Karl Fruchtmann: Ein jüdischer Erzähler
 3869167513, 9783869167510

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Titel
Impressum
Inhalt
Ein Unruhestifter möchte ich sein. Eine Vorbemerkung
In eigenen Worten. Über die Motivation seiner Filmarbeit
Man muss sich konfrontieren. Karl Fruchtmanns Filmarbeit im Kontext: Eine Recherche im Nachlass
»Ein besonders guter Sendermit eigenem Charakter«. Die Anfänge des Fernsehspiels bei Radio Bremen
Nah bei den Opfern, solidarischmit den Überlebenden. Der bildmächtige und experimentelle Fernseherzähler des Holocaust Karl Fruchtmann
Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass
DAS KIND
DER MANN, DER FUER MICH STARB
Chronik
Werkverzeichnis
Fernsehen
Theater
Hörfunk
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fernsehen geschichte ästhetik

.) Torsten Musial · Nicky Rittmeyer (Hg

Karl Fruchtmann Ein jüdischer Erzähler

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Karl Fruchtmann Ein jüdischer Erzähler

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Fernsehen. Geschichte. Ästhetik. Band 3 Herausgegeben vom Archiv der Akademie der Künste, Berlin, und der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen

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Karl Fruchtmann Ein jüdischer Erzähler

Herausgegeben von Torsten Musial und Nicky Rittmeyer Mit Beiträgen von Torsten Musial, Karl Prümm, Nicky Rittmeyer, Michael Töteberg

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-86916-751-0

E-ISBN 978-3-96707-193-1

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urhebergesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2019 Levelingstr. 6a, 81673 München www.etk-muenchen.de Redaktion: Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen, Torsten Musial, Nicky Rittmeyer Umschlaggestaltung: Victor Gegiu Umschlagfoto: D er Boxer (1980). Karl Fruchtmann, Cornelia Wecker. Werkfoto Satz und Bildbearbeitung: Claudia Wild, Konstanzer Straße 2, 78467 Konstanz Druck und Buchbinder: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Am Fliegerhorst 8, 99947 Bad Langensalza

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Ein einzelner Mord, 1999. Einstellungsskizzen von Karl Fruchtmann

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Inhalt Torsten Musial, Nicky Rittmeyer Ein Unruhestifter möchte ich sein. Eine Vorbemerkung  9 Karl Fruchtmann In eigenen Worten  14 Michael Töteberg Man muss sich konfrontieren. Karl Fruchtmanns Filmarbeit im Kontext: Eine Recherche im Nachlass  20 Torsten Musial »Ein besonders guter Sender mit eigenem Charakter«. Die Anfänge des Fernsehspiels bei Radio Bremen  61 Karl Prümm Nah bei den Opfern, solidarisch mit den Überlebenden. Der bildmächtige und experimentelle Fernseherzähler des Holocaust Karl Fruchtmann  88 Karl Fruchtmann Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass  138 Das Kind  141 Der Mann, der für mich starb  153 Nicky Rittmeyer Chronik  181 Nicky Rittmeyer Werkverzeichnis  220 Fernsehen  220 Theater  226 Hörfunk  228 Publizistik  229 Autoren / Dank / Abbildungen / Rechte  231 Register  235

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Torsten Musial, Nicky Rittmeyer

Ein Unruhestifter möchte ich sein1 Eine Vorbemerkung Vorgestellt als »Fernsehautor, Fernsehregisseur, Theaterautor, Theaterregisseur«, antwortete Karl Fruchtmann in einer Rundfunksendung auf die Frage, ob er sich damit richtig beschrieben fühle, mit einem klaren Nein. Aber es sei die Benennung dessen, was er tue.2 Welche Bezeichnung er stattdessen für angemessen hielt, ließ er offen. Selbst hatte er einmal vier Möglichkeiten für seinen beruf lichen Weg genannt: Historiker, Psychologe, Schriftsteller und Regisseur. Eine adäquate Einordnung seiner Person vorzunehmen, ist für das interessierte Publikum allerdings kaum mehr möglich. Denn obwohl Karl Fruchtmann Fernsehgeschichte geschrieben hat, findet er heutzutage fast keine Erwähnung mehr, ebenso wenig seine Filme. Selbst ausgewiesene Fachwissenschaftler verbinden mit seinem Namen so gut wie nichts mehr. Nur gelegentlich wird in der Literatur auf ihn verwiesen. Auch gibt es keine Möglichkeit, seine Filme zu entdecken oder Urteile zu überprüfen. Denn keine seiner wichtigen Arbeiten ist auf DVD erschienen oder kann in einer Mediathek angesehen werden. Die letzte Ausstrahlung eines seiner Werke datiert von 2003, der Anlass: sein Tod. Dabei hat Karl Fruchtmann ein bedeutendes und überaus vielschichtiges Œuvre vorzuweisen – 40 Fernsehfilme, darunter Literaturadaptionen, Komödien, Kriminalfilme, historische Streifen, Biografien. In erster Linie assoziiert man seinen Namen jedoch mit Filmen, die das deutsch-jüdische Verhältnis thematisieren. Bereits sein erster Film zu diesem Thema, Kaddisch nach einem Lebenden (1969), erregte großes Aufsehen und wurde in viele Länder verkauft. Mit Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk schuf er 1981 die erste umfassende Dokumentation über den Völkermord an den europäischen Juden, in der die Opfer selbst zu Wort kommen, noch vor dem Erfolg ähnlicher Dokumentationen wie Claude Lanzmanns Shoah (1985). Für Ein einfacher Mensch (1987), das Porträt eines Auschwitz-Überlebenden, er­­ hielt er den Adolf-Grimme-Preis mit Gold. Obwohl er gerade einmal fünf Filme zu diesem Themenkomplex geschaffen hat, gilt er gemeinhin als der Regisseur, der versucht hat, dem deutschen Fernsehpublikum das Unbegreifliche der Shoah begreif bar zu machen. Doch ging sein Bestreben über diese

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ihm zugewiesene Kategorisierung hinaus. Vielmehr wollte er mit filmischen Mitteln gegen alle Formen der Diskriminierung und Verfolgung von Menschen durch andere Menschen ankämpfen. Vielfach thematisierte er deshalb Gewalt und Gewalterfahrung, immer mit der Absicht, sein Publikum damit zu einer Ref lexion über Ausgrenzungs- und Verfolgungsmechanismen in der Vergangenheit und in der Gegenwart anzuregen. Viele seiner Filme wurden zu Marksteinen auf dem Weg des bundesdeutschen Fernsehens zu einem kritischen Medium, der Auf klärung der Gesellschaft verpf lichtet. Das Feuilleton bezeichnete ihn einmal als den »Schmerzensmann des deutschen Fernsehspiels«3, in den Programmzeitschriften wurden seine Filme oft mit Worten angekündigt wie: »Heute Abend quält Fruchtmann uns wieder.« Dieses Quälen war dabei keineswegs nur im Hinblick auf ästhetische Eigenheiten gemeint, gleichwohl seine Filme oftmals als sperrig, unbequem und mitunter nur schwer zugänglich empfunden wurden. Vielmehr waren es die Inhalte, mit denen Fruchtmann verstören, ja bewusst »quälen« wollte. In dem Bestreben, der geschichtlichen Wahrheit den Weg zu bereiten und ein Vergessen zu verhindern, konfrontierte er sein Publikum schonungslos mit den schmerzhaften Seiten der deutschen Geschichte. In analytischer Genauigkeit sezierte er das dafür verantwortliche gesellschaftliche Versagen. Er hielt diese Art von Konfrontation für essenziell, um Gegenwärtiges und Zukünftiges zum Positiven gestalten zu können. Diese Art von Filmen passte jedoch bereits zu seinen Lebzeiten »nicht in den Amüsierbetrieb der verkabelten Gesellschaft«, richteten sie sich doch »nicht nach dem Diktat der Einschaltquoten«, so der Bremer Senatsbeauftragte Helmut Hafner in einer Laudatio auf Karl Fruchtmann. Vielmehr galten sie geradezu als »Störenfriede in den Wohnzimmern«, die nicht in ein politisches Weltbild passten, »das die geschichtliche Wahrheit verdrängt, die Schuld leugnet und die Verantwortung verweigert«.4 Eines wollte Fruchtmann mit Gewissheit nicht: das Fernsehpublikum unterhalten. Seine Filme sollten aufrütteln, auch emotional. Dafür versuchte er immer wieder, die Grenzen des Zumutbaren auszuloten. Gewalt zeigte er nicht ästhetisierend, sondern schonungslos und offen, niemals jedoch voyeuristisch. Provokation, auch die kalkulierte, erschien ihm dabei als ein durchaus legitimes Mittel, um zur Auseinandersetzung zu zwingen. Ein wesentlicher Antrieb dafür lag in seinem Lebensweg begründet: Als Sohn einer jüdischen Familie in Thüringen geboren, durchlebte er die Schrecken der Verfolgung unter der NS-Herrschaft. Der Haft im Konzen­ trationslager folgten die erzwungene Emigration und lange Jahre im Exil. Erst 1958 kehrte er aus dem Gefühl heraus, sich mit dem Land seiner Her-

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Vorbemerkung

kunft konfrontieren zu müssen, in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Eine Heimat fand er dort jedoch nicht. Fruchtmann war sich seiner singulären Stellung in der sich rasant verändernden deutschen Medienlandschaft durchaus bewusst. Er war überzeugt, dass diese Art Filme zu machen, zu Ende ginge, und nach ihm kaum jemand mehr diese Art Filme drehen würde.5 Mit diesen Worten bilanzierte er sein Selbstverständnis. Gleich einem Monolithen, einzigartig in seiner Arbeitsund Denkweise wie auch in seiner Filmästhetik, ragte er aus dem zunehmend oberf lächlichen Fernsehbetrieb heraus. Gleichzeitig gehörte er zu den wenigen Autorenfilmern, die ausschließlich für das bundesdeutsche Fernsehen arbeiteten. Im bundesdeutschen Kino zu reüssieren gelang ihm hingegen nicht. Wohl nicht zuletzt, weil er seine Stoffe als nicht kompatibel mit dem heimischen Kinomarkt ansah – was er selbst sehr bedauerte. Dem fortwährenden Kampf um die Finanzierung von Projekten wollte oder konnte er sich nicht aussetzen, zumal ihm das öffentlich-rechtliche Fernsehen für viele Jahre einen entsprechenden Rahmen bei der Umsetzung seiner Stoffe bot. Insofern passte er geradezu ideal zu Radio Bremen, dem kleinen Sender im Norden, der, ständig unter Finanznot leidend, sich gerade deswegen mit seinen wenigen Fernsehfilmen umso mehr profilieren wollte. Dass diese oftmals experimentier- und risikofreudig waren, hing wesentlich mit der kleinen Fernsehspielredaktion um die ambitionierten Dramaturgen Hans Bachmüller, Jürgen Breest und Jutta Boehe-Selle zusammen. Deren Anspruch an ein zeitkritisches Fernsehspielprogramm waren ein gewichtiger Grund für Fruchtmann, sich für Radio Bremen gewissermaßen als seinen Heimatsender zu entscheiden, für den er ab 1963 allein 21 Filme realisierte. Karl Fruchtmann und Radio Bremen stellten für ein Vierteljahrhundert so etwas wie eine fruchtbringende und spannende Symbiose dar, die zu denkwürdigen Fernseharbeiten führte. Überhaupt strebte Fruchtmann nach Kontinuität in der Zusammenarbeit. Das galt für sein Team um den Kameramann Günther Wedekind, den Komponisten Graziano Mandozzi und die Cutterinnen Ingeburg Forth und Friederike Köster nicht weniger als für die Besetzung: Schauspieler wie Rolf Becker, Ursula Herking, Donata Höffer, Ernst Jacobi, Sabine Sinjen, Peter Striebeck und Rudolf Wessely verpf lichtete er immer wieder. So wichtig ihm Vertrautheit am Set auch war, bei der Durchsetzung seiner künstlerischen Ziele galt Fruchtmann als kompromisslos. Jede Szene wurde präzise vorbereitet, nichts dem Zufall überlassen. Lange Leseproben und Textanalysen sollten es den Schauspielern ermöglichen, sich nicht allein mit ihrer Darstellung zu identifizieren und ihr Äußerstes zu geben. Vielmehr

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sollten alle Beteiligten an der Intention des Gesamtwerks teilhaben. Dies geschah nicht diktatorisch, sondern durch besondere Motivierung. Noch heute erinnern sich viele der damals Beteiligten, dass sie stets das Gefühl hatten, an einer wichtigen Sache mitzutun. Fruchtmann, der seit seiner Jugend einem sozialistisch-internationalistischen Wertekanon verbunden war, sah sich durchaus als politischer Regisseur, der nach eigenem Bekenntnis heftige Kritik an der Gesellschaft zu üben gedachte. Als ein festgefügtes politisches Manifest verstand er seine Kunst jedoch zu keiner Zeit. Vielmehr wolle er ein Unruhestifter sein, so beschrieb er sein Credo einmal. Doch nicht allein auf dem Fernsehschirm und auf der Theaterbühne, auch abseits seiner künstlerischen Arbeit trat er gegen Gewalt und das Vergessen der Shoah und für ein menschliches Miteinander ein. Er tat dies unermüdlich bei Reden und anderen öffentlichen Auftritten, in Interviews und mit eigenen Texten und seit Anfang der 1990er Jahre auch in Vorlesungen an der Bremer Universität. In seinem Tun ließ er sich auch nicht dadurch beirren, dass er im Laufe seiner Karriere ständigen Anfeindungen, sowohl in versteckter als auch in unverhohlener Weise, ausgesetzt war. Nahezu jede Ausstrahlung seiner Filme provozierte hasserfüllte Anrufe beim Sender und antisemitische Zuschauerbriefe. Mehr als einmal wurde er verbal bedroht und aus Deutschland fortgewünscht. Ihn spornte dies zusätzlich an, derartige Auswüchse menschlicher Boshaftigkeit weiter zu bekämpfen. Die Beiträge dieses Bandes wagen den Versuch, Karl Fruchtmanns Wirken für den Fernsehschirm auf differenzierte Weise einer ersten Betrachtung zu unterziehen. Michael Töteberg hat es dabei unternommen, Fruchtmanns kontinuierliche Arbeit im Kontext der Programmgeschichte des deutschen Fernsehens sichtbar werden zu lassen, während Karl Prümm die ästhetischen Aspekte seines Werks genauer analysiert. Bevor Fruchtmann seinen Stil finden und perfektionieren konnte, ja noch bevor er überhaupt nach Bremen kam, musste sich dort erst eine Fernsehspielredaktion entwickeln. Dieser Vorgeschichte ist Torsten Musial nachgegangen. Schließlich folgt Nicky Rittmeyer in einer Chronik den biografischen Stationen Karl Fruchtmanns, wobei er insbesondere dessen Exilhintergrund näher beleuchtet. Das vorliegende Buch kann nur einen ersten Zugang zu Fruchtmann und seinem Œuvre eröffnen, Annäherung und zugleich Anregung zu weiterer Beschäftigung mit ihm sein. Viele Aspekte seines Wirkens bedürfen einer weiteren Betrachtung: seine Arbeiten für das Theater, die Frage, warum er seine Theaterstücke, im Gegensatz zu seinen Drehbüchern, nicht selbst

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Vorbemerkung

inszeniert hat, ja, warum er überhaupt das Fernsehen und nicht den Kinofilm oder das Theater als die für ihn adäquate künstlerische Ausdrucksform angesehen hat. Sein umfangreiches Archiv, das eine wesentliche Grundlage für die entstandenen Texte bildete, stellt auch für zukünftige Forschungen eine reichhaltige Quelle dar. Für eine umfassende Wiederentdeckung Karl Fruchtmanns erscheint es jedoch geboten, insbesondere auch sein filmisches Werk in Form von DVD-Editionen, Fernsehausstrahlungen und Kinoaufführungen zugänglich zu machen. Die diesem Band beigegebene DVDErstveröffentlichung von Kaddisch nach einem Lebenden soll dabei als ein Anfang verstanden werden.

1 Vgl. Fernsehinterview von Michael Geyer mit Karl Fruchtmann, Sendereihe Profile, Radio Bremen 1995. Videomitschnitt in: Akademie der Künste, Berlin, Audiovisuelle Sammlungen (im Folgenden AVM), Nr. 33.3390. — 2 Karl Fruchtmann in einem Rundfunkinterview vom 29.3.1988. Audiomitschnitt in: AVM, Nr.  32.2522. — 3 Hans-Dieter Seidel: Des Boxers Niederlage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.3.1980. — 4 Helmut Hafner, zit. in: Irmela Körner: Der Regisseur Karl Fruchtmann. Erinnern an das Unfassbare. In: Brillant. Das Gesellschaftsmagazin aus Bremen, 7. Jg., Nr. 1, 1998. — 5 Vgl. u. a. Zeitungsinterview von Manfred Dworschak mit Karl Fruchtmann. Akademie der Künste, Berlin, Karl-Fruchtmann-Archiv, Nr. 291.

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Karl Fruchtmann

In eigenen Worten Über die Motivation seiner Filmarbeit Ich habe, glaube ich, keinen Film gemacht, mit dem ich nicht etwas sagen wollte. Was ich sagen will, ist meistens etwas, das herstammt aus einer Unzufriedenheit, einem Unwillen, einer Missbilligung, einer Verurteilung, einer Abneigung oder einer Liebe, einer Zuneigung über etwas, was heutig ist. Ob ich das zeige in einem Film, der an und für sich 1871 spielt oder im Heutigen, ist dabei gleichgültig. Ja, ich glaube, alles was ich mache, stellt die Anforderung, eine Aussage zu sein über menschliche Verhältnisse, menschliche Verhaltensweisen und beinhaltet ganz sicher den Wunsch, dass das, was schlecht ist, vielleicht ein bisschen weniger schlecht sein wird.1

Über die Erreichbarkeit des Publikums Ich kämpfe nicht um jeden Zuschauer, sondern ich möchte gerne Zuschauer haben für das, was ich für zuschauenswert halte, ja. Aber unter gar keinen Umständen bin ich bereit auf irgendetwas zu verzichten, was ich für wahr und notwendig halte, um auch nur zehn Zuschauer mehr zu haben. […] Und ich bin zufrieden mit denen, die ich im Fernsehen erreiche. Ich überlege immer, wie lange ich ein Theaterstück spielen lassen müsste, um diese Zahl von Menschen zu erreichen. Aber ich glaube, es ist wichtig zu wissen, dass eine falsche Rechnung dasteht. Es kann niemand berechnen, wie viele Menschen ein Fernsehspiel sehen.2

Über die Funktion von Emotion im Film Wenn ich mit [meinem] Film angehen wollte gegen Verdrängung, gegen Mauern, die da aufgerichtet sind, dann weiß ich, dass diese Mauern nicht einzureißen sind mit Verstandesargumenten. Die erreichen das gar nicht. Dass also als Erstes ein emotionaler Angriff stattfinden muss, der die Mauern einreißt, ein Loch schlägt, und dass dann die Möglichkeit besteht, wenn die Öffnung da ist, über die Emotionen eine verstandesmäßige Änderung zu erreichen.3

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In eigenen Worten

Über die Wirksamkeit seiner Filmarbeit Filme wie Zeugen oder Der einfache Mensch [haben] nur Wirkung auf die, die sowieso gutwillig sind. […] Die, die es nicht sind, schalten den Film nicht ein oder schalten ihn nach einer Minute ab. Bei denen, die guten Willens sind oder zumindest nicht schlechten Willens sind, glaube ich schon an eine Wirkung. Da glaube ich an das, was ich für nötig halte: An eine Konfrontation, an eine innere Aufwühlung, an eine Möglichkeit, Notwendigkeit manchmal, sich dem nicht zu verweigern und vielleicht sogar, ich hoffe das, an die Möglichkeit das, was sich da immer öffnet, nicht nur auf Auschwitz und nicht nur auf Juden beschränkt ist, sondern z. B. auch auf Zigeuner oder was immer Sie wollen, weitergeht, dass da etwas anfängt, das nicht mit dem Gezeigten auf hört, das ist eine Hoffnung.4

Über die Ablehnung förmlichen Erinnerns Wenn Erinnern zu Gedenktagen verarbeitet wird, wird es bedenklich. Oft bedeutet es Verlogenheit, ein Ritual, ein Spiel, für das mir das zu Erinnernde zu schade ist. […] Und der übliche Weg, mit Kammermusik und gesenkten Blicken, der widert mich an. […] Das mag nötig sein, das mag auch gut sein, psychologisch gut für die, welche dort hingehen. Aber es ist nicht das, was ich mit echter Erinnerung meine.5

Über die Schwierigkeit sprachlicher Erfassung des Genozides an den europäischen Juden Meine Abneigung gegen das Wort Holocaust […] beruht darauf, dass das Wort eine religiöse Konnotation hat, und die scheint mir als Nichtreligiösem unerträglich. Unerträglich, das, was getan worden ist und geschehen ist, mit einem Opfer für Gott, Brandopfer, in Zusammenhang zu bringen. Ich wundere mich oft, dass Religiöse nicht ähnlich fühlen wie ich. Es gibt solche, die es auch fühlen, auch empfinden. Aber es ist ein bequemes Wort. Es ist ein bequemes Wort, das ein Fremdwort ist und für solche Begriffe werden immer gerne Fremdworte, die die Sache selbst wegrücken, benutzt. Ich gebe aber zu, dass es furchtbar schwer ist, ein wirklich treffendes Wort, das kein Fremdwort ist, zu finden. […] Vielleicht ist es notwendig, ein Wort wie Judeozit einzuführen, vielleicht muss man beim Wort Judenmord bleiben,

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Karl Fruchtmann

vielleicht ist es nicht so wichtig, solange das Wort nicht Alibi wird, solange das Wort nicht Entschuldung wird.6

Über die Notwendigkeit der Suche nach Wahrheit Der Weg zur Wahrheit muss offen sein. Es mag sein, dass die Wahrheit in keiner Weise immer eine Formel ist, die gefunden werden kann. Es mag sein, dass sie sehr oft etwas ist, das nur angestrebt werden kann, das wir versuchen können, dem wir uns nähern können. […] Damit meine ich Wahrheiten auf Gebieten, die komplex sind, schwierig sind, verwickelt sind. Dass es also da oft um eine Suche nach Wahrheit geht, um ein Annähern, noch einen Schritt näher, an eine möglicherweise erreichbare Wahrheit. Da mag die Wahrheit verwandt sein mit Idealen und ähnlichen Dingen. Was aber erkennbar ist, was erfassbar ist, das ist die Lüge und die Lüge liegt ganz sicher quer über dem Weg, über einem möglichen Weg zur Wahrheit.7

Über die Schwierigkeit, unbequeme Filme zu machen Es wird schwieriger, Filme in der Art zu machen, wie ich sie mache. Da ich nichtkommerzielle Filme mache, arbeite ich für Anstalten, Anstalten des Öffentlichen Rechts. Deren Neigung zur Produktion von unbequemen Filmen wird immer geringer. Der Konkurrenzkampf mit den kommerziellen Sendern führt dazu, daß Methoden, die bekämpft werden sollen, von den Kämpfenden selbst angewandt werden, so daß zum Schluß beide Seiten sich ähnlich werden.8

Über die Verpflichtung, unbequeme Filme machen zu müssen [Ich] habe das Gefühl […], daß ich gewisse Filme machen muß, weil sie kein anderer macht, weil sie kein anderer machen kann. […] Nicht, daß ich der Jude vom Dienst wäre. Vier meiner Filme beschäftigen sich mit dem Judenmord, insgesamt habe ich dreißig gemacht. Ich glaube nur, dass es bald nicht mehr möglich sein wird, überhaupt solche Filme zu machen. Früher sind allein in Hamburg jedes Jahr zwanzig Fernsehspiele entstanden, heute gar keins mehr. Da schwinden natürlich die Chancen dahin, daß Leute heran-

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In eigenen Worten

gebildet werden, die notwendige Filme machen und nicht nur solche, die bloß unterhalten und der Quote dienen. […] das verpf lichtet mich umso mehr dazu, solche Filme zu machen.9

Über die Notwendigkeit, Fragen zu stellen An und für sich bin ich besser im Fragenstellen als im Antworten und oft glaube ich, dass Fragen wichtiger sind als Antworten und zwar deshalb, weil wir viel zu schnell dabei sind, Antworten zu finden, und damit das Suchen abschließen. Jede Antwort kann eine Tür sein, die zugemacht wird. Und offene Türen, wenn es sich um wesentliche Dinge handelt, sind immer besser.10

Über materielle und finanzielle Beschränkungen in der Kunst Wenn man etwas Künstlerisches machen will, darf man nicht sagen: ich kann’s. Her mit dem Geld. Manchmal ist die Begrenzung, die Einschränkung der Möglichkeiten sogar ein Ansporn für schöpferische Arbeit, weil man Probleme lösen muss, an die man gar nicht gedacht hat.11

Über die Perfektion in der filmischen Arbeit Perfektionist hat einen unguten Geschmack. Es hat etwas Penetrantes, etwas Puzzlearbeitendes, und nichts wäre mir ferner als das. Aber völlig richtig ist, ich will mit dem, was ich mache, etwas sagen. Ich halte das Ästhetische, das Formelle in keiner Weise losgelöst von der Sache. […] Form, ästhetische Dinge, Perfektion ergibt sich aus dem Inhalt, aus dem, was man sagen will. Ich halte Schlamperei, Schluderei, Schwindel für grausige Dinge, die ich bekämpfe. Und ob ich auf den Nerven meiner Mitarbeiter herumtanze, das mag sein, aber ich weiß auch, wieviel Freude ich bei eben diesen Mitarbeitern wecke, wenn sie merken, dass für ein Ziel gearbeitet wird, dass mit einem Sinn gearbeitet wird, und das scheint mir das Entscheidende.12

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Karl Fruchtmann

Über das Kino Ich bedauere es sehr, daß mir seine Möglichkeiten fehlen, ich bedaure es immer wieder. Das fängt mit der höheren Auf lösung der Bilder an, und es hört noch lange nicht auf mit der Vielzahl der Kamera-Einstellungen, die ich bräuchte, für die ich beim Fernsehen aber einfach nicht die Zeit habe. Da sind ja 26 Drehtage für einen Film schon viel, während etwa ein Reklamefilmer eine ganze Woche für eine einzige Minute hat. Ich denke, daß ich mich, bei allem Respekt, auf künstlerischer Ebene mit vergleichbaren Arbeiten fürs Kino wohl messen könnte, ich sehe aber auch, daß dem Kino viel mehr Gewicht beigemessen wird. Ja, da ist schon ein gewisses Kneipen im Bauch, vor allem, weil ich mir mit der Entscheidung fürs Fernsehen die schöpferischen Möglichkeiten des Kinos versagt habe.13

Über das Existenzrecht Israels Israel muss leben! Das ist das Entscheidende. Alles, was ich an Kritik haben mag, alles, was mir missfallen mag, alles, was ich für schlecht und gefährlich in Israel halten mag, und da hat es viel gegeben, berührt diese Tatsache, diese Grundtatsache nicht. Israel als die Möglichkeit des Weiterlebens der Juden, als einer Gruppe, ob Sie sie Volk nennen, wie immer Sie sie nennen wollen, ist nicht wichtig, nachdem was geschehen ist, ist für mich so sehr Lebensnotwendigkeit, dass ich nicht bereit bin, mir etwas anderes vorzustellen. Israel, Juden als Gruppierung, als Volk müssen leben!14

Über Heimatempfinden [Bremen] ist nicht meine Heimat. Ich habe keine. Ich billige das Wort. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die rot werden, wenn sie das Wort aussprechen. […] Es bedeutet mir nichts mehr. Ich weiß, es hat lange Zeiten gegeben, wo ich glaubte, gerne eine haben zu wollen. Und es hat eine Zeit völliger Ablehnung gegeben. […] Ich bin mit einer ablehnenden Haltung nach Palästina gegangen. Über die Jahre, und mit dem, was dann aus Europa kam und von dort zu hören war, hat sich das geändert. Ich habe mich zuhause gefühlt. Das ist die erste Bedingung für die Anwendung dieses Begriffes »Heimat«: sich zuhause zu fühlen. Ich glaube nicht, daß ich mich heute noch irgendwo zuhause fühlen würde. Bremen ist eine Möglichkeit,

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In eigenen Worten

sich nicht unwohl zu fühlen, ohne daß man zuhause ist, ohne daß es für einen die Heimat bedeutet.15

1 Rundfunkinterview mit Karl Fruchtmann vom 29.3.1988. Audiomitschnitt in: Akademie der Künste, Berlin, Audiovisuelle Sammlungen (im Folgenden AVM), Nr. 32.2522. — 2 Fernsehinterview von Michael Geyer mit Karl Fruchtmann, Sendereihe Profile, Radio Bremen, 1995. Videomitschnitt in: AVM, Nr. 33.3390.  — 3 Interview von Kirsten Landwehr mit Karl Fruchtmann, 30.8.2001. Tonbandabschrift in: Akademie der Künste, Berlin, Karl-Fruchtmann-Archiv (im Folgenden KFA), Nr. 1106. — 4 Rundfunkinterview mit Karl Fruchtmann, a. a. O. — 5 Karl Fruchtmann: Ein einfacher Mensch. Interview vom 23.5.1990. In: Nea WeissbergBob (Hg.): Jetzt wohin? Von außen nach innen schauen. Gespräche, Gedichte, Briefe. Was ist eigentlich »jüdisch« und was »deutsch«?. O. O.: Lichtig 1993. — 6 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, ausgestrahlt in Radio Bremen 2 in der Reihe Forum Kultur, Dezember 1995. Audiomitschnitt in: AVM, Nr. 32.2537  — 7 Rundfunkinterview von Doris Weber mit Karl Fruchtmann, Radio Bremen, 2. Halbjahr 1989. Audiomitschnitt in: AVM, Nr. 32.2529. — 8 Karl Fruchtmann: Ein einfacher Mensch, a. a. O. — 9 Zeitungsinterview von Manfred Dworschak mit Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 291.  — 10 Rundfunkinterview von Doris Weber, a. a. O. — 11 Interview von Kirsten Landwehr, a. a. O. — 12 Rundfunkinterview mit Karl Fruchtmann, a. a. O. — 13 Zeitungsinterview von Manfred Dworschak, a. a. O.  — 14 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz, a. a. O.  — 15 Karl Fruchtmann: Ein einfacher Mensch, a. a. O.

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Michael Töteberg

Man muss sich konfrontieren Karl Fruchtmanns Filmarbeit im Kontext: Eine Recherche im Nachlass Bremen war eine Möglichkeit »Jude, Schriftsteller und Regisseur« – diese Bezeichnung wählte Karl Fruchtmann für die Autorenangabe auf einem seiner Bücher. Keine verkaufsfördernde Formel, dessen war er sich bewusst. Aber dies war seine Identität, obwohl nur ein kleiner Teil seines Werks – Film, Theater, Literatur – sich dezidiert mit jüdischen Themen, speziell dem Holocaust beschäftigt. »Wir müssen alle erkennen, warum wir anders sind«, lautete sein Postulat. »Bei mir ist es das Judentum, das mich mehr als sonstige Umstände zu einem anderen macht. Ich habe mich daran gewöhnt, im Abseits zu stehen.«1 Gebürtig in Thüringen, war er nach KZ und Emigration Bürger des Staates Israel geworden, lebte eine Zeit lang in London, arbeitete als Regisseur in Deutschland und hatte sich für Bremen als Wohnort entschieden. Die Hansestadt wollte er jedoch nicht als Wahlheimat bezeichnen; das höchste der Gefühle war das Zugeständnis: »Bremen ist eine Möglichkeit, sich nicht unwohl zu fühlen«,2 zu mehr war er nicht bereit. Den Ausschlag gab der ansässige Sender: Von wenigen Ausnahmen abgesehen, entstanden alle ihm wichtigen Arbeiten für Radio Bremen. Hier konnte er seine Stoffe realisieren, musste keine Kompromisse eingehen. Radio Bremen, so Fruchtmann in einem Interview, sei ein Sender, an dem »die Menschen noch nicht zu Schreibtischen wurden«3, wo sich »Begeisterung und Enthusiasmierung aller Mitwirkenden« noch entfachen ließen.4 Hier hatte er direkten Kontakt, und zwar nicht nur zur Redaktion: Radio Bremen produzierte selbst, das kreative wie das technische Personal waren Angestellte des Senders.5 (Wenn Fruchtmann für andere Anstalten arbeitete  – für das ZDF, für den NDR oder WDR –, war meistens eine Produktionsfirma zwischengeschaltet.) Der kleinste ARD-Sender war zudem in jenen Jahren eine innovative Talentschmiede. Das galt für die Unterhaltung: Bei Radio Bremen wurden Rudi Carrell und Hape Kerkeling entdeckt, lief der progressive Beat-Club der biederen ZDF-Hitparade den Rang ab. Auch im Fernsehspiel zeichneten sich die Produktionen aus Bremen durch ein eigenes Profil

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Eine Recherche im Nachlass

aus: Der sogenannte »Bremer Stil« – ein durchaus nicht immer positiv gemeintes Gütesiegel6 – wurde wesentlich geprägt durch die Filme Fruchtmanns. Das literarische Fernsehspiel, das sich in den 1960er Jahren als eigene Gattung analog zum Hörspiel zu etablieren versuchte, wurde repräsentiert durch Regisseure wie Peter Beauvais, Rainer Wolff hardt, Franz Peter Wirth und Tom Toelle. Eberhard Fechner und Egon Monk wären noch zu nennen, mit ihren Arbeiten ist das Werk Fruchtmanns am ehesten zu vergleichen. Inhaltlich sah man das Fernsehen als ein Medium der Auf klärung. Es bot »die Möglichkeit, Wahrheiten, die gesellschaftlich tabuisiert sind, an viele Menschen heranzubringen«7, erkannte Fruchtmann und wusste, dies zu nutzen. Dazu gehörte, was euphemistisch »die jüngste deutsche Vergangenheit« genannt wurde. Die Bundesbürger wollten, 20 Jahre nach dem Ende des »Dritten Reiches«, nicht mehr an die NS-Verbrechen erinnert werden. Von Konzentrationslagern und Holocaust hatte angeblich niemand gewusst; Verdrängung und Schuldabwehr waren stillschweigender Konsens. Fruchtmann konfrontierte das Fernsehpublikum – mit fiktionalen wie dokumentarischen Werken – mit diesem Thema. Die Reaktionen waren heftig, die Zuschauerpost beweist es. Anfeindungen, übliche antisemitische Anwürfe, unverhohlener Hass und versteckte Drohungen schlugen ihm entgegen. »Die Ansagerin von Radio Bremen gab eine Vorwarnung: Kinder sollten sich diese Sendung auf keinen Fall ansehen dürfen. Die Erwachsenen wurden nicht gewarnt.«8 Dies wäre aber nötig gewesen, meinte der Kritiker. Es ist schon wahr, Fruchtmann-Filme waren eine Zumutung – eine notwendige. »Wir müssen uns mit dem Schrecklichen, mit dem Wildwuchs der Realität erst einmal konfrontieren, mit einer Realität, vor der man Angst haben kann«, war Fruchtmann überzeugt. Er scheute keine Konf likte, doch ging es ihm nie um Provokation der Provokation willen. »Mit dem, was ich mache, ziele ich ab auf die Erschütterung von Verdrängtem, Festgelegtem, Erstarrtem. Ich versuche, in meinen Filmen Sprengladungen gegen die Mauern unterzubringen, die gesellschaftlich hochgezogen worden sind. Es sind Minen, natürlich, emotionelle Minen.«9 Mit der realistischen Gestaltung sozial relevanter Probleme gab er sich nicht zufrieden. Er verfolgte einen anderen Ansatz. Es sei ein schwerwiegender Irrtum zu glauben, mit Didaktik könne man etwas verändern. »Lehrsätze ändern nichts an Dingen, die sich unterhalb des Intellekts abspielen. Ich muß mit dem Zeigen der Realität eine Reaktion der Empörung und des Ändernwollens auslösen. Nur Emotion macht Umdenken möglich. Insofern wäre die Vermeidung von Emotion im Fernsehfilm nur eine Flucht in die Unverbindlichkeit.«10

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40 Fernsehfilme in 37 Jahren: Fruchtmann, mit dem Adolf-Grimme-Preis mit Gold ausgezeichnet, hat Fernsehgeschichte geschrieben und ist doch heute nahezu vergessen. Das Fernsehen ist ein Medium ohne Gedächtnis. Es betreibt keine Repertoirepf lege im Programm, sondern überlässt dies kommerziellen DVD-Anbietern, die sich nur für als kultverdächtig geltende Krimis und Serien interessieren. (Im Fall Fruchtmann führt dies dazu, dass lediglich Ein Todesfall wird vorbereitet – die Adaption eines belanglosen Krimis von Jack Popplewell aus den Kindertagen des Fernsehens – auf DVD zugänglich ist.) Auch die Fachwissenschaft hat ihn bislang kaum wahrgenommen. In Knut Hickethiers Geschichte des deutschen Fernsehens wird sein Lebenswerk mit einem Satz abgetan als Beispiel dafür, »daß sich im Fernsehfilm individuelle Erzählkonzepte bei hoher Meisterschaft der Darstellung ausprägten«.11 Tatsächlich gehört er zu den Autorenfilmern des Fernsehens. »Fruchtmanns Filme sind so eindringlich, insistierend, scharfsichtig, dass man sie vielleicht, wenn man so will, als sperrig kennzeichnen könnte«, schreibt Thomas Koebner, der einzige Filmwissenschaftler, der sich eingehender mit Fruchtmann beschäftigt hat. »Es handelt sich um eine ganz eigenständige Denk- und Sehweise, frei von allen abgeschliffenen Konventionen, die in Fruchtmanns Arbeit zum Vorschein kommt. Das war möglich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.«12 Die Zeitspanne, in der der Regisseur und Autor Fruchtmann für das deutsche Fernsehen wirkte, umfasst die Jahre 1962 bis 1999. Politische, gesellschaftliche, ästhetische Umbrüche veränderten in dieser Zeit die Medienlandschaft radikal. Dies betrifft die Technik  – seine ersten Arbeiten sind noch, wie damals üblich, elektronisch aufgezeichnete Studioinszenierungen –, aber auch das Umfeld, Sehgewohnheiten und Erwartungshorizonte. Quotendruck und private Konkurrenz kannte man zu Beginn seiner Karriere nicht; gleichwohl war es kein Geheimnis, dass Fruchtmann-Filme nicht auf breite Zustimmung stießen. Doch Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack machte er nicht. Gegen alle Widerstände hielt er seinen Kurs, wobei er in den Redakteuren und Verantwortlichen bei Radio Bremen Verbündete gefunden hatte. Als Radio Bremen Ende 1969 die bisher produzierten 50 Fernsehspiele in einer Broschüre auf listete, war dies für die Redaktion Anlass, auf das erste Jahrzehnt zurückzublicken. Eng an Theaterstücke und Hörspiele angelehnt, habe man angefangen, dann aber doch »größere und originellere Produktionen immer mit knappem Geld« realisiert. Selbstbewusst hieß es im – von Hans Bachmüller und Jürgen Breest unterzeichneten  – Vorwort: »In der Nachbarschaft mächtiger und wohlversehener Konkurrenz entstanden Fern-

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sehspiele und -filme, die sich sehen lassen und Vergleiche aushalten konnten.« Fraglos zählten Fruchtmanns Arbeiten dazu. Im letzten Absatz formulierte die Redaktion programmatisch: »Auch das Fernsehspiel kann eine gesellschaftliche, eine demokratische Funktion haben. Sich mit der heutigen Welt auseinanderzusetzen, bestehende Verhältnisse deutlicher, erkennbar, durchschaubar und damit dem Zuschauer bewußter zu machen – das wahrscheinlich ist seine wichtigste Aufgabe.«13 Dies war der richtige Sender für Karl Fruchtmann.

Der Autor führt Regie: K addisch nach einem Lebenden »Das ist, nach meinem Geschmack, ein erschütterndes Meisterwerk«, schrieb der Redakteur an den Intendanten des Senders. Nach seiner Meinung konnte es nur einen Schluss geben: »Radio Bremen sollte den Film in jedem Fall produzieren.« In seinem Gutachten führte Günter Bommert aus: »Der Reichtum an überzeugenden Details erweist die Geschichte zunächst schon einmal als authentisch. Aber der Wert dieser Arbeit wird erst durch die Formgebung bestimmt. Wie hier Sentimentalität vermieden wird durch bewusst eingesetzte Ironie, ja sogar durch drastische Komik, die genaue Kontraste liefern, das ist bewundernswert. Die sparsamen Dialoge haben alle etwas Gehämmertes, knapp Gedrängtes, eine verdichtete Einfachheit. Es sind starke Bilder gefunden worden, die haften bleiben. Und es wird mit diesem Text die bisher nur zaghaft beschrittene Straße weiterverfolgt, die zu fernseheigenen Formen führt. Hier wird das epische Element gleichwertig eingesetzt, ein Sprecher erklärt gelegentlich, distanziert damit wiederum.« Bommerts Text mündete in einem persönlichen Statement. »Es handelt sich, wie ich finde, um eine gültige Gestaltung eines der großen tragischen Themen unserer Zeit. Ich schäme mich nicht zu bekennen, dass ich bei der Lektüre des Buches um meine Fassung kämpfen musste.«14 Hans Abich, seit kurzem Intendant von Radio Bremen, ließ sich überzeugen. Karl Fruchtmann war im Sender kein Unbekannter. Zwölf Fernsehfilme hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits inszeniert, sechs davon für Radio Bremen. Darunter waren viel beachtete Produktionen wie die irische Komödie Philadelphia, ich bin da! mit einer Paraderolle für den jungen Peter Striebeck. Aber das waren Adaptionen von Theaterstücken, allesamt im Studio realisiert. War er als Regisseur auch für das Drehbuch zuständig, handelte es sich zumeist nur um eine fernsehgemäße Bearbeitung, kaum um eigenschöpferische Autorenarbeit. Kaddisch nach einem Lebenden dagegen

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war ein Originaldrehbuch, zudem ein Stoff, in den persönliche Erfahrungen Fruchtmanns (als KZ-Häftling, vom Leben in Israel) eingef lossen waren.15 Zum ersten Mal drehte er auf Filmmaterial und an Original-Schauplätzen, im Mai 1968 in Tel Aviv, anschließend in Deutschland. »Der Autor selbst führte Regie«, hieß es nun in einer Kritik.16 In den Straßen von Tel Aviv. Peri geht nach Hause und kauft unterwegs einen Fisch für den Schabbat ein. Der Händler holt den Fisch aus dem Tank und schlägt ihn tot; als Peri den zappelnden Fisch sieht, muss er lachen, ohne zu wissen warum. In einem Café trifft Peri Gurfinkel, einen Leidensgenossen aus dem KZ, und nun fällt  – in Erinnerungsfragmenten  – Peri ein, warum er lachen musste. Es ist peinlich, Peri gesteht sich dies schuldhaft ein, aber der Fisch erinnerte ihn an einen Mithäftling, den komischen, linkischen Bach mit seiner Gitarre, mit dem die Wachsoldaten allerlei entwürdigende Späße aufführten, über die sogar seine Kameraden sich amüsierten. Nicht auffallen, war das oberste Gesetz im Lager, doch Bach konnte das einfach nicht, er war ein leichtes Opfer für die sadistischen Wächter und wurde grausam misshandelt und kastriert. Ob er überlebt hat, wo mag er sein? Vergeblich suchen ihn Peri und Gurfinkel, bis sie einen Tipp bekommen. An einer Straßenecke ist er zu gewissen Zeiten anzutreffen. Sanft und töricht wie eh und je steht er da, ein Ölkännchen in der Hand, um den vorbeikommenden jungen Müttern den Kinderwagen zu ölen. Peri geht zu ihm, spricht ihn an, legt ihm die Hand auf die Schulter, doch Bach entzieht sich ihm und entfernt sich ein paar Schritte. »Es wäre unwahr, wenn Bach anders reagierte«, hat Fruchtmann in einem Interview erklärt. »Bach überlebt als ein Toter, weil er nur so überleben kann. Wenn er sich ver-rückt, wegrückt von dem, was üblich ist; wenn er sich weiter aussetzt, sich nicht abschließt, absperrt, kann er nicht leben.«17 Letzte Szene: In der Synagoge. Peri sagt ein Kaddisch nach einem Lebenden. Fernsehkritik beschränkte sich damals auf ein paar wenige Zeilen im Feuilleton. Im von Ernst Johann betreuten »Fernsehtagebuch« in der Frankfurter Allgemeinen bekam Kaddisch nach einem Lebenden einen Absatz, sein Eindruck: beklemmend.18 »Fruchtmanns Film ist ein harter Versuch, ›die Toten zu begraben‹«, befand Die Welt.19 »Ein quälender, unruhiger Film – halb Dokument, halb verkrampftes Requiem«, urteilte Ponkie, die viel gelesene TV-Kritikerin eines Münchner Boulevardblattes. Sie verknüpfte ihre Kurzrezension mit einer damals aktuellen Debatte: Auf den 31. Dezember 1969 war die Verjährungsfrist für NS-Verbrechen terminiert. »Gerade dieser verkrampfte Zug (der die tiefe Verletzung und das irreparable Leiden signalisiert) müßte den Nerv derer getroffen haben, die Ungeheuerliches für ›ver-

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jährt‹ halten und sich nicht schämen, den noch lebenden Zeugen legale Koexistenz mit den Mördern zuzumuten.«20 Eine formale Schwäche, die der dramatischen Konzentration abträglich gewesen sei, monierte Karl Heinz Kramberg in der Süddeutschen: »Der Regisseur und Autor  – im Bedürfnis wohl, epische Distanz zu seiner tragischen Story zu finden – unterbrach das Wechselspiel aus Gegenwartshandlung und Rückblendeszenen mit Kommentaren und Kapitelüberschriften in der Manier des picaresken Romans, wodurch die vergleichsweise schmalen Episoden des Films einen doch unangemessen prätentiösen Rahmen erhielten.«21 Hier waren die Meinungen geteilt: Die Stuttgarter Zeitung kritisierte die »Zwischentexte in Spruchbandmanier, die hier völlig sinnlos wirkten«,22 während Peter K. Gallasch in der FUNK-Korrespondenz darin eine sinnvolle Pointierung sah: »Die Verwendung zahlreicher Inserts unterbricht nicht den Handlungsf luß, sondern bereitet den Zuschauer auf die jeweils kommende Sequenz vor, auf den Kern der nächsten Szene.«23 Die Lokalpresse nahm von dem Fernsehereignis kaum Notiz. Der Kritiker des Hamburger Abendblatts machte das Anliegen des Films zu einer Privatangelegenheit: »Man darf dem Autorregisseur wohl unterstellen, daß er sich hier in der Figur des ›Bach‹-Suchers Peri selbst porträtiert hat, um sich von

K addisch nach einem Lebenden, 1969. Rudolf Wessely, Günter Mack, Günther Wedekind. Werkfoto. Foto: Bert Kuhnt

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den Terrorbildern aus der deutschen KZ-Vergangenheit zu befreien. Wer sie nicht ertragen wollte, konnte ja beizeiten abschalten.« Im Kurier kritisierte man, dass »dieses aufwühlende Stück« auf einem falschen Sendeplatz und zur falschen Sendezeit eingesetzt wurde – Kaddisch nach einem Lebenden sei ein »typisches Spätabendprogramm«: »Das wäre in einem Spezialprogramm sicher interessant gewesen.«24 Für den Sender war Kaddisch nach einem Lebenden ein Prestigeprojekt. In der Broschüre 50 Fernsehspiele von Radio Bremen wurde das Drehbuch als einziges Beispiel komplett abgedruckt. Der Film konnte ins Ausland verkauft werden: Ausstrahlungsrechte wurden vergeben in die Niederlande und nach Schweden; Italien und Österreich folgten. Die Gedenkstätte Yad Vashem ließ sich eine Kopie schicken. Das israelische Fernsehen zeigte eine hebräisch synchronisierte Fassung. Am 22. Oktober 1969 vermeldete das US-amerikanische Branchenblatt Variety: »NET Buys German-Made Anti-Nazi Kaddish«. Das Kürzel NET stand für National Educational Television, das von Ford Foundation und Regierung finanzierte Bildungsfernsehen; die Sendung auf Channel 13 fand Beachtung in den Medien, wurde u. a. in der New York Times von Jack Gould besprochen. Der Film lief mit Untertiteln, schlecht übersetzt und kaum lesbar, monierte er. Es sei zwar kein besonders starkes Anti-Nazi-Stück, aber interessant erschien Gould, was im deutschen Fernsehen gezeigt wird. Fruchtmann zeichne die KZ-Wärter als bestialische Sadisten. »When his program was seen on West German television the effect may have been disconcerting to the younger generation and a reminder of shame for the parents.«25 Kaddisch nach einem Lebenden kam am Dienstag, den 28. Januar 1969, um 21.00 Uhr in der ARD zur Ausstrahlung. Der Leiter vom Dienst hielt in seiner Tagesmeldung fest: »Der Film war genau 10 Minuten kürzer als in dem Filmprotokoll vom gleichen Tage angegeben. Der Sendeablauf der ARD wurde dadurch nicht gestört, da wir nach dem Film die schnell eingelegte stumme Pause von 5 Minuten gut vertragen konnten. Hamburg übernahm darauf etwas eher und brachte nur sein Stationsdia mit Pausenzeichen statt Musik. – Die Sendung selbst verlief einwandfrei.«26 Der Leiter vom Dienst hielt die Anrufe während und nach der Sendung fest. Die Kritik  – »zwischen sachlicher Ablehnung bis zum wüstesten Ge­­ schimpfe« – überwog. Alle Anrufer nannten Namen und Wohnort, hier Auszüge aus dem Protokoll: Eine Frau aus Bremen: »Können Sie mir jemand sagen, dem so‘n Mist gefällt?« Ein Herr aus Buxtehude: »Warum bringen Sie so einen Dreck? Sie sind wohl auch einer, der ins eigene Bett scheißt?« Eine Frau aus München (»unter Tränen«, vermerkt das Protokoll): »Ich bin Jüdin.

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K addisch nach einem Lebenden, 1969. Günter Mack, Mordechai Braitbart

Mann, Eltern und Schwiegereltern im KZ verloren. Wie lange will man uns immer wieder bloßstellen? Für wen machen Sie solche Sendungen? Wir Juden wollen es nicht mehr sehen, wir kennen das genug. Und die Deutschen? Die Kinder verstehen nichts davon, die können nichts dafür. Und die Erwachsenen lachen über uns oder schimpfen noch mehr als sonst.« Ein Herr aus Bremen (»Ich bin Jude und seit drei Jahren wieder in Deutschland«) bedankte sich für den Film, ebenfalls ein Herr aus Stuttgart. Dagegen eine Frau aus Bremen: »Ich werde meinen Fernseher abmelden, wenn das Programm nicht besser wird. Am Abend möchte man sich doch mal entspannen.« Die Zuschauerpost27 unterscheidet sich kaum von den spontanen Reaktionen der Anrufer. Unter den vom Sender an den Regisseur weitergeleiteten Briefen sind nur wenige positive Stimmen. Ein ehemaliger Häftling aus dem KZ Sachsenhausen bedankt sich für den mutigen Film. Eine Gratulation kommt aus dem Funkhaus: Der Kollege Dr. Helmut Lamprecht, Redakteur in der Abteilung Kulturelles Wort, findet anerkennende Worte. Ein Bremer Kapitän gesteht, dass ihn »niemals ein Fernsehen so aufgewühlt hat wie dieses. Ich kenne meine lieben Deutschen und ich weiß, wie sehr sie bemüht sind, zu vergessen, was in ihrem Namen von Hitler, einem der größten Verbrecher aller Zeiten, getan wurde, und darum ist es sehr verdienstlich, wenn solche Fernsehen, wie das oben genannte, gebracht werden. Es sollte

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mich nicht wundern, wenn ›wackere‹ Nazis Ihnen schrei­ben würden, dass sie sich solche Fernsehen verbitten.« Er behielt Recht. »Diese Fernsehsendung musste man einfach abschalten, denn sie ist anscheinend überhaupt nur für Juden bestimmt gewesen, da man als Deutscher weder den jüdischen Geist noch das jüdische Gehabe verstehen und begreifen kann«, konstatiert A. Will aus Berlin. Er verweist auf die »Leiden, die während und nach dem Kriege auch Deutschen zugefügt wurden« und im deutschen Fernsehen gezeigt werden sollten. Die Briefe klingen alle gleich, hier ein Schrei­ben aus der schwäbischen Provinz: »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir mitteilen könnten, welchen Sinn derartige Sendungen, die leider häufig zu sehen sind, haben sollen. Soll der Film unterhalten, soll er belehren, auf klären oder die Greuel eines Krieges mit seinen Folgeerscheinungen zeigen? Wenn Sie das Letztere bezwecken wollten, wäre es doch nur recht und billig, als Gegenstück die Leiden und Mißhandlungen z. B. der vertriebenen Deutschen zu zeigen.« Die Argumentationsmuster sind bekannt. Eingangs wird beteuert: »Mit aller Entschiedenheit betone ich, daß ich weder Antisemit bin, noch bestrebt, unsere Schuld zu negieren oder zu bagatellisieren«, dann folgt die Frage, wem damit gedient sei, diese bis zum Überdruss im Fernsehen immer wieder aufzuwärmen. Wozu »nach etwa einem Vierteljahrhundert in der Nachwuchsgeneration ein Schuldgefühl emsig wach zu halten, die zum Zeitpunkt der Greueltaten noch gar nicht geboren war?« Das Fazit hat der eingangs zitierte Herr aus Berlin formuliert: »Also bitte keine jüdischen Sendungen mehr.« Unter der Zuschauerpost waren auch zwei Briefe von Schriftstellern. »Ein großer und mutiger Wurf«, befand Wolfdietrich Schnurre, eine gewichtige Stimme in der deutschen Gegenwartsliteratur seiner Zeit. »Eine präzise und lebendige Kamera; Authentizität der Milieus; sehr gute Schauspieler; ein ergreifender Stoff.« Dies vorausgeschickt, hatte Schnurre »einige sanft kritische Fragen«, ästhetische Einwände, die jedoch die Wirkungsabsicht und das Zielpublikum betrafen. »Dieser Film war so gut, so exakt, so furchtbar, so sowohl der inneren wie der äußeren Wahrheit entsprechend, daß er, fürchte ich, ein Film für die Betroffenen geworden ist.« Gemeint waren damit »diejenigen, die sich, wie Sie, mit dem Haupthelden und seinen Leidensgenossen identifizieren«, während man stattdessen versuchen sollte, die »Indifferenten« zu erreichen, worunter Schnurre diejenigen verstand, »die das jüdische Leiden, den Naziterror und all das verdrängt haben, ohne jedoch selber direkt am Greuel des Nazismus beteiligt gewesen zu sein«. Schnurre monierte einen »stilistischen Stilbruch«, weil nach dem parabelartigen Anfang des getöteten Karpfens der Film immer mehr ins Dokumentarische gelange. Er

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störte sich z. B. daran, dass nach dem Aufstellen des Prügelbocks nicht mit einem Schnitt die Szene beendet wurde: Der Film war ihm zu direkt, lieber wäre ihm gewesen, wenn Fruchtmann »aus dem KZ-Erlebnis Ihres Helden ein ebenso ergreifendes Gleichnis destilliert« hätte. Tief beeindruckt war der Drehbuchautor Jochen Huth. Er hatte seine Karriere im »Dritten Reich« mit Allotria für Willi Forst begonnen, es aber verstanden, sich vom Nazi-Kino fernzuhalten; in den 1950/60er Jahren belieferte er das bundesdeutsche Kino mit anspruchsvollen Literaturadaptionen und harmlosen Unterhaltungsfilmen. Er gehörte zu jenen, die Schnurre als Betroffene bezeichnete. »Da meine Frau Jüdin ist und ihre ganze Familie in Auschwitz verloren hat, ließ ich sie nicht alles sehen, wollte sie eigentlich gar nichts sehen lassen, rief sie aber doch immer wieder ins Zimmer. Das sollte Ihnen eigentlich alles sagen, was über die faszinierende Leistung zu sagen ist.« Huth, der seine Autorenlauf bahn bereits abgeschlossen hatte, gestand: »Nie hätte ich es für möglich gehalten, daß das Erleiden von Qualen und Demütigungen in so extremer Form wiedergegeben, dargestellt und dargeboten werden könnte, ohne daß es jedes menschliche Gefühl verletzt und entsetzt. Aber ich habe meine Augen nicht abwenden können und sie nicht abwenden brauchen. Ich habe mit einer Gebanntheit sondergleichen dieser Erniedrigung, Demütigung, Folterung eines Menschen zugesehen und bin dabei  – entschuldigen Sie, daß ich so subjektiv spreche – einem Gefühl nahegekommen, das ich ›compassion‹ nennen darf.« Die Programmzeitschrift Hör Zu, damals unangefochten Marktführer, kündigte den Film mit einem Foto des Regisseurs und seiner Kurzvita an, und so melden sich alte Bekannte aus seiner Heimatstadt Meuselwitz, DDR-Flüchtlinge, die nun im Westen lebten. Marianne A., jetzt wohnhaft in Göttingen, freut sich, dass Fruchtmann »die schwere Zeit« heil überstanden und es in seinem Beruf so weit gebracht hat. Margot W., jetzt wohnhaft in Darmstadt, erinnert sich daran, wie die SA im April 1933 vor dem Kauf haus der Eltern Karl Fruchtmanns stand »mit den gewissen Plakaten«. »Einer von diesen war unser Nachbar und hat uns im Laufe des Krieges selbst viele Schwierigkeiten gemacht, zumal meine Eltern nie versucht haben, ihre Meinung über die Partei und das Regime zu verheimlichen. Besonders der eine, der bei Ihnen vor dem Geschäft gestanden hat, hat nach 1945 nach dem Umschwung gleich wieder gute Verbindung gehabt.« »Lieber Karli«, begann Alfred B., inzwischen wohnhaft nahe Nürnberg, seinen Brief, denn für »Fredi«, wie der Absender sich vorstellt, »stand fest, daß kann nur unser Karli sein, der bis etwa Ende 1932 bei uns wohnte in Zeitz bei meinen Eltern«. Seitdem hatte man sich aus den Augen verloren,

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und nun werden ganz arglos Erinnerungen aufgerufen, als ginge es um eine Kindheit in unbeschwert-friedlichen Zeiten: »Sicher kannst Du Dich noch entsinnen, wie wir in der warmen Stube gemeinsam mit meinem Bruder Werner politisiert hatten. Wir trugen bis zur Machtübernahme die braune Uniform und keiner von uns machte sich ein Hehl von seiner Anschauung.« Fredi weiß, Fruchtmann ist Jude, er hat einen Film über einen traumatisierten Holocaust-Überlebenden gedreht, und so beeilt sich Fredi, zu versichern: »Im übrigen haben wir drei aktiven Brüder uns nach dem Umsturz 1933 niemals mehr aktiv betätigt, aber davon vielleicht ein anderes mal.« Fredi spürt, das reicht nicht, deshalb fügt er noch ein paar lauwarme Rechtfertigungen an. »Kaum jemand hat geahnt, wie es einmal kommen würde. Ich erfuhr damals noch, daß Ihr Euch noch rechtzeitig in die Freiheit begeben habt. Wie ist es Euch ergangen?« Ob und wie Fruchtmann Fredi geantwortet hat, ist nicht bekannt.28

Eine Bremer Geschichte: Gesche Gottfried Anton Kippenberg berichtet in seinen Geschichten aus einer alten Hansestadt von einer Bremer Tradition besonderer Art: »Wenn man in der Dämmerung über den Domshof geht, so sieht man wohl, wie Leute am Boden etwas suchen. Plötzlich sagt dann einer: ›Hier mutt et sein!‹ Und alle spucken ausgiebig auf einen viereckigen Stein mit eingemeißeltem Kreuz, der in das Kopfpf laster eingelassen ist. Er bezeichnet die Stelle, an der die vielfache Giftmischerin Gesche Gottfried im Jahre 1831 mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht worden ist. Es war die letzte öffentliche Hinrichtung in der alten Hansestadt. Noch nach hundert Jahren geht kein guter Bürger an jenem Stein vorbei, ohne seinem Abscheu über die grauenvollen Taten der ›Gottfriedschen‹ drastischen Ausdruck zu geben. Das Aussehen des Steines beweist es.«29 Die Episode aus der Lokalhistorie wurde international bekannt durch Rainer Werner Fassbinder und sein Stück Bremer Freiheit, am 10. Dezember 1971 uraufgeführt. In Bremen wurde damals Theatergeschichte geschrieben; Peter Zadek, Klaus Michael Grüber, Hans Neuenfels und Peter Stein zeigten ihre aufsehenerregenden Inszenierungen. Intendant Kurt Hübner hatte Fassbinder aus der Münchner Kleintheater- und Subkulturszene herausgeholt und erstmals eine Produktion an einem subventionierten Stadttheater anvertraut. Bremer Freiheit war bereits die vierte Arbeit Fassbinders für das Bremer Theater, das Thema hatte ihm die Dramaturgie vorgeschlagen und ihn mit

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entsprechendem Material versorgt. »Wie so oft geriet das Projekt dem Rainer Werner Fassbinder zwischen einige andere«, erinnert sich Burkhard Mauer, damals Dramaturg am Bremer Theater. »Er kam in Zeitnot und zog sich mit geringstem Aufwand aus der Affäre.« Fassbinder habe einfach die Materialzusammenstellung geplündert, Originaltexte aus den historischen Dokumenten als Dialogsätze verwendet. Mauer: »Daß er aber Gesche-Texte, die zeigen, wie sehr diese Frau ihrer Umgebung voraus war, Männern in den Mund legte, um zu zeigen, wie sehr Männer eine Frau unterdrücken, ist ein recht f lüchtiges Verfahren.«30 Die Quellen verarbeitete Fassbinder zu einem ebenso knappen wie effektsicheren Bilderbogen im Moritatenstil, wobei er sich dichterische Freiheit nahm. In der Wirklichkeit mischte Gesche Arsen in die Limonade und schmierte Mäusebutter aufs Brot. Bei Fassbinder tut sie Gift in den Kaffee, in jenes Getränk, worauf Bremens Ruf in der Welt gründet. Bremen Coffee, so der internationale Titel des Stücks, machte seinen Weg über die Bühnen; das rasch niedergeschriebene Auftragswerk wurde Fassbinders meistgespieltes Stück, das er 1972 auch gleich noch fürs Fernsehen verfilmte. Nicht etwa für Radio Bremen, auch nicht als Theateraufzeichnung, sondern als Studioproduktion des Saarländischen Rundfunks. Fünf Jahre danach den Stoff erneut ins Fernsehen zu bringen, war nur zu rechtfertigen, indem man ein Gegenstück zu dem genial hingeschluderten Bilderbogen lieferte. Fruchtmanns Herangehensweise unterschied sich diametral von der Fassbinders: Er begnügte sich nicht mit einer eilfertig formulierten These – Bremer Freiheit ist ein Emanzipationsstück: Geschildert wird der Befreiungsakt einer Frau, für die es in ihrer Situation zu dieser Zeit nur die Alternative zwischen Selbstaufgabe und Verbrechen gibt. Fruchtmann wollte diese Person ergründen, die den Zeitgenossen ein Rätsel aufgab. Gesche Gottfried hätte man diese Taten niemals zugetraut, dies erklärt auch, warum die Serie von 15 Morden (und ebenso vielen Mordversuchen) über 13 Jahre unentdeckt blieb. »Ein Weib, das Kranke pf legt, Arme speist, dem Geben und Schenken, ich möchte sagen, zum Bedürfnis geworden, und die doch ihre Freundinnen vergiftet; was über einen Vers von Goethe weint, und ihre Kinder ermordet, ein Weib, was einer Liebe fähig ist, in solchem Maße, daß sie ihr das Leben der nächsten Angehörigen zum Opfer bringt, und die dann eben diesem Gegenstand ihrer Liebe die Giftschale reicht«, der Richter konnte sich darauf keinen Reim machen. Sie verbarg nicht finstere Abgründe hinter einer scheinheiligen Fassade, sondern lebte wohl tatsächlich in diesem Widerspruch. Fruchtmann, der die historischen Quellen studierte und akribisch recherchierte, hatte diese Sätze aus einem Schrei­ben des In­­ struktionsrichters vom 24. Juli 1828 exzerpiert.31 Er hatte keine Antwort

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Gesche Gottfried, 1978. Sabine Sinjen, Tilo Prückner. Foto: Do Leibgirries

parat, im Gegenteil: Er wollte »den Eindruck verwischen, als verstünde man alles oder das meiste an solchem massiven Stück Leben«.32 »Wer kann es wagen, ihren Charakter zu schildern?«, fragte sich der Richter. Was die Moritaten-Sänger nicht davon abhielt, in der bewährten Mischung von Sensationslüsternheit und moralischer Empörung sich des Kriminalfalls ausgiebig anzunehmen. Das Theater präsentierte eine aktuelle Novität: Gesina, die Teufelsbraut oder Der 6. März. (Fruchtmann besorgte sich das Stück. In seinem Nachlass befindet sich eine Fotokopie des 1829 erschienenen Dramas von Weissenburg dem Älteren.)33 Vogets Lebensgeschichte der Giftmörderin Gesche Gottfried war bereits gedruckt, sodass das Buch gleich nach der Urteilsverkündung ausgeliefert werden konnte. Die öffentliche Hinrichtung der Giftmörderin fand am 21. April 1831 statt, morgens um acht Uhr. Tausende Schaulustige fanden sich auf dem Domshof ein – niemand wollte sich das schaurige Spektakel entgehen lassen. Unter den Kleinanzeigen einer Bremer Zeitung findet sich folgende Annonce: »Am Domshof Nr. 13 ist noch ein Zimmer für 24 Personen zur Ansicht der Hinrichtung zu vermiethen.« Mitten im Biedermeier ein Stück Mittelalter in Bremen.

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Fruchtmanns Szenarium 34 ist die Blaupause für den klar strukturierten Film. Erstes Bild: Gesche auf dem Weg zur Exekution. Sie steigt vom Leiterwagen, geht auf dem Gerüst zum Schafott. Zweites Bild: Auf einer Bühne wird Gesina, die Teufelsbraut gespielt. Rückblende: Die Trauung mit Miltenberg, ihrem ersten Ehemann, Festmahl und Tanz, anschließend die Hochzeitsnacht. Dazwischengeschnitten: Gesche auf dem langen Weg zum Schafott. Sie begegnet dem Defensor. Rückblende: In der Gefängniszelle, Verhör und Gespräch über Kindheit und Jugend mit dem Defensor. Auf dem Gerüst, dem Weg zum Schafott. Sie begegnet dem Prediger. Rückblende: Bei den Timms, dem betont christlichen Elternhaus. Die bigotte und repressive Moral des Bürgertums wird in eindringlichen Szenen bebildert. »Am Samstag wechseln Gesche und ihr Bruder Johann ihre Wäsche mit geschlossenen Augen und Gebete sprechend über Scham und Zucht.« Beim Orakelspiel werden unterm Puppenrock Lebenssprüche hervorgezogen. Ein späteres Bild, in einer Kirche: »Die Gesche hört eine Predigt über die Schönheit des Todes.« Fruchtmann nimmt sich viel Zeit, Fragmente eines Lebens zu einem Mosaik zusammenzusetzen, bevor es zum ersten Mord an dem ersten Ehemann, einem wahren Scheusal, kommt. Bild 48: Im Gefängnis. »Gesche ist verhaftet worden. Sie wird von zwei Frauen ausgekleidet. 13 Korsetts werden ihr ausgezogen. Sie verwandelt sich vor unseren Augen von einem blühenden Idealbild ihrer Zeit in ein Gerippe.« Letztes Bild: Der Gerichtsvorsitzende bricht den Stab über Gesche. Sie wird hochgehoben, den Scharfrichtergehilfen übergeben, auf den Hinrichtungsstuhl gesetzt. Der Scharfrichter hebt das Schwert. In einem Vorspruch zum Szenarium erklärte Fruchtmann, »was mit der Geschichte der Gesche erzählt werden soll«. Im Biedermeier, wo man sich abgeschirmt glaubte gegen alles Dunkle und Böse, waren Tränenrührseligkeit und Gefühllosigkeit eins. Die Geschichte Gesche Gottfrieds zeige, »wie eine Zeit, die die böse Wirklichkeit aus dem Leben verbannt, jemand so von der Wirklichkeit entfremdet, daß Morden für sie ganz unwirklich ist«. Dies gelte vor allem für Frauen, da sie »keinen Weg zur Wirklichkeit finden können, wenn von ihnen verlangt wird, daß sie eine Rolle in einer Komödie der Unwirklichkeit spielen (und wenn sie wie hinter Glas leben, weil sie nie die ›Schallmauer‹ des Geschlechtlichen durchbrochen haben)«. Fruchtmann heroisiert seine Protagonistin nicht, ganz im Gegenteil: An dem Fall lasse sich demonstrieren, dass »ein Mensch kleiner ist als seine Folgen«. Allein die Ankündigung in der Lokalpresse, Fruchtmann werde vor dem Bremer Dom ein Schafott auf bauen und den Zuschauern werde der Anblick der Hinrichtung nicht erspart bleiben, provozierte einen Leserbrief, der ein

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Verbot des Films forderte: »Wäre es nicht die Aufgabe des Gesundheitssenators (da Gesundheit sich auch auf die Seele bezieht), diesen Film zu untersagen?«35 Fruchtmann ergänzte darauf hin seine Überlegungen, warum er die Geschichte erzähle, im Presseheft um einen Absatz: »Der Gang der Gesche zum Schafott, aufgebaut vor dem Dom in Bremen, gehört zum Angreifendsten und Schrecklichsten, das ich gedreht habe. Nicht aus Freude am Schrecklichen. Sondern, weil es wieder an der Zeit zu sein scheint, auch in Filmen gegen die Todesstrafe anzugehen.«36 »Liebe TV-Bremer«, schrieb eine Zuschauerin. Künstlerisch und historisch sei der Film ja recht ansprechend gewesen. »Aber was war das für ein ›Geschnippel‹ Ihres Cutters etc. Wir sind ja nicht unintelligent. Viele gute Sachen werden durch diese Puzzel-Spiele zerrissen.«37 Vor einer Wiederholung möge man den Film doch bitte neu schneiden. Sie legte einen Ausriss aus der Hannoverschen Presse bei und hatte die entsprechende Passage angestrichen: »Da macht der schätzenswerte Mini-Sender Radio Bremen alle Jubeljahr eine große Fernsehspielproduktion – und sucht sich ausgerechnet einen Mann aus, der zwar ein Händchen für Übersinnliches, Schmerzvolles, Tragisches hat, aber keins für Sinnliches, Spannendes, Zeitkritisches. Was hätte aus diesem Stoff werden können, wenn ihn ein Wolfgang Petersen erzählt hätte, in Schwarzweiß mit den gleichen Schauspielern. Fruchtmann dagegen – zum Einschlafen.«38 »Womit haben wir diese Advents-Darbietung verdient? Gesche Gottfried, eine mehr als trübselige Angelegenheit, für die Funkstille die beste Lösung gewesen wäre«, empörte sich eine Zuschauerin. Eine andere wunderte sich: »Wie ist es möglich, daß eine Sendeanstalt solchen Film über den Bildschirm laufen läßt? Von Anfang an ein Durcheinander von kurzen Ausschnitten, so daß der Zuschauer verärgert den Kopf schüttelte. Der Zuschauer ist hier maßlos überfordert, kein roter Faden, wie man es erwartet. Leute vom Fernsehen, wie ist es möglich, daß solch Durcheinander akzeptiert wird?« Unter Briefen und Postkarten erboster Zuschauer ist, obwohl Gesche Gottfried kein jüdisches Thema behandelte, wieder ein antisemitisches Schriftstück, in dem, besonders übel, Fruchtmann der »nachfolgenden Generation der Nazis« zugerechnet wurde. Der komplette Text: »Jud Süss war ein großes Kunstwerk gegenüber diesem sozialkritischen Machwerk von Stürmer-­Niveau. Die nachfolgende Generation der Nazis steht diesen an Verlogenheit und Impertinenz scheinbar nicht nach. Diesmal wird keine Minderheit verleumdet, sondern alle ›Bürger‹ und Konservative, welche den Sozialisten-Kommunisten im Wege stehen.« Es handelt sich dabei keineswegs um ein anonymes Schrei­ben eines Schmierfinks in ungelenker Hand-

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schrift. Der Verfasser benutzt die Schreibmaschine und gedrucktes Briefpapier mit Name und Adres­se. Er hat den Brief adressiert an Radio Bremen, aber auch an Karl Fruchtmann, dem er zur Kenntnisnahme eine Kopie seines Schreibens an den Sender beilegt. Mit keiner Silbe ging Fruchtmann in Interviews oder internen Papieren auf Bremer Freiheit ein, doch die Kritiker verglichen Fruchtmanns Fernsehfilm natürlich mit Fassbinders Stück und vermissten eine ähnlich griffige Aussage.39 Der evangelische Pressedienst epd näherte sich der Filmfigur mit spürbarer Empathie und beobachtete eine Sprachlosigkeit, die auch auf die drängende Nachfrage des Verteidigers nur antworten kann: »So viele Gründe und keine.«40 Gesche sprenge nicht den bedrückenden Rahmen, sondern gehe in ihm verloren. Doch könne man nicht alles der Gesellschaft anlasten. »Gesches ›Wozu?‹, als sie es ablehnt, ihr gerade geborenes Kind auf den Arm zu nehmen, ist viel eher als ein emanzipatorisches ein existentielles Nein.« Fazit des christlichen Blattes: »Vor einem leeren Himmel gibt es allein die Konturen eines sinnlosen Leidens.« »Radio Bremen, für seine zwei Fernsehspieltermine im Jahr immer auf der Suche nach dem Besonderen, hat sich diesmal eines Stoffs aus der Heimatgeschichte bemächtigt«, leitete Nina Grunenberg ihre Besprechung in der Zeit ein. Im Schlussabsatz griff sie das Thema wieder auf und schloss mit einer sarkastischen Pointe. »Das ist das Elend mit dem Drang zur höheren Bedeutung in der Fernsehspiel-Abteilung von Radio Bremen. Niemand dort scheint der greulichen Geschichte von der Gesche Gottfried zugetraut zu haben, daß sie auch schon für sich alleine wirkt. Aus Angst, unter der Hand womöglich ›nur‹ einen historischen Krimi zu fabrizieren, wird die Geschichte mit Problemen und Ideen aus der Zeit der französischen Revolution bis zu Vietnam und zur Frauenbewegung unserer Tage so beschwert, daß man bald ermüdet und sehnsüchtig auf den ersten Mord wartet. Sein Publikum wird der Film dennoch finden  – unter allen jenen, die Action und Milieu so wenig zutrauen, daß sie auch blutrünstige Geschichten lieber per Kopfarbeit erledigen. Kurz: so recht ein Film nach dem Herzen des evangelischen Pressedienstes.«41 Drei Tage nach der Sendung beschäftigte Gesche Gottfried den Programmbeirat. »Karl Fruchtmanns Fernsehfilm findet im Beirat höchste Anerkennung. Nicht nur die schauspielerischen Leistungen haben den Beirat beeindruckt; besonders hervorgehoben wird auch die Interpretation und die Umsetzung des historischen Stoffes.«42 Ein Mitglied lobte speziell Sabine Sinjen, ihre Wandlungsfähigkeit und Ausdruckskraft, die ganz unmittelbar menschlich anspreche. Es gab auch Kritik: »Die häufig wiederkehrenden

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Szenen der Hinführung zur Vollstreckung des Todesurteils werden als etwas verwirrend und brutal bezeichnet.« Im Gremium wurde auch der ungünstige Sendetermin – Sonntagabend, 21.37–23.09 Uhr – angesprochen, doch die Programmkonferenz verwies darauf, dass der vorangegangene Bericht vom SPD-Parteitag verantwortlich war für die Ausstrahlung zu später Stunde.

Eine werkgetreue Literaturverfilmung: Der Boxer »Des Boxers Niederlage« war die Besprechung überschrieben, und bereits die ersten Sätze zielten unter die Gürtellinie: »Das konnte ja nicht ausbleiben. An einem Stoff wie Jurek Beckers Roman Der Boxer durfte Karl Fruchtmann, der Schmerzensmann des deutschen Fernsehspiels, einfach nicht vorübergehen. Als habe es die entschiedene Ablehnung der Literaturkritik nie gegeben, nie diese vernichtenden Verdikte vom ›miserablen, langweiligen und überf lüssigen Buch‹.« Hans-Dieter Seidel in der Frankfurter Allgemeinen gefiel sich in einer bekannten Kritiker-Pose: Es müsse ohne Rücksicht auf die Person ausgesprochen werden, dass der Film nichts tauge. »Selbstverständlich verbietet es sich, das emotionale und politische Engagement eines Regisseurs und Bearbeiters wie Fruchtmann zu verhöhnen – schon gar, wenn es um ein jüdisches Schicksal geht. Aber Integrität, die über jeden Zweifel erhaben ist, und erfüllter Kunstanspruch sind zweierlei.«43 Es stimmt: Jurek Beckers zweiter Roman wurde, im Gegensatz zu dem Vorgänger Jakob der Lügner, bei seinem Erscheinen 1976 von der Literaturkritik zwiespältig aufgenommen und erhielt einige Verrisse, u. a. von Marcel Reich-Ranicki in der Frankfurter Allgemeinen. Als reichlich konstruiert empfanden ihn manche Rezensenten. Erzählt wird die Geschichte von Aron Blank. Seine Frau und zwei seiner Kinder haben die Shoah nicht überlebt; nach der Befreiung aus dem KZ hofft er, mit Hilfe des Suchdienstes JOINT ( Jewish Joint Distribution Organisation) seinen jüngsten Sohn ausfindig machen zu können. Als man ihm einen Jungen zeigt, der sein Sohn sein könnte, ist er unsicher: Das Kind war zwei Jahre alt, als Aron deportiert wurde und es bei einer Nachbarin im Ghetto zurücklassen musste. Die Geschichte hatte, was kein Rezensent damals wissen konnte, einen autobiografischen Kern: Sie berührte eine Leerstelle im Leben des Autors. Als Kind jüdischer Eltern wurde Jerzy Bekker – in seinen deutschen Papieren stand später: Georg Becker – am 30. September 1937 in Łódz´ geboren, doch dieses Datum ist unsicher. Um ihn vor der Deportation zu bewahren, haben die

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Der Boxer, 1980. Hans Putz, Norbert Kappen, Patrick Estrada-Pox, Karl Fruchtmann. Werkfoto

Eltern ihn jünger gemacht; später wusste der Vater nicht mehr den wirklichen Geburtstag. 1939 wurden die Eltern getrennt: Der Vater wurde nach Auschwitz deportiert, Mutter und Sohn lebten im Ghetto, bis sie ins KZ Ravensbrück und später nach Sachsenhausen kamen. Kurz nach der Befreiung starb die Mutter. Der Vater fand den Sohn über den Suchdienst JOINT. An seine Kindheit im Ghetto und im KZ hat Becker keinerlei Erinnerungen, es ist alles ausgelöscht, und von seinem Vater konnte er keine Auskunft bekommen: Über sein Leben im Lager sprach Max Becker nicht. Nach seinem Tod begann Jurek Becker mit dem Roman, in dem er alle jene Fragen stellte, die er zu Lebzeiten nicht an ihn hatte richten können. Dies bestimmt auch die Struktur des Romans: Ein namenloser Erzähler befragt Aron über sein Leben seit der Rückkehr ins normale Leben. 1945: Aron braucht Papiere. Auf der Passstelle gibt er seinen Vornamen mit Arno an und macht sich um die sechs Jahre in Haft jünger, doch dies hilft ihm nicht: Erst als er sich als »Opfer des Faschismus« zu erkennen gibt, erhält er seinen Identitätsausweis.44 Nach anfänglichem Fremdeln gilt Arons liebevolle Fürsorge seinem Sohn Mark, doch ihr Verhältnis bleibt problematisch. Als junger Mann verlässt Mark ihn ohne Abschied und geht in den Westen,

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später nach Israel; in einem Brief wirft er seinem Vater, mit dem er nie wirklich sprechen konnte, Beziehungslosigkeit und Gleichgültigkeit vor. Er schreibt Dutzende Briefe, keinen beantwortet Aron. Der Roman schildert das mühselige, aber letztlich vergebliche Ringen eines ehemaligen KZHäftlings, sich wieder im Leben zurechtzufinden. Aron ist antriebslos, er hat so gut wie keine Kontakte, Frauen halten es nicht lange bei ihm aus. Er ist unfähig, sich zu öffnen, mit anderen zu kommunizieren. Diese Figur musste Fruchtmann interessieren: Ein verschlossener, vereinsamter Mann, ein versehrter Mensch – ein lebender Toter. Die Rechte an der Verfilmung hatte sich die UFA Fernsehproduktion gesichert, die das Projekt für das ZDF realisierte. Jurek Becker, selbst ein erfahrener und erfolgreicher Drehbuchautor, hatte ein Mitbestimmungsrecht bei der Wahl des Regisseurs, war zudem bei der Entwicklung des Drehbuchs einzubeziehen.45 Diesmal ging die Initiative nicht von Fruchtmann aus, sondern Becker wollte ihn für seinen Stoff. Der Boxer ist eine Auftragsarbeit. In Fruchtmanns Vertrag heißt es in Paragraf 1: »Aus diesem Drehbuch müssen die beabsichtigten Stilmittel bereits deutlich erkennbar sein. Die Ergebnisse redaktioneller Gespräche mit dem Roman-Autor Jurek Becker, dem Zweiten Deutschen Fernsehen und der UFA sollen bei der Bucharbeit berücksichtigt werden.«46 Becker und Fruchtmann trafen sich, nicht nur einmal, und befreundeten sich. Fast ein Jahr arbeitete Fruchtmann am Drehbuch; wie groß der Input Beckers war, darüber gibt es keine Unterlagen. Auf dem Deckblatt des Drehbuchs steht: »Nach einem Roman von Jurek Becker. Fernseh-Bearbeitung Jurek Becker, Karl Fruchtmann«.47 Gedreht wurde in Berlin, vom 16. Juli bis 28. August 1979 (32 Drehtage). Die Außenaufnahmen fanden im Landschulheim Neukölln, in der Straße Am Großen Wannsee, in einem Gebäude am Reichpietschufer (Warteraum Amt, KZ-Kindersaal) und auf dem Flugplatz Gatow (KZ-Appellplatz) statt. Den Dreharbeiten blieb Becker fern. Erstes Bild. Außen. Tag. Straße in Berlin. »Das Gesicht ARONS, der, Wochen nach Kriegsende, an Mauern, Häuserfassaden und an Trümmern vorbei durch die Straßen geht. Er geht, als ob er grade laufen gelernt hätte. Er ist fremd in der Umgebung und in den Sachen, die er anhat.«48 Die Regieanweisung, als er auf der Straße jemanden begegnet: »Aron spricht nicht im Dialekt, aber wie sprech-ungewohnt, wie einer, der die Wörter kennt, aber nicht die verbindlichen gebrauchten Redewendungen« (S. 3). Fruchtmann hat die Struktur des Romans adaptiert und produktiv nutzbar gemacht: Aus der Figur des Erzählers wurde ein Interviewer, der Aron gegenübersitzt. Beim ersten Erscheinen wird er im Drehbuch wie folgt cha-

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rakterisiert: »DER INTERVIEWER ist modern-sachlich, selbstsicher, unverbindlich freundlich, bei einem Arbeitsgespräch sachbezogen. Aber er wird – von Zeit zu Zeit – von Aron mit werbender Provokation aus der sicheren Sachlichkeit, in Abneigung und Zuneigung und Unsicherheit, näher herangezogen« (S. 6). In einem solchen Fall steht z. B. als Regieanweisung: »aus der Überlegenheit fallend, intim und heftig« (S. 23). So präzise und subtil wie selten in einem Drehbuch wird die Emotionalität der Szenen bereits im Skript beschrieben: »Die Szene ist trotz der extremen Trunkenheit ARONS nicht exzessiv, nicht laut und auch nicht ohne eine gewisse bittere Komik. (…) Er geht zum Fenster und steht da, sein Gesicht in der Scheibe gespiegelt. Seine Stirn kippt schief gegen die Scheibe« (S. 95). In den Dialog zwischen Aron und seinem Gegenüber, einem Kammerspiel, sind Szenen aus dem Erinnerungsmosaik eingewoben, wobei sich oft eine Diskrepanz zwischen Arons Erzählungen und den Bildern der Rückblenden auftut. Das letzte, 72. Bild. Aron geht auf der Straße. Der Interviewer steht versteckt in einem Hauseingang. Er habe den Wunsch gehabt, erklärt er aus dem Off, Aron einmal zu sehen, wenn er nicht weiß, dass er da ist. Nach kurzer Zeit sei er aus dem Haus gekommen. Man sieht Aron auf der Straße, darüber die Stimme des Interviewers: »Bevor ich auf Wiedersehen gesagt habe, hat er mir noch berichtet, dass er immer daran denken muss, was sein Anteil an Marks Tod ist. Ein großes Unglück bestehe darin, dass es ihm nie gelungen sei, Mark auf irgendeine bestimmte Art von Leben Lust zu machen. Jeder Mensch sehne sich danach, seinem Leben einen Sinn zu geben, aber schlag‘ mich tot, sagt er, ich kann die Lust nirgendwo in mir entdecken. Vielleicht habe ich nicht gründlich genug gesucht« (S. 208 f.). Das Gesicht des Interviewers. Aron geht in einer Totalen. Ende. Im ZDF begann der Fernsehabend am Montag, den 3. März 1980, mit Die Pyramide (»Ein schnelles Spiel um Worte und Begriffe mit Dieter Thomas Heck«). »Irgendwo möchte ich zu Hause sein. Leben ohne Religion« war das Thema in Kontakte, dem »Magazin für Lebensfragen«. Um 21.20 Uhr, nach dem Heute-Journal, kam Der Boxer zur Ausstrahlung, Länge fast zweieinhalb Stunden. Es ist nicht verwunderlich, dass die meisten Zuschauer Spass beiseite – Herbert kommt (8,3 Millionen) im ersten Programm der schweren Kost im zweiten vorzogen (2,2 Millionen sahen Der Boxer, nur wenige blieben bis zum Ende).49 Unter der Zuschauerpost erneut antisemitische Tiraden. »Mit dem oben genannten jüdischen Film haben Sie dem deutschen Fernsehpublikum, soweit es diese Art Film ansieht, deutlich den Unterschied der Charaktere beider Völker aufgezeigt, was sicher für manchen heilsam war.« Und dann wurde die Briefschreiberin

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noch etwas deutlicher. »Auch hätte dieser Aron es gar nicht nötig, in Berlin ›mühsam‹ die Vergangenheit zu verdrängen. Er braucht doch nicht in Berlin zu leben!!! Es gibt einen Staat Israel, da wäre er Jude unter Juden – warum tut er das nicht??? Wer zwingt ihn dazu, in Berlin zu leben??? Doch niemand, sicher kein Deutscher.«50 Die Kritik war, von dem eingangs zitierten Verriss abgesehen, positiv. Gelobt wurde, dass Fruchtmann Distanz zu seiner Hauptfigur hielt. »Die Beibehaltung von Beckers Erzählstruktur erlaubt keine Identifikation mit Aron Blank, keine sentimentale Erledigung des Falles«, schrieb Thomas Thieringer. »Es wird keine Anklage erhoben, sondern eine Auseinandersetzung erzwungen. Durch die nüchterne, radikal auf den Boxer bezogene Erinnerungsarbeit gewinnt diese Bestandsaufnahme ihre bewegende Faszination.«51 »Sehr geehrter Herr Fruchtmann, ich möchte nicht versäumen, Ihnen für die sorgfältige und intensive Regiearbeit des Boxer zu danken«, meldete sich Heinz Ungureit vom ZDF. Gewisse Abstriche meinte er jedoch machen zu müssen. »Vielleicht mag man hier und da einige Längen oder den etwas larmoyanten Tonfall Kappens bemängeln, insgesamt ist sicher eine dem Buch adäquate Filmversion zustande gekommen, die ein wichtiges Kapitel unserer Geschichte behandelt.« Eine baldige Wiederholung stellte der Leiter der Fernsehspiel-Abteilung in Aussicht: »Wir wissen, daß gerade jüngere Zuschauer z. Zt. sensibilisiert sind für derartige Themen, also ist es richtig, jetzt mit solchen genauen, distanzierten, nirgendwo sentimentalen und gleichzeitig sehr wirkungsvollen Programmen aufzuwarten. Sie haben dazu einen wichtigen Beitrag geleistet, der auf jeden Fall noch einige Male ausgestrahlt werden kann.«52 An dieses Versprechen musste der Fernsehspiel-Chef erinnert werden: Es bedurfte eines (abgesprochenen) Vorstoßes von Fruchtmann und der UFA, damit fünf Jahre nach der Erstsendung im Rahmen der »Woche der Brüderlichkeit« eine Wiederholung stattfand. »Ach hast Du einen schönen Film gemacht«, freute sich Jurek Becker nach Ansicht des Films. »Jetzt schon habe ich eine Lehre gezogen: Ich weiß, mit wem ich mich in Zukunft bei Verfilmungen einlassen darf und mit wem nicht. Ich weiß so deutlich wie vorher nicht, daß Fingerfertigkeiten nicht genügen. Der Film ist so geworden, weil die Geschichte Dich betrifft.«53 Man blieb auch danach in Kontakt, pf legte den Austausch, informierte sich über die jeweiligen Arbeiten. Fruchtmann, auf Recherche in Polen, schickte Fotos von der Straße in Łódz´, wo Becker geboren wurde;54 Becker gab Fruchtmann das Manuskript seines Essays »Mein Judentum« zu lesen, das mit kritischen Randbemerkungen Fruchtmanns im Nachlass liegt.55 Man machte sich gegenseitig Mut für die jeweiligen künstlerischen Projekte. »Wenn wir

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uns das nächstemal sehen, müssen wir uns lange auf die Schultern klopfen«, steht in einem Schrei­ben Beckers.56 Zwischen Dezember 1978 und 1996 wurden zahlreiche Briefe gewechselt,57 doch zu einer erneuten Zusammenarbeit kam es nicht.58

Träume und Albträume: Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies Ein konventionelles Biopic war von Fruchtmann nicht zu erwarten; ihn interessierte die innere Biografie eines zerrissenen Menschen. Seine Herangehensweise ist den Notizen im Nachlass zu entnehmen, die nach Themenkomplexen geordnet sind: »Ungültiges Entreebillet«, »Ein Spiegelgespräch«, »Wiedereroberung des Paradieses«, »Manifest irdischer Götter«, »Das Scheiden eines ehemaligen Gottes«, »Der Rabbi von Bacharach«, »Ein neues Schiff mit neuen Genossen« usw.59 Fruchtmann wollte keine Anekdoten aus einem Dichterleben erzählen, sondern in markanten Szenen das Leben eines Getriebenen sinnlich erfahrbar machen, eines Mannes, der dem doppelten Gefängnis, dem seiner jüdischen Abstammung wie der deutschen Nation, nicht wirklich entkommen konnte. In der Inszenierung verfolgte Fruchtmann ein artifizielles Konzept, strebte einen »Realismus der symbolischen Einbindung« an.60 Keiner seiner Filme erntete derart herbe Verrisse wie diese Produktion. Eine »Katastrophe« sei »dieser primitive und zugleich prätentiöse« Heine-Verschnitt, schäumte Marcel Reich-Ranicki.61 Der Literaturpapst, eigentlich nicht zuständig für die TV-Berichterstattung in der Frankfurter Allgemeinen, nahm sich dieses Unfalls, der ein Totalschaden sei, höchstpersönlich an. Absoluter Dilettantismus, unerträgliche Dialoge, wirr, geschmacklos und grausam – die Besprechung ist eine einzige Invektive. »Krampf« sekundierte der Kollege von der Frankfurter Rundschau. Ihm fiel es schwer, »sich die Häme zu versagen«: »Das war ein Dichter aus der Froschperspektive, vorgestellt von einem, der allem Anschein nach viel gebildeter ist als jener Dichter selbst.«62 Galt der erste Teil des Fernsehfilms noch als ein Spiel für Kenner, das lediglich das Manko hat, Uneingeweihte, d. h. nicht mit der Materie vertraute Zuschauer auszuschließen, stieß der zweite, komplett in der »Matratzengruft« angesiedelte Teil auf einhellige Ablehnung. »Ein quälendes Psycho-Puzzle« brachte die Hör Zu es auf den Punkt. Die Programmzeitschrift vergab in ihrer Leiste mit Kurzkritiken ein Minus-Zeichen. »Vergebens der künstlerische Aufwand, vertan die vierstündige Chance, ein neues Interesse an dem immer noch ver-

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Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies, 1983

kannten Dichter-Genie Heine zu wecken.« 63 Die vernichtende Resonanz auf den ambitionierten Fernseh-Zweiteiler, nach heutiger Terminologie als TVEvent programmiert, erschütterte nicht nur die Macher, sondern ebenfalls den Auftraggeber Radio Bremen. »Auch wenn wir sicher die Kritik in einigen Punkten akzeptieren oder zumindest hinnehmen müssen, so bin ich doch etwas rat- und fassungslos angesichts der Tatsache, daß kaum einer der professionellen Kritiker das Herausragende dieses Films einzuschätzen gewußt hat«, schrieb Hans-Werner Conrad, Programmdirektor Fernsehen, dem enttäuschten Regisseur. In einem zweiseitigen Schrei­ben versicherte er ihm seiner ungebrochenen Wertschätzung: »Wenn ich stolz auf Deinen Film bin, ist dies keine Trotzhaltung, sondern das Bekenntnis zu einem kühnen, ungewöhnlichen und in seiner Art einzigartigen Unternehmen.« 64 Die Quoten schienen den Kritikern Recht zu geben. Der erste Teil, ausgestrahlt am 30. November 1983, erreichte magere 3,53 Millionen Zuschauer; beim zweiten Teil, gesendet am 4. Dezember, hatte sich die Zahl nochmals halbiert: auf 1,52 Millionen Zuschauer. Deutlich der Kontrast zum ZDF, wo am 30. November 13,3 Millionen Der Denver-Clan sahen, am 4. Dezember 14,71 Millionen den Auftakt des Adventsvierteilers Der Mann von Suez. Unter der Zuschauerpost65 befanden sich die inzwischen sattsam be­­

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kannten Anwürfe, sodass hier ein Beispiel genügen mag: »Ihre o. g. Sendung war langweilig, primitiv, unrealistisch, nicht der Persönlichkeit Heines entsprechend, stümperhaft und enthielt außer dümmlichen Redensarten, z. T. in Fäkaliensprache absinkend, nichts von Wert. Kurzum: es war der letzte Dreck.« Es gab jedoch auch zahlreiche Briefe, in denen Zuschauer sich für die Ausstrahlung bedankten. »Ich kam an jenem Abend gegen 21.30 nachhause, begrüßte unseren großen Sohn, der gerade diese Sendung sah, und blieb fasziniert vor dem Fernseher stehen (für mich sehr ungewöhnlich, besonders bei Fernsehspielen!). Nach einigen Minuten rief ich meinen Mann und sagte ihm, daß er sich auch unbedingt diesen außergewöhnlich guten Film ansehen müsse.« Unter den positiven Zuschriften befinden sich zwei bemerkenswerte Briefe prominenter Absender. Der beliebte Schauspieler Gert Haucke – dem breiten Publikum bekannt durch die Durbrigde-»Straßenfeger« früherer Zeiten und später populär durch die Serie Der Landarzt, zudem von Eberhard Fechner und Egon Monk regelmäßig besetzt – war vom zweiten Teil so beeindruckt, dass er Fruchtmann direkt anschrieb: »Ich habe Ihren Mut bewundert, aus Heines Träumen und Alpträumen ein Pandämonium visueller Vorstellungen zu machen.« Er habe sich, gestand er, in einer merkwürdigen Form angesprochen gefühlt: »Wachend meldete sich widerstrebend die andere Etage an, das déjà-vu im Unterbewußtsein. Gar nicht angenehm, so vor der Glotze.« Der Hamburger Germanist Klaus Briegleb, ein ausgewiesener Kenner und Herausgeber von Heines Werken, beglückwünschte Radio Bremen zu Fruchtmanns Film. »So weit ich zurückdenken kann, gab es im deutschen Fernsehen keinen vergleichbaren authentischen Versuch, mit kühnen filmischen Mitteln der Existenzweise eines Dichters auf die Spur zu kommen. Und dann Heine! Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich diesen Schriftsteller in seinen geheimeren Nöten und Visionen für einen der unzugänglich­ sten und am tiefsten mißverstandenen deutschen Dichter halte.« Briegleb, der seit Jahren an einer Heine-Biografie arbeitete, nannte Fruchtmanns Film ein »Meisterwerk der kritischen Rekonstruktion«: »Endlich ist, zumal im populären Medium des heroischen Literaturfilms, Schluß gemacht mit der Illusion, eine Biographie könne die Lückenhaftigkeit der Überlieferung von einem historischen Leben kompensieren durch fiktionale Erzählung oder Annäherungen an die Romangattung. Fruchtmann hat konsequent an den Fragmenten festgehalten, die wir von Heines Leben nur haben«, lobte Briegleb.66 In seinem Buch Opfer Heine? Versuch über Schriftzüge der Revolution verschrieb sich der Germanist ausdrücklich der Interpretationsweise

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Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies, 1983. Wolfgang Hinze, Donata Höffer

Fruchtmanns und wählte einen Dialog aus dem Film als Motto für die Einleitung.67 Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies polarisierte. Dies betraf nicht nur die zeitgenössische Rezeption bei Kritik und Zuschauern, sondern setzte sich fort in der Wissenschaft. Dietmar Pertsch störte sich in seiner Berliner Dissertation Jüdische Lebenswelten in Spielfilmen und Fernsehspielen an Machart und Inszenierungsstil.68 »Oft nur manieristisch bebilderte Monologe bzw. hölzern dialogisierte Zitatmixturen«, befand er; der Zweiteiler hinterlasse »den negativen Eindruck eines peinlich-outrierten Lebende-Bilder-Stellens«. Die »schier unerträgliche Mischung aus Krankheitsklagen, Judentumsref lexionen und Revolutionsabgesang« sei nicht frei von unfreiwilliger Komik. Dieses generelle, ästhetisch begründete Verdikt hinderte Pertsch nicht daran, die Intentionen Fruchtmanns aufzuspüren: »Erkennbar wird jedoch aus der Montage literarischer Texte mit biographischen Szenen Fruchtmanns Absicht, die verhängnisvolle Rolle der restaurativen Deutschtümelei und der Apotheose einer christlichen Monarchie zu schildern, denen gegenüber sich die aus der Französischen Revolution stammenden Ideen der Liberalität und Rationalität nicht durchsetzen konn-

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ten, so daß die Germanomanie als die Ideologie von christlich-germanischem Konservativismus den Nährboden für den nach Auschwitz führenden Judenhaß bildete.« Thomas Koebner, zu der Zeit Lehrstuhlinhaber in Marburg, schätzte dagegen den ästhetischen Ansatz, der über einen realistischen Ausstattungsfilm weit hinausgeht: »Heines Phantasien setzt Fruchtmann in Bildvisionen von Buñuel’scher Intensität um: den irrenden Ritter als Don Quichote, den verfolgten Juden als nackten Mann im Käfig. Selten ist ein deutsch-jüdisches Schicksal so scharfsinnig und visuell so suggestiv im Fernsehen vor Augen geführt worden.« 69

Ein schwarzes Märchen: Mademoiselle Fifi Zwölf Druckseiten umfasst die Novelle von Guy de Maupassant, 1882 er­­ schienen und 1898 in deutscher Übersetzung. Sie spielt 1870/71, während des Deutsch-Französischen Kriegs. In der Normandie sitzt ein Häufchen deutscher Soldaten fest; man hat sich in einem Schloss, dessen Besitzer gef lohen ist, einquartiert. Unter den Besatzern im Offiziersrang ist Wilhelm Reichsgraf von Eyrik, »ein winziges, blondes Kerlchen, das stolz und roh gegen seine Leute war, schroff gegen die Besiegten, und heftig wie ein Gewehr, das immerfort losgeht«.70 Seit sie in Frankreich sind, nennen ihn seine Kameraden nur noch »Fräulein Fifi«. »Ein Spitzname, den er seinem gezierten Wesen verdankte, seiner engen Taille, die den Eindruck machte, als trüge er ein Korsett und seinem bleichen Gesicht, auf dem man kaum den ersten Bartf laum sah. Vor allem aber, weil er es sich angewöhnt hatte, um seine allerhöchste Verachtung von Menschen und Dingen auszudrücken, fortwährend die französische Redensart zu gebrauchen ›fi donc‹, deren ›fi‹ er leise pfeifend aussprach.« Ihre Langeweile vertreiben die preußischen Offiziere sich damit, Gemälde und Kunstgegenstände im Schloss zu zerstören. Man beschließt, ein Fest zu veranstalten und holt dazu Huren aus dem Bordell. Bei dem Gelage greift Fräulein Fifi sich Rahel; »von geiler Wut und seinem Radautriebe gepackt«, malträtiert er sie, bis sie schreit. »Dann wieder hielt er sie umfaßt, sie an sich pressend als sollte sie eins mit ihm sein, drückte lange seinen Mund auf der Jüdin frische Lippen, und küßte sie, daß sie nicht mehr atmen konnte. Plötzlich aber biß er sie so stark, daß ihr ein Blutstrom über das Kinn lief und auf die Taille tropfte.« Die betrunkenen Offiziere grölen: »Wir sind die Herren. Frankreich gehört uns!« Rahel, in ihrem Nationalstolz verletzt, befreit sich aus der Umarmung. »Da setzte der kleine Reichsgraf der Jüdin sein frisch gefülltes Sektglas auf den Kopf und schrie: ›Uns sollen auch

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alle französischen Frauen gehören!‹ ›Ich … ich … ich bin keine Frau, ich bin eine Hure! Nur so eine paßt für die Preußen!‹ Kaum hatte sie ausgesprochen, als er ihr mit aller Kraft eine Ohrfeige gab. Aber als er, sinnlos vor Wut die Hand zum zweiten Male hob, ergriff sie vom Tisch ein Dessertmesser mit silberner Klinge und rammte es ihm so schnell, daß man kaum gewahr wurde was vor sich ging, in den Hals, genau in die Höhlung wo die Brust ansetzt.« Rahel f lüchtet durch das Fenster. Der Offizier stirbt, die Suche nach der Täterin bleibt ergebnislos. Nach dem Abzug der Besatzer kehrt Rahel in das Bordell zurück. »Einige Zeit später nahm sie ein vorurteilsloser Vaterlandsfreund heraus, der sie zuerst wegen ihrer schönen That, dann um ihrer selbst willen, liebgewonnen. Er heiratete sie und sie ward eine Frau, nicht schlechter denn manche andere.« Die Novelle wurde mehrfach verfilmt, u. a. 1944 in den USA von Robert Wise mit Simone Simon und 1956 von Lawrence Huntington für das britische Fernsehen mit Paulette Goddard. Von diesen Adaptionen unterscheidet sich Fruchtmanns Version total: Ihm lag nichts daran, Rahel zu heroisieren und ihre Tat als Akt des nationalen Widerstands zu glorifizieren. Im Gegenteil: Bei ihm steht als Hauptfigur mit Mademoiselle Fifi ein Antiheld im Mittelpunkt. »Es soll ein Antikriegsfilm werden, ohne Zeigefinger und Pathos. Ein Film über die Korruption von Menschen durch Krieg und Soldatentum«, schrieb Fruchtmann Hans Kresnik, den er für die Choreografie der Tanzszenen gewinnen wollte.71 Seine Vision hat er wie bei keinem anderen Film vorab präzise fixiert, die ästhetischen Valeurs und Valenzen ref lektiert und Notate zu allen Departments, zu Kamera, Licht, Maske, Kostüme, angefertigt. Sein inhaltlicher Ansatz ist soziologischer Natur: »Offiziere und Frauen sind zunächst Angehörige von Gruppen. Ihr Verhalten wird davon geprägt. Erst kommen die Ähnlichkeiten und die Gemeinsamkeiten ihrer Gruppenzugehörigkeit, dann individuelle Unterschiede.«72 Haltungen, Bewegung, Gestik und Sprechweise, bei beiden Gruppen sind sie von ihrem Beruf bestimmt. Die Offiziere sind von Adel, Krautjunker, Landjunker hauptsächlich mit militärischer Familientradition. »Sie müssen sich zum Beispiel allen anderen gegenüber so überlegen fühlen, dass sie hemmungslos kommandieren und Frauen wie den Feind oder die Untergebenen als Objekte sehen können. Sie müssen so an Autorität, Gehorsam, Ehre, Pf licht, an ihre Überlegenheit glauben, dass der Glaube stärker wird als die Angst vor dem Tod im Krieg.« Die Frauen seien wahrscheinlich alle aus Not Huren geworden, doch Fruchtmann wird deshalb nicht sentimental. »Jetzt leben sie gut, sie sind privilegiert, sie haben einen Weg aus den Entbehrungen und der Not ihrer Klasse gefunden.« Gede-

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mütigt, ausgebeutet, missbraucht wirken sie nicht gerade. Zunächst verunsichert durch die Einladung von den siegreichen Feinden, genießen sie es, dass sie »aus der milden Langeweile des Puffs entkommen sind  – ein Ausf lug!« Fruchtmanns Blick auf beide Gruppen ist gleichermaßen mitleidlos. Die Optik war bei diesem Film dem Regisseur besonders wichtig. »Gesichter sind das wichtigste Element. Sie werden nicht enthüllend und entblößt vorgeführt und gezeigt, sie werden nicht nur frontal und im rechten Winkel gesehen. Sie sitzen in der Tiefe, hinter ihnen schimmert und lebt es, gestaffelt sind Objekte, Lichtf lecke und Punkte lebendig.« Besonders beim Fest sollte es überall funkeln und glänzen in Lichthöfen, Strahlenkränzen und in Ref lexen. Jedoch: »Keine Pickelpräzision – die Gesichter der OFFIZIERE sind monströs durch die Spiegelung ihres Denkens, ihres Fühlens und Verhaltens, nicht weil sie als Monster zur Welt gekommen sind.« Damit die Gesichter nicht ihre menschliche Qualität verlieren, sollte Schminke nicht sichtbar sein, auch nicht bei den Frauen. »Sie sind keine verführerisch angemalte Kokotten, die gehören in eine andere Zeit und an andere Orte (Paris). Unsere Frauen geben sich zugänglich und ›natürlich‹.« Die im Fernsehen typischen und üblichen Einstellungen wollte Fruchtmann vermeiden, ihm schwebte eine neue Bildsprache vor: »Kamerawinkel und Bildgrößen sind oft unerwartet, eigenartig, aber nicht willkürlich.« Er wünschte sich eine statische Kamera: »Sie läuft nicht nach. Bewegungen werden durch Schnitte ausgedrückt.« Auf Übergangsbilder, die lediglich als Scharniere für den Fortgang der Handlung dienen, wollte er gänzlich verzichten. »Alle Bilder haben ihren eigenen, von der Aussage bedingten Charakter, sie sollen komponiert und im Zusammenhang interessant ausgeleuchtet sein.« Einen Absatz weiter korrigierte er sogleich die Formulierung: »Nicht ausgeleuchtet, sondern ausgeschattet!« Auch nach dem Abzug der Besatzer, bei der Hochzeit, dem sogenannten Happy End, wird es, so die bittere Pointe, keineswegs heller und lebendiger. Als »ein schwarzes Märchen« bezeichnete Fruchtmann Mademoiselle Fifi in seinen Notizen, und diesen Vorsatz hielt er in der Umsetzung konsequent durch. Das Presseecho war wieder einmal geteilt. Ein »Pandämonium zum Thema ›Der preußische Offizier‹« befanden die einen, »Maupassant blieb dabei auf der Strecke«.73 Ein anderer sah ein »brillantes Lehrstück«, »minutiös in der stilvoll dekorativen Kulisse des Feudalsitzes inszeniert«.74 Fruchtmann habe den assoziativen Stil Maupassants aufgenommen, las man in der Zeit. »Die Personen wurden stärker typisiert, die einzelnen Figuren (durch eine deutlichere Handlung) stärker miteinander verbunden. Der Zuschauer wird zur Distanz gezwungen, eventuelle ›Betroffenheit‹ verwandelt sich sofort in

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M ademoiselle Fifi, 1986. Peter Franke, Christoph Eichhorn, Erika Skrotzki, Regine Vergeen, Uwe Hacker, Rüdiger Vogler, Uli Krohm, Donata Höffer. Foto: Peter Meyer

Unbehagen.«75 »Keine textadäquate Photokopie des literarischen Originals, sondern dessen gewitzte und proportionsgerechte Karikatur«, meinte Karl Heinz Kramberg in der Süddeutschen. Sein Urteil: »Ein kalter Graus. Für Augen, Ohren und Hirn ein gar köstlicher, widerwärtiger, schmackhafter Schmaus.«76 Die Wogen der Entrüstung schlugen hoch. Mademoiselle Fifi – im ersten Programm zur Hauptsendezeit um 20.15 Uhr ausgestrahlt; »die Sendezeit 23.50 Uhr wäre für so etwas noch zu früh«, kommentierte ein Zuschauer – erschien den meisten Fernsehkonsumenten schlicht als Zumutung: »Skandal«, »übles Machwerk«, »Schmutzstreifen« war man sich einig. Ein kleines Potpourri, wahllos herausgegriffen aus der Mappe mit der Zuschauerpost:77 »Der Film ist schlichtweg Schweinkram und verletzt gesundes moralisches Empfinden.« – »Es kommt einem ja der Ekel hoch, was Sie sich da herausnehmen. Wie weit soll der Mensch denn noch sinken?« – »Ein Meisterstück an Perversität.« – »Pfui Teufel, genau in die Kloake getreten.« – »Eine einzige Unverschämtheit gegenüber dem deutschen Zuschauer.« – »Man muß sich wirklich fragen, ob Ihre leitenden Herren nicht abgelöst werden müssten.

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Mir klopft das Herz bis in den Hals vor Empörung«, empörte sich eine Briefschreiberin. »Sie mit sehr geehrte Herren anzusprechen dürfte wohl fehl am Platze sein.« – »Den Regisseur, der für diese Sendung verantwortlich zeichnet, sollte man zum Teufel jagen.« Ein anderer Zuschauer wurde konkreter und setzte gleich ein Ultimatum: »Das o. g. Spiel war ein widerliches, ekelerregendes Machwerk. Ich fordere Sie hiermit auf, hinsichtlich der Verantwortlichen äußerste Konsequenzen zu ziehen. Bitte unterrichten Sie mich bis zum 1.10.86 über das Veranlaßte, da andernfalls Strafantrag wegen Volksverhetzung, Verbreitung von Pornografie und Verherrlichung schwerster Verbrechen erfolgt.« Empörte Zuschauerreaktionen war Fruchtmann gewöhnt, doch die Schärfe der Angriffe nahm zu. In diesem Fall meldeten sich auch ehemalige Angehörige der Deutschen Wehrmacht zu Wort. »Dieser Film gehört nicht in die deutschen Wohnstuben, sondern in den Schweinestall. Er ist eine Beleidigung für alle meine gefallenen Kameraden.« Witwen beschwerten sich in handschriftlichen Briefen, dass die Offiziersehre ihrer Männer be­­ schmutzt werde. Dafür verantwortlich gemacht wurden »die Herren Meinungsmacher der ARD« und speziell Radio Bremen, damals als »Rotfunk« verschrien. »Herrn Fruchtmann kenne ich zu wenig. Ist er ein Handlanger des Senders Bremen?«, fragte ein Zuschauer. Ein anderer zog eine literaturhistorische Traditionslinie und sprach damit einen Verdacht aus: »Ich weiß mich noch genau zu erinnern, daß diese Art von Literatur schon vor 1933 den jüdischen Schriftstellern angelastet wurde. Einer bestimmten Sorte jüdischer Literaten. Deren Handschrift war unverkennbar. Gehe ich fehl in der Annahme, daß diese Romanvorlage aus der Hand eines jüdischen Schriftstellers stammt?« Was dieser »bestimmten Sorte jüdischer Literaten« nach 1933 angetan wurde, führte der Briefschreiber nicht aus. Ein anonymes Schrei­ben, laut Poststempel aus Freiburg im Breisgau, wurde deutlicher: »Macht nur weiter so mit Euren verleumderischen Drecksgeschäften, es kommt schon die Zeit, wo es Euch wieder heimgezahlt wird, nur etwas gründlicher als früher«, drohte der Schreiber den »absahnenden Volksverhetzern«. »Euer Verwandter Hitler war noch viel zu human mit Euch, denn sonst würde es nicht mehr so viele von Euch geben.« Jurek Becker, dem Fruchtmann von den Zuschriften berichtete, tröstete ihn: »Daß Du damit böse Emotionen losgetreten hast, verstehe ich gut. Aber das ist das Schicksal der wenigen, die Filme machen können, wie Du sie machen kannst.«78

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Die Lebenden und die Toten: Zeugen und Ein einfacher Mensch Konzentrationslager habe es nie gegeben, jedenfalls werde alles maßlos aufgebauscht: Gräuelmärchen. Holocaust? So hieß eine amerikanische Seifenoper, 1979 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt, reine Fiktion mit den üblichen Versatzstücken. Die Leugner des Holocaust fragen nach Beweisen: Es gibt keine Dokumentaraufnahmen aus den KZs. Fruchtmann bot Zeugen auf: Aussagen von Überlebenden des Völkermords. Der Film »will die Wahrheit erfragen, die ein Recht der Toten und eine Pf licht der Lebenden, aber auch ihre Überlebensnotwendigkeit ist«.79 Nach Vorgesprächen fertigte Fruchtmann zunächst Figurenprofile der Interviewpartner an.80 Auf die Vorderseite eines DIN-A-4-Blattes klebte er ein großes Foto, notierte den Namen und die Kontaktdaten. Die Rückseite war dreigeteilt: Oben eine Charakterisierung der Person sowie thematische Stichworte, mittig die Lager-Biografie (der Ausgangspunkt war meist das Ghetto, es folgten – häufig mehrere – Konzentrationslager und Todesmärsche bei deren Räumung), im unteren Drittel hielt Fruchtmann Traumata und Krankheiten (als Folge des Erlittenen) fest sowie das Schicksal von Familienangehörigen. Er fragte nach der religiösen Einstellung: Fast alle verloren ihren Glauben an Gott in Auschwitz. Ein paar typische Eintragungen von den Rückseiten: »Erschütternde Figur – sehr depressiv, nervös, unruhig. Spricht unklar und unordentlich. (…) Ist in Gefahr, während des Interviews zusammenzubrechen.« »Erzählt gut, interessant, intelligent, sehr vital und bildhaft, ausgewogen und ehrlich; chronologisch etwas durcheinander.« »Spricht empfindsam, fein, mit Schmerz, aber ehrlich und beherrscht; viel über physische Bedingungen, Erniedrigungen, Misshandlungen  – auch intime Details.« »Eine gebrochene Person, apathisch, servil, ohne Lebenskraft, in physisch und psychisch schlechter Verfassung.« »Etwas abwesend, verschlossen, sehr sparsam und zurückhaltend mit Gefühlen, ohne starkes Erinnerungsvermögen.« »Spricht manchmal wie hypnotisiert, mit einer Selbstsicherheit, die einer Verrücktheit nahekommt.« Wer zu Übertreibungen neigte oder un­­ glaubwürdig wirkte, wurde als ungeeignet für das Filmvorhaben markiert. »Weint« ist ein häufiger Vermerk auf den Bögen. »War in schwerer Muselmannverfassung; hat Kannibalismus gesehen. Dann Todesmarsch (ca. 1 Monat) – gef lohen, hatte sich vorher in einem Leichenhaufen verborgen.« Viele konnten jahrzehntelang nicht darüber sprechen, was ihnen Schreckliches in den Lagern widerfahren war, doch nun, am Ende ihres Lebens, drängte es sie, Zeugnis abzulegen. Dies sollte nicht vergessen werden, es ging

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ihnen  – ein seltsam anmutender Begriff  – um die »Verewigung des Holocaust«. Fruchtmann gelang es, ihr Vertrauen zu gewinnen, wurde er doch wegen seiner eigenen Biografie als einer der ihren akzeptiert, und er brachte sie mit viel Einfühlungsvermögen dazu, sich zu öffnen. 60 Überlebende, 52 in Israel und acht in Polen, wurden vor der Kamera interviewt. »Ihre Auswahl war so schwer wie die Auswahl dessen, was von ihren Aussagen verwendet und im Film auf bewahrt werden konnte«, erklärte Fruchtmann im Vorwort zur Buchausgabe.81 Wenige Wochen vor Drehbeginn – Fruchtmann begann im August 1980 mit den Aufnahmen in Israel und setzte sie am 17. September in Polen fort – war das Projekt noch einmal gefährdet. Die Sendergewaltigen hatten von Shoah gehört, Claude Lanzmanns monumentaler Dokumentation, an der dieser seit vielen Jahren arbeitete, und befürchteten eine Doublette. Die Redaktion konnte jedoch den Programmdirektor überzeugen, dass beide Projekte eigenständig und unverwechselbar sind.82 Fruchtmann beschrieb seine Absichten und seine künstlerische Vision in einem Papier. »Der Film ist ein dokumentarischer Spielfilm. Das heisst ein Film, der im Anspruch aesthetischer Wertung einem Spielfilm entspricht. Er benutzt an Stelle von Schauspielern und festgeschriebener Handlungen und Dialoge die Gesichter der befragten Ueberlebenden und ihre Aussagen. Diese Gesichter sind Akteure und Szenenbilder zugleich, sie sind die Dokumente des Films.«83 Zeugen wurde in zwei Teilen (am 15. März und am 22. November 1981) in der ARD gesendet. »Erschreckend und deprimierend waren die Anrufe am Abend der Sendung«, hielt die Redakteurin Jutta Boehe-Selle in einem hausinternen Schrei­ben fest.84 Es meldeten sich rund 370 Zuschauer bei Radio Bremen; bis auf 50 positive Stimmen standen alle anderen Anrufer der Sendung schroff ablehnend gegenüber. »Wut, Haß und Verachtung den Aussagenden gegenüber dominierten, Unverständnis darüber, daß man nach 36 Jahren immer noch diese Lügenmärchen bringe und dabei das ganze Leid des deutschen Volkes vergesse.« Es sei nicht möglich gewesen, mit diesen Anrufern ruhig zu sprechen, sie hätten einfach nur aggressiv und hasserfüllt reagiert, notierte Boehe-Selle. Die Anrufe wurden aufgezeichnet und protokolliert, die Abschriften befinden sich im Archiv. (Sie ausführlicher zu zitieren, lohnt nicht, es reicht ein Wort aus dem Brief eines »Reichsdeutschen«: »Holokotze«.)85 In den nächsten Tagen trafen knapp 200 Zuschriften ein, wobei hier die Verhältnisse sich verkehrten: Zustimmung und Betroffenheit überwogen, wobei sich vornehmlich jüngere Leute äußerten. »Mit großer Behutsamkeit, allen schrillen Effekten abhold, ließ der Autor Karl Fruchtmann von Auschwitz im Stil einer Chronik berichten«, schrieb

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Walter Jens in der Zeit.86 »Das Grellste und Schauerlichste wurde mit den Mitteln einer sehr leisen und schlichten Ballade wiedergegeben: Geigen- und Mundharmonikamusik; Bilder vom Lagertor, den Pritschen und den angehäuften Knochen, Taschen, Kleiderfetzen der Getöteten; eine Kreideschrift, ein Rasierpinsel als einzige Hinterlassenschaft; dazwischen, wortlos blickend, die Gesichter der Zeugen.« Inszenierung war hier weitgehend identisch mit dem – im Nachlass bewahrten – Montagekonzept. Schritt für Schritt wird der Weg der Opfer nachvollzogen, beginnend mit der Einlieferung ins Lager und dem langsamen, anfangs ungläubigen Gewahrwerden, was ihnen (und ihren Nächsten) angetan wird. Dabei arbeitet Fruchtmann mit Wiederholungen, die Aussagen klingen ähnlich und sind doch geprägt vom individuellen Erlebnis. Walter Jens in seiner Besprechung: »Zwei Stunden lang berichteten Menschen, die überlebt haben, von Auschwitz, berichteten in gebrochenem Deutsch und auf Jiddisch, in der wohlklingenden Sprache des gebildeten jüdischen Bürgertums und in der schlichten Redensart einfacher Menschen  – und plötzlich geschah etwas Ungeheueres: Ohne ihre Individualität zu verlieren, wurden die einzelnen zu Sprechern in einem gewaltigen Chor, zu Stellvertretern der Ermordeten.« Er verneige sich – »denn Danksagen wäre zu wenig und zu unangemessen« – vor Karl Fruchtmann, schloss Jens.

Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk, 1981. Käthe Ehrlich, Elsa Grudza

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Den Sender erreichten zahlreiche Anfragen nach dem Text, und so entschloss sich Fruchtmann, auf der Grundlage des Films ein Buch zu veröffentlichen. Zeugen, erschienen im Verlag Kiepenheuer &  Witsch, präsentiert ohne Kommentar die Aussagen der interviewten KZ-Häftlinge. »Wenn die Zeugen sprechen, klingen ihre Worte in langem Echo nach, die Toten reden mit«, heißt es in den knapp gehaltenen »Vorbemerkungen«.87 Auf diesen Seiten stößt man auf bekenntnishafte Sentenzen, die von einem abgrundtiefen Pessimismus des Autors zu zeugen scheinen. »Die Möglichkeiten des Leidens scheinen unbegrenzt, gegen sieben Himmel stehen hundert Höllen.« »Es ist kein tröstender Sinn in der Vergangenheit.« »Auschwitz ist das Ende vieler Illusionen und Lügen. Der selbstzufriedene Optimismus der Zeit, die mit Auschwitz endete, ist in Rauch aufgegangen. Der Glaube an die Perfektionierbarkeit des Menschen durch die Zivilisation ist in den Öfen verbrannt.« Vom Fortschrittsglauben früherer Zeiten sei nichts geblieben, die bittere Erkenntnis lautet: »Die Gleichsetzung von Bildung und Gesittung mit mehr Menschlichkeit ist eine Lüge wie die Duschen in Auschwitz.« Die erschütterndsten Berichte stammen von Opfern, die von den Tätern zu schrecklichen Handlangerdiensten gepresst wurden. Der Bäcker Jakov Z., Ende 1942 nach Auschwitz-Birkenau deportiert, musste in den Gaskammern und Krematorien arbeiten, im sogenannten »Schleppkommando«: »Ich habe die Leichen von der Leichenhalle zum Ofen gebracht.«88 Und nicht nur Leichen. »Die andere Hälfte waren Muselmänner. Muselmänner, das sind Leute, die können nicht mehr gehen, können nicht arbeiten, und konnten nicht leben und konnten nicht sterben. Für diese Leute war das Gas zu schade, man hat sie lebendig ins Feuer geschmissen.«89 Das Vernichtungslager als Tötungsfabrik, dessen f ließbandmäßiger Betrieb rationell und routiniert gehandhabt wurde. »Man hat immer drei Leichen auf einmal auf dem Brett verbrannt: eine Frau, ein Mann und ein Kind. Die Frau war immer fetter als der Mann, der Mann war ganz mager, und ein magerer Mensch brennt nicht. Wenn die drei zusammengebunden sind, brennt es gut.«90 Wer gezwungen wurde, dabei mitzutun, musste all seine menschlichen Empfindungen abtöten, um zu überleben. Doch wie lebt man danach – niemals wird man solche grausigen Dinge vergessen oder verdrängen können. Jakov Z. ist ein lebender Toter. Er sagt von sich in Zeugen: »Ich kann nicht mehr weinen. Alle Gefühle von Menschen, von Weinen sind bei mir abgestorben. Ja, ich habe gesagt – das, was ich gesagt habe, gedenke ich, daß ich kein Mensch bin.«91 »Er ist ein einsamer Mensch, seine Gefühle sind tot«, sagt seine Frau Luba über ihn. Es ist der erste Satz in dem Film Ein einfacher Mensch. Fruchtmann hat dem Zeugen Jakov Z., dessen vollständigen Namen Yacov Silber-

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berg 92 wir nun erfahren, einen Film gewidmet, den man einen inszenierten Dokumentarfilm nennen könnte. Yacov ist Bäcker, er arbeitet in der Nacht. Auf seinem Weg zur Arbeit sieht er Mauern, Stacheldraht, Verladerampen und Güterzüge. Er schiebt Brotlaibe in den heißen Ofen – muss er dabei nicht an die Menschenleiber denken, die er damals in die Verbrennungsöfen schob? Durchlebt er das Horrorszenario täglich von Neuem, hat er wirklich unbewusst diese Arbeit gewählt, um sich den traumatischen Erlebnissen auszusetzen, denen er doch nicht entf liehen kann? »Wenn Zeugen ein Film über die Toten war, ausgesagt von den Überlebenden, geht es in dem neuen Film um einen Menschen, der überlebt hat, aber wie ein Toter erscheint.«93 Es ist das Thema, das Fruchtmann seit Kaddisch nach einem Lebenden immer beschäftigt hat. Während Peri in dem Fernsehspiel jedoch keinen Zugang zu Bach findet, ist es Fruchtmann gelungen, behutsam Kontakt zu Yacov aufzubauen, dessen Panzerung etwas aufzubrechen, die Versteinerung etwas aufzulösen. »Ich habe versucht, über ein lebendiges Gefühl der Verbundenheit und der Nähe soviel wie möglich von diesen Menschen zu erfahren«, erklärt Fruchtmann. Er sei sich seiner Verantwortung bewusst gewesen und habe sich Grenzen gesetzt. »Ich habe da Halt gemacht, wo es möglich gewesen wäre, Jakow zu einer noch intimeren, näheren und direkteren Schilderung dessen zu bringen, was er vergraben hat. Ich hätte ihn soweit bringen können, daß er die Herrschaft über sich selbst verloren hätte. Aber ich wollte keinen psychologischen Ausnahmezustand. Niemand kann wissen, wie Jakow danach hätte weiterleben können.«94 Ob der Film Yacov und seiner Frau geholfen habe, wollte Jens-Uwe Scheff ler, selbst ein ausgewiesener Dokumentarist, wissen. Fruchtmann glaubte, diese Frage mit großer Vorsicht bejahen zu können. »Tatsache ist, daß Jakow und Luba noch nie so viel gesprochen haben wie während und nach der Drehzeit.« Das setze sich fort, es habe sich etwas geöffnet. »Menschen, die, wenn nicht schweigend, so doch spracheingeschränkt und gehemmt nebeneinander gelebt haben, sprechen miteinander.«95 Die Filmaufnahmen wirkten wie eine Therapie. Nach dokumentarischem Beginn entwickelt Fruchtmann eine spielfilmähnliche Dramaturgie und inszeniert eine Art Rollenspiel. »Die Silbermanns spielen sich selbst und sind sie selbst. Sie geben den Gespenstern ihrer Angst vor der Kamera Gestalt und brechen endlich ihren Zauber.«96 Dies als Zuschauer miterleben zu können, macht Ein einfacher Mensch letztlich zu einem Film der Hoffnung. Ein einfacher Mensch entstand im Auftrag des NDR. Auch ein Jahr nach der Pressevorführung hatte man noch keinen Sendeplatz im ARD-

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Programm für den Film gefunden; schließlich wurde er zeitversetzt in allen III. Programmen ausgestrahlt.97 Für Ein einfacher Mensch erhielt Fruchtmann die höchste Auszeichnung, die das Fernsehen hierzulande zu vergeben hat: den Adolf-Grimme-Preis mit Gold.

Epilog Wie man darauf komme, dass es ihm gut gehe, knurrte Karl Fruchtmann in seinen letzten Jahren, wenn man sich nach seinem Befinden erkundigte. Gut werde es ihm erst wieder gehen, wenn er wieder arbeiten könne.98 Unermüdlich auch im Rentenalter, realisierte er noch bemerkenswerte Filme. Tote Briefe war – 1991, als das Thema noch längst nicht so virulent war wie heute – ein Diskussionsbeitrag zur Asylpraxis in der Bundesrepublik. Ein aus Deutschland abgeschobener Afrikaner wartet in seiner Zelle auf die Hinrichtung. In Rückblenden wird das missglückte Asylverfahren aufgerollt. Gnadenlos korrekt durchläuft der »Vorgang« noch einmal alle In­­ stanzen. Niemand muss sich einen Fehler vorwerfen, und doch sind sie schuldig geworden. Auf die im Untertitel gestellte Frage: »Wer rettet Jo­­ shua?« gibt es eine deprimierende Antwort: niemand. Die Grube: Als 1941 bei Kiew ein deutsches Sonderkommando 900 Juden erschießt, überleben durch ein Versehen 90 Kinder, die allein gelassen vor sich hinvegetieren. Zwei Wehrmachtspfarrer melden diese Zustände, die Befehlskette setzt sich in Gang, am Ende wird die sofortige Exekution der Kinder angeordnet. Es handelt sich um ein Dokudrama, d. h. schriftlich dokumentierte Aussagen werden in Spielszenen nachgestellt, in die – mittels Vergrößerung bis zur Unkenntlichkeit verfremdete  – Bilder von Erschießungen, Aufnahmen von kriechenden Kindern zwischen Soldatenstiefeln usw. einmontiert sind, schließlich der Blick in die noch leere Grube. Fruchtmann, der sich keinem dokumentarischen Purismus verpf lichtet fühlte, reagierte zu Recht empört, als ihm Täuschung vorgeworfen wurde: Bei der künstlerischen Verarbeitung authentischen Materials, das er augenfällig ebenso inszenierte wie die Schauspieler, ging es ihm darum, eine eigene Realität zu schaffen.99 Mit dem Alter nahmen die Ehrungen und Auszeichnungen zu, doch es wurde für Fruchtmann immer schwieriger, Projekte zu verwirklichen. Die finanziellen Möglichkeiten seines Haussenders Radio Bremen waren stets limitiert; es war immer ein Kampf um das notwendige Budget gewesen. Die Situation sei prekär, schrieb Hans Bachmüller, Chefdramaturg des Senders,

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in den 1970er Jahren an Fruchtmann nach einem Kalkulationsgespräch. »Ich muß Dich darum ernsthaft bitten, bei Besetzung, Bau, Materialverbrauch – und wo immer wir die Kosten beeinf lussen können  – uns zu helfen.«100 Nachdem aufgrund massiven politischen Drucks die Ausgleichszahlungen innerhalb der ARD ab 1995 neu geregelt wurden, verlor Radio Bremen fast die Hälfte seines Etats und konnte – neben den Tatort-Verpf lichtungen – kaum noch eigenständig Produktionen ins Programm einbringen.101 Dazu kam die radikale Veränderung der Medienlandschaft durch die Konkurrenz der neuen Privatsender, die zu einer Verf lachung des Angebots führte. Bei einem kulturpolitischen Kolloquium in der Evangelischen Akademie Loccum im Februar 1998 konstatierte Fruchtmann, im Kampf um den Zuschauer hätten die Öffentlich-Rechtlichen ihre Unschuld verloren und einen »Wechselbalg geboren: die Quoten-Ethik«. Programm-Entscheidungen würden nach fragwürdigen Kriterien gefällt; in der Umsetzung regiere dann eine »Quoten-Ästhetik«: »Rhythmus, Kameraarbeit, Schnitt richten sich nicht nach dem Inhalt, den sie aussagen sollen, sondern nach dem, was sich verkauft.« Zwischen den Sonntagsreden der Fernsehgewaltigen und der SendeWirklichkeit klaffe ein Abgrund. »In diesen Abgrund ist zum Beispiel ein Teil des Fernsehspiels, einmal der vorgezeigte Stolz der Öffentlich-Rechtlichen, gefallen und hat sich das Genick gebrochen. Es existiert nicht mehr oder es hängt am Tropf.«102

Ein einzelner Mord, 1999. August Schmölzer, Christian Doermer, David Cesmeci. ­Werkfoto

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Vier Jahre nach Die Grube drehte Fruchtmann, inzwischen 83 Jahre alt, noch einen Film, der ihm seit Langem am Herzen lag. Ein einzelner Mord rekonstruiert anhand von Prozessakten die letzten beiden Tage im Leben von Anton Reinhardt, einem 17-jährigen Sinto, der, aus einem Lager gef lohen, am Karfreitag 1945, kurz vor Kriegsende, einer Volkssturmeinheit in die Hände fiel und sich sein eigenes Grab schaufeln musste. »Ich war von der Rechtmäßigkeit des Befehls überzeugt. Ich habe dem Jungen ins Genick geschossen«, sagte SS-Hauptsturmführer Karl Hauger, im Film gespielt von Christian Doermer, später aus. Ein bundesdeutsches Gericht wertete die Tat nicht als Mord, sondern verurteilte ihn wegen Totschlags zu Gefängnis; nach zwei Monaten kam er auf Bewährung frei. Fruchtmann konnte Ein einzelner Mord nur mit kleinem Budget und bescheidenen Mitteln realisieren. »In seiner stilistischen Kargheit anstrengend«, hieß es prompt in einem Vorbericht. Fruchtmann zog bei dieser Gelegenheit heftig vom Leder, kritisierte, dass aus dem traditionellen Fernsehspiel Filme geworden seien, die immer stärker Kino sein wollen. Die Handlung würde in raschen Schnittfolgen zerstückelt, die meisten Sendungen seien »antihuman, denkfeindlich und inhaltsleer«, so das herbe Verdikt des Regisseurs. Er forderte dagegen: »Fernsehen soll demokratische, mündige Bürger formen.« Eine Journalistin kommentierte lakonisch, dieses »Ideal vom Fernsehen als Ort humaner und politischer Bildung« wirke schlicht altmodisch.103 Ein einzelner Mord war der letzte Film, den Fruchtmann realisieren konnte.

1 Stefanie Rosenkranz: »Die Skala der Leiden ist unendlich«. In: Stern, TV-Magazin, Nr. 32, 4.8.1988.  — 2 Karl Fruchtmann: Ein einfacher Mensch. Interview vom 23.5.1990. In: Nea Weissberg-Bob (Hg.): Jetzt wohin? Von außen nach innen schauen. Gespräche, Gedichte, Briefe. Was ist eigentlich »jüdisch« und was »deutsch«?. O. O.: Lichtig 1993, S. 37.  — 3 Karl Fruchtmann, zit. in: -ther: Giftmischerin Gesche geht ins Atelier. In: Bremer Nachrichten, 2.2.1978.  — 4 Gesellschaftlicher Wahn  – privater Wahnsinn. Gespräch mit Karl Fruchtmann. In: Pressestelle Radio Bremen: RB Extra, 30.10.1974, S. 2. — 5 Dies änderte sich erst 2006, als die Produktion an die Bremedia Produktion GmbH ausgegliedert wurde. — 6 So z. B. Kathrin Bergmann in ihrer Kritik zu Mademoiselle Fifi: »Da es sich aber um ›Kunst‹ handeln soll, spricht man vor dieser unsäglichen Produktion vielleicht besser von Bremer Stil«. In: Die Welt, 19.9.1986. — 7 Gesellschaftlicher Wahn – privater Wahnsinn, a. a. O. — 8 E. P.: Ein ärgerlicher Fernsehabend. In: Mannheimer Morgen, 5.12.1974. Die Warnung bezog sich auf Fruchtmanns Film Krankensaal 6. — 9 Karl Fruchtmann, zit. in: Thomas Koebner: Vorstellungen von einem Schreckensort. Konzentrationslager in Fernsehfilmen von Egon Monk und Karl Fruchtmann. In: Ders.: Vor dem Bildschirm. Studien, Kritiken und Glossen zum Fernsehen. Sankt Augustin: Gardez!

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Michael Töteberg 2000, S.  85 f.  — 10 Gesellschaftlicher Wahn  – privater Wahnsinn, a. a. O.  — 11 Knut Hickethier: Geschichte des deutschen Fernsehens. Stuttgart, Weimar: Metzler 1998, S. 454. — 12 Thomas Koebner: An einen Zurückgekehrten. In: Ders.: Wie in einem Spiegel. Schriften zum Film. Dritte Folge. Sankt Augustin: Gardez! 2003, S. 227, 229. – Koebner, Professor an der Philipps-Universität Marburg, hatte als spontane Reaktion auf Marcel Reich-Ranickis Verriss von Heinrich Heine Anfang 1984 Fruchtmann angeschrieben und lud ihn ins Seminar ein; vgl. Akademie der Künste, Berlin, Karl-Fruchtmann-Archiv (im Folgenden KFA), Nr. 95.  — 13 50 Fernsehspiele von Radio Bremen. Hg. von der Pressestelle Radio Bremen. Bremen 1969, unp. — 14 KFA, Nr. 900. — 15 Die Nähe der Figur Peri zum Autor signalisierte bereits die Namenwahl: »Peri« heißt hebräisch »Frucht«. Ein autobiografisches Detail offenbarte Fruchtmann im Gespräch mit Nea Weissberg-Bob: »Ich habe tatsächlich auch einen Häftling erlebt, der Bach hieß. Dieser Häftling hatte eine Gitarre. Stell dir vor, im Lager eine Gitarre!« (Nea Weissberg-Bob, a. a. O., S. 33). — 16 H. [= K.] H. (Karl Heinz) Kramberg: Kaddisch und anderes. In: Süddeutsche Zeitung, 30.1.1969. — 17 Karl Fruchtmann: Ein einfacher Mensch. Interview vom 23.5.1990, a. a. O. — 18 E. J. (Ernst Johann): Beklemmungen. Tagebuch des Fernsehers. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.1.1969. — 19 cuch [= Valentin Polcuch]: Totengebet. In: Die Welt, 30.1.1969. — 20 Ponkie [= Ilse Kümpfel-Schliekmann]: Das Unverjährbare. In: Abendzeitung, München, 30.1.1969. — 21  H. H. Kramberg: Kaddisch und anderes, a. a. O. — 22 Presse zum Kaddisch. Hektografiertes Dossier mit Auszügen aus Pressestimmen. KFA, Nr. 903. — 23 Peter K. Gallasch: Was soll überleben?. In: FUNK-Korrespondenz, Nr. 6, 6.2.1969, S. 17. — 24 Presse zum Kaddisch, a. a. O. — 25 Jack Gould: TV: German Drama of Nazis‘ Victims. In: The New York Times, 15.12.1969.  — 26 KFA, Nr. 904.  — 27 Ebd.  — 28 Ebd.  — 29 Vgl. Michael Töteberg: Fassbinders Moritat von der Giftmischerin Gesche Gottfried. In: Hans Werner Henze (Hg.): Neues Musik Theater. München: Hanser 1988, S.  95–98. — 30 Burkhard Mauer: Fassbinder, der Oberhäuptling. In: konkret, Nr. 1, 1977, S. 30. — 31 KFA, Nr. 758. — 32 Karl Fruchtmann, zit. in Imke Gehl: Bremens berühmtester Kriminalfall auf dem Bildschirm. In: Bremer Nachrichten, 9.12.1978. — 33 KFA, Nr. 749.  — 34 KFA, Nr. 756.  — 35 Waldtraut Freiberg: Gesche Gottfrieds Gift. Leserbrief in: Bremer Nachrichten, 25.2.1978.  — 36 KFA, Nr. 756.  — 37 Die Zuschauerpost zum Film: KFA, Nr. 757. — 38 Re.: Tele-Kritik. In: Neue Hannoversche Presse, 12.12.1987. — 39 Beispielhaft für den allgemeinen Tenor der Kritik: Sei: Nur ein Schulterzucken. In: Stuttgarter Zeitung, 12.12.1978. — 40 Uwe Kammann: Aufgebrochene Kaschierung. In: epd medien, Nr. 97, 16.12.1978, S.  13 f.  — 41 Nina Grunenberg: Mord mit Moral. In: Die Zeit, 8.12.1978.  — 42 KFA, Nr. 753. — 43 Hans-Dieter Seidel: Des Boxers Niederlage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.3.1980. — 44 Der Roman spielt in der DDR, wo »Opfer des Faschismus« eine amtliche Bezeichnung war und zum Bezug einer Pension berechtigte. Im Film sind alle Bezüge zur DDR-Realität konsequent ausgespart.  — 45 Jurek Beckers Korrespondenz mit der UFA: Akademie der Künste, Berlin, Jurek-Becker-Archiv (im Folgenden: JBA), Nr. 2750.  — 46 KFA, Nr. 768. Der zitierte Drehbuchvertrag datiert 21.9.78; der Regievertrag wurde am 29.5.1979 geschlossen. — 47 KFA, Nr. 773. Die Credits im Vorspann des Films lauten: »Der

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Eine Recherche im Nachlass Boxer. Ein Film von Karl Fruchtmann. Nach dem Roman von Jurek Becker«; im Abspann heißt es: »Der Boxer von Jurek Becker. Bearbeitung und Regie Karl Fruchtmann«. — 48 Der Boxer, Drehbuch, ebd. Im Folgenden zitiert mit Seitenangaben in Klammern. — 49 Telejour, Einschalt- und Sehverhalten zu den Sendungen von ARD und ZDF. Gesamtsendegebiet. 3. 3.1980. KFA, Nr. 572.  — 50 KFA, Nr. 572.  — 51 T. T. (= Thomas Thieringer): Bewegend. In: Frankfurter Rundschau, 5.3.1980. – Gekürzt unter dem Titel »Dem Leben entfremdet« auch in: Süddeutsche Zeitung, 5.3.1980.  — 52 Heinz Ungureit, ZDF, an Karl Fruchtmann, 5.3.1980. KFA, Nr. 768. — 53 Jurek Becker an Karl Fruchtmann, 21.12.1979. KFA, Nr. 398. — 54 JBA, Nr. 3019. — 55 KFA, Nr. 706. — 56 JBA, Nr. 194. — 57 KFA, Nr. 398 enthält fünf Briefe von Becker, JBA, Nr. 742 15 Briefe von Fruchtmann, außerdem befinden sich in JBA, Nr. 194, Nr. 2891 und Nr. 2896 handschriftliche Konzepte von Briefen Beckers an Fruchtmann. — 58 Fruchtmann bemühte sich vergeblich über die UFA um die Verfilmungsrechte für Beckers Roman Bronsteins Kinder, doch der Autor zog anstelle eines Fernsehfilms einen Kinofilm (in der Regie von Jerzy Kawalerowicz) vor. Vgl.: Brief Norbert Sauer, Universum-Film, an Karl Fruchtmann, 5.3.1987. KFA, Nr. 413. — 59 KFA, Nr. 472 und Nr. 473. Treatmentfassungen der Themenkomplexe in KFA, Nr. 21. — 60 Valentin Polcuch: Der Poet im doppelten Gefängnis. In: Die Welt, 30.11.1983.  — 61 Marcel Reich-Ranicki: Der Heine-Verschnitt der ARD. Ein außergewöhnlicher Film. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.12.1983.  — 62 BNB: Die zweite Vertreibung. In: Frankfurter Rundschau, 6.12.1983. — 63 Diese und weitere Kritiken: KFA, Nr. 25. — 64 HansWerner Conrad, Radio Bremen, an Karl Fruchtmann, 23.1.1985. KFA, Nr. 132. — 65 KFA, Nr. 115. — 66 Klaus Briegleb an Radio Bremen, 1.1.1985. Mit gleichem Datum schrieb Briegleb auch Karl Fruchtmann an, ebd. — 67 Klaus Briegleb: Opfer Heine? Versuch über Schriftzüge der Revolution. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986, S. 11 und 22. — 68 Dietmar Pertsch: Jüdische Lebenswelten in Spielfilmen und Fernsehspielen. Filme zur Geschichte der Juden von ihren Anfängen bis zur Emanzipation 1871. Tübingen: Niemeyer 1992, S. 172–174. — 69 Thomas Koebner: An einen Zurückgekehrten, a. a. O., S.  228. — 70 Zitiert wird nach der Ausgabe: Guy de Maupassant: Gesammelte Werke. Bd. 1. Frei übertragen von Georg Freiherr von Ompteda. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1924. Online einsehbar beim Gutenberg-Projekt.  — 71 Karl Fruchtmann: Ein paar Bemerkungen und Materialien zu Mad. Fifi. KFA, Nr. 374. – Kresnik arbeitete neben Zadek, Fassbinder, Stein u. a. in der Ära Kurt Hübner am Bremer Theater; seine Choreografien, radikal modernes Tanztheater anstelle traditioneller Ballett-Inszenierungen, galten als »Provokation im Bremer Stil« (Die Zeit, 8.1.2004).  — 72 Karl Fruchtmann: Ein paar Bemerkungen und Materialien zu Mad. Fifi. KFA, Nr. 374. Alle folgenden Zitate stammen aus diesem Konvolut.  — 73 Wolfgang Paul: Preußische Offiziere. In: Der Tagesspiegel, 19.9.1986. — 74 BNB: Brillantes Lehrstück. In: Frankfurter Rundschau, 19.9.1986. — 75 Cornelia Plattner: Von großer Zeit. In: Die Zeit, 12.9.1986. — 76  K. H. (Karl Heinz) Kramberg: Wund und weh. In: Süddeutsche Zeitung, 19.9.1986.  — 77 Die Zuschauerpost zum Film: KFA, Nr. 363. — 78 Jurek Becker an Karl Fruchtmann, 27.11.1986. KFA, Nr. 398.  — 79 Karl Fruchtmann: Zeugen. Grundlagen und Absichten für einen dokumentarischen Spielfilm. Typoskript. KFA 204. — 80 KFA,

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Michael Töteberg Nr. 151, Nr. 197. — 81 Karl Fruchtmann: Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1982, S. 21. — 82 Jürgen Breest, Radio Bremen, FS Spiel/Unterhaltung, an [Hans-Werner] Conrad, Radio Bremen, Programmdirektion, 11.6.1980. KFA, Nr. 211. — 83 Karl Fruchtmann: Zeugen. Grundlagen und Absichten, a. a. O. — 84 Jutta Boehe-Selle: Zuschauerreaktionen im Anschluß an unsere Sendung Zeugen, 24.3.1981. KFA, Nr. 210. Aufzeichnungen von Zuschaueranrufen sowie Zuschriften: KFA, Nr. 125, Nr. 162 und Nr. 210.  — 85 KFA, Nr. 210.  — 86 Momos [= Walter Jens]: Das Schauerlichste leise. In: Die Zeit, 20.3.1981. Die Schriftstellerin Ida Fink gratulierte Fruchtmann zu dieser Besprechung. KFA, Nr. 235. — 87 Karl Fruchtmann: Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk, a. a. O., S. 13. Die nachfolgenden Zitate ebd., S. 17, 15, 19. — 88 Ebd., S. 88. — 89 Ebd., S. 138. — 90 Ebd., S. 88. — 91 Ebd., S. 113. — 92 Die Schreibweise des Namens orientiert sich im Folgenden am Abspann des Films Ein einfacher Mensch. Folgende alternative Schreibweisen sind ebenfalls nachweisbar: Yakov / Jakob / Jakow / Jakov / Jacov / Jaacov / Jacob Silberberg / Zilberberg / Silbermann.  — 93 Jens-Uwe Scheff ler: Ein einfacher Mensch. Interview mit Karl Fruchtmann zu seinem neuen Film, 19.2.1986. Typoskript. KFA, Nr. 36.  — 94 Ebd. — 95 Ebd. — 96 Uwe Schmitt: Die Nacht ist groß. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.8.1988.  — 97 Erst nachdem der Film mehrfach ausgezeichnet wurde, kam er doch noch ins ARD-Programm: am 8.8.1988 um 23.00 Uhr.  — 98 Bernhard Gleim: Der Geschichtenerzähler. Karl Fruchtmann ist gestorben. In: epd-medien, 14.6.2003. — 99 Die Kontroverse wurde ausgelöst durch einen Bericht von Fritz Wolf in epd/Kirche und Rundfunk, Nr. 4, 1996, wonach die Jury bei der Vorauswahl zum Grimme-Preis Die Grube aussortiert habe: Fruchtmann habe bei den inszenierten Kinder-Bildern dokumentarische Echtheit vorgetäuscht. Darauf reagierten Karl-Heinz Klostermeier und Rüdiger Hoffmann, Intendant und Programmdirektor von Radio Bremen (in: Ebd., Nr. 8), Heinrich Hannover (Nr. 10) und schließlich Fruchtmann selbst (Nr. 15). Thomas Koebner griff in der FunkKorrespondenz (Nr. 12, 1996) die Jury an, worauf Reinhard Lüke replizierte (Nr. 13). — 100 Hans Bachmüller, Radio Bremen, an Karl Fruchtmann, 24.3.1972. KFA, Nr. 793.  — 101 Vgl. Sven Böhling: Geld. Macht. Medien. Entwicklung und Auswirkungen der ARD-Strukturreform. Marburg: Tectum 2010.  — 102 KFA, Nr. 551. — 103 Antje Schmitz: Ein Film über das Sterben. In: Stuttgarter Zeitung, Beilage Sonntag Aktuell, 2.5.1999.

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»Ein besonders guter Sender mit eigenem Charakter«1 Die Anfänge des Fernsehspiels bei Radio Bremen Eigentlich schien der 31. März 1960 ein Fernsehtag wie jeder andere zu sein. Die Programmzeitschriften annoncierten für den Abend die üblichen Vorabendsendungen, die Tagesschau und ein Wissenschaftsmagazin. Um 20.50 Uhr dann das Fernsehspiel Wovon wir leben und woran wir sterben von Herbert Eisenreich. Nur in einem Nebensatz wurde darauf hingewiesen, dass es mit dieser Sendung etwas Besonderes auf sich hatte: Es handelte sich um das erste Fernsehspiel aus Bremen, das über den Sender ging und mit dem Gemeinschaftsprogramm des Deutschen Fernsehens in die gesamte Bundesrepublik ausgestrahlt wurde. Auf diesen Moment hatte man bei Radio Bremen lange hingearbeitet. Nun endlich war auch der kleinste Sender der ARD im Konzert der anderen in der Königsdisziplin Fernsehspiel vertreten.

Ein neuer Rundfunksender wird installiert Der Weg bis hierhin war jedoch lang und durchaus nicht frei von Rückschlägen gewesen. Denn schon seine Entstehung verdankte Radio Bremen einem besonderen Umstand  – der Neugründung des Landes Bremen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Amerikaner hatten Anspruch auf einen eigenen Hochseehafen erhoben, um den Nachschub für ihre Truppen mit Rüstungs- und Versorgungsgütern zu sichern. Deshalb wurden Bremen und Bremerhaven aus der britischen Besatzungszone herausgelöst und unter amerikanische Verwaltung gestellt. Da die Amerikaner lokal operierende Radiostationen bevorzugten, initiierten sie, wie in anderen Städten ihrer Besatzungszone, auch in Bremen die Gründung eines Rundfunksenders vor Ort. Dieser wurde zunächst als Sender der Militärregierung betrieben, was die anfangs noch unsichere Finanzierung erleichterte. Als Funkgebäude diente eine der wenigen nach den schweren Bombardements während des Kriegs stehen gebliebenen Villen an der Schwachhauser Heerstraße 363.

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Und so konnten am Tag vor Heiligabend 1945 diejenigen, die ein Radio besaßen, erstmals aus dem Äther die Worte vernehmen: »Hier ist Radio Bremen auf Welle 499. […] Von heute ab wird Radio Bremen täglich von 19 bis 21 Uhr senden.« Gesprochen hatte sie Edward E. Harriman, Kontroll­ offizier der amerikanischen Militärregierung, der als Rundfunkbeauftragter mit der Gründung des neuen Senders betraut worden war. Anschließend wurde eine Weihnachtsfeier vom Marktplatz übertragen, bevor vom Rathausbalkon der damalige Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen sprach. Musik vom Domchor und von einem amerikanischen Musikkorps beschloss die Übertragung. Wegen der beständig unsicheren finanziellen Lage wurde Radio Bremen für eine längere Periode als andere westdeutsche Sender von der Militärregierung betrieben und erst am 5. April 1949 in deutsche Verwaltung übergeben. Die Amerikaner unterstützten die junge Radiostation danach aber noch ein letztes Mal. Mit ihrem Geld konnte 1950 ein neues Funkhaus in der Heinrich-Hertz-Straße im Stadtteil Vahr gebaut werden. Doch die Eigenständigkeit hatte ihren Preis, auch wenn das damals noch niemand ahnte: Finanzprobleme sollten den Sender während seiner gesamten Zeit beschäftigen und erheblichen Einf luss auf dessen Programmgestaltung nehmen. Das zeigte sich bereits ein Jahr später. Bis 1951 erhielt Radio Bremen die Teilnehmergebühren aus der amerikanischen Enklave Bremen, die neben Bremen und Bremerhaven auch die Landkreise Wesermünde, Osterholz und Wesermarsch umfasste. Ab 1952 jedoch standen dem Sender nur noch die Gebühren aus dem wesentlich kleineren Einzugsgebiet Land Bremen zu. Ein Vertrag mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) von Ende 1951 verschaffte zumindest einen gewissen finanziellen Ausgleich. Der NWDR verpf lichtete sich, jährlich 1,6 Millionen DM an Radio Bremen zu zahlen. Ein aufwendiges Programm ließ sich damit allerdings nicht mehr gestalten. Dennoch wurden in der Folge die Sendezeiten beständig erhöht und zahlreiche neue Programmformen entwickelt.

Goldene Jahre des Hörspiels Das Fernsehen in Deutschland steckte damals noch in den Kinderschuhen. Anfangs betrieben die großen Rundfunkanstalten lediglich Fernsehtestprogramme, zudem konnten sich nur wenige Menschen überhaupt ein Empfangsgerät leisten. Deshalb war der Rundfunk das Leitmedium dieser Jahre. Das Bedürfnis nach kultureller Vielfalt, Unterhaltung und aktueller Bericht-

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Die Anfänge des Fernsehspiels

erstattung wuchs bei Hörern und Radiomachern gleichermaßen. So entstanden bereits in der Frühzeit von Radio Bremen Sendungsklassiker, die bis heute Bestand haben. Vor allem aber entwickelte sich eine kreative und experimentierfreudige Hörspielabteilung, zunächst geleitet von Gert Westphal, ab 1953 dann von Oswald Döpke. Das Credo der Bremer Hörspielmacher bestand in der Vermittlung von Kultur und der Erziehung zur Demokratie. Die moralisch-ethischen Appelle, die Mahnung, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, auch die deutlich in ihrer Hörspielarbeit zu spürende didaktische Absicht – all das speiste sich nicht zuletzt aus den Biografien der Protagonisten. Westphal und Döpke gehörten der sogenannten Kriegsgeneration an, die lange Jahre an der Front gewesen, in Gefangenschaft geraten und aus dieser schließlich »geläutert« und mit dem unbedingten Willen nach Hause zurückgekehrt war, etwas zu tun, um eine Wiederholung des Geschehenen zu verhindern. Sie sahen sich als »Aufklärer«, wühlten geradezu leidenschaftlich in der modernen Literatur, be­­ arbeiteten ausländische Stücke und förderten junge deutsche Autoren. »Wir berieselten ausgedörrte Äcker«, erinnerte sich Döpke 1965 rückblickend an diese Zeit. »Wir durften für andere auswählen, vorschlagen, denken.Wir waren verantwortlich und wollten es sein. Verantwortlich für das, was wir machten, und verantwortlich für das, was wir ließen, Stoffe zu verhindern, schien uns oft so wichtig, wie Stoffe zu bringen.«2 Das erste Hörspiel aus Bremen ging Anfang 1946 über den Sender. Durch die intensive Pf lege der Hörspielkultur entstanden in den nächsten Jahren mehrere hundert Produktionen, darunter viele von herausragender künstlerischer Qualität. Dazu zählten 1949 Gottfried Benns Drei alte Männer in der Regie von Gert Westphal sowie 1951 Helmut Käutners legendäre Hörspielproduktion Unter den Brücken nach seinem gleichnamigen Film aus dem Jahr 1945. Käutner versuchte, den ruhigen Erzählf luss seines Films auf das akustische Medium zu übertragen. Insbesondere mit seiner Schnitt- und Montagetechnik, unter Verwendung der Filmmusik von Bernhard Eichhorn, setzte er dabei Maßstäbe. Und obwohl ihm einige Kritiker mitunter vorwarfen, dabei lediglich ein anrührendes Troststück über die schlechte Zeit geschaffen zu haben, zählt Unter den Brücken bis heute zu den Klassikern des Genres. Auch Familie Meierdierks, eine der ersten Hörspielserien in der Bundesrepu­ blik, wurde ab 1952 in Bremen produziert. Das 1955 gesendete Hörspiel Wovon wir leben und woran wir sterben schließlich wurde mehrfach preisgekrönt, zuletzt 1957 mit dem renommierten Hörfunkpreis Prix Italia. Zuvor hatte der Autor Herbert Eisenreich für seinen Text bereits von Radio Bremen den Hörspielpreis für junge Autoren erhalten. Inszeniert wurden die Werke

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Judith, 1956. Elisabeth Opitz, Werner Hinz, Oswald Döpke. Werkfoto. Foto: Jutta Vialon

überwiegend von den Hausregisseuren des Senders, namentlich Günter Bommert, Oswald Döpke, Carl Nagel und Günter Siebert. Begünstigt wurde die Situation nicht zuletzt auch dadurch, dass zu dieser Zeit fast alle bedeutenden deutschsprachigen Autoren für den Rundfunk arbeiteten. Zu diesen gehörten in Bremen u. a. Alfred Andersch, Ingeborg Bachmann, Ingeborg Drewitz, Günter Eich, Wolfdietrich Schnurre, Martin Walser und Hans Weigel. Nach ihren Vorlagen entstanden anspruchsvolle und zugleich spannende und unterhaltsame Produktionen, die gelegentlich sogar zu wahren Straßenfegern wurden, bei deren Ausstrahlung sich die gesamte Familie vor dem Empfänger versammelte.

Die Anfänge des Fernsehens in Bremen Obwohl also das Hörspiel das Publikum fesselte und die schmale Finanzbasis von Radio Bremen vorläufig eine Erweiterung des Programms eigentlich nicht zuließ, fiel doch recht früh die Entscheidung, mit dem Auf bau des Fernsehens zu beginnen. Bereits im März 1952 genehmigten die Aufsichts-

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Die Anfänge des Fernsehspiels

gremien des Senders dem damaligen Intendanten Walter Geerdes einen bescheidenen Etat in Höhe von 300.000 DM, der zunächst vor allem für den Auf bau der notwendigen Sendetechnik gedacht war. Im Fernsehvertrag von 1953, in dem die Intendanten der Landesrundfunkanstalten übereinkamen, das täglich zweistündige Gemeinschaftsprogramm mit Beiträgen aller beteiligten Rundfunkanstalten zu bestreiten, blieb Bremen allerdings noch ausgespart. Lediglich in einem Zusatzprotokoll wurde festgehalten, dass es dem Sender freigestellt blieb, sich mit bis zu fünf Prozent Programmvolumen zu beteiligen. Bis dahin wurde diese Quote von den übrigen Sendern übernommen. Eine Fernsehgebühr sorgte für die Finanzierung. Sie wurde erstmals 1953 erhoben, und betrug zunächst fünf DM monatlich. Die finanziellen Nachteile eines kleineren Senders wie Radio Bremen, dessen Einnahmen wegen des überschaubaren Einzugsgebietes niedriger ausfielen, wurden durch einen Finanzausgleich zwischen allen ARD-Anstalten aufgehoben. Von nun an zahlten der Bayerische Rundfunk und der NWDR zusammen 2,3 Millionen DM in die Bremer Kasse. Diese Mittel ersetzten ab 1954 den alleinigen Zuschuss des NWDR. Zum 1. Januar 1955 wurde dann dem Pressechef des Senders Rudolf Dumont du Voitel die organisatorische Vorbereitung des Fernsehens bei Radio Bremen übertragen, vorläufig noch zusätzlich zu seiner eigentlichen Aufgabe – das war einzigartig in der damaligen Fernsehlandschaft. Er nannte sich nun Fernsehbeauftragter der Bremer Landesrundfunkanstalt und Leiter des Fernsehprogramms des Senders.3 Und obwohl an eigene Bremer Fernsehsendungen vorläufig noch immer nicht zu denken war, arbeitete man weiter kontinuierlich und gezielt an der Schaffung der räumlichen und technischen Voraussetzungen für einen planmäßigen Sendebetrieb. So war bereits 1954 damit begonnen worden, im Funkhaus in der Vahr einen kleinen Sendesaal zu einem provisorischen Fernsehstudio umzubauen. Eigentlich war der Saal dafür nur ungenügend geeignet, denn mit lediglich 110 qm war er so winzig, dass eine kleine Dekoration gerade so hineinpasste. Trotzdem wurde teure Technik im Wert von knapp zwei Millionen DM angeschafft: Zwei 16-mm-Film- und ein Dia-Abtaster, vier elektronische Orthikon-Kameras, einschließlich der dazugehörigen Zentralgeräte wie Taktgeber, Bildmischer, Verteilverstärker und Kreuzschienen. Dazu kamen noch zwei kleine Film-Schneideräume. Stolz wurde das neue Studio auch der interessierten Öffentlichkeit präsentiert. Vorläufig aber blieb es nur ein Versprechen. Wirklich in Betrieb ging es erst im Dezember 1955. Inzwischen jedoch bedrohten die Finanzprobleme des Senders dessen Existenz. Angesichts der Teilung des NWDR in Westdeutscher Rundfunk (WDR,

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Köln) und Norddeutscher Rundfunk (NDR, Hamburg) und dessen anschließender Auf lösung war der Finanzausgleich der ARD am 19. Oktober 1955 gekündigt worden. Dadurch drohte die Unterstützung Radio Bremens durch die anderen Sendeanstalten ins Wanken zu geraten. Zumal diese die Bestrebungen Bremens, sich mit eigenen Fernsehsendungen am Gemeinschaftsprogramm zu beteiligen, mit Argwohn verfolgten, da sie um die Minderung ihres Sendeanteils fürchteten. Für 1956 wurde zwar noch eine Art Übergangslösung umgesetzt, die auch einen Zuschuss an Radio Bremen beinhaltete. Doch im Verlaufe des Jahres teilte die Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Rundfunkanstalten Intendant Geerdes schließlich mit, dass er ab dem 1. Januar 1957 nicht mehr mit dem Zuschuss von 2,3 Millionen DM rechnen könne, welcher dem Sender als Finanzausgleich einst zugestanden worden war. Durch wesentliche Änderungen in der Organisation der Rundfunkanstalten seien die vertraglichen Voraussetzungen für den Zuschuss entfallen. Der Sender möge sich einschränken.4 Diese Zuwendung aber war das finanzielle Rückgrat des Senders, dessen Etat insgesamt nur knapp sieben Millionen DM betrug, und der sich neben den Budgets der anderen Rundfunkanstalten geradezu bescheiden ausnahm. Zum Vergleich: Der Etat des Bayerischen Rundfunks betrug 42 Millionen DM, der des NDR 48 Millionen DM und der des WDR gar 67 Millionen DM. Denn obwohl ungefähr eine halbe Million Hörer die Bremer Sendungen verfolgten und sie den Programmen anderer Sender vorzogen, wurden der Anstalt nach dem von den Besatzungsmächten festgesetzten Schlüssel nur die Gebühren der knapp 200.000 zahlungspf lichtigen Hörer des Landes Bremen in Höhe von 3,5 Millionen DM zugestanden. Angesichts dieser Krise hatte der Intendant des NDR Walter Hilpert gegenüber seinem Bremer Kollegen die Bereitschaft signalisiert, weiterhin einen – wenn auch deutlich verringerten – Zuschuss in Höhe von 750.000 DM zu zahlen. Doch der Verwaltungsrat des NDR mochte seinem Intendanten nicht folgen und wollte lediglich eine halbe Million DM bewilligen. Zusätzlich bot man den Bremern an, ihnen ganze Teile des NDR-Programms kostenlos zu überlassen, wodurch diese jährlich rund 200.000 DM hätten einsparen sollen. Zu wenig für Geerdes, der sich ein Limit von rund 800.000 DM für einen Spar-Etat ausgerechnet hatte. Außerdem wollte er kein »NDRSatellit« werden. Vergeblich versuchte Hilpert den aufgebrachten Geerdes zu beschwichtigen und versicherte ihm: »Bremen soll selbständig sein.« Zugleich schränkte er aber ein: »Aber es braucht nicht vollständig zu sein. Es braucht nur auf den kostspieligen Aufwand zu verzichten, den es zur Erfüllung seiner echten Aufgaben auch gar nicht braucht.«5 Damit spielte er auf die Einrichtung des

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Fernsehstudios und den Ankauf teurer Studiotechnik in den Jahren zuvor an, die Geerdes trotz der prekären finanziellen Lage seines Senders betrieben hatte – und das, obwohl Radio Bremen noch nicht einmal am offiziellen Deutschen Fernsehprogramm beteiligt war. Nicht zuletzt dieser Umstand hatte den Unmut der Verantwortlichen beim NDR erregt. Und so erreichte die Krise Ende 1956 schließlich ihren Höhepunkt. Kurz vor Weihnachten erhielten 76 Mitarbeiter des Senders ihre Kündigung, das war ein Viertel des Personals. Die Tageszeitung Die Welt titelte darauf hin: »Radio Bremen gleicht zur Zeit einem sinkenden Schiff.« 6 Mit den Kündigungen versuchte Geerdes nicht nur, den Sender vor der Zahlungsunfähigkeit zu schützen. Er wollte damit zugleich ein öffentlichkeitswirksames Signal setzen, was ihm bis zu einem gewissen Grad auch gelang. So meinte beispielsweise das Hamburger Wochenblatt Die Zeit: »Wenn an irgendeiner Stelle des deutschen Rundfunks aus der Not  – nämlich einem Befehl der Amerikaner, eine zusätzliche, wellengeographisch gewiß nicht erforderliche Funkanstalt zu betreiben  – eine Tugend gemacht worden ist, dann hier.«7 Und Erich Kuby schrieb in der Süddeutschen Zeitung: »Radio Bremen ist zugleich die einzige Sendestation in der Bundesrepublik, in der vom Geld so gesprochen wird, als müßte es verdient werden. Die übrigen Stationen sprechen von ihren Etats, die man entweder hat oder braucht, aber deren Gelder man nicht verdient.«8 Doch letztlich half auch der Zuspruch der öffentlichen Meinung nicht. Geerdes musste einlenken und die vom NDR gestellten Bedingungen akzeptieren. Dadurch blieb zwar die Eigenständigkeit von Radio Bremen erhalten, der Sender wurde aber verpf lichtet, eine große Zahl von Sendungen des NDR zu übernehmen.9 Nicht zuletzt diese Niederlage bewegte Geerdes dazu, im April 1957 in Bremen seinen Abschied zu nehmen und dem Ruf als Intendant des Senders Freies Berlin zu folgen.

Auf dem Weg zum Bremer Fernsehspiel Im Juli 1957 trat der neue Bremer Intendant Heinz Kerneck sein Amt an. Er versuchte, unbelastet durch vorherige Verhandlungen und mögliche persönliche Animositäten doch noch einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden. Bei seinem Amtsantritt sagte er: »Ich halte es für meine Aufgabe, dem Haus, das durch die Ereignisse der letzten Jahre offensichtlich sehr deprimiert worden ist, eine gewisse Zuversicht und das Gefühl wiederzugeben, dass sich die Arbeit wieder als lohnend und fruchtbar erweist.«10

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In intensiven Gesprächen mit dem NDR gelang es Kerneck tatsächlich, mit diesem zu einer Einigung zu kommen, die den Fortbestand Radio Bremens als weitgehend eigenständige Sendeanstalt sicherte. Vor allem aber konnte er den Widerstand des NDR gegen die Fernsehpläne Bremens aufweichen. Der Hamburger Sender hatte den Bremer Fernsehabsichten bislang nicht zuletzt deshalb ablehnend gegenübergestanden, um nicht entsprechende Wünsche aus den Sendestudios in Hannover, Kiel oder Oldenburg zu provozieren. Einer der Eckpunkte der nunmehr getroffenen Übereinkunft war die Bremer Beteiligung am norddeutschen Regionalprogramm. Die Nordschau, so der Titel der neuen Sendung, startete am 1. Dezember 1957 und wurde von da an werktäglich für eine halbe Stunde – zwischen 19.15 und 19.45 Uhr – gesendet. Am 4. Dezember 1957 lieferte Radio Bremen dem Magazin seinen ersten Beitrag zu und eröffnete damit schließlich auch in Bremen endgültig das Fernsehzeitalter. Eine Lösung der finanziellen Krise kam erst zum 1. Januar 1959, als der neue Finanzausgleich der ARD in Kraft trat. Dieser garantierte Radio Bremen Zuschüsse der anderen Rundfunkanstalten in Höhe von einer Million DM. Dazu kamen noch einmal 400.000 DM vom NDR. Zunächst bestanden die Zulieferungen für das Programm aus Filmbeiträgen für die Tagesschau und Die Nordschau, die von einem sehr kleinen Team gedreht wurden. Die erste vollständig eigenproduzierte Sendung, die Radio Bremen zum ARD-Gemeinschaftsprogramm beisteuerte, war am 26. Januar 1958 das Porträt Abendstunde zum 80. Geburtstag des Bremer Dichters und Übersetzers Rudolf Alexander Schröder. Im Folgejahr fiel schließlich die Entscheidung, in Bremen einen eigenen Fernsehspielbereich aufzubauen. In einem Gespräch Anfang Juni 1959 überzeugte der Intendant Kerneck den Leiter der Bremer Hörspielabteilung Oswald Döpke, zusätzlich zu seiner bisherigen Position diese Aufgabe in Personalunion zu übernehmen und die Produktion von Fernsehspielen zu koordinieren. Derartige Konstruktionen waren in der Vergangenheit bei anderen Sendern bereits versucht, bald aber wieder aufgegeben worden. Für Döpke jedoch besaß diese Konstellation Charme, immerhin hatte er auch in seiner Hörspielarbeit die Einheit von Abteilungsleiter, Bearbeiter der Hörspielfassung und Regisseur erfolgreich umgesetzt. Doch letzten Endes sollte dieser Zustand auch in Bremen nur während einer Übergangsphase von Bestand sein. Die Leitung des gesamten Fernsehbereiches verblieb weiter bei Rudolf Dumont du Voitel. In dem Gespräch mit Kerneck verlangte Döpke eine eigene Produktionsgruppe mit ausreichender Kompetenz und einem eigenen Etat sowie die

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Verstärkung der Hörspielabteilung, um deren Produktion trotz der Zusatzbelastung uneingeschränkt fortführen zu können. Außerdem bedingte er sich für die ersten Arbeiten einen erfahrenen Kameramann sowie externe Bühnenbildner und Schnittmeister aus. Für die Ausrichtung des Bremer Fernsehspiels schwebte ihm, nicht zuletzt bedingt durch die begrenzte Personal- und Studiokapazität, zunächst die kleine Form des Kammerspiels vor. Und so schlug er als erste Projekte Wovon wir leben und woran wir sterben von Herbert Eisenreich und Dramatische Parodien von Robert Neumann vor.11 Anschließend ging Döpke, der bis dahin noch nie in einem Fernsehatelier gearbeitet hatte, für einige Tage zum Süddeutschen Rundfunk (SDR) nach Stuttgart, um dort erste Erfahrungen bei der Produktion eines Fernsehspiels zu sammeln. Er hospitierte u. a. Paul Verhoeven bei dessen Dreharbeiten zu Die grosse Wut des Philipp Hotz (1960) und eignete sich grundlegende Kenntnisse zu szenischer Auf lösung, Beleuchtung und Kameraführung an. Als ebenso wichtig empfand er den Austausch mit den erfahrenen Kollegen; insbesondere ihre Ansichten zur Entwicklung und Ästhetik des Fernsehspiels interessierten ihn.

Ein wegweisendes Debüt Währenddessen hatte er sich endgültig für Wovon wir leben und woran wir sterben als Vorlage für das erste Fernsehspiel von Radio Bremen entschieden. Die Wahl des Stoffes war dabei keineswegs zufällig erfolgt, denn Döpke schätzte die Qualitäten des Stücks, das er ja bereits 1955 mit großem Erfolg als Hörspiel inszeniert hatte. Inzwischen wusste er auch, dass eine filmische Adaption nicht nur möglich, sondern auch erfolgversprechend war, hatte doch das polnische Fernsehen Eisenreichs Vorlage bereits im April 1959 für den Bildschirm adaptiert. Döpke konnte die Ausstrahlung des Fernsehspiels zwar nicht selbst verfolgen, wurde aber von dessen Regisseur Adam Hanusz­ kiewicz mit begeisterten Kritiken versorgt. Weiterhin sprach für diese Wahl des Stoffes, dass es nur zweier Darsteller und lediglich einer Dekoration bedurfte, was der beschränkten Studiosituation und dem geringen verfügbaren Budget entgegenkam. Eine Ehe droht in Zeiten des Wirtschaftswunders an finanziellen Problemen zu zerbrechen  – vor allem dieses Thema versprach ein großes Publikumsinteresse. War das Stück selbst seinerzeit hochaktuell, so schien das Thema geradezu universell: Zerstört der Wohlstand die Liebe? Marcel Reich-Ranicki empfand das Stück wenige Jahre später anlässlich einer Wie-

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Wovon wir leben und woran wir sterben, 1960. Wolfgang Lukschy, Gisela von Collande, Oswald Döpke. Werkfoto. Foto: Jutta Vialon

derausstrahlung gar als »eine Studie über den Verschleiß der Seelen und den Verlust der Bindungen inmitten bundesrepublikanischer Tüchtigkeit«.12 Die weibliche Hauptrolle übernahm Gisela von Collande, die den Charakter bereits im Hörspiel verkörpert hatte, für den männlichen Part engagierte man Wolfgang Lukschy. Die beim Publikum beliebten Mimen erhöhten die Attraktivität der Produktion noch zusätzlich. Nicht selbstverständlich für diese Zeit wurde das Fernsehspiel auf 35-mmFilmmaterial gedreht. Zunächst war zwar, wie seinerzeit üblich, an eine Live-Sendung gedacht worden. Jedoch stand Gisela von Collande für den geplanten Termin nicht zur Verfügung. Eine Aufzeichnung mit drei Fernsehkameras lehnte Döpke wegen der nach seiner Ansicht schlechten Bildqualität, die das damals gängige Aufzeichnungsverfahren der amerikanischen Firma Ampex lieferte, und des beengten Bremer Studios ab. Die großen und recht sperrigen Kameras machten zusammen mit den Anwesenden eine adäquate Dreharbeit und eine bewegliche Kameraführung in seinen Augen unmöglich. Ausschlaggebend für die Wahl des Aufnahmeverfahrens war letztlich aber, dass man zu dieser Zeit noch nicht in der Lage war, die Ampex-

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Bänder zu schneiden. Dadurch wären die im Stück vorgesehenen Rückblenden, auf die Döpke nicht verzichten wollte, nicht zu realisieren gewesen. Von Mitte Januar bis Mitte Februar 1960 dauerten die Aufnahmen. Gedreht wurde, wie damals noch üblich, in der Chronologie des Drehbuchs. Döpke hatte sich dafür der Mitarbeit des versierten Fernsehkameramanns Kurt Gewissen und des Szenenbildners Karl Wägele versichert, die er in Stuttgart kennengelernt hatte. Mit ihrer Erfahrung erleichtern sie ihm sein Filmdebüt ungemein. Auf die Erstausstrahlung am 31. März 1960 reagierten die Rezensenten überwiegend wohlwollend. So bescheinigte Christian Ferber dem Debüt in der Tageszeitung Die Welt, dass es »eindrucksvoll geglückt« sei, obgleich es ihm »als ein besonders riskanter Versuch an einem besonders ungeeigneten Objekt erschien«.13 Gleichwohl wurde auch nicht mit Kritik gespart. Döpkes riskante Entscheidung, ein eher handlungsarmes, vom Dialog zweier Schauspieler dominiertes Stück gewählt zu haben, wurde zwar gelobt. Auch wurde die Leistung Gisela von Collandes und Wolfgang Lukschys gewürdigt, die ihre innere Zerrissenheit, ihre Zweifel und ihr Auf begehren nun auch in

Wovon wir leben und woran wir sterben, 1960. Wolfgang Lukschy, Gisela von Collande. Foto: Jutta Vialon

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Großaufnahmen auf ihren Gesichtern zeigen konnten. Der Versuch Döpkes, mit Rückblenden zu arbeiten, erschien vielen Kritikern allerdings als nicht geglückt. Als Hauptmanko wurde die weitgehend statische Führung der Schauspieler moniert. Döpke hatte kaum Bewegung in die Szenen gebracht, was ihm den Vorwurf eines bebilderten oder »ferngesehenen«14 Hörspiels einbrachte. Deutlich zeigte sich hier noch seine Unerfahrenheit in dem neuen Metier. Das hatte sein Debüt jedoch durchaus mit vielen der ersten frühen Fernsehspiele der anderen Sender in den 1950er Jahren gemein. Sowohl im Inhalt als auch in der Form weist der Film allerdings schon wesentliche Merkmale auf, die für die späteren Fernsehproduktionen aus Bremen charakteristisch werden sollten. Das Thema, aktuell und zeitkritisch, wurde in der kleinen Form eines Kammerspiels behandelt, mit wenigen Charakteren und geringen Dekorationswechseln, die in die begrenzten räumlich-technischen Möglichkeiten hineinpassten. Diese Einschränkungen machte Bremen bald zur Tugend und entwickelte daraus quasi ein eigenes ästhetisches Modell. Thematisch jedoch ging Radio Bremen zunächst den gleichen Weg wie die anderen Sender. Als Vorlagen wurden überwiegend Theaterstücke oder für den Funk geschriebene Stoffe gewählt. Entsprechend folgten noch im gleichen Jahr zwei weitere Fernsehspiele, die ebenfalls auf bearbeiteten Vorlagen von bereits gesendeten Hörspielen beruhten. So wurde am 10. September 1960 Empfohlenes Haus ausgestrahlt, ebenfalls von einem Funkregisseur – Günter Siebert – inszeniert. Und Ende November 1960 nahm Oswald Döpke die Proben zu seinem zweiten Fernsehspiel Moonys Kindchen weinen nicht (1960/61) auf – Hanne Hiob und Günter Pfitzmann spielten die Hauptrollen. Mit dem Beginn einer eigenen Fernsehspielproduktion wurden nun auch in Bremen Fachkräfte dringend benötigt. Da es bis dahin in der Bundesrepublik keine eigene spezifische Ausbildung für das neue Metier gegeben hatte, kamen diese überwiegend vom Theater und aus der Filmindustrie. Bereits seit dem 1. Februar 1960 war der Filmproduzent Hans Abich, Chef der Filmauf bau Göttingen GmbH, Fernsehberater bei Radio Bremen. Abich hatte mit seiner Firma bis dahin zahlreiche Stoffe der deutschen Literatur für das Kino adaptiert und insgesamt mehr als 30 Spielfilme produziert, darunter – unter dem Titel Liebe 47 – die 1949 aufgeführte filmische Adaption des Hörspiels Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert, die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1957) nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Mann sowie die Zeitsatire Wir Wunderkinder (1958). Abich hatte frühzeitig erkannt, dass die Filmbranche infolge der Blüte des Fernsehens

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Moonys Kindchen weinen nicht, 1960/61. Hanne Hiob, Günter Pfitzmann. Foto: Siegfried Pilz

nicht weiter expandieren konnte und in eine Krise zu geraten drohte, und wechselte daher zum neuen Medium. In der Folge kamen An­­fang der 1960er Jahre weitere Fachleute von der Göttinger Filmauf bau zu Radio Bremen, darunter die Film-Cutterinnen Anna Koudelka und Ingeburg Forth, überdies Beleuchter und Requisiteure. Vom NDR kam 1960 Hans-Heinrich Isenbart und übernahm die Leitung der Abteilung Fernsehen. Nahezu zeitgleich verließ Rudolf Dumont du Voitel den Sender. Die recht enge Orientierung am Hörspiel blieb auch 1961 bestehen. Die Fernsehspiele wurden überwiegend von den Hörspielregisseuren Oswald Döpke, Günter Siebert und Horst Loebe inszeniert – neben ihrer Funkarbeit. Dies war durchaus symptomatisch und zugleich Ausdruck der dünnen Per-

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sonaldecke bei Radio Bremen. Doch bot dieser Umstand in gewisser Weise auch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, denn die Hörspielmacher hatten über die Jahre kontinuierlich Umgang mit Autoren und deren Stoffen gepf legt. Dadurch ergab sich vielfach die Möglichkeit, auf deren Stoffvorlagen zurückzugreifen und diese auf ihre Eignung zur Bearbeitung als Fernsehspiel zu prüfen. Die ersten Bremer Bildschirmproduktionen waren beredtes Beispiel für diese Vorgehensweise. Darüber hinaus versuchten die Hörspiel- und Fernsehverantwortlichen des Senders ihre Kontakte dahingehend zu nutzen, die ihnen verbundenen Autoren auch für genuine Fernseharbeiten zu begeistern. Diesbezügliche Gespräche gab es u. a. mit Ingeborg Bachmann, Giles Cooper, Herbert Eisenreich, Richard Hey, Peter Hirche, Fred von Hoerschelmann, Sławomir Mrozek und Wolfdietrich Schnurre. Doch führten diese Bestrebungen, bereits etablierte Autoren für die Entwicklung von Originalfernsehspielen zu gewinnen, anfangs nur sehr vereinzelt zum Erfolg. Denn im Gegensatz beispielsweise zu ihren britischen Kollegen, übten die deutschen Schriftsteller dem Fernsehen als Kunstmedium gegenüber vorläufig Zurückhaltung. Dementsprechend folgten in Bremen zunächst weiterhin Produktionen auf der Grundlage von Hörspielen sowie nach Bühnenstücken von Autoren der modernen Literatur, darunter Jean Anouilh, Christopher Fry, Federico García Lorca, Harold Pinter und Tennessee Williams. Dabei handelte es sich zumeist um kammerspielartige Stücke, oft Einakter, mit wenigen Rollen, die in kleiner Form und fast ausschließlich kostengünstig im Studio gedreht werden konnten. Dies entsprach letztlich auch den notorisch ungenügenden finanziellen Rahmenbedingungen des Senders. Denn ein Theaterstück mit elektronischen Kameras in Studiokulissen abzufilmen, war allemal billiger, als mit einer Filmkamera, unter Einbeziehung eines großen Drehstabs und einer Vielzahl von Schauspielern, aufwendige Außenaufnahmen zu realisieren. Allerdings erschöpfte sich das Reservoir dramatischer und epischer Literatur zunehmend, bedingt auch durch ähnliche Verfilmungen anderer Sender in den Jahren zuvor. Remakes drohten und damit schon ein Stillstand in der künstlerischen Entwicklung des gerade erst mit viel Euphorie gestarteten Bremer Fernsehspiels.

Diskussion um die Struktur des Fernsehspielbereichs Anfang 1961 wechselte Hans Abich vollständig zum Sender und wurde Programmdirektor Hörfunk und Fernsehen. Gleichzeitig erklärte Radio Bremen, ab sofort vier Prozent zum ARD-Gemeinschaftsprogramm Deutsches

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Fernsehen beitragen zu wollen. Dadurch änderten sich ab dem 1. Januar 1961 die Zulieferungsquoten des Hessischen Rundfunks, des Senders Freies Berlin, des Süddeutschen Rundfunks und des Südwestfunks, die jetzt nur noch jeweils acht statt neun Prozent beisteuern durften. Mit Abich begann in Bremen eine weitere Phase des zielstrebigen Ausbaus des Fernsehbereichs. Er wollte feste Strukturen mit eindeutigen und genau verteilten Verantwortungen installieren. Seiner Forderung wurde entsprochen und so entstand noch im Laufe des Jahres 1961 eine eigene Fernsehspielabteilung. Die Leitung übernahm Hans Bachmüller, der im gleichen Jahr, zunächst als Fernsehdramaturg, zum Sender geholt worden war. Trotzdem waren die genauen Zuständigkeiten damit noch nicht endgültig geklärt. Denn Oswald Döpke verfolgte weiter seine Vorstellung, die beiden Bereiche Hörspiel und Fernsehspiel parallel in Personalunion leiten zu können. Noch im Sommer 1962 schlug er vor, beide Bereiche in einer Hauptabteilung Spiel zusammenzufassen, ergänzt um jeweils einen Dramaturgen. Für das Hörspiel favorisierte er Günter Bommert, für das Fernsehspiel war er mit Hans Bachmüller einverstanden. Doch konnte er sich mit seinen Vorstellungen letztlich nicht bei Hans Abich und dem Bremer Intendanten Heinz Kerneck durchsetzen, die sich – auch in Anbetracht der Entwicklungen bei den übrigen Sendeanstalten – inzwischen für jeweils eigenständige Redaktionen bei Hör- und Fernsehspiel entschieden hatten und Döpkes Pläne im Herbst 1962 zurückwiesen.15 Da Döpke inzwischen auch Angebote von ZDF und WDR vorlagen, entschied er sich schließlich Ende 1962, Radio Bremen im folgenden Jahr zu verlassen und zum ZDF zu wechseln, wo er Leitender Regisseur wurde. Nachdem sich die Strategie, Fernsehspielproduktionen mit Hörspielmachern wie Bommert, Döpke, Loebe und Siebert zu realisieren, sowohl wegen der enormen Arbeitsbelastung als auch der schwankenden Qualität als nicht mehr ausreichend tragfähig erwies, wurde versucht, auswärtige Regisseure mit Fernseherfahrung zu gewinnen  – mit zunächst bescheidenem Erfolg. Von den Regisseuren, die man holte, blieben die meisten nur für eine Produktion. So wie Peter Beauvais, der seit 1954 bereits über 25 Fernsehspiele, überwiegend für den SWF, realisiert hatte, nun lediglich die Regie von Madame de (1961) nach Anouilh übernahm. Oder ein Jahr später Willy Trenk-Trebitsch, der Die Kleinstädterin (1962) inszenieren sollte, nach Querelen mit der Fernsehspielabteilung allerdings noch im Mai die Regie niederlegte und sich in der Folge sogar von der Inszenierung distanzierte.16 Zum 1. Januar 1963 erfolgte dann eine erneute Umorganisation des Fernsehbereichs, der nun in vier Abteilungen untergliedert wurde: Zeitgeschehen,

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Das Fernsehstudio von Radio Bremen, um 1958

geleitet von Walter F. Schmieder, Produktion unter Wilhelm G. Busch, die Sendeleitung hatte Hans-Heinrich Isenbart und für Fernsehspiel und Unterhaltung war Hans Bachmüller zuständig. Dieser letzte Bereich wurde dann weiter aufgeteilt. Jürgen Breest, der erst kurz zuvor als Fernsehspielredakteur und -dramaturg geholt worden war, übernahm die Leitung des Fernsehspielbereichs, der zu diesem Zeitpunkt allerdings nur aus drei Mitarbeitern bestand. Michael Leckebusch, 1962 vom NDR gekommen, wurde als Redakteur für Unterhaltung und Musik engagiert. Leckebusch initiierte übrigens nur wenige Jahre später die legendäre Musiksendung Beat Club, eine Erfindung von Ernest Borneman, die erstmals am 25. September 1965 über den Bildschirm f limmerte. Nur einen Monat später, am 25. Oktober 1965, produzierte Radio Bremen, ebenfalls unter Leckebuschs Regie, die erste RudiCarrell-Show, später eines der erfolgreichsten Show-Formate der ARD. Jürgen Breest war in Bremen kein Unbekannter, hatte er doch schon gelegentlich als freier Autor für den Sender gearbeitet. Hörspiele schrieb er bereits während seines Studiums. Auf seinen ersten Text war Oswald Döpke aufmerksam geworden, hatte ihn für den Sender angenommen und Breest zur Weiterarbeit ermuntert. In der Folge waren dessen Hörspiele regelmäßig bei Radio Bremen inszeniert worden. Breest hatte dann auf Döpkes Einla-

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Die Abteilung Fernsehspiel und Unterhaltung in den 1960er Jahren: Michael Leckebusch (3. v. l.), Hans Bachmüller (5. v. l.), Jürgen Breest (6. v. l.) mit den Redaktionsassistenten und Sekretärinnen

dung hin auch bei dessen Dreharbeiten zu Porträt einer Madonna (1962) hospitiert. Inzwischen war auch Hans Bachmüller auf Breest aufmerksam geworden und hatte ihn für die gerade entstandene Fernsehspielabteilung engagiert. Die Verantwortlichen standen nun im Wesentlichen vor drei Aufgaben: neue Regisseure zu gewinnen beziehungsweise aufzubauen, Originalstoffe zu beschaffen und schließlich sich gemeinsam mit dem gesamten Fernsehbereich für einen Studioneubau stark zu machen. Denn inzwischen war deutlich geworden, dass mehr Platz erforderlich war, um den eigenen Ambitionen und den Verpf lichtungen innerhalb des Ersten Deutschen Fernsehens gerecht zu werden. In den alten Studios an der Heinrich-Hertz-Straße war es angesichts des stetig wachsenden Produktionsvolumens mittlerweile zu eng geworden. Daher schrieb Radio Bremen einen Architektenwettbewerb für einen Neubau aus. An der Autobahnabfahrt Sebaldsbrück im Ortsteil Osterholz erwarb der Sender ein 70.000 qm großes Grundstück. Nach dreijähriger Bauzeit konnte man den neuen Studiokomplex am 21. März 1967 mit einem Festakt einweihen. Der Neubau verfügte über zwei Studios mit je 350 qm, die mittels einer Schleuse verbun-

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den waren, und ein weiteres 100 qm großes Studio. Bei der Finanzierung der Kosten des Neubaus von rund 18,7 Millionen DM war Radio Bremen von mehreren anderen ARD-Rundfunkanstalten der ARD mit zinsgünstigen Darlehen unterstützt worden.

Der Anfang einer fruchtbaren Zusammenarbeit: Karl Fruchtmann und Radio Bremen Als wichtigste Aufgabe jedoch hatten Hans Bachmüller und Jürgen Breest die Bindung von Autoren und Regisseuren an den Sender erkannt, um so kontinuierlich arbeiten und den Bremer Produktionen eine eigene Handschrift geben zu können. Zu den neuen Regisseuren, die man für den Sender gewinnen wollte, zählte auch Karl Fruchtmann. Hans Bachmüller hatte beim WDR eine Aufzeichnung von Fruchtmanns Regiedebüt Das Ab­­ schiedsgeschenk (1962) sehen können. Die Umsetzung von Terence Rattigans The Browning Version hatte ihn derart beeindruckt, dass er Fruchtmann sogleich zu einem Gespräch nach Bremen einlud, um ihm mehrere Projekte

M änner am Sonntag, 1963. Reinhard Jahn, Karl-Georg Saebisch, Bert Fortell. Foto: Fritz Wolle

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vorzuschlagen und ihn so längerfristig an den Sender zu binden. Fruchtmann nahm das Angebot an und realisierte in den nächsten vier Jahren insgesamt sechs Fernsehspiele in Bremen. Es waren ausnahmslos Adaptionen von Theaterstücken, so auch seine erste Produktion in Bremen Männer am Sonntag (1963), die Verfilmung einer Komödie von Jean-Louis Roncoroni (Les Hommes du Dimanche), oder Samuel Becketts Drei-Personen-Stück Play (Spiel 1965). Mit einem überschaubaren Figurenensemble, wenigen Dekorationen und dazu mit elektronischen Kameras komplett im Studio gedreht, entsprachen alle diese Filme dem bisherigen Bremer Modell. Gleichwohl waren bereits einige dieser frühen Arbeiten, neben der hohen künstlerischen Qualität, auch thematisch von Interesse. Fruchtmann wählte vorwiegend aktuelle, zeitkritische Theaterstücke aus, deren Adaption für den Bildschirm das Publikum zur Ref lexion anregen sollte. So war auch seine zweite Produktion in Bremen, Lebenskünstler (1964), in einen gegenwartsbezogenen, gesellschaftskritischen Kontext eingebettet. Die drei Protagonisten dieser Verfilmung der Bühnensatire von Zdzisław Skowron´ski, ein Parteifunktionär, ein Taxifahrer und ein enteigneter Landadliger, haben sich in der sozialistischen Gesellschaft Polens als deren Nutznießer, als Lebenskünstler, bequem eingerichtet. Satirisch werden sie nun an den Pranger gestellt. Wenngleich sich die Kritik vorwiegend gegen bestimmte Verhaltensweisen und Ansichten in der polnischen Gesellschaft richtete, ließ sie sich teilweise auch auf die damalige Situation in der Bundesrepublik übertragen, etwa hinsichtlich des opportunistischen Handelns der Protagonisten oder ihres Strebens, von der Gesellschaft zu profitieren. Doch auch zum Verhalten des linientreuen Genossen, der sich zunächst beharrlich weigert, den dunkelhäutigen Mann seiner Tochter als Schwiegersohn anzuerkennen, aber plötzlich liebenswürdig wird, als er erfährt, dass dieser ein reicher Anwalt ist, ließen sich Analogien in der bundesrepublikanischen Gesellschaft finden. Ein sozialkritisches Thema griff auch Fruchtmanns filmische Adaption von Arthur Millers Einakter A Memory of Two Mondays auf. Daraus wurde Erinnerung an zwei Montage (1966). Der Hauptfigur, dem bildungshungrigen Bert, gelingt es, aus seiner trostlosen bisherigen Arbeitswelt eines Autoersatzteillagers auszubrechen und seinen lange gehegten Traum, auf ein College zu gehen, zu verwirklichen. Ein letztes Mal erinnert er sich an seine ehemaligen Kollegen, die sich resigniert mit ihrem Dasein abgefunden haben, mit Alkoholproblemen kämpfen und ihre Träume, zu deren Verwirklichung sie sich selbst nicht aufraffen können, auf Bert projizieren. Die Zeit scheint in der Erinnerung förmlich stillzustehen. Fruchtmann gelingt es, mit dem zurückgenommenen Spiel seiner Darsteller, deren Figuren durch

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einzelne, typisierende Gesten charakterisiert werden, in der ebenso reduzierten Kulisse eines Warenlagers das Schwanken der Arbeiter zwischen Resignation, Alltagstrott und Hoffnung deutlich zu machen. Die Kritik hatte sich schon von Lebenskünstler angetan gezeigt: »Radio Bremen […] gelang ein Volltreffer«,17 hieß es da, vor allem dank »Fruchtmanns blitzgescheiter Spielleitung«18 und mit »Szenen, die ganz aus den optischen Möglichkeiten des Bildschirms heraus gestaltet waren, optische Geistreichigkeiten, die dem geschärften Witz des Dialogs entsprachen, ihn profilierten«.19 Die filmische Umsetzung von Erinnerung an zwei Montage fand ebenfalls ein starkes publizistisches Echo. Gelobt wurden an dem ausgesprochenen »Leckerbissen«20 insbesondere die hervorragende Schauspielerführung, aber auch die atmosphärisch gelungene Darstellung des eintönigen Arbeitsalltags. »In der Inszenierung Fruchtmanns war […] das trostlose Verplempern von Zeit und Willenskraft fast greif bar geworden.«21 Auch der Held in Fruchtmanns nächstem Film für Radio Bremen Philadelphia, Ich bin da! (1967), entstanden nach dem erst im Vorjahr veröffentlichten Stück Philadelphia, here I come von Brian Friel, steht unmittelbar vor einem Auf bruch. Er will von Irland in die USA auswandern. Den letzten Abend verbringt der junge Garry, von Peter Striebeck beeindruckend gespielt,

Philadelphia, ich bin da!, 1967. Wolfgang Giese, Wolfgang Schenck, Jürgen Nola, Berta Drews, Peter Striebeck. Werkfoto. Foto: Do Leibgirries

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mit seiner Familie und seinen Freunden. Ein zuneigendes Wort, ein liebevoller Blick würde ihn in der Heimat zurückhalten. Doch die ihn umgebenden Menschen gewähren es ihm nicht. Es folgen die ewig gleichen Worte, Vater und Sohn reden aneinander vorbei. Garry hat das alles satt und will nur noch weg, doch zugleich hängt sein Herz an der alten Heimat und den zurückbleibenden Menschen. Die hintergründige und genau beobachtete Milieustudie kam bei Publikum und Kritik gleichermaßen gut an. Fruchtmann inszeniere fernsehgemäß und zugleich unkonventionell, hieß es unisono. Hellmut A. Lange be­­ scheinigte ihm im Wiesbadener Kurier, geradezu »televisionär«22 zu sein. Der Rundfunkzeitung erschien Fruchtmanns Regie »vorbildlich für die Dramaturgie des Fernsehspiels.«23 Und die Frankfurter Rundschau fasste zusammen: »Das Ergebnis war ein dem Bildschirm adäquates Spiel, immer noch eine Seltenheit unter dramatischen Fernsehproduktionen.«24 Wie schon bei Erinnerung an zwei Montage arbeitete Fruchtmann auch bei diesem Film mit inneren Monologen, in denen der Held die kommenden Äußerungen der anderen Protagonisten vorwegnimmt. Zusätzlich verwandte er Filmeinblendungen und Fotoinserts; all dies Stilmittel, zu denen er in seinen späteren Produktionen wiederholt greifen sollte. Er zeigte Großaufnahmen und vermied Totalen, ebenso ausschweifende Blicke auf die Dekoration, die dadurch eher karg und einfach wirkt. Bereits bei diesen ersten Arbeiten für Radio Bremen zeigten sich jene Eigenschaften, die Fruchtmanns spätere Arbeitsweise auszeichnen sollten: Präzision in der Vorbereitung, lange Proben, Kompromisslosigkeit in künstlerischen Fragen und die kontinuierliche Zusammenarbeit mit einem nahezu unveränderten Team. Diese Möglichkeit hatte ihm Radio Bremen eröffnet und Fruchtmann hatte den Umstand schätzen gelernt. Zu diesem Team zählten u. a. der Kameramann Günther Wedekind, der auch später viele Filme von Fruchtmann ins Bild setzte und ein enger Freund wurde, die Cutterin Friederike Köster und der Komponist Peter Fischer. In späteren Jahren wurden die Redakteure Jürgen Breest und Jutta Boehe-Selle zu verlässlichen künstlerischen Mitstreitern, die Fruchtmanns inhaltlich-programmatische Prämissen und Zielstellungen mittrugen, unterstützten und wenn nötig auch gegen äußere Widerstände verteidigten. Diese Unterstützung und weitgehende künstlerische Freiheit erfuhr er in Bremen von Beginn an, denn schon bei Männer am Sonntag stieß seine dramaturgische Konzeption zunächst in der Redaktion nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Dennoch ließ ihm Hans Bachmüller letztlich freie Hand.25 Obwohl sich für Fruchtmann an der Weser ein hervorragendes Umfeld herausbildete, hatte er sich zu die-

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Philadelphia, ich bin da!, 1967. Einstellungsskizzen von Karl Fruchtmann für die Traumszene »Gary als Cowboy«

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ser Zeit noch nicht auf Bremen festgelegt. Parallel inszenierte er mehrfach für das ZDF. Ebenso wenig vermochte er es vorerst, seine eigenen Themen zu setzen oder gar als Autor zu reüssieren.

Suche nach einem eigenen Bremer Profil Als eine weitere Option auf kreative Kräfte erwies sich für den Sender der Kontakt zum Bremer Schauspielhaus, das in jenen Jahren unter seinem Intendanten Kurt Hübner für Furore sorgte. Von den Erfahrungen und Sichtweisen des innovativen Bühnenensembles vermochte auch die Fernsehspielabteilung zu profitieren. So übernahm u. a. der Bühnenbildner Wilfried Minks die Ausstattung mehrerer Produktionen und der als Chefdramaturg tätige Autor Thomas Valentin schrieb rund ein Dutzend Drehbücher, etwa für Wolfgang Petersen, Rainer Wolff hardt und Peter Zadek. Auf diesem Weg entstand auch die Verbindung zu Johannes Schaaf, der zu dieser Zeit am Bremer Theater arbeitete. Zuvor war er am Ulmer Theater engagiert gewesen, dort unter der Intendanz von Kurt Hübner. 1962 war er, gemeinsam mit Wilfried Minks, Peter Palitzsch, Peter Zadek und anderen, Hübner nach Bremen gefolgt, als dieser dort die Intendanz übernahm, und hatte bereits bei einigen Inszenierungen Regie führen können. Schaaf wollte jedoch unbedingt auch im Fernsehen arbeiten. 1963 erhielt er bei Radio Bremen die Gelegenheit dazu. Während Karl Fruchtmann noch bei im Studio gedrehten Theateradaptionen verharrte, ging Johannes Schaaf bereits andere Wege. Sein Erstling Ein ungebetener Gast (1963) war zwar noch die Adaption eines der üblichen Kriminalstücke des damals angesagten britischen Autors Giles Cooper. Allerdings war die Vorlage schon speziell für das Fernsehen geschrieben und viele Aufnahmen wurden nicht mehr im Studio gedreht, sondern entstanden an den Originalschauplätzen in England. Die Bearbeitung des Buchs für die Produktion hatte Schaaf selbst zusammen mit Hans Bachmüller besorgt. Im Jahr darauf entwickelten Jürgen Breest und Johannes Schaaf gemeinsam das Drehbuch zu Hotel Iphigenie nach dem Theaterstück Iphigénie Hôtel des französischen Autors Michael Vinaver. Breest wollte unbedingt wegkommen von dem »ins Studio geholten Theater«26 zum Film und aktuelle Themen und zeitgenössischere Sujets einbringen. Vinavers Stück, das Ende der 1950er Jahre in einem französischen Hotel in Griechenland spielt, sprach ihn daher auch an, weil neben den gelangweilten Gästen des titelgebenden Hotels v. a. die Hotelangestellten mit ihren alltäglichen Problemen

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und Intrigen in den Blick genommen werden, Menschen, die damals sonst eher nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen. Kurz darauf verfassten Breest und Bachmüller mit Die Gegenprobe (1965) erstmals ein Originaldrehbuch. Es ist eine Art Thesenfilm, in dem durch drei Personen verschiedene, damals zeittypische Stellungnahmen zum Holocaust vorgetragen werden. Erich Blessing wird als Zeuge zu einem KZProzess geladen, da er während der Nazi-Zeit in seinem Betrieb die Löhne für die dort eingesetzten KZ-Häftlinge abzurechnen hatte. Blessings Sohn Joachim verlangt darauf hin Auf klärung über die Vergangenheit seines Vaters und übernimmt dabei immer mehr die Rolle eines Anklägers. Am nächsten Tag wird Joachim in der Fabrik, in der er als Werkstudent arbeitet, Zeuge, wie ein italienischer Gastarbeiter aus nichtigem Anlass zusammengeschlagen wird, unternimmt jedoch nichts dagegen. Abends berichtet er seiner Freundin davon, die empört sein Verhalten hinterfragt. Nun gerät Joachim selbst in die Rolle des Angeklagten, während seine Freundin immer mehr die einer Anklägerin übernimmt, mit den gleichen Fragen und Vorwürfen, wie sie Joachim am Vorabend an seinen Vater gerichtet hatte. Dieser dritte Fernsehfilm von Johannes Schaaf, heute zu Unrecht nahezu vergessen, war vielleicht der erste Schritt auf dem Weg, den das Bremer Fernsehspiel in den folgenden Jahren einschlug. Er behandelte, wenn auch auf eine eher didaktische Weise, ein zeitkritisches Thema – die Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit unter dem Blickwinkel der persönlichen Schuld des Einzelnen. Zugleich gelang es, aktuelle Bezüge durch die Frage nach der Ausgrenzung anderer Menschen herzustellen. Zwar gab es danach noch weitere Bremer Zusammenarbeiten mit Schaaf, doch eine dauerhafte Bindung an den Sender gelang nicht. Schaaf arbeitete zunächst auch anderswo und inszenierte ab 1967 Kinofilme. Er hatte jedoch gezeigt, dass zeitkritische Fernsehspiele und eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit bei Radio Bremen nicht nur möglich waren, sondern von der Fernsehspielabteilung, namentlich Hans Bachmüller und Jürgen Breest, sogar initiiert und von der Intendanz des Senders mindestens toleriert wurden. Insofern erscheint Die Gegenprobe fast wie ein Bindeglied zwischen dem bisherigen Bremer Modell der kleinen Form des literarischen Kammerspiels und späteren Produktionen. Doch es war zugleich auch ein Zeichen für Karl Fruchtmann, dass es in Bremen möglich sein könnte, seine eigenen Stoffe unterzubringen. Bis dahin hatte er zwar die Regiearbeit erlernt, sich eine Position als guter Handwerker erarbeitet und erste Achtungserfolge errungen. Doch die Themen, die ihn wirklich bewegten, hatte er noch nicht angehen, die Stoffe, die er selbst geschrieben hatte,

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Die Anfänge des Fernsehspiels

Die Gegenprobe, 1965. Bruno Dietrich, Gerhard Geisler. Foto: Jutta Vialon

noch nicht unterbringen können. Jetzt aber schien die Zeit endlich gekommen, um seine eigenen Geschichten zu erzählen. So entstand im Sommer 1967 die Idee für Kaddisch Nach einem Lebenden, dem ersten eigenen Stoff, den er inszenieren konnte. Den Dreharbeiten im Frühjahr 1968 gingen längere Diskussionen bei Radio Bremen voraus – allerdings nicht wegen des Themas, sondern weil Fruchtmanns Plan, den Film nicht im Studio, sondern weitgehend ohne Atelier und zum Teil in Israel zu drehen, hohe Produktionskosten erwarten ließ. Mit dieser Arbeit, die von der Kritik positiv aufgenommen wurde und auch im Ausland starke Beachtung erfuhr, gelang Karl Fruchtmann der Durchbruch als Autorenfilmer. Er fand mit dem Film seinen eigenen Stil und wurde von da an für lange Jahre quasi der Hausregisseur von Radio Bremen. Zugleich wurde damit die Entwicklungsrichtung des Fernsehspiels an der Weser schon angedeutet. Das Bremer Fernsehspiel, erwachsen aus einer künstlerisch überzeugenden und innovativen Hörspielabteilung, hatte lange versucht, seinen eigenen Weg und seinen besonderen Stil zu finden. Immer wieder gab es Versuche, mit einzelnen Regisseuren und Autoren Zusammenarbeiten aufzubauen, die jedoch nicht dauerhaft erfolgreich blieben. Erst mit der Festigung der Struktur des Fernsehbereichs, der Orientierung auf zeitkritische Originalstoffe

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und dem Eintreten mutiger und experimentierfreudiger Dramaturgen war der Boden bereitet, um Filmemacher wie Karl Fruchtmann oder, in späteren Jahren, Sohrab Shahid Saless und Rainer Wolff hardt an den Sender zu binden und aufregende Produktionen entstehen zu lassen. Das kreative und engagierte Personal, im Mai 1968 nochmals in seiner Haltung und seinen Auffassungen bestärkt durch die Wahl Hans Abichs zum Intendanten – als Nachfolger des am Fernsehspiel eher mäßig interessierten Heinz Kerneck – war ein ausschlaggebender Faktor. Weitere waren die kurzen Entscheidungswege aufgrund der geringen Größe des Senders bzw. der Fernsehspielabteilung und die direkte Produktion beim Sender ohne zwischengeschaltete Produktionsfirmen. Der kleinste Sender mit einer Fernsehspielabteilung, deren personelle Ausstattung den Namen Abteilung kaum rechtfertigte, hatte nichtsdestotrotz, oder vielleicht gerade deswegen, den unbedingten Ehrgeiz, mit seinen wenigen Produktionen aufzufallen. Der geringe Prozentanteil am Gesamtprogramm der ARD sollte »nicht im Sande verlaufen«.27 Deshalb entstanden dort ambitionierte Produktionen, exponierte Spiele mit individueller Handschrift. Der Stil der Produktionen wurde ganz entscheidend befördert von den beiden Leitern des Fernsehspiels Hans Bachmüller und Jürgen Breest, die zugleich bereit waren, unkonventionelle und sperrige Stoffe zu produzieren, auch auf die Gefahr hin, nur geringe Einschaltquoten zu erreichen bzw. Unverständnis beim Publikum zu ernten. Eine Haltung, die vergleichbar in dieser Zeit einzig beim NDR anzutreffen war. Gerade die geringe Zahl der Produktionen erklärt aber vielleicht auch den hohen Prozentsatz an künstlerisch herausragenden Filmen. So sieht es jedenfalls rückblickend Jürgen Breest: »Die eigentlichen Entscheidungen fielen schon vor der Produktion, mit der Auswahl der Stoffe, im Gespräch mit den Autoren. Wir waren sehr kritisch und konnten es uns leisten, Stoffe schon in der Vorbereitung zu verwerfen. Gerade weil wir nur zwei oder drei Filme pro Jahr gemacht haben, konnten wir besonders intensiv mit Autoren und Regisseuren zusammenarbeiten und ein sehr persönliches Verhältnis pf legen.«28 Das war genau die künstlerische Heimat, derer Karl Fruchtmann bedurfte.

1 Karl Fruchtmann, zit. in: akk: »Ich muss mich an Emotionen wenden«. In: Lilienthaler Kurier, 5.4.1973.  — 2 40 Jahre Rundfunk in Bremen. Erinnerungen, Berichte, Dokumente. Hg. von Radio Bremen, Pressestelle. Gesamtgestaltung: Jan Dekkers. Bremen: Saade 1964, S. 119. — 3 Ebd., S. 222. — 4 Vgl. Anon.: Ballast über Bord.

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Die Anfänge des Fernsehspiels In: Der Spiegel, Nr. 52, 26.12.1956.  — 5 Ebd.  — 6 Ebd.  — 7 Ebd.  — 8 Ebd.  — 9 Liselotte von Reinken: Rundfunk in Bremen 1924–1974. Eine Dokumentation. Bremen: Radio Bremen 1975, S. 249 und 252.  — 10 Bremer Rundfunk-Chronik, https://bit.ly/2MkMunG [letzter Zugriff am 20.5.2018]. — 11 Akademie der Künste, Berlin, Oswald-Döpke-Archiv (im Folgenden ODA), Nr. 716. — 12 Marcel ReichRanicki: Wovon wir leben und woran wir sterben. In: Die Zeit, Nr. 28, 10.7.1964. — 13 Christan Ferber: Sieben Tage voller Merkwürdigkeiten. In: Die Welt, 4.4.1960. — 14 Lahrer Zeitung; Presse-Echo auf die Arbeit Radio Bremens. Hektografiertes Dossier mit Auszügen aus Pressestimmen. ODA, Nr. 575.  — 15 Vgl. ODA, Nr. 716.  — 16 Vgl. Akademie der Künste, Berlin, Willy-Trenk-Trebitsch-Archiv, Nr. 168 und 171. — 17 Ohne Autor: Kahage am Bildschirm. In: Deutscher Kurier, 18.1.1964.  — 18 -ieb: Proletarische Lebenskünstler. In: Saarbrücker Landeszeitung, 14.1.1964. — 19 ms. (Martin Schlappner): Eine Satire aus Polen. In: Neue Zürcher Zeitung, 14.1.1964, Abendausgabe.  — 20 Nordwest-Zeitung, Pressestimmen zum Fernsehspiel. Hektografiertes Dossier mit Auszügen aus Pressestimmen. Akademie der Künste, Berlin, Karl-Fruchtmann-Archiv (im Folgenden KFA), Nr. 816.  — 21 Kieler Nachrichten, Pressestimmen zum Fernsehspiel, ebd.  — 22 Hellmut A. Lange: Wir sahen für Sie. In: Wiesbadener Kurier, 23.9.1967. — 23 Pressestimmen. Hektografiertes Dossier mit Auszügen aus Pressestimmen. KFA, Nr. 1020.  — 24 Ko.: Philadelphia. In: Frankfurter Rundschau, 28.9.1967. — 25 Hans Bachmüller an Karl Fruchtmann, 16.5.1963. KFA, Nr. 810. — 26 Jürgen Breest im Gespräch mit dem Autor am 23.1.2018. — 27 Ebd. — 28 Ebd.

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Nah bei den Opfern, solidarisch mit den Überlebenden Der bildmächtige und experimentelle Fernseherzähler des Holocaust Karl Fruchtmann Die Karriere des Autors und Regisseurs Karl Fruchtmann war außergewöhnlich – wie konnte es auch anders sein bei einer solchen Biografie. Schon früh bestimmten Rassenwahn und Terror der Nazis sein Leben, zerstörten für viele Jahre alle Pläne und Hoffnungen. Der hochbegabte Schüler konnte 1936 sein Abitur schon nicht mehr in Deutschland ablegen. Eine anvisierte künstlerische Lauf bahn blieb ihm verwehrt. Er musste um sein Leben und das seiner Familie kämpfen, sich im Exil, in Palästina und in England neu orientieren und Brotberufe ergreifen. Erst 1958, im Alter von 43 Jahren, fasst er den Entschluss, seinen Lebenstraum zu realisieren und Regisseur zu werden. Er entscheidet sich für das Fernsehen, obwohl ihn auch das Theater begeistert. Aber er ahnt wohl die Entwicklungsmöglichkeiten des Mediums, das auf kreative Autoren dringend angewiesen ist, bewirbt sich erfolgreich beim WDR. Die Regisseure des frühen Fernsehspiels, Peter Beauvais, Franz Peter Wirth oder John Olden, die seiner Generation angehörten, waren durch ihre Theaterarbeit stark geprägt. Karl Fruchtmann dagegen konnte weder eine künstlerische Ausbildung noch Regieerfahrungen und auch keine literarischen oder publizistischen Texte als Arbeitsproben vorweisen. Er befand sich an einem Nullpunkt, während die anderen längst etablierte und vielbeschäftigte Regisseure waren. Fruchtmann lernte schnell, holte rasch auf. Bereits 1962 erhielt er vom WDR seinen ersten Regieauftrag für das Fernsehspiel Das Abschiedsgeschenk. Eine beeindruckende, schier überbordende Kreativität wurde nun ausgelöst, die erst durch den Nachlass vollends sichtbar wird: Eine dichte Kette von Drehbüchern, Regiearbeiten und Theaterinszenierungen, die bis ins hohe Alter hinein nicht abriss. Und so ganz nebenbei entstanden noch Geschichten, Erzählungen, Gedichte, zahlreiche Skizzen und Entwürfe für Filmprojekte.

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Die Anfänge Mit großer Konsequenz erschließt sich Karl Fruchtmann zu Beginn der 1960er Jahre die damals dominanten Fernsehspielgenres. 1963 inszeniert er für den WDR das Kriminalstück Policy for murder des englischen Bühnenautors Jack Popplewell, das er bereits 1961 übersetzt und bearbeitet hatte. Unter dem Titel Ein Todesfall wird vorbereitet wurde die Verfilmung am 31. März 1963 im zweiten Programm der ARD zum ersten Mal gesendet. Am 7. November 1962 war das Stück im Londoner Duke of York’s Theatre uraufgeführt worden.1 Mit hochaktueller Ware bedient Fruchtmann die damals alle Medien beherrschende Konjunktur angelsächsischer Krimis, die vor allem dem Fernsehen mit den Serienerfolgen von Francis Durbridge (Das Halstuch; Tim Frazer; Die Schlüssel; Melissa) zu legendären, später nie mehr erreichten Einschaltquoten verhalf. Da schließt Fruchtmann an, setzt aber seine eigenen Akzente. Er wählt als Vorlage ein intimes Kammerspiel, das auf wenige Figuren und auf nur einen einzigen Schauplatz konzentriert ist. Und er bewahrt die Bühnenhaftigkeit, markiert mit Schwarzblenden die drei Akte und gliedert das Geschehen deutlich nach Auftritten. Den bestimmenden Eindruck des Theatralen vermittelt vor allem das Sprechen, die klare, prononcierte, raumfüllende und gleichzeitig feinziselierte, hochdifferenzierte Figurenrede, die Fruchtmann mit äußerster Sorgfalt in Szene setzt. Mit Jürgen Goslar und Eva Pf lug stehen dem Anfänger Fruchtmann exzellente, krimi- und durbridgeerprobte Darsteller zur Verfügung, die Präzision und Lust am Spiel zusammenbringen. Fruchtmanns Talentprobe veranschaulicht, was die enorme Wirkung der »englischen« Fernsehkrimis ausmachte. Ein Reiz des Exotischen ging von ihnen aus. Der Zuschauer konnte mit Wohlbehagen auf eine ihm fremde Welt blicken und ungefährdet dem Rätselspiel, dem Whodunit folgen, denn die kritischen, die subversiven Energien des Krimis berührten die eigene provinzielle Wirklichkeit nicht. Er kann ohne Furcht den Oberf lächenglanz der Interieurs und der Figuren genießen, die Eleganz und Virtuosität ihrer Rede auf sich wirken lassen, die das Verbrechen wirkungsvoll verhüllen. Dem stellt sich Fruchtmann entgegen. Schon hier deutet sich sein Interesse an den sozialen Aspekten, an der Tiefendimension von Verbrechenserzählungen an. Die Triebkräfte des Verbrechens legt er offen: Lebensbegehren, Geldgier, Macht- und Herrschsucht. Gerade in den zärtlichen Gesten blitzt die Gewalt auf. Mit dezidiert filmischen Mitteln durchbricht Fruchtmann dann aber auch die Bühnenhaftigkeit. Den Planer des perfekten Mordes und sein potenzielles Opfer erfasst die Kamera durch ein Aquarium hindurch. Das harte Bühnenlicht wird aufge-

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hoben durch eine schlierenhafte, mit Luftblasen durchsetzte, verdüsterte Unschärfe. Abgründe und Untergründe tun sich auf. Als im Finale die Mörderin entlarvt, demaskiert wird, verdoppelt, verdreifacht sich ihr Bild, als schaue man in einen Zerrspiegel und als hätte Fruchtmann Orson Welles und das Ende von The Lady from Shanghai im Blick. Bereits 1962 hatte Karl Fruchtmann unter Beweis gestellt, wie perfekt er die Form des literarischen Fernsehspiels beherrscht. Ein netter Abend ist ein kleiner Film nach einem Buch der kanadischen Autorin Patricia Joudry, der in den meisten Fruchtmann-Filmografien unterschlagen wird, obwohl die Konturen seiner Autorenschaft sich hier schon deutlich abzeichnen. Eingangs ist die Kamera auf den laubbedeckten Boden gerichtet. Herbst wird als Jahreszeit angezeigt, der Herbst des Lebens als zentrales Thema angekündigt.

Ein Todesfall wird vorbereitet, 1963. Peter Schütte, Karl Fruchtmann, Alfred Balthoff. Werkfoto

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Vier alte Frauen auf einer Parkbank werden als ein Chor des Jammerns, der Missgunst und der Neugier eingeführt. Von ihrem bösen Blick wird die aufmerksame und zugewandte Beobachtung abgehoben, die Elisabeth (Ursula Herking) und Artur (Ernst-Fritz Fürbringer) füreinander entwickeln und die sie zu Freunden werden lässt. Auch sie sind alt, sind beide verwitwet, leben bei ihren Kindern, fühlen sich aber abgeschoben und nicht ernst genommen. Als sie sich beide gegenseitig nach Hause einladen wollen, kommen die lange schwelenden Konf likte eruptiv zum Ausbruch. Tochter und Schwiegertochter lassen ihrer Eifersucht und ihrer Verbitterung freien Lauf. Es zeigt sich, wie brüchig die Fassade der Wirtschaftswundergesellschaft ist. Die Alten wollen nicht ins Abseits gedrängt werden und die jungen Frauen kommen mit ihren Lebens- und Berufsansprüchen nicht durch. Souverän reagieren nur die beiden Alten. Das Zerbrechen der familiären Harmonie, die sie sich gegenseitig vorgegaukelt haben, nutzen sie als Chance, alle Lügen und Selbstillusionierungen abzustreifen, sich zur Wahrheit zu bekennen und sich in völliger Maskenlosigkeit erst eigentlich zu begegnen. Es ist erstaunlich, wie präzise hier die Grundmaxime vorformuliert ist, die Karl Fruchtmann in vielen seiner späteren Filme erheben wird: der Wahrheit ins Gesicht sehen, die Lügengespinste durchbrechen und der Selbsttäuschung widerstehen, sich mit der Realität konfrontieren. Nicht weniger erstaunlich ist es, wie früh sich Karl Fruchtmann als genau beobachtender, sozialer Erzähler definiert. Lehrzeit und Selbstfindung  – so rasant sie auch verliefen  – haben Karl Fruchtmann entscheidend geprägt. Die technischen und ästhetischen Verfahren, die für das frühe Fernsehspiel charakteristisch sind, bleiben das Fundament seiner individuellen Erzähldramaturgie und Bildpoetik, die er am Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre entwickeln wird. Fruchtmann etabliert sich als Regisseur, als gerade eine entscheidende Wende vom LiveFernsehspiel zur elektronischen Aufzeichnung vollzogen wurde. Gleichzeitig entbrennt eine heftige Debatte, ob die Live-Ästhetik mit ihrer engen Anlehnung an das Theater trotz der neuen technischen Möglichkeiten weitergeführt werden oder ob nun eine Umorientierung hin zum Filmischen, zur Präzision des Schnitts und zum dokumentarisch-authentischen Charakter des Bildes vollzogen werden soll.2 Auf den ersten Blick scheint Fruchtmann den Positionen zuzuneigen, wie sie von Gerhard Eckert und Heinz Schwitzke vertreten werden. »Fernsehen ist die Zwiesprache eines Menschen im Studio mit einem Menschen daheim.« So hatte Eckert 1953 das Medium definiert.3 Eine solche Atmosphäre der Intimität lassen viele Fernsehfilme von Karl Fruchtmann entstehen. Noch in Tote Briefe (1991), einer seiner letzten Arbeiten, greift er auf einen Grundmodus der frühen Fernsehjahre zurück:

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auf die direkte Adressierung des Publikums. Dort wenden sich die drei Hauptfiguren in einer frontalen Rede unmittelbar an den Zuschauer, ziehen ihn ins Vertrauen und erklären ihre in der spielerischen Fiktion eingenommenen Haltungen. Schwitzke und Eckert plädieren für eine bewusste Beschränkung auf die Innenwelten des Studios: »Anstelle des formlosen Lebens, das man mit der bewegten Außenkamera auffangen könnte, schafft man im Studio eine geformte Wirklichkeit.«4 In den Kunstwelten der Studios siedelt Fruchtmann viele seiner Filme an. Die Kulissen, die er auf bauen lässt, beanspruchen in keiner Weise, Realität zu simulieren. Sie sind vielmehr poetische Chiffren und symbolische Abstraktionen. Schwitzke und Eckert schrei­ben dem Fernsehen »Konzentration«, »Intensivierung«, »Vermenschlichung« zu und machen diese Wirkungen fest am Prinzip der »Nähe«, das für das neue Medium konstitutiv sei. Auch diese Bestimmung trifft durchaus auf Fruchtmanns Inszenierungen zu. Die Kamera rückt stets dicht an die Darsteller heran, er bevorzugt Naheinstellungen und Großaufnahmen. Ihn fesselt die Mikrodramatik der Körper, seine Geschichten entfaltet er oft nicht szenisch, sondern physiognomisch, durch die Reaktionen und Spiegelungen der Gesichter. Das »Wort«, so postulierte der Hörspielfachmann Schwitzke 1960, müsse auch im Fernsehspiel ein »besonderes Gewicht und eine unverlierbare Dignität« besitzen.5 Das gilt gewiss für Fruchtmann, der in allen seinen Filmen dem nuancierten, genauestens abgestuften und subtil psychologisierenden Sprechen größte Aufmerksamkeit widmet. Hier ist jedoch eine klare Differenz zu betonen: Karl Fruchtmann hat die Ausdrucksmodi des frühen Fernsehens nicht einfach fortgeschrieben. Er hat vielmehr diese Formen in seiner eigenen Poetik und in seiner praktischen Arbeit transformiert, ihnen eine ganz neue Bedeutung verliehen, wie sich noch zeigen wird. Er hat auch nichts gemein mit den stark ideologisch gefärbten Positionen von Gerhard Eckert und Heinz Schwitzke, die das Fernsehen vom »Fotografierrealismus« 6 des Kinos fernhalten und es auf eine zeitvergessene, die Vergangenheit verdrängende und völlig unpolitische Künstlichkeit festlegen wollten. Am Ende der 1960er Jahre vertieft Karl Fruchtmann sein Engagement für das Fernsehen noch einmal in entscheidender Weise. Er verfasst nun auch seine eigenen Drehbücher. In Kaddisch nach einem Lebenden (1969) erwacht bei einem jungen, in Israel lebenden Mann mit einem Mal die Erinnerung an die lange zurückliegende Haft in einem deutschen Konzentrationslager.  … plötzlich-! (1970) umreißt in einer Art Traumprotokoll die aktuelle Bewusstseinslage eines jüdischen Intellektuellen. Der Mann auf meinem Rücken (1972) spielt im jüdischen Milieu im New York der Gegenwart. Alle drei Filme berühren sehr unmittelbar die eigene Erfahrung, hier

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spricht Karl Fruchtmann auch von sich selbst. Er bevorzuge, so heißt es in einer Pressemitteilung anlässlich der Ausstrahlung eines seiner Filme, »den Autorenfilm, also Stoffe, die er als Autor und Regisseur bearbeiten kann«.7 Er beansprucht also für sich das Konzept eines Cinéma des auteurs, wie es von der Nouvelle Vague propagiert wurde. »Ich stelle mir den Film von morgen […] noch persönlicher vor, als einen individualistischen und autobiographischen Roman, wie ein Bekenntnis oder Tagebuch«, vermerkt François Truffaut 1957.8 Schon 1948 hatte Alexandre Astruc eine »neue Avantgarde« angekündigt, für die eine »Unterscheidung zwischen Autor und Regisseur« sinnlos geworden sei. »Der Autor schreibt mit seiner Kamera wie ein Schriftsteller mit seinem Federhalter.«9 Genau diese Energie einer alles durchdringenden écriture bleibt als ein zwingender Eindruck aller Filme von Karl Fruchtmann zurück. Ihm ist das schier Unmögliche, ja Unglaubliche gelungen, im konsens- und akzeptanzsüchtigen Medium Fernsehen, bei dem so viele Gremien, Programmdirektoren und Redakteure mitmischen wollen, eine Autorenschaft, ein Œuvre einer radikalen Subjektivität zu etablieren, das nur von dem eigenen Blick auf die Welt und den eigenen ästhetischen Überzeugungen geleitet wird.

Ein Selbstbekenntnis … plötzlich-!, dieser lapidar überschriebene 50-Minuten-Film, ist hochkomplex und agiert auf vielen Bedeutungsebenen, er ist zugleich Parabel und Trauminszenierung. Fruchtmann muss also auf das Äußerste verdichten und verallgemeinern, und er geht zudem noch das Wagnis ein, in die Intimität eines Traums abzutauchen und das Unbewusste zur Darstellung zu bringen. Der Anfang gleicht einem Essayfilm von Chris Marker. Bearbeitete, mit einem extrem verfremdeten Ton unterlegte dokumentarische Sequenzen ersetzen das Titelinsert, das wie eine beschwörende Formel eingesprochen wird. Diese Bilder präludieren nicht, sie führen mit provokativer Direktheit ins Zentrum des Films. Sie bezeichnen schon in den ersten Sekunden die Dimensionen der Parabel, den Weltenbrand des Zweiten Weltkriegs und die Ermordung der europäischen Juden. Die schöne Ordnung eines Opernballs, die exakt ausgerichteten Reihen der einziehenden Paare, die sich dann in perfekter Synchronizität im Takt der Musik drehen – all dies kippt um in ein Straßenbild entformter, enthemmter, in eine panische Bewegung versetzter, mit hysterischen Schreien der Angst und der Mordlust untermalter Massen, die in das nächste Bild, in die brennenden und einstürzenden Ruinen einer

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Karl Prümm … plötzlich-!, 1970. Ulrich Radke, Rudolf Wessely. Foto: Jutta Vialon

zerbombten Stadt hineinzustürmen scheinen. Es folgen paraphrasierende Bilder der Plötzlichkeit. Ein Flugzeug stürzt ab – mitten in der Verköstigung der Passagiere durch lächelnde Stewardessen. In Zeitraffergeschwindigkeit springen Maden aus verlockend glänzenden Früchten heraus und ruinieren das prachtvolle Stillleben. Ein nackter, makelloser Frauenkörper löst sich in Verwesung auf. Deutlich referiert Fruchtmann auf die Bilderwelt und die Schockästhetik des Surrealismus. Am Ende dieser Bildreihe kehrt er zu der politischen Ikonografie des Schreckens zurück. Die Leinwand eines Blumengemäldes zerplatzt und die Leichenberge der Konzentrationslager werden sichtbar.10 Mit einer solch erschreckenden Plötzlichkeit begann nach 1933 die Leidensgeschichte der assimilierten deutschen Juden. Den Terror der Nazis musste die Familie Fruchtmann mit besonderer Härte und Dramatik erfahren.11 Von einem auf den anderen Tag wurden aus angesehenen und geachteten Bürgern Schutzlose, Verfolgte, Misshandelte, mit dem Tod Bedrohte.

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Der Fernseherzähler des Holocaust

Die Eingangsbilder von … plötzlich-! lassen erahnen, wie tief die Verletzung durch die rassistische Gewalt war, die sich zur Staatsmacht erklärt hatte und die die Lebensberechtigung ihrer Bürger negierte und ihre Auslöschung offen betrieb. Diese furchtbare Erfahrung grundiert alle Filme von Karl Fruchtmann. Das essayistische Sprechen wird in  … plötzlich-! nach kaum einer Minute abgebrochen, später aber wieder aufgenommen, und die Bilder blitzschnell einbrechender Katastrophen werden einem Träumenden zugewiesen, einem Mann mittleren Alters (Rudolf Wessely), der anonym bleibt. Eingeführt wird er durch eine rasche Montagefolge von kalt distanzierten Vertikalshots und übernahen Körperbildern, die den im Schlaf heftig um sich Schlagenden verzerren und fragmentieren. Eine unheimlich-bedrohliche Atmosphäre entsteht, als würden die Schrecken des Traums nach außen gewendet. Früh bereitet Fruchtmann die »Pointe« seines Films vor, dass nämlich alles, was wir sehen, dem Traum zugehört, Traumerscheinungen darstellt. Mit einem Schrei erwacht der Träumende, hastet durch das dunkle Zimmer zum Lichtschalter. Die Kamera erfasst plötzlich in der Bewegung abgemagerte, erblichene Arme und Hände, die ausgemergelten Beine sind mit Geschwüren bedeckt. In seinem Traum ist der Mann in seinen Körper des Konzentrationslagers zurückgekehrt. Es gibt in diesem Film keinen objektiven Kamerablick. Der Träumende schaut auf sich selbst – wie er voll Entsetzen über die Schulter zurückblickt, als wolle er den immer wiederkehrenden Alpträumen endlich entf liehen. Die Träume sind aber unerbittlich, selbst das Erwachen beziehen sie in ihr Reich ein. Zwei Mal glaubt der Mann, sich in die Helligkeit der Realität gerettet zu haben, doch jedes Mal erreicht der Traum eine weitere Stufe des Schreckens. Aus der Spirale der »Nachtmahre, Angstträume, Traumataträume« gibt es kein Entrinnen. Nicht einmal die präzise Benennung des Traums im Traum befreit den Träumenden, am Ende erblickt er den eigenen Tod. Viele Holocaust-Überlebende haben berichtet, dass ihre Erlebnisse in den Konzentrationslagern immer wieder in ihren Träumen zurückkehrten und so die Schrecken in ihrem Körper, in ihrem Alltag beständig präsent waren. Dieser Erfahrung verleiht … plötzlich-! einen bewegenden und beengenden Ausdruck. Besonders intensiv ist die Wirkung, weil sich hier Gewalt und Schrecken in zwei zeitlichen Dimensionen vollziehen. In der Verdichtung des Traums und der Parabel reproduziert sich zum einen die Vergangenheit, die Tragödie der jüdischen Intellektuellen. Der stumme, ungebetene Gast, der mit einem Beil plötzlich dasteht, als sei er aus dem Boden gewachsen, der sich breit macht im Zimmer des Mannes, wird zur Figuration des nationalsozialistischen Ter-

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rors und zum Urtyp des rassistischen Täters. Mitleidlos führt er mit maschineller Perfektion und mit steigender Lust sein Zerstörungswerk aus. Die Klause des Mannes verwandelt er in ein Trümmerfeld. Als sadistischer Quäler und als Meister des Todes tritt er auf. Die Hinrichtung bereitet er mit handwerklicher Präzision vor. Sein Opfer ist ihm schutzlos ausgeliefert, niemand steht ihm bei. Vergeblich setzt der Hausherr die ihm zu Gebote stehenden Waffen ein, um sich zu wehren. Er versucht, den Gegner in ein Gespräch zu verwickeln, doch der faschistische Terror ist nicht diskursfähig. An der puren Gewalt prallen Vernunft und Logik einfach ab. Die Hoffnung der assimilierten jüdischen Bürger, verschont zu werden, ist Illusion. Akademische Würden und patriotisch-kriegerische Verdienste zählen nicht mehr. Doktordiplom und Verleihungsurkunde des Eisernen Kreuzes zerreißt der Henker ohne einen Blick darauf zu werfen. Das Glaubensbekenntnis an »Wahrheit«, »Gerechtigkeit« und »Vernunft« nimmt er ungerührt als letzte Worte des Delinquenten zur Kenntnis. Die schlimmste Dimension dieses Todestraums besteht sicher darin, dass der Träumende sich selbst als das Klischeebild seines Mörders erlebt. Er bestätigt alle antiintellektuellen Ressentiments. Er entpuppt sich als eitler und selbstgefälliger Schwätzer. Mutlos und feige winselt er um sein Leben und ist sogar bereit, seinen Nachbarn zu denunzieren, um die eigene Haut zu retten. Eine erschütternde Selbstentfremdung haben viele KZ-Überlebende als die wohl einschneidendste Erfahrung der Lager bezeichnet. Primo Levi begründet vor allem damit seine Verachtung, seinen Hass auf seine Peiniger, dass sie ihm in den Sonderkommandos von Auschwitz seine eigene Entmenschlichung aufgezwungen haben, dass er dort zum Tier werden musste, um zu überleben.12 Mit einem wirkungsvollen Kniff macht Fruchtmann den Henker zu einer Gegenwartsfigur und eröffnet so eine zweite zeitliche Perspektive seiner Parabel. Mit einem freudigen Nicken nimmt dieser den Vorschlag auf, das Rätsel um sein Erscheinen nach dem Muster von Robert Lembkes »heiterem Beruferaten« Was bin ich? zu lösen, zwischen 1955 und 1989 ein Highlight des Deutschen Fernsehens. Das ist passend, denn auch in diesem Spiel blieb der zu erratende Gast stumm, durfte kein einziges Wort sagen und nur in Gesten sprechen. Damit macht Fruchtmann seinen Zuschauern klar: Der Henker ist ein Zeitgenosse, der Spuk geht weiter, Gewalt und Terror haben kein Ende. Dies belegen die dann eingeschnittenen Schreckensbilder: der Atompilz, die grausam entstellten Opfer von Hiroshima, der Polizeichef von Saigon erschießt einen an den Händen gefesselten Vietcong auf offener Straße, Eichmann in Jerusalem, die verhungernden Kinder in Biafra.

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Der Fernseherzähler des Holocaust

Karl Fruchtmann erweitert an dieser Stelle unmissverständlich die Verantwortung des Intellektuellen weit über die Erinnerung an den Holocaust hinaus. Er verpf lichtet sich damit selbst zur schonungslosen Gegenwartsanalyse, zum Kampf gegen Gewalt und Terror und zur politischen Auf klärung. Fruchtmanns gesamtes Werk ist aus diesem kleinen Film abzuleiten. Er bekennt sich im dispersen Medium Fernsehen zu seiner jüdischen Identität. Er erzählt von den Überlebenden des Holocaust, zeigt dem Publikum, was es bedeutet, mit der Erinnerung an den Schrecken, mit den Toten zu leben. Er begreift es als seine dringende Aufgabe, die nationalsozialistischen Verbrechen ins Gedächtnis zu rufen, dokumentiert die Täter und ihre Ausf lüchte. Er forscht mit seinen Geschichten nach den Vorzeichen und weist auf aktuelle Gefahren hin. Und er feiert schließlich die Mutigen und Widerständigen, die gegen die Macht der Stereotypen ankämpfen und die Freiheit und Humanität einklagen.

Die Wahrheit zeigen: Auseinandersetzungen mit dem Holocaust Bereits 1969, ein Jahr vor der essayistisch-parabelhaften Selbsterklärung, hatte Karl Fruchtmann als Autor/Regisseur debütiert. Seine Karriere nimmt nun eine ganz entscheidende Wendung. Kaddisch nach einem Lebenden leitet eine ganze Reihe von Filmen ein, in denen der Zeitzeuge Fruchtmann mit sehr unterschiedlichen Formen den Holocaust thematisiert. Diese Filme können als Kern und Zentrum seines Werks bezeichnet werden. Kaddisch nach einem Lebenden kommt keineswegs als problembeladenes, düster moralisierendes Fernsehspiel daher. Fruchtmann erweist sich als Fernsehautor auf der Höhe der Zeit, der mit avancierten Techniken arbeitet und sich von traditionellen Verfahren abwendet. Das Bild ist ihm wichtiger als das Wort, obwohl Drehbuch und Dialoge äußerst elaboriert sind. Der Reichtum an Bildformen, die Variabilität und Lebendigkeit des Bilddiskurses sind noch bemerkenswerter. Fruchtmann erzählt nun bewusst filmisch. Deutlich lehnt er sich an das Montagekino der »Neuen Wellen« an. Die sehr klare und präzise Fotografie, das kontrastreiche Schwarz-Weiß, die schnellen Schnitte, die rasche Folge von Bildfragmenten mit verblüffenden Perspektiven erinnern an die Anfangserfolge des Neuen Deutschen Films, an Alexander Kluge, Edgar Reitz, Ulrich und Peter Schamoni. Fruchtmann arbeitet in vielen Passagen von Kaddisch nach einem Lebenden mit einer leichten und supermobilen Schulterkamera, die etwa zur selben Zeit die dokumentarischen Features revolutionierte. Am

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deutlichsten wird dies in den Arbeiten der »Stuttgarter Schule« (Dieter Ertel, Roman Brodmann) oder in den Reportagen, die Klaus Wildenhahn für das NDR-Magazin Panorama gedreht hat. Die allbewegliche, interagierende, sich einmischende Kamera nutzt Fruchtmann, um den Handlungsort Tel Aviv als lebendig-pulsierende, junge Metropole einzuführen und diese mit dem subjektiven Blick der Hauptfigur Peri zu erschließen. Beweglichkeit und raschen Wechsel gewährleisten darüber hinaus die vielfältig gebrochenen Erzählperspektiven. Fruchtmann fügt Kapitelüberschriften ein, operiert mit einem neutralen Erzähler und mit dem inneren Monolog, der der Hauptfigur vorbehalten ist. Er variiert und erweitert beständig das Erzählen und forciert gleichzeitig das Tempo, spitzt zu. So gewinnt der nur 65-minütige Film den Charakter einer Novelle. Thomas Koebner, der Kaddisch nach einem Lebenden eindringlich analysiert hat, spricht von einem »enggewobenen Netz, in dem sich die Partikel der kaum zu ›fassenden‹ Erinnerung fangen lassen sollen«.13 Bei aller Pluralität der Formen bleibt aber für Fruchtmann auch das Darstellungsprinzip der Nähe maßgebend, das physiognomische Verfahren seiner Anfänge. Der Rahmen, in den die Geschichte eingefügt ist, zeigt es eindrücklich. Fruchtmann springt geradezu in die Szenerie hinein, verweigert dem Zuschauer jedes Orientierung stiftende Raumbild und ist sofort in beengender Nähe zu den Körpern der Akteure. Nur aus dem leiernden Wechselgesang von Vorbeter und Gemeinde, nur durch die Tonebene können wir erschließen, dass wir uns in einer Synagoge befinden. Peri ist augenscheinlich kein Mitglied der Gemeinde. Er ist in den Gottesdienst eingedrungen, unterbricht den Rabbiner mitten im Gebet, stupst ihn, der mit Befremden reagiert, mit dem Finger an. Peri war wohl schon lange nicht mehr an diesem Ort, kennt die Vorschriften nicht und muss sich vom Rabbi eine Kippa reichen lassen. Noch mehr irritiert sein Anliegen, das Kaddisch, das traditionelle jüdische Totengebet, ausgerechnet für einen Lebenden sprechen zu wollen. Peri ist auf das Äußerste erregt und angespannt, wie auf seinem Gesicht zu lesen ist. Zwischen seiner beinahe mit tonloser Verzweiflung vorgebrachten Bitte und der leicht unwirschen Abwehr des Rabbis wechseln die Großaufnahmen hin und her. Man muss schon genau und konzentriert auf die Gesichter schauen, um die subtilen, oft versteckten Bedeutungen zu verstehen. Dem zerstreuten Fernsehzuschauer macht Fruchtmann nicht die geringste Konzession. Der Rabbi hält eine kleine Schamfrist ein, damit nicht der Eindruck entsteht, er entspreche der Bitte, weil ihm Peri stumm einen Bündel Geldscheine entgegengehalten hatte. Stotternd und zögerlich spricht Peri die ersten Zeilen des Kaddischs nach und die Binnengeschichte setzt ein, in der die Paradoxie des Filmtitels sich auf lösen wird.

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Peri (Günter Mack), ein Mann mittleren Alters, ist ein deutscher Jude, ein Überlebender der Konzentrationslager und offenbar schon lange nach Israel immigriert. Hier hat er, allem Anschein nach, eine neue Heimat gefunden, arbeitet »in einem Büro« (er selbst belässt es bei dieser vagen Berufsbezeichnung), fädelt sich ein in die Massen, die am Freitagabend nach Hause strömen, um sich auf den Schabbat vorzubereiten. Dem Rhythmus des jüdisch geprägten Alltagslebens ist er völlig angepasst. Nichts unterscheidet ihn von den Passanten, die seine Wege kreuzen, die das Gesamtbild einer energiegeladenen, nach vorne lebenden Gesellschaft vermitteln. Offenkundig hat Peri seine Lagerhaft überwunden und vergessen. Unter der Dusche ist sein muskulöser, unversehrter und narbenloser Körper zu sehen. Er sprüht vor Vitalität, hat eine Freundin und genießt die städtischen Vergnügungen in vollen Zügen. Für ihn zählt nur die Gegenwart. Ganz beiläufig liefert Fruchtmann durch ein auf der Caféhauswand angebrachtes Plakat eine exakte Datierung. Die Geschichte spielt im ominösen Mai 1968. Leise deutet sich jedoch an, wie brüchig die Schale der unbeschwerten Gegenwärtigkeit ist. Peri – so viel ist schon zuvor klar geworden – macht nicht den Eindruck eines Flaneurs, der sich der Stadtwirklichkeit ausgiebig und gelassen widmet. Seine Blicke sind fahrig, nervös und gehetzt, als würde er sich betäuben lassen von der Überfülle der Impressionen. Ein einziges Detail und ein Zufallsbild genügen, um die Vergangenheit wieder aufzurühren. Der stumme Todesschrei eines Schabbat-Karpfens, den er in einer Fischhandlung erwirbt und der vor seinen Augen getötet und ausgenommen wird, löst die zunächst noch unbestimmte, mit einem Lachen quittierte Erinnerung an das Konzentrationslager aus. Den so in Gang gesetzten Erinnerungsprozess rekonstruiert dieser novellistische Film auf das Genaueste. Darin besteht seine herausragende Qualität. Das noch undefinierte Vergangenheitsbild initiiert erst einmal eine ungerichtete Ref lexion und verändert schlagartig die Wahrnehmung. Plötzlich erinnert sich Peri auf seinem Heimweg an die vor dem Fischkauf nur f lüchtig registrierten Details, an die auf dem Arm einer Passantin eintätowierte Häftlingsnummer, an das Gesicht eines Blinden, dem er im Vorbeigehen nahegekommen war. Ihm wird bewusst, dass Israel ein Zuf luchtsort der Holocaust-Überlebenden ist. Betroffen bleibt er stehen, als eine Schar von Kindern auf dem Trottoir im Kreise tanzt, weil ihn – wie erst später plausibel wird – die Drehbewegung an die Foltermethoden der SSSchergen gemahnt. Die Realität der Lager beginnt, durch die Alltagswirklichkeit hindurch zu scheinen. Unter der Dusche fällt Peri dann ein, warum er beim Anblick des nach Luft ringenden Fischs gelacht und an wen ihn dieser physiognomische Ausdruck erinnert hat. Die Analogie wird uns bild-

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haft demonstriert. Damit ist vollends klar, dass der Bilddiskurs sich auf der Bewusstseinsebene der Hauptfigur bewegt. Sofort stellt sich die erste, konkret ausgestaltete, noch komisch konnotierte Erinnerungssequenz ein. Der Mithäftling Johannes Bach (Rudolf Wessely) erscheint als ein eigentümlich ungeübter balladesker Sänger, der sich selbst auf der Gitarre begleitet, ganz versunken in sein tief melancholisches Lied, von allen verlacht und verhöhnt wie der »Arme Spielmann« (1848) in Franz Grillparzers gleichnamiger Novelle. Konnte man in der ersten Erinnerungssequenz noch den KZ-Drillich und damit Ort und Umstände übersehen, so enthüllt der zweite Erinnerungsschub bereits die grausame Wirklichkeit des Lagers. Das Gesicht des Sängers ist durch die Misshandlungen entstellt, seine Hände sind mit Wunden übersät. Peris Erinnerung erhält eine neue Dynamik, als er noch am selben Abend zufällig auf der Terrasse eines Straßencafés dem Mithäftling Gurfinkel (Zalman Lebiush) begegnet, der erst seit zwei Monaten in Israel lebt, sich als Straßenhändler durchschlägt und den Leuten überf lüssige Dinge aus seinem Bauchladen aufdrängt. Nach wenigen Sätzen erkundigt sich Peri nach dem weiteren Schicksal Bachs im Lager und fragt brutal direkt: »Wie ist er gestorben?« Herzlos erklärt er den Sonderling zu einem Toten und nimmt erstaunt und beschämt zur Kenntnis, dass dieser überlebt hat. Immer

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stärker nimmt von nun an die bedrängende Erinnerung an das Konzentrationslager die Gestalt von Bach an, immer grausamer und eindringlicher werden die Erinnerungsbilder. Das Problem der filmischen Darstellbarkeit des KZ-Terrors kann Fruchtmann durch den Erinnerungscharakter der Bilder umgehen. Erinnerung ist rein imaginär, entspringt allein der Vorstellungskraft des Sich-Erinnernden. Ein detailgetreuer mimetischer Naturalismus erübrigt sich. Erinnerung reduziert die Komplexität des Geschehenen, vereinfacht und spitzt zu. Das ermöglicht Fruchtmann, wie in seinen frühen Fernsehspielen mit beinahe abstrakten Szenerien zu arbeiten, die Zahl der Darsteller, die Fülle der Dinge und Requisiten zu beschränken. Zudem können Grundkonstellationen des KZ-Terrors sichtbar gemacht werden. Auf der anderen Seite erfordern Erinnerungsbilder eine neue Komplexität. Erinnerung ist von Wertungen und Gefühlen durchsetzt, von diskursiven Erklärungen durchzogen. Die Grenzen zwischen Sehen und Fühlen verschwimmen. Indem Fruchtmann alle diese Elemente in seiner Erinnerungsinszenierung beachtet, offenbart sich hier die ausgefeilte Gestaltungskunst des Erzählers und Regisseurs. Erinnerung enthüllt ganz häufig, was der »realen« Wahrnehmung entgangen war. Das trifft gewiss auf Peri zu. Vor seinem inneren Auge erlebt er nun, wie Bach von Anfang an von den SS-Männern zum Objekt der Gewalt und der Demütigung gemacht wurde. Dessen etwas tapsige und naive Ungeschicklichkeit erweist ihn als ganz und gar ungeeignet für den militärischen Drill, mit dem die SS jeden der Häftlinge überzog. Verstöße gegen die pervertierte Ordnung waren für Bach unvermeidlich. Folglich war er den Schikanen und dem Terror hilf los ausgesetzt. Bereits bei der Einweisung in die Fronarbeit wird Bach sadistisch gequält, schlägt ihm der SS-Wachmann mit einer scharfen Rute mehrfach ins Gesicht, weil ihm das Strammstehen nicht gelingt. Die Haut platzt auf, das Gesicht ist von blutenden Striemen überzogen. Den Distanzblick des Beobachters Peri verwandelt die Kamera in eine extreme Nähe. Erst die Erinnerung ermöglicht die Empathie, das Mitleiden und die Empörung, die in der Wirklichkeit des Lagers aus Selbstschutzgründen ausgeschlossen waren. Die Großaufnahme des blutüberströmten Gesichts ruft den Bach-Choral »Oh Haupt voll Blut und Wunden« auf und schließt an die Ikonografie des gemarterten Christus an. Gurfinkel wird herbeigerufen, um dem Neuankömmling zum Gaudi der Wächter militärischen Elementarunterricht zu erteilen. Als er Bach als Willkommensgruß die Hand reicht, bricht die SS in dröhnendes Gelächter aus ob der grotesken Unangepasstheit dieser zivilen Geste an die Schreckenswelt des Lagers. Selbst die Häftlinge und auch Peri lachen hemmungslos und komplizenhaft mit und isolieren den Gequälten noch mehr. Der Außenseiter

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wird für sein Künstlertum brutal bestraft. Er ist nicht nur Musiker und Sänger, sondern auch Schreiber, führt entgegen dem strengen Verbot ein geheimes Tagebuch. Das f liegt auf, und Bach wird zu einer grausamen Prügelstrafe verurteilt, die vor den Augen des ganzen Lagers vollzogen wird. Der Soziologe Wolfgang Sofsky nennt die in den Konzentrationslagern üblichen öffentlichen Strafrituale eine »Aufführung der absoluten Macht«: »Tausende mussten zusehen, wie ihr Kamerad zunächst völlig wehrlos gemacht und in Demutsstellung gezüchtigt wurde. Die Hilf losigkeit der Opfer symbolisierte die Ohnmacht der gesamten Gesellschaft. Die schändliche Marter zielte nicht nur gegen den Delinquenten, sondern auch gegen das Publikum. Sie sollte abschrecken, einschüchtern, demütigen und erniedrigen.«14 Die regungslose Erstarrung, zu der die Zuschauer bei diesen Strafritualen gezwungen wurden, konterkariert die Kamera der Erinnerung mit einer Nähe, die noch viel stärker die furchtbare Gewalt der Schläge und die Unerträglichkeit der Schmerzen geradezu physisch erfahrbar macht. Die aufplatzende Haut beim ersten Hieb auf den nackten, ungeschützten Hintern zeigt Fruchtmann mit bestürzender Direktheit und quälender Distanzlosigkeit. Der Schmerz durchzuckt den Körper mit einer solchen Gewalt, dass die Verrenkungen des Geschlagenen den Bildkader durchbrechen. »Wer der Folter erlag«, schreibt Jean Améry aus der eigenen Erfahrung heraus, »kann nicht mehr heimisch werden in der Welt. Die Schmach der Vernichtung lässt sich nicht austilgen. Das zum Teil schon mit dem ersten Schlag, in vollem Umfang aber schließlich in der Tortur eingestürzte Weltvertrauen wird nicht wiedergewonnen.«15 Die größte und folgenreichste Erniedrigung steht Bach noch bevor. Als einer der ersten, auch hier ist er das bevorzugte Opfer, wird er zur Sterilisation gezwungen. Das Erinnerungsbild des jetzt nur noch apathisch Daliegenden, der kein Wort mehr spricht und sich von der Welt zurückgezogen hat, steigt in Peri auf, als er nachts alleine am verlassenen Strand sitzt und auf das düstere Meer hinausblickt. Ein junges Liebespaar huscht an ihm vorbei und verschwindet in der Dunkelheit. Bach wurde das elementare Menschenrecht, sich fortzupf lanzen, genommen, das in der jüdischen Diaspora-Gesellschaft zu einer Menschenpf licht erhoben wurde. Fortan wird Peris Erinnerung an Bach immer quälender. Verzweifelt versucht er, Bach zu finden, ihn wiederzusehen, durchkämmt gar weit draußen auf dem Lande zusammen mit Gurfinkel auf eigene Faust alle Zimmer eines »Irrenhauses«, als würde sich die Menschenjagd der SS-Kommandos wiederholen. Peri will unbedingt den Frevel der Toterklärung und den Verrat des komplizenhaften Gelächters tilgen. Erst im Prozess der Erinnerung wird ihm klar, in welchem Ausmaß er seinen Mithäftling Bach verkannt hat. Dessen fürchterliches

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Schicksal hatte er als ein selbstverschuldetes, vermeidbares Unglück und als clowneskes Versagen wahrgenommen. Er hatte Bach Vorhaltungen gemacht: »Du musst dich ändern! Du willst nicht leben!« Nun sieht er in seinen Erinnerungsbildern, wie Bach mutig das Nachsprechen der Selbstdemütigung (»Ich bin eine dreckige Judensau!«) verweigert, der Tortur widersteht und auf seiner Identität, seinem Ich beharrt. Nun erkennt er im verlachten Sänger den Helden und Märtyrer, den Widerstandskämpfer auf verlorenem Posten. Als Peri und Gurfinkel Bach endlich finden, ist er nicht mehr erreichbar. Das Konzentrationslager hat sein Ich zerstört, er ist ganz eingesponnen in einer eigenen Welt des Wahnsinns. Erhalten haben sich dennoch Spuren des alten Ichs. Sanft entfernt er die Hand, die Peri ihm auf die Schulter legt. Täglich steht er nun am Straßenrand eines noblen Viertels und ölt mit einem kleinen Kännchen die Kinderwagen, die junge Mütter vorbeischieben. Die überscharfe Sensibilität und die tiefe Menschlichkeit Bachs treten in diesem wunderbaren Bild hervor. Ohne quälendes Geräusch sollen die Nachgeborenen des Schreckens hineingleiten in eine humane, gewaltlose Zukunft. Einen kleinen, schwankenden Lichtschein legt der Erzähler als Huldigung im Schlussbild auf Bachs Stirn. Peri wird in der Erinnerung auch bewusst, wie fundamental sich Bach von ihm und Gurfinkel unterscheidet. Gurfinkel hat

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überlebt, indem er sich bereitwillig allen Wünschen der SS gefügt hat, ohne je eine Geste des Widerstands, der Scham oder des Ekels zu zeigen. Durch totale Anpassung und Selbstverleugnung übersteht er das Lager. Peri, der intellektuelle Solitär, beachtet klug und umsichtig die Überlebensregeln, wie sie im Lager von den politischen Häftlingen formuliert und in Umlauf gebracht wurden: nicht auffallen, sich abducken, beim Arbeitseinsatz die Kräfte sparen, Freiräume nutzen, mit äußerster Disziplin die körperliche Integrität bewahren! So gelingt es ihm, seine Haut zu retten. Kaddisch nach einem Lebenden blickt genau und differenziert auf die Opfer und spart auch problematische Aspekte nicht aus. Der Film zeigt zudem, wie Thomas Koebner zurecht vermerkt, dass es auch auf der Seite der jüdischen Opfer eine Verdrängung gegeben hat, dass es offenbar einer »Latenzperiode« bedurfte, um über den Holocaust sprechen, von ihm erzählen zu können.16 Kaddisch nach einem Lebenden ist ein prononciert jüdischer Film. Der Holocaust wird auf die jüdische Perspektive begrenzt, er spielt in einem jüdischen Land, in einer vom Judentum geprägten Gesellschaft. Er zeigt den jüdischen Alltag und die religiösen Rituale, er hebt die Differenz zur christlichen Welt, zur Erfahrungswelt der Zuschauer nicht auf. Den Antisemitismus könne man nicht dadurch bekämpfen, dass man das Anderssein der Juden verleugnet, erläutert Fruchtmann in einem Text, der sich in seinem Nachlass findet.17 In der jüdischen Religion und Tradition entdeckt Peri neu eine gemeinschaftsstiftende Kraft, die Suche nach Bach hat auch ihn verwandelt. Und hier ist er sicherlich das Alter Ego Fruchtmanns. Im Sprechen des Kaddischs, im Lobgesang auf Gott und auf die Fülle des Friedens und Lebens, der immer nur den nächsten Verwandten des Toten vorbehalten ist, kann er Nähe und Liebe zu seinem »Bruder« Bach zum Ausdruck bringen und seine Verkennung wiedergutmachen. Die Suche und die Anstrengung der Erinnerung bringt Peri mit Gurfinkel auf neue Weise zusammen, den er vorher mit Verachtung, ja mit Hass bedacht hatte. Schließlich ist es Gurfinkel, der innerhalb kurzer Zeit zum Geschäftsinhaber aufsteigt, der Bach aufspürt und ihn findet, als Peri schon längst aufgegeben hatte. Karl Fruchtmann hatte 1979 viele gute Gründe, den 1976 in der DDR erschienenen Roman Der Boxer von Jurek Becker zu verfilmen. Das Buch ist in seiner vielschichtigen Erzählstruktur seinen eigenen Filmen sehr ähnlich. Ihn reizte sicherlich die jüdische Hauptfigur Aron Blank, ein Überlebender des Ghettos und des Konzentrationslagers, der die Vergangenheit und die Erinnerung verweigert, seine Identität nach 1945 neu konstruiert und doch nie ankommt in der neuen Realität, keinen Kontakt zum Leben gewinnen kann, der verstummt und versteinert. Angetan war Fruchtmann vermutlich

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auch von der klaren und einfachen Sprache Jurek Beckers, die sich dem DDR-Jargon des Antifaschismus und der eindimensionalen Glorifizierung der Opfer komplett entzog. Umso überraschender ist es, dass die 1980 ausgestrahlte Verfilmung merkwürdig blass und konventionell ausfällt. Einem Vergleich mit der lebendigen und einfallsreichen Bildlichkeit, mit dem Raffinement des Erzählens von Kaddisch nach einem Lebenden ist sie in keiner Weise gewachsen. Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk (1981), eine Dokumentation in zwei Teilen mit einem Gesamtumfang von beinahe vier Stunden, erforderte intensive und langwierige Vorarbeiten, die sich über zwei Jahre erstreckten. 60 jüdische Überlebende von Auschwitz legen Zeugnis davon ab, was sie im Todeslager erlebt und gesehen haben, und sie bezeugen ihr Überleben, ihr Leben mit den Erinnerungen an das Grauen. In der Mehrzahl sind sie in den 1920er Jahren geboren, kamen also als junge Menschen, oft sogar als Kinder, nach Auschwitz. Zuschnitt und Ausrichtung des Projekts legen nahe, dass Fruchtmann bewusst auf das kollektive Wissen um Auschwitz und auf vorausgehende Darstellungsversuche des Fernsehens reagierte. Egon Monk hatte 1965 auf der Basis eines Drehbuchs von Gunther R. Lys in dem Fernsehfilm Ein Tag den Ablauf eines einzigen Tages in einem fiktiven Konzentrationslager eindrucksvoll genau, in dokumentarischem Stil, reinszeniert. Er hat das Lager als einen eigenen Kosmos von Tätern und Opfern gezeichnet, und er wollte allen Opfergruppen gerecht werden. Rolf Hädrich führte in Mord in Frankfurt (1967/68) vor, wie ein aus Polen angereister Zeuge und Überlebender der Konzentrationslager in einem Gerichtsverfahren von den uneinsichtigen Beschuldigten und der Schar ihrer Verteidiger in die Zange genommen und der Lüge bezichtigt wird. In ähnlicher Weise hatten sich in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen die Ausf lüchte der Täter und die Beschwichtigungsversuche ihrer An­­ wälte vor die Schicksale der Opfer geschoben. Dem in den USA produzierten Fernsehmehrteiler Holocaust (1978) gelang es zwar, die Erinnerung an die millionenfache Ermordung der europäischen Juden neu zu entfachen und eine breite Debatte auszulösen. Das Fernsehereignis verzerrte jedoch mit einer Gefühlsdramaturgie die Fakten ins Melodramatische. Fruchtmann lässt demgegenüber in Zeugen allein die Opfer, die Überlebenden zu Wort kommen, er konzentriert alles auf ihr Sprechen, auf ihre »Aussagen zum Mord an einem Volk«, wie es im Untertitel heißt. Es gibt in den beiden Teilen keine anderen Stimmen. Kein Erzähler, kein Interviewer, kein Kommentator und kein historischer Experte treten auf, allein die Stimmen der Erinnerung konfrontieren den Zuschauer mit der »Wahrheit«, mit dem mit

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eigenen Augen Gesehenen, mit den wirklichen Vorgängen in Auschwitz. Nichts soll ablenken, der Hintergrund ist jeweils neutral gehalten. Es werden ausschließlich Großaufnahmen verwendet, Fruchtmann vertraut wiederum ganz dem physiognomischen Sehen. Das Gesicht ist die Ausdrucksf läche der Erinnerung, hier sind die Mühsal der Sich-Erinnernden, die Wiederkehr der Schrecken und der Schmerzen im Sprechakt ablesbar. Die Sprache ist bisweilen mühsam. Die Überlebenden sprechen in der Sprache der Täter, die man ihnen im Lager eingebläut hat, in der Sprache der Zuschauer. Das Deutsch berührt noch andere Erfahrungen, es ähnelt dem Jiddischen, der Sprache ihrer Heimat und Kindheit, denn die meisten stammen aus Polen. Fruchtmann greift kaum ein, nur an wenigen Stellen übersetzt er Unverständliches in knappen Untertiteln. Nur die authentische Erinnerung soll gelten, die auch nach 35 Jahren noch präzise ist. Das Erlebte hat sich eingebrannt und ist zum Trauma geworden. »Man kann nicht vergessen«, sagt die Zeugin Varda Z. gleich zu Beginn des ersten Teils. »Es ist unmöglich zu vergessen, weil das  – Ja, wenn ich 35 Jahre nach Auschwitz noch immer von Auschwitz träume, das heißt doch, das ist tief in mir, ich kann das nicht von mir wegreißen, das bin ich, das ist ein Teil von mir.«18 Autorschaft bedeutet in diesem Sonderfall eines Artefakts in erster Linie, das Sprechen zu ermöglichen, einen Schutzraum des Vertrauens zu schaffen als Voraussetzung, die Erinnerung zu verbalisieren, sie einem Millionenpublikum preiszugeben. Der primäre Adressat ist der Autor Karl Fruchtmann, den die Sprechenden ansehen, dem sie sich anvertrauen, der neben der Kamera sitzt und gleichwohl in jeder Einstellung intensiv anwesend ist. Fruchtmann selbst bezeichnet die beiden Teile von Zeugen als »dokumentarische Spielfilme«.19 Damit gibt er zu erkennen, wie entscheidend für ihn die Montage ist, die einen fortlaufenden Text entstehen lässt und damit eine kollektive Erinnerung, die eine Dramaturgie kreiert durch Auswahl, Gruppierung und Anordnung der Stimmen. Die Subjektivität des Autors äußert sich außerdem in den Zwischenbildern, die er hinzufügt, die aber keinesfalls die Zeugenaussagen illustrieren sollen. Sie fassen zusammen, deuten größere Zusammenhänge an. Die gigantische Feuersäule zu Beginn und die dicken schwarzen Rauchwolken stehen metaphorisch für das Todeslager, für das Endziel dieser im industriellen Maßstab betriebenen Vernichtung, der Verbrennung der Körper, der die Zeugen, denen wir zuhören, nur knapp entronnen sind. Außerdem wird signalisiert: Nichts geschah hier im Verborgenen, die Feuersäule, der Rauch waren weithin sichtbar, die mit Menschen überfüllten Viehwaggons waren lange unterwegs, durchquerten oft das ganze Land. Fotos von den Dingen, die von den Menschen übrigblieben, die Berge von Brillen,

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Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk, 1981. Leo Blumensohn, Karl Fruchtmann. Werkfoto

Schuhen, Kleidern, von abgeschnittenen Frauenhaaren werden als Beweisstücke der Verleugnung einmontiert. Denn diese Dinge wurden dem »Wirtschaftskreislauf« wieder zugeführt und gingen durch viele Hände. Wie eine Hommage an Nuit et Brouillard (1956) von Alain Resnais wirken die eingefügten Kamerafahrten entlang der Zäune des Lagers, die Blicke in die Blöcke, in die Schlafsäle hinein, die jetzt nur noch Ruinen sind. Im zweiten Teil setzt Fruchtmann Fotografien der Toten ein, die nach der Befreiung der Lager entstanden sind. Er tut dies jedoch nur sparsam, verfremdet die Fotos ins Schemenhafte, zeigt nur Fragmente der toten Körper, als wolle er so der drohenden Abnutzung dieser in allen Medien vielfach zitierten Bilder entgehen. An zwei Stellen werden starke Kontrastbilder dem erinnerten Grauen des Todeslagers entgegengehalten. Der wohl schlimmste Zivilisationsbruch, die willkürliche Tötung von Säuglingen, die von SS-Leuten aus den Armen ihrer Mütter herausgerissen werden, wird mit dem denkbar größten Gegensatz markiert: mit dem in ein helles Licht getauchten Bild eines Neugeborenen mit zarten Gliedern und einem neugierigen Blick. Kurz darauf wird ein Geburtsvorgang eingeblendet  – als eine schnelle blitzartige Negation des Todes. Auf der akustischen Ebene werden die Täuschungsmanöver der SS

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entlarvt, die bei der Ankunft der Häftlinge das Auschwitz-Orchester aufspielen ließ. Einen Militärmarsch von Schubert hat eine der Zeuginnen nach 35 Jahren noch so genau im Ohr, dass sie ihn nachsingen kann. Der RadetzkyMarsch, so die Strategie der Täter, soll die Gewalt übertönen. Die Herzschläge, die unterlegt werden, die Geräusche der klappernden Schuhe einer stumm auf der Rampe sich bewegenden Menge verschärfen dagegen das Grauen, verschieben es ins Fantastische. Solche kommentierenden Gestaltungselemente tilgt Fruchtmann in der zwei Jahre später erschienenen Buchdokumentation seiner Filme. Dort gibt es auch keine Hinweise auf die Zwischenbilder, es gilt nur das gesprochene Wort der Zeugen. Stattdessen leitet er das Buch mit persönlichen »Vorbemerkungen« ein, die zu erkennen geben, dass er in dieses Projekt mit seiner ganzen Person, seinen Erfahrungen, mit seinem Denken und Fühlen involviert ist. Leidenschaftlicher, klarer, konziser und scharfsinniger hat Karl Fruchtmann an keiner anderen Stelle über den Holocaust öffentlich gesprochen. Auf diesen wenigen Seiten ist mit Händen zu greifen, was ihn als Filmemacher antreibt. Der Zivilisationsbruch des Massenmords, so führt er aus, setze sich in dem Skandalon fort, dass die Mörder unbeschadet davonkommen, während die überlebenden Opfer bis zu ihrem Lebensende daran denken, davon träumen müssen. »Die Opfer sind gezeichnet. Die Mörder nicht.«20 Auschwitz nennt er ein »Modell« effizienter industrieller Produktion, eine »Tötungsfabrik« und einen »Sklavenumschlagplatz« der deutschen Industrie, Teil eines umfassenden Systems: »Aber alle, die die Fabriken betreiben, haben die Institution begeistert oder fraglos und selbstverständlich akzeptiert und funktionieren und tun, jeder an seinem Platz, das seine, manche auch ohne Hass, doch alle mit dem gleichen Eifer im Dienst, ob sie ihn in der Küche tun oder ob sie Zyklon B durchs Schüttloch werfen.«21 Nur eines haben Opfer und Täter gemeinsam: Traumatische Erinnerung und hartnäckige Verleugnung werden übertragen auf die nachfolgenden Generationen, insbesondere auf die Söhne, die die »Gnade der späten Geburt« für sich in Anspruch nehmen: »Sie rechnen auf. Die Väter haben die Verantwortung von Tun und Nichttun, Wissen oder Nichtwissen mit schnell hervorgeholten und aufgezählten Verbrechen der anderen zugedeckt. Söhne entlasten sich, indem sie tote Juden wie bei einem Kartenspiel mit ermordeten Indianern als Trumpf stechen. Es ist, als ob die Väter mit andern Stimmen weitersprächen. Die Kinder und Enkel sind geprägt, wie die Kinder und Enkel von denen geprägt sind, die in den Nächten schrein.«22 Der Ausweichformel des »Unfassbaren« oder gar der offenen Leugnung von Auschwitz entgegnet Fruchtmann mit der konkreten, unabweisbar

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genauen, eindringlichen, durch das Sprechen und die Physiognomie beglaubigten Erinnerung der wenigen Überlebenden. Die Zeugenaussagen ordnet er im ersten Teil chronologisch an, sodass die Systematik des Terrors und des Tötens hervortritt – von der Ankunft an der Rampe von Auschwitz, wo die Neuankömmlinge aus den Waggons hinausgetrieben, die Familien auseinandergerissen wurden, bis zur Selektion, die darüber entschied, ob die Ankommenden nach rechts gewiesen, zu Arbeitssklaven entindividualisiert, nummeriert und kahlgeschoren, oder direkt nach links in die als Duschbad getarnten Gaskammern geführt und in den Krematorien verbrannt wurden. Der zweite Teil wendet sich dem individuell erlebten Schrecken, der bis zum Äußersten getriebenen Unmenschlichkeit zu, die immer noch als Trauma das Überleben der Zeugen beherrschen. In seinen »Vorbemerkungen« erteilt Karl Fruchtmann zunächst jeder Sinngebung des Holocaust eine Absage: »Es ist kein tröstender Sinn in der Vergangenheit. […] Wer könnte den Kindern in die Gesichter sehn, blau vom Gas und im Ersticken mit den Nägeln aufgerissen, und ihnen sagen: euer Tod hat einen Sinn. Die Ermordeten sind für die Mörder gestorben.«23 Fruchtmann belässt es in den Schlusspassagen dann doch nicht bei dem bitteren Resümee. Als würde er von vielen seiner Zeugen eines Besseren belehrt, die bei aller Unmenschlichkeit, die ihnen widerfahren ist, den Glauben an den Menschen nicht verloren haben, weil sie selbst im Todeslager Solidarität und uneigennützige Hilfe erfahren haben, die sich nicht dem Hass hingeben und damit eine wunderbare Menschlichkeit ausstrahlen. »Die Zeugen sind schön in ihrer Trauer«, so Fruchtmann und fügt hinzu: »Die leugnen und lügen, haben ihr menschliches Gesicht verloren.« 24 Nur im sozialen und politischen Handeln, so folgert Fruchtmann nach der Begegnung mit den Protagonisten seiner Filme, ist eine Sinngebung möglich: »Denn der Sinn des Todes der Ermordeten ist die Solidarität der Lebenden. Der Kampf gegen Auschwitz, gegen Faschismus und Krieg und gegen alles, aus dem es hervorgekrochen ist.« Und noch weiter greift er aus und formuliert den Leitspruch seiner Arbeit: »Ein Sinn ihres Todes ist die Verpf lichtung zur Wahrheit.«25 Es ist kaum nachvollziehbar, warum Zeugen heute beinahe vollständig vergessen ist. Selbst in der speziellen Forschungsliteratur, die sich mit der medialen Aufarbeitung des Holocaust beschäftigt, taucht der zweiteilige Film überhaupt nicht auf.26 Ein wesentlicher Grund besteht sicher darin, dass Claude Lanzmanns ganz ähnlich konzipiertes, monumentales, neunstündiges Werk Shoah (1985) die Aufmerksamkeit für diese Thematik regelrecht absorbiert und die Debatte bestimmt hat. Da blieb wenig Raum für Karl Fruchtmanns nicht weniger bedeutsame und eindrucksvolle Erinnerungsfilme.

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Ein einfacher Mensch (1987) geht aus dem zweiteiligen Projekt Zeugen hervor. Dort war Jakov Z. bereits aufgetreten und hatte Zeugnis abgelegt, nun ist er unter seinem vollen Namen Yacov Silberberg 27 der Protagonist des Folgefilms. Karl Fruchtmann hatte wohl das Bedürfnis, sich nach dem großformatigen Erinnerungsprojekt, das ein eigenes Archiv hervorgebracht hatte, intensiv einem Einzelschicksal zu widmen, wie es schrecklicher nicht sein könnte. Yacov Silberberg wurde nicht nur seit 1942 in Auschwitz-Birkenau seiner Freiheit beraubt und zum Arbeitssklaven gemacht, er wurde in jene Sonderkommandos hineingezwungen, die die Leichen aus den Gaskammern ausräumen und in das Krematorium transportieren mussten. Man kann sich vorstellen, was dieser Film Karl Fruchtmann abverlangte, wie viele Annäherungen und Vorgespräche notwendig waren, um dieses Projekt zu realisieren. Fruchtmann kehrt dafür nach Israel zurück, taucht tief ein in die Lebenswelt von Yacov Silberberg und dessen Familie. Intime Nähe, Respekt, gegenseitiges Vertrauen, Zuneigung, Freundschaft, ja Zärtlichkeit sind in jeder Sekunde dieses Films spürbar. Wie Zeugen, so ist auch Ein einfacher Mensch im Kern ein Dokumentarfilm, die Akteure repräsentieren sich selbst, nur sie sprechen, es gibt keinen Erzähler, keinen Kommentator, der von außen auf die Szene blickt. Und doch sind die Elemente der Inszenierung und der Gestaltung gegenüber Zeugen erheblich gesteigert. In diesem Film geschieht nichts zufällig. Das authentische Material folgt einer bis in die Feinheiten ausgearbeiteten Dramaturgie, die Bilder sind – wie immer bei Fruchtmann – genauestens kalkuliert, mit vielschichtigen Bedeutungen aufgeladen. Dennoch  – und das ist Fruchtmanns höchste Kunst – ergibt sich eben nicht ein Effekt des Artifiziellen. Das zeigt sich bereits im Eingangsbild: Eine Supergroßaufnahme, die Kamera ist sofort ganz nah bei Yacov und blickt ihn frontal an. Das Gesicht ist durch ein starkes Seitenlicht geteilt, das von rechts hereinfällt. Eine scharfe vertikale Linie trennt das überhelle Licht auf der rechten vom tiefen Schwarz auf der linken Seite. Die rechte Seite, das war bei der Selektion auf der Rampe und auf den Appellplätzen die Seite des Lebens, der vorerst Geretteten, die linke Seite bedeutete den Tod, die Auslöschung. Der Terror des Todeslagers zwingt dem Opfer Yacov eine tiefe, eine zerstörerische Existenzspaltung, ein geteiltes Leben auf. In emblematischer Verdichtung ist hier zusammengefasst, wie Fruchtmann in allen seinen Filmen die Überlebenden des Holocaust definiert. Dem Tod, dem sie entronnen sind, entgehen sie dennoch nicht. Der Tod wird immer wie ein Schlagschatten auf ihrem Leben liegen und sie zu Zwischenwesen machen, zu Gespenstern und Untoten, die nirgendwo zu Hause sind. Das veranschaulicht die dann folgende Sequenz, die Yacov an seinem Arbeitsplatz, einer Großbäckerei, in Israel zeigt. Feuer und Dampf, die lange

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Reihe der weißen Brotlaibe, die aufgereiht und in den Ofen geschoben werden, das Fließband, das große Mengen bewältigt, der ruhig-kontrollierende und professionelle Blick des Bäckers, die unendlich traurigen Augen von Yacov – es bedarf keiner analogen Bildlichkeit, um evident zu machen, was Luba, seine Frau, ihm später vorhalten wird: »Du bist immer noch in Auschwitz!« Yacov bleibt zunächst stumm, Luba spricht für ihn, spricht über ihn, führt ihn in die Erzählung ein, definiert ihn: »Er ist ein einsamer Mensch. Seine Gefühle sind tot. Die Arbeit hält ihn am Leben.« Mit wenigen Fakten stellt Yacov sich dann vor. Seit 17 Jahren arbeite er in der Großbäckerei, immer nachts von »9 Uhr bis 5 Uhr in der Früh«. Wir sehen ihn in der Morgendämmerung mit dem Fahrrad nach Hause fahren, vorbei an geschlossenen Läden und Werkstätten, die in der Dämmerung den langen Reihen der Baracken von Auschwitz-Birkenau gleichen. Er ist völlig allein. Der bildhafte Diskurs ist solidarisch mit Yacov, es sind nämlich seine Wahrnehmungs- und Bewusstseinsbilder, auf die wir hier blicken. Auf diese Subjektivierung ist die ganze Bildarbeit ausgerichtet. Merkwürdig blass, nebelig und unscharf sind die Bilder, sie changieren zwischen Überstrahlung und Entsättigung, sind mit einem merkwürdigen Schleier überzogen. Mitunter verfremdet der Ton – die quietschenden Geräusche des Fahrrads oder ein Grundrauschen – die Bilder noch einmal ins Surreale. Im kleinen, halbdunklen Schlafzimmer legt sich der zurückkehrende Yacov behutsam neben seine schlafende Frau Luba. Sie ist eine Versehrte, hat auf den Todesmärschen in den Wirren des Kriegsendes nach der Auf lösung der Lager ihr rechtes Auge verloren. Dennoch gewinnt dieses entstellte Gesicht im Laufe des Films eine eigene, berührende Schönheit und Ausdruckskraft. Die Synagoge und die religiöse Tradition werden als eine zweite Familiarität sichtbar gemacht. Dabei sei Yacov, wie Luba im Off erklärt, gar nicht fromm. Sie wisse nicht, was er denke. Die Bilder liefern uns eine Antwort, beherrschendes Darstellungsprinzip ist das der Nähe zu Körpern und Gesichtern. Die Kamera vermeidet den Distanzblick und die Ordnungsbilder. Sie erzeugt den Eindruck einer f ließenden, lebendigen Einheit, in der sich Yacov geborgen fühlt. Mit Kippa, Umhang und Gebetsriemen ist er ganz selbstverständlich Teil der Gruppe. Er ist aktiv, erwacht aus seiner Lähmung und bringt einem blinden Synagogenbesucher ein Glas Tee an den Tisch. Um sich erkenntlich zu zeigen, erzählt der Blinde von einem Pogrom, das sich vor 39 Jahren in der polnischen Stadt Kielce zugetragen habe, als der Erzähler noch sehen konnte. Unter der falschen Anschuldigung, die Juden hätten mit einem Ritualmord ein katholisches Kind getötet – dem üblichen Rechtfertigungsschema der Pogrome in Osteuropa seit dem Mittelalter  –,

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gingen die christlichen Bewohner mit brutaler Gewalt gegen die jüdischen Bürger vor. Der Blinde überlebt als einziger seiner Familie, schwer verletzt, den Angriff. Fruchtmann macht deutlich, dass der antisemitische Terror eine lange Vorgeschichte hat, und er preist mit dieser eingeschobenen Episode das Judentum als eine Solidargemeinschaft. Yacov legt die Hand auf die Schulter des Blinden, der streift sie, anders als Bach in Kaddisch nach einem Lebenden, nicht ab. Intertextuelle Verweise strukturieren vielfach Fruchtmanns Werk. Die Hände, die vorher demonstrativ genau als Kennzeichen der Individualität und als Entsprechung zur Physiognomik ins Spiel kamen, sind ein weiteres Beispiel dieser Verweistechnik. Den Familientisch der Silberbergs fügt Fruchtmann nun als weiteres Bild einer Solidargemeinschaft an. Alle sind versammelt, das Ehepaar Silberberg, Sohn und Tochter, der Schwiegersohn und die beiden Enkelkinder. Yacov sitzt in der Mitte am Kopfende des Tisches. Alle sind gelöst und lächeln. Der fröhliche Gesang der Kinder krönt das Harmoniebild. An diesem Punkt, einem möglichen Schlusstableau, wird in einer Rückblende die dramatische, die oft krisenhafte Vorgeschichte dieser familiären Einheit aufgerollt. Mit einem Mal wird klar: Das Eingangsbild war auch eine Metapher für die Struktur dieses Films. Ein einfacher Mensch ist zweigeteilt, in die Zeit, in der Yacov schweigt über seine Erfahrungen in den Konzentrationslagern, und in eine Zeit, in der er über seine Erinnerungen spricht. Am Ende erreicht der Film genau wieder diesen Punkt eines relativen Gleichgewichts. Yacov konsultiert zu Beginn der Rückblende einen Psychiater. Er hat versprochen, kooperativ zu sein, aber er wirkt teilnahmslos, gibt auf Fragen nur zögerliche und knappe Antworten, spricht fast nur in Halbsätzen. Der Psychiater überbringt die Mitteilung Lubas, sie habe Yacov niemals beschuldigt. So zugespitzt ist die Lage, dass die beiden Eheleute nicht mehr miteinander reden können und einen vermittelnden Dritten benötigen. Yacov sucht Rat bei einer zweiten Autorität, dem Rabbiner, der ihm die Schuldkomplexe ausreden will und ihm vorhält, Gott verbiete den Selbstmord streng. Yacovs Verhärtung, seine Weigerung zu leben, hat er damit treffend als schleichenden Selbstmord erkannt. Das Ehepaar hat sich in der Sprachlosigkeit verschanzt, oder sie sprechen aneinander vorbei. Es gibt nur noch die knappen und kaum hörbaren Sprachfetzen Yacovs und das wunderbar direkte, ohne Verzierung und Verbrämung auskommende Sprechen Lubas, das nur an den Zuschauer adressiert ist. Sie berichtet farbig und selbstbewusst, wie nach dem ersten Verliebtsein unmittelbar nach dem Krieg alles an der schrecklichen Gleichgültigkeit, an der Gefühlsstörung Yacovs zu zerbrechen drohte. Die Erinnerungsreden des

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Sohnes Itzu und der Tochter Rachel verschärfen erheblich den Ton der Anklage. In der Kindheit sei zu Hause alles dunkel gewesen, »wie tot«. Nie habe es eine Verbindung gegeben, wie sie zwischen Vater und Sohn üblich sei. Und für die Enkelkinder habe er sich nie interessiert, ergänzt die Tochter Rachel. Bis in die übernächste Generation der Enkel wirkt also das Trauma des Konzentrationslagers hinein. Immer wieder wird das melancholische, ausdruckslose und unbewegliche Gesicht von Yacov eingeschnitten, an dessen schweigender Gleichgültigkeit offenbar alles abprallt. Eine Tragödie scheint unvermeidlich. Das plötzliche Wissen von Luba, dass Yacov sie liebt, und ein tiefes Verstehen, das die Kinder für den Vater auf bringen, deuten eine Wende an, die inzwischen stattgefunden hat. Yacov hat sein Schweigen gebrochen und gegenüber seiner Familie seine Erlebnisse in Auschwitz offengelegt. Luba und ihren Kindern wird jetzt bewusst, dass von einer schuldhaften Gleichgültigkeit keine Rede sein kann, dass der sprachlose Yacov ein Opfer seiner traumatischen Erfahrungen im Konzentrationslager ist: »Er war leer, wie tot, seine Persönlichkeit ist dort geblieben«, äußert Luba, und der Sohn bedauert, dass der Vater nie gesagt habe: »Was wollt ihr von mir? Wisst ihr überhaupt, woher ich komme?« Und die Tochter ergänzt, Yacov habe immer so gewirkt, als sei der gemeinsam erlebte Moment der letzte, ein Abschied. Das gegenseitige, erlösende Erkennen erfolgt in sich überkreuzenden, sich vereinigenden Träumen, die acht Minuten umfassen und so etwas wie die Gelenkstelle des Films darstellen. Zunächst wird der Traum, der mit den Geräuschen eines Zugs einsetzt, Yacov zugewiesen. Er schläft unruhig, wacht mehrmals mit erschrockenen Augen wieder auf. Beim Ausstieg aus dem Traum ist Luba in Großaufnahme zu sehen. Die beiden begegnen sich in ihren Träumen, die von den Zeichen, von den »Realitätsresten« des Holocaust bestimmt werden, vom Taktschlag der fahrenden Viehwaggons und einem schier grenzenlosen Friedhof, einer verwinkelten, mit weißen Grabsteinen eng zugestellten Stadt des Todes. Zwei Grundbewegungen strukturieren die Träume – der Wunsch von Luba, nicht allein zu sein, Yacov an ihrer Seite zu haben, und dessen atemlose Fluchtbewegung. »Ich kann ohne ihn nicht leben«, bekennt sie im Traum. Nur kurz begleitet er sie, hält ihre Hand bei einem Gang auf einem toten Gelände zwischen zwei Güterzügen. Dann ist er plötzlich verschwunden. In drei Teilsegmenten des Traums f lieht Yacov verzweifelt durch die engen Wege des gigantischen Friedhofs, Luba ruft nach ihm, rennt ihm, der nur kurz über die Schulter zurückblickt, vergeblich hinterher, ebenso der Sohn und die Tochter. Am Ende der Traumsequenz findet sich Luba allein im Waggon wieder und schlägt die Hände

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vors Gesicht. Von nun an sprechen nur noch Luba und Yacov. Sie sprechen nicht mehr gegeneinander, sondern ihre Erzählungen sind eng miteinander verf lochten, ihre Erinnerungen wechseln sich ab, eine Rede scheint die andere zu bedingen. Fruchtmann verändert noch einmal die Bildform. Noch näher rückt die Kamera an die beiden heran, das Licht akzentuiert den sprechenden Mund. Lubas »Schuldbekenntnis«, sie habe beim Einmarsch der Deutschen in Łódz´ ihre Mutter und ihre Schwester alleingelassen, habe sich in die deutschen Soldaten vergafft, die ihr wie Götter erschienen, »so schön, so mächtig«. Der »Liebesverrat« folgt aber sogleich. Luba muss mit ansehen, wie SS-Männer in einem Auto einen Juden misshandeln. Lubas »Suche nach ihrem verlorenen Ich« scheint auch Yacov die Zunge zu lösen. Er redet über seine Erlebnisse im Sonderkommando in Auschwitz, das den Auftrag hatte, die Leichen aus den Gaskammern herauszuholen und zum Krematorium zu schleppen. Er erzählt genau die Abläufe, und noch während er spricht, ist klar, dass ihn diese Bilder sein ganzes Leben lang nicht verlassen werden. Es gibt ein nach vorne gerichtetes Erinnern, das auch das Vergessen möglich macht. Das hatte Fruchtmann in der Mitte des Films verdeutlicht, als er minutenlang einen Vorbeimarsch von Veteranen aus vielen Ländern zeigte, die gegen Hitler gekämpft hatten, alle in weißen Hemden und mit lachenden Gesichtern. Auch Yacov hat sich eingereiht, obwohl er nicht dazugehört. Er kann nicht vergessen, er ist dem wohl schrecklichsten Ort, den Menschen je geschaffen haben, zu nahe gekommen, er musste tausendfach in die Augen der Ermordeten blicken, er musste Hand anlegen und die noch warmen Körper der Toten spüren, die ineinander verklammerten Leiber auseinanderreißen und hinter sich herziehen. Karl Fruchtmann, der den Berichten Yacovs die Form und das Forum des Fernsehens gegeben hat, steht quasi neben ihm und spricht zu den Zuschauern: Seht genau hin! Da ist einfach ein Mensch, der von den unmenschlichen Massenmördern, die sich selbst die Hände nicht schmutzig machen wollten, zum Handlanger der Todesfabrik gezwungen wurde, zum lebenslang Gezeichneten, zum Opfer. Achtet ihn, betrauert ihn! Die starke Präsenz und Wirksamkeit des Erzählers lässt sich nur indirekt erschließen. Was dem Therapeuten versagt blieb, Yacovs Schweigen zu seinen Auschwitz-Erlebnissen zu durchbrechen und ihn zu einer befreienden Rede zu bewegen, gelingt Fruchtmann. Dabei ging er äußerst behutsam vor, wollte jeden Eindruck einer »Entblößung« vermeiden: »Ich habe versucht, über ein lebendiges Gefühl der Verbundenheit und der Nähe so viel wie möglich von diesen Menschen zu erfahren. Aber auch da habe ich mir Grenzen gesetzt. Ich habe da Halt gemacht, wo es möglich gewesen wäre, Jakow

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zu einer noch intimeren, näheren und direkteren Schilderung dessen zu bringen, was er vergraben hat. Ich hätte ihn soweit bringen können, dass er die Herrschaft über sich selbst verloren hätte. Aber ich wollte keinen psychologischen Ausnahmezustand. Niemand kann wissen, wie Jakow danach hätte weiterleben können. Heute weiß ich: Er lebt besser als er vor diesem Film gelebt hat.«28 Das ist eine deutliche Distanz gegenüber den Interviewtechniken Claude Lanzmanns, der selbst als Befrager in seinen Filmen auftrat und an vielen Stellen genau jenen »psychologischen Ausnahmezustand« der Augenzeugen provozierte. 1988 erhielt Ein einfacher Mensch den Adolf-Grimme-Preis mit Gold, die höchste Auszeichnung, die die deutsche Fernsehkultur zu vergeben hat. Es war die längst fällige Anerkennung für einen Regisseur und Autor, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, den Holocaust aus der Perspektive der Opfer zu erzählen. Er wollte mit der Konkretion, der Genauigkeit und der Empathie seiner Geschichten verhindern, dass die Toten nur noch in Ziffern bemessen und in Statistiken erfasst werden. Das blieb seine bestimmende Motivation selbst in seinen beiden letzten Fernsehfilmen, die sich explizit mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzten und die eigentlich einen Perspektivwechsel vollzogen und sich intensiv mit den Tätern befassten. Fruchtmann erweist sich auch hier, in seinem »Spätwerk«, wenn man überhaupt von einem solchen sprechen kann, als aufmerksamer Zeitgenosse, der auf neue Entwicklungen der historischen Forschung über den Holocaust wie auch auf die öffentlichen Debatten unmittelbar reagiert. Nach Abschluss seines Films Ein einfacher Mensch äußerte Karl Fruchtmann in einem Interview die Hoffnung: »Es wäre mir lieb, wenn ich jetzt die Freiheit fühlen könnte, mich nicht mehr in Filmen mit diesem Thema beschäftigen zu müssen«. Er fügt jedoch hinzu: »Ich kann diesem Thema, so lange ich lebe, nicht entrinnen. Dieses ständige Bewußtsein ist unerlässlich, um hellsichtig und hellhörig zu sein für die Gegenwart und die Zukunft.«29 Die Grube (1995) greift ein Massaker an 90 jüdischen Kindern auf, das die Wehrmacht im August 1941 im ukrainischen Ort Belaja Zerkow angerichtet hatte und das bereits 1970 durch Fachpublikationen bekannt war, aber erst durch die Fotodokumente der Wehrmachtsausstellung und durch den Begleitkatalog (1995–1999) von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.30 Im Stil des Dokumentarspiels der 1960er und 1970er Jahre setzt Fruchtmann mit Schauspielern Wehrmachtsdokumente (Berichte, Eingaben, Stellungnahmen), Soldatenbriefe in die Heimat und die Zeugenvernehmungen zu verschiedenen Prozessen aus den Jahren 1963 bis 1968 in Szene, die

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aus Akten der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen stammen.31 Die Gerichtssituation erweitert Fruchtmann auch auf die Wehrmachtsdokumente aus dem Jahr 1941. Die Figuren sprechen frontal zu einem imaginären Richter, der unsichtbar bleibt und aus dem Off Nachfragen stellt. Die Kamera mutiert zu einer Kontrollinstanz, sie registriert die sprechenden Körper, die Mimik und Gesten. Hier spricht zugleich der Regisseur Karl Fruchtmann, der mit seiner Schauspielerführung die verbürgten Dokumente kommentiert und bewertet. Kein einziger der Akteure nennt den bestialischen Kindermord und die groteske Verfehlung des militärischen Auftrags beim Namen. Keiner bekennt sich zu einer Schuld, alle bedienen sich der Entschuldungsgesten, geben einen Befehlsnotstand vor, verdrehen die Tatsachen und verschieben die Verantwortung auf die nächsthöhere Ebene. Fruchtmann spricht in Zwischenüberschriften treffend von der »Kette«, die geschlossen ist, die dicht hält und sich abschottet. Fruchtmann lässt alle in ihren Galauniformen auftreten. Das ist mehr als ein Theatercoup. Die mentale Gefangenschaft im System der Wehrmacht wird sichtbar, der Stolz auf die Uniform, die das Grauen überdecken soll. Auch die evangelischen und katholischen Wehrmachtsgeistlichen treten in Galauniformen auf  – als Zeichen, dass sie ihre eigentliche, ihre christliche Aufgabe vernachlässigen. Nach der Eroberung von Belaja Zerkow durch die Wehrmacht wurden alle jüdischen Bewohner, Männer und Frauen, aus der Stadt herausgetrieben und erschossen. Nur 90 kleine Kinder blieben zurück, tagelang zusammengepfercht in einer leeren Wohnung. Die Kinder wurden nicht gerettet, ihr Tod wurde nur aufgeschoben. Niemand kümmerte sich um ihre Versorgung. Erst als das Geschrei und das Gewimmer der Kinder, die keinerlei Nahrung und Wasser erhielten, die in die jüdischen Häuser eingerückten deutschen Soldaten um ihre Nachtruhe brachten, griffen die Wehrmachtsgeistlichen ein, wandten sich an die militärisch Verantwortlichen, aber nicht um Hilfe zu erbitten. Sie beschwerten sich nur. Sowohl der evangelische als auch der katholische Divisionspfarrer drängten darauf, das Elend der Kinder vor den Augen der Soldaten zu verbergen. Allein dem Schutz ihrer Anbefohlenen galt ihr Handlungsinteresse, nur darauf waren Klage und Empörung ausgerichtet. Ihre Intervention war insofern »erfolgreich«, als die Erschießung der Kinder einer ukrainischen Miliz übertragen wurde, die an der Seite der Wehrmacht kämpfte. Dieses schreckliche Versagen der Geistlichen konfrontiert Fruchtmann mit der Aussage von Riwka Joselowska, einer Überlebenden der Hinrichtung, die von einer Kugel am Kopf getroffen und für tot gehalten wurde. Sie konnte sich aus den Leichenbergen in der Grube befreien und entkommen. Den Akt der Erschießung verfremdet Fruchtmann in fast schon abstrakte Bildzeichen,

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schließt an sein bisheriges Verfahren an, den Holocaust, den Tod nur indirekt und in Andeutungen zu zeigen. Und doch weicht er hier radikal von der Bezeichnungspraxis seiner Vorgängerfilme ab. Die alleingelassenen und vergessenen Kinder, die Opfer bringt er direkt ins Bild. Mit einer langen stummen Sequenz apathisch nebeneinander, übereinander liegender, halbnackter, verdreckter und weinender Kinder (»vom Säuglingsalter bis zu sechs oder sieben Jahren«, heißt es im Drehbuch)32 beginnt der Film. Verschmutzt sind Boden und Wände des engen Zimmers. Immer wieder schneidet Fruchtmann diese Bilder umherkriechender, heulender, verzweifelter Kleinkinder ein. In einigen der Bilder zeichnen sich die Konturen von Militärstiefeln ab. In der Druckfassung des Drehbuchs sind in der Mitte über 20 Einzelshots aus diesem Material reproduziert, als würden sie das Zentrum des Films ausmachen. Aus vielen Gründen ist dieses Vorgehen hochproblematisch. Der Zuschauer ist nicht in der Lage, den Inszenierungscharakter dieser Sequenzen zu erkennen, zumal diese Bilder gleich zu Anfang mit Wochenschaumaterial verknüpft werden. Das Schwarz-Weiß und die extreme Körnigkeit verstärken noch den Authentizitätseffekt, statt ihn zu brechen. Solcher inszenierter Dokumente der Grausamkeit hätte es überhaupt nicht bedurft, die schriftlichen Zeugnisse offenbaren den Schrecken weit nachhaltiger. Außerdem ist hier eine moralische Grenze der Fotografie überschritten. Wenn

Ein einzelner Mord, 1999. David Cesmeci. ­Werkfoto

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schon die erwachsenen Zuschauer nicht zwischen Spiel und Realität unterscheiden können, so gilt das erst recht für die so kleinen Kinder. Sie können nicht so tun, als ob sie leiden, sie leiden wirklich. Der bedachtsame, äußerst ref lektierte Gebrauch von Schreckensbildern, der Fruchtmann in allen seinen Filmen auszeichnet – hier lässt er ihn vermissen. Die eigene Unsicherheit spiegelt sich in dem erst nach dem Druck in das Drehbuch eingeklebten Etikett mit dem etwas verschraubten Satz: »Die Fotos der Kinder im Buch sind Vergrößerungen von Filmaufnahmen aus Szenen, die 1995 im Studio gedreht wurden.«33 Karl Fruchtmanns letzter Film Ein einzelner Mord (1999) wendet sich der Opfergruppe der Sinti und Roma zu, deren systematische Ermordung durch das NS-Regime erst in dieser Zeit aufgearbeitet wurde und ins Be­­ wusstsein der Öffentlichkeit trat. Fruchtmann rekonstruiert aus Gerichtsakten, Briefen und Erinnerungen das Schicksal eines 17-jährigen Sinto, der eigentlich vollständig in die nationalsozialistische Gesellschaft integriert war: Jungvolk, HJ, Arbeit in einer Maschinenfabrik, wie die Mutter berichtet (eindrücklich gespielt von Monica Bleibtreu). Sein Unheil begann, als er zur Zwangssterilisation in ein Krankenhaus gebracht wurde. Ihm gelang die Flucht in die Schweiz, die ihn aber prompt nach Deutschland zurückschickte, wohl wissend, was ihm dort drohte. Auf seiner Flucht vor einer neuen Verhaftung fiel er Ende März 1945, nur wenige Tage vor Kriegsende, in der Nähe von Bad Rippoldsau in die Hände einer Gruppe aus SS-Leuten und Volkssturm. Die SS richtete ihn vorgeblich wegen »Fahnenf lucht und Wehrkraftzersetzung« grausam hin. Er musste sein eigenes Grab schaufeln, er wurde furchtbar misshandelt. Das Todesurteil hatte überhaupt keine Basis. Der 17-Jährige war nicht einmal eingezogen worden, nach seinem Alter wurde er überhaupt nicht gefragt. Fruchtmann zeigt es: Es war ein blanker Mord aus reiner Willkür, Sadismus und Blutrausch. Das Schwurgericht Offenburg urteilte 1959 skandalös milde. Der Haupttäter gab sich christlich geläutert, seine Gefängnisstrafe wurde schon nach zwei Monaten auf Bewährung ausgesetzt. Ein letztes Mal ist zu sehen, was die herausragende Qualität von Karl Fruchtmanns Filmen über den Holocaust ausmacht: Seine Nähe zu den unschuldigen Opfern, sein eindringliches Schauen auf Person und Individualität, sein Mitleiden durch genaue Beobachtung, seine Trauer. In seinen Filmen werden die rechtlos ausgesetzten, verlorenen, ihren Mördern hilflos ausgelieferten und alleingelassenen Opfer zu Hauptfiguren des 20. Jahrhunderts.

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Spiel mit dokumentarischen Formen – Spiel mit dem Tod Jubipenser (1972) ähnelt in vielem dem zwei Jahre vorher entstandenen … plötzlich-! Beide Filme sind hochkomplex in ihren Erzählstrukturen und treiben das Formexperiment weit über die zeitgenössischen Standards hinaus. … plötzlich-! bewegte sich virtuos zwischen den Formen der Parabel und des Essays, Jubipenser spielt mit den Darstellungsprinzipien des Dokumentarischen, unterläuft und unterminiert sie. In diesen beiden Glanzstücken sind gleichermaßen die Theaterbegeisterung und die Theatererfahrung Fruchtmanns zu spüren. Beide geben sich als Kammerspiel zu erkennen, beide sind Zwei-Personen-Stücke. Beide orientieren sich an den radikalen Reduktionstechniken von Samuel Beckett, den Fruchtmann sowohl auf der Bühne als auch für das Fernsehen inszeniert hatte, und am absurden Theater der 1960er Jahre. Nur zwei Figuren, nur zwei Schauspielernamen tauchen im Abspann von Jubipenser auf: »Sie« – Trudik Daniel und »Er« – Zalman Lebiush. Die sicherlich weit über 100 Komparsen, die in jener Betriebsfeier auftreten, die eine anonyme Firma jährlich für ihre Pensionäre ausrichtet, bleiben ungenannt. Dabei prägen die älteren Herrschaften mit ihren Frauen so massiv den Charakter des Films, dass man zunächst der Vermutung zuneigt, Fruchtmann habe den Gast, der ohne seine Ehefrau gekommen ist, den Berufsschauspieler Lebiush, in eine reale Veranstaltung hineingeschmuggelt. Aber alles ist inszeniert, Fruchtmann liefert ein perfektes Simulacrum eines »bunten Abends« mit allem Drum und Dran, mit Gesangsnummern, Bühneneinlagen, mit Maskerade, Tanz und Festrede des Direktors. Dieses Grundmuster der deutschen Unterhaltungskultur haben die Komparsen so verinnerlicht, dass Fruchtmann wohl kaum Anweisungen zu geben brauchte. Alles läuft wie geschmiert. Selbstref lexiv offenbart der Regisseur sein visuelles Grundverfahren. Bei der Anfahrt im Bus und zu Beginn der Jubelfeier ist im Saal eine zweite Schulterkamera zu sehen, die einzelne Gesichter in Großaufnahmen herauspickt. In ganze Bilderserien von im gleichen Rhythmus trinkenden, kauenden, schunkelnden, mitsingenden alten Menschen löst Fruchtmann den »bunten Abend« auf. Das ist eine zweite Referenz auf die »Stuttgarter Schule«, auf die Dokumentarabteilung des Süddeutschen Rundfunks, die mit ähnlichen Mitteln die »Volkskultur« in ihren Reportagen darstellte. Auf einem schmalen Grat zwischen ethnografischer Neugier und denunziatorischer Registratur bewegt sich auch Fruchtmann, wobei in seiner Inszenierung das Experimentelle überwiegt, die Konfrontation zwischen den typisierten Gesichtern der Komparsen und der enormen physiognomischen Beweglichkeit, dem professionellen Aus-

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drucksspiel von Zalman Lebiush, zwischen den dokumentarischen Bildern der Beobachtungskamera und den kunstvoll arrangierten narrativen Bildern. Grotesk ist auch die Spanne zwischen der Feierseligkeit der Pensionäre und dem Tod, der den Film von den ersten Sekunden an und bis in die letzten Bilder hinein beherrscht. Alle Zeichen der Eingangssequenz deuten darauf hin, dass sich »Er«, der namenlose Protagonist, ins Wasser eines schnell vorbeischießenden Flusses stürzt und dann, als sei er in eine andere Sphäre enthoben, in ein anderes Licht gerückt, auf den eigenen Tod blickt, auf den Karnevalshut, den er später auf der Feier tragen wird und der vorbeischwimmt, und auf seinen Personalausweis, der, mit Namen und Porträt nach oben, aus den Wellen auftaucht. Die sich anschließende Kameraperspektive, ein Vertikalshot offenbar von einem hohen Kran aus und mit einer speziellen, die Distanz verschärfenden Optik versehen, scheint den ortlosen, schwebenden, quasi metaphysischen Erinnerungsblick auf das vorher Erlebte zu repräsentieren. Die Welt erscheint als gestauchtes Miniaturbild, in dem sich der Mann als eine kleine Puppe agieren sieht. Er stürzt aus einem Taxi heraus und muss sich am Rande einer Müllhalde übergeben. Wie in einer Spielzeugwelt betritt der Mann einen Friedhof, blickt in ein offenes Grab, wird Zeuge einer Beerdigung. Beim Gang durch die Stadt wird mit kurzen Brennweiten gearbeitet, das Bild ist extrem f lächig, ohne Tiefe. Im Schaufenster eines Bestattungsinstituts steht ein alter Mann neben einem Sarg und lächelt als müder Tod dem Vorbeigehenden auffordernd zu. Ein burlesker Dialog mit den Arbeitern auf dem Friedhof, die ein Grab ausheben, und erst recht der Blick auf einen monströsen, nackten weiblichen Körper in einem Sexshop lösen den metaphysischen Ernst schon ziemlich auf. Als die Kamera dann den massiv irdischen Rücken des Mannes ganz nah erfasst, wird endgültig klar, dass der Blick aus dem Reich der Toten eine Phantasmagorie war, bloß dem Alkoholrausch entsprungen. Der »metaphysischen« Sequenz ist im Übrigen eine doppelte Tonspur unterlegt. Man hört zugleich den O-Ton der Pensionärsfeier und die Lesung biblischer Texte aus dem christlichen Beerdigungsritual. Fruchtmann hat seinen Spaß am ironischen Erzählen mit verwirrend mehrschichtigen Bildern. Jubipenser belegt  – ebenso wie Kaddisch nach einem Lebenden und … plötzlich-!  –, welch großen Wert Karl Fruchtmann der Bildarbeit beigemessen hat. Davon berichtet Günther Wedekind, der damals festangestellter Kameramann bei Radio Bremen war und alle wichtigen Filme von Karl Fruchtmann gedreht hat, eindrücklich in einem Gespräch.34 Wedekinds Berichte bestätigen, mit welcher Prägnanz Fruchtmanns Bildprogramm gerade in Jubipenser realisiert wurde. Auf der einen Seite die extreme Nähe der Kamera an den Körpern, an den Gesich-

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Der Fernseherzähler des Holocaust

Jubipenser, 1972. Trudik Daniel, Zalman Lebiush. Foto: Do Leibgirries

tern, der Gestus des genauen Sehens, der eindringlichen Beobachtung, als würde man mit einer Lupe die Oberf lächen abtasten, und, hart dagegengesetzt, der vertikale 90-Grad-Blick von oben, der auf Distanz, Kontrolle und strategische Erfassung des Raums ausgerichtet ist. Dazu kommt noch, dass Fruchtmann die Blick- und Erzählperspektiven oft bewusst verunklart. Die titelgebende Jubelfeier der Pensionäre wird lediglich als Erinnerung des Mannes visualisiert. Nach Hause zurückgekehrt, wird er von der Frau ungeduldig erwartet und bedrängt, zu erzählen, wie es gewesen sei. Prompt erscheinen satirisch zugespitzte Sequenzen, die wir für eine konventionelle, den Dialog substituierende Rückblende halten. Mehrfach muss aber die Frau in Zwischenschnitten immer dringlicher darauf beharren: »Nun erzähl doch endlich! Mach dein Maul auf!« Die Erinnerungsbilder werden ex post umdefiniert in reine Vorstellungsbilder, in ein inneres Sehen, das der Ehefrau durch hartnäckiges Schweigen verweigert wird. Nur den letzten, den dramatischen Akt der Erinnerung gibt der Mann preis: seine durch den Alkohol bef lügelte Revolte gegen die verlogene Veranstaltung. Der kleine Angestellte steht auf und unterbricht die Festrede des Firmendirektors an

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die treuen Mitarbeiter, rebelliert gegen die Mär vom »harten, aber erfüllten Leben«, vom »geruhsamen Lebensabend«, spricht vom »weggeschwindelten Menschenleben«. Der Störenfried wird ohne Umschweife hinausbefördert, auf einem öden Gelände herumgeschubst und zu Boden gestoßen. Er erlebt seinen sozialen Tod. Der Distanzblick des Vertikalshots ist jetzt ein Zeichen seiner Verlassenheit und Verlorenheit, aber auch der miefigen kleinbürgerlichen Enge. Das Kammerspiel mutiert zur Groteske. Ein Leben lang zurückgehaltene, gegenseitige Verachtung bricht jetzt durch. Fratzenhaft verzerrte Gesichter prallen in einer ultimativen Großaufnahme wie in einem Duell aufeinander. Alle Masken fallen, es geht auf Leben und Tod. Das Wehgeschrei der Ehefrau, die auch ihre Existenz gefährdet sieht, geht rasch in ein Triumphgeheul und einen Freudentanz über. Sie geht zwar als Siegerin aus der Ehehölle hervor, aber auch sie ist eine Geschlagene, versinkt in totaler Erschöpfung in ihrem Sessel. Das Alter fordert seinen Preis. Der Mann schlurft ins Schlafzimmer, legt sich auf das Bett, fasst sich erschrocken ans Herz. Nun ist er doch gekommen, der Tod, still und beinahe unbemerkt. Oder aber auch nicht – und Alltag und Ehekrieg gehen weiter. Der ganze Film ist trotz seiner spielerischen, satirischen und komödiantischen Elemente vom Tod durchdrungen, von der ersten bis zur letzten Einstellung. Erst ist der Tod eingebildet und dahinfantasiert, am Ende, als er dann möglicherweise wirklich eintritt, versteckt er sich in einer minimalisierten Geste. Auf der Betriebsfeier ist er allgegenwärtig, ist in den erschöpften und zerfurchten Gesichtern der Alten zu sehen, in den schadhaften Gebissen und in den müden Augen. Im Totengedenken des Firmendirektors wird er beschworen. Beinahe alle Filme von Karl Fruchtmann sind Todesgeschichten, sind vom Tod durchtränkt. Gesche Gottfried (1978) setzt ein mit dem Gang zum Richtblock, in Zwischenetappen wird ihr durch Betrug und Gewalt gezeichnetes Leben erzählt, am Ende des langen Weges das Todesurteil vollstreckt. Durch den Tod gerahmt sind gleichfalls Ein einzelner Mord und … plötzlich-!. In Tote Briefe (1991) wird der Termin der Hinrichtung des ausgewiesenen Flüchtlings schon in der Eingangsszene angekündigt. In der Verfilmung des Theaterstücks Himmel und Erde (1976) von Gerlind Reinshagen kämpft die Buffetfrau Sonja Wilke mit einer Suada aus selbstillusionierenden Erinnerungen gegen den Krebstod an. Den Augenblick des Todes nimmt sie dann aber hellwach und mit allen Sinnen wahr. Der ganze zweite Teil von Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies (1983) handelt vom qualvollen Sterben des Dichters in der Pariser »Matratzengruft«. Und selbst in dem monumentalen, reich ausgestatteten und an Originalschauplätzen gedrehten, zweiteiligen Doku-

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mentarspiel Der Schatz des Priamos (1981) wird den glänzenden Erfolgen des Geschäftsmanns und Archäologen Heinrich Schliemann sein einsamer Tod in einem elenden Spital in Neapel vorangestellt.

Ein sozialer Erzähler Die Fernsehkritik war entsetzt über den bösen Blick der dokumentarischen Beobachtungskamera in Jubipenser. Elke Wolf von der Stuttgarter Zeitung nannte den Film eine »Horrorschau aus sabbernden, verkniffenen, diskriminierenden Details«.35 Sybille Wirsing sprach im Tagesspiegel von »ungenierter Mund- und Nasenloch-Exaktheit«, von einer »fotografischen Vergewaltigung des Alters um des bloßen Effektes willen«.36 Die Kritik setzte ein einzelnes Gestaltungsmittel zu direkt mit der Haltung des Regisseurs gleich. Sie übersah das Spiel mit den Bildformen, die vielen selbstironischen Brechungen, die feinen Abstufungen der Erinnerungen, die strukturellen Feinheiten. Hier muss man an die damaligen Arbeitsbedingungen der Fernsehkritik erinnern. Es gab noch keine wirklich praktikablen Videorecorder, die Möglichkeit des Überprüfens, der genauen Lektüre entfiel. Die Eindrücke des

Krankensaal 6, 1974. Stefan Wigger, Karl Fruchtmann. Werkfoto. Foto: Bärbel Heiser

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einmaligen Sehens mussten unter Zeitdruck in Worte gefasst werden. So war es unvermeidlich, dass die fein ausgearbeiteten, extrem durchdachten Stücke von Karl Fruchtmann von der Kritik verkannt wurden. Der Autor machte es der Tageskritik nicht leicht. Er lieferte eben keine gradlinigen Geschichten, in denen klar umrissene Aussagen eindeutiger Sympathieträger als Positionen des Autors identifizierbar sind. Was seine Filme dagegen kennzeichnet, ist eine Grundsätzlichkeit der Denkbewegungen, der die Radikalität der ästhetischen Formen entspricht. Karl Fruchtmann ist ein Auf klärer, der den Dingen auf den Grund geht, der die sozialen Prozesse durchleuchtet und die Zuschauer durch das Sichtbarmachen unerträglicher Wirklichkeiten überzeugen und aktivieren will. Er drängt sich nie in den Vordergrund. Bisweilen tritt er dann doch deutlich hervor – als ein Doppelbild seiner Protagonisten. In – trotzdem! (1989) legt er Émile Zola Worte in den Mund, die sein eigenes Schreibprogramm sein könnten: »Ich schreibe die Wahrheit. Ich moralisiere nicht. Ich zeige das Räderwerk der Gesellschaft.« Der einleitende Monolog in Krankensaal 6 (1974)37 eines dort zum »Irren« erklärten Patienten nimmt sich aus wie ein Resümee der Überzeugungen Fruchtmanns. In der literarischen Vorlage beließ Tschechow die Rede von Iwan Dimitritsch Gromow im Vorraum eines unverständlichen Sprechens, das er als »ungeordnet und verworren«, als »ungestüm« bezeichnet. Nur im Sprechgestus teilt sich die bewegende Botschaft mit: »Wenn er redet, erkennt man in ihm den Wahnsinnigen und den Menschen.«38 Diese Leerstelle füllt Fruchtmann mit einem durchaus texttreuen Eingriff zielgerichtet aus und es entsteht ein leidenschaftliches Manifest, das als ein Grundsatzprogramm seiner Filmarbeit verstanden werden kann: »Die im Schnee versteckten Leichen, die warten, warten; keiner sieht sie, doch wenn die Schneeschmelze kommt, sieht man unter den Schlamm und erkennt: Es ist unbedingt notwendig, dass die Gesellschaft sich selbst erkennt. Ihre Selbsterkenntnis ist unumgängliche Voraussetzung für ihre Veränderung. Sie muss sich endlich sehen, wie sie ist. Sie wird aufschreien vor ihrem Bild, in Angst geraten und f liehen, f liehen vor sich selbst und sich verstecken und verkriechen. Die Gesellschaft ist der Mörder.« Die Gesellschaft mit ihrem eigenen Bild zu konfrontieren, das die »Wahrheit« enthüllt, das Lüge und Selbstbetrug überwindet  – das ist Ziel und Anspruch der Filme von Karl Fruchtmann. Der durchdringende, kompromisslos-analytische Blick ist somit als Leitprinzip vorgegeben. Fruchtmann erweist sich in seinen Filmen denn auch als ein Gesellschaftsanalytiker von hohem Rang, als ein sozialer Erzähler. Er schaut der realen gesellschaftlichen Gewalt ins Gesicht, zeigt ihre Abläufe und Mechanismen und forscht nach den Ursachen. Er sucht nach den Wurzeln und geht dabei in der Geschichte

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weit zurück. Der Affe Gottes (1992) ist eine Abrechnung mit der vormodernen, vorrevolutionären Welt, mit dem ancien régime. Zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit ist das Gerichtsdrama in einer deutschen Stadt angesiedelt. Gegen einen Affen wird ein absurder Prozess geführt,39 der in das Schlafzimmer einer Magd (Franziska Walser) eingedrungen und eine Kirche mit seinen Exkrementen »verunreinigt« hatte. Er wird darauf hin der Unzucht und der Gotteslästerung angeklagt. Ein hochoffizieller Prozess wird gegen ihn angestrengt samt polizeilicher Ermittlung, Folter, öffentlicher Gerichtsverhandlung und öffentlicher Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen. Im Schauspiel des Prozesses, der unausweichlich zu einer Farce wird, entblößen sich die Machtinstanzen. Der Ankläger (Ernst Jacobi) tritt als Vertreter der engen Allianz von Kirche und weltlicher Macht auf, die christliche Metaphysik benutzt er in scharfzüngiger Rhetorik als Herrschaftsinstrument. Die als Zeugen gehörten Kleriker machen den angeklagten Affen zum Objekt ihrer Satansfantasien und ihrer unterdrückten Sexualität. Die Vertreter der Wissenschaften fügen sich mit ihrer Expertise widerstandslos in diese Ordnung ein. Der Bürgermeister und Richter wiederholt immer nur einen Satz: »Der Affe muss brennen!« Er will sich und seinen Bürgern das Spektakel der Hinrichtung sichern. Nur einer hätte die Möglichkeit, sich zu widersetzen, der Prokurator, der Verteidiger des Affen (Nicolas Brieger). Als ein Vorläufer der Auf klärung analysiert er mit scharfem Verstand die Differenz von Tier und Mensch. »Der Mensch ist frei« – von dieser Prämisse geht er aus. Nur der Mensch kann sündigen, sich für das Gute oder Böse entscheiden. Nur der Mensch kann wollen, er muss nicht müssen. Das kann das Tier nicht. Diese brillante Verteidigungsrede hält er aber nur im Bett seiner Geliebten, der Magd, die der Affe bloß angeschaut hatte. Ausgerechnet der Verteidiger vollzieht jenen Sexualakt, den das Gericht dem Affen zuschreibt, um ihn auf dem Scheiterhaufen brennen zu sehen. Bis zu solch grotesken Verschlingungen der Handlung treibt Fruchtmann seine Farce. Vor Gericht wagt es der Prokurator nicht, auf Freispruch zu plädieren. Da hilft nur noch ein Märchenschluss. Als der Scheiterhaufen schon angezündet ist, taucht plötzlich – wie in Brechts Dreigroschenoper – aus Qualm und Nebel der Reitende Bote auf und verkündet dem Affen Begnadigung und Freiheit im Namen einer höheren Macht. Die Giftmorde der Gesche Gottfried sind ebenso monströs und maßlos wie die Lügen, Täuschungen, Vertröstungen, die Geschäftemachereien, Betrug und Verrat, denen sie ausgesetzt ist. Gesche beantwortet Gewalt mit Gewalt. Die Täterin ist zugleich ein Opfer der Biedermeiergesellschaft. Der Film kommt der Bitte um Mitleid und Verstehen nach, das ihr der eigene

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Verteidiger verweigert hat. Krankensaal 6 verschärft Tschechows Vorlage zu einer zeitlos gültigen, über das späte 19. Jahrhundert und über die russische Provinz hinausweisenden Erzählung von Exklusion und gewaltsamer Durchsetzung der Normalität.40 Missliebige, Andersdenkende und Außenseiter werden zu »Irren« erklärt und in eine verkommene Baracke eines Krankenhauses abgeschoben, wo man sie nur noch mit Abfällen ernährt und von einem gewalttätigen Wärter, einem ehemaligen Soldaten, bewachen und quälen lässt. Vulgäre Weiber schütten vor den Fenstern der Baracke Fäkalien aus und laden unter Gelächter und Geschrei Tierkadaver dort ab. Der Arzt und Einzelgänger Andrej Jefimytsch Ragin (Helmut Qualtinger) erkennt zwar das empörende und unhaltbare Elend, ist aber zu schwach, um wirkungsvoll dagegen vorzugehen. Allein dadurch, dass er den Krankensaal betritt, sich den Weggesperrten zuwendet und mit ihnen spricht, besiegelt er sein Schicksal. Seine Kollegen erklären ihn zum Geisteskranken. Er wird in die Baracke der »Irren« gelockt, entkleidet, einen weißen Patientenkittel wirft man ihm über, er wird brutal niedergeschlagen und stirbt. Das Paradies auf der anderen Seite (1972) inszeniert Fruchtmann nach einem Buch von Peter J. Hammond als Gegenwartsereignis im Stil der harten, in den 1960er Jahren auf allen europäischen Bühnen erfolgreichen britischen Sozialdramen (Arnold Wesker, John Osborne, Edward Bond). Purdoe, ein junger Mann, ein guter Kerl (Peter Striebeck), gerät ohne jedes Verschulden in eine ausweglose Situation. Ohnehin ist seine Lage prekär. Er hat einen schlecht bezahlten, schmutzigen Job, muss sich um seinen fünfjährigen Sohn kümmern, seine Frau hat ihn verlassen. Er lebt in einem heruntergekommenen Viertel Londons, in einer Straße mit geduckten, eng zusammengepressten Mietshäusern und ihren verlotterten, zugemüllten Hinterhöfen. Ausgerechnet hinter seinem Haus hat sich ein Dieb mit einer vermuteten, aber nicht auffindbaren Beute, auf der Flucht vor der Polizei an einem Zaunpfahl selbst stranguliert. Der schmierige und brutale Polizeikommissar (Alexander May) glaubt nichts anderes, als dass Purdoe das Geld an sich genommen hat. Das ganze Viertel hält ihn für einen Dieb. Er verliert seinen Job und wird gejagt von einer brutalen Gang, die – von Geldgier getrieben  – seine Wohnung verwüstet, ihn überfällt, demütigt und misshandelt. Der Schluss ist märchenhaft: Purdoe findet per Zufall die Beute, die 1.500 Pfund, versteckt im Boden des Kinderwagens, den er durch den ganzen Film und das ganze Viertel geschoben hatte. Im Schlusstableau sehen wir ihn in einer Weiteinstellung die Fähre besteigen, die ihn auf die andere Seite des Flusses, in die besseren Viertel Londons, in ein besseres Leben bringen könnte.

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Auch vor einer Selbstkritik des Judentums scheut Fruchtmann keineswegs zurück. In dem halb elektronischen, halb filmischen Fernsehspiel Der Mann auf meinem Rücken zeigt er wiederum in Form einer Parabel, dass die schreckliche Erfahrung des Holocaust keine Legitimation darstellt, sich als moralisch unantastbare Sphäre zu begreifen. Auch innerhalb der jüdischen Welt vollziehen sich Täter-Opfer-Konstellationen, auch hier gibt es das Phänomen des Bösen, das untrennbar zum menschlichen Leben gehört. Kravetz (Norbert Kappen), der ohnehin an seinem missgebildeten Rücken schwer zu tragen hat, wurde von seinem Vater durch die ganze Kindheit hindurch furchtbar misshandelt. Nun rächt er sich für sein Schicksal an dem völlig unschuldigen Rosen (Rudolf Wessely), den im jüdischen Milieu alle als »Zaddik«, als Frommen und Gerechten, bezeichnen. Er quält ihn auf sadistische Weise, zerstört mit kalter Lust sein Leben und treibt ihn beinahe in den Selbstmord. Das Opfer muss erkennen, dass die ihm übergestülpte Identität ein wirkliches und erfülltes Leben verhindert hat. Die mythologische Figur des »Gerechten« löst Fruchtmann gänzlich im Psychologischen und Sozialen auf. Karl Fruchtmanns Filme führen drastisch und detailgenau vor Augen: Es gibt in den westlich-europäischen Gesellschaften eine lange Geschichte der institutionellen Gewalt, des Terrors von oben, eine Praxis des Tötens, die von den Machthabern organisiert und von bef lissenen Dienern der Macht beschönigt und legitimiert wird. Es gibt eine ebenso lange Geschichte der Stigmatisierung, der Exklusion von Andersdenkenden, von Außenseitern, in »Irrenhäusern« Eingesperrten. Und es gibt die gewöhnliche, die alltägliche Gewalt des Verbrechens aus Habgier, dem die Lust am Quälen und Beherrschen beigemischt ist. In all diesen Gewaltgeschichten ist das Opfer immer der Mittelpunkt. Von dort aus erschließt Fruchtmann die Konfigurationen der Gewalt, die Szenerien der Einkreisung, der Umzingelung der Wehrlosen, der hilf los Ausgelieferten. Auf den Körper der Opfer ist die Gewalt ausgerichtet, da tobt sie sich aus, am Körper des Opfers wird sie sichtbar. Der genaue Blick auf das Opfer macht somit auch die Täter kenntlich in ihrer Unmenschlichkeit. In den historischen wie auch in den gegenwartsbezogenen Sozialdramen Fruchtmanns scheinen Analogien zu den Holocaust-Filmen auf. Gesche Gottfrieds Entkleidung vor ihrer Hinrichtung und das Hineinzwängen des Arztes Ragin in einen Anstaltskittel in Krankensaal 6 entsprechen den Erinnerungen der Überlebenden im Zeugen-Projekt an die demütigende Einkleidung in die verdreckten, ungewaschenen KZ-Häftlingsuniformen, nachdem sie ihrer eigenen zivilen Kleider beraubt wurden. Mit seinen historischen Erzählungen akzentuiert Fruchtmann noch einmal

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die Bedeutung dieses Vorgangs. Es ist ein Sinnbild der äußersten Verfügungsgewalt über einen Menschen, ein Akt der Erniedrigung, die Aberkennung der Individualität und die Auslöschung einer sozialen Identität. Es ist der vorweggenommene Tod. Präzision und Finesse des sozialen Erzählers Karl Fruchtmann lassen sich daran ablesen, wie er mit dem Motiv des Lachens umgeht. Es wird auffällig viel gelacht in seinen Filmen, aber das Lachen hat dort wenig mit dem Komödiantischen zu tun. Das Lachen ist bei Fruchtmann immer eine genau kalkulierte und außerordentlich präzise ausgeführte soziale Geste. In Kaddisch nach einem Lebenden ruft das Lachen bei Peri überhaupt erst die Erinnerung an das Konzentrationslager wieder auf. Das erinnerte Lachen ist auch alles andere als harmlos. Es ist das Einstimmen in das Gelächter der SSMänner, eine Komplizenschaft mit den Tätern, ein Verrat an dem Opfer. Es ist vergleichbar mit dem ordinären Lachen, mit dem die Mägde in Krankensaal 6 die »Irren« verhöhnen. Mit einem hysterischen Gelächter wehrt die Vorsitzende des Petitionsausschusses in Tote Briefe das Begehren ab, die Hinrichtung des ausgewiesenen Flüchtlings Joshua zu verhindern. In Jubipenser lacht der Mann das Auf begehren seiner Frau einfach weg. Émile Zola hat in – trotzdem! eine Entourage junger, hoffnungsvoller Autoren um sich geschart, die ihm schmeichelt, ihm huldigt, bisweilen aber auch in ein Hohngelächter verfällt, wenn einer es wagt, sich über den Meister lustig zu machen. Das kollektive Lachen ist bei Fruchtmann eine scharfe Waffe, es hat stets etwas von einem tätlichen Angriff. Zola pariert die Attacke mit seiner geschliffenen Selbstironie. Heinrich Heine verdrängt in Fruchtmanns Zweiteiler den Schmerz mit einem gequälten, verzweifelten Lachen. Auch für ihn ist die Selbstironie die letzte Karte, die er ausspielen kann im Kampf gegen seinen moribunden Körper.

Rebellen und Propheten Das Gesamtbild von Karl Fruchtmann wäre unvollständig, würde man nicht noch zwei Großprojekte in Augenschein nehmen, die einen Wechsel des Blicks und der Erzählperspektive vornehmen, neue glanzvolle Höhepunkte des Œuvres darstellen und dennoch eng verf lochten sind mit dem Lebensthema – der Ausgrenzung, der Verfolgung und der Ermordung der europäischen Juden. In den umfangreichen »Dokumentarspielen« über Heinrich Heine und Émile Zola sind nicht mehr die Opfer das Zentrum, sondern Einzelfiguren, die den Mut auf bringen, sich den Gewaltmächten mit den

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zivilen Mitteln der Rede und der Schrift zu widersetzen, und die beide aus dem ungleichen Duell als Sieger hervorgehen. Mit ihrem exemplarischen Schrei­ben und Handeln befeuern sie das utopische Denken und nähren den Traum von einer besseren Welt. Mit ihrer brillanten Intellektualität analysieren sie die Missstände ihrer Zeit und blicken ebenso scharfsinnig und unerschrocken voraus. Sie sind Rebellen und Propheten. Unübersehbar sind die Übereinstimmungen mit den Überzeugungen und Hoffnungen des filmischen Erzählers Karl Fruchtmann, der in den Porträts seiner Idole auch über sich selbst spricht. Mit dem Dokumentarspiel, der weit verbreiteten Gebrauchsform im Fernsehprogramm der 1960er und 1970er Jahre, haben Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies und – trotzdem! nichts mehr zu tun. Beide sind betont filmisch, ingeniöse Bildfindungen, ja eine Bildgewalt zeichnen sie aus, wobei Fruchtmann auf den Realismus der Ausstattung und auf exakte Historizität der Kostüme kaum Wert legt. Reenactment in monumentalen Kulissen sucht man bei ihm vergeblich. Er bleibt auch hier im intimen Rahmen des Kammerspiels. Fruchtmann versteht es meisterhaft, die eingeschränkten Möglichkeiten des Fernsehens und die schmalen Budgets eines kleinen Senders in Qualität umschlagen zu lassen. Die Nähe ist auch hier das Grundprinzip. Sie gewährleistet die Intensität des Physiognomischen und der Gesten, die genaue psychologische Zeichnung der Figuren und das ausdifferenzierte Sprechen. Fruchtmann beschränkt sich weitgehend auf Interieurs, vermeidet Außenszenen, nutzt die engen Räume aber virtuos mit immer wieder überraschenden Blickpunkten der Kamera. Er schafft allegorische und symbolische Bilder von suggestiver Aussagekraft. Ein fantastisches Beispiel für diese außerordentlichen bildhaften Qualitäten ist der Anfang des ersten Teils von Heinrich Heine – Die Zweite Vertreibung aus dem Paradies. Was für ein fulminanter Einstieg in die Welt Heinrich Heines: Der ununterbrochene, atemlose Lauf einer Gruppe von Männern jeden Alters, mit einem ganz alten Mann in der Mitte, der ein Gebetstuch auf dem Kopf trägt und damit als Rabbiner gekennzeichnet ist, in einer öden wüstenhaften Szenerie unter sengender Sonne. Die Männer sind bis auf einen Lendenschurz nackt, barfuß, schweißüberströmt, verdreckt durch den Staub, den der hinter ihnen her trabende, mit einer Lanze bewaffnete, berittene Landsknecht emporwirbelt. Nur die trommelnden Schritte der Läufer und die Huftritte des Pferdes sind zu hören. Die Szenerie erhält etwas Irreales, Schwebendes und Traumhaftes. Die Kamera ist ganz nah bei den Körpern, erfasst frontal die Bewegung. Keiner der Männer blickt auf den Reiter zurück, keiner blickt zur Seite. Die Blicke sind nicht einmal nach

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Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies, 1983. Einstellungsskizzen von Karl Fruchtmann für die Szene »Taufe«

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vorne, sondern ausschließlich nach innen gerichtet, in den Körper, in die steigende Qual, auf das Überleben. Schnitte werden vermieden, sodass der Lauf endlos erscheint. Als der alte Mann nicht mehr weiter kann und zusammenbricht, fangen die jungen Männer ihn auf, tragen ihn. Erst gegen Ende der Sequenz kommt eine Stimme hinzu, die mit der Formel »Wissen Sie …« auch den Zuschauer anspricht und das Schauspiel erklärt: Bis in die Neuzeit, über zwei Jahrhunderte hinweg, war es in Rom ein fester Brauch, am letzten Tag des Karnevals, quasi als letzter ausgiebiger Spaß vor den Entbehrungen der Fastenzeit, Juden zu hetzen und der Jagdlust zu frönen. Die Stimme fügt hinzu: »Meine Vorfahren gehörten zu den Gejagten.« Der Ich-Erzähler, den wir erst später als Heinrich Heine identifizieren, könnte auch der Erzähler und Bildersteller Karl Fruchtmann sein  – eines jener Doppelbilder, von denen schon die Rede war. In einer langen Parallelfahrt, gegen die Laufrichtung der gehetzten Juden, aber mit der gleichen Nähe und Intensität, tastet die Kamera die Galerie der Zuschauer ab. Da ist die Gesellschaft der Mächtigen versammelt, zuvorderst der Papst, der König von Rom, maliziös lächelnd, im Prunkgewand und mit Bischofshut. Ihm folgen die prachtvoll gekleideten Bürger, Männer und Frauen, die die nackten Juden verlachen und sich mit Wein und frischen Früchten laben. Am Ende des zweiten Teils, in Heines Todeskampf und Fieberträumen, taucht dieses Symbolbild der Jagd und der Flucht, der langen Verfolgungs- und Verhöhnungsgeschichte wieder auf. Der alte Rabbiner hat jetzt die Physiognomie des sterbenden Heine (Wolfgang Hinze) angenommen. Den Todessturz fangen die jüdischen Brüder respektvoll auf. Im Prolog des ersten Teils hatte Fruchtmann, einer Briefäußerung Heines folgend, eine zeitgenössische deutsche Variante einer solchen Menschenjagd angeschlossen. In Göttingen war zu Heines Zeiten der Ulk verbreitet, einem gedungenen, davonlaufenden Opfer hinterher zu reiten und es mit Bier zu übergießen. Fruchtmann deutet in beiden Teilen eine Chronologie der Lebensereignisse Heines zwar an, aber weit wichtiger ist ihm eine systematische und essayistische Annäherung, ein Herausarbeiten zentraler Aspekte von Leben und Werk. So entwickelt er, vor allem im ersten Teil, ein collageartiges Verfahren, ein lockeres Textgewebe unterschiedlichster Darstellungsmodi und Inszenierungsweisen, das der Formenvielfalt der Heine-Texte in idealer Weise entspricht. Sogar die literaturwissenschaftlichen Heine-Spezialisten zollen ihm höchste Anerkennung.41 Fruchtmann zeichnet Heine als Prototyp der Moderne, eines freien, selbstbestimmten Autors, der sich von allen Traditionen lossagt, sein Geburtsdatum manipuliert, um als einer der »ersten Männer des 19. Jahrhunderts« zu erscheinen, sich einen neuen Namen gibt

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und sich ganz am Ende das eine, nicht erblindete Auge selbst schließt. Im Exil in Paris findet er Anschluss an einen neuen Glauben, an den SaintSimonismus, der eine ganz irdische Metaphysik des Geistes und des Körpers verkündet. Sogar die jüdische Identität, zu der Heine sich in der Fremde ausdrücklich bekennt und damit seine christliche Konversion widerruft, ist die Entscheidung eines souveränen, eines sozialen Subjekts. Im Dialog mit Lassalle wiederholt er seinen »Treueid gegenüber dem Judentum«, sein Bekenntnis zu den Diskriminierten, Verfolgten, Gejagten und Gemarterten. Damit auf das engste verbunden ist der Treueid sich selbst gegenüber, gegenüber seiner eigenen Subjektivität. Das selbstref lexive Moment hebt Fruchtmann als Signum der Moderne stark hervor, gleich zu Beginn, unmittelbar nach dem suggestiven Symbolbild der Verfolgung, durch den großartigen Einfall, Heine vor einen Spiegel zu setzen und ihn in den Spiegel hinein monologisieren zu lassen. Heines Schrei­ben ist bildmächtig definiert als permanente Selbstbespiegelung und Selbstbeobachtung, daraus erwächst die Stärke seines Ichs, das selbstbewusste Sprechen in der ersten Person. Im ersten Teil war der Körper, der Leib und insbesondere der weibliche Körper als Medium der sinnlichen Erfüllung ausgiebig gefeiert worden. Eine Reihe ungewöhnlich kadrierter Einstellungen gibt diesem Körperüberschwang bildhaften Ausdruck mit Mikroaufnahmen der Hautoberf lächen, der pulsierenden Adern, dem Glanz des weiblichen Körpers, wie er gleichzeitig in der französischen Malerei (Eugène Delacroix, Gustave Courbet) entfaltet wird. Im zweiten Teil wird der Körperdiskurs in grausamer Weise verkehrt, radikalisiert zum langen Siechtum Heines in der »Matratzengruft«, in schreckliche Bilder des sich auf lösenden, mit eiternden Geschwüren bedeckten Körpers gefasst. Karl Fruchtmann zeigt Heines Leiden deutlich in Anlehnung an die christliche Bildtradition. Der exponierte, der nahegerückte geschundene Körper des Gekreuzigten in vielen dreidimensionalen Darstellungen der christlichen Sakralkunst, die vielen »Großaufnahmen« des leidenden, sterbenden Christus in der Malerei finden bei Fruchtmann eine säkularisierende Fortsetzung. Schmerz und Leid gehören untrennbar zur conditio humana. »Der Mensch ist kein Gott«, gesteht Heine auf dem Sterbebett ein. Die Gottgleichheit des Menschen, die er selbst verkündet hatte, findet ihre Grenze in der Sterblichkeit, in Krankheit und Verfall. Die Ärzte, die heilen sollen, verschlimmern nur noch das Leiden. Medizin sei die »Fortführung der Krankheit mit anderen Mitteln«, bemerkt Heine zu seinem Arzt. Vorher war drastisch zu sehen, dass die Heilversuche einer mittelalterlichen Tortur gleichkommen. Geschwüre wurden ausgebrannt, heiße Stäbe in den Körper eingesetzt, ohne jede Betäubung.

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Aber Heine, so zeigt es uns Fruchtmann, bleibt sich auch noch auf dem Sterbebett treu. So wie er an seinen politischen Überzeugungen festhält, von seiner jüdischen Identität nicht abrückt, so gibt er auch seinen Lebensanspruch, seine Liebessehnsucht nicht auf. Seine letzte Liebesbegegnung stellt Fruchtmann als Begegnung der Hände dar. Die blassen, welken und kraftlosen Hände des Sterbenden und die jungen, zarten Hände von Mouche (Sabine Sinjen) überkreuzen, verschlingen sich in schier endlosen sanften Bewegungen. Der letzte Liebesakt als Spiel, als Rankenwerk der Hände – ein wunderbarer Einfall, ein Glanzpunkt in Fruchtmanns Bildgrammatik der Nähe und der Körperlichkeit. »Schrei­ben, Schrei­ben, Schrei­ben« sind die letzten Worte von Heinrich Heine. Schreibzwang und Schreiblust bestimmen noch den letzten Seufzer. Er reimt noch auf dem Totenbett: »Thanatos kommt auf seinem hohen Ross«. Seine Angstträume bannt er mit seinen letzten Gedichten. - trotzdem! ist das letzte »Dokumentarspiel« von Karl Fruchtmann. Noch einmal führt er vor, wie sehr er das längst aus der Mode gekommene Genre transformiert und dem eigenen Erzählen anverwandelt hat. – trotzdem! ist kein trockenes Thesenstück und auch kein Dokudrama mit einer linearen, ordnungsstiftenden Dramaturgie. Dichte, Emotionalität und Dramatik entstehen durch die sorgfältig durchgearbeiteten und durchgestalteten Einzelszenen, Partikel und Fragmente, mit denen er auch hier arbeitet. Noch einmal ist der für Fruchtmann charakteristische Kammerton zu vernehmen, kommt das Prinzip der Nähe zu seinen Protagonisten zur Geltung, der Nahblick auf die Figuren und das Geschehen. Fruchtmann konzentriert sich ganz auf einen Vorgang nur vier Jahre vor dem Tod von Émile Zola (Ernst Jacobi), auf sein Eingreifen in den Spionageprozess, der 1898 gegen den jüdischen Offizier Dreyfus geführt wurde und erst dadurch sich zur »DreyfusAffäre« ausweitete. Die Vorgeschichte und der genaue Verlauf des Prozesses interessieren Fruchtmann dabei überhaupt nicht. Er blickt nur auf Zola, auf den Schriftsteller und Intellektuellen, der sich entschließt, zu handeln, Unrecht, das einem Unschuldigen widerfährt, öffentlich anzuprangern und die wahren Schuldigen anzuklagen. Ein Einzelner nimmt sich heraus, frontal anzugehen gegen eine geschlossene Front der Mächtigen, gegen Justiz, Armee, Regierung und Kirche – und dies nur mit den Mitteln der leidenschaftlichen Rede und der Schrift. Fruchtmann malt den Augenblick genau aus, in dem Zola sich entscheidet, für die Wahrheit zu kämpfen. In einer Gewitternacht schiebt er alle Ängste und quälenden Gedanken des Alters beiseite, alles sei schon gesagt, setzt sich im Nachthemd an den Schreibtisch und beginnt mit seinem offenen Brief »J’accuse«, seiner Anklageschrift ge­­

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gen die Gewalt der antisemitischen Vorurteile und gegen ihre Vollstrecker. Von diesem Moment an kämpft er furchtlos gegen die Lüge, behauptet sich vor Gericht, das ihn dennoch verurteilt, seinen endgültigen öffentlichen Triumph indes nicht verhindern kann. Fruchtmann charakterisiert Zola als einen hellsichtigen Propheten kommender Schrecken, der ein Jahrhundert der »Judenschlachterei« voraussagt. Heinrich Heine, einer der ersten Autoren der Moderne, der den Lesern seine Träume offenbarte, lässt Fruchtmann konsequenterweise in schrecklichen Alpträumen in ein 20. Jahrhundert der Henker, der großen Kriege und der Massenmorde blicken. Fruchtmann vermeidet in seinen Porträts jeden hagiografischen Zug. Die problematischen Seiten der von ihm verehrten Dichter lässt er nicht aus. Er widmet sich eindringlich den Ehefrauen, der Mathilde (Donata Höffer) von Heinrich Heine und der Alexandrine (Doris Schade) von Émile Zola, die beide die Schmach der Zurückweisung und des Liebesverrats ertragen mussten. Auch hier ist der Erzähler Karl Fruchtmann ganz nah bei den Opfern. Karl Fruchtmanns einzigartiges Werk wurzelt in der Erfahrung des Holocaust. Aus dem eigenen Erleben der rassistischen Gewalt und des Terrors leitete er eine ethisch-moralische Verpf lichtung ab, durch seine Filme die Erinnerung an die Opfer wach zu halten, den Überlebenden eine Stimme zu

– trotzdem!, 1989. Ernst Jacobi

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Der Fernseherzähler des Holocaust

geben und der Verleugnung und Verdrängung der Verbrechen entschieden zu widersprechen. Diese fundamentale Verantwortlichkeit, gegen Gewalt und Unrecht anzukämpfen, erweiterte er in die Gegenwart hinein. Karl Fruchtmann hat in seinem umfangreichen Werk eine lebendige, fantasievolle und selbstref lexive Ästhetik der Résistance ausformuliert. Seine genauen und bildmächtigen Filme blieben jedoch auf das Medium Fernsehen beschränkt, sodass sie von der Filmkritik ignoriert wurden. Eine Wiederentdeckung dieses wunderbaren Erzählers ist dringend geboten. In einer bereits absehbaren Zeit, in der es keine Augenzeugen des Holocaust mehr geben wird, könnten Karl Fruchtmanns vielschichtige, von Empathie tief durchdrungene Erinnerungsfilme eine neue Bedeutung erhalten.

1 Im November und Dezember 1962 wurde Ein Todesfall wird vorbereitet als dreiteiliges Hörspiel unter der Regie von Walter Netzsch im Bayerischen Rundfunk und am 9. Juli 1963 als einteilige Fassung im Süddeutschen Rundfunk gesendet.  — 2 Diese Debatte wird mit repräsentativen Texten gut dokumentiert bei: Irmela Schneider (Hg.): Dramaturgie des Fernsehspiels. Die Diskussion um das Fernsehspiel 1952–1979. München: Fink 1980. — 3 Gerhard Eckert: Die Kunst des Fernsehens. Emsdetten: Lechte 1953, S. 39. — 4 Ebd., S. 40. — 5 Heinz Schwitzke: Das Wort und die Bilder. In: Schneider (Hg.): Dramaturgie des Fernsehspiels, a. a. O., S.  107. — 6 Ebd., S. 124. — 7 Pressemappe zu Die Grube (1991). Akademie der Künste, Berlin, Karl-Fruchtmann-Archiv (im Folgenden KFA), Nr. 291. — 8 François Truffaut: Wovon träumen die Kritiker?. In: Ders.: Die Filme meines Lebens. München: dtv 1979, S. 29.  — 9 Alexandre Astruc: Naissance d’une nouvelle avant-garde: La Caméra-Stylo. In: L’écran Français, Nr. 144, 30.3.1948. Zit. nach der deutschen Übersetzung in: Theodor Kotulla (Hg.): Der Film. Manifeste Gespräche Dokumente Bd. 2: 1945 bis heute. München: Piper 1964, S. 114. — 10 Ganz ähnlich operiert Ludwig Harig in seinem 1969 entstandenen Hörspiel Ein Blumenstück. Die Blumenseligkeit der traditionellen Lyrik und der prachtvolle Blumengarten, den der blumenbegeisterte Kommandant Rudolf Höss in Auschwitz anlegen lässt, werden dort als Mittel der Vertuschung und Verleugnung des millionenfachen Mordes entlarvt. — 11 Vgl. zum Überfall der SA auf das Kauf haus der Familie Fruchtmann am 1. April 1933 in Meuselwitz und zu den Folgen die Chronik in diesem Band. — 12 Primo Levi: Ist das ein Mensch? [1947]. München: dtv 2010. — 13 Thomas Koebner: Vorstellungen von einem Schreckensort. Konzentrationslager in Fernsehfilmen von Egon Monk und Karl Fruchtmann. In: Ders.: Vor dem Bildschirm. Studien, Kritiken und Glossen zum Fernsehen. St. Augustin: Gardez! 2000, S. 83. — 14 Wolfgang Sofsky: Die Ordnung des Terrors. Die Konzentrationslager. Frankfurt am Main: Fischer 1997, S. 251 f. — 15 Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. München: dtv 1970, S. 54. — 16 Koebner: Vorstellungen von einem Schreckensort, a. a. O., S.  88.  — 17  Karl Fruchtmann: Antisemitismus. Typoskript. KFA,

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Karl Prümm Nr. 1223. — 18 Karl Fruchtmann: Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk. Köln: Kiepenheuer &  Witsch 1982, S. 25.  — 19 Ebd.  — 20 Ebd., S. 12.  — 21 Ebd., S. 17. — 22 Ebd., S. 14. — 23 Ebd., S. 16. — 24 Ebd., S. 15. — 25 Ebd., S. 18 f. — 26 Z. B. in: Waltraut Wara Wende (Hg.): Geschichte im Film. Mediale Inszenierungen des Holocaust und kulturelles Gedächtnis. Stuttgart / Weimar: Metzler 2002; Sven Kramer (Hg.): Die Shoah im Bild. München: edition text + kritik 2003.  — 27 Die Schreibweise des Namens orientiert sich im Folgenden am Abspann des Films Ein einfacher Mensch. Folgende alternative Schreibweisen sind ebenfalls nachweisbar: Yakov / Jakob / Jakow / Jakov / Jaacov / Jacob Silberberg / Zilberberg / Silbermann.  — 28 Jens-Uwe Scheff ler: »Ein einfacher Mensch«: Interview mit Karl Fruchtmann. Typoskript. S. 4. Privatarchiv von Günther Wedekind. — 29 Ebd., S. 3. — 30 Vgl. die genauen Erläuterungen von Wolfram Wette: Der Kindermord von Bjelaja Zerkow im August 1941. In: Karl Fruchtmann: Die Grube. Drehbuch zu einem Film (im Folgenden Die Grube). Bremen: Donat 1998, S. 98–107. — 31 So Karl Fruchtmann in einem Exposé zu seinem Film. In: Ders.: Die Grube, a. a. O., S.  11. — 32 Ebd., S. 15. — 33 Ebd., S. 7. — 34 Zwei ausführliche Telefongespräche mit dem Verfasser am 9. und 11.10.2018. Ich bin Günther Wedekind für seine große Auskunftsbereitschaft außerordentlich dankbar. Der Kameramann war in allen Filmen Fruchtmanns in den Entstehungsprozess intensiv eingebunden. Schon bei den Buchideen, den ersten Entwürfen und den einzelnen szenischen Ausarbeitungen habe der Autor ihn eingeweiht, so Wedekind, und erste Überlegungen für ein Bildkonzept mit ihm erörtert. Das habe sich bis zum fertigen Drehbuch fortgesetzt. Sogar beim Casting habe er seinen Kameramann um Rat gefragt: »Könntest Du Dir die oder den in den Bildern, in der Atmosphäre unserer Geschichte vorstellen?« Ohnehin sei Fruchtmann ein ausgeprägter Teamworker gewesen, dem es stets meisterhaft gelungen sei, einen Teamgeist zu erzeugen, jeden Beteiligten habe er in individueller Weise angesprochen und in den Film involviert. Es sei viel geprobt worden – vor allem mit den Darstellern –, jede Einstellung sei extrem bis in die Details hinein vorgeklärt gewesen. Nach jedem Take sei die erste Frage an ihn, den ersten Zuschauer des fertigen Bildes, gerichtet gewesen: Wie war es? Kommen alle unsere gewünschten Wirkungen im Bild zur Geltung oder müssen wir korrigieren? So ist es, angesichts dieser konsequent dialogisch angelegten Kooperation, auch nicht verwunderlich, dass sich zwischen Karl Fruchtmann und seinem bevorzugten Kameramann Günther Wedekind eine tiefe Freundschaft entwickelt hatte. Fruchtmann stellte hohe Anforderungen, die bei dem begrenzten technischen Potenzial des kleinen Senders nicht immer leicht zu erfüllen waren  – so Wedekind. Oft musste improvisiert werden. Die extremen Vertikalshots in Jubipenser wurden von einer Feuerwehrleiter aus gedreht. An geschmeidige Bewegungseffekte eines Krans war also gar nicht zu denken.  — 35 Elke Wolf: Vom Holzhammer erschlagen. Jubipenser von Karl Fruchtmann. In: Stuttgarter Zeitung, 9.2.1972.  — 36 Sybille Wirsing: Rohes Mitgefühl. In: Der Tagesspiegel, 9.2.1972. — 37 1985 inszeniert Karl Fruchtmann für das Thalia Theater in Hamburg eine selbstverfasste Bühnenversion seines Films – so wichtig sind ihm Stoff und Vorlage, die 1892 erschienene Erzählung Krankenzimmer Nr. 6 von Anton Tschechow. — 38 Anton Tschechow: Krankenzimmer Nr. 6. In: Ders.: Meistererzählungen. Berlin: Rütten &  Loening 1979,

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Der Fernseherzähler des Holocaust S.  271 f.  — 39 Fruchtmann schließt hier an die Prozesse gegen Tiere an, die in Europa noch bis ins 19. Jahrhundert hinein geführt wurden, in den USA sogar noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. — 40 Fruchtmanns Tschechow-Adaption muss vor dem Hintergrund der damaligen Diskussionen um Schizophrenie und Gesellschaft gesehen werden, die Michel Foucault mit seiner Diskursgeschichte des Wahnsinns seit den 1960er Jahren ausgelöst hatte (Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft; erstmals erschienen 1961). Gleichzeitig gab es eine breite öffentliche Debatte über den Status psychiatrischer »Anstalten«.  — 41 Vgl. Thomas Koebner: An einen Zurückgekehrten. Karl Fruchtmann. In: Ders.: Wie in einem Spiegel. Schriften zum Film. Dritte Folge. Sankt Augustin: Gardez! 2003, S. 228.

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Karl Fruchtmann

Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass Karl Fruchtmann hatte bereits Mitte der 1950er Jahre, noch während seiner Tätigkeit als Manager für die israelische Fluggesellschaft El Al in London, begonnen, Kurzgeschichten und Erzählungen zu verfassen. Aus dieser Zeit datieren auch seine ersten Versuche zur künstlerischen Verarbeitung des Holocaust. Nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik im Jahr 1958 entstanden dann erste Drehbuchentwürfe und Hörspielmanuskripte zu diesem Thema, darunter die beiden im Folgenden abgedruckten Texte Das Kind1 und Der Mann, der für mich starb 2. Ihr Entstehungsdatum lässt sich nicht genau bestimmen, ist aber auf den Zeitraum von 1958 bis 1960 einzugrenzen. Den Entwurf für einen Fernsehfilm Das Kind hatte Karl Fruchtmann am 3. Februar 1959 gemeinsam mit seiner Bewerbung für ein Volontariat beim Intendanten des WDR Hanns Hartmann zur Begutachtung eingereicht. Obwohl der NWRV-Chefredakteur Klaus Mahlo in einer senderinternen Beurteilung Karl Fruchtmann durchaus eine optische Begabung und schriftstellerisches Talent bescheinigte, lehnte er den Text mit dem Hinweis auf fehlende Fernsehwirksamkeit ab, da er sich »wie bei allen menschlich tief ergreifenden Themen – immer auf der Grenze zwischen Sentimentalität und Pathos« bewege.3 Kurz darauf reichte Karl Fruchtmann den Text mit zwei weiteren Arbeiten beim Television Centre der British Broadcasting Corporation (BBC) ein, eine Annahme erfolgte allerdings auch dort nicht.4 Das Hörspielmanuskript Der Mann, der für mich starb hatte Karl Fruchtmann ebenfalls verschiedenen Rundfunksendern zur Produktion angeboten, so dem NDR, dem SDR und dem WDR. Alle drei Sender erteilten ihm im Verlauf des Sommers und Herbstes 1960 jedoch Absagen, überwiegend mit der Begründung, dass der Text künstlerisch unzulänglich sei. Doch scheinen im Fall des WDR auch thematische Erwägungen zur Ablehnung beigetragen zu haben, da  – so die Begründung dafür in einem senderinternen Schriftwechsel  – ein Stück, »das nur leicht über dem Durchschnitt« liege, keinen »erneuten Beitrag zum Thema der Schuld aus unserer Vergangenheit« liefern könne.5 Beide Texte stehen als Beispiel dafür, dass Karl Fruchtmann bereits zu Beginn seiner künstlerischen Lauf bahn bestrebt war, Beiträge zur medialen Erinnerungskultur beizusteuern. Aus unterschiedlichen Gründen gelang es ihm vorerst jedoch nicht, diese Themen bei deutschen Sendeanstalten unter-

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass

zubringen, weshalb er sich zunächst auf die Realisierung anspruchsvoller Theateradaptionen verlegte. Erst gegen Ende der 1960er Jahre war es ihm möglich, derartige Stoffe zu verfilmen. Trotz des frühen Entstehungszeitraums finden sich in beiden hier vorgestellten Arbeiten bereits wesentliche Stilkomponenten der späteren Bildästhetik und Erzählform Karl Fruchtmanns angelegt. Dramaturgische Elemente wie der wiederkehrende Einsatz von Träumen und inneren Monologen zur Einbindung ref lektierender Gedanken finden sich ebenso wie die Verwendung von Rückblenden. Auch die Akzentuierung der Handlung durch leitmotivisch eingesetzte Bilder und Metaphern verweist bereits auf kommende Arbeiten wie Kaddisch nach einem Lebenden, … plötzlich-! oder Heinrich Heine. Auffallend ist in beiden Texten zudem die starke Fokussierung auf die Bildebene, selbst in einem nicht optischen Medium wie dem Hörspiel. Die ersten literarischen Arbeiten Karl Fruchtmanns entstanden zunächst ausschließlich in englischer Sprache. Erst später begann er parallel dazu, auch auf Deutsch zu schreiben, bevor er seine Texte ab 1962 gänzlich in deutscher Sprache verfasste. Von den hier abgedruckten Texten existieren im KarlFruchtmann-Archiv deshalb mehrere, inhaltlich jeweils identische Fassungen in beiden Sprachen. Der Textabdruck orientiert sich in Form und Erscheinungsbild an den maschinenschriftlich verfassten Vorlagen Karl Fruchtmanns. Stilistische und sprachliche Eigenheiten wurden beibehalten, ebenso wurde die damals gültige Rechtschreibung belassen. Offensichtliche Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert.

1 Das Kind. Entwurf für einen Fernsehfilm. Akademie der Künste, Berlin, KarlFruchtmann-Archiv (im Folgenden KFA), Nr. 1057. — 2 Der Mann, der für mich starb. Hörspiel. KFA, Nr. 1062. — 3 Schrei­ben von Klaus Mahlo, NWRV Chefredaktion, an Hanns Hartmann, WDR Intendanz, 12.2.1959. WDR Unternehmensarchiv, Sign. 4231. — 4 Schrei­ben des Television Centre der British Broadcasting Corporation (BBC) an Karl Fruchtmann, 23.3.1959. KFA, Nr. 631. — 5 Schrei­ben von Traute Wach, WDR Abteilung Hör- und Fernsehspiel, an Dr. Wenk, 1.8.1960. KFA, Nr. 1062.

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Karl Fruchtmann

Das Kind. Titelblatt des Typoskripts von Karl Fruchtmann, um 1958–60

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass

DAS KIND EIN ENTWURF FÜR EINEN FERNSEHFILM

DER FILM SOLL IN STRENGER ZURÜCKHALTUNG UND MIT SPARSAM­ STEN MITTELN IM TOD EINES KINDES BEI DEN JUDENMASSAKERN WÄHREND DES KRIEGES AN DIE GEMORDETEN OPFER ERINNERN!

Die credittitles laufen gegen die Landschaft ab, die spä­ ter als Lichtung im Walde Ort der Handlung wird. Musik ver­ arbeitet das jiddische Volkslied: "Drum sogt nischt keinmol as ihr geht den letzten Weg, und ein jiddisches Kinderlied."

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Karl Fruchtmann 1. Das Kind:

Eine Photographie der nackten Opfer eines Judenmassakers erscheint als stark vergrö­ ßertes, grobkörniges Bild, das nur einer sehr aktiv sehenden Phantasie erkennbar wird, sonst aber ein abstraktes Muster bleibt. Die Kamera rückt näher, bis sie nur den Körper und endlich den Kopf des Kindes hält, der grobkörnig aus der Photographie vergrößert ist. Mit dem näherrückenden, klarer werdenden Kopf des Kindes kommt ein jiddisches Kinderlied näher und wird klarer.

2. DAS KIND STELLT SICH VOR: Das Kind spricht mit zwei Stimmen, der realen Stimme des Kindes (1), und der transponierten, gedachten Stimme (2). DAS KIND (2):

WIE HEISST DU, KIND? R E S E L E. UND WIE NOCH? K A N T O R O W I T Z. WIE ALT BIST DU, KIND? SECHSEINHALB, ICH WERDE SIEBEN. Das Kind sitzt am Rande eines Teiches und sieht ins Wasser. Hinter ihm führen rechts Grashügel zum Horizont, links Felder zu dem Haus am Horizont. Ton und Bild eines Steines, der vom Kind ins Wasser geworfen, spritzend Kreise formt. Wenn das Wasser still wird, spiegeln sich das Kind und die Landschaft im Teich. Die Kamera rückt näher bis der gespiegelte Kopf des Kindes in Großaufnahme den Platz der früheren Photographie einnimmt.

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass DAS KIND:

siehe oben. Das Kind wirft noch einen Stein. Der Stein fällt in die Mitte der Spiegelung. Die Kamera folgt dem aufspritzenden Wasser, bis sie das Kind ganz, mit Hügeln, Wiese, Feld und Himmel erfaßt. Mit dem Ton des Steines und der Sicht des Kindes in der Landschaft werden die Geräusche der Landschaft in gesteigertem Realismus hörbar: Der Wind im Gras, das Wasser, dann das Kind, das (Stimme 1) ein Stück des Kinderliedes singt.

DAS KIND (1):

ICH HEISSE R E S E L E. UND NOCH KANTORO­ WITZ. ICH BIN SECHS, ICH WERDE SIEBEN!

DAS KIND (2):

SO VIELE FRAGEN FRAGEN DIE GROSSEN. WIE HEISST DU? WAS MACHST DU? WARUM HAST DU DAS GETAN? WER BIST DU? WER BIST DU? ICH BIN EIN KIND. ICH LIEGE AM TEICH, ICH SPIELE UND ICH DENKE. WENN ICH DIE HÄNDE SO AN DEN KOPF LEGE UND IN DIE WOLKEN SEHE, KANN ICH SEHEN WAS ICH WILL. Die Kamera sieht das Profil des Kindes, die Hand an den Augen und die Wolken sehend und die langsam ziehenden Wolken. Das Folgende ist in unaufdringlicher Dop­ pelbelichtung in den Wolken gesehen. Die Kamera bewegt sich in der Stimmung des Kindes zu den Dingen, die das Kind zeigt: Langsam und zögernd, erwartungsvoll, über­ stürzt usw.

DAS KIND (2):

DAS IST UNSER HAUS WO WIR WOHNEN. Die Kamera bewegt sich langsam zum Haus, zur niedrigen Tür und dem zwielichtigen Inneren des Hauses.

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Karl Fruchtmann DAS KIND (2):

DA IST DER OFEN UND DIE OFENBANK, DA SCHLAFE ICH. UND DA SCHLÄFT DIE MUTTER, UND DER VATER DORT. UND DAS IST MEIN KLEI­ NER BRUDER. ER SCHLÄFT IMMER ODER ER ISST ODER ER SCHREIT. HIER IST MEINE MUTTER. Die Kamera nähert sich im Halbdunkel lang­ sam der Mutter, deren Gesicht wie alle Gesichter der Großen nicht sichtbar oder deutlich wird, und sieht die Hände der Mutter, die, einen Topf im Schoß, Kartof­ feln schält. Das Kind erscheint im Bild.

DAS KIND (1):

MUTTER, MUTTER, ICH HABE HUNGER! MUTTER, WAS GIBT ES ZU ESSEN? SCHON WIEDER?

DAS KIND:

AIII ... ICH WEISS, ICH MUSS GOTT DANKEN, DASS WIR DAS HABEN. Das Kind dreht sich um und geht aus dem Bild.

DAS KIND (2):

UND DA IST MEIN VATER! DA KOMMT ER MIT SEI­ NEM PFERD UND WAGEN NACH HAUSE. Die Kamera geht ungestüm hoch zum Horizont rechts, wo Pferd und Wagen sich zum Haus bewegen. Die Kamera läuft näher, bis sie den Vater erreicht. Das Gesicht des Vaters bleibt unkenntlich. Das Kind rennt auf den Vater zu und umarmt seine Beine in Fuhrmannstiefeln. Die Hand des Vaters streichelt das Haar des Kindes.

DAS KIND (1):

VATER, VATER, WAS HAST DU MIR MITGEBRACHT? Der Vater hebt das Kind hoch und küßt es. Dann gehen sie, ihre Rücken zur Kamera, zum Haus.

DAS KIND (2):

UND DORT WOHNT M U C H A, MEINE KUH. Kamera und Kind laufen froh zum Stall neben dem Haus und zur Kuh.

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass DAS KIND (1):

MUCHA, MEINE MUCHA. Das Kind legt seinen Kopf an die Flanken der Kuh.

DAS KIND (2):

MUCHA MUCHA STEHT MUCHA

UND ICH HABEN UNS LIEB. ICH KOMME ZU UND ERZÄHLE IHR ALLES. MUCHA VER­ JEDES WORT! JEDEN ABEND BIN ICH BEI UND ICH ERZÄHLE IHR DEN GANZEN TAG.

3. DAS KIND ERZÄHLT EINEN TAG. DAS KIND (2):

Das Kind erzählt in der transponierten Stimme die Szenen, die die Kamera, mit dem Kind agierend, sieht. MANCHMAL, WENN ICH AUFSTEHE, IST ES NOCH DUNKEL ... EIN BISSCHEN GRAUES LICHT KOMMT DURCH DAS FENSTER. ICH WILL NICHT VOM OFEN WEG, ABER ICH MUSS AUFSTEHEN. MUTTER IST SCHON AUF. Die Mutter mit dem Rücken zur Kamera hantiert am Ofen. VATER SCHLÄFT NOCH. SCHNELL STEHE ICH AUF, ZIEHE MICH AN UND WASCHE MICH. ICH SAGE MUCHA GUTEN TAG. DANN HELFE ICH DER MUTTER: FEUER MACHEN ... DIE HÜHNER FÜTTERN ... DIE KUH MELKEN ... VATER IST SCHON AUFGESTANDEN UND ANGE­ ZOGEN ... ER HAT DAS PFERD EINGESPANNT. DIE MUTTER FÄHRT HEUTE MIT ZUM MARKT, UND VERKAUFT BUTTER UND MILCH UND EIER ... SIE SIND FORTGEFAHREN, UND ICH BIN MIT DEM KLEINEN ALLEIN.

DAS KIND (1):

ER SCHREIT SCHON WIEDER ... SH!!! SH ... Das Kind wiegt den Kleinen und singt (1) ein jiddisches Kinderlied.

DAS KIND (2):

ER SCHLÄFT SCHON – JETZT MUSS ICH ARBEITEN! SAUBER MACHEN UND ESSEN AUFSETZEN UND WÄSCHE WASCHEN AM TEICH ...

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Karl Fruchtmann UND DAS KIND FÜTTERN ... DER TAG VERGEHT SO SCHNELL ... ES WIRD SCHON DUNKEL ... VON DER TÜR AUS KANN ICH WEIT SEHEN ... DIE WOLKEN SIND DICK UND SCHWER UND HÄNGEN TIEF HERUNTER. DIE SONNE GEHT SCHON SCHLAFEN HINTERM DORF UND DIE STRASSE IST WEISS UND LEER! DA KOM­ MEN DER VATER UND DIE MUTTER BALD NACH HAUSE ... ICH KANN SIE SEHEN ... Läuft zum Horizont Vater und Mutter ent­ gegen. DAS KIND (1):

VATER ...

4. DIE MÖRDER KOMMEN. DIE MÖRDER KOMMEN INS DORF. SIE TREIBEN DIE JUDEN ZUSAMMEN UND MARSCHIEREN SIE DURCH’S DORF. DURCH DIE WIESE UND DEN WALD ZUM ORT DES MASSAKERS. DAS KIND (2) ERZÄHLT: ES WAR NOCH EIN TAG. DIE SONNE HAT MICH GEWECKT DURCH’S FENSTER. ICH BIN AUFGESTAN­ DEN, LEISE ... VOR DEM HAUSE DAS GRAS GLÄNZTE UND DAS FELD DAMPFTE WIE MUCHAS ATEM. VOM TEICH KAMEN NEBEL HER UND MIR WAR KALT. DA GAB ES EINEN KNALL IM DORF. LAUT! UND EINEN LÄRM, DER KLANG WIE EINE TROMMEL ... DAS KIND (1):

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imitiert eine Trommel. TRUM ... TRUM ... TRUM ... Der Ton geht in realistisches Trommeln über. Die Kamera sieht die Dorfstraße mit mar­ schierenden Stiefeln, geht die Stiefel ab, vor zu tänzelnden Pferdefüßen und zurück. Das Kommando HALT ist der einzige Laut in der lautlosen Folge. Die Gruppe hält, teilt sich in Zweiergruppen und verstreut sich im Dorf.

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass Die Kamera folgt einer Gruppe und zeigt das Zusammentreiben in einem Dutzend laut­ loser Bilder. Die Bilder zeigen in monoto­ ner Folge zwei der Uniformierten vor den Türen, dann vor aufgestoßener Tür und das Bild rahmend die bewegungslosen Juden. Eine Mutter, die zwei Kinder an sich preßt. Eine Familie aufgestellt in der Mitte des Zimmers wie für eine Gruppenaufnahme. Einen alten Juden betend am Fenster. Ein Kind in einen Winkel gedrückt. Eine Greisin, die sich auf der Ofenbank liegend, aufrichtet ... usw. 5. DER MARSCH IN DEN WALD. DAS KIND (2):

DANN WUSSTE ICH, WAS DAS GERÄUSCH WAR ... Die Kamera zeigt die Beine des Kindes, des Vaters und der Mutter, vor den Stiefeln der Mörder ins Dorf laufend.

DAS KIND (2):

SIE KAMEN AUCH ZU UNS UND TRIEBEN UNS INS DORF. Der Marsch zeigt außer dem Kinde und der Landschaft nur Füße und Unterkörper. Die Kamera geht von Zeit zu Zeit von den nackten, belumpten, verschiedenen Beinen der Opfer im Herdendurcheinander zu den blanken, sauberen Stiefeln im Marschtritt der Mörder.

AUF DER DORFSTRASSE: Die Kamera sieht die Füße auf der Dorf­ straße, gegen das Weiß der Häuser, über und um spiegelnde Pfützen, usw. Sie sieht in Großaufnahmen: feste, schwarze Arbeitsstiefel, die sich langsam aber sicher und ruhig setzen eine Pfütze umgehen wollen

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Karl Fruchtmann und dann hineintreten, alte zerrissene Filzschuhe, greisenhaft und vorsichtig tänzelnd. Fußlappen, die sich betrunken schleppend vorwärtsfallen, Kinderfüße und Beine, die hüpfen im Kinderrhythmus. Ein Hundekopf am Bein, von der Kinderhand gestreichelt und fortgeschoben. Männerfüße und Beine neben Frauenfüßen und dazwischen getragen die in der Luft hängen­ den Füße einer Alten, Judenfüße und Mörder­ stiefel, die rennend zum Trupp stoßen. Eine Puppe, teilweise beim Blick auf Kin­ derfüße gesehen, die herunterfällt und am Boden geschleift wird ... usw. Im Wechsel von Großaufnahmen und Gesamtaufnahmen des Haufens der stolpernden, scharrenden, hüp­ fenden Füße im Durcheinander wird im ge­ ­ steigerten Rhythmus der Marsch gestaltet. DAS KIND (2):

WIR LIEFEN DURCH DIE DORFSTRASSE, UNSERE STRASSE. ALLE WAREN DABEI UND LIEFEN MIT ... DER RABBI ... schöne, glänzende Lederschuhe DER FLEISCHER ... feste Stiefel, UND UNSERE NACHBARN TRUGEN IHRE KRANKE MUTTER ... UND DA WAR MEINE FREUNDIN, MIT DER ICH AM LIEBSTEN SPIELTE. DER NARR AUCH, DER MESCHUGGENE ... hüpfende Fußlappen. UND DER LAHME ... zwei Krücken mit schlep­ penden Füßen. ALLE, ALLE, DAS GANZE DORF. UND WIR SIND GELAUFEN, GELAUFEN, ZUM DORF HINAUS ÜBER DIE GROSSE WIESE ... Die Wiese. Das Gras ist hart und schillernd im tauenden Frost.

DAS KIND (2):

DAS GRAS WAR NASS VOM TAU. ES KITZELTE DIE BEINE.

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass WIR GINGEN NICHT SCHNELL GENUG UND SOLLTEN SCHNELLER GEHEN! NOCH SCHNELLER ... Die Kamera zeigt in tiefenscharfer Auf­ nahme alle Füße, die schneller und schnel­ ler vorwärts schleppen und stolpern. DAS KIND (2):

NOCH SCHNELLER. Füße fallen noch schneller, straucheln und werden hoch- und vorwärtsgerissen.

DAS KIND (2):

DA WAR DER WALD, UNSER WALD. DER WALD HAT UNSERE SCHRITTE VERSCHLUCKT. ES WAR STILL WIE DIE NACHT UND DUNKEL. ES WAR SCHWER, SCHNELL ZU LAUFEN IM WALD, ÜBER WURZELN UND ÄSTE, IMMER SCHWERER. DER VATER NAHM MEINE HAND. ES WAR KALT, ABER SEINE HAND WAR NASS. ICH STOLPERTE UND WÄRE GEFALLEN, ABER DER VATER ZOG AN MEINER HAND UND ZOG MICH HOCH. IMMER NOCH SCHNELLER! DA DACHTE ICH, ICH KANN NICHT MEHR, ES STACH MIR IN DEN SEITEN.

DAS KIND (1):

ICH KANN NICHT MEHR.

DAS KIND (2):

DER VATER NAHM MICH HOCH UND TRUG MICH IN DEN ARMEN! ... ICH KONNTE SEIN GESICHT SEHEN, ES SAH SO STRENG AUS. ALS HÄTTE ICH ETWAS SCHLECHTES GETAN. ABER ER TRUG MICH HOCH UND DRÜCKTE MICH AN SICH! ICH KONNTE DIE BAUMGIPFEL SEHEN. DIE BEUG­ TEN SICH UND WIEGTEN SICH, WENN EIN WIND WAR, WIE DER VATER BEIM BETEN! MANCHMAL SAH ICH DIE SONNE UND DIE WOLKEN JAGTEN DÜNN UND ZERRISSEN WIE RAUCH DA­ ­ RÜBER. DIE SONNE WAR BLASS WIE EIN KRANKES GESICHT! WIR GINGEN WEITER UND WEITER. DER VATER LIESS MICH LOS UND ICH LIEF WIEDER NEBEN IHM HER ... JETZT WAR SEINE HAND GANZ HEISS ...

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Karl Fruchtmann ER DRÜCKTE MEINE FINGER, DASS ES WEH TAT. DA WAR DER WALD ZU ENDE. SIE SCHRIEN: H A L T UND WIR HIELTEN. ICH WAR FROH. ICH BRAUCHTE NICHT MEHR ZU LAUFEN. 6. DAS ENDE. DAS KIND (2):

ICH SEHE MICH UM. WIR SIND IN DER LICHTUNG, HINTER UNS WALD UND VOR UNS FÄNGT DER WALD WIEDER AN, ES IST SO STILL ... ICH KANN UNS ALLE ATMEN HÖREN. DA SEHE ICH EINEN GROSSEN TIEFEN GRABEN ... ICH SEHE DEN WALD UND DIE KRANKE SONNE UND DEN SCHNELLEN WOLKENRAUCH UND AUF EINMAL HABE ICH ANGST ...

DAS KIND (1):

VATER ... VATER ICH HABE ANGST ... VATER, WARUM SIND WIR HIER? VATER, WAS MACHEN SIE MIT UNS? VATER, DER GRABEN! ...

DAS KIND (2):

MEIN VATER SCHWEIGT UND SIEHT MICH NICHT AN ... ICH LAUFE ZUR MUTTER UND FRAGE SIE.

DAS KIND (1):

MUTTER, MUTTER, ICH WILL NACH HAUSE! MUTTER, ICH WILL WEG!

DAS KIND (2):

DIE MUTTER SCHWEIGT UND DRÜCKT MICH FEST AN SICH UND WILL MEINEN KOPF VERSTECKEN. SIE WILL MEINE FRAGEN NICHT HÖREN UND DRÜCKT MEIN GESICHT AN IHREN ROCK, DASS ICH STILL BIN. ICH MACHE MICH LOS UND SEHE NACH OBEN UND DIE MUTTER WEINT. SIE IST STILL UND SIEHT MICH NICHT AN UND DIE TRÄNEN LAUFEN ÜBER’S GESICHT ... NIEMAND WILL MIR ANTWORTEN. NICHT DIE MUT­ TER UND DER VATER NICHT.

DAS KIND (1):

VATER, VATER, WAS MACHEN SIE MIT UNS? ICH SOLL MICH AUSZIEHEN! ICH WILL NICHT! MIR IST KALT! Eine alte Stimme beginnt im Gebetston die jüdische Totenklage zu sprechen. Eine zweite, tiefe Männerstimme fällt

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass ein, bis viele sprechen, durcheinander und doch gemeinsam: JISKADAL WEJISKADASCH SCHMEI RABO. Das Kind (2):

Über dem Beten: WAS SAGEN SIE? WAS IST DAS? ICH WEISS SCHON, ICH WEISS, WAS SIE SAGEN ... DAS TOTENGEBET! ... WIR MÜSSEN!!!

DAS KIND (1):

SCHREIT. Mit dem Schrei wird die Kamera hochgeris­ sen und sieht die aufgeworfene Erde der Grabenwand, den grauen Himmel, die schnellziehenden Wolken und die baumelnden Stiefel des am Grabenrande sitzenden Mör­ ders, die Maschinenpistole und seine her­ abhängende linke Hand, die eine Zigarette hält. Das Bild wird lange in völligem Schweigen gehalten, bis das Kind wieder

DAS KIND (1):

SCHREIT. Sofort und wie Echo folgend knallt ein Schuß. Die Kamera sieht in Großaufnahme das Gesicht des Kindes, das getroffen ist. Die Kamera hält das Gesicht des Kindes erst aufrecht, dann fallend, dann horizontal. Mehr Schüsse, gedämpfter jetzt, folgen und werden zum kurzen Trommelfeuer. Die Kamera geht vom Gesicht des Kindes weg, langsam nach oben, an den Stiefeln hoch, der Maschinenpistole, und dem Körper zum Gesicht, das unsicher bleibt. Bevor die Kamera suchend das Gesicht erreicht, dreht es sich weg in den Schat­ ten und bleibt unerkannt. Die Kamera geht weiter zu den Baum­ gipfeln, den schnellziehenden Wolken am Himmel. Langsam und widerstrebend dann nach unten zurück, widerwillig, bis sie endlich in unscharfer nicht gefocuster Aufnahme die Körper erfaßt. (So unscharf, daß nur aktive Phantasie sie als Körper sehen kann).

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Karl Fruchtmann Bis der Körper und dann der Kopf des Kin­ des den Raum ausfüllt. Dann wird die Auf­ nahme scharf. Die Kamera ruht. Über das leise gesungene Kinderlied ... DAS KIND (2):

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WIE HEISST DU? R E S E L E. WIE NOCH? KANTOROWITZ. WIE ALT BIST DU? SECHSEINHALB, ICH WERDE SIEBEN.

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass

DER MANN, DER FUER MICH STARB.

Ein Hoerspiel.

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Karl Fruchtmann Musik als Fiebereindruck. Verzerrt, laut und leise, schnell und langsam.

FRAU: Du hast Fieber, Ernst. ER: Fieber? Wieviel? FRAU: 39,4 ... Stoert Dich das Radio? Soll ich es abstellen? ER: Nein ... Ja, stell es ab. Wann kommt der Arzt? FRAU: Er muss bald kommen. Lieg still, ich bin gleich wieder da.

Musik wie oben, die ­ loetzlich aufhoert. p Stille. Innere Stimme:

Herztongeraeusche, leise, lauter werdend.

Herzschlag geht ueber in gedaempften Trommelschlag wird zur rhythmisch ­arbeitenden Maschine. Unregelmaessiges Atmen

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ER: Stille ... Das ist wie klares Wasser, das ins Zimmer fliesst. Macht das Fieber die Stille so laut? Ploetzlich ist Stille mehr als Laerm, der schweigt, ploetzlich weitet sie sich wie eine Glocke ueber dem Bett. Laute Stille ... Das zuckt und pulsiert ... Ist das mein Herz? Wie laut es klopft ... wie dumpfes Trommeln wie der Kolbenstoss einer Maschine. Und das ist mein Atem. Wie ein ungeduldig anfahrender Zug ...

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass Herzklopfen und Atem werden zum Geraeusch eines fahrenden Zuges. Von draussen ein Schiffshorn. Schiffshorn

Kinderstimme Innere Stimme und Kinderstimme

Mein Bett faehrt, wie ein Zug ...

Wie ein Schiff ... Das kommt vom Hafen ... Ein Schiff treibt auf dem Wasser, meine Fuesse sind der Bug, mein Kopf ist der Heck ... Als Kind hab ich mir vorge­ stellt, mein Bett ist ein Schiff, und die Nacht fliesst schwarz vorbei. Als Kind, ich ... Wie glatt sich das sagt, wie das vom Munde laeuft. Was heisst das, als Kind hab ich mir vorgestellt ... als Kind hab ich mir vorge­ stellt ... als Kind hab ich mir vorge­ stellt ... Ich, ich als Kind ... Was ist denn das? Ein Masken­ ball? Ein Verkleidungskuenstler, oder eine Puppe, der man neue Kleider anzieht? Das ist so wie das Bilderbuch von Hans. In drei Teilen: der oberste Teil mit einem Kopf, ein Leib in der Mitte, und Beine im unteren Teil. Wenn man die Teile umblaettert entstehen immer neue Figuren. Ich als Kind ... Ich als Kind im Matrosenanzug, und ich als Junge im ersten dunklen Anzug mit

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Karl Fruchtmann langen Hosen ... Ich im gestreiften Drill des Konzent­ rationslager Haeftlings mit dem gelben Fleck, und ich im Smoking zur Hochzeit ... Komisch. (er lacht leise) Hans lacht, wenn er in dem Bilderbuch blaettert. Alle die Ichs, alle die Bilder verwahrt im verworrenen Knaeu­ ­ el der Erinnerung. So viele ­ Bilder sind versteckt darin. Herztoene.

Herztoene gehn in ­ ndeutliche Glocken­ u schlaege ueber.

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Wieder mein Herz. Warum hoer ich es nur, wenn ich krank bin? Wer hat denn Zeit, seinen Herzschlag zu hoeren. Ich ... mein Herzschlag und mein Atem, mein Koerper, der sich dehnt und streckt, bis meine Fuesse weit weg sind wie im Nebel ... Mein Kopf, der waechst und waechst, wie eine Seifenblase am Halm. Die wird groesser, groesser, loest sich und steigt auf ... Und in mir ist ein Heer an der Arbeit im Dunkeln. Es zuckt und schlaegt und pulst, das anonyme Heer, damit ich atme und gehe und denke.

Wie spaet ist es? Die Uhr liegt auf dem Nacht­ tisch. Ich kann meiner Hand befehlen, sie zum Auge zu bringen. Ich kann meinem Arm befehlen, hochzugehn, hoch, nach rechts, herunter, die Uhr aufnehmen ...Wozu? Es ist spaet. Es muss Nacht sein.

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass Das Haus ist still, und die Strasse schlaeft. Das Licht brennt ... Mir ist heiss, das ist das Fieber ... wieviel Fieber? 39 ... 39 ... ich bin neunund­ dreissig Jahre alt. Geboren neunzehnhundert ... neunzehn­ hundert ... Neunzehnhundert­ neununddreissig bin ich einge­ liefert worden ... Eingeliefert, was ist denn das? Das ist ein Wort wie alle ande­ ren Worte ... wie ... Warenhaus ... Kranken­ haus ... Hausarrest ... Wie Schutzhaft und Schutzhaftgefan­ gener ... Schutzhaftgefangener Gottschalk, Nummer 88280 bittet gehorsamst ... Eingeliefert ... Wird man in ein Krankenhaus eingeliefert oder ueberstellt? Wo bleibt Inge, warum ist sie jetzt nicht bei mir? Als Kind, wenn ich krank war, sass die Mutter bei mir am Bett. Ihre Augen suchen mit Sorge in meinem Gesicht, ihre Hand liegt auf meiner Stirn, ob ich Fieber hab ... MUTTER: Hast Du Fieber, mein Junge? ER: 39 ... 39 Fieber. MUTTER: Lieg still, Junge, bis zur Hochzeit ist es wieder gut. ER: Wie alt war sie, wie man sie ... wie sie gestorben ist? 39 ... Wie alt warst Du Mutter? 47, 47 ... Bis zur Hochzeit ist es wieder gut ... Meine Mutter war ein guter Mensch.

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Karl Fruchtmann Bin ich eigentlich ein guter Mensch? Warum nicht, ich tu doch niemand etwas, ich tu nieman­ den leid ... ich tu niemand ein Leid ... Wo bleibt Inge, ich muss Inge fragen, ob ich ein guter Mann bin ... Natuerlich bin ich ein guter Mensch. Ich stehle nicht ... Doch, als Kind hab ich gestohlen ... eine Uhr hab ich gestohlen. Keine echte, eine Spieluhr beim Kaufmann ... Ich musste sie zurueckbringen und sagen; ich habe die Uhr gestohlen. Aber das war damals, nicht jetzt, nicht ich ... Was kann ich dafuer, wenn ein Kind eine Spieluhr stiehlt, eine Uhr, die zur Not zehn Pfennig kostet ... Not kennt kein Gebot ... Du solllst nicht stehlen, Du sollst nicht ehebrechen, Du sollst keine Goetter haben neben mir ... Seine reale Stimme, lauter, kraeftiger, bestimmter als die innere Stimme Du sollst nicht toeten! Innere Stimme Du sollst nicht toeten? Ich habe niemand getoetet. Ich kann doch keiner Fliege weh tun. Wenn Hans einen Klaps verdient, dann muss Inge das tun. Ich kann ihn nicht schlagen. Ich würde nie einen Menschen aufgeregter werdend toeten, nie, auch wenn es um mein eigenes Leben

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass ging. Nein, ich nicht, ich habe zuviel gesehn an Toeten und an Morden ... MUTTER: Lieg still, lieg still ... ER: Das sind dumme Gedanken, das sind Fiebergedanken. Das ist ja alles vergessen, das muss vergessen sein. Mir ist kalt ... Ist die Tuer auf? Warum ist die Tuer auf? Man kann die Tuer nicht auflas­ sen fuer alles, alles das kommt. Das draengt sich herein ... herein ohne anzuklopfen ... und setzt sich ans Bett ... Ich bin krank. Wo ist Inge. Inge, Inge! Reale Stimme, ruft Von draussen, dann naeher FRAU: Ja, ich komme. Ich hab nochmal angerufen, er ist schon unterwegs. Er muss jede Minute kommen. Hast Du Schmerzen? ER: Nicht schlimm. Komm setz Reale Stimme Dich ans Bett und bleib hier. Mir geht so viel durch den Kopf. FRAU: Was denn? Willst Du mir erzaehlen? Lieber nicht, das strengt Dich an. ER: Erzaehlen ... R. St. ER: Erzaehlen, wie kann ich I. St. erzaehlen, was vergessen ist. Wie kann ich sagen, was ver­ schwiegen ist. Nichts. Da ist nichts als Stille ... ER: Nikos ... Nikos Razadakis, Reale Stimme der Grieche ... FRAU: Was? Was hast Du gesagt? Ich hab Dich nicht verstanden.

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Karl Fruchtmann R. St. Klingeln von der Haustuer.

ER: Nichts, ich hab doch nichts gesagt. FRAU: Das ist der Doktor.

Sie geht. Tuer oeffnen, schliessen, Schritte, Reden, das unverstaendlich bleibt, auch wenn es naeher kommt. Doktor: typische Arzt­ stimme: selbstsicher, vertraueneinfloessend, autoritaer. R. St.

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DOKTOR: Na, was machen wir denn fuer Dummheiten, was? ER: Ich weiss nicht, Herr Doktor. Uebelkeit, Fieber, ein bisschen Schmerzen, so um den Magen herum ... Nichts beson­ deres. DOKTOR: Nichts besonderes? Woher wissen Sie denn das? Sind Sie der Arzt? Na also. Mal sehn, ob Ihre Diagnose stimmt, ‘Herr Kollege.‘ Da studiert man nun jahrelang und macht Examen, und dann sagt einem der Patient, was ihm fehlt. Na, da wolln wir mal sehn. Bitte machen Sie sich frei, so ... Atmen, tief atmen ... nochmal ... so. Koennen wir uns mal aufsetzen? Richten Sie sich auf. So, danke. Nochmal tief atmen ... ja, so. Zeigen Sie mal die Zunge ... hm. So, jetzt legen wir uns wieder hin ... Also wo tut‘s denn weh? Hier? Da? Tut‘s da weh? Spuern Sie das, ja? Aha. (Zur Frau) Hat er erbrochen, Frau Gottschalk? FRAU: Nein, Herr Doktor.

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass

Schritte beider, die abge­ hen. Ihre Stimmen, unver­ staendlich, werden leiser. Innere Stimme

Transponierte Stimme des Doktors

DOKTOR: Haben Sie schon mal mit dem Blinddarm zu tun gehabt, Herr Gottschalk? ER: Nicht dass ich wuesste. DOKTOR: Seit wann haben wir denn Fieber? ER: Fieber, ich weiss nicht, Herr Doktor, seit ... FRAU: Er fuehlt sich seit ein paar Tagen nicht gut, aber Fieber hat er erst seit heute. Wie ich Ihnen gesagt habe ... DOKTOR: Allerdings ... hm ... Wann haben Sie die Schmerzen denn zuerst gespuert, wann war das? ER: Vor ein paar Tagen, Herr Doktor. DOKTOR: So ... Sie haben doch Telephon im Haus, nicht? FRAU: Ja, Herr Doktor. DOKTOR: Darf ich eben mal? FRAU: Natuerlich, Herr Doktor. Ich geh mit Ihnen.

ER: Blinddarm, telephonie­ ren ... Er ruft das Kranken­ haus an. Ich muss operiert werden. Was hat er fuer ein Gesicht gezogen nach der Untersuchung? Hat er gelae­ chelt oder die Stirn gerun­ zelt? Ich hab ihn angesehn, so wie ich als Junge das Urteil im Gesicht des Arztes gesucht hab. Wird er mich freisprechen? Eine Woche schulfrei, keine Klassenarbeit frei von aller Schuld ...

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Karl Fruchtmann in seiner Phantasie

Innere Stimme

Stimme des Doktors und der Frau, die naeher kommen.

Seine Imitation geht in wirkliche Sirene ueber, die hoerbar wird. R. St.

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DOKTOR: Ich hab ihn unter­ sucht, ich hab ihn abgehoert. Ich habe dem Versteckten und dem Verschwiegenen gelauscht. Die verraeterische Wahrheit habe ich an seinem Koerper abgelauscht. Es ist alles so, wie es sein sollte ... ER: Ist es gefaehrlich? Nein, das kann ich nicht fragen, da muesste ich mich doch schae­ men. Aber ... kann man dabei sterben? Ich will nicht ster­ ben. Natuerlich, wer will denn ... Ich will leben ... ich bin noch nicht so weit ... ich bin noch nicht fertig! DOKTOR: So, Herr Gottschalk, das ist erledigt. Jetzt fahrn wir ins Krankenhaus. Frau Gottschalk, machen Sie den Herrn Kranken reisefertig: Pyjama, Zahnbuerste und so weiter. Ich habe die Ambulanz bestellt. Macht Ihnen doch bestimmt Spass, mal mit der Ambulanz zu fahren? Wolln wir doch alle als Kinder, was? Tatue tata ... Tatue tata ... Da kommt der Wagen. ER: Verzeihung, Herr Doktor, was ist eigentlich ... was fehlt mir eigentlich? DOKTOR: Das wolln Sie auch noch wissen? Na schoen. Also, soweit sich das jetzt fest­ stellen laesst haben wir eine akute Blinddarmentzuendung. Mit Sicherheit

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass

Sirene laut. Wagen haelt vor der Tuer

Blende. Das Folgende ueber dem Geraeusch des fahrenden Autos und der Sirene. R. St.

laesst sich das nicht sagen, bis wir Sie nicht aufmachen und reinsehn. So, da waern wir. Sind wir reisefertig? ER:     Jawohl, Herr Doktor. FRAU:

FRAU: Liegst Du bequem? Sprich nicht, Ernst, streng Dich nicht an. ER: Gut, Inge, gleich, zu Befehl. Ich muss mich jetzt daran gewoehnen, Befehle auszufuehren. Weisst Du, ein Kranker wird wieder ein Kind. Er ist wehrlos und schutzlos der Macht ausgeliefert, die straft und die belohnt ... Wenn er brav ist und tut, was man ihm befiehlt, kann er sie vielleicht guenstig stimmen ... Weisst Du worueber ich als Kind manchmal geweint habe, vor Wut geweint? FRAU: Sch ... ER: Ich muss Dir das schnell erzaehlen. Nicht darueber, weisst Du, dass die Grossen die strafenden Richter waren, wenn ich was angestellt hatte. Nein, ueber mich selbst, ich war mein schlimmster Feind. Die Stimme in mir, die war Anklaeger, die war nicht still zu kriegen, die verlangte nach Strafe und hat nicht geruht, bis ich mich ausgeliefert hatte aus meiner Festung von Ausrede. Und ...

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Karl Fruchtmann

R. St. I. St. Eine Kommandostimme, schreiend, wie von weit her

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FRAU: Sch ... Ernst. ER: Nur noch die Geschichte, Inge, dann bin ich ruhig. Weisst Du, ich hab als Kind gestohlen. Ja. Hab ich Dir das mal erzaehlt? Also, eine Uhr, keine richtige, eine Spiel­ uhr ... Die lag auf dem Laden­ tisch beim Kaufmann, richtig mit Zeigern und Zifferblatt. Ich wollte sie haben, die Uhr wollte zu mir, ich musste sie einfach haben ... Und dann, zu Hause, hab ich sie angetan, statt sie zu ver­ stecken und bin so lange damit herumstolziert, bis mein Vater mich gefragt hat: Ernst, Ernst, woher hast Du die Uhr? Da hab ich gesagt, stell Dir vor, ich hab gesagt, die Uhr, die Uhr hab ich benommen. Benommen hab ich gesagt. Ich wollte bekommen sagen, nicht genommen. Benom­ men ... Da war der Verraeter, die Stimme. Beim Stehlen war sie still, aber dann hat sie mich nicht in Ruh gelassen, bis ich gestanden hatte und meine Strafe weg hatte. FRAU: (lacht) Siehst Du, das war die Stimme Deines Gewis­ sens. So und jetzt sei still, lieg still. ER: Schoen. ER: Zu Befehl, ich bin still.

KOMMANDOSTIMME: Still ... Still gestann ... Nimm die Knochen zusammen ... ER: Warum denke ich heute so oft

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass daran? Monate, Jahre vergehn ohne ein Wort, ohne eine Erinnerung ... Das muss doch so sein. Das Vergangene ist tot und weit weg. Man kann nicht sein Leben lang so eine Last mit sich schleppen. Man braucht seine Kraft fuer andere Dinge ... Ich hab den Kopf voll, ich hab andere Sorgen. Man hat doch Pflichten ... Die Toten muessen sich selber begraben, die leben muessen sich selber leben ... Jeder fuer sich und Gott fuer uns alle. Sirene laut. Doktors Stimme, in seiner Vorstellung, moduliert

DOKTOR: Tatue tata ... Tatue tata ... Macht Ihnen doch Spass mal mit der Ambulanz zu fahren, was? ER: Na ja, Spass, Herr Dok­ tor ... Inge sieht so ernst aus, sie macht sich Sorgen um mich. Ihr Profil gegen die Milch­ glasscheibe des Wagens und zwinkerndes Hell und Dunkel, Licht und Schatten, die draus­ sen vorbeifliegen ... Wo hab ich das schon gesehen, wo war das? Schon wieder, ich will doch gar nicht dran denken ... Als ich ins erste Lager einge­ liefert wurde, damals war das. Wir fuhren in einem Wagen, so wie dem hier, die Scheiben und die Koepfe der Anderen sahen genau so aus, aber da waren Gitter ... Das war, das war 1939. Da gab es noch keine Viehwagen, voll

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www.claudia-wild.de: [Fernsehen_Geschichte_Aesthetik_03]__Fruchtmann__[Druck-PDF]/29.01.2019/Seite 166

Karl Fruchtmann mit schreienden Menschen, mit Lebendigen und Toten, die Toten im Stehen gestorben. Der Kopf liegt bei mir auf der Schulter, als ob er schlaeft, aber die Augen sind offen ... Wenn die Wagontuer aufgemacht wird, fallen sie alle, die Lebendigen und die Toten ... Die Tuer ist auf, man kann die Tuer nicht auflassen ... Der Wagen haelt. Tuer­ geraeusche usw. Blende. Unverstaendliches Murmeln, dann die Stimme eines Arztes.

R. St.

geht in unverst. Murmeln ueber. Blende.

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ARZT: Einlieferungsschein ... Danke ... (lesend) Verdacht Appendicitis Ilius ... So. Herr Gottschalk, seit wann haben Sie Beschwerden? ER: Seit heute eigentlich. Ich hab mich ein paar Tage nicht sehr gut gefuehlt. ARZT: Haben Sie heute etwas gegessen? ER: Nein, Herr Doktor, heute nicht. ARZT: Haben Sie erbrochen? ER: Nein. ARZT: Schoen. Schwester, bitte Leukozytenbestimmung und M. Atropin, i. m. Schrei­ ben Sie, Schwester. Cave aspiratio nem. Schoen, Herr Gottschalk, Schwester nimmt jetzt eine Blutprobe, und dann ...

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass Ueber Murmeln und Flue­ stern im Hintergrund das Geraeusch der Raeder der Bahre I. St.

Das Geraeusch der Raeder wird lauter und wird zu einem sich drehenden Gluecksrad auf einem Jahrmarkt. Laerm und Drehorgel ...

ER: Wie lang der Korridor ist, er hoert nicht auf. Ich bin muede ... war das schon die Betaeubung, die Spritze? Ich fahre auf der Bahre ... ich fahre aufgebahrt wie ein Toter ... Tote werden auf der Bahre gefahren ... Habe ich eigentlich Angst? Ein Bisschen vielleicht ... nein, ich habe keine Angst, ich weiss mir passiert nichts. Mir geschieht nichts, die Anderen, ja die Anderen werden Opfer, werden erschlagen, vergast, aber ich ... ich komme davon. Ich bin ein Glueckskind.

MUTTER: Du bist ein Gluecks­ kind, mein Junge ... AUSSCHREIER: Wer hat noch nich, wer will noch mal ... Na wer hat hier noch nich ... Treten Sie naeher, kommen Sie ran, meine Herrschaften. Hier koenn Sie das grosse Los gewinnen. Warum bloss vom Glueck traeu­ men? Der grosse Hauptgewinn hier fuer nur zehn Pfennige. Ganze zehn Pfennige ... Na wer riskiert’s noch mal ... Der Junge, der Junge da ris­ kiert’s ... Na Kleiner, Du willst die Uhr, was? Du willst das haben, nich wahr?

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Karl Fruchtmann Du hast Glueck, was? Du willst Dein Glueck versuchen, Du willst leben, was? Wer will das nich, fuer zehn Pfen­ nige ... Also dann zieh mal ne Nummer ... so, haste richtig gezogen? Wer hat noch nich, wer will noch mal? Hier gibt’s keine Nieten, hier gewinnt jeder sein Los ... hier gewinnt jeder sein Los ... Der grosse Hauptgewinn ... Gluecksrad laut Der Hauptgewinn Gluecksrad laut Fuer die Nummer Das Rad laeuft langsam ab und bleibt stehen.

Kinderstimme

Drehorgel, Laerm ... Blende. Die Stimme des Arztes, unverstaendlich, dann

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Die Nummer ... Die Nummer 88280 hat den Hauptgewinn ... Schutzhaftge­ fangener 88280 hat gewonnen ... ein Schreibzeug aus echtem Marmor ... er hat sein Leben gewonnen ... (leise) Die Andern haben verloren, Millionen haben verloren, Nikos Razadakis hat verloren ... (laut) Jeder hat sein Los, und der Junge hat gewonnen ... ER: Mutter, Mutter, ich hab den Hauptgewinn! MUTTER: Du bist ein Gluecks­ kind, mein Junge, Du bist ein Glueckskind ...

EIN ARZT: So, und jetzt zaeh­ len Sie

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass

R. St.

Mehrere Stimmen bei einem Lagerappell, schnell

I. St.

R.St.

Blende. I. St.

bitte mal schoen langsam. ER: Eins ... zwei ... drei ... vier ... fuenf ... sechs ... sieben ...

STIMMEN: Acht ... neun ... zehn ... elf ... zwoelf ... dreizehn ... vierzehn ... KOMMANDOSTIMME: Reiss die Knochen zusammen, Du Schwein ... Vortreten! Vortre­ ten! EIN ARZT: Wie heissen Sie? Hoeren Sie mich? Wie heissen Sie? ER: Schutzhaftgefangener Gottschalk 88280 bittet gehor­ samst ... Ich bin noch nicht fertig, Herr Lagerschreiber ... ich bin noch nicht soweit ... ich bin noch nicht fertig! ER: 39 ... 39 ... 40 ... 41 ... 42 ... (verliert sich in Fluestern) EIN ARZT: Jod ... Skalpell ... Kocherklemme ... Tupfer ... Unterbinden. ER: 43 ... 44 ... 45 ... 46 ... (fluesternd) 47 ... Ich bin noch nicht fertig ... KOMMANDOSTIMME: Abzaehln, los! STIMMEN: (beim Abzaehlen) KOMMANDOSTIMME: Ich werd Euch auf Trab bringen, Ihr Schweine ... ER: (stoehnt) EINE STIMME: (fluesternd) Heute wird wieder ein Trans­ port zusammen-

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Karl Fruchtmann gestellt ... heute bin ich dran. ER: Ruhig. Sei still. STIMME: Zum Vergasen ... Jetzt, fuenf Minuten vor Schluss ... Ich hab gehoert die Alliier­ ten ... ER: Ruhig! STIMMEN:  Fuenfter Block fer­ tig! Sechster Block fer­ tig! Siebter Block fertig! Die Meldungen gehen weiter und verhallen. Wie von weit her

Haeftlingsnummern werden wie von weit her ausgeru­ fen. Darueber

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KOMMANDOSTIMME: Die folgenden Haeftlinge machen sich fertig und melden sich eine Stunde nach dem Appell. Blockaelteste sind fuer ihr puenktliches Erscheinen verantwortlich. 55260 STIMME: Hier! 39875 STIMME: Hier! 112493 STIMME: Hier! 184721 STIMME: 184721 Hier!

ER: Mich nicht, mich ruft er nicht auf. Ich bin noch nicht fertig. Ich bin jung, ich bin 23 Jahre alt. Ich will leben, ich will nicht sterben ... Ich hab es bis jetzt geschafft, und jetzt, vielleicht Tage bevor alles vorbei ist, soll ich, ... nein, jetzt nicht! Jetzt nach sechs Jahren, jeder Tag voll Mord. Jeder Tag lang wie ein Jahr und schwer, voll­ gesaugt zum Bersten mit Ster­ ben. Jeden Tag geht der Tod durchs

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass Lager und legt seinen Finger auf sie: du ... wirst erschla­ gen, du ... erstickst im Wagon, du ... stirbst an Typhus, du ... wirst vergast, du wirst vergast, du wirst vergast! Ich nicht! Mich ruehrt er nicht an! Mich ruft er nicht auf! Von weit her Nummern ausrufend

KOMMANDOSTIMME: (ruft Nummern aus) ER: Ich will noch nicht ster­ ben. Ich bin noch nicht fertig wie die Anderen. Ich bin kein Muselman wie die Anderen. Hier, sieh sie dir an, die Skelette, die Leichen. Da ist der Finger drauf auf allen. Die sind Tote zum Appell, wie im Wagon gestorben, im Stehen, mit offenen Augen. Aber ich nicht, ich bin jung. In mir ist noch Kraft, ich kann zwei Sack Zement tragen. Das will was bedeuten ... Mein Leben will etwas bedeuten ... Mein Leben hat einen Sinn. Ein Meer von Mord hat sich vor mir aufgetan, und ich bin durchgegangen im Trocknen ...

Weit weg

KOMMANDOSTIMME: 88280! ER: Ich bin ein Glueckskind ... KOMMANDOSTIMME: 88280 ER: Hier, hier! AUSRUFER: Die Nummer ... die Nummer 88280, Schutzhaftgefan­ gener 88280 hat gewonnen ... MUTTER: Du hast Glueck, mein Junge ...

laut Gluecksrad und Drehorgel

Drehorgel wird lauter und lauter und bricht ploetz­ lich ab.

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Karl Fruchtmann

R. St.

R. St. Drehorgelmusik I. St.

Geraeusch abziehender Haeftlinge

Drehorgel Blende. Klopfen

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ER: Nein! Nein, nein! FRAU: Ernst, Ernst, was ist denn? Ich bin hier. ER: Du bist hier ... ja ... aber ich ... ich, wann komme ich dran? FRAU: Du bist doch schon operiert, Ernst, es ist alles vorbei. ER: Es ist nicht alles vor­ bei ... in einer Stunde ... ER: In einer Stunde ... Ich geh nicht. Ich verstecke mich ... in einer Stunde ... Ich will nicht ... ich will nicht. KOMMANDOSTIMME: Wegtreten! ER: Nicht mitgehen! Hierblei­ ben! Ich muss nachdenken, schnell! Ich muss einen Weg finden! AUSRUFER: ... wer riskiert’s noch mal ... der Junge riskiert’s ... der grosse Hauptgewinn ... ein Schreib­ zeug aus echtem Marmor ... ER: Der Lagerschreiber ... ich muss zum Lagerschreiber gehn ... Er ist ein Haeftling, ein Ehrenhaeftling, aber doch keiner von denen ... Ich sage ihm ... AUSRUFER: Der Junge ris­ kierts ... SCHREIBER: Herein! ER: Schutzhaftgefangener 88280 bittet gehorsamst eintreten zu duerfen. SCHREIBER: Komm rein ... her­ stellt. Was willst du?

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass ER: (schnell) Herr Lagerschrei­ ber, ich bin auf der Liste ... Herr Lagerschreiber, ich bin noch nicht so weit. Ich bin noch nicht fertig. Ich will noch nicht gehn. SCHREIBER: So ... du bist noch nicht fertig, du willst noch nicht gehn. Sieh mal an. Du bist noch nicht fertig und da kommst du zu mir ... Das hat noch keiner gemacht, auf die Idee ist noch keiner gekommen. Woher bist du, Junge? Deut­ scher? ER: Jawohl, Herr Lagerschreiber. SCHREIBER: Und du bist auf der Liste. So. Wie alt bist du, Junge? ER: Dreiundzwanzig, Herr Lager­ schreiber. SCHREIBER: Dreiundzwanzig, was? (Pause) Gluecksrad Schritte, Tueroeffnen Langsame, schleppende Schritte

Gluecksrad

Gluecksrad

He, du da, heh! Ja, du! Komm mal her. Herstellt. Ruehrt euch. Wie alt bist du? GRIECHE: Nich verstehn. SCHREIBER: Wie alt? Wieviel Jahre? GRIECHE: Jahre ... Jawohl ... drei ... dreisechzig. SCHREIBER: Dreiundzwanzig, dreiundsechzig Dreiundzwanzig, dreiundsechzig. Du bist noch nicht fertig, aber der, der da ist fertig, was? der ist erledigt. Wie heisst du, Junge? ER: Ernst Gottschalk, Herr Lagerschreiber

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Karl Fruchtmann Gluecksrad

Gluecksrad

Schleppende Schritte ab

Drehorgel.

Drehorgel und Gluecksrad lauter, dann verschwindend. Blende.

R. St. Blende.

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SCHREIBER: Und du, Alter, wie heisst du? Name? GRIECHE: Name, jawohl, Name ... (schnell) Nikos Razadakis. Ni-kos Ra-za-da-kis. SCHREIBER: Nummer? Nummer? Zeig her. 463785 ... vier sechs drei sieben acht fuenf ... So, du gehst zu deinem Block­ aeltesten, verstanden, Block­ aeltesten, und sagst ihm, du musst dich melden, melden, in einer Stunde melden. Verstan­ den? GRIECHE: Verstanden ... mel­ den ... ein Stunde ... ver­ standen. SCHREIBER: Wegtreten. Geh, Alter. Na diesmal hast du‘s geschafft ... Er ist noch nicht fertig ... AUSRUFER: ... der grosse Hauptgewinn ... der Hauptge­ winn ... fuer die Nummer ... die Nummer ...

FRAU: Ist er bei Besinnung, Schwester? SCHWESTER: Er wacht bald auf, Frau Gottschalk, es dauert nicht mehr lange. Um die Zeit wachen sie mei­ stens auf. ER: Ich bin nicht schuld ... ich bin nicht schuldig ... nicht schuldig ... GRIECHE: Nikos Razadakis. Ni-kos Ra-za-da-kis ...

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass I. St.

Die Stimme des Doktors, mit Echokammer, undeut­ lich, dann naeher kommend

ER: Ich bin nicht schuld, alter Mann ... ich bin nicht schuld an deinem Tod. Not kennt kein Gebot ... Ich hab dir dein Leben nicht benommen ... ich hab dir dein Leben nicht benommen ... GRIECHE: Verstanden ... ver­ standen ... RICHTER: Ich bin der Richter. Ich habe ihn untersucht ... ich habe ihn untersucht ... ich habe ihn abgehoert ... Ich habe die Wahrheit abgelauscht dem Versteckten und dem Ver­ schwiegenen. Er hat ein Leben gestohlen ... Er hat den Griechen in den Tod geschickt, damit er leben kann ... ER: Ich bin nicht schuldig, Herr Richter. Ich war jung. Wie ich ein Kind war ... RICHTER: Er stolziert mit dem gestohlenen Leben des Grie­ chen herum. ER: Aber der Grieche war alt und krank. Sein Koerper war mit Wunden bedeckt. Man konnte die Papierfetzen sehn, die er sich umgewickelt hatte ... Beim naechsten Transport waere er bestimmt – es war noch ein Transport danach – er waere bestimmt drangekommen. Jeder ... jeder gewinnt eben sein Los. RICHTER: Woher wissen Sie das? Sind Sie der Richter? Er haette vielleicht noch

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Karl Fruchtmann viele Jahre leben koennen. GRIECHE: Ein Stunde ... ein Stunde ... ER: Aber ich bin unschuldig! Ich bin doch kein Moerder, ich bin ein Opfer! Ich gehoere nicht vor Gericht! Das ist ein Irrtum, ein Justizirrtum! Ich gehoere zu den Gemordeten! RICHTER: Liegen Sie still, seien Sie still, Angeklagter. Wann haben Sie die Tat began­ gen, wann war das? ER: Das ist so lange her, so lange her. Ich weiss nicht mehr. Das ist alles vergessen, alles vergessen. Man kann doch die Tuer nicht auflassen. Ich hab doch andres im Kopf ... RICHTER: Wann war das? ER: So lange her ... Am 18. September, 1944. RICHTER: Schrei­ ben Sie, Schwester, am 18. September, 1944 ... ER: Aber das ist doch ver­ jaehrt! RICHTER: Verjaehrt? Blut verjaehrt nicht, Schuld bleibt immer jung. Sie haben ein Leben benommen. ER: Nein, nein, ich nicht! Ich kann doch niemand leid tun. Ich bin kein Moerder, ich bin ein Gemordeter! Meine Familie, meine Mutter, mein Vater, meine Geschwister, alle sind umgebracht worden. Ich bin kein Angeklagter. Ich klage an. Die Moerder klage ich

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass an, und die Stimme, die nicht still werden will nach so vielen Jahren. GRIECHE: Ni-kos Ra- za- da- kis. RICHTER: Angeklagter, was haben Sie dazu zu sagen? ER: Ich bin doch nicht schuld an deinem Tod, alter Mann. Ich war jung, und ich wollte leben, und ich bin zum Lager­ schreiber gegangen und habe gesagt: Herr Lagerschreiber, ich bin noch nicht fertig. Das ist alles, was ich getan habe. GRIECHE: Verstanden ... ver­ standen ... ER: Du musst das verstehn! Das war nicht ich. Das war doch wie im Bilderbuch: ich im Matrosenanzug, und ich in den ersten langen Hosen, und ich im gestreiften Drill ... Versteh doch, ich wollte dir nichts tun. Ich bin ein guter Mensch ... ich war doch kein Mensch damals ... Ich war einer von zehntausend Haeft­ lingen, Ich wusste doch nicht, dass du gerade am Fenster vorbei gehst, und dass der Schreiber dich ruft. Versteh mich doch! RICHTER: Aber Sie haben gewusst, Angeklagter, dass wenn Sie von der Transport­ liste gestrichen werden, ein Anderer an Ihre Stelle kommen muss. ER: (Immer erregter) Nein, nein, das habe ich nicht gewusst. Was wissen Sie denn, was wissen Sie denn davon?

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Karl Fruchtmann Ich war doch nicht ich damals. RICHTER: Du sollst nicht toe­ ten. Du sollst am Tode deines Mitmenschen nicht schuldig werden. ER: Aber in meinem Kopf waren doch keine zehn Gebote. Da war doch kein Platz dafuer. Not kennt kein Gebot. Ich war ein geschundenes Stueck Kreatur! Gequaelt, geschlagen, verhun­ gert! Kartoffeln warn in mei­ nem Kopf und ein Stueck Brot, nicht die zehn Gebote! Etwas war in mir, das schrie, ich will leben! Ich war doch ein Tier, man hat uns zu Tieren gemacht! RICHTER: So. Angeklagter, was wolln Sie tun, um Ihre Tat zu suehnen? ER: Ich ... ich ... ich will tun, was ich kann. Ich weiss nicht. Ich will nie mehr ver­ gessen. Ich will das Bild des alten Mannes immer vor mir sehn. Ich will die Stimme hoern und nie mehr schuldig werden, auch nicht, wenn mein Leben ... RICHTER: Der Angeklagte wider­ spricht sich ... Schrei­ ben Sie das auf, Schwester. Der Ange­ klagte sagt, er hat keine Schuld, weil man ihn zum Tiere gemacht hat, und ein Tier weiss nichts von zehn Geboten. Jetzt verspricht der Angeklagte, er will nie mehr schuldig werden. Und wenn man ihn morgen wieder zum Tiere macht? Was dann? ER: Ich weiss, Herr Richter, ich weiss. Sagen Sie mir, ver­ urteilen Sie, was ich

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Zwei unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass

Stimme naeher kommend

Geraeusch abziehender Haeftlinge Blende. Reale Stimme

tun muss. RICHTER: Da wolln wir mal sehn. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurueck. ER: 41 ... 42 ... 43 ... 44 ... 45 ... 46 ... RICHTER: Richten Sie sich auf. Richten Sie sich auf, Ange­ klagter. Der Spruch des Gerichts ist, dass kein Gericht Sie verurteilen kann, und dass Sie sich nicht frei­ sprechen koennen ... Dass kein Gericht Sie verurteilen kann und dass Sie sich nicht frei­ sprechen koennen ... Wegtreten.

FRAU: Ernst ... Ernst. ER: ... ich kann mich nicht freisprechen ... Inge, Inge, warst Du die ganze Zeit bei mir am Bett? DOKTOR: Na, Herr Gottschalk, wieder da? Wie fuehln wir uns denn? ER: Danke, Herr Doktor, viel besser. DOKTOR: Na also. Komische Sache, son Blinddarm, was? Jahrelang still, laesst nichts von sich hoern, und dann ploetzlich entzuendet er sich, der Wurmfortsatz, und vergif­ tet den ganzen Koerper. Na jetzt ham wir den Kerl draus­ sen, was? In neun Tagen kommen die Faeden raus, und dann koenn Sie nach Hause. Wieder wie neu. Also gute Nacht. Gute Nacht, Frau Gott-

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Karl Fruchtmann schalk. ER:     Gute Nacht, Herr Doktor. FRAU: ER: Inge, ich muss Dir was erzaehlen. FRAU: Jetzt nicht, das ist doch nicht so wichtig. ER: Doch, es ist wichtig, sehr wichtig. Es ist das Wichtigste im Leben ... Er ... er ist fuer mich gestorben, fuer uns. FRAU: Jetzt nicht, Ernst, jetzt musst Du schlafen. Mor­ gen frueh ... ER: (wieder einschlafend) Morgen frueh, gut, morgen frueh ... schlafen ...

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Nicky Rittmeyer

Chronik 1915 Karl Fruchtmann wird am 10. Dezember unter dem Namen Karl Strussmann in der ostthüringischen Kleinstadt Meuselwitz als drittes von sechs Kindern einer polnisch-jüdischen Kaufmannsfamilie geboren.1 Sein Vater Abraham Jacob Strussmann (geb. am 9. April 1887 in Wojnilow, Bezirk Kalusz, als uneheliches Kind des Händlers Itzrach Fruchtmann und der ihm nach jüdischem Ritus angetrauten Sara Strussmann)2 ist im Februar 1906 auf der Suche nach Arbeit aus dem damals zum Habsburgerreich gehörenden Kronland Galizien nach Deutschland eingewandert.3 Im wirtschaftlich pros­ perierenden Meuselwitzer Braunkohlenrevier findet er, wie andere osteuropäische Zuwanderer auch, zunächst eine Anstellung als Grubenarbeiter.4 Karl Fruchtmanns Mutter Taube Riesel Strussmann, genannt Toni (geb. am 5. April 1882 in Nowica, Bezirk Kalusz, als Tochter des Jitzchak und der Malka Hausmann)5, ist nach dem frühen Tod der Mutter gemeinsam mit dem Vater und ihrem Bruder Selig Sigmund Hausmann um die Jahrhundertwende ebenfalls aus den ostgalizischen Gebieten nach Meuselwitz zugewandert. Auch ein Teil ihrer weiteren Verwandtschaft hat sich in Meuselwitz und im umliegenden Altenburger Land niedergelassen.6 Toni Strussmann, die wie ihr Mann einem gläubigen jüdischen Umfeld entstammt, verfügt nur über wenig Bildung, da sie bereits von Kindesbeinen an zum Lebensunterhalt ihrer Familie (der Vater arbeitet ebenfalls in den Meuselwitzer Kohlegruben) beitragen muss. Erst nach dem Tod ihres Mannes wird sie in bereits fortgeschrittenem Alter das Lesen und Schrei­ben erlernen.7 Von Anfang an auf ein gesellschaftliches Fortkommen bedacht, haben Karl Fruchtmanns Eltern den festen Willen, sich in der neuen Heimat zu assimilieren.8 Im orthodoxen Sinne nicht religiös, verstehen sie sich dennoch als bekennende Juden, die den Traditionen in einer Art Selbstverständlichkeit verbunden sind. So werden in der Familie die hohen jüdischen Feiertage gehalten und die althergebrachten Gebräuche geachtet.9 Zu besonderen Anlässen wird außerdem aus einer der Thora-Rollen gelesen, die von der Familie in einem Schrein auf bewahrt werden.10 Überdies ist Abraham Jacob Strussmann eines der Gründungsmitglieder der örtlichen jüdischen Kultusgemeinde Agudat Achim (Vereinte Brüder), als deren zweiter Vorsitzender er zeitweise fungiert.11 Der Verein, dem nach seiner Konstituierung im März 1909 bis zu 24 männliche Personen angehören, unterhält neben einem Bet-

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Nicky Rittmeyer

saal auch eine Unterstützungskasse für notleidende Mitglieder.12 Wegen Mitgliederschwunds und Zahlungsunfähigkeit muss die Vereinigung allerdings nach zwei Jahren wieder aufgelöst werden.13 Bereits 1907 entschließt sich Abraham Jacob Strussmann, die Arbeit in den Kohlegruben aufzugeben und stattdessen einen kleinen Laden zu eröffnen.14 Durch Zielstrebigkeit, Fleiß und kaufmännisches Geschick gelingt es ihm, das Geschäft innerhalb weniger Jahre zu einem kleinen Kauf haus mit zwei Verkaufsstellen und mehreren Angestellten zu erweitern. Fortan betreibt er in der Meuselwitzer Bahnhofstraße 19 eine Textilfiliale, während eine Verkaufsf läche in der Bahnhofstraße 32 dem Verkauf von Möbeln und Einrichtungsgegenständen dient. Seit 1915 bewohnt die Familie im Obergeschoss dieses Hauses eine 7-Zimmer-Wohnung.15 Der zugehörige Grund und Boden geht im März 1915 bzw. im Februar 1930 in ihr Eigentum über.16 Nachdem bereits am 11. Juli 1908 die Söhne Moses Leo, genannt Max, und am 5. September 1913 Salomo Benjamin, genannt Benno, zur Welt gekommen sind,17 schließen Abraham Jacob Strussmann und Toni Strussmann am 27. September 1913 in Meuselwitz offiziell den Bund der Ehe.18 Drei Jahre nach Karl Fruchtmann wird am 11. Februar 1918 der Bruder Johannes Salli, genannt Hans, geboren, und am 19. Juni 1922 kommt die Schwester Martha Klara Sara, genannt Claire (später verheiratete Weissmann), zur Welt. Ein am 31. März 1920 geborener Bruder namens Hermann stirbt bald nach der Geburt.19 Nicht zuletzt in dem Bestreben, ihren Kindern den gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen, setzt insbesondere die Mutter alles daran, deren Erziehung und Ausbildung zu fördern.20 Während des Ersten Weltkrieges ist sie dabei teilweise auf sich allein gestellt, da Abraham Jacob Strussmann, der zu dieser Zeit noch immer die Staatsbürgerschaft der K.-u.-k.-Monarchie besitzt, vom 20. August 1917 bis zum 6. Juli 1918 beim 33. Österreichischen Infanterieregiment in Stryj/Ostgalizien seinen Kriegsdienst abzuleisten hat.21 Nach eigener Aussage verlebt Karl Fruchtmann mit seinen Geschwistern eine weitgehend unbeschwerte Kindheit. Dennoch sieht er sich wiederholt mit antisemitischen Ressentiments konfrontiert.22 Diese dürften zu einem gewissem Maße auch im geschäftlichen Erfolg und Wohlstand seiner Eltern begründet liegen; so sind diese bereits um 1930 im Besitz eines privaten Automobils. Gleichwohl ist die Familie in der politisch mehrheitlich links geprägten Gemeinde Meuselwitz geachtet und beliebt; man pf legt einen großen Bekanntenkreis. Politisch selbst dem linken Spektrum nahestehend unterhält Abraham Jacob Strussmann zudem gute Kontakte zur sozialdemokratischen Fraktion im Meuselwitzer Stadtrat.23 Rückblickend charakteri-

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Chronik

siert Karl Fruchtmann sein Elternhaus als weltoffen und tolerant, wenn auch von kleinbürgerlicher Prägung.24 1922–1932 Ab dem Herbst 1922 besucht Karl Fruchtmann die Volksschule in Meuselwitz. Da seine schulischen Leistungen (mit Ausnahme der sportlichen) durchweg über dem Durchschnitt liegen 25, wechselt er nach Beendigung der vierten Klasse im Sommer 1926 an eine weiterführende Schule im nahegelegenen Zeitz.26 Er bewohnt in dieser Zeit ein Zimmer zur Untermiete bei der Familie eines örtlichen Baugeschäftsinhabers, die bereits vor 1933 zu den offenen Sympathisanten und aktiven Unterstützern nationalsozialistischer Ideen gehört.27 1927–1929 Nachdem der Vater im August 1927 für sich und seine Familie einen Antrag auf Einbürgerung gestellt hat, wird ihm am 5. April 1928 durch das Kreisamt in Altenburg die Einbürgerungsurkunde des Landes Thüringen ausgehändigt, wodurch sämtliche Familienmitglieder zugleich auch die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen.28 Außerdem wird, nachdem die Familie den Namen Fruchtmann (so der Nachname von Karl Fruchtmanns offiziell nicht verheiratetem Großvater) bereits seit der Zeit ihrer Zuwanderung inoffiziell geführt hat, dieser durch Urkunde des thüringischen Justizministeriums vom 21. Oktober 1929 auch offiziell von Strussmann in Fruchtmann geändert.29 1932 Nach Abschluss der 10. Klasse wechselt Karl Fruchtmann an die Freie Schulgemeinde Wickersdorf bei Saalfeld, eines der bedeutendsten reformpädagogischen Schulprojekte seiner Zeit.30 Die als Internat geführte Privatschule genießt wegen ihrer Lehrmethoden auch über die Grenzen Deutschlands hinaus einen guten Ruf, insbesondere durch dort gelebte Formen von Demokratie wie Gleichberechtigung zwischen den Schülern und achtungsvolle Umgangsformen zwischen Lehrern und Schülerschaft. Bemerkenswert ist zudem der hohe Anteil jüdischer Absolventen. Bereits während seiner Schulzeit entwickelt Karl Fruchtmann ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein. Dem kommunistischen Jugendverband nahestehend, begreift er sich als sozialistischer Antifaschist, der der politischen Entwicklung in Deutschland, insbesondere im Land Thüringen, mit wachsender Skepsis gegenübersteht.31

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Nicky Rittmeyer Karl Fruchtmann, 1930er Jahre

1933 Die Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten bringt für die Familie existenzielle Veränderungen mit sich. Im Verlauf des von der NSDAP initiierten reichsweiten Boykotts jüdischer Geschäfte am 1. April wird auch das Kauf haus der Fruchtmanns zum gezielten Objekt der Hetzkampagne. Bereits am Morgen beziehen Mitglieder von SA und NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation) Posten vor dem Warenhaus in der Bahnhofstraße. Gleiches geschieht vor fünf weiteren, von jüdischen Inhabern geführten Geschäften, so auch vor dem benachbarten Schuhladen, der Toni Fruchtmanns Bruder Selig Sigmund Hausmann gehört. Den massiven Einschüchterungsversuchen zum Trotz erfährt die Familie an diesem Tag durch eine Vielzahl von Einwohnern des vorwiegend »roten« Meuselwitz sowie der näheren Umgebung öffentliche Solidaritätsbekundungen. So versammelt sich bereits unmittelbar nach Beginn der Boykottaktion eine größere Gruppe von Anhängern der im März 1933 aufgelösten republiktreuen Wehrverbände Reichsbanner und Eiserne Front sowie der KPD vor dem Kauf haus der Fruchtmanns, um demonstrativ gegen die Gewaltmaßnahme zu protestieren. Einer Augenzeugenschilderung Karl Fruchtmanns zufolge, der das Geschehen vom Fenster der elterlichen Wohnung beobachtet, finden sich im Verlauf des Vormittags zahlreiche weitere Kunden zu »Solidaritätseinkäufen« ein, sodass sich schließlich Menschenschlangen vor dem Geschäft bilden. Da diese Personenansammlungen offensichtlich nicht den Charakter

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Chronik

eines spontanen Aufeinandertreffens, sondern vielmehr den einer bewussten, möglicherweise sogar organisierten Gegenaktion tragen, entschließt sich die örtliche Polizei dazu, unter Hinzuziehung von als Hilfspolizisten agierenden SS-Leuten, die Straße vor dem Warenhaus gewaltsam zu räumen. Hierbei kommt es auch zu Verhaftungen. Als sich im Kauf haus eine größere Gruppe junger Männer versammelt, offenbar um dieses vor Übergriffen von nationalsozialistischer Seite zu schützen, werden die Geschäftsräume zunächst einer Durchsuchung unterzogen und der Laden anschließend geräumt. Als sich am frühen Nachmittag abermals eine größere Gruppe männlicher Personen zu Schutzzwecken im Geschäft zusammenfindet, kommt es zu einer erneuten polizeilichen Razzia, als dessen Folge das Kauf haus für den Rest des Tages zu schließen hat. Karl Fruchtmanns Eltern und sein Bruder Max müssen das Geschäft durch ein Spalier von SA-Leuten verlassen, wobei sie auch tätlich angegriffen werden.32 Erschüttert von den Aufregungen und der Demütigung erleidet Abraham Jacob Fruchtmann kurz darauf einen Schlaganfall, an dem er wenige Tage später, am 18. April 1933, im Alter von nur 46 Jahren stirbt.33 Er wird auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in Leipzig bestattet.34 Den Augenzeugenberichten Karl und Benno Fruchtmanns zu­­ folge kommt es in den Tagen unmittelbar nach dem Tod des Vaters zu zahlreichen weiteren »Solidaritätseinkäufen« durch Meuselwitzer Bürger.35 Ungeachtet dieses Schicksalsschlags und der massiven politischen Veränderungen kann Karl Fruchtmann seine schulische Ausbildung an der Freien Schulgemeinde in Wickersdorf vorerst ungehindert fortsetzen. Obwohl er sich nach eigenem Bekunden seit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten mit dem Gedanken trägt, seine Ausbildung im Ausland fortzusetzen36, meldet er seinen Wohnsitz am 7. Juni 1933 von Meuselwitz nach Wickersdorf um.37

Kaufhaus der Familie Fruchtmann in der Meuselwitzer Bahnhof­ straße 19

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Nicky Rittmeyer

1934–1935 Das elterliche Geschäft wird mit Vertrag vom 13. März 1934 rückwirkend zum 1. Januar 1933 in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft weitergeführt. Hauptgesellschafter sind Karl Fruchtmanns Brüder Max und Benno, während er selbst, seine Mutter und seine beiden jüngeren Geschwister als Kommanditisten mit Geldeinlage fungieren.38 Nicht zuletzt wegen seiner antikapitalistischen Überzeugungen hat Karl Fruchtmann jedoch keinerlei Interesse an dem Kauf haus. Auch seine Ge­­ schwister steigen nur notgedrungen in die Firma ein.39 Da Max zu dieser Zeit in Leipzig ein Medizinstudium absolviert, liegt die unmittelbare Geschäftsführung vor allem in den Händen Benno Fruchtmanns.40 Trotz zunehmender behördlicher Beschränkungen gelingt es den Brüdern, das Geschäft weitgehend erfolgreich fortzuführen. So kann die Firma den im März 1932 eingestellten Lehrling Kurt Beyer auch nach der Beendigung seiner Ausbildung im März 1934 weiter als Dekorateur beschäftigen. Erst im März 1937 scheidet dieser aus dem Anstellungsverhältnis aus, um seinen angeordneten Arbeits- und Wehrdienst abzuleisten.41 Kurt Beyer, dessen Familie der kommunistischen Partei nahesteht, ist den Fruchtmanns allerdings auch über die Arbeit hinaus verbunden. Als ein Angehöriger Beyers von dem nach Dänemark emigrierten ehemaligen Lehrer und kommunistischen Funktionär Wilhelm Georg brief lich gebeten wird, über Beyer die neue Adres­se Karl Fruchtmanns in Wickersdorf in Erfahrung zu bringen, gerät dieser im September 1934 erstmals ins Visier der Geheimen Staatspolizei. Georg, nach dem das Polizeipräsidium in Leipzig wegen verbotener politischer Aktivitäten steckbrief lich fahndet, ist ein früherer enger Bekannter Karl Fruchtmanns. Da die Polizeistelle in Meuselwitz, die den Brief abgefangen hat, vermutet, dass Georg seinen Freund um finanzielle Unterstützung ersuchen will, stellt sie beim Geheimen Staatspolizeiamt in Weimar den Antrag, eine Briefsperre über Karl Fruchtmann zu verhängen. Gleichzeitig wird noch einmal betont, dass die gesamte Familie Fruchtmann sich in der Vergangenheit »sehr stark für die S.P.D und K.P.D in jeder Weise eingesetzt« hat.42 Aufgrund der zunehmenden Gefährdung und nach längerer Diskussion mit seinen Angehörigen entschließt sich Karl Fruchtmann zur Emigration nach Frankreich.43 Dort besucht er bis 1935 die Ecole Nouvelle de Boulogne, anschließend wechselt er auf eine höhere Schule ins schweizerische Basel.44

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Chronik

Abiturzeugnis für Karl Fruchtmann, 25.3.1936

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1936 Im März legt Karl Fruchtmann an einem Gymnasium in Zürich sein Abitur ab.45 Kurze Zeit darauf besucht ihn sein Bruder Benno in Paris, um ihn davon zu überzeugen, nach Deutschland zurückzukehren, vor allem seiner Mutter zuliebe, die sich nach dem Tod ihres Mannes vereinsamt fühlt und deren Gesundheit zunehmend angegriffen ist.46 Obwohl Karl Fruchtmann eine Gefahr für sich befürchtet und dies gegenüber dem Bruder zum Ausdruck bringt, kehrt er dennoch nach Deutschland zurück.47 Am 9. Mai 1936 meldet er sich zunächst für die Dauer von zwei Monaten von seinem letzten Wohnort Basel polizeilich nach Meuselwitz zurück.48 Kurz darauf wird er gemeinsam mit seinem Bruder Max in polizeiliche Schutzhaft genommen und im Amtsgerichtsgefängnis Meuselwitz arrestiert.49 Toni Fruchtmann, deren psychische Verfassung seit dem Tod ihres Mannes bereits stark in Mitleidenschaft gezogen ist, erleidet angesichts der Verhaftung ihrer Söhne einen Nervenzusammenbruch, von dem sie sich zeitlebens nicht mehr vollständig erholen wird.50 Mitte Juli 1936 werden die Brüder ins Konzentrationslager Sachsenburg bei Chemnitz eingewiesen, wo sich Karl Fruchtmann einem erhaltenen Vermerk zufolge am 10. August in zahnärztlicher Behandlung befindet.51 Am 9. Februar 1937 erfolgt beider Überstellung in das Konzentrationslager Dachau, wo Karl Fruchtmann unter der Häftlingsnummer 11428 registriert wird, sein Bruder Max unter der Nummer 11424.52 Im Nachhinein wird sich Karl Fruchtmann nur sporadisch über diese Zeit äußern, zumeist mit dem Hinweis versehen, dass die Gefangenschaft zwar unmenschlich und demütigend gewesen sei, jedoch mit den ungleich härteren Bedingungen in den Konzentrationslagern der späteren Jahre der nationalsozialistischen Diktatur nicht verglichen werden könne.53 1937 Die Verhaftung der Brüder erhöht den Druck auf die Familie bei der Weiterführung des Unternehmens massiv. Bereits im Oktober 1936 gibt es vonseiten Benno und Toni Fruchtmanns deshalb Überlegungen, das Geschäft zu verkaufen und Deutschland zu verlassen.54 Als eine Gruppe regionaler Kaufleute Interesse an der Übernahme des Warenhauses signalisiert, werden im Frühjahr 1937 unter Aufsicht der Geheimen Staatspolizei Verhandlungen mit dem Ziel eines Zwangsverkaufs eingeleitet.55 Da es Max Fruchtmann als Hauptgesellschafter gemeinsam mit seinem Bruder Benno obliegt, die Verkaufsbedingungen auszuhandeln, wird er am 8. April 1937 für die Dauer von drei Monaten aus der Haft »beurlaubt«.56 Weil für die Veräußerung des Unternehmens sämtliche Gesellschafter ihre Unterschrift zu leisten haben,

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Chronik

wird am 21. Mai 1937 auch Karl Fruchtmann aus dem KZ Dachau entlassen, verbunden mit der Auf lage, Deutschland bis spätestens zum 15. Juni 1937 zu verlassen.57 Durch Vertrag vom 23. Mai58 geht die Jacob Fruchtmann K. G. zum 31. August 193759 in den Besitz eines »arischen« Käuferkonsortiums über, das unter dem Namen Spiegel & Co. GmbH firmiert.60 Unter dem Datum vom 4. Oktober wird dann beim Amtsgericht Meuselwitz schließlich auch die formelle Löschung des Fruchtmann’schen Unternehmens im Handelsregister dokumentiert.61 Allerdings verbleibt der zugehörige Grundbesitz vorerst noch im Besitz der Familie, da dieser rechtlich nicht Teil der Firma, sondern im Grundbuch unter dem Namen Toni Fruchtmanns als Privateigentum eingetragen ist.62 Der Verkaufspreis für das Unternehmen, das zum Zeitpunkt der Veräußerung 65 Angestellte (Verkäufer, Vertreter, Buchalter, Dekorateure etc.) beschäftigt63, einen durchschnittlichen Jahresumsatz zwischen 500.000 und 1 Million RM verzeichnet64 und darüber hinaus Mitglied der Leipziger Großhandelskette GROHAG ist65, beträgt etwa 40.000 RM66 und damit lediglich einen Bruchteil des reellen Wertes.67 Der Großteil des Verkaufserlöses f ließt direkt in den Erwerb von Einwanderungsvisen, die Max und Karl Fruchtmann für ihre anbefohlene Emigration benötigen.68 Ausgestattet mit einem sogenannten Kapitalisten-Zertifikat für das Britische Mandatsgebiet Palästina (Wert 20.000 RM) verlässt zunächst Max Fruchtmann Deutschland in Richtung Italien. Kurze Zeit später, am 21. Juli 1937, schifft er sich in Triest auf dem Dampfer »Gerusalemme« zur Überfahrt nach Haifa ein, wo er zwei Tage darauf eintrifft.69 Da sich die Beschaffung der Ausreisepapiere für Karl Fruchtmann verzögert70, wird die Frist für seine auf den 15. Juni festgelegte Ausreise um knapp vier Wochen bis zum 10. Juli 1937 verlängert.71 Ein am 29. Juni 1937 von den Meuselwitzer Behörden auf seinen Antrag hin ausgestelltes Führungszeugnis verzeichnet keinerlei polizeiliche Strafen, die KZ-Haft bleibt, wohl nicht zuletzt im Hinblick auf die forcierte Auswanderung, unerwähnt.72 Seine polizeiliche Abmeldung datiert vom 2. Juli 1937, vier Tage später verlässt er das Land ebenfalls in Richtung Palästina.73 Für Karl Fruchtmann bedeutet dies einen endgültigen Abschied; er wird seine Heimatstadt bis an sein Lebensende nicht wieder besuchen.74 Im darauffolgenden Jahr gelingt auch Benno Fruchtmann, wie dem Bruder Hans zuvor, die Ausreise nach Palästina. Kurz danach müssen Karl Fruchtmanns Mutter und seine Schwester Claire Meuselwitz verlassen. Während sie auf die Ausstellung ihrer Ausreisepapiere warten, finden sie einen offenbar amtlich nicht gemeldeten Unterschlupf in der Leipziger Humboldtstraße. Dort leben beide unter schwierigen Bedingungen und in ständiger Gefahr vor Willkürmaßnahmen. Unterstützung erfahren sie von

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Polizeiliche Abmeldebescheinigung für Karl Fruchtmann, 2.7.1937

ihrem ehemaligen Lehrling Kurt Beyer, der zu jener Zeit als Wehrmachtsrekrut in Leipzig stationiert ist.75 Im März 1939 sieht Toni Fruchtmann sich schließlich gezwungen, auch die noch in ihrem Eigentum verbliebenen Grundstücke in der Meuselwitzer Bahnhofstraße an die Spiegel &  Co. GmbH zu veräußern. Über den Verkaufserlös von rund 60.000 RM kann sie allerdings nicht mehr frei verfügen. Sie muss das Geld auf ein Sperrkonto bei der Leipziger Commerz- und Privatbank einzahlen, das der Aufsicht durch die Devisenstelle Leipzig unterliegt.76 Gleichzeitig erteilt sie ihrem Neffen Moses David Hausmann, der im Familiengeschäft bereits als Vertreter beschäftigt war, eine Generalvollmacht, um alle noch offenen Vermögensangelegenheiten in ihrem Sinne zu regeln.77 Nach Zahlung der sogenannten Reichsf luchtsteuer in Höhe von 16.500 RM78 erhält sie im März 1939 mit ihrer Tochter die Genehmigung zur Ausreise nach Palästina.79 Moses David Hausmann gelingt im Juli 1939 ebenfalls die rettende Flucht nach Großbritannien, Toni Fruchtmanns Bruder Selig Sigmund Hausmann und dessen Familie hingegen werden im Herbst 1938 zunächst nach Polen abgeschoben und 1942 ermordet.80

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Chronik

1938–1945 Zum Zeitpunkt seiner Emigration besitzt Karl Fruchtmann keine abgeschlossene Berufsausbildung. Um sein Auskommen zu sichern, nimmt er eine Vielzahl von Gelegenheitsarbeiten an; so verdingt er sich unter anderem als Bauarbeiter, später als Büroangestellter.81 Während des Zweiten Weltkrieges arbeitet er von 1940 bis Kriegsende als Angestellter für die britische Armee.82 Über seine diesbezüglichen Tätigkeiten äußert er sich, auch im Rückblick, nicht. In späteren Jahren gibt er jedoch an, dem Emigrationsort Palästina anfangs ablehnend gegenübergestanden zu haben. Aufgrund seiner dezidiert linken Überzeugungen habe er, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder Hans, keinerlei Nähe zu den Ideen des Zionismus, mit der Forderung nach einem jüdischen Nationalstaat, empfunden. Auch sei er sich in seiner Jugend seines Judentums nicht bewusst gewesen, vielmehr habe er sich »ausschließlich als Deutscher gefühlt«.83 Aufgrund dessen habe er das britische Mandatsgebiet zu Anfang lediglich als eine Zwischenstation betrachtet, an der er sich nur so lange auf halten wollte, bis für ihn eine Rückkehr nach Deutschland möglich wäre. Erst im schmerzvollen Erfahren um die Geschehnisse der Shoah, in dessen Folge sein »Deutschsein« gänzlich von ihm abgefallen sei, habe er seine ablehnende Haltung in Bezug auf den Zionismus revidiert.84 Seine Mutter hingegen, die stärker noch als ihr Mann dem Gedanken der Assimilation in Deutschland verhaftet war, kann den Verlust der deutschen Heimat und des Familienunternehmens – nach Karl Fruchtmanns Ansicht für sie eher eine Sache der Ehre denn des Profits – nicht verschmerzen. Die neue Umgebung vermag sie kaum zu akzeptieren, sie bleibt in Palästina eine Fremde.85 Auch sein Bruder Max sieht in einem Verbleib im britischen Mandatsgebiet keine dauerhafte Perspektive, weshalb er das Land nach kurzer Zeit wieder verlässt. Er lebt fortan, wie später auch die Geschwister Hans und Claire, in den Vereinigten Staaten86. 1955 wird auch Toni Fruchtmann für einige Jahre in die USA übersiedeln, um bei Max in New York zu leben. Lediglich Benno Fruchtmann bleibt dauerhaft in Israel ansässig. 1946–1950 Zum Jahreswechsel 1946/47 wird Karl Fruchtmann vom zuständigen britischen Hochkommissariat die Palästinensische Staatsbürgerschaft verliehen.87 Mit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 bekommt er dessen Staatsbürgerschaft zuerkannt. Seine deutsche Staatsangehörigkeit war ihm von der nationalsozialistischen Regierung nach seiner Emigration entzogen worden. Im Zuge der zionistischen Unabhängigkeitsbestrebungen beginnt er, sich ab Mitte der 1940er Jahre in der jüdischen Untergrundarmee zu engagieren;

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Brief von Karl Fruchtmann, mit einem Zusatz von Max Fruchtmann, an Benno Fruchtmann, um 1937/38

nach eigener Aussage bekleidet er dabei zuletzt eine Offiziersstellung.88 Mit der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 werden die Untergrundtruppen in die offizielle israelische Armee überführt. Karl Fruchtmann dient während des israelischen Unabhängigkeitskrieges bis 1950 in der militärischen Verwaltung der israelischen Luftwaffe.89

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Palästinensisches Einbürgerungszertifikat für Karl Fruchtmann, 31.12.1946

1950–1953 Im Juli 1950 beginnt er ein Arbeitsverhältnis bei der im Herbst 1948 gegründeten israelischen Luftverkehrsgesellschaft El Al.90 Zunächst bekleidet er eine Stelle als Magazineur, später übernimmt er die zentrale Leitung und Aufsicht über die technischen Magazine in sämtlichen Filialen der Fluglinie, so in Israel, England, Frankreich, Italien, Südafrika und den USA. Dabei obliegt

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Ausländerausweis mit Arbeitserlaubnis der britischen Behörden für Karl Fruchtmann, November 1953

ihm neben der Disponierung bzw. dem Einkauf von Ersatzteilen für die Luftf lotte auch die Kontrolle über die sonstigen technischen Erfordernisse in diesen Niederlassungen.91 Sein Dienstsitz befindet sich in Tel Aviv, wo er bis 1953 zugleich seinen festen Wohnsitz hat.92 Hier engagiert er sich nebenher auch in einem kleinen Kreis deutsch- bzw. österreichstämmiger Intellektueller, die sich – nicht zuletzt beeinf lusst durch die regelmäßige Lektüre der linksorientierten Londoner Wochenzeitung New Statesman  – einem internationalistisch-sozialistischen Wertespektrum verbunden fühlen.93 Auch in späteren Jahren wird Karl Fruchtmann seine linken Positionen vehement vertreten, ohne sich jedoch parteipolitisch instrumentalisieren zu lassen. 1953–1957 Von seinem Posten als Verwalter der technischen Magazine bei El Al steigt Karl Fruchtmann schließlich zum Direktor für Verwaltung und Finanzen der Fluggesellschaft für Großbritannien auf.94 Im November bezieht er seinen Dienstsitz in der Londoner Regent Street,95 von wo aus er bis Ende Juli 1957 die Geschäfte führt.96 Privat bewohnt er ein Apartment im vornehmen, besonders bei Künstlern und Intellektuellen beliebten Londoner Bezirk Hampstead.97 Im Rahmen seiner Tätigkeit unternimmt er zahllose Geschäfts-

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reisen.98 1956 wird er zudem mit einer heiklen Aufgabe betraut: In Vorbereitung einer geplanten Invasion israelischer, französischer und britischer Truppen in Ägypten erhält er den Auftrag, einen Geheimf lug für den britischen Außenminister Selwyn Lloyd nach Frankreich zu organisieren. Bei dem da­­ rauffolgenden vertraulichen Treffen zwischen Lloyd, Israels Premierminister David Ben Gurion und französischen Regierungsvertretern werden wegweisende Entscheidungen getroffen, die im Oktober des Jahres zum SuezKrieg führen.99 In dieser Zeit lernt er in London die kanadische Kunststudentin und spätere Malerin Janet Clothier kennen; beide heiraten 1957. Da der Großteil ihrer Familienangehörigen in den USA bzw. in Kanada lebt, findet die Hochzeit in New Jersey statt.100 Die Ehe hält ein Leben lang; Janet Fruchtmann stirbt am 22. November 2012 in Bremen. 1957–1958 Im Juli 1957101 lässt sich Karl Fruchtmann für die Dauer von zwei Jahren von der El Al beurlauben, um am Department of Management Studies des Regent Street Polytechnic London (heute University of Westminster) ein Management-Studium zu absolvieren.102 Hierbei belegt er Kurse u. a. in den Fächern Arbeitsmethodik und Organisation, Rechnungswesen für Betriebsleiter, Berichterstattung, Führung von Arbeitskomitees sowie Wirksames Sprechen.103 Nach nur acht Monaten sieht er sich allerdings veranlasst, seine Studien zu unterbrechen und die vorzeitige Auf hebung seiner Beurlaubung bei El Al zu beantragen.104 Unklar ist, ob dieses Ersuchen im Zusammenhang mit einem Stellungsbefehl steht, der ihn in dieser Zeit mit der Aufforderung erreicht, sich bis zum 1. Mai 1958 beim israelischen Konsulat in London zu melden.105 Belegt ist jedoch, dass ihm während seiner vorangegangenen Beschäftigung für El Al eine Freistellung vom Reservedienst bei der israelischen Armee gewährt wurde und dass er auch nach der Wiederaufnahme seiner Tätigkeit für die Fluggesellschaft ab 1. Juni 1958 vom Militärdienst befreit bleibt.106 Da ihm nach seiner Rückkehr jedoch keine seinen Fähigkeiten angemessene Position mehr angeboten werden kann, wird das Arbeitsverhältnis bereits nach wenigen Wochen mit Wirkung zum 31. Juli 1958 unter Gewährung einer Abfindung wieder aufgekündigt.107 Er kehrt daraufhin nach Israel zurück. Von seinen Verpf lichtungen beim israelischen Militär bleibt er aufgrund regelmäßig erteilter Sondergenehmigungen jedoch auch nach seinem Ausscheiden befreit.108 Mit der Absicht, finanzielle und rechtliche Angelegenheiten zu regeln, reist Karl Fruchtmann im Herbst 1958109 in die Bundesrepublik Deutschland;

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es ist das erste Mal seit seiner Emigration im Juli 1937, dass er wieder deutschen Boden betritt. Die ersten Eindrücke, die er seiner Familie vom Wiedersehen mit seiner einstigen Heimat übermittelt, zeugen von emotionaler Distanziertheit, Misstrauen und Entfremdung.110 Unterkunft findet er ab November 1958 zunächst in Frankfurt am Main, wo er bis Mitte Februar 1959 unter wechselnden Adressen zur Untermiete wohnt. Mit einer Generalvollmacht seiner Familie ausgestattet111, beabsichtigt er auf Grundlage des im Juni 1956 verabschiedeten Bundesentschädigungsgesetzes verschiedene Ansprüche auf Wiedergutmachung geltend zu machen. Insbesondere bemüht er sich um eine Rentenzahlung für seine kranke und mittellose Mutter.112 Außerdem beantragt er im Hinblick auf eine angedachte Fortführung seines Management-Studiums bei der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim eine Ausbildungsbeihilfe.113 Schon im Juni 1957, noch während seiner Tätigkeit für El Al, hat er einen Antrag auf Wiedergutmachung für den ungerechtfertigten Freiheitsentzug sowie seine Benachteiligung im beruf lichen und wirtschaftlichen Fortkommen infolge seiner rassistisch motivierten Verfolgung durch die NS-Behörden gestellt, worauf hin ihm eine Entschädigung in Höhe von 1.500 DM für die erlittene KZ-Haft gewährt worden war.114 Auch haben er und seine Familie bereits im Frühjahr 1958 verschiedene Wiedergutmachungsansprüche für den durch die Zwangs­ arisierung des Familienbetriebs im Jahr 1937 entstandenen Schaden an Eigentum und Vermögen geltend gemacht.115 Seine Versuche, vor Ort eine alsbaldige Klärung dieser Angelegenheiten herbeizuführen, erweisen sich wegen bürokratischer Hürden als schwierig und nur teilweise erfolgreich. Letztlich werden sich die Bemühungen der Familie um Rückübertragung des im Zuge der Zwangsarisierung enteigneten Firmen- bzw. Grundbesitzes (der sich seit 1949 zudem auf dem Staatsterritorium der neuentstandenen DDR befindet) bis in die Mitte der 1990er Jahre hinziehen, nicht zuletzt bedingt durch die komplizierte Rechtssituation während der politischen Teilung Deutschlands. Erst 1998 erhält die Familie die unter Zwang veräußerten Immobilien rückübertragen sowie einen Teil der verloren gegangenen Vermögenswerte erstattet.116 1959–1961 Im Zuge seiner Rückkehr nach Deutschland entwickelt Karl Fruchtmann weitreichende Überlegungen zu einer grundlegenden persönlichen und beruf lichen Neuorientierung, dies nicht zuletzt aus der Überzeugung heraus, sich mit dem Land seiner Herkunft konfrontieren zu müssen.117 Nachdem er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr im November 1958 ein Ersuchen

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Chronik Karl Fruchtmann, um 1963

zur Wiedererlangung der deutschen Staatsbürgerschaft gestellt hat,118 wird ihm diese durch Urkunde vom 17. Februar 1959 zunächst für einen Zeitraum von fünf Jahren gewährt.119 Zum allgemeinen Erstaunen seiner Familie und seiner Freunde entschließt er sich, auch seinen Wohnsitz künftig wieder dauerhaft nach Deutschland zu verlegen. Im Februar übersiedelt er deshalb mit seiner Frau von Frankfurt am Main nach Köln, wo sie eine Wohnung in der Raschdorffstraße im Stadtteil Braunsfeld beziehen. Bis dahin war der Aufenthalt in Deutschland lediglich als ein Intermezzo gedacht, einen dauerhaften Verbleib hatten beide zuvor nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.120 Äußerer Anlass, sich wieder nach Deutschland zurückzumelden, ist der Nachweis einer offiziellen Wohnadresse in der Bundesrepublik als Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines ihm offerierten Startgeldes für Remigranten.121 In Folge seiner Entscheidung gibt Karl Fruchtmann seine Londoner Meldeadresse auf;122 ebenso seine bis dahin noch bestehenden Pläne zur Fortführung seines Studiums.

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Erste Schritte für eine mögliche persönliche und beruf liche Neuausrichtung hat er allerdings schon einige Monate zuvor eingeleitet. Vielfältig kulturell interessiert und äußerst belesen, ist er bereits seit seiner Jugend insgeheim von dem Wunsch beseelt, im Filmsektor zu arbeiten. Bislang jedoch waren für ihn keinerlei Möglichkeiten gegeben, dieses Ansinnen in die Tat umzusetzen. Eine Chance ergab sich erst Mitte 1958, als der mit einem Freund Fruchtmanns bekannte Herausgeber der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland Karl Marx zu einem Besuch in Israel weilte. Von Fruchtmann um ein Empfehlungsschreiben gebeten, um sich während der bereits geplanten Reise nach Deutschland den dortigen Fernsehverantwortlichen vorstellen zu können, hatte Marx ihn an Werner Höfer beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) verwiesen.123 Kurz nach seiner Rückkehr war Fruchtmann von Frankfurt nach Köln gereist, um in einer persönlichen Unterredung bei dem späteren Fernsehspielchef des Senders um ein Volontariat in der dortigen Fernsehabteilung nachzusuchen. Nachdem er im Februar 1959 dieses Anliegen mit einem Schrei­ben an den WDR-Intendanten Hanns Hartmann noch einmal untermauert hat124, wird er vom Chefredakteur des Nord- und Westdeutschen Rundfunkverbandes (NWRV)125 Klaus Mahlo zu einer persönlichen Vorstellung eingeladen.126 Darauf hin erhält er im März die Gelegenheit, bei der Produktion der Feature-Sendung Zeugen gesucht zu hospitieren.127 Im Anschluss beginnt er eine freie Mitarbeit beim WDR/ NWRV.128 Mit der erklärten Absicht, Regisseur werden zu wollen, erlernt er das Fernsehhandwerk in den nächsten vier Jahren von Grund auf. Dabei kann er sich zunächst als Aufnahme- und später als Regieassistent, u. a. bei dem Regisseur Peter Beauvais, vielfältige Kenntnisse sowohl auf organisatorischtechnischem wie auch inszenatorisch-dramaturgischem Gebiet aneignen.129 Bereits während seiner Tätigkeit als Manager für El Al in London hat er auch mit ersten schriftstellerischen Versuchen begonnen.130 In diese Zeit fällt der Beginn seiner intensiven künstlerischen Auseinandersetzung mit den Themen Judentum und Holocaust. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland entstehen in rascher Folge mehrere Drehbuchentwürfe und Hörspielmanuskripte zu diesem Problemkreis (u. a. The Wandering Jew 131; Das Kind132; Der Mann, der für mich starb133; Der Schnorrer134). Einige dieser Arbeiten reicht er bei Rundfunk- und Fernsehanstalten in Kanada, Großbritannien, den USA und der Bundesrepublik ein, ohne dass diese jedoch zur Realisierung angenommen werden.135

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Brief von Karl Fruchtmann an Hanns Hartmann, WDR-Intendant, 3.2.1959, Seite 1

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1961 Sara, die erste Tochter von Karl und Janet Fruchtmann, wird geboren. Nach einem Studium der Ethnologie und der freien Malerei wird sie in späteren Jahren als Regisseurin, Autorin und Produzentin im Film-, Fernseh- und Hörfunkbereich sowie als Theatermacherin, u.  a. als Direktorin des Geschichtenhauses Bremen, tätig sein. Bei einigen Arbeiten ihres Vaters übernimmt sie zudem kleinere Rollen sowie die Funktion der Regieassistentin.136 Zum Jahreswechsel 1961/62 ziehen die Fruchtmanns von der Raschdorffstraße in eine größere Wohnung in der benachbarten Aachener Straße. 1962 Im Alter von 46 Jahren gibt Karl Fruchtmann mit dem vom WDR produzierten Fernsehspiel Das Abschiedsgeschenk sein Debüt als Regisseur. Die von ihm besorgte Adaption des Stücks The Browning Version des britischen Autors Terence Rattigan über einen alternden, im Leben wie in der Liebe gescheiterten Lehrer, gespielt von Wolfgang Büttner, hat am 28. März Bildschirmpremiere. Gleich mit dieser ersten Arbeit gelingt es ihm, die Kritik zu überzeugen; insbesondere wird er für seine subtile und ausgewogene Schauspielregie gelobt.137 Im Herbst des Jahres wird erstmals auch ein von ihm verfasster Originalstoff für das Fernsehen adaptiert – das von Harvey Hart für den kanadischen Sender CBC inszenierte Fernsehspiel The Man on His Back wird am 28. Oktober innerhalb der Sendereihe Quest ausgestrahlt.138 Die Vorlage war durch das renommierte US-Magazin Commentary bereits im Januar 1961 publiziert worden.139 Zehn Jahre später wird Fruchtmann diesen Stoff selbst noch einmal unter dem Titel Der Mann auf Meinem Rücken für das ZDF verfilmen. 1963 Nachdem das von ihm übersetzte Drehbuch Unsere Jenny des US-Autors N. Richard Nash bereits im Vorjahr die Grundlage für eine gleichnamige SFBFernsehproduktion gebildet hat, wird im Januar mit dem von Wilhelm Semmelroth140 an den Hamburger Kammerspielen inszenierten Gwyn-ThomasStück Träume in der Mausefalle erstmals auch eine Textübersetzung von Karl Fruchtmann an einem Theater aufgeführt. Der Regisseur Rolf von Sydow wird 1966 ebenfalls auf diese Übertragung zurückgreifen, als er das Stück für das ZDF verfilmt. In den nächsten Jahren werden von Fruchtmann übersetzte Stücke (u. a. von Sean O’Casey, John Boynton Priestley, John Arden) wiederholt für Fernseh- und Theaterinszenierungen herangezogen.

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Vier Monate nach der Premiere von Träume in der Mausefalle kann Karl Fruchtmann im Mai 1963 erstmals auch selbst für das Theater inszenieren. Am Atelier-Theater in Bern bringt er Samuel Becketts 1960 in Paris geschriebenes Monolog-Drama Glückliche Tage mit Ursula Herking in der Hauptrolle zur Aufführung. In den kommenden Jahrzehnten wird er parallel zu seiner Inszenierungstätigkeit beim Fernsehen immer wieder auch Engagements an verschiedenen Bühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz annehmen, so am Thalia Theater in Hamburg, am Wiener Burgtheater oder am Schauspielhaus Zürich. Vorrangig widmet er sich dabei Stücken zeitgenössischer Autoren wie John Arden, Fernando Arrabal, Thomas Bernhard, Edward Bond oder Václav Havel. Nach zwei weiteren Regiearbeiten für den WDR erhält Fruchtmann vom Leiter der Fernsehspielabteilung des Senders Radio Bremen Hans Bachmüller das Angebot, in der Hansestadt zu arbeiten. Als erste gemeinsame Produktion einigt man sich auf das Volksstück Männer am Sonntag nach einer Vorlage des französischen Autors Jean-Louis Roncoroni, das am 30. Juli 1963 erstausgestrahlt wird. Bereits bei dieser Produktion gewähren ihm die Senderverantwortlichen einen ungewöhnlich breiten Spielraum zur Umsetzung seiner künstlerischen Ideen.141 In den folgenden 36 Jahren wird Fruchtmann insgesamt 21 weitere Spiel- und Dokumentarfilme für Radio Bremen verantworten. All diese Arbeiten realisiert er mit einem weitgehend konstanten Team künstlerischer Mitarbeiter, bestehend aus dem Kameramann Günther Wedekind, den Komponisten Peter Fischer und Graziano Mandozzi, den Cutterinnen Friederike Köster und Ingeburg Forth, dem Szenenbildner Herbert Kirchhoff sowie den Redakteuren Jürgen Breest und Jutta Boehe-Selle. Daneben wird er immer wieder auch Regieaufträge für das ZDF, den NDR, den SFB und den ORF übernehmen, ähnlich feste Arbeitspartnerschaften wie in Bremen bilden sich hier allerdings nicht heraus. Am 1. Juni kommt die zweite Tochter Martha zur Welt. Sie arbeitet in späteren Jahren als Leichtathletiktrainerin und Sportmedizinerin, u. a. für den Verein Werder Bremen. 1966 Als letztes Kind der Eheleute Fruchtmann wird der Sohn Jakob geboren. Nachdem dieser in jungen Jahren vereinzelt kleinere Rollen beim Hörfunk und im Fernsehen übernommen hat, arbeitet er später als promovierter Politikwissenschaftler bei der Forschungsstelle für Osteuropa an der Universität Bremen sowie als Soziologe an der Jacobs University Bremen.

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Am 15. November wird im Studio des Kieler Schauspielhauses, als erstes von zwei Theaterstücken Karl Fruchtmanns, das Monolog-Spiel Jiemand uraufgeführt. Ursprünglich war das 1964 im Rowohlt-Verlag veröffentlichte Gewissensdrama um Schuld und Tugend von ihm für die Schauspielerin Ursula Herking konzipiert worden, mit der er zuvor bereits mehrfach am Theater und beim Fernsehen zusammengearbeitet hatte.142 Letztlich übernimmt die Rolle bei der Erstaufführung jedoch Elisabeth Lothar. Fruchtmann erntet für seinen Erstling weitgehend positive Publikums- und Kritikerreaktionen. Das Stück erlebt in den folgenden Jahren weitere Inszenierungen, so in Wiesbaden (1966), Ingolstadt (1969) und Basel (1972).143 1968 Im Mai beginnt Karl Fruchtmann in Tel Aviv mit den Dreharbeiten zu seinem bis dahin ambitioniertesten Film Kaddisch nach einem Lebenden.144 Hat er zuvor vor allem mit anspruchsvollen, größtenteils im Studio hergestellten Fernsehadaptionen von Theaterstoffen auf sich aufmerksam gemacht, stellt diese Produktion in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur in seiner Karriere dar. So ist nicht allein bemerkenswert, dass er für diesen Film zum ersten Mal und mit hohem Aufwand an Originalschauplätzen dreht, noch dazu im 35-mm-Format statt wie bisher mit elektronischen Kameras. Vielmehr noch kann er mit dieser im Januar 1969 ausgestrahlten Produktion, nach einem von ihm verfassten Originaldrehbuch, erstmals auch eigene thematische Akzente in seiner filmischen Arbeit setzen. Der auf Erinnerungen beruhende Stoff um die drei Holocaustüberlebenden Peri, Gurfinkel und Bach, die sich nach dem Krieg zufällig in Tel Aviv wiederbegegnen, enthält bereits einige der zentralen Motive, mit denen sich Fruchtmann in seinem weiteren Schaffen auseinandersetzen wird: die Darstellung und Offenlegung der Mechanismen menschlicher Gewalt gegenüber Unschuldigen und die daraus resultierenden Folgen für die Opfer. Auch bei seinen weiteren Filmen wird er, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Buchvorlagen stets selbst erarbeiten. Mehrfach setzt er sich dabei mit der Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in der Zeit des Nationalsozialismus auseinander, öffnet den Blick aber auch für andere Themenfelder, etwa die Ausgrenzung von Senioren in der modernen Leistungsgesellschaft, die Anfeindungen gegenüber den Sinti und Roma oder die Diskriminierung der Migranten der Gegenwart. Wie in Kaddisch nach einem Lebenden wird er dabei immer wieder auch eigene biografische Erfahrungen einbringen.145

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1969 Im Januar erlebt das zweite von Karl Fruchtmann verfasste Theaterstück, Plötzlich, im Studio des Stadttheaters Ingolstadt seine Premiere. In diesem bereits 1966 publizierten Text thematisiert er in Parabelform die Ohnmacht des intellektuellen Geistes angesichts unvermittelt hereinbrechender, roher Gewalt. Obwohl der Fabel durchweg Tiefgründigkeit attestiert wird, stört sich mancher Kritiker an der künstlerischen Umsetzung.146 Dennoch wird Karl Fruchtmann das Zwei-Personen-Stück im darauffolgenden Jahr in eigener Regie auch für den Bildschirm adaptieren. Am 5. Februar stirbt nach längerer Krankheit seine Mutter Toni in Tel Aviv. Nur zehn Monate später, am 7. Dezember, stirbt in Kfar Saba nahe Tel Aviv auch seine Schwester Claire. Der Bruder Max war bereits im Juli 1967 in seiner Wahlheimat New York verstorben.147 Trotz der räumlichen Distanz und seiner zeit- und energiefordernden Arbeit hat Karl Fruchtmann den Kontakt zu seiner Familie durch regelmäßige Besuche in Israel und den Vereinigten Staaten über die Jahre stets aufrechterhalten. Der Kontakt zu den Brüdern Benno und Hans reißt bis an sein Lebensende nicht ab.148 Nach zehn Jahren in Köln zieht Karl Fruchtmann im Sommer 1969 gemeinsam mit seiner Familie in ein Bauernhaus im Bremer Vorort Lilienthal. 1970 Am Thalia Theater in Hamburg inszeniert er im September als Erstaufführung eine Neufassung von Friedrich Dürrenmatts Erfolgsstück Die Ehe des Herrn Mississippi. In Anwesenheit des Autors wird die Premiere zu einem Publikumserfolg; die Kritik urteilt dagegen verhalten.149 1971 Spätestens ab April ist er wieder im dauerhaften Besitz der Deutschen Staatsbürgerschaft.150 Seine israelische Staatsangehörigkeit behält er dennoch wohl bis an sein Lebensende (mindestens jedoch bis 1980151). Eine Heimat im eigentlichen Sinne findet er nach eigener Aussage in beiden Ländern nicht.152 1973 Im Juli zieht Karl Fruchtmann mit seiner Familie von Lilienthal nach Bremen. Zunächst mieten sie eine Wohnung in der Kurfürstenallee im bürgerlichen Stadtteil Schwachhausen, später wohnen sie in der Holler Allee. Im Dezember 1984 bezieht die Familie schließlich ein Domizil in der Schwach-

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hausener Benquestraße. Hier werden Karl und Janet Fruchtmann bis zu ihrem Tode wohnen bleiben. 1976–1977 Nach einer Vorlage von Theodor Schübel entsteht für das ZDF das politische Dokumentarspiel Der Opportunist oder Vom Umgang mit Besatzern. In optisch zurückgenommener, weitgehend auf den Dialog konzentrierter Form nähern sich Fruchtmann und sein Autor der widersprüchlichen Rolle des französischen Ministerpräsidenten Pierre Laval zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Vichy-Frankreich. Am 17. September erstausgestrahlt, erhält das Drehbuch von Theodor Schübel im Februar 1977 den DAG-Fernsehpreis zuerkannt.153 1979 Karl Fruchtmann beginnt mit den Arbeiten zu seinem ambitionierten zweiteiligen Dokumentarfilm Zeugen (1981), für den er in Polen und Israel über 50 Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz interviewt. Insgesamt belichtet er über 100 Stunden Film, wovon letztlich etwa vier Stunden in den fertigen Film einf ließen. Zwischenzeitlich steht das Projekt zur Disposition, da es vonseiten des WDR Widerstände gegen die Produktion gibt. Der Kölner Sender, der sich für den Ankauf und die Ausstrahlung des in Arbeit befindlichen, ähnlich konzipierten Films Shoah (1985) des französischen Regisseurs Claude Lanzmann im Programm der ARD einsetzt, befürchtet durch Fruchtmanns Arbeit eine unerwünschte Konkurrenz. Nach Intervention im Programmausschuss der ARD wird die Produktion schließlich freigegeben.154 1983 schneidet Fruchtmann aus bereits verwendetem sowie bislang unveröffentlichtem Material weitere fünf Einzelfolgen, die er jeweils einer befragten Person widmet. Beim Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch wird 1982 eine Buchfassung der im Film dokumentierten Interviews publiziert. 1980 Nach einer autobiografisch gefärbten Vorlage von Jurek Becker inszeniert Karl Fruchtmann den Film Der Boxer, mit dem er sich einmal mehr der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in der Zeit des Nationalsozialismus sowie den psychologischen Nachwirkungen für die Betroffenen widmet. Obwohl die Produktion vonseiten der Zuschauer und der Rezensenten, nicht zuletzt aufgrund der Thematik, vielfach Kritik erfährt, bedankt sich Becker bei Fruchtmann für die in seinen Augen mustergültige filmische

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Umsetzung. Beide Männer wird in den kommenden Jahren eine freundschaftliche Beziehung verbinden, auch wenn es nicht mehr zu weiteren gemeinsamen Arbeiten kommt.155 1981 Nach über vierjähriger Vorbereitungs- und Produktionszeit erlebt die zweiteilige Heinrich-Schliemann-Filmbiografie Der Schatz des Priamos im Mai und Juni ihre Erstausstrahlung. Das von Fruchtmann auf Grundlage der historischen Aufzeichnungen Schliemanns entworfene Drehbuch würdigt die Leistungen des Forschers, beleuchtet aber in kritischer Weise auch dessen Neigung zu Eitelkeit und Selbststilisierung. Mit einem Budget von rund zwei Millionen DM im Zeitraum vom 24. März bis 27. Juli 1980 an Originalschauplätzen in den antiken Städten Troja und Mykene, in Athen, Istanbul sowie auf der Insel Ithaka gedreht, ist diese Produktion eine der aufwendigsten in seinem Œuvre.156 Gleichzeitig bildet der Film den Auftakt zu einer Reihe von biografischen Studien über bedeutende historische Persönlichkeiten, dem der umstrittene Zweiteiler Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies (1983) und das Émile-Zola-Porträt – trotzdem! (1989) folgen.

– trotzdem!, 1989. Karl Fruchtmann, Günther Wedekind. Werkfoto. Foto: Peter Meyer

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1982 Im 250. Todesjahr Johann Wolfgang von Goethes bringt Karl Fruchtmann im Wiener Akademietheater, der Kammerspielbühne des Burgtheaters, die von Martin Walser verfasste Szenenfolge In Goethes Hand zur Uraufführung. Obwohl der Autor, der auch bei einigen Proben zugegen ist, den Text für die Aufführung strafft und ihn gemäß den Bühnenanforderungen neu akzentuiert, können weder die Stückvorlage noch die Regieleistung die Kritiker überzeugen.157 Dennoch wird Karl Fruchtmann im Jahr 1990 erneut auf einen Text Walsers zurückgreifen. Mit Peter Striebeck und Cordula Trantow in den Hauptrollen inszeniert er die vom Autor als Übungsstück für ein Ehepaar untertitelte Zimmerschlacht; diese für die Tourneebühne konzipierte Regiearbeit ist zugleich seine letzte Theaterinszenierung.158 Im Oktober 1982 wird mit Herr Müller, was kommt auf uns zu? oder Wenn es finster wird, sieht der Blinde Karl Fruchtmanns einzige Hörfunkinszenierung erstausgestrahlt. Die Titelrolle übernimmt der Burgschauspieler Rudolf Wessely, der Fruchtmann als Intendant des Berner Atelier-Theaters 1963 bereits sein Bühnendebüt ermöglicht hat; beide Künstler verbindet seit dieser Zeit eine produktive Arbeitspartnerschaft und lebenslange enge Freundschaft. Thematisch behandelt die Stoffvorlage antisemitische Anfeindungen am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme, wobei Fruchtmann die handelnden Figuren mit mancherlei autobiografischen Bezügen ausstattet; so tragen zwei der Hauptfiguren den Namen seiner Familie mütterlicherseits, Hausmann, und die titelgebende Gestalt des Herrn Müller ist an einem 10. Dezember geboren, genau wie er selbst.159 Das dem Hörspiel zugrundeliegende Manuskript hat er bereits 1973 für eine beim ZDF geplante Verfilmung verfasst. Aufgrund der künstlerischen Eigenwilligkeit, mit der Fruchtmann das Thema behandelt – er selbst hält Herr Müller für das Beste, was er bis dahin geschrieben habe –, war das ZDF von seiner Produktionszusage damals jedoch wieder zurückgetreten.160 1984 unternimmt Karl Fruchtmann nochmals den Versuch, eine Förderung für die Verfilmung des Stoffes zu bekommen, allerdings wieder ohne Erfolg.161 1985 Nachdem er Anton Tschechows Erzählung Krankenzimmer Nr. 6 mit dem Wiener Volksschauspieler Helmut Qualtinger in der Rolle eines Psychiaters, der in die von ihm selbst geleitete Anstalt eingewiesen wird, bereits 1974 für Radio Bremen verfilmt hat, erarbeitet Fruchtmann auf Grundlage der Tschechow‘schen Vorlage eine eigene Bühnenfassung, die er am 30. März unter dem Titel Station 6 am Hamburger Thalia Theater zur Uraufführung

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bringt. Es bleibt dies das einzige Mal, dass er einen eigenen Text auch selbst für die Bühne inszeniert. Dem von ihm bereits für das Zeugen-Projekt interviewten Yacov Silberberg162, einem der wenigen Überlebenden des sogenannten Leichenkommandos im Krematorium Auschwitz-Birkenau, widmet Karl Fruchtmann einen eigenständigen Film. Ein einfacher Mensch dokumentiert dabei in erschütternder Form, wie die Traumata der Vergangenheit in den Überlebenden der Shoah fortwirken. Auf behutsame Weise gelingt es Fruchtmann aufzuzeigen, in welchem Maße den Opfern die menschliche Würde genommen wurde und dass ihnen auch Jahrzehnte nach ihrer Befreiung der Weg in ein normales Leben verwehrt bleiben muss. Der für den NDR produzierte Film, der bereits 1985 abgedreht ist, erhält nach seiner Pressevorführung im April 1986 zunächst keinen Sendeplatz in der ARD. Nachdem im Dezember 1986 vonseiten des NDR Kürzungen verlangt werden, die Karl Fruchtmann im Januar 1987 in Zusammenarbeit mit der von ihm geschätzten Cutterin Ingeburg Forth selbst vornimmt, wird der Film im April 1987 in den 3. Programmen ausgestrahlt.163 Bei der Verleihung der renommierten Adolf-Grimme-Preise am 18. März 1988 wird ihm für seine Buch- und Regiearbeit die Auszeichnung mit Gold zuerkannt.164 Im April erhält er außerdem den Filmpreis »Pegasus« des Landes Rheinland-Pfalz.165 Seine Ausstrahlung in der ARD erlebt der Film erst am 8. August 1988 im Nachtprogramm. 1989 In Würdigung seiner Arbeit als kritischer Autorenfilmer wird Karl Fruchtmann die Senatsmedaille für Kunst und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen verliehen.166 1990 Der Bremer Donat Verlag veröffentlicht die von Karl Fruchtmann verfasste Gedichtsammlung Auschwitz-Kinderlieder. Die Resonanz auf die Publikation, die auf Fruchtmanns Wunsch hin anonym erscheint, ist zwiegespalten. Während viele Buchhandlungen das Büchlein aufgrund seiner Thematik anfangs nicht in ihr Sortiment aufnehmen wollen167, erfährt Fruchtmann aus Intellektuellenkreisen außerordentlich große Zustimmung. Persönlichkeiten wie Willy Brandt, Marion Gräfin Dönhoff, Michael Ende, Jürgen Habermas, Stefan Heym, Lothar de Maizière, Hans Modrow, Johannes Mario Simmel, Rita Süssmuth und Simon Wiesenthal zeigen sich von Fruchtmanns Versen tief beeindruckt und erschüttert.168 Wiederholt rezitiert

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der Schauspieler Will Quadf lieg im Rundfunk und bei Lesungen aus den Texten.169 Schließlich bittet der Komponist Wilhelm Alexander Torkel den Autor um die Genehmigung, den Gedichtzyklus vertonen zu dürfen.170 Knapp zwei Jahre nach Karl Fruchtmanns Tod erlebt Torkels Fassung für Chor und Orchester am 27. Januar 2005 anlässlich des 60.  Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Bremer Rathaus seine Uraufführung.171 Jurek Becker nimmt als einer von nur wenigen Persönlichkeiten eine ablehnende Haltung gegenüber den Texten ein.172 Für seinen experimentierfreudigen, jedoch nicht unumstrittenen Spielfilm – trotzdem! (1989) über das Leben des Dichters Émile Zola und dessen Rolle in der antisemitisch motivierten Affäre um den jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus erhält Fruchtmann im April den DAG-Fernsehpreis in Silber.173 1991 Karl Fruchtmanns Einsatz zur Aufarbeitung der deutsch-jüdischen Geschichte wird mit dem seit 1983 jährlich vergebenen Kultur- und Friedenspreis der Bremer Villa Ichon gewürdigt. Die Laudatio hält Helmut Hafner, Beauftragter der Bremer Senatskanzlei für den interreligiösen Dialog und langjähriger Freund Fruchtmanns.174 1991–2003 Karl Fruchtmann arbeitet als Lehrbeauftragter an der Universität Bremen für die Studiengänge Kulturwissenschaften und Germanistik. Neben der Vermittlung profunder fachspezifischer Kenntnisse ist ihm die Weitergabe ethischer Werte ein zentrales Anliegen.175 In Anerkennung seiner kompetenten Tätigkeit wird ihm im Oktober 1996 eine Honorarprofessur für Filmwissenschaft an der Universität Bremen verliehen.176 1995–1996 Auf Grundlage authentischer Quellen dreht Karl Fruchtmann die dokumentarische Spielfolge Die Grube. In Form einer filmischen Rekonstruktion schildert er die Vorgänge, die im August 1941 in der ukrainischen Kleinstadt Belaja Zerkow zur Ermordung von 90 jüdischen Kleinkindern führten. Für seine präzise und eindringliche Inszenierung erfährt er große Anerkennung. Allerdings löst seine Entscheidung, eigens von ihm inszenierte, jedoch vermeintlich Authentizität suggerierende Dokumentaraufnahmen unkommentiert in den Film zu integrieren, eine publizistische Debatte aus, die ihm den Vorwurf der bewussten Bildmanipulation einbringt. Aufgrund dessen wird

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Auschwitz-Kinderlieder. Manuskript von Karl Fruchtmann, um 1990

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der Film von der Nominierungskommission nicht, wie ursprünglich vorgesehen, für den Adolf-Grimme-Preis vorgeschlagen.177 Drei Jahre nach der Erstausstrahlung des Films am 29. Oktober 1995 veröffentlicht der Bremer Donat Verlag das von Karl Fruchtmann verfasste Drehbuch als Taschenbuch. Begleitend zu seinem Film initiiert Karl Fruchtmann unter dem Motto »Genug erinnert?« zum Wintersemester 1995/96 ein interdisziplinäres Kolloquium an der Universität Bremen. Namhafte Wissenschaftler und Intellektuelle, darunter die Historiker Hans Mommsen und Manfred Messerschmidt, die Philosophin Jeanne Hersch, der Publizist Jan Philipp Reemtsma und der Politiker Peter Glotz, referieren und diskutieren in der öffentlichen Veranstaltungsreihe über verschiedene Fragestellungen zum Thema Vergangenheitsbewältigung. Die Resonanz auf das Forum, dessen Beiträge von Radio Bremen auch im Rundfunk übertragen werden, ist vielfach positiv.178 1999 In seinem letzten Film Ein einzelner Mord wendet sich Karl Fruchtmann noch einmal der Verfolgung von Minderheiten  – diesmal der Sinti und Roma  – im Nationalsozialismus zu. Ähnlich wie in Die Grube nimmt Fruchtmann in diesem Dokumentarspiel Bezug auf ein historisch verbürgtes Vorkommnis: Die Ermordung des 17-jährigen Sinto Anton Reinhardt in den letzten Kriegstagen durch SS- und Volkssturmangehörige. Aufgrund des limitierten Produktionsbudgets verzichtet Fruchtmann bei der Gestaltung der Szenen weitgehend auf dekorativen Aufwand und inszeniert den Film als ein nüchternes Kammerspiel. Der Film wird im Mai 1999 in der ARD ausgestrahlt. 1999–2003 Karl Fruchtmann empfindet die Phase des Nicht-mehr-aktiv-arbeiten-Könnens nach eigener Aussage als überaus bedrückend, insbesondere aufgrund der von ihm zunehmend negativ empfundenen politischen Lage und des von ihm wahrgenommenen wiedererstarkenden Antisemitismus in Deutschland.179 Gleichwohl erfüllt er auch weiterhin seine Aufgaben als Lehrbeauftragter an der Universität Bremen und beteiligt sich auch in Form von Vorträgen, Diskussionskreisen sowie der Teilnahme an Symposien an der ihm notwendig erscheinenden Auf klärungs- und Präventionsarbeit. Außerdem widmet er sich weiterhin der Abfassung von Kurzgeschichten, lyrischen Arbeiten und Aphorismen.

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2003 Am 10. Juni stirbt Karl Fruchtmann im Alter von 87 Jahren in Bremen. 2007 Auf Wunsch seiner Witwe Janet werden die Zeugnisse seines künstlerischen Schaffens an die Akademie der Künste übergeben, wo das Karl-FruchtmannArchiv entsteht.

1 Karteikarten des Standesamtes Meuselwitz, Stadtarchiv Meuselwitz.  — 2 Vgl. Auszug aus dem Heiratshauptregister des Standesamtes Meuselwitz vom 1.6.1927. Kopie in: Akademie der Künste, Berlin, Karl-Fruchtmann-Archiv (im Folgenden KFA), Nr. 343. Antrag von Abraham Jacob Fruchtmann zur Aufnahme in den Staatsverband Thüringen vom August 1927. Kopie in: KFA, Nr. 343. Abschrift des Geburtsscheins für Abraham Jacob Fruchtmann. Kopie in: KFA, Nr. 343. — 3 Ingolf Strassmann: Die Juden in Altenburg – Stadt und Land – woher sie kamen und wo sind sie geblieben … Manuskriptdruck vom Februar 2001, S. 37. KFA, Nr. 343. — 4 Ingolf Strassmann: Die Juden in Altenburg – Stadt und Land – woher sie kamen und wo sind sie geblieben … (im Folgenden Juden in Altenburg). Altenburg & Langenweissbach: Verlag Beier & Beran 2004, S. 64. — 5 Vgl. Auszug aus dem Heiratshauptregister des Standesamtes Meuselwitz vom 1.6.1927, a. a. O. Vgl. auch Stammbaum der Familie Hausmann. KFA, Nr. 343. Die Quellenlage ist hier nicht eindeutig. Während einige Dokumente belegen, dass Jitzchak Hausmann aus drei Ehen, u. a. mit Malka Hausmann, insgesamt 7 Kinder, darunter Toni Fruchtmann und Selig Sigmund Hausmann hatte, besagen andere Dokumente, dass Malka Hausmann die ledige Mutter von Toni Fruchtmann gewesen sei, ein Vater wird dagegen nicht genannt. Unzweifelhaft belegt ist jedoch, dass Toni Fruchtmann die Schwester von Selig Sigmund Hausmann war, als dessen Vater Jitzchak Hausmann genannt wird.  — 6 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S. 66. Vgl. auch Korrespondenz zwischen Ingolf Strassmann und Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 343.  — 7 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, ausgestrahlt in Radio Bremen 2 in der Reihe Forum Kultur im Dezember 1995. Audiomitschnitt in: Akademie der Künste, Berlin, Audiovisuelle Sammlungen (im Folgenden AVM), Nr. 32.2537. Vgl. auch den von Toni Strussmann nur mit Handzeichen unterzeichneten Auszug aus dem Heiratshauptregister des Standesamtes Meuselwitz vom 1.6.1927, a. a. O.  — 8 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. Vgl. auch Schrei­ben des Meuselwitzer KriminalOberwachtmeisters Räther vom 5.8.1927. Abschrift in: KFA, Nr. 343. — 9 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. — 10 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S.  65. — 11 Ebd. Vgl. Protokoll einer außerordentlichen Generalversammlung des zu gründenden Vereins Agudat Achim vom 21.3.1909 sowie die Erklärung über den Zusammenschluss zu einer israelitischen Religionsgemeinschaft vom 27.5.1909, Stadtarchiv Meusel-

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Nicky Rittmeyer witz. — 12 Brief von Ingolf Strassmann an Karl Fruchtmann vom 24.6.2000. KFA, Nr. 343. Ingolf Strassmann: Die Juden in Altenburg – Stadt und Land – woher sie kamen und wo sind sie geblieben … Manuskriptdruck vom Februar 2001, a. a. O., S. 64. Vgl. auch Protokoll einer außerordentlichen Generalversammlung des zu gründenden Vereins Agudat Achim vom 21.3.1909, Stadtarchiv Meuselwitz. — 13 Anzeige von Adolf Meerfeld und Aron Landwirth über die Auf lösung des Vereins Agudat Achim vom 25.3.1911. Vgl. auch Ingolf Strassmann: Die Juden von Meuselwitz / Thüringen, die Stadt des Braunkohlen-Bergbaues – woher sie kamen und wo sind sie geblieben … Unveröffentlichtes Manuskript, München 1996, S. 4. KFA, Nr. 343. Ingolf Strassmann: Die Juden in Altenburg – Stadt und Land – woher sie kamen und wo sind sie geblieben … Manuskriptdruck vom Februar 2001, a. a. O., S. 7, 22. — 14 Erklärung von Max Fruchtmann für die Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim, o. D. KFA, Nr. 1136. Vgl. auch Angaben im Brief kopf bogen der Firma Jakob Fruchtmann K. G. KFA, Nr. 343. — 15 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S. 65. Erklärung von Max Fruchtmann für die Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim, o. D., a. a. O.  — 16 Eintrag im Grundbuch der Stadt Meuselwitz, Band 28, Blatt 1184, und Band 14, Blatt 578, hier wiedergegeben nach dem Bescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen an John H. Fruchtmann [d. i. Hans Fruchtmann] vom 23.10.1998. Kopie in: KFA, Nr. 1134. — 17 Karteikarten des Standesamtes Meuselwitz, a. a. O. — 18 Auszug aus dem Heiratshauptregister des Standesamtes Meuselwitz vom 1.6.1927, a. a. O. — 19 Karteikarten des Standesamtes Meuselwitz, a. a. O. — 20 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O.  — 21 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S. 65. Vgl. auch den Antrag von Abraham Jacob Strussmann zur Aufnahme in den Staatsverbund Thüringen vom August 1927, a. a. O.  — 22 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. Fernsehinterview von Michael Geyer mit Karl Fruchtmann, ausgestrahlt in der Sendereihe Profile, Radio Bremen 1995. Videomitschnitt in: AVM, Nr. 33.3390. — 23 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S. 65. — 24 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. — 25 Schülerbogen der Volksschule Meuselwitz für Karl Fruchtmann. Kopie in: KFA, Nr. 343.  — 26 Vgl. Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim für Karl Fruchtmann vom 26.2.1959. KFA, Nr. 1135. Brief von Alfred Bergter an Karl Fruchtmann vom 27.10.1970. KFA, Nr. 904. Den Angaben der Entschädigungsbehörde in Hildesheim zufolge, besuchte Karl Fruchtmann das Humanistische Gymnasium in Zeitz, während Alfred Bergter in seinem Brief von einem Besuch der Realschule Karl Fruchtmanns in Zeitz spricht. — 27 Brief von Alfred Bergter an Karl Fruchtmann vom 27.10.1970, a. a. O. — 28 Antrag von Abraham Jacob Strussmann zur Aufnahme in den Staatsverbund Thüringen vom August 1927, a. a. O. Einbürgerungsurkunde des Thüringischen Ministeriums für Inneres und Wirtschaft für die Familie Strussmann / Fruchtmann vom 27.3.1928. Kopie einer Abschrift in: KFA, Nr. 343.  — 29  Urkunde des Thüringischen Justizministeriums vom 21.10.1929. KFA, Nr. 1085. — 30 Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim für Karl Fruchtmann vom 26.2.1959, a. a. O. — 31 E-Mail-

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Chronik Auskunft von Jakob Fruchtmann vom 20.9.2018. Vgl. auch Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. Bereits seit 1930 war die NSDAP im Land Thüringen an der Regierung beteiligt. Bei der Wahl zum sechsten Thüringer Landtag wurde die NSDAP schließlich stärkste Kraft und stellte unter dem Vorsitz von Fritz Sauckel gemeinsam mit dem Thüringer Landbund die Landesregierung. — 32 Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann von [1958]. KFA, Nr. 1136. Polizeibericht des Leiters der Sicherheitspolizei vom 5.4.1933. Kopie in: KFA, Nr. 343. Zeugenaussage von Max Hausmann, hier wiedergegeben nach der Berufungsbegründung des Rechtsanwalts Arthur Müller im Wiedergutmachungsverfahren der Familie Fruchtmann gegen das Land Niedersachsen vom 8.5.1961. Durchschrift in: KFA, Nr. 1135. Fernsehinterview von Michael Geyer mit Karl Fruchtmann, a. a. O.  — 33 Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann von [1958], a. a. O. — 34 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S. 66. Vgl. auch die Rechnung der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig für die Grabstelle Jacob Fruchtmann vom 12.1.1993. KFA, Nr. 1139. — 35 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S. 65. Brief von Ingolf Strassmann an Karl Fruchtmann vom 25.3.1999. KFA, Nr. 343. — 36 Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann von [1958], a. a. O. — 37 Vgl. den Eintrag im Führungszeugnis der Stadt Meuselwitz für Karl Fruchtmann vom 29.6.1937. Kopie in: KFA, Nr. 1085. Vgl. auch den Bericht der Polizeistelle Meuselwitz an das Geheime Staatspolizeiamt in Weimar vom 20.9.1934. Kopie in: KFA, Nr. 343. — 38 Vertrag über die Errichtung der Jacob Fruchtmann Kommanditgesellschaft vom 13.3.1934. Beglaubigte Abschrift in: KFA, Nr. 1133. — 39 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. — 40 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S.  65. — 41 Kaufmännischer Lehrvertrag für Kurt Beyer vom 15.3.1932. KFA, Nr. 1133. Arbeitszeugnis von Benno Fruchtmann für Kurt Beyer vom 30.3.1937. KFA, Nr. 1133. — 42 Bericht der Polizeistelle Meuselwitz an das Geheime Staatspolizeiamt in Weimar vom 20.9.1934, a. a. O. — 43 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O.  — 44 Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim für Karl Fruchtmann vom 26.2.1959, a. a. O.  — 45 Maturitätszeugnis für Karl Fruchtmann vom 25.3.1936. KFA, Nr. 1085.  — 46 Medizinischer Attest von Dr. med. Gerhard Ullrich für Toni Fruchtmann vom 14.7.1936. Kopie in: KFA, Nr. 1136. Vgl. auch das Schrei­ben von Toni Fruchtmann an den Ersten Bürgermeister der Stadt Meuselwitz vom 20.2.1936 sowie das Antwortschreiben an Toni Fruchtmann vom 29.2.1936. Kopien in: KFA, Nr. 343.  — 47 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O.  — 48 Polizeiliche Anmeldung von Karl Fruchtmann in Meuselwitz vom 12.5.1936. KFA, Nr. 1085.  — 49 Eigenen Angaben zufolge will Karl Fruchtmann bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr aus der Schweiz im Mai 1936 in polizeilichen Gewahrsam genommen worden sein, wonach sein Bruder Max gegenüber den bundesrepublikanischen Entschädigungsbehörden erklärte, beide seien gemeinsam am 10.7.1936 verhaftet und zunächst im Amtsgerichtsgefängnis Meuselwitz inhaftiert worden. Das von Dr. med. Gerhard Ullrich am 14.7.1936 ausgestellte ärztliche Attest nach dem Nervenzusammenbruch von Toni Fruchtmann infolge der Verhaftung von Karl und Max Fruchtmann scheint eher die Version von Max Fruchtmann zu

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Nicky Rittmeyer bestätigen. Gleichwohl kann eine mögliche frühere Verhaftung Karl Fruchtmanns nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Vgl. Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim für Karl Fruchtmann vom 26.2.1959, a. a. O. Brief von Rechtsanwalt Alfons Militscher an die Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten Hildesheim vom 23.1.1959. Durchschrift in: KFA, Nr. 1135. — 50 Medizinischer Attest von Dr. med. Gerhard Ullrich für Toni Fruchtmann vom 14.7.1936, a. a. O. Vgl. auch das Schrei­ben von Toni Fruchtmann an den Ersten Bürgermeister der Stadt Meuselwitz vom 20.2.1936 sowie das Antwortschreiben an Toni Fruchtmann vom 29.2.1936, a. a. O. Vgl. auch Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim für Toni Fruchtmann vom 13.7.1959. KFA, Nr. 1136.  — 51 Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim für Karl Fruchtmann vom 26.2.1959, a. a. O. Brief von Rechtsanwalt Alfons Militscher an die Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten Hildesheim vom 23.1.1959, a. a. O. Brief von Rechtsanwalt Alfons Militscher an Karl Fruchtmann vom 26.1.1959. KFA, Nr. 1135. — 52 Eintrag im Häftlingsbuch der KZ-Gedenkstätte Dachau, hier wiedergegeben nach Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S.  65. — 53  Vgl. u. a. Karl Fruchtmann: Ein einfacher Mensch. Interview vom 23.5.1990. In: Nea WeissbergBob (Hg.): Jetzt wohin? Von außen nach innen schauen. Gespräche, Gedichte, Briefe. Was ist eigentlich »jüdisch« und was »deutsch«? (im Folgenden Karl Fruchtmann: Ein einfacher Mensch). O. O.: Lichtig 1993. Stefanie Rosenkranz: Die Skala der Leiden ist unendlich. In: Stern, TV-Magazin, Nr. 32 vom 4.8.1988. Interview von Kirsten Landwehr mit Karl Fruchtmann vom 30.8.2001. Tonbandabschrift in: KFA, Nr. 1106. Fernsehinterview von Michael Geyer mit Karl Fruchtmann, a. a. O. — 54 Brief von Max Fruchtmann aus dem KZ Sachsenburg an Toni und Benno Fruchtmann vom 16.10.1936. KFA, Nr. 384. — 55 Brief von Benno Fruchtmann an das Ausgleichsamt der Freien Hansestadt Bremen vom 16.7.1978. Kopie in: KFA, Nr. 1133. Vgl. auch Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. — 56 Ebd. Brief von Rechtsanwalt Erich Haas an Rechtsanwalt Max Heyn vom 11.12.1958. Kopie in: KFA, Nr. 1136. Brief von Rechtsanwalt Max Heyn an Rechtsanwalt Erich Haas vom 2.1.1959. Durchschrift in: KFA, Nr.  1136. — 57 Schrei­ ben [der Polizeistelle Meuselwitz?] an das Thüringische Kreisamt in Altenburg vom 19.6.1937. Stadtarchiv Meuselwitz. Brief von Rechtsanwalt Alfons Militscher an die Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten Hildesheim vom 23.1.1959, a. a. O. Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim vom 26.2.1959, a. a. O. — 58 Bescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen an John H. Fruchtmann [d. i. Hans Fruchtmann] vom 21.10.1998. Kopie in: KFA, Nr. 1134.  — 59 Brief von Rechtsanwalt Erich Haas an die GROHAG Grosshandels-GmbH vom 18.7.1958. Durchschrift in: KFA, Nr. 1135.  — 60 Zur personellen Zusammensetzung des Konsortiums vgl. Brief von Rechtsanwalt Erich Haas an die Zentralkartei für das Entschädigungswesen Düsseldorf vom 22.8.1958. Durchschrift in: KFA, Nr. 1135.  — 61 Brief von Ingolf Strassmann an Karl Fruchtmann vom 14.10.1997. KFA, Nr. 343. Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S.  65. — 62 Bescheide des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen an John H. Fruchtmann [d. i. Hans Frucht-

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Chronik mann] vom 21.10.1998 und vom 23.10.1998. Kopien in: KFA, Nr. 1134. — 63 Brief vom Ausgleichsamt der Freien Hansestadt Bremen an Karl Fruchtmann vom 20.4.1988. KFA, Nr. 1134. Laut Schrei­ben von Rechtsanwalt Erich Haas an die Zentralkartei für das Entschädigungswesen in Düsseldorf vom 22.8.1958 betrug die Zahl der Angestellten 80, a. a. O. Auch in der Berufungsbegründung des Rechtsanwalts Arthur Müller im Wiedergutmachungsverfahren der Familie Fruchtmann gegen das Land Niedersachsen vom 8.5.1961 wird eine Zahl von 80 bis 90 Angestellten genannt, a. a. O.  — 64 Brief vom Ausgleichsamt der Freien Hansestadt Bremen an Karl Fruchtmann vom 20.4.1988, a. a. O. — 65 Brief von Rechtsanwalt Erich Haas an die GROHAG Grosshandels-GmbH vom 18.7.1958, a. a. O. Brief von Rechtsanwalt Erich Haas an die Zentralkartei für das Entschädigungswesen in Düsseldorf vom 22.8.1958, a. a. O. — 66 Bescheid des Ausgleichsamtes der Freien Hansestadt Bremen vom 12.12.1988. KFA, Nr. 1134. Brief von Karl und Benno Fruchtmann an das Ausgleichsamt der Freien Hansestadt Bremen, Schnur, vom 8.9.1984. KFA, Nr. 1133. Laut Schrei­ben von Rechtsanwalt Erich Haas an die Zentralkartei für das Entschädigungswesen in Düsseldorf vom 22.8.1958 betrug der Kaufpreis ca. 65.000 RM, a. a. O.  — 67 Zur Wertermittlung der Firma vgl. Brief vom Ausgleichsamt der Freien Hansestadt Bremen an Karl Fruchtmann vom 20.4.1988, a. a. O. — 68 Brief von Karl und Benno Fruchtmann an das Ausgleichsamt der Freien Hansestadt Bremen, Schnur, vom 8.9.1984, a. a. O.  — 69 Brief von Rechtsanwalt Erich Haas an Rechtsanwalt Max Heyn vom 11.12.1958, a. a. O. Brief von Rechtsanwalt Max Heyn an die Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim vom 2.1.1959. Durchschrift in: KFA, Nr. 1136.  — 70 Nach eigenen Angaben hat auch Karl Fruchtmann ein sogenanntes Kapitalisten-Zertifikat für das Britische Mandatsgebiet Palästina im Wert von 20.000 RM für seine Emigration in Anspruch genommen. Vgl. Brief von Rechtsanwalt Alfons Militscher an Karl Fruchtmann vom 11.5.1959. KFA, Nr. 1135. Vgl. auch Brief vom Ausgleichsamt der Freien Hansestadt Bremen an Karl Fruchtmann vom 20.4.1988, a. a. O. — 71 Schrei­ben [der Polizeistelle Meuselwitz?] an das Thüringische Kreisamt in Altenburg vom 19.6.1937, a. a. O.  — 72 Führungszeugnis der Stadt Meuselwitz für Karl Fruchtmann vom 29.6.1937, a. a. O. — 73 Polizeiliche Abmeldung von Karl Fruchtmann aus Meuselwitz vom 2.7.1936. KFA, Nr. 1085. — 74 Vgl. Fernsehinterview von Michael Geyer mit Karl Fruchtmann, a. a. O. — 75 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S. 66.  — 76 Vgl. Urkunde Nr. 100/1939 des Notars und Rechtsanwaltes Martin Bliedtner aus Meuselwitz sowie die Verkaufsgenehmigung durch die Devisenstelle Leipzig (Akte D-SI 634/36) vom 8.2.1939, beide Dokumente hier wiedergegeben nach dem Bescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen an John H. Fruchtmann [d. i. Hans Fruchtmann] vom 23.10.1998, a. a. O. — 77 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S.  66. — 78 Ebd. Brief von Rechtsanwalt Erich Haas an Rechtsanwalt Max Heyn vom 11.12.1958, a.  a.  O. Das Ausgleichsamt der Freien Hansestadt Bremen gibt in seinem Schrei­ben an Karl Fruchtmann vom 20.4.1988 einen Betrag von 7.500 RM für die geleistete Reichsf luchtsteuer für Toni Fruchtmann an, a. a. O.  — 79 Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim für Toni Fruchtmann vom 13.7.1959, a. a. O. — 80 Ingolf Strassmann: Juden in Altenburg, a. a. O., S.  66. —

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Nicky Rittmeyer 81 Vgl. u. a. Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. Nachruf von Andrew Roth auf Karl Fruchtmann. In: The Guardian vom 22.8.2003. — 82 Nachruf von Ingolf Strassmann auf Karl Fruchtmann. In: Der Bote vom August 2003. — 83 Fernsehinterview von Michael Geyer mit Karl Fruchtmann, a. a. O.  — 84 Vgl. Karl Fruchtmann: Ein einfacher Mensch, a. a. O. Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. Fernsehinterview von Michael Geyer mit Karl Fruchtmann, a. a. O.  — 85 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. Einer undatierten Erklärung von Max Fruchtmann für die Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim zufolge war Toni Fruchtmann auch in den späteren Jahren ihrer Emigration weder der hebräischen noch der englischen, sondern ausschließlich der deutschen Sprache mächtig, was eine Integration in die neue Gesellschaft nahezu unmöglich machte. Durchschrift in: KFA, Nr. 1136. — 86 Max Fruchtmann kehrte nach 1945 zwischenzeitlich als US-Besatzungssoldat nach Deutschland zurück. Im Rahmen seines Einsatzes hielt er sich mindestens bis 1952 in Köln auf. Vgl. Berufungsbegründung des Rechtsanwalts Arthur Müller im Wiedergutmachungsverfahren der Familie Fruchtmann gegen das Land Niedersachsen vom 8.5.1961, a. a. O.  — 87 Palästinensisches Einbürgerungszertifikat für Karl Fruchtmann vom 31.12.1946. KFA, Nr. 1081. — 88 Interviewaussage von Karl Fruchtmann, hier wiedergegeben nach Anonymus: Prominente proben im Atelier-Theater, o. O., o. D. KFA, Nr. 795.  — 89 Nachruf von Ingolf Strassmann auf Karl Fruchtmann, a. a. O. Vgl. auch den Eintrag im Ausländerausweis mit Arbeitserlaubnis der britischen Behörden für Karl Fruchtmann vom November 1953. KFA, Nr. 1081. — 90 Bestätigung der Personalabteilung der Fluggesellschaft El Al zur Auf lösung des Arbeitsverhältnisses mit Karl Fruchtmann vom 24.7.1958. KFA, Nr. 1081.  — 91 Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann vom 28.11.1958. KFA, Nr. 1135. — 92 Eintrag im Ausländerausweis mit Arbeitserlaubnis der britischen Behörden für Karl Fruchtmann vom November 1953. KFA, Nr. 1081. Eintrag im Reisepass des Staates Israel für Karl Fruchtmann, ausgestellt am 9.10.1953. KFA, Nr. 1081.  — 93 Nachruf von Andrew Roth auf Karl Fruchtmann. In: The Guardian vom 22.8.2003. — 94 Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann vom 28.11.1958, a. a. O. — 95 Eintrag im Ausländerausweis mit Arbeitserlaubnis der britischen Behörden für Karl Fruchtmann vom November 1953, a. a. O. Vgl. auch Visitenkarte von Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 727. — 96 Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann vom 28.11.1958, a. a. O. Seine ursprüngliche Angabe in der Erklärung, wonach er bis September in London tätig war, hat er nachträglich auf Ende Juli 1957 korrigiert. Laut Bestätigungsschreiben der Personalabteilung der Fluggesellschaft El Al zur Auf lösung des Arbeitsverhältnisses mit Karl Fruchtmann vom 24.7.1958 war er vor seiner zeitweiligen Beurlaubung jedoch offiziell bis zum 2.9.1957 beschäftigt, a. a. O. — 97 Eintrag im Ausländerausweis mit Arbeitserlaubnis der britischen Behörden für Karl Fruchtmann vom November 1953, a. a. O. — 98 Vgl. den Reisepass des Staates Israel für Karl Fruchtmann, ausgestellt am 9.10.1953. KFA, Nr. 1081.  — 99 Nachruf von Andrew Roth auf Karl Fruchtmann, a. a. O.  — 100 E-Mail-Auskunft von Sara Fruchtmann vom 13.8.2018. Vgl. auch Irmela Körner: Der Regisseur Karl Fruchtmann. Erinnern an das Unfassbare. In: Brillant. Das

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Chronik Gesellschaftsmagazin aus Bremen, 7. Jg., Nr. 1, 1998. — 101 Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann vom 28.11.1958, a. a. O. Vgl. dazu die Ausführungen unter Anmerkung 96. — 102 Ebd. Einem Schrei­ben von Rechtsanwalt Alfons Militscher an Karl Fruchtmann vom 11.5.1959 zufolge studierte Fruchtmann mindestens in der Zeit von August 1957 bis März 1958, a. a. O. — 103 Bescheinigung des Regent Street Polytechnic London für Karl Fruchtmann vom 21.11.1958. Übersetzung in: KFA, Nr. 1135. Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann vom 28.11.1958, a. a. O. — 104 Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann vom 28.11.1958, a. a. O. Vgl. auch Personalunterlagen der Fluggesellschaft El Al für Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 1081.  — 105  Undatierter Stellungsbefehl für Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 1081.  — 106 Vgl. Unterlagen zur Befreiung Karl Fruchtmanns vom Militärdienst bei den Israelischen Streitkräften. KFA, Nr. 1081. — 107 Bestätigungen der Personalabteilung der Fluggesellschaft El Al zur Auf lösung des Arbeitsverhältnisses mit Karl Fruchtmann vom 10.7.1958 bzw. 24.7.1958. KFA, Nr. 1081.  — 108 Vgl. Unterlagen zur Befreiung Karl Fruchtmanns vom Militärdienst bei den Israelischen Streitkräften, a. a. O. — 109 Karl Fruchtmann hält sich nachweislich spätestens seit Anfang November 1958 in der BRD auf. Vgl. Brief von Karl Fruchtmann an Rechtsanwalt Max Heyn vom 11.11.1958 sowie Brief von Karl Fruchtmann an seine Familie vom 11.11.1958. KFA, Nr. 1136. — 110 Vgl. Briefe von Karl Fruchtmann an seine Familie vom 23.11.1958 und o. D. KFA, Nr. 1135. — 111 Generalvollmacht von Toni Fruchtmann, Claire Weissmann und Max Fruchtmann für Karl Fruchtmann vom 21.9.1958. KFA, Nr. 1136. — 112 Brief von Karl Fruchtmann an Rechtsanwalt Max Heyn vom 11.11.1958, a. a. O. Vgl. dazu auch die weiteren Korrespondenzen und Erklärungen in KFA, Nr. 1136.  — 113 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Karl Fruchtmann vom 28.11.1958, a. a. O. Mit Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim vom 14.7.1960 wird Karl Fruchtmann eine pauschale Entschädigung in Höhe von 5.000 DM für Nachteile in der beruf lichen Ausbildung gewährt. Dagegen wird die im November 1958 beantragte Ausbildungsbeihilfe zur Finanzierung seiner Studienaufwendungen mit der Begründung abgelehnt, dass es sich dabei nicht um eine Aus-, sondern um eine Weiterbildung handele. KFA, Nr. 1135. Vgl. auch Brief von Rechtsanwalt Alfons Militscher an Karl Fruchtmann vom 6.8.1960. KFA, Nr. 1135.  — 114 Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim für Karl Fruchtmann vom 26.2.1959, a. a. O. — 115 Brief der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim an Rechtsanwalt Erich Haas vom 10.7.1958. Durchschrift in: KFA, Nr. 1135. Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Hildesheim für Karl Fruchtmann vom 26.2.1959, a. a. O. Brief von Rechtsanwalt Alfons Militscher an Wilhelm Grzyb vom 9.8.1960. Abschrift in: KFA, Nr. 1135. — 116 Bescheide des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen an John H. Fruchtmann [d. i. Hans Fruchtmann] vom 21.10.1998 und vom 23.10.1998, a.  a.  O. Vgl. dazu auch die weitere Korrespondenz in KFA, Nr. 1134.  — 117 Fernsehinterview von Michael Geyer mit Karl Fruchtmann, a. a. O. — 118 Brief von Karl Fruchtmann an das Einbürgerungsamt beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main vom 23.11.1958. KFA, Nr. 1135. — 119 Staatsangehörigkeitsurkunde der Bundesrepublik Deutschland für Karl Fruchtmann vom

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Nicky Rittmeyer 17.2.1959. KFA, Nr. 1081. — 120 So sind beide zu dieser Zeit noch mehrfach zwischen ihren bisherigen Wohnsitzen und denen ihrer Familien in London, Tel Aviv und New York unterwegs. Vgl. Flugtickets für Karl Fruchtmann und Janet Fruchtmann. KFA, Nr. 1081. Vgl. auch: Franco Zotta: Vierzig Jahre Kurzbesuch. In: taz vom 16.6.1998.  — 121 Vgl. Brief von Rechtsanwalt Alfons Militscher an Karl Fruchtmann vom 19.3.1959. KFA, Nr. 1135. Der offizielle Antrag Karl Fruchtmanns auf Zahlung einer Soforthilfe für Rückwanderer in Höhe von 6000,- DM datiert vom 12.8.1959, die Entschädigung wird ihm am 6.10.1959 gewährt. Teil-Bescheid der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten Hildesheim für Karl Fruchtmann vom 6.10.1959. KFA, Nr. 1135. — 122 Vgl. u. a. Brief von Karl Fruchtmann an Rechtsanwalt Alfons Militscher vom 18.5.1960. KFA, Nr. 1135. — 123 Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O.  — 124 Brief von Karl Fruchtmann an den WDR-Intendanten Hanns Hartmann vom 5.2.1959. WDR Unternehmensarchiv, Sign. 4231. — 125 Der NWRV war in den Jahren von 1956 – 1961 eine von NDR und WDR betriebene Sendervereinigung zum Zweck der Ausstrahlung eines gemeinsamen Fernsehprogramms. — 126 Brief von Klaus Mahlo, Chefredaktion Nord- und westdeutscher Rundfunkverband (NWRV), Fernsehen Köln, an Karl Fruchtmann vom 12.2.1959. WDR Unternehmensarchiv, Sign. 4231. — 127 Brief von Klaus Mahlo, Chefredaktion Nord- und westdeutscher Rundfunkverband (NWRV), Fernsehen Köln, an Karl Fruchtmann vom 4.3.1959. KFA, Nr. 522. — 128 E-Mail-Auskunft von Petra Witting-Nöthen, WDR Unternehmensarchiv, vom 30.8.2018. — 129 Beispielsweise ist er 1961 an dem von Beauvais inszenierten Fernsehspiel Erinnerst Du dich? als Regieassistent beteiligt. WDR Unternehmensarchiv, Datenbankauszug Objektdokumentation, Sign. Epi 20. — 130 Interviewaussage von Karl Fruchtmann, hier wiedergegeben nach Anonymus: Prominente proben im Atelier-Theater, o.  O., o. D. KFA, Nr. 795. — 131 Vgl. die Typoskriptfassungen und Arbeitsnotizen von Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 1055. — 132 Vgl. die Typoskriptfassungen von Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 1057. — 133 Vgl. die Typoskriptfassungen von Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 1062.  — 134 Vgl. die Manuskriptfassung von Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 1086. — 135 Vgl. u. a. die ablehnenden Schrei­ben in KFA, Nr. 1062, Nr. 1066 sowie den Brief von Klaus Mahlo, Chefredaktion Nord- und westdeutscher Rundfunkverband (NWRV), an den WDR-Intendaten Hanns Hartmann, vom 12.2.1959. WDR Unternehmensarchiv, Sign. 4231. — 136 So bei den Filmen Zeugen (1981), Tote Briefe (1991), Der Affe Gottes (1992), Die Grube (1995) und Ein einzelner Mord (1999). — 137 Vgl. die Kritiken. KFA, Nr. 813. — 138 Vgl. die Drehbuchfassungen und Kritiken. KFA, Nr. 821. — 139 Vgl. KFA, Nr. 298. — 140 Der Kontakt zwischen Wilhelm Semmelroth und Karl Fruchtmann kam durch beider Tätigkeit für den WDR zustande, wo Semmelroth neben seiner Regietätigkeit bei Theater und Fernsehen auch in leitender administrativer Funktion beschäftigt war. — 141 Vgl. u. a. den Brief von Hans Bachmüller, Radio Bremen, Abteilung FS-Spiel und Unterhaltung, an Karl Fruchtmann vom 16.5.1963. KFA, Nr. 810. — 142 Entsprechend hat Karl Fruchtmann dem Stück den Untertitel »Für Ulla zum Spielen« gegeben. — 143 Vgl. die Programmhefte und Kritiken. KFA, Nr. 55. — 144 Vgl. den Terminplan und Drehplan. KFA, Nr. 900, Nr. 901. — 145  Vgl. u. a.

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Chronik die Anmerkung 15 im hier abgedruckten Textbeitrag von Michael Töteberg.  — 146 Vgl. die Kritiken zur Bühnen- und Fernsehinszenierung. KFA, Nr. 880, Nr. 885. — 147 Die Sterbedaten sind angegeben nach den Personaldaten im Bescheid des Ausgleichsamtes der Freien Hansestadt Bremen vom 12.12.1988, a. a. O.  — 148 Vgl. u. a. Rundfunkgespräch von Alfred Paffenholz mit Karl Fruchtmann vom 14.11.1995, a. a. O. sowie die Korrespondenzen zwischen Benno Fruchtmann und Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 384, Nr. 1122, Nr. 1149. — 149 Vgl. die Kritiken. KFA, Nr. 64.  — 150 Vgl. Reisepass der Bundesrepublik Deutschland für Karl Fruchtmann, ausgestellt am 6.4.1971. KFA, Nr. 1081.  — 151 Vgl. Reisepass des Staates Israel für Karl Fruchtmann, ausgestellt am 10.7.1980. KFA, Nr. 1081.  — 152 Vgl. Karl Fruchtmann: Ein einfacher Mensch, a. a. O. — 153 Vgl. KFA, Nr. 523. — 154 Werner Meyke in einem Gespräch mit dem Autor am 28.9.2018. — 155 Vgl. Korrespondenzen Jurek Becker mit Karl Fruchtmann. Akademie der Künste, Berlin, JurekBecker-Archiv, Nr. 742, Nr. 2901. KFA, Nr. 398.  — 156 Vgl. Drehplan. KFA, Nr. 985. Dispositionen für Dreh und Nachdreh. KFA, Nr. 987. — 157 Vgl. die Kritiken. KFA, Nr. 740. — 158 Vgl. KFA, Nr. 557, Nr. 560. — 159 Vgl. die Drehbuchfassungen von Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 929, Nr. 930, Nr. 931, Nr. 933.  — 160  Vgl. Korrespondenz zwischen Ulrich Kühn, ZDF Programmdirektion Fernsehspiel und Film, und Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 934.  — 161 Brief von Norbert A. Friedländer an Karl Fruchtmann vom 23.7.1984. Ebd.  — 162 Die Schreibweise des Namens orientiert sich am Abspann des Films Ein einfacher Mensch. Folgende alternative Schreibweisen sind ebenfalls nachweisbar: Yakov / Ja­­ kob / Jakow / Jakov / Jacov / Jaacov / Jacob Silberberg / Zilberberg / Silbermann.  — 163 Vgl. Brief von Jens-Uwe Scheff ler, NDR Abteilung Fernsehspiel, an KarlHeinz Knippenberg vom 10.12.1986. KFA, Nr. 127.  — 164 Vgl. KFA, Nr. 657, Nr. 736. — 165 Vgl. KFA, Nr. 666, Nr. 738. — 166 Vgl. KFA, Nr. 652, Nr. 1113. AVM, Nr. 32.2530. — 167 Bericht von Helmut Donat über den Umgang Bremer Buchhändler mit der Publikation Auschwitz-Kinderlieder. KFA, Nr. 542. — 168 Vgl. die Briefe derselben an Helmut Hafner. Ebd. — 169 CK: Promis contra Walser. In: taz vom 19.11.1998. Der Audiomitschnitt einer Rundfunklesung befindet sich in: AVM, Nr. 32.4522.  — 170 Vgl. die diesbezügliche Korrespondenz zwischen Karl Fruchtmann und Helmut Donat sowie den Brief von Wilhelm Alexander Torkel an Helmut Donat. KFA, Nr. 1099. — 171 Vgl. den Bericht über die Aufführung unter: http://www.zwischen-toene.de/auschwitz.html, zuletzt abgerufen am 30.8.2018 — 172 Brief von Jurek Becker an Helmut Hafner vom 7.6.1990. KFA, Nr. 542.  — 173 Vgl. KFA, Nr. 442, Nr. 1243. — 174 Vgl. KFA, Nr. 441. — 175 Vgl. dazu die im Karl-Fruchtmann-Archiv überlieferten Unterlagen zu seinen Lehrveranstaltungen an der Universität Bremen. — 176 Berufungsurkunde der Universität Bremen für Karl Fruchtmann. KFA, Nr. 432. — 177 Vgl. dazu den Bericht von Fritz Wolf in epd/Kirche und Rundfunk, Nr. 4, 1996 sowie die zugehörigen Repliken. KFA, Nr. 349. — 178 Vgl. KFA, Nr. 417, Nr. 418. — 179 Brief von Karl Fruchtmann an Helmut Hafner, undatiert, um 2002. KFA, Nr. 589.

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Nicky Rittmeyer

Werkverzeichnis Fernsehen Die vorliegende Filmografie verzeichnet neben den eigenständigen Regie- und Drehbucharbeiten Karl Fruchtmanns auch Inszenierungen anderer Regisseure, die auf literarischen Vorlagen bzw. Stückübersetzungen von Karl Fruchtmann beruhen. Sonstige Übersetzer wurden nicht genannt. Die Sortierung der Titel erfolgt nach dem Erstausstrahlungsdatum. Diese Filmografie basiert im Wesentlichen auf folgenden Quellen: Angaben in den Vor- und Abspännen der Fernsehproduktionen; Materialien aus dem Karl-Fruchtmann-Archiv in der Akademie der Künste, Berlin; Materialien aus den historischen Archiven von ORF, RB, WDR und ZDF; Programmblätter des NDR; Günter Zeutzschel: Das Fernsehspiel-Archiv; Publikationsreihen Fernsehspiele in der ARD 1952 – 1972; Fernsehspiele in der ARD 1972 – 1977; Lexikon der Fernsehspiele 1978  – 1987; Das Fernsehspiel im ZDF; sowie den OnlineDatenbanken www.imdb.com, www.deutsches-filmhaus.de und www.filmportal.de. B: Buch. BIR: Bildregie. BÜR: Bühnenregie. D: Darsteller. EA: Erstausstrahlung. FB: Fernsehbearbeitung. K: Kamera. M: Musik. P: Produktion. R: Regie. RA: Regieassistenz. S: Szenenbild. SC: Schnitt. Ü: Übersetzung. A: Österreich. ARD: Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der BRD. ARD2: Zweites Programm der ARD (1961–1963). BRD: Bundesrepublik Deutschland. CAN: Kanada. CBC: Canadian Broadcasting Corporation. D: Deutschland. DRS: Radio- und Fernsehgesellschaft der deutschen und rätoromanischen Schweiz. NDR: Norddeutscher Rundfunk. ORF: Österreichischer Rundfunk. RB: Radio Bremen. SFB: Sender Freies Berlin. SWF: Südwestfunk. SW3: Regionalprogramm des SWF. WDR: Westdeutscher Rundfunk. ZDF: Zweites Deutsches Fernsehen. 1961. BRD. Erinnerst Du Dich? R: Peter Beauvais. RA: Karl Fruchtmann. B: nach Paul Osborn. FB: Peter Beauvais, Ernst Laurenze. K: Edgar Handschel, Arkadij Ljutow, Manfred Lück, Valentin Pommer, Hermann Roth. S: Helmut Nötzoldt. SC: Adelheid Reinisch. M: Bernd Kampka. D: Fita Benkhoff, Sabine Sinjen, Fritz Tillmann. P: WDR. EA: 14.12.1961, ARD. 1962. BRD. Das Abschiedsgeschenk. R: Karl Fruchtmann. B: nach Terence Rattigan. FB: Karl Fruchtmann. K: Erhard Spandel. S: Theo Zwierski. SC: Adelheid Reinisch. D: Dagmar Altrichter, Wolfgang Büttner, Reinhard Jahn. P: WDR. EA: 28.3.1962, ARD2.

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Werkverzeichnis 1962. BRD. Ein netter Abend. R: Karl Fruchtmann. B: nach Patricia Joudry. FB: Karl Fruchtmann. K: Günther Bading, Ewald Burike, Hans-Dieter Christ, Otto Heinrich, Manfred Lück. S: Alfons Windau. SC: Adelheid Reinisch. M: Hans Jönsson. D: Ernst Fritz Fürbringer, Ursula Herking, Anna Smolik. P: WDR. EA: 5.7.1962, ARD. 1962. BRD. Unsere Jenny. R: Hans Deppe. B: N. Richard Nash. Ü: Karl Fruchtmann. K: Heinz Pehlke, Eberhard Scheu, Wolfgang Treu. S: Fritz Maurischat. SC: Waltraud Lück. D: Paul Dahlke, Erika Dannhoff, Dorothea Thiess. P: SFB. EA: 31.7.1962, ARD. 1962. CAN. The man on his back (Episode der Sendereihe Quest). R: Harvey Hart. B: nach Karl Fruchtmann. FB: Harvey Hart. S: Murray Laufer. D: Howard Da Silva, Sophia Reinglas, Everett Sloane. P: CBC. EA: 28.10.1962, CBC-Television/Channel 5. 1962. BRD. Vor Sonnenuntergang. BÜR: Karl-Heinz Stroux. BIR: Karl Fruchtmann. B: nach Gerhart Hauptmann. S: Ita Maximowa. D: Ernst Deutsch, Ingrid Ernest, Gerda Maurus. P: WDR (Fernsehaufzeichnung einer Inszenierung des Düsseldorfer Schauspielhauses). EA: 6.12.1962, ARD/DRS. 1963. BRD. Ein Todesfall wird vorbereitet. R: Karl Fruchtmann. B: nach Jack Popplewell. FB/Ü: Karl Fruchtmann. K: Hans Dieter Christ, Werner Dalg, Otto Heinrich, Bruno Hoffmann, Werner Hoffmann. S: Lothar Kirchem. SC: Adelheid Reinisch. M: Peter Fischer. D: Hans Epskamp, Jürgen Goslar, Eva Pf lug. P: WDR. EA: 31.3.1963, ARD2. 1963. BRD. Das Ende vom Anfang. R: Erik Ode. B: nach Sean O’Casey. Ü: Karl Fruchtmann. K: Edgar Handschel. S: Alfred Kuenzer. SC: Adelheid Reinisch. M: Werner Eisbrenner. D: Hans Putz, Rudolf Rhomberg, Klaramaria Skala. P: WDR. EA: 25.5.1963, ARD. 1963. BRD. Männer am Sonntag. R: Karl Fruchtmann. B: nach Jean-Louis Roncoroni. FB: Karl Fruchtmann. K: Peter Claudius, Dieter Frank, Jürgen Piehl, Günther Wedekind. S: Rudolf Küfner. SC: Friederike Köster. M: Herbert Brün. D: Ursula Herking, Reinhard Jahn, Karl-Georg Saebisch. P: RB. EA: 30.7.1963, ARD. 1964. BRD. Lebenskünstler. R: Karl Fruchtmann. B: nach Zdzisław Skowron´ski. FB: Karl Fruchtmann. K: Peter Claudius, Dieter Frank, Walter Klöppel, Jürgen Piehl, Günther Wedekind. S: Rudolf Remp. SC: Friederike Köster. M: Peter Fischer. D: Lukas Ammann, Katharina Brauren, Walter Jokisch. P: RB. EA: 12.1.1964, ARD. 1964. BRD. Die Truhe. R: Paul May. B: nach James Liggat, Alan Reeve-Jones. FB: Ernst von Salomon. Ü: Karl Fruchtmann. K: Werner Dalg. S: Gabriel Pellon. SC: Liesgret Schmitt-Klink. M: Hans Jönsson. D: Inge Langen, Heinz Weiss, Thomas Braut. P: WDR. EA: 30.4.1964, ARD.

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Nicky Rittmeyer 1964. BRD. Zur Rose und Krone. R: Frank Guthke. B: nach John Boynton Priestley. FB: Eckart Stein. Ü: Karl Fruchtmann. K: Willy Jamm. S: Gerd Krauss. D: Karl Bockx, Hela Gruel, Margrit Weiler. P: im Auftrag des ZDF. EA: 14.11.1964, ZDF. 1965. BRD. Späte Liebe. R: Karl Fruchtmann. B: nach Alexander N. Ostrowski. FB: Karl Fruchtmann. K: Peter Claudius, Dieter Frank, Martin Heuer, Günther Wedekind. S: Wilfried Minks. SC: Friederike Köster. M: Peter Fischer. D: Mila Kopp, Erik Schumann, Fritz Wepper. P: RB. EA: 7.2.1965, ARD. 1965. BRD. Spiel. R: Karl Fruchtmann. B: nach Samuel Beckett. FB: Karl Fruchtmann. K: Peter Claudius, Karl-Jürgen Heiser, Martin Heuer. S: Christian Chruxin. SC: Friederike Köster. D: Hilde Krahl, Gisela Mattishent, Rudolf Wessely. P: RB. EA: 24.11.1965, NDR/RB/SFB III. 1966. BRD. Träume in der Mausefalle. R: Rolf von Sydow. B: nach Gwyn Thomas. FB: Paul Herbert Appel. Ü: Karl Fruchtmann. K: Kurt Hasse. S: Utz Elsässer, Hans Ehegartner. SC: Heidi Rente. M: Joachim Ludwig. D: Alexander Golling, Harald Leipnitz, Julius Mitterer. P: Bavaria Atelier GmbH im Auftrag des ZDF. EA: 19.2.1966, ZDF. 1966. BRD. Drei Tage bis Mitternacht. R: Claus Peter Witt. B: nach Arthur Koestler. Ü: Karl Fruchtmann. K: Karlheinz Wüst. S: Fritz Bauer. M: HansMartin Majewski. D: Walter Kohut, Susi Nicoletti, Erwin Wirschaz. P: NDR. EA: 7.8.1966, ARD. 1966. BRD. Erinnerung an zwei Montage. R: Karl Fruchtmann. B: nach Arthur Miller. FB: Karl Fruchtmann. K: Peter Claudius, Gero Erhardt, Dieter Frank, Günther Wedekind. S: Manfred Miller, Wilfried Minks. SC: Friederike Köster. M: Peter Fischer. D: Dirk Dautzenberg, Bert Kappner, Bruni Löbel. P: RB. EA: 13.9.1966, ARD/ORF. 1966. BRD. Das Tempelchen. R: Karl Fruchtmann. B: Traugott Krischke nach Werner Bergengruen. K: Michael von Arnau, W. D. Bergmann, Armin Czerny, Hannes Gangl, Claus-Jochen Hubrich. S: Peter Scharff. SC: Frigga Pleiss. M: Hans Hammerschmid. D: Herbert Fleischmann, Hilde Körber, Ilse Ritter. P: im Auftrag des ZDF. EA: 15.10.1966, ZDF. 1966. BRD. Die verlorenen Schuhe. R: Karl Fruchtmann. B: nach Ernst Penzoldt. FB: Paul Theodor Hoffmann. K: Ewald Burike. S: Wilfried Minks. SC: Heidi Böhm. M: Peter Fischer. D: Fritz Grieb, Hedi Marek, Hermann Schomberg. P: Studio-Film GmbH im Auftrag des ZDF. EA: 28.12.1966, ZDF. 1967. BRD. Philadelphia, ich bin da! R: Karl Fruchtmann. B: nach Brian Friel. FB: Karl Fruchtmann. K: Dieter Frank, Martin Heuer, Wilfried Scheidl, Günther Wedekind. S: Dieter Reinecke. SC: Friederike Köster. M: Peter Fischer. D: Berta Drews, Karl Hellmer, Peter Striebeck. P: RB. EA: 26.9.1967, ARD.

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Werkverzeichnis 1967. BRD. Ein Mädchenleben für Wind. R: Karl Fruchtmann. B: nach André Obey. FB: Karl Fruchtmann. K: Heinz Christ, Horst Heisler, Hans Canal. S: Wolfgang Hundhammer. SC: Els Ackva. M: Peter Fischer. D: Gernot Duda, Norbert Kappen, Erich Schellow. P: Fernsehstudio München/ZDF. EA: 19.11.1967, ZDF. 1968. BRD. Die Katze. R: Karl Fruchtmann. B: nach Jean Anouilh. FB: Karl Fruchtmann. K: Gerd von Bonin. S: Erich Grandeit. SC: Liselotte Schneider. M: Hans-Martin Majewski. D: Donata Höffer, Ralf Schermuly, Siegfried Wischnewski. P: Aura-Film Produktions-GmbH im Auftrag des ZDF. EA: 18.12.1968, ZDF. 1969. BRD. Kaddisch nach einem Lebenden. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Günther Wedekind. S: Herbert Kirchhoff. SC: Ingeburg Forth. D: Zalman Lebiush, Günter Mack, Rudolf Wessely. P: RB. EA: 28.1.1969, ARD. 1969. BRD. Spassmacher. R: Karl Fruchtmann. B: nach Viktor Rosow. FB: Karl Fruchtmann. K: Dieter Frank, Peter Spittel, Hans-Joachim Theunert, Günther Wedekind. S: Herbert Kirchhoff. SC: Friederike Köster. D: Rosemarie Fendel, Hans Korte, Stefan Wigger. P: RB. EA: 12.10.1969, ARD/ORF. 1969. A. Juno und der Pfau. R: Karl Fruchtmann. B: nach Sean O’Casey. FB: Karl Fruchtmann. K: Georg Halbgebauer, Gerd Hoss, Ernst Papp, Walter Wirsta. S: Theodor Harisch. SC: Erich Burkl. M: Graziano Mandozzi. D: Klaus Maria Brandauer, Walter Richter, Eva Zilcher. P: ORF. EA: 14.12.1969, ORF. 1970. BRD. … plötzlich-! R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann nach seinem gleichnamigen Stück. K: Harro Lorenz, Wilfried Scheidl, Peter Spittel, HansJoachim Theunert, Günther Wedekind. S: Thomas Bunk, Nina Ritter. SC: Rosemie Keller, Friederike Köster. M: Graziano Mandozzi. D: Ulrich Radke, Rudolf Wessely. P: RB. EA: 5.12.1970, ARD. 1972. BRD. Jubipenser. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Hans Schreiber, Peter Spittel, Hans-Joachim Theunert, Günther Wedekind. S: Heinz Balthes. SC: Ingeburg Forth. M: Graziano Mandozzi. D: Trudik Daniel, Zalman Lebiush. P: RB. EA: 7.2.1972, ARD. 1972. BRD. Der Mann auf meinem Rücken. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Henric von Barnekow, Klaus Günther, Klaus Kühbandner, Jürgen Rotter, Thomas Schwan. S: Heinz Eickmeyer. SC: Frigga Pleiss. M: Graziano Mandozzi. D: Norbert Kappen, Sonja Karzau, Rudolf Wessely. P: Fernsehstudio München/ZDF. EA: 15.3.1972, ZDF. 1972. BRD. Das Paradies auf der anderen Seite. R: Karl Fruchtmann. B: Peter J. Hammond. FB: Karl Fruchtmann. K: Jerzy Lipman. S: Peter Avery. SC: Malo Wagner. M: Graziano Mandozzi. D: Trudik Daniel, Alexander May, Peter Striebeck. P: Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft mbH im Auftrag des ZDF. EA: 20.9.1972, ZDF.

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Nicky Rittmeyer 1973. BRD. Alfie. R: Karl Fruchtmann. B: nach Bill Naughton. FB/Ü: Karl Fruchtmann. K: Hans Schreiber, Günther Wedekind. S: Herbert Kirchhoff. SC: Ingeburg Forth. M: Graziano Mandozzi. D: Anita Kupsch, Peter Striebeck, Brigitte Swoboda. P: RB. EA: 17.4.1973, ARD. 1974. BRD. Krankensaal 6. R: Karl Fruchtmann. B: nach Anton Tschechow. FB: Karl Fruchtmann. K: Günther Wedekind. S: Herbert Kirchhoff. SC: Ingeburg Forth. M: Graziano Mandozzi. D: Zalman Lebiush, Helmut Qualtinger, Stefan Wigger. P: RB. EA: 3.12.1974, ARD. 1975. BRD. Olaf und Albert. R: Karl Fruchtmann. B: nach Heinrich Henkel. FB: Karl Fruchtmann. K: Peter Grundmann, Klaus Günther, Franz Müllegger, Eberhard Rödl. S: Walter Dörf ler. SC: Frigga Pleiss. M: Graziano Mandozzi. D: Hannes Messemer, Karl-Georg Saebisch. P: Fernsehstudio München/ZDF. EA: 17.1.1975, ZDF. 1976. BRD. Himmel und Erde. R: Karl Fruchtmann. B: Gerlind Reinshagen. K: Kurt-Oskar Herting, Jürgen ­Schmidt-Jacoby, Martin Strauss, Horst-Christian Tadey. S: Nikos Perakis. SC: Monika Menz. D: Christa Berndl, Kornelia Boje, Jo Bolling. P: Studio Hamburg im Auftrag des ZDF. EA: 22.1.1976, ZDF. 1976. BRD. Ketten. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann nach Kenneth Cook. K: Lothar Elias Stickelbrucks. S: Peter Avery, Heinz Brendel. SC: Helga Olschewski. M: Graziano Mandozzi. D: Rolf Becker, Vadim Glowna, Wolfgang Kieling. P: Novafilm-Fernsehproduktion im Auftrag des ZDF. EA: 14.6.1976, ZDF. 1976. BRD. Der Opportunist oder Vom Umgang mit Besatzern – Der Fall Pierre Laval. R: Karl Fruchtmann. B: Theodor Schübel. K: Lothar Elias Stickelbrucks, Michael Thiele. S: Leo Karen. SC: Ingrid Wacker. D: Arno Assmann, Volkert Kraeft, Gisela Trowe. P: Studio Hamburg/Stern TV im Auftrag des ZDF. EA: 17.9.1976, ZDF. 1977. BRD. Das Hochzeitsfest. R: Karl Fruchtmann. B: nach Arnold Wesker. FB: Karl Fruchtmann. K: Karl-Ernst Holtfreter, Michael Hopf, Heinz Krohn, Hans Jochen Rabien, Kurt Raczeck. S: Herbert Kirchhoff. SC: Monika Ahrens, Christiane Bartelheimer. M: Graziano Mandozzi. D: Rolf Becker, Bruno Dallansky, Joachim Kerzel,. P: SFB. EA: 1.2.1977, ARD. 1977. BRD. 26. April 1977. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Günther Wedekind. S: Herbert Kirchhoff. SC: Ingeburg Forth. M: Graziano Mandozzi. D: Wolfgang Büttner, Willi Leyrer, Erna Sellmer. P: RB. EA: 26.4.1977, ARD. 1978. BRD. Gesche Gottfried. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Hans Schreiber, Günther Wedekind. S: Herbert Kirchhoff. SC: Ingeburg Forth. M: Graziano Mandozzi. D: Tilo Prückner, Wolf Roth, Sabine Sinjen. P: RB. EA: 10.12.1978, ARD.

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Werkverzeichnis 1980. BRD. Der Boxer. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann nach Jurek Becker. Kamera: Jörg Michael Baldenius, Helmut Rathke. S: Frank Hein. SC: Angela Hilner, Barbara Kunze. D: Patrick Estrada-Pox, Norbert Kappen, Rüdiger Kirschstein. P: UFA Fernsehproduktion GmbH im Auftrag des ZDF. EA: 3.3.1980, ZDF. 1981. BRD. Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Hans Schreiber, Günther Wedekind. SC: Ingeburg Forth. P: RB. EA: 15.3.1981/22.11.1981, ARD (Dokumentarfilm, 2 Teile). 1981. BRD/A. Der Schatz des Priamos. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Christian Stefanowitsch, Guenther Wulff. S: Helmut Ahrends, Wolfgang Rost, Lorenz Withalm. SC: Kirsten Sievers, Karin Wagner. M: Graziano Mandozzi. D: Olga Karlatos, Tilo Prückner, Angela ­Schmid. P: NDR/ORF. EA: 27.5.1981/3.6.1981, ARD (2 Teile). 1983. BRD. Zeugen – Aussagen. Episoden: Jacob Silberberg (1) / Chana Engel (2) / Malka Rosenbaum (3) / Käthe Ehrlich und Elsa Grudza (4) / Rivka Jasilewski (5). R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Hans Schreiber, Günther Wedekind. SC: Ingeburg Forth. P: RB. EA: 12.9.1983 (1)/13.9.1983 (2)/14.9.1983 (3)/15.9.1983 (4)/16.9.1983 (5), NDR/RB/SFB III (Dokumentarfilm, 5 Teile). 1983. BRD. Heinrich Heine – Die zweite Vertreibung aus dem Paradies. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Hans Schreiber, Günther Wedekind. S: Leo Karen. SC: Ingeburg Forth. M: Graziano Mandozzi. D: Wolfgang Hinze, Donata Höffer, Kurt Sobotka. P: RB. EA: 30.11.1983/4.12.1983, ARD (2 Teile). 1986. BRD. Mademoiselle Fifi. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann nach Guy de Maupassant. K: Hans Schreiber, Günther Wedekind. S: Herbert Kirchhoff. SC: Ingeburg Forth, Petra Kölchen. M: Graziano Mandozzi. D: Uwe Hacker, Uli Krohm, Rüdiger Vogler. P: RB. EA: 17.9.1986, ARD. 1987. BRD. Ein einfacher Mensch. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Asher Cohen, Günther Wedekind. SC: Annemarie Bremer, Anja Ratajczak, Ute Seidel. P: NDR. EA: 13.4.1987, SW3 (Dokumentarfilm). 1989. BRD. – trotzdem! R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Hans Schreiber, Günther Wedekind. S: Frank Chamier. SC: Ingeburg Forth, Petra Kölchen. D: Ernst Jacobi, Doris Schade, Franziska Walser. P: RB. EA: 6.8.1989, ARD. 1991. D. Tote Briefe. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann nach Siegfried Lenz. K: Manuel Heyer, Franz Rath. S: Hans-Jürgen Deponte, Ingrid Gnade, Thomas Kühn. SC: Annemarie Bremer, Ines Rehder. M: Tshisungo Kalomba. D: Carlton Chance, Angelica Domröse, Ernst Jacobi. P: Gyula Trebitsch FernsehProduktion GmbH im Auftrag des ZDF. EA: 17.12.1991, ZDF.

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Nicky Rittmeyer 1992. D. Der Affe Gottes. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Jörg Brendel, Hans Schreiber, Günther Wedekind. S: Frank Chamier, Franz Mock. SC: Ingeburg Forth, Birgit Hemmerling. M: Heino Gehring. D: Nicolas Brieger, Ernst Jacobi, Franziska Walser. P: RB. EA: 23.12.1992, ARD. 1995. D. Die Grube. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Jörg Brendel, Rolf Romberg. S: Frank Chamier. SC: Ingeburg Forth, Birgit Hemmerling. D: Helmut Griem, Ernst Jacobi, Peter Simonischeck. P: RB. EA: 29.10.1995, ARD. 1999. D. Ein einzelner Mord. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. K: Jens Dittmar, Lothar Elias Stickelbrucks. S: Frank Chamier. SC: Dietlind Frank, Kersten Jakobeit. M: Schnuckenack Reinhardt. D: Monica Bleibtreu, David Cesmeci, Christian Doermer. P: RB. EA: 5.5.1999, ARD.

Theater Die vorliegende Theatrografie verzeichnet neben den eigenständigen Regiearbeiten Karl Fruchtmanns auch Inszenierungen anderer Regisseure, die auf literarischen Vorlagen bzw. Stückübersetzungen von Karl Fruchtmann beruhen. In diesen Fällen erfolgte lediglich die Aufnahme der jeweiligen Ur- bzw. der deutschen Erstaufführung, Folgeinszenierungen blieben dagegen unberücksichtigt. Sonstige Übersetzer wurden nicht genannt. Die Sortierung der Titel erfolgt nach dem Premierendatum. Diese Theatrografie basiert im Wesentlichen auf folgenden Quellen: Materialien aus dem Karl-Fruchtmann-Archiv in der Akademie der Künste, Berlin; Materialien aus dem Herbert-Ihering-Archiv in der Akademie der Künste, Berlin; Dokumentationsfonds zum deutschsprachigen Theater der Akademie der Künste, Berlin; Programmhefte; Besetzungszettel; Zeitschrift Theater heute; Zeitschrift Der Spiegel; sowie Kritiken aus Tageszeitungen. B: Buch. BB: Bühnenbild. D: Darsteller. DEA: Deutschsprachige Erstaufführung. EA: Erstaufführung. M: Musik. ÖEA: Österreichische Erstaufführung. PR: Premiere. R: Regie. SEA: Schweizerische Erstaufführung. UA: Uraufführung. Ü: Übersetzung. 1963. Träume in der Mausefalle. R: Wilhelm Semmelroth. B: Gwyn Thomas. Ü: Karl Fruchtmann. BB: Karl-Hermann Joksch. D: Michael Degen, Gerhard Friedrich, Walter Jokisch. PR: 3.1.1963 (DEA), Kammerspiele, Hamburg. 1963. Glückliche Tage. R: Karl Fruchtmann. B: Samuel Beckett. BB: Ary Oechslin. D: Ursula Herking, Otto Hans Meinecke. PR: 16.5.1963, Atelier-Theater, Bern.

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Werkverzeichnis 1964. Geliebter Lügner. R: Karl Fruchtmann. B: Jerome Kilty. BB: Ary Oechslin. D: Anne-Marie Blanc, Joachim Ernst. PR: 24.2.1964, Atelier-Theater, Bern. 1964. Der Packesel. R: Ulrich Erfurth. B: John Arden. Ü: Karl Fruchtmann. BB: Hans Ulrich Schmückle. M: Olaf Bienert. D: Jochen Brockmann, Wolfgang Neuss, Günter Pfitzmann. PR: 16.4.1964 (DEA), Freie Volksbühne, Berlin. 1964. Die Schule der Witwen (1) / Allein zuhaus (2) / Wer war Hilary? (3). R: Karl Fruchtmann. B: Jean Cocteau (1), Dino Buzzati (2), James Saunders (3). BB: Wladimir Udinzoff. D: Gisela Fischer, Ursula Herking, Gabriele Reismüller. PR: 3.10.1964, Tribüne, Berlin. 1965. Der Packesel. R: Eberhard Müller-Elmau. B: John Arden. Ü: Karl Fruchtmann. BB: Lothar Baumgarten. M: Hermann Fuchs. D: Hans Gilbert, Joachim Wichmann, Alwin Woesthoff. PR: 20.2.1965 (DEA der Neuübersetzung), Deutsches Theater, Göttingen. 1966. Armstrong sagt der Welt Lebwohl. R: Hans Schalla. B: John Arden. Ü: Karl Fruchtmann. BB: Max Fritzsche. D: Erich Aberle, Günter Lampe, Elke Twiesselmann. PR: 17.4.1966 (DEA), Schauspielhaus, Bochum. 1966. Jiemand (1) / Spiel (2). R: Georg Montfort (1) / Lutz Liebelt (2). B: Karl Fruchtmann (1) / Samuel Beckett (2). BB: Rudolf Rischer (1 und 2). D: Haide Lorenz (2), Elisabeth Lothar (1), Elisabeth Woska (2). PR: 15.11.1966 (UA), Studio im Schauspielhaus, Kiel. 1967. Die Benachrichtigung. R: Karl Fruchtmann. B: Václav Havel. BB: Horst Jaeger. D: Peter Kner, Werner Meyer, Rudolf Wessely. PR: 21.12.1967, Kammerspiele, Düsseldorf. 1969. … plötzlich. (1) / Jiemand (2). Regie: Heinz Joachim Klein (1 und 2). B: Karl Fruchtmann (1 und 2). BB: Ruth Halpern (1 und 2). D: Anneliese Rossmann (2), Wilfried Scheitlin (1), Kurt Ulmann (1). PR: 10.1.1969 (UA), Studio im Stadttheater, Ingolstadt. 1969. Der Architekt und der Kaiser von Assyrien. R: Karl Fruchtmann. B: Fernando Arrabal. BB: Harold Waistnage. D: Martin Benrath, Peter Striebeck. PR: 8.11.1969, Thalia Theater, Hamburg. 1970. Fräulein Julie. R: Karl Fruchtmann. B: August Strindberg. BB: Heinz Balthes. M: Friedrich Scholz. D: Uwe Friedrichsen, Margret Homeyer, Elfriede Irrall. PR: 9.6.1970, Freie Volksbühne, Berlin. 1970. Die Ehe des Herrn Mississippi. R: Karl Fruchtmann. B: Friedrich Dürrenmatt. BB: Helmut Korniarsky. D: Gunter Flesch, Nicole Heesters, Herbert Suschka. PR: 21.9.1970 (EA der Neufassung), Thalia Theater, Hamburg. 1971. Ein Fest für Boris. R: Karl Fruchtmann. B: Thomas Bernhard. BB: Eva Starowieyska. D: Anneliese Betschart, Agnes Fink, Hermann Schlöge. PR: 28.11.1971 (SEA), Schauspielhaus, Zürich.

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Nicky Rittmeyer 1971. Zur schönen Aussicht. R: Karl Fruchtmann. B: Ödön von Horváth. BB: Hanna Jordan. M: Graziano Mandozzi. D: Heinz Günter Kilian, Franz Trager, Heinz Voss. PR: 19.12.1971, Schauspielhaus, Wuppertal. 1974. Die See. R: Karl Fruchtmann. B: Edward Bond. BB: John Gunter. D: Ewald Balser, Paula Wessely, Rudolf Wessely. PR: 25.5.1974 (ÖEA), Burgtheater im Akademietheater, Wien. 1982. In Goethes Hand. R: Karl Fruchtmann. B: Martin Walser. BB: Ezio Toffolutti. M: George Gruntz. D: Paul Hoffmann, Kitty Speiser, Rudolf Wessely. PR: 18.12.1982 (UA), Burgtheater im Akademietheater, Wien. 1983. Purpurstaub. R: Karl Fruchtmann. B: Sean O‘Casey. BB: Uwe Oelkers. M: Jürgen Tamchina. D: Verena Buss, Günter Lampe, Peter Striebeck. PR: 9.4.1983, Thalia Theater, Hamburg. 1985. Station 6. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann (nach Anton Tschechow). BB: Ezio Toffolutti. M: Graziano Mandozzi, Tassilo Jelde. D: Eric Schildkraut, Peter Striebeck, Stefan Wigger. PR: 30.3.1985 (UA), Thalia Theater, Hamburg. 1987. Der Packesel. R: Karl Fruchtmann. B: John Arden. Ü: Karl Fruchtmann. BB: Stelios Vasikaridis. M: Wolfgang Florey. D: Heinz Kloss, Volker Kraeft, Hans Wyprächtiger. PR: 22.5.1987, Ruhrfestspiele, Recklinghausen. 1990. Die Zimmerschlacht. R: Karl Fruchtmann. B: Martin Walser. BB: Horst Vogelgesang. D: Peter Striebeck, Cordula Trantow. PR: 9.1.1990, Tourneetheater Konzertdirektion Landgraf, Schaan (anschließend Tournee).

Hörfunk Die vorliegende Audiografie verzeichnet neben der eigenständigen Regiearbeit Karl Fruchtmanns auch Inszenierungen anderer Regisseure, die auf Stückübersetzungen von Karl Fruchtmann beruhen. Die Sortierung der Titel erfolgt nach dem Erstausstrahlungsdatum. Diese Audiografie basiert auf folgenden Quellen: Publikationsreihe Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs sowie den Online-Datenbanken http://hoerspiele.dra.de und www.hördat.de. B: Buch. EA: Erstausstrahlung. FB: Funkbearbeitung. M: Musik. MI: Mitwirkende. P: Produktion. R: Regie. Ü: Übersetzung. BR: Bayerischer Rundfunk. BRD: Bundesrepublik Deutschland. RB: Radio Bremen. SDR: Süddeutscher Rundfunk. SFB: Sender Freies Berlin. 1962. BRD. Ein Todesfall wird vorbereitet. Folgen: Mr. Bielby hat Glück (1) / Wo ist Stuart Adams? (2) / Gratuliere, gnädige Frau! (3). R/FB: Walter Netzsch. B: nach Jack Popp-

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Werkverzeichnis lewell. Ü: Karl Fruchtmann. M: Fred Sporer. MI: Jürgen Goslar, Hans Leipelt, Horst Tappert. P: BR. EA: 22.11.1962 (1)/29.11.1962 (2)/6.12.1962 (3), BR (3 Teile) / 9.7.1963, SDR (einteilige Fassung). 1962. BRD. Zur Rose und Krone. R/FB: Rolf von Goth. B: nach John Boynton Priestley. Ü: Karl Fruchtmann. MI: Arthur Binder, Rudolf Fernau, Max Grothusen. P: SFB. EA: 25.11.1962. 1982. BRD. Herr Müller, was kommt auf uns zu? oder Wenn es finster wird, sieht der Blinde. R: Karl Fruchtmann. B: Karl Fruchtmann. MI: Traugott Buhre, Gert Haucke, Rudolf Wessely. P: RB. EA: 8.10.1982.

Publizistik Die vorliegende Bibliografie erfasst alle von Karl Fruchtmann verfassten Publikationen, Stücke sowie Stückübersetzungen, die durch einen Verlag vertrieben bzw. gedruckt worden sind. Nicht berücksichtigt wurden Manuskripte und Aufsätze ohne Verlagsvertrieb, ebenfalls nicht Artikel und Interviews, die in der Tagespresse sowie in Zeitschriften erschienen sind. Die Sortierung der Titel erfolgt nach dem Erscheinungsjahr. Diese Bibliografie basiert im Wesentlichen auf folgenden Quellen: Einträge im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (DNB); Zeitschrift Theater heute; sowie Informationen der Verlage Ahn & Simrock und Rowohlt. B: Bearbeitung. EAD: Erstabdruck. Jg.: Jahrgang. MD: Manuskriptdruck. Ü: Übersetzung. Karl Fruchtmann: The Man on his Back. EAD in: Commentary, 17. Jg., Heft vom Januar 1961. Jack Popplewell: Someone to Kill/Policy for Murder (Ein Todesfall wird vorbereitet). Ü/B: Karl Fruchtmann. Hamburg: Vertriebsstelle und Verlag Deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten 1961 (MD). Gwyn Thomas: The Keep (Träume in der Mausefalle). Ü: Karl Fruchtmann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt um 1963 (MD). Karl Fruchtmann: Jiemand. Ein pantomimischer Monolog. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1964 (MD). John Arden: The Workhouse Donkey (Der Packesel). Ü: Karl Fruchtmann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1964 (1. Fassung, MD). John Arden: The Workhouse Donkey (Der Packesel). Ü: Karl Fruchtmann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1964 (2. Fassung, MD; EAD in: Theater heute, 4. Jg., Heft 5, 1964, S. 52–72).

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Nicky Rittmeyer John Arden: Armstrong’s last Goodnight (Armstrong sagt der Welt Lebwohl). Ü: Karl Fruchtmann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt um 1965 (MD; EAD in: Theater heute, 7. Jg., Heft 5, 1966, S. 55–72; 1967 in Buchform bei Rowohlt erschienen). Wallace Hamilton: The Burning of the Lepers (Die Verstoßenen). Ü: Karl Fruchtmann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt um 1965 (MD). Karl Fruchtmann: Plötzlich. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1966 (MD). John Boynton Priestley: The Rose and Crown (Zur Rose und Krone). Ü: Karl Fruchtmann. Weinheim an der Bergstraße: Deutscher Laienspiel-Verlag 1966 (MD). John Boynton Priestley: The Rose and Crown (Zur Rose und Krone). Ü: Karl Fruchtmann. Hamburg: Ahn & Simrock 1980 (MD). Karl Fruchtmann: Zeugen. Aussagen zum Mord an einem Volk. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1982. Anonymus [d. i. Karl Fruchtmann]: Auschwitz-Kinderlieder. Bremen: Donat 1990. Karl Fruchtmann: Die Grube. Drehbuch zu einem Film. Bremen: Donat 1998.

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Autoren Torsten Musial, geboren 1960 in Berlin. Leiter der Archivabteilung Filmund Medienkunst der Akademie der Künste, Berlin, und Bearbeiter des Karl-Fruchtmann-Archivs. Lebt in Berlin. Karl Prümm, geboren 1945 in Illingen. Professor für Medienwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg, seit Oktober 2010 im Ruhestand. Begründer des Marburger Kamerapreises. Zahlreiche Publikationen zur Literatur- und Mediengeschichte des 19. und 20.  Jahrhunderts. Lebt in CölbeSchönstadt. Nicky Rittmeyer, geboren 1979 in Meerane. Mitarbeiter der Archivabteilung Film- und Medienkunst der Akademie der Künste, Berlin. Lebt in Berlin. Michael Töteberg, geboren 1951 in Hamburg. Literaturagent für Filmrechte, Filmhistoriker und Publizist. Veröffentlichungen u. a. über Fritz Lang und Rainer Werner Fassbinder, zuletzt erschien Das Kino der Autoren (2018). Herausgeber zahlreicher Filmbücher, u. a. von Fatih Akin und Tom Tykwer. Lebt in Hamburg.

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Dank Herausgeber und Autoren danken allen, die direkt oder indirekt zur Entstehung dieser Publikation beigetragen haben. Besonderer Dank gilt Karl Fruchtmanns Kindern Sara, Jakob und Martha, die die Arbeiten durch Auskünfte sowie die unbürokratische Genehmigung der Abdruckrechte für die Werke und Fotos Karl Fruchtmanns großzügig unterstützt haben. Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich, die wesentlichen Anteil an der Konzeption des Bandes haben, standen den Herausgebern und Autoren mit Ratschlägen und Hinweisen stets zur Seite. Darüber hinaus gebührt dem 2013 verstorbenen Ingolf Strassmann besonderer Dank und Anerkennung für seine jahrelange Arbeit über die jüdischen Gemeinden in Altenburg und Meuselwitz. Ohne seine akribischen Recherchen hätten wesentliche Teile der frühen Biografie Karl Fruchtmanns im Dunkeln bleiben müssen. Für vielfältige Hilfe und Anregungen danken die Herausgeber und Autoren darüber hinaus: Tim Bialek (Radio Bremen), Jürgen Breest (Berlin), Frank Egles (Radio Bremen), Gabriele Fernbach (ORF), Hannah Hagedorn (Berlin), Kornelia Knospe (Akademie der Künste), Per Lauke (AHN & SIMROCK Bühnen- und Musikverlag GmbH), Werner Meyke (Berlin), Andrea Möhle (Akademie der Künste), Steffi Müller (Stadtarchiv Meuselwitz), Gwyn Pietsch (Akademie der Künste), Susanne Reinhardt (Akademie der Künste), Veit Scheller (ZDF), Annette Strelow (Radio Bremen), Günther Wedekind (Bremen), Vivien Wilm (Akademie der Künste), Petra WittingNöthen (WDR), Jürgen Wittneben (Akademie der Künste), Lea Wohl von Haselberg (Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF). Ein besonderer Dank gilt Inge Wolf (Wien). Durch ihre großzügige Spende konnte der Film Kaddisch nach einem Lebenden erstmals als DVD produziert und diesem Buch beigegeben werden.

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Abbildungen Soweit die Fotografinnen und Fotografen zu ermitteln waren, sind diese in der jeweiligen Bildlegende genannt. Allen, die in Archiven und Sendeanstalten geholfen haben, Bildrechte zu klären, sei hier für ihre besonderen Bemühungen gedankt. Akademie der Künste, Berlin, Oswald-Döpke-Archiv (ODA): S. 64 (ODA, Nr. 297), S. 70 u. 71 (ODA, Nr. 298), S. 73 (ODA, Nr. 299). Akademie der Künste, Berlin, Karl-Fruchtmann-Archiv (KFA): Coverfoto (KFA, Nr. 765), Frontispiz (KFA, Nr. 16), S. 25 (KFA, Nr. 896), S. 27 (KFA, Nr. 1240), S. 37 (KFA, Nr. 765), S. 42 u. 44 (KFA, Nr. 383), S. 48 (KFA, Nr. 357), S. 52 (KFA, Nr. 653), S. 56 (KFA, Nr. 12), S. 78 (KFA, Nr. 811), S. 80 (KFA, Nr. 1019), S. 82 (KFA, Nr. 1022), S. 90 (KFA, Nr. 1029), S. 94 (KFA, Nr. 879), S. 100 u. 103 (KFA, Nr. 1240), S. 107 (KFA, Nr. 653), S. 117 (KFA, Nr. 12), S. 121 (KFA, Nr. 804), S. 123 (KFA, Nr. 1033), S. 130 (KFA, Nr. 27), S. 134 (KFA, Nr. 181), S. 140 (KFA, Nr. 1075), S. 184 (KFA, Nr. 713), S. 185, 187 u. 190 (KFA, Nr. 1085), S. 192 (KFA, Nr. 384), S. 193 u. 194 (KFA, Nr. 1081), S. 197 (KFA, Nr. 713), S. 205 (KFA, Nr. 1247), S. 209 (KFA, Nr. 542). Akademie der Künste, Berlin, Johannes-Schaaf-Archiv ( JSA): S. 85 ( JSA, Nr. 46). Akademie der Künste, Berlin, Sabine-Sinjen-Archiv (SSA): S. 32 (SSA, Nr. 10). Jürgen Breest, Berlin: S. 77. Radio Bremen: S. 76. WDR Unternehmensarchiv: S. 199 (Sign. 4231)

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Rechte Die Rechte Karl Fruchtmanns werden wahrgenommen von Jakob Fruchtmann, Martha Fruchtmann und Sara Fruchtmann. Trotz intensiver Nachforschungen konnten in einigen Fällen die Rechteinhaber nicht ermittelt werden. Bei berechtigten Ansprüchen bitten wir darum, sich an das Archiv der Akademie der Künste, Berlin, oder an die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin, zu wenden.

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Register A = Abbildung Abich, Hans 23, 72, 74, 75, 86 Améry, Jean 102 Andersch, Alfred 64 Anouilh, Jean 74, 75 Arden, John 200, 201 Astruc, Alexandre 93 Arrabal, Fernando 201 Bachmann, Ingeborg 64, 74 Bachmüller, Hans 11, 22, 55, 75, 76, 77 (A), 78, 81, 83, 84, 86, 201 Balthoff, Alfred 90 (A) Beauvais, Peter 21, 75, 88, 198 Becker, Georg siehe Becker, Jurek Becker, Jurek 36–38, 40, 41, 49, 104, 105, 204, 208 Becker, Max 37 Becker, Rolf 11 Beckett, Samuel 79, 119, 201 Bekker, Jerzy siehe Becker, Jurek Benn, Gottfried 63 Bernhard, Thomas 201 Beyer, Kurt 186, 190 Bleibtreu, Monica 118 Blumensohn, Leo 107 (A) Boehe-Selle, Jutta 11, 51, 81, 201 Bommert, Günter 23, 64, 75 Bond, Edward 126, 201 Borchert, Wolfgang 72 Borneman, Ernest 76 Braitbart, Mordechai 27 (A) Brandt, Willy 207 Brecht, Bertolt 125 Breest, Jürgen 11, 22, 76, 77 (A), 78, 81, 83, 84, 86, 201 Brieger, Nicolas 125 Briegleb, Klaus 43

Brodmann, Roman 98 Büttner, Wolfgang 200 Buñuel, Luis 45 Busch, Wilhelm G. 76 Carrell, Rudi 20 Cesmeci, David 56 (A), 117 (A) Clothier, Janet siehe Fruchtmann, Janet Collande, Gisela von 70 (A), 71 (A) Conrad, Hans-Werner 42 Cooper, Giles 74, 83 Courbet, Gustav 132 Daniel, Trudik 119, 121 (A) Delacroix, Eugène 132 Dietrich, Bruno 85 (A) Dönhoff, Marion Gräfin 207 Döpke, Oswald 63, 64 (A), 68, 69, 70 (A), 71–73, 75, 76 Doermer, Christian 56 (A), 57 Drewitz, Ingeborg 64 Drews, Berta 80 (A) Dreyfus, Alfred 133, 208 Dürrenmatt, Friedrich 203 Dumont du Voitel, Rudolf 65, 68, 73 Durbridge, Francis 89 Eckert, Gerhard 91, 92 Ehrlich, Käthe 52 (A) Eich, Günter 64 Eichhorn, Bernhard 63 Eichhorn, Christoph 48 (A) Eichmann, Adolf 96 Eisenreich, Herbert 61, 63, 69, 74 Ende, Michael 207 Ertel, Dieter 98 Estrada-Pox, Patrick 37 (A)

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Register Fassbinder, Rainer Werner 30, 31, 35 Fechner, Eberhard 21, 43 Ferber, Christian 71 Fischer, Peter 81, 201 Forst, Willi 29 Fortell, Bert 78 (A) Forth, Ingeburg 11, 73, 201, 207 Franke, Peter 48 (A) Friel, Brian 80 Fruchtmann, Abraham Jacob 181, 182, 185 Fruchtmann, Itzrach 181 Fruchtmann, Jakob 201 Fruchtmann, Janet 195, 200, 204, 211 Fruchtmann, Johannes Salli (Hans) 182, 189, 191, 203 Fruchtmann, John H. siehe Fruchtmann, Johannes Salli (Hans) Fruchtmann, Martha 201 Fruchtmann, Martha Klara Sara (Claire) 182, 189, 191, 203 Fruchtmann, Moses Leo (Max) 182, 185, 186, 188, 189, 191, 192, 203 Fruchtmann, Sara 200 Fruchtmann, Salomo Benjamin (Benno) 182, 185, 186, 188, 189, 191, 192, 203 Fruchtmann, Taube Riesel (Toni) 181, 182, 184, 188–191, 203 Fry, Christopher 74 Fürbringer, Ernst-Fritz 91 Gallasch, Peter K. 25 Geerdes, Walter 65–67 Geisler, Gerhard 85 (A) Georg, Wilhelm 186 Gewissen, Kurt 71 Giese, Wolfgang 80 (A) Glotz, Peter 210 Goddard, Paulette 46 Goethe, Johann Wolfgang von 31, 206

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Goslar, Jürgen 89 Gottfried, Gesche 30–35, 122, 125, 127 Gould, Jack 26 Grillparzer, Franz 100 Grudza, Elsa 52 (A) Grüber, Klaus Michael 30 Grunenberg, Nina 35 Gurion, David Ben 195 Habermas, Jürgen 207 Hacker, Uwe 48 (A) Hädrich, Rolf 105 Hafner, Helmut 10, 208 Hammond, Peter J. 126 Hanuszkiewicz, Adam 69 Harriman, Edward E. 62 Hart, Harvey 200 Hartmann, Hanns 138, 198, 199 Haucke, Gert 43 Hauger, Karl 57 Hausmann, Jitzchak 181 Hausmann, Malka 181 Hausmann, Taube Riesel (Toni) siehe Fruchtmann, Taube Riesel (Toni) Hausmann, Moses David 190 Hausmann, Selig Sigmund 181, 184, 190 Havel, Václav 201 Heck, Dieter Thomas 39 Heine, Heinrich 42, 43, 45, 128, 129, 131–134 Herking, Ursula 11, 91, 201, 202 Hersch, Jeanne 210 Hey, Richard 74 Heym, Stefan 207 Hickethier, Knut 22 Hilpert, Walter 66 Hinz, Werner 64 (A) Hinze, Wolfgang 44 (A), 131 Hiob, Hanne 72, 73 (A) Hirche, Peter 74 Höfer, Werner 198

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Register Höffer, Donata 11, 44 (A), 48 (A), 134 Hoerschelmann, Fred von 74 Hübner, Kurt 30, 83 Huntington, Lawrence 46 Huth, Jochen 29 Isenbart, Hans-Heinrich 73, 76 Jacobi, Ernst 11, 125, 133, 134 (A) Jahn, Reinhard 78 (A) Jens, Walter 52 Johann, Ernst 24 Joselowska, Riwka 116 Joudry, Patricia 90 Käutner, Helmut 63 Kaisen, Wilhelm 62 Kappen, Norbert 37 (A), 40, 127 Kerkeling, Hape 20 Kerneck, Heinz 67, 68, 75, 86 Kippenberg, Anton 30 Kirchhoff, Herbert 201 Kluge, Alexander 97 Koebner, Thomas 22, 45, 98, 104 Köster, Friederike 11, 81, 201 Koudelka, Anna 73 Kramberg, Karl Heinz 25, 48 Kresnik, Hans 46 Krohm, Uli 48 (A) Kuby, Erich 67 Lamprecht, Helmut 27 Lange, Hellmut A. 81 Lanzmann, Claude 9, 51, 109, 115, 204 Laval, Pierre 204 Lebiush, Zalman 100 (A), 119, 120, 121 (A) Leckebusch, Michael 76, 77 (A) Lembke, Robert 96 Lloyd, Selwyn 195 Loebe, Horst 73, 75 Lorca, Federico García 74

Lothar, Elisabeth 202 Lukschy, Wolfgang 70 (A), 71 (A) Lys, Gunther R. 105 Mack, Günter 25 (A), 27 (A), 99 Mahlo, Klaus 138, 198 Maizière, Lothar de 207 Mandozzi, Graziano 11, 201 Mann, Thomas 72 Marker, Chris 93 Marx, Karl 198 Mauer, Burkhard 31 Maupassant, Guy de 45, 47 May, Alexander 126 Messerschmidt, Manfred 210 Miller, Arthur 79 Minks, Wilfried 83 Modrow, Hans 207 Mommsen, Hans 210 Monk, Egon 21, 43, 105 Mrozek, Sławomir 74 Nagel, Carl 64 Nash, N. Richard 200 Neuenfels, Hans 30 Neumann, Robert 69 Nola, Jürgen 80 (A) O’Casey, Sean 200 Olden, John 88 Opitz, Elisabeth 64 (A) Osborne, John 126 Palitzsch, Peter 83 Pertsch, Dietmar 44 Petersen, Wolfgang 34, 83 Pfitzmann, Günter 72, 73 (A) Pf lug, Eva 89 Pinter, Harold 74 Ponkie (Ilse Kümpfel-Schliekmann) 24 Popplewell, Jack 22, 89 Priestley, John Boynton 200

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Register Prückner, Tilo 32 (A) Putz, Hans 37 (A) Quadf lieg, Will 208 Qualtinger, Helmut 126, 206 Radke, Ulrich 94 (A) Rattigan, Terence 78, 200 Reemtsma, Jan Philipp 210 Reich-Ranicki, Marcel 36, 41, 69 Reinhardt, Anton 57, 210 Reinshagen, Gerlind 122 Resnais, Alain 107 Reitz, Edgar 97 Roncoroni, Jean-Louis 79, 201 Saebisch, Karl-Georg 78 (A) Saless, Sohrab Shahid 86 Schaaf, Johannes 83, 84 Schade, Doris 134 Schamoni, Peter 97 Schamoni, Ulrich 97 Scheff ler, Jens-Uwe 54 Schenck, Wolfgang 80 (A) Schliemann, Heinrich 123, 205 Schmölzer, August 56 (A) Schmieder, Walter F. 76 Schnurre, Wolfdietrich 28, 29, 64, 74 Schröder, Rudolf Alexander 68 Schubert, Franz 108 Schübel, Theodor 204 Schütte, Peter 90 (A) Schwitzke, Heinz 91, 92 Seidel, Hans-Dieter 36 Semmelroth, Wilhelm 200 Siebert, Günter 64, 72, 73, 75 Silberberg, Itzu 113 Silberberg, Luba 53, 54, 111–114 Silberberg, Rachel siehe Vidal, Rachel Silberberg, Yacov 53, 54, 110–115, 207 Silbermann, Itzu siehe Silberberg, Itzu

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Silbermann, Jakow siehe Silberberg, Yacov Silbermann, Luba siehe Silberberg, Luba Silbermann, Rachel siehe Vidal, Rachel Simmel, Johannes Mario 207 Simon, Simone 46 Sinjen, Sabine 11, 32 (A), 35, 133 Skowron´ski, Zdzisław 79 Skrotzki, Erika 48 (A) Sofsky, Wolfgang 102 Stein, Peter 30 Striebeck, Peter 11, 23, 80 (A), 126, 206 Strussmann, Abraham Jacob siehe Fruchtmann, Abraham Jacob Strussmann, Hermann 182 Strussmann, Johannes Salli (Hans) siehe Fruchtmann, Johannes Salli (Hans) Strussmann, Martha Klara Sara (Claire) siehe Fruchtmann, Martha Klara Sara (Claire) Strussmann, Moses Leo (Max) siehe Fruchtmann, Moses Leo (Max) Strussmann, Salomo Benjamin (Benno) siehe Fruchtmann, Salomo Benjamin (Benno) Strussmann, Sara 181 Strussmann, Taube Riesel (Toni) siehe Fruchtmann, Taube Riesel (Toni) Süssmuth, Rita 207 Sydow, Rolf von 200 Thieringer, Thomas 40 Thomas, Gwyn 200 Toelle, Tom 21 Torkel, Wilhelm Alexander 208 Trantow, Cordula 206 Trenk-Trebitsch, Willy 75 Truffaut, François 93 Tschechow, Anton 124, 126, 206

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Register Ungureit, Heinz 40 Valentin, Thomas 83 Vergeen, Regine 48 (A) Verhoeven, Paul 69 Vidal, Rachel 113 Vinaver, Michael 83 Voget, Friedrich Leopold 32 Vogler, Rüdiger 48 (A) Wägele, Karl 71 Walser, Franziska 125 Walser, Martin 64, 206 Wecker, Cornelia 4 Wedekind, Günther 11, 25 (A), 81, 120, 201, 205 (A) Weigel, Hans 64 Weissenburg der Ältere 32 Weissmann, Martha Klara Sara (Claire) siehe Fruchtmann, Martha Klara Sara (Claire) Welles, Orson 90

Wesker, Arnold 126 Wessely, Rudolf 11, 25 A, 94 (A), 95, 100 (A), 103 (A), 127, 206 Westphal, Gert 63 Wiesenthal, Simon 207 Wigger, Stefan 123 (A) Wildenhahn, Klaus 98 Will, A. 28 Williams, Tennessee 74 Wilke, Sonja 122 Wirsing, Sybille 123 Wirth, Franz Peter 21, 88 Wise, Robert 46 Wolf, Elke 123 Wolff hardt, Rainer 21, 83, 86 Zadek, Peter 30, 83 Zilberberg, Jakov siehe Silberberg, Yacov Zilberberg, Luba siehe Silberberg, Luba Zola, Émile 124, 128, 133, 134, 205, 208

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Rolf Aurich

Fernsehen.Geschichte.Ästhetik

Die Degeto und der Staat Kulturfilm und Fernsehen zwischen Weimar und Bonn

Rolf Aurich Band 2

Die Degeto und der Staat Kulturfilm und Fernsehen zwischen Weimar und Bonn 2018, 252 Seiten, s/w-Abb. € 29,– ISBN 978-3-86916-605-6

Zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und inmitten des Tonrauschs, der die Filmwelt erfasst hatte, wurde die Deutsche Gesellschaft für Ton und Bild e. V. »Degeto« gegründet. Sie machte es sich zur Aufgabe, alle künstlerischen, bildenden und wissenschaftlichen Werke des Films zu fördern. Das westdeutsche Nachkriegsfernsehen erkannte früh den Bedarf an Kultur- und Dokumentarfi lmen und die Degeto verfügte über entsprechende Filmrechte. Nach einigen wirtschaftsrechtlichen Modifi kationen entwickelte sie sich in den späten 1950er Jahren zur zentralen Programmbeschaff ungseinrichtung der ARD, wo sie wieder die Rolle als Vermittlerin kultureller Werte einnahm.