Karneval der Goetter: Mythologie, Moderne und Nation in Chinas 20. Jahrhundert 9783035101706

Warum interessieren sich chinesische Intellektuelle und Kulturschaffende auch heute noch für den Mythos? Karneval der Gö

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Karneval der Goetter: Mythologie, Moderne und Nation in Chinas 20. Jahrhundert
 9783035101706

Table of contents :
Inhalt
Danksagung, Erläuterungen zur Systematik, Drucknachweise 8
Einleitung
Einleitung 13
Mythologie zwischen Tradition, Moderne und Nation: Verflechtungsgeschichten 17
Identifikationsfelder des Nationalen: mythologische Re-/Semantisierungen der Kategorien Kanon, Raum, Geschichte, Subjekt 22
I. Sektion: Kanon
1 Mythos und Moderne: westliche Denkfiguren 37
2 Chinesische Zugänge zum Mythos 45
2.1 Die Wiederentdeckung der Folklore 54
2.2 Mythologie und Weltliteratur 64
2.3 Das Prinzip des Phantastischen 92
3 Mythophorien der nationalen Krise 113
3.1 Kanonkritik und kleine Traditionen: Krisen des Wissens 114
3.2 Tumult in der achtzehnten Hölle: Krisen der Dislozierung 121
II. Sektion: Raum
4 Krisen der Ordnung, Mythen der Kontinuität 131
5 Mythologie als Mnemotopie 137
5.1 Kulturelle Konstruktionen nationaler Identität 137
5.2 China erzählen: “Xiaoshuo Zhongguo” 150
5.3 Mnemotopien: heilige Räume der Nation 165
5.4 Das Erbe der Kosmographen 170
5.5 Ruinen als Symbole nationaler Niederlagen 173
5.6 Im Gegenwind der Geschichte 178
6 Nahrung als einverleibte Identität: Sitiogonien 193
6.1 Reis als Selbst 197
6.2 Kochkunst für die Nation 202
6.3 Wein und Fleisch 213
6.4 Das räumliche Gedächtnis der Nation: Mythen-Theater, Verflechtungsgeschichten 226
III. Sektion: Geschichte
7 Orientierungen 233
7.1 Paradigmen: Politischer Mythos und New Historicism 233
7.2 Hintergründe: Chinesische Geschichte und historische Fiktion 241
8 Fiktion als Spiegelkabinett der Zeitgeschichte. Vier Interviews 253
9 Revolution zwischen Geschichtszeichen und Retro-Mythos 281
9.1 Die verirrte Revolution 281
9.2 Revolutionärer Enthusiasmus 285
9.3 Weite Reise mit Achtzehn: Exegese ohne Gemeinschaft 291
9.4 Die Knoblauchrevolte: Gemeinschaft ohne Exegese 297
9.5 Über-Leben und Tibets verborgene Geschichte: konkurrierende Exegesen 310
10 Zurück zur Polymythie 315
10.1 Imperialistische Globalisierung und (trans)lokale Antworten: Der Boxer-Aufstand 315
10.2 Kulturelles Gedächtnis relokalisiert: Hundert Jahre Boxerkrieg-Dramaturgie 322
10.3 Ver-rückte Vaterschaften: Das Ende der Qing als absurdes Theater 331
10.4 Retro-Mythologie: Aufbruch in eine postrevolutionäre Moderne? 338
10.5 Fragmente alternativer Modernen: Retro-Mythen, dystopische Heterotopie und mythophorische Heteroglossie 351
IV. Sektion: Subjekt
11 Szenarien der Verstrickung 361
12 Das überidentifizierte Subjekt: Wu Zetian 375
12.1 Mythologie der modernen Frau 382
12.2 Die konfuzianische Wende des Maoismus 392
12.3 Weibliche Politik im Schatten des Patriarchats 395
13 Epiphanie des subalternen Subjekts: Muttermythen 407
13.1 Rückkehr des Weiblichen: Allegorien und Genealogien 413
13.2 Topographien weiblicher Subalternität: Natur, Geschichte, Zivilisation, Religion 421
13.3 Chronotopen mütterlicher (Ohn)macht 429
14 Entwürfe posthumanistischer Subjektivität 437
14.1 Im Bann der Diskurse und Traditionen: Weiblichkeit als Subjekt des Mythos 443
14.2 Aporien des postmodernen Subjekts: Koloratur singen oder eine Ein-Mann-Bibel schreiben? 451
Anhang
Literaturverzeichnis
Abkürzungen 465
Chinesische Schriften zur Mythologie 466
Allgemeine Literatur 470
Glossar 565
Index 581

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KARNEVAL DER GÖTTER 17

Mythologie, Moderne und Nation in Chinas 20. Jahrhundert

WELTEN OSTASIENS WORLDS OF EAST ASIA MONDES DE L’EXTRÊME-ORIENT

ANDREA RIEMENSCHNITTER

PETER LANG

Schweizerische Asiengesellschaft Société Suisse-Asie

Warum interessieren sich chinesische Intellektuelle und Kulturschaffende auch heute noch für den Mythos? Karneval der Götter ergründet diese Frage bezugnehmend auf Theorien zu ästhetischen und diskursiven Konstruktionen (post-)moderner nationaler Identität. Die Autorin veranschaulicht die Bedeutung von Mythen und Mythologien in der Moderne: Was zeichnet ihre narrativen Strukturen aus? Welche Rolle spielen Symbole in der Steuerung kollektiver Identitätsbildungsprozesse? – Dynamiken sozialen Wandels spiegeln sich im beweglichen Einsatz mythologischer Vokabularien und Narrative wieder. Karneval der Götter erörtert auch, wie Aktualisierungen von Mythen die Möglichkeit eröffnen, Werte und Orientierungen zu hinterfragen, ohne die Kontinuität der eigenen Kultur aufkündigen zu müssen. Die Publikation analysiert schwerpunktmässig neuhistorische Romane erfolgreicher Autoren wie Mo Yan und zeigt deren Strategien der literarischen Remythisierung und Konstruktion eines polymythischen kulturellen Imaginaire auf. Sekundäre Mythen wie diejenigen der revolutionären Yan’an-Gemeinschaft oder einer globalkapitalistischen, harmonischen Konsumentengemeinschaft werden als ideologische Konstrukte entlarvt und primäre Mythen als wichtige Wegmarken des kollektiven Denk- und Vorstellungsraums einer ästhetischen (Gegen-)Moderne neu legitimiert.

Andrea Riemenschnitter (*1958) studierte Sinologie, Germanistik und Soziologie in Bonn, Taipei und Göttingen und ist seit 2002 Professorin für Moderne Chinesische Sprache und Literatur an der Universität Zürich. Gegenstand ihrer Forschung sind ästhetische und intellektuelle Positionsnahmen zur chinesischen Modernität. Ihre Veröffentlichungen umfassen u.a. die Titel China zwischen Himmel und Erde: Literarische Kosmographie und nationale Krise im 17. Jahrhundert (1998), Diasporic Histories. Archives of Chinese Transnationalism (hg. mit D. Madsen, 2009), und Jia Pingwa. Geschichten vom Taibai-Berg (2009).

KARNEVAL DER GÖTTER

WELTEN OSTASIENS WORLDS OF EAST ASIA MONDES DE L’EXTRÊME-ORIENT Band / Vol. 17 Edited by / Herausgegeben von / Edité par WOLFGANG BEHR ROBERT H. GASSMANN EDUARD KLOPFENSTEIN ANDREA RIEMENSCHNITTER PIERRE-FRANÇOIS SOUYRI CHRISTIAN STEINECK NICOLAS ZUFFEREY

PETER LANG Bern s Berlin s Bruxelles s Frankfurt am Main s New York s Oxford s Wien

KARNEVAL DER GÖTTER Mythologie, Moderne und Nation in Chinas 20. Jahrhundert

ANDREA RIEMENSCHNITTER

PETER LANG Bern s Berlin s Bruxelles s Frankfurt am Main s New York s Oxford s Wien

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

Umschlagabbildung: Lu Dadong, Der Jüngling/Das Mädchen; aus: Andrea Riemenschnitter (Hg.), Geschichten vom Taibai-Berg. Moderne Geistererzählungen aus der Provinz Shaanxi, Berlin: LIT 2009 ©Lu Dadong

ISSN 1660-9131 ISBN 978-3-0351-0170-6

© Peter Lang AG, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern 2011 Hochfeldstrasse 32, CH-3012 Bern [email protected], www.peterlang.com, www.peterlang.net Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschliesslich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany

Inhalt Danksagung, Erläuterungen zur Systematik, Drucknachweise ................ 8 Einleitung Einleitung ....................................................................................... 13 Mythologie zwischen Tradition, Moderne und Nation: Verflechtungsgeschichten............................................................... 17 Identifikationsfelder des Nationalen: mythologische Re-/Semantisierungen der Kategorien Kanon, Raum, Geschichte, Subjekt ................................................ 22 I. Sektion: Kanon 1 Mythos und Moderne: westliche Denkfiguren ............................... 37 2 Chinesische Zugänge zum Mythos ................................................. 45 2.1 Die Wiederentdeckung der Folklore ...................................... 54 2.2 Mythologie und Weltliteratur ................................................. 64 2.3 Das Prinzip des Phantastischen .............................................. 92 3 Mythophorien der nationalen Krise .............................................. 113 3.1 Kanonkritik und kleine Traditionen: Krisen des Wissens .... 114 3.2 Tumult in der achtzehnten Hölle: Krisen der Dislozierung.. 121 II. Sektion: Raum 4 Krisen der Ordnung, Mythen der Kontinuität .............................. 131 5 Mythologie als Mnemotopie......................................................... 137 5.1 Kulturelle Konstruktionen nationaler Identität..................... 137 5.2 China erzählen: “Xiaoshuo Zhongguo” ............................... 150 5.3 Mnemotopien: heilige Räume der Nation ............................ 165 5.4 Das Erbe der Kosmographen................................................ 170 5.5 Ruinen als Symbole nationaler Niederlagen ........................ 173 5.6 Im Gegenwind der Geschichte ............................................. 178 6 Nahrung als einverleibte Identität: Sitiogonien ............................ 193 6.1 Reis als Selbst....................................................................... 197 6.2 Kochkunst für die Nation ..................................................... 202 6.3 Wein und Fleisch .................................................................. 213

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6.4 Das räumliche Gedächtnis der Nation: Mythen-Theater, Verflechtungsgeschichten .................................................... 226 III. Sektion: Geschichte 7 Orientierungen .............................................................................. 233 7.1 Paradigmen: Politischer Mythos und New Historicism ....... 233 7.2 Hintergründe: Chinesische Geschichte und historische Fiktion ................................................................ 241 8 Fiktion als Spiegelkabinett der Zeitgeschichte. Vier Interviews .. 253 9 Revolution zwischen Geschichtszeichen und Retro-Mythos ....... 281 9.1 Die verirrte Revolution......................................................... 281 9.2 Revolutionärer Enthusiasmus ............................................... 285 9.3 Weite Reise mit Achtzehn: Exegese ohne Gemeinschaft..... 291 9.4 Die Knoblauchrevolte: Gemeinschaft ohne Exegese ........... 297 9.5 Über-Leben und Tibets verborgene Geschichte: konkurrierende Exegesen ..................................................... 310 10 Zurück zur Polymythie ................................................................. 315 10.1 Imperialistische Globalisierung und (trans)lokale Antworten: Der Boxer-Aufstand ..................... 315 10.2 Kulturelles Gedächtnis relokalisiert: Hundert Jahre Boxerkrieg-Dramaturgie ............................... 322 10.3 Ver-rückte Vaterschaften: Das Ende der Qing als absurdes Theater ............................................................. 331 10.4 Retro-Mythologie: Aufbruch in eine postrevolutionäre Moderne?.............................................................................. 338 10.5 Fragmente alternativer Modernen: Retro-Mythen, dystopische Heterotopie und mythophorische Heteroglossie .... 351 IV. Sektion: Subjekt 11 Szenarien der Verstrickung .......................................................... 361 12 Das überidentifizierte Subjekt: Wu Zetian .................................. 375 12.1 Mythologie der modernen Frau ............................................ 382 12.2 Die konfuzianische Wende des Maoismus ........................... 392 12.3 Weibliche Politik im Schatten des Patriarchats .................... 395 13 Epiphanie des subalternen Subjekts: Muttermythen .................... 407 13.1 Rückkehr des Weiblichen: Allegorien und Genealogien ..... 413

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13.2 Topographien weiblicher Subalternität: Natur, Geschichte, Zivilisation, Religion ............................. 421 13.3 Chronotopen mütterlicher (Ohn)macht ................................ 429 Entwürfe posthumanistischer Subjektivität .................................. 437 14.1 Im Bann der Diskurse und Traditionen: Weiblichkeit als Subjekt des Mythos .............................................................. 443 14.2 Aporien des postmodernen Subjekts: Koloratur singen oder eine Ein-Mann-Bibel schreiben? .................................. 451

Anhang Literaturverzeichnis Abkürzungen ................................................................................ 465 Chinesische Schriften zur Mythologie ......................................... 466 Allgemeine Literatur .................................................................... 470 Glossar .................................................................................................. 565 Index ..................................................................................................... 581

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Danksagung Der vorliegende Band ist eine überarbeitete und erweiterte Version meiner im Jahr 2001 an der Universität Heidelberg eingereichten Habilitationsschrift mit dem Titel: Nationale Mythen und Konfigurationen kulturellen Wandels in der chinesischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Ohne die in den unterschiedlichsten Formen erfolgte Unterstützung meiner Lehrer, Freunde und Kollegen wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Mein ganz besonderer Dank gilt Susanne Weigelin-Schwiedrzik (Wien), die mein Projekt mit bewundernswertem Einsatz, der konstruktive Kritik, Vertrauen, Geduld und vieles mehr umfasste, über alle Durststrecken und Krisen hinweg gefördert hat. Grosser Dank gebührt ausserdem Chen Xiaoming (Beijing), Maghiel van Crevel (Leiden), Dietrich Harth (Heidelberg), Leung Pingkwan (Hongkong), Justin Stagl (Salzburg), Horst Turk († 2008, Göttingen), Xia Baige (Wien), Xue Siliang (Heidelberg) und Zhang Qinghua (Beijing). Sie haben mir viel kostbare Zeit für Diskussionen, Kommentare, Gutachten, Transkriptionen und die Beschaffung schwer zugänglicher Materialien geschenkt. Allen Lesern früherer Fassungen des Manuskripts sei hier noch einmal für die wertvollen Anregungen und Verbesserungsvorschläge gedankt. Ich habe sie – wo immer möglich – gerne berücksichtigt. Für Gespräche, Materialien, Anregungen und Hilfeleistungen in jedweder Form danke ich weiterhin meinen Kolleginnen und Kollegen des Universitären Forschungsschwerpunkts Asien und Europa sowie Cao Wenxuan (Beijing), Rey Chow (Durham), Takashi Fujitani und Lisa Yoneyama (San Diego), Joachim Gentz (Edinburgh), Liu Guisheng (Beijing), Lydia H. Liu (New York) und Rita und Robert Gassmann (Zürich). Zuspruch und konstruktive Kritik dieser und vieler aus Platzgründen hier nicht namentlich aufgeführter Weggefährten sind dem Projekt in vielfältiger Weise zugute gekommen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft bin ich für ihre zweijährige Förderung des Projekts im Rahmen eines Habilitationsstipendiums zu Dank verpflichtet. Ich widme dieses Buch meinen Töchtern Cosima und Leonie und den guten Geistern unserer Familie, die uns mit Grosszügigkeit und 8

menschlicher Wärme über die unvermeidlichen Klippen hinweggeholfen haben.

Erläuterungen zur Systematik, Drucknachweise Alle Übersetzungen ins Deutsche stammen, wenn nicht anders angegeben, von mir. Ausser für Eigennamen und spezielle Dialektausdrücke wurde Pinyin als gültige Umschrift verwendet. Folgende Kapitel wurden bereits in früheren Versionen publiziert; sie sind in gründlich überarbeiteter Form und mit freundlicher Genehmigung der Verlage in die vorliegende Publikation integriert worden: Kapitel 5: Mythologie als Mnemotopie “Gedächtnisorte im Exil: Die anderen heiligen Räume der Nation.” In: Creating and Representing Sacred Spaces, Göttinger Beiträge zur Asienforschung, Heft 2–3. © Peust & Gutschmidt Verlag Göttingen 2003. Kapitel 6: Nahrung als einverleibte Identität: Sitiogonien “Consuming collective identity. Food myths in contemporary Chinese aesthetic representations.” Asiatische Studien 60, Nr. 4 (2006): 1021– 1049, © Verlag Peter Lang Bern. Kapitel 9: Revolution zwischen Geschichtszeichen und Retro-Mythos “Revolution als Fundament nationaler Identität? Literarische Interventionen zum Gründungsmythos der VR China.” In: Unerledigte Geschichten. Der literarische Umgang mit Nationalität und Internationalität. Hg. von Gesa von Essen und Horst Turk. Internationalität nationaler Literaturen. Serie B: Europäische Literaturen und internationale Prozesse (Hg. von Horst Turk und Fritz Paul), Bd. 03. © Wallstein Verlag, Göttingen 2000. Kapitel 10: Zurück zur Polymythie “Ver-rückte Vaterschaften. Nationalismus und Krise des Geschichtsgefühls im Licht der gegenwärtigen Neuorientierung über das Ende der

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Kaiserzeit in China.” In: Borgard, T; von Zimmermann, C; Zwahlen, S. M. (Hg.). Herausforderung China. © Haupt Verlag Bern, Stuttgart, Wien 2009. Kapitel 13: Epiphanie des subalternen Subjekts: Muttermythen “Mother China myths in twentieth-century literary narratives.” In: Starrs, Roy (Hg.). Asian Nationalism in an Age of Globalization. Richmond, Surrey: Routledge 2001: 324–346.

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Einleitung

Einleitung To look at the symbolic dimensions of social action – art, religion, ideology, science, law, morality, common sense – is not to turn away from the existential dilemmas of life for some empyrean realm of deemotionalized forms; it is to plunge into the midst of them. Clifford Geertz

Alljährlich wenn in Nordost-Gaomi, in der Provinz Shandong, der erste Schnee fällt, wird das dörfliche Ritual des Schneeprinzen begangen. Der taoistische Schamanenpriester wählt einen “jungfräulichen” Jungen, das heisst einen Jungen, der noch keine Anzeichen der Pubertät trägt, aus und weist ihn in die erforderlichen Handlungen des Festakts ein. Im Mittelpunkt der Feier, nach Prozession und Mahlzeit am Marktplatz mit Schweigepflicht für alle Teilnehmer, vollzieht der Junge eine Handauflegung. Alle jungen Frauen bieten nacheinander dem Kind ihre entblössten Brüste dar, wobei sie oder der Junge auf keinen Fall sprechen dürfen. Jede Handauflegung beendet der Schneeprinz mit einer Waschung seiner Hände in frischem Schnee (FRFT: 316–331). Die Tatsache, dass die Beschreibung eines Rituals einem fiktionalen Text entstammt, würde mittlerweile nicht mehr als hinreichender Grund angesehen, an dessen Aussagekraft oder Authentizität zu zweifeln. Ein sich augenblicklich einstellendes Misstrauen aufmerksamer Leser hat in dem vorliegenden Fall einen ganz anderen Grund: wie solide und geradezu schematisch die einzelnen liturgischen Elemente auch konstruiert sein mögen, so ist das Zentrum der rituellen Handlung im gegebenen kulturhistorischen Kontext zwar keine Blasphemie, denn Götter werden dabei nicht gereizt, aber die entblössten Frauenbrüste verletzen eine üblicherweise mit Konfuzius in Verbindung gebrachte Prüderie der Sitten so offenkundig, dass letztlich niemand der Fiktion auf den Leim gehen wird. Sehr viel schwieriger gestalten sich Versuche einer Beantwortung der aus dieser Provokation hervorgehenden Fragen. Warum hat der Autor eine fiktive symbolische Form gewählt, um die Stimmung eines lokalen Volksfestes zu beschreiben? Wie wird über den absurden Inhalt der Zeremonie hinweg die gläubige Identifikation der Teilnehmer erreicht? Welche Rolle spielt die Tatsache, dass dem Ritual keine begründende Erzählung beigegeben ist? Schliesslich stellt sich noch das 13

Problem der Beziehungen zwischen Subjekt, Geschichtserfahrung und kollektivem Bewusstsein, das der Autor im – behaupteten – Prozess von dessen in der Vergangenheit zyklisch wiederholter Durchführung und der – ebenfalls behaupteten – Abschaffung des Rituals im Rahmen der kommunistischen Aufklärungskampagnen gegen Aberglauben auf dem Land aufwirft. Eine Einbettung dieser Episode in den Kontext literarischer Experimente mit Mythen und Ritualen während des 20. Jahrhunderts könnte zur Klärung unserer Fragen beitragen. Auf theoretischer Ebene soll zunächst aber Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen unsere ersten Vorabklärungen über die Hintergründe der anhaltenden Faszination uneigentlicher Ausdrucksformen erleichtern. Cassirer hatte nach den Bedingungen der Möglichkeit gesucht, von einer Logik nicht-wissenschaftlicher Gebilde anders als im metaphorischen Sinn sprechen zu können. Grundlage für seinen Rekurs auf den Mythos als spezifische Denkform war die Beobachtung, dass die Philosophie diesen zunehmend in den Bereich des Scheins, des NichtSeienden und der subjektiven Illusion im Gegensatz zum objektiven Sein theoretisch geleiteter Erkenntnis verbannt hat. An dieser Praxis der Ausgrenzung des mythischen Denkens aus dem wissenschaftlichen System geistiger Anschauungsformen hatte sich auch im Zeitalter der Relativierung unserer Vorstellungen von Empirie und Objektivität bis zu seiner Zeit nichts geändert, obwohl durch Anthropologie und vergleichende Religionsforschung eine Menge wertvoller Quellen und Materialien erschlossen worden waren. Das Beispiel der Lehre Comtes zeigte jedoch, so Cassirer, dass die Erkenntnis des Mythos nicht Herr wird, indem sie ihn einfach ausserhalb ihrer Grenzen verbannt. Für sie gilt vielmehr, dass sie nur das wahrhaft zu überwinden vermag, was sie zuvor in seinem eigentümlichen Gehalt und nach seinem spezifischen Wesen begriffen hat. Solange diese geistige Arbeit nicht vollbracht ist, zeigt es sich, dass der Kampf, den die theoretische Erkenntnis für immer siegreich bestanden zu haben glaubte, stets aufs neue ausbricht. Die Erkenntnis findet jetzt den Gegner [...] in ihrer eigenen Mitte wieder. [...] Comtes System, das mit der Verbannung alles Mythischen in die Urzeit und Vorzeit der Wissenschaft begann, schliesst sich selbst in einem mythisch-religiösen Oberbau ab. Und so zeigt sich überhaupt, dass zwischen dem Bewusstsein der theoretischen Erkenntnis und dem mythischen Bewusstsein nirgends ein Hiatus in dem Sinne besteht, dass ein scharfer zeitlicher Einschnitt – im Sinne des Comteschen ‘Dreiphasengesetzes’ – beide gegeneinander absondert. Die Wissenschaft bewahrt auf lange Zeit uraltes mythisches Erbgut, dem sie nur eine andere Form aufprägt. (Cassirer 1997a: XI)

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Cassirer erinnerte im Folgenden an die Schwierigkeiten der Naturwissenschaften, den Kraftbegriff von allen mythischen Bestandteilen abzulösen und in einen reinen Funktionsbegriff zu überführen. Das Provisorische der Abgrenzungsbestrebungen zeigt sich für unsere Belange noch deutlicher in der von Cassirer ebenfalls angeführten Unsicherheit der Grenzlinien zwischen Mythos und Geschichte. Um den in diesem Feld geäusserten Spekulationen Einhalt gebieten zu können, dass alles historische Begreifen notwendig an mythische Elemente gebunden sei, muss nach Cassirer gründlich geklärt werden, was am Mythos geistig ist und was er geistig vermag. Erst seine Erkenntnis und Anerkenntnis ermöglicht eine Überwindung des Mythos (Cassirer a.a.O.: XII). Aus dessen spezifischer Architektur der Verknüpfung von Disparatem aufgrund räumlich-analogisch definierter Nähe1 leitet er eine für unser Verständnis von Mo Yans Pseudo-Ritual nicht unwichtige Erkenntnis ab: nicht etwa ist der Mythos primär und das “Bewusstsein und Gefühl der Klassenzugehörigkeit” das abgeleitete Phänomen, sondern umgekehrt setzt er “nur einen bestimmten Vorstellungsbestand, der als solcher gegeben ist, in die Form des Berichts, in die Form der Erzählung um” (Cassirer 1997b: 23). Die der Vorstellung von ritueller Berührung als Zusammenführung von Gegensätzen zugrundeliegende Kosmologie – im Schnee-Ritual beispielsweise symbolisiert durch die Verhältnisse männlich-weiblich, kaltwarm, Winter-Sommer, Höhle-Aussenwelt – geht von einer analogischen Bauweise von Mikro- und Makrokosmos aus, von einer stabilen Ordnung der Elemente, die den Bau des Kosmos und den Bau des menschlichen Körpers gleichermassen bestimmt. Der symbolische Mehrwert oder Überschuss der rituellen Handlung im vorliegenden Roman besteht demzufolge in einer Analogiekette, die von der allegorischen Kombination kosmologischer und biologischer Zyklen fortschreitet zum 1

Goethe, so vermerkt Cassirer, “sieht die Gefahr dieser Induktion, dieser Vergleichung und Zusammenführung des Diskreten und Disparaten darin, dass sie, statt ein Besonderes an einem anderen und aus einem anderen zu verstehen, vielmehr nur seine Eigenart verwischt und nivelliert, dass sie ‘das Einzelne verachtet und dasjenige, was nur gesondert ein Leben hat, in eine tötende Allgemeinheit zusammenreisst’.” (Cassirer 1997b: 43) Im chinesischen Fall scheint es sich eher umgekehrt zu verhalten: die “tötende Allgemeinheit” geht eher von Narrativen eines universell gedachten Rationalismus aus, während lokale Mythen zum (subversiven) Ausdrucksmedium von Besonderheit und ggf. sogar protestierender Subalternität wurden. Gleichwohl besteht diese Gefahr und wächst in Relation zur Reichweite eines Mythems. S. hierzu IV. Sektion.

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Zusammengehörigkeitsgefühl der dörflichen Gemeinschaft vermittels ihres räumlichen Miteinanders: Alle Magie wurzelt in der Voraussetzung, dass, wie die Ähnlichkeit der Dinge, so auch ihr blosses Beieinandersein, ihre räumliche Berührung, geheimnisvolle Kräfte in sich birgt. Was einmal in diese Berührung eingegangen ist, das wächst für immer zu einer magischen Einheit zusammen. Das blosse räumliche Beieinander hat stets reale Folgen. (Cassirer a.a.O.: 48)

Mo Yan bedient sich im Sinne Cassirers der These, dass das Bewusstsein und Gefühl von Zugehörigkeit auf einer vom Mythos herrührenden Denkgewohnheit – Cassirer spricht auch von Denkzwang – beruht (a.a.O.: 44), und dass jenes Zugehörigkeitsgefühl zwar auf die narrative Leistung des Mythos verzichten kann, nicht aber auf jegliche (symbolische) Form von dessen Vergegenwärtigung. Hierin ist auch eine Erklärung für das bizarre Sprechverbot während der gesamten dörflichen Zeremonie von Festparade, Festessen und Handauflegung enthalten. Indem über die fehlende narrative Leistung unseres Mythos hinaus auch noch ein Schweigegebot jede sprachliche Handlung der Dorfbewohner unterbindet, verweist der Text auf eine grundsätzliche Problematik der Beziehungen zwischen Denken und Sprache wie zwischen Ritual und Mythos: benennen lassen sich nur Berührungspunkte, aber nicht das grosse Ganze der symbolischen Handlung – und schon gar nicht ihres Referenten. Indem das beschriebene Ritual nicht in einer steinzeitlichen Höhlengemeinschaft, sondern in einem chinesischen Dorf um 1950 situiert wird, indiziert dieser Mythos über seine räumlichen und iterativen Paradoxien hinaus auch ein Problem moderner, sozialhistorisch orientierter Taxonomien von Zeitabläufen. Diese Paradoxien unserer Eröffnung eines Zugangs zum Mythos2 sollen als Ausgangspunkt für eine Untersuchung der Formen und Funktionen von Mythen in der chinesischen Moderne dienen.

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In Anlehnung an Karl Kerényis gleichnamige Anthologie (Kerényi 1996).

Mythologie zwischen Tradition, Moderne und Nation: Verflechtungsgeschichten

Das absurde, trotz libidinöser Besetzung vorrangig Signifikanten ursprünglicher Reinheit enthaltende Schneeritual kann sowohl im Kontext des Romans, in den es eingebettet wurde, als auch im weiteren kulturellen Kontext über seinen unmittelbar assoziierbaren, imaginären Horizont hinaus auf Geschichtliches bezogen werden. Es erscheint in dieser Lesart als Spiegelungsfigur, die in einer das 20. Jahrhundert bestimmenden Mytho-Logik das utopische Andere einer alle Lebensbereiche dominierenden Chaoserfahrung konstituiert. Das sprachlos, ja geräuschlos und in unumstösslicher Ordnung durchgeführte dörfliche Ritual ist so gesehen eine Umkehrfigur des real herrschenden, fortdauernden Tumults im zunehmend der Natur wie dem Menschen entfremdeten chinesischen Universum. Diskursbestimmend erscheinen mithin nicht etwa die im oben genannten Schneeritual immerhin noch angedeuteten Reinheits- oder Paradiesvorstellungen, sondern im Gegenteil die von diesem Ritual – dank der weissen Schneepracht auch äusserlich – für einen jährlich wiederkehrenden Augenblick performativ eingefriedeten Szenarien der krisenhaften Verwirrung, Vermischung und Verstrickung sozialer wie kultureller Performanzen. Hinterfragt, oder allererst gesucht werden in Mo Yans Romanen und einer signifikanten Auswahl weiterer Texte Strategien des Umgangs mit einem zumeist existentiell bedrohlich auftretenden Neuen, und zwar im Hinblick auf deren moralische, ideologische wie pragmatische Orientierungen. Aus diesem Grund soll in der vorliegenden Studie der Versuch gemacht werden, literarische Texte der prä- wie postmaoistischen Modernen Chinas mit eingebetteten mythologischen Strukturen als Beiträge zu einem ästhetischen Modell der Moderne als global-lokale Verflechtungsgeschichte zu lesen. Die Textselektion war wesentlich auf literarische Remythisierungen von Konflikten ausgerichtet, welche die chinesische Nation nachhaltig geprägt haben. Das Hauptgewicht der gesichteten mythologischen Topographien liegt damit deutlich auf der Nachtseite der Moderne: auf ihren Dystopien, die wiederum in bemerkenswerter Kontinuität und Häufung in der symbolischen Form von Höllen in Erscheinung treten. Von der 1878 erschienenen Gesellschaftssatire He dian (Was für ein Klassiker? Oder alternativ: Was für ein

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klassisches Zitat?, ein Roman von Zhang Nanzhuang) bis zum 1989 als Ballett uraufgeführten Drama Ming cheng (Gao Xingjian, Die Stadt der Toten, 1988) und dem 2006 erschienenen Roman Shengsi pilao (Mo Yan, Der Überdruss) haben sich Schriftsteller intensiv mit den dämonischen, zerstörerischen Aspekten einer gewaltsam ins Land gebrachten Moderne – oder aber, wie in den revolutionären Narrativen, mit deren Kehrseite, der lähmenden Décadence der eigenen feudal-patriarchalischen Vergangenheit – auseinandergesetzt. Selbst die Faszination des ästhetischen Programms des Realismus, dem die führenden Vertreter des frühen Modernismus ebenso anhingen wie diejenigen des maoistischen Ästhetik- und Literaturprogramms, war kein Hindernis für eine kontinuierlich bis weit in die mythisch besetzten symbolischen Extensionsräume menschlicher Existenz hineinreichende Auseinandersetzung mit den sinistren, irrationalen Aspekten der Moderne. Bereits der Titel, mehr aber noch der Inhalt der von Lu Xun so geschätzten Shanghaier Gesellschaftssatire He dian hatte im ausgehenden 19. Jahrhundert das Sujet einer krisenhaften Verkehrung der kosmologischen Ordnung prominent in den Blick gerückt. Mit dem Bild irdischen Tumults, der bis in die Hölle reicht, etabliert dieser operettenhaft strukturierte Roman (und sein Kommentator Lu Xun) eine mythophorische Figur, die in der Literatur der späten 1980er Jahre und danach wieder in mehreren signifikanten, nicht-identischen Wiederholungen (Naumann 1996: 174) auftritt. War die aus den Fugen geratene Hierarchie der He dian-Höllen als satirischer Spiegel der spätqingzeitlichen Gesellschaft unter dem Ansturm militärisch wie ökonomisch überlegener, das lokale Herrschaftswissen einschliesslich seiner Werte nicht respektierender fremder Mächte angelegt, so erschienen in der Epoche Lu Xuns avantgardistische Texte, in welchen zusammen mit den Übersetzungen weltliterarischer Werke ins Chinesische auch fremde Götter implementiert wurden. Der chinesische Einstieg in die ästhetische Moderne gestaltete sich somit nicht unwesentlich als Experimentierfeld mit Werten und Orientierungen verschiedenster religiöser Provenienz: auf der Suche nach Ersatz für die erstarrte konfuzianische Ideologie der MandschuEliten wurden Alternativen vom Buddhismus über griechische und nordische Götter bis zum Christentum und Protagonisten der eigenen, lokalen Mythentraditionen auf ihre Tauglichkeit als ideologisches Fundament der gesellschaftlichen Modernisierung geprüft. Es entbehrt nicht der Ironie, dass mit Chinas Eintritt in die globale Marktwirtschaft ausge18

rechnet der Staat sowohl den vorher als antimodern eingestuften Konfuzianismus, als auch die während der Kaiserzeit nahezu vergessenen Gründungsmythen Chinas für die Stiftung transnationaler chinesischer Identität wieder entdeckt.3 Der von Meng Fanhua in einer vielgelesenen kulturwissenschaftlichen Analyse erst für diese Spätmoderne diagnostizierte, an die Hermeneutik Bakhtins (Bakhtin 1995) und die konsumkapitalistische, popkulturelle Wende zum Entertainment der 1990er Jahre anschliessende Zhongshen Kuanghuan (Meng Fanhua, Karneval der Götter, 1997, 2003) erscheint vor diesem Hintergrund als weitaus breiter auszulegender Leitbegriff für eine Kultur mit auffälliger Präsenz eigener und fremder Götter sowie einer Vielfalt von Mythologien in ihren ästhetischen Texten – nicht erst für die Reformphase nach Maos Tod, sondern bereits seit dem Erscheinen der ersten modernen Gesellschaftssatiren im ausgehenden 19. Jahrhundert. Nach Mao Zedongs Tod durften gesellschaftliche Orientierungskrisen wieder differenzierter als Gegenstand ästhetischer Repräsentationen und kulturtheoretischer Reflexionen problematisiert werden. Schriftsteller, Filmregisseure, Kunstschaffende, Philosophen und Kulturwissenschaftler widmen sich seither – wie schon einmal in der Zeit des antiimperialistischen Widerstands am Leitfaden eines Souveränität und Autonomie fordernden, patriotischen Kulturdiskurses – vorrangig der Frage nach der Bedeutung jener Durchdringung von Chinas Modernisierungsgeschichte mit eigenen und fremden Konditionierungen durch religiös, mythologisch oder im weitesten Sinne kulturell gesteuerte kollektive Verhaltensmuster. Letztere ergeben sich vor allem aus den historischen Erfahrungen der Nation, deren narrative Aufarbeitung in China traditionell einen besonders wichtigen Anteil am kulturellen Erbe ausmacht. Nicht zufällig kam deshalb dem historischen Roman sowohl in der Ära Mao Zedongs, als auch in der von Deng Xiaoping eingeleiteten Reformperiode eine herausragende Rolle zu. Bereits seit der ausgehenden Qing-Zeit lässt sich darüber hinaus eine deutliche Hinwendung der Autoren zu zeitgeschichtlichen Themen beobachten, die in produktive Konkurrenz zum vorher favorisierten Erzählmuster einer verdeckten Identifikation gegenwärtiger Phänomene mit historisch weiter zurück3

Über die Renaissance religiöser Orientierungen nach Maos Tod s. Schmidt-Glinzer 2009; zum Konfuzianismus s. Guo 2003, Neville 2000; Über die zeitgenössische Welle von neu geschaffenen Kultstätten und die Identifikation diasporischer Subjekte vgl. Friedrich 2004: 248–251.

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liegenden Epochen trat. Die in traditionell strukturierten Narrativen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und teilweise darüber hinaus zum Ausdruck kommende Denkfigur von Gegenwart als endloser Variation statt einer deutlichen Ablösung vom Gewesenen lässt eine Möglichkeit von Geschichtsschreibung im Modus von Verflechtungsgeschichten bereits lange vor dem Eintritt Chinas in die Moderne erkennen. Altes und Neues, Fremdes und Eigenes, Individuum und Gemeinschaft, sinnliche Erfahrung und empirische Wahrheit, sinnstiftende Imagination und destabilisierende Illusion erscheinen nicht nur im Wettstreit, sondern gleichzeitig immer auch als interaktive Konstituenten der repräsentierten Wirklichkeiten. Nach einer vergleichsweise kurzen Zeit der konsequenten Abkehr von den etablierten Repräsentationsmodi bei gleichzeitiger programmatischer Verwendung importierter fremder oder erfundener eigener Stilmittel wurde in Aufarbeitung der Erfahrungen mit kulturrevolutionärer Kunst vom Reissbrett erkannt, in wie unberechenbarer Weise Neues sich mit bereits Etabliertem verbindet, und dies um so mehr, je weniger das Etablierte als verinnerlichtes Imaginationsschema überhaupt an die reflektierte Oberfläche kulturellen Handelns gelangt.4 Geschichtserzählungen seit 1980 profitieren in ihrem Bestreben, die Wirklichkeit nicht mehr als lineare Progressionserzählung, sondern als instabiles Gewebe kultureller Transfers und multipler Temporalitäten – zyklisch, linear, progressiv, teleologisch – darzustellen, wieder in vielfacher Weise von den komplexeren Perspektiven und Verfahren der klassischen Romane. Dabei können sie sich auch auf Debatten über die gesellschaftlichen Auswirkungen verschiedener Wahrnehmungen der Bedeutung von Zeitabläufen stützen, die mit verstärkter Dringlichkeit und Intensität seit der gewaltsamen Öffnung Chinas im Zuge des Imperialismus geführt wurden. Die gegenwärtige Konzentration von Kulturschaffenden auf diesen Aspekt vielfacher existentieller Verstrickung des Subjekts in seine familiären, gesellschaftlichen, geohistorischen, kulturellen und religiös-ideologischen Gegebenheiten ist als Ergebnis zum einen des Paradigmenwechsels zum modern-westlichen Geschichtsbild am Ende des 19. Jahrhunderts und zum anderen des offenbar gewordenen Scheiterns dieser spezifischen Vision einer universal antizipierten Moderne im Nachgang der Kulturrevolution und der konsumkapitalistischen Wende 4

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Chow 1995. S.a. Homi Bhabhas Überlegungen, wie “Neuheit in die Welt kommt”; in Bhabha 1994: 212–235.

zu sehen (Lin und Galikowski 1999, Sachsenmeier, Riedel und Eisenstadt 2002, X. Zhang 2008). Mit ihren mythologisch grundierten Verflechtungsgeschichten, die unter anderem das Verhältnis von eigenen und fremden Modernitätskonzepten und deren Wirkung auf spezifische, lokale Gemeinschaften narrativ reflektieren, gehen zeitgenössische Autoren einen Weg, den die in einer mehr generalisierenden Weise transnationale Prozesse untersuchende westliche, insbesondere europäische Historiographie im ausgehenden 20. Jahrhundert mit ihren Methodendebatten zu Vergleichs-, Transfer- und Übertragungsgeschichten (Bloch 1928, Dirlik 2007, Espagne 1999, Kaelble 2005, Osterhammel 2001), zu shared beziehungsweise entangled histories (Conrad und Randeria 2002) und zur histoire croisée (Werner und Zimmermann 2002) ebenfalls eingeschlagen hat. Die vorliegende Publikation untersucht auf der Basis dieser Einsichten das symbolische Inventar chinesischer Diskurse über nationale Identität im 20. Jahrhundert im Horizont disziplinübergreifend gestellter Fragen nach dem Verhältnis zwischen dem kollektiven Bewusstsein und dessen diskursiver Konstitution in Literatur, Geschichte, Politik oder Religion. Ausgegangen wird dabei von einer zentralen Bedeutung des Mythos in seiner Eigenschaft als gemeinschaftsstiftende beziehungsweise -stabilisierende Erzählung (Brisson 1996). Dies erfordert zunächst einen systematischen Zugang über die historische Semantik des chinesischen Mythos-Begriffs sowie der Mythologie im Kontext der japanisch-chinesischen Einbürgerung westlicher Begriffe und Konzepte. Daran anschliessend wird ein kursorischer Überblick über die Formation und Entwicklung der chinesischen Mythologie als moderne wissenschaftliche Disziplin versucht. Im Zuge der Vergegenwärtigung wichtiger historischer Kontexte wurde im nächsten Schritt eine Auswahl literarischer Texte mit Blick auf ihre mythographischen Strategien vier wichtigen Identifikationsfeldern des Nationalen zugeordnet. Methodisch orientiert sich die vorliegende Arbeit an post-/strukturalistischen, diskursanalytischen und narratologischen Verfahren, wobei in einzelnen begründeten Fällen auch spezifisch ausgewiesene Theoriemodelle wie der New Historicism (III. Sektion) herangezogen wurden.

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Identifikationsfelder des Nationalen: mythologische Re-/Semantisierungen der Kategorien Kanon, Raum, Geschichte, Subjekt

Paradigmen nationaler Identität – Werte, kulturelle Leittexte, Schlüsselbegriffe und Symbole – werden bevorzugt in der Geschichtsschreibung und in ästhetischen Repräsentationen verhandelt. Eine privilegierte Rolle der Kulturschaffenden in nationalen Selbstbeschreibungsdiskursen ergibt sich einerseits aus deren aktiver Teilnahme an den gemeinschaftsstiftenden Ereignissen ihrer Nation, andererseits aus der Distanz ihrer kritischen Reflexion solcher Praktiken und Diskurse. Abgesehen von den bereits angesprochenen, existentiellen Erschütterungen Chinas im späten 19. und dem grössten Teil des 20. Jahrhunderts ist ihre Arbeit determiniert durch eine zunehmende Sensibilisierung für die Vielfalt der Werte und Orientierungen innerhalb der nationalen Gemeinschaft, auf welche mit innovativen Repräsentationsverfahren geantwortet wurde. Die daraus resultierende Unübersichtlichkeit erfordert Achtsamkeit und Flexibilität in der theoriegeleiteten Rezeption.5 Als Mittlerin zwischen den komplexen Orientierungsangeboten aus wissenschaftlichen Disziplinen, wie zum Beispiel Geschichtsschreibung, Philologien, Natur- und Sozialwissenschaften, Kunst- und Musikgeschichte, und der Vielfalt elementarliterarischer Sinnbildungsprozesse, wie sie sich in den über Massenmedien und mündliche Kanäle verbreiteten Leitmotiven der Alltags- und Regionalsprachen, oder auch in Stereotypen, Klischees, Volksliedern und -reimen niederschlagen, fällt der Literatur die Aufgabe zu, den kommunikativen Austausch zwischen Spezial- und Alltagsdiskursen zu unterstützen. Indem sie diese Vielfalt des Wissens, aber auch der sinnlichen Eindrücke und individuellen Bewältigungsstrategien in einprägsame Narrative und Bilder übersetzen, halten literarische Texte ihrer Gesellschaft einen Spiegel vor und bieten die Möglichkeit der Identifikation oder Abgrenzung. 5

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Wie Stephen Greenblatt hervorgehoben hat, leistet die Literatur einen entscheidenden Beitrag zu Prozessen sowohl kultureller Restriktion wie Transgression (Bassler 1995: 53 f.), das heisst, sie repräsentiert Individuen in liminalen Situationen, deren Anpassungsleistung darin besteht, bestehende soziale Ordnungsmuster zu bestätigen, verstärken, oder aber experimentell zu überschreiten.

Mythen erfüllen seit ihrer Erfindung als von den Gestirnsbewegungen abgeleitete, erzählte Zeit eine Schlüsselfunktion in diesen gesellschaftlichen Orientierungsprozessen (De Santillana und von Dechend 1969, Guan 1997, Porter 1996). Wie bei der Sichtung zeitgenössischer Texte rasch deutlich wird, rekurrieren chinesische Schriftsteller und Intellektuelle seit der kapitalistischen Wende verstärkt auf vormoderne Mythen, darunter bevorzugt kleine, regional begrenzte Mythenrepertoires. Damit stellen sie einerseits alternative Symbolwelten zur Disposition, treten andererseits aber auch in produktiven Dialog mit den mythologisch unterlegten Grosserzählungen früherer Epochen. Dieser umfangreichen Revision der Funktionalität mythologischer Repertoires in literarischen Repräsentationen wurde bis jetzt über den westlichen Referenzrahmen hinaus 6 noch zu wenig Beachtung geschenkt. Weder von Seiten der mit Mythen arbeitenden Schriftsteller, noch von Philosophen, Literatur- oder Kulturwissenschaftlern liegen uns systematische Stellungnahmen zur Verortung modernchinesischer mythologischer Repräsentationen vor. Aus diesem Grund soll im Rahmen der hier unternommenen Analysen auch geprüft werden, inwiefern eine Kombination nicht-chinesischer Theorien und historisch-chinesischer Semantiken des Mythos auf die lokale literarische Aktualisierungspraxis anwendbar sein können. Aus der Vielzahl signifikanter Texte bieten sich einige in besonderer Weise an, in ihrem Verhältnis zwischen regionalen und nationalen literarischen Re-/Mythisierungen sowie zu den synchron wie diachron verlaufenden, nicht-literarischen Diskursen über kulturelle Identität näher untersucht zu werden. Das ausgewählte Material wurde zu diesem Zweck verschiedenen thematischen beziehungsweise systematischen Gruppen zugeordnet, in deren erster nach den notwendigen begriffsgeschichtlichen Abklärungen Material isoliert wurde, welches vor allem auf einer generischen Konvention der Darstellung mythologischer Valenzen basiert. In ihrer ursprünglichen Anlage bereits wesentlich auf individuelle, jedoch immer auch gesellschaftlich bedingte Anomien abhebend, scheinen sich gegenwärtige Rekurse auf generische Konventionen des Magisch-Phantastischen überwiegend als symptomatische Variationen dieser vorübergehend tabuisierten – und, weil in den

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Zu anderen anschlussfähigen westlichen Theorieansätzen, beispielsweise über die Begriffe der Mythomotorik oder Mythopoiesis, vgl. Assmann 1997; Assmann/Harth 1992; Harth 1998.

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Realienbezügen nicht widerlegt beziehungsweise im Sinn der darin zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Widersprüche nicht gelöst, die Nation gespenstisch heimsuchenden – symbolischen Archive zu verstehen. Dass es bei der Auseinandersetzung chinesischer Intellektueller – ob Schriftsteller, Historiker oder Literaturwissenschaftler – mit fremden Kulturen (einschliesslich eigener, nicht-kanonischer lokaler Traditionen) und ihrem Umgang mit der Mythologie zumindest in der Frühphase wesentlich auch um die Suche nach einem modernen nationalen Kanon gegangen sein muss, welcher in überzeugender Weise an die Stelle des radikal in Frage gestellten konfuzianischen treten konnte, ist eine Hypothese, die sich im Rahmen der durchgeführten Recherchen und Analysen allmählich herauskristallisiert hat und die nachfolgenden Untersuchungen zu modernen Geschichts- und Subjektivitätsmythen der vorliegenden Publikation grundiert. Anhand der in den ausgewerteten Texten und Textgruppen vorgefundenen, markanten Kartierung mythologischer Repertoires lag eine Systematisierung der Ergebnisse nach Zugehörigkeit zu verschiedenen Identifikationsfeldern (Döring 1988) nahe. Sabine Döring stellt fest, dass in der Fachliteratur zur Erforschung der spezifisch literarischen Verfahren der Konstruktion nationaler Identität bislang mehrere methodische Modelle mit je unterschiedlichen Erkenntnischancen zur Anwendung kamen. Ein einheitliches Instrumentarium oder Vokabular, welches Bezüge zwischen den Modellen ermöglicht, wurde hingegen noch nicht entwickelt. Der Vorteil einer Erforschung imaginativer Darstellungen von nationaler Identität “im Rahmen einer differenzierten Extrapolation verschiedener Dimensionen oder Identifikationsfelder, in denen sich die nationale Selbstauslegung vollzieht” (74), liegt vor allem darin, die ursprünglich integrative Funktion von Mythen zu berücksichtigen, welche in den Texten postmaoistischer Autoren nicht unbedingt affirmativ bedient, sondern durchaus auch kritisch zur Disposition gestellt wird. Anders als stereotypische Distinktionen manifestieren sich Mythen nach wie vor bevorzugt in bestimmten, für die Identitätsbildung zentralen Bereichen wie “Geschichte, Natur, Personen und Kunst” (78). Daher erscheint es sinnvoll, diese Bereiche unter Berücksichtigung ihrer flexiblen Grenzen und wechselseitigen Überlappungen in ihrer Eigenschaft als mehrdimensionale Artikulations- und Symbolräume zu “identifizieren”, um die in ihnen literarisch inszenierten Dynamiken der Selbstbeschreibung analytisch herauszuarbeiten. Es zeigte sich im Verlauf der 24

Textanalysen, dass die Felder von Kanon, Raum, Geschichte und Subjekt im Untersuchungszeitraum bevorzugt zum Gegenstand mythengestützter literarischer Explorationen gemacht wurden. Die erste Sektion vorliegender Arbeit markiert demnach dasjenige Identifikationsfeld der Nation, welches sich im Verlauf der Analysen am deutlichsten im direkten Umfeld der modernen Mythologie-Rezeption herauskristallisierte. Bevor kulturhistorische Implikationen der in dieser Sektion thematisierten Suche nach einem Kanon für die moderne Nation evaluiert werden konnten, mussten westliche und chinesische Definitionen und Konzeptionen der Begriffe von Mythos und shenhua gesichtet und ausgewertet werden. Die Geschichte der Mythologie in China als wissenschaftliche Disziplin und literarische Praxis lieferte die Instrumente für eine anschliessende Diskussion der Verwendung von Mythen im Prozess einer nationalen Re-/Codierung der Literatur sowie einer damit verbundenen Politisierung der Ästhetik. 7 Im Gegensatz zur sehr früh institutionalisierten literarischen Folkloreforschung hatte die chinesische Mythologie über einen langen Zeitraum hinweg ein Schattendasein als Liebhaberei weniger Gelehrter und Schriftsteller geführt. 8 Dies wurde vor allem mit der schlechten Überlieferungssituation erklärt, in der modernen Rekonstruktionsprojekten nur wenige Fragmente in grossenteils apokryphen Texten zur Verfügung standen. Gründe für das sehr frühe Versiegen primärmythischer Erzähltraditionen in der chinesischen Geschichte fand Lu Xun beispielsweise in den schlechten Umweltbedingungen der frühgeschichtlichen Siedler, die dadurch weniger zu metaphysischen Spekulationen als zu pragmatischem Denken angeregt worden seien, vor allem aber in der Diesseitsorientierung des Konfuzianismus. Letzterer hatte schon sehr früh volksreligiöse Götter-

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Wie u.a. van Crevel betont, ist der enge Schulterschluss zwischen Literatur und Politik in China keine Erfindung Mao Zedongs, sondern eine kulturelle Konstante, auf die Mao in Reaktion auf die erste, enthusiastische Rezeption der westlich-romantischen Subjekt-Ästhetik durch bestimmte Kreise von Kulturschaffenden der Republikzeit lediglich zurückgriff. S. van Crevel 2008: 1–5; zu den Literaturgesellschaften der Republikzeit s. zuletzt Denton und Hockx 2008. Über erste wissenschaftliche Projekte zur Sammlung von oralen Überlieferungen sowie über die Gründung wichtiger Journale auf Initiative von Lehrern der Peking Universität seit 1918 informiert ausführlich Hung 1985; die erste Monographie über chinesische Mythen, verfasst von Xuan Zhu, erschien 1925 (Chen und Gu 1977: 1).

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und Geisterverehrung in einem funktionalen Ritualismus einzudämmen gesucht und dies bei den Bildungseliten auf der Basis seiner Jahrtausende alten Vorherrschaft auch durchgesetzt. Lu machte weiterhin geltend, dass das Vergessen der Primärmythen einer fehlenden religiösen Unterscheidungspraxis zwischen Göttern und Geistern anzulasten sei. Seiner Ansicht nach hatte das unvollständig ausgebildete religiöse Bewusstsein in der chinesischen Kultur Geistergeschichten ungehindert an die Stelle von Göttererzählungen treten lassen, wobei diese durch zunehmende Banalisierung schliesslich ganz obsolet wurden. 9 Andererseits führt der Autor der ersten wissenschaftlichen Monographie über die chinesische Mythologie, Xuan Zhu, das Aussterben primärer Mythen auf die übermächtige Rolle historiographischer Überlieferungen in der chinesischen Schriftkultur zurück. Auf diese Weise seien auch die Mythen früh historisiert, und daraufhin in ihrer ursprünglichen Form vergessen worden. Ihre Diagnose der Abwesenheit einer eigenen, mit den grossen westlichen Repertoires vergleichbaren Mythentradition legte chinesischen Forschern vor 1949 nahe, eine Methodik der nachträglichen Anpassung vorgefundener Materialien an vom Westen übernommene systematischgenerische Kategorien zu verfolgen. Eigene Mytheme wurden fortan in Übereinstimmung mit den Kategorien der rezipierten westlichen ethnographischen Arbeiten des späten 19. Jahrhunderts abgeglichen und unter weitestgehendem Ausschluss alles im Vergleich dazu Atypischen, Abweichenden systematisiert. Dies hat sich in zweierlei Hinsicht nachteilig ausgewirkt. Während die chinesische Mythologie seit ihrer erst nach 1949 erfolgten Etablierung als sozialwissenschaftliche Disziplin sich a priori auf westliche Vorbilder nationaler Identifikation mittels einer Archäologie eigener fundierender Mythentraditionen rezeptiv einstellte, rückte die produktive Seite zeitgenössischer mythologischer Narrative noch kaum als Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses in den Blick chinesischer Mythenforscher. Ihre vorwiegend Mythen archivierende Arbeit widmete sich deshalb bis in die späten 1980er Jahre hinein der Rekonstruktion eines archaischen Mythenbestands und ist immer noch wesentlich geleitet von der Suche nach Authentizität. Sie schliesst

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Lu 1981: 19 f. Xu Hualong (Xu 1991: 4–9) argumentiert allerdings, dass die Geisterverehrung der Götterverehrung vorausgegangen sei. Vgl. a. Wang 1991.

die in den mythomotorischen 10 (fiktionalen) Aktualisierungen eingeschriebenen Denkfiguren post-/moderner beziehungsweise trans/nationaler chinesischer Identität als Untersuchungsgegenstand aus, indem sie in jenen allzu häufig nichts anderes als Fälschungen ursprünglicher Inhalte erkennen kann. Im literarhistorischen Kontext ergibt sich ferner das Problem, dass der chinesische Mythos-Begriff (shenhua) überwiegend streng generisch verstanden wird, und zwar als einer neben mehreren traditionellen generischen Orten für Erzählungen über Anomien und übernatürliche Erscheinungen, welcher aber doch aufgrund seines – allerdings theoretisch nicht aufgearbeiteten – Gleitens zwischen Philosophie, Sozialwissenschaft, Geschichte und Literatur sowie zwischen archaischer Tradition und Moderne gegenüber anderen Erzähltraditionen bis hin zu deren nahezu vollständigem Vergessen privilegiert wurde (Yuan 1996 und 1982, Cao 1999). Diese zweifache Verengung des Konzepts erleichterte einerseits chinesischen Forschern den wissenschaftlichen Umgang mit einem der umstrittensten Begriffe der (westlichen) Literatur- und Geistesgeschichte seit Platon (Brisson 1996). Da aber andererseits chinesische Schriftsteller, Intellektuelle und Parteiideologen in wechselnden Frontstellungen die ganze Palette primärer, sekundärer, und globaler “Baukasten”-Mythen (Hexham und Poewe 1997) rhetorisch einsetzen, förderte diese konzeptionelle Erleichterung nicht unbedingt einen kritischen, reflektierten Umgang mit den eigenen kulturellen Dynamiken. Hier setzen zeitgenössische Intellektuelle an, indem sie die literarische Kanonsuche der modernen Nation mit entsprechenden (sekundären, ironisch-reflexiven) Remythisierungen ihrer Narrative regional, transnational und weltliterarisch kontextualisieren. Die zweite Sektion thematisiert mythologische Re-/Semantisierungen von Regionen, Landschaften, aber auch Körpern als Signifikanten des nationalen Raums. Wie David Der-wei Wang (Wang 1997 und 1993) zeigen konnte, wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterschiedliche kulturräumliche Vorstellungen einer chinesischen Moderne experimentell erprobt, die im weiteren Verlauf der Geschichte auf das Dogma eines 10

“Wesensformeln oder Erinnerungsfiguren haben Appell-Character, sie üben eine normative und formative Kraft aus. Erinnerungsfiguren, die in dieser Weise selbstbildformend und handlungsleitend wirken, fasse ich unter dem Begriff der ‘Mythomotorik’ zusammen, um den dynamischen und energetischen Charakter dieser Identitäts-Symbolik zum Ausdruck zu bringen.” Asmann 1999: 168.

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radikalen Traditionsbruchs – zunächst mit dem Ziel einer nachholenden Übernahme der westlichen Kulturwerte, dann im Paradigma der marxistischen Revolutionsidee – verengt wurden. Am Übergang zum 21. Jahrhundert erleben vor oder an den Rändern dieser radikalen Wende operierende innovative Strömungen, die eher auf eine Integration traditioneller und moderner Vorstellungen setzten, eine Renaissance – so beispielsweise der literarische Regionalismus. Die hier gesichteten Texte experimentieren somit nicht nur mit generischen Konventionen, sondern auch mit symbolischen Repertoires, die zeitweise vor der Übermacht des Revolutionsmythos zurückgestellt worden waren. Wo nationale Identität in diesen postrevolutionären Texten als Reflexionsgegenstand eine Rolle spielt, wird sie nicht mehr über politisch-visionäre Grosserzählungen, sondern in Erinnerungsfiguren von relativ begrenzter Reichweite vermittelt. Die Freilegung eines mythologischen Sediments des modernen nationalen Raums geht deshalb einher mit Untersuchungen zum Inventar der politischen Einbildungskraft seit dem Tod Mao Zedongs. Sakrale Räume religiöser oder historischer Prägung wurden im Prozess des Übergangs von Kaiserreich zu Nation entweder bruchlos in die neue politische Form eingebunden, oder mit neuer Bedeutung überschrieben. Es zeigt sich, dass Mythen, die an einen spezifischen Ort gebunden sind, über den Umweg der Vergänglichkeits- und Ruinentopik auch gut zur camouflierten Regimekritik geeignet sind. So fühlten sich verschiedene Autoren nach dem Ende der Kulturrevolution an Zhang Dais Memento des im 17. Jahrhundert von den Mandschu-Truppen verwüsteten Westsees erinnert. Die Ereignisse von Tiananmen 1989 haben diesen Topos noch entschiedener in den Blickpunkt gerückt. Einen weiteren Fokus des in der zweiten Sektion unternommenen Versuchs zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen Nation, Raum und Gedächtnis bilden Texte von Su Tong, Lu Wenfu, Mo Yan, Zhang Wei und Leung Ping-kwan, die auf solche Symbolisierungen abzielen, welche sich auf die Esskulturen chinesischer Gemeinschaften beziehen. Vom periodisch durch Naturkatastrophen, Kriege und Fehlplanungen wiederkehrenden Hunger bis zum sinnstiftenden (oder aber grotesken) Stolz auf die Vielfalt und Raffinesse der nationalen Kochkunst geben diese Texte ein Bild der mit bestimmten Nahrungsmitteln und dem Akt der Nahrungsaufnahme verbundenen, kollektiven Vorstellungen und Phantasien. Das Menü reicht dabei vom patriotischen Hirseschnaps in Mo Yans verfilmtem Roman Hong gaoliang jiazu (Das rote Kornfeld), 28

der Banditen in patriotische Soldaten zu verwandeln vermag, über eine Landflucht, Gewalt und Niedertracht auslösende Reisknappheit in Su Tongs Roman Mi (Reis), bis zum imaginären Schlemmen einer hungernden Familie durch minutiöses Rezitieren des Kochvorgangs in Yu Huas Roman Xu Sanguan mai xue ji (dt. Der Mann, der sein Blut verkaufte). Sie findet schliesslich im makabren Gourmet-Kannibalismus von Mo Yans Roman Jiuguo (dt. Die Schnapsstadt) einen grotesken Umschlagpunkt. Im Unterschied zu diesbezüglichen Narrativen der Republikzeit gesellt sich zum Wettstreit der regionalen und nationalen Küchen gegenwärtig noch ein mit den Auswirkungen der Globalisierung befasstes, transnationales Imaginaire am anderen Ende der viel beklagten, weltweiten MacDonaldisierung (Appadurai 1996, Probyn 2000). Dass die Globalisierung des Appetits nämlich nicht grundsätzlich negativ besetzt sein muss, zeigen Leung Ping-kwans kulinarisch-philosophische Intermezzi. Egal, ob er eine reisende Balsambirne in Berlin oder die Hochzeit zwischen Kaffee und Tee in einem Hongkonger Café lyrisch reflektiert, der Dichter trotzt der grimmigen Aktualität des Diktums “man ist, was man isst” selbst noch im Zeitalter von BSE und SARS. Er gewinnt mit seinen lyrischen Miniaturen und einem erst kürzlich erschienenen Roman (Leung 2009) der kulinarischen Entdeckungsreise angesichts einer wachsenden Zahl von globalen “Rauschrepubliken” und Hungerzonen eine zwar nachdenkliche, dafür aber um so liebenswürdigere Seite ab. Nachdem in den ersten beiden Sektionen die von Autoren in fiktionalen Augenschein genommenen Versuche gesichtet wurden, eine chinesische kulturelle Moderne über den Weg der Schaffung eines neuen Kanons und der Zusammenführung symbolträchtiger Erinnerungsorte in einem nationalen Raum zu schaffen, geht es in der dritten Sektion um den zeitlichen Index der Moderne. Geprüft werden fiktionale Stellungnahmen zur Konstruktion nationaler Geschichte, wobei der Fokus auf neuhistorische Interventionen gelegt wurde, die sich kritisch auf die Grundannahmen modernistischer Wirklichkeitsmodelle beziehen. In einem Überblick über wichtige Stationen der Diskursformation werden zunächst die Suche nach alternativen Entwürfen von Modernität und die Rolle politischer Mythen im Geschichtsdiskurs näher beleuchtet. Auf der Basis von Interviews wird anschliessend nach der Relevanz der beobachteten mythologischen Einsätze im Feld einer umfassenden Revision des natio29

nalen Geschichtsbilds gefragt. Es geht dabei vorwiegend um die Diskrepanz eines intensiven Mytheneinsatzes in literarischen Texten bei gleichzeitiger Zurückhaltung gegenüber dessen theoretischer Erschliessung von Seiten chinesischer Autoren und Literaturwissenschaftler. Mo Yan, Su Tong und Yu Hua, drei Autoren von Werken mit globaler Reichweite, wurden zu den Möglichkeiten, Risiken und Grenzen von Einsätzen mythologischer Elemente in der Literatur der Gegenwart befragt. Darüber hinaus konnte der Kulturwissenschaftler Chen Xiaoming für die Beantwortung von Fragen zur Rolle neuerer westlicher Kulturtheorien und den Funktionen mythologischer Repräsentation in der Gegenwartsliteratur gewonnen werden. Chen beobachtet neben dem Versiegen des revolutionären Enthusiasmus einen weiteren Faktor, der aus seiner Sicht überdeutlich für die jüngsten gesellschaftlichen Umbrüche verantwortlich zeichnet. Die Bedeutung der neuen Herrschaft der Ökonomie und des Geldes, die in Chinas eigenen kulturellen Traditionen nie zuvor heimisch gewesen seien, wurde seiner Meinung nach während der 1990er Jahre in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen immer noch unterschätzt. Sie führte einerseits zu einem kollektiven Werteverlust, andererseits aber zu fragmentierten, kleingruppenspezifischen Lebensentwürfen, die sich kaum mehr mittels pädagogischer Strategien des nation-building homogenisieren liessen. Eine Zersplitterung des literarischen Feldes und die Kurzlebigkeit von stilistischen wie thematischen Orientierungen während dieser Zeit diagnostiziert er bei dieser Gelegenheit als Folge dieser Entwicklung. Chens Pessimismus indiziert einen vorläufigen Endpunkt des Vertrauens in die progressive Kraft eines gemeinsamen Volkswillens, der noch zu Mao Zedongs Zeiten im Rahmen einer Homogenisierung sinnstiftender Zeremonien, Symbole und Erzählungen imaginiert und koordiniert worden war. Kern dieser politisch-ästhetischen Engführung war die bereits lange vor der Gründung der Volksrepublik China initiierte mythologische Konturierung der eigenen Moderne mit Revolutions-Narrativen. Mit seinen Biographien revolutionärer Helden hatte sich Liang Qichao auch als einer der ersten chinesischen Intellektuellen zum neuen, linearen Geschichtsbild nach westlichem Vorbild bekannt. Ihr Studium europäischer Nationalgeschichten brachte für die Intellektuellen des Jahrhundertbeginns Inspiration aus den verschiedenen Chronotopen der Aufklärung, Romantik und des Historismus – im Sinne der Trope einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen (Hoffmann 2005: 177–181) und 30

im Rahmen einer epochal konzipierten Geschichtsschreibung, deren Disparatheit allerdings nur im Revolutionsmythos vorübergehend “zusammengerissen” werden konnte. Ausgehend von Typologien und Topoi von sowohl nationaler Distinktion als auch transnationaler Identifikation, wie beispielsweise der Bastille als Leitmotiv revolutionärer sowie der amerikanischen Freiheitsstatue als Symbol demokratischer Politik, wurden auch Wechselwirkungen zwischen Kulturtransfer und Mythenbildungsprozessen in einem breiteren Diskurshorizont in den Blick genommen. Andersons Zeitmodell einer leeren und homogenen nationalen Gegenwärtigkeit, die quer liegt zu einem möglichst lang ausgebrachten, vertikalen Geschichtsvektor (Anderson 1996), erklärt eine Präferenz für selektive, rückwärtsgewandte historische Sinnbildungen, welche sich im hier untersuchten Fall in der Kritik am Mythos der Revolution bei dessen gleichzeitiger heterotopischer Reklamation manifestiert. Die in den ausgewählten Texten zum Ausdruck gebrachte Kritik richtet sich gegen mehrere Aspekte der Revolution als nationalen Gründungsmythos. Besonderes Augenmerk legt sie auf die ausgrenzende Fremdheit eines doch eigentlich zum Zweck der Integration geschaffenen symbolischen Archivs. Diese Fremdheit hat zwei Wurzeln. Die eine betrifft den westlich-christlichen Ursprung der über Frankreich und Russland eingeführten Revolutionsmythen, die andere rührt aus der Einlagerung traditioneller chinesischer symbolischer Strukturen in diesen Mythos. Hinzu kommt eine differenziertere Sicht auf den Zusammenhang zwischen revolutionärem Enthusiasmus und exzessiver Gewalt während der Ära Mao Zedongs, die sich auf moralische Konditionierungen, traditionelle Verhaltensmuster, die in den revolutionären Kampagnen ausgetragenen Machtbefestigungsmanöver sowie Interessen lokaler Gruppen oder Individuen konzentriert. Vielfach treten Protagonisten in den Vordergrund, in deren Lebensgeschichten destruktive, undurchschaubare, unkontrollierbare Prozesse einbrechen, die den öffentlich propagierten Verhältnissen auf groteske oder mysteriöse Weise zuwiderlaufen. Diese Konstellation hat Autoren zu Experimenten nach dem Vorbild des via Übersetzungen südamerikanischer Werke während der 1980er Jahre nach China gelangten magischen Realismus inspiriert. Aber dennoch: fiktionale Anschlussnahmen an die neueste Geschichte während und nach der Kulturrevolution nehmen zwar Abschied vom revolutionären Enthusiasmus, nicht aber vom marxistischen Traum der Abschaffung sozialer Ungleichheit in einer kommenden, besseren Ge31

meinschaft. Während eine Reihe von Texten um die Frage kreist, wie der utopische Kern des Revolutionsmythos nach dessen Scheitern in der maoistischen Realisierung zu retten sei, gehen andere dessen historischen Wurzeln nach. Am Beispiel eines Boxerkriegs-Romans von Mo Yan, Tanxiang xing (Die Sandelholzstrafe, 2001), wird die fiktionale Spektralisierung einer wesentlich von der Landbevölkerung ausgehenden, jedoch erstmals nicht gegen das eigene Regime, sondern gegen die koloniale Präsenz westlicher Mächte gerichteten Rebellion an der Schwelle zur Moderne untersucht. Die dabei aufgeworfenen Fragen stellen eine Brücke zu gegenwärtigen Nationalismus-Debatten her, beziehen sich aber auch auf den um 1900 bestehenden Abstand zwischen intellektuellen Revolutionsdiskursen und im Volk sedimentierten Vorstellungen heroischer Selbstbehauptung, wie sie im regionalen Theater tradiert wurden. Das Narrativ einer gleichzeitig mit der Transformation eines LaienOpernsängers zum heroischen Rebellen in dessen realem Leben entstehenden Maoqiang-Oper rückt die Kollision zwischen der (hier: Shandonger) Landbevölkerung und fremden Akteuren der semikolonialen Modernisierung Chinas in ein Dispositiv lokaler polymythischer Mobilisierung ein, die den Widerstand ländlicher Gemeinschaften gegen deren andauernde Marginalisierung in der Moderne auch als Forderung nach Respekt vor ihren kulturellen Formen begreift. Der Roman Mo Yans über den Umschlag vom unsichtbaren Untertan und traditionellen Rebellentum zur Formation moderner, subalterner Subjektpositionen liefert wichtige Aspekte für das letzte im Rahmen der vorliegenden Publikation untersuchte Identifikationsfeld. In dieser vierten Sektion werden mythologische Inskriptionen moderner Subjekt-Konstitution zusammengetragen und evaluiert. Bereits die ersten modernistischen Autoren hatten sich mit der doppelten Frage beschäftigt, wie die chinesische Nation als kollektives Subjekt und ihre Bevölkerung als individuelle nationale Subjekte zu imaginieren seien. Zu klären waren insbesondere Status und Funktion moderner Intellektueller in der Gesellschaft sowie deren Interaktion mit den noch immer weitgehend besitz-, stimm- und rechtlosen ländlichen Bevölkerungsschichten. Die Frage nach Status und Verantwortung des Individuums in der modernen Gesellschaft stand somit spätestens seit dem Beginn des letzten Jahrhunderts im Zentrum zahlreicher literarischer wie diskursiver Entwürfe zur Rettung und Modernisierung der chinesischen Nation. Die Rolle der 32

Frauen in diesem Prozess war ein besonders intensiv diskutiertes Thema. Nach einer Übersicht über frühe Positionsnahmen zur modernen Subjektivität und ihrer Konstruktion in der Literatur ist deshalb die über mehrere Jahrzehnte hinweg erfolgte Re-Mythisierung der einzigen Kaiserin Chinas, Wu Zetian (625–705), Gegenstand einer Untersuchung. Anhand von vier neuhistorischen Romanen werden die ästhetisch reflektierten Möglichkeiten dieser Figur vorgestellt, moderne weibliche Subjektivität zu repräsentieren. Die Quelle dazu konstituiert sich einerseits aus der Frage moderner Autoren nach dem Potential mehrfach gegen den Strich gebürsteter Geschichtsschreibung und andererseits aus der konsumorientierten Glamour-Sentimentalität von TV-Serienproduktionen. Nachdem Mao Zedong das Image der von den konfuzianischen Eliten durchweg verfemten Dynastiegründerin Wu Zhao (d.i. Wu Zetian) marxistisch auf den Kopf gestellt hatte, kippte sie das Deng-Regime wiederum konfuzianisch zurück auf die Füsse, indem es Maos vierte Ehefrau Jiang Qing als machtbesssene Möchtegern-Wu anprangerte. Im post-romantischen Zeitalter des massenmedialen Appells zur flexiblen Selbst-Inszenierung erhielt Wu schliesslich nach ihrer kurzfristigen maoistischen Apotheose mit unrühmlichem Abgang ein neues Make-up als erfolgreiche Selfmade-Woman. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Situation auf dem Arbeitsmarkt, der jungen Frauen häufig keine andere Wahl lässt, als ihre Schönheit und Jugend auf wenig glamouröse Weise zu Geld zu machen, entbehrt diese konsumkapitalistisch remythisierte Rehabilitation nicht der Ironie. Die kulturanalytische Durchleuchtung einer Neuauflage von nationalen Muttermythen ist Gegenstand des dreizehnten Kapitels, in dessen Mittelpunkt das Jahrhundert-Epos Fengru feitun (engl. Big Breasts and Wide Hips) von Mo Yan steht. Das Narrativ reicht vom symbolträchtigen Geburtsjahr 1900 der Protagonistin bis zum Vollendungsdatum des Romans im Jahr 1995. Es wird zu zeigen versucht, dass der Roman eine geheime Geschichte der Nation in der Form eines lokalen, informellen Matriarchats imaginiert. Mutterkulte unterschiedlichster Provenienz – zum Beipiel mythologisch mit Nü Wa, volksreligiös mit Bixia Yuanjun, buddhistisch mit Guanyin und christlich mit Maria – werden dabei zu einem universellen Muttermythos verwoben, der auf die Möglichkeiten von zwischenmenschlicher Solidarität unter Verzicht auf homogene, nationale Identifikationsmuster ausgerichtet ist. Von der erst in jenem 20. Jahrhundert importierten ideologischen Variante eines autoritären 33

Geschichtsdarwinismus, der dem vorher auf der Basis von zyklischen Kosmologien herrschenden patriarchalischen Zentralismus Konkurrenz gemacht hatte, wird abgerückt zugunsten eines auf gegenseitigen Respekt, Nachgiebigkeit und kulturelle Vielfalt gegründeten, mutterrechtlich mitbestimmten Regionalismus. Interessant ist der Roman auch deshalb, weil er zu anderen Positionierungsversuchen nationaler Frauenbilder im Identifikationsfeld von Geschichte und Politik Stellung bezieht. Im vierzehnten und letzten Kapitel der Studie werden gegenwärtig zirkulierende Entwürfe chinesischer Subjektivität vor dem Hintergrund der nach Maos Tod in rascher Folge und zunehmender globaler Verflechtung aufgetretenen Orientierungs- und Wertekrisen betrachtet. Im Zuge der Pluralisierung, Fragmentierung und Individualisierung der chinesischen Gesellschaft/en und im Rückblick auf mittlerweile mehrere teils konsekutive, teils konkurrierende historische Modelle einer chinesischen Moderne nehmen Intellektuelle Abschied von ihrer traditionell privilegierten Elfenbeinturm-Perspektive und richten sich in der Marginalität des Blicks in die Hinterhöfe ein. Dies impliziert nicht mehr und nicht weniger als ein permanentes Neuschreiben der Geschichte, aber auch das Aushandeln differenter Subjektivitäten und die Frage nach den handwerklichen Grundlagen für das Erzählen aktueller, Identität stiftender Geschichten. Dem popkulturellen Karneval der Mediengötter setzen die Protagonisten ihrer Erzählungen den Realismus bedrohter oder deformierter lokaler Subjektivitäten und die im Mythos eingeschlossenen, kosmischen Dimensionen einer geologischen, tiefen Weltzeit entgegen.

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I. Sektion: Kanon

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Mythos und Moderne: westliche Denkfiguren Il n’y a science que de l’exception, du rare et du miracle. Il n’y a de savoir que des îles, du sporadique, et des ultrastructures. Michel Serres

Die Bedeutung mythischer Erzählungen für die Bildung und Erhaltung sozialer Gemeinschaften mag sich im Verlauf jahrtausendelanger kultureller Prozesse gewandelt haben. Allen Anstrengungen des wissenschaftlichen Rationalismus zum Trotz liessen sie sich ihrer Zuständigkeiten aber bis heute nicht vollständig entheben. Selbst zum Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen avanciert, hat sich die Mythologie seit dem 18. Jahrhundert einen festen Platz in den Selbstbeschreibungsdiskursen moderner Nationalstaaten erworben (Link und Wülfing 1991). Der auf Aktualisierungen von Form beziehungsweise Struktur und Inhalten rekurrierende Gebrauch von Gründungs- und Heroenmythen scheint diesen, ungeachtet der faschistischen Instrumentalisierungen solcher Mythen (Rosenberg, Sorel) und in Fundamentalismen unterschiedlichster Couleur, auch noch im Zeitalter einer globalen Posthistoire eine Rolle als basale Instanz kollektiver Identitätsstiftung zuzuschreiben (Anderson, Assmann, Barthes, Blumenberg, Derrida, Dumézil, Eliade, Lacan, LéviStrauss). Nationale Kollektivsymbole und Mythen im engeren Sinn ermöglichen die Distinktion von Mitgliedern einer Gemeinschaft gegenüber den jeweils anderen, in der Regel also Nationen oder religiöse beziehungsweise politische Gruppierungen innerhalb von Staaten (Assmann und Friese 1998, Berding 1996, Bhabha 1990, Giesen 1996 und 1999); sie können aber auch Integrationsprozessen über Gemeinschaftsgrenzen hinweg Überzeugungskraft verleihen (Agamben 2003 und 2004, Assmann 1999, Barthes 1957, Bernal 1987, Fanon 1981, Ong 1999). Schliesslich organisieren Mythen Erfahrungen durch Setzung apriorischer Kategorien (Kant, Lévi-Strauss, Mauss, Platon) und stiften Sinn, wo rationale Erklärungen versagen (Campbell, Eliade, Freud, Jung, Kerényi). Hier stellt sich das philosophisch-ästhetische wie religionswissenschaftliche Fragestellungen einschliessende Problem der Wahrheit des Mythos, welches schon zu Aristoteles’ Zeiten im Zusammenhang von allegorischer Mythendeutung und Theorie der Tragödie verhandelt wur-

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de.1 Zwischen den Oppositionspaaren von res factae und res fictae einerseits, und von griechisch-römischer Mythologien versus christlicher Soteriologie andererseits, vermittelt seither das Konzept allegorischer Uneigentlichkeit. So rechtfertigt die in Wahrscheinlichkeit statt Wahrheit, und Allgemeingültigkeit statt Besonderheit gründende, aristotelische Allegorie das Ausschalten der Kontingenz historischer Ereignisse in modellhaften fiktionalen Szenarien, während ihr Korrespondenzcharakter, der heidnische Mythen als Vorstufen christlicher Wahrheit zu deuten erlaubt, als zusätzliches Hilfsmittel göttlicher Offenbarung eingesetzt werden konnte.2 Die vormals möglicherweise weniger beachtete, auf ein (nicht notwendig fundamentalistisch ausgerichtetes) Verstärken beziehungsweise Stabilisieren kultureller Identität ausgerichtete Orientierungsfunktion von Mythologien gewinnt im Kontext der Beschleunigung des Wandels von Lebensformen durch technologische Innovationen und die Globalisierung der “kollektiven Wachträume von Völkern” (LéviStrauss) offenbar sogar noch an Gewicht (Appadurai 1996, Deleuze und Guattari 1969, Kloock und Spahr 1997, McLuhan 1959, Postman 1999). Das Dilemma, einen gültigen Begriff des Mythos zu finden, wird in den zahllosen Binäroppositionen erkennbar, die von Theoretikern herangezogen wurden, um diesen zu definieren. Er wurde im Verlauf der europäischen Geistesgeschichte in Opposition zu Religion, Geschichte, Lo1

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“Wenn der in der Tragödie wirksame Mythos menschlichen Handlungen eine neue Form verleiht, dann nicht nur, um ihre Kohärenz und auf diesem Wege ihre Allgemeingültigkeit zu steigern, sondern auch und vor allem, um sie zu Vorbildern zu erheben. Die durch den Mythos bewerkstelligte Nachbildung gestaltet das Allgemein-Menschliche lediglich, um es als grösser, edler erscheinen zu lassen. Und da der mythischen [sic] Gehalt der Tragödie die besonders mächtigen, allgemein verbreiteten Gefühle Furcht und Mitleid einsetzt (Poetik 14, 1453b1–14), ist er ein höchst wirksames Instrument zur Konsensbildung.” Brisson 1996: 42. “Welche Form die allegorische Interpretation auch immer annahm: Zwischen Mythen einerseits, Geschichtsschreibung und Philosophie andererseits stellte sie eine Art gemeinsamen Nenner her, der es überhaupt erst möglich machte, dass die Mythen die griechisch-römische Antike, das Mittelalter in Ost und West und die Renaissance überdauerten. Die allegorische Interpretation sicherte nämlich eine konstante – wenn auch nicht, wie in der oralen Kultur, spontane – Anpassung des Mythos an die Erwartungen seiner Freunde unter den Gebildeten. Die Dichtung fuhr fort, die Mythen zu überliefern, und schuf sogar neue; von der Geschichtsschreibung und Philosophie aber gingen jene Interpretationen aus, die sie einem Publikum, dessen kulturelle und moralische Massstäbe sich ständig wandelten, akzeptierbar machten.” Brisson 1996: 222.

gos, Poesie, Ritus, Wissenschaft, Kunst, Bewusstsein, Technik, Vernunft und Ordnung gesetzt (Horstmann in Ritter und Gründer 1984). Eine Umkehrung dieser Negierungspraxis ergibt ein offenes Bedeutungsspektrum des Mythos als Erfahrung, Chaos, Utopie, Kunst, Ideologie, Wunsch beziehungsweise Trieb (Freud), semiologisches Sekundärsystem (Barthes), sedimentierte (Ur-)Geschichte (Herder, Gellner), Kult, Phantasie oder Kollektivstruktur (Dumézil, Lévi-Strauss). In Anbetracht der komplexen semantischen (Ritter und Gründer 1984), historischen (De Vries 1961), philosophischen (Brisson 1996, Jamme 1991) und interdisziplinären, beziehungsweise kulturwissenschaftlichen Debatten (Bohrer 1983, Assmann und Harth 1992) über Mythologie und Mythos in westlich-modernen Kontexten stellt sich die Frage nach dem chinesischen Umgang mit dem Mythos. Nach einer Übersicht über die wichtigsten westlichen Entwicklungen soll mit der vorliegenden Studie versucht werden, mythologische Figurationen, Schreibverfahren und Argumentarien chinesischer Autoren des 20. Jahrhunderts zu bestimmen und wo möglich auszuwerten. Gemäss Assmann können Mythen unabhängig von der Frage nach Fiktion oder Realität als fundierende Geschichten einer Gemeinschaft gelesen werden (Assmann 1992: 78), oder anders gesagt, als Komponenten kulturspezifischer Szenarien, welche die mentale Instrumentierung einer Gemeinschaft konstituieren.3 Im Unterschied zu einem historisch distanzierenden, nur noch kulturgeschichtlich-musealen Interesse am Mythos, welches Bemühungen der europäischen Kunstgeschichte durch mehrere Epochen sowie die frühe Ethnographie leitete und Mythen entweder als Produkte vorchristlicher Gesellschaften, als solche primitiver Ethnien, oder endlich als residuale Ausdrucksformen in modernen Gesellschaften betrachtete, versprechen die hier verfolgten, narratologischdiskursanalytischen Verfahren, 4 der fortdauernden Aktualität von My3

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Mein besonderer Dank richtet sich an Horst Turk (1935–2008) und an die Teilnehmer des Göttinger Oberseminars “Mythenauslegung in der Literatur” (WS 1996/ 97), das mir die entscheidenden thematischen Anregungen und theoretischen Impulse zur Auseinandersetzung mit dem modernchinesischen Umgang mit Mythen und Mythologien lieferte. Ich folge einerseits dem auf narratologischen Parametern gründenden (westlichen) Theorien-Eklektizismus der Cultural Studies und versuche andererseits, darüber die “meine” Narrative grundierenden chinesischen Perspektivierungen nicht aus den Augen zu verlieren. Vgl. hierzu Mieke Bal: “What I propose we are best off with in

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thologien insbesondere hinsichtlich der nach wie vor kontrovers eingeschätzten Eigenschaften und Funktionen des Mythos im Umfeld von dessen Geschichtlichkeit, Moral und Rationalität gerechter zu werden. Um dem evolutionistischen Verdikt über Mythen als Indikatoren primitiver Weltanschauung zu entrinnen, das sich bis zu Habermas (Habermas 1981, Jamme 1991: 143–50) fortsetzt, soll ihr Verhältnis zum Logos nach Frank nicht antithetisch, sondern eher supplementär verstanden werden. Er schlägt vor, den Logos als vom bürgerlichen, emanzipatorischen “Geist der Analyse” geleitet, und den Mythos als stabilisierende und tröstende, “Einheit des Fühlens” und “Solidarität des Lebens” stiftende, synthetische Denkoperation zu verstehen: Mythen teilen ja mit Sprachen zunächst die Eigenschaft, soziale (und mithin synthetische) Gebilde zu sein; es ist ebenso widersinnig, sie als Privat-Veranstaltungen zu denken, wie die Idee einer Privatsprache widersinnig ist. Sie haben überdies – und das unterscheidet sie von reinen Grammatiken – heuristische oder ModellFunktion: sie teilen mit Metaphern und wissenschaftlichen Modellen die Eigenschaft, Paradigmata oder Vorschläge zu einer allgemeinen und systematischen Weltdeutung an die Hand zu geben. Was sie von wissenschaftlichen Modellen unterscheidet, ist nicht ihre Un- oder Vorwissenschaftlichkeit (das wäre eine tautologische Behauptung), sondern die Tatsache, dass sie mit der Einsetzung von Axiomen zu tun haben, die im Bereich der analytischen Wissenschaften unbefragte und unhinterfragbare »Urevidenzen« bleiben müssen. [...] Sie artikulieren basale Wertüberzeugungen, die den Logos im steten Vollzug notwendiger Handlungen vor der Verzweiflung bodenloser Selbstrechtfertigung bewahren (Frank in Bohrer 1983: 19 f.).

So wenig europäische Frühromantiker die religiös-mythologische Synthese durch Übertragung ihrer Funktionen auf die Dichtung vor der Radikalität der freien Vernunfttätigkeit zu schützen vermochten, so ohnmächtig erweist sich die analytische Vernunft gegenüber ihrer unvermeidlichen Selbstvernichtung, da sie sich nicht mit eigenen Mitteln

the age of cultural studies is a conception of narratology that implicates text and reading, subject and object, production and analysis, in the act of understanding. In other words, I advocate a narrative theory that enables the differentiation of the place of narrative in any cultural expression without privileging any medium, mode, or use; that differentiates its relative importance and the effect of the narrative (segments) on the remainder of the object as well as on the reader, listener, viewer. A theory, that is, which defines and describes narrativity, not narrative; not a genre or object but a cultural mode of expression.” Bal 2004: 222.

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fundieren kann, sondern auf Legitimation durch synthetische Denkoperationen angewiesen bleibt. Wer den Ausweg aus diesem Dilemma einer “defizitären Ausprägung von Rationalität” jenseits der ErsatzMythen politischer Ideologien sucht, “die desto unfehlbarer wirken, je angestrengter sie das Bewusstsein des Prozesses niederhalten, aus dem sie erwachsen sind”, wird auf ein dynamisches Verhältnis zwischen Synthese und Analyse hin arbeiten. Das erfordert nach Frank, der sich hierbei auf Leroux beruft, Rekurse auf uneingelöste Versprechen der Vergangenheit. Solche Operationen aktivieren die Geschichtserinnerung, um eine komplementäre “Korrektivinstanz gegen den Antagonismus, Egoismus und Mechanismus der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft” einzusetzen (Frank a.a.O.: 32–35). Historisch begründete Zweifel an der Moral des Mythos lassen sich durch diese utopische Konstruktion aber nicht ganz ausräumen. Insbesondere in Zeiten der Krise erzeugen fundierende Geschichten blinde Flecken, die sich bis jetzt weder in der idealistischen Erwartung der geschichtsbildenden Kraft eines utopischen Mythos, noch durch radikale Mythen-Kritik gemäss der Aufklärungstradition hinreichend erhellen liessen. Hüppauf hat darauf hingewiesen, dass “Verbindungslosigkeit zur politischen Realität und gestörte Kommunikation” Versuche zur Bewältigung von Krisen im Verlauf der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder vereitelt haben, um in ein moralisch bedenkliches, Tatsachen verschleierndes mythisches Denken zurück zu münden. Seinen Befund einer auf der Wiederkehr mythischen Denkens gründenden “politische[n] Blendung und kommunikative[n] Selbst-Domestikation” sieht er auf allen drei Ebenen von Erneuerungsbewegungen, namentlich “Aufkündigung des bestehenden Konsens, Auseinandersetzung über Alternativen, Initiation künftiger Entwicklungen”, am Werk.5 Er ist der Meinung, dass dieser “Zirkel aus krisenhafter Entwicklung und mythischer Verdeckung” vor allem deshalb nicht durch Kritik aufzubrechen ist, weil “die Suggestion weniger von den Mythen als von den Bedingungen ihrer Rezeption erzeugt wird”. Die einzige Möglichkeit, diese nicht gezielt manipulierbaren, noch weniger durch dezisionistische Setzungen beherrschbaren Rezeptionsbedingungen zu verändern, sieht er in einer Auflösung der bereits bestehenden Verflechtungen im Feld von 5

Hüppauf in Bohrer a.a.O.: 521. Vgl. a. die Arbeiten von Barthes 1996 und ders. 1977, Casier 1994 sowie Young 1991.

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Mythos und Geschichte beziehungsweise Politik. Dazu müssen eine alternative Mythenkonzeption, die er in der Bewegung vom Terror zum Spiel des Mythos (Fuhrmann 1971) verortet, und Kriterien für eine bewusste Selektion gefunden werden: Am Mythos liesse sich das seit so langer Zeit als selbstverständlich hingenommene Verhältnis von Denkmöglichkeiten und Realmöglichkeiten überprüfen. Unkomplizierte Relationen zwischen kommunikativen Bedürfnissen und überprüfbaren Wahrheiten sind uns verlorengegangen. Aber aus dem spielerischen, die Integrität der Gegenstände achtenden Umgang des Mythos mit der Welt lassen sich wohl doch Erfahrungen gewinnen, auf die die zivilisierte und technisierte Welt schon zu lange verzichtet hat. Die Priorität des kommunikativen und sozial integrierenden Aspekts von Handeln gegenüber dem herrschaftsbetonten und deformierenden lässt sich nicht in die Welt der Moderne übertragen. Aber das Fragen nach dem ganz anderen und eine das Gegebene auflösende Beweglichkeit sind es gerade, die die Phantasie im Zustand ihrer gesellschaftlich produzierten Armut, in den die Zwänge dieser Formen des Handelns sie versetzt haben, vom Umgang mit dem Mythos lernen könnte. Einem anderen Umgang und einem anderen Mythos als den bekannten (Hüppauf in Bohrer 1983: 524).

Auch diese Vorstellung, mythisches Denken könnte durch den Erfindungsreichtum eines sozialen Möglichkeitssinns dauerhaft aus seinen gegengeschichtlichen Verstrickungen gelöst werden, ist eingestandenermassen utopisch. Ihre Umsetzung wird jedoch bereits durch Hüppaufs Warnung vor einer Trägheit, wenn nicht gar bewussten Entscheidung moderner Gesellschaften, das gesellschaftliche Potential von Mythen brachliegen zu lassen und keine kulturelle Äquivalenz für die Mythen archaischer Gesellschaften bereitzustellen, 6 aber auch durch neue Dimensionen fundamentalistischen Agierens ungeahnt dringlich. Die aus dem Jahr 1964 datierende, mythenhermeneutische Deutung der politischen Hintergründe eines religiösen Fanatismus bei Selbstverbrennungen mit buddhistischem Hintergrund in Saigon durch den klassischen Philologen, Religionswissenschaftler und Mythenforscher Karl Kerényi

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“Mythen entstehen in prinzipiell alternativlosen Gesellschaften. Sie lassen sich nicht ohne Verlust aus ihnen lösen. Alles später entstandene mythische Denken ist, da es sich dem Ausgrenzen von Alternativen verdankt, auf artifizielle Konstruktionen gebaut. Die Frage bleibt bestehen: soll der Mythos denen überlassen bleiben, die darauf setzen, dass ein »mit Mythen umstellter Horizont« [Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Anm. d. Verf.] vor allem aus der Einführung des Kabelfernsehens entstehen wird? ” Hüppauf a.a.O:: 525.

spricht bereits vom technischen Charakter des Opfers der Märtyrer, von einem Aufgehen des Mythos in der Technik. 7 Seine Interpretation des modernen Mythos als entwickeltere Technik, die diesen aus Berechnung zum politischen Instrument, oder gar zur Waffe umfunktioniert, mündet ebenfalls in die Frage nach der Moral des Mythos: Wenn man vom höheren Ziel absieht und nur das gemeinsame Menschliche im Fall des Peregrinus und der buddhistischen Mönche vor Augen hat, entsteht unzurückweisbar der Eindruck: nicht ganz vergessene, für unsere Zeit aber doch schon totgeglaubte Traditionen können sich wieder beleben, weil sie sich von zeitlosen Abgründen nähren, über denen die Insel des Menschen – von Lukianos oder von Thomas Mann vertreten und verteidigt – immerfort gefährdet und angenagt schwebt. Dann wird aber auch die Frage unabweisbar, die uns durch die Wesensbestimmung des Mythos als “Bearbeitung des Seins” aufgegeben wird: ob das Schreckliche und Böse, die Absicht zur Vernichtung, die auch in echten Mythen und in ihrer Folge erscheinen kann, dem Sein oder dem Menschen zuzuschreiben ist? (Kerényi 1996: 251)

Darüber, ob der von Hüppauf avisierte ästhetische Möglichkeitssinn literarisch-experimenteller Mythenbildung die nötige Überzeugungskraft aufbringen kann, um den Menschen, wie es Kerényi formuliert hat, von seinen Dämonen zu heilen, soll an dieser Stelle nicht spekuliert werden. Das Projekt eines kritischen Sichtens und Verstehens neuerer chinesischer Experimente mit alternativen Repertoires an fundierenden, aber auch den Horizont kollektiver traumatischer Erfahrungen umstellender Geschichten folgt der Mytho-Logik einer ästhetischen Reaktion auf geschichtliche Katastrophen seit Einsetzen der vorrangig westlich determinierten Modernisierungsbewegungen, wie wir es beispielsweise von den gebrochenen Holocaust-Mythemen eines Paul Celan oder Anselm Kiefer (Huyssen 1995), von Alain Resnais Hiroshima-Film (Hiroshima Mon Amour, 1959), oder den Romanen Mo Yans kennen. Dem tautologischen Prinzip der zunehmend enggeführten Klassenkampf-Erzählung, wie sie beispielsweise in den revolutionären Modellopern der frühen 1970er Jahre mit äusserst limitierter Variationstoleranz durchbuchstabiert wur7

Über den prekären Informationsstand im Westen hinsichtlich der Vorgänge in Vietnam zu dieser Zeit sei hier nicht gesprochen, ebensowenig über die unhinterfragte universalistische Anwendung griechisch-christlicher Kategorien auf einen fremden kulturellen Kontext. Insbesondere Kerényis Vermutung, diese buddhistischen Selbstverbrennungen seien wesentlich vergangenheitscodiert, müsste aus heutiger Sicht wohl revidiert werden.

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de, stellten chinesische Autoren seit den 1980er Jahren eine Polyphonie der mythologischen Umschreibungen und Neuschöpfungen entgegen, die sich sowohl von diversen eigenen Traditionen, als auch aus Innovation und Kulturtransfer herleiten. Vielen Kulturschaffenden dieser Übergangsphase war die ästhetische Abkehr vom eng gefassten Realismuskonzept in allen Bereichen der Kulturproduktion ein zentrales Anliegen. Die spezifische Prägung mythologischer Weltdeutungsmuster durch daoistische, konfuzianische und buddhistische Paradigmen wird im Folgenden noch näher zu evaluieren sein; der Grund, warum auch die mythische Rede zusammen mit der Modernisierung Chinas an Konjunktur gewinnt, lässt sich jedoch bereits hier mit den Worten Michel Serres benennen, dass es keine Wissenschaft gebe, die nicht Ausnahme, Rarität, Wunder, und kein Wissen, das nicht inselhaft, sporadisch und auf Ultrastrukturen beruhend sei (Serres 1990; s.a. ders. 1997). Was Bolz im (ungenannten) Anschluss an Adorno und Horkheimer (1988) den “hartnäckigsten Mythos” nennt, den nämlich eines “mythenfreien Wissens”, war im vormodernen China das Wunschbild kleiner, aber diskursmächtiger elitärer Gruppen gewesen, welches von den populären Formen der Geschichtsschreibung (Berg 2007), des Theaters (Guo 2005, Kubin 2009) und der Religionen (Berling 1997, Cole 1998, Strickmann 1996 und 2002) ebenso hartnäckig in Frage gestellt wurde. Die mit diesem – Chinas Eintritt in die Moderne aufs Neue leitenden – Mythos einhergehende illusionistische Setzung einer Disjunktion von erzählender, mythischer und gelehrter Redeweise erscheint seit den späten 1980er Jahren erfolgreich ausgehebelt von einem ästhetisch der Postmoderne zuzurechnenden, globale Merkmale aufweisenden polyphonischen Diskurs mit seiner “wilden Topologie des Mythos”, wo Erfahrung kein Kontinuum bildet, sondern nur vorübergehend in heterologen Räumen kommunikativ verknüpft werden kann (Bolz in Bohrer 1983: 479 f.).

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Chinesische Zugänge zum Mythos

Die Mehrzahl der europäischen Sprachen kennt und verwendet den altgriechischen Begriff des Mythos, wobei “Gegebenheiten aus zwei unterschiedlichen Kulturen” einander gleichgesetzt werden. “Die Aussage ‘x ist ein Mythos’ heisst mit anderen Worten ‘x ist ein Mythos (ganz wie im antiken Griechenland)’. Dieser ‘Hellenozentrismus’ […] zeigt deutlich genug, dass eine Untersuchung des Ursprungs dieser Bezeichnung not tut”, erinnert Luc Brisson (Brisson 1996: 20). Chinesische Definitionen des übersetzten Begriffs shenhua haben diese Form der Homogenisierung verschiedenster kultureller Hemisphären über einen (scheinbar) identischen Begriff übernommen. Wer auf der Suche nach einer Definition des Begriffs shenhua im Zhongwen da cidian (Grosses Wörterbuch der chinesischen Sprache), einem modernen Standardwerk zur chinesischen Sprache, oder einem beliebigen anderen einschlägigen Lexikon chinesischer beziehungsweise japanischer Provenienz nachschlägt, findet Analoges zur folgenden knappen Paraphrase: (myth) Antike Überlieferung mit Göttergestalten in ihrem Zentrum. Auch Produkt des Denkens primitiver Völker, das auf der Naivität (youzhi) der menschlichen Erkenntnis (renzhi) in dieser Zeit basiert, die in ihren Vorstellungen Menschen und Götter noch nicht trennt, allen kosmischen Phänomenen eine Belebtheit unterstellt, die der menschlichen analog ist, und sich häufig dieses Mittels bedient, um alles zu erklären. [Aus diesen naiven Welterklärungen] konstituieren sich die gemeinsamen Glaubensinhalte eines Volkes. Obwohl [der Mythos] ebenfalls aus der Imagination hervorgeht, ist er etwas [wesentlich] anderes als individuelle, intentional konstruierte symbolische Erzählungen (ZWDCD, 25211.314).

Es handelt sich hierbei um die Erläuterung eines Neologismus, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts über japanische Übersetzungen westlicher historischer, ethnographischer, religions- und sozialwissenschaftlicher Werke nach China gelangte. Der Ethnologe Yang Kun erwähnt immerhin den europäisch-japanischen Rezeptionsweg des Mythos-Begriffs, verzichtet aber auf weiterreichende Nachforschungen zu dessen historischer Semantik: Den Begriff shenhua gab es bei uns früher nicht, es handelt sich um eine chinesische Übertragung des englischen Lexems “Myths” [sic]. Die Wissenschaft zur Er-

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forschung der Mythen heisst Mythologie (“Mythology”). Immer wenn unsere hiesige akademische Welt von Mythen und Mythologie spricht, hat sie es eigentlich mit Anleihen an die japanischen wissenschaftlichen Termini zu tun (Yang 1992: 228).

Soweit erkennbar, wurde diese einfache, duale Systematik einer sauberen zeitlichen Trennung zwischen Mythos und Geschichte bis heute von vielen chinesischen Mythologen beibehalten, vermutlich weil das anfänglich lebhafte Interesse von Intellektuellen der Spät-Qing- und Republikzeit – von etwa 1890 bis in die 1930er Jahre – an westlicher Philosophie, Literatur, Wissenschaft und Wissenschaftstheorie nach deren frühem Enthusiasmus für eine wesentlich am Westen orientierte, aufholende Modernisierung der Nation bereits in den 1930er Jahren deutlich nachliess und zugunsten nationalistischer Selbststärkungs-Diskurse in eine längere Periode der Abschottung von westlichen TheorieDiskursen mündete.8 So wurde der Anschluss an methodische Umorientierungen kaum noch gesucht, wohingegen die Archivierungspraxis viel Raum einnahm, indem beispielsweise die Archäologie kontinuierlich neue, spektakuläre Funde beisteuerte, deren Inhalt folgenreich für unsere Kenntnisse antiker mythischer Narrative war. Während also im inhaltlichen Sektor der Mythenforschung weiterhin grosse Erfolge erzielt wurden und die archäologische Forschung sich mit ihrer Vereinnahmung durch nationalistische Prestigeprojekte arrangierte (Kohl und Fawcett 1995, von Falkenhausen 1993, Sautman 2001), stagnierte das Interesse an der (literar)historischen Ausfaltung von Mythen und Mythologien bis in die Neuzeit und Moderne hinein. Als Folge chinesischer Rezeption westlicher Mythologien formierte sich ein Bewusstsein für den Verlust eigener Mythentraditionen, welcher historisch womöglich einem sehr früh erfolgten konfuzianischen Tabu über Götter- und Geistererzählungen geschuldet ist (Qian 1989: 56–69). Des Weiteren konzentrierte sich die systematische Sammlung und Rekonstruktion überlieferter Fragmente zunächst auf diejenigen Inhalte, welche am meisten Ähnlichkeit mit westlichen Mythemen vorzuweisen schienen. Die häufig in mythologischen Studien anzutreffenden Analogien, kommuniziert als Rede vom chinesischen Orpheus, Odin oder Prometheus war eine der eher misslichen Folgen (Birrell 1993: 13). Andere Nachteile dieser Vorgehensweise kommen erst allmählich zum Vor8

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Zum Einfluss der Katastrophe des ersten Weltkrieges auf diesen Prozess in China vgl. Teng und Fairbank 1954, Xu 1999, Tang 1996: 169 ff., 192ff.

schein, nachdem viel Forschungsarbeit in einem durch die Episteme der europäischen Mythologie im frühen 20. Jahrhundert zwar wiedereröffneten, aber gleichzeitig auch eingeschränkten Horizont geleistet wurde. Dem literarischen Fortwirken sogenannter elementarer Ideen, 9 welche sich in der Symbolik oder in Strukturen literarischer Narrative manifestieren, wurde zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das erklärt die selbstverständliche Ausgrenzung wichtiger Archetypen des Erzählens, wie dem in zhiguai- und chuanqi-Narrativen vertretenen Phantastischen, aus dem Forschungsrepertoire chinesischer Mythologen.10 Trotz der exponierten Funktion solcher Erzählungen über unheimliche beziehungsweise irrationale Phänomene in Situationen kulturellen Wandels blieben moderne Anleihen an Strukturen phantastischer Überlieferungen theoretisch unterbestimmt.11 9

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Campbell in Vickery 1966: 18. Im Vorwort der Essaysammlung findet sich auch ein immer noch hilfreicher Minimalkatalog von vier generellen Prinzipien des Verhältnisses zwischen Mythologie und Literatur: “First, the creating of myths, the mythopoeic faculty, is inherent in the thinking process and answers a basic human need. Second, myth forms the matrix out of which literature emerges both historically and psychologically. As a result, literary plots, characters, themes, and images are basically complications and displacements of similar elements in myths and folktales. How myth gets into literature is variously explained by the Jungian racial memory, historical diffusion, or the essential similarity of the human mind everywhere. Third, not only can myth stimulate the creative artist, but it also provides concepts and patterns which the critic may use to interpret specific works of literature. Knowing the grammar of myth […] gives a greater precision and form to our reading of the language of literature. In recognizing that mythic features reside beneath as well as on the surface of a work, myth criticism differs substantially from earlier treatments of the mythological in literature. Fourth and last, the ability of literature to move us profoundly is due to its mythic quality, to its possession of […].the numinous, or the mystery in the face of which we feel an awed delight or terror at the world of man. The real function of literature in human affairs is to continue myth’s ancient and basic endeavour to create a meaningful place for man in a world oblivious to his presence.” (Vickery 1966: ix; meine Kursivsetzungen). “Der Mythos ist die Mutter der Literatur. In China gab es neben dem “Schamanen” Qu Yuan, der in seinen Werken auf Mythen vielfach Bezug nimmt, kaum Verbindungen zwischen Mythen und Legenden und der Literatur.” Wu 2003: 41. Vgl. aber Hu 2004: vii, wo gleich in der Einleitung Gründe für eine gemeinsame Behandlung von shenhua und chuanshuo (Legende) genannt werden. S.a. Gu und Chen 1977. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet Cao 1999; vgl. jedoch auch das Vorwort in Xu 1991: 1–19, wo unter anderem auch die interessante Debatte über die Existenz von Geistern referiert wird, welche vom Gründungsmitglied und späteren ersten

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Auch Anne Birrell weist darauf hin, dass der chinesische Begriff shenhua in Korrespondenz zu bestimmten westlichen Konzepten des Mythos geschaffen wurde. Das Bedeutungsfeld von shen gibt sie mit “Gott”, “göttlich”, “numinos” an, hua verweise auf “Sprache”, “Wortfolge”, “mündliche Wiedergabe”, “Erzählung”. Folglich entspricht das zweite Morphem des chinesischen Terminus dem griechischen Stamm mythos, “Wort”, “Geschichte”. Die Entscheidung, den chinesischen Begriff in Übersetzung als “heilige Erzählung” (Birrell 1993: 2) wiederzugeben, beruht auf modernen systematischen Kriterien (Dundes 1984). Sie impliziert eine über Göttererzählungen hinausreichende Erweiterung des semantischen Feldes. Birrell führt aus: [I]t is clear from reading texts of mythologies from throughout the world that other elements, such as the supernatural, the folkloric, the strange and marvelous, natural phenomena, the inexplicable, and also basic concerns such as eating belong to the corpus of myth (Birrell 1993: 2–3).

Birrell bietet mit ihrer Studie eine umfassende, systematisch geordnete Textgrundlage mit topologisch klassifizierten und mythenkomparatistisch überprüften chinesischen Mythemen. Ihr unter anderem auf theoretischen Modellen von Campbell, Doty, Dumézil, Eliade, Lang, LévyStrauss und Malinowski (Birrell 1993: 2–9) aufbauender Beitrag zur chinesischen Mythologie setzt sich aber dennoch klare Grenzen. Strukturell mythologische, symbolisch grundierte und nicht immer auf den ersten Blick als Mythologien kenntlich gemachte historische und zeitgenössische Diskurse12 bleiben wie literarische Aktualisierungen von “echten” Mythen zugunsten der Sammlung beziehungsweise Rekonstruktion archaischer Mytheme unberücksichtigt. Eine Konsequenz daraus ist die Forderung, strikt zwischen Mythos, Legende und Folklore zu trennen.13

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Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Chen Duxiu (1879–1942), am 15. Mai 1918 mit einem Essay angestossen wurde, in welchem er acht Fragen an diejenigen richtete, welche an Geister glauben (Xu 1991: 11 f.). Diese den westlichen Wissenschaftsdiskurs dezentrierende Denkfigur entlehne ich Derridas “Mythologie Blanche”, welche die Metaphysik zu dekonstruieren unternahm und ihrerseits Robert J. C. Young zur Dekonstruktion des westlichen Geschichtsdiskurses inspirierte (Young 2004: 38 f.). “It is pertinent here to note the distinction among myth, legend, and folk tale. […] In order to draw distinctions among the three generic forms of myth, legend, and

Die ersten Generationen von Mythenforschern in China hatten dies als wissenschaftliches Grundprinzip verinnerlicht (Mao 1999). Für die später folgende Sichtung von Chinas modernen Mythologien soll ein anderer Weg gegangen werden; es wird eine narratologisch-diskursanalytische Vorgehensweise verfolgt, welche literarische Bearbeitungen primärer Mythen nicht als Fälschungen verwirft, sondern in ihrer Funktionalität und Geschichtlichkeit zu verstehen sucht. Bereits der Autor und wichtige Vertreter der Modernisten des Vierten Mai, Mao Dun (1896–1981), hatte in seinen pionierhaften Studien zur chinesischen Mythologie vermerkt, dass ein solches Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen denkbar und wichtig sei; ihm lag aber vor allem daran, zunächst die Überreste archaischer Mythen zu rekonstruieren (Mao 1999: 30–40, 108 f.). Birrells Definition des Neologismus shenhua als “sacred narrative” ermöglicht ferner, den philosophischen Diskurs zu vernachlässigen, welcher im Westen schon früh das Verhältnis zwischen mythos und logos problematisiert hatte. Logos, definiert als “Wort”, “geordneter Diskurs”, “Doktrin”, stand bereits im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in einem problematischen Verhältnis zum Mythos-Begriff, als griechische Theoretiker logos – Rechnung, Rechenschaft, verantwortete Rede – als Oppositions- und Kontrastbegriff zum mythos (lat. fabula) gesetzt hatten. Von dieser Zeit an wurde er als Kindermärchen, unwahre Erzählung, beziehungsweise als unverbürgtes wenngleich lustvolles Fabulieren eingestuft und so auch von den chinesischen Mythologen des Vierten Mai übernommen. Etwas weniger folgenreich für die moderne Geistesgeschichte Chinas war die christlich-europäische Grenzziehung zwischen Mythos und Religion. Mit den auf Platons Mythos-Konzept als “exoterische Einkleidung esoterischer philosophischer Wahrheit” basierenden humanistischen Versuchen, mythische Überlieferungen und Bibelgeschehen miteinander in Einklang zu bringen, hatte sich im europäischen 16. Jahrhundert der Begriff der mythologia als Konzept einer “Lehre von den Mythen” in wissenschaftlichen Terminologien etabliert (Burkert und Horstmann 1984: 283). Nach dem philosophischen Ansatz der Griechen, den – primären – Mythen aufgrund ihrer irrationalen Inhalte nur sehr untergeordnete kulturelle Relevanz im Rahmen der Pädagogik zuzuweifolk tale in the classical Chinese tradition, some classical myths are presented side by side with their legendary or folk tale versions.” Birrell a.a.O.: 5.

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sen, wurden die Mythen durch die philologisch-hermeneutischen Verfahren der humanistischen Theologie als im Überlieferungsgeschehen verfälschte, göttliche Offenbarungswahrheiten rehabilitiert und in die christlichen Symbolsysteme integriert. In der Idee der Geschichtslosigkeit der Naturvölker (Lévy-Bruhl, Husserl) fand das mythische Denken als Form, unabhängig von den durch die Ethnographie des frühen 20. Jahrhunderts erfassten differenten Inhalten, seine Legitimation als Vorstufe des europäischen, kantisch-universal vorgestellten, rationalen Kategoriensystems (Jamme 1991: 74–110). Diese Rechtfertigung primärer Mythen als prälogische Wahrheitsindikatoren diente auch chinesischen Mythensammlern und -exegeten als Begründung, später in der Geschichte auftauchende Versionen als derivativ, sekundär und verfälscht verwerfen zu können und neu auftauchende Mythen gar nicht erst in den Blick zu nehmen. Inzwischen erscheint eine derartige Privilegierung von “echten” gegenüber “unechten” (Karl Kerényi), beziehungsweise eine Unterscheidung zwischen “primären” und “sekundären” Mythen (Roland Barthes) Folklore-Forschern, Archäologen, Religionswissenschaftlern oder mit schriftlosen Ethnien befassten Anthropologen nicht mehr als einzig gültige Forschungssystematik. Das Interesse an den Letzteren, also jenes an den sogenannten sekundären Repertoires literarisch, religiös, politisch oder anderweitig aktualisierter Mythen sieht sich auch nicht mehr im Rechtfertigungsnotstand, weil ihnen – und dies wurde von Adorno und Horkheimer als Mythos der Aufklärung dechiffriert – im Zeitalter rationaler Weltbeherrschung zwar jede Existenzberechtigung abgesprochen wurde, die Vision rationaler Weltbeherrschung sich aber nun selbst als Mythos, in diesem Fall als “Weisse Mythologie” dekonstruieren lassen musste (Young 1991). Aus dem gegenwärtigen Sprachgebrauch lassen sich für unsere Zwecke zwei dominante und ein latentes semantisches Feld des Begriffes shenhua isolieren, die sich aufgrund der Übertragung westlicher mythologischer Forschungsansätze seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts auf die chinesische Mythologie mit modernen westlichen Konzepten weitgehend decken. Zunächst sind hier die im engeren Sinn generische Klassifikation archaischer Mythen zu nennen, dann die alltagssprachlichen Versionen von fiktionaler Wirklichkeitsbearbeitung mit residualen religiösen Überhöhungen, wie beispielsweise ein “Mythos” des Geldes, des gesundheitsfördernden reichlichen

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Fleischgenusses oder der Überlegenheit ausländischer akademischer Diplome.14 Schliesslich tritt eine verhüllte Form der mythologisierenden Repräsentation ideologischer Botschaften als Wiederkehr des mythischen Denkens im Politischen auf, und zwar vorzugsweise in symbolischer Verdichtung sowie in der Vermischung von archaischen und modernen Elementen.15 Birrells Entscheidung, ihre Mythologie gegenüber aktualisierten Mytheneinsätzen in Religion, Philosophie oder Folkloreforschung autonom zu setzen, folgt nun aber gerade nicht den oben genannten, je nachdem mehr ideologischen oder einer anachronistischen Systematik geschuldeten Reinheitspostulaten, sondern systematischer Notwendigkeit, indem sie sich angesichts der Fülle der zu sichtenden Materialien auf ein relativ engumgrenztes Feld archaischer Mythen und deren Varianten beschränkt.16 Anstelle eines diachronisch operierenden Überblicks über die Veränderungen eines Mythems oder einer herrschenden mythologischen Konfiguration in jeweils unterschiedlichen historisch-politischen 14 15

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Vgl. hierzu R. Barthes Ausführungen zum zeitgenössischen Konsum von Mythen in Frankreich (Barthes 1996, bes. 7 f., 11–15, 36–38, 47–49). “Ich sitze beim Friseur, und man reicht mir eine Nummer von Paris-Match. Auf dem Titelbild erweist ein junger Neger in französischer Uniform den militärischen Gruss, den Blick erhoben und auf eine Falte der Trikolore gerichtet. Das ist der Sinn des Bildes. Aber ob naiv oder nicht, ich erkenne sehr wohl, was es mir bedeuten soll: dass Frankreich ein grosses Imperium ist, dass alle seine Söhne, ohne Unterschied der Hautfarbe, treu unter seiner Fahne dienen und dass es kein besseres Argument gegen die Widersacher eines angeblichen Kolonialismus gibt als den Eifer dieses jungen Negers, seinen angeblichen Unterdrückern zu dienen. Ich habe also auch hier ein erweitertes semiologisches System vor mir: es enthält ein Bedeutendes, das selbst schon von einem vorhergehenden System geschaffen wird (ein farbiger Soldat erweist den französischen militärischen Gruss), es enthält ein Bedeutetes (das hier eine absichtliche Mischung von Franzosentum und Soldatentum ist), und es enthält schliesslich die Präsenz des Bedeuteten durch das Bedeutende hindurch.” Barthes 1996: 95. Erwähnenswert ist in diesem Kontext die u.a. auf Cassirers The Myth of the State gestützte Untersuchung antikchinesischer politischer Mythen von Leng 1996. “Man kann dagegen niemals genug darauf bestehen, dass es absolut notwendig ist, alle überlieferten Varianten aufzunehmen. Wenn Freuds Kommentare zum Ödipuskomplex einen – wie wir glauben – integrierenden Teil des Ödipusmythos bilden, hat die Frage, ob die Cushingsche Übertragung des Ursprungsmythos der Zuñi zuverlässig genug ist, um einbezogen zu werden, keinen Sinn mehr. Es gibt keine »wahre« Fassung, im Verhältnis zu der alle anderen Kopien oder deformierte Echos wären. Alle Fassungen gehören zum Mythos.” Lévi-Strauss, Bd. 1, 1997: 241.

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Kontexten konzentriert sich die Autorin auf die eher synchron ausgerichtete Decodierung von Mythen-Archiven, unter anderem auch mit Hilfe komparatistischer Verfahren, die sich trotz vielfältiger neuer archäologischer, linguistischer und kunsthistorischer Erkenntnisse bis heute noch nicht zweifelsfrei historisch kontextualisieren lassen (Birrell 1993: 10–13). Ihre Periodisierung umfasst drei Gruppen: erste Zeugnisse datieren von etwa 600 bis 221 v.u.Z., wobei die Hauptquellen in Texten der östlichen Zhou-Zeit (450–221) zu finden sind. Texte der zweiten Gruppe stammen aus der Han-Zeit und späteren Epochen (1. Jahrhundert v.u.Z. bis zum 5. Jahrhundert). Sie weisen einen deutlichen Bruch zur früher verschriftlichten Gruppe auf, indem nun literarisch bearbeitete Mytheme ein alternatives Mythenarchiv füllen. Schliesslich nennt sie den Zeitraum vom 5. bis zum 17. Jahrhundert, der eine massive Erweiterung des Quellenspektrums bietet. Ihr Material wurde anhand von universellen Kategorien thematisch klassifiziert, wobei die Polyfunktionalität mythologischer Motive deren Berücksichtigung in mehreren verschiedenen Rubriken bedingte (Birrell 1993: 18–21). Chinesische Studien neueren Datums folgen teilweise diesem Schema (Hu 2004, Wu 2003, Ye 1992), andere unterscheiden nach Genres. Die Monographie von Wang 1995 klassifiziert beispielsweise unter den Rubriken “shenhua” (Mythen), “Chu sao zhi fu” (Reimprosa in den Sao der Chu), “yuyan” (Fabeln), “zhiguai” (Anomie-Erzählungen), “chuanqi” (Legenden) und “Song ren xiaoshuo” (Romane der Song), subsumiert wird all dies unter dem Titel Shenhua liujin (Goldenes Zeitalter der Mythen). Fu 2005 arbeitet entlang der verschiedenen Funktionen mythologischer Narrative in Religion, Prognostik und Divination, Fengshui und Schamanismus, Brauchtum, Medizin, Philosophie, Geschichte und Literatur und bietet ausserdem eine systematische Übersicht über Verfahren der Materialsichtung, -deutung und -erhebung. Yuan 1988 geht historisch vor; seine grundlegende Studie ordnet das Material nach Epochen und widmet sich anschliessend der Erfassung vormoderner gelehrter Diskurse über Mythen und Mythologie. Schliesslich untersucht er noch Einflüsse der Mythologie auf die vormoderne Literatur. Westliche Sinologen entdeckten fast zeitgleich mit den chinesischen Intellektuellen das Forschungsfeld der Mythologie. Bereits in den 1920er Jahren publizierten Henri Maspero und Eduard Erkes Arbeiten zur chinesischen Mythologie; Hentze und Karlgren meldeten sich in den 1930er und 40er Jahren zu Wort, im Falle Karlgrens mit einer bis heute viel genutzten 52

Arbeit über Legenden und Kulte (1946); in den 1950er bis 70er Jahren erschienen bedeutende Beiträge von Derk Bodde, Richard Dorson, Wolfram Eberhard, Marcel Granet und Michael Loewe. Die 1980er und 90er Jahre schliesslich brachten neue Impulse mit Studien von Sarah Allen, William Boltz, Mark E. Lewis, Rémi Mathieu, und Wolfgang Münke (Birrell 1993: 5–10). Den Reigen moderner Studien zur Mythologie eröffneten die Reform-Intellektuellen der späten Qing-Zeit. Der von westlichen sozialpsychologischen Theorien beeinflusste, Liang Qichao nahe stehende Dichter und Fürsprecher der Nutzung populärer Literaturformen einschliesslich des Theaters zur Generierung nationaler Zugehörigkeitsgefühle, Jiang Guanyun (1866–1929), hat den Begriff des shenhua als einer der ersten in seiner 1903 veröffentlichten Arbeit “Shenhua, lishi yangcheng de renwu” (Die von Mythen und der Geschichte herausgebildeten Persönlichkeiten) im chinesischen Kontext verwendet.17 Ihm ging es weniger um die Verwendung eines möglichst exakt definierten Begriffs, als um das damit assoziierte funktionale Konzept – darum also, seiner Nation die besondere Bedeutung von Mythen und historischen Erzählungen nahezubringen, welche diesen von europäischen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts für die Bildung des Volkscharakters zugewiesen worden war. Der Mensch braucht Vorbilder für seine sozialen Rollen, argumentiert Jiang, und er findet sie zunächst in Heroen-Mythen, später in den Helden von Geschichtserzählungen, als deren wichtigstes Repräsentationsmedium er den klassischen historischen Roman nennt. Namhafte chinesische Intellektuelle der ausgehenden Qing- und frühen Republikzeit beteiligten sich am Diskurs zur kulturell vorangetriebenen Modernisierung der Nation in der Hoffnung darauf, den Niedergang ihres geschwächten Staats über den Weg eines kulturellen nation-building zumindest aufhalten, wenn nicht gar umwenden zu können. Bei diesem Projekt trafen sich das an westlicher Wissenschaft orientierte, gemässigt progressive und das Lager der konservativen Reformer, die beide auf ihre Art archaische Mythen als fundierende Erzählungen der Nation anerkennen und nutzen wollten. Liang Shuming (1893–1988) und andere konservative 17

Jiang Guanyun in Xinmin congbao (Journal neuer Bürger), “Tancong” (Forum), 36, 1903: 87–9; s.a. Liu Xicheng über Jiang Guanyun: , zuletzt einges. 14.3.2010, Qian 1989: 118 f. sowie Sun 1992. Jiang studierte 1902 in Japan, und war Autor einer einflussreichen Monographie “Erforschung der chinesischen Rasse”, Qian a.a.O.: 108.

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Intellektuelle warnten allerdings gleichzeitig davor, die Kultur des Westens auf Kosten der eigenen zu importieren, anstatt die über Generationen hinweg überlieferten kulturellen Koordinaten angemessen zu stärken und von innen heraus zu reformieren (Alitto 1986, Duara 2004: 106– 111, Furth 1976, Wang 2000). Lediglich die Befürworter eines durch Revolutionen herbeigeführten, radikalen Umsturzes der bestehenden Gesellschaftsordnung waren an der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Mythen, die sie als schädliche Residualkategorien des feudalen kulturellen Erbes betrachteten, zunächst überhaupt nicht interessiert. Als wichtige Stationen moderner chinesischer Mythenforschung nennt Birrell den Historikerkreis um Gu Jiegang und Yang Kuan, weiterhin die sowohl wissenschaftlich, als auch literarisch motivierte Mythenrezeption republikanischer Schriftsteller, insbesondere vertreten durch Mao Dun, Xuan Zhu, Zhou Zuoren und Wen Yiduo, dann die japanische Erforschung chinesischer Mythologie der 1940er Jahre sowie die beiden bekanntesten Mythenforscher der Gegenwart, Wang Xiaolian und Yuan Ke (Birrell 1993: 13–17).

2.1 Die Wiederentdeckung der Folklore

Mehrere Aspekte der westlichen Mythen-Rezeption aus dem Umfeld der darwinistischen Evolutionstheorie erachteten die chinesischen Gelehrten der Republikzeit für besonders relevant. Dem gegen die Fremdherrschaft einer (Mandschu-)Minderheit gerichteten, ethnischen (Han-)Nationalismus diente das vergleichende Studium von Schöpfungs- und GründungsMythen unterschiedlicher ethnischer Provenienz zur Erweckung und Verbreitung eines Zugehörigkeitsgefühls, das den Nationalcharakter als Legitimation der politischen Forderung nach Unabhängigkeit instrumentalisierte (Dikötter 1992). In einer Polemik gegen den Befürworter konservativer Reformen, Kang Youwei (1858–1927), spielte Zhang Binglin (1868–1936) im Jahr 1903 den Trumpf einer kulturellen Überlegenheit der Han-Rasse über die Mandschu aus, die bis hin zu den jeweiligen Ursprungsmythen reiche. Das aufsehenerregende Pamphlet brachte ihm drei Jahre Gefängnis ein (Qian 1989: 105). Aus heutiger Sicht erscheint 54

es offensichtlich, dass seine spezifische Rezeption des Totemismus auf einem Missverständnis beruhte, welchem auch andere Zeitgenossen aufsassen. Es war die Idee, ethnische Überlegenheit daran festzumachen, ob ein Volk tierische oder menschliche mythische Gründerväter habe.18 Natürlich wurden umgehend Zweifel an dieser Strategie geäussert, wobei die Kritiker nun ihrerseits am Leitfaden der Bachofenschen Matriarchatsthese argumentierten. 19 Weil die primitiven Gemeinschaften nur ihre Mütter, aber nicht die Väter anerkannt hätten, seien die tierischen männlichen Ahnen lediglich zufälliger Ausdruck der abergläubischen Vorstellungskraft dieser Völker. Der Historiker Gu Jiegang (1895–1980) entwickelte diesen Standpunkt weiter, indem er aufgrund seiner Forschung zum Yu-Mythos 20 zu dem Ergebnis kam, jener sei in der ursprünglichen Mythologie ein Wurm – beziehungsweise ein Reptil, für das es im Chinesischen aber keinen Spezialterminus gibt – gewesen, dem erst viel später menschliche Züge verliehen worden wären. Er nahm auch die ersten Ansätze der Qing-Gelehrten zur systematischen Zuordnung von Mythen und ethnischen Räumen wieder auf und unterschied – gleichwohl noch immer stark im seit der Schaffung des lange vorher utopisch antizipierten gesamtchinesischen Kaiserreiches durch Qin Shihuang (221 v.u.Z.) dominanten Denken ethnischer Homogenität befangen21 – zwischen zwei räumlich getrennten Han-Ursprungskulturen, 18 19 20

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Zhang Binglin, “Qiushu”, Zhongguo ximeng sixiang wenku 14, 1994. Liu Shipei, Zhang Taiyan, u.a.; Qian 1989: 115 f. Gu, Gushi bian shang, 355–365. Yu gelang es mit magischen Kräften, die Welt vor einer grossen Flut zu retten. Näheres in Yang, An und Turner 2005: 236–42. Eine funktionengeschichtliche Analyse des Yu-Mythos als fundierende beziehungsweise protowissenschaftlich-protohistorische Erzählung unterschiedlicher gesellschaftlicher Umbrüche legt Lü 2001 auf der Basis strukturalistischer Mythenforschung vor. Schmidt-Glintzer 1997, Eberhard 1968a: 4–7. Vgl. hierzu das Zitat Andersons aus The True-Born Englishman, der mit Defoe dasselbe Prinzip der Vergesslichkeit für den europäischen ethnischen Nationalismus walten sieht, so dass Defoe die Erinnerung an folgenden Sachverhalt reklamiert: “Thus from a Mixture of all kind began, / That Het’rogeneous Thing, An Englishman: / In eager Rapes, and furious Lust begot, / Betwixt a Painted Briton and a Scot: / Whose gend’ring Offspring quickly learnt to bow, / And yoke their Heifers to the Roman Plough: / From whence a Mongrel half-bred Race there came, / With neither Name nor Nation, Speech or Fame. / In whose hot Veins new Mixtures quickly ran, / Infus’d betwixt a Saxon and a Dane. / While their Rank Daughters, to their Parents just, / Receiv’d all Nations with Promiscuous Lust. / This Nauseous Brood directly did contain / The well-extracted Blood of Englishmen”. Anderson 1996: 7.

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die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen mythischen Paradiesorte, die Insel Penglai im Ostmeer und das Kunlun-Gebirge im Westen, leicht zuordnen liessen. Erste Kritik meldete sich, ebenfalls gefördert durch die Rezeption neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, an der seit Sima Qian (135?–93?) behaupteten Historizität der Fünf Urkaiser vor der – nicht schriftlich, aber mündlich und mit archäologischen Funden teilweise belegten – XiaDynastie (ca. 21.–16. Jahrhundert) und ihrer drei mythischen Vorgänger unterschiedlicher namentlicher Zuordnungen.22 Nach dem Vorstoss Xia Zengyous23 zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem in den Klassikern vermittelten, auf mythische Ursprünge gegründeten Geschichtsbild seit 1905 war es wiederum Gu Jiegang, der herausfand, dass der Älteste der Fünf Kaiser, Yao, am spätesten in den schriftlichen Überlieferungen auftaucht. 24 Er leitete daraus eine Tendenz der höfischen Geschichtsschreibung ab, die Vergangenheit des Reiches zu glorifizieren, indem man sie im Lauf der Zeit immer weiter hinauf datierte.25 Gu machte sich mit diesem Argument ein Prinzip der Entmythologisierung geschichtlicher Überlieferungen zunutze, welches sich der europäischen Aufklärung verdankt. So lässt sich die tiefgreifende und anhaltende Umwälzungstendenz der Orientierungen und Werte dieser Epoche auch in ihrem mythologischen Diskurs erkennen. Während die plötzlich als Forschungsgegenstand entdeckten kosmologischen Mythen Chinas zum ersten Mal den Sprung in eine systematische Mythologie geschafft hatten, wurde seine traditionsreiche und elaborierte historische Mythologie anhand der neuen westlichen Theorien und Forschungswege der QingGelehrten als pseudohistorischer Aberglaube verworfen. Wie der Autor einer ausführlichen Forschungsgeschichte der chinesischen Mythologie, Qian Mingzi, konstatiert, sind Anfänge und Werdegang des wissenschaftlichen Studiums chinesischer Mythen noch nicht systematisch erforscht worden; ihre Spuren verlieren sich inzwischen beinahe ebenso im Dunkel, wie diejenigen der archaischen Mytheme 22 23 24 25

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Z.B. Bao Xi, Nü Wa, Shen Nong, vgl. Qian 1989: 113. Xia Zengyou, “Zhongguo lishi jiaoke shu” (1905), vgl. “Zhongguo gudaishi”, Minguo congshu 73, Shanghai 1990. Gu, “San huang kao”, Gushibian, zhong, 20–282. Über frühere Ansätze zur Kritik der Xia-Gründungsmythen westlicher Sinologen vgl. Trauzettel 1968: 18 ff.; zu Person und Schriften Gu Jiegangs vgl. Schneider 1971.

selbst. “Die wissenschaftliche, systematische Erforschung der Mythen unserer Nation hat eine Geschichte von nur wenigen Jahrzehnten,” erklärt Qian, “aber Meinungen über die Mythen gibt es seit dem Altertum, verstreut in den Abhandlungen einiger Gelehrter und in den literarischen Texten einiger Dichter und Autoren.”26 Er ordnet diese klassischen Belege vier Kategorien zu, der Religion, dem euhemerisierenden konfuzianischen Staatsdenken, der Philosophie und der Literatur. Unter der Rubrik der Religion analysiert Qian die archaischen Glaubensvorstellungen, welche zur Entstehung des Shan hai jing (Buch der Berge und Gewässer) und ähnlicher Texte beigetragen haben mögen. 27 Diese mythologische Topographie wurde von vielen Generationen anonymer Kompilatoren über einen langen Zeitraum hinweg zusammengetragen. 28 Das Werk diente schriftkundigen religiösen Spezialisten, die die auf Genealogien und mündlich überliefertes Geheimwissen angewiesenen Schamanen primitiver Stammesgesellschaften ablösten, als enzyklopädisches Handbuch. Es vermittelt, auf der Basis eines animistischen Weltbildes und systematisch geordnet, Informationen über Geister, hybride Lebewesen sowie geographische, zoologische, biologische und pharmazeutische Wissensbestände aus unterschiedlichen Schulen der frühmittelalterlichen fangshi-Gelehrsamkeit. Auch wurde es als Leitfaden zur korrekten Durchführung von Ritualen und magischen Beschwörungspraktiken genutzt (Campany 1996, DeWoskin 1983, Dorofeeva-Lichtmann 2003, Fracasso 1993, Riemenschnitter 1998, 34–6, Strassberg 2002). Qians Hinweis darauf, dass das Shan hai jing eine ähnliche Funktion erfülle wie die Schöpfungsepen einiger ethnischer Minderheiten29 bezieht sich lediglich auf die Ausübung aller mit der Profession der Magier verbundenen Tätigkeiten. Wie Anderson bei der Auswertung vergleichbarer Texte aus anderen ethnischen Räumen und späteren Epochen festgestellt 26 27

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Qian 1989: 38 f. Andere allgemeine Darstellungen geben Ma 1993, Tan 1982, Wang 1995, Xie 1989, Yuan 1996 und ders. 1988. Einen Überblick über Inhalte, Formen und Überlieferungsgeschichte solcher frühmittelalterlicher anomaly accounts gibt Campany 1996; Qian Mingzi nennt in der Religionskategorie ausser SHJ nur einen einzigen, unter Vorbehalt dazugehörigen Text Lu shi von Luo Mi, einem Autor der Süd-Song. Dies sei eine (mythische) Geschichte “Chinas” von den Ursprüngen bis zum Ende der Ost-Han. Qian 1989: 55. Die frühesten Einträge stammen vermutlich aus dem 5.–3. Jh v. Chr., die spätesten werden bis in das 3. Jahrhundert n.u.Z. datiert, vgl. Campany 1996: 35, FN 28. Qian 1989: 55. Vgl. hierzu auch Chen 1988, Liu 1988, Wang 1987, Xiao 1991 und Yuan 1989.

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hat, erfüllen umfassende Kompendien des gesamten Wissens einer Gemeinschaft aber noch eine weitere wichtige Funktion als Waffe aufstrebender Eliten gegenüber der herrschenden Klasse. Beim kontrastiven Vergleich des nostalgischen Epos Alt-Javas, Centhini (1814) sowie einer nur wenig später entstandenen, provozierend anders orientierten lyrischen Phantasmagorie Javas, dem Suluk Gatholoco (1860er Jahre), mit der Diderotschen Encyclopédie (1751–1772) fand er Indizien für eine politische Agenda des Umbruchs und Wandels, die dem Projekt des in verschiedenen nationalen, beziehungsweise lokalen kulturellen Texten kristallisierten systematischen Sammelns des gesamten Wissens einer Gemeinschaft, einschliesslich ihrer Schöpfungs- und Gründungsmythen, unterliege. Das in neue Form gebrachte Wissen repräsentiert gemäss Anderson die Machtträume professioneller Eliten, die damit gleichzeitig den sozialen Wandel einläuten und frühere Versionen abzulösender Regimes überschreiben (Anderson 1998: 105–130). Die reichhaltige Instrumentierung der javanischen Träume mit mythologischen Inhalten im 19. Jahrhundert zeugt von der funktionalen Bedeutung von Mythen nicht nur zur Legitimation von bestehender Herrschaft, sondern auch für deren Ablösung. Wenngleich diese Dimension einer legitimatorischen Neuordnung der mythologischen Archive für das Shan hai jing nicht mehr rekonstruierbar ist, muss doch nicht ausgeschlossen werden, dass sich seine Kompilation einem vergleichbaren Ansatz verdankt. Dies könnte schliesslich bedeuten, dass das grosse Interesse der Spät-Qing-Gelehrten an den westlichen Forschungen zur Mythologie ebenfalls auf dem Impuls beruhte, archaische Gründungserzählungen – als elementare Archive des eigenen kulturellen Wissens – zu revitalisieren, das heisst an die veränderten politischen Verhältnisse anzupassen. Das Projekt einer wissenschaftlichen Widerlegung gewisser mythologischer Überhöhungen der historischen Überlieferung, wie es vornehmlich die Gelehrten in der Republikzeit unternahmen, gliedert sich dieser insgesamt wesentlich umfassenderen Agenda ein. Qians zweite Kategorie eines mit Vernunft-Argumenten arbeitenden Abbaus mythologisch fundierter, sittlich bedenklicher Ritualpraktiken wird im Allgemeinen auf Konfuzius (551–479 v.u.Z.) zurückgeführt.30 Seinem gewichtigen Beitrag zur Entmythologisierung der chinesischen 30

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Ein prominentes Beispiel sind Plädoyers für die Abschaffung von Menschen-, gelegentlich auch von Tieropfern; vgl. Qian a.a.O.: 57 f.

Kultur zum Trotz ist Konfuzius kein Atheist; er erkennt die Existenz der Götter wie die moralische Pflicht zur rituellen Ahnenverehrung an, tut dies allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. Nachdem man ihre Existenz nicht beweisen kann, soll man die Götter verehren, “so als ob es sie wirklich gäbe.”31 Wenn es um reine Glaubensdinge, beispielsweise die übernatürlichen Eigenschaften der Ahnengeister, geht, bestätigt Konfuzius allerdings die grundsätzliche Wahrheit der Mythen. Gefragt, ob der Gelbe Kaiser (Huang Di) des Altertums tatsächlich vier Gesichter gehabt habe, antwortet er, der Mythos berichte darüber, dass dieser Kaiser sein Reich in allen vier Himmelsrichtungen zugleich überblicken konnte, weil er für jede Richtung einen Beamten hatte, der ihn ständig über die Vorgänge in seinem Zuständigkeitsbereich informierte (Taiping yulan/79/shizi; Qian 1989: 60). Er spielt hier mit der Mehrdeutigkeit des Schriftzeichens mian (Gesicht, Seite, Richtung, usw.) und überführt auf diese Weise die mythische Erzählung vom magischen in den pädagogischen Raum – eine hermeneutische Taktik, die sich auch aufgrund der emblematischen Struktur mancher chinesischer Schriftzeichen anbietet. Ein bedauerlicher Nebeneffekt dieser Rationalisierung war die nahezu vollständige Verbannung der Folklore aus dem literarischen Bildungskanon. Die primären Mythen wurden aufgrund ihrer inzwischen irrational erscheinenden Opazität entweder gar nicht mehr tradiert, oder im Hinblick auf etwaige Vorbild-Funktionen umcodiert, beziehungsweise historisiert. Die frühkonfuzianische Variante der Euhemerisierung bestand also darin, die archaischen Götter zu vermenschlichen, indem sie in die Geschichte eingerückt wurden. Unter den Rubriken Philosophie und Literatur finden sich zunächst Qians Erläuterungen zum daoistischen Einsatz der Mythologie am Beispiel der philosophischen Prosa von Zhuang zi (369–286 v.u.Z.) und Lie zi (traditionell datiert um 400 v.u.Z.) sowie zu Qu Yuans (ca. 340–278 v.u.Z.) poetischen Mythen-Kommentaren in dessen Elegien, die in der Sammlung Chu ci zu finden sind. Beide Textsorten haben eben diejenige bewusste Bearbeitung ursprünglicher, mündlich überlieferter narrativer Sequenzen gemeinsam, welche im Grossen Wörterbuch als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen Mythos beziehungsweise shenhua und literarischem Text genannt wurde. Was sie trennt, ist weniger ein Gegensatz zwischen philosophischer Diskursivität und poetischer 31

“Ji shen ru shen zai”, Lun yu/Bayi/12.

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Expressivität, als vielmehr ihre reflexive Distanz zu den genutzten symbolischen Archiven, die sich beispielsweise in gegensätzlichen Vorstellungen von personaler Identität manifestiert. Indem wir es hier mit menschlichen Subjekten zu tun bekommen, die sich in ihrer Besonderheit wahrnehmen, geht es nicht mehr vorrangig darum, die unerklärlichen Einbrüche von (umweltbedingten) Katastrophen und Krisen in die Wirklichkeit durch metaphysisch begründete Kausalität – z.B. den Zorn der Götter – narrativ zu bannen, sondern um Vorstösse zu einer sekundären, allegorischen Signifikation der menschlichen Affekte und Sinne. Als Leitdifferenz zwischen Mythos und literarischer Inszenierung ereignet sich mit dem Buch Zhuangzi eine serielle Umbesetzung der zuständigen imaginären Lokalität, wobei der überwiegend zweckorientierten, instrumentellen Logik von mythologischen Topographien das Fundament entzogen wird. Wo die antike zhiguai-Fiktion ihren imaginären Raum göttlicher Transzendenz als Metaebene der vorhandenen menschlichen Lebenswelt mit identischen Landschaften und Institutionen, aber supplementär eingespielten, nichtidentischen Lebewesen herrschaftsfundierend simuliert, inszeniert Zhuang zi eine Gegenwelt zur Beschränktheit und Begrenztheit des Ich-Bewusstseins wie des “Gesellschaftlich-Geschichtlichen” als radikal offenen Möglichkeitsraum (Iser 1993: 292–411). Ein Beispiel sei hier zitiert: Meister Ostweiler befragte den [Zhuang zi] und sprach: “Was man den Weg nennt, wo ist er zu finden?” [Zhuang zi] sprach: “Er ist allgegenwärtig.” Meister Ostweiler sprach: “Du musst es näher bestimmen.” [Zhuang zi] sprach: “Er ist in dieser Ameise.” Jener sprach: “Und wo noch tiefer?” [Zhuang zi] sprach: “Er ist in diesem Unkraut.” Jener sprach: “Gib mir ein noch geringeres Beispiel!” Er sprach: “Er ist in diesem tönernen Ziegel.” Jener sprach: “Und wo noch niedriger?” Er sprach: “Er ist in diesem Kothaufen.” Meister Ostweiler schwieg stille. [...] Das, was den Dingen ihre Dinglichkeit gibt, ist nicht äusserlich von ihnen abgegrenzt; nur die Einzeldinge haben Grenzen. Was man die Grenzen der Dinge nennt, fängt da an, wo die Dinge aufhören, und hört da auf, wo die Dinge anfangen.”32

Seinen philosophischen Leitsätzen treu bleibend, hat der Philosoph kaum biographische Spuren hinterlassen. Wir wissen bis heute nicht genau,

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Zhuangzi/Zhibeiyou/6; gemäss der Übers. von Mair (1994: 217 f., vgl. meine Kursivsetzung) geringfügig korrigierte Fassung der Wilhelm-Übersetzung (1969: 230 f.).

welche Teile des nach ihm benannten Buchs tatsächlich von ihm selbst verfasst worden sind. Der Fürstenberater und Sao-Dichter Qu Yuan bezog sich demgegenüber auf die Mytho-Logie der Liturgien von Chu,33 um mit Hilfe eines Einrückungs-Verfahrens der vorgegebenen Narrative in einen (spezifischen, kontingenten) zeitgeschichtlichen Kontext die irrationale, arbiträre Staatsführung der weltlichen Herrscher seiner Zeit anzuprangern. Diese Rationalitätsprüfung konnte Defizite auf beiden Ebenen zutage fördern, denn die Möglichkeit willkürlicher weltlicher Herrschaft bedeutet unter der Voraussetzung göttlicher Allmacht auch eine Willkür der metaphysischen gegenüber der menschlichen Welt. Das von den Fürsten abgewiesene Spezialwissen des säkularen Beraters setzte Qu Yuan dabei womöglich in Opposition zum nur spekulativ gedeckten Machtanspruch der Schamanen. Seine provokativen “Tian wen” (Fragen an den Himmel) und die darin enthaltene Klage über die vergebliche Suche nach einer verständnisvolleren göttlichen Macht im Jenseits (Field 1992) wurden in der Konsequenz als Rebellion des Untertans durch poetische Konstruktion einer autonomen Identität verstanden. Die besondere Aufmerksamkeit chinesischer Intellektueller für die Qu Yuan zugeschriebene Strategie der Selbstbehauptung (durch einen poetisch dokumentierten Selbstmord) in Zeiten politischer Krisen hat aufgrund dieser Kontextualisierung zur Mythisierung seiner Person geführt. Er wurde bereits in der Antike von den im konfuzianischen Kanon geschulten Beamten als Held der kompromisslosen Aufrichtigkeit und Loyalität gegenüber dem Reich gefeiert, was sehr häufig zum Konflikt mit den von ihnen ermahnten Herrschern führte. Auch die exzentrischen Patrioten der späten Ming-Zeit und die Befürworter radikaler Verwestlichung während der republikanischen Jahre hielten ihren Regimes diesen ersten Dichter ihres Bildungskanons als kritischen Spiegel vor Augen. Gleichzeitig konnten sie auf eine universelle, die Gemeinschaft auch horizontal integrierende Bedeutung hinweisen, die sich in der Folklore des mit seiner Person verbundenen Fruchtbarkeitsfestes im Frühling manifestiert. Ihre bis dahin nur in der Praxis bewährte Einsicht in die besondere Eignung mythologischer Stoffe für Austauschprozesse zwischen Volksund Hochkultur, ihr permanentes, produktives Oszillieren zwischen Themen von allgemein-menschlichem Belang und philosophischer Ab33

Zu den Liedern von Chu vgl. a. Zhang 1994.

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straktion formulierten die chinesischen Intellektuellen im Anschluss an ihre Rezeption europäischer Kommentare zur griechischen und nordischen Mythologie, die ihnen in Form von literarischen Texten und wissenschaftlichen Abhandlungen vorlagen. Von dieser Generation modern und teilweise bereits im Ausland ausgebildeter Gelehrter wurde der Personenkult Qu Yuans in eine romantische Genieästhetik integriert. Qu erfüllte darin, gewissermassen als Gegenspieler Zhuang zis, die Funktion der Selbstbehauptung des (modernen) Subjekts in seiner Individualität und Kreativität. Aus mythologischer Sicht kann diese Zelebrierung schöpferischer Genialität auch als ein Weiterschreiben früher Kulturbringer-Mythen gedeutet werden.34 Seit 1918, dem Jahr der Gründung eines Büros zur Sammlung von Volksliedern (Geyao zhengji chu) durch den Pekinger Dichter, Übersetzer und Professor für moderne und volkstümliche Literatur an der Universität Peking, Liu Bannong (1891–1934), entwickelte sich die Mythen- und Folkloreforschung zu einem wichtigen Diskursfeld nationaler Identifikation, wobei man insbesondere auch Überlieferungen der ethnischen Minderheiten zu erfassen suchte (Hung 1985: 33–40, passim). Eine von Liu zusammen mit Shen Jianshi (1894–1947) und Zhou Zuoren (1885–1967) im Jahr 1920 ins Leben gerufene Gesellschaft für die Volkslied-Forschung (Geyao yanjiu hui) sah es als ihre wichtige Aufgabe an, die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Folklore-Forschung zu fördern. Sie brachte auch drei wichtige Prämissen der auf Stärkung der Nation bedachten republikanischen Intellektuellen in Umlauf. Man ging in diesem Kreis von den Ideen Rousseaus aus, namentlich, dass das Volk erstens einen gemeinsamen Willen und Vorstellungshorizont hat, dass dieses Volk, und unter diesem besonders die Bauern, zweitens das konstitutive Element einer Nation darstellt, und dass die Eliten drittens von jenen lernen und letztlich kulturell mit ihnen zusammenwachsen müssen (Hung 1985: 174).

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Zum Einrücken Qu Yuans in die pastorale Folklore durch Literaten der imperialen Ära und in eine westlich geprägte, moderne Genieästhetik durch Intellektuelle des Vierten Mai vgl. Lewis 1999: 185, Riemenschnitter 1998: 52–54, Schneider 1980, über die Bedeutung des Qu Yuan-Mythos nach Maos Tod s. Croisier 1990, zu Formen und Motivation der Umcodierung der historischen Figur und Ausgrenzung der lokalen Legenden um Qu Yuan in populärwissenschaftlichen Geschichtswerken der VR China in den 1980er und 1990er Jahren s. Spakowski 1999: 235–248.

Unter der Losung des xia xiang ([aus den Städten] hinaus in die Dörfer) avancierte ihr folkloristischer Populismus später unter Mao Zedong zum Paradigma einer neuen chinesischen Kultur, erfuhr allerdings in Theorie wie Praxis auch immer wieder Kritik. Lange bevor Mao eine Generation urbaner Jugendlicher dem staatlichen Bildungssektor entzog und der vielerorts hungernden Landbevölkerung zur Erziehung aufbürdete, zogen idealistische Lehrer, Studenten und Amateursammler in den Jahren von 1918 bis 1937 über Land, um die mündlichen Überlieferungen der verschiedenen Regionen und ethnischen Minderheiten vor dem Vergessen zu bewahren und eine kollektive Identität der Nation von der elementarliterarischen Basis her aufzubauen. Ihre Gegner zweifelten am pädagogischen Wert der aus ihrer Sicht nicht nur Authentizität, sondern auch Vulgarität und Aberglauben vermittelnden volkstümlichen Textsammlungen. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum in dieser Zeit trotz aller Bemühungen von engagierten Intellektuellen kein Werk wie das japanische Tono Monogatari35 zustande kam. Die Vorstellung, aus Beständen der lokalen Bauernkulturen eine chinesische Volksseele mit nationaler Geltung zu destillieren, dürfte den Intellektuellen Chinas schwerer gefallen sein als beispielsweise englischen und japanischen Folkloristen,36 die wesentlich weniger gravierende kulturelle Differenzen und zivilisatorische Rückständigkeit überbrücken mussten. Auch war den eher konfuzianisch orientierten Reformern die generelle Tendenz der Folklore zur Respektlosigkeit gegenüber staatlicher Autorität suspekt. Und frühe Marxisten wie Qu Qiubai (1899–1935) schätzten zwar die Respektlosigkeit der Bauern, hielten sie aber nicht für revolutionär, weshalb sie ihre Hoffnungen noch eher in ästhetische Ausdrucksformen der nichtelitären städtischen Bevölkerung setzten. Das womöglich grösste Hindernis für eine nachhaltige Aufwertung der Folklore im Verhältnis zur Elite-Kultur bedeutete der noch in vieler Hinsicht unsystematische Zugriff auf ein gerade erst (wieder)entdecktes Reservoir des nationbuilding. Während der Kompilator der Tono Monogatari, Yanagita Kunio (1875–1962), in Japan mit seiner Folkloreforschung ein bedeutendes, breit rezipiertes und stetig weiterentwickeltes Lebenswerk begründete,

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Vgl. hierzu (u.a.) Figal 1999: 105–52 und Ivy 1995: 66–97 sowie weiterführende bibliographische Hinweise in beiden genannten Quellen. J. Figal nennt Yeats, The Celtic Twilight (1893, 1902), als Quelle der Inspiration des Tono Monogatari. Figal 1999: 115.

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blieb das Forschungsfeld in China wenigen engagierten Amateuren überlassen. Hung Chang-tai sieht dafür mehrere Gründe. Die im späten 19. Jahrhundert über russisch-europäische Kulturtransfers nach China eingedrungene romantische Idee einer Suche nach der unverfälschten Volksseele hatte erstens in der jüngeren Geschichte nur ein politisch erfolgloses Modell im exzentrischen Antitraditionalismus der späten MingZeit vorzuweisen; die Folklore-Forscher konnten sich zweitens dem Sammeln und Ordnen der Materialien nur in ihrer Freizeit widmen; drittens waren die für das Verständnis der grösstenteils nicht mehr historisch kontextualisierbaren Inhalte erforderlichen methodischen Kenntnisse – kontrastiver Vergleich mit fremden Repertoires, Feldstudien, Theoriedebatten, philologisches Studium von Textvarianten etc. – in China nicht in ausreichendem Mass entwickelt (Hung 1985: 158–180).

2.2 Mythologie und Weltliteratur

Im Rahmen der Entwicklung einer am Mündlichen orientierten, modernen Schriftsprache 37 erwiesen sich Austauschphänomene zwischen folkloristischen Narrativen und literarischen Werken, wie Romanen, Erzählungen, Lyrik und gelegentlich auch Dramen als weitaus wirkungsvoller als die historische Folkloreforschung (Goldman 1977: 3). Das beste Vehikel für die Bildung eines selbstverantwortlichen, am globalen Wettbewerb der Nationen teilnehmenden Nationalbewusstseins im chinesischen Volk schien nicht nur dem Historiker und Universalgelehrten Liang Qichao (1873–1929) und Jiang Guanyun, sondern auch einem Grossteil der nachfolgenden Generation von Intellektuellen des Vierten Mai (Chen 1985, Chow 1960 und 1963, Schwarcz 1986) der Roman zu sein. Erst seit der Ming-Zeit (1368–1644) von der Bildungselite über37

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Die bis heute einflussreichsten Befürworter einer modernen, aus der Umgangssprache entwickelten Schriftsprache waren reformorientierte Intellektuelle der um das Datum des 4. Mai 1919 gruppierten Vierten-Mai-Bewegung (ca. 1915–1925). Michel Hockx (in Lomova 2008: 291–306) listet kritische Argumente, welche diese Periodisierung inzwischen für weiter gefasste, literar- oder kulturhistorische Zwecke problematisch erscheinen lassen.

haupt als literarisches Genre anerkannt, erfuhr der Roman während der späten Qing-Zeit nochmals eine enorme Aufwertung und Blüte. Das Aufkommen eines neues Mediums der Literaturverbreitung, der Zeitung, unterstützte diese Konjunktur; gleichzeitig schufen auch programmatische Essays zur Erneuerung der klassischen Literaturformen, die regelmässig und parallel zu den belletristischen Serien erschienen, ein verändertes ästhetisches Bewusstsein bei den Rezipienten (Janku 2003, Mittler 2003, Vittinghoff 2001 und 2002). Mythologien spielen in vielen Erzählgattungen dieser Zeit – weltliterarische Übersetzung, traditionelle Romanze, politischer Roman, Sozialsatire und Science Fiction – eine wichtige Rolle. 38 Sie lieferten gegenüber den grösstenteils spröde argumentierenden, durch Schriftsprache und reichen Zitatenschatz zusätzlich belasteten klassischen Essayformen ein alternatives, für einen sehr viel grösseren Leserkreis unmittelbar zugängliches Repertoire einfacher, suggestiver Erzählungen. Die scheinbare Irrationalität und raumzeitlich situierte Fremdheit von Mythen qualifizierte diese als Reservoir narrativer Muster zur Darstellung der Irritationen einer notorisch instabilen Welt. Schliesslich bezeugte die Wichtigkeit, die den Mythen im westlichen Kulturraum über lange Zeit beigemessen wurde, auch für progressive Intellektuelle in China deren grundsätzliche Eignung für pädagogische Zwecke. Zwar war den experimentellen, polymythischen Inszenierungen chinesischer Modernen in dieser Epoche nur ein kurzer Erfolg beschieden,39 bevor die beiden dominanten Diskurse der Modernisierung – zunächst derjenige der gemässigt traditionsfeindlichen Intellektuellen des Vierten Mai mit ihrem Programm kultureller Verwestlichung und danach dessen radikalere, marxistisch-maoistische Variante kultureller Neuerfindung – das Regime übernahmen. Ganz vergessen wurden die ersten narrativen Versuchsanordnungen zu einer modernen, inter-/nationalen Ästhetik aber nicht (Shih 2001), wie die thematisch vielfältigen Wiederaufnahmen von Stoffen und Motiven der Spät-QingZeit in Romanen der achtziger und neunziger Jahre erahnen lassen (Wang 1997: 313–342).

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Chen 1989, Wang 1997: 13–52. Wang bezeichnet Letztere mit überzeugenden Argumenten als “science fantasy”. S. z.B. Shi Zhecun, “Modao” (Magie), oder Xu Yu, “Acibo hai de nüshen” (Die Göttin aus dem Arabischen Meer, 1936).

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Obwohl christliche Missionen bereits viel früher westliches Wissen nach China gebracht hatten,40 wurde der Aufbruch in die Internationalität erst nach der gewaltsamen Öffnung Chinas durch die Westmächte von einer grösseren Fraktion der Intellektuellen des Qing-Reichs unterstützt und vorangetrieben. Nach dem Vorbild der Bildungspolitik in den ausländischen Konzessionen wurden staatlich wie privat unterhaltene Institutionen zur Bildungsreform gegründet. In vielen urbanen Zentren entlang der Küstenregionen entstanden moderne Sprach-, Technologieund Militärschulen, deren Studenten erstmals auch die Gelegenheit erhielten, ihr Wissen im Ausland zu erweitern.41 Bedeutendstes Medium der Vermittlung westlicher Bildungsinhalte blieben vorerst Übersetzungs-Grossprojekte von Autoren wie Lin Shu (1852–1924), Ma Junwu (1882–1939), Su Manshu (1884–1918) und Yan Fu (1853–1921), die zumeist unter Zuhilfenahme von sprachkundigen Beratern wissenschaftliche und belletristische Literatur in beeindruckender Menge ins Chinesische übertrugen. Der seit der späten Qing-Zeit von diesen chinesischen Fürsprechern einer kulturellen Verwestlichung zusammengetragene, alternative Kanon ist gründlich dokumentiert.42 Man las ihre Übersetzungen der Werke von J. J. Bachofen, Charles Darwin, Sir James Frazer, Sigmund Freud, Jane Ellen Harrison, Thomas Huxley, Andrew Lang, Edward Morgan, Friedrich Max Müller, Oswald Spengler, Herbert Spencer und Edward B. Tylor und übernahm daraus unter anderem auch Parameter für die Bestimmung dessen, was ein Mythos sei. Was chinesische Modernisierer der Spät-Qing-Zeit, wie auch noch die republikanischen Gegen-Traditionalisten beziehungsweise Ikonoklasten (Daruvala 2000: 41, Lin 1979) an den fremden Mythologien faszinierte, waren vorrangig zeitgenössische natur- oder sozialwissenschaftliche Weltdeutungen, während die vorgängigen, hermeneutisch fundierten philosophischen Auseinandersetzungen der europäischen Aufklärung, wie beispielsweise die Erneuerung der Frage nach einer spezifischen Wahrheit des Mythos im Kontext göttlicher Offenbarung, oder später die Idee einer romantisch

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Ma Zuyi in Chan und Pollard 1995: 380–7; Fairbank, CHC 10: 543–90. Vgl. u.a. Schwarcz 1986, Teng und Fairbank 1954: 91–6. Daruvala 2000, Hsiao 1975, Schwartz, 1964, u.a.; vgl. a. die verschiedenen Beiträge in Chan und Pollard 1995; zur Frage des Machtkalküls bei literarischen Übersetzungen s. Wong in Hockx 1999: 21–39.

entgrenzten “Freigabe der Mythologie für ihre ästhetische Funktion in der Neuzeit” kaum jemals in den Blick chinesischer Leser rückten.43 Nur scheinbar paradoxerweise brachte die umfassende Orientierung der literarischen Reformer an den westlichen romantischen Vorlagen einen regional turn44 der literarischen Moderne hervor, an welchem namhafte Autoren der experimentellen Avantgarde gemeinsam partizipierten, die ansonsten unterschiedlichen ideologischen Lagern angehörten (Zhao 1995: 237–239). Lao She (1899–1966), Lu Xun (1881–1936), Zhou Zuoren (1885–1967), Fei Ming (1901–1967), Shen Congwen (1902– 1988), Xiao Hong (1911–42) und viele andere Autoren der Republikzeit widmeten sich nicht wie Yanagita und die Pekinger Literaturprofessoren um Liu Bannong (1891–1934) vorrangig dem Sammeln genuin volkstümlicher Überlieferungen, sondern trachteten danach, die programmatisch ausgerufene neue Kultur (xin wenhua) nach dem Vorbild der Literaturen kleiner beziehungsweise unterdrückter Völker mit ästhetisch anspruchsvollen Repräsentationen ihrer eigenen, regionalen Welten auszustatten und auf diesem Weg die horizontale Integration der Nation voranzubringen. 45 Zunächst ein Bewunderer des modernen Ethnographen seelischer Befindlichkeiten Yu Dafu (1896–1945), 46 wandte sich der West-Hunaner Autor Shen Congwen später den an der westlichen Folkloreforschung und Psychologie interessierten Professoren Zhou Zuoren und Gu Jiegang zu. Seit 1926 verwendete er das wissenschaftliche Idiom westlicher Mythographen und Anthropologen, um Motive aus der Folklore zu erklären. Er machte sich ausserdem die Idee eines Ursprungs der Kunst aus den primitiven Religionen zu eigen; dies entspricht Nietzsches Postulat, der Kunst die Rolle des aufgeklärten Nachfolgers religiöser Praxis zuzuweisen. Als aufmerksamer Leser der chinesischen Übertragungen westlich-modernistischer Fiktion erkannte Shen die doppelte Verankerung des Modernismus in avantgardistischer Traditionskritik und romantisierenden Vorstellungen von der Wiederkehr des kulturell Verdrängten in archaischen Bildern.47 In seinen literarischen Interventionen gegen die Prüderie und Dekadenz des konfuzianischen Elitedenkens 43 44 45 46 47

Blumenberg 1971: 28. Vgl. a. Hübner 1985, Jamme 1991, 58–73. Zum Konzept des cultural turn allgemein vgl. Bachmann-Medick 2006. Vgl. Bieg in Schmidt-Glintzer 1995, Denton 1996, Eber in Goldman a.a.O.: 127– 41, Gálik 1994, 1986 und 1974, Lee 1973, Prúsek 1965. Zhu 1999, 1: 68–74; Xu Zidong in Zeng 1985: 142–69. Zhu a.a.O.: 203–12: Kinkley 1987: 111–45, Wang 1992.

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orientierte sich Shen an denjenigen vitalen physiologischen Mechanismen, die Individuen wie Kollektive immer schon steuerten, und die er in den einfachen Charakteren, Reimen und Erzählungen der West-Hunaner Minoritäten der Miao und Tujia noch am ehesten unverfälscht zu finden hoffte (Ling Yu in Zeng 1985: 227–43). In seinen Kurzgeschichten bestimmen Erinnerungen an Heimat und Kindheit sowie die nostalgische Verklärung der naturnahen Sitten der Ureinwohner, die er zum Fundament gelingenden Lebens erhob, das Stimmungsgefüge. Weder extensiven Dialektgebrauch, der für eine nationale Leserschaft hinderlich gewesen wäre, noch eine den modernen Realismus gefährdende Repräsentation im volkstümlichen, phantastischen oder mythologisch-volksreligiösen Erzählmodus zog Shen für seine Schreibweise in Betracht. Seine westlichen Vorbilder – Tchechov, France, Maupassant, Sienkiewicz, Dickens und Joyce48 – und der experimentelle Einsatz einer neuen, allgemeinverständlichen Nationalsprache (baihua) weisen ihn als modernen, weltliterarisch denkenden Regionalisten aus, der mythologische Stoffe mittels rationaler Deutungsangebote salonfähig machte. Das Märchen “Longzhu” (WJ 2: 362–383, Übers. Ching und Payne 1982: 137–151), eine sanfte und glücklich endende Variante des NarzissThemas, und die Göttergeschichte “Meijin, Baozi und das weisse Zicklein” (WJ 2: 392–404, Übers. Ching und Payne 1982: 103–113; Kinkley 1987: 81–96), die den Opferplatz für ein unvereint gestorbenes Liebespaar an die Jugend zurückgeben möchte, arbitrarisieren die berichteten Schicksalsschläge, holen mit anderen Worten ihre vermeintlich übernatürlich gesteuerte Unvermeidlichkeit zurück in die diesseitige Erfahrung eines immer auch anders denkbaren Zusammentreffens unglücklicher Zufälle. “Nach dem Regen” baut mit am aufklärerischen Mythos der Überlegenheit primitiver Vitalität über die grüblerische Dekadenz einer überzivilisierten Ästhetik. Ein junges Miao-Paar schickt sich an zur ersten sexuellen Vereinigung, als das Mädchen sich an ein chinesisches Gedicht erinnert fühlt, welches das Welken der Mädchenblüte betrauert. Sie verfällt in eine melancholische Stimmung, die der ungebildete Liebhaber dank seiner wilden Leidenschaft aber wieder vertreiben kann, so dass am Ende doch noch eine Hochzeit stattfindet, die vom Autor mit kosmologischen Sinn48

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Für eine Übersicht über die Übersetzungsaktivitäten in literarischen Zeitschriften der 30er Jahre s. Shih 2001: 242 f.

attributen aufgeladen wird. 49 Shens allegorische Visionen einer nationalen Verjüngungskur auf der Basis einer nicht konfuzianisch domestizierten Vitalität des Volkes inspirierten in der postmaoistischen Ära einen zweiten regional turn, 50 dem seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die national wie international erfolgreichsten zeitgenössischen Autoren – wie Alai, Han Shaogong, Jia Pingwa, Mo Yan, Su Tong, Wang Anyi, Tashi Dawa und viele andere – zuzurechnen sind. Shens Projekt einer säkularisierenden Modernisierung der regionalen Folkloretraditionen wird in dieser utopischen, visionären Dimension allerdings bereits überlagert von sekundären Mythenbildungen, wie beispielsweise dem genannten Wunschtraum der freien Liebe, der nach Maos Tod in Repräsentationen der konsumkapitalistischen Populärkultur wieder Raum gewonnen hat. Sein visionäres Modell einer Rückkehr der überzivilisierten Han-Nation zu den einfachen, entmystifizierten Orientierungen der Miao-Minderheit ist radikal in seiner Verweigerung gegenüber pragmatischen Kompromissen; der Preis dafür ist die Umgehung der dringlichsten zeitgenössischen Probleme mit der utopischen Konstruktion einer modernen nationalen Identität. Was andere Intellektuelle seiner Generation schmerzlich fühlten und literarisch zu kompensieren suchten, war der Bewusstseinskonflikt zwischen ihrer elitären konfuzianischen Erziehung und deren beschämender Nutzlosigkeit angesichts der

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“Yu hou”, WJ 2: 90–5. Übers. Baus 1986; alle drei genannten Texte erschienen 1928, eine Zusammenfassung der Erzählung findet sich in Kinkley 1987: 144 f. Das Konzept des kulturwissenschaftlichen turn verwende ich gemäss der Bestimmung von Bachmann-Medick als Neuorientierung jenseits des etablierten Methoden- und Theorienkanons, als Grenzverkehr zwischen den akademischen Disziplinen unter Überwindung der Kommunikationsbarrieren oder auch als Wechsel der kulturwissenschaftlichen Leitdisziplin, wobei davor gewarnt wird, turns als “vollständige und umfassende Kehrtwenden” zu begreifen. Es handelt sich vielmehr um “die Ausbildung und Profilierung einzelnder Wendungen und Neufokussierungen, mit denen sich ein Fach oder ein Forschungsansatz interdisziplinär anschlussfähig machen kann. Es kommt zum Methodenpluralismus, zu Grenzüberschreitungen, eklektizistischen Methodenübernahmen – nicht jedoch zur Herausbildung eines Paradigmas, das ein anderes, vorhergehendes vollständig ersetzt.” (BachmannMedick 2007: 17 f.) Wenn hier im Kontext chinesischer Literatur von einem regional turn die Rede ist, so handelt es sich analog um eine deutliche Orientierung einer signifikanten Gruppe von Autoren an regionalistischen Repräsentationsformen und -inhalten, jedoch nicht um eine dogmatische Position.

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Übermacht des kulturellen Wissens westlicher Nationen. Es spricht wenig dafür, dass die sich häufenden, nostalgisch evozierten Erinnerungen an die “kleinen Traditionen” einer wesentlich mehr als die Elitekultur von Elementen des mit Vorstellungen von Weiblichkeit verbundenen sinnlich-emotionalen Erfahrungraums geprägten Alltagskultur bereits zu dieser Zeit als Weg zur komplementären Ergänzung der Verwestlichungspolitik durch entsprechende Zurüstung der eigenen Geister für ein nationales Imaginaire angesehen wurden. Diese Strategie wird erst in einem Akt des nachholenden Vollzugs erkennbar, wenn postmaoistische Kulturschaffende Lu Xun und seinen ins kindliche Bewusstsein eingeschriebenen, magischen Raum der Folklore – Geistergeschichten, NuoSchauspiel, volksreligiöse Riten51 – als frühen Einspruch gegen das erst später verfestigte Dogma des (sozialistischen) Realismus ins Feld führen. In dieser komplementären Funktion und über klassische Bildtraditionen vermittelt kamen die Hausgeister des Vierten Mai vorerst eher in politischen Karikaturen zum Einsatz; wobei es nur ein kleiner Schritt von den ausländischen Teufeln des Anti-Imperialismus zu den konterrevolutionären Schlangen- und Ochsengeistern 52 des Maoismus war (Erling und von Graeve 1978). Hingegen scheint klar, dass die boomende literarische Übersetzungspraxis und insbesondere auch die neue Disziplin einer nationalen Literaturgeschichtsschreibung Intellektuellen seit der Republikzeit die Möglichkeit eröffnete, im kontrastiven Vergleich mit anderen Nationalliteraturen über eigene Strukturen des kollektiven Bewusstseins zu reflektieren und diesen im Prozess einer Umbildung des Kanons einen angemessenen Platz zuzuweisen (Zhang 2005: 174–180). Dieser nationale Kanon musste gleichzeitig offen genug für die permanente Erneuerung der modernen Nation und stabil genug für eine nach51

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“Lu Xun’s inclinations toward the ‘countertradition’ are closely related to his fondness for aspects of the ‘little tradition’: popular tales and fables, folk religious practices, mythology, and village operas. In his collection of reminiscences, Zhao hua xi shi (Morning blossoms plucked at dusk), some of the most vivid descriptions are lavished on figures of the little tradition – the charming ghosts of Wuchang (the infernal agent) or Nüdiao (the ghost of a hanged woman). [...] Lu Xun also effecttively used his knowledge of the ‘countertradition’ to reinforce his interest in the little tradition. He drew upon his favorite books of fantasy, such as Yuli chaozhuan (Stories of the ghosts of hell), to embellish the memory of these ghost figures of village operas.” Lee in Goldman 1977: 163. Als solche wurden Personen stigmatisiert, welche vor allem während der Kulturrevolution in die Kategorie von Klassenfeinden fielen.

haltige Identifikation einer wachsenden Anzahl nationaler Subjekte sein. Vernakularisierung, Integration von kleinen Traditionen beziehungsweise Folklore-Narrativen verschiedenster regionaler Provenienz und chinesische Adaptationen erfolgreicher weltliterarischer Stoffe und Motive wurden rasch als wichtige Faktoren der nationalen Rekanonisierung erkannt. Die Einsicht in die Instabilität der eigenen Gründungstexte bewirkte jedoch insbesondere bei Intellektuellen eine existentielle Krise. Sie schlug sich in ihrem unentschlossenen Lavieren zwischen Ikonoklasmus und Nostalgie sowie in der Bildung verschiedener literarischer Schulen, in hitzigen Debatten und nicht zuletzt in den zwischen modernem Realismus, konfuzianischem Klassizismus und volkskultureller Mythologie oszillierenden ästhetischen Texten der Spät-Qing- bis zur frühen volksrepublikanischen Zeit nieder. Erst mit dem roten Büchlein und den sogenannten Lao san pian der Kulturrevolution53 war das Problem eines modernen Kanons vorübergehend aus der Welt geschafft. Über den Umweg der Kenntnisnahme von westlichen Klassikern der Kinderliteratur – Grimms Märchen, die Märchen aus 1001 Nacht, griechische und nordische Mythen, Äsops Fabeln – bestätigten sogar radikale Modernisierer wie Lu Xun, Ye Shengtao (1894–1988) und Bing Xin (1900–1999), aber auch konservativere Denker wie Zhou Zuoren die schon seit der Ming-Zeit reflektierte pädagogische Funktion von Folklore-Erzählungen.54 Während die systematischen Überlegungen zu einer modernen chinesischen Kinderliteratur von Lu und Zhou von westlichen Modellen abgeleitet waren, schufen Ye und Bing eigene Kindermärchen, deren pädagogische Eignung in der Folge Gegenstand hitziger Debatten wurden. Unter den progressiven Streitern der ersten Auseinandersetzung im Jahr 1931 konnte man sich über die Frage, ob zur besseren Unterstützung des sozialen Wandels in der Kinderwelt hässliche Realität oder magische Harmonie und Schönheit vorherrschen sollten, nicht einigen. 53

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Mao Zedong yulu (Worte des Vorsitzenden Mao Zedong, 1966, dt. 1967) und drei frühe Reden Mao Zedongs, die zusammen eine Art Kanon der Kulturrevolution bildeten: “Wei renmin fuwu” (Dem Volk dienen, 1944), “Jinian Bai Qiu’en” (Zum Gedächtnis an Norman Bethune, 1939), “Yugong yi shan” (Ein törichter Alter versetzt Berge, 1945). Berühmte literarhistorische Beispiele sind die magische Herkunft Jia Baoyus und z.T. auch seiner Gefährtinnen, wie auch ihr Leben in einer geschlossenen Gartenwelt, im Roman Hong lou meng (Der Traum der roten Kammer, Erstpubl. um 1791) von Cao Xueqin.

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Konservative Kritiker störten sich hingegen ganz grundsätzlich an der vermeintlichen Ermunterung märchenhafter Texte zu Aberglauben und primitiven Verhaltensformen. Lu Xun konterte sarkastisch, dies könne nur konfuzianischen Würdenträgern einfallen, die noch mit einem langen Bart gesegnet daran glaubten, dass sie auf dem Rücken eines Riesen ins Märchenland reisen und dort Kaiser werden könnten.55 Die Notwendigkeit zur Kanon-Umbildung bescherte aber nicht nur den Helden- und Geistergeschichten der kleinen Traditionen erstmals ihren Ort in der Systematik einer am Ordnungsprinzip von Epochen und Genres konstituierten, nationalliterarischen Klassik, sondern führte auch zu grösserer Bewusstheit der mit der Neuordnung der kulturellen Archive befassten Gelehrten gegenüber den in modernen chinesischen Texten bereits stattfindenden Prozessen einer transnationalen, transhistorischen Synthese. In einer zunächst noch dominant historisch angelegten Perspektivierung des frühen 20. Jahrhunderts wurde die chinesische Rezeption europäischer Literaturen bereits ebenso durch den intellektuellen Logozentrismus der Aufklärung inspiriert, wie durch sein romantisches Gegengewicht einer Hoffnung auf die verbindende Kraft national ausgebrachter, imaginärer Konstituenten des Volkstums. In ihrem Projekt der Herausbildung und Stabilisierung einer modernen kollektiven Identität bildeten mythologische Narrative eine wichtige Quelle für die aufholende “geschichtliche Selbsterfassung” (Blumenberg 1996: 415) der verspäteten Nation. Dies betraf sowohl die gegen das konfuzianische Postulat56 wissenschaftlich, genauer: westlich-anthropologisch, rehabilitierten eigenen Kosmogonien und Folklore-Archive, als auch die gegen das daoistische Theorie-Verdikt 57 philosophisch-ästhetisch rehabilitierten (eigenen wie fremden) Geschichts- und Religionsmythen.58 In ihrer ur55 56 57 58

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Farquhar 1999: 127; vgl. ibid. 41–142. “Zi bu yu guai, li, luan, shen” (Der Meister spricht nicht über Geister, Macht, Aufruhr und Götter), Lunyu, “Shu’er” VII, 20. “Dao ke dao fei chang dao” (Ein benennbares dao kann nicht das ewiggültige dao sein), Dao De Jing 1. Es ist interessant zu beobachten, wie genau in dieser Zeit zwischen historischen und ästhetischen Mythologie-Diskursen unterschieden wurde. Während die Schriftsteller Zhou Zuoren, Mao Dun und Wen Yiduo in ihren wissenschaftlichen Abhandlungen nur sogenannte “yuanshi shenhua” (Ursprungsmythen beziehungsweise ursprüngliche Mythen) als echte Mythen behandelt wissen wollten, wurde in der zeitgenössischen Literatur eklektisch vorgegangen. S. z.B. Chen 2007, Larson 1991 und Manfredi 2001 über u.a. Guo Moruo, Hu Shi, Lu Xun, und Wen Yiduo.

sprünglichen, primären Form stellten die Mythen eine horizontale Achse kollektiver Identitätsstiftung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner allgemein bekannter, durch mündliche Überlieferungspraxis gestützter, Sinn und Werte stiftender Erzählungen bereit. Diese Funktion, die in gegenwärtigen Kulturdebatten noch immer wirksam ist – man denke nur an die seit einiger Zeit unter grossem Aufwand betriebene politische Rehabilitation des Konfuzianismus in der Volksrepublik China (Krieger und Trauzettel 1990, Lee und Syrokomla-Stefanowska 1993: 1–41) oder, in anderem geohistorischen Umfeld, die Diskussionen über den politischen Status des christlichen Erbes in einer gesamteuropäischen Verfassung59 – übernahmen im modernchinesischen (antikonfuzianischen) Kontext wiederholt antike Mytheme, zum Beispiel Erzählungen über das geschwisterliche Urahnenpaar Fu Xi und Nü Wa sowie die kulturstiftenden Urkaiser Huang Di und Yan Di (Yang, An und Turner 2005: 138–146), aber auch vergleichsweise spät erfolgte historische Mythisierungen wie die Apotheose von Guan Yu.60 Darüber hinaus erlaubten sie eine Verlängerung der nationalen Literaturgeschichtsschreibung hinauf durch die Geschichte bis in die Formationszeit der Gemeinschaft, welche sich jetzt, trotz ihrer lange unterbrochenen Überlieferungspraxis, gerade noch rechtzeitig an ihre archaischen Schöpfungs- und Gründungsmythen erinnern sollte. Dieser Aspekt regte insbesondere Wen Yiduo (1899–1946) zu seinen Nachforschungen über Drache und Fisch als urchinesische Totems, über Göttinnen in den Rhapsodien der Han-Zeit und über die mit Qu Yuan als erstem namentlich bekannten chinesischen Dichter verbundene Mythenbildung und Folklore an (Qian 1989: 225–278). Lu Xun thematisierte die gemeinschaftsstiftenden Möglichkeiten der Mythologie beispielsweise, indem er eine Diskussion über Ursprung und Schicksal chinesischer Mythen und Legenden an den Anfang seiner Kurzen Geschichte der chinesischen Romandichtung stellte.61 Mittels literarischer Transfers konnten Mythen andererseits zu einem gewichtigen Faktor des 59 60

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S. hierzu beispielsweise Heit 2005. Guan Yu ist der Held vieler Erzählungen und Dramen über die Zeit der streitenden Reiche, die dessen Abenteuer mit den zeitgenössischen Helden Liu Bei, Cao Cao und Zhuge Liang reflektieren. Diese Geschichte des Zerfalls der Han-Dynastie wird u.a. im Roman San guo yanyi (16. Jahrh., u.a. Luo Guanzhong zugeschrieben) erzählt; zum Guan Di-Mythos vgl. Duara 1988. Lu 1981. Zur Rolle der Mythologie in der klassischen Fiktion vgl. a. Xiao 1992 und Zhu 1992.

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kulturellen Wandels werden, indem moderne Autoren ihre Ideen und Diskurse mythophorisch mit überlieferten symbolischen Strukturen verknüpften, um diese in der literarischen Ausarbeitung entmystifizieren, umdeuten, aktualisieren, und nach Möglichkeit auf dem Übersetzungsweg über die nationalen Grenzen hinweg verbreiten zu können.62 Zhou Zuoren entdeckte in der Mythologie der Griechen ein literarisches Verfahren zur Rationalisierung von kollektiven Ängsten. Das Beispiel des unerschrockenen bis listigen Umgangs der von Homer individuell gezeichneten griechischen Helden mit bedrohlichen Schicksalswendungen konnte – ob verdrängend ins Unterbewusstsein oder spekulierend ins Numinose projiziert – über den Weg ästhetischer Aktualisierung in andere Epochen und Kulturen transferiert werden. Zhou orientierte seine Überlegungen zur Funktion der Mythen allerdings weniger an der Sublimierungsthese Freuds, als an den Einsichten viktorianischer Anthropologen um Tylor, Frazer und insbesondere Andrew Lang. In der Konsequenz wird die vergleichende Mythologie zum ersten Kapitel einer universellen Geistesgeschichte der Menschheit,63 wobei die Entwicklung vom magischen (Prä-)Animismus bis zur Konsolidierung einer partikular ausdifferenzierten Symbolwelt führt, ohne der ursprünglichen Wildheit des Denkens je restlos entsagen zu können, welche von den Trieben und Emotionen erhitzt und durch die Mythen nur provisorisch eingehegt wird. Die Kategorien mythologischer Weltbewältigung bewegen sich folglich in einem vorrangig den Kindern und primitiven Gemeinschaften zugeordneten Raum der Vorstellungskraft,64 das heisst 62

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Über die einflussreichen, im Hinblick auf eine radikale Modernisierung der chinesischen Literatur durchgeführten Experimente mit transkulturellen mythologischen Strukturen von Guo Moruo (1892–1978), insbesondere über die Lyrik-Anthologie Nüshen, vgl. Zhu 1999, 1: 94–103. Zu diesem und anderen vergleichbaren Ergebnissen kommt auch Mao Dun, ebenfalls von Lang beeinflusst, in seiner Forschung zur chinesischen und nordischen Mythologie. Mao Dun machte sich daneben auch als Kritiker der Quellenlage in westlichen Arbeiten zur chinesischen Mythologie einen Namen. Mao 1999, vgl. a. Qian 1989: 178–219. Dieses Prinzip übernehmen auch die Mythen-Literaten des Vierten Mai in ihren autobiographischen Schriften: “Hu Shi, Lu Xun, and Guo Moruo all follow the pattern of framing the mythological elements into the section of their texts which belongs to early childhood or, in the case of Hu Shi, before his birth. They construct myth – events or traditions with no apparent explanation or modern means of understanding – as occurring only in or before childhood. When education and other

sie entsprechen eher einem Wunsch nach Wissen als tatsächlichem Wissen. Aufgabe der fortschrittlichsten sozialen Kräfte einer Gemeinschaft – ihrer Philosophen, Dichter und Kunstschaffenden – ist es mithin, diesen imaginären Raum nach Massgabe ihrer historischen Erfahrungen zu erweitern, so dass der ungewissen Zukunft durch fortlaufende Modellbildung und Rationalisierung ihr Schrecken genommen werden kann. Zhou fertigte Übersetzungen griechischer Tragödien, Komödien und Gedichte sowie mehrerer Mythologiegeschichten an und publizierte eine Reihe von Essays zu diesem Thema. 65 Mit einem provozierenden, aus der kulturenvergleichenden Perspektive gewonnenen Argument wertete er einmal die Schönheit der griechischen Mythen als zivilisatorischen Erfolg der Dichter gegen den religiösen Terror der Priester – kontrastiv zum primitiven, furchterregenden Schamanismus der chinesischen Warlords seiner Zeit, der immer noch auf diejenigen Dichter warten müsse, welche ihn in Mythen umzuwandeln verstünden (Daruvala 2000: 84–90). Lu Xun beobachtete die sich formierenden Diskurse und Schulen wissenschaftlicher Mythenforschung ebenso aufmerksam wie sein Bruder Zhou Zuoren. Er engagierte sich allerdings weniger herausragend in wissenschaftlichen Untersuchungen, als in der Rolle des modernen Mythopoeten, indem er chinesische Mythenfragmente literarisch aktualisierte und in seinen Texten gleichzeitig auch schon über die Grenzen (pseudo)wissenschaftlicher mythologischer Rekonstruktionen nachdachte.66 Dass ihn hierbei auch ein systematisches Interesse leitete, zeigt

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social institutions begin to regulate the individual’s life, phenomena are placed within an ‘understandable’ framework and ‘logic’ appears; incidents which do not lend themselves to inclusion within the framework’s borders are simply excluded.” Larson 1991: 120 f. Zhou übersetzte beispielsweise: Our Debt to Greece and Rome von Jane Harrison (Daruvala 2000: 280, n. 130), ausserdem Xila de shen yu yingxiong (yixu 1949). Eine Auswahl seiner Essays über Griechenland und die Mythologie umfasst: “Xila shenhua yinyan”, “Shenhua de bianhu”, “Shenhua de quwei”, “Xila nüshiren” (1915), “Zai Xila zhudao” (1922), “Xila de xiaoshi” (1923), “Xila xianhua” (1926), “Xila shenhua yi” (1934), “Xila shenhua” (Wo de zaxue 6, 1944), “Xila zhi yuguang” (1944), usw. Allg. zu Zhou s.a. Chow 1990, Wolff 1971. Lus frühe Essays, in denen er wie sein Bruder Zhou Zuoren im anthropologischevolutionären Rahmen argumentiert, zeigen seine Annäherung an die Mythologie aus wissenschaftlicher Perspektive. Vgl. “Ren de lishi”, “Kexueshi jiaopian”, “Wenhua bianzhilun” und “Molo shili shuo”, alle in QJ 1: 8–115. Ein (metho-

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vor allem der Prosa-Zyklus, den Lu Gushi xinbian (Alte Geschichten neu erzählt) betitelt hat. Darin ridikülisiert Lu Xun gleichzeitig den zeitgenössischen Diskurs über den Nationalcharakter, welcher die historische Mythenforschung grundiert, und eröffnet somit Wege, antike Mythen produktiv, als über den Weg der Reflexion manipulierbare Grammatik moderner literarischer Sprache, einzuspielen. Als Geschichten zur Wiederbeschreibung der (modernen) Welt (Ricoeur) angelegt, führen Lus Erzählungen Mytheme mit sich, die er als Dispositive eines Konservatismus blossstellt, welcher sich in Krisenzeiten mit fiktionalen HeldenPhantasien über die reale eigene Lethargie hinwegträumt. Auf diese Weise öffnet Lus radikale Dekonstruktion den Weg für neue Orientierungen und Möglichkeitsdiskurse. Der Vorteil dieses narrativen Modus liegt auf der Hand, obwohl wir laut Bruner insgesamt zu wenig über das wissen, was eine gute Geschichte ausmacht. Die alten Mythen lassen sich nicht wissenschaftlich falsifizieren, aber ihr Weiterleben in den actual minds seiner Zeitgenossen veranlasste Lu, dem Mythenfieber seiner Zeit sehr kritisch gegenüber zu treten, wofern es sich um eigene Mytheme handelte. Bruner bewertet den Erfolg literarischen Erzählens unter dem Aspekt seiner Polysemie und Multifunktionalität; er unterscheidet zwischen einem paradigmatischen und einem narrativen Modus des Denkens mit distinkten Trajektorien, die sich in philosophische beziehungsweise naturwissenschaftliche Wahrheitsdiskurse und den Möglichkeitsdiskursen der condition humaine auffächern. Im narrativen Modus sind Verknüpfungen und Variationen möglich, welche der Wisssenschaftsdiskurs schon aufgrund mangelnder Verifizierbarkeit ausschliessen muss: [T]he story must construct two landscapes simultaneously. One is the landscape of action, where the constituents are the arguments of action: agent, intention or goal, situation, instrument, something corresponding to a ‘story grammar’. The other landscape is the landscape of consciousness: what those involved in the action know, think, or feel, or do not know, think, or feel. The two landscapes are essential and distinct: it is the difference between Oedipus sharing Jocasta’s bed before and after he learns from the messenger that she is his mother (Bruner 1986: 14).

discher wie moralischer) Dilettantismus der Historiker-Schule um Gu Jiegang wird in den Gushi xinbian sarkastisch blossgestellt.

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Lus experimentelle Integration dieser beiden Landschaften geschieht auch unter Berücksichtigung der Differenz zwischen wissenschaftlichwestlichem Weltbild und den überlieferten narrativen Mustern zur Realitätsbearbeitung. Während Fu Xi67 erst lange nach Lu Xuns Tod, in Liu Hengs Erzählung “Fu Xi Fu Xi” (Liu 1989), den Boten getroffen hat, der ihn über seinen Inzest aufklären konnte, weil die chinesischen Ursprungsmythen oft im elementarliterarischen Modus steckengeblieben oder ihre antiken Kontexte vergessen worden waren, bekommen Lus mythophorisch aktualisierte Protagonisten komplexere Aktions- und Bewusstseinsräume zugewiesen. In zwei Sammlungen von Erzählungen, Gushi xinbian und Zhao hua xi shi (QJ 2: 229–337 und 341–481, Kubin 1994, III und IV), ergründete Lu die Möglichkeiten zur ästhetischen Vergegenwärtigung und kritischen Reflexion traditioneller chinesischer Mythen, während in seinen anderen Texten Mytheme aus der Weltliteratur übernommen oder völlig frei erfunden worden sind, die durchaus utopisches Potential aufweisen können. Zwar zollte Lu Xun dem romantischen Werther-Fieber seiner Zeitgenossen kaum Tribut,68 jedoch interessierte ihn beispielsweise der allegorisierende Einsatz von Ibsens Nora im chinesischen Theater als Möglichkeit, die lokalen Bedingungen für gesellschaftliche Emanzipationsprozesse zu reflektieren.69 Berühmt sind ferner seine mythomotorisch angelegten Spiegelbilder des zeitgeschichtlichen Dilemmas der Nation, in denen er einmal die kaltherzige Neugier von Zuschauern einer Hinrichtung geisselt und das andere Mal das kollektive Bewusstsein seiner Landsleute mit Schlafenden in einem kurz vor dem Untergang stehenden eisernen Käfig vergleicht, deren grösstes Unglück womöglich ihr böses Erwachen noch vor dem bereits sicheren Tod sei. Die Nutzung der emotionalen Intensität von mythischem Schrecken zur Erweckung eines fehlenden Krisenbewusstseins in der Bevölkerung liegt auch den beiden nationalen Allegorien aus der Sammlung Nahan, dem von Visionen kannibalischer Kulturpraktiken bis in die eigene Familie hinein verfolgten Wahnsinnigen und dem bis zur Selbstauslöschung anpassungswütigen Ah Q, zugrunde (Foster 2006, 67 68

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Fu Xi und Nü Wa sind in einer Überlieferungstradition Geschwister und Eheleute. Vgl. Birrell 1993: 203 f. Guo Moruo, “Shaonian Weite zhi fannao”, Chuangzao 1, 1 (März 1922); vgl. hierzu u.a. Lee 1973, Terry Siu-Han Yip, “Desire and Repression: Werther and Modern Chinese Writers”, Gálik 1994: 119–124. “Nala zouhou zenyang”, QJ 1:158–165, Kubin 1994, V.

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Lee 1987 und 1973). Für beide Figuren lassen sich russische Vorlagen benennen (Fokkema in Goldman 1977: 89–101), die allerdings nicht schlechterdings kopiert, sondern für eigene Belange genutzt wurden. An diesem Punkt kann Lus literarische Mythenbildung nicht mehr auf vorgängige, kollektive Bedeutungsarchive zurückgeführt werden, sondern muss vielmehr – im Hinblick auf ein dauerhaft erfolgreiches Einschreiben der Erzählung ins kollektive Bewusstsein – als versierter Umgang mit dem Überzeugungspotential mythomotorischer Performanzen analysiert werden.70 Die Aufgabe des Dichters, Mythen als Faktoren sozialer Dynamik fortzuschreiben beziehungsweise den veränderten kulturellen Bedürfnissen anzupassen, wird auch in Lu Xuns im Oktober 1919 verfasstem Essay “Women xianzai zenyang zuo fuqin” (dt. “Neue Väter braucht das Land”, QJ 1: 129–43, Kubin 1994, V: 187–205) deutlich. Er kritisiert darin die traditionelle pädagogische Praxis, in der von Kindern gegenüber ihren Eltern nicht nur unbedingter Gehorsam, sondern auch Dankbarkeit und Verantwortungsbewusstsein verlangt wird, selbst wenn diese Eltern rücksichtslos und unverantwortlich handeln. Die neue Aufgabe der Väter, meint der Autor, besteht aus gutem Grund in der Befreiung des Bewusstseins ihrer Kinder. Wie der Figur der Nora bei seinem Aufruf zur ökonomischen Absicherung der Frauen-Emanzipation, bedient sich Lu zur Veranschaulichung des Problems auch in diesem Kontext eines Helden aus Ibsens Dramen. Oswald, der Sohn eines reichen, aufgrund seines Lebenswandels an Syphilis erkrankten Lebemanns verlangt im Endstadium der auf genetischem Weg vom Vater auf ihn übertragenen Krankheit von seiner Mutter die erlösende Morphiumspritze. Diese lehnt mit der Begründung ab, sie selbst habe ihm das Leben gegeben und könne es ihm deshalb nicht nehmen. Der Sohn weist ihr Argument mit 70

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Assmann unterscheidet in Anlehnung an Cassirer, Eliade u.a. zwischen zwei Funktionen geschichtlicher Mythen, eine fundierende und eine kontrapräsentische. Fundierende Mythen sind einem zyklischen Geschichtsbild zugeordnet, ausgehend von Defizienz-Erfahrungen rufen kontrapräsentische die Gesellschaft zur Veränderung auf. Es ist möglich, dass beide Arten von Mythen gleichzeitig in einer Gesellschaft auftreten, oder dass die eine in die andere umschlägt. Beide Funktionen werden als Mythomotorik definiert: “Die Charakterisierung fundierend und kontrapräsentisch kommt daher nicht dem Mythos als solchem zu, sondern vielmehr der selbstbildformenden und handlungsleitenden Bedeutung, die er für eine Gegenwart hat, der orientierenden Kraft, die er für eine Gruppe in einer bestimmten Situation besitzt. Diese Kraft wollen wir ‘Mythomotorik’ nennen.” Assmann 1999: 79 f.

der Bemerkung ab, er habe sie nicht um dieses Leben gebeten. Das pädagogische Argument Lus bezieht sich auf diesen einen, im Schlussakt des Schauspiels ausgebrachten Aspekt des Ibsenschen Anliegens. Wo Ibsen mit der Krankheit von Oswalds Vater die Verantwortung der Eltern für genetische Defekte ihrer Kinder benützt, um den Fluch symbolisch darzustellen, der über einer Ehe hängt, welche nicht auf gegenseitiger Achtung und Zuneigung beruht, sondern auf sozialen Konventionen, die sich überdies hervorragend dazu eignen, niedere Beweggründe zu verdecken, übergeht Lu diesen reflexiven Mehrwert zwar, widerspricht ihm aber mit seiner Konzentration auf die moralische Oberfläche des Exempels eigentlich nicht. 71 “Da wir unsere Zukunft schon heute gestalten, können Schwächen der Eltern zu einer lebensbedrohlichen Krise, ja sogar zum Tod ihrer Kinder und Kindeskinder führen. Obwohl in Ibsens Gespenstern [...] der Haupttenor auf die [sic] Beziehung zwischen Mann und Frau liegt, wird doch das Grauenerregende von Erbkrankheiten deutlich” (QJ 1: 134, Kubin 1994, V: 194). Interessanterweise wird Yu Hua in seinem 2005–2006 erschienenen zweiteiligen Roman Xiongdi (Brüder) diesen Befund Lu Xuns fortschreiben, indem er ihn auf die sozialistischen beziehungsweise konsumkapitalistischen Turbo-Modernismen des Mao-Dengismus 72 überträgt: hier sind die Eltern zusammen mit ihren Kindern einer lebensbedrohlichen Umwelt ausgesetzt, die keinerlei Respekt vor der Familie hat. Neu sind es nun die Eltern, die beim Versuch, das Leben ihrer Kinder zu schützen, ihr eigenes Leben lassen müssen.73

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Sun Lung-kee hat die im Symbol der Syphilophobie kulminierende Diskussion der republikanischen Modernisten um Biologismus, Dekadenz und Fin-de-siècle ausführlich erhellt. Sein Kronzeuge ist Lu Xun und dessen hier angeführter Essay “Women xianzai zenyang zuo fuqin”. Die durch Sun bereitgestellte literarische Genealogie dieser symbolistischen Rehabilitation der menschlichen Instinkte als Kritik der Folgeschäden übertriebener Zivilisation reicht von Ibsens Gespenstern über die Buddenbrooks von Thomas Mann, Tchechovs Kirschgarten, Faulkners Absalom, Absalom, D. H. Lawrence’s Lady Chatterley’s Lover, E.A. Poes The Fall of the House of Usher sowie die Ikone des chinesischen vorrevolutionären Modernismus, Nietzsche. S. Sun 1996: 200–206. Vgl. Yang Xiaobins Überlegungen zur theoretischen Grundlegung des chinesischen Postmodernen als “Post-Mao-Deng” in Dirlik und Zhang 2000: 391–395. Zum Roman vgl. Wedell-Wedellsborg 2008, dort auch wichtige chinesische Positionsnahmen.

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Lus Anschlüsse an weltliterarische Figuren und Texte in den sozialkritischen Essays verdeutlichen sein Verständnis der Schlüsselfunktion symbolischer Formen in den zeitgenössischen Verhandlungen zwischen literarischen, Alltags- und Spezialdiskursen. Bei Napoleon,74 Nora und Oskar endet allerdings die Reichweite von Lus pragmatischer MythenNutzung. Für die Zwecke seiner narrativen Bearbeitungen des sozialen Wandels und der damit zusammenhängenden Identitätsbrüche wählte er ein Verfahren, das zwar als Anschlussnahme an einen archaischen Fundus von narrativen Materialien auftritt, jedoch nicht von getreuen Rekursen auf Überliefertes diktiert wird. Seinem Verständnis psychologischer und mythomotorischer Prozesse gemäss, hat Lu Xun den funktionalen Einsatz von Mythen zur Unterstützung des Projekts einer nationalen Erneuerung gleichzeitig demonstriert und ironisch hinterfragt. 75 Damit kommt auch die im eigentlichen Sinn literarische Seite des narrativen Modus zum Zuge. Mit dem hier vollzogenen Eintritt von komplexen Bewusstseinslandschaften in die erzählten Handlungsabläufe wird keine paradigmatische Eindeutigkeit der Aussagen angestrebt, sondern ein permanenter, individueller (Welt-)Deutungsbedarf reklamiert, der von der Literatur als Auftrag an die Leser weiterzugeben ist. Vier der zwischen 1922 und 1935 geschriebenen acht Erzählungen aus den Gushi xinbian basieren vier auf archaischen Mythen, die anderen vier Gegenstände stammen aus der historischen Mythologie Chinas. Zur Deutung der Nü Wa in der ersten Erzählung “Bu tian” wurden unterschiedliche Vorschläge gemacht. Den ersten Teil der Handlung, Nü Was Schöpfung menschlicher Wesen aus Lehm und Schlamm, erklären My74 75

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“Weiyou tiancai zhi qian”, QJ 1: 166–70. Noch im Mittelalter, sagt Althoff, waren bewusstseinsfundierende Mythen auf kleinere Einheiten als Nationen bezogen. “Zwar gibt es Ansätze für die Entstehung von Nationalbewusstsein im Mittelalter, in Frankreich etwa intensiver als im Bereich des deutschen Reiches, doch ist die Nation nicht die wichtigste Einheit, die mittels fundierender Geschichtserinnerung die Identität der Menschen bestimmt.” (Althoff in Berding 1996: 15) Lu Xun, der eine Mythentradition wiederaufnimmt, die so früh aus dem Bildungskanon verschwand, dass sie von den zeitgenössischen Mythenforschern als vorpolitisch angesehen werden konnte, verwendet zweifellos Materialien mit begrenzter Reichweite. Die Frage, ob er an den politischen Aspekt, also an einen besonders engen Zusammenhang zwischen seinen “alten Geschichten” und der Nation gedacht hat, möchte ich gleichwohl mit Qian 1989 und gemäss Lu Xuns Überzeugung von der gesellschaftlichen Bedeutung und dynamischen Funktion ästhetischer Texte positiv beantworten.

thologen als Auseinandersetzung des Autors mit der Libido-Theorie von Freud.76 Dessen Idee der ästhetischen Sublimation findet in einer unbefriedigt aus ihren Träumen erwachenden Nü Wa Gestalt, die anschliessend aus ihrer ebenso unerfüllten wie unbenennbaren Sehnsucht heraus bis zur völligen Erschöpfung kreative Arbeit leistet und dabei eine paradiesische Menschenwelt ins Leben ruft. Demgegenüber bedeute der zweite Teil der Handlung, wo der mythisch überlieferte Kampf zwischen Kaiser Zhuan Xu und Rebell Gong Gong das Hintergrundthema darstellt (Birrell 1993: 95–98), eine Loslösung von Freud. Hier habe Lu Xun die Verwüstung Chinas durch die Bürgerkriege während der 1920er Jahre in einem mythologischen Setting positioniert, es wurde mit anderen Worten ein aktueller Zeitbezug hergestellt.77 Als ironischer Kommentar zur Untätigkeit seiner Zeitgenossen angesichts der nationalen Krise gilt dieser Deutungsrichtung der Tod der Göttin,78 die über ihren Bemühungen zu Reparatur und Wiederaufbau ihrer Schöpfung stirbt, während ihre Geschöpfe müssig herumstehen und ihre Leistung abfällig kommentieren. Ähnliche Auslegungen wurden auch auf die anderen Texte der Anthologie angewandt. Die Geschichte des überflüssig gewordenen Bogenschützen in “Ben yue” (1926) wurde als Paraphrase der Einsamkeit des Dichters im Xiamener Exil gesehen. Nachdem alle wilden und essbaren Tiere des Landes vernichtet wurden und auch seine Frau aus Überdruss an der eintönigen, fleischlosen Kost zum Mond entkommen ist, kann sich Hou Yi nicht entscheiden, was er lieber täte: sie mit einem glänzenden Schuss vom Mond auf die Erde zurückholen, oder ihr dorthin 76

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Qian 1989: 158–61. Allgemein zu Lu Xuns Beurteilung und Nutzung der engen Beziehung von Literatur und Psychologie vgl. Gao Xudong, “Lu Xun: Zai yisheng yu huanzhe zhi jian”, Ye 1999: 159–69. “Nü Wa verkörpert eine Schöpfungsgottheit, gleichzeitig symbolisiert sie Kühnheit, Weisheit und Kompetenz der Ahnen der Menschheit im Kampf gegen die Naturgewalten. Nachdem ein Teil der Mythen in Allegorien verwandelt wurde, kam ihr symbolischer Gehalt noch deutlicher zum Vorschein. Lu Xuns Anwendung des symbolistischen Verfahrens war in seiner Zeit des weissen Terrors, der über ein unermessliches Reich von Gespenstern gebreitet war, ein handliches Kampf[Instrument].” Qian a.a.O.: 173. Shih Shu-mei weist darauf hin, dass der Tod Nü Was auch als Konsequenz der Freudschen Libido-Theorie, die einen lebenslangen Kampf zwischen Sexual- und Todestrieb (Eros und Thanatos) postuliert, gesehen werden muss. Lu habe selbst in seinem 1933 veröffentlichten Essay “Wo zenme zuoqi xiaoshuo lai” darauf aufmerksam gemacht. Shih 2001: 90.

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nachfolgen (Qian 1989: 161–165). “Zhu jian” interpretierte der Dichter selbst als poetischen Ausdruck eines endlich entfachten gerechten, revolutionären Volkszorns (Qian 1989: 165–168). Besonders grosse Aufmerksamkeit zog “Li shui” auf sich, eine Neuauflage des populären Mythos von Flutenbändiger Yu. Jenseits aller zeitgeschichtlichen Zuordnungsversuche, die in der Erzählung entweder Kritik am reaktionären Flügel der Guomindang oder Lob für die Führung der Kommunistischen Partei während des Nordfeldzugs finden wollten, folgt Qian Mingzi einem von Lu selbst vorgeschlagenen Deutungsmuster, das den aus der Geschichte in Mythologie überführten Yu zum Symbol der heroischen chinesischen Volksseele erklärt. Im Zuge einer Überführung Yus in die Geschichte unter Beibehaltung seiner mythischen Züge – er agiert in einer zeitgenössisch dargestellten Gemeinschaft, die durch zerstrittene Fraktionen regiert wird, 79 zugleich als rituell verehrter Drachengott und als geächteter, von Arbeit und Hunger ausgezehrter Mann aus dem Volk – gelingt Lu der Beweis für ein latentes Fortwirken mythischer Denkfiguren in modernen Sinnbildungsprozessen. Gemäss Ernst Cassirers Ausführungen kann deren Tendenz, Individuen wie auch Gemeinschaften über das Medium ihrer Affektappelle zu manipulieren, am besten durch experimentelle Öffnung ihrer präformierten Kontextbindungen – zum Beispiel auf dem Weg literarischer Explorationen wie in Lus Gushi xinbian – Einhalt geboten werden.80

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Als Führungspersönlichkeit dieser lächerlichen Gruppe von Dilettanten ist unschwer Gu Jiegang auszumachen; vgl. hierzu Hon 1996, Liu 2006, Richter 1992, Schneider 1971. “Besagt nicht der Mythos eine Einheit der Anschauung, eine intuitive Einheit, die allen Auseinanderlegungen, die sie im ȼdiskursiven’ Denken erfährt, voraus und zugrunde liegt? Und selbst diese Form der Anschauung bezeichnet noch nicht die letzte Schicht, aus der er stammt und aus der ihm ständig neues Leben zufliesst. Denn nirgends handelt es sich im Mythischen um das passive Schauen, um die ruhige Betrachtung der Dinge; sondern alle Betrachtung geht hier von einem Akt der Stellungnahme, von einem Akt des Affekts und des Willens aus. Sofern der Mythos sich zu bleibenden Gebilden verdichtet, sofern er den festen Umriss einer ‘objektiven’ Welt von Gestalten vor uns hinstellt – so wird doch die Bedeutung dieser Welt für uns erst fassbar, wenn wir hinter ihr noch die Dynamik des Lebensgefühls verspüren, aus der sie ursprünglich erwächst. Nur wo dieses Lebensgefühl von innen her erregt ist, wo es sich in Liebe und Hass, in Furcht und Hoffnung, in

Der Effekt experimenteller narrativer Praxis wird noch verstärkt, wenn theoretische Reflexion diese unterstützend und korrigierend begleitet, ebenso wie die Philosophie selten ohne die Anschaulichkeit symbolischer Repräsentationen auskommt. Lu Xuns Ideen zur Rolle der Ästhetik im gesellschaftlichen Umbruch wurden postum von revolutionären Literaturtheoretikern dem Programm des Realismus einverleibt, während Zeitgenossen ihn mitunter auch für ihre elitistische Position des l’art pour l’art zu vereinnahmen suchten. Beide Dogmen werden ihm nicht gerecht. 81 In einer frühen Stellungnahme zur Nü Wa-Erzählung “Bu tian”, die zuerst unter dem Titel “Buzhou Shan” 82 veröffentlicht worden war, erteilte Cheng Fangwu Lu Xun ein wenig willkommenes Lob bezüglich dessen Überwindung einseitig realistischer Schreibverfahren: Aufgrund dieses Textes kann man sagen, der Autor bleibe nicht ausschliesslich an die Dogmen einer realistischen Schule gefesselt. [Von hier aus] hat er sich aufgemacht, in den Palast der reinen Kunst einzutreten.83

Dorthin wollte sich Lu am wenigsten verbannt wissen, wie seine an zweiter Stelle der Anthologie platzierte Version des Chang E-Mythos belegt. 84 Hou Yis Dilemma vor und nach dem Raub der Unsterblich-

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Freude und Trauer äussert, kommt es zu jener Erregung der mythischen Phantasie, die aus ihr eine bestimmte Vorstellungswelt erwachsen lässt.” Cassirer 1997: 89. “In his May Fourth phase, Lu Xun, the most ardent promoter of Nietzschean philosophy, was also the translator of Leonid Andreyev and Mikhail Artsybashev, authors of the Russian fin-de-siècle. Recent scholarship has already revised the conventional picture of Lu Xun as either realist or romantic, tilting him in the direction of symbolism, especially an affinity with Baudelaire. Lu Xun’s symbolist tendency did not amount to an articulated and coherent stance; it was one of many elements he absorbed from Western and Japanese literary trends of his time. Nonetheless, his aesthetic was unmistakably Decadent.” Sun 1996: 208. Ebenfalls zitiert und kommentiert in Gamsa 2008: 34 (FN 91); passim. Zum Einfluss Nietzsches in der asiatischen Philosophie vgl. Parks 1992. Berg Buzhou, wörtl. der Nicht-Vollständige. Eine der mythischen Säulen, die den Himmel tragen. Er wurde beim Kampf zwischen Gong Gong und Zhuan Xu beschädigt und einer Variante gemäss von Nü Wa mit magischen Steinen repariert. Vgl. Yang, An und Turner 2005: 81 f. Cheng Fangwu, “’Nahan’ de pinglun”, Chuangzao jikan 2: 2 (Feb. 1924); vgl. a. Qian 1989: 158. Zu Varianten dieses Mythos s. Yang, An und Turner 2005: 86–92.

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keitspille – vorher mangelt es ihm an Feinden und Nahrung, danach ist ihm auch die Illusion einer Fluchtmöglichkeit genommen – wurde als symbolische Repräsentation der Exilsituation Lus gedeutet, könnte aber auch als Kommentar zum “Palast der reinen Kunst” gelesen werden. Dieser, im Transzendenz-Symbol des Mondes verkörpert, war zwar Gegenstand der Träume Hou Yis, bevor Chang E ihm das Fluchtmittel entwendet hatte, wurde danach aber in noch unerreichbarere Ferne gerückt. Das einzige Mittel, sich jetzt noch seiner zu bemächtigen, wäre, den Palast mit einem Meisterschuss zu sich herunterzuholen – mit anderen Worten, ihn unwiderruflich zu zerstören. Der schöne, kalte Schein des Mondes (und von exklusiven Kunsttempeln) wird in dieser Erzählung als teurer Luxus und falscher Verführer dargestellt, den sich Chang E durch einen Akt des Egoismus unrechtmässig und nicht zu ihrem Glück angeeignet hat. 85 Lu Xun attackiert mit dieser pädagogischen Wendung des Mythos die eskapistischen Mondpalast-Phantasien traditioneller Dichter und legt seine eigene ästhetische Position offen, die auf die funktionale Bedeutung einer engagierten Kunst für gelingenden sozialen Wandel setzt, statt Kunstschaffende darin zu bestärken, sich kompensatorisch in utopische Welten hineinzuträumen. Dies bedeutet aber auch, dass die Kreativität ästhetischer Produktion kein Privileg verwöhnter Eliten sein kann. Fortschritt im Sinn der Evolution kann nur erzielt werden, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft an der Lösung von Problemen kreativ mitarbeiten und ihre Leistung allgemein anerkannt wird. Lu Xun hat diese Einsicht in einem Traktat von 1934 ausführlich dargelegt: Ich meine, dass die Menschheit schon lange, bevor sie Schrift kannte, schöpferisch tätig war. Leider hat [uns] niemand darüber berichtet, es gab ja auch kein Verfahren für [diesen Zweck]. Die primitiven Vorgänger unserer Ahnen konnten am Anfang noch nicht einmal sprechen. Erst bei der Koordination gemeinsamer Arbeit und aufgrund eines Bedürfnisses, Meinungen auszudrücken, bildeten sich komplexere Lautkombinationen heraus. Nehmen wir einmal an, sie hätten einst gemeinsam Holz gerückt und unter dem Eindruck der Anstrengung gestanden, ohne einen Ausdruck [dafür] zu haben. Da hätte einer “hau ruck, hau ruck” gerufen. Das ist eine schöpferische Leistung. Alle bewundern und benutzen [fortan seinen Ausdruck]. Das ist gleichbedeutend mit einer Publikation. Falls sie ein bestimmtes Zeichen erfinden, um diesen [Ausdruck] zu überliefern, wird daraus Literatur. Er [der Erfin-

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Vgl. das Motiv der Einsamkeit der Mondgöttin, aktualisiert beispielsweise in Chen Kaiges Film Fengyue (Temptress Moon, 1996)

der, d. Ü.] ist dann selbstverständlich ein Autor, gleichzeitig ist er auch ein Literat, der hiermit der “Hauruck-Schule” zuzuordnen ist.86

Vor diesem Hintergrund ist eine Revision seiner frühen, auf Nietzsche und Byron gegründeten Genie-Ästhetik angebracht.87 Die von Lu Xun in zwei programmatischen Essays vertretene romantische Verehrung rebellischer Einzelgänger kann unter dem Aspekt einer Rettung der Nation durch geistige Erneuerung nicht genügen. 88 Vielmehr beziehen diese “Recken der Ideenwelt” ihre “satanische Macht”89 aus dem produktiven Austausch innovativer literarischer Verfahren mit dem durch Mythen, Märchen, Kollektivsymbole, Stereotypen etc. gebildeten kulturellen Bodensatz. Ihre Anschlüsse an kollektiv entwickelte Topoi – Lu Xun nennt als Modell für die von den Europäern gestiftete Moderne unter anderem den griechischen Prometheus-Mythos sowie die biblischen Figuren des Satan und Kain (QJ 1: 73, 84) – gewährleisten eine Überwindung verkrusteter sozialer Strukturen mithilfe einer wechselseitigen Inspiration zwischen Volks- und Genie-Dichtung. Ein solches Bündnis zwischen lokaler und kosmopolitischer Einbildungskraft konnte mit Gewinn zur Lösung des Problems einer anfänglich allzu einseitigen Fixierung auf die fremden Symbolwelten des Westens angewandt werden; einer Fixierung, die von vielen Intellektuellen als Ausweg aus den Sackgassen sowohl der zivilisatorischen Rückständigkeit im Vergleich mit dem imperialistischen Westen, als auch des gegen die Mandschu-Fremdherrschaft gerichteten, ethnischen (Han-)Nationalismus gewählt worden war.90 Ihre Importe von europäisch-amerikanischen literarischen Werken

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Lu Xun, “Menwai wentan, qi, Bu shi zi de zuojia”, Qiejieting zawen, QJ 6: 93 f.; vgl. a. G. Lu 1982. Die Abhandlung Lus von 1934 nimmt allerdings einen Faden auf, der bereits 1924 im Essay “Weiyou tiancai zhi qian” (vgl. weiter oben) als kollektive Begründung genialer Einzelleistungen angeklungen war. “Wenhua bianzhilun” und “Moluo shili shuo”, beide 1907, QJ 1: 44–115; Kubin 1994, V. “Moluo shili shuo”, QJ 1: 100. Die Übersetzung des Titels als “The Power of Satanic Poetry” übernehme ich von Sun Lung-kee, vgl. Hershatter und Honig 1996: 207. Zum zeitgenössischen Diskurs über einen weltliterarischen Anschluss Chinas vgl. Aldridge 1986, Anderson 1990, Goldman 1990, Hagenaar 1993 und dies. 1992, Lee 2001, ders. 1990 und ders. 1987, Robinson 1986, Tay, Chou und Yuan 1980, Wagner in Schmidt-Glintzer 1995, Zhao 1995 und Zhao 1935. Vgl. a. Lu Xun, “Po’eshenglun”, QJ (1961) 7: 235–47.

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trugen zunächst womöglich ebensoviel zur Verhinderung wie zur Förderung interkultureller Kommunikation bei, weil sie für einen Grossteil der Bevölkerung kaum Berührungspunkte mit deren eigenen Vorstellungswelten boten. 91 Der Abstand zwischen einem verschwindend kleinen, westlich ausgebildeten Teil der chinesischen intellektuellen Elite und der allgemeinen, weitgehend auf Kenntnis der eigenen, mündlichen Überlieferungstraditionen beschränkten Bevölkerung wurde durch den Eintritt der Moderne zunächst sogar noch grösser. Erst das maoistische Regime überwand diesen Graben durch Sistierung des experimentellen Modernismus und äusserst restriktiven Einsatz fremdkultureller Elemente bei gleichzeitiger intensiver Nutzung der Möglichkeiten von Massenmedien, insbesondere von Film und Zeitung. Sowohl die Sprachreform als auch die kulturelle Beschränkung auf sehr wenige Schlüsseltexte – unter Bevorzugung der suggestiven, repetitiven Struktur mythologischer Erzählungen – erwiesen sich als nützlich für die in den nachfolgenden Jahrzehnten verfolgte, tiefgreifende Umstrukturierung des kollektiven Bewusstseins. Die Kritik postmaoistischer Intellektueller an der politisch generierten kulturellen Monotonie dieser Epoche einerseits, und die seit den 1990er Jahren überwiegend in den jüngeren oder weniger gebildeten Bevölkerungsschichten aufgetretene MaoNostalgie andererseits spiegeln das massive Integrationsproblem wieder, dem auf Dauer nicht mit Massnahmen beizukommen war, die auf der Basis kulturpolitischer Bevormundung getroffen wurden,92 das aber auch mit der jetzt prioritär vorangetriebenen wirtschaftlichen Entwicklung allein nicht zu lösen ist. Überraschenderweise steht Lu Xuns Vision einer Befreiung der chinesischen Nation mithilfe einer vor religiös oder weltlich codierten Autoritätsfiguren nicht zurückschreckenden, rebellischen Avantgarde Richard Wagners Position in seiner Begründung des Antigone-Mythos 91

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Eine neue Sicht auf Theorien interkultureller Kommunikation im Licht von Postkolonialismus und weltliterarischen Rezeptionsgeschichten weist Doris BachmannMedick in dies. 1996: 7–64 und 262–90 auf. Li Tuo spricht in seiner Einleitung zu Yu Huas Erzählungen vom langersehnten Abschied von der mit dem Konzept einer Literatur für alle entstandenen Einheitssprache Mao wenti (Yu Hua, SBS 1990: 5–14), er vertritt hierbei aber vorrangig den Standpunkt der gebildeten Elite; vgl. a. Liu Zaifu, “Farewell to the Gods”, in Chi und Wang 2000: 1–13, wo er über das Fehlen autochthoner Poetiken der Moderne klagt. Zum “Mao-Fieber” der 1990er Jahre s. Barmé 1996.

näher als der ökonomisch begründeten Linie Karl Marx’. Wagner sah den grössten Feind der gesellschaftlichen Evolution nicht in der Machtgier oder dem Gewaltmonopol der politischen Eliten, sondern vielmehr in “Gewohnheit, […] Sorge und […] Widerwillen vor der Neuerung” (Wagner 1994: 192) von Kollektiven. Wagners ästhetische Sichtweise auf revolutionäre Bewegungen, die einen christlichen Humanismus auf Kosten der jüdisch-väterlichen Autoritätsfigur nordisch-mythologisch verankert und indisch resemantisiert hatte,93 explizierte die janusköpfige Rolle mythologischer Narrative in der Gesellschaft noch genauer. Einerseits legitimieren Mythen, wie Wagner am Nibelungen-Stoff verdeutlicht hat, die totemistischen Rituale der Gemeinschaft zur Gesetzesbefestigung, andererseits überwinden sie dieselben, zu toten Konventionen geronnenen Gesetze der Gesellschaft, wenn ihr Aktualisierungspotential wie im Ring der Nibelungen dadurch ausgeschöpft wird, dass ihre Rebellen in die Rolle von Menschenopfern eingerückt und auf diese Weise zu 93

“Die Christologie Wagners bezieht sich auf linkshegelianische Anschauungen über den göttlichen Status der Menschheit, die auch Heine vertrat. Das menschliche Bewusstsein habe das absolute Wissen erreicht und den transzendenten Gottesbegriff abgelöst, so dass es sich nun ein libertäres Gesetz auf den Leib schreiben könne. Die interessantere Konsequenz Wagners ist aber, dass sich »das Gesetz gegen Gott selbst« wendet, indem es ihn auf einen Begriff des Guten festlegt und so seine schöpferische Kraft lähmt. Wenn der Mensch das Gesetz aufhebt, beendet er also auch »das Leiden Gottes«, indem er ihn wieder mit der Natur vereint. Der erlösungsbedürftige Gott, der sich einen menschlichen Befreier erwählt, wird für Wagner bis zum »Ring des Nibelungen« und dem »Parsifal« ein zentrales Motiv bleiben.” Hartwich 200: 153; und: “Wenn sich am Ende in beiderseitigem gehorsamen Ungehorsam Brünnhilde und Siegfried paaren […], dann erfüllt sich in ihrem Untergang nicht etwa der Wortlaut des Gesetzes, sondern der offenbar gewordene Wunsch Wotans, selbst in der Stellvertreterschaft durch den strahlenden Helden untergehen zu können, nachdem er sich selbst durch die Bürgschaft seines Namens um den ‘Genuss seiner eigenen Natur’ als das ‘Allerersehnenswerteste’ gebracht hat. […] Diese Neu- und Umdeutung […] war ebenfalls, wie die Dekonstruktion des sophokleischen Ödipus, aus der […] Perspektive des Sohnes unter Rekurs auf die Perspektive des Vaters sowie vor allem auf dessen Selbstabdankung im Angesicht ‘republikanischer Bestrebungen’ […] vorgenommen worden. Wotan war nicht das personifizierte schlechte Gewissen der verratenen Revolution […], wohl aber das auf ihn übertragene schlechte Gewissen des Verrats an der Revolution. Er hatte in Gestalt der eigenen Selbstabdankung die Selbstabdankung zu legitimieren, dank derer er anstelle des jugendlichen ‘freien’ Helden zum ‘Protagonisten’ […] der in sich kreisenden […] Auflösung der alten Ordnung […] wurde.” Turk 2003: 335.

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revolutionären Märtyrer-Helden stilisiert erscheinen, die beispielsweise das Gedächtnis und die Schuld einer verratenen Revolution einklagen.94 In seinem Nachwort zu Aleksandr Bloks (1880–1921) Gedicht über die Oktoberrevolution, “Dvenatcat’” (Die Zwölf, 1918), räsonierte Lu Xun über die Gründe für Bloks Entscheidung, Jesus Christus als Führer der Revolutionäre und Träger des weissen Banners darzustellen. Ob Blok damit nun sagen wollte, dass Jesus auch diese Revolution gut heisst, oder ob seine literarische Figur bedeutet, dass ohne Jesus keine Rettung möglich ist, so ist das Gedicht jedenfalls aufgrund dieser Repräsentation nicht mehr revolutionär, meinte Lu. 95 In seinen eigenen mythmotorischen Iterationen zog er es deshalb vor, die Verantwortung für die Umsetzung der notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen auf die Leser zu übertragen. Der Held der Erzählung “Ben Yue”, die im selben Jahr geschrieben wurde wie das Nachwort zu Bloks Gedicht, verharrt in seinem Dilemma, seine alten Lebens- und Vorstellungswelten zerstören zu müssen, ohne einer konkreten Vision des danach kommenden Neuen nachzueifern. Dieser fundamentale Zweifel Lus bot den politischen Zielsetzungen der Kommunistischen Partei weitaus weniger Überzeugungspotential als der revolutionäre Symbolismus Bloks. Im Kanonisierungsprozess nach der Gründung der Volksrepublik fand wohl aus diesem Grund eine Selektion statt, welche ambivalente Texte wie die Gushi xinbian aus den Standard-Anthologien des sozialistischen Realismus fernhielt.96 Stattdessen setzte sich in der Literatur der fünfziger bis siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein von der europäischen Romantik inspirierter revolutionärer Realismus durch, dessen neue Mythologie einen manichäisch codierten, also keinesfalls durch Ambivalenzen wie die Wagnersche Figur einer väterlichen Selbstauslöschung oder die Antihelden-Narrative Lu Xuns abgeschwächten Heldenkult beschwor.

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“Das Verschwinden des Heiligen kann sich dabei als Humanisierung darstellen wie in der Beziehung Brünnhildes und Siegfrieds oder sich als menschenverachtender Materialismus auswirken, wie er im Reich der Gibichungen herrscht.” Hartwich a.a.O.: 157. Lu Xun, “’Shier ge’ houji”, QJ 7: 298–303, hier: 300. Dies gilt noch mehr für die zahlreichen Anschlussnahmen und Fortsetzungen der Shanghaier Modernisten (Hai pai) in den Vierziger Jahren, die erst im postmaoistischen Rekanonisierungsprozess ein Comeback erfahren haben. S. hierzu Y. Wang 2007 sowie über die zahlreichen Fortsetzungen der Gushi xinbian in den 1940er Jahren Y. Wang 2007.

Vielmehr fand darin eine partielle Übertragung der Machtansprüche auf das im traditionellen Konfuzianismus untergeordnete mütterliche Prinzip statt, welches sich offenbar aufgrund seiner kulturell ambivalenten Position zur Legitimation der Kommunistischen Partei eignete. Eine Kulmination dieses mythopoetischen Verfahrens lässt sich in den kulturrevolutionären Filmen, Romanen und Modellopern beobachten,97 wohingegen dessen Dekonstruktion eines der Hauptanliegen in postmaoistischen Mythenrevisionen wurde.98 Der im Glauben an die Erlösungsmacht der Revolution begründete, die Söhne und Töchter der konfuzianischen Patriarchen unter Eliminierung der konventionellen geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen engagierende maoistische Heroismus wirkte auch im historischen Roman als zentrales Identifikationsmuster. Ihm entspricht eine eindeutige, auf Binäroppositionen wie Freund und Feind, gut und böse, hell und dunkel, stark und schwach beruhende Weltordnung. Aufgrund der engen Bindung zwischen politischem und literarischem Diskurs bildete sich in dieser Epoche, das heisst im Kontext des materialistischen GeschichtsParadigmas, nur ein sehr enger, eindeutig definierter Möglichkeitsraum des Erzählens heraus. Mythen wurden verwendet, um die neuen sozialen Eliten und ihre revolutionäre Wahrheit in kosmischen Gefechten und paradiesischen Zukunftsvisionen symbolisch zu legitimieren. Die Rezeption westlicher Mythologien wurde folglich vom maoistischen Regime nicht mehr wie im Avantgarde-Modernismus des Vierten Mai impulsgebend eingesetzt, sondern popularisiert und mit den Dämonologien beziehungsweise chuanqi-Traditionen der Feudalzeit verschmolzen. 99 97 98

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Vgl. hierzu Kubin 1999b und Judd in Joseph, Wong und Zweig 1991. S. beispielsweise Han Shaogongs ineinander gespiegelte Dekonstruktion geschlechtsspezifischer Autoritätsansprüche in den beiden Erzählungen “Ba ba ba” (1985) und “Nü nü nü” (1985), beide in Han 1992 und Xu Kuns mythologisch fundierte Genealogie weiblicher Schuld in Nü Wa, Xu 1995: 1–129. “In dieser Epoche wählten viele Autoren als Material für ihre Romane den antijapanischen Widerstandskrieg und die revolutionären Befreiungskämpfe der 20er und 30er Jahre. So erreichten sie eine umfassende Reflektion des Lebensalltags unter den Bedingungen der Kämpfe in der Zeit der demokratischen Revolution. In Sun Lis “Anheben des Sturms” wird der antijapanische Sturm am Ufer des Hutao-Flusses [Provinz Henan, Anm. d. Verf.] in empfindsamer Diktion dargestellt. Zhi Xias “Die Eisenbahnguerilla”, Feng Zhis “Die Arbeitertruppe im Rücken des Feindes”, Feng Deyings “Bittere Blume”, oder Li Yingrus “Revolutionäres Gefecht in einer historischen Stadt” reflektieren jeweils die komplexen Gefechtssituationen im

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Dies alles mündete in eine nationale Grosserzählung, den Mythos der Revolution, der durch die Literatur nicht weiter kritisch befragt, sondern vielmehr episch vertieft und wirkungsvoll perpetuiert werden sollte. Der Sieg der Kommunistischen Partei wurde in historischen Darstellungen von Kämpfen der Gründer einer neuen Gesellschaft gegen deren interne und externe Feinde gefeiert, wobei die unter anderem auch von Lu Xun ausgerufene Ästhetik des gerechten Zorns für drastische Bilder sorgte,100 während sogenannte “zhongjian renwu” (mittelmässige Persönlichkeiten) mit ihren privaten Krisen und Gefühlen in den grossen revolutionären Erzählungen wie Hong yan (Roter Fels) oder Jinguang dadao (Der goldene Weg) nicht erwünscht waren (Huang 1973, Zhu 1999, Wang 1993: 71–93). Gleich nach Maos Tod unternehmen es die Autoren der 1980er und 1990er Jahre, diese politisch konstruierte Synthese von unterschiedlichen Glaubens- und Überzeugungssystemen mythenkritisch aufzubrechen und die maoistische Zweiteilung der chinesischen Welt in eine feudale Hölle und ein sozialistisches Paradies – vor allem am Beispiel der unter Mao stark schematisierten Zustände auf dem Land – ad absurdum zu führen. Dies bedeutet unter anderem, dass der während der Mao-Ära vom Revolutionsmythos emphatisch verklärte Schrecken einer unkontrollierbaren, chaotischen Wirklichkeit entthront wird, so dass die zeitgenössischen Texte wenn überhaupt möglich sogar noch mehr und noch drastischer Gewalt repräsentieren, diese Gewalt aber andererseits nicht mehr ideologisch begründet oder gar gerechtfertigt werden kann. Zusammenfassend lässt sich über den weltliterarischen Horizont der im 20. Jahrhundert eingeleiteten Experimente mit mythologischen Repertoires sagen, dass deren Funktionalität in den verschiedenen Phasen des gesellschaftlichen Umbruchsprozesses unterschiedlich bewertet wurde. Während die Rezeptionslage vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis weit in die 1970er Jahre hinein Intellektuelle eher dazu anregte, mit Mythen

Rücken des Feindes in den Regionen von u.a. Lunan (Shandong), Jizhong (Hebei), Jiaodong (Shandong) und Baoding (Hebei), ihre Handlungsstruktur ist voller Wechselfälle, sie sind geprägt von vielerlei chuanqi-Anklängen .” Zhu 1999, 2: 17– 35, hier: 17. 100 Wang 1997; zu den literarischen enactments von revolutionärer Gewalt in zeithistorischen Romanen vgl. Wang in Chi und Wang 2000: 39–64, zum magisch-mythologischen Arsenal eines revolutionären Romans von Hao Ran s. Elvin 1997: 149–77.

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als fundierenden Geschichten im nationalen Rahmen zu experimentieren, tendierten Autoren der 1980er und 1990er Jahre eher dazu, sie wieder zu partikularisieren, das heisst als subnationale Identifikation ermöglichendes, konkurrierendes, regionales Gegenüber der modernen Nation einzuspielen. Allen Modernisierungsphasen gemeinsam ist das Festhalten am Einsatz von (thematisch variierenden) Mythen zum Zweck der Selbstbeschreibung und Grenzziehung gegenüber anderen ideologischen Gruppierungen oder Gemeinschaften, wobei der funktionale Aspekt national erweiterter Mythologien darin besteht, dass sie für alle Bildungsschichten leicht zugängliche, elementare Wissens- und Symbolarchive bereitstellen, die in ihren geohistorischen Faktoren partikular, in den aufgerufenen psychosozialen Mechanismen aber universell argumentieren. Die Veränderungen der kommunikativen Dynamik durch Modernisierungsprozesse innerhalb und zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen nationaler, sub- oder transnationaler Gemeinschaften verlagern das Gewicht zunehmend von den primären Mythen auf sekundäre, zum Beispiel in der Literatur gebildete Narrative mit residualen mythologischen Spuren.101 Literarisch fortgeschriebene Mythen können über das provozierende Spiel mit der Verhüllung des Schreckens gleichzeitig eine Enttarnung der dunklen Seiten des kulturellen Unbewussten leisten und sind vom ideologischen Gebrauch der Mythologie als pseudoreligiöse Propaganda mit unbedingten Wahrheitsansprüchen zu trennen. Bereits Zhou Zuoren erkannte diese aufklärerische Funktion der mythopoiesis. Nur wenn und indem sie Dichter sind, bemerkte Zhou in seiner Evaluation der Bedeutung des Mythos für die zeitgenössische literarische Produktion, schaffen Mythenmacher bedenkenswerte, weil unechte (sekundäre, moderne) Mythologien.102 Der weltliterarische Austausch von Mythemen fördert schliesslich eine funktionale (Zeit-, Klassen- sowie 101 Mehrere Beispiele für literarische Mythenbildungen, die er einem Lexikon chinesischer Mythen[-Bildung] in Texten moderner Autoren von Zhao Mingtong (Zhongguo xiandai zuojia shenhua zuopin jingxuan, 1991) entnommen hat, nennt Yuan Ke. Zum einen belegten u.a. zwei Tang-Erzählungen, das “Guyue dujing” von Li Gongzuo und “Liu Yi” von Li Chaowei, das Vorhandensein reiner Erfindung von mythischen Figuren in der chinesischen Klassik. Zum anderen zeige Feng Zhis Gedicht “Canma” (Falada), vermittelt über den Mythos des tröstenden, sprechenden Pferdes, deutlich europäischen Einfluss. S. Yuan Ke, “’Zhongguo xiandai zuojia shenhua zuopin jingxuan’ xu”, ders. 1996: 304–8. Für biblische Topoi vgl. Gálik 1995 und 2009 sowie Kubin 1999. 102 Zhou, “Shenhua de bianhu”, ZZRQJ 2: 370; vgl. Daruvala 2000: 89.

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Rezeptionsindices) und räumliche (Medienkommunikation, Transnationalität) Erweiterung der Literaturgeschichte, setzt aber der interkulturellen Verständigung gleichzeitig neue Hürden, was beispielsweise die Rezeptionsprobleme im Zusammenhang mit symbolischen Archiven supranational vertriebener nationaler Literatur-, Theater- und Filmproduktionen belegen.103

2.3 Das Prinzip des Phantastischen

Wie bereits der Blick auf die Folklore gezeigt hat, brachte die chinesische Rezeption westlicher anthropologischer Literatur nicht nur einen wichtigen Anstoss zur Erforschung der eigenen Mythen im engeren Sinn ein, sondern erfasste darüber hinaus auch benachbarte Disziplinen. Eine erstaunliche Ausnahme bildet die phantastische Literatur in den Genres von zhiguai (Anomieberichte) und chuanqi (Romanzen), die aufgrund ihrer übermächtigen Traditionsbezüge von der Mehrzahl sowohl konservativer, als auch fortschrittlich gesinnter Intellektueller für reformuntauglich angesehen wurde. Anders als bei der Mythologie existieren für diese Genres seit der Tang-Zeit nicht nur herausragende literarische Appropriationen, sondern auch wichtige Theorie-Ansätze.104 In der Praxis erlebten die auf die Repräsentation phantastischer Phänomene gestützten Schreibverfahren während der ersten literarischen Modernisierungswelle aber doch eine beachtliche Konjunktur. Ebenso wie der politische Roman im Jahr 1902 durch einen Kreis von Intellektuellen um Liang Qichao programmatisch begründet wurde, fand sich auch ein

103 Gedacht ist hier beispielsweise an Jamesons Allegorie-Diktum (Jameson 1987) sowie die Weiterführung der Saidschen Orientalismus-Debatte durch chinesische Kulturwissenschaftler und westliche Sinologen. Vgl. Chen 1995 und dies. 1992; Riemenschnitter 2001. Man kann aber auch die zeitweise hitzige Kritiker-Debatte um Zhang Yimous Film Yingxiong (Hero, 2002) anführen. Für eine historisch-hermeneutische Kontextualisierung des Filmnarrativs s. Pines 2008. 104 Gesichtet und ausgewertet beispielsweise in: Campany 1996, DeWoskin 1996, Huntington 2003, Kao 1985, Lu 1994, Zeitlin 1993 u.a.

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Kenner westlicher Science Fiction, der im Jahr 1905 an chinesische Autoren appellierte: Westliche Romane haben [...] eine Besonderheit vorzuweisen, das ist der Wissenschaftsroman.105 Wer könnte behaupten, dass China dem Westen überlegen sei, wo es diese Gattung überhaupt nicht kennt? Dem ist entgegen zu halten: Das ist eine Folge der fehlenden Blüte der Naturwissenschaften in China, es wäre deshalb nicht angebracht, über Chinas Über- oder Unterlegenheit im Bereich der Romanliteratur zu diskutieren. Wenn jemand mit der Feder eines grossen chinesischen Autoren einen Wissenschaftsroman schreiben würde, so bin ich mir sicher, dass er weit besser als die westlichen gelänge. Darüber hinaus ist der Roman eine literarische Gattung. Das Wesen der Literatur liegt bekanntlich in der Fiktion, nicht in der Empirie. Deshalb könnte der Wissenschaftsroman wohl niemals den ersten Rang in einer Hierarchie der Romangattungen einnehmen. Man kann andererseits aber auch nicht behaupten, dass phantastische und andere Anomie-Romane wie Jinghua yuan [Flowers in the Mirror] oder Dangkou zhi [Quell the Bandits], oder der auf medizinisches Wissen rekurrierende Roman Xiyou ji [Reise nach dem Westen], nicht auch [Spielarten des] Wissenschaftsromans wären. Wie überaus bedauerlich, dass Jinghua yuan und Dangkou zhi allzuweit von jeglichem praktischen Nutzen entfernt sind, und [das wissenschaftliche Potential des] Xiyou ji nur verhüllt [Eingang finden konnte]. Gleichwohl wäre die Behauptung, unsere Vorfahren hätten derartiges Denken gar nicht gekannt, böse Verleumdung. (Yu 1997: 13)

Kurz zuvor hatte auch Lu Xun im Vorwort seiner Übersetzung von Jules Vernes Reise zum Mond (De la terre à la lune. Trajet direct en 97 heures 20 minutes, 1865, chin. Übers. Yuejie lüxing, 1903) konstatiert, die chinesische Fiktion sei zwar reich an Narrativen des Romantischen, Abenteuerlichen und Phantastischen, aber arm an wissenschaftlicher Belletristik.106 Die Beobachtung Lus war vielleicht gleichzeitig zutreffender und weniger beklagenswert, als es der unter dem Pseudonym “Der Ritterliche” (Xiaren) firmierende Verfasser der oben zitierten Polemik wahrhaben wollte. Jedenfalls sollte Lu Xun selbst später Experimente mit dem phantastischen Genre anstellen,107 und seit dem Ende der Kulturrevolu105 “Kexue xiaoshuo”, später “kehuan xiaoshuo” (Science Fiction); vgl. a. Wagner in Kinkley 1985. 106 Vorwort in QJ 10: 151–4; Wang 1997: 254. Dort findet sich auch ein Verweis auf die vermutlich erste chinesische Science-Fiction-Übersetzung: Edward Bellamy, Looking Backward: 2000–1887, ersch. 1888, chin. 1891–2. 107 S. insbesondere den Zyklus Ye cao (Wilde Gräser), der allerdings transkulturell – als Nietzsche-Rezeption – angelegt ist. QJ 2: 159–225, dt. Übers. Kubin 1994, VI: 82–147.

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tion beschäftigen sich einige der bedeutendsten Romanciers und Filmemacher der Gegenwart wieder intensiv mit den vielfältigen Möglichkeiten dieser traditionellen Gattung im modernen ästhetischen Kontext. Sowohl während der Spät-Qing- und der Republikzeit, als auch in zeitgenössischen Filmen und in der Belletristik wurde derart häufig auf das Phantastische als Repräsentationsmodus gesetzt, dass nicht nur die Frage nach dessen spezifischer Funktion, sondern auch Probleme der Beziehung zwischen diesem und den jeweils zugrundeliegenden ästhetischen Programmen in den Blick kommen. Der wichtigste Unterschied zur mimetischen oder realistischen Literatur ist nach Napiers Einschätzung nicht qualitativer, sondern gradueller Natur. Obwohl alle Fiktion gegenüber der empirisch wahrnehmbaren Realität eine mehr oder weniger verfremdende Haltung einnehme, bilde der scharf oppositionell ausgebrachte Kontrast zu derselben die eigentliche raison d’être des Phantastischen. Diejenige Realität, welcher literarische Werke in unterschiedlicher und komplexer Weise begegnen, ist im Fall von Napiers Auswahl durch die japanische Nation des 20. Jahrhunderts konstituiert – ihre Geschichte, Gesellschaft und offizielle Ideologie. Dabei kann die offiziell vertretene Weltanschauung durch den Übertritt vom empirischen Wahrnehmungsraum in imaginäre Welten entweder bestätigt oder in Frage gestellt werden (Napier 1996: 5–11). Einige chinesische Wissenschaftsromane der Spät-Qing-Zeit wirken sogar gleichzeitig in beide Richtungen, indem sie ein zukünftiges, vom Westen übernommenes kulturelles System nach dessen vollständiger Etablierung im eigenen Land feiern. Die Vision einer blühenden Nation nach sechzig Jahren politischer Reformen und wissenschaftlich gesteuerter Innovation in Liang Qichaos Roman Die Zukunft des Neuen China (XZG) bewertet die Massnahmen der Regierung zur Bildungsreform positiv, während sie gleichzeitig weitergehende politische Veränderungen anmahnt. Das Phantastische erscheint hier allerdings nachhaltig domestiziert. Als ein dem Realismus von technischer Machbarkeit und Plausibilität verpflichtetes Fortschrittsprinzip überschreitet die Imagination lediglich die temporale Grenze des gegenwärtigen zivilisatorischen Zustands der Nation. Ähnlich arbeitet auch der Bericht über High-Tech-Ausstattung und perfekte soziale Organisation an Bord eines Luftschiffs für Weltenbummler in einer Erzählung von Xiaoran Yusheng, Wutuobang youji (Bericht meiner Reise nach Utopien, 1906; Yu 1997: 73–86, hier: 78 f.).

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Die in Xiaorans unvollständiger Novelle, aber auch in Liang Qichaos chinesischer Utopie beschworene ideale Ordnung bedient sich mythologischer Strukturen, um den Umsturz der alten zugunsten einer neuen und besseren Gesellschaftsordnung zu unterstützen. Diese Strukturen betreffen jedoch nur den Raum der Nation als enthistorisierten Schauplatz der phantastischen Erfolge chinesischer Modernisierungspolitik. Indem es ihr zum imaginär antizipierten Stichdatum im Jahr 1962 gelungen sein soll, ihre einst führende Position im neuen, global erweiterten politischen Kosmos wieder einzunehmen, fallen glorreiche Vergangenheit und Zukunft der Nation mythisch ineins. Getreu dem neuen Paradigma der Wissenschaftlichkeit haben übernatürliche Protagonisten von Mythen und phantastischer Literatur keinen Ort in dieser Romanform, obwohl Liang Qichao dem Phantastischen in seinem Konzept des politischen Romans durchaus Raum zugesteht.108 Die Welt der Götter, Geister, Dämonen und hybriden Wesen verbleibt in Liangs literarischem Universum an dem ihr traditionell zugewiesenen, marginalen Ort, in Folklore und Unterhaltungsliteratur. In den frühen totemistischen und animistischen Glaubenssystemen noch Sinnbilder einer höheren Weltordnung, werden die Geister der zhiguai-Fiktion in späteren Epochen mehr und mehr zu Symbolen von existentieller Bedrängnis aufgrund von unfreiwilligen Ortswechseln oder Verlagerungen der Protagonisten in dystopische Zwischenzonen. Zugespitzt findet sich diese Bedrängnis im spätimperialen Diskurs des Phantastischen, dessen Funktion eines narrativen Ausagierens krisenhaft erlebter Wirklichkeitsverluste auch im Amerika und Europa der industriellen Revolution in Verbindung mit dem ästhetischen Programm der Romantik ausgiebig in Anspruch genommen wurde. Beispielhaft ist Edgar Allen Poes Roman The Fall of the House of Usher (1839), in dem ruhelose Tote ihre lebenden Nachkommen heimsuchen und in den Untergang treiben. Eine Verinnerlichung des Zusammenbruchs traditioneller sozialer Strukturen schliesst Poes Protagonisten in eine Welt des Grauens vor den losgelassenen Kräften ihrer eigenen unbekannten beziehungsweise verdrängten Bewusstseinszonen ein, aus der es kein Entrinnen für sie gibt. Ge Feis Roman Diren (Der Feind, 1990) orientiert 108 “Zhongguo zhi weiyi wenxue bao: Xin xiaoshuo”, zit. in Wang a.a.O.: 302; zu Liang vgl. Levenson 1953, Martin 1973, Tang 1996; zum politischen Roman s. Yeh 1990.

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sich erkennbar an diesem Handlungsmuster, obgleich die mysteriösen Vorfälle bei ihm in umgekehrter Richtung geschehen. Zunächst wird ein Grossteil des Anwesens der Familie Zhao durch einen Brandanschlag zerstört. Eine Liste der Verdächtigen, die der Patriarch des Hauses nach dem Anschlag aufstellt, führt letztlich nicht zum Täter. Alle Familienmitglieder der übernächsten und folgenden Generation sterben, nur der Erbe und neue Patriarch Zhao Shaozhong überlebt. Er bleibt damit auch als Täter übrig, allerdings als ein Täter, der selbst offenbar bis zum Ende nichts von seinen eigenen Taten weiss. Die krisenhafte historische Situation ihrer Nation in Verbindung mit einer ersten Begegnung mit westlichen, ästhetisch reflektierten Reaktionen auf die industrielle Revolution hatte schon die chinesischen Autoren des Vierten Mai dazu bewogen, in den 1910er und 1920er Jahren nicht nur den bürgerlichen Realismus, sondern gleichzeitig auch die romantische Subjektivität mitsamt ihren Gespenstern von der europäischen Kultur zu übernehmen. 109 Damit relativiert sich die ins modernistische Programm eigentlich prominent eingetragene Ablehnung des Phantastischen als Repräsentationsmodus und es lässt sich eine mehr oder weniger kontinuierliche literarische Umsetzung von den archaischen Archiven über Pu Songling und die Rezeption von europäischen Romantikern wie Edgar Allen Poe durch Schriftsteller wie Lu Xun, Yu Dafu, Shi Zhecun und Wen Yiduo bis hin zu Bi Feiyu, Ge Fei, Jia Pingwa und Yu Hua, ja sogar auch unter Einbezug der maoistischen Feen und Gespenster nach dem Vorbild mythologischer Romane wie Xiyou ji (Die Reise nach dem Westen, 16. Jh.) oder Jinghua yuan (Blumen im Spiegel, 1819) nachweisen. 110 In allen genannten Texten symbolisieren nicht- oder halb-menschliche Wesen Chaos, indem sie die gesellschaftlich institutionalisierte Ordnung und damit etablierte Machtverhältnisse in Frage stellen. Figal attestiert dem Genre demgemäss eine universelle, transkulturelle Wirkungsweise, die wesentlich darin bestehe, die Vernunft der sozialen Ordnung beziehungsweise Herrschaft mit ihrem Anderen zu konfrontieren:

109 Z.B. bei Lu Xun, “Moluo shili shuo”, in QJ 1 (s.o.). 110 Über Resemantisierungen des Affenkönigs aus Xiyou ji in Drama und Bildkultur der Kulturrevolution vgl. Wagner 1990: 139 ff. Allgemein zur Praxis der kontinuierlichen Aktualisierung von mythologischen Romanstoffen in Fortsetzungen und Supplementen späterer Epochen vgl. Huang 2004.

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Yet when questions of human knowledge and power, of social and political order, are at stake, Plato exiles the poets from the Republic and Confucius banishes the spirits from discussion. Why such treatment of fantasizers and their prodigies? Perhaps because, not bound to rules drawn from a measurable material world, the caprice of imagination disconcerts the precision of the ratio, the root of reason. It can become a threat to order (Figal 1999: 4).

Maos Regime unterscheidet sich insofern von den konfuzianisch befestigten feudalen Regimes, als er die latente, populärkulturelle Drohung der für gesellschaftliches Chaos verantwortlichen Gespenster an die Oberfläche des kulturellen Bewusstseins (zurück)brachte und die Machtfrage in offener Konfrontation mit den imaginären Widersachern seiner Politik zu klären suchte. Konfuzius war diesem Kampf ausgewichen, mit einer vernunftgestützten Strategie des Appeasements, die gleichzeitig Anerkennung durch Opfern und Zurückhaltung gegenüber den Geistern empfahl. Die von Todorov vorgeschlagene Lösung, das (moderne) Phantastische als Moment des Zögerns zu definieren, der beim Leser ebenso wie bei den Charakteren auftreten kann, liegt in der Grauzone zwischen Anerkennung und Ablehnung und lässt sich nur bedingt auf Texte wie den von Ge Fei anwenden, die nur noch mit dem Unheimlichen als psychologischer Kategorie beziehungsweise als existentieller Erfahrung spielen, ohne eine Gegenwelt figurativ auszubuchstabieren. Die Pointe liegt in der Kritik Todorovs am Genre, wenn er zwar das Phantastische einerseits einer durchaus dynamischen Beunruhigung zuordnet, die von den wiederkehrenden, verdrängten Orientierungen der Vergangenheit ausgeht, es aber andererseits der apolitischen Realitätsflucht in eine utopische (Möglichkeits-)Welt der Wunder und Verzauberung zeiht. Das Zögern stelle sich dann ein, wenn Erklärungen für ein bestimmtes, für unmöglich gehaltenes Ereignis oder für eine unheimliche Erscheinung gefordert sind. Todorov zufolge gibt es zwei unterschiedlich gewichtete Verlaufsformen der Irritation. In der leichten Variante kann das Ereignis nachträglich durch eine rationale Wendung, zum Beispiel die Enthüllung des Phänomens als Halluzination oder Trick, neutralisiert werden. Schwerwiegender gestalte sich die Irritation, wenn sich das Unmögliche – im Rahmen einer Überschreitung der Grenzen der sinnlich erfahrbaren Welt – im fiktionalen Geschehen tatsächlich ereignet (Todorov 1975, Napier 1996: 6 f.).

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Der im Traum angekündigte Tod der grauen Frau in einer Erzählung Yu Huas,111 oder die ebenso mysteriösen Todesfälle in Ge Feis bereits erwähntem Roman Der Feind belegen diese Art der Irritation und ihre romantische Tradition. Nicht erst seit Freud ist der Weg des Weiteren auch offen für eine ambivalente Haltung der Texte hinsichtlich der Deutung von Ereignissen, was die Dies- oder Jenseitigkeit ihrer Bezugspunkte betrifft. Das Todorovsche Moment entfaltet hier, zwischen den beiden Polen einer schliesslich enthüllten Täuschung und einer rational unauflösbaren (fiktionalen) Realität, seine intensivste Wirkung. In Erzählungen wie “Shibasui chumen yuanxing” (SBS; “Weite Reise mit Achtzehn”) von Yu Hua bleibt offen, ob die unerklärliche Fremdheit der gewalttätigen Aussenwelt – eine unbegründete, monströse Feindseligkeit von Individuen und Gruppen gegenüber einem jungen Wanderer – ihren Grund in deren Gespenster-Identität hat, an die sich Kenner der zhiguaiFiktion erinnert fühlen, oder nicht.112 Meine Lesart von Yu Huas hermetischer Erzählweise lässt sich durch kontrastierende Lektüren stützen, wie beispielsweise Jia Pingwas Zyklus von zhiguai-Erzählungen, Taibaishan ji (Geschichten vom Taibai-Berg, 1989),113 der eine umgekehrte Richtung einschlägt und das Spannungsfeld der (allgemein)menschlichen Instinkte und Gefühle archetypisch, also von den archaischen Gespensterfiguren her, aufrollt. Jin Tushuang (“Der doppelt Gold spuckt”) gibt in seinem kurzen Kommentar zu Jias zhiguai-Zyklus, “Geheimcode für das Lesen von Taibaishan ji” (TBSJ: 13), mehrere Anregungen zur Deutung der Kurzerzählungen. Obgleich in verständlicher Sprache geschrieben, seien die Texte doch nicht etwa leicht zugänglich. Zunächst erklärt Jin dies mit einer Metamorphose des Weltbildes und Lebens111 Dies ist die Geschichte eines prognostischen Traums, dem der Träumer durch einen Trick zu entkommen sucht und gerade dadurch die eigentliche Katastrophe auslöst. Er träumt, mit seinem Lastwagen eine graugekleidete Frau zu überfahren. Als er am nächsten Tag eine solche Frau sieht und beinahe überfährt, kauft er ihren grauen Mantel, um diesen stellvertretend auf der Strasse zu überfahren. Die Frau hebt ihren Mantel danach wieder auf, geht nach Hause und stirbt in der folgenden Nacht aus ungeklärter Ursache. Yu Hua, “Shishi ruyan”, YHWJ 1993. 112 Zum Verhältnis von Geschichtsschreibung und zhiguai vgl. Lee 2001 und von Franz 1994. 113 Shanghai wenxue 8, 1989: 4–12; vgl. a. Cao 1999: 178–82. Dt. Übersetzung und Kommentare s. Riemenschnitter 2009 c. Über die Identität des Kommentators Jin Tushuang, hinter dessen Pseudonym sich Jia Pingwa verbergen soll, s. den Beitrag von Tai Kexiang (Tai 2005).

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gefühls, die durch einen langen Krankenhausaufenthalt Jias ausgelöst worden sei. In dieser Zeit sind gemäss Jin die absonderlichsten Ideen, welche in Jias Kopf herumgespukt haben, zum literarischen Text der Taibaishan ji geronnen. Er führt aus: Unter den gegenwärtigen literarischen Werken sind Beschreibungen des Unterbewusstseins beliebt. Häufig wird das Verfahren des Bewusstseinsstroms angewendet, um mithilfe eines imaginären Gegenstands einen realen Gegenstand auszudrücken. Taibaishan ji geht indessen den entgegengesetzten Weg, es benützt das Reale, um Imaginäres auszudrücken, und beschreibt [die Prozesse des] Übermannt-Werdens der Menschen durch das menschliche Unterbewusstsein (ren zhi qianyishihua) als einen realen Gegenstand. Der Vorteil liegt nicht nur im Mysterium der Verwandlung, sondern mehr noch im Evozieren der Komplexität menschlicher Wahrheit. In der Lehre des qigong114 gibt es die gedanklich gesteuerte Anziehung von materiellen Dingen. Der Zuschauer sieht, wie die Dinge ihren Ort wechseln, wobei dieser Ortswechsel der Dinge voll und ganz eine Funktion der gedanklichen [Konzentration] ist. Taibaishan ji orientiert sich erkennbar an diesem geistigen Verfahren des qigong (Jin 1989).

Jins Vorschlag, die übernatürlichen Protagonisten in zhiguai-Narrativen gemäss Jia Pingwas Repräsentationen als Allegorien von seelischen Kräften zu lesen, welche das Handeln der Menschen steuern, markiert eine zentrale kulturelle Funktion phantastischer Literatur an der Schnittstelle zwischen kulturellem Bewusstsein und individueller FremdheitsErfahrung. Der Jäger in der Erzählung “Lieshou”, welcher in der gejagten vermeintlichen Wolfsfamilie am Ende eine Menschenfamilie zu finden glaubt (TBSJ: 6 f.), oder das Kind in “Guafu”, welches Nacht für Nacht von der Erscheinung seines verstorbenen Vaters im Bett der Mutter verfolgt wird (TBSJ: 4), setzen den Moment der Irritation in Beziehung zu einem komplexen vortheoretischen Wissen über den Umgang mit Affekten, das von Gemeinschaften sowohl kollektiv, als auch historisch und ästhetisch partikular ausdifferenziert wird. Solches Wissen haben Sigmund Freud und C. G. Jung aus mythologischen Szenarien der Antike, wie dem Ödipus-Mythos, hergeleitet (Freud 1968; Jung 1978). Im chinesischen Fall kann man es aufgrund der Überlieferungslage weniger in den Göttermythen, als in den Geister-Anekdoten finden. Dies ist Cao Wenxuans Argument, wenn er resümiert:

114 Vgl. Li 1988, Ma 1997, Ots 1991.

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Der fundamentale Grund für das Erscheinen von Werken wie Jia Pingwas Taibaishan ji liegt darin, dass in seinem Erinnern eine Hauptader der chinesischen Kultur wohnt – die Kultur des Mysteriösen (shenmi wenhua). Konkreter ausgedrückt handelt es sich um eine Geisterkultur (gui wenhua). [...] In der chinesischen Kultur des Mysteriösen sind die Mythen (shenhua) im Vergleich zu den Geister-Anekdoten (guihua) unterentwickelt. [...] Die Mehrzahl der Geschichten im Soushen ji 115 sprechen nicht von Göttern, sondern von Geistern. Im späteren Liaozhai116 wird dies zur einzigen Kette von Geistergeschichten. Unter den Zehntausenden von Worten in Yuan Meis Zi buyu117 sprechen die wenigsten von Göttern, die meisten aber von Geistern. Wenn sie schon von Göttern sprechen, dann sind es meist “rebellische Götter” (luanshen), die eher den Charakter von Geistern haben. Sie erscheinen nicht heilig, sondern vielmehr mysteriös (Cao 1999: 179).

Es bleibt zu klären, ob die Repräsentation des Phantastischen – wie überhaupt der Rekurs auf mythologisierende narrative Strukturen – in China bevorzugt in Situationen beschleunigten oder krisenhaften sozialen Wandels an Bedeutung gewinnt, wie die hier vorgelegten Befunde suggerieren. Wäre dies tatsächlich der Fall, so könnte es bedeuten, dass es ein Bedürfnis gibt, diesen radikalen Veränderungen eine im Bartheschen Sinn politisch rechts orientierte Mythologie zuzuordnen: das Streben nach einer Enthistorisierung des Gegenwärtigen durch dessen symbolisches Aufgehen in Vergangenem. Dies müsste paradoxerweise dann wohl auch für die maoistischen Geister gelten. Im Fall des von den imperialistischen Mächten bedrängten und destabilisierten chinesischen Kaiserreichs am Anfang des 20. Jahrhunderts, ebenso wie noch unter Mao betreffen die krisenhaften Veränderungen nicht nur das politische System, sondern mit ihm auch nahezu alle ökonomischen, militärischtechnologischen und kulturellen Institutionen und Kanäle, so dass eine quasi-bürgerliche Sehnsucht nach Ordnung in der Unordnung durchaus nachvollziehbar erscheint.118

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Vgl. DeWoskin 1996. Pu Songling, Liaozhai zhi yi, vgl. Zeitlin 1993. Yuan Mei, Zi Buyu; vgl. Chiang 2005, Huntington 2003, Schwarz 1997. Barthes 1996: 141, wobei in unserem Fall eine Umkehrfigur vorliegt: Nicht das Spanien des “blauen Führers” oder die sorgfältig einstudierten exotischen Tänze von Touristendestinationen sorgen hier für eine “wunderbare Verflüchtigung der Geschichte” in die “Unverantwortlichkeit des Menschen”, sondern die existentielle Bedrohung einer Gemeinschaft wird dahingehend relativiert, dass solche Erscheinungen auch früher schon vorgekommen sind und jeweils bewältigt wurden. Zur Bedeutung der “réseaux” und “régimes” für die Literaturtheorie vgl. Pym 1988.

Einen weiteren dramatischen Umbruch durchläuft die chinesische Gesellschaft seit der Wende nach Maos Tod, als von Deng Xiaoping eine Politik der Öffnung und Globalisierung mit dem Programm eines sozialistischen Kapitalismus mit chinesischen Merkmalen eingeläutet wurde.119 Im Unterschied zur ersten Modernisierungswelle ist seit der Revolutionszeit die Landbevölkerung nicht nur durch materielle, sondern auch durch die ideellen Auswirkungen betroffen. Von Marktinteressen getragen und über die Massenmedien verbreitet, vollzieht sich ein Wandel des kulturellen Bewusstseins in allen Bevölkerungsschichten, der auch die ethnischen Minderheiten stärker als selbst noch zu Maos Zeiten involviert. Dieser Wandel zeigt sich besonders deutlich in den hybridisierten kulturellen Formen, als deren Hauptmerkmal Liu Xin eine arbiträre Intersektion von Beständen aus Vormoderne, Revolutionszeit und postmaoistisch-globaler Moderne erkennt. Die von ihm anlässlich von Hochzeits- und Begräbniszeremonien beobachtete Profanisierung heiliger Elemente, ebenso wie das umgekehrte Phänomen, erklärt er einerseits mit einer Verschiebung der Bedeutung kultureller Symbole vom Inhalt zur Form, die durch das im Rahmen der Globalisierung enorm vergrösserte Angebot hervorgerufen wurde, sowie andererseits mit einem Machtverlust der ländlichen Kader. Nachdem zunächst die traditionell orientierte Gentry abgeschafft und später, nach der Entkollektivierung, die Einflusssphäre der lokalen Kader bedeutend eingeschränkt worden war, gibt es derzeit wieder rituelle Liturgien, aber wenig Autorität, die deren Festlegung und Einhaltung kontrolliert. Liu findet in seinen Feldbeispielen, namentlich bei der Präsentation symbolischer Gewalt anlässlich einer Hochzeit und beim Pop-Repertoire einer Begräbniskapelle, einen positiven Ansatz zur Entwicklung einer offenen Gesellschaft, in der jeder Teilnehmer die kulturelle Praxis selbst mitdefinieren kann. 120 Andererseits bezeugen Schriftsteller wie Journalisten einen dramatischen Zuwachs an Phänomenen individueller und kollektiver Orientierungsverluste, die sich beispielsweise in wiederaufgenommenen

119 Ein historischer Überblick über die Implikationen des sozialen Wandels im 20. Jahrhundert findet sich in Grasso, Corin und Kort 2009; zum literarischen Kontext vgl. u.a. Bucher 1986, Larson und Wedell-Wedellsborg 1993, Larson 1991, und dies. 1989, Link 1993 und ders. 1983, Liu 1993, Liu und Tang 1993, Liu 1998, Martin 1996, ders. 1993 und ders. 1986. 120 Liu 2000: 131–56, 180–5; s. hierzu auch Chau 2010 und 2006.

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Praktiken der Geisterbeschwörung manifestieren,121 und die zunehmend auch transnational agierenden Sekten wie Falun gong Anhänger zutragen, weil solche Gruppen religiöse Überzeugungen anbieten können.122 Dies scheint eine neue Schnittstelle für ästhetische Repräsentationen des Phantastischen, als eine Form der Auseinandersetzung mit der Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen religiösen wie ideologischen Orientierungen im postmodernen, globalkapitalistisch fragmentierten sozialen Raum des gegenwärtigen China, zu markieren. Weit davon entfernt, eine (einzige) bestehende Ordnung zu unterlaufen, dient das Phantastische im Fall solcher religiöser Narrative also der Beschwörung einer Alternative zur chaotischen Welt. Dies führt zurück zur Gründungsfunktion von mythischen Erzählungen, die, wie Patrick Taylor bemerkt, zur Regeneration der natürlichen und sozialen Welt gebraucht werden: [N]arrative is a call to order. In its grandest form, narrative is the story of the gods, the myths about their deeds, reenacted in ritual, making possible the regeneration of the natural and social world (Taylor 1989: xii; Fujii 1993: 242).

Die archetypische Vorstellung, eine Heimsuchung nicht so sehr qualitativ böser, als vielmehr in Wut geratener Geister sei der falschen Etikette geschuldet, mit der die Gemeinschaft diesen begegnet – ob durch bewusste Vernachlässigung oder schlichtes Vergessen – ist offenbar immer noch am Werk.123 Anders liegt der Fall beim Eintritt von etwas radikal Fremdem beziehungsweise Neuem, das die Unwissenheit bezüglich der Etikette ja notwendig impliziert. David Der-wei Wang macht auf die Austauschbarkeit der phantastischen Repertoires bei gleichbleibenden argumentativen Strukturen während der Experimentierphase der Spät-Qing-Zeit aufmerksam. Das Verfahren der Repräsentation von qualitativ Neuem in bekannten Formen garantiere kurzfristig eine Stabilisierung durch “Wegerklären” des In121 Chau 2010 und 2006, Nedostup 2010, O’Brien 2008, Yang 2008. Zur literarischen Reflexion (pseudo)religiöser Residuen s. Han Shaogong, Ba ba ba, Mo Yan, TTST, Bei Cun, WZT 1; Yu Hua, 1986, etc. 122 Für ausführliche bibliographische Informationen zu religiösen Kulten und damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Fragen vgl. die Website von ter Haar: , letztmals eingesehen 01.01.2007. 123 Zur Säkularisierung dieser Vorstellung im Konzept der “Vergeltung der Kulturen” s. Turk 1998.

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kommensurablen in einer Zeit des Umbruchs (Wang 1997: 254 f.). So verschwanden zur selben Zeit, als imaginäre Reisen zum Mond, zum Ende der Welt, in ein “utopische Republik” genanntes Land, 124 zum Meeresgrund und in die Erdmitte an Popularität gewannen, die klassischen Himmelsflüge, Traum-, Paradies- und Unterweltreisen der chuanqi- und zhiguai-Konventionen aufgrund ihres unwissenschaftlichen und vermeintlich obsoleten Charakters aus den Repertoires der Belletristen. Als mittel- bis langfristige Wirkung phantastischer Repräsentationen nennt Wang die Aneignung des Anderen als Folge einer Umkehrung des Verfremdungsprinzips. Man könne insbesondere in den modernen Romangattungen der Spät-Qing, wie grotesken Schlüsselromanen, politischen Utopien und Science Fiction, dasselbe Grundprinzip eines über phantastische Topoi vermittelten, Logik und Wahrscheinlichkeit simulierenden narrativen Zugriffs auf Alterität walten sehen. Dem Ordnungsprinzip der spätimperialen Geistergeschichten125 folgend, habe man auch noch das gewollte wie ungewollte Nicht-Wissen der eigenen, im Umbruch befindlichen Gesellschaft enzyklopädisch kategorisiert, um dessen unheimliche Bedrohlichkeit zu neutralisieren (Wang 1997: 263). Wangs Monographie über die identitätsbildende Fiktion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Xiaoshuo Zhongguo, widmet sich dem sogenannten grosschinesischen Raum (Greater China), das heisst er berücksichtigt die Literaturen der VR China, Taiwans und Hongkongs. In diesem Kontext werden von Wang literarische Repräsentationen des Eindringens von Fremdheit, die überwiegend westlich konnotiert ist, in das eigene (kulturelle) Universum untersucht. Im Identifikationsfeld des nationalen Raumes lassen sich Prozesse der Aneignung und Abgrenzung, aber auch der Grenzverschiebungen und Deterritorialisierungen symbolisch verorten, auch ohne Anleihen an das Phantastische vornehmen zu müssen. Landschaften, Dialekte, archäologische Funde, Denkmäler oder historische Bauten können bereits ausreichend Anlass für mythologisch aufgeladene Verknüpfungen oder Recodierungen des kulturellen Gedächtnisses werden, ohne dass Unheimliches notwendig auf den Plan treten müsste. Dies ändert sich, wenn persönliche, mit einem Schock

124 Vgl. z.B. Xiaoran Yusheng, Wutuobang youji, Yu 1997: 73–86. 125 Wang nennt, Lu Xuns Kategorien folgend, ausser zhiguai und chuanqi noch shenmo als Folie insbesondere der qingzeitlichen Science Fiction, Ritter- und ExposéRomane, Wang 1997 : 201 f., 256; s.a. Hegel 1998.

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oder Trauma verbundene Erlebnisse ins Spiel kommen. Wang führt an anderer Stelle (Wang 2004: 283 f.) das Beispiel des Romans Zhanyou chongfeng (Wiedersehen der Kriegsfreunde, 1988) von Mo Yan an, in dem ein beurlaubter Vietnam-Soldat des zweiten Vietnam-Krieges die natürliche Grenze zu seiner Heimat aufgrund von Hochwasser nicht überwinden kann, sondern in den Fluten des Flusses umkommt. Der Geist des Ertrunkenen vereinigt sich mit den zehn Jahre früher im ersten Vietnam-Krieg gefallenen Kameraden und tauscht sich mit ihnen über die damalige Situation der Soldaten und die zwischenzeitlichen Entwicklungen der Nation aus, ohne sein Ableben zu bemerken. Die Unheimlichkeit ergibt sich sowohl aus dem historischen Kontext, der die einstigen Verbündeten im Krieg gegen die USA plötzlich zu Feinden in einem Bruderkrieg zweier kommunistischer Nationen machte, als auch aus der vom “Neuen” berichteten, zügig voranschreitenden Verschrottung der maoistischen ideologischen Archive durch das postmaoistische Regime, wodurch die Identität der gefallenen Soldaten doppelt in Frage gestellt erscheint. Nicht nur war der national gefeierte Heldentod der Männer an sich eine Lüge gewesen (sie starben aufgrund einer fatalen Ungeschicklichkeit ihres Kommandanten), sondern selbst dieser Mythos der Helden im Widerstand gegen den kapitalistischen Imperialismus ist mittlerweile nicht mehr aktuell, so dass nicht einmal die grossartige Lüge für eine Rechtfertigung der geopferten Menschenleben herhalten kann. Ein angemessenes Begräbnis dieser Untoten im Symbolischen der modernen Nation steht demnach noch aus (Mo Yan 1995.4: 443–539). Die Irritation wächst noch beträchtlich, wenn die Konfrontation mit dem Fremden verlagert auf dessen Territorium stattfindet, wie es in Maxine Hong Kingstons 1976 erschienenem Kindheits-Roman The Woman Warrior der Fall ist. Dieser Text verdient Beachtung jenseits der (nicht unberechtigten) Kritik von Seiten sinoamerikanischer SchriftstellerkollegInnen und Literaturwissenschaftler, weil er ein anschauliches Beispiel dafür ist, wie eine Geisterwelt als realer, innerweltlicher Bestandteil moderner Handlungszusammenhänge konstruiert und repräsentiert werden kann. Die Tochter eines Wäschereibetreibers wächst in Kalifornien auf, wohin die männlichen Nachkommen der Grundbesitzerklasse des väterlichen chinesischen Heimatdorfes vor der Machtübernahme der Kommunisten nahezu vollzählig ausgewandert sind. Die Mutter erwirbt an einer im 19. Jahrhundert von europäischen Ärztinnen in Kanton gegründeten medizinischen Akademie ein Diplom als Hebamme, bevor sie ihrem 104

Mann 1939 nach Kalifornien folgt und nach zwei verstorbenen “chinesischen” Säuglingen noch sechs “amerikanische” Kinder zur Welt bringt. Maxine ist das älteste überlebende Kind, sie steht lange Zeit im Schatten ihrer verstorbenen chinesischen Geschwister. Neue, amerikanische Geister gesellen sich dazu, die den Heimsuchungen der chinesischen Einwanderer in ihrer fremden Welt Gestalt verleihen: But America has been full of machines and ghosts – Taxi Ghosts, Bus Ghosts, Police Ghosts, Fire Ghosts, Meter Reader Ghosts, Tree Trimming Ghosts, Fiveand-Dime Ghosts. Once upon a time the world was so thick with ghosts, I could hardly breathe; I could hardly walk, limping my way around the White Ghosts and their cars. There were Black Ghosts too, but they were open eyed and full of laughter, more distinct than White Ghosts. […] It seemed as if ghosts could not hear or see very well. Momentarily lulled by the useful chores they did for whatever ghostly purpose, we did not bother to lower the windows one morning when the Garbage Ghost came. We talked loudly about him through the fly screen, pointed at his hairy arms, and laughed at how he pulled up his dirty pants before swinging his hoard onto his shoulders. “Come see the Garbage Ghost get its food,” we children called. “The Garbage Ghost,” we told each other, nodding our heads. The ghost looked directly at us. Steadying the load on his back with one hand, the Garbage Ghost walked up to the window. He had cavernous nostrils with yellow and brown hair. Slowly he opened his red mouth, “The…Gar…bage…Ghost,” he said, copying human language. “Gar…bage…Ghost?” We ran, screaming to our mother, who efficiently shut the window. “Now we know,” she told us, “the White Ghosts can hear Chinese. They have learned it. You mustn’t talk in front of them again. Someday, very soon, we’re going home, where there are Han people everywhere. We’ll buy furniture then, real tables and chairs. You children will smell flowers for the first time”(WW 97 f.).

Die Mutter, Expertin im Erzählen von Geistergeschichten, widersteht dem Sog amerikanischer Akkulturationsversuche – im oben zitierten Abschnitt ist auch von Besuchen von Sozialarbeitergeistern und Missionarsgeistern die Rede, an anderer Stelle wird von den Schulen und ihren Lehrergeistern berichtet – und verschanzt sich und ihre Familie hinter der Zuschreibung einer absoluten, bedrohlichen Alterität der Amerikaner, die sie den Kindern in Form von Gespenstergeschichten vermittelt.126 Ihre Haltung erscheint auf den ersten Blick erstaunlich, zumal 126 Das gegenteilige Amerika-Bild eines Landes ohne Geister wird in Arkush 1989 von chinesischen Reisenden des 19. Jahrhunderts beschrieben; zu Kingston und allgemein sinoamerikanischer Literatur vgl. a. Gao 1996, Kim 1982, Wong 1993; zu WW vgl. Yuan 2001, Miller, Chang und Lau in Duke 1989: 25–52.

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sie selbst in den Genuss einer westlichen medizinischen Ausbildung gekommen ist. Die Autorin macht aber deutlich, dass der Mutter die Arbeit des “talking-story”, des Geschichtenerzählens, bereits an der Akademie dazu dient, die Furcht der Internatsgemeinschaft vor allem Unbekannten zu bezwingen. Weil sie moderne Frauen und Wissenschaftlerinnen sind, ändern die Studentinnen ihre Rituale nach Bedarf, jedoch ohne deren Strukturen aufzugeben. Die wichtigste Änderung betrifft das traditionelle Rezitieren der Genealogien mit den betreffenden Ursprungsorten am Sterbebett eines Familienmitglieds. Im Fall der Studentinnen könnten verirrte Seelen an den falschen Ort geführt werden. Deshalb singen die Kommilitoninnen ihre eigenen Namen in Verbindung mit einer genauen Wegbeschreibung zur Akademie (WW 75 f.). Für die Kinder der Einwanderer, die im amerikanischen Reich der Geister aufwachsen, verkehrt sich diese Heilpraxis in ihr Gegenteil. Sie werden von den Eltern angewiesen, in allen Formularen falsche Namen und Geburtsdaten für sich und die Eltern anzugeben – aus Gründen des chinesischen Brauchtums, das die Namen der Eltern für die nachfolgende Generation mit Tabus belegt, aber auch, um die Kontrollen der Einwanderungsbehörden zu erschweren (WW 182 ff.). Gleichzeitig werden ihnen die in der Familie gepflegten chinesischen Bräuche nicht erklärt, wie auch die kommunale Selbstorganisation der kalifornischen Exilchinesen vor ihnen geheimgehalten wird: They would not tell us children because we had been born among ghosts, were taught by ghosts, and were ourselves ghost-like. They called us a kind of ghost. Ghosts are noisy and full of air; they talk during meals. They talk about anything (WW 183 f.).

Damit wird den Kindern jede Identifikation verwehrt, denn ihre Eltern begegnen ihnen mit der gleichen, Fremdheit abwehrenden Haltung wie die amerikanischen “Geister”, und sie kennen “ihr” chinesisches Heimatdorf ebensowenig wie die seltsamen Rituale der elterlichen Kultur. Die Ich-Erzählerin hat darüber hinaus ein fundamentales Problem mit ihrer weiblichen Identität, da die emigrierte Dorfbevölkerung auch im Ausland fortfährt, ihre Söhne masslos zu privilegieren und ihre Töchter als Schande zu betrachten. Sie kompensiert ihren defizitären Subjektstatus, indem sie sich ihrerseits tagträumend in eine durch die Geschichten der Mutter genährte, imaginäre Geisterwelt flüchtet, in der sie sich zu einer kämpfenden, siegenden chinesischen Nationalheldin mit überna106

türlichen Kräften und Fähigkeiten entwickelt. An die Stelle von Hua Mulan, der legendären Schwertkämpferin und Leitfigur ihrer Kindheit,127 tritt während der späteren Jugendjahre Cai Yan (177–? n. Chr.) – jene von den Mongolen verschleppte und nach der Geburt zweier “Barbaren”-Kinder zurückgeholte und wiederverheiratete Han-Aristokratin – als neue Protagonistin ihres aus den Wunsch- und Alpträumen einer sino-amerikanischen Negativ-Identität geschaffenen imaginary homeland (Rushdie 1991), das auf dem Dilemma unversöhnlicher Gegensätze und doppelter Fremdheit beruht. Kingston erklärt, Cais Geschichte selbst zuende geschrieben zu haben. In ihrer Version lernt die junge Mutter, deren Kinder kein Chinesisch sprechen, zu den fremden Melodien der mongolischen Hirtenpfeifen ihre eigenen Lieder über China und ihre Familie zu singen. Die Trauer und Wut dieser Lieder seien von ihren Kindern, aber auch den anderen Mongolen ohne entsprechende Sprachkenntnisse wohl verstanden worden (WW 207 ff.). Das Dystopische ihrer eigenen Biographie wird im an sich trostlosen Narrativ der CaiBiographie gleichwohl entschärft durch die Brückenfunktion ihrer (chinesischen) Lieder. Die Romanheldin verfügt nicht einmal über ein solches nostalgisches Refugium, weil sogar ihre Eltern sie als Fremde betrachten. Was im Text immer wieder in Topoi der Namen-, Sprach- und Heimatlosigkeit zum Ausdruck gebracht wird, zeugt von den traurigen Konsequenzen einer versäumten amerikanischen Integrationspolitik hinsichtlich der chinesischen Migranten, die sich aus diesem Grund diasporisch positionierten.128 Zwar besteht im Roman kein Mangel an Erzählungen über Möglichkeiten des Subjekt-Seins, aber keine davon ermutigt zur Identifikation. Das traditionelle chinesische Dorfleben wird zum Schauplatz aggressiver Frauenfeindlichkeit in einer Beschreibung kollektiver Lynchjustiz, die zum Selbstmord der einzigen Schwester des Vaters führt. Ihre Angst vor der Rache der lokalen Ahnengeister treibt die Bauern dazu, das Familienanwesen der mit einem Emigranten verheirateten, ausserehelich geschwängerten jungen Frau dem Erdboden gleichzumachen. Das Opfer stürzt sich daraufhin zusammen mit seinem

127 Offenbar dialektbedingt wird bei ihr der Familienname der Heldin mit “Fa” wiedergegeben; vgl. WW 20. 128 Zum Diskurs und Begriff des Diasporischen im chinesisch-transnationalen Kontext s. Ng und Holden 2006, Riemenschnitter und Madsen 2009.

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neugeborenen Kind in einen Brunnen. Noch die letzten Spuren der Verwandten werden aus der Genealogie der Familie getilgt: “We say that your father has all brothers because it is as if she had never been born.” (WW 3) Kingston überschreibt das ihr gewidmete Kapitel mit dem Titel “No Name Woman”. Eine Reihe weiterer Verwandter kommt in antikapitalistischen Lynch-Kampagnen ums Leben, Berichte darüber finden über Kontaktpersonen in Hongkong und Kanton regelmässig den Weg nach Kalifornien. Amerika will die illegalen Immigranten zurückschicken, diese kennen aber kein Zurück: “wir haben kein China mehr, das unsere Heimat wäre”, klagen sie. 129 Die in Hitze, Dampf und Schweiss gehüllte Wäscherei, wo die Mutter zum Schutz ihrer Kleinkinder vor den Bakterien der schmutzigen Geister-Wäsche Kerzen abbrennt, bedeutet eine weitere negative Markierung auf dieser nur aus Dystopien bestehenden Landkarte. Dem Dilemma verleiht das Schulkind Ausdruck, indem es alle seine Bilder schwarz übermalt. Es spricht in den ersten Schuljahren auch nicht zu den Lehrer-Geistern, obwohl die Mutter erzählt, nach der Geburt seine Zunge beschnitten zu haben, damit es besser rede. Die Angst der jungen Frauen vor den zwar sichtbaren, aber unkommentierten Aktivitäten der Mutter zu deren Verheiratung schliesst sich nahtlos an ihre kindlichen Ängste an, beispielsweise gegenüber den drohenden Gefahren, nach China verkauft oder in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert zu werden. Das eine kennen sie aus den mütterlichen Erzählungen, das andere müssen sie täglich in ihrem Viertel beobachten: jede Familie hat ihre Opfer. Die radikale Ungewissheit ihrer Existenz könnte Eltern und Kinder vereinen, aber das von der Mutter gewählte narrative Medium kann hier seine Funktion, Fremdheit in Vertrautheit umzuwandeln, nicht erfüllen. Das Phantastische ihrer Geistererzählungen ist nicht Gegner, sondern vielmehr Komplize einer notorisch nicht-wissbaren, nicht-vorhersehbaren, nicht-kontrollierbaren Realität.130 So kompensieren die Geister keinen “Verlust, der aus kulturellen Restriktionen resultiert” (Jackson 1981: 3 f.), sie stehen auch nicht vorder129 WW 106. Vgl. a. S. 184: “We don’t belong anywhere since the Revolution. The old China has disappeared while we’ve been away.” Zur Situation der chinesischen Immigranten in San Francisco s. a. Gregory 1994. 130 “[The ghosts’] presence in magical realist fiction is inherently oppositional, because they represent an assault on the basic scientific and materialist assumptions of western modernity: that reality is knowable, predictable, controllable.” Zamora 1994: 33.

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gründig für das Unsagbare, Unsichtbare, Abwesende der beiden Kulturen, sondern verstärken die dystopische Alterität eines ausweg- und trostlosen Zwischenraums.131 Die Entwicklung blieb, wie bereits gezeigt wurde, nicht bei der Austreibung der alten und Inauguration neuer Geister stehen. Lee Angs Hollywood-Erfolg Wo hu cang long (Crouching Tiger Hidden Dragon, 2001) ist nur ein Beispiel unter vielen dafür, wie die ästhetische Postmoderne im Gewand des traditionell-chinesischen Diskurses, als Geist des Vaters in Shakespearescher Manier, zurückkehrt und zur kritischen Überprüfung der Paradigmen einer transnationalen, kulturell integrierten Weltgesellschaft animiert. Das Ringen zwischen einer Vertreterin finsterer Mächte und einem berühmten Schwertkämpferpaar um die Seele ihrer begabten Schülerin sowie das Werben eines mongolischen Glücksritters um dieselbe junge Mandschu-Aristokratin bilden vordergründig lediglich eine lose Verknüpfung der phantastischen Effekte von Lee Angs Film. Sein Hauptinteresse scheint einer durch chinesische Geistererzählungen und Martial Arts-Geschichten tradierten imaginären Weltordnung zu gelten, die dem uralten Traum von der Beherrschbarkeit der materiellen Welt durch die Macht des menschlichen Geistes huldigt. Die wissenschaftlichen Errungenschaften der Moderne treten demzufolge in Form technisch unterstützter Tricks auf, werden aber – im Gegensatz zur Science Fiction (und einigen anderen Martial Arts Filmen, wie beispielsweise A Touch of Zen von King Hu) – nicht explizit zum Thema der Handlung gemacht. Demgegenüber mutet die im Narrativ des Films eher verdeckt mittransportierte Vorstellung, die (chinesische) Gesellschaft über eine Zusammenführung ihrer ethnischen Segmente über die Grenzen ihrer lokalen Identitäten hinweg am heiligen Ort des ShaolinKlosters zu einer idealen Familie von asketischen Elite-Kriegern zu integrieren, als eine wenngleich mythisch aufgeladene, so doch eher moderate Vision zukünftiger (trans)nationaler Minderheitenpolitik an. Wie schon in den über Jahrzehnte hinweg ungemindert populären Hongkonger Filmen über das Wirken des zum Volkshelden stilisierten Arztes und Kampfkunstmeisters Wong Fei Hung (Huang Feihong, 1847–

131 Zur dystopischen Imagination in japanischen Romanen des 20. Jahrhunderts vgl. Napier 1996: 181–222.

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1925) 132 wurde der nationale Raum in Lees Film gleichzeitig in ein historisches Setting eingepasst und mythologisierend in eine zeitlose, imaginäre Welt entrückt. In dieser Art von Narrativen erscheint vor allem die Gegenwart fremd, wenngleich Ang Lee vergleichsweise reflektierter mit anachronistischen Zitaten arbeitet. Hier wie dort wurde jedoch die Zukunft mythisch mit der imperialen Geschichte Chinas verknüpft. Lees Nation steht auf diese Weise nicht nur im Bann der mythischen, übermenschlich ausgestatteten Protagonisten der Vergangenheit, 133 sondern sie wird gegenüber der im Hongkonger Kino längst etablierten Konvention eines transchinesischen kulturellen Imaginaires noch erweitert um die Frage nach einer nationenübergreifenden, auf kulturelle Integration gestützten Solidarität. Der schlussendlich in eine Aporie mündende Versuch der Protagonistin, den Erwartungen zu entsprechen, die sie selbst und die Gesellschaft an sie herantragen, scheitert aufgrund der komplizierten Verstrickungen aller Beteiligten in ihre jeweiligen privaten und kollektiven unerledigten Geschichten aus näherer und fernerer Vergangenheit. 134 Jacques Derrida hat in seiner Studie zum Neo-Marxismus die ungelösten Probleme der Moderne als Grund für die andauernde Heimsuchung der Nationen durch die Gespenster ihrer spezifischen Geschichten genannt: Wenn es so etwas gibt wie die Spektralität, das Gespenstige, dann gibt es Gründe, diese beruhigende Ordnung der Gegenwarten anzuzweifeln, und vor allem die Grenze zwischen der Gegenwart, und allem, was man ihr gegenüberstellen kann: die Abwesenheit, die Nicht-Präsenz, die Unwirklichkeit, die Inaktualität, die Virtualität oder selbst das Simulakrum im allgemeinen usw. Vor allem muss die Gleichzeitigkeit der Gegenwart mit sich selbst bezweifelt werden. Bevor man wissen kann, ob es einen Unterschied gibt zwischen dem Gespenst der Vergangenheit und dem der Zukunft, der vergangenen Gegenwart und der zukünftigen Gegenwart, muss man sich vielleicht fragen, ob der Spektral-Effekt oder die Wirkung des 132 Neben TV-Serien, Cartoons und Erzählungen s. z.B. die Wong Fei Hung-Filme von Hu Peng aus den 1950er Jahren sowie die erfolgreiche Serie Once Upon a Time in China (Tsui Hark, 1991–1994), s. , einges. 20.2.2008. 133 Zu diesem und weiteren transnationalen Martial Arts Produktionen, insbesondere im Hinblick auf ihre Bedeutung in einem global-ästhetischen Imaginaire vgl. Bronfen und Riemenschnitter 2005. 134 V. Essen und Turk 2000; zum komplexer ausgestalteten Narrativ dieser Verstrickungen s. die Romanvorlage des Films, Jian qi zhu guang (Der Atem des Schwertes und das Leuchten der Perle) von Wang Dulu (Wang 2000).

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Gespenstigen nicht darin besteht, diese Opposition, wenn nicht gar diese Dialektik zwischen der wirklichen Anwesenheit und ihrem anderen ausser Kraft zu setzen (Derrida 1995: 70).

Vermutlich gab es schon immer eine Pluralität von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Gespenstern, und es erscheint auch alles andere als klar, wie es zu einem “Spektral-Effekt” ohne eine Dialektik zwischen den jeweiligen An- und Abwesenheiten kommen könnte. Fragt man sich aber gemäss Derridas zentraler These, welche Gespenster die Kräftefelder des Abwesenden beispielsweise in Lee Angs transnational imaginierter Nation zu indizieren vermögen, so liefern mythophorische Narrative und Szenarien des krisenhaften Eintritts der Nation in die Moderne seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wichtige Lösungsansätze.

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Mythophorien der nationalen Krise und die Suche nach dem Text der modernen Nation

Rückbezogen auf die Anfänge der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und der literarischen Experimente mit der Mythologie im Kontext moderner Wirklichkeitserfahrungen findet sich durchgängig eine Spur der Sehnsucht nach Stabilität und Kontinuität der eigenen Weltdeutungsverfahren im Horizont nicht enden wollender Krisen. In seiner Eigenschaft als normatives Narrativ eines kosmogonischen Uranfangs, welches die Welt erfahr- und erzählbar macht, indem es erschreckendes Geschehen als letztlich Ordnung stiftendes Wirken mächtiger personaler Mächte auslegt (Dörr 2003: 14), erzielt der Mythos auch in dieser dezidiert traditionskritischen Umgebung Anerkennung für sein Potential, Sinnloses als Sinn zu zelebrieren, Geschichte in Natur zu verwandeln, einfache Essenz gegen verwirrende Komplexität auszuspielen und ikonische Konstanz herzustellen.135 Die tief greifenden Zweifel moderner Intellektueller am literarischen Kanon der alten Gesellschaftsordnung hinderte sie nicht daran – hierin durchaus westlichem Beispiel folgend – ihre Suche nach einem Sinn und Identität stiftenden Kanon der modernen Nation in dessen vergleichsweise noch archaischeren Vorgängern zu verankern. Selbstverständlich war ihnen ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten im Detail aber klar, dass diese moderne Suche nicht im Modus eines schlichten Rekurses geschehen konnte, welche die Vitalität mythologischer Diskursformationen auf “einen geschlossenen, unbeweglichen, wiederholbaren, dogmatischen Text” (Wunenberger 1994: 292) heruntergebrochen hätte. Vielmehr entdeckten sie die Chancen mythophorischer Dynamisierung durch Variation von bekannten, ikonisch kon135 “Ikonische Konstanz ist in der Beschreibung von Mythen das eigentümlichste Moment. Die Konstanz seines Kernbestandes lässt den Mythos als erratischen Einschluss noch in Traditionszusammenhängen heterogener Art auftreten. Das deskriptive Prädikat der ikonischen Konstanz ist nur ein anderer Ausdruck für das, was die Griechen am Mythos als sein archaisches Alter beeindruckte. […] Die Grundmuster von Mythen sind eben so prägnant, so gültig, so verbindlich, so ergreifend in jedem Sinne, dass sie immer wieder überzeugen, sich immer noch als brauchbarster Stoff für jede Suche nach elementaren Sachverhalten des menschlichen Daseins anbieten.” Blumenberg 1996: 165 f.; s.a. Dörr 2003: 18.

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stanten Erzählungen. Eine solche Dynamisierung stellte im Fall des Gelingens ab auf das Transformationspotential immer wieder neu und anders erzählter Mythen, analog zur Beweglichkeit und Übertragungsleistung des Bildes in der Metapher: Müsste der Mythos […] nicht als unendlicher Text, als “offenes Kunstwerk” (Eco), als unendliche Geschichte verstanden werden? In diesem Sinne wäre sein Wesen “mytho-phorisch”, d.h. es wäre wie das Bild in einer Metapher zu ständiger Bewegung und zur Übertragung verurteilt. […] Der Mythos ist eben keine einstimmige, zeitlose, ängstlich behütete Konstruktion. Er ist die archetypische Matrix, auf deren Basis die Vorstellungskraft Geschichten neu entwirft, erneuert und rekonstruiert. […] Die Metamorphose des Mythos erweist sich als ein komplexer Vorgang, der interne Faktoren (hermeneutische Intention) und externe Faktoren (kultureller Bedeutungsinhalt des Imaginären) miteinander verbindet (Wunenburger 1994: 292 ff.).

Indem Lu Xun zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Anlehnung an Nietzsche und Freud mit seinen Gushi xinbian dafür sorgte, dass sich akademischer Mythologie-Diskurs und literarische Mythopoiesis der chinesischen Moderne wechselseitig und kritisch aneinander abarbeiten mussten, wurde das lange im Schatten des literarischen mainstream entfaltete Potential fiktionaler Aktualisierungen solcher Narrative programmatisch modern ausgespielt.

3.1 Kanonkritik und kleine Traditionen: Krisen des Wissens

Diese über einen längeren Zeitraum verteilt und nicht systematisch als Buchprojekt entstandenen Experimente Lus mit den Möglichkeiten einer Modernisierung archaischer Erzählungen beinhalten doch bereits einen wichtigen Aspekt moderner Selbstreflexivität. Seine neu erzählten “Alten Geschichten” halten jeweils an einem entscheidenden Wendepunkt inne und enttäuschen die Lesererwartungen konsequent. Anstelle des antizipierten überraschenden Deutungsangebots von der Katastrophe zum guten Ende bleibt diese rettende Deutung in seiner mythophorischen Bearbeitung überraschend aus, jedes der acht Mythenszenarien wird vielmehr als unendliche Variation eines bestimmten Typus von Katastro114

phen ausgewiesen. Die Muttergöttin Nü Wa wird in den Gushi xinbian zum Opfer ihrer eigenen Schöpfung, dem Bogenschützen Hou Yi wird sein Traum vom Glück zerstört, nachdem er die Welt im Streben nach dessen Verwirklichung völlig verwüstet hat, 136 der Flutenbändiger Yu muss alleine Ordnung schaffen, während ein Heer von Wichtigtuern zuschaut oder seine Arbeit behindert, der schöne Jüngling Mei Jianchi wirft sein Leben fort, um einen sinnlosen Racheauftrag auszuführen, und so weiter. An diese mythengestützten enactments kulturell determinierter Katastrophen knüpfen sechzig Jahre später die post-maoistischen Autoren neuhistorischer Fiktion an, wie Lu Xun selbst bereits Anschluss an ähnliche Ansätze im ming- und qing-zeitlichen Roman 137 sowie explizit an ein um 1820 entstandenes, 1878 erstmals publiziertes Werk mit dem Titel He dian (“Was für ein klassisches Zitat?”, oder “Welcher Klassiker?”) nehmen konnte. Dieser in Shanghaier Mundart geschriebene Roman in zehn kurzen Kapiteln schildert in sozialsatirischer Diktion das Schicksal einer Geisterfamilie, in deren Geisterleben allenthalben dieselben Hindernisse und Tücken lauern, welche die reale Shanghaier Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts heimsuchten. Die besondere Wertschätzung der Intellektuellen der Republikzeit und auch noch Mao Zedongs (Hu 2006) verdankt der Roman seiner ebenso unbarmherzigen wie witzigen Traditionskritik, welche die alten Institutionen sozialer Ordnung ihrer Aura der kanonischen Legitimation entkleidet, um sie den Lesern in ihrer Ineffizienz und Unzeitgemässheit vor Augen zu führen. Dies geschieht nicht nur auf der Plot-Ebene, sondern auch mittels einer cleveren Spiegelung des allgemeinen Orientierungsverlusts im Prozess der kolonialen Modernisierung in einem Idiom der scheinbar wahllos aneinander gereihten, unangemessenen und lächerlich entstellten Klassikerzitate. Tatsächlich ergibt sich ein abweichender, häufig ins Obszöne weisender Sinn, wenn die “Zitate” im Shanghaier Dialekt gesprochen werden. Die Handlung des Romans schreitet von der Geburt des von den rechtschaffenen Eltern Huogui (Spettrovivo) und Cigui (Donnaspettra) lang 136 Gao Xingjian wird (Hou) Yi in seinem grossen Mythentheater Shan hai jing zhuan (Aus dem Buch der Berge und Meere, 1993) teilweise rehabilitieren; hier setzt Yi seine Schützenkunst im Widerstand gegen die Willkür des Himmels ein, fällt dann aber selbst der Niedertracht seiner Schützlinge zum Opfer. Gao 2001: 39–110. 137 Z.B. der Roman Jinghua yuan (Blumen im Spiegel, 1828); vgl. hierzu Huang 2004, Wang und Wei 2005, D. Wang 1997 und Y. Wang 2006.

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ersehnten Sohnes Huosiren (Mortovivo) in vielen Schicksalsschlägen und Abenteuern fort zum Tod von Huogui im Nachgang einer falschen Anklage im Zusammenhang mit der Einweihung des von ihm gespendeten Tempels und Ciguis Tod aufgrund einer unglücklichen zweiten Ehe. Der verwaiste Huosiren schlägt sich daraufhin alleine durch, rettet seine künftige Braut Chouhuaniang (Florapuzza) vor einer Vergewaltigung, begegnet einem Unsterblichen und lernt die Kampfkunst bei einem Grossmeister, bekämpft eine Palastrevolte gegen die Justizwillkür und heiratet am Ende seine Chouhuaniang. Der opernhafte Charakter des Werks verdankt sich einer, wenn nicht der wichtigsten Vorlage des Narrativs, dem traditionell bei Tempelfesten als Musiktheater aufgeführten Zhong Kui-Stoff. 138 Die Legende von Zhong Kui erinnert diesen als einen hervorragenden Gelehrten, der alle Beamtenprüfungen erfolgreich absolviert und dann keine Position zugeteilt bekommt, weil er als zu hässlich befunden wird. Er begeht aufgrund dieser Ungerechtigkeit Selbstmord und wird deshalb später in der Unterwelt zum obersten Befehlshaber der Geister ernannt. Seine Aufgabe ist es, jene daran zu hindern, die Menschenwelt heimzusuchen. Wie Zhong Kui ist auch Huosiren gleichzeitig ein Opfer des Establishment und lässt sich doch für dessen Zwecke einspannen, indem er die Palastrevolte gegen die Ungerechtigkeit der Justiz niederschlägt. Der Unterschied besteht wohl darin, dass der Händlergeistsohn Huosiren in seinem Karrierestreben deutlich als bereits von der kolonialen Moderne kontaminierte, spätimperiale Karikatur eines traditionellen Gelehrten gezeichnet ist. Die annähernd fünfzig Jahre nach seinem unspektakulären Erscheinen erfolgte, in zwei erbitterte Lager gespaltene und ausgesprochen turbulente Rezeption des für lange Zeit verschollen geglaubten Romans in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts lässt sich nur aus der Provokation erklären, welche die respektlose Kritik des He dian am konfuzianischen Kanon und seinen gelehrten Hütern vorstellte. Tatsächlich berichtet der Herausgeber des Romans, Liu Bannong, über genügend beleidigende Briefe und kritische Äusserungen von pikierten Kollegen, dass er damit ein Buch füllen könnte (Altenburger 2002: 29). Dabei hatte 138 Die bedeutungsvollen Namen wurden von der Verf. nicht unübersetzt belassen, weil sie ein wesentliches Merkmal der Charaktere bezeichnen. Aus demselben Grund wurden sie nicht ins Deutsche, sondern – in suggestiver Anschlussnahme an die viele Ähnlichkeiten aufweisende Opera-Buffa-Konvention – ins Italienische übertragen.

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er bereits eine ganze Reihe von übermässig vulgären Ausdrücken getilgt, was ihm wiederum von Lu Xun und mehreren anderen Anhängern der radikalen literarischen Reformbewegung des Vierten Mai 1919 übelgenommen wurde. In seiner auf Verlangen Liu Bannongs beigesteuerten Widmung lobt Lu Xun die Vitalität der vulgären Sprache und bescheinigt ihr nicht nur Realitätsbezug, sondern auch Reflexionspotential und philosophischen Gehalt. Indem er selbst, wie andere Kommentatoren auch,139 in seiner Widmung das geistreiche Spiel mit Worten und Zitaten aufgreift, präsentiert er dessen subversives Potential “mit aller gebotenen Vorsicht” der Öffentlichkeit, wobei er auch nicht versäumt, noch ein paar Spitzen gegen Zeitgenossen einfliessen zu lassen: Beim Betrachten der Druckvorlagen schien mir, dass die Edition noch ein wenig zu wünschen übrig lässt. Besonders die Lücken der getilgten Wörter bedrückten mich: Bannongs Habitus des grossen Gelehrten ist wohl noch zu stark ausgeprägt. Und das Buch? Nun, seine Geisterprotagonisten ähneln ganz und gar der Menschenwelt, ihre neuen Zitate gleichen den Klassikern aufs Haar. Wie der Weise aus Dreifamiliendorf dem Obersten Weisen und Höchstverdienten Lehrer der Ahnen140 in seiner Brustfrei-Robe den Ehrengruss darbietet und danach einen Purzelbaum vor ihm schlägt, schockiert den Inhaber des “Der-Meister-Sprach-Ladens” dermassen, dass er in Ohnmacht fällt. Als er dann aber wieder aufrecht steht, ist jener am Ende eben doch sein Roben-Freund. Gleichwohl muss man zugeben, dass dieser Purzelbaum zu jenem Zeitpunkt und mit dem Wagemut des Ausführenden seine eigene Grösse hat. Ausserdem sind Sprichwörter nicht dasselbe wie Klassikerzitate, viele davon sind ein getreues Abbild der heutigen Realität. Wie sie so beiläufig einfliessen, verleihen sie dem Text eine natürliche, überbordende Vitalität. Darüber hinaus wurden Ideen aus diesen Sprichwörtern gewonnen: da sie nun einmal aus der Saat der Wirklichkeit keimen, blühen darin auch die Blumen der Wirklichkeit. Mithin lässt der Autor mitten aus diesen aus toten Geisterorakeln angehäuften Geisterwällen das getreue Abbild der Welt der Lebenden entwachsen, oder sagen wir doch, er zeigt 139 In der Widmung von Taiping Keren (Friedlicher Gast) heisst es: “Nun hat es sich Guoluren (Der Vorübergehende) zur Aufgabe gemacht, das was er unterwegs zu hören bekam, die Redensarten der Strassen und Gassen schriftlich niederzulegen. Das Ergebnis nannte er He dian. Dessen Sprache besteht aus Geisterreden, seine Protagonisten haben Geisternamen, seine Angelegenheiten sind nichts anderes als Gespensterfreuden, Geistermasken, Monsterschwangerschaften, Irrlichterfischerei, Geistermundraub, vernagelte Geistertüren, Geistertheater, Geisterbuden, Geisterbetrug […], man begegnet wahrlich auf Schritt und Tritt einem Geist. Das nenne ich klassisch sein ohne die Klassiker zu zitieren.” Taiping Keren, Xu, in: N. Zhang 1992: 1. 140 Ehrenbezeichnung für Konfuzius.

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uns eine Welt der Lebenden, die aus nichts als toten Geisterorakeln und Geisterwällen besteht. Selbst die eher geschwätzig erscheinenden Stellen vermitteln häufig Einsichten, die unwillkürlich von einem beschämten, bitteren Lachen begleitet werden. Genug davon. Ich posiere nicht in der Rolle des grossen Gelehrten, wie würde ich es wagen, den Mund aufzumachen? Und doch musste ich mich hierzu durchringen, um die Gefühle eines alten Freundes nicht zu verletzen. Man entkommt gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht und in den zwischenmenschlichen Beziehungen gibt es Regeln der angemessenen Höflichkeit. Ich beschränke mich auf das Schreiben von kurzen Texten, denn dabei kann man nicht allzu viele Fehler machen. Von Lu Xun mit aller gebotenen Vorsicht geschrieben am 25. des 5. Monats im 15. Jahr der Republik China (Lu in N. Zhang 1992: 116 f.).

Die verspätete Rezeption des He dian in der Republikzeit deutet das Werk als sprachlich codierten Widerstand gegen einen gespenstischen Totentanz der exklusiven, weltfernen traditionellen Bildungsinstitutionen. He dian wird dabei zum Symbol der Suche reformorientierter Intellektueller nach einem neuen Kanon, der die moderne Lebenswirklichkeit und das Volk als Konstituenten der neu gegründeten Nation angemessen integriert. Der in spät-qingzeitlichen Gesellschaftssatiren verbreitete Diskurs über Geister und andere übernatürliche Phänomene musste allerdings im republikanischen Kontext erst mit dem modernistischen Programm des Realismus harmonisiert werden. Mit Lu Xun fanden die als abergläubische, rückständige Projektionen beargwöhnten Gespenster einen bedeutenden Fürsprecher ihrer Rehabilitation. Diese Kippfigur zwischen kollektivem Imaginaire und individueller Vorstellungskraft markierte traditionell auch die Grenzlinien und Frakturen zwischen den Welten der Privilegierten und der Rechtlosen, der Lebenden und Toten, der Erinnerung und des Vergessens. Damit sollten Geister auch in der modernen Literatur noch ihren Platz finden können. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass sich seit den späten 1990er Jahren sowohl die chinesische Literaturwissenschaft, als auch die Kulturproduktion wieder vermehrt für He dian und den Geisterdiskurs interessiert.141 Einer der ersten Schriftsteller, die nach dem auf Mao Zedongs Tod folgenden Kurswechsel der Regierung unter der Federführung von Deng Xiaoping über Geister schrieb, war Jia Pingwa (*1952). Seit seiner mit grosser Aufmerksamkeit rezipierten, einen während der Kulturrevolution ausgebrochenen jugendlichen Bandenkrieg und dessen traumatische Fol141 Für neuere Studien über He dian s. Fang 2004, Fang 2002, Han 2004, Hong und Gao 2006, Li 2000, Li 1999, Xu 2002, Zheng 2001, u.a.

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gen thematisierenden Erzählung “Gui cheng” (Geisterstadt, 1982) griff Jia immer wieder auf die Figur der Heimsuchung durch vergessene oder verdrängte Wahrnehmungen in der Gestalt von Gespenstern zurück. Drei von Jias grossen Romanen, Fei du (Die verrottete Hauptstadt, 1993), Bai Ye (Weisse Nächte, 1995) und Qin qiang (Qin-Oper, 2005, ausgezeichnet mit dem Mao-Dun-Preis 2008), verbinden auf je eigene Weise das Motiv der gespenstischen Erinnerungsspur mit literarischen Ethnographien des städtischen beziehungsweise ländlichen Alltags in der Shaanxier Hauptstadt Xi’an und deren Hinterland. In Fei du handelt es sich um ein Spiel mit dem Metamorphose-Motiv des Schmetterlingstraums, in dem der daoistische Denker Zhuang zi (ca. 350–300 v.Chr.) über seine Erfahrung als Schmetterling berichtet, der darüber nachdenkt, welche seine wahre Gestalt ist: Mensch oder Schmetterling? Der Protagonist von Fei du, Bestseller-Autor Zhuang Zhidie (Parnassius M. Zhuang, oder wörtl.: Zhuang der verwandelte Schmetterling), trifft auf seinen nächtlichen Spaziergängen in den Ruinen der alten Stadtmauer häufig zwei Originale der Stadt an, einen heimatlosen Schrottsammler und einen psychisch gestörten Xun-Spieler142, die er als Doppelgänger seiner selbst wahrnimmt. Als er eines Nachts einen einsamen Mann beobachtet, der am Rande eines Treffpunkts für Liebespaare masturbiert, ist er zutiefst schockiert, weil er feststellen muss, dass er sich auch mit jenem identifiziert. 143 Die Gespenstigkeit der Begegnung liegt in der Entdeckung des als unzivilisiert oder anormal ausgegrenzten Fremden als Eigenes. Die Grundstruktur des Romans Bai Ye liefert ein mittelalterliches buddhistisches Mysteriendrama mit dem Titel Mulian jiu Mu (Mulian rettet seine Mutter). Der Roman kehrt das Mysterium jedoch um: nicht die von einem Sutra magisch geschützte Reise eines pflichtbewussten Sohnes in die Unterwelt zur Rettung seiner sündigen Mutter, sondern die Rahmenerzählung der Rückkehr eines Verstorbenen in die irdische Welt und dessen vergebliche Suche nach dem Haus, welches sein mitgeführter 142 Die Xun ist ein antikes Blasinstrument aus Porzellan mit 1 bis 10 Lochbohrungen. Ihre Form gleicht einem Ei, als Set aufgebaut erinnert das Erscheinungsbild an aufgereihte Totenschädel. S. ; letztmals 15.2.2009. 143 S. hierzu Rojas 2006. Vgl. auch die Ähnlichkeit dieses Szenarios mit demjenigen in Bi Feiyus ebenfalls eine gespenstische Heimsuchung thematisierender Erzählung “Shi shei zai shenye shuo hua” (Wer spricht da in tiefer Nacht, 1995), übersetzt und kommentiert in Riemenschnitter 2009b.

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Schlüssel für ihn öffnen könnte, hält Jias Ansammlung von Geschichten über heimat- und arbeitslose Migranten Xi’ans zusammen. Eine ähnliche strukturgebende Funktion erfüllt die Qin-Oper im gleichnamigen späteren Roman Jias, der allerdings nicht die kapitalistische Zerstörung der alten Kaiserstadt Xi’an, sondern das gewaltsame Eindringen der Moderne in den ländlichen Raum und deren überwiegend negative Auswirkungen auf das lokale Sozialgefüge thematisiert.144 Eine Strategie der Jiaschen Krisen-Mythophorie besteht demnach darin, die archaische Vorlage nostalgisch als ein möglicherweise schreckliches, jedoch erfolgreiches Identifikationsnarrativ zu evozieren, welches die Ereignisse der Gegenwart allenfalls in einer negierenden Umkehrung sinnstiftend zu reihen vermag. Demselben Prinzip folgt Mo Yans Roman Shengsi pilao (Der Überdruss, 2006), in welchem der Protagonist analog zur Entwicklung der heimatlichen Dorfgemeinschaft in einer Serie von Reinkarnationen in absteigender Qualität immer schwächer und überlebensunfähiger wird. Zum Ende hin landet er als exotische Volksbelustigung in der Kreisstadt, während die von seinem ehemaligen Knecht gegen alle kommunistischen Enteignungsversuche erfolgreich verteidigten Ländereien des ehemaligen Grossgrundbesitzers zu einem Vergnügungspark für Städter umfunktioniert werden sollen. Auch ein Kommentar Han Shaogongs lässt sich diesem Negationsprinzip zuordnen: in seinem philosophischen Essayroman über die moderne Krise des Wissens Anshi (Latenzen, 2002)145 sucht er einem Mythologem aus dem Buch Huainanzi (2. Jh. v.u.Z.) neuen Sinn abzugewinnen, indem er einen über seine Machtlosigkeit gegenüber den Machenschaften der Menschen trauernden Himmel postuliert. Das Zitat wurde konventionell so gelesen, dass Hirse vom Himmel herabregnete und die Geister nachts heulten, als Cang Jie, der vieräugige Hofchronist des

144 Zu allen drei Romanen s. Wang Yiyan 2006 sowie Fei 2004, Jin 2004, Q. Li 2004, Y. Li 2005, Liu 2005, Sun 2000, Tan 2003, Ye 2002, Ye und Yue 2004, u.a. 145 “Meiner Meinung nach ist die Krise des Wissens (zhishi) eine der fundamentalen Krisen. Kriege, Armut, Gleichgültigkeit, Hass, Totalitarismus etc. sind nur die äusserlich sichtbaren Symptome dieser Krise. Wenn man solche Katastrophen schon nicht gänzlich ausrotten kann, so sollen die Menschen wenigstens bei ihren Bemühungen um Erkenntnis (xinzhi) nicht die Kontrolle verlieren. Man darf Katastrophen in der Situation einer Krise des Wissens nicht auf beklagenswerte Weise noch zusätzlich aufblähen.” Han Shaogong, Qianyan (Vorwort), in: Han 2002: 2.

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mythischen Gelben Kaisers, die Schrift erfand. Han Shaogong verwirft dieses Lob des zivilisatorischen Fortschritts und reflektiert stattdessen die Vorteile des Schweigens, welches aufgrund der Privilegierung verbaler Kommunikation durch die Schriftlichkeit in den Zivilisationskulturen völlig in Vergessenheit geraten sei. In daoistisch inspirierter Umwendung des konfuzianischen Codes erscheint das Bild als Katastrophenszenario: die Unterrichtung der Menschheit im Schreiben durch Cang Jie brachte den Himmel womöglich nicht deshalb dazu, Hirse herabregnen zu lassen, weil er der Menschheit zu dieser zivilisatorischen Errungenschaft gratulieren wollte. Vielmehr weinte er, weil er im Zuge dieses zivilisatorischen Fortschritts Unruhen und Naturkatastrophen kommen sah. Warum sonst hätten die Geister nächtelang heulen müssen?146

3.2 Tumult in der achtzehnten Hölle: Krisen der Dislozierung

Die Fundamentalkritik an der Praxis mythologischer Zementierung des Imaginären durch sprach- und symbolmächtige Eliten, welche aus He dian und Mo Yans historischer Aktualisierung für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in Shengsi pilao ebenso wie aus Han Shaogongs (medien)kritischer Intervention und gelegentlich auch aus den Erzählungen Jia Pingwas spricht, ist jedoch nur eine von mehreren Erscheinungsformen der Krise des nationalen Textes in Chinas 20. Jahrhundert. Wie Alfred Döblin in seinem letzten Roman Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende (1956)147, so suchen verschiedene chinesische Gegenwartsautoren die Schuld für den Missbrauch der mythologisch eingehegten Einbildungskraft nicht nur in deren Appropriation durch interessierte Gruppen, sondern auch im problematischen Umgang des Individuums 146 Zitat Huainanzi: “Cang Jie zuo shu, tian yu gu, gui ye ku.” In: “Yanshuo zhi wai” (Jenseits des Sagbaren), Han 2002, 3. 147 S. hierzu Koch und Vogel 2007, bes. Lars Koch, “Die Kriegsschuldfrage als existentielle Erinnerungsarbeit – Alfred Döblins Roman Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende”, in: Koch und Vogel 2007: 186–204. Für den Hinweis auf Döblins Roman danke ich Dietrich Harth.

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mit diesem Erkenntnisinstrument. Wo Döblins im Krieg verletzter und traumatisierter Protagonist seine Eltern dazu zwingt, ihre individuellen Lebenslügen als mythengeleitete, barock ausufernde Geschichten der Selbsttäuschung zu entlarven, erscheint Gao Xingjians Kritik des mythophorischen Deliriums in der modernen Gesellschafts- wie Subjektkonstitution weniger als Schuldfrage, denn als Frage nach Möglichkeiten eines Schutzes des Individuums vor dem ruinösen Sog des Imaginären. Der vom Gesinnungsterror des Mao-Regimes traumatisierte Protagonist des Romans Yige ren de shengjing (Das Buch eines einsamen Menschen, 2000) und seine deutsch-jüdische Geliebte, deren Biographie ebenfalls von einem Kollektivtrauma mit individueller Prägung durchzogen ist, versuchen, sich ihre Lebensgeschichten gegenseitig zu erzählen. Der Austausch wird zum gefährlichen Tanz auf dem Seil, weil die erlittenen seelischen Verletzungen sich im Akt des Erzählens wiederholen und die idiosynkratischen Abwehrstrategien beider Erzähler diesen immer wieder stören. In deutlicher Anlehnung an Lu Xuns provokativen, am 8. April 1933 in der Shen bao unter einem Pseudonym und mit der Datierung “1. April” veröffentlichten Essay “Xiandai shi” (“Moderne Geschichte”, QJ 5: 89 f.) stellt Gao zum Ende seines Romans hin die Revolution in den Kontext eines gesellschaftlich folgenlosen, aber individuell katastrophal zerstörerischen, endlosen Tumults. Der Protagonist findet sich mitgerissen in einer Gruppe von nach vorne drängenden Menschen, die unter begeisterten Rufen, Trommelschlägen und Gongklängen den freudig erwarteten guten Zeiten entgegen stürmen. Aus Angst, im Tumult zu Schaden zu kommen, folgt er der Menge, seinerseits Begeisterung nur simulierend, bis diese von Schüssen in alle Himmelsrichtungen zerstreut wird: Er rettete sich in einen Winkel, in den keine Kugeln gelangen konnten. Er war etwas aufgeregt und ein wenig traurig. Allmählich hörte er aus der Ferne erneut menschliche Stimmen. Er war sich nicht sicher, ob es schon wieder eine Menge war, die Trommeln und Gongs schlug, und es klang als würden sie wieder Parolen rufen. Als er genau hinhörte, glaubte er zu verstehen, dass sie wieder von guten Zeiten sprachen. […] Er lief schnell davon, die guten Zeiten machten ihm Angst, bevor die guten Zeiten kamen, wollte er sich lieber aus dem Staub machen (Gao 2006: 462 f.).

In Gaos früher verfasstem Drama Ming cheng (Stadt der Toten, 1988; Renné und Riemenschnitter 2008: 6 f.) wird die moralische Selbstver-

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nichtung der – im Gegensatz zum einsamen Menschen des Romans – am Vollzug des revolutionären Monomythos partizipierenden Intellektuellen zur kritischen Revision empfohlen. Gao klagt mit seiner variierenden Wiederholung der antiken Parabel von Zhuang zi, der mit einer niederträchtigen Maskerade die Treue seiner Ehefrau prüfen will, nicht nur jene – gleichviel ob selbsternannten oder kanonisierten – Autoritäten an, die über die Macht verfügen, den vom irdischen Glück träumenden Menschen zu täuschen und ins Verderben zu stürzen. Der träumende Mensch selbst, welcher seinen Horizont mit den Mythen dieses erträumten Glücks umstellt, 148 steht mindestens ebenso auf dem Prüfstand dieses Dramas. Zhuang zi verschafft sich, als vornehmer Würdenträger verkleidet, Zutritt in das Haus seiner Frau und behauptet, im mitgebrachten Sarg die Überreste des verstorbenen Zhuang zi zu überführen. Gleichzeitig hofiert er die trauernde “Witwe” und simuliert nach dem Erfolg seiner Verführungskünste eine Krankheit, die sich angeblich nur mit einem Extrakt aus dem Gehirn des Toten heilen lasse. Als die vermeintliche Witwe Anstalten macht, den Sarg mit einer Axt zu öffnen, steht der falsche Würdenträger höhnisch lachend in der Gestalt ihres sehr lebendigen Ehemannes vor ihr. Soweit die klassische Intervention des Daoisten gegen die Ordnungsansprüche moralischer Postulate in einer ohnehin nur auf Illusionen gegründeten Welt. Gaos Stück endet hier jedoch noch nicht. Zhuang zis gedemütigte Frau bedroht nun ihren Ehemann mit der Waffe, woraufhin dieser sie solange rhetorisch in Bedrängnis bringt, bis sie Selbstmord begeht. Beim Höllenfürsten angekommen, widerfährt ihr 148 Friedrich Nietzsche kann es sich noch erlauben, in diesem Bild lediglich zwischen zwei Extrempolen der Mythenrezeption zu unterscheiden: einerseits der ordnenden und Gemeinschaft stiftenden Funktion des mythenumstellten kulturellen Horizonts der griechischen Gesellschaft und andererseits der unersättlich destruktiven, sokratistischen, wissenschaftlichen Moderne, welche die Zerstörung ihrer Mythen gleichzeitig gierig betreibt und nicht verwinden kann. Dies gelingt Nietzsche, weil die komplexitätsreduzierende Funktion des Mythos von ihm als uneingeschränkt positiv eingeschätzt wird. Nicht nur Horkheimer und Adorno in ihrer Dialektik der Aufklärung, sondern auch Döblin in seinem Hamlet vertritt gegenüber Nietzsches Lob des ästhetischen Zuschauers, der “befähigt ist, den Mythus, das zusammengezogene Weltbild, zu verstehen, der, als Abbreviatur der Erscheinung, das Wunder nicht entbehren kann” (Nietzsche 1984: 146), eine andere, kritische Auffassung von der Weltbilder legitimierenden Macht der Mythen. Die Distanzierung erfolgte in beiden Fällen rückgebunden an die historischen Erfahrungen des 2. Weltkriegs und den Beitrag moderner totalitärer Mythologien zu dieser Katastrophe.

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nicht etwa Gerechtigkeit in der Form eines Freispruchs – der ihr in den Augen moderner Zeugen als Opfer einer derart bösartigen Täuschung und Verhöhnung durch ihren Mann wohl mindestens zustünde – sondern sie wird auch dort noch einmal des Verbrechens der Treulosigkeit und Lasterhaftigkeit schuldig gesprochen. Zwei Generäle reissen ihr zur Strafe die Zunge heraus und treiben sie anschliessend in die ewigen Flammen der achtzehnten Hölle. Mit dieser an das Umschlagen der französischen Revolution in Reaktion beziehungsweise in blanken Terror erinnernden Figur der achtzehnten Hölle (respektive des achtzehnten Brumaire) verknüpft Gao die Kritik an den Aporien modern-globaler gesellschaftlicher Fortschrittsideologien mit einer skeptischen Hinterfragung der Gültigkeit moralischer Kategorien. Der in der chinesischen Kulturproduktion seit der Antike geläufige Gender-Topos des gebildeten Fürstenberaters, der sich ungehört bleibend als verlassene beziehungsweise verstossene, jedoch wahrhaftig liebende Frau seines zurecht gewiesenen Machthabers zu stilisieren pflegte, gewinnt somit in Gaos postmoderner Konfiguration eine neue Facette und wird gleichzeitig als politischer Mythos entlarvt: Der Versuch der den Fürstenberater verkörpernden Frau, die an ihrer spezifisch eigenen Bösartigkeit laborierende Utopie der neuen Welt mit alter Weisheit zu kurieren, erscheint als nicht minder naive Verführbarkeit des Menschen durch seinen ewigen Traum vom irdischen Glück. Zhuang zis Frau wird folglich nicht nur als Sinnbild der zuerst respektierten und später des Verrats an der Sache angeklagten intellektuellen Berater Mao Zedongs, sondern nicht zuletzt auch als Sinnbild der materialistischen Glücksträume gegenwärtiger Subjekte zum böse getäuschten Opfer. Die Frage, ob Mythen auch in modernen Gesellschaften noch beziehungsweise wieder vorrangig eine orientierende Stabilisierung von Identität gewährleisten können, oder ob sie vielmehr notwendig den kollektiven Weg ins Delirium weisen, ist gemäss den soeben gesichteten Texten obsolet geworden. Es geht inzwischen vielleicht mehr darum, Mythen als aktuelle Repräsentationen davon zu verstehen, wie die Welt den Menschen erscheint, die darin leben (Appadurai 1996). Der explizit auf den magischen Realismus bezogene Interpretationsansatz Arjun Appadurais setzt nicht etwa voraus, dass Mythen und andere symbolische Formen nur für die Wahrnehmungen von Minderheiten Gültigkeit haben, sondern er versucht der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die 124

Möglichkeiten jedes Subjekts, sein reales Leben imaginär zu strukturieren, sich dramatisch vervielfältigt haben im Vergleich zu Zeiten, in denen die globale Mobilität von Körpern und Kommunikationsinhalten eine weniger dominante Erscheinung war. Aus diesem Grund darf sich die Erforschung symbolischer Formen nicht mehr ausschliesslich auf ein Paradigma strikter lokaler Fixierung kultureller Zugehörigkeiten stützen: The issue, therefore, is not how ethnographic writing can draw on a wider range of literary models, models that too often elide the distinction between the life of fiction and the fictionalization of lives, but how the role of the imagination in social life can be described in a new sort of ethnography that is not so resolutely localizing. There is, of course, much to be said for the local, the particular, and the contingent […]. But where lives are being imagined partly in and through realisms that must be in one way or another official or large-scale in their inspiration, then the ethnographer needs to find new ways to represent the links between the imagination and social life (Appadurai 1996: 55).

Selbstverständlich gilt diese Forderung nicht nur für die akademische Auseinandersetzung mit emergenten Formen sozialer Einbildungskraft; in noch stärkerem Masse sind davon die Produzenten kultureller Texte betroffen. Leung Ping-kwans Erzählung “Yansizhe de chaodu” (“Passage der Ertrunkenen”, 2007) reflektiert diese veränderte Wirklichkeit eines dislozierten kulturellen Wissens, indem darin über die Erlebnisse eines jungen buddhistischen Adepten berichtet wird, der dazu auserwählt wurde, die über die ganze Welt verstreuten Fragmente einer daoistischen magischen Spruchsammlung aus der Gründungszeit des chinesischen Kaiserreichs (3. Jahrhundert v. Chr.) mit dem Titel You ming jing (Das Buch vom Dunklen und Lichten) zu kopieren, eine möglichst vollständige Version zu erstellen und in Kooperation mit den auf diesen Text spezialisierten Gelehrten einen Kommentar zu verfassen. Er soll schliesslich auch das in diesem Buch aufgezeichnete “Grosse Ritual für die wandernden unruhigen Seelen” zelebrieren, um die herumirrenden Seelen der vielen ums Leben gekommenen chinesischen Wanderarbeiter von ihrer Gefangenschaft in der Zwischenwelt der Geister zu erlösen. In der von zahlreichen Hindernissen erschwerten Erfüllung dieser Aufgabe widerfahren dem Adepten allerlei Begegnungen mit übernatürlichen Phänomenen, die ihm in bedrohlicher, bedrückender, gelegentlich auch in lieblicher oder komischer Gestalt entgegentreten. Gleichzeitig bringt seine Aufgabe den Adepten mit einer Reihe von anderen globalen No-

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maden zusammen, die selbst vergleichbare Projekte der Fixierung instabiler Texte verfolgen. Am wöchentlichen Mittagstisch seines vorübergehenden Arbeitsdomizils, ein zum Kulturzentrum umgebautes Burgkloster in der Nähe des grössten französischen Atlantikhafens von St. Nazaire, begegnet er dem Philologen Peter, der noch nicht publizierte Fragmente von Hölderlins Nachlass editieren will. Inge arbeitet an einer Studie über das Schicksal von Frauen in Krisenregionen wie Sarajewo und dem Mittleren Osten. Damit sie die schlimmen Geschichten ihrer Informantinnen emotional verkraftet, beschäftigt sie sich ausserdem mit den Religionen und der Philosophie Ostasiens. Sie war auch schon in China, sogar am Tag des Ablebens von Mao Zedong im September 1976. Liana übersetzt die Werke eines russischen Schriftstellers, der dort während der Revolutionsjahre übersehen worden war. Mireille arbeitet über BollywoodMusicals, nachdem sie früher über Hollywood geforscht hatte, dessen menschliche Kälte ihr aber schliesslich missfiel. Aishe spricht mit dem Kloster-Vorsteher über die Kunstwerke ihres verstorbenen Freundes, deren Botschafterin für die Nachwelt sie nun ist. Seine Gesprächspartner vermitteln dem Adepten die Erkenntnis, dass ihre individuellen Lebensgeschichten die Auswahl und Versionen der verschiedenen Text-Projekte bestimmt haben. Also muss er ebenfalls seine eigene Version der beschädigten Schrift kompilieren, um womöglich bei der Arbeit des Kopierens und Korrigierens der Versionen seiner Vorgänger seine eigene Identität zu finden. Mit dem punktuellen Zusammentreffen verschiedenster Lebensgeschichten und Realitäten in Vergangenheit und Gegenwart an ausgewählten Orten, die als Heterotopien (Foucault) der Weltgesellschaft bezeichnet werden könnten – Bibliothek, Museum, Kloster, Kulturzentrum, Hafen, Bahnhof, China-Restaurant, Zollstation etc., gelingt es Leung in seiner Erzählung, die Dislozierung realer Biographien und eine damit einhergehende, irreversible Pluralisierung imaginärer Lebensentwürfe sichtbar und plausibel zu machen. Dass die (grossenteils unfreiwillige) Mobilität eines an sich instabilen, aber mit höchstem Prestige aufgeladenen religiösen Textes die gesamte Handlung der Erzählung sowohl strukturiert als auch motiviert, bringt die vielschichtige Problematik des Zusammenhangs zwischen nationaler Krise und der – im Hongkonger Narrativ auch gleich noch transnational erweiterten – Suche nach einem neuen, die chinesische Moderne legiti-

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mierenden und durch jene (re)legitimierten Kanon symbolisch auf den Punkt. Wie Wang Ning argumentiert, bedürfen solche Texte, welche die moderne Nation kanonisch repräsentieren können, mehrerer legitimierender Instanzen: des Markterfolgs, der Anerkennung durch diskursführende Eliten und der Integration ins universitäre Curriculum. Der globale Wettbewerb regionaler Texte im weltliterarischen Feld bringt im Vergleich zur internen, nationalen Kanon-Krise überdies eine neue Dimension der Destabilisierung mit sich, deren Ausmass selbst im Vergleich mit der ersten Rezeptionsphase zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewaltig ist. Es klingt in ihren Worten fast zu harmlos, wenn sie die Bloomsche These des kanonbildenden und -reformierenden Revisionismus als gesitteten Dialog zwischen scheinbar gleichberechtigten Partnern darstellt: For in my view, in the current literary studies circles, more and more scholars have realized that along with the process of cultural globalization and its consequent impact on literary study, Chinese literature is no longer viewed as an isolated phenolmenon. Due to the intermediary of translation, a new Chinese literary tradition has come into being, which is both different from the old tradition of classical Chinese literature as well as that of Western literature but which could have dialogues with both of them (Wang 2004: 162).

In ihren Ausführungen wird dann allerdings Lu Xuns weniger friedfertiges Prinzip des nalai zhuyi (Grabschismus) erwähnt, das sich mit der Titelwahl seiner Anthologie Nahan (Kriegsgeheul, QJ 1) noch verschärft. Auch noch das von Wang Jing (1996) dokumentierte Kulturfieber der 1980er Jahre legt beredtes Zeugnis über die fortdauernden Kämpfe im Identifikationsfeld der die Nation konstituierenden kulturellen Texte ab. In diesem Licht erscheinen He dian und die nachfolgende Konjunktur der wissenschaftlichen wie ästhetischen Auseinandersetzung mit imaginären Konstrukten wie den Mythen als Indikatoren dafür, wie sehr der Text der Nation, und damit wesentlich der das Orientierungswissen der intellektuellen und politischen Eliten bereitstellende Kanon, nicht nur in der volatilen Autorität des dynastischen und der strukturell unabschliessbaren Fluktuation des modern-literarischen Kanons an und für sich, sondern auch im Verhältnis von (literarischem) Kanon und

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(philologischen, diskursiven, massenmedialen, ästhetisch-performativen etc.) Supplementen problematisch geworden ist.149

149 Zur Problematik des Verhältnisses zwischen Übersetzung und Kanon vgl. beispielsweise auch Sun 2008, zwischen Text und Kommentar im Zusammenhang mit einer früheren Kanonkrise Gardner 2003, zwischen Roman und Verfilmung Hoesterey 2001, Hong 2003, Lin 1990, Yang 2002. Eine chinesische Ästhetik der Fiktion in Abgrenzung zu westlichen Theoriemodellen (u.a. N. Frye) liegt mit Gu 2006 vor.

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II. Sektion: Raum

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Krisen der Ordnung – Mythen der Kontinuität

Chinas zwanzigstes Jahrhundert war geprägt von Krisen, Katastrophen und radikalen gesellschaftlichen wie politischen Umwälzungen. Statt Fortschritt in sozial verträglichem Tempo erlebte die sich formierende Nation Niederlagen, Umbrüche und plötzliche Kehrtwendungen in ihrem Projekt der Modernisierung. Verheerende Kriege und Naturkatastrophen, aber auch prestigeträchtige Infrastruktur-Grossprojekte wie der intensive Ausbau von Industrie, Verkehrsnetz, Staudämmen und urbanen Siedlungsräumen belasteten überdies grosse Teile der Landbevölkerung, die bereits über zu wenig eigenen Landbesitz verfügte, bevor sie in den Sog von infrastrukturell motivierten Enteignungsverfahren geriet. Neben der unsicheren Lage hinsichtlich politischer, wirtschaftlicher, demographischer und anderer makrostruktureller Entwicklungen litt die Bevölkerung Chinas zunächst unter der Zersplitterung der territorialen Ordnung durch lokal operierende Kolonial- und Warlord-Regimes, später dann an den Folgen der umfassenden gesellschaftlichen Destabilisierung unter Mao. In raschem Wechsel und teilweise auch nebeneinander wirkten eine Machtpolitik im Zeichen christlichen Missionierungseifers durch die Kolonialmächte, republikanisch-nationalistische Invokationen der Selbststärkung bei gleichzeitiger Wirtschaft in die eigene Tasche durch Warlords, ein japanisch-faschistischer Pan-Asianismus und der revolutionäre Kommunismus. Aber auch noch die gemässigte Reformlinie des sozialistischen Kapitalismus mit chinesischen Charakteristika seit Deng Xiaoping hat zu einer Vervielfältigung der Entwürfe nationaler Identität sowie zu weiteren, krisenhaften Erschütterungen der Gesellschafts- und Weltordnung geführt. Mit dem Erscheinungsbild von Städten und Landschaften wandelte sich zudem das in Schulen und Universitäten gelehrte und in den Massenmedien propagierte Orientierungswissen. Damit veränderte sich auch die individuelle Erwartung an den Staat und das im eigenen Leben Erreichbare sprunghaft. Zum Ende des 20. Jahrhunderts ist ein von politischen, wirtschaftlichen und intellektuellen Eliten angestrebter Paradigmenwechsel vom pathosgeladenen, revolutionären WiderstandsNationalismus der Republik- und Mao-Zeiten zu einem geläuterten, kosmopolitischen Trans-/Nationalismus in vollem Gang, seine friedliche 131

Umsetzung aber alles andere als garantiert. In Schulbüchern, TV-Serien, Filmen und literarischen Repräsentationen spiegelt sich neben einer zunehmend selbstbewussten Einforderung internationaler Anerkennung Chinas als globalpolitische Akteurin auch ein Bedürfnis nach Narrativen der (kulturellen) Kontinuität, welche in einer Zeit des tiefgreifenden Wandels Sinn und Stabilitätsversprechen beinhalten. Es zeigt sich, dass die moderne Nation über den Umweg eines radikalen Bruches mit ihrer feudalen Vergangenheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts nun, an der Schwelle zum nächsten, wieder einmal auf der Suche nach alternativen Deutungen ihres historischen Erbes ist (Lu 2007). Die mao-dengistische Maxime des yi ku si tian (Eingedenken der vergangenen Bitternis und des gegenwärtigen Glücks), welche implizit fordert, die Vergangenheit ausschliesslich als Negativfolie der Gegenwart zu evozieren (Farquhar und Berry 2004), wurde seit den späten 1980er Jahren einer umfassenden Revision und Pluralisierung der Perspektiven unterzogen. Anschlüsse an die im vorangegangenen Kapitel behandelten frühen Mythologie-Debatten sind beim gegenwärtig zu beobachtenden – und nicht nur dem globalen Tourismus Tribut zollenden – Bauboom von Monumenten für Figuren aus der Mythologie wie dem Gelben Kaiser, dem Flutenbändiger Yu, dem Dichter Qu Yuan oder der Gruppe buddhistischer Halbgötter um den historischen Mönch Xuanzang (ca. 602–664), dessen Indien-Reise unter anderem bereits im Roman Xiyou ji (Die Reise in den Westen, Wu Cheng’en, 1592) ein textuelles Denkmal gesetzt worden war, und schliesslich auch in der gegenwärtig besonders hohen Konjunktur von Museums- und Themenpark-Anlagen unverkennbar (Anagnost 1997, Riemenschnitter 2009b). Gleichzeitig erfährt die Zeitgeschichte einen Prozess der Verdrängung aus den offiziellen kulturellen Repräsentationen im Zuge einer konsumkapitalistischen Abwertung des revolutionären Erbes (Wang 2004) und einen Gegentrend geradezu überbordender belletristischer und populärkultureller Aufmerksamkeit (Barmé 1996, Cheek 2008).1

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Zur neuhistoristischen Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte in der Fiktion vgl. weiter unten Sektion III; zur populärkulturellen Revolutionsmode s. u.a. Anagnost 1997, zur Revolutionsnostalgie und den die Revolution ambivalent (das heisst ironisch gebrochen), aber doch durchgängig als Missing Link zwischen Tradition und Moderne inszenierenden Verflechtungsmythologien in der Popmusik s. de Kloet 2003, Jones 1992, Steen 1996.

Während ein solcher Kult der Vergangenheit bislang von Marx bis Adorno und Benjamin, ja sogar noch von Bourdieu (Le Goff 1989: 16) eher bei den Eliten verortet und überdies als reaktionär und dekadent verurteilt wurde, schwemmte die anhaltende Beschleunigung geschichtlicher Prozesse nicht nur in China, sondern in einem globalen Rahmen nostalgische Sehnsüchte nach den je eigenen Wurzeln in die Populärkulturen. Eine auf Ursprünge und Kontinuität, neuerdings zunehmend aber auch auf transkulturelle Verflechtungsgeschichten zielende, intensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit lässt sich daneben auch in den weniger populärkulturell besetzten Feldern von Literatur, Philosophie und Kulturwissenschaften beobachten. Im Folgenden sollen ausgewählte Positionierungen geschichtlicher Diskurse, Ereignisse und Prozesse im nationalen Raum als Bestandteile einer markanten Formation dargestellt werden, die nach Nora als nicht immer voll bewusste, aber stets kultur- und zeitspezifische Anordnung von Erinnerungsorten einzustufen ist (Nora 1989: 23). Ein Erinnerungsort oder lieu de mémoire entspringt zunächst der Erkenntnis, dass das Gedächtnis ein Speicher ist, aus dem die wenigsten Erinnerungen spontan fliessen; insbesondere das historische Eingedenken ist kein spontaner Prozess, es bedarf der mündlichen oder schriftlichen Aktualisierungsmedien (Ricoeur 2004). Daraus folgt nach Nora, dass einerseits Erinnerungsorte vermehrt dort auftauchen, wo zwei gesellschaftliche Trends zusammenlaufen, nämlich eine selbstreflexive Besinnung auf die theoretischen Grundlegungen der Geschichtsschreibung und das Ende einer lebendigen Praxis der historischen Erinnerung. Das Interesse verschiebe sich in einer solchen Phase markant auf die spektakulärsten Symbole des historischen Erbes. Andererseits kann vieles, ja fast alles zum Erinnerungsort werden: The moment of lieux de mémoire occurs at the same time that an immense and intimate fund of memory disappears, surviving only as a reconstituted object beneath the gaze of critical history. This period sees, on the one hand, the decisive deepening of historical study and, on the other hand, a heritage consolidated. The critical principle follows an internal dynamic: our intellectual, political, historical frameworks are exhausted but remain powerful enough not to leave us indifferent; whatever vitality they retain impresses us only in their most spectacular symbols. Combined, these two movements send us at once to history’s most elementary tools and to the most symbolic objects of our memory: to the archives as well as to the tricolour; to the libraries, dictionaries, and museums as well as to commemorations, celebrations, the Pantheon, and the Arc de Triomphe; to the Dictionnaire Larousse

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as well as to the Wall of the Fédérés, where the last defenders of the Paris commune were massacred in 1870 (Nora 1989: 12).

Es ist jedoch der Prozess der Selektion, welcher dem Zusammenspiel von Gedächtnis und Geschichte und deren wechselseitiger Überdetermination, bedingt durch den subjektiven (individuellen wie kollektiven) Willen zur Erinnerung einerseits und die Konfigurationen objektiver historischer, zeitlicher und gesellschaftlicher Prozesse andererseits, die als signifikant geltenden Orte zuweist: The lieux we speak of, then, are mixed, hybrid, mutant, bound intimately with life and death, with time and eternity; enveloped in a Möbius strip of the collective and the individual, the sacred and the profane, the immutable and the mobile. For if we accept that the most fundamental purpose of the lieu de mémoire is to stop time, to block the work of forgetting, to establish a state of things, to immortalize death, to materialize the immaterial – just as if gold were the only memory of money – all of this in order to capture a maximum of meaning in the fewest of signs, it is also clear that lieux de mémoire only exist because of their capacity for metamorphosis, an endless recycling of their meaning and an unpredictable proliferation of their ramifications (Nora 1989: 19).

Ein für die hier angestellten Nachforschungen wichtiger dritter Aspekt betrifft schliesslich Noras Unterscheidung zwischen dominanten und dominierten Erinnerungsorten: [W]e might oppose […] dominant and dominated lieux de mémoire. The first, spectacular and triumphant, imposing and, generally, imposed – either by a national authority or by an established interest, but always from above – characteristically have the coldness and solemnity of official ceremonies. One attends them rather than visits them. The second are places of refuge, sanctuaries of spontaneous devotion and silent pilgrimage, where one finds the living heart of memory (Nora 1989: 23).

Wie stellen sich zeitgenössische chinesische Autoren zur Selektion und Konstruktion von Erinnerungsorten durch politische Akteure? Auf welche funktionalen Aspekte mythologischer Ausstaffierung von nationaler Identität durch mythophorische Arbeit (Wunenburger 1994) wird Bezug genommen? In drei signifikanten Themenfeldern sollen diese und ähnliche Fragen näher beleuchtet werden. Zunächst stehen Konstruktionen eines imaginären Raums der Nation – überwiegend gezeichnet in der Form von China-Utopien oder -Dystopien, aber auch unter Einschluss seiner transnationalen Extensionen und insbesondere seiner Positionie134

rung als Gegenpol des Okzidents im Diskurs des Orientalismus – im Fokus. In absteigender Skala geht es danach um die literarische Auseinandersetzung mit signifikanten, kartographisch sowohl innerhalb, als auch jenseits des nationalen Raums indizierbaren Erinnerungsorten der Nation, um schliesslich bei einem noch kleinformatigeren Topos zu verweilen: untersucht wird hier der konsumierende Körper und das jenen nährende Land, welches im Rahmen einer solchen Setzung eine Nahrung hervorbringt, die Gemeinschaft stiftet; mythische Bedeutung nehmen aber gerade auch die Orte ihrer Zubereitung und Konsumierung an, Herd und Esstisch. Es folgen in einem kurzen Ausblick einige Überlegungen zur Analyse der Arbeit am räumlichen Gedächtnis der Nation in ihren ästhetischen Repräsentationen, wobei Phänomenen der Gleichzeitigkeit und Verflechtung von verschwindenden, emergenten und konkurrierenden Raumordnungen in der Moderne besondere Aufmerksamkeit gezollt werden soll.

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Mythologie als Mnemotopie

5.1 Kulturelle Konstruktionen nationaler Identität

Mythologische Enzyklopädien jüngeren Datums berufen sich zumeist auf die Universalität ihrer Welterklärungen, deren sich demnach alle Gesellschaften, ob modern, traditionell oder archaisch, zum Zweck der Stiftung und Erneuerung ihres Gemeinschaftsgefühls bedienten. 2 Der kontinuierliche Einsatz von nationalen Mythen auch noch in modernen Gesellschaften beruht demnach auf einer archetypischen Konstante des Sozialen. Nach Blumenberg verbirgt sich dahinter eine kollektive Furcht vor dem Unwägbaren, 3 für deren Bezwingung in der Moderne nicht mehr wie ursprünglich die geteilten religiösen Praktiken von Gemeinschaften zuständig sind, sondern wofür heute sekundäre narrative oder 2

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“Das Interesse an der Mythologie hat in den letzten hundert Jahren beständig zugenommen; bewirkt wurde dies durch die Erkenntnis, dass Mythen nicht etwa kindliche Darstellungen oder gar prä-wissenschaftliche Auslegungsversuche der Welt sind, sondern dass sie durchaus ernstzunehmende Einsichten in die Lebenswirklichkeit vermitteln. Mythen gibt es in allen – gegenwärtigen und vergangenen – Gesellschaften. Sie gehören zum Wesen des menschlichen Lebens, sie offenbaren Glaubensbekenntnisse, prägen Verhaltensweisen, rechtfertigen Institutionen, Riten und Wertvorstellungen. Man kann daher unmöglich die Menschen verstehen, wenn man ihre Mythen nicht kennt.” Cavendish und Ling 1981: 8. “Wendet man den Blick von den professionell [...] ausgemalten Schrecknissen der Gegenwart und erst recht der Zukunft zurück auf die der Vergangenheit und Vorvergangenheit, stößt man auf die Notwendigkeit, einen Ausgangszustand vorzustellen, der die Erfordernisse jenes alten status naturalis philosophischer Kulturund Staatstheorien erfüllt. Dieser Grenzbegriff der Extrapolation fassbarer geschichtlicher Merkmale ins Archaische lässt sich formal in einer einzigen Bestimmung festlegen: als Absolutismus der Wirklichkeit. Er bedeutet, dass der Mensch die Bedingungen seiner Existenz annähernd nicht in der Hand hatte und, was wichtiger ist, schlechthin nicht in seiner Hand glaubte. Er mag sich früher oder später diesen Sachverhalt der Übermächtigkeit des jeweils Anderen durch die Annahme von Übermächten gedeutet haben. Was zu diesem Grenzbegriff berechtigt, ist der gemeinsame Kern aller gegenwärtig respektierten Theorien zur Anthropogenese.” Blumenberg 1996: 9.

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rituelle Angebote, wie Gedenkfeiern, Theaterveranstaltungen, Sportereignisse oder Ähnliches, bereitgestellt werden (Turner 1995). Es geht in solchen mythologisch fundierten, rituell inszenierten Konstruktionen nationaler Identität aber auch um die Legitimation von Herrschaft, eine Stabilisierung der Gesellschaftsordnung durch geordnetes, regelmässig wiederholtes kollektives Eingedenken von geteilten Werten, Orientierungen und Erfahrungen sowie um die Mediation von Differenzen im sozialen Gefüge. Schliesslich erfüllen Mythen einen wichtigen Zweck bei der imaginären Ausgestaltung des eigenen sozialen Innenraums, strukturiert durch grenzziehende Bezugnahmen zur Aussenwelt (Giesen 1999: 24; Lincoln 1986, Link und Wülfing 1991 und dies. 1984, Wunderli 1994). Weil diesen universell beobachtbaren Grenzziehungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden mit dem Nationalismus eine moderne politische Ideologie zugewachsen war und Formen nationalistischer Aggressivität bis heute wirkungsmächtig geblieben sind, werden Diskurse über nationale Identität mit Argwohn beobachtet. Aus der Perspektive des späten 20. und angehenden 21. Jahrhunderts gesehen, ist der Nationalismus vor allem eine die Weltordnung gefährdende politische Ideologie mit Tendenz zu fundamentalistischen Gewalt-Exzessen. Was dabei in der Regel übergangen wird, ist der emanzipatorische Ansatz der Idee. Dieser setzte im Kontext europäischer, aber auch postkolonialer Konstruktionen nationaler Identität nicht nur negative Energien frei. Im Nationalstaat wurde die Willkür fürstenstaatlicher Grenzen überwunden und die epochale Umkehr der Souveränitätsvorstellungen vollzogen: Nicht mehr der Fürst, sondern das Volk, die Nation, galt von nun an als das souveräne Subjekt der Geschichte, das sich eine angemessene politisch-staatliche Verfassung geben sollte. Dieses demokratische Fundament der nationalstaatlichen Idee lässt sich bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts verfolgen. Es setzte voraus, dass Geschichte als politische Geschichte durch die Emanzipation der Nationen vorangetrieben wurde, die von einer schlafenden und vorpolitischen Existenz zu einer bewussten Gestaltung ihrer staatlichen Verfassung übergingen (Giesen 1996: 9 f.).

Die aus der europäischen Aufklärung datierende Vorstellung des sich in den verschiedenen Sphären von Politik und Kultur konstituierenden Nationalstaats als eines nicht weiter begründbaren Subjekts der Geschichte und als unüberbietbare Normalform gesellschaftlicher Entwicklung zur Moderne wurde nach Giesen durch die pathologische Entgleisung der 138

Geschichte und des Fortschritts im deutschen Nationalsozialismus obsolet. Seitdem bezeichnet der Begriff der Nation, der an sich viel älter ist als die Idee des demokratischen Nationalstaats, nicht mehr eine gleichsam naturgegebene, vorhistorische Identität, sondern den Identitätsverlust der Moderne, das Resultat von politischer Verführung und gesellschaftlichen Krisen, von historischem Wandel und sozialer Konstruktion. Vom Subjekt der Geschichte wurde die nationale Idee so zum vermeidbaren und überwindbaren Ergebnis der Geschichte.4

Die trotzige Selbstbehauptung der nationalen Idee im ausgehenden 20. Jahrhundert – nach dem Ende der sozialistisch-supranationalen pax sovietica, im Paradigmenwechsel des “Demokratieproblems in einer globalen Welt”, 5 und in einer Phase der massiven ökonomisch-politischen Unterstützung europäischer Integrationsprozesse – stellt Wissenschaft und Politik vor die Frage, woher sie “ihre Erneuerungskraft und ihr Beharrungsvermögen bezieht, worin die Integrations- und Mobilisierungsfähigkeit nationaler Ideologien begründet liegen, warum das nationale Prinzip allen anderen Ordnungsprinzipien des sozialen Zusammenlebens überlegen zu sein scheint” (Berding 1996: 8). Neben politischen Umbrüchen ist es dabei vor allem auch kritischen Methodendebatten in den kulturwissenschaftlichen Disziplinen (BachmannMedick 2006) zu verdanken, dass neue Perspektiven auf die imaginären Bild- und Symbolarchive nationaler Identitätsentwürfe und auf ihre “operativen Semantiken”6 entwickelt werden konnten. 4

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A.a.O.: 11. Zu den älteren semantischen Besetzungen des Begriffs bemerkt Giesen: “Im Mittelalter bezog sich »Nation« noch auf das prekäre Legitimationsverhältnis zwischen Herrscher und Gentiladel oder auf das Nebeneinander unterschiedlicher »nationes« an Universitäten, bei Kreuzzügen, Wallfahrten und Konzilen. Das konfessionelle Zeitalter konstruierte nationale Identität über Unterschiede des religiösen Bekenntnisses und bezog nicht nur den Adel, sondern auch Bürgerliche in das Legitimationsverhältnis von Herrscher und Nation ein. ...” A.a.O.: 15. “Today, advocates of democracy in the age of globalization are met by sceptics who claim that democracy may have been possible within the confines of the national territory but is unimaginable on a global scale.” Hardt und Negri 2005: 238. Als kulturpolitische Funktion am Beispiel der deutschen nationalliterarischen Kanonbildung im 19. Jahrhundert rekonstruiert bei Harth: “Denn das Vorhaben, die Genese der ‚Nationalliteratur’ in ihrem Zusammenhange zu erzählen, hat – genau genommen – kein konkretes Objekt. Die Erzählung bringt dieses vielmehr erst her-

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Insbesondere den Postcolonial Studies verdanken wir Einblicke in die ideologischen Verstrickungen, aber auch die geohistorische Partikularität der sogenannten Nationalliteraturen, für deren Erforschung der akademische Betrieb in analoger Weise Disziplinen eingerichtet hatte, die sich normativ und universalistisch positionierten. Dieser Eurozentrismus (geistes)wissenschaftlicher Wissensproduktion wurde Gegenstand postkolonialer Revisionen. Mit dem Konzept des Orientalismus stellte Edward Said ein (nicht unumstrittenes) Werkzeug bereit, mit dem eine ideologische Tiefenstruktur in westlichen Romanen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts freizulegen war. Er konnte sogar zeigen, dass dieser orientalistische Blick auf die Anderen das Werk mehrerer eigentlich gegen den westlichen Imperialismus gerichteter Schriftsteller bestimmte. Der von Said eingeführte Begriff unterstützte die Dekonstruktion kolonialistischer Ideologien, in denen der Orient immer zugleich Objekt des Begehrens und der zivilisatorischen Disziplinierung war, der zugleich materiell ausgebeutet und gewaltsam aus seiner vermeintlichen Barbarei in eine westlich definierte Moderne “erlöst” werden sollte. Und dennoch erfolgte in China nach dem Scheitern des maoistischen Experiments mit der Konstruktion gesellschaftlicher Solidarität unter dezidiertem Ausschluss kultureller Traditionsanschlüsse eine intensive Suche nach gerade diesen, ab dem Ende des 19. Jahrhunderts für das Scheitern des Imperiums verantwortlich gemachten kulturellen Wurzeln chinesischer Identität. Von akademischen Beobachtern wurden die zahlreichen literarischen und filmischen Projekte zur ästhetischen Rekon-

vor. Sie allein ist die Garantie dafür, dass der subjektive Willensakt, den der Satz ‚Eine Nationalliteratur soll sein!’ ausdrückt, sich in einem erzählenden Text objektiviert und – so die Hoffnung der literarischen Nationalerzieher – das Publikum von Wert und Grösse der vom Faden der Erzählung zusammengehaltenen Autoren und Werke überzeugt. Wenn der Begriff der ‚Nationalliteratur’ überhaupt die normative Bedeutung gewinnen sollte, die ihm die Vertreter der literarischen Bildungsreligion mit beschwörenden Worten zugesprochen hatten, so hing das nicht von den Dichtern, sondern von den Vermittlern und deren publikumswirksamer narrativer Rhetorik ab. Denn es waren nun einmal die Literaturgeschichten, die den Anspruch erhoben, die ‚innere’, also unsichtbare Geschichte der Nation erzählend zu gestalten, ohne dem empirischen Pendant der ‚äusseren’, d.i. soziopolitischen Bedingungen besondere Aufmerksamkeit widmen zu müssen.” Harth 2000: 374.

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struktion einer verlorenen kulturellen Identität unter dem Leitbegriff der “Chineseness” subsumiert. Rey Chows Kritik am Orientalismus dieser Repräsentationen, wie auch an der akademischen Auseinandersetzung damit (Chow 2000: 1–25), verdeutlicht noch einmal die existentielle Verunsicherung in und durch nicht-westliche Gemeinschaften, welche von der Ambivalenz kolonial-fremdkultureller Positionsnahmen zum je Eigenen in die Globalisierungsdebatten getragen wurde. Chows Unbehagen wird unter anderem von der nur scheinbar banalen Beobachtung abgeleitet, dass nationale Zugehörigkeit immer dann als ethnischer Index verwendet wird, wenn kulturwissenschaftliche Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit Ländern der Dritten Welt vorgelegt werden, während solche Thematiken innerhalb der Grenzen westlicher Nationen universalistische Titel ohne lokale Indikatoren führen. 7 Wie Gayatri Ch. Spivak geht es ihr darum, die nicht-westlichen Kulturen aus ihrer exotischen Nische im akademischen Betrieb zu befreien, ohne deren Heterogenität universalistisch nivellieren zu müssen (Spivak 2008). Die berechtigte Kritik könnte allerdings in einer Gegenreaktion dazu führen, jeden Erkenntnisgewinn aus der europäischen Forschung, beispielsweise zum Nationalismus, aus den Augen zu verlieren. Das wäre unklug; insbesondere hinsichtlich der europäischen philosophischen Entwürfe nationaler Identität gab es für neokoloniale Gemeinschaften einiges wieder7

“As I have pointed out in my discussion of contemporary Chinese cinema, there remains in the West, against the current facade of welcoming non-Western ‘others’ into putatively interdisciplinary and cross-cultural exchanges, a continual tendency to stigmatize and ghettoize non-Western cultures precisely by way of ethnic, national labels. Hence, whereas it would be acceptable for authors dealing with specific cultures, such as those of Britain, France, the United States, or the ancient Greco-Roman world, to use generic titles such as Women Writers and the Problem of Aesthetics, Gender Trouble, Otherness and Literary Language, The Force of the Law, The Logic of Sense, This Sex Which Is Not One, Tales of Love, and so on, authors dealing with non-Western cultures are often expected to mark their subject matter with words such as Chinese, Japanese, Indian, Korean, Vietnamese, and their like. While the former are thought to deal with intellectual or theoretical issues, the latter, even when they are dealing with intellectual or theoretical issues, are compulsorily required to characterize such issues with geopolitical realism, to stabilize and fix their intellectual and theoretical content by way of national, ethnic, or cultural location. [...] That this vicious circle of discriminatory practice has gone largely uncontested even by those who are supposedly sensitive to cultural difference is something that bespeaks the insidious hypocrisy of what purports, in North America at least, to be an enlightened academy.” Chow 2000: 3.

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zuentdecken, argumentiert Pheng Cheah (Cheah 2003). Wenn die postkoloniale Kritik am Orientalismus nur dazu benützt wird, grundsätzlich essentialisierende Vorstellungen von Ethnizität zu unterstellen, wo unter Umständen vielmehr ideologiekritische Projekte kultureller, kritischimaginärer Selbstverortung Hintergrund derartiger Etikettierungen sein könnten, verlieren Analysen nicht-westlicher Akteure unter Umständen ihre wichtigsten reflexiven Kategorien. Die jüngste europäische Nationalismus-Forschung, ebenso wie deren geistige Fundamente spätestens seit Herder zeigen, dass axiologische Ortsbestimmungen nationaler Differenz kein Privileg westlicher, und schon gar kein Stigma nicht-westlicher Gemeinschaften sein müssen. Man kann sie auch dynamisch als intellektuelle Praxis, oder mit Spivak als Operationen eines strategischen Regionalismus verstehen, die unter anderem auch zur Korrektur von unreflektierten Ethnozentrismen dienen (Anderson 2000, Spivak 2008). Unbewusste, beziehungsweise halb bewusste ideologische Konditionierungen des postkolonialen Diskurses können am Leitfaden der Repräsentationsstrategien literarischer Texte noch weiter sensibilisiert, aber auch vorsichtig modifiziert werden. Saids wie Chows Diagnosen wurden beispielsweise durch Homi Bhabhas Analysen postkolonialer Identitätsbildungsprozesse produktiv erweitert, indem der Orientalismus-Begriff dialogisch, für wechselseitige Korrekturen beider Schieflagen, eingesetzt wurde.8 Auch die auf den deutschen Sprachraum konzentrierten Trajektorien Giesens (Eyerman, Giesen und Smelser 2004, Giesen 1999, 1996, Koselleck 1989: 130–143) wären mithilfe eines solchen kritischen Einsatzes von den Ungleichzeitigkeiten, Krisen- und Schockszenarien nichtwestlicher beziehungsweise (post)kolonialer Nationalismen her zu denken, das heisst im chinesischen Fall vom unfreiwilligen und im Horizont 8

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“What must be mapped as a new international space of discontinuous historical realities is, in fact, the problem of signifying the interstitial passages and processes of cultural difference that are inscribed in the ‚in-between’, in the temporal breakup that weaves the ‚global’ text. It is, ironically, the disintegrative moment, even movement, of enunciation – that sudden disjunction of the present – that makes possible the rendering of culture’s global reach. […] The non-synchronous temporality of global and national cultures opens up a cultural space – a third space – where the negotiation of incommensurable differences creates a tension peculiar to borderline existences. Bhabha 1990: 217 f.; s. aber auch Spivaks GrundsatzKritik am Identitätskonzept (Spivak 2007). Auch chinesische Kulturtheoretiker wie Chen Xiaomei (Chen 1995) und Chen Xiaoming (Chen in Dirlik und Zhang 2000: 222–238) haben bereits Vorstösse in dieser Richtung vorgelegt.

der zeitgeschichtlichen Perzeption verspäteten Abschied chinesischer Eliten von der Idee eines weltumfassenden chinesischen Universalismus mit seinen unzivilisierten Randzonen herkommend, der zugunsten einer aufholenden Individuationsbewegung aufgegeben wurde (Dikötter 1992, Duara 1995 und 2004, Lu 2007: 191–203, Tsu 2005). Strukturell wäre zwischen einem strategischen und einem analytischen Gebrauch des nationalen Mythos-Begriffs in Alltags- wie Spezialdiskursen zu trennen. Obwohl die Grenzen fliessend sind und die Rezeption ästhetischer Repräsentationen nicht unbedingt den Intentionen ihrer Urheber folgt, ist es nicht dasselbe, mythologische Elemente von nationalen Diskursen performativ oder analytisch zu reflektieren, wie die Nation als Mythos zu inszenieren. Das wissenschaftliche Interesse an (modernen) Mythologien muss demzufolge auch in Projekten ästhetischer Reflexion möglichst deutlich unterscheiden zwischen einerseits der Versuchung, Geschichte oder den geschichtlichen Inhalt von Kunstwerken als Vorwand für reduktionistische Deutungen von kollektiven Urbildern zu benutzen, und andererseits der kreativen, prosthetischen Ausschöpfung mythologischer Archive zum Zweck der Öffnung etablierter Denk- und Wahrnehmungsmuster für unbekannte, unreflektierte Inhalte. Der kulturwissenschaftlich orientierten Forschung erwächst daraus die Aufgabe, die in spezifischen Texten oder Diskursen verwendeten mythologischen Motive in kontextorientierten Analysen auf ihre funktionalen beziehungsweise funktionengeschichtlichen Dimensionen hin zu prüfen. Indem man versucht, “jene überindividuellen, oft unbewussten, moralphilosophisch nicht fixierten Auffassungen und Haltungen zu ermitteln, aus denen das literarische Schaffen eines Autors oder einer Epoche seine Impulse dichterischer Imagination bezieht” (Weimann 1977: 229), lassen sich im letzteren Fall Erkenntnisse über Verschiebungen im Welt- und Selbstbild einer Gemeinschaft beobachten, die unter anderem ihre je spezifischen Verhältnisse von Zentrum und Peripherien, ihre Grenzziehungen und ihre Zuweisungen legitimatorischer Autorität betreffen. Je weniger Spielraum kollektiven Phantasien im Zeitalter der fortschreitenden Entmythologisierung aller Zusammenhänge in Natur und Gesellschaft in kulturellen Repräsentationen beigemessen wird, umso wirkungsvoller scheinen sie sich, nicht zuletzt befördert durch massiven massenmedialen Einsatz, auf der Ebene nicht-reflektierter symbolischer Weltsetzungen – zur Durchsetzung oder zumindest Verteidigung politischer wie ökonomischer Interessen – zu behaupten. 143

Wie bereits ausgeführt wurde, haben in der abendländischen Tradition nicht nur die Künste, sondern auch akademische Disziplinen wie Theologie, Philosophie, Geschichte und Psychologie von den ursprünglich narrativen, sowohl mythenschaffenden als auch -hermeneutischen Bewältigungsversuchen menschlicher Grenz- beziehungsweise Krisensituationen die Aufgabe übernommen, Problemlösungen auf der Basis von Rationalisierung und Rekursen auf das “auf gemeinsamer Erfahrung, Sprache, Bedrohung oder Zielsetzung beruhende, durch Eigen- und Fremdbestimmung fixierte und oft durch symbolische Ausdrucksformen verstärkte Zusammengehörigkeitsgefühl” anzubieten. Diese Aufgabe des Erzählens von alten und neuen Geschichten über die gemeinsame Herkunft und des Entwickelns von Zukunftsvisionen unter Zuhilfenahme von (auch politischen) Mythen fundiert und variiert nationales Selbstverständnis über den Weg der Vermittlung zwischen überliefertem Wissen, neuen Erkenntnissen, kollektiven Erfahrungen und individueller Sinnstiftung. 9 Was Politik und Zensur in China während der Ära Maos eliminierten, haben Autoren seit den 1980er Jahren markant in ihre Texten zurückzuholen versucht. Es liegt nahe, die von ihnen erzählten Geschichten als gegen den Strich gebürstete Geschichte10 zu rezipieren. Eine genauere Verortung der Position solcher Texte im Verhältnis zu den offiziellen Diskursen ihrer Zeit verspricht Aufschluss über Spielräume des Aushandelns zwischen politischer Propaganda und aktuellen Konflikten, vor allem wenn diese erzählten Geschichten als Ergebnisse einer Sedimentierung vergangener historischer Erfahrungen im kulturellen Bewusstsein der Gemeinschaft dargestellt, beziehungsweise wenn

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“Es fällt auf, dass im Formierungsprozeß einer Nation Mythen offensichtlich immer eine Rolle spielten. Man stösst bei der Beschäftigung mit Nationsbildungen in Europa (sic) überall auf Schöpfungs-, Abstammungs- und Ansippungsmythen, die die Anfänge der Nation in unvordenkliche Zeiten zurückverlegen; auf Heils- und Sendungsmythen, die einer nationalen Gemeinschaft göttliche Erwähltheit und weltgeschichtliche Mission zuschreiben; auf Gründungs- und Revolutionsmythen, die einen Umsturz rechtfertigen und eine neue Gesellschaftsordnung fundieren sollen. Immer dann, wenn Nationen entstehen oder nationale Bewegungen sich entfalten, scheinen solche einheits- und identitätsstiftenden Mythen am Werk zu sein.” Berding 1996: 8. Lin 2005 (in Anlehnung an das Diktum W. Benjamins); vgl. auch u.a. LeRoy Ladurie 1989, Furet 1998, Greenblatt 1992 und 1991, Koselleck 1995, White 1973.

solche Darstellungen sogar ihrerseits problematisiert werden. 11 Hintergrund dieser Bemühungen ist nicht zuletzt die von chinesischen Autoren wiederholt thematisierte Notwendigkeit, in Zeiten sich zuspitzender ideologischer Konfrontationen nach Möglichkeiten der Entschärfung von Konfliktsituationen über den Weg neuer Formen eines “cultural engineering” zu suchen. Es geht mit anderen Worten darum, innovative Aushandlungs- und Vermittlungsstrategien in literarisch-experimentell konstruierten sozialen Situationen durchzuspielen, möglichst noch bevor deren politische Durchsetzung ins Auge gefasst wird (Bhabha 1994: 212–35; Jusdanis 1991, He 1996, Snyder und Tang 1996). Allgemeine Typologien moderner Gesellschaftsordnungen berücksichtigen China eher nicht, obwohl sich hierbei die Problematik der immer nur provisorisch zu bestimmenden Trennungslinien in besonderer Schärfe zeigt. Weder passt China in ein Raster von einerseits imperialen, andererseits kolonialen Formen (Alter 1985, Chatterjee 1993 und 1986, Chen 1993, Memmi 1990, Nandi 1992, Spivak 1992, 1988 und 1987), weil und obwohl es an beiden Teil hat, noch liessen sich bis in die jüngste Vergangenheit hinein distinkte Abgrenzungsdiskurse – jenseits des sogenannten Realpolitischen – zwischen den verschiedenen chinesischen Gemeinschaften erkennen. Nicht nur der mit dem Projekt “The Hong Kong Transition” beauftragte Kreis von Sozial- und Kulturwissenschaftlern, welcher die Übergabe Hongkongs mit Umfragen und statistischen Auswertungen begleitete, liefert ein differenziertes Bild der historischen Gegebenheiten hinter dem homogenisierenden Bild von sowohl westlichem Kolonialbegehren, als auch noch des gegenwärtigen chinesischen Einheitstraums. 12 Kulturelle Konstruktionen einer Hongkonger wie auch einer taiwanischen kollektiven Identität, die ausdrücklich in 11

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Beispielhaft erscheint die sozialhistorisch angelegte Studie Giesens (Giesen 1999) zur kollektiven Identität, deren theoretische Systematik an Fallbeispielen der europäischen Neuzeit erläutert wird. Studien zur chinesischen Entwicklung haben u.a. Anagnost 1997, Brook und Schmid 2000, Chiou 1995, Dirlik 1996, 1995, 1994 und 1987, Dittmer 1993, Dong 1994, Fang 1991, Liu 1995 und Schubert 2002 vorgelegt. Vgl. hierzu auch die Romane Mo Yans. MacMillen 1993. Die akademische Debatte über die Grundlagen nationalistischer Politik kann an dieser Stelle nicht gewürdigt werden. Ausführlich hierzu Anderson 2000 und 1996, Emerson 1962, Gellner 1995, Giddens 1990 und ders. 1987, Hobsbawm 1990 und 1978, Huntington 1993, Smith 2000, Wallerstein 1974–88; Dittmer 1993, Duara 1995, Fitzgerald 1996, Gluck 1985, Liu 1995, Schubert 2002, Unger 1996, Xiao 1997, Zheng 1999.

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Distanz zum Kulturalismus des “Chinesischen” gehen, datieren allenfalls bis in die späten Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück und verschwinden im transnationalen Diskurs des Greater China bereits wieder. 13 Ebenso wurde über einen langen Zeitraum hinweg die ethnisch-kulturelle Identität auslandschinesischer Gemeinschaften als Distinktion gegenüber deren jeweiligen staatsnationalen Zugehörigkeiten betont, bevor ästhetische Interventionen die Probleme dieser Strategie zum Ausdruck brachten. 14 Ein vorsichtiger Wechsel von Kultur- zu Staatsnationalismus ist zu beobachten, seitdem Hongkonger, taiwanische und volksrepublikanische Intellektuelle öffentlich ihre staatsbürgerliche Subjektivität gegenüber den jeweiligen Monopolparteien, wie auch gegenüber einem “bulimischen” chinesischen Anderen einklagen, das seine Aussenräume politisch und inzwischen zunehmend auch kulturell zu dominieren sucht.15 Andere Theoretiker sprechen vom unvollendeten Projekt des chinesischen Nationalismus im Hinblick auf die Verwirklichung grundlegender staatsbürgerlicher Rechte. 16 Schliesslich finden sich in wissenschaftlichen Publikationsorganen der 1990er Jahre auch zahlreiche historisch-philosophische Neuevaluationen nationalistischer Programme und Repräsentationen, welche im wesentlichen nicht mehr ein Grossmachtstreben propagieren, sondern vielmehr China als zukunftweisendes Beispiel für die Schwierigkeiten reflektieren, ein stabiles Zusammengehörigkeitsgefühl für moderne Gesellschaften zu konstituieren, die sich selbst mehr und mehr als aus regionalen, professionellen

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Leung 1995, Lin 1997, Hsiau 2000; zum chinesischen Transnationalismus vgl. ausserdem Ang 2004, Ong 1999, Riemenschnitter und Madsen 2009. S. beispielsweise M. Kingston Hongs Roman WW, die queer-buddhistischen Erzählungen des sino-amerikanischen Autors Russell Leong (Wong 2006) sowie Filme von (u.a.) Ann Hui, Clara Law, Ang Lee, Tsai Ming-liang und Wong Karwai, besonders dessen Happy Together (Chunguang zhaxie 1997); zur kulturellen Produktion Taiwans vor dem Hintergrund von Identitätsfragen s. Wang und Rojas 2007 sowie Yip 2004. Wang 2006; vgl. a. Barmé 1992 und 1988, Chiou 1995, Goldman 1981, Wagner 1991. Den Begriff des Bulimischen entlehne ich von Westphalen 1990. Wang 1994. Vgl. auch die Diskussion von sechs Beijinger Philosophen über den ”Wiederaufbau eines chinesischen nationalen Geistes und Wertesystems”, abgedruckt in der Beijing daxue xuebao 4, 1994, 56–60 und 93 ff.

und anderen, mehr oder weniger marginalen Subkulturen zusammengewürfelte, transnationale Gebilde wahrnehmen.17 Wie aus den von Chen Xiaoming anlässlich einer Debatte zu Tendenzen des Neo-Konservativismus in den Neunziger Jahren vorgebrachten Argumenten hervorgeht, befindet sich die Volksrepublik China in einer Phase der beschleunigten Entwicklung, die eine zunehmende Gewaltsamkeit sozialer Prozesse mit sich bringt und deshalb womöglich gerade retardierender Momente einer Rückwendung zu den eigenen Traditionen bedarf, um das in der Bevölkerung wachsende Bedürfnis nach Orientierung und Stabilisierung zu befriedigen. 18 Chen führt mehrere Motive für sowohl die Emergenz akademischer Formen des Neo-Konservativismus, als auch den Erfolg des berüchtigten Bestsellers ”China kann nein sagen” mit mehreren Fortsetzungen (Song 1995, 1996 und Zhang 1996; Chen 1997: 35–43) an. Einerseits sieht er die Besinnung chinesischer Intellektueller auf eigene Traditionen als Reaktion auf die verschiedenen ikonoklastischen Phasen im Rahmen von radikalen Modernisierungs- und Verwestlichungsprogrammen, zuletzt während der Achtziger Jahre.19 Wie Chen bemerkt, speisen sich moderne Formen des Nationalismus aus Elementen universalistischer Weltanschauungen und lokalen, partikularen Imaginaires, so dass der neue akademische Konservativismus durchaus im Paradigma einer aufholenden Modernisierung bleibt. Das Insistieren auf chinesischer Besonderheit im Widerstand gegen imperialistische und kapitalistische Hegemonien sei aber paradoxerweise eine westliche Vorstellung. In dieser vorläufig letzten Phase der Modernisierung wurde lediglich der Gegner gewechselt, korrigiert Chen. Während die Intellektuellen des Vierten Mai in erster Linie die chinesische Tradition für die gefährdete Lage der Nation verantwortlich gemacht hatten und die Verantwortung danach zwischen eigener Tradition und aggressivem Westen aufgeteilt wurde, ist nun 17

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Brook und Schmid 2000, Callahan 2004, Dittmer und Kim 1993, Fu 1993, Jin 1995, Ma 1995, Ong 1999, Zhao 1997. Vgl. auch die in der europäischen Philosophie geführte Revision der politischen Gemeinschafts-Idee in (u.a.) Agamben 2003, Blanchot 2007, Derrida 1996, Nancy 2007. S. die in Ershiyi shiji 39, 1997 unter dem Titel ”Ping Zhongguo jiushi niandai baoshou sichao” (Stellungnahmen zum konservativen Denken im China der 90er Jahre) publizierten Artikel von Gan Yang, Zhang Jing, Xu Youyu und Chen Xiaoming. Im Westen bekannt durch die Debatten um die Fernseh-Dokumentation He shang; vgl. Riemenschnitter 2001.

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wieder einmal der Westen der am besten fassbare Gegner. Die Argumente unterscheiden sich hier wie dort nicht wesentlich: diesmal brauchte man nur den Diskurs postkolonialer akademischer Eliten zu übernehmen, die Eurozentrismus und hegemoniale Strukturen der westlichen Hemisphäre kritisieren. Die Vorstellung eines globalen historischen Raums mit instabilen theoretischen Diskursen, die im gegenwärtigen Diskurshorizont als “shared histories” und “traveling theories” assoziiert werden, führt Chen zu seiner Kritik am populistischen Nationalismus der Bestseller. Zusätzlich angeheizt durch die Thesen über kulturelle Konflikte von Samuel Huntington, die China sogar in der Rolle eines möglicher Aggressors darstellen, 20 habe es in der Bevölkerung jedoch bereits vor dem Erscheinen der genannten Bestseller nationalistische Phantasien gegeben, die mit der Parole “das 21. Jahrhundert gehört den Chinesen” die Öffentlichkeit erreichten. Andererseits macht Chen kollektive Ängste hinsichtlich der zukünftigen, eigenen wie westlichen politischen Entwicklungen geltend. Er schlägt demgegenüber vor, das 21. Jahrhundert weder als chinesisches noch als amerikanisches, sondern als Jahrhundert der Menschheit zu beginnen (Chen 1997: 42). Was Chen Xiaoming und andere Theoretiker gegenwärtiger Debatten über nationale Identität thematisieren, fasste Michael Robinson im Begriff der “enduring anxieties” zusammen: angesichts der Vielfalt von möglichen Erzählungen und im Wettstreit befindlichen Interpretationen befinden sich sowohl die Mitglieder einer Gemeinschaft, als auch externe Beobachter in einem Zustand permanenter Beunruhigung über die Instabilität ihres Gegenstands. Die Erforschung kulturnationalistisch geprägter Strömungen in Asien bringe vor allem, so Robinson, Phänomene des Dynamischen, des Erfindungsreichtums und der Elastizität ans Licht (Robinson in Befu 1993: 167 f.). Die Flexibilität der kulturellen Variablen in Repräsentationen des Historischen, des Nationalcharakters sowie der Werte, Institutionen und Traditionen spiegelt sich auch im freizügigen Gebrauch eigener und importierter Mythologien wieder. Eine Spur fremder beziehungsweise verschobener semantischer Wertigkeiten zieht sich auf diese Weise durch das Studium chinesischer Vorstellungen von Mythologie seit deren Rekonzeptualisierung im Prozess chinesischwestlicher Wechseleinflüsse ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Der 20

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Huntington 1993, zur im selben Jahr erschienenen chinesische Übersetzung s. Chen 1997.

Gebrauch von gemischten, in verschiedenen Registern und Repertoires interagierenden Mythen oder Intermythen verweist dabei auf einen globalen Charakterzug gegenwärtiger ästhetischer Praxis, die bereits unter Begriffen wie dem der Hybridität oder der “split identities” in Kulturtheorien des Postkolonialen formuliert wurde und im engeren Sinn auf die Vielfalt beziehungsweise Verflochtenheit symbolischer Repertoires abhebt, in welchen nationale wie regionale Kulturen aufgrund von Vermittlungs- und Übersetzungsprozessen situiert sind. Zwar stand bei chinesischen Autoren zunächst nicht unbedingt der provokante Eklektizismus eines Salman Rushdie Pate, jedoch lassen sich mit zunehmendem Bewusstsein für die Problematik national codierter kultureller Repräsentationen im Spannungsfeld zwischen regionalen Differenzen und supranationalen Interessen ebenfalls Dynamisierungstendenzen ihrer Mytheneinsätze beobachten. Die Technik des kulturellen Pastiche wird dabei als gegenüber dem westlichen Kulturraum grenzziehende Taktik genutzt. Schliesslich war China über lange Zeit dazu gezwungen gewesen, das eigene Modernisierungsprojekt unter den Bedingungen dominanter Präsenz und nach den Spielregeln der wirtschaftlich überlegenen Akteure auf der politischen Weltbühne zu gestalten. Erst mit den Reformen Deng Xiaopings schaffte es sich allmählich den Freiraum, eigenständig Alternativen zu erproben. Chinesische Intellektuelle hatten in der ersten Modernisierungsphase noch auf möglichst weitgehende Absorbierung westlicher kultureller Errungenschaften gesetzt, während der Modernisierungsdiskurs nach Maos Tod ein gehäuftes Auftreten von Experimenten mit der Integration verschiedenster kultureller Erbschaften aus regionalen, ethnischen und transnationalen “Nachlässen” zeigt. Der in solchen Experimenten weniger vorangetriebene, als diagnostizierte Verlust an kultureller Homogenität und lokaler Verwurzelung wird aber nicht nur als Chance eingeschätzt: Rekurse auf primärmythologische Repertoires können auch Symptom einer gesellschaftlichen Verunsicherung sein, die ihre Ängste und Traumata mit imposanten Monumenten eigener Identifikationsfiguren kompensiert. Andererseits kann aber auch kulturelle Hybridität selbstbewusst als Trumpfkarte nationaler Distinktion ausgespielt werden, wie eben bei Rushdie als Signatur einer “Indian culture”: What happened was that the painters were assembled at the Mogul court from all over India, painters working in all the different styles of India, from the south to the north to the east to the west, and they were then required to collaborate on the can-

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vasses, so perhaps one painter would do the figures, one would do the mosaic floor, a third would do the Chinese-looking sky with abstract calligraphic clouds which many of the paintings contain, and the result is this extraordinary group of paintings, in which the multiple nature of Indian culture, its plurality, its lack of homogeneity becomes the theme (Rushdie 1988: 35, Petersson 1996: 300).

5.2 China erzählen: “Xiaoshuo Zhongguo”

Ein solcher Perspektivenwechsel scheint sich in China seit den späten 1990er Jahren tatsächlich abzuzeichnen. Bereits in den ersten Konzeptionen eines modernen chinesischen Nationalismus, die sich in der Folge der Opiumkriege ab 1840 entwickelten, spielte das Thema der Erniedrigung und existentiellen Bedrohung durch fremde Mächte eine herausragende Rolle.21 Die aus der überaus unvorteilhaften historischen Lage resultierende, intensive Suche chinesischer Intellektueller des frühen 20. Jahrhunderts nach narrativen Parametern einer modernen, kollektiven Identität, welche die Notwendigkeit eines tiefgreifenden kulturellen Wandels mitträgt, wurde von Literaturwissenschaftlern ausführlich beschrieben und fallweise mit dem Begriff einer “China-Besessenheit” belegt.22 Unter den Themen, die in der Literatur der späten Achtziger Jahre im Zuge von narrativen Wiederaufnahmen mythischen Charakter erlangten, erscheint dasjenige der nationalen Schande (guochi) noch einmal an prominenter Stelle. Wie Barmé und Cohen in ihren Auslegungen von Wang Shuos Satire Qianwan bie ba wo dang ren (No man’s land, 1989) deutlich machen, findet das in die Jahre gekommene chinesische Kulturthema in Wangs olympischem Wettstreit der Völker aber bereits einen neuen Austragungsort und eine postkolonial inspirierte Verschiebung zur Groteske. In einer neuerfundenen Kampfsport-Disziplin messen sich Sportler aus aller Welt im Ertragen der grösstmöglichen Erniedrigungen. Der im

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Barmé in Unger 1996; Cohen 1998; Dikötter 1992: 155–63; Elman 1984; Spence 1992, 1990, 1980; Tang 1996, Tsu 2005. Gan shi you guo, wörtl. Sorge um den Zustand des Landes, engl. Obsession with China; vgl. Hsia 1971; Wang 1993: 3, 215, 390 f.

Grossen Traumboxen (dameng quan), einer besonderen Form des chinesischen Kampfsports (gongfu), exzellierende Tang Yuanbao nimmt an diesem Wettkampf teil, nachdem er hart trainiert und eine Kastration über sich ergehen lassen hat. Weil nur Frauen zu dieser Disziplin zugelassen sind, war dies die notwendige Voraussetzung für seinen Start. Er gewinnt schliesslich, indem er sich eigenhändig die Gesichtshaut abzieht. Zur gleichen Zeit wird Tangs hundertjähriger Vater, der letzte lebende Recke des qingzeitlichen Boxeraufstands, wegen Verursachung sozialen Aufruhrs und allgemeiner Korruption zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Eine Atomexplosion löscht die Nation, deren Stolz eben noch durch Tang wiederhergestellt worden war, am Ende der Erzählung aus. Cohen folgt Barmé in dessen Schlussfolgerung, dass Wangs Satire einem Jugendkult nationaler Selbstauslöschung fröne, indem sie eingespielte Diskurspraktiken der Erniedrigung narrativ reproduziert (Cohen 1998: 19–22; Barmé in Unger 1996: 19 f.). Bei genauerer Hinsicht erweist sich jedoch, dass der zur Identifikation verwendete Mythos nationaler Schande in der narrativen Wiederholung nicht identisch geblieben ist. Ob die lächerliche Leidenschaft für Hahnenkämpfe eines mexikanischen Chicano-Dorfpatriarchats das kritische Vokabular bereitstellt, mit dem im weiteren Verlauf von Ernesto Galarzas Erzählung “Barrio Boy” die politische Autorität kalifornischer Behörden-“Bosse” untergraben werden kann (Rosaldo 1993: 155–60), oder ob bei einer neuen olympischen Disziplin, dem von mehreren Dritte-Welt-Ländern erfundenen Schwimmen in braunem Mehl, ein Japaner siegt, während sieben australische Amateur-Kinder im neuen Medium ersticken,23 so gilt auch dann, wenn ein chinesischer Sportler sich selbst enthäutet, um zu siegen, dass es sich um eine literarische Provokation handelt, die den (post)kolonialen Scham-Mythos mit dem Bild des internationalen Sportes problematisiert, dem in der globalisierten Welt das Spielerische abhanden gekommen ist. Erfüllte der Sport als nachgestellter Kampf ursprünglich eine ähnlich pädagogische Funktion wie die Literatur, so kann er dies seit seiner Instrumentalisierung als Nationalsport immer weniger leisten. Denn seine wachsende ideologische Aufladung kann eine Aufblähung der mimetischen Funktion bis zu dem Punkt bewirken, wo sie keine spielerische Distanz mehr zulässt. Wang Shuos Satire nutzt aus dieser Sicht mit der 23

Julio Cortázar, “Im Gofio-Bad schwimmend”, 1979. Zit. von Appadurai in Beck 1998: 28–32.

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olympischen Idee eine transnationale Projektion, um das nationale Phantasma einer Selbststärkung auf dem Weg des rituellen Eingedenkens früherer Niederlagen zu demaskieren. Die beiden Vorstellungen werden im Text in der Weise aufeinander bezogen, dass sie sich wechselseitig demaskieren. Seit aus der spielerischen Idee eine bizarr technische, auf maximale Leistungssteigerung fixierte, potentiell tödliche Realität wurde, sind an die Stelle eines freundschaftlichen Kräftemessens Selbstverleugnung und Missbrauch des Körpers getreten, die, wie Appadurai im Hinblick auf eine ähnliche Situation anmerkt, “zu den Triebkräften der globalen Sportspektakel zählen” (Appadurai in Beck 1998: 31). Herauszufinden, ob dies je anders war, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.24 Appadurai formuliert seine Einsicht in eine neue Qualität kultureller Unterschiede, die jetzt nicht mehr länger passiv-taxonomisch, sondern vielmehr interaktiv, vielfältig gebrochen und potentiell gewalttätig insbesondere “gegenüber den Unvorbereiteten” zu denken sind, als neuen Auftrag einer Ethnographie globaler ethnischer Räume, die vom Phänomen der Enträumlichung und einer dramatisch veränderten sozialen Rolle der Imagination ausgehen muss. Der Literatur sollte seiner Meinung nach schon deshalb die besondere Aufmerksamkeit der Anthropologen gelten, weil jene einerseits das “geradezu exemplarische Terrain der Imagination seit der Renaissance darstellen”, und andererseits einen wesentlichen “Bestandteil des begrifflichen Repertoires moderner Gesellschaften” bereitstellen (ibid.). Seine Ausführungen liefern nicht nur einen schlüssigen konzeptionellen Rahmen für Wangs Erzählung, sie unterstützen auch Bemühungen um eine kritische Revision gegenwärtiger hermeneutischer Praktiken, wie sie beispielsweise Yeh Wen-hsin vorschlägt. Sie spricht von kultureller Kriegführung (cultural warfare; Yeh 2000b: 6), welche von Akteuren gezielt zur Durchsetzung ihrer Ziele eingesetzt wird. Eine wichtige Funktion zeitgenössischer literarischer wie im weiteren Sinn kultureller (historischer, ästhetischer, massenmedialer, usw.) Texte sehen Yeh wie Appadurai in deren Reflexion des Phänomens globalisierender Enträumlichung. Yeh stellt deshalb die Frage, was es bedeutet, chinesische Filme, Kunstwerke oder literarische

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Anzumerken ist aber doch wenigstens, dass gerade Mao Zedong die aggressive Ideologie internationaler Sport-Wettkämpfe durchschaute und marxistisch zu korrigieren suchte. S. Leese 2008.

Texte vorrangig unter dem Aspekt ihrer “Sinität” zu lesen, dabei aber nur Binnenverhältnisse zu veranschlagen, während doch gerade dann, wenn nationale Identität verhandelt wird, vorrangig transkulturelle Dynamiken am Werk seien. Weil gegenwärtig auch die in kulturellen Texten repräsentierte chinesische Welt weniger durch Innenansichten, als durch globale Verknüpfungen charakterisiert erscheint, distanzieren sich Interpreten immer nachdrücklicher von der Vorstellung, ihre Gegenstände könnten wie Museumsstücke oder kulturelle Relikte mit engumgrenzten Bedeutungsfeldern behandelt werden. Yeh bietet deshalb mit Bedacht divergierende Auslegungen derselben Texte von mehreren Interpreten an, um die Vielfalt möglicher Sinndimensionen anzudeuten. Erst wenn ein Bewusstsein für die Partizipation der Rezipienten an der Produktion von semantischen Überlappungen und Verwerfungen im globalen Kontext vorhanden ist,25 kann ihrer Meinung nach kritisch und produktiv über Kategorien wie diejenige einer chinesischen Identität (Chineseness) nachgedacht werden: What, then, are the politics and possibilities of a cross-cultural humanistic understanding? When art is viewed and thought of in contexts detached from its inception, what are the possibilities for the work to take on new contextual meaning? Are the results of such reproduction of meaning necessarily signs of categorical misunderstanding? Finally, when ideas travel across national borders and when Western trends reach China, how do they insert themselves in cultural warfare away from home? […] The contribution of this volume, then, is not about definitive interpretations of any particular text, but about a heightened self-awareness when engaged in the practice of reading and viewing. Old-style objectification of China as an immobile empire has certainly endured the test of time and may very well carry on. What this volume seeks is not the rejection of that view, but a reflexive understanding of our participation in the production of “Chineseness” in a new trans-cultural context. (Yeh 2000b: 5–7)

Das neue Bindeglied zwischen Textproduzenten wie Autoren, Filmemachern oder Künstlern, und Spezialisten der Interpretation wie Ethno25

Doris Bachmann-Medick spricht in ähnlicher Zielsetzung von “Überlappungsräume[n] zwischen verschiedenen, ungleichzeitigen, inkommensurablen Kulturen” (Bachmann-Medick 1998: 22). Grundsätzlich könnte das von Theoretikern postkolonialer Kulturen und der Human Geography vorgeschlagene Konzept eines Third Space als gewinnbringendes Theorieangebot für transnationale Raumkonzeptionen in Literaturtheorie und vergleichender Literaturwissenschaft noch ausführlicher gewürdigt werden.

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graphen, Historikern und Literatur- beziehungsweise Kulturwissenschaftlern sowie einer allgemeinen Gruppe von Adressaten wird demnach von Appadurai wie Yeh in deren gemeinsamer Teilhabe an der Produktion kultureller Bedeutungen verortet, die allerdings nur bedingt Identität verbürgen. Vielmehr ist es wohl so, dass in einem komplexen Gefüge von transnationalen Signifikationen nationale Indices die Funktion von Disparates vereinigenden Mythen annehmen, die in mindestens gleichem Mass – von imaginierten Vergangenheiten oder anderen fremden Welten her – auf in die Zukunft projizierte Wünsche und Realitäten gemünzt sind. 26 Selbstverständlich kommt der in der nationalen Geschichtsschreibung sedimentierten, erinnerten Vergangenheit darüber hinaus eine Schlüsselrolle in der fiktionalen Aufarbeitung von Erfahrungen zu. Die besondere Rolle der Fiktion im modernen China des 20. Jahrhunderts hervorhebend, spricht der aus Taiwan stammende, in den USA lehrende Literaturwissenschaftler David D. Wang von drei Ebenen des “China-Erzählens” (xiaoshuo Zhongguo; Wang 1993: 3–5). Zum einen erscheint ihm das erzählte China womöglich wahr(haftig)er und realistischer als dasjenige China, welches in historischen oder politischen Abhandlungen entworfen wurde, weil dort nicht nur Revolutionen, Nationengründungen, Widerstandsbewegungen, Renaissancen, (antikommunistische) Unabhängigkeitsbewegungen und Wiedergründungen beschrieben werden, sondern auch Landschaften, Jahreszeiten und Alltagsszenen des menschlichen Zusammenlebens. China-Betrachtungen aus der Perspektive von Romanen können laut Wang zweitens gleichwohl recht konservative Züge annehmen. Er wählt deshalb nicht beliebige “China-Romane” als Untersuchungsgegenstand, sondern widmet sich fünf thematisch kartographierten Textgruppen, die in signifikanter Weise China erfinden und erzählen. Diese fünf von ihm gewählten Themenbereiche beinhalten komplexe Beziehungen zwischen Raum, Geschichte und Politik, nach deren Analyse er sich den verschiedenen, in den Texten ausgebrachten Repräsentationsformen des Fin-de-siècle, den Exil- und Nostalgie-Erfahrungen, der Entwicklung und Repräsentation weiblicher sozialer Rollen durch Autorinnen sowie gegenwärtigen Orientierungen 26

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Dies ist auch Andersons (1996) Argument. Seine imagined communities sind allerdings noch national definiert, während die globalen ethnischen Räume Appadurais, wie auch Yeh Wen-hsins Gemeinschaften von Bedeutungsproduzenten, zunehmend transnationale Aspekte aufweisen.

der Literaturkritik widmet. Drittens möchte Wang eine Konvention des kleinen Erzählens (xiaoshuo) im Unterschied zu den viel zu lange gepflegten nationalen Grosserzählungen (dashuo) wiederbeleben. Anders als Liang Qichao und Mao Zedongs Kultur-Ideologen es sich vorgestellt hatten, kann und muss der Roman die Nation nicht retten, so Wang. Der Roman baut China nicht auf, sondern er erfindet es, indem er literarische Blaupausen am Leitfaden realer chinesischer Verhältnisse zeichnet. Obwohl eher enzyklopädisch-taxonomisch als analytisch orientiert, bringt Wangs Ansatz auch eine Fülle von Anregungen für mythenhermeneutische Lesarten. Häufig fällt der Begriff des Mythos, shenhua, den er im Rahmen seiner Erforschung des Topos der Heimat auch differenziert. Er sieht vier verschiedene mythologische Konfigurationen, die das Geschichtliche von Heimaterzählungen grundieren. Heimat kann erstens exotistisch verfremdet und als romantischer Ort der Sehnsucht repräsentiert werden; Autoren können aber zweitens auch aus anachronistischen Szenarien, aus Konflikten zwischen einst und jetzt, ihre Inspirationen beziehen, um ihr Begehren in der Erinnerung an Vergangenes tragisch zu evozieren. Der zeitlichen Entfremdung im Anachronismus entsprechend, gelangen drittens räumliche Missverhältnisse, Erfahrungen des Dystopischen, zur Repräsentation, die sich gemäss Wang nicht immer als intentionale Konstruktionen oder realistische Fakten manifestieren, sondern beispielsweise auch auf Fehlleistungen des Gedächtnisses der Erzähler beruhen können. 27 Schliesslich und viertens kommen komplexe zwischenmenschliche Beziehungen oder historische Ereignisse mitunter als chronotopische Verortungen zum Ausdruck, und zwar immer dort, wo geschichtliche Wahrheiten und mythologische Sentenzen wechselseitig aufeinander bezogen wurden (Wang 1993: 249–77). In westlicher, stoff- und motivgeschichtlicher Terminologie speisen sich Heimatromane aus Archiven und Repertoires der Bukolik, mit anderen Worten handelt es sich dabei um Idyllen, goldene Zeitalter und verlorene Paradiese sowie um Erzählungen mit phantastischen Inhalten. Wang erläutert die verschiedenen Funktionen des Mythischen in den Heimat- und Ursprungserzählungen an vier ausgewählten Autoren regionalistischer Literatur (xiangtu wenxue). Vom bukolisch-idydllischen Mythos einer idealen, agrarischen Urgemein27

Dies wäre beispielsweise bei der Mutter im bereits diskutierten Roman WW von Maxine Hong Kingston der Fall. Vgl. Sektion I, S. 104–108.

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schaft 28 ihres Vorgängers Shen Congwen (1904–1988) verabschieden sich die Repräsentationen seiner drei Nachfolger, ob taiwanischer (Song Zelai, 1952), chinesischer (Mo Yan, 1955), oder überseeischer (Li Yongping, 1947) Provenienz, allerdings in jeweils anders ausgerichteter Weise. Während Song Zelai von mysteriösen Ursprüngen erzählt, deren Geheimnisse nicht aufgedeckt werden können oder vielleicht besser gar nicht aufgedeckt werden sollten (Penglai zhiyi, 1988), steht bei Mo Yan das Missverhältnis zwischen nationaler Parteigeschichtsschreibung und lokaler geschichtlicher Erfahrung, aber auch zwischen dem Machen und dem Erleiden von Geschichte im Vordergrund (Hong gaoliang jiazu, 1987). Li Yongpings imaginäre chinesische Kleinstadt (Jiling chunqiu, 1985) ist als Mikrokosmos der Skrupellosigkeit und Dekadenz ein Heimat-Antimythos. Alle vier Autoren, also auch der regionalistische Gründervater Shen, versorgen ihre Leser mit – mehr oder weniger subversiven – Supplementen zur jeweiligen nationalen Grosserzählung, indem sie kleinformatige Lokal- und Alltagsgeschichten erzählen. Unter denjenigen Themenbereichen der Fiktion des 20. Jahrhunderts, welche David D. Wang als repräsentativ für sein Paradigma des China-Erzählens ausgewählt hat, lässt sich nicht nur der Topos der Region oder Heimat im mythologischen Verweisungszusammenhang der Sorge um die Nation (gan shi you guo) verorten. Verschiedene komplexe und an dieser Stelle nicht weiter verfolgte narrative Grundmuster, die im Rahmen einer vertieften Literaturgeschichtsschreibung ebenfalls noch analytisch ausgelotet werden könnten, sollen zumindest kurz genannt werden. Zunächst erfordern remythisierte Konzeptionen von nationaler Zeit und ihren vielfältigen Gegen-Zeiten in historischen Romanen von Autoren der verschiedenen chinesischen Gesellschaften – Volksrepublik China, Taiwan, Hongkong oder diasporische Gemeinschaften – erhöhte Aufmerksamkeit. Hier kann sowohl textimmanent vorgegangen werden, wie eine Analyse verschiedener, in Konflikt befindlicher Zeiten – Jahreszyklus, geschlechts- und generationsspezifische Zeitdifferenzen, individuelle und nationale Zäsuren, etc. – in Yu Huas Erzählung “1986” zei28

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Diesen Aspekt betont Wang, ohne die nicht-hanchinesische Identität der vorbildlichen, utopischen (Ur)gemeinschaft genügend zu würdigen. Die an den anderen Autoren beobachtete kritische Distanz zur eigenen Kultur findet sich bei Shen an genau dieser Schnittstelle zwischen einem kriegerischen, mordenden und moralisch zweifelhaften Eigenen und dem unschuldigen, reinen und schönen Anderen (Biancheng, 1934 und Changhe, 1938). Vgl. Wang 1993: 252–259, passim.

gen könnte. Es ist aber auch denkbar, die spezifischen Geschichts- und Zeiterfahrungen in Romanen verschiedener Kulturen – in sowohl räumlichen als auch historischen Staffelungen – kontrastiv zu lesen, um Einblicke in die mythologischen Grundierungen der jeweiligen Identitätsentwürfe zu erhalten.29 Des weiteren wurden in der Fiktion der Achtziger und Neunziger Jahre unter dem Eindruck der traumatischen Vorkommnisse während der Kulturrevolution Erzählungen der 1920er und 1930er Jahre weitergeschrieben, die über autochthone, die nationale Identität von innen her erodierende Formen von Gewalt berichten, wie sie Wang unter dem Leitbegriff des Enthauptens (kan tou) analysiert hat. 30 In diesem Kontext können auch die Narrative über eine nationale Kunst/ Barbarei des Strafens, Folterns und einen entsprechenden Kult des Leidens, wie sie beispielsweise von Mo Yan, Yu Hua und Bei Cun herausgebracht wurden, gelesen werden: als kritische Stellungnahmen zu essentialistischen Konzepten eines chinesischen Nationalcharakters, welche die Subjekte tendentiell von ihren historischen Erfahrungen und Erinnerungen abzulösen suchen, indem sie ihr Handeln nicht auf solche konkreten Prägungen zurückführen, sondern im abstrakten Mentalitätskonzept stillstellen. Mit dem heiklen Problem des Chinesischseins oder -werdens (Yeh 2000a) kann aber auch sehr vergnüglich umgegangen werden. Wang identifiziert als fünfte richtungweisende Tendenz der chinesischen Fiktion am Ende des 20. Jahrhunderts neben den Perspektiven der nationalen Schande (guochi), der Sorge um die Nation (gan shi you guo), der Enthauptung (kan tou) und dem Revolutionsfieber (geming kuangre) noch ein Verfahren, die nationale Idee als Einladung zum Registerwechsel vom Pathos zur Heiterkeit (xiaoqian Zhongguo, flirtation with China) zu repräsentieren. Romane aus der Volksrepublik China, Taiwan, 29

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Zum kontrastiven Vergleich verschiedener Zeit- und Identitätskonzeptionen in der Volksrepublik China eignen sich beispielsweise Hong lou meng (Der Traum der roten Kammer; Cao Xueqin), Jia (Die Familie; Ba Jin) Qingchun zhi ge (Song of Youth; Yang Mo) und FRFT (Mo Yan); für taiwanische Perspektiven s. z.B. Jiangjunbei und Sixi youguo (beide Zhang Dachun); eine Hongkonger Gründungsgeschichte erzählt ausführlich Xianggang sanbuqu (Shi Shuqing). Für Reflexionen nationaler Identität aus der Sicht diasporischer Lebensformen eignen sich u.a. die bereits genannten Filme und die Literatur Singapurs. Eine Einführung zur Entwicklung des literarischen Topos kultureller beziehungsweise institutionalisierter Formen von Gewalt in Texten, die zwischen 1907–48 veröffentlicht wurden, gibt Wang in Yeh 2000a: 260–297.

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Hongkong und Übersee ironisieren dabei selbst noch die gewichtigsten historisch-politischen Diskurse und tragen unter anderem mit der Verwandlung von Mythen in Farcen (xiaohua) dazu bei, die Bürde des kulturell zelebrierten Selbsthasses zu überwinden (Wang 1993: 214– 219). Als ersten und wichtigsten Beleg für seine Beobachtung nennt er einen Roman Wang Shuos, Yidian zhengjing meiyou (Oberchaoten, Wang 2001), in dem gleich zu Beginn eine Clique von Stadtvagabunden beim Mahjong-Spiel beschliesst, Schriftsteller zu werden, da sie ausser Schreiben und Lesen nichts gelernt haben. Das Problem, welche Art Literatur jeder schreiben sollte, findet in den komischen Äusserungen dieser respektlosen Schelme über ein sozusagen heiliges Thema, die Literatur zur Rettung der Nation (jiuguo wenxue), einen naheliegenden Ausgangspunkt. Wie David Wangs Beispiele zeigen, ist Heimat in der regionalistischen Literatur weniger ein politischer, als ein genealogischer Archetypus, insofern es den Autoren vorrangig um individuelle Lebensgeschichten geht, die häufig gerade durch ihre Distanz zum überindividuellen, nationalen Subjekt und dessen Biographie charakterisiert sind. Das Konzept der Heimat erscheint deshalb nicht ohne weiteres geeignet, um eine Schlüsselfunktion in nationalen Mythen zu erfüllen. Dass eine regionale Erzählung unter Umständen aber doch in kürzester Zeit mythologischen Charakter annehmen und nationale Identifikation stimulieren konnte, zeigt die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Weisshaarigen Mädchens (Bai mao nü; Meng 1993a, 1993b und 1991). Als literarische Bearbeitung einer volkstümlichen Überlieferung während der 1930er Jahre entstanden, wurde der Text während der 1940er bis 60er Jahre mehrfach umgeschrieben, in verschiedene Repräsentationsformen übertragen und an die jeweils gültigen politisch-ästhetischen Leitlinien angepasst. In der erstmals 1945 in Yan’an herausgebrachten Fassung als Revolutionsoper erfolgte zunächst eine Politisierung der volksreligiösen Elemente des Stoffes. Aus der Absicht eines regionalen Kaders, mithilfe der revolutionären Umdeutung eines Dorfkults den Aberglauben der Bauern zu bekämpfen, welche einer weisshaarigen Fee (baimao xiangu) opferten, statt seiner Einladung zur politischen Versammlung Folge zu leisten, entstand die Geschichte des vom lokalen Grossgrundbesitzer missbrauchten und verstossenen Mädchens Xi’er, welches in eine Berghöhle floh und dort das Kind ihres Peinigers zur Welt brachte. Ihr menschenunwürdiges Vegetieren abseits der Dorf158

gemeinschaft verlieh ihr ein gespenstisches Aussehen, so dass die Dorfbewohner fortan die junge Frau mit den weissen Haaren für einen Geist hielten. Die Literaten der Yan’aner Lu Xun-Akademie vertieften die volksreligiöse Symbolik, indem sie traditionelle Symbole der ländlichen Gemeinschaftsordnung hinzufügten, insbesondere die Rahmenhandlung einer Vorbereitung zur familiären Neujahrsfeier mit Bildern der Herd- und Türgötter, Geschenken und dem kalendarischen Festmahl. Der Topos der heiligen Höhle wurde durch eine zusätzliche Tempelszene vertieft, in welcher der Grossgrundbesitzer Xi’er noch einmal begegnet, sie als Dämon abwehrt und von ihr darüber aufgeklärt wird, dass er selbst es war, der ihre Menschlichkeit zerstört hat. Die dramatische Fassung des Stoffes war als Parabel eines revolutionären Merksatzes angelegt, welcher der neuen Gesellschaft die Aufgabe zuwies, Gespenster wieder in Menschen zu verwandeln, nachdem die alte Gesellschaft den Menschen zum Gespenst gemacht hatte. Der ab 1951 landesweit vorgeführte Film Das weisshaarige Mädchen erfuhr eine weitere Veränderung hin zur sentimentalen Lovestory mit deutlichen Zügen kommerzieller, urbaner Kulturproduktion. Bemerkenswertes Kennzeichen dieser Ästhetisierung des Politischen ist der Wechsel vom volksreligiösen zum modernistischen Symbolismus, wenn Neujahrs- und Hochzeitsvorbereitungen ineins fallen und nicht mehr Götterbilder und Festessen, sondern der Hausbau für das junge Paar die Handlung symbolisch begleiten. Gemäss dem Wechsel zum romantischen Prinzip mussten hier inhaltliche Korrekturen vorgenommen werden. Xi’er wartet nach ihrer Vergewaltigung nicht mehr darauf, vom Grossgrundbesitzer geheiratet zu werden, sondern hält an ihrer Verlobung mit dem jungen Nachbarn Wang Dachun fest. Auch das illegitime Kind steht nicht mehr als Hindernis zwischen den Liebenden, sondern stirbt sofort nach der Geburt. Der Film und das später, während der Kulturrevolution entstandene Ballett waren ein grosser Publikumserfolg, was Meng Yue unter anderem auf die zunehmend hedonistische Stimmung der Handlung zurückführt, die sich von einer Rachegeschichte zur sentimentalen Liebesgeschichte – gleichsam als eine optimistischere Variante von “Romeo und Julia auf dem Dorfe” – entwickelte. Denn eine Revolution der ländlichen Gesellschaft nur über negative Allegorien des Traditionalen nach dem Muster von Lu Xuns Ah Q zu betreiben, hält Meng für nicht überzeugend, kaum realisierbar und überdies repressiv. Aus mythologischer Perspektive ist darüber hinaus die allmähliche 159

Eroberung aller der Erzählung zur Verfügung stehenden symbolischen Räume durch das Politische interessant. Von der Berghöhle, einem bereits vor Erfindung der Schriftkultur als Wohnsitz der Götter verehrten Naturraum, über das die familiäre Privatsphäre symbolisierende häusliche Interieur bis hin zur Identifikation von politischer und sexueller Leidenschaft in der moralisch geläuterten und literarisierten Form der Liebesgeschichte, nährt der Mythos der neuen Gesellschaft das menschliche Glücksbegehren unter Nutzung der traditionellen Wert- und Ordnungsvorstellungen, deren Versagen er zukünftig gemäss dem Modell der Erzählung zu korrigieren verspricht. Damit ist aus einer regionalen und nahezu datierbaren Überlieferung eine in sowohl Vergangenheit als auch Zukunft unendlich verlängerte nationale Geschichte geworden, deren Geltungsanspruch mythologisch begründet erscheint. Nach dieser Phase einer umfassenden Mythologisierung des Politischen in den wenigen offiziell geförderten Narrativen der Kulturrevolution,31 die auch in ihrer massiven Manipulation des lokalen kulturellen Gedächtnisses repräsentativ für diese Epoche wirkt, erscheint die neuerliche Rückbesinnung auf positive Werte traditioneller Agrargemeinschaften in einigen regionalistischen Romanen der Gegenwart durch ironische Distanz gefiltert. Einschlägige Texte der Shandonger Autoren Mo Yan (FRFT), Zhang Wei (Gu chuan, 1987, Jiuyue yuyan, 1993) und Liu Yutang (Xiangcun wenrou, 1998) nehmen Bezug auf kleinformatige, residuale Mythen der Weltdeutung und -erfahrung von ländlichen Gemeinschaften, ohne deren regionale Mikrokosmen als Stellvertreter eines nationalen Monomythos zu verklären. Aus diesem Grund werden von den Protagonisten dieser Regionalromane symbolische Ausdrucksformen auch eher zur Deutung und Begründung von Phänomenen der Gegenwart herangezogen, als utopischen Projektionen von einer Urvergangenheit in eine ebenso ferne Zukunft zu dienen. Was aber nicht heissen soll, dass die vergleichsweise lange historische Geltungsperiode dieser vormodernen Welterklärungsformeln negiert würde; sie tritt nur hinter deren praktischen Nutzen zurück, weil die alten, von der Gemeinschaft stillschweigend geteilten symbolischen Ausdrucksformen ihr Solidarisierungspotential nicht wie moderne Mythen metafiktional, als rationale

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Lan (1998: 4) gibt die Zahl 42 als Summe der zwischen 1972 und 1974 publizierten Romane an, für die zehnjährige Epoche der Kulturrevolution errechnet er einen Publikationsertrag von insgesamt nur 126 Texten.

Diskurse, im literarischen Text mitführen müssen (Frank in Bohrer 1983: 15–40). Um dies zu veranschaulichen, soll noch einmal auf Mo Yans im Einleitungskapitel beschriebenes Schneeritual aus dem Roman FRFT zurückgegriffen werden. Mo Yans Narrativ arbeitet mit einem neuen Verfremdungsprinzip. Es geht dem Autor offensichtlich nicht um eine revolutionäre Resemantisierung im Stil des Weisshaarigen Mädchens oder gar darum, authentisch-lokales Brauchtum in die Verschriftlichung hinüberzuretten; sondern er versucht vielmehr, populärkulturelle Recodierungsprozesse als Index und Folge subjektiver Befindlichkeiten im Sog sozialen Wandels zu reflektieren. Im Kontrast und Durcheinander der (fiktional auf Essenzen verdichteten) kulturellen Praktiken verschiedener einander ablösender Regimes zählen letztendlich einerseits die grundsätzlich eingeschränkte Offenheit der Dorfbewohner für Übernahmen fremder Liturgien, und andererseits deren je inhärente Überzeugungsfähigkeit. 32 Besonders augenfällig wird der Kontrast zwischen der absurden, aber harmlosen Irrationalität des Schneerituals und dem machtrationalen Terror der im Roman geschilderten modernen Ritual-Substitute. Der ethnographische Diskurs geht im Moment des zeitlich fixierten Wechsels von einem eingeübten und von den Teilnehmern für ewiggültig erachteten rituellen Kodex zu neuen Formen sozialer Selbstrepräsentation in teleologische Historie über. Mit der Ankunft der kommunistischen Militär- und Zivileinheiten nimmt eine beispiellose Zerstörung der dörflichen Gemeinschaftsordnung ihren Lauf: die alten sozialen Hierarchien und Rituale werden abgeschafft, politische und religiöse Autoritäten liquidiert, der radikale Bruch des modernen Regimes mit der Vergangenheit durch Einübung neuer Rituale besiegelt. Das aus nationalgeschichtlicher Perspektive unbedeutende Shandonger Dorf erfährt, in scheinbar ähnlicher Verfahrensweise wie die nordchinesische Ursprungsregion der Revolutionserzählung Das weisshaarige Mädchen, eine symbolische Besetzung als metonymisch ins Nationale verlängerbarer Chronotopos gesellschaftlichen Wandels (Wellbery 1991). Der ansonsten mehr auf Distinktion regionaler Identitäten abhebende Autor hat hier allerdings eine Umkehrung der revolutionären Logik im Visier, die er als Universalität des Misslingens grandioser Geschichtsprojekte darstellt. Seinem 32

Vgl. hierzu die Beiträge von S. Thornton und S. Feuchtwang in Liu und Faure 1996: 15–36 und 161–176.

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Roman zufolge stützte sich der maoistische Integrationsversuch auf vorschnell imaginierte Gemeinsamkeiten des Erlebens und Erzählens von Zeitgeschichte und wurde von den Adressaten vor allem deshalb nicht angenommen, weil sie sich in dieser Version ihrer Geschichte nicht wiederfinden konnten. Der nur punktuell aufflammende und deshalb ebenso ohnmächtige Widerstand des lokalen Gedächtnisses wird an einer weiteren Inszenierung durch die neue Macht noch deutlicher. Eine vor dem Ende der Bürgerkriegszeit aus Armut zur Prostitution gezwungene Tochter der Romanheldin soll nach ihrer Heimkehr im neu eingerichteten Feudalismus-Museum als schlechtes Element gebrandmarkt und den Schmähungen der Ausstellungsbesucher preisgegeben werden. Die Tochter wird dabei ein zweites Mal geschändet, indem ihr Opfer, das sie zur Finanzierung von Medizin für die kranke Mutter brachte, von den Kadern jetzt als feudale Sittenlosigkeit ausgestellt wird. Sie leistet heroischen Widerstand gegen diesen Terror, indem sie sich in grotesker Kostümierung und provokativer Übererfüllung der ihr zugewiesenen Rolle für die Zurschaustellungszeremonie präsentiert. Ihre Provokation löst einen Wutanfall des Kader-Veranstalters aus, der sie so brutal zusammenschlägt, dass sie an den Folgen stirbt. Sie erntet damit spontane Sympathiebeweise der Dorfgemeinde, die in der Folge solidarisch gegen die symbolische Ordnung der Machthaber aufbegehrt. Die Frauen machen Krankenbesuche bei der Sterbenden und helfen der gerührten Mutter, das Begräbnis ihrer zu Tode gequälten Tochter ritenkonform zu begehen (FRFT: 666–72). An die Schilderung dieses Prozesses der Formierung einer subversiven, lokalen Sinnstiftung mittels nachgestellter, nicht-identisch wiederholter Inszenierung eines revolutionären Märtyrerbegräbnisses werden die Leser am Ende des Romans erinnert, wenn der Sohn den verbotenen und daher zur Anonymität verurteilten Begräbnishügel seiner mythologisch re-semiotisierten (Ur-)Mutter gegen die Staatsgewalt zu verteidigen versucht. Beide Frauenschicksale vereinigen sich in der volksreligiösen Vorstellung Untoter, die nach ihrem Tod aufgrund des ihnen zu Lebzeiten angetanen Unrechts von den Lebenden Genugtuung fordern, zusammen mit den vielen ländlichen wie modernurbanen Klage-Gespenstern der Gegenwartsliteratur, welche das nationale Imaginäre des neuen Staates heimsuchen. Sie bilden dabei einen tragisch-grotesken Gegenpol zur stummen, formlosen, barmherzigen

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Ahnengeisterwelt, die im naiven Karneval des winterlichen Fruchtbarkeitsrituals herbeigerufen worden war. Neben den weiter oben genannten kollektiven Empfindungen von Scham, Sorge, Schmerz, Enthusiasmus und Belustigung eröffnet die postmoderne chinesische Fiktion schliesslich auch Optionen für Gefühlslagen der Desillusion. Rey Chow und Wendy Larson haben Chen Kaiges Film Fengyue (Temptress Moon, 1996) unter anderem als symbolischen Ausdruck einer durch Interaktion von komplexen Interessen und Emotionen erzeugten Geschichtserfahrung in der Bevölkerung des südchinesischen Raums der 1920er Jahre gelesen, die von patriarchalischer Macht, Gewalt, Verführung, Desillusion und Nostalgie beherrscht wird (Yeh 2000b: 8–52). Beide Interpretinnen betonen die Wichtigkeit des Topos der Heimkehr im Narrativ des Films, erwähnen aber trotz erfolgter Rückbindung der symbolischen Archive an Lu Xun und die modernistische Bewegung des Vierten Mai nicht seine auffällige mythologische Grundierung. Chen Kaige hat in seinem Film jedoch mit Bedacht eine symbolische Spur zum archaischen Mythos der Mondgöttin Chang E gelegt, darin mit Sicherheit einer Anregung der DrehbuchAutorin Wang Anyi folgend, die diesen Mythos nicht nur in der literarischen Grundlage dieses Drehbuchs, sondern bereits in ihrem ShanghaiRoman Chang hen ge (Song of Everlasting Sorrow, 1995) verwendet hatte. Die analytische Durchsicht von verschiedenen (symbolischen) Interpretationsmöglichkeiten einer pathetisch unvollendeten und desillusionierenden Moderne, welche chinesische Autoren seit Lu Xuns Aktualisierung des Mythos in den Gushi xinbian vorgelegt haben, könnte unser Verständnis für das Zusammenwirken bukolisch konnotierter Sehnsüchte und urbaner Lebensträume vertiefen. In Chens Film veranschaulicht der Mythos – durch Identifikation des im Opium versteckten Arsens mit der mythischen Pille der Unsterblichkeit und Analogien zwischen BeijingShanghai als westlich-modernem Fluchtraum der von ihrem patriarchalischen Clan beherrschten Protagonistin Ruyi und dem Mond als poetischerotischem Projektionsraum der Vormoderne – beispielsweise die moderne Erfahrung von Bewusstseinsmanipulationen durch supranationale Interessengruppen, die sich nicht nur in offener Gewalt, sondern vor allem über die weniger kontrollierbaren Schleichwege der Imagination unentdeckt und parasitär über den eigenen Lebensraum ausbreiten. Schliesslich wird auch das Paradox mythologischer Denkstrukturen mit diesem Film Chens meisterhaft paraphrasiert. Sie können ebenso mani163

pulativ wie aufklärerisch wirken, je nachdem, ob die von den Mythen halb verhüllten Wahrheiten vom Bewusstsein unreflektiert, gleichsam physiologisch aufgesogen, oder ob sie durch den analytischen Intellekt entschleiert werden. Weil das Urevidente, Axiomatische von Mythen (Frank in Bohrer 1983: 19 f.) im modernen Denken nicht mehr präsent, sondern nur noch latent wirksam ist, geht von ihm demnach unter Umständen eine besondere Gefahr der Manipulation aus,33 welche die chinesische ästhetische Praxis bereits erkannt und thematisiert hat. Der Kulturwissenschaft stellt sich aber immer noch die Aufgabe, diese gleichzeitig von Reflexion einfordernder ästhetischer Praxis und konsumorientierter Kulturindustrie besetzten symbolischen Spielräume und Schauplätze gründlicher zu erforschen. Vom kulturellen Gedächtnis (Assmann 1999, WeigelinSchwiedrzik 2006; Chen 2005, Huang 2006, Zhou 2008) als einem mittlerweile auch in China vieldiskutierten Paradigma nationaler Identität ausgehend, können Parameter der chinesischen Suche nach nationaler Distinktion (Bourdieu 1997) herausgearbeitet werden, welche die ästhetische Praxis über Jahrhunderte hinweg gesteuert haben. Neu am mythologisierenden historischen Eingedenken erscheint in den literarischen Texten der Achtziger und Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts der Aspekt der Klage über das Verschwinden von Erinnerungen aufgrund einer systematischen Überschreibung beziehungsweise Auslagerung kultureller Gedächtnisorte. Die überwiegend von der Peripherie, namentlich von Emigranten, ausgehende Irritation als Wirkungskraft kritischer, subkultureller Energien soll nun am Beispiel von Texten von Yu Qiuyu, Leung Ping-kwan, Gu Cheng und Yang Lian deutlich gemacht werden.

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Der mit dieser Figur befasste, letzte Roman A. Döblins, Hamlet oder die lange Nacht hat ein Ende (ersch. 1956), hatte im Nachkriegsdeutschland keinen Erfolg. Im Kontext postkolonialer Palimpsest-Geschichten (Petersson 1996) entfaltet er jedoch eine fast prophetische Aktualität.

5.3 Mnemotopien: heilige Räume der Nation

Nationale Mythen finden Verwendung in Alltags- und Spezialdiskursen. Ein durch die Konfrontation mit den überlegenen Mächten des Westens geweckter Bedarf an neuen Erzählungen und Selbstbeschreibungsdiskursen war in China zunächst geprägt von Szenarien des Widerstands gegen Fremdherrschaft, insbesondere vom Streben nach einer Rettung der Nation. Dazu eignete sich der mythologisch aufgeladene Topos nationaler Schande in besonderer Weise. Mit der Nationalisierung der kommunikativen Ressourcen Chinas seit der Machtergreifung der KPCh im Jahr 1949 wurden nationale Mythen und Symbole dann verstärkt zur internen Homogenisierung sozialer Gruppen mit ursprünglich differenten Leitorientierungen eingesetzt. Romanautoren orientierten sich gemäss den in Yan’an entworfenen ästhetischen Richtlinien eines sozialistischen Realismus an der Integration differenter ästhetischer Archive, die von den bis dahin geprüften Varianten einer nationalen Erneuerung als entweder christlich- oder buddhistisch-utopisch konnotierte Transzendenz der eigenen Traditionen (Wang in Yeh 2000a: 231–259) bis zur säkularen Ästhetik der Wut – gegenüber den Repressionsmechanismen der eigenen Traditionen, wie auch bezogen auf die imperialen Aggressionen – bei Lu Xun reichten. Das revolutionäre Pathos generierte ein Paradigma der Erhabenheit, in welchem gleichzeitig nationale Rettung vor den äusseren Feinden und die Erlösung von der eigenen modernisierungsfeindlichen Traditionsbindung nach dem Vorbild christlich inspirierter, russisch-französischer Revolutionsmythen gesucht wurden (Kubin 1999 b, Liu 1975, Ng 1988, Wang 1997). Die verschiedenen vorgängigen Repertoires wurden nach dem Niedergang der revolutionären Utopie von Autoren der während der Kulturrevolution aufs Land verschickten Generation städtischer Jugendlicher wiederaufgenommen (Zhang 1997: 100 f.; Zamora 1996) und um Stoffe aus lokalen Mythologien bereichert.34 Mythophorische Konstruktionen der Nation konnten darüber hinaus von kritischen Kulturschaffenden entweder satirisch demaskiert wie in den Erzählungen Wang Shuos (WSWJ), oder als experimentelles Terrain für Gegenentwürfe im Widerstand gegen staatliche 34

Zur diese Richtung vertretenden xungen-Literatur der Achtziger Jahre s. Chen 1995: 36–63; Wang 1995; Zhang 1997: 99–120; Wu 1997: 7 ff.

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Definitionsmonopole verstanden werden.35 Dies deutet auf ein differenziertes Verständnis der verschiedenen Einsatzmöglichkeiten von Mythen hin, die entweder dynamisch in politischen Überzeugungsdiskursen wie dem der Revolution wirken können, oder in Phasen beschleunigten kulturellen Wandels retardierend Verwendung finden, gleichsam als Stabilisierungs- beziehungsweise Mediatisierungsfaktoren personaler, regionaler und nationaler Identitäten. Anscheinend eint alle verschiedenen Diskurse und Phasen der Modernisierung die Auseinandersetzung mit der stetig wachsenden Menge an Informationen und Spezialwissen. Deren Integration in das Alltagswissen stellt eine Form der Bewältigung dar, für welche unter anderem auch Mythen erfolgreich eingesetzt werden können.36 Diese Strategie wurde in europäischen wie aussereuropäischen Diskursen des Nationalismus auf verschiedenen Ebenen nachgewiesen (Anderson 1996, 2000). Kulturelle Wurzeln des Nationalismus findet Anderson vorrangig in zwei dominanten Strukturen der Vergangenheit: der religiösen Gemeinschaft und dem dynastischen Imperium. Er versteht dabei den Nationalismus nicht so sehr als historischen Nachfolger, sondern vielmehr als eine dritte Kraft, die innerhalb des Referenzsystems von Religion und Dynastie geschaffen wurde. Die religiöse Kompetenz der Integration grosser Gemeinschaften durch ein System von nicht-arbiträren Zeichen – als Emanationen einer transzendenten Realität – wurde vom Nationalismus nachgeahmt, beispielsweise durch Erfindung eines überzeugenden Symbols für den kollektiven Opfertod. Gemeint ist das Grab des Unbekannten Soldaten, in dem keine bestimmbaren mensch35

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Ebenfalls eng kontext- und diskursbezogen ist hier insbesondere auch ein vor allem im Ausland erfolgreiches Marktsegment der chinesischen Kunstszene zu nennen, welches mit seinen Politpop-Werken internationale Anerkennung erlangte; s. Jiang 2007, Wu 2009, 2002, 1999 u.a. “Historical studies of how myths and symbols change have only recently begun to emerge. They tend to stress the layered and historically stratified nature of myths, each stratum reflecting the concerns of an epoch or a particular group. […] Pioneering as they are, these works are only the start of efforts to probe the enormously complex relationship between change in the symbolic realm and historical change among social groups and institutions. I hope to advance our understanding of this relationship a step further by suggesting that its complexity lies not so much in the radically discontinuous nature of myths but in the fact that myths are simultaneously continuous and discontinuous.” Duara 1988: 778. Vgl. a. Assmann und Friese 1998, Appadurai 1998, Barkhaus usw. 1996.

lichen Überreste, sondern gespenstische nationale Vorstellungen für die Nachwelt bewahrt werden. Anderson betrachtet religiöse Motivationen als grundlegende Faktoren der enormen Ausstrahlungskraft dieser Erfindung. Überreste von religiösen Gewissheiten, die sich die Menschheit über Jahrtausende hinweg erworben hatte, wie zum Beispiel der individuelle Wunsch nach Unsterblichkeit, wurden nach deren fundamentaler Erschütterung durch die europäische wissenschaftliche Revolution des 18. Jahrhunderts über den Weg säkularer Ideologien tradiert. Was mittels rationaler Überzeugung nicht zu eliminieren war, konnte in der nationalen Imagination durch rituelle Verehrung von entweder neu erfundenen Symbolen, wie dem Grab des Unbekannten Soldaten, oder modern überschriebenen traditionellen religiösen Symbolen produktiv fortleben. Wie das Grab im Grunde die Kopie eines traditionellen symbolischen Raums vorstellt, konnten bereits vorhandene heilige Räume mit neuen, nationalgeschichtlichen Bedeutungen aufgeladen werden, so dass sie unter anderem auch für die Kontinuität nationaler Zeiten Zeugnis ablegen. Anderson erwähnt in diesem Kontext ausserdem das Phänomen der nationalistischen Verdoppelung heiliger Räume im Verlauf von Migrationen und Kolonisierungen spätestens seit dem 16. Jahrhundert. So wurden nicht nur historische Monumente als Insignien des neuen, säkularen Staates museal rekonstruiert, sondern auch Länder und Städte in der Neuen Welt mit den Namen existierender Orte aus der Alten Welt versehen – nicht als Ersatz der ursprünglichen Orte, sondern als deren synchronische Verstärkung. Die mit solchen Relokalisierungen des Eigenen im Fremden in Gang gesetzte Dynamik wurde im Zeitalter der Globalisierung durch eine wachsende Zahl von wandernden ethnischen Gruppen beschleunigt. Das Konzept globaler ethnischer Räume von Arjun Appadurai ermöglicht ein Studium der Einflüsse der gleichzeitig entfremdeten und verstärkten Identitäten von wandernden ethnischen Räumen auf die nationalen Imaginaires von sowohl Herkunfts-, als auch Zielstaaten. Kulturelle Objektivationen ihrer Gedächtnis-Spuren schaffen neue heilige Räume einer Nation ausserhalb ihrer Landesgrenzen, deren ritueller Status im Fall Chinas schon deshalb umstritten sein dürfte, weil sie überwiegend von exilierten Künstlern und Intellektuellen gestaltet werden. Diese erinnern in der Regel nicht nationalistisch, sondern problematisieren kollektive Erinnerungen, wie Aleida Assmann schon am Beispiel interner ästhetischer Reflexionen der (deutschen) Bildungsidee zeigen konnte 167

(Assmann 1993: 111 f.). Sie sind ausserdem nicht als Verdoppelungen der heiligen Räume des Zentrums gemäss Anderson zu verstehen, sondern als liminale Räume oder Supplemente der entfremdeten Dichter/ Subjekte, in dem Sinn wie sie Homi Bhabha theoretisch verortet hat.37 Das Konzept heiliger Räume betrachtet diese als machtvolle Faktoren geographischer beziehungsweise territorialer Imagination. Es beinhaltet drei unterschiedliche semiotische Strategien: die Übertragung neuer Bedeutungen auf traditionelle religiöse Orte, die Konstruktion neuer nationaler Erinnerungsrituale und Monumente am Leitfaden etablierter religiöser Strukturen oder Praktiken und die Appropriation, Adaptation oder Übersetzung transnationaler Gründungsmythen – entwurzelt, wie die Französische Revolution, oder archetypisch, wie der Mythos eines königlichen Nachkommen, der nach einer Zeit der Herrschaft böser Mächte zur Erlösung der Nation herbeieilen wird – zum Zweck der Integration in die eigenen fundierenden Erzählungen. Auch die Geschichtsschreibung muss sich nicht unbedingt in Konkurrenz zu den traditionell religiösen Paradigmen von gemeinschaftsstiftenden Erzählungen sehen. Im Rahmen mehr oder weniger bewusster Verstehensprozesse können Verfasser wissenschaftlicher Darstellungen historische Ereignisfolgen und Erfahrungen gemäss der variierenden ideologischen Agenda von Nationen ordnen und mythologisch anreichern. 38 Für das chinesische kollektive Gedächtnis scheint das Konzept der nationalen Schande eine ähnliche Funktion übernommen zu haben, wie sie für Deutsche im 19. Jahrhundert die Bildungsidee innehatte. Die Idee, historische Niederlagen kommemorativ zu begehen, lässt sich bereits in Chinas feudaler Geschichte nachweisen. Analog zu den positiver besetzten Gedächtnistropen anderer Nationen, wie beispielsweise amerikanische Schmelztiegel-Mythen oder die französische Glorifizierung der Ereignisse von 1789, schien auch diese negative Gedächtnisfigur einer 37

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Bhabha zitiert den indischen Dichter Adil Jussawalla, der die Zeilen schrieb: “To see an invisible man or a missing person, / trust no Eng. Lit. … ‘Wiped out,’ they say. / Turn left or right, / there’s millions like you up here, / picking their way through refuse, / looking for words they lost. / You’re your country’s lost property / with no office to claim you back.” Bhabha 1994: 45 und 59. Das trifft nicht nur auf postkoloniale Subjekte, sondern auch auf Chinas interne vergessene Geschichten zu, deren unterschiedliche Bedeutungen im Streit um das symbolische Zentrum Tiananmen im Folgenden verhandelt werden sollen. Dies ist das Argument Hayden Whites. Vgl. White 1973.

Schamgeschichte über längere Zeit die für ein nationales Imaginaire benötigten Merkmale von Universalität und Distinktion bereitzustellen.39 Sie ist in China traditionell an die Figur des reisenden Kosmographen rückgebunden, der die Welt in merkwürdigen Geschichten beschreibt, oder die Gedächtnisorte der Gemeinschaft lyrisch oder essayistisch würdigt (Owen 1986 und 2004, Riemenschnitter 2003b und 1998). Kosmographen-Poeten vermitteln auch heute noch zwischen traditionellen und zeitgenössischen Lesarten ausgewählter lieux de mémoire, indem sie entweder vorhandenen Gedächtnisstätten neue Bedeutungen verleihen, oder dem bereits vorhandenen Inventar ihre eigenen, epochenspezifischen Erinnerungsorte hinzufügen. 40 Spuren dieser inzwischen zumeist ins Ironische oder Kritische gewendeten Tradition literarischer Weltbeschreibungen finden sich in der zeitgenössischen Lyrik, der Reiseessayistik und gelegentlich auch in der Fiktion. Neuerdings spielen bei literarischen Gegensemiotisierungen der Nation mehr und mehr auch solche historische Erinnerungen eine Rolle, die zunächst ausserhalb der territorialen Grenzen aufgerufen und überliefert wurden. Sie können von den modernen Kosmographen in nomadischen kulturellen Objektivationen aufgehoben werden, deren Erinnerungsorte entsprechend instabil bleiben (Anderson 1983, Appadurai 1996, Fujitani 1996; Yoneyama 1999, Yoshino 1992). Hier tritt die Klage über eine kollektive Amnesie gegebenenfalls an die Stelle der öffentlich und rituell erinnerten Schande nationaler Niederlagen. Deshalb lässt sich dieser modifizierte symbolische Einsatz der Trope durch Autoren, die mit den Folgen der neueren politischen und ökonomischen Entwicklungen konfrontiert wurden, als deren Intervention gegen ein durch kulturelle Kommerzialisierung sowie staatlich monopolisierte Selbstbeschreibungsdiskurse unterstütztes, pro39

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Vgl. hierzu beispielsweise Geschichte und Legendenbildungen über die Nutzung der öffentlichen Parks in Shanghai während der Kolonialherrschaft, die von einem (imaginären) Verbotsschild an den Eingängen ausgingen. Historischer Status und Funktion dieser Legenden werden u.a. in Bickers und Wasserstrom 1995 analysiert. “Das ursprünglichste Medium jeder Mnemotechnik ist die Verräumlichung. [...] Bezeichnenderweise spielt der Raum auch in der kollektiven und kulturellen Mnemotechnik, der ‚Erinnerungskultur’, die Hauptrolle. Hierfür bietet sich der Begriff der ‚Gedächtnisorte’ an, der im Französischen nicht ungewöhnlich ist und dem Projekt von Pierre Nora (Les lieux de mémoire) als Titel dient. Die Gedächtniskunst arbeitet mit imaginierten Räumen, die Erinnerungskultur mit Zeichensetzungen im natürlichen Raum. Sogar und gerade ganze Landschaften können als Medium des kulturellen Gedächtnisses dienen.” Jan Assmann 1999: 59 f.

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grammatisches Vergessen lesen. Auch die Distanz von drei der vier hier ausgewählten Autoren zur eigenen Kultur aufgrund ihrer Exilerfahrungen, welche den Blick für ideologisch gestützte Anomien im kulturellen Zentrum schärft, ist schliesslich ein etabliertes Thema im kosmographischen Diskurs. Ein kurzer Rückblick auf den im Übergang zur Fremdherrschaft durch die mandschurische Qing-Dynastie ausgelösten Paradigmenwechsel soll das Spektrum möglicher Anschlussnahmen an die Reiseliteratur des Ming-Qing-Übergangs in Texten des späten 20. Jahrhunderts skizzieren.

5.4 Das Erbe der Kosmographen

Viele Beschreibungen der Reiseerlebnisse dieser Literaten aus der späten Ming- und frühen Qing-Zeit vermitteln den Eindruck einer nachhaltigen Professionalisierung des vormals als Freizeitvergnügen eingestuften Reisens. Wie die anderen Liebhabereien der gebildeten und vermögenden Gentry wurde auch das Reisen in dieser Epoche erstmals als Berufung, moralische Sendung und wichtiger Faktor bei der Konstruktion der kollektiven Identität von den Bildungseliten betrieben, nachdem aufgrund der politischen Situation am Hof Ämter im öffentlichen Dienst nicht mehr vorrangig sozialen Aufstieg und Prestige, sondern vielmehr Lebensgefahr für in Ungnade gefallene Würdenträger und ihren gesamten Clan bedeuteten (Mote und Twitchett 1988: 585–640). Klassische Topoi wie die Anrufung der Geister von historisch bedeutsamen Persönlichkeiten an den ihnen zugewiesenen Erinnerungsorten wurden während dieser Epoche zwar nicht vergessen, aber durch neue Entwicklungen, wie beispielsweise Konzepte für die systematische Erforschung der lokalen Naturphänomene und Volkskulturen, überlagert. Die von einer wachsenden Zahl spezialisierter Reisender verfassten Reiseaufzeichnungen orientierten sich zunehmend am Prinzip des autoptischen Wissenserwerbs. Diese Reisenden strebten neu nach einem Wissen, das nicht aus Büchern, sondern vor Ort mit den eigenen Augen und Ohren erworben werden konnte.

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Neben dem wissenschaftlich-kosmographischen Diskurs spielte ein traditionelles moralisches Konzept der Literaten eine wichtige Rolle für die Auswahl der Reiseziele und die Haltung der Reisenden unterwegs. Nachdem sie keine Möglichkeit mehr sahen, um der politischen Krise ihrer im Untergang befindlichen Dynastie im höfischen Machtzentrum gegenzusteuern, entdeckten die Mitglieder der von Eunuchencliquen marginalisierten Bildungselite eine neue Lesart des konfuzianischen Prinzips eines Rückzugs aus der Gesellschaft zum Zweck der Selbstkultivation, dem traditionell eine Art kosmischer Kraft zur Balance der moralischen Abweichungen im Zentrum zugesprochen wurde (Berkowitz 2000, Porter und Johnson 1993, Vervoorn 1990). Beim Reisen der Spät-Ming-Literaten, wie bei vielen anderen ihrer professionalisierten Liebhabereien, verwandelte sich die Selbstkultivation in eine stilisierte Obsession, die sogenannte Reisesucht (youpi). Wer sich von dieser Reisesucht befallen zeigte, der konnte für seine eigene Person beinahe ebensoviel Aufmerksamkeit beanspruchen wie für die Reiseziele, die er besucht und beschrieben hatte. Ein neuer Autobiographismus konstituierte sich wesentlich aus der Konvergenz von zwei moralischen Leitsätzen – aus der Idee der autoptischen Weltbeschreibung an den Rändern der chinesischen Zivilisation und aus dem Konzept des im Verborgenen wirkenden Gelehrten als exzentrischem Repräsentanten einer aus der Ordnung geratenen Welt. Prominentestes Beispiel für diese Vorstellung korrespondierender Exzentrik ist Xu Xiake (1587–1641), dessen Persönlichkeit, Reisen, und Schriften in einigen der ihm gewidmeten Eulogien als gleichermassen seltsam und merkwürdig, mit anderen Worten als exzentrisch (qi) geschildert werden. Ursprünglich waren es das Pendant zu den “monströsen Erdrandsiedlern” (Geisenhanslüke und Mein 2009: 103 ff.) und andere merkwürdige Erscheinungen der barbarischen Peripherien in den Darstellungen der frühen Han-Kosmographen, die mit dem Attribut des Exzentrischen belegt wurden (Campany 1996). Später wurde die Eigenschaft der Exzentrizität beziehungsweise Merkwürdigkeit auch auf Naturphänomene wie bizarre Felsformationen oder Krümmungen alter Bäume, aber auch auf ausgewählte Landschaften des kulturellen Zentrums übertragen und in der Folge als latente, in allen kosmischen Phänomenen enthaltene Qualität angesehen. Während der Ming-Zeit wurden darüber hinaus besonders begabte und unkonventionelle Persönlichkeiten, wie auch ihre Schriften oder Bilder, als exzentrisch charakterisiert, so dass die Trope kritischer 171

Liminalität eine räumliche und eine performative Ausprägung – letztere in der Kombination von menschlicher Exzentrizität und Obsession – annahm.41 Noch Xus Radikalisierung des Exzentrizitätsparadigmas in zweifacher Hinsicht – psychologisch bezogen auf die Person des Kosmographen und kosmologisch deutbar hinsichtlich einer Marginalisierung der traditionell im Ästhetischen festgeschriebenen Wertehierarchie – verweist auf die prekäre Situation der Literatenschicht der späten MingZeit. Wie konnte dem politischen, moralischen und kulturellen Verfall des Zentrums noch entgegengewirkt werden, nachdem ein Grossteil seiner kulturellen Trägerschicht aufgrund von höfischer Korruption und Eunuchen-Terror seiner traditionellen Handlungskompetenzen enthoben worden war? Der letzte Akt der Tragödie blieb Xu Xiake erspart; er starb im Jahr 1641, noch vor der endgültigen Kapitulation der Ming im Zeitraum zwischen 1644 und 1662. Sein Zeitgenosse Zhang Dai (1599– ca. 1684) musste sich allerdings dem moralischen Imperativ von Selbstmord aus Treue zur gestürzten Dynastie stellen. Anders als viele seiner engsten Freunde und Bekannten, die sich der besonderen Ironie ihres Schicksals unterwarfen, für eine Dynastie zu sterben, der sie doch wenn überhaupt nur höchst zurückhaltend gedient hatten, zog sich Zhang in ein asketisches Einsiedlerleben zurück, um seine poetischen Totenklagen einer nicht-höfischen, mondänen Ming-Kultur niederzuschreiben. Es entstanden zwei Zyklen von Reiseminiaturen, Tao’an mengyi (Traumerinnerungen des Tao’an) und Xihu mengxun (Traumsuchen am Westsee), in denen er seine Erinnerungen an frühere Reisen zu berühmten Sehenswürdigkeiten und Tempeln des Reichs sowie seine Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung des Westsees heraufbeschwor, um sie nach deren Zerstörung durch Ming-Rebellen wie Mandschu-Truppen wenigstens in Textform an die Nachwelt zu überliefern.

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Yuan Hongdao hat die mit diesem Begriff verbundenen Vorstellungen in mehreren Essays erläutert. Über Xu Wei, einen berühmten Dramatiker und Poeten, hat er folgendes zu sagen: “Ich denke, es gibt nichts, das auch nur entfernt an Wenchangs Merkwürdigkeit heranreichte. Zu sagen, dass nichts an seine Merkwürdigkeit heranreicht, ist gleichbedeutend mit [der Aussage], dass es bei ihm nichts gibt, das nicht merkwürdig wäre.” Qian 1981, 2 (zhong): 717.

5.5 Ruinen als Symbole nationaler Niederlagen

In seiner Anthologie poetischer Beschreibungen der verlorenen Heimat mit dem Titel Traumsuchen am Westsee nutzte Zhang Dai eine ältere Konvention elegischer Augenzeugenberichte über einst blühende dynastische Hauptstädte nach deren Auslöschung (Kölla 1996, Yi 2006). Angelegt als grosse Panoramasicht mit fünf daran anschliessenden Besichtigungsrouten, stellt sich der Text als systematische literarische Promenade entlang der Ufer, Inseln und Hügel des Westsees dar. In einer Serie von nostalgischen Reminiszenzen werden alle landschaftlichen Zeichen, wie Gipfel, Felsen, Höhlen und Seen zusammen mit den architektonischen Höhepunkten der Region beschrieben. Zhang wünscht sich, dass seine Leser die Wunder dieses untergegangenen südlichen Kulturzentrums mit allen Sinnen erfahren können: Also verfasste ich meine Traumsuchen in 72 Kapiteln und hinterlasse diese der Nachwelt, gleichsam als Spiegelbilder des Westsees. Bin ich nicht wie ein Bergsiedler, der vom Meer zurückkehrt und dessen Wunder preist, so dass die Landbewohner zusammenlaufen und sich die Augen reiben? Ach! Goldpuder und Jadesäulen bleiben Märchenträume, solange sie nur von der Zunge des Erzählers bezeugt werden. Wie könnten sie den augenreibenden Zuhörern den wahren Geschmack vermitteln?42

Indem Zhang sie nach der Invasion der Mandschu als Kanon, Monument und Symbol der legitimen Ming-Herrschaft semiotisiert, wird die Kulturlandschaft des Westsees in den Traumsuchen als (proto)nationaler Mikrokosmos rekonstruiert. Zhang beruft sich dabei auf den mindestens seit der Konsolidierung der Han-Kultur in Umlauf befindlichen literarischen Topos der Klage über die Zerstörung der zentralen, heiligen Orte von gestürzten Herrschaftshäusern. Diese gegenüber ihrem gestürzten Herrscher loyalen Kläger wurden nicht unbedingt bekämpft; man konnte sie produktiv zur Kompilation der Geschichte ihrer zuende gegangenen Dynastie einsetzen. Beide Strategien, die Zerstörung wichtiger materieller Zeugnisse der unmittelbaren Vergangenheit und die offizielle Betrauung der überlebenden Loyalen mit der Bewahrung (und damit 42

Zhang Dai, ‘Zuozhe zixu’ (Vorwort des Autors). Leicht überarbeitete Übersetzung aus Riemenschnitter 1998: 311.

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Schliessung) des Gedächtnisses der vorangegangenen Dynastie, verhinderten offenbar erfolgreich weitergehende, heftiger ausfallende “Kämpfe der Erinnerungen”, als sie in den nostalgischen Gedichten und Städtebeschreibungen im Zuge der emotionalen Krise ausgebracht wurden. 43 Gleichwohl reichten diese poetischen Texte aus, um eine ästhetische Formel für den verstörenden Moment der Niederlage dauerhaft in dynastische Gründungsgeschichten einzuschreiben. 44 Sie lässt sich bis ins kanonische Shi jing (Buch der Lieder) und Sima Qians Shi ji (Aufzeichnungen des Historikers) zurückverfolgen, wo jeweils ein Ruinengedicht überliefert wird, in dem von Unkraut überwucherte Palastruinen als Tropen der Auslöschung eines Königreichs eingesetzt wurden.45 Nachdem 43

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Im modernen Kontext beschreibt Aleida Assmann ein strukturell ähnliches Phänomen: “Der Kampf der Erinnerungen ist ein Kampf um die Deutung von Wirklichkeit; dieser Kampf, der das Individuum spaltet, spaltet auch die Bürgerkriegsparteien.” Assmann 1999, 82f. Das sind offenbar andere als die “shameful moments” in den westlichen gewaltsamen Nationengründungen, von denen Ernest Renan in seinem einflussreichen Beitrag “Qu’est-ce qu’une nation?” sagt, jeder Bürger einer Nation müsse sie vergessen haben, um im täglichen Plebiszit seinen Willen zur Nation zu bekunden. Denn hier konstituiert sich die Nation ja in der Syntax des Vergessens (und Auslöschens von Differenz), während China bis ins späte 20. Jahrhundert hinein die Syntax der Erinnerung privilegiert hat. “Listen to the complexity of this form of forgetting which is the moment in which the national will is articulated: ‘yet every French citizen has to have forgotten [is obliged to have forgotten] Saint Bartholomew’s Night’s Massacre, or the massacres that took place in the Midi in the thirteenth century.’ […] The anteriority of the nation, signified in the will to forget, entirely changes our understanding of the pastness of the past, and the synchronous present of the will to nationhood. […] It is a discourse on society that performs the problem of totalizing the people and unifying the national will. […] Being obliged to forget becomes the basis for remembering the nation, peopling it anew, imagining the possibility of other contending and liberating forms of cultural identification.” Bhaba 1994: 160 f. Der chinesische Fall widerlegt anscheinend Renans Theorem, ohne jedoch die von Bhabha gesehene Möglichkeit einer befreienderen Form kultureller Identifikation gewählt zu haben. Die chinesische erscheint vielmehr noch erdrückender, weil sie mit dem Vergessen auch das Plebiszit verhindert (Bhabha a.a.O.; vgl. a. Cohen 1998). Seit dem Ausgang des 20. Jahrhunderts scheint sich allerdings das Gewicht zur befreienden, alternativen Identifikation hin zu verlagern, und das Thema einer kollektiven Amnesie erscheint mit zunehmender Häufung in kulturellen Texten. In seinem Vorwort zu Luoyang qielan ji spielt der Autor Yang Xuanzhi auf beide Gedichte an. Auch im südsongzeitlichen Werk Dongjing meng Hua lu (Meng 2009, Kölla 1996) findet sich eine Referenz zu diesen Texten im Kolophon von Mao Jin

im sechsten Jahrhundert Yang Xuanzhi seine Essaysammlung über die untergegangene Hauptstadt des Wei-Reiches geschrieben hatte, die Luoyang qielan ji (Aufzeichnungen über Luoyangs Tempel, Liu 2003), konnten loyale Untertanen jederzeit auf eine etablierte literarische Tradition für die schriftliche Würdigung zerstörter Monumente zum Zweck der Verankerung im kulturellen Gedächtnis zurückgreifen. Einstige Zentren imperialer Machtdemonstration wurden damit als Gedächtnisräume oder Mnemotopien resemiotisiert, die im Grunde jederzeit für eine Restauration der alten Macht bereitstanden. Bei Zhang Dai findet sich diese Idee eines nur vorübergehenden Niedergangs der Ming angedeutet mit der Referenz auf eine in der Nord-Song-Zeit entstandenen Fortsetzung von Yangs Luoyang-Memento: Li Gefei argumentiert in seinem Werk Die berühmten Gärten von Luoyang, dass es möglich ist, aufgrund von Blüte und Verfall seiner berühmten Gärten das Schicksal Luoyangs zu prophezeien. Ebenso kann man von Aufstieg und Niedergang Luoyangs auf einen geordneten oder chaotischen Zustand des Reiches schliessen. Treffend, wahrlich, sind seine Worte! Als ich im Jahr 1654 auf der Durchreise dort Halt machte, wucherte Hirse im ehemaligen Kaiserpalast, und Dornen bedeckten das Bronzekamel am Palastportal.46 Vor Kummer und Verzweiflung war ich versucht, Lu Yus [wilde Trauergesänge] auf seinen Wanderungen am Klettertrompetenbach nachzuahmen,47 weinte nachts bitterlich und machte endlich kehrt.48

Das Argument schliesst sich an Zhangs Beschreibung des LiuzhouPavillons am Südufer des Westsees an. Er berichtet in diesem Essay über verschiedene Katastrophen, die im Lauf der Geschichte wiederholt zu

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(Meng 2009: 204). Vgl. Shi jing/Wangfeng/Shuli; “Weizenähren”, Shiji 38, 1620f. sowie Jenner 1981: 142; West 1985: 94f. Die wuchernde Hirse ist eine Übernahme aus Shi jing/Wangfeng/Shuli. Diese Ode wurde als Klage eines Angehörigen der gefallenen West-Zhou-Dynastie in der frühen Ost-Zhou interpretiert und im Lauf der Zeit zum Topos für Reichsuntergangsklagen. Ebenso das Bronzekamel, das aus Jinshu/Suo Jing zhuan stammt. Dies ist die Biographie des Hellsehers Suo Jing, der einst zu dem Bronzekamel am Palasteingang in Luoyang sprach: “Dich werde ich noch inmitten einer Dornenhecke sehen.” West 1985: 94 f. Lu Yu (gest. 805), Verfasser des “Teeklassikers” und einer Autobiographie; vgl. Nienhauser 1986: 843. Zhang Dai, “Liuzhouting”, Xihu mengxun 182. Li Gefei, zi Wenshu, war ein Beamter der Nord-Song aus Jinan, der Vater der berühmten Dichterin Li Qingzhao (1084– c. 1151). Zhang bezieht sich hier auf dessen Luoyang mingyuan ji.

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dessen völliger Zerstörung und darauffolgendem Wiederaufbau geführt haben. In Zhangs Zusammenschau der wechselhaften Schicksale einer kaiserlichen Hauptstadt und des beliebten Ausflugsziels von Literaten am Westsee wird der Eindruck der durch die Mandschu-Truppen erlittenen Verwüstungen relativiert und es scheint die Hoffnung auf, auch diese Krise könnte nur eine vorübergehende sein. Im Licht der historischen Umstände bedeutet Zhangs Entscheidung, eine Region national zu encodieren, die bis anhin aufgrund ihrer mondänen Eremiten (Chen 1988) mehr als kulturelles denn als politisches Zentrum gegolten hatte, einen neuerlichen Wertewandel von der traditionskritischen Haltung der Spät-Ming-Zeit zum Klassizismus der frühen Qing. Nachdem die reisenden Literaten der späten Ming-Zeit sich über Grundfragen ihrer Identität und politischen Ideale neu orientiert hatten, und zwar vorrangig im Medium abgeschiedener Natur- und Gartenlandschaften, die sie als symbolische Gegenwelten zu den dynastischen und religiösen Machtzentren zum Einsatz brachten, wurde nach dem traumatischen Kontinuitätsbruch des Dynastiewechsels durch fremde Eroberer eine historische Resemiotisierung der Landschaft des Westsees als Miniaturwelt und Kulisse von identitätssichernden Traditionsanschlüssen wichtiger. Der Westsee figuriert somit in Zhangs postmingzeitlichem Text nicht mehr als symbolischer Differenz- und Autonomie-Raum einer kultivierten Gentry, die sich weitestgehend gegen das korrupte, dekadente höfische Zentrum abgrenzen will, sondern er wird neu zum Mikrokosmos einer universell ausgelegten Han-Kultur, deren lokale Elite entschlossen ist, sich mittels dieser Redefinition einer Kultur des Zentrums gegen die Fremdherrschaft zu behaupten. Zhang Dais Trope des Westsees als geschändetes Mnemotop, dessen prächtige Villen, Tempel, Musikhallen und Gärten alle dem Erdboden gleich gemacht wurden, führt das gemäss seiner eigenen Erfahrung konkretisierte Motiv einer schmachvollen Niederlage gegenüber fremden Invasoren mit, das er aus dem bereits genannten, songzeitlichen Kompendium Meng Yuanlaos (ca. 1110–1160) mit dem Titel Dongjing meng Hua lu (Hauptstadt des Ostens: Träume von Hua [Xu]) gewinnen konnte. Es berichtet über Architektur, Festivitäten, religiöse Bräuche, Restaurants sowie viele andere Aspekte des täglichen Lebens in der Hauptstadt der nördlichen Song-Dynastie, Bianliang, vor deren Zerstörung durch tatarische Invasoren. Im Vorwort vergleicht Meng Yuanlao sein Leben nach der Flucht des Hofes in den Süden mit dem bösen Erwachen nach 176

einem utopischen Traum. Er bezieht sich dabei auf eine mythologische Erzählung, die in Liezi wiedergegeben wird. Sie beschreibt eine Traumreise des Gelben Kaisers zum paradiesischen Reich namens Hua Xu,49 wo sich alle Mitglieder der Gemeinschaft vollkommener Harmonie gemäss des daoistischen Tugendideals eines einfachen Lebens ohne Leidenschaften oder Luxus erfreuen. Mengs Schilderungen des täglichen Lebens in Bianliang, dem heutigen Kaifeng, vermitteln demgegenüber das Bild von unerhörter Verschwendung und Extravaganz, die “den Geist eines jeden auszudehnen vermochte.”50 Der Gegensatz zwischen einer idealen Schlichtheit im Traumreich des mythischen Urkaisers und dem üppigen Lebensstil der Hauptstadtbewohner legt die Vermutung nahe, der Fall des Reichs könnte von Meng mit dieser Verletzung des daoistischen Gebots in Zusammenhang gebracht worden sein. Explizit wird eine solche Schuldzuweisung aber erst bei Zhang Dai. In seinem Vorwort zu Tao’an mengyi (Traumerinnerungen des Tao’an) lesen wir: Wenn der Hahn kräht und die Nacht weicht, lasse ich mein einstiges glanzvolles und geniesserisches Leben vor dem inneren Auge vorüberziehen, dessen fünfzig Jahre nun zu einem Traum zerronnen sind. […] Ich lasse meine Gedanken in die Vergangenheit schweifen und zeichne die aufkommenden Erinnerungen getreulich auf. So bringe ich sie vor den Buddha, um sie der Reihe nach zu bereuen (Zhang 1982: 3).

Wo seine Traumsuchen nach textueller Bewahrung eines (proto)nationalen Gedächtnisraums streben, das heisst nach einem kulturellen Ort für das Eingedenken an die Zeit vor der Schande der Mandschu-Kolonisierung, offenbaren Zhang Dais Traumerinnerungen ein eher persönlich begründetes kommemoratives Bedürfnis. Der reuevolle letztere Text beinhaltet auch eine Warnung Zhangs an zukünftige Generationen, sich nicht noch einmal durch Verzicht auf öffentliche Ämter kollektiv aus der politischen Verantwortung zurückzuziehen. Er weiss sich damit einig mit anderen Zeitgenossen, die nach dem Dynastiewechsel zu yi min, überlebenden Fremdkörpern aus der alten Welt, wurden.51 Eine Situation wie 49 50 51

Wang 2003 / Liezi 2 A; Übers. Bryce 1984: 50. West 1985: 69f. Zur Ruinentopik in Dongjing meng Hua lu vgl. a. Wu 1994, für Suzhou s. Mote 1973. Vgl. beispielsweise die von Xie Jin überlieferten letzten Worte von Qi Biaojia vor seinem Selbstmord, als er zu seinem Sohn sagte: “Obwohl dein Vater seine Familienpflichten erfüllt hat, war er doch den Quellen und Felsen allzusehr zugetan.

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der interne Terror des Eunuchen-Regimes darf, so lässt sich seine Reue lesen, in der Zukunft keine Entschuldigung mehr für die Bildungseliten sein, ihr Leben in Abgeschiedenheit und Müssiggang zu verbringen, nachdem einmal die verheerenden Folgen der barbarischen Herrschaftsübernahme manifest geworden sind. Diese Vorstellung einer Mitschuld der Intellektuellen scheint nach den traumatischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts von der Kulturrevolution bis zu den Vorfällen am Tiananmen-Platz im Jahr 1989 wieder an Konjunktur zu gewinnen.52 In verschiedenen literarischen Texten der Achtziger und Neunziger Jahre finden sich explizite Referenzen an die Westsee-Rêverien und selbstkritischen Betrachtungen des berühmten Ming-Überlebenden Zhang Dai.

5.6 Im Gegenwind der Geschichte

Verständlicherweise war Zhang Dais klassizistische Synthese früherer Ansätze zur literarischen Klage über den Untergang eines blühenden Reichs während der Gründungszeit der modernen chinesischen Nation kein wichtiger Topos. Mit der Ernüchterung über die negativen Folgen und Misserfolge einer Politik der revolutionären Erneuerung und dem konsumkapitalistischen Bauboom formiert sich jedoch ein Bewusstsein für das Ausmass der Zerstörung historisch bedeutsamer Orte und Objekte, welches auch in der literarischen Figur der kontrapräsentischen Traumreise ein anschlussfähiges Ausdrucksmedium entdeckt. Zeitgenössische Wiederaufnahmen von Zhang Dais Projekt des trauernden Eingedenkens an ein zerstörtes Kulturzentrum in den Traumsuchen könnten die Gegenwart gleichzeitig an die Vergangenheit und an die utopische Geschichts- und Grenzenlosigkeit des Huang Di-Mythos von den Nachfahren des Gelben Kaisers binden; es wäre allerdings auch denkbar,

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Meinen Lebenszweck habe ich verfehlt, wann immer ich meiner Gartenpassion nachgab.” In: Campbell 1999: 244. Vgl. hierzu Barbara Jennis Überlegungen zum poetisch-ästhetischen Diskurs über die Verlegenheit (gan’ga): Jenni 2008.

dass Zhang Dais Versuch zur Restauration eines zuvor von ihm selbst verworfenen Klassizismus heute kritisch begegnet wird. In einer während der Achtziger Jahre entstandenen, inhaltlich wie formal an die Traumsuchen anknüpfenden Anthologie von essayistischen Miniaturen mit dem Titel Wenhua kulü (Bittere Kulturreisen, Yu 1992) werden Reiseziele einerseits wiederholt als Stationen einer nationalen Schamgeschichte aufgerufen. Andererseits kommt aber auch der im Grunde gegenläufige Aspekt des Stolzes auf die eigene, Jahrtausende alte Zivilisation zu seinem Recht. Den Anfang macht eine Exkursion in den äussersten Nordwesten der Provinz Gansu zu den Höhlen Dunhuangs, einem Ort märchenhafter Funde von buddhistischen und säkularen Kulturschätzen durch einen daoistischen Einsiedler im Jahr 1900. Abgesehen von der Schuld habgieriger, skrupelloser Beamter und der sträflichen Gleichgültigkeit zuständiger staatlicher Behörden, die den Fundort mit allen im Land verbliebenen Stücken erst 43 Jahre später unter Denkmalschutz stellten, schändete der Entdecker der Schätze Wang Yuanlu den Ort dieser kunsthistorischen Sensation gleich in dreifacher Hinsicht. Er übertünchte zum einen viele der Höhlenmalereien aus dem vierten bis elften Jahrhundert mit weisser Farbe und zerstörte buddhistische Skulpturen. Von den in einer zugemauerten Höhle durch Zufall entdeckten, im Wüstenklima hervorragend erhaltenen über fünfzigtausend Gemälden, Dokumenten und Büchern erwarben zum anderen seit 1907 westliche wie japanische wissenschaftliche Kunstjäger – von Behörden unbehelligt und für wenig Geld – ganze Schiffsladungen direkt vom Finder. Der dritte Skandal aber ist sein von Stupa und Gedenkstein geziertes Grab inmitten der Gräber früherer Hüter und Förderer des buddhistischen (und mittlerweile nationalen) Heiligtums. “Oh wie ich hasse!”, ruft der zeitgenössische Autor des nach dem Stupa betitelten Essays aus, [aber] ich bin mit meinem Hass nicht allein. Die Spezialisten des Dunhuanger Forschungsinstituts hassen noch viel schrecklicher als ich. Weil sie ihre Gefühle nicht zeigen wollen, arbeiten sie seit mehreren Jahrzehnten mit versteinerter Miene an der gründlichen Erforschung der Dokumente von Dunhuang. Mikrofilme dieser Dokumente müssen sie im Ausland käuflich erwerben – je schlimmer die Demütigung, desto intensiver ihr wissenschaftliches Engagement. Ich war während eines internationalen Kongresses zur Dunhuang-Forschung, der in den Mogao-Höhlen abgehalten wurde, dort. Am Ende des mehrtägigen Treffens gab ein japanischer Wissenschaftler mit gravitätischer Stimme eine Erklärung ab: “Ich möchte eine überholte Meinung korrigieren. Die Ergebnisse der letzten Jahre

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beweisen, dass nicht nur Dunhuang, sondern auch die Dunhuang-Forschung in China beheimatet ist.” Die chinesischen Spezialisten waren nicht sonderlich beeindruckt. Wortlos verliessen sie den Versammlungsort, [ebenso wortlos] gingen sie an der ewigen Ruhestätte des Daoisten Wang vorüber (WHKL, Yu 1992: 7).

Wenngleich die wenigsten der nachfolgenden Essays derart von Anklage und Schmerz gezeichnet sind wie der erste, so weht doch überall dem heraufbeschworenen “Geist der Geschichte” ein zerstörerischer Sturm ins Antlitz.53 Verlust, Ausverkauf und Rettungsversuche eines unschätzbaren nationalen Kulturguts stehen am Anfang, die Schilderung eines unbekannten japanischen Friedhofs in Singapur am Ende des Werks, als Emblem des kollektiven Vergessens. Dazwischen, in pittoreske Naturszenerien wie moderne Siedlungsräume gleichermassen eingetragen, Zeichen menschlicher Erniedrigung aus Exilgeschichten verschiedener Epochen, die Zeugnisse von Einsamkeit, Tod und postumer Verklärung enthalten. Es sind die Spuren individueller Kulturleistungen von verbannten Literaten unter härtesten Bedingungen, in den am wenigsten zivilisierten Regionen des Reichs. Die Reisen des Direktors der renommierten Shanghaier Theaterakademie, Yu Qiuyu (geb. 1946), retten die Erinnerung an die vielen Opfer dieser Form des empire building in die Gegenwart hinüber und versuchen gleichzeitig, dem Keil homogener und leerer Gegenwärtigkeit entgegenzuwirken, der sich in den von ihm als identitätsnegierend wahrgenommenen technischen und architektonischen Modernisierungsprojekten des zum Kapitalismus umschwenkenden sozialistischen Regimes breit macht. Durch schiere Informationsflut, wie auch durch Geschwindigkeit und Raumhunger der zivilisatorischen 53

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WHKL: 266; vgl. a. Benjamins neunte These Über den Begriff der Geschichte: “Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.” WA 2: 697 f.

Abriss- und Neubauaktivitäten wird eine mnemotopische Orientierung in der Moderne immer schwieriger, so dass die Nation wichtige Koordinaten ihrer kulturellen Identität einbüsst. Das Verschwinden betrifft aber auch auswärtige Erinnerungsorte, die von expatriierten Chinesen in südasiatischen Enklaven eingerichtet worden waren. 54 In Singapur, einem Knotenpunkt der Migration in Asien, endet Yus kontrapräsentische Reise. Geführt von einem ortskundigen Journalisten besucht er einen vergessenen Friedhof, wo nacheinander ein bekannter japanischer Schriftsteller, mehr als dreihundert japanische Prostituierte und über zehntausend im Jahr 1941 gefallene japanische Soldaten begraben wurden. In Yus Augen ist dieser Ort eine unüberbietbare Allegorie dislozierter Nationalgeschichten, ein wahrhaft transnationales Mnemotop: Der Dichter Futabatei Shimei55 verleiht diesem Friedhof Fremdheit, verleiht ihm Distanz. Im Sog von Schlachtfanfaren und Liebesliedern erhebt sich plötzlich ein disharmonisches, düsteres Tremolo. Er durfte nicht fehlen. Ohne ihn manifestiert sich keine Dreifaltigkeit von Krieger, Dame und Dichter, ohne ihn kann keine allegorische Abstraktion entstehen. Aber so ist es gut; die Hälfte Krieger, die Hälfte Frauen, am äussersten Rand aber, und aus der Höhe herabschauend, thront der Dichter als Ältester. Solch ein Friedhof wäre noch keine Allegorie? Diese allegorische Dreifaltigkeitsstruktur verbirgt sich überraschend in einer lärmenden Stadt und schlägt sich hier als Stille nieder. Eines der grossen Probleme von Nation und Geschichte nimmt hier Gestalt an und zerrinnt gleich wieder. Süsse, salzige, bittere, scharfe Gerüche hängen unbestimmt zwischen Gehölzen und über den Rasenflächen. Eingeschlossen von einem Eisengitter, wird er nachgerade zum Fluchtpunkt der Geschichte. Ich habe schon viele Orte besucht, aber nie vorher eine Stelle von derartig allgemeiner Geltung gefunden. Diese summa erscheint so vollkommen, dass man fast schon wieder zu zweifeln beginnt.

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Yu spielt darauf in “Xihu meng” (WHKL: 126–34) an, wo er über die verbalen Attacken auf die Leifeng-Pagode durch Lu Xun und andere Modernisten des Vierten Mai berichtet, die darin ihrem Protest gegenüber den kulturellen Traditionen Ausdruck verliehen. Er beschreibt ausserdem in ”Piaobozhemen”, (WHKL: 274– 89) eine kleine, jungfräuliche Insel vor der Küste Singapurs, die in Kürze in eine touristische Attraktion verwandelt werden soll. Vgl. zum Topos einer Kultur des Verschwindens im Kontext Hongkongs Abbas 2002. Futabatei Shimei (1864–1909) starb auf See auf der Durchreise und war einer der ersten dort begrabenen Toten. Sein bekannter modernistischer Roman Ukigomo wurde ins Englische übersetzt (Ryan 1983).

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Er hat den Friedhof bereits verlassen, nimmt den Faden aber noch einmal auf: In diesem Augenblick kommt mir eine Idee. Zu gern würde ich an jene begeistert Rikscha fahrenden japanischen Freunde herantreten und zu ihnen sagen: “Just hier in dieser Stadt, an einem baumbeschatteten, kühlen Ort befindet sich ein Friedhof. Ihr müsst ihn unbedingt sehen. Wir waren gerade dort. Wirklich, ihr müsst hingehen.” (WHKL: 316).

Obwohl Singapur ein wichtiges Ziel für japanische Touristen ist, besucht keiner von ihnen den verwunschenen Friedhof, und auch die Singapurer Bürger wissen nichts mehr von diesem Ort. Er bewahrt dennoch geduldig das Gedächtnis der Toten und ihrer hier zusammengeführten Geschichten über modernen (Sex-)Sklavenhandel, einen imperialistischen Krieg und einen wandernden, aus der Heimat verbannten Dichter. Indem er ein “nicht in Anspruch genommenes” (Caruth 1996) Mnemotop des 20. Jahrhunderts ins kollektive Bewusstsein reintegriert, ergänzt der moderne Kosmograph Yu Qiuyu die Historiographie durch ein bedeutendes literarisches Supplement. Der Erfolg seines Langzeit-Bestsellers Wenhua kulü unter chinesischen Lesern über die nationalen Grenzen hinweg verdankt sich wohl einerseits seiner Aktualisierung des traditionsreichen kosmographischen Diskurses, der sich mit dem symbolischen Austausch zwischen politischer und natürlicher Welt befasste und Landschaften als Spiegel der moralischen Kultur des Reichs zu interpretieren gewohnt war. Yu Qiuyu wendet diese Sicht wie Zhang Dai und seine Vorgänger auf historische Schauplätze an, deren verwüsteter Zustand – analog zur Beziehung zwischen Kultur und Natur – auch korrelativ, als Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zur Aussage über den beklagenswerten Zustand der Nation genutzt werden kann. Den anklagenden Insider-Blick Yu Qiuyus auf die von Amnesie bedrohten Aussenstellen der Nationalgeschichte erwidert der Hongkonger Dichter Leung Ping-kwan (geb. 1948) mit dem “weder romantisierenden noch verdammenden” (Leung 1992: 170) Blick eines Randbewohners ins Zentrum. Dieses Heiligtum der Nation ist Gegenstand eines lyrischen Triptychons über Tiananmen, dem Hongkong als Verdoppelung oder Supplement des politischen Zentrums bereits im Jahr 1994 durch die Installation der rückwärtszählenden Uhr auf dem Beijinger Platz symbo-

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lisch annektiert wurde. 56 Die Jahreszahl 1989 markiert für den Hongkonger Bürger Leung nicht nur eine nationale Katastrophe, sondern auch den Anfangspunkt einer Serie von symbolischen Umbesetzungen des Platzes durch das Regime, die der Verhüllung der Katastrophe dienten, ohne letztlich deren Unheimlichkeit bannen zu können. Nach der von den demonstrierenden Studenten 1989 aufgestellten Goddess of Liberty kam 1991 der Kitsch-Panda der Panasiatischen Spiele auf den Platz (Wu 1997: 337), im Jahr 1994 dann die Uhr. Leung achtete schon vor diesem Datum, in seinem Gedicht “Images of Hong Kong”, genau auf die symbolische Bedeutung der Zeitzählung und die psychologischen Wirkungen der postmodernen Bilderflut: … The Star Ferry clock-tower, sunsets in Aberdeen: too familiar. Only now somebody plans to redo everything. One has only to push buttons to change pictures to get in on so many trends one can’t even think, too much trivia and so many places and stories one can’t switch identities fast enough. When can we—? And here’s the Beijing journalist who became an expert on pets and pornography under capitalism. When can we just sit down and talk? Our attentions get lost in factories of images and songs; appetites are whetted in the hungers of the tiny screen. Reach out and touch—what? History, too, is a montage of images, Of paper, collectibles, plastic, fibres, laser discs, buttons. We find ourselves looking up at the distant moon; tonight’s moon— does it come at the beginning or the end of time? … 56

“The Hong Kong Clock is neither a hard nor a soft monument but a hybrid which combines these two kinds of symbolic presentation and their diverse concepts of time. The Clock establishes its relationship with revolutionary historiography through its location and design. In terms of location, the Clock, attached to the facade of the Museum of History, reinforces the Square’s importance but interrupts its normal workings. […] Second, in this location the Clock confirms the concept of ‘democratic revolution’, definded by Mao as the Chinese people’s struggle for the country’s independence beginning in 1840. It also predicts the victory of this struggle: the return of Hong Kong, the first Chinese city ceded to a foreign country by the first unequal treaty, will symbolically conclude this revolution.” Wu 1997: 336.

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We need a fresh angle, nothing added, nothing taken away, always at the edge of things and between places. Write with a different color for each voice; OK, but how trivial can you get? Could a whole history have been concocted like this? Why are there so many good at Oriental spy novels? Why are there many things that can’t be said? So now, once again, they say it’s time to remodel and each of us finds himself looking around for—what? (Leung 1992: 33–35)

Dem falschen Neon- und Plastikglanz der hochtechnologisierten Hafenmetropole stellt Leung dann im ersten Gedicht seines Tiananmen-Triptychons die Beijinger Studentenbewegung im Bild heruntergewirtschafteter Heime mit schäbigem Mobiliar gegenüber. Die Ruinen der Geschichte werden auf dem Tiananmen-Platz als Abfall perzipiert, den man beim Hausputz lediglich aufräumen oder wenigstens rasch verhängen wollte, als das mitternächtliche Pandämonium der Panzerwagen die letzten Habseligkeiten auch noch zerstörte. Während das zweite Gedicht im Zeichen von Verlust, Tod und Trauer steht, beschreibt das dritte die Reinwaschung aller Spuren der Katastrophe und eine bombastische Remöblierung des Platzes durch das Regime: Well, they returned with their grand old tables and chairs the solid stuff, the elegant, classy stuff that has symmetry, unmistakable aesthetic appeal. Nothing better. They cleaned the floors till they shone like trackless water; they soaped away the smells of cutlery, until nothing had happened; the last smoke went up the ventilators.

Nach der Übertünchung aller Spuren mit teuren Dekorationsgegenständen und den (politisch bedeutsamen) euphorischen Berichten über Rekordernten müssen gleichwohl die Erinnerungen am Ende noch wie Geister rituell ausgetrieben werden; dem Dichter erscheint dies wie ein Versuch, den Spuk der Geschichte mit Türgöttern zu bannen: Are there shadows of the old year wandering in the streets? Close and lock the windows against any possible chill. Never mind about the shadows hanging over the doors, or the ghost flames in corners; stick up door-gods to drive off all that weirdness. The great old furniture, hauled into the parlor, is History,

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solidly in place today, with the usual words in New Year’s couplets trimming every safe and silent and locked front door (Leung 1992: 69–75).

Wie Ackbar Abbas dazu anmerkt, bezieht sich Leung auf das Problem der Rezeption der Katastrophe in mindestens zweifacher Hinsicht. Er fragt nach der unheimlichen Allianz zwischen offenkundiger militärischer Gewalt und einer eher unsichtbaren, sich selbst reproduzierenden Macht der Bilder, und er spielt ausserdem auf die ambivalente Reaktion der Bevölkerung Hongkongs an, die sich den Luxus leistete, ihren Schock im Modus einer medienvermittelten welthistorischen Seifenoper regelrecht auszukosten.57 Die distanzierte, abgeklärte Haltung Leungs teilen die Dichter Gu Cheng (1956–1993) und Yang Lian (geb. 1955) nicht. Sie reflektieren zwar dieselben verdrängten historischen Ereignisse, deren Bedeutung für sie aber ein anderes Gewicht erhält, weil es sich dabei um einen besonders schmerzhaften Teil ihrer eigenen, persönlichen Lebensgeschichten handelt. So beziehen sie sich noch deutlicher auf Zhang Dais kommemorative Praxis und beschreiben reale oder symbolische Schauplätze der Katastrophe als geschändete, verbannte oder ausgelöschte Erinnerungsorte. Cheng (Peking. Ich, Gu 1999)58 ist ein Zyklus von 52 Gedichten, die Gu Cheng im Jahr 1993 zur Publikation freigab – kurz bevor er in Neuseeland seine Frau umbrachte und danach Selbstmord beging. In diese Sequenz von Fixpunkten der urbanen Geographie Beijings hat der Autor seine privaten Jugenderinnerungen und Reminiszenen einer Liebesaffäre lyrisch eingetragen und mit dem Panorama der architektonischen Wahrzeichen von Beijing verwoben. Obwohl die Bedeutungen 57

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“The violence of Leung’s poetry then is keyed in the minor mode: minor in the sense that things don’t add up, not even into a catastrophe. What for example could be more catastrophic than the Tiananmen Massacre which has all the ingredients of a major and tragic historical event, after which nothing could be the same anymore? Yet this does not entirely preclude the event from being appropriated and turned into a world historical soap opera. […] This is not a poetry of protest or indignation: it is worse. By mixing a kind of quiet mimicry of official reasoning with indirect commentary, the poem traces the processes of appropriation and recontainment as they take place. And one of the questions it raises is the following – which is more violent: the brutal, highly visible, repression – or the insidiously subtle control through images?” Ackbar Abbas, “The Last Emporium: Verse and Cultural Space”, Leung 1992: 3–19, hier: 9–11. Deutsche Übersetzung des Titels nach Wolfgang Kubin in Findeisen und Gassmann 1998.

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opak bleiben, kann man feststellen, dass Bauten und Örtlichkeiten als Augenzeugen derjenigen historischen Ereignisse dargestellt werden, welche in deren unmittelbarer Nähe stattfanden. Xinjiekou ist laut seinem eigenen Kommentar ein Wortspiel, das eine frische Wunde meint und gleichzeitig der Name einer Strassenkreuzung ist, an der die Panzer am 4. Juni 1989 auf ihrem Weg zum Tiananmen-Platz vorbeirollten: Xinjiekou Das Töten ist dem Lotos gleich Geköpft ruht seine Blüte in einer Hand Vom Umtausch ausgeschlossen (Kubin 1998: 421, Gu 1999: 868)

Der Augenblick des Übergangs vom demokratischen Plebiszit zu dessen militärischer Unterdrückung wurde von Gu Cheng an das buddhistische Symbol der Lotosblüte geknüpft. Die Kombination der offenen Wunde mit diesem Symbol für Reinheit und Transzendenz vergrössert den Abstand zwischen historischer Realität und den somit als religiöse Utopien abgeurteilten Idealen der Studenten. Wolfgang Kubin merkt an, dass der erste Vers dieses Gedichts in der Form eines geflügelten Worts bereits fester Bestandteil des kommunikativen Gedächtnisses der Beijinger Bevölkerung ist. Auch in den anderen Gedichten des Zyklus hat Gu Cheng sein persönliches Trauma, das sich aus Kindheitserfahrungen und den Erlebnissen im Zusammenhang mit dem 4. Juni 1989 konstituierte, zusammen mit demjenigen seiner Landsleute verarbeitet, die “mehrheitlich in Schweigen, Apathie und Vergessen” verfallen sind. “Der Dichter nannte sich oftmals in Berlin einen Toten,” bemerkt Kubin, “denn in einer Welt, wo es nicht möglich sei, Mensch zu sein, könne man nur, um nicht Ding zu werden, »die Seele eines Verstorbenen« annehmen” (Kubin 1998: 419). Diese erschreckende Amnesie wurde nicht nur durch Spurentilgung an bedeutsamen Orten wie dem TaipingSee unterstützt, den die Regierung zuschütten liess, nachdem er während der Kulturrevolution zu einem Zielort für Selbstmörder geworden war.59 Ihr kommt auch die kapitalistische Modernisierungswut der Stadt mit ihrem enormen Raumhunger entgegen, der dafür sorgt, dass sich das

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Über jüngere dramatische Stellungnahmen zu den immer noch ungeklärten Todesumständen des im August 1966 am Taiping-See tot aufgefundenen Schriftstellers Lao She berichtet im Zusammenhang mit Theaterstücken, die sich mit Tiananmen als politisches Theater beschäftigen, Chen 2002: 195 ff.

Gesicht der Stadt unaufhaltsam verändert. Im Vorwort zu seinem Gedichtzyklus betrauert Gu Cheng die Metropole, indem er sie mit einer Referenz an Zhang Dais Traumsuchen als in Ruinen gelegte, besiegte Regierungshauptstadt präsentiert: Der Zyklus »Peking. Ich« ist erst zur Hälfte abgeschlossen, es harren noch viele Stadttore ihrer Restaurierung, aber ich möchte dir zuerst zeigen, was vielleicht eine neue »Träumerische Suche nach dem Westsee« ist. Ich weiss nicht, warum, ich singe oft die Zeile eines vietnamesischen Liedes: Traurig ist es mit der Heimat bestellt (Kubin 1998: 418).

Der Dichter hat seine mentale Landkarte von Beijing im Exil als düsteres Prisma der gleichermassen traumatischen imperialen, republikanischen und kommunistischen Geschichten des vergangenen Jahrhunderts angelegt. Gespenstische lyrische Reminiszenzen haben den nervösen Wanderer schon während seiner Beijinger Zeit heimgesucht und offenbar bis ins Exil verfolgt. Der wie Gu Cheng seit 1989 im Exil lebende Dichter Yang Lian evoziert in seiner Lyrik an den frühen Modernismus anknüpfende Bilder des Poeten als Erlöser der Nation, der alle ungesühnten Tode ihrer Subjekte stellvertretend erleiden muss. ”[E]very single morning / a deeper death”, lesen wir in seinem Gedicht “Die Toten im Exil” (Yang 1994 a: 44 f.), und in einem weiteren Gedicht heisst es: Du schreibst Und geniesst, dass man dich ausradiert Wie die Stimme der anderen Knochensplitter wahllos in die Ecke spucken Wasser und das hohle Mahlen des Wassers Wahllos in den Atem gerückt In eine Birne gerückt und niemanden sehen Jeder dieser Schädel bist du Zwischen den Zeilen altert die Nacht Verhüllt durchqueren deine Gedichte die Welt60

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Yang 1991 (ohne Seitenangaben).

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In einem Interview äusserte der Dichter sich über die Beziehung zwischen Selbstmord, Tod und Lyrik, wobei er Qu Yuan, Chinas ersten namentlich bekannten Dichter, als sein Beispiel anführt: Qu Yuan hatte bereits mehrfach in seinen Gedichten die Erfahrung des Todes erlangt. […] Ich meine, zumindest für den Dichter ist der Selbstmord eine zu wenig extreme Handlung. Denn als aktive Negierung der Existenz vermag ein Gedicht viel mehr, viel tiefer, viel gründlicher Ausdruck zu sein. […] In dieser Art von Verneinung macht der Poet an Leib und Seele eine lange Marter durch, absichtlich, unbarmherzig, immer wieder. Dies lässt den in einem kurzen Augenblick vollzogenen Selbstmord verblassen.61

Der Dichter erleidet gemäss Yang also nicht nur sein eigenes permanentes Sterben, sondern durchlebt und betrauert gleichzeitig alle von der Nation geforderten Opfertode. Das dichterische Opfer ist wie ein Gegenpol zu Andersons leerem Grab des Unbekannten Soldaten: Yang gibt den anonymen Toten seiner Lyrik Gesichter und Individualität, mit denen sie gegen den Spuk staatlicher Gewalt jeglicher ideologischer Ausrichtung protestieren können. Die in seinen Gedichten betrauerten namenlosen Toten von 1989 können ja nicht als Helden eines ruhmreichen patriotischen Krieges öffentlich gefeiert werden, weil sie vom eigenen Staat kannibalisch verschlungen wurden. Das Regime hat ihnen bis heute keine Gedenkstätte zugewiesen, und deshalb reisen sie mit dem exilierten Dichter durch die Welt, immer auf der Suche nach einem Erinnerungsort für ihre vom Vergessen bedrohten Geschichten: revised death revising life so the multitude of faces were a vacuum, white bone jagged and thin each skull becoming a tomb the deepest burials possessing all death like forgetting washing the hands with scarlet mud filtered through saturated silence as the corpses were finally stolen that night was eternal (Missing, Yang 1994 a: 35)

Yangs Gedicht stellt sich dem Grauen im Angesicht des Todes, damit der Blick auf das Leben im jungsteinzeitlichen Dorf Banpo gerichtet werden kann, wo die Menschen schon sehr lange vor dem Gedächtnis 61

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Zhang-Kubin 1994: 108. Zur Rolle Qu Yuans in der post-maoistischen Kunst vgl. Croizier 1990.

der Historiographie Krisen und Katastrophen durchlitten, um ihr Überleben kämpften und gesichtslos starben. Gleichzeitig klagt es die Moderne an, deren institutionalisierter Grabraub die Ruhe der Toten stört, ohne das Schweigen über ihre Lebensgeschichten brechen zu können. Die Aufgabe des Dichters sieht Yang offensichtlich nicht darin, heroische Genealogien und zivilisatorische Siege für diese Toten zu erfinden und diese der politischen Mythologie der Nation dienstbar zu machen. Es geht ihm vielmehr darum, den verstümmelten Vergangenheiten und verrottenden Müllhalden der Geschichte seine Stimme zu leihen, damit die Masse des Vergessenen in Relation zum wenigen Erinnerten endlich die ihm gebührende Bedeutung erhält: Von der Geschichte verstossen Verstosse ich die Geschichte. Die Rache des Steins ist der Stein, Gütig ein scharfer Hieb Jahrtausende später, Er bringt Leoparden den Tod Und der Zeit, Die ihre eignen Verbrechen nicht kennt (Banpo/Steinaxt, übers. Conze 1993: 12).

Schweigen, Sinnlosigkeit und Vergessen determinieren jedoch nicht nur die Biographien namenlos Verstorbener, sondern auch die in Texten fixierte Erinnerung an verstorbene berühmte Persönlichkeiten. Ein Beispiel dafür sieht Yang in Friedrich Nietzsche, dessen bekannte Geschichte immer noch wenig von ihm selbst preisgibt. Die MedienKünstlerin Chiho Hoshino setzte eine zyklische Auswahl von Yangs Gedichten als multimediale CD-ROM-Installation für einen interaktiven, audiovisuellen Raum in Szene. Besucher dieser City of Dead Poets (Stadt der toten Dichter) 62 werden von einem unsichtbaren lyrischen Subjekt durch ein virtuelles Museum geführt, das gleichzeitig ein Friedhof ist. Auf ihrer lyrisch begleiteten Wanderung begegnen sie winterlich verschneiten Gärten, Landschaften aus Blüten, Schneeflocken oder Stahl, leeren Krankenzimmern sowie verschlossenen Türen, in denen von unbeerdigten Totenschädeln und Leichen, offenen Gräbern, Steinen und steingrauen Himmeln, Träumen und Einsamkeit die Rede ist. Die physikalischen Gesetze der Wirklichkeit werden durch absurde Bewegungen – leere, applaudierende Kinosessel, Nietzsches verlassenes, 62

Chiho Hoshino, City of Dead Poets. Poetry by Yang Lian, Multimedia CD-ROM, Karlsruhe: Cyperfection 2000.

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ekstatisch rotierendes Krankenbett, wie Schneeflocken zu Boden taumelnde Verse in Schriftzeichen – ausser Kraft gesetzt. Dieser virtuelle Spaziergang durch eine Stadt der toten Dichter kann als anderer Zugang zur Erinnerung erlebt werden; die Komposition bringt ein System von Ikonen und Verknüpfungen auf den Bildschirm, die beim Anklicken zwar immer weitere Bedeutungsserien produzieren, dabei jedoch eine unhintergehbare Opazität zeigen und somit das Vergessen spürbar in den Vordergrund stellen. Zwei der multimedialen Visionen überbrücken wenigstens andeutungsweise den Abgrund zwischen den Welten der Toten und der Lebenden durch konkrete Ortsnamen. Gleichzeitig verweisen sie auf unterschiedliche Arten von Toden. Das karg möblierte Schlafzimmer Nietzsches in Sils Maria zeugt als Museum vom schwerkranken, einsamen Dichter, der von fortschreitender Neuropathie geplagt den Zarathustra noch vollenden wollte. Die andere Verknüpfung führt zu einer Fotosequenz, die in Auckland, Neuseeland, erstellt wurde. Vor einer christlichen Kirche hat Yang Lian dort einen Gedenkstein mit eigener Inschrift für die Toten vom vierten Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz errichtet, der die Welt gleichzeitig auch an die Situation der seit diesem Datum im Exil lebenden Intellektuellen Chinas erinnert. Sein Aufstellungsort macht den Stein zu einem Mahnmal für die zunehmende Verlagerung von wichtigen Kapiteln nationaler Geschichten. Ein tiefgreifender Identitätsverlust ist plötzlich nicht mehr nur Schicksal der ausgewanderten Subjekte, sondern betrifft auch die Daheimgebliebenen, insofern sie zusehen müssen, wie Teile ihrer Geschichte fremdgehen. In diesem rasch expandierenden kulturellen Feld der Migration errichten die wandernden und ins Exil geschickten Kosmographen ihre Monumente und literarischen Archive für Chinas expatriierte Geschichten, damit wenigstens letztere in Form von Mnemotopien auf ihre Rückholung und Wiedereinbürgerung warten können.63 Innerhalb der Nation droht Vergessen, während die jenseits ihrer Grenzen vagabundierenden Erinnerungen selbst mit ästhetischen Mitteln höchstens punktuell zu kleineren 63

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Eine Parallelfigur der mnemonischen Wanderung findet sich in Salman Rushdies Roman The Moor’s Last Sigh (1995), wo der auf der buddhistischen Insel Elephanta nahe dem heutigen Mumbai aufgewachsene Protagonist jüdisch-christlichislamischer Herkunft am Ende seine allegorisch konnotierte Lebensgeschichte in losen Blättern wie ein lutherisches Manifest an spanische Bäume heftet. Vgl. zu diesem Roman und seiner Kartierung von Schauplätzen der Austragung kultureller Verhandlungen Turk 2008.

Irritationen oder subkulturellen Energien zusammengerissen werden können. Yangs Figur der Heimsuchung durch vergessene oder exilierte Geschichten orientiert sich einerseits am grossen nationalen Mythos des rituellen Eingedenkens von beschämenden Niederlagen; andererseits rekurriert er in lyrischen Invokationen der ungesühnten und vergessenen Todesopfer auf das im traditionellen Genre von Geister-Erzählungen realisierte Prinzip des Anti-Mythos. Die unerledigten, vergessenen Geschichten dieser Untoten verweisen strukturell auf den fehlenden Trost mythologischer Sinnstiftung. Deshalb gefährden sie die soziale Ordnung dauerhaft. Diejenige Idee von Ordnung, zu welcher sich die Staatsmacht mit ihren gemäss Leung sauber polierten und teuren Möbeln an jenem Vierten Juni bekannt hatte, entspricht nicht den von ihr ausgelobten utopischen Visionen des Revolutionsmythos, weshalb der verdrängte Schrecken der Wirklichkeit in die literarischen Texte zurückgekehrt ist.64

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Zur Neukartierung des poetischen Raums nach Tiananmen innerhalb und außerhalb Chinas s. Van Crevel 1996: 91–101; zur Stilisierung von Dichter-Selbstmördern während der Neunziger Jahre s. van Crevel 2008: 91–136.

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Nahrung als einverleibte Identität: Sitiogonien

Nicht nur die nationale Fassade – in Form von gepflegten Landschaften und Monumenten, wie auch von Ruinen, Übertünchungen oder Palimpsesten – ist ein beliebter Gegenstand literarischer Inspektion. Weil das räumliche Imaginaire der Nation wesentlich durch mythologische Inskriptionen ihres nationalen Körpers definiert wird, sollte es nicht überraschen, die Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert prominent auch als “Epos des Essens” repräsentiert zu finden (Yue 1999: 2). Vom Problem des körperlichen wie seelischen Überlebens unter Bedingungen extremer Nahrungsknappheit bis zu den mit bestimmten Nahrungsmitteln oder Mahlzeiten verbundenen Mythen, Metaphern und Riten, ist das Essen in China ein Kulturthema, dem kaum ein anderes an Intensität und allgemeiner Anteilnahme gleichkommt. Yue Gang listet eine Reihe von Themen, die diesen Diskurs unterstützen, wie beispielsweise die klassische poetische Tradition der Weinseligkeit sowie eine von ihm allerdings nicht kritisch hinterfragte “nationale” kulinarische Kultur. Er nennt als Beispiele hierfür die Filme Das Hochzeitsbankett und Eat Drink Man Woman von Lee Ang und weiter den falschen Authentizitätsanspruch bestimmter Speisen in ausländischen chinesischen Schnellrestaurants. Sein Beweismaterial sind die jenseits der Grenzen Chinas erfundenen Glückskekse. Das Hauptanliegen der Studie betrifft die Verbindung einer chinesischen “Saga of Eating” mit dem Versuch, eine Politik des Verzehrs zu formulieren. Dieser Gegenstand wird von Yue anhand ausgewählter literarischer Texte als “historische Trilogie” dargestellt, die ausgehend von Lu Xuns Kannibalismus-Verdikt über die traditionelle chinesische Kultur, zu den Hunger-Erzählungen der revolutionären Jahre führt und am Ende eine Rückkehr zum Topos des Kannibalismus als “Karnivorismus” diagnostiziert. Der Begriff bezeichnet eine Mischung zwischen dem Bakhtinschen Theoriemodell des Karneval65 und dem von 65

“Central to Bakhtin’s notion of the carnival is ‘the material bodily principle’ that is realized in the ‘images of food, drink, defecation, and sexual life.’ He defines the representational mode of the carnival as ‘grotesque realism.’ Aiming at ‘the lowering of all that is high, spiritual, ideal, abstract,’ grotesque realism is concerned with ‘the lower stratum of the body, the life of the belly and the reproductive organs.’ The degradation and debasement of the higher stratum of the body, however,

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Lu Xun entworfenen, im vorliegenden Fall auf die Zukunftsgesellschaft projizierten symbolischen Kannibalismus. Yue entdeckt diesen Karnivorismus in Romanen, die unmittelbar nach den Vorfällen vom Vierten Juni 1989 geschrieben wurden, insbesondere in Mo Yans mehrfach umgeschriebenem Roman Mingding guo beziehungsweise Jiu guo (Rauschrepublik, dt. Die Schnapsstadt 1992). Drei im Begriff des chi ren (Menschen essen) konvergierende “Geschmacksrichtungen” beobachtet Yue in den Texten des symbolischen Kannibalismus: eine kolonialistische Einverleibung von Territorien durch die symbolische Ordnung der eurozentrischen Zivilisation, weiterhin die mit dem archaischen Verzehr von Menschenfleisch und dessen modernen Residuen befasste Geschichtserinnerung sowie schliesslich ein in der ästhetischen Vorstellungskraft realisiertes, diskursives Recycling von grotesken Szenarien des Fleischessens. Diese am Leitfaden literarischer Quellen vorgenommene Polarisierung von Geschichte in einem mehr als negativen nationalen Mythos – er nennt ihn die nationale Allegorie des modernen China (Yue 1999: 29) – stimmt nachdenklich, muss aber gleichzeitig als eine provozierende und nicht ungefährliche Reduktion von Komplexität des gegenwärtigen literarischen Feldes (und erst recht der Geschichte) indiziert werden, die sich überdies in ihrer verdoppelten Mythologisierung womöglich gegen sich selbst richtet. Ein wie immer kritisch intendierter, auf literarische Mythen angewandter Meta-Mythos ist mit demselben Problem konfrontiert, wie jeder andere Versuch, Mythen nicht über das Sein, sondern über Bearbeitungen des Seins zu bilden. Den Unterschied erläutert Kerényi mit einer Stellungnahme Friedrich Dürrenmatts am Beispiel technischer Innovation: “Echten Mythos von der Technik, der also die Bearbeitung nicht des Seins, sondern der Bearbeitung wäre, kann es nicht geben. […] Die Atombombe kann man nicht mehr darstellen, seit man sie herstellen kann. Vor ihr versagt jede Kunst als eine Schöpfung des

operates on a dialectic of death and rebirth, destruction of the old in anticipation of the new. Through its festive laughter, the carnival unleashes a ‘temporary liberation from the prevailing truth and from the established order.’ […] Writing during the rising terror of Stalinism yet critiquing the bourgeois notion of the individual subject at the same time, Bakhtin sees in the disruptive, cyclical, and communal activities of the carnival a possibility of redeeming the masses from their ideological appropriation.” Yue 1999: 284.

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Menschen, weil sie selbst eine Schöpfung des Menschen ist. Zwei Spiegel, die sich ineinander spiegeln, bleiben leer” (Kerényi 1996: 244 f.). Ungeachtet eines eventuellen Korrekturbedarfs bezüglich des methodischen Ansatzes setzt Yues ausführliche und kenntnisreiche Monographie ein wichtiges Zeichen bei der Erforschung eines Kulturthemas, dessen Prominenz in der Zeichenwelt chinesischer Narrationen in Film und Literatur ausser Frage steht. Im Folgenden sollen einige mythosrelevante Aspekte dieses modernen Epos des Essens reflektiert werden, die auch auf andere, nicht-kannibalistische Sitiogonien 66 der Nation rekurrieren, das heisst auf verschiedene Arten von Gründungsmythen, die in Verbindung mit typischen Nahrungsmitteln oder Ernährungsweisen stehen. Als Diskurs und kulturelle Praxis wurde im ausgehenden 20. Jahrhundert offenbar dem üppigen Essen jener kompensatorische Mehrwert eingeschrieben, welcher dem Revolutionsmythos durch die jüngeren geschichtlichen Entwicklungen abhanden gekommen war. Es erscheint demnach lohnend, die Reaktion kritischer Intellektueller auf mögliche Folgen dieser Umcodierung der kollektiven Vorstellungen näher zu betrachten. Zu diesem Zweck soll der von Yue Gang verfolgte historischpolitische Diskurs über Nahrung um eine anthropologische Dimension erweitert werden. Zahlreiche literarische Beispiele in sowohl klassischer als auch moderner chinesischer Literatur legen die Anwendung dieser Kategorie nahe. Zu analysieren sind dabei vor allem solche Mythen, welche kollektive Identität über bestimmte Nahrungsmittel, Zubereitungsarten und Liturgien der Tischgemeinschaft definieren. Als Kulturdiskurs bleibt die Nahrung in China – anders als in Japan, dessen nationales Imaginaire seit dem späten 19. Jahrhundert Bilder von der Nation als Gemeinschaft von friedlichen und kultivierten Reisessern in Grenzziehung zu chinesischen Essern von schlechtem Reis und westlichaggressiven Gemeinschaften von Fleisch- oder Brotessern bereithält (Tsukuba 1986) – deshalb unsichtbarer, weil sie selten auf nationale Grosserzählungen bezogen erscheint. Gleichwohl ist insbesondere der 66

Bruce Lincoln (1986: 65–86) richtet bei seiner Einführung des Begriffs der Sitiogonie das Augenmerk hauptsächlich auf mythologische Erklärungen des Ursprungs von Nahrungsmitteln oder Produktionsweisen, während hier auch die palatal stimulierte (kollektive) Erinnerungsfunktion, also der Geschmack von Speisen, gemäss Marcel Prousts bekannter Vorlage in der Recherche als entscheidender mythologischer Faktor inbegriffen sein soll.

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Nationalstolz auf die Kochkunst ein wichtiger Indikator für die Bedeutung dieses Aspekts chinesisch-nationaler Identifikation. Gemeinsame Grundnahrungsmittel und typische Arten der Zubereitung von Mahlzeiten werden in der Regel als Indikatoren der Zugehörigkeit zu territorial definierten, regionalen oder nationalen Gemeinschaften gewertet, während religiöse wie säkulare Formen der Kommunion oder Tischgemeinschaft auch in kleineren, nicht territorial gebundenen sozialen Gruppen Gefühle der Zusammengehörigkeit stiften und diese regelmässig rituell erneuern. Analog hierzu kennt die nationale Ebene auch eine Palette bestimmter Gerichte, die als typisch angesehen werden und mit der Bezeichnung einer nationalen Küche nicht nur auf touristisches Konsum-Interesse67 – oder ein solches von Kinobesuchern, wie noch zu zeigen sein wird – gemünzt sind. Die Nahrung galt traditionell als fundamentale Verbindung zwischen Menschen und Göttern aufgrund ihrer existentiellen Bedeutung sowie der kosmologischen Bedingungen ihrer Sicherung, die sich für agrarische Produktionsgemeinschaften als Zyklus von Transaktionen mit den Göttern darstellten (Appadurai 1981: 496). Daraus leitet sich bis heute die Vorstellung einer Beziehung zwischen Grundnahrungsmitteln und der moralischen Disposition von Individuen beziehungsweise sozialen Gruppen ab, indem Reis, Hirse, Kartoffel oder Weizen zu Metaphern des Selbst stilisiert werden können (Ohnuki-Tierney 1993: 3–11, passim). Von der individuellen, psycho-physiologischen Ebene bis zum abstrakten Symbolwert für die Tischgemeinschaft mit Göttern konstruieren Menschen deshalb einen engen Zusammenhang zwischen der Nahrung, die sie sich einverleiben, und ihrer eigenen Identität. Im Gegensatz zum abwertenden Kannibalismus-Vorwurf ist der hier verfolgte, gesellschaft67

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“If it was Duncan Hines who brought a sense of the map as menu (and, by extension, of the menu as map) to the American dining and driving publics, his was hardly a novel comparison – as the multiple meanings of the French word carte […] make evident. […] An intimate connection seems to link restaurants and travel, voyaging and eating, whether one thinks of ‚Diners Club’ or recalls that Michelin makes tires in addition to awarding stars. On one level, there is of course the simple fact that people away from their places of residence still need to eat and that if ‘eating out’ is something done only from necessity, it will primarily be travellers who do so (though it will also be the case that the homeless always ‘eat out’). […] During the mass tourism boom of the 1960s and 1970s, several airlines participated actively in the publication of cookbooks and restaurant reviews.” Spang in Grew 1999: 79 f.

liche Praktiken mehr beschreibende als deutende Diskurs nicht notwendig einer über Herrschaft und Gewalt, sondern er kann, und tut dies auch in vielen Fällen, positiv fundierende Vorstellungen und Geschichten über ein von der Natur vorgegebenes System der Distinktionen im sozialen Verbund freisetzen. Es kommt letztlich aber doch darauf an, wie dieses System von Distinktionen mit den Spannungen umgeht, die der sozial geregelten Distribution von Nahrung inhärent sind. Appadurai identifiziert für die indische Gesellschaft beispielsweise sowohl homogenisierende als auch heterogenisierende Praktiken der Distribution im Haushalt, bei Hochzeitsbanketten und im Tempel, die er gesamthaft als gastropolitische Praktiken bezeichnet. Als gastropolitisch, also mittels Praktiken der Distribution zu verhandelnde Spannungen betrachtet er Verhältnisse von Intimität und Distanz, von Gleichheit und Rangunterschieden sowie von Solidarität und Segmentierung (Appadurai 1981: 508).

6.1 Reis als Selbst

In Su Tongs Roman Mi (Reis, 1992) findet sich ein beachtliches Spektrum solcher gastropolitischer Spannungsverhältnisse. Dem Text liegt eine verhinderte fundierende Geschichte über Reis zugrunde, das heisst, es wird eine Geschichte erzählt, deren positive Aspekte durch Nahrungsmangel und gastropolitisches Versagen negiert beziehungsweise überschrieben sind. Der Reis existiert zwar als Kollektivsymbol im Bewusstsein aller Protagonisten, aber er kann nur dann einen positiven, fundierenden Einfluss auf die Gemeinschaft ausüben, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit diesem Grundnahrungsmittel nicht gefährdet ist. Auf dem Land verbinden im Idealfall die gemeinsame Produktion und ausreichende Ernteerträge alle Dorfbewohner – und unter Umständen auch grössere Gruppen. In der Stadt fehlt jedoch die über die Kultivation der Reisfelder vermittelte emotionale und ästhetische Bindung, der Reis verkommt dort auch in Zeiten, in denen er grundsätzlich in ausreichender Menge verfügbar ist, zur Ware. Wie man dem Handlungsverlauf des Romans entnehmen kann, sollte die morali197

sche Disposition der Reisesser deshalb weniger auf den Nahrungsmitteltypus an sich, als auf die Bedingungen von dessen Produktion und Distribution zurückgeführt werden. Mi erzählt die Geschichte von Wulong, der ein Kind von Reisbauern aus dem Ort Fengyangshu ist, die bei einer Überschwemmung ums Leben kamen. Wulong, der nach der Katastrophe friedlich schlafend in einem Heuhaufen gefunden wird, erhält im lokalen Schrein Unterschlupf. Die Dorfgemeinschaft versorgt und zieht ihn auf, bis er gross genug ist, um selbst auf den Reisfeldern mitzuarbeiten. Die nächste Flut vertreibt den inzwischen herangewachsenen jungen Mann aus dem Dorf. Er flieht, nachdem die gesamte Jahresernte der Region vernichtet worden ist und eine Hungersnot bevorsteht. Diesmal findet Wulong Asyl in einer südchinesischen Binnenhafenstadt, wo ihn ein Reishändler als Tagelöhner bei sich aufnimmt. Auf dem kurzen Weg vom Bahnhof in die Stadtmitte, noch bevor er sein neues Leben als zunächst Arbeiter und später Schwiegersohn des Patriarchen Feng beginnen kann, wird ihm in einem vom Zufall choreographierten, grausigen Initiationsritual seine dörfliche Unschuld genommen. Dieses vollzieht sich bezeichnenderweise im Rahmen einer grotesken Kommunion, welche der völlig ausgehungerte Wulong durchleben muss, als er eine Gruppe von betrunkenen Kriminellen um die Reste ihres Mahls bittet. In sadistischer Laune bieten sie ihm Fleisch gegen Gesten der Selbsterniedrigung, wobei sie ihm grosse Mengen Schnaps einflössen. Weitere negative Erfahrungen mit der Stadtbevölkerung, die kein Gemeinschaftsgefühl, sondern nur grenzenlosen Egoismus kennt, formen ihn nach und nach zum Maffiaboss mit perversen sexuellen Neigungen, die mit seiner zwanghaften Fixierung auf den durch den Hunger auf dem Land und die Entfremdung des Stadtlebens zum Fetisch gewordenen Reis zu tun haben. Auf verschiedenen – territorial, genealogisch, religiös, mythologisch und historisch definierten – symbolischen Ebenen entfaltet sich in diesem Roman die Biographie eines gutaussehenden, kräftigen und intelligenten jungen Mannes vom Land, dem die Naturgewalten schwer zugesetzt haben, der aber erst durch die Rohheit des Stadtlebens seelisch und körperlich ruiniert wird. Seinen Tod plant er deshalb als Flucht aus der Stadt und Rückkehr zu den Ursprüngen. Der von schwerer Krankheit Gezeichnete kauft zu diesem Zweck heimlich Land in Fengyangshu, das ihm immer noch Heimat bedeutet – im Gegensatz zu seiner städtischen Reishändler-Familie, mit der er sich nie identifizieren konnte. Die pro198

blematische genealogische Situation der Familie Feng ergibt sich vorderhand aus der Einheirat Wulongs. Sie wird durch die ältere Tochter des Hauses Feng, Zhiyun, jedoch noch komplizierter, denn Wulong darf sie nur deshalb heiraten, weil sie bereits mit mehreren Männern sexuelle Beziehungen hatte und schwanger ist. Das aus dieser Verbindung hervorgehende Kind, Wulongs späterer Todfeind Baoyu, 68 hat überdies einen biologischen, einen gesetzlichen und einen Adoptivvater – eine ähnlich komplizierte Lage wie bereits die von Wulong, der seinen biologischen Vater zu früh verlor und bei der Ankunft in der Stadt gezwungen wurde, zu einigen betrunkenen Hafen-Gangstern “Vater” zu sagen, um danach seinem Schwiegervater Feng als dem dritten Patriarchen kindlichen Gehorsam zu schulden. Verwirrende Unübersichtlichkeit herrscht auch auf der territorialen Ebene: Wulong träumt von den heimatlichen Reisfeldern, während er sich in der fremden Stadt ein Unterwelt-Imperium erobert, das er in der Folge aber schnell wieder an das japanische Kolonialregime verliert. Die auf komplexe Weise ineinander verstrickten religiösen und mythologischen Register des Romans ergeben das Bild eines Konfliktes zwischen verschiedenen kulturellen Leitorientierungen, so beispielsweise die vom Patriarchen Feng abgerufene konfuzianische Sippenordnung, der von den Frauen seines Haushalts gepflegte volksreligiöse Buddhismus, Wulongs YinyangKosmologie, oder Baoyus Modernismus, den letzterer als Kollaborateur der Japaner in Shanghai zu verwirklichen sucht. 69 Fengs kulturelle 68

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Dieser aus dem Qing-Roman Honglou meng (Der Traum der roten Kammer, 1792) entliehene Name widerlegt m.E. die von Su Tong behauptete mythopoetische Unschuld des Romans. Kann man Su vielleicht bei seiner Abwehr gegenüber einer symbolischen Verbindungslinie zwischen dem an beiden Füssen verletzten, hinkenden Wulong (“Fünfdrache”) und dem mythischen Flutenbändiger Yu noch folgen, obwohl das Bild des immer in der Nähe von Tempeln zu findenden, vor Überschwemmungen geflohenen Protagonisten Wulong einen anschaulichen Spiegel Yus – Wulong als dieu victimisé – ergibt, so ist die Naivität der die Namensgebung Baoyus begleitenden Narration doch mit Sicherheit nicht diejenige des Autors: “Zhiyun schüttete Wasser in den Bottich. »Du hast dich nicht einmal nach meinem Sohn erkundigt«, sagte sie. »Meister Liu überschüttet ihn mit Beweisen seines Wohlwollens. Seine Amme hat ihn richtig fett und gesund gefüttert. Alle lieben ihn. Weißt du, was für einen Namen sie ihm gegeben haben? Baoyu, Umhegter Edelstein, ist das nicht ein seltsamer Name? Er ist meine letzte Hoffnung. Wenn er erwachsen ist, wird für mich alles besser aussehen.«” Su 1998: 143. Z.B. erklärt Wulong seiner zukünftigen ersten Frau, Zhiyun: “»Leute wie ich leiden«, sagte er. »Der Himmel ist unparteiisch. Für jeden Glücklichen wird einer

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Identität ist darüber hinaus wie diejenige seines Enkels Baoyu eine sekundäre, aus der klassischen Romanwelt geborgte. Er ist wie Ximen Qing, der Protagonist aus dem Sittenroman Jin Ping Mei (um 1617), Geschäftsmann und steht einem Haushalt vor, der sich durch die vier in der literarischen Vorlage angeprangerten Exzesse – Sucht, Sex, Habgier, Hass – selbst zerstört. Patriarch Fengs Opiumsucht und Tochter Zhiyuns unersättlicher sexueller Appetit, die rekurrierende Schuh- und Fussmotivik, Wulongs grenzenloser Hass und das enorme Interesse der ganzen Familie an Nachttöpfen und deren Inhalt, sogar Wulongs tödliche Geschlechtskrankheit verweisen als Schlüssel auf die im früheren Text entworfene Vorstellungswelt (Plaks 1987: 154 f.). Dem Reis wird in diesem Konflikt kultureller Leitorientierungen kein Lager zugewiesen. Entsprechend seiner primären, physiologischen Funktion des Stillens von Hunger handelt es sich um ein Kollektivsymbol, dessen Wert und integrierende Funktion eigentlich von allen differenten sozialen Gruppierungen gleichermassen anerkannt und bei Tischgemeinschaften gepflegt werden müsste. An den spezifischen Deformationen der Essgewohnheiten und Tischsitten in der Stadt lässt sich jedoch die Entfernung der urbanen Gesellschaft von ihren natürlichen Ursprüngen, am zwanghaften Umgang Wulongs mit – rohem!70 – städtischem Reis der Verlust seiner eigenen moralischen Identität ablesen. Nicht zuletzt auch aufgrund des Nahrungsmangels in den ländlichen Regionen wird in diesem Roman eine nationale Gemeinschaft von Reisessern nach und nach als Utopie beziehungsweise als Mythos decouvriert, den Wulong in seinen Todesvisionen schliesslich auch bildlich vor Augen hat: Wulong versuchte sich den Empfang vorzustellen, den man ihm bereiten würde, wenn er als siegreicher Held in die Heimat zurückkehrte. Jetzt gehörten ihm in

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geboren, der leidet. Sie und ich, wir sind so ein Paar.« ” (Su 1998: 39 f.) Wulongs zweite Frau Qiyun plant ihren Rückzug in ein buddhistisches Kloster nach Wulongs Tod, ihre Religiosität definiert sich aus einer Mischung aus Ahnenkult, Volksbuddhismus und Schamanismus: “Qiyun ließ einen Zauberer aus der Südstadt kommen, um ein Gespenst aus dem Laden zu vertreiben. Eine Reihe von Unglücksfällen hatte sie davon überzeugt, dass hier ein böser Geist hauste.” Su 1998: 259. Diese Umkehr des Verhältnisses zwischen den von Lévi-Strauss so klassifizierten unzivilisierten (barbarischen) rohen und den zivilisierten gekochten Gesellschaften ist ein weiterer Schlüssel zur Kritik des Romans an der urbanen Modernisierung. Vgl. Lévi-Strauss 1971.

Fengyangshu dreitausend Morgen Land, das von Pächtern bestellt wurde. Sein Vetter würde das Empfangskomitee anführen, das ihn am Dorfeingang erwartete. Neunzig Feuerwerksschnüre würden in den Bäumen entzündet werden. Neunzig Tische würden rund um die neu errichtete Ahnenhalle zum Willkommensbankett gedeckt sein. Es würde neunzig Fässer selbstgebrauten Reiswein geben. Wulong würde natürlich nicht davon trinken, denn das war das eine selbstauferlegte Gebot, das er sein Leben lang befolgt hatte. Er wollte jederzeit einen klaren Kopf behalten. Was werde ich tun, während meine Dorfgenossen sich den Magen voll schlagen und sich betrinken? Vielleicht werde ich einen Spaziergang über die schwarze fruchtbare Erde machen, die ich so lang vermisst habe, oder die Nassreisfelder am linken Flussufer und die Mohnfelder am rechten Ufer betrachten. Sein Vetter hatte berichtet, diesen Frühling hätten seine Pächter wie angeordnet auf seinem Grund und Boden nur diese beiden Nutzpflanzen angebaut. Er wusste über die neuesten Trends in der landwirtschaftlichen Produktion Bescheid (Su 1998: 257).

Es ist kein moralisch eindeutiger, archaischer Gründungsmythos, den der sterbende Wulong im Kopf hat, denn seine heldenhafte Neuordnung der ländlichen Gemeinschaft schliesst das antithetisch Böse, hier in Form von Versuchungen durch Wein- und sogar Opiumgenuss, nicht a priori aus. So erweist sich auch seine Untauglichkeit als nationaler Mythos, denn der von Wulong erzeugte Opium-Rohstoff ist vorrangig für den Verkauf an die (unmoralischen) Städter bestimmt, welche demnach nicht als Adressaten des geplanten Integrationsverfahrens vorgestellt sind. Der von Wulong vollzogene Gründungsakt betrifft aber auch nicht nur die Dorfgemeinschaft, die er schon deshalb nicht erst zu stiften braucht, weil sie im Gegensatz zur städtischen als funktionierend angenommen wird, solange keine Naturkatastrophen sie heimsuchen. Er bezieht sich vielmehr auf seine Einführung des Ackerbaus mit wissenschaftlichen Methoden. Eine Tiefenstruktur mythologischer Korrespondenzen liegt in seiner Projektion einer ländlichen Neuordnung der Beziehungen als Prozess des Aushandelns zwischen verschiedenen kulturellen Leitorientierungen. Während in der Stadt aus der Verbindung von Tradition und Moderne nichts Gutes hervorgegangen ist, hegt Wulong hohe moralische Erwartungen an seinen Heimatort. Die eklatante Differenz zwischen den verschiedenen moralischen Dispositionen wird an mehreren Szenen von mehr oder weniger korrupten Tischgemeinschaften verdeutlicht. Bei allen im Roman beschriebenen Mahlzeiten, die Wulong in der Stadt mit anderen teilt, erfährt er Erniedrigungen. Nur in seiner letzten, ländlichen Zukunftsvision besetzt er die Position des verantwortlichen Veranstalters einer anderen Art von Gastmahl. Seine utopisch 201

vorgestellte gastropolitische Ordnung des ländlichen Willkommensbanketts suggeriert die von Appadurai genannten Kategorien von Intimität, Gleichheit und Solidarität, wo die Mahlzeiten in der Stadt, sogar das Hochzeitsbankett der Reishändlerfamilie Feng für den Schwiegersohn Wulong, nichts als äusserste Distanz und Verachtung vermittelt hatte: Die Hochzeit in der Reishandlung war die schäbigste Feier, die man in der Maurergasse je erlebt hatte. […] Während der Trauungszeremonie geschah mancherlei, das Anlass zu bissigen Bemerkungen bot und später Teil des Geredes über die Reishandlung wurde: Die Knallfrösche explodierten nicht; man hatte nur eine einzige Kette gekauft, und die war feucht. Das rote Glücksei, das im Bettzeug versteckt war, zerbrach, als jemand draufdrückte, und sonderte schmieriggelben Schleim ab. Es war weichgekocht. Der Bräutigam weigerte sich, auch nur einen Schluck Wein zu trinken, und als die männlichen Gäste ihm die Nase zuhielten und versuchten, ihm Wein in die Kehle zu giessen, spuckte er alles aus. Er trinke nicht, sagte er, nicht einen Tropfen. Über der Hochzeitsfeier lag eine unsichtbare schwarze Hand, die alle Fröhlichkeit im Keim erstickte (Su 1998: 91).

Wenn es in diesem Roman für einmal nicht um rohen Reis geht, der als Fetisch und Unglücksbringer zugleich figuriert, dann spricht er von Essgewohnheiten und Verhaltensmustern bei Tisch, sowohl in Gruppen als auch bei Einzelnen. Kulinarische Belange interessieren dagegen überhaupt nicht. Wulong stellt beim Kauen des Fleisches der Hafenbande fest, dass dieses keinen Geschmack hat, und das ist auch schon das Äusserste, was in Su Tongs Text zu diesem Thema zu finden ist. Andere Narrationen erheben demgegenüber das kulinarische Erlebnis zum Ausgangspunkt ihrer Reflexionen über das soziale Universum des Essens und stellen damit unter Umständen einen Bezug zu den in den verschiedenen Zubereitungsweisen von Mahlzeiten symbolisierbaren Paradigmen von kultureller Einheit und Vielheit der Nation her.

6.2 Kochkunst für die Nation

Als “köstliche Betrachtung der Beziehungen zwischen dem Meisterkoch Tao Chu und seinen drei Töchtern” wurde Lee Angs Kinohit Yin shi nan nü (Eat Drink Man Woman, 1994) im Internet angepriesen – und der 202

Rezensent James Berardinelli betrachtete den Film als Nachfolger einer interkulturellen Glosse Lee Angs über rituelle Tischgemeinschaften, Xiyan (Das Hochzeitsbankett, 1993).71 Wie Su Tongs Roman Reis lotet Xiyan bestimmte, mit Tischsitten und der Bewirtung von Gästen verknüpfte Faktoren kultureller Identität aus, obwohl das zentrale Anliegen des Films nicht eine Identifikation, sondern vielmehr die auch am kulinarischen Geschmack erfahrbare Gefahr der Fragmentation einer multikulturellen Gemeinschaft ist. Der zentrale Konflikt resultiert also nicht, wie in Sus Roman, aus einer Konfrontation von Angehörigen unterschiedlicher sozialer Klassen, sondern ergibt sich in Xiyan aus der Verschiedenheit der Lebenswelten junger taiwanischer Amerika-Emigranten und ihrer in Taiwan verbliebenen Eltern. Für diese amerikanisch akkulturierten Menschen ist das chinesische Festessen in erster Linie symbolischer Ausdruck ihrer Entfremdung von der elterlichen Kultur, ein humorvoll inszenierter Kommentar über den zugrunde liegenden Konflikt der Werte – und einen entspannten Umgang damit. Der ausschliesslich in Taiwan gedrehte Kultfilm Yin shi nan nü visualisiert demgegenüber in farbenprächtigen Tableaus den kulinarischen Geschmack im Gewand einer chinesischen haute cuisine, die in auffälligem Gegensatz zur psychischen Disposition beziehungsweise zur sozialen Situation der in der Metropole Taipeh lebenden Protagonisten-Familie – Meisterkoch Chu und seine drei Töchter sowie deren verschiedene Verehrer und der weitere Freundeskreis – steht. Zentrum der rituellen sonntäglichen Mahlzeit sind die vom Patriarchen Chu exklusiv, mit aller denkbaren Liebe und Sorgfalt zubereiteten Speisen. Gleichwohl verbindet den berühmten Chefkoch und seine Töchter – eine frustrierte Lehrerin, die ambitionierte Geschäftsführerin einer Fluggesellschaft und eine romantische Verkäuferin in einer Filiale der Fastfood-Kette Wendy’s – nichts weniger, als deren Geschmack. Bei Tisch kommt es regelmässig zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vater und seinen Töchtern, aber auch zwischen den Schwestern untereinander, und zwar sowohl über die jeweils favorisierte Zubereitungsart bestimmter Gerichte, als auch über die Wahl ihrer zukünftigen Lebenspartner. Der Vater verheimlicht darüber hinaus nicht nur den fatalen Verlust seiner Geschmacksnerven, sondern auch seine Liaison mit der Freundin der 71

, letztmals 17.3.2009; vgl. a. Kramer 1997: 244–6.

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Töchter. Die Kochkunst wird als hoch problematisches, aber schliesslich doch erfolgreiches kommunikatives Medium zur Vermittlung des Generationenkonflikts in dieser modernen taiwanischen MittelklasseFamilie gezeigt. Vielfalt und Individualismus sind Trumpf, sowohl am Herd des Meisterkochs, als auch in der filmisch repräsentierten Gesellschaft Taipehs, die verschiedene Geschmäcker eigener und fremder “nationaler Küchen” – so auch denjenigen der Hamburger von Wendy’s – mit beträchtlicher Toleranz angenommen hat. Von nicht-chinesischen Zuschauern konnte diese visuelle Ästhetik eines die Kernfamilie nicht überzeugend integrierenden kulinarischen Geschmacks, der immer wieder aufs Neue durch akrobatische kommunikative Balanceakte stabilisiert werden muss, hingegen leicht als Metonymie einer homogenen, nationalen Küche missverstanden werden. In einem Interview erläuterte Lee deshalb: Everything is much different in Eat Drink Man Woman than the other films I’ve made. It has a bigger cast and a lot more complex story line. […] I started thinking about families and how they communicate. Sometimes the things children need to hear most are often [sic] the things that parents find hardest to say, and vice versa. When that happens, we resort to ritual. For the Chu family, the ritual is the Sunday dinner. […] At each dinner the family comes together and then something happens that pushes them farther apart.72

Der japanische Film Tampopo (Dandelion, 1985) von Juzo Itami (1933– 97) zeigt, in transnationaler Extension, ein ähnlich komplexes Netz zwischenmenschlicher Beziehungen wie Yin shi nan nü. Seine Thematik kreist ebenfalls um die sozialen Funktionen des kulinarischen Genusses, ist dabei jedoch anders strukturiert. Die Jagd – oder vielmehr die von fast religiösem Eifer begleitete Suche – einer verwitweten SchnellrestaurantBetreiberin nach dem besten Rezept für ihr Ramen, die japanische Nudelsuppe, verbindet auf dem Weg der mit Werten und Leitorientierungen des Nationalen belegten geschmacklichen Identifikation Angehörige verschiedenster sozialer Gruppen in einem Reinheits-, Schlichtheits- und Vollkommenheitsanspruch. Hier steht nichts Geringeres als die Essenz der japanischen Kultur auf dem Spiel – mit einer interessanten transkulturellen Peripetie, die das Geheimnis der Rezeptur japanisch-kultureller Identität in China verortet. Die Handlung verfolgt

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Quelle des Zitats wie Anm. 71.

das Schicksal der jungen Witwe Tampopo, die den Lebensunterhalt für sich und ihren kleinen Sohn mit einem Nudelrestaurant bestreitet. Ein Lastwagenfahrer mit allen Anlagen zum Gourmet klärt sie über die mangelhafte Qualität ihres Essens auf und hilft ihr fortan bei der Suche nach der vollkommenen Nudelsuppe. Während die beiden auf der Pirsch nach immer mehr Details zur Verfeinerung ihres Rezepts durch die Stadt streifen, treffen sie auf Experten aus unterschiedlichen Milieus der unteren Mittel- bis Unterschichten, einschliesslich einer kulinarisch anspruchsvollen, ausgesprochen kennerhaften Vagabundenclique. Die konsultierten “Experten” geben teils bereitwillig Auskunft, teils müssen sie mit Tricks zur Enthüllung ihres Geheimnisses gebracht werden. Goro, der Lastwagenfahrer, und seine Kollegen finden sich in regelmässigen Abständen in Tampopos vorübergehend geschlossenem Restaurant ein, um ihre neuesten Fortschritte zu beurteilen. Diese, wie auch alle anderen im Film gezeigten Mahlzeiten, die immer im Zusammenhang mit der gesuchten Nudelsuppe stehen, werden rituell inszeniert und haben Mysteriencharakter. Ob nächtlicher Einbruch der Vagabunden in die exquisiteste Restaurant-Küche der Stadt zum Zweck der Zubereitung eines einfachen Omeletts, oder eine winzige Nuance der Verbesserung nach Auffinden einer vermissten Suppenzutat: alles geschmackliche Beiwerk trägt wie die latente sexuelle Spannung zwischen Tampopo und Goro zur Vollendung des kulinarischen Geschmacks der Suppe bei, solange es sich nicht in den Vordergrund des eigentlichen Rituals drängt. Damit diese Botschaft auch verstanden wird, hat der Regisseur verschiedene, mehr oder weniger komische Episoden von kulinarischen Holzwegen in die Haupthandlung eingestreut. Ein junger Geschäftsmann stellt in einem französischen Restaurant seine Kenntnisse des Westens auf unjapanisch-unbescheidene Weise gegenüber seinen beschämten Vorgesetzten zur Schau; eine Gouvernante versucht in einem italienischen Restaurant vergeblich, der ihr anvertrauten Gruppe von kichernden höheren Töchtern das geräuschlose Verspeisen von Spaghetti beizubringen; und ein junger Lebemann vergisst zu seinem grössten Schaden über den gemeinsam mit der Partnerin allzu ausschweifend genossenen sexuellen Obertönen ihres kulinarischen Erlebnisses den eigentlichen Zweck (und die Moral) der Nahrungsaufnahme. In einer InternetRezension nicht-japanischen Ursprungs werden diese lose eingestreuten Nebenhandlungen mit dem leichten Flug von Löwenzahn-Samen im Sommerwind verglichen: ein Hauch von japanischem joie de vivre 205

durchziehe dieses Werk Juzo Itamis. Die Rezensentin macht sogar den Vorschlag, die Suppenszenen am eigenen Herd nachzukochen, 73 sozusagen als kulinarischen Nachgeschmack der visuellen Eindrücke – ein kommerzieller Einfall, der auch die Werbeagentur für Lee Angs neues und mit kulinarischen Dingen gar nicht befasstes Schwertkämpfer-Epos inspiriert haben dürfte, als sie ein “chinesisches” Kochrezept im Flyer von Wo hu cang long (Crouching Tiger Hidden Dragon, 2001) platzierte. Daran lässt sich ermessen, wie sehr ästhetischer Filmgenuss im Stil einer kulinarischen Reise durch fremde Welten zu einem cineastischen Markenzeichen avanciert ist. So positioniert sich exotische Kino-Kochkunst in produktiver Konkurrenz zum Hollywood-Mainstream und übernimmt gleichzeitig wichtige Funktionen bei der Konstruktion und Kanonisierung nationaler Küchentraditionen, welche vorher, in den 1960er und 70er Jahren, den Kochbüchern der Mittelklasse vorbehalten gewesen waren (Appadurai 1988). Der neugierige Blick des polyglotten Kinobesuchers in fremde Küchen-Welten – eine generische Zuordnung behandelt die Filmkomödie Tampopo als japanischen Nudelwestern – erreicht aber zuverlässig nur die Fassaden der kulinarischen Erzählungen in Film oder Literatur. Häufig entgehen dem Aussenseiter-Blick die mit internen Diskursen über nationale Identität befassten Konnotationen von Mahlzeiten. Juzo Itami gestaltete seine in Filmkomödien gekleideten Botschaften über die moderne japanische Gesellschaft von Film zu Film brisanter, was schliesslich in eine Tragödie mündete, die weit über die Grenzen Japans hinaus eine Krise ans Licht brachte, die allenfalls in der Küche genussvoll ausgehandelt werden kann. 74 Gemeint ist jene Bedrohung, die von unmediatisierter, oder unmediatisierbarer, kultureller Differenz ausgeht.

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; diese Seite wurde inzwischen leider eingestellt. In der Küche können demgegenüber auch schwerste Gefechte stattfinden, wie beispielsweise Amy Tan in ihrem Roman The Kitchen God’s Wife beschreibt: “Wen Fu had asked the cook to prepare a dish he liked, pork with a kind of sweet cabbage. I liked this dish, too. But that summer the cabbage was bad, the flavor of the bad water it drank. When Wen Fu asked me how I liked the dish, I was honest. ‘Bitter,’ I said. The next night, he ordered the cook to make that same dish for me, nothing else. He smiled and asked me again, ‘Now how do you like it?‘ I answered the same way as before. Night after night, it was the same question, the same answer, the same dish the next day. I had to eat that bitter cabbage or nothing. But I

Das ironische Spiel mit nationalen Wertvorstellungen in seiner Komödie über kulinarische Obsessionen brachte dem Regisseur noch keinerlei Schwierigkeiten mit beleidigten sozialen Gruppen, sondern vielmehr einen ersten internationalen Erfolg ein. Bereits die Reaktion auf seinen Film über das kriminelle Yakuza-Syndikat, Minbo no Onna (The Gentle Art of Japanese Extortion, 1992), war hingegen alarmierend. Der Film über eine Anwältin, die wegen Erpressungen gegen YakuzaBandenmitglieder vorgeht, porträtiert diese als lächerliche Schwindler und Raufbolde, welche hilflose Bürger ausrauben. Die verärgerten Yakuza, die sich selbst viel lieber in der Samurai-Tradition verorten, ihre Körper tätowieren und sich ihre kleinen Finger als Loyalitätsbeweis gegenüber ihren Anführern abhacken, rächten sich mit einem Attentat, bei dem er schwere Gesichtsverletzungen erlitt. Die Nation war schockiert und reagierte mit verschärfter Überwachung der Yakuza. Nach der Freigabe seines erfolgreichen zehnten Films, Marutai no Onna (Woman of the Police Protection Program, 1997), kam Juzo Itami (sein richtiger Name lautet Yoshihiro Ikeuchi) bei einem Sprung vom Dach des achtstöckigen Gebäudes, in dem er sein Büro hatte, ums Leben. Ob es Selbstmord war, liess sich nicht feststellen. Dieser letzte Film handelt von einer Schauspielerin, die von Anhängern einer religiösen Sekte verfolgt wird, nachdem sie Zeugin eines von diesen begangenen Mordes geworden ist. Juzo Itami leugnete nicht einen latenten Bezug der Handlung zum Giftgas-Anschlag der Ōmu-Shinrikyō-Sekte (AumShinrikyo) im März 1995, bei dem elf Menschen starben und Tausende verletzt wurden, und erklärte, die Idee für den Film sei als Folge des auf ihn verübten Yakuza-Anschlags im Jahr 1992 entstanden. 75 Es gibt

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didn’t give up. I waited for Wen Fu to grow tired of this cabbage game. And after two weeks’ time, my stomach proved stronger than his temper.” Tan 1991: 358 f. Der Kampf um Anerkennung eines bestimmten Status in der Familienordnung wird demnach nicht nur in indischen Gemeinschaften, von denen Appadurai (1981) berichtet hat, über das Niveau von Mahlzeiten ausgetragen. Zhang Yimous Film Da hong denglong gaogao gua (Rote Laterne, 1991) illustriert dies am Beispiel des streng ritualisierten Nahrungsangebots für die Frauen im Haushalt des Patriarchen Chen, und der Diskussionen um Songlians Sonderwünsche, die von den anderen Frauen zutreffend als Anspruch auf mehr Souveränität gedeutet und bekämpft werden. ; die Seite ist inzwischen eingestellt.

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offensichtlich gefährliche und weniger gefährliche Wege, über kulturelle Werte öffentlich nachzudenken. Essgewohnheiten lassen sich auf viele wichtige Schauplätze kultureller Konflikte übertragen, und gehören damit zum ungefährlichsten, aber auch am wenigsten expliziten Stoff. Religiöse und politische Glaubenssätze in den Händen von militanten Interessengruppen setzen demgegenüber auch im Zeitalter des wissenschaftlichen Rationalismus die härtesten Grenzen. Für Juzo Itami (wie auch für den indischen Advokaten einer gewaltfreien, ästhetischen Aushandlungspraxis kultureller Differenzen Salman Rushdie) gilt, dass die Konsequenzen für sein eigenes Leben umso katastrophaler wurden, je deutlicher seine Warnungen vor der Intoleranz einer Nation oder ihrer sozialen Gruppen und Subkulturen ausfielen – und je radikaler die Verbindung religiöser und politischer Orientierungen in solchen Gruppierungen war. Ein Herunterkochen der Konflikte im Symbolismus kulinarischer Einheit in der Vielfalt erweist sich mithin als liturgischer Kompromiss der Nation, bei dem die sakrale Komponente des Gemeinschaftsbunds nicht fehlt, welcher in allen Kulturen durch rituelle Mahlzeiten besiegelt wird. In zahlreichen chinesischen literarischen Texten über nationale Identität wurde der Geschmack in analoger Weise zum wichtigen Index für solche Gemeinsamkeiten und die entsprechenden Stiftungsakte gemacht. Der einzige Nachteil liegt in der subtilen Unsichtbarkeit seiner symbolischen Extensionen. Denn wie Salman Rushdie eine Romanfigur einmal bemerken liess, ist unsere überexplizite Gegenwartskultur nicht mehr sehr empfänglich für derartige Spiele mit versteckten Bedeutungen.76 76

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“Pia küsste einen Apfel voller Sinnlichkeit, mit üppig schwellenden angemalten Lippen, und gab ihn dann an Nayyar weiter, der einen männlich-leidenschaftlichen Kuss auf die andere Seite pflanzte. Das war die Geburt dessen, was später als indirekter Kuss bekannt wurde – und um wieviel feinsinniger war diese Idee als alles, was es in unserem gegenwärtigen Kino gibt, wie aufgeladen von Sehnsucht und Erotik! Das Kinopublikum (das heutzutage beim Anblick eines jungen Paares, das hinter einem Busch verschwindet, der dann lächerlich zu wackeln anfängt, rauen Beifall spenden würde – so sehr hat unser Vermögen, etwas anzudeuten, nachgelassen) starrte gebannt auf die Leinwand und sah zu, wie die Liebe zwischen Pia und Nayyar sich vor dem Hintergrund des Dalsees und des eisblauen kaschmirischen Himmels in Küssen ausdrückte, die sie auf Tassen mit rosafarbenem kaschmirischen Tee drückten.” Salman Rushdie, Mitternachtskinder: 193 (Kursivsetzung d. Verf.). Vgl. a. seine Beschreibung einer palatalen Überwindung nationnaler Grenzen in den Satanic Verses: “Gradually her espousal of the cause of

Drei chinesische Romane der Achtziger und Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts exponieren in verschiedenen Akten der Nahrungszubereitung besonders anschaulich die Möglichkeiten sitiogonischer Selbstbeschreibungsdiskurse in teils konflikthafter, teils integrativer Ausrichtung. Yu Huas Roman Xu Sanguan mai xue ji (Der Mann, der sein Blut verkaufte, 1995/2000) schildert die Geschichte eines absurden physiologischen Tauschprozesses, der dadurch zustande kommt, dass der Protagonist Xu Sanguan immer wieder Blut spenden muss, um sich und seine Familie durch alle Wirren der Zeitgeschichte erhalten zu können. “Alle Blutgaben Sanguans sind letztendlich politisch bedingt. So ist am zweiten Bluterlass das üble chinesische Krankenhauswesen schuld, am dritten eine landesweite Hungersnot, am vierten die ausgerufene Kulturrevolution, am fünften die fatale Abhängigkeit vom Leiter der Produktionsbrigade, am sechsten wieder die fehlende Krankenversorgung. So und quasi auf sanguinistische Weise erzählt uns Yu Hua vital und hautnah die letzten vierzig Jahre chinesischer Geschichte. Das geschieht wie nebenbei, indem er sich zügig an der Blutspur in Sanguans Leben scheinbar privat entlanghangelt”, kommentierte eine Rezensentin das Geschehen (Nürnberger Zeitung vom 15.07.2000). Die auf den Grossen Sprung nach vorn folgende Hungersnot von 1960/61 lässt Xu Sanguan aber auf ein noch ausgefalleneres Mittel als das Blutspenden zurückgreifen, um die familiäre Not erträglicher zu machen. Er kocht mit dem Mund, das heisst jedes Familienmitglied darf sich ein Gericht wünschen, das er daraufhin durch minutiöse Beschreibung der erforderlichen Arbeitsschritte mündlich zubereitet, während dem jeweiligen Empfänger (und allen anderen zuhörenden Familienmitgliedern) allein beim Zuhören das Wasser im Mund zusammenläuft. Alle drei Söhne Xus wünschen sich, nacheinander aufgerufen, überraschend dasselbe Gericht, rot geschmortes Schweinefleisch. Das Einigkeitsgefühl gastronomic pluralism grew into a grand passion, and while secularist Sufyan swallowed the multiple cultures of the subcontinent – ‚and let us not pretend that Western culture is not present; after these centuries, how could it not also be part of our heritage?’ – his wife cooked, and ate in increasing quantities, its food. As she devoured the highly spiced dishes of Hyderabad and the high-faluting yoghurt sauces of Lucknow her body began to alter, because all that food had to find a home somewhere, and she began to resemble the wide rolling land mass itself, the subcontinent without frontiers, because food passes across any boundary you care to mention.” (S. 246, zit. in Petersson 1996: 298)

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der Familie erlebt folglich mit dem imaginären Festmahl seinen unüberbietbaren Höhepunkt (Yu 1996: 117–121). Ein anderer sitiogonischer Gründungsmythos, dessen narrative Struktur besonders eng am archaischen Muster bleibt, findet sich in Jiu yue yuyan (Septemberfabeln, 1993), Zhang Weis narrativer Hommage an die Shandonger Landbevölkerung. Das Kapitel “Hei jianbing” (Schwarze Pfannkuchen, Zhang 1993: 37–95) ist eine fundierende Geschichte über den Umgang einer Dorfgemeinschaft mit Fremdheit. Eine auf geheimnisvolle Weise ins Dorf gekommene junge Frau wird nach einem langwierigen Prozess von anfänglicher Abwehr über langsame Annäherung bis zur Integration schliesslich doch noch in die Gemeinschaft aufgenommen – eine kollektive Entscheidung, die wenig später auf überraschende Weise reich entlohnt wird. Verwahrlost, mit zerrissenen Kleidern und einem Hund an der Leine, taucht diese Fremde eines Tages im Dorf auf und steht von da an Tag für Tag unter einer Pappel, ohne wie andere durchreisende Vagabunden nach kurzer Zeit wieder weiterzuziehen. Nach einiger Zeit spricht sie einer der Männer an, worauf sie nur etwas Unverständliches in fremdem Dialekt murmelt. Die vorsichtige Annäherung der Dorfbewohner nimmt ihren weiteren Lauf, nachdem zunächst einige Männer sie mit Erdklumpen bewarfen und der Dorfälteste dies rasch unterbunden hatte. Als das Wetter kalt und regnerisch wird und die Frau immer noch keine Anstalten macht, das Dorf zu verlassen, kommt man überein, sie dem etwa fünzig- bis sechzigjährigen Junggesellen Jinxiang zur Frau zu geben, der im Dorf zwar als Geschichtenerzähler hochangesehen ist, aber keine heiratswillige Frau aus dem Dorf finden kann, weil er wie die rätselhafte Fremde Qingyu ein Auswärtiger ist. Nicht lange, nachdem er sie und ihren Hund bei sich aufgenommen hat, kocht sie für ihn eine Speise, die das Leben aller Dorfbewohner von Grund auf verändern soll. Sie löst damit ein für allemal das (vor allem winterliche) Ernährungsproblem der Bauern, welches von der schlechten Verträglichkeit der getrockneten Süsskartoffel, ihrem Grundnahrungsmittel, herrührt. Die Herstellung von lagerbaren Süsskartoffelscheiben erfolgt traditionell direkt bei der Ernte. Während die Männer die Kartoffeln aus dem Boden holen, schneiden die Frauen den Wintervorrat in Scheiben und legen diese in der Herbstsonne zum Trocknen aus. Im Verlauf des mehrere Tage dauernden Trocknungsprozesses kommt es fast immer zu Regenschauern, die die Qualität der Jahresernte erheblich beeinträch210

tigen und die Kartoffelchips schwarz verfärben können. Vor allem die Mägen älterer Leute kommen mit der täglichen Belastung ihrer Verdauungsorgane durch diese halb verdorbene Winternahrung nicht mehr zurecht; aber eigentlich klagt jeder über entsprechende Beschwerden. Als Morgengruss ruft man sich deshalb auf der Strasse gegenseitig zu: “Ach, wie das wieder im Magen brennt!” 77 Qingyu kennt jedoch ein Verfahren, um diese Nebenwirkungen auszuschalten und die frugale Küche der Dörfler gründlich zu reformieren. Sie bereitet für ihren Ehemann köstliche Pfannkuchen aus fein zerriebenen Süsskartoffelchips zu – zum Dank dafür, dass er ihren Hund vor den Mordanschlägen abergläubischer Dörfler gerettet hat. Das ganze Dorf strömt daraufhin zusammen, um diese wunderbare Kunst von ihr zu erlernen, und fortan muss kein strapazierter Magen mehr brennen. Gemäss dem Lévi-Strauss’schen Verdoppelungsgesetz (Lévi-Strauss 1997, I: 253) wird dieser Kulturbringermythos durch einen zweiten ergänzt. Qingyus Ehemann Jinxiang macht sich auf die beschwerliche Reise über den Berg zum nächsten Dorf, wo er eine Spezialpfanne zur Zubereitung dieser Pfannkuchen erwerben soll. Er bewältigt ohne Verpflegung und mit letzter Kraft den langen Heimweg, bringt aber immerhin die richtige Pfanne mit, die von nun an leihweise im Dorf zirkuliert, damit jeder seinen Vorrat an Pfannkuchen herstellen kann. Jinxiang erholt sich nie mehr richtig von der Erschöpfung seiner Mission und stirbt schliesslich als gefeierter Held. Eine herbe Art von Toleranz, die zum Beispiel auch dafür sorgt, dass niemand gegen Ehemänner einschreitet, die ihre Frauen prügeln, aber andererseits durchaus die Vorbildlichkeit guter Ehen wie derjenigen von Jinxiang und Qingyu anerkennt, ermöglicht in diesem Dorf zwei Aussenseitern, in die Gemeinschaft integriert zu werden und ihr ein hochwertiges Kulturgut in Form des kulinarischen Quantensprungs vom fauligen Süsskartoffelchip zum schwarzen Pfannkuchen zu bringen. Es versteht sich beinahe von selbst, dass fortan bei allen Festessen, aber auch bei allen handgreiflich ausgetragenen Dorffehden die stärkende Heldenspeise nicht fehlen darf. Lu Wenfus Roman Meishijia (Der Gourmet, 1983),78 der in viele Sprachen übersetzt und auch verfilmt wurde, legt demgegenüber den Finger auf einen Wertekonflikt der urban-modernen Gesellschaft. Im 77 78

“Shaoweili, shaoweili!” JYYY: 50. Ausgaben: Lu 1986: 1–85, dt. Lu 1993; vgl.hierzu auch Yue 1999: 174–183.

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Gegensatz zu Zhang Weis Regionalismus reflektiert dieser Autor das moralische Profil der zukünftigen Nation, indem er den Wettbewerb der Werte in einer Gegenüberstellung der Lebensgeschichten eines revolutionären Asketen, der die moralischen Prinzipien von Fleiss, Genügsamkeit und Sparsamkeit hochhält, und eines konservativen Gourmets, dem nichts im Leben wichtiger ist, als die erste morgendliche Nudelmahlzeit im berühmtesten Restaurant der Stadt nicht zu verpassen, inszeniert. Der revolutionäre Moralapostel macht nach der Machtübernahme der kommunistischen Partei unfreiwillig Karriere als Geschäftsführer eines renommierten Speiselokals, das er aber bis zur Unkenntlichkeit “reformiert”, so dass alle Kundschaft, auch noch diejenige mit dem schmalsten Geldbeutel, ausbleibt. Auch der Gourmet macht Karriere, allerdings erst nach der Kulturrevolution, durch die er sich relativ unbeschadet durchlaviert hatte. “Die Grosse Kulturrevolution mag ja viele kulturelle Werte vernichtet haben, doch die Esskultur, die hat überdauert” (Lu 1993: 72), lautet der Kommentar des Ich-Erzählers, der mit dieser konservativen Tendenz naturgemäss überhaupt nicht einverstanden ist. Der Traum des Feinschmecker-Clubs, der sich nach der Kulturrevolution unter dem Namen “Wissenschaftliche Gesellschaft für Kochkunst” und dem Vorsitz des nunmehr in seiner Eigenschaft als Fachmann sehr angesehenen Gourmets neu konstituiert hat, verursacht dem Revolutionär nur Übelkeit, weil man darin die Vision hegt, in der kommunistisch regierten Zukunft könnten alle Mitbürger die nationale Gemeinschaft täglich mit mindestens zwanziggängigen Menüs feiern (Lu 1993: 163). Der Ich-Erzähler, der schmerzhaft lernen musste, Konzessionen an den Appetit der Mitbürger zu machen, weil diese an seinem einfachen “Essen für die Massen” nicht interessiert waren, kann nicht verstehen, warum der unmoralischen Völlerei des Gourmets Zhu Ziye ausser von ein paar Hungerjahren weder von der Geschichte, noch von der Politik der modernen Nation je Grenzen gesetzt wurden. Die kaum verhüllte Frage des Autors, ob eine nationale Bulimie im Sinne von täglichen Gourmet-Menüs für alle tatsächlich die geeignete Leitorientierung für eine kommende Gesellschaftsordnung hergibt, wird von Mo Yans Roman Jiu guo (Die Schnapsstadt, 1992) mittels grotesker Überzeichnung eines kulinarischen Szenarios auf die Spitze getrieben. Als Vorbereitung dieses die chinesische Gesellschaft unter Dengs Reformkapitalismus kritisierenden Rückgriffs auf Lu Xun dienten in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren regionalistische Sitiogonien, 212

wie Hong gaoliang jiazu (Rote Hirse, 1987), Tiantang suantai zhi ge (Die Knoblauchrevolte, 1988) und Shi cao jiazu (Die Kräuteresser, 1993).

6.3 Wein und Fleisch

Wein ist, wie in den meisten frühen Zivilisationen, so auch in der klassischen chinesischen Kultur, ein Schlüsselsymbol, das aufgrund seiner ekstatischen Wirkung als Mittel zur Überwindung irdischer Grenzen und Weg in die Transzendenz verehrt wird. Es verbindet auch in der chinesischen Vorstellung Leben und Tod, Menschen und Götter beziehungsweise Ahnen, ebenso Mann und Frau, Wasser und Feuer, Geist und Materie, Natur und Kultur. Zhang Jun weist dies mittels früher Textbelege nach, die unter anderem der Chu-Kultur zuzuordnen sind. Zwar haben sich die Spuren eines chinesischen Weingottes (jiu shen) zu früh verloren, um darüber noch gültige Aussagen machen zu können, aber die verschiedenen Regeln und Codices des Alkoholgebrauchs vom Totenopfer bis zum geselligen Trinkspiel lassen die kultischen Anfänge der verschiedenen Traditionen noch deutlich genug erahnen (J. Zhang 1994: 180–183). Aufgrund ihrer physiologischen Wirkung gelten alkoholische Getränke überdies als Krönung jedes Festmahls (Spence in Chang 1977: 276–278). Yue Gang sieht in chinesischen Beschreibungen hemmungsloser Trinkgelage zwei distinkte kulturelle Funktionen am Werk. Zum einen symbolisieren die lärmenden, üppigen Mahlzeiten im frühmingzeitlichen Rebellenroman Shui hu zhuan (dt. Die Räuber vom Liangshan-Moor, ca. 14. Jahrhundert) eine karnevaleske Verbrüderung der Gesetzlosen – als Stellvertreter des Volks – gegen die Obrigkeit und die Anstandsregeln der Eliten. Zum anderen verweisen Repräsentationen exzessiver Völlerei (da chi da he) auf die Korruption und Dekadenz einer parasitären Klasse von Funktionären und anderen auf Kosten des Volks Reichgewordenen (Yue 1999: 286). Yue Gang beobachtet eine Entwicklung in Mo Yans Werk, dessen Ausgangspunkt der Hunger – symbolisiert im hungrigen, bettelnden Mund – darstelle, vom ersten zum zweiten Fokus. Seine Feststellung behält auch bei einer im Hinblick auf sitiogo213

nische Inhalte vorgenommenen Auswahl von Mos Texten ihre Richtigkeit, denn nur im frühen Roman Hong gaoliang jiazu (1987, dt. Das rote Kornfeld, 1993) finden sich Szenen “dionysischer” Verbrüderung, die auf die von ihm genannte erste Funktion gemünzt werden können. In diesem Roman resultiert die religiöse Stiftungsfunktion, also das spezifische Mysterium eines Festmahls der Verbrüderung vor dem Aufbruch in den Widerstandskrieg gegen die japanischen Besatzer, aus einem Akt der Blasphemie. Auf eine ausführliche Inhaltsangabe kann dank der allgemein bekannten Verfilmung des Romans im Jahr 1987 durch Zhang Yimou verzichtet werden, weshalb an dieser Stelle nur kurz an die für den Mythos relevante Rahmenhandlung erinnert sei. Eine junge Frau wird von ihrem Vater an einen alten, leprakranken Brennereibesitzer verheiratet. Sie verbündet sich gegen das ihr zugedachte Schicksal mit einem lokalen Bandenführer, der sie in Besitz nimmt und dafür sorgt, dass der Leprakranke ermordet wird, bevor es diesem noch gelungen ist, die Ehe mit ihr zu vollziehen. Im in der Brennerei erzeugten Hirseschnaps läuft der Symbolismus des Romans (und Films) zusammen. Der Schnaps wird dafür genutzt, um die Brennerei nach dem Ableben des Leprakranken zu desinfizieren, er verweist gleichzeitig auf die Ermächtigung der Frau gegenüber ihrer untergeordneten Rolle im patriarchalischen Haushalt des Vaters, wenn sie die neue Herrin der Brennerei wird, und er gewinnt eine vitalisierende Kraft, die auch als Geschmacksverbesserung (also kulturelle Integration der neuen Gemeinschaft) offenbar wird, nachdem Yu, Befreier und selbst gewählter Lebensgefährte der Protagonistin, im “Rausch der Besitzergreifung” (Kramer 1997: 192) in die Fässer uriniert hat. Das Paar bewahrt dieses Geheimnis der besonderen Qualität seines Hirseschnapses, so dass es beim bereits erwähnten Festmahl der Verbrüderung die Funktion eines Mysteriums erfüllen kann. Gleichzeitig wirkt das wiederholt angestimmte Weinlied im selben Kontext wie der Teil einer liturgisch festgelegten, sakralen Handlung. Die fundierende Geschichte einer nicht von Parteikommissaren, sondern vom Volk spontan organisierten japanischen Widerstandsschlacht erhält in diesem Roman mittels der Symbolik einer spezifischen, vom Aussterben bedrohten Hirsesorte und dem daraus hergestellten Schnaps eine sitiogonische Basis. Der wilden Vitalität einfacher Gemeinschaften stellt Mo Yan später eine korrupte Perfidie moralisch untermauerter Ordnungs- und Herrschaftsansprüche entgegen, vor deren Unmenschlichkeit auch revolutio214

näre Eliten nicht gefeit sind. Immer dann, wenn in Mos Romanen nicht der elementare Hunger, welcher die Menschen voneinander isoliert und in ihrem Kampf ums Überleben auf sich allein stellt, sondern die soziale Situation einer gemeinsamen (festlichen) Mahlzeit beschrieben wird, kommen Korruption und Willkür der Funktionärsklasse auf die eine oder andere Weise mit ins Spiel. Während die Heldin des Romans FRFT (Big Breasts and Wide Hips, 1995) in der Fürsorge für ihre Schützlinge permanent zwischen moderaten Hilfsaktionen aus den verschiedenen Lagern ihrer Schwiegersöhne und Situationen extremen Hungers laviert, tritt sie selbst niemals als Konsumentin eines aufwendigen Gastmahls auf. Korrupte Praktiken schleichen sich jedoch in der Generation ihrer Enkel ein, als sich der Kapitalismus ausbreitet und jeder nur noch an seinen materiellen Vorteil denkt. Groteskes Wahrzeichen der neuen Ordnung dieser verblendeten Gesellschaft ist die zu kulinarischen Zwecken gegründete Vogelfarm eines der Enkel. Um Sponsoren für sein Projekt zu gewinnen, veranstaltet er ein verschwenderisches Bankett zu Ehren der zuständigen, korrupten Kader. In Tiantang suantai zhi ge (Die Knoblauchrevolte, 1988, dt. 1997) wiederum ist das Thema durch den extremen Gegensatz zwischen den skandalös unzureichenden Mahlzeiten der armen Knoblauchbauern und einem sinnlose Gewalt hervorbringenden, hemmungslosen Schlemmer- und Alkoholexzess der lokalen Dorfkader und Polizeikräfte symbolisch ausgelegt. Faulender Knoblauch stiftet hier die unfreiwillige Gemeinschaft von zum Anbau eines letztlich überflüssigen landwirtschaftlichen Produkts gezwungenen, hungernden Dorfbewohnern und macht eine unerwünschte, destruktive und völlig irrationale Agrarpolitik im Wortsinn “ruchbar”. Ausgeklügelte Kochrezepte brauchen die schmarotzenden Kader der armen Shandonger Region Nordost-Gaomi nicht. Ihnen genügt es, jederzeit Zugang zu reichlich Wein und Fleisch zu haben, während die Bauern ihre trockenen Hirsefladen mit faulenden Knoblauchstengeln würzen müssen. In der reichen Rauschrepublik ist das anders. Hier können die Funktionäre nach allen Regeln der Kunst schlemmen, und sie brüsten sich noch damit, ihre kulinarischen Extravaganzen devisenfreundlich zum touristischen Markenzeichen der Provinz gekürt zu haben. Das masslose Glücksversprechen des Konsumkapitalismus, namentlich seine Verführung zur skrupellosen Ausschweifung und deren katastrophale Folgen, kontaminiert in diesem Roman von 1992 das im Angesicht ständig drohender Hungerkatastrophen besonders wichtige chinesische 215

Kulturthema der Kochkunst, welches anscheinend trotz Jahrtausende alter Praxis erst relativ spät zum Index nationaler Besonderheit befördert wurde.79 Unter den nationalen Referenzen des Romans, die durch Mo Yans Allegorie eines zeitgenössischen, politisch vorangebrachten Kannibalismus angedeutet werden, lassen sich die restriktiv gehandhabte EinKind-Politik Chinas, verbunden mit einem Bildungskonzept, welches immer noch wesentlich auf dem traditionellen, reflexionsarmen Memorieren beruht, sowie die als verschwenderische Bankettsucht ausgebrachte Korruption der politischen und wirtschaftlichen Eliten namhaft machen. Neu ist die dystopische Ausrichtung des kannibalistischen Topos auf eine Gesellschaft der Zukunft, als sarkastische Vision vom glorreichen Eintritt Chinas in eine vom Weltkapitalismus beherrschte globale Konsumkultur, die ohne jegliche moralische Skrupel agiert. Auf der konzeptionellen Ebene wendet sich der Roman gegen den blinden Glauben an die absolute Überlegenheit des wissenschaftlichen Rationalismus, indem er den technologischen Fortschritt als dessen irrationalstes Ergebnis brandmarkt. Beijing schickt einen Geheimagenten in die Hauptstadt seiner abgelegenen Provinz Jiuguo, um ihn Gerüchte über dort herrschenden Kannibalismus vor Ort überprüfen zu lassen. Dort angekommen, findet er sich in einem gegen die Aussenwelt sorgfältig abgeschirmten Gesundheitsund Wissenschaftspark wieder, der von einer höflichen, aber unkooperativen politischen Elite kontrolliert wird. Man macht ihn zur Begrüssung unter endlosen Appellen an seine Gastespflicht zur Unterwerfung unter die Prizipien der lokalen Etikette betrunken und setzt ihm anschliessend, anlässlich eines Willkommensbanketts, ein Gericht namens “Das Einhorn schickt seinen Sohn” (qilin song zi) vor. Von der üppig dekorierten Servierplatte lächelt ihn gewinnend ein gekochter Säugling an, den man

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Vgl. Chang 1977 und Knechtges 1986. Spence berichtet kurz über die angewiderte Reaktion chinesischer Tafelgäste bei ihren ersten kulinarischen Kontakten mit dem Westen im späten 19. Jahrhundert (Spence a.a.O.: 285 f.), Hsu und Hsu verweisen auf die üppige Bewirtung ausländischer Gäste im traditionellen Stil sogar während der Kulturrevolution (Hsu und Hsu in Chang 1977: 313), Anderson und Anderson beklagen die Abwesenheit genuin chinesischer Kochbücher bis in die 1970er Jahre hinein. In den wenigen von ihnen ausfindig gemachten Publikationen, so monieren sie, wird bereits im Titel darauf hingewiesen, dass die aufgenommenen Speisen dem westlichen Geschmack angepasst worden sind (Anderson und Anderson in Chang a.a.O.: 320).

dem Agenten sehr beflissen als kulinarische Besonderheit der Provinz anpreist. Alle ausländischen Besucher, darunter hohe und höchste Würdenträger, hätten diese Speise bereits zu ihrer vollsten Zufriedenheit genossen. Der Mann, selbst Vater eines etwa zehnjährigen Sohnes, erleidet bei diesem Anblick einen hysterischen Anfall, zieht seine Waffe und schiesst wild um sich. Nachdem ihn seine Gastgeber mit einem starken Ausnüchterungsmittel wieder zur Raison gebracht haben, erklären sie ihm, die Sache sei ein Missverständnis, denn bei dem Gericht mit dem poetischen Namen handele es sich in Wirklichkeit um eine kunstvoll drapierte Komposition aus Kürbis, Lotoswurzeln, Schweinebraten und Schinken. Das Gastmahl nimmt daraufhin doch noch seinen geordneten Lauf. Gleichwohl ist der Agent nicht voll überzeugt von der grossartigen Nachahmungsleistung der hoch gerühmten Köche. Er wird den Verdacht nicht los, in Wahrheit doch an einem kannibalischen Gelage teilgenommen zu haben. Als er sich unters Volk mischt, um dort Allianzen gegen die dessen Kinder verschlingende Oberschicht zu finden, gerät er in weitere Schwierigkeiten. Anstatt Hilfe zu finden, wird er im rückständigen Hinterland der Provinz von Unterweltbossen betrogen, ausgeraubt, verhext und zu Tode gehetzt. Seine gescheiterte Mission birgt unter anderem eine interessante Perspektive auf die Geschichte der europäischen Entdeckungsfahrer, deren zivilisatorische Unterweisungsversuche der kolonisierten “Barbaren” auf ähnliches Unverständnis stiessen. 80 Als er auch noch den Verführungskünsten der Frau eines Funktionärs erliegt, verliert er vollends Verstand und Orientierungssinn, so dass er am Ende nur noch rast und deliriert. Die Rauschrepublik besiegt ohne grosse Mühe einen “Geheimagenten”, der von Anfang an nicht geheim operiert, sondern den kannibalischen Kadern ohne Umschweife seine Mission erläutert hat. Die ironische Darstellung seines fahnderischen Misserfolgs greift unter anderem auf eine Tradition des ironischen Detektivromans zurück, wie sie sich in Joseph Conrads Roman The Secret Agent (1907) sowie in dessen Hollywood-Verfilmung und der TV-Serienfigur des Detective Hunter verkörpert findet (Yue 1999: 281). 80

Ein alter Revolutionär, den er über den Skandal informiert, schlägt vor, alle Kannibalen mit seinem Maschinengewehr niederzumähen. Ein wichtiger Funktionär der Rauschrepublik, seines Zeichens zauberkundiger Zwerg und Unterweltboss, bringt ihn mit einem berühmten Eselbankett, bei dem ein ganzer Esel und große Weinmengen serviert werden, dazu, seine Rettungsmission wieder zu vergessen.

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Parallel zu den absurden Erlebnissen des bis zu seinem ruhmlosen Ende in einer Latrine unermüdlich recherchierenden Agenten dokumentiert der Romanerzähler seinen eigenen Briefwechsel mit einem rauschrepublikanischen Schriftsteller, der seit vielen Jahren ebenso unermüdlich wie erfolglos literarische Texte über die besondere Form seiner Landeskultur nach Beijing schickt, um sie dort zu publizieren. Jener bittet auch den Erzähler, in seiner Funktion als renommierter Autor für ihn tätig zu werden, da sich bislang kein Verlag je bereit fand, seine Texte zu veröffentlichen. Bei der Lektüre muss der Erzähler feststellen, dass sie detaillierte Beschreibungen der widerwärtigen kulturellen Praktiken der Provinz enthalten, so beispielsweise die Zucht und Zubereitung von sogenannten Fleischkindern (rouhai), welche auf der Basis einer hochentwickelten wissenschaftlichen Technologie “erzeugt” werden. Diese von Mo Yan in den schwärzesten Humor gekleidete Exploration des gegenwärtigen literarischen Feldes attestiert den führenden intellektuellen Akteuren eine noch schlimmere Verblendung als den gewöhnlichen Protagonisten seines Romans. Von dem ambitionierten Jung-Autor erhält der etablierte Beijinger Romancier ebenso detaillierte wie kühl distanzierte Beschreibungen der regionalen Babyfleisch-Industrie und deren kulturelle Hintergründe – Informationen, zu denen weder der Geheimagent, noch die angeblich auf Aufklärung der Vorfälle bedachten Beijinger Bürokraten Zugang haben. Der Rauschrepublikaner schickt seine Erzählungen über das profitable aber todbringende Geschäft der Schwalbennester-Ernte, über eine öffentliche Ankaufstelle für Babies von Bauernfamilien – deren Väter beim Verkauf Tränen der Dankbarkeit vergiessen, wenn die Qualität als erstklassig eingestuft wird –, und über den wissenschaftlichen Zugang zum Kannibalismus, welcher Forschung und Lehre zur Produktion, Schlachtung und Zubereitung der Fleischkinder umfasst. Beim Unterricht in diesen Fächern werden die Studenten vorsichtshalber darauf hingewiesen, dass ihr Material zwar menschlich aussieht, sich aber tatsächlich einem wissenschaftlichen Zuchterfolg verdankt: diskurskonform wird versichert, dass die Kleinkinder ausser ihrer Haarlosigkeit alle genetischen Merkmale von Affen haben. Die zukünftigen Köche werden angewiesen, bei der Schlachtung Sorge zu tragen, dass ihre kleinen Opfer keine Angst oder gar Schmerzen empfinden, weil dies dem Geschmack unzuträglich sei. Deshalb wird ihnen die Verwendung eines alkoholischen Narkotikums empfohlen, das überdies sogar die geschmackliche Qualität des Gerichts noch verbessere. 218

Eine überraschende metagastronomische Legitimation dieser Kochkunst folgt zum Abschluss des Seminars. “Dies ist die wichtigste Lektion in eurem vierjährigen akademischen Leben”, gibt die Dozentin ihren Schülern mit auf den Weg. “Wenn man die richtige Methode des Kochens und Würzens von Fleischkindern beherrscht, kann man sich sorglos überallhin aufmachen. Hofft ihr nicht alle, das Land zu verlassen? Die Beherrschung dieses unübertrefflichen, grossartigen Gerichts verleiht euch überall permanente Aufenthaltsgenehmigungen; damit werden euch die Ozeanier (yangren) zu Füssen liegen, egal ob es Amerikaner, Deutsche oder sonstige Ausländer sind.” (MDG: 225) Aus dem Inhalt dieser metatextuell in den Roman eingebetteten Erzählungen muss gefolgert werden, dass der Kannibalismus der Rauschrepublik als eine moderne, hochtechnologische kulturelle Errungenschaft sowie als vielversprechendes Exportgeschäft betrachtet wird. Der “Informant” kann dabei im Gegensatz zum Geheimagenten ganz ungehindert tätig werden, denn es befürchtet offenbar niemand, dass jemand diese im Medium der Fiktion präsentierten Schilderungen für bare Münze nehmen könnte. In der Tat erreicht auch der um Hilfestellung angegangene Hauptstadt-Autor nicht einmal das Ziel einer Publikation, obwohl er dem rauschrepublikanischen Möchtegern-Romancier in Fragen des Stils, der persönlichen Empfehlungsschreiben und des geeigneten Literaturmagazins mit Rat und Tat zur Seite steht. Die verschiedenen Kanäle des nationalen Wissenstransfers sind, wie es scheint, nicht genügend durchlässig, und dem Medium Literatur fehlt es ohnehin an Marktpräsenz und Wirkungsmacht, so dass die herkömmlichen Formen der Aufklärung die Verbreitung neuer Formen der Barbarei hier nicht (mehr) verhindern können – falls sie dies jemals vermocht haben sollten. Die traditionelle Rolle des chinesischen Schriftstellers als gründlicher Beobachter sozialer Missstände und mit deren Heilung beauftragter Sendbote des Staates (Wagner in Goldman, Cheek und Hamrin 1987: 183–231) ist hier bereits hoffnungslos aus der Mode gekommen. Jener kann sich schon glücklich schätzen, wenn er nicht zum Werkzeug korrupter Eliten und ihrer globalen Markt- und Kapitalträume gemacht wird. Die Nation konstituiert sich gemäss diesem Roman auch nach dem Ende der revolutionären Exzesse noch aus Orten unerhörten Grauens, wobei die Gefahr inzwischen zunehmend von immer ausgereifteren westlichen Technologien ausgeht, die auf der Basis einer menschenfeindlichen kulturellen Logik angewandt werden. Diese hatte schon Lu 219

Xun in seiner Kannibalismus-Erzählung blossgelegt; hier wird sie aber keineswegs nur auf die chinesische Nation beschränkt gezeigt. Lu Xuns einflussreicher Text, “Kuangren riji” (Tagebuch eines Verrückten, 1918), hatte sich noch am Prinzip der nationalen Allegorie orientiert. Es ist eine Erzählung im Tagebuchstil über einen fortschrittlich gesinnten Intellektuellen, der die Entdeckung macht, dass chinesische Klassiker und Geschichtswerke unzählige Fälle von Kannibalismus bezeugen, darunter eine besonders skandalöse Form von Gourmet-Kannnibalismus. Je mehr der Intellektuelle über Fälle von Menschenfresserei zu kulinarischen, medizinischen und rituellen Zwecken in den historischen und philosophischen Quellen liest, desto grösser wird seine Gewissheit, wiederholt selbst Zeuge des Fortlebens dieser Traditionen in seiner nächsten familiären und regionalen Umgebung geworden zu sein. Wie später Mos Geheimagenten plagen ihn Zweifel, ob er nicht bereits selbst unwissentlich Menschenfleisch zu sich genommen hat. Seine Entdeckung führt zu Ängsten und Verfolgungswahn, die er in seinem Tagebuch dokumentiert. Vor allem anderen geben das Tagebuch und der verständnislose Bericht des Erzählers über diese seltsame Krankheit seines Bruders aber Aufschluss über das völlige Versagen des Schreibers, der Aussenwelt seine entsetzlichen Beobachtungen mitzuteilen. Die in diesem Text thematisierte Unfähigkeit zur Kommunikation bezeichnet Huters als “essentielle Intransitivität der Interpretation” (Huters 1988: 399 f.). Das Gefühl der Ausweglosigkeit in einer nicht-kommunizierbaren nationalen Krise, beziehungsweise des Eingeschlossenseins in einen unseligen hermeneutischen Zirkel, teilen der Verrückte Lu Xuns und der Geheimagent Mo Yans, vielleicht sogar seine beiden um Publikation des Skandals bemühten fiktiven Autoren. So entlarvt sich auch der über lange Zeit strittige Symbolgehalt im Topos des Kannibalismus, über dessen Wahrheitskern sich die Zeitgenossen Lu Xuns ebenso den Kopf zerbrachen, wie diejenigen Mo Yans es heute tun. 81 Völlig im Einklang mit Mo Yans Sichtweise wendet Yue Gang ein, dass schon Lu Xun ausschliesslich mit nicht verifizierbaren literarischen Belegstellen gearbeitet hat, die nicht leichtfertig mit historischen Dokumentationen verwechselt werden sollten:

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Vgl. zu dieser Problematik Mittler 2007 und Wu 2000, zum westlichen semiologischen Kontext Kilgour 1990.

Literally, gourmet cannibalism can be defined as the culinary refinement of human flesh for gastronomic gratification. There are several problems with this definition. First, it is largely based on a few unverifiable cases from ancient Chinese literature, such as the Yi Ya legend, the “black deeds inns” in Water Margin, and the coveting of the sacred flesh of Tripitaka in The Journey to the West. Second, it is conceptually reductionist because the social-political context always inscribes extra-alimentary meanings around eating. Furthermore, the term is “invented” in the process of cultural translation, as there is no existing equivalent in the Chinese language. Understood in the English form, gourmet cannibalism is an oxymoron in rhetoric and a contradiction in social practice. Underlying its paradoxical structure is the dichotomy of the “high culture” of gourmandism versus the “low nature” of cannibalism. This logic is similar to the way Lu Xun’s Madman reads barbarism out of the Confucain book. (Yue 1999: 269)

Wie Yues Hinweis auf den Übersetzungscharakter des Begriffs verdeutlicht, kann der Verrückte die konfuzianische Barbarei nur deshalb plötzlich als Kannibalismus “lesen”, weil er die eigene Tradition mit dem fremden Blick des westlich-aufgeklärten Wissenschaftlers neu betrachtet. Lus Rezeption westlicher Romane und wissenschaftlich-anthropologischer Texte positioniert ihn – wie auch (vorübergehend) seinen Protagonisten – ausserhalb des hermeneutischen Zirkels und macht beide zu kulturellen Mittlern eines fremden, humanistischen und evolutionären Geschichtsbildes. Der Erzähler berichtet allerdings in einem Nachtrag zum Tagebuch, dass der Bruder inzwischen von seiner merkwürdigen Krankheit genesen sei und Karriere als Beamter mache. Er ist von diesem Moment an vermutlich wieder ebenso blind für nationale Barbareien, wie seine verständnislosen Ansprechpartner während der Krise. Hinsichtlich Lu Xuns vom Modernismus des Vierten Mai (1919) inspirierten Aufrufs “Rettet die Kinder!”, der diese vor einem traditionalistischen Regress der gerade erst sich formierenden Nation bewahren sollte, zieht Mo Yan mit seinem Roman über siebzig Jahre später eine vernichtende Bilanz. Die Kinder wurden nicht nur nicht gerettet, sondern sie werden jetzt an kapitalkräftige Konsumenten, egal ob Landsleute oder Ausländer, offen als erlesene Speise zum Verzehr feilgeboten. Noch immer hat die Mission der Aufklärung keine Chance gegen die Intransitivität der nationalen Kultur – mit einem entscheidenden Unterschied. In Jiu guo stehen sich nicht mehr eine moderne, (vermeintlich) aufgeklärthumanistische und eine durch Isolation verblendete traditionelle Kultur gegenüber, sondern die Entwicklung von der zivilisierten Kommunikation zum primitiven Kannibalismus hat flächendeckend stattgefunden. 221

Ausländische Pässe liegen für die Absolventen der kannibalischen Akademie schon bereit und sogar der Beijinger Autor,82 der der Einladung des rauschrepublikanischen Autoren gefolgt ist, schlittert in der letzten Szene des Romans wider besseres Wissen direkt in sein moralisches Verderben. Schon so betrunken, dass er nur noch unzusammenhängende Worte lallen kann, wird er zum kannibalischen Willkommensbankett der lokalen Funktionäre geführt. Ein Horrorkabinett und absurdes Mythentheater postmoderner Beliebigkeit, widerspiegelt der Roman den verheerenden Einfluss der kapitalistischen Ausbeutung einer kollektiven Sehnsucht nach Wiederverzauberung unserer rationalistisch säkularisierten Welten, die sich im globalisierten Traum vom Wirtschaftswunder und den flächendeckend errichteten Konsum-Tempeln zu Ehren des Gottes des Geldes im schlechtesten Sinne mythophorisch eingenistet hat. Der Blick des Hongkonger Dichters Leung Ping-kwan auf kleinformatige Partikularitäten und empathische Begegnungen zwischen den Konsumenten der Kulturen und ihrer Nahrung schlägt demgegenüber einen versöhnlichen, fast optimistischen Ton an. Eine Pluralität hybrider, nicht nur aus der Hongkonger Situation abgeleiteter kulinarischer Welten im freundschaftlichen Dialog mit Kunst und Literatur: diese Anordnung offenbart in einem zusammen mit dem Maler Lee Ka-sing produzierten Katalog Shishi diyu zhi (Foodscape), aber auch im Lyrik-Band Shucai de zhengzhi (Vegetable Politics, 2008) und der Novellen-Sammlung Hou zhimin shiwu yu aiqing (Postcolonial Affairs of Food and the Heart, 2009), einige Chancen für eine erfolgreiche Kulturpolitik der Individualität, des Austauschs und der Gemeinsamkeit in Zeiten globalkultureller Homogenisierung.83 “Rather than modalities of glamour, excess, extravagance, and waste – modalities normally associated with (Hong Kong’s) materialism and consumerism – he teaches us ways of discovering treasures in the plain, the modest, and the prosaic,” kommentierte Rey Chow bereits 2002 Leungs lyrische Meditationen über Faszination und ästhetischen Spielraum im kleinen, alltäglichen Appetit und in dessen moralisch vergleichsweise unbedenklicher Befriedigung.84 Nicht 82

83 84

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Mo Yan hat ihm seinen eigenen Namen gegeben. Die Lu Xun noch verfügbare Positionierungsoption des Schriftstellers als unbeteiligter Beobachter zieht Mo Yan aus gutem Grund nicht mehr in Betracht. Lee, Leung und Cheung 1997. Zum Dichter Leung Ping-kwan vgl. Kubin 2001a, b und c. Rey Chow, “Foreword”, in Cheung 2002: 9–17.

nur ein sensationell Anderes, welchem Mo Yans rauschrepublikanische Gourmets nachjagen, sondern bereits die richtige Mischung von alltäglichen Dingen – das bedeutet in einer multikulturellen Metropole wie Hongkong selbstverständlich auch Mischungen von Fremdem und Eigenem – lässt Appetitlich-Neues entstehen. Kann alltägliche Hybridität aber auch ihre jeweiligen Ursprungsgeschichten schützen und bewahren? Leung versetzt grosse Probleme der Philosophie in das ganz kleine Universum des palatalen Verkostens, sozusagen für den experimentellen Hausgebrauch von jedermann. Ein Gedicht mit dem chinesischen Titel “Mandarinentenpärchen” – Martha Cheung wählte in der Übersetzung den Titel “Tea-Coffee” – fragt am Beispiel einer in Hongkonger Cafés erhältlichen Mischung aus Tee und Kaffee augenzwinkernd nach Identitätsproblemen – in der Ehe und anderswo: Tea fragrant and strong, made from Five different blends, in cotton bags or legendary Stockings – tender, all-emcompassing, gathering – Brewed in hot water and poured into a teapot, its taste Varying subtly with the time in water steeped. Can that fine art be maintained? Pour the tea Into a cup of coffee, will the aroma of one Interfere with, wash out the other? Or will the other Keep its flavour: foodstalls by the roadside Streetwise and worldly from its daily stoves Mixed with a dash of daily gossips and good sense, Hard-working, a little sloppy … An indescribable taste. (Lee, Leung und Cheung 1997: 2)

Die Übersetzung nimmt den subtilen Hinweis Leungs auf die Gefahr einer Übermacht des Stärkeren allerdings ganz zurück, denn im chinesischen Text lautet die erste Frage der zweiten Strophe: “Müsste denn nicht das Getränk mit dem stärkeren Aroma / zum Unterdrücker werden und das andere ganz auslöschen?” Der optimistische Schluss bleibt gleich, aber die von Leung angedeuteten Untiefen der zwischengeschlechtlichen, interkulturellen und historischen Begegnungen mit einem jeweils Anderen geben einen reflexiven Hintergrund für seine lyrischen Geschmacksproben und kulinarischen Exkursionen ab, der keinesfalls aufgrund seines unaufdringlichen Auftretens unter den Tisch fallen darf. Das Allergewichtigste im ganz Kleinen finden und aus-

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drücken zu können, ist ein Prinzip der chinesischen Ästhetik, aber die Gefahr des Umkippens in Banalität ist gross – insbesondere im Übersetzungsfall. Leung wechselt aus diesem Grund häufig die Register und durchkreuzt seine kulinarischen Landschaftsbilder mit dialogischen Reflexionen. So lässt er Muscheln den monumentalen Streit der Philosophen um Universalität oder Partikularität untereinander austragen: Mussels have no identity problems, they say. Perhaps … After all, don’t we, here in Brussels, Eat Canadian mussels? … And yet in the universe, There are different kinds of mussels, always will be, with Shells broad or narrow, displayed on ice along the streets, To be picked by tourists all over the world. Are we all the same? Read carefully, the Czech novelist hasn’t written A French novel. Chinese mussels strayed from home, Thousands of miles away, still taste of The ponds and lakes that bred them. All mussels have their own History. There isn’t a mussel pure and metaphysical.85

Die Vielfalt der Geschmäcker ist deutlich mehr als nur eine Einladung zum Experiment und Weltenbummel auf der Speisekarte. Sie enthält, wie Wolfgang Kubin ausführt, eine Ethik, eine Politik und viele Bezüge zur Geschichte (Kubin 1999: 109). Diese Vielfalt ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einem Prinzip der Beliebigkeit, welches die kulinarischen Streifzüge des Dichters begleiten würde. Vielleicht amalgamiert sich Leungs lyrischer und palataler Pluralismus vielmehr zum fundierenden Text einer postmodernen Gesellschaft, die gelernt hat, ihre kulturelle Identität im Spiel der Distinktionen zwischen multikulturellen Mitgliedern permanent auszuhandeln. Es sieht so aus, als habe Leung ein chinesisches Unbewusstes gefunden, auf dem sich eine autonome poetische Zone zur Befreiung des Geistes im Sinne Gregory Lees aufbauen liesse (Lee 1996: 234–271). Der Appetit tritt in dieser pointiert lokalen Hongkonger Lyrik ohne den mythischen Terror des volksrepublikanischen poetischen Hungers (mit nachfolgender kompensatorischer Bulimie) auf; er ist ein Spiel, das eine alternative Gemeinschaft denkbar macht. Was Lee mit Blick auf Rey Chow in der sprachlichen Mélange

85

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“Mussels in Brussels”, Lee, Leung und Cheung 1997: 12.

der neokolonialen Metropole verortet, gilt mindestens ebensosehr für diese kulinarischen Praktiken.86 Das Interesse am Neuen begegnet hier einer Nostalgie für Vergangenes, ohne die ernsten, bedrohlichen Seiten der Geschichte auszuklammern, wenn Leung beispielsweise ein kritisches Neujahrsgedicht “zur Feier der Rückkehr zum Mutterland” schreibt87 und auch, wenn er schildert, wie er von heute auf morgen ein kleines Restaurant in Polen nicht mehr finden kann, wo ihm die Gulaschsuppe besonders gut geschmeckt hatte. “Kann ein Wechsel der Regierung den Geschmack einer Suppe ändern?” (Cheung 2002: 196– 197) Diese Frage hatte im Hinblick auf 1997 extra-kulinarische Dringlichkeit für alle Hongkonger Bürger. Schliesslich geht es Leung aber nicht nur um kollektive Identitäten, sondern vor allem auch um den mit der notorischen Einsamkeit eines rastlosen modernen Dichterlebens ringenden Einzelnen. Heim- und Fernweh mischen sich für den Reisenden zwischen den Welten wie die Geschmäcker von bitter und süss in der Kontemplation einer Bittermelone beziehungsweise Balsambirne: Ich esse Balsambirnen Ich ass eine vor dem Abflug Warum nimmt sie wieder die weite Reise auf sich und liegt auf meinem Tisch? Um mit mir den Abschiedsschmerz zu teilen, eine Enttäuschung? Hat sie einen Tumor, vor Einsamkeit Falten bekommen? Aus Schlaflosigkeit, in Erwartung des Morgens mit offenen Augen? Aus akuter Krankheit die sie in ihrem wellenförmigen Schweigen erwähnte? Aus der Unmöglichkeit, die Fragmente der Geschichte 86

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“Is there an emancipatory and hopeful ‘hybridity’ which is not the hybridity negatively critiqued by Rey Chow but which has the features of that ‘alternative community’ she describes as containing ‘neither roots nor hybrids’? I think that there could be and it would have much to do with the potential and space afforded by Hong Kong’s own language, a language which is neither English nor standard Chinese (Mandarin/Putonghua), but ‘the »vulgar« language in practical daily use – a combination of Cantonese, broken English, and written Chinese, a language that is often enunciated with jovial irony and cynicism’.” Lee 1996: 264 f. “From a brown hotchpotch you take a mouthful. / Is it meat? Or vegetable? Are there vegetables I like?” Aus: “Pun Choi on New Year’s Eve” in: Lee, Leung und Cheung 1997: 6.

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zusammenzuflicken? Wurde sie von Fremden missverstanden oder in eine feindliche Umgebung verpflanzt? Doch sie ist äusserlich weiter kristallklar so rein, dass man vor Lust hineinbeissen möchte Meine Worte, jeder solle eine klare Sprache sprechen, reden von dem Umgereimten [sic] meiner Gedanken Allein habe ich Becher und Teller bereitet Ein Ozean dazwischen, aber ich möchte mit dir das frische Fleisch der Birne kosten So selten geht etwas nach Wunsch unzulänglich ist die Menschenwelt Die Balsambirne weiss es (Kubin 1999 a: 111)

Ein im Zeitalter der Revolution auf dem Festland nahezu verschüttetes chinesisches Temperament, welches unerschütterliche Serenität des Gemüts noch im Durchleben hochproblematischer Lebensumstände postuliert, konnte dieser Hongkonger Dichter erfolgreich wieder aufleben lassen. Der zeitlos-heitere, postmoderne (Über-)Lebenskünstler kann, als Gegenpart des modernen Melancholikers, selbst dem sprichwörtlichen “Essen von Bitternis” (chi ku) noch süsse Seiten abgewinnen.

6.4 Das räumliche Gedächtnis der Nation: Mythen-Theater, Verflechtungsgeschichten

Im vorliegenden Kapitel wurde der Versuch unternommen, verschiedene mythologisch unterlegte Setzungsformen einer modernen Nation im Licht von überwiegend mythenkritischen ästhetischen Interventionen zu betrachten. Die Nation figuriert dabei als Erfahrungs- und Gedächtnisraum, der entweder a) weitgehend abstrakt und gegebenenfalls alteritär, das heisst von Anderen aus der Perspektive der Fremdheit heraus diskursiv konstruiert ist, oder b) eine via Landschaften und Brauchtum semiotisierte und ihre Bewohner prägende Heimat indiziert, oder c) als Bühne (monumentaler) historischer Ereignisse auftritt, oder aber d) fokussiert auf das kleinste mögliche Format die Subjekte der Nation in ihrer Eigenschaft als individuelle Körper und in ihrer Beziehung zur jene 226

nährenden und verbindenden Instanz symbolisiert. Ziel dieser Analysen war es zum einen, die mythologischen Parameter der Konstruktion einer longue durée des gemeinsamen Erinnerns angesichts schwindender Gedächtnismilieus (Nora 1989) in Reaktion auf die Beschleunigungsund Vernichtungsprozesse der Moderne herauszuarbeiten, auf die sich Kulturschaffende beziehen, wenn sie sich mit Strategien der Hinterfragung, Dekonstruktion oder sogar mit Gegen-Entwürfen zu Wort melden. Zum anderen sollte in analytischer Detail-Arbeit die kulturelle Dynamik deutlich gemacht werden, welche in modernen, medialen Anrufungen archaischer symbolischer Archive liegt beziehungsweise liegen kann. Es sollte dabei auf ein Phänomen hingewiesen werden, welches in den folgenden Kapiteln noch mehr Beachtung finden wird: im Zeitalter einer durch zunehmende Verflechtung von Märkten, Kapitalien, Kulturen und ethnischen Gruppen geprägten Globalisierung kommt den Kategorien des (nostalgischen, therapeutischen, utopischen usw.) Erinnerns und (produktiven) Vergessens als zwei basalen Funktionen der (mythologisch grundierten) Imagination eine neue Bedeutung zu. Nach dem radikalen Ikonoklasmus der frühen Republikzeit und unter Mao wurde der Suche nach einer idealen Vergangenheit, die für die dynastische Zeit so wichtig war, wieder ein Ort im kulturellen Imaginaire zugewiesen. Emergente Formen von Nostalgie, die dem Zeitgeist der Globalisierung entwachsen, erscheinen gegenwärtig allerdings hybrid; sie werden durchzogen von utopischen Vorstellungen und imaginären Konstruktionen, von produktivem Vergessen und einer wachsenden Instabilität der evozierten Geschichtsbilder.88 In dem Masse, wie Informationsflut und Amnesie in modernen Gesellschaften um sich greifen, teilen mythologische Narrative eine wichtige Eigenschaft mit der Institution des Museums, indem sie das Bedürfnis ihrer Konsumenten nach “auratischen Objekten, dauerhaften Verkörperungen, Erfahrungen des Aussergewöhnlichen” (Huyssen 1995: 33) befriedigen. Sie schaffen auf diese Weise ein Terrain, welches angesichts der schwindenden Überzeugungskraft moderner Grosserzählungen eine Vielzahl alternativer, vergleichsweise bescheidener, dabei aber dennoch Legitimität beanspruchender Sinnstiftungs-Narrative anbieten kann. Während das globale Publikum immer mehr fremde Geschichten hören und sehen 88

Zum Verhältnis von Geschichte, Erinnerung und Nostalgie in der Moderne vgl. u.a. Huyssen 1995 und Wang 2004.

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will, und während Identitäten in vielfach geschichteten und endlosen Verhandlungen zwischen Eigenem und Fremdem geformt erscheinen, anstatt im Rahmen der Institutionen von Familie, Religion, Rasse und Nation fix und fertig vorgefunden und für unhinterfragbar gehalten zu werden (Huyssen 1995: 33), leistet deren Unübersichtlichkeit gleichzeitig der historischen Amnesie Vorschub. Es hängt zunehmend von der Auslegungskapazität der Adressaten ab, ob solche Narrative nationalistisch verengt oder politisch offen und experimentell gelesen werden. Dass dies nicht erst für das späte 20. und 21. Jahrhundert zutrifft, hat beispielsweise Prasenjit Duaras Interpretationsversuch des ManchukuoRomans Lüse de gu (Green Valley, 1942) von Liang Shanding demonstrieren können (Duara 2004: 221–234). In diesem Roman wird eine hanchinesische Familiegeschichte vor dem Hintergrund der japanischen Kolonisierung Manchukuos erzählt, über deren ideologische Ausrichtung sich die einander rasch ablösenden Regimes der Region alle nicht entscheiden konnten, so dass der Autor und sein Werk von allen Seiten angegriffen wurden, bis der Roman schliesslich der Brisanz tagespolitischer Auseinandersetzungen entwachsen war und zusammen mit anderen, ebenfalls über lange Zeit hinweg verdächtigten Texten, in das scheinbar unpolitische, regionalistische Inventar pastoraler Landschaftsliteratur eingerückt werden konnte. Tatsächlich liefert die vom Autor vorgenommene Projektion von hanchinesischen, überwiegend konfuzianischen Werten in eine historische Grenzregion Argumente, an welche auch die neueren Projekte zur kulturellen Produktion von nationaler Zugehörigkeit in Chinas Grenzregionen bestens anschlussfähig sind. Manchukuo, so folgert Duara aus dem Ergebnis seiner Erforschung der diskursiven und kulturellen Produktionsverfahren von nationaler Lokalität über die konstitutiven Parameter von Souveränität und Authentizität, ist ein valables Beispiel für die Verstrickungen nationaler und globaler Geschichtsprojekte. Gleichzeitig zeigt es, wie die verschiedenen historischen Akteure mit ähnlichen Strategien arbeiteten und – mit geringfügigen Variationen – aus denselben kulturellen Archiven schöpften. Das Zusammenwirken global zirkulierender politischer Visionen und archaischer Mythen des Lokalen spielt dabei eine herausragende Rolle. Ein aus mythopoetischen Verflechtungsverfahren hervorgehender Nationalismus schwankt, so Duara, als Urform jeglicher Identitätspolitik zwischen Positionen eines emanzipatorischen Empowerment seiner Subjekte und nor-

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mativen bis hin zu faschistischen Befestigungen der jeweils die Macht beanspruchenden Regimes. Das Problem kultureller Produktionen reicht dabei vom eher naiv nationalistischen Postulat lokaler Authentizität, die mit Vorliebe als theatralische Re-Inszenierung von lokalen Mythologien auftritt, bis hin zur kritischen Revision der häufig als – im globalen wie im lokalen Rahmen – ausschliesslich destruktiv gesetzten Dynamik gegenwärtiger nationalistischer Positionsnahmen, argumentiert Pheng Cheah. Seine Analyse südostasiatischer postkolonialer Romane im Diskurshorizont von aufklärerischen Denkfiguren nationaler Emanzipation, postmodernen Kritiken des Nationalismus und im historischen Kontext des asiatischen Börsencrashs von 1997 folgert: I have argued that we might see the postcolonial nation as a creature of life-death because, by virtue of its aporetic inscription within neocolonial globalization, the neocolonial state stands between the living nation-people and dead global capital, pulling on both even as it is pulled by both. [...] Far from being rendered obsolete by globalization, the living on of the postcolonial nation in the wake of the currency crash can be seen in the rise of both popular and official nationalisms in Southeast Asia in response to economic neocolonialism and IMF manipulation: protest by the Malaysian state against unregulated currency speculation, peasant protest in Thailand, and student radicalism in Indonesia that led to the ousting of President Suharto. The postcolonial nation must be seen as a specter of global capital (double genitive—both objective and subjective genitive): It always runs the risk of being an epiphenomenon or reflection of global capital to the extent that it is originarily infected by the prosthesis of the bourgeois state qua terminal of capital. But it is also a specter that haunts global capital, for it is the undecidable neuralgic point within the global capitalist system that refuses to be exorcised (Cheah 1999: 251 f.).

Das Gespenst des Nationalismus wird sich gemäss Cheah so lange nicht austreiben lassen, wie die globalen Machtverhältnisse nicht nur grosse Teile der Weltbevölkerung, sondern auch Nationen und sogar Weltregionen an der Inanspruchnahme ihrer universellen Rechte wirksam zu hindern vermögen (Cheah 1999 und 2004). Solange die politische Emanzipation aller Subjekte aus welchen Gründen auch immer nicht erfolgt ist, wird dieses Gespenst selbst – bezogen auf eine aufstrebende Weltmacht wie das China des ausgehenden 20. Jahrhunderts zusammen mit den historischen Erinnerungsorten seiner Nation – fern vom politischen Zentrum reisen. Es tritt in Erscheinung, wenn es entweder namentlich angerufen, wie auf Yang Lians Gedenktafel für die Toten von Tiananmen 1989 in Neuseeland, oder in seinem Versteck aufgespürt wird, wie 229

bei Yu Qiuyus weitgehend anonymem chinesisch-japanischen Friedhof in Singapur. Es gibt noch eine Möglichkeit, von der weiter unten noch ausführlicher die Rede sein wird: In Tashi Dawas Xizang yinmi suiyue (Geheime Geschichte Tibets, Zhaxi Dawa 1993: 1–46, Riemenschnitter 2007) wird der mystische Kern der lokalen Gemeinschaft mit verbotenen Ritualen kontrapräsentisch inszeniert.

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III. Sektion: Geschichte

7

Orientierungen

7.1 Paradigmen: Politischer Mythos und New Historicism

Chinas Aufstieg als Wirtschaftsweltmacht veränderte seit den 1990er Jahren den Diskurs über seine Moderne nachhaltig. Waren im 20. Jahrhundert Kulturthemen wie die nationale Schande der halbkolonialen Abhängigkeit, des Zivilisationsrückstands und einer radikalen ideologischen Neuausrichtung im Vordergrund gestanden (Tsu 2005), so wurde am Übergang zum 21. Jahrhundert über die Bedingungen einer aktiven, einflussreichen Teilnahme an globalen politischen Prozessen nachgedacht (Knight 2008). Ob als Ursprungsland einer konfuzianischen Ethik universeller Harmonie oder als Hüterin des Erbes der kommunistischen Internationale sah sich die chinesische Nation auch aufgrund ihrer transnationalen Extensionen in den Diasporas legitimiert für einen Entwurf von Modernität, der weit über die Grenzen der Volksrepublik China hinausreichen konnte (Nyiri und Breidenbach 2005, Ong 1999, Riemenschnitter und Madsen 2009). Über die Parameter dieser chinesischen Alternative wird seither kontrovers debattiert. Ihre wichtigsten Inspirationen beziehen die verschiedenen Teilnehmer an der Debatte jedoch aus demselben Archiv: der Geschichte Chinas, mit einem deutlichen Akzent auf der jüngeren Vergangenheit. Da sie aus den verschiedenen historischen Konfigurationen von Modernität aber jeweils andere Schlüsse ziehen und der Prozess der Umsetzung erst allmählich Konturen annimmt, bleibt die Gestalt jener alternativen Moderne noch ungewiss (Dirlik 2007, Knight 2008, Leonard 2007). Bereits Mao hatte nach einem eigenen Weg, nach einer Moderne jenseits der eigenen Traditionen und des westlich-imperialistischen Modells langsam nachrückender Dritte-Welt-Länder gesucht (Benton 2008, Grasso, Corrin und Kort 2009, Knight 2007). Nach seinem Ableben sollte Deng Xiaopings Kapitalismus mit chinesischen Charakteristika zunächst den findigsten Bürgern Reichtum, später aber den sogenannten kleinen Wohlstand für alle bringen. Auch diese Vision befindet sich inzwischen in einer Krise. Die Schere zwischen arm und reich, Land und Stadt, privilegiert und 233

rechtlos öffnet sich immer weiter. Die ländlichen, privaten wie staatlichen Investment-Experimente (He 1994, Weigelin-Schwiedrzik und Hauff 1999), umfängliche Massnahmen zur Entwicklung der Rechtssicherheit (Chen 2008, Peerenboom 2002) und eine im Jahr 2002 ins Leben gerufene Kampagne des Hu-Wen-Regimes zur Schaffung einer harmonischen Gesellschaft (Schucher 2007, Reiser 2008) konnten daran bis jetzt nicht viel ändern. Nachdem die chinesische Regierung mit ihren Massnahmen symptomatisch hinter den Folgen ihres kaum sozialstaatlich abgefederten Kapitalismus nachhinkt, hat sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren ein neuer ideologischer Trend bemerkbar gemacht, mit welchem einerseits das Volk motiviert, andererseits und gleichzeitig aber auch ausländisches Kapital ins Land gebracht werden sollen. Es handelt sich dabei um eine mythologische Auratisierung der kapitalistischen Modernisierung mit Rekursen auf nationale Symbole, klassische Gelehrsamkeit, Geschichte und religiöse Traditionen (Anagnost 1997, Befu 1993, Guo 2004). Sie antwortet auf den graduellen Transfer eines zunächst von Intellektuellen in Aufarbeitung ihrer Erfahrungen in der Kulturrevolution begonnenen Projekts der Dekonstruktion des maoistischen Revolutionsmythos mit Strategien der Ent-, und alternativen Remythisierung des kollektiven Gedächtnisses der Nation (Shang 2009, Wang und Lin 2009, Yan 2007). Viel Aufmerksamkeit fanden zunächst lokale, volkskulturelle Traditionen als regionale Antworten auf die nationale Grosserzählung. Es wurden aber auch Gegenkandidaten für nationale Mythen aufgeboten, wie beispielsweise die halbvergessene Muttergöttin Nü Wa gegen den dominanten Flutenbändiger Yu, welcher ein zentraler Bestandteil des Herrschaftskults über Chinas dynastische wie moderne Zeiten hinweg war, oder ein Kosmopolitismus des maritimen Südens gegen die Festungsmentalität des politischen Zentrums im Norden (Friedman 1994, 1995). Gegen die Romantisierung der Grossen Mauer hatte jüngst noch Su Tong mit seiner Auftragsarbeit eines englischen Verlags über die hanzeitliche Tränenfrau Meng Jiang Nü angeschrieben, welche ihren beim Frondienst am Mauerbau verstorbenen Ehemann so sehr beweinte, dass das Mauerstück barst, in welchem seine Leiche pietätlos entsorgt worden war (Su 2006, Idema 2008). Spezialisten der ästhetischen Aufwertung des Regionalen gegenüber dem Nationalen auf der Basis kleiner Traditionen wurden Autoren wie Mo Yan, Jia Pingwa oder Han Shaogong, die Augenzeugenberichte, Legenden und Überlieferungen ihrer 234

Region, im Fall Mo Yans sogar nur seines Landkreises zum Einsatz brachten, um die politischen Mythen der Moderne als grössenwahnsinnige Schimären zu entlarven. Jia Pingwa ging schon 1992 so weit, das gesamte 20. Jahrhundert einer sich formierenden chinesischen Moderne aus der Perspektive der auf Überlebenskunst spezialisierten bäuerlichen Gemeinschaften lediglich als kurzen Moment destruktiven Deliriums in einer jahrtausendelangen, nahezu geschichtslosen Wiederkehr des Immergleichen wahrgenommenen Zeitspanne darzustellen (Riemenschnitter 2009c). Die eher verhaltene Position des gegenwärtigen, literarisch angemeldeten Vorbehalts auf der Basis von lokalen Erinnerungen und Gegengeschichten gegenüber einem mythologisch unterlegten Narrativ nationaler Grösse beruht einerseits auf der Ernüchterung bezüglich politischer Mythen bei der Generation von Intellektuellen, deren Lebenswelt während ihrer Adoleszenz von Maos Revolutionspathos bestimmt gewesen war. Andererseits spiegelt sich ein Unbehagen der Intellektuellen in ihren eigenen Repräsentationen, welches sich unter anderem aus der Einsicht in die Unverzichtbarkeit auratischer Figuren des kollektiven Imaginären speist (Jenni 2008). Um ihrer ästhetisch umgesetzten Mythenrevision gründlicher nachgehen zu können, sind zunächst einige Abklärungen zu Begriff und Funktionen politischer Mythen notwendig. Politische Gründungs- und Orientierungsmythen sind Grosserzählungen, aus denen nationale Identität gewonnen wird. Diese Mythen befriedigen ein kollektives Distinktionsbedürfnis und liefern überdies narrative Muster für gesellschaftliche Gegenentwürfe. Sie haben keinen empirischen Wahrheitsanspruch, sehr wohl aber einen Wahrheitskern, ohne den sie nicht kollektiv anschlussfähig wären. Sowohl ein überbordender Reichtum wie im faschistischen Deutschland oder in China unter Mao, als auch der Mangel an politischen Mythen können sich in der Gesellschaft nachteilig auswirken. Denn sie können sowohl tiefgreifende Reformprozesse unterstützen, als auch zu Immobilismus führen, weil sie “in ihrer dreifachen Gliederung von narrativer Variation, ikonischer Verdichtung und ritueller Inszenierung keineswegs einsinnig im Sinne eines die Veränderung unterstützenden Faktors” wirken, sondern auch “den Kräften der Beharrung zur Seiten stehen” können. “Mit narrativer Variation ist dabei gemeint, dass Mythen nicht bloss weitererzählt, sondern auch fort- und umerzählt werden und dass die dabei zu beobachtenden Variationen spezifisch politische Deutungsleistungen darstellen, in denen 235

einer Neuorientierung des politischen Verbandes vorgearbeitet wird.” (Münkler 2009: 14 f.). Mythen müssen also konstante, dehnbare Strukturen aufweisen, die es erlauben, Variationen zu produzieren. So definiert Hans Blumenberg: “Mythen sind Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit” (Blumenberg 1979: 40). Daraus folgt nach Wunenburger, dass es das Wesen des Mythos ausmacht, ständigem Wandel ausgesetzt zu sein: “Der Mythos wäre dann eben nicht starr, sondern durchliefe als Gegenstand einer unaufhörlichen formalen und inhaltlichen Umbildung Phasen der Entmythifizierung, die ihrerseits Quellen zyklischer Neumythifizierung wären. Man muss sich also […] fragen, ob die – epistemologische – Bedingung für das Wissen vom Mythos nicht eines der konstitutiven Momente seines Wesens ist” (Wunenburger 1994: 291). Wie das Bild einer Metapher ist der Mythos zu ständiger Bewegung verurteilt, weshalb Wunenburger vom Beitrag der Mythen zur Kultur- und Wissensproduktion als Mythophorie spricht (Wunenberger a.a.O.: 292). Was der in Lyon lehrende Philosoph und Theoretiker des Imaginären Jean-Jacques Wunenburger für traditionale Gesellschaften postuliert, gilt nicht weniger für moderne Gesellschaften: der Mythos muss sich seiner vollständigen Decodierung als Mythos konsequent entziehen, um wirkungsmächtig zu bleiben. Ähnlich hatte bereits Hans Blumenberg argumentiert, der nach den Bedingungen der Möglichkeit gefragt hatte, den Mythos – Blumenberg hatte sich auf einen, den auf Prometheus eingeschworenen Mythos der Moderne konzentriert – abzuschaffen. Er sah eine Chance: indem dessen Variations-Arbeit irgendwann einmal ästhetisch ausgereizt, und damit zu Ende gebracht werden könnte (Blumenberg 1979: 679–689). Während nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und auch noch in der Zeit des Kalten Krieges insbesondere die politischen Mythologien vorrangig unter dem Aspekt ihrer ideologischen Unterstützung des kollektiven Regresses moderner Gesellschaften in die Barbarei gesehen worden waren, verstehen wir ihre Funktionsweisen gegenwärtig nicht ausschliesslich negativ: Halten wir fest: In politischen Mythen wird das Selbstbewusstsein eines politischen Verbandes zum Ausdruck gebracht, beziehungsweise dieses Selbstbewusstsein speist sich aus ihnen. Sie sind die narrative Grundlage der symbolischen Ordnung eines Gemeinwesens, die insbesondere dann in Anspruch genommen werden muss, wenn sich Symboliken nicht mehr von selbst erschliessen oder wenn es gilt, sie zu

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verändern. In einer solchen Situation sind politische Mythen und Symbole Angriffen von innen wie von aussen ausgesetzt, und dabei stellen mythische Narrationen die wichtigste Verteidigungslinie der symbolischen Ordnung dar. Selbstverständlich sind politische Mythen aber auch offensiv einsetzbar, indem mit ihnen die Ansprüche eines politischen Gegners in Zweifel gezogen oder bestritten werden können (Münkler 2009: 15 f.).

In Chinas gegenwärtiger Modernisierungsphase drohen dem identitätsstiftenden Mythos Gefahren von zwei Seiten. Einerseits wurde durch die zunehmende Bedeutung neuer suggestiver Bildtechniken im späten 20. Jahrhundert das emotional wirkende Bild gegenüber dem narrativen Text privilegiert, wodurch “die narrative Variation – und damit die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Mythos auf dessen ureigenstem Terrain: dem Erzählen – gegenüber dem Plakativen der direkt stimulierten Imagination, an Bedeutung verloren hat” (Münkler 2009: 21 f.). Mit dem “Dominantwerden des Ikonischen über das Narrative” (ibid.) verliert der Mythos seine Differenz zum Dogma und erstarrt. Dies, so Münkler, ist ein inhärentes Problem autoritärer Systeme: “dass sie politischer Mythen bedürfen, diesen aber keine Entfaltungsräume gewähren können, weil sie dann jenen politischen Kräften Spielraum verschaffen würden, die sie doch klein halten wollen” (ibid.). Die zweite Gefahr liegt im massenmedialen Recycling von Narrativen begründet, welches sie ihrer Bedeutungen entleert. Im konsumkapitalistischen System des Branding können mythengesteuerte Produkte kurzfristig Verkaufserfolge erzielen, obwohl ihr symbolisches Kapital dabei zügig erodiert. Vermutlich ist dieser Verschleiss eine Form des Ausreizens, an die Blumenberg noch nicht gedacht hatte, aber sie könnte durchaus wirkungsmächtig werden. Die erst allmählich zutage tretende zweite Konsequenz daraus ist, dass auch die politische Mythenkritik mit ästhetischen Mitteln als solche in der Vielfalt der offiziellen und inoffiziellen Repräsentationen neutralisiert zu werden droht. Ob ein Mythos gerade zu Propagandazwecken genutzt oder aber dekonstruiert wird, ist für das eilige Publikum nicht mehr erkennbar, so dass ideologische Manipulationen wieder erfolgreicher werden. Remythisierungen des chinesischen Geschichtsbildes mit Hilfe von grandiosen, glamourösen Geschichtserzählungen in Film und Fernsehen sowie die gleichzeitig stattfindende infrastrukturelle Modernisierungsaktion, welcher ein Grossteil der historischen Relikte Chinas zum Opfer fallen, um durch anderswo errichtete künstliche Traditionsorte 237

kompensiert zu werden (Anagnost 1997, Stanley 2002), wurden im vergangen Jahrzehnt immer beliebter. Gleichzeitig verkaufen Investoren der wohlhabenden Bevölkerung Hochhäuser, Villenüberbauungen im Stil von amerikanischen Midwest-Towns, französischen Palais oder Schweizer Berg-Chalets als Zivilisationsgewinn, was von den enteigneten, umgesiedelten Dorfbewohnern mehr oder weniger klaglos toleriert wird, solange ihnen wenigstens ein finanzieller Ausgleich geboten wird. Dass dieser den verlorenen Grund und Boden, einziges Mittel zur nachhaltigen Sicherung der Existenz ländlicher Familien, nicht zurückbringt, wird erst allmählich in deren sozialer Verelendung und Ghettoisierung deutlich (Siu 2007). Münkler verweist darauf, dass die Zerstörung architektonischer Zeichen einen besonders gewaltsamen Angriff auf die symbolische Ordnung einer Gemeinschaft darstellt (Münkler 2009: 16). Wohl auch um diese – neben den grossen Urbanisierungsprojekten des Südens auch als Begleiterscheinung der Olympiastadt Beijing zu beobachtende – umfassende Zerstörung kulturellen Erbes (Chau 2008) nicht als blossen Vandalismus erscheinen zu lassen, wird massiv in mythische Narrative investiert. Der Diskurs postmarxistischer westlicher, aber auch linksliberaler chinesischer Intellektueller fragt demgegenüber nach dem geistigen Überbau in Form von reaktivierbaren Residuen revolutionären Bewusstseins unter den Bedingungen gescheiterter Revolutionen und eines übermächtigen, globalkapitalistischen Systems. Nur auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass dies auch das Anliegen der Autoren neuhistorischer Fiktion ist, obwohl sie angetreten waren, die Paradigmen der offiziellen Geschichtsschreibung zu dekonstruieren und auf diese Weise die Nation – in Umkehrung der anschaulichen Terminologie Prasenjit Duaras – vor ihrer neueren Geschichte zu retten (Duara 1995). Wie ich später noch zu zeigen versuchen werde, ist die kurzfristig erfolgreiche exegetische Gemeinschaft Yan’ans unter dem Banner der Revolution derjenige (post)utopische Kern des Mythos einer chinesischen Moderne, welcher in neuhistorischen Texten zuallerletzt und nur unter Preisgabe jeglicher Erwartungen bezüglich kollektiver Identitätsbildung aufgegeben wird.1 Den verschiedenen staatlichen Appropriationen von Geschichte als Identifikationsfeld – Dynastiegeschich1

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Gemäss Chen Xiaoming ist dies bei Liu Zhenyuns Guxiang-Serie der Fall; s. Chen 2008: 191–216.

ten, Revolutionsgeschichte oder Nationalgeschichte – wollten Autoren neuhistorischer Fiktion die Pluralität von lokalen und individuellen Geschichten, die subversive Unordnung von Details in Konfrontation mit der domestizierten Ordnung des grossen Ganzen, die Artifizialität von historischen Setzungen, die Kontingenz von historischen Subjekten und Handlungen, die Verlegenheit angesichts der eigenen Rolle in der Konstruktion von Narrativen und des Mediums der Sprache, welche zugleich Text hervorbringt und selbst Produkt der Geschichte ist, entgegensetzen. Damit nähert sich, wie Zhang Qinghua festhält, das chinesische Projekt einer fiktionalen Neuschreibung moderner Geschichte/n in den wichtigsten Punkten dem westlichen, aus dem Formalismus hervorgegangenen und in Abgrenzung zum teleologischen Historismus des 19. Jahrhunderts gerichteten New Historicism an. Nicht Geschichte als epochal begrenzbare Totalität und als Reales, auch nicht als Wahrheit oder Tatsache wird ästhetisch rekonstruiert, sondern es geht um ein selbstreflexives Erzählen von Geschichten als kritische Revision vorgängiger Bedeutungen. Statt auf Wirklichkeit einer als Essenz verstandenen Vergangenheit fokussiert auch der chinesische fiktionale New Historicism auf deren imaginäre Spiegelungen. Als Gegenmodell zur autoritären, monumentalen Grosserzählung, als Archiv und Reservoir vielfältiger Erinnerungen im Widerspruch zum homogenen, dogmatischen Wissen der akademischen Disziplin sucht die nicht-professionelle Geschichtsschreibung der neuhistorischen Fiktion auch die Integration von devianten, widerständigen Inhalten in der Form “wilder” Poetiken der Kultur (Bassler 1995, Q. Zhang 2003: 56–85). Als wichtigste Trajektorien neuhistorischer Autoren lassen sich eine Öffnung für metafiktionale Reflexionen, beispielsweise der Kategorien von Repräsentation, Raum, Zeit, Affekt und Handeln, Zentrum und Peripherie, Marginalität, Gemeinschaft und Erinnerung, sowie die Pluralisierung von Schreibverfahren benennen. Dies beinhaltet formale Innovationen wie unterschiedliche Sprechweisen, Resemiotisierungsprozesse unter Einschluss traditioneller rhetorischer Figuren wie Allegorie und Mythos, die Vermischung von Textsorten (blurred genres) sowie eine Anthropologisierung (Bachmann-Medick 1996) und Subjektivierung der Erzählperspektiven, indem sowohl Autoren als auch Protagonisten in ihren Rollen als historische Akteure, aber auch in ihren individuellen Befindlichkeiten und sozialen Beziehungen unter dem Einfluss historischer Prozesse betrachtet werden. Es geht daneben auch um die Pro239

blematik der Repräsentation bislang nicht oder ungenügend berücksichtigter historischer Subjekte (Lin 2005: 27–56). Kulturwissenschaftliche Orientierungen und philosophischen Strömungen der Postmoderne, wie Existentialismus, Strukturalismus, Poststrukturalismus, Postmarxismus, magischer Realismus, Gender und Postcolonial Studies wurden von diesen Autoren direkt, in Übersetzungen theoretischer Literatur, oder indirekt, in übersetzten weltliterarischen Werken, rezipiert und in ihrem Werk reflektiert (Zhang 2003: 73–85). In ihren Erzählungen lösen sie lokale Krisen, Konfrontationen und Kämpfe aus dem offiziellen Interpretationszusammenhang heraus, um sie als Ursachen oder Folgen unterschiedlich motivierter Handlungen einzelner, von antagonistischen Interessen geleiteter gesellschaftlicher Akteure beziehungsweise als zyklische Wiederkehr von anciens régimes (Young in Perry und Wasserstrom 1992: 18–31) darzustellen. Rollenzuweisungen und Handlungsspielräume der von der Partei pro forma zu geschichtlichen Subjekten deklarierten, aber kaum realistisch, das heisst auf institutioneller und diskursiver Ebene, als solche inkorporiertierten Individuen und sozialen Gruppen werden dabei kritisch überprüft. Ihre Narrative dekonstruieren die Idee einer homogenen nationalen Gemeinschaft und entlarven diese Nation je nachdem als Fragment, kaum begonnene und dann unerledigt liegengebliebene Geschichte, oder sogar als Lüge; sie bringen existentielle Krisen zur Sprache, die aus der Konkurrenz unterschiedlicher sozialer Gruppierungen innerhalb des Grossverbands oder aus Orientierungsproblemen im Zusammenhang mit Modernisierungsprozessen erwachsen. Dabei verweisen sie auf eine in der kapitalistischen Moderne noch zunehmende Vielfalt “ungleichzeitiger” sozialer Strukturen im Vielvölkerstaat China, deren Spektrum von unterschiedlichen post-tribalen Systemen bei den nationalen Minoritäten und dem traditionellen Clan-Haushalt der Han-Mehrheit in manchen noch kaum modernisierten ländlichen Gebieten bis zu Single-Dasein und Patchwork-Familien in den Städten reicht. Am Leitfaden verschiedener (Anti)Modelle sozialer Organisation befassen sich diese Texte mit der Validität und Reichweite zeitgenössischer nationaler Identität. Im Fokus steht hierbei die Dekonstruktion eines ins Nationale erweiterten Familien-Konstrukts, das die gesellschaftlichen Antagonismen und Differenzen wenn nicht ganz ignoriert, so doch zumindest für einfach überbrückbar ausgibt. Die bedeutende Rolle mythologischer Narrative in der neuhistorischen Fiktion wurde in der Forschung zwar erkannt, 240

bislang aber noch nicht systematisch erforscht. Ich werde mich deshalb in diesem Feld auf einen Mythos beschränken und in ausgewählten Textanalysen zu zeigen versuchen, wie fiktionale Dekonstruktionen des Revolutionsmythos beim gleichzeitigen Versuch der Rettung seines emanzipatorischen Gehalts im Referenzrahmen von Lokalgeschichte, Erinnerung, kulturellem Gedächtnis sowie dystopischer und heterotopischer Selbstverortung vorgehen. Eine besondere Leistung der neuhistorischen Bearbeitung mythologischer Narrative sehe ich im Herausarbeiten von deren Verflechtungsprinzip, welches binäre Strukturen weder negiert noch essentialisiert, sondern in beständigem kreativen Austausch und Aushandeln begriffen zu repräsentieren erlaubt.

7.2 Hintergründe: Chinesische Geschichte und historische Fiktion

Mit der letzten Krise des dynastischen Systems, die annähernd mit der Regierungszeit der Entourage der Kaiserwitwe Ci Xi (1835–1908) zusammenfällt, und dessen nominellem Sturz im Jahr 1912 vollzog sich ein Paradigmenwechsel, der das chinesische Weltwissen neu auf eine multipolare Konstellation mehrerer mächtiger Nationen, und auf die Zukunft statt wie bisher auf die Vergangenheit ausrichtete. Von den Opiumkriegen über Taiping- und Boxeraufstände bis hin zu den sinojapanischen Kriegen, Bürgerkriegen und schliesslich Yan’an schienen die Ereignisse so endgültig aus dem epistemologischen Referenzrahmen der historischen Präzedenzsammlungen2 herauszufallen, dass kulturelles 2

Offizielle Dynastiegeschichten wie auch breit rezipierte inoffizielle historische Narrative, z.B. xiaoshuo, vgl. hierzu Lin 2005: 4–11. Zu Formen, Inhalten und Funktionen traditionaler Geschichtsschreibung vgl. Vogelsang 2007: 188–222; s. hier insbesondere die Aspekte von Erinnerung und ätiologischen Weltdeutungen, welche beide auf eine normative Verbindlichkeit der Kontinuität verbürgenden, allen historischen Wandel überdauernden Werteordnung pochen: “Die traditionale Geschichte wird nicht müde, an die normative Verbindlichkeit einer Werteordnung zu gemahnen, die im Wandel der Zeiten ihre Gültigkeit bewahrt hat. Immer muss man sich ihrer erinnern, niemals darf sie vergessen werden!” (ibid.: 198); und weiter:

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Lernen aus den Quellen der erfolgreichen modernen Nationen vielversprechender erschien, als weiterhin nach Verfahren zu suchen, die es erlaubten, die eigenen alten Geschichten so zu rekonfigurieren, dass sich der Schock der Moderne darin integrieren liess. Obwohl konservativere Historiker und Schriftsteller sich noch um diese Möglichkeit bemühten und durchaus Ansätze vorlegten, die anstelle einer radikalen Assimilation an die westliche Moderne den vermittelnden Anschluss suchten, setzte sich bereits vor der maoistischen Revolution ein achsenzeitliches Modell der Geschichtswahrnehmung durch, das scharf zwischen Tradition und Moderne trennte (Duara 1995, Schneider 1997, 2001a, Wang 2000). Lineare, teleologische Narrative, die während der Republikzeit erprobt worden waren, rückten seit der Gründung der Volksrepublik China dominant an die Stelle des überlieferten Konzepts “multipler Periodizität” (Plaks 1976), welches historische Ereignisse gleichzeitig mit der Anordnung in vertikalen Reihen von Ursache und Wirkung auch noch in einem horizontalen Netzwerk von möglichen Beziehungen verknüpft hatte. Man hatte mit dieser Strategie dem Problem Rechnung getragen, dass die horizontale, eher subjektive Ebene der Geschichtserfahrung und die vertikale, vergleichsweise objektive Ebene der sinnstiftenden Bildung historischer Ereignisketten einer je anderen Erkenntnislogik folgen, so dass sie sich nicht ohne weiteres in ein kohärentes Schema integrieren lassen. Spätestens seit Sima Qian hatten chinesische Historiker wie Autoren historischer Erzählungen deshalb auf multiperspektivische, labyrinthische, rhizomatische Repräsentationsformen gesetzt, welche den linearen Zeitvektor in kontinuierlicher Interferenz mit alternativen Konzeptionen von Zeit und geschichtlicher Entwicklung zeigten (Allen 1981, Hardy 1992, Schmidt-Glintzer, Mittag und Rüsen 2005). Die episodische Struktur der (orthodoxen wie fiktionalen) Geschichtsschreibung wurde mit der Rezeption westlicher Geschichtswerke und Romane vor allem deshalb obsolet, weil das in den historischen Narrativen enthaltene aufklärerische telos einer sich selbst verwirklichenden Nation auf die Zukunft ausgerichtet sein musste, während die dynastische Organisation auf der Idee basiert hatte, dass die Beziehungen zwischen Volk und Regierung gemäss den sozialen Ordnungsvorstellungen einer fernen Vergangenheit zu regeln seien. Ein “Die Geisteswelt des Alten China war nicht durch Geschichte geprägt, sondern durch Pluralität” (ibid.: 222).

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wichtiger Teilaspekt der Kulturkrise der Moderne war folglich die Krise der Geschichtsschreibung und, damit einhergehend, ein Autoritätsverlust derjenigen Geschichten, die chinesische Gemeinschaften sich bis zu dieser Zeit über sich selbst erzählt hatten. Im Widerspruch zu heroischen Projektionen nationaler Grösse in die Zukunft, aber auch zur nationalistischen Auratisierung von Antike und Kaiserzeit, versuchen neuhistorische Autoren sich vorzugsweise in punktuellen Illuminationen einer noch im kommunikativen Gedächtnis (Assmann 1999: 49–56) präsenten jüngeren Vergangenheit, die nicht mehr national, heroisch und eindimensional, sondern fragmentiert, pluralisiert und wesentlich (regional, aber auch sozial) instabil erscheint. Im Rückbezug auf Lu Xuns Versuche, moderne Geschichte als Phänomen eines unvermeidlichen, dabei aber zutiefst schmerzlichen und letztlich sinnlosen Bruchs mit der Vergangenheit darzustellen,3 werden metafiktionale Strategien und Verfahren verwendet, die in Anlehnung an sowohl westlich-moderne, als auch traditionell-chinesische Paradigmen einen selbstreflexiven, kritischen Bezug zur offiziellen Geschichtsschreibung im Sinne metahistorischer Repräsentation (wieder)einführen. So verweisen die meisten Autoren einerseits auf für ihr Schaffen wichtige moderne Vorbilder der Weltliteratur, seien es Schriftsteller, Dramatiker oder Philosophen. Andererseits lassen sich an den Texten explizite Anschlussnahmen an vor- und frühmoderne chinesische Erzählstrukturen diagnostizieren, die von klassischen Romanen wie Xiyou ji (Die Reise nach dem Westen, 16. Jh.), Shuihu zhuan (Die Räuber vom LiangshanMoor, 16. Jh.), Honglou meng (Der Traum der roten Kammer, 18. Jh.) oder Sanguo yanyi (Die Geschichte der Drei Reiche, 14. Jh.), über Werke der Spät-Qingzeit bis zu den urbanen Populärkulturen der 1920er bis 40er Jahre, fiktionalisiert zum Beispiel von Zeng Pu, Liu E, Zhang Henshui oder Zhang Ailing, bis hin zu Anknüpfungen an die gerade für diese Generation von Autoren von prägendem Einfluss gewesenen Protagonisten der maoistischen revolutionären Romane und Modellopern 3

Von Li Chenghua wird als Vorlage die Erzählung “Bu tian” aus den Gushi xinbian genannt (zit in Lin 2005: 58); als Anregung für metafiktionale Fortschreibungen wäre aber auch der Essay “Xiandai shi” (1933) anzuführen, in welchem Lu Xun die moderne Geschichte als Tumult von endlosen Revolutionen beschreibt und diese wiederum mit einem Marktplatz-Spektakel vergleicht, das von den politischen Regimes in regelmässigen Abständen aufgeführt wird, letztlich aber ganz und gar folgenlos bleibt. In: QJ 5: 89–90.

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reichen (Zhang 2003: 3–25; Shih 2001: 1–72, passim, Lee 1999: 267– 303). Auf diese Weise erreichen neuhistorische Narrative zweierlei: erstens gelingt durch ihr Insistieren auf den nicht-integrierten, marginalisierten, widerständigen Geschichten und Identitäten eine Dekonstruktion der nationalen Grosserzählung im Ästhetischen. Diese Grosserzählung befindet sich gegenwärtig auch im öffentlichen Diskurs im Prozess einer Reorientierung, was sich neben der hohen Konjunktur von regimekonformen, legitimatorischen Geschichts-Serien von der Han- bis zur Qing-Zeit in Film und Fernsehen auch im akademischen Grossprojekt zur Rehabilitation der Qing-Zeit und ihrer Reformbestrebungen zeigt (Zhao 2008). Dabei wurde das von Deng Xiaoping eingeführte, von der revolutionären zur konsumkapitalistischen Modernisierung fortschreitende Zweiphasen-Modell der Moderne in beträchtlichem Ausmass nach rückwärts erweitert. 4 Neuhistorische Narrative intervenieren hier als Seismographen der laufenden mythologischen Recodierungsprozesse, wobei sie diese mit ihren eigenen literarischen Versuchsanordnungen sichtbar machen und in Frage stellen. Eine 1994 bis 1997 erschienene Reihe von Romanen über die tangzeitliche Kaiserin Wu Zetian kann als frühes Beispiel eines vermehrten Interesses der literarischen Avantgarde an dieser Thematik gelten. Bezeichnenderweise entstand sie im Kontext eines (letztlich gescheiterten) Filmprojekts des zwischen kritischer Avantgarde und politischer Konformität geschickt lavierenden StarRegisseurs Zhang Yimou (Riemenschnitter 2003), was auf die besondere Rolle der Filmindustrie in Prozessen der Inskription und/oder Recodierung des kulturellen Gedächtnisses verweist (Ding, Zhang, Cui und Liu 2005). Zweitens ermöglichen die neuhistorischen Narrative eine nicht-identische, das heisst die enthaltenen Differenzen nicht ausradierende, sondern im Gegenteil sichtbar machende Inkorporation der verschiedenen, gelebten Vergangenheiten und Erfahrungen chinesischer Subjekte in ein (post)nationales Archiv der in Geschichte/n zu rettenden kollektiven Erinnerungen.

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Vgl. den Internet-Roman über den hanzeitlichen Beamten-Schelm Dongfang Shuo (Long Yin, Buchausgabe von 2007) und die 2006 ausgestrahlte, erfolgreiche TVSerie gleichen Inhalts sowie zahlreiche Revisionen früherer Darstellungen von oder Kanonerweiterungen durch vorher nicht oder zuwenig berücksichtigte Persönlichkeiten und Ereignisse der Tang-, Song-, Ming- und Qing-Zeit. Eine knappe Würdigung dieses Phänomens findet sich in Liu 2004: 127 ff.

Nach dem radikalen Bruch des literarischen Modernismus mit den verschriftlichten klassischen Erzähltraditionen, die mit einer sich fallweise in das geschilderte Geschehen einmischenden, individuellen Stimme der Geschichtenerzähler eine simulierte Form von Mündlichkeit gegenüber dem allwissenden Autor westlicher Historiographie und Fiktion bevorzugt hatten, war das Regime Mao Zedongs sehr darum bemüht, einen verbindlichen Kanon für die moderne Nation zu schaffen. Das maoistische Literatur-Konzept und seine Kanonisierungsbestrebungen kulminierten im Narrativ der Revolution, das sich inhaltlichformal an Konventionen westlicher, insbesondere russisch-osteuropäischer Stilmittel, tiefenstrukturell jedoch wesentlich aus dem Genre des klassischen chinesischen Geschichtsromans speiste (Zhang 2003). In der Regel wurde auf diese Weise eine Montage von Versatzstücken mehrerer Mythologien diskursbestimmend: Szenen revolutionären Heldentums erscheinen beispielsweise in volksreligiöser Gotteskriegersymbolik mit christlichen Obertönen, religiös semiotisierte Konversionen zum Kommunismus – beispielsweise die Mandalastruktur politischer Erweckung in Yang Mos (1914–1995) Roman Qingchun zhi ge (Lied der Jugend, 1958), und das während der Kulturrevolution weitverbreitete Reinigungsritual der Selbsterforschung und -läuterung (ziwo fanxing) – sind dagegen eher buddhistisch konnotiert.5 Auch die Mythologien der westlichen Aufklärung spielten noch eine – wenngleich nunmehr untergeordnete – Rolle. Das Streben des Subjekts nach Mündigkeit und Emanzipation musste sich spätestens seit der ersten Rektifizierungsbewegung in Yan’an (1941–1944) den Zielvorgaben der Partei unterordnen. So sehr sich die politisch-ästhetischen Orientierungen der republikanischen Modernisten und kommunistischen Maoisten auch unterscheiden mochten, so lag ihrem Weltbild doch ein ähnlicher Zeitbegriff und dieselbe Idee historischen Fortschritts zugrunde. Aufgrund der Dominanz eines Diskurses der Aufholung des westlichen Vorsprungs unter den Bedingungen einer postimperialen Neuordnung der Welt spricht Lin Qingxin für beide Epochen und sogar bis weit in die erste Phase des postmaoistischen kulturellen Wiederaufbaus hinein in Anlehnung an C. T. Hsia und Leo O. Lee von Chinas Obsession mit der Moderne beziehungsweise von dessen Pilgerreise in die Moderne (Lin 2005: 11–16). Der den literarischen Neuhistorismus grundierende kritische Grundsatz-Diskurs über die 5

S. hierzu v.a. Lu 2004, S. 125–132, passim.

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Rolle des Eigenen und Fremden in einer chinesischen Kultur der Moderne, die man als noch nicht angemessen definiert problematisierte, stellte ab der Mitte der 1980er Jahre den von den republikanischen und marxistischen Lagern des frühen 20. Jahrhunderts geteilten Forschrittsoptimismus beziehungsweise Evolutionismus zunehmend in Frage. Er nimmt damit jene Debatte über eine spezifisch chinesische Moderne in Austausch und Abgrenzung zur westlichen Modernisierung wieder auf, die von den Reform-Intellektuellen der späten Qing- und frühen Republikzeit in Gang gesetzt worden war. Hatte die erste Generation von im Ausland ausgebildeten Intellektuellen als Heilmittel gegen die zivilisatorische Rückständigkeit der neu gegründeten Republik eine (Kultur)Politik der totalen Verwestlichung empfohlen, so suchten die Autorinnen und Autoren des Neuhistorismus nicht zuletzt aus ihren Erfahrungen mit einem immer weniger kontrollierbaren, zerstörerischen Kapitalismus heraus vielmehr nach einem Möglichkeitsraum, in dem sich Chinas Moderne in produktiver Distanz zum bislang dominanten westlichen Modell entfalten könnte. Inmitten einer Vielzahl konkurrierender literarischer Trends behauptet sich der überwiegend mit der Wiederaufnahme von Themen aus der jüngeren und neuen Geschichte befasste neuhistorische Roman seit mehr als zwanzig Jahren im literarischen Feld der Volksrepublik China. Die nachhaltige Zugkraft des Geschichtsdiskurses stellt einerseits eine Konstante der chinesischen Kultur dar, weshalb die Funktionalität von Geschichte als Identifikationsfeld der modernen Nation am Leitfaden der diese mythophorisch gestaltenden Geschichtsfiktion zu reflektieren ist. Andererseits lässt sich die grosse Popularität neuhistorischer Fiktion mit ihrer heftigen Reaktion auf den Verrat des revolutionären Monomythos an der geschichtlichen Evidenz allgemein, wie an der Menschlichkeit und Opferbereitschaft der chinesischen Bevölkerung auf ihrem Weg in die Moderne im Besonderen erklären. Die Fixierung, beziehungsweise nach Marquard “monomythische Verstricktseinsgleichschaltung”, der chinesischen Nation auf den “erfolgreichsten Mythos der modernen Welt: den Mythos des unaufhaltsamen weltgeschichtlichen Fortschritts zur Freiheit in Gestalt der Geschichtsphilosophie der revolutionären Emanzipation” (Marquard 2003: 227 f.) während der Ära Mao Zedongs (1949–1976), führte diese in einen heillosen materiellen wie spirituellen Ruin. Viele der in ihrer Jugend enthusiastisch an der Idee des revolutionären Klassenkampfes entzündeten Intellektuellen fragten sich nach 246

dem Ende der Kulturrevolution, wie sie der Propaganda auf den Leim gehen und an den barbarischen Ritualen und Gewalt-Exzessen des Maoismus teilnehmen konnten. Um eine Antwort für dieses Problem zu finden, wandte Wang Ban mit dem Paradigma des Erhabenen eine Analysekategorie an, die sowohl ästhetische als auch psychologische Gründe für dieses Phänomen geltend machte (Wang 1997: vii f., passim). Noch ist nicht abzusehen, wie der radikale Bruch der maoistischen Revolution mit der imperialen Vergangenheit Chinas aus der Perspektive einer longue durée bewertet werden wird. Seit den 1980er Jahren findet jedenfalls ein lebhafter, gelegentlich sogar hitziger Aushandlungsprozess zwischen dem Interesse bestimmter gesellschaftlicher Gruppen an substantieller Trauma-Erinnerungsarbeit und einem öffentlichen Interesse am Vergessen der beschämenden Aspekte der Revolutionsgeschichte statt, 6 wobei die Kulturrevolution als offene Erinnerungsinsel und öffentlicher Diskursraum für die Kommunikation negativer Erfahrungen weitgehend freigegeben ist. 7 Autoren neuhistorischer Romane stellen aber nicht nur die grossen Erzählungen der Revolutionsgeschichte, einschliesslich des dominanten Opferdiskurses der Kulturrevolution, in Frage. Mit ihren lokalen, häufig auch individuellen Geschichten werden daneben auch mentale Dispositionen der Akteure freigelegt, die eine Heterogenität aufgrund regionaler, generations-, klassen-, gruppen- und geschlechtsspezifischer Voraussetzungen, aber auch aufgrund unterschiedlicher Interessen und Handlungsorientierungen der beteiligten Akteure sichtbar machen. Entscheidend für die Suche nach anderen Perspektiven auf eine Geschichte, die obwohl bereits vergangen noch im Werden begriffen ist, wurde bei den Autoren dieser Generation darüber hinaus nicht wie bei den Republik-Intellektuellen das Auftreten einer für stärker oder gültiger erachteten fremden Leitorientierung, sondern die 6

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Ein Indikator für diese offizielle Strategie war die weitgehende Abwesenheit der jüngeren (revolutionären) Zeitgeschichte im historischen Mythentheater der olympischen Eröffnungsfeier in Beijing am 8.8. 2008. Susanne Weigelin-Schwiedrzik spricht von unterschiedlichen Erinnerungsgruppen, die ihre Erinnerungen in unterschiedlichen Foren jeweils unabhängig voneinander austauschen. Sehr interessant für den Erinnerungsindex der Kulturrevolution könnte die Gruppe der jetzt im Ruhestand befindlichen Kader werden: “Die Teilnahme an der öffentlichen Diskussion könnte als Versuch gewertet werden, die jüngere Generation an ihre Missetaten zu erinnern und das Wissen darüber als Garant für Respekt und Anerkennung in der Gegenwart einzusetzen.” Weigelin-Schwiedrzik 2007: 693.

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Suche nach einer eigenen, alternativen Werteordnung, welche an die Stelle der modernen Ideologien von sowohl Maoismus, als auch Konsumkapitalismus treten könnte. Hintergrund dafür ist das sich abzeichnende Versagen des den Maoismus ablösenden globalen Konsumkapitalismus als moralische Legitimationsinstanz gesellschaftlichen Wandels – und damit auch der Produktion von nationaler Geschichte als grosser Erzählung einer auf dem Mythos kontinuierlichen Fortschritts gründenden Moderne (Chen 2008: 11–174). Entgegen der These Lins, der Neuhistorismus sei ein Gegendiskurs, welcher die chinesische Moderne an sich negiere (Lin 2005: 17–25), möchte ich im Folgenden zeigen, dass die neuhistorische Kritik an den bislang realisierten Inkarnationen der Moderne das Projekt einer modernen chinesischen Nation selbst nicht notwendigerweise in Frage stellt. Anliegen des neuhistorischen Projekts war es wohl vielmehr, in der Multiperspektivität lokaler Geschichtsnarrative die während des 20. Jahrhunderts kursierenden, positivistischen Konstruktionen einer universell gültigen historischen Wahrheit als dysfunktionale Ideologie der Moderne zu entlarven. Im Zuge der sukzessiven Delegitimierung aller daran geknüpften Mythologien der Modernisierung – ob Kulturnationalismus, Kommunismus, oder Globalkapitalismus – im historischen Vollzug wurde auch das unter den Bedingungen von Kontingenz handelnde Individuum wieder wichtiger als die lebensfernen Rollentypen der dogmatisch-teleologischen Revolutionsnarrative. So treten die Protagonisten neuhistorischer Narrative nicht mehr als einsame, heroische Übermenschen in imposanter moralischer Disziplin gegenüber sich selbst und anderen auf, sondern zeigen sich, anknüpfend an Narrative der späten Qing-Zeit, gefangen in ihren sozialen Verstrickungen, in menschlicher Schwäche, Verunsicherung, Verführbarkeit, Barbarei und Verletzlichkeit. Besonders deutlich wird dies in Kriegsnarrativen, wie Mo Yans Zhanyou chongfeng (Wiedersehen der Kriegskameraden, 1992) oder Jiang Wens ebenfalls auf literarischen Vorlagen basierender Film Guizi laile (Devils on the Doorsteps, 2000; Silbergeld 2008). 8 Deren Prota8

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Die Filmproduktion beruft sich auf einen Text von Feng Youwei; Zhang Qinghua nennt jedoch eine 1991 publizierte Erzählung von Ye Zhaoyan mit dem Titel Riben guizi lai le (Die japanischen Teufel sind gekommen). S. Zhang 2004: 60. Meiner Meinung nach handelt es sich um Kapitel 2 des Romans Guxiang tianxia huanghua (Blüten unter dem Himmel der Heimat, 1991) von Liu Zhenyun. Das Kapitel ist betitelt “Guizi laile” (Die Teufel sind gekommen). Liu 1991: 85–166.

gonisten erweisen sich gelegentlich sogar als fähig, abstrakte Feindbilder unter bestimmten Umständen in Frage zu stellen, so dass auch noch unter den Bedingungen erbitterter Überlebenskämpfe die Möglichkeit von Akten der Menschlichkeit über die feindlichen Grenzen hinweg aufscheint. Damit bleibt als einziges Zugeständnis an den modernen Fortschrittsglauben der aufklärerische Mündigkeitsauftrag an jedermann bestehen. Nicht zufällig stehen darüber hinaus in den beiden genannten Repräsentationen “Bruderkriege” im Fokus. Die von Bob Wakabayashi anlässlich der historischen Forschung zum japanischen Nanjing-Massaker 1937/8 konstatierte “messiness of historical reality” (Wakabayashi 2007) manifestiert sich in Mo Yans Kriegsrepräsentation als verstörende Situation der nach dem kollektiven Lagerwechsel von Freund zu Feind im zweiten Vietnamkrieg identisch gebliebenen Waffen, so dass die Kämpfer beider Fronten von chinesischen Waffen desselben Typs und derselben Herkunft bedroht und getötet werden. Im zweiten Fall, dessen Geschehen sich vor dem Hintergrund der Besetzung eines chinesischen Dorfes durch eine japanische Armee-Einheit entfaltet, bricht sich die chaotische Realität in einem Triumph der Gewalt Bahn, nachdem eine die Kriegsgegner vorübergehend verbindende Erfahrung menschlicher Anteilnahme beinahe Frieden gestiftet hätte. Aufgrund des Interesses neuhistorischer Autoren an solchen Szenarien von Loyalitätskonflikten, oder zumindest -verwirrungen, stehen häufig Genealogien anstelle von individuellen Persönlichkeiten im Fokus der Handlung. Diese Familien werden auch zumeist nicht als blühend oder im Aufstieg begriffen, sondern eher vom Untergang – sei es moralisch, physisch oder ökonomisch – bedroht gezeigt (Choy 2008: 44–64, Lin 2005: 121–132). Letztlich sind es aber die Genealogien moderner Gewalt und Barbarei, welche neuhistorische Autoren in allegorisch-ätiologischen Konfigurationen narrativ ausloten. Ob um das groteske Spektrum der gar nicht heldenhaft gestorbenen und nach ihrem Tod in vollkommener Selbstverständlichkeit an den nicht gefallenen Kameraden Rache nehmenden Kriegshelden in Mo Yans Vietnam-Erzählung, oder um das Psychogramm einer pervertierten Lust an der Folter zum Tode in dessen Boxer-Roman Die Sandelholzstrafe, um einen sanktionierten und fast mechanisch vollzogenen Serienmord an vermeintlichen Klassenfeinden in Yu Huas Roman Brüder, oder endlich um eine explosionsartige Entladung von kollektiver Gewalt wie in Jiang Wens Film: es geht neben den sowohl Opfern, als auch Tätern zuge249

fügten physischen und seelischen Verletzungen vor allem um die historischen und kulturellen Bedingungen, unter welchen solche Gewaltexzesse alltäglich stattfinden können. Viele Erzähler dieser neuhistorischen Geschichten gehören zur während der Kulturrevolution aufs Land verschickten, sogenannten zhiqingGeneration der gebildeten städtischen Jugend. Ihre fiktional dokumentierten historischen Erfahrungen sind deshalb wesentlich von der ambivalent bewerteten, unter Mao zum ersten Mal in gigantischem Ausmass implementierten Form der Immersion urbaner Eliten in Alltag und Kulturen der Landbevölkerung sowie der ethnischen Minderheiten in den entlegensten Regionen Chinas geprägt. So erscheint es konsequent, wenn neuhistorische Romane einen kritischen Blick auf Widersprüche zwischen der offiziellen Politik für die Massen und den tatsächlichen Anliegen und Bedürfnissen der Landbevölkerung richten. Die Tatsache, dass das in der ländlichen Folklore überlieferte, als kleine Traditionen bezeichnete Orientierungswissen weniger gebildeter Schichten die Modernisierungsbewegungen des 20. Jahrhunderts immer wieder in Frage stellen konnte, bietet vielen Autoren die Möglichkeit, Spuren einer anderen Art von kultureller Kontinuität – lebendig, marginal, dezentriert, heterodox, exotisch, oder gar wild – jenseits des vor allem im politischen Zentrum entwickelten, dogmatischen Kulturprogramms zu verfolgen. Wenn neuhistorische Romane im Nachhall auf die während der 1980er Jahre begonnene Suche nach den kulturellen Wurzeln (xun gen) der modernen Nation eine volkstümliche minjian-Perspektive privilegieren, so muss diese gleichwohl nicht notwendig kulturnationalistische Tendenzen aufweisen. Obwohl es unter den Autoren auch solche wie Zhang Chengzhi gibt, der mit seinen Romanen über die Blutschuld der gewaltsam assimilierten Muslime Nordwest-Chinas zumindest in der Leser-Wahrnehmung einem religiös und ethnisch begründeten, regionalistischen Fundamentalismus gefährlich nahe kommt, 9 geht es den postmaoistischen inoffiziellen Historiographen wesentlich um etwas anderes. Sie bemühen sich darum, einerseits die im Tumult der verschiedenen Modernisierungsschübe verlorene “Seele der Nation” zurückzurufen, oder diese in der entlegensten Peripherie zu suchen – überall dort, wo die masslose Zerstörungswut der modernen Regimes noch nicht vollends zum Tragen gekommen ist. Dies bezeugen Romantitel wie 9

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Zu Zhang Chengzhis Werk vgl. Choy 2008: 79–102, Lin 2005: 133–150, Xu 2002.

Lingqi (Das Seelenbanner, Qiao Liang), Xinling shi (Geschichte der Seele, Zhang Chengzhi), oder Lingshan (Der Berg der Seele, Gao Xingjian). Andererseits wird eine lebendige, in ihrem Geltungsanspruch begrenzte und damit wohltuend bescheidene Polymythie der Volkskulturen gegen den monumentalen Mythos des weltgeschichtlichen Fortschritts aufgeboten. Ob politische Führer in China die realen sozialen Probleme dem Paradigma des Klassenkampfes oder dem des konsumkapitalistischen Wirtschaftsaufschwungs unterordneten, so wurde in beiden Fällen die grosse Mehrheit der Bevölkerung einem Dienst an abstrakten Ideen unterworfen, welcher ihnen kaum Vorteile, häufig aber massive Benachteiligungen einbrachte. Neuhistorische Romane mit ihrer minjianPerspektive bringen demgegenüber die Vielstimmigkeit dieser von aussen nach wie vor als stumm wahrgenommenen Subjekte zum Sprechen. Was auf den ersten Blick wie ein Traditionsanschluss im Dienst eines häufig – und nicht immer unberechtigt – diagnostizierten Kulturnationalismus aussehen mag, erscheint bei näherem Hinsehen als Projekt, das kulturelle Gedächtnis der Nation einer gründlichen Revision zu unterziehen. Die Erinnerung wird als prüfende Instanz aufgerufen, um die verschiedenen, gegenwärtig wie früher imaginierten Modernen historisch zu kontextualisieren, wobei es nicht zuletzt auch darum geht, sedimentierte “eigene” Werte und Narrative zu reaktivieren, die den gegenwärtigen kapitalistischen Exzessen einen Spiegel vorhalten können (D. Wang 2004). Der Historiker Arif Dirlik hat die hier beschriebenen Symptome weltweit diagnostiziert und unsere Zeit als den Endpunkt der Globalisierung definiert (Dirlik 2007). Dass China in unserer globalen Nach-Moderne einen Avantgarde-Posten besetzt, erscheint ihm wie auch anderen Historikern deutlich aus dessen historischer Erfahrung hervorzugehen. Wenn dem so ist, dann erscheint es umso wichtiger, die narrativen Ressourcen zu beleuchten, aus denen sich diese Avantgarde speist. Mo Yans Werk liefert seit den Achtziger Jahren kontinuierlich wichtige Impulse in diesem Projekt: fast alle grösseren Romane des Autors befassen sich mit den inhaltlichen Verstrickungen, strukturellen Entgleisungen und realitätswirksamen Phantasmen der grossen politischen Modernisierungsprogramme des 20. Jahrhunderts in ihren stets unvollständigen Distanzierungsversuchen von sowohl Traditionen, als auch früheren Modernitätsentwürfen, seien sie spätimperial, semikolonial oder 251

republikanisch definiert. Auch Autoren wie Su Tong (Nanjing) und Yu Hua (Beijing) haben den neuhistorischen Diskurs massgeblich geformt und mit Inhalten gefüllt. Im Jahr 1999 konnte ich während eines Forschungsaufenthaltes in China mit diesen drei Autoren sowie mit den Literaturwissenschaftlern Chen Xiaoming (Beijing) und Zhang Qinghua (Jinan) Gespräche über den Umgang der neuhistorischen Fiktion mit Mythologien führen. Ausserdem hatte ich die Gelegenheit, mit einer Forschergruppe der Nankai-Universität in Tianjin über mein Projekt zu diskutieren. Die wichtigsten Ergebnisse der Interviews seien hier dokumentiert, bevor individuelle Textanalysen den unterschiedlichen Strategien fiktionaler Enactments von Geschichtsmythen im Kontext des Revolutionsdiskurses genauer nachgehen werden.10

10

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Das Interview mit Zhang Qinghua konnte wegen technischer Probleme nicht aufgezeichnet werden. Seine Position wird jedoch in Auseinandersetzung mit seinen vor allem nach 1999 publizierten Schriften dargestellt. Allen Gesprächspartnern sei an dieser Stelle noch einmal für ihre vielfältigen Anregungen und kritischen Kommentare gedankt.

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Fiktion als Spiegelkabinett der Zeitgeschichte: Vier Interviews

Geschichtsschreibung kommt nicht ohne Erzählungen aus, und diese sind strukturell von literarischen Konventionen abhängig, so die These Hayden Whites (White 1973). Man muss dem Modell Whites nicht bis in alle Einzelheiten seiner vier mal vier Formen und rhetorischen Merkmale narrativer Modellierung folgen, um den zugrundeliegenden Gedanken aufzunehmen. Dieser besagt, dass der Bedeutungszusammenhang, in welchen Ereignisse von den Historikern eingerückt werden, vorgegeben ist und dem Ereignis sein Sinn nicht aus sich selbst heraus erwächst, sondern mittels einer begrenzten Auswahl rhetorischer Strategien mit klar umgrenzter Gültigkeit innerhalb eines kollektiven Erfahrungs- und Kommunikationsraums zugeschrieben wird. Eine Konsequenz dieser – nicht erst von White entdeckten – Tatsache kann die radikale Infragestellung des vorfindlichen Sinnzusammenhangs bestimmter Ereignisse als Geschichte und die bewusste Öffnung von Geschichtserzählungen für alternative Deutungsvorschläge sein. Die neuhistorische Fiktion Chinas auch unter dem Aspekt ihres Umgangs mit verschiedenen rhetorischen Konventionen zu untersuchen, deren sie sich seit dem Ende maoistischer Auftragskunst wieder bedienen kann, erscheint vor dem Hintergrund ihrer nicht selten verwirrenden Vielstimmigkeit lohnend. Auf meine Frage nach Gegenstand und Anliegen neuhistorischer Fiktion zielt Mo Yan in diese Richtung, indem er das Streben nach einer Pluralisierung der geschichtlichen Erinnerungstexte nennt. Wie in einem Spiegelkabinett sollen individuelle Erfahrungen, Betrachtungsweisen und Schreibverfahren dazu beitragen, das ideologisch diktierte, homogen codierte Geschichtsbild in der Fiktion der Mao-Ära in seiner Konstruiertheit zu entlarven.11 Befragt nach der sprachlichen wie rhetorischen Widerständigkeit seiner Romane im Vergleich zur realistischen “roten Geschichts11

Aufgrund der weiter oben bereits skizzierten, viel weniger homogenisierend und narrativ vorgehenden traditionellen Verfahren der Geschichtsschreibung, die z.T. in der Struktur der modernen Geschichtsschreibung fortwirken, beziehen sich Aussagen über die narrative Modellierung von Geschichtsbildern hier auf die Literatur beziehungsweise Fiktion. Vgl. weiter oben S. 238–241. Zur modernen Parteigeschichtsschreibung s. Weigelin-Schwiedrzik 1984, 1993, 1994 und 1999.

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schreibung” im Zeitraum zwischen 1949 und 1978 erklärt Mo Yan, mündlich überlieferte Geschichtserfahrungen der einfachen Leute zu sammeln und als Alternativen zur offiziellen Version der Nationalgeschichte12 in seinen Geschichten zu bewahren. Mo Yan: In dieser neuen Zeit, von den Achtziger und Neunziger Jahren bis zum Ende des Jahrhunderts, wurde in China tatsächlich eine grosse Menge an historischen Romanen hervorgebracht. Es gibt Gründe, warum diese Art historischer Romane “neuhistoristisch” genannt werden, im Unterschied zu den früheren, zum Beispiel denjenigen historischen Romanen, die vor der Kulturrevolution, oder besser gesagt, in der Zeit von 1949 bis 1978, geschrieben wurden, das sind ebenfalls nicht wenige. Unsere historischen Romane sind ganz anders als die historischen Romane jener Autoren. Jene früheren historischen Romane sind sehr stark politisch ausgerichtet, an ihnen haftet ein deutlicher Parteigeruch. Die Romane vom Festland mussten die Verdienste und Wohltaten der KPCh preisen, und sie mussten die in kriegerischen Auseinandersetzungen und in der Geschichte erzielten Effekte der von kommunistischen Kadern geführten Armee preisen. Und während sie die KPCh und die kommunistische Armee preisen, müssen sie die Armee der KMT und alle anderen Armeen, mit denen die KPCh in Kämpfe verwickelt war, schlecht machen. Wenn taiwanische Angehörige der KMT historische Romane geschrieben haben, so mussten sie unbedingt vom Standpunkt der KMT aus deren Wohltaten und Verdienste preisen und gleichzeitig die KPCh schlecht machen. Deshalb meine ich, dass diese Form der parteiischen Geschichtsschreibung unzuverlässig ist, sie kann nur Werke voller vorgefasster Meinungen, das heisst mit ganz und gar nicht objektiven Urteilen, hervorbringen. Ich glaube, für einen Romanschriftsteller jener Zeit, also vor der Kulturrevolution, war es die höchste Auszeichnung, zu sagen, er habe den Verlauf einer Schlacht angemessen in Szene gesetzt, das war ein sehr hoch ge12

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In der Terminologie Homi Bhabhas (gestützt auf Derrida, Fanon und Kristeva) könnte man Mo Yans gesammelte, ungehörte Minderheitenstimmen als subversive Supplemente beschreiben: “This supplementary space of cultural signification that opens up – and holds together – the performative and the pedagogical, provides a narrative structure characteristic of modern political rationality: the marginal integration of individuals in a repetitious movement between the antinomies of law and order. From the liminal movement of the culture of the nation – at once opened up and held together – minority discourse emerges. Its strategy of intervention is similar to what British parliamentary procedure recognizes as a supplementary question. […] The supplementary strategy interrupts the successive seriality of the narrative of plurals and pluralism by radically changing their mode of articulation. In the metaphor of the national community as the ‘many as one’, the one is now both the tendency to totalize the social in a homogenous empty time, and the repetition of that minus in the origin, the less-than-one that intervenes with a metonymic, iterative temporality.” Bhabha 1994: 155.

schätztes Kriterium. Jetzt denken wir hingegen, dass ein Autor, der nur den Verlauf einer gewissen Schlacht in Szene setzen will, bestimmt ein sehr dummes Buch schreiben wird, denn es ist ja nicht deine Sache, einen Schlachtverlauf zu beschreiben, dafür haben wir doch die Historiker und Militärhistoriker. Die Arbeit, welche von den Romanschriftstellern und Dichtern verrichtet werden muss, ist das Schaffen einer Geschichte des Herzens. Ihr Fokus ist nicht die Erforschung irgendwelcher historischer Ereignisse und auch nicht ein Studium irgendwelcher historischer Prozesse. Sondern sie müssen sich darauf konzentrieren, die Menschen unter dem Einfluss solcher historischer Prozesse oder Schlachtverläufe zu beobachten, die Wandlungen ihrer Herzen und Gefühle. Sie müssen erforschen, welche Veränderungen menschliche Seelen in historischen und umweltbedingten Situationen von Anomie durchleiden. Ich glaube, nur darin kann der Dichter seinen eigentlichen Auftrag finden. Seit der Roten Hirse sind wir deshalb dazu übergegangen, die offizielle Geschichtssicht zu überwinden. Was die kommunistischen Lehrbücher über den japanischen Widerstandskrieg so oder so geschrieben haben, stellt man immer als eiserne geschichtliche Wahrheit hin. Aber Taiwan hat ja auch seine offiziellen Lehrbücher, und darin mag wohl etwas ganz anderes stehen. Da wähle ich lieber den Standpunkt der einfachen Leute, also solche chinesischen Geschichten, die von Hinz und Kunz mündlich überliefert werden. Das ist Geschichte, die ich mit den eigenen Ohren hören und mit den eigenen Augen sehen kann. Das bedeutet freilich auch, dass die mit den Augen der Bevölkerung gesehene Geschichte ganz anders ist als die Geschichte, die wir aus den Lehrbüchern kennen. Manchmal ist der Unterschied gewaltig. Hier ist ein ganz einfaches Beispiel: In unseren Filmen, die vor der Kulturrevolution gedreht worden sind, ist es immer die Achte-Route-Armee oder die Neue Vierte Armee unter kommunistischer Führung, oder sagen wir, ganz egal wo in den Theaterstücken, Filmen oder Romanen der gleichen Zeit die kommunistische Partei vorkommt, da haben die Männer immer dichte Augenbrauen und grosse Augen, sie sind ganz makellos schön. Die Frauen natürlich ebenso, sie sind über alle Massen verführerisch und hübsch. Kommen aber KMT-Mitglieder zur Sprache, so sind sie entweder einäugig oder plattnasig, wenn sie nicht gleich ein Gesicht voller Pockennarben haben. Auf jeden Fall findet schon vorab eine biologische Brandmarkung durch ihre Hässlichkeit statt. Unsere Kinder wissen gleich, wenn ein Kommunist oder ein Mitglied der Achten-Route-Armee auftritt, dann ist es ein guter Mensch. Genauso unfehlbar können wir die Schlechtigkeit jedes auftretenden KMT-Mitglieds vorhersagen. Das hat doch mit Wahrheit absolut nichts zu tun. Nach dem zu urteilen was das Volk, zum Beispiel mein Grossvater, mir erzählt hat, gingen die hübscheren Kerle zur KMT, weil zu der Zeit die KMT an der Macht war, während die Armeen unter kommunistischer Führung in den Augen der KMT-Regierung Banditen waren. Ausserdem waren viele KMT-Leute sehr gebildet, sie kamen oft aus grossen, wohlhabenden Familien und hatten folglich die allerbeste Erziehung genossen. Ich will damit sagen, dass unsere frühere Literatur solche Aspekte in schwerwiegender Weise verdreht und verfälscht hat. In Rote Hirse ist es mir aber, glaube ich, gelungen, den Blickpunkt der Bevölkerung auf die Geschichte darzustellen, indem ich das Leben aus meiner

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eigenen, individuellen Perspektive dargestellt habe. Ich habe ja nie an einer Schlacht teilgenommen, ein Gewehr habe ich auch noch nicht bedient, noch viel weniger einen Menschen getötet, aber wenn ich über solche Empfindungen schreibe, wie man sie während einer Schlacht vielleicht hat, also beim Abschiessen von Gewehrkugeln oder Bomben, oder beim Töten und Feuerlegen, dann verlasse ich mich ganz auf die Einbildungskraft des Dichters. Der geschichtliche Hintergrund ist nur ein Hintergrund für meinen Roman, weiter nichts, weitaus mehr interessieren mich doch die Menschen in diesem Szenario, ihre Empfindungen, ihre Gefühle. Also versuche ich, den Weg von der früheren materialistischen Geschichte zu einer Art von mentaler Geschichte, von der offiziellen Geschichte zur populären Geschichte, von einer Geschichte der kulturellen Repräsentationen zur mündlich überlieferten Geschichte zu gehen. Welche dieser Geschichten am Ende mehr dem ursprünglichen Phänomen des Historischen entspricht, kann ich natürlich auch nicht mit Bestimmtheit sagen, vielleicht ist die Familiengeschichte in der Roten Hirse auch weit entfernt von dem, wie es wirklich war, das wird man wohl nie verifizieren können. Die wahre Geschichte, also wie die damalige Situation tatsächlich ausgesehen hat, können wir jetzt nicht mehr in Erfahrung bringen. Wir können sie nur noch bruchstückhaft aus dem, was darüber geschrieben wurde, oder aus Quellen, Bildern und Tonaufnahmen, erahnen. Dieser Punkt erscheint mir aber ganz unwichtig. Worauf es ankommt, ist die Art und Weise, wie man Geschichte betrachtet, deshalb haben in diesem literarischen Schaffensprozess der Standpunkt des sogenannten Neuhistorismus, beziehungsweise die subjektiven Faktoren eines Autors einen besonders hohen Stellenwert. Ein weiterer Aspekt ist die individualisierte Geschichte, wenn also zum Beispiel du und ich dasselbe Radio beschreiben, du aus deiner Perspektive und mit deinem Schreibstil, und ich aus meinem Blickwinkel, ich schaue von vorne darauf, du schaust von der Seite her, dann schreiben wir beide über denselben Gegenstand, aber was jeder schliesslich geschrieben hat, unterscheidet sich ganz wesentlich voneinander. Ich glaube, mit dem, was wir heute den neuhistoristischen Roman nennen, verhält es sich genauso. Wir vertreten eine hochgradig subjektive Sichtweise. Gelenkt von unserem eigenen Denken assimilieren wir Geschichte und hüllen sie darin ein, so dass unsere Romane enorm viel Individualität haben. Meiner Meinung nach ist es genau diese Individualität, welche die wahre Lebenskraft der Literatur ausmacht. Eliminiert und verbannt man die Individualität aus der Fiktion, aus der Lyrik, und aus dem ästhetischen Schaffen, dann hört die Kunst auf, zu existieren. Dann reicht es vollkommen, nur noch einen Autor und einen Maler zu beschäftigen. Die Existenzberechtigung für so viele Maler, Schriftsteller und Dichter leitet sich daraus ab, dass jeder seine eigene Kunst und seine eigene Individualität hat. Jeder hat seine eigene Besonderheit. Wenn Geschichten immer komplizierter werden, hat das denselben Grund. Manche Leute fragen: Shakespeare hat doch schon alle Geschichten fertig erzählt, warum gibt es denn immer noch so viele neue Erzähler? Weil eben so viele Erzähler anders sind als Shakespeare und deshalb auch dessen bereits erzählte Geschichten noch einmal neu erzählen können.13 13

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Mo Yan, Interview vom 28.08.1999.

Mo Yans Umgang mit Geschichte ist, wie er betont, nicht durch theoretische Programme, sei es der amerikanische Neuhistorismus oder die materialistische Geschichtsphilosophie Marxscher Tradition, geprägt, sondern er resultiert einerseits aus der praktischen Erfahrung des Schriftstellers, der (mündlich überlieferte) Geschichte als Material für seine Geschichten nutzt, und andererseits aus den Defiziten der an der Parteigeschichte orientierten, vor 1978 publizierten Romane. Allerdings hat er an der Bezeichnung seines Schreibverfahrens als Neuhistorismus nichts auszusetzen. Er füllt den importierten Namen bei Bedarf mit seinen eigenen Ideen und interessiert sich weniger dafür, was dieser in nicht-chinesischen Kontexten meinen könnte. Die Wirkung seines Werks entspricht jedoch in vieler Hinsicht den Vorstelllungen eines Hayden White, Stephen Greenblatt 14 oder Louis Montrose über die Rolle der Literatur, beispielsweise zeitgenössischer historischer Romane, in der Gegenwartskultur. Mo Yans tolerante Akzeptanz des fremden Konzepts kann allerdings auch Nachteile haben. So unterscheidet er nicht zwischen dem New Historicism als einem analytischen Konzept der Literatur- oder Kulturwissenschaften15 und den neuhistorischen Orientierungen der Kulturproduktion. Es sind trotz programmatischer Grenzverwischungen zwei unterschiedliche Modi, über das Verhältnis von Individuum, Gesellschaft und Geschichte nachzudenken. Mo steht als 14

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Insbesondere Greenblatts Zurückweisung der Dominanz des Politischen zugunsten des Poetischen in seinem Entwurf einer Kulturhermeneutik dürfte Mo Yans Zustimmung finden. Vgl. Greenblatt 1991: 107–122. “In den diskursiven Räumen, die der Begriff ‘New Historicism’ quert, wohnen einige der komplexesten, hartnäckigsten und aufreibendsten Probleme, denen Literaturwissenschaftler sich in vielfältiger Weise zu stellen oder zu entziehen suchen. Dazu zählen: die wesentlichen oder historischen Grundlagen, auf denen man »Literatur« von anderen Diskursen unterscheiden kann; die möglichen Beziehungskonfigurationen zwischen kulturellen Handlungen und gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Prozessen; die Konsequenzen poststrukturalistischer Theorien von Textualität für die Praxis einer historischen oder materialistischen Literaturwissenschaft; die Mittel, über die Subjektivität gesellschaftlich konstituiert und beschränkt wird; die Prozesse, in denen Ideologien produziert und erhalten werden und über die man sie bekämpfen kann; die Übereinstimmungs- und Widerspruchsmuster in den Werten und Interessen eines gegebenen Individuums, wie sie im wechselnden Vorherrschen seiner verschiedenen Subjektpositionen aktualisiert werden, als da z.B. wären: Kopfarbeiter, professioneller Akademiker und häuslich, gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich handelndes Wesen spezifischen Geschlechts.” Montrose in Baßler 1995: 66 f.

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Erzähler von Geschichten, deren Deutung er selbst grundsätzlich verweigert, 16 bewusst auf der anderen Seite des akademischen New Historicism. Ist es also vertretbar, ein hermeneutisches Programm auf den Produktionsprozess literarischer Texte anzuwenden? Yu Hua und Su Tong, die sich viel weniger mit dem Konzept identifizieren können als Mo Yan, stellen diese berechtigte Frage. Su Tong: Meine Einstellung zu dieser Geschichte, also was sie jetzt in der Literaturwissenschaft als ihre Parole ausgegeben haben, dieser sogenannte “Neuhistorismus”, oder welcher Ismus auch immer, jedenfalls rührt sie daher, dass ich jemand bin, der schreibt. Ich überlege mir doch nicht, ob und wie ich in meinen Romanen dieses Konzept eines Neuhistorismus verwirklichen könnte! Ich bin der Meinung, dass ich so ein Konzept nicht habe. Ich habe gar keine besonderen Vorstellungen. Daran, mir ein eigenes literarisches System zu etablieren, wofür ich einen neuen Historismus bräuchte, habe ich nie gedacht. Wirklich, auf so eine Idee bin ich noch nie gekommen! So etwas findet man nicht in meinen Romanen, es kommt von den Kritikern, zum Beispiel von Zhang Qinghua. Ich weiss, dass Zhang Qinghua und andere so einen Neuhistorismus ins Spiel gebracht haben, auch dass er ihn in seiner wissenschaftlichen Arbeit anscheinend unter mehreren verschiedenen Aspekten anwendet. Es ist aber tatsächlich so, dass er sich für ganz andere Dinge interessiert als ich. Auf diese Dinge achte ich nicht, ich achte nicht auf die Historie im Roman, ich achte auf die menschlichen Charaktere im Roman, auf die vom Roman erzählte Geschichte (gushi). Meine Aufmerksamkeit richtet sich folglich auf diejenigen Dinge, auf welche Schriftsteller schon immer geachtet haben. Alles andere, also auch so etwas wie die Frage, wie man die in meinen Romanen ausgebrachten Perspektiven auf Geschichte erforschen sollte, hat mich noch nie beschäftigt. Ich bin ein Individualist. Ich bewege mich nur mit meinen Charakteren, nur mit der Geschichte, die ich in meinem Roman erzählen will. Alles andere sind keine subjektiven Impulse, es ist nicht so, dass ich einem bewussten, eigenen Antrieb zum Ausdruck einer bestimmten Geschichtssicht folgte. So etwas wie die Repräsentation einer Geschichtssicht kennen wir im Grunde genommen gar nicht, wir kennen nur die Repräsentation von Problemen des Menschseins, oder anders gesagt, ich schreibe über gewisse Einsichten, die ich diesbezüglich gewonnen habe, über die Konflikte und Widersprüche zwischen Mensch und Gesellschaft. So, wie wir sie alle erleben, du und ich. Ich richte mein Augenmerk immer auf einen solchen Konflikt, entweder auf einen zwischenmenschlichen Konflikt, oder auf Konflikte zwischen

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Anlässlich des Interview vom 28.08.99 äusserte Mo Yan auch seine Einschätzung der neuen Diskursssituation in China, die vom allgemeinen Bedürfnis nach Autonomie geprägt sei, in diesem Fall also ein Streben nach getrennten Kompetenzbereichen der Autoren und Literaturwissenschaftler.

Menschen und ihrer sozialen Ordnung, oder auf solche zwischen Mensch und Familienethik. Meiner Meinung nach ist eine Gesellschaft, oder eine Welt im literarischen Werk immer imaginär. Die meisten der Fiktion verfassenden Schriftsteller beschreiben tatsächlich eine imaginäre Welt. Diese Welt kann besser als die wirkliche Welt sein, sie kann aber auch viel schlechter sein, aber es handelt sich in jedem Fall nur um mögliche Welten. Obwohl sie selber gesellschaftlichen Charakter haben, wirst du von einem Schriftsteller oder einem literarischen Werk nie erfahren können, wie die Gesellschaft wirklich ist, er oder es kann dir nur eine zusätzliche Anregung geben. Vielleicht ist es so, oder auch so, aber jedenfalls bleibt es immer nur beim Vielleicht. Also kann man sagen, mehr Wissen bedeutet lediglich mehr Hypothesen, unser ganzes Wissen besteht aus Hypothesen. Also ist das einzig Gesellschaftliche am literarischen Werk sein Überschuss an Vorstellungen – Vorstellungen, die du vorher noch nicht hattest. Weiter nichts, nur ein paar zusätzliche Vorstellungen.17

Für Su Tong gilt demnach der geschichtliche Hintergrund lediglich als einer von mehreren Faktoren, welche das Schicksal seiner Protagonisten bestimmen und für das Aufkommen bestimmter, neuartiger Konflikte und Vorstellungen verantwortlich zeichnen. Die Möglichkeit, historische Ereignisse in unterschiedliche Deutungshorizonte einzurücken, schreibt er Literatur und Kunst universell zu. Yu Hua unterscheidet demgegenüber zwischen dem westlichen akademischen Neuhistorismus, dem von Zhang Qinghua als Neuhistorismus definierten Konzept programmatischen, avantgardistischen Neuschreibens von chinesischer Geschichtsfiktion während der 1980er und 90er Jahre, welches aus Yu Huas Sicht auch engagierte weltanschauliche Positionsnahmen erfordert, und einem populärkulturellen Recycling von klischeehaften Geschichtsrepräsentationen als billigem Kosumgut und Massenware. Yu Hua: Chinesische Literaturwissenschaftler haben manchmal eigenartige Vorstellungen. Nehmen wir zum Beispiel das, was sie “neuhistoristische Romane” nennen. Was ist an denen “neuhistoristisch”? Da muss ein heutiger Schriftsteller nur über die Zeit vor der Befreiung, also vor 1949, schreiben, dann nennen sie das Ergebnis schon einen neuhistori[sti]schen Roman. Dazu ist mindestens zu sagen, dass sie ein Konzept falsch anwenden, wenn sie den [hiesigen] neuhistoristischen Roman mit dem amerikanischen New Historicism erklären, weil sie denken, das sei dasselbe. Der westliche Neuhistorismus dient dem Gewinn neuer Erkenntnisse über den Kolonialismus. Das ist eine Positionsnahme. Unsere chinesischen Literaturwissen17

Interview vom 14.09.1999.

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schaftler nennen aber alles neuhistoristisch, was von der Zeit vor der Befreiung handelt, ganz gleich ob es die KPCH, die KMT, oder wen auch immer feiert. Ohne Positionsnahme ist doch diese ganze Methode ziemlich lächerlich. Wenn ich es mir genau überlege, dann schreiben die besten Autoren nur über das Leben in der Vergangenheit. Sie können nicht über das moderne Leben schreiben, es geht gar nicht, darüber hat man keine Kontrolle. Deshalb schreiben die grossen Autoren offenbar lieber über die bereits Geschichte gewordene Vergangenheit, so wie diese deutschen Schriftsteller, wie Lenz, den ich ganz besonders schätze. Er hat ein Buch geschrieben, das heisst Die Deutschstunde, es ist ein Roman, den ich wirklich ausserordentlich schätze. Aber sie alle, auch Günter Grass, schreiben nur über ihr vergangenes Leben, über Eindrücke aus ihrer Kindheit. Ihre Werke handeln alle von der Vergangenheit. Der Zweite Weltkrieg zum Beispiel. Als sie anfingen, über ihn zu schreiben, war dieser Krieg bereits zuende, nicht wahr? Alle Autoren, vielleicht mit Ausnahme einiger eher mittelmässiger Schriftsteller, haben also eines gemeinsam, sie verfassen Werke über die Vergangenheit. Die Vergangenheit ist halt leichter in den Griff zu bekommen. Wem es also um neuhistorische Romane geht, dem kann ich nur sagen, es gibt sie in jeder Nation und in jeder Epoche. Wenn man aus der Sicht von heute noch einmal neu auf die vergangenen Zeiten blickt, dann ist das keine neuhistorische Methode, es ist überhaupt nichts Neues. Ob wir es nun Neuhistorismus nennen wollen oder nicht, es gibt jedenfalls in China derzeit einige neue historische Romane, wenn ihre Zahl auch recht klein ist. Damit meine ich herausragende Werke, die wirklich unkonventionelle Ansichten und Empfindungen vermitteln. Sie sind anders als diese durchschnittlichen, überaus langweiligen Bücher, worin zwar auch über Geschichte geschrieben wurde, aber womöglich in noch schlimmeren Klischees als bei den früheren Romanen. So etwas kann man wahrhaftig nicht als neuen historischen Roman bezeichnen. Ich spreche also nicht von dem, was Literaturwissenschaftler meinen, die einfach alles neuhistoristisch nennen, was irgendwie mit der Vergangenheit zu tun hat. Sondern ich habe die wenigen, wirklich guten neuhistorischen Romane im Sinn, zum Beispiel diejenigen von Su Tong. Er schreibt sehr gut, finde ich, und auch Mo Yan schätze ich sehr. Woran ich meinen eigenen Schreibstil am meisten schule, sind westliche literarische Texte, vor allem auch die deutschen. Autoren wie Kafka haben einen ungeheuren Einfluss auf mich ausgeübt. Wenn ich dagegen klassische chinesische Romane im Stil der Pinselnotizen (biji xiaoshuo) lese, so habe ich den Eindruck, dass unser Denken auf ihren Einfluss zurückzuführen ist. Warum haben die Erzählungen Kafkas lediglich meinen Schreibstil, aber nicht mein Denken geformt? Ich bin einer derjenigen Autoren, die seit fast vierzig Jahren in China leben und keine Fremdsprachen beherrschen. Ich kann weder deutsch noch englisch, so dass die chinesische Kultur meinen Grundstock bildet, während sich der Einfluss der westlichen Literatur auf meinen Schreibstil beschränkt. In der westlichen Literatur gibt es so eine Fülle an Formen und Verfahren des Schreibens, dass es sich für uns auf jeden Fall lohnt, davon zu lernen. Ein anderer Punkt ist der Unterschied in meinem literarischen Schaffen während der Achtziger und Neunziger Jahre, zum Beispiel in Texten wie “Shibasui chumen yuanxing” (“Weite Reise mit Achtzehn”), Huozhe

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(Leben!) und Xu Sanguan mai xue ji (Der Mann, der sein Blut verkaufte). Der Unterschied hat nichts mit theoretischen Umorientierungen zu tun, sondern bezieht sich auf eine allmähliche Veränderung in der Art der Entwicklung meiner Gegenstände. Es liegt in der Natur des Schriftstellers, dass er nicht über allgemeine Probleme forscht wie ein Wissenschaftler, sondern über diejenigen Probleme nachdenkt, mit denen er im Prozess des Schreibens seiner Romane konfrontiert wird. Andernfalls würde er nur über abstrakte Problematiken räsonieren. Vielleicht habe ich schon einen wunderbaren Entwurf für meine Handlung, aber wenn ich dann zu schreiben anfange, entwickelt sich plötzlich alles ganz anders, es geht in eine völlig neue Richtung. So etwas erlebe ich jetzt sehr oft. Der Grund ist, dass ich eine neue Einstellung zu den Protagonisten meiner Texte gewonnen habe. In meinen Erzählungen von “Weite Reise mit Achtzehn” bis “Wie Schall und Rauch” (“Shishi ru yan”) hatten die Personen lediglich den Status von Zeichen, ihnen fehlte die eigene Stimme. Sie hatten nur meine Stimme, durften also immer nur das sagen, was ich von ihnen gerade hören wollte. Zu jener Zeit waren meine Handlungsentwürfe immer schon perfekt ausgearbeitet, bevor ich mit dem Schreiben meines Texts überhaupt anfing. Ich wusste genau, wie ich alles gestalten würde, welchen Anfang, welches Ende ich anstrebe, und welche Stadien dazwischen liegen müssen. In den Neunziger Jahren, beim Schreiben meines ersten grösseren Romans dieser Periode, Rufe im Regen (Zai xiyu zhong huhan), entdeckte ich plötzlich, dass die Charaktere ihre eigenen Stimmen haben. Sie wollten sich immer selbständig äussern. Ich fing also an, das zuzulassen und stellte dabei fest, dass sie tatsächlich selbst sprechen. Bei Leben! und besonders bei Xu Sanguan angekommen, wurde mir bewusst, dass ich zu einem Schriftsteller geworden war, der grossen Respekt vor Protagonisten hat, besonders vor denjenigen Protagonisten, die aus seiner Feder hervorgehen. Seither scheint mir, dass ich in den Achtziger Jahren ein Schriftsteller vom Schlage Mao Zedongs war, er hat sein Volk unterdrückt, ich meine literarischen Charaktere. Aber jetzt halte ich mich für einen verhältnismässig demokratischen Autor. Das ist wirklich sehr eindrucksvoll, als ich Leben! und Xu Sanguan schrieb, haben die Protagonisten nicht nur für sich selbst gesprochen, sie haben es überdies auch sehr gut gemacht, so, als wäre da tatsächlich die Stimme eines Anderen. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass ein Mensch über grenzenloses Wissen verfügen kann, und dass er nicht nur eine singuläre Identität haben muss, sondern dass er in vieler Hinsicht mit allen anderen Menschen verbunden ist. Wenn er nur beim Schreiben jeden einzelnen Charakter ernst nimmt und jedes seiner Worte respektiert, bildet sein Werk mit Sicherheit einen weiten Horizont. Das halte ich für die wichtigste Entwicklung meiner Ansichten und Schreibverfahren. Zu den anderen Veränderungen, welche Kritiker an mir entdeckt haben wollen, kann ich gar nichts sagen.18

18

Interview vom 20.09.1999.

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Die Kritik Yu Huas am Neuhistorismus mag übertrieben und bezüglich der inhaltlichen Gewichtung sogar fragwürdig erscheinen, 19 doch sein Vorschlag, historische Romane weniger am Paradigma der darin repräsentierten historischen Epochen, als an den angewandten Schreibverfahren zu messen, geht mit Hayden Whites Beobachtungen zur Metahistory konform und ist eine wichtige Kritik am Generalisierungsdrang literaturwissenschaftlicher Typologisierung. Yu Hua und Su Tong bestreiten beide nicht, in ihren Texten innovative Schreibverfahren zu erproben. Sie legen aber Wert darauf, ihre Ideen aus der Praxis und nicht aus einem theoretischen Dogma zu gewinnen. Dasselbe gilt auch für Mo Yan, der sich offensiv zu den Leibwahrheiten seiner Geschichten bekennt, indem er sie als Versuche erklärt, das Fühlen, Hören und Sehen von erlebter Geschichte als Dimension einer von körperlichen Bedürfnissen und Agonien gesteuerten Geschichtsdynamik in seinen Texten wiederzugeben. Auf den ersten Blick mögen die Konfliktszenarien von Su Tong, und insbesondere die von Yu Hua als Mittelpunkte seiner schöpferischen Konzeption geschilderten autonomen Sprechakte von Romanfiguren, abstrakter erscheinen. Sie sind es aber immer weniger, wie Yu Hua ausführt, da er festgestellt hat, dass sogar Mittelschüler und ausländische Studenten des Chinesischen im Anfängerstadium gerne zu seinen Erzählungen greifen, um etwas über die Geschichte (und Sprache) Chinas zu lernen: Yu Hua: Das ist sehr merkwürdig. Die jungen Leute sind gegenwärtig ganz begeistert von einem meiner Bücher, Leben!, sogar Mittelschüler lieben es. Wahrscheinlich betrachten sie es als Geschichtslehrbuch. Ich hatte einmal Gelegenheit, mit ganz normalen Lesern etwa meines Alters zu diskutieren. Sie sagten mir, dass sie Xu Sanguan für ihre Söhne und Töchter aufheben wollten, damit diese später, wenn sie gross wären, verstehen könnten, in was für einer Situation ihre Eltern aufgewachsen sind. Meine Bücher haben jetzt eine solche Funktion, die Funktion eines Geschichtslehrbuchs. Diese Reaktion der Leser, also warum sie meine Bücher so mögen, hat damit zu tun, dass sie sie für gut lesbar halten, besonders Leben!, das

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Zahlreiche neuhistorische Erzählungen der Achtziger und Neunziger Jahre waren der Aufarbeitung der Revolution gewidmet, wobei die Aufmerksamkeit nicht wie von Yu Hua angenommen nur der Phase des antijapanischen Widerstands und der Bürgerkriege während der 1920er bis 1940er Jahre, sondern in mindestens ebenso grossem Umfang der Kulturrevolution beziehungsweise der Zeit seit dem Regierungsantritt Mao Zedongs zugewandt war. S. Lin 2005, Xu 2000.

liest sich leicht und entspannt, und man hat es auch ganz schnell fertiggelesen. Ich habe sogar einige Studenten des Chinesischen getroffen, die noch gar nicht sehr fortgeschritten waren, vielleicht im zweiten oder dritten Studienjahr, und das Buch ebenfalls schon im Nu fertig lesen konnten. Das Buch ist sprachlich unkompliziert, das mag auch einer der Gründe dafür sein, dass man es so schätzt. Wer so etwas liest, muss sich dabei nicht sonderlich den Kopf zerbrechen. Dagegen muss man sehr viel nachdenken, wenn man “1986” verstehen will. Viele Leser finden das abschreckend, es gibt heute ein solches Problem. 20 Nicht immer versuchen die Autoren jener Generation, dieses Bedürfnis der Leser nach einfacher Lektüre zu befriedigen; die Komplexität des menschlichen Lebens kann wohl auch aus ihrer Sicht nicht vollständig in anspruchslosen, populären Geschichten ausgeschöpft werden. Wie kompliziert, kunstvoll und hermetisch die Erzählungen aber auch werden mögen, so findet Chen Xiaoming doch immer einen kollektiven, halb- oder unterbewussten Antriebsfaktor für die narrativen Revisionen der Geschichte der chinesischen Revolutionen. Er nennt diesen Faktor das geschichtliche Begehren, und meint damit – Marx mit Freud verbindend – eine zumeist libidinös besetzte Erwartung an die Zukunft, die auch nach dem Abschied vom Mythos der Revolution als Motivation für die gegenwärtige Welle von narrativen Rekonstruktionen der jüngeren Vergangenheit Chinas wirkt.

Nicht immer versuchen die Autoren jener Generation, dieses Bedürfnis der Leser nach einfacher Lektüre zu befriedigen; die Komplexität des menschlichen Lebens kann wohl auch aus ihrer Sicht nicht vollständig in anspruchslosen, populären Geschichten ausgeschöpft werden. Wie kompliziert, kunstvoll und hermetisch die Erzählungen aber auch werden mögen, so findet Chen Xiaoming doch immer einen kollektiven, halboder unterbewussten Antriebsfaktor für die narrativen Revisionen der Geschichte der chinesischen Revolutionen. Er nennt diesen Faktor das geschichtliche Begehren, und meint damit – Marx mit Freud verbindend – eine zumeist libidinös besetzte Erwartung an die Zukunft, die auch nach dem Abschied vom Mythos der Revolution als Motivation für die gegenwärtige Welle von narrativen Rekonstruktionen der jüngeren Vergangenheit Chinas wirkt. Chen Xiaoming: Mir ist aufgefallen, dass Mo Yan in sehr vielen seiner Geschichten immer wieder aufs Neue ein Problem darstellt, das von in- und ausländischen Wissenschaftlern bis jetzt nahezu übersehen worden ist. Dieses Problem, das Mo Yan am meisten zu interessieren scheint, betrifft das Problem des Begehrens. Wegen einer Art reinen Begehrens kann auf die Dauer niemand auf die Geschichte verzichten. Das führt 20

Yu Hua, Interview a.a.O.

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uns auf das zurück, was Jameson über die Rolle der Allegorie in der Dritten Welt gesagt hat,21 in diesem Punkt hat er auch sicher recht. In allen nationalen Narrationen aus der Dritten Welt spielt, wie er meint, die Allegorie eine zentrale Rolle, und sie tritt immer in Verbindung mit nationalen Mythen in Erscheinung. Das ist aber eigentlich in den Ländern der Ersten Welt nicht anders, denn auch kapitalistische Geschichten verlaufen nach diesem Muster. Jedenfalls gibt es eine deutliche Beziehung zu Jamesons Axiom der nationalen Allegorie sowohl in Mo Yans Roman Jiuguo (Die Schnapsstadt), als auch in Fengru feitun (Big Breasts and Wide Hips). Dieses Thema, sein Zentrum besteht aus Mythen des Begehrens, verfolgt Mo Yan unermüdlich in allen seinen Geschichten. Gleichzeitig kommen bei ihm immer wieder die hitzigsten historischen Momente vor, wie zum Beispiel der japanische Widerstandskrieg. Seine Geschichten des Volks und der Nation haben ausserdem etwas Theatralisches, es gibt Akte und Requisiten, und immer geht es sehr hitzig zu und her. Aber zum Ende hin wird es regelmässig chaotisch, ausgemacht chaotisch, und was schliesslich übrigbleibt, ist immer der eine oder andere Mythos des Begehrens. Chen Zhongshis Roman Bai Lu yuan (Die Ebene des weissen Hirsches / Das Schicksal der Familien Weiss und Hirsch)22 ist auch ein sehr wichtiges Werk. Er schildert den Wandel des ländlichen China im 20. Jahrhundert, gleichzeitig kommt er aber auch auf eine Art historische Seinsweise des Hinterlands, also vor dem Zugriff von KMT und KPCh auf die Geschichte Chinas, zu sprechen. Er repräsentiert damit seine Ideen zu einer reinen Kultur des Ostens. Diese Vorstellungen drückt der Autor in einer Reihe von Geschichten über das geschichtliche Begehren aus. Seine Geschichten ereignen sich, nachdem die Revolution für die Landbewohner eine Situation der Zersplitterung herbeigeführt hat. Gleich am Anfang des Romans haben wir die Geschichte des Bai Jiaxuan, der sechsmal hintereinander heiratet. Jede seiner Frauen stirbt kurz nach der Hochzeit. Das geht immer so weiter bis zur siebten, erst diese Frau bleibt endlich am Leben. Was diese Geschichte ausdrücken will, ist eine an sich schon problematische Tiefenstruktur der traditionellen chinesischen Gesellschaft, deren Probleme in der Folge durch alle Arten von Revolutionen noch verschlimmert werden, so dass die Menschen für die politische Form der Revolution immer weniger Verständnis zeigen. In ihren Augen haben die Revolutionen auf dem Land alles nur noch mehr durcheinander gebracht. So wissen sie auch nicht mehr genau, wem sie ihr Dilemma jetzt anlasten sollen, der KMT oder der KPCh. Der Roman hat sofort nach dem Erscheinen heftige Kritik der Propaganda-Abteilung beim Zentralkomitee der KPCh (Zhongxuan bu) auf den Plan gerufen. Wonach er aber eigentlich sucht, sind Ideen, wie China seine ursprüngliche Kultur bewahren könnte. Der Autor vermutet anscheinend, dass Chinas gewachsene ländliche Strukturen sinnvoller sind als alles später Gekommene. In den Roman ist auf diese Weise ein nationaler Mythos eingebettet, der Mythos eines ganzen Jahrhunderts. Dieser Mythos ist Teil der Geschichte, wie China mit dem Eindringen des Westens konfrontiert wurde – und mit dem Chaos, das entstand, als 21 22

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Chen in Xie und Li 1993, vgl.a. Jameson 1998 und Jameson 1987. Vgl. hierzu Zhu 1999: 189 f.

es Revolution machen wollte. Sie wird vom Roman noch einmal und sehr interessant erzählt. Tatsächlich schreibt ja nicht nur Mo Yan historische Romane, sondern eben zum Beispiel auch Chen Zhongshi, oder Liu Zhenyun. Liu Zhenyuns jüngster Roman hat den Titel Guxiang mian he huaduo (Das Mehl und die Blüten aus der Heimat, 1998).23 Davor kam Guxiang tianxia huanghua (Chrysanthemen unter dem Himmel der Heimat) heraus, darin wird die Geschichte der neuen demokratischen Revolution noch einmal erzählt, im Grunde genommen die gesamte chinesische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Zeitspanne dieses Romans entspricht in etwa derjenigen von Bai Lu yuan, aber Lius Roman erzählt seine Geschichten aus Chinas Epoche der Moderne ganz anders, im traditionellen satirischen Stil. In seinem Roman sind es die Mythen der Revolution. Angefangen von der Landreform bis zur Kulturrevolution wird die ganze nationale Geschichte als Lustspiel dargestellt, beziehungsweise als Farce verhöhnt. Die Revolution hat darin jeglichen Ernst eingebüsst, sie wurde zu einem reinen Schauspiel, zu einer Volksbelustigung. Dem Mythos der Revolution zollt Liu dabei überhaupt keinen Respekt, er bewirft ihn sogar noch mit Schmutz. In seinem späteren Roman Guxiang xiangchu liuchuan (Die Heimat und ihre Überlieferungen) treibt er es noch bunter, vielleicht ein bisschen zu bunt. Da mischt er die ganze chinesische Geschichte durcheinander und will damit zeigen, dass sie im Grunde nur aus ständigen Wiederholungen besteht. Er bringt Cao Cao24 und Mao Zedong zusammen, und dann kommt zu diesem bereits reichlich chaotischen Geschehen auch noch Zhu Yuanzhang25 dazu. Ihm ist alles einerlei, die ganze Geschichte besteht bei ihm nur noch aus einem einzigen, von politischen Akteuren verursachten Radau. Diese Art der Interpretation von Geschichte, sowohl der Geschichte Chinas als auch der Geschichte der neuen demokratischen Revolution, verhilft uns aber meiner Meinung nach zu einem besseren Verständnis des revolutionären Mythos, das ist ein sehr wichtiger Aspekt in der chinesischen Literatur der Neunziger Jahre. Die genannten Autoren interessieren sich vielleicht nicht besonders für Nietzsches Geschichtsphilosophie, aber das zyklische Geschichtsverständnis ihrer eigenen Tradition ist ihnen auch nicht unbedingt vertrauter. Ihr Abrücken vom modernen teleologischen Geschichtsbild gründet in erster Linie auf ihrem Zweifel an der Idee der Revolution. Der Mythos der Revolution war ja bis vor kurzem sehr mächtig, jeder musste sich dazu bekennen und damit identifizieren. Die Autoren der Neunziger Jahre identifizieren sich aber nicht mehr damit. Sie reagieren vielmehr sehr kritisch auf den chinesischen literarischen Realismus der Fünfziger und Sechziger Jahre mit seinen Revolutionsmythen – jeder kennt die Texte: Ding Lings Taiyang zhao zai Sangganhe shang (Die Sonne scheint über dem Sanggan-Fluss), Zhou Libos Baofeng zhouyu (Sturm), San jia xiang (Three Families Lane) und Yehuo chunfeng dou 23

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Dieser Roman blieb in China trotz Öffentlichkeitskampagnen des Verlegers zunächst erfolglos. Inzwischen sind zahlreiche Studien und Kommentare erschienen; vgl. die Analyse in Chen 2008: 191–216. Cao Cao (155–220), Gründer des Wei-Reiches (220–265) nach dem Fall der HanDynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.). Zhu Yuanzhang (1328–98), Gründer der Ming-Dynastie (1368–1644).

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gucheng (Feuersbrunst und Frühlingswind), und immer so weiter bis zur Kulturrevolution mit Yanyang tian (Heller Sonnenschein), Jinguang dadao (Der goldene Weg) und Hongnan zuo zhan shi (Geschichte der Kämpfe in Hongnan).26 Da wird ja jedesmal eine makellose Geschichte über die chinesische Landreform, oder die Bewegung zum Aufbau des Sozialismus in China erzählt. ... Nachdem die Partei mit ihrer Reformpolitik inzwischen sogar selbst – wenn schon nicht in der Theorie, dann aber umso mehr in der Praxis – von ihren zwischen 1949 und 1976 vertretenen Maximen und Kampagnen abgerückt ist, ... haben die Autoren jetzt ein ernstes Problem. Sie denken nämlich, dass der Status der Heiligkeit, welchen die Revolution früher innehatte, nur Mythologie war, eine Art von Utopie, die nie verwirklicht werden kann. Bei Liu Zhenyun geht das sogar so weit, dass er die Revolution nur noch als einen einzigen, wüsten Radau darstellt. Deshalb haben die Schriftsteller angefangen, die Perspektive zu wechseln. Manche schreiben diese Geschichte direkt neu, indem sie die Revolutionsgeschichte ausnehmend chaotisch repräsentieren wie Liu Zhenyun, voller Widersprüche und zweifelhafter Vorkommnisse. Andere, jüngere Autoren schreiben Geschichten über Individuen, die völlig aus dem Kontext des Revolutionsmythos, wie auch aus demjenigen der Gesellschaft, herausgelöst erscheinen. Hauptthema ist hier der Mensch, wie er sein Verhältnis zur Gesellschaft sieht, womöglich sogar dessen feindliche, distanzierende Position dazu, und jedenfalls nur aus der Perspektive seiner eigenen Existenz heraus.27

Chen Xiaoming sieht das Verhältnis von Geschichte und Mythos im Kontext der chinesischen Revolution weniger bezogen auf den Mythos im literaturanthropologischen oder neuhistoristischen Sinn, als (durchaus ideologiekritisch wirkende) narrative oder symbolische Ansippung an bestehende Leiterzählungen, sondern vielmehr auf den von der post-/aufklärerischen Kritik an dessen ideologischer Kontamination abgeleiteten Begriff: Mythos als Lüge oder Trugbild. Er hat mit dem Faktor des geschichtlichen Begehrens zwar die Dynamik und einen elementaren Antrieb für narrative Re-/Orientierungen in den Blick genommen, widmet sich aber in der Folge weniger den experimentellen Inhalten allegorischer De- oder Rekonstruktionen der Nation, als der Kritik an den bereits historisch inkarnierten Utopien der chinesischen Moderne. Die Trajektorien kulturschaffender Intellektueller werden sich aber nach wie 26

27

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Vgl. Zhu 1999, 1: 325–34 und ders. 1999, 2: 17–35. In einem hier nicht wiedergegebenen Absatz spezifiziert Chen, dass Dings und Zhous Romane aus den 40er Jahren stammen. Sanjia xiang (1959) wurde von Ouyang Shan, Yehuo chunfeng dou gucheng (1958) von Li Yingru, Hongnan zuo zhan shi (1972) von einem Shanghaier Autorenkollektiv, Jinguang dadao (1972) und ebenso Yanyang tian (1965) von Hao Ran verfasst. Interview vom 19.09.1999.

vor im Spannungsfeld zwischen den Kompetenzbereichen des Utopischen als ästhetischem Vorschein besserer Welten (Bloch 1985) und des Realistischen als vordergründig objektiver Beschreibung und selbst-/reflexiver Verortung von historischen Prozessen bewegen. Auf die Frage, inwieweit ihre neuen Geschichtserzählungen etablierte Mythen dekonstruieren, diese subversiv transformieren oder mit Hilfe von Gegenmythen andere Leitbilder aufbauen, reagierten die befragten Autoren aus verschiedenen Gründen vorsichtig. Zum einen besetzen sie im gegenwärtigen literarischen Feld bewusst die lange vakant gebliebene Position des autonomen Schriftstellers, welcher – vermutlich gemäss einer nachwirkenden genieästhetischen Tradition des Modernismus – mehr Interesse für das Erschaffen neuer imaginärer Welten aufbringt, als für ein epigonales 28 Weiterspinnen oder Auslegen bereits vorhandener. Womöglich noch wichtiger ist der von Su Tong genannte Aspekt einer Grenzziehung zwischen dem Aufgebot an Symbolen und mythischen Bildern, durch welches Filmemacher narrative beziehungsweise deskriptive Elemente der von ihnen benutzten Ausgangstexte teilweise ersetzen, also eine Praxis der sekundären Remythisierung verfolgen, und ihren eigenen, eher im Paradigma experimenteller Geschichtsrepräsentation anzusiedelnden Projekten.

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Der zeitgenössischen Literatur werden Vorwürfe verschiedener Art, aber strukturell ähnlicher Natur gemacht: manche Kritiker erklären sie für unchinesisch, weil auf westlichen Modellen gründend, andere für zu chinesisch, weil den fremdsprachlich nicht versierten Autoren diese westlichen Modelle nur in Übersetzung zugänglich seien. Für epigonal und von schlechter Qualität plädieren vor allem solche Sinologen innerhalb und ausserhalb Chinas, die Experten für vormoderne Literatur sind. Auch in W. Kubins vielbeachteter Literaturgeschichte findet sich mehr Kritik als Lob, vor allem bezogen auf die Kommerzialisierung und Banalität der neuhistorischen Fiktion. S. Kubin 2005: 388, 395 f., passim. Häufig fallen diese Urteile nicht als Ergebnis einer im Verfahren korrekten (intersubjektiven, falsifizierbaren) Analyse, sondern pauschal und ohne Begründung. Die Kehrseite davon ist der sogenannte Sinochauvinismus der Neunziger Jahre, welcher sich aller brauchbaren Narrative einschliesslich neuhistorischer Romane und Filme bedient, um die eigene Geschichte zu glorifizieren. Vgl. hierzu u.a. Chow 2000 und, hier mehr bezogen auf die Fortsetzungen dieser neo-orientalistischen Diskursformation in Debatten über die Rolle transnationaler kultureller Akteure (wie sie Su Tong im Folgenden anspricht), Chow 2002.

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Su Tong: Als Zhang Yimou seinen Film Rote Laterne (Da hongdeng gaogao gua) veröffentlicht hat, haben Zuschauer aus dem In- und Ausland alles, was sie im Film gesehen haben, für meine Erzählung gehalten. Sie haben beides, Zhangs Film und meinen Text,29 miteinander vermischt. Aber der Film weicht stark von meiner Erzählung ab. Wenn mich dann jemand fragt, warum ich etwas so oder so geschrieben habe, fühle ich mich missverstanden. Wenn ein Autor sich mit einer solchen Situation konfrontiert sieht, dann ist das schon ein Grund, meiner Ansicht nach der einzige, um sich etwas unbehaglich zu fühlen. Man empfindet ein schwer zu erklärendes Unbehagen und Ärger. Das erlebe ich oft. Mir scheint, ein Grossteil der gegenwärtigen nationalen Mythen stammt aus Zhang Yimous Filmen, jeder denkt das. Rote Hirse, Rote Laterne, Judou – jeder denkt zwar, es gäbe diese nationalen Symbole und Allegorien, die im Publikum so starke Gefühle hervorrufen, auch in den betreffenden Erzählungen. Jedenfalls scheint es sich mir dabei um eine Art von opportunistischer Spekulation zu handeln. Man kann das so verstehen: weil man bei der Produktion eines Films viel grösserem Druck ausgesetzt ist, als beim Schreiben, kann es vorkommen, dass nicht ganz redlich vorgegangen wird. Der Filmemacher muss, wenn er gewisse Ideen etablieren möchte, unbedingt erreichen, dass sie im grossen, wenn möglich sogar globalen Rahmen, das heisst von allen potentiellen Zuschauern, akzeptiert und sofort verstanden wird. Für ihn stehen schliesslich einige Millionen an Kapital auf dem Spiel, das muss er später alles wieder hereinholen. Deshalb denke ich, dass er manchmal im Schaffensprozess nicht so redlich sein kann wie ein Schriftsteller. Denn wenn ein Autor ein literarisches Werk verfasst, kann er noch nicht wissen, ob es auch veröffentlicht werden kann. Er braucht sich auch nicht so viele Sorgen zu machen, ob er später berühmt wird, oder ob sein Roman ein Erfolg wird, weil er für seine Arbeit nichts weiter benötigt als Papier und Bleistift. Wenn es nicht zum Buch kommt, habe ich zumindest keine Ausgaben von mehreren Hunderttausend oder Millionen, deshalb stehe ich auch nicht unter diesem enormen Erfolgsdruck. Also kann ich es mir als Autor beim Schreiben leisten, entweder über solche Fraugen der nationalen Identität nachzudenken, oder eben nicht. Man kann mir dieses Thema nicht einfach diktieren, und deshalb bin ich in dieser Hinsicht viel unbeschwerter. Das erste, was man in einem Film sucht, ist seine allegorische Struktur; und weil er Menschen mit diesen nationalen Dingen leicht fesseln kann, strebt er auch gern in diese Richtung. Das ist bei einem Schriftsteller ganz anders. Ein Autor setzt sich in der Regel nicht mit dem Vorsatz an die Arbeit, eine nationale Allegorie zu schreiben.”30

Aus diesen und den vorher, im Zusammenhang mit der Repräsentation von nationaler Geschichte im Roman, geäusserten Stellungnahmen Su Tongs ist zu schliessen, dass er zwar hinter die Faktizität historiogra29 30

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Gemeint ist Su Tongs Erzählung “Qi qie cheng qun” (Ehefrauen und Konkubinen). Su a.a.O.

phischer Darstellungen zurückgehen will, um Aktions- und Interaktionsmuster zu ergründen, welche als bislang unerkannte Triebkräfte für historische Ereignisse in Frage kommen. Er rekurriert dabei jedoch nicht, das geht zumindest aus seinen eigenen Aussagen hervor, vorsätzlich auf vorgängige symbolische Formeln, wie sie in Mythen kristallisiert sind. Seinen Roman Mi (Reis) will er aus diesem Grund auch nicht ins Paradigma einer modernen Weiterführung des klassischen Flutenbändiger-Mythos gerückt wissen, sondern er versteht ihn ausschliesslich als seine eigene Parabel auf den Niedergang der menschlichen Moral in Situationen akuten Mangels oder existentieller Bedrohung. Yu Hua reagiert nicht ganz so abweisend, indem er zwar versichert, diesen Aspekt beim Schreiben nicht direkt vor Augen zu haben, aber dabei gleichzeitig einräumt, dass ein kultureller Prägungseffekt solche vorgängigen Symbolisierungen auch unbeabsichtigt ins Spiel bringen kann. Yu Hua: Falls es wirklich mythologische Elemente in meinem Werk gibt, was ich nicht weiss, so würde ich sagen, sie haben zwei Ursprünge. Der eine sind meine früheren Lektüren. Das heisst, ich habe früher sehr viel klassische Pinselnotizen-Erzählungen (biji xiaoshuo) gelesen und halte diese literarische Gattung für einen sehr wichtigen Faktor der traditionellen chinesischen Kultur. Amerikanische Anglisten, die meine Erzählungen gelesen haben, finden zwar eher Bezüge zu Kafka, der ja tatsächlich auch grossen Einfluss auf mein Werk ausübt und sehr ähnliche symbolische Strukturen verwendet hat. Aber die Pinselnotizen waren schon vor Kafka wichtig, und sie sind viel früher entstanden. In der klassischen chinesischen Literatur gibt es einen grossen Reichtum an derartigen Mythen. Das schliesst auch die Lyrik Li Bais ein, in der eine solche Denkform, das heisst eine gewisse dem mythischen Denken verwandte hyperbolische Ausdrucksweise, verkörpert wird. Das ist wirklich ein sehr wichtiger Aspekt. Der andere Ursprung mythologischer Elemente in meinem Werk muss in meiner individuellen Vorstellungskraft zu finden sein. Denn ohne meine Vorstellungskraft gelänge es mir gar nicht, meine Texte zu schreiben, es ginge einfach nicht. Es ist schliesslich die Vorstellungskraft, welche das Talent eines Autors definiert. Das hat zum Beispiel Hemingway schon gesagt, der über die Qualität eines Autors nach Massgabe von dessen Vorstellungskraft urteilte. Nur wenn er diese vorweisen konnte, sagte Hemingway von ihm, er schreibe gut. Gefiel ihm ein Autor andererseits nicht, dann sagte er, jener habe keine Vorstellungskraft.31

31

Yu a.a.O.

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Wie bereits erwähnt, kann Yu Huas Repräsentationsverfahren des Phantastischen tatsächlich auf Mythologisierungs-Verfahren in der biji-Literatur zurückgeführt, beziehungsweise in der (übrigens von Kafka rezipierten und aufgegriffenen) Tradition Pu Songlings gesehen werden. Yus namen- und häufig auch gestaltlose Gespenster, welche die zeitgenössische chinesische Gesellschaft heimsuchen, sind Repräsentanten einer dunklen Macht, die wir analog zum Freudschen Ansatz als kollektives Unbewusstes identifizieren können, das heisst als sich im sozialen Handeln manifestierende, verdrängte oder naturalisierte negative Effekte repressiver kultureller Kräfte des sozialen Systems und seiner Akteure. Dieser funktionale und, wie gemäss seiner eigenen Stellungnahmen anzunehmen ist, weitgehend unreflektierte Einsatz von Mythen deutet darauf hin, dass der Autor sich wie schon Lu Xun als Therapeut seiner Gesellschaft sieht. Sein Werk soll direkt auf die Gesellschaft einwirken, wobei es ins Verhältnis zu den eigenen kulturellen Symbolsystemen gesetzt wird und im aufklärerischen Modus einer narrativen Simulation oder Nachstellung von typischen Szenarien operiert. Auch ist für Yu Hua die theoretische Vermittlung durch Literatur- oder Kulturwissenschaftler kein notwendiger Bestandteil des Literatursystems. Einen Grund dafür, so vorzugehen wie Yu Hua, sieht Chen Xiaoming in der traditionellen Hierarchie der Symbolwelten von Eliten und Volk, die der volkstümlichen Imagination kaum eine andere Wahl liess, als die der Nachahmung. Es gab, so meint Chen, keine Kultur des Dialogs zwischen politischen Eliten und den patriarchalisch geführten Sippen. Späte Projekte zur Verschriftlichung und Literarisierung volkskultureller Symbolwelten durch Intellektuelle wie Pu Songling (1640–1715) seien die Ausnahme; in der Regel habe kulturelle Vermittlung nur von oben nach unten stattgefunden. Chen Xiaoming: Die Mythen des chinesischen Volks offenbaren eine sehr interessante Vorstellungswelt, die ganz anders ist als diejenige westlicher Völker. Im Westen gab es immer Volksgemeinschaften mit hochentwickelten Strukturen des Volkstums. Die Religion spielt dabei eine wichtige Rolle, sie hat eine tragende Basis für diese Volksgemeinschaften geschaffen. Ausserdem gibt es auch noch alle Arten von städtischen Bewegungen und Aktivitäten. In der chinesischen Geschichte haben wir dagegen das sogenannte ländliche China (Xiangtu Zhongguo) mit seinem patriarchalischen Sippensystem. Es beinhaltet Institutionen wie den Ältesten, die Ahnenhalle, die Genealogie und Ähnliches. Wenn wir jetzt noch einmal gründlich die Psychologie der historischen Dorfgemeinschaften erforschen könnten, mit allen

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Schichten ihrer seelischen und symbolischen Welten, würden wir feststellen, dass diese stark unter dem Einfluss des Denkens der herrschenden Klasse und ihrer offiziellen Politik stehen, während andererseits Rückwirkungen des Volkstums auf die herrschende Klasse kaum zu beobachten sind. Im Westen kann man hingegen seit der Renaissance starke Wechselwirkungen auch in diese andere Richtung vorfinden, also vom volkstümlichen Denken zu demjenigen der Eliten. Ein sehr einfaches Beispiel sind die mythischen Vorstellungen und Überlieferungstraditionen des Volks, die sich alle an den politischen Ideen der Herrschaftselite orientieren und diese nachahmen, wie zum Beispiel die Geschichte der Flucht der Chang E zum Mond. Oder die vielen Legenden über Kaiser und göttliche Herrscher im Himmel, was wollen sie denn alle ausdrücken? Doch nichts anderes als latente Erwartungen der unteren Volksschichten gegenüber der herrschenden Klasse. In den Geschichten von Chang E, wie auch in derjenigen von Rinderhirt und Webermädchen (Niulang Zhinü), die sich einmal im Jahr am siebten Tag des siebten Monats vereinigen dürfen, erscheint unfehlbar eine Königinmutter des Westens (Xi Wangmu), das ist die himmlische Kaiserin. Immer haben solche Figuren, wie ein Kaiser, eine Kaisergattin, oder die Königinmutter ihre Hand im Spiel. So werden die volkstümlichen Erzählstrukturen am Ende immer in die Bahnen des ständischen Systems der feudalen herrschenden Klasse gelenkt. Wie bei dem Mythos von Rinderhirt und Webermädchen, in dem die Königinmutter für die beiden an jedem Siebten Siebten eine Himmelsbrücke baut: es bleibt immer Zuständigkeit der göttlichen Kaiser, die Widersprüche im Volk zu lösen. Man entdeckt dabei, dass sich die volkstümliche Imagination ganz und gar von der Imagination der herrschenden Klasse gängeln lässt. Warum waren die Monarchen in China so überaus mächtig? Das hat viel mit der schwachen Vorstellungskraft des Volks zu tun, die immer nur die Kultur der Monarchen nachahmte. Hätte das Volk seine eigenen Vorstellungswelten kultiviert, dann wären Möglichkeiten der Veränderung oder eines Sturzes der Monarchie vorhanden gewesen. Aber es gab nichts dergleichen, auch keine Kultur des Aushandelns von Interessen. Im Westen dagegen, in Deutschland und insbesondere in England mit seinen Shakespeare-Dramen, sind solche volkskulturellen Gegenwelten sehr weit entwickelt. Diese beeinflussen die Aristokratie, und von dort setzt sich der Einfluss auf die Monarchen fort. In China haben wir noch keine aktive, vom Volk selbst konstituierte Kultur der gesellschaftlichen Veränderung, sondern nur die vergleichsweise passive Nachahmung auf den Ebenen der Imagination und Kultur des Volks. China hat zwar seine eigene Volksgemeinschaft, aber es kennt keinen bürgerlichen Diskurs und auch keine bürgerliche Gesellschaft. 32

Chen Xiaomings funktionsgeschichtliche Theorie der auf Mythen und Überlieferungen gegründeten Volkskulturen, die er horizontal im Kulturenvergleich und vertikal im Verhältnis zu den jeweiligen gesellschaftlichen Eliten evaluiert, führt als Subtext den Prozess einer Neubestimmung der eigenen sozialen Rolle mit, welchen chinesische Intellektuelle 32

Chen a.a.O.

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während des 20. Jahrhunderts erfahren haben. Seine Überlegungen beziehen sich auf Anstösse zum Umdenken seit den ersten Rezeptionsschüben von westlicher Mythologie-Forschung im Umfeld eines gegen die Mandschu und westliche Fremdregimes gleichermassen gerichteten chinesischen Nationalismus, der das systematische Sammeln und Sichten der eigenen Folklore erstmals zum bedeutenden politischen Faktor erhob. Seine im Vergleich mit westlichen Traditionen geäusserte Kritik an Passivität und mangelnder Autonomie der folkloristischen Einbildungskraft in China wird von Mo Yan zweifach relativiert. Zum einen zeigt Mo Yan als aus der xungen-Schule der Achtziger Jahre hervorgegangener Schriftsteller in seinem literarischen Werk einen scharfsichtigen Umgang mit dem orientierenden, paradigmatischen, formativen und normativ-integrativen Potential von volkskulturellen Mythen, die bei ihm weniger häufig in ihrer traditionellen Funktion von sinn- und identitätsstiftenden Gründungserzählungen auftreten. Darüber hinaus, und mit grösserem Interesse beziehungsweise weitaus mehr Einsatz von symbolischem Kapital, kontextualisiert er aber auch Aspekte des Widerstands mythologisch, indem er zeigt, wie aus vorrangig kompensatorischen, ordnenden volkstümlichen Narrativen brisante politische Dynamiken hervorgehen können. Mo Yan: Jede Nation, jedes Volk hat eigene Mythen, Überlieferungen, Märchen und alle Arten von Dämonen- und Gespenstergeschichten. Ich schätze, unsere ersten Mythen waren Prototypen des historischen Verstehens, im Problemfeld von Mythos und Geschichte, von Geschichte und Überlieferung, oder von Geschichte und Literatur. Wenn wir unsere frühesten Shi ji (Historische Aufzeichnungen)33 analysieren, dann bemerken wir, dass diese in den chinesischen Schulen für Geschichte gehalten werden, man benützt sie als Geschichtslehrbuch und jeder denkt, dass die darin berichteten Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben. Aber wenn man einige der im Shi ji enthaltenen Kapitel genauer anschaut, dann wird man feststellen, dass sie im Sinne historischer Forschung nicht der Wahrheit entsprechen können. Eine ganze Menge darin berichteter Ereignisse wird durchkreuzt von Legenden und Mythen, weshalb ich das Werk vorrangig als Fiktion, als Literatur charakterisieren würde. ... Zweitens finden wir schon in den Quellen, welche uns den frühesten Blick auf chinesische Mythen erlauben, wie beispielsweise im Shan hai jing (Buch 33

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Wortspiel Mos, deshalb die saloppe Titelübersetzung der ersten chinesischen Reichsgeschichte von Sima Qian; eine korrektere Übersetzungsvariante lautet Aufzeichnungen des Hofschreibers. Vgl. Führer in Führer und Hammer 1996: 35– 49.

der Berge und Gewässer), keine reinen Mythen mehr. In Geschichten wie den Kriegen zwischen dem Gelben Kaiser und Chi You, zwischen dem Gelben Kaiser und Xing Tian, zwischen Chi You und Zhuan Xu,34 oder in anderen Geschichten, wie “Chang E flieht zum Mond”, “Yi schiesst neun Sonnen”, oder “Jing Wei füllt das Meer”, sind bereits sehr viele legendäre Elemente enthalten. 35 Damit meine ich, dass diese Geschichten bereits über die ersten, noch schriftlosen Versuche der Menschen hinausgehen, die Phänomene der Natur zu verstehen. Aus diesen ersten, vermutlich Vorgänge in der Natur betreffenden Erklärungen wurden Legenden, die allmählich in Metaphysik übergingen und schliesslich zu Mythologie wurden. In der Tat haben sehr viele chinesische Ursprungsmythen etwas mit der Beobachtung von Gestirnsbewegungen oder, worüber auch spekuliert wird, mit einem Meteoriteneinschlag und dessen Folgen zu tun. Es wird ja überliefert, dass nach dem Krieg zwischen dem Gelben Kaiser und Chi You für mehrere Jahre wegen massiver Staubwolken die Sonne nicht zu sehen war. Dann geht es weiter mit Yi, der neun Sonnen abschiesst, weil durch die von diesen neun Sonnen 36 verbreitete grosse Hitze alle Pflanzen und Tiere versengt und getötet werden. Analysiert man diese Materialien, so erscheint die These vom Meteoriteneinschlag sehr einsichtig. ... Von unserer Warte aus betrachtet, scheinen in dieser prähistorischen Situation vor Entwicklung einer Schriftkultur viele der sogenannten Mythen dafür zuständig gewesen zu sein, astronomische Phänomene zu beschreiben. In ihnen steckt ein empirischer Wahrheitskern, der immer dann besonders evident wird, wenn es sich um Natur- und Ursprungsmythen handelt, also um Erzählungen über die Trennung von Himmel und Erde, über Flut- und andere grosse Naturkatastrophen. Solche Mythen beziehen sich höchstwahrscheinlich auf extreme geologische Veränderungen. Legenden und die späteren, aus der Phantasie entspringenden Mythen sind hingegen etwas anderes. Diese spätere Art von echten Mythen und Legenden aus dem Mittelalter der feudalen Gesellschaft, wie zum Beispiel “Rinderhirt und Webermädchen”, oder die “Geschichte der weissen Schlange”, haben zwar einen geschichtlichen Hintergrund, sie sind aber gleichwohl frei erfunden, es sind Produkte der Phantasie. Ich glaube, diese echten Mythen und Legenden sind folgendermassen entstanden: immer wenn eine mächtige, externe gesellschaftliche Kraft massiven Druck auf das Volk beziehungsweise auf die Menschen ausübte, erfanden sich diese ein schöneres Leben in der Welt ihrer Vorstellungen. ... Nur wenn das Volk einem derartig starken Druck ausgesetzt ist, so dass es zum Beispiel nicht frei lieben kann, wird es zu Geschichten wie “Rinderhirt und Webermädchen”, oder der “Weissen Schlange” Zuflucht nehmen. Erst nachdem es zu allen möglichen Repressalien und zur Zerstörung einer Liebe gekommen war, konnte diese Tragödie erfunden werden. Eine solche Situation ruft dann vermutlich auch die Politik auf den Plan. Politische Mythen, politischer Druck, mir scheint, dass die Herausbildung der Religion auf 34 35 36

Birrell 1993: 89–98, 131–134, 217. Birrell a.a.O.: 138–145, 214 f. Der Mythos spricht von zehn Sonnen, neun davon schiesst der Meisterschütze Hou Yi ab. Ich gebe hier Mo Yans Worte unverändert wieder.

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dem gleichen Prinzip beruht, wie die Entstehung solcher Mythen. Die Menschen erfahren ihre Lebenswirklichkeit als ohne Hoffnung, ohne Ideale, als existentielle Not und Bitternis. Wenn sie in ihrem menschlichen Leben schon nicht in glücklichere Umstände kommen können, so erfinden sie sich mit Hilfe der Religion ein anderes Leben im Himmelreich. Das Glück, welches uns im Hier und Jetzt unerreichbar ist, finden wir dann vielleicht nach unserem Tod, wenn wir in den Himmel gekommen sind. Die Religion ist in Wahrheit eine Antwort auf hierarchischen und politischen Druck. In moderneren Zeiten angekommen, insbesondere seit der Qing-Zeit, wurden solche altertümlichen Mythen des vollkommenen Glücks unaufhörlich weiterproduziert. Obwohl es viele Beispiele dafür gibt, erscheint mir der Fall Pu Songlings am offenkundigsten. In seiner Sammlung von zhiguai-Erzählungen kann man viel Mythisches finden. Er erzählt von Füchsen, von in Dämonen verwandelten Frauen, von allen möglichen merkwürdigen Begebenheiten. So gibt es eine ganze Reihe von Geschichten, die über glückliche Liebesbeziehungen zwischen einem Dämon und einem Menschen, oder zwischen einem Fuchs und einem Menschen berichten. Tatsächlich hatte ja Pu Songling allen Grund, mit dem feudalistischen System seiner Zeit sehr unzufrieden zu sein. Viele standen wie er unter ungeheurem sozialem Druck, und so fing er an, seine Herzensideale in Geschichten über Füchse, Dämonen und Merkwürdigkeiten zu kleiden. Im wirklichen Leben erfolglos, erlangte er schliesslich Erfüllung beim Schreiben. Mir scheint, diese in der Literatur beheimateten Dämonen und Gespenster oder Mythen sind tatsächlich Revolten gegen den Druck durch die Politik, ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Gesellschaft. ... Pu Songling kannte sein grosses Talent, gleichzeitig erlitt er immer wieder herbe Enttäuschungen durch das kaiserliche Examenssystem zur Rekrutierung von Beamten, und so begann er, seine Erzählungen zu schreiben. Dabei wagte er wiederum nicht, seiner Enttäuschung direkt Ausdruck zu verleihen, er wagte auch nicht, den Kaiser direkt anzuklagen, sondern redete scheinbar bloss über Füchse und seltsame, die Menschenwelt transzendierende Begebenheiten. Aber was er damit kritisierte, war doch seine unerfreuliche Lebenswirklichkeit. ... Mythen werden nicht nur schriftlich überliefert, ihr wichtigstes Medium ist die Zunge des Volkes. Die von Generation zu Generation überlieferten Geschichten der Grossmütter und Grossväter erfahren in diesen Überlieferungsprozessen unaufhörlich Bearbeitungen, Modifikationen und Aufwertungen. Es gibt zahllose verschiedene Versionen und irgendwann werden sie von Schriftstellern übernommen, die sie zu literarischen Erzählungen, Schauspielen und Opern umarbeiten, so wie zum Beispiel die Vertonung der Geschichte von Liang Shanbo und Zhu Yingtai.37 Zum Schluss werden noch einmal alle Versionen gesichtet und konzentriert, damit der Text noch schöner und besser wird. Also zuerst, ganz früh, haben Mythen eine mündliche Überlieferungsgeschichte und danach kommt ihre Optimierung durch die Literaten. Ich glaube, das trifft für alle Zeiten und Gemeinschaften in gleichem Masse zu.38 37 38

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Dt. Übersetzung s. Theodor 1984. Mo a.a.O.

Mo Yan, der in seinen literarischen Texten auf komplexe Weise Mythen einbezieht, zum Beispiel indem er bestimmte Mythologien dekonstruiert und andere wiedereinsetzt beziehungsweise fortschreibt, betont im Zusammenhang mit seiner grossen Allegorie des chinesischen 20. Jahrhunderts, dem Zeitroman FRFT (Big Breasts and Wide Hips), dass er beim Schreiben nicht an bestimmte Mythen, sondern vielmehr nur an die Gegensätze zwischen selbst erlebter und politisch konzeptualisierter Geschichte, zwischen mündlicher und schriftlicher historischer Überlieferung gedacht hat. Auch für ihn, wie für Yu Hua und Su Tong soll gelten, dass die in ihrer historischen Fiktion enthaltenen mythologischen Strukturen nicht aufgrund einer bewussten kreativen Anstrengung oder kritischen Reflexion Eingang gefunden haben. Wie wichtig ist demnach der literarische Umgang mit der Mythologie bei Gegenwartsautoren, die im offenkundigen Rahmen von Entmythologisierung und Remythisierung ästhetisch Stellung beziehen, ohne ihre Praxis diskursiv kommentieren zu wollen, und welche Evidenz kann dem Mythischen im Spannungsfeld des Historischen und Literarischen in dieser Situation überhaupt beigemessen werden? Eine mögliche Antwort ergibt sich aus der Einstellung zum Mythos der für das Werk aller drei befragten Autoren fundamental wichtigen literarischen Bewegung zur “Suche nach den Wurzeln” (xungen). Der grosse Vorteil dieses Projekts zur gründlichen Hinterfragung der bis dahin vom Regime monopolisierten Parameter nationaler Identität liegt für Literaturwissenschaftler im reflexiven Anspruch der damit befassten Autoren, die ihre Problematik in der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre zeitgleich in narrativen und theoretischen Texten dargelegt haben. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht die Frage, wie ein Verhältnis von Tradition und Modernität in der Gegenwartskultur neu zu definieren sei, nachdem der Revolutionsmythos mit seiner Forderung nach einem radikalen Traditionsbruch seinen absoluten Geltungsanspruch eingebüsst hat.39 Eine Durchsicht der frühen xungen-Texte führt zu der Erkenntnis, dass zunächst vorrangig drei thematische Komplexe für narrative Anschlussnahmen in den Blick genommen wurden. In wechselnden zeitgenössischen Resemantisierungen wurden sinnstiftende Anschluss39

Hier und im Folgenden stütze ich mich auf Wang Yichuan (1995), der mit diesem Beitrag bis jetzt, soweit mir bekannt ist, als einziger Literaturwissenschaftler eine dezidiert mythenhermeneutische Lesart von Texten der chinesischen Gegenwartsliteratur vorgelegt hat.

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möglichkeiten an archaische, ländliche und historische Mythologien experimentell durchgespielt. Versuche einer Rückwendung zu überlieferten archaischen Deutungsmustern als Modellen einer Gegengeschichtsschreibung erwiesen sich von relativ begrenzter Reichweite. Han Shaogong zeigt dies in seiner Erzählung “Ba ba ba” (1985), in der ein auswärtiger “moderner” Historiker dem lokalen Geschichtenerzähler nachweist, dass die mythische Genealogie und Herkunft der Gemeinschaft unmöglich den historischen Tatsachen entsprechen kann. Obwohl ihr in der Kultur des archaischen Chu-Reichs lokalisierter Ursprungsmythos die Dorfgemeinschaft sinnstiftend verbunden hat, solange sie von der Aussenwelt weitgehend isoliert war, eignet dieser sich weder für eine Verifizierung im modernen Paradigma geschichtlicher Wahrheit, noch kann er aufgrund seiner lückenhaften Überlieferungsform dem heutigen Verfasser von fiktionaler Literatur dazu dienen, verlässliche Brücken in die ferne Vergangenheit zu bauen. Wesentlich komplizierter stellt sich die Lage in Dorfgemeinschaften dar, die als (elementare) kulturelle Kontaktzonen über einen längeren Zeitraum hinweg mit den Werten und fundierenden Erzählungen anderer, wenn auch nur benachbarter, Gemeinschaften konfrontiert waren. Dieses Szenario wird in Zheng Yis Erzählung “Lao jing” (Der alte Brunnen, 1985) erprobt, wo eine Vielzahl von differenten Orientierungen in einer akuten Krisensituation um externe Problemlösung und internen Ausgleich der widerstreitenden individuellen Begehren ringen. Um den Wassermangel der lokalen landwirtschaftlichen Anbauflächen zu beheben, hat die Gemeinschaft traditionell ihre mutigsten Männer bei Brunnenbohrungen verloren, die dem sinkenden Grundwasserspiegel folgend immer tiefer gehen mussten. Aus diesen Katastrophen gingen Heroenmythen hervor, in deren Genealogien die Nachkommen aus bestimmten Sippen jeweils eingerückt wurden. Eine flankierende rituelle Tradition erforderte bei Regenmangel den Diebstahl des Regengottes aus dem Schrein der Nachbargemeinde, mit der überdies immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen um die Rechte an den besten Brunnen stattfanden. Von technischen Experten der Kreisstadt kommt schliesslich der Impuls, den Grundwasserpegel wissenschaftlich zu berechnen und die Brunnen mit Maschineneinsatz dementsprechend tiefer zu bohren. Die mythologische Besetzung dieser Option manifestiert sich in der Person einer jungen Frau ohne familiäre Bindung an das Dorf, die dessen zukünftigen Sippenältesten dazu ermutigt, ein Leben gemäss seinen 276

individuellen Begehren und Neigungen zu verbringen, das heisst mit ihr zusammen zwecks Liebesheirat und beruflicher Weiterbildung in die Stadt zu ziehen. Hier tragen weder die Sinnangebote der Moderne – nicht zuletzt deshalb, weil die wissenschaftliche Position es versäumt, sich mit den absehbaren Umweltfolgen des ressourcenschädigenden Bohrungsprinzips ernsthaft auseinanderzusetzen, noch diejenigen der Tradition einen klaren Sieg davon, sondern die verschiedenen Positionen müssen individuell und unter schmerzhaften Verzichten ausgehandelt werden. Die mit den Folgeschäden exzessiver Naturausbeutung einhergehende Entzauberung der Wissenschaft löst hier noch eher verhaltene Kritik am Superioritätsanspruch der Wissenschaft gegenüber dem Mythos aus. Nach 2000 werden die Zweifel am technisch erweiterten Möglichkeitsraum der (chinesischen) Moderne immer lauter und wissenschaftliche Verfahren der Kontingenzbewältigung rücken in der Rhetorik kultureller Repräsentationen zunehmend in die Position des Mythos als lediglich aktualisierte Erscheinungsformen der Sehnsucht nach Sicherheit und Unsterblichkeit ein. Zheng Yis distanzierte Darstellung der gegenwärtig für gültig erachteten Ideale, wie Liebesehe und soziale Autonomie des Individuums, als mit den klassischen Vorstellungen strukturell gleichwertige Mythen, stellt bereits einen Durchbruch gegenüber dem modernen Dogma umfassender wissenschaftlicher Rationalisierung der menschlichen Lebensplanung dar. Sein Zweifel an allen ideologischen Richtigkeitspostulaten wird von Jia Pingwa in der 1986 erschienenen Erzählung “Gu bao” (“Die Burgfestung”) wiederholt, wenn der Machtkampf zwischen einem charismatisch begründeten, vernunftbasierten Modernisierungsversuch und einem an abergläubisch-archaische Vorstellungen appellierenden, machtbesessenen Kontrahenten aufgrund der Unwissenheit und Unvernunft der Bevölkerung unentschieden hin und her pendelt. Es ist jedoch festzuhalten, dass das mythologische Bewusstsein auch in diesem Fall nicht dem technologischen des Modernisierers weicht, sondern vielmehr als eine beide verbindende symbolische Deutungsebene die faktischen Ereignisse grundiert. Nicht die künstliche Rückführung auf den Zauber einer residualen Shang-Zhou-Kultur durch den falschen Propheten liefert in dieser Erzählung eine glaubhafte Form von mythischer Evidenz, sondern jene leitet sich vielmehr aus dem Schicksal einer Moschus-

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ochsen-Familie ab. Dieses schwankt in wechselseitiger Abhängigkeit mit dem Dorfgeschehen zwischen Optimismus und tödlicher Bedrohtheit. Als ähnlich hoffnungslos erweist sich die Suche nach einem Weg zurück zu den konfuzianischen Wurzeln der Qi-Lu-Kultur in Wang Anyis Erzählung “Xiaobaozhuang” (1985). Die Geburt eines Tugendhelden aus dem konfuzianischen Wertekodex von Güte und Gerechtigkeit (ren yi) wird als mythologisches Produkt der offiziellen Geschichtsschreibung (zheng shi) entlarvt, indem sowohl das tatsächliche Verhalten dieses freundlichen Bewohners von Xiaobaozhuang, als auch die Legendenbildungen der an seiner Heroisierung interessierten Personen über den Weg inoffizieller Berichte und Geschichten (ye shi) vom Erzähler kolportiert werden. Es wäre auch hier sicherlich zu einfach, das Problem der Mythologisierung von geschichtlichen Tatsachen auf die Ebene von Wahrheit und Lüge der Geschichtsschreibung zu reduzieren. Zwar widerlegen diesmal die Marginalien die offizielle Informationsquelle als Manipulation beziehungsweise Mythologisierung von Tatsachen, aber der Prozess wird nicht als unumkehrbar dargestellt, und die “Wahrheit” ergibt sich allenfalls aus einer interaktiven Rezeption beider Repräsentationsformen des historischen Geschehens. Schliesslich stellt sich die Frage, inwieweit eine weitgehend entmythologisierte Wahrheit dem Mythos überlegen sei, wenn jener eine positive Orientierungsfunktion innehat, die den Akteuren immerhin eine Richtung, also in diesem Fall deren Hinarbeiten auf den konfuzianischen Mythos der vollkommenen Tugend, vorgibt. Diese pragmatische Legitimation des Mythos rekurriert auf dessen Unabschliessbarkeit. Die genannten xungen-Autoren sehen ihre Aufgaben demzufolge nicht nur in der Entlarvung von instrumentalisierten Mythen, sondern gleichzeitig auch in Experimenten mit alternativen Orientierungsnarrativen. Beobachtbar sind mit anderen Worten in ihren Texten nicht nur Strategien der Aufklärung im Sinne eines Kampfes gegen tradierte wie sekundäre Mythen, sondern auch das Durchspielen neuer Variationen von bekannten Geschichten als Arbeit am Mythos. Im Fall ihres gelingenden Bezugnehmens auf ein die Gemeinschaft fundierendes kulturelles Gedächtnis schaffen solche mythologischen Recodierungen Distanz und damit Raum für Kritik, Erinnerungsarbeit und neue Perspektiven auf bislang unhinterfragte Gewissheiten. Einer solchen Revision wird im neuhistorischen Roman vorrangig die maoistische Variante des historischen Materialismus unterzogen. Ihre Erkenntnisdissonanzen nicht zulassende Parteigeschichts278

schreibung mündet als hermetischer, sich durch sich selbst tautologisch legitimierendes System zurück in den Mythos wie die Aufklärung bei Adorno und Horkheimer (Adorno und Horkheimer 1988).

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Revolution zwischen Geschichtszeichen und Retro-Mythos A farewell to the gods is first of all a farewell to Gonggong – the god of violent revolution who knocked down a pillar of Heaven with his head. … Second, a farewell to the gods is a farewell to Nüwa, the goddess who repaired the firmament. … Third, a farewell to the gods is a farewell to Prometheus, the god who stole fire. Liu Zaifu, Farewell to the Gods (Chi / Wang 2000)

9.1 Die verirrte Revolution

Das Jahr 1989 markiert mit dem weitgehend friedlich vollzogenen Ende des Kalten Krieges eine welthistorische Wasserscheide. In China endete der Versuch der Studentenbewegung am Tiananmen-Platz, das Regime zu demokratischen Reformen zu bewegen, allerdings tragisch. Das bereits durch die zehnjährige Tragödie der Kulturrevolution massiv beschädigte Image der Revolution als Motor chinesischer Modernisierung erlitt wegen eines neuerlichen Missbrauchs des bereits blutgetränkten Klassenkampf-Vokabulars durch die Hardliner in der Partei, aber auch durch das unbedachte, hitzige Verhalten der Studentenführer und die zwiespältige Rolle der globalen Medien im Zuge der Eskalation der Ereignisse auf dem Platz einen vernichtenden Schlag. Nicht nur Gao Xingjian, der ein Theaterstück über die Ereignisse einschliesslich der aus seiner Sicht peinlichen Mitschuld der die Studenten begleitenden älteren Intellektuellen schrieb (Gao 1992), plädierte danach für strenge Abstinenz vom revolutionären Enthusiasmus.40 Der inzwischen vollzogene Abschied der 40

“Chinese literature in the twentieth century time and again was worn out and indeed almost suffocated because politics dictated literature: both the revolution in literature and revolutionary literature alike passed death sentences on literature and the individual. The attack on Chinese traditional culture in the name of the revolution resulted in the public prohibition and burning of books. Countless writers were shot, imprisoned, exiled or punished with hard labour in the course of the past one

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gesellschaftlichen Eliten in China vom politischen Programm der Revolution ist für den seit 1989 im amerikanischen Exil lebenden Literaturwissenschaftler und Philosophen Liu Zaifu gleichbedeutend mit einem Abschied von den Göttern. Der Rückgriff auf mythische Vorstellungen im Kontext radikaler gesellschaftlicher Modernisierungstheorien erscheint nur auf den ersten Blick befremdlich, wurde eine entsprechende Genealogie doch von fortschrittlich denkenden Intellektuellen wie Kang Youwei und Liang Qichao zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemeinsam mit den zu jener Zeit noch weithin unbekannten westlichen politischen Ideologien im nationalen Imaginaire Chinas verankert. Die Praxis einer mythologisierenden Umdeutung historischer Tatsachen – hin zu mehr Eindeutigkeit, mehr Heroismus, mehr Einzigartigkeit – zum Zweck der Stiftung von Identität und Konsens war schon in den von dieser modernistischen Avantgarde erwartungsvoll rezipierten Weltgeschichten, geschichtsphilosophischen Diskursen und historischen Romanen aus dem Westen enthalten gewesen. 41 Prometheus, der griechische Titan der menschlichen Selbstermächtigung gegenüber dem von den Göttern festgelegten Schicksal, ist im spätmodernen chinesischen Pantheon allerdings an die dritte Position gerückt, als abzusetzender Dritter im Bunde mit Gong Gong, dem mythischen Zerstörer des Himmels, und der Urmutter Nü Wa, die jenen mit magischen Steinen wieder tragfähig machte. Die beiden Gottheiten der chinesischen Antike und das griechische Idol der Intellektuellen des Vierten Mai traten unter Mao zumeist

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hundred years. This was more extreme than in any imperial dynastic period of China’s history, creating enormous difficulties for writings in the Chinese language and even more for any discussion of creative freedom […]. An aesthetic based on human emotions does not become outdated even with the perennial changing of fashions in literature and in art. However literary evaluations that fluctuate like fashions are premised on what is the latest: that is, whatever is new is good. This is a mechanism in general market movements and the book market is not exempted, but if the writer’s aesthetic judgement follows market movements it will mean the suicide of literature. Especially in the so-called consumerist society of the present, I think one must resort to cold literature (Kursivsetzung AR).” Gao Xingjian, “The Case for Literature”. , letztm. 8.2.2010 (Rede anlässlich der Verleihung des Nobelpreises, 2000). Über den chinesischen Begriff und Diskurs der Revolution s. Chen in L. Liu et al. 1999: 355–374; zur Revolution als Gründungsmythos Frankreichs s. Reichardt in Berding 1996: 133–63.

maskiert als Revolutionshelden mit übermenschlichen Fähigkeiten auf. Eine Liste mythischer Heldenfiguren dieser Ära würde, angeführt vom Grossen Steuermann Mao Zedong, unzählige revolutionäre Märtyrer, Volkshelden der Kriege und Modelle der grossen Binnen-Kampagnen, bis hin zum von Mao höchstpersönlich als modernen Gründungsmythos aktualisierten, archaischen Mythos des dummen alten Mannes, der Berge versetzt, beinhalten. Das Repertoire mythologisch ausstaffierter Anti-Helden wäre ebenso ergiebig und umfasste unter anderem dekadente westliche Imperialisten, japanische Soldaten-Geister sowie konterrevolutionäre Schlangengeister und Rinderdämonen. Prominentestes Opfer ihrer eigenen Einbildungskraft wurde Maos vierte Frau Jiang Qing, die noch nach dem Fall der sogenannten Viererbande im Oktober 1976 in vielen Cartoons als Knochengespenst, Schlangengeist, und insbesondere als bösartige und machthungrige Tang-Kaiserin Wu Zetian dargestellt wurde. Mit dem Rollenvorrat der Revolutionshistorie/n hat sich auch ihr dramaturgisches Element transnational ausgefächert. Gemeint sind die lokalen, schauspielartigen emplotments wie enactments der Französischen Revolution und ihrer späteren globalen Inkarnationen, unter anderem auch in asiatischen revolutionären Bewegungen: Bastille, Tribunal, Guillotine, Hymnen, Altäre, Kalender, Gedenktage und anderes mehr. Sie wurden als Signifikanten für eine Zuordnung von Aufständen unterschiedlichster raumzeitlicher Dispositionen und Zielsetzungen an ein ereigniszentriertes Modell der Revolution genutzt. Entsprechenden chinesischen Revolutionsinszenierungen hatten bereits frühe Reform-Intellektuelle wie Liang Qichao vorgearbeitet, der im Jahr 1902, den Aufbruch der eigenen Nation antizipierend, seine acht Biographien westlicher Revolutionäre publizierte (Tang 1996: 80–116). Die Unruhen von 1911 liessen sich folglich, unterstützt durch neue Massenmedien und Diskurse, in ein vorgängiges Libretto der Revolution einfügen.42 Vielleicht war das globale Medienspektakel von 1989 der entsprechende Schwanengesang solcher performativer Ansätze, obwohl sich Stimmen mehren, die im Gegenteil das Programm an sich verteidigen und lediglich dramaturgische Korrekturen fordern.43

42 43

Für eine kursorische, kulturhistorisch orientierte Genealogie dieser “revolutionären Atmosphäre” s.a. Zarrow 2005. Agamben 2003, Apter 1995, Dirlik 2000, u.a.

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Mit ihrer harschen Kritik an der exzessiven Ausrichtung der maoistischen Revolution auf ideelle Gleichschaltung, ikonoklastischen Enthusiasmus und schliesslich flächendeckende Terreur argumentieren Li Zehou und Liu Zaifu von der Kulturrevolution und den Effekten der blutigen Dengschen Restauration her für eine endgültige Loslösung der Politik von der Hoffnung auf radikale gesellschaftliche Veränderungen durch die Mobilisierung revolutionärer Leidenschaft. Dies hindert die beiden Philosophen aber nicht, selbst in der emotionalen Semantik von theatralischen Inszenierungen zu bleiben und das verdinglichte historische Geschehen als Mao Zedongs utopische Tragödie vorzustellen (Li und Liu 1989). Auch die in China wirkenden Autoren der Post-Mao-Ära widmen sich dem Problem einer unter den Bedingungen von Revolutionen gescheiterten beziehungsweise blockierten Modernisierung Chinas, schreiben diese auch teilweise den ideologischen Verirrungen während der Mao-Zeit zu, greifen mit dem Fortschreiten der Reformära aber zunehmend über dieses Narrativ der verirrten Revolution hinaus, um gegebenenfalls dem staatlichen Folge-Mythos eines funktionierenden Sozialismus mit wohlgeordnetem kapitalistischen Reformprogramm die Ziele der früheren kommunistischen Revolutionsbewegungen als kritischen Spiegel vorhalten zu können. 44 Gegenstand kritischer Überprüfung ist bei ihnen der schon von Kant, Liang Qichao und den späteren, maoistischen wie postmaoistischen Historiographen vorausgesetzte, narrativ fokussierte Ding- und Ereignischarakter von historischen Prozessen – auch Liu und Li sprechen ja von Tiananmen als Ding. Dieser DingCharakter von Revolutionen löst sich mithin in neuhistorischen Erzählungen wieder in disparate Einzelereignisse und Ereignisfolgen auf. Nahezu zeitgleich mit neueren westlichen Methodendebatten wurden von dieser Generation von Schriftstellern neue, zum Beispiel ethnographische, dekonstruktivistische, multiperspektivische oder heteroglossische Repräsentationsverfahren erprobt – Verfahren, die inzwischen auch in den historiographischen Diskurs vordringen.45 Die Abkehr neu44

45

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Der Diskurs der Historiker wird u.a. im Symposium “Rethinking the Chinese Revolution: Paradigmatic Issues in Chinese Studies, IV”, veröffentlicht in Modern China 21, 1 (Jan. 1995), reflektiert. S.a. Saich und van de Ven 1995, Lee 2007, Esherick, Pickowicz und Andrew 2006. Zur neuhistorischen Fiktion vgl. Zhang 1997, Choy 2008: 20–25, und Lin 2005; zur Historiographie s. Weigelin-Schwierzik 1999.

historischer Fiktion von linearen, kohärenten Geschichtsmodellen soll hier noch einmal aus Gründen der besseren Orientierung auf zwei grundsätzliche Anliegen verkürzt werden. Einmal markiert sie den Übergang von Makro- zu Mikroperspektiven, so dass zum Beispiel Einzelschicksale oder Dorfgeschichten statt nationaler Grosserzählungen im Zentrum des Interesses stehen. Zum anderen wenden sich die Autoren gegen legitimierende Geschichtsmanipulationen im Zuge von Regimewechseln, ohne diesen noch länger Vorstellungen einer objektiven Wahrheit historischer Sinnzuschreibungen entgegensetzen zu wollen.46

9.2 Revolutionärer Enthusiasmus

Die Revolution war vielen chinesischen Denkern seit dem ausgehenden 19. und mehr noch am Beginn des 20. Jahrhunderts als das geeignetste Mittel erschienen, die im Vergleich zu den westlichen Kolonialmächten verpasste zivilisatorische Entwicklung aufzuholen. Ihre Überlegenheit stellte nicht nur das eigene geschwächte Herrscherhaus, sondern das gesamte soziokulturelle System Chinas in Frage. Die Idee der Machbarkeit von Geschichte, ihre vollständige Unterwerfung unter den menschlichen Willen, verlangte nach revolutionären Helden, die einer derart monumentalen Aufgabe gewachsen sein würden. Deshalb spielten auch die Geschichten und Theorien der westlichen (französischen, englischen, 46

A. Dirlik beispielsweise warnt vor der Praxis, ein Paradigma der historiographischen Repräsentation, das der Revolution, schlicht gegen ein anderes auszutauschen: “What all this implies historiographically is that the contemporary modernization narrative is founded on an untenable historicism: that the ‘victory’ of modernization over revolution represents the culmination of a century and a half of struggle for modernity. Such a narrative is no more plausible than the narrative of revolution over which it claims victory, because it suppresses different phases in the transformations of Chinese society and of its global context that need to be distinguished structurally. The contemporary narrative of modernization is very much a postrevolutionary narrative that is empowered by a Global Capitalism. The present may illuminate the past, as the past may offer critical perspectives on the present, but that may well be due to difference rather than to some narrative continuity.” In: Dirlik 1996, S. 261.

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amerikanischen, russischen) Revolutionen eine herausragende Rolle in den Modernisierungsvisionen chinesischer Intellektueller. Mit seinen Biographien von europäischen Revolutionären verschiedener Nationalität entwarf Liang Qichao ein narratives Modell für chinesische Retter der Nation. Die Französische Revolution erklärte er zur Mutter des 19. Jahrhunderts und identifizierte sie prominent mit Madame Roland. Seine Strategie, den Wendepunkt der abendländischen Geschichte zur Moderne auch nach deren Scheitern noch in der Französischen Revolution zu verorten, konnte Liang Qichao beispielsweise von Kant übernehmen, der im Streit der Fakultäten für den Fortschritt der Menschheit in der Geschichte eine richtungweisende Begebenheit, ein Geschichtszeichen – in seinen verschiedenen Eigenschaften als signum rememorativum, demonstrativum, prognosticon – anzunehmen empfahl. Ein solches Geschichtszeichen war für ihn die Revolution, der revolutionäre Enthusiasmus aber – als ein Akteure und Zuschauer auch in der Gefahr einigendes Moment – erschien ihm als eine moralische Instanz des wie immer verzögerten Gelingens des Experiments: Die Revolution eines geistreichen Volkes, die wir in unseren Tagen haben vor sich gehen sehen, mag gelingen oder scheitern; sie mag mit Elend und Greueltaten dermassen angefüllt sein, dass ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie, zum zweiten Male unternehmend, glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen nie beschliessen würde – diese Revolution, sage ich, findet doch in den Gemütern aller Zuschauer (die nicht selbst in diesem Spiele verwickelt sind) eine Teilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasm grenzt, und deren Äusserung selbst mit Gefahr verbunden war, die also keine andere, als eine moralische Anlage im Menschengeschlecht zur Ursache haben kann. ... Aber, wenn der bei dieser Begebenheit beabsichtigte Zweck auch jetzt nicht erreicht würde, wenn die Revolution, oder Reform, der Verfassung eines Volks gegen das Ende doch fehlschlüge, oder, nachdem diese einige Zeit gewähret hätte, doch wiederum alles ins vorige Gleis zurückgebracht würde (wie Politiker jetzt wahrsagern), so verliert jene philosophische Vorhersagung doch nichts von ihrer Kraft. – Denn jene Begebenheit ist zu gross, zu sehr mit dem Interesse der Menschheit verwebt, und, ihrem Einflusse nach, auf die Welt in allen ihren Teilen zu ausgebreitet, als dass sie nicht den Völkern, bei irgend einer Veranlassung günstiger Umstände, in Erinnerung gebracht und zu Wiederholung neuer Versuche dieser Art erweckt werden sollte; da dann, bei einer für das Menschengeschlecht so wichtigen Angelegenheit, endlich doch zu irgend einer Zeit die beabsichtigte Verfassung diejenige Festigkeit erreichen muss, welche die Belehrung durch öftere Erfahrung in den Gemütern aller zu bewirken nicht ermangeln würde (Kant 1996 [1794]: 358–361).

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François Furet (1927–1997) stellte die Frage nach dem Sinn der Revolution vom anderen Ende ihrer Geschichte her. Er versuchte, ihr Scheitern gerade mit einer Kritik der revolutionären Leidenschaft zu begründen (Furet 1998: 13–51), übrigens im Einklang mit Liu Zaifu und Li Zehou. Furets Fragenkatalog ist autobiographisch motiviert, er selbst war in seiner Jugend, zwischen 1949 und 1956, überzeugter Kommunist. Wie Kant geht Furet von einem einschneidenden Wandel des Geschichtsverständnisses seit der Aufklärung aus, das heisst, er betrachtet die romantische Vorstellung vom Fortschritt als einer historischen Notwendigkeit als Übergangsposition zwischen den Paradigmen göttlicher Schicksalsund Geschichtslenkung und postmodernen Vorstellungen von historischer Kontingenz und Arbitrarität. Die Wurzel der revolutionären Leidenschaft findet Furet im Hass aller nichtbürgerlichen sozialen Gruppen sowie einer wichtigen Gruppierung am Rand derselben – der Künstler und Intellektuellen – auf das Bürgertum, das zugleich Motor und Triebfeder der gesellschaftlichen Modernisierung war. Das Dilemma des Bürgertums nährte sich, so Furet, aus seiner instabilen Selbstlegitimation durch einerseits ökonomische Kriterien, wie Besitz oder Arbeit, und andererseits universelle Werte. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind durch die Vermittlerinstanz der Individualität, welche nach Ungleichheit verlangt und damit ständigen, aus Neid und Ruhelosigkeit geborenen Wettbewerb erfordert, permanent gefährdet. Dieser Störfaktor des bürgerlichen Individualismus setzt sich in den neu erfundenen politischen Strukturen fort, die per definitionem eine Demokratie aller, also der Massen, ermöglichen sollten, und doch nicht anders können, als der Sicherung bürgerlicher Interessen dienstbar zu sein. Das bürgerliche Versagen als politische Klasse basiert also auf einer Zerrissenheit, die sich aus dem Versprechen eines moralischen Universalismus und dem schlechten Gewissen beziehungsweise der Angst der Bürger vor dem Volk aufgrund ihres Wissens um die Uneinlösbarkeit dieser grenzenlosen Erwartung nährt. Das gleichzeitige Streben nach Gleichheit aller und kompetitiver Überbietung des Nächsten schliesst emotionale Schwankungen zwischen Mitleid und Egoismus ein, die in einen ausgeprägten Selbsthass des Bürgertums münden. Wer ein guter Citoyen sein will, schreibt Furet, kann dies nur um den Preis einer schlechten Bourgeois-Performanz, und umgekehrt. Darüber hinaus erfährt der Bürger eine umfassende ästhetische Stigmatisierung, die ihn unentwegt an die Unsicherheit seiner historischen Rolle erinnert. Da seine Klasse weder 287

auf erbliche Macht, noch auf eine heroische Vergangenheit, und auch nicht auf grossartige Zukunftsvisionen zurückgreifen kann, sondern sich nur über ihren materiellen Besitz konstituiert, wählt sie den Traditionalismus und Egoismus als leitende Prinzipien. In literarischen Repräsentationen und philosophischen Traktaten findet der Bürger sich deshalb häufig in negativen Charakteren wie dem Schurken, dem Geizhals, oder dem Kleingeist gezeichnet und ridikülisiert.47 Aus dieser Wurzel des kollektiven Bürgerhasses im 19. Jahrhunderts erwachsen im 20. Jahrhundert, genauer seit dem Ersten Weltkrieg, den Furet analog zur Französischen Revolution als Geschichtszeichen markiert, zwei antidemokratische Gegenbewegungen, der Nationalismus und der Kommunismus. Ihre fanatischen Übersteigerungsformen im Faschismus und Bolschewismus sind aus seiner Sicht nur mit den fatalen Folgen des Ersten Weltkriegs erklärbar. Das ideelle Verfahren beider Bewegungen liegt in der einseitigen Besetzung beziehungsweise Gewichtung von jeweils nur einem der beiden Pole der bürgerlichen Demokratisierungswerte, also entweder durch Universalismus, der zur Weltrevolution führt, oder durch Individualismus, der in Nationalismus mündet. Das Verhängnis beider revolutionärer Bewegungen bleibt die Grenzenlosigkeit ihrer Erwartungen, die mit ihrem heilsgeschichtlich unterlegten Glücksversprechen gleichermassen postreligiösen Fanatismus in die Politik einbringen. Der Weltkrieg als Geschichtszeichen markiert den Niedergang Europas als Zentrum der Weltmacht und den Beginn des von selbstmörderischer Gewalttätigkeit der Nationen und Regierungen geprägten 20. Jahrhunderts. Zwei einander bedingende, diskursiv aufeinander ausgerichtete Geschichtszeichen findet Apter für das chinesische 20. Jahrhundert, namentlich die Yan’an-Kommune (1936–47) als Legitimationsmythos der kommunistischen Partei Chinas und die demokratische Studentenbewegung vom Vierten Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz als kontrapräsentischen Mythos (Assmann 1999: 52). Apter untersucht die symbolischen 47

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“Und so wird der Bürger zur Zielscheibe der allgemeinen Unzufriedenheit seiner Zeitgenossen; sei es als Emporkömmling bei Balzac, als ‘Schurke’ bei Stendhal oder als ‘Philister’ bei Marx. Dieses Bürgertum ist das Produkt eines weltbewegenden Ereignisses, dessen Opfer noch immer eingeschüchtert sind, während diejenigen, die gerne die Nachfolge antreten würden, noch zu ängstlich sind, um das Erbe zu übernehmen. Die Grösse seiner Vergangenheit unterstreicht nur die Erbärmlichkeit seiner gegenwärtigen Lage.” Furet 1998: 25.

Dimensionen der Yan’an-Erfahrung mit Hilfe einer Zusammenführung dreier analytischer Ansätze: einer strukturellen Mytho-Logik, einer Phänomenologie und einer Hermeneutik der politischen Vergemeinschaftung. Er betrachtet diese als “exegetic bonding” im Ausnahmezustand (Apter 1995: 198) und unter den Bedingungen eines kritischen Rehearsal von 1989. In beiden Fällen interessieren ihn die dramaturgischen Elemente, welche auf rituelle und mythische Strukturen zurückgehen. Seine theatrologische Auswertung der beiden Ereignisse im Horizont einer auf diese Weise verdinglichten Konzeption von chinesischer, also sinisierter Revolution spielt die negativen Auswirkungen des revolutionären Enthusiasmus zugunsten der gelungenen mythophorisch-utopischen Aufladung des Tiananmen-Platzes durch die Studenten herunter. Im Widerspruch zu den Exil-Intellektuellen Gao, Liu und Li, aber auch im Gegensatz zum Ex-Kommunisten Furet und zu Georg Büchner, der bereits 1835, in Dantons Tod, die Theatralisierung der Politik als Realitätsverlust kritisiert hatte,48 versucht eine globalisierungskritische, von den Theorie-Vorgaben des Postkolonialismus mitstrukturierte Rezeption der Revolutionsgeschichte nach dem Ende des Kalten Krieges, den immer noch einsinnig auf die Opfer und Verwüstungen gerichteten Blick neu auch auf die gesellschaftlichen Folgen einer allzu umfassenden Negation zu lenken. Eine Verdrängung dieses Erbes einschliessslich seines gesellschaftserneuernden Potentials im radikalen Abschied von der Revolution verhindere die Vorstellung von Positionen jenseits des Kapitalismus und von Alternativen zu diesem (Dirlik 2000: 52). Dirlik mahnt aus dieser Perspektive eine Historisierung der Geschichtskritik an: Among the pasts that are erased by the postcolonial are revolutionary pasts. […] The postcolonial has become a convenient way of naming and containing problems that have appeared with global reconfigurations – globalization, diasporas, emergent ethnicities, weakening of national boundaries, and all the cultural and identity 48

“Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben Unglück, kann man mehr verlangen um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben? Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Coulissen und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer klatschen hören. Das ist ganz artig und passt für uns, wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden.” Büchner, Dantons Tod, ders. 2001: 92.

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questions associated with these developments. At the same time, it has offered a refuge to radicals who retreated from Marxism and socialism in the face of the global decline or abandonment of socialist alternatives in the 1980s, who have found relief in displacing their social and political radicalism to the realm of culture. (Dirlik 2000: 9)

Wie Apters Analyse zeigt, ist es aber keineswegs zwingend, die Verlagerung des politischen Radikalismus in einen kulturellen Raum mit Dirlik als Entpolisierung, oder “Linderung” zu betrachten. Es ist ebenso gut möglich, die Revolution aus der Perspektive ihres vorläufigen Endpunktes 1989 am Tiananmen ästhetisch als durchaus wirkungsorientiertes politisches Theater beziehungsweise als utopischen Retro-Mythos zu vergegenwärtigen. Ihre volle Wirkung als gutes Schauspiel und (deshalb) unvergessliches Ereignis werde diese Performance erst später entfalten.49 Der Kreis schliesst sich auf Kant hin. Für Mo Yan figuriert der revolutionäre Enthusiasmus deutlich nicht mehr als eine positive Kraft moderner historischer Prozesse. Er schreibt in seinen neuhistorischen Romanen zwar auch Revolutionsgeschichte/n des Herzens, aber wo immer er vorkommt und sich entlädt, wirkt Revolutionseifer in aller Regel destruktiv. Ein Auftritt der pöbelhaften Dorfjugend im Kostüm der roten Garden im Roman FRFT (Big Breasts and Wide Hips, 1995) ist hierfür ein Beispiel, ebenso Hong Taiyue, der nach der kapitalistischen Wende unter “Revolutionswahnsinn” (geming shenjingbing) leidende Vorsteher der Ximener Produktionsgenossenschaft in Shengsi pilao (2006, dt. Der Überdruss). Auch die politischen Rituale kommunistischer Kader haben in beiden Romanen nichts Positives an sich. Sie sind falsch, sinnlos und im Spektrum der Auswirkungen komisch bis grausam. Die Logik der Ereignisabfolgen erscheint nur in einer Hinsicht zielgerichtet: alte Traditionen werden ausgerottet, neue verlässliche Orientierungen zu ihrem Ersatz finden sich nicht. Ein schliesslich nur noch um seiner selbst willen inszenierter gesellschaftlicher Umbruch 49

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Apter 1995, vgl. Perry und Wasserstrom 1992. Performativ, wenn auch nicht theatrologisch, argumentiert auch Giorgio Agamben, der bezüglich der Wirkung des Ereignisses jedoch eher pessimistisch warnt: “Die beliebige Singularität, die sich die Zugehörigkeit als solche, das In-der-Sprache-sein selber aneignen will und im Gegenzug auf jede Identität, jede Bedingung von Zugehörigkeit verzichtet, ist der gefährlichste Feind des Staates. Wo auch immer diese Singularitäten ihr gemeinsames Sein friedlich kundtun, wird ein Tiananmen sein und das Anrücken der Panzer nur eine Frage der Zeit.” Agamben 2003: 80.

verweist auf das vorläufige Ende jeder Hoffnung auf Fortschritt. Im letzten der historischen Tableaus von Mos Jahrhundert-Roman FRFT, das eine in grotesker Weise von ihren Begierden geleitete kapitalistische Konsumgesellschaft abbildet, will sich niemand mehr an Vergangenes erinnern. Das kollektive Gedächtnis ist funktionslos, überflüssig geworden und das Leben der neuen Menschen erscheint nur noch angefüllt mit hektischem Streben nach überflüssigen materiellen Gütern. Mos Warnung vor einer Verwechslung von Illusion und Realität, welche die Form eines absurden Theaters der Revolution annimmt, ist demnach eine radikale Zuspitzung von Georg Büchners und Lu Xuns Einwänden gegen das revolutionäre Pathos. 50 Yu Huas Roman Xiongdi (Brüder, 2005/6), ebenso wie die von Chen Xiaoming genannten Romane von Liu Zhenyun aus den Neunziger Jahren (Chen 2008: 191–216), zielen in dieselbe Richtung.

9.3 Weite Reise mit Achtzehn: Exegese ohne Gemeinschaft

Yu Hua (geb. 1960 in Haiyan, Provinz Zhejiang) setzt sich in seiner 1987 publizierten Erzählung “Weite Reise mit Achtzehn” (SBS 1990: 19–29) mit den Folgen revolutionärer gesellschaftlicher Transformation auseinander, genauer gesagt mit den postenthusiastischen Anomien. Er zeigt eine radikal scheiternde soziale Interaktion, weil das Erzähler-Ich auf die von Apter beschriebene exegetische (Yan’an)-Gemeinschaft mit ihren geteilten Verhaltenserwartungen setzt, diese das Handeln der anderen aber auf befremdliche Weise gerade nicht leiten. Die Bildungsreise nach dem Verlassen des geschützten Raums der eigenen Familie wird dadurch zur Horrorgeschichte, wobei der mit einem roten Rucksack ausgestattete Achtzehnjährige sein Elternhaus vollkommen unvorbereitet auf die ihm widerfahrenden, von unmotivierter Gewalt begleiteten Be-

50

Büchner 2001; vgl. Anm. 8, Anm. 73. Zu Lu Xuns Intervention “Xiandai shi” s. weiter oben Sektion I S. 122; vgl. auch die philosophische Intervention Gaobie geming von Li Zehou und Liu Zaifu (Li und Liu 1996).

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gegnungen verlässt.51 Der anfangs vergnügte Wanderer entschliesst sich zur Weiterfahrt per Anhalter, nachdem er bis in die Nachmittagsstunden hinein vergeblich nach einem Rasthof Ausschau gehalten hat und etliche Passanten dem Fragenden die ebenso gleichlautende wie unbrauchbare Auskunft gegeben hatten, er werde schon selbst sehen. Das erste Auto lässt der bereits erschöpfte Erzähler noch beinahe leichten Herzens passieren, obwohl er wenig später bedauert, in der winkenden Hand, die vom gleichgültigen Fahrer des Wagens nicht beachtet wurde, keinen Stein bereitgehalten zu haben. Einen erst viel später nahenden Lastwagen will er um jeden Preis anhalten, sei es auch durch eine Sitzblockade auf der einsamen Landstrasse. Diese Mutprobe bleibt ihm erspart, denn der Fahrer muss aussteigen, um eine Panne zu beheben. Der Erzähler nutzt die Gelegenheit, bietet eine Zigarette an, äussert danach im Vertrauen auf dessen selbstverständliche Erfüllung den Wunsch mitzufahren. Schroff abgewiesen, lässt er nicht locker und springt auf den Beifahrersitz, als der reparierte Wagen schliesslich anfährt. Gefasst auf Grobheiten, wird er zu seinem Erstaunen freundlich aufgenommen, man tauscht Frauengeschichten aus, umarmt sich brüderlich. Als der Wagen ein zweites Mal liegenbleibt, machen sich Diebe über dessen Ladung Äpfel her. Der Erzähler verteidigt das Eigentum seines neuen Freundes entschlossen, obwohl dieser ihm noch kurz zuvor den Genuss dieser begehrlich vorgestellten Köstlichkeiten versagt hatte.52 Der Fahrer amüsiert sich sichtlich beim Anblick der blutig geschlagenen Nase seines Anhalters, wie offenbar auch über den Apfeldiebstahl, den er aus einiger Entfernung tatenlos beobachtet hatte. Nach dem Rückzug der Diebe erfolgt eine Invasion von Plünderern, die mit Handtraktoren und Fahrrädern die restliche Ladung, alle abmontierbaren Teile des Wagens und den fröhlich lachenden Apfelhändler mitsamt dem Gepäck 51 52

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Im folgenden Abschnitt beziehe ich mich wesentlich auf Riemenschnitter 2000: 344–350. Von beiden Autoren wird die symbolische Bedeutung von Hunger und Nahrung genutzt, die in ihren Texten nicht in Termini von Identität, sondern als schmerzhafte Differenz zwischen denjenigen, die zu essen haben, und den Anderen, die sehnsüchtig zuschauen müssen, ausgestaltet wurde. Yus Wanderer locken vergeblich rote Äpfel, die vom Besitzer später wehrlos Dieben überlassen werden. Mos Paradiesbauern haben ausser ihren faulenden Knoblauchstängeln wenig zu essen, während die Funktionäre vor ihren Augen im Überfluss schwelgen. Zum politischen Mythos der Einheit und dessen Schlüsselsymbol des Banketts s. Girardet 1986, Kap. L’unité, S. 139–173.

des Wanderers mitnehmen. Alles, was der jugendliche Reisende für schützenswert hielt, die roten Äpfel und das klapprige Fahrzeug seines Gönners sowie der vom Vater für ihn gepackte rote Rucksack, ist verloren oder unbrauchbar. Er selbst bleibt verwundet zurück und sucht im Auto-Wrack Schutz vor dem eisigen Nachtwind. Dann vollzieht er einen letzten, verzweifelten Identifikationsakt mit dem Wrack: “... ich hatte nicht daran gedacht, dass du mein Rasthaus sein könntest” (SBS 1990: 29). Die Erzählung endet mit einer Reminiszenz an den sorglos-heiteren Aufbruch aus der Geborgenheit des Elternhauses. Alle Versuche des Jugendlichen, seine Familienidentität jenseits der heimischen Mauern zu bewähren und seinen Horizont zu erweitern, scheitern dramatisch. Das Scheitern des jungen Wanderers beruht im Grunde auf zwei Irrtümern: dem blinden Vertrauen in die “rote” Moral und Tugend der Massen und einem ebenso unverbürgten Glauben an die Autorität einer intakten exegetischen Gemeinschaft. Die Massen sind aber nicht idealistisch, sondern nur auf die Befriedigung ihrer Begierden bedacht. Die exegetische Gemeinschaft der Intellektuellen erodiert ebenfalls, wovon nicht zuletzt die Gedankenlosigkeit des Wanderers zeugt. Sein Credo, der rote Rucksack, kommt ihm nach etlichen unliebsamen Überraschungen gleichwohl noch umstandslos abhanden. Jedoch erscheint bereits seine Herkunft problematisch, denn die Familie wird unvollständig, nur durch Vater und Brüder, repräsentiert. Frauen kommen lediglich als abwesende Objekte des Begehrens in den Plaudereien mit dem Lastwagenfahrer zur Sprache.53 Die Selbstverständlichkeit des narrativen Umgangs mit dieser Tatsache legt die Vermutung nahe, der Defekt sei von Yu Hua kollektiv angelegt. Für die Irrationalität der Handlungsabläufe gilt Ähnliches; obwohl der Text dies nicht expliziert, legt die Handlung eine überindividuelle Dimension der exegetischen Fehlleistungen des Ich-Erzählers nahe.54 Er wird enttäuscht, wann immer er Mutmassungen über ein der Situation angemessenes Verhalten seiner 53

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Auf die komplexe Symbolik dieses in knappem Berichtstil gehaltenen Texts kann nur am Rande verwiesen werden. Der rote Rucksack des Vaters repräsentiert die Nationalideologie (dies erwähnt auch Tang 1993a), der Austausch von Frauengeschichten als einziger Ort weiblicher Präsenz im gesamten Text könnte als Hinweis für die Abwesenheit von Frauen als nationale Subjekte/Akteure stehen, das zunehmend schrottreife Auto ebenso wie die zweckentfremdeten Traktoren der Diebe als Symbol/Fetisch des unbewältigten technischen Fortschritts. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Cai 1998.

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jeweiligen Gegenüber anstellt oder sich sprachlich zu verständigen sucht. Offenbar macht er “draussen” die schmerzliche Erfahrung, dass in seiner Familie Kommunikationsformen gelehrt und verwendet werden, die nicht kompatibel sind. Er spricht die Sprache der anderen Mitglieder seiner “imagined community” (Anderson 1996), aber den Antworten auf seine Frage nach dem Rasthaus fehlt der (erwartete) kommunikative Sinngehalt. In der Erzählstruktur wird die kafkaeske Problematik der Beziehung zwischen einer mythisch imaginierten Einheit und ihren isolierten Teilen deutlich. Der aufscheinende Rekurs auf eine Symbolik frühchinesischer Darstellungen von Begegnungen mit gefährlichen Monstern in der Wildnis, die vom Wanderer mit Hilfe von magischem Spezialwissen enttarnt werden müssen, damit sie ihm nicht schaden können, 55 spielt mit der Wechselrezeption eines über Pu Songling mit der chinesischen Märchenund Fabelwelt in Berührung gekommenen Franz Kafka, der Züge dieser Tierallegorien in seine eigenen Repräsentationen europäisch-moderner Alltagserfahrung eingepasst hatte. 56 Yu Huas Rückübersetzung von Kafkas Antimythen in den chinesischen Gegenwarts-Kontext erzeugt nunmehr dreifach hybride Monster, deren Identität der junge Abenteurer begreiflicherweise nicht zu entschlüsseln vermag. Die in der frühchinesischen Vorstellung von primitiven Kobolden und ihrem gebildeten Bezwinger zum Ausdruck gebrachte Ausbürgerung der eher animalischen Persönlichkeitsmerkmale (als Trennung zwischen niederen Körperfunktionen und höherem Geist) hatte die Tradition Pu Songlings, und nach ihrem Vorbild auch Franz Kafka, aus der räumlichen Distanz entlegener Bergwelten in die weitaus bedrohlichere häusliche Nähe beziehungsweise körperliche Unmittelbarkeit zum Subjekt gerückt. In Yu Huas Erzählung erscheint dieser Prozess rückläufig; die Kobold-Monster sind nicht nur aus dem Haus vertrieben, sondern offenbar in der Folge auch vergessen worden. Jedenfalls warnt der ansonsten so fürsorgliche Vater den Sohn nicht. Dieser kann sich deshalb auch nicht vor den unheimlichen Wegelagerern schützen. Die Anderen-als-Monster, zu seinem Schutz aus der sicheren Festung des Familienanwesens fern55 56

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Kao 1985. Vgl. a. Ge Hong, Bao Puzi (entst. um 320), Neipian 17, Dengshe [Vom Klettern und Waten], zit. in Riemenschnitter 1998: 51. Jianming Zhou, Literary Rendition of Animal Figures: A Comparison Between Kafka’s Tales and Pu Songling’s Strange Stories, in Hsia 1996: 113–176. Vgl. a. Yang 1994.

gehalten, formieren sich draussen zu einer Interessen-Gemeinschaft gewalttätiger Plünderer (Martin und Mohanty 1986). Ihr Handeln irritiert den jungen Wanderer zutiefst – er findet keine Erklärung für die absurde Verbrüderung zwischen dem bestohlenen Lastwagenfahrer und den Dieben.57 Seine schliessliche Positionsnahme im Identifikationsfeld des philosophischen Daoismus, der gesellschaftliche Solidarität und Funktionstüchtigkeit als falsche Werte anprangert, dagegen Nicht-Handeln als Vermeidung willkürlichen Eingreifens (Laozis Begriff des wu wei), und gesellschaftliche Nutzlosigkeit (Zhuang zis Gleichnis des knorrigen Baums) als Überlebensstrategien befürwortet, weist dem Ich-Erzähler schliesslich den ihm bestimmten Ort an. Das unbrauchbar gewordene Fahrzeug kann ihm jetzt jenseits seines ursprünglichen Verwendungszwecks nützlich werden. Eine Parabel aus dem Buch Zhuangzi könnte für diese Erkenntnis Pate gestanden haben: Meister Qi von Nanbo wanderte zwischen den Hügeln von Shang. Da sah er einen Baum, grösser als alle anderen […]. Er blickte nach oben, da bemerkte er, dass seine Zweige krumm und knorrig waren, so dass sich keine Balken daraus machen liessen. Er blickte nach unten und bemerkte, dass seine grossen Wurzeln nach allen Seiten auseinandergingen, so dass sich keine Särge daraus machen liessen. […] Meister Qi sprach: “Das ist wirklich ein Baum, aus dem sich nichts machen lässt. Dadurch hat er seine Grösse erreicht. Oh, das ist der Grund, warum der Mensch des Geistes unbrauchbar für das Leben ist.”58

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Vgl. den Hinweis Tang Xiaobings auf die Verwendung des Begriffs der Katastrophe (haojie), der als Denotat für die Kulturrevolution geläufig ist; s. Tang (wie Anm. 34), hier: S. 15. Die während dieser Zeit (1966–76) zum Zweck der Reintegration der auseinanderbrechenden Parteifraktionen von Mao Zedong entfesselte Zerstörungswut der “proletarischen Massen” wird im vorliegenden Text als Plünderei dargestellt. In anderen, mehr auf passive Mitschuld und Trauma der (Intellektuellen-)Opfer abzielenden Symbolisierungen verwendet er das Motiv autoaggressiv gewendeter, traditioneller Foltermethoden und Todesstrafen, wie z.B. Vierteilung, Gliederabtrennung, Häutung, u.a. in seiner Erzählung “1986” (“Yijiubaliu nian”, in: Yu, SBS: 43–101). Das Insistieren Yus auf einer Kontinuität negativer kollektiver Identitätsbildung auf der Basis von Gewalt und Grausamkeit rekurriert u.a. auf Lu Xun, z.B. mit dem “Tagebuch eines Verrückten” (1918), sowie auf Debatten über den Ursprung staatlich sanktionierter Gewalt seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. Vgl. hierzu Puett 1998. Zhuangzi 4 (entst. um 4./3. Jh. v. Chr.), in: A Concordance to Chuang Tzu. Harvard-Yenching Institute Sinological Index Series, Suppl. 20, Cambridge MA 1956: 11 f. Übers.: Wilhelm 1986, S. 69. (vgl. Mair 1994.) In Yus Erzählung findet sich

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Was dem Wanderer als destruktiv und unsinnig erschien, resultiert in der Sichtweise des Daoismus aus der unhintergehbaren Kurzfristigkeit interessierten Handelns von Subjekten. Sein vermeintlich moralisch begründetes Anliegen, Schutz des fremden Eigentums, muss daher scheitern. Er wird aufgrund seines Widerstands gegenüber den im Rahmen unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung sinnvoll erscheinenden Konfiszierungen gewaltsam auf die Erkenntnis seiner sozialen Unbrauchbarkeit gestossen. Allerdings wird auch die Möglichkeit einer daoistischen Restitution der Ordnung beziehungsweise Selbstgenügsamkeit bei den Räuberhorden eher gering veranschlagt, da die kollektive Begierde nach Fortschrittsgütern ja bereits geweckt ist. Das Handeln der Wegelagerer-Gemeinschaft entwickelt sich gemäss Yus Darstellung nach der Logik von Naturkatastrophen: Der Ausgang ist weder vorauszusehen noch aufzuhalten. Auf die Revolution angewandt bedeutet dies, dass die in Yan’an gebildete politische Gemeinschaft während der Kulturrevolution durch den Verlust exegetischer Sicherheit in soziale Aggregate auseinanderfiel, die seither nicht mehr miteinander kommunizieren können. Im Gegensatz zur staatlich propagierten Einheit des Mao-Deng-China ist an den Details einer aussöhnenden Integration nicht oder zu wenig gearbeitet worden. Das Kernproblem gegenwärtiger staatlicher Projekte im Rahmen des nation-building, so könnte man Yu verstehen, liegt im Regress auf primäre Zugehörigkeitskriterien (Rasse, Territorium, Sprache), wie auch an einem genealogischen Konzept von Nation als Familie in einer historischen Situation, die vielmehr individuelle Identifikationsakte und eine flexible Ausarbeitung von Distinktionsfeldern (Bourdieu 1997) erfordert. 59 In einem zehn Jahre nach Erscheinen dieser Erzählung in

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ferner eine interessante Anspielung an ein anderes Kapitel im Zhuangzi 9, in: A Concordance, S. 22 f. Hier erinnert sich der Erzähler an Abschied und fröhlichen Beginn der Wanderung “wie ein übermütig springendes Pferd” (SBS: 29). Die Assoziation kindlicher Natürlichkeit im Autowrack, nach ihrer Austreibung, lässt an die Parabel des Pferdebändigers Bole denken, der Unglück und Tod vieler wilder Pferde verschuldet, indem er sie zum Dienst am Menschen abrichtet. Diejenigen Tiere, die seine grausamen Züchtigungen überleben, werden je nützlicher, desto verschlagener. “Therefore, to take the knowledge of a horse and make it behave like a brigand is the crime of Poleh.” Vgl. Mair 1994: 80 ff. Wie C. Calhoun beobachtet, artikulierten die Teilnehmer der Studentenproteste von 1989 vehement ihre Ansprüche auf differenzierte Identitäten: als Studenten, als

Hongkong gehaltenen Vortrag “Kann ich mir selbst glauben?”60 schreibt Yu Hua seinen Vorschlag im Sinne einer supranationalen, postexegetischen Vergemeinschaftungsidee weiter: Jetzt vollzieht er den Akt der Identifikation als frei gewählte Positionierung des Schriftstellers in einer weltliterarischen communitas – in der Gesellschaft von Montaigne, Kundera, Borges und anderen Autoren seiner individuell begründeten Wahl. Das Argument entwickelt er in Widerspruch zu den Zukunftsprognosen von Spezialisten zum technologischen Fortschritt als dem zentralen Identifikationsfaktor der Moderne. Schriftsteller, meint Yu, haben ein anderes Interesse. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich auf eine Antizipation von Ereignissen in der Vorstellung ohne abschliessende Meinungsbildung (kanfa). Die imaginäre Angst des Wüstenwanderers vor dem Verdursten in Borges’ Historia de la Eternidad (1936; dt. Geschichte der Ewigkeit, 1965) sei für die Arbeit des Dichters viel wichtiger als dessen realer Durst.

9.4 Die Knoblauchrevolte: Gemeinschaft ohne Exegese

Dieses (post)exegetische Moment, die Suche des Autors nach dem geteilten sprachlichen Kommunikationsgrund einer weltliterarischen Lesergemeinschaft jenseits ideologisch kontaminierter Sinnangebote, verlagert Mo Yan (geb. 1955 in Gaomi, Shandong) in den Bereich lokal determinierter Erfahrungen des Leibes. Der Roman Die Knoblauchrevolte (TTST 1988) kann auf einer realistischen Ebene als Dorftragödie gelesen werden, deren Protagonisten eine relativ stabile soziale Ordnung mit familiären Bindungen und ähnlichen landwirtschaftlichen Produktionsverhältnissen kennen. Dynamik bringt ein Aufstand in die lokalen Verhält-

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Intellektuelle, als Individuen, nicht als proletarische Massen. S. Calhoun in: Perry und Wasserstrom 1992: 93–124, hier: 94. “Wo nengfou xiangxin ziji?” Yu formuliert mit diesem Titel eine Schlüsselfrage der Intellektuellen nach den jüngsten Erfahrungen ihrer politischen Instrumentalisierung während der Kulturrevolution. Ersch. in: Ershiyi shiji (Das 21. Jahrhundert) 44 (Dez. 1997): 59–61.

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nisse, der sich in der Kreisstadt spontan als Folge einer durch Planwirtschaft verursachten Absatzkrise entlädt. Sein symbolischer Raum ist der Landkreis namens Paradies, welcher in sein denotatives Gegenteil verkehrt erscheint, als ein gleichsam hierarchisches System von Höllenreichen, die die lokalen Knoblauchbauern durchwandern müssen. Diese Höllen beginnen in den Familien, wo Ehemänner ihre Frauen und Kinder halbtot prügeln und Eltern ihre Töchter an reiche Schwiegersöhne verkaufen, solange diese noch nicht von korrupten Kadern in den ökonomischen Ruin getrieben worden sind. Sie setzen sich fort in Gefängnissen und auf dem Marktplatz der Kreisstadt, wo die Opfer überdies grausam gefoltert werden. Das Problem liegt in der Entfernung zum politischen Zentrum, dessen humane und fortschrittliche Regelwerke auf der Landkreisebene nur als Mythos präsent sind – ebenso wie die pastoralen Vorstellungen, die den Namen des Landkreises an ländliche, volksreligiöse Paradiesvorstellungen binden. Die beiden Protagonisten erleben ihre Höllentouren auf je unterschiedliche Weise: Gao Yang, indem er in den verschiedenen ihm zugewiesenen Gefängnissen je nach Nähe zum Parteizentrum immer besser behandelt wird, und Gao Ma, dem seine Kenntnisse der neuen Verordnungen zur freien Wahl des Ehepartners bei den zuständigen Kadern nur Spott und Misshandlungen eintragen.61 Die Geschichte setzt mit einer Serie von Verhaftungen ein, einer Art Vorhölle: Gao Yang, Sohn eines ehemaligen Grossgrundbesitzers und von dieser revolutionären Familienerbschuld erst seit kurzem rehabilitiert, Vater einer blinden Tochter und eines neugeborenen Sohnes mit Sechsfinger-Anomalie, wird zuerst abgeführt. Er warnt durch Zurufe Gao Ma, einen ehemaligen Offiziersanwärter, der sich um die Heirat mit dem Mädchen Fang Jinju bemüht. Jinju ist jedoch einem anderen als Tauschgabe versprochen, damit dessen Cousine die Ehefrau ihres körperbehinderten älteren Bruders wird. Gao Ma kann den Bütteln zunächst entkommen. Man holt als nächstes Jinjus Mutter (dt. Fang Tante Vier) ab, deren Ehemann wenige Tage zuvor auf dem Heimweg von der Kreisstadt, wo er seinen Knoblauch nicht verkaufen konnte, durch einen betrunkenen Kader totgefahren wurde. Ein namenlos bleibender Verhafteter wird noch im Hof des Gemeindehauses, wo alle Häftlinge in 61

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Im folgenden Abschnitt beziehe ich mich wesentlich auf Riemenschnitter 2000: 350–361.

sengender Hitze an Bäume angekettet auf ihren Abtransport warten, versehentlich von einem Möbelwagen geköpft. Der blinde Balladensänger Zhang Kou überbrückt diese und alle weiteren Geschehnisse mit geohistorisch weit ausgreifenden Kommentar-Liedern zu den politisch relevanten Ereignissen des Revolten-Jahres 1987. Die Lieder erweisen sich als multiperspektivische Vertiefung der Erzählung über die Eskalation einer lokalen Krise und das Schicksal der Bevölkerung. Der Barde appelliert in seinen Gesängen wiederholt an Momente des heroischen Widerstands gegen das grausam-ausbeuterische KMT-Regime Tschiang Kai-sheks, 62 literarisch verdichtet in der Person Jiang Xueqins, einer Heldin des Bürgerkriegsromans Roter Fels.63 Allerdings hat die Partei in Zhang Kous Darstellung das Lager gewechselt; ihre gegenwärtigen Repräsentanten treten als die gewissenlosen Menschenschinder auf, als welche nur KMT-Mitglieder und Japaner in der roten Geschichtsfiktion gezeichnet worden waren. Sein Mut, solche Lieder auch nach den Verhaftungen in der Öffentlichkeit weiterzusingen, kostet ihn bald das Leben. Jinju tötet nach der Verhaftung Gao Mas in Agonie sich selbst und ihr ungeborenes Kind. Ihre Mutter erhängt sich im Gefängnis. Gao Ma flüchtet aus dem Arbeitslager, um sich erschiessen zu lassen, nachdem er von Gao Yang erfahren hat, dass Jinjus Brüder deren Leiche mit einem Selbstmörder aus der Familie des Kreisvorstehers “unterirdisch verheiratet” haben, 64 so dass ihm nicht einmal ihre Seele erhalten bleibt.65 62 63 64

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Dt. S. 29, 198, 336; chin. 17, 146, 256 u.a. Luo Guangbin, Yang Yiyan, Hong yan, 1961, dt. Übers. Roter Fels, Peking 1965 und Stuttgart 1977. In der dt. Übersetzung des Romans erklärt Gao Yang diese regionale Sitte Gao Ma (vermutlich ein Zugeständnis an die Leserschaft): “Das bedeutet, dass man zwei Tote miteinander verheiratet. Da Cao Wen tot war, hat die Familie Cao an Jinjü gedacht. [...] Die Familie Cao wollte, dass Jinjüs Geist die Frau ihres toten Sohnes wird. Sie haben Assistent Yang um Vermittlung gebeten. [...] Assistent Yang hat ihre Brüder überredet, Jinjüs sterbliche Überreste für achthundert Yüan an die Familie Cao zu verkaufen” (nur dt. S. 379–382). Hier erfüllt sich die durch Identifikation mit Julien Sorel beim Flirt schon angedeutete Rollenerwartung Gao Mas als ein den messianischen Opfertod sterbender Held. S. Stendhal, Rot und Schwarz, Frankfurt am Main 1989 (Erstdruck: Paris 1830). Dieser Schluss ist allerdings im chinesischen Urtext nicht enthalten, der Übersetzer gibt seine Quelle – eine vom Autor überarbeitete Zweitauflage – auch nicht an. In der mir zugänglichen Ausgangstext-Fassung bleibt das Ende von Mutter Fang, Gao Ma und Zhang Kou offen, auch die unterirdische Hochzeit findet

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Im Zentrum der Handlung stehen die Machtkämpfe sozialer Akteure, wie auch Konfrontationen zwischen staatlichen und privaten Interessen, die auf der Basis von teils archaischen, teils (vermeintlich) modernen Verhaltensrepertoires ausgetragen werden. 66 Wenn der nicht ortseingesessene, verliebte Gao Ma gleichzeitig in Konflikt mit ländlicher Sippenwirtschaft und deren patriarchalischen Bräuchen – namentlich Handelsgeschäfte beim Verkauf oder Austausch von Bräuten und bei der unterirdischen Verheiratung der toten Schwester durch Jinjus Brüder – und mit willkürlich-autoritär gehandhabten Verfälschungen der Parteigesetze durch die lokale Bürokratie – so das den Bauern obrigkeitlich verwehrte Ideal der freien Partnerwahl – gerät, so geschieht dies, weil hier alte und neue Praktiken der Unterdrückung und Entmündigung von Untertanen Hand in Hand arbeiten. Gao Yang macht eine ähnliche Erfahrung, als er seine von unbekannten Tätern aus Funktionärskreisen erschlagene Mutter heimlich beerdigt und nicht einmal unter Folter den Ort preisgeben will. Dabei wird er von seinen Peinigern nicht zum ersten Mal darüber belehrt, dass Entscheidungen im Dorf nicht anhand der zentralen Parteirichtlinien, sondern nach Gutdünken ihrer lokalen Repräsentanten getroffen werden.67 Nahezu jeder Bauer im Dorf hat gute

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nicht statt. Das letzte Kapitel des Romans gibt in der Urfassung Zhang Kous Versuche, den Erzähler über den weiteren Verlauf der Dinge zu informieren, wieder. Dabei stützt er sich auf nichtssagende, in Parteiphrasen verfasste Zeitungskommentare zum Vorfall in Tiantang, die er dem Erzähler zur Lektüre vorlegt, sowie interne Informationen, wonach den verantwortlichen korrupten Kadern als “Erziehungsmassnahme” ertragreiche Posten anderswo zugeschanzt wurden (nur chin. S. 287– 298). Der Grund, warum der Übersetzer sich für die andere Version entschieden hat (wohl in Anlehnung an die englische Übersetzung von Howard Goldblatt, The Garlic Ballads, New York 1995), dürfte in der plakativeren Wirkung, womöglich auch in der einem nicht-chinesischen Publikum wenig zugänglichen Ironie der präsentierten Zeitungslektüren liegen. S. a. die Kurzgeschichte “Li Shunda baut sein Haus” von Gao Xiaosheng und die Rückführung der verwendeten Symbolik auf einen chinesischen Fundierungsmythos (“Yugong yi shan”: “Ein törichter Alter versetzt Berge”) in Wagner 1992: 431–480. Ähnliche Konstellationen mit opportunistischen Anrufungen beziehungsweise Ausmusterungen überlieferter moralischer Werte je nach Interessenlage finden sich auch schon in den Enthüllungsromanen der vorrepublikanischen Zeit. Dt. S. 227–232, chin. S. 170 f. Eine Exhumierung der Leiche und Kremation in der Kreisstadt verhindert nicht etwa der Selbstmordversuch Gao Yangs vor den Augen seiner Folterknechte, sondern die Überflutung des beim Transport zu überquerenden Flussbettes durch starke Regenfälle. Gegen eine Geldstrafe von 200

Gründe für Widerstand und Rachegefühle gegenüber diesen Nutzniessern der Staatsmacht. Beim grossen Eklat in der Kreisstadt sind sie alle dabei: Gao Ma, Gao Yang, Mutter Fang mit ihren nach altem Brauch eingebundenen Füssen und der unbekannte Bauer. Weil ein von staatlicher Seite garantierter Knoblauchabsatz nicht erfolgt, der weite und beschwerliche Weg zum Verkaufsplatz jedoch von Steuereinnehmern aller Arten gepflastert war, stürmen die verzweifelten Bauern am 28. Mai 1987 das Gebäude der Kreisverwaltung, demolieren es und stecken es in Brand. Mit grossem Polizeiaufgebot gelingt es, den spontanen Aufruhr niederzuschlagen. Ranajit Guha, der die Invarianten indischer Bauernrebellionen untersucht hat, benennt vier Formen der Zerstörung, die bei kolonialen Erhebungen am Werk seien: Niederreissen, Verbrennen, Essen und Plündern. Mo Yans Schilderung der Ereignisse folgt dieser Struktur. Guha kommt ausserdem zu dem Ergebnis, dass koloniale Verhältnisse von Herrschaft und Unterordnung zu einem spezifischen Gemeinschaftsbewusstsein im Widerstand führen, dessen Codierung von Gewalt deutlich von derjenigen bei Kriminalität zu unterscheiden ist (Guha 1983, Chatterjee 1993: 158–172). Auch diese Distinktion erlernen Mo Yans Protagonisten am Leitfaden des eigenen Leibes, nachdem man sie im Gefängnis der Gesellschaft konventioneller Straftäter überlässt. Hier durchreisen sie weitere Stationen von Höllenfürst Yamas Reich (Goodrich 1981, Saunders 1996, Watson und Rawski 1988) und finden Bedingungen menschlicher Existenz vor, die die ihnen geläufigen in sittlich-ideeller wie materieller Hinsicht noch bei weitem unterbieten.68

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Yuan wird er freigelassen. Für diese empathische Unterstützung der unbelebten Natur muss er zu Hause abermals bezahlen: Der Regen bringt sein Dach zum Einstürzen. Über die symbolischen Höllen-Attribute der verschiedenen Etappen – Folter, Wiegen, Überqueren von Wasser etc. – kann an dieser Stelle nicht ausführlich gehandelt werden. Vgl. aber die Schilderung des “Langen Marsches” der Häftlinge, die vor ihrer Verurteilung eine ziellose, quälende Wanderung zurücklegen müssen, an deren Ende sie wieder an ihrem Ausgangspunkt, dem Gefängnis, ankommen. Unterwegs ereignen sich mehrere Zwischenfälle (Traumvisionen), die gleichzeitig an eine Seelenwanderung in der Unterwelt denken lassen. So beispielsweise der Gao Yang unterwegs attackierende blutrünstige Hahn oder ein lallender Peking-Urmensch, den Gao unter den weinenden Bauern am Straßenrand ausmacht; auch die zwangsweise verabreichten ekelerregenden roten und schwarzen Getränke nach

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Auf das dort herrschende Ausmass an sinnloser Hinterhältigkeit nicht gefasst, entkommt Gao Yang nur mit knapper Not dem Tod durch die Hand seiner Leidensgefährten, auf deren wenigstens in rudimentären Formen vorhandene Solidarität er zunächst wie sein Pendant in Yu Huas Erzählung instinktiv gesetzt hatte.69 Die Knoblauchrevolte zeigt das Bild einer nur bruchstückhaft modernen Gesellschaftsordnung, die willkürlich aus Elementen unterschiedlicher Herkunft zusammengewürfelt erscheint. Differente Orientierungen heben einander tautologisch auf oder verstärken sich in ihren negativen Folgen, so dass am Ende des Aufstands der ihrer Existenzgrundlage beraubten Bauern – nach Verhaftungen, Folter, Morden und Selbstmorden – im Kreis Paradies alles beim Alten bleibt. Wie die mächtigen Kader ideologische Positionen nur rhetorisch zur rücksichtslosen Durchsetzung ihrer eigenen Interessen einnehmen, so erscheint auch die Autorität der Nation als abstrakter Rahmen für eine Fülle von schmerzhaften, aber konsequenzlosen Tumulten in einer kontinuierlich leer zirkulierenden Geschichte.70 Fluchtpunkte der Hoffnung bilden einerseits einzelne, in mythische Doppelgänger-Paare gruppierte Individuen: Ex-Soldat und Bauer Gao Ma und der Grundbesitzersohn Gao Yang treten als Figurationen eines sich erschöpfenden revolutionären Erlösungs- und traditionellen Leidensheroismus auf, der rebellische Barde und Volkshistoriograph Zhang (Kou) und ein gleichnamiger, mit den Bauern sympathisierender Offizier, welcher im Bewusstsein der von offizieller Seite

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Beendigung des Marsches (dt. S. 345–354, chin. S. 272–278). Das auf den Kopf gestellte Motiv des Langen Marsches findet Cai auch in Yus Weiter Reise: es handele sich dabei um eine Stellungnahme zur vom 3. Plenum des XI. Zentralkomitee (1978) ausgegebenen Parole eines “Neuen Langen Marsches” zur ökonomischen Modernisierung. Vgl. Cai 1998: 175 f. Für eine Einführung in die Thematik und künstlerische Darstellungen der achtzehn buddhistischen Höllen s. die Website von Ken E. Brashier (Columbia University): sowie den dort angegebenen Link zu den Reed College Chinese Hell Scrolls: , zuletzt einges. 4.4.2010. Dieser “Instinkt” hat seinen literarischen Ort in der roten Geschichtsfiktion, beispielsweise im oben genannten Roman Roter Fels, in dem ein revolutionäres Familienmodell als bedingungslos solidarische Gemeinschaft von Lagerinsassen (mit inhaftierten Kindern, die von Mitgefangenen unterrichtet werden) ausgebracht ist. Mit solchen Deutungsmustern arbeitet Barde Zhang Kou, der seine Zuhörer mit heroischen Bildern der Revolution und unvorteilhaften Vergleichen mit dem Vorgehen der gegenwärtigen Parteiführung zum Widerstand ermutigt. Vgl. a. Chan 1993.

angedrohten Folgen die Angeklagten während der Verhandlung im Namen des Kollektivinteresses verteidigt, zeigen sich als traditionelle und moderne Instanzen des Gewissens autoritärer Regimes.71 Andererseits liegt die Möglichkeit einer Veränderung zum Besseren allen Hindernissen und Widerständen zum Trotz in der mythologisch strukturierten Verlaufsform der Ereignisse. Mit der Trope des “BastilleSturms” auf das Kreisverwaltungsamt am 28. Mai 198772 verknüpft der blinde Sänger zwei nationale Gründungsmythen. Der eine, die Gründung der Han-Dynastie durch den Volksrebellen Liu Bang im Jahr 202 v.u.Z., betrifft – mit Verweisungszusammenhang auf Kontinuität und integrative Funktion dieser Nutzpflanze – die Fundierung der lokalen Ökonomie im Knoblauchanbau: Als der grosse Kaiser Liu Bang die Dynastie der Han begann, hat er den Landkreis “Paradies” geschaffen und den Leuten dort befohlen, Knoblauch an den Kaiserhof zu holen.73

Hinzu kommen wiederholte Erinnerungs-Appelle des Barden an den Gründungsmythos der Volksrepublik China: Yan’an und die unter widrigsten Bedingungen, im nahezu aussichtlosen Guerilla-Krieg gegen japanische und KMT-Truppen, erfolgreich verlaufene kommunistische Revolution bis 1949. Der autoritäre Kurs der beiden nachfolgenden Regimes bleibt in Zhang Kous Versen reversibel. Auch wenn sich gegenwärtig kollektive Identität nur in kurzen solidarischen Momenten verzweifelten Widerstands, als Überlebensstrategie an den Rändern einer 71

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Dieser Offizier legitimiert die Revolte der Bauern, indem er im Sinne der maoistischen Revolution darauf hinweist, dass es ihr Recht ist, sich gegen lokale Machthaber zu wehren, die ihren Interessen zuwider handeln: “‘Gut, du kannst weitersprechen,’ sagte der Vorsitzende, ‘aber jedes Wort von dir wird protokolliert und zu den Akten genommen, und du trägst die volle Verantwortung für alles, was du sagst.’ ‘Natürlich übernehme ich die Verantwortung für das, was ich hier sage.’ Der junge Offizier stotterte auf einmal. ‘Ich bin der Ansicht, der Knoblauchzwischenfall ist ein Alarmsignal für unsere Partei. Denn wenn eine Partei und eine Regierung nicht für die Interessen des Volkes eintreten, dann ist das Volk berechtigt, sie zu stürzen’” (dt. S. 362 f., chin. S. 284 f.). “Landbewohner, Hand in Hand, / erstürmt das Kreishaus, kühn wie nie. / Der Kreisdirektor ist kein Fixstern, / die Bauern sind kein Vieh” (dt. S. 222, chin. S. 164). Dt. S. 9, chin. S. 1.

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staatlich proklamierten, aber tatsächlich kaum positiv erlebten ländlichen Moderne, verdichtet: eine wirksame Wiederkehr der revolutionären Energien der Vergangenheit ist utopisch, und deshalb untilgbar, im Nachfolgepostulat des Gründungsmythos festgeschrieben.74 Im Vergleich der beiden hier analysierten Narrative über verirrte Revolutionen zeigt sich, dass interne Bruchlinien und Verwerfungen die sozialen Räume sowohl von Mo Yans als auch von Yu Huas Text bestimmen. Die das Heim des jungen Wanderers umgebende Mauer und dessen Schrottblech-Ersatz evozieren sein Schutzbedürfnis gegenüber den fremden, feindlichen Mitsubjekten einer ganz anders vorgestellten Gemeinschaft. Dies wird umso deutlicher im scharfen Kontrast des grenzenlos weiten Naturraums, den er anfangs, in noch ungebrochener Wanderlust, wie ein Schiff zu kreuzen sich vorstellt. Später muss er im AutoWrack vor der Kälte dieses unkultivierten Raums Zuflucht suchen. Yus Modell einer zweifachen Aussengrenze – gegenüber einer bedrohlichen sozialen und einer ebenso fremden natürlichen Umwelt – steht Mos Konzept eines feindlichen sozialen Binnenraums mit dysfunktionalen Hierarchien entgegen. Bei ihm leiden die Subjekte am meisten innerhalb der Mauern sozialer Verbindlichkeit. Gao Yang erlebt seine schlimmsten Stunden in einer Gefängniszelle, wo er mit einem tobenden Todeskandidaten die Nacht vor dessen Hinrichtung zubringen muss. Der bäuerliche Patriarch Fang sperrt seine Tochter Jinju in ihrem Zimmer ein, damit sie auf ihren Ehewunsch mit Gao Ma verzichte. Als das nichts hilft und sie schwanger ist, hängt er sie mit Zustimmung der Mutter und unter Beihilfe der Brüder am Dachbalken auf und schlägt sie halbtot. Gao Ma wird von Jinjus Brüdern mehrmals an verschiedenen Orten auf bestialische Weise gelyncht. In der offenen Natur finden die Liebenden hingegen Verbündete: Ein rotbraunes Fohlen geistert als Sinnbild des Mitge-

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Chan (wie Anm. 55). Hier wäre auch an Alfred Döblins transkulturelle Deutung chinesischen Rebellentums im Wang Lun-Roman zu erinnern. Döblins chinesische Verfremdung der europäischen Weltkriegs-Bühne zielt allerdings mehr auf den Effekt einer Warnung vor der entfesselten Gewalt, als auf die Möglichkeit einer tatsächlichen Veränderung zum Besseren. Vgl. aber F. Furets Beobachtung zur Nutzung der Revolution als “Tribunal, vor dem man Klage über die Ungerechtigkeit der Gegenwart erheben kann,” in: ders. 1998: 91.

fühls durch ihre Wachträume, ein Jutefeld schenkt ihnen die einzige gemeinsame Nacht.75 Beide Texte zeigen die Familie als überforderten Austragungsort makrosozialer Antagonismen. Wo Yus Wanderer, exegetisch korrekt mit dem roten Rucksack ausgestattet, unvorbereitet einer in Gewalttätigkeit und Feindbild scheinbar homogenen, jedenfalls aber nicht “rot” initiierten Gemeinschaft gegenübertritt, prallen in Mos Knoblauchrevolte bürokratischer Nepotismus, bäuerliche Clan-Familie, revolutionäre Kommune, und privatisierte Kernfamilie aufeinander. Der patriarchalische FangClan unterwirft seine Mitglieder einem rigiden Reproduktions- und Akkumulationscodex. Bei der Verheiratung kann auf Zuneigung – das in den Parteirichtlinien verbürgte Konzept Gao Mas – keine Rücksicht genommen werden, denn einziges Ziel ist der Profit für die Grossfamilie. Gao Yang, der als Kind mit seiner Clan-Familie aufstrebender Grundbesitzer in eine revolutionäre Kommune “befreit” wurde, findet sich dort zum zweiten Mal in der Opfer-Rolle. Was ihm vorher mit Blick auf den kommenden Glanz nachfolgender Generationen angetan wurde, wiederholt sich jetzt im Namen einer genealogisch übertragenen Schuld gegenüber den ehemals benachteiligten Kleinbauern-Familien. Er wird von der Schule verwiesen, nachdem ihn der Sohn des Leiters der Produktionsbrigade mit korrekter Klassenherkunft bei der Schulleitung verleumdet hat.76 Die Teilnahme am Sturm auf das Kreisverwaltungsgebäude während der Knoblauch-Absatzkrise muss Gao Yang mit dem bescheidenen Familienglück bezahlen, das er sich nach der halbherzigen Rehabilitation seines Klassenstatus mühsam aufgebaut hatte. Die trügerische Solidarität der Rebellengemeinschaft endet für die Bauern aus Tiantang hinter Gefängnismauern, wo die Inhaftierten sich gegenseitig in sinnlosen Exzes75

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In westlich-ästhetischer Terminologie repräsentiert Yu Hua erhabenen, Mo Yan dagegen idyllischen Naturraum, mit den jeweiligen Konsequenzen für den Moment der Ent-Täuschung. Während Yu Huas erhabener Schock nicht nur aus einem (antimetaphysischen) Sieg des Ereignisses über den Willen genährt wird, sondern auch romantische Elemente (das verwirrende Gefühl einer unmittelbar bevorstehenden, aber doch – noch – nicht eintretenden Überwältigung) mitführt, ist bei Mo Yan die Erfahrung der Diskrepanz zwischen idyllischer und realer Umwelt Ursache von äusserst schmerzhafter Ernüchterung. Vgl. hierzu Lyotard 1984. Zu Mo Yans ästhetischer Konzeption des Sterbens als idyllisch-schönes Verlöschen der von Geburt an tragischen irdischen Existenz vgl. Z. Zhang 1990, Kap. 5, Der Glanz des Lebens – Liebe und Tod, bes. S. 105–112. Dt. S. 142–150, chin. 103–110.

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sen von Gewalt ruinieren, anstatt nach dem Vorbild der kommunistischen Untergrund-Bewegung im Roten Fels gemeinsam, im exegetisch geschlossenen revolutionären Bund, ihren Unterdrückern die Stirn zu bieten. Über den Ausgang antagonistisch verfochtener Partikularinteressen in einem nervösen Feld differenter kultureller Orientierungen entscheiden in Mo Yans Roman wechselnde Autoritätssyndikate nach willkürlich ausgewählten Kategorien. So kann die Komplizenschaft zwischen Staat, Kadern und privilegierten Untertanen in der Knoblauchrevolte als ironische Entlarvung eines Prinzips von Herrschaft über die Vernunft statt Herrschaft der Vernunft gelesen werden. Nicht einheitsstiftende Strukturen bestimmen die Realität dieser Nation, sondern, wie Homi Bhabha definiert, “heterogene Geschichten rivalisierender gesellschaftlicher Segmente, antagonistische Autoritäten und gereizte Fest-Stellungen kultureller Differenz.”77 Mo Yan zeigt mit seiner Repräsentation einer ruinösen Interferenz noch vorhandener mit neu entstehenden dysfunktionalen kulturellen Praktiken auch das Versagen derjenigen “ideologischen Manöver, durch welche ‘vorgestellten Gemeinschaften’ essentialistische Identitäten verliehen werden” auf (Bhabha 1994: 148). Entgegen Homi Bhabhas Vision fällt diesem Tatbestand jedoch nichts Positives zu. Die Störung der ideologischen Manöver des Zentrums hat hier keinen therapeutischen Nutzen, im Gegenteil, sie trägt in keiner Weise zu einer Entschärfung der sozialen Konfliktpotentiale oder gar Erweiterung kultureller Spielräume zum Zweck der Erprobung fairer Strategien der Integration bei. Einen Fingerzeig auf Mos Konzept mythenrezeptionsgesteuerter Identitätskonstitution findet man zu Beginn des zweiten Kapitels, in dem Gao Ma seine Werbung um Fang Jinju nach dem Vorbild Julien Sorels, der ihn im Kino beeindruckt hat, ausgestaltet.78 Der Held von Stendhals demaskierendem Restaurationszeit-Roman Rot und Schwarz, in dem 77

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“The problem is not simply the ‘selfhood’ of the nation as opposed to the otherness of other nations. We are confronted with the nation split within itself, articulating the heterogeneity of its population. The barred Nation It/Self, alienated from its eternal self-generation, becomes a liminal signifying space that is internally marked by the discourses of minorities, the heterogenous histories of contending peoples, antagonistic authorities and tense locations of cultural difference.” Bhabha 1994: 148 (meine dt. Übers. des Zitats). Dt. S. 26, chin. S. 14 f.

“eine unvollkommene politische und poetische Autonomie” thematisiert wurde,79 bringt als Index vergegenwärtigter französischer Vergangenheit eine bittere Wahrheit chinesischer Zeitgeschichte zum Sprechen. Nationale Abgrenzung und Identifikation treffen sich im Projektionsraum Frankreich mit der Vermutung, dass es in China nicht oder nur vorübergehend gelang, die Revolution nach dem Modell der anderen nationalen Gründungserzählungen normativ stillzustellen (Anderson 1996: 155–162, Derrida 1996: 155–199). Im Gegensatz zum französischen Festhalten an der fundierenden Mythomotorik einer revolutionären Symbolik, die “zu wesentlichen Teilen das Ergebnis kollektiver Deutungen, Stilisierungen und Mystifizierungen darstellt” (Reichardt in Berding 1996: 135), wird die chinesische Revolution in Mos Roman vor dem Hintergrund ihrer heroischen Darstellung im Bürgerkriegs-Roman Roter Fels und der französischen Restaurations-Depression in Stendhals Roman vollends zum kontrapräsentischen Mythos (Assmann in Assmann und Hardt 1992: 52 ff.). Alle vom Autor abgerufenen Vergleichsmomente erbringen zum Stichdatum des 28. Mai 1987 ungünstige Ergebnisse der in ihrem Namen gemachten Geschichte. Demgegenüber können die komplementären Doppelgängerpaare80 Gao Yang / Gao Ma (mit ihren Frauen) und Barde Zhang / Offizier Zhang als alternative Identifikationsangebote aus dem regionalen Rollenfundus gelesen werden. Die Suche der beiden Gao nach einer von schicksalhaft (blind) zugeteilten und starren sozialen Zuschreibungen abgelösten, das heisst modernen Identität wird – obzwar für diesmal erfolglos – durch die Interventionen des blinden Sängers und des in der sozialen Hierarchie aufgestiegenen Offiziers nachdrücklich ins kommunikative Gedächtnis der Nation überführt. Der Roman widmet sich dabei vor allem den (von den Eliten verkannten) leib-körperlichen Aspekten des Sozialen und suggeriert einen Zusammenhang zwischen revolutionärer Hypostasierung des Willens beziehungsweise des Geistes und geschichtlichem Misslingen (Kleinman 1994: 707–724). Für die Bauern in Tiantang bedeutet es nur einen geringen Unterschied, ob der überbordende Enthusiasmus der Kulturrevolution oder die Geldgier von Deng Xiaopings Kadern für ihre Nöte verantwortlich sind. Eine klare Grenze verläuft 79 80

Uwe Japp, Die Schule der Ernüchterung, in: Stendhal, Rot und Schwarz, Frankfurt am Main 1994 [1989], S. 621–630, hier: 622. Zum Doppelgänger-Mythos vgl. Nicole Fernandez Bravo, Doubles and Counterparts, in: Brunel 1996: 343–382.

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zwischen denjenigen, die üppig essen, befehlen und quälen dürfen, und den hungernden, leidenden Subjekten, deren Körper die erteilten exegetischen Lektionen allerdings als Lügen kennenlernen müssen, ohne die elementaren sozialen Aspekte ihrer Leibwahrheit vergessen zu können. Die Signatur dieser Wahrheit schreibt das nach frisch gepflücktem Knoblauch riechende Blut des namenlosen, vom Möbelwagen geköpften Mitgefangenen Gao Yangs: Im dahinsausenden Polizeiauto machte Gao Yang plötzlich eine Entdeckung. Das über den Wagen laufende Blut des pferdegesichtigen jungen Mannes roch nach frischen Knoblauchstengeln. Gao Yang war überrascht. Er schnupperte prüfend. Tatsächlich, es war der Geruch von Knoblauchstangen, sogar der Geruch von frischen Knoblauchstengeln, die man gerade aus der Knoblauchpflanze gebrochen hatte. Genaugenommen war es der Geruch des kristallklaren Saftes, der an der zartgelben Bruchstelle austritt.81

Gao Yang vollzieht während dieser sinnlichen Erfahrung einen Akt der empathischen Identifikation. Er kann den Ort, der dem Toten zu Lebzeiten angewiesen war, aufgrund des Blutgeruchs als identisch mit seiner eigenen Herkunft wahrnehmen. Ähnliche Grenz-Erfahrungen begleiten den Handlungsablauf leitmotivisch. Einem unbekümmerten Umgang mit dem reichen Repertoire physiologischer Körperfunktionen in Zhang Kous derben Liedern setzen Vertreter der Obrigkeit ein ausgeklügeltes System von Zumutungen jenseits von Folter und Schlägen entgegen. Die Notdurft wird immer wieder Ursache unvorstellbarer Erniedrigungen der wehrlosen Bauern. Auch ausserhalb der staatlichen Überwachungs-Institutionen sind die Romanhelden einem Alltags-Terror abstossenden Riechens und Schmeckens ausgesetzt, so dass ihnen die karge und unappetitliche Gefängniskost beinahe wie ein Festschmaus vorkommt. Mutter Fang wagt in der Anstalt erst zu essen, nachdem sie sich vergewissert hat, dass sie dafür nichts bezahlen muss. Dann aber stören sie weder der muffige Geschmack noch die Schmeissfliegenbesucher ihres Dämpfbrötchens, es schmeckt ihr viel besser als die karge Kost aus Hirsemehl zu Hause. Gao Yang gerät in selige Verzückung, als ihm während seiner Krankheit eine Schale Nudelsuppe mit frischen Eiern gereicht wird. Zwar prügeln seine hasserfüllten gesunden Zellengenossen dieselbe sofort wieder aus ihm heraus, gleichwohl bleibt der

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Dt. S.105, chin. S. 74.

Verzehr der schmackhaften Suppe, die ihm eine gepflegte und überwältigend freundliche Anstaltsärztin verordnet hat, Höhepunkt einer ekstatisch imaginierten Vereinigung, in der für einen kurzen Moment die Idee möglicher Überwindung aller Klassendifferenzen aufscheint.82 Dem subalternen Leib, auch bei dieser medizinischen Kommunion Instanz des Urteils über historiographisch reklamierten Fortschritt, geschieht freilich nur dies eine Mal Recht. Dem entspricht Yu Huas narrative Formel einer jahrtausendealten, in der jüngeren Vergangenheit interkulturell vermittelten Geschichte der Not des kollektiven Leibes. Am Beispiel zweier Kategorien des Begehrens, Hunger und Sexualität, wird deutlich gemacht, wie die Revolution in China den französischen Versuch zu deren Abschaffung (statt Anerkennung) wiederholt hat.83 Vollzieht sich Yus Geschichte vandalierender Subjekte in einem homogenen, aber leeren Zentrum, so erweist sich Mo Yans Knoblauchrevolte als vom Zentrum ausgehender Zerfall der Geschichte. Indem sie der postrevolutionären Ernüchterung ästhetische Positionen zuweisen, erfüllen beide Erzählungen die Funktion Einspruch erhebender, regionalistischer Historiographie. Die in den regionalen Imaginaires eingebettete Vorstellung von nationaler Geschichte – als chinesische Besonderheit – gerät bei diesen Schriftstellern in den Verdacht einer provinziellen Illusion, die Fremdes mehr oder weniger wahllos zu Eigenem macht und ihr Eigenes weniger finden will, sondern es vielmehr (grundlos) voraussetzt. Als Kern des Problems erscheinen zwei Aporien des Revolutionsnarrativs, das einerseits die Befreiung von Unterdrückungsverhältnissen durch die Ausübung seelischer und physischer Gewalt sanktionieren muss, diese teuer erkaufte Freiheit dann aber andererseits nicht mit wirkungsvollen postrevolutionären Institutionen schützen kann. Die gestürmten Käfige der Tradition wurden von den neuen Machthabern lediglich durch mo82

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“Es hat sich gelohnt, es hat sich gelohnt. Sie ist eine vornehme Frau. Es stört sie nicht, dass ich dreckig bin. Mit ihrer so sauberen Hand klopft sie mir auf den Hintern. Wenn ich noch heute in dieser Zelle sterben müsste, täte es mir nicht leid. ... Sie schlug ihm noch einmal auf den Hintern, dann kam ein Stich, wie von einer giftigen Wespe. Sie drückte die Nadel tiefer hinein. Ihre Fingerknöchel pressten sich in die Haut seines Popos. Darin lag eine ungeheure Zärtlichkeit, wie er sie noch nie im Leben erfahren hatte. Sie schien vom Himmel herabgestiegen zu sein und machte seine Seele trunken. Er schluchzte” (dt. S. 243, chin. S. 179). Vgl. hierzu Georg Büchners Formel der französischen terreur: “Ihr wollt Brot und sie werfen euch Köpfe hin. Ihr durstet und sie machen euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken” (Büchner 2001: 121).

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derne Gefängnisse ersetzt. Dem entspricht die symbolische Konfrontation von Chinesischer Mauer und Bastille in vielen revolutionskritischen Texten.

9.5 Über-Leben und Tibets verborgene Geschichte: konkurrierende Exegesen

In den bisher diskutierten Texten erscheint die exegetische Gemeinschaft als Trugschluss, wenn nicht gar als bösartiger Betrug an den Gläubigen, so dass die Revolution ironischerweise die Position eines religiösen Dogmas einnimmt, dessen Götter zu schwach sind, um das versprochene Heil zu bringen. Am Horizont taucht aber kein anderer Tempel auf, dessen Götter in Konkurrenz zu Gong Gong, Nü Wa und Prometheus – falls Yu Hua und Mo Yan diese Zuschreibung teilen sollten – treten könnte. Die Versuchsanordnung wird in substantieller Weise verändert, wenn in der exegetischen Gemeinschaft konkurrierende Auslegeordnungen auf den Plan treten. Im Roman Shouhuo (Über-Leben, 2003) von Yan Lianke (geb. 1958 in Luoyang, Henan) und in der Erzählung “Xizang, yinmi suiyue” (“Tibet, verborgene Geschichte”, 1985) von Tashi Dawa (geb. 1959 in Batang, Sichuan) wird diese Möglichkeit von verschiedenen Seiten her geprüft. Das entlegene Bergdorf Shouhuo liegt im Balou-Gebirge, einer imaginären Heimat, die Yan bereits in mehreren Romanen thematisiert hat. Seine Bewohner sind aufgrund einer historischen “Panne” alle körperbehindert: ein besonders listiger Regierungsbeamter wollte bei der Zwangsrekrutierung von Soldaten sicherstellen, dass die besten Männer nicht versteckt würden, rechnete aber nicht mit der Kindespietät seiner Klientel. So endete die Aushebung als Farce mit einer Armee von Alten und Behinderten, von denen einige Überlebende am Ende im Dorf Shouhuo eine neue Heimat fanden. Im Lauf der Zeit erhielten sie weiteren Zulauf von Behinderten und bildeten eine prosperierende Agrargemeinschaft. Der Ahnenmutter-Gründungsmythos des für lange Zeit vom Rest der Welt abgeschotteten Dorfes wird überlagert von einem Revolutionsnarrativ, als eine verletzte Soldatin der Roten Armee eintrifft. Mit ihr 310

kommt eine temporäre Verbindung zur Aussenwelt zustande, die während der Hungerkatastrophe in der Folge des Grossen Sprungs nach vorn (1959–1962) krisenhaft endet, nachdem die Dorfbewohner von ihren revolutionären Brüdern und Schwestern “draussen” ihrer Vorräte beraubt worden sind. Ein zweiter Flirt des Dorfes mit der Gesellschaft des Reform-China endet nicht besser. Das Dorf beschliesst nun endgültig, der gierigen Welt dieser körperlich makellosen Menschen den Rücken zu kehren und seine eigene Vision eines Lebens im vergleichsweise bescheidenen Überfluss der freiwilligen Gaben der Natur zu verwirklichen. Die ins Masslose übersteigerte Helden-Rhetorik und Politik der Revolution tritt im Roman gegen das selbstgenügsame Glücksstreben einer Gemeinschaft mit Handicap an, und verliert. Am Ende zieht die mythische Ahnenmutter wieder in den vorübergehend zweckentfremdeten Dorfschrein ein, das grossartige, für Tourismus-Zwecke errichtete LeninMausoleum auf einem nahe gelegenen Berggipfel verschwindet ebenso wie die von Marketing-Experten erfundenen “lokalen” Mythen in der Bedeutungslosigkeit. Die Möglichkeit eines selbst gewählten, kollektiven Rückzugs aus der exegetischen Gemeinschaft der Nation nimmt auch noch dem von Yu Hua und Mo Yan nicht angetasteten utopischen Kern des Revolutionsmythos seine Legitimation, indem postuliert wird, dass seine Freiheit bisher nichts als ein falsches Versprechen war und der Weg zur sozialen Harmonie demzufolge jenseits von dessen, wie auch der kapitalistischen Vision liegen muss.84 Den Ausbruch aus den Zwängen der übergeordneten, exegetischen Gemeinschaft ermöglicht in Yan Liankes Roman ein (körperlicher) Defekt. Dass er für die Ausgegrenzten eine Reihe von Optionen zum kollektiven Glück bereithält, die den makellosen “Rundum-Menschen” (Matherly 2009) verwehrt sind, müssen sie erst allmählich herausfinden, indem sie sich aufgrund ihrer durchweg schlechten Erfahrungen mit jenen Rundum-Menschen aus deren Welt ganz zurückziehen und sich dabei auch auf andere Werte als diejenigen des politischen Zentrums verständigen. Anders verhält es sich im Fall der in China beheimateten ethnischen Minderheiten, die nicht aufgrund eines Defekts, sondern wegen ihres Festhaltens an den eigenen, überlieferten kulturellen Formen eine Gefahr für den Legitimitätsanspruch der chinesischen Moderne darstellen. Besonders betroffen ist die tibetische Minderheit, da ihre 84

Zu diesem Roman s. Yan 2007, Liu 2007, Matherly 2009.

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Angehörigen über ein sehr grosses Territorium verteilt leben und überaus einflussreiche Repräsentanten im Ausland haben. Das chinesische Regime hat sich mit seiner eigenen Modernisierung kontinuierlich antagonistisch zum tibetischen klerikalen Regime positioniert, als Erlöserin einer rückständigen, feudalen, von Barbarei und Aberglauben heruntergewirtschafteten Gesellschaft. Dies bedingte die Verbreitung entsprechend negativ besetzter Bilder in China, unter denen die Praxis der Himmelsbestattung und andere, möglichst irrational erscheinende Bräuche viel Raum einnehmen. Die Erzählung Tashi Dawas mit dem Titel “Tibet, verborgene Geschichte” aus dem Jahr 198585 setzt sich vor dem Hintergrund anhaltenden Widerstands der tibetischen Bevölkerung gegenüber den chinesischen Befreiungsversuchen jedoch eher kritisch mit dem chinesischen Projekt auseinander, Tibet in die exegetische Gemeinschaft einer (post)revolutionären, chinesischen Moderne zu integrieren. Die darin wiedergegebene, über den Zeitraum von 1910 bis 1985 reichende Dorfchronik erzählt vom Schicksal eines lebenslangen, jedoch nie ehelich vereinten Liebespaares von deren Kindheit bis zum Tod, welches metonymisch als verborgene Geschichte einer exegetischen Gemeinschaft ohne Staat lesbar wird. Dies erreicht die Chronik mit ihrem Bericht über die verschiedenen Besucher des Dorfes von einer mythischen Zeit bis in die Gegenwart. Nacheinander waren da: ein haariger, sprachloser Wilder, der eine junge Dorfbewohnerin auf seinem Rücken fortschleppte; ein Lama, der eine Zeitlang reihum bei den Hirten wohnte, bis er mit der Mehrzahl der arbeitsfähigen Männer des Dorfes und der Erklärung wieder abreiste, hier habe sich bereits ein erleuchteter Heiliger niedergelassen, den er nicht durch seine Anwesenheit beleidigen könne; ein verrückter Schamane, der bald wieder mit einer jungen Frau aus dem Dorf verschwand; ein Schreiner, um eine der beiden letzten noch im Dorf wohnenden Familien ins Tal zu holen, so dass nur noch ein altes Ehepaar und zwei Kinder zurückblieben; ein englischer Forschungsreisender, der dem kleinen Mädchen mit einem Kuss eine mysteriöse, unheilbare Hautkrankheit übertrug; eine Einheit der Volksbefreiungsarmee, die als Gastgeschenk ein Mao-Portrait mitbrachte, welches einen Ehrenplatz am Hausaltar erhielt, und quasi im Tausch den ältesten Sohn des mittlerweile Familienvater gewordenen Jungen mitnahm; ein Mitglied eines chinesischen Verbandes der UFO-Forscher, 85

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S. hierzu Zhaxi 1993, Riemenschnitter 2007, Schiaffini-Vedani 2002.

welchen der Protagonist daran hinderte, einen geheimnisvollen Stein vom revolutionären Stausee seines Sohnes mitzunehmen; und drei junge Frauen, die alle auf denselben Namen wie die zur Nonne geweihte Protagonistin hörten und nacheinander mit den Söhnen des weltlich gebliebenen Protagonisten verheiratet wurden. Neben vielen anderen Mysterien ereignen sich zu Lebzeiten der Protagonisten auch mehrere chinesische Wunder im Dorf: das kleine Wunder ist eine glückliche Zwillingsgeburt von Kälbern in Anwesenheit der Volksbefreiungsarmee, das grosse Wunder der bereits erwähnte Stausee, welchen der von chinesischen Ausbildungsstätten zurückgekehrte Sohn vor Ort errichtet. Nach einer kurzen, glorreichen Periode revolutionärer Wallfahrten gerät das Bauwerk jedoch in Vergessenheit und trocknet schliesslich aus. Den Protagonisten kümmert dies nicht; wie bei den Bewohnern von Shouhuo richtet sich sein Begehren nicht auf technischen Fortschritt und materielle Güter. Tashi Dawas vom magischen Realismus inspirierte Repräsentation einer Gemeinschaft zwischen eigenen Traditionen und fremden Modernisierungsschüben, die nach Möglichkeit auf ihr lokales Erfahrungswissen im Gewand mythologischer Narrative rekurriert, zeigt die Chancen und Grenzen einer sozialen Organisation, die ihre Orientierungsprobleme zwischen dem eigenen System von religiösen Analogien und den Phänomenen einer fremden Moderne auszuhandeln versucht, ohne dabei den aufklärerischen Spekulationsformen auf die Zukunft den Vorzug zu geben. Nicht unempfänglich für wissenschaftliche Argumente, figuriert diese Kultur der Anderen in der Erzählung als Residualkategorie und flexibles Reservoir an noch nicht ganz erstickten Optionen für die kritische Überprüfung eines Absolutismus der global-modernen Wirklichkeit, der für alternative Visionen immer weniger Raum gibt. Sie lässt sich schliesslich auch als Versuch lesen, mittels eines von Dogmatismus geläuterten Metamythos der Gemeinschaft, welcher Tradition und Moderne zu neuen Bedeutungseinheiten zusammenwebt, eine kollektive Zukunftsvision zu geben – in deutlicher Zurückweisung des chinesischen Ansinnens, die Grenzen zwischen chinesischer und tibetischer exegetischer Gemeinschaft 86 zu verwischen, indem das Gründungsnarrativ des modernen Tibet verstärkt auf den Revolutionsmythos auszurichten ist. Wie luzide die Botschaft beiderseits aufgenommen wurde, zeigten verschie86

Zur traditionellen tibetischen Geschichtsschreibung s. Schwieger 2000.

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dene, in unmittelbarer Reaktion auf diese und ähnliche Erzählungen geführte Kontroversen unter chinesischen und tibetischen Intellektuellen über die Berechtigung des Halbtibeters Tashi Dawa (seine Mutter ist Han-Chinesin), eine “tibetische Position” zu beziehen. Zusammenfassend lassen sich die hier gruppierten, post-revolutionären Narrative der chinesischen Revolutionsgeschichte als Kritik am Mythos einer durch revolutionären Überschwang begründeten Moderne beschreiben. Dieser Überschwang hat jedoch nicht mehr viel mit dem Kantischen Enthusiasmus gemein. An die Stelle der traditionellen Moralvorstellungen sind nicht die erhoffte neue, bessere Moral und Aussicht auf ein besseres Leben, sondern Willkür und Orientierungslosigkeit getreten. Vom mythomotorischen Narrativ der Revolution in der roten Geschichtsfiktion bleibt nur ein Hoffnungsschimmer übrig: die Revolution als konträpräsentischer Retro-Mythos, als utopischer Sand im Getriebe der kapitalistischen Modernisierung.

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Zurück zur Polymythie

10.1 Imperialistische Globalisierung und (trans) lokale Antworten: Der Boxeraufstand

Der Karneval von Romans erinnert mich an den Grand Canyon Colorados. Als eine Spur zahlreicher Ereignisse ist er in eine Schichtenstruktur eingebettet. Ein Schnitt mit der Säge legt die geistigen und sozialen Schichten frei, aus denen ein weit in die Vergangenheit reichendes Ancien régime sich zusammensetzt. In der Abenddämmerung der Renaissance enthüllt er eine ganze Geologie farbenreicher Narben (Le Roy Ladurie 1989: 363).

Die Untersuchung Le Roy Laduries einer vergessenen, gescheiterten Revolte im Winter 1579/80 ist metaphorisch als Genealogie und Naturgeschichte der Französischen Revolution angelegt. Obwohl die Revolte zunächst keine sichtbare gesellschaftliche Wirkung entfalten konnte, hat sie doch wesentlich zur Formierung eines kollektiven Selbstbewusstseins und zur Vision “plebejischer” Einmischung in politische Entscheidungen beigetragen, so der Autor. Es ist vielleicht dieser Aspekt der von Historikern wie Kulturschaffenden seither ebenso intensiv wie ambivalent rezipierten Ereignisse um den als Boxeraufstand in die Weltgeschichte eingegangenen letzten grossen Verteidigungsschlag des Qing-Regimes gegen die imperialistischen Mächte, welcher Mo Yan dazu animiert hat, einen Roman über die Wut der Boxer, aber auch über deren lokale Lebensumstände und kulturelle Formen zu schreiben. Das Phänomen einer in die Tiefenschichten des Leibes eingeschriebenen geschichtlichen Erfahrung – im Gegensatz zur intellektuellen Geschichtssicht – erschien in der chinesischen Literatur seit den 1980er Jahren als Leitmotiv. Es galt im engeren Sinn der Exploration vor allem solcher nicht-elitärer kultureller Ausdrucksformen gegenüber staatlich implementierten Vokabularien und Poetiken subalterner Rede,87die der instabilen, anarchischen 87

In internationalen Kulturdebatten wurde diese Thematik vor allem über die Subaltern Studies Group um Ranajit Guha bekannt. Die Frage “Can the Subaltern Speak?” beantwortet Gayatri Chakravorty Spivak in ihrem gleichnamigen Aufsatz

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Mannigfaltigkeit der individuellen Leibwahrheit näher kommen konnten als die aus der westlichen politischen Philosophie übernommenen imaginären Hypostasierungen des kollektiven Leibes. Neuhistorische Autoren suchten damit nach einer alternativen, “plebejischen” Begründung der chinesischen Moderne mittels neu gestellter Fragen nach Identität und Individualität von historischen Akteuren. In zwei der vier im vorangegangenen Kapitel analysierten literarischen Texte über das Verhältnis von Revolution und postrevolutionärer exegetischer Gemeinschaft wurde nicht nur die Herrschaft eines politischen Pseudo-Körpers dekonstruiert, unter dessen Fassade Aspekte der “wilden Dimensionen des Leibes” (Merleau-Ponty) als latente Geschichten und Faktoren möglicher gesellschaftlicher Synthesen aufscheinen. 88 Es wurde auch nach der Signatur von exzessiven Gewalterfahrungen im gesellschaftlichen Körper gefragt, die statt Solidarität, Engagement und Empathie zu fördern fragmentiert, isoliert und abstumpft. Yan Liankes und Tashi Dawas Erzählungen konfrontierten demgegenüber das Gründungsnarrativ dieser imaginären gesellschaftlichen Synthese, indem sie zwischen eigenen und fremden Formen der Zurichtung des Gesellschaftskörpers unterschieden. Selbst wenn diese fremden Formen von Gewalt nur symbolisch ausgeübt würden und oberflächlich betrachtet so harmlos erschienen wie der englische Kuss oder das chinesische Geschenk eines Mao-Bildnisses, so argumentierte Tashis Erzählung “Tibet, verborgene Geschichte”, würden sie doch auf massiven Widerstand in der lokalen Bevölkerung stossen, sofern eine lokalkulturelle Legitimation des zu implementierenden Neuen misslang. Mo Yans Roman TXX (Die Sandelholzstrafe, 2001) verlegt die imperialistische Versuchsanordnung Tashi Dawas in eine chinesische Provinz und steigert mit dem neu hinzukommenden Element eines eingebildeten China-Spezialistentums ausländischer Akteure bei deren gleichzeitiger Gleichgültigkeit gegenüber den Empfindungen und Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung deren Wirkung ins Groteske. Wie schon bei Tashi Dawa wird auch hier die Ir-/Rationalität antagoni-

88

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(in: Grossberg und Nelson 1988: 271–313) eher pessimistisch. Vgl. die sinologische Auseinandersetzung mit der Spivak-Frage bei Gail Hershatter (1993). Zu einem staatlich verordneten “subalternen Diskurs” in China vgl. Anagnost 1997. Rogozinski in Nagl-Docekal 1996: 333–372; vgl. a. Riemenschnitter 2000: 336– 338. Zu Merleau-Pontys Konzept einer praxeologischen Leibvernunft s.a. Metraux und Waldenfels 1989.

stischen politischen Handelns nicht an den beiderseits zugrundeliegenden Werten und Dogmen, sondern an der Praxis gemessen. Die Tatsache, dass Ereignisse wie der Taiping- und der Boxeraufstand, die im Maoismus noch in den revolutionären Monomythos integriert worden waren,89 in zahlreichen mythophorischen Umkreisungen neuerer Stellungnahmen davon wieder losgelöst und alternativ problematisiert werden, zeugt von einem nicht nur in der Belletristik, sondern auch in den Massenmedien aufscheinenden Trend polymythischer Narrative im Diskurs über die Nationalgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ein prominentes Beispiel ausserhalb der historischen Fiktion sind die von volksrepublikanischen Intellektuellen im Inland heiss diskutierte und vom Regime als politisch brisant empfundene Fernsehserie For the Sake of the Republic (Zou xiang Gonghe) aus dem Jahr 2003 und deren noch erfolgreichere, offenbar weniger Empfindlichkeiten hervorrufende Nachfolgeserien, wie Der Weg zum Wiederaufstieg (Fuxing zhi lu, 2006). Das darin repräsentierte Geschichtsbild war Resultat einer Relativierung des Revolutionsmythos durch Fortschrittsoptimismus, der auf wirtschaftlichen Aufschwung und damit wachsendes weltpolitisches Gewicht gegründet ist. In dem Masse, wie Chinas Weg relational zu den Zyklen von Aufstieg und Niedergang der westlichen starken Nationen gezeichnet werden kann, welche stillschweigend als Gesetzmässigkeit naturalisiert erscheinen, ist aber auch die Vorstellung einer Reversibilität des eigenen Aufschwungs in das Modell eingeschrieben (Spakowski 2009). Die gegenwärtig auf breiten Konsens treffende Diagnose einer tiefgreifenden Wertekrise mit der Folge von emotional aufgeladenen Rekursen auf das nationale Erbe, insbesondere auf fundierende geschichtliche Erzählungen, kulturelle Monumente und archäologische Funde,90 appelliert wesentlich an das populäre Geschichtsgefühl.91 Die “Zugehörigkeit zu einem Geschichtlichen”, die man laut Martin Walser “nicht zuerst als

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Zum symbolischen Inventar des Taiping-Aufstands in der revolutionären Modelloper Rote Laterne vgl. Cohen 1997b. In seiner Studie über die Bindung der archäologischen Forschung an den nationalen Mythos einer 5000 Jahre alten, kontinuierlichen Zivilisation beklagt Barry Sautman das Fehlen von kritischen Wortmeldungen der Intellektuellen und fordert solche Stellungnahmen als deren wichtige Aufgabe (Sautman 2001). Das folgende Unterkapitel zu TXX stützt sich in wesentlichen Teilen auf Riemenschnitter 2009a.

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Erkenntnis parat [hat], sondern als Empfindung, als Gefühl”,92 stützt sich auf ein Set geteilter Erinnerungen. Diese Erinnerungen sind jedoch durch Interaktion mit der Gegenwart permanent Veränderungen unterworfen. Deshalb erscheint das Geschichtsgefühl im Kontext moderner Beschleunigungsprozesse als besonders riskante, instabile Grösse. Weil es von individuellen Begehren wesentlich mitstrukturiert wird, ist es besonders anfällig für ideologische Vereinnahmungen; nicht unbegründet spricht Carl Hegemann in diesem Kontext von einem paradigmatischen Schwindelgefühl.93 Andererseits verlangen gerade die fundierenden Geschichten einer Gemeinschaft nach kontinuierlicher Anpassung an das populäre Geschichtsgefühl, weil sie sonst ihre integrierende Funktion zu verlieren beziehungsweise selbst in Vergessenheit zu geraten drohen. Wenn sich heute Kulturarbeiter und Historiker inner- und ausserhalb Chinas wieder auf den Prozess der Ablösung von imperialer durch nationale Geschichte zwischen 1840 und 1949 besinnen, so geht es ihnen dabei nicht zuletzt 92

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“Editorial: Geschichtsgefühl”, in: Berding et al. 2003: 12. Diese Definition ist so allgemein, dass sie für den hier verfolgten Zweck herangezogen wurde, obwohl Walser als Kronzeuge nicht am besten geeignet erscheint. Vielleicht ist es aber sogar hilfreich, den deutschen Historikerstreit im Hintergrund der hier angesprochenen Problemlage mitzudenken. Ein solcher Streit über den Umgang mit der jüngeren Vergangenheit schwelt sicher auch in China beziehungsweise unter chinesischen Intellektuellen inner- wie ausserhalb Chinas, wenngleich er nicht in der gleichen, medienwirksamen Form ausgetragen wird. Eine Definition chinesischer Codierungen des Geschichtsgefühls könnte sich auf das semantische Feld von qing (Gefühl) beziehen, mit Begriffen wie qingkuang (Situation), shiqing (Angelegenheit), ganqing (Emotion), usw. “Der Einsturz der Türme des World Trade Center hatte für die meisten Zuschauer etwas Schwindelerregendes. Und Schwindel (nicht nur im Sinne von harmloser Lüge, sondern im Sinne eines körperlich geistigen Zustands des Wankens und des Ausgeliefertseins) ist für das Theater seit 2500 Jahren ein Hauptmotiv. […] Auf der Höhe seiner Kunst produziert das Theater vielmehr ein Gefühl des Schwindels, »so dass Ungewissheit, Bekümmernis in allen Gemütern herrschen und eure Zuschauer den Unglücklichen gleichen, die in einem Erdbeben die Mauern ihrer Häuser wanken sehen und die Erde ihnen einen festen Tritt verweigern fühlen.« Das ist zumindest für den Aufklärer Denis Diderot das Grösste, was das Theater erreichen kann: Das Auslösen von Unbehagen, Irritation und Verstörung. […] Nach den Ereignissen des 11. September ist dies aber nicht mehr so einfach möglich und vielleicht auch fragwürdig. Warum sollen wir im Theater eine Verunsicherung entstehen lassen, wenn jede mögliche theatralische Verunsicherung von der Realität schon überboten ist?” In: “Das Schwindelerregende. Über das prekäre Verhältnis von Kritik und Affirmation nicht nur im Theater”, a.a.O.: 239–243, hier: 240.

um eine Revision des kulturellen Gedächtnisses aus der veränderten Perspektive der aufstrebenden Weltmacht. 94 Häufig, und sicher nicht immer grundlos, wird diese Perspektive von Kritikern mit einem von der Regierung unterstützten, konsumorientierten Kulturnationalismus in Verbindung gebracht. Der Diskurs über fundierende Erzählungen verhandelt jedoch gleichzeitig ein bedeutendes zukunftsgestaltendes Potential, wobei es durchaus auch darum gehen kann, sich in kritischer Distanz zu den gängigen Ideologien neu zu positionieren. Diese nicht ungefährliche Macht darf keinesfalls einem propagandistischen Geschichtsgefühls-Patriotismus im Stil der reisserischen, antiwestlichen (einschliesslich Japans) Publikationsserie der 1990er Jahre “China can say no” 95 überlassen werden, die sich schon im Titel auf den engen Zusammenhang zwischen politisch und emotional begründeten Entscheidungen bezogen, und ein – allerdings engumgrenztes – Spektrum von möglichen Positionen Chinas auf der gegenwärtigen Weltbühne in den Blick genommen hatte. Für einen neuen, den Horizont erweiternden Blick auf die imperialistische Konstellation der letzten Jahrhundertwende gilt es demgegenüber, den Zusammenhang zwischen der Wut auf das Superioritätsgehabe der Gewinner, die sich unter anderem in mehreren “Say No”-Publikationen (shuo bu) ein Ventil verschafft hatte, der kollektiven Sehnsucht nach einer grandiosen Vergangenheit, deren Symptom im massenhaften Konsum von geschichtsrevisionistischen Kaiserzeit-Epen zu finden ist, und den Lehren, die jetzt allenfalls daraus zu ziehen sind, herauszuarbeiten. Es stellt sich somit die Frage, in welchem Verhältnis politische Ideologie und ästhetische Performanz im Fall konkreter intellektueller Positionsnahmen stehen. Denn selbst in vermeintlich rezeptionsästhe94

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Dieses Projekt einer Neuschreibung der Geschichte aus der Perspektive der aufstrebenden Weltmacht beinhaltet auch eine ganze Reihe von monumentalen historischen TV-Dramen, die von den grössten Fernseh- und Filmgesellschaften Chinas mit grosszügigen Fördergeldern produziert wurden. Hier lässt sich dieselbe Beobachtung machen, wie bereits oben ausgeführt: ein regierungskonformer “Neutraditionalismus” (xin gudian zhuyi) wird von Kommentatoren häufig mit solchen Werken über einen Kamm geschoren, die sich eher als kritische Antwort auf den Mythos von der nationalen Grösse verstehen. Vgl. zum geschichtsrevisionistischen Trend in der Fernsehbranche (mit den Beispielen Yongzheng-Dynastie von 1999 und Der grosse Kaiser Wu der Han von 2005) die Stellungnahme von Zhu 2008. Song et al. 1995, s.a. dies. 1996 sowie , zuletzt eingesehen 25.3.2007.

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tisch argumentierenden Stellungnahmen zu neuhistorischen Romanen lässt sich beobachten, wie potentiell produktiv-kritische Interventionen wie diejenigen Mo Yans als simplistische, unreflektierte Partizipation am nationalistischen Projekt des Regimes (miss)verstanden werden und damit – vermutlich von den Urhebern ungewollt – ihr subversives Potential ausgehebelt ist. Ein repräsentatives Beispiel möge genügen, um die Stossrichtung dieser wesentlich transnational operierenden Perspektive auf die neuhistorische Fiktion zu demonstrieren: Critical acclaim for Sandalwood Impalement owes to cultural nationalism, not literary excellence. Ideology outweighs art. Despite being carefully plotted, structured, and written, the novel does not rise above artisanship. The urge to recreate an authentic China is detrimental to creativity. Compared with Mo Yan’s earlier novels, Sandalwood Impalement is contrived. It is a skilful imitation of folk opera – a splendid street performance full of sound and imagery, leaving nothing to the imagination. Cultural nationalism does even more damage to literary criticism, supplanting aesthetic appreciation with moral judgment. Moralizing has always been a weakness of Chinese literary criticism. Today, when Chinese writers enjoy freedom of expression, critics are conformist. They conform not to any official line, but to public opinion, which (if anything) is more chauvinist than the government. Chinese readers have good reason to dislike highbrow intelligentsia writing that is often a clumsy imitation of Western literature. They also have good reason to disdain consumerist yuppie writing that is often mawkish, affected, narcissistic, and sensational. But a return to folk tradition is no cure for bad writing.96

Die Wirkung derartiger Stellungnahmen geht – deutlich erkennbar nur für die aufmerksamen Leser des Romans – mit ungenügender philologischer Deckung einher, wie sie sich vor allen Dingen durch Praktiken einstellen kann, welche durch die Erwartungen und Anforderungen der auf schnelle, oberflächliche Information ausgelegten Massenmedien und ihrer globalen Rezeptionsgemeinschaft gefördert werden. Vergleichen wir das Urteil der in Leiden affilierten Anglistin mit demjenigen des Hangzhouer Repräsentanten des regionalen Schriftstellerverbands, Pro96

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Yue 2005. Die Autorin hat in Shanghai und Amsterdam englische Literatur studiert und interessiert sich für “comparative literature and intercultural communication” (ibid.). Bereits im ersten Absatz ihrer Kritik unterläuft der Autorin der Fehler, den auf einer Novelle von Liu Heng basierenden Film Ju Dou von Zhang Yimou auf Mo Yan zurückzuführen. Ihre Kritik an TXX bezeugt dann dasselbe Mass an Oberflächlichkeit bezüglich des Romaninhalts, der fehlerhaft wiedergegeben wird, und seiner Aussagen, die in ihren ästhetischen, rhetorischen und semiotischen Dimensionen zu analysieren gar nicht erst der Versuch gemacht wird.

fessors der Universität Zhejiang und Experten für neuhistorische Fiktion, Hong Zhigang: Mo Yans Roman Die Sandelholzstrafe ist ein exemplarischer neuhistoristischer Roman voller Ungestüm und Leidenschaft. Gleichzeitig ist er aber auch ein modernes allegorisches Drama, dessen Bühne der Richtplatz und dessen Höhepunkt der Vollzug der Todesstrafe sind. Farbig grundiert mit einer bis zum Äussersten getriebenen Folklorisierung der romantischen Legendenform und basierend auf einer vordergründig extrem traditionell erscheinenden Textstruktur verdeutlicht er die von innen hervorsprudelnde, ungewöhnliche Vorstellungskraft des Autors sowie dessen überragende erzählerische Originalität. Mit diesem Werk kommt auch jene vom Autor seit langem respektierte Ästhetik der unser Leben bestimmenden Prinzipien von Brutalität und Trauer ans Licht. Vor dem Hintergrund dieser Brutalität und Trauer schafft Mo Yan gleichzeitig aber auch eine Extension des ästhetischen Gehalts. Seine metaphorische Virtuosität erlaubt den Blick ins Innerste der traditionellen chinesischen Kultur und enthüllt dabei die Tiefenstruktur von totalitären Diskursen. So unterzieht er noch einmal aufs Neue die beiden in der antiken Zivilisation eingebetteten Systeme von staatlichem Machtmonopol und kollektiver Morallehre einer scharfen Überprüfung. Hong in Yang 2005: 285.

Auch Mo Yan selbst äusserte sich kürzlich zum Verhältnis von Literatur und Politik sowie über seine Beziehung zur Folklore: Die Literatur kann in der Tat der Politik nicht entrinnen, aber gute Literatur ist grösser und umfassender als die Politik. Politik aus der Sicht von Autoren ist etwas ganz anderes als die Politik der Politikwissenschaftler. […] Ich bin unter dem Einfluss der ländlichen Folklore gross geworden. Weil ich so viel über sie wusste und so vertraut mit ihr war, dachte ich lange, dass sie wertlos sei. Erst wenn einer ins Wasser gefallen ist und um sein Überleben kämpft, greift er wahllos um sich. Das war der Moment, als ich merkte, dass die früher von mir für wertlos gehaltenen Materialien tatsächlich überaus wertvoll sind. Da ist zum einen die chinesische Romantradition, also die Art und Weise, wie Chinesen Geschichten erzählen. Zum anderen zogen mich die in der Folklore verwendeten Sprechweisen an.97

Die einander diametral entgegenstehenden Einschätzungen der beiden Kritiker über die ideologische Position des Autors und die Botschaft seines Werks lassen sich mit der Stellungnahme des Autors selbst produktiv in das ästhetische Prinzip der Vielstimmigkeit integrieren, welches ein wichtiges strukturelles Merkmal des Romans TXX darstellt. Wie jeder und jede der Protagonisten eine individuelle Sprechweise basierend auf 97

Mo, Schwiedrzik und Weigelin-Schwiedrzik 2009. S. a. den redaktionell überarbeiteten Abdruck des Gesprächs in Shanghai wenxue 3, 2010: 82–84.

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emotionaler Gestimmtheit, sozialem Status, Bildungshintergrund und vielem mehr erhält, und wie sich simultan mit der historischen Tragödie eine Regionaloper entwickelt, so lässt sich seit Erscheinen des Romans im Jahr 2001 auch eine Polyphonie der trans-lokalen Kritikerstimmen vernehmen – mit kakophonischen Elementen, welche durchaus an den vom Autor suggestiv beschriebenen Katzenjammer der lokalen Maoqiang-Oper erinnern. Es ist nicht auszuschliessen, dass der Autor bestimmte Elemente dieses Effekts bereits beim Verfassen des Romans mit eingeplant hat. Der vielleicht sogar eher panisch als wütend zu bezeichnende Nationalismus der Boxer um 1900 ist im Erscheinungsjahr des Romans 2001 jedenfalls unschwer mit dem “Say-No”-Nationalismus der 1990er Jahre zu kontextualisieren; allerdings nimmt diese “geologische” Historisierung der emotionalen Tiefenschichten einer Rebellion im Feld chinesischer antiwestlicher Stimmungen eine Komplexität in den Blick, die jede Schwarz-Weiss-Malerei ad absurdum führt.

10.2 Kulturelles Gedächtnis relokalisiert: Hundert Jahre Boxerkrieg-Dramaturgie

Deutlichster Nachhall der veränderten weltpolitischen Konstellation im chinesischen Nationalbewusstsein sind nach dem Ende des Kalten Krieges Manifestationen eines erstarkenden Selbstwertgefühls, verbunden mit der Abkehr von den paradigmatischen Wegmarken des Scheiterns im revolutionären Geschichtsbild. Hinzu kommt die Hinwendung zu früheren Erfolgsgeschichten und alternativen Begründungen für nicht realisierte Chancen. Hier ist die Motivation für ein Wiederanknüpfen des gegenwärtigen Regimes an die traditionelle konfuzianische Morallehre ebenso zu verorten, wie eine Verlagerung des Akzents historischer Narrativik von den heroischen Darstellungen revolutionärer Kämpfe aus der Zeit der späten Republikjahre (1937–49) auf den Zeitraum des Übergangs von der Qing-Dynastie zur Republikgründung (1898–1911). Ein Grund für das lebhafte Interesse von Historikern, Autoren, Künstlern und Filmemachern an den spät- und postdynastischen Vorstössen zur Implementierung eines chinesischen nation-building liegt in der trans322

nationalen Zeichenhaftigkeit der Ereignisse im Jahr 1900, die den zukünftigen Umgangston zwischen China und den imperialistischen Weltmächten bestimmten. Die von Boxern verübten Morde an christlichen Missionaren in Shandong (und anderen Provinzen) sowie das vermeintliche Attentat von Regierungstruppen am deutschen Gesandten von Ketteler in Beijing erhitzten die Gemüter der westlichen Mächte, während der vom Sino-japanischen Krieg und den missglückten Reformversuchen des jungen Guangxu-Kaisers geschwächte Qing-Hof – selbst in Fraktionen gespalten und darüber hinaus ohne hinreichende Kontrolle über die Machenschaften seiner Provinz-Beamten – zunehmend beunruhigt war vom Konzessionen-Poker der ausländischen Diplomaten und Missionare, der als “Scramble for China” unrühmlich in die Annalen der Weltgeschichte eingegangen ist. Die verworrenen Begleitumstände dieses diplomatischen Desasters waren prädestiniert für theaterästhetische Stellungnahmen auf den nationalen Bühnen der beteiligten Akteure. Bereits 1901 wurde in London ein Puppenspiel zum Thema herausgebracht, zahlreiche Filme und Romane in westlichen Sprachen folgten. 98 In den überwiegend kommerziell angelegten Repräsentationen jener Zeit sind im allgemeinen westliche Diplomaten oder Armeeführer die Helden, während die Boxer als Inkarnation des asiatischen Bösen, subsumiert unter der magischen Formel von der Gelben Gefahr, auftreten – eine aufgewiegelte, barbarische Masse, gegen die man sich mit allen Mitteln “verteidigen” darf. Zur allgemeinen Verunsicherung hatte nicht nur ein fataler Generationswechsel im diplomatischen Korps mehrerer Mächte beigetragen, der überraschend Hardliner ohne Chinakenntnisse vom afrikanischen Schauplatz nach Asien verlagerte, sondern auch der wiederholte technische Ausfall des wichtigsten Kommunikationsmediums, der Telegraphie. So gelangten zum entscheidenden Zeitpunkt zwischen dem Winter 1899 und Frühjahr 1900 falsche oder gar keine Informationen über die Situation vor Ort nach draussen. Darüber hinaus verfolgte der unter massivem Druck stehende Qing-Hof eine zweigleisige Politik der verdeckten militärischen Unterdrückung der Boxer-Rebellen bei gleichzeitiger Ambivalenz bezüglich seiner gegenüber den Boxern einzunehmenden Haltung. Letztere diente unter anderem dem Zweck einer Verunsicherung der hierfür sehr empfänglichen Ausländer (Xiang 2003: 129–153). Das 98

Vgl. die nicht auf Vollständigkeit zielenden Nennungen in Xiang 2003: viii.

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wesentlich aus einer internen Krise resultierende Ultimatum des QingHofes an die Diplomaten, das Land zu verlassen, welches einer Kriegserklärung an elf mächtige Nationen gleichkam, traf diese schlecht vorbereitet und wurde wie die Entscheidung der Qing-Regierung, mit den militärisch kaum organisierten und gänzlich unerfahrenen, aufgewiegelten Aufständischen gemeinsame Sache zu machen, als deutlichster Beweis für die Irrationalität und Unzuverlässigkeit der chinesischen Seite genommen. Wo informiertes Wissen über die Umstände der höfischen Reaktion fehlte, waren politischen Überreaktionen, aber auch bühnenwirksamen Spekulationen und dramatischen Überzeichnungen Tür und Tor geöffnet. In China einigten sich viele Historiker und politische Aktivisten nach einer Phase der Unschlüssigkeit über die möglichen Deutungsvarianten der eskalierten Ereignisse, die auch eine Phase der Suche eines geschwächten, postdynastischen Staates nach Auswegen aus der politischen Krise war, auf ein Narrativ der Rückständigkeit und fehlenden nationalen Stärke (Karl 2002: 17–25). Die Boxer wurden in diesem Diskurs zum Symbol eines heroischen, aber aussichtslosen und allzu naiven Verteidigungskampfes gegen die Übermacht der von den Gegnern genutzten modernen Technologien stilisiert, während eine boxerkritische Linie, die deren Xenophobie und abergläubische Praktiken betonte, wiederholt als unpatriotisch in die Schranken gewiesen wurde. Die Nation zu retten, bedeutete auch für progressive Intellektuelle, vor allem den Staat zu stärken. Die Agenda zur Aufklärung und kulturellen Integration des Volkes im Rahmen einer Sicherung von Rechts- und Bildungsansprüchen musste man immer wieder zurückstellen. Dieser historisch bedingte Verzicht auf eine überlebenswichtige Dimension des nation-building von unten zugunsten von autoritären Massnahmen des state-building ist noch im heutigen chinesischen Staat als gespenstische, integrationshemmende Heimsuchung lebendig. Der gegenwärtig für das Projekt einer harmonischen Gesellschaft mobilisierte kulturalistische Diskurs wurde auf den Fragmenten dieser frühen revolutionären Modernisierungsbewegungen gebaut. Seine bis jetzt von der Politik noch kaum genutzte Chance könnte darin bestehen, die im literarischen Diskurs lebendige Erinnerung an ihr Scheitern, wie auch ihr ungenutztes Potential zu integrieren, um den im kollektiven Gedächtnis “spukenden”

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Geist nationaler Befreiung99 im dialogischen Austausch zwischen intellektueller Kulturkritik und populärkulturellen Iterationen nachhaltig zu inkarnieren. Im August 1904 kam in Shanghai eine moderne Peking-Oper mit dem Titel Guazhong Lan yin (wörtl.: Melonensaat, Orchideenschicksal, übertragener Sinn: Teilung eines Volkes, Schicksal Polens) auf die Bühne, die einen fiktiven Rachefeldzug der Türkei gegen Polen aufgrund einer vermeintlichen Beleidigung zum Thema hat. Soweit aus den Pressereaktionen hervorgeht, war die Rezeption enthusiastisch. Rezensenten lobten die tragische musikalische Tonlage und eine heroische Dramaturgie (Karl 2002: 28 f.). Mit seiner Warnung vor den Folgen politischer Teilung des Reiches schreibt sich das Stück in eine seit 1896 geführte Debatte zwischen führenden Intellektuellen wie Liang Qichao und Kang Youwei und der reformbereiten Fraktion am Hof ein, die sich mit der einzunehmenden eigenen Position im weltgeschichtlichen Kontext am Beispiel Polens auseinandersetzte. Polen wurde zum Argument – und schliesslich zur Metapher – für die Notwendigkeit der Schaffung eines modernen, leistungsfähigen Staates angesichts der massiven Bedrohung 99

Pheng Cheah verortet die Inkarnation einer solchen Heimsuchung des öffentlichen Raums in der Romantetralogie Buru Quartet (1981–88) des indonesischen Schriftstellers Pramoedya Ananta Toer (1925–2006): “For Pramoedya, the nation has the same ontological status as for Cabral and Fanon. It is an organism striving to maximize its capacity for life. It is a principle of vitality and the animating force of history. Its struggles against the colonial and neo-colonial states are life’s struggles against all that negates and obstructs its dynamism and causes its stagnation. Pramoedya ascribes to culture, especially literary culture, a fundamental causal power in the dialectical process of national becoming because he sees it as the highest expression and embodiment of vitality. This conception of national culture rearticulates the philosopheme of culture as freedom within two related political contexts: the reclamation of the colonial state by native intellectuals through conscientious cultural critique, and the penetration of the post-independence state by a culture of the people. […W]hat does the living people’s failure to inspirit the state say about the philosopheme of culture itself […]? The answers are not to be found solely in philosophical inquiry or political history, for these questions concern the historical performance of the philosophemes of freedom, culture, and organic life, how they are contaminated and transformed by their incarnation in history or by their finitude. There is a certain aporetic doubling in these questions. Freedom is human self-actualization, the incarnation of human ideals, and we are concerned here with the less-than-ideal incarnation of freedom itself, the incarnation of incarnation gone awry.” Cheah 2003: 252; s.a. 381–395.

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durch die internationale Konstellation. Die Shanghaier Oper fordert jedoch nicht nur einen starken Staat, sondern warnt gleichzeitig vor der Unzuverlässigkeit diplomatischer Beziehungen ebenso wie vor der internen Korruption der eigenen Regierung. Ihr Fazit ist ein Appell an die chinesischen Zuschauer, ein geeintes Volk mit einem starken Willen zur nationalen Gemeinschaft zu werden. Die Historikerin Rebecca Karl sieht in diesem von der Oper aufgenommenen Polen-Diskurs ein signifikantes Beispiel für die Formation (und deren krisenbedingt überstürzte Überschreibung durch andere Modelle nationaler Befreiung) eines ethnischen Nationalismus in China, der sich mit anderen Verlierern einer vom Westen verursachten globalen Produktion von Ungleichheit identifizierte und nach alternativen Möglichkeiten der eigenen Modernisierung strebte. Zwar konnte er sich seit diesem historischen Moment aufgrund der weltpolitischen Dominanz des westlich-kapitalistischen Modells nicht frei entwickeln, aber er spielte bislang doch in allen späteren Phasen des chinesischen nation-building eine entscheidende Rolle (Karl 2002: 199–201). Wenn dieselben Ereignisse, welche nicht nur die Schwäche des chinesischen Staates zu jener Zeit widerspiegeln, sondern auch die Gründung der Republik und Volksrepublik vorbereiteten, heute in historischen wie ästhetischen Stellungnahmen nicht mehr als Tragödie oder Schande, sondern zunehmend als Romanze (wie in For the Sake of the Republik) oder gar Satire (wie in der Sandelholzstrafe) dargestellt werden, so scheint sich ein gewandeltes Geschichtsgefühl bei gleichbleibender Neigung zu einer theatrologisch-performanzästhetischen Betrachtung von Geschichte zu manifestieren. Auch in der Sandelholzstrafe ist von einer Oper die Rede; Mo Yans Neigung zur bauchrednerischen Kulturkritik in der Maskerade populärer Iterationen entsprechend, handelt es sich bei der besagten Oper um ein fiktives Repertoirestück, das in der real existierenden, vom Aussterben bedrohten regionalen Maoqiang-Form realisiert wird, noch während sich die Ereignisse überstürzen. Im hier vorgelegten Modell ist die Metapher von Weltgeschichte als (absurdes chinesisches) Theater allerdings noch wörtlicher genommen als in der oben genannten experimentellen Oper von 1904, indem sich diese, den Romantitel liefernde neue Oper im neotraditionellen Stil simultan mit den erzählten historischen Ereignissen kristallisiert. Sujet dieses Opern-Romans ist die Geschichte einer von den Ereignissen des Boxerkrieges ruinierten Familie aus dem Kreis Gaomi in Mo Yans Heimatprovinz Shandong. Der einzige historisch be326

legte Protagonist ist Maoqiang-Operndarsteller Sun Bing. Ihm wird in der fiktionalen Inszenierung der zwischen 1899 und 1900 eskalierten lokalen Proteste gegen eine unter bornierter deutscher Führung falsch geplante Eisenbahnstrecke eine schöne Tochter namens Meiniang zugeordnet, die mit dem einzigen, geistig retardierten Sohn eines in Beijing zu Amt und Würden gekommenen kaiserlichen Henkers verheiratet wurde. Der junge Zhao Xiaojia – sein Name ist eine Verkleinerungsform des väterlichen Namens Zhao Jia – ist körperlich stark und kann seinen Lebensunterhalt als Schlächter selbst verdienen, interessiert sich jedoch nicht für den Vollzug seiner Ehe. Sun Meiniang, die auf das kindliche Gemüt ihres Mannes mit mütterlicher Geduld reagiert, verliebt sich in den konfuzianisch erzogenen Bezirksgouverneur Qian Ding, der auch ihr Patenonkel ist. Er hat einen in Japan ausgebildeten jüngeren Bruder, welcher 1898 vom opportunistischen Militärführer Yuan Shikai (1859–1916) nach der gescheiterten Hunderttage-Reform zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde. Die Romanze zwischen Sun Meiniang und Qian Ding, wie auch die tragische Geschichte des kleinen Bruders Qian Xiongfei, wurden zusammen mit weiteren Subplots so in die Romanstruktur eingepasst, dass einerseits die Oppositionspaare Fiktion und Geschichte sowie National- und Regionalgeschichte, andererseits aber unterschiedliche Aspekte und Perspektiven der geschilderten familiären Konstellation chiastisch ineinander verstrickt erscheinen. Die narrative Hauptlinie verfolgt die tragische Konversionsgeschichte des erfolgreichen Operndarstellers und Tavernenbetreibers Sun Bing zu einem Boxerrebellen-Führer. Auslöser der Katastrophe ist die sexuelle Belästigung von Suns zweiter Frau durch deutsche Truppenangehörige auf offener Strasse. Der rasch herbeigerufene Sun wehrt die zudringlichen, seine Familienehre beleidigenden Männer ein wenig zu heftig ab, wobei einer der Soldaten eine tödliche Verletzung erleidet. Ein strategisches Tauziehen zwischen den ausländischen Alliierten und ihrem Verbündeten Yuan Shikai auf der einen, und Bezirksgouverneur Qian Ding, Sun Bings Tochter Meiniang und einer wachsenden Zahl von rebellierenden Mitgliedern der lokalen Bevölkerung auf der anderen Seite führt schliesslich zur Eskalation eines theoretisch (das heisst unter gleichberechtigten Partnern) routinemässig beizulegenden Rechtsverstosses. Auf einen von deutscher Seite geforderten Rachemord an Suns Familie und deren Nachbarschaft durch Yuan Shikais Soldaten folgt jedoch ein organisierter Anschlag der Rebellen, und darauf dessen 327

gewaltsame Niederschlagung durch westlich-alliierte und chinesische Regierungs-Truppen. Mit der Exekution des verurteilten Rebellenführers wird der eigentlich bereits in Ruhestand gegangene Schwiegervater seiner Tochter, Zhao Jia, beauftragt. Er widmet sich mit seinem ganzen Berufsstolz der Setzung des abschreckenden Exempels, welches von den Ausländern als Kompensation für die erlittenen Verluste verlangt wurde. Nach Zhaos detaillierten Anweisungen und assistiert von seinem schwachsinnigen Sohn wird Sun Bing bei lebendigem Leib gepfählt. Dies geschieht mit einem tagelang sorgfältig vorbehandelten SandelholzSpeer solcherart, dass er die Tortur eine ganze Woche lang überlebt. Die der Hinrichtung beiwohnende Zivilbevölkerung stimmt im Moment des eintretenden Todes einen Klagegesang im Maoqiang-Stil an, der die deutsche Schutztruppe des Exekutionsmanövers so sehr in Panik versetzt, dass die Soldaten mit ihren Maschinengewehren blind in die Menge zielen und auf diese Weise alle Sänger zusammen mit Sun in den Tod schicken. Auch die anderen beiden Väter der Sun Meiniang kommen während der Hinrichtungszeremonie ums Leben, Qian Ding durch die Hand Zhao Jias, und letzterer durch die Hand seiner Schwiegertochter. Diese Figur des imperialistischen Entsetzens über eine imaginär antizipierte Barbarei, welches in die eigene, real verübte Bestialität des Massakers mündet, kennen wir aus literarischen und filmischen Interventionen zum Kolonialismus spätestens seit Joseph Conrads AfrikaRoman Heart of Darkness (1902). Der grausige Auslöser des Massenmordes ist hier jedoch bereits hybrid beziehungsweise kontaminiert. Beide Seiten haben im Roman eine vergleichbare Vorgeschichte der Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung, aus der sich das aktuelle Ereignis mit fast mechanischer Konsequenz ableiten lässt. Die Verhängung der in ihrer rituellen Ästhetisierung durch den kaiserlichen Vollstrecker Zhao Jia doppelt bestialischen Sandelholzstrafe erfolgt auf Verlangen des deutschen Generalgouverneurs Keluode, der übrigens den Namen des historischen britischen Majors Sir Claude MacDonald trägt, welcher für die Niederschlagung der Shandonger Unruhen auf der Ausländerseite verantwortlich zeichnete. 100 Seine fiktive Inkarnation

100 Über MacDonalds Führungsstil äusserte sein Vorgänger, der Chinakenner Sir Robert Hart: “MacDonald’s appointment will be interesting to watch, and those of us who have succeeded so badly by treating Chinese as educated and civilized

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Keluode/Claude posiert bei der Gelegenheit als intimer China-Kenner und verlangt von Yuan Shikai, der 1900 als chinesischer Provinzgouverneur in Shandong amtete, ein Spektakel, das der seiner Meinung nach einzigen kulturellen Errungenschaft würdig sein soll, in welcher sich China als dem Westen überlegen brüsten kann. Was er damit anspricht, ist ein dominanter Topos westlicher Chinarezeption, der bereits in der späten Aufklärung mit Lichtenbergs satirisch auf das eigene Regime bezogenem Auto-Orientalismus vorweggenommen wurde, 101 nämlich ein unübertroffen ausgeklügeltes System an grausamen Disziplinierungsverfahren. Auf Claudes Weisung hin stöbert Zhao Jia in einem obskuren Referenzwerk Hinweise auf die – nach Auskunft Mo Yans historisch nicht belegte – Exekutionsform der Sandelholzstrafe auf und setzt seinen ganzen Stolz in deren meisterhafte Inszenierung. Das groteske Resultat des Zusammenwirkens zwischen der Ignoranz eines Vertreters der Besatzungsmacht (Claude), dem skrupellosen Opportunismus eines kulturellen Zwischenhändlers (Yuan Shikai) und der in ästhetische Obsession verwandelten Hörigkeit einer bereits vom eigenen maroden System moralisch gebrochenen Persönlichkeit (Zhao Jia) manifestiert sich am Ende des Romans in der minutiös durchkomponierten, grausigen Inszenierung eines bösartigen kulturalistischen Exzesses. Der vielschichtige Abgrund zwischen Komik und Anomie beziehungsweise Ignoranz und bestialischer Grausamkeit wird auch in anderen Narrativen des Romans vermessen. Auf harmlose Weise, mit liebevollem Humor anstelle der ansonsten vorherrschenden grimmigen Ironie, geschieht dies beispielsweise in den ersten beiden Kapiteln des gemäss traditioneller Romanästhetik “Schweinebauch” genannten Mittelteils, in denen sich Qian Ding und Sun Bing darin messen, wer den schönsten Bart hat, und Sun Meiniangs hübsches Gesicht in einen Wettbewerb mit den Lilienfüssen von Qian Dings Frau tritt. Auch Meiniangs Experimente mit schamanistischen Praktiken, die ihren Liebeskummer heilen sollen, und die naive Begeisterung ihres Mannes für magische Tigerbarthaare, mit deren Hilfe man alle Menschen in der

ought now be ready to yield the ground to a man versed in Negro methods and ignorant of the East.” Zitiert in Xiang 2003: 28. 101 Lichtenberg, Georg Christoph (1796), “Von den Kriegs- und Fastschulen der Schinesen, neben einigen andern Neuigkeiten von daher”, wiederabgedruckt in Hsia 1985: 103–116.

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ihnen je eigentümlichen Tiergestalt zu sehen vermag, geben Anlass für befreiendes Gelächter.102 Ähnlich irrwitzige Vorstellungen der konvertierten Boxer, die in ihren verzweifelten Abwehrversuchen des fremden bösen (Eisenbahn- und Kanonenboot)zaubers plötzlich auf die Idee verfallen, den traditionellen Masken und Schauspielerposen ein magisches Realisierungspotential zuzuschreiben und dabei Besenstiele sich mit rituell erflehter göttlicher Hilfe in Schwerter und Gewehre verwandeln sehen, schlagen bereits ins Groteske um. Das Lachen gefriert endgültig bei der Schilderung einer Revolver-Liebhaberei, die der General der ersten modernen Armee Chinas, Yuan Shikai, und der in Japan ausgebildete junge Held der Reformbewegung Qian Xiongfei miteinander teilen. Bevor nämlich die beiden goldenen Pistolen – eine Belohnung Yuans für die Schiesskunst seines Kadetten – ihrem neuen Besitzer anlässlich seines patriotischen Attentats auf den Dienstherrn den Gehorsam verweigern, wurde ihr Verhältnis zu diesem aus einem Spektrum möglicher weiblicher Rollenzuschreibungen von der Mutter bis zur Prostituierten ausgewählt. Auf den Vorschlag Yuans hin einigt man sich schliesslich auf die Konkubinen-Rolle. In diese Figur eingeschrieben findet man unter anderem das klassische Muster der femme fatale, die durch ihre Verführungskünste und schlechten Absichten einen Helden oder ein ganzes Reich zu Fall bringen kann. Die Art und Weise, wie Yuan den jungen Helden erst fördert, sich dann über die Naivität des tragisch gescheiterten Attentäters mokiert, um ihn anschliessend kaltlächelnd in 500 Stücke schneiden zu lassen, nimmt eine selbstreflexive Figur vorweg, die der ältere Bruder Qian Ding später in einem anderen Kontext äussern wird: Der Bezirksgouverneur [Qian Ding] verstand [jetzt], warum Seine Exzellenz Yuan angesichts der vernunftwidrigen Forderungen der Deutschen Schritt für Schritt nachgegeben hatte; er verstand [nun auch], weshalb sich seine Exzellenz in der Sun-Bing-Affäre wie ein vor den Mächtigen katzbuckelnder, feiger Vater verhalten hatte, der, konfrontiert mit der Beleidigung seines eigenen Sohnes durch einen Sprössling einflussreicher Eltern, wider Erwarten den Standpunkt des Letzteren einnimmt; nachdem der eigene Sohn schon beleidigt wurde, will der Vater ihm überdies auch noch Ohrfeigen verpassen. (TXX, 320)

Der Umgang mit den arroganten, in- und ausländischen Vertretern der westlichen Mächte ist demnach hier vorgeführt als ein Prestige-Problem 102 Vgl. hierzu auch Hong in Yang 2005: 286.

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des oder der sich unterlegen fühlenden Väter, welches diese zu immer irrationalerem Handeln verleitet.

10.3 Ver-rückte Vaterschaften: Das Ende der Qing als absurdes Theater

Vom vereitelten Vatermord eines patriotischen Adoptiv-Sohnes am verräterischen Vater bis zu dessen Katz und Maus-Spiel mit der Genugtuung fordernden Bevölkerung einer ganzen Region: was Mo Yan hier wie in den Haupt- und Nebenadern der gesamten Romanhandlung durchdekliniert ist eine Serie von destruktiv wirkenden (systemschädigenden) Vaterschafts-Anomien. Sie sind einerseits ein Produkt der fremden (christlichen) Weltanschauung, die sich mit missionarischem Eifer und, wo der nicht ausreicht, Gewalt dem lokalen System überstülpt, resultieren andererseits aber auch aus den Möglichkeiten, die das eigene, konfuzianische Ordnungssystem mit seinen hierarchischen Strukturen und der grossen Bedeutung sozialer Elternschaft bereithält. Die Tatsache, dass im politischen Raum ebenso verworrene genealogische Binnen- und Aussenrelationen herrschen wie in der erzählten Familiengeschichte, erscheint im Roman so bedeutsam wie das sozusagen mit einem Geburtsmakel versehene Dispositiv sozialer Vaterschaft. Alle Väter versagen auf die eine oder andere Weise in der Erfüllung ihrer Rolle. Jedoch wird dem sozialen Vaterschaftsdispositiv wiederholt sein biologisches Pendant als letztlich korruptionsresistentere Variable entgegengestellt. 103 Das Väter-Dreigestirn der Sun Meiniang verdeutlicht die Problematik. Zu ihrem biologischen Vater Sun Bing gesellen sich der Schwiegervater Zhao Jia und der Patenonkel Qian Ding. Dass diese Gruppierung einem System folgt, wird schon aus den Namen deutlich: sie folgen dem numerischen “Jia-yi-bing-ding”-System. Die zweite Position yi wird dabei übersprungen; sie wäre wohl dem Ehemann Meiniangs 103 Die Väter von Sun Meiniang und Zhao Xiaojia, Sun Bing und Zhao Jia, haben viele Defekte und scheitern als soziale Väter im politischen Raum; als Familienväter zeigen sie aber doch so etwas wie Loyalität.

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zuzuschreiben, der aber aufgrund seiner geistigen Retardierung – Ergebnis einer vom Vater auf den Sohn übertragenen psychischen Deformation, die als Berufskrankheit der kaiserlichen Henkergilde figuriert – keinen Anspruch auf Namens-Mündigkeit erhebt, sondern sich als “Kleiner Eins” (Zhao Xiaojia) führen lässt. Sun Meiniang erläutert gleich zu Beginn des ersten Kapitels ihre absonderliche Familienkonstellation mit drei Vätern und darüber hinaus noch einem Ehemann, der sich ihr gegenüber verhält, als ob sie dessen Vater wäre. Das erweiterte Familienmodell der Gaomi-Gemeinschaft wird bestimmt durch eine Konkurrenz zwischen dem aufrechten, volksnahen, aber schlussendlich machtlosen Bezirksmagistraten Qian Ding und der übermächtigen Gegenseite, einer von Korruption und Ignoranz beherrschten Allianz von Hof und Ausländern, repräsentiert durch Yuan Shikai und Claude. Sun Bing und seine Maoqiang-singende Rebellentruppe suchen in ihrer Verzweiflung die Genugtuung, welche Qian nicht gewähren kann, schlussendlich bei den Göttern. Dass sich die historischen Boxer ausgerechnet mit dem für ihr Leid grossenteils verantwortlichen Kaiserhof zu verbünden suchten, erscheint aus der Perspektive des Romans als besondere Ironie der Geschichte: diese Rebellen kämpfen erstmals in der Geschichte für und nicht gegen die sie unterdrückende Dynastie und gehen mit dieser gemeinsam unter. Rückblickend wird die erstmalige Umkehrung des klassischen Musters in einer ganzen Reihe von historischen Romanen über die maoistische Zeit als Paradigmenwechsel bewertet, der sich bis zur Kulturrevolution fortsetzen konnte. Auch die Ereignisse am Tiananmen im Mai-Juni 1989 würden aus dieser Warte als eine Wiederherstellung vormoderner Verhältnisse seitens des Regimes interpretierbar. Es scheint, als käme für die gegenwärtige chinesische Orientierung über Neuanfänge und Modernisierungsprojekte in der Vergangenheit keine bessere Figur in Betracht als die eines gesamtgesellschaftlichen Vaterschafts-Problems. 104 In der obenerwähnten Fernsehserie For the Sake of the Republic, die Sun Yat-sen (als Integrationsfigur für die Volksrepublik China und Taiwan, damit latent wohl auch in Konkurrenz 104 Diese Figur ist eine der vielen unerledigten Erbschaften der Intellektuellen des Vierten Mai beziehungsweise der 1920er und 1930er Jahre. Der literarische Zugang zur Moderne als Kritik an der patriarchalischen Mythologie verdiente eine eigene Studie. S. Chen 1995: Kap. 6 und Y. Wang in Liu und Tang 1993: 243–272 sowie Karl in Dong und Goldstein 2006: 52–79.

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zu Mao Zedong) als wichtigste politische Stifterfigur einer spezifisch chinesischen Moderne stilisiert,105 wird überdies das Scheitern der Mandschu-Herrscher im Angesicht der imperialistischen Mächte rhetorisch unter anderem auch daran festgemacht, dass der reformwillige, von den westlichen Mächten unterstützte, zuhause aber machtlose Guangxu-Kaiser (1871–1908) seine Patronin Ci Xi, eine Tante mütterlicherseits, in betonter Häufigkeit mit “Qin Baba” (Verehrter/Leiblicher Vater) adressiert. Die Führungsrolle der Landesmutter wird so mit Hilfe eines vordergründig auf die Biologie rekurrierenden, tatsächlich aber kulturalistischen Arguments problematisiert: Sowohl Ci Xis ethnische Fremdheit, als auch die aus konfuzianischer Sicht unzulässige und durch AnredenMimikry nur notdürftig kaschierte Übertretung ihrer weiblichen Rollenkompetenz verhindern eine erleuchtete, kosmologisch abgesicherte Herrschaft des legitimen Kaisers, wie sie traditionell postuliert wurde. Ein patriotisch fastender japanischer Kaiser vertritt demgegenüber in der Serie eine ebenfalls exzessiv ver-rückte Linie der rücksichtslosen Entschlossenheit zum Fortschritt, welche die gesamte japanische Bevölkerung in einen Taumel der Begeisterung für die imperialistischen Ziele ihres Staates versetzen kann. Und Generalgouverneur Li Hongzhang (1823–1901), der bislang in den historischen Darstellungen als Landesverräter stilisierte chinesische Verhandlungsführer und Unterzeichner der Friedensverträge von Shimonoseki (1895) und der Boxerprotokolle (1901), kann in ähnlicher Argumentationslogik zum hingebungsvollen, strategisch klug manövrierenden, aber letztlich den Verhältnissen wehrlos ausgelieferten Patrioten umdefiniert werden. Beide Projekte der Geschichtsrevision, Opern-Roman wie TV-Seifenoper, entstanden im selben historischen Augenblick und bezeugen deshalb insbesondere den Zeitgeist, welchem sie ihre Entstehung verdanken. Dies macht Mo Yan deutlich, wenn er im Nachwort schreibt, dass es ihm einerseits darum geht, hundert Jahre nach dem Ereignis das Problem des Verschwindens mündlicher Zeitzeugnisse in einer generi105 Zu Recht vermuten die Verfasser der Heidelberger Website hierin einen Grund für die Nervosität der chinesischen Regierung bezüglich der TV-Serie; das ist ein weiterer Hinweis auf die durchaus nicht staatshörige Position der bei der Produktion beratend wirkenden Beijinger Historiker. S. , zuletzt eingesehen 2.4.2007. Das Verdikt einer einseitigen ideologischen Patriotismus-Erziehung sowie der Medien- und Staatshörigkeit spricht beispielsweise Niedenführ 2005 gegen die Serie aus.

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schen Figur der oral history sichtbar zu machen, nämlich in der ebenfalls vom Aussterben bedrohten regionalen Maoqiang-Oper. Klar ist auch, dass das Ausdrucksmedium Maoqiang-Oper vor allem emotionale Reaktionen der (unfreiwilligen) historischen Akteure transportiert, und nicht etwa kritische Reflexionen oder bahnbrechende ästhetische Innovationen. Die Sänger und insbesondere Sängerinnen benützten ihre “Katzenmusik” – so die ironische Verfremdung des Genre-Namens durch den Autor (maoqiang wurde von ihm in homophoner Abwandlung eingesetzt) – als Ventil für ihre Enttäuschungen, für die Gefühle der Wut, Verzweiflung oder Sehnsucht, und nicht im Sinne einer musealen Kulturpflege. Der spontane Klagegesang auf dem Hinrichtungsplatz ist deutlicher Indikator für diese Gebrauchsfunktion der Maoqiang-Lieder.106 In der Doppelstruktur des Prozesses einer sich gerade erst formierenden neuen Oper bei gleichzeitigem Verschwinden ihrer Aufführungstradition lässt sich überdies eine substantielle Warnung des Autors vor einer Tendenz der gegenwärtigen chinesischen Moderne ausmachen, sich ständig selbst zu überholen, ohne der Nachwelt genügend kulturelle Substanz – in Form von bleibenden Repräsentationen des jeweils generierten Geschichtsgefühls – für eine fundierte historische Sinnstiftung zu hinterlassen. Es geht Mo Yan schliesslich auch um eine angemessene Auslegungsarbeit an den Zeitzeugnissen dieser so gut wie gar nicht an der nationalhistorischen Definitionsmacht beteiligten subalternen Subjekte, die gleichwohl mit ihrer Regionalgeschichte die Nationalgeschichte wesentlich mitgestalten, wobei sie in ihren eigenen Sinnstiftungsprozessen selbstredend völlig andere Muster und Interferenzen erkennen mögen, als die zeitlich oder räumlich (oder beides) entfernten intellektuellen National-Historiographen. Dass es Mo Yan hingegen überhaupt nicht darum geht, mit Hilfe von Geschichtsklitterung und Propagandakampagnen nach maoistischem Vorbild das kulturelle Gedächtnis der Region einem von oben verordneten nationalen Imaginaire anzupassen, ergibt sich aus der tendenziell antagonistischen Versuchsanordnung des Romans zwischen Vertretern 106 Was nicht heissen soll, dass dieser Opernstil nur von Amateuren gesungen würde: derzeit sind wieder drei professionelle Maoqiang-Truppen aktiv, allerdings unter schwierigsten Bedingungen. Sie werden kaum öffentlich gefördert, haben wenig Publikum und beträchtliche Nachwuchsprobleme. S. hierzu , zuletzt einges. 2.4.2007.

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der regionalen und denjenigen der inter/nationalen Interessen. Die Konfiguration einer signifikanten Reihe von Vätern, deren Position aufgrund von bestimmten, nicht erfüllten Rollenerwartungen in korrekturbedürftige Schieflagen gerät, also im doppelten Wortsinn verrückt ist, rollt die Frage nach der Verantwortung für die Krise der Jahre um 1900 noch einmal neu auf. Wurden bislang vorwiegend die grossen historischen Akteure – Qing-Regime und westliche Diplomaten und Missionare – und gesamtgesellschaftlichen Missstände – Rückständigkeit und Konservatismus – belastet, so erscheint hier ein Programmfehler der chinesischen (National-)Kultur als Hauptübel: die Möglichkeit, eine nahezu unkündbare Machtposition einzunehmen, also Vater zu sein, ohne Vatergefühle aufbringen und Vaterpflichten wahrnehmen zu müssen. Alle drei Väter der Sun Meiniang machen sich eines Verrats an ihren Gefühlen schuldig, wobei Suns Schwiegervater Zhao Jia, der so kontaminiert ist von seiner grausigen Profession, dass er gar nicht mehr lieben kann, klar die unterste Position auf der moralischen Skala der Familienoberhäupter einnimmt. So tief ist sonst nur noch Yuan Shikai gesunken. Er macht nicht nur gemeinsame Sache mit den Ausländern, sondern opfert mit dem Verrat der Reformpartei um den jungen Guangxu-Kaiser und der barbarischen Hinrichtung von sechs herausragend mutigen, an Eliteschulen ausgebildeten, engagierten und patriotisch empfindenden Männern, den sogenannten Sechs Wuxu-Helden (Wuxu liu junzi),107 auch noch die Söhne und Hoffnungsträger einer modernen chinesischen Nation auf dem Altar des korrupten Qing-Establishment. Die im Roman diagnostizierte gesellschaftliche Anomie dieser Epoche wird von der Hysterie der ausländischen Soldaten ins Monströse gesteigert, als sie das Massaker auf dem Exekutionsplatz verüben. Verrückte Vaterschaften reproduzierten sich in jener Zeit jedoch bereits ohne die Ausländer wie eine Familien-Erbkrankheit. Und die konfuzianische Moral war, wie die Figur des kaiserlichen Henkers verdeutlicht, schon sehr viel länger kontaminiert. Als kosmopolitischer Anschluss an eine selbstreflexive Moderne lässt sich das absurde oder grausame Theater des Maoqiang-Massakers analog zum Boxer-Schicksal wie ein kleiner, regional codierter kolonialer Tod mit Wiedergeburts-Potential lesen. Denn es gibt im Roman einen Erben: Mit dem ungeborenen Sohn 107 Tan Sitong (1865–1898), Kang Guangren, Lin Xu, Yang Shenxiu, Yang Rui und Liu Guangdi; der Wuxu-Märtyrer des Romans, Qian Xiongfei, ist fiktiv.

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aus der auf Liebe gegründeten Liaison zwischen Qian Ding und Sun Meiniang überlebt ihre Hoffnung auf eine solidarische, moralisch integre Nation. Wie häufig bei Mo Yan liegt die Verantwortung für das bessere Gelingen ihrer Zukunft in den Händen der Mütter. Im Roman wird deutlich, warum es bis heute so schwierig erscheint, den Boxeraufstand historisch zu interpretieren. Soll er als nationalistische Vorstufe zur kommunistischen Revolution, oder doch eher als anachronistische Regression religiösen Sektierertums wie die TaipingRebellion (1850–1864) dargestellt werden? 108 Wie zahlreiche Studien belegen, haben sich die Mythen, Rituale und Symbole beider blutiger Bewegungen des 19. Jahrhunderts als ideologische Waffen in den kommunistischen Revolutionsnarrativen bewährt. Auch wenn es aus der Perspektive der Akteure ganz anders ausgesehen haben mag: die Praxis des Einrückens regionaler Erhebungen in den nationalen Mythos der chinesischen Revolution ist noch nicht beendet, wenngleich sie spätestens seit Tiananmen 1989 von der Partei nicht mehr sanktioniert ist. Der Übergang des Regimes vom Konzept einer exegetischen Gemeinschaft der Revolution auf der Basis einer geteilten kommunistischen Moral zu einer entpolitisierten Zivilgesellschaft der Reformen trägt den negativen Effekten früherer zerstörerischer Proteste Rechnung, schafft aber gleichzeitig neue Verhältnisse von sozialer Ungleichheit. Mo Yans Roman über die Panik, Wut und Trauer der Boxer schlägt die Brücke zu dieser anderen und doch in mancher Hinsicht ähnlichen Moderne im Roman Die Knoblauchrevolte – wörtlich übersetzt lautet der ebenfalls musikalisch codierte Titel: “Die Knoblauchlieder aus dem Kreis Paradies” – 108 Peter Zarrow fasst die Ambivalenz gegenüber der Rolle der Boxer in der Historiographie mit der Frage nach ihrem Erinnerungswert zusammen: “[T]he central problem facing China was not the ignorant masses or their superstitions; the problem was the forces of imperialism pressing down on the whole country. One way to think about this is to ask: what is worth remembering? The ‘superstitions’ of the Boxers or the gross injustice of the Boxer Protocol? Chinese patriots accused British soldiers of greater barbarism than the Boxers ever displayed. Communists even tended to romanticize the Boxers as patriotic Robin Hoods. […] Above all, the Boxers foreshadowed the politicization of the Chinese masses. Looking backward, they resembled the vast peasant armies of bandits and warlords (and occasionally future emperors) that passed like massive storms but with no way to reshape the political or social structure. But looking forward, they offered a glimpse of how ordinary people – under the right circumstances – could not only affect historical trends but also consciously join political movements.” Zarrow 2005: 5–6.

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über eine Bauernrevolte am Ende der Achtziger Jahre. Möglich gemacht wird diese Sicht unter anderem durch das verbindende traditionelle Mythen-Repertoire: der säkulare Patriot und Nationalheld Yue Fei (1103–1142), der buddhistische Affendämon Sun Wukong (beide TXX) und Höllenfürst Yama (TTST) geistern durch Mo Yans Romane ebenso, wie durch die verschiedenen, imaginär aufgerüsteten politischen Modernisierungskampagnen von Mao Zedong und seinen Nachfolgern. 109 Während sie sich allerdings im Revolutionsmythos noch den herkömmlichen moralischen Instanzen von Gut oder Böse zuordnen lassen mussten, zeigen sie sich bei Mo Yan nicht annähernd so domestizierbar. Die Moderne wird im regionalen Bühnendrama der Metaerzählung TXXs lesbar als polyvalente, polymythische Konfiguration. Komplementär zu den Versprechen dieser – mit ihren lange vor dem Maoismus zirkulierenden Konzepten wie Unabhängigkeit, Fortschritt, Demokratie, oder Solidarität doch bereits revolutionär codierten – Moderne tritt auch ihre intrinsische Zerstörungswut an die Oberfläche. Das durchdringende Signal der Eisenbahn und die oral history der Maoqiang-Sänger intonieren bei Mo Yan gemeinsam ein Lied vom Tod.110 Die als verwirrende Kakophonie erfahrene Multiplikation der Stimmen, Mythen und Vergangenheiten in Mo Yans Boxer-Roman beinhaltet aber auch Spuren einer Vision: mit der Figur der überlebenden Sun Meiniang und ihres ungeborenen Kindes der Liebe könnte es um die Wiedergeburt der Nation in Form einer Besinnung auf die Wurzeln einer alternativen, 109 Mark Elvin, der einen taiwanischen Revolutionsroman auf dessen mythologische Rhetorik hin analysiert, spricht resümierend von einer Generation des Hasses. Dieser Hass resultiere aus der politisch sanktionierten Verletzung traditioneller moralischer Prinzipien – sein Beispiel ist sexuelle Gewalt – und den Folgen solcher kollektiver Devianz für soziale Gruppen (Elvin 1993: 92). Vgl. a. andere einschlägige Beiträge in diesem Band (Lee und Syrokomla-Stefanowska 1993), z.B. Davies, Chan, He u.a. Zu Yue Fei als Zielscheibe der roten Garden und Sun Wukong als deren Identifikationsfigur während der Kampagne zur Zerstörung der Vier Alten (sijiu) in der Kulturrevolution s. Ho in Esherick, Pickowicz und Walder 2006. 110 Im Nachwort zu TXX berichtet der Autor, dass die beiden Stimmen aus seiner Kindheit, welche ihn zuerst inspiriert haben, diesen Roman zu schreiben, das kraftvolle, schwere und düstere, von lauten Signalen durchsetzte Dröhnen der hundertjährigen Shandonger Eisenbahn einerseits, und der mündlich überlieferten, vom Leiden der Landfrauen gesättigten Klagen der lokalen Maoqiang-Operngesänge andererseits sind. Analog zur Romanhandlung wird auch die Eisenbahn mit Geschichten, welche sich die Bevölkerung über erlebte Gewalttaten und Übergriffe durch deren koloniale Bauherren erzählte, verbunden. S. Mo 2001: 513–518.

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selbst bestimmten chinesischen Moderne unter angemessener Berücksichtigung ihrer lokalen Subjekte und (revolutionären) Vorgeschichte/n gehen, die bis heute um Verwirklichung unter günstigeren historischen Bedingungen ringt.111 Die Frage, welche Rolle die Revolution in einer künftigen Neuausrichtung der Nation spielen soll, beantwortet der Roman nur indirekt, indem er sich der unter Mao erfolgten, utopischen Auratisierung der Boxerunruhen und ihrer Protagonisten verweigert. Umgekehrt schildert der Autor in anderen Romanen über das 20. Jahrhundert Schlüsselereignisse der kommunistischen Revolution in einer Weise, die mehr an den destruktiven Tumult vormoderner Bauernaufstände erinnert, als an visionäre Modelle der chinesischen Gesellschaft auf dem Weg in eine bessere Moderne.

10.4 Retro-Mythologie: Aufbruch in eine postrevolutionäre Moderne?

In jedem Fall wird die revolutionäre Übersteigerungsform einer Ästhetik des Erhabenen mit ihren psychedelischen Ekstasen und der heroischen Theatralik ihrer Riten, Devotionalien und Kultformen, welche sich im harmloseren Fall in kulturrevolutionären re-enactments entscheidender Stationen der Revolutionsgeschichte wie des Langen Marsches (Wang 1997: 204 f.), schlimmstenfalls aber in kollektiver Zerstörungswut und bestialischen Tötungsorgien vermeintlicher Klassenfeinde durch Gruppen von Roten Garden zum Ausdruck brachte, gründlich revidiert. Wang Ban stellt als Betroffener die peinliche Frage, wie seine Generation auf die bombastische, geschmacklose Propaganda kulturrevolutionärer Kunstproduktion hereinfallen konnte: “Why did we acquiesce in the rituals and the cult, in the modern myths, which led to the national disaster?” (Wang 1997: 216) Seine Antwort lautet: Nothing could work more effectively to lull our critical judgment to sleep than the interminable, uniform, and steady performance of the same rituals; nothing could 111 Zum Diskurs postrevolutionärer nationaler Erneuerung aus dem Reservoir früher modern-konservativer Denker s. Schneider 2001b.

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take away our sense of self and self-awareness, our feeling of personality and our power of disconcernment, more quickly; nothing was more effective in compelling us to plunge, body and soul, into the tumultuous currents of the revolution. Through ritualization, political manipulation bypasses the ego’s capacity to think and judge and directly appropriates the sensuous stratum and unconscious desire of the individual (Wang 1997: 219).

Mit all ihren volksreligiösen, abergläubischen, anachronistischen Mystifizierungen wahrt Mo Yans lokale Theatertradition der Maoqiang-Oper im Gegensatz zum national inszenierten Massendelirium der maoistischen Revolution genügend Abstand zur Realität, um die Grenzen zum Imaginären und Phantastischen sichtbar und destruktive Emotionen wenn nicht restlos kathartisch zu zerstreuen, dann doch wenigstens im Zaum zu halten. Sie leistet dies, indem sie die Trauer über erlittenes Leid nicht eins zu eins in Wut auf die Täter übersetzt, sondern das Destruktive dieser Wut der Boxer ästhetisch, in einer musikalischen Kommentarfunktion ähnlich der des Chors in der griechischen Tragödie, reflektiert. Aus diesem Grund wäre es auch verfehlt, die regionale BoxerGeschichte Mo Yans als eine verdrängte oder sublimierte Alternative zur nationalen Boxer- oder Revolutions-Repräsentation im Sinne Duaras (Duara 1995) zu betrachten. Ihr Funktionsprinzip gründet sich vielmehr auf zweierlei: einmal die regionalkulturell sanktionierte und nur während der Mao-Zeit vorübergehend ausser Kraft gesetzte inoffizielle Geschichtsschreibung im Medium des “Kleinen Geredes” (xiaoshuo; Gu 2006), welches in China zum modernen Genre des Romans avanciert ist und Ereignisgeschichte inzwischen wieder gegen den Strich offizieller Diskurse bürsten kann, zum anderen eine globalkulturelle Retro-Logik der Spätmoderne, welche Antworten auf Probleme der Gegenwart sucht, indem sie historische Konfigurationen verschiedener (jüngerer, moderner) Vergangenheiten und Räume aufsprengt und prismatisch gebrochen zu immer neuen, instabilen Denk-Mustern zusammenfügt. Antrieb und Motor solcher spätmodernen Retro-Bewegungen, schreibt Guffey, sind der Verlust unseres Glaubens an die Zukunft, ein Bedarf an Entschleunigung vor dem Hintergrund der globalen humanitären wie ökologischen Katastrophen in der Folge der kapitalistischen Entwicklungs- und Fortschrittsmanie, und schliesslich auch ein durch die massenmediale Überflutung mit Informationen und Bildern hervorgerufener Gedächtnis- und Orientierungsverlust, welcher der Korrosion gegenwärtiger sozialer, politischer und kultureller Entwicklungen zwar 339

die Verlässlichkeit vergangener Zeiten entgegensetzen, dabei gleichzeitig aber ironische Distanz bewahren will (Guffey 2006). Die neuhistorische Fiktion Mo Yans und anderer ehemaliger Jungrevolutionäre lässt sich somit einem umfassenderen kulturellen Trend der 1990er Jahre zuordnen, der die Kulturerscheinungen des Politpop (Jiang 2007) und der visuellen Geschichtsdokumentation (Davies 2007), der popmusikalischen Revolutionslieder-Revivals (Steen 1996), wie auch das Comeback von alten Revolutionsfilmen (Y. Zhang 2005) und einer kommerziellen Version des Mao-Devotionalienkults (Barmé 1996) ins Leben rief. Retro nimmt sich alle Freiheiten, etwas über die Vergangenheit zu erfahren, indem es nicht-historische Wege einschlägt. Es simuliert Geschichte, anstatt dieselbe zu produzieren, und entmythologisiert sie auf diese Weise (Guffey 2006: 20–28). Es ist gleichsam eine Strategie der wechselseitig neutralisierenden Verbindung der beiden Modi des Umgangs mit der Vergangenheit von Historismus und Modernismus, Verehrung und Erwartung (Guffey 2006: 25, Koselleck 1995). Wie und mit welchen Folgen dies im Fall der neuhistorischen Fiktion geschehen kann, zeigt deren Spektralisierung des Revolutionsmythos, ausgefaltet in den symbolischen Räumen des Todes. Ein postrevolutionäres Imaginaire jener Räume erschliesst die zeitgenössische Kulturproduktion bereits seit den späten 1980er Jahren mit wachsender Experimentierfreude. Sie bedient sich dabei verschiedenster Repertoires; der entgegen seiner Denomination stark mythologisch unterlegte revolutionäre Realismus der roten Geschichtsfiktion wird in solchen Werken ironisch gebrochen, gestört, oder negiert mit Motiven und ästhetischen Kategorien sowohl traditionell-lokaler, als auch modern-globaler Provenienz. In der vormodernen zhiguai-Fiktion war die Welt voll von gespenstischen Wiedergängern – bunten Gestalten in Mensch-, Tier-, Hybrid-, oder sogar animierter Objektform, welche Opfer beziehungsweise Zeugen vergangener Kriege, Naturkatastrophen oder Verbrechen geworden waren und danach unter den Lebenden Genugtuung für das Erlittene oder Wiederherstellung der rechten (moralischen) Ordnung verlangten. Bereits während der ersten Modernisierungsphase nach dem Kontakt mit westlichen, politisch-ästhetischen Ideen und Denkfiguren wurde das klassische zhiguai-Genre kreativ umgewidmet, um emergente gesellschaftliche Dystopien im symbolischen Raum zu kartographieren (Wang 1997: 183–251). Waren Ziel und Resultat in der traditionellen zhiguai-Fiktion die Überschreitung und 340

anschliessende Wiederbefestigung von Grenzen112 gewesen, so ging es in der Qing- und republikzeitlichen Moderne um 1900 vielmehr ums Ganze: das unaufhaltsame Verschwimmen und Verschwinden von Orientierungen in der Konfrontation mit der westlichen Moderne. 113 Dieses Kulturthema wurde in der spätmodernen Fiktion vielfach wiederaufgenommen und weiterentwickelt. Nicht nur extreme psychische Störungen aufgrund von Traumata oder Schuldgefühlen sowie groteske Übersteigerungsformen von sexueller Gier und Machtmissbrauch bei Kadern werden fiktional vermessen, sondern daneben auch die zunehmende Durchdringung der globalkapitalistischen realen Lebenswelt mit völlig irrational erscheinenden, unerklärlichen Phänomenen. Obsolet gewordene Deutungsmuster und Wertvorstellungen spuken als wirkungslose Erinnerungsfetzen in den Narrativen herum, Nachfolger, welche eine neue Gesellschaftsordnung begründen könnten, sind nirgendwo in Sicht. Ambivalente Gefühle – Lähmung, Verunsicherung, Abscheu, gepaart mit Schaulust, sexueller Begierde und Gewaltbereitschaft – steuern die hilflos dem Treiben sinistrer Mächte ausgelieferten, aber daran immer auch in irgendeiner Form selbst aktiv beteiligten 112 “This typically entails the breakdown of the unity of time, space, and character, of the distinction between animate and inanimate objects, and of life and death. Ghosts, fox-spirits, forebodings, dreams of premonition, metamorphoses, fortunetellers, magical objects, and the like, as well as the deliberate blurring of borderlines between fantasy and reality, all appear in these texts, otherwise or at the same time characterized by modernist or postmodernist traits. Furthermore, structural strategies such as, for example, the literalization of metaphor or the mixing of literal and figurative truth, known from a number of zhiguai and chuanqi, find new functions in contemporary texts. And the dream, a staple theme of zhiguai and chuanqi from the inception of these genres, seems to have renewed its role as emblematic of the relationship between fiction and reality.” Wedell-Wedellsborg 2005. 113 “Devils, ghosts, humans, and immortals in zhiguai and shenmo fiction do transgress the boundaries of each other’s worlds, and these crossings generate some of the most intriguing aspects of these works. But […] these transgressions are highlighted because they serve to reinstate the boundaries between the natural and supernatural, and observations of the strange and the improbable help renegotiate a more coherent social and cosmic order. The late Qing grotesque exposés present a different case. Through the ruthless exchange of norms, actions, values, and figures, they irritate or fascinate the reader by the lack of clear boundaries. And in the absence of distinct boundaries, even the most daring transgression ends up becoming a phantom action or a grotesque stunt.” Wang 1997: 202.

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Protagonisten der zeitgenössischen zhiguai-Fiktion von Autoren wie Bi Feiyu, Can Xue, Dong Xi, Ge Fei, Han Shaogong, Jia Pingwa, Mo Yan, Su Tong, Yan Lianke, Yu Hua und Wang Shuo. Anne Wedell-Wedellsborg sieht die Phantastisches und Allegorisches verschmelzenden Narrative dieser Autoren als Reaktion auf das Paradox einer rationalistischen Ideologie der (kapitalistischen) Moderne, welche eine durch und durch irrationale, unverständliche und feindliche Realität geschaffen hat: In China and in the West, the modern fantastic allegory can be read as a reaction to modernity. It is a site of difference, one that privileges the alien, the illusory, and the irrational in contrast to a vision of modernity that subsumes everything under a rubric of ideological homogeneity, rationalism, and materialism. The fantastic inherently recognizes the complexity and unknowability of the modern world. (Wedell-Wedellsborg 2005)

Die im Folgenden wenigstens noch kurz anzuführenden Beispiele für literarische Evokationen des Revolutionsmythos als neomarxistisches Gespenst (Derrida 1996) vereint ein Merkmal, das sich so noch nicht bei den Spät-Qing-Grotesken finden lässt: inmitten von kollektiver Habgier, Rücksichts- und Orientierungslosigkeit markieren sie einen Moment der Stille, der Besinnung auf einen schmerzlichen Verlust. Diese Ernsthaftigkeit unterstützt den Versuch der Autoren, die Spuren einer nicht beliebig politisch funktionalisierbaren Erhabenheit im Zusammenhang mit dem Tod in der exegetischen Gemeinschaft für eine “kommende Gemeinschaft” (Agamben 2001) zu retten. Meine Serie beginnt mit Liang Xiaoshengs (geb. 1949 in Harbin) Anliegen, das kulturrevolutionäre Pathos der zhiqing-Jugend als moralischen Auftrag in der neuen Reformgesellschaft zu vermitteln. Seine Erzählung “Jinye you baofengxue” (“Nächtlicher Schneesturm”, 1983) berichtet von einer jungen zhiqing-Revolutionärin, die für die letzte Nachtwache vor der Rückkehr von vierhundert Jugendlichen aus einer ländlichen Produktionsgemeinschaft im Norden eingeteilt wurde und im Schneesturm erfriert – mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen (Cao 2003, Qin 2006). Mo Yan lässt solche Figuren der ideologischen Vergangenheitsverklärung nicht zu, wie bereits gezeigt wurde. In einer Phase des erschöpften Schwankens zwischen Verbrecherverfolgung und Flucht vor der Übermacht der hemmungslos trinkenden, schlemmenden, einem voll industrialisierten und verwissenschaftlichten Gourmet-Kinderkannibalismus frönenden und in jeder denkbaren sexuellen Perversion schwelgen342

den Eliten, welche der Sonderermittler Ding Gou’er in der Rauschrepublik aus Mo Yans gleichnamigem Roman Jiuguo (dt. Die Schnapsstadt, 1992) erlebt, findet jener sich in der Obhut eines verbitterten, vereinsamten “Alten Revolutionärs” wieder, welcher einen öden Heldenfriedhof bewacht. Er ist einer der ganz wenigen Einwohner dieser fiktiven chinesischen Provinz, dessen kommunistische Moral intakt geblieben ist; was allerdings nutzlos ist, weil seine maoistischen Strategien in der neuen Genusskomplizen-Gesellschaft nichts mehr ausrichten können. So klärt der Ermittler nichts auf, der Revolutionär rettet keine Kinder, und der am Ende persönlich in die Rauschrepublik gereiste Beijinger Autor “Mo Yan” erliegt sogar noch viel schneller der Verführung des Fleischkinder-Banketts als die Romanfigur des realen Autors, Ding Gou’er. Der Sonderermittler findet kurz vorher in einer Latrine den Tod. Ein anderer Friedhof gab der Erzählung “Gui cheng” (“Geisterstadt”, 1982) von Jia Pingwa ihren Namen. Darin wird ein junger Reisender zur am Ufer des Han-Flusses (bei Hankou, Provinz Shaanxi), in der Nähe einer Schlucht gelegenen letzten Ruhestätte der Mitglieder zweier verfeindeter Jugendbanden gebracht, welche sich während der radikalen Jahre der Kulturrevolution gegenseitig getötet hatten und daraufhin, nur durch einen Weg voneinander getrennt, beerdigt worden waren. Zwei überlebende Kleinkinder waren von einem mitleidigen Mann einträchtig aufgezogen worden, bis sie als Heranwachsende die Feindschaft ihrer gegnerischen Eltern fortsetzen zu müssen glaubten. Nachdem sie sich gegenseitig zu Krüppeln geprügelt haben, lassen sie sich von ihrem Ziehvater versöhnen und verdienen ihren Lebensunterhalt als Beerdigungsmusiker. Mit dieser rituellen Profession sollen sie die Totenruhe auf dem von der lokalen Bevölkerung Geisterstadt genannten Friedhof herbeigeführt haben, erfährt der junge Durchreisende. Ob diese rituelle Besänftigung der Opfer der Revolution den Lebenden irgendwie nützlich werden kann, bleibt offen. Wie monolithische Blöcke stehen die beiden Friedhöfe in der postrevolutionären Landschaft: vage entzifferbar nur mit Hilfe der letzten überlebenden Zeitzeugen. In der 2003 erschienenen Erzählung “Mimi didai” (“Geheime Zone”) von Dong Xi (geb. 1966 in der Provinz Guangxi) schwärmt ein städtischer Jugendlicher so intensiv von einem geheimnisvollen Dorf, dass sich seine Freunde von ihm distanzieren und seine Freundin ihn verlässt, weil sie eine psychische Störung vermuten. Daraufhin macht er sich auf die Suche nach der verschwundenen Freundin. Als er sie nir343

gendwo finden kann, stürzt er sich in der Nähe eines Dorfes verzweifelt in einen Fluss. Zwei Mädchen retten ihm das Leben und eine der beiden verliebt sich in den Jungen. Er kann sein Mädchen aus der Stadt zunächst nicht vergessen; nach einiger Zeit erwidert er aber doch die Gefühle des Dorfmädchens. Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht verschwindet auch diese Geliebte spurlos. Gerüchteweise soll sie in die Stadt gegangen sein. Also macht er sich auf den Weg zurück in die Stadt, wo er sie aber nicht finden kann. Auch glaubt niemand seinen Beschreibungen des Dorfes, in welchem er sich aufgehalten haben will. Als er in jenes Dorf zurückkehren will, findet er es auf keiner Karte. Am Ort, wo seinem Gedächtnis nach das Dorf liegen sollte, findet er nur den verwitterten Grabstein einer Prinzessin des antiken Königreiches Yelang (Chen 2008: 312 f.), welches im Jahr 27 n.u.Z. von Truppen der Han-Dynastie ausgelöscht wurde. Zwei Aspekte der Erzählung Dong Xis verdienen im Kontext neuhistorischer Geschichtsrepräsentation Beachtung: einerseits die kunstvolle Verschränkung zweier gegenläufiger Sehnsüchte in der Gegenwartsgesellschaft: jener der Städter nach einem ursprünglichen, naturnahen Leben auf dem Land mit jener der Landbevölkerung nach Komfort, Bildung und Wohlstand in den Städten, und andererseits die Rückkehr zu einer früher populären Variante des Motivs der im Kampf gefallenen jungen Heldin. Während in vielen neuhistorischen Erzählungen die Gräber junger, häufig unbekannter Revolutionärinnen mythisch besetzt sind,114 wurde hier die sinnstiftende Funktion individualisiert und in eine ferne, geheimnisvolle, dem kollektiven Gedächtnis längst unzugängliche Vergangenheit zurück projiziert. Die Dialektik des Suchens, Findens und Wiederverlierens in Dong Xis Erzählung verweist auf die Beziehung zwischen Geschichte, die zum Mythos wurde, und Geschichte als Text und Erinnerungsspur. Sie kulminiert im historischen Grabstein, der jeder nicht-imaginären Annäherung von später Kommenden widersteht, ohne selbst imaginär zu sein. Damit wird, so Chen Xiaoming, das Verhältnis von neuhistorischer Literatur und Geschichte abgegrenzt vom historisch ungedeckten Hollywood-Genre der imperial(istisch)en Phantasien, wie The Matrix, Lord of the Rings oder Harry Potter.115 Auch die Bedingun114 Beispiele hierfür s. Han 2006: (Kap. 48); Yan 2007; Jia 2006: 19, 252–256. 115 Chen erwähnt keinen aus der Serie “chinesischer” Filme, welche dieses HollywoodGenre imitieren: Red Cliff (Chi Bi, HK 2008, R John Woo), Crouching Tiger Hidden Dragon (Wohu canglong, USA 2000, R Ang Lee), besonders aber The

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gen werden angedeutet, unter welchen ein Dialog zwischen toter Geschichte und zeitgenössischer Literatur überhaupt noch möglich erscheint: interessierte Offenheit für das Andere und eine konsequent nach innen gewendete, individuelle Perspektive (Chen 2008: 332–335). So wie sich die Spur des Prinzessinnen-Mythos im Nebel von mehreren Jahrtausenden verliert, entzieht Dong Xi auch der Geschichte ihre Orientierungsfunktion. Sie verweist mit dem auf einem Grabstein eingravierten Namen und der flüchtigen Erscheinung im Leben des Protagonisten auf nichts als ihre eigene Opazität. Bei Anschlüssen an die jüngere Vergangenheit erscheint der Aspekt des Handelns nicht so umstandslos suspendierbar, man kann damit aber andere Trajektorien realisieren. So wird das Handeln des Protagonisten der Erzählung “Mi zhou” (“The Lost Boat”, 1987) von Ge Fei ( geb. 1964, Jiangsu) ohne sein Wissen beobachtet und damit auf mehreren, einander durchkreuzenden Referenzebenen interpretierbar. Dies wird ihm letztlich zum Verhängnis. Er ist ein Militärführer, der sich beurlauben lässt, um seinen Vater zu beerdigen, der beim Sturz von einer Leiter in einen Wassertank fiel und dabei ertrank. Um seine ehemalige Geliebte zu besuchen, muss er zum anderen Ufer eines Flusses wechseln, wo auch eine von seinem Bruder geführte Einheit des gegnerischen KMT-Heers stationiert ist. Obwohl er befürchtet, von deren gewalttätigem Ehemann getötet zu werden, riskiert er den Besuch bei der Geliebten und wird daraufhin im Auftrag seines Vorgesetzten, der den privaten Zweck der Überfahrt nicht durchschaut, von seinem eigenen Adjutanten erschossen. Auf der mythologischen Ebene agiert er als entmachtete Verkörperung des pietätvollen Heldengottes Shun, dessen Familie jenem dreimal vergeblich nach dem Leben getrachtet haben soll, einmal mit einem in Brand gesetzten Dachboden, beim zweiten Mal durch einen blockierten Brunnenausgang, und schliesslich mit vergiftetem Wein (Trauzettel 2007: 91 f.). In Ge Feis Erzählung kommt die Symbolik durch den Leitersturz des Vaters, die gefährliche Flussüberquerung und eine Warnung zum Ausdruck, welche ein Wahrsager dem Protagonisten erteilt: “Pass auf deinen Weinbecher auf!” (Ge 1996b: 58–85) Auf der historisch-politischen Ebene steht der moderne “Held” unter Verdacht, weil er einen Bruder in ähnlich wichtiger militärischer Funktion, jedoch im gegnerischen Lager hat. Auf Myth (San Wa / Shenhua, HK 2005, R Stanley Tong), The Promise (Wu ji, China 2005, R Chen Kaige), usw.

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der Ebene der literarischen Handlungsorientierung scheitert er mit seiner Romanze, weil diese sich nicht mit der politischen Geschichte harmonisieren lässt, wie Yang Xiaobin beobachtet: The love affair cannot be incorporated into the picture of the grand history but, rather, has to become a pernicious, or ominous, factor that triggers the irrational force of history. Xing, a name meaning “apricot” and homonymous with the word sex, not only vulgarizes the traditional romance but, more fatally, blocks the historical vista to be visualized. Yet, even though she distracts Xiao’s attention from his historical duty, Xing is not a femme fatale who directly causes his tragedy but simply happens to occasion his involuntary violation of the taboo. In any case Xing no longer serves as a medium to bring the historical and the romantic into accord but effects the split and clash between Xiao’s historical role and his romantic role. The historical irony thus arises from the “role misplaying” by the individual hero and heroine in the historical drama (Yang 2002: 179).

Hinter der grotesken Verwirrung der Rollenspiele verbirgt sich jedoch eine tiefere Ebene der Ironie: er hätte die Prophezeiung des wahrsagenden Daoisten entziffern können müssen, welcher ihn gewarnt hatte. Damit, so stellt sich am Ende der Erzählung heraus, war sein Adjutant gemeint, der den Weinbecher täglich für ihn füllen musste und ihn schliesslich erschiesst. Xiao hat jedoch kaum eine Chance, sich an die mit der Warnung verknüpften, archaischen Texttraditionen des ShunMythos zu erinnern, da diese ebenso wie der mysteriöse Daoist aus einem der fernen Vergangenheit zugeordneten Kulturwissen stammen. Wo Geschichte und Texttraditionen noch besser zugänglich sind, ergeben sich andere Komplikationen in der Interaktion mit der Moderne. Die Shanghaier Schriftstellerin Wang Anyi (geb. 1954, Nanjing) hat in den vergangenen etwa zwanzig Jahren wiederholt die Flexibilität mythophorischer Narration in eigenen fiktionalen Anordnungen erprobt. In ihrem mehrfach ausgezeichneten Roman Chang hen ge (Song of Everlasting Sorrow, 1996) brachte sie das Verhältnis zwischen traditionellen Topoi und deren durch verschiedene chinesische Modernen hallenden Echo in der Figur eines kurzzeitig moderat berühmten Shanghaier Fotomodells zum Ausdruck, welches sich vor dem Hintergrund der einander in rascher Folge ablösenden Regimes von republikanischer, kommunistischer und reformkapitalistischer Moderne in seiner eigenen Welt einzurichten sucht. Bezogen auf ein Langgedicht gleichen Titels des tangzeitlichen Dichters Bai Juyi (722–846), welches das tragische Los einer kaiserlichen Konkubine besang, die zum Spielball der Politik geworden 346

war, opfert sich ihre zeitgenössische Yang Guifei nicht der Politik, mit deren Launenhaftigkeit sie sich immer wieder aufs Neue erstaunlich gut arrangiert, ohne dabei ihre Persönlichkeit preiszugeben. Hingegen zahlt sie den Preis in der Währung verletzter und verratener Gefühle. Ihr erster Liebhaber verschwindet in den Kriegswirren der späten 1930er Jahre, andere kommen und gehen, bis sie von ihrem letzten Liebhaber für einen vermeintlich wertvollen Schatz ermordet wird, der tatsächlich nur in ihrer Erinnerung existiert. Old Class, so lautet sein Spitzname, ist ein junger Mann, der sich in romantischer Sehnsucht nach dem alten Shanghai verzehrt, welches die Protagonistin des Romans verkörpert. Das hindert ihn allerdings nicht daran, die lebendigen Überreste der alten Zeiten in eiskaltem Eigennutz zu vernichten. Der erhoffte materielle Gewinn bleibt aus – hoffentlich im Gegensatz zur Wirkung der Botschaft des unter anderem auch mühelos auf die gegenwärtigen urbanen Immobilien-Spekulanten in Shanghai und anderswo anwendbaren Retro-Mythos. Gegen die höchst volatilen politischen Mythen der verschiedenen historischen Zeiten werden in Wangs Roman Konstanz und Wahrheit des literarischen Mythos ausgespielt. Anders als in Ge Feis Erzählung erringt die Literatur hier einen allerdings traurigen Triumph über die Geschichte – traurig, da sie die ewige Wiederkehr von Variationen derselben Tragödie nur verkündet, nicht aber unterbricht. Dass Mythophorie auch soziale Funktionen jenseits dieses vergleichsweise bescheidenen Anspruchs der nachträglichen Bestätigung scheinbar ewiger Wahrheiten erfüllen kann, postuliert die Autorin mit einem anderen Text. Nur wenig später erschien ihre Erzählung mit dem Titel “Tianxian pei” (“Geisterhochzeit”). Im Titel schliesst der Text an eine beliebte revolutionäre Neuauflage des bereits im 4. Jahrhundert textuell belegten Narrativs von einer himmlischen Fee an, die einem verarmten, von reichen Grundbesitzern versklavten Mann zu Hilfe eilt. Die modernisierte Verfilmung der Anhuier Huangmeixi-Bettleroper von 1954 (R Shi Hui) wurde seinerzeit mit den renommiertesten Kulturpreisen ausgezeichnet. Bis in die 1960er Jahre hinein wurde sie weit über die Landesgrenzen hinaus lebhaft rezipiert.116 Die weibliche Hauptrolle spielte im Film die berühmte HuangmeixiKünstlerin Yan Fengying, die während der Kulturrevolution bei einem Selbstmordversuch ums Leben kam – als eines von zahllosen Künstler-

116 , zuletzt einges. 19.2.2010.

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Opfern des Kampfes gegen die “vier Alten” (si jiu; Yan, Gao und Kwok 1996: 261). Wang Anyi situiert die Handlung ihrer Erzählung in einem isolierten Bergdorf in der Nähe des revolutionären Kultorts Yan’an und lässt sie in der Gegenwart stattfinden. Der Feenmythos erfährt eine zusätzliche Hybridisierung, indem er aufgrund der lokalen Konstellation in die Unterwelt verlagert und mit dem Ritual der “unterirdischen Hochzeit” vermengt wurde. Der einzige, unverheiratete Sohn eines älteren Ehepaares kommt bei einer Brunnenbohrung ums Leben. Die Trauer der Eltern ist so gross, dass sie Selbstmord begehen wollen. Um dies zu verhindern, schlägt ihnen der Dorfvorsteher vor, den Toten unterirdisch mit einer jungen Soldatin der Roten Armee zu verheiraten, welche vor etwa fünfzig Jahren im Dorf infolge von Kriegsverletzungen verblutet war. Diese Vorstellung tröstet die Eltern in der Tat. Die sterblichen Überreste des Mädchens werden exhumiert und gemeinsam mit dem soeben Verstorbenen beigesetzt. Die Lösung ist jedoch nicht von Dauer. Eines Tages tauchen Abgesandte des ehemalige Kampfgefährten und Verlobten des Mädchens auf, um ihre Gebeine in einen nationalen Gedenkschrein der Revolution zu überführen. Der Vorsteher rückt angesichts der neuen Krise die lokal etablierte Geistergeschichte mit dem romantischen Tod der Fremden und seinem Supplement der unterirdischen Hochzeit mit einem armen Dorfbewohner in den Mythos der vom Jadekaiser gesandten himmlischen Fee aus der oben genannten Regionaloper ein. Er erklärt dem wiederum zutiefst verzweifelten Ehepaar, dass die Seele des Mädchens jetzt von einem himmlischen Boten zur Wiedergeburt abgeholt würde und ihr Ehemann dieser später bestimmt nachfolgen dürfe. Man zelebriert ein Abschiedsritual und kann danach zur Tagesordnung übergehen (A. Wang 2002, dt. 2004). Die Ironie der vertauschten Verfahrensordnungen, welche den ehemaligen, revolutionären Verlobten und “modernen” Materialisten überraschend altmodisch und beinahe egoistisch erscheinen lässt, weil er einem Revolutionsmythos huldigt, welcher ihm zwar viele Vorteile gebracht haben mag, jedoch am Zielort seiner durchaus nicht nur öffentlich motivierten Odyssee des Gedenkens jeder materiellen Grundlage entbehrt, ist nicht zu übersehen. Der nicht ungebildete Dorfvorsteher rechtfertigt demgegenüber sein flexibles Vorgehen mit der unterschiedlichen Funktionalität von historischem Materialismus und Idealismus. Während letzterer Hoffnung und Begehren nähre, also auch Trost in der Ver348

zweiflung spende, schneide ersterer jeden Zugang zu diesen emotionalen Ressorts ab und versage somit im schäbigen Alltag des von der postrevolutionären Moderne vergessenen Dorfes. Mit seiner Abkehr vom Glauben an eine konsequent rationalistische, mythenlose Poesie der Zukunft besetzt der lokale Geschichtenerzähler im Vergleich zu den Kadern des politischen Zentrums in gewisser Weise sogar eine überlegene kulturelle Position. Wang Ban deutet diese Ratio des Dorfvorsteher folglich als selbstreflexiven, strategischen Glauben an überlieferte Mythen und Aberglauben: He is enlightened, but he sees no reason to be so enlightened as to be orphaned from the “false” consciousness of collective memory, myth, and tradition. In his reasoning, we arrive at a pragmatic articulation of modernity to tradition. Memory represents human beings’ vital connection to a particular space in a particular time, which, despite the flux of the homogeneous time line, will always resurface as a functional myth (B. Wang 2004: 140 f.).

Die virtuose mythologische Heteroglossie des Dorfvorstehers, welcher die Register von materialistischem Revolutionsmythos und idealistischem Jenseitstraum je nach Bedarf zu wechseln versteht, schreibt der engbegrenzten Welt des Gebirgsdorfes mit seiner traditionsgebundenen Bodenhaftung auf mindestens drei Ebenen Überlegenheit gegenüber der urbanen Imagination von Modernität zu. Auf der Ebene der Moral zeigt sie selbstbewusste Distanz zum materialistischen Dogma, indem sie die Mythologie nicht entsorgt, sondern fallweise als undogmatische, spielerische Suche nach Lebensweisheit mit ins neue System zu integrieren versteht. Das Narrativ wird situativ dem Erleben angepasst, nicht das Leben einem spekulativen Telos. Die Lüge des Mythos von der Himmelsfee ist sogar moralisch überlegen, weil sie sich selbst als Lüge, als eine von mehreren Möglichkeiten des Auslegens ausweist und nicht in Konkurrenz zu einer absolut gesetzten Wahrheit antritt. Demgegenüber erscheint der Fortschritts-Mythos der Moderne unmenschlich, weil er seine binäre Verfahrenslogik absolut setzt, das Denken in Analogien oder gar Allegorien in seiner Funktionalität verkennt und jenes deshalb essentialisierend als Aberglauben denunziert. Zweitens zeigt das Dorf auf den Ebenen von Mitgefühl und Solidarität Grösse. Während die in der Erzählung ungenannte, nur als gespenstische Abwesenheit mitzudenkende, historische Verkörperung der Siebten Himmelsfee, die Schauspielerin Yan Fengying, in ihrer gewohnten Umgebung unter den 349

kalten, misstrauischen Augen von progressiven, urbanen Revolutionären starb, wurde das sterbende fremde Mädchen im Dorf von den ungebildeten Bauern liebevoll aufgenommen und gepflegt. Die emotionale Verkrampfung einer utopisch-illusorischen Verbrüderung gipfelte in Yans Fall in der Obduktion ihrer Leiche, weil man sie verdächtigte, in ihrem Körper einen kapitalistischen Spionagesender zu tragen. Demgegenüber integriert die Dorfbevölkerung eine völlig Fremde sogar über ihren Tod hinaus in ihre Gemeinschaft. Drittens führt Wangs in den Mythos der mitleidigen Himmelsfee eingerückte Dorf-Erzählung auf das Problem der Vitalität von Geschichte, deren Gegenstand in verschiedener Weise aktualisiert werden kann: als lebendige Erinnerungsspur im mythophorischen Weitererzählen und rituellen Eingedenken, wie im Fall des namenlosen Mädchens, oder als stillgestellte, gespenstisch abwesende Geschichte wie im offiziellen Schweigen über die Umstände von Yan Fengyings Tod oder dem fiktionalen, leeren Symbol des nationalen Schreins für eine unbekannte Soldatin. Die Revolution erscheint im Text als Leerstelle, ihre Erinnerung wird sogar zweifach mit einem anderen Narrativ überschrieben: einmal in der Titel-Anspielung auf frühere Momente der Inszenierung vor und während der kulturrevolutionären Phase im politischen Zentrum und deren vergleichsweise beschaulichem Schatten in der Peripherie, und zum zweiten Mal in der Handlung selbst – zu einem Zeitpunkt, als die Revolutionsgeschichte bereits eine verschwindende kollektive Erinnerungsspur geworden ist und in den Mythos gerettet werden muss (nur ein alter Mann hat das sterbende Mädchen selbst gesehen). Der Märtyrerschrein überschreibt den lokalen Heldentod einer unbekannten Soldatin national mit einem wohlklingenden, revolutionären Namen. Eine 2007 auf den Markt gebrachte, 36teilige TVSerie im Musical-Format, überlagert Wangs subversiven Erinnerungstext und umhüllt als kitschig-sentimentale Wiederauflage der revolutionären Huangmeixi-Oper Yans tragischen Tod im Jahr 1968 mit einem weiteren, schillernd-bunten Schleier des Vergessens (Tianxian pei, CCTV8, 2007).

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10.5 Fragmente alternativer Modernen: Retro-Mythen, dystopische Heterotopie und mythophorische Heteroglossie

Gegen das Spiel des mehrere Jahre nach der Erstpublikation von Wangs Erzählung gesendeten Musicals mit dem Publikumsgeschmack und dessen Begehren nach anspruchsloser Unterhaltung: gegen diese allgegenwärtige, jegliches historische Eingedenken systematisch usurpierende Macht und Ratio des Marktes scheint der literarische Text vordergründig nicht viel auszurichten. Aber im Vergleich mit dem Musical zeigt sich andererseits erst die Brisanz von Wang Anyis Aktualisierung des in sowohl vormodernen, als auch modernen gesellschaftlichen Umbruchphasen erfolgreichen literarischen Mythos “Tianxian pei” in aller Deutlichkeit. Der Text steht seither nicht nur für sich, als eines von vielen mythologisch codierten Fragmenten einer kommenden, post-ideologischen, postrevolutionären, mit anderen Worten alternativen Moderne, sondern gleichzeitig auch rückwärtsgewandt und antagonistisch zum regimekonformen Sprung über die postrevolutionäre, nationale Kulturindustrie hinweg bis zur erweiterten Herrschaft einer globalen Kulturindustrie (Lash und Lury 2007). Das Musical untersteht dabei der mechanischen Ding-Logik von geschichtslosen, standardisierten, beliebig austauschbaren (Cartoon)figuren. Es spielt dem von Wang Hui in der chinesischen Gesellschaft seit den 1980er Jahren detailliert beobachteten, zugleich aber global diagnostizierten Entpolitisierungsprozess der spätkapitalistischen Moderne (und ihren zunehmend von nicht-staatlichen Wirtschafts-Akteuren gesteuerten Institutionen der Macht) in die Hände (Wang 2010), indem es das Begehren seiner Zuschauer nach Subjektivierung mit unvollkommenen, fetischisierten Kollektiv-Figuren der Libido-Erfüllung abspeist. Die Erzählung folgt demgegenüber gewollt anachronistisch dem (magisch-)realistischen Prinzip narrativer Kohärenz und subjektiver Akteurs-Performanzen, die von Lash und Lury als flexible, mit der sozialen Welt interagierende und diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten gestaltende Kräfte beschrieben werden (Lash und Lury 2007: 183–189). Die Revolution bildet in beiden Versionen von Tianxian pei den unverzichtbaren, nationalen Kern einer vergangenen chinesischen Moder351

ne, allerdings ästhetisch stillgestellt und in mythische Zeitlosigkeit entrückt im Fall des Musicals und als historisches Erbe und Auftrag für die Zukunft in der Erzählung. Bis zu welchem Grad wird sich die kulturindustrielle Appropriation des Revolutionsmythos, und damit ihre Logik einer ästhetischen Reproduktion von Design statt Inhalten, von Differenzen statt Identitäten trotz des Einspruchs kritischer Intellektueller und ihrer Repräsentationen (auch) in China durchsetzen? Man könnte in den hier untersuchten neuhistorischen Narrativen Spuren eine Synthese kontrapräsentischer, postrevolutionärer Mythologien, zusammengebastelt aus europäischen und postkolonialen imaginaires, freilegen. Der französische Annales-Historiker Le Roy Ladurie hatte in einer gescheiterten Revolte zweihundert Jahre vor der Französischen Revolution das Molekül einer traditionsreichen revolutionären Protestkultur verortet, deren symbolische Einsätze sich gemäss seiner Analysen bereits untergründig in die Ereignisse von 1789 eingenistet hatten. 117 Obwohl die Revolte in ihren unmittelbaren Zielsetzungen gescheitert ist, habe sie als Zeichen der Formierung eines kritischen kollektiven Bewusstseins und einer “plebejischen” Einmischung in politische Entscheidungen einen wichtigen Beitrag zur Bildung des modernen französischen Staates geleistet. Fernand Braudel stellte seine Nationalgeschichte noch deutlicher in einen Rahmen identitätsstiftender historischer Erfahrung, die er als aus Sedimenten oder Schichten konstituierte, unbeendbare Vergangenheit bezeichnete und mit der Bildung der Erdkruste durch Meeresablagerungen verglich. Als wichtigen Beitrag des Historikers zum Gelingen nationaler Selbstbeschreibungsdiskurse veranschlagte Braudel dessen Beteiligung an Prozessen kontinuierlicher Aktualisierung und semantischer Bündelung herausragender Geschichtszeichen wie der Revolution.118 Wie Clifford Geertz und andere beobachtet haben, wurde vor allem die Französische Revolution zum internationalen Modell für die symbolische Ausstattung nationalistischer Unabhängigkeitsbewegungen – ob gegen eine eigene Hegemonialmacht oder, wie im Fall der meisten new

117 Le Roy Ladurie 1989: 363 f. Zur Charakterisierung von Erhebungen als Moleküle mit je zugehörigen Atomgruppen, die deren Verlaufsformen bezeichnen, vgl. LeRoy Ladurie a.a.O.: 321, Anm. 2. 118 Braudel 1986: 17. Vgl. a. Furet, Juillard und Rosanvallon 1988 und v. Thadden in Giesen 1996.

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states, gegen Kolonialregimes gerichtet.119 Indem sie lokale Erhebungen narrativ an den Mythos der Französischen Revolution anschliessen, etwa über die Bastille-Symbolik, können postkoloniale literarische Texte an der Entwicklung von Dispositiven beteiligt sein, die ihrer eigenen Nation Tänze auf den Trümmern ihrer anciens régimes vorführen. Eine derartige kritische Konfrontation der offiziellen Gedächtnispraxis unternahm in den 1990er Jahren beispielsweise auch die elegische Erzählung “Shang xin de wudao” (“Traurige Tänze”, 1993) von Su Tong. Es geht darin um die Begleitumstände des Scheiterns revolutionärer Erneuerung der Gesellschaft: beschrieben wird die Enttäuschung eines Knaben, der aufgrund seines besonderen Talents für die Aufführung eines Revolutionsballetts vorgesehen war, schliesslich aber doch nicht zum Zuge kam, weil die vakante Position dem linkischen Sohn eines mächtigen Kaders zugeschanzt wurde. Diese Fehlbesetzung zieht im Text eine Kette fataler Konsequenzen für alle involvierten Protagonisten nach sich. Die in der Folge von den beteiligten Protagonisten erlittenen Schicksalsschläge bescheinigen einerseits der Partei-Hegemonie dynastische Machtlegitimation und traditionalistische Praktiken120 und begründen andererseits die negativen Effekte dieser Praktiken selbst traditional, nämlich mythologisch beziehungsweise kosmologisch (Su 1989). Seit der Soziologe Shmuel Eisenstadt und mit ihm andere Theoretiker der postkolonialen Welt die Idee multipler, heterogener Moder119 Geertz 1973: 234–254. Vgl. a. Anderson 1996: 85 f. Anderson übernimmt Hobsbawms Konzept der Internationalisierung der Französischen Revolution als Universal-Modell (Hobsbawm 1978). Dies gelinge über die Begriffszuweisung für die Industrialisierung Englands als industrielle Revolution in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Eine detaillierte Darstellung des Prozesses der Universalisierung der Französischen Revolution leistet Furet 1996, besonders Kap. 3: 87–136. Eine theoretisch reflektierte Rehabilitation nationalistischer Tendenzen im Kontext revolutionärer postkolonialer Unabhängigkeitsbewegungen schlägt Cheah 2003 vor. 120 S. hierzu auch Rey Chows Studien zu den Filmen von Chen Kaige über verschiedene Phasen der Revolution, die sie mit entsprechenden Massnahmen und theoretischen Vorgaben der Partei zur Nutzung der ländlichen revolutionären Energien gegenliest. Erziehung der Bauern und Erziehung durch die Bauern als vorrangige Ziele des kommunistischen nation-building erweisen sich als kulturdeterministische Falle: “The Cultural Revolution repeats, continues, and develops this traditional culture. The emperor-like worship that was bestowed upon Mao Zedong, the devastation of basic human rights, the forced indoctrination of revolutionary reasoning – how do these differ from feudalist society?” (Chen Kaige, zit. in Chow 1995: 92).

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nen in die Globalisierungsdebatte einbrachten, wurde über eine angemessene Berücksichtigung verschiedener historischer wie kultureller Wege von Nationen und Gemeinschaften in die globale Gleichzeitigkeit kontrovers nachgedacht. China wird gegenwärtig zunehmend als wichtigster Gegenspieler des Westens gesehen, der in der Lage wäre, einen neuen, globalen Universalismus durchzusetzen. Robert Kagan warnt in Anlehnung an die Kalte-Kriegs-Rhetorik einer Gelben Gefahr die demokratischen Gesellschaften davor, dem autoritären China die Gestaltung der künftigen Weltordnung zu überlassen (Kagan 2008: 4). Kishore Mahbubani lässt sich von der neuen Begeisterung für die imperiale Grösse Chinas und einen kulturindustriell auf die Bildschirme von TVKonsumenten gezauberten tangzeitlichen Kosmopolitismus anstecken (Mahbubani 2008: 148). Wang Hui gibt zu bedenken, dass China in der gegenwärtigen Phase globaler Entpolitisierung zugunsten einer umfassenden Hegemonie der Märkte und ihrer trans-/nationalen Institutionen wenigstens den Vorteil eines revolutionären Erbes hat, welches seinen Arbeitern, Bauern und anderen sozialen Kollektiven immer noch einige legitime Mittel an die Hand gibt (oder geben könnte), sich gegen staatlicherseits zu verantwortende Verhältnisse sozialer Ungleichheit zu wehren (Wang 2010: 17 f.). Neuhistorische Autoren beteiligen sich ihrerseits intensiv an der Sichtung (alternativer) kultureller Formen, die in der neuen Situation einer Krise aller herkömmlichen politischen Subjektivitäten – Partei, Klasse, Nation – zur notwendigen Redefinition der Grenzlinien politischen Denkens und Handelns beitragen können (Wang 2010: 18). Die mythenanalytische Lektüre ihrer Narrative zeigt Sorge um die Orientierungslosigkeit der Gegenwartsgesellschaft, Kritik an den Exzessen der maoistischen wie kapitalistischen Modernisierungen, und das Festhalten an der Vorstellung, die Schaffung einer auf soziale Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit gegründeten Gesellschaftsordnung als unverzichtbaren, postutopischen Kern der revolutionären Bewegungen undogmatisch in ein postrevolutionäres Imaginaire retten zu müssen. Der prüfende Blick ihrer Texte gilt häufig den von den oben genannten, französischen Annales-Historikern geltend gemachten, geologischen Tiefenschichten der Revolution, die in China mit seinen volksreligiös beziehungsweise mythologisch aufgeladenen Bauernaufständen ja ebenfalls ein langes Erbe hat. Ihre Texte widmen sich in diesem Diskurs mit besonderem Nachdruck den Phänomenen von nicht integrierter Differenz 354

und unvollständig entwickelten Subjektivitäten. So wird das Problem post-revolutionärer, fragmentierter chinesischer Identitäten in Verbindung mit der Frage nach den Möglichkeiten, Funktionen und Restriktionen historischer (Meta)erzählungen in Konkurrenz – beziehungsweise supplementär – zur nationalen Historiographie reflektiert.121 Die Protagonisten neuhistorischer Erzählungen agieren mangelhaft orientiert im Umfeld nahezu vergessener historisch-politischer Ereignisse, deren erinnernde Vergegenwärtigung nur durch Augenzeugen vollzogen werden kann. Momente der Krise, in denen differente Identitätszuschreibungen unversöhnlich aufeinanderprallen, werden aus anderen Perspektiven beleuchtet und nationalistische Topoi, wie das ethnische Verwandtschafts-Argument oder Fälle heroisch-gemeinnütziger Suspendierung von familiären Verpflichtungen, durch Verhältnisse unklarer Vaterschaft (Ehebruch, Adoption) beziehungsweise unheroische Motivationen oder Verhaltensweisen der revolutionären Helden unterlaufen.122

121 Zhang Qinghua (1998) erkennt eine Anlehnung dieser literarischen Richtung an neue historisch-philosophische Methoden (xin de shixue zhexue fangfa) in Modernismus, Phänomenologie, Kulturanthropologie und anderen internationalisierten Theoriedebatten. Er unterscheidet dabei zwischen neuhistorischen und neuhistoristischen Romanen. Lin (2005), der eine Übersicht über weitere chinesische Definitionen und Positionsnahmen zur neuhistorischen Fiktion liefert (S. 27–33) kritisiert diese Terminologie und arbeitet stattdessen mit dem Begriffspaar alternative histories / historiographic metafiction (33). Hinsichtlich der Textzuordnung kommt er dabei letztlich zum gleichen Ergebnis wie Zhang. Auch über die von ihm reklamierte grössere Präzision seiner Begriffe liesse sich streiten. Zum Dilemma der streng reglementierten Parteihistoriographie angesichts einer wachsenden Beliebtheit von marktorientierten, nicht-offiziellen (literarischen, journalistischen etc.) Formen der Geschichtsschreibung vgl. Weigelin-Schwiedrzik 1999. 122 Dt. Übers. neuhistoristisch-genealogischer Erzählungen: Mo Yan, Hong Gaoliang Jiazu, 1986 (dt. Das rote Kornfeld, Hamburg 1996); Su Tong, Yingsu zhi jia, 1988 (dt. Die Opiumfamilie, Hamburg 1998); ders., Mi, 1991 (dt. Reis, Hamburg 1998); Yu Hua, Huozhe, 1992 (dt. Leben!, Stuttgart 1998), u.a. Als Beispiel für die antiheroische Perspektive dieser Erzählungen kann die Novelle Die Opiumfamilie von Su Tong genannt werden. Dem “Helden” Liu Chencao bieten sich im Herbst 1949 mindestens drei revolutionäre Fluchtwege aus der Grossgrundbesitzer-Sippe seines Opium anbauenden Stiefvaters Liu Laoxia. Seine Schulkameraden Jiang Tiangong, Robin Hood der Region, und Lu Fang, mit der Bodenreform beauftragter Brigadeleiter der Volksbefreiungsarmee, fordern ihn beide erfolglos zur Kooperation auf; seinen wahren Vater, den zum ländlichen Kader beförderten Landarbeiter und Frauenschänder Chen Mao, hatte er schon in der Kindheit nicht anerkennen wollen.

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Die Romanfiguren reagieren in Situationen des Scheiterns ihrer (modernen) Orientierungsparadigmen unter anderem auch mit Rekursen auf traditionelle Codes, die in Rezeptionsprozessen häufig als Nationalismus miss-/verstanden wurden. In diese Rubrik fällt auch eine Debatte über chinesischen “Auto-Orientalismus” der späten 1980er und frühen 1990er Jahre,123 dessen Verfahren viel weniger skandalös erscheinen, wenn sie als sekundäre (Re)mythisierungen im Sinne von kritischen Distanznahmen zu den ebenfalls mythologisch untermauerten ideologischen Inhalten der kulturrevolutionären Linienkämpfe, und nicht etwa als simple Manöver der Anlehnung an eine auratisierte longue durée chinesischer Zivilisation (oder Barbarei) betrachtet werden. Wang Hui brachte dieses, durch transnationale kulturelle Flüsse verschärfte hermeneutische Problem auf den folgenden Nenner: Chinese intellectuals are now engaged in discussions of the question of globalization, in contrast to the Western media’s discussion of Chinese nationalism. Most Chinese intellectuals, however, understand globalization within the context of the Confucian ideal of universal harmony. In my opinion, this type of universalism is nothing more than another version of the century-long dream of “meeting the world” (Wang Hui 2003: 183 f.).

Die Funktionalität der neuhistorischen Wiederauflage einer die chinesische Frage nach den eigenen Traditionen und Modernen ästhetisch wiederaufrollenden Querelle könnte als Retro-Mechanismus zum Zweck der Entschleunigung der turbokapitalistischen Transformation Chinas beschrieben werden; als “unsentimentale Nostalgie”, analog zum Set von Retro-Antrieben auf dem Hitzeschild der Weltraumrakete von John Glenn, die der amerikanischen Retro-Bewegung ihren Namen gaben, nachdem sie 1962 bei dessen Landung zwar verglüht waren, aber ihre Bremsfunktion doch zuverlässig erfüllt hatten (Guffey 2006: 11 f.). Andererseits werden in signifikanter Dichte Heterotopien als Möglichkeit imaginiert, das herrschende politische System mit seinen Mythen verlassen zu können, um anders zu leben. Diese haben allerdings jedem Idealismus, einschliesslich dem revolutionären den Rücken gekehrt und stellen den Preis der radikalen Differenz gleich mit in Rechnung. Neu

Statt sein Schicksal in die Hand zu nehmen, ruiniert er sich durch Opiumgenuss und wird schließlich als Mörder exekutiert. 123 Chen 1995, Wang 1996, Zhang Longxi 1992, Zhang Xudong 1997.

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gilt ein Prinzip des Schlupflochs; eines kontinuierlichen, subversiven, nicht-identitären Sich-Entziehens statt der von den politischen Regimes geforderten, aber als unvollkommen und entmündigend entlarvten Identifikation. Ob in der behinderten Dorfgemeinschaft von Yan Liankes Über-Leben, in der kolonial- bis revolutionsgeschichtlichen, transnationalen Kontamination des tibetischen Gebirgsdorfes Kuokang in Tashi Dawas Geheimer Geschichte Tibets, oder in der ärmlichen, regionalen Post-Idylle mit dem mythophorisch-heteroglossischen Regime des Dorfvorstehers in Wang Anyis “Geisterhochzeit”: kein System, welches den Ausstieg nicht erlaubt oder sogar gewaltsam verhindert, erfüllt die Bedingungen (freiwilliger) exegetischer Identifikation. Das Scheitern des Maoismus bleibt aus diesem Grund bei der chinesischen Avantgarde auch als Rückspiegel der globalkapitalistischen Megalomanie aktuell. So wird wohl Einigkeit herrschen zwischen den Autoren der hier analysierten literarischen Texte und Wang Huis Definition des Endes der Revolution: Whether we are talking about the so-called “end of the 90s” or analyzing the “end of the revolution”, the real goal is to clarify the situation we face, and to question and to formulate a new politics, a new path in a new direction. This “end” is not an end in the Hegelian sense but rather the will to break with the past and the desire to construct a new politics. It is from here that we must look back upon the revolutionary inheritance of the twentieth century (Wang 2010: xxxiii).

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IV. Sektion: Subjekt

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Szenarien der Verstrickung

Mit der Figur des tumben, recht- und besitzlosen Gelegenheitsarbeiters Ah Q, dessen rudimentär ausgebildete Subjektivität sich vorrangig in der Neigung äussert, alle persönlichen Niederlagen in spirituelle Siege umzudeuten, hat Lu Xun im Jahr 1921 die bis heute meistzitierte Chiffre subalterner 1 chinesischer Identität an der Schwelle zwischen feudaler Vergangenheit und semikolonialer Moderne gezeichnet. Auf Spuren des typisch Ah-Q-esken Lavierens treffen Leser allerorts in der seither entstandenden Erzählliteratur: die paradigmatische Figur dieses Anti-Helden wurde von Autoren nachfolgender Generationen in kontinuierlichen Aktualisierungen auf die veränderten geopolitischen Konstellationen übertragen (Chen 1997, Foster 2006, Huang 1993, Larson 2009: 77– 114). Der Autor hatte mit seiner Erzählung eine Aporie des modernen politischen Subjekts zum Ausdruck gebracht; dieses ist in seiner Eigenschaft als nationales Subjekt nicht nur in seiner eigenen sozialen Umgebung zu Empathie und Solidarität aufgerufen, sondern es soll horizontal wie vertikal, durch alle gesellschaftlichen Klassen und Schichten hindurch, an kollektiver Identität partizipieren beziehungsweise diese ak-

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Der Begriff des Subalternen wurde von Antonio Gramsci für Gruppen verwendet, die von den etablierten Strukturen politischer Repräsentation ausgeschlossen bleiben. Von dort wanderte er in die Debatte postkolonialer Repräsentation, wobei Homi Bhabha, bell hooks, Gayatri Spivak u.a. auf den Aspekt einer gleichzeitigen existentiellen Notwendigkeit und Ausgeschlossenheit subalterner Subjekte in Relation zum hegemonialen Machtdiskurs betonen. Die Kritik von hooks und Spivak an Intellektuellen, die sich zu Sprechern subalterner Subjekte machen, deren Geschichten appropriieren und bis zur Unkenntlichkeit “bearbeiten“, um sie besser in den hegemonialen Diskurs integrieren zu können, ist auch für den Diskurs über das Subjekt der modernen chinesischen Nation von Bedeutung. R. Guha zitierend, erläutert Bhabha, dass die Mehrdeutigkeit von Aufständen mit ihren polyphonen, affektiv geleiteten Diskursen aus Mythen, Ritualen und Gerüchten nicht rationalisiert werden darf, indem man sie in ein Kontinuum von Kontext – Ereignis – Perspektive einsortiert. Das exorbitante Ausserhalbsein subalterner Gruppen versuche, mit anderen politischen und kulturellen Performanzen den spezifischen historischen Konjunkturen besser gerecht zu werden, welche ethnisch wie kulturell differente Bevölkerungsgruppen politisch zusammenbinden. Bhabha in Grossberg, Nelson und Treichler 1992: 56–68.

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tiv stiften helfen. 2 Komplementär zu dieser kollektiven Identifikation soll aber eine Abgrenzung des Individuums vom Kollektiv stattfinden: es ist aufgerufen, sich selbst als kritisches, gegebenenfalls auch aktiv Widerstand gegen die von den gesellschaftlichen Machtstrukturen eingeforderten, destruktiven Disziplinierungen seiner individuellen Bedürfnisse und Ansprüche leistendes Subjekt zu konstituieren. Die Parameter dieses Projekts eines autonom handelnden, zugleich kritischen und empathischen Subjekts bezogen Intellektuelle des Vierten Mai aus der europäischen Subjektphilosophie im Anschluss an Descartes und Kant. Deren aufgeklärtes, auf Rationalität, Selbsterkenntnis und Universalität verpflichtetes Subjekt wurde zum Helden des gegen die passive Unterordnung im konfuzianisch-starren Beziehungsautoritarismus gerichteten Programms einer totalen Verwestlichung erhoben. Bereits in Hu Shis (1891–1962) Theorie des Grossen und Kleinen Ich (da wo und xiao wo, oder Gesellschaft und Individuum) manifestierte sich jedoch das Problem der Unvereinbarkeit zweier widersprüchlicher Projekte im modernistischen Programm dieser Epoche: es sollte eine chinesische, partikulare Renaissance mit den zunehmend marxistisch enggeführten, universalistischen Ideen der Aufklärung verbinden. Im Prozess der Anpassung an die lokalen Gegebenheiten wurde zunächst die Renaissance-Idee intellektueller Autonomie zugunsten des revolutionären, patriotischen Aufklärungsprojekts hintangestellt (Cai 2004: 13–17) und das Kleine Ich für die Inanspruchnahme seiner gemäss Isaiah Berlin positiven Freiheitsrechte (“freedom to”) auf die Zeit vertröstet, wenn die negative Freiheit (“freedom from”) der Nation durch das Kollektiv2

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“If the contest over the meaning of modernity in May Fourth literature came to focus on the question of self […] it did so because the production of new ideologies and symbolic systems required a massive reconstruction of subjectivity […]. It is not surprising that nearly all the debates on modern literature during the 1920s and 1930s converged on the question of the self within the larger conceptual framework of the nation. One of the issues that was taken up repeatedly in the works and criticism of modern Chinese writers was the relationship between the educated elite and the lower class. By the 1920s, Lu Xun had abandoned his earlier position on individualism and had begun to question the idea of literature for pingmin (ordinary people) that his brother Zhou Zuoren had promoted, suggesting that literature for ordinary people was something of an oxymoron, because literary production had always been the sole prerogative of the upper class.” (Liu in Liu und Tang 1993: 104) Einen Überblick über wichtige Themen und Autoren des Vierten Mai bietet Kubin 2005: 24–66.

subjekt (Zima 2007: 6 f.) beziehungsweise das Grosse Ich gesichert sein würde. In der fortschreitenden marxistisch-maoistischen Engführung wurde das auf Demokratie ausgerichtete Projekt der Aufklärung ebenfalls fallen gelassen. Basierend auf seinen in den 1930er und frühen 1940er Jahren formulierten Ideen über eine Literatur und Kunst für die Arbeiter, Bauern und Soldaten ging Mao Zedong in mehreren Kampagnen gegen führende Theoretiker der Vierten-Mai-Bewegung vor, die auf der Stimme des individuellen, autonomen Subjekts beharrten. Insbesondere Hu Shi und Hu Feng (1902–1985) hatten sich für eine umfassende Stärkung chinesischer Subjektivität eingesetzt und wurden dafür während der 1950er und 60er Jahre als Rechtsabweichler gebrandmarkt. Hu Fengs zwischen 1936 und 1945 in mehreren Debatten entwickelte Philosophie eines subjektiven Kampfgeists wurde jedoch von Li Zehou in den 1980er Jahren in eine von ihm und Liu Zaifu getragene, neuerliche Subjektivitäts-Debatte reintegriert und dabei als zwar zuwenig in der damaligen politischen Realität verankert, jedoch vorbildlich in ihrer Ausrichtung auf eine den Werten der Aufklärung verpflichtete gesellschaftliche Transformation gepriesen (K. Liu in Liu und Tang 1993: 26–30, Z. Liu in ibid.: 56–69). Lu Xuns erstes Experiment mit der literarischen Verkörperung einer die Ambivalenz im Antagonismus zwischen Identifikation und Grenzziehung erleidenden und dagegen rebellierenden, (selbst)kritischen Subjektivität hatte bereits im Jahr 1918 Furore gemacht, als das “Kuangren riji” (“Tagebuch eines Verrückten”) erschien. Dessen Protagonist entwickelt ein subversives Verfahren der textkritischen Klassikerauslegung in bereitwilliger Umsetzung des genau genommen unmöglichen Appells an das autonom denkende und handelnde Subjekt, kann aber, was kaum überraschend ist, die Konsequenzen seiner schockierenden Entdeckung letztlich nicht ertragen. Der ungebildete, charakterlose Ah Q ist in Relation zu diesem im Moment seines Erwachens bereits in der Krise befindlichen und letztlich an seinem Auftrag, die Wahrheit eines versteckten Kannibalismus in der chinesischen Geschichte zu entlarven, scheiternden, privilegierten Subjekt (Feuerwerker in Widmer und Wang 1993: 167 f.) zu verstehen: beide versuchen sich erfolglos als Revolutionäre, jedoch mit je unterschiedlichen, klassenspezifischen Konsequenzen. Nicht zufällig endet Ah Q auf dem Hinrichtungsplatz, während der “Verrückte” laut Nachricht seines Bruders sich von seiner Krise vollständig erholt und eine erfolgreiche, traditionelle Beamtenkarriere 363

begonnen hat.3 Die Krise wird durch diesen Kommentar des RahmenErzählers zum leicht wunderlichen, aber die soziale Normalität in keiner Weise gefährdenden rite de passage (van Gennep 2005, Turner 1989) eines jungen Hitzkopfs bagatellisiert.4 Mit dieser mehrfach gebrochenen Spiegelung der Diskursmacht etablierter Eliten, die relativ unbeschadet gravierende gesellschaftliche Orientierungskrisen überdauern können, gelang dem Autor eine eindringliche Warnung vor der Resignation des (notorisch schwachen) Individuums, welches unter dem Druck der herrschenden Verhältnisse dazu tendiert, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Bereits mit früheren Arbeiten aus den Jahren 1903 bis 1908 hatte Lu das Konzept eines chinesisch zu besetzenden Individualismus programmatisch formuliert, welcher sich aufgrund seiner Bezogenheit auf das individuelle Subjekt (geren) und die moderne Nation von der traditionellen Kultur abzugrenzen und diese zu überwinden habe (Foster 2006: 72–84, Chen in Littrup 1996: 18). Auch seine späteren Arbeiten vermassen den Abstand zwischen dem selbstbewusst, aufgeklärt und autonom auftretenden Subjekt in den Literaturen der erfolgreichen westlichen Nationen und den von einer verknöcherten konfuzianischen Klassiker-Exegese auf beklagenswerte Residualien der Selbstsetzung ge3

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Tang Xiaobing geht der Etymologie und kulturellen Semantik des von Lu Xun verwendeten Begriffs kuang nach und kann mit seinen Belegen nachweisen, dass jener bereits in der Vormoderne als Denotat gesellschaftlicher Nicht-Integration von Individuen verwendet worden war: “Kuang is the archetypal metaphor for an explosive ecstasy (ex-stasis), a jumping off the right track, a transgressive crossing of the boundary – in short, a return to the primal or instinctual drive. It captures, to a certain extent, the inner experience of the alterity of reason, of what has to be repressed and marginalized as irrational; it acknowledges the deep discontents that a civilization necessarily breeds. […] In other words, kuang switches the whole question from what reality is to how reality is constructed and represented through various sociosymbolic practices, not the least of which are our linguistic conventions. This epistemological break is precisely what takes place in the mind of Lu Xun’s Madman. His kuang indicates a return of that which has been suppressed or erased from the horizon of allowed or conceiveable experience. It represents a transgressive discourse not only because it goads the self-conscious subject to challenge the given boundaries but also because it drives the subject himself to all the limits, all the frontiers, of experience.” (Tang 2000: 58 f.) Hier ist an Foucaults Versuch einer Systematisierung der gesellschaftlichen Ausschliessungsmechanismen zwecks Kontrolle von Diskursen zu denken, welche u.a. abweichendes Verhalten als Anomie in der Kategorie therapiebedürftigen Wahnsinns institutionalisiert haben; s. Foucault 1991: 10–17.

stauchten Subjekt-Aktanten des eigenen Kanons. Die Unabhängigkeit des eigenen Handelns vom gesellschaftlichen Urteil war in dieser Traditionslinie sehr früh der Marginalität daoistisch – später auch buddhistisch – inspirierter Exzentriker zugewiesen worden, die sich folglich konsequent ausserhalb der Gesellschaftsordnung positioniert hatten (Hall in Ames et al. 1994, Riemenschnitter 1998, Vervoorn 1990). Eine bekannte Gruppe solcher Exzentriker hatte Lu Xun als Gegenstand seiner 1927 erschienenen wissenschaftlichen Studie über das Verhältnis zwischen Literatur und Drogengenuss in der Wei-Jin-Zeit gewählt, um zu zeigen, dass diese frühen Bohémiens im Grunde neue Ideen und Werte gegenüber dem ritualistisch erstarrten, jedoch die untergegangene Han-Dynastie überlebenden konfuzianischen Establishment vertreten hatten. Genau deshalb waren sie von späteren Eliten als exzentrisch und unorthodox eingestuft worden (Duara 1995: 44–48). Ihre eigene, als gleichzeitig befreiend und peinigend empfundene Arbeit an einer modernen, auf engagierter Subjektivität gründenden Identität stellten progressive Intellektuelle der Republikzeit analog zu dem von Lu entworfenen, mittelalterlichen “Dissidenten-Modell” in Abgrenzung zur konservativen Literatenklasse (shidafu) dar. Sie nahmen aber auch die Kluft zur grossen Mehrheit der allgemeinen Bevölkerung wahr, welche kaum Zugang zu Bildung und anderen Ressourcen der sozialen Mobilität hatte. Sogar die westlich determinierte, weltliterarische Identifikationsfigur des seine schöpferische Subjektivität kompromisslos rebellisch ausagierenden, romantischen Poeten war aufgrund der historisch-politischen Konstellation kontaminiert, obwohl mit Qu Yuan (ca. 340–278 v.u.Z.) sogar ein weitaus älterer Archetypus für ein funktionales Äquivalent, einen eigenen nationalen Subjekt-Mythos gefunden worden war (Schneider 1980, Spakoswski 1999: 235–248).5 Die Folge dieser Suche der jungen Nation nach einem verbindlichen, diskurssteuernden narrativen Programm (Zima 2007: 10 ff.) war eine fundamentale Erschütterung aller bislang gültigen Parameter in der Beziehung zwischen Selbst und Welt, so dass diese für die Moderne neu ausge-

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Song Gengs Studie deutet auf eine zusätzliche Schwierigkeit des Bezugs auf Qu Yuan bei der Konstruktion einer modernen Subjektivität hin: die starke weibliche Komponente in diesem klassischen Typus, welche den nationalistischen Mythos moderner Männlichkeit unterläuft (Song 2004: 43–68, passim).

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handelt werden mussten.6 In Yu Dafus (1896–1945) im selben Jahr wie Lu Xuns “Wahre Geschichte des Ah Q” erschienener Erzählung “Chenlun” (“Der Untergang”), hegt der als Auslandsstudent im japanischen Exil befindliche, jugendliche Protagonist Selbstmordgedanken, nachdem er – in zunehmende Hysterie gegenüber seinen mit einem ethnisch begründeten Minderwertigkeitskomplex verbundenen, auf japanische Frauen und die Selbstbefriedigung gerichteten sexuellen Begehren, aber auch bezogen auf seine Leidenschaft für westliche Lyrik verfallend – sein sexuelles Begehren nicht disziplinieren, eine sublimierende Identifikation mit dem Symbolischen nicht herstellen und noch viel weniger die Nation in einem kühnen politischen Akt retten kann. Die strukturelle Anordnung des Narrativs – das im Exil befindliche Ich besingt seine Qualitäten, sucht nach seinem angemessenen Ort im politischen Universum der Heimat, verzweifelt und stürzt sich mutmasslich in die Fluten – suggeriert eine Analogie zum Qu-Yuan-Mythos, den Friedrich folgendermassen skizziert: “Das Ich besingt seine Reinheit, die es dazu führt, einen zu ihm passenden Fürsten zu suchen. Auf dieser Suche unternimmt es eine Reise durch den gesamten Kosmos, nur um am Ende festzu6

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Chen 2003 beschreibt einen frühen Prozess massenkultureller Vermarktung revolutionärer Ideen, gegründet auf die Formel von “Revolution plus Liebe” (geming jia lian’ai) und die Kombination von Abbildungen verführerischer Frauen mit revolutionären Liebesgeschichten in den Zeitschriften der Literaturgesellschaften der späten 1920er Jahre (Chen a.a.O.: 63–71). Shih 2001 belegt für 1928 den ideologischen Zugriff auf den Subjekt-Diskurs durch den Marxisten Feng Xuefeng, der in seinem Aufsatz “Revolution und die Intellektuellen-Klasse” systematisch zwischen Intellektuellen zu unterscheiden vorschlug, die a) ganz auf Individualismus und Elite-Bewusstsein verzichteten, um Sozialisten zu werden; b) zwar die Revolution begrüssten, aber auf ihre Klassen-Privilegien nicht verzichten wollten und sich deshalb schuldig fühlten; c) Opportunisten, die ihre Fahne nach dem Wind hängten. Shih positioniert Fengs Grenzziehungsversuche in einem Kontext der Offenheit des damaligen linken Lagers gegenüber gemässigten Intellektuellen. Dieselbe mittlere Kategorien unterlag allerdings nur wenig später einer Kampagne der Ausschliessung, indem deren Vertreter von Feng der ursprünglich an dritter Stelle genannten Kategorie von Opportunisten zugeschlagen wurden (Shih a.a.O.: 244, zur Konstruktion der Kategorie der Dritten, chin.: “disanzhong ren” s.a. dies. S. 237 f.). Zur Kategorie der Opportunisten zählten für kommunistische Hardliner wie Feng auch die experimentierfreudigen Shanghaier Modernisten Shi Zhecun (1905– 2003), Mu Shiying (1912–1940) und Liu Na’ou (1905–1940), deren Programm Shih Shumei in ihrer Kartographie des literarischen Feldes der Republikzeit mit der Geste der kühnen Zurschaustellung aller Antagonismen, Verführungen und Heimsuchungen des semikolonialen Subjekts beschreibt (Shih 2001: 231 ff.).

stellen, dass es sich nicht von seiner Heimat lösen kann. Der enigmatische Schluss wird meist so gedeutet, dass Qu Yuan sich in einen Fluss gestürzt habe. Qu Yuan selbst ist eine Figur von mythischer Wirkung geworden, die für ein geradezu erotisches Verhältnis zwischen Fürst und Fürstenberater steht und enttäuschte Zuneigung mit einer radikalen Lösung vergilt.” (Friedrich in Brandt und Schmidt 2004: 244) Der Umstand, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine moderne symbolische Ordnung Chinas noch kaum als Idee existiert, ganz zu schweigen von deren politischer Realisierung, trägt massgeblich zur Krise des entsprechend leer angerufenen modernen Subjekts bei. In Anlehnung an Žižek liesse sich argumentieren, das in der Verweigerung gegenüber den Forderungen des (von historischem Feudalismus und zeitgenössischem Kolonialismus verstümmelten) Über-Ich wie auch seiner individuellen leidenschaftlichen Anbindung doppelten Verrat begehende (Žižek 2001: 368f.), zu einer Distanz gewinnenden Durchquerung seines Fundamentalphantasmas in einem genuin politischen Akt (noch) nicht fähige Subjekt habe sich auf das einzige ihm zugängliche Wahrheits-Ereignis zur Realisierung seiner Transzendenz gestützt: die Freiheit, den Tod zu wählen. Hingegen mündet Žižeks postmoderner Vorschlag subversiver Subjekt-Performanz nicht in derartig negative Verzweiflungsakte der Selbstauslöschung; er strebt lebensbejahende Gesten an, wobei er seine Konsequenzen aus einer kritischen Gegenüberstellung von Butler und Lacan zieht, die unterschiedliche Auswege aus dem Loyalitätsproblem des Subjekts weisen. Butler schlägt eine partielle Desidentifikation beziehungsweise Verschiebung durch permanente, dialektische Neuinszenierung der soziosymbolischen Identität vor, während Lacans Modell die Möglichkeit einer “gründlichen Neustrukturierung der hegemonialen symbolischen Ordnung in ihrer Gesamtheit” in der radikalen Geste eröffne (Žižek a.a.O.: 363 f.).7 Das Verhältnis zwischen privaten und kollektiven Interessen im Glücksstreben des modernen Subjekts war schon von der vorhergehenden Generation als Aushandlungsproblem neuer Geschlechteridentitäten

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Zum Verhältnis von Libido und Nation in Yu Dafus Erzählwerk s.a. Shih 2001: 110–127; zum Problem männlich-masochistischer Identifikation mit mythisch codierter Weiblichkeit in Chenlun s. Chow 1991(a): 141–144.

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und als Kerngeschäft der Fiktion bestimmt worden.8 Die diesen Diskurs entscheidend mitprägenden, im Zeitraum zwischen 1902 und 1912 entstandenen Romane über moderne Weiblichkeitsmythen hatten bereits angefangen, Revolutionärinnen nach westlichem Vorbild zu propagieren. Die neuen Heldinnen mussten aber immer noch den konfuzianischen Tugendvorstellungen genügen; sie durften folglich zwar verführerisch erscheinen, nicht aber dem Reiz der leidenschaftlichen Anbindung in einer realen sexuellen Beziehung tatsächlich erliegen (J. Liu 2003: 8–13, D. Wang 1997: 101–109, 165–174). Sie waren mithin vom antikonfuzianischen Projekt der Rekonstruktion einer Subjektivität des individuellen Begehrens im Ästhetischen vorerst noch kollektiv ausgeschlossen.9 Damit verblieb das Thema eines Antagonismus zwischen individuellem sexuellem Begehren und den moralischen Appellen des gesellschaftlichen Über-Ich zunächst in der männlichen Domäne, wo es allerdings 8

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Vgl. hierzu aber auch die in Briefen ausgehandelten neuen Subjektivitäten des Vierten Mai, welche z.B. im Briefwechsel zwischen Lu Xun und Xu Guangping zum Ausdruck kommen (McDougall 2002). Dieser kurzlebige Modernismus der Republikzeit wurde bald vom Verschwinden des individuellen Subjekts im Kollektiv abgelöst; auch die Gender-Frage wurde hinfällig, indem das subjektive Begehren auf die ideologischen Ziele der Partei umgelenkt wurde (s.u.). Die Wegbereiter einer fiktional ausgestalteten, ästhetischen Moderne, namentlich die spätqingzeitlichen Autoren der Kolonialzeit zwischen 1849 und 1911, hatten sich demgegenüber noch mit der Rolle von Beobachtern einer moralisch verkommenen, untergehenden Beamten- und Grundbesitzerwelt unter dem Ansturm fremder Werte begnügt. Neben vielen anderen Autoren sind stellvertretend für diese Gruppe Liu E (1827–1909), Li Boyuan (1867–1906) und Wu Jianren (1866–1910; D. Wang 1997) zu nennen, deren Werk sich vorrangig mit dem Werteverfall unter dem Ansturm kolonialer Macht und kapitalistischer Verführungen befasste. Viele Autoren setzten sich in Romanen und Erzählungen des Science-Fiction-Genres auch mit dem neuen Verhältnis zwischen Subjekt und dessen technischer Umgebung auseinander (Yu 1997). Ihre bei zeitgenössischen Lesern durchaus populären Experimente mit einer modernen Ästhetik wurden von den nachfolgenden Generationen – Autoren des Vierten Mai ebenso wie marxistische Intellektuelle – gering geschätzt und somit unterdrückt, wie D. Wang argumentiert (D. Wang 1997, hier bes. 252 ff.). Stephen C. Chan spricht aufgrund dieser Befunde von der Zeit des Vierten Mai in Anlehnung an Lacan als Spiegelphase des nationalen Subjekts (Chan in Liu und Tang 1993: 79–82). Die Problematik dieser Zuschreibung, welche den von D. Wang und anderen wieder entdeckten “repressed modernities” der Spätqingzeit (Wang 1997) ihre Modernität wieder abspricht, wurde von ihm offenbar zugunsten der Betonung auf der Formation eines theoretischen Subjekt-Diskurses strategisch ausgeblendet.

vorwiegend in Metaphern der Schwäche und der Selbstentleibung Ausdruck fand, bevor der Revolutionsdiskurs eine feierliche Sublimation jeglicher Subjektivität im Kollektiv beziehungsweise deren Auslöschung durch Klassenkampf zelebrierte. Nicht alle Autoren der frühen Republikzeit stellten jedoch den Selbstmord als Folge unvollendeter beziehungsweise missglückter Subjektivierung dar. Ein triumphaler Akt subjektiver Selbst-Setzung durch ekstatische Selbst-Vernichtung wurde von Guo Moruo im Gedicht “Tian gou” (“Himmelshund”, 1920) vollzogen. Ein gigantisches, den Kosmos überragendes lyrisches Ich verschlingt zuerst das Universum, um sich anschliessend in unstillbarem Hunger selbst zu verzehren und am Ende zu explodieren (Guo 1982, 1: 54 f., 1985: 35 f.). Bereits in seiner ersten, den Beginn einer modernen chinesischen Lyrik markierenden Anthologie Nüshen (Göttinnen), die auch das genannte Gedicht enthält (Kubin 2005: 46–55), war Guos kosmopolitisch erweiterte Mythologie der nationalen Renaissance vorrangig von enthusiastischen Goethe-Lektüren getragen. Zwei Jahre später erschien seine Übersetzung der Leiden des jungen Werther. Guo gab ihr ein Vorwort bei, in welchem er die leidenschaftliche Liebe als heroischen Akt der Selbstauslöschung feiert und den Selbstmord Werthers mit Goethes Pantheismus zu legitimieren sucht: Pantheism is atheism. All natural phenomena are but manifestations of the divine; the self, too, is but a manifestation of the divine. The self is thus divine, and all natural phenomena are expressions of the self. When man is without self and has fused with the divine, he transcends time and sees life and death as one and the same. But once man has self-consciousness, he sees only the external appearance of the universe and the ego, only the mutable and transient, giving rise to a tragic sense of life and death, being and non-being. The myriad things will live and die, life has no control over itself, nor can death prevent itself; so the man of selfconsciousness only sees “heaven and earth and the energy of all living things as an ever-devouring, avaricious monster, nothing more.” But this energy is the source from which all things are created, it is the will of the universe, it is the thing-initself, the Ding an Sich. If and when one joins with this energy, one will see only life and not death, only constancy and not mutability. Paradise is everywhere around oneself, the heavenly kingdom is realizable at any time, offering eternal happiness and an overflowing of spirit. […] The first step in finding this eternal happiness is forgetting the self. […] Reflecting on the time he had known Charlotte, Werther says: “And since that time sun, moon, and stars may quietly pursue their course: I know not whether it is day or night; the whole world about me has ceased to be.” How fully, with all his spirit, does he love! […] And so he expresses a profound sympathy for those who suffer from madness and he praises, rather than

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censures, the act of suicide. To complete the destruction of the ego is of the highest moral order – this is a truth that the tepid fellows who follow the Doctrine of the Mean cannot fully understand (Denton 1996: 206 f.).

Guo begnügte sich mithin nicht damit, die Verstricktheit des individuellen Subjekts mittels psychoanalytisch geleiteter Innenschauen darzustellen, obwohl dies in seinen Erzählungen derselben Schaffensperiode ebenfalls ein prominentes Thema ist (Shih 2001: 96–109). Seine Version des literarischen Freitodes ist auch kein Akt der Verzweiflung beziehungsweise der unter den gegebenen politischen Umständen als einzig möglich wahrgenommenen Selbstbehauptungs-Geste wie bei Yu Dafu. Vielmehr sie ist bei ihm das Mittel, die verlorene Einheit von Selbst und Welt im Exzess leidenschaftlicher Liebe wiederherzustellen, indem sie in kosmische Transzendenz verwandelt wird. Auch diese Figur lässt sich auf Qu Yuan als Chiffre für die erstmals von Gelehrten der technokratischen Han-Dynastie mythisch rekonstruierte, mit einem spirituellen Süden assoziierte Gegenkultur des gestürzten Chu-Reichs mit seinen Kontaktzonen zwischen chinesischen und nicht-chinesischen kulturellen Räumen zurückführen (Cook und Major 2004, Kern 2005). Es ist vorstellbar, dass Intellektuelle in der semikolonialen Konstellation ihre Situation mit derjenigen der “chu’schen” Schamanen-Poeten verglichen, um ihre Subjektivität mit der Aura des Religiös-Archaischen dieser Grenzgänger zwischen den Welten des Eigenen und Fremden, der Lebenden und Toten aufzurüsten. Mindestens ebenso intensiv wie mit der Neupositionierung männlich-nationaler Subjektivität setzten sich die Vordenker einer chinesischen Moderne mit der Rolle der Frau in der neuen Gesellschaft auseinander (Brownell und Wasserstrom 2002, Chang 2007, Gilmartin, Hershatter, Rofel und White 1994, Hershatter 2007, Ko 2007, Louie 2002, Zito und Barlow 1994). Rollenmuster der Vergangenheit wurden in literarischen Versuchsanordnungen überprüft und den veränderten Anforderungen angepasst. Von Madame Roland, der Kameliendame Dumas’, bis zu Ibsens Nora wurden gleichzeitig europäische Frauenbilder rezipiert und der eigenen literarischen Mythologie mittels Hybridisierung von Überlieferungsfiguren wie der gebildeten Kurtisane Liu Rushi, des verwöhnten, leicht hysterischen Fräulein-Typus einer Lin Daiyu oder Du Liniang, oder der unerschrockenen Kriegerin Hua Mulan anverwandelt (Chow 1991, Hu 2000). Mit der Teilnahme erfolgreicher Schriftstellerinnen der Republikzeit an diesem Projekt formierte sich bald ein 370

Diskurs über weibliche Subjektivität, in welchem das männliche Sprechen über die Frau und dessen spezifische Mythen der Weiblichkeit von Frauenstimmen auch kritisch hinterfragt und eigene Positionsbestimmungen unternommen wurden, unter anderem im Bereich von Sexualität und weiblich-sexueller Metaphorik (Barlow 1993, Lee 1999, Smith 2007, Yan 2006). Die darauffolgende politische Vereinnahmung aller Subjektivitätsdiskurse in der Zeit des Maoismus trug zu einer als Kulturfieber bezeichneten, heftigen Gegenreaktion postmaoistischer Autoren während der 1980er Jahre bei. Im Rückbezug auf den vormaoistischen Diskurs machten diese Autoren im Subjekt der chinesischen Nation, wie in der chinesischen Nation als Subjekt, eine fortdauernde Ich-Schwäche aus, deren Überwindung zur wichtigsten Trajektorie der Kulturproduktion dieser Epoche wurde (Sun 1983). Das kulturelle Erbe der früheren politischen Modernisierungsphase der 1910er bis 1930er Jahre lieferte nach Maos Tod allerdings auch einen selbstkritischen Spiegel, in welchem nicht nur die feudale Vergangenheit, sondern neu auch die revolutionäre Moderne des 20. Jahrhunderts als überlange, konfliktreiche und in absehbarer Zukunft noch nicht erfolgreich abschliessbare Übergangsphase vom regierten Untertan zur emanzipierten und aktiv partizipierenden Staatsbürgerin reflektiert wurde (Goldman 2005, Goldman, Cheek und Hamrin 1987, Gu und Goldman 2004, Wang 2009). Das Problem ihrer Identifikation als Subjekte der Nation stellte sich chinesischen Intellektuellen somit in unterschiedlicher Dringlichkeit und ideologischer Färbung unter der spezifischen Macht- und Bewusstseinskonfiguration, welche Arif Dirlik als weit über die Zeit des Imperialismus bis in die Gegenwart hinein reichendes Globalphänomen mit lokal unterschiedlichen Auswirkungen in den Begriff der “colonial modernity” gefasst hat. Er versteht darunter nicht nur die Phase der kolonialen Weltdomination auf der Basis militärischer Gewalt, sondern vor allem auch das Fortdauern eurozentrischer Normen der ökonomisch-politischen Entwicklung in einer globalisierten Moderne (Dirlik 2007). Mit der globalkapitalistischen Ideologie flexibler Identitäten kommt zu Beginn des 21. Jahrhunderts der nur teilweise gelungene Versuch zum Tragen, die modernistische Essentialisierung von (ethnischen, genderspezifischen, nationalen) Identitäten in befreiender Weise zu verflüssigen. Als Verlierer von sowohl modernistisch-klassenspezifischen Subjekt-Setzungsstrategien, als auch postmoderner Subjekt-Dekonstruktion erscheinen jedoch die nicht-privilegierten, nicht-mittelständischen 371

Massen, deren Mobilität im Rahmen flexibler Produktionsverfahren erzwungen wird, so dass historisch hart erkämpfte Zugeständnisse an deren Persönlichkeitsrechte nun wieder im Sand zu verlaufen drohen: It is clear […] that the realist theory of identity positions itself against the postmodernist celebration of the infinite deferral of identities and subjectivities. Similarly, critics such as Dirlik have voiced concern over the political price paid by the postmodernist notion of flexible subjects, which conforms to the flexible logic of global capitalism. The pronouncement that the subject is dead parallels, in this case, the death of the worker, as flexible production demands flexible workers to constantly retool while working multiple jobs without medical and other benefits. The dead subjects, in other words, tend to be working-class subjects, minorities, and women, just when they are clamouring for more representation and subjectivity and constructing identities that can serve their resistant causes. (Shih 2007: 21).

Mit anderen Worten findet sich die postkoloniale Wende zur kulturellen Identität, die Einspruch gegen globale Netzwerke von Reichtum, Information und Macht mit alternativen Werten und Interessen erheben wollte, ironischerweise mit einem gegenläufigen Trend der intellektuellen Fetischisierung von Subjekt-Entfremdung konfrontiert: während einer Minderheit von flexiblen, gebildeten Weltbürgern viele Möglichkeiten offen stehen, ihre Subjektivitäten den neuen Verhältnissen anzupassen (Ong 1999), finden sich Arbeiter zunehmend in Situationen existentieller Not, Rechtlosigkeit und fehlender Solidarität wieder (Shih a.a.O.). Wohl aufgrund solcher Befunde wird in der postmodernen Unübersichtlichkeit doch wieder vermehrt nach einem manichäischen Grundmodell der Unterscheidung zwischen “schlechten” fundamentalistischen und “guten” transformativen Identitäten gerufen. Folgerichtig erfreut sich die oben genannte, seit der Spätqingzeit beliebte Praxis (ironischer) mythologischer Rollenbesetzungen aus dem Archiv traditioneller literarischer Typen – ihrer politischen wie kommerziellen Übernutzung sowie aller ideologischen Grenzziehungsmanöver bezüglich Aberglauben und reaktionär eingestufter Traditionen zum Trotz – wiederum wachsender Beliebtheit. Die Bandbreite der Repräsentationen dieser über den gesamten Zeitraum chinesischer Modernisierungsregimes immer wieder neu aufflammenden Subjektivitätsdiskurse reicht von der Reflexion kultureller Bedingungen und Konstanten der Alltagsbewältigung bis zur philosophischen Frage nach den grundsätzlichen Konstitutionsbedingungen (erfolgreicher) Subjektivierung (X. Liu 2002), und von den architektonischen Subjektbehausungs-Metaphern der Moderne und Post372

moderne (King und Kusno in Dirklik und Zhang 2000) bis zu nationalen Allegorien und literarischen Subjekt-Tropen von Begehren (Larson in Dirlik und Zhang 2000), Existenzangst und Entfremdung (Wang 1993), Melancholie (Tang in Dirlik und Zhang 2000) und Nostalgie (Lai in Yau 2001, Chow 2007, Liu und Tang 1993, Wang 1996, Widmer 1993). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei der Entwicklung eigenständiger, moderner literarischer Formen von den Intellektuellen der Republikzeit nicht nur die fremden Texte, sondern auch deren Diskursordnung, Leitwissenschaften und Paradigmen reflektiert wurden; insbesondere die europäische Psychoanalyse und Subjektphilosophie, aber auch deren kulturelles Fundament, die griechische Mythologie, waren im Rahmen dieser Bemühungen um die ästhetische Grundlegung eines chinesischen Pendants zur westlichen Moderne in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt (Chen 1995, Denton 1996, Gálik 1990, Goldman 1977, Knight 1998, Lee 1973). In einem häufig polemisch geführten Kampf um die nationale Wiedergeburt mussten jedoch dem Programm des zivilisatorischen Aufholens inhärente Aporien wie die den ethischen Universalismus der Aufklärung kompromittierende Komplizenschaft zwischen Kolonialismus und moderner ästhetischer Produktion des Westens ausgeblendet oder auf weniger widersprüchliche Problemfelder verlagert werden, um überhaupt Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Hinzu kommt, dass diesen Intellektuellen sowohl Zeit als auch Musse fehlten, um die verfestigten, überlieferten Grundmuster des eigenen Denkens und Fühlens produktiv aufzubrechen. Sie wurden häufig nur oberflächlich verworfen oder mit anderen Inhalten überschrieben. Infolgedesssen blieben viele davon trotz aller Kriege, Revolutionen und grimmigen politischen Kampagnen zur Umwertung für hinderlich erachteter Werte in der einen oder anderen Form wirkungsmächtig. 10 Was Theoretiker neunzig Jahre später die auf einem integrativen, mora10

Eine der wichtigsten philosophischen Debatten über die Möglichkeiten der Integration westlicher Erkenntnisse und Werte, die von Zhang Zhidong (1837–1909) noch in der ausgehenden Qing-Zeit mit den Begriffen von Substanz und Verfahren (ti yong) ins Leben gerufen worden war, gehört zum Kern der im Vierten Mai noch intensiv reflektierten, vom Maoismus später aber in toto zurückgewiesenen und damit unausgeschöpften theoretischen Entwürfen einer alternativen Moderne mit einem eigenen Bildungsprogramm zum Ausgang aus der kolonialen Verstrickung. Auch sie wurde, zusammen mit dem Ruf nach einer revidierten Subjektphilosophie, von Li Zehou, Liu Zaifu u.a. während der 1980er Jahre produktiv wiederaufgenommen. S. Wang 2001: 189 ff.

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lischen Gesellschaftsmodell basierende Ultrastabilität der chinesischen Gesellschaft nannten, sollte den Weg Chinas aus der semikolonialen Verstrickung und die Schaffung funktionaler, moderner Institutionen noch auf lange Sicht begleiten (Jin in Davies 2001: 157–183, Wang 1996: 118–136, bes. 127 ff.) und schliesslich auch dafür sorgen, dass nach der maoistischen Politik der kulturellen Entwurzelung und Gleichschaltung noch genügend Anknüpfungspunkte für alternative Entwürfe chinesischer Modernität vorhanden waren (H. Wang 2008). Der von politischen wie wirtschaftlichen Eliten gleichermassen unterstützte Boom konfuzianischer Studien an führenden Universitäten seit den 1990er Jahren (guoxue oder Nationalkultur-Studien) ist ein deutlicher Hinweis auf den derzeit stattfindenden ideologischen Umbau der chinesischen Gesellschaft (Tang in Davies 2001: 123–134). Der zu beobachtende Rückgriff auf diese traditionellen kulturellen Ressourcen bei der Konstruktion alternativ-moderner chinesischer Subjektivitäten verleiht der Ultrastabilitäts-These, aber auch dem hier vorgeschlagenen analytischen Blick auf kulturelles Recycling oder synthetisierte mythologische Strukturen noch mehr Aktualität. Im Zentrum der folgenden Überlegungen soll Subjektivität auch aus diesem Grund nicht vordergründig als aufklärerische Protest-Trajektorie des gebildeten Individuums gegenüber dem Staat, und auch nicht als mehr oder weniger abstraktes Konstrukt kollektiver Selbstbehauptungsversuche gegenüber imperialistischer Aggressivität gesehen werden, sondern vielmehr als das Ergebnis kultureller Konstitutionsprozesse, die Subjektivitäten durch Prozesse des Aushandelns zwischen kollektiv geteilten, imaginären Projektionsflächen – mit ihrem Angebot an vordefinierten, variierbaren Rollen – und je individuellen Erfahrungen formen und in einem geohistorisch spezifischen Identifikationsfeld zum Einsatz bringen. Wo konventionelle Studien über Subjektivitäts-Diskurse häufig fokussiert nach einer (autonomen) Ich-Stimme suchen, die sich deutlich von ihren historisch übermittelten Rollenzuschreibungen abgrenzen soll (Jin 2004), geht es in den nachfolgenden Analysen ausgewählter Texte explizit darum, Figuren und Gesten der Subjektsetzung in dynamischer Interaktion mit vorgängigen, mythischen Rollenzuschreibungen auf ihre dialogischen Aspekte hin, oder genauer, auf zum Einsatz kommende Strategien der Prüfung und variierenden Anverwandlung überindividueller Rollenmuster hin auszuleuchten.

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12 Das überidentifizierte Subjekt: Wu Zetian Nüren yongyuan pabudao nanren de toushang lai. Die Frau wird dem Mann niemals auf den Kopf steigen können. Su Tong, QQCQ: 165.

Der Philosoph Benedetto Croce (1866–1952) äusserte im Rahmen seines Versuchs der Überwindung von Hegels dualistischer Geschichtssicht, dass Historiographie immer (auch) Gegenwartsgeschichte sei, weil sie durch das Denken von individuellen, aber gleichzeitig in spezifischen historischen Kontexten situierten Geschichtsschreibern vermittelt werde, so dass historische Reflexion grundsätzlich in dem ihr zugehörigen Umfeld zeitgenössischer Probleme und soziokultureller Entwicklungen rezipiert werden muss (Croce 1930: 3 ff., 234 ff.). Kaum ein Gegenstand der chinesischen Geschichte belegt diese Einsicht Croces besser als Darstellungen der Tang-Kaiserin Wu Zetian (624–705). Vierzehnjährig mit niedrigem Status in den kaiserlichen Harem Taizongs (reg. 627–650) aufgenommen, war sie die einzige Frau in Chinas Geschichte, die nicht nur hinter dem Vorhang der Frauengemächer, sondern sichtbar für ihren gesamten männlichen Beamtenstab vom Drachenthron aus über das Reich herrschte (Twitchett 1979, CHC 3: 291). Seit Taizongs Tod im Jahr 650 mit der Konsolidierung ihres Einflusses auf den Thronfolger Gaozong beschäftigt, liess sie sich 655 zu dessen legitimer Gattin erheben und gründete nach seinem Tod im Jahr 690 ihre eigene Dynastie der Zhou. Diese hatte immerhin bis 705 Bestand. Dann erst konnten die wenigen überlebenden männlichen Angehörigen der während ihrer Regentschaft wiederholt rebellierenden Li-Prinzenhäuser Wu Zetian zur Abdankung und Restitution der Tang zwingen. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits Vorkehrungen zur rechtmässigen Erbfolge ihres Sohnes getroffen, indem sie ihn aus der Verbannung zurück an den Hof holen liess. Um sich als Frau durchzusetzen und so lange an der Macht zu halten, kann Wu sich wohl kaum nur auf die ihr von allen konfuzianischen Historiographen grosszügig attestierten negativen Eigenschaften – unter anderem Machtgier, Grausamkeit in der Beseitigung ihrer Gegner und Nymphomanie – verlassen, sondern muss auch ungewöhnliche Führungsqualitäten sowie die Unterstützung einflussreicher Kreise besessen haben. Es lässt sich gleichwohl argumentieren, dass Wu wie Mao 375

Zedong ihre Machtposition durch eine Strategie exzessiver Gewaltanwendung gegenüber realen oder vermeintlichen Gegnern ihrer politischen Ambitionen verteidigte, die Slavoj Žižek am Beispiel von Brechts “Lehrstück” Die Massnahme (1930) und Heiner Müllers Kurzdrama Mauser (1978) als perverse Überidentifikation beschreibt. Das Ausmerzen aller Gegner wird dabei zum bedingungslosen Dienst an der für gut befundenen Sache, wobei der perverse Genuss des instrumentalisierten Mörders darin besteht, “einen Mummenschanz der Fiktion des grossen Anderen” aufzuführen, “um den Genuss [jouissance, Anm. S.Ž.] zu verbergen, die [sic] er aus der zerstörerischen Orgie seines Handelns bezieht.” (Žižek 1999: 527 ff., hier: 531) Keine andere Frau hat später noch einmal ihre Machtakrobatik nachahmen können und stand wie Wu Zetian gemäss Su Tongs Diktum “auf dem Kopf der Männer”. Nicht einmal die mächtige Qing-Kaiserwitwe Ci Xi und Mao Zedongs vierte Frau Jiang Qing (1914–91), die beiden erfolgreichsten Nachfolgerinnen Wus, erreichten dieses höchste Ziel einer “Thronfolge” in eigenem Namen. Ci Xi regierte im Namen wechselnder Kronprinzen und Jiang Qing stand in ihrer höchsten politischen Funktion als Mitglied des Politbüros und oberste Autorität in Kulturfragen (1969–1976) noch deutlicher im Schatten des Grossen Steuermanns der kommunistischen Ära Chinas, bis sie im Jahr 1976 verhaftet (und 1981 als Kopf der Viererbande verurteilt) wurde. Es war offensichtlich weniger Jiang Qings Bewunderung, als vor allen Dingen eine vorübergehende Identifikation Mao Zedongs mit Wu Zetian, die der Kaiserin im 20. Jahrhundert in einem Wechselprozess politischer Auseinandersetzungen und ästhetischer Kommentare eine Wiedergeburt als mythische Heldin der Nation bescherte.11 In Anlehnung an Wülfings acht Punkte zu den Funktionen von Mythen und Legenden bei der Konstitution einer Nation (Wülfing 1997) soll zunächst nach den 11

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Bezüglich der Literatur um die Figur der Wu Zetian und ihres politischen Kontextes vor und während der Kulturrevolution stütze ich mich auf Wagner 1990. Kurz aber treffend kommentiert (über die Mittlerfigur der Sai Jinhua) findet sich Jiang Qings mythologische Matrix bei D. Wang: “In fact, one might say that at her trial, Jiang Qing managed to combine the roles of Empress Dowager and Infamous Courtesan in one and the same personality, no mean feat of acting. […] By casting Chairman Mao’s wife as the bad woman who almost ruined China, they re-enacted an even more reactionary discourse about politics and woman.” (D. Wang 1997: 116, seine Kursivsetzung) Von Wu Zetian spricht D. Wang nicht, aber sie stellt den mythologischen Kern der Rollenkombination von Regentin und infamer Kurtisane vor.

Gründen und Motiven für die bemerkenswerte Verklärung einer traditionell nicht einmal kontroversen, sondern einmütig geschmähten historischen Figur gefragt werden.12 Wülfings Definition des Mythos im Rahmen von Prozessen historischer Legendenbildung kann für die hier bearbeitete Fragestellung übernommen werden. Sie bestimmt Mythen als textuell oder ikonographisch fixierte Narrationen, die um bestimmte Figuren der Geschichte (Aktanten) kreisen; z.B. um Arminius, der als »Hermann der Cherusker« dargestellt wird, um Barbarossa, Napoleon, Luise von Preussen, Bismarck. Die Mythisierung dieser Figuren geschieht durch diskursive Verfahren: Den Aktanten werden bestimmte semantische Merkmale zugesprochen, die Mytheme […]; z.B. »germanisch«, »ewig«, »allgegenwärtig«, »göttlich«, »deutsch«. Diese Mytheme – also sprachliche oder ikonische Zeichen, die gleichsam auf Designate ohne Denotate referieren – werden zu Paradigmen gesammelt, die dann das Reservoir darstellen für die jeweils syntagmatisch realisierte Narration (Wülfing 1997: 159).

Solche Mythen, welche die Nation symbolisch repräsentieren und konstituieren sollen, sind in spezieller Weise zur Bewusstmachung und allmählichen Einebnung von Gegensätzen geeignet, führt Wülfing weiter aus. Ihre Erzählungen versöhnen gemäss Lévi-Strauss das in der Vernunft und in der Kultur Unversöhnliche, indem sie dieses immer wieder in “synchro-diachronischen” Spiralen verdoppeln, “bis die intellektuelle Triebkraft, die ihn [den Mythos, d. V.] in die Welt gesetzt hat, verbraucht ist.” (Lévi-Strauss 1997, I: 247–253) Bereits die historische Person der Wu Zetian umgab sich mit einem ganzen Arsenal solcher “semantischer Desiderate”. So veranlasste sie beispielsweise die Umbenennung von wichtigen Institutionen und Ämtern nach dem Code der für vorbildlich geltenden Zhou-Dynastie (1122–255 v.u.Z.) und legte im Lauf ihrer Regentschaft über dreissig verschiedene Regierungsdevisen fest. Desgleichen schuf sie ein bemerkenswertes Archiv versöhnender beziehungsweise ausgleichender Legenden, Omina und Prophezeiungen. Gemeinschaftsstiftende Rituale und Zeremonien, wie auch biopolitische Disziplinierungsmassnahmen in Form von öffentlichen, drakonischen Strafpraktiken wurden in grossem Stil durchgeführt. Schliesslich diente auch ihre Selbststilisierung als weibliche Reinkarnation des Buddha 12

Wagner (1990: 86) erwähnt als Ausnahme Guo Moruos erfolgreiche “Ausgrabung” eines ihrer Verehrung gewidmeten lokalen Kultes in Sichuan, nicht weit von ihrem Heimatdorf entfernt.

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Maitreya (Rulai zhuanshi) dazu, die aus mindestens zwei Gründen riskante Legitimität ihrer Herrschaft – aufgrund ihres Geschlechts und wegen ihrer Herkunft aus nicht-kaiserlicher Linie – gegenüber den verschiedenen, um die Macht bei Hof streitenden gesellschaftlichen Klassen und Fraktionen zu behaupten (Guisso in CHC 3: 302–306). Ihre Legenden erfüllen insbesondere die von Wülfing als fünften Punkt ausgewiesene Funktion von Gegen-Mythen, die in ihrem Fall in Konkurrenz zu den Gründungs- und Rettungsmythen des Hauses Li 13 und seiner gegen die Usurpatorin des Mandats des Himmels erbitterten Widerstand leistenden Erben der Tang-Dynastie in Umlauf gebracht wurden. Mao Zedongs Interesse an der resoluten Kaiserin – wie übrigens auch am anderen Schreckensbild der konfuzianischen Geschichtsschreibung, Qin Shi Huangdi (reg. 221–210 v.u.Z.) – speiste sich aus zwei weiteren in Wülfings Katalog aufgeführten Eigenschaften mythischer Erzählungen: ihrer Eignung zur Sakralisierung der Gegenwart durch Appell an eine in der Vergangenheit liegende, auffällig abweichende, radikale Lösung der Herrschaftsfolge und ihr Angebot an Kontinuitätsgarantien nach der Herbeiführung solcher Lösungen in Form von symbolischen Besetzungen des öffentlichen Raums mittels Gedenktagen, Denkmälern und ästhetischen Kanonbildungen. Maos Ideologen und Literaten konnten das Wechselspiel semantischer Besetzungen Wus, das von ihrem selbst gewählten Titel der “Erhabenen Mutter und Göttlichen Kaiserin” (Shengmu Shenhuang) zur dämonisierten “krähenden Henne” der chuanqi-Erzählungen und Regionalopern reichte (Wagner 1990: 86), um die Kategorie einer Revolutionärin erweitern, welche die notwendige Härte zur Durchsetzung des angestrebten gesellschaftlichen Umbruchs walten lässt. Ob die maoistisch-revolutionäre Umcodierung der Wu, die dabei als Identifikationsfigur der Frauenemanzipation noch zusätzliches symbolisches Kapital erwarb, überhaupt noch Spielraum für einen Platz im post-maoistischen nationalen Pantheon zulässt, haben einige Autoren neuhistorischer Romane während der Neunziger Jahre experimentell erprobt. 13

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Der Aufstand von Li Jingye im Jahr 684 zur Restauration des nach nur zweimonatiger Regentschaft abgesetzten Zhongzong-Kaisers hatte einen Doppelgänger des toten Kronprinzen Li Xian (Zhongzongs älterer Bruder), an der Spitze des Heers. Zhongzong rückte sich auf diese Weise in den universalen Mythos der Rettung eines vom Untergang bedrohten Reichs durch Wiedergeburt eines charismatischen Führers ein. Vgl. Guisso in CHC 3: 294 f.

Ihre Ergebnisse sollen im Folgenden geleitet von der Hypothese einer neoromantischen Besetzung ihrer Persönlichkeit gelesen werden, das heisst unter Beibehaltung, vielleicht sogar Verstärkung der romantischen Idee ihrer radikalen Selbst-Erfindung und Selbst-Behauptung als autonomes Individuum und gleichzeitiger (selbst)kritischer Reflexion ihrer maoistischen Interpretation als Revolutionärin. Die spezifischen Positionsnahmen dieser Texte sind auch im Kontext der im gleichen Zeitraum produzierten, kommerziellen TV-Serien über Wu Zetian relevant, die eine neuerliche Konjunktur dieser historischen Persönlichkeit auf dem Markt der nationalen Kollektivsymbole signalisieren. Es liegt deshalb nahe, Wus Mythos mit Blick auf gegenwärtige kulturelle Prozesse der gleichzeitigen Konsolidierung und Fragmentation nationaler Identitäten zu analysieren. Eine Reihe von Theoretikern der Gegenwarts-Kultur hat bereits darauf hingewiesen, dass im Zeitalter der Globalisierung postrevolutionäre, postkoloniale und postmoderne Positionen immer weniger unterscheidbar werden. Dies gilt auch für zeitgenössische Definitionen, Konstruktionen oder Revisionen von Subjektkonzepten als Risiko-Identitäten (Chen 2008, Lee 1996, Li und Liu 1996, Liu und Faure 1996, Lu 1997). In vielen ästhetischen Entwürfen der Avantgarde der 1980er und 90er Jahre zeigte sich eine Privilegierung marginaler Positionen und ein ähnliches Ziel, widerstreitende soziale Kräfte nicht mehr durch radikale Mobilisierung, sondern vermehrt durch Figuren ökonomischer Verflechtung, kultureller Übertragung und politischer Integration auf der Basis eines Aushandelns von Differenzen zu integrieren (Tang in Liu und Tang 1993: 278–299; Bhabha 1990 und 1994). Aufgrund welcher Merkmale fügt sich die Figur der Wu Zetian in diesen “postmodernen” Identitätsdiskurs ein? Das Kernproblem ihrer durch Resemantisierungen gestützten Ermächtigung als Subjekt der Geschichte war von Anfang an ihr Geschlecht. Hätte sie als Mann die TangDynastie gestürzt und ihre eigene Dynastie gegründet, so wäre das Urteil der Historiographen weitgehend im Rahmen wert- und zweckrationaler Kategorien ausgefallen. Man hätte mit anderen Worten die Erfolge und Misserfolge ihrer Regentschaft bewertet, aber nicht in grossem Stil unternommen, die politischen Entscheidungen der Herrscherin als Ergebnis erratischen Handelns aufgrund unkontrollierter Affekte zu entwerten. Hier ist dieselbe Logik am Werk, welche Antigone im Konflikt mit Kreon als Repräsentantin staatsfeindlicher Affekte auf die andere, irrationale Seite des patriarchalisch geordneten Gemeinwesens stellt 379

(Butler 2001). Der Frau wird mit anderen Worten von den gesellschaftlich legitimierten Erzählern der Geschichten a priori ein im schlechtesten Sinn affektgeleitetes Handeln unterstellt, welches die Staatsräson gar nicht oder jedenfalls nur ungenügend berücksichtigen kann. Im Rahmen von Maos Emanzipationspolitik wurde Wu zur positiven Identifikationsfigur stilisiert, nachdem sie über Jahrhunderte hinweg von konfuzianischen Gelehrten und volkstümlichen Geschichtserzählungen gleichermassen in der Rolle des klassischen huoshui-Monsters dargestellt worden war.14 Im Zuge des maoistischen Paradigmenwechsels wurde ihr unter Zuhilfenahme einer diesmal gegenläufig ausgerichteten und vollends anachronistischen Komplexitätsreduktion des Frauenproblems eine Funktion als im Grunde immer noch subjektlose Vorkämpferin ihres Geschlechts zugeteilt, die mit der traditionell für Frauen vorgesehenen Rolle als Spielzeug der Männerwelt nichts mehr gemein hatte (Karl in Dong und Goldstein 2006). Die maoistische Remythisierung hatte Wu vom mord- und sexgierigen Vamp zur Nationalheldin befördert, allerdings um den Preis einer radikalen Entsexualisierung der Kaiserin und mit ihr auch aller weiblichen Subjekte des neuen Staats: Im umfangreichen literarischen und künstlerischen “revolutionären” Opus der 60er und 70er Jahre wurden die besonderen Merkmale des Weiblichen nahezu vollständig ausgemerzt. Die Frau wurde zum “geschlechtlichen Neutrum” (wie die Jiang Shuiying, Fang Haizhen, Ke Xiang usw. der revolutionären Modellopern), ohne [jegliche Prägung durch] ihren aus Mitgliedern zweierlei Geschlechts bestehenden Familienhintergrund. Eine Art “eiserne Jungfrau”, die sich in nichts vom Mann unterscheidet, ja diesen in grossspuriger Weise an Fähigkeiten sogar noch übertrifft, wurde zum Markenzeichen des [revolutionären] Weiblichen (Zhang 1997: 305 f.).

Zhang Qinghuas Charakterisierung der revolutionären Frau enthüllt, dass dieses neue Bild der Frau nicht weniger Mythologie enthielt als seine Vorgänger.15 Nach der Kulturrevolution und dem Einzug des Konsum14

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Frauen, die aufgrund ihrer verführerischen Weiblichkeit Staatsmänner dazu brachten, ihre Regierungsgeschäfte zu vernachlässigen, wurden metaphorisch als Flutkatastrophen (huoshui) im historischen Raum dämonisiert. “In China, the polarity of opinion may be summed up by the Theory of Calamity, or huoshui-ism, and the Theory of Chastity and Sacrifice, or Sutteeism.” Tsung in Li 1994: 64. “The mythology about women is created by men and in a culture dominated by men, it may have little to do with flesh-and-blood women,” formuliert Sarah Po-

kapitalismus in China wurde das maoistische Modell der geschlechtslosen Klassenkämpferin obsolet. Selbst Mulan hat ihre Männerkleider gegen ein feminines Make-up eingetauscht, wie nicht nur der DisneyFilm, sondern auch die unter anderem mit Ang Lees Film Wohu canglong (Crouching Tiger Hidden Dragon, 2000) in der globalkulturellen Mythologie etablierte Serie dominanter chinesischer KampfkunstHeldinnen suggeriert.16 Analog zur Aufbruchssituation des Vierten Mai indiziert im gegenwärtigen Literatur- und Filmsektor wieder ein Wettbewerb unterschiedlicher weiblicher Identitätsentwürfe die von der maoistischen Revolutionärin hinterlassene Leerstelle. Einige orientierende Fakten über die während des letzten Fin-de-siècle ausgearbeiteten Prototypen der neuen Frau (xin nüxing) seien hier kurz zusammengetragen, um eine Kontrastfolie für die anschliessende Lektüre der Romane von Bei Cun, Ge Fei, Su Tong und Zhao Mei finden und auf diese Weise die Bedeutung der Chiffre Wu Zetians im literarischen Feld der 1990er Jahre evaluieren zu können. Unter den modern resemantisierten weiblichen Rollenmustern finden sich neben der rehabilitierten Femme fatale (Wu Zetian, Sai Jinhua) und der rebellischen Ritterin (Qiu Jin) primordiale Mutterfiguren, deren näherer Betrachtung das folgende Kapitel gewidmet sein wird, sowie der Mythos der einsamen Mondgöttin und Muse der Künstler Chang E. Diese Göttin geriet nach ihrer ersten Modernisierung durch Lu Xun wieder in Vergessenheit und wurde seit den 1990er Jahren verschiedentlich in moderne Metropolen verlagert, wo sie in ungebrochener Kontinuität den meist tragisch endenden Kampf attraktiver junger Frauen um Selbstbestimmung und soziale Anerkennung symbolisiert.17 Wesentlich

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meroy im Kontext klassischer Frauenmythen (Pomeroy 1975: 96). Welche extremen Formen der Mythos der Revolutionärin unter dem maoistischen Regime annahm, haben Autorinnen nach dem Tod Mao Zedongs in der sogenannten Wundenliteratur aufzuarbeiten begonnen (Lai 2000); für eine Konturierung der Aushandlungsprozesse zwischen privaten und öffentlichen Interessen beziehungsweise Subjekt und Politik in der Revolutionsliteratur vor der Kulturrevolution vgl. J. Liu 2003: 183–192. Zur Kulturgeschichte der weiblichen Kämpferin (nüxia) s. Altenburger 2009. Wang Anyi, Chang hen ge (Lied des ewigen Kummers, 1995), Chen Kaige / Wang Anyi, Fengyue (Temptress Moon, 1996, S Gong Li), Bi Feiyu, Qingyi (Die Mondgöttin, 2003). Für Nü Wa und Chang E finden sich moderne Vorlagen in Lu Xuns nationaler Anti-Mythologie Gushi xinbian.

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rekurrieren moderne Narrative damit auf vier Archetypen des Weiblichen: Erstens denjenigen der Rebellin, die sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln als autonomes Subjekt zu setzen sucht, wie die moderne Wu Zetian und die Diplomaten-Konkubine Sai Jinhua. Zweitens denjenigen der in ihrer Geschlechts-Identität ambivalenten, in Männerkleidern kämpfenden nüxia-Heldin, wie die republikanische Märtyrerin Qiu Jin (1875?–1907; Hu 2004), welcher auf vormoderne populärkulturelle weibliche Ritter-Figuren in Männerkleidern wie Hua Mulan, Mu Guiying oder Liang Hongyu zurückgeht, die im Theater von männlichen Darstellern – in mehrfach geschichteter Maskierung als männlich gekleidete Männer, die verkleidete Frauen darstellen – verkörpert zu werden pflegten (Li 2003: 83–107). Drittens finden wir die naturrechtlich-ahistorisch codierte, schützende Muttergottheit, die konsequent ohne ausdifferenzierte Subjektivität, aber mit der übergeordneten Macht, Leben zu spenden und zu erhalten, auftritt. Viertens wird die weltentrückte, ewig-junge und verführerische Mondgöttin Chang E modern inkarniert. In der Vormoderne war sie wesentlich Produkt und subjektleere Projektionsfläche männlich-narzisstischen Begehrens gewesen. Im Gender-Diskurs der Moderne sucht diese Figuration am konsequentesten einer psychisch-mentalen Matrix weiblicher Subjektivität in der Krise auf die Spur zu kommen, was sich beispielsweise in Figuren wie Ding Lings (1904–1986) Mary in “Yijiusanling nian chun Shanghai” (“Shanghai, Frühling 1930”), den jungen Protagonistinnen in Zhang Ailings (1920–1995) Novellen der 1940er Jahre und der Wang Qiyao in Wang Anyis (*1954) Roman Chang hen ge (Song of Everlasting Sorrow, 1995) widerspiegelt.

12.1 Mythologie der modernen Frau

Das Beispiel Wu Zetians legt beredtes Zeugnis davon ab, wie Mao Zedong Frauen als revolutionäre Kämpferinnen für die Rechte der Frauen und damit eine bessere Gesellschaft umdefinierte. Zwar erlebte Wu Zetian nach Maos Tod noch einmal einen eher kurzen Auftritt in ihrer traditionellen Besetzung als zerstörerische Dämonin, als seine Witwe Jiang 382

Qing für die Entgleisungen der Kulturrevolution zur Rechenschaft gezogen wurde. Nachhaltiger Beliebtheit erfreuten sich jedoch demgegenüber – in einem brückenbildenden Anschluss an die vormaoistische Moderne – die Rollen des weiblichen Opfers und der erlösenden Göttin, oftmals in einer einzigen Persona verkörpert, die in ihrer barmherzigen Leidensfähigkeit dem in Zeiten des beschleunigten kulturellen Wandels verunsicherten männlichen Subjekt Handlungssicherheit schenken sollte. Auch die Kaiserin wurde in diese Rolle eingepasst: als eine Verwandlungskünstlerin, welche im Lauf der unterschiedlichen Rezeptionsphasen schon an allen vier traditionellen Identitätsmustern teilhatte, ohne in irgendeinem davon restlos aufzugehen. Erhebt sie diese mythische Trickster-Mentalität, eine Art eigensinniger Überlebensfähigkeit durch Erfindungsreichtum, zum nationalen Mythos der Zukunft? Oder vereinigt sie als universelle Chiffre die von Susan Mann beobachtete, vormoderne weibliche Mythenindustrie in einer modernen Synthese? Mann kommt nach ihrer Sichtung einer Auswahl vormoderner Überlieferungen und Bildtraditionen zum Schluss, dass chinesische Weiblichkeitsmythen eine Sonderstellung in Asien beanspruchen können: [W]omen as mythic figures loom rather larger in some cultures than in others. Chinese poets, painters, sculpturs, librettists, essayists, commentators, philosophers, storytellers, puppeteers, illustrators, and historians made a veritable industry of myths of womanhood – an industry that […] far outstrips any of its counterparts elsewhere in Asia (Mann 2000: 835).

So ist es nur konsequent, wenn die zeitgenössische literarische Produktion vielfach auf diese Traditionen Bezug nimmt. Allerdings waren es, wie Mann ausführt, bereits in der Vormoderne nicht die verschlossenen Welten traditioneller weiblicher Häuslichkeit, welche männliche Phantasien am meisten beflügelten, sondern gerade deren Anderes. Folgt man Wen Yiduos Analyse,18 so handelte es sich bei den poetischen Frauenträumen chinesischer Männer der Feudalzeit um eine versunkene Welt weiblicher Herrschaft in Form matriarchalischer Gemeinschaften und deren residuale Gedächtnisfigur in Form von erhabenen Göttinnen, wie sie beispielsweise die hanzeitliche Gaotang-Legende im gleichnamigen Fu-Gedicht von Song Yu beschreibt:

18

Wen Yiduo, “Gaotang shennü chuanshuo zhi fenxi” (Analyse der Legende von der Gaotang-Göttin), WYDQJ 1: 81–116, Qian 1989: 225–78, bes. 274–8.

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Once when Hsiang, King of Ch’u, was walking with Sung Yü on the Cloud Dream Terrace, he looked up at the Kao T’ang Shrine. Above it was a coil of mist, now pointing steadily skywards like a pinnacle of rock, now suddenly dissolving and in a single moment diffused into a thousand diverse shapes. Then the King questioned Sung Yü, saying, “What Cloud-spirit is this?” And Yü answered: “It is called Morning Cloud.” The King said: “Why has it this name?” and Yü answered: “Long ago a former king was wandering upon this mountain of Kao T’ang. When night came he was tired and slept beyond the dawn. And early in the morning he dreamt that a lady stood before him saying, ‘I am a girl from the Witches’ Hill. I have come as a stranger to Kao T’ang, and hearing that my lord the King was travelling on this same mountain, I desired to offer him the service of pillow and mat.’ So the King lay with her, and when they parted, she said to him: ‘My home is on the southern side of the Witches’ Hill, where from its rounded summit a sudden chasm falls. At dawn I am the Morning Cloud; at dusk, the Driving Rain. So dawn by dawn and dusk by dusk I dwell beneath the southern crest.’ Next day at sunrise he looked towards the hill, and it was even as she had said. Therefore he built her a shrine in the place where she had come to him and called it the Temple of the Morning Cloud.” (McNaughton 1974: 166)

Das in der Natursymbolik von Wolken, Nebel, Regen und Regenbogen repräsentierte sexuelle Angebot der Göttin wurde im Verlauf verschiedener historischer Epochen entweder im Kontext gnädig gewährter Fruchtbarkeit positiv, oder als gefährlich destabilisierende Mesalliance zwischen Göttin und Mensch beziehungsweise als sittenwidrige Annäherung der Frau an den Mann negativ gewertet (WYDQJ 1: 81–87). Prämisse beider Positionen ist die Suche nach einer angemessenen Ordnung beziehungsweise Balance des Geschlechterverhältnisses als Voraussetzung für Gedeihen und Wachstum in der Gemeinschaft. Wen Yiduos Verfahren, aus einer Vielzahl früher poetischer Traditionen einen einzigen, matriarchalisch fundierten Frauenmythos zu rekonstruieren, homogenisiert diese heterogenen Traditionen – im Interesse des Paradigmas eines evolutionären Fortschritts menschlicher Vergemeinschaftungsformen vom Mutterrecht über das Patriarchat bis zur Kommune – vorwiegend aufgrund von phänomenologischer Evidenz. Seiner Ansicht nach münden die zahlreichen mythologischen Frauengestalten differenter geographischer und genealogischer Zuordnungen in die eine Figur der Königlichen Mutter des Westens, Xi Wangmu, zurück, weil sie alle ähnlich symbolisch attributiert erscheinen. 19 Mittlerin zwischen den 19

384

“Die [verschiedenen] Urmütter (xianbi) der frühen Ethnien haben sich aus einer kollektiven Urmutter herausdifferenziert. Als diese kollektive Urmutter setze ich,

während der Han-Zeit poetisch besungenen flüchtigen Dunsterscheinungen nach dem Muster der Gaotang-Göttin und der aus frühen enzyklopädischen Überlieferungen bekannten allmächtigen Verwahrerin der Unsterblichkeitsdroge in Raubkatzengestalt ist Wen zufolge die drachenförmige Schöpfungsgöttin Nü Wa oder Nü Gua, für die er ausserdem noch eine Anzahl lokaler Kulte namhaft macht. Sein Schluss beruht auf dem Paradigma wachsender Spezialisierung, das aus einer einzigen allmächtigen Ahnengestalt allmählich einen bürokratischen Götterstaat mit klar verteilten Kompetenzen herausdifferenziert hat. Wie Wen zweifellos richtig beobachtet hat, handelt es sich bei den Gaotang-Göttinnen ursprünglich um einen sexuell konnotierten, kollektiven Umgang mit meteorologischen Phänomenen, mit anderen Worten um animistische Vorstellungen von göttlicher Macht, die sich auch in den durch Wolken, Nebel, Regen und Regenbogen manifest werdenden Witterungsverhältnissen manifestiert. Wens in gewisser Weise remythologisierende Position, die aus der auffallenden Ähnlichkeit der verschiedenen Fruchtbarkeitsgöttinnen einen einzigen Ursprung herleitet, ist zwar aufschlussreich für Prozesse der Mythenproduktion in der Wissenschaftsgeschichte, faktisch aber kaum haltbar. Obwohl immer noch in Umlauf (Mann 2000: 839), konnten matriarchalisch begründete, proto-chinesische Kulturen anhand archäologischer Befunde nicht verifiziert werden. “From at least the Late Neolithic until the Late Shang, the political and economic status of most women in China […] was inferior to that of most men,” resümiert David Keightley den Forschungsstand (Keightley 1999: 53). Überdies fügt sich die Gaotang-Göttin, wie auch die Mondgöttin Chang E, viel besser in den Archetypus der verführerischen, potentiell gefährlichen göttlichen Jungfrau, die weniger mit Attributen wie Fruchtbarkeit und Mütterlichkeit in Verbindung zu bringen ist. Aus den Ergebnissen anthropologischer, psychologischer und humangeographischer Forschung wissen wir, dass archetypische Symbolisierungen wie die von Wen Yiduo aufgrund der Ähnlichkeit materieller Umweltbedingungen zustande kommen können, so dass die weiblichnuminosen Besetzungen des Regens vermutlich in erster Linie an die intensivsten Hoffnungen und Ängste der von Dürre- und Überschwemmungskatastrophen bedrohten, agrarisch organisierten Gemeinschaften meinen vorhergehenden [Beobachtungen] folgend, die Xi Wangmu.” WYDQJ 1: 116. Zur mythologischen persona der Xi Wangmu vgl. Fracasso 1988.

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gebunden waren. Frühe Kulturkontakte zwischen den verschiedenen Ethnien Mittelchinas (Eberhard 1968a und b) mögen weiterhin dazu beigetragen haben, die Grenzlinien ihrer ursprünglich (mehr oder weniger) autochthonen, typologisch differenzierteren Mythentraditionen zu verwischen. Wo wir heute über eine Vielzahl neuer Belege und Kategorien verfügen, um Wens Analysen zu widerlegen, rückt das von ihm zusammengetragene Archiv ähnlicher Weiblichkeitsmythen aus anderen Gründen ins Zentrum zeitgenössischen Interesses. Jetzt erscheinen seine Versuche zur Rekonstruktion einer matriarchalischen Kulturtradition deshalb so bedeutsam, weil sie jenseits ihres “objektiven” Wahrheitsanspruchs, das heisst jenseits der inzwischen erfolgten archäologischen und kulturgeschichtlichen Falsifizierungen seines Xi-Wangmu-Paradigmas, einen immer noch virulenten Diskurs des nation-building auf der Basis mythologisch instrumentierter Geschlechteridentitäten mitbegründet haben. Wens Rückbezug auf die in der “grossen Tradition” des Konfuzianismus nicht integrierte Mythologie und Folklore Chinas ist kein Ausnahmefall, sondern versteht sich, wie bereits ausgeführt wurde, als Beitrag zur neuen wissenschaftlichen Disziplin der Folkloristik, die von einigen der bedeutendsten Denker der radikalen Modernisierungsbewegung des Vierten Mai als Gelenkstelle zwischen Moderne und Tradition und Schlüssel für die Konstruktion nationaler Identität ausgerufen worden war. Lanciert von Intellektuellen der Spät-Qingzeit (Lan und Fong 1999: xii), stellte eine nun auch auf Ergebnisse der Mythenforschung zugreifende Mythenindustrie während dieser Zeit des Umbruchs wiederum die Frau ins Zentrum kollektiver Projektionen und Wunschträume. Quantitativ wie qualitativ war diese Praxis durchaus vergleichbar mit dem Befund von Susan Mann im vormodernen Kontext. Gestützt auf eine Vielzahl von Beiträgen zur Kultur des Weiblichen in China (Elvin 1984, Hegel 1998, Mann 1999, Raphals 1998, Sangren 1997, Wang 1999, Widmer 1992, Wu 1996 und 1997), stellt Mann die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Mythen weiblicher Figuren eine so grosse Rolle auf der Bühne von Chinas Geschichte spielen, unter dem Aspekt einer signifikanten Differenz zwischen realer und ideeller Macht. Nachdem die Induktion Bonnefoys von der beobachteten Prominenz von Göttinnen und Grossmüttern in den frühchinesischen Mythologien zum spekulativ gesetzten vorpatriarchalischen Matriarchat durch Keightley plausibel angefochten wurde, sucht Mann unter Verzicht auf diese vor386

gestellten primordialen Gemeinschaftsformen nach anderen, diskursiv begründeten Lösungen (Bonnefoy 1991: 241, Keightley 1999; Mann 2000: 845 ff.). Sie findet ein Palimpsest-Modell, gemäss welchem in China vier interagierende Faktoren archaische Frauenmythen Lage über Lage historisch überschrieben haben. Erstens verweist sie auf ein Fortwirken der auf dem Dualismus von weiblichem und männlichem Prinzip – yin und yang – gründenden Kosmologie, welche seit der Han-Zeit der männlichen eine gleichwertige weibliche Macht zugeordnet habe. Zumindest bis zur Song-Zeit (10. Jahrhundert), so Mann, waren deshalb historische Aufzeichnungen hinsichtlich der Rolle der Frauen weniger hierarchisch, als komplementär strukturiert, und so findet sich in dieser Literatur für nahezu jede dynastische Krise eine Frau an der Seite des Herrschers, die für seinen Ruin, oder seltener Erfolg, (mit)verantwortlich gemacht wurde. Mann nennt in einem anderen Zusammenhang Zhang Xuechengs (1738–1801) Beobachtung eines Status-Verlusts von Frauen in der späteren imperialen Geschichte Chinas. Es muss wohl eingeräumt werden, dass die Bedeutung der yinyang-Kosmologie für positive weibliche Besetzungen im Bereich der dynastischen Mythologie, zumindest von der Song- bis zum Ende der Ming-Zeit (960–1644) aufgrund der patriarchalischen Moralisierung beziehungsweise Pädagogisierung des historischen Diskurses durch den Konfuzianismus nicht mehr allzu hoch einzuschätzen ist. Auch die rituelle Position des Herrschers als zumindest zeitweise über dem Geschlechter-Dualismus stehender kosmischer Mittler mag eine Rolle gespielt haben (Zito in Zito und Barlow 1994: 103–130). Der übertriebene konfuzianische Mutterund Witwenkult hat unter diesem Aspekt einen Beigeschmack schlechten Gewissens: er erscheint wie eine Kompensation für den Mangel an realem Handlungsspielraum für jüngere Frauen im Imaginären.20 20

Da Mann an dieser Stelle lediglich mit der Betonung weiblicher Rollen ohne Rücksicht auf positive oder negative Besetzungen befasst ist, ergibt sich für ihre Darstellung kein Widerspruch. Dieser stellt sich erst ein, wenn versucht wird, die programmatisch auf Korrelation, Harmonie und Balance bedachte yinyang-Kosmologie mit dem von Mann generalisierend als “Status-Verlust” in Anschlag gebrachten negativen Überhang mythisierten weiblichen Handelns in traditionellen Historiographien und anderen historischen Narrationen in Einklang zu bringen. Hier stellt sich das auch für die Moderne thematisierte Problem chinesischer Misogynie (vgl. Lu 1995). Darauf wird im Zusammenhang mit Wu Zetian noch näher einzugehen sein. Mann setzt sich nicht näher mit der Tatsache auseinander, dass die Konstruktion der “neuen Frau” auf der Basis des lienü-Paradigmas und von westlichen

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Manns zweiter bis vierter Faktor sind direkt Zhang Xuecheng entlehnt. Sie macht zunächst eine zunehmende Ästhetisierung und Sexualisierung weiblicher Schreibweisen für die herausragende Bedeutung von Frauenbildern in der Kultur namhaft, die sie einerseits auf die Praxis der bewussten Projektion männlicher Autoren zurückführt, welche häufig weibliche Stimmen annahmen, und die sie andererseits in einem Wandel des poetischen Geschmacks von der konfuzianischen Moral hin zu “esoterischen Belangen in Buddhismus und Taoismus” begründet sieht (Mann 2000: 846). Im ersten Fall handelt es sich um eine mythophorisch verfahrende, positive Ermächtigung (empowerment) männlicher Subjekte mittels fiktiver, geliehener weiblicher Identität. Beim zweiten Fall handelt es sich um eine moralische Überhöhung weiblicher Schwäche als Tugend. Mann beruft sich hier auf Zhang Xuechengs Nachforschungen über die Gründe weiblichen Status-Verlusts. Ihr dritter und vierter Punkt markieren die spezifischen sozialen Formationen, welche “kosmologische, linguistische und performative Imperative” (Mann 2000: 843) in Prozessen der Konstruktion weiblicher Identitäten zum Ausdruck bringen. Hier ist ihre Hauptreferenz eine Vermarktung weiblicher Talente zum Zweck der Unterhaltung von Männern spätestens seit der Tang-Zeit. Fassen wir Manns Ergebnisse zusammen, so unterscheiden sich die Erwartungen einer nicht unbedeutenden Fraktion der modernen chinesischen Männerwelt signifikant von den aus einer Position der Inferiorität und Unterordnung unter die Werte des konfuzianischen Patriarchats heraus operativen, Herrschaft stützenden lienü-Erzählungen, 21 deren postmodernes Recycling Mann in ihrem Beitrag als Hauptströmung gegenwärtiger weiblicher Mythenbildung anführt. Das Beispiel Wen Yi-

21

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Vorgaben wiederum wesentlich von Männern propagiert wurde. Sie stellt lediglich fest: “This heritage of famous women, and the urgency of ‘the woman question’ in early twentieth-century China, made it only natural that Chinese women would first search their own historical record, then turn to seek Western counterparts to their own lienü.” Mann a.a.O: 851 f. Eigene, womöglich vom Diskurs der Männer abweichende Vorstösse von Frauen, wie beispielsweise der Selbstmord der Zhao Wuzhen, waren demgegenüber anfällig für Missdeutungen durch die Männerwelt (vgl. Hua und Fong 1999: xiv f., 75–88). S. hierzu auch Barlow 2004, Brownell und Wasserstrom 2002, Chang 2007, Chow 1991, Dai 2006. Vgl. hierzu auch Raphals 1998 sowie Guisso und Johannesen 1981.

duos, ebenso wie die Einführung von westlichen Heroinnen22 durch die erste kosmopolitische Generation von Intellektuellen um Liang Qichao, zeigt eine Bereitschaft zum radikalen Bruch mit den repressiven Werten dieser lienü-Tradition sowie die Suche nach deutlich anderen Kategorien zur Definition der “neuen Frau” (xin nüxing), die den tiefgreifenden kulturellen Wandel der chinesischen Gesellschaft mittragen, womöglich sogar selbstverantwortlich aufbauen sollte. Der Blick zurück in die Vergangenheit zum Zweck der Legitimation von Wandel in der Gegenwart besitzt hinsichtlich der mythischen Gründerväter Chinas eine lange Tradition. Die zur Jahrhundertwende erfolgende Übertragung dieses klassischen Prinzips auf Frauen als mythische Urmütter einer kommenden Nation durch chinesische Modernisierer demonstriert deren Offenheit für eine reale weibliche Ermächtigung, die zunächst im Imaginären vollzogen werden musste, bevor sie im Realen die erhoffte Wirkung zeigen würde. In diesem kulturellen Revisions-Prozess war die Schöpfungsgöttin Nü Wa schon vor Wen Yiduos mythologischen Studien mehrfach literarisch aktualisiert worden – beispielsweise in einer narrativen Neubearbeitung des chinesischen Kulturthemas eines utopischen Frauenstaates, in dem die Geschlechterrollen vertauscht sind.23 Wo Wens Forschung zur Gaotang-Legende eine Instanz weiblicher Macht ausschliesslich vergangenheitsorientiert anhand von primordialen Kollektivsymbolen zu legitimieren suchte, band vor ihm der Verfasser des Romans NWS (Nü Was Stein, 1904) seine nationale Zukunftsvision bereits programmatisch an den aus den ältesten schriftlichen Überlieferungen bezogenen Schöpfungsmythos. Im Vorwort zum ersten “feministischen” Roman des 20. Jahrhunderts werden die Intentionen des männlichen Autors in Form eines Dialogs erläutert. Ausgehend von der Vorstellung einer wirkungsvollen Prägung des kulturellen Bewusstseins durch die Romanliteratur 24 kritisiert Haitian Duxiaozi (Der einsame Pfeifer [zwischen] Himmel und Meer) im Gespräch mit dem Verfasser eines Vorworts zwei exemplarische Texte der Qing- und Ming-Zeit, Hong lou meng (Der Traum der roten Kammer) und Shui hu zhuan (Die Räuber vom Liangshan-Moor). Der eine Roman ist ihm zu sentimental, 22 23 24

Jean-Marie Roland de La Platière und Marie Curie, Jeanne D’Arc, Florence Nightingale, George Eliot, usw. Vgl.a. Mann 2000, Hu 2000, Tang 1996: 102–14. Li Ruzhen, Jinghua yuan (1828). S. hierzu Wang 2006. S. H. Wang 1996 und den Essay, “Lun xiaoshuo yu qunzhi zhi guanxi”, (Xinminbao, 1902).

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weltverachtend und unheroisch, der andere zu ausschliesslich auf das traditionelle männliche Schwertkämpfer-Klischee fixiert. “Im Shui hu zhuan wird grundsätzlich mit klassischer Kampfkunst gesiegt (Shui hu yi wuxia sheng),” moniert er. Der Welt der Frauen werden seiner Meinung nach beide Texte nicht gerecht, obwohl die Nation aufgrund ihrer Landschaftsästhetik einen Reichtum an Kategorien für die Schönheit des Schwachen besitzt und die Frau gleichzeitig auch im Zentrum der Vorstellungen des Volkes steht. Die Modernisierung der weiblichen Welt ist deshalb unbedingt umzusetzen, wenn die Nation mit dem Fortschritt der Welt mithalten will: Aus diesem Grund ist es leicht, bei den Frauen anzufangen, wenn eine Reform der Gesellschaft geplant ist, während [der Weg über] die Männer schwierig ist. Denn sobald sich die Frauen geändert haben, [erscheint augenblicklich] die gesamte Nation erneuert. Allerdings wird, wenn man eine Reform der Frauen will, die Nation ihre Schwertkämpfer-Romantik (wuxia zhi sixiang) einbüssen und sich zum Ausgleich mit dem neuesten Wissen ausstatten müssen. Der Roman kann auf beiden Gebieten Ausserordentliches leisten, wohingegen wir Theater- und Opernlibretti hintanstellen sollten, denn wie könnten diese eine so starke Verbreitung ermöglichen? Mein Roman vertritt nun zwei [Ansichten] bezüglich unserer Frauen und zwei [Ansichten] bezüglich der Welt: Zum einen verfügen unsere Frauen über einen grossen Reichtum an Imagination und Überzeugungskraft. Zum anderen hat die Frauenemanzipation in den oberen Gesellschaftsschichten unserer Nation am meisten Gewicht. Beide sind von grösstem Belang für das Volk. Derzeit ist in unserem Land die Frauenbildung noch kaum entwickelt und die [Institution der] Familie verkommen. Das ist [das Ergebnis] der [unseren Frauen] von allen Männern angelegten Knebel und Fesseln. Nehmen wir nur das offensichtlichste Beispiel: Diejenigen, welche sich unlängst dafür eingesetzt haben, die Abschaffung der kaiserlichen Beamtenprüfungen zu blockieren und zur klassischen Bildung im Stil des Achtfüssigen [Aufsatzes] zurückzukehren, verdanken ihren Erfolg zu über fünfzig Prozent den Frauen. Solchen Einfluss auf die politische Welt kann man wohl kaum zahlenmässig überwinden! Auch als wir die Regeln für den Ahnendienst ändern wollten, konnte unser Land gar nichts bewirken. Der entscheidende Grund dafür war, dass die nötige Macht wiederum in den Händen der Frauen lag. Damit nicht genug, werden [die Kriterien für] eine mangelhafte Familienerziehung und ein dekadentes Volk der Zukunft von ebendiesen Frauen geformt und bestimmt. Wie kann unser Land ein fortschrittliches Bild seiner Zukunft entwerfen, wenn hier nicht zuerst einmal gründlich aufgeräumt wird? Welches sind nun meine [Ansichten] bezüglich der Welt? Ich würde sagen: In der Welt von heute stehen Frauen sowohl in der Pädagogik, als auch in der Wirtschaft an der Spitze. Wo Frauen aller Länder gerade dabei sind, ihre Macht

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auch auf die Politik auszudehnen, gibt es für unsere Gattinnen und Fräuleins keinen anderen Weg, als sich ebenfalls für ihren Auftritt in der Welt bereit zu machen. Bei den Revolutionen und Umbrüchen aller Länder spielten immer Frauen eine wichtige Rolle. In unserer nationalen Gegenwart werden wir gleichfalls nicht ohne ein Engagement des weiblichen Geschlechts auskommen. Diese beiden [Aspekte] möchte ich gemäss meinen Eindrücken von der Welt mit aller Sorgfalt auf unser Land übertragen [wissen]. Unser Volk befindet sich gegenwärtig noch in einem kindlichen Entwicklungsstadium; daher können unsere Frauen noch nicht einmal über die Phase seiner Geburt hinausgewachsen sein. Kultivieren, schützen, stärken und etablieren wir sie, dann werden auch wir dereinst fähige Pädagoginnen und Autorinnen haben!25

Der besonders gegen das Ende hin noch patronisierende Ton des Manifests sollte nicht über die innovative Intention seines Verfassers hinwegtäuschen. Er hat nicht zufällig zwei der Vier Meisterwerke der Mingund Qing-Zeit (sida qishu) gewählt, um die Aporien der traditionellen Frauenrollen zu enthüllen. Entweder musste eine Frau sich dem konfuzianischen Tugendkodex unterwerfen und ihre Emotionen und Talente vor der Welt verstecken, um ihr bedeutungsloses Leben in ewiger Selbstverleugnung und häuslicher Dienstbarkeit an Mann und Kindern zu beschliessen – dies ist das Schicksal der “guten” Frauen im Traum der roten Kammer. Oder sie setzte sich über den Kodex hinweg, indem sie eigene Gefühle reklamierte oder Anspruch auf Partizipation an einer männlichen Domäne sozialen Lebens erhob. Sie riskierte damit ihren Abstieg in die Kategorie der unersättlichen, brutalen und zerstörerischen Verführerin, in deren Händen selbst die fähigsten Männer zu blossen Instrumenten böser Mächte degradiert wurden. Das negative Bild von Frauen, die auf die eine oder andere Weise ihr Selbst zu behaupten suchen, findet sich schon in den frühesten Dynastiegeschichten und kulminierte im mingzeitlichen Banditenroman Shui hu zhuan.26 Beide weiblichen Archetypen der begehrenswerten, jungen Frau scheitern als Romanfiguren gleichermassen: die Verderbtheit der genusssüchtigen Pan Jinlian aus Shui hu zhuan wird ebenso mit dem Tod geahndet wie der stumme Verzicht der hochherzigen, sentimentalen Lin Daiyu im Bildungsroman Hong lou meng. Der von den Anhängern einer

25 26

Wohu Langshi, “»Nü Wa shi« xu” (Vorwort zu Nü Was Stein), in: Chen und Hong 1989: 130 f. Tsung Su, “Concepts of Redemption and Fall through Woman as Reflected in Chinese Literature”, Li 1994: 23–71.

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umfassenden Modernisierung der chinesischen Gesellschaft gefundene Ausweg aus der Aporie der weiblichen Opfer- und Monsterrollen in Form einer Verklärung und Überhöhung der mütterlichen Eigenschaften der Frau privilegierte die Idee eines “natürlichen” weiblichen Reformwillens als einfachste Lösung zur Rettung der Nation, weil Frauen dabei nur gewinnen konnten. Das Dilemma der löblichen Absichten männlicher Intellektueller wie Haitian Duxiaozi und Wohu Langshi war deren übergrosse Erwartungshaltung in das Durchsetzungsvermögen und die uneingeschränkte Wandelbarkeit ihrer neuen Frauen. Hinter diesem Wechselspiel zwischen einer Verherrlichung der tugendhaften, das heisst ihre Gefühle bis zur Selbstverleugnung beherrschenden Frau als Erlöserin und einer Verdammung der ihre eigene Sinnlichkeit bejahenden Frau als Verhängnis der Menschheit27 steht die uneingestandene und von den zitierten Autoren noch nicht problematisierte Exklusivität männlicher Subjektivität. Nur der Mann durfte vom sozialen Aufstieg und Fall oder seiner religiösen Erleuchtung träumen – Frauen, so die Leitvorstellung, konnten ihn in seinen Ambitionen unterstützen oder stören, aber keine autonomen Lebensziele verfolgen.

12.2 Die konfuzianische Wende des Maoismus

Wu Zetian (625–705) ist eine der wenigen Protagonistinnen der vormodernen chinesischen Geschichte, die den Mythos von der Superiorität des Mannes in Frage gestellt haben. Die Tatsache, dass es ihr gelang, eine eigene Dynastie zu gründen, hat das chinesische Patriarchat derart erschüttert, dass dieses später alle Register zog, damit ihr vorübergehender Erfolg wenigstens nicht ihr selbst zugeschrieben werden musste. So kam es beispielsweise zur Prophezeiung eines weiblichen Usurpators nach drei Generationen von Tang-Kaisern. Auch eine ominöse Gestirnskonstellation bei Kaiser Taizongs (Li Shimin, 599–649) Tod deuten Quellen als frühzeitige Ankündigung der Kalamität (Fitzgerald 1955: xi 27

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Tsung zitiert u.a. den indischen Manu-Kodex: “A woman must never be free of subjugation,” und verweist auf die abendländisch-biblische Dualität von Eva und Maria (Tsung a.a.O.: 24, 64).

f.). Historische Narrative liefern Beschreibungen ihrer libidinösen Exzesse: die Mordlust der jungen paarte sich mit sexueller Gier der alten Kaiserin. Der Terror ihres Bespitzelungssystems, die ständig wechselnden Regierungsdevisen und Ämterbezeichnungen sowie ihre religiöse Bindung an den buddhistischen Klerus galten für Indikatoren eines Mangels an Bildung und Souveränität. Gleichwohl konnten die ungewöhnliche Geistesgegenwart der Wu Zetian und die Effizienz ihrer politischen Entscheidungen nicht ganz in Abrede gestellt werden. So wurde überliefert, wie sie sich, noch nicht lange in den kaiserlichen Harem aufgenommen, Taizong gegenüber durch einen mutigen Beweis ihrer Intelligenz bemerkbar machte, indem sie ihm erklärte, wie sie ein störrisches Pferd brechen würde (Fitzgerald 1955: 4). Berichte und Kommentare über die gemäss konfuzianischer Konvention nicht-legitime Absetzung des Thronfolgers Zhongzong (Li Xian, 656–710) nach nur sechs Wochen Amtszeit räumen immerhin dessen Unreife ein. Wu Zetian sollte aber erst von Mao Zedong und Jiang Qing aufgrund ihrer in solchen quer zum herrschenden Diskurs liegenden Details verborgenen anderen Geschichte grundlegend anders gelesen werden. Zwar befassten sich schon die Intellektuellen der Spätqing-Zeit ernsthaft mit der Frauenfrage und erhofften sogar die Rettung Chinas durch eine Stärkung des weiblichen Geschlechts. 28 In deren anti-imperialistischem Drama musste Wu jedoch noch einmal ihre klassische Rolle spielen. Ihr in den Konturen konfuzianischer Gynophobie gezeichnetes Bild eines Monsters, welches durch seine Unmoral das Reich zu Fall bringt, wurde von ihnen dazu benutzt, um die Mandschu-Fremdherrschaft der bis zu ihrem Tod im November 1908 regierenden Kaiserwitwe Ci Xi anzuklagen. Im Zusammenhang mit der symbolischen Identifikation von kommunistischer Partei und dem in konkurrierende Fraktionen gespaltenen Tang-Hof entbrannte ein Interpretationsstreit über die Regentschaft Wu Zetians, der in historischen Debatten, Essays, Dramen und narrativen Texten ausgetragen wurde und vom Erscheinen von Song Zhidis Drama Wu Zetian im Jahr 1939 bis in die Achtziger Jahre hinein reichte (Wagner 1990: 86–95, passim). Hand in Hand mit einer fortschreitenden Politisierung der Literatur und Ästhetik wurde Wu zunächst als Initiatorin

28

Zur weiblich determinierten Politik- und Macht-Konfiguration am Ende des 19. Jahrhunderts mit der chinesischen Kaiserwitwe und der britischen Queen an der Spitze zweier wichtiger Akteure auf der politischen Weltbühne s. Liu 2006: 140ff.

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eines Rollentauschs und damit als zynische Rächerin für alle ihrem Geschlecht und insbesondere den höfischen Haremsangehörigen angetane Schmach auf die Bühne gebracht. Der Autor Song betonte im Vorwort zum Drama noch eigens, das (konfuzianische) Verdikt über Wu Zetian mit seinem Stück nicht revidieren zu wollen. In Tian Hans unvollendetem Stück von 1947 werden Wu und ihre Parteigänger und Opponenten erstmals in das Denken des historischen Materialismus übersetzt, was jedoch bei ihm noch ohne Referenzen an spezifische Personen oder Ereignisse vor sich geht. Während die beiden Stücke von Song und Tian vorwiegend im ästhetischen Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit Oscar Wildes tragischem Einakter Salomé (Paris 1891) bewertet wurden,29 stellten Autoren in einer nächsten Runde dramatischer Verarbeitung und wissenschaftlicher Evaluation des Stoffes um 1959/60 Wu als kaum verdeckte Maske Mao Zedongs dar. Höhepunkt dieser Phase war die berühmte Version von Guo Moruo, die in linientreuen Argumentationsmustern Maos Härte gegenüber den seine Politik gefährdenden Parteikollegen als notwendige Massnahme verteidigte. Von der “krähenden Henne” (muji dawu) der klassischen chuanqi-Geschichten stieg Wu Zetian damit zum Prototyp der revolutionären “eisernen Jungfrau” (tie guniang) auf. Ihre überlieferte Promiskuität fiel dabei entweder unter den Tisch, oder sie wurde als üble Nachrede missgünstiger Hofhistoriographen abgewiesen. Der Topos lebte jedoch zum Ende der Kulturrevolution in der Kritik an Jiang Qing wieder auf. Nachdem die Viererbande offiziell für alle Exzesse dieser traumatischen Periode verantwortlich gemacht worden war (MacFarquhar und Schoenhals 2006: 396–412), nahm sich die Karikatur der in den 1970er Jahren erfolgten revolutionären Fetischisierung Wus durch Jiang Qing an. In unmissverständlicher Identifikation mit der traditionellen, dämonischen Wu wurde Jiang als krähende Henne mit dem Slogan gezeichnet: “Frauen können ebenfalls Kaiser werden!” (Erling und v. Graeve 1978: 66, Abb. 78) Auch meldeten sich Historiker zu Wort, die dem 1974 in der Beijing Daxue Xuebao (Journal der Peking Universität) durch Jiangs Chefideologen unter dem Titel “Wu Zetian, die Politikerin mit Durchsetzungsvermögen” publizierten Versuch einer Instrumentalisierung Wus für einen Machtwechsel scharfe Kritik angedeihen liessen (He 1978, Li 1978). In diesem Prozess einer zunehmenden Polemisierung der Rolle 29

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Eine chinesische Übersetzung legte Tian Han 1921 vor. S. Wagner 1990: 87.

Wus pendelten Stellungnahmen zwischen dämonisierenden und glorifizierenden Interpretationen ihres Charakters hin und her, ohne sich um ihre überlieferten Selbstzeugnisse zu kümmern. Wus Versuch, sich als weibliche Reinkarnation des Bodhissatva Maitreya in buddhistische Hagiographien einzurücken, indem sie sich selbst zur “Heiligen Mutter und Göttlichen Kaiserin” (Shengmu Shenhuang) stilisierte, hatte ebensowenig Raum im kollektiven Bewusstsein der um Modernisierung bemühten Reformer und Revolutionäre, wie eine subjektive Positionierung der Regentin, welche die unterschiedlichen Phasen ihres Lebens und Regierungsstils mitgeprägt haben könnte. Auffallend ist, wie der Linienstreit innerhalb der Partei letztlich mithilfe einer Rückkorrektur der symbolischen Zuordnung – weg von der instabilen, beweglichen Identifikation des Revolutionärs Mao Zedong mit der Regentin und hin zur Verortung der mythischen Ahnenreihe einer modernen femme fatale, welche Jiang Qing mit Wu Zetian zusammenschloss – zugunsten der traditionellen konfuzianischen Position beigelegt werden konnte. Sollte es nach der politisch-mythologischen Vereinnahmung ihrer literarischen Person vor und während der Mao-Ära überhaupt möglich sein, ihre Geschichte noch einmal anders “gegen den Strich zu bürsten” (Benjamin 1980, 2: 697), so wäre vielleicht hier anzusetzen.

12.3 Weibliche Politik im Schatten des Patriarchats

Im Zusammenhang mit zeitgenössischen Wiederaufnahmen des Wu Zetian-Themas in TV-Serienproduktionen, einem gescheiterten Filmprojekt von Zhang Yimou und dem durch Zhangs Nachfrage veranlassten, boomartigen Erscheinen von Romanen über das Leben der Kaiserin stellt sich die Frage, aufgrund welcher Merkmale Wu Zetian diesmal ins Zentrum des Interesses der Nation gerückt ist. Nehmen die jungen Autoren Bezug auf frühere politisch-ideologische Instrumentalisierungen der Kaiserin, oder bringen sie neue Aspekte ins Spiel? Steht ihre Persönlichkeit im Mittelpunkt eines biographischen Interesses, oder finden hier vielmehr Erkundungen einer fernen historischen Epoche statt, die den Akteuren eine eher untergeordnete Rolle beimessen? Reflek395

tieren die Texte schliesslich Zeitgeschichte, und wenn ja, auf welche Weise? Eine vergleichende Lektüre der Romane Wu Zetian von Bei Cun, Tuibei tu (Das prophetische Diagramm) von Ge Fei, Wu Zetian von Su Tong30 und Nühuang zhi si (Der Tod der Kaiserin) von Zhao Mei erbringt keine auffälligen Abweichungen der einzelnen Autoren bezüglich ihrer Rekonstruktionen und Erkundungen eines durch Geschichtswissen, Bildung, Werte und Verhaltensnormen konstituierten soziokulturellen Universums, innerhalb dessen die individuellen Handlungsstrukturen und -motivationen der Kaiserin erklärungsbedürftiger erscheinen als die politischen Konstellationen ihrer Zeit. Anders als die konfuzianischen Historiographen repräsentieren diese Autoren das Monströse sowohl der zahlreichen Morde im engeren Familienkreis, als auch des während ihrer Herrschaft institutionalisierten, allgemeinen Terrors nicht als tragisches Ergebnis einer verhängnisvollen kosmischen Anomie. Sie lassen sich aber auch nicht auf die marxistisch-maoistische Rechtfertigung des Terrors als Mittel zum revolutionären Zweck ein, sondern lösen das Dogma einer einzig-gültigen Wahrheit der Geschichte zugunsten einer Vielzahl einzelner, kontestierender und ineinander verstrickter Geschichten mit je eigenen Wahrheiten und Logiken auf. Indem sie in verschiedenen sozialen Räumen und Situationen unterschiedlich agiert, relativiert sich das klassische “Psychogramm” der Wu Zetian vom dämonischen, exzessiv triebgeleiteten Wesen hin zu einer sich in aufmerksamer Interaktion mit ihrer Umwelt behauptenden Persönlichkeit. Im Vordergrund der Erzählungen stehen deshalb die Kampfschauplätze ihrer Existenz. In unterschiedlichen narrativen Verknüpfungen wird erkundet, wie sie ihre Aufnahme mit niedrigem Status in den kaiserlichen Harem, die später erfolgende Abschiebung aller Frauen des verstorbenen Kaisers in ein buddhistisches Kloster sowie ihre Rückführung an den Hof des Thronfolgers und den Triumph weiblicher Macht erlebt. Die Autoren differenzieren in allerdings sehr unterschiedlicher Gewichtung zwischen den charakterlichen Voraussetzungen für Wus erstaunliche Karriere, die sie in ihrer Intelligenz und Schönheit ebenso wie in ihrem Ehrgeiz vermuten, und dem Verhältnis zwischen Zufall und Manöver, welches sie in vielen aussichtslos erscheinenden Situationen dennoch über Wasser hält. Ihre Grausamkeit wird dabei als Folge der Zwänge des Systems und der subjektiven Ambitionen der historischen Wu Zetian dargestellt. Mit der 30

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Ursprünglicher Titel: Zi tanmu qiu (Die violette Zedernkugel).

Annahme einer zunächst flexibel und zweckrational gegenüber einem nur begrenzten Vorrat an Identifikationsmodellen und Handlungsorientierungen positionierten Akteurin, die durch äussere Zwänge in eine bestimmte Richtung gedrängt wird, enden die Gemeinsamkeiten der Texte (Riemenschnitter 2003a). Su Tong und Zhao Mei gewähren ihrer Protagonistin den grössten Spielraum für die Entfaltung einer eigenständigen Subjektivität, wobei sich Sus forschender Blick auf den Anfang, derjenige Zhaos hingegen auf das Ende der Geschichten richtet. In Sus Text wird Wu als melancholisches junges Mädchen beschrieben, das gewissenhaft um jede verstorbene Konkubine des Harems trauert, und das in seinen Versuchen, die Aufmerksamkeit des Kaisers auf sich zu lenken, unsicher zwischen strategischen Vorstössen und Selbstzweifeln schwankt. Die berühmte Anekdote, welche berichtet, wie die Vierzehnjährige Taizong erklärt, was sie braucht, um sein Pferd zu zähmen, gerät nur bei diesem Autor zum schmachvollen Misserfolg: Meiniang (Wu Zetian, d. V.) hatte sich schon einmal bemüht, die Aufmerksamkeit des Himmelssohnes auf sich zu lenken, aber ihren Vorstoss an jenem Tag musste sie nachträglich als einen weiteren Fehler betrachten. Sie erinnerte sich, dass der Himmelssohn in Begleitung einer Gruppe von Höflingen zum Jagdgrund aufbrach, um Pferde zuzureiten. Durch sein unstetes Militärleben hatte sich Kaiser Taizong aussergewöhnliche Fähigkeiten bei der Schulung von Pferden erworben. Aber [diesmal] liess ein Löwenmähne gerufener, edler Schimmel niemanden an sich herankommen. An jenem Tag war Taizong in jovialer Stimmung, er drehte sich zu den Höflingen um, die mit herabhängenden Armen auf der Wiese standen und fragte sie: wer von euch kennt eine Methode, um meine Löwenmähne zu zähmen? Meiniang erinnerte sich, wie sie ohne zu überlegen nach vorn trat, um als erste auf die Frage des Himmelssohnes antworten zu können (WZT 2: 192).

Nachdem sie ihm erklärt hat, wie sie das Pferd zuerst mit eiserner Gerte und Hammer brechen und es schliesslich, wenn alles erfolglos bliebe, mit einem Dolch töten würde, ist der Kaiser zwar beeindruckt, aber nicht geneigter, ihr seine Gunst zu schenken. Im Gegenteil, er stellt sie öffentlich bloss, indem er vor der versammelten Gruppe seiner Abneigung gegenüber herzlosen Frauen Ausdruck verleiht. Zutiefst beschämt wendet sie sich nach diesem Erlebnis dem melancholischen Thronfolger Li Zhi zu, an dessen Seite sie lernt, ihre Ambitionen zu verwirklichen, bis sie ihn dafür nicht mehr braucht. Anders geht Zhao Mei vor; sie schildert eine Karriere aus der Retrospektive der sterbenden Kaiserin. Dabei 397

zeichnet sie eine Persönlichkeit, die ihr Leben plötzlich als Folge einer rücksichtslosen, monomanischen Selbstverwirklichung wahrnimmt. Die Morde, deren Ausführung sie als notwendige Voraussetzung für ihre Selbsterfindung ansieht, schaffen erst den benötigten politischen Handlungsrahmen, der sich für Zhao Mei am ausgeprägtesten in den von Wu initiierten kulturellen Neuerungen manifestiert: ein Schriftzeichen, das sie eigens für ihren selbst gewählten Namen Zhao kreiert, die verschiedenen, von ihr selbst oder unter ihrer Aufsicht verfassten Abhandlungen über Geschichte, Politik und Erziehung, aber auch ihre Konzeption von Ritualen, Institutionen und einer eigenen Dynastie. Ein symbolischer Kern des Romans verweist immer wieder auf die rastlosen, fluchtartigen Reisen der alternden Kaiserin zwischen den beiden Hauptstädten Chang’an und Luoyang, die hier als Ausdruck der sie im Angesicht des Todes heimsuchenden Schuldgefühle gewertet werden: In den zwei Jahren, welche die Kaiserin in Chang’an verbrachte, geschahen noch zwei Aufsehen erregende Dinge. Das eine hat mit dem bereits erwähnten blinden Vertrauen der Kaiserin in die verleumderischen Anklagen der Gebrüder Zhang zu tun und betrifft die Exilierung des rechtschaffenen Kanzlers Wei Yuanzhong. Dadurch verbreitete sich am Hof, der bereits durch den Verlust Di Renjies verödet war, eine noch grössere Leere. Es gab keinen stützenden Balken mehr. Selbst die Kaiserin war untröstlich. Dies ist auch der eigentliche Grund, warum sie später plötzlich Chang’an verlassen wollte. Immer war sie auf der Flucht vor den von ihr begangenen Fehlern und deren schrecklichen Folgen (NHZS: 16).

In analoger Weise wurde vorher ihre Abreise aus Luoyang begründet, wo sie sich insbesondere von den Seelen der beiden mit äusserster Grausamkeit getöteten Favoritinnen Gaozongs (Li Zhi, 628–683) verfolgt fühlte. Die Selbstzweifel des jungen Mädchens in Sus Text und die Schuldgefühle der alten Frau bei Zhao Mei erzielen einen ähnlichen Effekt, der darin besteht, den klassischen Dämon ebenso wie die revolutionäre Heldin Wu Zetian entmythologisierend in einen sterblichen, Schwächen zeigenden Menschen zurückzuverwandeln. Wichtig dabei ist, dass Wu als Frau die moralische Verantwortung für ihr Handeln zumindest ansatzweise, in der Form von Schuldgefühlen, übernimmt. Das von den beiden oben genannten Autoren genutzte Verfahren einer Entmythologisierung der bis dahin im Bösen oder Guten hypostasierten Figur der Wu Zetian ist gleichzeitig auch eine der vom amerikanischen Neuhistorismus der Achtziger Jahre entwickelten Methoden, um dogmatische Leiterzählungen zugunsten anderer Perspektiven auf die 398

Vergangenheit aufzubrechen. Sie wurde in beiden Texten unter Setzung einer eingeschränkten “Stifterfunktion des Subjekts” (Foucault 1990: 23) realisiert, welches den jeweiligen geschichtlichen Prozess in erheblichem Mass (mit)gestaltet. Ge Fei und Bei Cun haben demgegenüber auf jeweils unterschiedliche Art narrative Remythisierungen der Wu Zetian vorgenommen. Sie exemplifizieren mit ihren Texten eine Beobachtung Alan Lius, der die Paradigmen und bevorzugten rhetorischen Tropen des New Historicism katalogisierte und dabei feststellte: “Der New Historicism ist eine Allegorie der Geschichte. Er hängt einen kompliziert gearbeiteten Schleier der Allegorie auf, der nicht so sehr irgendein Allerheiligstes (Geschichte) verhüllt als vielmehr den Schatten, den der Interpret in seiner komplexen Pose der Anbetung / des Skeptizismus wirft.” (Liu in Bassler 1995: 138) Das von beiden Autoren gewählte Paradigma mit den dazugehörigen rhetorischen Tropen ist das einer Exotisierung von nur “scheinbar gegebenen und verstandenen historischen Strukturen.” (Bassler 1995: 15) Aus den konfuzianisch übertünchten Überlieferungstexten rekonstruieren Ge und Bei alternative Diskursordnungen, die in Konflikt mit den geläufigen Modellen historischer Zeit geraten. Ge Fei konzentriert sich, wie in den meisten seiner Erzählungen, auf eine “Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen” (Koselleck 1995: 132) und das Problem der Repräsentation unsichtbarer Triebkräfte geschichtlicher Abläufe. 31 Seine Allegorie der Zhou-Dynastie Wu Zetians wird durch Omina gesteuert, die das zukünftige Geschehen gleichzeitig vorwegnehmen und erklären. Wie in Fitzgeralds Monographie (Fitzgerald 1955) steht am Anfang der Erzählung eine Prophezeiung, die der Tang-Dynastie ihren Untergang nach drei Generationen durch eine Frau namens Wu (TBT: 196) verheisst. Zwei Hofastrologen des zweiten Herrschers der Tang-Dynastie, Taizong, arbeiten in Ges Version privat an einem Tuibei tu (Das Diagramm der Prophezeiungen). Einer der beiden wird von Taizong um Rat gefragt und kann ihm mitteilen, dass die fragliche Person bereits an seinem Hof weilt. Nach dessen Ansicht soll der Kaiser dem Schicksal seinen Lauf lassen und nicht durch vorsorgliche Ermordung aller Frauen dieses Namens die Gefahr noch grösseren Unheils heraufbeschwören. Seinem Rat wird gefolgt und der Spuk der Wu Zetian hat tatsächlich nach fünfzig Jahren ein Ende: die alte Ordnung der Tang-Dynastie kann wiederhergestellt werden. Der 31

Vgl. seine Narrative Diren (Der Feind) und “Mi zhou” (The Lost Boat).

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scheinbar anachronistische Rückgriff Ges auf archaische Glaubenssätze erlaubt vergleichende Seitenblicke auf die Gegenwartsgeschichte, in welcher Konflikte immer noch aus bestimmten, kulturell geprägten Formen der Konfrontation zwischen verschiedenen Interessengruppen in der Gesellschaft gleichsam zyklisch hervorgehen können. So stehen die von Ge eingespielten archaischen Glaubenssätze für eine Tiefenschicht kulturellen Handelns, die durch neues Wissen und sozialen Wandel einer Gemeinschaft nicht unbedingt reformiert wird, weil sie weitgehend unbewusst funktioniert. Dies entspricht den aus der psychologischen Narrationsforschung gewonnenen Einsichten in die kognitive Funktion von Erzählungen, die gleichzeitig vom Menschen gemacht sind und dessen Identität formen. Die Determination kommt durch Prozesse der kindlichen Akkulturation zustande, welche schon Platon als zu einem wesentlichen Teil durch narrative Handlungsmuster, darunter Mythen, vollzogen begreift (Brisson 1996: 20–38; Bruner 1998). Ge Feis Wu Zetian verkörpert in diesem Sinn weniger das Streben nach (moderner) Subjektivität, als ein wesentlich von Zufällen gesteuertes Zusammenspiel von inneren und äusseren Kräften. Ihr Handeln kann aber daneben auch als Eroberung verschiedener mythischer Räume (Palast, Tempel, Akademie, Kerker, Reich, Himmel) und Diskursfelder (Politik, Recht, Religion, Geschichte, Literatur) männlicher Dominanz durch ein weibliches Subjekt gelesen werden. Ein noch markanteres System bilden die in analoger Weise repräsentierten mythischen Räume des Schreckens im Text des Autors Bei Cun. Wo immer Wu ihren Auftritt hat, ob in Kinderzimmer, Speisesaal, Harem oder Kloster, herrscht das Grauen. In Beis Erzählung gibt es keine Entwicklung der Protagonisten und kein Abwägen von Entscheidungen. Gaozong ist ein degenerierter, rückgratloser Idiot, der sich selbst für einen verkannten Poeten hält, Wu Zetian eine intelligente Kampfmaschine, die ausschliesslich auf Macht programmiert ist. Von ihren ersten Gegnern, den Konkurrentinnen um die Gunst des Thronfolgers Li Zhi, bis zu den vier eigenen Söhnen als ihren letzten Kontrahenten verfolgt und tötet sie bedenkenlos alles, was sich ihr in den Weg stellt. Bei der Beschreibung von Sexualpraktiken, Folter- und Tötungsmethoden bedient sich der Autor grosszügig in den Archiven aller jemals historisch überlieferten Exzesse und liefert damit ein Pandämonium menschlicher Perversion, das nicht mit einem Versuch der Simulation beziehungsweise der Vorstellung einer “authentischen” Tang-Gesell400

schaft verwechselt werden sollte. Was in gemässigter Weise auch für die anderen drei Texte zutrifft, sieht man dieser summa aller von Menschen in der Geschichte jemals begangenen Gräuel und Perversionen sofort an, dass sie nämlich mit Blick auf eine von Zhang Yimou wesentlich mitbegründete Form nationalen Kinos mit transnationaler Adressatenerwartung geschrieben wurde. Beis hypertrophische Inszenierung von Wus Schreckensregime quer durch öffentliche und private Räume – Gericht, Marktplatz, Gefängnis, Kloster, Harem, Kinderzimmer oder Bibliothek – privilegiert diskursive Gegenwartsbezüge gegenüber den historisch überlieferten tangzeitlichen Gepflogenheiten. Es liegt die Vermutung nahe, dass der Autor den utopischen Selbstbezug Maos auf diese Epoche beim Wort nahm und die aus dem Ruder gelaufene Willkürherrschaft der Kaiserin als allegorische Abrechnung mit Maos Regime vor und während der Kulturrevolution konzipierte. Das mythologische Element läge in der Verdoppelung einer modernen Chaoserfahrung, deren singuläre Anomie genealogisch in die Vergangenheit zurückprojiziert und damit ästhetisch “normalisiert” wurde. Indem Bei Cun die Tang-Zeit als Ur-Zeit der maoistischen Moderne einsetzt, kann ein Appell an die sinnstiftende Funktion des Mythos noch einmal, wenn auch als Abgesang, erfolgen.32 Sollten Bei Cun und womöglich auch die anderen drei Autoren an eine solche zeitgeschichtliche Remythologisierung Wu Zetians gedacht haben, so stellt sich über die Chaoserfahrung hinaus auch die Frage nach weiteren möglichen Sinnzuweisungen im Horizont des gegenwärtig sich vollziehenden kulturellen Wandels. In welchen Wald zeitgeschichtlicher Kontexte ruft beispielsweise Su Tongs am Schluss des Romans (WZT 2: 358) stehende Frage: “Wer kann die Kaiserin Wu Zhao nachahmen?” hinein? Im hier vorgegebenen Rahmen können nicht alle Rätsel, die diese Texte aufgeben, untersucht werden. Unter dem Aspekt mythophorischer Aktualisierung erscheinen zwei Fragen relevant: sind die Texte vielleicht, indem sie weniger die Person der Wu Zetian, als deren Allegorisierung in politisch aufgeheizten Situationen narrativ ausbringen, als Diagnosen einer posttraumatischen Ent-Politisierung der 32

“Mythos hat es mit bedeutsamen, allgemein angehenden Themen zu tun. Er berichtet vor allem aus der »Ur-Zeit«, erzählt von der Gründung des Bestehenden. Urzeit ist dabei nicht unbedingt im Sinne des Uranfangs zu verstehen, obwohl er dazu gehört (Kosmogonien), sondern als die Epoche, in der die Gegenwart begründet wurde.” Lehmann in Bohrer 1983: 572–609, hier: 574 f.

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chinesischen Gesellschaft zu lesen, die mit symptomatischem Grauen auf ihre jüngere Vergangenheit blickt? Oder gibt es im Gegenteil eine Möglichkeit, die Texte dynamisch, als Einspruch gegen die etablierten chinesischen Muster männlicher Machtpolitik und Aufruf zur Suche nach alternativen Modellen für weibliches politisches Handeln, jenseits der periodisch auftretenden Gewalt-Spiralen, zu interpretieren? Einen dritten Interpretationsweg eröffnen westliche Kritiken von Modernisierungstheorien. Ökonomische Globalisierungsprozesse und eine dadurch bedingte Beschleunigung kulturellen Wandels haben in der jüngsten Gegenwart unsere Aufmerksamkeit in einem gegenläufigen Trend wieder vermehrt auf langfristig tradierte Tropen und kulturell sedimentierte Handlungsstrukturen gelenkt. Ob Annales-Historiker, Verfechter des New Historicism, oder andere, (post)strukturalistisch geprägte Schulen der Philosophie und Psychologie, schrieben Kulturtheoretiker gerade den von Gemeinschaften über lange Zeiträume hinweg geteilten Gewissheiten eine besondere, mitunter dämonische Wirkungskraft zu, die desto stärker zum Tragen kommt, je mehr sich die zugrundeliegenden Überzeugungen oder Handlungsmuster dem Bewusstsein entziehen. Die “Entdeckung der psychischen Bewegkräfte in Geschichte und Gesellschaft” (Jeismann 1995: 10) hatte zur Folge, dass man die Grundlagen gesellschaftlicher Leitvorstellungen weniger im Inhaltlichen, als in der Form zu suchen begann. Es wurde ausserdem festgestellt, dass die notwendige Einigung auf einen verpflichtenden Wertekanon für eine Gemeinschaft selten ohne den Preis eines gewissen Fanatismus zu haben war. Dieser wirkte in zwei Richtungen. Der einmal erreichte Wertekonsens führt zur bedingungslosen Identifikation mit dem für richtig befundenen Ordnungssystem, so dass “Korrekturen, Änderungen an dieser Ordnungsvorstellung nur gegen stärkste Widerstände und Ängste durchzusetzen sind” (a.a.O.: 19) Allein die Vorstellung einer Gefährdung dieser Ordnung kann bereits zur kollektiven Zwangsvorstellung werden. Jede Berufung auf die nationale Geschichte im Namen der Zukunft, beziehungsweise als aufgegebener Auftrag, erlangt beinahe automatisch unbedingte Evidenz und emotionale Mobilisierungskraft, “wenn sie sich in ein glaubwürdiges Abwehr- und Erfüllungsverhältnis zu den kollektiven Ängsten und Hoffnungen zu bringen versteht” und kann deshalb als moderne Form eines Zauberglaubens, einer “Besessenheit in rationaler Form” verstanden werden (a.a.O.: 12). Das Rationale wiederum erzwingt permanent Wandel, indem es seine Prinzipien konsequent bis 402

zur Begegnung mit neuer Erfahrung durchrationalisiert, was in der Folge zur Selbstvernichtung und Bildung neuer Kräfte und Prinzipien führt. “Rationale” Gesellschaften befinden sich deshalb paradoxerweise immer in Gefahr, vor der Zumutung des unaufhörlichen Aushandelns neuer Ordnungen in obsessive Fixierungen zu flüchten. Dem Bedürfnis nach Schutz vor Unvorhersehbarem geschuldet, wird solche Besessenheit von der rationalen Gemeinschaft aber externalisiert und allem nichtkonformen Anderen attestiert, welches in traditionalen Gesellschaften noch als soziales Korrektiv wirken konnte. Die Sprache unterstützt dieses Zwangsdenken noch, weil sie als Regelwerk den Dingen genau jene Bedeutung in Worten und Begriffen zuteilt, welche die jeweiligen Leitvorstellungen im Sinn einer immer wieder reproduzierten Selbstbestätigung einfordern. Selbst kollektive Vernichtungsrasereien, wie Hexen- und Judenverfolgungen oder die revolutionäre Jagd auf den Klassenfeind fanden immer durchaus rationale – praktische, theologische oder ökonomische – Begründungen. Eine Kontrolle der als normal beziehungsweise rational gesetzten Verhaltensmuster, die im übrigen von denselben emotionalen Impulsen gesteuert werden wie die Wissenschaften, bleibt unter solchen Umständen einer kollektiv erlebten Ordnungskrise weitgehend aus (Jeismann 1995: 20–25). Der gesellschaftliche Umgang mit Anomien, so geht aus Jeismanns Beispiel unterschiedlicher Lösungswege zwischen mittelalterlicher Hexenjagd und zeitgenössischer Psychopathologie hervor, variiert in verschiedenen historischen Lagen beträchtlich, vielleicht sogar noch mehr zwischen verschiedenen Gemeinschaften. Auch wenn bereits aus den frühesten chuanqi-Erzählungen über Wu Zetian hervorgeht, dass ein gebündeltes System von kollektiven Zwangsvorstellungen eine haltbare Bindung mit ihrer Person einging, wissen wir doch nur sehr wenig darüber, in welcher Weise gesellschaftliche Instabilität zu Wus Zeit reflektiert wurde. Dies ist eine Neuerung postmaoistischer Literatur. Alle vier hier analysierten, während der Neunziger Jahre verfassten Narrative über Wu Zetian spielen, im Einklang mit Wus Dämonisierung durch überlieferte Berichte, mit der Annahme einer Wechselwirkung zwischen den obsessiven Machtwünschen und -phantasien der Kaiserin und den Abwehrmassnahmen der Gesellschaft. Der Autor Bei Cun lässt sie anlässlich ihrer Ernennung zur legitimen Ehefrau Gaozongs sagen: Ich bin die Kaisergattin. […] Alle müssen wissen, dass niemand anderes als ich Kaisergattin ist. Niemand anderes, sie haben Fehler gemacht. Ich mache keine

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Fehler, seit drei Jahren habe ich nichts anderes im Sinn gehabt als diese Angelegenheit. […] Jetzt bin ich schon 32 Jahre alt. […] Niemand kann die Zeit aufhalten. In nur wenigen Jahren werde ich alt sein. Frauen müssen sterben, sobald sie altern. Wirklich bemitleidenswert, nichts können sie festhalten, ihr Männer versteht gar nichts (WTZ 1: 29).

Derselbe Text schreibt in einer Anekdote aus dessen Schulzeit bereits dem Kind die Ambition zu, Kaiserin werden zu wollen. Ihr Lehrer ermutigt sie, die Nü jie (Gebote für Frauen) zu studieren, woraufhin sie ihn fragt: “Kann man in der Welt ganz nach oben kommen ohne jemanden neben sich zu haben, wenn man deine Gebote für Frauen liest?” (WZT 1: 7) Es zeigt sich, dass die gegen die exklusive Pädagogik der Männer aufbegehrende Frau nicht als Individuum, sondern als Allegorie in Erscheinung tritt. Dabei macht sie keine allzu gute Figur; sie mordet und geniesst Luxus im Exzess, wobei sie ihre männlichen Widersacher womöglich noch übertrifft. Von Misogynie und einer “newly established phallological discursive order”, wie sie Lu Tonglin für eine Reihe von Narrativen neuhistoristischer Autoren diagnostizierte (Lu 1995: 101), soll hier aber nicht die Rede sein. Es wird mit diesen Erzählungen ja schlussendlich ein traditionell frauenfeindliches diskursives Umfeld als solches wahrnehmbar gemacht, gegen welches Wu sich, wenn auch mit äusserst brutalen Mitteln, durchsetzen wollte. Wu Zetian könnte somit zum Ausgangs- und Kontrastpunkt für weitere (literarische) Experimente mit neuen weiblichen Rollen in einer modernen Gesellschaft werden. Dies indizieren auch Fragen, die sich während der Lektüre der Texte als diskurssteuernd präsentieren, wie beispielsweise diejenige nach den psychologischen Implikationen von weiblichem Handeln in männlichen Domänen. Als Konsequenz einer auf politischen Pragmatismus fokussierten Repräsentation erweist sich Wus negatives Zerrbild zu einem beträchtlichen Teil als Funktion der Obsessionen ihrer Gegner. Daraus ergeben sich weitere, in den Texten angelegte Anregungen zur Wiederaufnahme des weiblichen Identitätsproblems. Wie könnte sich weibliche Subjektivität gewaltlos konstitutieren und auf welche Vorbilder aus der Vergangenheit soll zurückgegriffen werden? Kann man die verschiedenen, kontroversen Vorstellungen und Diskurse über ihre Person integrieren beziehungsweise zeitgeschichtlich kontextualisieren? Die Anomie der einzigen chinesischen Kaiserin verbindet sich in traditionellen wie modernen Geschichtsrepräsentationen mit dem Schrecken und der 404

Raffinesse ihrer langen Regierungszeit zu einem flexiblen Vexierbild ihrer Persönlichkeit. Ihr Charakter durchlief im Zeithorizont von mindestens dreizehn Jahrhunderten bereits alle vier der Frau traditionell zugeschriebenen, archetypischen sozialen Rollen – die einer selbstverleugnenden konfuzianischen Mustergattin (lienü) in ihren Selbstdarstellungen, diejenigen einer Dämonin (huoshui) oder Göttin (nüshen) in der vormodernen Historiographie und Populärliteratur, und schliesslich, in den neuhistorischen Repräsentationen, noch diejenige einer Kämpferin (nüxia) um das Recht auf die Anerkennung einer eigenen, weiblichen Subjektivität. Was immer ihrer Person dabei jeweils neu an Eigenschaften zugeschrieben wurde, so bleibt der allegorische Kern und die Rollenhaftigkeit der Figur Wu Zetian unangetastet; selbst auf der Basis ihrer eigenen Texte lässt sich der mit ihrer Person verbundene Weiblichkeitsmythos mit der fiktionalen Besetzung einer weiblichen Subjektposition zwar variieren und verschieben, aber nicht restlos dekonstruieren. Gegenmythen oder begriffliche Gegenentwürfe, die über metafiktionale Repräsentationen der weiblichen Allegorie als Allegorie hinaus zu nichtderivativen Formen weiblicher Subjektivität übergingen (Pritsch 2008: 449–479), lassen sich wohl eher nicht über den Weg mythophorischer Aktualisierung finden. Die Figur der Wu Zetian bietet sich mit ihren vielen Gesichtern jedoch auch noch der gegenwärtigen, auf Konsum und Glamour ausgerichteten, politisch wenig engagierten Mittelstandsgesellschaft als kulturindustrielle Chiffre für Macht und Schönheit an. Als solche wird sie seit den 1990er Jahren in zahlreichen popkulturellen Inszenierungen erfolgreich vermarktet. Die Quelle dazu konstituiert sich einerseits aus der Frage moderner Autoren nach dem Potential gegen den Strich gebürsteter Geschichtsschreibung und andererseits aus der konsumorientierten Glamour-Sentimentalität von TV-Serienproduktionen. Es lässt sich folgern, dass die vier hier analysierten neuhistorischen Narrative Wu Zetians verschiedene historische Interpretationsvarianten zu integrieren suchen: von Mao Zedongs marxistischer Provokation einer positiven Identifikationsfigur zur Dengschen konfuzianischen Kehrtwende in Bezug auf die Verurteilung der Viererbande mit Jiang Qing als machtbesssener Möchtegern-Wu, und von dort weiter zur glamourösen, neoromantischen medialen Selbst-Inszenierung bietet der Mythos der Tang-Kaiserin immer wieder andere Möglichkeiten zur kulturellen Anschlussnahme. Die Situation auf dem zeitgenössischen Ar405

beitsmarkt, der junge Frauen dafür belohnt, ihre Schönheit und Jugend auf nicht immer glamouröse Weise zu verkaufen (Gaetano und Jacka 2004, Jeffreys 2004, Liu 2002, J. Wang 2008, Z. Zhang 2007), wurde von diesen Autoren zumindest ansatzweise mit reflektiert. Die Texte bieten dennoch an der Oberfläche kaum Indikatoren für eine in diese Richtung zielende, systemkritische Lesart; in der Komplexität ihrer Botschaften unterscheiden sie sich vom Manichäismus herkömmlicher modernistischer wie sozialistischer Narrative. Das überidentifizierte Subjekt ist als ironisch-distanziert beobachteter Untersuchungsgegenstand präsent, nicht aber in der Funktion auktorialer Wortmeldungen eingeschrieben – sei es als einsame Ruferin in die Wüste oder als das gläubige Sprachrohr der Macht.

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Epiphanie des subalternen Subjekts: Muttermythen If the Eiffel tower were now representing the world’s age, the skin of paint on the pinnacle-knob at its summit would represent man’s share of that age; and anybody would perceive that that skin was what the tower was built for. I reckon they would. I dunno… Such is the history of it. Man has been here 32,000 years. That it took a hundred million years to prepare the world for him is proof that is what it was done for. I suppose it is. I dunno. Mark Twain, Was the World Made for Man? 1903

Als Mark Twain sich auf seine Weise vom überheblichen christlichen Mythos einer ziemlich jungen, biblischen Welt verabschiedete, die in wenigen Tagen von einem Gott für die Menschen geschaffen worden war, entdeckten chinesische Autoren gerade das (säkulare) Modernisierungspotential ihrer archaischen Götter. In beiden Fällen ging es darum, konkurrierende Vorstellungen von kosmischen Zeitabläufen kulturell zu re-integrieren. Wie bereits weiter oben ausgeführt, war die Muttergöttin Nü Wa um 1900 ein beliebter Gegenstand narrativer Aktualisierung. Im Folgenden soll argumentiert werden, dass es auch dabei um eine (kosmologisch grundierte) Repositionierung von Subjektivität ging. Mächtige Muttergottheiten, deren Zuständigkeiten im häuslichen wie öffentlichen Bereich zu finden sind, und die für magischen Beistand in familiären Schwellensituationen angerufen wurden, lassen sich in protochinesischen Siedlungsräumen archäologisch nachweisen (Nelson 1994). Im Lauf der Zeit entwickelten sich daraus Archetypen der Weiblichkeit, deren residuale Komponenten bis in die religiösen Vorstellungen historischer Gesellschaften und Zivilisationen wirkten. Georges Devereux sieht ein Primat mythischer Strukturen vor der Entwicklung entsprechender historischer Konditionen am Werk, wo Bachofen und Freud Prozesse der Mythenbildung als Strategien der Verarbeitung beziehungsweise Reflexion von historischen Erfahrungen ex post facto erklärt hatten. Seiner Meinung nach ist die wahre Quelle archaischer Muttermythen in den für die Kleinkinder zuständigen matriarchalischen Regimes der Familien zu suchen. Daher betrachtet er Göttinnen als Universalisierungen dieser allgemeinen frühkindlichen Erfahrung (Devereux 1986). Als moderne Spielart kultischer Verehrung beinhalten auf die Nation 407

übertragene Muttermythen mehrere Aspekte. Zunächst wirken in den verschiedenen Formen der öffentlichen Beschwörung (gewährten oder verweigerten) nationalen Wohlstands und Gedeihens durch Volksfeste, Gedenktage oder Monumente die Vorstellungen und Rituale archaischer Fruchtbarkeitskulte nach. Weiterhin unterstützen Symbole mütterlicher Schutz- und Ernährungsfunktionen die Bemühungen der Politik um interne Integration aller nationalen Subjekte, ungeachtet ihrer Klassen-, Rassen- oder Geschlechterdifferenzen. Schliesslich ermöglichen namentlich benennbare, historisch oder religiös konstituierte mütterliche Identifikationsfiguren nationale Distinktion gegenüber anderen Gemeinschaften.33 Im vormodernen China haben kosmologische Mythen aufgrund der sehr früh erfolgten Verbannung volkstümlicher Mythologien aus der Literatur zugunsten historischer Mythenbildungen34 vergleichsweise wenig literarische Aktualisierungen erfahren. Noch vor der umfassenden politischen Integration der verschiedenen lokalen Gemeinschaften und Kulturen durch die Han-Dynastie (206 v.u.Z. –220 u.Z.) waren Muttergottheiten aus dem Pantheon der patriarchalischen, die konfuzianischen Werte pflegenden chinesischen Eliten verschwunden.35 Sie fanden allerdings teilweise, auf dem Weg der Erschliessung von entfernten Randgebieten mit ihren je eigenen, vor allem auf dem Daoismus beruhenden rituellen und kultischen Traditionen zurück in das kulturelle Zentrum des Han-Reichs (Despeux in Kohn 2000: 384–412). So fiel auch der aus verschiedenen lokalen Kulten zusammengewachsene Mythos der Schöpfungsgöttin Nü Wa trotz jahrtausendelanger Vorherrschaft des konfuzianischen Ahnenkults, bei dem die männlichen Vorfahren die Verantwortung für Fortsetzung und Gedeihen der Linie tragen, nicht völlig der Vergessenheit anheim. Eine weitere mütterliche Gottheit, Xi Wangmu, war insbesondere während der Han-Zeit von grosser kultischer Bedeu33

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Wülfing, Bruns und Parr 1991 erforschen beispielsweise die Konstruktion eines deutschen weiblichen Identitätsmusters im 19. Jahrhundert mittels eines aus unterschiedlichen Quellen gespeisten Muttermythos. Es handelt sich dabei um eine Mythopoiesis, die in China, wie Derk Bodde (1961) und andere deutlich gemacht haben, überwiegend als eine Art gegenläufiger Euhemerisierung stattgefunden hat, das heisst als Vergöttlichung historischer Persönlichkeiten, und weniger als Historisierung der Götter, wie in Griechenland. Neumann 1974 informiert umfassend über den Archetypus der Mutter in verschiedenen Kulturen. Seine Studie wurde kürzlich aus dem Englischen ins Chinesische übertragen (Neumann 1991, 1998).

tung; ihre Ikonographie und Zuständigkeiten waren zu diesem Zeitpunkt bereits daoistisch überformt und flossen noch etwas später in buddhistische Vorstellungen ein, wie James beobachtet: Even though Xiwangmu was shunted over into religious Daoism, her place as savior taken by the Buddha, her irruption into Han China's world, which did, after all, lack any down-to-earth deities, is important because she was the very first deity to appear in Chinese religion outside the state cult devoted to sky gods like Tai Yi […]. Hers is the first devotional icon to appear and it was supreme until displaced in both form and function by the Buddha image and Buddhism. The art of Han China is replete with figures, narratives, stories of famous men and women of the past, activities of daily life of all sorts, guardians, and sky dwellers but there is only one deity, and that is Xiwangmu; Dongwanggong is only an appendage (James 1995: 40).

Anne Birrell stellt fest, dass sich im hanzeitlichen Mythen-Klassiker Shan hai jing (Buch der Berge und Gewässer) Anzeichen für eine Symmetrie der Geschlechter mit einer Tendenz zur Privilegierung des Weiblichen nachweisen lassen. Die historisch etablierte Asymmetrie der Geschlechter zugunsten von Männern habe sich auch formiert, indem die wichtigeren der in jenem Klassiker überlieferten weiblichen durch männliche Gottheiten ersetzt wurden (Birrell 2002: 25–28). Cole erläutert die untergeordnete Rolle von Müttern im chinesischen Buddhismus mit dessen Ziel, emotionale Familienbindungen zu schwächen, um die Konzentration auf das Wesentliche der Realität jenseits der Welt der Illusionen zu lenken (Cole 1998). Im Konfuzianismus wurden Frauen verehrt, die bedingungslos ihr eigenes Leben hintanstellten, um ihren Herrschern, Ehemännern oder Söhnen nützlich zu sein. Mütter figurierten im ebenfalls hanzeitlichen kanonischen Anstandsbuch Lie nü zhuan (Biographien vorbildlicher Frauen), als erste von sechs modellhaften Kategorien (Schaab-Hanke 2007). Xia Xiaohong dokumentiert den während der letzten Jahre der Qing-Dynastie stattfindenden Übergang von den überlieferten patriarchalischen Frauenmodellen, in welchen weibliche Aufopferung und Selbstmord zum Wohl der privaten Integrität ihrer männlichen Angehörigen als oberstes Kriterium des Nachruhms galten, zu modernen Vorstellungen von gesellschaftlich engagierten Frauen, die für die Freiheit ihrer Nation kämpften und starben. Ein anonymer Herausgeber von kommerziellen Frauen-Biographien, wie sie eher für Shanghai und den Süden Chinas charakteristisch waren, rechtfertigt die starke Präsenz von ausländischen Frauen-Biographien: 409

For me [the compiler], there were generations of Chinese women, half of China’s population, who committed suicide after death of their husbands, their relatives, their parents or their lovers and favorites. Although they, titled as lienü, died for different people in different ways, they all sacrificed their lives for personal chastity or loyalty but never for the country. I failed to find any exceptional example by reading all the biographies of Chinese exemplary women (Xia 2009: 231).

In einer Beijinger Frauenzeitschrift, Beijing nübao, wurden demgegenüber mehr chinesische Frauenvorbilder vorgestellt, und diese entsprachen auch eher noch den traditionellen Vorstellungen von weiblicher Tugend, obwohl es falsch wäre, wie Xia betont, diese neu evaluierten Bilder chinesischer Frauen der dynastischen Zeit für konservativ zu halten. In jedem Fall lag der Fokus hier weniger auf der kämpferischen als auf der pädagogischen Bedeutung von Modellfrauen, so dass auch wesentlich mehr Mutter-Biographien enthalten waren, als in den weniger vom politischen Establishment kontrollierten Zeitungen des Südens (Xia 2009: 241–244). Die modern-revolutionäre und die traditionell-pädagogische Seite mütterlicher Frauenrollen erscheinen in maoistischen Repräsentationen zusammengeführt in einem modernen Mythos der revolutionären Urmutter, 36 unter anderem künstlerisch verkörpert durch die populäre Darstellerin Gao Yuqian in der Rolle der Grossmutter Li in der Modelloper Hong deng ji (Die rote Laterne, 1970). So besitzt auch das Konzept der Partei als Mutter des chinesischen Volks mythologische Obertöne, indem es funktional an frühere religiöse Praktiken der Verehrung gebunden ist.

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Einen säkularen Vorgänger für die politische Ermächtigung des Weiblichen im nationalen Imaginaire, die gleichwohl aus einem Remythisierungsverfahren resultierte, hatte man bereits bei Liang Qichao finden können, der schon 1902 mit seiner Biographie der Ersten Heldin der Modernen Welt, Madame Roland einen literarischen Topos politischer Mütterlichkeit geschaffen hatte: “Who is Madame Roland? Mother of Napoleon, Metternich, Mazzini, Kossuth, Bismarck, and Cavour. In short, all the great men of nineteenth-century Europe were brought up by none less than Madame Roland. Why was this so? Because the French Revolution was the mother of the nineteenth century, and Madame Roland was the mother of the French Revolution.” (Liang Qichao, “Jinshi diyi nüjie Luolan furen zhuan,” s. Tang 1996: 102–16, hier: 103) Hu Ying beschreibt die Rezeption der Biographie Madame Rolands und ihren darauffolgenden Eintritt in die Literatur der Spät-Qing, insbesondere vermittelt über den Roman Huang Xiuqiu (1905) von Yi Suo (Pseudonym); s. Hu 2000: 153–196.

Im maoistischen Kanon, wie beispielsweise dem Roman Hong yan (Der rote Fels) oder dem revolutionären Modellballett Bai mao nü (Das weisshaarige Mädchen), war trotz einer Vielzahl revolutionärer Heldinnen mit einer Option für sekundäre Aktionen – als Helferinnen, die von Männern instruiert werden – die traditionelle Geschlechterordnung eines aktiv-männlichen Heroismus im Kontrast zum passiven Märtyrertum der Frau nicht ganz überwunden worden. Zwar wurde eine mildere Variante der Geschlechter-Dichotomie mittels Projektion der Autorität der Partei auf eine weibliche Führungsrolle angeboten. Das Ergebnis ist aber kaum als völliger Rückzug vom dominant-männlichen literarischen Diskurs zu sehen, sondern versinnbildlicht lediglich ein Überschreiben des Problems durch Desexualisierung und Politisierung weiblicher Subjektivität (Meng 1993). Während im Verlauf der modernen Diskurse über die neue Frau eine kontinuierliche Hybridisierung traditioneller, mythologisch grundierter Vorstellungen von vorbildlichen, mütterlichen Frauen stattfand, war dem Mythos der Nü Wa bereits um die Jahrhundertwende in einer Reihe von Romanen das Potential zuerkannt worden, die notwendigen gesellschaftlichen Transformationen gerade auch in seiner primordialen Gestalt zu unterstützen und voranzubringen (Tang 2000: 18–21). Eine klassische Variante erzählt die Geschichte der Entstehung der Menschheit als zweifachen kreativen Akt der Schöpfungsgöttin. Die erste, zur Herrschaft bestimmte Klasse wird von Nü Was Händen aus Schlamm geformt. Später zieht sie, müde geworden, eine Rute durch den Schlamm, und aus den so entstandenen Klümpchen ergibt sich die andere Klasse der weniger privilegierten Menschen. Ein anderes Fragment erzählt von Nü Was Reparatur einer Säule des Firmaments, nachdem diese in einer göttlichen Schlacht zerstört worden war.37 In seiner literarisch aktualisierten Version des Mythos, “Bu tian” (“Die Nachfahren der Göttin”, 1922) lässt Lu Xun Nü Wa nach der Vollendung dieser Aufgabe vor Erschöpfung zusammenbrechen und einen heroischen Tod sterben. Daraufhin wird ihr Gedächtnis von einer Gruppe selbsternannter Priester in einem lächerlichen Nü-Wa-Kult bewahrt. Aus funktionengeschichtlicher Perspektive markiert die von Lu Xun vorgenommene fiktionale Interpolation einer 37

Über Herkunft und Zuordnung der verschiedenen, unter dem Namen der Nü Wa (oder Nü Gua) erhaltenen mythischen Fragmente herrscht nach wie vor kein Konsens. Vgl. “Nü Wa yu Gong Gong”, Gushi bian: 7B/352–60; Birrell 1993: 160–5; Bodde 1961: 386–9; Le Blanc 1985: 155–70.

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rituellen Praxis in die überlieferten Fragmente des archaischen Nü-WaMythos den Wechsel von den ursprünglich eher beschwichtigenden Erklärungen für unkontrollierbare Wirkungen der Natur auf das menschliche Leben zu einer intentionalen Verbreitung stabilisierender, integrativer Werte in der Gemeinschaft durch Mythen. Allerdings wird von Lu beides gleichermassen verhöhnt, das eine als naive Resignation, das andere als systematische Verführung einer dekadenten Elite zur geistigen Unbeweglichkeit.38 Lu Xuns literarische Rekapitulation einiger Mytheme kann nicht nur als Projekt zur kritischen Entlarvung moderner abergläubischer Vorstellungen in volkstümlichen Geschichten verstanden werden, sondern sie enthält – nur scheinbar paradoxerweise – gleichzeitig auch die Merkmale eines über narrative Assimilation an die zeitgenössische kulturelle Praxis geleisteten Beitrags zum Aufbau eines positiv besetzten, symbolischen Archivs der modernen Nation. In ähnlicher Weise gingen Autoren der 1980er und 1990er Jahre vor, die in ihren historischen Erzählungen unter anderem lokale Mythologien als widerständige Strukturen zu nationalen wie globalen kulturellen Hegemonialansprüchen repräsentierten. Ihre Texte zielen auf ein Verständnis insbesondere solcher residualer historischer Dynamiken und Antriebskräfte, die Chinas Erfahrungen mit der Modernisierung im 20. Jahrhundert unbemerkt mitgesteuert haben könnten. Auch bei ihnen kommen zwei in unterschiedliche Richtungen zielende Verfahren zur Anwendung. Entweder werden die Fragmente mythologischer Weltbilder lediglich in ihren retardierenden, anti-aufklärerischen Wirkungsweisen wahrnehmbar gemacht, oder aber bislang lokal begrenzte Mythologien erscheinen national aufgewertet und dienen in der Folge als alternative – mitunter konkurrierende – Interpretamente von historischen Ereignisketten. Inwiefern der Rückgriff auf archaische Muttergottheiten zur Dekonstruktion des von der Partei usurpierten, maoistischen Muttermythos und zur Formierung postmaoistischer weiblicher Subjektivitäten beitragen könnte, soll im folgenden am Beispiel ausgewählter Erzählungen geprüft werden.

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“Nü Wa shi”, F. Li 1959: 78/4b-5b zitiert folgende Belegstellen: Huainanzi, Kap. 6; Shan hai jing 16/67/17; Fengsu tongyi. Vgl. a. Hong 1979: 3/60; Lau und Chen 1996: 5/85; Lu Xun, “Bu tian”, Gushi xinbian, QJ: 345–56; dt. Übers. Kubin 1994: 11–25.

13.1 Rückkehr des Weiblichen: Allegorien und Genealogien

Nationale Mythen und Symbole Chinas sind überwiegend männlich besetzt. Männliche Helden, darunter mythische Figuren, politische und militärische Führer, Intellektuelle, Künstler und Sportler besetzen mehrheitlich den öffentlichen Raum. Das subversive Mahnmal der Liberty, welches Studenten im Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz, dem symbolischen Machtzentrum der Nation, aufstellten, bestätigt als Ausnahme die Regel: es war als Epiphanie des verdrängten Anderen in der Gestalt einer fremden Göttin inszeniert. Für die kurze Zeitspanne der Proteste sollte die Figur Demokratie als ein uneingelöstes Versprechen allegorisch verkörpern, welches die eigene Staatsmacht aus Sicht der Studenten zu lange anderen Zielen untergeordnet hatte (Calhoun 1994, Goldman 1994, Li et. al. 2007, Wu 2005, Zhang et al. 2001). Abgesehen von diesem Einzelbeispiel existiert im dynastischen China keine Tradition eines Machtkampfs zwischen männlich und weiblich besetzten Symbolen wie in der russischen Geschichte, die von kontinuierlichen Rivalitäten zwischen den monumental-maskulinen (zaristischen) Symbolen der russischen urbanen Eliten und der in den oralen Überlieferungen der ländlichen Bevölkerung fortlebenden Mutter Erde geprägt ist (Hubbs 1988). In der Literatur des Vierten Mai und des anti-japanischen Widerstands sind jedoch bereits Ansätze für einen rebellische Subalternität symbolisierenden weiblichen Mythos zu finden. 39 Dieser wurde nach der Gründung der Volksrepublik China vom Mythos der Partei als Mutter der Nation geschluckt. Erst im Zuge postrevolutionärer Dekonstruktionen des maoistischen Geschichtsbildes, welche auch eine Suche nach alternativen Entwürfen nationaler Subjektivität beinhalteten, wurden allegorische – darunter auch mythophorische – Setzungen eines weiblichen Anderen des politischen Zentrums populärer. Autorinnen der Republikzeit hatten in ihren Texten die Frage nach moderner weiblicher Subjektivität neu gestellt, wobei ihre Protagonistinnen wie in den Texten ihrer männlichen Kollegen überwiegend als tragisch scheiternde Charaktere gezeichnet erschienen (Liebermann 1998; Barlow 1993). Allegorische Darstellungen nutzten eher die klassi39

Lieberman 1998. Vgl. a. die globale Debatte um Katherine Mayos 1927 erschienenes Buch Mother India: Meisig 1999, Ramaswamy 1998, Sinha 2006.

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schen symbolischen Zuschreibungen des Weiblichen, wobei die Frau als Allegorie der Schwäche, Reinheit und Viktimisierung auftrat. Ihr Körper wurde in patriotischen Erzählungen über den Widerstand gegen die japanische Besatzung auch zur Chiffre eines beschmutzten und kolonisierten nationalen Körpers (Ko 1994: 1–5). Eine Variation brachte diese geschändete Weiblichkeit in Verbindung mit selbstkritischen nationalen Allegorien, die nicht einen äusseren Feind, sondern die Rückständigkeit und Irrationalität der eigenen kulturellen Traditionen anklagten. Modernistische Narrative in Filmen und literarischen Werken nutzten zu diesem Zweck dieselben Stereotypen der geschändeten Jungfrau, des zu Prostitution, Konkubinat oder Sklaverei als Kindsbraut gezwungenen Mädchens vom Land, oder der jungen Witwe, die sich für ihren Nachwuchs aufopfert (Pickowicz 1991). In einer seit Ye Shengtaos Erzählung “Yi sheng” (“Ein Leben”, 1919) und Lu Xuns bekannterem Text “Zhu fu” (“Das Neujahrsopfer”, 1924) immer wieder variierten Geschichte wird ein Bauernmädchen an eine Familie verheiratet, die es rücksichtslos ausbeutet. In “Yi sheng” findet die Braut eine Gelegenheit zur Flucht in die Stadt, wo sie eine Stelle in einem modern eingestellten Haushalt annimmt. Als der von ihr verlassene Ehemann stirbt, verlangen dessen Eltern das Mädchen zurück, um es zur Deckung ihrer Begräbniskosten weiterverkaufen zu können. Was bei diesen Geschichten ins Auge fällt, ist die Abwesenheit einer rettenden Instanz.40 Selbst wenn bei den späteren Variationen dieses Themas ausnahmsweise doch einmal ein männlicher Held auftritt, verharrt dieser am Ende im vollen Bewusstsein des Dilemmas fehlender Lösungen, wie in Mo Yans Erzählung “Bai gou qiuqianjia” (“Der weisse Hund und die Schaukel”, 1985), in welcher die verelendete, erblindete frühere Geliebte des urbanisierten Erzählers diesen bittet, ihr ein gesundes Kind zu schenken, denn ihr Ehemann vermag nur taubstumme Kinder zu zeugen (Feuerwerker 1998: 210–214). In Liu Hengs “Fu Xi Fu Xi” (1988) ist die verkümmerte weibliche Subjektivität als kollektives Trauma thematisiert, wobei sogar der Name der Göttin Nü Wa ausgelöscht und überschrieben wurde. In Reaktion auf den gescheiterten Traum einer revolutionären Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen wird in diesem Text jede Möglichkeit für eine

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Anderson 1990: 97 f. Eine weitere, sehr bekannte Variante stellt Xiaoxiao (Ein Mädchen aus Hunan, 1930) von Shen Congwen dar. S. Yue 1993 und Feuerwerker 1998: 83–89, 123–127, 180–184, 188–237, 244–250.

Korrektur der in einer vorgeschichtlichen Urzeit verorteten Katastrophe konsequent ausgeschlossen. Die Erzählung postuliert folglich einen Skandal der Elimination weiblicher Macht aus der (pseudo)modernen Geschichte, nachdem der Mythos von der inzestuösen Eheschliessung des göttlichen Geschwisterpaares Fu Xi und Nü Wa ursprünglich noch sehr deutlich Letzterer die Hauptlast der Wiederherstellung einer archaischen, post-katastrophischen Weltordnung zugeschrieben hatte. Der radikale Ausschluss der Frauen von allen öffentlichen Bereichen bei deren gleichzeitiger rücksichtsloser Ausbeutung wird bereits im Titel von Liu Hengs Erzählung als Folge der patriarchalischen Tilgung jeglicher Erinnerung an die Göttin blossgestellt. Huot deutet den Titel, wie auch den Umgang Lius mit dem Mythos im Narrativ nicht nur als satirische Kritik an der patriarchalischen Gesellschaftsordnung, sondern gleichzeitig auch als radikale Verneinung des modernen, evolutionären Geschichtsbildes: “Fuxi Fuxi does not recognize historical evolution and can be read as a critique of patriarchy, in all its Chinese institutions – namely, mythology, history, and language. Nothing, since the time of the great patriarch Fuxi, has changed” (Huot in Lu 1993: 86). Berichtet wird das Schicksal einer jungen Frau namens Judou, die von einem alten, impotenten Witwer als Braut gekauft wird, damit sie ihm einen Sohn gebäre. Sie wird von diesem so lange misshandelt, bis sie endlich schwanger wird – allerdings nicht von ihrem Mann, sondern von dessen Neffen. Aus der von der Frau aktiv herbeigeführten, heimlichen Liaison geht ein Sohn hervor, der gegen beide Väter, den biologischen wie den gesetzlichen, aggressiv ist. Zusätzlich angestachelt durch Gerüchte und Vorurteile von Seiten der patriarchalisch eingestellten Familienältesten liefern sich die drei Männer des Haushalts Kämpfe um den Körper der Frau, den jeder von ihnen anders ausbeutet – als Mutter, Ehefrau, oder Geliebte. Am Ende dieser Ausbeutungsexzesse stehen in der Filmversion von Zhang Yimou Wahnsinn und Selbstmord der Frau, während sie in der Erzählung ihre Männer überlebt und noch deren Enkeln dient. Anders als Lu Xun, dessen Nü Wa wenigstens noch wegen ihrer gigantischen Grösse als Göttin erkennbar gewesen war, zeichnet Liu das Ergebnis einer wesentlich um das alltägliche Überleben kämpfenden Agrargemeinschaft, die ihre männliche Identität in einem einfachen semiotischen System aus Besitz, Reproduktion und Rivalitäten verortet. Die Frauen bleiben auch dann noch untergeordnete, eigenschafts- und rechtlose Attribute dieser männlichen Domänen, wenn sie wie Judou 415

ausnahmsweise aktiv werden, um ihrem Schicksal eine positivere Wende zu geben. In völliger Isolation von den historischen Prozessen der Aussenwelt bietet diese ländliche Gemeinschaft keinerlei Anhaltspunkte für Modernisierungen jedweder politischen Orientierung. Mit seinem in der Umgebung Yan’ans gedrehten Debütfilm Huang tudi (Gelbe Erde, 1984) hatte der Regisseur und Filmemacher Chen Kaige vier Jahre früher ein filmisches Narrativ postrevolutionärer Ernüchterung komponiert, welches expliziter auf den Gründungsmythos der Volksrepublik Bezug nimmt, die beiden Aspekte weiblicher Subjektivität und weiblich codierter politischer Mythen jedoch trennt. Der Mythos einer naturreligiös-uroboroischen Erdmutter, die alles permanent erschafft und wieder verschlingt (Neumann 1974: 19–89, passim) dezentriert das herkömmliche Verständnis von Yan’an als Ursprung der neuen Nationalkultur, indem er dessen Macht zur Veränderung in Frage stellt. In einem System von Antagonismen, das Gegenüberstellungen des Versprechens der revolutionären Befreiung mit dem täglichen Kampf der Bauern ums Überleben und von den exaltierten musikalischen Darbietungen in Yan’an mit den elegischen Gesängen der ländlichen Regionen in den Handlungsverlauf mit einbezieht, hinterfragt der Film den Glauben an eine nachhaltig transformierende Wirkung der politischen Ästhetik Yan’ans. Durch die Konfrontation der hochfliegenden Träume des kommunistischen Delegierten und Volksliedsammlers Gu Qing mit der tragischen Lebensgeschichte der siebzehnjährigen Bauerntochter Cuiqiao erreicht Chen darüber hinaus eine realistische Wiedereinsetzung der unbeugsamen Autorität real existierender Verhältnisse im kargen Hinterland über das erträumte Paradies in dessen symbolischem Zentrum Yan’an. Cuiqiao wird von Gu angeleitet, sich ein besseres Leben in Freiheit vorzustellen. Nach seinem Abschied wird sie aber allen fortschrittlichen Idealen zum Trotz zur Hochzeit mit einem alten Mann gezwungen, ohne dass die neue Gesellschaft zu ihrer Rettung herbeieilte. Erst jetzt, nachdem sie wunderbare Geschichten eines anderen, selbst bestimmten Lebens kennengelernt hat, findet sie auf der Flucht über den Fluss den Tod. Der dieses Unheil verursachende Geschichtenerzähler wird ebenso wie seine Zuhörerin zum Opfer unrealistischer Träume seiner politischen Elite.41 41

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Rey Chow (Chow 1995: 79–107) verwirft eine einseitig politische Auslegung des Films. Meine Deutung der Konfliktsituation in Chens Film als Antagonismus zwi-

Als Han Shaogong zwischen 1985 und 1986 mit “Ba ba ba” (“Papapa”) and “Nü nü nü“ (“Fraufraufrau”; Cheung 1992, Han 2001) zwei auf geschlechtsspezifische Gründungsmythen rekurrierende groteske Expositionen einer sich selbst entfremdeten chinesischen Kultur veröffentlichte, war auch sein Ziel eine Anstiftung zum Nachdenken über vergessene, oder erfolgreich verdrängte, alternative Register kultureller Identität. Grundthema beider Erzählungen sind die Folgen exzessiver männlicher Kontrolle über weibliche Körper und Lebensgeschichten. Die eine Geschichte problematisiert das Problem männlicher Verantwortung in patriarchalischen Sippen am Beispiel der Geburt eines geistig wie körperlich deformierten Sohnes, die andere konzentriert sich auf die Effekte gewohnheitsmässiger Enthumanisierung von Frauen, indem sie die ins Unermessliche wachsende Rage einer vormals sanften Frau schildert, die sich aus der Sinnlosigkeit ihres versklavten Lebens alternd in die Maske einer monströsen Hybridgestalt zwischen Ratte, Fisch und Mensch flüchtet. Im Positiven weckt Han Shaogong die Neugier auf solche Bereiche weiblicher Kompetenz, die durch radikale epistemische Schliessung ausgegrenzt worden waren: fremd gebliebene weibliche Welten der Perzeption, der Emotionen, der somatischen Erfahrungen. Neben den Experimenten der frühen Modernisten mit der Konstruktion weiblicher Subjektpositionen und den ernüchterten Antworten der 1980er Jahre mit beschädigten, destruktiven, oder abwesenden Weiblichkeits-Archetypen mehren sich inzwischen aber auch positive Entwürfe, die teilweise aus der Religionsgeschichte hergeleitet erscheinen. Nach der weitgehenden Verbannung der vorgeschichtlichen Schöpfungsmythen, wie auch mittelalterlicher Kulte für Wassergöttinnen (Schafer 1973) aus dem literarischen Kanon berichten spätere historiographische Quellen noch von transregionalen Kulten für mindestens drei populäre Göttinnen, namentlich Wusheng Laomu, Guanyin und Bixia Yuanjun. Letztere wurde von Vertretern der Staatsmacht seit dem Ende der MingDynastie immer wieder als Provokation betrachtet, vermutlich aufgrund der ihr zugeschriebenen weiblichen Stärke und einer davon ausgehenden destabilisierenden Wirkung in Familien und Sozialverbänden. Ihre Macht erstreckte sich auf die Gebiete der sexuellen Anziehungskraft, eine selbstbestimmte, nicht von den Männern oder Familien kontrollierschen der revolutionären Yan’an-Kultur und der bäuerlichen Shaanbei-Kultur widerspricht aber meines Erachtens ihren Schlussfolgerungen nicht.

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bare Fruchtbarkeit, die Wahl des Wohnorts sowie Loyalität gegenüber ihren eigenen Eltern (tatsächlich sogar die gänzliche Abwesenheit von Schwiegereltern). Sie besitzt darüber hinaus die mythologische Identität eines Tricksters und wurde aufgrund dieser (Rollen)kompetenzen als Herrscherin über verführerische, yang-verschlingende Fuchsgeister (huli jing) des Volksglaubens angesehen (Monschein 1988, Pomeranz 1997, Pregadio 2008: 235 f.). Alles in allem verkörpert Bixia Yuanjun die Fähigkeit junger Ehefrauen zur Reproduktion ebenso wie deren potentielle Gefährlichkeit und gleichzeitige Unentbehrlichkeit für Familie und Sippe.42 Gemeinsam mit ihren beiden Gefolgsgöttinnen, Songzi Niangniang und Yanguang Niangniang, war die Göttin – und ist es in einigen Regionen immer noch – für gute Sicht, reiche Ernte, Geschäftserfolge, allgemeine Sicherheit sowie alle mit der Fortpflanzung verbundenen Aspekte von der Empfängnis bis zum Stillen verantwortlich. Während die Göttin demzufolge eine sehr spezifische, auf junge Schwiegertöchter ausgerichtete Funktion ausübt, können die anderen beiden Göttinnen – Wusheng Laomu, die Göttin der Fülle, und Guanyin, die Göttin des Mitgefühls – als allgemeine mütterliche Gottheiten angesehen werden. Han Shaogongs Erzählung “Yujin” (“Glutasche”, 1994) lotet nicht nur die Abgründe einer hypermaskulinen Weltordnung aus, sondern bereitet eine mythische Wiederkunft des Weiblichen zur Rettung der Nation vor. Eine Folge wunderbarer Erscheinungen kündigt darin die Geburt eines Mädchens an, das unter anderem durch die assoziative Verbindungslinie zu einem verschollenen Ming-Prinzen in die Position einer kommenden Erlöserin eingerückt wurde. Ein Jahr nach dem Erscheinen dieser Erzählung schuf Mo Yan in seinem Jahrhundert-Epos FRFT (Big Breasts and Wide Hips) eine ähnlich mythische, aber durch 42

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Appadurai legt ausführlich dar, wie junge indische Ehefrauen von ihren Schwiegermüttern in den Haushalt “eingeführt” werden, indem man ihnen die meiste Arbeit und die kärgsten Essensrationen zuweist. Die Frauen in der “schlimmsten Phase ihres Lebenszyklus” haben kaum realistische Möglichkeiten zum Widerstand: “On the part of the daughter-in-law, resentment over the relevant role expectations can take the form of recalcitrance in the labor of cooking, sabotage of critical items of the meal in the kitchen, foot dragging, and subtle misbehavior in the public context of food serving. She can also be deliberately agressive in eating by refusing the role of the last and lonely eater, by insisting on generous portions, and by diverting food from her brothers-in-law […] to her own husband and children.” (Appadurai 1981: 500 f.) Mit dem Kult der Bixia yuanjun konnten chinesische Frauen in dieser Situation Kompensation im Imaginären suchen.

die Ausnahmesituation der Kriege und Krisen zum Handeln ermächtigte weibliche Figur.43 Er widmete die Lebensgeschichte einer starken, klugen und inmitten aller Kriegs- und Revolutionsgräuel des 20. Jahrhunderts menschlich bleibenden Landfrau aus dem Kreis Nordost-Gaomi in der Provinz Shandong seiner Mutter und dem weiten Land (muqin yu dadi).44 In diesem Roman erscheinen Aspekte der oben genannten, traditionellen Muttergottheiten – mit einem Hauptgewicht auf Guanyin und Bixia Yuanjun – in einem universellen Muttermythos unter dem Patronat der christlichen Heiligen Maria verflochten. Der Autor war bei seiner Sammlung und Zuweisung vorbildlicher mütterlicher Eigenschaften ganz offensichtlich nicht an der Reinheit eines partikularen religiösen Kults interessiert, sondern an deren promiskuitiver Hybridisierung im Interesse des Ausbuchstabierens einer postsozialistischen Ästhetik der Toleranz, Flexibilität, Vieldeutigkeit und Heterogenität.45 Dies wird an 43

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Die folgende Analyse des Romans FRFT sützt sich wesentlich auf die Ergebnisse von Riemenschnitter 2001, wurde jedoch in der vorliegenden Bearbeitung stärker auf die im Roman entworfenen mythischen Raum-Zeit-Achsen fokussiert. Insbesondere die Zeitachse wurde um das Konzept einer planetarischen oder tiefen Zeit als Indikator mütterlicher Anachronie ergänzt. Mo Yan erweitert damit sowohl räumlich, als auch thematisch eine während der Achtziger Jahre von Autoren wie Zhang Chengzhi verfolgte Linie, die einen ästhetischen Kult der Mütterlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit an den Rändern der chinesischen Zivilisation (bei Zhang war es die Mongolei) im Kontext symbolischer Repräsentationen der zhiqing-Mentalität und -Marginalität versucht hatte. Vgl. hierzu Guo 1987. Die Trope des weiten Landes anstelle einer in diesem Kontext gebräuchlicheren Referenz auf die regionale Heimat (guxiang) Nordost-Gaomi soll weiter unten noch diskutiert werden. Cai liest den Bastard-Topos des Romans als ethnisch argumentierende nationalistische Kritik Mo Yans an der aufgrund von imperialistischen Übergriffen vorangetriebenen kulturellen Vermischung. Zur Schlüsselszene der Geburt der vom schwedischen Missionar gezeugten Zwillinge äussert er sich folgendermassen: “[T]he adults of the family assist the donkey, leaving Mother by herself. The double labor opens up a range of interpretive possibilities. At the most immediate level […] it demonstrates the miserable existence of the human female. But a more significant link lies in the identity of the babies. The baby animal is a mule, a hybrid between a horse and a donkey; the twins are products of an adulterous liaison between a Chinese woman and a foreign missionary. The juxtaposition, infused with racial overtones, condemns the sexual relationship as a base, animalistic mismatch by labelling the human babies as aberrant creatures like mules.” Cai 2004: 165. Ich werde im Folgenden mit meiner Lesart des im Roman konfigurierten hybriden Muttermythos zu zeigen versuchen, dass die fremden Väter und die ethnisch-kulturelle

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der Notlösung seiner weltlichen Protagonistin Shangguan Lu Xuan’er deutlich, die viele Väter für ihre Kinder findet, da ihr eigener Mann zwar gewalttätig, aber impotent ist und das Gebären nicht aufhören darf, solange kein Sohn vorhanden ist, der die Familienlinie weiterführt. Wie in der russischen Tradition (Hubbs 1988: 87–140) wurde Xuan’ers selbsterwählte Schutzpatronin Maria im Roman als Muttergottheit nationalisiert, indem sie neben ihren christlichen Attributen bereits Eigenschaften vieler verschiedener lokaler Gottheiten in ihrer Person vereinigt. Mutter Lus archetypische Eigenschaften – insbesondere ihr Mitgefühl, ihre Nachgiebigkeit 46 und ihre Fruchtbarkeit – ermöglichen eine von ihren Schutzgöttinnen abgeleitete, allegorische Lesart ihrer Lebensgeschichte als nationalen Muttermythos. Das geht nicht nur aus ihren religiösen Orientierungen hervor, sondern betrifft auch ihren Körper, der weder ihr, noch ihren Eltern oder Schwiegereltern, noch ihren Liebhabern gehört, sondern exklusiv dem Gedeihen ihrer acht Töchter und dem letztgeborenen Sohn dient. Ein Überraschungsangriff deutscher Soldaten im Jahr 1900 hinterlässt Lu Xuan’er im Alter von nur sechs Monaten als Waise und nahezu einzige Überlebende ihres Heimatdorfes im Kreis Gaomi. Von Verwandten ihres Vaters aus dem Nachbardorf grossgezogen, wird sie im Jahr 1917 an den Sohn eines Schmieds verheiratet. Ihre neue Familie beleidigt und misshandelt sie, nachdem sie über einen längeren Zeitraum

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Hybridisierung in einem signifikanten Zusammenhang mit der ausschliessenden Orientierung der eigenen, patriarchalischen Gemeinschaft an männlicher Potenz und Dominanz problematisiert werden. Cais Erklärung dafür, dass Mutter Lu und ihren Babies von japanischen Armeemitgliedern das Leben gerettet wird, während sie mehrfach und nur von chinesischen Soldaten vergewaltigt wird, erscheint auch im Licht der danach erfolgenden, im einzelnen sehr inspirierenden Analyse des Romans als etwas zu kurz gegriffen (a.a.O.: 165 f.). Während ich mit Cais Deutung einer Ambivalenz Mos und anderer Intellektueller gegenüber der Verwestlichung beziehungsweise “Bastardisierung” Chinas (a.a.O.: 177 f.) konform gehe, scheint mir der Roman aber mit der Restitution mütterlicher Macht einen Lösungsvorschlag des Dilemmas im Bereich transzendenter beziehungsweise universeller Werte anzubieten. Cais Analyse klammert viele Indizien hierfür aus, beispielsweise indem er sich nicht über den am Schluss des Romans erscheinenden islamischen Halbbruder des Protagonisten äussert. Das Konzept der Nachgiebigkeit (compliance) entlehne ich Dorothy Ko (Ko 1994: 221). Sie identifiziert diese Eigenschaft als eine von drei weiblichen Tugenden im Kontext des konfuzianischen Prinzips des dreifachen Gehorsams.

hinweg nicht schwanger geworden ist. Daraufhin bringt ihre Stiefmutter sie heimlich zu einem Arzt, der die Schuld an ihrer Unfruchtbarkeit dem Ehemann zuweist. Nach drei Ehejahren schenkt sie der ersten Tochter das Leben, die sie mit Unterstützung der Stiefmutter heimlich von ihrem Stiefvater empfangen hat. Trotz vieler Bittgebete an Songzi Niangniang, und zur äussersten Verbitterung der Schwiegermutter, die sich an Guanyin um Hilfe gewandt hatte, kommen nacheinander sechs weitere Mädchen zur Welt. Keines hat denselben Vater. In den zwölf Jahren vorehelicher Peinigungen durch das Füssebinden und weiteren achtzehn Jahren einer unglücklichen Ehe lernt Lu die einfachen, grausamen Lebensziele einer chinesischen Frau: Füsse binden, heiraten, schwanger werden, einen Sohn zur Welt bringen. Dieser kommt als ihr neuntes und letztes Kind im Jahr 1939 nach einer langen und komplikationsreichen Schwangerschaft zusammen mit einer Zwillingsschwester auf die Welt. Die beiden Kinder werden während einer Invasion japanischer Truppen geboren, die alle erwachsenen männlichen Familienmitglieder töten, Lu aber Geburtshilfe leisten und den totgeborenen Sohn reanimieren. Der Vater der Zwillinge ist ein schwedischer Missionar, dem sich Lu erstmals mit Gefühlen der Zuneigung hingibt. Er stirbt wenig später von der Hand des nächsten Eindringlings, der Armee eines lokalen Kriegsherrn. Vor seinem Tod gibt Pastor Malory dem Zwillingspaar – der Junge ist blond und blauäugig, das Mädchen blind und besonders schön – aber auf Wunsch der Mutter noch Namen. Ohne die Bedeutung zu erklären, nennt er sie nach den beiden göttlichen Helfern der Guanyin Goldjunge (Jintong) und Jademädchen (Yunü) (Werner 1922: 287).

13.2 Topographien weiblicher Subalternität: Natur, Geschichte, Zivilisation, Religion

Das harte Schicksal von Mutter Lu und ihren Nachkommen spiegelt gleichzeitig die untergeordnete, völlig recht- und machtlose Subjektposition der Frauen im lokalen patriarchalischen Familiensystem und das nationale Fatum permanenter Kriegswirren und Naturkatastrophen von 1900 bis zu ihrem Tod im Jahr 1995 wieder. Es symbolisiert ein Un421

gleichgewicht der kosmischen Kräfte, das in einer mythischen Topographie des Romans als Asymmetrie zwischen einem gestörten Rhythmus mütterlicher Fruchtbarkeit und weltlich-historischen Ereignisfolgen, die auf männlicher Aggression gründen, veranschlagt wurde. Invasionen, Kriege und Intrigen, die männliche Begierden neu auf Fortschritt und Modernisierung fokussiert erscheinen lassen, zerstören immer wieder alle Hoffnungen auf ein Gedeihen der Familie und Gemeinschaft (patriarchalische Muster wie die gewaltsame Besitzergreifung von Frauen und ihren häuslichen Räumen leben aber ungeniert weiter). Die Interferenzen zwischen modernen und traditionellen Vorstellungen sozialer Ordnung werden in vier mythologisch strukturierten Ebenen ausgetragen. Den ersten, nach Anbau- und Erntezeiten geordneten Naturraum regiert die Mutter, während der zweite, historische Raum der Verantwortung der Väter und Ehemänner untersteht. Beide Ebenen werden zunehmend verdrängt von der urban-kapitalistischen, paranoiden, unfruchtbaren Zivilisations-Welt der Unternehmer-Enkel Lus. Die vierte Ebene transzendenter Erlösungsvorstellungen im Kosmisch-Imaginären bietet ein metaphysisches Refugium an, dessen Ordnung durch die göttliche Einheit von Mutter und Sohn konstituiert ist. Hier weist der Roman auf einen Fluchtraum aus den Zwängen der lokalen Geschichten in ein postutopisches Allgemeines.47 Der primordiale mythische Raum der Mutter, die im Rhythmus der vier Jahreszeiten die Felder bestellt und Kinder zur Welt bringt, wird gleich zu Beginn von Xuan’ers neuem Leben durch die Machenschaften ihrer Schwiegerfamilie gefährdet. Der Erzähler – zumeist übernimmt diese Rolle der Sohn, Shangguan Jintong – berichtet ausführlich über ihr Sklavenleben, welches nicht nur die junge Frau selbst, sondern auch die Prosperität dieser egoistischen und gewalttätigen Familie schädigt. Ihre Töchter bedürfen des mütterlichen Schutzes vor dem mörderischen Zorn der Schwiegermutter, die diese, weil es Mädchen sind, gleich nach der Geburt totschlagen oder ertränken will. Lu selbst muss unmittelbar nach der Entbindung wieder zur Feldarbeit eilen, damit die beiden männlichen 47

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Symbolische Orte dieses sakralen Fluchtraums sind beispielsweise die Missionskirche des Schweden Pastor Malory und das Familienanwesen der Shangguan. Letzteres muss Lu bis zum Schluss gegen Übergriffe des historischen und zivilisatorischen Raums verteidigen – die Schwiegersohngeneration verwüstet es mit Kriegen, die Enkelgeneration will es abreissen, um stattdessen ein touristisch attraktives Vergnügungszentrum zu errichten.

Familienangehörigen vor der Mittagshitze in den Schatten von Bäumen flüchten und ihr bei der Arbeit zusehen können, bis sie vor Erschöpfung ohnmächtig wird. Nach der Invasion der Japaner sieht sich konfrontiert mit dem Problem der Fürsorge für neun Kinder, eine wahnsinnig gewordene Schwiegermutter, und eine wachsende Zahl von Enkelkindern, deren Mütter diese jeweils bei ihr zurücklassen, um ihren kriegerischen Ehemännern zu folgen. Mutter Lu tut ihr Bestes, um ihre Schar auch während der schweren Hungerjahre durchzufüttern. Ihren Sohn muss sie überdies bis zum Alter von dreizehn Jahren stillen, weil er andere Nahrung konsequent verweigert. Danach akzeptiert er die Milch einer Ziege, die er sich mit seinen Neffen und Nichten teilen muss. In ständiger Lebensgefahr nährt, versteckt und schützt Lu ihre Nachkommen so lange sie kann, muss dabei aber zahlreiche tragische Todesfälle betrauern. Solche Szenarien mütterlicher Entbehrung, Gewalt und Agonie wurden bereits in der modernistischen Literatur der 1930er und 40er Jahre dargestellt, hier erscheint die Sanftmütigkeit der Mutter jedoch mythisch überhöht. Während beispielsweise die Frauen in Xiao Hongs (1911– 1942) realistischem Roman Sheng si chang (Der Ort des Lebens und des Sterbens, 1934; Liu in Zito und Barlow 1994: 157–178) im Lauf der Zeit von zunehmender Bitterkeit und Kälte überwältigt werden, übt sich Lu in unerschütterlicher Liebe und Nachgiebigkeit. Nur ein einziges Mal vergisst sie sich und schlägt die debile Schwiegermutter zu hart, um den Finger ihrer achten Tochter aus deren Gebiss zu befreien. Ihr Handeln ergibt sich als Akt der Protektion und Vergeltung, so dass der dabei eintretende Tod als Folge einer notwendigen Inanspruchnahme ihrer uroboroischen Macht gedeutet werden kann. Als Lu selbst die Rolle der Schwiegermutter übernehmen muss, gibt sie den Heiratswünschen ihrer Töchter nach, obwohl sie ihre zukünftigen, kriegerischen Schwiegersöhne nicht billigt. Im Unterschied zu den kommunistischen Dorfkadern, die mitunter ihre Macht in grotesker Verzerrung traditioneller Heiratsarrangements demonstrieren (FRFT: 338– 341, 396–398), verzichtet die einfache Landfrau zugunsten des modernen Prinzips der Selbstbestimmung bereitwillig auf ihr Privileg, damit die Töchter in ihren Ehen glücklicher werden (FRFT: 398). Der eigentlich teleologisch strukturierte Geschichtsraum dieser Schwiegersöhne wird im Rahmen der chaotischen Ereignisse apokalyptisch vernichtet: vor lauter Invasionen und Feinden weiss am Ende niemand mehr, gegen wen er eigentlich kämpft. Ob mit Nationalisten, Kommunisten oder japa423

nischen Imperialisten verbündet, kämpfen die jungen Männer in Wahrheit um die Entscheidung, wer als siegreicher Patriarch den heimatlichen Kreis regieren darf. Die idyllische Landschaft Gaomis, mit deren üppigen Formen Lu im Text metonymisch identifiziert wird, wird von diesen Warlords unaufhörlich verwüstet. Es gibt aber eigentlich keinen Grund zu kämpfen, denn jedem Schwiegersohn ist ein eigener symbolischer Herrschaftsraum zugeordnet, den er in seiner Eigenschaft als Urvater nur schützen und verteidigen müsste. Da aber jeder seine Grenzen überschreitet und auch die anderen Symbolräume dazugewinnen will, kommt das Land nicht zur Ruhe. Lus erster Schwiegersohn ist Herr der Wälder und kleidet sich und seine ganze Familie in die Felle der von ihm erlegten wilden Tiere. Der Ehemann ihrer zweiten Tochter kontrolliert ursprünglich die Gewässer und Fische, ein dritter hat die Vögel des Himmels als symbolische Untertanen. Nur der kommunistische Armeeführer und ein amerikanischer Militärberater48 des KMT-Hauptmanns, die Lus sechste und siebte Tochter heiraten, erscheinen keinem eigenen mythischen Territorium zugeordnet. Ihre negativ besetzten symbolischen Räume sind sekundärer Natur, wobei der eine den Kommunisten zu grotesken pseudowissenschaftlichen Ideen über den historischen Fortschritt und die biologische Evolution verführt, und der andere den Ausländer sein Ende in den Klauen eines lokalen Fuchsgeists finden lässt. Nachdem ein halbvergessener, archaischer Gespensterglauben den Ausländer von der historischen Bühne gerafft hat, sorgt nur noch der naive, auf die Zukunft gerichtete Enthusiasmus der vom politischen Zentrum geschickten Kommunisten mit seinem Vertrauen in übermenschliche Kräfte und technische Wunder für ebenso groteske wie grausige Skandale. Nachdem sie die Macht ergriffen und die neue Gesellschaft ausgerufen haben, erstellen sie eine eigene, an die Prämissen des marxistisch-maoistischen Weltbilds angepasste Version der Regionalgeschichte und unterrichten diese in den Dörfern. Ihr generisches Bild der traditionellen ländlichen Gesellschaft und ihrer vermeintlichen Probleme und Krisen steht jedoch ebenso wie die Leiterzählung einer glücklich befreiten, prosperierenden neuen Gesellschaft in haarsträubendem Kontrast zur lokalen Realität. Keine von Lus acht 48

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Ironischerweise heißt er Babite, vielleicht von Mo bewusst nach dem amerikanischen Lehrer einer Reihe namhafter chinesischer Studenten und Advokaten eines chinesischen Klassizismus, Irving Babbitt, benannt. S. hierzu Fairbank 1983: 437 f., 471, 492.

Töchtern überlebt die Gründerzeit der Volksrepublik, sie kommen lediglich zurück, um zu Hause zu sterben oder wenigstens von der Mutter begraben zu werden. Zweimal muss Lu zusehen, wie einige ihrer Enkelkinder grausam ermordet werden. Beim ersten Mal trifft es die Zwillingsjungen ihrer dritten Tochter, die von einer Flugzeugbombe getroffen werden, beim zweiten Mal handelt es sich um die öffentliche Hinrichtung durch Erschiessen der vierjährigen Zwillingsmädchen der zweiten Tochter. Den Kindern wird vorab von ihrem Onkel, dem kommunistischen Befehlshaber und Schwiegersohn der Xuan’er, ein gespenstischer Prozess gemacht. Er verurteilt sie stellvertretend für ihren Vater, der in seiner Kindheit einem Dorfgenossen einen Dummejungen-Streich gespielt hatte. Der Kläger bedauert zwar sofort seine Beschwerde und zieht diese sogar zurück, damit das Urteil nicht vollstreckt werde. Die Kinder kann er damit aber nicht mehr retten; auf Anordnung des kommunistischen Befehlshabers werden sie vor der versammelten Dorfbevölkerung gnadenlos hingerichtet. Von allen potentiellen Gründungsvätern der Region bleibt ausgerechnet der skrupelloseste Kommunist als vorübergehender Sieger im Kreis. Auch er scheitert aber am Ende an der Einführung der neuen, kapitalistischen Weltordnung. Grundtenor dieser kritischen Mikroperspektive auf die Historie der Nation scheint weniger eine Kritik des Autors am Kommunismus als Ideologie, denn am politischen System als Lizenz zur ungebremsten Machtausübung zu sein. Das fiktionale Ausspielen der moralischen Defekte seiner Protagonisten zielt darüber hinaus auf die Leerstelle des Weiblichen in den modernen Ideologien, die zwischen 1900 und 1995 in China um nationale Anerkennung stritten. Unter diesen Umständen erscheinen auch die weiblichen Kader nirgendwo im Roman als emanzipierte neue Frauen, sondern als unterwürfige Ausführungsorgane der männlichen, revolutionären Gewaltpolitik. Mutter Lu vertritt demgegenüber eine sanfte Moral selbstlosen Mitleids. Sie hat aber weder weltliche Macht noch Stimme, um im Lärm der zumeist ziellos kämpfenden männlichen Geschichts-Subjekte gehört zu werden. Auch der dritte symbolische Raum des Romans wird defizitär gezeichnet. In der korrupten, ökonomisch erfolgreichen, aber sterilen und paranoiden kapitalistischen Welt der Enkel spiegelt er sich als ewige Wiederkehr des Immergleichen. Die Fruchtbarkeit einer bukolisch repräsentierten Landschaft wird für diesmal keinem Krieg, sondern der Industrialisierung geopfert. Nachdem der ursprüngliche Kosmos der 425

Agrargemeinschaft durch die urbane Geschäftswelt der Enkel nahezu spurlos getilgt wurde, sind auch die letzten Reserven der Lu erschöpft. Die Nation erscheint degeneriert zu einer Gesellschaft kinderlos bleibender Enkel, die sich in gierigen individuellen Jagden nach den ergiebigsten Profitquellen erschöpfen. Den vierten, post-utopischen Raum bewohnen Mutter und Sohn in Form ihres heruntergekommenen Familienanwesens, das umgeben von modernen Wohn- und Industrieanlagen als Ruine der fundamentalen Werte der Gemeinschaft überdauert. Er ist als ahistorisches, transzendentales Refugium archaischer Vorstellungen über Möglichkeiten einer sozialen Ordnung angelegt, die schon vor allen imperialen beziehungsweise nationalen Zivilisationsanstrengungen existierten. 49 Nach vielen, zum Teil gravierenden persönlichen Missgeschicken (insbesondere im Zusammenhang mit seiner dysfunktionalen Sexualität) erfüllt der nie erwachsen werdende Sohn Jintong die Hoffnungen, die seine Mutter in ihn setzt, auf überraschende Weise. Er begegnet einem weiteren Sohn seines Vaters, seinem islamisch-christlichen Halbbruder, und will sein Leben als Mönch in dessen Kloster beschliessen. Seine Zuständigkeit soll die Reinigung der Wege und Toiletten sein – eine der vielen ironischen Referenzen des Romans auf die verkehrte Welt der Kommunisten, die während der Kulturrevolution ihre besten Köpfe Toiletten putzen und Strassen fegen liessen. Jintongs Beitrag zur Erlösung der modernen Gesellschaft beinhaltet, so lässt sich schliessen, einen auf die Gegenwart und einen auf die Zukunft gerichteten Nutzen. Jener besteht darin, dass er sie von ihrem Abfall befreit, in diesem scheint die Möglichkeit auf, durch individuelle Akte der Bescheidenheit und Wohlfahrt auf der Basis der Synthese christlicher, islamischer und chinesisch-volksreligiöser Prinzipien ein allgemeines Reformdenken in Richtung auf würdigere Traditionen, zum Beispiel von freiwilliger Askese, in die Gemeinschaft zurückzuholen: Er verweilte noch längere Zeit unschlüssig bei dem frisch aufgeschütteten, modrig riechenden Grabhügel der Mutter, kniete sich schliesslich davor und machte mehrere andächtige Verbeugungen. In Gedanken sprach er zu ihr: “Mutter, ach Mutter, dein unseliger Sohn hat dir so viel Kummer bereitet! Jetzt kannst du froh werden, Mutter, und dich in einen Buddha oder eine Unsterbliche verwandeln. Gehe nun ein ins Paradies und erfreue dich ewiger Glückseligkeit! Um deinen Sohn brauchst du dich nicht länger zu sorgen. Er ist auch alt geworden, und sein unnützes 49

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Zu buddhistischen Konzeptionen von Mutter und Sohn als göttlicher Einheit vgl. Cole 1998.

Leben wird bald zu Ende gehen. Dein Sohn hat die feste Absicht, seine letzten Jahre Gott zu widmen. Der grosse Bruder, mit dem ich den [christlichen] Vater, aber nicht die [muslimische] Mutter gemeinsam habe, fand mir bereits eine unbedeutende Aufgabe in seiner Kirche, wo ich von nun an täglich die Fussböden fegen, die Pforten bewachen, die Latrinen leeren und deren Inhalt zurück auf die Gemüsefelder des Volkes bringen werde. Dies, Mutter, ist mein letzter und liebster Ruheort – du hättest meinen Entschluss doch sicher gebilligt?” … Als seine Gedanken weiter und weiter wanderten, kam ihm ein unbeholfen intoniertes, elegisches Kirchenlied in den Sinn, das ihm nach und nach in den Ohren widerhallte: Oh Herr, unser Vater im Himmel, wir sind geblendet von deinem Glanz, dein Blut nährt duftende Rosen, sende uns den Atem deines Heiligen Geistes, wasche uns von unseren Sünden rein, gib uns deinen Frieden … Amen! Amen … (FRFT: 679).

Neben seinem Einrücken in die transzendente kosmische Ordnung der Mutter erfüllt Jintong aber auch noch eine weltliche Funktion. Als Erzähler überliefert er die Geschichten aller Protagonisten, wobei er die verschiedenen Erfahrungen und Aktionen der unterschiedlichen Charaktere mythologisch ordnet. Lus Erwartungen werden folglich erfüllt, indem sich Jintong als sekundärer, aber nicht minder wichtiger historischer Akteur bewährt. Damit rekurriert Mo Yan auf eine der ältesten Subjektpositionen zwischen Volk und Machthabern: diejenige des Geschichtenerzählers. Inspiriert von verschiedenen Traditionen und Legendenbildungen, von populären mündlichen Formen der Erzählkunst bis zur Schriftlichkeit des ersten und berühmtesten Universalhistoriographen Chinas, Sima Qian (ca. 145–86 v.u.Z.), bietet Jintong seine eigene Deutung der lokalen Entwicklungen an. Dabei ist Mo Yans nationale Mutter nicht Mutter der Revolution wie Liang Qichaos Madame Roland, sondern sie erscheint gleichzeitig universeller und weniger global: eine primordiale Grosse Mutter aller historischer Akteure, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort aufeinander treffen. Der postrevolutionäre Historiograph wendet sich von allen traditionellen und modernen Leiterzählungen gleichermassen ab und hält sich an eine fragile, mythopoetisch durchbrochene bricolage von Lebensgeschichten, die immer nur vorübergehend in der arbiträren Logik einer ars memoria des Geschichtenerzählers aufgehoben werden können.50

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Eine immer noch hilfreiche generische Einführung in den klassischen historischen Roman gibt Ma 1975. Wang 1997 beschäftigt sich zwar nicht vorrangig mit den epistemologischen Problemen historischer Narrationen, setzt aber hinsichtlich der

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Wenn Mo Yan bei seiner fiktionalen Suche nach Optionen für weibliches Handeln im nationalen Kontext archetypische Mütterlichkeit privilegiert, so könnte dies aus der Perspektive feministischer Mythenkritik so aussehen, als nähere sich sein Ansatz einem regressiven Essentialismus der Geschlechter (Humm 1994: 54–73; Meaney 1993). Die konventionellen Kategorien patriarchalischer Muttermythen finden sich bei ihm jedoch radikal umgewertet. Statt des genealogisch begründeten weiblichen Keuschheitspostulats finden wir bei Mutter Lu würdevolle Promiskuität. Statt Unterwürfigkeit unter die Irrationalität der männlichen Welt beweist sie in ihrem Handeln Vernunft und Unabhängigkeit ihrer Werturteile. Mit der Repräsentation zahlloser gewaltsamer Übergriffe auf ihren Körper, ihr Heim und ihre Persönlichkeit zeigt der Roman die destruktive Grausamkeit einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung im Vergleich zu ihrer nährenden und Leben erhaltenden Mütterlichkeit. Im Schlussbild des Romans kommentiert Mo Yan die Rollenverteilung der Figurengruppe der Pietà im Raum des Religiösen, um einen die heroische Mutter betrauernden, bescheidenen Sohn zu zeichnen – eine Rolle, der jener sich auch im historischen Raum aufgrund seiner Funktion als Erzähler zuordnen lässt (FRFT: 677–81). In diesem Moment der Trauer, als Jintong berichtet, wie die neue Stadtregierung ihm einen Beerdigungsort für die Mutter verweigert und ihn zwingen will, ihre Leiche an eine anonyme Verbrennungsanlage auszuliefern, konvergieren die Sphären der Geschichte und der Zivilisation zu einem Angriff auf den transzendentalen Raum der nationalen Werte und Sinnzuschreibungen. Während Jintong die tragische Tilgung ihres öffentlichen Gedächtnisses als grosses lokales Fragezeichen in die nationale Geschichte einträgt, triumphiert die Deutungsmacht der Mythologie über einen nihilistischen wissenschaftlichen Rationalismus. Allein dieser Akt ihrer nochmaligen Tilgung aus der offiziellen Geschichte eröffnet den Raum des Mythos für ein (subversives) Eingedenken der Mutter. Lus Metamorphose restituiert den Anspruch weiblicher und anderer subaltern gesetzter Subjekte der Nation auf ihre bislang übergangene eigene, aus dem Lokalen zu rettende und ins Nationale zu integrierende Geschichte.

Auswahl und Anwendung von ästhetischen Kategorien für das Lesen qingzeitlicher historischer Romane wichtige Akzente.

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13.3 Chronotopen mütterlicher (Ohn)macht

In Mo Yans Roman findet sich eine Fülle von grotesken Szenarien eines gewaltsamen kommunistischen Überschreibens lokaler Erinnerungen. In einer rituellen Versammlung zur Erziehung der Bauern verursacht die fremde Perspektive auf ihre eigenen Erlebnisse grosse Verwirrung. Was in den Köpfen der Bauern in Gaomi als eher normale Folge von Allianzen und Querelen zwischen lokalen Sippenverbänden überdauert hat, wird in den Erzählungen der Kommunisten zu einem monströsen, dekadenten Fehlverhalten sogenannter Grossgrundbesitzer uminterpretiert (FRFT: 363–368). Unselige Folge dieser Verwirrung durch Absetzung ihrer konventionellen Werte und Orientierungen ist ein kritikloser Gehorsam demoralisierter Bauern, die auf Kommando wahllos Vögel oder ihre Nachbarn zu Tode hetzen. Verglichen mit diesen Zuständen war der regional verwurzelte KMT-Kommandeur Sima Ku erfolgreicher, obwohl auch er nur vorübergehend sein halbwegs effizientes Regime aufrecht erhalten konnte, das auf geteilte Erinnerungen und freiwillige Kooperation der Bauern gegründet war. Sein kurzes Interregnum auf der Basis von lokalem Wissen und einer charismatischen Persönlichkeit erzielt ein Einverständnis der Beherrschten, das den kommunistischen Führern nicht zuteil werden kann, weil ihre Herrschaft als Serie von abstrakten, sinnlosen und derivativen Experimenten wahrgenommen wird.51 Die Abwesenheit Mao Zedongs oder anderer Autoritäten des politisch-ideologischen Zentrums in den von regionalen Kadern kontrollierten Gemeinden verweist im Roman auf einen unüberbrückbaren Abstand zwischen den Idealen der neuen Elite und deren ausführenden Organen, aber auch zwischen Kadern und Bauern. In einer halbverstandenen, künstlichen Maosprache (Mao wenti) werden verheerende politische Experimente wie atavistische Rituale propagiert. Diese versetzen die Bevölkerung folglich in Staunen, Terror und Resignation und verbreiten eine Aura von böser Verzauberung. Der vom Zentrum in Erwartung 51

Ich bin mir im Klaren darüber, dass diese Sicht der Dinge den gängigen Interpretationen, beispielsweise der von Jerome Ch’en ganz anders beurteilten Popularität kommunistischer beziehungsweise nationalistischer Regimes in den ländlichen Basen, widerspricht. S. Fairbank und Feuerwerker 1986: 190 f.

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eines enormen Wirtschaftsaufschwungs ins Leben gerufene, ambitiöse Grosse Sprung nach vorn (da yuejin, 1958–1960) findet hier auf dem Land nur in Form seiner lächerlichsten Komponente, der landesweit verordneten Spatzenjagd statt. Jintongs älteste Schwester wird im Verlauf einer arrangierten kommunistischen Massenhochzeit dazu gezwungen, einen vollkommen derangierten Kriegsheimkehrer zu ehelichen, der im Zustand permanenter Alkoholvergiftung sich der Frau nur nähert, um sie schlagen, verletzen und vergewaltigen zu können. Sein boshaftes, beinloses Humpeln wird wiederholt als sarkastische Anspielung mit demselben Begriff als “Vorwärtshüpfen” (yuejin) bezeichnet (FRFT: 429). Paradoxerweise wird Irrationalität, die vom Zentrum nur im Zusammenhang mit überlieferten religiösen Praktiken als hinterwäldlerischer Aberglauben auf dem Land erkannt und verfolgt wird, nirgendwo deutlicher als in den Erzählungen über das Wüten destruktiver Energien, die von den Parteiautoritäten selbst zu verantworten sind. Weit entfernt davon, integrativ zu wirken, haben die modernen ideologischen Orientierungen der verschiedenen Machthaber zu einer sozialen Fragmentierung beigetragen, die sogar die feudalen Klassenhierarchien harmlos erscheinen lässt. Gemäss FRFT scheitert die nationale Integration des Volks, weil sie auf einer fiktiven Konstruktion von Geschichte basiert. Im Gegensatz zum Logos wissenschaftlicher Theoriebildung, der nur eine Option unter anderen für das Verstehen von Geschichte ist, unternimmt es der Roman, einen Raum für das kulturelle Wissen wiederzueröffnen, welches in ländlichen Mythen enthalten ist. Dies gilt insbesondere für eine geschlechtsspezifische, mütterliche Weisheit, die im Roman als das Andere der patriarchalischen Historiographie auftritt. Um die Wichtigkeit dieses anderen, stabilisierenden Teils des kollektiven Gedächtnisses zu untermauern, wird Mutter Lu unter anderem auch als kosmische Allegorie dargestellt. Bereits der Anfang des Romans verortet die Protagonistin unter Bezugnahme auf den Titel, Big Breasts and Wide Hips, oder generischer: Üppige Formen, symbolisch in einem System harmonisch zirkulierender, runder Himmelskörper: Zahllose Himmelskörper zogen in gleichmässiger Ruhe ihre Bahnen im unvergänglichen Kosmos. Manche eher weiblichen Brüsten, andere mehr einem Hintern ähnlich, erstrahlten sie alle in duftig-rosigem Glanz. Sie wanderten nur scheinbar in zufälligen Bewegungen, zogen aber tatsächlich ihre individuellen und doch fixen Bahnen. Flüsternd und murmelnd sang jeder seine eigene Melodie; ohne Rücksicht

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auf Kollisionen, egal, ob horizontal oder vertikal, musste doch jeder sein eigenes, ihm vorbestimmtes Ziel verfolgen. Während Pastor Malory noch in die Betrachtung dieser erhabenen Harmonie versunken war, rief er plötzlich unter Tränen aus: “Höchster, Allmächtiger Gott, Du bist es, niemand anderer als Du!” (FRFT: 5).

Dieselben üppigen Formen verleihen später der Naturlandschaft des Landkreises neue Bedeutung, indem die schöne Harmonie der himmlischen, menschlichen und terrestrischen Formen metaphorisch auf Xuan’ers Körper bezogen wird. Hier zeigt sich auch die Bedeutung der Widmung an die Mutter und das weite Land, mit welcher der Autor auf eine das Lokale wie auch das Historische transzendierende Ethik seines Narrativs verweist. 52 Diese fordert einen respektvollen, schonenden Umgang mit der eigenen Lebensgrundlage ein, wo bis anhin Mensch und Natur zum Objekt und Opfer männlicher Ausbeutung degradiert worden waren. Auf dieser symbolischen Ebene repräsentiert das aus kosmischweiblichen Rundungen zusammengesetzte, erhabene Universum auch das Andere linearer Geschichtsbilder. Das ähnlich argumentierende, feministische Konzept mütterlicher Anachronie (Meaney 1993) arbeitet die in fiktionalen Narrativen freigelegten Folgen der Kolonisierung weiblicher Handlungsräume in patriarchalischen Gesellschaften heraus. Der moderne männliche Phallogozentrismus und seine lineare Temporalität wird dabei nicht kämpferisch negiert, sondern heimgesucht vom wiederkehrenden Eros anderer Zeiten und Körperverständnisse. In FRFT wird diese anachronische Alterität einer “deep time” (Gould 1987) gleichzeitig prä- und posthistorisch in der planetarischen Epiphanie des schwedischen Missionars evoziert. Sie zeigt sich komplementär dazu in der sexuellen Anomie des Sohnes Jintong, für die zwar der Tod keine Grenze, das phallische Element jedoch ein stets präsentes Problem darstellt. Während der Sohn des Missionars am Ende seine Temporalität in der asketischen Identifikation mit der planetarischen Mutter aufzuheben vermag, scheitern die streitenden Gründerväter des Romans in banaler Weise an dieser mütterlichen Anachronie. Am schlimmsten trifft es die beiden ganz und gar Unbelehrbaren, den unbesonnenen kommunistischen Kommandanten Lu, der seine Schwiegermutter den abstrakten

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Cai zitiert einen Kommentar Mo Yans, in welchem er zum Zweck dieses Romans Stellung bezieht. Der Autor beabsichtigte, “to explore the essence of humanity, to glorify the mother, and to link maternity and earth in a symbolic representation.” (Cai 2004: 160).

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Prinzipien des Klassenkampfes ausliefert, und den amerikanischen Militärberater Babbitt, der in Lebensgefahr den mütterlichen Schutz seiner angeheirateten, lokalen Familie verlässt. Beide bezahlen ihren männlichen Hochmut mit besonders schmachvollen Todesarten. Alle anderen kriegerischen Schwiegersöhne, der Herr der Wälder, der Held der Gewässer, der König der Lüfte und der stumme Hundefürst liefern sich zwar tödliche Gefechte über Territorium und Ehefrauen, verleugnen dabei aber ihre Wurzeln in der mütterlichen Naturwelt nie ganz. Ihre gelegentlichen Akte der Loyalität reichen freilich bei keinem aus, um seinen Clan zur Blüte zu bringen, obwohl Mutter Lu deren Nachkommen mit Hingabe und nahezu übermenschlichen Kräften zu schützen sucht. Die verdrängte planetarische Zeit der Mutter fordert nicht nur von der patriarchalischen Gesellschaft der ländlichen Vorfahren Lu Xuan’ers, sondern auch von den urbanisierten Enkeln beträchtlichen Tribut. Ursprungsmythen haben, wie an Mo Yans Roman gezeigt werden sollte, einen Ort als sinnstiftende Strukturen in der postmaoistischen Literatur. Wo die Väter in Mos Roman immer noch und immer wieder kämpfend den Himmel zerstören, wie Gong Gong und Zhuan Xu in Nü Was Mythos, bekommt deren moderne Nachfolgerin Xuan’er kaum einmal Gelegenheit, diesen wie Nü Wa zu reparieren. In ihrem entschiedenen Widerstand gegen Opfer-Rollen gleicht sie dem Protagonisten des bereits in anderem Kontext diskutierten neuhistorischen Romans, Mi (Reis, 1992) von Su Tong. Obwohl dessen Anti-Held Wulong im Gegensatz zu Mutter Lu voller Rachegefühle gegen seine städtischen Feinde ist, ruft er doch heimlich ein humanitäres Projekt in seiner dörflichen Heimatgemeinde ins Leben. Seine mitfühlende Hingabe an die heimatliche Wohlfahrt verleiht dem ansonsten monströsen Protagonisten dieses Romans eine mythische, auf die positive Macht der Natur vertrauende, mütterliche Identität, die das nationalistische Klischee passiv-viktimisierter Subalternität überwindet. Verfilmungen neuhistorischer literarischer Texte durch Zhang Yimou beruhen demgegenüber häufig auf Wiederaufnahmen des Symbolismus aus der Zeit des anti-japanischen Widerstands, kehren diesen jedoch selbstreflexiv gegen das gegenwärtige soziale Umfeld der chinesischen Zuschauer. In mindestens drei seiner Filme verkörpert die Hauptdarstellerin Gong Li unterschiedliche Aspekte von Mütterlichkeit mit allegorischen Extensionen in Richtung auf die Frage nach Merkmalen weiblicher nationaler Identität. Von der Märtyrerin des anti-japanischen 432

Widerstandskrieges in Rote Hirse verwandelt sie sich in Judou in ein von seinem senilen Ehemann (und später auch von seinem illegitimen, geistig behinderten Kind) grausam missbrauchtes Landmädchen. In Rote Laterne zeichnet Zhang das Bild einer modernen, gebildeten Universitätsstudentin, die zur unfruchtbaren “Verrückten im Dachzimmer” 53 wird, nachdem man sie in die Hölle eines feudalen Harems verkauft hat. Zhangs Ansatz kann in den Kontext einer reflexiven Haltung gegenüber den Wirkungen eines kulturellen Nationalismus eingerückt werden, der die ikonoklastische Politik des Maoismus nicht nur ungestört überleben konnte, sondern deren negative Effekte paradoxerweise sogar noch verstärkt hat. Während Filme dieser chinesischen Regisseure der fünften Generation häufig von tiefem Kulturpessimismus geprägt sind, erscheinen die neuhistorischen Romane und Erzählungen von Mo Yan und Su Tong nicht vollständig ohne Zukunftsvisionen. Sus Wulong ist zwar Hoffnungsträger, verliert sich aber beinahe vollständig in Hass und aggressivem Guerillakämpfertum, und kann deshalb keine Gegenposition einnehmen. Mos Vision für ein erträgliches Gemeinschaftsleben gründet demgegenüber auf einem Konzept der wiederhergestellten Macht des Schwachen in der Form mütterlicher Nachgiebigkeit. Mutter Shangguan Lu Xuan’er verkörpert allegorisch das Modell eines auf harmonischen Ausgleich bedachten, toleranten sozialen Wandels, der auf friedliches Aushandeln von Konflikten und Masshalten der egoistischen Begehren, statt auf das patriarchalische Prinizip des Rechts des Stärkeren setzt.54 Seit den 1980er Jahren häufen sich Stimmen, welche die moderne Nationalgeschichte unter dem Aspekt residualer patriarchalischer Machtstrukturen beschreiben. Die Leerstelle weiblicher Autorität, wie auch der wachsende Anpassungsdruck an konsumkulturell produzierte Rollenerwartungen regte postmaoistische Intellektuelle dazu an, moderne weibliche Subjektpositionen noch einmal neu zu reflektieren.55 Ausgestattet 53 54 55

“The Madwoman in the Attic”, s. den gleichnamigen Aufsatz von Gilbert und Gubar 1983. Für eine vergleichbare philosophische Neuevaluation des mütterlichen Denkens als Gegenkraft zum männlichen Rationalismus s. Ruddick 1989. Dies scheint auch für die transnationale Populärkultur wichtig zu werden. Napier 1998 beschreibt einen japanischen, Noh 2009 einen koreanischen Diskurs über die neue Weiblichkeit im Zeitalter der Globalisierung, beobachtet in Comics und Science-Fiction-Romanen, in welchen nicht Mütter, sondern junge Mädchen als

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mit der Macht des Mythos, besitzt das Modell einer regenerierenden Mütterlichkeit, die den Entropien der Modernisierung entgegenwirken soll, Potential als wiederzuentdeckende soziale Kraft, selbst wenn es nicht wie in FRFT lediglich als postreligiöse allegorische Projektionsfigur auftritt. Ein 1999 erschienener sozialwissenschaftlicher Bestseller mit dem Titel Faxian muqin (Entdeckung der Mutter) sichtete moderne wie traditionelle Kategorien der Weiblichkeit, um die Mutterschaft als Lebenszweck und staatsbürgerliche Pflicht insbesondere der weniger gebärfreudigen gebildeten Frauen auszurufen. 56 Die Vision dieses Autors von gebildeten Müttern, die ihr Glück in der Kindererziehung und der Erfüllung ihrer Pflichten als Hausfrauen finden sollten, diente gleichzeitig der Entlastung eines angespannten Arbeitsmarkts und dem staatlichen Ziel einer Verbesserung der sogenannten humanen Ressourcen. Sie erhöht jedoch den gesellschaftlichen Druck auf Frauen, erneut einen Ausschluss aus dem öffentlichen Leben hinzunehmen. Es sollte im Verlauf der Analyse von FRFT deutlich geworden sein, dass der Roman sich nicht von derartigen politischen Trajektorien vereinnahmen lässt. Im Gegenteil: mit Blick auf die Welle literarischer und filmischer Revisionen moderner weiblicher Subjektivität im Kontext feministischer und postmoderner Kulturtheorien könnte er vielmehr als Einspruch gegen solche Versuche einer Bagatellisierung der Aporien moderner sozialer Lebens- und Erfahrungswelten gelesen werden. So wird die gar nicht so neue Mythologie der globalkapitalistischen Transformation nationaler Gemeinschaften (Luttwak 2000) als lediglich neue Maske einer bereits zur Republikzeit kurzzeitig florierenden Ideologie ästhetisch sichtbar

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Identifikationsfiguren in auftreten. Gottschang und Brownell berichten über neue Weiblichkeits-Entwürfe, die Interessen des Staates und der Märkte verbinden; beide in Chen, Clark, Gottschang und Jeffery 2001. Vgl. a. Croll 1995. Dong 1999. Geraldine Heng und Janadas Devan kommen in ihrer Analyse der in den 80er Jahren in Singapore lancierten “Großen Ehedebatte” zum gleichen Schluss. Sie interpretieren den Vorwurf von Premierminister Lee Kwan Yew an die gebildeten Frauen, nicht genügend Geburten zur Sicherung von genetischem Erbe, Kultur, Bildung und Intelligenz der Nation zu erbringen, als männliches Phantasma: “Whether represented by actual women (as in the ‘Great Marriage Debate’) or ‘other’ races and cultures whose identifying characteristics are implicitly feminized – whether, that is, it is a sexual, or a social, body that haunts and threatens – the figure of threat, auguring economic and social disintegration, dismantling the foundations of culture, undermining, indeed, the very possibility of a recognizable future, is always, and unerringly, feminine.” (Heng und Devan 1992: 356)

gemacht (Deng 1996). Auf der Suche nach Kodierungsvarianten, die der Bindung nationaler Zeit an eine lineare Fortschrittsrhetorik zugunsten einer mehr oder weniger anarchischen, vielfältigen Synchronie historischer Kräfte eine Absage erteilen können, scheint die Figur der Mutter vom Symbol für rückständige weibliche Subalternität zum Zeichen und Retro-Mythos (wieder)kommender Formen sozialer Integration auf der Basis neu ausgehandelter Werte und Orientierungen zu avancieren.

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14 Entwürfe posthumanistischer Subjektivität Dass Mo Yan in seinem Roman FRFT am Ende doch nicht die promiskuitive Mutter, sondern die beiden aus verschiedenen Gründen nicht biologisch reproduktiven Söhne eines ebenfalls promiskuitiven, darüber hinaus ausländischen Vaters in die Subjektaktanten-Position der eigentlichen Retter im narrativen Programm der an den Widersprüchen ihrer kapitalistischen Restrukturierung laborierenden Nation einrückt, lässt sich als Konsequenz aus der seit den späten 1980er Jahren schwelenden Subjekt-Krise chinesischer Intellektueller verstehen. Wie Cai vermerkt, fand diese Krise diesmal mit einer Häufung von Tropen des Niedergangs und der Depression sowie mit einer auffälligen Konjunktur bizarrer, versehrter oder anomaler Charaktere ihren Niederschlag in der Literatur. 57 Zugrunde lag ihr eine dreifache Vertrauenskrise (sanxin weiji) – der Überzeugung vom marxistischen Welt- und Geschichtsbild (xinyang weiji), des Glaubens an den Sozialismus (xinxin weiji) und des Vertrauens in die kommunistische Partei (xinren weiji) – und mit ihr, nach der Katastrophe der Kulturrevolution, der Sturz des Mythos vom guten, klassenlosen Subjekt (Cai 2004: 8). Zwar konnte zunächst das cartesianische Subjekt der Aufklärung wieder auferstehen und noch einmal, wie bereits zur Zeit des Vierten Mai, die Rolle eines Stellvertreters beziehungsweise potentiellen Nachfolgers einnehmen (Liu in Liu und Tang 1993: 56–69, Yang in Dirlik und Zhang 2000: 380–383). Jedoch konnte die Krise damit nur vorübergehend gemildert werden; nachdem deutlich wurde, dass der Staat mit seinen ökonomischen Reformen andere Prioritäten setzte als die auf politische Reformen hoffenden Intellektuellen, und dass diese sich überdies im Zuge der kapitalistischen Transformation gesellschaftlich zunehmend marginalisiert fanden, wurde der “Jahrhundertmythos der Aufklärung” endgültig zu Grabe getragen (Meng 1997: 192). Als irritierend wurde beispielsweise die Einsicht empfunden, dass diese Marginalisierung zu einem beträchtlichen Teil selbstverschuldet war und, wie im Fall der Integration intellektueller 57

Cai 2004: 6–13; den Katalog dieser monströsen Charaktere übernimmt Cai von D. Wang: “the blind, the mute, the crippled, the humpbacked, the sexually impotent, the bound-feet fetishist, the osteomalacia victim, the ‘living dead’, not to mention the mentally deranged and the psychotic.” (Wang 1988: 209)

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Produktion in den Markt, nicht unbedingt auf rein staatlichen Massnahmen beruhte. Nach Tiananmen konnte sich – trotz bleibender Kontrollhoheit des Staates über öffentliche Kommunikationskanäle und damit politische Diskurse – auch kein einfaches antagonistisches Modell zwischen unterdrücktem Volk und progressivem Idealismus der Denker auf der einen und einer repressiven politischen Macht auf der anderen Seite mehr aufrechterhalten lassen. Die verschiedenen Aspekte der Verunsicherung, welche sich aufgrund der Verflechtung residualer (post)sozialistischer und emergenter globalkapitalistischer Visionen bei deren gleichzeitiger Inkompatibilität zu einer existentiellen Befindlichkeit der Intellektuellen summieren, findet Barbara Jenni im ästhetischen Diskurs der Verlegenheit (gan’ga) gebündelt und repräsentiert (Jenni 2008). Wang Xiaoying beschreibt mit der Figur der post-kommunistischen Persönlichkeit einen neuen Archetypus moralisch enthemmter Subjektivität, von dem sich gemäss Jia Pingwas skandalisiertem Roman Fei du (Die verrottete Hauptstadt, 1993) im Gegensatz zu dessen vormodernen Vorläufern die Intellektuellen nicht mehr ausreichend distanzieren können. Seine Geburt verdankt Wang Xiaoyings postkommunistisches Subjekt der Tatsache, dass die neue ökonomische Ordnung zwar das System, aber nicht dessen Träger-Schicht einer “protestantisch-asketischen Bourgeoisie” (Max Weber) importiert hat. Daraus ergibt sich für Wang ein nihilistischer Trend, der das verabschiedete Wertesystem gar nicht mehr adäquat ersetzen will: In the absence of a new constellation of values and everyday self-forming practices, the post-communist personality makes its appearance in the midst of a new economic order, with its ethos of consumerism and unprecedented opportunities for individual wealth and pleasure. To these opportunities the post-communist personality responds ferociously, almost uncontrollably, without a sense of proportion or limit, approximating as closely as humanly possible an unorganized assemblage of desires. Having lost its patience with all forms of asceticism, this ex-practitioner of communist asceticism and altruism has become a hedonist and egoist with a vengeance. Thus, a brand new type of person is born: a communist turned nihilist, a nihilist turned hedonist, who responds to the new opportunities presented by the market as if directly to a set of stimuli, with little mediation either of a moral code or a conception of self (Wang 2002: 7).

Auch der Staat praktiziert seine Version eines pragmatischen Nihilismus, wie Zhang Xudong ausführt. Angewiesen auf Legitimation durch Wirtschaftswachstum, Ressourcensicherung und politische Stabilität übt sein 438

Regime nicht nur unzimperlich Macht aus, wo immer diese Trajektorien gefährdet erscheinen, sondern es erlaubt auch einen nie dagewesenen Grad an Freiheit und Anarchismus in anderen sozialen Domänen, beispielsweise die Umgehung von Sozialversicherungspflichten durch Unternehmer, oder, positiver gewendet, die kaum noch spürbare Einmischung der Zensur bei der Publikation literarischer Texte (X. Zhang 2008: 25–101). Was diesem Regime aber noch fehlt, ist der Wille zu einer über das massenkulturelle Packaging beziehungsweise Recycling von populären Werten – darunter Wiederauflagen maoistischer, konfuzianischer und neoliberaler narrativer Programme – hinausgehenden Integration der gegenwärtig kursierenden, konkurrierenden ideologischen Positionen in einem neuen Wertekanon, der nicht nur pragmatische Orientierungen vermittelte, sondern auch Visionen für die Zukunft enthielte (Zhang a.a.O.: 101). Mo Yans anomaler Charakter Shangguan Jintong und seine beiden Bastard-(Halb)geschwister lassen demgegenüber einen spekulativen Kern durchscheinen, der auf jene von Zhang angemahnten Zukunftsvision hinarbeiten könnte. Obwohl die drei unheroischen Helden des Romans im Gegensatz zu ihrer Mutter aus der Position einer fundamentalen (aber nicht fundamentalistischen!) Negation heraus operieren, lässt sich ihr intentionales Verschmelzen mit der anachronischen deep time der Mutter als Žižekscher ethischer Akt lesen: ihre Askese, die im Fall Jintongs noch mit sexueller Anomie einhergeht, macht den Weg frei für die Konstruktion neuer, ethisch begründbarer Identitäten und bietet Hand für eine Überwindung des Partikularen in (in diesem Fall religiös, ethnisch und sexuell ausgebrachter) promiskuitiv-hybrider Universalität. Eine in China über lange Zeit kulturell favorisierte andere Lösung war das ebenfalls während der 1990er Jahre wiederentdeckte Verfahren einer strategischen Liquidierung der Geschlechter-Identitäten in der TheaterFigur des männlichen Frauendarstellers gewesen. Wie D. Wang am Beispiel des seinerzeit vielgelesenen Schmetterlingsromans Qiuhaitang (Begonie, 1943) von Qin Shou’ou (1908–1994) zeigen konnte, war diese, als harmlose Romanze maskierte patriotische Agonie, der “wohl erfolgreichste Mandarinenten- und Schmetterlings-Roman der Zeit des sino-japanischen Krieges” (Wang in Rojas und Chow 2009: 212). Er ist als Problem einer zugleich geschändeten und verkannten Männlichkeit angelegt, welche die Demütigung ihrer Feminisierung zunächst durch Vaterschaft, dann durch die Rolle einer idealen, männlichen Ersatz439

Mutter des eigenen Kindes, schliesslich noch in der Wahl eines ästhetischen Todes überkompensiert. Dass es sich bei dem Helden Begonie um die männliche Verkörperung von Mother China handelt, wird schon zum Romanbeginn durch dessen Annahme des Namens derjenigen Blume geklärt, deren Blätterumriss einer Landkarte Chinas gleicht. Zudem liess der Autor seinen Protagonisten ein Bild mit dem Titel: “Schockgeweitete Augen” malen. Darauf ist ein Begonienblatt zu sehen, welches von Insekten angefressen wird (Wang a.a.O.: 215). Nichts missfiel dem Modernisten Lu Xun mehr, als diese althergebrachte Theatertradition des lustvollen Spiels mit der Geschlechterambivalenz; seine Kritik am weltberühmten Frauendarsteller und Zeitgenossen Lus, Mei Lanfang (1894–1961), ist berüchtigt. Auch wurde die von der Schmetterlingsfiktion (yuanyang hudie xiaoshuo) konzipierte, konsum- und massenorientierte literarische Moderne von den politisch eher links gerichteten Autoren des Vierten Mai als dekadent und bourgeois abgelehnt. Infolgedessen schrieb Lu Xun selbst auch nur wenig Fiktion, sondern konzentrierte sich auf essayistische Texte. Im Lauf seiner schriftstellerischen Karriere hatte er schon Bedenken gegenüber dem marxistischen Projekt einer Literatur für die Bauern und Arbeiter verlautbar gemacht, die zu erfinden er die Intellektuellen nicht unbedingt für berufen hielt. Seine eigenen Versuche, dieser sozialen Schicht eine Stimme zu verleihen, zeigen neben “generischer” Empathie immer auch Zweifel an der Urteilsfähigkeit des Bericht erstattenden Erzählers an. Dass sein subalterner Antiheld Ah Q – kein Künstler mit hohem moralischem Anspruch wie Qiuhaitang, sondern ein charakter- und besitzloser Gelegenheitsarbeiter – dennoch das Rennen um die Gunst der chinesischen Leserschaft machte, weist auf einen Wahrheitskern der Repräsentation hin, der sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts als immer wieder anschlussfähig erwies. In seiner Diskussion von Erzählungen, die im Jahr 2004 für einen Literaturpreis nominiert wurden, analysiert Chen Xiaoming die aktuellsten Nachfolger von Lus an den Rändern der Gesellschaft situierten, deformierten Subjekten Ah Q, Runtu (“Guxiang” / “Meine alte Heimat”, 1921) und Xianglin Sao (“Zhu fu” / “Das Neujahrsopfer”, 1924). Deren Kampf ums Überleben hatte der ästhetische Modernismus der 1920er bis 1940er Jahre realistisch schildern dürfen, während solche Subjekte gesellschaftlicher Ungleichheit unter den Bedingungen der sozialistischen Ästhetik ideologisch als inexistent gesetzt und daher so nicht mehr reprä440

sentierbar waren. Den Wechsel von der sozialistischen Fiktion einer Literatur der Massen (dazhong wenxue) oder des Volks (renmin wenxue) zur postsozialistischen Ästhetik des Subjekts in Bedrängnis (kunan zhuti) erläutert Chen als ein zweifaches Dilemma. Einerseits sei die sozialistische Zeit der Helden vorbei und man müsse zu einem realistischeren Menschenbild zurückfinden. Andererseits sei aber auch der modernistische Realismus mittlerweile ästhetisch überholt, so dass nach alternativen Repräsentationsverfahren gesucht werde (Chen 2008: 341). Gefordert ist nun in besonderer Dringlichkeit die Fähigkeit der Autoren, ihre Epoche zu transzendieren: Die Vorliebe des Schriftsteller-Subjekts für Subjekte in Bedrängnis ist an die Bedingungen geknüpft, welche sein Bewusstsein ins Verhältnis zu den Literaturtraditionen und zum vorfindlichen ästhetischen System setzen. Ersteres wird im Grunde von Letzterem bestimmt, aber ob das Subjekt von seiner Epoche eingeschränkt wird oder diese transzendiert, hängt am Ende von der Fähigkeit des Einzelnen ab, seinen Zeithorizont zu transzendieren (Chen 2008: 340).

Die Schwierigkeiten dieser spätgeborenen Generation (wansheng dai) haben auch mit den veränderten Gesetzen des Marktes zu tun, der gegenwärtig Konkurrenz in Form von kurzfristig boomenden Phänomenen wie der Literatur der schönen Schriftstellerinnen (meinü zuojia) hervorbringt. Ihr Körperschreiben (shenti xiezuo), so Chen, hat mehr zur Marginalisierung der neuen Realisten beigetragen, als eine Avant-Garde, die per se kein Interesse an der Realität bekundet (a.a.O.: 350 f.). Die von Chen analysierte Gruppe jüngerer Autoren thematisiert in ihren Texten wiederum Subjekte, die am Rand der (neuen) Gesellschaft ein kümmerliches Dasein fristen. Ihre Reaktion auf die Herausforderungen der Epoche lässt sich als Psychologisierung der Wahrnehmungen ihrer Protagonisten und Subjektivierung historischer Faktoren beschreiben. Daraus resultiert die Formation einer neuen Subjektivität, welche Chen jenseits des sozialistischen Massencharakters situiert. Der Begriff lässt sich nicht ohne weiteres in eine andere Sprache übertragen; was damit gemeint ist, könnte aber wohl annähernd mit einem Konzept posthumanistischer Subjektivität (hou renminxing) gefasst werden. Dieses unterscheidet sich nicht nur vom Projekt Foucaults, der den Tod des Subjekts aufgrund seiner unbedeutenden Funktion im diskursiven Universum ausgerufen hatte, sondern konkreter von Wang Xiaoyings Archetypus einer mittelständischen, postkommunistischen Persönlichkeit. Die moralische 441

Schwäche des posthumanistischen Subjekts ist vielmehr gepaart mit materieller Not und Erfahrungen des Ausgegrenztseins. Es findet sich aber nicht selten konfrontiert mit jenen postkommunistischen, nihilistischen, hedonistischen Neureichen, die in einer erstaunlichen Verkehrung der sozialistischen Moral plötzlich die nahezu unbegrenzte Unterstützung des Staates geniessen. Sie werden ihnen gegenüber als Vorbilder gerühmt, obwohl sie womöglich noch hemmungsloser als in der alten Gesellschaft ihre Macht missbrauchen und ihresgleichen ausbeuten. Eine Erzählung Xiong Zhengliangs (*1954) aus dem Jahr 2003 verdeutlicht die lähmende Irritation des posthumanistischen Subjekts in seiner permanenten Konfrontation mit den nicht-identischen und auch nicht solidarischen Vertretern dieser neuen Gesellschaft. Ein ehemaliger Bergmann versucht, einen lokalen Unternehmer für die Verhaftung seines Sohnes zur Rechenschaft zu ziehen, welche im Zuge eines fehlgeschlagenen Rache-Akts nach der Vergewaltigung von dessen Freundin erfolgt war. Das mitgebrachte Messer rammt er sich am Ende jedoch selbst in den Bauch, wobei er den Übeltäter auffordert, es ihm gleichzutun. Der Bergarbeiter ist im Vergleich zu Ah Q ein ziemlich sympathischer Antiheld, der durchaus ein moralisches Bewusstsein hat, obwohl nicht alles in seinem Leben nach dessen Prinzipien verläuft. Der Beschuldigte lässt sich in der Bedrängnis des vor Schaulustigen durchgeführten Selbstverstümmelungs-Appells zu einem halbherzigen Eingeständnis seiner Schuld hinreissen, tritt aber auf den Appell des Anklägers selbst nicht ein. Dieser Ankläger, Kumpel Wang Fu, stirbt auch nicht an seiner Wunde, sondern wacht in einer letzten Szene im Krankenhaus auf, um voraussichtlich bald in sein alltägliches Leben zurückzukehren (Xiong 2003, Chen 2008: 345 f.). Die Erzählung überträgt Lu Xuns fiktionale Versuchsanordnung in die Gegenwart, wobei der Symbolismus ein wenig moderater und die geschilderte Realität um einiges banaler ausfallen. Der allwissende Erzähler ist verschwunden, Protagonist Wang Fu erzählt seine Erlebnisse selbst. Der im Verlauf dieser Aktion errungene, winzige moralische Sieg ist kein Anlass zum Feiern. Die einzige, und deshalb umso auffälligere Konstante ist das passive, scheinbar ungerührt gaffende Publikum der “Hinrichtungs-Szene”.58 58

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Wolfgang Kubin bringt diesen von Lu Xun eingeführten und vielfach variierten Topos in die griffige Formel “Unglück mit Zuschauer” (Kubin 2005: 40).

14.1 Im Bann der Diskurse und Traditionen: Weiblichkeit als Subjekt des Mythos

Im Gegensatz zu diesen von ihm sehr anerkennend wahrgenommenen neurealistischen Narrativen kann Chen Xiaoming dem neuesten Experiment weiblichen Körperschreibens noch nicht viel abgewinnen; er findet im Kontext der gegenwärtigen Debatte um ästhetische Rekonstruktionen von Subjektivität in der von Ungleichheit dominierten Konsumgesellschaft keinen anderen Ort für sie als den popkulturellen Jahrmarkt der schönen Frauen(literatur) (Chen 2008: 350). Inzwischen zeichnet sich aber bereits ab, dass die weiblichen Experimente mit dieser Alternative zur männlichen Schreibweise ebenso ernstzunehmen sind wie die neuhistoristischen Versuche, residuale subalterne Artikulationsformen im Sinne von Bhabhas eingangs zitierten “polyphonen, affektiv geleiteten Diskursen aus Mythen, Ritualen und Gerüchten” in ihre Texte zu integrieren. Dasselbe gilt für die von Chen erforschten neurealistischen Versuche, das immer noch andauernde subalterne Schweigen zu brechen und subalterne Subjekte in Experimenten mit Essay-, Dokumentar- und Reportagestil möglichst authentisch und direkt zu Stimme und Wort kommen zu lassen. Die gegenwärtig stattfindende Rekonstruktion weiblicher Subjektivität durchquert dabei in ähnlich betroffen-verlegener Weise wie die geschlechtsneutraler auftretenden Schreibverfahren des Neuhistorismus und Neurealismus frühere moderne Diskursformationen. Zunächst muss sie sich abgrenzen von der modernistischen Idealisierung, Remythologisierung und Fetischisierung der Frau, wie sie beispielsweise in Yu Dafus Erzählung “Chenlun” (“Der Untergang”, 1921) formuliert worden war. Darin war die Sehnsucht nach einer Vereinigung mit der Mutter nicht über einen Ausfall phallischer Sexualität wie in FRFT, sondern über den Weg eines Überschusses sexueller Energien zum Ausdruck gekommen, wodurch die Figur der Mutter als Mother China und damit symbolisches Objekt aller männlichen, weiblichen und infantilen Begehren des adoleszenten männlichen Subjekts überdeterminiert erschienen war (Chow 1991a: 138–145). Ein anschauliches Beispiel für die feministische Reaktion darauf in Form einer radikalen Demythologisierung dieses modernistischen Muttermythos sind die narrativen Explorationen von Mutter-Tochter-Beziehungen bei Zhang Jie (*1937).

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Ihre bekannten Romane Ai shi bu neng wangji de (Love Must Not Be Forgotten, 1979) und Shijie shang zui teng wo de nage ren qule (Abschied von der Mutter, 1994) hinterfragen schonungslos die öffentlichen wie privaten Erwartungen gegenüber Frauen in der neuen Gesellschaft, einschliesslich derjenigen der betroffenen Frauen an sich selbst (Chen 1994). Weiterhin kann moderne weibliche Subjektivität in der Gegenwartsliteratur kaum mehr umhin, sich mit ihrer Artikulation in der vom modernistischen Kanon verworfenen und unterdrückten Schmetterlingsfiktion auseinanderzusetzen. Mit der von Hongkong und anderen diasporischen Formationen aus nach China gewanderten Wiederentdeckung dieser verdrängten literarischen Moderne voller Widersprüche, Ironien und Geschmacklosigkeiten (Chow 1991a: 55) haben Gegenwartsautorinnen die Möglichkeit, ihre feminine Position nicht nur in Posen der radikalen Dialogverweigerung, wie Can Xue und die KörperschreibeAutorinnen (Lu 2008, Sang 2003: 163 ff., Zhong 2006), sondern in kreativen Anschlussnahmen neu auszuhandeln. Dies gilt insbesondere für Anleihen an Zhang Ailings ebenso subtile wie populäre Entwürfe flexibler, zwischen Tradition und Moderne lavierender weiblicher Subjektpositionen in der Diktion einer gleichzeitig vom Hollywoodkino und vom spätqingzeitlichen Schmetterlingsgenre beeinflussten, melodramatischen Sentimentalität. Ein drittes Feld eröffnet sich in der Befreiung der Kategorie “Frau” von ihrer biologischen Geschlechtszuweisung, um eine symbolische Position strategischer Weiblichkeit zu konfigurieren, die lediglich (Ohn)machtverhältnisse in sozialen Beziehungsgefügen kartographiert. Nicht nur existieren mittlerweile auch Narrative von Frauen, die sich erkennbar auf Vorlagen wie das bereits genannte Beispiel des Schmetterlingsromans Qiuhaitang beziehen, in denen männliche Frauendarsteller als ambivalente Verkörperungen des Problems gewählt wurden,59 sondern es wurden auch politische Akteure einer Revision ihrer strategischen Position im Symbolischen unterzogen. Prominentestes Beispiel an der Schwelle zur chinesischen Moderne war der letzte QingKaiser Pu Yi (1906–1967), der nicht “Frau” ist, aber dennoch in seiner Eigenschaft als Marionettenkaiser Japans in Manchukuo (R. 1934–1945) und aufgrund seiner kindlichen Machtlosigkeit gegenüber den wechselnden kontrollierenden Kräften im eigenen Land eine passiv-weibliche 59

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Z.B. die Erzählung Bawang bieji (Lebewohl, meine Konkubine, 1985) von Vivian Lee (Wang in Rojas und Chow 2009: 230 f.).

Position einnimmt (Chow 1991a: 4–27). Die selbst aus der Provinz Heilongjiang stammende Autorin Chi Zijian (*1964) widmet sich dieser Konstellation ausführlich in ihrem 900seitigen Manchukuo-Roman Wei Manzhouguo (Chi 2000). Progressiv eingestellte Frauen hatten während der Republikzeit ihre Biographien zunehmend in Konflikt mit traditionellen Wertvorstellungen geraten sehen, so dass moderne weibliche Subjektivität vorerst ein Mythos bleiben musste, während die klassischen Mythen paradoxerweise dem neuen Appell ans Subjekt wesentlich zu weichen hatten. Dabei waren es vor allem die Frauen, die den Antagonismus zwischen ihrem eigenen, subjektiven Empfinden, den in der Kulturproduktion propagierten Leitbildern und den irritierten bis gewalttätigen Reaktionen der Gesellschaft auf die Provokation der modernen Idee des auf seine individuellen Selbstbestimmungsrechte pochenden Subjekts am eigenen Leib zu spüren bekamen. Ding Lings (1904–1986) frühe Texte, darunter Sufeiya riji (Tagebuch der Sophie, 1928) und “Yijiusanling nian chun Shanghai” (“Shanghai, Frühling 1930”), können als weibliche Antwort auf die psychologisch – und hier bevorzugt im Diskursfeld sexueller Begehren und Projektionen – inszenierte Subjektsetzung der männlichen Autoren des Vierten Mai gelesen werden. Dings zunächst als missglückt bewertete Erzählung “Muqin” (“Mutter”, 1933) wurde mittlerweile als ein von ihrem Anarchismus geprägter Text erkannt, der die männlichen Geschichtsmythen des revolutionären Modernismus wirkungsvoll dezentriert (Barlow in Duke 1989: 1–24, Chow 1991a: 162–170, Feuerwerker 1982: 76–79). Die in den frühen 1940er Jahren situierte, von Lee Ang verfilmte Erzählung Se jie (Lust, Caution, 1979/2007) der Shanghaier Erfolgsautorin Zhang Ailing wäre neben ihren frühen Erzählungen über das stets riskant zwischen Tradition und Moderne balancierende weibliche Subjekt, welche sie 1944 unter dem Titel Chuanqi (Legenden) herausgebracht hatte, ein weiterer geeigneter Ausgangspunkt für eine Untersuchung der Orientierungsfunktion von mythologisch determinierten Rollenmustern im weiblichen Subjektivitätsdiskurs der Republikzeit. In Zhangs erst kürzlich wiederentdeckter Novelle wird mit grosser psychologischer Tiefenschärfe ausgelotet was geschieht, wenn weibliche wie männliche Subjekte sich der Übermacht der von ihnen verkörperten Rollenmuster in einem historischen Drama unterwerfen, dessen Grenzen zwischen Realität und Imagination fliessend verlaufen. Demgegenüber räumt der mit dem Narrativ Zhangs spielende Film Ang Lees wesentlich 445

konventioneller der Sexualität die grösste Macht über menschliche Subjekte ein.60 Obwohl auch in gegenwärtigen weiblichen Perspektiven auf die Geschichte traditionelle Repertoires zum Einsatz kommen, so beispielsweise Wang Anyis der Mondgöttin Chang E nachgebildete Frauenfiguren61 oder die ironischen Huang Di-Zitate einer Liu Suola (*1955; Liu 1994; Zhang in Yang 1999: 319 f.),62 scheint es diesen Autorinnen bei ihren literarischen Explorationen der Geschichte moderner weiblicher Subjektivität weniger um eine Auseinandersetzung mit, noch weniger um ein simples Fortschreiben von monumentalen, allegorischen Figuren zu gehen, als vielmehr um die Schaffung eigener Erfahrungswelten jenseits männlicher Geschichts- und Identitätsparadigmen sowie um die Einführung anderer, nicht schon a priori männlich besetzter Schreib- und Denkweisen.63 In der westlichen feministischen Kritik der eingangs diskutierten Thesen zum Matriarchat finden sich unter anderem Überlegungen zur Möglichkeit, archaische Weiblichkeitsmythen im literarischen Medium zu gegenhistorischen, postutopischen Rekonstruktionen weiblicher Subjektivität umzuformen. Am Beispiel von Christa Wolfs Kassandra-Texten führt Wilke aus, dass es in solchen ästhetischen Remythisierungsprojekten um ein kritisches Hinterfragen festgefahrener 60 61

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Von den mittlerweile 144 in der China Academic Journal Database gelisteten Arbeiten zu diesem Narrativ in Film und Novelle sei beispielhaft nur Li 2008 genannt. Vgl. auch Xu Kuns Dekonstruktion des modernistischen Frauenmythos in ihrem 1995 erschienenen Roman Nü Wa (Die Göttin), rezensiert von Shen Yong in Orientierungen 1 (1999): 159–62. Darin wird die Leidensgeschichte einer Landfrau erzählt, die von ihrer Schwieger-Familie gewohnheitsmässig ausgebeutet, missbraucht und körperlich gezüchtigt wird. Nachdem ihr Ehemann und ihre Schwiegermutter endlich die Macht über sie verloren haben, beginnt sie, die ihren Missbrauch legitimierende konfuzianische Ideologie bei der Erziehung der Enkel teilweise zu appropriieren – ohne jedoch die Schwiegertöchter zu quälen. Zu Shu Tings weiblichem Schreiben vgl. Kubin 1988 sowie Zhang in Yang 1999: 313. Relevant für die These einer anhaltenden Orientierungs-Funktion von Mythen in der (hier: von Frauen verfassten) Gegenwartsliteratur ist auch die Schilderung eines Dichterinnen-Wettbewerbs dieser Autorin in ihrem Roman Hundun jia Ligelang (1990, engl. Chaos and all that, 1994). Der Auftrag lautet, das tragische Schicksal einer traditionellen Opernrolle, der aufgrund chaotischer Verhältnisse für 18 Jahre von ihrem Ehemann getrennten Wang Baochuan, auf Erfahrungen einiger anwesender Frauen im Verlauf der Kulturrevolution und ihre Situation nach deren Ende hin umzudichten. S. Liu 1994: S.78–86. Für einen englischsprachigen Überblick s. Hong 2007: 404–419.

sozialer Strukturen gehen soll, “um das Nach-Denken derjenigen Kreuzund Wendepunkte, an denen unsere Zivilisation einen ihrer [C. Wolfs, Anm. d. Verf.] Meinung nach falschen Weg eingeschlagen hat […]. Dem Ursprung von Entfremdungserfahrungen nachspürend, geht es Wolf darum, produktive Alternativen zu beschreiben, die eben nicht tödlich sein müssen, in denen nicht das weibliche Element völlig an den Rand gedrängt ist, wo nicht eine strikte Arbeitsteilung herrscht und die Literatur eine bloss marginale Position innehat.” (Wilke 1992: 90) Ansätze hierzu lassen sich in der chinesischen Frauenliteratur der Gegenwart ebenfalls ausmachen. Bekannt geworden sind Can Xues (*1953) mit Mythenfragmenten arbeitende, die zwischenmenschliche psychische Gewalt in grotesken Szenarien entlarvende Sprachexperimente (Cai 2004: 92–126). Can Xues parodistische Repliken auf tradierte wie neue Mythologien – darunter gebundene Füsse, Paradies-Vorstellungen oder obsolete Geschlechter-Rollen – deuten darauf hin, dass der gegenwärtige Mythendiskurs von ihr mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt wird. 64 Über Lin Bais (*1958) Romanheldin Duomi in Yigeren de zhanzheng (Einsamer Kampf, 1994) wurde geäussert, sie verkörpere einen sexuellen, gesellschaftlichen und sprachlichen Mythos der Weiblichkeit. 65 Allerdings scheint Lins Mythos in radikaler Negation des Gegebenen zu verharren, denn die Protagonistin scheitert unaufhörlich bei ihren teils die Aussenwelt erprobenden, teils introspektiven Such- und Irrfahrten: sie kann nichts finden, was ihr “wahres” Selbst ausmachen würde; nicht

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“Can Xue: What Is So Paranoid in Her Writings?” Lu 1995: 75–103. Vgl. Insbesondere Cans Parodie eines neuen, nationalen Männlichkeitsmythos: “This model must be most masculine among all masculine men […] when he sings on a mountain, his voice must overwhelm all the voices; his spare-time life must be both sublime and tragically glorious. It will never take place in bed but always in a barn of wheat fields; he will never be interested in women from good families and would always have a specific interest in bound-footed women […] finally, he must have integrity. He must achieve integrity by sitting on top of a hut to weather the elements and by chewing on hay when hungry until his superiors come in a car to take and send him abroad. Even then, he will still be reluctant to come down. The day after he returns from abroad, he will immediately climb back on the hay roof and will not come down even when others try to get him down by poking with a bamboo post.” (Ubers. in Zhong 2000: 147 f.) “»Yigeren de zhanzheng«: Nüxing de shenhua yu wuqu” (Kampf eines einsamen Menschen: Mythen und Melodien der Weiblichkeit), in: Wu 1997: 432–43; vgl. a. Dai in Yang 1999: 202–4.

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einmal ihr Schreiben verhilft ihr zu einer stabilen Identität. Hong Yings (*1962) biographischer Metaroman Jinnian Yu Hong yanjiu (Die neueste Forschung über Yu Hong, 1994) handelt von der Unmöglichkeit, die ins Mythologische reichende Ungewissheit über das Leben einer Shanghaier Autorin der frühen Vierziger Jahre durch Fakten zu korrigieren, weil diese Autorin aus der Literaturgeschichte getilgt wurde, nachdem über sie das Verdikt einer Mitläuferin des japanischen Kolonialregimes verhängt worden war (Zhang in Yang 1999: 326–30). Der Text strebt damit in eine ähnliche Richtung wie Wang Anyis (*1954) ebenfalls 1994 in Buchform erschienener, zweiteiliger Roman Fuxi he muxi de shenhua (Patri- und matrilineare Mythen).66 Hier lösen sich die Erzählungen in ihrem Subjektivitätsdiskurs von der Orientierung an Genderfragen und wenden sich dem ebenfalls elementaren, jedoch nicht zwingend und immer mit Fragen des Geschlechts verknüpften Problem des Verhältnisses von Wahrheit und Fiktion in der Konstruktion von Subjekten zu. Wang Anyi macht dies deutlich, indem sie in ihren literarischen Werken sowohl männliche, wie in “Shushu de gushi“ (“Geschichten meines Onkels”, 1993), als auch weibliche Subjektpositionen durchspielt. Damit fragt sie nach der nahezu unausweichlich mythologisierenden Sinnstiftung an den Grenzen des Wissbaren in (auto)biographischen Narrativen. Ähnlich wie in der von Wang geschätzten Erzählung Yijiusansi nian de taowang (1934 Escapes, 1988) von Su Tong geht es auch in ihren Genealogie-Erzählungen der 1990er Jahre nur vordergründig um die Rekonstruktion ihrer Familiengeschichte. Tatsächlich werden die Funktionsweisen des Imaginären in historischen Narrativen reflektiert. Die Autorin verarbeitet im ersten, patrilinearen Teil der Genealogie Überlieferungs-Spuren der “tropischen” Diaspora-Herkunft ihres eigenen Vaters, dessen ursprünglich aus der Provinz Fujian stammende Familie sich in Singapur niedergelassen hatte.67 Aus der Begeisterung des Vaters für die Revolution und fürs Theater, die diesen zusammen mit einer patrio66

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Beide Texte erschienen zuerst in der Zeitschrift Shouhuo (1993), die Shangxin Taipingyang (Sadness for the Pacific) zugrunde liegende Vater-Geschichte geht auf eine früher publizierte Erzählung zurück: “Wo de laili“ (“Meine Herkunft”, 1985). S. Tang 2000: 328–340, hier: 330. Zur Mutter-Geschichte vgl. B. Wang 2004: 127 ff. Tang Xiaobing streicht heraus, dass die Autorin darauf verzichtet, ein historisch korrektes Narrativ anzubieten. So berichtet sie über ein Treffen ihres Vaters mit Yu Dafu in Singapur im Jahr 1938; Yu ist dort tatsächlich aber erst 1940 angekommen (Tang 2000: 334, Fn. 28).

tischen Theatertruppe zurück nach China bringt, und dem Schicksal von dessen Bruder, der nahezu zeitgleich Singapur gegen Japan verteidigt und dabei ums Leben kommt, zeichnet die Ich-Erzählerin ein melancholisches Bild vergangenen Heldentums. Bei der im zweiten Teil thematisierten mütterlichen Genealogie reflektiert Wang noch stringenter die Bedingungen (ihres) Erzählens, wobei sie dem Imaginären eine deutlich führende Rolle vor dem Realen beimisst. Dies wird bereits mit dem Untertitel: “Eine Methode der Weltschöpfung” (Wang 1994: 87) verdeutlicht, zeigt sich aber auch im Hinweis auf die Wichtigkeit eines Familienmythos für jedes Individuum (ibid.: 130; B. Wang 2004: 133) sowie in der Rückführung des seltenen Namens “Ru” der Familie ihrer Mutter in trotz beigebrachter philologischer Belege historisch ungedeckter Herleitung auf einen mongolischen Nomadenstamm (Wang 1994: 131). Es erweist sich insgesamt, dass Fakten aus ihrer Sicht nur für ein sehr grobes Raster der Familienerzählung taugen, sofern sie auf die Stiftung von Identität abzielt; diese Identität stellen die als Mitautoren an der Geschichte beteiligten Familienmitglieder wesentlich mittels eigener, kreativer Verknüpfungsstrategien her. Für Wang Anyi bedeutet dies, dass die Melancholie der Ich-Erzählerin als Ergebnis der Transformation ihrer bruchstückhaft erinnerten Erlebnisse, flüchtigen Stimmungen und phantastischen Rêverien in eine kohärente Erzählung die Subjektformation ihrer Generation wesentlich konstituiert. Der Kritiker Li Jiefei schlug bereits vor der integrierten Publikation der beiden Genealogien Wangs unter dem explizit auf die Mythologie ausgerichteten Titel vor, ihr fiktionales Schaffen seit den späten 1980er Jahren als Projekt zur Schaffung einer neuen Mythologie zu charakterisieren (Li 1993). Der klassische Mythos lehrt uns, so sein im Vorwort zur Roman-Ausgabe von 1994 noch weiter ausgearbeitetes Argument, die Trennung zwischen Fiktion und Wirklichkeit im Alltag in Frage zu stellen und unsere Erzählungen über Ereignisse spielerisch-inquisitiv für die Vielfalt möglicher anderer Sinnzusammenhänge zu öffnen: Ereignisse, die in der Realität oder Geschichte für wahr gelten, müssen in der Fiktion keineswegs wahr sein; auch das Gegenteil hiervon gilt. In der Tat ist genau dies die grundlegende Botschaft der antiken Mythen. Die Grundeigenschaft des Mythos besteht also nicht in seinen Themen – dem, was wir die kreierten oder imaginierten Charaktere und Geschichten nennen; sie ist auch nicht Ausdruck einer aufgrund des noch unterentwickelten Erkenntnisvermögens einer in den Kinderschuhen steckenden Menschheit “vereinfachten” Denkweise. Das war schon immer unser aller-

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grösstes Missverständnis, welches wir Mythen entgegengebracht haben. Mein Standpunkt ist folgender: die Grundeigenschaft des Mythos ist sein Aufbegehren gegen die Logik der Natur, der Wirklichkeit und der vorgängig festgelegten Wahrheiten. Er wehrt sich gegen jene bereits mit der Geburt verliehenen “Wahrheiten”. Es gibt Mythen, weil wir uns danach sehnen, Zeiten, Menschen und Schicksale in anderen Ereigniszusammenhängen oder existentiellen Formen wahrzunehmen. Ich gehe noch einen Schritt weiter und betone, dass nicht nur Mythen, sondern die gesamte menschliche Motivation des Erzählens aus dieser Absicht hervorgeht. Es ist die einzige Erklärung für das, was Akte der Erzählkunst hervorbringen können (Li in Wang 1994: 5).

Bereits die urgeschichtlichen Höhlenmenschen, so Li weiter, haben sich mit ihren Geschichten abends am Feuer bestimmt nicht nur die Zeit vertrieben. Sie müssen auch schon ihre eigenen Mythen erzählt und mit ihnen ein autonomes Universum jenseits der Realität und der Phänomene, mit seiner eigenen Wahrheit und seinen eigenen Werten geschaffen haben. Seit es Mythen gibt, haben sich die Menschen daran gewöhnt, in zwei parallelen Welten zu leben, einer realen und einer imaginären; die imaginäre Welt steht nicht einfach beziehungslos neben der realen, sondern beeinflusst und verändert bis heute unser Verhalten, unsere Werte und Entscheidungen, meint Li. Wang Anyi habe ihren bis zu antiken Überlieferungen eines Nomadenstamms zurückreichenden, matrilinearen Mythos analog zu dieser Praxis konstruiert, gleichzeitig aber im Text dessen Konstruktion metafiktional reflektiert (Li a.a.O.: 5– 7). In Anlehnung an Lukács und Nora kommentiert B. Wang dieses moderne Remythisierungsprojekt Wang Anyis als eine personalisierte Form der Geschichtsschreibung unter dem Eindruck der Erosion von grossen Erzählungen und geteilten Geschichten im “einheitlichen Marsch von Produktion, Ware, Austausch, Spektakel und Konsum” (B. Wang 2004: 129) der 1990er Jahre. Der matrilineare Teil des Romans, Jishi yu xugou (Realität und Fiction), repräsentiert den Versuch, ein bedeutungsvolles Geschichtsnarrativ zu rekonstruieren, welches dem Individuum Kontinuität in einer sinnentleerten, homogenisierten, globalen Moderne bietet, wo die Vergangenheit in unterhaltsame Bilder ausgewalzt und aus dem öffentlichen Bewusstsein herausgefiltert wurde. War der Bildungsroman ein Versuch gewesen, grosse Geschichte ins Individuum hineinzuholen, so ist die autobiographische Bemühung um Anschluss an das verlorene Ganze, um ein emotionales Bindeglied zwischen gelebter Geschichte und geteilter Vergangenheit, das Projekt gegenwärtiger (fiktionaler)

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Genealogien im Licht geistiger Heimatlosigkeit zwischen den Zeiten der Revolution und der ökonomischen Expansion: This is history writing in a mythical key, a spectacular gesture toward finding remote resources for one’s identity. The birth of a small nomadic tribe of her family is absorbed into the famed nations of Tamerlane and Genghis Khan. The defeats and conquests in tribal feuds, the lightning steeds, and the breathtaking primordial landscape of the northern steppes evoke a world of miracles, omens, oracles, and horoscopes. Lyrical exuberance muses over the sublime fatality and miraculous turns of events and superhuman deeds, a wild and untamed space far removed from degraded urban existence. Reality and Fiction represents a reversal of the major literary trend of the 1980s (Wang a.a.O.: 134).

Für B. Wang ergibt sich diese Abkehr von der Literatur der 1980er Jahre, weil deren Anliegen die Dekonstruktion der (Revolutions)geschichte als Mythos gewesen war. Von der Historisierung des Mythos der 1980er zur Remythisierung der Geschichte der 1990er Jahre findet sich das erzählende Subjekt zunehmend der Moderne entfremdet. Gefangen zwischen nostalgischer Trauer um den Verlust gelebter und gefühlter Geschichte und Ennui im Überschuss der von der Marktökonomie tagtäglich ausgeschütteten neuen Mythen über Wirtschaftswunder, technologische Utopien und Konsumentenparadiese (B. Wang a.a.O.: 127–135) wendet es seinen melancholischen Blick weg von der linearen Zeit: nach innen in die imaginäre Welt der Fiktion und nach draussen in die big history / deep time des Mythos (Christian 2004, Gould 1987). Die Grenzen zwischen diesen beiden Genres verlaufen plötzlich fliessend. Befinden wir uns in einer Möbius-Schlaufe?

14.2 Aporien des postmodernen Subjekts: Koloratur singen oder eine Ein-Mann-Bibel schreiben?

Wang Anyi erforscht mit ihrem metafiktionalen Remythisierungsprojekt viele kritische, in der Postmoderne gefährlich instabil gewordene Grenzlinien, darunter auch die im Projekt explizit gemachte GenderDichotomie. Die patri- und matrilinearen Mythen ihrer Genealogie sind durchaus unterschiedlich und individuell, lassen sich aber nicht in 451

hierarchischer Weise ordnen. Auch die Subjektposition ihrer Ich-Erzählerin ist kaum weiblich determiniert; als Geschichtenerzählerin, die gleichzeitig über die Gesetze ihrer Mythenproduktion berichtet, sucht sie nach einem imaginären Ort, der die Aporien des postmodernen intellektuellen Subjekts in ein alternatives narratives Programm auflösen könnte. Als summa einer traditionellen Profession, die einen grossen Reichtum an Formen und Stoffen kennt, die sowohl von Männern, als auch von Frauen präsentiert werden können, besitzen Geschichtenerzähler eine enge volkskulturelle Bindung. Vor der Einführung des modernen literarischen Realismus in den 1920er und 1930er Jahren arbeitete darüber hinaus auch schriftlich fixierte Fiktion mit einem fingierten Geschichtenerzähler, der analog zu seinem realen Pendant in den Strassen florierender Städte und auf dörflichen Tempelfesten als Vermittler zwischen den intellektuellen Interessen der Eliten und dem Bedarf an Unterhaltung und Folklore der weitgehend illiteraten Bevölkerung positioniert war: The written and oral transmissions of more or less the same story material have coexisted in the Chinese society as a meeting ground for high and low culture – an encounter between the intellectual literary interests of the higher classes and the popular entertainment and folklore of the largely illiterate population. The ways in which the written works in their turn influenced the storytellers and their repertoires are complex (Boerdahl 1998: 3)

Diese Figur des Geschichtenerzählers scheint eine mögliche Antwort auf die Schwierigkeiten der Schriftsteller, eine überindividuelle, nicht-elitäre Subjektposition zu besetzen, bieten zu können. Traditionell ein Angehöriger gesellschaftlicher Gruppen mit geringem sozialen Status hat er doch Zugang zum literarischen Erbe, das er in eigener, aktualisierender Bearbeitung weiter verbreitet. Wenn seine Geschichten den Weg zurück in die Literatur finden, dann tragen sie idealerweise auch Stimmen und Erfahrungen aus dem Volk in die gebildeteren Schichten. Das seit dem Eintritt Chinas in seine ästhetische Moderne immer wieder diagnostizierte und trotz aller Bemühungen der maoistischen Kulturpolitik andauernde Fehlen einer tatsächlich von den Massen geschaffenen Literatur für die Massen wurde wohl aus diesem Grund mit der Stimme eines volkstümlichen Geschichtenerzählers zu kompensieren gesucht. Han Shaogong brachte das Dilemma des auch zu Maos Zeiten andauernden Repräsentiert-Werdens in der komischen Verzweiflung eines zum kultur452

revolutionären Schauspieler bestimmten Balladensängers zum Ausdruck. Im Lexikonroman Maqiao Cidian (A Dictionary of Maqiao, 1996) berichtet der Erzähler über die Bemühungen der Kader, die Landbevölkerung zu revolutionärer Kunst zu erziehen. In seiner Gemeinde wurden die lokalen Laienkünstler “umgeschult” und bekamen neue Texte für ihre traditionellen Rollen. Dem besten Sänger des Dorfes, Wanyu, war von Parteikadern geraten worden, seine lasziven Volkslieder in der revolutionären Gesellschaft nicht mehr zum Besten zu geben. Als man ein neues Stück einstudiert, soll er auch eine Rolle übernehmen. Nachdem er sich eine Weile in den Text vertieft hat, fragt er nach: Sowas soll ich singen? Hacke, Rechen, Jauchekübel an Tragestangen, Wasserkübel an Tragestangen? … Genosse, diesen ganzen verdammten Mist habe ich Tag für Tag in den Feldern auf dem Buckel, und jetzt wollt ihr von mir, dass ich das auch noch auf die Bühne bringe und so tue, als seien es Lieder? Ich muss nur an Hacken und Tragestangen denken, damit ich in Schweiss und Trübsal ersaufe. Habt ihr nichts anderes zu singen? (Han 1996: 58)

Er wird mit einer arroganten Zurechtweisung abgespeist und fügt sich zunächst. Als man ihm jedoch nahe legt, sein Kostüm eines seidenbehosten Scholaren gegen Hacke, Bambushut und aufgekrempelte Hosenbeine einzutauschen, ist er zutiefst irritiert: “Eine Hacke schultern? Da sehe ich ja aus wie ein alter Entenhüter! Abscheulich, einfach abscheulich!” Und als die Kulturbüro-Delegierten ihn herablassend wissen lassen, das sei eben Kunst, hat er noch einen Vorschlag: “Und wenn ich Jauchekübel mit mir herumtrage wird es sicher noch viel künstlerischer!?” Am Ende versagt er sich die Teilnahme an der lang ersehnten Tournee seiner Truppe in die Kreisstadt, weil er es nicht über sich bringt, sich mit dieser neumodischen Hackenkunst öffentlich zu blamieren. Der zhiqing-Erzähler kommentiert beeindruckt die moralische Standhaftigkeit dieses seiner Kunst treuen Sängers (Han 1996: 58–60). Auffällig ist in diesem Roman nicht nur das Missverhältnis zwischen der Respektlosigkeit der Parteigenossen und einer aus trotzigem Respekt für seine Kunst gewonnenen Selbstachtung des Volkssängers, sondern auch die neue Konstellation der vielen konkurrierenden Geschichtenerzähler mit ihren sehr unterschiedlichen narrativen Programmen. Einerseits tritt die Partei selbst als Geschichtenerzählerin – mit allerdings wenig überzeugenden Variationen ihrer Meistererzählung – auf den Plan und verlangt von den Bauern nicht nur, ihre eigenen Ge453

schichten als feudalzeitliche Lügenmärchen zu entsorgen, sondern die fremden Geschichten als ihre eigenen zu verinnerlichen. Andererseits übernehmen die aufs Land verschickten Jugendlichen eine Doppelfunktion als Zuhörer, Sammler und Archivare der alten Geschichten und als Beobachter, aber auch Opfer eines enthusiastisch begonnenen Experiments des gegenseitigen Lernens zwischen Intellektuellen und der Landbevölkerung, die ihre Geschichten über das reale Elend des täglichen Kampfs ums nackte Überleben sowie den kulturellen Konflikt zwischen sozialistischen Volksvertretern und dem Volk in die Städte zurückbringen. So geschieht es nicht nur in Han Shaogongs Romanen, sondern auch in zhiqing-Romanen und -Erzählungen von zahlreichen anderen Autoren mit zhiqing-Hintergrund, wie A Cheng, Li Rui, Liang Xiaosheng, oder Wang Anyi (Cao 2003). Damit lässt sich diese Generation von Mikrohistoriographen der lokalen Helden, Bauern, Rebellen, Schurken und Gespenster in die weiter oben zitierte Funktion von Mythenmachern jenseits dogmatischer Zeit-, Geschichts- und Kunstkonzepte einrücken, die Li Jiefei in seinem Vowort zu Wang Anyis Patri- und matrilinearen Mythen bereits den Höhlenmenschen attestiert hatte. Helden haben es schwer in dieser Zeit der Glaubens- und Orientierungskrisen; hatte Mo Yan im Roten Kornfeld (HGL, 1987) immerhin noch eine romantische Wiederauflage des klassischen Rebellenhelden als Vorfahren des Erzählers für möglich gehalten,68 existiert in seinem Roman Jiuguo (Die Schnapsstadt, 1992) kein einziger vertrauenswürdiger Ort oder Akteur, den invasiven Autor und mehrere korrupte Erzähler eingeschlossen. Auch der jüngere Schriftsteller Li Er (*1966) traut keinem allwissenden Geschichtenerzähler und verteilt den Hergang eines “postumen Mordes” am fiktiven revolutionären Märtyrer Ge Ren – dessen Name zusammen gelesen wörtlich “Individuum” bedeutet und ein Begriff ist, der nicht zufällig auf den Subjektivitätsdiskurs der Literatur 68

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“In short, the grandfather is a peasant (supposedly) without any trace of ideological construction. His unconventionality, as we can see, hinges partly on his earthiness, which the novel celebrates. This earthiness […] turns the grandfather, a common man, into a mythical character. Together with his natural surroundings, whose intense beauty and pure quality are symbolized by stretches of red sorghum fields, a fiery red color that floats above the heads of the sorghum, the pitch-black silt lying at the bottom of the Moshui River, and the crystal-clear water that flows over the river bed, the grandfather is represented as a hero who is, in essence, as pure, vital, transparent, and wild as that beautiful natural world. The image of a masculine (and therefore better) self is thus established.” (Zhong 2000: 141 f.)

des Vierten Mai 1919 zurückverweist – auf Berichte dreier Zeitzeugen, von denen jeder eine andere Version des Hergangs erzählt. Am Ende weiss man nur wenig mehr als am Anfang der Suche: der vermeintliche Märtyrertod hatte sich als Falschmeldung herausgestellt. Alle drei Kriegsparteien – Kommunisten, Nationalisten und Japaner hatten im Jahr 1943 ein Interesse daran, den bereits publik gemachten Tod des namhaften Kommunisten nachträglich herbeizuführen, ohne Spuren des Mordes zu hinterlassen. Der Titel des Romans, Huaqiang (Koloratur, 2004), nutzt die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs, der nicht nur die westliche Operngesangstechnik der Koloratur, sondern im Alltagsgebrauch vor allem Angeberei und leere Phrasen benennt. Die symbolische Ebene des fiktionalen Berichts über die rätselhaften Umstände des zweiten Todes eines bereits tot geglaubten Helden wird mit einer revolutionären Inszenierung in Yan’an eingeführt. Man heuert eine Koloratursängerin aus Shanghai an, um zur musikalischen Untermalung einer sorgfältig geplanten, kollektiven Strassenreinigungsaktion Revolutionslieder zum Besten zu geben. Nichts wird dem Zufall überlassen, aber die Aktion ist gleichzeitig völlig sinnlose Koloratur, weil der wegzuräumende Mist vorher eigens von woanders herbeigeschafft werden musste, genauso wie die Sängerin. Den für die Kommandanten gesondert ausgelegten “EhrenEselmist” darf das revolutionäre Fussvolk nicht anrühren (Li 2004: 9– 15). Der Geschichtenerzähler ist als Mythenmacher jedoch nicht nur für Helden zuständig. Im Kern der kritischen Überprüfung historischer wie mythischer Rollenvorbilder steht die Suche nach der eigenen Subjektivität. Dieser Weg führt nicht selten zurück bis auf die Grundverfasstheit menschlicher Existenz. Während sie melancholisch die Fragmente mündlicher Überlieferungen sammeln und unschätzbare Verluste verzeichnen, blicken die Erzähler von beispielsweise A Chengs Novelle Shu wang (König der Bäume, 1984), Gao Xingjians Roman Ling shan (Der Berg der Seele, 1990), Han Shaogongs Roman Shan nan shui bei (Südlich der Berge, nördlich der Gewässer, 2006), und Jia Pingwas Novellenzyklus Shangzhou (Shangzhou, 1987) bis in die deep time einer noch nicht entzauberten und von Menschenhand verwüsteten Natur. Thomas Moran argumentiert, dass Gao Xingjians Erzähler seine Positionalität in mehreren Kapiteln reflektiert, deren Gegenstand eine Wanderung im Urwald ist. Einerseits reagiert der Reisende resigniert, als ihm Wissenschaftler das Ausmass der zerstörten Naturlandschaft erläutern. 455

Da er sich selbst schon nicht schützen kann, erscheint ihm jede Aktion des Widerstands gegen den politisch sanktionierten Raubbau aussichtslos. Andererseits verliert er sich auf seiner Tour in einem noch unberührten Waldstück, gerät in Verwirrung, möchte sich gleichzeitig in die Natur hinein verflüssigen und ausserhalb von ihr wiederfinden. Eine solche Fluchtmöglichkeit, zunehmend als Illusion der Moderne entlarvt, gibt es jedoch nicht: das Herumirren im Nebel des Urwalds wird weitergehen – ohne Hoffnung darauf, wie Mönch Xuanzang, das literarisch-religiöse Vorbild des Erzählers aus dem Roman Xiyou ji (Die Reise nach dem Westen), Erleuchtung zu erlangen (Moran 2002). So landet der mit seinem Exil-Hintergrund und der französischen Staatsbürgerschaft wesentlich diasporisch positionierte Intellektuelle (Hall, Morley und Chen 1996: 484–503) Gao nach seiner politik- und modernisierungsmüden Ursprungssuche doch wieder in den globalen Metropolen – Hongkong, Berlin, Paris – und bei seiner Adoleszenz im maoistischen China; in persönlichen, zum Teil intimsten und peinlichen Erinnerungen, repräsentiert als symbolische Travestie des diasporischen Almanachs, seiner Ein-Mann-Bibel Yigeren de Shengjing (Das Buch eines einsamen Menschen / One Man’s Bible, 2000). Eine tiefer reichende Analyse der Repräsentations-Strategie dieses hermetischen, antikanonischen Romans müsste sich mit der asymmetrischen Spiegelungsfigur auseinandersetzen, welche Gaos Trauma-Narrativ in Relation zu Marguerite Duras’ Film Hiroshima Mon Amour (1959) setzt. An dieser Stelle soll lediglich auf die in Politik und Geschichte verstrickte Figur des gemäss Chow “protestantisch-ethnischen” Intellektuellen (Chow 2002: 47–49, passim) verwiesen werden, deren Aporien nicht nur im Roman ausgelotet werden, sondern die Gao selbst im Jahr 2000 anlässlich der Nobelpreisverleihung als “ersten chinesischen Preisträger” an die Spitze polemischer Verwechslung chinesischer Subjektivität mit Identität katapultiert hatte (Renné und Riemenschnitter 2008). Die in China verbliebenen Romanautoren teilen dieses Schicksal mit Gao, obwohl ihnen häufig – ebenso unreflektiert und eindimensional – ein anderer Vorwurf gemacht wird, nämlich sie seien regimekonform und nationalistisch. Es wäre naiv, irgendwo im globalen, konsumkapitalistischen Medienzirkus nicht allegorisierte, politisch unkontaminierte, konkrete und individuelle (ethnische) Subjektivitäten entdecken zu wollen. Die in den oben genannten fiktionalen Texten auftretenden Verkörperungen eines aus der Geschichte und den Tiefen des kulturellen Unbewussten gleichermassen 456

schöpfenden, lokalen Geschichtenerzählers reklamieren dies ehrlicherweise auch gar nicht. Posthumanistische Geschichtenerzähler setzen sich im Bewusstsein der Verlegenheiten kontextabhängiger intellektueller Positionalität deutlich von jener ab – ebenso wie von den hochglanzpolierten, rasch wieder vergessenen populären Helden der Massenmedien. Die Mythopoeten dieser weder modernen noch traditionellen, sondern allenfalls transhistorischen Figur misstrauen dem Aufklärungsanspruch jeglicher Theorien. Stattdessen setzen sie auf die Formation einer dialogischen Subjektivität in der Polyphonie der vorhandenen und kommenden Geschichten – jenseits aller wissenschaftlichen Soziolekte. 69 Aber auch dafür, dass diese Geschichten überhaupt noch erzählt werden können, gibt es keine Garantie, wie der Hongkonger Autor Leung Pingkwan feststellt: Reden wir über Hongkongs Geschichten, die immer falsch verstanden werden. Selbst wenn man voller Selbstzweifel einräumt, dass sich Hongkongs Geschichten nicht so einfach erzählen lassen, verdreht man dir jedes Wort und verwirft deine Argumente. Haben unsere theoriegesättigten Köpfe womöglich irreparablen Schaden genommen? Die Belletristik ist deshalb interessant, weil sie ein grosses Spektrum von Menschenleben bündeln kann, weil sie mit den Mitteln der Kunst ansteckt und nicht mit Logik überzeugen will. Ich hoffe weiter darauf, dass ich immer wieder neue Möglichkeiten entdecken werde, über immer andere Figuren zu schreiben und Geschichten zu erzählen, die mit den Menschen in Dialog treten können. Wenn ich meine Augen schliesse, tauchen viele menschliche Gesichter auf. Männer, Frauen, Jung und Alt schweben vorüber, verschwinden wieder – kann ich ihre Details erfassen, kann ich neue Methoden finden, um ihre Geschichten zu erzählen? (Leung und Ye 2009: 257)

Im Nachwort zu seinem Bricolageroman Houzhimin shiwu yu aiqing (Postcolonial Affairs of Food and the Heart, 2009) stellt Leung die Frage, wie unter den Umständen zeitgenössischer Kontamination und 69

“Zwischen Konsens und Dissens bewegt sich […] das Subjekt der Dialogischen Theorie, das im eigenen Soziolekt, in der eigenen Theorie nicht aufgehen möchte. Es bewegt sich zwischen den Sprachen und den Wissenschaftlergemeinden. Es verhält sich häretisch zu seiner eigenen Theorie, versetzt sie mit semiotischen Elementen und richtet sie auf das kritisch-rationale Postulat der kritischen Prüfung aus. Zugleich hält es an den Wertsetzungen der Kritischen Theorie – vor allem an der Forderung nach einem autonomen Einzelsubjekt – fest und erwartet von seinen Gesprächspartnern, dass auch sie an ihren Wertsetzungen und theoretischen Positionen festhalten. Denn ein Dialog mit dem anderen hat nur dann einen Sinn, wenn der andere seine Alterität nicht preisgibt.” (Zima 2007: 408)

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Verflüssigung jeglicher ästhetischer, generischer, moralischer und sogar kognitiver Kategorien noch gute Geschichten erzählt werden können. In den Narrativen der volksrepublikanischen, posthumanistischen Geschichtenerzähler-Generation spiegelt sich demgegenüber die Betroffenheit angesichts einer durch ihren jugendlichen Idealismus nicht etwa geheilten, sondern mitunter noch heilloser gemachten Realität wieder. Bei der Reflexion des handwerklichen Problems, wie Geschichten und ihre ambivalenten Wahrheiten (noch) erzählt werden können, treffen sich die etwas jüngeren zhiqing-Autoren mit dem Anliegen des diasporischen Intellektuellen Leung Ping-kwan. Ein etwas längeres Zitat soll die Selbstzweifel des in postkoloniale Aporien verstrickten, metropolitanischen Hongkongers bei allen Unterschieden in der Metaphorik bezüglich der Situation der vom Land in prosperierende chinesische Städte zurückgekehrten und häufig erfolgreich im Business gelandeten zhiqing-Autoren zum dort bereits etablierten ästhetischen Diskurs der Verlegenheit (gan’ga) ins Verhältnis setzen helfen: Die Schwierigkeit des Geschichtenerzählens erinnert mich an das Verschwinden dessen, was Benjamin im Erzähler “das Vermögen Erfahrungen auszutauschen” genannt hat. Die Sittlichkeit und die Erfahrungen der Vergangenheit sind zu hohlen Phrasen ohne jeglichen Bezug zur Realität verkommen, unser Vermögen Erfahrungen zu kommunizieren nimmt stetig ab. Sind wir auf der Suche nach dem Erzähler, der uns mit Formulierungen versorgt und unsere Realität ordnet? Kann er seine Leser dazu ermächtigen, auf der Basis ihrer neu entdeckten freundschaftlichen Gefühle die Skala wiederzufinden, an welcher die normalen Empfindungen und Orientierungen gemessen werden, welche der menschlichen Natur eignen, wenn sie sich im Gleichgewicht befindet? (Aber was ist normal?) Beim Wiederlesen von Benjamin fühlte ich mich besonders von den beiden Aspekten des “praktischen Interesses” und des Verhältnisses von Sprache und Erfahrung angesprochen. Das “Urteilen” und “Erklären” betrachtet er hingegen mit Vorbehalt. So macht er beispielsweise den folgenden Unterschied zwischen Erzählkunst und Medieninformation: “Jeder Morgen unterrichtet uns über die Neuigkeiten des Erdkreises. Und doch sind wir an merkwürdigen Geschichten arm. Das kommt, weil uns keine Begebenheit mehr erreicht, die nicht mit Erklärungen schon durchsetzt wäre. Mit anderen Worten: beinah nichts mehr, was geschieht, kommt der Erzählung, beinah alles der Information zugute. Es ist nämlich schon die halbe Kunst des Erzählens, eine Geschichte, indem man sie wiedergibt, von Erklärungen freizuhalten.” Benjamin vergleicht das Geschichtenerzählen mit einem Handwerk. Der langwierige, sorgfältige Produktionsprozess des Handwerks sträubt sich gegen unseren Versuch, alles abzukürzen. Eine Erzählung lädt ihre Leser ein, gemeinsam über die Bedeutungen des Lebens zu sinnieren. Eine Erzählung bewahrt ihre Kraft glanzvoller

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Entfaltung lange über ihre Entstehungszeit hinaus. Solche Ausführungen bringen uns zum Träumen. Doch gleichzeitig wissen wir genau, dass im heutigen Hongkong die Geschichten durch Informationen und knappe, fadenscheinige Werturteile in den Kolumnen über Persönlichkeiten ersetzt worden sind. Aus diesem Grund betrachten wir die Ausdauer fordernden Kompositionsverfahren des Handwerks als nicht mehr zeitgemäss. Gleichzeitig kommt den unterschiedlichen sozialen Gruppierungen in einer Gesellschaft, in der keine Geschichten mehr erzählt und die durch Geschichten ausgedrückten Sinninhalte systematisch übergangen werden, mehr und mehr das Vermögen abhanden, ihre Erfahrungen untereinander zu kommunizieren. Es fehlt in einer solchen Gesellschaft zunehmend der Konsens und es mehren sich aggressive öffentliche Wortmeldungen, die gewaltsam die Erfahrungen anderer Menschen verwerfen oder negieren wollen. Wie kann man unter diesen Umständen fortfahren, Geschichten zu erzählen? Eine solche Frage dient einzig der eigenen Gewissenserforschung. Sie bedeutet, sich in Anbetracht der Tatsache, dass man die von den Nudelmacher-Meistern erfundenen, hochwertigen Bambus-Nudelhölzer kaum mehr findet, dass die Rohstoffe nicht mehr dieselben sind, weil die Leute wahllos auch Fleisch, das nicht mehr frisch ist, verarbeiten und Backsoda zur Beschleunigung des Mariniervorgangs benützen, Fragen zu stellen. Sie bedeutet, in Anbetracht der Tatsache, dass sich die kommunalen Werte und Anforderungen von Tag zu Tag ändern, sich nämlich dies zu fragen: was muss man tun, um Lage für Lage von köstlich-raffinierten, mannigfach variierbaren Nudeln herstellen zu können? (Leung und Ye 2009: 258 f.)

Benjamins Essay Der Erzähler und die aussterbende lokale Alltagskultur handwerklicher Nudelherstellung lieferten folglich gemeinsam die Inspiration für Leung Ping-kwans Geschichten über Hongkongs zum flexiblen Manövrieren zwischen Sprachen, Kulturen, Zeiten und Regimes verurteilte, postkoloniale Subjekte. Auch ihre Subjektivität ist nicht denkbar ohne Identität stiftende Geschichten. Diese wiederum ist eine Voraussetzung der modernen Gemeinschaftsidee, weshalb die Suche nach einer eigenen Identität seit dem Bekanntwerden des Übergabetermins an die Volksrepublik China in den frühen 1980er Jahren auch in Hongkong zu strukturell ähnlichen Bemühungen um einen Kanon der eigenen Moderne geführt hatten. Im zwanzigsten Jahrhundert beider Gesellschaften haben Kanondebatten, der Wettstreit um historische Erinnerungsstätten, einander in rascher Folge ablösende historische Leiterzählungen sowie wechselnde Kategorien der sozialen Zuordnung, basierend auf je unterschiedlich interpretierten ethnischen, klassen- und genderspezifischen Merkmalen die Suche nach einer eigenen kulturellen Moderne begleitet und kontinuierlich für Geschichten mit einem sehr hohen Mass an Intertextualität gesorgt. Ein wichtiges Thema blieb die Suche der Intellektuellen nach einem gangbaren Weg der Verständigung 459

zwischen urbanen Eliten und der Bevölkerung ohne Bildungschancen, aber auch zwischen männlichen und weiblichen Erfahrungshorizonten. Dass Mythen nicht nur ideologisch vereinnahmt wurden, sondern auch einen bedeutenden Rang als ästhetische Kreuz- und Angelpunkte intellektueller Texte, notwendig allegorische Abstraktionen von Individualität im Alltagsdiskurs und Medien der Selbstsetzung und -behauptung subalterner Subjekte in deren kulturellen Iterationen einnahmen, haben seit einiger Zeit auch chinesische Kulturwissenschaftler beobachtet. Im Zentrum dialogischer Erkundungen, polyphonischer Narrative und der diese durchquerenden Mythen steht weiterhin die Frage nach dem Subjekt. Eindeutige, positiv besetzte Ideale wie noch zu Zeiten der maoistischen Helden stehen nicht mehr zur Verfügung. Wie ihre aktuellen Texte demonstrieren, stecken die Intellektuellen zunehmend in moralisch fragwürdigen gesellschaftlichen Konstellationen fest und suchen deshalb ihre Identität mit hybriden Modellen wie dem postkolonialen, postkommunistischen oder posthumanistischen Subjekt in Einklang zu bringen. Der Ausweg kann verständlicherweise nicht mehr über einen Rückzug in die Innerlichkeit führen. Stattdessen erscheint die mythisch-archaische Projektionsfigur des Geschichtenerzählers am Horizont postmoderner Literatur. Die Frage Wang Huis, wieviel diejenigen Nachfahren eines Gramscischen organischen Intellektuellen, welche sich mit der gegenwärtig geforderten akademischen Wissensproduktion nicht mehr arrangieren wollen oder können, noch mit dem einsamen Kämpfer Lu Xun gemein haben (H. Wang 2009: 203–208), muss an dieser Stelle offen bleiben. Klar ist jedoch, dass Schriftsteller wie die hier ausgewählten Han Shaogong, Mo Yan, Wang Anyi, Li Er, Gao Xingjian und Leung Ping-kwan sich für einen neuen kulturellen Mythos interessieren, der den Geschichtenerzähler – vielleicht rot gekleidet wie die theatralische Reinkarnation der “Gehängten Frau” in Lu Xuns gleichnamigem Essay,70 auf jeden Fall 70

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“Nüdiao”, QJ 6: 614–621. Wang Hui erinnert an Lu Xuns Würdigung dieser klassischen Bühnenfigur kurz vor dessen Tod: “She wore a red jacket and a long black sleeveless coat, her long hair was in disorder, two strings of paper coins hung from her neck, and with lowered head and drooping hands, she wound her way across the stage. According to old stagers, she was tracing out the heart sign; why she should do this I do not know. I do know, though, why she wore red […]. When she hanged herself she intended to become an avenging spirit, and red, as one of the more vital colors, would make it easier for her to approach living creatures.” (Wang 2009:

aber versiert in den lokalen, mündlich und performativ dargebotenen Formen des Erzählens – zum Hüter jener unzähligen Geschichten des Verschwindens ernennt, welche eine selbstzerstörerische Moderne weder angemessen erinnern noch vergessen kann. Einige der bemerkenswertesten Entwürfe einer Geschichtenerzähler-Subjektivität ausserhalb des intellektuellen Elfenbeinturms finden sich in Mo Yans Romanen; beispielsweise im Barden Zhang Kou, der angesichts neuer Katastrophen alte Reime ausspuckt (TTST), in den ihre Familiengeschichten reminiszierenden, aus Mesalliancen hervorgegangenen Enkeln und Söhnen (HGL, FRFT), aber auch in der skurrilen Kommunion zwischen den gemäss Chan “verlorenen Subjekten” 71 der modernen chinesischen Nation, von denen das eine in seinem Käfig mit farbiger Kreide gefüttert werden muss, damit es die anderen draussen vor dem Käfig mit (ihren) Geschichten speisen kann (Shisan bu / Dreizehn Schritte, 1989). Mit dem “ethischen Akt” sexueller Anomie, die den westöstlichen Bastard Jintong einmal sogar zur Nekrophilie verleitet, bringt Mo Yan die Rolle der Weltreligionen im chinesischen Modernisierungsprozess ins Spiel und antwortet mit der Provokation einer ethisch-asketischen “Familienzusammenführung”. Schliesslich erscheint ein die Moderne hilflos verkennender, Ah-Q-esk agierender Geschichtenerzähler als blasphemische Epiphanie in der bühnenartig nachgestellten Passion eines volks-

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191) Die Gehängte, eine von zahllosen Selbstmörderinnen in auswegloser Situation und in der patriarchalischen Gesellschaft ohne jegliche Unterstützung durch Recht oder Moral, ist einerseits eine Figur der Heimsuchung der Moderne, andererseits aber auch ein Appell an die Intellektuellen, sich ihre Wut zu eigen zu machen. Lus Aufruf, Unrecht niemals zu verzeihen, muss, so Wang, über dessen exzessiven privaten Hass auf seine (vermeintlichen) Gegner hinaus als politisches Instrument öffentlich und legitim bleiben (a.a.O.: 191–210). “The Thirteen Steps is a counternarrative of History itself caught at the threshold of modernity. Given the hegemony of the dominant cultural imaginary to which Chinese today are subjected, it also represents a series of fatal (because historically necessary) narrative steps in the modern Chinese subject’s move toward either ultimate freedom or utopian disintegration. […] For in our respective situatedness as Chinese, we are carried away differently by this text, only to be reconstituted involuntarily as lost subjects […] remembering History in the distrust of reality and realism, of culture and culturalism; blaming or saving the Imaginary of China in the rupture of acts of displacement and misidentification; and articulating subjectivity in positions leading nowhere to a secure order or hierarchy.” (Chan in Liu und Tang 1993: 71)

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religiös reinkarnierten, christlich-hybriden Erlöser-Gottes (TXX). Dieser an eine notorische Vorgängerfigur, den Führer der südchinesischen aufständischen Taiping Hong Xiuquan (1814–1864), erinnernde Shandonger Messias zeigt sich im gepfählten – und somit innerlich gekreuzigten – Maoqiang-Opernsänger Sun Bing, der sich als vorläufig letzter Sendbote der klassischen Götter einer qualvollen Überführung seiner eigenen Lebensgeschichte durch mehrere sich selbst entfremdete, lokale wie externe Mächte in den Mythos unterzieht.

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Anhang

1

Literaturverzeichnis

1.1 Abkürzungen

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䱯ࡪ՟⎧Ⲵྣ⾎ 䱯෾ 䱯4↓Ր ⡡ᱟн㜭ᘈ䇠Ⲵ 䱯ᶕ ᳇⽪ ⡨⡨⡨ ⲭ⤇⿻ॳᷦ ⲭ䈍 ⲭት᱃ ⲭ咯৏ ⲭ∋ྣ ⲭ∋ԉခ ⲭཌ ॺඑ ᳤仾僔䴘 व⢪ ेᶁ ेӜྣᣕ ༷䖭ᔲ᮷ ྄ᴸ ∅伎ᆷ ㅄ䇠ሿ䈤 ⻗䵎‫ੋݳ‬ ⊤ằ ߠᗳ 㺕ཙ нઘኡ 㭑⩠ ↻䴚 ԃ亹 ԃ亹֌Җˈཙ䴘㋏ˈ 公ཌଝ

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Cao Cao Cao Xueqin Chang E Chang’an Chang hen ge (Wang Anyi) Chen Kaige “Chenlun” (Yu Dafu) Chen Xiaoming Chen Zhongshi Cheng Cheng Fangwu chi ku chi ren Chi Zijian Chouhuaniang Chu Chu ci Chu sao zhi fu chuanqi Cigui Ci Xi da chi da he Da hong denglong gaogao gua (Film) dameng quan da shuo da yuejin dazhong wenxue Dangkou zhi (Yu Wanchun) Dao ke dao fei chang dao Deng Xiaoping Diren (Ge Fei) Ding Ling disan zhong ren Dongjing meng Hua lu (Meng Yuanlao) Dong Xi Du Liniang Fa lun gong

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fangshi Fei du Fei Ming Fengru feitun (Mo Yan) fengshui Fengyue (Film) Fu Xi “Fu Xi Fu Xi” (Liu Heng) Fuxi he muxi de shenhua (Wang Anyi) Fuxing zhi lu (TV-Serie) gan’ga ganshi youguo Gaotang shennü Gao Xingjian Gao Yuqian Gaozong (Kaiser) Ge Fei geming geming jia lian’ai geming shenjing bing geren Geyao yanjiu hui Geyao zhengji chu gongfu Gong Gong “Gu bao” (Jia Pingwa) Gu Cheng Gu chuan (Zhang Wei) Gu Jiegang gushi Gushi bian (Gu Jiegang) Gushi xinbian (Lu Xun) “Guxiang” (Lu Xun) Guxiang mian he huadou (Liu Zhenyun) Guxiang tianxia huanghua (Liu Zhenyun) Guxiang xiangchu liuchuan (Liu Zhenyun) “Guafu” (Jia Pingwa)

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Gua zhong Lan yin Guan Di Guanyin Guan Yu Guangxu “Gui cheng” (Jia Pingwa) guihua gui wenhua guo chi Guo Moruo guoxue Haitian Duxiaozi HAN (206 v. – 220 n.u.Z.) Han (zu) Han Shaogong haojie Hao Ran He dian (Zhang Nanzhuang) He shang (TV-Serie) “Hei jianbing” (Zhang Wei) Hong deng ji Hong gaoliang jiazu (Mo Yan) Hong lou meng (Cao Xueqin) Hongnan zuo zhan shi Hong Xiuquan Hong yan (Yang Yiyan) Hong Ying hou renminxing Hou Yi Hou zhimin shiwu yu aiqing (Leung Pingkwan) Hu Feng huli jing Hu Shi Hua Mulan Hua Xu Huainanzi

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Huang Di Huang Feihong s.a. Wong Fei Hung Huangmeixi Huang tudi (Film) Huang xiuqiu (Yi Suo) Hung Chang-tai Huogui huoshui Huosiren Huozhe (Yu Hua) Jiling chunqiu (Li Yongping) “Jinian Bai Qiu’en” (Mao Zedong) ji shen ru shen zai Jishi yu xugou (Wang Anyi) Jia (Mao Dun) Jia Pingwa jia yi bing ding Jianqi zhuguang (Wang Dulu) Jiang Guanyun Jiangjun bei (Zhang Dachun) Jiang Jieshi / Tschiang Kai-shek Jiang Qing Jinguang dadao (Hao Ran) Jinnian Yu Hong yanjiu (Hong Ying) “Jinshi di yi nüjie Luolan furen zhuan” (Liang Qichao) Jin Tushuang Jin Ping Mei Jin ye you baofengxue (Liang Xiaosheng) Jinghua yuan (Li Ruzhen) Jiuguo (Mo Yan) jiuguo wenxue jiushen Jiu yue yuyan (Zhang Wei) Judou (Film) kanfa kan tou

哴ᑍ 哴伎呯 哴ẵᠿ 哴൏ൠ 哴㔓⨳ ⍚䮯⌠ ⍫公 ⾨≤ ⍫↫Ӫ ⍫⵰ ਹ䲥᱕⿻ ㌰ᘥⲭ≲ᚙ ⾝⾎‫⾎ޕ‬൘ 㓚ᇎо㲊ᶴ ᇦ 䍮ᒣࠩ ⭢҉щб ࢁ≄⨐‫ݹ‬ 㪻㿲Ӂ ሶߋ⻁ 㪻ӻ⸣ ⊏䶂 䠁‫ݹ‬བྷ䚃 䘁ᒤ։㲩⹄ウ 䘁цㅜаྣᶠ㖇‫ྷޠ‬ ӪՐ 䠁ੀৼ 䠁⬦ẵ Ӻཌᴹ᳤仾䴚 䮌㣡㕈 䞂ഭ ᮁഭ᮷ᆖ 䞂⾎ ҍᴸሃ䀰 㧺䉶 ⴻ⌅ ⸽ཤ

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Kang Youwei kehuan xiaoshuo kexue xiaoshuo Kongzi (Konfuzius) kunan zhuti “Kuangren riji” (Lu Xun) Kunlun Lao jing (Zheng Yi) Lao san pian Lao She Laozi Li Boyuan Li Hongzhang “Li shui” (Lu Xun) Li Yingru Li Yongping Leung Ping-kwan (s.a. Ye Si) Liang Hongyu Liang Qichao Liang Shanbo Liang Shanding Liang Shuming Liang Xiaosheng Liaozhai zhi yi (Pu Songling) Lie nü zhuan (Liu Xiang) “Lieshou” (Jia Pingwa) Lie zi Lin Bai Lin Daiyu Lin Shu Lin Yusheng (Yü-sheng) Ling qi (Qiao Liang) Ling shan (Gao Xingjian) Liu Bannong Liu Bei Liu Heng Liu Na’ou

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Liu Rushi Liu Suola Liu Yutang Liu Zaifu Liu Zhenyun “Longzhu” (Shen Congwen) Lu Wenfu Lu Xun Lüse de gu (Liang Shanding) luanshen “Lun xiaoshuo yu qunzhi zhi guanxi” (Xin xiaoshuo 1902, 1) Lun yu Luo Guanzhong Luo Mi, Lu shi Luoyang Luoyang qielan ji (Yang Xuanzhi) Ma Junwu Maqiao Cidian (Han Shaogong) Manzu (Mandschu) Mao Dun Maoqiang Mao wenti Mao Zedong Mao Zedong yulu Mei Jianchi “Meijin, Baozi yu nei yang” (Shen Congwen) Mei Lanfang Meiniang Meishijia (Lu Wenfu) Meng Fanhua Meng Yuanlao Mi (Su Tong) Miao “Mimi didai” (Dong Xi) “Mi zhou” (Ge Fei)

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mian MING (1368-1644) Ming cheng (Gao Xingjian) Mingdingguo (Mo Yan) Mo Yan “Modao” (Shi Zhecun) “Moluo shili shuo” (Lu Xun) Mu Guiying muji da wu Mulian jiu Mu “Muqin” (Ding Ling) muqin yu dadi Mu Shiying “Nala zouhou zenyang” (Lu Xun) Nahan (Lu Xun) ‘Nahan’ de pinglun Nalai zhuyi “Niulang Zhinü” “Nüdiao” (Lu Xun) Nü jie (Ban Zhao) “Nühuang zhi si” (Zhao Mei) “Nü nü nü” (Han Shaogong) Nüren yongyuan pabudao nanren de tou shanglai (Zitat QQCQ) Nüshen (Guo Moruo) Nü Wa (Nü Gua) Nü Wa shi (Haitian Duxiaozi) nüxia Nuo Ouyang Shan Pan Jinlian Penglai zhi yi (Song Zelai) pi (youpi) „Piaobozhemen“ (WHKL) Pu Songling Pu Yi qi

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Qian Mingzi qigong qilin song zi “Qi qie cheng qun” (Su Tong) Qian wan bie ba wo dang ren (Wang Shuo) “Qianyan” Qiao Liang Qin Baba Qin qiang (Jia Pingwa) Qin Shi Huangdi Qin Shou’ou QING (1644-1911) Qingchun zhi ge (Yang Mo) Qiuhaitang (Qin Shou’ou) Qiu Jin Qiu shu (Zhang Binglin) Qu Qiubai Qu Yuan renmin wenxue ren yi renzhi ren zhi qianyishihua rouhai Rulai zhuanshi Runtu Sai Jinhua San guo yanyi (Luo Guanzhong) San jia xiang (Zhou Libo) san xin weiji Shan hai jing Shan nan shui bei (Han Shaogong) “Shangxin de wudao” (Su Tong) Shangzhou (Jia Pingwa) Shaonian Weite zhi fannao (Goethe, Werther) Shao wei li, shao wei li! Shen bao

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Shen Congwen Shen Jianshi shenhua “Shenhua, lishi yangcheng de renwu” (Jiang Guanyun) Shenhua liu jin (Wang Zhijian) shenmi wenhua shenmo Shen Nong shenti xiezuo Shengmu Shenhuang Shengsi chang (Xiao Hong) Shengsi pilao (Mo Yan) Shiba sui chu men yuan xing (Yu Hua) Shi cao jiazu (Mo Yan) shidafu Shi Hui Shi ji (Sima Qian) Shijie shang zui teng wo de nage ren qule (Zhang Jie) Shi jing Shisan bu (Mo Yan) “Shi shei zai shenye shuo hua” (Bi Feiyu) Shi shi diyu zhi (Leung Ping-kwan) “Shi shi ru yan” (Yu Hua) Shi Zhecun Shouhuo (Yan Lianke) Shucai de zhengzhi (Leung Ping-kwan) “Shushu de gushi” (Wang Anyi) Shu Ting Shu wang (A Cheng) Shui hu zhuan (Shi Nai’an, Luo Guanzhong) shuo bu si da qi shu si jiu Sima Qian Si shiren de cheng (Yang Lian)

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“Sixi you guo” (Zhang Dachun) Song ren xiaoshuo Song Yu Song Zelai Song Zhidi Songzi niangniang Soushen ji Sufeiya riji (Ding Ling) Su Manshu Su Tong Sun Bing Sun Yat-sen / Sun Zhongshan Tashi Dawa, s. Zhaxi Dawa Taibaishan ji (Jia Pingwa) Taiping Keren Taiping yulan Taiyang zhao zai Sangganhe shang (Ding Ling) Taizong (Kaiser) Tao’an meng yi (Zhang Dai) Tashi Dawa (Zhaxi Dawa) “Tiji” ti yong Tian Han Tiantang suantai zhi ge (Mo Yan) “Tian wen” (Qu Yuan) “Tianxian pei” (Wang Anyi) tie guniang Tono Monogatari Tschiang Kai-shek, s. Jiang Jieshi Tuibei tu (Ge Fei) Tujia wansheng dai Wang Anyi Wang Dulu Wang Chong Wang Shuo

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Wang Xiaolian Wang Yuanlu Wei Manzhou guo (Chi Zijian) Wei Renmin fuwu (Yan Lianke) “Weiyou tiancai zhi qian” (Lu Xun) wenhua da geming Wenhua kulü (Yu Qiuyu) Wen Yiduo Wo hu cang long (Film) “Women xianzai zenyang zuo fuqin?” (Lu Xun) Wong Fei Hung Wu Jianren (Wu Woyao) Wulong Wusheng Laomu Wutuobang youji (Xiaoran Yusheng) wuwei wuxia zhi sixiang Wuxu liu junzi Wu Zetian Wu Zhao Xi’an Xihu meng xun (Zhang Dai) “Xihu meng” (WHKL) Ximen Qing Xiyan (Film) Xiyou ji (Wu Cheng’en) Xizang, yinmi suiyue (Tashi Dawa) Xi Wangmu XIA (21.-16.Jhr. v.u.Z.) Xiaren xia xiang Xia Zengyou xianbi “Xiandai shi” (Lu Xun) Xiangcun wenrou (Liu Yutang) Xianggang sanbuqu (Shi Shuqing)

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Xianglin Sao xiangtu wenxue Xiangtu Zhongguo “Xiaobao zhuang” (Wang Anyi) Xiao Hong xiaohua xiaoqian Zhongguo Xiaoran Yusheng xiaoshuo Zhongguo xin gudianzhuyi xin lishi zhuyi Xinling shi (Zhang Chengzhi) xin nüxing xinren weiji xin wenhua xinxin weiji xinyang weiji xinzhi Xingxiang Xianggang (Leung Ping-kwan) Xiongdi (Yu Hua) Xiong Zhengliang “Xu” Xu Kun Xu Sanguan mai xue ji (Yu Hua) Xu Xiake Xu Yu Xuan Zang Xuan Zhu xun xungen Yan’an Yan Di Yan Fengying Yan Fu Yanagita Kunio Yanguang niangniang Yan Lianke

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“Yanshuo zhi wai” (Han Shaogong) “Yansizhe de chaodu” (Leung Ping-kwan) Yanyang tian (Hao Ran) Yang Guifei Yang Kun Yang Lian Yang Mo yangren Yang Xuanzhi Yao yaomo Ye cao (Lu Xun) Yehuo chunfeng dou gucheng (Zhou Libo) Yelangguo Ye Shengtao ye shi Yidian zhengjing meiyou (Wang Shuo) Yige ren de Shengjing (Gao Xingjian) Yige ren de zhanzheng (Lin Bai) “Yijiusanling nian chun Shanghai” (Ding Ling) yi ku si tian yimin “Yi sheng” (Ye Shengtao) Yi Suo Yin shi nan nü (Film) Yingxiong (Film) “Youhuo” (Han Shaogong) You ming jing you pi you Wu shi qi er mie zhi youzhi Yu Yu Dafu “Yu gong yi shan” (Mao Zedong) “Yu hou” (Shen Congwen) Yu Hua

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“Yujin” (Han Shaogong) Yu Qiuyu Yuan Ke Yuan Mei Yuan Shikai yuanshi shenhua yuanyang hudie pai yuanyang hudie xiaoshuo Yue jie lüxing (Jules Verne) yuyan Zai xiyu zhong huhan (Yu Hua) Zhaxi Dawa (s. Tashi Dawa) Zhanyou chongfeng (Mo Yan) Zhang Binglin Zhang Chengzhi Zhang Dai Zhang Jie Zhang Nanzhuang Zhang Wei Zhang Yimou Zhang Zhidong Zhao hua xi shi (Lu Xun) Zhao Mei zheng shi Zheng Yi zhiguai zhiqing zhishi Zhongguo gudai shi Zhongguo lishi jiaoke shu zhongjian renwu Zhong Kui Zhongwen da cidian Zhongxuan bu Zhou Libo Zhou Zuoren “Zhu fu” (Lu Xun)

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Zhuge Liang “Zhu jian” (Lu Xun) Zhu Yuanzhang Zhu Yingtai Zhuang zi Zhuangzi (Werktitel) Zhuan Xu Zhuang Zhidie Zi buyu (Yuan Mei) Zi buyu guai, li, luan, shen Zi tan muqiu (Su Tong) ziwo fanxing Zou xiang Gonghe (TV-Serie)

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Index 1934 Escapes 448 “1986” 156, 263 A A Cheng 454, 455 s. Shu wang A Touch of Zen 109 Abbas, Ackbar 185 Absalom, Absalom 79 Abschied von der Mutter 444 Acibo hai de nüshen 65 Adorno, Theodor 123 Ah Q 77, 159, 361, 363, 440, 442, 461 Ai shi buneng wangji de 444 Akt, ethischer 439, 461 Aktualisierung mythophorische 401, 405 Alai 69 Allegorie 99, 159, 216, 239, 264, 275, 342, 349, 404 aristotelische 38 der Geschichte 399 Frau als 414 kosmische 430 nationale 77, 194, 220, 268, 373, 414 weibliche 405 Allegorisierung 401 Almanach, diasporischer 456 alte Brunnen, Der 276 Anachronie, mütterliche 431 Anachronismus 155 Anderson, Benedict 166, 168 Ang Lee 110 Annales-Historiker 354, 402 Anshi 120 Antigone 86, 379 Appadurai, Arjun 152, 154, 167, 202 Appetit, Globalisierung des 29 Apter, David E. 288, 290, 291 Arbeit, mythophorische 134

Archetypen des Erzählens 47 der Weiblichkeit 407 Aristoteles 37 Armee 254 Achte-Route- 255 Neue-Vierte- 255 ars memoria 427 Assmann, Aleida 167 Ästhetik des Erhabenen 338 des bedrängten Subjekts 441 Genie- 85 internationale 65 nationale 65 politische 416 Ästhetikprogramm, maoistisches 18 Auckland, Neuseeland 190, 229 Aufklärung 138, 221, 287, 363 Strategien der 278 Universalismus der 373 westliche 245 Aufzeichnungen des Historikers s. Shi ji Aufzeichnungen über Luoyangs Tempel, s. Luoyang qielan ji Auto-Orientalismus 329, 356 B “Ba ba ba” 102, 276, 417 Babbitt 432 Bachofen, J. J. 55, 66, 407 “Bai gou qiuqianjia” 414 Bai Juyi 346 Bai Lu yuan 264, 265 Bai mao nü 158, 411 s. Weisshaariges Mädchen Bai Ye 119 baihua 68 Baimao xiangu 158 Bakhtin, Mikhail M. 193

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Baofeng zhouyu 265 Bastille 310 Bauernrevolte 337 Begehren, 263 geschichtliches 266 Begonie 439 Bei Cun 102, 157, 381, 396, 399, 400, 403 s. Wu Zetian Beijing nübao 410 “Ben yue” 81, 88 Benjamin, Walter 459 s. Der Erzähler Berg der Seele, Der 455 Bericht meiner Reise nach Utopien 94 Berlin, Isiah 362 Besatzer, japanische 214, 414 Bhabha, Homi 142, 168, 306, 443 Bi Feiyu 96, 342 Big Breasts and Wide Hips 418 biji xiaoshuo 270 s. Pinselnotizen biji-Literatur 270 Bildungsroman 450 Bing Xin 71 Biographien vorbildlicher Frauen 409 Birrell, Anne 48, 51, 409 Bixia Yuanjun 33, 417, 419 Blok, Aleksander 88 s. Dvenatcat’ Blumenberg, Hans 236 Bodhissatva Maitreya 378, 395 Bolschewismus 288 Bonnefoy, Yves 386 Borges, Jorge Luis 297 s. Historia de la Eternidad Bourdieu, Pierre 133 Boxer 322, 323, 330, 335 historische 332 Wut der 339 Boxeraufstand 151, 241, 315, 317, 336 Boxerkrieg 326 Boxerprotokolle 333 Boxer-Roman 335 Braudel, Fernand 352

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Brecht, Berthold 376 s. Die Massnahme Brüder 249 “Bu tian” 80, 83, 243, 411 Buch der Berge und Gewässer 409 Buch der Lieder s. Shi jing Buch eines einsamen Menschen, Das 456 Büchner, Georg 289, 291 s. Dantons Tod Buddenbrooks, Die 79 Buddhismus 388 chinesischer 409 volksreligiöser 199 buddhistisch 365 Bulimie 224 Buru Quartet 325 Butler, Judith 367 Burgfestung, Die 277 “Buzhou Shan” 83 Byron, George G. N. 85 C Cai Yan 107 Can Xue 342, 444, 447 Cang Jie 120 Cao Cao 73, 265 Cao Wenxuan 99 Cao Xueqin 71 Cassirer, Ernst 14, 16, 51, 82 Centhini 58 Chan Ching-kiu Stephen 461 Chang E 83, 163, 271, 382, 385, 446 “Chang E flieht zum Mond” 273 Chang hen ge 163, 346, 382 Chang’an 398 Cheah, Pheng 142, 229, 325 Chen Kaige 84, 163, 416 s. Huang tudi, Fengyue Chen Xiaoming 30, 147, 148, 252, 263, 266, 270, 271, 291, 440, 443 Chen Zhongshi 264, 265 s. Bai Lu yuan Cheng 185 Cheng Fangwu 83

“Chenlun” 366, 443 chi ku 226 chi ren 194 Chi You 273 Chi Zijian 445 s. Wei Manzhouguo Chiho Hoshino 189 s. City of Dead Poets China can say no 319 China-Besessenheit 150 China-Erzählen 154 Paradigma des 156 Chineseness 141, 153 Chouhuaniang 116 Chow, Rey 141, 163, 222, 224, 456 Chu 61, 276, 370 Chu ci 59 s. Qu Yuan chuanqi 47, 89, 92, 103, 378, 394, 403, 445 Ci Xi 241, 333, 376, 393 Cigui 115 City of Dead Poets 189 Code daoistisch gewendeter 121 konfuzianischer 121 Cole, Robert A. 409 Conrad, Joseph 217, 328 s. Heart of Darkness, The Secret Agent Cortázar, Julio 151 Croce, Benedetto 375 Crouching Tiger Hidden Dragon 109, 206 D da chi da he 213 Da hongdeng gaogao gua 268 da wo / xiao wo 362 da yuejin 430 Dandelion, s. Juzo Itami Dantons Tod 289 Daoismus 59, 296, 388, 408 philosophischer 295 daoistisch 365 Darwin, Charles 66 dazhong wenxue 441

deep time 431, 439, 451, 455 Defoe, Daniel 55 Demokratie 287, 337, 363, 413 Deng Xiaoping 19, 101, 118, 149, 212, 233, 307, 405 Derrida, Jacques 110 Descartes, Rene 362 Detective Hunter 218 Deutschstunde, Die 260 Devereux, Georges 407 Dialektik der Aufklärung, Die 123 Diaspora 448 Dickens, Charles 68 Dictionary of Maqiao, A 453 Diderot, Denis 58 Ding Ling 265, 382, 445 s. Muqin, Sufeiya riji, Tai-yang zhao zai Sangganhe shang, “Yijiusanling nian chun Shanghai” Diren 95 Dirlik, Arif 251, 289, 371 Distinktion 169, 197, 224 nationale 149 regionaler Identitäten 161 Döblin, Alfred 121, 123 s. Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende Dogma 237 religiöses 310 Dong Xi 342, 343, 344, 345 s. “Mimi didai” Dongjing meng Hua lu 176 Dreizehn Schritte 461 Du Liniang 370 Duara, Prasenjit 228, 238 Dumas, Alexandre 370 s. Kameliendame Dunhuang 179 Duras, Marguerite 456 Dürrenmatt, Friedrich 194 “Dvenatcat’” 88 Dystopie 17, 340 China- 134 dystopische 155

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E Eat Drink Man Woman 202 Ehefrauen und Konkubinen 268 Einsamer Kampf 447 Eisenstadt, Shmuel 353 eiserne Jungfrau 394 Elite konfuzianische 33 patriarchalische 408 Elternschaft soziale 331 Empathie 361, 440 Encyclopédie 58 Enthusiasmus 31, 424 der Kulturrevolution 307 kantischer 314 revolutionärer 30, 281, 286, 289, 290 Entmythologisierung 275, 340, 398 Erdmutter, uroboroische 416 Eremit, mondäner 176 Erhabene, Paradigma des 165, 247, 342 Erhabene Mutter und Göttliche Kaiserin 378 Erinnerungsort 29, 133, 134, 169, 170, 181, 185, 188, 229 Erzähler 453 “Erzähler, Der” 459 Erzähltraditionen, klassische 245 Erzählungen, neuhistorische 344 Essentialisierung, der Allegorie 349 Essentialismus, regressiver 428 Ethik, konfuzianische 233 Ethnizität 142 Euhemerisierung 57, 59 Eurozentrismus 140, 148 exegetic bonding 289 Exotisierung 399 Exzentriker 365 exzentrisch 171 Exzentrizität, Paradigma der 172 Exzesse, revolutionäre 219 F fabula 49 Falun gong 102 Fanatismus 402

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fangshi 57 Farce 158 Faulkner 79 s. Absalom, Absalom Faxian muqin 434 Fei du 119, 438 Fei Ming 67 Feind, Der 98 femme fatale 330, 395 Fengru feitun 33, 264, 418 Fengyue 84, 163 Fiktion historische 275 neuhistorische 115, 239, 240, 253, 285, 320, 340 flirtation with China 157 Folklore 48, 59, 61, 62, 64, 67, 70, 73, 386 -Archive 72 ländliche 250 For the Sake of the Republic 317, 332 Fortschritt 309, 333, 337 evolutionärer 384 historischer 245 romantische Vorstellung von 287 weltgeschichtlicher 246 Fortschritts-Mythos 349 Foucault, Michel 126, 441 France, Anatole 68 Französische Revolution 286 Frau, neue 381, 389 Frauenmythen, archaische 387 “Fraufraufrau” 417 Frazer 74 Frazer, James 66 Freud, Sigmund 66, 74, 81, 98, 99, 114, 270, 407 FRFT 161, 162, 215, 275, 430, 431, 434, 437, 443, 461 s. Fengru feitun Friedhof 189, 230 Friedrich, Michael 366 Fu Xi 73, 77 “Fu Xi Fu Xi” 77, 414 Fuchsgeister 418 Furet, François 287, 289

Futabatei Shimei 181 Fuxi he muxi de shenhua 448 Fuxing zhi lu 317 G Galarza, Ernesto 151 gan shi you guo 150, 157 gan’ga 438, 458 Gao Xingjian 115, 122, 251, 281, 289, 455, 456, 460 s. Ling shan, Ming cheng, Shan hai jing zhuan, Yige ren de shengjing Gao Yuqian 410 Gaobie geming 291 Gaomi 424, 429 Gaotang-Göttin 385 Gaotang-Legende 383, 389 Gaozong 375, 398, 400, 403 Ge Fei 95, 96, 97, 98, 342, 345, 347, 381, 396, 399, 400 s. Diren, “Mi zhou”, Tuibei tu Gebote für Frauen 404 Gedächtnis 28 kollektives 430 kommunikatives 243 kulturelles 278, 319, 334 Geertz, Clifford 352 Gegenmythen 267, 378, 405 “Gehängte Frau, Die” 460 “Geheime Geschichte Tibets” 230, 357 “Geheime Zone” 343 Geister 70 -Erzählungen 191 rituelle Austreibung 184 “Geisterhochzeit” 347 “Geisterstadt” 343 Gelbe Erde 416 Gelbe Gefahr 323, 354 Gelber Kaiser 59, 121,132, 177, 178, 273 s. Huang Di Gemeinschaft 39 “kommende” 342 exegetische 238, 291, 310, 311, 313, 316, 336, 342 neokoloniale 141

Gemeinschaften, vorgestellte 306 geming kuangre 157 s. Revolutionsfieber geming shenjingbing 290 Genealogie 249, 270, 276, 315, 451 mythische 276 fiktionale 451 Genghis Khan 451 geren 364 Geschichte als Mythos 451 des Herzens 255 individualisierte 256 materialistische 256 mentale 256 mündlich überlieferte 256, 257 nationale 29 offizielle 256 populäre 256 Remythisierung der 451 “Geschichte der weissen Schlange” 273 Geschichte der Drei Reiche 243 Geschichtenerzähler 210, 245, 276, 349, 427, 452–455, 460, 461 lokaler 457 posthumanistischer 457, 458 (Projektions)figur des 452, 460 Geschichtsbild 30 teleologisches 265 Geschichtsdiskurs 29 Geschichtsfiktion mythophorisch gestaltende 246 rote 299, 314, 340 Geschichtsgefühl 326, 334 populäres 317 Geschichtsphilosophie 265 materialistische 257 Geschichtsrepräsentation neuhistorische 344 Geschichtsschreibung 22, 33 inoffizielle 339 Krise der 243 personalisierte Form der 450 rote 254 s. Historiographie

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Geschichts-Subjekte, männliche 425 Geschichtszeichen 288 Geschlechteridentitäten 386, 439 Gesellschaft, harmonische 234 Gespenster 79 Gespenstergeschichten 272 Gewalt 331 Formen von 316 Geyao yanjiu hui 62 Geyao zhengji chu 62 Giesen, Bernhard 142 Globalisierung 38, 227 Endpunkt der 251 “Glutasche” 418 Goethe, Johann Wolfgang von 369 s. Leiden des jungen Werther Gong Gong 81, 282, 310, 432 Gong Li 432 Götter 18, 59 Göttererzählungen 48 Göttin(nen) 369, 405 Göttin der Fülle, s. Wusheng Laomu Göttin des Mitgefühls, s. Guanyin Gourmet, Der 211 Gourmet-Kannnibalismus 220 Grab, des Unbekannten Soldaten 166 Gramsci, Antonio 460 Grass, Günter 260 Greater China 146 Greenblatt, Stephen 257 Grosser Sprung nach vorn 311, 430 Grosserzählung, nationale 156 Groteske 150 Gründungsmythos 37, 195, 304, 378 archaischer 201 der Volksrepublik 416 nationaler 31 sitiogonischer 210 “Gu bao” 277 Gu Cheng 164, 185, 186 s. Cheng, “Xinjiekou” Gu Jiegang. 54, 55, 56, 67, 76, 82 “Guafu” 99 Guan Di 73 s. Guan Yu

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Guan Yu 73 Guangxu-Kaiser 323, 333, 335 Guanyin 33, 417, 418, 419, 421 Guazhong Lan yin 325 Guffey, Elizabeth 339 f. “Gui cheng” 119, 343 gui wenhua 100 guihua 100 Guo Moruo 72, 74, 369, 394 s. Nüshen, “Tian gou” guochi 150, 157 s. Schande, nationale Guomindang, s. Kuomintang (KMT) guoxue 374 gushi 258 Gushi xinbian 76, 77, 80, 82, 88, 114, 115, 163, 243 Guxiang mian he huaduo 265 Guxiang xiangchu liuchuan 265 H Haitian Duxiaozi 389, 392 Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende 121, 123 Han 54 -Kultur 173, 176 Nation der 69 -Nationalismus 85 Han Shaogong 69, 89, 101, 120, 121, 234, 276, 342, 417, 418, 452, 454, 455, 460 s. Anshi, Ba ba ba, Maqiao Cidian, Nü nü nü, Shannan Shuibei, Yujin Hao Ran 90, 266 s. Jinguang dadao, Yanyang tian Harrison, Jane Ellen 66 Harry Potter 344 haute cuisine 203 He dian 17, 18, 115, 116, 118, 121, 127 Heart of Darkness 328 Hegel, Robert E. 375 Hegemann, Carl 318 Heilige Mutter und Göttliche Kaiserin 395 Heimat 198 Konzept der 158

Topos der 155 verlorene 173 Heine, Heinrich 87 Held(en) 211, 454, 455 der Massenmedien 457 maoistische 460 Hemingway, Ernest 269 Heroenmythen 37, 276 Heteroglossie, mythologische 349 Heterotopie 31, 126, 356 HGL 461 s. Hong gaoliang jiazu “Himmelshund” 369 Hiroshima Mon Amour 456 Historia de la Eternidad 297 Historiographen, konfuzianische 375 Historiographie 21 regionalistische 309 Historisierung, des Mythos 451 Historismus 340 teleologischer 239 Hochzeitsbankett, Das 203 Hölderlin, Friedrich 126 Hölle(n) 17, 18, 298 Hollywood 206, 217 Homer 74 Hong deng ji 410 Hong gaoliang jiazu 213, 214 Hong lou meng 71, 199, 243, 391 Hong Xiuquan 462 Hong yan 90, 411 Hong Ying 448 s. Jinnian Yu Hong yanjiu Hong Zhigang 321 Hongkong 182, 185, 222, 224 Hongnan zuo zhan shi 266 Horkheimer, Max 123 hou renminxing 441 Hou Yi 81, 83, 115, 272, 273 Hou zhimin shiwu yu aiqing 222, 457 Hsia, C. T. 245 Hu Feng 363 Hu Shi 72, 74, 362, 363 Hua Mulan 107, 370, 381, 382 Hua Xu 177

Huainanzi 120 Huang Di 59, 73, 178 s. Gelber Kaiser Huang Feihong 109 s. Wong Fei Hung Huang tudi 416 Huangmeixi 347 Huaqiang 455 huli jing 418 Humanismus, christlicher 87 Hunderttage-Reform 327 Hung Chang-tai 64 Hunger 213–215 poetischer 224 Huntington, Samuel 148 Huogui 115 huoshui 380, 405 Huosiren 116 Huot, Marie-Claire 415 Huozhe 260 Hu-Wen-Regime 234 Huxley, Thomas 66 Hybridität, kulturelle 149 I Ibsen, Henrik 77, 78, 79, 370 s. Nora, s. Gespenster Identifikation als Subjekte der Nation 371 exegetische 357 Identifikationsfeld 21, 24, 34, 127 des nationalen Raumes 103 Geschichte als 238 s. Geschichte Identität(en) 34, 113, 154, 157, 176, 196, 224, 316, 365, 400, 460 als Distinktion 146 chinesische 27, 140, 153, 355, 456 Distinktion regionaler 161 essentialistische 306 ethisch begründbare 439 flexible 371 fundamentalistische 372 kollektive 170, 195, 303 kulturelle 23, 38, 203

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männliche 415 moderne 72, 69, 150, 307 mütterliche 432 nationale 21, 24, 28, 138, 141, 153, 208, 235, 240, 268, 275, 379, 386 singuläre 261 Stiftung von 449 subalterne, chinesische 361 taiwanische kollektive 145 transformative 372 weibliche 106, 388, 432 Identitätsbildung, kollektive 238 Ideologie 41 konfuzianische 18 politische 138, 319 säkulare 167 Images of Hong Kong 183 imaginaires 167, 236, 339, 352 Imagination 152, 163, 167, 270 Imperialismus, westlicher 140 Imperialisten, japanische 424 Individualismus 288, 364 Individualität 62, 316 Individuum 32, 364 Abgrenzung des 362 Inszenierung, polymythische 65 Intellektuelle 32, 34 diasporische 458 organische 460 J Jameson, Fredric 264 Japan 195, 330 Jenni, Barbara 438 Jia Pingwa 69, 96, 99, 118, 121, 234, 277, 342, 343, 438, 455 s. Bai ye, Fei du, “Guafu”, “Gui cheng”, “Lieshou”, Qin qiang, Shangzhou Jiang Guanyun 53, 64 Jiang Qing 33, 376, 383, 393, 394, 395, 405 Jiang Wen 248, 249 s. Guizi laile Jiang Xueqin 299 Jia-yi-bing-ding-System 331

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Jin Ping Mei 200 “Jing Wei füllt das Meer” 273 Jinghua yuan 96, 115 Jinguang dadao 90, 266 “Jinian Bai Qiu’en” 71 Jinnian Yu Hong yanjiu 448 Jintong 421 Jinye you baofengxue 342 Jishi yu xugou 450 Jiu guo 194, 212, 221, 264, 343, 454 jiu shen 213 Jiu yue yuyan 160, 210 jiuguo wenxue 158 s. Literatur zur Rettung der Nation Joyce, James 68 Judou 268, 433 Jules Verne 93 s. Reise zum Mond Jung, Carl Gustav 99 Jussawalla, Adil 168 Juzo Itami 204, 206, 207 s. Marutai no Onna, Minbo no Onna, Tampopo K Kafka, Franz 260, 269, 294 Kagan, Robert 354 Kain 85 Kakophonie 337 Kameliendame, Die 370 Kampf gegen die vier Alten 348 kan tou 157 kanfa 297 Kang Youwei 54, 325 Kannibalismus 193, 196, 216, 218, 219, 220, 221, 363 symbolischer 194 s. Gourmet-Kannibalismus Kanon 25, 127, 173 (re)legitimierter 127 alternativer 66 Identität stiftender 113 konfuzianischer 24, 61 literarischer 27 nationaler 24

neuer 29, 118 Umbildung des 70, 72 verbindlicher 245 Kanonisierung nationaler Küchentraditionen 206 Kant, Immanuel 284, 286, 290, 362 Kapitalismus 215 mit chines. Charakteristika 233 zerstörerischer 246 Karl, Rebecca 326 Karneval 34, 193 Karneval der Götter s. Zhongshen Kuanghuan Karnivorismus 193, 194 Kassandra 446 Keightley, David 386 Kerényi, Karl 42, 194 Kinderliteratur 71 King Hu 109 s. A Touch of Zen Kingston, Maxine Hong 104 s. The Woman Warrior Kirschgarten, Der 79 Klassenfeind 403 Klassenkampf 369, 432 revolutionärer 246 -Vokabular 281 Klassiker-Exegese konfuzianische 364 KMT 255, 260, 264, 345, 429 -Regime 299 -Truppen 303 s. Kuomintang, Guomindang Knoblauchrevolte, Die 215, 297, 336 Kochkunst 216 nationale 28 Kolonialismus 328, 373 Kolonialregime, japanisches 199 Kolonisierung 431 japanische 228 Koloratur 455 Kommunion 196, 198, 309 Kommunistische Partei Chinas 254 konfuzianisch 327 s. Postulat, Würdenträger

Konfuzianismus 25, 63, 386, 387, 409 Rehabilitation 73 traditioneller 89 Konfuzius 13, 58, 97 König der Bäume 455 Königinmutter des Westens 271, 384 s. Xi Wangmu Konservativismus 147 Konstellation, multipolare 241 Konstruktion, mythophorische 165 Konsumkapitalismus 248, 381 Kontaktzonen, kulturelle 276 Körper 308 konsumierender 135 Missbrauch des 152 nationaler 193 Körperschreiben 441, 444 Kosmogonie 72 Kosmograph 169, 172, 182, 190 Kosmopolitismus, tangzeitliche 354 KPCh 260, 264 krähende Henne 394 s. Wu Zetian Kreon 379 Krieg Kalter - 236, 281, 289, 322, 354 sino-japanischer 241, 323 Kriegführung, kulturelle 152 Kritik, postkoloniale 142 “Kuangren riji” 220, 363 Kubin, Wolfgang 186 Kultur, Qi-Lu- 278 Kulturbringer-Mythos 62 Kulturdiskurs, patriotischer 19 Kulturen, matriarchalisch begründete 385 Kulturindustrie konsumorientierte 164 nationale 351 Kulturnationalismus 250, 251 konsumorientierter 319 Kulturpolitik, maoistische 452 Kulturrevolution 20, 28, 31, 71, 94, 157, 159, 178, 186, 209, 212, 234, 247, 250, 254, 255, 265, 266, 284, 296, 307, 332, 343, 347, 380, 383, 394, 401, 437

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Narrative der 160 Tragödie der 281 kunan zhuti 441 Kundera, Milan 297 Kuomintang (KMT) 254 L Lacan, Jacques 367 Le Roy Ladurie, E. 315, 352 Lady Chatterley’s Lover 79 Landreform 265, 266 Lang, Andrew 66, 74 Langer Marsch 338 “Lao jing” 276 Lao san pian 71 Lao She 67 Lao zi 295 Larson, Wendy 163 Lawrence, D. H. 79 s. Lady Chatterley’s Lover Leben! 262 s. Huozhe “Leben, Ein” 414 Lee Ang 109, 111, 193, 202, 206, 445 s. Crouching Tiger Hidden Dragon, Eat Drink Man Woman (Yin shi nan nü), Das Hochzeitsbankett (Xiyan) Lee, Gregory 224 Lee, Leo O. 245 Legende(n) 48, 273, 445 Legitimationsmythos 288 Leiden, Kult des 157 Leiden des jungen Werther, Die 369 Leidenschaft, revolutionäre 287 Lenin-Mausoleum 311 Lenz, Siegfried 260 s. Deutschstunde, Die Leung Ping-kwan 28, 29, 125, 164, 182, 184, 222, 224, 457, 459, 460 s. Houzhimin shiwu yu aiqing, Images of Hong Kong, Shishi diyu zhi, Shucai de zhengzhi, “Yansizhe de chaodu” Lévi-Strauss, Claude 211, 377 Li Bai 269 Li Chenghua 243

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Li Er 454, 460 s. Huaqiang Li Gefei 175 Li Hongzhang 333 Li Jiefei 449, 454 Li Rui 454 Li Shimin 392 “Li shui” 82 Li Xian 393 Li Yingru 266 s. Yehuo chunfeng dou gucheng Li Yongping 156 Li Zehou 284, 287, 289, 363 Li Zhi 397, 398, 400 Liang Hongyu 382 Liang Qichao 30, 53, 64, 92, 94, 95, 155, 283, 284, 286, 325, 389, 427 s. Die Zukunft des Neuen China Liang Shanbo 274 Liang Shanding 228 s. Lüse de gu Liang Shuming 53 Liang Xiaosheng 342, 454 s. Nächtlicher Schneesturm Liaozhai 100 Lichtenberg, Georg Christoph 329 Liezi 59, 177 lienü 405 Lienü zhuan 409 “Lieshou” 99 lieu(x) de mémoire 169 s. Erinnerungsort Liminalität, kritische 172 Lin Bai 447 s. Yigeren de zhanzheng Lin Daiyu 370, 391 Lin Qingxin 245 Lin Shu 66 Ling shan 251, 455 Lingqi 251 Literatur der Massen 441 des Vierten Mai 454 des Volkes 441 für die Massen 452

neuhistorische 344 regionalistische 155, 158 zur Rettung der Nation 158 Liturgie(n) 161, 195 Liu Bang 303 Liu Bannong 62, 67, 116 Liu Bei 73 Liu E 243 Liu Heng 77, 414 s. “Fu Xi Fu Xi” Liu Rushi 370 Liu Suola 446 Liu Yutang 160 s. Xiangcun wenrou Liu Zaifu 282, 284, 287, 289, 363 Liu Zhenyun 265, 291 s. Guxiang mian he huaduo Liu, Alan 399 “Longzhu” 68 Lord of the Rings 344 “Lost Boat, The” 345 Love Must Not Be Forgotten 444 Lu shi 57 Lu Wenfu 28, 211 s. Meishijia Lu Xun 18, 25, 67, 70–96, 114–127, 159– 165, 181, 193, 212, 220, 221, 243, 270, 291, 361, 363, 365, 381, 411, 412–415, 440, 460 s. “Ah Q”, “Ben yue”, “Bu tian”, “Buzhou Shan”, “Nü diao”, Gushi xinbian, “Kuangren riji”, “Li shui”, Nahan, “Xiandai shi”, Ye cao, “Zhu fu”, Zhao hua xi shi, “Zhu jian” Lu Xun-Akademie 159 Lu Yu 175 luanshen 100 Lukács, Georg 450 Luo Guanzhong 73 Luo Mi 57 Luoyang 398 Luoyang qielan ji 175 Lüse de gu 228 Lust, Caution 445

M Ma Junwu 66 MacDonald, Sir Claude 328 Macht, uroboroische 423 Madame Roland 286, 370, 427 Mahbubani, Kishore 354 Manchukuo 228, 444 Mandalastruktur 245 Mandschu 28, 54, 85, 109, 176, 177, 272, 393 -Herrscher 333 Invasion der 173 -Truppen 172 s. Qing (Dynastie) Manichäismus 406 Mann, Susan 386, 388 Mann, Thomas 79 s. Buddenbrooks Mao Dun 49, 54, 72, 74 Mao wenti 86, 429 Mao Zedong 19, 28, 30, 31, 33, 63, 71, 90, 97, 100, 115, 118, 124, 126, 149, 152, 155, 227, 235, 245, 246, 250, 261, 265, 283, 333, 337, 363, 376, 378, 382, 393–395, 405, 452 Mao-Ära 253 Mao-Nostalgie 86 Maosprache 429 Mao Zedong yulu 71 Maoismus 70, 247, 248, 371 Scheitern des 353 Maoqiang 326–337, 462 Maoqiang-Oper 32, 322, 334, 339 Maqiao Cidian 453 Maria als Muttergottheit 33, 419, 420 Marquard, Odo 246 Marutai no Onna 207 Marx, Karl 86, 257 Materialismus, historischer 394 Matriarchat 33, 55, 386 Thesen zum 446 Matrix, The 344 Maupassant, Guy de 68 Mauser 376 MDG 219 Mei Jianchi 115

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Mei Lanfang 440 “Meijin, Baozi und das weisse Zicklein” 68 Meishijia 211 Meng Fanhua 19 Meng Jiang Nü 234 Meng Yuanlao 176 s. Dongjing meng Hua lu Meng Yue 159 Mi 197, 203, 269, 432 “Mi zhou” 345 Miao 68, 69 “Mimi didai” 343 Minbo no Onna 207 Minderheit(en), ethnische 250, 311 Ming 172, 178 Ming-Qing-Übergang 170 -Rebellen 172 -Zeit 171, 176 Ming cheng 18, 122 Mingding guo 194 minjian-Perspektive 250, 251 Misogynie 404 Mission christliche 66 Missionar schwedischer 421, 431 christliche 323 Mitternachtskinder 208 Mnemotop 176, 182 Mnemotopie 190 Mo Yan 15, 17, 28, 30, 33, 43, 69, 102, 104, 120, 121, 156–160, 194, 212–221, 234, 248–263, 272, 275, 290, 297, 304, 306, 310, 311, 316, 320, 326, 333–342, 414, 418, 427–433, 437, 439, 454, 460 s. “Bai gou qiuqianjia”, FRFT, Jiu guo, Mingding guo, Shengsi pilao, Shisan bu, Tiantang suantai zhi ge, Zhanyou chongfeng Mobilisierung, polymythische 32 “Modao” 65 Modellballett, revolutionäres 411 Modelloper 243 revolutionäre 43

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Moderne 16, 17, 20, 30, 31, 32 alternative 233 ästhetische 18 chinesische 29, 34, 65 kulturelle 29 Obsession mit der 245 Schock der 242 Modernisierung, blockierte 284 Modernismus 18, 199, 221, 245, 267, 340 experimentelle 86 Verankerung des 67 Modernität 29 Monomythos, revolutionärer 246, 317 Montaigne, Michel 297 Montrose, Louis 257 Moor’s Last Sigh, The 190 Moral, konfuzianische 322, 335 Moran, Thomas 455 Morgan, Edward 66 Mother China 440, 443 Mu Guiying 382 muji dawu 394 Mulian jiu Mu 119 Müller, Friedrich Max 66 Müller, Heiner 376 s. Mauser Münkler, Herfried 237, 238 Muqin 445 muqin yu dadi 419 Museum, Institution des 227 Mutter/Mütter 336, 409, 427, 435, 445 Rolle im Buddhismus 409 Muttergottheit(en) 382, 408 archaische 412 Mutterkult 33 Mütterlichkeit archetypische 428 Aspekte von 432 regenerierende 434 Muttermythos 33 archaischer 407 maoistischer 412 modernistischer 443 nationaler 420 patriarchalischer 428

WELTEN OSTASIENS WORLDS OF EAST ASIA MONDES DE L’EXTRÊME-ORIENT Herausgegeben von / Edited by / Edité par WOLFGANG BEHR, ROBERT H. GASSMANN, EDUARD KLOPFENSTEIN, ANDREA RIEMENSCHNITTER, PIERRE-FRANÇOIS SOUYRI, CHRISTIAN STEINECK UND NICOLAS ZUFFEREY

Die Reihe „Welten Ostasiens“ der Schweizerischen Asiengesellschaft stellt repräsentative Arbeiten aus der facettenreichen akademischen Forschung vor. Sie nimmt Studien zu den ostasiatischen Kulturen und Gesellschaften in Gegenwart und Vergangenheit in den Bereichen Kunst, Literatur und Denken sowie Übersetzungen und Interpretationen von Quellentexten auf. Sie will aber auch Arbeiten anbieten, die in allgemein verständlicher Weise kompetentes Wissen zu relevanten und aktuellen Fragen vermitteln und neben dem wissenschaftlichen Zielpublikum auch einer breiter interessierten Leserschaft zugänglich sind. In erster Linie ist sie ein Forum für geistes- und sozialwissenschaftliche Arbeiten aus der Schweiz, daneben werden aber auch Beiträge aus der internationalen Forschung aufgenommen. Die Hauptpublikationssprachen für die Studien, Sammelbände und Übersichtswerke sind Deutsch, Französisch und Englisch. Die Reihe wird von einem Herausgebergremium geleitet, das von führenden Fachvertretern aus den jeweiligen akademischen Disziplinen beraten wird.

Bd. 1

Martin Lehnert Partitur des Lebens. Die Liaofan si xun von Yuan Huang (1533-1606). 2004, 299 S. ISBN 3-03910-408-X

Bd. 2

Simone Müller Sehnsucht nach Illusion? Klassische japanische Traumlyrik aus literaturhistorischer und geschlechtsspezifischer Perspektive. 2005, 306 S. ISBN 3-03910-478-0

Bd. 3

Matthias Richter Guan ren. Texte der altchinesischen Literatur zur Charakterkunde und Beamtenrekrutierung. 2005, 504 S. ISBN 3-03910-634-1

Bd. 4

Harald Meyer Die „Taisho-Demokratie“. Begriffsgeschichtliche Studien zur Demokratierezeption in Japan von 1900 bis 1920. 2005, 471 S. ISBN 3-03910-642-2

Bd. 5

Verena Werner Das Verschwinden des Erzählers. Erzähltheoretische Analysen von Erzählungen Tayama Katais aus den Jahren 1902-1908. 2006, 433 S. ISBN 3-03910-667-8

Bd. 6

Ildegarda Scheidegger Bokutotsusô. Studies on the Calligraphy of the Zen Master Musô Soseki (1275–1351). 2005, 207 S. ISBN 3-03910-692-9 / US-ISBN 0-8204-7563-7

Bd. 7

Samuel Guex Entre nonchalance et désespoir. Les intellectuels japonais sinologues face à la guerre (1930-1950). 2006, 300 S. ISBN 3-03910-829-8

Bd. 8

Satomi Ishikawa Seeking the Self. Individualism and Popular Culture in Japan. In Vorbereitung. ISBN 3-03910-874-3

Bd. 9

Helmut Brinker Laozi flankt, Konfuzius dribbelt. China scheinbar abseits: Vom Fussball und seiner heimlichen Wiege. 2006, 180 S. ISBN 3-03910-890-5

Bd. 10

Wojciech Jan Simson Die Geschichte der Aussprüche des Konfuzius (Lunyu). 2006, 339 S. ISBN 3-03910-967-7

Bd. 11

Robert H. Gassmann Verwandtschaft und Gesellschaft im alten China. Begriffe, Strukturen und Prozesse. 2006, 593 S. ISBN 3-03911-170-1

Bd. 12

Judith Fröhlich Rulers, Peasants and the Use of the Written Word in Medieval Japan. Ategawa no sho 1004–1304. 2007, 223 S. ISBN 978-3-03911-194-7

Bd. 13

Wang Hui: Translating Chinese Classics in a Colonial Context: James Legge and His Two Versions of the Zhongyong. 2008, 224 S. ISBN 978-3-03911-631-7

Bd .14

Martina Wernsdörfer: Experiment Tibet. Felder und Akteure auf dem Schachbrett der Bildung 1951-2003. 2008, 547 S. ISBN 978-3-03911-671-3

Bd. 15

Roland Altenburger: The Sword or the Needle. The Female Knight-errant (xia) in Traditional Chinese Narrative. 2009, Forthcoming. ISBN 978-3-0343-0036-0

Bd. 16

Yiu-wai Chu & Eva Kit-wah Man (eds): Contemporary Asian Modernities.. Transnationality, Interculturalitiy, and Hybriditiy. 2009. 318 S. ISBN 978-3-0343-0093-3

Bd. 17

Andrea Riemenschnitter: Karneval der Götter. Mythologie, Moderne und Nation in Chinas 20. Jahrhundert. 2011. 603 S. ISBN 978-3-0343-0584-6