittlungen dem Apostolischen Stuhl eine relative Liste mit drei Kandidaten (terna) vorzulegen. Beizufügen hat er die Einzelvoten des zuständigen Metropoliten und der Suffraganbischöfe sowie des Vorsitzenden der Bischofskonferenz. Gemäß c. 427 § 1 CIC soll er zugleich die Voten des Diözesanadministrators oder eines anderen interimistischen Vorste119

An konkreten Einflussmöglichkeiten benennt § 5 die Wahl (electio), die Nominierung (nominatio), die Präsentation (praesentatio) sowie die Designation (desig­natio) eines Bischofs.

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hers der vakanten Teilkirche und des Bischofs, dem ein Koadjutor beigegeben werden soll, hinzufügen. Zudem bestimmt c. 377 § 3 CIC, dass der päpstliche Gesandte einige Mitglieder seiner Wahl aus dem Konsultorenkollegium und aus dem Kathedralkapitel anhören soll. Ebenso kann er bewährte und geeignete Gläubige (Kleriker und Laien) getrennt und unter dem päpstlichen Siegel der Verschwiegenheit um ihre Meinung befragen.120 Für die Bestellung eines Auxiliarbischofs obliegt es gemäß c. 377 § 4 CIC dem betreffenden Diözesanbischof, dem Apostolischen Stuhl einen Dreiervorschlag geeigneter Priester zu unterbreiten. Aus der Natur der Sache ergibt sich, dass bei der Auswahl des zu ernennenden Bischofs sowohl die regelmäßig einzureichenden absoluten Listen als auch die relativen Listen gewürdigt werden. b) Teilkirchenrechtliche Bestimmungen Neben der freien nominatio von Bischöfen durch den Papst erwähnt c. 377 § 1 CIC die confirmatio von rechtmäßig zum Bischof Gewählten und verweist damit auf eine Alternative zum päpstlichen Nominationsrecht. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Mitwirkung der Teilkirchen an der Bischofsbestellung insbesondere konkordatsrechtlich festgeschrieben.121 Danach gilt: 1. Bayerisches Konkordat (1924): In Bayern herrscht das freie päpstliche Ernennungsrecht. Die Bischöfe der bayerischen Diözesen und der Diözese von Speyer reichen dem Apostolischen Stuhl alle drei Jahre absolute Listen von geeigneten Kandidaten ein. Bei Eintritt einer Vakanz legt das betreffende Domkapitel dem Apostolischen Stuhl eine relative Liste zur Besetzung des Bischofssitzes vor. Die Auswahl des Papstes ist insofern begrenzt, als sie sich auf die in den Listen Genannten beschränken soll. Vor der Ernennung ist durch Anfrage bei der bayerischen Staatsregierung sicherzustellen, dass gegen den Kandidaten keine politischen Bedenken bestehen. 2. Preußisches Konkordat (1929): In den zum Geltungsbereich des Konkordats gehörenden Diözesen legen nach Eintritt der Vakanz das Domkapitel der betreffenden Diözese sowie sämtliche Diözesanbischöfe des Geltungsbereichs dem Apostolischen Stuhl Listen von geeigneten Kandidaten vor. Unter Würdigung dieser Listen benennt der Apostolische Stuhl dem Domkapitel drei Personen, aus denen es in freier und geheimer Abstimmung den Erzbischof bzw. Bischof wählt. Der Papst bestätigt den Gewählten. Nach erfolgter Bischofswahl Mit diesem Umstand sind immer wieder Vorschläge verbunden, die eine stärkere Beteiligung der Gläubigen an der Bischofsbestellung vorsehen. Vgl. dazu u.a. Peter Krämer, Kirchenrecht II, 77 f. 121 Vgl. Joseph Listl (Hg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Berlin 1987, Bd. I, 136–151 (Badisches Konkordat), Bd. I, 289–302 (Bayerisches Konkordat), Bd. II, 709–724 (Preußisches Konkordat). 120

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fragt das Domkapitel bei der zuständigen Landesregierung an, ob „Bedenken politischer Art“ gegen den Gewählten bestehen. Würden solche Bedenken vorgebracht, sähe der Apostolische Stuhl möglicherweise von der Bestätigung ab. 3. Badisches Konkordat (1932): Das Verfahren sieht vor, dass im Fall der Vakanz das betreffende Domkapitel dem Apostolischen Stuhl eine unbegrenzte Liste geeigneter Kandidaten vorlegt. Dazu gehören gemäß Art. III BadK sowie Art. 14 Abs. 1 RK die Diözesen Freiburg, Mainz, Rottenburg-Stuttgart und DresdenMeißen. Unter Würdigung dieser Listen benennt der Apostolische Stuhl drei Kandidaten, von denen mindestens einer ein Angehöriger der betreffenden Diözese sein oder zumindest einen Teil seiner Studien in der Diözese absolviert und im Dienst der Diözese gestanden haben muss. Das Domkapitel wählt aus diesen Kandidaten in freier und geheimer Abstimmung den Bischof, der Papst bestätigt ihn. Vor Bestätigung des Gewählten muss sich der Apostolische Stuhl bei der Landesregierung vergewissern, ob gegen diesen Bedenken allgemeinpolitischer Art bestehen. Im Zweifelsfall soll ein Einigungsversuch unternommen werden, ansonsten ist der Apostolische Stuhl in der Besetzung frei. In Österreich werden die Diözesanbischöfe vom Papst frei ernannt. Nach Eintritt der Vakanz legen die Diözesanbischöfe dem Apostolischen Stuhl Listen mit geeigneten Kandidaten vor. Im Erzbistum Salzburg hingegen besitzt das Domkapitel das Recht, aus einem päpstlichen Dreiervorschlag den neuen Bischof zu wählen. Vor der Ernennung eines Diözesanbischofs fragt der Apostolische Stuhl bei der Bundesregierung an, ob Gründe allgemeinpolitischer Natur gegen die Ernennung vorliegen. Im Zweifelsfall soll auch hier ein Einigungsversuch unternommen werden, ansonsten ist der Apostolische Stuhl in der Besetzung frei. In der Schweiz besteht neben dem freien Ernennungsrecht des Papstes ein freies Bischofswahlrecht des Domkapitels in den Diözesen Basel und St. Gallen und – aus einem päpstlichen Dreiervorschlag – in Chur. In Basel ist die Wahl zudem ausgerichtet auf einen Priester des Diözesanklerus. c) Eignungskriterien Für das Bischofsamt bestimmt c. 378 § 1 CIC (c. 180 CCEO) folgende kanonische Eigenschaften als Anforderungen: 1. Glaubensstärke, einwandfreie Lebensführung, Frömmigkeit, Seelsorgeeifer, Lebensweisheit, Klugheit und andere menschliche Vorzüge, die den Kandidaten für das Bischofsamt geeignet erscheinen lassen, 2. guter Ruf, 3. Vollendung des 35. Lebensjahres als Mindestalter, 4. fünf Jahre Bewährung im priesterlichen Dienst,

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5. Erfahrung in den Disziplinen Heilige Schrift, Theologie oder Kanonisches Recht, darüber hinaus der Erwerb des Doktor- oder wenigstens des Lizentiatsgrades in einer dieser Disziplinen an einer vom Apostolischen Stuhl anerkannten Hochschuleinrichtung. Das endgültige Urteil über die Eignung steht dem Apostolischen Stuhl gemäß c. 378 § 2 CIC zu. d) Amtsverleihung Die Verleihung des Bischofsamtes erfolgt durch eine päpstliche Bulle oder ein Breve. Der zum Bischof Ernannte muss, sofern nicht eine rechtmäßige Behinderung vorliegt, gemäß c. 379 CIC (c. 188 § 1 CCEO) innerhalb von drei Monaten nach Erhalt des Ernennungsschreibens die Bischofsweihe empfangen, bevor er das Bischofsamt kanonisch in der Besitzergreifung übernimmt. Vor der kanonischen Amtsübernahme muss der zum Bischof Ernannte gemäß c. 380 CIC (c. 187 § 2 CCEO) das Glaubensbekenntnis ablegen (c. 833 n. 3 CIC) und den Treueid gegenüber dem Apostolischen Stuhl nach der von diesem gebilligten Form leisten.122 Gemäß Art. 16 RK hat der Diözesanbischof vor der Besitzergreifung von der Diözese nach vorgeschriebener Formel einen Treueid gegenüber dem Staat vor dem zuständigen Ministerpräsidenten abzulegen. Im Bereich der neuen Bundesländer wurde darauf verzichtet. 3. Emeritierung Die Emeritierung eines Bischofs regeln die cc.  401 und 402 CIC (cc.  210–211 CCEO) für den Diözesanbischof und c. 411 CIC (c. 218 CCEO) für den Bischofskoadjutor bzw. den Auxiliarbischof.123 Danach ist der Bischof gebeten, mit Vollendung des 75. Lebensjahres dem Papst den Amtsverzicht anzubieten, der in der Regel auch angenommen wird. Die aktuellen Bestimmungen von Papst Franziskus gehen von der Verpflichtung zum Amtsverzicht aus. Die emeritierten Bischöfe bleiben Mitglieder des Bischofskollegiums und haben folglich das Recht, nach c. 339 CIC (c. 52 CCEO) am Ökumenischen Konzil mit entscheidendem Stimmrecht teilzunehmen und die kollegiale Vollmacht gemäß c. 337 § 2 CIC (c. 50 § 2 CCEO) auszuüben. Sie sollen am Leben der Kirche beteiligt und aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung als Berater tätig bleiben.

Vgl. § 15 B. Vgl. Kongregation für die Bischöfe, Normae de episcopis ab officio cessantibus vom 31.10.1988, abgedruckt in: Comm 20 (1988) 167 f. Dazu Franziskus, Rescriptum ex Audientia zum Amtsverzicht bzw. Amtsverlust von Bischöfen vom 3.11.2014, in: AAS 106 (2014) 882–884; Ders., Motu proprio „Come una madre amorevole“ vom 4.6.2016, in: AAS 108 (2016) 715–717; Ders., Motu proprio „Imparare a congedarsi“ vom 12.2.2018, in: AAS 110 (2018) 379–381.

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C.  Diözesanbischof und Beratungsorgane Aymans – Mörsdorf, KanR II, §§ 73–74; Peter Platen, § 41Die Diözesankurie, in: HdbKathKR3; Heribert Schmitz, § 38 Der Diözesanbischof, in: HdbKathKR3; Ders., § 40 Die Konsultationsorgane des Diözesanbischofs, in: HdbKathKR3.

1. Rechtliche Stellung In seiner „Vollgestalt“ ist der bischöfliche Dienst im Amt des Diözesanbischofs gegeben.124 Diözese und Diözesanbischof sind auf das engste miteinander verbunden und machen die Teilkirche in ihrer Vollform gemäß cc. 368 und 369 CIC (cc. 117 § 1 und 313 CCEO) sichtbar. Mit der Bischofsweihe und der Zuweisung des diözesanbischöflichen Amtes übt der Diözesanbischof die Dienste des Lehrens, Heiligens und Leitens für die Gläubigen und zugleich mit ihnen in Formen der Mitarbeit und Mitwirkung aus. Darin wird offenkundig, dass dem bischöflichen Amt sowohl eine personale (individuelle Ver­antwortung) als auch eine kollegiale Dimension eignet. Letztere wird weltkirchlich vornehmlich durch seine Mitgliedschaft im Bischofskollegium, teilkirchlich in der Verbundenheit mit dem diözesanen Presbyterium sichtbar. Der zum Diözesanbischof Ernannte erlangt die Ausübung seiner Amtsvollmacht durch die kanonische Amtsübernahme gemäß c. 382 CIC (c. 189 CCEO), die mit einem liturgischen Akt in der Kathedralkirche verbunden ist. Ist er noch nicht Bischof, muss die Amtsübernahme (Besitzergreifung) mit der Bischofsweihe gemäß c. 382 § 2 CIC (c. 188 § 2 CCEO) innerhalb von vier Monaten, andernfalls innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt des päpstlichen Ernennungsschreibens vollzogen werden. Die Amtsübernahme ist ein formgebundener Rechtsakt und besteht nach c. 382 § 3 CIC (c. 189 §§ 1 und 2 CCEO) darin, dass der ernannte Diözesanbischof entweder selbst oder durch einen Stellvertreter das päpstliche Ernennungsschreiben dem Konsultorenkollegium (Domkapitel) in Anwesenheit des Kanzlers der Kurie vorzeigt, der diesen Vorgang zu protokollieren hat. Vor der Amtsübernahme darf er sich gemäß c. 382 § 1 CIC (c. 189 § 3 CCEO) nicht in die Amtsführung einmischen. Dabei versteht es sich von selbst, dass die Wahrnehmung bisheriger Pflichten ihre Grenze in der generellen Vorschrift des c. 428 § 1 CIC (c. 228 § 1 CCEO) findet, der zufolge während einer Sedisvakanz nichts verändert werden darf. Die Vollmacht des Diözesanbischofs wird in c. 381 § 1 CIC (c. 178 CCEO) in dreifacher Hinsicht charakterisiert. Sie ist ordentliche Vollmacht (potestas ordinaria), da sie mit dem Amt gegeben und nicht durch Delegation einer höheren Autorität vermittelt ist. Sie ist eigenberechtigte Vollmacht (potestas propria), da der Diözesanbischof sie nicht in päpstlicher Stellvertretung (wie im Fall des Aposto Aymans – Mörsdorf, KanR II, 340.

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lischen Vikars und Präfekten sowie des Apostolischen Administrators), sondern als „Stellvertreter und Gesandter Christi“ in dessen Namen ausübt.125 Sie ist unmittelbare Vollmacht (potestas immediata), da sie rechtlich nicht an andere gebunden, wohl aber in den universal- und teilkirchlichen Kontext gestellt ist. So kommt ihm beispielsweise im Dispenswesen alle für die Ausübung seines Amtes notwendige Vollmacht zu, während der Papst sich lediglich gesetzlich bestimmte Fälle der Dispens reserviert.126 In dieser Vollmacht sind die drei Gewaltfunktionen nach c. 391 CIC (c. 191 CCEO) zusammengeführt. Dabei übt der Diözesanbischof die Gesetzgebungsgewalt (potestas legislativa) stets persönlich aus. Hingegen lässt er sich in der Verwaltung (potestas administrativa) durch den Generalvikar (vicarius generalis) nach c. 475 CIC (c. 245 CCEO) bzw. für spezifische Bereiche durch den Bischofsvikar nach c. 476 CIC (c. 246 CCEO) vertreten, ebenso in der Rechtsprechung (potestas iudicialis) durch den Gerichtsvikar oder Offizial (vicarius iudicialis) nach c. 1420 § 1 CIC (c. 1086 § 1 CCEO). Beide Bereiche zusammen bilden mit weiteren Einrichtungen die Diözesankurie nach c. 469 CIC (c. 243 § 1 CCEO). In der Diözesankurie ist darüber hinaus gemäß cc.  492–494 CIC (cc.  262–263 CCEO) ein Ökonom zu bestellen, der das Vermögen der Diözese unter der Autorität des Diözesanbischofs verwaltet und dem Diözesanvermögensverwaltungsrat, der den Haushalt der Diözese aufstellt und überwacht, jährlich Rechenschaft abzulegen hat. 2. Aufgaben Nach einigen allgemeinen Aussagen in den cc. 383–385 CIC, die innerkirchliche und ökumenische Verpflichtungen umschreiben, normiert das kirchliche Gesetzbuch auf der Grundlage der konziliaren Aussagen (CD  11–21) die Aufgaben, Pflichten und Rechte des Diözesanbischofs. Sie ergeben mit Blick auf die drei Dienste der kirchlichen Sendung eine Art Aufgabenspiegel, der die bischöfliche Vollmacht in ihrem Wesen als Dienst erfasst127 und an dem sich der Diözesanbischof orientieren kann: c. 386 CIC cc. 387–390 CIC cc. 391–400 CIC

Aufgaben im munus docendi Aufgaben im munus sanctificandi Aufgaben im munus regendi (i. V. m. cc. 129 und 135 CIC).

Vgl. LG 27, 1. Im Gegensatz zu diesem vom II. Vatikanischen Konzil durch die Aufwertung des diözesanbischöflichen Amtes geschaffenen Reservationssystem (vgl. CD 8; c. 85 CIC) lag im CIC/1917 die Dispensvollmacht beim Papst, während er einzelne Dispensvollmachten den Bischöfen konzedieren konnte (Konzessionssystem). 127 Näherhin siehe Aymans – Mörsdorf, KanR II, 343–352. 125 126

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3. Beratungsorgane Dem Diözesanbischof stehen in der Leitung der ihm anvertrauten Diözese neben den Stellvertretungsorganen (Diözesankurie mit Generalvikar, Bischofsvikar, Kanzler, Notar, Ökonom, Gerichtsvikar …) eine Reihe von Orga­nen und Institutionen zur Seite, die verdeutlichen, dass die bischöfliche Vollmacht im Ganzen mit der Sendung aller Gläubigen verbunden ist. Der Diözesanbischof und alle Gläubigen sind Träger der kirchlichen Sendung in der Diözese unter Beachtung ihrer spezifischen Vollmachten und Aufgaben. Daher bezeichnen die diözesanen Beratungsorgane, in denen sich entweder Laien und Kleriker (z.B. im Diözesanpastoralrat) oder nur Kleriker (z.B. im Priesterrat) zusammenfinden, einen institutionalisierten Ausdruck des konsiliaren Elements im Leben der Kirche. Beratung in Form des Austauschs und des Rates (consilium) vermag zu einem Gesamtbild im Blick auf die Erfordernisse der kirchlichen Sendung in der Diözese zu führen, dem sich der Diözesanbischof in der Verantwortung seines Urteils verpflichtet sieht. Auf diese Weise wird das Zueinander des Glaubenssinnes der Gläubigen (sensus Fidei fidelium) und der bevollmächtigten bischöflichen Autorität erkennbar.128 Die Beratungsorgane (Konsultationsorgane) sind im geltenden Gesetzbuch entweder verbindlich vorgeschrieben oder als fakultativ vorgesehen. Fest einzurichten sind der Priesterrat nach cc. 495–502 CIC (cc. 264–270 CCEO), das Konsultorenkollegium nach c. 502 CIC (c. 271 CCEO)129 und der Diözesanvermögensverwaltungsrat nach cc. 492–493 CIC (c. 263 CCEO). Dagegen obliegt es dem Diözesanbischof, darüber zu entscheiden, den Diözesanpastoralrat nach cc. 511–514 CIC (cc. 272–275 CCEO) und die Diözesansynode nach cc. 460–468 CIC (cc. 235–242 CCEO) zu errichten bzw. einzuberufen. Ebenso ist im Anschluss an die Aussagen in AA 26 und dem Gemeinrecht aller Gläubigen zu einem freien Zusammenschluss die Einrichtung eines Diözesanrats der Katholiken (auch: Diözesankomitee) möglich. Letzterer ist kein verfassungsrechtlich verortetes Beratungsorgan, sondern stellt einen vereinigungsrechtlichen Zusammenschluss von Laien und Laienorganisationen im Raum der Kirche dar, die ihr Apostolat in Kirche und Welt ausüben und folglich in einer engen Beziehung mit der Diözese und dem Diözesanbischof stehen. Die verschiedenen Rechtscharaktere der Beratungsorgane führen zugleich zu einem unterschiedlichen Vorgehen des Diözesanbischofs im Setzen von rechtswirksamen Handlungen gemäß c. 127 CIC (c. 934 CCEO). Die Mitwirkungsrechte der Organe bestehen je nach Rechtshandlung in Anhörungs- oder Zustimmungsrechten und begründen in rechtlich festgelegten Fällen erst nach ihrer Beachtung die Gültigkeit einer Rechtshandlung. Im Allgemeinen sind die diözesanen Beratungsorgane so gestaltet, „dass die personale (persönliche) Verantwor Vgl. dazu § 12 B, 1. Gemäß c. 502 § 3 CIC kann die Bischofskonferenz verbindlich beschließen, die dem Konsultorenkollegium zukommenden Aufgaben dem Dom- bzw. Kathedralkapitel zu übertragen.

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tung des Diözesanbischofs in seiner ekklesiologisch bedingten Stellung als geistliches Haupt der Teilkirche und damit seine Letzt­verantwortlichkeit voll gewahrt bleiben, er aber gleichwohl in einen kollegialen Beratungsvorgang verfassungsrechtlicher Struktur eingebunden ist“.130 Bis in den gegenwärtigen Moment hinein sind im Bereich der Kanonistik Überlegungen angestellt worden, die diözesanen Räte auf der Grundlage praktischer Erfahrungen stärker zu koordinieren und in ein strukturiertes Zusammenwirken zu überführen. Auf diese Weise soll in Zeiten einer notwendigen Konzentration die Gefahr einer Neutralisierung der Räte verhindert werden.131 4. Interimistische Leitung Für den Fall, dass der Diözesanbischof aus bestimmten Gründen das Amt nicht ausüben kann (Amtsbehinderung) oder die Vakanz (Amtserledigung) eintritt, sieht das Gesetzbuch spezifische Regelungen vor. Die tatsächliche Amtsbehinderung ist gemäß c. 412 CIC (c. 233 § 1 CCEO) gegeben, wenn der Diözesanbischof durch Gefangenschaft, Ausweisung, Exil oder Unfähigkeit an der Ausübung seines Amtes in einem Maß gehindert ist, dass noch nicht einmal eine Amtsausübung durch Schriftverkehr mit den Gläubigen möglich ist. In diesem Fall übernimmt der Kleriker die Leitung der Diözese, der gemäß einer vom Diözesanbischof erstellten Liste mit entsprechenden Klerikern nach c. 413 § 1 CIC (c. 233 § 1 CCEO) dafür vorgesehen ist, ansonsten wählt das Konsultorenkollegium einen Priester für diese Aufgabe (c. 413 § 2 CIC; c. 233 § 2 CCEO). Die rechtliche Amtsbehinderung bezeichnet nach c. 415 CIC den Umstand, dass dem Diözesanbischof aufgrund einer Kirchenstrafe die Amtsausübung untersagt ist. In diesem Fall muss der Metropolit gemäß c. 415 CIC den Apostolischen Stuhl informieren, damit dieser entsprechende Maßnahmen treffen kann. Die Vakanz (Amtserledigung) tritt gemäß c. 416 CIC (c. 219 CCEO) ein durch den Tod, den vom Papst angenommenen Amtsverzicht, die Versetzung oder die Absetzung des Diözesanbischofs. Innerhalb von acht Tagen nach Kenntnis von der Vakanz hat das Konsultorenkollegium (Domkapitel) einen Diözesanadministrator gemäß c. 421 § 1 CIC (c. 221 n. 3 CCEO) zu wählen. Dieser muss den Eignungsvoraussetzungen gemäß c. 425 CIC (c. 227 CCEO) entsprechen. Wird ein Diözesanadministrator nicht fristgerecht durch rechtmäßige Wahl bestimmt, verliert das Wahlkollegium für diesen Fall das Wahlrecht. Dabei geht das Bestimmungsrecht nach c. 421 § 2 CIC (c. 221 n. 4 CCEO) auf den Metropoliten bzw. den dienstältesten Suffraganbischof über. Der Diözesanadministrator besitzt nach c. 427 § 1 CIC (c. 229 CCEO) die Pflichten und Vollmachten eines Diözesanbischofs, mit Ausnahme derer, die aufgrund der Natur der Sache (fehlende Bischofs Heribert Schmitz, Konsultationsorgane, 620. Dazu Peter Krämer, Kirchenrecht II, 84 mit Verweis auf Ausführungen von Heribert Schmitz.

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weihe) oder von Rechts wegen ausgeschlossen sind. Zu den Pflichten zählen gemäß c. 429 CIC insbesondere die Residenz- und Applikationspflicht. Von Rechts wegen sind ihm darüber hinaus eine Reihe von Rechtsakten ausdrücklich durch das Gesetzbuch verwehrt, die sich aus dem Grundsatz Sede vacante nihil innovetur (c. 428 § 1 CIC; c. 228 § 1 CCEO) ableiten lassen. Sein Amt endet nach c. 430 § 1 CIC (c. 231 § 4 CCEO) mit der Amtsübernahme des neuen Diözesanbischofs. Das vereinzelte Vorgehen, bei Sedisvakanz den bisherigen Diözesanbischof zum Apostolischen Administrator bis zur Amtsübernahme des neuen Diözesanbischofs zu ernennen, wird aus mehreren Gründen kritisch beurteilt.132

D.  Pfarrei als zentrale Seelsorgestruktur Aymans  – Mörsdorf, KanR II, §§  78–81; Heribert Hallermann, §  44 Die Pfarrei, in: HdbKathKR3; Ders., §  48 Pfarrverband und Pfarreiengemeinschaften, in: HdbKathKR3; Severin Lederhilger, § 45 Der Pfarrer, in: HdbKathKR3; Ders., § 46 Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pfarrers, in: HdbKathKR3; Helmuth Pree, § 49 Kirchenrektor und Seelsorger für besondere Gemeinschaften, in: HdbKathKR3; Margit Weber, § 43 Die Untergliederungen der Diözese, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Heribert Hallermann, Pfarrei und pfarrliche Seelsorge. Ein kirchenrechtliches Handbuch für Studium und Praxis, Paderborn u.a. 2004. Als Lektüre lehramtlicher Dokumente wird empfohlen: Kongregation für den Klerus, Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ vom 29.6.2022 (= VApSt 226).

1. Untergliederung der Diözese Nach c. 374 § 1 CIC ist jede Diözese oder andere Teilkirche in verschiedene Teile zu untergliedern, die im Recht Pfarrei genannt werden. Zur wirksameren Wahrnehmung der damit verbundenen Hirtensorge können jedoch nach c. 374 § 2 CIC mehrere benachbarte Pfarreien zu eigenen Zusammenschlüssen miteinander verbunden werden. Was der Gesetzgeber hier als zentrale Seelsorgestruktur der Diözese in den Blick nimmt, stellt in der Geschichte der Kirche eine historisch gewachsene und zahlreiche Entwicklungen durchlaufende kirchliche Größe dar.133 In all dem vermag der lateinische Begriff parochia bis heute auf das innere Wesen dessen zu verweisen, was die Pfarrei letztlich sein will. In Verbindung mit dem griechischen Wort παροικεῖν (paroikein) bedeutet der Begriff so viel wie „die Fremde“, das „fremde Haus“ und entsprechend in Verbform „in der Fremde

Vgl. Heribert Schmitz, Diözesanbischof, 611. Siehe dazu Heribert Hallermann, Handbuch, 23–87.

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leben“.134 Die Pfarrei verweist den Gläubigen im Kontext ihrer personalen und zugleich territorialen Struktur auf das Eigentliche christlicher Existenz, das der Philipperbrief so formuliert: „Denn unsere Heimat ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter“ (Phil 3, 20). Mit Recht ist deshalb das II. Vatikanische Konzil und in seiner Folge das kirchliche Gesetzbuch von der Sichtweise des can. 216 § 1 CIC/1917 abgerückt, der die Pfarrei vornehmlich als eine Gebietskörperschaft, als eine Verwaltungseinheit zur Erhaltung der Kirche als societas perfecta verstand, zu der jeder Getaufte aufgrund seines Wohnsitzes unter der Leitung des Pfarrers gehörte und die wesentlich von der Pfarrpfründe und der Pfarrkirchenstiftung als Rechtspersönlichkeiten bestimmt war.135 Die Pfarrei ist mehr. Sie verweist den Gläubigen vor Ort auf seine christliche und zugleich kirchliche Berufung in dieser Welt, die in der Gemeinschaft der Heiligen ihre Vollendung finden soll. Sie ist deshalb gemäß der Formulierung von AA 10, 2 ein „augenscheinliches Beispiel für das gemeinschaftliche Apostolat“ aller Gläubigen. Diesen Dienst als Abbild der Gemeinschaft Gottes und der Heiligen in den aktuellen Umständen von Kirche und Welt zu leisten, ist die Pfarrei auch und gerade heute berufen. Das gilt es im Kontext vielfältiger Veränderungen stets präsent zu halten. 2. Ekklesiologische Bestimmung Auf dem Fundament einschlägiger Konzilsaussagen136 führt der theologische Leitcanon zum Pfarreienrecht (c. 515 § 1 CIC; c. 279 CCEO) drei konstitutive Merkmale der Pfarrei zusammen: 1. Personale Gemeinschaft von Gläubigen: Die Pfarrei ist eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen (certa communitas christifidelium), die auf Dauer personal konstituiert und in der Regel territorial determiniert ist. Sie weist sich als eine Gemeinschaft von Gläubigen aus, in der „auf eine gewisse Weise die über den ganzen Erdkreis hin verbreitete sichtbare Kirche“ dargestellt wird und sich verwirklicht.137 Neben dem Regelfall der Territorialpfarrei nach c.  518 CIC (c. 280 § 1 CCEO) können ebenfalls Personalpfarreien (gemäß Rituszugehörigkeit, Muttersprache, Nationalität oder anderen Gesichtspunkten wie beispielsweise Hochschule oder Militär) errichtet werden. Jede rechtmäßig errichtete Pfarrei besitzt nach c. 515 § 3 CIC (c. 280 § 3 CCEO) ipso iure Rechtspersönlichkeit und ist folglich Trägerin von Rechten und Pflichten.

Vgl. dazu Apg 13, 16–43 sowie 1 Petr 1, 17 und 2, 11. Vgl. Klaus Mörsdorf, Lb11 I, 461–478, hier 461. 136 Vgl. SC 42; LG 26; CD 30; AA 10; AG 37. 137 SC 42, 1. Das Konzil spricht mit Blick auf die Pfarrei in der Regel nicht von Ecclesia, sondern von communitas parochialis. Vgl. dazu Anm. 284. 134 135

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2. Dauerhafte Einrichtung innerhalb einer Teilkirche: Die Pfarrei wird auf Dauer errichtet. Zugleich aber sind ihr Dasein und ihre territoriale Umgrenzung nicht unabänderlich. Als Untergliederung der Diözese steht sie unter der Autorität des Diözesanbischofs, dem nach c. 515 § 2 CIC (c. 280 § 2 CCEO) die alleinige Kompetenz zukommt, Pfarreien nach Anhörung des Priesterrates zu errichten, sie aber ebenfalls aufzuheben oder zu verändern (erigere, supprimere aut innovare). Die Errichtung beruht daher nicht auf dem Zusammenschluss von Gläubigen, sondern auf der diöze­sanbischöflichen Vollmacht. 3. Pfarrer als pastor proprius: Die Hirtensorge (cura pastoralis) der Pfarrei wird unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten (pastor proprius) anvertraut.138 Dabei kommt dem Bischof nach cc. 523 und 524 CIC (cc. 284 § 1 285 § 3 CCEO) ein freies Ernennungsrecht zu, im Rahmen dessen er Priester und Laien zu Rate ziehen kann. Der Pfarrer muss gemäß c. 521 CIC immer Priester sein. Er vollzieht sein Amt in Gemeinschaft mit und in Abhängigkeit vom Diözesanbischof. Das Amt des Pfarrers ist sowohl durch Eigenständigkeit nach c. 519 CIC als auch durch Dauerhaftigkeit nach c. 522 CIC charakterisiert. Die Hirtensorge des Pfarrers verwirklicht sich in der bevollmächtigten Teilhabe am Amt Christi, das er in den Diensten des Lehrens, des Heiligens und des Leitens ausübt. Nach Maßgabe des Rechts können gemäß c. 519 CIC Priester und Diakone an der Ausübung der Hirtensorge mitwirken sowie Laien mithelfen. Aus diesem Grund ist für die Zuordnung der Dienste zwischen der Hirtensorge (cura pastoralis) und der Seelsorge (cura animarum) zu unterscheiden. Bei näherer Betrachtung des c. 515 § 1 CIC als leitender Normaussage zum Pfarreienrecht müssen jedoch auch drei Desiderate formuliert werden, die als ekklesiologische Grunddaten zur Pfarrei relevant sind und daher an dieser Stelle Beachtung finden müssen: 1. Mitträgerschaft der Laien an der kirchlichen Heilssendung: Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, die Teilhabe aller Gläubigen an der kirchlichen Sendung mit Blick auf die Pfarrei eigens zu verbalisieren. Das ist zu bedauern, zumal die Gläubigen als Sendungsträger „nicht in erster Linie als Objekt der Seelsorge verstanden werden“, sondern als deren Träger.139 Allerdings weisen verschiedene Normen explizit auf die unverzichtbare Mitwirkung der Laien am Sendungsauftrag der Kirche und im Leben der Pfarrei hin.140 In institutionalisierter Form

Vgl. CD 30, 1 und LG 28, 2. Aymans – Mörsdorf, KanR II, 57. 140 Vgl. u.a. cc. 204 § 1, 208–223, 519, 529 § 2. 138 139

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zeigt sich diese Mitsorge in den pfarrlichen Beratungsorganen, dem Pfarrpastoralrat gemäß c. 536 CIC und dem Vermögensverwaltungsrat nach c. 537 CIC.141 2. Missionarisch-apostolischer Aspekt: Darüber hinaus fehlt der Bezug zum missionarisch-apostolischen Aspekt der pfarrlichen Sendung.142 Die Pfarrei und ihre Glieder stehen im Dienst des Evangeliums und seiner Verkündigung, sie sind zugleich Ort bzw. Menschen des sakramentalen Lebens in der Kirche und bezeugen den Glauben in vielfältigen Werken tätiger Nächstenliebe. Die Pfarrei ist folglich nicht um ihrer selbst willen da. Sie untersteht dem Wesen und Auftrag der ganzen Kirche, die gesandt ist, Christus und sein Heilswirken in der Welt zu bezeugen und zu vermitteln.143 3. Eucharistische Konstituierung: Die Kirche lebt aus der Eucharistie144 als Quelle und Gipfelpunkt ihres Lebens und ihrer Sendung. Die Norm des c. 897 CIC hebt als Einleitungscanon zum Eucharistierecht bewusst hervor: „Das eucharistische Opfer … ist für den gesamten Gottesdienst und das gesamte christliche Leben Gipfelpunkt und Quelle; durch dieses Opfer wird die Einheit des Volkes Gottes bezeichnet und bewirkt sowie der Aufbau des Leibes Christi vollendet“. Das gilt in besonderer Weise für die Pfarrei, die darin ihren sakramentalen Maßstab findet, insbesondere auch in Zeiten notwendiger pfarrlicher Strukturveränderungen. Führt man diese Überlegungen zusammen, kann festgehalten werden, dass der Pfarrei als zentraler und auf Dauer errichteter Seelsorgestruktur der Diözese im Zusammenwirken von Pfarrer (mit weiteren Klerikern und Laien) und Gläubigen ein zweifaches Ziel innewohnt. Zum einen befähigt sie in ihrem Inneren die Gläubigen in der Verschiedenheit ihrer Berufungen und Charismen zur bewussten Teilhabe am dreifachen Amt Christi im Leben mit dem Wort Gottes, mit den Sakramenten und in der tätigen Liebe. Die Pfarrei dient in ihren Grundvollzügen der Heiligung aller Gläubigen, zu der sie nach c. 210 CIC (c. 13 CCEO) durch Taufe und Firmung gerufen sind. Zum anderen steht sie im Dienst an der damit verbundenen Befähigung zu Bezeugung und Verkündigung der Heilstaten Christi in der Welt von heute.

Zur Thematik Pfarrpastoralrat und Pfarrgemeinderat siehe Aymans – Mörsdorf, KanR II, 439– 442. Ebenso Franz Kalde, Pfarrpastoralrat, Pfarrgemeinderat und Pfarrvermögensverwaltungsrat, in: HdbKathKR3, 737–745 und Karl-Theodor Geringer, Die deutschen Pfarrgemeinderäte als verfassungsrechtliches Problem, in: MThZ 37 (1986) 42–57. 142 Vgl. Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“, Nr. 28: Die Pfarrei ist „eine Gemeinde der Gemeinschaft, ein -Heiligtum, wo die Durstigen zum Trinken kommen, um ihren Weg fortzusetzen, und ein Zentrum ständiger missionarischer Aussendung“. 143 Vgl. u.a. Mk 16, 15; Mt 24, 14; 28, 19; Joh 20, 21–23; Apg 1, 8. 144 Vgl. LG 11, 26 und SC 10, 47. Dazu Johannes Paul II., Enzyklika „Ecclesia de eucharistia“ vom 17.4.2003, in: AAS 95 (2003) 433–475; dt.: VApSt 159. 141

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3. Formen der Pfarrei Das kirchliche Gesetzbuch führt verschiedene Formen der Pfarrei an, mit deren Hilfe der Diözesanbischof auf die diversen Situationen im Leben der Diözese reagieren kann. Dabei wird ersichtlich, dass die Pfarrei gemäß c. 515 § 1 CIC einerseits die ideale Regelform zur Strukturierung der Diözese darstellt, andererseits sich weitere Formen von Untergliederungen, aber auch Zusammenschlüssen finden, die eine geordnete Seelsorge ermöglichen wollen. Diese Alternativen, die jede für sich konstitutiv auf die für die Kirche typische Communio-Struktur der Beziehung Gläubige – geistlicher Amtsträger ausgerichtet sind, können wie folgt systematisiert werden. a) Eine Pfarrei – Ein Pfarrer Die kanonische Pfarrei gemäß c. 515 § 1 CIC stellt in Verbindung mit der Norm des c. 526 § 1 1. Halbsatz die Grundform der Pfarrei dar. Sie ist rechtlich dadurch bestimmt, alle vom kanonischen Recht eingeforderten Voraussetzungen für ihre Errichtung zu erfüllen. Sie ist Trägerin der kirchlichen Sendung in Wort, Sakrament und Caritas, kennzeichnet sich durch das Zusammenwirken der Gläubigen mit einem Pfarrer, der in seinem Dienst gemäß c. 519 CIC durch weitere Kleriker und Laien unterstützt wird. Dazu zählen auch die Kirchenrektoren gemäß c. 556– 563 CIC (cc. 304–310 CCEO). b) Mehrere Pfarreien – Ein Pfarrer Wegen Priestermangels oder anderer Umstände kann der Diözesanbischof nach c. 526 § 1 2. Halbsatz CIC die Sorge für mehrere benachbarte Pfarreien einem einzigen Pfarrer übertragen. Die Ausnahme vom Grundsatz Eine Pfarrei  – Ein Pfarrer wird jedoch in zweifacher Hinsicht beschränkt. Zum einen wird sie in das Ermessen des Diözesanbischofs gestellt, der die diözesane Situation zu beurteilen hat. Zum anderen fordert die Norm die unmittelbare Nähe der betreffenden Pfarreien (plurium vicinarum paroeciarum). Wird die Übertragung der Sorge für mehrere Pfarreien auf Dauer vollzogen, erwachsen die beteiligten Pfarreien zu einer neuen Seelsorgeeinheit, die als Pfarreiengemeinschaft oder Pfarrverband (Pfarrverbund) eine Stabilität gewinnt, die den in c. 374 § 2 CIC genannten Zusammenschlüssen entspricht.145 In der weiteren Entwicklung, wie sie auch in den derzeit aktuellen diözesanen Strukturreformen sichtbar wird, kann aus solchen Pfarrverbänden auf Dauer eine neue Pfarrei entstehen. Mit der Vergrößerung der pfarrlichen Territorien wird es jedoch zunehmend schwerer, hier noch von der Pfarrei im „klassischen Sinn“ zu Vgl. Aymans – Mörsdorf, KanR II, 418–419. Siehe dazu Deutsche Bischofskonferenz, „Mehr als Strukturen … Entwicklungen und Perspektiven der pastoralen Neuordnung in den Diözesen“ vom 12.4.2007, in: AH 213; Dies., „Mehr als Strukturen …“. Neuorientierung der Pastoral in den (Erz-) Diözesen. Ein Überblick vom 12.4.2007, in: AH 216.

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sprechen, wie sie das II. Vatikanische Konzil in ihrer Unmittelbarkeit vor Ort erfasst und das Gesetzbuch aufgenommen hat. Pfarreien nehmen hier vielmehr die Größe von Regionen an und werden deshalb auch oft Pfarrei neuen Typs oder Pfarrei der Zukunft (so im Bistum Trier) genannt. Im Blick auf diese Entwicklungen wird deshalb zunehmend dafür plädiert, neben möglichen Großpfarreien, die insbesondere in (Groß-) Städten sinnvoll erscheinen, Pfarrgemeinschaften in eher ländlichen Gebieten (vorerst) bestehen zu lassen und in der Neuausrichtung einer zusammenwachsenden Gemeinschaft mit dem Ziel zu fördern, „das Bestehende und Gewachsene … über mehrere Jahre hinweg auf einem Weg zu begleiten, an dessen Ende das steht, was der Normalfall von Pfarrei ist: territorial abgegrenzte Gemeinden von Gläubigen mit einem bestimmten Hirten, die selbständig und verlässlich ihr Leben christlich gestalten können“.146 c) Pfarrliche Varianten Das Gesetzbuch hält zudem für die innere Strukturierung einer Pfarrei eine Reihe von rechtlichen Varianten bereit, die einzelnen Dimensionen der pfarrlichen Sendung behilflich sein können. So bestimmt c. 516 § 1 CIC, dass der Pfarrei die Quasipfarrei als eine Gemeinschaft von Gläubigen in einer Teilkirche gleichgestellt wird, die einem Priester anvertraut ist, jedoch noch nicht als Pfarrei errichtet ist. In engem Zusammenhang damit ist die Bestimmung des c. 516 § 2 CIC zu sehen, der den Diözesanbischof verpflichtet, für Gemeinschaften (beispielsweise in den Formen der Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen) in der Diözese entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Mit dieser Regelung soll die Pfarrstruktur nicht verdrängt, wohl aber die Verpflichtung betont werden, vielfältige Möglichkeiten zur Seelsorge dort zu schaffen, wo die bisherige Pfarrseelsorge nicht mehr ausreicht. Das Gesetzbuch nennt dafür zwei konkrete Möglichkeiten. Zum einen ist nach c. 545 § 2 CIC die Bestellung eines Pfarrvikars für einen bestimmten Kreis von Gläubigen vorgesehen, um personale oder kategoriale Bereiche der Seelsorge zu erreichen, die von der allgemeinen Pfarrseelsorge nicht abgedeckt werden können. Zum anderen kann der Diözesanbischof gemäß cc. 564–572 einen capellanus bestellen, „dem auf Dauer die Seelsorge für irgendeine Gemeinschaft oder für einen besonderen Kreis von Gläubigen wenigstens zum Teil anvertraut wird, die er nach Maßgabe des allgemeinen und des partikularen Rechts wahrzunehmen hat“ (c. 564 CIC). Eng damit zusammen hängt die strukturelle Möglichkeit, die Pfarrei – insbesondere in ihrer Form als neuer Großpfarrei – in Pfarrbezirke (Gemeinden) mit Filialkirchen zu gliedern. So Stephan Haering – Andreas Wollbold, Weiterentwicklung statt Kahlschlag. Es gibt Alternativen zu Großpfarreien, in: HK 71 (2017) 23–29. Mit anderem Schwerpunkt Klaus Pfeffer, Reale und gefühlte Zumutungen. Warum Großpfarreien eine Lösung sein können, in: HK 71 (2017) 27–29.

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d) Sonderformen der Pfarrorganisation Das kirchliche Gesetzbuch hat neben den pfarrlichen Varianten auch für die Ausübung der Hirtensorge zwei Sonderformen pfarrlicher Seelsorge geschaffen. Neben der bereits bewährten Regelung der cc. 539–541 CIC, für den Fall, dass das Pfarreramt durch Tod, Verzicht, Zeitablauf, Ab- oder Versetzung des Pfarrers vakant bzw. durch Gefangenschaft, Verbannung, Ausweisung, Unfähigkeit, angegriffener Gesundheit oder aus einem anderen Hinderungsgrund behindert ist, durch den Diözesanbischof einen Pfarr­administrator zu ernennen, der den fehlenden oder abwesenden Pfarrer vertritt, kommen zwei neue Bestimmungen in den Blick. Zum einen kann der Diözesanbischof gemäß c. 517 § 1 CIC (c. 287 § 2 CCEO), wo es seinem Urteil nach die Umstände erfordern, die Seelsorge für eine Pfarrei oder einen Pfarrverbund mehreren Priestern unter der Bedingung solidarisch (in solidum) übertragen, dass einem von ihnen die Aufgabe des Leiters (moderator) und damit die Verantwortung gegenüber dem Bischof übertragen wird. Nähere Bestimmungen zu den Rechten und Pflichten des Moderators sowie der übrigen Priester formulieren die cc. 542–544 CIC. In diesem Fall spricht man von einer „Solidarpfarrei“ oder einem „solidarischen Pfarrverbund“.147 Zum anderen kann der Diözesanbischof, wo dies seinem Urteil gemäß die Notsituation des Priestermangels erforderlich macht, einen Diakon, Laien oder eine Gemeinschaft nichtpriesterlicher Personen an der Ausübung der Hirtensorge beteiligen (participatio in exercitio curae pastoralis). Die Mitwirkung drückt sich in der Ausübung verschiedener Aufgaben der Seelsorge (cura animarum) aus, für die durch die bischöfliche Sendung eigene Verantwortung übernommen wird. Die Leitung der Pfarrei (der Pfarreien) liegt jedoch in den Händen eines Priesters (Moderator), der nach c. 517 § 2 CIC vom Diözesanbischof zu bestellen ist und, mit den Vollmachten und Befugnissen eines kanonischen Pfarrers ausgestattet, die Hirtensorge (cura pastoralis) der Pfarrei oder mehrerer Pfarreien wahrnimmt und leitet (moderetur). Er ist zwar nicht der eigene Pfarrer und deshalb auch jederzeit abberufbar, repräsentiert aber das für die Pfarrei unverzichtbare sakramentale geistliche Haupt dieser Gemeinschaft der Gläubigen. Diese neu in das Gesetzbuch aufgenommene Bestimmung stellt ohne Zweifel eine Notlösung für den Fall des Priestermangels dar, hat aber seither in manchen Diözesen Anwendung

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Vgl. dazu Aymans – Mörsdorf, KanR II, 419–421. Näherhin René Löffler, Gemeindeleitung durch ein Priesterteam. Interpretation des can. 517 § 1 CIC/1983 unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Rechtslage, Essen 2001 und Christoph Ohly, Kooperative Seelsorge. Eine kanonistische Studie zu den Veränderungen teilkirchlicher Seelsorgestrukturen in den Diözesen der Kölner Kirchenprovinz, St. Ottilien 2002, hier 34–45.

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gefunden und ist aufgrund der praktischen Erfahrungen in der Kanonistik umfassend und kritisch diskutiert worden.148 e) Übersicht So können die vom Gesetzbuch verschieden gewichteten Alternativen wie folgt zusammengeführt werden: Einzelne Pfarrei (Kanonische Pfarrei als Regelform) mit einem Pfarrer (cc. 519, 526 § 1 CIC) mit einem Priesterteam und Moderator (c. 517 § 1 CIC) Zwei oder mehrere Pfarreien (möglicher Pfarrverbund) mit einem Pfarrer (c. 526 § 1 2. HS CIC) mit einem Priesterteam und Moderator (c. 517 § 1 CIC) mit einem priesterlichen Leiter sowie Diakonen und Laien (c. 517 § 2 CIC) 4. Wegweisender Aufgabenspiegel Neben den Bestimmungen zu den Eignungsvoraussetzungen des Pfarrer­amts (c. 521 §§ 2 und 3 CIC) und der Amtsverleihung (cc. 523–525, 527 CIC) führt das Gesetzbuch eine Reihe von Rechten und Pflichten in einem Aufgabenkatalog des Pfarrers zusammen, der – ähnlich wie im Fall des Diözesanbischofs – als Aufgabenspiegel verstanden werden kann. Er umfasst vor allem Normen zur pastoralen Tätigkeit des Pfarrers im Rahmen der Hirtensorge. Dabei stehen neben den expliziten Amtshandlungen gemäß c.  530 CIC (Sakramente und Sakramentalien) die grundlegenden Lebensvollzüge der Kirche in den Diensten des Lehrens, Heiligens und Leitens im Mittelpunkt. Sie werden in c. 528 § 1 CIC auf die Verkündigung des Wortes Gottes, in c. 528 § 2 CIC auf den Heiligungsdienst und in c. 529 CIC auf den Leitungsdienst zur Förderung der Charismen und Mitarbeit in der Auferbauung der Pfarrei als Gemeinschaft aller Gläubigen hin entfaltet. Die Formulierungen des Aufgabenspiegels erinnern aber nicht nur den Pfarrer an spezifische Verpflichtungen seines Amtes. Sie vermögen zugleich von neuem die ganze Pfarrei zu lehren, was sie als (familiäre) Gemeinschaft des Glaubens sein will. Sie ist der Ort, an dem das Wort Gottes lebendig ist, sie ist der Ort des göttlichen Heils, das sich in den Sakramenten verschenkt, sie ist der Raum tätiger Nächstenliebe, die insbesondere in den Werken der Barmherzigkeit erfahrbar wird: im Dienst an den Eheleuten und Familien, den Kindern und Jugendlichen, 148

Vgl. dazu Aymans – Mörsdorf, KanR II, 421 f. Dazu auch Christoph Ohly, Kooperative Seelsorge, 45–73 und Michael Böhnke – Thomas Schüller, Zeitgemäße Nähe. Evaluation von Modellen pfarrgemeindlicher Pastoral nach c. 517 § 2 CIC, Würzburg 2011.

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den Berufungen, den religiös Abständigen, den Nicht-Glaubenden, den Sündern sowie an den Ängsten und Sorgen der Menschen, an den Kranken, Alten, Notleidenden und Sterbenden. Das II. Vatikanische Konzil hat in Erinnerung gerufen, dass jede Erneuerung der Kirche (und damit auch der Pfarrei) „wesentlich im Wachstum der Treue gegenüber ihrer eigenen Berufung“ besteht, zu der sie von Christus selbst gerufen wird.149 Die aktuellen Bemühungen um eine Reform diözesaner und pfarrlicher Strukturen müssen hier ihren Ausgang nehmen und sich nicht allein am Äußeren festmachen. Strukturen sind hilfreich, aber letztlich nur Mittel zum Ziel. Wenn Reform bedeutet, die eigene Berufung als Kirche und Pfarrei in Treue zu ihrem Geber wiederzuentdecken und sie bewusst zu leben, dann beginnt die Erneuerung im Leben eines jeden Christen. Diese geht nur über den Weg der Heiligkeit, deren Vollzüge in den Aufgaben des Pfarrers erkennbar werden. Der Aufgabenspiegel ist daher so etwas wie ein Reformprogramm für die Diözese und ihre Pfarreien von heute und morgen.

II. Grundelemente der Beziehung von Kirche und Staat Aymans – Mörsdorf, KanR I, § 6; Stefan Muckel, § 116 Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: HdbKathKR3. Vertiefende Literatur: Dietrich Pirson u.a. (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bde. I-III, Berlin 32020; Axel Freiherr von Campenhausen – Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa. Ein Studienbuch, München 42006.

Das II. Vatikanische Konzil hat nicht nur das Verhältnis der Katholischen Kirche zu den getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften neu umrissen, sondern zugleich ihre Beziehung zu Welt, Staat und Gesellschaft erfasst, die in zunehmenden Maße von Phänomenen der Säkularisierung, Globalisierung und religiösen Pluralisierung geprägt sind.150 Dabei spielt die kirchliche Positionierung zum Staat eine wichtige Rolle im Gesamtkonzert des Verhältnisses von Kirche und Welt. Gesandt dazu, das Evangelium in der Welt von heute zu verkündigen, geht es der Kirche in Bezug zum Staat darum, „auf der Grundlage ihres ekklesiologischen Selbstverständnisses und ihrer sozial- bzw. moraltheologischen Prinzipien die Rolle des Staates in der menschlichen Gesellschaft und gegenüber der (christlichen) Religion zu klären sowie Antworten auf die Frage zu geben, wie UR 6. Siehe dazu neben der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ vor allem die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ (hier bes. Art. 73–76) sowie die Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“.

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sich Christen aufgrund ihres Glaubens in Bezug auf den Staat zu verhalten haben“.151 So gibt GS 76 (ähnlich c. 747 § 2 CIC; c. 595 § 2 CCEO) als Maßstab des damit verbundenen kirchlichen Anspruches vor, „in wahrer Freiheit den Glauben zu verkünden, ihre Soziallehre kundzumachen, ihren Auftrag unter den Menschen unbehindert zu erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen.“ Das Verhältnis der Kirche zum Staat ist in der Geschichte vielen Wandlungen unterlegen, so dass von keiner „in sich geschlossenen und allgemein anerkannten Lehre“ gesprochen werden kann.152 Allerdings lassen sich mit den konziliaren Grundaussagen und Vorgaben des päpstlichen Lehramtes einige markante Leitlinien formulieren, die es möglich machen, sowohl tragende Aspekte im heutigen Verständnis zu kennzeichnen als auch religionsfreiheitliche Prinzipien zu benennen, wie sie das Verhältnis von Kirche und Staat insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in Österreich und in der Schweiz prägen.

§ 29 Vision einer „Gesunden Laizität“ Stefan Mückl, § 117 Grundmodelle einer möglichen Zuordnung von Kirche und Staat, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Libero Gerosa – Ludger Müller (Hg.), Politik ohne Religion? Laizität des Staates, Religionszugehörigkeit und Rechtsordnung, Paderborn 2014; Christoph Ohly, Gesunde Laizität. Zu einem Schlüsselwort im Verhältnis von Staat und Kirche, in: Kultur des Gemeinwohls. FS Ockenfels (70), 357–374.

A.  Modelle der Zuordnung Aus den historischen Facetten des Kirche-Staat-Verhältnisses lassen sich in heutiger Perspektive zwei grundsätzliche Systeme einer Zuordnung aufweisen. Dabei „verläuft eine markante Linie zwischen denjenigen Staaten, welche die grundlegenden konstitutionellen Entwicklungen des 18. und 19. Jahr­hunderts durchlaufen und diese in ihrer Rechts- und Verfassungsordnung rezipiert haben, und jenen Staaten, welche anderen Rationalitäten anhängen“.153 Letztere bezeugen zumeist eine Identifikation mit einer Religion oder Weltanschauung,154 während 153 154 151 152

Stefan Muckel, Verhältnis von Kirche und Staat, 1769 f. Ebd. 1769. Stefan Mückl, Grundmodelle, 1792. Dazu zählen die islamischen Staaten ebenso wie die weltanschaulich geprägten Staaten, die nicht selten zur Verfolgung von Christen oder zumindest staatlich verordneter Einschränkungen bür-

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die zuerst genannten Staaten im modernen freiheitlichen Verfassungsstaat sichtbar werden, die sich religiös und weltanschaulich neutral verstehen. Diese Neutralität kann eine unterschiedliche Ausrichtung besitzen, ist aber in der Regel von der Gewährung von Religionsfreiheit, Säkularität und Gleichbehandlung (Parität) charakterisiert. Die Verschiedenheit ihrer inneren Gewichtung lassen drei Modelle erkennbar werden, die sich jeweils – pars pro toto – auf damit zusammenhängende Staatsmodelle anwenden lassen.155 Grundsätzliche Unterscheidung 1. Identifikation mit einer Religion oder Weltanschauung 2. Religiös neutraler Staat Grundmodelle der Zuordnung 1. Staatskirchliches Modell 2. Trennungsmodell 3. Kooperationsmodell Im ersten Modell herrscht die Vorstellung einer Staatskirche vor. Ihr Prototyp ist England mit der Anglikanischen Kirche. Mit dem Act of Supremacy (1534) wurde dem Monarchen die Aufgabe als Oberhaupt der Kirche zugewiesen. Als Grundtypus hat es weitreichende Konsequenzen insbesondere in den skandinavischen Ländern mit sich gebracht, die diesem Modell folgten. Auffallend ist hier vor allem die bis heute geltende Bestimmung, dass der Monarch und Premierminister der Regierung der jeweiligen Konfession angehören muss. In jüngerer Zeit haben jedoch moderne rechtsstaatliche Prinzipien (Parität, Neutralität und Religionsfreiheit) in stärkerem Maße Einzug gehalten und die Entwicklung eines disestablishments fortgeführt. Das zweite Modell im Sinne des Trennungsgedankens umgreift akzentuierte Formen der Abgrenzung von Kirche und Staat, die von starker Distanz bis zu freundschaftlicher Beziehung reichen. Das französische Trennungsgesetz von 1905, das sich aufgrund der geschichtlichen Entwicklung jedoch nicht auf die heutigen Departements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle (früher Reichsland Elsass-Lothringen) erstreckt, bildet bis heute die rechtliche Grundlage für eine weitgehende und institutionalisierte Abgrenzung von Staat und Kirche in Frankreich.156 Als solches hat es nachfolgend weitreichende Auswirkungen in Mexiko, Portugal und gerlicher Grundrechte neigen (z.B. Nordkorea, China, Vietnam). In anderen, ehemals stark weltanschaulich geprägten Staaten können jedoch Tendenzen einer zunehmenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Öffnung vermerkt werden (z.B. Kuba). 155 Vgl. Stefan Mückl, Grundmodelle, 1792–1799, mit spezifischen Literaturangaben. 156 Vgl. dazu ausführlich Brigitte Basdevant-Gaudemet, Kirche und Staat in Frankreich, in: HdbKathKR3, 1966–1986.

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Luxemburg157 gezeitigt. Zwar werden religiöse Freiheit gemäß dem Gewissen sowie der damit verbundene Kult zugestanden, jedoch in keiner Weise subventioniert. Der Kirche kommt keine Rechtspersönlichkeit zu; sie muss sich als privatrechtlicher Kultverein in sog. Diözesanvereinen (associations diocésaines) organisieren und daher für ihre eigene Finanzierung Sorge tragen. Im Kontext der diversen Regierungen konnten im Verlauf der Jahrzehnte Tendenzen beobachtet werden, die einerseits eine strenge Handhabung des Gesetzes forcierten (beispielsweise unter François Hollande), andererseits wiederum zu einer positiveren Akzentuierung der französischen laïcité führten (so unter Nicolas Sarcozy). Das amerikanische Trennungsmodell hingegen gilt heute als Ausdruck einer freundschaftlichen Trennungsbeziehung. Der erste Zusatzartikel aus dem Jahre 1791, der zur Bundesverfassung von 1787 hinzutrat, verbot die Einrichtung einer Staatskirche (establishment clause) unter Beachtung der Religionsfreiheit (free exercise clause). Aus der strengen Interpretation des Trennungsgedankens (wall of separation) haben sich jedoch nicht zuletzt aufgrund der starken Religiosität des amerikanischen Lebens Formen der Unterstützung kirchlicher bzw. religiöser Tätigkeiten unter Beachtung ihrer gesellschaftlichen Relevanz entwickelt. Das dritte Modell steht für die Kooperation zwischen Staat und Kirche, wie sie sich mit diversen Unterschieden vor allem in Deutschland, Österreich und in der Schweiz zeigt. Institutionell voneinander getrennt, weiß der Staat um die Bedeutung der Religion und der Kirche für das gesellschaftliche Leben und garantiert ihr durch die Anerkennung im öffentlichen Recht eine gehobene Stellung der Autonomie zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten. Gemäß der je eigenen Verantwortung entstehen durch die Kooperation eine Reihe von gemeinsamen Angelegenheiten (res mixtae), die insbesondere die Bereiche der Bildung (z.B. Religionsunterricht, Schulen und Hochschulen), der Seelsorge (z.B. Anstalts- und Militärseelsorge), des Sozialbereichs (z.B. kirchliches Arbeitsrecht, Caritas und Medien) sowie der Finanzierung (z.B. Kirchensteuer, Staatsleistungen und Steuerbefreiungen) betreffen.

B.  Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Aus verschiedenen Motiven heraus werden die Modelle heute stärker in ihrer modellhaften Bedeutung interpretiert und daher auch einer spürbaren Relativierung zugeführt.158 Im Zusammenhang mit den an der Religionsfreiheit sich orientierenden rechtsstaatlichen Kriterien (Neutralität, Säkularität, Parität, Koopera Siehe Patrick Hubert, Kirche und Staat in Luxemburg, in: HdbKathKR3, 1954–1965. Anders Markus Walser, Kirche und Staat in Liechtenstein, in: HdbKathKR3, 1943–1953. 158 Dazu Stefan Mückl, Grundmodelle, 1799. 157

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tionsbereitschaft) kommt es zu einem erkennbaren Perspektivenwechsel. Zur Beurteilung des Staat-Kirche-Verhältnisses wird im Kontext einer religiösen und weltanschaulichen Pluralisierung inzwischen stärker nach der Haltung des Staates gefragt, das Grundrecht der Religionsfreiheit und die damit verbundenen rechtsstaatlichen Prinzipien zu gewährleisten. Zugleich geht damit eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff Staatskirchenrecht einher, der in der jüngeren Lehrbuchliteratur und in Monographien zunehmend durch den Terminus Religionsverfassungsrecht oder Religionsrecht ersetzt wird. Damit soll der Überlegung Rechnung getragen werden, dass die grundgesetzlichen Aussagen zu Staat und Kirche nicht allein diese, sondern alle Religionen im religiös pluralen Kontext des Staates betreffen. Dahinter verbirgt sich allerdings eine noch nicht zu Ende geführte Diskussion zwischen zwei Meinungsschulen (Bewahrung und Fortschritt), die nicht nur terminologische, sondern auch inhaltliche Auswirkungen mit sich bringt.159 Wenn im Folgenden vom Staatskirchenrecht gesprochen wird, dann aus dem Grund, dass sich die Überlegungen kontextuell vornehmlich auf die Katholische Kirche und ihre Beziehung zum Staat beziehen. Inkludiert sind dabei jedoch prinzipiell auch die übrigen Konfessionen und Religionen, die in der Perspektive eines umfassenderen Religionsrechts stehen.

C.  Ansatz aus kirchlicher Perspektive Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird aktuell die Bedeutung des kirchlichen Verständnisses der Staat-Kirche-Beziehung von neuem ersichtlich. In der Folge der konziliaren Aussagen hat Papst Benedikt XVI. in seinen großen politischen Reden die Vision einer Gesunden Laizität vorgestellt und vertieft.160 Was ist darunter zu verstehen und welche Leitlinien prägen diese Sichtweise? 1. Terminologische Klärung In sprachlicher Hinsicht ist zunächst eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Laizismus und Laizität vorzunehmen. Der Terminus Laizität (ital.: secolarità; franz.: laicité; engl.: secularity; span.: secularidad) besitzt eine lange historische Tradition. Er bezeichnet im Mittelalter die strikte und legitime Differenzierung zwischen den weltlichen Mächten und den kirchlichen Hierarchien. Staatliche und kirchliche Autorität werden voneinander abgegrenzt. Hingegen stellt der Laizismus als Begriff eine neuzeitliche Wortschöpfung dar, die auf den französischen Pädagogen und Friedensnobelpreisträger Ferdinand Buisson (1841–1932) 159 160

Vgl. dazu mit Literaturhinweisen Ansgar Hense, Kirche und Staat, 1835–1837. Siehe Stephan Otto Horn – Wolfram Schmidt (Hg.), Hoffnung und Auftrag. Die Reden Benedikts XVI. zur Politik, Freiburg i. Br. 2017.

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zurückgeht, der eine radikale Trennung von Kirche und Staat insbesondere mit Blick auf einen religionsfreien und damit neutralen Schulunterricht einforderte.161 Im heutigen Sprachgebrauch ist jedoch ein Begriffswechsel festzustellen. Unter Laizität wird im allgemeinen Sprachgebrauch jene Trennung von Staat und Kirche (Religion) verstanden, die in ihrer überzogenen Form letztlich alle religiösen Symbole und Hinweise aus dem öffentlichen Leben und Denken verbannen will. Diese Laizität hat hier das Verständnis eines radikalen Laizismus in seiner begrifflichen Herkunft übernommen. Benedikt XVI. plädiert deshalb unter Bezug auf die vom II. Vatikanischen Konzil betonte Autonomie der politischen Gemeinschaft und der Kirche162 dafür, die ursprüngliche Bedeutung der Laizität wieder aufzunehmen und sie als gesunde Laizität zum Grundprinzip der Staat-KircheBeziehung zu erheben.163 In seiner Ansprache anlässlich der Begegnung mit Vertretern aus der Welt der Kultur im Collège des Bernardins vom 12.9.2008 begründete er diese Aufgabe mit der Würde von Vernunft und Kultur:

Eine bloß positivistische Kultur, die die Frage nach Gott als unwissenschaftlich ins Subjektive abdrängen würde, wäre die Kapitulation der Vernunft, der Verzicht auf ihre höchsten Möglichkeiten und damit ein Absturz der Humanität, dessen Folgen nur schwerwiegend sein könnten.164

2. Leitlinien zum Verständnis Gemäß den Worten von Benedikt XVI. bedeutet gesunde Laizität,

dass der Staat die Religion nicht als rein persönliches Gefühl betrachtet, das man in das Privatleben verbannen könnte. Im Gegenteil: Die Religion, die in sichtbaren Strukturen wie der Kirche organisiert ist, wird als Gegebenheit der Gesellschaft anerkannt. Das bedeutet weiterhin, dass jeder religiösen Konfession,

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164

Vgl. Ferdinand Buisson, Dictionnaire de pédagogique et d‘instruction primaire, Paris 1929; siehe dazu Patrick Dubois, Le dictionnaire de Ferdinand Buisson, Bern 2002. Vgl. GS 76, 3, ebenso GS 76, 1 („clare distinguatur“). Der Begriff wird erstmals von Pius XII. verwendet (Allocutio Oriundis e Piacena Provincia, Romae degentibus vom 23.3.1958, in: AAS 50 [1958] 216–220, hier 220). Siehe dazu Andreas Kowatsch, Freiheit in Gemeinschaft  – Freiheit der Gemeinschaft. Das geltende Kirchenrecht und die alte Lehre von der „libertas Ecclesiae“, Berlin 2015, hier bes. 133–142. Benedikt XVI., Ansprache anlässlich der Begegnung mit Vertretern aus der Kultur Frankreichs im Collège des Bernardins vom 12.9.2008, in: AAS 100 (2008) 721–730, hier 730; dt.: ORdt 38 (2008), Nr. 38, 8–10.

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§ 29 Vision einer „Gesunden Laizität“

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solange sie nicht im Gegensatz zur moralischen Ordnung steht und die öffentliche Ordnung nicht gefährdet, die freie Ausübung der Aktivitäten des Glaubens – geistliche, kulturelle, erzieherische und caritative – der Gemeinschaft der Gläubigen garantiert wird.165

Damit wird zum einen die Eigenständigkeit des Staates in seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität geachtet (Laizität im ursprünglichen Sinn), zum anderen die öffentliche Bedeutung der Kirche und Religion für das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen nicht negiert, sondern unterstrichen (deshalb gesunde Laizität). Glaube und Kult, Pädagogik und Caritas im Geist des Glaubens verstehen sich demzufolge als freiheitliche Angebote im Innern der Gesellschaft, welche diese zu durchdringen und zu motivieren suchen. Die anerkannte Autonomie der irdischen Wirklichkeiten ist daher auch hinsichtlich jener ethischen Ansprüche zu beurteilen, die im Wesen des Menschen selbst begründet sind:

Wenn wir unter den jetzigen Umständen den Wert in Erinnerung rufen, den verschiedene ethische Grundprinzipien, die im großen christlichen Erbe Europas … wurzeln, nicht nur für das private, sondern vor allem für das öffentliche Leben haben, verletzen wir keineswegs die Laizität des Staates, sondern tragen vielmehr dazu bei, die Würde der Person und das Gemeinwohl der Gesellschaft zu sichern und zu fördern.166

Im Gegensatz dazu verweigert der Laizismus den legitimen Einfluss der Kirche und Religion im gesellschaftlichen Gefüge, indem er religiöse Hinweise aus dem öffentlichen Denken und Handeln herausdrängen möchte. Für ihn gilt, dass

nur das, was erfahrbar und kalkulierbar ist, vernunftgemäß einen Wert besitzt, während auf der Ebene der Praxis die individuelle Freiheit zum Grundwert erhoben wird, dem alle anderen Werte untergeordnet werden müssen.167

165

166

167

Ders., Ansprache an die Teilnehmer des 56. Nationalen Kongresses der Vereinigung katholischer Juristen in Italien vom 9.12.2006, in: EV 23 (2005/2006), Nr. 229, 1778–1781, hier 1779. Ders., Ansprache an die Teilnehmer der 56. Vollversammlung der Italienischen Bischofskonferenz vom 18.5.2006, in: ORdt 36 (2006), Nr. 22, 10. Ders., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Nationalen Kongress der Katholischen Kirche in Italien vom 19.10.2006, in: AAS 98 (2006) 804–815, hier 806 f.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Der Laizismus kommt damit einer „radikalen Reduktion des Menschen“ gleich, „der als einfaches Erzeugnis der Natur betrachtet wird und als solches nicht wirklich frei ist“.168 Als solcher verliert er jedoch die notwendige Haltung eines wahren Dialogs mit anderen Kulturen, in denen die religiöse Dimension prägend vorhanden ist. Auf Dauer macht er Staat und Gesellschaft zu defizitären Wirklichkeiten. Diesem Anspruch des Laizismus setzt die gesunde Laizität entscheidende Orientierungspunkte entgegen und erinnert damit an die wesensgemäße Aufgabe der Kirche, menschlichem Leben und Zusammenleben ein tiefer liegendes Sinnangebot durch grundmenschliche Werte zu vermitteln, denn:

Noch bevor sie christlich sind, sind diese Werte menschlich. Deshalb sind sie der Kirche nicht egal und lassen sich nicht verschweigen. Die Kirche hat die Pflicht, mit Bestimmtheit die Wahrheit über den Menschen und seine Bestimmung zu verkünden.169

Die gesunde Laizität fordert demnach unter Anerkennung der Autonomie des Staates und der Gesellschaft den Einsatz aller gesellschaftlichen Kräfte und unter ihnen der Kirche, die sie sowohl auf die Wurzeln ihrer Herkunft als auch auf die Zukunft ihrer Entwicklung verweisen. Daraus leiten sich zahlreiche thematische Bereiche ab, in welche die Kirche mit der Botschaft des Evangeliums hineinwirkt. Neben den Prinzipien der katholischen Soziallehre gehören dazu vor allem der Schutz der auf dem Ehebund gegründeten Familie, der Schutz des menschlichen Lebens vom Augenblick der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende, die Förderung von Schule und Ausbildung, die glaubensbegründeten Formen tätiger Nächstenliebe (Caritas), das entschiedene Entgegentreten gegen Krieg und Terrorismus sowie gegen Angriffe auf die menschliche Würde.170 In Zeiten der Säkularisierung und religiösen Pluralisierung der Gesellschaften fordert die Vision der gesunden Laizität die Kirche und ihre Glieder heraus. Sie ist zumeist nicht mehr die prägende Größe einer Gesellschaft und muss ihre Verkündigung unter veränderten Vorzeichen wahrnehmen. Das birgt aber da Chancen, wo sie sich im biblischen Sinne als „Sauerteig“171 in Staat und Gesellschaft versteht und auf diese Weise zur Förderung des menschlichen Lebens und Zusammenlebens wirkt. Die Vision der gesunden Laizität muss zu ihrer Realisierung letztlich beim einzelnen Gläubigen beginnen, indem dieser bereit wird, sich als Träger der Hoffnung des Evangeliums im Staat zu erweisen. Das gilt für alle Mo168 169 170 171

Ebd. Ebd. So auch c. 747 CIC (c. 595 CCEO). Vgl. auch Ders., Enzyklika „Deus caritas est“, Nr. 28. Vgl. dazu auch GS 42. Vgl. Lk 13, 20–21.

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§ 30 Verfassungs- und Vertragsrecht

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delle einer Zuordnung von Staat und Kirche, für den freiheitlich demokratischen Staat mit bestehenden Kooperationsformen zwischen Staat und Kirche ebenso wie für den Staat, der ein starkes Trennungsdenken verfolgt oder gar Kirche und Religion zu unterdrücken versucht. Die gesunde Laizität findet ihre kirchliche Anerkennung letztlich im missionarischen Bewusstsein der Kirche und des Gläubigen, in einem der Neutralität verpflichteten Staat als Glaubenszeugen des Evangeliums zu wirken.

§ 30 Verfassungs- und Vertragsrecht Ansgar Hense, § 120 Kirche und Staat in Deutschland, in: HdbKathKR3; Alfred Rinnerthaler, § 121 Kirche und Staat in Österreich, in: HdbKathKR3; Adrian Loretan, § 122 Kirche und Staat in der Schweiz, in: HdbKathKR3. Literatur: Joseph Listl – Alexander Hollerbach, Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: HdbKathKR2 (1999), 1268–1293.

Mit dem Bekenntnis, dass die politische Gemeinschaft und die Kirche „auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom“ sind, verbindet das II. Vatikanische Konzil zugleich die Erkenntnis, dass beide „wenn auch in verschiedener Begründung der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen dienen“ und daher ein „rechtes Zusammenwirken“ diesem Dienst effektiv hilft.172 Diese Zusammenarbeit von Staat und Kirche im Dienst an den Menschen hat sich vor allem in Form des Konkordates und ähnlicher Staatskirchenverträge ihren rechtlichen Ausdruck gesucht. Neben dem Verfassungsrecht und konkreten gesetzlichen Bestimmungen, die das Verhältnis von Staat und Kirche berühren, gehört daher insbesondere das Vertragsrecht zu einem prägenden Bestandteil des Staatskirchenrechts.

A. Verfassungsrecht Verfassungsrechtlich wird die „normative Architektur des Verhältnisses von Staat, Kirche und Religion“173 in Deutschland durch die Fundamentalnormen der Artikel 4 (Religionsfreiheit) und Artikel 140 des Bonner Grundgesetzes von 1949 (GG) bestimmt.174 Art. 140 GG inkorporiert dabei die Kirchenartikel 136–139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 (WRV) als geltende Artikel in das So GS 76, 3. Ansgar Hense, Kirche und Staat, 1842. 174 Aktuelle Fassung unter htpp://www.gesetze-im-internet.de/gg/index.html [Zugriff: 22.2.2022]. 172 173

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Grundgesetz.175 Hinzu tritt eine Reihe von Artikeln, die im Grundgesetz verschiedene Rechtsmaterien regeln und zugleich im Kontext des Staatskirchenrechts stehen.176 Als „Mehrebenenrecht“177 ist das Staatskirchenrecht jedoch zugleich Gegenstand der Verfassungen der Bundesländer. Es besitzt in der Folge des deutschen Föderalismussystems ebenso eine föderale Ausrichtung, wenn zentrale Rechtsbereiche durch die Länderverfassungen und -gesetze geregelt werden.178 Damit werden zugleich legitime Unterschiede in den Rechtsmaterien erkennbar, wie beispielsweise in der Frage des Sonn- und Feiertagsrechts, des Religionsunterrichts, der Kirchensteuer und des Kirchenaustritts, der Anstaltsseelsorge oder auch konkreter Fragen wie die gesetzliche Regelung zum Tragen eines Kopftuchs in öffentlichen Ämtern. In Österreich sind die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sowie den anderen anerkannten Religionsgesellschaften durch Koordination und Parität bestimmt. Die darauf bezogenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen finden sich in Art. 14 und 15 des Staatsgrundgesetzes vom 21.12.1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG),179 die zusammen mit den Ausführungsgesetzen Bestandteil der geltenden bundesstaatlichen Rechtsordnung sind. Sie enthalten die Normen zur individuellen und korporativen Religionsfreiheit.180 In der Schweiz verwirklicht sich das stark historisch geprägte Staatskirchenrecht sowohl auf der Ebene des Bundes als auch in den einzelnen Kantonen.181 Die Schweizerische Bundesverfassung vom 29.5.1874 enthält einschlägige Bestimmungen u.a. zur Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit, interkonfessionelle Bestimmungen zur Wahrung des religiösen Friedens sowie weitere Einzelbestimmungen. Alle Kantone führen in ihren Grundgesetzen Normen an, die das Staat-Kirche-Verhältnis betreffen und in den meisten Fällen das wiederholen, was bereits in der Bundesverfassung formuliert ist. Hinzu tritt die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte vom 4.11.1950, dessen Art. 9 zur Religionsfreiheit in der Schweiz unmittelbar anwendbares Recht darstellt.182

Einsehbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/wrv/index.html [Zugriff: 22.2.2022]. Dazu gehören Art. 3 (Gleichheitsgrundsatz), Art. 7 (Religionsunterricht), Art. 33 Abs. 3 (Staatsbürgerliche Rechte und Pflichten), Art. 123 Abs. 2 (Bestandsgarantie für Staatsverträge) sowie Art. 141 (Bremer Klausel). 177 Ansgar Hense, Kirche und Staat, 1842. 178 Texte unter http://www.justiz.de/onlinedienste/bundesundlandesrecht/index.php [Zugriff: 22.2.2022]. 179 RGBl 142/1867. Auch unter http://www.verfassungen.de/at [Zugriff: 22.2.2022]. 180 Vgl. Alfred Rinnerthaler, Kirche und Staat in Österreich, 1872–1877. 181 Vgl. Adrian Loretan, Kirche und Staat in der Schweiz, 1889–1895. 182 Einsehbar unter https://www.menschenrechtskonvention.eu [Zugriff: 22.2.2022]. 175 176

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§ 30 Verfassungs- und Vertragsrecht

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B. Vertragsrecht Stephan Haering, § 118 Konkordate und andere Staatskirchenverträge, in: HdbKathKR3, (mit Hinweisen auf Rechtsquellen und Literatur).

In Folge des Wormser Konkordates (1122) hat sich im Zusammenwirken zwischen Kirche und Staat das Vertragsrecht seinen Weg gebahnt. Die das Verhältnis berührenden Rechtsfragen wurden und werden in beständiger Weise durch Vereinbarungen geregelt, die man generell Staatskirchenverträge, im Bereich der Katholischen Kirche regulär Konkordate nennt. Die Vereinbarungen in jüngerer Zeit, die vor allem zwischen dem Apostolischen Stuhl und den einzelnen Bundesländern geschlossen wurden, werden schlicht Verträge genannt.183 1. Elemente einer Definition Unter einem Konkordat (bzw. einem Staatskirchenvertrag im Allgemeinen) ist

ein zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Staat – in der Regel in feierlicher diplomatischer Form – abgeschlossener völkerrechtlicher Vertrag zu verstehen, dem die Aufgabe zukommt, im Interesse eines geordneten Zusammenlebens von Staat und Katholischer Kirche in der Regel alle Gegenstände gemeinsamen Interesses auf Dauer rechtlich zu ordnen.184

Damit sind wichtige Elemente für das Verständnis eines Konkordats benannt, die vor allem deutlich machen, dass das Konkordat einen Vertrag zwischen zwei souveränen Völkerrechtssubjekten (Heiliger Stuhl und Staat) bezeichnet. Die dem Konkordat nachgeordneten sonstigen Verträge zwischen Staat und Kirche sind als öffentlich-rechtliche Verträge zu qualifizieren. In ihm sind alle „Gegenstände gemeinsamen Interesses“ (res mixtae) dauerhaft geordnet. Die Entstehung eines Konkordats durchläuft verschiedene Phasen. Nach der Ausarbeitung und Paraphierung des Vertragstextes durch die bevollmächtigten Unterhändler erhält das Konkordat seine Rechtskraft durch die Ratifikation seitens der beteiligten Rechtsorgane (Papst und Parlament) sowie den Austausch der Ratifikationsurkunden. Seine Veröffentlichung findet der Rechtstext in den betreffenden Gesetzesblättern des Staates bzw. im Publikationsorgan des Heiligen Stuhls (Acta Apostolicae Sedis). Dem Vertragstext beigefügt werden in der Regel ein Schlussprotokoll, das spätere Ergänzungen oder textliche Veränderungen er183 184

Detaillierte Hinweise bei Stephan Haering, Konkordate, 1803. Joseph Listl – Alexander Hollerbach, Kirche und Staat, 1281.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

möglicht, sowie eine Freundschaftsklausel, die den völkerrechtlichen Grundsätzen der Vertragstreue (pacta sunt servanda) und der Vertragsbeachtung (clausula rebus sic stantibus) verpflichtet ist. Damit sind zugleich bei Veränderung der Verhältnisse kleinere Korrekturen in den Rechtsmaterien möglich, die jedoch bei größerem Umfang und auf Dauer zur Ausverhandlung eines neuen Vertragswerkes führen können. Kirchenrechtlich stehen die Konkordate unter dem Schutz des kodikarischen Vorbehalts gemäß c. 3 CIC (c. 4 CCEO). Dieser sichert die Vorrangigkeit des Konkordats vor den Normen der kirchlichen Gesetzbücher zu und stellt ebenso einen kanonischen Ausdruck der kirchlichen und völkerrechtlichen Vertragstreue dar. 2. Rechtsmaterien Die rechtlichen Materien eines Konkordats umfassen regulär alle Gegenstände, die in einem gemeinsamen Interesse von Kirche und Staat im Dienst an denselben Menschen liegen. Als res mixtae berühren sie den Menschen als Staatsbürger und zugleich als Glied der Katholischen Kirche. Dazu gehören unter anderen:185 1. die Garantie der Freiheit für Religion und Kirche bezüglich der Dimensionen ihrer Sendung (kirchliches Selbstbestimmungsrecht in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, Besetzung kirchlicher Ämter, Verkündigung des Wortes Gottes, Feier der Gottesdienste, Kommunikation innerhalb und außerhalb der Kirche), 2. die Anstalts- und Militärseelsorge, 3. die kirchliche Verkündigung und Bildung in Schule (Religionsunterricht) und Hochschule (Universitäten, theologische Fakultäten, kirchliche Hochschulen) sowie die Mitwirkung der Kirche in den Medien, 4. die Garantie kirchlichen Vermögens sowie die kirchliche Finanzierung (Staatsleistungen, Kirchensteuer, Steuerbefreiungen), 5. die innerkirchliche Organisationsstruktur samt kirchlichem Arbeitsrecht, Caritas und anderen Rechtsmaterien, welche die kirchliche Sendung in der Gesellschaft berühren.

3. Übersicht geltender Konkordate In der Konkordatsära des 20.  Jahrhunderts wurden im deutschen Sprachraum zahlreiche Konkordate geschlossen, die bis heute Rechtsgeltung besitzen. Sie können im Folgenden mit ausgewählten rechtlichen Schwerpunkten kurz skizziert werden.

Vgl. dazu Stephan Haering, Konkordate, 1805.

185

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§ 30 Verfassungs- und Vertragsrecht

29.3.1924

14.6.1929

12.10.1932

5.6.1933

20.7.1933

26.2.1965 1970

1956–1994 2.7.1996 11.6.1997 15.9.1997 15.1.1998 12.11.2003 21.11.2003 29.11.2005 12.1.2009 1956–1994

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Konkordat Heiliger Stuhl – Freistaat Bayern mit freiem Ernennungsrecht des Papstes für die Bischöfe mit Veränderungen im hochschulpolitischen Bereich (1966– 2007) Konkordat Heiliger Stuhl – Freistaat Preußen mit Errichtung neuer Kirchenprovinzen und Diözesen mit statuiertem Bischofswahlrecht der Domkapitel in den Diözesen mit territorialer Weitergeltung nach dem 2. Weltkrieg Konkordat Heiliger Stuhl – Freistaat Baden mit Geltung für Baden und das Erzbistum Freiburg mit statuiertem Bischofswahlrecht der Domkapitel in der Erzdiözese Freiburg und gemäß Art. 14 Reichskonkordat in den Diözesen Rottenburg-Stuttgart, Mainz und Dresden-Meißen Konkordat Heiliger Stuhl – Republik Österreich Aberkennung nach dem Anschluss Österreichs (1938) Fortgeltung nach dem 2. Weltkrieg durch Deklaration der Regierung (1957) Fortschreibung in weiteren Verträgen Konkordat Heiliger Stuhl – Deutsches Reich (Reichskonkordat) mit Weitergeltung nach dem 2. Weltkrieg für die Bundesrepublik Deutschland, singulär für den württembergischen Teil des Landes Baden-Württemberg als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches gemäß Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.3.1957 Konkordat Heiliger Stuhl – Niedersachen (Landeskonkordat) Fortschreibung durch weitere Verträge Protokoll Heiliger Stuhl – Berlin Einzelvertrag (Religionsunterricht) Heiliger Stuhl – SchleswigHolstein Verträge zur Errichtung neuer Bistümer Vertrag Heiliger Stuhl – Sachsen Vertrag Heiliger Stuhl – Thüringen (ergänzt am 19.11.2002) Vertrag Heiliger Stuhl – Mecklenburg-Vorpommern Vertrag Heiliger Stuhl – Sachsen-Anhalt Vertrag Heiliger Stuhl – Brandenburg Vertrag Heiliger Stuhl – Bremen Vertrag Heiliger Stuhl – Hamburg Vertrag Heiliger Stuhl – Schleswig-Holstein Verträge zur Errichtung neuer Bistümer

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Vornehmlich im 19. Jahrhundert wurden in der Schweiz Verträge zur Errichtung und Ordnung von Bistümern geschlossen. In die jüngere Zeit fällt der Vertrag zur Errichtung der Diözese Lugano am 24.7.1968. Der deutschsprachige Raum Südtirols ist dem Vertrag vom 18.2.1984 unterstellt, der das Konkordat der Lateranverträge (1929) ersetzt. Das Konkordat stellt in seiner rechtlichen Grundlage sowie in seiner historischen Bedeutung ein probates Mittel dar, durch das die Kirche in der Zusammenarbeit mit dem Staat wesentliche Bereiche ihrer Sendung in gesicherter Weise erfüllen kann. Deshalb kann dem Urteil von Stephan Haering zugestimmt werden, wenn dieser mit dem Blick auf die künftige Relevanz des Konkordats unter den Vorbehalten eines partnerschaftlichen Wohlwollens sowie der Anpassungsbereitschaft an veränderte Umstände feststellt:

Aufgrund der bisherigen Erfahrungen kann dem Staatskirchenvertragsrecht im Allgemeinen und dem Konkordatsrecht im Besonderen, auch unter Berücksichtigung der fortschreitenden Tendenz zur Säkularisierung und Pluralisierung der Gesellschaft, eine günstige Zukunft vorausgesagt werden.186

C. Europäisches Recht Burkhard Josef Berkmann, § 119 Europa und die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbKathKR3.

Die Charakteristik des Staatskirchenrechts als Mehrebenenrecht zeigt sich jedoch nicht allein durch den Blick in das Innere des Staates, sondern zugleich nach außen in die Zusammenhänge der europäischen Vereinheitlichungstendenzen. Dabei steht der Kirche nicht ein einheitlicher Gesprächs- und Vertragspartner gegenüber, wie das bei einem Einzelstaat der Fall ist. Vielmehr handelt es sich hier um eine Reihe von Organisationen, von denen insbesondere der Europarat, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Europäische Union staatskirchenrechtliche bzw. religionsrechtliche Relevanz besitzen. Da der Europarat, der 1949 gegründet wurde und heute 47 Mitgliedsstaaten umfasst, u.a. im Bereich der Menschenrechte wichtige Aufgaben wahrnimmt (Stichwort: Europäische Menschenrechtskonvention), steht er in einer besonderen Beziehung des Austauschs und der Information zu den Religionen. Der Heilige Stuhl besitzt im Europarat einen Beobachterstatus, „der es ihm ermöglicht, Infor186

Ebd., 1814.

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§ 30 Verfassungs- und Vertragsrecht

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mationen auszutauschen und sich in die Sachdiskussion einzubringen“.187 Zentrale Themen werden durch völkerrechtlich anerkannte Verträge, aber auch durch Resolutionen und Empfehlungen normiert und gefördert. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die 1975 als Konferenz begründet wurde und sich insbesondere der Lösung des Ost-WestKonflikts widmete, zählt aktuell 57 Mitglieder. Eines ihrer Arbeitsfelder besteht im Schutz der Religionsfreiheit als Grundrecht des Menschen. Die Europäische Union, die unter dem Leitmotiv „In Vielfalt geeint“ derzeit 28 Mitgliedsstaaten umfasst und aus drei Vorgängerinstitutionen hervorgegangen ist, besitzt zwar keine ausdrückliche staatskirchen- bzw. religionsrechtliche Kompetenz, doch berühren wichtige Rechtsbereiche ihrer Tätigkeit die Situation der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Neben den einzelnen Sachbereichen188 erwähnt vor allem der verfassungsgrundlegende Vertrag von Lissabon vom 1.12.2009 sowohl in der Präambel als auch in Einzelnormen Fragen mit religiöser Dimension.189 Zu den entscheidenden Aussagen gehören dabei gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Union (AEUV)190 die Anerkennung des Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften in den einzelnen Mitgliedsstaaten sowie die Verpflichtung des Dialogs der Union mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften:191

Art. 17 AEUV (1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. (2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen. (3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.

187 188 189 190 191

Burkhard Josef Berkmann, Europa und die Kirchen, 1816. Vgl. ebd., 1824–1828. Einsehbar unter http://eur-lex.europa.eu. [Zugriff: 22.2.2022]. Einsehbar unter https://dejure.org/gesetze/AEUV/17.html. [Zugriff: 22.2.2022]. Zu den Dialogstrukturen der Katholischen Kirche auf der europäischen Ebene vgl. Burkhard Josef Berkmann, Europa und die Kirchen, 1828 f.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

§ 31 Verfassungsrechtliche Fundamentalnormen Ansgar Hense, § 120 Kirche und Staat in Deutschland, in: HdbKathKR3; Alfred Rinnerthaler, § 121 Kirche und Staat in Österreich, in: HdbKathKR3; Adrian Loretan, § 122 Kirche und Staat in der Schweiz, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Joseph Listl – Alexander Hollerbach, Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: HdbKathKR2 (1999), 1268–1293; Dietrich Pirson, Geschichtliche Grundlagen des Staatskirchenrechts in Deutschland, in: Ders. u.a. (Hg.); Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Berlin 32020, 3–66; Karl Gabriel, Die gesellschaftlichen Grundlagen des deutschen Staatskirchenrechts, in: ebd., 67–115; Michael Germann, Das System des Staatskirchenrechts in Deutschland, in: ebd., 261–329.

Das staatliche Verfassungsgefüge im Verhältnis von Staat, Kirche und Religionen ist für Deutschland – und in annähernd ähnlicher Weise für Österreich und die Schweiz  – nicht allein durch einschlägige Verfassungsnormen, sondern auch durch „das Prinzipielle als Kondensat des Geregelten“192 bestimmt. Dieses lässt sich in den drei tragenden Grundprinzipien Trennung – Neutralität – Parität ausmachen. Demzufolge sind Staat und Kirche bzw. Religionsgemeinschaften institutionell voneinander getrennt. Der Staat ist dabei der generellen religiös-weltanschaulichen Neutralität verpflichtet, die ihn zugleich in eine positive Kooperation mit der Kirche und den Religionsgemeinschaften zu stellen vermag. Die Zusammenarbeit mit allen Gemeinschaften übt er unter dem Anspruch einer rechtlichen Gleichbehandlung (Parität) aus. Mit dem principium dieser Trias sind zugleich verfassungsrechtliche Fundamentalnormen verbunden, die das beschriebene Gefüge konkretisieren. Sie stellen den sichtbarsten und damit grundlegenden Ausdruck des Staat-Kirche-Verhältnisses dar.

A. Religionsfreiheit Weiterführende Literatur: Axel Freiherr von Campenhausen  – Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa, München 42006, 50–89; Heinrich de Wall – Stefan Muckel, Kirchenrecht. Ein Studienbuch, München 52017, 64–74; Hans-Michael Heinig, Religionsund Weltanschauungsfreiheit, in: Dietrich Pirson u.a. (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Berlin 32020, 559–613.

Ansgar Hense, Kirche und Staat, 1839.

192

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§ 31 Verfassungsrechtliche Fundamentalnormen

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Die Religionsfreiheit gehört zu den grundlegenden Menschenrechten und ist daher sowohl in Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), in Art. 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (1966) als auch in Art.  9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (1950) festgeschrieben. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert die Religionsfreiheit in einem umfassenden Verständnis, das bedeutet als Individualrecht (individuelle R.) und als korporativ-institutionelle Betätigungsfreiheit (korporative R.). Innerhalb dieser Bereiche sind dazu jeweils die positive Zuwendung zur Religion (positive R.) sowie die negative Abwendung von ihr (negative R.) eingeschlossen. Das Grundrecht richtet sich gegen den Staat, der dem Einzelnen wie der Gemeinschaft garantieren muss, das öffentliche Handeln gemäß den Lehren der Glaubensüberzeugung ausrichten oder auch Abstand davon nehmen zu können. Art. 4 des Grundgesetzes bildet daher die „Magna Charta“193 der Religionsfreiheit in Deutschland:

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Auch wenn der Begriff der Religionsfreiheit (anders als in Art. 136 Abs. 1 WRV) nicht ausdrücklich Erwähnung findet, schützt die Norm die Freiheit des Glaubens (Glaubensfreiheit), des Gewissens (Gewissensfreiheit), des Bekenntnisses (Bekenntnisfreiheit) und der Religionsausübung. Im Einklang mit der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts bilden alle zusammen ein einheitliches Grundrecht der Religionsfreiheit mit Ausnahme der Gewissensfreiheit, die als eigenständiges Recht zu betrachten ist. Die Definition dessen, was eine Religion bzw. eine Weltanschauung ausmacht und welche Anforderungen sie an die Gläubigen bzw. Mitglieder stellt, ist zu einem großen Teil dem Träger des Grundrechts, nicht jedoch dem Staat zugeeignet. Gleichzeitig muss bedacht werden, dass das Recht auf religiöse Freiheit in einem nachvollziehbaren Maße Grundsätze und Haltungen der Religion bzw. Weltanschauung umgreifen muss, die dieses Recht zugleich einsichtig werden lassen. Die Aussage des Art. 4 enthält zwar – anders als in Art. 135 WRV – keinen Gesetzesvorbehalt für die garantierten Freiheitsrechte, doch können sich aus der Verfassung selbst gewisse Einschränkungen der Religionsfreiheit gemäß dem Grundsatz ergeben, dass das Recht des Einen an der Grenze zum Recht des An193

So Joseph Listl – Alexander Hollerbach, Kirche und Staat, 1275.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

deren endet. Das ist insbesondere dort der Fall, wo es zum Zusammentreffen der Interessen verschiedener Freiheitsträger kommt. Einschlägige Beispiele sind mit den Fragen um das Anbringen eines Kreuzes in einer Schulklasse bzw. in einem öffentlichen Raum oder um das Gebet in einer Schulklasse gegeben.194 In jedem Fall geht es generell und spezifisch stets um einen „abwägenden Vergleich der beiden gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen“,195 beispielsweise um einen Ausgleich von positiver und negativer Religionsfreiheit, nicht jedoch um einen auf „Ausgrenzung bedachten Umgang“ mit religiösen Haltungen einschließlich der damit verbundenen Zeichen und Symbole.196 Die damit verbundenen Fragen des Ausgleichs zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit haben in jüngerer Zeit zu zahlreichen (höchst-)richterlichen Ausgleichslösungen geführt. Einen wichtigen Aspekt der Religionsfreiheit hebt zudem Art. 6 Abs. 2 GG mit dem elterlichen Erziehungsrecht hervor. Demnach ist es das „natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“, ihre Kinder – auch gemäß ihren religiösen Glaubensvorstellungen – zu erziehen. Dieses Recht ist gegenüber dem staatlichen Erziehungsauftrag als ein primäres Recht auf Seiten der Eltern zu verstehen.197 Dem tritt Art. 7 Abs. 3 GG hinzu, der den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen als ordentliches Lehrfach qualifiziert. Die verfassungsrechtliche Sicherung des Religionsunterrichts steht somit in enger Verbindung zum elterlichen Erziehungsrecht als Dimension der Religionsfreiheit.

B.  Religiös-weltanschauliche Neutralität und Parität Weiterführende Literatur: Axel Freiherr von Campenhausen  – Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungs­rechts in Deutschland und Europa, München 42006, 90–99; Heinrich de Wall – Stefan Muckel, Kirchenrecht. Ein Studienbuch, München 52017, 79–84; Christian Walter, Die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates, in: Dietrich Pirson u.a. (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Berlin 32020, 727–760.

Der Begriff der religiös-weltanschaulichen Neutralität findet sich zwar nicht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, wird jedoch als Verfassungsgebot aus Art. 4 GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV abgeleitet. Dort heißt es:

196 197 194 195

Vgl. dazu Heinrich de Wall – Stefan Muckel, Kirchenrecht, 67–74. Ebd., 66. Michael Germann, Art. Religionsfreiheit. I. Staatl., in: LKRStKR 3, 408 f., hier 409. Vgl. Matthias Jestaedt, Das Recht der Eltern zur religiösen Erziehung, in: Dietrich Pirson u.a. (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1671–1749.

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§ 31 Verfassungsrechtliche Fundamentalnormen

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(1) Es besteht keine Staatskirche. (2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen. (3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.

Die so erfasste Neutralität des Staates ist ein sichtbarer Ausdruck der institutionellen Trennung von Staat und Kirche bzw. Religionsgemeinschaften. Dabei bezeichnet Neutralität keine vollkommene Indifferenz oder gar Sterilität gegenüber dem Bereich der Kirche und Religionsgemeinschaften, sondern eine „respektvolle Nicht-Identifikation“.198 Das bedeutet: Der Staat verbietet sich aufgrund der fehlenden Kompetenz eine Beurteilung und Wertung der unterschiedlichen Glaubensinhalte (Begründungsneutralität) im Sinne einer Abgrenzung oder Identifikation, kann die Kirche und Religionsgemeinschaften aber entsprechend ihrer Bedeutung für das öffentliche Leben der Gesellschaft durch bestimmte Maßnahmen fördern. Die Neutralität mit der Bereitschaft zur fördernden Kooperation entspricht daher dem inneren Wesen einer gesunden Laizität. In der Folge des Grundgesetzes, das den Kirchenartikel der WRV inkorporiert hatte, wurde die Normaussage des Art. 140 GG durch das Bundesverfassungsgericht zunächst vornehmlich als Schutz der Religion gegenüber einer staatlichen Einflussnahme verbunden. Die gerichtlich ausgefochtenen „Schulstreitigkeiten“ der vergangenen Jahrzehnte (Stichworte: Kruzifix-Urteil, Schulgebet, Kopftuchverbot für Beamtinnen)199 sowie deren vielfach kommentierten und kritisierten Urteile haben jedoch deutlich werden lassen, dass diese Bereiche besondere Anforderungen an die staatliche Neutralität stellen, insbesondere da, wo es um den Ausgleich der Positionen verschiedener Grundrechtsträger im Umfeld eines religiös bzw. weltanschaulich neutralen Staates geht. Mit Blick auf eine anwachsende religiöse und weltanschauliche Pluralisierung der Gesellschaft werden sie zukünftig weiter zunehmen. Im inneren Zusammenhang damit steht das Prinzip der Gleichbehandlung (Parität) gemäß dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 3 GG:

198 199

Ansgar Hense, Kirche und Staat, 1840 im Anschluss an Heiner Bielefeldt. Vgl. Heinrich de Wall – Stefan Muckel, Kirchenrecht, 67–74.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

In darauf bezogener Weise bezeichnet Art. 33 Abs. 3 GG den Genuss der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern als vom religiösen Bekenntnis unabhängig. Insgesamt bedeutet dies, dass alle Religionsgemeinschaften vom Staat gleich behandelt werden, jedoch eine Differenzierung aufgrund von Kriterien hinsichtlich ihrer öffentlichen Bedeutung oder ihrer Mitgliedergröße möglich ist. Eine „zweistufige Parität“ macht sich beispielsweise da sichtbar, wo zwischen Religionsgemeinschaften mit bzw. ohne den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts unterschieden wird. Die Differenzierung bedeutet keine Ungleichbehandlung, wohl aber eine objektiv begründete Akzentuierung in der Förderung.

C. Selbstbestimmungsrecht Weiterführende Literatur: Axel Freiherr von Campenhausen  – Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa, München 42006, 99–115; Heinrich de Wall – Stefan Muckel, Kirchenrecht. Ein Studienbuch, München 52017, 74–79; Stefan Korioth, Das Selbstbestimungsrecht der Religionsgemeinschaften, in: Dietrich Pirson u.a. (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Berlin 32020, 651–705.

Eine dritte Fundamentalnorm des staatskirchen- bzw. religionsrechtlichen Gefüges des Grundgesetzes stellt die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Kirche und Religionsgemeinschaften sowie gemäß Art. 137 Abs. 7 WRV auch jener Vereinigungen dar, „die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen“, dar. In Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. III WRV heißt es: Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.200

200

So auch Art. 1 Reichskonkordat hinsichtlich der Katholischen Kirche: „Das Deutsche Reich gewährleistet die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion. Es anerkennt das Recht der katholischen Kirche, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden

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§ 31 Verfassungsrechtliche Fundamentalnormen

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Diese als „lex regia“201 bezeichnete Achse des Staatskirchenrechts spricht der Kirche und den Religionsgemeinschaften das Recht zu, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten. Abgesehen von der Schrankenklausel, die dieses Recht in den Kontext des für alle geltenden Rechts stellt (z.B. bezüglich der Beachtung allgemein geltender Bestimmungen wie Mietrecht, Baurecht oder Denkmalschutzrecht), wird eine umfassende Ordnungs- und Verwaltungskompetenz der eigenen Angelegenheiten normiert. Gemäß dem Selbstverständnis der Kirche betreffen diese alle ihrer Sendung in der Welt obliegenden Dimensionen. Dazu gehört die Ordnungsvollmacht durch die Gesetzgebung (potestas legislativa) sowie die Verwaltungsvollmacht durch Einzelfallentscheidungen im Bereich der Administration (potestas administrativa) und der Rechtsprechung (potestas iudicialis). Das garantierte Selbstbestimmungsrecht unterscheidet sich dabei von der Autonomie insofern, als diese eine vom Staat ausgesparte und nachgeordneten Körperschaften verliehene Vollmacht darstellt.202 Das Zusammenwirken zwischen Staat und Kirche betrifft hier eine Vielzahl von rechtlichen Sachbereichen, die bezüglich der Zuständigkeiten unterschiedlich gewichtet sind. Neben den alleinigen Zuständigkeiten des Staates einerseits (z.B. staatliches Eherecht, Rechtsformen der Religionsgemeinschaften, Kirchenaustrittsrecht) und der Kirche andererseits (z.B. kirchliches Eherecht, Glaubenslehre, Gottesdienst, kirchliches Recht) gibt es jene Rechtsbereiche, in denen es zu einem geordneten und zumeist vertragsrechtlich geregelten Zusammenwirken beider Partner kommt und die deshalb auch als gemischte Angelegenheiten (res mixtae) bezeichnet werden (z.B. Religionsunterricht, kirchliche Schulen, theologische Fakultäten an den staatlichen Universitäten, Anstalts- und Militärseelsorge).

D.  Rechtsstatus als Körperschaft des öffentlichen Rechts Weiterführende Literatur: Axel Freiherr von Campenhausen  – Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa, München 42006, 127–140; Heinrich de Wall – Stefan Muckel, Kirchenrecht. Ein Studienbuch, München 52017, 84–89; Stefan Magen, Kirchen und andere Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Dietrich Pirson u.a. (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Berlin 32020, 1045–1101.

Gesetzes, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen“. 201 So Axel Freiherr von Campenhausen – Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 99 im Anschluss an Johannes Heckel. 202 Vgl. dazu Wolfgang Rüfner, Art. Selbstbestimmungsrecht, in: LKStKR3, 542–545, hier 542.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

Eine „bedeutsame verfassungsrechtliche Grundentscheidung“,203 die die Fundamentalnormen als charakteristisches Kennzeichen des deutschen Staatskirchenrechts ergänzt, liegt in der Zuerkennung des Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts an die Religionsgemeinschaften. Entscheidend ist dafür, dass es sich um eine Religionsgemeinschaft mit allseitiger Erfüllungspflicht der ihr eigenen Aufgaben handelt, nicht jedoch um einen religiösen Verein, der lediglich ein einzelnes Vereinsziel verfolgt (z.B. ein Kirchbauverein). Gemäß Art.  140 i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV gilt:

Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.

Die Religionsgemeinschaften, die bis zum Inkrafttreten der WRV bereits den Körperschaftsstatus besaßen, werden als altkorporiert (oder auch geboren) bezeichnet, die anderen als neukorporiert (oder auch gekoren). Die Verleihung erfolgt jedoch nur bei Gewähr der Dauerhaftigkeit aufgrund einer erkennbaren Organisationsstruktur sowie der Mitgliederzahl, die sich in der Verleihungspraxis an einem Richtwert von mindestens 0,1  % der Bevölkerung des Landes orientieren soll. Ebenso ist nachzuweisen, dass die Religionsgemeinschaft rechtstreu ist, d.h. auf dem Boden der staatlichen Verfassung steht und die staatliche Rechtsordnung beispielsweise nicht durch eine theokratische Ordnung ersetzen will. Die Relevanz des Status für Staat und Kirche bzw. Religionsgemeinschaften zeigt sich insbesondere in dreifacher Hinsicht: 1. Rechtsfähigkeit der Kirche bzw. der Religionsgemeinschaften: Durch die Verfassung wird die Rechtsfähigkeit verliehen, die die Kirche bzw. die Religionsgemeinschaften über die nach eigenem Recht feststehende Rechtspersönlichkeit auch im staatlichen Rechtsbereich handlungs-, vermögens-, partei- und prozessfähig machen. 2. Öffentliche Stellung: Der Körperschaftsstatus bestätigt durch die Eingliederung der Kirche bzw. der Religionsgemeinschaften in den staatlichen Rechtsbereich deren Bedeutung für das öffentliche Leben. Sie sind nicht als Institutionen des Staates zu verstehen, wohl aber stehen sie in einer rechtlichen Beziehung zu 203

Joseph Listl – Alexander Hollerbach, Kirche und Staat, 1279.

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§ 32 Exemplarische Sachbereiche der res mixtae

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ihm, die ihre Relevanz für die Gesellschaft sowie die Bereitschaft zur Würdigung ihrer Tätigkeiten durch den Staat manifestiert. Der Körperschaftsstatus vermag auf diese Weise ein spezifischer Ausdruck einer gesunden Laizität zu sein. 3. Rechtliche Befugnisse gemäß Art. 137 Abs. 6 WRV: Durch den Körperschaftsstatus werden die Kirche bzw. Religionsgemeinschaften neben dem Recht zur Verwirklichung der res mixtae mit verschiedenen Befugnissen ausgestattet. Dazu gehören u.a. das Recht zur Steuererhebung gegenüber den Mitgliedern, die Organisationsvollmacht zur Bildung öffentlich-rechtlicher Untergliederungen und Einrichtungen (z.B. Diözesen, Domkapitel, Kirchengemeinden), die Dienstherrenfähigkeit, die Setzung eigenen Rechts, die Errichtung öffentlicher „heiliger Sachen“ (res sacrae) wie Kirchengebäude, das Parochialrecht zur territorialen Zuordnung der Gläubigen zu einer Pfarrei sowie ein „Bündel“ weiterer Befugnisse bzw. Begünstigungen u.a. im Steuerrecht sowie im Kostenund Gebührenrecht.

§ 32 Exemplarische Sachbereiche der res mixtae Ansgar Hense, § 120 Kirche und Staat in Deutschland, in: HdbKathKR3; Alfred Rinnerthaler, § 121 Kirche und Staat in Österreich, in: HdbKathKR3; Adrian Loretan, § 122 Kirche und Staat in der Schweiz, in: HdbKathKR3.

Die Rechtsbereiche der res mixtae bezeichnen eine Vielzahl von verschiedenen Realitäten, die das Zusammenwirken von Staat und Kirche berühren. Dazu gehören u.a. die Theologischen Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen,204 die sozialkaritative Betätigung der Kirchen,205 das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht,206 die Anstaltsseelsorge207 und die Mitwirkung der Kirche in Medien und Bildung.208 Aus diesem Gegenstandsbereich sollen der Religionsunterricht, die Anstalts- und Militärseelsorge sowie das kirchliche Besteuerungsrecht im Folgenden exemplarisch skizziert werden.

Vgl. dazu Ulrich Rhode, Hochschulen, 1049–1085. Vgl. dazu Alfred E. Hierold, Organisation der Karitas, in: HdbKathKR3, 1463–1468. 206 Vgl. dazu Herbert Kalb, Kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht in Deutschland und Österreich, in: HdbKathKR3, 324–341. 207 Vgl. dazu Thomas Meckel, Anstaltsseelsorge, in: HdbKathKR3, 778–787. 208 Vgl. dazu Claus Dieter Classen, Präsenz und Mitwirkung der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften in den Massenmedien, in: Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Berlin 32020, 1515–1568. 204 205

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

A. Religionsunterricht Wilhelm Rees, § 69 Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Thomas Meckel, Religionsunterricht im Recht. Perspektiven des katholischen Kirchenrechts und des deutschen Staatskirchenrechts, Paderborn u.a. 2011; Ludger Müller, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen im säkularen Staat. Das Beispiel Österreich, in: Libero Gerosa – Ludger Müller (Hg.), Politik ohne Religion? Laizität des Staates, Religionszugehörigkeit und Rechtsordnung, Paderborn 2014, 133–141; Markus Ogorek, Religionsunterricht, in: Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Berlin 32020, 1799–1862.

Der Religionsunterricht ist im staatskirchenrechtlichen Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig verankert. Anders als in der WRV in den Schulartikeln positioniert, findet sich die einschlägige Normaussage im Grundrechtskatalog des GG sowie in den Art. 21 und 22 RK. Damit wird nach den Erfahrungen des II.  Weltkriegs und der nationalsozialistischen Diktatur verdeutlicht, dass die Bildung der jungen Generation auch und gerade im Blick auf ein tragendes Wertefundament erfolgen soll. Nähere Ausführungen dazu finden sich in diesem Studienbuch unter § 14, C, 2.

B. Militärseelsorge Alfred E. Hierold, § 53 Militärseelsorge, HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Jörg Ennuschat, Seelsorge in der Bundeswehr, in: Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Berlin 32020, 2295–2327.

Das II. Vatikanische Konzil sieht in den besonderen Lebensbedingungen der Angehörigen des Militärs den Grund für eine spezielle Militärseelsorge.209 Der universalkirchliche Gesetzgeber hat dazu entsprechende Normen gemäß c. 569 CIC erlassen.210 In staatskirchenrechtlicher Perspektive wird die Militärseelsorge sowohl verfassungs- als auch vertragsrechtlich legitimiert. So heißt es in Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV:

Siehe dazu CD 43. Vgl. Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Spirituali militum curae“; für Deutschland: Ders., Breve Moventibus quidem mit Statuten vom 23.11.1989, in: AAS 81 (1989) 1284–1294.

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Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.

Ebenso formuliert Art. 27 RK zentrale Bestimmungen für die Militärseelsorge. Demnach gilt:

Der Deutschen Reichswehr wird für die zu ihr gehörenden katholischen Offiziere, Beamten und Mannschaften sowie deren Familien eine exemte Seelsorge zugestanden. Die Leitung der Militärseelsorge obliegt dem Armeebischof. Seine kirchliche Ernennung erfolgt durch den Heiligen Stuhl, nachdem letzterer sich mit der Reichsregierung in Verbindung gesetzt hat, um im Einvernehmen mit ihr eine geeignete Persönlichkeit zu bestimmen. Die kirchliche Ernennung der Militärpfarrer und sonstigen Militärgeistlichen erfolgt nach vorgängigem Benehmen mit der zuständigen Reichsbehörde durch den Armeebischof. Letzterer kann nur solche Geistliche ernennen, die von ihrem zuständigen Diözesanbischof die Erlaubnis zum Eintritt in die Militärseelsorge und ein entsprechendes Eignungszeugnis erhalten haben. Die Militärgeistlichen haben für die ihnen zugewiesenen Truppen und Heeresangehörigen Pfarrechte. Die näheren Bestimmungen über die Organisation der katholischen Heeresseelsorge erfolgen durch ein Apostolisches Breve. Die Regelung der beamtenrechtlichen Verhältnisse erfolgt durch die Reichsregierung.

Die besonderen Lebensbedingungen der Angehörigen des Militärs und ihr Grundrecht auf positive Religionsfreiheit mit Ausübung des religiösen Bekenntnisses begründen und legitimieren eine im Militär ansässige spezifische Seelsorge, die durch die normale Territorialseelsorge (Pfarrei) nicht geleistet werden kann. Deshalb ist das Militärordinariat gleich einer Teilkirche strukturiert (Gläubige als Angehörige des Militärs, Militärbischof mit seiner Kurie sowie Militärgeistliche), die in einem engen Zusammenhang mit den Ortskirchen (Diözesen mit Pfarreien) steht. Die Finanzierung der Militärseelsorge erfolgt durch den Staat. In Österreich ist die Militärseelsorge aktuell durch die genannten universalkirchlichen Bestimmungen sowie ein gesondertes Statutdekret der Kongregation für die Bischöfe vom 21.3.1989 geregelt.211 Hinzu tritt Art. VII des Konkordats vom 5.6.1933. 211

Abgedruckt in ABl. ÖBK, Nr. 3 vom 15.4.1989, 45–48.

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

In der Schweiz gelten ebenfalls die universalkirchlichen Bestimmungen zur Militärseelsorge, allerdings ist diese stärker in die Gesamtseelsorge der Diözesen und Pfarreien integriert. Es fehlt ein eigener Militärbischof, dessen Aufgaben durch einen Militärbeauftragten der Bischofskonferenz versehen werden.

C. Kirchensteuer und Kirchenaustritt Stefan Mückl, § 102 Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: HdbKathKR3. Weiterführende Literatur: Elmar Güthoff – Stephan Haering – Helmuth Pree (Hg.), Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht, Freiburg i. Br. 2011; Ludger Müller, Kirchenaustritt – Konsequenzen innerhalb der Kirche, in: Ludger Müller – Wilhelm Rees – Martin Krutzler (Hg.), Vermögen der Kirche – Vermögende Kirche? Beiträge zur Kirchenfinanzierung und kirchlichen Vermögensverwaltung, Paderborn 2015, 193–211; Felix Hammer, Die Kirchensteuer und das Besteuerungsrecht anderer Religionsgemeinschaften, in: Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, Berlin 32020, 2947–3016.

Das kirchliche Besteuerungsrecht, das in seiner deutschen Charakteristik im Zusammenhang der Entflechtung von Staat und Kirche im 19. Jahrhundert entstanden ist,212 wird  – neben seiner universalkirchlichen Begründung im Sinne der Beitragspflicht gemäß cc. 222, 1260 und 1262 CIC sowie in Form der sog. clausula teutonica des c. 1263 CIC213 – verfassungsrechtlich in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV statuiert:

Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.

Die Kirchensteuer stellt demzufolge eine innerkirchliche Abgabe dar, die durch die Zuhilfestellung der staatlichen Steuerlisten und, falls erforderlich, auf dem Weg hoheitlicher Eintreibung durch Verwaltungszwang vorgenommen wird. Der Staat darf diese Hilfe anbieten, solange er die freiwillige Mitgliedschaft in der 212

213

Zur geschichtlichen Entwicklung siehe Stefan Mückl, Kirchensteuer, 1534–1536, zur theologischen Grundlegung ebd., 1546–1548. Siehe dazu auch Deutsche Bischofskonferenz, Partikularnorm Nr. 17 zu c. 1262 vom 5.10.1995, abgedruckt in: Heribert Schmitz – Franz Kalde, Partikularnormen der Deutschen Bischofskonferenz, 56–58.

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Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts garantiert bzw. eine legitime Fluchtmöglichkeit aus dieser Verpflichtung ermöglicht. Dadurch wird deutlich, dass die Kirchensteuer vornehmlich eine Form der innerkirchlichen Abgabe (kirchliche Steuer), nicht jedoch eine staatlich begründete Steuer darstellt. Die „innerkirchliche Verpflichtung macht also die Substanz und den eigentlichen Legitimationsgrund der Kirchensteuer aus“.214 Dabei zeichnet sich das Kirchensteuersystem durch folgende staatskirchenrechtlich relevante Kriterien aus: 1. Rechtliche Ausgestaltung: Die verfassungsrechtliche Grundnorm zur Kirchensteuer wird in den Landesverträgen und spezifischen Landesgesetzen (Kirchensteuergesetze) sowie durch innerkirchliche Kirchensteuerordnungen ausgestaltet. 2. Diözesankirchensteuer: Das System der sog. Diözesankirchensteuer herrscht gegenüber einer möglichen Ortskirchensteuer (Stichwort: Kirchgeld der Pfarrei) heute vor, bei der die Diözesen als steuererhebende Körperschaften auftreten und für die Verteilung der Steuergelder nach einem Verteilungsschlüssel zuständig sind. Mit Blick auf die unterschiedliche Finanzkraft der beteiligten Diözesen erfolgt bis heute ein innerkirchlicher Finanzausgleich, dessen Beaufsichtigung und Durchführung dem Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) obliegt. 3. Kirchliche Organe: Für die Festsetzung des Kirchensteuersatzes sind spezifische kirchliche Organe (je nach Diözese: Steuerverbandsvertretung, Kirchensteuervertretung, Kirchensteuerrat) zuständig, in denen frei gewählte kirchensteuerpflichtige Laien in der Mehrheit sind. 4. Kirchliche Schuldner: Zur Kirchensteuer verpflichtet sind alle und nur jene lohnund einkommensteuerpflichtigen Gläubigen, die durch Taufe oder Konversion in die Kirche eingegliedert und folglich Mitglied der Körperschaft des öffentlichen Rechts sind. Dabei erfolgt die Festsetzung der Kirchensteuer als sog. Annexsteuer, d.h. als Zuschlag zur Lohn- und Einkommenssteuer in Höhe von 7–9 % je nach Bundesland und Festsetzung durch die entsprechenden kirchlichen Organe (derzeit: 8 % in Bayern und Baden-Württemberg sowie 9 % in den übrigen Bundesländern). Die Abhängigkeit von der jeweils aktuellen Steuerpolitik und Wirtschaftskraft ist offenkundig. Als derartige Mitgliedssteuer trifft sie nur physische Personen, die der Kirche angehören.215 Die Verpflichtung endet mit dem Tod oder dem staatlich möglichen „Kirchenaustritt“ als Austritt aus der Kirche, die nach staatlichem Recht eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Alexander Hollerbach, Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: HdbKathKR2 (1999), 1078–1092, hier 1082. 215 Zur Frage der Ehegattenbesteuerung siehe Stefan Mückl, Kirchensteuer, 1539. 214

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Dritter Teil: Innere und äußere Verfasstheit der Katholischen Kirche

5. Verwaltung der Kirchensteuer: Alle Diözesen – außer den bayerischen Diözesen, die ein eigenes Kirchensteueramt besitzen – machen von der Möglichkeit Gebrauch, die staatlichen Finanzämter mit der Verwaltung der Kirchensteuer zu beauftragen. Die staatlichen Dienste werden mit ca. 3 % des Kirchensteueraufkommens vergütet, gleichzeitig spart die Kirche einen eigenen Verwaltungsaufwand. 6. Rechtsschutz: Da das Kirchensteuerrecht ein vom staatlichen Steuerrecht abgeleitetes Recht darstellt, kommt ihm zugleich der Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte bzw. durch den Verwaltungsrechtsweg zu. Die verfassungsrechtliche Garantie der Religionsfreiheit hat die notwendige Möglichkeit zur Folge, dass der Gläubige seine Zugehörigkeit zur Kirche durch die Erklärung des Austritts aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts vor der staatlichen Behörde (je nach Bundesland auf dem Standesamt oder vor dem Amtsgericht) beendet. Auch wenn ekklesiologisch eine Beendigung der Kirchengliedschaft nicht möglich ist (semel catholicus semper catholicus), sind zum einen sog. modifizierte Austrittserklärungen mit der Unterscheidung der Kirche als Rechtsund als Glaubensgemeinschaft nicht gestattet, zum anderen kommt dem „Kirchenaustritt“ jedoch eine öffentliche Wirkung zu, die nicht ohne innerkirchliche Folgen bleiben kann. So bewertet das aktuelle Dekret der Deutschen Bischofskonferenz den Kirchenaustritt zwar nicht als eine mit der Exkommunikation belegte Handlung, weist aber zugleich auf die innerkirchlichen Rechtsbeschränkungen hin, die sich aus der Erklärung ergeben.216 Die gesamte Frage zur kirchlichen Bewertung des Kirchenaustritts ist eine höchst vielschichtige Thematik, die seit beinahe 50 Jahren kanonistisch diskutiert und auch zukünftig Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird.217 In Österreich herrscht das System eines verpflichtenden Kirchenbeitrags.218 Danach sind alle volljährigen Mitglieder einer beitragsberechtigten Kirche verpflichtet, einen Kirchenbeitrag gemäß der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erbringen. Dieser richtet sich in der Regel anteilmäßig am steuerpflichtigen Einkommen des Vorjahres aus (1–1,5 %). Der Einzug des Beitrags erfolgt durch die betreffende Diözese. Deren Beitragsstellen erhalten jedoch keine einschlägigen Steuerdaten der Gläubigen, so dass sie auf entsprechende Schätzungen aus Deutsche Bischofskonferenz, Allgemeines Dekret zum Kirchenaustritt vom 20.9.2012, abgedruckt in: AfkKR 181 (2012) 551–552. 217 Vgl. dazu neben dem Sammelband von Elmas Güthoff u.a. (Hg.), Kirchenaustritt. Rechtliches Problem und pastorale Herausforderung, Freiburg – Basel – Wien 2013; Rudolf K. Höfer (Hg.), Kirchenfinanzierung in Europa. Modelle und Trends, Innsbruck 2014; Christoph Ohly, Eine arme Kirche für die Armen. Eine kritische Anfrage an das kirchliche Vermögensrecht?, in: Ludger Müller – Wilhelm Rees – Martin Krutzler (Hg.), Vermögen der Kirche, 213–230. 218 Vgl. Stefan Mückl, Kirchensteuer, 1544–1546. 216

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den Vorjahren oder auf die Angaben der Gläubigen selbst angewiesen sind. Bei Nichtentrichtung des Betrags kann die Kirche den Rechtsweg der staatlichen Zivilgerichte nutzen. In der Schweiz weist Art. 72 Abs. 1 der Bundesverfassung das Staat-Kirche-Verhältnis in die Zuständigkeit der Kantone, die derzeit alle eine Kirchensteuer vorsehen. Die konkrete Umsetzung unterscheidet sich aber vielfältig im Blick auf die Schuldner und die Gläubiger der Kirchensteuer.219

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Kirchenrechtliche Normen, wie sie in diesem Studienbuch in zugleich systematischer und zusammenfassender Weise entfaltet wurden, stehen gemäß c. 1752 CIC stets im Dienst am Heil der Gläubigen. Diese Überzeugung berührt sowohl die Grundlagenfrage des Kirchenrechts im Allgemeinen als auch die Notwendigkeit ihrer theologischen Entfaltung im Besonderen. Die theologische Grundlegung, von der zu Beginn der Darlegungen ausgegangen wurde, muss daher stets in eine Theologie des Kirchenrechts überführt und darin zur Anwendung gebracht werden. In der Struktur des Codex Iuris Canonici ebenso wie des vorliegenden Studienbuches wird sichtbar, dass dafür neben der kirchlichen Verfassung vornehmlich das Wort Gottes, die Sakramente und die Caritas der Kirche im Mittelpunkt der theologischen Arbeit stehen. Das gilt aber ebenso für alle anderen Rechtsbereiche der Kirche, für die sich dadurch ein weiter kanonistischer und zugleich pastoraler Horizont eröffnet.

219

Näheres siehe ebd. 1542–1544. Vgl. zum Ganzen auch: Libero Gerosa (Hg.), Staatskirchenrechtliche Körperschaften im Dienst an der Sendung der Katholischen Kirche in der Schweiz, Zürich – Berlin 2014.

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