Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit. Oder: Wer war Julius Barmat? [1. ed.] 9783868549355, 9783868543193

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Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit. Oder: Wer war Julius Barmat? [1. ed.]
 9783868549355, 9783868543193

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Martin H.Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit Oder: Wer war Oder: Julius Barmat?

Hamburger Edition

Für Dona

Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung Mittelweg 36 20148 Hamburg www.hamburger-edition.de © der E-Book-Ausgabe 2018 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-935-5 E-Book Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde © 2018 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-319-3 Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras, unter Verwendung von Ausschnitten aus einer Flugschrift der KPD von 1925. Landesarchiv Berlin, A Rep. 358 01 Nr. 245 B1 1 (Titelbild)

Inhalt Einleitung Julius Barmat – ein bekannter Unbekannter Kapitel 1 Grenzüberschreitung: Der Ostjude, der aus dem Westen kam

9

31

Einwanderer mit wirtschaftlichen und politischen Ambitionen

32

Umstrittener Großlieferant von Lebensmitteln ins hungernde Deutschland

52

Korruptionsdebatten im Übergang vom Kaiserreich zur Republik

64

Kapitel 2 Grenzgänger des Kapitalismus in der Zeit von Hyperinflation und Währungsstabilisierung 1923/24

85

Ein charismatisches »Konzern-Genie«? Die Expansion des Barmat-Konzerns 1923/24

88

Ein spekulationsbereiter Partner: Die Preußische Staatsbank

98

Reichspostminister Höfle auf Abwegen

104

»Zins- und Kreditwucher«: Der Fall Jakob Michael

114

»Luftgeschäfte«: Der Fall des Waffenhändlers Iwan Kutisker

121

Zwei Interpretationen des wirtschaftlichen Grenzgängertums

129

Kapitel 3 Grenzen der politischen Moral: Korruption und Koalitionspolitik 1925

143

Empörung

144

Politische Systemfrage: Bürger- vs. »Barmatblock«

156

Die Skandalisierung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert

162

Kleine Geschenke und große Politik: Die »Korruption der SPD«

169

Inhalt

5

Kapitel 4 Das System schlägt zurück: Die Grenzen des republikanischen Rechtsstaates 1926–1929

187

Republikanische Empörungen und Gegenskandalisierungen

188

Die Disziplinierung der Staatsanwälte: Eine Kriminalgeschichte der besonderen Art

197

Vertrauenskrise der Justiz?

210

Bemühungen um politische Friedensschlüsse: Das Barmat-Urteil 1928

215

Kapitel 5 Grenzen der Repräsentation: Politisches Theater 1926–1930

233

»Unpleasant play«: Der Kaufmann von Berlin

234

»Politische Zeitstücke« und Kapitalismus

241

Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

250

Verfremdetes Berlin: Mahagonny und Panama

259

Kapitel 6 Grenzgänger der Vernunft: Die Aporien des politischen Aufklärungsradikalismus

269

»Der Michael Kohlhaas-Kampf des Bücherrevisors Lachmann«

271

Nationale Mobilisierungsstrategien des alldeutschen Verlegers Julius F. Lehmann

277

Gottfried Zarnow: Ein deutscher Émile Zola?

287

Das bittere Ende des Aufklärungsradikalismus

293

Kapitel 7 Schließungen: Krise des Kapitalismus, Maßnahmenstaat und Ausgrenzungen 1930–1939

299

Völkische Dialektik: »Enteignet die Fürsten. Barmat braucht Geld!«

302

Weltwirtschaftskrise: Misere des Kapitalismus und des Staates

311

Kampf gegen »Korruption« und »Volksschädlinge«

330

Radikalisierung des Maßnahmenstaates: Vermögenskonfiskation und Ausbürgerung

342

Inhalt

6

Kapitel 8 Ein grenzenloser Betrüger? Eine transnationale Geschichte 1929–1934

357

Börsengeschäft mit großen Folgen: Die Schweizer »Affaire Appenzell«

360

Der Betrug an der Belgischen Nationalbank

366

Französische Verschwörungsfantasien: »Les deux heimatlos« Serge Alexandre Stavisky und Julius Barmat

373

Die belgisch-holländische Ausweisungsdebatte

382

Die Grenzen der sozial-moralischen Ordnung. Ein flämischer Barmat-Roman

388

Kapitel 9 Der Aufstieg der Rexisten und die belgische »Affaire Barmat« 1934–1938

393

Léon Degrelles Kampf gegen den »Hyperkapitalismus« und das System politico-financier

394

Die Anatomie eines Skandals

404

Ein kurzer Prozess

412

Kapitel 10 Radikalisierung und Grenzüberschreitungen 1933–1945

417

Ausmerzung des »Barmat-Geistes«

418

Jud Süß und Der ewige Jude

423

Gewalt und Vernichtung

428

Nachbetrachtungen Über das Verschwinden von Julius Barmat

437

Anmerkungen

461

Anhang

541

Abkürzungsverzeichnis

541

Archive

542

Zeitungen

545

Literaturverzeichnis

546

Personen- und Sachregister

577

Dank

589

Zum Autor

591

Inhalt

7

Einleitung Julius Barmat – ein bekannter Unbekannter Wer war Julius Barmat? Diese Frage stellte sich nicht nur das Berliner Publikum, als am Silvestertag des Jahres 1924 erste Pressemeldungen über die Verhaftung des Unternehmers erschienen und in den folgenden Tagen dann auch noch die jüngeren Brüder Herschel (Henry) und Salomon Barmat sowie Manager des Barmat-Konzerns und Beamte der Preußischen Staatsbank festgenommen wurden. Ort des polizeilichen Großeinsatzes war nicht etwa ein anrüchiger Stadtteil Berlins, sondern die im Westen der Hauptstadt idyllisch gelegene Havelhalbinsel Schwanenwerder mit ihrer Villenkolonie. Neben der Villa, in der Julius Barmat zusammen mit seiner Frau Rosa und seinem minderjährigen Sohn Louis Izaak lebte, durchsuchte die Polizei die Zentrale und verschiedene Betriebe des Barmat-Konzerns sowie die Berliner Wohnungen seiner Brüder. Die Wasserschutzpolizei und die Grenzpolizei waren ebenfalls alarmiert worden, denn es bestand der Verdacht, dass die staatenlosen Barmats, die man als ukrainische Russen mit Wohnsitz in Amsterdam, Berlin und Wien identifizierte, sich durch eine Flucht ins Ausland der Verhaftung entziehen könnten.1 In der Presse zirkulierte bald der Vorwurf des Betrugs und der Bestechung, ja der Korruption im großen Stil, in die nicht nur Banker und andere Unternehmer, sondern auch Politiker verwickelt sein sollten. Letzteres hatte die erstaunlich gut informierte radikale Opposition, namentlich die kommunistische Rote Fahne und Zeitungen wie der völkisch-konservative Fridericus, schon seit Längerem kolportiert. Verkehrten nicht der Berliner Polizeipräsident Wilhelm Richter und viele einflussreiche Sozialdemokraten in den »Gemächern« des Unternehmers? Stand etwa »Ebert junior« als Privatsekretär in den Diensten Julius Barmats, oder war gar der

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9

Reichspräsident Friedrich Ebert selbst in die ganze Affäre verwickelt? Darüber hinaus gerieten die am Gendarmenmarkt gelegene Preußische Staatsbank sowie die Reichspost in den Verdacht, der »GroßSchieberfirma Barmat« unbesehen hohe Kredite in Millionenhöhe zu »Wucher und Spekulationszwecken« gegeben zu haben.2 Neben Korruption und aktiver sowie passiver Bestechung war von einem Kreditbetrug großen Ausmaßes die Rede. Und nicht zuletzt: In all die umstrittenen Geschäfte sollten ganz maßgeblich sogenannte Ostjuden involviert sein.3 Die Verhaftung der Barmats war das Resultat einer merkwürdigen, fast schon abenteuerlich zu nennenden Verkettung von Ereignissen, an denen diverse Akteure beteiligt waren. Auf die Barmats stieß die Staatsanwaltschaft erst über den Umweg anderer Ermittlungen, die auch in die Amtsstuben der Berliner Fremdenpolizei führten. Deren Leiter hatte den aus Litauen stammenden Geschäftsmann Iwan Kutisker, der auf die Verwertung von Militärbeständen aus dem Ersten Weltkrieg spezialisiert war, erpresst. Hierfür hatte der Beamte Informationen genutzt, die ihm wiederum Michael Holzmann, ein zweifelhafter russischer Unternehmer, zugespielt hatte. Dieser war Kutiskers früherer Geschäftspartner, stand bei ihm mit hohen Summen in der Kreide und versuchte ihn ebenfalls zu erpressen. Kutisker zeigte Holzmann jedoch an, worauf dieser seine Haut retten wollte, indem er seinerseits schwere Vorwürfe vorbrachte: Der litauische Unternehmer und Jude Kutisker habe die Preußische Staatsbank systematisch um Millionen betrogen. Nachforschungen bestätigten, dass in der Tat höchst dubiose Geschäfte getätigt worden waren. Das führte noch vor der Verhaftung der Barmats zur Festnahme Iwan Kutiskers sowie seiner beiden Söhne und mehrerer Komplizen. Nicht zu Unrecht witterte die Presse einen Skandal rund um die Staatsbank. »Wie muß es da stinken?«, mutmaßte Die Rote Fahne.4 Die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen waren jedoch weder in der Sache Kutisker noch in der Barmats durch eine Anzeige der Preußischen Staatsbank ins Rollen gekommen. Im Gegenteil: Die Leitung der Bank spielte von Anfang an eine passive Rolle, womit sie Verdächtigungen und Mutmaßungen befeuerte,

Einleitung

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die konservativen Beamten des altehrwürdigen Instituts seien in die Sache verstrickt. Zentrale Akteure bei der Aufklärung waren die Berliner Presse sowie die Wirtschaftsabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft, die sich mit Rückendeckung des preußischen Justizministeriums in Form eines »Sonderauftrags« der Sache annahm, wohl wissend, dass es sich um eine politisch brisante Angelegenheit handelte.5 Empörte und dementsprechend auskunftsfreudige Bankbeamte aus dem mittleren Dienst äußerten den alarmierenden Verdacht, dass es sich bei dem »Betrug« Kutiskers nur um die Spitze des Eisbergs handle: Millionenkredite seien unwiederbringlich verloren, die Bank sei unter Umständen sogar »pleite«, mit unübersehbaren Folgen für die Finanzen des Freistaats Preußen. Und nicht nur das: Der Staatsanwaltschaft wurde schnell klar, dass »auch noch andere Ostjuden die Preußische Staatsbank in unerhörter Weise betrügerisch geschädigt hatten«.6 Aus diesem Grund dehnte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf Julius Barmat und seinen Konzern sowie auf weitere, ähnlich gelagerte Fälle aus, wie den des erfolgreichen Frankfurter Finanziers und Unternehmers Jakob Michael.

Skandal und Skandalisierung Die Verhaftungen elektrisierten die politische Öffentlichkeit, die nun über Tage und Wochen mit Zeitungsartikeln und Balkenüberschriften auf der ersten Seite in Atem gehalten wurde.7 Bald spießten auch satirische Blätter wie der Simplicissimus und der Kladderadatsch das Thema auf. Über Nacht rückten die Namen Barmat, Kutisker und Michael ins Rampenlicht. Die Staatsanwaltschaft hatte, so der verbreitete Eindruck, die Büchse der Pandora geöffnet und gab Spekulationen und Verschwörungstheorien reichlich Nahrung. Ihre Verlautbarungen legten nahe, einem der größten Betrugsfälle der Zeit auf der Spur zu sein. Den Verhaftungen und ersten Pressemeldungen folgte eine Kaskade weiterer Ereignisse, wozu die Inhaftnahme des Reichspostministers Anton Höfle (Zentrum) zählte. Der aufbrausende mediale Sturm mit forschen Anschuldigungen und oft hilflos wirkenden, defensiven Dementi ließ an der Jahreswende 1924/25 aus den verschiedenen Fällen einen Skandal,

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genauer: einen politischen Finanzskandal werden – den größten dieser Art in der Weimarer Republik, wenn nicht gar in der deutschen Geschichte überhaupt. Schnell war die Rede von einem Skandal Kutisker-Barmat oder Barmat-Kutisker-Skandal, gelegentlich auch von einem Barmat-Kutisker-Michael-Skandal. Im Gegensatz zu neutraleren Begriffen wie »Affäre« oder »Fall« implizierten diese Bezeichnungen schon eine Interpretation der Ereignisse. Ähnliches gilt auch für die Rede von einem Finanz- oder politischen Skandal oder für die Mutmaßung, es handle sich gar um einen Skandal der Preußischen Staatsbank, deren Direktoren allem Anschein nach leichtsinnig und regelwidrig Millionenkredite vergeben hatten. Wie das linksliberale Berliner Tageblatt kommentierte, attackierte neben der Roten Fahne insbesondere die deutschnationale Presse alle ihnen »verhaßten oder unbequemen Persönlichkeiten als Sklaven des Barmat-Mammons oder als Freunde der Barmats«;8 die Rede war von einer politisch gezielt geschürten, gegen die Republik gerichteten »Barmat-Psychose«, die von Anfang an mit einer latenten antisemitischen Pogromstimmung einherging.9 Die in diesem Buch verfolgte Frage, wer Julius Barmat war, entfaltete sich in dieser Geschichte von Skandalen. Jede Annäherung beginnt mit den überbordenden zeitgenössischen Diagnosen, Erklärungen und Interpretationen der Vorgänge, die sich mit Schuldzuschreibungen, politischen und moralischen Urteilen vermischten. Dafür gab es verschiedene Bühnen. Zu nennen sind an erster Stelle die Zeitungen, Zeitschriften und Pamphlete sowie eine Flut von Bildern, später dann auch Theaterstücken, die die komplexen Ereignisse vermittelten, simplifizierten und zugleich ausdeuteten. Eine Explosion des Redens und Sprechens ist zu beobachten, und zwar in einem Gestus der Empörung.10 Die mediale Sensation wurde durch immer neue, sich weiter gegenseitig aufputschende Nachrichten und Informationen genährt, darunter viele irreführende Falschmeldungen und »enthüllende Berichte«, deren Widerlegungen selbst wieder Bestandteile des Skandals wurden. Im Laufe dieser Eskalation erweiterten sich die Grenzen des Sagbaren, indem vertrauliche interne Vorgänge und Privates öffentlich gemacht wur-

Einleitung

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den, mit der Folge, dass der Ruf vieler Personen beschädigt wurde. Dabei eröffnete die Skandalisierung gerade denjenigen Chancen, die sonst auf ihre eher marginalen politischen und sozialen Teilöffentlichkeiten beschränkt waren. Das galt für die Kommunisten ebenso wie für die völkische und deutschnationale Rechte, die zumindest im liberal und sozialdemokratisch gesinnten Berlin nicht das öffentliche Meinungsbild prägten.11 Von Anfang an war auch die Justiz eine wichtige Bühne des Skandals. Die Medienkommunikation der Berliner Staatsanwaltschaft war in jeder Hinsicht ungewöhnlich und schon bald ein Thema für sich. Ihre Vertreter, an vorderster Stelle zwei forsche junge Staatsanwälte, berichteten regelmäßig im großen Justizsaal in sensationsheischender Manier über die Fortschritte ihrer Ermittlungen. Dass sie sich wenige Monate später selbst wegen ihres Verhaltens rechtfertigen mussten und im Mittelpunkt von Disziplinarverfahren standen, war Teil des Skandals, der überraschende Wendungen aufwies. Neben den Medien und Staatsanwälten traten noch weitere Akteure auf den Plan. Gleich in den ersten Januarwochen setzten der Reichstag sowie die Landtage Preußens und Sachsens die Fälle auf ihre Tagesordnung und richteten parlamentarische Untersuchungsausschüsse ein, die sich mit den Angelegenheiten zu befassen hatten. Das war in dieser geballten Form neu und rechtlich umstritten, zumal die Ausschüsse mit ihren richterlichen Befugnissen damit vielfach in derselben Sache wie die Staatsanwaltschaft tätig wurden.12 Viele Zeugen, darunter bekannte Unternehmer, Kaufleute, Politiker und Verwaltungsbeamte, aber auch Privatpersonen, wurden gleich in mehrere Untersuchungsausschüsse zitiert und von den Justizorganen verhört. Vor allem im Preußischen Landtag spielten sich ungewöhnliche Szenen ab. Die widersprüchlichen Auskünfte der Zeugen, die scharfen Wortwechsel und dramatischen Auftritte entsprachen ganz dem Geschmack der großstädtischen Massenpresse (und wohl auch ihres Publikums). Der klägliche Tod des Reichspostministers Höfle in der Untersuchungshaft machte die Geschichte Barmats vollends zu einem sensationellen politischen Kriminalfall, der in republikanischen Kreisen für Empörung sorgte.

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Die sozialwissenschaftliche und historische Forschung hat sich intensiv mit Ablaufmustern von Skandalen beschäftigt. Es ist eine Binsenweisheit, dass viele Steine ins Wasser geworfen werden, ohne dass sie große Wellen erzeugen, und nicht jede Welle produziert gleich einen politischen Skandal. Erklärungen und Plausibilisierungen von Skandalverläufen erfolgen meist ex post. Dabei zeigt sich immer wieder, dass Skandale Dramen des Theaters oder Films gleichen, wobei ihnen ein eigener Rhythmus mit Vorspielen, Hauptteilen, einem dramatischen oder manchmal auch sentimentalen Ende innewohnt.13 Sie gedeihen in bestimmten Konstellationen, ihr Verlauf ist im Grunde vorhersehbar, und doch entwickeln sie sich zuweilen ganz anders als erwartet. Gleich guten Theaterstücken weisen sie auch immer ein Moment der Überraschung und Kontingenz auf. Denn einmal in Gang gesetzt, schaffen sie immer neue Bedingungen für ihre eigene Proliferation, mit Ausgängen, die unkalkulierbar sind und außerhalb der Kontrolle der Akteure liegen. All das gilt auch in unserem Skandal, wenngleich einige Besonderheiten auffallen. So führen die Spuren des Falles Barmat zurück in die Kriegs- und Revolutionszeit. Aus der Rückschau ist eine in dieser Umbruchphase beginnende Skandalisierung Barmats zu erkennen, die verschiedene Autoren fortschrieben, aktualisierten und 1925 auf den Höhepunkt trieben. Um im Bilde des Theaters zu bleiben: Der erste Akt des Skandals entfaltete sich zwischen 1917 und 1920, mit einer Abfolge weiterer Akte 1925/26. Dazu zählten die skandalträchtigen Aufdeckungen und Enthüllungen im Winter 1924/25, die mit dem Tod Friedrich Eberts und des Reichspostministers Anton Höfle einen Höhepunkt erreichten. Seit dem Frühjahr 1925 war eine massive Gegenskandalisierung zu beobachten, wobei Vertreter der Berliner Justiz sowie der konservativen Presse und Parteien stark in die Defensive gerieten. Diese Gegenbewegung überschnitt sich mit einer Phase der Normalisierung, nicht nur infolge des Desinteresses des Publikums und der Presse, sondern auch wegen der sich abzeichnenden politischen Kompromisse in den drei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen: Die Ausschüsse in den Landtagen legten im Spätsommer 1925 wenig spektakuläre, eher auf den politischen Konsens abzielende, deeskalierende Ab-

Einleitung

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schlussberichte vor, während der Reichstagsausschuss seine Untersuchungen versanden ließ. Zeitgleich kam es jedoch zu einem neuen Anlauf der Justiz, die Fälle aufzuarbeiten: Das war der vierte große Akt, der sich im Falle der Barmats sehr lange, nämlich bis März 1928 hinzog. Die Aufarbeitung des Falles von Julius Barmat war mit Blick auf den enormen Aufwand in der deutschen Justizgeschichte bis dahin ohne Beispiel. Kein Wunder, denn es ging nicht nur um die beschuldigten Personen, sondern um nichts weniger als die Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Republik und der Justiz. Die Anklageschrift und das Urteil, die im Folioformat publiziert wurden, umfassten jeweils mehr als 500 eng beschriebene Seiten. Dabei sahen sich viele Zeitgenossen an das Sprichwort erinnert, dass der Berg kreißte und doch nur eine Maus gebar. Denn die Verurteilung Julius Barmats zu elf Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe wegen Bestechung – nicht aber wegen Betrugs – schien in keinem Verhältnis zu den zuvor geschürten Emotionen, dem Ermittlungsaufwand und, wie viele meinten, auch der Höhe des entstandenen Schadens zu stehen. Es wurde keine große Korruptionsaffäre sichtbar, vielmehr offenbarten sich eher banale Formen wirtschaftlichen Versagens und Unvermögens in einer Zeit extremer wirtschaftlicher Unsicherheit während der Inflation und Währungsstabilisierung, gepaart mit einer ordentlichen Portion Dreistigkeit und Dummheit – und das auf allen Ebenen, so jedenfalls der Tenor des Urteils von 1928. Die Besonderheit des Falles Barmat besteht darin, dass es sich nicht nur um einen politischen Finanzskandal handelt, sondern dass er sich in eine ganze Serie von weiteren kleineren Skandalen und politischen Eruptionen einfügt, die sich vom Ende des Ersten Weltkriegs durch die ganze Geschichte der Weimarer Republik bis Ende 1933 und noch darüber hinaus hinzog. Der allerletzte Akt aber spielte nicht in Deutschland, sondern erstreckte sich über gleich mehrere Staaten in Westeuropa. Dabei handelte es sich um ein politisches Drama ganz eigener Art, das wiederum für eine Bewertung des deutschen Falles bedeutsam ist. Denn Julius Barmat ließ sich nach seiner vorzeitigen Entlassung aus der Haft 1929 und seiner Ausreise aus Deutschland nicht an

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seinem Wohnsitz in Amsterdam, sondern zunächst in Belgien nieder. Hier waren er und sein Bruder Henry nach dem Erwerb zweier Bankinstitute wieder in eine Reihe großer und kleinerer Affären in der Schweiz, Belgien, Holland und Frankreich verwickelt. Auch in Belgien drehten sich die Vorwürfe um Kreditbetrug und Bestechung. In die Geschichte involviert war die Bank des kleinen Kantons Appenzell-Innerrhoden, von der eine vertrackte Spur zur Belgischen Nationalbank führte. Und nicht nur das: Bald kursierten Gerüchte über Barmats Verbindungen auch zu dem notorischen Finanzbetrüger Alexandre Stavisky in Frankreich. Im Gegensatz zur diskreten Behandlung der »Affaire Appenzell« in der Schweiz kam es in Belgien zu einer großen »Affaire Barmat«, die 1937 kurz, aber heftig war. Ähnlich wie zuvor in Deutschland blieben angesehene Politiker und Banker auf der Strecke.

Grenzen einer biografischen Annäherung Journalisten, Schriftsteller, Staatsanwälte, Parlamentarier und Ministeriale haben Tausende von Blättern beschrieben und sich mit dem Fall von Julius Barmat befasst. War der frühere Kaufmann ein Unternehmer, der sich wie so viele andere seiner Zunft überschätzte und verhob? Oder ein gerissener Finanzier und Spekulant, der sich – wie schon zuvor in Holland und später in Belgien – der neuen politischen Klasse der Republik angedient und diese in seine Machenschaften verstrickt hatte? War Barmat ein opportunistischer Sozialist, in dessen Haus in Amsterdam 1919 Vertreter der Sozialistischen (Zweiten) Internationale verkehrt hatten, oder gar ein verkappter »jüdischer Bolschewist«? Solche Gerüchte kursierten in der oppositionellen linken wie rechten Presse. Dass er jüdischer Konfession war, ein Ostjude, wie man damals sagte, war dabei keine Nebensächlichkeit. Die Antwort auf die Frage, wer Julius Barmat war, scheint auf den ersten Blick einfach, bedenkt man die dichte Überlieferung von Quellen, die sich mit ihm befassen, und die fast überbordende, mit Skandalen verbundene Ereignisgeschichte. Aber das täuscht. Die Unsicherheit beginnt mit der Frage, welchen Vornamen er sich selbst in einer Darstellung gegeben hätte: Julius, wie er seinen Na-

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men bei deutschen Behörden angab, oder Judko, wie er sich in den Niederlanden nannte und wie ihn auch einige seiner deutschen Freunde ansprachen, was im Munde seiner Feinde aber einen pejorativen Klang hatte? Judko ist eine im Jiddischen verbreitete, nicht nur auf die Kindersprache beschränkte Koseform von Yehuda, ein Name, den Barmat selbst aber offenbar nie benutzte.14 Zahlreiche weitere Fragen, die seine Biografie betreffen, lassen sich nicht beantworten. Das vorliegende Buch macht sich aber auf eine Spurensuche, die uns auf viele Wege, darunter manche Umwege bringt, aber auch zu neuen Erkenntnissen führt.15 Nach Jahrzehnten geringen Interesses haben zwar einige neuere wissenschaftliche Arbeiten Licht auf den Fall Barmat geworfen. Einen breiten Raum nehmen dabei der Verlauf des Medienskandals sowie Fragen von Antisemitismus und Korruptionsdebatten ein. Der Skandal wurde in die Vorgeschichte des Nationalsozialismus eingeordnet, der selbst das korrupteste Regime der deutschen Geschichte war, aber mit dem Slogan des Kampfes gegen »jüdische« und »republikanische Korruption« antrat.16 Aber in all diesen neueren Darstellungen ist der Name Barmat meist als Chiffre präsent. Seine Person bleibt eigentümlich vage, fast ein Phantom. Diese Distanz ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass im babylonischen Sprachengewirr der Skandale eine Stimme fehlt: nämlich die von Julius Barmat selbst. Und nicht nur das: Barmats wirtschaftliche Aktivitäten, der Verdacht des Betrugs, ja mehr noch, alle Spekulationen über seine Person bleiben im Dunst der Vermutungen und vielfach unbewiesenen Tatsachen. Das biografische Genre lebt in der Regel von der Verfügbarkeit von Ego-Dokumenten. Sie machen den Kern einer Biografie aus, stellen Selbstzeugnisse doch eine Nähe und »Unmittelbarkeit zu ihrem Helden« (Hans Erich Bödeker) her.17 Das gilt selbst dann, wenn der Name des Protagonisten negativ konnotiert ist.18 Das Fehlen eines Nachlasses sowie die Tatsache, dass persönliche Briefe und andere Ego-Dokumente nur spärlich überliefert sind und die meisten Quellen zu seiner Verteidigung nicht von Julius Barmat selber, sondern von juristisch argumentierenden Rechtsanwälten stammen, verweisen auf die spezifischen Voraussetzungen und Grenzen

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der vorliegenden biografischen Annäherung. Hinsichtlich der wenigen Ego-Dokumente ist die Geschichte Julius Barmats vergleichbar mit der des französischen »Unbekannten« aus der Provinz, dessen Lebensgeschichte der Historiker Alain Corbin in einer anregenden historischen Darstellung rekonstruiert hat.19 Aber im Gegensatz zu diesem Unbekannten führte Barmat kein »ganz gewöhnliches Leben«. Barmats Geschichte handelt vielmehr vom ungewöhnlichen Leben eines bekannten Unbekannten. Denn seit den aufwühlenden Tagen des deutschen Barmat-Skandals 1925, den sich hinziehenden rechtlichen Untersuchungen und dann den neuen Skandalisierungen in Belgien, Holland und Frankreich gingen sein Name und seine Biografie in öffentlich-medialen Besitz über. Die Biografie Barmats schrieben andere, indem sie seinen Namen als Metonymie, Stigma und als Projektionsfläche benutzten:20 für Demokratie und ihre mögliche Dekadenz, für Korruption, Abwege von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit, unlauteres wirtschaftliches Gebaren sowie einen »jüdischen Kapitalismus« seit dem Krieg. Diese eng miteinander verschränkten Leitthemen, die in zentrale Felder der politischen, sozialen und kulturellen Konfliktgeschichte der Zwischenkriegszeit führen, stehen im Mittelpunkt dieses Buches.

Demokratie, Kapitalismus und politische Moral In der zeitgenössischen politischen Sprache wurde der Name Barmat binnen kurzer Zeit zu einer hochemotionalen Metonymie, mit der Kritiker gleichermaßen die wirtschaftliche, politische und moralische Korruption von konkreten Personen sowie die Weimarer Republik und das demokratische System im Allgemeinen thematisierten: »Barmatpartei«, »Barmatrepublik«, »Barmatsumpf« und »Barmatiden« waren bald gängige polemische Kampfbezeichnungen, die aus dem Vokabular der oppositionellen radikalen Linken in das der Konservativen und vor allem der Völkischen diffundierten, sich dort einnisteten und die in den meisten Fällen auf die SPD gemünzt waren.21 In Verbindung mit zahlreichen zirkulierenden Bildern provozierten solche Begriffe politische Emotionen, die von Verachtung bis hin zu Hass reichten und zugleich individuelle und

Einleitung

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kollektive Weltdeutungen lieferten.22 Julius Barmat verkörperte ein »System«, und das bezeichnenderweise nicht nur in Deutschland. Wie zu sehen sein wird, verweist der Fall Barmat auf eine europäische Dimension der Auseinandersetzungen, die sich allesamt auf dem Hintergrund der Folgen des Ersten Weltkriegs, der Inflation und dann der großen Weltwirtschaftskrise auf einem dezidiert politisch-ökonomischen Feld abspielten. Die polemische Verwendung des Namens wie der Biografie durch die Gegner ging in Deutschland wie dann später in Frankreich und Belgien mit einer Vermischung des Falles und des Namens Barmat mit anderen ähnlich gelagerten Fällen einher. Neben Julius und seinem Bruder Henry Barmat standen der schon erwähnte litauische Waffenhändler Iwan Kutisker, der ursprünglich aus Frankfurt stammende Berliner Unternehmer und Finanzier Jakob Michael sowie eine ganze Reihe anderer mehr oder minder zweifelhafter Unternehmer und Banker im Visier der Staatsanwaltschaft.23 All das hat bis heute viele Verwechslungen zur Folge, nicht nur was die Namen, sondern auch die den jeweiligen Personen zugeschriebenen Delikte betrifft. Denn Verdächtigungen und tatsächliches Fehlverhalten in dem einen Fall wurden vielfach auf andere Fälle projiziert. Darüber hinaus vermischten die Zeitgenossen unterschiedliche Sachverhalte und Zusammenhänge, in welche die Personen involviert waren und die sich im Einzelfall potenzieren konnten: Betrug, Bestechung, Konkursverschleppung, Korruption, Wucher, »Luftgeschäfte«, Spekulation sowie Kriegs-, Inflations- und Deflationsgewinnlerei. Das war ein ganzes Syndrom von realen und vermeintlichen Wirtschafts- und Finanzdelikten, die alle in einem grauen Feld zwischen öffentlicher Empörung und (Wirtschafts-)Kriminalität angesiedelt waren.24 Ausgehend von der Geschichte Julius Barmats werden diese verschiedenen Themen im vorliegenden Buch zusammengeführt. Anders formuliert: Es geht sowohl um konkrete Handlungspraxen als auch um Diskurse und vielfältige Zuschreibungen. Insofern handelt es sich um eine Geschichte aller nur möglichen »Gespenst[er] des Kapitals« (Joseph Vogl), die aber in unserem Zusammenhang an konkrete Situationen, Handlungen und Personen zurückgebunden

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werden.25 Und nicht nur das: Ob Spekulantentum oder Korruption, immer ging es, worauf Jens Ivo Engels in Bezug auf Korruption hingewiesen hat, neben Demokratie- auch um Kapitalismuskritik.26 Diese Kritik bezog sich auf die Überschreitung von rechtlichen Normen wie von sozialmoralischen und ethischen Grenzen, darunter an erster Stelle die Grenzen der politischen Moral. Die Geschichte Barmats ist die Geschichte der Skandalisierung von Verletzungen von Normen und Regeln, von Grenzüberschreitungen in Politik, Wirtschaft und Recht und damit eine Geschichte von Einund Ausgrenzungen. Anknüpfen kann die Darstellung an neuere Arbeiten zu Wirtschafts-, Politik-, Sex- oder Kolonialskandalen, die zeigen, wie zentrale Normen, Regeln und Grenzen einer Gesellschaft diskursiv verhandelt werden.27 Damit lassen sich Vorstellungen von Normalität und Ordnung identifizieren, aber auch die allgegenwärtige Unterscheidung des »Wir« von den »anderen« und damit auch von Freund(en) und Feind(en), Unterscheidungen, die insbesondere im deutschen Denken der Zwischenkriegszeit, einer Zeit realer Grenzkämpfe, so tief verankert waren.28 Julius Barmat wird in diesem Buch als ein Grenzgänger des Kapitalismus beschrieben. Das bedarf zunächst der Erläuterung. Unternehmer und Banker, weniger dagegen Kaufleute, wurden in den letzten Jahren zu einem beliebten Genre der Wirtschaftsgeschichte. Neben hagiografischen Darstellungen ist vieles davon sogenannte Auftragsforschung, also der Finanzkraft der familiären oder institutionellen Nachfahren zu verdanken; oft geht es dabei um die »Aufarbeitung« und Aufklärung von Ereignissen in der Zeit des Nationalsozialismus. In der Regel stehen hier »große« Unternehmerpersönlichkeiten im Mittelpunkt – selbst wenn sie scheiterten.29 Erstaunlich wenig wissen wir dagegen über die vielen »Pleitiers und Bankrotteure«, geschweige denn über das breite Spektrum von Gaunern, halbseidenen Geschäftsleuten und Angestellten, einschließlich jener ehrbaren Kaufleute und Manager, von denen manche heute noch gefeiert werden und morgen schon durch ein Fenster aus dem Justizpalast fliehen.30 Und nur schwer sind die Grenzüberschreitungen zu fassen, die feinen Linien, die Seriosität und Legalität von Anrüchigkeit und Betrug trennen – und das gele-

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gentlich in einer einzigen Person.31 Viel ist geschrieben worden über die besonders in deutschen Studierstuben populäre »protestantische Ethik« und den »bürgerlichen Wertehimmel«, wenig dagegen über die in diesem Buch in den Blick genommenen Personen und ihre sich oft in Grenzbereichen bewegende Moral, für die Schriftsteller wie Theodor Dreyser und Émile Zola oder neuerdings Filmemacher vielleicht einen besseren Blick als Wissenschaftler haben.32 Mit Sicherheit gab es sie häufiger, als die unternehmensgeschichtliche Literatur Glauben macht. Das zeigen vor allem neuere Arbeiten zu den USA.33 Wenn Julius Barmat also vor diesem Hintergrund als Grenzgänger des Kapitalismus bezeichnet wird, appelliert das nur vordergründig an die Tatsache seiner – vielfach skandalisierten – Überschreitung von Staatsgrenzen im geschäftlichen wie privaten Verkehr. Vielmehr geht es um jene Aspekte, die seit jeher mit der Zerstörungskraft kapitalistischer Wirtschaftsgesinnung in Verbindung gebracht wurden, wie etwa das Überschreiten moralischer Standards bzw. das Senken der »wirtschaftlichen Grenzmoral« (Götz Briefs). Kriegs- und Inflationsgewinnler waren andere zeitgenössische pejorative Begriffe für solche Grenzgänger. In diesem Zusammenhang wird hier auf das spezifische Konzept des »politischen Kapitalismus« zurückgegriffen, ein idealtypischer Begriff, den Max Weber schon vor dem Ersten Weltkrieg in die Diskussion einführte und den er von einem »rationalen Kapitalismus« abgrenzte. Dabei ging es ihm, und das ist wichtig im Auge zu behalten, um eine Systematisierung der »kapitalistische[n] Orientierung des Erwerbs«, mithin um Formen von Handlungs- und Erwerbsorientierungen von Individuen.34 Mit dem Begriff politischer Kapitalismus zielte der Polyhistor Weber zuallererst darauf ab, Phänomene vormoderner Gesellschaften, einerseits der vormodernen Vergangenheit der okzidentalen Welt und andererseits der Gegenwart auch der vormodernen, nicht okzidentalen Welt, zu beschreiben.35 Fündig wurde er vor allem in der Geschichte der Antike, der Frühen Neuzeit sowie außerhalb Europas, wo er einen engen Nexus zwischen Politik und wirtschaftlichen Interessen und andere Formen des Erwerbsgeistes jenseits

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der Moderne entdeckte. Es ist ein Kapitalismus, der auf der spezifischen Ausbeutung politischer Macht durch wirtschaftliche Akteure basierte. In seinen Worten hieß das: »Orientierung an Chancen des kontinuierlichen Erwerbs kraft gewaltsamer, durch die politische Gewalt garantierter Herrschaft«; dazu zählte er das koloniale Wirtschaftssystem ebenso wie die Sklaverei und die Verleihung fiskalischer Privilegien, wie etwa die frühneuzeitliche Steuerund Amtspacht. In diese Rubrik fällt auch der sogenannte »Beutekapitalismus«, sei es in Form staatlich sanktionierter Piraterie, sei es in Form gewaltsamer kolonialer Landnahme.36 Kennzeichnend für diesen »politischen Kapitalismus« war für ihn überdies die »Orientierung an Chancen des aktuellen Beuteerwerbs von politischen oder politisch orientierten Verbänden oder Personen: Kriegsund Revolutionsfinanzierung oder Finanzierung von Parteiführern durch Darlehen und Lieferungen« sowie eine »Orientierung an Chancen des Erwerbs durch außeralltägliche Lieferungen [an oder von] politische[n] Verbände[n]«. Diese Phänomene des Erwerbsstrebens seien in der modernen okzidentalen Welt nicht ganz verschwunden, wie Weber meinte. Aber seiner Ansicht nach waren sie ökonomisch »irrational« und dysfunktional, und ihre Marginalisierung verlief dementsprechend parallel zur Durchsetzung des »rationalen Kapitalismus« wie des modernen Staates. Für den Ökonomen Weber war dieser »rationale Kapitalismus« historisch gesehen vergleichsweise neu und mit Blick auf seine Entstehungszeit seit der Frühen Neuzeit auch »modern«.37 Er umschrieb damit ziemlich genau das, was heute als Marktwirtschaft mit funktionierenden, freien und arbeitsteiligen Faktorenmärkten für Boden, Kapital und Arbeit bezeichnet wird. Hier herrschen idealerweise die Regeln eines kompetitiven Marktes, vermittelt nicht zuletzt durch eine stabile Geldwirtschaft und über rationale, nämlich marktkonforme »Spekulationen« an den Börsen, die das Verhalten von Marktteilnehmern steuern. Für den Staatswissenschaftler und Historiker Weber waren dabei die Funktions- und Integrationsfähigkeit des modernen Steuerstaates von Bedeutung.38 Wenn im Folgenden vom politischen Kapitalismus gesprochen wird, geht es nicht darum, diese Erklärungen Webers, einschließ-

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lich der ihnen zugrunde liegenden Modernisierungsprämissen, zu bestätigen oder zu widerlegen.39 Es soll vielmehr gezeigt werden, welche Ausformung der Kapitalismus in der Zwischenkriegszeit erlebte, was daran »politisch« war und welche Kritik sich hieran entzündete. Das führt ins Zentrum nicht nur zeitgenössischer Kapitalismusdiagnosen und der Kapitalismuskritik,40 sondern auch staatsrechtlicher Fragen etwa im Sinne eines Carl Schmitts. Die Frage, wer Julius Barmat war, handelt von modernen Varianten dieses politischen Kapitalismus. Interessant und in unserem Zusammenhang nicht nebensächlich ist, dass der kritische Zeitbeobachter Weber offenbar schon während des Krieges nicht mehr so sicher war, ob der »rationale Kapitalismus« nicht schon bald eine »Welt von Gestern« (Stefan Zweig) sein würde. Die Kriegswirtschaft und vor allem die bald aus dem Boden schießenden Nachkriegsneuordnungspläne versprachen seiner Meinung nach nichts Gutes, wobei Weber zunächst vor allem den Einfluss großwirtschaftlicher Interessen im Auge hatte. Blühte im Krieg nicht eine »rein politisch[e] Konjunktur: von Staatslieferungen, Kriegsfinanzierungen, Schleichhandelsgewinnsten und all solchen durch den Krieg wieder gigantisch gesteigerten Gelegenheits- und Raubchancen lebenden Kapitalismus und seiner Abenteurer-Gewinnste und -Risiken [auf ], der gegenüber dem der Rentabilitätskalkulation des bürgerlichen rationalen Betriebs der Friedenszeit nicht die geringste Ahnung hat«? Und nicht nur das: Vor Webers Augen stand »ein wilder Tanz um das goldene Kalb, ein hasardierendes Haschen nach jenen Zufallschancen, welche durch alle Poren dieses büreaukratischen Systems quellen«, was das Aufblühen von »Schmarotzern«, »Tagedieben« und »Ladentischexistenzen« zur Folge hatte. Das war eine Anspielung auf die »hosenverkaufenden jüdischen Jünglinge«, von denen der einflussreiche Historiker Heinrich Treitschke gesprochen hatte; Weber sprach verklausuliert von der »›Verösterreicherung‹ Deutschlands«.41 Das sind alles Themen, mit denen sich dieses Buch auseinandersetzen wird. Dabei ist es keine Nebensächlichkeit, dass solche Positionierungen mit eklatanten religiösen, ethnischen wie rassischen Stereotypisierungen überformt waren. Denn wie die letzt-

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genannten Zitate Webers illustrieren, schien der ältere »politische Kapitalismus« wenig mit jener »protestantischen Ethik« zu tun zu haben, in der für den Religionssoziologen der moderne »rationale Kapitalismus« wurzelte.42 Aber was war er dann? Just an diesem Punkt setzt die deutsche Selbstverständigungsdebatte über den Kapitalismus ein, die in der Auseinandersetzung Webers mit seinem Fachkollegen Werner Sombart schon vor dem Krieg begonnen hatte und die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht.

Grenzübertritte, Grenzüberschreitungen und Grenzziehungen Die Suche nach einer Antwort auf die Frage, wer Julius Barmat war, führt auf die Spur einer Vielzahl von Geschichten und Zusammenhängen, die sich alle in der einen oder anderen Weise mit Normverletzungen befassen. Dabei geht es um zentrale Aspekte einer Geschichte von Rechts-, Geld- und Vertrauensbeziehungen und sozialmoralischen Fragen, die in öffentlichen, seit jeher aber auch in wissenschaftlichen Debatten am Beispiel konkreter Personen verhandelt wurden, sei es als eine Geschichte von Moral und Wirtschaftssystemen, sei es als eine Geschichte des Kapitalismus.43 Die elf Kapitel dieses Buches befassen sich daher mit sehr unterschiedlichen, gleichermaßen realen, rechtlichen, symbolischen wie metaphorischen Grenzübertritten, Grenzüberschreitungen, Grenzziehungen und Grenzräumen. Verfolgt wird ein biografischer Zugang, ohne eine wirkliche Biografie des im Mittelpunkt stehenden bekannten Unbekannten Julius Barmat zu schreiben. Es geht um konkrete Akteure und Situationen, somit eine Vielzahl von miteinander verflochtenen Mikrogeschichten, in denen uns Bilder, Emotionen wie Diskurse entgegentreten.44 Sie haben ihre jeweils eigene Valenz und sträuben sich schon wegen des ausgeprägten Eigensinns vieler der in unserer Geschichte auftauchenden Akteure häufig gegen eine schematische kategoriale Einordnung, egal ob es sich um zeitgenössische politische oder ökonomische Wissensbestände, kausale Zusammenhänge oder Karrieren von Personen handelt. Dabei ist es immer das Ziel, aus diesen Mikrogeschichten größere »Makro«-Fragen zu erschließen: sich verändernde Ordnungen des Kapitalismus in seinen

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verschiedenen Ausprägungen, die in allen Ländern zu beobachtende Demokratie(kritik) in Verbindung mit Korruptionsdebatten, Formen der sozialen und politischen Radikalisierung, die faschistischen Mobilisierungen Auftrieb verliehen, dann aber auch staatliche, ordnungspolitische Regulierungsbemühungen, wie sie insbesondere seit der Weltwirtschaftskrise einsetzten. Mit diesem Ansatz verknüpft sich die Prämisse, dass die Geschichte der Zwischenkriegszeit mehr ist und sein sollte, als in den wie auch immer neu abgezirkelten und thematisch proportionierten historischen Überblicksdarstellungen zum Ausdruck kommt. Die Geschichte gerade dieser Zeit zeigt eigentümliche Volten gleichermaßen der Kontinuität wie Diskontinuität, der Erwartungen und Hoffnungen einschließlich ihrer Enttäuschungen. Aus Gründen der Lesbarkeit folgt die Darstellung einer chronologisch-systematischen Gliederung. Das beginnt mit der umstrittenen Frage der Visumsvergabe und damit der Einreise Julius Barmats in Deutschland im Jahr 1919, einer Zeit illegaler Grenzübertritte von osteuropäischen, darunter vielen jüdischen Flüchtlingen. Das erste Kapitel handelt von der Ankunft des »schwerreichen« Lebensmittelkaufmanns, der das Reichsgebiet nicht über die unbefestigte Grenze aus dem Osten, sondern aus dem Westen betrat. Der Streit darüber, wer die Verantwortung für diese Ankunft hatte, setzte schon 1918/19 ein und erreichte 1925 einen Höhepunkt. Wann kam es schon vor, dass sich in einer Person gleich alle jene Zuschreibungen wiederfinden ließen, welche die Zeitgenossen so zu empören vermochten: die des Ostjuden, des Spekulanten, des Kriegsgewinnlers, des Förderers der Sozialistischen Internationale, ja des Bolschewisten? Solche politischen und ideologischen Fragen vermischten sich mit dem scheinbar Trivialen und Alltäglichen, nämlich Brot, Butter und Speck, die Julius Barmat in großen Mengen nach Deutschland lieferte. Die Praxis der Kriegswirtschaft bildete einen zentralen Aspekt des umstrittenen »politischen Kapitalismus« der Nachkriegszeit und der frühen Weimarer Republik. Das zweite Kapitel nimmt Julius Barmat als einen Grenzgänger des Kapitalismus in den Blick, der 1923 sein Geschäftsmodell änderte, indem er mithilfe von Krediten der Preußischen Staatsbank

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und der Reichspost vom lukrativen Lebensmittelhandel in den Bereich Industriekonzerngründung wechselte. Die offenbar zu jeder Zeit anzutreffenden Panegyriker des Unternehmertums wähnten ihn (wie viele andere) kurzzeitig als neue, heroische Unternehmerpersönlichkeit der Zukunft, auf den nicht zuletzt auch die Preußische Staatsbank setzte. Wie viele andere Unternehmer scheiterte der »Kriegs-, Inflations- und Deflationsgewinnler« jedoch im Zuge der Währungsstabilisierung und damit bei der Rückkehr zur vermeintlichen ökonomischen Normalität. Die Grenzen seriösen wirtschaftlichen Handelns wurden neu gezogen und die Grenzgänger des Kapitalismus aus dem Wirtschaftsleben ausgeschieden – so jedenfalls die Erwartung. Vor diesem Hintergrund werden die Auseinandersetzungen über Spekulation, Wucher und Korruption, mithin die unbestimmten Grenzen legaler und legitimer wie illegaler und illegitimer risikoreicher Praktiken verfolgt. Es geht dabei auch um Erwartungen und Diagnosen der Zeitgenossen, die sich, wie sich dann vor allem nach dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise zeigen sollte, erneut enttäuscht sahen. Davon ausgehend beschäftigen sich die eng aufeinander bezogenen Kapitel drei und vier mit der Einschreibung des Namens Julius Barmat in die politische Kultur der Weimarer Republik im Kontext der sich seit 1925 entfaltenden Skandaldynamik. Diese Dynamik erklärt sich nicht nur durch die anstehende Reichspräsidentenwahl, die mit dem vorzeitigen Tod Friedrich Eberts vorgezogen werden musste, sondern mehr noch im Zusammenhang mit der Bildung von konservativen Bürgerblockregierungen in Preußen und im Reich. Dabei entbrannte ein erbitterter Kampf um die politische Moral, der sich mit denen des politischen Kapitalismus und seinen vermeintlich demokratischen Entartungen verband. Die scharfen Angriffe auf die Republik sind oft betont und mit Blick auf die Folgen nicht ganz zu Unrecht als desaströs charakterisiert worden. In diesem Kontext werden die eskalierenden Korruptionsvorwürfe, derer sich nun alle Parteien bedienten und die, wie es schien, fast alle Parteien und das System betrafen, beschrieben. In den Wortgefechten wurde Barmat zu einer Metapher bei der Aushandlung von Grenzen: zwischen Politik und Wirtschaft, sozialdemokra-

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tischer Moral und Koalitionspolitik, Recht und Rechtsstaatlichkeit. In den Vordergrund rücken dabei, auf den ersten Blick vielleicht überraschend, nicht nur die langfristigen Folgen dieser Einschreibung von Barmat und Korruption in die Weimarer politische Kultur, sondern auch die Art und Weise, wie die Republik Zähne zeigte und sich behauptete. Anklageschrift und Urteil im Falle Julius Barmats waren monumentale Zeugnisse juristischer Faktenaufarbeitung, die sich um das diffizile Problem der Beurteilung der Handlungsmotive der involvierten Akteure im Rahmen des Rechts drehten. Das Recht der Gesetze ist bekanntlich nicht unbedingt identisch mit moralischen Gerechtigkeitsvorstellungen; das gilt gerade für die Zeit der Weimarer Republik. Im Mittelpunkt der Kapitel fünf und sechs stehen die Versuche, erste große politische und halb fiktionale Narrationen der Skandal- und Korruptionsgeschichte mit Julius Barmat zu entwickeln: Gottfried Zarnows (alias Ewald Moritz) politischer Bestseller Gefesselte Justiz (1930/32) und Walter Mehrings Theaterstück Der Kaufmann von Berlin (1929), das sich in der avantgardistischen Theaterfassung Erwin Piscators nicht nur als – vorhersehbarer – Theaterskandal, sondern auch als Theaterflop erwies. Mehring und Piscator versuchten die Inszenierung eines aktuellen Zeitstückes, das von Kapitalismus handelte – und scheiterten. Deutlich werden dabei die Möglichkeiten und Grenzen der literarischen Repräsentation des Themas. Der von Gottfried Zarnow und einem unbekannten Buchprüfer namens Philipp Lachmann aktualisierte und weitergeführte Korruptionsdiskurs führt auf das Terrain der politischen Rechten, genauer besehen zu einem wenig beachteten Aufklärungsradikalismus der deutschen Zwischenkriegszeit mit all seinen Aporien. Bei dieser Gruppe von Personen, die als Grenzgänger der Vernunft beschrieben werden, handelte es sich um ein Sammelbecken von Unzufriedenen und Außenseitern, im wahrsten Sinne des Wortes um moderne Formen des Kleist’schen Michael Kohlhaas. Sie versuchten den Anschluss an die Zeit zu finden und setzten ihre Hoffnungen auf eine wie auch immer geartete nationale Revolution; sie waren Stichwortgeber des Nationalsozialismus, ohne dass sie in dieser Bewegung heimisch wurden.

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Eine andere Form des politischen Radikalismus verfolgt das siebte Kapitel. Es handelt von den Forderungen nach Ausgrenzung und Enteignung der Juden, wie sie völkische Gruppen während des Skandals erhoben und wie sie die Nationalsozialisten im Kontext des Volksentscheids über die Fürstenenteignung 1926 unter dem Motto »Enteignet die Fürsten. Barmat braucht Geld!« programmatisch formulierten. Die Pointe dieses Kapitels besteht darin, dass von hier (ebenso wenig wie vom bekannten 25-Punkte-Programm der NSDAP) keine direkte Linie in die Zeit des Nationalsozialismus führt; vielmehr wird eine Reihe von vermittelnden Entwicklungen und bürokratischen Umwegen in den Blick genommen. An erster Stelle zu nennen ist die Ende 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise, in der das ältere Thema Barmat erneut auftauchte, auch als Beispiel dafür, dass sich die in die Währungsstabilisierung 1924/25 gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hatten. Allenthalben tauchten seit 1930 Phänomene und Personen auf, die an den Grenzgänger des Kapitalismus erinnerten – und das einmal mehr nicht an den Rändern, sondern mitten in der Gesellschaft ehrbarer Unternehmer und Banker. Der exekutive Staat setzte auf die – ordnungspolitische – Neuziehung von Grenzen: die Eindämmung vermeintlich »spekulativer« Energien und korrupter Praktiken in Unternehmen, allemal in den Banken; reale Grenzkontrollen und Grenzsperren im Zuge von massiv verschärften Kapitalverkehrskontrollen mit dem Ausland; die Kontrolle von Staatsbürgern bei ihrem Grenzverkehr; neue Strafen wie die sogenannte »Reichsfluchtsteuer«. Wie sich diese In- und Exklusion entfaltete und wie sich dabei Techniken der administrativen Praxis mit ideologischen Begründungen, den »Barmat-Geist« auszutreiben, verschränkten und verstärkten, steht im Mittelpunkt dieses Kapitels. Konkret dargestellt wird diese Entwicklung am Beispiel des 1925 in den Skandal involvierten Finanziers Jakob Michael und einer Reihe anderer Personen, die in diesem Buch als Fürsprecher, Anwälte und Verteidiger Barmats auftauchen. Bis Ende der 1930er Jahre hatten sie entweder das Land verlassen oder waren in Konzentrationslagern interniert worden. Die hier erzählte Geschichte Julius Barmats fiele sicherlich anders aus, wenn der Unternehmer nach seiner Ausreise aus Deutsch-

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land 1929 sang- und klanglos in der Welt der Geschäfte untergetaucht wäre. Stattdessen gibt es, wie im achten und neunten Kapitel gezeigt wird, eine Skandalspur, die in die Schweiz, nach Belgien, Frankreich und in die Niederlande führt. Das hat mit der zweiten großen Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, der Weltwirtschaftskrise, zu tun, als auch in den Nachbarländern eine Vielzahl von kleinen und großen Fehlspekulationen von Privatpersonen wie von Banken »aufflogen«. In dieser Zeit erwarb sich Barmat den Ruf eines »internationalen Betrügers«, und das noch vor dem belgischen Barmat-Skandal 1937. Wie schon in den deutschen Auseinandersetzungen und zugleich befeuert durch die nationalsozialistische Propaganda diskutierten die Zeitgenossen auch im Ausland Fragen der Grenzen der sozial-moralischen Ordnung des Kapitalismus, der Grenzüberschreitungen und Ausweisungen. Indes waren die Debatten stets nationalspezifisch eingefärbt, wie etwa die französischen Hypostasierungen Barmats als vermeintlicher – jüdischer – Agent des deutschen Geheimdienstes illustrieren. Die Ereignisse in dem nahe-fernen Belgien zeigen überdies die in den 1930er Jahren explosive Verbindung von Demokratie-, Korruptionsund Kapitalismuskritik, die in den Sturz einer erfolgreichen Regierung, nicht jedoch des demokratischen Systems mündete. Ausgehend von diesen internationalen faschistischen Debatten über »Bankster« und »jüdischen Hyperkapitalismus« verfolgt das zehnte Kapitel zunächst zeitgenössische Einschreibungsversuche von Julius Barmat in antisemitische Hetzfilme wie Jud Süß und den Ewigen Juden, die auch im Ausland gezeigt wurden. Vor diesem Hintergrund werden Überlegungen zu den radikalen Grenzüberschreitungen der NS-Zeit in Form der Vernichtungspraxis während des Zweiten Weltkrieges angestellt. Die Nachbetrachtungen nehmen schließlich das Verschwinden Julius Barmats aus dem sozialen Gedächtnis nach dem Krieg in den Blick, und zwar auch vor dem Hintergrund, dass einige wichtige Akteure der Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit nach 1945 die deutsche Historiografie mitprägten. Es geht um das Verschwinden des kontaminierten Themas »Kapitalismus« zumindest in bundesdeutschen Debatten, was bis heute viele historiografische Leerstellen hinterlassen hat.

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Kapitel 1 Grenzüberschreitung: Der Ostjude, der aus dem Westen kam Julius Barmats Ankunft in Deutschland war von Anfang an umstritten. Im März 1919 beantragte der in Amsterdam lebende Kaufmann beim örtlichen Generalkonsulat ein dreimonatiges Dauervisum für die Einreise nach Deutschland, das ihm erst nach langen Auseinandersetzungen am 22. Mai ausgestellt wurde. Dem mit einer Niederländerin verheirateten, staatenlosen Barmat schlug Misstrauen entgegen. Dabei ging es allgemein um den Flüchtlingsstrom sogenannter Ostjuden nach Deutschland, aber gleichermaßen auch um seine Person. War er ein gerissener Unternehmer, der die wirtschaftliche Not Deutschland ausnutzte, ein Agent des Kaiserreichs, gar ein sowjetischer Bolschewik oder doch nur ein opportunistischer Sozialdemokrat? Julius Barmat war nicht nur ein erfolgreicher Kaufmann, er war jüdischer Konfession, genauer: ein Ostjude, dessen profitable Handelsgeschäfte von Anfang an eine politische Dimension hatten, da er die Konjunktur der Kriegs- und Nachkriegszeit geschickt zu nutzen vermochte. Es war eine Zeit der wirtschaftlichen Not und politischen Umwälzungen mit zahllosen Gerüchten, die reale wie vermeintliche Formen von Misswirtschaft, Bestechung sowie persönliche Bereicherung betrafen und von denen viele antisemitisch unterlegt waren. Erste Skandalisierungen um Barmat findet man im Zusammenhang mit seiner Einreise 1919, dann im Kontext seiner großen Lebensmittelgeschäfte in der Nachkriegszeit sowie der Skandalisierung eines anderen Handeltreibenden namens Georg Sklarz. Es ist eine Geschichte, die in die Spätphase des Kaiserreichs, die Revolutionierung Russlands und mehr noch in die Revolutions-

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zeit 1918/19 führt. Die höchst widersprüchlichen Anspielungen, die seine Person und die Umstände seiner Ankunft betrafen, waren noch lange über das Kriegsende hinaus bis in die 1930er Jahre – auch in Belgien und Frankreich – zu finden. Es ist eine Geschichte von Anfängen, die kein Ende zu nehmen schienen.

Einwanderer mit wirtschaftlichen und politischen Ambitionen Julius Barmat war einer unter Millionen, die sich vor dem Ersten Weltkrieg entschlossen, ihr Bündel zu packen und ihr Glück im Westen zu suchen, einem Westen, der gleichermaßen ein geografischer Ort relativ zum eigenen Ausgangspunkt wie ein Versprechen auf ein besseres Leben war.1 Für diejenigen, die sich nicht auf der Flucht befanden, bedeutete Migration die meist hoffnungsvoll wahrgenommene Chance, politische und soziale Einengungen und Repressionen hinter sich zu lassen, ja möglicherweise sozial aufzusteigen. Bei allem wirtschaftlichen Erfolg in der neuen Wahlheimat machte Barmat jedoch auch die wiederkehrende Erfahrung neuer sozialer und kultureller Grenzen.

Ein sozialer Aufsteiger und »Kriegsgewinnler« Bei allen Rätseln in Bezug auf Julius Barmats Biografie ist eines sicher, nämlich dass er am 18. Dezember 1889 in Uman in der Nähe Kiews, einer Stadt im Kernland des jüdischen Siedlungsrayons des Zarenreichs, in der heutigen Ukraine geboren wurde und dass er sich Judko nannte.2 Demnach war seine »ursprüngliche Nationalität« russisch, aber da er und seine Familie zeitweise auch in Litzmannstadt (Łód´z) und Petrikau (Piotrków Trybunalski) gewohnt hatten, galt er später manchen auch als Pole. Zu seiner familiären Herkunft kursieren widersprüchliche Angaben. Späterhin tauchten immer wieder Berichte auf, er stamme aus ärmlichen Verhältnissen, ja sei dem Getto entflohen – sicherlich kein ganz zutreffendes Bild. In der Version seiner Anwälte war sein Vater ein Rabbiner, und seine Mutter entstammte einer Kaufmannsfamilie. Über Ver-

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mögen scheinen die Eltern nicht verfügt zu haben. Julius, der älteste Sohn, galt als begabt, besuchte zunächst das jüdische Seminar. In Łód´z, wo sein Vater zeitweise in einer jüdischen Gemeinde beschäftigt war, wechselte er auf die Handelsschule, wo ihm offenbar wegen seiner guten Leistungen das Schuldgeld erlassen wurde. Schon mit 17 Jahren soll er die Erlaubnis erhalten haben, nicht nur Unterricht in der Handelsschule zu erteilen, sondern auch Bewerber für die Handelsschule vorzubereiten. Wie er selbst bekundete, machte ihm die Politik einen Strich durch die Rechnung. Schon während seiner Zeit in der Handelsschule hatte er sich einer sozialistischen, revolutionären Studentenorganisation angeschlossen, weil, wie er erklärte, »sich in Rußland eine solche Neigung bei den Juden ganz von selbst bilden musste«. Damit meinte er den russischen Antisemitismus, der in den vorangegangenen Jahren immer wieder zu Pogromen geführt hatte. Nicht wirtschaftliche Gründe, sondern diese politischen Aktivitäten verhinderten sein Studium am Polytechnikum in Kiew, wo er für kurze Zeit eingeschrieben war. Im Dezember 1907 meldete er sich mit Erfolg auf eine Zeitungsannonce bei einem kleinen Rotterdamer Bank- und Handelsunternehmen namens Winterling & Co mit acht bis zehn Beschäftigten, das einen Korrespondenten mit russischen und polnischen Sprachkenntnissen suchte. In Rotterdam war sich der ehrgeizige junge Neuankömmling aber offenbar noch keineswegs klar darüber, wie seine Zukunft aussehen sollte. Im Hause seines Arbeitgebers etablierte sich Barmat auch dadurch, dass er dessen Tochter Rosa de Winter 1910 in London, wo er zeitweise geschäftlich tätig war, heiratete. 1912 ging aus dieser Verbindung sein einziges Kind Louis Izaak hervor. Die Heirat gab dem als staatenlos gemeldeten Einwanderer auch einen rechtlichen Schutz, was vor allem dann wichtig wurde, als in den 1930er Jahren die Staatenlosigkeit seine Existenz gefährdete. Die niederländische Staatsangehörigkeit war für ihn schon deshalb nicht einfach zu erhalten, weil seine Person bald so umstritten war. Doch auf der anderen Seite wollte Barmat auch mit der Vergangenheit offenbar nichts mehr zu tun haben. Denn die später (1920) für alle Emigranten eröffnete Option, sich für die sowjetische wie dann auch

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für die polnische Staatsbürgerschaft zu entscheiden, nahm er nicht wahr. Die Arbeit für seinen Schwiegervater füllte Barmat nicht aus. Bemerkenswert früh machte er sich unabhängig und verdiente sein Geld zunächst als Lehrer für Polnisch und Russisch an der Berlitzschule, bald dann auch als vereidigter Übersetzer und Dolmetscher. Dabei arbeitete er zum einen für die Rotterdamer Polizei – später betonte er, unter der »Protektion« des damaligen Polizeipräsidenten Rotterdams gestanden zu haben. Zum anderen spezialisierte er sich auf die Übersetzung von Dokumenten havarierter Schiffe im Zusammenhang von Versicherungsfällen. Sein Einkommen soll in dieser Zeit etwa 1500 Gulden pro Monat betragen haben. Neben diesen Tätigkeiten versuchte er von Anfang an sein Glück mit eigenen Handels-, Bank- und Immobiliengeschäften. Dazu gründete er schon 1908 eine Handelsgesellschaft mit dem Namen Julius Barmat, deren alleiniger Inhaber er war. Der Handel mit Tulpenzwiebeln, Klavieren und anderen Gütern nach Russland und in weitere Staaten war später vielfach Anlass für Spott, der Verkauf von Lotterielosen und Bankgeschäfte sorgte für Misstrauen. Diese Geschäfte waren offenbar vielfach noch mit denen seines Schwiegervaters verbunden, wenngleich dieser bald die Position eines Juniorpartners einnahm. Die Übersiedlung von Rotterdam nach Amsterdam kurz vor dem Krieg ist zweifellos ein Indiz dafür, dass Julius Barmat auf seine Selbstständigkeit pochte. Barmat war wirtschaftlich erfolgreich. Das Kapital seiner Handelsgesellschaft Julius Barmat soll zu diesem Zeitpunkt zwischen 15000 und 20000 Gulden betragen haben. Daneben war er zusammen mit drei Kompagnons Teilhaber der 1911 gegründeten Niederländisch-Russischen Handelskompanie, und zwar mit einem Anteil von 33000 Gulden. Offenbar trug er die Hauptlast dieser Gesellschaft, die Handel mit Russland betrieb, sodass er schon wenig später wieder austrat und die Geschäfte seiner Firma Julius Barmat übertrug. Seine Handelsgeschäfte waren profitabel, und er investierte sein Geld in Immobilien, für die er eigene Gesellschaften gründete, darunter die von ihm 1912 erworbene Grundstücksgesellschaft La Novita.

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Barmat scheute sich nicht, über Geld und Besitz zu sprechen. Sein Vermögen zu Beginn des Krieges soll sich auf über 900000 Gulden belaufen haben. Das war ein deutlicher Ausweis von wirtschaftlichem Erfolg. Wie den meisten Aufsteigern und »Neureichen« fehlte dem staatenlosen Ausländer jedoch »soziales Kapital«, also ein Netzwerk von gesellschaftlichen Beziehungen. Das war in der niederländischen Gesellschaft, die weit mehr als Deutschland in distinkte, soziale und religiöse – »versäulte« – Milieus zerfiel, außerordentlich wichtig.3 Einem aus dem Ausland entstammenden Aufsteiger wie ihm schlug zweifellos Misstrauen entgegen, und das umso mehr, als er jüdischer Konfession war. Die Religion verband ihn mit seiner neuen niederländischen Familie, spielte aber für den zweifellos gläubigen Juden in der öffentlichen Selbstdarstellung zu diesem Zeitpunkt wie auch späterhin keine Rolle. Ebenso wenig gibt es Hinweise auf mögliche Verbindungen Barmats zur jüdischen Kaufmannschaft. Dagegen bot das Engagement in Handelsvereinigungen die Möglichkeit, soziales Kapital zu erwerben. So wurde Barmat Direktor des in Rotterdam ansässigen Büros zur Förderung des Handels, dann nach seiner Umsiedlung nach Amsterdam Direktor einer Handelsvereinigung für den holländischen Balkanhandel. Welche Aktivitäten er in diesem Zusammenhang entwickelte, wissen wir nicht. Es fiel ihm jedoch offenbar leicht, Kontakte zu knüpfen. Der Weltkrieg eröffnete neue wirtschaftliche Chancen. Wie Zürich und Kopenhagen entwickelte sich Amsterdam zu einer Drehscheibe des Kriegshandels. Barmat gelang es schnell, sein eher kleines Handelsunternehmen mit der Spezialisierung auf Nahrungsmittellieferungen an die Mittelmächte auszuweiten. Ab dem dritten Kriegswinter hungerte Deutschland. Die Wirtschaftsblockade der englischen Marine zeigte ihre Wirkung, und die Nahrungsmittellieferungen aus dem Ausland, auf die Deutschland angewiesen war, stockten. Entsprechend hoch waren die Profitraten, zumal sich nun militärische und zivile Stellen in einem zeitweise chaotischen Überbietungsverfahren mit den knappen Gütern einzudecken versuchten. Die englische Blockadeverwaltung wurde auf Barmat aufmerksam und setzte ihn, wie holländische Zeitungen

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seit dem Sommer 1916 meldeten, auf ihre Schwarze Liste. Wer Handel mit den dort gelisteten Personen und Gesellschaften trieb, dem drohten Sanktionen.4 Das war der Grund, weshalb Barmat im Sommer 1916 seine Handelsgesellschaft Julius Barmat in die N.V. Amsterdamsche Export & Import Maatschappij, die unter dem Namen Amexima bekannt wurde, umtaufte.5 Mit einem Aktienkapital von 100000 Gulden ausgestattet, verfügte sie über Büros in einem Geschäftsgebäude an der noblen Keizersgracht 717. Der Handel mit Lebensmitteln wurde rasch weiter ausgebaut. Abnehmer waren während des Krieges vor allem deutsche und österreichische Städte und Kommunen, darunter die Stadt Leipzig, die Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine sowie die Kruppsche Wohnungsverwaltung, welche die Werksangestellten mit Lebensmitteln versorgte. Hinzu kamen Unternehmen wie die Schokoladenfirma Sarotti.6 Trotz der massiven englischen Behinderungen machte Barmat während des Krieges »große Geschäfte« und akkumulierte ein beträchtliches Vermögen. Neben der Amexima blühte seine Grundstücksgesellschaft La Novita. In deren Besitz waren das Amsterdamer Geschäftshaus der Amexima sowie das Wohnhaus der Barmats, dessen Bau eine halbe Million Gulden gekostet haben soll, in einem für den erfolgreichen Kaufmann angemessenen Wohnviertel Amsterdams. Wie Barmats Rechtsanwälte später betonten, besaß er auch eine »bedeutende Bildergalerie« im Wert von 150000 Gulden.7 Barmat wusste um die Bedeutung dieser Form »kulturellen Kapitals«. Wie allen »Kriegsgewinnlern«, die sich mit solchen bürgerlichen Insignien umgaben, trug ihm das eine gehörige Portion Neid und Missgunst ein.

Deutscher Kollaborateur oder russischer Revolutionär? In den Niederlanden lautete die umstrittene Frage, an welcher Kriegspartei man sich orientieren sollte, zumal Großbritannien die Meere kontrollierte und mit großer Effizienz auch in den neutralen Staaten politisch intervenierte. Julius Barmat setzte in seinem Kampf um wirtschaftliche Vorteile, die sich auch in soziale Anerkennung ummünzen ließen, auf Deutschland und die Mittel-

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mächte. Geschäft und Politik lagen eng beieinander, politische Beziehungen waren wirtschaftliches wie soziales Kapital. Den Deutschen Auslandsvertretern in den Niederlanden war Barmat jedenfalls seit 1916 bekannt: dem Generalkonsulat in Amsterdam primär als ein aufdringlicher – jüdischer – Kaufmann, der Deutschen Botschaft in Den Haag als Unternehmer mit politischen Ambitionen, den man vor den eigenen Wagen zu spannen versuchte. Von Anfang an war Barmat für die deutschen Diplomaten aber eine undurchsichtige Person, die seit 1916/17 unter Hinzuziehung von Berichten von Wirtschaftsauskunfteien und Privatpersonen genau beobachtet wurde. So warnte man im Frühjahr 1917 in Amsterdam vor »unreellen Geschäften« Barmats, just zu einer Zeit, als »Ago« von Maltzan, damals Botschaftsrat in Den Haag, Verbindung zu Barmat aufnahm. Der Kaufmann verfügte über Kontakte zum deutschen militärischen Nachrichtendienst.8 Dem Diplomaten ging es zu dieser Zeit zum einen um die Beeinflussung der niederländischen und belgischen Presse und zum anderen um die finanzielle Unterstützung russischer, revolutionär gestimmter oder umzustimmender Flüchtlinge und Deserteure, die sich in den Niederlanden aufhielten.9 Wie die Deutsche Botschaft im März 1918 Reichskanzler Georg von Hertling übermittelte, war Barmat in Amsterdam »vorteilhaft« bekannt als ein Mann mit »beträchtlichem Vermögen«, der sich zu dieser Zeit »besonders darum bemüht[e], die russischen Flüchtlinge und Deserteure vom Eintritt in das englische und französische Heer fernzuhalten«. Darüber habe man von Barmat »wertvolle Nachrichten« erhalten.10 Das war hohe Politik. Wohlwollend nahmen deutsche Stellen zur Kenntnis, dass sich der politisch engagierte Kaufmann kritisch gegenüber der russischen Regierung Alexander Kerenskis äußerte, die nach der Februarrevolution 1917 an die Macht gekommen war und erklärt hatte, am russischen Kriegskurs gegen Deutschland festzuhalten. Demgegenüber sprach sich Barmat öffentlich für einen Frieden mit Deutschland aus und unterstützte die Friedenspolitik der Bolschewiki, was in der russischen Gemeinde in Amsterdam nicht nur auf Beifall stieß.11 Die Revolutionierung Russlands, so die Erwartungen in Berlin, würde Deutschland die erhoffte

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Chance verschaffen, um den Krieg im Westen erfolgreich zu Ende zu führen. Das war auch der Grund, warum man dem Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin eine Eisenbahnfahrt in einem Sonderzug aus dem Schweizer Exil nach Russland ermöglichte. In dieses Bild passt, dass Barmat nach der Oktoberrevolution 1917 offenbar mit der neuen ukrainischen, nach sowjetischem Modell einberufenen Volksversammlung, der Rada, Kontakt aufnahm und sich für einen schnellen Abschluss des Friedensvertrags von Brest-Litowsk einsetzte, nachdem die russischen Delegierten unter Protest die Friedensverhandlungen mit Deutschland abgebrochen hatten. Die Ukraine vermochte zu diesem Zeitpunkt viele Fantasien zu beflügeln, politische, wirtschaftliche und territoriale. Dazu zählte nicht zuletzt die Aussicht auf Brotgetreide für die hungernde Zivilbevölkerung. Der mit Lebensmitteln handelnde Kaufmann sah in dem in Deutschland viel diskutierten »Brotfrieden« – die Ukraine als Getreidekammer Russlands sollte akute Versorgungsengpässe mildern – zweifellos auch wirtschaftliche Chancen für sein Unternehmen.12 Wohl im Zusammenhang solcher Friedensbemühungen, die Deutschland die nötigen Entlastungen verschaffen sollten, nahm Barmat, ebenfalls schon 1917, Kontakte zum späteren Führer der niederländischen Kommunisten David Wijnkoop auf. Er sollte, wie die deutschen Diplomaten in Den Haag wussten, »für die kommunistische Propaganda in Skandinavien und Holland zur Verfügung gestellte Gelder besorgen«.13 Ob nun mehr wegen seiner Geschäftsinteressen oder seines Hasses auf den Zaren: Barmat setzte auf den revolutionären Umsturz in Russland. Bestärkt wurde er von deutschen Diplomaten, die ihm versicherten, man habe mit Leo Trotzki gesprochen, ob man nicht die Interessen der Russen in Holland durch Barmat wahrnehmen lassen solle.14 Auf jeden Fall nahm Barmat Kontakte zu den russischen Bolschewiki auf. Deutsche Amtsstellen leiteten das folgende, an Trotzki adressierte Telegramm, in dem sich Barmat offenbar politisch ins Spiel zu bringen versuchte, Ende 1917 via Skandinavien nach Russland weiter: »Als seit 10 Jahren hier ansässiger Russe[,] Direktor eines Büros zur Förderung des russischen Handels[,] vereidigter

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Übersetzer vor holländischen Gerichten[,] der mit großer Sympathie die Politik der Maximalisten [der Bolschewiki – MHG] verfolgt hat[,] habe ich beschlossen[,] eine Versammlung der Russen und Holländer[,] welche sich nach dem Frieden sehnen[,] mit dem Ziel ein Unterstützungskomitee für die [hiesigen – MHG] Maximalisten zu bilden[,] in der Hoffnung, dass wir auf Ihren Schutz hoffen können[,] Judko Barmat[,] Amsterdam.«15 Diese Zeilen, die später wie viele andere Dokumente in der Presse zirkulierten, konnte man sowohl als politische Sympathiebekundung wie als Anbiederung an die Bolschewiki verstehen. Es war von einem russischen Flüchtlingskomitee die Rede, dem Barmat angeblich 150000 Gulden als Vorleistung zur Verfügung zu stellen bereit war, falls ihm die russische Revolutionsregierung die Fürsorge für diese Gruppe und das Vertretungsrecht gegenüber der niederländischen Regierung übertragen würde.16 Diese Initiativen bestätigten andere Berichte, dass Barmat seine »Antipathien gegen die Zarenregierung« offen zur Schau stellte und auf die Russische Revolution setzte – eine Revolution, die für die deutsche Sache von großem Vorteil sein konnte.17 Darauf spielte später der russische Revolutionär, Deutschlandspezialist und Vertreter wie Sprachrohr der Kommunistischen Internationale Karl Radek, selbst jüdischer Herkunft, an. Für ihn stand außer Frage, dass Barmat »gewiß einen Hass gegen den Zarismus und Sympathien für Deutschland« gehabt habe, seien doch »alle polnischen Juden deutschfreundlich. Erstens, weil sie die deutsche Sprache für ein verschlechtertes ›Jüdisch‹ hielten, zweitens, weil sie den polnischen Antisemitismus haßten, drittens, weil sie die russischen Pogrome haßten. Alle jüdischen Börsenmakler der Welt, die aus Polen stammten, waren im Kriege deutschfreundlich«, lautete 1925 seine polemische, antisemitisch unterlegte Konklusion.18 Aber war Barmat aufgrund seiner Sympathien für die Revolution schon ein Bolschewist? Oder nur eine »Art Agent, der auf die Rada einwirken sollte«?19 Oder etwa gar nur ein auf sein Geschäft erpichter Kaufmann, der seinen politischen Einfluss wirtschaftlich auszuspielen versuchte? Geschäftstüchtig, wie Julius Barmat war, ventilierte er Pläne, Weizen aus der Ukraine zu importieren. Die

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USA hatten viele holländische Schiffe beschlagnahmt, um den

Überseehandel zu verhindern. Getreide aus der Ukraine, so das Kalkül, musste die Niederlande auch enger an Deutschland binden. In dieser Sache trat Barmat mit dem ihm bekannten niederländischen Führer der sozialistischen Partei Peter Troelstra in Verbindung, der wiederum mit der holländischen Regierung Kontakt aufnahm. Diese signalisierte grünes Licht. Ob Barmat konkrete Verhandlungen mit der Ukraine führte, wissen wir nicht, greifbare Resultate sind auf jeden Fall nicht zu erkennen. Angesichts der verworrenen Verhältnisse in dem zu dieser Zeit von einem heftigen Bürgerkrieg zerrissenen Land ist das eher unwahrscheinlich. Und auch in Deutschland blieben die erhofften ukrainischen Getreidelieferungen ein Wunschtraum.20 Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Diplomaten die unterschiedlichsten Gerüchte über Barmat summten. So hieß es, er habe einen »Bolschewiki-Verein« gegründet, ferner, er habe Druck auf den russischen Gesandten ausgeübt und diesen vor die Wahl gestellt, sich zu den Bolschewiki zu bekennen oder sich gegen sie auszusprechen. Als der Gesandte ablehnend antwortete, habe Barmat dafür gesorgt, dass ihm das Geld gesperrt wurde, sodass er kurz darauf die Niederlande in Richtung Schweiz verließ. Barmat habe sogar versucht, als neuer russischer Gesandter anerkannt zu werden, dazu schon Geschäftskarten drucken lassen und einen Termin im niederländischen Außenministerium vereinbart, wo man ihn aber abgewiesen habe. Einem anderen Gerücht zufolge hatte die neue Sowjetregierung oder, so eine Version der gleichen Geschichte, die russischen Flüchtlinge auf Initiative Barmats diesen als russischen Generalkonsul vorgeschlagen.21 Barmats enger Freund Ernst Heilmann berichtete später, er habe eine Resolution mit der Unterschrift von über hundert Russen gesehen, in der sich die Flüchtlinge für Barmat als bolschewistischen Generalkonsul ausgesprochen hätten; er habe dieses Ersuchen aber abgelehnt, da er kein Bolschewik sei.22 Dass Barmat ein Bolschewik sei, mussten auch die deutschen Diplomaten in Den Haag als unrichtig dementieren. Aber auch der englische Geheimdienst sprach in Berichten vom Juni 1918 und

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März 1919 von »Barmat, the Bolshevic agent«.23 Und noch Jahre später war zu hören, Barmat habe es ermöglicht, dass »80000 Bolschewisten nach England hinübergekommen seien«.24 Einmal in die Welt gesetzt, hielten sich solche Gerüchte, mit immer neuen, mitunter skurrilen Wendungen, darunter auch eine Verwechslung der Brüder. So meldete 1921 die niederländische Botschaft in Prag nach Den Haag, dass »Judke [sic!] Barmat« beobachtet worden sei, wie er sich mit dem Vertreter der »extremen Linken« der tschechischen Sozialisten Vilém Brodeck´y getroffen habe, was dann auch prompt in britischen Berichten auftauchte und erneut deutsche Fragen provozierte, ob Barmat nicht Bolschewik sei.25

Sozialdemokrat und Freund der Zweiten Internationale Nach Kriegsende hatten Beobachter den Eindruck, dass sich der »Sympathisant der Bolschewiki« plötzlich als Förderer der niederländischen wie der deutschen Sozialdemokraten gerierte. Passte sich Barmat opportunistisch den jeweiligen Machtverhältnissen an?26 Es bleibt im Dunkeln, wann genau Barmat, der sich selbst als überzeugter Sozialdemokrat bezeichnete, erstmals Kontakte zu niederländischen und wohl auch belgischen Sozialisten knüpfte. Er selbst gab an, schon seit 1908 Mitglied der niederländischen sozialdemokratischen Partei zu sein. Andere, darunter sein deutscher Freund Ernst Heilmann, meinten, er sei weder in Deutschland noch in den Niederlanden jemals Parteimitglied gewesen.27 Zu Barmats engeren Bekannten zählte der weit über sein Heimatland Belgien hinaus bekannte Sekretär der Sozialistischen Internationale Camille Huysmans. Infolge der deutschen Besetzung Belgiens war das Büro der Internationale 1914 nach Amsterdam verlegt worden. Anfang 1919 wurde sie in Bern neu gegründet und war als Sozialistische (»Zweite«) Internationale die Konkurrenzorganisation zur im März 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale. Mit der Wiederaufnahme der Arbeit nach dem Krieg war Huysmans auf der Suche nach zusätzlichen Büros, die er – provisorisch und offenbar kostenlos – für kurze Zeit in den Amsterdamer Geschäftsräumen Barmats fand. Vermittelt wurde dieses Arrangement vom niederländischen Sozialdemokraten Troelstra, der schon

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während des Krieges Bekanntschaft mit Barmat gemacht hatte und ebenfalls als Sympathisant der deutschen Seite bekannt war. Diese politischen Verbindungen baute Barmat in der Folgezeit systematisch aus. Auf dem ersten großen internationalen Sozialistentreffen in Amsterdam nach dem Krieg im April 1919 kam er mit weiteren europäischen Sozialisten in Kontakt. Anwesend waren von deutscher Seite nur Hugo Haase und Luise Kautsky von der USPD, während der Vorsitzende der SPD Otto Wels sowie Hermann Müller sich infolge von Visumproblemen verspäteten und erst nach Abschluss der viertägigen Zusammenkunft eintrafen. Die meisten Delegierten waren inzwischen abgereist. Nicht ohne Stolz berichtete Barmat später, dass in seinem Haus in Amsterdam bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal nach dem Krieg Deutsche und Engländer zusammengekommen seien. Die neue republikanische Reichsregierung hatte allen Grund, auf ihn und andere ihm nahestehende Personen zu setzen: Huysmans und Troelstra nahmen mit Blick auf den Friedensvertrag deutschlandfreundliche Positionen ein, was in den Reihen der Internationale alles andere als unumstritten war. Insbesondere versprach Barmat, zwischen Deutschland und Belgien zu vermitteln. Die »Stimmung in Belgien [war] kolossal erregt, man wollte alles, was deutsch ist, verhaften«, erinnerte er sich.28 Ob der Geschäftsmann im April die Delegierten des Kongresses der Zweiten Internationale auf seine Kosten bewirtete, gar zu einem Empfang in seinen Büros einlud, ist nicht belegt. Es ist aber sehr wahrscheinlich, präsentierte er ihnen doch stolz seine Geschäftsräume.29 All das bot in der Folgezeit reichlich Stoff für alle möglichen Vermutungen und Unterstellungen. Für die Kommunisten war klar: Der »Spekulant Barmat« knüpfte damals nicht nur die entscheidenden politischen Kontakte nach Deutschland, sondern hatte auch die Sozialisten der Zweiten Internationale, die damit einem Kapitalisten hörig wurden, »gekauft«. Für die Konservativen und Völkischen standen die Sozialdemokraten im Sold eines Ostjuden. Die Unterstellungen gingen so weit, dass sich der SPD-Politiker Ernst Heilmann im Preußischen Untersuchungsausschuss veranlasst sah, mit Blick auf erste Kontakte seiner Partei mit Barmat, die

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erst im April 1919 stattfanden, die Behauptung zurückzuweisen, Barmat habe den »Dolchstoß finanziert«.30 Der konkrete Grund für Barmats geplante Reise nach Berlin schon im Januar 1919 waren Zeitungspläne. Tatsächlich ermöglichte er die Gründung und den Betrieb der Rotterdamer sozialdemokratischen Zeitung Voorwaarts, indem er zwischen 1917 und 1924 215000 Gulden in das Unternehmen seines guten Bekannten Troelstra steckte.31 Im Gegensatz zum zentralen Organ der holländischen Sozialdemokraten Het Volk war der Voorwaarts explizit der deutschen Seite zugeneigt – zumindest versprach das Barmat, der mit diesem Projekt zweifellos ein geschäftliches Kalkül verband, nämlich sich über solche politischen Kontakte in den Niederlanden wie in Deutschland zu etablieren. Der in Den Haag für die Presse zuständige deutsche Gesandte wusste zu berichten, dass nicht nur der deutsch-niederländische Austausch intensiviert werden sollte, sondern dass es weiterreichende Pläne gebe, wonach »sozialdemokratische Presse- und Telegraphenagenturen in allen Hauptstädten« eingerichtet werden sollten.32 Gespräche über solche Pressevorhaben führte Barmat mit dem befreundeten und in die Zeitungspläne involvierten niederländischen sozialistischen Politiker Jan Willem Matthijsen – und darüber wollte er im Winter und Frühjahr 1919 auch in Deutschland im Auswärtigen Amt und mit einzelnen Politikern, u. a. dem Reichspräsidenten, sprechen. Dementsprechend gab er bei der Antragsstellung für das Visum nicht Geschäftsbeziehungen, sondern »politische Gründe« an, konkret: »Informatorische Arbeit für die Niederländische Soz. Dem. Arb. Partei beim Parteivorstand der deutschen Soz. De. Partei. Redaktion Vorwärts«.33 Trotz eines Einreisevisums wurde aus den Reisen zu Beginn des Jahres nichts. Erfolgreicher waren erneute Bemühungen im März und Ende April. Inzwischen gab es konkrete Kontakte zu den Sozialdemokraten Otto Wels und Hermann Müller sowie zu Beamten des Auswärtigen Amtes, darunter zu dem Barmat wohlgesonnenen, aus Protest gegen den Versailler Vertrag bald aus dem Auswärtigen Amt ausscheidenden Unterstaatssekretär und Industriellen Helmuth Toepffer.

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Im Rahmen seines Aufenthalts fand Barmat am 4. Mai in Begleitung von mehreren SPD-Politikern, darunter Otto Wels, Hermann Müller und Ernst Heilmann, auch den Weg zum Reichspräsidenten Friedrich Ebert und übergab diesem ein Empfehlungsschreiben des belgischen Ministers Huysmans. Ebert lud die Gruppe daraufhin zum geselligen Abendessen ein. Etwa sechs Tage später kam es zu einem erneuten, kurzen (und letzten) Zusammentreffen, da Ebert Barmat ein Antwortschreiben übergab. Bei den Gesprächen ging es primär um politische Fragen, wobei das Thema der Lebensmittelversorgung angesichts der kritischen Versorgungslage sicherlich ebenfalls angesprochen wurde.34 Dieses kurze und eher belanglose Treffen sollte ein großes Nachspiel haben. Denn Barmat lernte den für Friedrich Ebert als Privatsekretär arbeitenden Franz Krüger kennen, der dem Kaufmann in der Folgezeit eine ganze Reihe von Freundschaftsdiensten erwies, angefangen von der Ermöglichung eines Telefongesprächs aus den Büroräumen des Reichspräsidenten nach Amsterdam bis hin zu Briefen auf offiziellem Briefpapier, in denen sich Krüger für erleichterte Grenzkontrollen auch für Angestellte der Barmat’schen Amexima einsetzte. Im Auswärtigen Amt machte sich Toepffer, selbst ein Großindustrieller, mehrmals für das von Barmat nun beantragte Dauervisum stark, am 6. Mai mit der, wie Toepffer später konsterniert selbst bemerkte, problematischen, weil in der Presse aufgebauschten Formulierung, wonach Barmat »in intimsten Beziehungen zum Reichspräsidenten Ebert« stehe. Der Unternehmer habe sich bitter darüber beschwert, dass man ihm ein Dauervisum verweigere.35 Notorische Berühmtheit sollte aber ein Telegramm Barmats an den Parteivorsitzenden Otto Wels erlangen, das dieser wiederum Ebert vorlegte, der sich mit einem handschriftlichen Vermerk auf dem Schriftstück für das von Barmat beantragte Dauervisum einsetzte. Daraufhin instruierte die Botschaft das Generalkonsulat am 22. Mai, Barmat »auf persönlichen Wunsch des Reichspräsidenten« den geforderten Dauersichtvermerk für drei Monate auszustellen, eine Order, der man in Amsterdam zähneknirschend Folge leistete, so wie man im Herbst 1922, nach Barmats Übersiedlung zusam-

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men mit seiner Familie nach Berlin, nicht umhin kam, die zeitlich begrenzten Visen in Dauervisen umzuwandeln.36 Wie noch zu sehen sein wird, versuchte die radikale Opposition daraus dem Reichspräsidenten einen Strick zu drehen. Dabei ging es aber vor allem um einen zentralen Punkt, der alle folgenden Debatten überschattete: die Verantwortung für die große Zahl von Ostjuden, die nach Deutschland flohen.

Grenzsicherung und Ostjuden Viele konnten es nicht gewesen sein, die in den Niederlanden von der Zusammenarbeit Barmats mit deutschen Diplomaten wussten. Im Amsterdamer Generalkonsulat war man auf jeden Fall einigermaßen konsterniert darüber, dass unter anderem von Maltzan und der Botschafter Alfred von Rosen Barmats Visumanträge befürworteten – auch wenn die beiden intern ein sehr ambivalentes Bild der Person Barmats zeichneten. Von Rosen meinte im Januar 1919, Barmat sei ein »sehr gewandter wortreicher russischer Jude, der nötigenfalls auch die ukrainische Staatsangehörigkeit für sich in Anspruch nimmt und der den persönlichen Ehrgeiz hat, konsularischer und lieber diplomatischer Vertreter der Ukraine oder auch der Sowjet-Regierung im Haag zu werden«. Außerdem verwies er darauf, dass das Amsterdamer Generalkonsulat die »besonders ›glücklichen‹ Geschäfte« Barmats mit »gewisser Skepsis« betrachte, vor allem aber, dass er trotz »gewisser Dienste« für Deutschland offenbar ein »skrupelloser Opportunist« sei.37 Das hinderte von Maltzan jedoch nicht daran, Barmat zwischen Januar und April insgesamt vier befristete Visa, sogenannte Passvisen, auszustellen.38 Schon im Januar wurde dem Staatenlosen ein erster Personalausweis ausgefertigt. Bei manchen seiner Kollegen in Den Haag, vor allem aber beim Generalkonsul Hans Paul von Humboldt und dem Legationsrat Graf Waldbott von Bassenheim in Amsterdam, führte das zu starken Irritationen, und sie opponierten vehement. Die Reise im Januar trat Barmat aber nicht an, wahrscheinlich, weil die vorgesehenen Termine platzten. Auch von Maltzan hatte im Januar das Auswärtige Amt in Berlin vorsorglich instruiert, dass bei dem »jüdischen Ukrainer Barmat«, der demnächst in der Reichskanzlei

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und dem Auswärtigem Amt auftauchen werde, »wohlwollende Zurückhaltung« geboten sei.39 Grenzübertritte waren nach dem Krieg eine aufwendige Angelegenheit. Bürokratische Hemmnisse erschwerten die vormals relativ freie Bewegung von Menschen und die Zirkulation von Waren und Geld über Grenzen. Es herrschte ein tiefes Misstrauen, dass mit den Migranten auch Spione und revolutionäre bolschewistische Ideen einsickern könnten. Dass die nationalen Grenzen vielfach ungesichert waren, vermittelte ein Gefühl der Verwundbarkeit. Besonders brisant war die Situation im Osten, wo es mit der Gründung des Staates Polen zu konfliktreichen Grenzziehungen kam. Hunderttausende Flüchtlinge, die vor der Gewalt der Russischen Revolution, der Bürgerkriege sowie der blutigen Pogrome flohen, überschritten unkontrolliert die deutsch-polnische Grenze und ließen sich im Reich nieder. Schätzungen gehen von 600000 russischen Staatsbürgern aus, von denen sich 360000 allein in Berlin aufhielten. Umstritten war die Anzahl der jüdischen Migranten. 1924 hieß es, dass bis zu 400000 Ostjuden nach Deutschland gekommen seien. Tatsächlich ließen sich zwischen 1914 und 1921 nur etwa 105000 jüdische Migranten im Reich nieder, viele von ihnen vorübergehend auf ihrem Weg in den Westen. Erste Regelungen noch aus dem Jahr 1918, die jüdische Migration aus dem Osten einzuschränken, wurden unmittelbar nach der deutschen Revolution zunächst einmal aufgehoben. Humanitäre Motive standen im Vordergrund. Antisemiten sprachen bald von einer »Ostjudenplage«, und der Ruf nach effektiven Grenzsperren und Deportation insbesondere der ostjüdischen Flüchtlinge wurde laut.40 Barmats Bemühungen, im Jahr 1919 nach Deutschland einzureisen, hatten mit dieser ostjüdischen Fluchtbewegung wenig zu tun. Tatsächlich hätte die Ausgangssituation nicht konträrer sein können. Hier der wohlhabende Kaufmann mit seinem Geschäftssitz an der noblen Keizersgracht in Amsterdam, der legal die Grenze überschreiten wollte, dort die vielen, überwiegend bettelarmen Flüchtlinge, die vielfach illegal die »grüne Grenze« überquerten. Hier ein Mann, der über »vorzügliche Manieren« verfügte, »als Israelit ein sehr gutes Äußeres« hatte und zudem »angenehm im

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Umgang war, sodass man allgemein geradezu von ihm eingenommen ist und ihm Vertrauen schenkt«,41 dort die vielen Jiddisch sprechenden, teils in einen Kaftan gekleideten Juden, die auch ihren deutschen Glaubensgenossen vielfach als exotisch und fremd, ja als Vertreter einer anderen, rückständigen Welt des Ostens galten. Julius Barmat teilte nicht das Schicksal dieser vielen ostjüdischen Migranten, die auf den infolge der Demobilisierung des Heeres übervollen deutschen Arbeits- und Wohnungsmarkt drängten, auf öffentliche und konfessionelle Fürsorgeleistungen angewiesen waren und sich aus purer Not in wirtschaftlich marginalen Nischen zu etablieren versuchten. Während er bald in den teuersten Berliner Hotels logierte, die seinem sozialen Status entsprachen, zwängten sich die meisten Flüchtlinge in die ärmeren Stadtquartiere wie das Berliner Scheunenviertel oder in improvisierte Notunterkünfte, wenn sie nicht gar in auf Militärgelände gelegenen Übergangslagern »konzentriert«, isoliert und drangsaliert wurden – mit der unverhohlenen Absicht, die Neuankömmlinge möglichst schnell wieder abzuschieben. Und doch: Ob aus dem Westen oder Osten kommend, wohlhabend oder arm – allen, auch Julius Barmat, haftete das Stigma des Ostjuden an. Dass sich hinter seinen geschliffenen Manieren ein russischer oder polnischer, sprich: jüdischer Kriegsgewinnler verberge, insinuierte bezeichnenderweise auch der in der kommunistischen Roten Fahne abgebildete Cartoon aus der Hochphase des Skandals (siehe Abb. 1, S. 48): Er zeigt Barmat als »Schieber«, der nach Kriegsende – in Polen – mit Sack und Pack darauf wartet, in das sozialdemokratische »Schieberparadies« Deutschland aus »humanitären Gründen« eingelassen zu werden. Ganz ähnlich sahen das viele Konservative, allemal aber die Völkischen, für die mit der Republikgründung das »Ostjudenproblem« begann. Konkret hieß das: Verschärfung der Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit, Kosten für die Wohlfahrt, (Wirtschafts-)Kriminalität und nicht zuletzt unüberwindbare kulturelle Fremdheit.42 Dahinter standen – idealisierte – Vorstellungen einer »wertvollen« Migration, wie die der Hugenotten (siehe auch Abb. 2, S. 51). Der Familiennachzug war ein anderes Thema. In den Jahren

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In dem schwarzweißrot und gelben Sumpf, mit SPD. gedüngt, Blühte Oberschieber Barmat, Der aus allen Löchern stinkt.

Langgeweilt und ohne money Saß er einst in Polen mies, Wartend auf Fortunas Schmunzeln, Auf das Schieber-Paradies.

In der deutschen Republik Wurde er dann ungeniert Von Herrn Bauer, Ebert Heilmann Menschenfreundlich importiert.

Empfehlungsschein und Kleinnotiz, Paß- und Visumpolonaise Wirkten auf den Staatsbankgeldschrank Wie ein Sauerstoffgebläse.

Und es wuchsen die Millionen, Barmat kauft sich ein Palais, Kauft Minister, Schwarzrotgelbe, Kauft die ganze SPD.

Schwanenwerder heißt die Stätte, Wo mit Knull’n und Heringsschwanz O pardon, mit Sekt und Braten, Wels sich stopft den dicken Wanst.

Abb. 1 Skandalisierung der Einreise Julius Barmats durch die KPD. Erster Teil eines Cartoons, Die Rote Fahne Nr. 48, 22. 2. 1925 Bundesarchiv, Bibliothek, Signatur: Z D 678-si

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zwischen 1919 und 1924 verließen auch die Barmat-Geschwister Herschel, David, Isaak, Salomon sowie Rosa und Dora Barmat Russland bzw. die Ukraine, und die Brüder stiegen in das verzweigte Geschäft zwischen Amsterdam, Berlin und Wien ein. An erster Stelle zu erwähnen ist der 1893 geborene Herschel oder Henri bzw. Henry (Letzteres seine eigene Schreibweise). Henry hatte die Mittelschule besucht und dann das Abitur gemacht, aber keine »Lust zum Studium«. Der Vater schickte ihn und seinen jüngeren Bruder Isaak ebenfalls in die Niederlande, damit sie nach dem Tode einer geliebten älteren Schwester »auf andere Gedanken« kämen. Der Zufall wollte es, dass sich Henry just bei Kriegsausbruch 1914 auf einer Geschäftsreise in Russland aufhielt, sodass ihm die Rückkehr nach Holland versperrt war. Nach seiner Rückkehr 1919 trat er als Angestellter in das Geschäft von Julius ein, zunächst in Amsterdam und Wien, dann in Berlin, wo er den Lebensmittelhandel organisierte.43 Er war Julius’ linke Hand, eine Verbindung, die auch dadurch gestärkt wurde, dass Henry 1920 die Schwester von Barmats Frau, Helena de Winter, heiratete. Ging es in den späteren Debatten im Zusammenhang mit der Einreise der Brüder meist um Wohnungsfragen – die Verteilung von Wohnraum unterstand kommunalen Behörden –, entwickelte sich die Einreise der Eltern zu einem Politikum. Über den 1867 im russischen Uman geborenen Abraham Barmat wissen wir genauso wenig wie über seine drei Jahre ältere, in Tolschin, ebenfalls in Russland, geborene Frau Schewa Barmat-Pechowitsch, die aus einer russischen Industriellenfamilie gestammt haben soll. Barmats Anwälte bezeichneten Abraham Barmat als Rabbiner, andere Quellen sprechen von einem Kaufmann und »Talmud-Gelehrten«, andere von einem »sehr religiösen orthodoxen Israeliten«.44 Auch in Uman, wo die Familie lebte, kam es während des Bürgerkriegs zwischen 1917 und 1920 zu brutalen, gegen Juden gerichtete Pogrome mit Zehntausenden Toten, die auch die Barmats zur Flucht veranlassten. Im Herbst 1920 kontaktierte Julius Barmat den damaligen Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) und berichtete ihm von einem Brief seines Vaters, der wie so viele andere Flüchtlinge mit Frau und Kindern an der bessarabisch-rumänischen Grenze ausgeplündert

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und mittellos gestrandet war. Er bat um Hilfe, um seinen Familienangehörigen die Übersiedlung nach Holland zu ermöglichen. Bauer erwies ihm diesen Freundschaftsdienst und verwandte sich für die Familie sowohl bei der Niederländischen Botschaft, dem Auswärtigen Amt als auch beim preußischen Innenminister Carl Severing, damit die preußischen Behörden den Barmats keine Schwierigkeiten bei der Durchreise in die Niederlande bereiteten.45 Severing sah sich schon damals wie dann auch im Zuge des Skandals 1925 massiven politischen Angriffen ausgesetzt. Trotz der repressiven Politik seines preußischen Innenministeriums wurde er andauernd mit Vorwürfen konfrontiert, nicht scharf genug gegen die ostjüdischen Flüchtlinge vorzugehen. Er galt als »Beschützer der galizischen Juden«46, für den, wie der Abgeordnete Wilhelm Kähler (DNVP) 1922 im Preußischen Landtag meinte, alles, »was mit dem Judentum zusammenhängt, ein Blümchen Rührmichnichtan« sei.47 Die offizielle Linie Severings war es, humanitäre Erwägungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen auch mit Blick auf den Völkerbund und die kritische Beobachtung Deutschlands durch das Ausland in den Vordergrund zu stellen. Dennoch versuchte man, ihm in der rechten Presse wie im preußischen Untersuchungsausschuss wegen der Einreise der Eltern Barmats einen Strick zu drehen (auch mit der ziemlich absurden Implikation, dass dabei Korruption vorgelegen habe).48

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Abb. 2 Kontrastierung der hugenottischen mit der jüdischen Einwanderung nach dem Ersten Weltkrieg CC-BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch, 73.1920, Seite 284

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Umstrittener Großlieferant von Lebensmitteln ins hungernde Deutschland Julius Barmats Lebensmittelgeschäfte während der Kriegszeit übertrafen bei Weitem die der unmittelbaren Nachkriegszeit, und doch waren Letztere von Anfang an heftig umstritten. Das hat gleichermaßen mit dem Geschick zu tun, mit denen der niederländische Kaufmann im Gegensatz zu vielen Konkurrenten eine akute Notmarktlage bedienen konnte, wie mit seinen politischen Verbindungen zur neuen republikanischen Regierung, die seine Geschäfte zu befördern schienen. In diesem Kontext interessiert zunächst einmal Barmats Geschäftstätigkeit in der unmittelbaren Nachkriegszeit – die Voraussetzung für den Aufbau des späteren Barmat-Konzerns.

Ankunft in einer Hungergesellschaft Seit dem Frühjahr 1919 pendelte Julius Barmat zwischen Amsterdam und Berlin. Die Grenzübertritte in Bentheim waren mühsam. Die Passagiere wurden genauestens unter die Lupe genommen. Der Schmuggel von Devisen und Waren aller Art blühte. Ob sogenannte Grenzempfehlungen Barmat in irgendeiner Weise den Übergang erleichtert haben, war 1925 ein großes Thema. Die auf Papier des Reichspräsidentenamtes geschriebenen Empfehlungen, die, wie später aufgeklärt wurde, Friedrich Eberts Privatsekretär Franz Krüger (SPD) ausgestellt hatte, zeigten auf jeden Fall ihre Wirkung.49 Bei seinen Besuchen in Berlin wohnte der Kaufmann standesgemäß im Central Hotel, später dann im Hotel Bristol, die zu den besten der Reichshauptstadt gehörten. Zunächst reiste er mit befristeten Visen nach Deutschland ein; erst 1922 beantragte er in Berlin für sich, seine Frau und seinen Sohn erfolgreich eine Aufenthaltsbewilligung, wobei er auf seine Firmen und ein Empfehlungsschreiben des damaligen Reichsschatzministers Gustav Bauer (SPD) verwies.50 Als sich Barmat Anfang 1923 dann dauerhaft in Berlin niederließ, wählte er als Domizil ein Landhaus auf der Havelhalbinsel Schwanenwerder. Wenngleich es sich dabei keineswegs um ein »Schloss« handelte, wie später vielfach behauptet wurde, wohnten auf dieser »Insel der Seligen«, einem Villenviertel im Südwesten

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Berlins mit Bootsanlegestellen für die Seegrundbesitzer, all diejenigen, die von sich sagen konnten, finanziell wohlauf zu sein. Das waren kaum mehr als zehn Familien, deren Haushaltsvorstände zumeist im Finanzwesen tätig waren.51 Barmats Ex- und Importgeschäfte mit Lebensmitteln, Textilien und Lumpen liefen prächtig. Nicht nur Deutschland, sondern auch die Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Habsburgermonarchie waren, wie man damals norddeutsch zu sagen pflegte, ausgepowert. Die Stimmung war schlecht. In der Nachkriegsgesellschaft mangelte es an allem, an Nahrungsmitteln nicht weniger als an Kleidung, Kohle und Papier. Zudem waren Geschäftskontakte unterbrochen, es herrschte eine extreme Devisenknappheit und es gab, wie im Falle der Niederlande, zum Schutz der einheimischen Bevölkerung Exportverbote. Der Waffenstillstand hatte für die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zunächst nicht die erhoffte große Wende gebracht. Großbritannien hielt die Seeblockade aufrecht. Zugleich war seit der Novemberrevolution 1918 das ohnehin prekäre System der öffentlichen Versorgung mit Nahrungsmitteln ins Wanken geraten. Landwirte unterliefen aus eigennützigen, viele meinten auch aus politischen Gründen die öffentliche Lebensmittelzwangswirtschaft mit ihren Preisregulierungen zugunsten der Konsumenten; der Handel hortete Waren, um sie später teurer zu verkaufen. So lautete jedenfalls der nicht ganz unbegründete öffentliche Generalverdacht gegen Produzenten und Handeltreibende. Zugleich blühte der von Produzenten wie Konsumenten gleichermaßen in Gang gehaltene Schwarzmarkt, auf dem Preise gefordert wurden, die weit über die festgesetzten Höchstpreise hinausgingen. Viele halfen sich selbst. Männer, Frauen und Kinder zogen aufs Land und beschafften sich, wenn nicht legal, dann vielfach durch Diebstahl, darunter Feldplünderungen, was sie sich vor allem in den Großstädten für Papier- und blechernes Notgeld nicht mehr oder nur im Tausch gegen andere Sachwerte beschaffen konnten. Der Fotograf Felix Römer hat diese Berliner Hungergesellschaft in eindringlichen Bildern dokumentiert.52 Ernährungsfragen waren das Tagesgespräch. Hunger, exzes-

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sive, »unangemessene Preise« und die realen wie vermeintlichen Ausschweifungen von »Schlemmern« empörten, so wie das Schlangestehen und die Jagd nach Fett, Zucker und anderen knappen Waren entnervten. War das der Boden für die politische Radikalisierung, ja für die Anfälligkeit der Städter für den Bolschewismus? Die fatalen revolutionären Ereignisse in Russland standen als Menetekel im Raum. So sahen es jedenfalls viele Mitglieder der sozialdemokratischen Regierungen der jungen Republik, die mit spartakistischen Aktionen und Aufständen im Winter 1918/19 zunächst in Berlin und seit dem Frühjahr auch in anderen Teilen des Reiches konfrontiert waren. Die Devise hieß: Sicherstellung der Volksversorgung – egal was es koste.53 Schon aus diesem Grund war der offenkundig finanzkräftige Amsterdamer Kaufmann Julius Barmat ein gefragter Mann. Barmat nutzte die Gunst der Stunde. Zupass kam ihm dabei die von seinen Brüdern, Freunden und auch von seinen Feinden vielfach bekundete soziale Gabe, auf Menschen zuzugehen, sie zu bereden, auch zu überreden und an sich zu binden. Einige waren davon abgestoßen, zumal sie hinter der menschlichen Geste blankes Kalkül witterten. Andere waren dagegen von ihm angezogen, wobei schwer zu entscheiden ist, was ihn so attraktiv machte: seine weltoffene Persönlichkeit, die großzügig aus Holland mit der Post verschickten »Liebesgabenpakete« oder andere kleine Geschenke, Zuwendungen und kleine »Privatkredite«, die er Freunden und Bekannten geradezu aufdrängte. Wann kam es schon vor, dass ein »Guldenmillionär«54 auch mit einfachen Leuten sprach? Barmat wirkte aber auch deshalb anziehend, weil er ganz offensichtlich etwas bewegte und über Verbindungen verfügte, von denen auch andere profitierten. Zweifellos war er ein Genie wirtschaftlicher und finanzieller Betriebsorganisation, in den durchaus pejorativ gemeinten Worten der niederländischen Polizei: »buitensporig handig« und »an geheel juist«, was soviel heißt wie »ungeheuer clever« und »geölter Jude«.55

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Wirtschaftliche »Grenzmoral« und Volksernährung Der Krieg war vorbei, die Probleme der Kriegswirtschaft hielten an. Der für die Volksernährung zuständige Reichsminister Robert Schmidt (SPD), dessen Ressort 1919/20 kurzzeitig mit dem Reichwirtschaftsministerium zusammengelegt wurde, unterstrich rückblickend, wie kritisch die Ernährungslage das ganze Jahr 1919 über war. Angesichts der akuten Notlage galt es zu improvisieren. Die Gesetze des Marktes waren außer Kraft gesetzt, alle möglichen Stellen, einschließlich des Militärs, versuchten Nahrungsmittel zu beschaffen, auch illegal. So habe man vielfach »ein Auge zugedrückt und auch beide Augen«.56 Es gab Konflikte mit den Niederlanden und Dänemark, die die deutsche Regierung zur Bekämpfung des illegalen Grenzhandels aufforderten, an dem sich Tausende beteiligten und damit die Preise in den Nachbarländern in die Höhe trieben. Viele »faule Geschäftsleute« und »Spekulanten« aus den USA und England boten ihre zweifelhaften Dienste an. Vor allem aber: Eine akute Devisenknappheit des Reiches erschwerte Importe jeder Art. Die Probleme erschienen so dringlich, dass im Mai 1919 ein interministerieller »Diktatorischer Ausschuss« unter Leitung des früheren Direktors der Ostafrikanischen Eisenbahngesellschaft Eugen Pritschow eingerichtet wurde. Im Streit um die knappen Devisen sollte sich diese Organisation über Partikularinteressen von Behörden, aber auch Wirtschaftsinteressen hinwegsetzen. Markige Rufe nach Diktatoren, insbesondere Wirtschaftsdiktatoren im Bereich der Volksernährung, waren seit dem Krieg sehr populär. Aber es war eine andere Sache, sich diktatorischen Beschlüssen auch unterzuordnen. Denn Diktatur setzt bekanntlich nicht auf komplizierte Verfahren, schon gar nicht auf Transparenz, sondern auf Dezisionismus. So waren Ressentiments und Widerstände nicht nur bei den betroffenen Ressorts des Reiches, der Länder und der Kommunen, welche die auseinanderfallende Lebensmittelzwangswirtschaft organisierten, sondern auch bei Unternehmern im In- und Ausland vorprogrammiert.57 Dass überall »geschoben« wurde, gehörte zu den Gemeinplätzen mit vielen, meist unbewiesenen, ins Kraut schießenden Unterstellungen und Vermutungen, die zweifellos auch ei-

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nen wahren Kern hatten. Ausgestochene Unternehmer waren schnell dabei, Konkurrenten mit Vorwürfen zu diskreditieren. Der Lebensmittelhändler Julius Barmat geriet dabei wie kein anderer in die Schusslinie. Wofür es 1919/20 aber nur in Ansätzen eine kritische mediale Öffentlichkeit gab – stattdessen aber viele Gerüchte und Geschichten –, ließ sich wenige Jahre später im Zuge des Barmat-Skandals auf breiter Ebene thematisieren. Viele der früheren Akteure, darunter Handeltreibende und Vertreter großer Lebensmittelimportfirmen wie Alnari oder Schwoon in Hamburg, von denen nicht wenige in den Kriegswirtschaftsbehörden eine maßgebliche Rolle gespielt hatten, traten 1925 in gleich drei parlamentarischen Ausschüssen auf, im Reich, in Preußen und in Sachsen, um sich zu den Lebensmittelgeschäften und Geschäftspraktiken Julius Barmats samt der beteiligten Personen in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu äußern. Es ging um die Qualität von Butter und Speck, sophistische Debatten über Brutto- und Nettoinhalte von Milchdosen, »(un)angemessene Preise«, Lieferkonditionen und Finanzierungsfragen, dann aber auch im Zusammenhang mit allen diesen Themen um den Verdacht der Korruption, namentlich die Verbindungen von Julius Barmat zu führenden Sozialdemokraten. Verhandelt wurden Fragen der wirtschaftlichen »Grenzmoral« als »Wirtschaftsmoral« des Kapitalismus. Diesen Begriff hatte Götz Briefs, ein Ökonom aus dem Umfeld der katholischen Soziallehre, 1921 in die Diskussion eingeführt. Er meinte damit die Verkehrsmoral »der am wenigsten durch moralische Hemmungen im Konkurrenzkampf behinderte[n] Wirtschafter, die auf Grund ihrer Mindestmoral unter im Übrigen gleichen Umständen die stärksten Erfolgsaussichten haben und sohin die übrigen konkurrierenden Gruppen bei Strafe der Ausschaltung vom Wettbewerb zwingen, allmählich in Kauf und Verkauf sich dem jeweilig tiefsten Stand der Wirtschaftsmoral (›der Grenzmoral‹) anzugleichen«. Dieser »submarginale […] Druck« war, wie Briefs in späteren Zusammenhängen formulierte, nach allgemeiner Anschauung auf der einen Seite höchst verwerflich, weil mit dieser Wirtschaftsmoral kein wirtschaftlicher Nutzen erzeugt würde, was in zeittypischen Bezeichnungen wie Schieber, Kettenhändler und Schwindelunternehmer

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zum Ausdruck komme. Zugleich sah der Ökonom aber sehr wohl, dass sich in diesem Begriff der »Grenzmoral« immer auch Reaktionen auf dynamische Prozesse »schöpferischer Vernichtung« (Josef Schumpeter) widerspiegelten: auf neue Produktionsformen und innovative Unternehmer, die durch ihr wirtschaftliches Handeln etablierte und auch moralische Normen unterliefen.58 Vor allem der in der ersten Reichsregierung für die Volksernährung zuständige Minister Robert Schmidt (SPD) sah sich bei den Ermittlungen heftigen Angriffen ausgesetzt. War er für das »Festsetzen der Spinne Barmat in der gesamten Lebensmittelversorgung Deutschlands 1919/20 verantwortlich«, wie 1925 auch der bayerische Gesandte in seinem Bericht aus der Reichshauptstadt unterstellte? Das Verhör des Ex-Ministers im Reichstagsausschuss wurde dementsprechend mit großer Spannung erwartet, doch kam er »leidlich unlädiert« aus den Befragungen heraus, da selbst »die Rechte geneigt scheint, ihm das beneficium des Ehrenmanns nicht abzustreiten«.59 Ähnliches wiederholte sich bei den Aussagen Schmidts im Preußischen Untersuchungsausschuss. Schmidt wusste bereits beim ersten Zusammentreffen mit Barmat, dass der Amsterdamer Kaufmann im Krieg auf der deutschen Seite gestanden hatte – die Tatsache, dass er auf der Schwarzen Liste der Briten stand, war für ihn, wie er betonte, »eine Empfehlung«, ebenso wie die Lieferungen nach Deutschland, vor allem als die Niederlande 1919 zeitweise die Exporte stoppten. Mehr als alles andere zählte aber für den einstigen Minister, dass Barmat 1919 zu denjenigen gehörte, die auf dem leer gefegten und blockierten Weltmarkt überhaupt Lebensmittel beschaffen konnten, und das offenbar in großen Mengen. Der Kaufmann machte auf ihn den Eindruck eines »vertrauenswürdigen und tüchtigen Geschäftsmanns«, auch wenn ihm seine etwas »aufdringliche Art« missfiel, was aber nicht nur für Barmat kennzeichnend gewesen sei.60 Schmidt traf Barmat nur zwei Mal. Dieser habe bei ihm weniger vorgesprochen, um sich über Geschäfte zu unterhalten, wofür ganz andere Stellen und Personen zuständig waren. Vielmehr habe er sich darüber beschwert, dass er, der Sozialdemokrat und Jude Barmat, von den alten Beamten benachteiligt werde. Nach Schmidts

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Eindruck hatte er »mit dieser Beschwerde nicht ganz unrecht«, zumal renommierte Banken, darunter die Diskontogesellschaft oder das Bankhaus Mendelssohn, seine Person ausgesprochen günstig beurteilten.61 Der Vorsitzende des Diktatorischen Ausschusses Pritschow erklärte später, wie er die Anweisung Schmidts, Barmat anzuhören, verstand: Man solle Barmat nicht vor den »Kopf stoßen«, ihn »nicht hinauswerfen« (wie das offenbar bei vielen Kaufleuten, die vorsprachen, der Fall war) und ihn »in den Formen des kaufmännischen Verkehrs anständig behandeln«. Eine Reihe von damaligen Beamten des Reichswirtschaftsministeriums, darunter zahlreiche Unternehmer aus Industrie und Handel, die hohe Positionen in Kriegswirtschaftsstellen eingenommen hatten, sahen das anders. Ihr Vorwurf lautete, der SPD-Sympathisant Barmat sei systematisch protegiert worden. Zwar sei bei der Vergabe von Aufträgen kein direkter Druck ausgeübt worden; passive oder aktive Bestechung, also Formen von Korruption, ließen sich, wie sie auf Nachfrage zugeben mussten, nicht nachweisen. Sie empfanden Barmat aber als »politischen Faktor«, mit dem man rechnen musste. Man fügte sich, weil man dem Freund der »maßgeblichen Herren«, sprich: Schmidt und der Regierung Gustav Bauer (SPD), eben zu Gefallen sein wollte.62 Solche Aussagen lassen deutlich das Misstrauen gegen »die neuen Männer« erkennen, die nun in der Politik wie in der Wirtschaft ein Wort mitzusprechen hatten. Barmat, ein Konkurrent, schien sich überall breitzumachen. Barmat war in der Lage zu liefern, und zwar nicht nur an das Reich, sondern auch an staatliche Stellen in Württemberg und Sachsen. In den Niederlanden verfügte der Kaufmann über ein weitverzweigtes Netz von Agenten und konnte im Gegensatz zu anderen deutschen Importeuren nicht nur in Rotterdam, sondern auch im belgischen Antwerpen einkaufen. Außerdem bot er günstige Finanzierungsmodalitäten an. Auf einem anderen Blatt stand, ob seine Preise wirklich so günstig und die Qualität immer einwandfrei waren. Schmidt und andere frühere Beamte der einschlägigen Reichsbehörden wussten zu berichten, dass Barmat mehr versprochen, als er dann geliefert habe, was ihn aber ebenfalls nicht von anderen Auslandslieferanten unterschieden habe.

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Der Umfang der Lieferungen nach Deutschland in der Nachkriegszeit war beachtlich, wenn auch bei Weitem nicht so umfangreich, wie gern berichtet wurde.63 Der Vorsitzende des Diktatorischen Ausschusses schätzte, dass sich die mit den Reichsernährungsstellen abgeschlossenen Geschäfte Barmats auf 20 Mio. Gulden beliefen, was 30 Mio. Goldmark entsprach – bei insgesamt 3,7 Milliarden Goldmark für Einfuhren aller Reichsstellen also einem Anteil von gerade einmal einem knappen Prozent.64 Hinzu kamen die Nahrungsmittellieferungen der Amexima an andere Stellen, allein 1919/1920 nach Sachsen in Höhe von 211 Mio. Papiermark (wegen der fortschreitenden Inflation entsprach das etwa 22 Mio. Goldmark). Hinzu kamen Geschäftsbeziehungen nach Österreich, die 1920/21 ausgebaut wurden und bald den Handel mit Deutschland überflügelten. Neben Nahrungsmittelvereinbarungen hatte die Amexima 1919 Kontrakte mit den einschlägigen Stellen des Reiches wie der Länder über große Lieferungen von Textilien aus den Niederlanden, darunter solche für Lumpen, die für die Papierproduktion gebraucht wurden, für die Barmat im Gegenzug Papier für sozialistische Zeitungen nach Holland lieferte (worin manche einen Verstoß gegen die Bewirtschaftungsgesetze und Ausfuhrbestimmungen sahen).65

Finanzierungsfragen Die Beschaffung und Lieferung von Lebensmitteln war aber nur die eine Seite des Geschäfts. Wichtiger für das Reich waren die – damals wie später heftig umstrittenen – Finanzierungskonditionen. Die Reichsbank und die einschlägigen Großbanken wollten oder konnten 1919 keine Devisen für Nahrungsmittelimporte zur Verfügung stellen. Erst als nach längerem Hin und Her die Finanzierungsmodalitäten geklärt waren, kamen die Reichsstellen mit der Amexima ins Geschäft. Barmats Angebot war insofern attraktiv, als er mit einer Kreditfrist von sechs bis neun Monaten, in Sachsen sogar bis zu zwölf Monaten, lieferte, d. h., er übernahm die Vorfinanzierung. Dazu besorgte sich die Amexima mittels der Auftragsbescheinigungen bei niederländischen und deutschen Banken die erforderlichen Kredite.66 Die fluktuierenden Devisenkurse machten

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darüber hinaus komplizierte Finanztransaktionen in Form von Sicherungsgeschäften notwendig. Die politisch umstrittene Frage lautete, ob das legal war, vor allem aber, ob Barmat »übermäßige Gewinne« erzielte. Lieferte er zu überhöhten Preisen, die durch seine Finanzierungskonditionen nicht gerechtfertigt waren? Es ging um viel Geld. Barmat stach Konkurrenten aus, darunter etablierte Geschäftshäuser. Der Höhepunkt der deutschen Lebensmittelgeschäfte mit Barmat fiel in die ersten Monate nach 1919 bis in den Sommer 1920. Ab dem Winter 1919/20 schloss das Reichswirtschaftsministerium direkt mit amerikanischen Schlachthäusern Lieferungsverträge über Fleisch, Speck und Schmalz in hohen Dollar-Millionenbeträgen ab, sodass man nicht länger auf Vermittlungen von Personen wie Barmat angewiesen war.67 Barmats günstige Konditionen provozierten Neid und Missgunst, zunächst weil viele alteingesessene deutsche Firmen auch in den Niederlanden keine ähnlichen Finanzierungsmodi anbieten konnten oder sich vom Handel ausgeschlossen sahen. Barmats Antwort auf die Frage, wie ihm das alles gelang, war einfach. Nicht nur, dass er im Gegensatz zu seinen Konkurrenten in den Niederlanden und Deutschland bis weit nach Belgien und in die USA über Händlerkontakte verfügte; sein Verfahren habe darin bestanden, dass er seinen Zulieferern die gleichen Konditionen anbot wie die Reichsstellen ihm: »Wenn ich einen Kontrakt in Holland gemacht habe, wir wollen einmal sagen: mit Cohen van der Laan in Margarine, Schmalz und Fett, dann habe ich dem Lieferanten gesagt: Das sind die Bedingungen, die ich mir dabei mache, und du mußt dich an diese Bedingungen halten; ich will dir aber als Sicherheit von mir aus 100000 Gulden einzahlen […] und […] den Rest auf der Basis, wie ich das mit der Reichsstelle machte, kannst du das mit mir machen.«68 Auf diese Weise habe er die Lieferanten an den Risiken beteiligt und sein eigenes Risiko minimiert. Das war für alle Beteiligten unsicher, ein System von Zusagen und Versprechungen, die oft nicht eingehalten werden konnten, was möglicherweise auch erklärt, dass Barmat der Ruf vorauseilte, dass man mit ihm vorsichtig sein müsse. Offen blieb die Frage, ob sich Barmat mit den Nachweisen über

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die deutschen Lieferungsaufträge Gulden beschaffte und diese dann für Währungsspekulationen benutzte. Seine Konkurrenten versuchten das zu skandalisieren, stand damit doch der Verdacht im Raum, »der Kriegsgewinnler« habe auf den Niedergang des Markkurses spekuliert und sei damit auch ein Inflationsgewinnler. Beweisen ließ sich das nicht. Und ob solche spekulativen Währungsabsicherungen wirklich strafbar gewesen wären, war, wie auch der Vorsitzende des preußischen Untersuchungsausschusses Eugen Leidig (DVP) bezweifelte, eine ganz andere Frage.69 Viele andere Punkte blieben offen, darunter der, wie es dem Kaufmann gelingen konnte, unter den Bedingungen der Markabwertung 1919/20 – erst im Frühjahr 1920 zog der Markkurs wieder an – den deutschen Stellen auf relativ lange Dauer Kredit zu geben und zugleich einen Gewinn zu erwirtschaften. Außer Frage stand dagegen, dass Barmat ein geschickter Finanzjongleur mit einem offenbar phänomenalen Zahlengedächtnis war, der in den Ausschüssen aus dem Stegreif über die kompliziertesten Details, Zusammenhänge und Namen Auskunft geben konnte, was offensichtlich auch den Vorsitzenden Leidig, selbst Jurist und Syndikus verschiedener Firmen, beeindruckte. Klar war aber auch, dass es offenbar Unregelmäßigkeiten gab, wobei sich jedoch die Behörden und Beamten, welche die Geschäfte abwickelten (und nicht die Politiker), an die eigene Nase fassen mussten.70

Der niederländische Hafenarbeiterstreik 1919 Ein Coup besonderer Art gelang Barmat anlässlich des großen Streiks der niederländischen Hafenarbeiter, der sich über zwei Monate bis Anfang Mai 1920 hinzog und mit einer Niederlage der Streikenden endete. Gelöschte, schon bezahlte Waren im Wert von fast einer Milliarde Goldmark allein nach Deutschland und weitere Lieferungen nach Österreich (Geschäfte, die aber offenbar so gut wie gar nicht von der Barmat’schen Amexima, sondern oft direkt mit den amerikanischen Packern getätigt worden waren) konnten nicht abtransportiert, sondern mussten zu hohen Kosten gelagert werden; verderbliche Lebensmittel wie Butter und Fleisch drohten zu verrotten. Abgesehen davon, dass es um extrem knappe Devisen-

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Millionen ging, musste der Streik Rückwirkungen auf die öffentliche Ernährung haben, und das ausgerechnet in der Zeit des KappPutsches, als die politische Lage in Deutschland außerordentlich angespannt war und insbesondere in den Industrieregionen eine große Lebensmittelnot herrschte. Die syndikalistische Federatie von Nederlandsche Transportarbeitere propagierte im Gegensatz zum gemäßigten, sozialdemokratischen Centraale Bond von Transportarbeideres einen politischen und nicht nur einen wirtschaftlichen Kampf. Die erklärte Solidarität mit der revolutionären Bewegung im Ruhrrevier als Reaktion auf den Kapp-Putsch spielte dabei eine wichtige Rolle. Die Parole der radikalen Linken lautete Generalstreik.71 Barmat versprach Hilfe, indem er Reichswirtschaftsminister Schmidt zusicherte, er könne bei den niederländischen Gewerkschaften für den Abtransport der Warenlieferungen sorgen. Dazu reiste eine eigens zusammengestellte Abordnung aus Deutschland an, darunter der Vertreter der deutschen Transportarbeitergewerkschaft Johannes Döring, der mittlerweile aus dem Dienst beim Reichspräsidenten ausgeschiedene Reichstagsabgeordnete und gute Bekannte Barmats Franz Krüger (SPD) sowie Wilhelm Koenen (USPD, später KPD). Vom 7. bis 13. April fanden in Amsterdam und Rotterdam die Verhandlungen statt – in Amsterdam zeitweise im Geschäftshaus Julius Barmats, der zusammen mit seinem Vertrauten Matthijsen als Vertreter der holländischen Sozialisten bei den Verhandlungen anwesend war, ohne dass er dabei aber eine direkte Rolle spielte. Die Verhandlungen, in die eine Reihe anderer Personen involviert war, gestalteten sich langwierig und kompliziert. Das dabei erzielte Arrangement mit den niederländischen sozialdemokratischen und syndikalistisch-kommunistischen Gewerkschaften war jedoch ein Erfolg – zumindest für die deutsche Regierung, da die Arbeiter zügig die Löschung der Lieferungen nach Deutschland und Österreich durchführten. Der Kompromiss bestand darin, dass die Hafenarbeiter als Gegenleistung dafür eine Erhöhung des Tageslohns von 6,60 Gulden auf den geforderten Lohnsatz von 8 Gulden erhielten. Doch der Teufel lag im Detail der Vereinbarung:

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Denn tatsächlich bekamen die Arbeiter weiterhin nur den bisherigen Tagessatz; der Differenzbetrag zu den 8 Gulden wurde offenbar stattdessen den Gewerkschaften zur Verfügung gestellt. Es ist nicht klar, wie das genau gehandhabt wurde: Vermutlich übernahm die Deutsche Transportzentrale in Rotterdam die Zahlung dieser Gelder; aber auch Barmat will als »Belohnung« für die Freigabe einen Beitrag für den Unterstützungsfonds der Streikenden geleistet haben, so jedenfalls erklärte er das später.72 Wer für das für Deutschland günstige Arrangement schließlich verantwortlich war, blieb ungeklärt (auch wenn einiges für die aktive Rolle der deutschen Delegation und Barmats spricht). Noch 1925 polterte Reichswirtschaftsminister Schmidt, die »Herren der Gesandtschaft« hätten gewusst, »was für einen Rock die Gräfin X oder Y in einer Gesellschaft angehabt hat, aber nichts über Arbeiterverhältnisse und Gewerkschaftsfragen«; wenig Ahnung schrieben er und andere in der Regierung auch den, so der Vorwurf Schmidts, inaktiven Reichsernährungsstellen zu, deren Beamte aus der Kaufmannschaft gemeinsame Sache mit ihren niederländischen Unternehmerkollegen gemacht hätten.73 Das schließlich gefundene Arrangement war aber auch in Gewerkschaftskreisen umstritten. Edo Fimmen, der bekannte linke Führer der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft, wandte sich in der Folgezeit scharf gegen Barmat: Der Kaufmann sei »immer nur ein Schieber gewesen, wie es deren in der kapitalistischen Gesellschaft in unbegrenzter Anzahl gibt«.74 Der Verdacht stand im Raum, dass der Reichswirtschaftsminister aus Dank für Barmats Einsatz bei der Lösung des Streiks diesem ein »großes Lebensmittelgeschäft« zugeschanzt habe. Beweisen ließ sich dieser Vorwurf nicht.75 Wie bereits erwähnt, fiel der niederländische Streik in die Zeit des Kapp-Lüttwitz-Putsches. Die Republik war bedroht, die Koalitionsregierung unter Gustav Bauer (SPD) kurzzeitig aus der Hauptstadt geflohen. Die Antwort der Gewerkschaften war ein – erfolgreicher – Generalstreik, der jedoch in Teilen des Landes in eine revolutionäre Aufstandsbewegung der Arbeiter mündete. Stockende Nahrungslieferungen aus den Niederlanden waren das Letzte, was

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die Regierung brauchte; dies wäre Wasser auf die Mühlen der radikalen Rechten wie der Linken gewesen. Barmat gab auf seine Weise eine Loyalitätsbekundung für die Republik ab, indem er der verfassungsmäßigen deutschen Regierung ohne jede Sicherheitsleistung Lebensmittel und Kredite zur Verfügung stellte. Reichkanzler Gustav Bauer lehnte diesen »Beweis des Vertrauens« angesichts der sich bald klärenden politischen Entwicklungen dankend ab. Aber der Sache haftete ein Beigeschmack an. War das einmal mehr ein Beispiel für die opportunistische »Vielseitigkeit« Barmats, wie der Abgeordnete Joseph Kaufhold (DNVP) meinte? Vor allem war das nicht ein Indiz dafür, wie eng Barmat und die Sozialdemokratie kooperierten?

Korruptionsdebatten im Übergang vom Kaiserreich zur Republik Die Geschäftstätigkeit Barmats wurde von Anfang an kritisch beäugt und seit 1919 skandalisiert. Korruptionsdebatten waren nicht neu. Vor dem Krieg hatten insbesondere Sozialdemokraten immer wieder versucht, das Thema auf die politische Tagesordnung zu setzen.76 Seit der Revolution sah das anders aus: Viele der früheren Kritiker und die republikanischen Parteien wurden zur Zielscheibe massiver, vielfach schmutziger Korruptionsvorwürfe. Diese verbanden sich mit zahlreichen anderen Debatten, u. a. darüber, dass »die Juden« ihre schützende Hand über die Republik legten, ja dass sie die »Schutztruppe der Sozialdemokratie« seien.77

Öffentliche Skandalisierungen Barmats große Lebensmittelgeschäfte mit dem Reich und dem Land Sachsen sowie die Amsterdamer Ereignisse im Zusammenhang mit dem Hafenarbeiterstreik hatten zur Folge, dass Schmidts Nachfolger als Ernährungsminister, der Zentrumspolitiker Andreas Hermes, sich weigerte, auch nur Gespräche mit Barmat zu führen, und das obwohl sich der Ex-Reichskanzler und Gewerkschafter Gustav Bauer sowie der sächsische Wirtschaftsminister Albert Schwarz

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für den Amsterdamer Unternehmer verwandten. Es stand die Behauptung im Raum, »Barmat sei ein Schieber«. Hermes wich aus, verwies auf die Verdächtigungen von Beamten der Reichsfettstelle, die sowohl Preise wie Qualität moniert hätten.78 Die Angelegenheit hatte ein Nachspiel. Hegte der bei dem Gespräch Bauers mit Hermes anwesende und außerordentlich erregte Barmat Rache und mobilisierte die SPD gegen den Zentrums-Minister? Der Leiter der Einfuhrgesellschaft des Reiches für Getreide und Futtermittel, ein bekannter Hamburger Kaufmann auf dem Gebiet des internationalen Getreidehandels, unkte rückblickend, dass die ablehnende Haltung von Minister Hermes der Grund für die in dieser Zeit von der SPD gegen ihn und sein Ministerium erhobenen Misswirtschafts- und Korruptionsvorwürfe gewesen sei. Absurd ist dieser Verdacht nicht. Auch Barmats Freund Ernst Heilmann (SPD) engagierte sich in der Angelegenheit und titulierte Hermes als »Volksschädling«.79 Hermes’ Verhalten gegenüber Barmat und dessen heftige Reaktionen lassen sich damit erklären, dass der Kaufmann seit dem Spätsommer 1919 massiven Angriffen ausgesetzt war. Die Spuren führen in die Niederlande, wo seit dem September ein anonymer Bericht mit dem Titel »Was man sich in eingeweihten Kreisen an der Börse in Rotterdam erzählt« zirkulierte. In leicht veränderter Form veröffentlichte die Handelskammer Bochum diesen Bericht in ihren Mitteilungen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Autor um einen »Vertrauensmann der deutschen Regierung« handle: »Während zahllose deutsche Gemeinden und Fachverbände seit Monaten vergeblich versuchen, Einfuhrgenehmigungen für den Bezug von Lebensmitteln aus dem Auslande zu erhalten, während die zuständigen Reichsstellen das ihnen Mögliche aufbieten, Kredite im Ausland zu erlangen, weil ihnen die zur Bezahlung der gekauften Lebensmittel notwendigen Devisen nicht mehr zur Verfügung stehen, gibt es auch heute noch einzelne Bevorrechtete, die Einfuhrgenehmigungen in scheinbar unbegrenztem Umfange in Händen haben, die sich viele Millionen in ausländischer Währung mit leichter Mühe verschaffen und auf Kosten des deutschen Volkes ungezählte Summen in ihre Taschen strecken.«

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In dem Bericht wurde Barmat erstmals einem größeren Leserkreis explizit vorgestellt. Dabei ging es um seine vermeintlichen Sympathien für die Bolschewiki wie »seine persönlichen Beziehungen zu den höchsten Regierungsstellen in Berlin« und in diesem Zusammenhang auch um den angeblichen Besitz eines Schreibens aus der Kanzlei des Reichspräsidenten, »wonach ihm bei allen Behörden jede gewünschte Unterstützung zu gewähren ist«. Vermerkt wurden auch Privilegien bei der Revision seines Gepäcks an der Grenze, überhöhte Preisabsprachen mit den Reichsbehörden und andere zweifelhafte Geschäfte, alles Themen, die dann später in der Presse und den Ausschüssen verhandelt wurden. Explizit antisemitische Formulierungen aus dem Rotterdamer Bericht strich die Bochumer Handelskammer, darunter den Hinweis, dass derjenige, der die Amexima in Amsterdam betrete, »die Bekanntschaft mit den Herren Cohn, Isaak oder Veilchenduft« mache.80 Andere Zeitungen fügten neue und schärfere hinzu: Der »Bolschewist Barmat« war demnach der »Millionennutznießer der deutschen Bettelarmut«, der sich zusammen mit anderen Glaubensgenossen auf Kosten der deutschen Bevölkerung bereicherte. Bis in die 1930er Jahre sollten immer wieder Passagen aus dieser Mitteilung der Bochumer Handelskammer abgedruckt oder zitiert werden.81 Alles deutete darauf hin, dass diese Skandalisierung der Geschäfte Barmats vom deutschen Generalkonsulat in Amsterdam gezielt gefördert, wenn nicht gar sogar betrieben wurde. Für den Generalkonsul von Humboldt war Barmat »ein wirtschaftlicher Schädling der schlimmsten Sorte für das deutsche Volk«, den er nicht begünstigen wollte.82 Der Ärger über die umstrittene Visumsvergabe im Frühjahr 1919 saß tief, zumal sich dieser Prozess nach Ablauf des Dreimonatsvisums im August in weniger spektakulärer Form wiederholte. Für noch mehr Unmut sorgten Gerüchte, Barmats Einfluss auf die deutschen Dienststellen in den Niederlanden sei so groß, dass sich der Kaufmann angeblich rühme, »dass er jedem, der es wollte, seinen Pass für die Reise nach Deutschland mit einem Visa versehen oder umgekehrt verweigern konnte«.83 Not amused waren die deutschen Diplomaten, wenn die linke Zeitung Het Volk im Oktober 1919 mit Blick auf Barmats Einfluss stichelte,

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man könne ihn ja zum neuen deutschen Gesandten in den Niederlanden machen.84 Zudem irritierte die Diplomaten, dass, so ihr Eindruck, eine Privatperson auf eigene Faust (Wirtschafts-)Diplomatie betrieb, etwa indem sie eine sächsische Delegation unter Führung des früheren Ministerpräsidenten Georg Gradnauer (SPD) mit belgischen sozialistischen Politikern wie Camille Huysmans und dem Minister für öffentliche Arbeit Edward Anseele miteinander in Kontakt brachte.85

Im Kreis konservativer Sozialdemokraten: Gesellige Runden in Berlin und Schwanenwerder Ein zentraler Grund für die beschriebenen Verdächtigungen war die Tatsache, dass sich Barmat seit seiner Ankunft in Deutschland im sozialdemokratischen Milieu der Stadt Berlin bewegte. Der Sozialdemokrat Wilhelm Keil, der 1920 im Auftrag des württembergischen Ernährungsministers Verhandlungen mit ihm in Berlin führte, berichtete in seinen Erinnerungen über einen Besuch bei dem Unternehmer, dem der Ruf vorauseilte, »gewaltige Mengen Fett«, »Fett, wonach die Bevölkerung lechzte«, aus Holland nach Berlin und Sachsen einzuführen. Er habe sich bei Barmat im Hotel Bristol angemeldet und »eine wunderbar ausgestattete Hotelwohnung« betreten. Barmat sei sofort auf sein Anliegen eingegangen, habe aber die geschäftlichen Bedingungen nicht direkt besprechen wollen. Er habe ihn zunächst zu einem »solennen Abendessen« eingeladen, bei dem führende Parteigenossen um die Tafel versammelt gewesen und edle Weine, Zigarren und Sekt serviert worden seien. Dabei wurde es wohl spät, und der Württemberger verabschiedete sich unter irgendeinem Vorwand »zu einer Stunde, als die Gesellschaft noch nicht daran dachte, sich aufzulösen«. Am folgenden Tag habe er zwar die ihm angebotene Zigarre und den Cognac angenommen, aber die Einladung zum Mittagessen abgelehnt; den Geschäftsabschluss über eineinhalb Millionen Mark überließ er seinem württembergischen Ernährungsminister, ebenfalls einem Sozialdemokraten.86 Diese Essen Barmats mit Parteifreunden wurden später genau unter die Lupe genommen. Stimmte es, dass sich der Amsterdamer

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Unternehmer privat mit Hausmannskost, gebratenen Heringen und Rindfleisch begnügte, wie sein Freund Ernst Heilmann im preußischen Untersuchungsausschuss den ungläubigen bis belustigten Zuhörern mitteilte? Oder wurde bei Barmat doch »geschlemmt«, wie das auch Keil insinuierte und was in einer Zeit mit »Schlemmereigesetzen« besonders verwerflich war? Das später verhörte Hotelpersonal des »Bristol« konnte das nicht bestätigen: Barmat lebte offenbar tatsächlich eher bescheiden und verhielt sich ansonsten nicht anders als die meisten anderen »Devisenausländer«, was vielen Deutschen in dieser Zeit aber verwerflich genug erschien.87 Von einem kommunistischen Abgeordneten auf die »glänzende Bewirtung« bei Barmat angesprochen, meinte der Gesandte Sachsens in Berlin, Georg Gradnauer (SPD), mit einem Augenzwinkern, dass das wohl stimmen möge – aber dass die Bewirtung »nicht so glänzend« wie etwa in der sowjetischen Vertretung gewesen sei.88 Barmat prahlte zweifellos mit seinen politischen Kontakten zur neuen republikanischen Regierung und versuchte, seine politischen Beziehungen gezielt auszuspielen. Für ihn, den Aufsteiger und Ausländer, der über keine langjährigen Verbindungen zu Politik und Bürokratie verfügte, waren diese Kontakte wichtiges soziales Kapital. Fast alle, die mit ihm in Berührung kamen, zogen solche Schlüsse – spätestens 1925. Einigen dämmerte dabei auch, dass Barmat die vielen Liebesgabenpakete, die er von Holland an Bedürftige sowie alte und neue Bekannte verschicken ließ, die Spenden wie die für ein Kinderheim im sächsischen Pirna, das er auf Bitte des sächsischen Ministerpräsidenten Schwarz unterstützte, oder die bescheidenen finanziellen Zuwendungen für das sozialdemokratische Köpenicker Tageblatt, gezielt als Werbekosten für seine eigene Sache einsetzte (was dann dem Vorwurf der Bestechung und Korruption Auftrieb gab). Barmat verstand solche Anschuldigungen nicht: Er, der über Geld verfügte, lud selbstverständlich seine Freunde und Geschäftskollegen ein, aus welchen Parteien auch immer sie stammten, egal ob bürgerlich oder von der Zweiten oder Dritten (kommunistischen) Internationale.89 Mehr als alles andere beflügelte Barmats wohnräumliche Nähe zu dem früheren Vordenker der russischen Linken, Geschäftsmann,

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Spekulanten und 1916 eingebürgerten »Ostjuden« Israil Lasarewitsch Helphand, genannt Alexander Parvus-Helphand, Verschwörungstheorien. Beide wohnten 1923 in Schwanenwerder, wohin Barmat Anfang des Jahres gezogen war. Wilhelm Keil kannte Helphand noch als Hungerleider aus den 1890er Jahren, als sich der aus Preußen ausgewiesene Sozialdemokrat zeitweise in Stuttgart niedergelassen hatte. Der russische Revolutionär und linke Theoretiker, der mit seinen Moralvorstellungen seit jeher seine deutschen Genossen zu schockieren vermocht hatte und vor dem Krieg aus der Partei ausgeschlossen worden war, hatte sich als Handeltreibender neu erfunden. Ab 1910 lebte er dank seiner Kontakte zu Jungtürken und türkischen sowie armenischen Sozialisten im Osmanischen Reich, wo er sich als Autor politischer und ökonomischer Schriften sowie als Unternehmer, genauer: als internationaler Waffenhändler, der mit deutschen und englischen Rüstungsfirmen wie Krupp und Vickers zusammenarbeitete, betätigte. Die Balkankriege und dann der Weltkrieg entwickelten sich für ihn zu einem großen Geschäft. Im Kontakt mit dem jungtürkischen Nationalismus wurde Helphand selbst ein glühender Nationalist, der schon vor dem Krieg Kontakte zu deutschen militärischen und diplomatischen Stellen pflegte. Wie bei Barmat saß sein Hass auf das Zarenreich tief. Gleich nach Kriegsausbruch 1914 befasste er sich mit Insurrektionsplänen für Russland, die zur Einschleusung Lenins nach Russland im Jahr 1917 führten. Die Revolution in Russland sollte den Weg nicht für die Bolschewiki, sondern für ein neues sozialdemokratisches Zeitalter ebnen. In diesem Zusammenhang hatte der ExRevolutionär große Pressepläne, ganz ähnlich denjenigen, die offenbar auch Barmat 1919 ventilierte. 1920 war Helphand wieder in Berlin, nachdem die Schweizer Behörden den politisch verdächtigen Revolutionär aus seinem noblen Domizil am Zürichsee und dem Land verwiesen hatten.90 Wilhelm Keil war auf jeden Fall erstaunt, als er Helphand, den er noch mit zerfransten Hosen in Erinnerung hatte, nun nach dem Krieg in Schwanenwerder »wohlgepflegt im eleganten Anzug« und mit einer jüngeren Frau an der Seite wiederbegegnete. Weitere Einladungen Barmats schlug Keil aus, und zwar nicht nur, weil er, wie er ver-

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merkte, von den delikaten Speisen nicht satt wurde: »Die ganze Atmosphäre sagte mir nicht zu. Ich mochte nicht Stipendiat eines Kriegsgewinnlers sein. Wenn Parteifreunde von Rang sich hier wohl fühlten, so fand ich damit das Wort bestätigt: Über den Geschmack läßt sich streiten.«91 Leider enthält Keil in seinen Erinnerungen dem Leser vor, wer die »führenden Parteigenossen« waren, die er beim Essen mit Barmat wie dann auch bei Helphand antraf. Beide hatten offenbar denselben Bekanntenkreis, auch wenn es keine Hinweise darauf gibt, dass Julius Barmat und Helphand miteinander in geschäftlichen Verbindungen standen, ja nicht einmal, dass sie persönliche Kontakte pflegten. Zum gemeinsamen Bekanntenkreis zählten neben dem Ex-Reichskanzler Philipp Scheidemann der SPD-Parteivorsitzende Otto Wels, dessen Sohn Sekretär von Helphand war, der preußische Kultusminister Konrad Haensch, der zeitweilige sächsische Ministerpräsident (1919), Reichsinnenminister (1921) und sächsische Gesandte in Berlin Georg Gradnauer und neben Ulrich Rauscher und Victor Neumann wahrscheinlich auch der spätere Reichskanzler Hermann Müller sowie der Politiker Ernst Heilmann und der Journalist Erich Kuttner.92 Wie der Berliner Polizeipräsident Richter (SPD) später aussagte, verabredete man sich meist »zwang- und formlos« im Reichstag oder Landtag und begab sich dann oft ins Hotel Bristol, wo Barmat logierte: »Wenn wir zu Herrn Barmat hinkamen, lud er in der Regel zum Abendessen ein«, das in den Zimmern eingenommen wurde. Der »Hauptzweck« für die Besuche war, so Richter, »daß ich dort in der Regel politische Freunde traf, mit denen ich meine Meinungen über politische Fragen austauschen konnte«.93 Der aus der Partei ausgeschlossene Helphand war in der SPD zwar umstritten, aber nicht ohne Einfluss. Im Gegenteil: Seit dem Krieg sammelte sich um ihn, besser gesagt um Helphands Presseorgane, eine Gruppe von stark nationalistisch orientierten Sozialdemokraten, die den Kriegskurs des Deutschen Reiches vorbehaltlos unterstützten, sei es aus Patriotismus, sei es, weil sie mit Krieg und Kriegssozialismus eine neue sozialdemokratische Ära heraufziehen sahen. Diese Gruppe verband die 1915 von Helphand zunächst als Halbmonats-, dann als Wochenschrift ins Leben gerufene und fi-

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nanzierte Zeitschrift Die Glocke. Sie erschien im Verlag für Sozialwissenschaft, in den 1917 auch die erworbene Internationale Korrespondenz über Arbeiterbewegung, Sozialismus und ausländische Politik sowie die Sozialdemokratische Feldpost integriert wurden.94 Der Verlag für Sozialwissenschaft war insofern von – heute weithin unterschätzter – Bedeutung, als darin bis 1925/26 zahlreiche republikanisch-staatstragende Publikationen, darunter auch Schriften, die Barmat verteidigten, erschienen. Viele Autoren, darunter bekannte Parteiführer der Republik, die seit dem Krieg zum Teil von anderen Zeitschriften wie den Sozialistischen Monatsheften abgeworben worden waren, kamen dank Helphand in Lohn und Brot. Ein Linker wie Karl Radek hatte denn auch nur Spott und Verachtung für diese Gruppe von Sozialdemokraten übrig, die sich auf die Seite Ludendorffs und der »Reaktion« stellten. Mit diesem Urteil unterschied er sich wenig von dem aus dem Eulenburg-Skandal der Vorkriegszeit bekannten Enthüller homosexueller Beziehungen der Entourage um den Kaiser, dem Publizisten Maximilian Harden. Höhnend zitierte Radek den von ParvusHelphand schon im Krieg »gemietheten Redakteur« der Glocke, Conrad Haenisch, dass es das Ziel sein müsse, »die deutsche Arbeiterschaft zum deutschen Staatsgedanken zu erziehen«. Die Zukunft des deutschen Kapitalismus und damit die Zukunft der deutschen Arbeiterbewegung zu gefährden, hieße auch die Zukunft des internationalen Sozialismus zu gefährden, hatte der 1918 zum preußischen Kultusminister ernannte Haenisch zu Beginn des Krieges geschrieben. Andere, wie die Sozialdemokraten Paul Lensch und Heinrich Cunow, in deren Umfeld sich auch Barmats Freund, der Vorsitzende der preußischen SPD Ernst Heilmann bewegte, hatten sich, wie andere Autoren im Umfeld der Glocke, vehement auf die Seite der Verfechter eines Siegfriedens Deutschlands geschlagen und sich zudem auch für Annexionen ausgesprochen.95 Es war allgemein bekannt, dass die Publikationen des Verlags für Sozialwissenschaft nicht nur auf hohe Zuschüsse des »Kriegsgewinnlers« Helphand angewiesen waren, sondern dass er auch außergewöhnlich gute Honorare bezahlte. Über die politischen Einflüsse im Hintergrund mochte man spekulieren: Der Herausgeber

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der Feldpost, der preußische Sozialdemokrat Erich Kuttner, der im Skandal 1925 als Verteidiger Barmats eine zentrale Rolle spielen sollte, hatte die Zeitung auf einem strammen Kriegskurs gehalten, wobei die Heeresleitung einzelne Artikel Kuttners offenbar als Flugblätter in Massenauflage verbreitet hatte. Wie etwa Ernst Heilmann war auch er ein rabiater Antibolschewist.96 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich um Barmat wie Helphand konservative Sozialdemokraten gruppierten. Ein – seriöser – Insider wusste zu berichten, dass eine mit dem Verlag für Sozialwissenschaft räumlich verbundene Wohnung in der in der Nähe des Reichstags gelegenen Regentenstraße SPD-Führern während des Kriegs und während der Revolutionsphase als »neutraler Boden für Besprechungen« gedient hatte. Andere, von den Gesprächen Ausgeschlossene, sahen das anders: Es kam der Verdacht auf, dass an diesem Ort konspirative Pläne der Partei-Rechten der SPD gegen die Linke geschmiedet worden waren.97

Der Fall Sklarz Personen aus dem informellen politischen Kreis, die sich gelegentlich in Schwanenwerder um Helphand versammelten, standen erstmals 1919/20 im Mittelpunkt scharfer Angriffe und von Skandalisierungsversuchen – also zur gleichen Zeit, als auch die Lebensmittelgeschäfte Barmats erstmals Gegenstand öffentlicher Empörung wurden.98 Im Zentrum befand sich mehr noch als Helphand sein Kompagnon, der in Breslau geborene Georg Sklarz, der ebenfalls jüdischer Konfession war. Anfang 1920 erschien in der deutsch-völkischen Buchhandlung Fr. Warthemann in Berlin die Broschüre Der Rattenkönig. Revolutions-Schieber und ihre Helfer. Die Wahrheit über den Fall Sklarz. Der anonyme Autor publizierte unter dem Pseudonym Sincton Upclair, dem verballhornten Namen des bekannten sozialkritischen Schriftstellers Upton Sinclair, mit dem Zeitgenossen das »muckraking«, das Aufwirbeln von Mist und Dreck, d. h. die Anprangerung von sozialen und politischen Missständen verbanden. Dem Verfasser des Rattenkönigs ging es um die »Reptilien aus dem roten Sumpf«, die Korruption der Republik und der Sozialdemokraten.99 Die auf dem

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Titelblatt abgedruckte Lexikonnotiz evoziert darüber hinaus ein anderes, nicht minder drastisches Bild, nämlich das einer Verschwörung: »Der Rattenkönig ist eine Gesellschaft von Ratten, die im Nest durch eigenen Schmutz und Unrat derart verknüpft und verfilzt sind, daß sie nicht mehr auseinander können.« Im Mittelpunkt des Rattenkönigs standen dubiose Import- und Exportgeschäfte Helphands und Georg Sklarz’, die allesamt auf deren Involvierung in die Russische Revolution, und zwar in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt, verwiesen. In Berlin pfiffen die Vögel von den Dächern, dass Helphand und Georg Sklarz im Zusammenhang mit den Plänen zur Revolutionierung Russlands Handelsprivilegien erhalten hatten und zahlreiche Geschäfte nach der Revolution weiterführen konnten; einige wussten zweifellos auch, dass Georg Sklarz für den militärischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Im Mittelpunkt des Pamphlets standen aber vor allem Sklarz’ Aktivitäten während der deutschen Revolution, bei denen sich Politik und Geschäft tatsächlich auf eklatante Weise verquickt hatten. Sklarz hatte nicht nur Export- und Importgenehmigungen, sondern auch Vollmachten zum Aufkauf von Lebensmitteln erhalten, und zwar im Zusammenhang mit der Marketenderei für die Versorgung von republikanischen Truppen mit Lebensmitteln in Berlin (wie dann auch für das Freikorps Lüttwitz im Frühjahr 1919). Diese Lebensmittellieferungen wurden im Nachhinein aus der Reichskasse bezahlt. Im Rattenkönig war die Rede von »Koffern«, ja »ganze[n] Droschken voll« Nahrungsmitteln und »Fässern von Margarine«, die Sklarz zur Bestechung republikanischer Politiker gedient hätten, um an diese öffentlichen Aufträge zu gelangen.100 Neben dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert wurde vor allem der Reichskanzler Philipp Scheidemann (SPD), dessen Schwiegersohn Fritz Henk für Sklarz arbeitete, unflätig beschimpft, und Scheidemanns Ruf sollte im Zuge der Kampagne nachhaltig beschädigt werden. Von den Russlandgeschäften abgesehen, waren die erhobenen Vorwürfe ziemlich absurd. Mit Blick auf unsere weitere Geschichte sind aber verschiedene Punkte von Bedeutung, und das nicht nur, weil in der Folgezeit im Zusammenhang mit Barmat immer auch auf den Fall Sklarz Bezug genommen werden sollte.

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1. Mehr noch als in der bisherigen Geschichte Barmats taucht im Fall Sklarz der Topos von »den Juden« auf, die Helfershelferdienste für die Sozialdemokratie leisteten. Das hatte bei Sklarz einen realen Hintergrund, denn er war maßgeblich an der Gründung der privaten Berliner Wachdienst G.m.b.H beteiligt, aus der noch im Dezember 1918 der sogenannte Helferdienst der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hervorging. Im Zusammenhang mit dem »Spartakusaufstand« und den nachfolgenden Unruhen in Berlin im Januar 1919 wurde diese Truppe zur Besetzung und Sicherung des Reichstags abkommandiert, wobei sich einmal mehr der Name änderte: Die Bezeichnung lautete nun Republikanische Schutztruppe, die aus zwei Regimentern namens »Reichstag« und »Liebe« bestand. Georg Sklarz spielte dabei die eigentümliche Rolle nicht nur eines privaten Unternehmers und Kriegsfinanziers, sondern auch eines Marketenders (was nun alles ganz der Weber’schen Definition des »vormodernen«, »politischen Kapitalismus« entspricht). Als der Wache der Reichskanzlei und den übrigen Truppeneinheiten, darunter das Regiment »Reichstag«, im Zuge des Spartakusaufstands der Proviant ausging, griff die Provisorische Reichsregierung auf die von Sklarz angebotene Hilfe zurück: »[F]ür Überlegen war keine Zeit«, so Friedrich Ebert rückblickend; ohne Sklarz, so Scheidemann, »hätten (wir) totsicher [sic!] die spartakistische Herrschaft bekommen«.101 Sklarz hatte offenbar einen Blankokredit über 750000 Mark vom Berliner Bankhaus S. Bleichröder aufgenommen und will, wie er später – wohl etwas vollmundig – versicherte, zusammen mit eigenen Mitteln über »1,200000 Millionen [sic!] ausgegeben [haben], ohne Sicherheit oder auch nur ein Versprechen zu haben, dass ich jemals einen Pfennig zurückerhalten würde«.102 Dafür erhielt Sklarz von Ebert und Scheidemann unterschriebene Vollmachten, die ihm und seinen Helfern unter Umgehung der öffentlichen Stellen den Ankauf von Lebensmitteln ermöglichten. Revolutionäre Profitgier schien über politische Moral und Sauberkeit zu siegen – so sahen es auf jeden Fall die Kritiker. Und nicht nur das: Den einen war es ein Gräuel, wie sich die angeheuerten republikanischen Soldaten im Reichstag aufführten und Inventar zer-

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störten und entwendeten. Aber das war nur die eine Seite. Andere – nicht unbegründete – Vorwürfe reichten von Misshandlungen bis Mord an in Haft genommenen spartakistischen Soldaten; das betraf auch den später loyalen Barmat-Gefährten Erich Kuttner, der einen Spartakisten in Notwehr erschossen hatte, was ihm noch Jahre später die Kommunisten, aber auch Nationalsozialisten vorwerfen sollten.103 Tatsächlich herrschte in den Reihen der republikanischen Truppen eine ausgeprägte anti-spartakistische Stimmung. Einer seiner früheren Mitstreiter aus dem militärischen Geheimdienst charakterisierte den Anti-Bolschewisten Georg Sklarz folgendermaßen: »Er [Sklarz – MHG] wolle nicht, dass in Deutschland auch die Kinder mit dem Schädel gegen die Wand geschlagen werden und jeder, der mit einem Stehkragen herumlaufe, auf der Straße ermordet wird.«104 Überdies gab es Gerüchte, dass Sklarz eine Kopfprämie für die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ausgelobt habe.105 Kein Wunder, dass die radikale Linke den Verrat der Sozialdemokratie an der Revolution skandalisierte. 2. Die Revolution als »großes Geschäft«, und zwar in Tateinheit mit Korruption, tauchte zunächst in konservativen Polemiken gegen die »A[rbeiter]- und S[oldatenräte]-Wirtschaft« auf. Bald war in der konservativen Presse die Rede von »Revolutionsgewinnlertum«. Von hier war es kein großer Schritt mehr zum Vorwurf der »revolutionären Miß- und Korruptionswirtschaft«, auf welcher die junge Republik angeblich beruhte.106 Hier setzten die Korruptionsdebatten ein, mit denen zunächst insbesondere der erste Finanzminister der Republik Matthias Erzberger (Zentrum), ein scharfzüngiger Kritiker der kaiserlichen Eliten, überzogen wurde. Den ersten massiven Angriff lancierte im Sommer 1919 der frühere Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Karl Helfferich (DNVP) mit seinem Pamphlet Fort mit Erzberger!. Helfferich attackierte den vom anfänglichen Annexionisten zum Mitinitiator der Friedensresolution 1917 mutierten Politiker und Unterzeichner des Waffenstillstandsvertrags als »Reichsverderber«. Neben Meineid und Landesverrat warf er Erzberger auf jedem Schritt seiner Karriere »eine unsaubere Vermischung politischer Tätigkeit und eigner Geldinteressen« vor. Helfferichs Leitmotto »Korruption« als

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»Schwester von Demokratie und Parlamentarismus« wurde von »Sincton Upclair« im Rattenkönig nicht nur zitiert, sondern auch systematisch, gegen die Sozialdemokratie gerichtet, weitergesponnen.107 In die gleiche Richtung zeigten zwei weitere mit Sincton Upclair gezeichnete Schriften: Die Korruptionszentrale und Erzberger kommt wieder!!!.108 Die ersten öffentlichen Angriffe auf Barmat zur gleichen Zeit sind in diesem Kontext des aufblühenden Korruptionsdiskurses zu sehen. 3. Der Rattenkönig erschien in einem deutsch-völkischen Verlag. Das verweist auf die spätere Skandalisierung Barmats im Umfeld der Völkischen und der Deutschnationalen. Tatsächlich führt die Autorenschaft des Rattenkönigs aber zunächst in die Reihen der Linken, namentlich zu Personen, die aus privaten wie aus grundsätzlichen Gründen ein Interesse an der Skandalisierung von Sklarz und der SPD-Führung hatten. Triviales vermischte sich mit politischen Motivationen: Der ursprüngliche Initiator war der sozialdemokratische Journalist Hermann Sonnenfeld, dessen Sohn nicht nur für Sklarz gearbeitet hatte, sondern samt der Sklarz’schen Sekretärin mit einer beträchtlichen Summe Geld aus der Betriebskasse und entwendeten Geschäftsdokumenten ins Ausland geflohen war, woraus sich ein Fall von Erpressung entwickelte (der auf Betreiben von Sklarz ein gerichtliches Nachspiel haben sollte). Als Erster griff Maximilian Harden, der Herausgeber der Zeitschrift Die Zukunft, den Fall auf. Dieser über Deutschland hinaus bekannte, bei der politischen Rechten auch wegen seiner jüdischen Konfession verhasste deutsche Publizist und muckraker hatte vor dem Krieg eine wichtige Rolle beim bereits erwähnten EulenburgSkandal gespielt. Harden stand in der Causa Sklarz in engem Kontakt mit seinem alten Bekannten Georg Davidsohn, einem promovierten Philosophen und Journalisten, der seit 1912 für die SPD im Reichstag und in der Nationalversammlung saß, wo sich der Vertreter der Anti-Alkoholbewegung und sozialistischen Eugenik auf dem eher trockenen Feld der Geschäftsordnung hervorgetan hatte.109 Davidsohn zählte zu den Zukurzgekommenen der Revolution, die überall die Ausbreitung eines krassen Materialismus sahen und Ressentiments gegen »Kriegsgewinnler« wie Georg Sklarz und Par-

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vus-Helphand hegten, wobei neben politischen Bedenken wahrscheinlich auch seine Abneigung gegen Ostjuden eine Rolle spielte. Das vermischte sich bei Davidsohn mit einer genuinen Kapitalismuskritik, die in der Form einer Korruptionskritik vorgetragen wurde. Die SPD müsse sich von zwielichtigen Gestalten wie Sklarz distanzieren, lautete die Parole. Enttäuscht von der Ablehnung, auf die sie in der Partei stießen, gingen Sonnenfeld und Davidsohn mit dem Enthüllungsmaterial bei der Berliner Presse hausieren und landeten schließlich bei dem den Deutschnationalen nahestehenden Pressedienst von Vater und Sohn Sochaczewski, die gleichermaßen politisches wie kommerzielles Interesse an der Geschichte hatten. Vater Martin Sochaczewski war als Mitarbeiter und Chefredakteur mehrerer Zeitungen im konservativen Umfeld gut vernetzt; bei der Gründung 1921 trat er dem Verband nationalkonservativer Juden bei. Seit dem 25. November 1919 verteilte sein Pressedienst hektografierte Berichte mit Titeln wie »Revolutionsschieber«, »Geschichte der Glocke« (bei der Glocke handelte es sich um die oben erwähnte, von Parvus-Helphand lancierte Zeitschrift, der vorgeworfen wurde, gegen gute Honorare Politiker zu kaufen), »Gefälschte Dokumente« und »Roßfleisch statt Rindfleisch«.110 Diese journalistischen Handreichungen fanden zusammen mit später erzählten Geschichten den Weg in den Rattenkönig. Diese Zusammenhänge sind nicht nur von Bedeutung, weil Transferprozesse zwischen linker und rechter Korruptionskritik deutlich werden. Aufmerksamkeit verdient dabei zunächst besonders das Engagement der Linken, die in der Vorkriegszeit Skandale und Korruption als Mittel der Herrschaftskritik eingesetzt hatte. Seit der Revolution wurde diese Kritik nun vom linken Flügel stark zugespitzt und richtete sich nicht zuletzt gegen Personen, die vormals zu scharfen Kritikern des Kaiserreichs gehört hatten. Auch vor diesem Hintergrund erklärt sich das Engagement der Linken im Fall Sklarz, wie später dann auch im Fall Barmat. Die zu dieser Zeit weitverbreitete USPD-Zeitung Die Freiheit und Franz Pfemferts Die Aktion. Zeitschrift für revolutionären Sozialismus schossen sich auf das Thema »Sklarz« ein, und den Widerhall finden wir in

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den folgenden Jahren bei so unterschiedlichen Personen wie dem KPD-Reichstagsabgeordneten und Historiker Arthur Rosenberg sowie dem Theaterregisseur Erwin Piscator, die beide aus der radikalen Antikriegsbewegung stammten.111 Immer ging es um »Kriegsund Revolutionsgewinnlerei«, um Profitgier, die über politische Moral triumphierte und einen Beigeschmack von Niederträchtigkeit, Gemeinheit und »Brudermord« hatte. Eine gute Illustration ist die private Anklageschrift gegen Sklarz, die Sonnenfels sen. in Form des Gedichts Protest gegen den 9. November formulierte, worin die Revolution als eine Verfallsgeschichte infolge von politischem Schieberund Gaunertum beschrieb wird: »Ha, wie verachte ich heimliches Verschwören, Und wie ich hasse, Meuchelmörderhand, Wenn in des Volkesretters Ruhmgewand, Schieber und Gauner meinen Groll empören. Aus der Hefe entstiegen zur Höhe, Halten sie offen die schmutzige Hand; Nichts an ihrem äußeren Gewand Zeigt die Stacheln der saugenden Flöhe. […] Ich werde dem Volk noch viel erzählen, Was sich begeben seit dem 9. November, In Steglitz, Regentenstraße und Bendler-, Wie Minister und Gauner sich vermählen.«112 Diese Auseinandersetzungen in den Reihen der politischen Linken sind im Auge zu behalten, denn sie erklären das spätere Engagement des linken SPD-Flügels sowie der KPD in der Causa Barmat. Auch die der Berliner Demokratischen Partei zuzurechnende Berliner Volks-Zeitung schoss sich Anfang 1920 nicht nur auf Sklarz, sondern einen, wie man mutmaßte, damit zusammenhängenden neuen »Fall« ein, nämlich den des Julius Barmat. Dieser setzte sich aber vehement zur Wehr und verklagte die Urheber erfolgreich; die Verantwortlichen der Berliner Volks-Zeitung und der Deutschen Zeitung mussten eine Ehrenerklärung abgegeben.113

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4. Ein wichtiger Nebenstrang der Ereignisse um den Fall Sklarz verweist ebenfalls auf die Zukunft. Denn die Berliner Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen den Kaufmann Sklarz, sah sich dann aber bald selbst massiven Vorwürfen ausgesetzt, Recht mit politischen Interessen, wenn nicht gar mit antisemitischen Ressentiments zu vermischen. Ein Disziplinarverfahren und dann die Wegberufung des federführenden Berliner Staatsanwalts war das Menetekel, das noch ein langes Nachspiel haben sollte. Denn dieser Staatsanwalt setzte das sich lange haltende Gerücht in den Raum, dass es aus den Reihen der preußischen Regierung im Auftrag von Sklarz einen Bestechungsversuch gegeben habe, womit man ihn, den Staatsanwalt, angeblich zum Schweigen bringen wollte.114 Solche Geschichten erzählte man sich im Umfeld der politischen Rechten, und wie wir sehen werden, ließen sich dabei vielfältige Verbindungen auch zum Fall Barmat herstellen.

Antisemitische Verschwörungsfantasien Fünf Jahre nach der Publikation des Rattenkönigs sprach der rabiate württembergische Antisemit Alfred Roth alias Otto Arnim 1925 vom »Rattenkönig Barmat«.115 Und fünfzehn Jahre später zeigte der nationalsozialistische Hetzfilm Der ewige Jude im Zusammenhang mit der Darstellung der Wanderung und Ankunft der Ostjuden in Deutschland einen Rattenkönig, inmitten eines Knäuels von mit ihren Schwänzen miteinander verflochtenen lebenden Ratten. 1919/20 grassierte in Deutschland ein bis dahin in dieser Form wenig bekannter Antisemitismus, der sich bis weit in die Gesellschaft erstreckte. Fragen wirtschaftlicher und sozialer Not, von Hunger und Teuerung, vermischten sich mit Revolutions- und Korruptionskritik und eindeutig rassistischen Diffamierungen zu einem soziokulturellen Syndrom des Antisemitismus. Selbst der später als Freund Julius Barmats in den Skandal gezogene Berliner Polizeipräsident Wilhelm Richter (SPD) sprach im Sommer 1920 in einem Schreiben an das preußische Innenministerium von einer »Ostjudenplage«, die Berlin »nicht nur lästige, sondern höchst gefährliche Ausländer« beschere. Mit Blick auf den illegalen Handel mit Gold, Brillanten und Banknoten war von »ausländischen Parasiten« die

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Rede. In der bestehenden Regelung, die eine Duldung und wohlwollende Behandlung vorschrieb, sah er ernste Gefahren für die Zukunft, und zwar wirtschaftlich und gesundheitlich; diese Auffassung werde auch »von einwandfreien deutschen Juden geteilt und habe nichts mit antisemitischen Bestrebungen zu tun«,116 so die nachgerade klassische antisemitische rhetorische Figur. Um die Dringlichkeit seines Arguments zu betonen, fügte er seinem Schreiben einen Bericht seines Amtsvorgängers Eugen Ernst (USPD) bei, der ein noch drastischeres Bild gezeichnet hatte: In Teilen des alten Scheunenviertels (Grenadier-, Dragoner- und anliegende Straßen) habe sich ein wahres Getto entwickelt, das im Berliner Volksmund allgemein die »jüdische Schweiz« genannt werde. Neben den Gefahren für die Volkshygiene und das wirtschaftliche Leben betonte er besonders die politischen Gefahren, nämlich die »bolschewistischen Anschauungen«. Vor diesem Hintergrund plädierte Richter ähnlich wie sein Amtsvorgänger für eine rasche Abschiebung in die Heimat. Bis dahin müssten die Ostjuden in Gefängnislagern untergebracht »oder richtiger gesagt unschädlich« gemacht werden. Verwiesen wurde auf das »aus tausend Wunden« blutende deutsche Vaterland.117 Ähnlich drastische Stimmen ließen sich aus dem preußischen Innenministerium zitieren, das sich, wie wir sahen, zur gleichen Zeit scharfen Anfeindungen wegen seiner Duldung von osteuropäischen jüdischen Flüchtlingen aus humanitären Gründen ausgesetzt sah.118 Die Stellungnahme Richters war mit großer Sicherheit nicht von ihm selbst verfasst worden, sondern stammte aus der labyrinthischen Bürokratie des Berliner Polizeipräsidiums am Alexanderplatz, in diesem Fall wohl der Fremdenpolizei. All das hinderte die radikale Opposition nicht, die Sozialdemokraten scharf anzugreifen. Hatte die preußische Regierung im November 1918 nicht die zuvor erlassene Grenzsperre für Ostjuden aufgehoben? Hatte sie nicht Personen wie Julius Barmat begünstigt? Solche von den Radikalen im politischen Kampf selbst gestellte Fragen beantworteten sie eindeutig: Die Sozialdemokraten schützten die Juden. Diese Politik habe es ermöglicht, dass sich Männer wie Julius Barmat, Iwan Kutisker und »Tausende von minder prominenten galizischen und

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russischen Juden […] in Berlin breit gemacht, hier im Gegensatz zu einheimischen Bedürftigen zum Teil Paläste bezogen und in kurzer Zeit die finanzielle Sahne der Meuterei von 1918 abgeschöpft« hätten.119 Wohnungsnot, Schieberei und Wucher, illegaler Handel mit Wertmetallen und Kriminalität waren wiederkehrende Themen, die nicht nur die Deutschnationalen in den Wahlkämpfen insbesondere 1924 traktierten, ganz zu schweigen von den Radikalen im Umfeld der Völkischen.120 Alltägliche Fragen von Nahrungs- und Wohnungsnot spielten dabei eine zentrale Rolle. Die Ausbreitung und Radikalisierung des Antisemitismus in den ersten Jahren unmittelbar nach dem Krieg sind oft beschrieben worden. Es war ein Mikromilieu eigener Art, zunächst vor allem im Umfeld der radikalen Rechten einschließlich der DNVP, von der sich 1922 ein radikaler, dezidiert antisemitischer Flügel, die Deutschvölkische Freiheitspartei, abspaltete. Auf diesem völkischen Flügel tummelten sich viele Organisationen, nach der Revolution zunächst am bedeutsamsten der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund. Die frühen Auseinandersetzungen 1919/20 zeigen aber zugleich, wie diffus die Frontlinien verliefen, wenn es um das Thema »Korruption« ging, bei dem sich Positionen von Völkischen, sozialdemokratischen Renegaten wie Sonnenfeld und Davidsohn sowie von Mitgliedern der Demokratischen Partei überschnitten. 1925 spielte dann die KPD die Klaviaturen populärer Ressentiments, allen voran Karl Radek und mit ihm die sogenannten »Ultraradikalen«, die auch Erinnerungen an den Krieg wachhielten. Sie alle appellierten an Stereotype, in deren Mittelpunkt »Wucherer«, »Schieber«, »Kriegs«- und dann auch »Inflationsgewinnler« standen. Für die Linke waren das die Blüten des Kriegskapitalismus.121 Im Umfeld der Konservativen findet man einen ungezügelten Hass auf Institutionen der Kriegswirtschaft, die mit »den Juden« in Verbindung gebracht wurden: Die Zeitschrift für Nahrungsmittel sprach im Oktober 1919 vom »bolschewistische[n] Reichsmakler Barmat«, dem man unterstellte, »wohl ähnlich Braunstein-Trotzki [gemeint war Leo Trotzki – MHG] seinen Namen umgeschnitten« zu haben; dabei wurden Vergleiche mit der Ballin’schen Z.E.G. (Zentrale Einkaufsgenossenschaft unter Führung des als Juden diffamierten

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Reeders Albert Ballin) hergestellt, deren »werktätige Meister und Geister in die der neuen Reichseinfuhrstellen verwandelt werden mußten, als die Z.E.G.-Skandale zum Himmel stanken«.122 Wie kein anderer traktierte der weit über Stuttgart hinaus bekannte Alfred Roth das Thema »Kriegswirtschaft und Juden«. Seine 1925 auf Grundlage früherer Publikationen mit heißer Nadel gestrickte Flugschrift Von Rathenau zu Barmat aus dem Jahr 1925 ist dafür ein gutes Beispiel (siehe Abb. 3, S. 83): Der als Jude stigmatisierte Walther Rathenau wird als Begründer der deutschen Kriegswirtschaft, die angeblich jüdischen wirtschaftlichen Interessen diente, dargestellt; Julius Barmat und andere Personen jüdischer Konfession erscheinen als Rathenaus wahre Erben. Roth zog alle Register der antisemitischen Agitation, wie sie im Umfeld des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes Konjunktur hatten. Demnach waren die Juden an allem schuld: dem »feigen« Kriegsende und Friedensschluss, der Teuerung und der Kriegszwangswirtschaft, Hunger, Not und Elend. Das waren die Themen von Flugblättern und Handzetteln, in denen eine »Ostjudenplage« beschworen wurde.123 Dabei spielten auch die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion eine, wenn auch auf den ersten Blick nur periphere Rolle. In dem vermutlich von Alfred Rosenberg verfassten Artikel »Barmat & Co oder der größte Sieg der Demokratie« in der antisemitischen Zeitschrift Der Weltkampf war zu lesen, dass die Ereignisse auch auf Deutschland verwiesen. Aus den Protokollen wurde eine Passage zitiert, die, um eine moderne Diktion zu benutzen, ein vermeintliches Abhängigkeitsverhältnis von Klient und Agent skandalisierte: »Um ganz sicher zu gehen, werden wir [d. h. die »Weisen von Zion« – MHG] die Wahl zum Präsidenten auf solche Personen lenken, deren Vergangenheit einen nur uns bekannten dunklen Punkt, ein ›Panama‹ [eine Anspielung auf den Panama-Skandal der französischen Republik in den 1890er Jahren – MHG] aufweist. Diese werden dann gehorsame Vollstrecker unserer Geschäfte sein, aus Furcht vor Enthüllungen und von dem natürlichen Bestreben geleitet, die mit dem Präsidentenamt verbundenen Vorrechte, Einkünfte und Würden weiterhin zu genießen. Das Haus der Abgeordneten

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Abb. 3 Das Krokodil als ikonografisches Symbol für Betrug und Täuschung Titelbild der Flugschrift von Otto Armin [Alfred Roth], Von Rathenau zu Barmat, Stuttgart 1925 Repro: Hauptstaatsarchiv Stuttgart

wird den Präsidenten wählen, decken und stützen.« Mit juristischer Spitzfindigkeit wurde in einer Fußnote betont, dass man diese Passage nicht als Motto über den Aufsatz gestellt habe, da er in dem Sinne hätte ausgelegt werden können, »als habe Herr Ebert vor seiner Wahl einen ›dunklen Punkt‹ in seiner Vergangenheit gehabt, und sich deshalb auf Gedeih und Verderb den jüdischen Parasiten verschrieben«. Dennoch, so der anonyme Autor des Artikels, sei »klar: die Kutiskers und Barmats haben es überall versucht, bei allen führenden Persönlichkeiten ein ›Panama‹ zu schaffen, um sie dann in der Hand zu haben«.124 So begann der Artikel, der ausführlich (und trotz aller Verdrehung der Fakten einigermaßen kenntnisreich) von der umstrittenen Ankunft Barmats in Deutschland und von seinen Verbindungen zu den Bolschewiki und zur SPD einschließlich Friedrich Ebert handelte. Es ging hier nicht nur um das »Dreigestirn Ostjudentum, Sozial-Demokratie und Finanzgauner«, wie es mit Blick auf die Roth’sche Flugschrift Von Rathenau zu Bar-

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mat hieß.125 Was sich darüber hinaus frühzeitig abzeichnete, nämlich dass sich bei Barmat in Amsterdam 1919 die ganze europäische Sozialdemokratie versammelt habe, wiederholte sich, so die Unterstellung, in Berlin, konkreter: in Schwanenwerder, wo die »Ausplünderung Deutschlands« ausgeheckt worden sei. Die Geschäfte Barmats wurden dabei mit Beschlüssen in Verbindung gebracht, die an diesem Ort gefällt wurden, nämlich dass sich im »Jahre 1919 eine Gruppe führender Sozial-Demokraten bei dem bekannten Ostjuden Parvus-Helphand« zusammengesetzt und beschlossen habe, »die Sozialisierung nicht mehr direkt zu verlangen, sondern die Enteignung aller Vermögen durch die Inflation herbeizuführen«. Dieser Plan sei gelungen und dann 1926 in die Pläne zur Fürstenenteignung gemündet.126 Solche Geschichten griff später auch der unter dem Pseudonym Gottfried Zarnow publizierende Moritz Ewald in seinem Bestseller Gefesselte Justiz (1931) auf: In Schwanenwerder, am Tisch des »sybaritischen Nabos«, begann demnach eine große Verschwörung; diesen Ort erkoren sich »Parvus-Helphand und Barmat […], erfolgreichste Nutznießer der demokratischen Politik […], um ihre großmächtigen Gönner zu empfangen und sie vor den zudringlichen Blicken des hungernden Volkes zu verbergen«.127 Dass sich, wie wir noch sehen werden, dieser Radikale den Sozialdemokraten zugerechnet hatte, so wie viele Völkische zuvor (national-)liberalen Parteien, verweist auf die diffuse politische Stimmung nach dem Krieg. Welche politische Richtung genau dieser Radikalismus nehmen würde, war offen; die Grundlagen sind aber deutlich zu erkennen.

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Kapitel 2 Grenzgänger des Kapitalismus in der Zeit von Hyperinflation und Währungsstabilisierung 1923/24 Wie war es möglich, dass öffentliche Kreditinstitutionen, darunter ganz maßgeblich die Preußische Staatsbank und die Reichspost, Julius Barmat in einer Zeit von Firmenzusammenbrüchen, hoher Arbeitslosigkeit und Kreditnot Kredite in Höhe von ca. 36 Mio. Reichsmark (RM) zum Aufbau seines Barmat-Konzerns vergaben, zumal der Geschäftsmann schon Ende 1924 zahlungsunfähig war? Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen Aspekte wirtschaftlichen Handelns in der Zeit der Hyperinflation und der Währungsstabilisierung 1923/24. Einschlägige Publikationen mit Titeln wie The Great Disorder (Feldman), Verkehrte Welt (Geyer) oder Sintflut (Tooze) verweisen auf den wirtschaftlichen Ausnahmezustand, der in dieser Zeit herrschte.1 Die Hyperinflation mit ihrem Tanz der Millionen und Milliarden hat dabei schon immer die deutschen Gemüter bewegt und Fragen nach ihren sozialen wie politischen Folgen aufgeworfen. Die Geldentwertung, die mit dem Krieg begonnen hatte und sich nach dem Krieg in Wellenbewegungen beschleunigte, wird wie schon von einigen damaligen Zeitgenossen auch in der neueren Forschung nicht nur negativ beurteilt. Neue Betriebe wurden gegründet, und bis 1923 war in den meisten Teilen Deutschlands die Arbeitslosigkeit stark rückläufig, was auch das revolutionäre Konfliktpotenzial der unmittelbaren Nachkriegszeit entschärfte. Das änderte sich erst auf dem Höhepunkt der Inflation 1923, mehr noch mit der im November 1923 eingeleiteten Währungsstabilisierung und der Einführung der sogenannten Renten-

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mark,* als die allgemeine wirtschaftliche Not binnen kurzer Zeit dramatische Formen annahm. Im Folgenden geht es im Wesentlichen um diese letzte Phase der Hyperinflation bis Ende 1924, als im Zusammenhang mit den neuen Reparationsvereinbarungen im Rahmen des Dawes-Abkommens amerikanische Kredite ins Land strömten und eine Phase schneller wirtschaftlicher Erholung einleiteten. Die Zeit stand im Schatten der unübersehbaren Umverteilungswirkungen der Inflation. Wenngleich schon damals ein Urteil darüber, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern der Inflation gehörte, nicht immer einfach war, so bestand doch Einigkeit darüber, dass Julius Barmat zu den »Inflations- und Deflationsgewinnlern« gehörte. Tatsächlich machte sich nach der Revolution eine – oft übersehene – unternehmerische Goldgräberstimmung breit, die in zahlreichen Unternehmens- und Bankneugründungen, Konzernzusammenschlüssen, kreditfinanzierten Übernahmen und spekulativen, vom Wertverfall der Mark angetriebenen Aktien- und Devisengeschäften zum Ausdruck kam. Es war die Zeit charismatischer Unternehmer, die wie Hugo Stinnes oder Friedrich Flick neue große Konzerne aufbauten, von denen die meisten untergingen, einige die Zeit aber auch überdauerten. Zerstörung und Neuaufbau bedingten einander. Wenige Themen standen in diesem Zusammenhang mehr zur Debatte als die überall auftauchenden spekulativen Energien, mithin das, was der englische Ökonom John Maynard Keynes, der in dieser Zeit mit Aktiengeschäften ebenfalls viel Geld verlor, als die eigentümlichen »animal spirits« des Kapitalismus bezeichnete.2 Dis*

Schon vor der Währungsstabilisierung zirkulierten sogenannte werbeständige Zahlungsmittel, wobei oft leicht missverständlich von Goldmark (GM) gesprochen wurde. Die Reichsmark (RM) löste im August 1924 die Rentenmark ab, die mit der Einleitung der Währungsstabilisierung am 20. November 1923 eingeführt worden war; zeitgenössisch war es aber üblich, nicht von Renten-, sondern von Goldmark zu sprechen. Auch nach Einführung der Rentenmark gab es noch die buchmäßige Rechnung mit der (Inflations-)Papiermark im Verhältnis eine Rentenmark gleich eine Billion Papiermark.

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kutiert wurde das mit Verweis auf moralische und sittliche Grenzüberschreitungen im wirtschaftlichen und sozialen Verkehr: Geldund Warenspekulationen, die meist negativ konnotiert waren, Verstöße gegen Wirtschaftsgesetze und nicht zuletzt gegen Prinzipien von »Treu und Glauben« – durch die Inflation wurde die Beziehung zwischen Gläubigern und Schuldnern radikal unterminiert. In der Kritik stand nicht zuletzt auch der Staat, der sich mittels der Inflation entschuldet hatte. Es ging um die »Grenzmoral« (Götz Briefs) einzelner Akteure und sozialer Gruppen, die sich, wenn sie nicht feststehende rechtliche wie informelle moralisch-ethische Grenzen eindeutig überschritten, doch zumindest hart am Limit des (gerade noch) moralisch Akzeptierten bewegten – klar zu unterscheiden war das in vielen Fällen nicht. Das ist im Folgenden mit dem Begriff »Grenzgänger des Kapitalismus« gemeint. Illustrativ ist in diesem Zusammenhang eine Glosse von Thomas Mann, welche die Redaktion der Weltbühne Anfang 1925 unter dem Titel »Zu diesen Barmats« abdruckte. Kundige Leser der Buddenbrooks kannten Hugo Weinschenk, der sich wegen Versicherungsbetrugs zu verantworten hatte und der Parallelen zu Barmat aufzuweisen schien: »Daß alles ganz in Ordnung ist, muß man leider bezweifeln. Aber daß Weinschenk in dem Umfange schuldig ist, wie gewisse Leute es wollen, halte ich ebenfalls für unwahrscheinlich. Es gibt im Geschäftsleben modernen Stiles etwas, was man Usance nennt … Eine Usance, verstehst Du, das ist ein Manöver, das nicht ganz einwandfrei ist, sich nicht ganz mit dem geschriebenen Gesetze verträgt und für den Laienverstand schon unredlich aussieht, das aber dennoch nach stillschweigender Übereinkunft in der Geschäftswelt gang und gäbe ist. Die Grenzlinie zwischen Usance und Schlimmerem ist sehr schwer zu ziehen … Einerlei … wenn Weinschenk sich vergangen hat, so hat er es höchstwahrscheinlich nicht ärger getrieben als viele seiner Kollegen, die ungestraft davongekommen sind.«3 Tatsächlich wurden mit Blick auf die Geschäfte Julius Barmats intensiv die Usancen des Geschäftsverkehrs unter den Bedingungen von Inflation und Währungsstabilisierung behandelt. Aber anders als bei Thomas Manns Weinschenk ging es in seinem Fall um

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mehr: Nicht nur wog der Vorwurf von Täuschung, Betrug und Korruption schwer. Julius Barmat wurde zum Sinnbild eines Grenzgängers des Kapitalismus in der Nachkriegszeit. Er galt als negatives Beispiel eines politischen Kapitalismus in Form der Kriegs-, Übergangs- und durch die Inflation zerrütteten öffentlichen Kreditwirtschaft4 sowie von Misswirtschaft und Korruption im Kontext der »Privatisierung« großer Teile der aus dem Krieg herrührenden Staatsbetriebe. Sein Schicksal bestand überdies darin, dass er im Zusammenhang mit dem Skandal im Jahr 1925 von Anfang an mit den Taten anderer involvierter Personen in Verbindung gebracht wurde, zuallererst mit Iwan Kutisker und Jakob Michael, dann aber auch mit einer Vielzahl von Unternehmern, Bankern und Geschäftemachern, die auf den kapitalkräftigen Geschäftsmann setzten. In den Blick geraten damit mitunter sehr skurrile Aspekte und Geschichten, die in der politischen Kultur der Zwischenkriegszeit von Bedeutung waren.

Ein charismatisches »Konzern-Genie«? Die Expansion des Barmat-Konzerns 1923 / 24 Als Julius Barmat mit seiner Familie zu Beginn des Jahres 1924 von Amsterdam nach Berlin übersiedelte, galt er als wohlhabender Kaufmann. Im Januar 1921 hatte er das Aktienkapital seiner 1916 gegründeten Amsterdamer Import- und Exportgesellschaft, der Amexima N.V., auf eine Million Gulden erhöht, wovon ein Viertel an der Börse platziert war. Der Firmensitz war Amsterdam mit Filialen in Wien, Hamburg, Berlin und zeitweise auch in New York.

Solvenz und Solidität: Arbeit am Image Bis 1922 hatte sich Barmat auf sein seit dem Krieg systematisch erschlossenes Geschäftsfeld konzentriert: den Lebensmittel-, Textilund Warenhandel. Dieser Geschäftszweig trat nun zunehmend in den Hintergrund und wurde ausgegliedert, und zwar in die im Februar 1922 als selbstständige Gesellschaften eingerichtete Hamburger, Berliner und die im Oktober des Jahres gegründete Wiener

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Amexima. Sie gingen im März 1923 zunächst in die Amsterdamer Firma Gebroeders Barmat über, wurden dann aber im Januar 1924 an die La Novita mit Sitz in Amsterdam übertragen. Diese schon vor dem Krieg gegründete Grundstücksgesellschaft entwickelte sich zu einer Art Finanzholding. Alle diese Firmen und Firmenanteile waren im Privatbesitz von Julius Barmat, der eng mit seinen Brüdern und seinem Schwager Leo de Winter zusammenarbeitete und diese in den Filialen in leitenden Positionen installierte. Seit Beginn der deutschen Hyperinflation im Sommer 1923 erschloss Barmat in Deutschland neue, jetzt industrielle Geschäftsbereiche und zog sich aus dem operativen Handelsgeschäft in Amsterdam weitgehend zurück.5 Die Berliner Amexima wurde das neue Standbein. Sie entwickelte sich immer stärker in Richtung einer Finanzierungsgesellschaft, wobei Zukäufe von Firmen und dann zweier Banken sowie einer großen Versicherung wegweisend waren. Konsequent war, dass sich Barmat in Berlin niederließ, wo die Amexima Berlin für ihren Generaldirektor eine Dienstvilla auf Schwanenwerder kaufte.6 Die Amexima Berlin pflegte Geschäftsverbindungen mit bekannten Banken, in Deutschland unter anderem mit der DiscontoGesellschaft und in Amsterdam mit Mendelssohn & Co. sowie dem Bankhaus Pröhl Gutmann, das wiederum in enger Verbindung mit der Dresdner Bank stand; die New Yorker Geschäfte liefen über das amerikanische Bankhaus Speyer. Im Gegensatz zu früheren Warnungen hieß es in einem Bericht des deutschen Generalkonsulats in Amsterdam, dass nach den eingezogenen Auskünften das Unternehmen günstig beurteilt werde. Julius Barmat werde als »tüchtiger Geschäftsmann« bezeichnet, der zeige, dass er »den gegenwärtigen Zeitumständen gewachsen ist«; ferner weise sein Geschäft im Vergleich zu vielen anderen »einen geregelten guten Verlauf auf«.7 Das holländische Vermögen Julius Barmats taxierten die Ermittlungsbehörden für Ende 1923 auf etwa 2,2 Mio. Gulden, was etwa 3,8 Mio. GM entsprach. Wie er später aussagte, war sein gesamtes Eigentum in seinen Unternehmen gebunden, sodass er über kein »freies Vermögen« verfügte. Letzteres soll seinen Aussagen zufolge zu Beginn des Jahres 1924 höchstens 400000 GM betragen haben.

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Wie auch immer man die Zahlen beurteilte, Barmat war vermögend, ja er musste, so später die Konklusion des Gerichts, als ein »für die Begriffe, die hier damals [im Deutschland der Inflationszeit – MHG] herrschten, als außerordentlich reicher Mann gelten«.8 Dieser Ruf eilte ihm voraus, und Barmat bemühte sich sehr darum, dieses für einen Geschäftsmann wichtige Distinktionsmerkmal entsprechend hervorzuheben. In Form einer Werbebroschüre, welche die Amsterdamer Amexima für ihren Chef Anfang 1924 erstellte (aber zweifellos von Barmat selbst in Auftrag gegeben worden war), wurde die Solidität des Unternehmens präsentiert: Darin fanden sich Bilder des nicht übergroßen Geschäftshauses an der Keizersgracht, vor dem ein großes Automobil geparkt war und das im Innenbereich eine funktionale und nicht übertrieben luxuriöse Ausstattung aufwies.9 Dieser Punkt ist nicht nebensächlich: Denn wirtschaftliche Solidität und Seriosität galten gerade in der Inflationszeit als knappe Güter – wie wir noch sehen werden, ein wichtiger Aspekt bei der Vergabe von Krediten durch die Preußische Staatsbank. Julius Barmat tat alles, um den ihm anhaftenden Ruch des »Kriegs- und Inflationsgewinnlers« abzustreifen. Dazu zählte der Hinweis auf sein solides Vermögen als Grundlage, ferner, dass er kein Börsen- und Devisenspekulant sei, was ihm ja im Zusammenhang mit den Lebensmittelgeschäften 1919/20 vorgeworfen worden war. Ein Unterschied zwischen dem Barmat-Konzern und verschiedenen anderen in dieser Zeit schnell wachsenden Konzernen bestand, wie Ende 1924 zu lesen war, darin, »daß ich nicht börsenmäßig neue Aktienpakete hinzukaufe bzw. in meinem Besitz befindliche veräußere, Transaktionen, die ja immer einen etwas spekulativen Einschlag haben, also [dass ich] nicht ein Bank- bzw. Finanzkonzern bin, der u. a. auch verschiedene Aktienpakete im Besitz hat, sondern in erster Linie bitte ich, mich als Industriekonzern anzusehen«.10 Der Kaufmann wollte damit betonen, dass er einen Beitrag zu »produktiver Arbeit« leistete.

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Ein neuer Unternehmertyp im modernen Kapitalismus Diese (Selbst-)Stilisierungen Barmats zielten nicht nur darauf ab, die Seriosität seiner Geschäfte zu betonen, sondern zeugten auch von der Bemühung, ihn in die Reihe erfolgreicher »Konzern-›Genies‹« und »neuer Konzerngrößen« zu stellen. Damit verband man einen modernen, zeitgemäßen Unternehmertypus, deren Vertreter als Ikonen einer neuen Zeit gehandelt wurden.11 Wie zugkräftig dieses Thema war, zeigt das Buch Deutsche Wirtschaftsführer des Wirtschaftsjournalisten Frank Faßland (alias Felix Pinner), das nach der Erstveröffentlichung 1924 innerhalb kürzester Zeit in bald 15, immer wieder erweiterten Auflagen erschien. Dem alten Industrieadel, »greisen Wirtschaftsführern«, vertreten durch u. a. August Thyssen oder Emil Kirdorf, stellte der Autor ein zwar kritisch unterlegtes, aber dennoch hymnisches Porträt der »neuen Männer« gegenüber. Darunter befanden sich bis heute bekannte ebenso wie unbekannte Namen wie Friedrich Flick, Hugo Stinnes, Jakob Michael und viele andere, unter denen wiederum der Typus der »Dreißigjährigen« hervorstach. Nicht nur wegen ihres Alters waren sie als Vertreter einer neuen Generation anzusehen; ihr Instinkt habe gerade darin bestanden, die »umgekehrten Regeln zu befolgen wie in der soliden Bauzeit vor dem Kriege, wo man sich weder mit Projekten noch mit Schulden überlasten durfte, wenn man reüssieren wollte«. Kühnheit und Unkonventionalität des Denkens war das Kennzeichen dieser »neuen Männer«: »Der Leichtsinn als geschäftliches Aufbauprinzip ging am schnellsten und stärksten in den Instinkt Derjenigen [sic!] ein, die noch nichts gelernt und nichts zu verlieren hatten.« Damit überflügelten sie die ältere Unternehmergeneration, machten diese gar obsolet.12 All das reflektiert die Goldgräberstimmung der Inflationszeit. Der am Ende der Inflationszeit gerade einmal 34-jährige Barmat entsprach in vielerlei Hinsicht diesem Bild kühnen Unternehmertums, vermittelte aber zugleich wirtschaftliche Solidität. In einem Teil der Wirtschaftspresse wurde der Amsterdamer Kaufmann dann auch »nach allen Regeln der Kunst besungen, abgemalt, [und] mit Genealogie, Stammbäumen und Allem, was dazu gehört«, hochgelobt.13 Ein anderer Autor, dessen Buch etwas unzeitig

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nach dem Zusammenbruch des Konzerns erschien, strich in lobhudelnder Manier hervor, dass es Barmat dank seiner »reichen Mittel« gelinge, »immer mehr wertvolle Objekte an sich zu bringen, sodass der Barmat-Konzern heute wohl zu den zukunftsreichsten seiner Art zählt«.14 All das ließ sich unter der Rubrik »Umschichtung der europäischen Vermögen«, und zwar im Sinne einer Umschichtung in stärkere Hände neuer dynamischer Wirtschaftsführer, beschreiben.15 Solche Lobgesänge ließen sich als nebensächlich abtun, könnte man darin nicht zugleich populäre Varianten der von Josef Schumpeter schon vor dem Krieg formulierten Theorie der »schöpferischen Zerstörung« erkennen, in der, damals wie heute, dynamische Unternehmer eine zentrale Rolle spielen. Die Zerstörung alter Strukturen, die den Boden für neue Kombinationen von Produktionsmitteln bereitete, war ein schmerzlicher Prozess, da mit dem Aufbau neuer, starker, innovativer und leistungsfähiger Betriebe immer auch altbewährte Traditionen, etwa in der betrieblichen Organisation und den Arbeitsvorgängen, verloren gingen.16 Das war der Stoff für viele kulturkritische Betrachtungen der Nachkriegszeit, zumal nicht klar ersichtlich war, ob es sich dabei tatsächlich um eine produktive wirtschaftliche Reorganisation oder rein spekulative Transaktionen handelte. Auf der anderen Seite versprachen diese neuen Gründungen die Rettung der von Bankrott bedrohten Betriebe und Arbeitsplätze. Letzteres gefiel nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Vertretern des Zentrums. Ende 1924 war mit Blick auf den Barmat-Konzern immer wieder die Rede von 13000 bis 14000 Beschäftigten in 40 Unternehmen mit vielen Subunternehmen – auch das ein wichtiger Punkt bei der Kreditvergabe der Staatsbank.17

Ein Koloss auf tönernen Füßen Der Einstieg Barmats ins industrielle Unternehmensgeschäft begann 1922 mit dem Engagement der Amexima in der Deutschen Margarine und Speisefett A. G. (Dema), einem der vielen Staatsbetriebe, die im Zusammenhang mit dem Abbau der Kriegswirtschaft teilweise privatisiert wurden. Das Reich besaß die Aktienmehrheit.

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Barmats Amexima stieg als Anteilhaberin ein, indem sie eine Kapitalerhöhung und in diesem Zusammenhang die Valutaschulden des Betriebs übernahm. Voraussetzung für die Beschaffung von Rohstoffen für die Margarineproduktion war der Zugang zum internationalen Devisenmarkt. Barmat besorgte sowohl Rohstoffe als auch Devisen. Das ebnete nicht nur den Weg zur Reichsbank sowie dauerhaft zur Preußischen Staatsbank, sondern auch ins Reichsfinanzministerium, das frühere Staatsbetriebe wirtschaftlich zu konsolidieren und zu verkaufen versuchte.18 Kritiker waren mit Blick auf diese Privatisierungen anderer Meinung: Hier werde wertvolles deutsches Tafelsilber, Volksvermögen, an »Spekulanten« verscherbelt, wenn nicht gar verschenkt, hieß es.19 Die Berliner Amexima hatte ein Auge auf weitere vom Reich privatisierte Firmen. Dazu zählten die Chromo A. G. in Altenburg, die Chrompapiere und -kartons herstellte, sowie die Kunstseidenspinnerei Münchenbernsdorf (in der gleichnamigen thüringischen Stadt), womit der Barmat-Konzern erstmals in größerem Umfang in Industrieunternehmen einstieg. Die Zeitgenossen sprachen von »Sachwertanlagen«, mit denen man den Wertverlust von Papiergeld auszugleichen versuchte. Bei einem Papiermarkpreis von umgerechnet 41000 bzw. 100000 GM waren diese beiden Erwerbungen auf den ersten Blick ein »Schnäppchen«. Die Zukäufe waren kreditfinanziert, sodass Barmat wie alle anderen, die sich an der großen »Flucht in die Sachwerte« beteiligten (und dafür den erforderlichen Zugang zum Kreditmarkt besaßen), ordentliche Gewinne einzustreichen schien. Einmal mehr verdammten viele Beobachter diese Strategie als Ausdruck eines spekulativen Geistes, der sich zu dieser Zeit rasch im Wirtschaftsleben und in der gesamten Gesellschaft ausbreite. Spekulativ war 1923 auch der »günstige« Ankauf der Altenburger Sparbank A. G., einer kleinen regionalen Bank, die nach Berlin verlegt werden und dort Deutsche Handelsbank A. G. heißen sollte. Banken schossen während der Inflationszeit überall aus dem Boden; sie spielten eine wichtige Rolle bei kreditfinanzierten Geschäften. In diesem Fall ging die Rechnung nicht auf, da das preußische Finanzministerium ein Veto gegen die Verlegung einlegte. Das machte die Sache unattraktiv, da bei einer Umsiedlung das Depot-

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und Depositenrecht, d. h. das Recht, mit Wertpapieren und Devisen zu handeln und Kundengelder anzunehmen, weggefallen wäre.20 Was Barmat im Jahr der Hyperinflation eher im kleinen Stil praktizierte, betrieb er im folgenden Jahr im großen Stil. Die Expansion des Konzerns erfolgte demnach während der Währungsstabilisierung, die sich bis in den Sommer 1924 hinzog. Das war in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Viele andere während der Inflationszeit gegründete oder mit Krediten ausgebaute Betriebe suchten nun händeringend zahlungskräftige Käufer und Investoren. Denn mit der Währungsstabilisierung trocknete der Geldmarkt plötzlich aus, und die Banken forderten, wie noch genauer zu sehen sein wird, exorbitante Zinsen. Kein Wunder, dass der finanzstarke und gut etablierte Ausländer Barmat ein gefragter und umworbener Mann war. Viele erwarteten von ihm die Rettung. Barmat sah in dieser Situation eine große Chance – mit fatalen Folgen. Die Expansion der Amexima erfolgte nun in zwei Schüben. Bis Mai 1924 kamen zwei weitere Banken hinzu, darunter die in Berlin ansässige Deutsche Merkurbank, die selbst im Besitz von diversen Industrieunternehmen war und sich nach der Übernahme durch die Amexima noch weiter vergrößerte. Bis Juli 1924 nahm der eingeschlagene Expansionskurs ein atemberaubendes Tempo an und ließ die Umrisse eines Konzerns erkennen. Dabei waren es nun weniger kleinere Erwerbungen wie die der Bremer Privatbank, bei deren Kapitalerhöhung auf 500000 GM die Amexima 400000 GM übernahm; vielmehr kaufte sie sich im großen Stil entweder in Form von Beteiligungen in bestehende Konzerne ein, oder sie übernahm überschuldete Firmen. So entstand ein merkwürdiger Zwitter: Zum einen war die Berliner Amexima in Bezug auf die konzerneigenen Banken eine Finanzierungs- und Beteiligungsgesellschaft, zum anderen gelangte der Konzern zunehmend in den Besitz von Industrieunternehmen. Der Erwerb der in Berlin ansässigen Deutschen Merkurbank war für den Expansionskurs in Richtung Finanzierungsgesellschaft von besonderer Bedeutung. Denn diese Bank wurde zu einem wichtigen Bestandteil des entstehenden Barmat-Konzerns, wenngleich Barmat sie zu keinem Zeitpunkt vollständig kontrollierte. Die Mer-

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kurbank war eine Gründung des Jahres 1922 und ging aus der vormaligen Bank von Beneckendorff hervor (mit Verbindungen zu der Familie des Weltkriegsgenerals und späteren Reichspräsidenten Paul von Beneckendorff und von Hindenburg). Sie war eine der vielen, zunächst erfolgreichen Inflations(neu)gründungen und befand sich in einer der besten Lagen Berlins, Ecke Friedrich- und Behrenstraße. Ihre Geschichte ist bezeichnend für die Inflationszeit: Seit 1922 hatte sie mehrmals die Besitzer gewechselt und gelangte 1923 unter anderem in die Hand des Kaufmanns Hermann Weber, der als Inhaber der Deutschen Spirituosenwerke unter dem Namen »Sprit-Weber« über Berlin hinaus wegen großer »Alkoholschiebungen« auch in die USA sowie wegen Steuerhinterziehungen bekannt war. Spekulationsgeschäfte mit französischen Franken hatten die Bank in Bedrängnis gebracht. Gegen Abdeckung des Frankenengagements »Sprit-Webers« und einen Kredit im Wert von über 150000 GM an die Deutschen Spirituosenwerke beteiligte sich Barmat mit seiner Amexima an der Bank. Dazu diente eine Erhöhung des Aktienkapitals von 50000 auf 2 Mio. GM. Barmat wurde damit jedoch nicht zum Mehrheitseigner der Bank, denn zwei ihrer Direktoren namens Lichtenstein und Schäffer besaßen mit vielfachen Stimmrechten ausgestattete Vorzugsaktien, die ihnen bei Abstimmungen die entscheidende Mehrheit sicherten. Trotz der massiven Kapitalerhöhung, die allein Barmat stemmte, behielten sie über ihre Vorzugsaktien ein Mitspracherecht. Das Landesfinanzamt machte davon die Anerkennung des wichtigen Depot- und Depositenrechts abhängig, wahrscheinlich um der »Überfremdung« der Bank und Kapitaltransfers ins Ausland einen Riegel vorzuschieben. Das Resultat war aber, dass diese beiden Direktoren auch weiter ihre eigenen Geschäfte betrieben – mit und ohne Absprache mit Barmat.21 Wie eng die Merkurbank und die Amexima Berlin zusammenarbeiteten, wird daran deutlich, dass die Amexima ihre Geschäftsräume in die der Merkurbank verlegte und von nun an einen großen Teil der Geschäfte über die Merkurbank abwickelte, während das Privatkundengeschäft der Bank dagegen ganz in den Hintergrund trat.22 Die Merkurbank übernahm selbstständig eine ganze Reihe von Betrieben im Bereich der Eisen-, Textil- und Elektroindus-

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trie, aber auch kleinere Betriebe wie die Münchener TerrakottenKunst A. G. und den Keller-Konzern in Barmen (Wuppertal), der in der Herstellung von Maschinen und Werkzeugen aller Art tätig war. Zu nennen sind ferner zwei Banken, nämlich die profitable Preußische Hypotheken-Aktien-Bank Berlin und die Allgemeine Garantiebank-Versicherungs-Aktiengesellschaft. Bei der Garantiebank handelte es sich um eine Rückversicherungsgesellschaft, die eine wichtige – später umstrittene – Rolle bei der Konzernvergrößerung spielte. Der Erwerb der im Gegensatz zu den anderen Betrieben profitablen Garantiebank war zwar recht teuer – bei der Erhöhung des Kapitals Ende Juni übernahm die Amexima 1,25 Mio. GM und verschaffte sich dadurch die Mehrheit –, er war aber insofern wichtig, weil es auf diese Weise gelang, in Form von Kreditbürgschaften Kredite der eigenen Konzerngesellschaften abzusichern (wobei das Risiko in der Regel mit zahlreichen anderen in- und ausländischen Rückversicherern geteilt wurde).23 Ein wichtiges, wenn auch durch und durch unsolides Standbein des entstehenden Barmat-Konzerns war das Finanzkonsortium mit dem an der Börse gelisteten Roth-Konzern. Die Dachgesellschaft dieses Konzerns, die Roth A. G. Berlin, besaß als eigenes Werk die große Maschinenfabrik Perleberg und die Eisengießerei und Maschinenfabrik J. Roth in Ludwigshafen und Oggersheim mit wiederum neun größeren Firmen. Dazu gehörten Unternehmen in Jugoslawien und der Tschechoslowakei mit 22 Unterfirmen im Bereich der Eisen-, Stahl- und Metallindustrie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dieses Konsortium machte sich nun 1924 ebenfalls auf Einkaufstour, indem weitere Betriebe aus dem Bereich Eisengießerei, Maschinenbau und Eisenkonstruktion von Brücken einverleibt wurden. Einer der größten Brocken war die Berliner Burger Eisenwerke A. G., wiederum mit einer Reihe von abhängigen Firmen und Beteiligungen. Wie im Falle der Merkurbank war Barmats Amexima nicht die Mehrheitseigentümerin des Roth-Konzerns und kontrollierte auch nicht dessen Expansion. Barmat vertraute dabei vielmehr auf die beiden älteren Besitzer der Firma, Alfred Staub und Julius Rabbinowitz, die zusammen mit ihm die Aktienmehrheit von Roth besaßen.

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Das Problem war, dass der kleine Roth-Konzern schon bei der Übernahme in großen Zahlungsschwierigkeiten steckte. Gläubiger waren zum einen namhafte deutsche Großbanken, die sich mit der Geschäftsleitung zuvor auf ein Stillhalteabkommen und Zahlungsaufschübe geeinigt hatten, zum anderen die Preußische Staatsbank, der ob ihres Engagements offenbar mulmig wurde. Warum sich Barmat in diesem für ihn fatalen Geschäft engagierte, war schon damals nicht mehr genau zu eruieren. Seine Anwälte (wie im Übrigen sein Freund Ernst Heilmann und die Direktoren der Merkurbank) behaupteten, dass die Initiative dafür von der Staatsbank ausgegangen sei, da auf diese Weise die Schulden des Roth-Konzerns bei der Bank stark reduziert werden konnten; außerdem habe die Amexima Amsterdam sehr viel Geld in den Betrieb gesteckt. Ähnliches geschah bei der Berliner Burger A. G., die bei der Staatsbank ebenfalls mit hohen Krediten von etwa 1,5 Mio. GM in den Büchern stand. Wie auch immer, diese Kaufentscheidungen hatten desaströse Folgen. Der Finanzbedarf dieser Firmen glich einem Fass ohne Boden: Die Rede war von 13 Mio., die man in die Roth-Gruppe gepumpt habe, eine Zahl, die von den Ermittlungsbehörden weitgehend bestätigt wurde.24 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der deutsche Amexima-Konzern gegen Ende des Jahres 1924 etwa 85 selbstständige und untereinander verflochtene Betriebe umfasste. Neben Banken und Versicherungen findet man auffallend viele Firmen im Bereich Maschinenbau und Eisenverarbeitung. Die Industriebetriebe standen vielfach in Konkurrenz zueinander, und es sind keine Initiativen zu erkennen, dass sie aus Effizienzgründen zusammengelegt werden sollten. Der Barmat-Konzern glich somit in mehrerer Hinsicht den vielen sogenannten Inflationskonzernen, die unter einem gemeinsamen Dach oft ein Kunterbunt von Firmen umfassten. Die innere Struktur des Konzerns war außerordentlich schlecht, denn niemand, auch nicht Julius Barmat, hatte nach den hektischen Zukäufen wirklich eine Übersicht über die wirtschaftliche Lage der einzelnen Konzernbestandteile: Beim Kauf war keine genaue Revision der Betriebe vorgenommen worden, und viele Betriebsleiter arbeiteten ohne Kontakt zur Konzernspitze, ja verteidigten ihre Selbstständigkeit und Interessen, wenn sie nicht sogar in die eigene

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Tasche wirtschafteten. Das Kernproblem war, dass die meisten Firmen infolge der scharfen Wirtschaftskrise Geld »verbrannten« und auf Kreditspritzen angewiesen waren. Überall verließ man sich darauf, dass Barmat Geld beschaffte, woher auch immer, sei es aus eigenen Quellen oder vermittels Krediten. Noch im November 1924 versuchte Barmat, umzusteuern und den Konzern mithilfe von zwei Experten seines Vertrauens zu reorganisieren: Der Bereich Kredit- und Finanzangelegenheiten wurde Emil Kautz übertragen, der ursprünglich aus der Finanzverwaltung Preußens und des Reiches stammte, zeitweise das Reichsverwertungsamt geleitet und in diesem Zusammenhang auch Barmat kennengelernt hatte. Im Oktober 1924 kehrte er aus der Türkei zurück, wo er wie schon vor dem Ersten Weltkrieg das Amt eines Generaldirektors der staatlichen türkischen Landwirtschaftsbank bekleidet hatte. Für den Bereich industrielle Organisation und die wirtschaftliche Zusammenschließung der Konzernfirmen engagierte Barmat Gerhard Lewy, der sich selbst als »überzeugte[n] Monarchist[en]« und als Parteigänger der DVP bezeichnete.25

Ein spekulationsbereiter Partner: Die Preußische Staatsbank Alle Unternehmenskäufe waren kreditfinanziert, und Ende 1924 war der Barmat-Konzern hoch verschuldet. Das galt für die meisten deutschen Firmen. Die brisante politische Frage lautete, warum gerade ein »Ausländer-Konzern« Kredite in dieser Höhe erhalten hatte, und mehr noch, ob es dabei mit rechten Dingen zugegangen war.26 Vor allem die Preußische Staatsbank befand sich angesichts der Barmat gewährten Kredite in Erklärungsnot, zumal dieses öffentliche Kreditinstitut nicht gerade auskunftsfreudig war und die Tatsachen nie auf den Tisch legte. Darüber hinaus verfolgte die Bank zu keiner Zeit rechtliche Schritte, weder gegen Julius Barmat noch gegen seine Amexima. Die am Berliner Gendarmenmarkt gelegene Bank zählte zu den altehrwürdigen Institutionen des preußischen Staates – 1922 wurde

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das 150. Gründungsjubiläum gefeiert. Wie im ursprünglichen Namen »Seehandlungsgesellschaft« zum Ausdruck kommt, war diese staatliche Einrichtung zunächst als Transport- und Warenhandelsgesellschaft tätig gewesen. Im Übergang vom Merkantilismus zur frühen Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einer Verschiebung der Aufgaben: Nun nahm die Gründung und Führung von Unternehmen einen wichtigen Platz ein. Durch Kabinettsorder war die Seehandlung seit 1820 ganz offiziell auch die Bank des preußischen Staates. Dieses Tätigkeitsfeld überwog, was sich ab 1904 auch im offiziellen Namen »Königliche Seehandlung (Preußische Staatsbank)« widerspiegelte. Die Bank galt als eine primär fiskalische Institution und unterstand ab 1848 dem Finanzministerium. Das Bewirtschaften der öffentlichen Gelder der verschiedenen Zweige der Staatsverwaltung sowie die Ausgabe von Staatsanleihen waren wichtige Aufgaben, während das Privatkundengeschäft eine nur marginale Rolle spielte. Dem eigenen Selbstverständnis nach diente man dem Gemeinwohl und grenzte sich von den gewerblichen Interessen der privaten Banken ab.27 Kurz: Hinter den dicken Mauern der Tradition funktionierte die Preußische Staatsbank mit einem fiskalisch-bürokratischen Apparat, der sich anschickte, sich dem rauen privatwirtschaftlichen Kapitalismus auszusetzen – und dabei auf Männer wie Julius Barmat, Iwan Kutisker und Jakob Michael setzte.

Kredit im Strudel von Inflation und Deflation Tatsächlich änderte sich die Geschäftsausrichtung der Bank in der Nachkriegszeit, insbesondere während der Hyperinflation und der Währungsstabilisierung. Der neue Fokus auf die Privatwirtschaft hatte verschiedene Gründe: Erstens brachte die Hyperinflation einen Bedeutungsschwund der Staatsbank als Kreditinstitut für die Staatsregierung mit sich, sodass man auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern war. Wichtiger war jedoch ein zweiter Antrieb: Die Inflation hatte tiefe Spuren in der Geschäftsbilanz hinterlassen. Denn im Gegensatz zu Privatbanken waren der Preußischen Staatsbank risikoreiche und damit eher spekulative Geschäfte verboten gewesen. Die Rücksichtnahme auf hohe Liquidität in Verbindung mit der Un-

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möglichkeit, über Devisengeschäfte Währungsverluste auszugleichen, hatte die Bank ausbluten lassen. Die rückwirkend zum 1. Januar 1924 erstellte Goldmarkeröffnungsbilanz wies gerade noch ein Eigenkapital von 10 Mio. GM und Reserven in Höhe von 3 Mio. GM auf. Das waren knapp 8 Prozent des Eigenkapitals der Vorkriegszeit.28 Solche Verluste galt es auszugleichen. Dazu musste man, wie der für die Kreditvergabe an Barmat mitzuständige Oberfinanzrat Hans Hellwig in seiner Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der Bank vollmundig formulierte, neue Wege beschreiten: Das altehrwürdige Institut wollte sich von einem fiskalischen Staatsunternehmen zu einer modernen Geschäftsbank mausern. Dieses neue Geschäftsmodell provozierte später manchen bitter-spöttischen Kommentar, und Hellwig musste sich seine früheren Formulierungen vorhalten lassen. Denn die Strategie, wagemutig neue Wege zu beschreiten, mündete in ein Desaster.29 Überall wurden nach der Hyperinflation Forderungen erhoben, dass die öffentlichen Finanzinstitutionen angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage eine aktive Rolle spielen sollten, ja mussten, auch indem sie der Privatwirtschaft öffentliche Gelder zur Verfügung stellten. Das war angesichts der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Verhältnisse leichter gefordert als getan. Der Preußischen Staatsbank flossen Steuern und sonstige Einnahmen des Staates sowie von Teilen der öffentlichen Wirtschaft einschließlich der Reichspost zu; außerdem parkten Privatbanken angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit ihr Geld bei dem Institut. Diese Praxis war ein Symptom der Wirtschaftskrise und des infolge der Hyperinflation zerrütteten Bankensystems: »Das Geld wird lieber Tag für Tag der Seehandlung anvertraut und das selbst zu niedrigen Zinsen. Auf diese Weise wurden beträchtliche Summen der Wirtschaft brach gelegt und das zu einer Zeit, als Kreditmangel herrschte.«30 Das war insofern eine unbefriedigende Konstellation, als seitens der »Realwirtschaft« allenthalben Klagen über unerträgliche »Kreditknappheit« und exorbitante Zinsen zu hören waren, und zwar häufig mit der Unterstellung, das Geld werde »Schieberkonzernen« günstig zur Verfügung gestellt.31 Vor diesem Hintergrund – den Bemühungen um eine Rekapi-

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talisierung der Staatsbank, der Bekämpfung der Kreditnot und dem stillen Wettbewerb der Banken untereinander – sind die Kreditbewilligungen nicht nur an Barmat und seinen Konzern, sondern auch an Iwan Kutisker und Jakob Michael zu sehen. Die damit verbundenen Risiken waren immens. Denn wenn Banken angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Lage es scheuten, Kredite an die Wirtschaft zu vermitteln, warum sollten andere mit weniger Erfahrung auf diesem Gebiet besser in der Lage sein, solche Risiken richtig einzuschätzen? Diese Frage richtete sich nicht zuletzt an die Beamten der Staatsbank mit ihrem, wie die Ermittlungen zeigten, fast grenzenlosen Vertrauen darin, dass man mit solventen Personen wie Barmat nichts falsch machen könne. In seiner beißenden Kritik geißelte der bekannte, der Demokratischen Partei nahestehende Journalist Georg Bernhard die konservative Bankleitung: Seiner Meinung nach »spielten die Beamten Bankdirektoren, die nicht wußten, daß die Begabung eines Bankdirektors sich viel weniger darin zeigt, Geschäfte zu machen, als Geschäfte zu unterlassen«.32 Wie bereits dargestellt wurde, begannen die Geschäftsbeziehungen zwischen der Amexima und der Staatsbank im Mai 1923, und bis zur Währungsstabilisierung erhielten Barmat’sche Unternehmen sieben große Kredite, die im Strudel der Hyperinflation untergingen.33 Nach der Markstabilisierung wuchsen die Kredite der Amexima bis zum Jahresende 1923 auf umgerechnet 1,6 Mio. GM; Ende Januar 1924 waren es schon 3,1 Mio. GM. Bis Ende März stieg die bewilligte Summe auf 8,1 Mio., bis zum 19. Mai auf 9,5 Mio. und zum 13. Juni auf 10,5 Mio. GM. Rückzahlungen im August verminderten die Summe, während sich gleichzeitig Zinsen ansammelten, sodass die Amexima am Ende des Jahres mit 9,5 Mio. Schulden in den Büchern der Preußischen Staatsbank stand. Dazu addierten sich die Kredite einzelner Betriebe des Konzerns, darunter der Deutschen Merkurbank, der Berliner Burger Eisenwerke und der Roth A. G. Die Gesamtschulden des Barmat-Konzerns bei der Preußischen Staatsbank beliefen sich zum Jahresende auf 14,5 Mio. RM. Das war ungefähr ein Sechstel aller von der Bank an die Privatwirtschaft ausgegebenen Kredite – eine in der Tat ungewöhnlich und unverantwortlich hohe Summe. Das Bild wird noch dramatischer,

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wenn man bedenkt, dass die drei privaten Großkunden Barmat, Iwan Kutisker und Jakob Michael zeitweise mit insgesamt 35 Mio. GM an Krediten in den Büchern der Staatsbank standen.34 Das Ganze gibt auf den ersten Blick Rätsel auf, erklärt sich aber damit, dass beide Seiten, Kreditgeber wie Kreditnehmer, noch ganz dem Inflationsdenken verhaftet waren. Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass Barmat nicht an das »Wunder der Rentenmark« glaubte. Auf jeden Fall setzte er sich auch nach deren Einführung mit einigem Erfolg dafür ein, dass der größte Teil seiner Kredite ohne Sicherungsklauseln (für den Fall einer Geldentwertung) vergeben wurden; d. h. konkret: Wäre die Inflation erneut aufgeflammt, hätten Kreditnehmer wie Barmat enorm profitiert. Die Staatsanwaltschaft sah darin (im Gegensatz zum Gericht, das diese Fragen gar nicht weiter verfolgte) nicht nur ein Versäumnis, sondern eine Pflichtverletzung der Leitung der Staatsbank. Denn ohne solche Entwertungsklauseln hätten angesichts des ungewissen Erfolgs der Währungsstabilisierung und damit der Gefahr einer erneuten Inflation erst gar keine festen Vertragslaufzeiten über drei oder gar sechs Monate abgeschlossen werden dürfen.35 Entscheidend ist, dass die zuständigen Beamten der Staatsbank das unternehmerische Vabanquespiel zunächst mitspielten, ja mehr noch, dass sie offenbar ebenfalls dem Geist vergangener Tage verhaftet waren: Nach dem Desaster der vergangenen Inflation wollten sie dieses Mal auf die richtigen Pferde setzen, zum Vorteil der Bank und, das war die Frage, die das Gericht zu beantworten hatte, möglicherweise zu ihrem eigenen Vorteil, indem sie Barmat zu Diensten waren. Barmat erschien als der geniale Finanzier und Organisator, von dem man profitieren konnte.

Bad Governance Von den Barmat-Krediten in Höhe von knapp 10 Mio. GM will die Generaldirektion der Staatsbank erst im Mai 1924 erfahren haben, alle seien »überrascht« gewesen. Tatsächlich hatte erst eine interne Revision, die in einem anderen Zusammenhang erfolgt war, gezeigt, dass Julius Barmat bzw. die Amexima mit zu den größten Schuldnern der Staatsbank gehörte. In einer wichtigen Sitzung schon am

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19. Mai fasste das Direktorium den Beschluss, die Kredite der drei Großkunden Barmat, Kutisker und Michael nicht nur nicht weiter zu erhöhen, sondern abzubauen. Die Summe stünde in keinem Verhältnis weder zum massiv geschrumpften Eigenkapital der Bank noch überhaupt zu den eingelieferten Sicherheiten, hieß es. Die Konten sollten langsam verringert und auf keinen Fall mehr erhöht werden.36 Das hinderte die zuständigen Beamten in der Folgezeit jedoch nicht, weitere Kredite zu vergeben. Forderungen nach schneller Rückzahlung und Verstärkung der Sicherheiten gingen noch im Juni Hand in Hand mit neuen Krediten in Höhe von 3,5 Mio. GM, die die Merkurbank und die Handelsbank erhielten. Mit den Betrieben Roth und Burger kamen weitere Schulden hinzu. War darin ein Verstoß gegen die Dienstpflichten zu sehen, wie die Staatsbank vermutete? Die Beamten verteidigten sich damit, nicht an der Sitzung am 19. Mai teilgenommen und von dem Beschluss keine Kenntnis erhalten zu haben.37 Das sagt viel über die Kommunikations- und Führungsstrukturen im Haus am Gendarmenmarkt aus. Im Rückblick geißelte Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht die dilettantische Geschäftsführung und ließ kein gutes Wort weder an der Bankverfassung noch an den Beamten einschließlich ihrer Spitze, die »keine volkswirtschaftlich irgendwie nützlichen Kredite« vergeben hätten.38 Für die Staatsanwaltschaft (im Gegensatz zum sehr viel milderen Gericht) war das einmal mehr eine Verletzung der Dienstpflichten, da es die Aufgabe der Dezernenten gewesen wäre, Kreditgeschäfte dieses Umfangs in der Generaldirektion nach unten zu kommunizieren.39 Als die Staatsbank der Amexima schließlich die Pistole auf die Brust setzte und sie aufforderte, bis zum 15. Juli 1924 »mindestens einiges zurückzuzahlen«, erklärte sich Barmat dazu außerstande – die Staatsbank gewährte ihm daraufhin eine Stundung der Schulden.40 Wirtschaftliche Strategien der Staatsbank nach der Inflation und eine schlechte Unternehmensführung erklären nicht allein das grenzenlose Vertrauen der Beamten in die Geschäfte Barmats. Weder in den hitzigen öffentlichen Debatten noch in der Aufarbeitung durch die Justiz fand ein anderer Punkt Beachtung, der interessan-

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terweise bei den Verhandlungen des preußischen Untersuchungsausschusses angesprochen, aber auch hier nicht weiter verfolgt wurde: Julius Barmat hatte sich schon im Oktober 1923 de facto voll und ganz der Preußischen Staatsbank ausgeliefert, indem er dieser seine deutschen und niederländischen Vermögensanteile in den Niederlanden in Form von Blankoakzepten in die Hände legte. Das war die entscheidende Voraussetzung für die schon genannten riskanten Kredite während und nach der Währungsstabilisierung. Seit dem Sommer 1924 bemühte sich Julius Barmat darum, diese Akzepte gegen eine Geldsumme auszulösen und gegen andere Sicherungen umzutauschen. Darauf wiederum ließ sich die Bank nicht ein, versicherte ihm in diesem Zusammenhang aber wiederholt, dass er ihr vertrauen könne.41 Das war ein Versprechen, das, wie im Folgenden noch zu sehen sein wird, nicht eingehalten wurde. Und das hat mit Ereignissen zu tun, die in die Reichspost führten.

Reichspostminister Höfle auf Abwegen Ein anderer Handlungsstrang in Bezug auf die Barmat’schen Kreditgeschäfte führte zur Reichspost und von dort über andere öffentliche Kreditinstitute wieder zurück zur Preußischen Staatsbank. Es ist eine vertrackt-komplizierte Geschichte mit einer Reihe von Akteuren: Dazu zählt der aus dem Rheinland stammende 57-jährige Zentrumspolitiker und Reichstagsabgeordnete Hermann LangeHegermann, den Barmat offenbar im April 1924 im Zusammenhang mit dem Erwerb der Berliner Merkurbank kennengelernt hatte. Der Sohn eines Bottroper Schneidermeisters war zunächst in die Fußstapfen seines Vaters getreten, baute noch vor dem Krieg dessen Geschäft zu einem Großhandel für Baumwollwaren aus und verlegte sich im Krieg erfolgreich auf die Kriegsproduktion von Bekleidungsstücken und Zündern. Nach 1918 stieg er ins Verlagsgeschäft ein und kaufte die Recklinghauser Volkszeitung, ein ZentrumsBlatt. In seiner Partei hatte er sich über die Jahre hinweg langsam hochgearbeitet. 1920 rückte er für das Zentrum in den Reichstag ein, wo er als Sachverständiger für Finanz- und Wirtschaftsfragen

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sowie für die besetzten Gebiete galt. Mit seinen farbigen Halbschuhen und Seidenstrümpfen stach der gewiefte, elegant auftretende »Bottroper Schneidergeselle«, der, wie ein kritischer Beobachter meinte, den Anschluss an die »Inflations- und Deflationsgewinnler« gefunden habe, nicht zuletzt auch in seiner eigenen Partei hervor.42 Lange-Hegermann saß seit der Gründung der Merkurbank 1922 in deren Aufsichtsrat. Die Bank wurde zur Zentralstelle des gesamten Barmat’schen Unternehmens in Deutschland, wobei, wie schon gezeigt, nicht klar war, ob der neue Besitzer, Barmat bzw. die Amexima, auch den Kurs bestimmen konnte. Die Merkurbank war ebenfalls bereits im Besitz maroder Firmen, darunter die niederschlesische Westerwälder Braunkohle A. G. Als sich 1924 ihre Verbindung mit Julius Barmat und die Kapitalerhöhung herumsprachen, wurde die Bank mit Anfragen Not leidender Firmen wegen Darlehen und Übernahmen von Aktienpaketen überhäuft. Lange-Hegermann orchestrierte nun offenbar in vielen Fällen sehr weitgehend den Ankauf solcher Firmen, deren Besitzer einmal mehr Julius Barmat die Kreditbeschaffung überließen, und zwar gegen Überschreibung von Anteilen oder Aktien der jeweiligen Gesellschaft.43 Von mindestens ebenso großer Bedeutung war Lange-Hegermann bei der Erschließung von neuen Geldquellen. Frisches Geld brauchte der Konzern dringend, da die Preußische Staatsbank im Sommer ja auf eine Abzahlung der Schulden drängte. Hier zahlten sich Lange-Hegermanns Verbindungen zum Reichspostminister Anton Höfle (Zentrum) aus. Beide kannten sich aus Vorkriegstagen im Volksverein für das katholische Deutschland in Mönchengladbach, einer Massenorganisation des politischen Katholizismus. Außerdem entstammten beide Politiker demselben Wahlkreis. Es besteht kein Zweifel daran, dass Lange-Hegermann nicht zuletzt aus Eigennutz Höfle für Barmat einzunehmen vermochte (auch wenn das Gericht später diese von der Staatsanwaltschaft gelegte Spur nicht verfolgen sollte).

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Effizienz und Wirtschaftlichkeit – das neue Mantra der Reichspost Über die Art und die Motive der Verstrickungen Höfles in die Geschäfte Barmats mochten die Meinungen auseinandergehen. Bei der Einschätzung seiner Person war man sich dagegen einig. Für den Vorwärts-Redakteur Anton Schiff, der mit der Schrift Die HöfleTragödie eine Apologie des Postministers lieferte, war er ein »Pfälzer von leichtlebigem, gutmütigem Wesen […]; ein guter Familienvater, fromm, naiv und ohne Argwohn«.44 »Naiv« war eine der wiederkehrenden Charakterisierungen und traf offenbar die Sache. Nach Ansicht seines prominenten, nicht nur im Wirtschaftsrecht bewanderten Berliner Anwalts Max Alsberg war Höfle in geschäftlichen Angelegenheiten »absolut nicht bewandert« und dachte in diesen Dingen »ganz primitiv« – ein bemerkenswertes Urteil, bedenkt man, dass Höfle eine Promotion in Volkswirtschaft vorweisen konnte und zeitweise – höchst dilettantisch – die Kassen seiner Partei, des Zentrums, verwaltete.45 Ähnlich wie die Preußische Staatsbank spielte auch die Reichspost auf dem deutschen Geldmarkt eine neue Rolle. Das am 1. April 1924 in Kraft getretene Reichspostgesetz sah vor, dass die Reichspost und der Telegrafenbetrieb als selbstständiges Unternehmen unter der Bezeichnung Deutsche Reichspost vom Reichspostminister unter Mitwirkung eines Verwaltungsrates nach Maßgabe des Gesetzes verwaltet werden sollte. Dazu zählte auch die Trennung des Vermögens und des Haushalts der Reichspost – darin eingeschlossen waren die Guthaben der Postscheckkunden – vom Reichshaushalt. Im Hinblick auf die Verwaltung der Gelder kam es im Frühjahr zu einer Vereinbarung mit der Reichsbank, wonach liquide Mittel, sofern sie nicht dem Reich zur Verfügung gestellt wurden, an die Reichsbank oder, bei Zustimmung der Reichsbank, an andere große Geldinstitute auszuleihen waren. Dazu zählten die Staatsbanken Preußens, Bayerns und Württembergs, die Deutsche Girozentrale, die für den agrarischen Kredit wichtige Preußenkasse sowie die großen D-Banken und die Commerz- und Privat-Bank. Tatsächlich entstanden jedoch auch vielfach Beziehungen direkt zu einzelnen Kreditnehmern, an welche die zugelassenen Banken das Geld weitergeben konnten. Dazu vermittelte die Post die Kreditsuchenden,

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darunter die Kommunen in den besetzten Gebieten, zunächst an eine der zugelassenen Banken und stellte dieser dann die erforderlichen Mittel zur Verfügung.46 Das neue Mantra war Kundenfreundlichkeit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Post und Eisenbahnen sollten »kaufmännisch wirtschaften« und sich von den »Schlacken bürokratischer Schwerfälligkeit« freimachen; Maßstab war der Erfolg der viel bewunderten, expandierenden Großunternehmungen in der Privatwirtschaft. Zudem galt es, dem Staatshaushalt kräftige Einnahmen zu verschaffen. Wie die Vossische Zeitung rückblickend kommentierte, machte sich Höfle an diese Aufgabe »mit dem Temperament, aber auch mit der Unbesonnenheit eines Menschen, der bisher in den Schranken bürokratischer Buchführung gehalten war und nun plötzlich plein pouvoir« erhielt und zudem keiner parlamentarischen Kontrolle ausgesetzt war.47 Auf jeden Fall vertraute der Reichspostminister Julius Barmat, in dem er einen innovativen und aufstrebenden Unternehmer erblickte: »Ich kenn ihn auch als einen sehr tüchtigen Bankier, der des öfteren neue und gute Ideen in das Bankwesen hineingebracht hat«, schrieb der Postminister im Zusammenhang mit Vorbereitungen von Clearingverhandlungen im internationalen Postverkehr, wozu Barmat Kontakte nach Großbritannien und zur Regierung MacDonald aufnahm, den er 1919 auf dem Sozialistenkongress in Amsterdam kennengelernt hatte.48 In der Praxis sah sich das Postministerium nicht an die Reichsbank gebunden, sondern entschied vielfach nach eigenem Gutdünken – zum Wohle der Wirtschaft, wie es hieß.49 So beantragte Lange-Hegermann im Namen der Not leidenden Industrien des besetzten Gebietes und der Rheinpfalz einen Kredit über 2 Mio. GM, der auf Veranlassung Höfles von der zuständigen Abteilung der Reichspost in München ausgezahlt wurde und für den die Preußische Staatsbank und die Merkurbank die Ausfallbürgschaft übernahmen. Im Zuge der Ermittlungen gegen Barmat kam die Staatsanwaltschaft diesem und anderen – dubiosen – Geschäften auf die Spur, die immer wieder zu Lange-Hegermann und anderen Zentrumspolitikern in Sachsen und im Rheinland führten. Aus diesen ersten Anfängen entwickelten sich verzweigte Kreditgeschäfte, in

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die zunächst die Deutsche Girozentrale und über dieses Institut dann auch andere öffentliche Kassen, darunter die Kur- und Neumärkische Ritterschaftliche Darlehenskasse, die Brandenburgische Girozentrale und die Oldenburgische Staatsbank, involviert waren. Immer garantierte Postminister Höfle die Kredite, die sich auf über 16 Mio. GM beliefen. Das mit Fristen von bis zu drei Monaten vergebene Geld floss über die Barmat’sche Merkurbank an Konzernteile, und ein kleiner Teil diente zur Abdeckung von fälligen Schulden bei der Preußischen Staatsbank. Alles deutet darauf hin, dass sämtliche Beteiligten ihre Kreditrisiken auf die breiten Schultern der Reichspost abzuwälzen versuchten.50 War der Barmat-Konzern schon im Sommer 1924 zahlungsunfähig? Und wer konnte das wissen? Das war justizrelevant, denn dann hätte es sich bei den Krediten möglicherweise um eine Straftat gehandelt (wie auch die Staatsanwaltschaft meinte). In der Staatsbank führte man die finanziellen Schwierigkeiten primär auf strukturelle Ursachen, nämlich die vorherrschende Illiquidität in der deutschen Wirtschaft nach der Währungsstabilisierung, zurück. De facto befand sich ein großer Teil der Wirtschaft zumindest bilanztechnisch in einer Schieflage; Deckungen für Bankkredite waren ins Bodenlose gefallen.51 Aber auch in der Deutschen Girozentrale machte man sich bald Gedanken, die aber in eine andere Richtung zielten. Wie es im Protokoll heißt, wurde von »mehreren Herren betont, daß die Hergabe derartiger umfangreicher Kredite zu verhältnismäßig niedrigem Zinssatz an ausländische Gesellschaften von national-politischem Bedenken aus bedenklich sei«.52 In einem Gespräch, das der Präsident der Deutschen Girozentrale zehn Tage später am 18. August 1924 auftragsgemäß mit Höfle führte, will er diese Bedenken konkreter angesprochen haben: Bei der Amexima handle es sich, wie es in einem Aktenvermerk hieß, »um einen in der Presse viel besprochenen ausländischen Konzern, der, die Not der deutschen Industrie ausnutzend, deutsche Unternehmungen für billiges Geld aufkaufe. Der Aufsichtsrat steht auf dem Standpunkt, daß in der Öffentlichkeit eines Tages festgestellt werden könnte, daß diesem ausländischen Konzern die Überfremdung deutscher Unternehmungen mit deutschem öffentlichem Kapital

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erst ermöglicht worden sei und daß die Hineinziehung der Deutschen Girozentrale in diese Erörterungen die schwersten Bedenken hervorrufen müsse.«53 Wie in dem Vermerk ebenfalls zu lesen war, erklärte Höfle, dass er »solchen etwaigen Erörterungen in aller Ruhe entgegensehe«: Die Regierung fürchte sie nicht, da Barmat ihr außerordentliche Dienste erwiesen habe, etwa mit der Finanzierung der deutschen Lebensmittelversorgung unmittelbar nach dem Krieg. Außerdem müssten die Aufkäufe des Konzerns auch noch von einem anderen Gesichtspunkt betrachtet werden: Barmat habe dadurch einer großen Zahl von Fabriken, die andernfalls hätten stillgelegt werden müssen, durch die Kapitalzufuhr neues Leben gegeben, sie der Volkswirtschaft erhalten und einer großen Zahl von Arbeitern ihr Brot gesichert. Es sei auch zu berücksichtigen, »daß diese Erhaltung deutscher Industrien nicht nur mit deutschem, sondern auch mit ausländischem Kapital erfolgt sei«. Höfle wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass Barmat außerdem Geschäftsverbindungen mit der Preußischen Staatsbank pflegte.54

Eigenmächtigkeiten des Ministers Die Aufregung war groß, als die Deutsche Girozentrale einen großen 10-Millionen-Kredit zum 17. Oktober 1924 nicht verlängerte. Es war absehbar, dass Barmat nicht zahlen konnte, aber die Reichspost hatte die Sicherung übernommen. Schon anlässlich der Ankündigung lud Lange-Hegermann zu einer Besprechung im Hotel Kaiserhof (dessen Kauf er übrigens früher Barmat vergeblich vorgeschlagen hatte) ein, wohin Höfle extra für einen Tag aus seinem – von Barmat finanzierten – Urlaub in Marienbad anreiste. Der Minister hatte allen Grund, aufgeregt zu sein. Denn im Ministerium wusste man nichts von den Abmachungen und finanziellen Verpflichtungen, die er eingegangen war. Die Schriftstücke mit den erwähnten Verträgen tauchten nicht in den Akten auf. Zwar waren die Kredite der Post an die Deutsche Girozentrale (die das Geld weiterleitete) kein Geheimnis, wohl aber der Verwendungszweck und die eingegangenen Garantien der Post. Ähnliches galt im Übrigen auch für Verhandlungen Barmats mit den englischen Postbehörden.55 Höfles Sekretärin hatte zwar die verschiedenen Briefe geschrieben, aber

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diese waren nicht mit Aktenzeichen versehen und befanden sich auch nicht in den Akten. War diese Geheimniskrämerei Ausdruck für ein Unrechtsbewusstsein Höfles? Dieser verwies auf sein unbürokratisches Handeln, wie ein Vertreter der Barmat’schen Garantiebank, der zugleich Chef der deutschen Lloyd war, über ein Gespräch mit dem Reichspostminister berichtete: »Die Leute setzten ihm [Höfle – MHG] zu, es wäre nicht zum Aushalten, es seien Bürokraten, er wolle nach kaufmännischen Grundsätzen handeln und werde überall gehindert.«56 Im wahrsten Sinne des Wortes »filmreif« waren dann die Ereignisse im Reichspostministerium. Die Ministerialbeamten hatten nämlich Wind davon bekommen, dass etwas falsch lief. In heller Aufregung eilten sie, angeführt von ihrem empörten Staatssekretär, zu Höfle. Noch auf dem Flur zur Rede gestellt, soll dessen erste Frage gewesen sein: »Woher wissen Sie das?« Als sein Staatssekretär ihm vorhielt, dass er ohne seine Beamten gehandelt und gegen die Richtlinien des Verwaltungsrats verstoßen habe, ja dass er zivilrechtlich, beamtenrechtlich und strafrechtlich haftbar gemacht werden könne, verwies Höfle auf die volkswirtschaftlichen und sozialen Gründe sowie auf die Gefahr, dass 15000 bis 18000 Arbeiter entlassen werden könnten. Als ihm entgegengehalten wurde, dass andere für solche Fragen zuständig seien, konterte er, »er sei Politiker und Volkswirtschaftler, er müsse diese Verhältnisse ganz anders würdigen, und er sei der Meinung, daß er unter diesen Umständen auch von den Richtlinien habe abweichen dürfen«. Erst nach und nach soll Höfle die Tragweite seiner Entscheidung eingesehen haben, in einem »Zustand außerordentlicher Erregung« im Zimmer hin- und hergelaufen sein und schließlich kleinlaut gefragt haben: »Was fange ich nun an?«57 Just in diesem Moment wurde die Ankunft Henry Barmats, der seinen zu dieser Zeit in den Niederlanden weilenden Bruder vertrat, gemeldet. Als die Beamten ihn schwer beschuldigten, blieb er kühl und meinte, er wolle von der Sache nichts wissen, der Konzern habe das Geld bekommen, damit sei die Sache für ihn erledigt. Zur Verblüffung aller präsentierte er zudem einen Wechsel, auf den er sofort eine halbe Million Mark beschafft haben wollte. Es gebe keinen Pfennig, war

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die Antwort des Staatssekretärs, worauf Henry Barmat entgegnete, wenn er das Geld nicht bis ein Uhr habe, müsse der Konzern unter Geschäftsaufsicht gestellt werden (im Verfahren stritt er diese Äußerung ab: er habe von der »Einschränkung des Betriebs« gesprochen). Der in Panik geratene Höfle rief darauf in Gegenwart seiner Ministerialen verschiedene Banken an und bat um die Einlösung des Wechsels. Bei den Anwesenden hinterließ das »den peinlichsten Eindruck«, erschien ihr Minister doch als serviler Erfüllungsgehilfe der Barmats. Dieser Eindruck sollte sich noch verstärken, da er, wie sich später herausstellte, von der Merkurbank Kredite für seinen Hausbau in Lichterfelde und andere Vergünstigungen erhalten hatte.58 Trotz dieser Vorfälle wurden noch Übergangslösungen gezimmert. Ein offenbar ohne Rücksprache mit Barmat unternommener Versuch Höfles, einen größeren indischen Kredit an Land zu ziehen, scheiterte zwar.59 Aber zusammen mit der Girozentrale und der Rückversicherungsbank war das Ministerium auf massiven Druck seines Ministers bereit, nochmals einen Kredit zur Verfügung zu stellen: Die Barmats, so Höfle, seien »reiche Leute«.60 Die Beamten des Ministeriums erhielten von ihrem Minister das »Ehrenwort«, dass er keine Entscheidungen mehr ohne sie treffen werde. Höfles Sekretärin wurde unter Androhung sofortiger Entlassung verboten, dienstliche Schriftstücke des Ministers zu schreiben, die ohne Mitwirkung der Abteilung zustande kamen.61

Zahlungsunfähigkeit und das Ende des Barmat-Konzerns Angesichts der Ereignisse im Reichspostministerium verengten sich die finanziellen Handlungsspielräume Barmats zunehmend. Er kämpfte nun gegen die Zeit, und einiges deutet darauf hin, dass er nicht mehr weiterwusste und seinen Mitarbeitern viele Verhandlungen überließ. Sein Versuch, im Oktober 1924 über Deutschland hinaus auch in London eine internationale Anleihe für den RothKonzern aufzulegen, scheiterte. Die Staatsanwaltschaft ermittelte in dieser Sache später gegen Barmat und Direktoren des Roth-Konzerns, ob es sich dabei angesichts der prekären Lage des Konzerns um ein Betrugsmanöver handelte: Mit der Anleihe hätten die Initia-

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toren »nach dem Muster der Inflationszeit Scheinwerte [geschaffen], die vermöge [sic!] ihrer Zerlegung in kleine Stücke auf den Absatz bei dem großen Publikum berechnet waren«.62 Das war nichts anderes als eine Umschreibung für ein »Luftgeschäft«, mit dem nicht nur das breite Publikum, sondern auch die Staatsbank getäuscht werden sollte.63 Julius Barmats Image als Finanzgenie bekam Risse. Wirtschaftliche Partner machten sich aus dem Staub. Dazu zählte mit als Erster Lange-Hegermann.64 Als Begründung brachte er vor, dass er sich in seiner eigenen Partei Angriffen ausgesetzt gesehen habe – es sei eine »Heldentat«, für Barmat einzutreten, sei »doch sein Ruf derart ramponiert, daß es gar nicht zu ertragen« sei. Überdies wurde ihm die Sache ganz offensichtlich zu brenzlig. Er will befürchtet haben, dass die anderen Miteigentümer (neben Barmat) der Merkurbank auf den Schulden sitzen blieben und er dafür zur Verantwortung gezogen werden könnte. Und er verwies auf Gerüchte, Barmat komme nicht nach Deutschland zurück und überlasse den anderen die Schulden.65 Das war schierer Opportunismus. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zwar gegen Lange-Hegermann, gerichtlich belangt wurde er aber nicht (und auch sein Umgang mit Reichsmitteln für die besetzten Gebiete scheint nicht weiter verfolgt worden zu sein). Nichts deutete indes darauf hin, dass Barmat das Land verlassen wollte. Stattdessen versuchte er Mitte November, mit den beiden schon genannten unabhängigen Sachverständigen Kautz und Lewy, den Konzern zu reorganisieren, während der Geschäftsführer der Amexima die Verhandlungen mit der Preußischen Staatsbank führte. Bis Ende 1924 hatte der Barmat-Konzern von dieser, der Reichspost, der Oldenburgischen Staatsbank, der Brandenburgischen Girozentrale und der Brandenburgischen Stadtschaft Kredite in Höhe von insgesamt etwa 36 Mio. Gold- bzw. Reichsmark erhalten.66 Darüber, ob man von einer Überschuldung sprechen konnte, gingen die Meinungen weit auseinander. Der von Barmat für die Reorganisation des Konzerns – zu spät – engagierte Lewy schätzte den Gesamtwert der Betriebe auf realistische 39 Mio. RM. Er war sich sicher, dass sich der Wert nach Anziehen der Konjunktur auf 69 Mio. erhöhen könnte. Diese Zahlen beruhten nicht auf

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dem Börsenwert der Amexima und der an der Börse gelisteten Betriebe, sondern auf seiner eigenen Schätzung des inhärenten »rein industriellen Wertes«.67 Intern diskutierte man eine Restrukturierung. Aber dazu wären neben der langfristigen Verlängerung der bestehenden Kredite noch weitere 4 bis 5 Mio. RM erforderlich gewesen, um die Schwierigkeiten zu überwinden.68 Im November und Dezember 1924 stand es um den Konzern auf jeden Fall sehr schlecht, auch wenn eine Rettung vielleicht nicht ausgeschlossen war. Viel hing vom Verhalten der Preußischen Staatsbank ab, aber auch davon, wann die darniederliegende Konjunktur wieder anziehen würde. Seit dem Abschluss des Dawes-Abkommens über die Neufestlegung der Reparationen zeichnete sich eine Besserung der wirtschaftlichen Lage ab. Amerikanische Kredite, die nun nach Deutschland zu fließen begannen, waren für große Teile der deutschen Wirtschaft der rettende Strohhalm. Eine andere Frage war, wer der Amexima weitere 5 bis 8 Mio. RM zur Restrukturierung des Betriebs zur Verfügung stellen würde.69 Die Idee, mit der Kautz vorstellig wurde, bestand darin, die bisherigen Kredite zu verlängern und neue Kredite zuzuschießen; dazu galt es, die gesamten Werte des Barmat-Konzerns in eine Treuhandgesellschaft unter Kontrolle der Gläubiger einzubringen. Parallel dazu sollte eine Restrukturierung des Konzerns vorgenommen werden. Doch die Preußische Staatsbank lehnte ab (auch wenn später eine solche Lösung teilweise umgesetzt wurde).70 Der Grund für die Ablehnung ist unschwer zu erkennen: Spätestens seit Ende November 1924 waren die Kredite an Barmat nicht mehr primär eine wirtschaftliche, sondern eine politische Frage. Plötzlich waren die Kredite an Ostjuden ein öffentliches Thema. All diejenigen, die für sich beanspruchten, schon früher gewarnt zu haben, dass es politisch bedenklich sei, einem »Konzern von jüdischen Ausländern« Kredite zu geben, sahen sich jetzt bestätigt.71 Angesichts der Presseangriffe zunächst auf Kutisker, dann auch auf Barmat war die Preußische Staatsbank bemüht, die Geschäftsverbindungen schnellstmöglich zu beenden. Ab Dezember überschlugen sich die Ereignisse, die nicht im Detail von Interesse sind. Die Preußische Staatsbank lehnte die Ver-

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längerung der am 15. Dezember ablaufenden Kredite ab. Dagegen protestierte Barmat heftig; er und seine Anwälte sahen darin einen Vertrags- und Vertrauensbruch. Die Staatsbank ließ sich auf keine Verhandlungen mehr ein.72 Damit war für den Barmat-Konzern die Zeit abgelaufen. Am 15. Dezember senkte die Preußische Staatsbank endgültig den Daumen.

»Zins- und Kreditwucher«: Der Fall Jakob Michael Die Staatsanwaltschaft ging im Fall Barmat auch der Frage nach, ob der Konzern die hohen Kredite der Preußischen Staatsbank dazu benutzt habe, das Geld gegen überhöhte Zinsen weiterzuverleihen, um auf diese Weise Firmen unter seine Kontrolle zu bringen. War also eine Form von Zins- und Kreditwucher im Spiel? Das Thema tangierte gleichermaßen juristische wie politisch-soziale Fragen und ist auch deshalb von Interesse, weil Wucher seit jeher das zentrale Thema der antisemitischen Agitation gegen den »jüdischen Kapitalismus« war. Noch massiver als gegen Barmat wurde der Wuchervorwurf gegen den Unternehmer Jakob Michael (der in unserer weiteren Geschichte noch eine Rolle spielen wird) erhoben.

Wuchergeschäfte: Mehr als eine strafrechtliche Frage Ins Visier der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gerieten grundsätzliche Aspekte der Geschäftspolitik der Preußischen Staatsbank. Auffällig war, dass der Kreis ihrer Geschäftskunden stark eingeschränkt war: Im Wesentlichen waren das Barmat und die beiden anderen in den Skandal verwickelten Personen Iwan Kutisker und Jakob Michael, die tatsächlich außerordentlich privilegiert waren, sowohl was die Kreditfristen, die Deckungsvorschriften als auch die Höhe der Zinssätze betraf. Wie bereits erwähnt standen Mitte Mai 1924 die drei privaten Großkunden mit Krediten von etwa 35 Mio. Rentenmark in den Büchern der Preußischen Staatsbank; nur dem Michael-Konzern gelang es, die Kreditschulden zu reduzieren.73 Der Verdacht stand im Raum, dass es Barmat, Kutisker und Michael mithilfe der ihnen gewährten Kredite gelungen sei, die wirtschaft-

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liche Notlage der vom Kapitalmarkt abgeschnittenen Unternehmer auszunutzen und auf diese Weise Kontrolle über Industrie und Banken zu erlangen. Denn wenn die verliehenen Kredite nicht beglichen werden konnten, kam es vielfach zur Übertragung der Eigentumsrechte an die Kreditgeber. Solche Sachverhalte und Zusammenhänge waren Wasser auf die Mühlen antisemitischer Agitation und weitverbreiteter Ressentiments. In der Sprache des wirtschaftlichen Antijudaismus und Antisemitismus war die Rede von »jüdischem Wucher«, »Finanzjuden« und »Shylocks« fest etabliert.74 Seit der Liberalisierung der Finanzmärkte im 19. Jahrhundert waren immer wieder Forderungen erhoben worden, Höchstsätze für Zinsen festzusetzen, Kreditwucher zu bestrafen, ja, so die Forderung der Antisemiten, Juden von Kreditgeschäften ganz auszuschließen. Die Erfolge solcher Initiativen waren trotz neuer »Wuchergesetze« seit den 1880er Jahren beschränkt geblieben. Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 sah zwar die Bestrafung desjenigen vor, der »unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen« (BGB § 138, Abs. 2), aber die Handhabung blieb aus gutem Grund extrem restriktiv: Jeden einzelnen Fall von Wucher galt es zu prüfen. Einen großen, öffentlichkeitswirksamen Wucherprozess, der das Thema auch im Sinne der Antisemiten auf die Tagesordnung gesetzt hätte, gab es vor dem Krieg nicht.75 Kreditwucher stand während der Kriegs- und Inflationszeit nicht auf der Tagesordnung. Das änderte sich schlagartig mit der Währungsstabilisierung und der damit verbundenen drastischen Kreditrestriktion. Denn bis ins Frühjahr 1924 waren längerfristige Kredite auf Monats- oder gar Jahresfrist von den Banken nur schwer zu bekommen, und wenn, dann in der Regel nur zu extrem hohen (Tages-)Zinsen: Der Zinssatz für auf Tages- bzw. Monatsbasis geliehenes Geld belief sich 1924 in Berlin auf 28,2 und 25,1 Prozent; erst im folgenden Jahr fielen diese Sätze auf 9,9 bzw. 10,8 Prozent, was immer noch außerordentlich hoch war. Dabei handelte es sich um

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Jahresdurchschnittsbeträge. Im Einzelfall konnten die Sätze weit höher (aber auch niedriger) liegen, mit Spitzenwerten von bis zu 40 Prozent in den Monaten von November 1923 bis Mai 1924 (also der Zeit der Barmat-Kredite).76 Vor diesem Hintergrund sind die bis weit ins Jahr 1925 hinein zu hörenden Klagen von Industrie, Handel und Landwirtschaft über eine akute »Kreditnot« zu sehen. Für die etablierten Banken waren die Risiken des Kreditgeschäfts sehr hoch; sie zogen es deshalb vor, das Geld nicht auszuleihen – und es beispielsweise bei der Preußischen Staatsbank zu parken. Tatsächlich betätigten sich die Amexima und die Merkurbank in diesem Bereich der Kreditgeschäfte und legten damit den Grundstein für den Barmat-Konzern. Zu den Kunden zählten nicht nur Industriebetriebe, sondern auch Banken, in einem Fall auch die Dresdner Bank. Die Staatsanwaltschaft sah später in diesen Geschäften insofern ein Betrugsvergehen, da die in die Millionen gehenden Geldbeträge von der Preußischen Staatsbank unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, nämlich zur Finanzierung von Lebensmittelgeschäften und dann zum Ausbau der Unternehmen, vergeben worden seien, und das zu außerordentlich niedrigen Zinsen. Während die Amexima 15 bis 20 Prozent Zinsen zahlte, erzielte sie selbst bis zu 126 Prozent pro Jahr und verlangte von den Unternehmen weit höhere Sicherheitsleistungen in Form von Aktien, Hypotheken etc. als die Preußische Staatsbank von der Amexima. Mit den Sicherheitsleistungen der erworbenen Firmen gelangte die Amexima an weitere Kredite, und vielfach gingen zahlungsunfähige Firmen in den Besitz des Konzerns über.77 Die Preußische Staatsbank war über diese Vorgänge nicht nur informiert, sondern verfolgte offenbar ein klares Ziel. Im Geschäftsbericht über das Jahr 1924 war noch zu lesen, wie schwierig das Geldverleihgeschäft war, da die Geschäftsbanken ihre Kredittätigkeit im Winter 1923/24 stark beschränkten: Gerade aus diesem Grund wollte man »durch umfangreiche unmittelbare Kreditbewilligung an Industrie- und Handelskreise der Not leidenden Wirtschaft, die von anderer Seite keine ausreichende Kreditbefriedigung erlangen konnten, nach besten Kräften […] helfen und auf eine Ermäßigung der Zinssätze durch Gewährung billiger Kredite hin […]

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wirken«.78 In anderen Worten: Die umstrittenen, aber als solide geltenden Großkunden sollten in das risikoreiche Geschäft einsteigen. Das Kalkül der Preußischen Staatsbank schien zunächst auch aufzugehen. Erst im Mai, als die Reichsbank massiven Druck ausübte, die Kreditvergabe an die Not leidende Landwirtschaft direkt zu fördern, kam es zu dem Beschluss, den Geschäftsverkehr mit Barmat, Kutisker und Michael einzuschränken.79 Dieser wichtige Aspekt der Geschichte des Barmat-Konzerns illustriert einmal mehr die desaströsen Folgen der eingeschlagenen Unternehmensstrategie. Das große Geschäft waren solche Kreditvergaben allenfalls kurzfristig, da die zahlungsunfähigen Firmen wie ein Klotz am Bein der Amexima hingen.80 Ein Vertreter der großen Disconto-Gesellschaft meinte, dass sie sich nicht einmal gegen zehnfache Deckung in Kreditgeschäfte wie die der Preußischen Staatsbank und der Barmats begeben hätten.81

»Konzern-Genie« und Deflationsgewinnler Während Julius Barmat (wie im Übrigen auch Iwan Kutisker) mit solchen Geschäftspraktiken, die im verbreiteten Sprachgebrauch als Wucher galten, scheiterte, gab es mit dem Unternehmer Jakob Michael einen Profiteur, der die Stabilisierungskrise gestärkt überwand. Auch gegen ihn ermittelte 1925 die Staatsanwaltschaft nicht nur wegen des Verdachts auf Betrug, sonder auch wegen Leistungs-, Provisions- und Preiswucher.82 Damaligen Zeitgenossen war Jakob Michael kein Unbekannter, während er in der neueren Forschungsliteratur oft übergangen wird – und das, obwohl er im Gegensatz zu Julius Barmat in der deutschen Wirtschaft keine marginale Rolle spielte. Der Unternehmer, der sich kaum öffentlich äußerte und sehr diskret agierte, hatte den Ruf, einer der »größte[n] Deflationsgewinnler in Deutschland« zu sein. Das verhalf ihm damals zu einiger Prominenz, da der 1890 in Frankfurt geborene Michael offenbar tatsächlich ein Organisations- und Finanzgenie war.83 Mit der Gewinnung und Vermarktung von Wolframschlacke, die im Erzgebirge als Restbestand früherer Verhüttung vorhanden war, erschloss er im Krieg eine akute Marktlücke und schuf die Grundlage seines späteren Konzerns.

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Wolframschlacke war kriegswichtig, denn daraus wurde die für die Härtung von Stahl notwendige Wolframsäure gewonnen. Michael verschaffte sich in diesem Wirtschaftszweig eine Monopolstellung. Die Staatsanwaltschaft interessierte sich später auch in seinem Fall bezeichnenderweise für seine Geschäfte während des Krieges, namentlich die Preisgestaltung und die zeitweise Übernahme des Betriebs durch Kriegsamtsstellen (wofür Michael Entschädigungszahlungen einforderte), aber auch für triviale Dinge wie die Verletzung der Sonntagsarbeit (in der Annahme, dass diese von einem jüdischen Unternehmer veranlasst worden sei). Der andere Zweig des Unternehmens war der Handel mit Chemikalien und pharmazeutischen Produkten. Die 1916 gegründete Firma J. Michael und Co. verwaltete bald eine Reihe von deutschen und ausländischen Firmen. Michael erwies sich als ein großer Meister der Inflationsfinanzierung. Er war ein gut eingeführter Geschäftskunde bei der Preußischen Staatsbank, bei der seine Firma in der zweiten Jahreshälfte 1923 mit Krediten in der Höhe von 20 Trillionen Papiermark in den Büchern stand.84 1924 zählte Michael zu den reichsten Männern Deutschlands. Während andere Firmen infolge der Stabilisierungskrise ins Schleudern kamen, florierte Michael. Wie machte er das? In der Berliner Wirtschaftspresse war man der Meinung, dass sein Erfolg darin bestanden habe, dass er nicht nur an die erfolgreiche Währungsstabilisierung geglaubt, sondern es auch wie wenige andere verstanden habe, sich auf die radikal veränderte wirtschaftliche Situation einzustellen. Konkret heißt das, dass er in der allerletzten Phase der Hyperinflation und im Übergang zur Währungsstabilisierung gegen den Herdentrieb der Spekulanten systematisch (infolge der Inflationspanik überbewertete) Aktien und Konzernteile, also »Sachwerte«, verkauft haben soll. Dazu nahm er – gegen jede Intuition, wie es scheinen mochte – schier astronomische Papiermarkbeträge an, was zur Folge hatte, dass er nach der Währungsstabilisierung und der Festsetzung des neuen fixen Kurses von Rentenmark und Papiermark außerordentlich liquide war.85 Das hieß aber auch: Wäre die Währungsstabilisierung gescheitert, hätte das für ihn fatale Folgen gehabt.

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Was an dieser Erfolgsgeschichte einer genialen Spekulation Legende und was Tatsache ist, lässt sich kaum mehr sagen. Sie war auf jeden Fall Stadtgespräch. Der Michael-Konzern transformierte sich zur gleichen Zeit in Richtung einer Holding-Gesellschaft, die sehr umfangreiche Kredite aufnahm und vergab und ähnlich wie Barmat, aber in größerem Umfang, Anteile von Versicherungen und Industrieunternehmungen übernahm. Im November 1923 war er in der Lage, dem Reichseisenbahnamt und auch der Reichspost Millionenkredite u. a. in Form von Dollarschatzanweisungen zu verschaffen; für seine zunächst klammen öffentlichen Schuldner war attraktiv, dass sie die aufgenommenen Kredite mit Papiermark bedienen konnten. Die Berliner Staatsanwaltschaft sah die Dinge jedoch grundsätzlich anders. Der gegen die liberale Berliner Wirtschaftspresse erhobene Generalverdacht lautete, dass deren Berichte über Michaels clevere »Flucht aus den Sachwerten« im »Interesse der Verschleierung« der Zusammenhänge gezielt lanciert worden seien.86 Nicht dessen Flucht aus den Sachwerten, sondern der Rückgriff auf seine ausländischen Finanzressourcen, dann aber ganz entschieden die Kredite der Preußischen Staatsbank und später auch die der Reichspost (und zwar in einem ähnlichen Verfahren, wie wir es im Falle Barmats sahen) hätten es Michael für kurze Zeit ermöglicht, als größter Kreditgeber Deutschlands aufzutreten und damit wertvolle Teile der deutschen Wirtschaft unter Kontrolle zu bringen. Kredite, für die ihm meist nicht mehr als 2,5 Prozent pro Tag [sic!] berechnet wurden, habe er für einen vielfach höheren Satz weiterverliehen. Genau hierin lag der Vorwurf des »(Zins-)Wuchers« begründet, der ganz prominent gegen ihn, wie aber auch gegen Barmat, erhoben wurde. Demnach habe sein Konzern prosperiert, da er dank dieser hohen Zinsgewinne nun geschickt in Banken und Versicherungen, aber auch ins Textilgeschäft investierte, dabei strategische Aktienanteile erwarb und ins Immobiliengeschäft einstieg, wofür er Kredite bei den von ihm mitkontrollierten großen Banken und Versicherungen erhielt. Das Urteil des amerikanischen Time Magazine, dass er in Banken- und Unternehmerkreisen ein »man feared, hated, despised« sei, war offenbar so falsch nicht.87

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Die Staatsanwaltschaft sammelte emsig Zeugenberichte, die in einer ganzen Reihe von Fällen, die auch Großbanken betrafen, den Vorwurf des Wuchers erhärten sollten. Danach war Michael »damals der teuerste Geldgeber«, ja mehr noch, er habe »in der Hauptsache die hohen Zinssätze jener Zeit verschuldet […]. Wer in Geschäftsbeziehungen zu Michael getreten war, konnte schwer von ihm loskommen.« Zeugen wurden zitiert, wonach Michael bei der Rückzahlung der Kredite die Herausgabe der als Sicherheit geleisteten Effekten verzögert habe, sodass sie dem Geldsuchenden für neue, eventuell billigere Kredite bei anderen Stellen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestanden hätten und der Schuldner dann gezwungen gewesen sei, erneut Darlehen bei ihm aufzunehmen und die von ihm diktierten hohen Zinssätze annehmen musste.88 In solchen Beschuldigungen kommt nicht nur der klassische Wuchervorwurf zum Vorschein. Alles deutet darauf hin, dass die Berliner Staatsanwaltschaft einen großen »Wucherprozess« plante. Zu einer Anklage kam es aber nicht. Im Sommer 1924 war Michael zwar der bei Weitem größte Schuldner der Preußischen Staatsbank. Aber im Gegensatz zu Barmat und Kutisker gelang es ihm noch 1924, seine dortigen Schulden (ebenso wie bei der Reichspost) zu reduzieren, und schon im April 1925 zahlte sein Konzern die letzte Rate von 10 Mio. GM zurück.89 Damit bot er wenig Angriffsfläche. Außerdem war es fraglich, ob es sich bei den geforderten Zinsen in der chaotischen wirtschaftlichen Übergangssituation tatsächlich um »Wucher« handelte. Das war in der öffentlichen Debatte ebenso umstritten wie zwischen Juristen, die auf die Gesetze pochten, und Ökonomen, die auf die Folgen für die Wirtschaft verwiesen.90 Sehr zum Leidwesen der Staatsanwaltschaft wurde der Fall Michael dann auch mangels ausreichender Beweise und mit Blick auf die rechtliche Dimension des Falles ganz eingestellt.91 Rückblickend aus dem Jahr 1933 betonte der vormals mit dem Fall betraute frühere Erste Staatsanwalt, dass es das Ziel gewesen sei, die »Vermögenswerte des Michael« als Entschädigung für den von ihm angerichteten Schaden zu beschlagnahmen; die Einstellung des Falls sei auf »höhere Einwirkung«, sprich politische Stellen, hin erfolgt.

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Aber das war im Mai 1933, zu einem Zeitpunkt, als der staatliche Zugriff auf das Vermögen Jakob Michaels längst begonnen hatte, worauf noch ausführlicher zurückzukommen sein wird.92

»Luftgeschäfte«: Der Fall des Waffenhändlers Iwan Kutisker Wie der zur Reorganisation des Barmat-Konzerns eingestellte Gerhard Lewy konstatierte, war für Barmat die Tatsache fatal, dass die Zeitungen seinen »Konzern stets mit Kutisker zusammenwarfen«, handelte es sich doch bei Kutisker »wirklich um einen Schwindler [, dessen] Unternehmungen auf Nichts basieren«.93 Tatsächlich verwechselten schon die Zeitgenossen die drei Fälle, und das, obwohl die Sachlage nicht unterschiedlicher hätte sein können. Dies hatte mit den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, der Involvierung der Preußischen Staatsbank und konkreten, wenn auch komplizierten und höchst merkwürdigen Verbindungen der beiden Fälle Michael und Kutisker zu tun. Nicht minder bedeutsam waren die für die Medien (wie dann auch für viele Schriftsteller) interessanten Skurrilitäten und Absurditäten des Wirtschaftsvergehens Kutiskers, seiner »Luftgeschäfte«, mit denen dann wiederum Barmats Geschäfte in Verbindung gebracht wurden. »Luftgeschäfte« bezeichnen das Handeln mit Gegenständen und Finanzprodukten, denen kein »realer« Wert zugrunde lag (wie etwa den Roth-Obligationen), daher auch die Rede von »Wolkenschiebereien«, wie die Karikatur des Kladderadatsch insinuiert (siehe Abb. 4, S. 122): »Luftmenschen«, eine antisemitisch konnotierte Metapher für Juden, ließen sich dafür verantwortlich machen.94

Unternehmer und Betrüger Der litauische Staatsbürger Iwan Kutisker war kein armer Mann, als er sich 1919 mit seiner Frau und seinen damals 17 und 14 Jahre alten Söhnen Alexander und Max auf der Flucht vor den Bolschewiki in Berlin niederließ. Aber auch er und seine Familie besaßen keine offiziellen Einreisepapiere und waren zunächst polizeilich nicht ge-

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Abb. 4 Der Barmat-Konzern mit der Kuppel der Synagoge in der Oranienburger Straße CC-BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch, 78.1925, Seite 121

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meldet. Die Anonymität der Großstadt bot Schutz, auch wenn die Berliner Gemeindebehörden auf Kutisker aufmerksam wurden, weil er eine große Sechszimmerwohnung anmietete, ohne den dafür notwendigen Berechtigungsschein des städtischen Wohnungsamtes zu besitzen. Diese scheinbar nebensächliche Geschichte war 1925 ebenfalls Gegenstand des Barmat-Skandals, da sie sich mit den persönlichen Beziehungen Barmats zum Polizeipräsidenten Eugen Richter, der auch für Aufenthaltsgenehmigungen zuständig war, verknüpfen ließ und – recht absurden – Bestechungsvorwürfen Auftrieb gab. Dass es in den Wohnungsämtern viele Fälle von »Schiebungen« gab, war kein Geheimnis.95 Zu Kutiskers früherem Leben liegen nur spärliche Informationen vor. Im ersten Urteil des Gerichts vom Juni 1926 heißt es leicht abschätzig, dass er den »Klein- und Zwischenhandel und zuletzt die Fabrikation von Öl und Fässern« betrieben habe. Im sehr viel längeren, von Kutisker angestrebten Revisionsurteil aus dem folgenden Jahr (Kutisker starb kurz vor dessen Verkündung) war dagegen schon positiver von einem »Kaufmann« die Rede.96 Kutisker hatte zu den wohlhabenden Bürgern der lettischen Stadt Libau (Liepaja) gehört. Er soll das erste Automobil der Stadt besessen haben, und sein Faible für schwere Fahrzeuge schien zu seinem Image als »Kriegsgewinnler« zu passen. Lukrative Aufträge für die russische Armee, die er in Sankt Petersburg abwickelte, ließen ihn wirtschaftlich prosperieren. Nach der russischen Oktoberrevolution schlug er sich nach seiner Rückkehr nach Libau auf die Seite der deutschen Okkupationsmacht und betätigte sich als Waffenhändler. Ein gewagtes Geschäft war der kommerzielle Erwerb des riesigen Pionierparks der 8. Armee, der nach Ausbruch der Revolution in Deutschland und der Räumung des bis dahin besetzten Gebiets nicht nach Deutschland zurückgeführt werden konnte. Es kam nicht zum erhofften großen Geschäft, da zunächst die Bolschewiki, dann die litauische Staatsregierung die Gerätschaften konfiszierten, sodass Kutisker nur kleinere Teile kommerziell verwerten konnte. Die Kontakte nach Litauen brachen aber nicht ab, was auch darin zum Ausdruck kam, dass ihm offenbar die litauische Gesandtschaft im Gebäude ihrer Residenz in der Budapesterstraße eine Wohnung zur Verfügung stellte.97

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Dank seiner Kontakte zu Mitarbeitern deutscher Kriegsamtsstellen verfolgte Kutisker dieses risikoreiche Militärgeschäft nach seiner Übersiedlung nach Berlin weiter. Er bewegte sich in der Welt von mehr oder weniger dubiosen in- und ausländischen Händlern, die mit Waffen und altem Kriegsmaterial handelten. Alte Heeresbestände gab es in Europa im Überfluss und einen Markt dafür ebenfalls. Kutisker erwarb solche Heeresbestände, darunter große Posten von Militärstiefeln (aus den Beständen der sogenannten Altleder-Verwertungsstelle des Reiches), die er unter anderem nach Litauen exportierte.98 Anlässlich des Kaufs von 50000 Militärtornistern lernte er den – später ebenfalls angeklagten – früheren Bauunternehmer Gustav Blau kennen, der sich als Kriegslieferant von Segeltüchern und Lederwaren betätigt hatte und nach dem Krieg unter anderem mit Geräten der früheren amerikanischen Fernsprechabteilung in Koblenz handelte. Kutisker und Blau gründeten während der Inflationszeit die mit Heeresartikeln handelnde Blau G.m.b.H.99 Wie viele andere engagierte sich auch Kutisker im lukrativen Bankgeschäft. So erwarb er Ende 1921 die Aktienmehrheit des Bankhauses E. von Stein in Breslau, einer alteingesessenen Bank, die 1920 reorganisiert worden war, und zwar mit dem Ziel, für ein neu gegründetes, größeres Bankunternehmen das Depotrecht zu erlangen.100 Kutisker zahlte dafür 2,7 Mio. Papiermark, aber ein beträchtlicher Teil des Aktienpakets verblieb in den Händen des ursprünglichen Besitzers Dietrich von Stein. Der Sitz der Bank wurde von Breslau nach Berlin-Mitte in das Haus in der Jägerstraße, Ecke Friedrichstraße verlagert, das im Besitz der Firma Blau G.m.b.H. war. Die Geschäftsverbindungen der Steinbank beschränkten sich zunächst auf kommerzielle Bankinstitute, wie die bedeutende Disconto-Gesellschaft. Erst am 5. Oktober 1923 nahm sie Verbindungen zur Preußischen Staatsbank auf, wobei umstritten blieb, ob die Disconto-Gesellschaft den Geschäftsverkehr unterbrach, weil die Geschäfte Kutiskers nicht seriös waren.101 Da die Banken nach der Währungsstabilisierung den Kredithahn zudrehten, wurden für Iwan Kutisker die Geschäftskontakte zur Staatsbank umso wichtiger.

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Die allerletzte Phase der Inflationszeit, von Oktober bis November 1923, stand für Kutisker ganz unter dem Stern erfolgreicher Geschäfte, in der Diktion der Zeitgenossen: kruder Spekulationen. Das verkehrte sich nach der Währungsstabilisierung ins Gegenteil, weil er (ähnlich wie Barmat), typisch für die Inflationsmentalität, »Sachwerte« mit Krediten erwarb, ohne diese nun mit entwertetem Geld zurückbezahlen zu können; er selber sagte explizit, nicht an die Währungsstabilisierung geglaubt zu haben.102 In Verbindung mit anderen wirtschaftlichen Fehlentscheidungen, darunter der Kauf einer weiteren Bank (mit einem Wohnhaus und teuren Automobilen, die ihn mindestens ebenso interessierten) im Dezember 1924, trieb ihn das schnell in den Ruin. Einmal mehr spielte die Preußische Staatsbank eine unrühmliche Rolle, da sie Kutisker weitere Kredite gab und dafür sorgte, dass er sich mit seinen Gläubigern – darunter Jakob Michael, den er des »Wuchers« beschuldigte – einigen konnte.103 Bis Mitte Oktober 1924 liefen Kredite von über 14,2 Mio. RM auf.104 Alles deutet darauf hin, dass es sich um Betrugsfälle in Form von Wechselfälschungen handelte. Spektakulär war der Fall Kutisker aber aus einem anderen Grund. Denn diese für die Zeit nicht gerade sensationellen Betrügereien verblassten gegenüber den Geschäften rund um das sogenannte Hanauer Lager. In diesem Fall tummelten sich vermeintlich naive, auf jeden Fall aber gelackmeierte Beamte der Staatsbank, Militärs, Agenten und zwielichtige Geschäftemacher des In- und Auslands mit richtigen und falschen Namen, darunter auch ein offenbar bestochener rumänischer Handelsattaché. Wer wen betrügen wollte, ließ sich am Ende kaum mehr entwirren, was der Sache einen fast schon tragisch-komischen Charakter gab. Als Opfer stilisierte sich nicht zuletzt auch ein Mittäter und wichtiger, wenn auch unseriöser Gewährsmann für die Ereignisse, nämlich der Waffenhändler, Hochstapler und Betrüger Michael Holzmann, ein Russe, der dann auch Kutisker übel erpresste, was Ende 1924 den ganzen Skandal schließlich ins Rollen bringen sollte. Holzmann prägte ganz entscheidend das Bild Kutiskers als rücksichtsloser, geldgieriger, jüdischer Verbrecher, der jederzeit bereit war, über Leichen zu gehen.105

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Ein filmreifes Spekulationsgeschäft: Das Hanauer Lager Holzmann und Kutisker kamen im Zusammenhang mit der Finanzierung und der Vermarktung des Hanauer Lagers zusammen.106 Darin befanden sich nach dem Krieg die gesamten Gerätschaften und Materialien der ehemaligen Eisenbahntruppen der Westfront: Lokomotiven und Feldbahnwagen ebenso wie Spaten und andere Gerätschaften, die aber meist nur noch Schrottwert hatten. Zu deren Verwertung, aber mehr noch aus genuin spekulativen Gründen, wechselte das Lager mehrmals die Besitzer. Einen guten Teil der Kaufsumme finanzierte Kutiskers Steinbank, und zwar gegen Wechsel und Sicherheiten, die auf dem Materialwert des Lagers beruhten. Beides zusammen, Wechsel und Sicherheiten, reichte Kutisker bei der Preußischen Staatsbank ein und besorgte sich auf diese Weise die erforderlichen Kredite. Schon hier ging es nicht mit rechten Dingen zu, auch wenn einiges darauf hindeutet, dass Kutisker von seinem Kompagnon betrogen wurde. Die »Luftgeschäfte« rund um das Lager waren dann aber abenteuerlich. Im Kaufvertrag vom 7. März 1924 war der Wert des Lagers mit 300000 GM (in der Tat viel zu niedrig) angesetzt worden. Seltsam war nun aber, dass der Wert binnen weniger Monate auf wundersame Weise stieg. Das war darauf zurückzuführen, dass plötzlich ausländische Interessenten auftauchten oder ihr Auftauchen ankündigten oder einfach aus dem Hut gezaubert wurden. Die Staaten Litauen, Sowjetrussland und Rumänien, zwischendurch auch die Reichswehr, hätten Interesse, so hieß es auf jeden Fall. Mitte Februar erklärte Kutisker der Staatsbank, der litauische Staat sei bereit, mehr als 10 Mio. zu zahlen, was die Verlängerung seiner inzwischen auf 4,2 Mio. angestiegenen Schuld ermöglichte.107 Dabei wurde die Preußische Staatsbank an dem hoch spekulativen Geschäft – denn nur so kann man es bezeichnen – beteiligt: Überstieg der Erlös die Summe von 4,2 Mio., sollte die Bank die Hälfte der Verkaufssumme erhalten! Im März war die Rede von 12,5 Mio. RM, die Sowjetrussland bezahlen werde. Das war erstaunlich, denn noch Ende Mai bewertete das deutsche Militär den Wert des Lagers mit 1,67 Mio., später wurde der »militärische Wert« auf 3 Mio. GM erhöht; anlässlich einer Besprechung im Reichswehrministerium

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Ende Juni, an der auch der Vertreter der Staatsbank Rühe anwesend war, erklärte ein Major, er kenne das Lager genau (tatsächlich hatte er es zusammen mit anderen besichtigt), er »schätze den wirtschaftlichen Wert auf 12 bis 15, mindestens aber auf 10–12 Millionen Mark«.108 Das goss Öl in das Feuer von Spekulationen, die den Wert des Lagers in die Höhe trieben. Vor diesem Hintergrund erschienen die vermeintlichen Gebote von angeblich mehr als 10 Mio. seitens Litauen im Februar, 12,5 der Sowjets im März oder 9,6 Mio. Rumäniens im Juli nicht ganz aus der Luft gegriffen. Für die Staatsbank waren solche Zahlen Musik, denn sie schienen eine Gewähr dafür, dass die aufgelaufenen Schulden Kutiskers bei der Staatsbank besichert waren.109 Zwischen Betrügern und Betrogenen war zu diesem Zeitpunkt kaum mehr zu unterscheiden. Kutisker und Holzmann kooperierten bei den Täuschungsmanövern und bekriegten sich gleichzeitig. Kutisker gaukelte der Staatsbank den angeblich kurz bevorstehenden Eingang von Geldern vor. Eine windige Ausflucht reihte sich an die andere: Geschäfte mit der sowjetischen Handelsmission mit Flachs (wobei das Flachslager plötzlich abbrannte); ein reicher Vetter und Tabakhändler aus New York, der sich an seinem Geschäft beteiligen werde, der aber nie auftauchte (wobei die vorgelegten Dokumente über Zusagen nachweislich gefälscht waren).110 Und damit nicht genug. In Hanau tauchte eine fingierte rumänische »Abnahmekommission« unter Führung eines Handelsattachés auf, darunter auch der aus Paris angereiste Holzmann, und zwar unter dem Decknamen »Negri« (Pola Negri war eine bekannte Schauspielerin der Zeit).111 Dem im August nach Hanau entsandten Beamten der Staatsbank namens Dr. Habbena kam die Sache zwar recht dubios vor, aber die Mitglieder der Kommission versuchten ihn zu beschwichtigen: Die Berichte seien schon in Bukarest und die Auszahlung des Geldes auf der Grundlage eines zuvor in Hamburg geschlossenen Vertrags könne demnächst erfolgen.112 Die Staatsanwaltschaft argumentierte später, dass Kutisker den Betrug Holzmanns, der sich gegen ihn, Kutisker, richtete, selbst arrangiert habe, um aus einem früheren Vertrag mit den Rumänen herauszukommen.113 Das war die Version Holzmanns. Unter den

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vielen Erklärungen bot diese zumindest eine nachvollziehbare Variante an und hatte den Vorteil, ein »Master Mind«, ein schwarzes Schaf, einen Sündenbock zu identifizieren. Dieser Sündenbock war Kutisker, der am Schluss die von Michael erwirkten gerichtlichen Zahlungsverordnungen nicht mehr erfüllen konnte, sodass der »völlige Zusammenbruch der Steinbank und damit des sogenannten ›Kutisker-Konzerns‹« nicht mehr aufzuhalten war. Kutisker hatte Grund, sich als Opfer zu sehen. Denn die umfangreichen Ermittlungen der Berliner Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft zeigen recht eindeutig, dass Holzmann Kutisker und andere erpresste und dabei gemeinsame Sache mit Männern aus dem »Berliner Fremdenamt«, also der Stelle, bei der sich Ausländer zu melden hatten, machte.114 Folgt man den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Holzmann sowie Kutiskers eigener Darstellung, ging es Holzmann vor allem um eines: Geld. Kutisker wurde mit der Abschiebung aus Deutschland erpresst. Auf diese Spur kam auch ein Kriminaloberinspektor namens Grünberg von der Berliner Kriminalpolizei aufgrund von Informationen aus russischen »Vigilantenkreisen«. Aber er merkte schnell, dass er mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest stach.115 Grünbergs Beweise zählten schließlich wenig, da er sich selbst angreifbar machte. Zum einen wegen banaler Abrechnungsfehler bei Auslagen für ein gemietetes Auto; zum anderen hatte er die Hilfe einer Sekretärin Kutiskers in Anspruch genommen: »Dieses Vergehen ist nicht nur ungehörig, sondern wird auch jedenfalls zu einer strengen disziplinarischen Bestrafung des Kriminalinspektors Grüneberg [sic!] führen«, war aus dem Munde des Polizeipräsidenten Richter zu hören; noch 1924 wurde Grünberg aus dem Dienst entlassen. Wenige Monate später stand der Polizeipräsident wegen seiner Beziehungen zu Barmat selbst am Pranger – und wurde gedemütigt verabschiedet.

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Zwei Interpretationen des wirtschaftlichen Grenzgängertums Gemessen an den ausufernden Räuberpistolen-Episoden im Umfeld des Falles Kutisker war diejenige Julius Barmats vergleichsweise harmlos, fast schon banal. Fachleute sahen die Ursachen des wirtschaftlichen Scheiterns in strukturellen Momenten, nämlich im Übergang von der Inflation zur Währungsstabilisierung und damit verbundenen Fehlentscheidungen und -einschätzungen durch verschiedene Akteure. Darüber hinaus gab es Indizien für ein als deviant einzustufendes Verhalten, nämlich Bestechung, aber dieses Argument stand bei den Experten aus der Wirtschaft nicht im Vordergrund. Doch zirkulierte auch eine andere Sicht auf die Dinge: Tat sich hier nicht geradezu ein Abgrund von Betrug und Korruption auf, der im Falle Barmat zudem an dessen frühere Geschäftstätigkeit anknüpfte? Es handelt sich um zwei sehr unterschiedliche Erklärungen der Zusammenhänge, mit denen die (Ab)Wege der wirtschaftlichen Entwicklungen und der Grenzgänger des Kapitalismus der Kriegs- und Nachkriegszeit verhandelt wurden.

Bereinigung und Rückkehr zum »rationalen Kapitalismus« Mit der erfolgreichen Währungsstabilisierung gingen die früheren Inflations- und Deflationsblüten unter. Dahinter vermag man wirtschaftliche Selbstregulierungen, auch im Sinne von Systemlogiken von Marktrationalität, erkennen; anders formuliert: Die Kräfte des »rationalen Kapitalismus« (Weber) setzten sich seit der Währungsstabilisierung sukzessive durch. An die heilsamen Wirkungen der Marktkräfte, die letztlich das wirtschaftliche Handeln bestimmten, glaubte auf jeden Fall auch der Wirtschaftsgutachter und Jurist Berthold Manasse, der als Geschäftsführer einer eingerichteten Treuhandgesellschaft die Abwicklung des Barmat-Konzerns übernahm. Manasse diagnostizierte dessen Scheitern in jeder Hinsicht nüchtern. Die Brüder Barmat hätten sich »ohne Vorkenntnisse und ohne Eignung auf Gebieten betätigt, auf welchen sie versagen mussten«: Sie hätten Firmen und Beteiligungen ohne sachgemäße Prüfung der Bilanzen gekauft. Fast alle Unternehmungen erforderten

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Zuschüsse und Investitionen, erzielten aber keine Rendite. Die eigenen Mittel hätten »im krassen Gegensatz« zu den aufgenommenen Mitteln gestanden. Mehr als alles andere war nach Manasse die »Ursache des Zusammenbruchs in der grundlegend falschen Anhäufung nicht zueinander gehörender Unternehmungen in einem Haus zu suchen, für deren Bewirtschaftung nicht nur keine eigenen Erfahrungen, sondern auch nicht die geeigneten Hilfskräfte zur Verfügung standen«. Diese Diagnose war in der wetterwendischen liberalen Berliner Wirtschaftspresse schnell Konsens. Die Stabilisierungskrise hatte »eine Anzahl von Inflationskonzernen aufs Trockene gesetzt«, so ein anderer Autor, »und die Barmats besaßen weder genügend Geld oder Kredit, um sie zunächst wieder flott zu machen. Aber sie besaßen absolut nicht genügend Geld, um sie auf die Dauer zu finanzieren«.116 Was wenige Monate zuvor noch als »Weitblick« gelobt worden war, nämlich dass Julius Barmat »im Gegensatz zu fast allen anderen Konzernschöpfern« seinen Konzern nicht in den Tagen der Hochkonjunktur, sondern in denen der Depression und der Krise aufgebaut und auf diese Weise »eine Reihe der wertvollsten Unternehmungen zu äußerst vorteilhaften Preisen an sich gebracht« hatte, entpuppte sich als krasse Fehleinschätzung.117 Aber wen kümmerte das Geschwätz von gestern? Zugleich war es kein Geheimnis, dass die Preußische Staatsbank gravierende Mitschuld an der ganzen Misere trug: »Bankiers und Großbanken« verkauften nur zu gern ihre Aktienpakete, ohne aber selbst Kredite für solche gewagten Geschäfte zur Verfügung zu stellen, so Manasse. Das übernahmen die »öffentlichen Behörden«; bei diesen seien aber »sämtliche Voraussetzungen außer Acht geblieben, welche im Bankgewerbe üblicherweise für Kreditgesuche vorhanden sein müssen«. Man könne diese »›Konzern‹-Bildung nicht als beabsichtigten betrügerischen Aufbau bezeichnen«. Denn vom rein wirtschaftlichen Standpunkt aus, so seine Konklusion, könne man nicht erkennen, »worauf man den Vorwurf des Betrugs stützen wolle, solange Dummheit und Unfähigkeit nicht unter Strafe gestellt sei«.118 Dieses Urteil des Wirtschaftssachverständigen lief – noch in der heißen Phase des Skandals – auf eine Art »Norma-

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lisierung« der Geschäftstätigkeiten Barmats hinaus; vor allem ließ sie die vielen Mitbeteiligten weitgehend außer Acht. Solche eher pragmatischen Einschätzungen, die auf die Wirren der wirtschaftlichen Zeitumstände und ihre zerstörenden Wirkungen abhoben, waren weit verbreitet. Konsens war, dass mit der Währungsstabilisierung Kriegs- und Inflationsgewinnler und ihre aufgeblähten und unsoliden Firmen aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen wurden. Anders formuliert: Grenzgänger des politischen Kapitalismus machten dem vermeintlich rationalen Kapitalismus Platz. Viel Aufsehen erregte die Zahlungsunfähigkeit des Stinnes-Konzerns im Frühjahr 1925.119 Auch der 1924 verstorbene Hugo Stinnes, der den einen als genialer Konzernorganisator, den anderen als ein »König der Inflation«, unter diesen Königen gar als »Kaiser« galt,120 hatte in der Stabilisierungsperiode seinen Konzern ebenfalls weiter auszubauen versucht. Seiner Familie hinterließ er einen Trümmerhaufen. Für viele seiner Bewunderer war das ein Schock. In populären Debatten, speziell solchen der Linken, war Stinnes zwar ein übler Inflationsgewinnler (der in Karikaturen vielfach mit jüdischen Konturen gezeichnet wurde); anderen galt er dagegen als ein Vorbild eines nicht jüdischen Kapitalismus. Im Gegensatz zum Barmat- wurde der große Stinnes-Konzern für die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands als systemrelevant (um einen modernen Begriff zu benutzen) eingestuft. In einer konzertierten Rettungsaktion restrukturierten Großbanken und die Reichsbank das Unternehmen. Konzernteile wurden stillgelegt oder verkauft, aber der Kern konnte gerettet werden.121 1923/24 wurden Tausende von Firmen zahlungsunfähig. Die Währungsstabilisierung als »Reinigungskrise« versprach einen Schlussstrich unter die verkehrte Welt der Nachkriegszeit und einen Neuanfang. Mit der Zahlungsunfähigkeit des Barmat-Konzerns war die Liquidations- und Treuhandgesellschaft m.b.H. in Berlin eingerichtet worden, deren Aufgabe die Verwertung der Vermögensbestände des Barmat-Konzerns war. Mitglieder des Aufsichtsrats waren bekannte Staats- und Reichsbeamte, darunter der neue Präsident der Preußischen Staatsbank Franz Schröder, der Reichstagsabgeordnete und Autor des Buches Das Finanzkapital (1910) Rudolf

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Hilferding sowie der Leiter des Reichskolonialamtes und Reichsminister für Finanzen a. D. Bernhard Dernburg. Diese Treuhandgesellschaft wurde offenbar mehr oder weniger einvernehmlich mit Julius Barmat, seiner Frau Rosa und seinen Brüdern sowie dem Wirtschaftsgutachter und Juristen Berthold Manasse, dem Vorstand dieser Gesellschaft, per Notariatsvertrag gegründet. Mit ihrer Gründung verpflichteten sich die Barmats, auch ihr gesamtes Vermögen, das sie in- und außerhalb Deutschlands besaßen, der Treuhand zu übertragen. Davon ausgenommen waren Wäsche, Kleider und Wohnungseinrichtungen, die aber offenbar vom Finanzamt gepfändet waren. Das in Deutschland nachgewiesene Vermögen der Barmats betrug nach einem Vorbericht der Bücherrevision Ende 1924 höchstens 400000 RM. Die Ermittlungen ergaben, dass das holländische Vermögen Julius Barmats Ende 1923 etwa 2,2 Mio. Gulden, gleich etwa 3,8 GM betrug. Er war aber nicht liquide und zweifellos durch den Kursverfall der Aktien schnell entwertet. Wie viel davon in die Hand der Treuhand gelangte und nicht an den Fiskus fiel, ist nicht bekannt. Von der Übertragung in die Treuhand ausgenommen war das Vermögen der Amexima Hamburg, in deren Händen der Lebensmittelhandel lag und deren Wert sich 1926 auf etwa 200000 RM belaufen haben soll. Wie im Treuhandgesellschaftsvertrag zu lesen war, sollte damit den Barmats die Gründung einer neuen Existenz ermöglicht werden.122 Der Barmat-Konzern befand sich nun in der Hand von Sachverständigen. Julius Barmat war nur noch ein Beobachter, der zusehen musste, wie sein Konzern zerlegt wurde. Infolge seiner Inhaftierung war er vom Informationsfluss weitgehend abgeschnitten. 1925 begann der Verkauf von Konzernteilen; Teile davon waren für Käufer durchaus ein »Schnäppchen« und warfen schon wieder Gewinne ab.123 Eine hoch umstrittene Frage war, ob und welche Schulden von Rückversicherern gedeckt waren. Die dem Barmat-Konzern zugehörige Allgemeine Garantiebank Versicherungs-AG. hatte dafür selbstschuldnerische, teils Ausfallsbürgschaften übernommen, die sie wiederum an die Liquidationsgesellschaft abtrat. Die Rückversicherer bestritten massiv die Forderungen, die sie zuvor übernommen hatten, und ließen Barmat wie eine heiße Kartoffel fallen.

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Nach dem Zusammenbruch erkannten die 17 Gesellschaften, die mit Summen von einer Dreiviertel Million bis über 6,5 Mio. RM involviert waren, »dass sie Risiken in einem so hohen Maße übernommen hätten, dass sie denselben in keiner Weise gewachsen wären«. Der Vergleich ging zugunsten der Rückversicherer aus, schon um deren Fortbestehen zu ermöglichen.124 Der Schaden des Zusammenbruchs des Barmat-Konzerns war beträchtlich, aber in den meisten Fällen schnell abgeschrieben. Die verschiedenen Teile des Konzerns standen insgesamt mit etwa 36 Mio. Gold- bzw. Reichsmark von der Preußischen Staatsbank, der Reichspost, der Oldenburgischen Staatsbank, der Brandenburgischen Girozentrale und der Brandenburgischen Stadtschaft in den Büchern. Nach dem Schiedsspruch zugunsten der Rückversicherer 1926 sollen mehr als etwa 30 Mio. RM ungedeckter Forderungen übrig geblieben sein, die nicht durch den Verkauf von Konzernteilen hereingeholt werden konnten. An dieser Summe war die Preußische Staatsbank mit 11,5 Mio. RM beteiligt, wovon am Ende ein Verlust von insgesamt 8,4 Mio. RM übrig blieb, der aus dem Reingewinn der Preußischen Staatsbank im Jahr 1925 und 1926 abgedeckt wurde.125 Ähnliches gelang in der Oldenburgischen Staatsbank nicht, wo die angehäuften Verbindlichkeiten auch weiterhin drückten und ein anhaltendes politisches wie fiskalisches Thema blieben.126

Ein Abgrund von Täuschung und Korruption Die Einschätzung, dass strukturelle Rahmenbedingungen und damit verbundene individuelle Fehlentscheidungen Ursachen für die desaströsen Geschäfte waren, kontrastierten mit solchen Erklärungen, welche die negativen Effekte mit konkreten Person wie den Barmats und mit korrupten Politikern in Verbindung brachten und darin negative Auswüchse des Kapitalismus sahen. Das ist die immer wiederkehrende politische Konfliktlogik. Persönliche Schuldzuschreibungen sind eingängiger als auf Strukturen abhebende Erklärungen, und juristisch liegen die Dinge noch komplizierter. Die Justiz steht immer vor der Herausforderung, Gesetzesverstöße Einzelner zu bestimmen und konkrete Tatbestände nicht nur zu benennen, sondern auch zu belegen, also

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Handlungsmotive und Tathergänge zu identifizieren, die auf konkreten juristischen Tatbeständen wie Betrug, Wucher, aktive und passive Bestechung oder Konkursverschleppung beruhen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Julius Barmat vielfach mit Blendung und Täuschung arbeitete, was im Gegensatz zu Akten der Bestechung aber nicht strafbar ist. Wie das Zitat Thomas Manns zu Beginn dieses Kapitels illustrierte, lautet die diffizile Frage eher, inwiefern sich Barmat von den vielen anderen »Weinschenks«, darunter insbesondere solchen im Bereich des Handels und des Börsenverkehrs, unterschied. Barmat war ein besonderer Fall. Anders als Kutisker oder der verschwiegene Michael warb er mit seinen politischen Beziehungen. Dazu zählten die vielen Empfehlungsschreiben, die er geradezu sammelte, gezielt einzusetzen versuchte und mit denen er SPD-Politiker, aber auch Beamte der Staatsbank immer wieder in Verlegenheit brachte. Solche Empfehlungsschreiben, auch von Politikern, waren durchaus üblich. Ernst Heilmann (SPD) meinte unter »großer Heiterkeit« der Parlamentarier, würden diese Schreiben als Kriterium für Korruption gewertet werden, sei seiner Meinung nach das ganze Parlament »von oben bis unten« korrupt. Manche Zeugen sagten später aus, dass ihnen solche Referenzen egal waren, ja dass sie sie eher misstrauisch stimmten. Andere ließen sich davon blenden.127 Alles deutet aber darauf hin, dass Barmat seine politischen Kontakte gezielt ausspielte, im Gegensatz zu anderen Kaufleuten, die das vielleicht schon deshalb nicht nötig hatten, weil ihre soziale Reputation gefestigt war. Viele betrachteten dieses Vorgehen als spezifisch berlinerisch, galt Berlin doch, im Gegensatz zur Kaufmannsstadt Hamburg, als Hauptstadt der Aufsteiger, die diese, darunter solche jüdischer Konfession, sehr wohl auch diskriminierte. Mit Blick auf das gelegentlich fast schon als naiv zu bezeichnende Vertrauen in den reichen Barmat kann man aber auch die Frage stellen, welche Rolle ausgerechnet das »Vertrauen in Ostjuden« spielte. Diese Frage erscheint angesichts der oft diagnostizierten Ressentiments, die diesen Personen gerade wegen ihrer Konfession entgegenschlugen, auf den ersten Blick merkwürdig, ja geradezu kontraintuitiv. Aber fast alle der bisher genannten

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Akteure – Barmat, Kutisker, Holzmann, Sklarz und Helphand, und die Liste ließe sich erweitern – hatten, wie ein Mann aus der Bankpraxis meinte, »Deutschland gegen Rußland manchen Dienst erwiesen« und waren »für die Militärverwaltung Ob.-Ost und die deutsche Zivilverwaltung in Polen unentbehrliche Helfershelfer«.128 Auch Barmat eilte der Ruf voraus, im Krieg auf der Seite Deutschlands gestanden zu haben. Es verwundert nicht, dass dieses eher sensible Thema, das Fragen der militärischen Geheimdienststrategien aufwerfen musste, in den öffentlichen wie den parlamentarischen Debatten kaum angesprochen wurde. Aber Barmat vermochte mit solchen Geschichten und seinen vielfältigen Beziehungen manchen zu bluffen. Der folgende Bericht eines in den Niederlanden lebenden Deutschen von der Geschäftsreise seines Bruders gibt einen recht guten, wenn auch drastischen Eindruck des Barmat’schen Geschäftsgebarens. Auf dem Weg nach Memel machte der Reisende 1919 in Berlin einen Zwischenstopp und wurde Julius Barmat vorgestellt, der, wenn die Schilderung stimmt (wofür einiges spricht), ein großes Geschäftstheater inszenierte: »Mein Bruder erzählte, dass Herr Barmat auf ihn einen sehr vornehmen Eindruck machte und dass er bei seinem Besuch im Central Hotel in Berlin von Herrn Barmat den Eindruck gewonnen habe, es mit einer Persönlichkeit zu tun zu haben. Da in der halben Stunde, in der er dort war, Herr Barmat mit verschiedenen deutschen Ministern telefonierte und ein Paket an den Reichstagspräsidenten [sic!] Ebert expedieren liess [sic!], während der [sic!] er sich im Nebenzimmer mit anderen Persönlichkeiten der deutschen Regierung unterhielt«, habe sein Bruder den Eindruck gewonnen, »dass er mit einem sehr einflussreichen Mann zu tun habe, der in enger Beziehung zur deutschen Regierung steht«. Als der niederländische Geschäftsmann dann selber in Berlin war, sah er sich in diesem Urteil seines Bruders bestätigt, zumal sich die Szenen wiederholten. Trotz der verhaltenen Warnung eines Bankbeamten der Commerz- und Diskontobank kaufte er nicht nur 300 Zentner Blättertabak und mehrere Waggonladungen Zigaretten, die in Memel angeliefert werden sollten, sondern ließ sich offenbar auch eine große Menge Tee aufschwatzen, die er, ebenso wenig wie die Ziga-

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retten, vorher in Proben in Augenschein genommen hatte, und zwar auch deshalb, weil er nichts vom Teegeschäft verstand. Nicht nur das: Barmat habe ihn bei der komplizierten Valutaberechnung und Preisstellung geprellt. Der überforderte Kaufmann, der einigermaßen blauäugig Millionenverträge abgeschlossen hatte, will nun plötzlich gemerkt haben, dass er »einem ganz gefährlichem Menschen in die Hände gefallen war«.129 Wer von den beiden der geschicktere Kaufmann war, steht außer Frage. Kleider machen Leute. Das Gleiche gilt für den Habitus des weltmännischen Auftretens des reichen Kaufmanns, der fremde Sprachen beherrschte und zwischen Amsterdam und Berlin pendelte. Das beeindruckte, wie die betreffenden Personen zu ihrer Verteidigung regelmäßig betonten. Nicht nur Beamte der Preußischen Staatsbank waren demnach »leichtgläubig[e] und damit auch leicht zu täuschend[e]« Männer, die sich vom Reichtum beindrucken ließen, wie man in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft lesen kann.130 Der promovierte Bankbeamte der Staatsbank Hellwig war davon ausgegangen, dass das Amsterdamer Mutterhaus für eine Schuld von 10 Mio. Goldmark »unbedingt sicher« war. Doch das waren Fantasiezahlen. Barmat hatte es vermieden, Angaben über den Wert seiner Konzernunternehmen zu machen – aber die Beamten hatten auch nie danach gefragt.131 In ähnlicher Weise folgte das Gericht später der Version der Verteidigung der Direktoren Alfred Staub und Julius Rabbinowitz des Roth-Konzerns, denen aber zugute gehalten wurde, dass sie bestrebt waren, »durch ernste Arbeit einen großen Industriekonzern aufzubauen« (und zwar ohne Betrugsabsichten im Zusammenhang mit der Roth-Anleihe, wie die Staatsanwaltschaft meinte). Die Behauptung der beiden Unternehmer erschien plausibel, nämlich »daß sie in dem Glauben an unerschöpfliche Mittel Julius Barmats […] und im Vertrauen auf die unversiegbaren Geldquellen sich zu den kostspieligen Erweiterungen ihres Konzerns bereitgefunden und jedenfalls bei der Auflegung der Obligationsanleihe noch an eine aussichtsreiche Zukunft ihrer Unternehmen geglaubt haben«.132 Ähnliche Rechtfertigungsstrategien findet man bei dem Zentrumsabgeordneten Hermann LangeHegermann, bei den in Berlin allseits bekannten Direktoren der

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Merkurbank, bei den Honoratioren in der Altenburger Sparbank und den SPD-Abgeordneten, die sich, ähnlich wie Höfle, auf die Rettung von Arbeitsplätzen beriefen. Und am Ende dieser Nahrungskette von Hoffnungsträgern finden sich Bettelbriefschreiber, darunter pikanterweise auch ein »Fräulein von Papen«, eine weitläufige Verwandte des konservativen preußischen Landtagsabgeordneten und späteren Reichskanzlers Franz von Papen (Zentrum), die sich 1924 zunächst verzweifelt an den Reichspostminister gewandt hatte, und zwar mit dem Hinweis, dass, falls ein fälliger Wechsel nicht eingelöst werde, »unsere sämtliche Möbel uns herausgetragen [werden]. Wir haben ja sicher entsetzlich viel verloren, unsere schöne Besitzung, Existenz, gute Möbel alles und nun soll uns auch noch unser letztes herausgegeben werden.« Auch in diesem Fall hatte Julius Barmat ein offenes Ohr.133

Verlockungen des Geldes: Täter und Opfer Die (Selbst-)Blendung durch Reichtum war somit ein wichtiges Argument, mit dem sich Gier verschleiern ließ. Darüber hinaus spielte im juristischen Diskurs, bei dem es auch um die Verantwortung der Beamten der Preußischen Staatsbank ging, der Rekurs auf soziale Ungleichheit und Unterlegenheit eine Rolle. Das zeigt der Fall des promovierten Staatsfinanzrats Fritz Rühe, den die Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft genommen hatte und gegen den sie im Zusammenhang der Kreditvergabe an Barmat wie Kutisker wegen schwerer passiver Bestechung ermittelte. In seinem Fall ging es um die »gastliche Aufnahme« in Barmats Haus, die üblichen Liebesgabenpakete aus Holland, einen Delfter Porzellanteller, an dem die Frau Rühes Gefallen gefunden hatte, was Barmat sofort bemerkt hatte, und die Vermittlung des günstigen Erwerbs von Aktien und Anleihen. Verfahrenstechnisch konzentrierte sich die Staatsanwaltschaft auf Rühes Involvierung in den Fall Kutisker, machte aber davon die Anklage im Falle Barmat abhängig,134 sodass die Namen austauschbar sind: »Rühe ist ein Opfer Kutisker [sic!] geworden. Mit Menschen von der Art Kutisker ist er vor Oktober 1923 kaum in Berührung gekommen. Vergleicht man Rühe mit Kutisker, so ergibt sich ohne Weite-

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res, dass Rühe von vornherein dem Kutisker unterlegen war. Aus kleinen Verhältnissen stammend, dienstlich nur mit einwandfreien Großkaufleuten in Berührung gekommen, sah er hinter Kutisker mit seiner Großmannssucht und seiner verschwenderischen Lebensführung nicht den Hochstapler, sondern einen schwerreichen Ausländer, dessen Geschäfte so groß waren, dass die Diskontogesellschaft sie nicht bewältigen konnte, und der trotz der Inflation seine Substanz ständig vermehrte. Während die Staatsbank ihre Substanz nahezu völlig eingebüßt hatte! Hier liegt der springende Punkt für die Entschließung Rühes, die Erklärung für sein ganzes Verhalten. Die Staatsbank hatte ihre Substanz verloren, und die Generaldirektion war sich dahin schlüssig geworden, dass alles geschehen müsse und jeder nach besten Kräften an seiner Stelle dabei mitwirken müsse, die verlorene Substanz wiederzugewinnen. Welch ein Anreiz für den ehrgeizigen Rühe! Als deshalb am 4. Oktober 1923 Kutisker in seiner Eigenschaft als Generaldirektor des alten Bankhauses E. v. Stein zu ihm auf die Staatsbank kam und ihn mit Empfehlungsschreiben, Protzereien mit Dollarguthaben und dergleichen sowie großen Transaktionen auf der Börse beschwatzte, sah er in der Geschäftsverbindung mit diesem Mann die Möglichkeit auftauchen, große Gewinne für die Staatsbank zu machen. Er schenkte Kutisker restlos Vertrauen und wenn er einmal Vertrauen gefasst hatte, so wurde er so leicht nicht wankend. Das sollte sein Verhängnis werden.«135 Die staatsanwaltschaftliche Suada hörte hier nicht auf: Dank »der große[n] Überredungsgabe Kutiskers« erreichte dieser bei dem Beamten, der voller »Optimismus« die Reorganisation der Bank betrieb, »was er wollte, [nämlich] was die kleinste Privatbank ihm [Kutisker – MHG] glatt abgelehnt hätte«. Zwar war am Ende »der Verdacht der Bestechung und der Untreue keineswegs völlig ausgeräumt«; dennoch habe es keine greifbaren Anhaltspunkte gegeben, »die geeignet wären, seine Verurteilung herbeizuführen«. Nachweisbar war nicht einmal ein »dolus eventualis« – also das Bewusstsein, etwas Falsches zu tun. Nein, Rühe sei es nur darum gegangen, »der Staatsbank zu nützen«; er wollte von den Geschäften der Steinbank profitieren (wie wir das ähnlich im Falle Barmats sahen); das Problem war die falsche Einschätzung der wirtschaftlichen Lage

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im Jahr 1924, die sich als mehr als nur eine Phase von »kurzzeitigen Stockungen« erwies.136 Das war nichts anderes als die Geschichte eines aufrechten deutschen Michels, wie man ihn mit seiner Zipfelmütze und naiven Unschuldsmiene in den Karikaturen der Zeit zuhauf findet, der sich, geblendet vom Schein und der Beredsamkeit seiner Gegenübers, hinters Licht führen ließ – in diesem Fall von einem »jüdischen Kapitalisten«, ohne dessen wahre Persona zu erkennen. Der Oberfinanzrat kam auf jeden Fall ungeschoren davon. Kritischer sah die Staatsanwaltschaft den Fall Hellwig, der Ende 1924, also kurz vor dem Zusammenbruch, von der Staatsbank in den Barmat-Konzern übergewechselt war, wo er eine unbedeutende Position innehatte. Er war der einzige der Bankbeamten, der bestraft werden sollte, und zwar wegen passiver Bestechung und Betrugsabsicht.137 Zusammen mit Rühe hatte er Anfang Februar 1924 an der ersten Geburtstagsfeier des Kindes von Henry Barmat und am Einsegnungsfest des Sohnes von Julius Barmat teilgenommen; er pflegte den geselligen Umgang – Hellwig legte gelegentlich mit seinem Ruderboot in Schwanenwerder an –, und während der Reisen Barmats »wurde dieser Verkehr in Form eines fast überschwänglich freundschaftlichen Briefwechsels aufrechterhalten«.138 Auch wenn das Gericht in seinem Fall später passive Bestechung als erwiesen ansah, unterstrich es, dass dem Bankbeamten Hellwig kein absichtliches Handeln zum Nachteil der Staatsbank nachgewiesen werden könne, ja es habe auch keinen Anhaltspunkt dafür gegeben, »daß Dr. Hellwig eine solche Absicht zuzutrauen wäre. Sein ganzer Lebenslauf, seine Erziehung und seine gesellschaftliche Stellung, seine mit Auszeichnung abgeschlossene juristische Vorbildung und seine durch die Berufung in das Justizministerium anerkannten Leistungen im Justizdienst, aber auch seine anschließende Tätigkeit in der Staatsbank sprechen dagegen, daß er nun unter dem Einfluß Julius Barmats von dem bisherigen geraden Wege seines Lebens abgewichen sein und seine Pflichten als Beamter so weit vergessen haben sollte, daß er sich zu der für seine Moralbegriffe höchst verwerflichen Tat hergegeben hätte, die Staatsbank absichtlich zu schädigen.« Er handelte nicht »böswillig, aber aus einer überspannten Großzügigkeit und einer Überschätzung seiner

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wirtschaftlichen Kenntnisse und Erfahrungen heraus«; so sei es »in leichtfertiger und fahrlässiger Weise zu der Behandlung der Kreditgeschäfte gekommen, die zu den schweren Verlusten für die Staatsbank führten«.139 Eine andere Geschichte der subtilen Bestechung, ja der Unterwerfung erzählte auch Wilhelm Koenen (USPD/KPD), der Barmat 1920 anlässlich des niederländischen Hafenarbeiterstreiks kennengelernt hatte. Für ihn war das Zusammentreffen ein sehr »unangenehmes Pech«, wie er später formulierte, das »einzige derartige Malheur« in seinem bisherigen Leben. Denn Barmat gab ihm in Holland einen kleinen »Privatkredit« über mehrere Hundert Gulden, den der Geschäftsmann später, angesichts der wüsten Angriffe auf ihn seitens der Kommunisten, in einer öffentlichen Erklärung zurückforderte. Koenen behauptete, er habe diesen Kredit zurückbezahlt (was aber auch nicht glaubwürdig war), ohne dass er dies aber nachweisen konnte. Sehr dramatisch schilderte er im Reichstagsausschuss sein Schicksal: Barmat unternehme alles nur Mögliche, um Personen in »seinem Netz« zu fangen: »Das ist der Eindruck: wie eine Spinne, die in der Mitte sitzt und aufpaßt, wo fängt sich einer in meinem Netz, wo kann ich ihn dann packen und für meine Zwecke dann doch noch heranziehen. […] Diese Versuche wurden mit einer Aufmerksamkeit und Umsicht, einer Beharrlichkeit gemacht, mit einer Eleganz, mit einer – man kann es schlecht in deutsche Worte kleiden – übertriebenen Liebenswürdigkeit, in einer Form, die wirklich etwas Ungewohntes an sich hatte.« Koenen erzählte später dem – wie das stenografische Protokoll vermerkte – »leicht erheiterten« Reichstagsausschuss, Barmat habe mit dem Kredit geglaubt, ihn »erdrücken« zu können, ja er habe sogar – vergeblich – versucht, die Hotelrechnung der deutschen Delegierten zu begleichen. Im folgenden Jahr, so Koenen, ließ der Kaufmann ihm ein Liebesgabenpaket zukommen und versuchte – erfolglos –, über ihn Kontakte zur russischen Handelsdelegation herzustellen. Ironie der Geschichte: Solche Empfehlungen erhielt Barmat später dann vom Diplomaten von Maltzan, der in dieser Zeit als Russlandexperte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion mitgestaltete.140

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Geschenke dieser Art sollten denn auch dem Berliner Polizeipräsidenten Richter und dem früheren Reichskanzler Gustav Bauer politisch das Genick brechen. Wo lag die Grenze zwischen Freundschaftsgeschenken und aktiver Bestechung? So klar die Gesetzesnormen sind, die aktive und passive Bestechung – Vorteilsnahme, Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung, Bestechung (§§ 331–334 StGB) – definieren, so kompliziert gestaltet sich seit jeher ihre Anwendung. Das gilt selbst für einzelne Aspekte des Falles Höfle, der in vielerlei Hinsicht eklatant war (auch wenn das Gericht über den in Untersuchungshaft gestorbenen Höfle nicht mehr richten musste). Der Postminister hatte sich beim Bau eines Hauses in Lichterfelde übernommen, da die Gesamtkosten weit die ursprünglich erwartete Summe von 125000 GM überstiegen. In diesem Zusammenhang vermittelte Julius Barmat direkt über die Amexima einen Kredit von 42000 GM. Der so Begünstigte glaubte, das Geld zurückzahlen zu müssen, und wollte es, so seine Aussage, später durch eine Hypothek abdecken, was aber nicht geschah. Die Ermittlungen zeigten, dass die Amexima den Kredit als »Konzernunkosten« verbuchte, was wiederum Höfle nicht gewusst haben will.141 Problematisch waren außerdem 500 US-Dollar, die Höfle sich »als Reisekosten« nach Marienbad schicken ließ, aber auch die Beträge über 700 und 500 Mark, die er von Julius Barmat für die Witwen und Waisen der Post und für die Partei erhielt. Das warf die Frage auf, ob er mittelbare Vorteile dadurch hatte, dass er über diese Gelder zu Partei- oder Wohltätigkeitszwecken verfügen konnte (eine ähnliche Spende ermöglichte 1919 die Gründung des Rosa de Winter Heims für bedürftige Kinder in Sachsen).142 Außerdem stand die Frage im Raum, wie die regen Finanztransaktionen zwischen dem Aufsichtsratsmitglied der Barmat’schen Merkurbank Lange-Hegermann und Höfle einzustufen waren; es handelte sich offenbar um Parteispenden, die allem Anschein nach im Zusammenhang mit der Kreditvergabe der Reichspost standen.143 All diese Geschichten tauchten seit 1925 zunächst im Zuge des Skandals, dann der Untersuchungen der verschiedenen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse und schließlich der Justizbe-

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hörden auf. Es ging um einige der merkwürdigsten und spektakulärsten Fälle der Kriegs-, Inflations- und Stabilisierungszeit (auch wenn sich bei näherem Hinsehen die Zahl der Fälle und der involvierten Personen schnell vervielfacht), die nun aber nicht nur der Anlass waren, diese früheren Geschichten aufzuarbeiten, sondern auch sehr umfassend Kapitalismus, Demokratie und wirtschaftliche Moral zu verhandeln. Kehrte man mit der erfolgreichen Währungsstabilisierung und dem Abbau der Kriegs- und Übergangswirtschaft zurück in die Bahnen eines »rationalen Kapitalismus«? So sahen das zweifellos viele Zeitgenossen, zumal in den Reihen der Wirtschaft. Der Abbau der Kriegswirtschaft hieß Abkehr von den krassesten Formen des »politischen Kapitalismus« im Weber’schen Sinne, auch wenn neue »korporatistische« Arrangements von Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik sowie die viel diskutierten »politischen Löhne« und »politischen Arbeitsbedingungen« des Sozialstaates diese Phänomene in ein neues Licht rückten.144 Oder waren die Exzesse vielleicht nur vordergründig ausgetrieben? Machten sich Formen von Misswirtschaft, Betrug und Korruption in allen Bereichen des öffentlichen Lebens wie der Wirtschaft breit, auch weil das neue demokratische System sie beförderte? Sechs Jahre später, nach einer kurzen Phase des wirtschaftlichen Booms, hatten viele den Eindruck, dass die Währungsstabilisierung weniger erfolgreich war, als es scheinen mochte, und dass es noch mehr als genug Grenzgänger des Kapitalismus gebe, die es in die Schranken zu weisen gelte.

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Kapitel 3 Grenzen der politischen Moral: Korruption und Koalitionspolitik 1925 Wenige Tage nach seiner Verhaftung am Silvestertag 1924 wurde Julius Barmat in das stadtbekannte Berliner Gefängnis Moabit eingeliefert. Es folgten Verhöre durch den Untersuchungsrichter und die Staatsanwaltschaft und schließlich Aussagen vor den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen des preußischen Landtags und des Reichstags, die sich mit seinem Fall befassten. Barmats Kontakte zur Außenwelt erfolgten über seine rechtlichen Vertreter, prominente Rechtsanwälte. Trotz immer neuer Anfragen bei den Justizbehörden warteten sie über Wochen und Monate darauf, die genauen Anklagepunkte zu erfahren: »[M]an sitzt hier 16 Wochen in Inquisition abgeschlossen und dazu das ganze geheimnisvolle Vorgehen«, klagte Julius Barmat im Reichstagsausschuss. Er wisse überhaupt nicht, weswegen er angeklagt sei; immer wieder sprach er von einem »geheimnisvollen Verfahren«.1 An eine vorzeitige Entlassung aus der Untersuchungshaft war gar nicht zu denken. Es bestehe Fluchtgefahr, hieß es selbst dann noch, als Ärzte den gesundheitlichen Zustand Barmats als kritisch einstuften.2 Während sich die justizielle Bearbeitung des Falles hinzog, war in der Presse mit ihren Berichten über wahre wie falsche Tathergänge und Anschuldigungen längst ein Streit über Barmat entbrannt. Seine eigene Stimme ging in der medialen Dynamik des Skandals weitgehend unter. Das Wort führten andere. Die auch von kommerziellen Interessen angetriebene Medienperformanz darf nicht vergessen machen, dass es sich bei Skandalen meist um politische Kämpfe handelt, die nicht nur auf der medialen Vorderbühne, sondern auch »Backstage« stattfinden. Tatsächlich war der

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politische Einsatz der Presse wie der beteiligten Akteure hoch. Zum einen ging es um den Nachfolger des im Zusammenhang mit dem Skandal massiv angegriffenen und im Februar 1925 verstorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Zugleich gab es eine andere, nicht minder wichtige politische Bühne: Würde es in Preußen wie im Reich gelingen, die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) mit ihrem Parteivorsitzenden Gustav Stresemann aus der republikanischen Weimarer Koalition in eine gegen die Sozialdemokratie gerichtete Bürgerblockregierung unter Beteiligung der DNVP zu bringen? Damit wäre eine Entwicklung abgeschlossen worden, die auf dem Feld der Wirtschaft mit der strikten Austeritätspolitik der Währungsstabilisierung nach der Hyperinflation und damit der Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität 1923/24 begonnen hatte. Diese verschiedenen, sich ergänzenden Optionen einer konservativen Neuordnung der Republik wurden in den ersten Monaten des Jahres 1925 ausgetestet. In diese Zeit fällt auch der Höhepunkt des Skandals, der sich während einer kurzen, dramatisch-chaotischen preußischen Regierungskrise entfalten konnte. Verhandelt wurde nicht weniger als die Zukunft der Republik. Der Name Barmat wurde dabei in die politische Kultur der Weimarer Republik eingeschrieben. Die Rede war von der »Barmat-Sozialdemokratie«, der »Barmat-Republik« und von »Barmatiden«, alles Umschreibungen der Republik, die unter Korruptionsverdacht gestellt wurde. Das war das genuin Neue des Jahres 1925, und der Topos der Korruption der Parteien wie des demokratischen politischen Systems setzte sich in Diskursen und Bildern nachhaltig fest.

Empörung Die »öffentliche Empörung« war in aller Munde: Empörung des »ehrlich gesinnten« Teils des Volkes, des Mittelstands, der Arbeiterschaft und allemal der Landwirte. Lautstark wurde ein »Vertrauensverlust« in die Politik und die Republik konstatiert. Vertreter der oppositionellen KPD und DNVP, aber auch kleinere Parteien, darunter völkische Gruppierungen, formulierten in einer Flut von

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Meinungsartikeln sowie in Kleinen Anfragen Forderungen nach Aufklärung und personellen Konsequenzen im Barmat-Skandal: Warum Kredite an »Ostjuden«? Wie hoch war der Schaden? In welchem Umfang waren republikanische Politiker involviert? Parlamentarische Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtags und des Reichstags sollten Licht in die Angelegenheit bringen.3 Das Nebeneinander zahlloser Enthüllungen in der Presse, der Medienrummel, den die Untersuchungsausschüsse provozierten, die öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen von Politikern und Staatsanwälten sowie die Flut von satirischen Bildern schufen den medialen Kommunikationsraum des Skandals, in dem sich die Ereignisse überstürzten.

Zeitungssensation und Kommerz Demonstrativ performative Akte der Staatsanwaltschaft trieben das Medienspektakel an. Dazu zählte die Verhaftung Julius Barmats in Schwanenwerder mit einem polizeilichen Großaufgebot sowie die öffentliche Berichterstattung über den Stand der Ermittlungen, die wegen des Andrangs in den großen Justizsaal des Landgerichts verlegt wurde. Das Riesenaufgebot von Schreibmaschinen und Hilfskräften, die justizintern für den Fall mobilisiert wurden, erregte Aufsehen. Was heute übliche Praxis ist, nämlich dass sich die Staatsanwaltschaft der Presse stellt, war damals eher ungewöhnlich, galt gar als ungehörig. Die ermittelnden Staatsanwälte machten keinen Hehl daraus, dass sie eine große Spur von Korruption verfolgten, die offenbar weit über die Fälle Barmat, Kutisker und Michael hinausging und in die Politik hineinreichte. Das Verhalten der Staatsanwaltschaft war ganz nach dem Geschmack der Pressevertreter. Begierig griffen sie nach den vielen Gerüchten und flüchtigen Geschichten und fügten neue hinzu. Keine Partei, keine Zeitung und keine Person konnte es sich leisten, nicht schnell auf Anschuldigungen und Unterstellungen zu reagieren, ob mit einer reißerischen Überschrift, mit Gegenanschuldigungen und Gegendarstellungen oder mit einem nicht minder provozierenden Bild. Irreführende Falschmeldungen und deren Widerlegung wurden selbst Teil des eskalierenden Skandals. Damit

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vervielfachte sich auch die Zahl der Akteure und damit derjenigen, die das Wort ergriffen. Gesten der Empörung sind ein essenzieller Teil der Skandalisierung, und es gehört zu den eher intuitiven, wohl auch nicht ganz falschen, wenngleich problematischen Annahmen (auch historischer Darstellungen), dass die Urteile der Presse mit der Meinung der lesenden »Bevölkerung«, ja des »Volkes« übereinstimmen. Über deren Meinungen und Reaktionen wissen wir aber bemerkenswert wenig, viel dagegen über diejenigen, die im »Namen der Bevölkerung« und »des Volkes« redeten und schrieben und sehr genau zu wissen glaubten, wer dieser Julius Barmat war: ein »schwerreicher« Mann, ein »Ostjude«, ein Spekulant, der, so die stereotype Annahme der Kritiker, korrumpierte, und zwar Beamte genauso wie Politiker. Dieses Argument findet man bei der oppositionellen Linken der Weimarer Zeit wie bei den Rechten, aber auch in der Demokratischen Partei. Nicht nur die links-oppositionelle Presse wie Die Rote Fahne, rechtsradikale Blätter wie Der Deutsche Vorwärts und das ausdifferenzierte Zeitungsnetz des Hugenberg-Konzerns mit dem Berliner Lokal-Anzeiger und der Deutschen Zeitung und vielen Provinzblättern, welche die Landbevölkerung im Osten Preußens mit Schreckensnachrichten überfluteten, nahmen sich der Sache an. Mit von der Partie war auch die gemäßigte bürgerliche Presse.4 Für alle Zeitungen war der Skandal ein Geschäft, denn mit den vermeintlichen Enthüllungen ließen sich die Auflagen steigern. Auf der Jagd nach Informationen belagerten Pressevertreter die Staatsanwaltschaft, Polizei und Justizbürokratie – und lockten Informanten und Beamte auch vielfach mit Geld. Angesichts der großen Begehrlichkeiten mussten die Barmat-Akten besonders sicher verwahrt werden, »größte Geheimhaltung« wurde angemahnt.5 Der Generalstaatsanwalt wusste zu berichten, dass die »Reporter« die wenigen mit den Strafsachen betrauten Beamten, jedes von der Polizei gestellte Dienstautomobil und jedes infrage kommende Dienstgebäude kannten. Sie hätten »sich auf den Korridoren des Kriminalgerichts [herumgetrieben], vor allem vor dem Anwaltszimmer daselbst«, um herauszufinden, wo die Beamten hinfuhren; aus Aktentransporten

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sowie dem Aus und An der Lichter in der Staatsbank kombinierten sie alle nur möglichen Zusammenhänge. Die Beamten arbeiteten bei Telefongesprächen mit »Deckbezeichnungen«, um nicht identifiziert zu werden.6 Der stellvertretende Berliner Polizeipräsident Bernhard Weiß sprach von einem »Beamtenbespitzelungssystem«. In der Justizverwaltung, aber auch im Berliner Polizeipräsidium sei es vorgekommen, dass höhere Beamte überhaupt keine dienstlichen Besprechungen mehr in ihren Diensträumen hätten vornehmen können. Indiskretion, die heute, im Zeitalter der XeroxKopien und des Internets, zum Alltag der Politik gehört, war ein schwerwiegender Vorwurf.7

KPD-Attacken auf die »kapitalistische Korruption« der »Barmat-Sozialdemokratie« Der Presse ging es um Enthüllungen. Doch unübersehbar wurde auch ein politisches Spiel getrieben. Die Zeitungen waren das Sprachrohr politischer Interessen. Der Vorwärts hatte so unrecht nicht, wenn er schon Anfang Dezember 1924 im Zusammenhang mit den ersten Skandalisierungen von einem »kommunistischdeutschnationalen Barmat-Rummel« sprach, bei dem sich die beiden radikalen Parteien die Bälle zuspielten.8 Skandale sind die Stunde der politischen Opposition. Und in diesem Fall zählte dazu die republikfeindliche KPD. Ende 1924 hatte die Partei in Preußen mit 9,6 Prozent der Stimmen gegenüber den letzten Wahlen 1921/22 immerhin leicht zugewonnen; bei den Reichstagswahlen büßte sie dagegen Stimmen ein – zugunsten der Sozialdemokraten.9 Trotz wiederkehrender Appelle, den im Krieg ausgebrochenen Bruderkampf in den Reihen der Arbeiterbewegung und zwischen den Linksparteien beizulegen, hatte sich dieser Konflikt seit der Revolution sukzessive verschärft. Das hatte zum einen mit dem Werben um Arbeiterwähler zu tun, die sich nach dem Krieg im Umfeld der USPD gesammelt hatten und sich nun der Mehrheitssozialdemokratie oder der KPD anschlossen (und die damit der KPD eigentlich erst die wichtigen Arbeiterstimmen zuführten). Der andere Grund war die repressive Politik des sozialdemokratischen preußischen Innenministers Carl Severing, der mit-

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hilfe des Republikschutzgesetzes und der Notstandsverordnungen des Reiches wie des Landes Preußen mit brachialer Gewalt gegen die radikale Linke vorging. Seit den Ruhrkämpfen 1920/21, den mitteldeutschen Unruhen 1921 und den kommunistischen Putschgerüchten 1923 saßen Tausende Kommunisten in Gefängnissen und Lagern. Severing war mit der KPD nicht gerade zimperlich umgegangen. Die Partei war zeitweise verboten und von einem Spitzelsystem unterwandert; Zeitungen erhielten Publikationsverbot, und Schriften, die gegen die Republik hetzten, wurden beschlagnahmt. Der sogenannte Deutsche Tscheka-Prozess vor dem Reichsgericht in Leipzig, der 1924/25 die Presse des In- und Auslands beschäftigte und in dem die Frage nach geheimen, terroristischen Untergrundorganisationen und ihren Taktiken, darunter Attentate, ins Rampenlicht gerückt wurde, trieb die Partei zusätzlich in die Defensive.10 Auf die KPD gehen die Wortneuschöpfungen »Barmat-SPD«, »Barmat-Republik« und »Barmatiden« zurück. Die früheren sozialistischen Brüder waren zum Feind geworden, und die SPD wurde aus einer Position der Defensive mit einer Mischung aus Hohn und Spott, Zynismus und Hass überzogen. Dreh- und Angelpunkt der kommunistischen Agitation war die Rolle der SPD während des Krieges und der Revolution. Ihre vermeintlich opportunistische Unterstützung der deutschen Kriegsanstrengungen war das Kainsmal der Barmat-Sozialdemokratie, so der Titel eines Pamphlets von Karl Radek, Vertreter der Kommunistischen Internationale und Deutschlandexperte. »Wie kam die deutsche Sozialdemokratie zu Barmat?«, fragte er und gab auch gleich eine Antwort darauf: »Sie kam zu Barmat, weil sie zu Hindenburg ging [das hieß: weil die Partei den Krieg unterstützte – MHG]. Eine Partei, die den Kapitalismus unterstützt, die sich den Wiederaufbau des Kapitalismus zur Aufgabe setzt, mußte zu den Kapitalisten gelangen.« Das war der Anfang der Geschichte der Korrumpierung der Sozialdemokratie – durch die politische Klasse des Kaiserreichs, »das Kapital« und nicht zuletzt durch einen »Spekulanten« wie Julius Barmat.11 Ganz in diesem Sinne hieß es in einer wahrscheinlich ebenfalls von Radek verfassten Erklärung des Exekutivkomitees der Kommu-

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nistischen Internationale, »An die Arbeiter aller Länder«, dass die Untersuchungen gegen »den Großschieber Barmat in Deutschland« zu einem »Gericht über die Führer der II. [Sozialdemokratischen – MHG] Internationale geworden« seien. Denn der Fall zeige, wohin die »Politik der Koalition und des Burgfriedens mit der Bourgeoisie führt«. Die Pointe war klar: »Die sozialdemokratischen Führer sind bezahlte Agenten des Kapitals«; es galt, die Arbeiterbewegung von »Korruption und Verrat« zu reinigen.12 Dieses Argument der vermeintlichen Korrumpierung der Sozialdemokratie setzte die KPD in einer wahren Flut von politischen Bildern um (siehe Abb. 5, S. 150). Dieser Radikalismus der KPD, in dem die Erbitterung über die Gewalt des Krieges und die Diagnose, dass die mit patriotischen Parolen an die Front geholten Arbeiter verheizt worden waren, zum Ausdruck kamen, hatte eine Tradition in der USPD, dem Sammelbecken der proletarischen Antikriegsbewegung, und dann im Umfeld der sogenannten »Ultralinken« in der KPD, unter ihnen Werner Scholem, Ruth Fischer und nicht zuletzt der junge Historiker, Journalist und kommunistische Reichstagsabgeordnete Arthur Rosenberg, der sich in der Kampagne gegen Barmat hervortat. Viele Intellektuelle hatten sich seit dem Krieg diesem Protest angeschlossen.13 Zugleich wurde dieser Kurs klar von Moskau befördert, wo das Politbüromitglied Grigori Sinowjew im Januar 1924 im Exekutivkomitee der Internationale, wie wenig später auch Josef Stalin, die internationale Sozialdemokratie zu einem »Bestandteil des Faschismus« erklärte. In diesem Zusammenhang forderte Radek als Beauftragter der Internationale die Kommunisten auf, die rechte und völkische Wählerschaft im Kampf gegen die Republik anzusprechen. Auffällig ist der stark antisemitisch unterlegte Antikapitalismus, der aus der Feder von Journalisten stammte, die vielfach auch jüdischer Herkunft waren.14 Der erste Höhepunkt dieser Agitation fiel in das Jahr 1924. Die »Entmachtung« der Ultralinken mit ihrer scharfen Agitation gegen Barmat begann im Frühjahr 1925 und führte im folgenden Jahr, nach langen internen Kämpfen, zum Ausschluss dieser Gruppe aus der KPD.15

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Abb. 5 Kommunistische Darstellung des Janusgesichts des Ex-Reichskanzlers Gustav Bauer Karl Radek, Die Barmat Sozialdemokratie, Hoym Verlag, Hamburg 1925, Titelblatt

Die Ostjudenkampagne der Konservativen Der Trommelwirbel der politischen Rechten war nicht weniger laut. Große Teile der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) verstanden sich in Preußen als Teil der »nationalen Opposition«, selbst dann noch, als die Partei im Reich am 16. Januar 1925 ins Kabinett des parteilosen, de facto der DVP nahestehenden Hans Luther eintrat. Die Partei befand sich im Aufwind eines konservativen Trends, der sich seit 1920 deutlich abzeichnete. Bei den Dezemberwahlen zum Reichstag 1924 erhielt die DNVP mit 20,5 Prozent aller abgegebenen Stimmen ihr bestes Wahlergebnis in der Republik überhaupt und lag damit in der Wählergunst hinter der SPD, aber noch vor dem Zentrum. Noch größer war der Wahlerfolg in Preußen, wo die DNVP bei den Landtagswahlen, die ebenfalls im Dezember stattfanden, mit 23,7 Prozent der Stimmen nur knapp hinter der SPD (24,9 Prozent) lag, womit sie sich Chancen auf eine Regierungsbildung ausmalen konnte.16 Im Nacken der Partei saßen die Völki-

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schen (auch in den eigenen Reihen), aber auch die 1922 abgespaltene Deutschvölkische Freiheitspartei. Die DNVP, der ihr nahestehende Reichslandbund sowie Organisationen des Mittelstands lancierten eine Flut von Protestresolutionen, adressiert an Abgeordnete, Regierungsstellen und Untersuchungsausschüsse. So forderten in Wittenberg die Vereinigten Vaterländischen Verbände, der Kreisverein der DNVP und die Nationalsozialistische Freiheitspartei [sic!] gemeinsam »mit Millionen Deutschen« die »Ausweisung der eingewanderten Ostjuden«, die »Reinigung des gesamten Staatswesens« und »Massnahmen [sic!] gegen alles Schieber- und Wucherwesen«. Der ganze Beamtenapparat müsse von Nichtfachleuten gereinigt werden, damit die »Rückkehr zu Unbestechlichkeit und Ehrlichkeit, die die deutsche Ehre und der Stolz unseres Beamtentums gewesen sind«, eingeleitet werden könne, hieß es in dieser und anderen Resolutionen, die in einem für eine bürgerliche Partei bemerkenswert wirren Schriftbild und einer nicht minder wirren Sprache verfasst waren.17 Wie war es möglich, so der wiederkehrende Topos, dass zu Beginn des Jahres 1924 »hergelaufene […] Personen«, die in der Karikatur des Kladderadatsch unschwer als Juden identifizierbar sind (siehe Abb. 6. S. 152), Millionenkredite öffentlicher Stellen zu niedrigen Zinsen erhielten, während gewöhnliche Handeltreibende, Handwerker und Landwirte exorbitante Zinsen von zeitweise bis zu 25 Prozent pro Tag zahlten? Es sei »den märkischen Bauern unbegreiflich, wie selbst in den verlotterten, nachrevolutionären Staatsbetrieben ein so hoher Grad von Korruption möglich war«; es sei ein zum »System gewordener Vorgang«, war in einer ganz ähnlichen Resolution des Ruppiner Landvolkes, einer Organisation der DNVP, zu lesen.18 Mit der Agitation gegen »Ostjuden« war die DNVP schon in die vorangegangenen Wahlen gezogen, auch mit dem Kalkül, damit die Radikalen der völkischen Rechten auszustechen. Der Aufruf zu den Reichstagswahlen am 7. Dezember 1924 hatte die Position der Partei klar umrissen: »Wie wir für das ganze Reich deutschen und völkischen Geist und Bekämpfung der jüdischen Vorherrschaft verlangen, so fordern wir besonders für Preußen, daß der Zustrom der Ostjuden endgültig abgedämmt wird.« »Die seit dem Umsturz ein-

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Abb. 6 Kritik an der Kreditvergabe der Staatsbank an hier ostjüdisch karikierte Landstreicher CC-BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch Nr. 78.1925, S. 65

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gerissene Korruption ist mit Stumpf und Stiel zu tilgen.« Der Kampf gelte vor allem der »marxistischen Sozialdemokratie, ihren Helfershelfern und Schleppenträgern«.19 Von »Ostjuden« war die Rede, auch wenn es ganz generell um die Stellung von Juden in der deutschen Gesellschaft ging. Das illustrieren die in dieser Zeit auch medial heftig ausgefochtenen Kämpfe um die Vereinsmitgliedschaft von Juden im Deutsch-Österreichischen Alpenverein, insbesondere in den Sektionen Berlin und Potsdam. Ähnliches gilt auch für die gerade in der agrarischen Presse anzutreffende Stilisierung von Barmat, Kutisker und Michael als Symbole eines ausbeuterischen und wucherischen »jüdischen Finanzkapitalismus«. Seit der Inflationszeit gab es in diesem Umfeld, nicht zuletzt aber auch in satirischen Zeitschriften wie dem Kladderadatsch, ein festes Bildrepertoire, das den »Kriegs- und Inflationsgewinnler« mit ostjüdischen Stereotypen belegte.20 Solche Vorstellungen konnte man in Resolutionen, der Presse wie in internen Gesprächen finden. Die »bayerische Ostjudenpolitik wird durch die letzten Ereignisse in Berlin in jeder Hinsicht gerechtfertigt«, meinte ein bayerischer Beamter in den ersten Januartagen, wohl mit Blick auf frühere Bemühungen um die Ausweisung von Ostjuden aus Bayern.21 Etwas zurückgenommener artikulierte sich im Januar 1925 die bayerische Regierung unter dem Ministerpräsidenten Heinrich Held, der eine Koalitionsregierung unter Führung der katholischen Bayerischen Volkspartei mit der deutschnationalen Bayerischen Mittelpartei und der Deutschen Volkspartei anführte, in einer viel beachteten Denkschrift. Die verbreitete Not der Landwirtschaft, der gewerblichen Wirtschaft, der Arbeiter und unteren und mittleren Beamten stehe in markantem Kontrast zur Verwendung der öffentlichen Mittel: »Solche Empfindungen über die hier obwaltende Ungerechtigkeit werden verstärkt durch die Erbitterung über die gleichzeitig zutage getretene Korruption, von der unser ganzes öffentliches Leben, insbesondere in der Reichszentrale [sic!], wo Wirtschaft und Politik die engste Verbindung eingegangen haben, bedroht erscheint.« In der Öffentlichkeit sei die Meinung entstanden, »dass es sich nicht um vereinzelte Ausnahmefälle, sondern um Symptome einer Erkrankung handelt, unter

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der der ganze öffentliche Organismus, namentlich in der Zentrale des Reiches leide«, ja »das Massenempfinden« verdichte sich zu der Frage, »ob denn ein solches Staatsgebilde überhaupt noch lebensfähig oder lebenswürdig erscheine«. Notwendig sei auf jeden Fall eine tief greifende »Reinigungsarbeit«, bei der es gelte, den »Eiter der Korruption« zu tilgen.22 Stimmungsberichte aus der bayerischen Provinz gaben wieder, was von Held und in vielen deutschnationalen und völkischen Resolutionen artikuliert wurde: Immer ging es um »volks- und landfremde[] Schieber«, die sich angeblich auf Kosten des deutschen Volkes immens bereicherten.23 Wäre der Skandal im Herbst 1923 bekannt geworden, so der oberfränkische Regierungspräsident unter Anspielung auf die gescheiterten Putschpläne Hitlers und Ludendorffs, dann wäre »seinerzeit der Marsch nach Berlin nicht aufzuhalten gewesen«.24 Es ist schwer zu sagen, ob die in diesem Zusammenhang konstatierten Vorbehalte der »Bevölkerung« gegenüber der Republik mehr die Stimmung der Berichterstatter reflektierte als derjenigen, über die sehr pauschal berichtet wurde. Immerhin waren in Bayern auch interne Warnungen zu hören, dass die »Berliner Skandale« mit Vorsicht behandelt werden müssten: »Die einfachen Leute auf dem Lande mit ihrer Neigung zur Verallgemeinerung sind nur zu rasch und zu gerne bereit, für solche Fälle die gesamten oberen Schichten verantwortlich zu machen.« Mehr noch: von »Einzelvorkommnissen« würden Schlüsse auf die »Korruption des ganzen Beamtenstandes« gezogen, besonders die höheren Beamten kämen »bei solchen Wirtshausdebatten schlecht weg«.25

Kanalisierung des Protests? Parlamentarische Ausschüsse Die öffentliche Empörung in Verbindung mit Forderungen nach Aufklärung erreichte wenige Tage nach der Verhaftung Barmats auch die Volksvertretungen. Seit der ersten Zusammenkunft des preußischen Landtags nach den Dezemberwahlen am 5. Januar 1925 forderten alle im Parlament vertretenen Parteien mit Ausnahme des Zentrums in einer Flut von Interpellationen und Kleinen Anfragen Aufklärung über die Ereignisse. Der SPD ging es da-

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bei nur um die Geschäfte Iwan Kutiskers, nicht dagegen, wie den anderen Parteien, um Barmat und Michael. Den größten Wortradikalismus entfaltete wie fast immer die KPD: Nicht das Parlament, sondern ein »proletarischer Untersuchungsausschuss«, der sich aus Arbeiter- und Angestelltenräten der Betriebe konstituieren sollte, müsse sich der Sache annehmen. Einen förmlichen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses brachte die DNVP am 8. Januar 1925 ein: Es gelte zu prüfen, »ob und inwieweit bei der Gewährung der Staatsbankkredite an die Kutisker-, Barmatund Michael-Konzerne politische Momente oder unlautere Beeinflussung mitgewirkt und im öffentlichen Leben stehende, besonders auch beamtete Personen sich direkt oder indirekt Vorteile verschafft« hätten.26 Nach einer kurzen Debatte über den deutschnationalen Antrag beschloss der preußische Landtag am 16. Januar die Einsetzung des Ausschusses »Staatsbank (Barmat)«, der am 24. Januar seine Tätigkeit aufnahm. In ähnlicher Weise sprach sich der Reichstag am 22. Januar dafür aus, wiederum auf Initiative der Deutschnationalen, einen 18 Mitglieder umfassenden Untersuchungsausschuss einzusetzen. Dieser konstituierte sich zwar schon am 14. Januar, nahm seine Arbeit aber erst nach längeren Geschäftsordnungsdebatten Anfang Februar auf.27 Die Vossische Zeitung sprach von einem »Antikorruptionsausschuss«. Der Auftrag war, zum einen die Kreditgeschäfte aller Reichsstellen an Barmat, Kutisker und Michael und zum anderen die Waren- und Lebensmittellieferungen an das Reich zu überprüfen. Auch im Reichstag drangen alle Parteien auf Aufklärung, wobei die Sozialdemokraten, wohl um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, im Ausschuss die Überprüfung aller öffentlichen Kredite an Privatpersonen und Firmen forderten.28 Am 10. Februar beschloss der Sächsische Landtag auf einen Antrag der deutschnationalen Fraktion hin, später ergänzt durch einen Antrag der Kommunisten, die »Beziehungen zwischen der früheren sächsischen Regierung und den Gebrüdern Barmat« zu untersuchen. Auch hier ging es speziell um Lebensmittellieferungen an Sachsen, aber auch um persönliche Verbindungen Julius Barmats zum früheren Ministerpräsidenten (1919–1920) und Gesand-

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ten Sachsens in Berlin (1921–1932) Georg Gradnauer und zu anderen Sozialdemokraten.29 Parlamentarische Untersuchungsausschüsse haben den Nebeneffekt, dass das von ihnen bearbeitete Thema über längere Zeit auf der politischen Tagesordnung bleibt. Tatsächlich boten die öffentlichen Verhandlungen den Zeitungen viel Stoff für die Berichterstattung: Bis Ende Oktober, als der Untersuchungsbericht zur Abstimmung vorlag, konnte der preußische »Barmat-Ausschuss« auf 88 Sitzungen zurückblicken; unter den 100 Zeugen, von denen 81 vereidigt wurden, befanden sich vielfach renommierte Personen aus Wirtschaft und Politik.30 Darüber hinaus boten Ausschüsse die Möglichkeit, auch andere Themen als die Kredite der Staatsbank aufzugreifen. Insofern komplementierte sich die Arbeit der Staatsanwaltschaft und der Untersuchungsausschüsse, auch wenn es dabei viele Reibungen gab. Die republikanischen Parteien konnten und wollten sich den Untersuchungen nicht entziehen. Aber wenn der Vorsitzende der Reichstagsfraktion des Zentrums Constantin Fehrenbach meinte, dass im Gegensatz zu »agitatorischen« und »demagogischen« Reden im Plenum, die alles andere als »Recht und Gerechtigkeit« herbeiführten, die Arbeit im Untersuchungsausschuss weniger emotional ablief, sah er sich getäuscht.31 Zumindest in den ersten Wochen kam es in diesen Foren des Reichstags und mehr noch des Preußischen Landtags zu spektakulären, mitunter dramatischen Auftritten. Unübersehbar wurden hier Grenzen ausgetestet: im Hinblick auf die Diffamierung von Personen und die Koalitionspolitik. Der Streit um Julius Barmat wurde schnell zu einer politischen »Systemfrage«, nicht ganz unähnlich wie im Falle des Hauptmanns Alfred Dreyfus im Frankreich der 1890er Jahre, der das Land gespalten hatte.

Politische Systemfrage: Bürger- vs. »Barmatblock« Julius Barmat geriet zwischen die Fronten des Reichspräsidentenwahlkampfs, der infolge des tragischen Todes von Friedrich Ebert Ende Februar 1925 vorgezogen werden musste. Bedeutsamer ist

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aber ein anderer Aspekt, der erst die eigentliche Dynamik dieses – zuallererst preußischen – Skandals erklären hilft und auf das Feld partei- und koalitionspolitischer Strategien führt. Zu Beginn des Jahres 1925 gab es allenthalben Bemühungen, sowohl auf der Ebene des Reiches als auch in Preußen, sogenannte »Bürgerblock-« oder, wie es auch hieß, »Rechtsblockregierungen«, also eine Koalition der bürgerlichen Parteien unter Ausschluss der SPD, zu bilden. Die politische Isolierung der SPD war keine ganz einfache Sache, insbesondere im republikanischen Preußen, wo die Sozialdemokraten seit 1921 zusammen mit dem ebenfalls gut verankerten Zentrum, der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der DVP die Regierung bildeten und mit Heinrich Braun den Ministerpräsidenten stellten. Reichs- und preußische Politik sowie die Reichspräsidentenwahl waren aufgrund der Gleichzeitigkeit der Ereignisse und eines Personenkarussells auf den ersten Blick verwirrend eng miteinander verknüpft.

Abwege der preußischen Koalitionspolitik Der Wahlerfolg der DNVP bei den Dezemberwahlen 1924 und das Taktieren der DVP eröffneten die Chance für einen politischen Kurswechsel, den auf Reichsebene der Außenminister aus den Reihen der Volkspartei, Gustav Stresemann, vorantrieb. Stresemanns Ziel war die Einbeziehung der Deutschnationalen in seine Außenpolitik – keine einfache Aufgabe angesichts der Fundamentalopposition der Partei gerade in diesem Bereich: Die DNVP sträubte sich gegen jedes Arrangement in der Reparationsfrage. Die Umworbenen machten wiederum ihrerseits einen Koalitionswechsel der DVP in Preußen zur Bedingung. Darauf setzte seit den Wahlen Ende 1924 auch die DVP. Der erste Streich war auf Reichsebene ihr Ausscheiden aus der bürgerlichen Minderheitenregierung unter Wilhelm Marx (Zentrum) und die Bildung eines neuen, »überparteilichen« Kabinetts unter dem parteilosen, aber der Volkspartei nahestehenden Hans Luther, und zwar unter Einbeziehung der DNVP.32 Würde ein solcher Koalitionswechsel auch in Preußen gelingen? Zusammen mit der Verdrängung Friedrich Eberts aus dem Reichspräsidentenamt wäre damit der Weg für eine konservative Neuori-

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entierung der Republik frei gewesen – man kann hinzufügen: eine wenig beachtete Option in der Geschichte der Weimarer Republik, die rückblickend zu allerlei Spekulationen im Sinne einer »kontrafaktischen Geschichte« einlädt. Wie sich zeigen sollte, scheiterte in Preußen die Bildung eines solchen »Rechtsblockes«, führte aber zeitweise in ein bizarres politisches Chaos. Zunächst nutzte die DVP die Ereignisse rund um die Staatsbank als Begründung für ihren Austritt aus der preußischen Regierungskoalition. Am 6. Januar legten die DVP-Minister in der preußischen Regierung unter Otto Braun (SPD) ihre Ämter nieder, darunter Finanzminister Ernst von Richter. In dessen Ressort fiel nicht nur die Aufsicht, sondern mehr noch die formale Verantwortung für die Zustände in der Preußischen Staatsbank, was ihm eigentlich hätte unangenehme Fragen bescheren müssen. Aber von Richter ging in die Offensive und attackierte massiv die SPD, insbesondere den Fraktionsvorsitzenden Ernst Heilmann, der versucht habe, über Gebühr seinen Einfluss zugunsten seines Freundes Julius Barmat geltend zu machen. Für ihn sei an eine weitere Kooperation mit Männern wie Heilmann nicht mehr zu denken. Carl Severing war ebenfalls ein Ziel der Attacken. Abgeordnete der DVP forderten Aufklärung über seine Beteiligung als Innenminister bei den Grenzübertritten der Familie Barmats von Russland nach Holland.33 Die DVP umwarb für ihren Plan eines Rechtsbündnisses auch die Zentrumspartei, den bisherigen Koalitionspartner der SPD. Denn ohne diese starke Partei ging in Preußen wie im Reich gar nichts. Die Zentrumspartei und ihre Parteizeitungen hielten sich mit Kommentierungen der Skandalfälle auffallend bedeckt. Schon gar nicht positionierte sie sich für Barmat. Möglicherweise spielte dabei die ungute Erinnerung an dessen Streit mit dem früheren Reichsernährungsminister Hermes (Zentrum) eine Rolle.34 Zweifellos gab es im Zentrum Gruppen, die sich für eine politische Neuausrichtung aussprachen. Dem konservativen Koalitionspoker im Reich und in Preußen kam indes die Tatsache in die Quere, dass weit mehr als jeder andere sozialdemokratische Politiker ausgerechnet der Reichspostminister Anton Höfle (Zentrum) zusammen mit

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dem Zentrumsabgeordneten Hermann Lange-Hegermann in die Affäre verstrickt war. Beide waren eher dem rechten Flügel zuzuordnen. Nach dem demonstrativen Austritt des bürgerlichen Koalitionspartners DVP zerbrach die preußische Regierungskoalition unter Führung der SPD. Die Partei sah sich von allen Seiten massiven Angriffen ausgesetzt. Mit dem Schlagwort »Barmat-Regierung« versuchten die prospektiven Koalitionspartner, eine Koalition unter Einschluss der Sozialdemokraten zu diskreditieren. Die konservative Presse überschlug sich mit Meldungen über die »Barmat-Partei«. »Barmat-Schieber«, tönte es seitens der Kommunisten anlässlich der Protestkundgebung der preußischen Regierung gegen die Nichträumung der besetzten Kölner Zone durch die Alliierten, ein Ereignis, das Völkische, Deutschnationale und ein Teil der Volksparteiler zum Anlass nahmen, demonstrativ den Landtag zu verlassen, als der Ministerpräsident zu seiner Rede anhob.35 Derart in der Defensive, einigten sich SPD, Zentrum und DDP auf den bisherigen Zentrums-Reichskanzler Wilhelm Marx als gemeinsamen Kandidaten für das Amt des preußischen Ministerpräsidenten. Ganz offen blieb, wie angesichts der Mehrheitsverhältnisse die Regierungskoalition aussehen würde: eine Koalition der »Volksgemeinschaft« von der SPD bis zu den Deutschnationalen, wie sie Marx vorschwebte? Oder eine Koalition ohne die SPD, wovon einige konservative Zentrumsabgeordnete wie Franz von Papen sprachen (was aber auf den Widerstand des dezidiert republikanisch gesinnten Parteiflügels stoßen musste)?36 Mit Blick auf diesen Koalitionspoker ist nicht ohne Signifikanz, dass just am 15. Januar auf Antrag der DNVP die Einrichtung des Untersuchungsausschusses des Landtages beschlossen wurde. Denn der sogenannte »Barmat-Ausschuss« war ein klares Zeichen für die Zusammenarbeit der beiden bürgerlichen Rechtsparteien, und zwar unter Duldung des Zentrums: Die 29 Abgeordneten wählten den Abgeordneten und Juristen Eugen Leidig (DVP) zum Vorsitzenden, den Gerichtsrat am Berliner Kammergericht Friedrich Deerberg (DNVP) zum stellvertretenden Vorsitzenden und Wilhelm von Waldhausen (DNVP) zum Schriftführer.37

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Das von Marx gewünschte Szenario einer großen »Koalition der Volksgemeinschaft« war für die DNVP wegen der Einbeziehung der SPD gleichbedeutend mit einem Pakt mit dem Teufel; doch das galt auch vice versa. Aber: Macht und Bedeutung der Konservativen dürfen nicht überbewertet werden. Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass erst der kritische Input der konservativ-liberalen DVP die Eskalation des Skandals zu Beginn des Jahres 1925 wirklich erklärt. Vor allem mit der DVP wurde er mitten in die Weimarer Gesellschaft getragen, und zwar mit dem Ziel, die SPD zu entmachten. Zu der Gruppe, die aus politischen Gründen Interesse an einer Skandalisierung hatte und diese vorantrieb, sind aber auch Teile der DDP zu rechnen. Einer ihrer Vertreter im preußischen Untersuchungsausschuss war der Barmat-Kritiker Otto Nuschke, der bis zu seinem Schlussstatement im Oktober gerade Sozialdemokraten viele kritische und scharfe Fragen stellte, wenngleich ihm sichtlich unwohl dabei war, dass die DNVP den Skandal in ihrem Sinne ausschlachtete. Wie sehr dieser Radikalismus in die politische Mitte getragen wurde, zeigt nicht zuletzt auch die Satirezeitschrift Simplicissimus. Bei aller Unabhängigkeit ihrer Redaktion und den vielen Zwischentönen, etwa dem Hinweis, dass der deutsche Michel von allen Parteien »ausgesaugt« werde (siehe Abb. 11, S. 193), schlug diese Zeitschrift in den ersten Monaten des Jahres 1925 doch überdeutlich in dieselbe Kerbe wie die deutschnationale Presse und der dieser nahestehende Kladderadatsch (siehe Abb. 4 u. 6, S. 122, 152).38 Koalitionspolitik und Barmat-Auseinandersetzungen überschnitten und verstärkten sich somit wechselseitig. Ein dramatischer Höhepunkt der politischen Ereignisse in Preußen (wie im Übrigen des Skandals selbst) waren die Tage um den 20. und 21. Februar. Obwohl nichts darauf hindeutete, dass sich die DVP ins Boot der Republikaner ziehen ließ, stellten SPD, Zentrum und Demokraten eine republikanische Regierungskoalition Marx-Severing vor – die im Landtag aber prompt keine Mehrheit fand. Mit der Blockade der bürgerlichen Parteien in Verbindung mit der Offensive der DNVP, der Völkischen und der KPD sowie der Tatsache, dass sich einige Abgeordnete des Zentrums – darunter Franz von Papen – von ihrer Partei absetzten, versank die Regierungs- und Parlamentspoli-

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tik in Preußen vollends im Chaos. Nun gab es endgültig keine funktionierende Regierung mehr. In einem atemraubenden, hier nicht zu verfolgenden Personenkarussell testeten die Parteien von nun an die Machtverhältnisse aus.39 In dieser Situation eines politischen Vakuums konnte sich der Skandal ungebremst entfalten. Dabei ging es hart auf hart.

Regierungschaos und politische Lähmung Die Lähmung der Politik infolge der koalitionspolitischen Blockaden war in Preußen auf allen Ebenen zu spüren und öffnete der Ausweitung des Skandals Tür und Tor. Das Verhalten des preußischen Justizministeriums unter Leitung des konservativen Zentrumsministers Hugo am Zehnhoff, der seit geraumer Zeit an einer chronischen Krankheit litt und deswegen weitgehend ausfiel, trug das Ihre dazu bei.40 Ähnlich wie das eigentlich für die Staatsbank zuständige, wegen des Rücktritts des DVP-Ministers kopflose Finanzministerium beobachtete das Justizministerium die Ereignisse, ohne in irgendeiner Weise zu intervenieren (was später massiv der Fall war). Allenthalben kann man bei den Beamten die Besorgnis und Unsicherheit im Hinblick auf die eigene politische Zukunft erkennen: Vorherrschend war eine »Atmosphäre des Misstrauens«.41 Selbst der Reichsbankpräsident hatte Angst, die Angelegenheit könnte auf sein Institut »zurückfallen«.42 Im Eifer der Skandalisierungen blühten Indiskretionen. Es zirkulierten Gerüchte und Halbwahrheiten, und wilde Beschuldigungen gegen einzelne Personen wie gegen Institutionen wurden erhoben, die diesen Kopf und Kragen sowie die Reputation kosten konnten. Bei den Verhandlungen im »Barmat-Ausschuss« kam es immer wieder vor, dass Beamte gegen ihre aktuellen oder früheren Vorgesetzten oder Minister aussagten, auch indem sie Korruptionsvorwürfe erhoben. Zur gleichen Zeit, Anfang 1925, kann man die Bemühungen um eine systematische Demontage von SPD-Politikern erkennen. Dass im Gefängnis Moabit eine Zelle für Fraktionssitzungen der Sozialdemokraten reserviert sei, wie eine Karikatur im Simplicissimus mitten in der preußischen Regierungskrise insinuierte (siehe

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Abb. 7, S. 163), war witzig, aber wie viele Witze auch gemein und ehrenrührig, überdies waren die Gesichtszüge des SPD-Fraktionsvorsitzenden Heilmann mit stereotypen antisemitischen Merkmalen überzeichnet.

Die Skandalisierung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert Ein zentrales Thema der Untersuchungen des preußischen und des Reichstagsausschusses waren die Beziehungen Julius Barmats zu Friedrich Ebert und dem sozialdemokratischen Ex-Reichskanzler Gustav Bauer. Von Anfang an kam es darüber im preußischen Ausschuss regelmäßig zu Wortgefechten und Anfeindungen zwischen dem Abgeordneten und stellvertretenden Vorsitzenden Friedrich Deerberg (DNVP) und Erich Kuttner (SPD), die immer wieder in einen offenen Machtkampf mündeten. So war Deerberg nach der heftigen Missbilligung der (ihm zeitweise übertragenen) Verhandlungsführung und seines Verhaltens in der Causa Ebert am 10. Februar bereit zurückzutreten, wenn ihm nicht die DVP demonstrativ den Rücken gestärkt hätte.43

Infames politisches Spiel Die entscheidende Frage war, wie weit die Angriffe auf den Reichspräsidenten Friedrich Ebert gehen würden. Über Wochen befragten die Ausschussmitglieder des Reichstags wie des Preußischen Landtags im Januar und Februar 1925 Beamte und Politiker der Reichspräsidialkanzlei, des Auswärtigen Amtes und anderer Dienststellen auf der Suche nach Hinweisen für die Einreise Barmats und in diesem Zusammenhang die Gewährung eines Dauervisums im Jahr 1919.44 Waren der Blumenstrauß, den Barmat zur Silbernen Hochzeit Louise Ebert überbringen ließ, oder die »Liebesgabenpakete« aus Holland (unter anderem auch an die Familie Ebert, die das Paket aber nachweislich postwendend zurücksandte) Ausdruck von Freundschaft oder ein Beweis für Bestechung? Höchst umstritten war ein »Fotoporträt« – tatsächlich handelte es

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Abb. 7 Insinuation, dass die Sitzung der preußischen SPD-Fraktion wegen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen im Gefängnis Moabit stattfindet Simplicissimus, 49.1925, S. 703

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sich um eine Fotopostkarte –, das Friedrich Ebert im Nachgang zur Konferenz der Internationale in Amsterdam Barmat überreichen ließ, angeblich unterschrieben mit »meinem Freund Julius Barmat«. Mit diesem soll Barmat bei seinen Geschäftsfreunden um Renommee geworben haben. Im Skandal 1925 wurde aus solchen und anderen kleinen Gaben wenn nicht große, dann zumindest sensationelle Politik. Alles drehte sich um die Einreise Barmats. Abschriften und Schriftstücke von Diplomaten zirkulierten und wurden der Presse zugespielt, darunter auch ein Schreiben des 1925 längst aus dem Auswärtigen Amt ausgeschiedenen Unterstaatssekretärs und Industriellen Toepffer, worin sich dieser für das von Barmat beantragte Dauervisum stark machte, mit der, wie er später konsterniert selbst bemerkte, problematischen (weil nachweislich falschen) Formulierung, dass Barmat »in intimsten Beziehungen zum Reichspräsidenten Ebert« stehe.45 Mehr als alles andere ging es aber um den handschriftlichen Vermerk Eberts auf einem Telegramm Julius Barmats an den SPD-Parteivorsitzenden Otto Wels, in dem sich der Kaufmann über die Verschleppung der Visumvergabe beschwerte.46 Der Reichspräsident verwies in der Notiz auf eine Mitteilung des Auswärtigen Amtes, das ihn darüber informiert habe, »daß Barmat Visum auf längere Zeit erhalten solle«; daran schloss sich Eberts Aufforderung an: »Wünsche, daß Gesandter in Haag noch einmal ersucht wird«. Dieser interne handschriftliche Vermerk wurde 1925 zur Causa unendlicher Debatten und Unterstellungen. War gar versucht worden, diese Notizen auszuradieren? Der recht absurde Verdacht stand im Raum, dass etwas vertuscht werden sollte. War der Vermerk nur wegen des Versuchs der vermeintlichen Aktenmanipulation kompromittierend oder weil, wie der Kammergerichtsrat und Abgeordnete Friedrich Deerberg (DNVP) mit philologischer Gewissheit postulierte, das Wort »ersuchen« »unbedingt als Befürwortung« der Visumsvergabe aufzufassen sei?47 Kein Beitrag zum Thema Korruption, der im Zusammenhang mit den anstehenden Reichspräsidentenwahlen 1925 nicht auf dieses Telegramm hingewiesen hätte (vgl. auch Abb. 8, S. 165 sowie

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Abb. 8 Friedrich Ebert und das »Barmatometer« CC-BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch, 78.1925, Seite 124

Abb. 1, S. 48). So wie Bismarcks Redaktion der Emser Depesche zu den Gründungsmythen des Kaiserreichs zählte, versuchten Kritiker der Republik aus diesem Telegramm eine Gründungsgeschichte der Republik zu schreiben, die von Korruption und der Einreise von Ostjuden handelte. Die Strategie, dem Vorwurf des Landesverrats der SPD (im Falle der KPD: des Vorwurfs des Verrats an der Arbeiterbewegung) noch den der Korruption hinzuzufügen, war infam, und rückblickend, nach dem Tod Eberts, für viele auch peinlich (im Übrigen aber ein gutes Beispiel des zeitweiligen Schulterschlusses von DNVP und KPD). Das galt allemal für die daraus abgeleitete Schlussfolgerung des Juristen Deerberg, dass zur »Feststellung dieser Tatsache« (d. h. der befürwortenden Stellungnahme Eberts) die »Vernehmung des Barmat und des Herrn Reichspräsidenten selbst« im Untersuchungsausschuss notwendig sei.48 Wie jeder wusste, waren die Implikationen dieser Forderungen monströs: Wenige Monate zuvor war der

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Reichspräsident im »Magdeburger Hochverratsprozeß« in einem skandalösen Urteil wegen Landesverrats im Zusammenhang mit dem großen Januarstreik 1918 schuldig gesprochen worden, nachdem er in ähnlicher Weise, wie es jetzt auch Deerberg versuchte, in einen Prozess hineingezogen worden war.49 Am 21. Februar, also mitten in der akuten Krise der preußischen Regierungsbildung, spitzte sich die Angelegenheit im Reichstagsausschuss zu, worauf auch die Abb. 8, S. 165, hinweist. Nach langen Verhandlungen der vorangegangenen Tage und Wochen über die Rolle bei der Visumsvergabe für Barmat im Jahr 1919, als alle Fragen geklärt schienen, befand der Vorsitzende Alvin Sänger (SPD), dass es nach dem Stand der Dinge keinen Grund gebe, den Reichspräsidenten zu befragen. Dagegen wandte sich einmal mehr der KPD-Abgeordnete Arthur Rosenberg, der wie schon zu Beginn der Sitzungen des Untersuchungsausschusses im Februar eine Vernehmung für notwendig gehalten und auch einen in diese Richtung gehenden Antrag gestellt hatte.50 Ob daran, von der KPD abgesehen, wirklich jemand ein Interesse hatte, kann man bezweifeln. Der Deutschnationale Deerberg hatte im Preußischen Landtag seine Forderung nicht als Antrag gestellt, sodass der Ausschuss die Sache nicht weiter verfolgen musste. In einer förmlichen Abstimmung lehnte der Reichstagsuntersuchungsausschuss den in diese Richtung zielenden Geschäftsordnungsantrag der KPD am 21. Februar ab – wollte die Angelegenheit vorher aber öffentlich verhandelt wissen. Der DVP-Abgeordnete bekundete, dass seine »Partei-Freunde« die »Etappe Reichspräsident« abschließen wollten und an dem Thema kein Interesse mehr hätten, warf dann aber, wie später auch der Sprecher der DNVP, die als Provokation zu verstehende Frage auf, ob der Reichspräsident nicht ein »persönliches Interesse« an einer Richtigstellung haben müsse. Dieser Hinweis bildete für die konservative Presse eine Steilvorlage und war genau kalkuliert. Denn aus vielen anderen Justizfällen, darunter auch dem sogenannten Hochverratsprozess, in dem Ebert wenige Monate zuvor ausgesagt hatte, wusste man nur zu gut, wie bei solchen »Richtigstellungen« Kläger zu Angeklagten wurden.51 Mit der Ablehnung des Antrags der Kommunisten war das

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Thema Friedrich Ebert für den Reichstagsuntersuchungsausschuss abgehakt, nicht dagegen für den preußischen Ausschuss. Hier wiederholten sich die Szenen, dieses Mal aber auf eine noch abgeschmacktere Weise. Denn zwei Tage nach dem Reichstagausschuss zitierte der preußische Ausschuss gegen die Stimmen der SPD und des Zentrums am 22. Februar die frühere Stenotypistin im Reichspräsidentenamt Margarethe Endrulat und einen ihrer Vorgesetzten, den Oberregierungssekretär Bey, in den preußischen Ausschuss. »Die Vorwürfe seien«, so Deerberg, »so schwerwiegend, daß der Reichspräsident […] fast unmöglich geworden wäre« und eine Aussage notwendig sei.52 Diese Vorladung stieß auf großes Medieninteresse. Es blieb reichlich unklar, welche Vorwürfe genau gemeint waren, da inzwischen Geschichten über die vermeintliche »moralische« Minderwertigkeit der früheren Sekretärin gestreut worden waren.53 Außer Belanglosigkeiten hatte die Stenotypistin nicht viel zu sagen, und dem Zeugen Bey schnitt der Ausschussvorsitzende Leidig kurz entschlossen das Wort ab, als er anhob, sie anzuschwärzen.54 Ebert war zu diesem Zeitpunkt bereits an einer schweren Blinddarmentzündung erkrankt. Am 23. Februar besuchte Gustav Noske den Reichspräsidenten, der »sich vor Schmerzen krümmte« und »mit tiefer Bitterkeit« davon sprach, »wie er unter der Hetze gelitten hat, die man gegen ihn in Szene gesetzt und jahrelang betrieben hat«. Für den Parteifreund war rückblickend klar, dass Ebert vor allem wegen der erneuten Anschuldigungen sein Amt ausführte und nicht den Rat der Ärzte, sich einer klinischen Behandlung zu unterwerfen, befolgte. Fünf Tage später erlag er seiner Blinddarmentzündung.55 Es war kein Trost, dass wenige Monate später der Reichspräsident im Abschlussbericht des preußischen Ausschusses von allen Vorwürfen freigesprochen wurde. Dass Friedrich Ebert sowohl persönlich wie auch als Amtsinhaber eine angemessene Distanz zu Barmat gewahrt hatte, war kaum anzuzweifeln und wurde Teil des von den großen Parteien getragenen Konsenses. Dazu beigetragen hatte bezeichnenderweise auch eine Äußerung des Führers der preußischen SPD-Landtagsfraktion, Ernst Heilmann. Kurze Zeit, nachdem Barmat beim Reichspräsiden-

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ten eingeführt worden war, habe Ebert eine Bemerkung gemacht, in der, wie Heilmann vorsichtig formulierte, das Wort »Jude« gefallen sei, sodass sich Barmat beleidigt gefühlt habe. Beide hätten danach Distanz zueinander gewahrt und seien Einladungen ausgewichen, bei denen es zu einem Zusammentreffen hätte kommen können. Die Ebert zugeschriebene Äußerung wurde zum Berliner Stadtgespräch. Der Journalist Ernst Feder vom Berliner Tageblatt schrieb 1927 in seinem Tagebuch von einer geselligen Runde, in der man sich erzählte, dass der Reichspräsident, als er von Barmats Gesprächen mit dem Diensttelefon nach Holland hörte, gesagt haben soll: »Wenn der Saujud noch mal wiederkommt, schmeiß ich ihn hinaus.«56 Ob der gewiefte Taktiker Heilmann, der wegen seiner jüdischen Konfession selbst scharfen antisemitischen Angriffen ausgesetzt war, gezielt eine Legende in die Welt setzte, ist schwer zu sagen.

Reichspräsidentenwahl Im Rahmen der koalitionspolitischen Auseinandersetzungen über Bürgerblockregierungen, der Vorwürfe gegenüber Ebert und dann der vorgezogenen Reichspräsidentenwahlen kam es regelmäßig zu Anspielungen auf Korruption, Barmat und den »Barmatgeist«, der in der neuen Republik angeblich herrsche:57 »Auch wenn Barmat dem Wahlfonds der Sozialdemokraten kein Geld mehr stiften und einige Parteibüros mehr finanzieren kann, wird es in absehbarer Zeit eine preußische Neuwahl geben müssen, weil jeder in Preußen fühlt, daß nach Aufdeckung des Barmat- und Kutiskersumpfes die politische Konstellation in Preußen eine andere geworden ist, und das Parlament, wie es ist, nicht mehr dem Volkswillen entspricht«, ereiferte sich der konservative Reichsbote. Dagegen versuchte die bisherige Regierung unter Otto Braun (SPD), die aufziehende Krise auszusitzen und durch koalitionspolitisches Taktieren zu lösen, selbst nachdem die Regierung im preußischen Landtag keine Mehrheit mehr auf sich vereinigen konnte. Für die Deutsche Tageszeitung war das Ausdruck »jener Schiebergesinnung, für die der Sammelname ›Barmatgeist‹ längst« gebräuchlich sei.58 »Es muss vorbei sein, daß die politische Richtung, zu der sich Kutisker und Barmat

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bekennen, den obersten Beamten im Staate stellt«, so der Führer der paramilitärischen Organisation Reichsflagge, Hauptmann Adolf Heiß.59 Der erste Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl fand am 29. März 1925 statt, brachte aber keine klaren Mehrheitsverhältnisse. Zentrum und Sozialdemokraten einigten sich auf einen Kompromiss: Für den zweiten Wahlgang am 26. April stellten sich die beiden Parteien zusammen mit den Demokraten hinter den ExReichskanzler Wilhelm Marx als Kandidaten, der zuvor zeitweise als preußischer Ministerpräsident ins Spiel gebracht worden war. In ironisch-dialektischer Manier war auf einem anlässlich der Wahlen verteilten Handzettel der Kommunisten zu lesen: »Wir wählen Marx« – abgebildet waren darauf SPD-Politiker zusammen mit Julius Barmat, Iwan Kutisker und dem Zentrumskandidaten Marx selbst (siehe Abb. 9, S. 170). Das war ein folgenreicher, aber wenig überraschender Ausdruck des Entschlusses der KPD, an ihrem Kandidaten Ernst Thälmann auch für den zweiten Wahlgang festzuhalten. Diesen gewann schlussendlich Paul von Hindenburg als Kandidat des von der DNVP geführten konservativen Zusammenschlusses mit 48,3 Prozent der abgegebenen Stimmen – mit knapp über 900000 Stimmen Vorsprung vor Wilhelm Marx.

Kleine Geschenke und große Politik: Die »Korruption der SPD« Dreißig Jahre zuvor, in den 1890er Jahren, war der wegen vermeintlichen Landesverrats verurteilte und der jüdischen Konfession angehörende Alfred Dreyfus zum Symbol der französischen Republik geworden. In seinem berühmten offenen Brief J’accuse …! hatte der Schriftsteller Émile Zola die Unterdrückung der Wahrheit über den verbannten jüdischen Hauptmann aus dem Elsass skandalisiert und war damit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Musterbeispiel für diejenigen, die – mit welchen Intentionen auch immer – reale oder vermeintliche Missverhältnisse öffentlich an-

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Abb. 9 KPD-Handzettel 1925: »Wir wählen Marx« Sammlung von Flugblättern und Plakaten, IISG Amsterdam

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prangerten und dabei einzelne Personen ebenso wie Parteien, Regierungen und die Wirtschaft ins Visier nahmen. In Frankreich hatten sich die Dreyfusards selbstbewusst den Namen des von den Anti-Dreyfusards skandalisierten jüdischen Hauptmanns angeeignet, und über Frankreich hinaus stand der Name für die jeweilige Positionierung gegenüber der Republik.60 Der Name Barmat blieb jedoch ein Begriff der Diffamierung. Denn im Gegensatz zu den Dreyfusards gab es in Deutschland nur wenige Republikaner wie die beiden preußischen SPD-Abgeordneten Ernst Heilmann und Erich Kuttner, die nicht auf Distanz zu Barmat gingen. Von den ersten Tagen des Skandals an war nicht zu übersehen, dass die Angelegenheit für die Mehrheit der SPD eine politische Peinlichkeit war. Nicht nur, dass der vermeintliche Spekulant, zumal ein »ostjüdischer«, kein Hauptmann war: Die Auseinandersetzung über seine Person führte mitten in den Bruderkampf, der in den Reihen der Linken ausgefochten wurde.

Dürfen Sozialdemokraten mit einem »Kapitalisten« befreundet sein? Für Republikaner war die Bilanz des Skandals in den Monaten Januar bis März 1925 katastrophal. Vor allem die Politiker der Sozialdemokratie sahen sich kollektiv dem Vorwurf der Korruption ausgesetzt. Anstoß erregten die persönlichen Kontakte, Empfehlungsschreiben und kleinen politischen Gefälligkeiten – wie etwa, dass sich Gustav Bauer und Carl Severing bei Regierungsstellen für die Durchreise der Eltern Barmats aus Rumänien nach den Niederlanden verwandt hatten. Ins Auge stach aber auch die Unerheblichkeit der Zuwendungen – Liebesgabenpakete, kleine Geschenke, Mittagessen –, zumal dann, wenn man sie nicht als Gesten der Freundschaft, sondern als Akte der Korruption verstand, also als Indienstnahme von politischen Funktionsträgern zu wirtschaftlichen Zwecken. Die Geringfügigkeit dieser Geschenke verwies auf die soziale und wirtschaftliche Inferiorität der Empfänger – Arbeiter, Kleinbürger und Aufsteiger der Arbeiterbewegungen – gegenüber dem Gebenden, nämlich einem, wie sich nun herausstellte, nur scheinbar »schwerreichen Kapitalisten«. Das hatte lächerliche Dimensionen, aber gerade darin lag die Sprengkraft. Diese kleinen

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Geschenke vermittelten den Eindruck, republikanische Politiker seien selbst für geringe Summen zu gewinnen. Schon die Kampagnen gegen Matthias Erzberger, Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann nach dem Krieg hatten in kleinlicher Manier auf den vermeintlichen Eigennutz und die materiellen Vorteile abgehoben.61 Konservative und bürgerliche Kreise hoben die Scheinheiligkeit der Sozialisten hervor: Barmat werde noch lange der Sozialdemokratie nachhängen, so die konservative Kreuzzeitung, und zwar nicht nur als »Ausdruck für Korruptionswirtschaft«, die sich seit der Revolution breitgemacht habe, sondern auch als Stigma just der Partei, »die bekanntlich Jahrzehnte lang gegen den ›Kapitalismus‹ zu Felde zog, um dem Kapitalismus selbst zu erliegen, indem sie seine ärgsten Auswüchse förderte und unterstützte und sich selbst damit widerlegte«.62 In die gleiche Kerbe schlugen die Kommunisten. Es war noch in Erinnerung, wie die Partei die Verfilzung von politischen und wirtschaftlichen Interessen im Kaiserreich kritisiert und einzelne Personen skandalisiert hatte. »Die Sozialdemokratie ist die Partei der absoluten Öffentlichkeit, sie hat nichts zu verbergen, sie unterstellt sich der Kontrolle aller ihrer Anhänger im Lande, der Kontrolle der ganzen Nation«, war 1905 im Vorwärts zu lesen.63 Anders formuliert: Wer hohe moralische Standards aufstellt, kann tief fallen.

Das Ende einer Karriere: Der Berliner Polizeipräsident Wilhelm Richter Die Angewohnheit Julius Barmats, allen möglichen Menschen, die er kennenlernte, größere und kleinere Geschenke zu machen, ja ihnen diese gelegentlich geradezu aufzudrängen, wurde dem Berliner Polizeipräsident Wilhelm Richter zum Verhängnis. Das entbehrte nicht einer gewissen Tragik, denn zusammen mit Ernst Heilmann zählte Richter zu den engsten persönlichen Freunden Barmats, und die drei verbrachten viele Abende miteinander. Der 1881 geborene Richter war Mitglied der Metallarbeitergewerkschaft. 1911 hatte er sich als Stadtverordneter der SPD in Berlin-Charlottenburg etabliert. Im Krieg diente er in der Marine, bis er in die Berliner Rüstungsindustrie gerufen wurde. Seine Ernennung zum Polizeipräsidenten von Charlottenburg in der Revolutionszeit und dann zum

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Leiter des Berliner Polizeipräsidiums nach dem Kapp-Putsch waren Ausweis einer beachtlichen Karriere sowohl in der Arbeiterbewegung als auch im neuen Staat. Der Außenseiter zählte plötzlich zur neuen politischen – republikanischen – Elite. Wie andere Sozialdemokraten im persönlichen Umfeld Barmats gehörte Richter dem rechten Flügel der Partei an; als Polizeipräsident Berlins war er unmittelbar Carl Severing untergeordnet. Richter stand für die schwierige Republikanisierung der Polizei mit ihren vielen Tausend Beschäftigen. Dabei konnte man den Eindruck gewinnen, dass er der Situation dieser am Alexanderplatz angesiedelten Behörde nicht recht Herr wurde: Sie war eine Schlangengrube von Intrigen und Misswirtschaft, vor allem im Bereich der Aufenthaltsgenehmigungen, aber auch der Wohnungsvergabe im Rahmen der öffentlichen Wohnungswirtschaft. Diese beiden Spuren verfolgten Staatsanwaltschaft und Untersuchungsausschuss im Fall Barmat und mehr noch im Fall Kutisker. Hatten die beiden Aufenthaltsgenehmigungen und Wohnungen durch Korruption erschlichen? Ziel der staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen war zweifellos, Richter der Korruption zu überführen. Seine Besitzverhältnisse und sein Lebenswandel wurden genau unter die Lupe genommen, und man kam dabei vom sprichwörtlichen Hölzchen aufs Stöckchen: Hatte Richter geduldet, dass im Edellokal Nelson und in anderen stadtbekannten Bars die Polizeistunde überschritten wurde, und das ebenfalls gegen Entgeltzahlungen (ja, so die absurde Vermutung, an die gesamte Partei)? Wurden auch die Barmats von der Polizeibehörde bevorzugt behandelt? Wurde Julius Barmat zeitweise im Dienstfahrzeug Richters befördert, bevor der Chauffeur des Polizeipräsidenten seinem Freund aus Holland 1921 half, ein eigenes Automobil für eine Viertelmillion Papiermark zu besorgen? Einige Fragen warf eine geplante Reise Richters 1924 zu einem Polizeikongress in die USA auf, für die er keine Dienstreisegenehmigung und damit auch keinen Anspruch auf Reisekostenerstattung hatte. Zahlte Barmat ihm diese private Reise, von der Richter noch auf dem Weg nach London vom Innenministerium mit Hinweis auf die Sicherheitslage in Berlin zurückgepfiffen wurde?64

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Nichts davon konnte nachgewiesen werden, obwohl der in den einschlägigen Zeitungen durch Enthüllungen in die Enge gedrängte, entnervte Richter vor dem preußischen Untersuchungsausschuss unter Tränen über Geschenke berichtete, die er von Barmat erhalten hatte. Dazu zählten neben verschiedenen Darlehen der Amexima und der konzerneigenen Merkurbank, die für den Kauf von Möbeln und eines Baugeländes eingesetzt worden waren, auch Aktien und Anleihen und schließlich ein Smoking, Pyjamas, ein Hut, Manschettenknöpfe, ein Feuerzeug, Zigarren und Zigarrenhalter, ein vergoldetes Zigarettenetui, Reisen zusammen mit Barmat nach Holland und Wien sowie kostenlose Mahlzeiten bei geselligen Treffen, manchmal auch mit Parteifreunden im Hotel Bristol. Abgerundet wurde das Bild durch die »Aufdeckung« einer Beziehung Richters, Heilmanns und Barmats zu einer leichtlebigen Dame, die die konservative Presse zur »Madame de Pompadour« des »Barmat-Kreises« stilisierte.65 Nichts davon war justizfest, schon gar nicht, um Richter wegen Bestechlichkeit anzuklagen. Der Beschuldigte verwies auf die enge Freundschaft zwischen ihm und Barmat.66 Doch Freundschaft hin oder her, es blieb der Ruch der Abhängigkeit eines vormals armen Schluckers, der dank eines Millionärs zu bescheidenem Wohlstand kam und sich in einem für einen früheren Metallarbeiter vermeintlich unangemessenen sozialen Umfeld von vornehmen Hotels und Restaurants bewegte. Nicht einmal eigene Geschenke konnte Richter sich leisten: Anstoß fand ein goldenes Zigarettenetui, das er Barmat schenkte, wobei sich herausstellte, dass er dieses von Barmats Frau bekommen und er nur seinen Namenszug darin hatte eingravieren lassen. Einen sattsam kleinbürgerlichen Touch hatten zudem die Geschenke, welche (in Umkehrung der klassischen Rollenverteilung bei Sexgeschichten) die »Geliebte« Heilmann, Richter und anderen zukommen ließ: Heilmann erhielt einen Teppich, einen Teewagen und einen Obstkorb, Richter eine Porzellanlampe von Rosenthal und eine Sofa-Puppe. Die Schenkende ging ganz selbstverständlich davon aus, dass alle wüssten, dass das Geld von Barmat stammte.67 Diese Geschichten boten unendlichen Stoff für Häme und Zy-

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nismus, nicht nur in den Reihen der bürgerlichen Beobachter. Für die KPD war ohnehin klar, dass Richter »ein Herz und eine Seele« mit der Familie eines »kapitalistischen Räubers, Blutsaugers und Betrügers« war, was, so die Konklusion, die Folge der »vielgepriesenen sozialdemokratischen Realpolitik« war. Innenminister Severing nahm die Anschuldigungen zum Anlass, gleich nach Bekanntwerden der Vorwürfe Richter und seinen Stellvertreter Walter Moll abzusetzen.68

Der Fall des Ex-Reichskanzlers Gustav Bauer Komplizierter war die Bewertung der Nähe des früheren Reichskanzlers Gustav Bauer zu Julius Barmat. Die beiden hatten sich 1920 anlässlich der Veröffentlichung eines Schmähartikels gegen Barmat in der Berliner Volks-Zeitung kennengelernt, als sich Bauer bei diesem informierte, was es mit den Vorwürfen auf sich habe. Er ließ sich beschwichtigen, auch dadurch, dass Barmat damals eine Beleidigungsklage gegen die Zeitung anstrengte und gewann.69 Der sozialdemokratische Gewerkschafter, dem der letzte Reichskanzler des Kaiserreichs Max von Baden das Amt des Staatssekretärs der Reichsarbeitsverwaltung übertragen hatte, war bei den Konservativen verhasst. Unter Bauers Ägide war der Versailler Vertrag unterschrieben worden, und im März 1920 hatte er den Aufruf zum Generalstreik der Gewerkschaften gegen den Kapp-Putsch mit initiiert. Der Linken war er wegen seiner Durchhalteparolen im Ersten Weltkrieg, seiner Haltung während der Revolution und seinem emphatischen Bekenntnis zur demokratischen, im Gegensatz zu einer proletarischen Republik, suspekt. Das betraf überdies seine Zugeständnisse an die Kapp-Putschisten und das Militär nach dem Putsch, was dann auch mit ein Grund war, dass seine Partei und die Gewerkschaften ihn im Frühjahr 1920 fallen ließen. Gerüchte über Bauers Beziehungen zu Barmat gab es mehr als genug. Schon Anfang Januar 1925 hatte sich Bauer in einem Brief an den Berliner Lokal-Anzeiger gegen die Anschuldigung des Journalisten Ewald Moritz verwahrt, er habe etwas mit den Kreditgeschäften zwischen dem Barmat-Konzern und der Preußischen Staatsbank oder der Post zu tun; er sei außerdem nie Mitglied im

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Aufsichtsrat des Barmat-Konzerns oder eines angegliederten Unternehmens gewesen. Andere sozialdemokratische Zeitungen hatten diese Erklärung abgedruckt. Am 29. Januar stellte Deerberg von der DNVP im preußischen Untersuchungsausschuss die Frage, ob Bauer im Zusammenhang mit einem Empfehlungsschreiben vom 12. Mai 1923 für Barmat an die Staatsbank irgendwelche Vorteile pekuniärer Art gehabt habe. Er verneinte kategorisch.70 Unangenehm für Bauer war, dass ein früherer leitender Angestellter des Barmat-Konzerns in Amsterdam dem Berliner Lokal-Anzeiger Dokumente zuspielte, die zeigten, dass Bauer und Barmat sehr wohl wirtschaftliche Kontakte gepflegt hatten. So kam zum Vorschein, dass sich Bauer im Mai und Juli 1923 in Form von Empfehlungsschreiben für Barmat, in denen er die Zuverlässigkeit und Kreditwürdigkeit des Geschäftsmanns und seiner Amexima bestätigte, beim Präsidenten der Preußischen Staatsbank und im Sommer bei der Reichsbank eingesetzt hatte. Dabei ging es um Kredite für die Deutschen Margarine- und Speisefettfabriken (Dema), ein Konglomerat von Staatsbetrieben, an denen Barmat Anteile erworben hatte. Später vermittelte er dann Dema-Aktien an Bekannte und Geschäftsfreunde, darunter auch an den Polizeipräsidenten Richter und an Bauer. Die Frage war jedoch, ob diesen Empfehlungsschreiben überhaupt Bedeutung beizumessen war. Der konservative Präsident der Preußischen Staatsbank Johann von Dombois schloss das kategorisch aus: Solche Empfehlungsschreiben seien üblich und würden eher Misstrauen wecken (was nun aber auch nicht ganz glaubwürdig war).71 Eine andere Sache waren die gezahlten Provisionen. Die der Staatsanwaltschaft und der konservativen Presse zugespielten Dokumente belegten einen in diesem Zusammenhang entstandenen Streit über die Provisionen zwischen Bauer und Barmats Amexima. Demnach hatte Bauer Provisionen in Höhe von über 2000 Dollar und 1000 Gulden erhalten – eine in der Hyperinflationszeit beträchtliche Summe. Und nicht nur das: In einem Schreiben der Amexima aus Amsterdam war die Rede von »viele[n] hundert Gulden« und viele[n] hunderttausend Mark« in der Zeit vor 1923, als die Mark noch relativ viel wert war. Einigermaßen pikant war, dass es

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sich bei Bauers Nachforderungen um Devisen handelte, die im Besitz der Amexima waren und für ihn verkauft wurden.72 Diese Beziehungen enthüllte der Berliner Lokal-Anzeiger in der Abendausgabe am 5. Februar 1925 mit der Veröffentlichung eines Briefes Barmats an Bauer, in dem die Geschäftskontakte deutlich zum Ausdruck kamen. Am folgenden Tag gehörte das zu den »sensationellen« Nachrichten in allen Zeitungen.73 Der Ruf Bauers war damit schlagartig und nachhaltig ramponiert. Seine Verteidigung, er habe sich bei seiner Aussage auf wirtschaftliche Vorteile im Zusammenhang mit dem Kredit der Staatsbank (und nicht auf den Kredit der Reichsbank) bezogen – nur dieser wurde ja im Landtagsausschuss verhandelt –, war einigermaßen schwach.74 Er unterminierte damit seine Glaubwürdigkeit, auch wenn er mit gutem Recht betonte, dass er 1923 nur mehr Reichstagsabgeordneter gewesen war, nicht mehr im Staatsdienst gestanden und als Privatmann gehandelt hatte. Dies veranlasste später die Staatsanwaltschaft zur Einstellung der gegen ihn eingeleiteten Untersuchungen.75 Doch für die Opposition bestätigte all das nur die erhobenen Korruptionsvorwürfe gegen SPD-Politiker. Wenn Bauer die Unwahrheit sagte, musste das dann nicht auch für andere Personen gelten? Außerdem war mit dem Fall Bauer einmal mehr eine Spur gelegt, die in die Kriegswirtschaftsorganisationen nach dem Krieg zu führen schien. Nach dem Regierungswechsel im März 1920 war der Reichskanzler Bauer zwar erst wieder 1921/22 in den zwei Regierungen Wirth vertreten gewesen, nämlich als Vizekanzler und Finanzminister. In letztgenannter Funktion war er aber für die Verwertung, sprich: Privatisierung von Betrieben der Kriegswirtschaft zuständig gewesen. Gerüchte über »Schiebungen« und »Korruption« bei deren Verkauf waren an der Tagesordnung.76 Für die KPD-Linke war klar: Bauer war der Inbegriff des »Barmat-Sozialdemokraten«, der sich zum Büttel kapitalistischer Interessen machte und sowohl im Krieg als auch während der Revolution systematisch die Interessen der Arbeiterbewegung verraten hatte. Es war bekannt, dass Bauer auch persönliche Beziehungen zu Personen wie dem Finanzier und Förderer der Gegenrevolution in Berlin Salomon Marx pflegte, in dessen Internationaler Handels-

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bank er einen Aufsichtsratsposten bekleidet hatte.77 Die Geschäfte Bauers mit Barmat vermittelten denn auch der linken Opposition den Eindruck, er sei ein »qualitätenloser Arrivierter, ein verfettetes Bonzenherz […], Nutznießer der ehernen Gesetze der Ochsentour«, wie im Tage-Buch zu lesen war.78

Die Stunde der linken Opposition auf dem Heidelberger Parteitag Das Verhalten Bauers hatte das Potenzial, sich zu einem großen Parteiskandal auszuweiten. Die Frage war, wer wann was gewusst hatte. Der Parteivorstand der SPD, der sich mit den diversen Anschuldigungen gegen Bauer befassen musste und dazu eine Kommission einberief, hatte bereits am 12. Januar erklärt, »daß in keinem Falle ein Beweis dafür erbracht ist, daß Parteigenossen ihren politischen Einfluß zur Erlangung persönlicher Vorteile genutzt haben«. Aus diesem Grund waren die Enthüllungen in der Causa Bauer wenig später so peinlich und auch für viele Parteigenossen empörend.79 Immer neue Dokumente und Briefe, echte und gefälschte, fanden den Weg in die Öffentlichkeit. Briefe Julius Barmats an Ernst Heilmann und den SPD-Parteivorsitzenden Otto Wels, welche die Deutsche Zeitung am 5. Mai 1925 abdruckte, brachten zwar im Detail nichts Neues und schon gar nichts schwer Belastendes, zeigten aber, dass der SPD-Parteivorstand sehr wohl über die Zusammenhänge informiert war, und außerdem, wie vertraut der Umgang der drei untereinander war: Barmat hatte an den Parteivorsitzenden Otto Wels geschrieben, er sei nicht gewohnt, vor ihm »etwas zu verheimlichen«.80 Alles deutete darauf hin, dass die Partei Bauer gedeckt hatte. Das verursachte auch in den Reihen der SPD viel Unbehagen. War es nicht das »selbstverständliche Vorrecht gewisser Prozentund Hurrapatrioten gewesen, in Saus und Braus zu leben«, lautete die rhetorische Frage des schwäbischen Sozialdemokraten Wilhelm Keil. Dass im »Kreise der nationalistischen Opposition solche Dinge sich hundertfältig ereigneten«, entschuldige nicht das Verhalten seiner Parteifreunde, meinte er mit Blick auf ein opulentes Mahl im Hause Barmats in Schwanenwerder, wo er nach dem Krieg viele seiner Berliner Parteikollegen antraf: »Die Verfilzung einiger

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Sozialdemokraten mit reichen Kriegsgewinnlern« war seiner Meinung nach eine Folge mangelnder Menschenkenntnis. Wie er betonte, handele es sich nicht um Dinge, die nach bürgerlichen Moralbegriffen zu verdammen oder gar mit dem geltenden Recht unvereinbar seien, »wohl aber um Unsauberkeiten, die dem normalen Empfinden der breiten Volksschichten zuwiderliefen«.81 Das war die Sprache der Empörung. Dabei ging es um die Grenzen gängiger Moralvorstellungen der Gesellschaft allgemein, speziell aber einer sozialistischen Partei. In der Partei regte sich Unmut, insbesondere im linken Flügel. Die Leipziger Volkszeitung sprach mit Blick auf das Schweigen Wels’ von einer »Unterlassungssünde«.82 Schon früher hatte man sich in diesem, der Parteilinken zuzurechnenden Organ laut darüber gewundert, »daß all jene Genossen, die in diesen Skandalen ins Gedränge kommen, jener Richtung angehören, die glaubte, die staatspolitischen Notwendigkeiten in der Partei zu vertreten«. Der Hinweis auf »staatspolitische Notwendigkeiten« war nichts anderes als eine verklausulierte Formulierung für den falschen Weg, den demnach die Partei seit dem Krieg eingeschlagen hatte: die Allianz mit der militärischen Führung, die Koalitionspolitik mit den bürgerlichen Parteien – »Korruption« war demnach das äußerliche Merkmal dieses linken Profilverlustes. Die Fingerzeige des linkssozialistischen sächsischen Ministerpräsidenten Erich Zeigner 1923 auf die Barmat-Verbindungen der Parteiführung und Korruption seien in den Wind geschlagen worden, sodass die bürgerlichen Parteien Ende 1924 das Enthüllungsgeschäft hätten betreiben können.83 Gleich Anfang Januar war ein parteiinterner Prüfungsausschuss geschaffen worden, und direkt nach Bekanntwerden der ersten Veröffentlichungen legte man Bauer nahe, sein Reichstagsmandat vorübergehend ruhen zu lassen. Weiteres Ungemach folgte, als die Berliner Parteiorganisation wenig später mit Hinweis auf die Verquickung von Politik und Geschäften und wegen der »unglaublich aufgebrachten Stimmung in den Fabriken« Bauer aufgrund parteischädigenden Verhaltens aus der Partei ausschloss.84 Dieser Beschluss wurde zwar von einem Schiedsgericht der Partei revi-

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diert, das im Wesentlichen die Argumente des Beschuldigten übernahm und darüber hinaus Formalien des Beschlusses der Berliner monierte. Diese ließen jedoch nicht locker und riefen den im September 1925 tagenden Heidelberger Parteitag an. In diesem Zusammenhang wurde eine Beschlussvorlage vorbereitet, Bauer eine Rüge zu erteilen: »Nach bürgerliche[r] Anschauung« habe er sich nicht unzulässig verhalten, »aber eine proletarische-sozialistische Partei hat einen anderen Maßstab anzulegen«.85 Provisionen für verschiedene Geschäfte, auch wenn sie nicht von Amts wegen erfolgten, waren die eine Sache. Empörender noch waren die persönlichen Beziehungen: Wie war es möglich, dass Barmat Bauer und einem anderen Unternehmer in Amsterdam einfach jeweils 200 Gulden zustecken konnte (offenbar mit dem Hinweis, die beiden seien seine Gäste)? Auch wenn die beiden das aufgedrängte Geld offenbar zurückgaben, ließ dieses Verhalten für den Beschwerdeausschuss einen Rückschluss auf die Art zu, »in der Barmat den Genossen Bauer glaubte behandeln zu dürfen. Einen Reichskanzler a. D. und an erster Stelle stehenden Sozialdemokraten ein Geschenk in dieser Weise zuzuwenden, hätte sich Barmat wohl gehütet, wenn er nicht aus dem früheren Verkehr den Eindruck gewonnen hätte, dass er dies dem Genossen Bauer gegenüber wagen dürfe.«86 Das Vertrauen, das die Partei Bauer durch die Übertragung wichtiger Funktionen entgegengebracht habe, sei nicht gerechtfertigt gewesen; sein Verhalten sei nicht mit den Forderungen vereinbar, »die vom Standpunkt einer proletarischen-sozialistischen Partei führenden Parteigenossen gegenüber vertreten werden müssen«.87 In dieser Sache entspann sich eine heftige Debatte. Während die einen auf die »Barmat-Hetze« verwiesen und die Verdienste des früheren Reichskanzlers hervorhoben, monierten vor allem die Leipziger – unter Beifall der Berliner –, »daß eine Reihe prominenter sozialdemokratischer Führer nicht die notwendige Distanz zu einem Mann gehalten haben, der es in verhältnismäßig kurzer Zeit vom armen Lohnschreiber zu einem der reichsten Männer gebracht hat«, so das Leipziger Mitglied Hermann Liebmann mit der Pointe: »Den Fall Bauer, Wels und Heilmann haben uns die bürgerlichen nicht gemacht, sie haben ihn nur genutzt. Früher wären solche Ge-

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nossen, die sich von diesem magischen Stern [d. h. Julius Barmat – MHG] und seinen vielen Millionen nicht hätten fernhalten können, als Führer der alten Partei augenblicklich erledigt gewesen.«88 Der Parteitag in Heidelberg verwarf das Urteil der Prüfungskommission. Nicht zuletzt dank der Intervention des Parteivorsitzenden Wels wurde ein neues Schiedsgericht zur Verhandlung des Falles eingerichtet, das Bauer anhören sollte. Das Ergebnis war nicht ganz überraschend, bedenkt man die Zusammensetzung des Schiedsgerichts: Es gebe keine Vorwürfe, die eine Rüge Bauers rechtfertigten, so das Ergebnis im Mai 1926, was auf eine – nicht unumstrittene – Rehabilitation des Ex-Kanzlers hinauslief.89 Durchgesetzt hatten sich diejenigen, die der Partei-Rechten zugerechnet wurden.

Der Fall des Ernst Heilmann Jedem musste klar sein, dass dieses gegen Bauer gerichtete Verdikt noch auf andere gemünzt war, an erster Stelle auf den Parteivorsitzenden Otto Wels, insbesondere aber auch auf Ernst Heilmann, der für die parteiinterne Opposition in der SPD mindestens ebenso viele, wenn nicht sogar mehr Angriffsflächen wie Bauer bot. Auch Heilmann gehörte dem rechten, sehr pragmatischen Flügel der Partei an. Er hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass die SPD die Revolution nicht gewollt und schon gar nicht geplant hatte. Die Regierung habe nur »ihre Pflicht getan, wenn sie die große Mehrheit des Volkes von der Vergewaltigung durch eine kleine terroristische Minderheit geschützt hat«, meinte er mit Blick auf die Ereignisse 1919, darunter das Vorgehen gegen Streiks und Unruhen.90 Ähnlich wie der Berliner Polizeipräsident konnte Heilmann glaubhaft von sich sagen, ein persönlicher Freund Julius Barmats zu sein und, im Gegensatz zu vielen anderen früheren Bekannten Barmats, die in Deckung gingen, zu dieser Freundschaft auch zu stehen.91 Er hatte Barmat bei einem Abendessen beim Reichspräsidenten im Mai 1919 und dann im Zusammenhang mit der Gründung der Zeitung Voorwaarts in Berlin kennengelernt, und Barmat engagierte den damals noch als Journalist tätigen Heilmann als Korrespondenten dieser Zeitung. Dies war eine höchst attraktive Beschäftigung, da die Honorare in Devisen bezahlt wurden.92

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Offenbar trafen sich zwei Gleichgesinnte. Die beiden sahen sich fast täglich, sowohl in geselliger Runde als auch unter vier Augen. Dabei besprach der Kaufmann offenbar die Details vieler seiner Geschäfte mit dem juristisch versierten Heilmann, der den Unternehmer 1923 auch in einem Schiedsverfahren mit der Sowjet-Ukraine vertrat. Dieses enge Verhältnis änderte sich offenbar erst mit der Expansion der Barmat’schen Unternehmen seit dem Winter 1923/24, als für persönliche Treffen meistens die Zeit fehlte und, wie Heilmann hinzufügte, das Vorzimmer Barmats immer von leitenden Mitarbeitern und Hilfe suchenden Unternehmern belagert wurde. Dafür rückte Heilmann nun in verschiedene Aufsichtsräte des Barmat-Konzerns ein, ohne aber, wie er betonte, von nachweisbaren Auslagen abgesehen, Tantiemen kassiert oder irgendwelche anderen wirtschaftlichen Vorteile gehabt zu haben. Mit Blick auf diese engen persönlichen Kontakte und die diversen Aufsichtsratsposten bezeichnete der Vorsitzende des preußischen Untersuchungsausschusses Eugen Leidig (DVP) Heilmann ironisch als »Ehren-Syndikus«.93 Es stand außer Frage, dass sich Heilmann weit mehr als Bauer für den holländischen Kaufmann engagiert hatte, sei es im Zusammenhang mit der Visumfrage und den Grenzerleichterungen, den elf Empfehlungsschreiben oder seinem Engagement für den Konzern noch im November 1924, als er sich beim preußischen Finanzminister von Richter (DVP) persönlich für Barmats Unternehmen einsetzte. Wie er betonte, habe er aber bis zu den ersten Meldungen am 8. Dezember in der Roten Fahne nichts von der akuten finanziellen Schieflage des Konzerns gewusst.94 Tatsächlich hätte kein Anwalt Barmat besser ins Licht rücken können als Heilmann in seiner Aussage im preußischen Untersuchungsausschuss. Das gilt im Hinblick auf seine Ausführungen zu den wirtschaftlichen Aktivitäten Barmats, aber auch zu dessen Person. Er beschied ihm Arbeitswut und eine bescheidene Lebensführung, ja dass er sich – wie bereits erwähnt – mit dem Verzehr von einem Stück Rindfleisch und Hering begnüge, was die KPD postwendend in einem Cartoon (siehe Abb. 1, S. 48/49), ironisch aufgriff. Aber Heilmanns Rolle warf viele Fragen auf: War es eine Form von Korruption, wenn ein Politiker, der in sieben Aufsichtsräten von

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Firmen des Konzerns vertreten war, sich für öffentliche Kredite für Barmat einsetzte, oder gar Betrug, falls er von dem bevorstehenden Bankrott des Unternehmens gewusst hatte? Der erwähnte Prüfungsausschuss der Partei befasste sich mit dem Fall, ohne aber je eine offizielle Stellungnahme für oder gegen Heilmann abzugeben, geschweige denn, ihn zu verurteilen. Im Gegensatz zu Bauer, der den Fehler beging, die früheren geschäftlichen Beziehungen zu Barmat zu leugnen, ging Heilmann in die Offensive, indem er die beiderseitige Freundschaft und die Legalität seines Handelns betonte. Das brachte ihm zwar Kritik in den eigenen Reihen ein, die jedoch an dem geschickten Taktiker Heilmann abperlte. Das hatte mit der großen politischen und rhetorischen Begabung des ausgebildeten Juristen zu tun, zweifellos aber auch seiner starken Machtposition in der Partei, wo niemand bereit war, ihn fallen zu lassen. Darin unterschied er sich (ähnlich wie im Übrigen auch Wels) von Bauer, der 1925 keine Parteiämter mehr bekleidete und den fatalen Eindruck hatte, dass er als »Bauernopfer« herhalten musste, ja dass die Partei, anstatt ihn zu schützen, ihm »in erbärmlicher Weise den Genickstoß« gab.95

Politische Kursbestimmungen In den Fällen Heilmann und Bauer behielt so letztendlich die Partei-Rechte die Oberhand. Dass sich die Partei-Linke der SPD dagegen auf dem Parteitag 1925 hinsichtlich des politischen Kurses durchsetzte, gehört zum Konsens der Forschung. In der für die Partei so wichtigen Programmatik rückte der Klassenkampf und damit das Misstrauen gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft mit allen Vorbehalten hinsichtlich der Koalitionspolitik wieder stärker in den Vordergrund, jedenfalls im Vergleich mit dem Görlitzer Programm von 1921. In der Forschung wurde seither oft von einer Selbstisolierung der Partei gesprochen.96 Zweifellos handelte es sich dabei um einen Tribut an die inzwischen erfolgte Integration der im Krieg abgespaltenen USPD. Aber das ist nur ein Teil des in der Literatur zur Arbeiterbewegung bekannten Narrativs, in dem man vergeblich nach Barmat suchen wird. Die koalitionspolitischen Debatten über Bürgerblockregierungen, die Angriffe auf den Reichspräsidenten

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Ebert und die pauschale Diffamierung als »Barmat-Sozialdemokratie« hatten in der Partei Blessuren hinterlassen, illustrierten sie doch die unverhohlene Klassenpolitik der bürgerlichen Parteien. Das Verhalten Bauers, Richters, Heilmanns, Wels’ und Eberts zeigte der Partei-Linken die Untiefen, in welche die »Realpolitiker« zu geraten drohten, die sich allzu schnell mit dem Status bürgerlicher Herrschaft und dem Kapitalismus arrangierten und sich – zu Recht oder zu Unrecht – vorwerfen lassen mussten, ihre »sozialistische Moral« über Bord zu werfen. Die Rückbesinnung auf Traditionsbestände einer proletarischen Klassenpartei – im Gegensatz zu einer Volkspartei – und damit einer sozialistischen Programmatik sind vor diesem Hintergrund zu verstehen: Wer nicht über Barmat sprechen wollte, sollte auch nicht über den Parteitag reden. Wie wenig eindeutig dabei die Fronten verliefen, zeigt die Stellungnahme des eher der Partei-Rechten zuzuordnenden Eduard David, der im Weltkrieg ein Verfechter der Burgfriedenspolitik gewesen war. Der von ihm kommentierte Entwurf des Parteiprogramms mit der darin aufgenommenen Sozialisierungsforderung wirke auf Bauern und Handwerker irritierend, und zwar nicht nur wegen der pauschalen Aussagen über sozialistische Endziele, sondern auch weil nichts über das »Geldkapital« gesagt werde. Für die um ihr Eigentum besorgten Handwerker und Bauern, so seine Pointe, diene dieses Schweigen »weiter zum Beweis dafür, daß die Sozialdemokratie bei ihren Enteignungsabsichten die Herren von der Hochfinanz, Bankiers, Großhändler usw. zu schonen beabsichtigt, was sich sehr einfach daraus erkläre, daß sie von diesen ›jüdischen‹ Großkapitalisten bezahlt werde«.97 Wenn dieses Zitat, in dem »jüdisch« immerhin in Anführungszeichen gesetzt war, etwas zeigt, dann die verschlungenen Wege der Empörung. Diese innerparteilichen Auseinandersetzungen in der SPD weisen schon über die Ereignisse des eigentlichen Skandals hinaus. Die Frage in den ersten Wochen und Monaten des Jahres 1925 lautete, wie dieser Skandal, in dem Personen beschädigt wurden, unter Kontrolle zu bringen war. Das ist die Frage aller Fragen, und zwar in allen politischen Skandalen, für die es kein Patentrezept gibt, da es sich um jeweils kontingente Ereignisse handelt. Den Anfang

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machte im April 1925 in Preußen die Bildung einer dauerhaften Regierung – ohne Neuwahlen und mit Otto Braun (SPD). Das neue Minderheitenkabinett stand zunächst auf unsicheren Füßen, überstand aber Anfang Mai ein Misstrauensvotum der Deutschnationalen und sah sich dann nicht einmal mehr auf die Regierungsbeteiligung der DVP angewiesen.98 Das Land Preußen wurde zum sprichwörtlichen Bollwerk der Republik. Diese politische Konsolidierung war die Voraussetzung dafür, dass die Regierung wieder die Zügel anzog und die Angegriffenen selbst in die Offensive gingen. Damit ging der Skandal mit seinen Auseinandersetzungen über den politischen Kapitalismus und die politische Moral in die nächste Runde. Fragen des Rechtsstaates rückten dabei in den Mittelpunkt.

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Kapitel 4 Das System schlägt zurück: Die Grenzen des republikanischen Rechtsstaates 1926– 1929 Kein richtiger politischer Skandal, ohne dass sich die Angegriffenen zur Wehr setzen. Diese Gegenmobilisierung nahm im Zusammenhang mit dem Tod Eberts und dann mit dem des Postministers Höfle Fahrt auf. Vor allem die Sozialdemokraten setzten eine Korruptionskampagne in Gang, die sich gegen die bürgerlichen Parteien, namentlich die DNVP und die DVP, richtete und schließlich sogar die Absetzung und Disziplinierung der mit der Ermittlung betrauten Berliner Staatsanwälte zur Folge hatte. Damit rückte das Thema Korruption im politischen Kampf der Parteien endgültig auf die Tagesordnung der Republik – mit ambivalenten Folgen, da sich der Eindruck umfassender Korruption verdichtete. Das ist jedoch nicht nur als republikanische Niedergangsgeschichte zu verstehen. In der Geschichte der Weimarer Republik stellt die im Folgenden im Mittelpunkt stehende kurze Zeitperiode einen bemerkenswerten historischen Moment dar. Denn nach den chaotischen Monaten zu Beginn des Jahres 1925 wehte – zumal in Preußen – ein neuer, dezidiert republikanischer Wind. Der wirtschaftliche Aufschwung schien in eine dauerhafte Stabilisierung der nachrevolutionären politischen Ordnung zu münden. Die vermeintlich schwache Republik, vor allem die im politischen Geschäft taktisch gewiefte Zentrumspartei und die säbelrasselnden Sozialdemokraten, dann aber auch die preußische Bürokratie zeigten Zähne, vielleicht mehr als denjenigen lieb war und ist, welche die Schwäche und Ohnmacht der Republik und der Republikaner konstatierten.

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Besonders deutlich wird das im Bereich des Justizwesens. Der Hinweis auf die reaktionäre, republikfeindliche Grundstimmung der Justiz gehört zum festen Topos jeder Geschichte der Weimarer Republik. Dafür finden sich auch im Folgenden etliche Beispiele, die aber nicht die massiven Gegenbewegungen vergessen machen dürfen. Das zeigen die 1926 voll einsetzenden Debatten über eine »Krise der Justiz«, womit sich Republikaner scharf gegen »reaktionäre Elemente« in der Justiz wandten. Der Fall Julius Barmat einschließlich seiner Weiterungen – die Anschuldigungen gegen SPDPolitiker, der Tod des Postministers sowie die Angriffe auf Friedrich Ebert – war mit einer der zentralen Anlässe dieser Debatten. Für die unter öffentlicher Beobachtung stehende Justiz wurde die rechtliche Aufarbeitung, die sich von 1925 bis 1928 unmäßig lange hinzog, zu einem kritischen Test, und das umso mehr, als sich die damit befassten Richter zugleich mit anderen Fällen, die Hochverratsfragen und Morde der radikalen Rechten betrafen, zu beschäftigen hatten. Julius Barmat war einmal mehr der Prellbock dieser Auseinandersetzungen, womit sein Name auch in die Geschichte des Kampfes um die republikanische Rechtsordnung eingeschrieben wurde.

Republikanische Empörungen und Gegenskandalisierungen Skandale spielen im sozial-moralischen Haushalt von politischen Systemen eine eigentümliche Rolle. Auf der einen Seite steht die Delegitimierung von Personen und Institutionen, auf der anderen Seite das Phänomen, dass eine erfolgreiche Bewältigung eines Skandals eher systemstabilisierend wirkt und sich informelle Protokolle der Konfliktregulierung herausbilden. Zugespitzt formuliert: Demokratien und ihre Politiker müssen, ob sie wollen oder nicht, durch das Stahlbad von Skandalen gehen, in denen Grenzen des politisch wie moralisch erlaubten verhandelt werden. Konflikte und Krisen, die es in der Weimarer Republik zuhauf gab, eröffneten diesbezüglich auch Chancen, die Zukunft, und zwar eine republikanische Zukunft, neu zu gestalten.1

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Anwürfe gegen den DVP-Vorsitzenden Gustav Stresemann Als der SPD-Fraktionsvorsitzende Ernst Heilmann am 20. Januar 1925 die Rednertribüne des Preußischen Landtags betrat, flogen ihm Beschimpfungen wie »Barmat-Schieber«, »Ober-Schieber«, »Arbeiterverräter!« entgegen, und als er nach einer Unterbrechung der Sitzung dann doch das Wort ergreifen konnte, verließen die Fraktion der DNVP und die Abgeordneten der Deutschvölkischen demonstrativ den Sitzungssaal.2 Heilmann ging in die Offensive und klagte in einem Rundumschlag Korruption nicht nur in den Reihen der Deutschvölkischen, sondern auch in den Reihen der bürgerlichen Parteien an. Zielscheibe war insbesondere der Außenminister und Parteivorsitzende der DVP Gustav Stresemann. Heilmann brachte drei Vorkommnisse zur Sprache, die Parallelen mit dem Fall Barmat aufwiesen: erstens den Fall des Hermann »SpritWeber«, den Stresemann in den Reichsklub der Deutschen Volkspartei eingeführt und von dem er angeblich Geld für seine Partei erhalten hatte. Der Fall hatte Beachtung gefunden. Weber musste sich in einem anderen Verfahren wegen »Alkoholschiebungen« und Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe verantworten, wobei Heilmann Stresemann eine Falschaussage in einem Untersuchungsausschuss vorwarf.3 Im zweiten Fall ging es um ein Empfehlungsschreiben Stresemanns und seine Unterstützung für einen inzwischen flüchtigen Bankdirektor namens Wolpe, der das Reichsverkehrsministerium um eine große Menge Gold und das Reichspostministerium um 5 Mio. geborgten Geldes betrogen hatte. Drittens kam die Sprache auf den Kaufmann Paul Litwin, der im Sommer 1918 ein Maschineneinfuhrmonopol nach Russland zu erhalten versucht hatte. Im Zusammenhang mit diesem Fall warfen Heilmann und die SPD-Presse Stresemann Bestechung zugunsten seiner Person wie seiner Partei vor.4 In der Presse häuften sich plötzlich Hinweise auf viele Fälle von Misswirtschaft und realer und vermeintlicher Korruption. Von Anfang an thematisierte die SPD (und mehr noch die KPD) die sogenannten »Ruhrmillionen« – es ging um die Summe von über 700 Mio. Goldmark, welche die Ruhrindustrie 1924 durch rechtsverpflichtende Zusagen des damaligen Reichskanzlers Gustav

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Stresemann ohne parlamentarische Mitwirkung vom Reich als Entschädigung für die während der Ruhrbesetzung entstandenen Schäden erhalten hatte. Diese Steuergelder hatten der Schwerindustrie geholfen, sich über die Durststrecke der Stabilisierungskrise hinwegzuretten. Doch waren diese Zahlungen überhaupt rechtmäßig? Inwieweit verquickten sich dabei wirtschaftliche und politische Interessen der DVP? Vor allem aber: War der Fall Barmat ein geschickter Vorwand nicht nur im Hinblick auf den politischen Koalitionskampf, sondern auch, um von korrupten Machenschaften in den eigenen Reihen abzulenken, wie die Abbildung 10 (siehe S. 191) der sozialdemokratischen Zeitschrift Lachen Links suggerierte? Die SPD argumentierte aus der Defensive, da die KPD die »SPD-Korruption« gleichsetzte mit dem »Ruhrpanama« – eine Umschreibung der Korruption der Republik – der Schwerindustrie und konservativer Interessen. Im Reichstag wurde jedenfalls ein »Untersuchungssausschuß Ruhrentschädigungen« eingerichtet, der sich am 7. März konstituierte und am 1. Mai 1925 mit den Zeugenvernehmungen begann.5

Korruption der Deutschnationalen? Ende Januar berichteten Zeitungen, darunter prominent die Berliner Volks-Zeitung, von »Vorfällen« bei der Preußischen Landespfandbriefanstalt in Berlin. Vieles erinnerte an die Fälle Barmat und Kutisker. Der Direktor dieses für den öffentlichen Wohnungsbau zuständigen Instituts, ein Parteimitglied der DVP, hatte in betrügerischer Absicht dramatische Verluste durch neue, gewinnbringende Geschäfte zu verschleiern versucht. Dazu hatte er einem Unternehmen, das in der Presse als »Adelskonzern« bezeichnet wurde – die Besitzer hatten klingende Namen wie von Karstädt, von Etzdorf und von Carlowitz –, Kredite in Millionenhöhe verschafft, um von einem italienischen Spekulanten-Investor Büroimmobilien zu erwerben. Darin involviert war auch der konservative, agrarische Reichslandbund, der Auslandskredite zu vermitteln versprach, die aber nie zustande kamen. Neben den fatalen Grundstücksgeschäften floss das Geld in die Schuldabtragung und den demonstrativen Luxuskonsum der adligen Kreditnehmer, nicht zuletzt aber ging es

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Abb. 10 Der Barmat-Skandal als konservatives »Ablenkungsmanöver« von den eigentlichen Missetätern CC-BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Lachen Links 2.1925, S. 112

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an zahlreiche Personen, die skandalöse Provisionen und Abstandszahlungen bezogen, die sich schließlich auf über 5 Mio. Goldmark beliefen und damit das eigentliche Kreditgeschäft in den Schatten stellten. In dieser Angelegenheit richtete der preußische Landtag auf Antrag der demokratischen Fraktion ebenfalls einen Untersuchungsausschuss ein, der am 10. Februar seine Arbeit aufnahm.6 Ohne Erfolg war ein Antrag der SPD in einer Angelegenheit, die den Parteiführer der Deutschnationalen Graf Kuno von Westarp und eine ganze Reihe anderer Adliger betraf. Es ging darum, ob und wie diese in die Betrugsmanöver eines früheren Annoncenwerbers der konservativen Kreuzzeitung namens Paul Schmidt involviert waren. Nur die glänzenden Empfehlungen von Westarp, so der Vorwurf der SPD, hätten es Schmidts Firma ermöglicht, Kredite unter anderem der Preußischen Staatsbank zu erhalten, die der Schuldner nicht zurückzahlen konnte. Bemühungen, einen weiteren parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu etablieren, verliefen im März 1925 aber im Sande.7 Bald verbreiteten sich auch Nachrichten, dass ausgerechnet der Zentrumspolitiker Franz von Papen Aufsichtsratsmitglied in der Barmat’schen Preußischen Hypotheken- und Wechselbank gewesen war. Damit machte sich der Politiker angreifbar, denn es mochte glauben, wer wollte, dass der Zentrumspolitiker nichts von den Besitzverhältnissen wusste. In diesen Zusammenhang tauchte zudem die bereits erwähnte Geschichte des Fräulein von Papen auf, einer, wie sich bald herausstellte, weitläufigen Verwandten des Politikers, der Barmat offenbar einen »kleinen Privatkredit« vermittelt hatte.8 Das alles und vieles mehr machte schnell die Runde. Ironisch vermerkte das Tage-Buch, dass in Deutschland eine Art »politischer Nackttanz-Epidemie« grassierte: »[M]an enthüllt sich gegenseitig, läßt die Peitsche knallen und zwingt die Entblößten mit muntern Sprüngen durch den Reifen zu setzen.« Hier wie dort war die Rede von »Sumpf, Sumpf, Sumpf«.9 In der Öffentlichkeit hinterließen die Enthüllungen einen makabren Eindruck, wie die Karikatur des Simplicissimus zeigt (siehe Abb. 11, S. 193), in der der deutsche Michel von Blutegeln mit den Farben aller Parteien (Schwarz-Weiß-

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Abb. 11 Die republikanischen Parteien als »Blutsauger«, Simplicissimus 49. 1925, Titelblatt ©VG Bild-Kunst, Bonn 2017

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Rot, Schwarz-Rot-Gold, Rot oder Schwarz) ausgesaugt wurde. Für die Konservativen fatal war, dass sie, die den Korruptionsvorwurf so offensiv ausgebreitet hatten, plötzlich in Geiselhaft einer korrupten Politik genommen wurden.

Justizmord? Der Tod des Reichspostministers Anton Höfle Der Tod des Postministers Anton Höfle (Zentrum) am 20. April 1925, also wenig mehr als zwei Monate nach dem Tod Friedrich Eberts, im Berliner St. Hedwig Hospital markiert einen wichtigen Wendepunkt im Verlauf des Skandals. Waren Justiz und Ärzte für den Tod verantwortlich? Lag hier ein Akt der Rache vor? Der Vorwärts-Journalist Victor Schiff sprach von einer »Höfle-Tragödie«, ein Thema, das in der republikanischen Presse breit verhandelt wurde. Vor allem schreckte der Fall auch die bis dahin eher lethargische Zentrumspresse auf, die sich nun zunehmend deutlicher positionierte.10 Wie auch immer man die Dinge sah, der Fall Höfle war in jeder Hinsicht wenig erfreulich. Der Postminister war für die Vergabe von Postkrediten an die Amexima sowie an einzelne Unternehmen des Barmat-Konzerns verantwortlich gewesen. Seine »unbürokratischen« Entscheidungen ohne Hinzuziehung der Beamten seines Ministeriums waren vielleicht gut gemeint gewesen und, wenn man die »Ruhrmillionen« bedenkt, auch nicht ganz ungewöhnlich, aber dennoch höchst fragwürdig. Schwer wog der Vorwurf der Korruption in Anbetracht diverser finanzieller Zuwendungen seitens Barmats, darunter ein Darlehen, das Höfle zur Fertigstellung seiner Villa in Lichterfelde dringend benötigt hatte. Für das Schöffengericht war all das später der Grund, Julius und Henry Barmat wegen aktiver Bestechung zu verurteilen. Es leitete daraus jedoch nicht den Vorwurf der passiven Bestechung, des Betrugs und der Untreue Höfles ab, wie die Staatsanwaltschaft das – mit einigen guten Gründen – in der Anklageschrift noch getan hatte.11 Die nachsichtige Bewertung der Handlungen Höfles war zweifellos dem Respekt dem Toten gegenüber geschuldet, hatte aber wohl auch mit den gravierenden Verfahrensfehlern der Justizorgane zu tun: Warum wurde Höfle, der sein Reichstagsmandat freiwillig

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niedergelegt hatte (womit er der Forderung der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Immunität durch den Reichstag zuvorkam), in Untersuchungshaft genommen, obwohl er sich in jeder Hinsicht kooperativ zeigte? Wie war es im März zu sogenannten Arrestbefehlen gegen Höfle gekommen, darunter einem in Höhe von 62889 Mark wegen »voraussichtlicher Verfahrens- und Strafvollstreckungskosten« – damit wurden Höfle die Kosten für voraussichtlich fünf Jahre Haft berechnet –, die ganz wesentlich zum psychischen Zusammenbruch des Ministers beitrugen? Warum wurde der Schwerkranke nicht rechtzeitig in ein Krankenhaus verlegt, obwohl schon am 18. April ein ärztliches Gutachtergremium zu dieser Empfehlung gekommen war? Wie ließen sich die vielen medizinischen Fehlurteile und schludrig erstellten Gutachten erklären, die u. a. dem binnen weniger Wochen um mindestens 50 Pfund abgemagerten Kranken kurz vor seinem Tod noch eine »gute Gesundheit« bescheinigten bzw. später konstatierten, dass »die Leiche sich in gutem Ernährungszustand« befinde, obwohl beides offenkundig falsch war?12 Schließlich und nicht zuletzt: Handelte es sich um Selbstmord bzw. wer hatte ein Interesse daran, die These vom Selbstmord des Ministers in die Welt zu setzen, und das noch bevor das medizinische Gutachten vorlag? Fragen über Fragen, die Gerüchte befeuerten und den Vorwärts die Einsetzung eines weiteren Untersuchungsausschusses fordern ließen, und zwar mit der Begründung, der Oberstaatsanwalt Linde sei »als Haupt der ganzen Barmat-Untersuchung im höchsten Maße Partei« und die Untersuchung müsse »nicht mit ihm, sondern gegen ihn geführt« werden.13 Den Antrag auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses stellte dann das Zentrum, unterstützt von SPD und DDP. Schon am 4. Mai nahm der sogenannte Höfle-Ausschuss des Preußischen Landtags unter dem Vorsitz des Deutschnationalen Erich Seelmann-Eggebert (DNVP) und seines Stellvertreters Wilhelm Paetzel (SPD) die Arbeit auf; sie endete nach 26 Sitzungen am 11. Juli.14 Dem Auftrag gemäß sollte der Landtag nicht in das laufende Verfahren der Justiz und des gleichzeitig tagenden Barmat-Ausschusses eingreifen, sondern sich auf die medizinischen Hintergründe von Höfles Tod beschränken; vielen ging

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das nicht weit genug, erschien der Fall doch nur im Kontext der »Gesamtbarmathetze« verständlich.15 Die Untersuchungen offenbarten eklatante Missstände, sowohl in Bezug auf die Begründung für die Einlieferung in Untersuchungshaft – Verdunklungsverdacht und Fluchtgefahr –, das Verhalten der Staatsanwaltschaft als auch die medizinische Versorgung in Moabit. Dort tat sich das »dunkle Mittelalter« auf:16 grauenhafte Mängel in der Krankenversorgung, »ein Marketendertum mit narkotischen Mitteln«, z. B. mit Morphium, das freizügig verabreicht und überdosiert wurde, sodass manche Gefangene im Gefängnis zu Morphinisten wurden (obwohl nie explizit formuliert wurde, dass Höfle Morphium bekam). Auf jeden Fall war Höfle vollgepumpt mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln, die in Verbindung mit seiner Herzschwäche seinen Tod verursacht hatten. Wie diese Tabletten in seinen Körper gekommen waren, war und blieb eine ungeklärte Frage. Der gegen Höfles Frau gerichtete Vorwurf, sie habe die Tabletten eingeschleust, war reichlich absurd; sie gab an, niemals auch nur die Namen dieser Medikamente gehört zu haben. Nach Meinung des vom Untersuchungsausschuss angeforderten medizinischen Untersuchungsberichts war Höfle schon in den Tagen vor seinem Tod gar nicht mehr in der Lage, selbstständig Tabletten einzunehmen; der Gefängnispfarrer hielt eine Selbstmordabsicht für ganz ausgeschlossen.17 Bedeutsam war in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit die Staatsanwaltschaft selbst die Erstellung von Gutachten, die nicht nur Höfles gesundheitliche Lage beschönigten, sondern auch den Selbstmordverdacht in den Raum stellten, beeinflusst hatte. Sollte etwa ein republikanischer Politiker abgestraft werden? Der Vorwärts sprach von einem »abgepreßte[n] Selbstmordgutachten« und einem »neuen Skandal der Staatsanwaltschaft«, ja die Ärzte hätten ihre Gutachten »unter der Peitsche der Staatsanwaltschaft« verfasst.18 Seitens der Staatsanwaltschaft (und mehr noch der konservativen Presse) wurde dagegen insinuiert, das Ministerium habe sich in die Angelegenheit eingemischt, um die Selbstmordhypothese des unmittelbar nach dem Tod erstellten medizinischen Gutachtens zu revidieren, und das nicht aus Pietätsgründen gegenüber

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der Familie, sondern wegen einer angeblich hohen Lebensversicherung Höfles.19 Die nach und nach durchsickernden Informationen über die katastrophalen Umstände des Todes des Reichspostministers sorgten für wachsende Empörung. Am 13. Mai 1925 sprach eine Deputation von Abgeordneten der preußischen Zentrumsfraktion bei ihrem Parteikollegen, dem Justizminister Hugo am Zehnhoff, vor und berichtete über die Fehlgriffe der im Fall Höfle tätigen Beamten. Neben dem Hinweis auf die Beurlaubung des zuständigen Gefängnisarztes verkündete der Minister, dass die Justizverwaltung beschlossen habe, die an dem Höfle-Verfahren beteiligten Staatsanwälte zur Verantwortung zu ziehen.

Die Disziplinierung der Staatsanwälte: Eine Kriminalgeschichte der besonderen Art Alle in den Fall Höfle involvierten Staatsanwälte waren auch mit den Fällen Barmat und Kutisker betraut, und es schien sich nun zu bestätigen, was die Vögel von den Berliner Dächern pfiffen, nämlich dass einzelne Personen in der Justiz gemeinsame Sache mit der konservativen Presse machten. Floss dabei auch Geld? In anderen Worten: Der Vorwurf korrupter Praktiken in den Reihen der Staatsanwaltschaft und der DNVP stand im Raum.

Merkwürdigkeiten der Presse- und Öffentlichkeitspolitik Der Eindruck von Unregelmäßigkeiten verdichtete sich, nachdem Stimmen schon früh darauf hingewiesen hatten, dass die konservative Pressekampagne Merkwürdigkeiten aufwies: nicht nur dass offenbar vertrauliche Informationen und Unterlagen den Weg in in die Öffentlichkeit fanden; Zeitungen berichteten auch über Zusammenhänge, die offiziell erst nachträglich bekannt gegeben wurden. So hatte sich der regierungsoffizielle Preußische Pressedienst bereits in den ersten Tagen nach der Verhaftung Barmats darüber beschwert, dass er von der Staatsanwaltschaft sabotiert und stattdessen an die Regierung verwiesen werde.20 In einer verklau-

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sulierten Erklärung bekundete er zwar, dass »die Vermutung«, die Staatsanwaltschaft habe »einzelnen Blättern Material geliefert, um ›einen politischen Feldzug gegen die Parteien der Linken und auf der Mitte zu führen‹ […], der Begründung« entbehre. Tatsächlich hatte der Pressechef Hans Goslar aber genau diesen Verdacht intern artikuliert und konkrete Beispiele dafür angeführt, dass die Staatsanwaltschaft die einschlägigen Blätter, allen voran die Berliner Börsen-Zeitung und den Berliner Lokal-Anzeiger, mit vertraulichen Informationen und Quellen versorgte. Es sei nicht im Staatsinteresse, so Goslar an den Justizminister, »dass die Presse die begründete Vermutung hat, dass sie überall da, wo sie legitim nichts erfahren soll, auf dem illegitimen Wege alles Wissenswertes [sic!] bis in die kleinsten Details hinein, wie es anzunehmen ist, gegen Entgeld [sic!] erlangen kann«.21 Der Generalstaatsanwalt beim Landgericht dementierte vehement solche Verdächtigungen und spielte darüber hinaus den Ball zurück: Die Barmats mobilisierten, so die Unterstellung, hohe Geldsummen auch aus dem Ausland, um »in ihrem Sinne die Presse zu beeinflussen und für sich Stimmung zu machen [und] den tatsächlichen Sachverhalt zu verdunkeln«.22 Die Berliner Börsen-Zeitung schlug in die gleiche Kerbe: Der Pressedienst habe »Barmat-Gelder« erhalten, was erkläre, dass er versucht habe, die Berichterstattung über die Barmat-Affäre in seine Hand zu bekommen. Wer wollte, konnte daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass der engagierte Zionist Goslar und der jüdische Unternehmer Barmat unter einer Decke steckten. Wann die vorgesetzte Behörde dem Ersuchen nachkam, Strafantrag gegen die Zeitung wegen Beleidigung und übler Nachrede zu stellen, ist nicht klar. Erst zwei Monate später sah sich die Berliner Börsen-Zeitung gezwungen, die Nachricht zu widerrufen.23

Ungewöhnliche Personalentscheidungen Die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen der Fälle Barmat und Kutisker warfen von Anfang an viele andere Fragen auf. Zu den Merkwürdigkeiten zählte die Tatsache, dass der Generalstaatsanwalt Siegfried Lindow und der Leiter der Wirtschaftsabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft I Oberstaatsanwalt Frantz Linde ausgerech-

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net zwei junge, offenbar höchst ambitionierte Assessoren mit den äußerst schwierigen Fällen betrauten. Bei dem einen handelte es sich um den allgemein als forsch, wenn nicht arrogant charakterisierten, promovierten, damals 30 Jahre alten Gerichtsassessor Erich Kussmann, der schon seit 1920 im Justizdienst arbeitete, Erfahrungen in Wirtschaftsstrafsachen gesammelt hatte und schwerpunktmäßig den Fall Barmat bearbeitete. Der andere war der eher als zurückhaltend beschriebene, ebenfalls in Jura und Politik promovierte und damals noch nicht beamtete 31-jährige Gerichtsassessor Rudolf Caspary, der schwerpunktmäßig mit dem Fall Kutisker betraut war.24 Kussmann und Caspary arbeiteten in Moabit Tür an Tür, tauchten in der Öffentlichkeit immer wieder als Zweiergespann auf und vertraten sich gelegentlich gegenseitig, was mit zur Konfusion der Fälle Barmat und Kutisker beitrug. Beide gaben gemeinsame öffentliche Stellungnahmen »In der Sache Barmat-Kutisker« ab, wobei der Eindruck vorherrschte, dass Kussmann die treibende politische Kraft war, Caspary dagegen »ein dem persönlichen Einfluss des energischeren Kussmann unterliegender Mitläufer, den Kussmanns Ruhm zur Nacheiferung trieb«.25 Wenn man bedenkt, dass sich Kussmann und Caspary ihre Arbeit mit erfahreneren Juristen, darunter dem Staatsanwalt Höltz (im Fall Kutisker) und dem Staatsanwaltschaftsrat Peltzer (im Fall Barmat), teilten, die aber eher im Hintergrund blieben, kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Vorgesetzten ihre Unerfahrenheit ausnutzten, anders formuliert: es riskierten, dass zwei ambitionierte Assessoren ins Messer liefen, falls etwas schief gehen würde.26 Und war es Kalkül, die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen einen »Ostjuden« ausgerechnet dem jungen Caspary zu übertragen, der jüdischer Konfession war (was dieser später angesichts der öffentlichen Angriffe seitens der Linken auch explizit betonte)? Casparys Gesinnung schien schon darin zum Ausdruck zu kommen, dass in seinem Büro, wie die republikanischen Medien kolportierten, ein Exemplar der rechtsradikalen Wochenzeitschrift Fridericus hing.27 Jüdischer Konfession war auch der Untersuchungsrichter Friedrich (Fritz) Nothmann, den Die Rote Fahne als einen »Deutschnationalen mit deutschvölkischem Einschlag« be-

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zeichnete, der ein »Schreckensregiment gegen die Untersuchungsgefangenen, die seiner Partei nicht genehm sind, führt«. Es gab die Vermutung, dass sich die Leitung der Staatsanwaltschaft, wenn sie ein besonders scharfes Vorgehen gegen jüdische oder katholische Angeklagte anstrebte, mit Vorliebe Mitarbeiter eben dieser Glaubensrichtungen bediente, um Vorwürfen der Parteilichkeit und des Antisemitismus den Wind aus den Segeln zu nehmen.28 Obwohl sich Kussmann und Caspary später bitter beklagten, dass ihnen das Ministerium ihre Arbeit systematisch erschwert habe, vor allem, dass man sie nicht vor den Angriffen der republikanischen Presse geschützt habe, deutet alles darauf hin, dass ihnen freie Hand gewährt wurde. Tatsächlich pfiffen weder die unmittelbaren Vorgesetzten noch zunächst auch das Aufsicht führende Justizministerium die beiden Assessoren zurück, als die Sache aus dem Ruder lief. Alles deutete darauf hin, dass die Grenzen der Autonomie der Staatsanwaltschaft auch gegenüber der politischen – republikanischen – Justizverwaltung ausgetestet wurden.29

Spektakuläre Ermittlungsmethoden Zu den spektakulären und für die weitere Geschichte folgenreichen performativen Akten des Staatsanwalts Caspary gehörte das Chartern eines Flugzeugs, um den stadtbekannten Berliner Anwalt Kutiskers Johannes Werthauer in Dresden festzunehmen. Dort musste man allerdings feststellen, dass sich der von seinem Sohn informierte Anwalt längst mit der Bahn auf dem Weg nach Berlin befand, wo er am Anhalter Bahnhof von der Polizei empfangen und verhaftet wurde, nachdem seine Wohnung und Büroräume schon vorher durchsucht worden waren. Werthauer wurde vorgeworfen, in die Geschäfte Kutiskers verstrickt zu sein. Sein Anwalt sah das anders: Der Gerichtsassessor Caspary sei nur »aus seiner völkischen Einstellung heraus« zu diesen Anordnungen gelangt.30 Der »große Theaterpomp« (Vossische Zeitung) sollte ein Nachspiel haben, nicht nur, weil Werthauer und sein Kompagnon Strafanzeige erhoben, sondern auch, weil nun die Berliner Anwaltschaft beim preußischen Justizminister vorstellig wurde.31 Der Höhepunkt der staatsanwaltschaftlichen Eskapaden war eine Spritztour Kussmanns

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durch halb Europa: Eine Berliner Mercedes-Vertretung stellte werbewirksam einen Wagen zur Verfügung, damit sich der Staatsanwalt vor Ort ein Bild der Barmat’schen Betriebe unter anderem in Prag, Wien, Ljubljana, Zürich und Amsterdam machen und Personen verhören konnte – und das alles, wie sich im Nachhinein herausstellte, ohne »Dienstreisegenehmigung«, sondern unter dem Vorwand »Gefahr im Verzug«.32 Kussmann rechtfertigte sich später damit, dass er als Staatsanwalt immer versucht habe, der neuen Zeit gerecht zu werden: Den »Schiebern« und »gerissenen Gegnern« könne man nur mit einer neuen Kriminaltechnik zu Leibe rücken, und da habe er zu sonst nicht üblichen Mitteln gegriffen.33 Ob dazu auch das Anstiften von Einbrüchen in der Barmat’schen Amexima in Amsterdam und sogar in der Deutschen Botschaft in Amsterdam gehörte, beschäftigte gleichermaßen die Öffentlichkeit wie interne Ermittler.34 Der Staatsanwalt auf der Spur des Verbrechers: Das war nicht nur das Thema des in dieser Zeit immer populäreren Genres des Kriminalromans. Dazu gab es auch ein großes filmisches Vorbild – Staatsanwalt Wenk, der in Fritz Langs Film Dr. Mabuse, der Spieler (1922) Dr. Mabuse entlarvt.35 Derartige spektakuläre Aktionen waren auch in der Berliner Staatsanwaltschaft und unter Juristen umstritten. Wenngleich es Praxis war, dass Staatsanwalt und Presse zur »Aufklärung dunkler Verbrechenstatbestände« und zur Fassung von Tätern zusammenarbeiteten, verstießen die beiden Staatsanwälte, die überdies unbeteiligte Personen unter Verdacht stellten und Namen von ermittelnden Justiz- und Kriminalbeamten nannten, gegen den Grundsatz: »Es gibt keine Öffentlichkeit«. Mit Blick auf das »allzu stürmische Draufgängertum nicht genügend lebenserfahrener Männer in dem Porzellanladen des deutschen Wirtschaftslebens« sagte der bekannte Berliner Strafverteidiger Siegfried Löwenstein schon Anfang Januar 1925 voraus, »daß das von der Staatsanwaltschaft vermeintlich enthüllte Panama zu einer schweren Niederlage eben dieser Behörde führen könnte, mit allen Implikationen auf das ohnehin schon allzu schwer erschütterte Vertrauen zu unserer Strafrechtspflege«.36

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Intervention der Aufsichtsbehörden Der Verdacht erhärtete sich, dass die Vertreter des Staates ein doppeltes Spiel trieben, nämlich dass sie in den ersten Monaten des Jahres 1925, also in der Zeit der andauernden Regierungskrise in Preußen, als nicht ganz klar war, wer das Land in Zukunft regieren würde, willige Vollstrecker einer politischen Kampagne waren. Nach der Intervention der Zentrumsabgeordneten beim Justizminister blieb es tatsächlich nicht bei frommen Sprüchen und Absichtserklärungen. Zwar sah man im Justizministerium die Angriffe auf die Justiz aus den Reihen der republikanischen Parteien kritisch.37 Aber schon im Juni und Juli leitete das Preußische Justizministerium, dem die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden unterstand, umfassende Untersuchungen gegen alle in die Fälle Barmat und Kutisker (und damit auch Höfle) involvierten Staatsanwälte ein. Im Sommer 1925 wurden die vermeintlichen Vorkämpfer gegen Korruption selbst zu Angeklagten, die sich zunächst im preußischen Barmat-Untersuchungsausschuss, dann in einem Strafverfahren und schließlich auch noch in einem Disziplinarverfahren rechtfertigen mussten. Das war in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Wie schon der Fall Höfle entwickelte sich diese Geschichte zu einer weiteren Skandalgeschichte im Skandal. Nachdem die Staatsanwälte schon vorher im parlamentarischen Höfle-Untersuchungsausschuss Rede und Antwort hatten stehen müssen, wurden sie von ihrem Dienstherrn in einer vom Berliner Kammergericht bestellten Kommission nochmals mit den gleichen Fragen konfrontiert. In der Folge hagelte es Verwarnungen, Missbilligungen und »ernsthafte Rügen«, die sich nicht nur auf Fehlverhalten im Fall Höfle, sondern auch andere Verfahrensfehler bezogen.38 Für die Karrieren der Betroffenen sah es düster aus. Doch das war erst der Anfang. Im Mai 1925 zog der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, d. h. dem obersten Gericht in Preußen, gemäß seiner gesetzlichen Befugnis und im Einverständnis mit dem Justizminister den Fall Barmat »wegen seiner besonderen Bedeutung« an sich; gleichzeitig wurden die Dezernate in der Berliner Staatsanwaltschaft neu besetzt. Die Verträge der beiden Staatsanwälte Kussmann und Caspary wurden nur mehr pro forma

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um einen Monat verlängert; de facto wurde ihnen damit der Fall entzogen. Dafür verantwortlich zeichnete sich der Staatssekretär Ulrich Fritze, ein Zentrumsmann, der den wegen Krankheit beurlaubten Justizminister vertrat. Die konservative Presse unkte, Barmat habe über Erich Kuttner und Ernst Heilmann seinen Einfluss geltend gemacht.39 Dass die beiden Staatsanwälte »überfordert« waren, war die gängigste Erklärung: 14 Personen waren zu Beginn des Jahres zeitweise in Untersuchungshaft genommen und die Hauptangeklagten bis Ende Mai auch nicht wieder entlassen worden; mit Höfle war ein Toter zu beklagen (und den Tod Eberts konnte man, wenn man wollte, in diese Bilanz mit aufnehmen). Zudem warteten die Angeklagten im Frühjahr noch immer auf die Begründung für die Verhaftung. Von einer Anklageschrift war man, zumindest im Fall Barmat, noch weit entfernt, weil Personen und Zusammenhänge ins Visier genommen wurden, die nichts mit dem Fall zu tun hatten, weil sich die Ermittlungen verzettelten und auf Holzwege führten. Verhaltensdispositionen der beiden Anwälte wie das »reklamehafte« Auftreten in der Öffentlichkeit, aber auch die »Gefahr, aus persönlichem Übereifer […] den klaren Blick für eine unbedingt sachliche Würdigung der einzelnen Angelegenheiten zu verlieren«, taten ihr Übriges.40 Vor allem aber war da der Verdacht der Weitergabe von Akten.

Eine deutschnationale Verschwörung? Zunächst zu den erdrückenden Beweisen. Die Verdächtigungen, dass über die Staatsanwälte Informationen an die Presse gelangt waren, ließen sich belegen. Am 27. Juli 1925 legte der Stellvertretende Berliner Polizeidirektor Bernhard Weiß Staatssekretär Fritze Material vor, das den Verdacht erhärtete, dass strafrechtliche Handlungen nicht nur eines Pressebüros, sondern auch von Beamten der Staatsanwaltschaft vorlagen; demnach waren geheim zu haltende Aktenstücke in private Hand gelangt und gesetzeswidrig veröffentlicht worden. Die Spur führte zu einem Nachrichtenbüro, das von einem Mann namens Ernst Knoll geleitet wurde, von dort zu deutschnationalen Abgeordneten, darunter Eduard Kenkel,

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sowie zu konservativen Journalisten und schließlich zu den beiden Staatsanwälten Kussmann und Caspary, bei denen Haussuchungen durchgeführt und weiteres Material beschlagnahmt wurde. Zum ersten Mal ließ sich der Nachweis führen, dass die BarmatKutisker-Kampagne organisiert worden war. Das Nachrichtenbüro Knoll, der Inhaber nannte sich auch Dr. Kluge und publizierte unter diesem Namen, stand in enger Verbindung mit Männern der DNVP, der Schwerindustrie und der konservativen Presse, darunter die zum Hugenberg-Konzern gehörende Telegraphen-Union. Andere Verbindungen führten zum Führer des Jungdeutschen Ordens Artur Mahraun sowie zu deutschnationalen Reichstags- und Landtagsabgeordneten. Brisant war die Tatsache, dass »Dr. Kluge« wenn nicht Einsicht, dann doch dank seiner engen freundschaftlichen Beziehungen zu Caspary und Kussmann Informationen über den Vorgang im Fall Barmat hatte und dass ihm leihweise Akten zur Vorlage an deutschnationale Presseleute und Abgeordnete überlassen worden waren. So hätten die beiden Staatsanwälte mit deutschnationalen Journalisten und dem Oberfinanzrat Paul Bang im Mai eine Besprechung abgehalten, in der die Veröffentlichung eines für Barmat ungünstigen Kammergerichtsbeschlusses noch vor der Bekanntgabe vereinbart worden sei.41 Bang war als Deutschvölkischer bekannt, der im Aufsichtsrat der rabiat republikkritischen Deutschen Zeitung saß. 1919 hatte er unter dem Pseudonym Wilhelm Meister Judas Schuldbuch. Eine deutsche Abrechnung publiziert; von den Kapp-Putschisten war er als Finanzminister vorgesehen gewesen (und 1933 sollte er Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium werden).42 Das war nicht die einzige Verbindung zu den Völkischen. Mit in den Handel mit Akten involviert war unter anderem ein »Schriftsteller« namens Wolfgang Breithaupt, der, wenn überhaupt, durch sein 1924 erschienenes Buch Volksvergiftung bekannt war, in dem er mit den wüstesten Beschimpfungen gegen Pazifisten, Sozialisten und Linksrepublikaner vom Leder zog.43 Der Berliner Polizeidirektor Weiß sprach von dem »Beamtenbespitzelungssystem Bacmeister-Leopold-Knoll-Kenkel«.44 Die Aufregung war groß. Das Mitglied des »Barmat-Untersuchungsausschus-

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ses« Kenkel prangerte in einer unter seinem Namen publizierten Darstellung in der Bergisch-Märkischen Zeitung das vermeintliche Versagen der preußischen Justiz an, das sich vom Fall Sklarz bis in die Gegenwart ziehe.45 Der schwer belastete Herausgeber dieser Zeitung Walther Bacmeister und der deutschnationale Reichstagsabgeordnete Bernhard Leopold, Direktor eines dem Stinnes-Konzern gehörenden Braunkohleunternehmens in Halle, der sich auch in der konservativen Medienlandschaft Mitteldeutschlands engagierte, klagten in einem offenen Brief den Justizminister und sein Ministerium an, in den Fällen Sklarz, Barmat und Kutisker massiven Druck auf die Justiz auszuüben. Von einer »preußischen Rechtspflege« könne nicht mehr die Rede sein, so ihr Fazit. Andere rechts stehende Zeitungen druckten die Stellungnahme ab und zogen nach: Bacmeister und Leopold handelten in bester Gesinnung, sie wollten nichts anderes als »die politische Korruption ausbrennen, der bisher wie der lernaeischen Hydra für seinen abgehauenen Kopf zwei Köpfe wieder wuchsen«. Die Republikaner waren empört, zumal Material durchsickerte, dass Bacmeister und Leopold nicht nur das Justizministerium und damit das Zentrum im Visier hatten, sondern auch einen großen politischen Angriff auf den preußischen Innenminister Carl Severing planten.46 Es gab Überlegungen, die Angelegenheit durch einen neuen parlamentarischen Ausschuss untersuchen zu lassen, die Parteien entschieden sich aber dafür, die Assessoren Kussmann und Caspary im September vor den Barmat-Ausschuss zu zitieren. Die Landtagsfraktion der preußischen Zentrumspartei lancierte eine viel beachtete Erklärung gegen die »deutschnationale Korruption«: Verteidigt wurden darin nicht Barmat oder Kutisker, wohl aber das Justizministerium mit Zehnhoff an der Spitze. Als »Inspirationen« der Angriffe auf Ministerium und Minister wurden die beiden Assessoren Kussmann und Caspary identifiziert, »die also den traurigen Mut besaßen, ihre eigene Behörde und ihren Chef unter Bruch des Amtsgeheimnisses zu verunglimpfen«. Und nicht nur das: »Es ist festgestellt, daß in der Tat ein wahrer Korruptionsherd durch den Barmat-Prozeß aufgedeckt worden ist. Dieser Korruptionsherd gruppiert sich um die Herren Knoll, Bacmeister, Leopold, Kuß-

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mann [sic!], Caspari [sic!] und Deutsche Zeitung.« Diese »Entente« hätte bekanntlich den Kampf wider die »Korruption« auf ihre Fahne geschrieben, aber »wir müssen auf Grund der Verhandlungen [des Barmat-Ausschusses – MHG] davon ausgehen, dass sie selber sich der ärgsten Korruption schuldig gemacht hat«.47 Zunächst musste Kussmann im preußischen Barmat-Ausschuss Rede und Antwort stehen, was ein Spektakel war. Der degradierte Staatsanwalt war ein Selbstdarsteller, wie er im Buche steht, der jede Sekunde seine Überlegenheit und seinen Gegnern gegenüber Herablassung demonstrierte und dabei die Rolle des korrekten Beamten einnahm, der seine Methoden der Kriminalitätsbekämpfung den Zeitumständen anpasste und sich nicht um seine politischen Vorgesetzten, schon gar nicht um die Mitglieder eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses scherte. Er, der Staatsanwalt, hatte niemandem Rechenschaft abzulegen. Selbstbewusst erzählte er, wie er den Polizeidirektor Weiß bei der angeordneten Haussuchung mit geschickten Fragen »hereingelegt« habe. Der Reporter der Vossischen Zeitung berichtete über minutenlange Heiterkeitsausbrüche, etwa wenn Kussmann, konfrontiert mit den vielen falschen Namen seines Duzfreundes Ernst Knoll, konterte, dass er gehört habe, dass auch Theobald Tiger und Peter Panter ein und dieselbe Person seien.48 Er bestritt, deutschnational oder gar völkisch eingestellt zu sein, nein, er gehöre überhaupt keiner Partei an, vielmehr habe er die »Ehre, nur ein guter Deutscher und ein guter Preuße« zu sein. Im Brustton der Überzeugung berichtete er von allerlei Einmischungen des Ministeriums in den Fall, wobei er auf Nachfragen und Hinweise, dass die Beteiligten die Aussagen bestritten oder dass Aussagen nachweislich falsch waren, zugeben musste, dass er die Begebenheiten aus eigener Wahrnehmung nicht kannte und nicht sagen konnte, ob sie wahr waren.49 Der Eindruck verdichtete sich, dass Kussmann ein politisches Spiel spielte. Tatsächlich brüstete er sich in privaten Gesprächen nicht nur ob seiner guten Kontakte zur konservativen Presse, sondern auch damit, dass er auf das Justizministerium nicht »mit Flinten schießen [werde], sondern mit Kartäschen«, ja dass Männer wie Innenminister Severing, Reichskanzler Marx und Außenminister Stresemann (wegen

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dessen Beziehungen zu Litwin) durch die Veröffentlichung bloßstellender Dokumente »abgekillt« werden sollten.50

Straf- und Disziplinarverfahren Zeitgleich mit den Verhandlungen im preußischen Untersuchungsausschuss eröffnete Anfang September die Berliner Staatsanwaltschaft wegen der Weitergabe von Dokumenten an die Presse ein Strafverfahren gegen Caspary und Kussmann, das sich bis ins Frühjahr 1926 hinzog.51 Zunächst schien es so, als ob die ganze Angelegenheit im Rahmen einer Generalamnestie des neu gewählten Reichspräsidenten eingestellt werden würde. Aber dagegen erhob die Staatsanwaltschaft erfolgreich Einspruch, sodass am 7. April 1926 der kurze Prozess – er dauerte einen einzigen Verhandlungstag – beginnen konnte.52 Das Gericht entschied auf Freispruch der Angeklagten, woraufhin die Staatsanwaltschaft in Revision ging, sodass ein zweiter Prozess Ende September stattfand, in dem neben dem Oberstaatsanwalt Tetzlaff der Generalstaatsanwalt Lindow die Anklage vertrat. Das war sicherlich kein Zufall, denn Lindow war in die ganze Angelegenheit verstrickt und musste nun – als Anklagevertreter – Farbe bekennen. Das war eine Demütigung. Einmal mehr wurden die Aktivitäten der Staatsanwälte sowie die Rolle des »Dr. Kluge« und der Industriellen verhandelt. Die Zusammenarbeit mit Knoll, alias Dr. Kluge, zählte laut Kussmann zu den »unkonventionellen Methoden« der modernen Verbrechensbekämpfung, von denen er immer wieder sprach. Knoll war für Kussmann ein »Idealmensch«, er habe sich achtmal im Kriege zusammenschießen lassen, sei ein treuer Freund und jedes Vertrauens würdig, denn er kämpfe »aus Überzeugung gegen jede Korruption«, wie auch er »die Korruption mit der Faust an der Gurgel« packe.53 Die beiden Deutschnationalen Bacmeister und Leopold, die, daran bestand kein Zweifel, das Pressebüro finanzierten, hätten sich schon im März an ihn gewandt und ihm »Schutz gegen die Angriffe der Linkspresse« angeboten; aber erst seit April wollte er sich mit den Herren unterhalten, ihnen aber weder Material noch Informationen amtlicher Art geliefert haben. Vor dem Schöffengericht gaben Knoll und Kussmann zu Protokoll, dass nicht der Nachrichtendienst In-

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formationen vom Staatsanwalt erhalten habe, sondern umgekehrt habe Knoll der Staatsanwaltschaft Material beschafft. Dabei sei es »gelegentlich notwendig« gewesen, auch das Material der Staatsanwaltschaft kennenzulernen.54 Was sich jedenfalls einmal mehr herausschälte, war nicht nur ein reger Handel mit gestohlenen Akten und Aktenabschriften, sondern eine Verschwörung der Deutschnationalen, die sich gegen die republikanische Regierung richtete.55 Auf der Grundlage der vorliegenden Quellen ist nicht klar, inwieweit untersucht wurde, ob Kussmann Geld für seine Dienste erhalten hatte, also ob eine Form von Justizkorruption vorlag. Darüber gab es Gerüchte, und tatsächlich lassen sich in den Akten konkrete Hinweise darauf finden.56 Trotz all dieser Vorwürfe und des Engagements des Generalstaatsanwalts Lindow wurden Kussmann und Knoll auch in der Revisionsinstanz ein zweites Mal mit dem Argument freigesprochen, die Angeklagten hätten nicht der strafbaren Handlung überführt werden können.57 Kussmann, der nach der Nichtverlängerung seines Vertrags zwischenzeitlich offenbar für den Hugenberg-Konzern gearbeitet hatte, wurde nach dem Freispruch des Schöffengerichts Amtsrichter in Berlin-Pankow. Die von ihm selbst beantragte Entlassung aus dem Staatsdienst wurde mit Hinweis auf den »Mangel an Richtern« abgelehnt.58 Was auf den ersten Blick als Triumph einer reaktionären Justiz erscheint, entpuppte sich für Kussmann aber als Pferdefuß. Denn nur so konnte das schon seit Langem geplante Disziplinar verfahren gegen ihn eingeleitet werden (was im Zuge des laufenden Straf verfahrens und bei einer Entlassung juristisch nicht möglich gewesen wäre). Einmal mehr war die ganze Riege der Berliner Staatsanwaltschaft, die in den Fällen Barmat und Kutisker ermittelt hatte, mit Disziplinarverfahren konfrontiert, unter ihnen auch Caspary, der nach einem Jahr Beurlaubung als Richter ans Amtsgericht BerlinKöpenick bestellt worden war, sowie Linde und Pelzer, die inzwischen aus der Staatsanwaltschaft ausgeschieden und an Landgerichten tätig waren.59 Die ganze Angelegenheit zog sich bis in den Sommer 1928 (also bis nach dem Urteil im Barmat-Prozess) hin.60 Und wieder war sich die Staatsanwaltschaft einig, dass Kussmann

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nicht nur Erfüllungsgehilfe des Nachrichtenbüros Knoll war, sondern dass er im Zusammenhang eines anderen Prozesses im sächsischen Plauen gegen Gustav Stresemann Unterlagen an einen Rechtsanwalt weitergegeben hatte.61 Der Vorsitzende des Disziplinarausschusses, Senatspräsident Dr. Preiser vom Kammergericht, ein strammer Deutschnationaler, der nach dem Rathenaumord aus der Personalabteilung im Justizministerium in den Justizdienst versetzt worden war, kam zu dem zweifelhaften Schluss, dass sich die Staatsanwälte nicht von ihrer politischen Einstellung hätten leiten lassen.62 Immerhin, im Fall Kussmanns entschied er auf Dienstentlassung. Das hatte wahrscheinlich gleichermaßen mit dem Fall selbst wie mit anderer schmutziger Wäsche zu tun, die ans Tageslicht kam. Kussmann musste sich wegen der Erpressung und Nötigung des Ehemanns seiner Geliebten gerichtlich verantworten. Damit begann eine neue und letzte Runde des Kräftemessens. Beide Seiten, die Staatsanwaltschaft und Kussmann, legten Berufung gegen das Urteil ein.63 Der unter Leitung des Kammergerichtspräsidenten Eduard Tigges tagende Große Disziplinarsenat des Kammergerichts bestätigte die Urteile in den Fällen Caspary und Pelzer, hob aber das Urteil gegen Kussmann auf: »In Anbetracht dessen, was Kußmann [sic!] früher geleistet habe«, dürfe man »ihm nicht die Zukunft abschneiden«. Er wurde in ein anderes Amt außerhalb Berlins versetzt – »ohne Erstattung der Umzugskosten«.64 Diese sich hinschleppende, am Schluss wenig erfolgreiche Disziplinierung der Staatsanwälte ist auf den ersten Blick nur von antiquarischem Interesse. Tatsächlich illustrierte sie aber nicht nur den internen Machtkampf innerhalb der Justiz, der sich nicht in einfache Schemata von Reaktionären und Republikanern auflösen lässt. Darüber hinaus ist diese Mikrogeschichte der Ereignisse die Hintergrundmusik einer umfassenderen Debatte über die zur gleichen Zeit geführten Auseinandersetzungen über eine »Vertrauenskrise der Justiz«, ohne die die internen Vorgänge der Disziplinierung kaum verständlich sind. Die Justiz stand unter massiver öffentlicher Aufsicht, und es war klar, dass die Politik nicht bereit war wegzusehen, wie das früher oft der Fall gewesen war.

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Vertrauenskrise der Justiz? Im Sommer 1926 triumphierte die liberale und sozialdemokratische Berliner Presse: Die zu Beginn des Jahres erhobenen Anschuldigungen der Deutschnationalen und der radikalen Opposition waren in sich zusammengefallen. Der »Versuch, die Rechtspflege zu parteipolitischen Zwecken zu mißbrauchen«, war kläglich gescheitert, schrieb 1926 der Rechtsexperte der Vossischen Zeitung Erich Eyck in seiner viel beachteten Broschüre Die Krisis der deutschen Rechtspflege, die auf seine Rede vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin zurückging.65 Die jüngsten Ereignisse rund um den Fall Barmat und den Tod des Postministers Höfle fügten sich in eine lange Liste von Monita ein, die über die Jahre immer länger geworden war: die politische Parteilichkeit der Justiz zugunsten der politischen Rechten und völkischer Gruppen; absurde Urteilsbegründungen, die Antisemiten schützten und straffrei ließen; das umstrittene Aufwertungsurteil des Reichsgerichts – es ging um die Frage, wie Gläubiger, die in der Inflation ihr Vermögen verloren hatten, zu entschädigen waren –, mit dem es sich über den Reichstag zugunsten der Gläubiger hinwegsetzte; nicht zuletzt die Missachtung der Symbole und Institutionen der Republik und die Verleumdung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert.66

»Reaktionäre Juristen« Die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Fall Barmat spielten eine wichtige Rolle bei der 1926 voll einsetzenden, genauer gesagt: neuen Runde einer kritischen Debatte über das Justizwesen der Republik. Die damals stark diskutierte »Justizkrise« hat in der wissenschaftlichen Literatur viel Beachtung gefunden. Interessanterweise fehlen dabei durchgehend Hinweise sowohl auf den Barmat-Fall als auch seine Vorgeschichte, nämlich den bereits dargestellten Fall Georg Sklarz.67 Ist diese Zurückhaltung der Historiografie damit begründet, dass der Name Barmat wie im Übrigen auch Sklarz die Sache der Republikaner beschmutzen könnte? Wie auch immer man den Fall Barmat beurteilen mochte, mit Blick auf die Sklarz-Affäre aus dem Jahr 1919/20 schien sich die Ge-

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schichte zu wiederholen, und zwar aus Sicht beider Seiten. Damals waren die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen niedergeschlagen und darüber hinaus der ermittelnde Staatsanwalt disziplinarisch belangt worden. Die Vermutung liegt nahe, dass die Berliner Staatsanwaltschaft auch darauf abzielte, eine alte Scharte auszuwetzen und im Falle Barmat ein Exempel zu statuieren und nicht zurückzuweichen. Ähnlich sahen das ihre Kontrahenten in den Reihen der Republikaner, wenngleich aus ganz anderer Perspektive: Demnach erhob einmal mehr eine »reaktionäre Staatsanwaltschaft« in Verbindung mit Parteien der radikalen Rechten unhaltbare Vorwürfe. Seit den Attentaten auf Erzberger 1921 und Rathenau 1922, den spektakulärsten politischen Morden, waren immer wieder solche gegen die Justiz erhobenen Polemiken zu hören gewesen. Der Journalist und SPD-Landtagsabgeordnete Erich Kuttner, der sich nicht nur im preußischen Untersuchungsausschuss massiv für Barmat einsetzte, hatte zweifellos nicht zuletzt auch den Fall Sklarz im Auge, als er im Helphand’schen Verlag für Sozialwissenschaften die Broschüren Warum versagt die Justiz (1921) und Bilanz der Rechtsprechung (1922) publizierte, die damals für reichlich Diskussionsstoff sorgten und die Justizdebatte in Fahrt brachten. Am Beispiel vieler einzelner Justizfälle, Prozesse und (Fehl-)Urteile zog er eine Linie von der früheren »Klassenjustiz« – so auch der Titel einer seiner Schriften aus dem Jahr 1912 – zur Gegenwart: »Kastensolidarität« und »Verbrechersolidarität« setzten sich ebenso wie der alte Obrigkeitsstaat fort, wobei er den Grund dafür im Bereich der Justiz vor allem in der Rekrutierung des Personals sah.68 So plädierte der SPD-Politiker für die Reform der juristischen Ausbildung, die gezielte Förderung eines republikanischen Nachwuchses und nicht zuletzt den Einsatz von Laienrichtern und Laienbeisitzern in der Strafjustiz. In der richterlichen Unabsetzbarkeit sah er kein Tabu: Es müsse mit dem Irrglauben gebrochen werden, »daß Unabhängigkeit der Rechtspflege und Unabsetzbarkeit der Richter schlechthin ein und dasselbe sind. Der Zweck ist die Unabhängigkeit. Die Unabsetzbarkeit ist nur ein Mittel zum Zweck, das nicht weiter angewandt zu werden braucht, als es diesem Zweck dient. Niemals darf das Mittel selber zum

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Zweck erhoben werden.«69 Andere wie der schon erwähnte Rechtsanwalt Johannes Werthauer, der vormalige preußische Kultusminister und (seit 1922) Regierungspräsident in Wiesbaden Conrad Haenisch und Otto Wels schlugen mit zum Teil weitergehenden Forderungen in die gleiche Kerbe. Die Gründung des Republikanischen Richterbundes 1922 als Gegengewicht zum Preußischen Richterverein ist ein Indiz dafür, dass es die Republikaner nicht nur beim Reden belassen wollten.70 All diese Themen griff Erich Eyck 1926 in seiner Broschüre auf. Darüber hinaus erwähnte er viele andere Verstöße der Weimarer Justizbehörden gegen Recht und Rechtsempfinden, aber die Empörung über die jüngst zurückliegenden Ereignisse, namentlich die unangemessene Untersuchungshaft von Postminister Höfle und Barmat sowie das Verhalten der mit diesen Fällen betrauten Staatsanwälte, ist unübersehbar und zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Schrift. Und Erich Kuttner spitzte am 11. April 1926 – notabene: Kurz zuvor war Kussmann freigesprochen worden – in einem nicht gezeichneten Artikel im Vorwärts unter dem Titel »Vertrauenskrise der Justiz. Folgen der politischen Gesetzgebung« seine früheren Argumente zu und setzte damit das Fanal für die nun einsetzende Debatte: »Es sind in der deutschen Justiz Kräfte am Werk, die sie zu einer gegen die Republik gerichteten Organisation machen möchten.« Er sprach von einem »tiefe[n] Misstrauen gegenüber der politischen Justiz«, die die »Erschütterung des Vertrauens in die Rechtsprechung überhaupt zur Folge habe«; ja mehr noch: »Wenn der Schrei immer lauter wird: es ist kein Recht mehr! – dann ist es höchste Zeit, dass alle, die mit Verantwortungsgefühl gegen den Staat erfüllt sind und zum Volke in verantwortlicher Stellung gehoben wurden, in der Justiz nach dem Rechten zu [sic!] sehen.«71 Als im Sommer 1926 nach Kuttner und Eyck auch sozialdemokratische Juristen wie Hugo Sinzheimer und Gustav Radbruch und dann auch noch der Reichsjustizminister Johannes Bell (Zentrum) auf einer Pressekonferenz das Thema »Vertrauenskrise der Justiz« aufgriffen, waren die Schleusen für die Debatte über das künftige Verhältnis von Justiz, Politik und Republik geöffnet.72 Der Name

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Julius Barmat war in diesen Diskussionen schon wegen der Disziplinarmaßnahmen allgegenwärtig. Außerdem: Barg die gerichtliche Aufarbeitung des Falles Barmat, die sich rätselhaft lange hinzog, einen neuen Justizskandal in sich? So wenig Sympathien Iwan Kutisker genoss, sein kläglicher Tod in Untersuchungshaft kurz vor der Urteilsverkündigung in seinem Revisionsprozess im Juli 1927 beförderte das Misstrauen.

Ein Nebenschauplatz: Der Fall Kölling-Haas Hinzu kam im Laufe des Jahres 1926 eine auf den ersten Blick obskure, aber höchst politische Kriminalaffäre, die für den Fall Barmat von mehr als nur anekdotischer Bedeutung ist. Es ging um einen Mord in Magdeburg. Rückblickend, nach dem Geständnis des 22-jährigen Schmiedelehrlings und früheren Reichswehrsoldaten Richard Schröder, dem rechtsradikale Sympathien nachgesagt wurden, sowie seiner Geliebten und Komplizin, schien die Situation ziemlich eindeutig: Der Magdeburger Kriminalpolizei, dem anordnenden Untersuchungsrichter, Landgerichtsdirektor Johannes Kölling und seinem Dienstvorgesetzten, Landesgerichtspräsident Richard Hoffmann, waren offenbar eklatante Fehlgriffe unterlaufen, als sie den Magdeburger Unternehmer Rudolf Haas wegen Mordverdachts an dem früheren Angestellten der Firma, Hermann Helling, verhafteten. Mehr noch: Offenbar hatten sie wider besseres Wissen alles getan, um ihren Fehler zu kaschieren, und sich dann obendrein als Opfer republikanischer Anmaßung und ungerechtfertigter Interventionen in die Unabhängigkeit der Justiz stilisiert. So sah das jedenfalls die republikanische Presse, die mit einiger Plausibilität argumentieren konnte, dass nur die gemeinsame Intervention von couragierten Politikern, Justizbehörden, Innenministerium und Berliner Kriminalpolizei einen »Justizirrtum« verhindert habe. Gegen beide Magdeburger Richter wurden Disziplinarverfahren eröffnet. Am Justizmord vorbei lautete der zeitgenössische Buchtitel über den »Fall Kölling-Haas«; andere sprachen von der »Magdeburger Justiztragödie«.73 Tatsächlich hat dieser Fall in dreierlei Hinsicht mit unserer Geschichte zu tun. Erstens glich die Situation in verblüffender Weise

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dem Fall Barmat: Der in Untersuchungshaft einsitzende Haas war nicht nur ein wohlhabender Industrieller mit, wie nun auch die Kommunisten zu wissen glaubten, den »Allüren eines Kriegs- und Inflationsgewinnlers«, er war außerdem jüdischer Konfession.74 Erich Eyck brachte das verbreitete Misstrauen in einem Vortrag zum Thema »Stellung der Rechtspflege zu Juden und Judentum« auf den Punkt. Er könne sich nicht vorstellen, so seine bissig-spitze Bemerkung, dass ein Richter nur gegen jemanden ermittle, weil er Jude sei; oder gab es vielleicht ein »psychologisches Moment«? »Vielleicht war der Richter, ohne sich dessen bewußt zu sein, in seiner allgemeinen Auffassung von jüdischer Mentalität so irre geleitet, daß er einem Juden zutraute, er könne aus Gewinnsucht und aus Furcht vor Entdeckung der durch diese Gewinnsucht veranlaßten Vergehen zu jedem Verbrechen getrieben werden.«75 Hier war zwar von dem Magdeburger Unternehmer Haas die Rede, aber das ließ sich auch leicht auf Barmat übertragen. Zweitens waren Haas’ Fürsprecher prominente Sozialdemokraten, darunter der Oberpräsident der preußischen Provinz Sachsen Otto Hörsing, ein ehemaliger Metallarbeiter, der dem rechten Flügel der SPD angehörte und weit über Magdeburg hinaus als Gründer und Führer des republikanischen Reichsbanners Schwarz-RotGold bekannt war. Auf Initiative Hörsings wurde der bereits erwähnte Berliner Kriminalist Bernhard Weiss in der Angelegenheit aktiv. Außerdem mischte sich der preußische Innenminister Severing ein, indem er unter Umgehung des vorgeschriebenen Dienstweges, sprich: des Ermittlungsrichters, Beweismittel sicherstellen ließ, diese auch – medienwirksam – präsentierte und damit die Magdeburger Ermittler in die Bredouille brachte. Drittens befeuerte die Affäre Haas einmal mehr die Debatte über die Justiz: ein weiteres Beispiel für die »Vertrauenskrise der Justiz«, von der die Republikaner sprachen. Ihre Gegenspieler sahen das anders: Sollten Staatsanwälte und Kriminalkommissare, die nicht gerade Sympathien für die Republik zeigten, an die Leine genommen werden? So argumentierten auf jeden Fall die an den Pranger gestellten Magdeburger, ganz ähnlich wie die gemaßregelten Berliner Staatsanwälte im Falle Barmat. Dieser öffentliche Streit

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zog sich bis in den Spätsommer 1926 hin. Erst Anfang September wurde der Unternehmer Haas aus der Untersuchungshaft entlassen, nur zwei Wochen bevor der mittels Indizien und der Aussage seiner Geliebten überführte Mörder in einem kurzen Prozess zum Tode verurteilt wurde. Zusammen mit dem Fall Barmat brachte der Fall das Fass zum überlaufen. Erich Kuttner sprach von einer »Justizkatastrophe«; verhindert wurde ein »Justizmord«.76 So etwas dürfe sich nicht wiederholen, hieß es unisono. In leichter Abwandlung zitierte Hermann Schmidt (Zentrum), 1927 preußischer Justizminister, Ciceros Satz: »Videant judices [bei Cicero: consules – MHG], ne quid detrimenti res publica capiat!« (Die Richter – bzw. Konsuln – mögen dafür sorgen, dass der Staat keinen Schaden nimmt).77 Der im Fall Kölling disziplinarisch gemaßregelte Richter Hoffmann interpretierte das so: »Über der Unabhängigkeit der Gerichte steht die Staatsräson« – die Staatsräson des republikanischen Staates.78

Bemühungen um politische Friedensschlüsse: Das Barmat-Urteil 1928 Bis zur Urteilsverkündung am 30. März 1928 besaß der Fall Barmat das Potenzial eines weiteren Justizskandals. Im Januar 1925 hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Barmat und die Mitangeklagten eingeleitet, aber entgegen allen Ankündigungen erhob sie erst am 23. Februar 1926 die Anklage. Es dauerte dann noch fast ein Jahr, bis am 11. Januar 1927 die Hauptverhandlung am Berliner Schöffengericht begann. Jeder Schritt und Tritt der Justiz stand unter kritischer Beobachtung durch die republikanische Presse.

Haftentlassung der Barmats Nach dem Höfle-Desaster wurden die Justizbehörden vorsichtiger. Am 23. bzw. 25. Mai 1925 wurden Julius und dann auch Henry Barmat aus gesundheitlichen Gründen gegen eine hohe Kaution (200000 Mark im Falle des Älteren der beiden) freigelassen. Julius befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Charité, wohin er am 6. Mai

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eingeliefert worden war, nachdem sich sein Gesundheitszustand massiv verschlechtert hatte. Er gab an, seit Ende 1923 neben Kopfschmerzen auch Schmerzen in den Beinen und Gleichgewichtsstörungen bekommen zu haben, was zu Gehproblemen führe, ja, dass er nach geringen körperlichen oder geistigen Anstrengungen in kurzer Zeit so erschöpft sei, dass er sich ausruhen müsse. Sein Anwalt war auf jeden Fall entsetzt, als er Barmat in der Charité besuchte und dieser beim Versuch, aufzustehen, sofort umfiel. Ein halbes Jahr später konstatierte ein Amtsarzt bei einem Hausbesuch in Barmats Wohnung am Kurfürstendamm diese Erscheinungen als Folge einer Erkrankung des Zentralnervensystems und wies darüber hinaus auf den immer noch »wenig guten Ernährungszustand« und das »unfrische Aussehen« des Patienten hin. Auch in diesem Fall gab es Meinungsverschiedenheiten bei der Beurteilung der ärztlichen Gutachten, zumal Henry Barmat über ähnliche Beschwerden klagte, wie im Übrigen auch Iwan Kutisker. Die Justiz war und blieb misstrauisch und sperrte sich zunächst wegen »Fluchtgefahr« gegen eine Entlassung. Nach seiner Haftentlassung wählte Barmat wohl bewusst das an der belgisch-niederländischen Grenze liegende Aachen als Kurort – das war eine Provokation und zugleich eine Demonstration, dass er nicht aus Deutschland fliehen werde.79 Dann gingen die Brüder in die Offensive. Unter der Überschrift »Die Hinrichtung vor dem Urteil« nahm Henry Barmat auch im Namen seines Bruders im Tage-Buch eine Abrechnung vor. Diese Zeitschrift verstand sich, wie der Herausgeber Leopold Schwarzschildt in einem kurzen Vorwort betonte, vom »ersten Tage an als Tribüne der Verfolgten«. Tatsächlich handelte der Artikel von Opfern eines »politischen Pogrom[s]«, von Verfolgten, die noch vor der Urteilsverkündung »als vollkommen ruinierte Leute« dastünden. Bei der ganzen Angelegenheit sei es nicht um Recht, sondern um politische Rache gegangen, angefeuert von der »Sudelkanonade« einer »niederträchtigen Presse«, die in eine »wahre[n] Raserei von Haß« gegen die Barmats gemündet sei. Sie, die als »reiche Leute nach Deutschland kamen«, seien wirtschaftlich ruiniert, die Betriebe lägen danieder, das Vermögen im In- und Ausland sei der

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Treuhandgesellschaft überantwortet, ja selbst die Kaution habe man nur dank der Hilfe von Freunden leisten können. »Dabei sind wir auch körperlich ausgepumpt, mein Bruder, der Gründer der Firma, liegt so schwer an den Folgen der Haft danieder, daß wir nicht wissen, ob er je wieder arbeitsfähig sein werde.« Aber weit schlimmer sei »das furchtbare Stigma, das noch auf lange Zeit hinaus unserem Namen anhaften wird, nachdem er derart durch allen Kot der Welt geschleift worden ist«. Zynisch vermerkte Henry Barmat, dass er aus dem Osten stamme, also aus einer Gegend, die man in Deutschland als »unkultiviert zu betrachten pflegt«; der deutschen Öffentlichkeit stellte er anheim, über die eigene Kultur, namentlich auch die Rechtskultur, und überhaupt über den vermeintlichen »Kulturfortschritt« nachzudenken. Aus jeder Zeile des Essays war Erbitterung herauszulesen, wohl auch deshalb, weil die Punkte der Anklage immer noch nicht klar waren. Bemerkenswert ist in dieser sicherlich mit den Anwälten abgesprochenen Äußerung vor allem ein Punkt: Im Gegensatz zu internen Stellungnahmen, in denen sehr explizit auf den Antisemitismus gerade auch der Justiz und der konservativen Presse hingewiesen wurde, rückte dieser Vorwurf eher in den Hintergrund, auch wenn er beim Hinweis auf den »politischen Pogrom« noch deutlich anklingt.80 Die Stellungnahme fand viel Beachtung – selbst in den Kreisen, in denen man das vielleicht am wenigsten erwartet hätte, wie etwa im Berliner Lokal-Anzeiger. Wer könne sich »diesem Anruf an das Menschliche verschließen«, war auch hier zu lesen. »Der Fall Barmat hat sich mit allerlei Menschlich-Allzumenschlichem verquickt, mit den Unvollkommenheiten unseres Untersuchungswesens, mit den Härten der Untersuchungsgefangenschaft, mit dem Fall Höfle, der selber wieder eine Verquickung von Sträflichem und Mitleidwürdigem war.« Schwarzschildt echauffierte sich darüber, dass in dieser Zeitung, die in »Enthüllungs-Orgien« geschwelgt sei, ausgerechnet der bekannte Journalist Friedrich Houssong, »der vigilanteste Partisan, der dröhnendste Rufer in dieser Kampagne«, plötzlich eine Kehrtwende zu machen schien. War das ein Zeichen dafür, dass die »Zeit der ›Affären‹« vorbei war, dass der von vielen beschworene »Skandal« sich dem Ende zuneigte, wie Schwarzschildt

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meinte?81 Nicht nur die Barmats sahen das anders. Im März 1926 wurden sie wegen »Fluchtgefahr« für zehn weitere Wochen in Untersuchungshaft genommen.82

Justiz unter öffentlicher Beobachtung Neben Eberts und Höfles Tod 1925 war das Ableben Iwan Kutiskers ein Menetekel. Am 30. Juni 1926 verurteilte ihn das Berliner Schöffengericht wegen Betrugs und Bestechung zu fünf Jahren Zuchthaus und 3 Mio. RM Geldstrafe; die bürgerlichen Ehrenrechte (eine Bestimmung des deutschen Strafrechts bis 1969) wurden ihm aberkannt, was für ihn das Ende als Kaufmann bedeutete. Das auf Betreiben Kutiskers und der Mitverurteilten angestrengte Revisionsverfahren erlebte der Schwerkranke nicht, er starb am Tag vor der Verkündung des Urteils in der Berufungsinstanz am 13. Juli 1927, sodass zumindest in seinem Fall kein Urteil mehr verkündet werden konnte. Vorausgegangen war eine lange Serie höchst skurriler Szenen in der Charité und im Gerichtssaal, wohin der todkranke, offenbar mit Morphium und Beruhigungsmitteln vollgepumpte Kutisker auf einer Bahre geschleppt wurde; der Höhepunkt waren Nervenzusammenbrüche mit Schreianfällen und die Verabreichung von Spritzen – und das mitten im Gerichtssaal. Umstritten war die Zurechnungsfähigkeit Kutiskers, der Ende 1926 ins Untersuchungsgefängnis und nicht in die Charité überwiesen werden wollte, da er dort »gefoltert« und »gemordet« werde.83 Noch im Nachgang zu seinem Tod kam es zu absurden Szenen, als der Medizinalrat und Universitätsprofessor Otto Lubarsch seine Obduktionsergebnisse in die Welt trug, indem er seinen Studenten Organe des Toten präsentierte – mit dem Hinweis, Kutisker habe sich in der Jugend mit Syphilis infiziert und, »wie es bei Ostjuden Sitte ist, täglich 30 bis 40 Zigaretten« geraucht. Das war skandalös, aber Kutisker hatte wenige, die ihn verteidigten. Er verkörperte den »Typ des Schiebers östlichster Provenienz«, so der Abgeordnete Friedrich A. Pinkerneil (DVP), er galt als ein »Betrüger schlimmster Art« (Leo Schwering, Zentrum), als »hemmungsloser Kaufmann« voll »unbeschreiblicher Geldgier«, der nichts als den Erwerb suchte; er vermochte weder als »Persönlichkeit noch als Typus […] besondere Sympathien zu evo-

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zieren« (Erich Kuttner, SPD).84 Wurde auf ihn die Schuld anderer abgeladen, wie seine Anwälte meinten? »Ließ sich der kleine, wehrlose, ruinierte, schwerkranke litauische Jude verbrennen«, während die Beamten der Staatsbank ungeschoren davon kamen?85 Das verbreitete Misstrauen zeigte sich in der missbilligenden Meldung des Vorwärts, dass sich beim ersten Kussmann-Knoll-Prozess eine große Anzahl von Richtern und Staatsanwälten im Gerichtssaal eingefunden habe, die dem freigesprochenen Kussmann begeistert gratulierten. Selbst das eher zurückhaltende westdeutsche Zentrumsblatt Germania kommentierte sarkastisch, man »habe sich bei Rechtshändern dieser Art schon langsam daran gewöhnt, weniger auf das Urteil achtzugeben als auf den Geist der Parteipolitik, der sich bei diesen Anlässen enthülle«.86 Justizintern finden sich ähnliche Auseinandersetzungen. Am zuständigen Berliner Landgericht und im Kammergericht fand zur gleichen Zeit ein heftiger interner Intrigen- und Postenkrieg statt, der in den Worten des damaligen Amtsgerichtspräsidenten Carl Lieber nur für denjeingen verständlich war, der »das ganze Milieu und die Kulissenvorgänge […] in Moabit aus eigener Anschauung und Erfahrung« kannte. Streit entbrannte um die für den Fall Barmat zuständige Abteilung 201 des Landgerichts. Zunächst war der offenbar der extremen Rechten zugeneigte zuständige Richter Bethke ins Handelsgericht versetzt worden, was er als politische Reglementierung interpretierte. An seine Stelle trat Ende 1925 der als konservativ geltende Richter Erich Schultze. Aber schon wenige Monate später, also mitten in den Debatten über die »Justizkrise«, wurde der Fall Barmat der Abteilung 206 und Karl Neumann als zuständigem Richter übertragen. Bethke bezeichnete ihn später polemisch als »Barmat.Direktor« [sic!]: Neumann war »jüdischer Abkunft«, was der Grund für politische und antisemitische Angriffe war.87 Die Justizbehörden taten alles nur Mögliche, um sich keine Blöße zu geben, was auch als Beleg für die »normalisierende« Funktion der Justizdebatte zu werten ist. Es galt zu demonstrieren, dass die Justiz auf dem rechten Auge nicht blind war. Das vermag zu erklären, warum der Oberreichsanwalt in Leipzig dem in jeder Hinsicht mit Arbeit überlasteten Neumann zeitgleich auch die Ermitt-

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lungen im Hochverratsprozess gegen den langjährigen Führer des Alldeutschen Verbandes und Mitarbeiters der Deutschen Zeitung Heinrich Claß übertrug.88 Die völkische Rechte und die HugenbergRadikalen im Umfeld der DNVP schäumten. Darüber hinaus befasste sich schon seit Januar 1926 ein auf Initiative der SPD eingerichteter Untersuchungsausschuss des Preußischen Landtags mit den sogenannten Fememorden. Dabei ging es zum einen darum, die Morde an den »Verrätern« in den eigenen Reihen der Schwarzen Reichswehr (paramilitärischen Organisationen, die unter Umgehung des Versailler Vertrags von der Reichswehr mit Geld und Ausrüstung gefördert wurden) ans Licht zu bringen. Zum anderen sollten aber auch Verbindungen der »Fememörder« zu deutschnationalen Abgeordneten und Finanziers aus dem Unternehmerlager aufgeklärt werden. Von Anfang an war allen Beteiligten klar, dass die SPD dieses Thema als Reaktion auf die konservativen Barmat-Attacken auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Das goss Öl ins Feuer: Für den Justizchronisten der radikalen Rechten Gottfried Zarnow bestand kein Zweifel: »Das Giftgas Barmat, das den Regierungsparteien und der [preußischen] Regierung aus tausend Kanälen unablässig entgegenströmte, sollte in seiner Wirkung auf die Wähler durch die entfesselten Fememord-Gase neutralisiert, abgeschwächt werden.«89 Die Auslagerung des Barmat-Falles in die Abteilung 206 ließ sich mit der Arbeitsüberlastung der für Wirtschaftsfälle eigentlich zuständigen Abteilung 201 begründen. Tatsächlich stand die Justiz 1925 vor einem Scherbenhaufen – und vor einem riesigen Berg mit Arbeit. Die ursprüngliche Idee der mit den Betrugsfällen an der Preußischen Staatsbank befassten Staatsanwaltschaft war höchstwahrscheinlich ein großer »Korruptionsprozess«, in dessen Mittelpunkt Delikte wie aktive und passive Bestechung, Wucher, Betrug und Täuschung stehen sollten (den juristischen Tatbestand Korruption gab es nicht). Ein solcher Megaprozess hätte sich nicht auf die Brüder Barmat, Iwan Kutisker, Jakob Michael, Michael Holzmann und viele andere Personen in ihrem Umfeld sowie den früheren Fall Sklarz beschränkt. Möglicherweise wären dabei der Ex-Reichskanzler Philipp Scheidemann (im Falle Sklarz) und Gustav Bauer, der

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frühere Reichswirtschaftsminister Robert Schmidt (SPD), der Polizeipräsident Wilhelm Richter (SPD) sowie auch Politiker wie Ernst Heilmann (SPD) und Gustav Stresemann (DVP) einbezogen worden. Zweifellos war auch die ganze Geschichte der vermeintlich »jüdischen Handelsgesellschaften« der Kriegszeit und der umkämpften Lebensmittel- und Wohnungszwangswirtschaft der Nachkriegszeit auf dem Radar der Staatsanwaltschaft. Kurzum: Es war abzusehen, dass die in alle Richtungen gehenden Ermittlungen in ein justiziell-administratives Chaos münden würden. Tatsächlich hatte sich dann allein im Falle Barmat bis 1928 ein Wust von über tausend General- und Spezialakten angesammelt.

Der Barmat-Prozess: Eine republikanische Erfolgsgeschichte? Mit einem Großaufgebot an administrativem Personal, Hilfsrichtern und Staatsanwälten versuchten die Justizbehörden, das Chaos zu bändigen.90 Darin ist ein Grund für die in den Medien viel beklagte Verzögerung zu sehen, angefangen bei der Anklageerhebung bis zu den Gerichtsverhandlungen in den oben genannten Fällen. Es gab keinen »Megafall«, der viele Personen umfasst hätte, sondern viele Ermittlungen in einzelnen Fällen, von denen zahlreiche eingestellt wurden. Dieses Verfahren lief auf eine Entdramatisierung hinaus. Denn aus einem möglichen großen Fall von Korruption, bei dem alles mit allem und jeder mit jedem verbunden war – ganz im Sinne einer umfassenden Verschwörung lautete für das Altpreußische Wochenblatt die »Drahtanschrift« der »Muster-Republik« »Barmatparvkustisklarz«91 (Barmat, Helphand, Kutisker und Sklarz) –, wurde eine Ansammlung von sehr disparaten und weitgehend unverbundenen Fällen mit unterschiedlichen Delikten. In die gleiche Richtung wies die Übertragung des Falles Barmat an die Abteilung 206 und die Behandlung der absolut verworrenen Fälle Kutisker-Holzmann-Bartels-Michael in den Abteilungen 201 und 204.92 Die Geschichte des Falles Barmat ohne die Kutiskers und/oder Sklarz’ (einschließlich der des verstorbenen Helphands) und vieler anderer war bei nüchterner juristischer Betrachtung eine Ansammlung von mehr oder minder schweren Fällen von Wirtschaftskriminalität, namentlich Bestechung und Betrugsabsichten.

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Mit der Aufspaltung der Fälle ging notwendigerweise vieles verloren oder wurde sogar verwischt. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang die Ausgliederung der Anklage gegen den Ingenieur undBankdirektor Dr. Michael Feld, einen geflohenen russischen Staatsangehörigen, wegen Betrugs und aktiver bzw. passiver Bestechung von Beamten der Staatsbank: In den Medien war die Rede von einem »kleinen Barmatprozess«.93 Von dieser Aufsplittung profitierte am meisten die Preußische Staatsbank, der man bestenfalls eklatantes Missmanagement, schlimmstenfalls eine Unternehmenskultur von passiver Bestechung auf allen Ebenen hätte nachweisen können. Das erschließt sich aber nur in der Zusammenschau der verschiedenen Einzelfälle, sodass die Bestrafung etwa des Beamten der Staatsbank Hans Hellwig im Falle Barmat nur ein selektives Bild ergibt.94 Auch so war der Barmat-Prozess ein Prozess der Superlative. Die Richterbank war mit zwei Berufsrichtern, dem Landgerichtsdirektor Neumann und Landgerichtsrat Hosemann, sowie zwei Schöffen besetzt; als Ersatz für mögliche Ausfälle wurden gleich drei Ersatzrichter und insgesamt sechs Hilfsschöffen herangezogen. Die Anklage wurde von fünf Staatsanwälten vertreten. Als Verteidiger der elf Angeklagten – neben Julius und Henry Barmat waren dies Hans Hellwig, ein Zollbeamter und diverse Bank- und Unternehmensdirektoren – waren 17 Rechtsanwälte tätig. An 157 Verhandlungstagen hörte das Gericht 400 Zeugen und 50 Sachverständige. Zusammen mit den Ermittlungsakten sollen sich über die Jahre neben den 70 Hauptbänden 1000 Nebenbände angehäuft haben, wovon allein die Protokolle der Hauptverhandlung sieben Aktenbände mit 2800 Seiten umfassten.95 Die Kosten wurden genau bilanziert: Sie beliefen sich auf 182644,06 Mark, wovon 119203,95 Mark auf Zeugen und Sachverständigengebühren entfielen. Allein die Drucklegung der im Folioformat 648 Seiten umfassenden Anklageschrift kostete 10000 Mark; dem stand der 545 Seiten umfassende Urteilsband nicht nach.96 Die Aufbereitung und die Beherrschung des Materials nötigten den juristischen Kollegen größten Respekt ab, insbesondere die Leistung des Vorsitzenden Neumann. Es sei kaum verständlich,

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»wie ein menschliches Gehirn den Riesenstoff verarbeitet und, was noch wichtiger ist, wie das menschliche Gedächtnis ihn bewahrt«, kommentierte die Deutsche Juristen-Zeitung.97 Als eine »kolossale Leistung« galt die fünfstündige mündliche Verkündung der Urteilsgründe.98 Der bekannte Justizrat Siegfried Löwenstein, von Anfang an ein Kritiker der juristischen Bearbeitung des Falles und allemal derjenigen, die frühzeitig von einem großen »Panama der Politik und Wirtschaft« gesprochen hatten, schlug mit seinem Lob auf den Vorsitzenden in eine ähnliche Kerbe: Trotz der gravierenden Fehler der »jugendlichen, weltfremden und übereifrigen Dezernenten« würdigte er den Prozess. Das Zusammenwirken von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung sei »geradezu musterhaft gewesen«, wobei auch er den beiden Vorsitzenden besonderes Lob zollte. Als Neumann in der kritischen Schlussphase im Januar 1928 erkrankte, führte er die Hauptverhandlung kurzerhand in seiner Wohnung fort: »Das Krankenzimmer war zum Gerichtssaal, das Krankenbett zur sella curalis umgewandelt.« So kam das Gericht alle drei Tage zusammen, bis nach etwa drei Wochen, als Neumann fieberfrei war, die Verhandlungen wieder im Gerichtssaal stattfanden. Der Riesenprozess beweise, so Löwenstein, dass wenn »die rechten Männer am rechten Platz stehen, selbst die schwierigsten, mit Konfliktstoff geschwängerten Prozesse korrekt und reibungslos durchgeführt werden können«.99 Beobachter betonten, dass die Wortduelle der Verteidiger und Staatsanwälte zeitweise hitzig gewesen seien und dass es »fundamentale Meinungsverschiedenheiten betreffs der tatsächlichen und der rechtlichen Beurteilung des Falles« gegeben habe, dass der Prozessverlauf aber fair und »mit Ritterlichkeit«100 ausgefochten worden sei. Die Gerechtigkeit habe gesiegt – »Lob den Richtern«, lautete die Schlagzeile der in der Deutschen Richter Zeitung stolz zitierten Berliner Börsen-Zeitung, die sich noch 1925 so polemisch engagiert hatte.101 Die Vossische Zeitung vergaß nicht hinzuzufügen, um wie viel effizienter dieser Skandal im Gegensatz beispielsweise zu den früheren Kolonialskandalen bewältigt worden sei: die Angelegenheit sei nicht auf die lange Bank geschoben worden; gegen Beamte und Angeklagte wurde ohne »Ansehen ihres Amtes« ermittelt.102

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War all das nicht ein Beweis für die Loyalität der Richter? »Diejenigen, welche gern von einer allgemeinen Vertrauenskrise der Justiz sprechen, sollten auch Urteile wie das vorliegende unterstreichen«, ja, es erschien als ein Beweis, dass das »Vertrauen des Volkes zu seinen Richtern […] immer noch gerechtfertigt [ist]«, war in der Deutschen Juristen-Zeitung zu lesen.103 Man konnte den Eindruck gewinnen, dass der Prozess eine republikanische Erfolgsgeschichte war: 1928 siegte die Vernunft über die vorherrschende Unvernunft und die politischen Emotionen des Jahres 1925, so auf jeden Fall der Tenor vieler zeitgenössischer Stimmen. In keinem Verhältnis zum Aufwand des Prozesses stand das vorherrschende Desinteresse des Publikums, was sich auch in einer eher peripheren Berichterstattung in den Zeitungen niederschlug. Zweifellos: Der Fall war extrem kompliziert mit seinen vielen wirtschaftlich-technischen Details und Verwicklungen. Die Riege der Sachverständigen, Beamten, Angestellten, Politiker und Bankdirektoren, von denen viele schon 1925 in den Ausschüssen Rede und Antwort hatten stehen müssen, brachten im Detail auch nicht mehr sehr viel Neues. Selbst der Auftritt Barmats, der seine Unschuld beteuerte und den Zusammenbruch des Konzerns nicht vorhergesehen haben wollte, vermochte die Gemüter nicht mehr zu bewegen.104

Das Gerichtsurteil Das Gericht hatte zweierlei zu prüfen: Erstens, ob Barmat auch in Verbindung mit den Mitangeklagten, also seinem Bruder Henry und den Managern seines Konzerns sowie dem ominösen Zentrums-Politiker und Unternehmer Lange-Hegermann, seine Kreditgeber betrogen hatte, mithin, ob die Staatsbank einem raffinierten Schwindler zum Opfer gefallen war. In allen zwölf Punkten der Anklage verneinte das Gericht, dass es sich um Betrug im Sinne des Strafgesetzbuches handelte, was dann auch zum Freispruch der in diesen Punkten Mitangeklagten führte.105 Das war für die Barmats und die früheren Barmat-Direktoren gleichbedeutend mit einer Ehrenrettung als Kaufleute – und das nicht nur symbolisch, sondern juristisch verbürgt.

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Zweitens ging es darum, ob Barmat Amtspersonen bestochen hatte. In dieser Hinsicht befand das Gericht Julius und Henry Barmat für schuldig, und zwar durch die Zuwendungen an den Oberfinanzrat Hans Hellwig, der in der Staatsbank für die Barmat-Kredite zuständig war, sowie an den verstorbenen Reichspostminister Anton Höfle, der nicht nur die fatalen Kredite der Reichspost, sondern auch die Geschäfte u. a. mit der Deutschen Girozentrale und der Oldenburgischen Staatsbank eingefädelt und in diesem Zusammenhang finanzielle und andere Zuwendungen erhalten hatte, die ohne Weiteres als Bestechung bezeichnet werden konnten. Kurios war der Fall des Oberzolldirektors Bruno Stachel. 1921 hatte er an der deutsch-niederländischen Grenzstation Bentheim Barmat kennengelernt. Die beiden führten einen regen Briefwechsel, und der Zollbeamte verschaffte Julius Barmat und seinen Familienmitgliedern Erleichterungen beim Grenzübertritt: Sie genossen das Privileg, nicht aus ihrem Schlafwagen aussteigen zu müssen, »damit er [Julius Barmat – MHG] etwas länger schlafen könne«. Schwerer wog der – nicht nachweisbare – Verdacht von Devisenvergehen.106 Im Gegensatz zu Hellwig, der mit einer durch die Untersuchungshaft abgegoltenen Haftstrafe von sechs Wochen und dem Einzug von 1000 Stück Anleihen und Aktien, welche er von Barmat erworben hatte, davonkam, wurde Stachel zu drei Monaten und drei Tagen Gefängnis verurteilt; außerdem wurden die ihm von Barmat überlassenen Geschenke eingezogen: ein Schrankkoffer, ein Grammofon, eine Uhr, fünf Aktien und Anleihen, wobei diverse Geschenke von Kohlenlieferungen bis zur »Fußballblase« mit insgesamt 700 Mark bewertet wurden. Dem Zollbeamten wurde als Einzigem die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf Dauer aberkannt, es war also eine ausgesprochen harte Strafe. Die Strafen für Julius und seinen Bruder Henry fielen mit elf bzw. sechs Monaten Haft und im Falle Julius’ einer Geldstrafe von 41347,50 Reichsmark eher gering aus, zumal 155 bzw. 157 Tage schon durch die Untersuchungshaft verbüßt waren. Das lag weit unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, die im Falle von Julius Barmat für fünf Jahre Gefängnis, fünf Jahre Ehrverlust und 450000 Mark Geldstrafe plädiert hatte.

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Der weitere Fortgang der Ereignisse ist insofern bemerkenswert, als Barmat und die Staatsanwaltschaft in Revision gingen, dass aber intern ausgekungelt war, dabei nur auf Zeit zu spielen. Zwei Monate nach den Reichstags- und preußischen Landtagswahlen im Mai wollten Barmats Anwälte diesen Antrag zurücknehmen. Das Kalkül war zweifellos, im Wahlkampf den letzten Nachweis nicht nur der Unschuld Barmats, sondern speziell auch der Unangemessenheit der gegen die Republik erhobenen Vorwürfe zu erbringen. Damit nicht genug der Kompromisse. Anträge der Verteidiger auf Rückerstattung von Sicherheitsleistungen, auf Aufhebung der Grenzsperre und der Haftbefehle stießen schon vor der Inhaftnahme auf wenig Widerstand: Die Barmats schienen nicht fluchtverdächtig, wäre dies doch einer Kompromittierung »ihre[r] politischen Freunde« gleichgekommen, hieß es intern.107 Das ermöglichte Julius Barmat schon am 18. April eine Stippvisite nach Amsterdam.108 Erst danach musste er seine Haftstrafe antreten, aber Richter Neumann hatte sich von Anfang an offen gezeigt, einen Teil der Gefängniszeit zu erlassen. Tatsächlich wurde im folgenden Jahr durch Gerichtsbeschluss die Vollstreckung des noch nicht verbüßten Teils der Freiheitsstrafe unter Bewilligung einer Bewährungsfrist von drei Jahren bis zum Juli 1932 ausgesetzt; bis dahin war auch die verhängte Geldstrafe – wie vereinbart in Raten – zu zahlen. Das Gericht verwies als Begründung für dieses Entgegenkommen auf die lange Dauer des Verfahrens, was nicht direkt auf die Person Barmats zurückzuführen sei, ferner auf den Gesundheitszustand der beiden Inhaftierten, was »eine über den Strafzweck hinausgehende Härte bedeuten würde«; außerdem deute nach dem bisherigen Verhalten nichts darauf hin, dass Julius Barmat und sein Bruder wieder straffällig werden würden.109

Das Jahr 1928: Erfolgreiche Rückkehr zur »Normalität«? Ein Aspekt der mündlichen wie dann auch schriftlichen Urteilsbegründung ist besonders bemerkenswert. Mit Blick auf die Schwierigkeiten bei den Ermittlungen, die Urteilsfindung und die Milde der Strafe formulierte Richter Neumann einen Vorbehalt: Viele Tatbestände des Falles Barmat blieben notgedrungen im Dunkeln. Das

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Gericht sah keinen sicheren Beweis für die Unschuld der Angeklagten. Vielmehr handele es sich um »bedenkliche Geschäfte«, die sich zum großen Teil nicht mehr restlos aufklären ließen. Ja mehr noch, diese Geschäfte seien unvereinbar mit »den geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben«, d. h. den im Geschäftsleben üblichen informellen, aber auch den formalen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches. Von entscheidender Bedeutung war in diesem Zusammenhang die folgende Passage der Urteilsbegründung, in der die vergangenen Ereignisse im Übergang von der Hyperinflation zur Währungsstabilisierung und einer allgemeinen Verwirrung von Recht und Werten situiert wurden: »Es war vor allem jene Zeit, in der die durch den Krieg, Revolution und Inflation verursachte und gerade auch auf das Geschäftsgebaren ausstrahlende allgemeine Begriffs- und Gefühlsverwirrung noch fortwirkte. Es war vor allem jene Zeit, in der nach Überwindung des chaotischen Zustandes der Inflation mit der Einführung einer stabilen Währung feste Wertbegriffe erst wieder in der Bildung begriffen waren, der einzelne aber durch die vorausgegangene zunächst allmähliche, dann rapide Entwertung aller bis dahin als beständig geltenden Werte einerseits zu denken entwöhnt, andererseits noch in Inflationszahlen zu rechnen gewöhnt, sich nur schwer und […] oft unter groben Irrtümern in die neue Wertbemessung einfinden konnte.« Mit Blick auf die »Schaffung einer sicheren Beweisgrundlage für den objektiven Tatbestand« resultierten daraus, so das Gericht, große Schwierigkeiten. Nur deshalb war somit ein Urteil in dubio pro reo möglich.110 Diese Sicht der Dinge war weit verbreitet: So hatte, wie bereits erwähnt, der Vorsitzende der Treuhandkommission zur Abwicklung des Barmat-Konzerns schon 1925 mit ähnlichen Bewertungen den Takt vorgegeben.111 Juristen erkannten bei der Urteilsbegründung des Berliner Gerichts einen Beitrag zur Lehre von »normativen Tatbestandseinheiten«.112 Aber es ging um mehr als nur juristische Sophismen. Zu erkennen ist – metaphorisch gesprochen – ein Waffenstillstand und Friedensangebot. Der Waffenstillstand bezog sich auf konkrete Personen und Gruppen; das Friedensangebot betraf gleichermaßen sozial-moralische, rechtliche wie politische Fragen. Denn das Urteil

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lässt sich als Versuch interpretieren, einen Schlussstrich unter eine scheinbar vergangene, »verkehrte Welt« von Revolution und Hyperinflation mit ihren Exzessen und ihrer Verkehrung der Werte zu ziehen.113 Ganz in diesem Sinn urteilte die Vossische Zeitung, die Richter hätten sich mit »psychologischem Verständnis in die irregulären Voraussetzungen« der letzten Inflations- und Stabilisierungsjahre zurückversetzt und »haben deshalb ein verständiges Urteil gesprochen«.114 Die chaotische Vergangenheit ließ sich mit der Gegenwart kontrastieren. Im Wirtschaftsleben schienen wieder »Nüchternheit« und »Normalität« eingekehrt zu sein. Das war eine verbreitete Meinung, gerade auch in Berliner Wirtschaftskreisen. Die übelsten »Inflationsblüten« schienen verschwunden. Erscheinungen wie die Barmats waren »auf die abhanden gekommenen Zahlenbegriffe«, auf das »Fehlen zuverlässiger Bonitäts-Maßstäbe« wie überhaupt auf die »zuckend[e] Anarchie, in die das ganze wirtschaftliche Leben während der Unglückszeit geraten war«, zurückzuführen. Hätte sich der politische Meinungskampf nicht jener Affären bemächtigt, die man »Finanzskandale« nenne, so eine Stellungnahme der Deutschen Bank schon 1925, dann hätten sich nach der ersten Beruhigung die Verhältnisse schon von selbst, auch ohne öffentlichen Lärm, wieder eingerenkt, und man hätte zur Tagesordnung übergehen können.115 Politische Schuldzuschreibungen waren demnach nur lästig, zumal es sich um ein allgemeines Phänomen handelte. Kurz vor dem Barmat-Urteil tauchten die Umrisse der sogenannten Affäre Lohmann auf, bekannt auch als Phoebus-Skandal, der in Skurrilität dem Fall Kutisker in nichts nachstand.116 Und dann waren da noch die Raiffeisenbanken und die diversen unaufgeklärten Geschichten rund um die verschiedenen Kreditinstitute der Agrarier.117 Das ist in unserem Zusammenhang insofern von Belang, als dass sich das Friedensangebot potenziell auch auf andere, aus der Vergangenheit in die Gegenwart hereinragende Fälle von Misswirtschaft beziehen konnte. Waren sie nicht ebenfalls Ausdruck wirtschaftlicher wie moralischer Verwirrungen, die in der Zeit der Inflation und Währungsstabilisierung begründet waren? Wenn ja, dann war der »politisch[e] Boxkampf […], in dem zwei

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feindliche Parteien fanatisch bestrebt sind, sich gegenseitig moralisch auszuknocken [sic!]«, nutzlos.118 Die Währungsstabilisierung in Verbindung mit der Zurückdrängung der im Krieg aufgeblähten öffentlichen Wirtschaft verwies auf den richtigen Weg: »Korruption ist eine unvermeidliche Beigabe jeglicher Art von Staatsverwaltung. Möglich ist also nur, den Kreis derjenigen Verwaltungsaufgaben, in denen wirtschaftliche Korruption überhaupt möglich ist, zu verengen.«119 Außerdem galt es, das Phänomen Korruption genau zu betrachten: »Für die Korruption an den Spitzen waren gewöhnlich die bereits Arrivierten, für die Korruption in den Unterstufen gewöhnlich die Aufstrebenden – man kann auch alte und neue Reiche sagen«, verantwortlich, hieß es im Magazin der Wirtschaft. Das war allemal die vorherrschende Meinung derjenigen, die immer und immer wieder auf die enge Verflechtung von politischen und wirtschaftlichen Interessen in den großen Parteien hinwiesen und in der Barmat-Kampagne schon aus diesem Grund nichts als Heuchelei und politisches Kalkül sahen.120 Nicht Korruption an sich, sondern die Tatsache des Macht- und Elitenwechsels, der neben den allgemeinen Problemen von Krieg und Inflation das Problem zwielichtiger Geschäfte sichtbar und skandalisierbar machte, galt es demnach zu beachten. Für den Wirtschaftsberichterstatter der Weltbühne, der unter dem Pseudonym Morus publizierte, war Barmat nur ein »typischer Geschäftemacher«, so wie auch Stahlindustrielle und Banker, die sich die Politik zu Diensten zu machen versuchten.121 Das war ein nüchterner und sachlicher, ja fast soziologischer Blick auf das Problem. Solche Diagnosen, die man als Normalisierung verstehen kann, hatten politische Weiterungen. Teile der konservativen Presse und viele Deutschnationale mochten das nicht unbedingt unterschreiben, beugten sich aber der verbreiteten Stimmung. Das Barmat-Urteil wurde zurückhaltend-kritisch kommentiert. Auch das kennzeichnet den Friedensschluss des Jahres 1928 und hatte sich schon früher abgezeichnet mit Appellen, an die Stelle von »Emotionen« die »Vernunft« treten zu lassen – so im Abschlussbericht zum Fall Höfle und wenige Monate später dann auch in dem des Barmat-Ausschusses im Oktober 1925. Bei aller Kritik

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waren die parlamentarischen Wortführer der involvierten preußischen Deutschnationalen tatsächlich bemerkenswert handzahm geworden, so wie umgekehrt die republikanische Presse voll des Lobes war ob der »sachlichen Arbeit« des Vorsitzenden Eugen Leidig (DVP), seines Stellvertreters Friedrich Deerberg (DNVP) und des Berichterstatters Wilhelm von Waldhausen (DNVP).122 Das war zumindest die Position großer Teile des parlamentarischen Flügels der Konservativen, der sich auch in diesem Fall pragmatisch zu positionieren versuchte, ohne gleich die ganze konservativ-monarchische Seele an das Weimarer System zu verkaufen.123 Einigen ging das alles zu weit. Der Abgeordnete Wolfgang Bartels (KPD) sprach von einem Kuhhandel der Parteien, der es verhindere, dass die Zusammenhänge, die allein im »kapitalistischen System« begründet seien, aufgeklärt würden. Es fehle nur noch, dass »man eine Versöhnungsfeier« abhalte, an der auch Barmat teilnehme.124 Die radikalen Kräfte, die sich im Umfeld der Alldeutschen und des Pressemagnaten Alfred Hugenberg sammelten, der im Oktober 1928 nach der Macht in der DNVP griff, sahen das ganz ähnlich und sollten, wie noch zu sehen sein wird, dieses Kompromisslertum in den eigenen Reihen nicht verzeihen. Das galt allemal für die Völkischen, die nicht müde wurden, auf den »orientalische[n] ›Geierzug‹« zu verweisen, sprich: Ostjuden, die sich seit der Revolution mit Sozialisten verbündet hätten und die deutsche Gesellschaft einschließlich ihrer Beamten unterwanderten.125 Aber das war keine Mehrheitsmeinung, schon gar nicht in einer Metropole wie Berlin. In dieses Muster von politischen Arrangements passt der Ausgang der oben schon beschriebenen, am Ende doch recht glimpflichen Maßregelungen der Staatsanwälte, die in die Zeit nach dem Barmat-Prozess fielen. Unverkennbar ist auch hier das Streben, zu einem Friedensschluss zu kommen, der in diesem Fall die Emotionen der konservativen Justiz beruhigen sollte. In die gleiche Richtung verwiesen ähnliche Bemühungen um einen Schlussstrich im Fall des erwähnten parlamentarischen Untersuchungsausschusses »Fememorde« des Preußischen Landtags: Er beendete zur Zeit des Barmat-Urteils am 28. März 1928 seine Arbeit, ohne einen Ab-

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schlussbericht vorzulegen.126 Nicht zu vergessen ist schließlich das »Gesetz über Straffreiheit« vom Juli 1928. Es sah eine sehr umfassende Amnestie für politische wie wirtschaftliche Vergehen vor, von denen die meisten Fälle in die Nachkriegszeit fielen. Neben der KPD profitierten davon insbesondere auch die einstigen KappPutschisten.127 Rückblickend mögen viele dieser Entscheidungen (darunter vor allem das Amnestiegesetz) problematisch und unklug erscheinen. Nicht vergessen sollte man aber das zugrunde liegende Friedensangebot, das eine Option für die Republik war. 1928 standen die Zeichen auf Zukunft – bei allen Anfechtungen: für eine republikanische Zukunft.

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Kapitel 5 Grenzen der Repräsentation: Politisches Theater 1926– 1930 Bei der Verkündung des Barmat-Urteils 1928 im großen Schwurgerichtssaal des Moabiter Kriminalgerichts war der »Eindruck allgemein, daß hier ein historischer Urteilsspruch erfolgt ist. Ein Spruch über ein Stück Zeitgeschichte, über eine wirre Übergangsperiode, gesehen aus der Distanz einer wirtschaftlich und dadurch auch moralisch gefestigteren Zeit.«1 Aber wie vergangen waren die Ereignisse? Und wie ließen sie sich erzählen – in der Vergangenheitsform oder als eine Geschichte der Gegenwart, als politisches Kampfstück, als Komödie oder Tragödie? Und was sollte im Mittelpunkt stehen: Personen, Zustände oder der Kapitalismus? Das Theater müsse sich mit solchen Zeitthemen in Form von »Zeitstücken« auseinandersetzen, forderte etwa der Theatermacher Erwin Piscator. 1925 hatte die KPD mehr als jede andere politische Partei Energien auf die Mobilisierung der medialen Öffentlichkeit mittels Handzetteln, Bildern, Plakaten oder Pamphleten verwendet. So kamen die Initiativen für Zeitstücke vor allem aus dem Umfeld der Linken. Dazu zählt auch das (nie aufgeführte) Theaterstück Rund um den Staatsanwalt von Wilhelm Herzog, das der Schriftsteller 1928 in Buchform mit dem Untertitel Eine historisch-politische Revue mit einem Vorspiel: Die letzten Tage des kaiserlichen Deutschlands veröffentlichte.2 Barmats »Schloss« in Schwanenwerder ist hier der mondäne Ort, an dem sich die alten und neuen kapitalistischen und politischen Eliten zu geselligen und geschäftlichen Zwecken treffen. Im folgenden Jahr legte der bekannte Schriftsteller Walter Mehring das Theaterstück Der Kaufmann von Berlin. Ein historisches Schauspiel aus der deutschen Inflation vor, dessen Aufführung einen

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kleinen Theaterskandal auslöste.3 Das Vorbild war William Shakespeares Kaufmann von Venedig, aber Mehring brachte Personen und Ereignisse des Skandals von 1925 auf die Bühne, die jedermann zumindest in diffusen Umrissen bekannt waren. Von solchen konkreten Kontexten am weitesten entfernt (und deshalb vielleicht auch bis heute populär) ist Kurt Weills und Bertolt Brechts Mahagonny, eine »Zeitoper«, die im fernen Amerika spielt und doch Themen der hier behandelten deutschen Gegenwartsgeschichte aufgreift. Das Theater bot die große Bühne, auf der nach dem Selbstverständnis der Autoren und Theatermacher der zeitgenössische Kapitalismus, Spekulation, Demokratie und Korruption verhandelt wurden. Dreh- und Angelpunkt der folgenden Ausführungen ist der Kaufmann von Berlin, der bei den zeitgenössischen Theaterkritikern der Berliner liberalen Presse durchfiel. Warum scheiterten die Bemühungen des Stückes, die kapitalistischen Drahtzieher ökonomischer Spekulation und der Hintermänner des Antisemitismus zu entzaubern? Und wie bereits der Titel dieses Kapitels »Grenzen der Repräsentation« andeutet, geht es dabei insbesondere um die Frage, warum es gründlich misslang, Empathie für den mittellosen, aus dem Osten eingereisten und zudem jiddisch sprechenden Protagonisten namens Kaftan zu erzeugen, ja warum gar der Verdacht entstand, dass – entgegen allen Absichten – antisemitische Ressentiments gegen einen »jüdischen Kapitalismus« bedient wurden.

»Unpleasant play«: Der Kaufmann von Berlin »Unpleasant play; unerquickliches Werk«, lautete die ziemlich vernichtende Charakterisierung des bekannten Berliner Theaterkritikers Alfred Kerr.4 Als die Zuschauer am 6. November 1929 kurz vor Mitternacht das Theater am Nollendorfplatz verließen, war klar, dass das von Walter Mehring geschriebene und von Erwin Piscator inszenierte Stück Kaufmann von Berlin bei der Kritik durchfallen würde. Schon im Theater war es zu kleineren Tumulten und Buhrufen gekommen. Die Geschichte des jiddisch sprechenden Ostjuden

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Simon Chaijm Kaftan, der in der Zeit der Ruhrbesetzung im Frühjahr 1923 mit 100 Dollar ausgestattet in Berlin ankommt, binnen weniger Monate zu Reichtümern gelangt und diese so schnell wieder verliert, wie er sie gewonnen hat, konnte nicht überzeugen, hinterließ selbst bei wohlwollenden Theaterbesuchern ein Gefühl der Ambivalenz oder stieß gar auf Ablehnung. Die Aufführung provozierte wohlwollende, dem modernen Theater gegenüber aufgeschlossene Zuschauer ebenso wie konservative Kreise, denen sowohl Mehring als auch Piscator ohnehin verdächtig waren.

Theaterskandal Die Aufregung um das Stück hatte zunächst wenig mit der Geschichte des Protagonisten Kaftan zu tun. Stein des Anstoßes und Anlass zahlreicher Proteste war vielmehr die Schlussszene, in der drei Straßenfeger den großen Kehraus nach der Inflation besorgen. Unter den Besen kommt das Papiergeld: »Dafür warn wir mal / Alle zu haben, / Weil man dafür alles / Haben konnte, / Weil das mal Geld war, / Weil man dafür stritt!«; es folgte ein Stahlhelm, der auf einem laufenden Band über die Bühne transportiert wurde: »Mensch! Das war mal die Macht gewesen! / Das hat einmal auf einem Koppe gesessen! /Und dafür gab man dem Kopp was zum Fressen! / […] Dreck! / weg damit!« Dem Stahlhelm folgte ein Gefallener des Weltkrieges, wobei der dritte Straßenkehrer, dargestellt von dem bekannten Schauspieler, Sänger und Kabarettisten Ernst Busch, dem Publikum zugewandt deklamierte: »Mensch! Das war mal Mensch gewesen! / Das hat mal einen Stahlhelm besessen! / Das lebte mal – das hat ausgefressen! / Kommt alles untern Besen! Kommt alles untern Besen! / Das hat mal / Erschießen dürfen, / Weil es mal den / Stahlhelm getragen, / Weil das mal Geld war, / Weil man dafür stritt! / Dreck! / Weg damit!«5 Dabei gab Busch – wohl entgegen der Regieanweisung – dem Leichnam jenen Tritt, der nach den vielen Invektiven im Stück gegen Preußentümelei, Friedrich-Verehrung und Nationalismus für einen Teil der Zuschauer das Fass zum Überlaufen brachte. Vergeblich wies der Autor Walter Mehring in der Zeitschrift Das Tage-Buch auf eine Szene in Shakespeares Hamlet hin, die ihm als

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Vorlage für sein Theaterstück gedient habe. Solche Vorbilder beeindruckten wenige. Nicht nur die konservative und völkische Presse lief gegen die Szene Sturm. »Da wagen es diese Leute, einen gefallenen Feldgrauen ›Dreck!‹ zu nennen. Wagen es, ihn von Straßenfegern auf den Kehrichthaufen befördern zu lassen. Und dürfen das wagen: der Protest der wenigen Anständigen wird erstickt vom Beifallsgejohle eines Pöbels«, empörte sich ein Zuschauer in einer Zuschrift an den Berliner Lokal-Anzeiger, der das Theaterstück einer scharfen Kritik unterzog. Zwei Polemiken auf der Titelseite der Zeitung schürten in Berlin das Gerede über einen Theaterskandal. Das Organ der Berliner Nationalsozialisten Der Angriff wusste den Schuldigen zu identifizieren: »Mehring hat nämlich einen Haß. Guten, alten, ererbten jüdischen Haß gegen alles, was gewachsener Form ist.« Den Regisseur Erwin Piscator bezeichnete das Blatt als »von den Juden bezahlte[n] ›Kulturgoy‹«, als »Genie des Kitsches« und mit Blick auf die aufwendige technische Inszenierung mit einer für die Zeit ungewöhnlichen Hebebühne als »begnadetste[n] Schlosser, den Berlin besitzt«.6 Die Empörung über die Behandlung des »Feldgrauen« passte nur zu gut in die Kultur der umstrittenen Kriegserinnerung, die Ende der 1920er Jahre die öffentlichen Diskussionen prägte und mit der Kriegsliteratur stark an Fahrt aufnahm.7 Doch ein solcher Theaterskandal musste sich nicht unbedingt negativ auswirken, nicht in Berlin, zumal dann nicht, wenn die Einsprüche politisch eindeutig zuzuordnen gewesen wären. Kritische Reaktionen auf die avantgardistischen Ambitionen des Regisseurs Piscator, der sich zudem öffentlich als überzeugter Kommunist stilisierte, waren zu erwarten. Die komplexen Bühnenszenen aus Bildern, Tönen und Geräuschen, wie sie bis dahin in Berliner Theatern nicht zu sehen gewesen waren und die Piscator mithilfe des Musikers Hanns Eisler und des im Umfeld des Dessauer Bauhauses wirkenden Künstlers László Moholy-Nagy geschaffen hatte, mussten ablehnende Haltungen provozieren. Aber selbst diejenigen Theaterkritiker, die sich von diesem szenischen Aufwand vielleicht beeindruckt zeigten, überzogen in den nächsten Tagen das Theaterstück mit Kritik, wie etwa Alfred Kerr. Anlass dafür war nicht so sehr die Soldatenszene, son-

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dern vor allem der Protagonist des Stückes, Kaftan, gespielt von Paul Baratoff, der eigens vom New Yorker jiddischen Theater engagiert worden war.8

Im gelobten Land des Kapitalismus und der politischen Drahtzieher »Für einen Dollar können Sie ganz Berlin kaufen«, erklärt eine mit »Schieberware« beladene Bäuerin Kaftan auf seinem Weg nach Berlin im Zugabteil.9 Dieser Satz sollte das Motto von Mehrings Kaftan werden, der sich zunehmend sicherer in der verkehrten Welt der sich schnell entwertenden Geldzeichen und der Dollar-verrückten Berliner bewegt, die auf Schritt und Tritt den seltsam jiddisch sprechenden Mann aus dem Osten zu übervorteilen versuchen. Kaftan lernt schnell, vor allem, wie man unter den Bedingungen der Inflation mit Geld noch mehr Geld macht, ohne es auszugeben. Er müsse Geld verdienen, nicht für sich selbst, sondern für seine kranke Tochter in der Schweiz (Mehring: »Das ist kitschig, aber so etwas soll vorkommen«10). Auf seinem Weg durch das »geloibte Land« [sic!] lernt Kaftan in einer Spelunke den Rechtsanwalt und Oberleutnant Dr. Müller kennen. Müller, »ein teutonisches Musterexemplar«, wie Carl von Ossietzky in der Weltbühne kommentierte, das »bequem zehn Galizier in die Tasche steckt«,11 arbeitet für den Juden Anton Eisenberg als Generaldirektor der Eisenbank. Eisenberg hat Provisionen für den Verkauf eines Lagers mit Heeresschrott an die lettische Regierung kassiert, kann aber nicht liefern, da die Vertreter des Militärs, dessen Mittelsmann Müller ist, die Ware nicht hergeben wollen. Durch geschickte Spekulationsmanöver erwirbt Kaftan vom Herrenschneider Leschnitzer (unschwer zu identifizieren als der uns aus dem Fall Höfle und der Barmat’schen Merkurbank bekannte Bottroper Schneider und Zentrumspolitiker Hermann Lange-Hegermann), der ihm anstelle des Kaftans einen großstädtischen Anzug anpasst, die Mehrheit der Eisenbergaktien. Kaftan wird Leschnitzers Lieferant und treibt ihn durch die geforderten Wucherpreise prompt in die Pleite. Die einzelnen Bestandteile der ehemaligen Firma Eisenbergs werden umbenannt in »Kaftania-Altmetall« und »Bankhaus Kaftan«. Müller bleibt aus Eigeninteresse und macht Geschäfte für

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Potsdamer Militärs, die einen Rechtsputsch planen und dazu Kaftan brauchen. Dazu soll Geld über »Luftgeschäfte« mit dem Jüterboger Heeresschrottlager mobilisiert werden, das durch Vermittlung Müllers in den Besitz Kaftans kommt. Der imaginierte Wiederverkaufswert des Waffenlagers steigt, als ein spielendes Mädchen durch eine Querschläger-Kugel aus dem Arsenal stirbt – ein Beweis dafür, dass es sich tatsächlich um militärtaugliches Material handelt. Kaftan verfügt plötzlich über »unbegrenzten Kredit« bei den Banken: »Gestern hat er’s als altes Eisen gekauft! Für ’ne halbe Million! Mit einem Schuß sitzt er aufm Weltmarkt!«12 Kaftan will das ungeliebte Lager schnellstmöglich verkaufen, wird nun aber von allen Seiten bedrängt, so von Müller und den Potsdamer Umstürzlern, da sie das von Kaftan abgepresste Geld ebenso wie die Waffen brauchen. Das treibt Kaftan in den Dunstkreis des Juden Cohn (eine Figur, die dem ebenfalls bekannten Finanzier Jakob Michael nachgezeichnet ist). Und nicht nur das: Frauen aus der Grenadierstraße, also der Straße, die wie kein anderer Berliner Ort mit der ostjüdischen Zuwanderung identifiziert wurde, besuchen Kaftan und erinnern ihn daran, dass die 100 Dollar, die er als Grundstock seines Vermögens nach Berlin mitbrachte, den Dorfbewohnern gehören (eine Episode, die Piscator auf der Bühne wegließ). Auf Betreiben Müllers gibt Kaftan eine luxuriöse Gesellschaft für Berliner mit Rang und Namen. Während der Feier spitzt sich die Lage zu: Mit den von Kaftan finanzierten Waffen werden die Menschen des Scheunenviertels Opfer eines Pogroms. Kaftan trifft es doppelt: Er wird nicht nur zum Ziel der verärgerten, pauperisierten Massen, die ihn, den Profiteur der Inflation, für ihr Schicksal verantwortlich machen; er wird zudem von eben jenen, die im Hintergrund die Fäden gezogen haben, fallen gelassen, zumal sich mit der Währungsstabilisierung sein fantastischer Reichtum in nichts auflöst. Das Geschäft Kaftans geht in die Hand Cohns über, der seinerseits aber bereits von Müller abhängig ist. Müller weist Kaftan und seine Tochter Jessi, der er kurz zuvor noch Avancen gemacht hat, zurück: »Schert Euch nach Galizien, verdammte Judenbande!«13

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»Missverständnisse«? Bediente die Geschichte Kaftans den Antisemitismus? Diese Meinung teilten die jüdischen Organisationen – bei allem Wohlwollen gegenüber Mehring. Ganz in diesem Sinne meinte aber auch der Theaterkritiker der Deutschen Börsen-Zeitung, das Stück könnte bei dem »naiven Zuschauer« eine »Atmosphäre des Antisemitismus« erzeugen, auch wenn der Regisseur dem entgegenwirken wolle, indem er »seinen Zuschauern einzubläuen« versuche: »An allem Elend ist einzig und allein schuld der dreimal verfluchte Militarismus.« Wenn auch aus anderen Gründen, so konnte sich Joseph Goebbels im Angriff diesem Urteil anschließen: Piscator benehme sich »reichlich antisemitisch. Wenn auch nicht aus Absicht, so doch – aus Talentlosigkeit.«14 Kaftan, sosehr er auch als Opfer der Umstände und der Machenschaften politischer Gruppen gezeichnet war, provozierte antisemitische Ressentiments. In dem mit Anspielungen überladenen Zeitstück ging die Tragik der Figur ebenso unter wie die Anspielungen auf den Shakespeare’schen Shylock im Kaufmann von Venedig. Auf wessen Konto dieses Versagen ging, blieb umstritten und eskalierte in einem Streit um das Regietheater.15 »Am Pißtheater [d. h. Piscators Theater am Nollendorfplatz – MHG] wurde ein Stück aufgeführt, wo man sich namentlich Akt I und II bis Hälfte [sic!] mancher Zwischentexte von mir bedient hat«, empörte sich Mehring in einem Brief an Kurt Tucholsky. Er berichtete von unendlichen Umarbeitungen, auf die Piscator gedrängt hatte, sodass »über Nächte – bevor die Bühnenproben anheben – ein neues Stück entstanden« sei.16 Und das war nur der Anfang von nervenaufreibenden Proben, bei denen nichts funktionierte, zunächst auch nicht die monströse, quietschende und ächzende Bühnenapparatur, ganz zu schweigen von den Bild- und Filmeinblendungen, alles Tribute an die neue dokumentarische Sachlichkeit. Mehring: »Ich vasteh da nischt von: Und nu Prämiähre! Da war am Schluß plötzlich: rote Fahne! Lieber Tucho! Sie wissen, ich hab nisch gegen rote Fahne! Aber so – ohne Grund, bloß damit Revolution nachgeliefert wird! Und außerdem: Sie wissen, dazu gehört nu in Berlin gar kein Mut mehr!«17

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Der Streit eskalierte schnell, und zwar an allen Fronten. Schon bei der zweiten Aufführung wurden auf Drängen vom Konzessionär und Teilhaber des Theaters Ludwig Klopfer die rote Fahne und die Szene mit dem Leichnam des Weltkriegssoldaten gestrichen, und bald darauf erhielt der protestierende Piscator Hausverbot.18 Schon nach wenigen Aufführungen wurde das Stück vom Spielplan genommen. Für alle Beteiligten wuchs sich der Theaterflop auch zum finanziellen Desaster aus. Mehring und ganz ähnlich Piscator fühlten sich – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – von den Gegenwartsmenschen gründlich missverstanden. Aber ein Missverständnis impliziert ein Verstehen, und es gehört zur Ironie der Rezeptionsgeschichte, dass die geschmähten Zeitgenossen wohl mehr von dem politischen Zeitstück begriffen, als Mehring und Piscator glauben machten und die Besprechungen vermitteln. Mehring deutete das an, wenn er jammerte, dass diese Geschichte »noch zu neu« war: »Sie war noch nicht in die Geschichtsbücher eingegangen. Man hatte sie noch nicht durchgenommen, man hatte sie bloß erlebt. Und deshalb gab es Missverständnisse! Nichts als Missverständnisse!«19 Im Berlin der späten 1920er Jahre war wohl niemand so naiv zu glauben, dass Mehring die Geschichte der Ostjuden oder der pogromartigen Ausschreitungen im Berliner Scheunenviertel 1923 auf »insgesamt fiktiver Grundlage des Geschehens und der Person« geschrieben hat, wie das in einer neueren Darstellung zu lesen ist.20 Tatsächlich ist das Stück voll von Anspielungen auf damals bekannte Personen, tote und lebende. Jeder politisch Interessierte konnte sich einen zeithistorischen Reim auf Kaftan machen und Analogien und Parallelen herstellen, die Wunden aufrissen. Für die Linkskurve handelte es sich um ein »Barmat-Stück ohne Sozialdemokraten«, wobei die schlechte historische Kontextualisierung bemängelt wurde;21 Goebbels sprach im Angriff von einem »zweite[n] Kutisker«, und Die Rote Fahne wusste, dass »Kutisker-Kaftan«, von »Cohn-Michael« – gemeint war der wirtschaftlich erfolgreiche Jakob Michael – abgelöst worden sei.22 Und wahrscheinlich erinnerte sich sogar noch der eine oder andere Zeitgenosse an die Aussage des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Preußischen Landtag Ernst Heil-

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mann, dass sich Julius Barmat für die Ostjuden im Scheunenviertel engagiert habe: Im Zusammenhang mit den Übergriffen auf Juden in der Grenadierstraße soll Barmat zusammen mit einer Reihe von Reichstagsabgeordneten eine Vereinigung zum Schutze der Ausländer vor der Berliner Polizei ins Leben gerufen haben.23 Und selbst noch die letzte von Piscator dem Theaterstück aufoktroyierte Szene, nämlich die zum Gaudium der Studenten gehaltene Totenrede des sezierenden Arztes auf den auf dem Autopsietisch liegenden Kaftan, gemahnte an einen Vorfall wenige Jahre zuvor, als sich der bekannte Berliner Arzt Otto Lubarsch medienwirksam über den schlechten Lebenswandel des verstorbenen Ostjuden Iwan Kutisker ausgelassen hatte.24 Das grundlegende Problem des Stückes, das für die »Missverständnisse« verantwortlich war, bestand darin, dass Kaftan, das Opfer, wenig Raum für Empathie zuließ und dass die Tragik seiner Geschichte im Dickicht der politischen Anspielungen auf die Zeitumstände und den Kapitalismus unterging.

»Politische Zeitstücke« und Kapitalismus »Zeitstücke« und »Zeittheater« waren ein in der Weimarer Republik populäres Genre mit so unterschiedlichen Themen und Tatorten, wie den Problemen der Kriegsheimkehrer, der Separatistenbewegung, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Todesstrafe oder Abtreibung. Hinzu traten in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, genauer: zwischen 1927 und 1930, Phänomene wie Spekulation und Börse, wirtschaftliche Gauner und Unternehmer, mithin Personen, die hier als Grenzgänger des Kapitalismus beschrieben werden. Am besten bekannt sind Bertolt Brechts Dreigroschenoper (1928), die in die Londoner Unterwelt nach Soho und in den gnadenlosen – kapitalistischen – Konkurrenzkampf der Ganoven führt, sowie seine Heilige Johanna der Schlachthöfe (1930), ein Stück, das in den Schlachthöfen Chicagos spielt. Piscator suchte für sein Theater solche Themen. Den 1893 geborenen, aus einer calvinistischen hessischen Kaufmannsfamilie

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stammenden Regisseur hatte das Fronterlebnis im Krieg nachhaltig geprägt. Sein Radikalismus wurzelte wie der einer ganzen Generation von Intellektuellen in der Kriegserfahrung. Die Kritik heroischer oder pathetischer nationaler Phrasen mündete in eine zynische Zeitdiagnose, insbesondere aber einen kalten Blick auf die Gegenwart. Politisch führte ihn das in die Reihen der Kriegsgegner und damit zunächst zur linken USPD, dann zur KPD. Er bewegte sich also in einer Gruppe von Gleichgesinnten und mehr oder weniger heftig miteinander rivalisierenden Schriftstellern und Theatermachern, darunter Alfred Döblin, Ernst Toller, Bertolt Brecht und Walter Mehring. Verbunden waren sie durch den Anspruch, Themen der Gegenwart mittels neuer ästhetischer Darstellungsformen auszufüllen – Piscator formulierte das im Kontext eines sich dezidiert als politisch verstehenden Theaters, was ihm, der sich als Kommunist bezeichnete, als einem der Ersten den Ruf eines prominenten Vertreters des »Kulturbolschewismus« eintrug (siehe Abb. 12, S. 243).25

Agitationstheater und »ultralinker« Marxismus Wilhelm Herzogs Stück Rund um den Staatsanwalt sollte ursprünglich den Auftakt der am September 1927 eröffneten »PiscatorBühne« bilden. Leitthema war das Scheitern der deutschen Revolution 1918/19, das Herzog szenisch entwickelte, angefangen bei den »letzten Tagen des kaiserlichen Deutschland« mit Friedrich Ebert und Max von Baden, über die Revolution und die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, den Prozess gegen den Initiator des mitteldeutschen Aufstands Max Hölz bis hin zu Verfilzungen und Korruption in Wirtschaft und Politik am Beispiel Barmats. Zusammengehalten wurde das thematisch heterogene Stück durch einen korrupten Staatsanwalt, der das Fähnlein nach dem politischen Wind richtete und dem preußischen Staatssekretär Robert Weismann (Zentrum) nachgezeichnet war. Dieser war die rechte Hand des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD) und als Berliner Staatsanwalt sowie als preußischer Reichskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung seit dem Sommer 1923 scharf gegen die radikale Linke wie Rechte vorgegangen und des-

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Abb. 12 Das politische Regietheater Erwin Piscators CC-BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch, 80.1927, Seite 355

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halb auf beiden Seiten verhasst. Ein anderer Subtext war, dass sich Weismann bei der Niederschlagung der Anklage gegen Georg Sklarz engagiert hatte, was, wie bereits dargestellt wurde, die disziplinarrechtliche Reglementierung des Staatsanwalts zur Folge hatte, der seinerseits wiederum der preußischen Regierung Bestechung vorwarf.26 Lange Szenen von Rund um den Staatsanwalt kreisen um gesellige Runden im »Schloß der Barmats« auf der Havelinsel Schwanenwerder. Es geht nicht nur um die Geschäfte »Judkos«, wie ihn im Stück nicht nur seine Freunde nennen, mit der Preußischen Staatsbank, sondern auch um die Geschäfte Kutiskers und des damals mit Stresemann in Verbindung gebrachten Litwin. Vereint im Geiste und den wirtschaftlichen Interessen singen sie: »Der Stinnes, der Goj, hat noch mehr bekommen als wir! / An der Ruhr hat man verdient, / Aber auch in Berlin war’s Geschäft nicht schlecht. / Wir sind die wahren Produzenten, / Wir schaffen, / Wir schaffen, / Wir scheffeln und schaffen / Den Hungrigen Arbeit und Brot!«27 Die zynische Botschaft zielte auf die Gleichsetzung aller Profitinteressen, zugleich aber auch auf die Selbststilisierung des Spekulanten als Produzent von wirtschaftlichen Werten und als Arbeitender. Auf dem Altar der materialistischen – kapitalistischen – Interessen und der Verfilzung reaktionärer politischer und wirtschaftlicher Macht war die Revolution 1918/19 gescheitert. Hinter dieser Grundaussage des Stückes vermag man eine durchaus nicht nur auf die Linke beschränkte Variante eines Radikalismus erkennen, der geprägt ist durch ein tiefes Misstrauen gegenüber Macht und Herrschaft sowie die Unterstellung einer Allgegenwart politischer Korruption. Solche Themen hatten es Piscator angetan. Unter dem Titel Bei Barmat auf Schwanenwerder hatte er schon für den April 1925 »politisch-satirische Abende« angekündigt: Es handelte sich um proletarisches Agitationstheater für Kleinbühnen (darunter Kliems Festsäle in der Hasenheide in Berlin), der Eintritt kostete fünfzig Pfennige.28 Ähnliche Veranstaltungen fanden in anderen KPDHochburgen statt. Vielfach wurden sie als Roter Rummel mit Musik angekündigt. Dieses Aktionstheater mit Laien arbeitete, ähnlich wie

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dann Herzogs Rund um den Staatsanwalt, mit einem Potpourri von Themen ohne eine durchgehende Handlung. Präsentiert wurden Szenen aus der Revolution 1918/19, dem Kapp-Putsch und dem mitteldeutschen Aufstand 1921, die sich mit wirtschaftlichen Themen verknüpfen ließen: mit der »Verschacherung Deutschlands« an die »Dawes Geier« (gemeint war das Dawes-Abkommen 1924 in Bezug auf die Reparationsfrage), insbesondere an den Bankier Morgan, aber auch an andere wirtschaftliche Glücksritter und Spekulanten. Schwanenwerder war das Sinnbild für die kumpaneihafte und käufliche Sozialdemokratie und ihre Kleinbürgerlichkeit.29 Ein gutes Beispiel ist eine Aufführung in Bremen Anfang Mai 1925 vor 300 Zuschauern. Gezeigt wurde zunächst Barrikadon, das vom heroischen Barrikadenkampf revolutionärer Arbeiter handelte, und im Anschluss daran Barmat. Das Stück begann mit Barmat, der in Schwanenwerder auf einem Thron sitzt, neben ihm zwei mit Geld gefüllte Säcke; auf die Frage, ob sich Sozialdemokraten im Publikum befinden, tauchen Personen in schwarz-rot-goldenen Schärpen auf, die sich als Otto Braun, Wilhelm Richter, Otto Wels und als Sohn Friedrich Eberts zu erkennen geben. In der Überlieferung eines staatlichen Beobachters entwickelte sich die Geschichte folgendermaßen: »Diese [die Sozialdemokraten – MHG] küssen Barmat bei der Begrüßung die Hände und Füße. Barmat erkundigt sich nach seinem Paß, der ihm hierauf von Ebert junr. (sic!) überreicht wird. Barmat sagt: ›Eine Hand wäscht die andere‹ und übergibt jedem Sozialdemokraten einen Scheck. Die Gäste werden hierauf mit Sekt bewirtet. Als Barmat erklärt, dass er Kredite brauche, überreicht man ihm die Schlüssel zur Staatsbank. Als Barmat fragt, wer der Kandidat der Sozialdemokratie zur Reichspräsidentenwahl sei, antworten die Gäste, dass dieses Ei noch gelegt werden müsse. Sie ahmen dann eine Henne nach, worauf ein großes Ei erscheint mit der Ziffer ›8 Millionen‹. Aus diesem Ei kommt dann eine Person mit Talar, die von allen Vieren auf die Bühne gezogen wird. Diese Person soll [Wilhelm – MHG] Marx darstellen. Gleich darauf erscheint eine Person, die für Hindenburg in Uniform stehen soll. Alle reichen sich die Hände, worauf Barmat feststellt, dass sie im Grunde genommen alle dasselbe wollten. Alle setzen sich zu Barmats Füßen. Es erscheinen

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Damen, worauf ein wüstes Gezeche beginnt. Im betrunkenen Zustand wird das Deutschlandlied gesungen. In diesem Augenblick erscheinen Proletarier unter Absingen der ›Internationale‹ auf der Bühne und vertreiben Barmat und seine Freunde.«30 Herzogs Rund um den Staatsanwalt fällt in dieses Genre des Agitationstheaters mit seinen überzeichneten Personen und kruden Darstellungen von Kapitalismus und Demokratie. Dabei wählte er die populäre Form der Revue und versuchte, wie kaum ein anderer, durch Vermischung von Fakten und Fiktion alle nur denkbaren Medienformen einzuarbeiten: Plakate, Zeitungsberichte, Filme und Originaldokumente, darunter ein an Herzog gerichtetes, vermeintlich handschriftliches Bekennerschreiben eines Liebknecht-Luxemburg-Mörders.

Neuer Zeitgeschmack: Kapitalismuskritik als Amüsement Mit seinem recht kruden politischen Anliegen entsprach Herzogs Stück jedoch nicht dem Theatergeschmack des großstädtischen Berliner Publikums. Der Theatermacher Piscator zeigte sich enttäuscht: Nichts von dem, was man durchgesprochen habe, sei realisiert worden; er, Piscator, hätte »ebensogut [sic!] den ›Vorwärts‹ oder eine ›Rote Fahne‹ nebeneinanderlegen und die Dramaturgie auf der Bühne vornehmen können«.31 Aber schon Herzog vermutete, dass diese formalen und ästhetischen Argumente nur vorgeschoben waren. Entscheidender war wohl, dass seine politische Position nicht mehr opportun war. Die 1924 ausgegebene politische Linie der KPD, wonach die SPD nur den linken Flügel des Faschismus repräsentierte und deshalb vorrangig bekämpft werden musste, wie das 1925 Josef Stalin auch in einem viel beachteten Interview mit Herzog formuliert hatte, wurde zunächst auf Eis gelegt. Damit schwand auch schnell der Einfluss der »Ultralinken« in der KPD.32 Herzog war nun – wie viele andere Radikale – plötzlich ein »unzeitgemäßer Kommunist«. Mit wachsendem Missmut sah er, dass Stalin Revolutionäre der ersten Stunde wie Trotzki und Radek marginalisierte. 1928 kehrte er der KPD den Rücken, so wie sich die Partei schon vorher polemisch gegen diesen »bürgerlichen Intellektuellen« gewandt hatte.33

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Briefe deuten darauf hin, dass Piscator mit Blick nicht nur auf das großstädtisch-bürgerliche Theaterpublikum, darunter wohl auch seine »kapitalistischen« Geldgeber, sondern auch wegen der finanziellen Unterstützung des KPD-Apparats Angst vor der eigenen Courage bekam und sich der neuen Parteilinie anpasste. Anstelle von Rund um den Staatsanwalt führte er Ernst Tollers Revue Hoppla, wir leben! auf. Es ist die Geschichte eines im Zusammenhang mit den Revolutionsereignissen zum Tode verurteilten utopischen Sozialisten, der begnadigt die Zeit im »Irrenhaus« verbringt und sich nach der Entlassung in der verkehrten Welt der Nachkriegszeit – ein beliebter zeitgenössischer Topos – nicht mehr zurechtfindet und schließlich Suizid begeht. Kurz: ein Einzelschicksal, eingebettet in ein Panorama der Ereignisse der jüngsten Geschichte, erzählt aus der Perspektive des Jahres 1927. Eine der dargestellten Figuren ist der Politiker Kilmann, in den Worten Piscators »der Typus des vorangekommenen sozialdemokratischen Parteifunktionärs«, auf den ein Attentat verübt wird und der sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, leichtsinnig Staatskredite zu vergeben, womit das Stück die Verfilzung von SPD, alten Eliten sowie Bank- und Industriekapital thematisiert. Wie vieles andere in diesem Theaterstück blieb der Bezug auf Personen und Handlungen im Unkonkreten (auch wenn in Umrissen die Geschichte des Philipp Scheidemann zu erkennen ist). Auf jeden Fall handelte es sich um vergleichsweise leichte Kost, Kapitalismuskritik als Amüsement, unterlegt mit viel Musik und Tanz.34 Auch wenn sich daran viele rieben, schien das in die Zeit zu passen. In der Rückschau der 1930er Jahre betonte Bertolt Brecht, »daß der Gegensatz zwischen Lernen und sich Amüsieren kein naturnotwendiger zu sein braucht, keiner, der immer bestanden hat und immer bestehen muß«.35 Tollers Hoppla, wir leben! entsprach Erwin Piscators Erwartungen an das Zeitdrama, so wie dann auch eine ganze Reihe anderer politischer Bühnenstücke, darunter Erich Mühsams Staatsräson (1927) über den Fall Sacco und Vanzetti in den USA oder Cyankali (1928) von Friedrich Wolf, einem Mitstreiter in Sachen politisches Theater.36

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Kaftan-Barmat – Symptom welchen Kapitalismus? Dass Piscator eigene Vorstellungen hatte, zeigt seine Umarbeitung des Kaufmanns von Berlin. Die Figur des Kaftan interessierte ihn, weniger dagegen die Geschichte, die ihm Mehring in Anlehnung an William Shakespeares Kaufmann von Venedig lieferte. Seine Ausführungen im Programmheft verweisen darauf, dass er schon aufgrund seiner früheren Arbeit offenbar an Julius Barmat dachte (auch wenn, wie bereits zu sehen war, das Stück eher von Iwan Kutisker handelte). Deutlich wird das im folgenden Zitat, das – schon mit Blick auf die Zeitform – eher auf die historische Person als auf den literarischen Kaftan abzielt: »Die Zeitverhältnisse machen ihn [Kaftan – MHG] zum Mitschuldigen«, er sei ein »Bejaher des Kapitalismus, der am Kapitalismus zugrunde geht. […] Für uns war Kaftan ein Ausbeuter, zum mindesten ein Nutznießer wie jeder andere auch, wobei uns seine Rassen- bzw. Religionszugehörigkeit vollkommen gleichgültig war. Aber der Öffentlichkeit gegenüber stand vor Kaftan, dem Kapitalisten, Kaftan der Jude. Zielten wir auf den Kapitalisten, mußten wir notgedrungen den Juden treffen. Und gerade das wollten wir nicht. Niemals wollten wir unsere Hand zu einer antisemitischen Hetze bieten; denn nicht ein Rasseproblem, nicht das Verhältnis zwischen eingewandertem Judentum und seßhaftem Deutschtum, sondern nur ein soziales, ein Klassenproblem stand für uns in diesem Stück zur Debatte.«37 In dieser Lesart wird, wenig verwunderlich, bedenkt man die KPD-Agitation, Kaftan-Barmat zum Symptom des Kapitalismus. Es bleibt reichlich unklar, gegen welchen Antisemitismus Piscator sich dabei abgrenzte. Möglicherweise sind seine Ausführungen als Kommentar zu den antisemitischen Eskapaden der KPD gerade in der Zeit des Skandals zu sehen. Aber ließ sich Barmat (oder Kutisker), allemal aber der jiddisch sprechende Kaftan des Theaterstücks, als Kapitalist darstellen, ohne dass gleichzeitig antisemitische Ressentiments bedient wurden? Obstinat fügte Piscator hinzu, dass die verbreiteten antisemitischen Ressentiments kein Hemmnis sein dürften, Dinge anzusprechen »an einem Theater, dessen grundsätzliche Einstellung das Aussprechen jeder Wahrheit ist«.38 Aber nichts war umstrittener als diese »Wahrheit«.

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Die Inszenierung appellierte dann auch nicht ganz so schematisch an Vorstellungen eines proletarischen Klassenkampfes, wie das Programmheft und Piscator weismachten – rote Fahne im Stück hin oder her. Piscator ging von zwei möglichen Interpretationen aus: »entweder Finanzherren und Schwerindustrielle auf der einen, das revolutionäre Proletariat auf der anderen Seite oder […] wie die Inflation ein ganzes Volk moralisch verlumpte, die revolutionäre Bewegung […] von den Nutznießern und Urhebern der Inflation niedergeschlagen wird«.39 Tatsächlich sprach die Mehring’sche Fassung eher die erste Option an, während Piscator mehr die zweite verfolgte. Dies erklärt manche Inkonsistenz der damaligen Theaterfassung. Dabei überkreuzten sich jedoch Piscators und Mehrings Intentionen darin, den »Riesenschwindel dieses Lebens«,40 die Inflation, als Epos auf die Bühne zu bringen. Und das ist nicht nur die Geschichte einer Person, schon gar nicht Kaftans, sondern vielmehr die Geschichte einer allgemeinen Verwilderung der deutschen Gesellschaft. Im »Oratorium von Krieg, Frieden und Geldwertverfall« sprach Mehring den Entwertungsvorgang an, der die gesamte Gesellschaft erfasst hatte: der Tausch von Gold gegen Eisen – »Aber da war alles Gold gewandelt zu Papier« –, die Hoffnungen während des Krieges, die an den Siegfrieden und die Begleichung der aufgeblähten Staatsschulden geknüpft waren, die zerstobenen Erwartungen am Ende des überraschend verlorenen Krieges und dabei nicht zuletzt die Forderung der Feinde: »Ihr müßt bezahlen!«41 Piscator stellte das Oratorium vom Ende des Stücks an dessen Beginn, wohl um dem Zuschauer strukturelle Kausalitäten zu verdeutlichen. Dahinter kann man eine Soziologie der Geldentwertung erkennen. Es geht um die »Transsubstantiationen« von Nahrung, Gegenständen und persönlichen Beziehungen in wertloses Papier, um die Spekulanten, die »wundergläubig« hofften, »daß Ware sich wandle in Geld, bis die irdischen Güter im mystischen Kulte von Nachfrage und Angebot sich entmaterialisieren in der Zahlenmagie des Heiligen Mehrwerts […]«.42 Mittels Einblendung des steigenden Dollarkurses auf einem Laufband (wie wir es aus dem heutigen Finanzfernsehen kennen), eines statistisch gehaltenen Films über Löhne

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und realer Filmszenen aus dem Leben der Inflationszeit in Berlin versuchte Piscator, den Zahlenzauber der Geldentwertung einzufangen – und brachte Kaftan-Barmat mit spekulativen (Luft-)Geschäften in Verbindung. Dem Theatermacher Piscator ging es um einen neusachlichen, dokumentarischen Realismus, weniger um Personen als um Strukturen. Wie in seiner während der Auseinandersetzungen um den Kaufmann von Berlin publizierten programmatischen Schrift über Das politische Theater nachzulesen ist, beschäftigten ihn nicht »Einzelschicksale«, sondern die Verwurzelung der einzelnen Figuren in Klassen und Schichten und damit Typologien des Sozialen: Kaftan als Repräsentant seiner Klasse. Dramaturgisch versuchte er, diese Klassenkonstellation mittels eines komplizierten Bühnenmechanismus in Form von drei nebeneinandergesetzten beweglichen Etagen zum Ausdruck zu bringen: Die unterste Ebene sollte die tragische Geschichte des Proletariats, eine zweite Ebene die »tragikgroteske« des Mittelstandes und die dritte Ebene die groteske der Oberschicht und des Militärs beschreiben, sodass jede soziale Gruppe eine eigene Bühnenebene besaß. Sie durchkreuzten sich mittels des Bühnenmechanismus da, »wo die dramaturgischen Schnittpunkte es verlangten«.43 Dabei war die Zuordnung Kaftans zum Mittelstand, und damit als Verlierer der Inflation, wenig plausibel. Anders formuliert: Piscator inszenierte am Publikum vorbei.44

Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Mehring setzte in seinem Stück andere Akzente. Über eine Geschichte des Geldes und der Geldentwertung entwarf er im Kaufmann von Berlin eine skurrile Geschichte der gesellschaftlichen und kulturellen Ungleichzeitigkeit. In den zeitgenössischen Debatten über die Inflation bezog sich Ungleichzeitigkeit meist auf soziale Gruppen – Bürger, aber auch beispielsweise Kleinrentner, die in der »Welt von Gestern« (Stefan Zweig) gefangen blieben und die Welt von heute nicht mehr verstanden – oder auch auf Städte, etwa wenn, wie bei Thomas Mann, das moderne pulsierende Berlin der Nach-

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kriegszeit dem politisch reaktionären München gegenübergestellt wurde; später rückten Generationen in den Vordergrund.45 Die vielfach anarchisch anmutende Komik der Mehring’schen Charaktere resultiert aus ihrer fundamentalen Ungleichzeitigkeit, welche die auftretenden Figuren zu Fremden unter Gegenwartsmenschen macht.

Menschen der Vergangenheit und Gegenwartsmenschen Im Kaufmann von Berlin bleiben sich nicht nur Deutsche und Juden, sondern diese sich auch untereinander fremd. Denn sowohl die von Mehring präsentierten Ostjuden in der Grenadierstraße – allen voran Kaftan – als auch die Vertreter der Potsdamer Gesellschaft werden als merkwürdige Relikte einer längst vergangenen Zeit gezeichnet. Im Kontrast zu ihnen stehen die zeitgemäßen deutschen Gegenwartsmenschen, darunter mit der Figur Cohn-Michael auch assimilierte Juden. Der kühl, nüchtern und pragmatisch kalkulierende Müller bringt das auf den Punkt, wenn er seiner Geliebten, der Generalsgattin Hilde – auf der Bühne dargestellt als Kokotte in einer anzüglichen Rot-Kreuz-Uniform (wohl eine Anspielung auf Mathilde Ludendorff) –, gegenüber erklärt: »Ihr lebt hier in Potsdam wie die Juden im Ghetto. Ich wollte sagen, so abgeschlossen! Die Weiber schwärmen für den alten Fritz – den großen König in allen Ehren … heute würd er lieber’n Ammoniakabkommen mit den Produits chimiques schaukeln, anstatt die Welschen bei Roßbach zu vertöppern. Eure Männer laufen rum wie Börseaner auf’m Maskenball. Dieser mittelalterliche Mumpitz wird sich an der Wirklichkeit die Köppe einrennen […].«46 Letzteres wird zur Bühnenrealität, da der geplante Rechtsputsch der Gestrigen nach der Währungsstabilisierung von den industriellen Drahtziehern, den Männern der Gegenwart, kurzerhand abgeblasen wird. Hildes Mann, der General a. D., lebt in einer verblichenen Welt, in der die verlorenen Schlachten des vergangenen Krieges mit Hoffnung auf einen Sieg immer neu durchgespielt werden. Das war eine Anspielung auf ein Morgen, das schon vergangene Zukunft war. Des Generals Pension, mithin seine finanzielle Zukunft, wurde ihm infolge eines gescheiterten Spekulationsgeschäfts längst gepfändet.

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Blühen konnten solche Gestalten des Gestrigen nur im Getto Potsdams, jener »Uradelsstätte der Mark«, die sich »samt seinen Bewohnern zur Ruhe« setzte, »gerade als Neu Berlin – in der Pubertät der Gründerjahre, bepickelt mit Denkmälern, belastet mit Burgenbauromantik – emporschoß«.47 Mehring karikiert die Potsdamer als »waschechte Wenden bis auf den heutigen Tag, in heidnischer Hingabe an den Geist des Fridericus Rex, den sie aber mit dem Bakel des Soldatenkönigs verwechseln, [dem] geheimen Fetisch ihrer Sklavenabkunft«, und damit als Nachkommen von Strauchrittern, die ohne eine wirkliche Tradition, vielmehr durch eine Sammlung verschiedener Traditionen, »ein Herbarium kultureller und architektonischer Assoziationen«, gekennzeichnet waren.48 Auf diesem Boden »im Schutze des Allfadr, Jehova der Bibel, Odin der Edda, Swantewit der Slawen dreieiniger Person« blühten jene Mythen eines überzeitlichen Deutschtums und von Zeit und Raum.49 Sie bildeten die Grundlage eines von Konsistorialräten gepredigten Germanenglaubens ebenso wie der Verschwörungen einer »jüdischen Internationale« und der nach der »Weltherrschaft« trachtenden »Sieben Weisen von Zion«.50 Zu den skurril-brillanten Szenen von Stück und Aufführung zählt der gespenstische Bühnenauftritt eben dieser Weisen von Zion – »Wir Sieben aus Zion wollen umzingeln die ganzen Gojim / Ihre Kinder zu beschneiden, sind die Messer schon gewetzt / Wir wollen oisrufn die Republik Jeruscholajim / Le chajim! Le chajim!« –, denen der Alte Fritz ein Ende bereitet: »Da sprach der Alte Fritz / Potzblitz / Daß diesen Spuk ich banne / So will ich meinen Krückstock ziehn! / Wir haun sie in die Pfanne! / Nur feste druff! Die Juden fliehn!«51 Piscator spielte an dieser Stelle einen Film ein, der den Alten Fritz als läppische Puppe darstellte, während die Jazzkapelle alte preußische Armeemärsche persiflierte. Eine solche Aufführung der ins Kraut schießenden Verschwörungsfantasien mag Ernst Bloch inspiriert haben, der in den »Schlammvulkanen« der Völkischen die »dunkl[e] Primitivierung eines völlig ungleichzeitigen, ja disparaten Irreseins« sah.52 Die konservative und völkische Presse tobte ob dieser Satire auf die preußisch-deutsche Vergangenheit und Tradition, auf Potsdam mit dem Glockenspiel, den großen König, die Kriegsgeneräle, »un-

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sere Märsche, unsere heiligen Lieder, unsere Fahnen: Dreck, weg damit!«53 Wurde hier nicht das deutsche Volk verunglimpft, fragte im Berliner Lokal-Anzeiger Johannes W. Harnisch, und beschwor zugleich eben jene ewigen Werte, die Mehring in seiner Satire des völkischen und nationalistischen Essenzialismus aufs Korn nahm. Im Gegensatz zur Masse, so hieß es in dem langen Artikel, sei das Volk etwas anderes: »Ist Vergangenheit und Zukunft. Ist eine heilige Gemeinschaft, die aus der Tiefe der Jahrhunderte hinüberreicht in die kommenden Zeiten, den späten Enkel dem fernen Ahnen wesensund schicksalsverbunden macht.« Der Staat war das Äußerliche und Transitorische, nichts anderes als die »wechselnde, äußere Form um das ewige Volk«, hieß es in durchaus völkischer Manier.54

Eine Gegenwelt: Die Grenadierstraße Diese Welt der völkischen Ressentiments und der Gestrigen und Vorgestrigen hat ihre Entsprechung in der Gegenwelt, in der Kaftan sich bewegt. Mehring zeichnet das Berliner Scheunenviertel und hier speziell die Grenadierstraße im Detail als einen nicht minder fremden Ort, als eine Potsdam entgegengesetzte Welt. Mitten im »hypertrophischen Wachstum zur Vielmillionenkapitale« hatte die Grenadierstraße einen »Rest von Peripheriecharakter« behalten. Im Gegensatz zu Potsdam war es, so Mehring, aber ein universaler Ort: »Vom Schwarzen bis zum Baltischen Meer, von den Karpathen bis zum Ural, wo immer sich an der Grenze Asiens Kinder des auserwählten Volkes – zahlreich wie ›samt beim jam‹: wie Sand am Meer – angesiedelt haben, nennt man die Grenadierstraße.« Wo auch immer die Grenadierstraßen des Erdballs lagen, sie eröffneten den Zugang zu »den ökonomischen Gefilden einer Neuen Welt«.55 Dabei war die Grenadierstraße für Mehring gleichermaßen ein realer Ort wie ein mentaler Zustand. Im Sinne einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen erinnerte auch dieser Ort an längst vergangene Zeiten: »Beschränkung des Erwerbes: sagen die Sprüche der Väter. Und da stehen sie und wuchern, so nahe der Bundeslade. Mäßigkeit in der Unterhaltung: gebieten die Sprüche. Aber da wird geredt und geredt! Grotesk scheint ihr Gebaren: Der Schammes, der mit dem Opferstock wie ein Floh herumhupft, dieser, der zigaret-

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tenpaffend hereinstürzt und gierig aus den Regalen einen der heiligen Folianten reißt; jene, die über Russenpolitik, Prozente und Schicksen debattieren.« Ominös fügt Mehring hinzu: »Aber um des einen Zaddiks [einer jener 36 auserwählten Gerechten in einer jeden Generation, die Gott den Glauben an die Menschen erhalten – MHG] willen, der doch könnte unter ihnen sein, sei ihnen vergeben …«56 Dass Kaftan einer der Auserwählten sein könnte, ist die vielfach tragisch-komische Botschaft des Stückes, wobei schon vielen Zeitgenossen das Lachen im Halse stecken blieb. So empörend wie das satirische Zerrbild preußischer Traditionen für die einen, so unangemessen, ja anstößig war diese Darstellung Kaftans, eines Ostjuden, für die anderen. Ähnlich wie Piscator nahm Mehring in Reaktion auf solche Kritik trotzig in Anspruch, das auszusprechen, was als »tabu« gelte: »Wer heute erklärt, es gebe kein Judenproblem, sondern nur: Reich und Arm; und die armen Juden der Grenadierstraße hätten genauso zu leiden wie die ›eingesessenen Berliner Arbeiter‹; und der Ostjude, der zu den besitzenden Klassen aufsteigt, werde dadurch beliebt bei allen Antisemiten; wer also Jud und Christen darstellt jenseits von Gut und Böse, der ist allen ein Walter Mehring im Auge.«57 Piscators Versuch, mittels Kaftan das »Klassenproblem« zu thematisieren, war problematisch genug. Aber das galt mindestens genauso für Mehrings Behandlung eines »Rasseproblems«, und das umso mehr, als er einen historischen Fall und konkrete Personen dramatisierte. Im Gegensatz zu heutigen Lesern und Literatur- und Theaterwissenschaftlern wusste 1928 noch jeder, dass weder Barmat noch Kutisker als arme Schlucker, schon gar nicht mit Kaftan und Bart, sondern als wohlhabende Männer aus Amsterdam und Litauen nach Deutschland gekommen waren. Die beiden »Ostjuden« sprachen auch nicht Jiddisch (wenngleich Julius Barmats leichte Sprachfärbung immer wieder zur Belustigung beitrug und Kutiskers Deutsch nicht gut war). Beide wurden in der antisemitischen Agitation zu Juden gemacht. Tatsächlich verstärkte der Kaftan auf der Bühne das Zerrbild der Flut von Karikaturen, mit denen sich die Komplexität der Ereignisse

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durch Schematisierung, Stilisierung und vor allem extreme rassistische Zuschreibungen auflösen ließ. Mehrings Interpretation des Judentums be- und verstärkte solche Typisierungen. Er vermochte selbst diejenigen nicht anzusprechen, die ansonsten vielleicht das jiddische Theater im Scheunenviertel besuchten.58

»Produktiver Kapitalismus« versus »spekulativer Pariakapitalismus« Wie auch immer man das Stück wendet, bei aller Kritik an völkischen und reaktionären politischen Kreisen, der Kaufmann von Berlin bediente das Bild des »raffgierigen jüdischen Kapitalismus«. Der Geldmensch, der »Luftgeschäfte« betrieb, war das Gegenteil einer »produktiven« Arbeitsgesellschaft, allemal des »produktiven« Unternehmers. Darin kann man Nachklänge der Debatte erkennen, die vor dem Krieg von Max Weber und Werner Sombart und auch insgesamt auf breiter Ebene geführt wurde.59 Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass Mehring in der Darstellung des Judentums an die jüngere Auseinandersetzung des späten Kaiserreichs über Juden und ihre Rolle in der Wirtschaft anknüpfte und dabei auf den bekannten Nationalökonomen und Soziologen Werner Sombart rekurrierte. Dieser hatte schon 1911 die für viele provokante These vertreten, die Juden seien die »Begründer des modernen Kapitalismus«. Sombart konstatierte in diesem Zusammenhang die große, »alle anderen Einflüsse weit übergipfelnde Bedeutung der Juden für das moderne Wirtschaftsleben«, insbesondere aber die Wahlverwandtschaft zwischen der jüdischen Religion und dem Geist des Kapitalismus. Der Kapitalismus entstamme dem jüdischen »Händlergeist«, dessen Ursprünge er im nomadischen Leben der Juden in der Vorzeit suchte und den er mit dem Kapitalismus voll ausgebildet sah, auch wenn er sich in der Gegenwart infolge der Bürokratisierung des Wirtschaftslebens abschleife.60 Diese These glich einer Provokation, rüttelte sie doch an einem Selbstverständnis, das Max Weber am deutlichsten zum Ausdruck gebracht hatte und in der Auseinandersetzung mit Sombart scharf verteidigte: Der Geist des modernen Kapitalismus wurzele in der »protestantischen Ethik«. Der »jüdische Kapitalismus«, den Weber in der Vormoderne verortete, stand im Gegensatz dazu auf »der

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Seite des politisch oder spekulativ orientierten ›Abenteuerer‹ Kapitalismus: sein Ethos war, mit einem Wort, das des Paria-Kapitalismus«. Für den Puritaner war der Jude Inbegriff allen Abscheus, weil er sich, ähnlich wie die Hofgünstlinge, an irrationalen und illegalen Geschäften wie Kriegswucher, Steuer- und Amtspacht beteiligte. Der Paria-Kapitalismus beruhte demnach auf der Differenz zwischen wirtschaftlichen und moralischen Binnennormen, und zwar Normen für die eigene religiöse Gemeinschaft im Unterschied zu den Andersgläubigen.61 In der Zwischenkriegszeit waren solche Taxonomien und Gegenüberstellungen gängige Münze, sowohl in öffentlichen Debatten wie im wissenschaftlichen Diskurs. 1927 erregte sich die C.V.Zeitung, das Organ des Central-Vereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens, über die Lobgesänge des Ökonomen Johann Victor Bredt, selbst ein Calvinist, in der Zeitschrift Der Arbeitgeber auf den »puritanischen Kaufmann, der mit weltumspannendem Blick seine Geschäfte betreibt, aber bei größtem Erfolge dennoch seine mehr wie einfache Lebensweise nicht aufgibt«. Für Bredt war es längst wissenschaftliches Allgemeingut, dass der wirtschaftliche Aufschwung auf kapitalistischer Grundlage sich in erster Linie da vollzogen hatte, wo Calvinisten die Führung hatten: in den Niederlanden, in England, im Nordosten der Vereinigten Staaten, im deutschen Bergisch-Märkischen Industriebezirk, wobei auch er den französischen Flüchtlingen (implizit im Gegensatz zu den jüdischen) eine wichtige Rolle zumaß. Solche Zuschreibungen waren verbreitet: Konservativen und Völkischen galt der Industrielle Hugo Stinnes, der Kaufmann von Mühlheim, vielfach als Heros eines produktiven Kapitalismus, selbst als nach seinem Tod 1925 sein Konzern kollabierte. Die C.V.-Zeitung monierte, dass damit die verbreitete Meinung einhergehe, erst die Juden hätten Formen des »raffenden Kapitalismus« in die deutsche Wirtschaft hineingetragen.62 Das reaktionäre Altpreußische Wochenblatt hatte sich noch wenige Wochen zuvor auch über die »Koryphäen« des Barmat-Konzerns mokiert, die der »Sachwertpsychose zum Opfer« gefallen und dabei von öffentlichen Bankinstituten unterstützt worden seien, während die Landwirte »Wucherzinsen« zu zahlen gehabt hätten.

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Vergleiche mit dem Stinnes-Konzern seien demnach absurd. Der Unterschied bestehe, so das konservative Blatt, darin, dass diesem »ein planmäßiger, produktiver Aufbaugedanke zu Grund liegt« und dass der »geniale Schöpfer des großartigen vertikalen Wirtschaftsaufbaus […] schon vor Jahren klare Ziele vor Augen gehabt« habe.63 Stinnes mit dem Kaufmann von Berlin, dem »deutschen Shylock«, zu vergleichen, hieß die Grenzen zwischen »deutscher Arbeit« und »jüdischer Raffsucht« zu verwischen.64 Jüdische Organisationen sahen nur allzu deutlich, dass die Antisemiten einmal mehr das »Höllentheater« anstimmten, »die ostjüdischen Vampire saug[t]en die deutschen Arbeiter aus«, wie in der C.V.-Zeitung schon 1925 mit Blick auf den Barmat-Kutisker-Skandal zu lesen war.65 Das zeigte sich an kleinen Beispielen. So schienen rationale Lebensführung und Askese weder zu Barmat noch zu Kaftan zu passen, ja galten als einigermaßen absurd: Kaftans Ausspruch »A Stickele Brot mit Hering!« war eine Lachszene,66 so wie der bereits erwähnte, oft kolportierte Satz des SPD-Politikers Heilmann über seinen Freund Barmat, der sich mit Heringen, d. h. einem Armeleuteessen, begnüge, im preußischen Untersuchungsausschuss Anlass für viel Gespött war. Wo griff Mehring auf Sombart zurück? Zu nennen ist zunächst die Beschreibung des isolierten Lebens der Juden in der Diaspora – Mehrings »Grenadierstraße« –, die für Sombart die Voraussetzung war, die überkommenen religiösen und kulturellen Praktiken aufrechtzuerhalten. So wie Kaftan der Berliner Bevölkerung, so blieben nach Sombart die »Wirtsvölker« den Juden immer fremd. Dabei half es nur vordergründig, die Äußerlichkeiten, darunter den Kaftan, abzulegen und durch einen modernen Anzug und Bartschnitt zu ersetzen, auch wenn der Gegenwartsmensch Müller im Kaufmann von Berlin seinen neuen Chef mahnt: »Ihren alten Rock haben Sie schon abgelegt! Legen Sie die Kaftangebräuche auch ab! Wir haben den Krieg vergessen! Wir haben die Revolution vergessen. Sie wissen doch: fürs Gewesene gibt der Jud nix! Lassen wir die Toten ruhn!«67 Doch genau das können und wollen weder Kaftan noch seine Tochter oder seine ostjüdischen Leidensgenossen, die durch Pogrome vertrieben wurden. Mehrings Kaftan ist und bleibt ein tief-

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religiöser Mensch, der über seine Geschäfte nicht das Morgengebet und das Anlegen der Gebetsriemen vergisst.68

Die Schuld von Reichtum, Wohlergehen und Geld Alles dreht sich um Reichtum und Wohlergehen – nach Sombart die religiöse Botschaft, die Gott den Gerechten spendet (wobei der Soziologe seinen Lesern mit nachhaltiger Wirkung versicherte, die Juden seien reicher als ihre »Wirtsvölker«).69 Sombart versuchte – in einer höchst problematischen Auslegung der Quellen – nachzuweisen, dass Reichtum in der jüdischen Religion nicht tabuisiert, sondern im Gegenteil als Belohnung für ein gesetzestreues Leben gewährt wird. Daraus resultiere gleichermaßen die »Hochbewertung des Gelderwerbes in der theologischen Literatur«70 wie die Weltbejahung der Juden. Dies findet sich wieder in Kaftans Tugenden des Fleißes, der Ordnungsliebe und Sparsamkeit, ja im Geiz: »Nischt wil ich gebn! Ihr solt mir nit bazwingen, nit durch Hunger, nit durch Durst. Geld muß bringen Geld un wieder Geld …«71 Mehring thematisierte diesen positiven Zusammenhang des Strebens nach Reichtum und Religion in zahlreichen Variationen, nicht nur in dem Sinne, dass Kaftan in seinem Gottvertrauen, reich zu werden und andere reich zu machen, durch Berlin wandert. Mehr noch: Von Anfang an durchzieht das Stück das Motiv der Auserwähltheit: »Well ich sein dein Josseph in Ägypten während die siebn Hungerjohr?«, lautet Kaftans Frage bei seiner Ankunft. Und hat er nicht alle reich gemacht, fragt er die versammelte Berliner Gesellschaft auf dem Höhepunkt der Inflation kurz vor seinem Sturz: »Is man ehrlich wie Joissiph in Ägypten: dann werd ich Kaftan … tja fun Ägypten! dann werd ich Kaftan wie Joissiph in Mizzrajim, der Aich bringt Wohlstand und Reichtum sein Glas erhebend … Ich der Herr! Ich der Herr! […] Eßt und trinkt! Ich hob gesogt: Ihr solt sein reich! Und Ihr wart reich!«72 Hier spricht Kaftans Hybris – vor dem Fall. Nicht nur dass er gegen die religiösen Sittengesetze seiner Religion verstößt, weil er falsche Wechsel zieht. Er verdient außerdem Geld mit Geschäften an Waffen, die gegen sein eigenes Volk eingesetzt werden – auch wenn das nicht Kaftans Willen entspricht: »Ich will nischt zu tun haben

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mit Schrott, nischt mit den verfluchten Soldaten, nischt mit Militär! Man hat mir geraten! I.G. Farben. I.G. Farben ist ein guter Wert und Farben können nischt schießen …«73 Nicht zuletzt aber lässt Kaftan seine eigene Tochter Jessi im Stich. Sie will den früheren Dorfbewohnern, von denen ihr Vater die 100 Dollar für seine Existenzgründung in Berlin erhalten hat, helfen und gerät damit in Konflikt mit ihrem Vater. Dieser ist dem Drahtzieher Müller nicht nur hörig, sondern verkuppelt auch noch seine Tochter mit ihm, um mit Krediten Geschäfte zu machen und reich zu werden. Das ist die Schuld des Shylock-Kaftans, der gegen die Sittengesetze seiner eigenen Religion verstößt. Man erinnere sich an das Unterpfand von einem Pfund Fleisch, das sich der Shakespeare’sche Shylock als Ersatz für Wucherzinsen ausbedingt und das zu seinem Schicksal wird, da es sich um das Fleisch seiner eigenen Tochter Antonia handelt. Das gilt auch für Kaftans »Fleisch«, nämlich das seiner eigenen Tochter Jessi, die er durch sein Streben nach Geld und den Verrat an den um die 100 Dollar betrogenen Juden verliert.74 Darin liegt Kaftans Schuld und Tragik, das zentrale Thema des Mehring’schen Stückes.

Verfremdetes Berlin: Mahagonny und Panama Gab es andere, weniger verfängliche Möglichkeiten der Darstellung dieser Phänomene, die aus dem ehernen Gehäuse von gängigen Stereotypen und der Semantik der Wissenschaft wie der Alltagswelt hinausführten? Ein interessantes Beispiel dafür ist Kurt Weills und Bertolt Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. Die Oper entstand in etwa zeitgleich mit dem Kaufmann von Berlin – ein Songspiel namens Mahagonny wurde erstmals 1927 aufgeführt –, wurde dann aber 1929 nicht wie ursprünglich geplant in der Berliner KrollOper uraufgeführt, sondern erst im folgenden Jahr im März in Leipzig unter Protesten der Nationalsozialisten.75

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Mahagonny: Eine »Zeit-Oper« Auch Weill und Brecht engagierten sich in den Debatten über die »Zeitoper«. Wie der Komponist betonte, ging es ihm um die »Verpflanzung von Begleiterscheinungen des täglichen Lebens auf die Bühne«: Es gelte, Menschen von heute darzustellen und sie in einer neuen Sprache mit den sie interessierenden Themen anzusprechen. Dabei wandte sich Weill einerseits gegen die »Metropolis-Aktualität« und die in Fritz Langs Film von 1926 entwickelte »phrasenhafte Vorstellung des sozialen Problems«, die ihn an Richard Wagner erinnerte: Metropolis, das war Kitsch. Andererseits behagten Weill auch nicht die Bemühungen vieler Zeitstücke, bekannte Ereignisse »aus dem öffentlichen Leben, Prozesse, Skandalfälle unserer Zeit oder jüngsten Vergangenheit zu Dramen zu verarbeiten«. Hier witterte er – wie sein Mitstreiter Brecht – den veralteten »Naturalismus« der Jahrhundertwende, das gängige Genre der sozialdemokratischen Volksbühnen Berlins und anderer deutscher Städte, wovon sich ja auch Piscator abgrenzte.76 Die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny wählte einen ganz anderen Weg als Mehring und Piscator. Die Handlung wurde weit weg in ein fernes Land verlegt und damit universal deutbar. Ende 1929, vielleicht auch unter dem Eindruck der Rezeption des Kaufmanns von Berlin, nahm Weill viel von seinen früheren, weitreichenden Forderungen an ein Zeitstück zurück. Wie in seinem Vorwort zum Regiebuch der Oper zu lesen war, ging es ihm in der Oper um die »Aneinanderreihung von Zuständen«. Er sprach von »Sittenbildern«, die ein »Gleichnis vom heutigen Leben« lieferten: »Die Hauptfigur des Stückes ist die Stadt. Sie entsteht aus den Bedürfnissen des Menschen, und die Bedürfnisse des Menschen sind es, die ihren Aufstieg und Fall herbeiführen. Wir zeigen aber die einzelnen Phasen in der Geschichte der Stadt lediglich in ihrer Rückwirkung auf den Menschen. Denn so wie die Bedürfnisse der Menschen die Entwicklung der Stadt beeinflussen, so verändert wieder die Entwicklung der Stadt die Haltung der Menschen.« Er betonte ausdrücklich, dass es falsch wäre, irgendwelche »aktuelle[n] Zusammenhänge« zu suchen.77 Es ging, wie in einer Besprechung zu lesen war, um die »großen Begriffe des Zusammenlebens der Menschen,

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wie sie zu allen Zeiten und überall in der Kunst gestaltet wurden: Freundschaft und Verrat, Armut und Wohlstand, Bescheidung und Auflehnung, Angst und Mut«.78 Der Anfang, die Stadtgründung am Rande der Wüste, ist nicht das Ziel, sondern ein Gebot der Not. Schuld ist eine »Wagenpanne«. Auf der einen Seite liegt die unpassierbare Wüste, auf der anderen die unerreichbare Gold-Küste, und ein Zurück gibt es auch nicht, denn man ist auf der Flucht. Dort an der Küste kann man Gold schürfen, Reichtum erwerben, durch Arbeit. Die Stadtgründung erfolgt durch drei Gangster. Die Anführerin der Truppe – die Witwe Leokadja Begbick – versucht ihren Gefährten die Stadtgründung wie folgt schmackhaft zu machen: »Ihr bekommt leichter das Gold von Männern als von Flüssen.« Es galt, die Goldschürfer anzulocken und sie in der »Netzestadt« mit Spaß, »Gin und Whisky / Mädchen und Knaben« einzufangen.79 Das war für die von den Konstablern verfolgten Ganoven auch eine adäquatere Existenzform als die des beschwerlichen Goldschürfens im kalten Wasser. Der Holzfäller Paul Ackermann und seine Kumpane werden auf diese Weise angelockt. Das zugrunde liegende Bild, vom eigentlichen Weg abgekommen zu sein und das Ziel verfehlt zu haben, nahm in der politischen Kultur und den Intellektuellendebatten der Zeit einen festen Platz ein. So war die Stadt oder, um es konkreter zu formulieren: die Republikgründung aus der Not der Umstände geboren, nicht die schlechteste Lösung vielleicht, wie die meisten Republikaner meinten. Die Revolution war nicht gewollt und war nicht das Ziel der Politik gewesen, aber der Rückweg war versperrt. Der Gründungsakt Mahagonnys erhält damit eine zynische Note: Er erfolgt nicht unter dem Freiheitsbaum – sondern auf dem Bartisch »unterm Gummibaum«: »Das ist die Stadt / Das ist ihre Mitte / Und sie heißt: die ›hier darfst Du Schenke‹.«80 Das Aushängeschild war vielleicht neu, der Betrieb der alte, lautete die fest eingeübte Kritik. Von der utopischen Energie der Arbeiterbewegung war nicht mehr viel übrig geblieben. Was blieb, war die Rede von Frieden und Harmonie, die Ablehnung von Unruhe und Zwietracht; in den schlichten Worten Weills geht es bei der

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Stadtgründung darum, »den Männern, die von der Goldküste her vorüberkommen, ihre Bedürfnisse« zu erfüllen. Wenn der Komponist in diesem Zusammenhang im Regiebuch von einer »Paradiesstadt« spricht und diesen Begriff dann auch noch in Anführungszeichen setzt, ist seine Ironie unmissverständlich, so wie die abschätzige zeitgenössische Rede der Kommunisten von einem »sozialdemokratischen Arbeiterparadies« zynisch gemeint war.81 Sind die Menschen, die das unter dem Gummibaum gegründete Mahagonny bevölkern, mit Whisky und Fun, Frieden und Harmonie zufrieden? Nicht wirklich, zumal aus dem »großen Geschäft«, das sich die Anführer versprochen haben, nichts zu werden droht. Weill fasste die Ereignisgeschichte der Oper so zusammen: »Es herrscht Unzufriedenheit. Die Preise sinken. In der Nacht des Taifuns, der gegen die Stadt heranzieht, erfindet Jim Mahoney das neue Gesetz der Stadt. Dieses lautet, ›du darfst alles‹. Der Taifun biegt ab. Man lebt nach den neuen Gesetzen. Die Stadt blüht auf. Die Bedürfnisse steigen – und mit ihnen die Preise. Denn: Man darf zwar alles – aber nur, wenn man es bezahlen kann.«82 Erst das neue Gesetz des Hedonismus – des »Du darfst« – bringt Mahagonny im Zuge eines spekulativen Geistes in Verbindung mit Geld, Konsum und Luxus zum Aufblühen. Dieser Fokus auf die Exzesse des Konsums, die so sehr mit populären Bildern der »goldenen zwanziger Jahre« verschmelzen, lässt das Stück nicht nur so modern, sondern zugleich zeitlos erscheinen, auch wenn die Zeitgenossen darin mehr zu erkennen vermochten: das vielfach konstatierte exzessive Leben während der Inflationszeit ebenso wie die nach 1924 dank der amerikanischen Kredite einsetzende Prosperitätskonjunktur mit ihrer Amerikaversessenheit. Dabei ist es Paul Ackermann, der einfache Mann, der Arbeiter, der in Alaska geschuftet hat – oder lag er jahrelang im Dreck nicht in Alaska, sondern in einem Schützengraben? –, der Genuss und Vergnügen will. Er stürzt Mahagonny in Chaos und Anarchie. Unbezahlte Rechnungen und Schulden, die unter den Bedingungen der Inflation nicht bezahlt werden mussten, wenn man lang genug wartete, sind bekannte Elemente unserer Geschichte. Der Tag der wirtschaftlichen Offenbarung kam in der allerletzten Phase

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der Hyperinflation, die in zunehmender Verwirrung und in einen Kampf aller gegen alle mündete, dann allemal nach der Stabilisierung der Währung im November 1923. In den Worten Weills: »Das ist die Schicksalsstunde der Stadt Mahagonny. Die Teuerung steigt ins Unermeßliche, und eine große Demonstration gegen die Teuerung und für den Fortbestand des goldenen Zeitalters kündigt das Ende der ›Paradiesstadt‹ an.«83

Zeitenwende in- und außerhalb des Theaters Handelte diese Geschichte von der Vergangenheit – oder schon der Gegenwart? Fertigstellung und Uraufführung der Oper in Leipzig korrespondierten zeitlich in etwa mit dem großen Börsenkrach im Oktober 1929. In der Schlussszene der Uraufführung von Mahagonny schwebten die auf Kirchenfenstern abgebildeten Ikonen des amerikanischen Kapitalismus, der amerikanische Banker John Pierpont Morgan, der Industriemagnat John D. Rockefeller und der Automobilindustrielle Henry Ford, auf die Bühne. Das war ein Verweis auf zerstobene Heilshoffnungen, die viele Zeitgenossen mit dem Amerikanismus verbunden hatten. Zugleich handelte es sich um einen Kommentar zur Situation der Gegenwart. Denn in der Realität, nicht anders als im Stück, standen plötzlich überall unbezahlte Rechnungen im Raum. Unbezahlte Rechnungen in Form einer Kreditkrise trieben die bis dahin größte Krise des Kapitalismus an. Damit trocknete in Deutschland binnen weniger Monate die Amerika-Begeisterung und mit ihr die Prosperitätsbegeisterung der vorangegangenen Jahre ein. Brecht hat diese veränderte Stimmung in seinem wohl Ende 1929 entstandenen Gedicht »Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York« vielleicht am besten auf den Punkt gebracht: »Warum mißfallen uns jetzt diese einstmals gefeierten Stimmen? Warum? / Machen uns die Lichtbilder der Städte so gar keinen Eindruck mehr? / Nur weil es sich herumgesprochen hat / Daß diese Leute bankrott sind!«84 Mit der Ausbreitung der Wirtschaftskrise gehörten die 1920er Jahre der Vergangenheit an. Auch Piscators aufwendige Bühnenexperimente waren nicht mehr finanzierbar. Seine Geldquellen versiegten, darunter, so Brecht mit Blick auf den Regisseur nicht ohne

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Ironie, ganz prominent die bis dahin fließende eines »Bierbrauers und eines Kinobesitzers, von denen der eine eine Schauspielerin zur Freundin und der andere nur gesellschaftlichen Ehrgeiz hatte«. Bertolt Brecht spielte damit auf Ludwig Katzenelle bogen und seine Ehepartnerin, die bekannte Schauspielerin Tilla Durieux, an. Sie bekam, so die Brecht’sche Anspielung, dank der großzügigen Finanzspritzen ihres Mannes für das Piscator-Theater Engagements an eben dieser Bühne. Die Pointe der Geschichte: Katzenelle bogen war einer der erfolgreichen und dynamischen »Konzern-Genies« der 1920er Jahre, dessen Aufstieg in die Inflationszeit zurückführt. Mithilfe von Großbanken hatte er seit der Inflation einen Industriekonzern aufgebaut, zu dem unter anderem auch die große Berliner Schultheiß-Patzenhofer-Brauerei gehörte. In der Weltwirtschaftskrise kam der Unternehmer nicht nur in Zahlungsschwierigkeiten, sondern musste sich auch wegen Betrugs bei der Vergabe von Bankkrediten und der Ausgabe von Börsenprospekten verantworten.85 Realität und Fiktion überschnitten sich. Piscator sah zu diesem Zeitpunkt jedenfalls keine Zukunft in Deutschland. 1931 versuchte er einen Neuanfang in der Sowjetunion. Ähnlich entwarf auch Mehrings Fassung seines Kaufmann von Berlin das Bild eines Endes und eines Neuanfangs. Auch hier ging es um nicht beglichene Schulden: Sein Kaftan endet nicht wie derjenige des von Piscator abgeänderten Bühnenstücks auf dem Seziertisch in der Charité, sondern er beschließt, so verarmt, wie er losgezogen ist, wieder in sein Dorf zurückzukehren. Am Bahnhof Alexanderplatz stößt er auf junge Männer aus seinem Dorf, die den »berühmten Kaftan« suchen. Sie wollen das Geld zurückerhalten, das er vor seiner Abreise von den Dorfbewohnern ergaunert hat: Hoffnungsvoll halten sie nach ihrem großen Vorbild Ausschau. Von der »Schuld«, von der der alte Mann redet, verstehen sie nichts, außer, dass Kaftan ihnen Bares schuldet.86

Der Panama-Skandal als Lehrstück Die Doppelkrise von Kapitalismus und Demokratie begann seit 1930 die öffentliche Diskussion zu beherrschen. Misswirtschaft, Betrug und korrupte Wirtschaftspraktiken spielten dabei nur eine,

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wenn auch wichtige Rolle.87 Interessanterweise fanden Autoren für solche Themen zunächst weniger in Deutschland als vielmehr in Frankreich Anschauungsmaterial. Dies zeigen die Schauspiele von Eberhard Wolfgang Möller und Wilhelm Herzog, die unter dem Titel Panama-Skandal bzw. Panama im Oktober 1930 im Neuen Theater in Frankfurt bzw. im April 1931 im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg aufgeführt wurden. Kurz danach erschien Walter Franks Roman Der Panama-Skandal.88 Herzogs Panama-»Zeitstück« war politisch so engagiert wie sein früheres Theaterstück Rund um den Staatsanwalt. Wie die Werke seiner Kollegen spielte es in Frankreich, hob aber ganz auf die deutsche Situation zu Beginn der 1930er Jahre ab. 1889 war die Panamagesellschaft in Konkurs gegangen, worauf die Betreiber mittels einer nationalen Lotterie Geld aufzubringen versuchten – ohne Erfolg. Die Finanzierung des Kanals und die dazu aufgelegte nationale Lotterie waren damals Anlass für eine große Korruptionsdebatte in der französischen Gesellschaft. Sie war durchzogen von stark antisemitischen Tönen, die vor allem eine ganze Reihe jüdischer Finanziers, darunter Jacques de Reinbach und den Elsässer Cornelius Herz, betrafen.89 Der Politiker Georges Clemenceau ist der eigentliche Held des Stückes von Herzog. Er war selbst wegen Korruption angeklagt, und im Stück geißelt er die Korruption in den Reihen seiner – bürgerlichen – Partei, der Radikalen. In Gesprächen mit dem Sozialistenführer Jean Jaurès weiß er wie kein anderer das Dilemma der bürgerlichen Republik zu beschreiben, welche die politischen Kräfte hervorbringt, die sie aushebeln will: »Wir taumeln von einer Wirtschaftskrise in die andere, von einer Ministerkrise in die andere … Das Parlament wird von seinen Trägern diskreditiert … Was sind denn diese Parlamentarier? Schätzer, Feiglinge oder Geschäftemacher … Mit wenigen Ausnahmen, die man an einer Hand herzählen kann … Es begeht täglich Selbstmord. Das Volk sehnt sich nach einem Retter! Nach einem Messias! Nach dem Diktator, der es mit einem Schlage von allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befreit. Zur Vorbereitung dieser Diktatur benutzt man die Skandalaffären.«90 Einen Ausweg sieht Herzog nicht: Panama ist ein Phänomen

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des vitalen Kapitalismus mit »seinem wuchernden Reichtum«, heißt es im Prolog; es betrifft alle, »ob Jud’ oder Christ«; Ideale der Menschlichkeit wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind »Phrasen, utopisch und absurd […], keine Sekunde ernst zu nehmen«. Nur Ahnungslose und »weltfremde Phantasten« glaubten, dass das Phänomen beseitigt werden könne – und beschränkt auf Frankreich war es allemal nicht: Die »Checkards von damals […] sind inzwischen – kraft des überstürzenden Kapitalismus – durch virulentere Bazillenträger übertroffen worden«.91 Letzteres bezog sich zweifellos auf Deutschland, und in späteren Jahren vermochte es viele auch an die große Stavisky-Affäre erinnern, die 1934 Frankreich erschütterte. Diese Geschichte des Widerstreits, ja der Unvereinbarkeit von Demokratie und Kapitalismus begleitete Herzog sein Leben lang. Darum ging es auch in einer Reihe ähnlicher Bücher wie Walter Franks Panama-Skandal, der 1933 seinen Lesern eine simple Theorie des parlamentarischen Staates lieferte, die noch 1942 in der Feldpostausgabe für deutsche Soldaten abgedruckt wurde: Der auf Wahlen und Parteien gebaute Staat werde »von der geheimen Macht des Geldes« unterjocht. In einer Manier, die an Carl Schmitt erinnert, aber wohl eher auf allgemeine Diskurse der Zeit verweist, heißt es da, dass die vom Kapital dominierte Gesellschaft den Staat »verschlingt«: »Als Staat im Staate, als Staat über den Staaten erhebt sich, selten sichtbar, eine internationale Macht kosmopolitischer Händler.« Der Weltkrieg hatte diese Entwicklung nach Ansicht des Autors deutlich sichtbar gemacht: Angesichts der Krise der Demokratie zeichnete sich – ausgehend von Italien – überall die Idee der »cäsarischen Diktatur« ab.92 Das Thema blieb auf der politischen Agenda und stieß auch nach 1933 auf Interesse, was sich an den Neuauflagen der PanamaBücher zeigt.93 Auch Mehrings Kaufmann von Berlin diente in der Folgezeit als Quelle wie als Inspiration. Schon 1929 hatte der Journalist und Schriftsteller Monty Jacobs in der Vossischen Zeitung einigermaßen missmutig konstatiert: »Ich verpflichte mich, Mehrings Stück auf einem ›politischen Kampftheater‹ den Hitlerschen Windjacken vorzuführen, als Tendenzdrama gegen die Einwanderung

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der Galizier gegen den ›alljüdischen‹ Kapitalismus.«94 Und Goebbels hielt Piscator nicht nur für einen »angenehme[n] und saubere[n] Bursche[n]«, der »uns näher als der Roten Fahne [steht]«, sondern war an dem Thema interessiert.95 So verwundert es auch nicht, dass das Institut zum Studium der Judenfrage 1935 zwar scharf die »ressentimentgeladene Verunglimpfung deutschen Fühlens und Denkens« angriff.96 Gleichzeitig betonte man aber in der ausführlichen Darstellung, der Kaufmann von Berlin gebe »hervorragend die Atmosphäre jüdischer Wirklichkeit der Nachkriegsjahre, angefangen von dem ostjüdischen Treiben in der Grenadierstraße Berlins, bis zur Schieberexistenz des Kurfürstendamms« wieder; gerade die Szenen aus der Grenadierstraße in dem Stück schienen »unerhört echt« und könnten kaum besser geschildert werden. Der Held Kaftan war demnach »ein typischer Repräsentant aus dem Strom der Ostjuden«, der »nach dem Krieg sich über Deutschland ergoß«. Verwundert zeigte sich der Verfasser über »das Wagnis dieser schamlosen Selbstpersiflage des jüdischen Machtstrebens« durch verfemte Autoren und Theatermacher. Aber auf der »Höhe der Macht«, insbesondere dem »Höhepunkt jüdischen Machtrausches auf der deutschen Bühne«, habe man geglaubt, »es sich leisten zu können«.97 Bald gab es allenthalben Initiativen, vergleichbare Geschichten zu entwickeln. Wie der nationalsozialistische Filmpolitiker und -produzent Fritz Hippler, auf den der Hetzfilm Der ewige Jude (1940) zurückgeht, nach dem Krieg einem französischen Wissenschaftler berichtete, ging es auch ihm darum, »zeitnahe« Stoffe zu finden.98 Darauf wird zurückzukommen sein.

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Kapitel 6 Grenzgänger der Vernunft: Die Aporien des politischen Aufklärungsradikalismus Fast drei Jahre nach dem Barmat-Urteil und wenige Wochen nach dem sensationellen Wahlerfolg der Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen im September 1930 erschien im J. F. Lehmann Verlag München das Buch Gefesselte Justiz. Politische Bilder aus Deutscher Vergangenheit. Der Autor Ewald Moritz stammte aus dem pommerschen Zarnow und publizierte in der rechtsradikalen Presse unter dem Pseudonym Gottfried Zarnow – ein Name, der zu seiner zweiten Identität wurde. Sein Buch war eine polemische Abhandlung, wie er schrieb, »mit heißem Herzen von einem Deutschen geschrieben«. Es richtete sich gegen die »parlamentarische Kanaille […], die es versucht, die Rechtsordnung in ihre Gewalt zu bekommen[,] und gegen jene Justiz, die sich zur Dirne hat machen lassen«.1 Der als freier Journalist arbeitende Autor hatte sich nicht nur an den Debatten um die »Krise der Justiz« beteiligt, sondern auch an der Skandalisierung der seit dem Krieg zirkulierenden Korruptions- und Verschwörungstheorien mitgewirkt, die sich um die Fälle Sklarz, Barmat und Kutisker rankten.2 Zarnow kondensierte die in den Medien präsenten Geschichten zu einem großen Narrativ der jüngsten Zeitgeschichte, und mit der Gefesselten Justiz gelang ihm eine zusammenfassende Darstellung der verschiedenen Skandalfälle seit der Revolutionszeit. Nicht zufällig bezog er sich gleich im ersten Kapitel auf die bereits erwähnte und unter dem Pseudonym Sincton Upclair veröffentlichte Broschüre Der Rattenkönig des Jah-

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res 1920 und attackierte die vermeintlich anhaltende Korruption der Republik und der Sozialdemokraten: »Ist der ›Rattenkönig‹, wie es einem innerlich gesunden Volke wohl angestanden hätte, mit Pech und Schwefel ausgebrannt worden? Mitnichten! Er ist größer und größer und gefräßiger geworden«, lautete sein Diktum.3 Und die »neudeutsche Ilias«, in der, so die implizite Anspielung, das deutsche Volk die Rolle des Odysseus einnahm, begann auf der »Sybariteninsel Schwanenwerder«, dem Wohnort »eines gewissen im Dezember 1924 verstorbenen Dr. Parvus Helphand« sowie des dort verhafteten Julius Barmat: »Schwanenwerder! Liebliche Insel im Havelsee, nächst dem Grunewald. Dr. Parvus-Helphand und Barmat erkoren dich, erfolgreiche Nutznießer der demokratischen Politik, um ihre großmächtigen Gönner zu empfangen und sie vor den zudringlichen Blicken des hungernden Volkes zu verbergen.« »Kein führender Revolutionär« der deutschen Revolution, der hier nicht gespeist habe; hier seien die großen Geschäfte gemacht worden. Im »Paradies Schwanenwerder« habe die politische Korruption begonnen und dazu geführt, dass mit »Rücksicht auf die Staatsräson« die »beiden größten Korruptionsprozesse [gemeint waren die Fälle Barmat und Kutisker – MHG] entpolitisiert« wurden. Andere dagegen – Zarnow nannte etwa die Prozesse gegen die »gestürzten ›BarmatStaatsanwälte‹« und insbesondere die »Feme[mord]-Prozesse« – seien von der republikanischen Presse und den Politikern »politisch ausgeschlachtet« worden.4 Zarnow trug wesentlich dazu bei, den politischen Korruptionsdiskurs 1930 auf die politische Agenda der Konservativen und der radikalen Rechten zu setzen. Der Blick auf ihn bringt nichts Neues zur Person Julius Barmats oder zur Aufklärung der von ihm behandelten Fälle. Doch lassen sich an seiner Person viele Aspekte eines genuinen politischen Aufklärungsradikalismus identifizieren, auf den wir bereits in verschiedenen Kontexten, insbesondere aber im Fall Sklarz, gestoßen sind. Dieser Aufklärungsradikalismus ist durch einige typische Charakteristika gekennzeichnet. Erstens war er durchzogen von einem tiefen Misstrauen gegen jede Form politischer und wirtschaftlicher Herrschaft, das »Bonzentum«, wie es seit dem Weltkrieg hieß. Seine Vertreter operierten dabei zweitens mit

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dem Vorwurf von »Korruption« durch und von Macht (egal ob im Kaiserreich, im Militär während des Ersten Weltkriegs oder in der Republik) und sahen sich konfrontiert mit der »Ungerechtigkeit« staatlicher Gewalt und ihrer Gesetze, denen sie drittens aktivistische Formen von »Volksgerechtigkeit« und »Selbsthilfe« gegenüberstellten. Viertens war dieser Aufklärungsradikalismus vehement antisemitisch gestimmt, obgleich man in seinen Reihen bemerkenswert viele Personen jüdischer Konfession findet. In seiner ausgeprägten, fast anarchischen Herrschaftskritik und in dem Anspruch, für »das Volk« zu sprechen, lassen sich durchaus demokratische Elemente identifizieren, und einiges spricht dafür, ihn in den (bisher kaum untersuchten) Traditionen der politischen Herrschaftskritik wie des politischen Radikalismus des 19. Jahrhunderts zu verorten.5 Neben dem Radikalismus Zarnows verfolgt dieses Kapitel den des bekannten völkischen und alldeutschen Verlegers der Gefesselten Justiz Julius Friedrich Lehmann, beginnt aber mit dem auf den ersten Blick skurrilen Bücherrevisor Philipp Lachmann. Dieser führte einen moralischen Kleinkrieg in eigener Sache und hatte wesentlichen Anteil daran, die politische Agitation des Jahres 1925 in die zweite Hälfte der 1920er und frühen 1930er Jahre zu tragen. Mit dem merkwürdigen Dreigespann Zarnow, Lachmann und Lehmann erreichte der aus dem 19. Jahrhundert überhängende, durch den Krieg und dann nochmals während der Weltwirtschaftskrise zugespitzte Aufklärungsradikalismus 1932/33 einen Höhepunkt – wo er von den Nationalsozialisten mit ihrer eigenen Agenda aufgegriffen wurde.

»Der Michael Kohlhaas-Kampf des Bücherrevisors Lachmann« Unter diesem Titel berichtete 1932 der General-Anzeiger für Dortmund und das gesamte rheinisch-westfälische Industriegebiet über den seit mehreren Jahren geführten Feldzug, den der Berliner Buchprüfer Philipp Lachmann in Berlin führte. Dieser konnte sich mit

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der Zuschreibung ohne Weiteres identifizieren: »In den Zeitungen wurde ich wiederholt ein Michael Kohlhaas genannt«, schrieb der 61-Jährige im Oktober 1932 an den Reichskommissar für Preußen: »Der Anlaß des Kampfes des Michael Kohlhaas waren einige Pferde, die man ihm vorenthielt. Der Anlaß meines Kampfes ist ein größerer. Ich kämpfe gegen die größten Schurken im Lande«, lautete der nicht gerade bescheidene Vergleich seiner eigenen Person mit dem Protagonisten in Heinrich von Kleists Novelle Michael Kohlhaas. Zur Erläuterung zitierte Lachmann die Kohlhaas-Interpretation des Juristen Rudolf von Jhering in dessen Schrift Der Kampf ums Recht (1872): »Das Opfer einer käuflichen oder parteiischen Justiz wird fast gewaltsam aus der Bahn des Rechts herausgestoßen, wird Rächer und Vollstrecker seines Rechts auf eigene Hand und nicht selten, indem er über das nächste Ziel hinausschießt, ein geschworener Feind der Gesellschaft, Räuber und Mörder. Aber auch derjenige, den seine edle, sittliche Natur gegen diesen Abweg schützt, wie Michael Kohlhaas, wird Verbrecher, und indem er die Strafe desselben erleidet, Märtyrer seines Rechtsgefühls.«6 Der Kampf des literarischen Michael Kohlhaas ist bekanntlich selbstzerstörerisch, wenngleich ihm Eigensinn, Mut und Heroismus nicht abzusprechen sind. Im verbissenen, bis auf das Messer geführten, anarchischen Krieg gegen jegliche Autorität und die Gesetze wird er zum Subjekt. Damit unterscheidet er sich markant von Johann Wolfgang Goethes Götz von Berlichingen, dessen – nicht minder heldenhafter – Widerstand gebrochen wird und der sich letztlich den Autoritäten der staatlichen Gewalt unterordnet. Das sind zwei identitätsbildende deutsche Geschichten, die von Freiheit und Widerstand handeln, zwei Begriffe, mit denen die »nationale Opposition« unentwegt operierte. Wenn sich Fiktion und Wirklichkeit zu nahe kommen, besteht immer die Gefahr, dass der Vergleich mit dem literarischen Heroismus lächerlich wirkt. So lief auch der auf seiner Rechtsauffassung insistierende Bücherrevisor Gefahr, nicht als Vorkämpfer von Gerechtigkeit, sondern als verbohrter und aufsässiger »Querulant« abgetan zu werden. Zwischen dem Kämpfer um das Recht und dem Querulanten liegt ein weites Feld, und aus diesem Grund haben Juristen

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und Sozialphilosophen immer wieder auf Kleists Novelle als große Mustererzählung über erlittenes Unrecht und den Kampf um Recht, Gerechtigkeit und Moral und damit menschliches Handeln zurückgegriffen.7 Das Unrecht an Kohlhaas beginnt mit der willkürlichen und unangemessenen Forderung eines sächsischen Burggrafen, der von einem Tag auf den anderen auf Wegezoll und einem kostspieligen Passierschein beharrt, für den es keine Rechtsgrundlage gibt. Das empfundene Unrecht führt zur Empörung, als Kohlhaas feststellen muss, dass seine als Pfand zurückgelassenen Pferde ruiniert sind, mehr noch als alle Klagen, Bittschriften und Eingaben, die bei der Obrigkeit keine Antwort finden. Bestochene Richter lassen das geschriebene Recht durch ihre Rechtsprechung zu Unrecht werden. An diesem Punkt setzt die »Selbsthilfe« des Kleist’schen Kohlhaas ein.

Ein erbitterter Aufklärer und Ankläger Die Anfänge der Erbitterung Lachmanns sind in seinen Arbeiten im Jahr 1925/26 zu suchen, die er im Auftrag des Berliner Staatsanwalts Rudolf Caspary im Falle Iwan Kutisker durchführte. Möglicherweise angestachelt durch den Staatsanwalt beschränkte sich der Buchprüfer nicht auf die Untersuchung der Geschäftsbücher, sondern versuchte sich als Kriminalist und zog aus dem ihm zugewiesenen Fall seine eigenen Schlüsse. Er wähnte sich auf der Spur von Korruption und erhob in diesem Zusammenhang scharfe Vorwürfe gegen Iwan Kutiskers (wie im Übrigen zuvor schon Georg Sklarz’) Anwalt Johannes Werthauer sowie gegen den (zum Katholizismus konvertierten) Robert Weismann, der Staatssekretär im Büro des preußischen Ministerpräsidenten war. Nicht nur aus Sicht der Betroffenen hatte Lachmann damit seine Befugnisse weit überschritten. 1926 verwarnte ihn die Berliner Industrie- und Handelskammer: Die von ihm in seiner Funktion als Bücherrevisor verfassten Schriftsätze enthielten, wie es hieß, Rechtsauffassungen und vor allem Werturteile, die über die Grenzen seiner Zuständigkeit weit hinausgingen; indem er außerdem seine Gutachten Außenstehenden zukommen ließ, habe er

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sich einer Verletzung seines Berufsgeheimnisses schuldig gemacht. Zweifellos wäre es bei einer Verwarnung geblieben, wenn Lachmann dagegen nicht in der Presse polemisiert und sich im Übrigen demonstrativ geweigert hätte, die Richtlinien für Buchprüfer, die ihm nochmals ausgehändigt wurden, explizit anzuerkennen. Aus alldem schloss die Handelskammer, dass es ihm offenbar an »Urteilsfähigkeit, Objektivität und Taktgefühl« fehle und widerrief, als er sich renitent zeigte, im folgenden Jahr seine Approbation als Gutachter. Man habe lange gezögert, Lachmann auszuschließen, und zwar nicht nur, weil er Kriegsteilnehmer war, sondern auch weil man anerkannte, dass er »bei seinem beanstandetem Verhalten offenbar der Meinung war, ein Märtyrer der Wahrheit zu sein«.8 Mit den in seinen Gutachten erhobenen Vermutungen wandte sich Lachmann erstmals im Oktober 1927 und dann wieder im März und April 1931 in offenen Briefen an den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD).9 Er stellte klar, dass für ihn die in den Prozessen gegen Barmat und gegen Kutisker erhobenen Korruptionsvorwürfe keineswegs abgeschlossen waren. Im Gegenteil, die wichtigsten »Hintermänner« waren seiner Meinung nach straflos geblieben, mehr noch: Diejenigen, die diese Fälle aufdecken wollten – die mit Disziplinarverfahren belegten Berliner Staatsanwälte Kussmann und Caspary, aber nicht zuletzt auch er selbst –, seien Opfer einer »Verschwörung republikanischer Politiker«. Dazu spann er die schon damals in ihren Details allenfalls für Insider verständlichen Unterstellungen weiter, wobei die Pointe eindeutig war: Die Republik sei zutiefst korrumpiert. In diesem Zusammenhang erhob er scharfe Anschuldigungen gegen den Rechtsanwalt Johannes Werthauer (im Zusammenhang mit dem Fall Sklarz) sowie den Staatssekretär Robert Weismann. Letzterem unterstellte er passive Bestechung bei Einbürgerungsverfahren sowie angeblich korrupte Verbindungen zum bekannten Industriellen Otto Wolff, einer erfolgreichen »Inflationsblüte« im Bereich des Eisenhandels, der mit der rheinischen Zentrumspartei in Verbindung stand.10 Mit solchen Anschuldigungen machte sich Lachmann mächtige Feinde. Dazu zählte der über Berlin hinaus bekannte Werthauer, der sich in Justizreformdebatten engagierte und in dessen Haus so

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namhafte Schauspieler wie Charlie Chaplin zu Besuch waren.11 Er reagierte juristisch auf die Beschuldigungen, und in einer Reihe von Verfahren verurteilte das Gericht Lachmann wegen Beleidigung Werthauers zu Geldstrafen, sodass sich der Revisor hoch verschuldete und 1931 den ersten Offenbarungseid leisten musste. Ob der Buchprüfer geistig überhaupt zurechnungsfähig sei, insbesondere ob bei ihm nicht vielleicht »Querulantenwahn« vorliege, hatten medizinische Gutachter schon 1931 zu klären, als ihn Werthauer erneut vor Gericht brachte. Der Anlass war eine höchst skurrile, an Frau Werthauer gerichtete, per Post verschickte Karte mit der Überschrift »Mene Tekel!«: »Philipp Lachmann teilt Ihnen mit, dass einem Mitglied Ihrer Familie Unheil droht. Ich warne, um andere damit im Zusammenhang stehende junge Menschenleben zu retten. Hiermit habe ich meine Pflicht als Mensch und Jude erfüllt. Das weitere liegt an Ihnen.« Über die Motive für dieses Schreiben an seinen Erzfeind rätselten schon die Zeitgenossen, etwa ob es sich dabei um eine mysteriöse »Vorschrift der ihn und Justizrat Werthauer verbindenden [jüdischen – MHG] Religionslehre« handelte.12 Für Werthauer war es nichts anderes als ein übler Erpressungsversuch. In diesem Fall obsiegte Lachmann vor Gericht, und zwar mit seiner einigermaßen dubiosen Version, dass er Werthauers Ehefrau nur vor einem der vielen verzweifelten Mandanten ihres Mannes habe warnen wollen, der ihm (Lachmann) gegenüber Morddrohungen ausgestoßen habe. Seinem Selbstverständnis nach handelte Lachmann aus einer Position existenzieller Selbstverteidigung, die er in einen dezidiert politischen Kontext stellte. Das passte zur verbreiteten zeitgenössischen Rede von Notwehr und Selbsthilfe. Neben Gewährsleuten wie dem Juristen von Jhering verwies er dabei auf die römische Geschichte. »Um 72 v. Chr. hatte der römische Proprätor Verres wohl eine ebenso hervorragende Staatsstellung inne, wie sie heute der Staatssekretär Dr. Weismann in Preußen bekleidet, und im alten Rom war der Proprätor wohl ebenso angesehen wie heute z. B. der Justizrat und Notar Dr. Werthauer«, war in einem offenen Brief an den preußischen Ministerpräsidenten zu lesen. »Man weiß, dass Verres seinen Posten zu verbrecherischen Handlungen miß-

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brauchte. Einige der gegen Staatssekretär Dr. Weismann und Notar Dr. Werthauer erhobenen Beschuldigungen findet man auch bei Verres wieder. Trotz alledem drängte man sich förmlich danach, den Verres, als er zur Rechenschaft gezogen wurde, zu verteidigen. Kein Geringerer als der römische Konsul Hortensius, der hervorragendste Redner seiner Zeit, wurde sein Verteidiger. Doch dem mächtigen Verres und seinem berühmten Verteidiger durfte im alten Rom der damals erst 36-jährige, durch seine Redlichkeit ausgezeichnete Cicero entgegentreten, mit dem Erfolge, daß nach neuntägiger Verhandlung Verres seiner Schandtaten überführt, neben anderen Strafen zum Ersatze der erpressten 40 Millionen Sesterzen (8 Millionen Goldmark) verurteilt wurde.«13 Der Rekurs auf die Dekadenz der römischen Republik war im zeitgenössischen deutschen Korruptionsdiskurs nicht weit verbreitet. Lachmann bewegte sich in einer Bücherwelt, in der ihm Schriftsteller wie Heinrich von Kleist und Gerhard Hauptmann, der Jurist Rudolf Jhering und der Historiker Theodor Mommsen, aber auch der sozialistische Parteiführer Ferdinand Lassalle die entscheidenden Stichworte und Musterbeispiele für moralische Urteile und eine persönliche wie gesellschaftliche Verhaltenslehre vorgaben.14 Wenn konservative Zeitungen und Politiker Lachmann unterstützten, dann nur unter Vorbehalten. »Herr Lachmann ist Jude und politisch links eingestellt. Aus dieser Tatsache geht hervor, daß es sich nicht um einen politischen Kampf um die Person des Staatssekretärs Dr. Weismann handelt, sondern um einen Kampf um die Sauberkeit des preußischen Beamtentums«, überschrieb etwa der deutschnationale preußische Landtagsabgeordnete Wilhelm von Oppen-Tornow die in seinem Namen und auf seine Kosten gedruckten und an alle Abgeordneten des Landtags versandten Briefe Lachmanns an den preußischen Ministerpräsidenten.15 Auf den ersten Blick war diese Aktion 1931 ein Erfolg des früheren Buchprüfers. Der ausgesäte Weizen ging nach den zurückliegenden Misserfolgen, über die auch die wohlwollenden Stellungnahmen der konservativen Presse nicht hinwegtäuschen konnten, offenbar endlich auf. Und nach dem »Preußenschlag« schien der »Märtyrer des Rechtsgefühls« allen Anlass zum Triumph zu haben: Erstmals seit langer

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Zeit hatte er »das feste Vertrauen zu der jetzigen Regierung, daß sie der Majestät des Rechtes und der Gerechtigkeit, ohne Ansehen der Person, Geltung verschaffen wird«.16 Wie wir sehen werden, entwickelten sich die Dinge anders als erwartet, und das nicht nur, weil Lachmann nicht als ein Michael Kohlhaas galt.

Nationale Mobilisierungsstrategien des alldeutschen Verlegers Julius F. Lehmann Der Optimismus Lachmanns war zweifellos auch der Tatsache geschuldet, dass mit Zarnows Buch Gefesselte Justiz 1931 sein Thema auf der Tagesordnung stand. Die zwei Berliner kannten sich ohne Frage, auch wenn man bezweifeln darf, dass sich zwei Michael Kohlhaas wirklich verstehen können. Zudem beschritten sie ungleiche Wege. Während Lachmann infolge seiner Prozesse hoch verschuldet war, saugte Zarnow, der in seinem Vorwort ebenfalls einen Bezug zu Heinrich von Kleist herstellte, aus seiner dokumentarischen Darstellung der jüngsten Vergangenheit im wahrsten Sinne des Wortes Honig. Hätte es damals eine Bestsellerliste für Bücher gegeben, wäre die Gefesselte Justiz auf einem Spitzenplatz gelandet. Bis in den Sommer 1931 hatten 50000 Exemplare des Buches Käufer gefunden. Ein zweiter Band, der zu Beginn des Jahres 1932 erschien, belebte den stagnierenden Absatz. Im Herbst 1932 lag der Druck der elften (und letzten) Auflage vor, mit bis dahin insgesamt über 100000 verkauften Büchern – wahrlich kein schlechter Erfolg für ein politisches Buch, wobei sich auch das Autorenhonorar in Höhe von über 30000 RM (bis September 1932) sehen lassen konnte, zumal mitten in der Weltwirtschaftskrise.17

Der Verleger und sein Autor Gottfried Zarnow Der Verlag Lehmann war die naheliegende Adresse für das 1930 noch unfertige Buchprojekt Zarnows. Schon in der Vorkriegszeit gehörte der rabiate Antisemit Julius F. Lehmann zum engeren Kreis des Alldeutschen Verbandes. Und nicht nur das: Der auf medizinische Fachliteratur spezialisierte Verlag verstand sich als Sammelbe-

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cken der »rechten Nation« und publizierte rassenbiologische Schriften – am bekanntesten der viel gelesene »Rassengünther« – und rechtsradikale Literatur.18 Nach einer Publikationsanfrage Zarnows im Sommer 1930 waren sich die beiden schnell einig geworden. Lehmann war ohnehin auf der Suche nach Autoren, die sich mit den Justizfällen und dem Thema Korruption beschäftigten, und hatte in diesem Zusammenhang mehr als nur einmal die Erfahrung mit aus seiner Sicht intellektuell überforderten Juristen gemacht, darunter der im Zusammenhang mit dem Magdeburger Kölling-Haas-Fall bereits erwähnte Richter Hoffmann. So war Lehmann nicht unglücklich, den Auftrag an den Journalisten Zarnow zu geben.19 Die überlieferte, ausführliche Korrespondenz zeigt, dass sich zwei kongeniale Personen gefunden hatten. Auch Lehmann witterte überall den Einfluss der republikanischen Führung auf Gerichte und Richter, und zwar »vorm [sic!] Reichsgericht angefangen«; er verband das mit einer in klassisch liberaler Manier vorgetragenen Misstrauensrede gegen die staatliche Bevormundung der Justiz: »Die Staatsraison« gehe überall über Gerechtigkeit, »und zwar eine Staatsraison, die gleichbedeutend ist mit der Erhaltung der Macht der sozialdemokratischen Zentrumspartei«; dementsprechend müsse »dieser Zersetzungsprozess in allen Gerichten aufgewiesen werden«.20 Die Gefesselte Justiz sollte eine Intervention in die Debatte über die von den Republikanern okkupierte Diskussion über die »Vertrauenskrise der Justiz« sein.21 Doch mehr als alles andere ging es dem Verleger um die sogenannten Fememord-Urteile des Reichsgerichts. Verleger und Autor verband die Sympathie für den 1925 verhafteten und 1927 wegen eines Fememords zum Tode verurteilten Oberleutnant Paul Schulz, der unter dem Namen »FemeSchulz« Bekanntheit erlangte. Mit großer Empathie hatte Lehmann dem inhaftierten Schulz zugesprochen. Ewald Moritz, alias Zarnow, hatte Schulz 1928 ebenfalls im Gefängnis besucht und nahm später in der für ihn typischen Hybris in Anspruch, er allein – und nicht die Amnestie des Jahres 1930 – habe den Mörder durch seine engagierte Berichterstattung vor der Vollstreckung der Todesstrafe gerettet.22

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Die Zusammenarbeit mit Lehmann war für Zarnow in jeder Hinsicht ein Glücksfall, und genau besehen war das Buch in vielen Aspekten eine gemeinsame Arbeit der beiden, auch wenn der Journalist immer eine Missachtung seiner Person durch den gebildeten Akademiker witterte. In einem Gewaltakt schrieb er bis November die acht Kapitel des Buches, die sein Verleger sehr genau unter die Lupe nahm, korrigierte und mit Verbesserungen und Vorschlägen versah. Er mahnte die Umformulierung ganzer Passagen an und übernahm diese Aufgabe, wenn die Setzer unter Termindruck warteten, notfalls auch selbst . Lehmann legte auch ein Veto gegen den Titel Der Riß in der Robe. Ein Buch für Politiker, Richter und Zuhälter ein. Den gewieften Verleger, der sich schon im Kaiserreich mit den Zensurbehörden herumgeschlagen hatte, trieb die nicht unberechtigte Angst um, das Buch könne beschlagnahmt, ja mehr noch, Verfasser wie Verleger könnten »verknackst« werden, falls man sich eine Blöße gebe und nicht sagen könne: »Ich habe als gewissenhafter Staatsbürger alle Gesetze genau beachtet.«23 Das nach der Ermordung Walther Rathenaus erlassene Republikschutzgesetz war das Menetekel, dessen Einhaltung neben Lehmann insbesondere dessen äußerst penibler Münchener Rechtsanwalt Dr. Christ auch in der Folgezeit regelmäßig anmahnte – sehr zum Leidwesen des eigensinnigen Zarnow.

Politische Agenda und Strategie Julius F. Lehmann war ein Antisemit der alten Schule, darin vielen älteren Herren der Deutschvölkischen Freiheitspartei und der Alldeutschen nicht unähnlich, die 1919/20 mit dem kurzzeitigen Aufblühen des radikalen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, dem Kapp- und dann dem Ludendorff-Hitler-Putsch große Hoffnungen verbunden hatten. Der Verleger war ein Mitglied der Münchener Bürgergesellschaft, auch wenn sich deren Angehörige für gewöhnlich beim Verlassen des Hauses nicht mit einem Schlagring bewaffneten, was Lehmann wiederum seinem Autor empfahl: »Ein Stoss auf die Achsel, mit der nötigen Kraft, zertrümmert das Schlüsselbein, ein Stoss auf den Magen oder auf die Brust wirft den Kerl um. Wenn ich meinen Schlagring in der Hand hatte, hatte ich

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das Gefühl absoluter Ruhe und Sicherheit.«24 Den Nationalsozialisten begegnete er mit viel Sympathie, schon allein, weil er aus politischen wie aus kommerziellen Interessen auf sie setzte. Aber er war sich immer der Differenzen bewusst. Sie waren für ihn »Nazi-Sozi«, so die wiederkehrende Bezeichnung in seinen Briefen an Zarnow; es waren nicht seine Leute, so wie auch der Münchener Eher-Verlag der NSDAP ein Konkurrenzunternehmen seines eigenen erfolgreichen Verlagshauses war.25 Immerhin: Die ehemals angelegte Saat war inzwischen aufgegangen. Doch war unübersehbar, dass sich ein neuer, moderner und ein älterer, im späten 19. Jahrhundert wurzelnder Radikalismus gegenüberstanden. Dass Rassismus die Differenz bezeichnete, kann man in diesem Fall bezweifeln; eher war es das proletarische Auftreten der Nazis, worauf ja auch die Münchener Alldeutschen in Ermangelung einer politischen Massenbasis am Ende des Weltkrieges gesetzt hatten. Lehmann sonnte sich in seinen Taten während des Ersten Weltkriegs und stellte seine Strategie in einen größeren Kontext. Er hatte damals zu den großen Frondeuren gegen den Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg gezählt, was insofern von Bedeutung ist, als er 1930/31 an eine Wiederholung der damaligen Diskreditierungsstrategie und an eine breite Mobilisierung »national gesinnter Männer« dachte. So wie Bethmann Hollweg im Ersten Weltkrieg sollte die »rote Preußenregierung aus dem Sattel« gehoben und zur Abdankung gezwungen werden; noch 1932, im Zusammenhang mit der Vorbereitung des zweiten Bandes der Gefesselten Justiz, war die Rede davon, »die preußische Regierung sturmreif zu bekommen«.26 Um dieses Ziel zu erreichen, brauchte man »Kampfgefährten«, und die beiden kongenialen Streiter sahen sich an der »Spitze der Schlachtkolonne«27, die es zu formieren galt. Die dabei verfolgte Strategie war zweigleisig. Zunächst einmal wollte der Verleger allen »führenden Männern der Nation« ein Exemplar der Gefesselten Justiz schenken, mit einem Begleitbrief, worin der Angesprochene »aufgefordert wird, seine ganze Kraft in den Dienst des Buches zu stellen und die Gedanken, dass es so nicht weitergeht, zum Gemeingut des Volkes zu machen«. Das schädigte vielleicht den Verkauf, »wenn aber 500 bis 1000 der Besten und der Einflussreichsten sich

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in Wort und Schrift dafür einsetzen, kann eine Reklame entstehen, die durch vermehrten Absatz zehnfach wettmacht, was wir an Büchern geopfert haben«. Tatsächlich »packte« der phänomenal eifrige Briefeschreiber Lehmann dann etwa 100 Leute »einzeln an«, und zwar in Anschreiben, die sehr persönlich auf die angesprochenen Personen abgestimmt waren.28

Prekäre Zusammenarbeit mit der NSDAP Neben dieser Mobilisierung der führenden »nationalen Köpfe« hatte Lehmann den Plan, den etwa 10000 Ortsgruppen der NSDAP jeweils ein Exemplar zur Verfügung zu stellen, gleichsam als Material für den politischen Kampf. Damit verbunden war die, wie sich dann herausstellen sollte, illusorische Erwartung weiterer Bestellungen der Parteimitglieder. Diesen Teil des Plans besprach Lehmann mit dem »Fememörder« Paul Schulz. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis und seinem Beitritt zur NSDAP noch im Jahr 1930 hatte Schulz als Stellvertreter des Reichsorganisationsleiters der NSDAP Gregor Straßer eine steile politische Karriere hingelegt (bevor er 1932/33 zusammen mit diesem »entmachtet« wurde, worauf noch zurückzukommen sein wird). Schulz stand in Verbindung mit Vertretern der rheinischen Schwerindustrie, von der es vage Zusagen zur Finanzierung der NSDAP-Exemplare gab. Diese Sonderexemplare waren als »Saatgut« gedacht. Dazu sollte jedem Buch eine Empfehlung Hitlers und eine Bestellliste beigelegt werden, mit der die Ortsgruppen Bücher beschaffen konnten. Die Auslieferung an den Buchhandel sollte erst nach Versendung der Bände für die NSDAP erfolgen, was den Vorteil hatte, dass man auf diese Weise die – befürchtete – Konfiskation der gesamten Auflage umgangen hätte.29 Tatsächlich waren bis zum Jahresende 1930 knapp 10000 Exemplare an die »Nazi-Sozi« (Lehmann) ausgeliefert. Welchen Finanzierungsmodus Lehmann schließlich fand, ist nicht ganz klar, auch nicht, ob den Exemplaren ein Empfehlungsscheiben Hitlers beigefügt war (was aber nicht anzunehmen ist).30 Es besteht jedoch kein Zweifel, dass in diesem Zusammenhang Gelder aus der Schwerindustrie flossen, und zwar zusätzlich pauschal 20000 RM, die sowohl

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Lehmann als auch Zarnow die Führung absehbarer teurer Prozesse ermöglichen sollten. Der Herausgeber des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsdienstes August Heinrichsbauer war der ominöse Geldvermittler. Er stand in enger Verbindung mit prominenten Vertretern und Organisationen der westdeutschen Kohle-, Eisen- und Stahlindustrie und pflegte Kontakte der Industrie zur NSDAP. Heinrichsbauers nationalsozialistischer Verbindungsmann war Gregor Straßer, also der Vorgesetzte von »Feme-Schulz«. Ziel war es, nicht nur auf das wirtschaftspolitische Programm der NSDAP im Sinne einer Mäßigung der antikapitalistischen Positionen einzuwirken, sondern auch die Stärkung der »nationalen Opposition«.31 Die Strategie schien zunächst aufzugehen. Am 6. Januar 1931 begannen der Völkische Beobachter und andere Parteizeitungen wie Der Angriff und Das Landvolk mit dem Abdruck des Buches. Das ging einher mit einer Kampagne der NSDAP gegen die »Verrottung« und »Korruption« der Weimarer Republik, wobei in den Worten des 8-Uhr-Abendblatts Goebbels »Barmat und Kutisker aus der Versenkung« auftauchen ließ. Sehr zum Leidwesen Zarnows wurde sein Titel Gefesselte Justiz durch Rote Justiz ersetzt. Immerhin, bei Versammlungen, darunter eine Großveranstaltung am 19. Februar im Berliner Sportpalast, bei der die Themen »Wenn Marxisten regieren«, »Wucher und Korruption« und »Herrschaft des mobilen Kapitals« angekündigt wurden und Goebbels und der thüringische Gauleiter Sauchel sprachen, gab es Hinweise auf Zarnows Buch.32 Das Buch lieferte der NSDAP eine Steilvorlage für ihre Korruptionsagitation; insofern war es ein Erfolg. Gleichzeitig bemerkten Autor und Verleger jedoch allenthalben Zurückhaltung: Die erhofften Bestellungen der Ortsgruppen blieben ebenso aus wie eine öffentliche Empfehlung Hitlers. Zwar lobten die Nationalsozialisten anfänglich die Gefesselte Justiz, und in Zarnows neuer großer Berliner Mietwohnung, in der auch Paul Schulz ein kleines Zimmer angemietet hatte, traf sich offenbar immer wieder die Parteiprominenz der NSDAP, insbesondere der Kreis um Gregor Straßer und Paul Schulz – wenngleich weniger wegen Zarnow, eher schon wegen Schulz oder wegen Zarnows attraktiver Frau.33

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Deutschnationaler Radikalismus Zarnow zog den Nationalsozialisten einen Kreis radikaler deutschnationaler Journalisten des Hugenberg-Pressekonzerns vor. Eine »Nationale Nothilfe« unter der Leitung der Pressestelle der Deutschnationalen, zu der Rittmeister Joachim von Oppen, Götz Otto Stoffregen und der unter dem Pseudonym »Rumpelstilzchen« bekannte Adolf Stein gehörten, hielt »Kriegsrat«34 und rührte in der deutschnationalen Presse die Trommeln für das Buch. Stoffregen war ein früherer Führer der Schwarzen Reichswehr und publizierte bei Lehmann unter dem Pseudonym Friedrich Felgen mehrere Bücher über Femelüge und Femgericht, in deren Zentrum der heroisierte Paul Schulz stand.35 Unterstützung erhielten die Hugenberg-Radikalen vom Präsidenten des agrarischen Reichslandbundes Eberhard Graf von Kalckreuth (DNVP), der im Februar 1931 in zwei offenen Briefen den preußischen Justizminister aufforderte, Konsequenzen aus dem Buch zu ziehen. In die gleiche Richtung zielten die erwähnten offenen Briefe Lachmanns, deren Druck man übernahm. Kalckreuth sah, dass »das Buch in der Tat geeignet sein könnte, die Staatsautorität zu untergraben«. Aber es sei ein noch schwererer Schaden für die Staatsautorität, wenn Untersuchungen der Zusammenhänge, sei es durch Privatklage, sei es durch öffentliche Anklage, unterblieben; in anderen Worten: ein Prozess hätte eine medienwirksame Öffentlichkeit geschaffen.36 Bezeichnenderweise hatten die Pressevertreter der erwähnten Nationalen Nothilfe diese Briefe Kalckreuths formuliert, mit vielen gleichlautenden Forderungen in der konservativen Presse nach einer erneuten öffentlichen Untersuchung der zurückliegenden Fälle. Der preußische Justizminister Hermann Schmidt (Zentrum) müsse handeln, da in der Gefesselten Justiz sein Vorgänger beleidigt werde. Mitte März brachte die DNVP einen Antrag auf Bildung eines Untersuchungsausschusses des Preußischen Landtags ein, der sich des Falles annehmen sollte, der aber keine Mehrheit fand.37 Gegen alle hohen Erwartungen blieb der große öffentliche Aufschrei der »nationalen Köpfe« aus. Juristen wie der pensionierte Reichsgerichtsrat Georg Müller oder der frühere Reichsgerichtspräsident a. D. Walter Simon hegten zweifellos Sympathien, hielten

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sich aber vorsichtig zurück, und das, was von ihnen über Indiskretionen an die Öffentlichkeit gelangte, stieß auf Hohn und Häme, und zwar von allen Seiten.38 Der Senatspräsident am Kammergericht Dr. Adolf Baumbach, der wenige Jahre zuvor den in den Reihen der Rechten viel zitierten Satz »Die Strafjustiz ist zur Dirne der Politik geworden« geprägt hatte, war offenbar nicht bereit, seine früheren Argumente nochmals zusammenzufassen. Vereinzelt zustimmende Zuschriften wie die des sich als Juden bekennenden Berliner Justizrats Victor Fraenkel, der, wie er schrieb, auch Kommunisten, die »in das Räderwerk der Justiz« geraten waren, verteidigt habe, war nun aus ganz anderen Gründen eine wenig opportune Stimme, da er sich über die Behandlung des Buches durch die »Journaille der Hitler, Göbbels [sic!] und Konsorten« erregte.39 Eine positive öffentliche Stellungnahme für das Buch, das so massiv die Justiz und den preußischen Staat angriff, war gleichbedeutend mit der Überschreitung des Rubikon. Zu sehen ist das im Falle der DNVP, die sich seit der Absetzung des Grafen Kuno von Westarp und der Wahl Alfred Hugenbergs zum Parteivorsitzenden 1929 infolge von Parteiabspaltungen in einem rapiden Prozess der Auflösung befand und durch die Kontroverse weiter gebeutelt wurde.40 Ein politisches Opfer war der langjährige (seit 1919) DNVP-Abgeordnete Dr. Friedrich Deerberg, der als Stellvertretender Vorsitzender des sogenannten Barmat-Ausschusses des Preußischen Landtags zweifellos einer der besten Kenner der zurückliegenden Fälle war. Bei allen Vorbehalten hatte er mit zur politischen Deeskalation der Barmat-Kampagne im Sommer 1925 beigetragen. Diesen Kompromiss mit dem politischen System verziehen ihm die deutschnationalen Radikalen nie. Nun sah er sich einem systematischen Mobbing eines Teils seiner früheren Parteimitglieder ausgesetzt. Wie Deerberg im Abgeordnetenhaus berichtete, hatte Zarnow ihm bereits im Oktober 1930 Teile seines Manuskripts zugesandt, ganz offensichtlich, um Unterstützung für das Buch einzuwerben. Nach der Durchsicht sei er aber zu dem Schluss gekommen und habe dies Zarnow auch gesagt, dass alle darin enthaltenden Behauptungen gegen die Justiz und ihre Vertreter vollkommen unrichtig

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seien. Die entsprechenden Briefpassagen an Zarnow las der DNVPPolitiker medienwirksam vor.41 Die über die Zeitungen verbreitete Aussage Deerbergs brachte die Anhänger Zarnows massiv in die Defensive. War er damit nicht von berufener Seite der Lüge überführt, ja machte er sich deswegen sogar nach den Bestimmungen des Republikschutzgesetzes, das unter anderem auch die Strafbestimmungen bei Verleumdungssachen verschärft hatte, strafbar? Informanten berichteten, »dass in Berlin alles wackle«: Einzelne Abgeordnete der DVP und der DNVP schlugen sich auf die Seite Deerbergs und des Justizministers, auch »auf die Gefahr hin, von der Hugenberg-Presse nicht mehr als national angesehen zu werden«.42 Die Radikalen in der DNVP schäumten, und es gab offenbar Überlegungen, gegen Deerberg ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten. Lehmann insinuierte, dass der 1929 zum Senatspräsidenten am Kammergericht beförderte Deerberg »politisch korrumpiert« worden sei: Man müsse schleunigst nachprüfen, ob er nicht vielleicht Katholik sei (um eine Verbindung zur Zentrumspartei herzustellen).43 Schon wenige Tage nach seiner brisanten Aussage legte der in dieser Weise Angegriffene sein Mandat mit Hinweis auf »Gesundheitsrücksichten« nieder.44 Die Radikalen hatten in der DNVP die Oberhand gewonnen. Diese öffentlichen Auseinandersetzungen beflügelten den Absatz des Buches außerordentlich, sodass der Verlag zeitweise kaum mit der Auslieferung nachkam. Aber so erfreulich die Verkaufszahlen für den Verleger waren, so bedrückend war der politische Misserfolg. Seitdem der preußische Justizminister Schmidt und der Abgeordnete Deerberg die Schrift laut Lehmann als »elende Lüge« bezeichnet hatten, »klappt[e] in Berlin alles zusammen«. Selbst die Pressestelle der Deutschnationalen wurde wankelmütig, ja man konnte den Eindruck gewinnen, als ob die »nationale Presse«, insbesondere die des Scherl-Konzerns, die »Flinte ins Korn« werfe.45 Den Verleger trieb nun die – berechtigte – Furcht um, dass das Buch verboten werden könnte.46 Die preußische Regierung ließ sich zwar nicht aus der Reserve locken, indem sie gegen Passagen des Buches vorging. Dafür brachten der SPD-Landtagsabgeordnete Erich Kuttner und der frühere Reichswehrminister und Oberpräsident der

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Provinz Hannover Gustav Noske gleich zu Beginn des Jahres 1931 ein Verfahren gegen Zarnow ins Rollen. Daraus entwickelte sich ein zermürbender und kostspieliger juristischer Kleinkrieg gegen diesen, so Zarnow, »politischen Strolch K[uttner]«. Lehmann sprach von einem »Lauseprozess« gegen einen »schmutzigen Juden«.47 Die Richter gaben auch in Revisionsverhandlungen den Klägern, d. h. Noske und Kuttner, Recht. Die Geldstrafen waren das geringere Problem. Empfindlicher trafen die erwirkten Verbote und Beschlagnahmungen, welche die Löschung einzelner Sätze und ganzer Passagen notwendig machten, um das Buch wieder auf den Markt zu bekommen. Daraus entwickelte sich ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Behörden und Verleger, der sich zudem mit renitenten sozialdemokratischen Druckern in der Nördlinger Druckerei des BeckVerlags konfrontiert sah.48 Das alles war zeitaufwendig, teuer und führte schnell zu heftigen Reibereien zwischen Verleger und Autor, die bei der Vorbereitung des zweiten Bandes immer deutlicher zutage traten. Als Lehmann im Frühjahr 1932 ein diffamierendes Manuskript über Kuttner ablehnte, und zwar mit dem Argument, dass man einen »Mordsprozess […] an den Hals« bekomme, wollte Zarnow das partout nicht verstehen.49 Die Nationalsozialisten, die seit dem Winter 1930/31 in ihrer Propaganda lautstark die Rote Justiz traktierten (aber ohne Hinweise auf Zarnow), hielten sich in öffentlichen Stellungnahmen für das Buch zurück. Schon Ende Februar hörte die NS-Presse mit dem Abdruck des Buches auf, und zwar mit dem vordergründigen Argument, dass man mit einem Verbot rechne.50 Das Buch werde »totgeschwiegen«, stöhnte Lehmann, wobei er das zunächst auf die Rivalität mit dem parteioffiziellen Eher-Verlag zurückführte.51 Mehr als alles andere hatte diese Zurückhaltung aber mit dem Autor selbst zu tun.

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Gottfried Zarnow: Ein deutscher Émile Zola? Der unter dem Pseudonym Rumpelstilzchen publizierende Hugenberg-Kolumnist Adolf Stein verglich beim Erscheinen der Gefesselten Justiz den Autor mit Émile Zola. Der Nachgeborene werde »einen vielleicht stärkeren Sturm heraufbeschwören, als seinerzeit Zola mit seinem ›J’accuse…!‹«. Stein war sich sicher, dass der Autor, der »fanatisch« die »Verderber« Deutschlands hasse, mit diesem Buch dem Marxismus »sein tödliches Geschoss« geben werde.52 Das war ein in jeder Hinsicht schiefer Vergleich, bedenkt man die politische Stoßrichtung Zolas und seine Kritik des französischen Antisemitismus. Dennoch: Zarnow gefielen solche Parallelisierungen zweifellos. Denn ähnlich wie Lachmann stand er für einen politisch heimatlosen Aufklärungsradikalismus, der seit der Revolution zunächst zwischen rechts und links lavierte und sich dann aufseiten der Rechten positionierte – in echter Michael-Kohlhaas-Manier, nämlich ohne bestimmte Positionen aufzugeben.53

Antisemitismus Ein bezeichnendes Licht auf den Autor wirft seine Positionierung in der Frage des Antisemitismus. Wie Zarnow, »dessen Buch jetzt in 2 Dutzend antisemitischen Blättern abgedruckt wird, ausgerechnet einen Juden« als juristischen Vertreter nehmen könne, selbst einen wie Dr. Paul Bloch, der in Kreisen der Fememörder und Rechtsextremen als Rechtsbeistand einen guten Namen hatte, war Lehmann »einfach unverständlich!«. Das empörte ihn und war in seinen Augen »eine schwere Sünde«, umso mehr als sie den Prozess gegen den auch von Lehmann als Juden stigmatisierten Sozialdemokraten Erich Kuttner gemeinsam führten: »In den Vorkämpfern unseres Volkes muss doch der Bekennermut auch so weit gehen, dass man nicht dem Volk das schlechte Beispiel gibt, die Juden bekämpft und ablehnt und dann doch selber zum Juden läuft.« Er warnte: »Glauben Sie wirklich, dass die Nationalsozialisten einerseits auch noch warm für Sie eintreten, wenn sie einen Juden zu ihrem Vertreter nehmen? Das wird Ihnen schwere und leider nur allzu berechtigte Vorwürfe eintragen.« Ihm, dem Verleger, werde damit »dieser Jude

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an die Rockschöße gehängt«. Selbst wenn Bloch Prozesse für die Femeleute führte, habe er »stets die Empfindung gehabt, dass er letzten Endes nie in unserem Lager stand und dass er nie dem Volke Israel untreu wird, auch wenn er, scheinbar [sic!] Deutsche im Prozess vertritt«. Im Zweifelsfall würden sie immer füreinander bürgen, wie die von Lehmann befragten Juden gesagt hätten, »sogar einem Barmat gegenüber«.54 Die Sache wurde für Lehmann und Zarnow insofern brenzlig, weil in der völkischen Presse bald Gerüchte zirkulierten, Zarnow sei ein »Jude«. Dieses Gerücht hielt sich trotz aller Dementi, nämlich dass er einer pommerschen Bauernfamilie entstamme.55 Die antisemitische Empörung war zwar auch Zarnow, der unter anderem im antisemitischen Deutschen Vorwärts publizierte, nicht fremd. Aber ähnlich wie im Rattenkönig (1920) finden sich in der Gefesselten Justiz wenige explizit antisemitische Passagen. Vorschläge des Verlegers, den »Einfluss der Juden« in der Berliner Justiz einschließlich des Kammergerichts zu dokumentieren, hatte sein Autor nicht aufgegriffen. Ein Jude als Rechtsanwalt, »der sich für die ihm übertragene Sache so einsetzt, wie der Auftraggeber es erwarten muss«, war ihm um einiges »sympathischer […] wie [sic!] ein christlicher Rechtsanwalt«, sprich: Dr. Christ, der Münchener Anwalt Lehmanns. Im Übrigen, so heißt es an einer anderen Stelle: »Die Judenfrage erledigt sich von selbst, wenn wir uns auf den Marxismus konzentrieren.«56 Selbst noch nach seinem Beitritt zur NSDAP, der offenbar auf Drängen Lehmanns erfolgte,57 nahm er sich in späteren Jahren einen jüdischen Rechtsanwalt, was ihn teuer zu stehen kommen sollte.

Ein versprengter Linker Nicht weniger verwunderlich waren die auftauchenden Nachrichten über Zarnows politische Unzuverlässigkeit. Genüsslich fügte die republikanische Presse 1931 nach und nach ein Bild zusammen, das einen rebellischen Mann zeigte, voller sozialer Ressentiments gegen seine höher stehenden Vorgesetzten, die nicht unbedingt klüger waren als er, die aber eine Karriere fördernde Schulausbildung genossen hatten und mit dem damit einhergehenden Standesdün-

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kel imprägniert waren. Tatsächlich hatte sich Ewald Moritz, alias Zarnow, politisch zunächst links verortet. Unter der Überschrift »Wer hat die Front erdolcht?« war von ihm 1921 in der sozialdemokratischen Münchener Post zu lesen, dass die »Schlemmerei der Offiziere« in den hohen Stäben und der gleichzeitige Hunger der gemeinen Feldsoldaten den Zusammenbruch des 9. November erklärten; im selben Jahr soll er als sozialdemokratischer Bezirksamtsdelegierter in Magdeburg auf einer Versammlung der Partei die Säuberung der Ministerien von »reaktionären Beamten« verlangt haben.58 Schon im Januar 1925 hatte der Ex-Kanzler Bauer in einem privaten Schreiben an den Berliner Lokal-Anzeiger darauf hingewiesen, dass ihn »dieser Herr Moritz« während seiner Tätigkeit als Schatzminister in unglaublicher Weise belästigt habe, »bis ich ihm die Tür wies. Er kam mit einem Mitgliedsbuch der Sozialdemokratischen Partei und einer schriftlichen Empfehlung der Parteileitung meines Wahlkreises zu mir und verlangte kategorisch, dass ich ihn sofort in seine frühere Stellung einsetzen und ihm den Gehalt die ganze rückliegende Zeit nachbezahlen solle. Ferner verlangte er, dass sofort alle seine früheren Vorgesetzten [in den militärischen Dienststellen der Zivilverwaltung – MHG] in Anklagezustand versetzt und vom Dienste suspendiert werden sollten. Die Prüfung der überaus umfangreichen Akten ergab, daß Moritz ein Querulant ist, der nach vorliegenden ärztlichen Gutachten geistig nicht normal sein soll.«59 Mit Blick auf seine Vergangenheit in die Defensive gedrängt, ging Zarnow in die Offensive: Ja, er sei im Jahre 1921 Mitglied der SPD gewesen und habe auch Mitgliedsbeiträge gezahlt. Seine Stimme aber habe er von 1919 bis 1924 der Deutschen Volkspartei, dann der Deutschnationalen Volkspartei und in jüngster Zeit der Partei Hitlers gegeben. Und damit nicht genug. 1924 habe er einen Artikel in der Roten Fahne veröffentlicht, der als Embryo seines Buches Gefesselte Justiz zu gelten habe. Schon die Zeitgenossen rätselten, was daran Dichtung und was Wahrheit war. Mit Blick auf die verschlungenen Wege des politischen Radikalismus ist die von Zarnow aufgetischte Geschichte zwar nicht ganz nachvollziehbar, aber plausibel.60 Selbst Lehmann, der ob der enthüllten sozialdemokra-

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tischen Parteimitgliedschaft seines Autors alles andere als erfreut war – den Verleger trieb die permanente Sorge um, dass die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter der Druckerei in Nördlingen Abzüge (nicht nur) der Gefesselten Justiz an die Justiz weitergeben könnten –, tröstete sich, dass er kaum jemanden in seinem Bekanntenkreis kenne, der noch die gleiche Partei wie im Jahr 1919 wähle.61 Mit dem Eintritt in die NSDAP schien Zarnow 1932 noch rechtzeitig auf den richtigen Zug aufzuspringen, nur um bald feststellen zu müssen, dass er mit Gregor Straßer und Paul Schulz auf die falschen Pferde gesetzt hatte. Auch vor diesem Hintergrund verschlechterte sich das Verhältnis zu Lehmann. Die Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der Vorbereitung des zweiten Bandes wurde Lehmann sichtlich unbehaglich, zumal sein Autor nichts Substanzielles zu sagen wusste und seiner Meinung nach mit einem Fuß immer halb im Gefängnis stand. Als der Vorwurf Zarnows im Raum stand, »der Verlag Lehmann bekommt jedes Buch kaputt«, zog der Verleger im Mai 1932 einen Schlussstrich – und hinterließ einen beleidigten Autor, dessen Ambitionen größer und größer wurden.62

Der Zarnow-Ausschuss des Preußischen Landtags 1932/33 Die am 24. April 1932 abgehaltenen preußischen Landtagswahlen veränderten die politische Landschaft auch in der letzten Bastion der Republik dramatisch. Die Koalition von Zentrum, SPD und der aus der DDP hervorgegangenen Staatspartei verlor ihre bis dahin sichere Mehrheit. Wahlgewinner war die KPD, vor allem aber die NSDAP, welche die Zahl ihrer Abgeordneten von bisher sechs auf 162 erhöhen konnte. Da die DNVP ähnlich wie die anderen bürgerlichen Parteien mehr als die Hälfte ihrer Abgeordneten verloren hatte und die KPD nicht koalitionsbereit war, gab es bei der Wahl des Ministerpräsidenten keine eindeutigen Mehrheiten, weder für den republikanischen noch für den anti-republikanischen Block. Ohne Mehrheit im Parlament befand sich die alte und neue Regierung unter dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD) in einem Zustand der Agonie. Ohne das Terrain an die Nationalsozialisten abzugeben, beurlaubte sich der psychisch wie phy-

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sisch schwer angeschlagene und amtsmüde Braun, übergab die Geschäfte an den bisherigen Wohlfahrtsminister Heinrich Hirtsiefer (Zentrum) und ging in die Schweiz, wohin ihm auch sein Staatssekretär Weismann folgte.63 Im nun einsetzenden Koalitionspoker gab es verschiedene Optionen, wie die einer Koalition von Zentrumspartei und NSDAP in Preußen (mit einer möglichen analogen Lösung auf Reichsebene). Als vielversprechender Kandidat galt der Reichsorganisationsleiter der NSDAP Gregor Straßer, der seit dem Frühjahr 1932 auch als möglicher Reichskanzler und als preußischer Ministerpräsident gehandelt wurde. Paul Schulz war in diese Verhandlungen involviert, und zwar in der Funktion als Straßers rechte Hand und seit Sommer 1932 de facto als sein Stellvertreter. In dieser Konstellation schien es, als ob der Stern von Zarnow schließlich doch noch aufgehen würde: »Feme-Schulz« war nicht nur mit Zarnow befreundet – förmliche Freundschaftsgeschenke waren zu diesem Zweck ausgetauscht worden –, sondern lebte wie erwähnt zeitweise als Untermieter in der Berliner Wohnung des Ehepaars Moritz/Zarnow.64 Die neuen Mehrheitsverhältnisse im Preußischen Landtag schufen nun die Voraussetzungen für die Einberufung eines neuen Untersuchungsausschusses, den die Abgeordneten der DNVP und der NSDAP schon im Vorjahr erfolglos gefordert hatten, um die »von Gottfried Zarnow der Justiz gemachten Vorwürfe« zu prüfen.65 Der Ausschuss konstituierte sich am 15. Juni 1932. Den Vorsitz übernahm der Rechtsexperte der NSDAP Roland Freisler, der einen Monat zuvor in einer Plenarsitzung mit Blick auf die Gefesselte Justiz von einem »epochemachenden Buch« gesprochen hatte.66 Großspurig erklärte er, dass die ganze frühere Rechtsprechung überprüft werden müsse. Hinsichtlich der einzuschlagenden Linie war er einigermaßen eindeutig: »Das deutsche Volk erwartet und verlangt, daß die Zellen der Kämpfer für ein neues Deutschland [d. h. der Feme-Mörder – MHG] freigemacht werden, damit in diese Zellen endlich hineinkommen die Barmat, Kutisker, Sklarz, Helphand, Michael, Werthauer, Katzenellenbogen, Hirsch, Schwarz, Weiß, Sklarek, Katz, Heilmann, Kuttner und Genossen!«67 Am 8. Juli 1932 begann die Arbeit des sogenannten »Zarnow-

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Ausschusses«. Zentrum und SPD waren mit elf von 29 Sitzen eindeutig in der Minderheit. Bestellt wurden Berichterstatter aus den Reihen der Nationalsozialisten bzw. Gegenberichterstatter aus denen der Sozialdemokraten.68 Aus Sicht des Namensgebers war diese Lösung »glücklich-unglücklich«: Glücklich deswegen, weil nun nach fast eineinhalb Jahren dieser lang geforderte Ausschuss zusammentrat und weil die Mehrheitsverhältnisse eindeutig waren. In vielen Punkten erhielten die Deutschnationalen und Nationalsozialisten Verstärkung von den Kommunisten, die die SPD und den »Arbeitermörder« Kuttner scharf angriffen und ebenfalls eine »rücksichtslose Untersuchung der Justiz« einforderten.69 Die Begeisterung Zarnows hielt sich aber in Grenzen. Die Initiatoren des Ausschusses beriefen sich zwar auf die Gefesselte Justiz, distanzierten sich jedoch von Zarnow, der wiederum monierte, dass die Nationalsozialisten dilettantisch und schlecht vorbereitet agierten, und sich im Übrigen wunderte, dass ihm Freisler auf solche Vorwürfe hin nicht antwortete, und das, obwohl er seine honorarfreie Mitarbeit angeboten hatte.70 Die ganzen Verhandlungen waren ein einziger Zirkus. Neues belastendes Material, das immer wieder angekündigt worden war, tauchte nicht auf. Das ominöse »geheime Material des Justizministeriums und anderer amtlicher Stellen«, das früher immer wieder ins Feld geführt worden war, existierte nicht. Tatsächlich kamen die parallel verlaufenden internen Untersuchungen der Ministerialbürokratie ebenfalls nur zu ernüchternden Ergebnissen. In langen Berichten wurden die alten Vorwürfe und Widerlegungen erneut rekapituliert, ohne dass irgendetwas Neues ans Licht gebracht worden wäre. Auch hier zeigte sich, dass man Chimären nachjagte. Während der Justizkritiker Zarnow noch an die Arbeit des nach ihm benannten Ausschusses glaubte, gilt das mit Sicherheit nicht für Freisler. Dieser vertagte kurzerhand den Ausschuss, der erst wieder am 31. Januar 1933 zu einer auf vier Tage angesetzten Beratung zusammengerufen wurde. Es war eine denkwürdige Sitzung, die ganz unter dem Eindruck der eben erfolgten Ernennung Hitlers zum Reichskanzler stand. Parlamentarische Argumente waren jetzt nicht mehr gefragt. Als der sozialdemokratische Berichterstatter

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Kuttner den Vorsitzenden darauf hinwies, dieser stelle einmal mehr Behauptungen auf, die schon früher durch rechtskräftige Gerichtsurteile für unwahr befunden worden seien, schrie Freisler Kuttner nieder, überzog die protestierenden Abgeordneten mit Beleidigungen und brach sodann die Sitzung mit dem Argument ab, dass der Landtag ohnehin aufgelöst werde. Die Empörung in der republikanischen Presse war groß.71 Selbst die Konservativen waren konsterniert, allen voran Zarnow, der im »ganze[n] Verhalten Dr. Freislers [einen] starken pathologischen Einschlag« und »Schwäche« erkennen wollte: Denn so »bezeugten die Nazis, dass sie ihrer Sache nicht sicher waren und deshalb den Auflösungsantrag Wilhelm Kubes [zur Auflösung des Preußischen Landtags am 31. Januar – MHG] als willkommenen Anlass aufgriffen, sich der Arbeit zu entziehen. In Wirklichkeit ist es aber ihre bodenlose Unfähigkeit gewesen, irgend eine positive Arbeit zu leisten.«72

Das bittere Ende des Aufklärungsradikalismus »Korruption« war Anfang 1933 einer der großen Wahlslogans der Nationalsozialisten, insbesondere im preußischen Wahlkampf, um danach bald wieder in der Versenkung zu verschwinden.73 Die Vorkämpfer in dieser Sache, Philipp Lachmann und der Autor der Gefesselten Justiz, waren in diesem Kampf nicht einmal mehr Statisten, sondern sahen sich aus politischen wie aus rassischen Gründen marginalisiert und ausgegrenzt, ganz im Gegensatz zu dem Verleger Julius F. Lehmann, der 1935 starb, überhäuft mit nationalsozialistischen Ehrungen.

Nicht nur ein Michael Kohlhaas, sondern auch Jude Schon im Oktober 1932 wurde der Senatspräsident beim Kammergericht Mühlenfeld von der Kommissarischen Preußischen Staatsregierung beauftragt, sich einen Eindruck von dem arbeitslosen Buchprüfer Lachmann zu machen. Er traf dabei auf einen Michael Kohlhaas, dessen »Augen leuchteten«, wenn er von seinem Kampf gegen Korruption sprach und davon berichtete, dass er in Berlin

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zum Anlaufpunkt von Personen wurde, denen ihrer Meinung nach von den Justizbehörden Unrecht geschehen sei. Gerichte hielt er »durchweg für bestechlich und glaubte, dass mit Geld heute alles zu machen sei«; er schätzte sich glücklich, »den Kampf um die Bereinigung der Justiz führen zu dürfen, trotz wirtschaftlicher Not und Verfolgung«.74 Ernst zu nehmen war dieser Lachmann nicht, so das Ergebnis der Befragung, er war ein wohlmeinender »Querulant«; und die Justizbehörden sahen keinen Grund, die erhobenen Vorwürfe weiter zu verfolgen. Die NS-Machtergreifung entpuppte sich für Lachmann als eine bittere Enttäuschung. Ihm kam es vor, »wie wenn man einem nach langer Wanderung vor Durst Verschmachtenden einen prächtigen Pokal überreicht – ohne das ersehnte Getränk«, schrieb er im April 1934 an den preußischen Ministerpräsidenten Göring.75 Hier und in anderen Eingaben an den kommissarischen preußischen Justizminister brachte er zum Ausdruck, dass er sich betrogen fühlte: »Als Einzelner habe ich 8 Jahre hindurch gegen eine Welt von Feinden gekämpft, und ich glaube, nicht unwesentlich dazu beigetragen zu haben, daß nach Untreue und Unglauben bald wieder Treu und Glauben in unserem Vaterland heimisch werden.«76 Zwar wurde Lachmann als Buchprüfer rehabilitiert, aber auf die »verdiente Wiedergutmachung« für die erlittenen Verdienstausfälle wartete er vergebens. Und nicht nur das: Er und seine Mitkämpfer, darunter sein Rechtsanwalt Arthur Rosenberger, »ein treuer Bekenner der erhabenen jüdischen Religion«77, der ihn kostenlos verteidigt hatte, und sein Freund Caspary waren plötzlich neuen Diskriminierungen seitens der »arischen Kollegen« ausgesetzt. Er war fassungslos, dass der frühere Staatsanwaltsassessor Caspary – in den Worten Lachmanns einer der wenigen Juristen, die ohne Rücksicht auf Fortkommen in den Barmat-Kutisker-Werthauer-Prozessen gegen die Korruption gekämpft hätten – nun auch sein Richteramt verlor. In Ausnahmefällen könne es »doch bestimmt keinen Unterschied zwischen Juden und Christen« geben.78 Und in einem Brief an Göring verwies er auf den »eigenartigen Umstand«, der ihm offenbar zu denken gab, nämlich dass »im vorliegenden Falle zur Bekämpfung der korrupten Elemente im Judentum wiederum sich nur Juden

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hervorgetan haben«: »Die Vorsehung geht ihre eigenen unerforschten Wege, wenn sie hier nicht von den 99 % der Arier die energischen Kämpfer gegen die Korruption – in der Arier und Nichtarier vertreten sind – auswählt, sondern von einem Prozent der Juden.« Einmal mehr zitierte Lachmann in diesem Zusammenhang den »großen Historiker« Theodor Mommsen, der geschrieben hatte, »dass die Vorsehung weit besser […] begriffen hat, warum dem germanischen Metall für seine Ausgestaltung einige Prozent Israel beizusetzen waren«.79 Dies ist die letzte bekannte zu den Akten gelegte Äußerung Lachmanns. Allein der fanatische Antisemit Johann von Leers huldigte noch dem »Bücherrevisor Lachmann, der aus Gewissensgründen der großen Schiebergesellschaft entgegentrat und sie aufdeckte«; er habe, »durch seine moralische Tat als einziger Gerechter in Sodom viele andere vor dem Gericht bewahrt«.80 Das half jedoch nicht. Es ist dokumentiert, dass Lachmann am 24. Oktober 1941 in das Getto von Litzmannstadt (Łód´z) deportiert wurde, wo er am 4. Dezember wahrscheinlich ermordet wurde. Ähnlich erging es seinem Bekannten, dem früheren Staatsanwalt Rudolf Caspary, der 1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen und im März 1944 nach Auschwitz verschleppt wurde, wo er das gleiche Schicksal erlitt.81

Die (Selbst-)Ausschaltung des Gottfried Zarnow Der »Arier« Zarnow war dank der Honorare für die Gefesselte Justiz in einer anderen Lage als Lachmann. Mit seinem 1933 erschienenen Buch Der 9. November 1918. Die Tragödie eines großen Volkes publizierte er zwar keinen Bestseller, aber mit seiner Polemik gegen Sozialdemokraten, die im Kriege das Kaiserreich mittels Dolchstoß erledigt hätten, bewegte er sich im deutschnational-nationalsozialistischen Mainstream. Das Jahr 1933 hätte Zarnow Glück bringen können, da sein Buch nun in der Tat für viele als Leitfaden für die vermeintliche Korruption der Weimarer Republik galt. Das Problem war jedoch, dass er mit Gregor Straßer und Paul Schulz auf die sprichwörtlichen falschen Pferde gesetzt hatte und zudem durch sein idiosynkratisches Verhalten seine eigene Position unterminierte.

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Die Rücktritte Straßers und Schulzes von ihren Ämtern im Dezember 1932 waren für Gottfried Zarnow ein herber Rückschlag. In grandioser Selbstüberschätzung hatte er sich offenbar schon Hoffnungen auf einen Posten als künftiger Propagandaminister unter Straßer gemacht.82 Während die Karrieren einer ganzen Reihe seiner früheren rechtsradikalen Weggefährten einen neuen Schwung bekamen und er mit einigem Verdruss feststellen musste, dass es mit der Korruptionsverfolgung des neuen Regimes offenbar nicht so weit her war, sah er sich zunehmend marginalisiert und isoliert. Dabei gewährten ihm die neuen Machthaber durchaus eine politische »Erfolgsprämie«, da der gerade einmal 55-jährige ehemalige Proviantamtssekretär in den Ruhestand versetzt wurde und es immerhin Absichtserklärungen des Reichswirtschaftsministeriums gab, ihn in Zukunft rückwirkend als Regierungsrat einzustufen.83 Das Gefühl der Isolierung wich nach dem »Röhm-Putsch« im Sommer 1934, als Gregor Straßer kaltblütig ermordet und Paul Schulz von Hitler in die Verbannung geschickt wurde, einer selbstzerstörerischen Panik. Nicht nur, dass Zarnow seine Freundschaft mit Paul Schulz förmlich aufkündigte und gegen ihn einen Privatprozess anstrengte, in dem er insgesamt 7000 RM zurückforderte, die im Zusammenhang mit den industriellen Hilfsgeldern des Jahres 1931 standen. Darüber hinaus verleumdete er Schulz in einer Flut von Briefen, die ganz offensichtlich das Ziel hatten, sich von dem in Ungnade gefallenen »Verräter« zu distanzieren und sich wieder ins Gespräch zu bringen. Der Schuss ging nach hinten los. Denn in den an hohe Parteileute und Industrielle gerichteten Briefen erhob er schwere Vorwürfe. Dabei ging es neben der – sensiblen Frage – der Verwendung der industriellen Unterstützungsgelder um nichts weniger als um Korruption in der Berliner NSDAP, insbesondere aber die ziemlich drastisch geschilderte Bereicherung des nationalen Helden Schulz. Zarnow unterschätzte die nach wie vor guten Verbindungen des Exilierten nach Deutschland (und wahrscheinlich den guten Draht von Schulz’ Anwalt Friedrich Grimm zu Hitler und in Parteikreise). Dass das nominelle Parteimitglied wieder auf einen jüdischen Anwalt zurückgriff, war selbstverständlich kein Geheimnis und brachte ihm den Vorwurf ein, ein Jude habe damit Kennt-

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nisse von »politischen Vorgängen« erhalten. Und mehr noch: In glaubhaften Auszügen aus Briefen konnte Schulz hitlerkritische Äußerungen Zarnows nach der Machtergreifung dokumentieren, etwa dass er den Radioapparat anlässlich einer Hitlerrede demonstrativ ausgeschaltet habe – Papen habe dagegen »wieder gut gesprochen« – und dass er nicht nur ganz auf Gregor Straßer gesetzt, sondern auch geäußert habe, dass »die neuen Goetzen bald von ihrem Thron fallen werden«. Damit war der Bogen überspannt. 1935 strengte die Berliner NSDAP gegen Zarnow ein Parteiausschlussverfahren an. Der kurze Prozess fand am 30. Juni 1937, d. h. exakt drei Jahre nach der staatlich sanktionierten Ermordung der SA-Führung, statt, was wohl als Wink mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl zu werten ist. Trotz seines »Verdienstes um die Bewegung«, namentlich der Gefesselten Justiz, wurde er »wegen Handelns gegen die weltanschaulichen Grundgesetze [sic!] der NSDAP« aus der Partei ausgeschlossen. Schon vor diesem Urteil hatte der Reichsinnenminister dafür gesorgt, dass das Zivilverfahren gegen Schulz ausgesetzt wurde. Im Krieg nahm die Geschichte dann nochmals eine neue Wendung, denn zwei gegen Zarnow seit 1940/41 angestrengte Strafverfahren führten 1944 zu seiner »Sicherheitsverwahrung«.84 Lachmann und Zarnow sind zwei Einzelschicksale, die auf den ersten Blick scheinbar nur Randphänomene einer deutschen radikalen Tradition waren, deren extreme antisemitische Variante der Verleger Julius F. Lehmann verkörpert. Und doch wiederholte sich, wenn auch auf eine ganz andere Art und Weise, ihre Geschichte. Denn wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, radikalisierte sich seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929/30 die seit 1925 allgegenwärtige Korruptionskritik und mündete in sehr umfassende Bemühungen der Justiz um Aufklärung und Bestrafung der vermeintlichen Fälle von Korruption. Angetrieben wurde das von der populistischen Herrschaftskritik und Kritik an der demokratischen politischen Moral seitens der Nationalsozialisten, ohne dass es dabei, ähnlich wie im Falle des Verlegers Lehmann, notwendigerweise zu einer Konvergenz der Ziele der verschiedenen Akteure gekommen wäre.

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Kapitel 7 Schließungen: Krise des Kapitalismus, Maßnahmenstaat und Ausgrenzungen 1930– 1939 In der kurzen Geschichte der Weimarer Republik ist 1930 ein entscheidendes Jahr. Kreise um den Reichspräsidenten von Hindenburg arbeiteten auf den zielstrebigen Umbau der politischen Verfassung hin. Dazu gehörte die Hypostasierung von Blockaden des politischen Systems, sei es in der Koalitionspolitik im Kontext der Auseinandersetzungen über die Erhöhung des Arbeitslosenbeitrags zwischen SPD und DVP, sei es infolge einer durch den neuen Sozialstaat überlasteten Wirtschaft. Zugleich ist noch vor dem Einsetzen der dramatischen Bankenkrise des Jahres 1931, mit der die Weltwirtschaftskrise Deutschland voll erfasste, ein Umschwung der öffentlichen Meinung, ja eine wachsende politische Panik zu beobachten. Ein Indikator dafür ist die Reichstagswahl im September 1930, als die Nationalsozialisten einen erdrutschartigen Wahlerfolg erzielten, der die politische Landschaft im Reich wie dann auch in den Ländern nachhaltig veränderte. Der »Schein der Normalität« (Heinrich A. Winkler) zerstob. Ein ausgeprägtes Ausnahmezustandsdenken machte sich breit. Die Zeit des »Du darfst« in Bertolt Brechts und Kurt Weills Mahagonny war vorbei. An ihre Stelle trat das »Du musst«, was mit der Evozierung von Entscheidungen einherging: für oder gegen die demokratische Republik, das (internationale) politische liberale System, den Kapitalismus, den Staat, das Volk und die Nation.1 In fast allen Bereichen des öffentlichen und politischen Lebens sind Schließungen zu beobachten, und zwar in Form von Abund Ausschließungen, von Grenzen wie von Personen.

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Die durch amerikanische Kredite angetriebene kurze Prosperitätsphase der Nachinflationszeit war zu Ende. Eine Serie von Zusammenbrüchen von Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen setzte ein, von denen dann auch wieder die Geschäfte von Julius und Henry Barmat betroffen waren, nun jedoch in Belgien. Denn nach ihrer vorzeitigen Haftentlassung hatten sie Deutschland den Rücken gekehrt und sich dort niedergelassen. Aber als Abwesende waren sie in Deutschland durchaus präsent: Ihr Name stand als abschreckende Metonymie für ein ganzes Syndrom wirtschaftlicher Fehlentwicklungen: für Exzesse in Phasen wirtschaftlicher Unsicherheit, für unreelle Geschäftemacherei, »Luftgeschäfte«, Spekulation und Korruption, für jene nur schwer fassbaren »animal spirits« (John Maynard Keynes) des Kapitalismus, die seit dem Börsencrash im Oktober 1929 zur Debatte standen. Mit dem neuen Fall der Gebrüder Sklarek, der im September des gleichen Jahres publik wurde, schienen sich die früheren Fälle Sklarz, Barmat, Kutisker und Michael für viele in bedrückender Weise zu wiederholen. Es ging um Kredite der Berliner Stadtbank, also einer öffentlichen Kreditanstalt, Monopolverträge für die Lieferung von Textilien an die Stadt Berlin, nicht zuletzt um die Frage, ob in diesem Zusammenhang nachweisbar Geld geflossen war. Mit ihren stadtbekannten Festen und Einladungen zu Pferderennen verkörperten die Sklareks, ähnlich wie eine Reihe anderer Personen der folgenden Ausführungen, die zu Ende gehende Periode der ausschweifenden 1920er Jahre mit ihrem amerikanischen Prosperitätsversprechen. Die Rede war nun von der »Sklarek-Sozialdemokratie«.2 In diesem Kapitel geht es um die spezifische Präsenz der abwesenden Barmats sowie um die 1930/31 einsetzenden Bemühungen um ihren Ausschluss. Revision und Neuordnung waren die neuen schillernden Schlagworte, und das nicht nur in Deutschland.3 Offen war, wer welche Ordnung aufkündigen wollte und konnte und in welche Zukunft es gehen würde. Es war ein Weg voller Kontingenz, zumal wenn man die Ereignisse über das Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme hinaus in den Blick nimmt. Auch das wird im Folgenden Thema. Dabei stehen zunächst zwei eigenständige Stränge von zeitgenössischen Revisionsbemühungen im

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Vordergrund. Der erste nimmt Aspekte der ordnungspolitischen Neujustierung des wirtschaftlichen Systems in den Blick. Im Zentrums stehen Einschätzungen von allgemeinen wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Fehlentwicklungen seit dem Krieg, vor allem jene, die eine falsche wirtschaftliche und politische Stabilisierungspolitik, mithin Formen eines fehlgeleiteten politischen Kapitalismus nach der Hyperinflation ausmachten. Der »unproduktive« Barmat-Konzern war erledigt, nicht aber die ihm zugrunde liegenden, tieferen und allgemeineren Ursachen sowie seine vielen Brüder im Geiste wie in der Praxis, so jedenfalls lautete die vielfach geäußerte damalige Einschätzung. Der zweite Strang verfolgt das weitreichende Revisionsargument der radikalen antisemitischen Rechten, die sich seit jeher den Ausschluss der Juden, zumal der »Finanzjuden«, aus der Gesellschaft und damit eine radikale Generalrevision des Liberalismus des 19. Jahrhunderts auf die Fahne geschrieben hatte. Von diesem antisemitischen politischen und ökonomischen Radikalismus führt kein direkter Weg zur Politik des wirtschaftlichen Ausnahmezustands der Präsidialkabinette, und in der NS-Zeit sahen sich viele lautstarke Wortführer marginalisiert. Aber bekanntlich sagt das wenig über den spezifischen Radikalismus des an die Macht gelangten Nationalsozialismus aus. Deshalb werden im Folgenden auch Konstellationen der Verschränkung von politischen und sozialen Denkmustern und Ideologien mit bürokratischen und ordnungspolitischen Revisionsmaßnahmen in den Blick genommen. Den roten Faden bildet die Geschichte des Unternehmers und Finanziers Jakob Michael, gegen den die Staatsanwaltschaft 1925 ebenfalls ermittelt hatte und der nun seit Ende 1931 prominent in das Visier der Finanzbehörden rückte. Sein kafkaeskes Enteignungs- und Ausbürgerungsverfahren zog sich bis Ende der 1930er Jahre hin.

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Völkische Dialektik: »Enteignet die Fürsten. Barmat braucht Geld!« So skurril, absurd und politisch marginal wie fast alle Aspekte des im letzten Kapitel behandelten Aufklärungsradikalismus waren auch die Forderungen radikaler völkischer Antisemiten, darunter die der NSDAP, die sich früh programmatisch nicht nur auf den Ausschluss von Juden aus der Gesellschaft, sondern auch auf wirtschaftliche Sanktionen und die Expropriation von Juden festlegte.

Kampf gegen welchen Kapitalismus? 1925 stellten die Völkischen im preußischen Landtag die Anfrage (für eine weiterreichende Interpellation war die Fraktion nicht stark genug), was die Regierung zur »Beschlagnahmung der Riesenvermögen« der »in den Barmat-Kutisker-Michael-Skandal verwickelten Vampire der Wirtschaft« unternehme.4 »Kriegs- und Schiebergewinne sind vom Deutschen Reich zu Aufwertungszwecken zu erfassen. Ausländer – Ostjuden usw., die des Wuchers und der Schiebergewinne überführt werden, sind nach Einziehung des ergaunerten Vermögens des Landes zu verweisen«, hieß es in einer Protestresolution der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung Halberstadt.5 Ganz in diesem Sinne legten die Reichstagsabgeordneten und eingefleischten Antisemiten Albrecht von Graefe und Wilhelm Frick am 28. April 1926 im Namen der Deutschvölkischen Freiheitspartei und der Nationalsozialisten den »Entwurf eines Gesetzes über Enteignung des Vermögens der Bank- und Börsenfürsten und anderer Volksparasiten« vor. Die Gruppe der »Volksparasiten« – in der mündlichen Begründung im Reichstag sprach Frick von »Volksschädlingen« – war breit gefasst. Es war die Rede von den »Bankund Börsenfürsten« und den seit dem 1. August 1914 zugezogenen »Ostjuden«, »sonstigen Fremdstämmigen« samt Familien und Familienangehörigen; außerdem sollten die durch »Kriegs-, Revolutions-, Inflations- oder Deflationsgewinne« erworbenen Vermögenszuwächse ohne Entschädigung enteignet werden. Das enteignete Vermögen, wie etwa »die Schlösser, Wohnhäuser und sonstigen Gebäude«, sollten allgemeinen »Wohlfahrts-, Kultur- und Erziehungs-

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zwecken«, namentlich aber den Erwerbslosen, den Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, den Sozial- und Kleinrentnern, den »bedürftigen Opfern der Inflation« sowie den Landarbeitern, Kleinpächtern und Kleinbauern »durch Schaffung von Siedlungsland auf enteignetem Landbesitz« zugutekommen.6 Kein einziger Punkt dieses Gesetzesentwurfs war wirklich neu. Alle Forderungen entstammten dem ideologischen Repertoire des in Programmen, Resolutionen und in der Praxis tradierten Antisemitismus, das sich seit dem Kaiserreich kumulativ angesammelt und seit der Revolution und der Inflation radikalisiert hatte. Dazu gehörte auch das Anfang 1920 ausformulierte 25-Punkte-Programm der NSDAP, das neben einem Katalog von mittelständischen Forderungen die Entziehung der Staatsbürgerschaft für deutsche Juden und ihre Unterstellung unter eine »Fremdengesetzgebung« (Punkte 4 und 5) ebenso wie die »Einziehung der Kriegsgewinne« (Punkt 10), die »Brechung der Zinsknechtschaft (Punkt 11) sowie die »Todesstrafe für Volksverbrecher, Wucherer, Schieber usw.« (Punkt 18) vorsah. Parolen wie »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« (Punkt 25) und die Ablehnung des »römischen Rechts«, das durch ein »deutsches Gemeinrecht« zu ersetzen sei (Punkt 19), verweisen auf vage, gegen den formalen Rechtspositivismus der Gesetze gerichtete Volksrechtsvorstellungen.7 Der Zeitpunkt der Vorlage des Enteignungsgesetzes ist kein Zufall. Im Januar 1926 hatte die Deutsche Liga der Menschenrechte zusammen mit der KPD ein Volksbegehren zur entschädigungslosen Enteignung der deutschen Fürstenhäuser eingebracht. Es war ein Plädoyer für eine nachholende Revolution, auf legalem Wege. Dem schlossen sich die Gewerkschaften und die SPD an. Die Listeneintragung im März zeigte, dass diese Initiative auf eine bemerkenswert breite öffentliche Resonanz stieß. Bei der Endabstimmung im Juni verfehlten die Initiatoren zwar ihr Ziel, aber mit etwa 14,5 Mio. Stimmen konnten sie ein respektables Ergebnis vorweisen.8 Ähnliche Forderungen wie die Linke hatten schon zuvor die verschiedenen Interessengruppen der Inflationsgeschädigten im Zusammenhang mit der sogenannten Aufwertung von Vermögenstei-

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len, die durch die Inflation vernichtet worden waren, erhoben. Hoffnungen richteten sich auf die DNVP, die zuvor den bürgerlichen Protest gegen die Währungsstabilisierung und ihre finanziellen Folgen zu organisieren versucht hatte, dann aber, einmal in der Regierung, weder etwas von einer weitreichenden Aufwertung und schon gar nichts von Fürstenenteignung wissen wollte.9 In den Reihen der Nationalsozialisten gab es Stimmen, die sich explizit für die Fürstenenteignung aussprachen. Dazu zählten die »Berliner«, allen voran Gregor und sein Bruder Otto Straßer, Joseph Goebbels sowie andere Mitglieder der »Arbeitsgemeinschaft der nord- und westdeutschen Gaue der NSDAP«. Sie versuchten, die Partei neu zu positionieren und sich programmatisch der politischen Linken anzunähern. Dazu gehörte die Forderung nach einer »Vergesellschaftung der Produktionsmittel« oder eben das Thema Fürstenenteignung. Die Vorstöße der Arbeitsgemeinschaft in Bezug auf Programmfragen und die geplante Koalition mit den Befürwortern der Fürstenenteignung riefen die alarmierte Münchener Parteiführung und Adolf Hitler auf den Plan. Auf einer für Mitte Februar eiligst einberufenen Führertagung in Bamberg stellte Hitler klar, dass beides für die Partei indiskutabel war. Das Thema Fürstenenteignung stand für ihn nicht zur Debatte. »Recht muss Recht bleiben. Auch den Fürsten. Frage des Privateigentums nicht erschüttern! Grauenvoll! Programm genügt! Zufrieden damit«, vermerkte der auch wegen des Einknickens seiner Mitstreiter völlig entgeisterte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch.10 Mit dieser Entscheidung Hitlers wurde das Anfang 1920 ausformulierte 25-Punkte-Programm der Partei bestätigt. Der von Frick und von Graefe eingebrachte Entwurf eines Enteignungsgesetzes kann somit als ein »taktisches Manöver« verstanden werden.11 Denn er ermöglichte es den Initiatoren – zumindest nach außen –, Einigkeit zur Schau zu stellen. Die Tatsache, dass auch der Reichstagsabgeordnete Gregor Straßer den im Reichstag eingebrachten Antrag mit unterzeichnete, war ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass sich Hitler mit seiner Position durchgesetzt hatte. Die geplante Fürstenenteignung, so war nun regelmäßig zu hören und zu lesen, komme nicht den Bedürftigen, sondern allein »den Juden« und den

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Abb. 13 Plakatwagen anlässlich der Volksabstimmung über die Fürstenenteignung Edmund Schulz (Hg.), Das Gesicht der Demokratie, Leipzig 1931, S. 96

Begünstigten der »Erfüllungspolitik« zugute; es sei, so der Abgeordnete Wilhelm Kube, ein Gesetz von »Juden für Juden«.12 Diese Marschrichtung hatte Hitler schon in Bamberg festgelegt, wo er die Parole ausgegeben hatte, dass es um den »Bolschewismus« gehe, und zwar nach der bekannten Formel »Bolschewismus ist jüdische Mache«; man wolle »nicht einem jüdischen Ausbeutungssystem einen Rechtsvorwand [geben], unser Volk bis aufs letzte auszuplündern«. In der Auseinandersetzung mit Forderungen der Linken agitierte die völkische Rechte 1926 mit nachgerade dialektisch anmutenden Slogans wie »Keinen Pfennig den Fürsten. Dafür 180 Milliarden der internationalen Hochfinanz«, »Enteignet die Fürsten, der Jude braucht Geld« oder noch personalisierter: »Enteignet die Fürsten. Barmat braucht Geld!«13

Volksrecht, Notrecht, Ausnahmerecht Der von Albrecht von Graefe und Wilhelm Frick eingebrachte Enteignungsentwurf ist aus verschiedenen Gründen interessant. Auffallend ist erstens die enge sprachliche Anlehnung des völkischen Entwurfs an den der Linksparteien.14 An die Stelle des »Fürsten« trat der »Jude«, an die Stelle der »Volksausplünderung durch die Fürsten« die »Volksausplünderung durch die Juden«, die »wie ein

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Heuschreckenschwarm das deutsche Land auspowern«.15 Ähnlich wie die Befürworter der Fürstenenteignung appellierte die radikale Rechte »an das Schicksal der Inflationsgeschädigten« sowie an das »Volkswohl« und das »gesunde Rechtsempfinden«. Überschneidungen und Differenzen werden an den rhetorischen Fingerhakeleien der Nationalsozialisten mit den Kommunisten im Reichstag deutlich. Wenn der kommunistische Abgeordnete und Historiker Arthur Rosenberg (der wenig später als »Ultralinker« aus der Partei verbannt wurde) sagte, dass ihm »die Tendenz des Gesetzes [zur Fürstenenteignung – MHG] außerordentlich sympathisch« sei, zumal wenn man »Parasiten am Volksleben« enteigne, also »Leute, die ohne Arbeit Renten, Zinsen und Profite« erzielten, so meinte er damit: »Was wären die Rothschilds geworden ohne die hessische Dynastie?« Wenn die Völkischen für die Vorlage der Linksparteien stimmten, dann sei er damit einverstanden, dass »ihre Vorlage als Zusatz in die Welt hinausgeht«. Prompt kam die Erwiderung. Wäre Rosenberg deutscher Abkunft, »wären Sie bei uns, ganz bestimmt. Denn wir begegnen uns in diesem Kampf durchaus«, so Wilhelm Kube, der frühere Generalsekretär der DNVP, der 1924 der Deutschvölkischen Freiheitspartei beigetreten war (und 1928 zur NSDAP überwechseln sollte). Kubes lapidarer Zusatz, bei den Bankiers Warburg, Bleichröder und Mendelssohn »springt mehr heraus als auf der anderen Seite« – er spielte dabei auf vermeintliche finanzielle Zuwendungen an Linke an –, zeigte zugleich, wie tief die Identifizierung von »Marxismus« und »jüdischem Finanzkapital« in den Reihen der völkischen Rechten wurzelte.16 Diese semantischen Annäherungsversuche appellierten zweitens an einen diffusen Protest der Nachinflationszeit, der sich politisch nur schwer eingrenzen lässt. Das Argument, dass das Recht nicht mehr länger in den bestehenden Gesetzen aufgehoben sei, in anderen Worten Rechtsempfinden und Rechtswirklichkeit auseinanderdrifteten, war weit verbreitet, insbesondere bei den Inflationsgeschädigten. Das Festhalten an den rechtlichen Bestimmungen des bürgerlichen Privatrechts, namentlich, dass »[Gold-]Mark = [Papier-]Mark« war, habe fundamentales Unrecht erzeugt, das auch durch die Aufwertungsgesetzgebung (womit durch die Inflation

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entwertete geldliche Forderungen in komplizierten Schlüsseln teilweise aufgewertet und als Entschädigung erstattet wurden) nicht gemildert worden sei. Entscheidend dabei ist, dass sich in dieser Sache nicht nur eine kleine Gruppe von Alten und Ewiggestrigen engagierte. Nachklänge lassen sich in weiten Bereichen der Weimarer Gesellschaft finden, nicht zuletzt in der Justiz, die sich in dieser Frage hervorgetan hatte. Richter des Reichsgerichts hatten sich unter Berufung auch auf das Rechtsprinzip »Treu und Glauben« am Ende der Hyperinflation gegen das Prinzip »Mark = Mark« ausgesprochen und sich damit kurzzeitig an die Spitze des »Kampfs des Rechts gegen die Gesetze« gestellt; damit bestritten sie die Auslegung der bestehenden Gesetze des Privatrechts und die Aufwertungsgesetzgebung des Reichstags. Zwar hatte sich diese Position nicht durchsetzen können, aber der Grundtenor, dass Recht, Gesetze und Rechtsgefühl auseinanderdrifteten und dass, wie die Abbildung 14 (S. 309) des Simplicissimus aus der Zeit des Skandals suggeriert, der Reichtum einer kleinen Zahl von Kriegs- und Inflationsgewinnern auf Kosten einer verarmten, »todgeweihten (Morituri)« Bevölkerung basierte, durchzog viele politische und sozialmoralische Debatten.17 Wer vom »Volksrecht« sprach, kritisierte die Ungerechtigkeit der Gesetze und postulierte den Widerstand gegen erlittenes »Unrecht«. Auch in diesem Fall erinnert vieles an Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas und implizierte Forderungen nach Selbsthilfe und einem Notrecht. Drittens ist diese Frage eines Not- und Ausnahmerechts von nicht unerheblicher Bedeutung. Die Verfechter des Volksentscheids betonten zwar nachdrücklich die Verfassungsmäßigkeit, verwiesen aber zugleich auf das »Volkswohl« und die durch Arbeitslosigkeit sowie durch Krieg und Inflation hervorgerufene »wirtschaftliche Not«. Kurt Rosenfeld, der Sprecher der Sozialdemokraten, verwies auf das Reichsgericht, das im Kontext der Aufwertungsregelung im Rahmen der dritten Steuernotverordnung argumentiert hatte, dass diese Bestimmungen zur Wiederherstellung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Innern und in der Steuerwirtschaft geboten waren.18 Die Nationalsozialisten und Völkischen gerierten sich als Män-

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ner von Recht, Ordnung und Legalität. Während es ihnen um den Schutz des »rechtmäßig erworbenen Eigentums« gehe, sei Enteignung »ein revolutionärer Gewaltakt in scheinbar verfassungsmäßigen Formen«, so der Abgeordnete Frick, der wenige Jahre später als Reichsinnenminister genau solche Gewaltakte legitimieren sollte.19 Besonders bemerkenswert ist das in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, die Linke wolle ein »Ausnahmegesetz« schaffen: Mit »sowjetrussischen Manieren« wollten sie nun selbst »einen Teil unserer Volksgenossen außerhalb des Rechts stellen«. Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl: »Überlegen wir uns doch«, so der Abgeordnete Kube, »dieser Pfeil kann auch einmal nach einer anderen Richtung hin geschnellt werden und das könnte für gewisse Rassenund Propagandafonds« – mit Letzterem waren die der jüdischen und kommunistischen »Flammenträger von Moskau« gemeint – »peinliche Folgen« haben.20 Die inhärente Logik dieser Argumentation ist unverkennbar: Der völkische Gesetzentwurf ging just von dem den Gegnern unterstellten Gedanken eines »Ausnahmegesetzes« aus, aber mit dem entscheidenden Unterschied, dass sich dieses Gesetz eben nicht gegen die deutschen Fürsten, sondern gegen die »Volksparasiten« und »Volksschädlinge« richten sollte. Dabei wurde auf ein Existenzrecht der Deutschen und die wirtschaftliche Not verwiesen. Der dem Hugenberg-Flügel der DNVP angehörende, bekannte Kolumnist Adolf Stein (alias »Rumpelstilzchen«) meinte, dass der Volksentscheid nur »das verzweifelte Mittel [sei], durch Ablenkung des Volkes den bisherigen fürchterlichen Skandal« der »roten Schieber« wie Kutisker, Barmat und anderer zu vertuschen. Natürlich sei bei den Linken nirgendwo die Rede davon, dass »das mobile Kapital unserer Schieber enteignet werde. Aber auch das kommt noch. Es ist eine bekannte historische Erscheinung, dass trotz aller von diesen Leuten [den Schiebern – MHG] gezahlten Tribute die Revolution schließlich in einen handfesten Pogrom ausartet. Auch der Kurfürstendamm ist nicht unverletzlich, das sollten unsere demokratischen Bankiers nicht vergessen.«21 Viertens lautete die Frage, wer diese »Börsenfürsten« eigentlich waren? Tatsächlich machten sich darüber viele lustig. Die Vertreter

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Abb. 14 Der »Großschieber« und die »Todgeweihten« infolge der Inflation Simplicissimus 45.1925, S. 644

der Linken sprachen von einem »schlechte[n] völkische[n] Scherz, mit dem kein Staat zu machen« sei. Solche Formen des wirtschaftlichen Antisemitismus waren für sie seit jeher der »Sozialismus des dummen Kerls«.22 Auf Distanz gingen aber auch die Konservativen – jedenfalls in ihren offiziellen Erklärungen, denn an der Basis mochte das schon ganz anders aussehen. Mit Blick nicht nur auf das »Eindringen und [die] Begünstigung der Ostjuden«, sondern auch auf die »schwere Ungerechtigkeit« im Zusammenhang mit den

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»Kriegs-, Nachkriegs- und Inflationsschieber[n]« betonte ihr Parteiführer Graf von Westarp zwar, dass der Antrag den »Finger auf einen wunden Punkt legte«; er und andere Deutschnationale verwiesen aber auf die Unverletzlichkeit des Eigentums und die Unklarheit, wer überhaupt mit »Bank und Börsenfürsten« gemeint sei.23 Das sei nicht entscheidend, konterte Frick: »Wir wissen genau, wer darunter zu verstehen ist«; außerdem könne man das über Ausführungsbestimmungen leicht klären. Überhaupt sehe man in dem Gesetzentwurf »ja auch lediglich den Anfang einer Gesetzgebung, von der wir uns gerade für die arbeitende und gewerbetreibende Masse des deutschen Volkes noch außerordentlich viel versprechen«.24 Die Fürstenenteignungskampagne der Antisemiten und Völkischen war eine Episode. Aber ihre Bedeutung erschließt sich nicht primär durch die Niederlage der »Berliner« (wie oft zu lesen ist), sondern durch die Formulierung dezidierter Positionen zur Enteignung, die 1926 in Kampagnen deutlich artikuliert und auch programmatisch formuliert wurden.25 Die Nationalsozialisten ließen bei diesem Thema auch in der Folgezeit nicht locker: Es blieb auf der Tagesordnung, mit neuen Anträgen, die auf den früheren Gesetzesentwurf »Enteignung der Bank- und Börsenfürsten« verwiesen. Auf die Frage, was die Nationalsozialisten anders machen würden, verwies Gottfried Feder, der Vater des Slogans »Brechung der Zinsknechtschaft« und vielfach unterschätzter ideologischer Vordenker der Nationalsozialisten, im Juli 1930 auf einen früheren Antrag zur Besteuerung der Bank- und Börsengewinne sowie auf den Antrag von 1926 und antwortete, »missliebige[n] Elementen, die seit 1914 nach Deutschland kamen, den Raub abzunehmen«. Die Enteignung der Bank- und Börsenfürsten hätten die Abgeordneten »ja mit Hohn und Spott zurückgewiesen. Das Land soll wissen, daß, wenn das Hakenkreuzbanner hier steht, positive Vorschläge gemacht und auch gleichzeitig durchgegriffen wird [sic!].« Man werde mit den Nationalsozialisten dann auch nicht mehr so wie bisher umspringen, wenn hier 100 Nationalsozialisten säßen, prophezeite Feder im Juli 1930 – wie das Protokoll vermerkte unter Lachen und Zurufen von links. Ähnlich argumentierte der Abgeordnete Wilhelm Frick: Im kommenden Dritten Reich werde man Männer wie Ernst Heil-

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mann (SPD) wegen Volksverrat und Korruption anklagen und »in völlig legaler Weise aufhängen lassen«.26 Seit 1930 kann man erkennen, dass die Nationalsozialisten alles nur Mögliche taten, um sich des Vorwurfs des kruden Antikapitalismus zu entledigen, ohne dabei Zweifel aufkommen zu lassen, dass der »Einfluss der Juden« gebrochen werden müsse.27 Aus der historischen Makroperspektive lassen sich Linien identifizieren, die von der rüden Argumentation zur brachialen Enteignungspolitik der 1930er Jahre führen. Tatsächlich aber waren die Wege verschlungen, geprägt von Kontingenz, die nun selbst ihre eigene Logik aufweist. Wenn es ein direkt verbindendes Element gibt, dann das des wirtschaftlichen Not- und Ausnahmerechts.

Weltwirtschaftskrise: Misere des Kapitalismus und des Staates Das Jahr 1931 stand in Deutschland unter dem Zeichen einer doppelten Krise, nämlich der des Kapitalismus und der des Staates, zwei Krisen, die sich gegenseitig verstärkten. Die wissenschaftliche Literatur hat viel zu sagen über Arbeitslosigkeit und Arbeitsbeschaffungsprogramme und über die tiefer liegenden, strukturellen Probleme einer – infolge »zu hoher Löhne« und eines zu aufwendigen Sozialstaats – »kranken Wirtschaft« (Knut Borchardt), die infolge der Weltwirtschaftskrise offen zutage traten.28 Stützen kann man sich dabei auf zeitgenössische Diagnosen, über die von Historikern in immer neuen Formen debattiert wurde und bis heute wird.29 Interessanterweise gilt das nicht im gleichen Maße für andere Krisendiagnosen, in deren Mittelpunkt eine »Krise des Kapitalismus«, speziell eines »politischen Kapitalismus« stand, den der 1921 verstorbene Max Weber identifiziert hatte, auch im Hinblick auf den Beuteerwerb politischer Verbände sowie Erwerbsformen »durch rein spekulative Transaktionen« nicht nur durch Einzelpersonen, sondern ganze Erwerbsbereiche, darunter der Bankensektor.30 In einer Variante tauchte diese Diagnose in der hier in den Blick genommenen Zeit in der Kritik des Rechtswissenschaftlers Carl

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Schmitt an den Verbänden auf, die seiner Meinung nach »auf dem Wege [waren] über die von ihnen beherrschten politischen Parteien sich der staatlichen Machtmittel« zu bemächtigen und »ihre Interessen im Namen der staatlichen Macht« wahrzunehmen.31 Wie viele andere setzte er auf die ordnungsstiftende Macht des Staates, so wenn er etwa meinte, am 20. Juli 1932 (dem sogenannten »Preußenschlag«, als das Reich die kommissarische Führung über Preußen übernahm) habe der »preußisch-deutsche Militär- und Beamtenstaat trotz der 14-jährigen Verwüstungen des Weimarer Systems noch einmal seine Kraft gezeigt und der Berliner Korruption eines liberal-demokratischen Parteienstaats ein Ende gemacht«.32 Krise – das war die Chance, die Grenzen der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ordnung neu zu ziehen, ein Prozess, der, einmal begonnen, seine eigene Dynamik entwickelte.

Bürokratische Grenzziehungen: Die Reichsfluchtsteuer 1931 Die Nationalsozialisten hatten nichts mit der Steuerforderung in Höhe von 6 Mio. RM zu tun, die der uns aus den staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen des Jahres 1926 bekannte Unternehmer und Finanzier Jakob Michael und seine Frau Erna im Sommer 1932 vom Berliner Finanzamt zugestellt bekamen.33 Grundlage für diese Forderung war ein in letzter Minute eingefügter Abschnitt der Vierten Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931. Deutsche Staatsbürger, hieß es da, die ihren inländischen Wohnsitz aufgaben, mussten eine einmalige Abgabe in Höhe von 25 Prozent des zu versteuernden Vermögens leisten. Nicht nur die Höhe der Vermögensabgabe, sondern auch die Sanktionen waren drastisch. Säumige Zahler konnten in einem »Steuersteckbrief« wie gewöhnliche Kriminelle öffentlich ausgeschrieben werden und mussten zudem mit einem 5-prozentigen Zuschlag für jeden angefangenen halben Monat rechnen. Rechnerisch hieß das, dass binnen kurzer Zeit das gesamte Vermögen eingezogen werden konnte.34 Die ursprünglich zeitlich begrenzte, dann aber mehrmals verlängerte und verschärfte Reichsfluchtsteuer, eine der vielen

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wirtschaftlichen Maßnahmen der Brüning-Regierung, spielte auch im Fall der Michaels eine wichtige Rolle. Das Vermögen der Michaels, die einen Wohnsitz in den Niederlanden gewählt hatten, wurde für das Jahr 1930 auf 32 Mio. RM veranschlagt. Die Tatsache, dass 1931/32 und 1932/33 insgesamt 1,9 bzw. eine Million RM aus der Reichsfluchtsteuer anfielen,35 macht deutlich, dass die Michaels nicht zu den sprichwörtlichen »kleinen«, sondern zu den wenigen ganz »großen Fischen« zählten, ja man kann fast den Eindruck gewinnen, dass der Passus der Notverordnung 1931 ganz gezielt auf sie gemünzt war.36 Das Ehepaar erhob gegen den Steuerbescheid Einspruch und verwies darauf, trotz der Übersiedlung in die Niederlande nach wie vor in Berlin und Frankfurt polizeilich gemeldet zu sein und damit einen deutschen Wohnsitz zu haben. Auch der angerufene Reichsfinanzhof vertrat diese Position in einer wichtigen Entscheidung vom Juli 1933. Das war nicht das letzte Gerichtsurteil in einem auch behördeninternen Meinungsstreit, der sich bis in die zweite Hälfte der 1930er Jahre in fast kafkaesker Manier hinzog und in die Enteignung und die Ausbürgerung des Ehepaars Michael mündete. Doch der Fiskus war nicht die einzige Behörde, die ein Auge auf die Michaels geworfen hatte. Auch die Zollbehörden interessierten sich für die Frage, ob sie Vermögenswerte ihres Konzerns ins benachbarte Steuer- und Unternehmensparadies Niederlande zu transferieren versuchten. 1931 waren im Zuge der katastrophalen Bankenkrise neben Steuererhöhungen auch die Vorschriften gegen Steuerflucht neu gefasst worden. Nach Anzeigen und Ermittlungen in anderen Fällen im ersten Halbjahr 1932 nahm sich die Frankfurter Zollfahndungsstelle der Sache Michael an und stellte dann Forderungen in Millionenhöhe. Die Eintreibung dieser Summe zog sich ebenfalls hin, zum einen, weil sich die staatlichen Organe gegenseitig blockierten, und zum anderen, weil beim Eintreiben der Schulden durch die staatlichen Behörden zugunsten des Fiskus die Privatgläubiger des Michael-Konzerns leer auszugehen oder zumindest geschädigt zu werden drohten.37 Wie erklärt sich diese Entwicklung? Ein Grund dafür war die akute finanzpolitische Situation des Reiches. Der Kampf gegen »Ka-

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pitalschieber« war schon während der Inflationszeit populär und Anlass für eine große Zahl von Verordnungen und Gesetzen, die Privatleute wie Firmen vielfach umgingen. Seither wurde das Thema nicht nur von der radikalen Linken und Rechten traktiert, sondern stieß bei allen Parteien und in der Öffentlichkeit auf Resonanz.38 So populär Forderungen nach Verschärfung des Grenzregimes und der Gesetze waren, ihre Durchsetzung war schwierig; darüber hinaus wurde das Problem infolge der großen Bankenkrise im Sommer 1931 dringlicher.39 Auch mit Blick auf die Kapitalflucht wurde der freie Kapitalverkehr eingeschränkt. Zur Frage des wirtschaftlichen Notstands sprachen sich die Regierung Brüning ebenso wie der Reichsbankpräsident Hans Luther für harte, punitive Maßnahmen aus. Diese Verschärfung der Rhetorik wird auch in der Begründung der Reichsfluchtsteuer deutlich, in der das Reichsfinanzministerium auf die mittelalterliche Rechtsfigur des »Abschosses«, d. h. eines Abzugs- oder Freikaufgeldes, zurückgriff und Überlegungen anstellte, notfalls auch die Staatsangehörigkeit zu entziehen: Reichsbankpräsident Hans Luther sprach von »Vaterlandsflüchtlingen« und »Fahnenflüchtlinge[n]«. Wer von ihnen Eigentum erwerbe, solle behandelt werden, als erwerbe er gestohlenes Gut. Mit Blick auf »die wohlhabenden Deutschen, die sich im Ausland ansiedelten, nicht um dauerhaft das Land zu verlassen, sondern wegen der hohen steuerlichen Belastung«, war die Rede vom »Verrat an der deutschen Volksgemeinschaft«.40 Solche drastischen Äußerungen im Umfeld der Regierung Brüning offenbaren das sich ausbreitende Notstandsdenken. »Schiebungen« von »Spekulanten« verletzten die staatliche hoheitliche Territorialität. Ins Visier gerieten dabei viele Firmen, die über ihre Dependancen im Ausland, insbesondere in den Niederlanden, Geld ins Nachbarland mittels zweifelhafter betriebswirtschaftlicher Buchungsakrobatiken »verschoben« hatten. Dieser Verdacht richtete sich auch gegen »unüberschaubare« Firmenkomplexe wie den Michael-Konzern, der seit 1925 im Visier der Behörden war. Die Reichsfluchtsteuer war nur eine, zudem zunächst eher marginale und – zumindest in der Begründung – nicht vordergründig antisemitisch motivierte Bestimmung im Rahmen der zahlreichen

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Notverordnungen. Und doch illustriert der Fall der Michaels paradigmatisch die eingeschlagene abschüssige Bahn, mit neuen Wendungen nach 1933, als die Reichsfluchtsteuer (wie im Übrigen die Ahndung von Vergehen gegen Devisenbestimmungen) ein Mittel der stillen bürokratischen Enteignung von Juden und anderen Flüchtlingen wurde. Bis 1934 war man sich im Reichsfinanzministerium einig, dass der Begriff »Reichsfluchtsteuer« die Sache nicht traf, dass man vielmehr (auch mit Blick auf die Michaels, die wie viele Flüchtlinge angaben, nach wie vor einen Wohnsitz in Deutschland zu haben) von einer »Auswanderungssteuer« sprechen müsse: »Wer sich veranlasst sieht, abzuwandern, soll nicht daran gehindert werden. Er muss aber, zum Ausgleich für die dem Reiche entgehende Steuerkraft sowie dafür, dass er sein Vermögen unter dem Schutze des Deutschen Reiches erwerben oder sichern konnte, zu einer letzten großen Abgabe herangezogen werden.«41 Dahinter kann man eine ordentliche Portion bürokratischen Euphemismus erkennen. Zugleich zeigen solche Gedankengänge, dass nicht verquaste »Börsenfürsten«-Rhetorik, sondern eine vermeintlich nüchterne Sachlogik des staatlichen Apparats die Ausplünderung der Flüchtlinge vorbereitete.

Der »Sturz der Industriekönige«42 Die Reichsfluchtsteuer war nur ein kleiner Mosaikstein im Regime neuer Verordnungen. Sie fügte sich ein in ressentimentgeladene Debatten über die Auswüchse eines, wie es vielen schien, ruinösen, selbstzerstörerischen, »spekulativen« und »korrumpierenden« Kapitalismus, Debatten, die in der Folge zu anderen konkreten »Maßnahmen« führten. Dabei handelte es sich um Topoi und Phänomene, die mit den Namen Barmat und Michael sowie anderen mehr oder weniger bekannten Konzerngründern und Bankern in Verbindung gebracht wurden. Die Maßnahmen zielten von der staatlichen Einhegung des Kapitalismus, mit der in den frühen 1930er Jahren eine »ordoliberale Tradition« begründet wurde,43 bis hin zum Ausschluss und zur radikalen Eliminierung des »spekulativen Kapitalismus«, was wiederum mehr als nur eine abstrakte diskursive Ope-

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ration war, sondern sich auf konkrete Personen und Institutionen bezog. Dabei verliefen die politischen Fronten und Diagnosen vielfach weniger eindeutig, als das auf den ersten Blick erscheinen mag. Was bedeutete es, wenn von dem »Phänomen Barmat« gesprochen wurde? Zunächst einmal, dass die Ereignisse offenbar nicht der Vergangenheit angehörten und es sich um kein abgeschlossenes Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte handelte, wie es das Berliner Gericht 1928 formuliert hatte. Deutlich wird das in den Ausführungen des Wirtschaftsjournalisten Erich Abraham in seinem Anfang 1933 erschienenen Buch mit dem Titel Konzernkrach: Alles deute darauf, dass der »Gesundungsprozess innerhalb der deutschen Wirtschaft noch nicht beendet ist«. In der Nachkriegszeit, speziell aber nach der Stabilisierung der Währung 1923/24, hätten nicht nur Personen wie Hugo Stinnes, Julius Barmat und Jakob Michael, sondern eben auch »die Kaufleute alter Tradition, als die man die Leiter von Nordwolle [Norddeutsche Woll- & Kammgarnspinnerei – MHG], Karstadt, Favag [Frankfurter Allgemeine Versicherungs-AG – MHG], Burbach [Burbacher Hütte – MHG] und Linoleum [Deutsche Linoleum Werke – MHG] ansehen darf, […] den richtigen Maßstab für Zahlen nicht wahrgenommen. Das Fehlen eines richtigen Augenmaßes für die Größenverhältnisse in einer stabilen Währung hat nicht immer zum Untergang des Unternehmens geführt. Aber es brachte die meisten Konzerne in sehr gefährliche Situationen, denn es endete immer mit dem finanziellen Zusammenbruch und dem endgültigen Untergang der ebenso machthungrigen wie kurzsichtigen Generaldirektoren.«44 In eine ähnliche Kerbe schlug der seit März 1930 amtierende Reichskanzler Heinrich Brüning in seinen nach dem Krieg erschienenen Memoiren, indem er – auf den ersten Blick etwas konfus – zwischen der Stabilisierungskrise nach der Hyperinflation und der Weltwirtschaftskrise eine Verbindung herstellte: Er habe nach der Inflation gelernt, dass »Großspekulanten« nach einer Stabilisierung der Währung »über kurz oder lang […] in die größten Schwierigkeiten kommen [würden]. Ihre Verschuldung gegenüber den Banken konnte dann so hoch sein, daß die Banken, um sich selbst zu retten, diesen Großkunden weitere gewaltige Kredite geben mußten.« Brü-

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ning vermutete Manipulationen bei der Eröffnung der ersten sogenannten (Goldmarkeröffnungs-)Bilanzen nach der Inflation, als »willkürliche Ziffern« eingesetzt worden seien, »wobei sich erst Jahre später die Folgen und die ganze Misere dieser willkürlich frisierten Bilanzen« offenbart hätten. Zu diesen Großspekulanten zählte er explizit nicht nur Hugo Stinnes, sondern auch Jakob Michael.45 In anderen Worten: Der Barmat-Konzern war 1925 wie viele »Inflationsblüten« untergegangen, das grundlegende, strukturelle Problem war dagegen nicht verschwunden. Der Journalist Abraham und der Politiker Brüning standen nicht allein mit der Meinung, dass in der schweren Wirtschaftskrise diese älteren Probleme nicht nur neu auftauchten, sondern für die Krise mitverantwortlich waren. Nach 1930/31 war von einer »Scheinprosperität« die Rede, die den Keim ihres Untergangs in sich trug. Dahinter verbargen sich Diagnosen einer »kranken Wirtschaft«, die einer Fundamentalreform bedurfte – und das bezog sich beileibe nicht nur auf »zu hohe Löhne«, wie viele Zeitgenossen und im Anschluss daran auch Historiker argumentiert haben. Warum sollte dieser Punkt von Bedeutung sein? »Zu hohe Löhne« wie überhaupt überzogene Sozialleistungen verweisen auf Debatten über eine »falsche« Sozial- und Wirtschaftspolitik. Die diffuseren Auseinandersetzungen über Spekulation, Korruption und Betrug zielten auf die realen wie vermeintlichen (Ab)Wege vieler Unternehmen seit dem Krieg und wurden unter der allgemeinen Rubrik »spekulativer Kapitalismus der Kriegs-, Inflations- und Deflationsgewinnler« diskutiert. Um auf die Weber’sche Terminologie zurückzukommen: Es ging um die Abwege eines »politischen« im Gegensatz zu einem »rationalen Kapitalismus«. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, ist das bemerkenswert nahe an der Sprache der Quellen.

Der Michael-Konzern Barmat war seit 1925 in Haft, sein Konzern filetiert, die Verbindlichkeiten abgeschrieben. Der Unternehmer Jakob Michael galt vielen als Beispiel für die dank amerikanischer Kredite einsetzende

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»Scheinprosperität«. Als im Frühjahr 1932 seine Industrie- und Privatbank Konkurs anmeldete, ging, wie die Vossische Zeitung urteilte, ein »besonders seltsames Kapitel in der Wirtschaftsgeschichte der Nachinflationszeit zu Ende«. Michael wurde, wie bereits dargestellt, nicht nur als Inflations-, sondern auch als »Deflations-« und »Stabilisierungsgewinner« par excellence gesehen.46 Das amerikanische Time Magazine fragte schon 1925, ob der 32-Jährige der »neue Stinnes« Deutschlands sei: »Dieser Mann ist ein erfolgreicher Banker, Eigner weitverzweigter Betriebe im Bereich der Metallverarbeitung, ein Magnat im Bereich der Schifffahrtsindustrie, Besitzer von großen Ländereien und städtischen Grundstücken, ein Produzent im Bereich der chemischen Industrie, ein Finanzzar (tsar of finance). Deutsche Zeitungen nennen ihn den König der Börse; er wird beschuldigt, dass in ›seinen Händen eine erdrückende Geldmacht‹ liege.« Im Gegensatz zum »toten Kohlekönig [Hugo Stinnes starb 1924 – MHG] ist der ›König der Börse‹ ein Jude; sein großer Vorgänger, was Reichtum betrifft, war ein Lutheraner. Im Gegensatz zum schroffen, harten, missmutigen Stinnes, ist der Jude weltmännisch, gut aussehend und gerissen (crafty)«, so die nicht gerade subtile Charakterisierung durch das amerikanische Magazin.47 Während der Barmat-Konzern von der Bildfläche verschwunden und der zahlungsunfähige Stinnes-Konzern zerstückelt, aber dank des Engagements der Reichsbank und der Großbanken im Kern konsolidiert worden war, expandierte der Michael-Konzern weit über Deutschland hinaus, vom Balkan bis nach Nord- und Südamerika. Nach der Währungsstabilisierung fokussierte Michael sein Kerngeschäft auf den Bereich Unternehmensbeteiligung und dann, am Ende der Dekade, nochmals stärker auf den Erwerb von Immobilien. Niemand außer ihm selbst (und schon gar nicht die Steuerbehörden) überblickte dieses Konzerngebilde von untereinander verbundenen in- und ausländischen Gesellschaften.48 An der Spitze des Konzerns stand neben Jakob Michael mit seiner J. Michael & Co. mit Sitz in Berlin – im Vollbesitz dieses Konzernteils waren 1933 etwa 112 deutsche Gesellschaften – zumindest formell seine mit ihm seit 1924 verheiratete Frau Erna Michael mit der Vermögensverwaltung, deren Sitz noch vor 1933 von Frankfurt am

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Main nach Amsterdam verlegt wurde. Im Besitz Michaels waren ferner die ausländischen Holdinggesellschaften. Dazu zählte die Chemie-Metall-GmbH in Wien, und zwar über die Amsterdamer Tochtergesellschaft N. V. Mercurius. Auch wenn das von den Zeitgenossen nicht selten anders gesehen wurde: Michael war ein erfolgreicher, durch und durch »rationaler Kapitalist«. Die Emil Köster AG war der wertvollste Teil des Konzerns. Es handelte sich dabei um ein verzweigtes Unternehmen mit einem Netz von Warenhäusern, namentlich die Deutsches Familien-Kaufhaus AG (Defaka) mit gleichnamigen Kaufhäusern, und Zulieferern im Bereich der Bekleidungsindustrie sowie mit einer Vielzahl von Beteiligungen nicht nur im Bereich der Textil-, sondern auch der Versicherungsbranche. Die Köster AG war ab 1926 sukzessive im Wege der Kreditgewährung und der Kapitalerhöhung in den vollständigen Besitz des Konzerns gelangt, wobei die ursprünglichen Gründer aus den Reihen der gewerkschaftlichen Organisation der Beamten aber auch weiterhin im Vorstand tätig waren.49 Vor dem Beginn der Weltwirtschaftskrise erzielte allein die Köster AG etwa 70 Mio. RM Umsatz. Der Erfolg dieses Warenhauskonzerns basierte auf dem von Michael eingeführten amerikanischen Modell der Konsumkreditfinanzierung. Ihm gelang, was vor ihm keiner geschafft hatte: Er rechnete seinen Kunden beim Kreditkauf für sechs Monate keine Zinsen an. Das erwies sich als ein äußerst erfolgreiches Geschäftsmodell und schien zunächst auch aufzugehen. Beamte galten als »solide«, und ihre Einkommen waren relativ konjunkturunabhängig. Außerdem waren die Preise unschlagbar günstig, was auch damit zusammenhing, dass die Köster AG mit dem anderen großen deutschen Kaufhauskonzern, dem von Leonard Tietz, eine strategische Zusammenarbeit im Bereich des gemeinsamen Wareneinkaufs vereinbart hatte. Aus diesem Grund kursierten 1932 auch Gerüchte, dass die Warenhauskette Tietz die Köster AG übernommen habe.50 Doch Michael war und blieb ein Außenseiter in der deutschen Wirtschaft. Als offenbar strenggläubiger Jude gehörte er in Berlin der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel an und lebte zurückgezogen. Er war kein »politischer Unternehmer«, auch wenn die SS spä-

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ter meinte, er neige der SPD zu und habe sie finanziert (wofür es aber keine Hinweise gibt).51 Er zeichnete sich durch Verschwiegenheit aus, was vielfach Anlass für Spekulationen über seine Motive bot. Michael war aber vor allem gefürchtet und verhasst, und zwar sowohl in den Reihen des Einzelhandels, dem die preisgünstigen Warenhäuser als gefährliche Konkurrenz ein Dorn im Auge waren, als auch bei den Vorständen in Banken und Versicherungen. Der Finanzier verfolgte eine Strategie, die moderne Investmentgesellschaften zur Perfektion entwickelt haben: »Eine qualifizierte, mit einem Aufsichtsratsmandat verbundene Minorität in einer guten Aktiengesellschaft sei eine wertvollere Kapitalanlage als der bloße Besitz eines mehr oder minder kleinen und einflußreichen Aktienpakets«, zitierte ihn ein Wirtschaftsjournalist. »Michaels Berühmtheit« resultierte aus seinen zahllosen Prozessen um die Macht bei namhaften Gesellschaften. In »der Lenkung des Kapitalismus« habe er »seine eigentliche Begabung und seine eigentliche Chance erblick[t]«, und zwar aus sehr eigennützigen Interessen: »um an die großen Kapitalreserven zu kommen«. Seine Beteiligungen an großen Versicherungsgesellschaften wie der Iduna, Germania und Viktoria und an Bodenkreditbanken, darunter die Hannoversche Bodenkreditbank, Südboden und die Bodenkreditanstalt, nutzte Michael zur Finanzierung seiner eigenen Unternehmen – das waren vor allem Immobiliengesellschaften, die sich insbesondere in Berlin engagierten. Dieses Wirtschaftsgebaren war Anlass für langwierige Rechtsstreitigkeiten und Konflikte, die, so hat es den Anschein, oft in der Weise geregelt wurden, dass Michaels Aktienpakete zu überhöhten Vorzugspreisen übernommen wurden, und zwar vor allem, um ihn loszuwerden.52 1929 standen Michaels Unternehmungen noch unter einem günstigen Stern. Kurz vor dem spektakulären Konkurs der Frankfurter Allgemeinen Versicherungs-AG im August 1929 verkaufte er seine Anteile an dieser zweitgrößten deutschen Versicherung und machte damit seinem Namen alle Ehre (der Käufer, die Bank für Handel und Grundbesitz, war nach dem Konkurs der Versicherung ebenfalls zahlungsunfähig). Schon zuvor hatte er seine Anteile an der Iduna Versicherungs AG, mit der er im Streit lag, an die ame-

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rikanische Finanzgruppe Paine Webber abgestoßen.53 Doch die Situation änderte sich 1930/31 auch für die Michael-Gruppe dramatisch. Das galt gleichermaßen für das Kaufhausgewerbe, wo die günstigen Konsumkredite in Verbindung mit dem Konsumrückgang unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise ruinös waren und eine per Notverordnung im April 1930 eingeführte Kaufhaussteuer die Waren verteuerte. Im Immobilienbereich kündigten Banken und Versicherungen in der allgemeinen Panik riesige Kreditsummen. Immobilien – mittlere Wohnhäuser, aber auch verschiedene große Bürobauten und Theater meist in Berlin – waren infolge der Krise nur weit unter Wert verkäuflich; außerdem ruhte auf ihnen wiederum eine ganze Reihe von verschachtelten Finanzforderungen. Mit anderen Worten: Schuldner und Gläubiger saßen im gleichen Boot, wobei unklar war, wem das Boot eigentlich gehörte.

»Spekulation« und korrupte Praktiken in der Wirtschaft Die wirtschaftlichen Probleme des Michael-Konzerns waren keine Ausnahmeerscheinung. Die beschworene »Krise des Kapitalismus« ging nicht nur mit Unternehmenspleiten, Arbeitslosigkeit und einem dramatischen Schrumpfen der Wirtschaftsleistung einher (zur Erinnerung: Zwischen 1928 und 1932 ging das Volkseinkommen um über 40 Prozent zurück!). Mindestens so bedeutsam war die damit verbundene, nachhaltige Entzauberung heroischer Wirtschaftsführer, nicht zuletzt in Verbindung mit dem nun allenthalben in der Presse und in der Politik erhobenen Verdacht, dass Inkompetenz, Betrug, Täuschung und korrupte Praktiken im Spiel waren. Kamen nun diejenigen zum Vorschein, deren »Grenzmoral« (Götz Briefs) nicht nur die Wirtschaftsmoral der Konkurrenten, sondern auch die Sozialmoral der Gesellschaft herabzusetzen drohten?54 Solche Verdächtigungen trafen auch den Finanzier Jakob Michael. So plädierte der Präsident des Landesfinanzamtes Kassel in einer langen, im März 1932 an den Reichsfinanzminister gerichteten Ausarbeitung mit Hinweis auf Verstöße Michaels gegen die Devisengesetze für eine Strafverfolgung. Das »die deutsche Wirtschaft schädigend[e] Verhalten« des Michael-Konzerns sei allgemein bekannt: »Das

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Schwergewicht liegt nicht im Warengeschäft, sondern in der Spekulation. Der Konzernleiter verfolgt nur den einzigen Zweck, jeden überhaupt erreichbaren Gewinn ins Ausland zu schaffen. Solche Elemente müssen aus der deutschen Wirtschaft ausgeschieden werden. Sie aus Zweckmäßigkeitserwägungen zu dulden, um die Fehldispositionen der Hypothekenbanken und anderer Gläubiger zu verdecken, dürfte sehr gefährlich sein.«55 Solche Verdächtigungen trafen wohlgemerkt auch andere Kaufleute, Unternehmer und Banker, darunter viele, die bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise über allen Verdacht erhaben zu sein schienen. Die krassen finanziellen Unregelmäßigkeiten bei der großen Frankfurter Allgemeinen Versicherungs AG, deren Zusammenbruch die Serie von Firmenpleiten in Deutschland einleitete, rückte den Generaldirektor Paul Dumcke ins Rampenlicht und warf im Übrigen auch Fragen nach der Rolle der Großbanken im Aufsichtsrat auf. Das wiederholte sich beim Zusammenbruch der weltweit agierenden Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei AG, der sogenannten Nordwolle, die im Besitz der angesehenen, weitverzweigten Familie Lahusen war.56 In den 1920er Jahren schien der Konzern zu prosperieren, zu sehen am Neubau der beeindruckenden Konzernzentrale und an der nicht gerade für protestantische Bescheidenheit stehenden, schlossähnlichen neuen Residenz der Familie. Umso herber war die Ernüchterung 1931. Mehr als zwei Dutzend Banken in mehreren Ländern, denen der Konzern über 180 Mio. RM schuldete, davon allein 73 Mio. der Darmstädter Bank, der Nationalbank (Danat-Bank) und der Dresdner Bank, hatten sich täuschen lassen: Seit 1925 waren riesige Verluste angefallen. Manipulationen der Firmenbilanz, so zumindest der Vorwurf, hatten das verschleiert, indem unter anderem Schulden durch Transaktionen in einer eigens in den Niederlanden gegründeten Firma geparkt wurden. Welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen brachte, ist kaum zu beantworten: Der Nachfragerückgang infolge der Wirtschaftskrise, eine Reihe von firmeninternen Fehldispositionen sowie die prekäre Lage der deutschen Banken nach dem Zusammenbruch der Österreichischen Creditanstalt und der anhaltenden Kündigung ameri-

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kanischer Kredite, was die Großbanken ihrerseits in Zugzwang brachte, ließen die aufgetürmte Kreditpyramide wie ein Kartenhaus zum Einsturz bringen. Die Folgen waren auf jeden Fall weitreichend. Die am stärksten engagierte Bank, die Danat-Bank, musste nach hektischen Rettungsversuchen ihre Schalter schließen. Es begann ein Ansturm auf die deutschen Banken, die zusammen mit vielen kleinen und großen Betrieben infolge des Rückgangs der Gesamtnachfrage und der sich schnell ausbreitenden Kreditkrise in den Abgrund gezogen wurden. Die vorübergehende Schließung der Banken Mitte Juli 1931 – bald bürgerte sich dafür der Euphemismus »Bankferien« ein – und staatliche Hilfen in Verbindung mit einer Serie von Übernahmen von Großbanken durch das Reich waren die letzte Rettung.57 In einer der vielen Sitzungen mit Bankenvertretern soll Reichsbankpräsident Hans Luther geraunt haben: »All die Leute, die uns hier gegenübersitzen, sind Verbrecher. Sie waren schon 1926 alle pleite. Ich habe ihnen das schon mit den gleichen Worten 1926 erklärt.«58 Ein bemerkenswertes Statement, sollte es tatsächlich so gefallen sein, gerade auch wenn man bedenkt, mit welcher Verve der Koalitionspartner DNVP in Luthers Zeit als Reichskanzler (von Januar 1925 bis Mai 1926) mit den Kampagnen gegen die Barmats agiert hatte. Auf jeden Fall reflektiert es die verbreitete Bereitschaft zur Revision – im Bereich der Wirtschaft wie der Politik. Es ging um die Reinigung des Kapitalismus von seinen Exzessen und seinen vermeintlichen Grenzgängern. Wie mit diesen Unternehmern und Managern umgegangen werden sollte, war und blieb umstritten. In Italien hatte der Diktator Benito Mussolini schon 1930 mit der öffentlichkeitswirksamen Verhaftung und der Eröffnung eines Schnellprozesses gegen den schillernden Industriellen Riccardo Gualino, der bis dahin eng mit dem Regime und der Bank von Italien kooperiert hatte, ein Exempel statuiert, das weit über das Land hinaus Beachtung fand. War das nicht auch in Deutschland ein Weg, der »gegenüber Auswüchsen eines falsch aufgefassten Kapitalismus am Platz wäre? Die verantwortungsbewußten wirklichen Führer der deutschen Wirtschaft würden dadurch nicht betroffen, sondern nur diejenigen, deren hemmungslose Spekulationen

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den wahren Wirtschaftsführern ihre Aufgabe erschweren.« Das war 1932 eine eher rhetorische Formulierung eines eher wirtschaftsliberalen Betriebswirtschaftlers, der vermutete, dass die Nationalsozialisten wohl diesen Weg einschlagen würden. Er sah sehr wohl die rechtliche Problematik, aber auch dass man solchen »abgekürzten Verfahren« die Wirksamkeit nicht absprechen könne.59 Die wirtschaftliche Krise 1930/31 zwang auch solide Betriebe in die Knie. Wer da zu den sprichwörtlichen faulen Äpfeln zählte, war unklar. Das galt allemal für expansive, »spekulative« Unternehmen wie die eines Jakob Michael, Friedrich Flick, Otto Wolff und Ludwig Katzenellenbogen in Deutschland oder des weltweit bekannten schwedischen Unternehmers und Finanziers Ivar Kreuger, dem »Leonardo of their craft«, dessen Tod im März 1932 in Verbindung mit der Schieflage des Konzerns eine weltweite Schockwelle auslöste.60 Viel politischen Wirbel verursachte der Konkurs des bereits erwähnten Konzerns des angesehenen Industriellen Ludwig Katzenellenbogens. Der langjährige Generaldirektor der Ostwerke war Chef eines industriellen Mischkonzerns, der seit der Inflationszeit expandiert hatte. Es bestanden enge Verbindungen zu den Großbanken. Wie im Falle Lahusens ermittelte auch hier die Staatsanwaltschaft. Im Frühjahr 1932 wurde Katzenellenbogen, dem manipulierte Bilanzen, betrügerische Börsenmanipulationen und Bilanzverschleierung vorgeworfen wurden, zu drei Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt. Nicht Teil des Prozesses, aber umso mehr das Thema interner und öffentlicher Diskussionen war die zweifelhafte Komplizenschaft der Vertreter der großen Banken, die »grenzenloses Vertrauen« in den Generaldirektor gesetzt hatten. Katzenellenbogen und der ebenfalls im Konzern engagierte Jacob Goldschmidt (von der Danat-Bank) hatten zu denjenigen gehört, die sich lange Zeit gegen die sich ausbreitende »Pessimismus-Psychose« gestemmt und die Ansicht verbreitet hatten, dass die Krise der Wirtschaft und der Niedergang der Aktienkurse nur eine vorübergehende Erscheinung seien. Katzenellenbogen saß 1932 stellvertretend für viele andere auf der Anklagebank: In dem medial viel beachteten Prozess wurde mit dem »Prosperity-Boom« und dessen zweifelhaften Grundlagen und Versprechungen abgerechnet.61 Vor

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dem Hintergrund solcher Einzelfälle war es kein großer Schritt mehr, die gesamte Wirtschaft unter Verdacht zu stellen, wie das in der Karikatur in der Abbildung 15 (S. 326) der Fall ist.

Korruption auf allen Ebenen? Im Mittelpunkt solcher Geschichten stand die Korrumpierbarkeit von hochstehenden Personen in der Wirtschaft, anders formuliert: die Frage, wie die »Grenzmoral« auf die Gesellschaft abfärbe. Es gehörte zu den offenen Geheimnissen, dass das Personal in den Führungsetagen heftig mit Aktien spekuliert und sich dabei verspekuliert hatte, und nicht nur das: Auch Angestellte waren dazu ermuntert worden (wie im nächsten Kapitel an einem Schweizer Beispiel zu sehen ist). Dabei brachten die Banker sich selbst sowie ihre Banken in wirtschaftliche Schwierigkeiten, und das Reich musste für dieses Versagen mit Hilfen geradestehen. All das bereitete einen wahrlich fruchtbaren Boden für Gerüchte über politische Beziehungen.62 Auch Vertreter der Reichsregierung irritierte, dass sich seit dem Zusammenbruch der Nordwolle und dem Einsetzen der Bankenkrise Vertreter deutscher Banken, der Industrie und der Landwirtschaft in der Reichskanzlei die Klinke reichten. Sie hofierten die Beamten mit immer dringlicheren Bitten um Staatshilfen, die, so lauteten die Begründungen, den Zusammenbruch des Bankensystems verhindern und Arbeitsplätze retten sollten. Seinen Ministern und der Bürokratie eröffnete sich, wie der Reichskanzler sich erinnerte, »in den nachfolgenden Monaten ein Abgrund der Korruption und des Leichtsinns in der Wirtschaft, der nicht nur jede Phantasie überstieg, sondern bei allen Kabinettsmitgliedern eine gewisse Wandlung im Temperament und in der Arbeitsfreudigkeit« hervorgerufen habe. Erbittert vermerkte er die »Kaltblütigkeit«, mit der er und andere Regierungsmitglieder sowie hohe Beamte in vielen Fällen »belogen« worden seien.63 Dazu zählt der viel diskutierte Verdacht, dass die anderen Großbanken nicht unglücklich waren oder sogar darauf hingearbeitet hätten, die Konkurrenz, die Danat-Bank und ihren Chef Jacob Goldschmidt, zu erledigen, wobei es dann dem Staat überlassen blieb, die Scherben infolge der Bankenkrise

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Abb. 15 Kritik am milden Umgang der Justiz mit den aufgedeckten Wirtschaftsvergehen, Simplicissimus 38.1931, S. 453 © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

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aufzulesen. Nicht minder irritierend war, dass sich die Direktoren der in großer Eile verstaatlichten Banken weniger für das Bankensystem als vielmehr für ihre Pensionsrechte interessierten, wie Brüning meinte.64 Die Reihe der Hilfesuchenden war lang: Nicht nur Unternehmer und Landwirte, sondern auch Vertreter der christlichen und konservativen Gewerkschaften, der Parteien, der Kirchen und Landwirte, deren wirtschaftliche Unternehmen ins Wanken geraten waren, standen in der Reichskanzlei Schlange. Einige Fälle waren skurril und stellen heutige, aus dem Fenster des Gerichtsgebäudes fliehende Manager durchaus in den Schatten.65 Spektakulär war der Fall Friedrich Flick, der, so Brüning, seinen »ganzen Besitz bei Gelsenkirchen dem Reich anbot«, um den drohenden Zusammenbruch des Konzerns zu verhindern. Friedrich Flick war auf dem Weg, einer der mächtigsten deutschen Stahlindustriellen zu werden. Die Weltwirtschaftskrise unterbrach seine kreditfinanzierte Einkaufstour. Der Deal dieser Erwerbung, für den das klamme Reich 100 Mio. RM aufwandte, verursachte schon deshalb viel Aufsehen, weil der Kaufwert weit über dem Marktwert lag. Ging es hier mit rechten Dingen zu? Ein Vertreter der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft traf wohl den Nagel auf den Kopf, wenn er meinte, dass es sich bei der Transaktion um »eine große Schiebung zu Gunsten einer sanierungsbedürftigen Einzelperson« handelte. Der Historiker Georg Hallgarten sprach nach dem Krieg von Hilfen für einen »tollkühnen Spekulanten«.66 Skandalträchtig waren nicht nur die Höhe der bezahlten Summe und einzelne Aspekte der Hintergründe dieses Kaufs – wie etwa die schwer zu durchschauenden Pläne Flicks, Konzernteile an Frankreich zu verkaufen, was er als Druckmittel gegen die Regierung einsetzte –, sondern auch die breit gestreuten, hohen Wahlkampfspenden Flicks im Jahre 1932, in deren Genuss neben dem Reichspräsidenten mit mindestens 450000 RM auch Mitglieder der Regierungen Brüning und Papen kamen.67 Ähnliche Zuwendungen stellte auch der ebenfalls händeringend um öffentlichen Kredit bettelnde Unternehmer Otto Wolff bereit, der als ein der Republik wohl gesonnener Unternehmer mit persönlichen Verbindungen zu Ernst Heilmann und in die preu-

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ßische Staatskanzlei bekannt (und bei der konservativen Opposition verhasst) war und der sich als Spendensammler für Brüning und die Wiederwahl des Reichspräsidenten Hindenburg einsetzte.68 Vieles davon war schon deshalb problematisch, weil der Reichskanzler und sein seit dem Juni 1931 amtierender Finanzminister Hermann Dietrich (DDP) vielfach Absprachen trafen, ohne die Ministerialbürokratie zu informieren. In einer Manier, die an den Fall des Reichspostministers Höfle erinnert, wurden Zusagen auf privatem Briefpapier gemacht.69

Eine neue Gouvernementalität Es ist hier nicht der Ort, die vielfältigen Anstrengungen der Regierung Brüning zur Reform des Banken- und Kreditsystems darzustellen. Ad-hoc-Maßnahmen überschnitten sich mit solchen, die auf einen langfristigen Umbau zielten. Zweifellos ging es nicht nur um eine Stabilisierung und Anpassung der Wirtschaft in der Krise, was durch die ungelöste Reparationsfrage zudem noch erschwert war. Auf der Agenda stand überdies die Revision des Status quo mit dem Ziel, die Wirtschaft – dauerhaft – krisenfest zu machen. Der direkte staatliche Einfluss auf die Banken (etwa im Gegensatz zu einer Ausgliederung der schlechten Risiken in damals ebenfalls diskutierte staatliche Bad Banks, womit die Privatbanken weniger angetastet worden wären) spielte nach dem Börsencrash eine zentrale Rolle. Das privatwirtschaftliche System sei nur zu halten, so der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Ernst Trendelenburg, »wenn es gegen die Kapitalisten geschützt werde, die nur Gewinne machen, Verluste aber dem Staat aufbürden wollen«.70 Dabei ging es zu diesem Zeitpunkt und in der Folgezeit jedoch nicht primär um die Frage »Verstaatlichung« oder »Privatwirtschaft« (so eingängig eine solche Frage auch sein mag). Entscheidend ist der sich herausbildende Konsens, nicht zu den früheren, »ungesunden« Verhältnissen zurückzukehren. Ein Aspekt war die Reinigung des Kapitalismus von seinen »spekulativen Elementen« und die Rückführung auf die »dienenden Funktionen« der Banken für die Wirtschaft: »Der Kampf um die und gegen die Hochfinanz ist mit der Einflußnahme des Rei-

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ches auf die Großbanken ausgegangen«, so Reichsfinanzminister Dietrich in seiner Verteidigung der Übernahme der Flick’schen Konzernteile. Wie er betonte, ging es ihm darum, »die babylonischen Turmbauten, die innerlich ungesund und unhaltbar geworden waren, in einer Form zu liquidieren, die dem Reich und der deutschen Volkswirtschaft den geringsten Schaden zufügen könnte«. Die Alternative, die Nichtintervention, wäre ein »gigantische[r] Zusammenbruch« der Wirtschaft gewesen, der Hunderttausenden Menschen den Arbeitsplatz gekostet hätte.71 Das kann man auch als defensive Apologetik abtun. Aber in solchen Worten kommen zugleich ideale Vorstellungen eines »rationalen Kapitalismus« deutlich zum Ausdruck. Vieles davon kommt uns auch heute bekannt vor, so das Mantra einer »spekulativen (Finanz-)Wirtschaft« die sich verselbstständigt und von der »realen Wirtschaft« abgekoppelt habe. Reinigung hieß Implementierung neuer Formen wirtschaftlicher Gouvernementalität in allen Bereichen des öffentlichen und staatlichen Lebens, ein konservatives, aber, so paradox es klingen mag, durch und durch »ordoliberales« Programm.72 Appelliert wurde an die Grenzen setzende Funktion des Staates, der sich aus der Umklammerung wirtschaftlicher Sonderinteressen zu lösen hatte. Dazu zählten erstens neue Formen der staatlichen Bankenund Wirtschaftsaufsicht, die mit einer tief greifenden Reorganisation des Finanzsektors einhergingen, und zwar mit neuen, formellen und informellen Verflechtungen von staatlicher Bürokratie, Banken und Industrie.73 Damit eng verbunden war zweitens das Credo, die »Spekulanten in den Banken aus[zu]schalten«: »Keinesfalls dürften Persönlichkeiten in den Leitungen sein, die bei ihren eigenen Banken auf Spekulationskonto verschuldet seien«, so Brüning im Zusammenhang mit der Bankensanierung. An anderer Stelle heißt es noch eindringlicher: »Die Persönlichkeiten, die mit dem Odium der Fehlschläge belastet sind, möchten soweit eliminiert werden, wie es mit Rücksicht auf die Kontinuität der technischen Gesamtführung irgend möglich ist.«74 Die per Notverordnung erlassenen Bestimmungen über die Größe des Aufsichtsrats hatten zur Folge, dass überproportional viele Privatbanker aus den

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Aufsichtsräten von Großunternehmen ausscheiden mussten, darunter eine relativ große Anzahl von Personen jüdischer Konfession (wenngleich die Maßnahmen nicht auf den Aspekt der Konfession abzielten).75 Wenn es einen Konsens gab, dann drittens den, dass die »Exzesse« des »ungesunden« Finanzkapitalismus einzuschränken waren, damit sich die früheren Fehler nicht wiederholten. Der Hebel der überlebensnotwendigen öffentlichen Kredithilfen war dabei offenbar von einiger Bedeutung.76 Firmen und Banken wie die Jakob Michaels galten als nicht erhaltenswert. Zwar findet man vor 1933 nur an wenigen Stellen explizite Hinweise darauf, dass speziell jüdische Unternehmer und Mitarbeiter aus dem Wirtschaftsleben entfernt werden sollten. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass über die Semantik des Wortes »Spekulation« – auch im Sinne »Ausschaltung der Spekulation im Bankengewerbe« – genau dieser Aspekt mitschwang. Der Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Hans Schäffer registrierte sehr wohl die antisemitischen Ressentiments auch seines Ministers Dietrich; in dieser Hinsicht werfen auch die punitiven Maßnahmen der erwähnten Reichsfluchtsteuer viele Fragen auf. Unter den Wirtschaftssachverständigen, die Brüning nach der Bankenkrise um sich scharte, waren zudem bemerkenswert wenige jüdischer Konfession. Teil dieser neuen Gouvernementalität war auch ein veränderter persönlicher Habitus in der Wirtschaft, über den wir erstaunlich wenig wissen, auch wenn man vermuten kann, dass sich hinter der Distanzierung und Abkehr von jüdischen Kollegen nach 1933 nicht nur Karriereambitionen, sondern genau diese Aspekte einer neuen, auch habituellen (Selbst-)Normalisierung im Rahmen eines »rationalen Kapitalismus« verbargen.77

Kampf gegen »Korruption« und »Volksschädlinge« Korruption war ein immer wiederkehrendes Thema, nicht nur der radikalen Rechten, sondern auch der republikanischen Presse. So publizierte Robert Kempner, ein Beamter im preußischen Innenministerium, der sich später auch als Chefankläger bei den Nürnber-

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ger Prozessen einen Namen machen sollte, unter dem Pseudonym Eike von Repkow 1932 die Streitschrift Justiz-Dämmerung. Nicht zufällig nahm er dabei die Deutschnationalen aufs Korn, die sich unter Berufung auf Gottfried Zarnows Gefesselte Justiz im preußischen Landtag zu Anwälten vermeintlicher Reinheit des Kaiserreichs wie ihrer eigenen Partei machten. Die Liste Kempners war lang. Sie reichte von Kolonialskandalen, Misswirtschaft und Subventionsbetrug – vor allem im Bereich der Landwirtschaft, darunter, neben der Osthilfe, in vielen landwirtschaftlichen Genossenschaften – bis zu Betrugsfällen, wie dem der Lahusens und anderer Personen und Unternehmen.78 Darüber hinaus mangelte es auch nicht an Bemühungen, die korrupten Praktiken sowie die Verfilzung von Nationalsozialisten und Geldinteressen anzuklagen. John Heartfields bekannte Fotomontage, die Hitler als einen Geld- und damit Befehlsempfänger der Schwerindustrie darstellt, steht in der Tradition der Korruptionskarikaturen, welche die KPD perfektioniert hatte. Solche wechselseitig erhobenen Vorwürfe, die auf reale wie vermeintliche Misswirtschaft, Korruption und korrupte Praktiken abzielten, vergifteten zweifellos das politische Klima und drohten auf die Republik und ihre Parteien zurückzufallen. Vor diesem Dilemma stand auch die in den Wahlen nach 1930 schwer gerupfte und nach diversen Abspaltungen marginalisierte Hugenberg’sche Rest-DNVP. Ihre Mitglieder mochten sich von der Republik und »dem System« verabschiedet haben. Aber die DNVP war eben eine merkwürdige Traditionspartei zwar nicht der, aber immerhin in der Weimarer Republik. Das verlieh ihr nicht unbedingt Glaubwürdigkeit, vermag aber den Aktivismus eines Teils der eigenen (Rest-)Mitgliedschaft im Jahr 1933 zu erklären. Die Nationalsozialisten waren dagegen in einer vergleichsweise komfortablen Situation: Korruptionsvorwürfe, die so sehr an das politische System der Demokratie gekoppelt waren, tropften an der Partei ab; außerdem gab es für solche Vorwürfe bald keine mediale Öffentlichkeit mehr.

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Korruptionskampagne 1933 Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 überrollten die Nationalsozialisten das Land mit einer scharfen Korruptionskampagne. Dabei appellierten sie »an den gut etablierten Zusammenhang zwischen Korruption, Demokratie, Judentum und Marxismus/Sozialismus« mit Parolen wie »Korruptionssumpf Preußen« oder »Die Bonzen im Speck, das Volk im Dreck«.79 Als vergleichsweise neue Partei ohne Regierungsverantwortung konnte sich die NSDAP über die Vorwürfe erheben, mit denen die etablierten Parteien gegen ihre politischen Gegner ins Feld zogen. Die Nationalsozialisten waren die – zynisch – lachenden Dritten. Dabei agierten sie strategisch. Was unterschied die wirtschaftlichen Aktivitäten eines Barmat, Katzenellenbogen oder Michael von der Vielzahl anderer »arischer« Finanziers oder den Lahusens, Flicks, dem internationalen Unternehmerfinanzier Ivar Kreuger oder den konservativen Direktoren in den landwirtschaftlichen Kreditorganisationen? Die Nationalsozialisten machten in ihren Pressekampagnen deutliche Unterschiede und hielten sich für gewöhnlich zurück, wenn sich keine Verbindung zu antisemitischen Themen herstellen ließ: Ihnen ging es um den »jüdischen Kapitalismus«.80 Ähnlich wie in vielen anderen Politikfeldern war nach der Machtübernahme zunächst alles andere als klar, wie sich das Regime verhalten würde. Einen Masterplan gab es nicht. Tatsächlich war die Situation unübersichtlich. Denn nun überschnitten sich die verschiedensten, keineswegs deckungsgleichen Initiativen, woraus eine spezifische Dynamik der Ereignisse resultierte: Neben NS-Parteiorganisationen, darunter die SA, staatlichen Behörden, unter anderen die Steuer- oder Zollbehörden und die Staatsanwaltschaften, gab es lokal agierende Akteure, die sich in Formen der (Selbst-)Ermächtigung den Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft auf die Fahne geschrieben hatten. Dazu zählte in Berlin der Verein gegen das Bestechungsunwesen e. V.81 Daneben gab es außerordentlich viele Denunziationen von Bürgern, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Stunde gekommen sahen, woraus sich ein »Gefühl der ›Vogelfreiheit‹« entwickelte, wie führende Nationalsozialisten, unter ihnen Hermann Göring, bald in durchaus heuchlerischer

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Manier kritisierten und zur Zurückhaltung mahnten.82 Diese verschiedenen Initiativen, die sich zeitweise gegenseitig überboten, sahen sich geeint in der Beschwörung einer »nationalen Revolution«. Das war nicht nur die Stunde der Nationalsozialisten, sondern auch vieler inzwischen politisch heimatloser Republikkritiker, die endlich die Zeit der Revision gekommen sahen. Es galt, alte Scharten auszuwetzen. Die Parolen gaben die Nationalsozialisten aus. Im Wahlkampf für die Reichstagswahlen am 5. März wollte Goebbels den »marxistischen Bonzen« zeigen, »was man mit dem Staatsapparat machen kann, wenn man ihn zu gebrauchen versteht«. Goebbels zog alle Register der Propaganda. »Zwei Millionen gestohlen« war schon Anfang Februar kryptisch auf riesigen weißen Plakaten zu lesen gewesen, welche die Berliner zunächst neugierig machen sollten. Später angebrachte Aufkleber personalisierten die Anschuldigung mit dem Hinweis auf den preußischen Ministerpräsidenten Braun und seinen Innenminister Severing. Der Ministerialdirektor im preußischen Staatsministerium Eduard Nobis habe der preußischen Regierung im Vorfeld der Landtagswahlen einen Fonds zur »Bekämpfung des Verbrechertums« eingerichtet, der dann tatsächlich zur Finanzierung des preußischen Landtagswahlkampfs benutzt worden sei. Man konnte den Eindruck gewinnen, ein neuer großer »Korruptionsfall« sei aufgedeckt worden (tatsächlich waren diese zwei Millionen schon das Thema der Reichstagswahlen im Juli 1932 gewesen). Richtigstellungen, Erklärungen, Strafanzeige und Protestschreiben wie die Brauns an Hitler blieben ohne Erfolg.83 Im Gegenteil: Der Propagandaapparat der Nationalsozialisten und der deutschnationalen Presse trommelte nun in beispielloser Manier das Lied von »roter Mißwirtschaft«, »Diebstahl« und politischer Korruption. Das vermischte sich mit Kampagnen gegen das »rote Bonzentum« in der öffentlichen Verwaltung, wie etwa die Sozialversicherung, und gegen neue, seit der NS-Machtübernahme aufgedeckte Korruptionsfälle.84 Bald überschlugen sich die Berichte über immer neue Verhaftungen und Untersuchungen. Das Evozieren des nationalen Ausnahmezustands und der »nationalen Revolution« schuf, zumal

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nach der »Reichstagsbrandverordnung« vom 28. Februar und dem »Ermächtigungsgesetz« vom 24. März, neue Handlungsräume und Handlungsermächtigungen.85 Eine Welle der Gewalt überrollte das Land;86 im »roten Berlin« galt es »aufzuräumen«: »Korruption« und »rote Bonzenwirtschaft« waren in diesem Zusammenhang die entscheidenden Schlagworte.87 Im Zusammenhang mit solchen Initiativen der NSDAP kam es immer wieder auch zu Übergriffen auf Bankfilialen, was regelmäßig Proteste der Wirtschaftsverbände provozierte und zugleich den Druck der Institutionen, gegen jüdische Mitarbeiter vorzugehen, erhöhte. Erklärungen bekannter Parteiführer befeuerten die Korruptionskampagne. Der kommissarische preußische Innenminister Hermann Göring zeigte sich auf einer Kundgebung der NSDAP am 5. April in Essen zufrieden darüber, dass es gelungen sei, »das Zentrum aus dem Zentrum der deutschen Stellung hinauszujagen«: Die »Schwarzen« hätten immer Schmiere gestanden, »wo diese roten Gauner deutsches Gut gestohlen haben«. Göring verwies darauf, dass er am selben Tag eine von ihm auch sogenannte »Antikorruptionsverordnung« eingebracht habe, die nichts anderes bezwecke, als dass der »verfluchten Vettern- und Bonzenwirtschaft, der Pfründenherrschaft« ein Ende bereitet werde. Er habe »erst angefangen zu säubern« und sei »längst nicht fertig«. In diesem Zusammenhang fielen auch seine denkwürdigen Worte, welche die neuen, bald vorherrschenden Rechtsprinzipien illustrieren: »Ich danke meinem Schöpfer, daß ich nicht weiß, was objektiv ist. Ich bin subjektiv, ich stehe einzig und allein zu meinem Volk, alles andere lehne ich ab.« Die Polizei »ist nicht dazu da, die Gauner, Strolche, Wucherer und Verräter zu schützen. Wenn sie sagen, da und dort sei abgeholt und mißhandelt worden, so kann ich nur erwidern: Wo gehobelt wird, fallen Späne!«88 Das waren nicht nur nationalsozialistische Phrasen: Diejenigen, welche die »nationale Revolution« vorantrieben, sahen sich ermächtigt zu handeln. Das spornte nicht nur die SA an.

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Abrechnung mit der Republik: Preußischer Korruptionserlass und »Volksrecht« Göring bezog sich auf den am Vortag in Kraft getretenen und im Hause des Reichskommissars für das Justizwesen in Preußen unter Leitung von Hanns Kerrl erarbeiteten Korruptionserlass. »Rückgrat des Staates ist die Sicherheit der Sauberkeit seiner Verwaltung«, hieß es darin unter deutlicher Abgrenzung von der Weimarer Republik: »Die in den letzten Jahren nicht nur Ausnahme, sondern zum System gewordene Korruption zu bekämpfen und bis auf die Wurzel auszurotten, ist deshalb eine meiner vornehmsten Aufgaben.« Man wolle ein »sauberes Preußen« wie »zur Zeit des Großen Preußenkönigs«. Die Aufgabe war eine »rücksichtslose Bekämpfung aller Volksschädlinge«, und das nicht nur in der öffentlichen Verwaltung, sondern auch »der Wirtschaft und der Hochfinanz«. Es wurde angemahnt, vorsichtig mit Kautionen umzugehen, da die »Volksschädlinge« damit »nur einen kleinen Teil des durch ihre schädigenden Handlungen erworbenen Vermögens in die Hand des Staates geben und daher solche Kautionen den Fluchtverdacht auszuschließen nicht geeignet sind«. Bei den regionalen Staatsanwaltschaften und im Justizministerium wurden Sonderreferate zur Bekämpfung der Korruption eingerichtet (ähnlich den Ermittlungen acht Jahre zuvor im Rahmen des Barmat-Skandals). Die Zeit, »da das Volk davon sprach, die Kleinen hängen und die Großen lässt man laufen«, müsse endlich vorbei sein. Korruptionsbekämpfung war »Volksschädlingsbekämpfung«. Alles deutet darauf hin, dass Kerrl seine konservativen Beamten bremsen musste und gegenüber dem ursprünglichen Entwurf den häufigen Gebrauch des Wortes »Volksschädling« vielfach strich. Selbst das neue »Referat zur Bekämpfung der Korruption in Staat, Wirtschaft und Hochfinanz« sollte ursprünglich »Dezernat zur Korruptions- und Volksschädlingsbekämpfung« heißen.89 Der Geltungsbereich des Korruptionserlasses beschränkte sich auf Preußen.90 Unübersehbar ging es um eine Abrechnung mit den vorangegangenen Jahren der Republik, auch indem Mitarbeiter herangezogen wurden, die sich in den früheren Wirtschaftsprozessen bewährt hatten. Der Erlass war durchzogen von dem allgegenwärti-

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gen Ausnahmezustandsdenken sowie einem neuen »Volksrecht«. Aus juristischer Perspektive war bemerkenswert, dass der Begriff »Korruption« aus der politischen und der Alltagssprache Eingang in die Sprache des Rechts fand. Unter Juristen führte das verständlicherweise zu Unsicherheit und Verwirrung, und es war unklar, was dem neuen Rechtsverständnis nach eigentlich als »Korruption« zu gelten hatte. Konkret: Inwiefern ergänzte die Verordnung etablierte Bestimmungen des Strafgesetzbuches über Vorteilsnahme und Bestechung und andere Delikte, die zu dieser Zeit ebenfalls verschärft wurden? Verschiedene Nachfragen gaben schon eine Woche später Anlass für eine notwendige Präzisierung: »Zu den Korruptionsfällen im Sinne des Erlasses vom 4. April 1933 gehören alle volks- oder staatsschädigenden Handlungen, die wegen der asozialen Gesinnung des Täters, wegen der rücksichtslosen Ausbeutung seiner amtlichen oder volkswirtschaftlichen Überlegenheit die tiefgreifende Empörung des Volkes erregt haben oder erregen müssen.« Formal erinnert diese Begrifflichkeit an die Wucherbestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches und an die Wucher- bzw. Preistreibereigesetzgebung seit dem Weltkrieg. Der neue Leiter des Korruptionsreferats im Justizministerium, Landgerichtsdirektor Wilhelm Crohne, ein NSDAP-Parteimitglied, präzisierte in einem in der Tageszeitung Der Angriff abgedruckten Interview mit ihm und dem Ministerialdirektor im preußischen Justizministerium Roland Freisler Anfang Mai: »Die als Korruptionssachen hauptsächlich in Frage kommenden Straftaten zeigten regelmäßig den Tatbestand des Betrugs, der Untreue, des Wuchers oder der handels- oder gesellschaftsrechtlichen Strafvorschriften, die bedauerlicherweise nur als Vergehen mit Gefängnis zu ahnden seien. Diese Strafbestimmungen entsprechen heute, wo die Zeit nach 1918 eine solche Flut gemeinen rücksichtslosen Eigennutzes unter Mißachtung jeder Grundlage auf Treu und Glauben gebracht und die darum die strafrechtliche Verfolgung außerordentlich verringert hat, dem gesunden Rechtsempfinden des Volkes nicht mehr.« Das Volk halte es für unnatürlich, wenn ein Dieb, der einen Schaufensterkasten zerbricht und für einige Groschen Diebesgut erbeutet, mit Zuchthausstrafe bestraft werden kann, »während volksfremde galizische

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Volksverbrecher wie Barmat, Kutisker und Sklarek rechtmäßig nur Gefängnisstrafen erhalten«. Diese »Ausbeuter des Volkes« hätten auch noch den Vorteil, »5 Jahre nach ihrer Straftat vor jeder Strafverfolgung sicher zu sein«.91 Die Richter hatten die »Gesinnung« des Täters, insbesondere seine »volks- und staatsschädigenden« Handlungen, zu beurteilen. Und nicht nur das: Der Hinweis auf »Treu und Glauben« – wie wir sahen das große juristische Thema seit der Inflation und der Aufwertungsdebatte – eröffnete die Möglichkeit der Nachprüfung von Verträgen. Es war eine klare Attacke auf den juristischen Gesetzespositivismus, und Juristen wussten 1933 zweifellos, was der Hinweis auf Barmat und Kutisker bedeutete: Die bestehenden Gesetze des Strafgesetzbuches wie des BGB hätten keine Handhabe für ein Vorgehen gegen die Täter geboten, ja sie sogar geschützt. Letztlich blieb ungeklärt, wie ein solches »Volksrecht« genau aussehen sollte. Die Marschrichtung gaben führende Nationalsozialisten, nationalsozialistisch gesinnte konservative Juristen wie Carl Schmitt und die neu ernannten Kommissare und Minister für Justiz vor, darunter Hanns Kerrl und der Bayerische Justizminister und (seit April 1933) »Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz und die Erneuerung der Rechtsordnung« Hans Frank. Recht hatte sich an der »Volks- und Rassenseele«, an »Volksgewissen«, »Volksgemeinschaft«, »Artgleichheit des Blutes« sowie »Leben und Lebenspraxis« auszurichten; in den Worten Franks war Recht das, »was dem Volke nützt«. Das implizierte, dass in der Letztinstanz das Recht auf dem Führerwillen und dem Parteiprogramm basierte.92 Abgesehen davon, dass klar war, dass Juden keinen Platz im Justizsystem hatten, blieben solche Handlungsmaximen aber vage, appellierten an einen Ausnahmezustand, ja eine übergesetzliche Notwehr, vor allem waren sie offen für Interpretationen. Vielen unterschiedlichen Akteuren eröffnete das 1933 Spielräume für selbstermächtigtes Handeln. Die Veröffentlichung des Korruptionserlasses überschnitt sich mit der Kampagne, die großen und kleinen »Korruptionsfälle der Systemzeit« wieder auf- und Ermittlungen in neuen Fällen vorzunehmen.93 Die regionalen, zur »Korruptionsbekämpfung« einge-

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setzten Sonderstaatsanwaltschaften nutzten die neuen Ermessensspielräume in sehr unterschiedlichem Umfang. Eine interne Statistik zeigt, dass bis Mitte Juli 1933 in Preußen insgesamt 1474 Fälle bearbeitet wurden; darunter befanden sich 296 sogenannte »politische Fälle«, von denen bis zu diesem Zeitpunkt schon 317 eingestellt und in 70 Fällen Urteile ergangen waren; in 164 Fällen war Anklage erhoben worden. Bei über 895 Fällen befanden sich die Ermittlungen noch in der Schwebe, oder die Voruntersuchungen waren noch im Gange. Berlin nahm mit insgesamt 177 Fällen nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, den ersten Platz ein. Diesen belegte vielmehr der Gerichtsbezirk Naumburg an der Saale mit 252 Fällen, gefolgt von den Bezirken Breslau, Düsseldorf und Hamm. Die dem Gerichtsbezirk Naumburg zugehörige Stadt Magdeburg, die mit insgesamt 77 Fällen zwar knapp hinter dem Gerichtsbezirk Berlin 1 lag, stand mit 44 sogenannten »politischen Fällen« (gegenüber 28 in den drei Berliner Landgerichtsbezirken) weit an der Spitze.94 Schon diese Zahlen illustrieren, dass die Sonderstaatsanwälte ihre Aufgaben mit großer Energie betrieben und die neuen Ermessensspielräume voll ausschöpften. Alte Rechnungen wurden beglichen. Was aus Sicht der Staatsanwaltschaft und vieler Konservativer 1920/21 im Kontext des Falles Georg Sklarz und nach 1924/25 in den Fällen Barmat, Kutisker und Michael nicht gelungen war, nämlich den vermeintlichen »Korruptionssumpf« aufzudecken, schien nun möglich. Das betraf wohlgemerkt nicht nur viele Personen aus dem Kreis der republikanischen Parteien, unter ihnen frühere Beamte, sondern auch solche, die den Konservativen nahe gestanden hatten.

Grenzen der Korruptionsverfolgung Kennzeichnend für die »nationale Revolution« des Jahres 1933 war, dass Göring und Hitler als bremsende und vermeintlich verantwortungsbewusste Staatsmänner auftraten, während andere das schmutzige Radau-Geschäft betrieben und damit, wie es immer wieder hieß, »ihre Kompetenzen« überschritten. Dahinter verbarg sich die Doppelzüngigkeit des Regimes, die loyale wie oppositionelle Zeitgenossen falsche Schlüsse ziehen ließ.95 Binnen weniger

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Monate entstand 1933/34 ein für das NS-System typischer Schwebezustand, bei dem die Grenzen zwischen »Normen- und Maßnahmenstaat« (Ernst Fraenkel) verschwammen.96 Von Anfang an monierten Vertreter der Wirtschaft die vielen Ein- und Übergriffe nicht nur von NS-Organisationen, sondern auch der Staatsanwaltschaften, die mit Parteistellen und dem in Berlin aktiven Verein gegen das Bestechungswesen und ähnlichen Gruppierungen anderswo kooperierten. Parteiorganisationen drangen in Wohnungen und Betriebe ein, führten eigenständig Untersuchungen durch und nahmen Personen in »Schutzhaft«. Der Appell an die Mithilfe der Bevölkerung öffnete Tür und Tor für Verdächtigungen und Intrigen.97 Deshalb mahnten schließlich das preußische Justizministerium und dann auch Hermann Göring in seiner offiziellen Funktion als Ministerpräsident im preußischen Staatsministerium (und wohl indirekt in seiner Funktion als Reichsminister ohne Geschäftsbereich) zur Zurückhaltung bei der Korruptionsverfolgung: Durch die Eingriffe mehr oder weniger zuständiger Stellen sei eine Beunruhigung entstanden, die bereits zum Abzug ausländischer Gelder geführt habe. Der »Herr Reichskanzler« habe deshalb angeordnet, dass derartige Eingriffe in Zukunft zu unterbleiben hätten. Göring ersuchte die Staatsminister, ihrerseits alles zu tun, um in Zukunft unberechtigte Eingriffe in wirtschaftliche Unternehmungen zu verhindern. »Das spätere Urteil über die Tätigkeit der neuen Preußischen Staatsregierung werde nicht davon abhängen, wieviel [sic!] wirkliche oder vermeintliche Korruptionsfälle aufgedeckt seien, sondern lediglich davon, ob es gelungen sei, die deutsche Wirtschaft wieder in die Höhe zu führen«, zitierte Göring Hitler. Diese Äußerung fiel auf einer Sitzung am 15. Mai 1933, in der Eingriffe und Untersuchungen bei deutschen Banken durch Parteiorganisationen behandelt wurden.98 Am 11. September kam dann das erste entscheidende Signal zu einer Kehrtwende. Unter der Überschrift »Abwehr von Sabotagehandlungen und Aufhebung der Korruptionsdezernate bei den Staatsanwaltschaften« war im Justizministerialblatt zu lesen, dass das Ziel im Kampf gegen Korruption im Wesentlichen erreicht sei. Anstatt auf Korruption sollten die Staatsanwaltschaften nun ihr Augenmerk auf »Sabotage-

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handlungen« im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und die Maßnahmen zum Aufbau der Wirtschaft lenken.99 Abgeschlossen wurde dieser Prozess mit dem »Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit« vom 7. August 1934: Verfehlungen, die nicht aus »volks- und staatsfeindliche[r] Gesinnung« entsprungen waren und deren absehbares Strafmaß Geldstrafen bis 1000 RM und Freiheitsstrafen bis sechs Monate nicht überstieg, konnten unter diese Amnestie fallen.100 Das bedeutete aber nicht, dass die Korruptionsverfolgung damit eingestellt worden wäre.101 Im Gegenteil: Die Weiterverfolgung der »eigentlichen Korruptionsfälle« verblieb vielmehr bei einer dem Justizministerium zugeordneten Zentralstaatsanwaltschaft, während die regulären Staatsanwaltschaften die einfacheren Fälle – Betrug, Unterschlagung und dergleichen Strafbestimmungen – übernehmen sollten. Die einzelnen Fälle wurden in den jeweiligen Gerichtsbezirken sehr genau unter die Lupe genommen, und in Berlin fiel die Entscheidung, welche von Bedeutung waren und welche nicht. Das war nach wie vor eine beträchtliche Zahl, darunter die namentlich genannten, besonders prominenten »politischen Fälle« des Berliner Polizeipräsidenten Bernhard Weiß, des Staatssekretärs Robert Weismann und der von Kutiskers Anwalt Johannes Werthauer.102 Und nicht nur das, ohne dass hier darauf näher einzugehen ist, wurden gezielt Personen aus der Wirtschaft und Parteiführer der »Systemzeit« angegriffen, darunter auch Konservative, nicht zuletzt aber die vermeintliche »Zentrums-Korruption« rund um den Volksverein für das katholische Deutschland.103 Außer Frage steht, dass das Wissen um Verfehlungen in der Vergangenheit, seien es auch nur unbegründete Drohungen und Vermutungen oder in Einzelfällen sogar staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, eine Atmosphäre der Angst schufen – Angst um die eigene Existenz und die des Vermögens. Aus diesem Grund hielten viele der angegriffenen Unternehmer, Bankdirektoren sowie frühere Politiker still, wenn sie sich nicht gar wie der von den Nationalsozialisten zuvor geschmähte Metallindustrielle Otto Wolff oder der Zigarettenfabrikant Philipp Reemtsma mit der neuen politischen Führung arrangierten. Die Lektionen, die der starke Staat bereithielt

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(wie sie so viele gefordert hatten), waren nur zu klar: Fehlverhalten konnte drakonisch bestraft werden. Daraus resultierte eine Form von negativer Integration – mit allen Abstufungen, die es zwischen Angst und Opportunismus gibt. Zugleich tat sich frühzeitig ein Abgrund von Nepotismus, Klientelismus und Korruption auf, der sich schnell und endemisch in das NS-System einnistete. An der Spitze dieser eklatanten Parteikorruption stand Hermann Göring, der ein System von Schutzgelderpressungen schuf, wie am Beispiel des ursprünglich ebenfalls wegen Korruption beschuldigten Zigarettenindustriellen Philipp Reemtsma zu sehen ist.104 Aber auf allen Ebenen der Parteiorganisation gab es einen wahren Wettlauf, sich am Vermögen anderer schadlos zu halten: »Fahrräder, Musikinstrumente, Aktenschränke, Brieftauben, Paddelboote – es gab praktisch nichts, wofür nicht irgendeine SA- oder SS-Formation Verwendung finden konnte.« Das war die sich auch als Raubgemeinschaft formierende Volksgemeinschaft.105 Die Bemühungen, den Korruptionsverdacht von Personen und wirtschaftlichen Verbänden abzuwenden, überraschen nicht. Interessant sind aber die dabei vorgebrachten Argumente. Für den maßgeblichen Wortführer einer Amnestie wie zuvor einer Mäßigung der Politik, den rheinischen Rechtsanwalt Friedrich Grimm, war es »untragbar […], wenn auf der einen Seite Tötungsdelikte niedergeschlagen werden, auf der anderen Seite die ebenfalls zeitbedingten Korruptionsdelikte nicht oder doch nur unvollkommen« abgeschlossen würden.106 Neben allen Argumenten, die in den verschiedenen Rundschreiben 1933 auftauchten – Denunziationen aufgrund von »Unzufriedenheit und Missgunst«, »Angebertum«, »Ansehen im Ausland« etc. –, betonte Grimm, dass die Männer, die sich heute wegen Korruption zu verantworten hätten, »nicht immer schlechte Elemente [sind], die ausgemerzt zu werden verdienen, sondern viele von ihnen gehören zu den Wagemutigen, die Wege beschritten haben, die sie für richtig hielten und die heute das Opfer falscher Voraussicht geworden sind. Solche tatkräftige und verantwortungsfreudige Männer braucht aber der Staat, wenn die Wirtschaft und das Gemeinwohl wieder aufgerichtet werden sollen. Die tägliche Erörterung neuer Korruptionsfälle ist nicht geeignet, den

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Mut und die Handlungsfreudigkeit der zur Führung Berufenen anzufeuern.«107 An wen dachte der Anwalt bei diesem Loblied auf den wagemutigen Unternehmer? Sicherlich nicht an Personen wie Jakob Michael oder Julius Barmat, eher schon an den verstorbenen Hugo Stinnes oder Otto Wolff, vielleicht auch an Friedrich Flick und andere Unternehmer aus dem katholischen Umfeld des Rheinlands.108 Grimms Botschaft war eindeutig: Das neue Regime müsse durch »großzügiges Handeln die Tatkraft auch jenes Personenkreises auf sich […] vereinigen, der zuvor der Korruption beschuldigt wurde«; das garantiere, dass das Regime umso »sicherer alle Kräfte um sich vereine […], die gewillt sind, an dem Aufbau des sauberen Staates mitzuarbeiten, den wir alle erstreben und ersehnen«. Das verband sich mit einem Plädoyer für eine Zäsur. Amnestie hieß »Abschluss einer überwundenen Zeitepoche«; indem die »zeitgebundenen und durch eine außergewöhnliche Zeit bedingten Straftaten« eingedämmt würden, eröffnete die Befriedungsamnestie den Weg in »die neue Zeit«.109 Beim »Übergang zum Neuen und zur Überwindung des Alten« sei der strafrechtliche Begriff der »Korruption« geschaffen worden. Diese »besondere Strafverfolgung« habe, so Grimm, »ihren Zweck erfüllt«: Nachdem die »neue Volksgemeinschaft« entstanden sei, war seiner Meinung nach sichergestellt, dass sich die früheren Verhältnisse nicht wiederholen könnten.110 Außer Frage stand jedoch, dass es Personen und Gruppen gab, die außerhalb der Volksgemeinschaft verortet wurden: Das Amnestiegesetz von 1934 verwies auf Personen mit »volks- und staatsfeindliche[r] Gesinnung«, aber außerhalb der Volksgemeinschaft stand auch die jüdische Bevölkerung.

Radikalisierung des Maßnahmenstaates: Vermögenskonfiskation und Ausbürgerung Nicht erst seit 1933 galten den Antisemiten Juden als »Volksschädlinge«, denen eine »volks- oder staatsgefährdende Gesinnung« zugeschrieben wurde; gesteigert wurde dies durch den Vorwurf von

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Betrug und Korruption sowie des Kulturbolschewismus. Seit 1933 war das Staatsideologie. Ideologische Motive und bürokratische Praxis verschmolzen, und es lohnt sich, diesbezüglich den Fall von Jakob und Erna Michael weiterzuverfolgen. Auch hier waren alte Rechnungen offen. So plädierte der uns aus den Barmat- und Kutisker-Ermittlungen bekannte frühere Oberstaatsanwalt Linde im Mai 1933 für die Wiederaufnahme des Falles Michael: Dieser sei damals [d. h. 1925/26 – MHG] nur gegen massive Widerstände der Staatsanwaltschaft eingestellt worden; schon damals sei es Ziel gewesen, die »Vermögenswerte des Michael« als Entschädigung für den von ihm angerichteten Schaden zu beschlagnahmen.111 Wie bereits zu sehen war, hatte der staatliche Zugriff auf das Vermögen Jakob Michaels zu diesem Zeitpunkt längst begonnen. Seit 1933 fielen für den Unternehmer aus der Reichsfluchtsteuer Steuerschulden in Millionenhöhe an; außerdem ermittelte die Devisenstelle der Zollfahndung Frankfurt wegen Devisenvergehen. Im Zuge der oben umrissenen politischen Antikorruptionskampagne im März und April 1933 leitete dann das Reichswirtschaftsministerium die weiteren Untersuchungen der Frankfurter Devisenstelle zuständigkeitshalber an das Korruptionsreferat der Berliner Staatsanwaltschaft weiter. Wie der zuständige Referent im Ministerium unterstrich, war der Fall Michael als ein »typischer Fall einer gewissenlosen Geschäftsführung anzusehen, deren Ziel allein in der persönlichen Bereicherung ohne die geringste Rücksicht auf Gesetz und Belange der gesamten Wirtschaft liegt«.112 Das war einmal mehr das eingespielte Argument gegen einen Vertreter eines »spekulativen Kapitalismus«, das in dieser Form theoretisch wie praktisch viele Personen treffen konnte.

Untersuchungen im Berliner Korruptionsreferat Das Problem solcher Argumente war, dass sie zwischen wirtschaftlicher und juristischer Binnenlogik changierten. Interessanterweise kam der für die Bearbeitung zuständige junge Berliner Staatsanwalt Werner Ranke bei der Prüfung der übersandten Unterlagen zu ganz anderen Ergebnissen als die Devisenstelle: Weder seien die den Michaels zur Last gelegten Transaktionen 1931/32 als Devisenschie-

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bungen zu bezeichnen, noch gebe es für die erwirkten Vermögensbeschlagnahmungen in Millionenhöhe bei einer größeren MichaelFirma eine rechtliche Grundlage. Ranke riet von einem öffentlichen Prozess gegen Jakob Michael ab. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein wirtschaftliches Argument, nämlich die ungünstigen Folgen für die Privatgläubiger des Konzerns, deren Forderungen wegen der Beschlagnahmung nicht bedient werden könnten. Der Staatsanwaltschaft setzte auf einen »Rechtsvergleich«, was einmal mehr ein bezeichnendes Licht auf die bereits erwähnte gängige Praxis wirft. Konkret schlug Ranke »Entschädigungsauflagen« vor, wonach das Reichswirtschaftsministerium 1 Million RM in Form von Devisen für die »Arbeitsbeschaffung« erhalten sollte; der Berliner SA sollten zwei Grundstücke in Königstein im Taunus für Erholungs- oder Siedlungszwecke überlassen werden; die »Spende für die nationale Arbeit« sollte im Laufe des Jahrs 1934 insgesamt 80000 RM und das »Winterhilfswerk« etwa 10000 RM aus den beschlagnahmten Bankkonten erhalten.113 Das war durchaus typisch für die Zeit und erinnert an die Debatten über die Fürstenenteignung wenige Jahre zuvor. Eine solche Regelung stieß auf massive Widerstände, die bezeichnenderweise aus der Verwaltung kamen. Ein Verfahren gegen Michael, »der als gewissenloser Spekulant überall bekannt ist, im Wege eines so billigen Vergleichs abzuschließen«, war für den Präsidenten des Landesfinanzamtes Kassel »unerträglich«; das stehe nicht im Einklang mit »den Grundsätzen des neuen Staats«.114 Dieser Linie schloss sich dann auch das Reichswirtschaftsministerium an, in dem Beamte emsig an neuen Durchführungsbestimmungen und Anpassungsgesetzen arbeiteten, um eine Rechtsgrundlage bei der Verfolgung von Devisenvergehen zu schaffen. Dazu gehörten sehr weitreichende Möglichkeiten bei der Beschlagnahmung von Vermögen im Zusammenhang mit Vergehen gegen die Devisenordnung, auch indem frühere, ganz offensichtlich rechtswidrig erfolgte Beschlagnahmungen sanktioniert wurden.115 Es folgten lange behördeninterne und juristische Auseinandersetzungen aufgrund der Meinungsverschiedenheiten bei der Beurteilung des Falles Michael, die hier nicht zu verfolgen sind, die aber zum Einknicken der

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Berliner Justiz führten. Im Februar 1935 fällte das Landgericht Berlin wegen Vergehen gegen die Devisengesetze schließlich ein Urteil auf Einzug von Vermögen in Höhe von 2,7 Mio. RM. Wegen grober Verfahrensmängel hob die Beschwerdekammer diese Entscheidung in einem Revisionsverfahren zwar auf, wies das Urteil aber nicht zurück, sondern setzte die Höhe des möglichen einzuziehenden Vermögens auf 941999,60 RM fest. Die vermeintliche bürokratische Sachlogik kommt wohl am besten in der Ziffer hinter dem Komma zum Ausdruck, was nicht heißen soll, dass der Verfahrensverlauf nicht im höchsten Maße ideologisch überformt war.116

Der neue Grundsatz: »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« Ranke, der zunächst noch mit dem Gestus juristischer Überheblichkeit die aus seiner Sicht haltlosen Begründungen der Frankfurter Devisenstelle in Form von Marginalien kommentiert hatte, begleitete den Fall bis zum Schluss; so hatte er den Antrag auf Einziehung von 2,7 Mio. RM eingebracht. Sein früheres Urteil erschien ihm angesichts des massiven Drucks von allen Seiten aber offenbar doch brenzlig: Frühere handschriftliche Marginalen in den Akten versuchte er zu löschen und fügte nachträglich eine Richtigstellung ein.117 Und in einem Artikel in der Juristischen Wochenschrift demonstrierte er schon Ende 1933, dass er kein »trockener Jurist« war, der Fälle von »Wirtschaftssabotage« allein aus der Warte der Gesetze betrachte, sondern auch aus der des Lebens. »Das Devisenstrafrecht ist eine wirksame Waffe des deutschen Volkes gegen alle Wirtschaftsschädlinge, welche den Devisenbestand des Reichs eigenmächtig und eigennützig schmälern, den Anfall neuer Devisen vereiteln oder durch Kapitalflucht das Volksvermögen angreifen«, begann der Aufsatz. »Diese Verteidigungswaffe« diene »dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb des deutschen Volkes«, insbesondere aber dem Wiederaufbau auf nationalsozialistischer Grundlage. Vorgänge in der Devisenwirtschaft mit Vorstellungen und Begriffen des Zivilrechts meistern zu wollen, sei ein Ding der Unmöglichkeit, da das bürgerliche Recht dem »liberalistischen Zeitalter« diene. Der neue Grundgedanke des Rechts sei dagegen »Gemeinnutz geht vor

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Eigennutz«. Und ohne den Namen Jakob Michael zu nennen, aber zweifellos auf diesen abzielend, hieß es: »Seit dem Beginn der Devisenbewirtschaftung, vornehmlich aber seit der nationalsozialistischen Revolution, ist in steigendem Maße festzustellen, daß sich die im Ausland lebenden oder ins Ausland abgewanderten Juden und sonstige Wirtschaftsparasiten, also vornehmlich die Kreise, die sich in maßlosester Verunglimpfung des deutschen Volkes und seiner neuen Staatsführung förmlich überschlagen, zu gewerbsmäßigen Devisenschiebungen zusammenschließen. Ganze Banden solcher heimat- und gewissenloser Profitjäger treten in Deutschland auf und arbeiten sich bei verbotenen Devisen- und Sperrmarkgeschäften in die Hand mit dem Ziel, nicht nur das Vermögen unseres Volkes zu verschleppen und die deutsche Währung zu gefährden, sondern auch die damit verbundenen, teilweise recht hohen Gewinne auf unsere Kosten einzustreichen.«118 Wo im Falle des Staatsanwalts die Grenze zwischen strategischer und ideologischer Sprachaneignung lag, bleibt eine offene Frage. Sein Beispiel zeigt aber die Verformung der Rechtssprache ebenso wie die Anpassung an die neuen politischen Gegebenheiten. Die rund eine Million RM Strafe wegen »Devisenschiebungen« war im Vergleich zu den über 12 Mio. RM Reichsfluchtsteuer, die der Reichsfiskus seit 1932 von den Michaels forderte, eher zweitrangig. Doch das Devisenverfahren, das in den Bereich des Reichswirtschaftsministeriums fiel, hatte zunächst Priorität, mit der Folge, dass die Behandlung der Reichsfluchtsteuer zunächst aufgeschoben wurde. Wie schon erwähnt, hatte der angerufene Reichsfinanzhof diese Forderung 1933 mit Blick auf die polizeiliche Meldung der Michaels in Berlin verworfen – ein durchaus wichtiger Präzedenzfall, da er 1934 zur Neufassung der Reichsfluchtsteuer führte. 1936 lag der Fall erneut dem Reichsfinanzhof vor – und scheiterte einmal mehr am Einspruch des Gerichts, das darauf hinwies, dass die inzwischen vorgenommene Neuregelung der Reichsfluchtsteuer im Jahre 1934 nicht rückwirkend angewendet werden könne.119

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Verschärfung der Reichsfluchtsteuer: Die Enteignung der Flüchtlinge Die Neuregelung der Reichsfluchtsteuer 1934 war unmittelbar eine Reaktion auf das erste Urteil des Reichsfinanzhofes im Falle Michael. Denn mit Blick auf die Höhe der geschuldeten Steuern der Michaels intervenierte ein Beamter des Berliner Finanzgerichtshofes im November 1933 beim Reichsfinanzministerium und regte eine Verschärfung der Bestimmungen des Gesetzes an: Jakob Michael wohne seit langer Zeit im Ausland und denke nicht daran, seinen Wohnsitz ins Inland zu verlegen; der Berliner Haushalt sei nur eine Scheinmeldung.120 Das Urteil des Reichfinanzhofes, das minutiös den rechtlichen Rahmen seit den Notverordnungen 1931 auslotete, war noch ganz vom Geist des (nicht nur) von den Nationalsozialisten so gehassten »positiven Rechts« durchdrungen: Der Haushalt mochte infolge der Privatinsolvenz Michaels aufgelöst worden sein, aber »als leitender Angestellter eines inländischen Unternehmens beteiligte er sich als Mitglied des Aufsichtsrats eines inländischen Unternehmens wesentlich an dessen Geschäftsführung, so war er, auch wenn er sich nicht im Inland aufhält, wie eine Person zu behandeln, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt an einem Orte hatte, an dem sich der Sitz oder die Geschäftsleitung des inländischen Unternehmens befindet«.121 Aufgrund des »dringende[n] Wunsch[s] der Praxis« wurde nun ein Gesetzesentwurf erarbeitet, dessen Ziel die »Beseitigung der Auswirkungen des sogenannten Michael-Urteils« war.122 Das geschah durch das Gesetz über die Änderung der Vorschriften der Reichsfluchtsteuer vom 18. Mai und das Steueranpassungsgesetz vom 17. Oktober 1934. Die Rückkehr nach Deutschland, die ja das Ziel der Notverordnung vom Dezember 1931 gewesen war, entband nicht mehr von der Reichsfluchtsteuerzahlung; die Höhe des anzusetzenden Vermögens wurde herabgesetzt, vor allem aber wurden die Finanzbehörden ermächtigt, nach eigenem Ermessen Sicherheitsleistungen für gegenwärtige und künftige Ansprüche auf Steuern zu erheben; außerdem wurde der Beschwerdeweg verkürzt. Diese Neufassungen hatten weitreichende, über den Fall Michael hinausgehende Implikationen. Denn damit waren die Reichsfluchtsteuervorschriften in »ein willkürliches Zugriffsrecht der

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Finanzbehörden auf Vermögenswerte aller Staatsangehörigen verwandelt worden, die nach dem Machtantritt der Nazi-Regierung am 30. Januar 1933 nicht nach Deutschland zurückzukehren wagten und die – früher oder später – aus Deutschland vertrieben oder wegen ihrer Verfolgung flüchten würden«.123 Im konkreten Fall der Michaels versagte der Reichsfinanzhof diesen Schritt. Das hatte sicherlich auch pragmatische Gründe. Denn die meisten Michael-Firmen leisteten nach wie vor Zahlungen an inländische Gläubiger; nach der Vollstreckung der Reichsfluchtsteuer wären sie ausgefallen, mit Konsequenzen sowohl für die Gläubiger als auch für den Fiskus. Als Zwischenbilanz dieser Geschichte kann festgehalten werden, dass Justiz und Steuerbehörden gegen die in den Niederlanden lebenden Michaels wegen Devisenvergehen, »Reichsflucht« und Korruption nicht nur ermittelten, sondern auch weitreichende Zahlungsforderungen stellten. Sie wurden zunächst immer wieder aus formalrechtlichen sowie aus pragmatischen Gründen des Gläubigerschutzes blockiert. Deutlich erkennbar sind anhaltende Auseinandersetzungen zwischen denjenigen, die unter Berufung auf juristische Generalklauseln – etwa »volksschädigendes Verhalten« – auch rückwirkend die Ermessensspielräume auszuweiten versuchten, und denjenigen, die dagegen Widerstand leisteten, weil sie sich einerseits auf Regelverfahren beriefen oder, das ist fast noch wichtiger, die Implikationen jeglicher Maßnahmen für die Gläubiger des Konzerns im Blick hatten. Die divergierenden Interessen, die zwischen dem preußischen Justizministerium und dem Reichsfinanzbzw. Wirtschaftsministerium bestanden, verkomplizierten die Lage.

Ausbürgerung Die Sache war aber noch verworrener. Eigentlich hätte es von Anfang an einen weit weniger komplizierten Weg gegeben, um einen schnellen Zugriff auf die Vermögenswerte der Michaels zu erhalten: nämlich durch ihre förmliche Ausbürgerung. In unserem Zusammenhang ist dieses Verfahren auch deshalb von Interesse, weil seit 1933 eine große Zahl der in die Skandalfälle der 1920er Jahre involvierten Personen auf diesem Wege in die Mühlen der Politik des

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Ausschlusses aus der »Volksgemeinschaft« gerieten. Die meisten von ihnen waren nicht mehr greifbar, da sie ins Ausland geflüchtet waren. Vergegenwärtigt man sich die antisemitische Programmatik der Völkischen, überraschen die Initiativen zur Ausbürgerung von jüdischen Staatsbürgern gleich im März 1933 eigentlich nicht. Der bereits im Zusammenhang mit dem Pressebüro des »Dr. Knoll« im Fall Barmat erwähnte Paul Bang, ein Vertreter des antisemitischen Flügels der Deutschnationalen Volkspartei und des Alldeutschen Verbandes, der als Gefolgsmann des neuen Reichswirtschaftsministers Alfred Hugenberg auf seinen Ministerialposten gehievt worden war, drängte im März 1933 darauf, mit der »völkischen Gesetzgebung« zu beginnen. Konkret nannte Bang die Regelung der »Zuwanderung von Ostjuden«, aber auch die Aufhebung sämtlicher, seit 1918 vorgenommener Namensänderungen. Angetrieben von der antisemitischen Agitation der Nationalsozialisten entstand daraus binnen kurzer Zeit ein vom Reichsinnenministerium erarbeiteter Gesetzentwurf über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit. »[W]egen der Notwendigkeit, gegen die sich im Ausland aufhaltenden Landesverräter sofort vorzugehen«, wurde dieser Gesetzesantrag im Eiltempo am 14. Juli 1933 verabschiedet. Den Bedenken des Reichsaußenministers Konstantin von Neurath hatte Reichskanzler Hitler in der Kabinettssitzung entgegengehalten, dass in der Bevölkerung das Verständnis für ein »Vorgehen gegen die Ostjuden« allgemein vorausgesetzt werden könne.124 Einbürgerungen zwischen dem 9. November 1918 und dem 30. Januar 1933 konnten demnach widerrufen werden, wenn sie »keinen erwünschten Bevölkerungszuwachs« darstellten. Noch wichtiger war der zweite Paragraf, in dem die Staatsangehörigkeit derjenigen Reichsangehörigen, die sich im Ausland aufhielten, für verlustig erklärt werden konnte, sofern sie durch ein Verhalten, das gegen die »Pflicht und Treue gegen Reich und Volk« verstieß, die deutschen Belange schädigten. Das Gleiche galt für Personen, die Rückkehrforderungen des Reichsinnenministers nicht Folge leisteten.125 Ausbürgerungsverfahren fielen in das Ressort des Reichsin-

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nenministers, der sich in diesen Fragen mit seinen Fachkollegen, aber auch der Staatspolizei abstimmte. Unter den 39006 Deutschen, die auf der Grundlage des Gesetzes vom Juli 1933 zwischen dem 25. August 1933 und dem 7. April 1945 ausgebürgert wurden und deren Vermögen eingezogen wurde,126 befanden sich auch Personen, die 1925/26 direkt oder indirekt in den Barmat-Kutisker-Skandal verwickelt gewesen waren. Gleich auf der ersten Ausbürgerungsliste (von insgesamt 359 solcher Listen bis 1945) vom 25. August 1933, die im Deutschen Reichsanzeiger, dem preußischen Staatsanzeiger sowie in Zeitungen unter der Balkenüberschrift »Ausgestoßen« veröffentlicht wurde,127 tauchten 33 geflüchtete oder bereits länger im Ausland lebende Gegner des Nationalsozialismus auf, darunter viele SPD-Politiker wie Otto Wels und Philipp Scheidemann, sehr viele KPD-Politiker und Schriftsteller wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Kurt Tucholsky.128 Es sollte »gegen die Wühlarbeit von Persönlichkeiten der SPD, KPD, ferner von Jüdischen und anderen Persönlichkeiten im Ausland […] ein Exempel statuiert werden«. Auf massives Betreiben der Geheimen Staatspolizei wurden neben dem früheren Berliner stellvertretenden Polizeipräsidenten Bernard Weiß auch der aus dem Kontext der Barmat- und Kutisker-Fälle bekannte preußische Staatssekretär Robert Weismann und Johannes Werthauer auf die Liste gesetzt: Die drei hätten sich, so die merkwürdige Verklausulierung, für die »Begünstigung der ostjüdischen Einwanderung«, sprich für Personen wie Sklarz, Barmat und Kutisker eingesetzt; ihre »Nichtaufnahme [auf die Liste] würde Kritik« verursachen. Die Vertreter des Auswärtigen Amtes und des Reichsinnenministeriums konnten sich mit ihrem Argument, dass von einer »deutschfeindlichen Betätigung« dieser Personen nichts bekannt geworden sei, nicht durchsetzen.129 Für die Geheime Staatspolizei war Werthauer, der von einer Reise nach Paris nicht zurückgekehrt war, untragbar. In einem »biographischen Hinweis« zu seiner Person hieß es unmissverständlich: »Kulturbolschewist und Saboteuer [sic!] der Rechtspflege, völlig korrupte Erscheinung, die in enger Verbindung mit den vergangenen Systemgrößen gelebt und gewirkt hat und ihnen sowie den kommunistischen Verbrechern in gerichtlichen

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Verfahren auf jede unlautere Art und Weise zu helfen und sie vor gerechter Strafe zu schützen wusste.« Ferner wurde darauf hingewiesen, dass er im Auftrag der Roten Hilfe als Anwalt für »kommunistische Verbrecher« tätig war, »die überfallene[…] Angehörige[…] nationaler Verbände« als Angreifer hingestellt habe, und dass er Mitglied des unter anderem von Albert Einstein und Heinrich Mann gegründeten Initiativkomitees »Das Freie Wort« gewesen sei.130 In der Ausstellung Der ewige Jude wurde Werthauer prominent als »Spezialverteidiger jüdischer Finanzschieber« genannt.131 In der dritten und vierten Liste tauchten in der ersten Jahreshälfte 1935 Erwin Piscator und dann Walter Mehring auf sowie der Vorwärts-Redakteur Victor Schiff, der sich im Fall Höfle engagiert hatte. Auf der siebten Ausbürgerungsliste vom 1. Februar 1937 erschien dann Erich Kuttner.132 Die Überlegungen, auch Jakob und Erna Michael auszuweisen, sind insofern nicht überraschend. Neben der Finanzverwaltung intervenierte in dieser Angelegenheit im Frühjahr 1934 auch der Berliner Oberbürgermeister: Mit Blick auf die nicht eintreibbaren Steuerschulden bestehe ein »großes Interesse an der beschleunigten Durchführung des eingeleiteten Ausbürgerungsverfahrens und vor allem an der Beschlagnahmung des gesamten inländischen Vermögens«. Der »völlig unübersichtlich[e] und unproduktiv[e] Michael-Konzern« mit seiner Vielzahl von Gesellschaften müsse »aus den Steuerlisten zum Verschwinden zu bringen« sein. Es lägen andere Berichte vor, dass sich, wie ein eigens nach Den Haag gereister Gläubigeranwalt zu berichten wusste, »Michael ausschließlich mit Juden« umgebe, die aus Deutschland geflüchtet beziehungsweise ausgewandert seien und die er auch unterstütze; Behörden und Parteiinstanzen verwiesen auf die Schädigung der Volksgemeinschaft sowie der Gläubiger durch Michael.133 Wahrscheinlich waren es einmal mehr Rücksichten auf die Gläubiger der Michaels, dass sich ihre Ausbürgerung und die ihres in Deutschland geborenen Sohnes bis Sommer 1938 hinzog.134 In der Folge wurde ihr gesamtes gepfändetes Vermögen als dem Reich zugefallen erklärt. Etwas mehr als ein Jahr später, im September 1939, entschied der Berliner Oberfinanzpräsident, dass das Ehepaar

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Michael noch eine Steuerschuld von 1713820 bzw. 2834924 RM zu leisten habe. Angefallen war sie im Zusammenhang mit der Reichsfluchtsteuer. Gegenüber der ursprünglichen Forderung von über 12 Mio. RM, mit der sich über mehrere Instanzen das (1939 abgeschaffte) Finanzgericht beschäftigt hatte, war die nun festgelegte Summe vergleichsweise niedrig, und – zumindest auf den ersten Blick – einigermaßen absurd, da infolge der Ausbürgerung das Vermögen ohnehin vom Reich eingezogen worden war. Ging es um das sprichwörtliche »Prinzip«, oder war dies eine späte Rache der Finanzbehörden, die sich immer wieder blockiert gesehen hatten? Auf jeden Fall wurden die Michaels mit der ausstehenden Steuerschuld noch kriminalisiert. Da die Forderung nicht beglichen wurde, erließ das Finanzamt Berlin-Mitte am 6. Januar 1940 den obligatorischen »Steuersteckbrief«. Der Fall ging an das Landgericht Berlin, wo die Erste Strafkammer am 10. Juni 1940 das Urteil fällte, nämlich vier beziehungsweise drei Jahre Gefängnis, 3 und 2 Mio. RM Geldstrafe sowie jeweils 10200 RM Verfahrenskosten – und nicht zu vergessen die obligatorischen acht Pfennig Postgebühren für die Übersendung der Rechnung.135

Die Volten des Jakob Michael Aber wie bei vielen in unserer Geschichte handelte es sich auch bei den Michaels um einen außergewöhnlichen Fall, mit einem einigermaßen überraschend-absurden, durchaus untypischen Ende. Die Kriminalisierung des Ehepaares hatte wahrscheinlich noch eine andere Ursache und steht möglicherweise in Verbindung mit Erkenntnissen, die wohl auch der Reichsfinanzbehörde zu Ohren kamen (und die im Übrigen auch dem Historiker einige Rätsel aufgeben). Im August 1940 sah sich das Reichsinnenministerium veranlasst, dem Auswärtigen Amt mitzuteilen, dass die vorgenommene Ausbürgerung »des Juden Michael«, seiner Ehefrau und des Sohnes Arthur rechtsunwirksam sei, da die Genannten ebenso wie zwei weitere im Ausland geborene Kinder bereits seit dem 18. August 1931 Liechtensteiner Staatsangehörige waren. 1939 wanderten sie aus den Niederlanden in die USA aus. Wahrscheinlich wäre man gar nicht auf die Spur dieser Staatsbürgerschaft gestoßen, wenn die SS

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nicht nach den Geschwistern von Jakob Michael gefahndet hätte, die ebenfalls ausgebürgert werden sollten, sodass über das Auswärtige Amt Ermittlungen in der Schweiz und England angestellt wurden.136 Das war nicht die einzige Volte Jakob Michaels. Einigermaßen absurd mutet die Geschichte der Köster AG an, der Dachgesellschaft für die Deutsches Familien-Kaufhaus AG, also jenes Kaufhauskonzerns, der ein Kernstück des Michael-Konzerns bildete. Im Zuge der Rettung der Michael’schen Industrie- und Privatbank übernahm der niederländische Konzernteil Michaels die von der Bank gehaltenen Anteile an der Köster AG; damit hatte die Finanzverwaltung keinen Zugriff auf diesen wertvollen Teil des Konzerns. 1933, als die Nationalsozialisten ihre Kampagnen gegen jüdische Kaufhäuser starteten, verkaufte Michael zudem die Köster AG an einen New Yorker Investor namens Phelan Beale, der aber, daran besteht kein Zweifel, im Namen und auf Rechnung von Michael agierte. Somit waren die Kaufhäuser dem direkten Zugriff der auf der Lauer liegenden staatlichen (Finanz-)Bürokratie, der Parteiorganisationen und anderer mehr oder weniger ehrenwerter Vertreter der neuen »Volksgemeinschaft« entzogen; die Aktien lagen in einer Bank in Paris, sodass auch Beale keinen Zugriff hatte. Unter den gegebenen neuen politischen Bedingungen konnte der amerikanische Besitzer aber nicht verhindern, dass in den Aufsichtsrat und Vorstand der Emil Köster AG nazitreue Banken- und Verbandsvertreter, darunter ein Vertrauter Heinrich Himmlers, sowie Otto Jung, ein Vertrauensmann des Wirtschaftsstabes Hitlers und seit 1938 der Gauwirtschaftsberater der NSDAP und Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie, neben den Bevollmächtigen Michaels einrückten. Die Kaufhausgruppe war trotz aller früherer warenhausfeindlicher Rhetorik ein blühendes Unternehmen, nicht nur dank der vielen »Familienkaufhäuser« in Deutschland, sondern auch, weil der Konzern rasch nach Südosteuropa expandieren konnte.137 Wohl ziemlich einzigartig in der Geschichte der Wirtschaftsund Arisierungsgeschichte der NS-Zeit ist außerdem der folgende Coup der Köster AG. 1940 erwarb sie die seit 1932 unter Zwangsver-

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waltung stehende, nun zwangsversteigerte Immobilie der Michaelschen Hackeschen Hof GmbH, die damit wieder – zumindest formal – in den Besitz der Michaels gelangte. Die Köster AG überlebte den Krieg: Jakob Michael verkaufte 1954 den Besitz in Höhe von 60 Mio. DM an den Kaufhausbetreiber Helmut Horten. Ob dabei die in der DDR gelegenen Liegenschaften mitverkauft worden waren, hatten nach 1989 Juristen zu klären, denn, Ironie der Geschichte (auch der Geschichte des Antikapitalismus in Deutschland): Die Sowjets hatten nach dem Krieg die in ihrer Besatzungszone liegenden Teile des Betriebs als Vermögenswerte der »Kriegsverbrecher und Naziaktivisten« eingezogen.138 1940 gelang den deutschen Behörden der Zugriff auf das in Paris liegende Aktienpaket der Köster AG. Das rief sofort die Berliner Oberfinanzdirektion auf den Plan, die Ansprüche anmeldete, unter anderem mit dem Argument, es handele sich um einen Scheinverkauf. Das schmetterten die amerikanischen Bevollmächtigen ab, und man einigte sich schließlich, die Sache erst nach dem Krieg zu klären und bis dahin den Betrieb in die Hände der deutschen Feindvermögensverwaltung zu stellen. Der in München ansässige Bevollmächtigte Loomis Taylor, der auch im privaten Umgang mit SS-Leuten Erfahrung hatte, wusste in strategischer Manier antisemitische Argumente ins Feld zu führen: »Die von dem Herrn Oberfinanzpräsidenten angezogenen [sic!] Beweisunterlagen sind die Geschäftsbücher der holländischen Gesellschaften des Juden Jakob Michael, eines der grössten [sic!] und anrüchigsten jüdischen Geschäftemacher, dessen Bücher als ein Muster der Art, wie solche Elemente kaufmännische Buchführung für ihre dunklen Machenschaften benutzen, bereits immer gegolten haben. Das Urteil der Vertrauenswürdigkeit, ja der gänzlichen Wertlosigkeit derartiger Geschäftsbücher kann nicht in einem Ausnahmefall in sein Gegenteil verkehrt und damit diesem berüchtigten Juden Glauben in einer Angelegenheit geschenkt werden, die auf der anderen Seite einen ehrenwerten Kaufmann von bestem Rufe, nämlich meinen Vollmachtgeber Phelan Beale, ausserordentlich nahe angeht und ihn und damit auch zugleich mich als Helfershelfer dieses Juden Michael diffamiert.«139 Das war die eingeübte Sprache des Antisemitis-

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mus, die Michaels Bevollmächtigter Taylor dialektisch gegen den politischen Apparat wandte.

Bürokratie und Ideologie: Die Durchführung eines ideologischen Programms Von den »Börsenfürsten«, mit denen dieses Kapitel begann, war in der Zeit der nationalsozialistischen Machtübernahme nicht mehr viel zu hören, dagegen viel von »den Juden« und dem mit ihnen assoziierten »spekulativen« und »unproduktiven« Kapitalismus, den es »auszumerzen« galt. Diese pejorative Begrifflichkeit mit ihren impliziten Annahmen eines rationalen und der Realwirtschaft dienenden Kapitalismus war im politischen wie öffentlichen Diskurs gut etabliert. Zugleich waren antikapitalistische Hitzköpfe wie Gottfried Feder, der die Brechung der Zinsknechtschaft propagiert hatte, ebenso wie diejenigen Radikalen, die 1933 Übergriffe auf Banken unternommen hatten, schnell marginalisiert. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die älteren programmatischen Forderungen der Radikalen, die eine Vertreibung der Juden gewollt hatten, weitgehend erreicht waren: Die Verdrängung der jüdischen Bevölkerung aus dem wirtschaftlichen Leben hatte schon vor 1933 begonnen, nahm dann aber unter den neuen politischen Vorzeichen schnell Fahrt auf. Davon betroffen waren in den ersten Jahren im besonderen Maße Personen, die im Banken- und Börsenwesen tätig gewesen waren. Auch wenn die Geschichte Jakob Michaels in fast jeder Hinsicht ungewöhnlich ist, reflektiert sie doch die Logik dieser Entwicklung. Deutlich zu sehen ist, wie sich ideologische Begründungen und bürokratische Prozesse mit einem radikalen staatlichen Ordnungsdenken amalgamierten: Bis 1941 war etwa die Hälfte der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland emigriert, der überwiegende Teil von ihnen ohne Vermögen. Vorschriften wie die über die Reichsfluchtsteuer, über Devisentransfers oder die »Vermögensabgabe« wie nach dem Novemberpogrom 1938 ermöglichten die kalte Enteignung und die »Arisierung« des Besitzes zugunsten des Fiskus wie der Bevölkerung.140 1941 begann dann die systematische Deportation der jüdischen Bevölkerung in Gettos und Konzentrationslager in den

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besetzten Ostgebieten. Das war der Endpunkt dieses Prozesses des Ausschlusses der Juden. Der Euphemismus, die deportierten Juden zu »produktiver Arbeit« heranzuziehen, war nichts anderes als ein Aspekt des Vollzugs des Kampfes gegen die »Börsenfürsten«.

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Kapitel 8 Ein grenzenloser Betrüger? Eine transnationale Geschichte 1929– 1934 Schon kurz nach dem Urteil des Berliner Schöffengerichts hoben die deutschen Behörden die Grenzsperre für Julius und Henry Barmat auf, sodass sie noch vor dem Urteil und vor ihrem Antritt der absehbaren Haftstrafe für kurze Zeit ins Ausland reisen konnten. Das ermöglichte ihnen am 18. April 1928 eine Stippvisite in Amsterdam, wo ihnen ein großer Empfang am Bahnhof bereitet wurde. Zahlreiche Vertreter der niederländischen und internationalen Sozialdemokratie sowie der Gewerkschaften überreichten Blumen. Der kranke Führer der niederländischen Sozialisten Troelstra ließ ein Willkommenstelegramm überreichen, in dem er die Barmats als seine Gäste bezeichnete. Zynisch vermerkten die deutschen Korrespondenten konservativer Zeitungen diesen Auflauf »um Judko de[n] Großen«; selbstverständlich habe bei den überreichten Blumengeschenken »die rote Darwin Tulpe« dominiert.1 In einer Presseerklärung kündigte Barmat an, alle seine Geschäfte nach Holland zu verlegen und sich auf Handelsgeschäfte zu konzentrieren. Die Rede war von »Emigrantentransporten« in Zusammenarbeit mit holländischen Reedereien und von Geschäften im Rahmen von Reparationslieferungen. Die nach der Rückkehr nach Deutschland angetretene Haft war kurz. Aufgrund früherer Vereinbarungen2 wurde im folgenden Jahr durch einen Beschluss des Gerichts vom 12. Juli 1929 die Vollstreckung des noch nicht verbüßten Teils der Freiheitsstrafe unter Bewilligung einer Bewährungsfrist von drei Jahren ausgesetzt. Bis dahin war auch die verhängte Geldstrafe – wie vereinbart bis zum

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1. Oktober 1933 in Raten – zu zahlen.3 Die fälligen Raten gingen pünktlich ein, bis sie im Dezember 1932 ins Stocken kamen, weil gegen das Berliner Bankhaus Levi, Fleischer & Co, über das die Zahlungen abgewickelt wurden, ein Verfahren wegen Devisenvergehen lief. Die eingehenden Schecks wurden daraufhin offenbar nicht mehr honoriert, gingen vielleicht auch nicht mehr ein. Es folgten Mahnungen. Am 14. März 1933 hob das Gericht die Bewährungsfrist auf und ordnete an, die Strafen gegen die beiden Brüder zu vollstrecken.4 Nach der Haftentlassung kehrten die Barmats 1929 zunächst nicht dauerhaft nach Amsterdam zurück, wo ihr Name zu bekannt war. Das neue Ziel war Brüssel, dann Den Haag, wo sich Julius’ Frau niederließ und ihr Mann zeitweise neben Brüssel seinen zweiten Wohnsitz hatte. Im Brüsseler Meldebogen ist das Ankunftsdatum von Julius und seiner Frau mit dem 27. Januar 1930 und sein Beruf mit banquier, zwei Jahre später mit directeur des societés angegeben.5 Wer Julius Barmat bei seiner Ankunft auf dem Bahnhof in Brüssel empfing – wenn es überhaupt einen größeren Empfang gab –, war späterhin umstritten. Die niederländische Polizei war der Meinung, Julius und Henry hätten sich auf Einladung des belgischen sozialistischen Ministers Edward Anseele nach Belgien begeben.6 Neben Vertretern der belgischen Sozialisten und der Gewerkschaften setzte sich der Minister für die Wissenschaften und Schönen Künste Robert Petitjean von der Partei der Liberalen massiv für die Barmats – »mes protégés« – ein. Für ihn waren die Barmats Opfer: einer politisch fehlgeleiteten Justiz, des deutschen Antisemitismus und weil sie politische Freunde hatten, die eigentlich die Zielscheibe der Agitation waren.7 Misstrauisch zeigte sich jedoch die belgische wie die niederländische Fremden- und Sicherheitspolizei, die Sûreté Publique. So erhielten die Barmats nur regelmäßig zu verlängernde Visen, und zwar unter dem Vorbehalt, dass keine »negativen Auskünfte eingingen«. Eine Nachfrage bei Scotland Yard ergab, dass es (wie bereits erwähnt) eine Verbindung zu Trotzki gegeben habe; außerdem war aus London zu hören, die Barmats seien immer deutsch-freundlich und »danach notorische Anti-Bolschewis-

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ten« gewesen.8 Doch das war Aktenwissen von gestern. Bald gab es andere Stimmen, die vor den Barmats als Gauner und Betrüger warnten. Was mit dem Empfang der Barmats auf dem Amsterdamer und dem Brüsseler Bahnhof einen eher optimistischen Anfang nahm, mündete in eine erneute Serie von Skandalisierungen ihrer Geschäftstätigkeit. Diese begannen schon 1930/31, was zur Verlegung des Wohnsitzes zuerst nach Den Haag, dann zu ihrer Ausweisung aus Belgien und, im Falle Henry Barmats, auch aus den Niederlanden führte. Das Ganze mündete 1937/38 in eine veritable belgische »Affaire Barmat«. Zwischen 1929 und 1936 stößt man auf eine Serie zweifelhafter, wenn nicht betrügerischer Geschäfte. Wer von den Barmats sprach, der sprach von Betrug und Spekulation. Julius Barmat wurde zum Inbegriff eines escroque international – eines internationalen Gauners, um den sich vielerlei Verschwörungstheorien rankten. Diese Geschichte der Barmats ist in vielerlei Hinsicht noch verworrener als die vorangegangene, die in Deutschland spielte. Das hat zum einen damit zu tun, dass die neuen Geschäfte der Barmats in die Zeit der Weltwirtschaftskrise fielen, als ganze Volkswirtschaften ins Wanken geraten waren, was, wie bereits im vorherigen Kapitel zu sehen war, die Beurteilung von Einzelfällen erschwert. Überdies kam vieles erst langsam und dann wieder in einer hochemotionalen und politisch höchst kontroversen Form ans Tageslicht. Zum anderen handelt es sich um eine genuin transnationale Ereignis- und Skandalgeschichte, die sich gleichzeitig in Belgien, den Niederlanden und Frankreich entwickelte und in der Schweizer Provinz ihren Ausgang nahm. Schließlich vermischten sich auch in dieser Phase Fakten und Fiktionen, was gleichermaßen Bilanzen, wirtschaftliche Aktivitäten und Unterwanderungsängste betraf. Die Geschichte führt mitten in die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen der 1930er Jahre: Firmenzusammenbrüche, das Platzen der Spekulationsblase der späten 1920er Jahre und (Währungs-)Spekulationen im Zusammenhang mit der Auflösung des Goldstandards, Flucht- und Emigrantenströme aus Deutschland in die Nachbarländer und das Erstarken rechtsradikaler und fa-

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schistischer Bewegungen. Es ging um die wirtschaftliche, politische und moralische Ordnung, um innere und äußere Feinde und einmal mehr um den Platz Julius Barmats und den in die Krise geratenen Kapitalismus.

Börsengeschäft mit großen Folgen: Die Schweizer »Affaire Appenzell« Zu den viel bemühten Bildern der Chaostheorie gehört die Frage, ob der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen könne. Auf unseren Fall übertragen lautet die auf den ersten Blick absurde Frage, ob ein vom Spekulationsfieber angesteckter Buchhalter und Gesangsvereinsvorsitzender aus dem kleinen Schweizer Kanton Appenzell-Innerrhoden einen Sturm nicht nur in der Belgischen Nationalbank, sondern schließlich auch eine holländische Regierungskrise auslösen konnte, und mehr noch: ob es dazu eines Barmats bedurfte.

Spekulationsfieber Der Appenzeller Bankangestellte Karl Enzler zählte zu der nicht kleinen Schar von Personen weltweit, die sich Ende der 1920er Jahre vom Börsenfieber anstecken ließen, mit Aktien spekulierten und den Börsencrash schlecht überstanden. Der Kursverlust Schweizer Aktien, dann aber vor allem die Pleite des schwedischen Kreuger-Konzerns, die ihn offenbar allein 28000 SFr kostete, brachten Enzler in finanzielle Schwierigkeiten – und in eine peinliche Situation, handelte es sich doch nicht nur um sein eigenes Vermögen, sondern auch um Geld, das ihm Verwandte anvertraut hatten. Auf die ihm später gestellte Frage, warum er überhaupt mit Börsengeschäften begonnen habe, ließ er über seinen Anwalt wissen, dass er »verführt« worden sei durch die Spekulation anderer Angestellter, »die in hohe Summen hineingingen«; vage deutete er an, dass frühere »Funktionäre der Bank« mit deren Geldern an den Aktienmarkt gegangen seien und dabei vielleicht sogar illegale Praktiken gedeckt hätten. So hatte offenbar auch der Sohn des Bankdirektors

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»allerlei Ungereimtheiten auf der Kantonalbank begangen, die der Vater jeweilen wieder gut machte«. Mit diesem Wissen hatte das vermeintliche »Opfer« Enzler den Bankdirektor »in der Hand«, so jedenfalls konstatierte es das Gericht als Erklärung für einen ungedeckten Kredit über 40000 SFr. Laut Statut waren den Beamten und Angestellten dieser Bank »Börsenspekulationen durchaus untersagt«.9 Es ist unschwer zu erkennen, dass es sich einmal mehr um eine Geschichte schlechter Aufsicht und »Governance« handelte – und mehr noch von banaler Gier. Das Präsidium der Bank scheint sich – ähnlich wie die Direktoren der Preußischen Staatsbank – nicht sehr sorgfältig um die tagtäglichen Geschäftsabläufe gekümmert zu haben. Scheinbar irrationale Spekulationsmanöver kamen Ende der 1920er Jahre in den besten Familien vor und kosteten vor allem nach der deutschen Bankenkrise im Sommer 1931 vielen angesehenen Bankern ihre Vermögen und ihre Jobs.10 Eine Offenlegung der durch die Wirtschaftskrise und den Börsencrash verursachten katastrophalen privaten Finanzlage war in jedem Fall bitter, sicherlich auch erniedrigend. Aber konnte sich das Glück nicht auch wieder wenden, zumal im Jahr 1932, auf dem wirtschaftlichen Tiefpunkt? Enzler ließ sich auf weitere riskante Börsengeschäfte ein, um die erlittenen Verluste auszugleichen. Es folgten Aktientipps bei Veranstaltungen der honorigen lokalen Musikgesellschaft im stadtbekannten Hotel Hecht, skandalös hohe Bankkredite in Höhe von 100000 SFr und dann auswärtige Vermittler, die Aktien und Obligationen feilboten und viel versprachen, worauf Enzler einging und stante pede eine Anzahlung leistete.11 In der Folge kam es zu einem Vertrag über den Erwerb und den Wiederverkauf von Wertpapieren. Die dabei zu erzielenden Gewinne sollten untereinander aufgeteilt werden. Es handelte sich um einen klassischen Hütchenspielertrick, einen Hokuspokus geschickt agierender, auswärtiger Mittelsmänner und Verkäufer, die Enzler die Sache schmackhaft machten – wobei eine Person aus dem lokalen Umfeld namens Strittmatter sich dezent im Hintergrund hielt, dabei aber offenbar die Sache ganz wesentlich mit einfädelte. Als im August 1932 auch noch Henry Barmat als Bevollmächtigter der Brüsseler Bank Gold-

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zieher & Penso (G & P) angereist kam, versprach sich Enzler von den abzuschließenden Geschäften »goldene Berge«.12 Objekt der Begierde waren Schuldverschreibungen der belgischen Kolonialgesellschaft Kivu, ein Unternehmen mit einem Aktienkapital von 45 Millionen BFr und einem noch weit höheren Obligationskapital, das sich auf die Ausbeutung von Zinn- und Goldvorkommen in der belgischen Kolonie Kongo spezialisiert hatte. Die Barmat’sche G & P-Bank hatte die beträchtliche Summe von 40000 Stück Obligationen dieser Firma gekauft. Sie sollten schnellstmöglich versilbert werden, nicht zuletzt weil das Bankhaus – spätestens – seit 1931 in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Enzler stieg mit 4000 Stück zum Kurs von 350 BFr ein, offenbar in der Erwartung, diese später zum Kurs von mindestens 470 bis 480 BFr weiterverkaufen zu können. Im Rückblick handelte es sich dabei eher um Peanuts, die aber offenbar erst den Appetit, wenn nicht die Gier Enzlers anregten.13 Schon bald gab es für den Bankangestellten kein Bremsen mehr. Am 25. August bestellte er 30000 Kivu-Obligationen zum Kurs von 350 BFr, wobei die Übernahme und Bezahlung sukzessive innerhalb eines Jahres, spätestens aber bis November 1933 erfolgen sollte. Wie es in dem von Enzler verfassten, auf dem offiziellen Briefpapier der Bank ausgefertigten Bestellschreiben hieß, übernahm die Kantonalbank für die pünktliche Bezahlung eine unwiderrufliche »selbstschuldnerische Bürgschaft«. Bei dieser Order handelte es sich bereits um einen Millionenbetrag. Doch auf den ersten Blick noch rätselhafter – und schon damals für das Gericht, ob gewollt oder ungewollt, nicht ganz zu klären – waren andere Transaktionen von noch weit größerem Ausmaß. Denn ebenfalls am 25. August übernahm Enzler für die Kantonalbank eine ganze Reihe von selbstschuldnerischen Bürgschaften zugunsten der G & P-Bank, die sich auf ungefähr 10 Mio. SFr mit Zahlungs- und Lieferungsverpflichtungen bezifferten und teilweise bis 1948 liefen.14 Das war eine gewaltige Summe, wenn man bedenkt, dass im Kanton Innerrhoden 1930 kaum 14000 Einwohner lebten – in der Stadt Appenzell gerade einmal 4893 – und dass sich das Grundkapital der Kantonalbank bei einer ausgeglichen Bilanz von

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nicht ganz 33 Millionen (1931) auf gerade einmal 3 Millionen SFr belief.15 Ob der Schweizer Enzler überhaupt berechtigt war, solche Geschäfte abzuwickeln, beschäftigte dann auch die Belgische Nationalbank, bei der Belege über den Verkauf von 4000 Kivu-Obligationen als Sicherheiten der G & P-Bank eingeliefert wurden, zunächst eher routinemäßig. Sie forderte die Statuten der Kantonalbank sowie eine Übersicht der Zeichnungsberechtigten an. Spätere schriftliche Hinzufügungen in das von Enzler aufgesetzte und vom Direktor Josef Bischof unterschriebene Schriftstück erweckten den Eindruck, dass neben dem Direktor und Kassierer auch der Buchhalter zeichnungsberechtigt war.16 Offenbar schwante es aber auch dem – getäuschten – Henry Barmat, dass Enzler zum Abschluss solcher Geschäfte gar nicht berechtigt war, d. h. die abgeschlossenen Verträge anfechtbar, wenn nicht gar wertlos waren. Das war der Grund, warum er am 23. September 1932 persönlich in Appenzell auftauchte, um von der Direktion Unterschriften auch unter Schuldscheine im Zusammenhang mit dem Kivu-Geschäft zu erhalten. Nachdem sich der anwesende zeichnungsberechtigte Bankkassierer kategorisch geweigert hatte, irgendwelche Transaktionen vorzunehmen, suchte Henry Barmat am Abend die Privatwohnung des Bankdirektors auf. Mit einer Mischung aus Drohen und Zureden bewog er Bischof schließlich, mit ihm in die Bank zu gehen und dort drei »Promessen« (Schuldverschreibungen) für den Kauf der 4000 Kivu-Obligationen von 230000 und zwei Mal 200000 SFr zu unterzeichnen. Zugleich ließ er sich von dem völlig verunsicherten Bankdirektor eine dem Anschein nach von Strittmatter für Barmat vorbereitete, vordatierte Bestätigung geben, dass Enzler bevollmächtigt sei, für die Kantonalbank Rechtsgeschäfte abzuschließen. Henry Barmat hatte es aus guten Gründen eilig, die drei Promessen der innerrhodischen Kantonalbank gleich in der Schweiz einzulösen. Tatsächlich schöpfte der Direktor der Kantonalbank Baselland Verdacht und schlug Alarm. Die Einlösung einer der Schuldanerkennungen in Höhe von 200000 SFr in Zürich scheiterte in letzter Minute am 26. September, am selben Tag, an dem auch die

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Belgische Nationalbank per Telegramm über die Unregelmäßigkeiten informiert wurde.17

Gerichtliches Nachspiel Karl Enzler wurde nach diesem Vorfall umgehend in Haft genommen. 1934 verurteilte ihn das Gericht wegen fortgesetzter Untreue, fortgesetzter Urkundenfälschung und Anstiftung des Direktors der Kantonalbank zur fortgesetzten Untreue zu vier Jahren Zuchthaus. »Wer so auf fremde Kosten spekuliert unter krassem Mißbrauch der Vertrauensposition eines Bankbeamten, wie es Enzler praktiziert hat, verdient exemplarische Bestrafung«, hieß es im veröffentlichten Urteil, auch wenn darin zugleich auf die »psychologische Zwangsläufigkeit« hingewiesen wurde, die dadurch entstanden sei, dass der Buchhalter seine Börsenverluste auszugleichen versuchte. Die Tatsache, dass Enzler in der Zeit der Wirtschaftskrise seine sichere Stelle verlor, schien dem Gericht für sich genommen schon eine Strafe. Und aus dem Hüter der Finanzen einer Staatsbank, dem 65-jährigen Bankdirektor Bischof, »wurde ein Schädling derselben«. Wenngleich das Gericht betonte, dass zu einer Zeit, »wo im Bankwesen überall Unreelles vorkam«, es Aufgabe des Richters sei, »durch eine nicht zu laxe Bestrafung Generalpräventionszwecken auf diesem Gebiet zu dienen«, schien Bischofs Verurteilung wegen Untreue zu vier Jahren Arbeitshaus, ferner zur teilweisen Übernahme von Gerichtskosten und zum zeitweisen Verlust von Bürgerrechten angemessen.18 Das Gericht verurteilte überdies Henry Barmat, der wie auch der angeklagte Appenzeller Strittmatter nicht vor Gericht erschienen war, in Abwesenheit wegen Anstiftung zur Untreue zur Höchststrafe, nämlich einer Arbeitshausstrafe von zwei Jahren; außerdem wurde er für die Dauer von 30 Jahren des Landes verwiesen. Im Frühjahr 1933 ersuchte die Schweizer Regierung die Niederlande um die Auslieferung von Henry Barmat. Als er Ende April in einem Amsterdamer Hotel verhaftet wurde, kam es dazu jedoch nicht. Nicht etwa weil die Niederländer nicht eingewilligt hätten – denn Henry wurde kurz darauf des Landes verwiesen –, sondern weil allem Anschein nach ein stilles »Arrangement« mit ihm getroffen

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wurde, das offenbar für die Appenzeller günstig war: In den Zeitungen war zu lesen, dass Henry Barmat seine Schulden bei der Kantonalbank beglichen habe.19 Nicht nur Henry, sondern auch den Appenzellern blieb damit ein medienwirksamer Auftritt des Angeklagten vor Gericht und eine für die Appenzeller Steuerzahler nicht ganz billige Gefängnisstrafe erspart. Ob sich diese von Enzler unterschriebenen finanziellen Verpflichtungen wirklich hätten realisieren lassen, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall hätten sie für den kleinsten Kanton der Schweiz eine finanzielle Katastrophe bedeutet – und zwar allein schon im Hinblick auf die Kosten, die bei einer juristischen Anfechtung entstanden wären.20

Ein ausgebliebener Skandal Nach dem stillen Arrangement mit Henry Barmat war die Geschichte noch nicht bereinigt. Nach wie vor stand das Problem der zwei (von ursprünglich drei) »Promessen« über 200000 und 230000 SFr im Raum, die über G & P in den Besitz der Belgischen Nationalbank gelangt waren. Diese beiden Forderungen, für die zudem Zinsen aufliefen, hingen »wie schwere Wetterwolken über der Kantonalbank«,21 bedeuteten doch solche Summen eine große Belastung in einer Zeit, in der öffentliche Gelder für Notstandsarbeiten an allen Ecken und Enden fehlten und beispielsweise Arbeiterinnen der in der Wirtschaftskrise hart getroffenen Webindustrie selbst für 6 bis 8 Rappen in der Stunde kaum Arbeit fanden.22 Außenstehende, darunter wohl auch die Brüsseler Bankbeamten, mochten den Eindruck haben, dass sich anders als im angrenzenden protestantischen, industriell stark entwickelten AppenzellAusserrhoden im eher bedächtigen, katholisch geprägten Appenzell-Innerrhoden Fuchs und Hase Gute Nacht sagten. Doch das täuscht. Bei Bedarf ließen sich auch dort effiziente überregionale Schweizer Netzwerke der Rechts- und Finanzexpertise mobilisieren. Das sollte auch die Belgische Nationalbank zu spüren bekommen, die auf die Einlösung ihrer Forderungen insistierte. Der unerwartet heftige Widerstand der Schweizer überraschte: Die Kantonalbank wies die Forderungen der Belgier zurück, die ihre beiden Promessen einlösen wollten. Daraus entstand ein (für das interna-

Börsengeschäft mit großen Folgen: Die Schweizer »Affaire Appenzell«

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tionale Privatrecht interessanter) Rechtsstreit, der sich bis 1939 hinzog. Das Schweizer Bundesgericht entschied schließlich im Sinne der Kantonalbank, indem es u. a. erklärte, dass Schweizer Recht gelte, dass es sich bei den »Promessen« um keine wechselähnlichen Papiere handele und die Abtretung an Dritte nicht gültig sei, kurz: dass die Bank von Belgien keine Ansprüche habe.23 Noch in anderer Hinsicht ist der Schweizer Fall interessant. Die ganze Affäre hatte das Potenzial für einen Skandal, von denen es auch in der Schweiz eine ganze Reihe gab. Aber Appenzell-Innerrhoden ist gewissermaßen ex negativo ein Beispiel dafür, dass die Voraussetzung für eine Skandalisierung der Wettbewerb von Parteien oder zumindest rivalisierenden Gruppen in einer von Konkurrenz angetriebenen Presselandschaft ist. Tatsächlich liegen so gut wie keine Pressemeldungen über die Vorgänge in der Kantonalbank vor, und der Prozess wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem kleinen Kreis geführt. Mit Sicherheit zirkulierten in der Kleinstadt viele Gerüchte, von denen aber nichts in die Presse gelangte. Die Angelegenheit wurde von den Verantwortlichen vertraulich behandelt, so unangenehm die Veröffentlichung des Urteils mit der ausführlichen Schilderung des Tathergangs im Appenzeller Volksfreund für alle Beteiligten dann auch sein mochte. Mit dem einfühlsamen Urteil, das die schwierige Lage der Beschuldigten ausführlich würdigte und einige skurrile Aspekte des Falles gar nicht erwähnte, war man dem Recht nachgekommen. Auch wenn der Rechtsstreit mit den Belgiern viel Zeit und Geld kostete, mit dem Landesverweis des ohnehin abwesenden Henry Barmat und dann dem Arrangement mit diesem, dem »Anstifter und Mittäter«,24 schien die Ordnung in diesem Teil der Welt wieder hergestellt.

Der Betrug an der Belgischen Nationalbank Die »Affaire Appenzell«25 entwickelte sich zu einem »ernsten Schadensfall«26 nicht nur für die Belgische Nationalbank, sondern auch, wenngleich mit Zeitverzögerung, für die belgische Politik. Der Stein kam nur langsam ins Rollen, und es sollte noch mehrere Jahre dau-

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ern, bis sich 1936/37 diese Angelegenheit in Verbindung mit einer ganzen Reihe anderer Vorwürfe gegen die Nationalbank und die Barmats, angeheizt durch belgische, holländische und französische Skandalisierungen, in einen handfesten politischen Skandal und zu einer belgischen Barmat-Affäre auswachsen sollte. Den Verantwortlichen der Belgischen Nationalbank war spätestens seit dem Spätsommer 1931 klar, dass bei Barmats Brüsseler Bank G & P, die eng mit seiner anderen belgischen Bank, der Noorderbank (NB), liiert war, die Dinge nicht zum Besten standen. Der Zeitpunkt ist keine Nebensächlichkeit: Der Sommer 1931 stand im Zeichen der akuten Bankenkrise in Deutschland und Österreich, als Großbanken ins Wanken gerieten, zusammenbrachen und mittels staatlicher Hilfen gerettet werden mussten, während eine große Zahl von mittleren und kleinen Privatbanken gezwungen war, ihren Betrieb einzustellen. Allenthalben wurden Fälle von realer oder vermeintlicher Misswirtschaft, Betrügereien und, wie viele meinten, die Folgen von Spekulationsexzessen früherer Jahre sichtbar.27 Der Zusammenbruch der großen belgischen Boerenbank (Bauernbank, vergleichbar mit den Raiffeisenbanken in Deutschland) im Jahr 1934, die eng mit der belgischen katholischen Partei verbunden war, ist dafür ein Beispiel, auf das noch zurückzukommen sein wird. Als die Nationalbank genauere Erkundigungen über Barmat, seine Geschäftspartner und deren diverse Unternehmungen einzog, verdichtete sich schon 1931/32 der Verdacht zur Gewissheit, dass die zurückliegenden Kapitalerhöhungen der beiden BarmatBanken auf betrügerischen Manövern beruhten und dass mit »fiktiven Buchungen« sowie Schein- und »Luft-Verträgen« (»des traites en l’air«) operiert worden war. Schnell habe man daraufhin die Notbremse gezogen und mit Barmat verschiedene Reorganisationspläne durchgesprochen; ferner ließ man sich von ihm neue und bessere Sicherheiten – darunter die Schweizer Schuldverschreibungen – für die bisherigen Kredite geben; diese Verhandlungen sollen sich bis Oktober 1932 hingezogen haben. Die verfolgte Strategie hieß Schadensbegrenzung, was, so die interne Bilanz, auch weitgehend aufgegangen sei.28

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Das war eine Version der Geschichte, die später unter anderem mit Blick auf Schadensersatzansprüche der Schweizer und der vielen großen und kleinen inländischen Gläubiger der zwei BarmatBanken vertreten wurde. Sie war auch nicht ganz falsch, unterschlug aber, dass die Nationalbank schon im September 1931 die Einschränkung des Geschäftsverkehrs und dann, als der Umfang des Betrugs deutlich geworden war, schon im November auf die Einstellung der Bankgeschäfte drängte. Tatsächlich stellten die beiden Privatbanken schon Ende 1931 ihre Zahlungen weitgehend ein; de facto waren sie spätestens Ende 1932 zahlungsunfähig, wenngleich erst im Juli 1934 der Betrieb förmlich geschlossen wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren die Banken aber schon nicht mehr im Besitz Julius Barmats.29

Unlautere Kreditgeschäfte und Luftbuchungen Mehrere bankinterne Dokumentationen und staatsanwaltschaftliche Untersuchungsberichte versuchten in der Folgezeit, die Geschichte der beiden Barmat-Banken zu rekonstruieren. Dabei kann man den Eindruck gewinnen, dass sich die aufgewendete Energie zunächst sehr in Grenzen hielt.30 Unbestritten war erstens, dass Julius Barmat 1929 zunächst die kleine flämische Noorderbank, die bis dahin hauptsächlich eine agrarische Klientel mit Krediten bediente, und dann, gegen Jahresende, auch die Brüsseler Geschäftsbank G & P als Hauptaktionär in seinen Besitz gebracht hatte. Der Kauf war über einen Strohmann erfolgt, sodass Barmat weder als Besitzer noch als Kopf des Unternehmens in Erscheinung trat.31 Unbestritten war zweitens, dass er die notwendigen Kapitalerhöhungen in die Hand genommen hatte, an denen sich die anderen Direktoren selbstschuldnerisch beteiligten. Nicht ganz unähnlich zu heutigen Praktiken bei Übernahmen stammte das Geld für diese Kapitalerhöhungen aus Krediten, die Barmat beziehungsweise seine Firmen von den hauseigenen Banken erhielt. Die – daran besteht kein Zweifel – fiktiven Kapitalerhöhungen der beiden Banken schufen drittens die Grundlage für die bald einsetzenden regen Geschäftsbeziehungen zur Belgischen Nationalbank. Die Kreditsumme, mit der G & P bei der Nationalbank in den Büchern stand,

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lag im August 1929 bei 2,5 Millionen BFr; am 7. Februar 1930 wurde die Summe auf 10 Millionen BFr erhöht, wobei die Direktoren mit einer Summe von 2,5 Millionen BFr persönlich hafteten; bis in den Juni 1931 wurde die Summe sukzessive auf 20 Millionen BFr und schließlich 27,5 Millionen BFr im September 1931 erhöht. Bei einem Grundkapital von 50 Millionen BFr seien diese Kredite nicht ungewöhnlich hoch gewesen, meinte der Gouverneur der Nationalbank Louis Franck. Ähnliches galt für die Noorderbank, die im selben Zeitraum Kredite von insgesamt 8,5 Millionen BFr erhalten hatte.32 Alles andere war und blieb umstritten. Dazu zählte erstens die Frage, ob G & P bei der Übernahme durch Julius Barmat im Jahr 1929 noch die solide Bank war, die sie vier Jahre zuvor unter dem früheren Mitinhaber Goldzieher gewesen war: Der Anwalt eines Nebenklägers argumentierte später: »Als er [Barmat – MHG] ankam, war die Frucht schon faul.« Bankdirektoren hatten sich auf gewagte Spekulationsgeschäfte eingelassen, was offenbar auch der Grund für die Umwandlung der beiden Banken in Aktiengesellschaften und die Kapitalerhöhung gewesen war. Der Börsencrash (le marasme boursier) im Oktober 1929 machte den Besitzern und der Leitung G & P einen Strich durch die Rechnung, sodass Barmat für alle Beteiligten die Rettung zu sein schien. Mit seinem Versprechen, die Bank wieder flüssigzumachen, wurde er mit offenen Armen empfangen, wie der frühere Weltkriegsgeneral Etienne, der bei G & P Geschäftsführer (administrateur) war, berichtete.33 Unklar war zweitens, wer für die Neuausrichtung der Geschäfte zuständig war. Die früheren Arbitragegeschäfte, d. h. der Handel mit Aktien und Anleihen, traten bei G & P ganz in den Hintergrund; dafür, so urteilte später auf jeden Fall die Justiz, stieg man nun in betrügerische Finanztransaktionen ein, zunächst bei den Kapitalerhöhungen, dann mittels Luftbuchungen und falschen Wechseln, die bei der Nationalbank diskontiert wurden. Dabei wurde offenbar ein in die 100 Million BFr gehendes, fiktives Kreditgebäude aufgebaut. Gefälschte Bilanzen vertuschten die Transaktionen. Die Suche nach den Verantwortlichen führte in einen Sumpf von Vermutungen, gegenseitigen Unterstellungen und Vorwürfen.

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Nicht eindeutig war drittens, welche Rolle der neue Hauptaktionär Julius Barmat in dieser Geschichte spielte. Er bekleidete weder eine Funktion als Vorstands- noch als Aufsichtsratsmitglied. Tatsächlich durfte der Name Barmat nicht ausgesprochen werden, man sprach offenbar immer nur von »Monsieur Jules«.34 Das hieß aber auch, dass Barmat nicht zeichnungsberechtigt war und somit auch offiziell keine Geschäfte mit der Belgischen Nationalbank vornehmen konnte; er scheint über Männer seines Vertrauens gearbeitet zu haben. Wer keine offiziellen Funktionen ausübt, hinterlässt auch keine beweiskräftigen Spuren. Gehörte das zum Kalkül Barmats? Oder fürchtete der Finanzier nur die negativen Folgen, die sein Name evozierte?35 So entstand viertens ein Geflecht von Subunternehmen mit Strohmännern und Komplizen in Holland und Belgien. Dazu gehörte der spätere Mitangeklagte Martin Löwenstein, der 37-jährige Mitbesitzer der Firma Löwenstein Cotton & Co. in Rotterdam. Er erzählte dem Gericht, wie er auf der Reise von Rotterdam nach Brüssel mit Julius Barmat im vornehmen Pullmannwagen »zufällig« ins Gespräch gekommen sei – dass es purer Zufall war, bezweifelte er später – und wie dieser ihm seine großen Bankprojekte in ganz Europa dargelegt habe. Wegen eines »politischen Prozesses« in Deutschland und weil er als Jude verfolgt werde – »On me pursuit, parce que je suis Juif«, soll Barmat erklärt haben –, könne er selbst nicht öffentlich in Erscheinung treten. Löwensteins Selbstzeugnis nach wickelte Barmat ihn systematisch ein, und er war in der Folgezeit einer seiner wichtigsten Strohmänner in den beiden Banken. Die Anwälte Löwensteins beschrieben die Begegnung im Zug als die größte Tragödie seines Lebens. Von wirtschaftlichen Schwierigkeiten seiner Firma Löwenstein Cotton, die angeblich zufälligerweise in Rotterdam im selben Bürogebäude wie ein Barmat’sches Unternehmen untergebracht war, wollte Löwenstein nichts hören.36 Aber alles deutet darauf hin, dass die beiden eng zusammenarbeiteten und sich die Geschäfte teilten – auch wenn sie sich später gegenseitig beschuldigten.

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Das Kalkül der Belgischen Nationalbank Auf Vorhaltungen zunächst der Schweizer, die nötige Sorgfalt vernachlässigt zu haben, insistierten der Präsident der Nationalbank ebenso wie seine Direktoren darauf, erst im September 1931 auf die Probleme der beiden Barmat-Banken aufmerksam geworden zu sein. Schon im Sommer 1931 war Julius Barmat das erste Mal in der Nationalbank aufgetaucht. Der Gouverneur der Nationalbank Louis Franck versicherte glaubhaft, Barmat weder gekannt noch empfangen zu haben: Er habe sich einem persönlichen Treffen mit Barmat verweigert, da sich dieser seiner guten Beziehungen zu Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens rühmte und er, Franck, nicht als einer von Barmats »Paten« habe dastehen wollen.37 Wie es im internen Bericht der Nationalbank heißt, erschien Barmat mit Martin Löwenstein und dem Weltkriegsgeneral a. D. Etienne, wahrscheinlich auch in Begleitung des liberalen Ministers Robert Petitjean. Barmat wurde Franck offenbar als »ein erfolgreicher Unternehmer« vorgestellt; es hieß, dass er im Namen deutscher und holländischer Persönlichkeiten handelte. Dank seines verbindlichen Auftretens und seiner Beredsamkeit gelang Barmat einmal mehr, woran andere scheiterten: dass seine Kredite durch die Hinterlegung von Sicherheiten und persönlichen Garantien erhöht wurden.38 War das nicht eine Form von Komplizenschaft der Nationalbank? Warum reagierte sie nicht schon 1930, als die ersten falschen Wechsel auftauchten? Aus volkswirtschaftlicher Perspektive klang die Erklärung des Gouverneurs der Nationalbank plausibel: Kleinere Unregelmäßigkeiten mit Wechseln kamen bei dem in die Milliarden gehenden Geschäftsverkehr immer wieder vor; außerdem habe man die Reklamationen registriert und auch darauf reagiert. Wichtig war aber auch ein anderer Punkt. 1931 war ein ungewöhnliches Jahr. Die Folgen der deutschen Bankenkrise und die folgende englische Pfundabwertung im September 1931 mit ihren negativen Auswirkungen auf die belgische Industrie drohten Länder wie Belgien in den Strudel der internationalen Krise zu ziehen. Auch ein großer Teil der belgischen Banken befand sich deshalb in einer Schieflage: Kreditausfälle waren infolge der atemberaubenden wirtschaftlichen Finanzkrise an der Tagesordnung; Wechsel platzten;

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Banksicherheiten standen vielfach in keinem Verhältnis zu ihrem rechnerischen Wert. In dieser Situation wäre selbst die Schließung eines wenn auch nur kleinen Instituts wie G & P gefährlich gewesen – »wir konnten in diesem Moment nicht die Probleme (le trouble) vergrößern, indem wir eine neue Katastrophe provozierten«. Deshalb schien es opportun, die ganze Angelegenheit diskret zu behandeln, ja selbst noch Kredite zu gewähren, als sich abzeichnete, dass Betrug mit im Spiel war.39 Man setzte auf eine stille Abwicklung der ganzen Geschichte. Dazu gehörte auch die Übernahme der Schweizer Schuldverschreibungen – ein peinlicher Fehler der Nationalbank, da die Appenzeller die Annullierung mitgeteilt hatten (was man in Brüssel aber angeblich übersehen hatte).40

Zweifelhafte Geschäftsabwicklung und geschädigte Anleger Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass Barmat und die Nationalbank 1932 bemüht waren, die ganze Angelegenheit schnell abzuwickeln. Zu den vielen Ungereimtheiten und abschließend nicht ganz zu klärenden Facetten der Geschichte gehört ein Aspekt, der später weder in den Medien noch in den Gerichtsverhandlungen in Brüssel diskutiert wurde: Der Zahlungsunfähigkeit der beiden Banken ging Ende 1932 ihr Verkauf voraus. Barmat konnte offenbar den größten Teil seiner Anteile an den beiden Banken für den Preis von 2 Millionen BFr verkaufen. Aber selbst diese Transaktion sollte noch ein Nachspiel haben. Denn der Käufer der Banken war ein dubioser Geschäftsmann namens Alexander Reitzmann, der Barmat als Kaufpreis unter anderem gefälschte Gemälde andrehte (von denen Barmat dann wiederum einige benutzte, um andere Schulden zu begleichen). Der Rest der Summe sollte Barmat als Kredit gutgeschrieben werden. Dafür bürgte G & P. Warum ein Mann mit einem scharfen Verstand wie Barmat sich auf ein solches Geschäft mit einer Bank eingelassen hat, deren prekären Zustand er ja 1932 kennen musste, gibt manches Rätsel auf.41 Das ihm zustehende Geld war für ihn auf jeden Fall verloren, und die Geschichte mit den gefälschten Bildern fiel weniger auf den Betrüger Reitzmann als vielmehr auf ihn selbst zurück. Für sich genommen barg diese stille Abwicklung Gründe für ei-

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nen Skandal: Die als Aktiengesellschaft organisierte Nationalbank, die ähnlich wie in vielen anderen Ländern öffentliche Aufgaben einer Zentralbank übernahm und zugleich ihren privaten Aktionären verpflichtet war, war einigermaßen glimpflich davon gekommen. Gemessen am Gesamtgeschäft waren die Verluste weniger als die sprichwörtlichen Peanuts – insgesamt wohl ca. 850000 Bfr zu denen noch die 430000 SFr aus den Schweizer Promessen kamen, die man schließlich ebenfalls abschreiben musste. Die eigentlichen Geschädigten waren andere, nämlich die wenigen Einleger von G & P und vor allem die vielen Bauern, Handwerker, Einzelhändler und Arbeiter, die ihr Geld der Noorderbank anvertraut hatten und nun leer auszugehen drohten. Ihre Forderungen auf Rückerstattung waren alles andere als Erfolg versprechend und sollten sich bis in die 1960er Jahre hinziehen. Skandalös war, dass es den Anschein hatte, dass die ganze Angelegenheit unter den Tisch gekehrt werden sollte: Lauwarme staatsanwaltschaftliche Ermittlungen schon 1933 verliefen im Sande, und das politische Interesse der belgischen Parteien (und der von ihnen notorisch abhängigen Zeitungen) an dem Fall war gering, zumal dabei Namen aus den eigenen Reihen auftauchen mussten. Das war der Boden, auf dem radikale Protestbewegungen wie die belgischen Rexisten entstehen konnten.

Französische Verschwörungsfantasien: »Les deux heimatlos« Serge Alexandre Stavisky und Julius Barmat Die belgischen wie Schweizer Vorgänge fanden zunächst hinter verschlossenen Türen statt. Erst im Winter 1932/33 begann die erneute Skandalisierung der Barmats, und zwar gleichzeitig in Belgien, den Niederlanden und Frankreich, zweifellos beflügelt durch Meldungen aus Deutschland, dass man dort gegen die »Weimarer Korruption« vorgehe. Der Fall fügte sich damit in eine transnational anschwellende Debatte über Spekulation, Misswirtschaft und Korruption ein.

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Skandalisierungen Die Appenzeller Kantonalbank hatte ihre eigenen Interessen an einer Skandalisierung der Vorgänge. Denn der gegen die Belgische Nationalbank gerichtete Vorwurf lautete, diese habe ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigt, indem sie mit einem höchst zweifelhaften, in Deutschland verurteilten Betrüger zusammenarbeitete, ja die Nationalbank sei »vollständig in den Händen der Schwindler Gebr. Barmat gewesen«. Systematisch habe die Leitung der Bank diese Verbindungen verschleiert, und das zum Nachteil nicht nur der Schweizer, sondern auch der Aktionäre der Belgischen Nationalbank. Im Spiel war somit »mal foi«, also die Verletzung von Treu und Glaube. Das war kein nebensächlicher Sachverhalt, da sich daraus – über den Fall der Kantonalbank hinaus – Regressforderungen ableiten ließen.42 Entrüstet antworteten die belgischen Anwälte der Nationalbank, dass sich die Kantonalbank auf die belgische »Hetzpresse«, namentlich die Realités stütze, eine Zeitung der »sattsam bekannten Madame Hanau«, einer französischen Unternehmer-Hochstaplerin.43 Die Elsässerin Marthe Hanau hatte offenbar ein eigenes Interesse, Barmat anzuschwärzen; denn sie war – vertreten durch einen französischen General und einen Adligen – ebenfalls mit einem Angebot zu einer Kapitalerhöhung an die Noorderbank herangetreten, wurde dabei aber offenbar von einem Direktor der Noorderbank, der mit Barmat kooperierte, ausmanövriert.44 Tatsächlich begann die Realités 1934 mit der Publikation einer ganzen Serie von Artikeln, in denen die Machenschaften von Julius und Henry Barmat, ihre Verbindung zu belgischen Politikern und die Geschichte der G & P-Bank sowie der Schweizer Kantonalbank sehr ausführlich behandelt wurden. Woher die zahlreichen abgedruckten Informationen und Dokumente stammten, ist nicht klar. Möglicherweise wurden sie der Zeitung von den Schweizer Anwälten der Kantonalbank zugespielt. Die Réalités waren kein gewöhnliches Aufklärungs- und Nachrichtenblatt, sondern in der belgischen Finanzwelt notorisch bekannt als ein »organe de chantage«, ein Organ der Erpressung. Gezielt wurden Informationen und Gerüchte in die Welt gesetzt,

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Personen und Firmen angeschwärzt, Geschäfte und Bilanzen madig geredet, und das meist aus leicht durchschaubaren wirtschaftlichen Motiven, wie etwa der Manipulation von Börsenkursen, bis hin zu gezielten Erpressungen.45 Es gibt keine belegbaren Hinweise darauf, dass die Schweizer die Publikation dieser Serie über Barmat förderten; zupass kam sie ihnen auf jeden Fall, und Kopien der Artikel fanden über den engagierten Anwalt ihren Weg ins Kantonsarchiv. Die neue Welle von Skandalisierungen Barmats verlief auf jeden Fall über Frankreich. So widmete sich die dem rechten politischen Spektrum zuzuordnende, einflussreiche französische Zeitschrift Je suis partout seit 1931 immer wieder seiner Person. Dazu wurden alte Geschichten aufgewärmt und in Verbindung mit neuen Informationen aus Belgien gebracht.46 Für die radikale Rechte war klar: Barmat war ein Mosaikstein einer größeren jüdischen Verschwörung der »grands banquiers judéo-GERMANO-ameréricaines [sic!]«, die zu erwähnen auch François Coty, der bekannte französische Parfümhersteller, Millionär und Förderer der radikalen Rechten, nicht müde wurde: »Denn das sind die großen Piraten des internationalen Finanzkapitals, für das der Kommunismus die Rote Armee, die Societé des Nations [der Genfer Völkerbund – MHG] das Parlament ist, wobei Moskau, Berlin und Washington die drei großen Hauptquartiere sind, die mittels der Inflation gemordet, ausgebeutet und gestohlen und schließlich alle Völker des Planeten ruiniert haben […]. Sie sind es, die es geschafft haben, mittels Korruption ihren Einfluss bei dem größten Teil der Regierungen nutzbar zu machen.«47 In solchen Zusammenhängen tauchte Barmat in einem Atemzug mit Serge Alexandre Stavisky auf.

Serge Alexandre Stavisky und die radikale Rechte Die Verfilzung wirtschaftlicher und politischer Interessen hatte in Frankreich eine ebenso lange Tradition wie die Kritik an diesem Phänomen. Seit der Weltwirtschaftskrise trat dieses Thema erneut in den Vordergrund und wurde zum Dreh- und Angelpunkt der radikalen Kritik der politischen Rechten und des raumgreifenden Antisemitismus. Dazu zählte die öffentliche Erregung über den Fall der

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Betrügerin Marthe Hanau und den über Albert Oustric, dessen 1919 gegründete Bank sich auf spektakuläre Börsengeschäfte und den Aufbau von Holdinggesellschaften konzentrierte, was ihm den Ruf eines financier prédateur, eines Vertreters des Raubtierkapitalismus, eintrug. Sein Unternehmensimperium brach aber bereits im Zuge des Börsenkrachs 1930 zusammen. In beiden Fällen wurden bekannte und angesehene Repräsentanten der französischen Politik kompromittiert.48 Aber all das war nichts im Vergleich zu den Emotionen, die der Fall Stavisky weckte. Sein Name wurde über Frankreich hinaus zum Inbegriff von Gaunertum, Spekulation und Korruption – und des obstinaten Beschweigens der in die verschiedenen Affären involvierten französischen Eliten. Ende 1933 wurden die Schwindeleien Staviskys und seiner Komplizen in der Politik aufgedeckt. Mit seinem umstrittenen Freitod am 8. Januar 1934 kam er seiner Verhaftung zuvor. Schon im Fall Oustric war 1930 die konservative Regierung unter André Tardieu gestürzt. Im Fall Stavisky verdächtigte nun die Opposition den Ministerpräsidenten Camille Chautemps, der seit den Wahlen 1932 eine Mitte-Links-Regierung anführte, der Anstiftung zum Mord. Ziel sei es gewesen, Stavisky zum Schweigen zu bringen, wozu der fingierte Selbstmord gedient habe: »Camille Chautemps, Chef einer Bande von Dieben und Mördern«, titelte die Action Française.49 Im Fall Stavisky handelte es sich um eine lange Serie von Betrügereien. Sein zeitweise erfolgreiches Geschäftsmodell war die Beleihung von – angeblich echten – Diamanten bei der Pfandleihanstalt in Orléans und dann, als die Sache aufzufliegen drohte, die Gründung einer Pfandleihbank in Bayonne, bei der neben anderen »Luftgeschäften« auch gefälschte Anleihen der Stadt im Wert von fast 200 Millionen FFr aufgelegt worden waren. Bald war es kein Geheimnis mehr, dass neben bekannten Männern aus dem Militär, der Wirtschaft und der Finanzwelt eine ganze Reihe von Deputierten der Nationalversammlung und ein Minister der die Regierung stellenden Radikalsozialisten – diese staatstragende Partei vertrat das republikanische bürgerliche Spektrum – nicht nur in die Geschäfte, sondern auch in ihre systematische Vertuschung involviert waren.

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Journalisten, die Verdacht geschöpft hatten, waren geschmiert oder ihre Zeitungen aufgekauft worden. Stavisky und seine Frau Arlette arrangierten ihre Geschäfte unter anderem in den von ihnen betriebenen Nachtlokalen und an anderen mondänen Orten des Glücksspiels, wo Stavisky im Übrigen auch einen guten Teil seines ergaunerten Geldes wieder verlor, was seit jeher die Fantasien anregte. Der Fall Stavisky wuchs sich nicht zuletzt deshalb zu einem großen Skandal und zu einer Staatsaffäre aus, weil er in den Strudel erbitterter politischer Machtkämpfe zwischen der politischen Linken und Rechten geriet. Neben Betrug spielte dabei das Thema Korruption eine wichtige Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass Stavisky als Kind mit seinen Eltern aus der Ukraine nach Frankreich eingewandert war (und inzwischen die französische Staatsbürgerschaft erworben hatte). Frankreich war, so die antisemitische Deutung des Geschehens der politischen Rechten, das Opfer »d’un métèque escroc« geworden. Métèque bezeichnete im damaligen französischen Sprachgebrauch gleichermaßen Ausländer und Juden, die als Betrüger (escroque) stilisiert wurden.50 Seit den Wahlen 1932 führten die in den Skandal verstrickten Radikalsozialisten zusammen mit den Sozialisten und kleineren Parteien (aber ohne die Kommunisten) eine Minderheitsregierung, das sogenannte cartel des gauches, das auch nach dem Rücktritt Chautemps und der Regierungsübernahme durch Édouard Daladier zunächst fortbestand. Der Fall Stavisky bot nun verschiedenen Gruppen, insbesondere der politischen Rechten – der Action Française, Veteranenorganisationen wie der Croix-de-feu, den Jeunesses Patriotes und anderen –, aber auch den Kommunisten die Möglichkeit, die auf schwachen Füßen stehende Linkskoalition in die Ecke zu drängen. Ab Januar 1934 kam es in Paris regelmäßig zu Straßendemonstrationen verschiedener radikaler Gruppen. Die Unruhen eskalierten am 6. Februar, nachdem die Regierung den Pariser Polizeipräfekten Jean Chiappe, der ganz offen mit Gruppen der radikalen Rechten sympathisierte, seines Amtes enthoben hatte. Tote und Verletzte waren die Folge, da die Polizei nicht zögerte, Schusswaffen gegen die Protestierenden einzusetzen, um die Menge am Vordringen zur Nationalversammlung zu hindern. In den Wochen-

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schauen gingen Bilder von blutigen Zusammenstößen und brennenden Autobussen um die Welt. Die Situation beruhigte sich erst, als nach komplizierten Anläufen im Februar eine neue, konservative Regierung (unter Einbeziehung von Radikalsozialisten) gebildet wurde.51 Diese Ereignisse markierten einen Einschnitt in der Geschichte der dritten französischen Republik. Dazu gehörte die Radikalisierung der zersplitterten politischen Rechten, die sich erstmals um ein großes politisches Thema zusammengefunden hatte und der es gelungen war, eine Regierung zu stürzen. Wenn sie überhaupt etwas einte, dann die mehr oder weniger antisemitisch eingefärbte Kritik an Parlamentarismus, Korruption, Finanzkapitalismus – und nicht zuletzt an der politischen Linken. Umgekehrt zeigten schon die ebenfalls blutigen Unruhen und Streiks der Gewerkschaften nach dem 6. Februar, dass die Linke keine passive Rolle einnehmen würde. Ein Beispiel dafür ist die nach den Wahlen 1936 gebildete Volksfrontregierung der französischen Sozialisten und Kommunisten unter Léon Blum. Dies war wiederum Öl auf das Feuer der Rechten, die »dem Juden Blum« nichts weniger als seine französische Nationalität absprachen und ihn als Handlanger des Auslands diskreditierten.52

… und Julius Barmat: Agent des »jüdischen Kapitals« und »des deutschen Geheimdienstes«? Was hatte das alles mit Julius Barmat zu tun? Wie schon angedeutet, berichtete die französische rechte Presse schon seit Längerem über Barmat, was sich 1934 verstärkte. Für die radikale Rechte war klar: Stavisky und Barmat waren Teil einer größeren jüdischen Verschwörung. In diesem Fahrwasser segelte auch ein Autor, der unter dem Pseudonym Harcobard publizierte und sich in der Zeitung Le Jour in einer Serie von Artikeln mit den vermeintlichen Verbindungen Julius Barmats mit Stavisky auseinandersetzte: »Stavisky-Barmat. Betrug und Spionage gehen miteinander Hand in Hand«, verkündete der erste Beitrag.53 Der Autor entpuppte sich als der in konservativen Zirkeln bekannte Publizist Jean Bardanne, der sich in Form dokumentarischer Fiktionen, einer Mischung aus Fakten und

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Absurditäten, mit Themen der deutschen Politik und vor allem mit Geheimdienstfragen beschäftigte. Die überarbeiteten Zeitungsberichte erschienen unter dem Titel Stavisky, espion allemand. Anders als der Titel vermuten lässt, geht es in diesem Buch aber um Julius Barmat, den »genialen Kopf«, der angeblich hinter Stavisky stand.54 Für Bardanne war Barmat Teil eines internationalen Gaunernetzwerks mit Geheimdienstleuten, Provokateuren, Bütteln von Diktatoren und Individuen, die über die »roten und braunen Kassen« Moskaus und der Reichswehr verfügten und Sabotageakte planten. Die Spur führte den Autor zu den Schmuckhändlern in der Rue de Pigalle in Paris, der Bürgerstraße in Frankfurt oder der Rue Rogier in Brüssel, wo sich die »Glaubensgenossen« (was auch im Original in Anführungszeichen gesetzt war) und die Kontaktpersonen und Freunde Staviskys befunden hätten. Barmat wurde zu einer sinistren, fast übergroßen Figur stilisiert, die dank der politischen Verbindungen zu deutschen Militärs, den Bolschewiki und zur Sozialistischen Internationale fast überall ihre Finger im Spiel hatte. Dazu zählten nicht nur die Lebensmittelgeschäfte und die Kredite der Preußischen Staatsbank zum Aufkauf von Betrieben, was dazu geführt habe, dass der Barmat-Konzern »ein Staat im Staat« habe werden können. Ihm wurden auch alle nur möglichen Ereignisse zugeschrieben, die Frankreich betrafen: Einfluss auf die Wirtschaft in den französisch besetzten Gebieten, wo Barmat den Streit zwischen Franzosen und Engländern sowie Aufstandsbewegungen geschürt habe, dann seine Rolle beim passiven Widerstand und später bei der Verteilung der »Ruhrmilliarden«.55 Die wilden Fantasmagorien Bardannes schürten Bedrohungsängste in Bezug auf den deutschen Nachbarn und knüpften an die seit der Panama- und der Dreyfus-Affäre des späten 19. Jahrhunderts übliche Identifikation von Juden, speziell deutschen und elsässischen Juden, mit Landesverrat an. Im Rahmen der Auseinandersetzungen über die Aufnahme von deutschen Flüchtlingen gewann dieses Thema in den 1930er Jahren zusätzliche Brisanz. Zum einen ging es um die wirtschaftliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt; zum anderen waren Stimmen zu hören, dass die Flüchtlinge »im Herzen Deutsche«, Spione und Kommunisten seien.56 Für Bar-

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danne stand außer Frage, dass das deutsche Militär die politischen Strippen zog und Barmat seit dem Ersten Weltkrieg als Agent und Spion benutzte, mit dem Ziel, Frankreich zu schwächen, was umso leichter gewesen sei, als die Franzosen selbst nicht mehr an ihre Nation glaubten und die métèques die Institutionen des Landes zerstörten und zur Uneinigkeit führten.57 Bardanne bezeichnete Barmat und Stavisky als »les deux heimatlos«, eine zeitgenössische Umschreibung für Juden, wobei er einmal mehr auf ihre jüdische Herkunft (Barmat wurde eine deutsche jüdische Mutter angedichtet) und auf ihren Geburtsort in der Ukraine anspielte. Bei ihrem Treffen 1931 hätten sich die beiden sofort verstanden und sich nicht nur über Geschäfte unterhalten, sondern auch darüber, »wie sie den generösen deutschen Geheimdiensten mehrere Millionen abluchsen könnten«.58 Auch wenn Bardanne insinuierte, dass »Barmat, Stavisky und Co« ein Spionage-Syndikat gebildet hätten, hatte er gerade dazu nichts Substanzielles zu sagen. Ein großer Teil des Textes kreiste um die Frage, wann und wo man Stavisky und Barmat gemeinsam gesehen habe, etwa hinter dem »Théatre de la Monnaie«, d. h. an der Brüsseler Börse,59 und wie Barmat die Fäden zu einzelnen französischen Politikern, deutschen Militärs, Geheimdienstleuten sowie zum ehemaligen Reichskanzler und seit 1933 Hitlers Vizekanzler Franz von Papen geknüpft habe. Das Bild einer weitverzweigten, nationalen und internationalen Verschwörung von Korruption und nationalem Verrat, welche die französische Regierung und Abgeordnete systematisch vertuscht hätten, wurde entfaltet. Das bot mit eine Erklärung für die Revolte am 6. Februar in Paris, die als Akt des Widerstands einen patriotischen Zug bekam; zugleich wurde die Empörung über die miserable Behandlung der protestierenden Franzosen durch Polizei und Justiz auf diese Weise angefacht.60

Barmats Geschäftspläne in Frankreich Gegenüber solchen Verschwörungstheorien, die vielfältig fort- und umgeschrieben wurden,61 ist die rekonstruierbare Geschichte der Verbindungen von Stavisky und Barmat eher unspektakulär. Die parlamentarische Untersuchungskommission der französischen

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Nationalversammlung, die den Stavisky-Fall aufarbeiten sollte, kam offenbar nur am Rande auf diese Frage zu sprechen. Konkrete Ergebnisse lieferte sie nicht. Vielmehr mischten sich die Aussagen der Zeugen mit den Spekulationen Bardannes, welche die Presse verbreitete.62 Ganz aus der Luft gegriffen waren die Verdächtigungen jedoch nicht. Der im späteren belgischen Barmat-Prozess mitangeklagte Direktor der Noorderbank Ferdinand de Vreese gab an, dass 1930 gelegentlich auch ein Soukho [sic!] Stavisky in der Bank aufgetaucht sei.63 Das wusste auch die belgische Sûreté zu bestätigen, die von einem Besuch Staviskys in Belgien und bei der Bank G & P berichtete, wo er aber offenbar nicht mit Barmat, sondern mit Direktoren der Bank über den Kauf einer Zeitung sprach.64 Dazu passte, dass der Anwalt Pierre Guiboud-Ribaud nicht nur ein enger Vertrauter Staviskys, sondern seit Anfang der 1930er Jahre auch bei der Bank G & P als Anwalt beschäftigt war. Für Bardanne war GuibaudRibaud nichts anderes als »ein Diener der bei uns installierten Mafia«.65 Ähnlich wie in Frankreich, wo ihm enge Kontakte ins Finanzministerium nachgesagt wurden, verfügte Guiboud-Ribaud auch in Belgien über gute politische Beziehungen. Im November 1931, als erste Gerüchte über Betrügereien Barmats kursierten, versicherte er Julius Barmat, dass er und der belgische Minister Robert Petitjean, der sich immer wieder für die Barmats einsetzte und auch während seiner Amtszeit als Minister bei G & P anwaltschaftliche Aufgaben übernahm, vollstes Vertrauen in ihn hätten.66 Aller Wahrscheinlichkeit nach ergaben sich Barmats Verbindungen nach Frankreich und zu Stavisky über gemeinsame Immobilien-, möglicherweise auch internationale Bankprojekte (aus denen aber nie etwas wurde, wenngleich sich verstreute Hinweise darauf finden lassen). Guiboud-Ribaud war bei der im April 1929 von Stavisky gegründeten Aktiengesellschaft Compagnie Foncière angestellt. Es handelte sich um eine jener vielen Scheinfirmen, die mit ehrenwerten Namen der Gesellschafter warben, private Investoren anlockten und von Anfang an betrügerische Geschäfte betrieben.67 Auch Barmat engagierte sich im Immobiliengeschäft, zusammen mit Geschäftsfreunden aus Belgien. Eine 1929 gegründete Firma, die Societé d’Études Techniques, Économiques et Financières,

Französische Verschwörungsfantasien

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kaufte offenbar in der Umgebung des Pariser Flughafens Le Bourget im großen Stil Land für den privaten Hausbau auf. Ein Vertrauensmann des deutschen Auswärtigen Amtes wusste in diesem Zusammenhang zu berichten, dass Barmat an verbilligte Kredite aus Reparationsmitteln gelangt sei; diese habe er zu einem höheren Satz auch an große deutsche Banken verliehen, die ihrerseits die erforderlichen Bankgarantien für die Kredite übernommen hätten. Gezielt habe man die Fristen für den Baubeginn verzögert, von dem die günstigen Kredite abhängig waren; deutsche Zeitungen sprachen von einem Schaden von 2 Millionen RM (12 Millionen FFr). Die niederländische Polizei gab an, dass gegen ihn ein Verfahren eingeleitet worden sei, das aber eingestellt wurde, nachdem er seine Schulden bezahlt hatte.68 Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, ob die französische Sûreté zu diesem Zeitpunkt oder schon früher auf die Barmats aufmerksam wurde und ob sie des Landes verwiesen wurden. Wir wissen nur, dass neben einem »Dossier Barmat Frère« noch Spezialakten zu Julius und Henry angelegt wurden, die in der überlieferten Suchkartei mit dem speziellen Vermerk »contre espionage« versehen wurden.69

Die belgisch-holländische Ausweisungsdebatte Bardannes Berichte sagen viel über französische Befindlichkeiten in den 1930er Jahren aus, aber nichts Informatives über Barmat. Dennoch griffen Zeitgenossen, an erster Stelle die (politische) Polizei, auf diese Informationen zurück. Von nun an verfolgte Barmat auch der Verdacht, mit dem Betrüger Stavisky unter einer Decke zu stecken.70 Seit Anfang 1933 gab es Bemühungen, die Brüder Barmat aus Belgien auszuweisen, wo Julius in Brüssel ebenfalls einen Wohnsitz hatte.71 Im Juni 1932 hatte er in Belgien unter dem Vorbehalt guter Führung nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Nach dem Bekanntwerden und der Skandalisierung betrügerischer Geschäfte mit der Belgischen Nationalbank betrieben die Behörden am 18. Januar 1933 die Ausweisung der beiden Brüder,

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die aber im Falle Julius Barmats nicht sofort vollzogen wurde. Dies lag nicht daran, dass politischer Einfluss geltend gemacht worden wäre, wie die radikale belgische Opposition immer wieder behauptete, sondern an seinen Gläubigern, die sich für einen Aufschub um drei Monate eingesetzt hatten. Aber noch vor Ablauf dieser Frist wurde Julius Barmat dann auf Drängen der Polizeibehörden zum 2. Mai 1933 ausgewiesen. Nachdem er seine Geschäfte abgewickelt hatte, verließ er Belgien am 28. April 1933 und ließ sich wieder in Amsterdam nieder – zunächst bei seinem Schwager, dann zeitweise im Hotel Carlton, wo er sich unter falschem Namen anmeldete, schließlich in einer eigenen Wohnung.72

Angriffe des De Telegraaf Auch in den Niederlanden verbreiteten sich die Berichte aus Belgien und Frankreich, und es mangelte nicht an Diffamierungen. So zirkulierten Geschichten um die gefälschten Gemälde, die Geschäfte mit der Nationalbank und Stavisky.73 Vor allem die überregionale Amsterdamer Zeitung De Telegraaf tat sich mit Attacken hervor. Die Absicht war eindeutig: Die niederländischen Behörden sollten dem Beispiel Belgiens folgen und die Barmats schnellstmöglich des Landes verweisen (siehe Abb. 16, S. 385). Wahrscheinlich stammten die Artikel aus der Feder des Brüsseler Korrespondenten der Zeitung Maurice Roelants, der sich nicht nur in Holland aktiv engagierte.74 Denn schon zuvor, im Frühjahr 1933, als Barmat noch in Belgien war, denunzierte ein ungenannter »poête flammand« Julius Barmat bei der belgischen Polizei. Er verwies auf ein Gespräch mit dem Sozialisten Camille Huysmans, dem Bürgermeister von Anvers, bei dem dieser gesagt habe, Barmat sei »gefährlicher als Pest und Cholera«. Es sei wie mit den Flöhen, habe man einen, habe man gleich mehrere. Huysmans sei über die Angelegenheit um die Nationalbank und G & P bestens informiert, aber einen Skandal gelte es zu verhindern: »Ich ziehe es vor, dass die Barmats das Land verlassen, um so einen Finanzskandal zu vermeiden, den das kranke Land nicht brauchen kann.« Solche Äußerungen wurden genau vermerkt, hatte doch Huysmans 1920 noch als der »Pate Barmats« (Le parrain de Barmat) gegolten.75

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Die holländischen und belgischen Pressekampagnen begannen bezeichnenderweise im Frühjahr 1933, also zur Zeit der NS-Machtergreifung und einer ersten Fluchtbewegung von deutschen und bisher in Deutschland lebenden, staatenlosen Juden sowie politisch Verfolgten nach Holland. Auch in diesem Land mit seiner relativ liberalen Einwanderungspolitik provozierte das Auftauchen von Flüchtlingen in einer Zeit wachsender Arbeitslosigkeit intensive politische Diskussionen. Sie mündeten 1934 in erste Restriktionen, die sich zunächst weniger gegen deutsche, als vielmehr gegen politische und staatenlose osteuropäische Flüchtlinge, speziell gegen polnische Juden richteten: Flüchtlinge, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, sollten möglichst in ihr Herkunftsland zurückkehren, lautete die regierungsinterne Position. Wie die Polizeibehörden wussten, war die Abschiebung unerwünschter Personen leichter gesagt als getan – unübersehbar ist die Kritik an der Justiz in Abbildung 16 (S. 385), der vorgeworfen wurde, nicht die Volksmeinung zu vertreten –, führte aber zu einer nicht abbrechenden Debatte, in der sich Stereotype über osteuropäische Juden, die sozial und kulturell nicht integrierbar seien, mit Ressentiments gegen Sozialisten, Kleinhändler und Spekulanten mischten.76

Vorwürfe und Unterstellungen Über Barmats Geschäfte in dieser Zeit ist nur sehr wenig bekannt. Nach dem Desaster in Belgien war seine wirtschaftliche Lage nicht sehr rosig.77 Die Amexima führte er nicht weiter, da sie mit seinem Namen in Verbindung gebracht wurde. Stattdessen investierte er – einmal mehr anonym, weil, wie es hieß, »seinem Namen ein wenig günstiger Klang anhaftete« – in Immobilien- und Baugeschäfte und gründete dafür als Mantelfirma die Firma Coolidge, die in den Büroräumen der früheren Amexima in der Keizersgracht untergebracht war. Gleich nach seiner Ankunft in Amsterdam tauchte eine neue Variante von Verdächtigungen auf: Der »Spekulant Julius Barmat« und sein Bruder Henry seien eine Gefahr für die Stabilität des holländischen Gulden, war in De Telegraaf zu lesen. Dem holländischen Gulden drohten durch ongewenschte Elemente wie den Bar-

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Abb. 16 Bemühungen um die Ausweisung Julius Barmats aus den Niederlanden De Telegraaf, 22. 1. 1935 (Abendausgabe). Stadsarchief Amterdam, Archivnummer 5225, Inventarnummer 4368

mats ähnliche Gefahren wie dem amerikanischen Dollar, zu dessen Verteidigung der neu gewählte amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt in seiner Antrittsrede Anfang 1933 den Geldleuten (moneychangers) den Kampf angesagt und ihnen gedroht hatte, sie

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aus ihrem »Tempel« zu vertreiben.78 Barmat musste nachgerade als Sündenbock für andere jüdische Geschäftsleute und Bankiers in Holland herhalten. Sein Name tauchte bezeichnenderweise in Verbindung mit dem in Holland lebenden deutschen Bankier Fritz Mannheimer auf, dessen enge wirtschaftliche Beziehung zum (konservativen) holländischen Premierminister Hendrik Colijn auch für einige Regierungsmitglieder ein Stein des Anstoßes war.79 Solche Vorwürfe in Zeitungen wurden durch eine Reihe anonymer Zuschriften an die Regierung verstärkt. »Korruption und Betrug« seien bei den Barmats die »hervorstechendsten Merkmale«, hieß es in einem Schreiben, dessen Autor außerordentlich gut über die jüngsten Ereignisse in Appenzell, Frankreich und Belgien informiert war und der überdies wusste, dass die ursprünglichen Namen der Barmats Judko und Herschel lauteten: Ihre Spur sei übersät mit Opfern; Menschen seien zu Bettlern, viele in den Tod getrieben worden. Henry sei so schlimm wie sein Bruder, aber Julius der Kopf der ganzen Finanzoperationen. Der Verfasser bat denn auch die Behörden, sich schon aus »Rücksicht auf die Menschheit« von den Barmats nicht manipulieren zu lassen.80

Ausweisung Der holländische Justizminister griff die Forderungen des Telegraaf auf und drängte – unter dem Siegel der Vertraulichkeit – auf die Ausweisung der eben aus Belgien eingereisten Brüder Barmat. Am 18. Mai 1933 erging der Ausweisungsbescheid: Julius wurde eine Frist von drei, Henry eine von vier Tagen gesetzt. Tatsächlich schleuste die holländische Polizei mit Unterstützung eines belgischen Vertrauensmanns Henry und seine Familie in einer Nachtund Nebelaktion mit dem Auto über die grüne Grenze in das Nachbarland, wo die Grenzpolizei alarmiert war. Henry Barmat wurde bedeutet, dass sie bei einer eventuellen Rückkehr in die Niederlande »mit Schwierigkeiten« zu rechnen hätten. Das bezog sich zum einen darauf, dass ihm sein internationaler Nansen-Pass, der ihm als Staatenlosen einen gewissen Schutz verliehen hatte, abgenommen worden war, sodass er im Gegensatz zu seinen Familienmitgliedern nicht mehr offiziell einreisen konnte.81 Mit der Abschiebung aus

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Holland und seiner nicht näher dokumentierten Weiterreise über Belgien zunächst nach Wien, wo er sich nachweislich 1935 aufhielt, dann nach Polen, wo er dem Anschein nach schon 1934 die polnische Staatsbürgerschaft hatte, waren die Behörden und die Öffentlichkeit zufriedengestellt.82 Im Gegensatz zu Henry entzog sich Julius erfolgreich dem Ausweisungsbefehl. Er verwies zum einen darauf, dass seine Frau die niederländische Staatsangehörigkeit besaß, zum anderen auf seine angeschlagene Gesundheit.83 Der Innenminister, der für politisch begründete Ausweisungen und für so komplizierte Fälle wie denjenigen der Barmats persönlich zuständig war, machte jedenfalls schon am 19. Mai mit der Aufschiebung des Ausweisungsbefehls einen Rückzieher. Doch das war ein zwiespältiger Erfolg: Als »unerwünschte Person« konnte Barmat das Land nicht mehr ohne Weiteres verlassen, da er keine Garantien für einen Grenzübertritt bei einer Rückkehr besaß. Andere Länder wie z. B. Litauen verweigerten ihm für eine Geschäftsreise nicht nur das beantragte Visum, sondern setzten ihn aufgrund seines »schlechten Rufs« auf eine »schwarze Liste«. Der litauische Generalkonsul verwies in diesem Zusammenhang auf Häuser in Amsterdam, die Barmat Roper Curzon (dem Bruder des Vizekönigs von Indien, Lord George Curzon) zu »weit überhöhten Preisen« verkauft habe. Als dieser seine Übervorteilung erkannte, weigerte er sich, die Summe zu begleichen. Der Generalkonsul bedauerte, dass es den Niederlanden nicht gelungen sei, Julius Barmat aus dem Land zu entfernen.84 Um genau das zu erreichen, erhöhte der Telegraaf seit den französischen Stavisky-Unruhen im Februar 1934 nochmals den Druck auf Barmat. Dabei griff die Zeitung auf die Schilderungen Bardannes zurück, möglicherweise aber auch auf Informationen aus Deutschland.85 Barmat wehrte sich in einer Serie von Prozessen, in denen er die Zeitung beschuldigte, sowohl in der Frage der Guldenspekulation als auch im Hinblick auf seine Beziehungen zu Stavisky »ununterbrochen und systematisch unwahre und tendentiöse Nachrichten« über seine Person zu verbreiten.86 Die vom Gericht angeordnete Veröffentlichung des ersten Urteils und die damit verbundene Entschuldigung nutzte der Telegraaf, um die Geschichte

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Barmats mit den üblichen Verzerrungen nochmals in aller Breite darzustellen und die bekannten Fakten, Vorwürfe und Unterstellungen zu wiederholen:87 Barmat sei ein kaiserlicher Spion und Gauner (spion-flesschentrekke), Kommunist, Sozialist, Spekulant und Freimaurer. Die Strafe im deutschen Barmat-Prozess sei nur so gering ausgefallen, weil er ein deutscher Spion sei. Mit explizitem Hinweis auf das Buch Bardannes finden sich auch hier die bekannten Anschuldigungen, angefangen von der Zusammenarbeit mit Stavisky bis hin zur Warnung, dass Barmat eine »Gefahr für die Menschheit« darstelle – die Niederlande drohten gar zu Europas »Abfalleimer« zu werden. Der Artikel endete mit der Behauptung, dass das holländische Justizsystem nicht in Einklang mit dem Volksempfinden der »normalen und ungebildeten Bürger« stehe. Auch in Deutschland fand der Text unter dem Titel »Weltmeister der Korruption« viel Beachtung und wurde ausgiebig zitiert.88 Barmat prozessierte gegen den Telegraaf, wobei ihm das Gericht teilweise recht gab – seinem Ruf half das nur wenig.89

Die Grenzen der sozial-moralischen Ordnung. Ein flämischer Barmat-Roman Einiges deutet darauf hin, dass der belgische Schriftsteller Maurice Roelants mit zur Skandalisierung Barmats beitrug. In seinem 1938 in flämischer Sprache erschienenen Roman Alles komt terecht griff der bekannte Romancier – ohne jeden dokumentarischen Anspruch – sehr freizügig auf bekannte Personen und Themen zurück.90 Der subtile psychologische Roman war vordergründig wenig politisch, lieferte aber einen zeitgenössischen Beitrag zu dem allgegenwärtigen Thema der vermeintlichen Korrumpierung der sozialmoralischen Ordnung durch Personen wie Julius Barmat und ihrer Ausweisung. Alles kommt zurecht ist eine hintergründige Gesellschaftsdiagnose der Zwischenkriegszeit, die sich gleichermaßen auf Belgien oder Deutschland – oder auch die Schweiz – beziehen konnte. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte sind die aus unterschied-

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lichen Perspektiven geschriebenen »Erinnerungen« zweier Freunde. Ein wohlwollender zeitgenössischer Kritiker sprach von »Een ›Siameesche‹ Roman«:91 Tatsächlich erscheinen die beiden Protagonisten Bert de Corte und Willem Ottevaere trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere fast wie siamesische Zwillinge, die in ihrer engen Freundschaft aufeinander angewiesen sind und durch ihre Beziehung zu einer Frau und mehr noch zum Spekulanten und »Geldmenschen« Jules Rapallo entzweit werden. Rapallo, das bezog sich zum einen auf den italienischen Ort, wo Roelants seinen Urlaub verbrachte,92 und spielte zum anderen mit dem Rapallo-Vertrag zwischen Deutschland und der jungen Sowjetunion auf eine Schnittstelle zwischen Ost und West an. Der Kunsthändler De Corte, eine Figur, die Roelants dem im Barmat-Prozess 1937 mitangeklagten Industriellen Martin Löwenstein nachempfand, lernt Jules Rapallo in einem »internationalen Zug« – mithin einem transitorischen Raum – kennen und gerät in den Bann dieses berechnenden, hochintelligenten Mannes, der sich durch »elastische Schlappheit« (S. 29) auszeichnet. Wie der Leser aus den Schilderungen De Cortes nach dessen Bruch mit Rapallo erfährt, wird er geschickt in die Geschäfte des Schwindlers hineingezogen. Sein eigenes Unternehmen im Bereich Kunsthandel, wo er als feinsinniger und ausgewiesener Experte einen Namen hat, wird auf Betreiben Rapallos in eine Aktiengesellschaft namens »Apollo« umgewandelt, anders ausgedrückt: Kunst wird zu einem Medium des Geldes. Zugleich erhält De Corte die Stelle eines Administrators der Banque Industrielle et Financière, die sich im Besitz Rapallos befindet. Binnen kurzer Zeit findet er sich in »einem Räderwerk von Betrügereien« (S. 16) wieder, das er, der kein Finanzmann ist, kaum durchblickt: Apollo-Aktien werden zur Kapitalerhöhung der Bank herangezogen, womit ein undurchschaubares Gebäude an Betrug entsteht. Gemälde, welche die Aktiengesellschaft Apollo vermittelt und die als Sicherheiten hinterlegt sind, stehen unter dem Verdacht, gestohlen und gefälscht zu sein, sodass De Corte sie nicht mehr veräußern kann. Ähnlich wie der historische Protagonist Löwenstein sieht sich De Corte auf Gedeih und Verderb an den Spekulanten gefesselt. Der Bruch mit Rapallo, wozu sich De Corte schließlich – an-

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gewidert von dessen Geschäftspraktiken – durchringt, bringt jedoch große, seine bürgerliche Existenz gefährdende finanzielle Verluste mit sich. Dass just in dieser Situation sein Freund Willem Ottevaere in Rapallos Dienste eintritt, verzeiht ihm De Corte nicht, und er stellt seinem Freund ein Ultimatum: »[W]ir wollen einander nicht wiedersehen, solange du mit diesem Kerl zusammenarbeitest.« (S. 74) Darauf will Ottevaere nicht eingehen: zum einen, weil er nicht an »systematischen Betrug« Rapallos glaubt, sondern eher an »subtile Gymnastik«, um eine »vorübergehende Geldverlegenheit« zu überwinden; zum anderen, weil Rapallo seiner Mutter in einem komplizierten und teuren Prozess geholfen hat, womit er, wie er später einsieht, von Anfang an in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten ist; und schließlich, weil der freiheitsliebende und ungebundene Ottevaere ein »solches Ultimatum nicht vertragen konnte«, auch nicht das seines Freundes (S. 75). Enttäuscht zieht sich De Corte mit seiner Frau Hélène aufs Land zurück, auf der Suche nach einem »neuen einfachen Leben« und »innerer Reinigung« (S. 30). Hier kommt es dann auch zu einem Treffen De Cortes mit Ottevaere, mit Hélène als zentraler Figur einer, wie der Leser erfährt, Dreiecksbeziehung. De Corte weiß, dass seine Frau gerne Willem geheiratet hätte, wenn dieser »gewollt hätte« (S. 35). Im zweiten Teil des Romans, der »Erinnerung« Willem Ottevaeres, rückt Hélène in den Vordergrund der Geschichte. Sie, die es sonst nicht mitansehen kann, wenn ihr Mann mit Jagdgewehren hantiert, verletzt Rapallo mit zwei Schüssen aus einer Pistole schwer. Während ihr Mann in »Hamlet-Neurasthenie« nörgelt, hat sie »kurz entschlossen zugeschlagen« (S. 117). Wie sich nach und nach herausstellt, hat Hélène weder aus Rache an Rapallo gehandelt, noch hat sie es für ihren Mann getan, auch wenn sie ihn in diesem Glauben lassen will. Ottevaere vertraut sie an, dass sie sich Rapallo »in die Arme geworfen« hat und deshalb eigentlich ihrem eigenen Leben ein Ende hätte setzen müssen (S. 128). Die Tat richtete sich, so Hélène, gegen die beiden Männer, die sie enttäuscht haben: gegen Ottevaere, weil er sie früher zurückgewiesen hat, und gegen De Corte, weil er »aus allem und jedem Elend destilliert«

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(S. 157). Der von Ottevaere zur Rede gestellte Rapallo weiß, dass die Frau bei ihm nur Zuflucht gesucht hat: »Sie wollte mit mir einen Pakt gegen die Biederkeit primitiver Barbaren schließen, die sie tüchtig enttäuscht hatten« (S. 186, auch S. 164). Er ist auf ihre Avancen eingegangen, denn »in jeder Moral habe ich stets eine ungeheure Feigheit entdeckt: die Feigheit des Mannes, der nicht seiner Natur gemäß zu leben wagt« (S. 186). Roelants zeichnet den Geldmenschen Rapallo als Umstürzler der bürgerlichen Moral, mit ein Grund dafür, dass Ottevaere mit großem Nachdruck die Ausweisung Rapallos aus Belgien betreibt. Der scharfsinnige Rapallo merkt, was sich zusammenbraut), und verlässt Brüssel aus freien Stücken. In Amsterdam entwickelt sich dann um Rapallo ein neues Drama, kein privates, sondern ein politisch-mediales, das in einen Prozess gegen ihn mündet, was die drei zurückgebliebenen Freunde aber nur mehr als Außenstehende verfolgen. Roelants komponierte ein psychologisches Beziehungsdrama, in dem die drei Freunde sich selbst zu erkennen lernen, und zwar in ihren Beziehungen zueinander sowie im Hinblick auf die essenziellen Dinge des Lebens: Liebe und Freundschaft, Natur und Familie, Harmonie und Ordnung. Der Autor selbst bezeichnete den Roman im Vorwort als »document humain«, in dem universale Werte vermittelt würden (S. 7). Der »Aktualitätsstrom« werde vorübergehen, »und wieder werden, wo ein Skandalheld, der auch nur ein Mensch – wenn auch ein gefährlicher Mensch – gewesen, vorbeigegangen ist, gewöhnliche Menschenherzen schlagen« (S. 7). Mithin ist es ein Appell an eine Harmonie des »universal Menschlichen«, die mit dezent katholischem Akzent vorgetragen wird. Darüber hinaus ist Roelants’ Roman aber ein gesellschaftspolitischer Kommentar und eine soziale Analyse. Die Geschichte handelt vom Verlust der bürgerlichen Ordnung, nicht nur der drei Protagonisten, sondern der ganzen Gesellschaft. Subtil beschreibt Roelants die Anfälligkeit aller für die Verlockungen des Geldes: Die Grenzlinien zwischen wirtschaftlicher und individueller Moral und Unmoral sind fließend. »Die Grenzmoral« (Götz Briefs) des Spekulanten ist ansteckend. Das sieht nicht zuletzt Rapallo, der schimpft, dass »diese Bande«, die sich mit ihm einlasse – dazu zählt auch der

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Minister für schöne Künste Delaporte, dem belgischen Minister Robert Petitjean nachempfunden –, »ihren Materialismus mit einigen Stacheldrahtverhauen moralischer Konventionen« umgibt (S. 183). Der Roman handelt von der Unmoral des Geldes, das, im Marx’schen wie Simmel‘schen Sinne, von traditionellen sozialen Beziehungen und Bindungen befreit und den Cash-Nexus zum Angelpunkt aller Beziehungen macht. Diejenigen, die sich auf solche Grenzgänger der Moral – »Grenzfälle, im Sattel der Verrücktheit und der Weisheit« (S. 171) – einlassen, alle diese »Trottel« (S. 14), die, so Rapallo, das Spiel nicht verstehen (oder nicht zu spielen in der Lage sind), verlieren »mit ihrem Geld das Licht ihrer Augen« (S. 80). Der Roman lässt keinen Zweifel: Rapallo provoziert Tötungsfantasien, die sich im Roman vordergründig auf Tiere beziehen. Die Ausweisung, der Rapallo zuvorkommt, ist der rettende Ausweg, um diesen Rechtsbruch zu verhindern. Nur so konnte alles »zurechtkommen«.

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Kapitel 9 Der Aufstieg der Rexisten und die belgische »Affaire Barmat« 1934– 1938 In allen europäischen Ländern skandierten in den 1930er Jahren einzelne Personen und Parteien im Umfeld der radikalen politischen Rechten Slogans, die sich gegen Korruption, Finanzspekulationen und (jüdische) Migranten richteten. Die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 gab rechtsextremen und faschistischen Bewegungen Auftrieb, die nun auch glauben mochten, dass Deutschland mit der »jüdischen Korruption« aufräume. Eine entscheidende Etappe dieser Radikalisierung stellte die französische Stavisky-Affäre 1934 dar. Überall kam es zu ähnlichen Skandalen. Zu nennen ist etwa die »Straperlo-Affäre« in Spanien, wo ein betrügerischer Glücksspielring aufflog, der – sehr bezeichnend für die Zeit – manipulierte Roulettetische und Bestechungszahlungen an hochrangige Mitglieder der regierenden (rechtsliberalen) Radikal-Republikanischen Partei durch die Unternehmer-Spekulanten Daniel Strauss, Jules Perel und weitere Personen betraf. Sie erschütterte die politische Mitte in der Zweiten Republik nachhaltig und bereitete 1936 den Weg für die Volksfrontregierung und schließlich für die Franco-Diktatur.1 Aber in keinem Land rückte das Thema Korruption in Verbindung mit einer Kritik des Kapitalismus so prominent und so ausschließlich in den Vordergrund wie in Belgien, wo sich die neue faschistische Partei der Rexisten dieser Themen bemächtigte. Wie überall ging es dabei auch um die Folgen der Weltwirtschaftskrise, darunter die aufgeheizten Themen Währungsspekulation und Bankpleiten, bei denen Anleger ihr Erspartes verloren. Julius Barmat spielte hierbei die Rolle eines bösen Geistes, war gleichsam das

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Musterbeispiel eines »internationalen Betrügers«, der einmal mehr für Misswirtschaft, korrupte Praktiken, für die Exzesse des »Hyperkapitalismus« herhalten musste.2 Das waren die Voraussetzungen für die belgische »Affaire Barmat«. Wie im letzten Kapitel zu sehen war, gehen die Auseinandersetzungen über die Geschäfte Barmats mit der Belgischen Nationalbank in die Jahre 1929 bis 1932 zurück. Aber erst durch Skandalisierungen auch anderer Fälle durch die Rexisten kamen sie schließlich auf die politische Tagesordnung Belgiens.

Léon Degrelles Kampf gegen den »Hyperkapitalismus« und das System politico-financier Die belgische Gruppierung der Rexisten zählt zu den vielen vergleichsweise wenig untersuchten Varianten faschistischer Bewegungen dieser Zeit. Was an ihr hervorsticht, ist ihr Ursprung in den Reihen des politischen Katholizismus. Alle Themen der zeitgenössischen Kapitalismus- und Demokratiekritik der radikalen Rechten wie der radikalen Linken tauchten bei ihnen auf. Sie verschrieben sich dem Kampf gegen das système politico-financier und die damit verbundene »Fäulnis« (pourri) und wirbelten das von den etablierten großen Parteien, also der Katholischen Partei, den Liberalen und den Sozialisten, dominierte politische System kurzzeitig kräftig durcheinander.3 An vorderster Front stand ihr Anführer Léon Degrelle.

Léon Degrelle, ein katholischer Radikaler Der 1906 geborene Léon Degrelle war der Spiritus Rector und unumstrittene »Chef« der Rexisten.4 Seine Heimat war der wallonische, d. h. französisch sprechende Teil des Landes, wo er in den 1930er Jahren den weitaus größten politischen Rückhalt verzeichnete. Er entstammte dem katholischen Milieu und begann seine politische Karriere als Student an der Universität Löwen, wo er sich der Action Catholique de la Jeunesse Belge anschloss. Die Katholische Aktion war eine Laienbewegung, die zu Beginn der 1920er

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Jahre unter Papst Pius XI. einen kirchenrechtlichen Status erhielt und sich in Auseinandersetzung mit der säkularen Welt, insbesondere dem Bolschewismus, zunehmend kämpferisch profilierte.5 In diesem Umfeld begann Degrelles, nur durch einen längeren Aufenthalt in Mexiko unterbrochene, publizistische und später politische Karriere. 1930 wurde er Herausgeber des kleinen, auf die Publikation von Broschüren spezialisierten Löwener Verlages Éditions Rex. Unter der Fahne »Christus Rex« sollte der politisch-konfessionelle Kampf geführt werden. Über Belgien hinaus fand der kämpferische Stil dieser Bewegung viel Beachtung, u. a. durch den innovativen Einsatz von Medien und den emotionalen Appell. Als politische Kampforganisation sollten die Rexisten eine »jugendliche, moderne und wagemütige Dynamik« – rythme jeunesse, moderne, audacieux – verkörpern und vom Bewusstsein Rex vaincra (»Rex wird siegen«) beflügelt sein. Daraus resultierte ein mit viel Idealismus, hohem Einsatz und einer ebenso derben Sprache geführter Kampf um die politische und wirtschaftliche Moral und Ordnung des Landes. Die Welt der Eliten und des Geldes habe demnach den Kontakt zur Lebenswirklichkeit des Volkes, dem pays réel, wie eine rexistische Parteizeitung hieß, verloren.6 Degrelle entpuppte sich schon früh als außerordentlich geschickter Publizist. Sein Verlag druckte für den Wahlkampf der Katholischen Partei nicht nur Broschüren und Plakate, sondern stampfte binnen kürzester Zeit neue Publikationen aus dem Boden, darunter 1932 die Wochenzeitung Rex, die mit seinem Namen identifiziert wurde. Mit ihren in großen roten Lettern gedruckten Überschriften war das Format dieser Wochenzeitung so außergewöhnlich wie die neue Bewegung. Sowohl die erste als auch die letzte Seite fungierten als »erste Seiten« – man konnte die Zeitung nach Belieben vom Anfang zum Ende lesen oder umgekehrt; außerdem arbeitete Degrelle mit Karikaturen. Scharf kritisierte er die seiner Meinung nach verlotterte Organisation, Disziplinlosigkeit, den Immobilismus und die, so die doppeldeutige Anspielung, »stérilité« der Führer des politischen Katholizismus. Ihm schwebte die Gründung einer neuen Kampforganisation mit Rex als »apostolische[r]

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Schmiede« (usine apostolique) vor, die vom Geist des »Rexismus« durchdrungen sein sollte.7 Mit solchen Positionen stand Degrelle am Rand der konservativen Katholischen Partei Belgiens, die das parlamentarische und politische Geschäft souverän beherrschte und ähnlich wie das Zentrum in Deutschland in den vielen wechselnden Koalitionsregierungen eine gewichtige Rolle einnahm. Einerseits polemisierte Degrelle ungezügelt gegen die »alten Bonzen« seiner Partei, andererseits versuchte er sich als der wahre Verfechter des Katholizismus zu profilieren. Wegen dieses Verhaltens stellte der Klerus nicht nur die finanzielle Unterstützung für seine publizistischen Unternehmungen ein, sondern verbot den Gläubigen schließlich sogar die Zusammenarbeit mit den Rexisten. Es handele sich, so die Begründung, um eine rein politische Bewegung; scharf verurteilt wurde zudem deren Demagogie, die sich deutlich am italienischen faschistischen Vorbild orientierte. 1935 verlegte Degrelle seine Aktivitäten von Löwen nach Brüssel, wo er als politischer Star auftrat. Ähnlich wie Hitler in Deutschland setzte der »Chef« darauf, dass die Zuhörer Eintritt zahlten, um seine fulminanten Reden zu hören. Und schon die Zeitgenossen wussten über finanzielle Zuwendungen des von Degrelle verehrten Duce Benito Mussolini zu berichten.8 Beobachter trauten Degrelle bald eine politische Destabilisierung Belgiens zu. Bei den landesweiten Wahlen im Mai 1936 konnte die erst wenige Monate zuvor gegründete Rex-Partei über 11 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. In der Hauptstadt Brüssel waren es 18 Prozent, und das auf Kosten der drei großen Regierungsparteien, die zudem noch Stimmen an die radikalen flämischen Nationalisten und die Kommunisten verloren. In Deutschland waren solche Wählerbewegungen nicht ungewöhnlich, im parteipolitisch »versäulten«, d. h. in dem in starren sozialen und religiösen Milieus verankerten Parteiensystem Belgiens war ein solcher politischer Erdrutsch dagegen eine kleine Sensation. Das fragile politische Gleichgewicht schien ins Wanken zu kommen und warf Koalitionsfragen auf, umso mehr als die Sozialisten die Mehrheit der Stimmen erhielten.9

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Die Korruptionskampagne Diese Wahlen waren ein Nachbeben der Weltwirtschaftskrise. Im Vergleich zu Deutschland und den USA wurde Belgien deutlich später von der Krise erfasst.10 Aber ähnlich wie in Deutschland tauchten nun auch in Belgien zunehmend Fragen nach Misswirtschaft, korrupten Praktiken und der Verfilzung von politischen und wirtschaftlichen Interessen auf. In unserem Zusammenhang ist vor allem der Zusammenbruch der mit der sozialistischen Arbeiterbewegung verbundenen Arbeiterbank, der Banque Belge du Travail,11 sowie die ebenfalls 1934 beginnende Schieflage des genossenschaftlichen Bankensystems des katholischen Boerenbond (Bauernbund) von Bedeutung. Mit der Einverleibung u. a. der belgischen Volksbanken und dem gezielten Zukauf kommerzieller Banken hatte diese einen starken Expansionsprozess hinter sich, womit die Neuausrichtung des kommerziellen Geschäfts einherging. Seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre engagierten sich die BoerenbondBanken im Bereich Industrieinvestitionen, zum Beispiel in den wirtschaftlichen Boomregionen Flanderns, aber auch über die Landesgrenzen hinaus, so unter anderem in Mexiko. Für die Mitglieder bedeutete dieses florierende Geschäft zunächst hohe Zinsen für ihre Einlagen. 1934 kam dann das böse Erwachen, als sich herausstellte, dass die Bank Verluste in Höhe von fast 1000 Mio. BFr aufwies. Das war nicht nur die Folge der allgemeinen Wirtschaftskrise und von Fehlinvestitionen, sondern auch von eklatanten Fällen von Betrug. Hereingefallen war man auf den nicht nur in Belgien tätigen Spanier Emmanuel Parena, der das große Weltgeschäft mit Korkeiche zur Verarbeitung zu Linoleum versprochen hatte. Noch schlimmer war, dass man im Zusammenhang mit einer versuchten Reorganisation der Bank 1931 den Bock zum Gärtner machte, da sich der Selfmademan und Banker, dem die Geschäfte anvertraut wurden, als Betrüger entpuppte. Wie schon beim Zusammenbruch der Arbeiterbank kam es zu einer Panik der Bevölkerung, der heftige Diskussionen über Verantwortung und Fehlverhalten von Bankern und Politikern folgten, was wiederum zu Auseinandersetzungen innerhalb der Parteien führte. Es ging um die Frage staatlicher

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Hilfen, also um Steuermittel, die aber nur einen Teil der Schäden abdecken konnten und Teilabwicklungen auch auf Kosten von Sparern erforderlich machten.12 Die politische Bühne betraten Degrelle und seine Bewegung mit ihrer campagne des pourris, dem Kampf gegen die »Fäulnis« und »Korruption«, was zum festen Bezugspunkt der ansonsten kaum entwickelten Programmatik wurde. Die ersten Erfolge beflügelten die Bewegung, und zwischen 1935 und 1936 begann eine ganze Serie von Attacken auf führende Politiker und ihre Verfilzung mit finanziellen und wirtschaftlichen Interessengruppen, darunter den Parteien nahestehende Banken. Degrelle erwies sich dabei als ausgesprochen fantasievoll im Erfinden zugkräftiger politischer Kampfbegriffe wie hypercapitalisme, le système politico-financier, dictateur financier, les pourris, und zu seinen Wortneuschöpfungen zählt wohl auch der Begriff bankster, der ja in neuerer Zeit – ohne Bezug auf seinen Urheber – wiederbelebt wurde. Vorgetragen wurden die Attacken im Stil von Émile Zolas J’accuse…! in der Dreyfus-Affäre: »J’accuse le ministre Segers d’être un cumulard, un bankster, un pillard d’épargne et un lâche« (»Ich klage den Minister Segers an, ein Doppelverdiener, ein Plünderer der Sparguthaben und ein Feigling zu sein«), hieß es im Auftakt der J’accuse-Attacken gegen den der katholischen Arbeiterbewegung nahestehenden Minister Paul-Willem Segers sowie den langjährigen Kolonial- und seit 1932 Finanzminister Henri Jaspar, der zu Beginn der 1930er Jahre auch als Anwalt für die Barmat’sche G & P tätig war.13 Degrelles populistische Sprache der Elitenkritik war herausfordernd und provokativ, und er brachte Themen auf die Tagesordnung, die die von den Parteien kontrollierten Zeitungen ignorierten. Der rexistische Aufklärungsradikalismus thematisierte die Verquickung von politischen und wirtschaftlichen Ämtern von Ministern und Parteiführern der großen Parteien, reale und vermeintliche Misswirtschaft und Korruption. Die Parteien stünden unter der Kontrolle der Hochfinanz, bildeten mit ihr eine unheilvolle union sacrée und plünderten das Land auf Kosten des Volkes aus, war im Rex wie in der Parteizeitung Le pays réel zu lesen. Diese Kritik radikalisierte sich zunehmend und wurde ab 1936/37 mit

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einem dezidiert ökonomisch konnotierten Antisemitismus unterlegt.14 Vor diesem Hintergrund ist die langsam einsetzende Skandalisierung der Barmat-Banken und der Belgischen Nationalbank zu sehen (Abb. 17, S. 400). Die obskuren Geschäfte der beiden BarmatBanken zwischen 1929 bis 1931 waren zwar eher von nebensächlicher Bedeutung. Aber auch hier ging es um mehr als nur Kredite. Im Fall der Noorderbank drohten die Sparer ebenfalls auf den Verlusten sitzen zu bleiben, während die Belgische Nationalbank offenbar glimpflich davonkam; und nicht zuletzt: Auch der Bankpräsident Louis Franck war jüdischer Konfession. Wie im Fall von Boerenbond war es die bereits erwähnte Zeitung Réalités, die solche Zusammenhänge skandalisierte.15

Währungsspekulationen Das Thema Währungsspekulation brannte den Zeitgenossen auf den Nägeln und verband sich mit großen und komplizierten Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Konkret hieß das: Sollte Belgien dem Beispiel Großbritanniens folgen, das im Sommer 1931 den Goldstandard aufgegeben, die Währung dramatisch abgewertet und damit, wie sich zeigte, zunächst einmal die schlimmsten Folgen der Krise überwunden hatte – auch wenn damit die Folgen auf andere Länder wie Deutschland und Belgien, deren Exportgüter nach England sich verteuerten, abgewälzt wurden? Währungsinstabilitäten und Gerüchte über Abwertungen beflügelten Währungsspekulationen. Banken und Großanleger betrieben weltweit ein Geschäft mit Milliardensummen von spekulativem hot money. Mit instabilen Wirtschaftslagen und Bankenkrisen wie 1931 in Deutschland und Österreich, 1933 in den USA, aber auch in Ländern wie Belgien, ließ sich Profit schlagen – aber auch viel Geld verlieren. Zeitgenossen nahmen Währungsspekulationen meist als Attacken wahr, die nationale Währungen unter Druck setzten, teilweise in Verbindung mit dem Abfluss von großen Mengen an Goldreserven. Die Suche nach Schuldigen zog sich wie ein roter Faden durch die Debatten. Das konnte in allgemeiner Manier formuliert sein, wie etwa vom amerikanischen Präsidenten Roosevelt in seiner bereits erwähnten

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Inaugurationsrede 1933, in der er dazu aufrief, die vermeintlichen »Feinde des Volkes«, die Finanziers, aus ihren Tempeln zu vertreiben. Wie zu sehen war, ließen sich in populistischer Manier aber auch regelmäßig einzelne Personen wie die Barmats als Schuldige identifizieren, so absurd das in der Regel auch war, da damit das eigentliche Problem eher verschleiert wurde.16 Aber damals wie heute haben Rationalität und rationales Verhalten wenig mit dem politischen blame-game und den damit verbundenen Krisendiagnosen zu tun, eine Deutung, die Historikerinnen und Historiker weniger überrascht als die Verfechter mancher abstrakter sozialwissenschaftlicher Theorien. Die ganze Dramatik dieser Entwicklung wird in der Abwertung der belgischen Währung im März 1935 sichtbar. Die Dynamik, die dazu führte, war das Ergebnis gezielt gestreuter Gerüchte, Äußerungen von Politikern und Wirtschaftsexperten, die in dieser Maßnahme die Lösung der wirtschaftlichen Probleme des Landes sahen und, weit wichtiger, der Macht der Fakten, nämlich Abflüsse gigantischer Summen aus der Nationalbank – allein eine Milliarde BFr in der Woche nach dem 11. März. In dieser Krise trat die alte Regierung ab, die am Goldstandard festgehalten hatte, und König Leopold III. berief eine Regierung unter Führung des Politikers und Vize-Präsidenten der Nationalbank Paul van Zeeland von der Katholischen Partei und unter Einbeziehung der Liberalen sowie der Sozialisten. Diese Regierung der großen Koalition, einer Union nationale, wie es hieß, beschloss dann auf der Grundlage exekutiver Vollmachten infolge eines wirtschaftlichen Notstands die »Devalvation« der belgischen Währung um 28 Prozent. In Verbindung mit anderen geldpolitischen Entscheidungen erwies sich dieser Beschluss, wie sich bald herausstellte, als Befreiungsschlag, denn in den folgenden Jahren verbesserte sich die wirtschaftliche Lage Belgiens zusehends. Gleichzeitig war die Abwertung eingebettet in ein umfassendes Programm einer Rénovation nationale. Dazu zählten soziale Programme, wie beispielsweise öffentliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Reformen des Bankenwesens und Einrichtungen zur Sicherung von Hypotheken etc. Van Zeeland von der Katholischen Partei konnte sich dabei des

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Abb. 17 Thematisierung von Skandalen auf der Titelseite der Zeitung Rex © Royal Library of Belgium B 3.752

Schulterschlusses mit bekannten Sozialisten, allen voran PaulHenri Spaak und Hendrik de Man, sicher sein.17 Der konservative Flügel der Katholischen Partei lehnte allerdings sowohl die Koalition mit den Sozialisten als auch die teure soziale und ökonomische Reformagenda ab.

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Die Währungsabwertung war politisch wie wirtschaftlich umstritten. Bei einer solchen Maßnahme gab es immer Verlierer, darunter Sparer oder Besitzer von Versicherungen, aber eben auch Gewinner. Die gut informierte Neue Zürcher Zeitung nahm die Position der Kritiker ein (so wie die Schweiz aufrecht die Fahne des Goldstandards hochhielt): Der Erfolg der belgischen Abwertung sei nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, »daß sie einen enormen Kreditbetrug der Privatbanken zum Ausgangspunkt hat«.18 Dieses drastische Urteil stützte sich unter anderem auf den unveröffentlichten Bericht einer von allen drei Parteien des Parlaments eingesetzten Untersuchungskommission, die sich mit der belgischen Devalvation zu befassen hatte: Nicht nur mögliche kriminelle Energien, sondern auch der Vorgang selbst sollte untersucht werden. Die Kommission war allerdings von Anfang an Angriffen ausgesetzt, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sich die Mitglieder geweigert hatten, einem freiwilligen Verzicht auf jeden Spekulationsgewinn zuzustimmen.19 War die Abwertung die Folge von Finanzspekulation und von gezielt gestreuten Gerüchten, wie sie etwa Zeitungen wie die Realités betrieben, oder eine notwendige Folge der schwachen Wirtschaft? Solche Fragen untersuchte später auch die Staatsanwaltschaft.20 Um nochmals die Neue Zürcher Zeitung zu zitieren: »Die Spekulanten [trieben] die Frechheit soweit […], die Riesenunsummen zu ihren Angriffen auf die Landeswährung bei der Notenbank selbst zu borgen.« Tatsächlich hatte die Nationalbank in den drei Wochen vor dem 29. März 1935 über eine Milliarde FFr (gegen Bezahlung in BFr) ausgeliefert, von denen sie nicht weniger als 933 Mio. bereits in den ersten zehn Tagen nach erfolgter Abwertung zu einem erhöhten Kurs zurückkaufen musste. Damit waren Gewinne von mehreren Hundert Millionen BFr verbunden. Wohlgemerkt handelte es sich dabei nur um Gewinne, die aus den von der Belgischen Nationalbank selbst gewährten Krediten erzielt wurden. Mindestens so brisant ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Aspekt: Die Nationalbank nahm für diese Kredite offenbar nicht nur die üblichen Handelswechsel, sondern auch Papiere zweifelhafter Qualität an, die sie eigentlich nicht hätte akzeptieren

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dürfen.21 Industrielle und kommerzielle Unternehmen kreierten, so jedenfalls der Vorwurf, im Einverständnis mit ihren Banken Finanzwechsel, um sich beim Noteninstitut Mittel und später Devisen zu beschaffen. Dabei konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Nationalbank »geradezu Helfersdienste« geleistet und nichts getan hatte, um die Spekulation gegen die belgische Währung abzuwehren. Auch die Neue Zürcher Zeitung meinte, dass dies alles unter den Tisch gekehrt werde, Untersuchungen hin oder her, da die politischen Parteien und die Medien finanziell so miteinander verflochten seien, dass kritische Zeitungsreportagen ausblieben; nicht einmal die Sozialisten, deren Arbeitsminister im Kabinett van Zeeland Hendrik de Man gerne den hypercapitalisme financier und den »occulten Chef der belgischen Hochfinanz«, sprich: den Präsidenten der Nationalbank, aufs Korn nahm,22 tanzten aus der Reihe. Immerhin, so die Schweizer Zeitung, schien das Volk trotzdem gemerkt zu haben, dass die bisher führenden Parteien einiges auf dem Kerbholz hatten, wie der Wahlerfolg der Rexisten 1936 beweise.23 Mit Blick auf die Rexisten lässt sich Sherlock Holmes bekanntes Bonmot seinem Assistenten Watson gegenüber, nämlich dass der Hund, der nicht bellt, das entscheidende Indiz ist, auf die Finanzspekulationen im Zusammenhang mit der Abwertung des belgischen Francs 1935 übertragen. Denn die scharfen Kampagnen der Rexisten drehten sich zwar um die Verquickung von politischen und wirtschaftlichen Interessen, um Korruption und Spekulation des Systems politico-financier, aber die hier nur kurz und unvollständig geschilderten konkreten Ereignisse blieben weitgehend unerwähnt. Stattdessen appellierten sie an eine weitverbreitete Empörung über die Nebenfolgen dieser Politik. Ähnliches gilt im Übrigen auch für den Schriftsteller Roelants, der in seinem Roman, wie wir sahen, den Protagonisten »Jules Rapallo« zum Inbegriff von gesellschaftlicher Korrumpierung durch einen Finanzier machte und für dessen Ausweisung plädierte.

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Die Anatomie eines Skandals In diesem spezifischen Kontext der belgischen Politik und wirtschaftlicher Verwerfungen tauchte Mitte der 1930er Jahre nun auch der Name Julius Barmat vermehrt auf. Wie bereits zu sehen war, hatten seit 1932/33 einzelne Personen und Gruppen immer wieder versucht, das vermeintliche Fehlverhalten der Belgischen Nationalbank im Zusammenhang mit den Krediten für die Barmat’schen Banken auf die Tagesordnung zu setzen. Doch selbst die Kampagnen der Rexisten bewegten zunächst wenig. Erst als innerhalb der Katholischen Partei des Ministerpräsidenten van Zeeland die Konflikte nicht mehr im Zaum gehalten werden konnten, kam es zum Skandal, der von den Rexisten befeuert wurde und dann Ende 1937 zum Sturz der Koalitionsregierung unter van Zeeland führte. Dabei war nicht ganz klar, wer eigentlich mehr im Kreuzfeuer der Kritik stand: van Zeeland, der Präsident der Belgischen Nationalbank Louis Franck oder Julius Barmat, den eigentlich niemand kannte und der in den Auseinandersetzungen fast nur als Chimäre präsent war.

Politische Verbindungen Der Name Julius Barmat tauchte zunächst vor allem in Verbindung mit dem des früheren Ministers der liberalen Partei Robert Petitjean auf, der, das war ein offenes Geheimnis, im Dienste von G & P gestanden und sich als Politiker wie als Privatmann für Barmat eingesetzt hatte.24 Außerdem attackierte Degrelle den Präsidenten der Nationalbank, der an der Spitze der »Fäulnis« des système politico-financier stehe. Franck wehrte sich, auch indem er 1936 – erfolgreich – einen Beleidigungsprozess gegen den Rexistenführer anstrengte. Darin kamen seine vermeintlichen persönlichen Beziehungen zu Barmat zur Sprache, die er aber vehement abstritt: Wie in anderen Fällen auch habe er persönliche Gespräche immer abgelehnt; die Kreditvergabe der Nationalbank an die Barmat-Banken seien sachlich nachvollziehbar gewesen.25 In der Folgezeit rückte das Thema der vermeintlichen Dominanz der Juden unter anderem in der Bank von Belgien immer mehr in den Vordergrund.26

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Im März 1937 ging Gustave Sap, einflussreiches flämisches Parteimitglied der Katholischen Partei und früherer Minister für öffentliche Arbeiten (1932–1934) und Finanzen (1934), der ein scharfer und zunehmend frustrierter Kritiker der politischen Handhabung des Desasters der Boerenbond-Banken, der Abwertung und nicht zuletzt ein Gegner der Koalition mit den Sozialisten im belgischen Parlament war, scharf mit dem Ministerpräsidenten van Zeeland und der Nationalbank ins Gericht. Nach der Übernahme seines politischen Amtes sei dem Ministerpräsidenten unter Verletzung des Bankstatuts sein bisheriger Posten als Vizepräsident der Nationalbank frei gehalten worden. Außerdem habe ihm die Nationalbank den Weiterbezug nicht unbeträchtlicher Einkommen (émoluments) garantiert; und nicht nur das: In der Bank sei eine Gemeinschaftskasse (cagnotte) eingerichtet worden, deren Mittel man auf die anderen Direktoren der Bank verteile (und die, wie sich dann herausstellte, unter anderem für den Ankauf von Wandteppichen und Bildern verwandt wurden). In diesem Zusammenhang warf Sap seinem Parteikollegen van Zeeland vor, in seiner Funktion als früherer Vizepräsident der Nationalbank der Kreditvergabe an den »internationalen Schwindler« Julius Barmat zugestimmt zu haben.27 Sprachrohr der Kritik Saps war nicht die von ihm geleitete Zeitung Standaard, sondern die einflussreiche katholische Libre Belgique, die in der Folgezeit Dinge zur Sprache brachte, die in der Parteienpresse des Landes zuvor nicht thematisiert worden waren. Dazu gehörte unter anderem, dass Liberale und Katholiken, darunter auch Geistliche, mit Barmat über den Erwerb einer Zeitschrift gesprochen hätten.28 Ähnlich wie bei Degrelle war das ein unverzeihlicher Bruch der Parteidisziplin: Gustave Sap wurde aus der Partei ausgeschlossen und trat den flämischen Nationalisten bei, die sich ihrerseits schnell den frankophon geprägten Rexisten annäherten. Mit seinen Attacken leistete Sap dem Rexistenführer nicht nur Schützenhilfe, sondern verfolgte zugleich das Ziel einer neuen Koalition von politischen Kräften im rechten Spektrum. Der Zeitpunkt war gut gewählt. Denn im April 1937 musste in Brüssel eine Nachwahl stattfinden. Degrelle trat als Kandidat der Rexisten an, traf nun

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aber überraschend auf Paul van Zeeland, der nicht als Kandidat einer Partei, sondern als Vertreter einer »nationalen Idee, des nationalen Interesses und eines nationalen Willens« kandidierte.29 Ziel war es, eine Einheitsfront gegen die faschistische Bewegung zu bilden und die Sympathisanten Degrelles zu isolieren, eine Strategie, zu der auch Gustave Saps Ausschluss aus der Partei gehörte; der katholische Klerus spielte dabei eine wichtige Rolle. Degrelle hatte geplant, eine große politische Kundgebung in der Hauptstadt zu einem »Marsch auf Brüssel« umzufunktionieren. Daraus wurde nichts, so wie Degrelle auch bei der Nachwahl eine Niederlage erlitt.30 Saps parteiinterne Skandalisierung zog aber schnell weite Kreise, zumal ein Mitglied der Regierungskoalition, der sozialistische Arbeitsminister Hendrik de Man, mit seiner Kritik am Ministerpräsidenten und dem Präsidenten der Nationalbank ins selbe Horn stieß. Es dauerte noch einige Zeit, bis sich die Rexisten der von Sap aufgeworfenen Themen ganz bemächtigten. Degrelle knüpfte in zwei Broschüren, die in den Éditions Rex unter den Titeln Les Voleurs de la Banque Nationale (»Die Diebe der Nationalbank«) und Franck. Barmat. Van Zeeland erschienen, an seine früheren politischen Attacken an und fasste zusammen, was er und seine Gefolgsleute in Reden und Zeitungen wie Rex und Le Pays Réel hundertfach wiederholten. Die Kurzfassung der beiden Schriften könnte etwa lauten: Die Nationalbank war ein »Piratennest« (un nid de pirates), in dem cette corruption de la politico-finance zu Hause war und von wo aus die »großen Plünderungen von Hunderten Millionen«, die von internationalen und belgischen »Bankstern« geplant wurden, ihren Ausgang nahmen.31 Ging es in der erstgenannten Broschüre mehr um die von Sap aufgebrachten Vorwürfe gegen van Zeeland, rückte in der zweiten Julius Barmat in den Mittelpunkt der Polemik. Der »jüdisch-ukrainische Betrüger Julius Barmat«32 war nach Ansicht Degrelles zwar nur einer unter vielen magnats de la politicofinance (die er dann aber nicht namentlich nannte), welche die Nationalbank um Millionen erleichtert hätten, doch wiege sein Fall besonders schwer. Auf 230 Seiten mit den für ihn typischen großen, oft fett gedruckten Lettern versuchte Degrelle, den Lesern seine

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Auslegung der Zusammenhänge nahezubringen. Didaktisch war das recht geschickt gemacht, nicht nur wegen der vielen Zusammenfassungen der Zwischenergebnisse. Einmal mehr wurde ein Zerrbild der Geschichte Barmats während des Weltkriegs und der Nachkriegszeit gezeichnet, mit einer starken Betonung seiner angeblichen Nähe zum sowjetischen Kommunismus. Kuriose Details wurden neu hinzugedichtet, darunter die Behauptung, dass der Kaufmann während des Weltkriegs Rhabarberblätter als Tabak verkauft habe, was bei den Brüsseler Bürgern Kopfschmerzen verursacht habe. Unter Rückgriff auf Bardanne stellte Degrelle Verbindungen zum Fall Stavisky her. Degrelle rekapitulierte im Wesentlichen Tathergänge, die Jahre zuvor in den Realités kolportiert worden waren. Die Leitung der Nationalbank sei über die betrügerischen Aktionen Barmats, der von ihm kontrollierten Noorderbank und G & P frühzeitig informiert gewesen. Der Bankpräsident Louis Franck wurde als Akteur einer »jüdischen Verschwörung« diffamiert, er und van Zeeland seien nichts anderes als Barmats »Komplizen« und der prominente Minister der Liberalen Petitjean, der Rechtsberater der Bank G & P, sei »gekauft«. Als im Sommer 1931 subalterne Beamte der Bank »mit beeindruckender Ernsthaftigkeit über das serienmäßige Räuberunwesen« (brigandages en série) berichtet hätten, habe van Zeeland im Hotel Astoria mit Barmat gespeist, und zwar »die feinsten Gerichte«.33

»Sklaven! Handlanger von Barmat« Diese Agitation der Rexisten vermischte die unangemessenen finanziellen Vergünstigungen für die Mitglieder der Nationalbank, speziell aber für van Zeeland, mit dem Fall Barmat. Daraus wurde eine »Affaire Barmat«, so die bald gängige Bezeichnung.34 Das politische Fieberthermometer Belgiens verzeichnete zwar nie Emotionen, die mit denen in Deutschland zwölf Jahre zuvor vergleichbar gewesen wären, aber die politischen Turbulenzen waren auch in Belgien beträchtlich. Seit dem Spätsommer löste sich die scheinbar geschlossene Front der Koalitionsparteien aufgrund mangelhafter parteiinterner wie parteiübergreifender Absprachen zunehmend auf. Zum Jahresende 1937 stand das politische Belgien vor einem

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Scherbenhaufen: Am 24. November kam es nicht nur zum unvermeidbaren Rücktritt einer erfolgreichen Regierung, sondern auch zu Amtssuspendierungen, u. a. des Präsidenten der Nationalbank Franck im Oktober, zu einer Serie von Selbstmorden (oder Todesfällen, die als Selbstmorde publizistisch verkauft wurden) und zu einem Barmat-Prozess, der dann mit dem Tod des Hauptangeklagten seinen Sinn verlor. Der politische Konflikt wurde an verschiedenen Orten ausgetragen. In der außerordentlichen Mitgliederhauptversammlung der als Aktiengesellschaft organisierten Nationalbank Anfang September 1937 bombardierten Degrelle und der Vertreter der flämischen Nationalisten van Dieren die Leitung der Bank mit Fragen und Anträgen. Es kam zum Tumult: Ein sichtlich erregter Degrelle (blijkbaar zeer opgewonden) beschimpfte die konsternierten Banker als »Diebe, Diebe« (Voleurs, voleurs) und als »Sklaven! Handlanger von Barmat«. Voleurs, das war schon der Kampfruf der französischen Demonstranten am 6. Februar 1934 bei den Stavisky-Unruhen gewesen. Ähnlich wie damals in Paris fanden vor der Nationalbank in Brüssel größere Demonstrationen statt, welche die Polizei mit Gewalt auflöste.35

Demokratische Einheitsfront gegen Rexisten Im belgischen Parlament versuchten die Mehrheitsparteien, solche Ausschreitungen der Rexisten zu unterbinden. Vergleichbar mit der Situation in Deutschland 1925 sollte der ganze Komplex Nationalbank von einem parlamentarischen Ausschuss untersucht werden, der sich dann aber auf Ermittlungen dahin gehend beschränkte, welche finanziellen Vorteile dem Ministerpräsidenten und den Mitgliedern der Nationalbank von der Bank gewährt worden waren. Mit dem Argument, dass die Staatsanwaltschaft in dieser Sache ermittelte, wollten die Parlamentarier das unangenehme und in jeder Hinsicht undurchsichtige Thema Barmat nicht behandeln.36 Damit verhinderte man zwar eine Konstellation wie in Deutschland 1925, wo parlamentarische Ausschüsse im Reich und in den Ländern sowie die Berliner Staatsanwaltschaft in einen Ermittlungswettbewerb miteinander geraten waren; es konnte aber nicht umgangen werden, dass der Fall in beiden Kammern immer wieder angesprochen

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wurde und sich selbst einige Regierungsmitglieder opportunistisch in die Reihen der Barmat-Kritiker einzureihen versuchten, etwa wenn der Justizminister Victor Maistriau Barmat im Oktober in amerikanischer Diktion als »Feind Nr. 1« bezeichnete, der nichts in Belgien zu suchen habe.37 Der Justizminister sah sich regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert, er unterdrücke Informationen, und das umso mehr, als er sich im Namen der Regierung weigerte, nicht nur dem Parlament, sondern auch den Senatoren die personenbezogenen Polizeiakten auszuhändigen, die, wie die Opposition zudem unterstellte, »gereinigt« worden seien.38 Im belgischen Senat tat sich vor allem der flämische Nationalist Edmond van Dieren mit seinen Attacken hervor. In einer mit antisemitischen Ausfällen gespickten, viel beachteten Rede beschrieb er ausführlich den Lebensweg Barmats aus der Ukraine über Deutschland nach Belgien und Holland. Seit er sein Land verlassen habe, ziehe Barmat, der sich den Kommunisten wie den Sozialisten angeschlossen habe und sie finanziere, wie eine »Schnecke eine Spur von Schleim und Schmutz hinter sich her«. Auch für van Dieren begann der Skandal mit dem Empfang Barmats durch die belgischen Sozialisten 1929 und setzte sich mit der Gewährung einer Aufenthaltsgenehmigung zu Beginn der Dekade fort, welche die Geschäfte in Brüssel ermöglicht hatte. In der pathetischen Schlusspassage seiner Rede zitierte er den Roman von Georges Maria Rutten La Tempérance et les Passions (1933): »Die Geschichte zu allen Zeiten und Jahrhunderten zeigt mit aller Deutlichkeit, dass individuelle Verderbtheit jederzeit ansteckend und dass die Laxheit der Eliten immer weitreichende Rückwirkungen auf die Massen hat …«39 Unschwer zu erkennen ist einmal mehr ein im Roman von Maurice Roelants verhandeltes Thema: Ausweisung eines UnternehmerSpekulanten als Voraussetzung für soziale und moralische Gesundung. Aber im Gegensatz zu Roelants war bei van Dieren der Antisemitismus unübersehbar. Für die Mehrheit der Abgeordneten waren die Rexisten nichts anderes als Helfershelfer der Nationalsozialisten und bewegten sich im gleichen Fahrwasser. Die belgischen Kommunisten spitzten diese Kritik zu: Die Rexisten stilisierten Barmat und Franck zu Buh-

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männern und schwiegen sich über den eigentlichen Skandal, nämlich den Einfluss von Großindustrie und Kapital in der belgischen Politik, aus. So skandalös diese Verfilzung aus Sicht der Kommunisten war, so sehr hielten sie sich 1937 mit ihrer politischen Agitation gegen die Kapitalinteressen des Landes zurück, offenbar wohl wissend, dass sie damit nur Wasser auf die Mühlen der Rexisten gelenkt hätten. Wie der Abgeordnete Jacquemotte im Parlament ausführte, ging es den Faschisten nach deutschem Vorbild nur darum, durch »das Anfachen von Ressentiments die Republik zu meucheln«.40 Der vehementen Verteidigung des demokratischen Systems durch die Kommunisten kann man misstrauen. Aber immerhin schlug sich die Partei im Frühjahr 1937 auf die Seite der Regierung, als bei der höchst dramatischen Nachwahl eines Brüsseler Abgeordneten van Zeeland wie bereits dargestellt überraschend und sehr erfolgreich gegen Léon Degrelle antrat. Ähnliches wiederholte sich im September, als sich die Kommunisten nicht in den Reihen der Opposition einfanden, als die Mehrheitsparteien der Regierung nach einer recht dramatischen Diskussion das Vertrauen aussprachen. Das Menetekel war zweifellos die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland.

Regierungskrise und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen Die Regierung und die Leitung der Nationalbank taktierten 1937 außerordentlich ungeschickt, indem sie der Öffentlichkeit nur halb wahre Varianten der Geschichte der émoluments und der cagnotte, also der Vergünstigungen, die sie sich zugeschanzt hatten, auftischten. Damit gaben sie sich eine fatale Blöße, säten Misstrauen und diskreditierten sich selbst. Hinzu kamen Zwistigkeiten zwischen den Regierungsparteien.41 Wahrscheinlich unterschätzte van Zeeland die Situation; denn als in Brüssel heftig gestritten wurde, hielt er sich zeitweise in Südfrankreich im Urlaub auf. Auf Vorwürfe, die seine Beziehungen zu Barmat als Vizepräsident der Nationalbank betrafen, ging er nicht ein, obwohl sie offensichtlich nicht ganz aus der Luft gegriffen waren. So wusste der chilenische Botschafter zu berichten, »dass Barmat sehr freundschaftlich im Umgang mit dem Herrn van Zeeland von der Nationalbank war und

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dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass Barmat in Belgien sehr gut eingeführt war«. Erst anlässlich von Verhandlungen um eine größere chilenische Anleihe, wofür er zusammen mit Barmat nach London gereist war, hätten ihn Banker der Rothschilds vor Barmat gewarnt, sodass er in letzter Minute seine Beziehungen abgebrochen und größeren Schaden vermieden habe. Auf den Reisespesen von 35000 BFr blieb er aber sitzen.42 Zeitgleich mit den scharfen Angriffen der rexistischen und innerparteilichen katholischen Opposition, die am 19. und 20. Oktober ihren Höhepunkt erreichten, begannen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Diese hatte nicht nur den Betrug Barmats und seiner Bankdirektoren an der Nationalbank im Visier, sondern richtete sich offenbar auch gegen die Direktion der Nationalbank. Hintergrund dafür waren die hohen Schadensersatzansprüche der Gläubiger Barmats, darunter Sparer, die infolge der Zahlungsunfähigkeit der beiden Banken hofften, auf diesem Weg einen Teil ihres Geldes zurückzuerhalten. In beiden Angelegenheiten machte Barmat Ende September bei der belgischen Staatsanwaltschaft eine Aussage, als er dank eines – politisch umstrittenen – »Freigeleits« für wenige Tage aus den Niederlanden nach Belgien kam. Welche Schlüsse die Staatsanwaltschaft aus der Aussage Barmats für den Fall einer möglichen Anklage der Leitung der Nationalbank zog, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall war am 21. Oktober von einer sich abzeichnenden »sensationellen Wendung« die Rede, da die Staatsanwaltschaft neue Untersuchungen bei der Nationalbank eingeleitet habe.43 Diese Ermittlungen waren dem Anschein nach der Grund dafür, dass am 20. Oktober der Präsident der Nationalbank endgültig nicht mehr haltbar zu sein schien.44 Franck, der im Prozess gegen Barmat noch aussagte, starb im Dezember in seinem Schloss, möglicherweise durch Suizid.45 Die Suspendierung Francks konnte die politische Krise nicht mehr aufhalten, und es ist keine Nebensächlichkeit, dass sich der selbstbewusste van Zeeland – erfolglos – als neuer Bankpräsident ins Spiel zu bringen versuchte. Höchst ungeschickt war ferner, dass sich der Justizminister in der zweiten belgischen Kammer, dem Senat, gegen die Einrichtung einer Kommission aussprach, die Ein-

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sicht in die Personenakten der Ausländerpolizei zu den Barmats erhalten sollte. Die Begründung war nicht, dass es sich um vertrauliche Akten handele, sondern, dass mit der Einsicht Tote bloßgestellt würden (was ziemlich absurd war).46 Der Hinweis auf Tote befeuerte die Gerüchte, denn diese Aussage bezog sich wohl auf den Freitod des für das Diskontgeschäft der Nationalbank zuständigen, als hyperkorrekt beschriebenen Direktors René Tilmont. Nicht die verstorbenen Tilmont oder Franck wären in Verlegenheit geraten, sondern vielmehr lebende Personen wie van Zeeland und Petitjean. Jedenfalls war das Kabinett unter dem Druck nicht mehrzusammenzuhalten. Am 25. Oktober kapitulierte die Regierung van Zeeland unter dem Eindruck der, wie die Neue Zürcher Zeitung meinte, »schändliche[n], immer stärker werdende[n] Verleumdungskampagne«.47

Ein kurzer Prozess Als das Gericht Mitte Oktober 1937 den Prozess gegen die Brüder Julius und Henry Barmat und vier Bankdirektoren eröffnete, war das von einem Sturm in der rexistischen Presse begleitet. Die Verhandlung fand zunächst ohne die beiden Hauptangeklagten statt: Henry Barmat hielt sich nach seiner Ausweisung im Ausland auf, und Julius Barmat wollte nicht aus freien Stücken nach Belgien reisen. Wegen eines anderen, wohl vorgeschobenen Falles wurde er aber in den Niederlanden in Haft genommen und dann auf Ersuchen der belgischen Behörden Ende Dezember ausgeliefert. Im Gefängnis Saint-Gilles in der Nähe von Brüssel trat er seine Untersuchungshaft an. Als er wegen Krankheit nicht vor Gericht erscheinen konnte, war in der Presse – nicht ohne Häme – von »Simulation« die Rede. Tatsächlich war Barmat schon bei seiner Ankunft in Belgien todkrank. Er starb wenige Tage später, am 6. Januar, in Untersuchungshaft.48 Sein Tod, der von Tilmont und Franck und dann auch der Freitod des Generalmajors a. D. Etienne, eines Direktors der Bank G & P und engen Vertrauten Barmats, der aber nicht auf der Anklagebank saß, waren Stoff für die radikale Presse. Es kann

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nicht verwundern, dass, ähnlich wie im Fall Höfle zwölf Jahre zuvor in Deutschland, allerlei Gerüchte kursierten, ob es bei dieser Todesserie mit rechten Dingen zugegangen war. Die Obduktion Barmats ergab aber keine Anzeichen für eine Vergiftung, was die Gerüchteküche dennoch nicht verstummen ließ.49 Eine Regierungskrise, eine desavouierte Nationalbank, Tote – die Geschichte schien sich in Belgien auf bedrückende Weise zu wiederholen. Die Staatsanwaltschaft tat sich mit ihrer Beweisaufnahme schwer, und die Arbeit wirkt (auch rückblickend) ebenso wenig vertrauenswürdig wie das Gerichtsurteil Mitte Januar 1938.50 Der Fall strotzte vor Ungereimtheiten und losen Enden. Wie nicht anders zu erwarten, widersprachen sich Zeugen, und die wirtschaftlichen Transaktionen waren noch viel weniger als zwölf Jahre zuvor in Deutschland nachvollziehbar. Die Untersuchungen, auf die sich das Gerichtsurteil dann stützte, ergaben ein kompliziertes Geflecht von Geschäften mit unter anderem wertlosen Aktien und Obligationen der Firma Löwenstein Cotton, Aktien nicht nur der beiden Barmat-Banken sowie Gefälligkeitswechseln, die über verschiedene Firmen in den Verkehr gebracht worden waren, darunter holländische Holdinggesellschaften und reine Scheinfirmen. Offenbar wurde tatsächlich ein in die 100 Mio. BFr gehendes fiktives, kaum überschaubares Kreditgebäude aufgebaut. Gefälschte Bilanzen vertuschten die Transaktionen. Das Geld für die Kapitalerhöhung der Noorderbank stammte aus einem Kredit, den die Barmat-Firmen von der Belgischen Nationalbank, die das Geschäftsgebaren nicht oder zu spät durchschaute, erhielten. In den Kassen der Banken war so gut wie kein Geld vorhanden, wobei im Fall der Noorderbank, in der Henry Barmat das Sagen hatte, offenbar systematisch und avec brutalité die vorhandenen Barbeträge und Einzahlungen der Kunden vereinnahmt worden waren.51 Luftbuchungen mit wertlosen Papieren schienen auf wundersame Weise Geld zu schaffen, bis das ganze Gebäude zusammenbrach.52 Kredite der Nationalbank ermöglichten dann andere Spekulationsgeschäfte, wie den Kauf der Kivu-Obligationen, bei dem allein einer der Direktoren namens Gyseling eine Million BFr an Kommissionen eingestrichen haben soll.

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Staatsanwaltschaft und Gericht waren sich einig, dass Julius Barmat der Kopf eines großen, geschickt angelegten Betrugsunternehmens gewesen war und dass sein Bruder Henry ihm dabei tatkräftig zur Seite stand. Mit dem Tod des Kopfes des ganzen Unternehmens war auch der Prozess décapité. Der Weg Julius Barmats sei, so der Staatsanwalt, »gepflastert mit Trümmern«. Aber seine Tat war nicht allein sein Werk. Der Betrug an der Nationalbank war aus Sicht der Staatsanwaltschaft ein »Kollektivverbrechen«, von dem sich alle Beteiligten einen Profit versprachen; die Rede war von einer großen »Betrugsorganisation«. Die Angeklagten hätten sich untereinander abgesprochen, um mit ihren Aussagen Julius Barmats Alleinschuld zu stützen. Sie waren also nicht nur den Verführungskünsten und geschickten Inszenierungen Barmats erlegen, wie die Verteidigung der Mitangeklagten argumentiert hatte. Henry Barmat und die drei mitangeklagten Direktoren wurden mit empfindlichen Geld- und Haftstrafen zwischen vier und fünf Jahren belegt.53 Aber ohne die Barmats war die Sache schnell erledigt, und man konnte nach dem Rummel über Korruption schnell wieder zur Tagesordnung übergehen. Man könnte meinen, dass die Rexisten und die mit ihnen verbündeten flämischen Nationalisten allen Grund zum Jubeln gehabt hätten. Wie ähnliche Bewegungen zuvor in Deutschland und Frankreich hatten sie gezeigt, dass Kampagnen gegen Korruption Politiker in Bedrängnis bringen konnten. Sie hatten eine Regierung gestürzt und bekannte Personen in Misskredit gebracht. Das ist die eine Seite der Geschichte. Tatsächlich konnten die Rexisten aus dieser Situation nur beschränkt Kapital schlagen. Eine Regierungskrise wie die von 1937 bedeutete in Belgien noch lange keine politische Systemkrise. Das Land hatte mit Regierungswechseln viel Erfahrung – seit Kriegsende hatten belgische Regierungskoalitionen im Durchschnitt weniger als zwei Jahre gehalten –, was sich bei dem relativ problemlosen Regierungswechsel im Herbst 1937 zeigte. Unter anderem, weil sich der belgische Klerus 1937 den neuen Bemühungen der Rexisten um Anerkennung verschloss, blieb die Katholische Partei auf dem parlamentarischen Kurs und erteilte der faschistischen Alternative eine Absage. Schon die Nachwahl im

Kapitel 9 Der Aufstieg der Rexisten und die belgische »Affaire Barmat«

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Frühjahr 1937, bei der van Zeeland erfolgreich gegen Degrelle in Brüssel angetreten war, zeigte, dass die Rexisten den Zenit ihres Wahlerfolgs überschritten hatten. Weder gelang eine Massenmobilisierung, noch konnte der rechte Flügel der Katholischen Partei, vertreten unter anderem von Gustave Sap, abgesprengt und in eine mögliche Koalition von Konservativen und Faschisten gebracht werden. Erst der militärische Einmarsch der Deutschen in Belgien im Jahr 1940 sollte Leon Degrelle und die Führer des Vlaamschen Verbonds an die Macht bringen.54

Ein kurzer Prozess

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Kapitel 10 Radikalisierung und Grenzüberschreitungen 1933– 1945 In den Nachrufen auf den am 8. Januar 1938 in belgischer Untersuchungshaft gestorbenen Julius Barmat war kein Platz für salbungsvolle Worte. Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte lapidar: »Mit seinem Tode verschwindet eine der unsympathischsten und unseligen Figuren der Nachkriegsgeschichte, deren Auftreten manche später in Deutschland aufkommenden Tendenzen begünstigt hat.«1 Für Libre Belgique war mit dem aus den Gettos der Ukraine stammenden »Judko Barmat« eine der »seltsamsten fremden Abenteurerfiguren« des Jahrhunderts verschwunden, dessen Weg mit wirtschaftlichen Desastern und zahllosen kompromittierten Menschen gepflastert gewesen sei. Er galt als Inbegriff des Betrügers. »Wer Barmat kennt und seine Gaben / ruft tief erschreckt: Wie mag er das Leben bei diesem Abschluß beschummelt haben!«, schloss der Kladderadatsch seinen in Gedichtform verfassten Nachruf.2 Das war vergleichsweise nachsichtig. Die meisten deutschen Kommentare waren in einem zynischen und antisemitischen Ton gehalten. Im Brüsseler Untersuchungsgefängnis habe »die Verbrecherlaufbahn des jüdischen Großschiebers« ein Ende gefunden, der nach dem Krieg wie viele andere auch »dreckig und verlaust zusammen mit anderen Kaftangenossen nach Deutschland« gekommen sei, sich »in die Klubsessel der Systembonzen« gedrängt habe und »Hand in Hand mit der Sozialdemokratie das deutsche Volk auspowerte«. Mehr noch: Mit dem Namen Barmat verbinde sich »für immer der Begriff des jüdischen Börsianers und Betrügers, des skrupellosen korrumpierenden internationalen Finanzjuden, der gestützt auf seine Rassengenossen in den demokratischen und marxistischen

Kapitel 10 Radikalisierung und Grenzüberschreitungen 1933 - 1945

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Parteien Millionenwerte sauer verdienten Volksvermögens verschleuderte und zehntausende schaffender Menschen dem Elend preisgab«.3 Judko war, wie der Völkische Beobachter seinen Nachruf überschrieb, »die Giftblüte der Demokratie«.4 Julius Barmats Tod fiel in eine Zeit dramatischer Veränderungen. Der Siegeszug demokratisch-republikanischer Regierungsformen der unmittelbaren Nachkriegszeit war unübersehbar gebrochen. Überall kam es zum Aufstieg und zur nachhaltigen Etablierung neuer autoritärer und faschistischer Bewegungen, und neben dem italienischen Faschismus machte sich mit dem deutschen Nationalsozialismus mitten in Europa ein politisches Regime breit, mit dem zu rechnen war. Barmat gehörte, so die verschiedenen Verlautbarungen, der Vergangenheit an, und doch war er merkwürdig präsent: als eine Variante des »Jud Süß« wie als »ewiger Jude«, wie die Titel der hier näher betrachteten NS-Filme lauteten, aber auch als Repräsentant des vergangenen »Systems« von politischer Korruption, nicht zuletzt eines »jüdischen Kapitalismus«, der auf vermeintlich »unproduktiver Arbeit« und »Luftgeschäften« beruhte und den es, wie gerade aus Deutschland zu hören war, zu überwinden gelte. »Produktive Arbeit« der »nationalsozialistischen Leistungsgemeinschaft« war das allgegenwärtige, scheinbar unverfängliche Mantra, das die Politik des sozialen, politischen und rassischen Ausschlusses von Personen und Gruppen aus der Gesellschaft durchdrang. Was mit der brutalen Repression der Arbeiterbewegung, der Auslöschung des Parlamentarismus und dem Ausschluss von Bürgerinnen und Bürgern jüdischer Konfession aus dem gesellschaftlichen und staatlichen Leben 1933 begonnen hatte, kulminierte in der »Vernichtung durch Arbeit« und überschritt alle zivilisatorischen Grenzen.

Ausmerzung des »Barmat-Geistes« Die für die Aktenselektion zuständigen Archivare erhielten in etwa zur Zeit des Todes von Julius Barmat die Anweisung, »historisch wertvolle Akten aus der Systemzeit«, worunter auch die Skandal-

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und Korruptionsfälle der Vergangenheit fielen, nicht auszusondern, sondern zu erhalten.5 Verschiedene Forschungsinstitute wie das Institut zum Studium der Judenfrage in Berlin oder das Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschland befassten sich mit der Aufarbeitung der jüngsten Zeitgeschichte, sozusagen als Grundlage für die zukünftige »Behandlung der Judenfrage«.6 Die erfolgreiche Überwindung »ungesunder« wirtschaftlicher Spekulation und Korruption der »Systemzeit« und ihrer Gewinnler gehörte zum Standardrepertoire des Völkischen Beobachters. Das war nicht ohne Zynismus, bedenkt man die sich schnell ausbreitenden korrupten Praktiken in den Reihen der Partei, allen voran die Hermann Görings, der sich – mit offenen Händen – als informeller Anwalt vieler wegen Korruption Verfolgter aufspielte. Auch Joseph Goebbels war finanzieller Profiteur des neuen Regimes und erwarb 1936 aus früher jüdischem Besitz auf Schwanenwerder eine Villa und später ein weiteres Nebengebäude – in nächster Nähe zu Barmats kurzzeitiger Residenz 1923/24 –, »for a song«, so das amerikanische Magazin Life in einem Porträt des Propagandaministers. Korrupte Praktiken anderer Parteigrößen wurden ebenfalls vertuscht, auch wenn kleinere Lichter gelegentlich als Sündenböcke herhalten mussten.7 Ohne Medienmacht sind eben keine Skandalisierungen möglich. Wenn öffentlich über Korruption gesprochen wurde, dann richtete sich der Vorwurf auf das parlamentarische System und den vermeintlich darauf fußenden »jüdischen Kapitalismus«. Die plakative Überschrift eines Kapitels in Alfred-Ingemar Berndts 1939 bereits in der siebten Auflage erschienenem Buch Gebt mir vier Jahre Zeit! Dokumente zum ersten Vierjahresplan des Führers schlug genau in diese Kerbe: »Aus jüdischer Korruption zu neuer Wirtschaftsblüte«. Berndt beschrieb darin Barmats Geschichte im Zusammenhang mit derjenigen von Georg Sklarz, Iwan Kutisker, den Sklareks und anderen als politische wie wirtschaftliche Dekadenzgeschichte der Zeit:8 Die Gesundung und der Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft wie des politischen Lebens könne nur unter Ausschluss von Personen wie Barmat aus dem Wirtschaftsleben erfolgen. Das war, wie bereits gezeigt wurde, kein neues Argument. Es spielte schon bei den Anstrengungen der Weimarer Reichsfinanzverwal-

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tung, »schädliche Elemente« aus dem Wirtschaftskörper auszuscheiden und zu bestrafen, eine wichtige Rolle, ohne dass dabei zunächst eine direkte Verbindung zu völkischem Denken zu erkennen wäre. Das Argument findet sich in verschiedenen Varianten in Büchern wie Das Gesicht der Demokratie (1931)9 oder in Johann von Leers mit Fotos illustriertem Büchlein Juden sehen Dich an, das nach 1933 in mehreren Auflagen erschien. Leers wollte dem »deutschen Volke« zeigen, wer es »politisch, geistig und wirtschaftlich beherrscht« habe. Barmat wurde hier unter der Rubrik »Betrugsjuden« abgehandelt: »Deutschland drohte an der Giftwolke der jüdischen Korruption zu ersticken.« Das war die Lektion, die aus der vergangenen Republik zu lernen war. Und in der Widmung des Autors für den fränkischen Gauführer Julius Streicher findet sich der Hinweis, dass der »alte böse Feind Juda noch nicht ganz geschlagen ist, und deshalb weitergekämpft werden muß bis zum Endsieg«.10 Nicht Kapitalismus in Form privaten Eigentums auch an den Produktionsmitteln, sondern der »jüdische Kapitalismus« in Form des »jüdischen Finanzkapitalismus« und der »Hochfinanz«, und zwar im Kontext eines größeren Ringens zwischen »schaffendem« und »raffendem« Kapital, wie es Gottfried Feder seit den ersten Kampftagen der NS-Bewegung unentwegt propagierte, standen im Mittelpunkt der programmatisch-ideologischen Agitation.11 Die Stilisierung des »Barmatgeistes« als Gesinnung und Haltung zählt nicht zu den genuin nationalsozialistischen Sichtweisen, auch nicht die Rede vom »Finanzjudentum«, eher die Rede von »jüdischer Korruption« als Teil jüdischen Verbrechertums.12 Hierbei handelt es sich um Kampfbegriffe einer nationalsozialistischen »Barmatologie«, wovon der Völkische Beobachter schon 1927 gesprochen hatte.13 In den Wortkombinationen mit dem Namen Barmat – »Barmatokratie«, »Barmat-Partei« etc. – wurde das vorweggenommen, was Susanne Wein mit Blick auf spätere Kombinationen mit dem Adjektiv »jüdisch« – »jüdisches Finanzkapital«, »jüdische Parteien«, »jüdischer Internationalismus« etc. – treffend als »Laminierung« bezeichnet hat.14 Der zitierte Hinweis im Nachruf der Neuen Zürcher Zeitung, Barmat habe den Aufstieg der NS-Bewegung begünstigt, gehörte

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zur Selbstbeschreibung des Nationalsozialismus. Die französische radikale Rechte und die belgischen Rexisten griffen ebenfalls auf solche Argumente zurück, wenn sie sich den Kampf gegen Korruption und die Demokratie auf die Fahnen schrieben – und sei es mit dem auf den ersten Blick paradoxen Argument, mit ihrem Vorgehen im eigenen Land präventiv eine Entwicklung wie im benachbarten Deutschland, die in den Nationalsozialismus mündete, zu verhindern.15 Das konnte in rhetorischer Manier formuliert werden, etwa wenn der Faschist Degrelle meinte, ohne die Machenschaften Barmats könnte eine demokratische Regierung in Deutschland immer noch an der Macht sein.16 In ganz Europa war in den 1930er Jahren ein politischer Radikalisierungsschub zu beobachten, der Mitte der Dekade Fahrt aufnahm. Nach Anfängen in der Weltwirtschaftskrise verschärften sich die innenpolitischen Auseinandersetzungen. Diese Entwicklung spiegelt sich in den französischen Stavisky-Unruhen 1934, die ab 1936 in den Streit über die französische Volksfrontregierung unter dem Premierminister Léon Blum mündete. Auch die deutsche Intervention im Spanischen Bürgerkrieg und die italienische in Äthiopien gossen Öl aufs Feuer. Ebenso mischten die belgischen Rexisten mit ihren Kampagnen gegen die »Verrottung« des politischen Systems und die »Bankster« die Debatten kräftig auf. Trotz der nur kurzzeitigen Erfolge dieser Bewegung 1936/37 wurde damit der Grundstein der späteren Kooperation der belgischen Faschisten um Léon Degrelle mit dem nationalsozialistischen Deutschland gelegt.17 Wenn es ein Schlagwort gab, das die informelle Internationale der Faschisten einigte, dann war das die Korruption der liberalen Demokratien. Typisch in dieser Manier waren die nicht enden wollenden Wortkaskaden des französischen Schriftstellers Louis-Ferdinand Céline in seiner Schrift Bagatelles pour un massacre (»Lappalien für ein Massaker«) aus dem Jahr 1937, in der er Juden, Bolschewisten, Spekulanten und den »Vampirkapitalismus« gleichermaßen attackierte, wobei auch die Namen Barmat und die anderer, hier erwähnter Personen fielen. So war der von ihm unter anderem ins Visier genommene französische Leutnant Rosenthal in Jean Renoirs

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bekanntem Film Die Große Illusion (1937) nicht nur »Reich! Steinreich! Beachten Sie diesen kleinen Itzig«, sondern ein »absoluter Parasit, ein schiefes Produkt eines Superjuden, er ist ein Kind Staviskys, ein Cousin Barmats. Er verkörpert das niederträchtigste Wild der Straßenlampe [der Prostitution – MHG]. Das ganze sowjetische Bildprogramm eines Bilderbogens von Épinal spiegelt sich in diesem Prototyp. Für Moskau, für Zeit und L’Humanité ist er das Idealbild des perfekten Spekulanten, und zwar dank der Unverschämtheit seines Handels, zum Brüllen vor lauter Perfektion! Er verkörpert den Feind des Volkes […]. Er ist die personifizierte Synthese, das abscheulichste Beispiel, der Hassenswerteste des Vampirkapitalismus.«18 Auch Céline kannte die Geschichten, die sich um die Revolutionierung Russlands durch »Juden« wie Helphand, »den größten geistigen Inspirator Lenins«, und jüdische Bankiers in Deutschland und den USA rankten.19 Es ging ihm um eine »jüdisch-kapitalistische Verschwörung«, die auf dem Boden der Demokratie und eines dekadenten Frankreichs aufblühen konnte. Célines exzentrisch polemische Sprache gedieh im Umfeld der französischen radikalen Rechten in ihrem Kampf gegen den als Juden stigmatisierten Léon Blum. Solche Ressentiments saßen selbst bei denjenigen tief, die sich von der radikalen Rechten und denjenigen, die dann wie die Vichy-Regierung mit Deutschland kooperierten, abgrenzten. Deutlich wird das in Jean Dorgots 1945 in London auf Englisch publizierter Schrift France is divided.20 Auch dieser Autor erzählte eine dramatische politische (und im Übrigen demografische) Verfallsgeschichte der französischen Republik in der Zwischenkriegszeit. Ihm zufolge begann diese nach dem Ersten Weltkrieg mit der Einwanderung der »gemischtrassigen Massen« (mixed multitudes), die Deutschland und Frankreich gleichermaßen betroffen habe. Seine Sprache ließ keine Zweifel aufkommen: »Klein in der Zahl, aber lautstark aktiv, lauerten sie auf diese Länder wie orientalische Heuschrecken, die sich auch nicht durch das Versprühen von Gas durch niedrig fliegende Flugzeuge vernichten ließen. Sie fanden einen für ihren Geschmack vorbereiteten Boden.« Solche Einfälle von »Parasiten« waren für Dorgot ein Symptom für einen durch den Krieg »geschwächten Körper«. Mit Blick

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auf Deutschland dachte er dabei unter anderem an Julius Barmat, Iwan Kutisker und Michael Holzmann, im Falle Frankreichs an Personen wie den Finanzier Albert Oustric, Marthe Hanau und Alexandre Stavisky. Für Frankreich habe sich das Problem mit den Flüchtlingen seit den 1930er Jahren verschärft, so Dorgot. Einige von ihnen hätten es eigentlich vorgezogen, in Deutschland zu bleiben, es sei ihnen aber ähnlich wie vormals »Jud Süß« gelungen, in Frankreich einen »Nazi Protektor« zu finden.21

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit, 9783868543193, 2018

Jud Süß und Der ewige Jude Der Spielfilm Jud Süß, der im Jahr 1940 zunächst im Deutschen Reich gezeigt wurde, bediente alle diese Stereotype und Ressentiments. Er war ein Kassenschlager und auch ein Exporterfolg (wie die Anspielung des Autors von France is divided auf Jud Süß illustriert). Bis 1943 sollen ihn über 20 Mio. Menschen gesehen haben.22 Der Spielfilm greift frei die schon früher vielfach literarisch bearbeitete Geschichte des »Finanz- und Hofjuden« Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer (kurz: Joseph Süß Oppenheimer) auf, der sich in den Dienst des auf Luxus bedachten Herzogs Karl Alexander von Württemberg stellt. Nach der Klassifikation Max Webers war er ein Beispiel für das Erwerbsstreben im »politischen Kapitalismus« der Frühen Neuzeit (auch wenn der Fokus des Soziologen nicht auf solchen Betrugsfällen lag). In der Geschichte, die der Film erzählt, bringt Süß Oppenheimer den Herzog, der infolge kostspieliger Geschenke, darunter Diamanten und die Errichtung einer Oper, überschuldet ist, in eine finanzielle Abhängigkeit. Für das Land hat das weitreichende Folgen: Denn auf diese Weise gewinnt der Finanzier zunächst die Kontrolle über die Wirtschaft, dann auch über die Politik; im Mittelpunkt steht die Entmachtung der Stände und die Errichtung einer absolutistischen Herrschaft. Diese Herrschaft ist zugleich sexuell konnotiert: Die von Süß Oppenheimer umworbene Frau, die sich ihm zu entziehen versucht, wird von ihm vergewaltigt, woraufhin sie sich das Leben nimmt. In dem Film finden sich viele Elemente jenes Aufklärungsradi-

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kalismus, von dem schon mehrfach die Rede war. Dazu gehört die explizite Herrschaftskritik an einem Fürsten, der sein Volk verrät, dann die Kritik an der Justiz, die sich nur allzu willig der politischen Herrschaft unterordnet (indem sie im Film einen Kritiker Jud Süß’ zum Tode verurteilt), und nicht zuletzt die Darstellung des mit Steuern belasteten Volkes, das, angeführt von aufrechten Männern im Sinne eines Michael-Kohlhaas-Kampfes um Gerechtigkeit – in diesem Fall erfolgreich –, mit einem Aufstand antwortet. Zu guter Letzt siegt die vermeintlich gesunde Volksgesinnung und Moral: Jud Süß wird wegen Erpressung, Wucher, Ämterhandel, Unzucht und Hochverrat vor Gericht gestellt und schließlich hingerichtet. Die infolge der früheren Intervention von Süß aufgehobene »Judensperre« wird wieder eingeführt, und die große Zahl von eingewanderten Juden, die im Film als arm und heruntergekommen dargestellt werden, wird wieder ausgewiesen. Jud Süß ist kein Film über Julius Barmat. Aber alle Versatzstücke seiner zurückliegenden, dem Publikum wie auch den Filmemachern zumindest bruchstückhaft bekannten Geschichte tauchen darin auf. Die hohe Kunst und auch Infamie dieses Spielfilms bestehen darin, Teile des kollektiven Gedächtnisses anzusprechen, sie in überzeitliche Zusammenhänge zu setzen und damit zu rekontextualisieren – und das in Form eines in Western-Manier inszenierten Kampfes zwischen Gut und Böse, der mit der Eliminierung des Bösen endet. Wenige Monate nach der Erstaufführung von Jud Süß legte das Goebbel’sche Propagandaministerium mit dem Kinostart des nicht minder antisemitischen Hetzfilms Der ewige Jude nach. Damit wurde der Titel der gleichnamigen Münchener Ausstellung des Jahres 1937 aufgegriffen, die zunächst als Wanderausstellung in einer Reihe deutscher Städte und dann auch in den besetzten Gebieten präsentiert wurde.23 Im Gegensatz zu Jud Süß war der dokumentarisch angelegte Film kein Kassenerfolg. Das erklärt sich auch dadurch, dass er einzelne Episoden bruchstückhaft und filmtechnisch wie filmästhetisch einigermaßen dilettantisch aneinanderreiht, wobei ein weiter Bogen geschlagen wird vom vermeintlich schmutzigen Leben der Juden in den osteuropäischen Gettos – dazu wurden

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eigens angefertigte Filmaufnahmen von Propagandakompanien der Wehrmacht herangezogen – bis zu ihrer Ankunft und ihrer Etablierung in den neuen »Gastländern«. Man sieht Bilder, die an das bereits behandelte Pamphlet Der Rattenkönig aus dem Jahr 1920 erinnern: ein Gewirr von Ratten, die sich über prall gefüllte Getreidesäcke hermachen, aus Kanaldeckeln kriechen, durch Vorratskammern und schmale Gänge huschen. Diese Plage wird zu einer Karte in Bezug gesetzt, welche die Ausbreitung von Juden in Russland, Europa und der Welt trickgrafisch illustrieren soll. »Wo Ratten auch auftauchen, tragen sie Vernichtung ins Land, zerstören sie menschliche Güter und Nahrungsmittel. […] Sie sind hinterlistig, feige und grausam und treten meist in großen Scharen auf. Sie stellen unter den Tieren das Element der heimtückischen, unterirdischen Zerstörung dar – nicht anders als die Juden unter den Menschen«, so der Sprecher des Films.24 Ähnlich wie schon im Spielfilm Jud Süß, in dem der Protagonist auf dem Weg nach Württemberg seine Kleider ablegt und seine Haare schneiden lässt, thematisiert Der ewige Jude die äußerliche Anpassung der Neuankömmlinge an die Umgebung: »Die zivilisierten Juden, welche wir aus Deutschland kennen, geben uns nur ein unvollkommenes Bild ihrer rassischen Eigenart.« Der Film zeige, so der Kommentar, »Original-Aufnahmen aus den polnischen Ghettos, er zeigt uns die Juden, wie sie in Wirklichkeit aussehen, bevor sie sich hinter der Maske des zivilisierten Europäers verstecken.« Tatsächlich wurden Bilder von »Ghettojuden« mit Bart, Kaftan, Kippa überblendet mit Aufnahmen derselben Personen als glatt rasierte, westeuropäische Bürger mit kurzem Haarschnitt und Anzug, die, so die Anspielung des Films, mit dieser Camouflage das Land wirtschaftlich und kulturell unterwanderten. Ob beabsichtigt oder nicht, wiederzuerkennen sind die zeitgenössischen Geschichten, die sich um Julius Barmat drehten, der zur gleichen Zeit wie die flüchtenden Ostjuden nach Deutschland kam, als weltläufiger Mann auftrat und damit seine Umwelt zu beeindrucken vermochte. Sein Name taucht im Film am Anfang nur kurz in einer mit Fotos gestalteten Ahnengalerie jüdischer Geschäftsleute auf, darunter u. a. auch Leo und Willy Sklarek, Iwan Kutisker und

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Ludwig Katzenellenbogen.25 Die wenig kohärente Storyline des Films handelt von Not und Verschwendung während der Inflationszeit, von Gemälden und Skulpturen moderner Künstler, die den »verjudeten Kunstbegriff« darstellen sollten, dann von der Vorherrschaft jüdischer Rechtsanwälte und weiterer freier Berufe – und von »jüdischen Verbrechern« wie Julius Barmat und anderen.26 Am meisten beschäftigten die damaligen Zuschauer aber offenbar die Bilder von der Schächtung von Tieren. Wie der Sicherheitsdienst im Januar 1941 meldete, seien diese als »eine außerordentliche ›Nervenbelastung‹« bezeichnet worden, einige Zuschauerinnen und Männer »jüngeren Alters« seien gar ohnmächtig geworden. Im Gegensatz zum Kassenschlager Jud Süß war die Reaktion auf Der ewige Jude aber ambivalent: In internen Berichten über die Stimmung im Reich wurde darauf verwiesen, dass häufig geäußert worden sei, »Jud Süß habe das Judentum bereits so überzeugend dargestellt, daß es dieser neuen, noch krasseren Beweismittel in dem unmittelbar danach aufgeführten Dokumentarfilm nicht mehr bedurft habe«, ja, es soll eine regelrechte Mundpropaganda gegen den Film gegeben haben, die sich offenbar auf die »stark realistische Darstellung des Judentums« bezogen habe. Auf der anderen Seite gab es offenbar auch »zahlreiche Äußerungen vor allem aus politisch aktiven Bevölkerungskreisen […], wonach der Film als außerordentlich eindrucksvolles Dokument sehr dankbar aufgenommen« worden sei.27 Tatsächlich wurde Der ewige Jude auch zur ideologischen Indoktrination von Mitgliedern der Parteiorganisationen, z. B. der Hitlerjugend, eingesetzt. Im benachbarten besetzten Ausland zeigte man den Film unter den Titeln Le Péril Juif, Le juif errant und De eeuwige Jood, und zwar in verschiedenen angepassten »europäischen Fassungen«. Er wurde gezielt im Kontext der Verschärfung antijüdischer Maßnahmen eingesetzt.28 Das gilt für Frankreich im Frühjahr 1942, wo der Film die Einführung des sogenannten Judensterns mit vorbereiten sollte und wo deutsche Regierungsstellen im Übrigen zur gleichen Zeit einen anderen von ihnen finanzierten dokumentarischen Film mit dem Titel Les Corrupteurs in die Kinos brachten, der offenbar zusammen mit Le Péril Juif gezeigt wurde.29 Die beiden Filme gehörten

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zum Begleitprogramm der seit September 1941 gezeigten Ausstellung Le Juif en France, der für Frankreich adaptierten Fassung der Münchener Ausstellung von 1937. Wie und ob Barmat in den jeweiligen Sälen über »Die großen Skandale« und »Juden in Deutschland 1918–1933« auftauchte, wissen wir nicht; verwunderlich wäre das nicht angesichts der Verschwörungstheorien, die sich um die Verbindungen von Alexandre Stavisky und Julius Barmat rankten. In Antwerpen kam es etwa zur gleichen Zeit nach Vorführungen der flämischen Fassung des Films und aufpeitschenden Reden des radikal-nationalistischen und rassistischen Vlaamschen Verbond zur Verwüstung von Synagogen und zu Plünderungen im jüdischen Viertel der Stadt.30 In diesem Kontext der In- und Auslandspropaganda standen auch die Bemühungen des Goebbels’chen Propagandaministeriums um ansprechende Darstellungen der vergangenen Skandalfälle, die ein breiteres Publikum finden sollten. Mitarbeiter des »Promi« sprachen diesbezüglich auch Hans Fallada an. Der wie immer finanziell klamme Schriftsteller interessierte sich offenbar schon lange für den »Barmat-Kutisker-Fall«, insbesondere aber für Iwan Kutisker. Er wollte keinen »billigen antisemitischen Roman im Stile des ›Stürmer‹« schreiben und konsultierte Originalakten im Reichsjustizministerium in Berlin, ohne aber einen dokumentarischen Roman in Angriff zu nehmen. Er befasste sich gleichermaßen mit »Börsen-Jiddisch auf die verdammten Devisengeschäfte der Ausgangsinflation angewandt«, dem litauischen Getto und mit »rituellen Dingen wie Gebetsriemen«.31 Im Heyne-Verlag war man erstaunt, wie es Fallada gelang, einen »nicht-antisemitischen antisemitischen Roman« zu schreiben, der offenbar gut ins Konzept des Propagandaministeriums von einem »belletristischen Werk passte, das für antisemitische Propaganda nach Außen geeignet ist«.32 Offenbar ging es um einen »alten Juden […], einen Wahnsinnigen, vom Geldkomplex Besessenen«, im Mittelpunkt stand »Geld, Geld, Geld!«33 Das Manuskript ging im Dresdner Feuersturm 1945 verloren. Sollte Fallada noch eine Kopie besessen haben, so hat er sie mit Sicherheit gegen Kriegsende vernichtet. Deshalb wissen wir nicht, ob

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Falladas Geschichte des Herrn Meyer Benjamin Lubliner, wie sein Protagonist hieß, ähnlich Mehrings Kaufmann von Berlin, einmal mehr eine Variante der Geschichte Barmats war, ob die Geschehnisse um Barmat und Kutisker miteinander verschmolzen und ob, wie es von einem Schriftsteller wie Fallada zu erwarten war, eine Synthese aus den beiden entstand. Aber vermutlich hat er eine eingängige, populäre Geschichte des Kapitalismus erzählt, die sich in einer Person verdichtete.

Gewalt und Vernichtung Kriminalität, Korruption, Spekulation, Börsenmanipulation und Dekadenz der Demokratie, das waren die Themen der medialen und propagandistischen Aufrüstung. Seit der Machtübernahme im Jahr 1933 verlief sie parallel zur Radikalisierung der deutschen Rassenpolitik. Ökonomische Aspekte des NSDAP-Parteiprogramms von 1920 und Aspekte der rassistischen Programmatik wurden popularisiert und aktualisiert. Bilder und Geschichten der Vergangenheit verschmolzen mit Gegebenheiten der Gegenwart und verstärkten sich wechselseitig.34 Vordergründige Gegenüberstellungen eines ökonomisch motivierten Antisemitismus und eines Rassenantisemitismus sind aus diesem Grund wenig sinnvoll, was ja auch Filme wie Jud Süß und Der ewige Jude illustrieren.

Facetten des Antisemitismus Der Rassenantisemitismus tauchte in verschiedenen Medien fast immer im Kontext von konkreten Stereotypen, Bildern und historischen Handlungszusammenhängen auf. Ein gutes Beispiel ist das Schulbuch Das Erbe der Ahnen des Kölner Gymnasiallehrers Karl Dietrich Erdmann aus dem Jahr 1938. Seine darin entwickelte Geschichte war die der ideologischen Kämpfe zwischen dem »Marxismus« und seiner vermeintlichen Zersetzungsarbeit und dem die Volksgemeinschaft aufbauenden Nationalsozialismus. Die Industrialisierung habe zur Abhängigkeit der »deutschen Wirtschaft vom Ausland« geführt: »Das Geld rollte und schlug die Menschen

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in seinen Bann. Heimatlos war das internationale Kapital. Volksfremd waren die jüdischen Börsenkönige. Undeutsch wurde die Lebensart in den großen Städten.« Dieses »Vordringen des Bankund Börsenkapitals gab ihnen [den Juden – MHG] die Waffen in die Hand«, um Wirtschaft und Gesellschaft auch mittels der Presse zu dominieren. Revolution und das Einströmen ostjüdischer Einwanderer komplettierten, wie der Kölner Studienassessor schrieb, die Zersetzungsarbeit: »Das Leben in der Hauptstadt Berlin erhielt ein mehr und mehr jüdisches Gepräge […]. Die Börsen- und Bankjuden arbeiten Hand in Hand mit ihren Freunden in den Ministerien und in den Stadtverwaltungen. Deutschland hallte wieder von Skandalprozessen, die in ununterbrochener Kette einander folgten.« Für Erdmann handelte es sich dabei um ein Symptom der »geistigen Zersetzung«. In den Prozessen der Systemzeit seien »nur besonders krasse Fälle (Gebrüder Sklarz, Gebrüder Barmat, Gebrüder Sklarek) gefaßt« worden, die aber nicht verhindert hätten, dass sich in dieser Zeit der jüdische Einfluss »hemmungslos geltend mach[te]«. Erst Hitler habe diesem Treiben ein Ende gesetzt: Nicht mehr ein Kampf gegeneinander habe stattgefunden, sondern »ein Kampf um die Freiheit Deutschlands. Und dieser Kampf hieß: Arbeit.«35 Hinter solchen Banalitäten und kruden Kausalitäten verbarg sich die potenzielle Wirkmächtigkeit eines Antisemitismus, der, und das ist der entscheidende Punkt, nicht nur die engere Gemeinde der politisch und rassisch Gläubigen, sondern auch die vielen, mehr oder weniger fernen Mitläufer und bystander und deren vermeintlich »gesunden Menschenverstand« anzusprechen vermochte. Ökonomische, politische und rassistische Argumente waren miteinander verschwistert und stützten sich wechselseitig. Erklärungen, die auf die geistige wie moralische Zersetzungsarbeit von Juden abhoben, bezogen sich auf die Revolution 1918/19 sowie den »jüdischen Kapitalismus«, der sich von »deutscher Arbeit« absetzte. Sie rechtfertigten Maßnahmen wie das Erheben der Reichsfluchtsteuer oder die Verfolgung von Zoll- und Devisenvergehen bis hin zur systematischen Konfiszierung von jüdischem Eigentum zugunsten des Staates und von Parteistellen. Daraus entstand ins-

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besondere seit 1933 eine spezifische Dynamik des Zusammenspiels von Ideologie und Praxis. Sie erfasste vielfach auch den »kleinen Mann«, der vielleicht nur ein kleines Stück vom großen Kuchen zu ergattern hoffte, wobei sich Gesinnung und Kalkül vermischten.36 Die Filme Jud Süß und Der ewige Jude waren Mittel der ideologischen Kriegsmobilisierung und damit des Rassenkrieges. Dabei wurden Szenarien der Konstellation des Ersten Weltkriegs aufgegriffen. Die erklärten »inneren Feinde« waren nun deutsche Jüdinnen und Juden ebenso wie dann die jüdische Bevölkerung in den besetzten Gebieten, nicht zuletzt aber auch ihre vermeintlichen Unterstützer, darunter die »Hilfstruppen« von Sozialdemokraten oder auch Rechtsanwälte. Wie es in einem Bericht des Sicherheitsdienstes (SD) aus München hieß, sei »[g]eradezu befreit und begeistert während des Films [Der ewige Jude – MHG] applaudiert worden, als der Führer an der Stelle einer seiner Reden ins Bild kam, als er voraussagte, daß ein neuer Krieg nur das Ende und die Vernichtung des Judentums zur Folge haben könne«.37 Gemeint war der Textausschnitt einer Rede, die Hitler am 30. Januar 1939 im Reichstag gehalten hatte und in der er drohte: »Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!«38 Als wenige Monate später der Krieg begann, konnten solche Bekundungen des Führerwillens als sich selbst erfüllende Prophezeiung wie als Befehl verstanden werden. Mit der Eröffnung des systematisch durchgeführten Rasse- und Vernichtungskrieges gegen den »jüdischen Bolschewismus« im Krieg gegen die Sowjetunion erhielt der – wiederkehrende – Rekurs auf diese Passage aus Hitlers Rede ebenso wie ihre Verbreitung in Form des Films Der ewige Jude eine Handlungsanweisung, ja eine Ermächtigung zu handeln. In diesem Sinne kann man die Wiederholung dieser Prophezeiungen auf einer Sitzung der Reichs- und Gauleiter am 12. Dezember 1941, also kurz nach dem Kriegseintritt der USA, verstehen. Das gilt auch

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für Goebbels, der sich auf diese neben vielen anderen Punkten eher nebensächlich hingeworfene Aussage Hitlers bezog: Dessen Erklärung im Januar 1939 sei eben »keine Phrase gewesen«: »Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung des Judentums muss die notwendige Folge sein.«39 Solches Sprachhandeln vermochte diejenigen zu bestärken, die im Kontext der Kriegshandlungen im Osten bereits selbstständig Initiativen zur Deportation sowie zum Bau von Gettos ergriffen hatten und dabei auch nicht vor Erschießungen und anderen Mordaktionen zurückschreckten. Das galt in erster Linie für die im Führerglauben und in »Weltanschauungsfragen« sozialisierten SSMänner ebenso wie für die Hitlerjugend oder andere Mitglieder von NS-Organisationen. »Vernichtung« hieß dabei zuallererst, das, was damit gemeint war: Vernichtung.40

Deutsche Arbeit Aber Handlungslogiken basieren auf vielen unterschiedlichen Begründungen. Diese kann man als Vorwand und Ideologie mit jeweils eigenen Logiken betrachten. Leser des Völkischen Beobachters, des Angriffs und vieler nationalsozialistischer Flugschriften waren über Jahre derselben Botschaft ausgesetzt gewesen: Deutschland und die deutsche Wirtschaft galt es vom »jüdischen Geist«, dem »Geist der Spekulation«, der »Hörigkeit vom Weltkapital« zu befreien und die »kapitalistisch-marxistische Wirtschaft der Systemzeit« zu überwinden; »Gemeinnutz« sollte nicht nur »vor Eigennutz« gehen, sondern auch den »Interessen des Volkes« untergeordnet werden. Dabei handelte es sich zunächst einmal um Phrasen, die an ältere antikapitalistische Emotionen in den Reihen der radikalen Rechten (wie im Übrigen der radikalen Linken) vor 1933 appellierten. Unübersehbar sind die Referenzen an den in deutschen, insbesondere bildungsbürgerlichen Kapitalismusdiskussionen allgegenwärtigen Nationalökonomen Werner Sombart, dessen Bücher, neben Die Juden und das Wirtschaftsleben (1911) auch Der Deutsche Sozialismus (1934), auf große öffentliche Resonanz stießen (bei allen Vorbehalten der Nationalsozialisten gegen den Wissenschaftler).41 Die Bemühungen um die Erhebung solcher Phrasen zu einem wirt-

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schaftlichen Programm wurden schon damals vielfach als Spinnereien abgetan, in den Reihen der Partei, der Großwirtschaft und allemal der Wissenschaft. Ähnlich erging es dem nach 1933 marginalisierten, wenngleich präsenten Gottfried Feder mit seinen Tiraden gegen das »Finanzkapital« sowie anderen, heute weniger bekannten Männern (offenbar keinen Frauen). Zu nennen ist an erster Stelle Bernhard Köhler, der langjährige Schriftleiter des Völkischen Beobachters und, bis zu seinem Tod 1939, Leiter der Kommission für Wirtschaftspolitik der NSDAP. Parteiideologen wie Feder oder Köhler waren in einer Art und Weise medial präsent, von der die Mehrzahl der Ökonomen nur träumen konnte. Ihr Bekenntnis zu einer Antitheorie zur akademischen Volkswirtschaftslehre kam ihrem eigenen, allemal auch Hitlers Verständnis von Politik und Wissenschaft und ihrer Verachtung von Akademikern zweifellos entgegen.42 »Dadurch, daß der Nationalsozialismus die Theorie abgelehnt hat, hat er sich die Freiheit zu künstlerischer Politik bewahrt«, so ein anderer lautstarker Wortführer dieser Richtung, der Redakteur des Völkischen Beobachters Fritz Nonnenbruch. Topoi wie die Enteignung der »Börsenfürsten« waren in den 1930er Jahren weitgehend verschwunden: Die jüdischen Banken waren »arisiert«, so wie im Übrigen auch Reichsbankpräsident Schacht, ein politischer Gegenspieler Feders, nach der Machtübernahme 1933, entmachtet und kaltgestellt war. Seit der Weltwirtschaftskrise dominierten Themen wie Arbeit, Arbeitsbeschaffung und das »Recht auf Arbeit«, wobei der »Wiederaufstieg deutscher Arbeit« die Eliminierung »jüdischer Wirtschaftsmacht und Wirtschaftszerstörung« der »Verfallszeit« implizierte.43 Dabei operierten nationalsozialistische Barfußökonomen wie Köhler, Nonnenbruch und viele andere mit einer spezifischen Werttheorie der Arbeit. Arbeitsbeschaffung und ein Recht auf Arbeit sollten eine Höherbewertung von Arbeit – »deutscher Arbeit« – ermöglichen. Aber nicht nur das: Arbeit war Grundlage wie Garant der nationalsozialistischen »Arbeitswährung«, womit auch eine Absage an den Goldstandard des »liberalistischen Zeitalters« verbunden war. Das erklärte Ziel war »eine Grundordnung der Volkswirtschaft auf dem

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Prinzip der Arbeit gegenüber einer wirtschaftlichen Grundordnung auf dem Prinzip des Kapitals«.44 Derartige Ausführungen strotzten vor Fehlern und Gemeinplätzen, ja Zynismus, bedenkt man den rückläufigen Anteil des Faktors Arbeit am Volkseinkommen in den 1930er Jahren. Aber entscheidend ist nicht die Unwissenschaftlichkeit, auch nicht ihre Nähe zu manchen Grundprämissen keynesianischer Wirtschaftstheorien, sondern vielmehr ihre Binnenlogik, die sich im NS-Kontext entfaltete. Denn die andere Seite eines Wirtschaftssystems, das nicht nur auf dem nationalsozialistischen »Prinzip der Arbeit«, sondern auch auf einem »Primat der Politik« über die Wirtschaft und damit die staatliche Verfügung über Arbeit und Arbeitsmarkt beruhte, implizierte immer auch die Möglichkeit des Ausschlusses, der just über die Logik dieser spezifischen Arbeitsideologie erfolgte. In heutiger Terminologie gesprochen: Arbeit eröffnete die Möglichkeit der Inklusion, aber auch der Exklusion aus der »produktiven Volksgemeinschaft«. »Deutsche Arbeit« unterschied sich von »unproduktiver Arbeit«, von »Luftgeschäften«, (Börsen-)Spekulation, Wucher und »undurchsichtigen Handelsgeschäften«. Daran hatte sich die Barmat-Kritik entzündet; und wie wir im Falle Jakob Michaels konkret sahen und die neuere Forschung in vielfältiger Weise gezeigt hat, waren das nicht nur rhetorische Sophismen. Das zeigt auch die Abbildung 18, S. 434, aus dem Kladderadatsch mit der zynischen Thematisierung der vermeintlich »gesunden Volksmeinung« in Bezug auf »Schieber«. Zu erkennen ist der vielfach anzutreffende, ideologische Topos der Erziehung zu »produktiver Arbeit« in den Lagern. Von der »Ausscheidung aus dem Wirtschaftsleben«, wovon im Zusammenhang mit der Reichsfluchtsteuer zu hören war, bis zur »Vernichtung durch Arbeit« war es ein weiter und auch kein linearer Weg.45 Aber Ansätze, die auf »produktive Arbeit«, die Begründung einer »deutschen Arbeits- und Leistungsgemeinschaft« abhoben, spielten eine wichtige Rolle, und zwar sowohl als Vorwand als auch als systemspezifische Begründung im Kontext der Arbeitsmobilisierung. Im überlieferten Protokoll der Wannsee-Konferenz ist aus der Feder Adolf Eichmanns zu lesen: »In großen Arbeitskolon-

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Abb. 18 »Schieber« im KZ CC-BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch, 86.1933, Seite 558

nen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete [des Ostens – MHG] geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.«46 Das hieß Vernichtung durch Arbeit. Dementsprechend gab es 1941 Pläne für gewaltige Bauprojekte, die als Fiktion von Arbeit auch dann noch in den Konzentrationslagern präsent blieben, als sichtbar wurde, dass sie nie realisiert werden würden. Die Parole »Arbeit macht frei« gehörte zur zynischen Botschaft des sich seit dem Krieg systematisch ausbreitenden SS-eigenen Lager- und Vernichtungssystems, dessen Betreiber bis zu den sogenannten Todesmärschen 1945 – nicht zuletzt mit Blick auf die Öffentlichkeit – an der Fiktion festhielten, dass es sich bei den ins Reich zurückgeführten KZ-Insassen auch um Arbeitskräfte handele.47

Späte Rache Während des Krieges wurde das System der Verfolgung perfektioniert. Ein Entkommen war nur noch schwer möglich, zumal der Weg in freie Länder versperrt war. Unerbittlich traf die Verfolgung

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auch deutsche Flüchtlinge. Darunter befand sich der uns bekannte Erich Kuttner, der sich als SPD-Vertreter im Barmat-Ausschuss, Wortführer der politischen Barmat-Verteidiger und nicht zuletzt als Herausgeber der kämpferischen Satirezeitschrift Lachen links unbeliebt gemacht hatte. Er hegte von Anfang an keine Zweifel daran, dass mit den Nationalsozialisten ein Mordapparat an die Macht gekommen war, wie er kurz nach seiner Flucht im Mai 1933 über Prag nach Amsterdam noch seinen Parteikollegen darlegte. Die Geheime Staatspolizei wies in ihrem Bericht zur Ausbürgerung darauf hin, dass Kuttner in seinen Gedichten nicht nur in »geschmackloser und gemeinster Weise den deutschen Offizier verächtlich« zu machen versucht, sondern sich »besonders durch hetzerische Angriffe auf den Führer ausgezeichnet« habe. Trotz vorliegender Spitzelberichte war die Geheime Staatspolizei aber über seine Aktivitäten nicht besonders gut informiert: So fand sein Engagement im Spanischen Bürgerkrieg ebenso wenig Beachtung wie das in der Gruppe der Revolutionären Sozialisten oder im Lutetia-Kreis, mit dem er sich in den Niederlanden um eine Volksfront-Koalition gegen Hitler bemühte. Es ist nicht klar, ob er nach 1933 noch Kontakte mit Julius Barmat hatte. Nach der Besetzung der Niederlande durch die Wehrmacht, einem fehlgeschlagenen Suizid und dem Tod seiner Frau verschlechterte sich seine wirtschaftliche und psychische Lage rapide. Die Geheime Staatspolizei hatte ihn nicht vergessen. 1942 wurde der 55-Jährige in seiner Amsterdamer Wohnung verhaftet, nach Deutschland verschleppt und im Oktober 1942 im Konzentrationslager Mauthausen ermordet.48 Im Gegensatz zu Kuttner weigerte sich Ernst Heilmann, Julius Barmats engster Freund in Deutschland, zu emigrieren. Wie wenige andere Sozialdemokraten war Heilmann ein Hassobjekt der Nationalsozialisten. Der bekannte SPD-Parlamentarier wurde schon im Sommer 1933 verhaftet und erlebte danach eine Odyssee durch deutsche Konzentrationslager; nach zahllosen Misshandlungen wurde er im April 1940 in Buchenwald durch eine Injektion ermordet.49 Über die Verfolgung der engeren und weiteren Familie Julius Barmats liegen nur bruchstückhafte Informationen vor. So wissen wir nicht, ob nach der Besetzung der Niederlande gezielt nach ih-

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nen gesucht wurde. Viele Verwandte von Barmat wurden nach der Besetzung der deutschen Nachbarländer erfasst und in Konzentrationslager verschleppt, wo sie nicht überlebten. Andere tauchten unter; der mütterliche Allerweltsname de Winter bot eine gewisse Anonymität. Letzteres gilt für Barmats 1911 geborenen Sohn Louis Izaak (Barmat) de Winter, der 1937 in Jura promovierte, als Jurist und Geschäftsführer einer Lebensversicherung namens Aurora vor und nach dem Krieg erfolgreich tätig war und unter dem Namen der Mutter wissenschaftlich publizierte. Von 1962 bis 1967 hatte er eine Professur für Internationales Privatrecht an der Universität Amsterdam.50 Henry Barmat und wohl auch seine Familie hatten sich nach ihrer Ausweisung aus Belgien 1933 zunächst nach Österreich und dann nach Polen begeben, wo Henry nachweislich die polnische Staatsbürgerschaft erhielt. Mit seiner Ausreise nach Polen verliert sich seine Spur. Die deutsche Presse berichtete noch vor dem Tod seines Bruders, dass der mit einem belgischen Auslieferungsantrag gesuchte Henry in die Sowjetunion geflüchtet sei; an der Glaubwürdigkeit dieser Information kann man zweifeln, ging es dabei doch im Wesentlichen darum, die Affinität von jüdischen Spekulanten zum Bolschewismus zu betonen.51 Wann Henry Barmat – mit oder ohne seine Familie – nach Palästina ausreiste, ist nicht klar. Den Krieg hat er auf jeden Fall überlebt. Denn es ist belegt, dass er 1962 in Brüssel die Akten der belgischen politischen Polizei, der Sûreté, über seine Person konsultierte.52

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Nachbetrachtungen Über das Verschwinden von Julius Barmat In den 1990er Jahren war Julius Barmat gerade noch im bereits aussterbenden kommunikativen Gedächtnis der älteren Kriegsgenerationen präsent. Der Verfasser dieses Buches erinnert sich daran, wie sich ein »Seniorenstudent« bei einem ignoranten jungen Dozenten, der über die Weimarer Republik referierte, darüber beklagte, nichts über den Weimarer »Korruptionssumpf« gehört zu haben, ja dass dieses Thema auch in wissenschaftlichen Darstellungen »verschwiegen« werde. Im damals neuen Internet konnte man eine Fülle von Hinweisen dazu finden, allerdings meist in Form von Exzerpten aus der völkischen und rechtsradikalen Literatur der 1920er Jahre. Viele dieser Seiten existieren heute nicht mehr – oder sind, wie Google andeutungsweise mitteilt, inzwischen gesperrt. Diejenigen, die überdauert haben, sind mittlerweile überwuchert von vielfältigen Verweisen auf neue Bücher und Artikel, die sich mit Julius Barmat und anderen Skandalfällen beschäftigen und illustrieren, dass das Thema ein inzwischen primär wissenschaftliches und historisches ist. Diese veränderte Sicht auf die Dinge war ein langwieriger und diffiziler Prozess, mit Implikationen für die Debatten über Demokratie, Kapitalismus und politische Moral.

Formen des lebenden Gedächtnisses Am 26. August 1946, dem 211. Tag des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, warf der als Pflichtverteidiger für die Waffen-SS eingesetzte Anwalt Horst Pelckmann die Frage auf, ob es »verbrecherisch« sei, »wenn die Gesellschaft, der Staat, unter dem Einfluß jener Wahnideen damals Lösungen versuchte«, die das Ziel hatten, »die Vermischung der Rassen und eine Einflußnahme auf das öf-

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fentliche Leben« zu verbieten. Seine Antwort lautete, dass »die Ereignisse«, womit er die Vernichtung der Juden meinte, nur »aus der Zeit erklärt werden« könnten. Dabei identifizierte er die eigentlichen Schuldigen: nämlich »[d]as schlechte Beispiel einiger jüdischer Einwanderer aus Osteuropa mit ihren berüchtigt gewordenen Betrügern europäischen Ausmaßes, wie Barmat und Kutisker«. Demnach war das Verhalten von Personen wie Barmat der Grund für die »eingeleiteten Maßnahmen, für eine kollektive Stimmung, für eine mit Hilfe der äußersten wirtschaftlichen Not ausgenutzten Massenhypnose gegen Juden, wie sie immer wieder im Laufe großer politischer und sozialer Umwälzungen auftritt«. Pelckmann spielte die vermeintlich allgemeine Empörung über Korruption, Wucher, Ausbeutung und angeblich »ostjüdische Verbrecher« gegen den Vorwurf des Rassenantisemitismus aus, den er allein bei Adolf Hitler als gegeben ansah, der aber der »Masse verborgen« geblieben sei. Man habe nur willig die Gesetze befolgt: »Die Forderung der gesetzlichen Durchführung dieses antisemitischen Prinzips [durch die SS-Männer – MHG] für sich kann nicht verbrecherisch gewesen sein, denn es schien ja so, als ob sie eine Anwendung dieses Prinzips ohne Haß und persönliche Rache von Staats wegen verbürgte.« Der Verteidiger konstatierte weniger einen »Antisemitismus der Vernunft« (Ulrich Herbert) als vielmehr eine banale Handlungslogik vermeintlich gesunder Gesinnung, die sich von der der kleinen Elite von SS-Führern unterschieden habe.1 Pelckmann wollte mit seiner Argumentation den Vorwürfen einer Kollektivschuld der Deutschen entgegenwirken. Er meinte, dass ein »neues Kollektivunrecht gegenüber bestimmten Menschenkategorien«, sprich: gegen die von ihm verteidigten SS-Männer, geschaffen werde. Damit stand der Vorwurf einer neuen »politischen Justiz« im Raum – in diesem Fall der Siegermächte, anknüpfend an Ewald Moritz’ alias Gottfried Zarnows Gefesselte Justiz (1930/32), ein Buch, das für lange Zeit ein Referenzwerk für interessierte Laien und auch viele Studenten blieb. Mit ähnlichen Argumenten verteidigte auch der uns bekannte Anwalt Friedrich Grimm zahlreiche frühere Nationalsozialisten. Sein Mantra war die Amnestie, und zwar eine »Generalamnestie«, mit der ein Schlussstrich unter die

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NS-Zeit gezogen werden sollte. Auch bei ihm war der Fall Barmat

noch präsent. Er sei damals von der Republik und der »politischen Justiz« gegen nationale Gruppen ausgespielt worden, denen man Hochverrat und Fememorde vorgeworfen habe.2 Darin sah er eine direkte Kontinuität zur »politischen Justiz« in der Bundesrepublik. Solche Äußerungen kann man auch als Angriff auf den amerikanischen Chefankläger der Nürnberger Prozesse Robert Kempner lesen. Denn nicht nur Insidern war bekannt, dass Kempner damals als Staatssekretär im Preußischen Justizministerium die radikalen Republikkritiker im Visier hatte.3 Das waren die Schlachten von gestern, deren letzte Gefechte in den 1950er Jahren mit konkreten Erinnerungen an die zurückliegenden Ereignisse ausgetragen wurden. Bedenkt man das Engagement der KPD der 1920er Jahre in der Causa Barmat, ist es nicht verwunderlich, dass die Erinnerung daran in der DDR gewissermaßen staatsoffiziell wachgehalten wurde. Noch 1970 berichtete die in Ostberlin erscheinende Berliner Zeitung in ihrem Rückblick auf die »goldenen zwanziger Jahre« von einem Lampionfest an einem Sommerabend bei Julius Barmat in Schwanenwerder, zu dem nur die »Creme der Berliner Gesellschaft« Zutritt gehabt habe, darunter der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, Prinz August Wilhelm von Preußen, Oskar von Hindenburg (Personen, die nun in keiner Verbindung zu Barmat gestanden hatten), aber selbstverständlich auch führende Sozialdemokraten. Die Leser erfuhren, wie der Ex-Reichskanzler Gustav Bauer und Barmat ins Gespräch kamen und der Politiker erklärte, dass er wegen eines Hausbaus in finanziellen Schwierigkeiten stecke und deshalb einen Kredit brauche (wie wir wissen, war das jedoch der Fall des Reichspostministers Höfle).4 Das war ein später, fast nostalgischer Abklatsch eines »Roter-Rummel«-Themenabends der KPD des Jahres 1925 mit Anklängen an Wilhelm Herzogs Theaterstück Rund um den Staatsanwalt (1927). Solche und andere Geschichten der Weimarer Republik wurden in der DDR in sogenannten Pitavals, das sind Kriminal- und Sittengeschichten, fortgeschrieben. Das Feld bestellte Friedrich Karl Kaul, der auch im Westen seine Leser hatte und im Übrigen eine in der

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Bundesrepublik durchaus präsente persona, wenn auch non grata war.5 Der promovierte Jurist und Universitätsprofessor, der nach 1933 als Kommunist und »Halbjude« hatte emigrieren müssen und sich nach dem Krieg in der DDR niederließ, verfügte über eine Zulassung als Anwalt am Berliner Kammergericht und damit auch an allen anderen deutschen Gerichten, wo er als Verteidiger westdeutscher KPD-Mitglieder sowie als Nebenkläger in den großen NS-Prozessen tätig war. Daneben war er schriftstellerisch aktiv. Sein in mehreren Auflagen und Ergänzungen erschienener Pitaval der Weimarer Republik handelt von Themen wie »Justiz wird zum Verbrechen« und »Verdienen wird groß geschrieben«. Die Geschichte Julius Barmats war nur eine unter vielen, Kaul subsumierte sie mit derjenigen Kutiskers unter den Fall des Postministers Höfle. Fortgeschrieben wurde die ältere KPD-Kritik an Klassenjustiz und politischer Repression sowie die »abenteuerliche Spekulation« der Monopolkapitalisten, unter die auch Barmat und Kutisker gefasst wurden. Krieg und Nachkriegszeit hätten den »Morastboden« für »skrupellose Glücksjäger aller Art bereitet: Während ehrliche Arbeit kaum das tägliche Brot sichert, vom Hunger der Arbeitslosen ganz zu schweigen, während die Nervenheilanstalten überfüllt sind und Selbstmordepidemien ausbrechen, verpraßt eine Handvoll gerissener Spekulanten unvorstellbare Werte, und je größer das Elend, desto glänzender der Luxus.« Wie der KPD zuvor ging es auch Kaul um den Verrat der Sozialdemokratie, die sich mit einem korrupten Aufsteiger wie Barmat zusammengetan habe.6 Solche Geschichten wurden in Form des Bonner Pitavals fortgeschrieben, während das DDR-Fernsehen ältere und neuere Fälle auf Grundlage von Kauls Drehbüchern dramaturgisch bearbeitete und bis in die 1970er Jahre ausstrahlte.7 Kauls Pitaval stand in der Tradition populärer Darstellungen wie der Illustrierten Geschichte der deutschen Revolution, den Sittengeschichten Hans Magnus Hirschfelds und den politischen Reportagen eines Egon Kisch und Paul Felix Schlesinger, der in der Weimarer Republik unter dem Pseudonym Sling scharfe Beobachtungen des Justizsystems, auch des Falles Barmat, geliefert hatte. Neuauflagen dieser Autoren stießen vor allem seit den 1970er Jahren

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in beiden Teilen Deutschlands auf Resonanz.8 Auch westdeutsche Verfasser präsentierten Kriminalgeschichten, aber weniger als politische Lehrstücke, sondern vielmehr als Sensationsgeschichten, wie etwa Talente auf Abwegen oder Skandale um Millionen. Die Verfasser waren Journalisten wie Günther Schwill, der in der Weimarer Zeit für das 8-Uhr Abendblatt geschrieben hatte und ein insgesamt gut recherchiertes, und, wo die Fakten fehlten, erfinderisches und zudem ironisierendes Bild von Barmat, dem sozialen Aufsteiger, gerissenen Spekulanten, Betrüger und »Tulpenzüchter« präsentierte. Behandelt wurde kein spezifisch deutsches Phänomen, sondern es ging um vergleichbare, weltweite »Exzesse« und faszinierendfremde Persönlichkeiten der »goldenen Jahre« der Zwischenkriegszeit.9 Im Gegensatz zu ihren Pendants in der DDR hatten diese Geschichten nur noch wenig mit der Gegenwart als Verlängerung der Vergangenheit zu tun. Der Fokus lag auf längst zurückliegenden »Exzessen« eines ungezügelten Kapitalismus, der wenig gemein zu haben schien mit dem nun unter dem Namen soziale Marktwirtschaft firmierenden, wie es später hieß, »rheinischen Kapitalismus« der Bundesrepublik. War dieser frühere Kapitalismus nicht gezähmt und gezügelt? Und waren nicht selbst die New Yorker Wall Street und die City von London eher langweilige Arbeitsorte unter strenger Finanzaufsicht mit geregelten Arbeitszeiten und langen Mittagessen? Bis in die 1970er Jahre war das zweifellos die Sicht vieler der dort Beschäftigten. Die große »Börseneuphorie« der 1920er Jahre war Vergangenheit, und wenig schien auf die Gegenwart zu verweisen. All das sollte sich erst in den 1980er Jahren ändern, als Finanz- und Bestechungsskandale erneut zum politischen Thema wurden und neue Finanzprodukte und große Betrugsfälle nicht nur die Finanzwelt in Atem hielten.10 Das Berlin der Vorkriegszeit war zu dieser Zeit ein ferner, exotischer Ort. Im Zusammenhang von Schmier- und Bestechungsgeldern und Amigo-Netzwerken bei militärischen Rüstungsbeschaffungen und Bauaufträgen – bezeichnenderweise in einem klassischen Feld des politischen Kapitalismus – fiel gelegentlich auch der Name Barmat. Ansonsten sind in Bezug auf die frühe Bundesrepublik ex-

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plizite Verweise auf den Sachverhalt Korruption, vor allem aber Korruption als Erscheinung des politischen Systems, auffallend selten, was, wie die neuere historische Korruptionsforschung zu zeigen vermag, nichts über die fortdauernde Existenz dieser Praktik besagt.11 Korruptions- als eine Form der Kapitalismuskritik, verbunden mit Demokratiekritik, rückte auffallend in den Hintergrund, und das offenbar in allen Industrieländern, sodass das deutsche Schweigen nicht überrascht. Aber alles deutet darauf hin, dass zumindest in Deutschland Erinnerungen an die ausgearteten Schmutzkampagnen mit ihren politischen Wirkungen der Weimarer Zeit durchaus eine Rolle spielten und zügelnd wirkten, umso mehr als die DDR nach wie vor solche Zusammenhänge nach älteren Mustern zu skandalisieren versuchte. Ähnliches gilt für andere Länder. Alexandre Stavisky blieb im politischen Diskurs in Frankreich durchaus präsent, und es gab ein Interesse an seiner Person, wie unter anderem die Verfilmung von Stavisky (1977) durch Alain Resnais in Form einer Mischung von politischer Verschwörungsgeschichte und Life-Style-Romantik der 1930er Jahre illustriert. Der belgische Kriminalschriftsteller Georges Simenon, der sich noch in den 1930er Jahren mit wenig Erfolg abgemüht hatte, Licht in die Stavisky-Affäre und die französischen Befindlichkeiten zu bringen, hatte sich inzwischen ganz auf seine erfolgreichen Maigret-Kriminalromane verlegt.12 In Belgien mochten – vage – Erinnerungen an die belgisch-niederländischen Ereignisse mit Maurice Roelants Barmat-Roman Alles komt terecht auftauchen, zumal sich der Rechtsstreit der Nationalbank mit den um ihre Ersparnisse gebrachten Anlegern der früheren Noorderbank bis Anfang der 1960er Jahre hinzog. Drei flämischen Neuauflagen (1942, 1957, 1974) folgten eine französische (1942) und dann auch eine 1957 von der (katholischen) Bonner Buchgemeinde besorgte deutsche Übersetzung.13 Wer wusste zu dieser Zeit wohl noch, wer mit diesem »Monsieur Jules« gemeint war? Auf der anderen Seite, die Botschaft des Romans war eindeutig: Mit Jules Rapallo, dem Spekulanten und Betrüger, der so sehr die sexuellen wie moralischen Emotionen bewegte, würde eben nichts »zurecht« kommen. Das Buch sagt viel über die Befindlichkeiten des Jahres

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1937/38 wie auch der Nachkriegszeit. Im Roman ermöglicht erst die Ausweisung Rapallos die Wiederherstellung der sozial-moralischen Ordnung, die alltägliche Normalität, das Streben nach dem kleinen Glück. Das lässt sich vor und nach der Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung jeweils anders lesen: »Bescheiden und demütig muß der Mensch daher nach dem Glück streben; er muß es innerhalb seiner Grenzen suchen. Wunschträume, Illusionen stören das Gleichgewicht, brechen die Harmonie sittlicher Werte«, so das Resümee des deutschen Literaturwissenschaftlers Georg Hermanowski im Jahr 1963.14 Das war eine scheinbar ruhig gestellte Welt – eine Welt ohne »Jules Rapallo«. Dennoch: Welche Emotionen moderne Variationen des Themas zu wecken vermochten, illustriert in Deutschland die anhaltende Kontroverse um Rainer Werner Fassbinders Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod (1976), das, wenn auch auf andere Weise, ähnlich wie Walther Mehrings Kaufmann von Berlin (1929) bei dem Versuch scheiterte, das Thema Kapitalismus und einen jüdischen, in diesem Fall Frankfurter, Häuserspekulanten, der einer realen Person nachgezeichnet sein soll, auf die Bühne zu bringen, ohne antisemitische Ressentiments zu provozieren.15

Zeitgeschichte ohne Barmat Die in der historischen Zunft zunächst marginale Zeitgeschichtsschreibung der frühen Bundesrepublik distanzierte sich von den anekdotenhaften Geschichten eines Sling, den farbig gehaltenen Pitavals eines Kaul oder den Sensationsgeschichten über Millionäre und Glücksritter, die Fiktion und Fakten kräftig vermischten. Wer von Barmat sprach, lief Gefahr, alte Zuschreibungen, Stereotype und Bilder nicht nur zu reproduzieren, sondern neu zu beleben: Bilder von Spekulanten und Raffkes, von Not, Armut und Luxus, Zerrbilder des Antisemitismus, und das alles immer begleitet von einem unberechenbaren, zwischen Schadenfreude und Zynismus changierenden Lachen, das in vielen Karikaturen und in Bildergeschichten der Zwischenkriegszeit eingefroren ist und den heutigen Betrachter gelegentlich ratlos zurücklässt.16 Zeitgeschichte hieß zunächst einmal Tilgung solcher »lebender« Narrationen und Bilder,

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wie sie in vielfältiger Weise in populären »Kulturgeschichten« eingepasst waren (was im Übrigen mit das lange vorhaltende, akute Misstrauen gegen jede Form von Kulturgeschichte mit zu erklären vermag). Wer in der Nachkriegszeit über die Revolution 1918/19, die wechselvolle Geschichte Weimars oder über Barmat redete, lief noch lange Gefahr, in den Bann der eigenen Lebensgeschichte einschließlich eigener Äußerungen zum Thema Barmat zu geraten. Der in den 1950er Jahren zu einem prominenten Zeithistoriker avancierte, frühere Gymnasiallehrer Karl-Dietrich Erdmann ist dafür nur ein Beispiel.17 Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass Personen, die aktiv in das frühere Skandalgeschehen involviert waren, bei der Formulierung einer wissenschaftlichen Geschichte der Weimarer Republik keine unbedeutende Rolle spielten. An erster Stelle zu nennen ist der promovierte Althistoriker Arthur Rosenberg. Seine wissenschaftliche Karriere war nach der Revolution infolge seines Engagements aufseiten der USPD und dann der KPD zunächst ruiniert.18 Nach der Verdrängung des »Ultralinken« aus der KPD Ende der 1920er Jahre hatte er nur mit Mühe und dank der Hilfe des preußischen Kultusministeriums zu Beginn der 1930er Jahre wieder Fuß fassen können. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er ins Exil zunächst nach England, dann in die USA getrieben, wo der 53-Jährige während des Krieges starb. Seine Geschichte der Deutschen Republik, die 1935 in Karlsbad erschienen war und auf publizierten Vorarbeiten aus den 1920er Jahren beruhte, fiel zunächst der Vergessenheit anheim; Neuauflagen seit den 1950er Jahren machten das Buch jedoch sehr erfolgreich einem größeren Publikum, auch einer jungen Historikergeneration, bekannt.19 Nachhaltigen Einfluss hatte Rosenbergs These eines nicht ausgeschöpften, demokratischen Potenzials der Revolution 1918/19, ein Defizit, das er wesentlich der SPD zur Last legte. Dazu zählte die Allianz der SPD und der freien Gewerkschaften mit dem Militär und der Industrie, insbesondere aber, dass sich die SPD auf die Koalition mit den bürgerlichen Parteien eingelassen habe. Das ist gleichsam der Nachhall der früheren Revolutions- und Barmat-Kritik des »ultralinken« KPD-Abgeordneten und Stalin-Kritikers, der

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die Etablierung einer von Moskau unabhängigen kommunistischen Partei als Voraussetzung einer vereinten Linken ebenfalls als verpasste Chance erkannte. Rosenberg hatte bei den Angriffen auf den Reichspräsidenten Friedrich Ebert keine nebensächliche Rolle gespielt; geflissentlich umschiffte er das Thema Barmat, ohne seine früheren Positionen preiszugeben, so wenn er auf die »phantastische[n] Formen« verwies, welche die Entwicklung des spekulativen Finanzkapitals mit seinen Gewinnen für eine nur kleine Minderheit gehabt habe. Konkrete Namen nannte er nicht. Aus Sicht Rosenbergs manövrierte sich die SPD in eine »gefährliche Sackgasse«, gerade weil sie die »gegebene Form des deutschen Kapitalismus bejahte und nur im Rahmen dieser kapitalistischen Ordnung Vorteile für die Arbeiter anstrebte«.20 Seiner Meinung nach führte das die Sozialdemokraten in ein Dilemma, denn im Kontext von Arbeitslosigkeit und Armut sammelte sich »eine außerordentliche Erbitterung im Volke über Spekulanten und Schiebertum an«, die dann sowohl wegen der Identifizierung der Sozialdemokraten mit dem politischen und wirtschaftlichen System nicht habe ausgenutzt werden können. Gewinner waren die Nationalsozialisten, die Partei, in der sich Gegenrevolution wie Revolution vermischten und die gezielt auf ihre – nicht nur vorgespielten – anti-kapitalistischen Parolen setzte, mit denen sie, wie er betonte, auch bei vielen Arbeiterwählern Anklang fand. So habe das Schlagwort entstehen können »von dem ›Marxismus‹, der in Deutschland seit dem 9. November 1918 ununterbrochen regiere und der weiter nichts sei als Unterdrückung des armes Volkes und ein Deckmantel für kapitalistisches Schiebertum«.21 Nur Insider vermögen in solchen Formulierungen noch die Anspielungen an frühere Topoi, Sprachfetzen und Bilder zu erkennen: Der Begriff Schiebertum war neutraler als Namen wie Julius Barmat, Georg Sklarz oder Parvus-Helphand; das Gleiche gilt im Übrigen für den Begriff Kapitalismus. Standhafte Sozialdemokraten wie Carl Severing oder der Vorwärts-Chefredakteur Friedrich Stampfer in seiner Geschichte der Weimarer Republik rückten nach dem Krieg die Zusammenhänge des Skandals ins rechte Licht. Sie machten die früher erlittenen Verwundungen deutlich, aber auch die Genugtuung angesichts des

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schon vormals geäußerten Wissens, auf welch abschüssige Bahn die gegen die Sozialdemokraten gerichtete Korruptions- und Barmat-Kritik geführt hatte. Maßstäbe setzte die – unterschätzte, wenngleich zunächst vielfach als Mustervorlage genutzte – zweibändige Geschichte der Weimarer Republik des Rechtsanwalts und ausgebildeten Historikers Erich Eyck, der sich im Zusammenhang mit den Debatten über die Weimarer Justiz auch stark für Barmat engagiert hatte.22 Obwohl betont faktisch-nüchtern gehalten, sind auch bei ihm Nachklänge der Erbitterung zu spüren: Der Streit um Julius Barmat war nach Eyck ein Mittel zu politischen Zwecken, nämlich die systematische Hetze gegen die Demokratie, gegen den Reichspräsidenten, gegen die Republik und gegen Juden gewesen. Er und andere setzten das wirtschaftliche Scheitern Barmats ins Verhältnis zum Scheitern anderer Personen, darunter des Großindustriellen Hugo Stinnes, aber auch (so zumindest bei Stampfer) ins Verhältnis zu den umstrittenen »Ruhrmillionen«, welche die westdeutsche Schwerindustrie für Inflation und Reparationsleistungen just von der ihr nahestehenden Regierung Stresemann auf dem Notverordnungsweg ohne Zustimmung des Reichstags bekommen hatte. Viele spätere Darstellungen, darunter auch die vorliegende, rekurrieren auf solche Zusammenhänge. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, dass der Stellwert dieser und anderer Geschichten, bei denen es um Barmat ging, als Teil der umfassenden Geschichte jener Zeit immer weiter abnahm, etwa indem sie in der schieren historischen Faktenerzählung eines Heinrich August Winkler fast nur mehr als eine elaborierte (Fußnoten-)Marginale oder wie bei Hans Mommsen gar nicht mehr auftauchen.23 Frühe Pionierarbeiten, die das »antidemokratische Denken« zu vermessen versuchten, vermieden es, in die Untiefen des schmutzigen Geschäfts der Ressentiments und der Alltagsdiskurse im Umfeld von Skandalen einzutauchen.24 Dahinter steckt ein recht unbestimmtes Unbehagen, wie man es auch in manchen Biografien über Personen finden kann, die, aus welchen Gründen auch immer, in den Skandal hineingezogen wurden oder sogar eine aktive Rolle spielten. Der Grund ist unschwer zu erkennen und führt zurück in die Weimarer Zeit: Julius Barmat war, wie wir sahen, eben kein

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deutscher Alfred Dreyfus, kein Hauptmann, sondern ein Unternehmer, dessen Name sich nicht wie der von Dreyfus zur Verteidigung der Demokratie anbot. Wer zu sehr in seine Nähe kam oder gar mit dem Stigma eines »Barmatiden« belegt wurde, dem drohte das politische Aus, selbst in den eigenen Reihen. Der Fall der beiden ersten Reichskanzler der Republik, Philipp Scheidemann, der zuvor in den Fall Sklarz gezogen worden war, und Gustav Bauer, die beide so vehement für die Republik eingetreten waren und deren Ruf und Karriere 1925 ruiniert waren, sind dafür gute Beispiele.25 Beschmutzte Barmat das republikanische und demokratische Credo – und das bis heute? Mit Barmat in Verbindung gebracht zu werden, war eine Form der Verunglimpfung, egal ob das einzelne Personen, die Debatten über die Justiz oder die Verhandlungen des Heidelberger Parteitags 1925 betraf. Zu dieser Einschätzung passt, dass weder in Walter Mühlhausens ansonsten Maßstäbe setzender Biografie Friedrich Eberts noch in der heutigen Dauerausstellung der Friedrich-Ebert Gedenkstätte auf dessen tragischen Tod im Zusammenhang mit dem Barmat-Skandal verwiesen wird, fast so, als ob der schlechte Ruf Barmats noch heute auf den ersten Reichspräsidenten abfärben könnte, und das obwohl beide, abgesehen von ihrem kurzen Zusammentreffen 1919, nichts miteinander zu tun hatten.26 Auch wenn es zynisch klingen mag, hatten doch gerade die Umstände dieses Todes (ebenso wie der Tod des Reichspostministers Anton Höfle zuvor) in eine bemerkenswerte Phase republikanischer Selbstbehauptung gemündet. Sollte dieser, wenn auch, wie rückblickend zu sehen ist, nur kurzfristige Erfolg deshalb anrüchig sein, weil die Nationalsozialisten (und nicht nur sie) genau diese vehemente republikanische Mobilisierung für Recht und Gesetze unter Hinweis auf Barmat gezielt gegen die »korrupte Systemzeit« wendeten?

Eine Kapitalismusgeschichte mit und ohne Julius Barmat Auch die neue Wirtschafts- und Sozialgeschichte hatte bald viel über strukturelle Faktoren, Zwangslagen und Geschichten »großer«, auch politisch aktiver Unternehmer, aber nur mehr wenig über den Kapitalismus mit seinen grauen Bereichen und über Personen wie

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Julius Barmat zu sagen. Die aus den 1920er Jahren überlieferten zeitgenössischen Kapitalismusdiagnosen, darunter auch die eines Werner Sombart, verschwanden und werden heute (wenn überhaupt) in einer komplexen Weber- und Sombart-Exegese historisiert.27 Der »produktive«, Werte schaffende Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, mit den naiven Stilisierungen eines biederen »Sparerkapitalismus« einerseits und der Einhegung des Kapitalismus in Form der sozialen Marktwirtschaft und wohlfahrtsstaatlicher Strukturen anderseits, verdrängten das Thema Kapitalismus weitgehend von der öffentlichen und wissenschaftlichen Tagesordnung. Der »deutsche Antikapitalismus« war eine Sache der Vergangenheit,28 ein Relikt »vormodernen Bewußtseins«, wie es im Umfeld der Sonderwegthese und der Modernisierungstheorie mit ihrer Hypostasierung von »Anti-Strömungen« – des Antiliberalismus, Antisozialismus, Antisemitismus und Antikapitalismus – hieß.29 Selbst in der DDR-Forschung lenkten Phänomene wie die Barmats vom »eigentlichen« Kapitalismus, dem für den Faschismus verantwortlichen »Monopolkapitalismus«, ab.30 Mit Blick auf die Reproduktion billiger Ressentiments ist all das verständlich und sicherlich auch nicht bedauernswert. Nur wurde – zumindest außerhalb der marxistischen Forschung – das Thema Kapitalismus damit auf das Thema Kapitalismuskritik reduziert. Das gilt umso mehr, als auch die kapitalismuskritische linke sozialwissenschaftliche Theoriesprache von historischen Kontexten und allemal historischen Erinnerungen, Personen und schmutzigen Geschäften stark abstrahierte, was ebenfalls eine nachhaltige Form des Vergessens bedeutete.31 Kapitalismusdiagnosen waren (und sind) in Deutschland infolge des Nationalsozialismus in hohem Maße kontaminiert. Das hat damit zu tun, dass die Rede über den Kapitalismus immer ausgesprochen antisemitische Obertöne hatte, ein Phänomen, das sich ja wie ein roter Faden durch das vorliegende Buch zieht, angefangen bei der Ankunft Julius Barmats in Deutschland und den Auseinandersetzungen über die sogenannten Ostjuden, über die Verschwörungstheorien um die angeblichen Protokolle der Weisen von Zion bis hin zu den Debatten über die Ausmerzung eines »unproduktiven

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(Finanz-)Kapitalismus«. Wie wir am Beispiel der kruden antisemitischen Argumente auch der Kommunisten und allemal der bürgerlichen Rechten sahen, war das kein Privileg der Nationalsozialisten. Ähnliches gilt für Teile der französischen und belgischen radikalen Rechten, die ihre eigenen, transnational eingebetteten Debatten über jüdische »Bankster«, Spekulation, Wirtschaftsbetrug oder Korruption führten. Kontaminiert waren und sind damit auch viele andere Begriffe, etwa die ethnisch-religiös konnotierten Phänomene des Börsenund Finanzkapitals, darunter die Gegenüberstellungen von nationaler Volksordnung einerseits und internationaler Wirtschafts- und Finanzordnung andererseits. Zeitgenössisch hieß das vielfach Unterordnung, ja Unterwerfung von nationalen und individuellen Selbstbestimmungsrechten unter höhere, supranationale Mächte. Das war nicht neu, und es ist auch nicht spezifisch nationalsozialistisch, aber jede Rede darüber – vor allem die historisch unreflektierte – führte und führt auf dieses Feld kontaminierter Kapitalismusdiagnosen.32 Begriffe schaffen ihre Wirklichkeit, und gleiche Begriffe können in zwei Sprachen und auch – akademischen – Kulturen zweierlei bedeuten. Yuri Slezkines dichotomische Gegenüberstellung eines kosmopolitischen »Nomadentums« der »Merkurianer« einerseits, die im Zuge der großen Ost-West-Wanderung ihre Heimat im russischen jüdischen Siedlungsrayon verließen und denen sich Barmat leicht zuordnen ließe, und andererseits sesshaften, provinziellen »Apolloniern«, ist von großer Anschaulichkeit. Gleichzeitig rekurriert diese Dichotomie jedoch auf ältere Klischees, wenn nicht der Antisemiten, dann des vielfach in die gleiche Kerbe schlagenden Werner Sombart, der wie viele andere Zeitgenossen die Befürchtung hegte, dass wir in der Moderne alle »Merkurianer« werden.33 In Deutschland hatte Sombart keine direkten Nachfolger. Schon zu seiner Zeit galt er den meisten Vertretern seiner Zunft, den Nationalökonomen, als Exot, und das gilt mehr noch für diejenigen Vertreter der älteren Volkswirtschaftslehre, die auf ihrem Wege zur reinen Theorie eines »rationalen Kapitalismus« (Max Weber) zu Vertretern des Fachs Economics wurden. Geschichte und konkrete

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Personen spielen bei ihnen kaum oder keine Rolle mehr. Vielmehr geht es um eine idealtypische Welt der Modelle einer »rationalen Wirtschaft«, was, wie der Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt formuliert hat, wissenschaftlich gesehen mit einer »radikalen Einschränkung der Fragestellung«,34 man kann hinzufügen: der Frage nach dem Kapitalismus, einherging. Wenn überhaupt, dann überließ man das Feld der wirtschaftshistorischen Forschung. Diese hat viel über Kriegszwangswirtschaft, Monopole und Kartelle, die im Krieg und 1918/19 neu begründeten Kooperationsformen von Industrie, Arbeiterschaft und Staat, den Sozialstaat mit seinen neuen Interventionspraktiken, »politischen Löhnen« und »politischen Arbeitsbeziehungen«, allemal über einzelne, meist »große« Unternehmer zu sagen. Doch setzt sie sich nur wenig mit dem Kapitalismus und noch weniger mit den animal spirits und der geschäftlichen Intelligenz von Menschen auseinander, die ihre ökonomischen Nischen suchen und dabei alle nur möglichen Mittel anwenden.35 Die Gründe dafür sind allgemeiner Art und haben mit dem Begriff Kapitalismus selbst zu tun. Je intensiver auch in neuerer Zeit über »den Kapitalismus« gesprochen wird, umso mehr tritt der eigentliche, scheinbar mit dem Begriff bezeichnete engere Gegenstand »der Wirtschaft« in den Hintergrund. Denn Kapitalismus umfasst mehr als nur Aspekte der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung, Besitzverhältnisse und Klassen, es geht um die Landnahme von Räumen und Märkten sowie Formen des Erwerbsgeistes. Darüber hinaus geht es um das Verhältnis von politischer und wirtschaftlicher Herrschaft, Macht und Ungleichheit, Moral und Illusionen, Freiheit und Unfreiheit, um eine permanente Zerstörung und den Auf- und Umbau sozialer und politischer Ordnung. Schon aus diesem Grund war für Autoren von Karl Marx über Werner Sombart und Max Weber bis zur jungen Garde der Vertreter eines »autoritären Liberalismus« (Dieter Haselbach) der frühen 1930er Jahre Kapitalismus immer mehr als nur die Summe von – wissenschaftlich auch in Journalen leicht abzuzirkelnden – Teil- und Spezialfeldern der Wirtschaft. Und nicht nur das: Sie alle thematisierten Kapitalismus nicht nur als abstraktes, in mathematischen

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Modellen zu fassendes »System«, sondern auch dessen Ausprägung im Handeln von konkreten Personen. Bei aller Nüchternheit der Analysen war und ist das zugleich immer auch eine moralische Geschichte – und zwar nicht nur aus der Perspektive der Vertreter des schnell beschworenen »Antikapitalismus«.

… und wer war Julius Barmat? Wenn in diesem Buch Julius Barmat erneut in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt wurde, dann immer in kritischer Auseinandersetzung mit den überlieferten zeitgenössischen Narrativen, aber zugleich in der Annahme, dass sich damit mehr als nur seine eigene Geschichte entschlüsseln lässt. Jede biografische Annäherung ist mit Blickverengungen verbunden, denn ein Leben beschreibt nicht das Leben, egal in welcher Zeit. In den Blick genommen wurden Episoden, in denen sich die doppelte Konstituierung von Geschichte, im Speziellen einzelner (Mikro-)Geschichten wie im Allgemeinen größerer Kontexte, etwa der Debatten über Demokratie, Kapitalismus und politische Moral, historiografisch fassen lassen. Wenn etwas deutlich wurde, dann die Erkenntnis, dass Zuschreibungen den Blick auf die Person Julius Barmats überwuchern, ja gelegentlich fast zum Verschwinden bringen und vielfach mehr über die Sprechenden als über denjenigen aussagen, über den gesprochen wurde. Der Soziologe Pierre Bourdieu erinnert uns daran, dass das nicht ungewöhnlich, ja typisch für die »biographische Illusion« ist, da sich der rückblickende Betrachter nur schwer diesen sinnhaften Zuschreibungen entziehen kann.36 Im Falle Barmats ist das eine Geschichte des Scheiterns und der Illusionen, denen hoffnungsvolle Aufbrüche vorangingen, die sich wie ein roter Faden durch diese Darstellung ziehen. Dabei bleibt Julius Barmat infolge der spärlich überlieferten Egodokumente ein bekannter Unbekannter, über dessen Familienleben wir ebenso wenig wissen wie über sein Verhältnis zur jüdischen Religion oder über seine Hoffnungen und Erwartungen, zu denen zweifellos Erfolg, Auszeichnung und ein besseres Leben gehörten. Wenn uns Julius Barmat konkreter entgegentritt, dann zunächst als erfolgreicher und schließlich als zwei Mal gescheiterter,

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immer aber als umstrittener Unternehmer – ob als Kaufmann, Industrieller oder als Finanzier. Er verkörpert den Typus des sozial ambitionierten Aufsteigers, der von der wirtschaftlichen Dynamik und dem anhaltenden Siegeszug des modernen Handels- und Industriekapitalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts profitierte und dort seine Nische fand. Julius Barmat war der Kopf eines Familienunternehmens, das nicht nur seine ihm offenbar loyal untergebenen männlichen Geschwister, sondern auch seine angeheirateten Familienmitglieder umfasste. Wenig davon ist auf den ersten Blick außergewöhnlich, im internationalen Maßstab nicht einmal die Tatsache, dass er als Neuankömmling in einer fremden Umgebung, der er sich außerordentlich schnell anzupassen vermochte, auch wenn er vielen fremd blieb, wirtschaftlich erfolgreich war. Der außerordentlich sprachbegabte, andere Menschen für sich einzunehmen wissende und nach seiner Übersiedelung in die Niederlande staatenlose Julius Barmat blieb ein Grenzgänger zwischen den Kulturen und Ländern. Er kannte die Fahrpläne internationaler Nachtzüge ebenso wie Politiker der verschiedensten Länder und beeindruckte die einen als weltmännisch auftretender, betuchter Kosmopolit, während andere in ihm einen wurzellosen Nomaden sahen. Ob Kosmopolit oder Nomade, beides verweist auf Formen einer umstrittenen Moderne, die sich in seiner Person spiegelte und die seit jeher mit der Geschichte der Juden und des Kapitalismus in Verbindung gebracht wurde.37 Der Autodidakt wusste die Chancen zu nutzen, welche die Umwälzungen seit dem Krieg boten. Im Gegensatz zu akademischen Professionen ist gerade der Handel ein vergleichsweise offenes System mit vergleichsweise wenigen Zugangsbeschränkungen. Barmats Nische war der seit der Kriegszeit auch unter militärischen Gesichtspunkten bedeutsame Lebensmittelhandel. Dabei agierte er nicht viel anders als viele andere Kriegslieferanten und sogenannte Kriegs- und Inflationsgewinnler, von denen etliche scheiterten, eine ganze Reihe aber auch in die Annalen »großer« Unternehmer eingehen sollte. Zeitgenossen beschrieben ihn als einen durch und durch cleveren Kopf, der fast artistisch komplexe Handels- und Geldgeschäfte organisierte und meisterte. Dabei war Julius Barmat

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ein ausgesprochener Risk-Taker, der zuweilen auch zu hohe Risiken einging, was sein wirtschaftliches Scheitern unabwendbar machte. Die Steigerungsform wäre das auch in der Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus der Zwischenkriegszeit vielfach bemühte Bild von Hazardeuren – Glücksspielern in einem Kasino-Kapitalismus. Julius Barmat war aber kein Spieler, eher schon trifft der daraus abgeleitete moderne Begriff des moral hazard die Sache, d. h. die übermäßige Risikobereitschaft, die auf der Übernahme der (Folge-)Kosten dieser Risiken durch andere gründet. Das war auf jeden Fall die kritische Frage, die im Zusammenhang mit Barmats Lebensmittelgeschäften 1918/19 und den Krediten der Preußischen Staatsbank, wie dann ganz allgemein in der Weltwirtschaftskrise, als der Staat für die Banken einspringen musste, auftauchte. Wie die Ausführungen gezeigt haben, ging von der Person Julius Barmat aber auch eine Faszination aus. Ähnlich, wie wir das auch aus der jüngsten Vergangenheit kennen, wenn von Unternehmens- und Finanzgenies die Rede ist, wurde Barmat in der einschlägigen Wirtschaftspresse als kühner und wagemutiger Unternehmer und Vorreiter »kreativer Zerstörung« hochgejubelt. Er schien einen neuen Typus von Unternehmer, einen modernen, wagemutigen Kapitalismus und überhaupt eine neue Zeit zu verkörpern. Nichts erinnerte an den sozialen Aufsteiger, der im Krieg auf der deutschen Seite gestanden und wichtige Kontakte geknüpft hatte, an die satte Bürgerlichkeit der Wilhelminischen Generation, die mit der Zeitenwende der Revolution 1918/19 und den Folgen der Hyperinflation haderte. Sein zweimaliges Scheitern ließ im Rückblick viele Erwartungen an diese neue Zeit als schal erscheinen und verweist dabei zugleich auf die zerstobenen Hoffnungen in Bezug auf wirtschaftliche Prosperität, die nicht nur »amerikanisch« war, sondern immer auch mit konkreten Personen in Verbindung gebracht wurde. Wo immer Julius Barmat seit dem Weltkrieg auftauchte, schlug ihm aber auch Misstrauen entgegen. Es handelte sich um ein Misstrauen gegen den heimatlosen Kosmopoliten. Man müsse vorsichtig bei Geschäften mit ihm sein, war der Grundtenor der als Makler von Reputation fungierenden Auskunftsbüros. Vorbehalte gegen

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den Fremden und den Juden Barmat spielten dabei eine wichtige Rolle, erklären aber nicht alles (abgesehen davon, dass solche Vorbehalte regelmäßig geäußert wurden). Mit Blick auf seine vielfach dokumentierte Fähigkeit, Menschen seiner Umgebung, auch seine Freunde, durch finanzielle Zuwendungen für sich zu gewinnen, gibt es nichts zu beschönigen. Das trug ihm den – wenngleich vielfach weit überzogenen – Vorwurf der Bestechung und Korruption selbst da ein, wo es sich »nur« um eklatante Fälle von Misswirtschaft und Fehlverhalten handelte. Für ihn, den wirtschaftlichen Aufsteiger, waren soziale Beziehungen ein – knappes – Kapital. Dass Barmat auf die politischen Aufsteiger, d. h. die neue republikanische Elite, allen voran die Sozialdemokraten und Männer aus der Zentrumspartei, setzte, war schon wegen seiner langjährigen Sympathien für die Linke nicht nur Kalkül. Für einen Unternehmer war das jedoch außergewöhnlich und wurde auch so wahrgenommen. Wie die zahlreichen Finanz- und Wirtschaftsskandale, die im Zuge des großen Skandals 1925 aufflogen, zeigen, erlagen nicht nur Politiker republikanischer Parteien der auri sacra fames – dem verfluchten Hunger nach Gold. Dennoch mussten gerade die Sozialdemokraten in der Republik die Erfahrung machen, dass ihre frühere Kritik an der Plutokratie und den alten Eliten des Kaiserreichs in Form von nachholender Rache auf sie und damit auch auf Barmat zurückfielen. Der Ruf der Zwielichtigkeit begleitete Barmats wirtschaftliche Aktivitäten, angefangen bei den großen Lebensmittelgeschäften in der kritischen Situation 1919/20, dem kreditfinanzierten Konzernaufbau 1923/24, seinen diversen Immobiliengeschäften bis zu seinen Finanztransaktionen mit der Belgischen Nationalbank im Übergang zu den 1930er Jahren. Auch wenn vieles davon unbewiesen blieb, vielfach auch nicht nur auf sein Konto ging, war sein Umgang mit Menschen seiner Umgebung doch höchst eigentümlich. Dabei überschnitten sich das fast obsessiv zu nennende Gefallenwollen sowie der Wunsch, Eingang und Zutritt in höhere soziale und politische Kreise zu finden, mit Geschäftskalkül. Das wirft ein Licht auf seine Disposition, sich mit illustren und »wichtigen« Personen zu umgeben und mit ihnen selbst dann noch zu »renommie-

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ren« (so das damals gebräuchliche Wort, um das Haschen nach Anerkennung zu beschreiben), wenn diese wie der Reichspräsident Friedrich Ebert sich klar von ihm distanzierten. Wer sich mit Intellektuellen befasst, trifft in der Regel auf andere Intellektuelle. Analog dazu zog Julius Barmat gleichermaßen zwielichtige wie ehrenwerte oder sich zumindest als solche stilisierende Personen an. Neben Personen wie Sklarz, Kutisker und Michael war in dieser Darstellung von einer Vielzahl ähnlicher Akteure die Rede, und die Liste ließe sich leicht verlängern. Barmats Verhalten und das anderer entzieht sich einer einfachen Beurteilung, auch deshalb, weil wir erstaunlich wenig über die (in-)formellen Regeln und Prinzipien wirtschaftlichen Handelns einschließlich des kaufmännischen Ehrverständnisses wissen. Unternehmer und Kaufleute aus den Reihen der öffentlichen Kriegswirtschaft, die sich in den parlamentarischen Ausschüssen mit lautstarker Kritik am unlauteren Geschäftsgebaren Barmats hervortaten, sahen sich kollektiv ganz ähnlichen Vorwürfen wegen übermäßiger Preise oder Betrugs ausgesetzt, sodass man gelegentlich den Eindruck gewinnt, dass einige von ihnen die Schuld auf einen Außenseiter zu lenken versuchten. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die konservativen und bürgerlichen Parteien, deren Unterstützung des Krieges ja immer auch als Dienst im Interesse der Großagrarier, der Schwerindustrie oder des Handels diskutiert worden war. Wie es in dem Barmat-Urteil des Berliner Schöffengerichts 1928 zu Recht hieß, waren in dieser Ausnahmezeit des Krieges und der (Hyper-)Inflation Vorstellungen von Recht und Gesetz, Treu und Glauben stark aufgeweicht. Es war eine Zeit der Glücksritter und hoher spekulativer Energien, und das nicht nur in Deutschland. Der bestenfalls misstrauisch beäugte Außenseiter Barmat war suspekt, operierte an den Grenzen normaler Geschäftstätigkeit, ja schien vielfach unternehmerische Seriosität und Moral zu überschreiten. Vor diesem Hintergrund wurde er hier als Grenzgänger eines »politischen Kapitalismus« beschrieben. Dahinter verbirgt sich keine normative Annahme in Bezug auf geschäftliches Gebaren, sei es im Sinne einer protestantischen Ethik oder eines wie auch immer gelagerten bürgerlichen Wertehimmels. Entscheidender ist vielmehr

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die Tatsache, dass Barmat auf Schritt und Tritt Fragen nach den Grenzen dieses Kapitalismus provozierte. Unter den Kritikern befanden sich viele, die sich durch und durch mit diesem Wirtschaftssystem identifizierten und dabei ausgehend vom Liberalismus des 19. Jahrhunderts die spekulativen Exzesse, Konzernzusammenballungen, die Macht der Großfinanz und die politischen Überformungen dieses Kapitalismus, aber auch die kapitalistischen Überformungen der Politik durch die Macht der Verbände anprangerten. Auch in diesem Zusammenhang tauchten Fragen auf, die sich nicht nur auf das Feld wirtschaftlichen Handelns, sondern gleichfalls auf die Grenzen des Rechts, der Moral wie der politischen Ordnung beziehen. Sie wurden auf sehr unterschiedlichen Bühnen debattiert, unter anderem in der Literatur, in der solche Fragen seit jeher aufgespießt und zugespitzt wurden. Diese umfassende Thematisierung einer Person auf vielen unterschiedlichen Feldern ist in dieser Form sehr ungewöhnlich und eigentlich nur unter den Bedingungen einer Dauerskandalisierung der Person Julius Barmats verständlich. Deutlich wird aber auch, wie sehr diese Themen den Zeitgenossen unter den Nägeln brannten. Der Verweis auf Barmat appellierte immer an seine Person, zugleich wurde er zum Inbegriff abstrakter Phänomene und damit sein Name zu einer Metonymie. Das war Barmats Schicksal. Denn die Gewissheit, im Besitz des eigenen Namens zu sein, hieß, um nochmals den Soziologen Bourdieu zu zitieren, für Julius Barmat noch lange nicht, Herr über seinen Namen wie die eigene Biografie zu sein – jedenfalls nicht im öffentlichen Raum, wo sich andere seinen Namen aneigneten und mit ihm in den politischen Kampf zogen. Für ihn und seine Familie war das fatal. Diese Enteignung des Namens hatte zur Folge, dass alle im Raum stehenden Unterstellungen und Vorwürfe, die sich gegen die Grenzgänger des Kapitalismus richteten, eben dieses Bild von seiner Person zu bestätigen schienen, ja vielleicht sogar noch verstärkten. Dieser Eindruck war kaum zu korrigieren, auch nicht in der Verneinung. Der gescheiterte Versuch Walter Mehrings und Erwin Piscators, mit dem Kaufmann von Berlin Empathie für den Protagonisten Kaftan zu erzeugen bzw. eine Kapitalismusanalyse vorzulegen, in der die dunklen,

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konservativen Hintermänner Kaftans entzaubert werden sollten, ist dafür ein sprechendes Beispiel. Wenn Zeitgenossen von Barmat sprachen, dann als von einem abstrakten, fast virtuellen Phänomen. Aus der historischen Distanz lassen sich ihre Diskurse mit all ihren Topoi, Metonymien, aber auch den wiederkehrenden Bildern identifizieren. Es ging um Kriegs- und Inflationsgewinnler, das »Ost- und Finanzjudentum«, den »jüdischen, internationalen Kapitalismus«, »jüdische Korruption«, die Sozialisten als »Hilfstruppe der Juden«, aber auch um die »Dekadenz« und »Fäulnis« des liberal-kapitalistischen und demokratisch-parlamentarischen Systems. Dahinter verbirgt sich nicht nur eine nationale, sondern überdies eine ausgesprochen transnationale Semantik des Faschismus, auch indem mit oder ohne Barmat vergleichbare Fälle thematisiert wurden.38 Der Name Barmat sickerte in einzelne Politikfelder ein, sei es im Kampf um die Justiz, sei es gegen republikanische Korruption oder dann in der Politik der sozialen wie politischen Exklusion der jüdischen Bevölkerung. Das gilt nicht zuletzt für die Debatten, das Wirtschaftsleben von Phänomenen wie den Barmats zu bereinigen. Im Deutschen hat sich dafür der Begriff der »Ordnungspolitik« etabliert, mit Ursprüngen im Freiburger Ordoliberalismus in der Zeit seit der Weltwirtschaftskrise. Im Kontext der Doppelkrise von Demokratie und Kapitalismus seit der Weltwirtschaftskrise bedeutete Grenzziehung Revision, Ausschluss sowie das »Ausmerzen« von Fehlentwicklungen des Kapitalismus (der nun gerade in dieser Zeit auch so benannt wurde) wie der staatlichen Politik. Das ist insofern signifikant, als diese so identifizierten Fehlentwicklungen nicht allein strukturell erklärt, sondern mit bestimmten Personen und spezifischen, von Zeitgenossen negativ beurteilten Wirtschaftsgesinnungen und -praktiken in Verbindung gebracht wurden. Auf solche Zusammenhänge rekurrierten seit der Weltwirtschaftskrise die verschiedenen, durchaus nicht immer miteinander kompatiblen revisionistischen Agenden und Programme, die zusammen aber die mentalen Grundlagen für die Umgestaltungen vor allem in den ersten Jahren nach der Machtübernahme 1933 schufen. Das zweimalige wirtschaftliche Scheitern Julius Barmats verweist dabei auf zwei

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unterschiedliche Phänomene, nämlich zum einen darauf, dass nach Meinung vieler Zeitgenossen die »Reinigungskrise« 1923/24 »faule« und unseriöse wirtschaftliche Entwicklungen der Inflationszeit nicht vollständig zum Verschwinden gebracht hatte, und zum anderen, dass diese Entwicklungen für die Misere nach 1929 mit verantwortlich waren, mithin wirtschaftliche Fehlentwicklungen offenbar nicht völlig getilgt worden waren. Stärker als manche anderen neueren Arbeiten, die sich mit Rassismus und antisemitischer Ideologie befassen, rückten dezidiert ökonomische Ressentiments, die den Antisemitismus befeuerten, prononcierter in den Blick unserer Darstellung. Julius Barmat provozierte die Auseinandersetzung mit einem »jüdischen Kapitalisten«, der mit den »Entartungen« des politischen Kapitalismus in Verbindung gebracht wurde. Dahinter verbirgt sich eine spezifische Kapitalismuskritik, die aber, das sollte nicht übersehen werden, seit jeher mit einer Bejahung eines »rationalen«, »produktiven« oder »deutschen Kapitalismus« einhergehen konnte. Die Barmat-Kritik, die immer auf einen, wie es hieß, »unproduktiven« oder spekulativen Kapitalismus abzielte, hatte in der Regel eine mehr oder weniger ausgeprägte antisemitische Komponente, die sich als roter Faden durch die gesamte Darstellung zieht, was allerdings keine Reduzierung des fast allgegenwärtigen Antisemitismus auf eine Randgröße der Kapitalismuskritik impliziert. Denn diesem Antisemitismus waren scheinbar alltägliche Aspekte und Diskurse über Kriegsgewinnler und Korruption eingeschrieben, u. a. auch scheinbar triviale, »volkstümlich-witzige« Bilder und Geschichten – darunter solche, die sich um Barmat drehten. Begriffe und Topoi wie der ordnungsstiftende Staat, das Finanzkapital, Börsenkapitalismus, »Bankster«, raffendes und schaffendes Kapital, produktive im Unterschied zu unproduktiver Arbeit – alles zeitgenössische Vokabeln – waren in vielerlei Hinsicht polyvalent, transnational kommunizierbar und dabei nach allen Richtungen hin politisch ausdeutbar. Das galt selbst noch nach 1933, als verschiedene Personen und Gruppen im Staatsapparat, in der NSDAP, aber auch in der breiten Öffentlichkeit darunter vielleicht sehr unterschiedliche Dinge verstanden, aber, wie viele neuere Arbeiten gezeigt haben, gleichzeitig

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gemeinsam das Räderwerk einer Politik des »nationalen Neubaus«, des Ausschlusses, der Enteignung wie dann der Vernichtung betrieben. Im Gegensatz zu der am Anfang dieses Kapitels zitierten Erklärung des Anwalts Pelckmann trug diese Valenz ökonomischer Argumente im Antisemitismus wohl entscheidend mit zu dessen mobilisierender und bindender Macht bei, und zwar genau in dem Augenblick, als Rassismus zum Staatsziel wurde, wie das in Belgien oder Frankreich vor der deutschen Okkupation zunächst nicht der Fall war. Dieser Handlungsstrang der Darstellungen hat uns weit weggeführt von der konkreten Person Julius Barmats, die in solchen Zusammenhängen nicht aufgeht, ja meist bis zur Unkenntlichkeit überformt wird. In dem Buch ging es nicht darum, einen Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu beschreiben und zu unterscheiden – wobei es keine Nebensächlichkeit ist, dass der bekannte amerikanische Film über die zwei Gesichter ein und derselben Person aus dem Jahr 1931, also dem Jahr der Krise des Kapitalismus stammt, als sich viele fragten, welche Gesichter der Kapitalismus hatte. Es war auch nicht das Ziel, Julius Barmat einen dritten großen Prozess zu machen, so wie im Übrigen auch nicht der Preußischen Staatsbank und ihren Beamten, was ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Stattdessen führte uns diese in den Skandalen aufscheinende Geschichte Julius Barmats mitten in die Zeit zwischen den Weltkriegen mit ihren politischen, sozialen und kulturellen Verwerfungen, die uns heute gleichermaßen fern wie nah sind. So fern und längst vergangen diese Zeit ist, so sehr beschäftigen uns nach wie vor einige der damals umstrittenen Phänomene und Themen. Formen und Legitimationsprobleme der Demokratie zählen dazu ebenso wie Fragen, die den modernen – politischen – (Finanz-)Kapitalismus und Interessenverfilzungen betreffen. Skandale gehören zum Inventar der Demokratien, was nicht heißt, dass sie heute nicht weniger beunruhigend als damals sind. In dieser unserer Welt von gestern wurden noch die scheinbar längst vergangenen Grundkonflikte des 19. Jahrhunderts ausgetragen, wie etwa Fragen der politischen Emanzipation einschließlich der Emanzipation der jüdischen Bevölkerung. Zugleich steht diese Vergangenheit der

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heutigen Gegenwart mit ihren eigenen Problemlagen nach wie vor vielfach wie in einem »Spiegelkabinett« (Barry Eichengreen) gegenüber.39 Das gilt zumal für Deutschland, dem wohl modernsten und dynamischsten europäischen Land der Zwischenkriegszeit, das nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg radikale und selbstzerstörerische Zäsuren, Neuanfänge und Aufbrüche erlebte. Von dieser gleichzeitigen Nähe und Ferne handelte unsere Geschichte, ohne dass es darum gegangen wäre, vorschnelle Analogien herzustellen. Julius Barmat hat wenig mit dem Finanzbetrüger Bernard Madoff gemeinsam, die wirtschaftlichen Umwälzungen nach dem Weltkrieg wenig mit denen der Gegenwart, auch wenn es damals wie heute um eine viel kritisierte entfesselte Geldwirtschaft, Flüchtlinge, populistische Elitenkritik und politische, kulturelle und wirtschaftliche Ordnungsfragen geht. Geschichtsschreibung basiert nicht auf vordergründigen Analogiebildungen, sondern es geht darum, wiederkehrende Phänomene historisch zu kontextualisieren. Und die Frage könnte in unserem Zusammenhang eher lauten, was eine Hyperinflation und eine große Depression (und ganz zu schweigen von einem großen Krieg), die zum bitteren Erfahrungsschatz der europäischen Gesellschaften der Zwischenkriegszeit gehörten, heute, wo uns alle diese älteren Themen umtreiben, anrichten würden. Julius Barmat war Symptom der umkämpften politischen Kultur und der damit einhergehenden intensivierten Auseinandersetzungen über die Ordnung und die Zukunft des Kapitalismus. Vieles davon war spezifisch für die Zwischenkriegszeit; denoch wird er sicherlich nie an Personen wie Julius Barmat mangeln, die – zu Recht oder Unrecht – für (Fehl-)Entwicklungen verantwortlich gemacht werden, auch für solche, die nicht auf ihr Konto gehen.

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Anmerkungen Einleitung Julius Barmat – ein bekannter Unbekannter 1 Der Leiter des Barmat-Konzerns verhaftet, Berliner Tageblatt, Nr. 619, 31. 12. 1924; Neue Verhaftungen in der Barmat-Affäre, ebd., Nr. 2, 2. 1. 1925; Der Barmat-Skandal, Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung, Nr. 2, 2. 2. 1925. Zum Hergang und zur Vorbereitung vgl. den Vermerk für den Herrn Chef, Abt. IV, gez. Weiss, 30. 4. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56542, Bl. 100. 2 Berliner Scheiterhaufen. Die roten Kapitalfeinde, Fridericus, Nr. 38, Ausgabe September 1924; Berliner Scheiterhaufen. Der Dauphin von Kandelabrien, Fridericus, Nr. 50, Ausgabe Dez. 1924; Die Barmat-Geschäfte der Seehandlung, Die Rote Fahne, Nr. 165, 25. 11. 1924; vgl.: Elf Fragen an den Vorstand der SPD. Was die SPD-Arbeiter nicht wissen dürfen, Die Rote Fahne, Nr. 169, 29. 11. 1924; die Antwort: Kommunistische Spekulation, Vorwärts, Nr. 567, 2. 12. 1924; Der Barmat-Rummel, Vorwärts, Nr. 573, 5. 12. 1924. 3 Der Leiter des Barmat-Konzerns verhaftet, Berliner Tageblatt, Nr. 619, 31. 12. 1924; Neue Verhaftungen in der Barmat-Affäre, ebd., Nr. 2, 2. 1. 1925; Der Barmat-Skandal, Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung, Nr. 2, 2. 2. 1925; Zusammenstellung von Pressemitteilungen, in: GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56542. 4 Fritz Ebert aus dem Barmat-Konzern ausgeschieden, Die Rote Fahne, Nr. 171, 2. 12. 1924; Die Barmat-Sozialisten gestehen, ebd., Nr. 172, 3. 12. 1924; vgl. auch: Berliner Scheiterhaufen, Der Dauphin von Kandelabrien, Fridericus, Nr. 50, Ausgabe Dez. 1924. 5 Oberstaatsanwalt Linde, Mangelnder Schutz gegen Presseangriffe, 2. 5. 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 55279, Bl. 80–84 (Zitat S. 3); zur Besprechung im Justizministerium Ende Dezember 1924 vgl. den Bericht vom 28. 4. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 14/1; Telefonische Mitteilung des Generalstaatsanwalts beim Kammergericht Huber, 28. 4. 1925, ebd., Bl. 14/3. 6 Bericht vom 28. 4., ebd. 7 Zur Analyse eines medialen und historischen Ereignisses vgl. Dietze, Von Kornblumen, Heringen und Drohbriefen; vgl. auch Fulda, Press and Politics in the Weimar Republic, bes. S. 75–106. 8 Die Barmat-Affäre, Berliner Tageblatt, Nr. 16, 10. 1. 1925; vgl. auch Radek, Barmat-Sozialdemokratie; Anonym, Barmat und seine Partei; SchlangeSchöningen, Preußengeist gegen Barmatgeist. 9 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 12. 10. 1925, Bd. 7, S. 2973; Schiff, Die Höfle-Tragödie, S. 7, 14, 88; Preußische Bilanz, Berliner Tageblatt, Nr. 7, 5. 1. 1926.

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10 Vgl. Hondrich, Enthüllung und Entrüstung; Neckel, Das Stellhölzchen der Macht; Thompson, Political Scandal; Adut, On Scandal. 11 Fulda, Press and Politics in the Weimar Republic. 12 Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages. 13 Käsler, Der politische Skandal; Burkhardt, Medienskandale. 14 Yehuda oder auch Jehuda ist wiederum eine Parallelform zu Jidl, Judl und Jude. Ich danke Evita Wiecki (LMU) für diesen Hinweis. 15 Ginzburg, Spurensicherungen. 16 Malinowski, Politische Skandale als Zerrspiegel der Demokratie; Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin; Ulmer, Antisemitismus in Stuttgart, S. 299–310; Klein, Korruption und Korruptionsskandale; Wein, Antisemitismus im Reichstag, S. 181–224. Einige Überlegungen des vorliegenden Buches finden sich in Geyer, Der Barmat-Kutisker-Skandal und die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«; ders., Contested Narratives of the Weimar Republic; ders., Korruptionsdebatten in der Zeit der Revolution 1918/19. 17 Bödeker, Biographie. Annäherung an den gegenwärtigen Forschungsund Diskussionsstand, S. 32. 18 An dieser Stelle sei nur auf die vielen Hitlerbiografien verwiesen, darunter am interessantesten Pyta, Hitler; vgl. auch Sieg, Deutschlands Prophet. 19 Corbin, Auf den Spuren eines Unbekannten. 20 Bering, Der Name als Stigma; ders., Kampf um Namen; ders., Der »jüdische« Name. 21 Dieser Aspekt hat in jüngerer Zeit viel Beachtung gefunden. Neben der Literatur in Anm. 16 ist vor allem auf die als Mediengeschichte konzipierte Arbeit von Klein, Korruption und Korruptionsskandale, zu verweisen. 22 Brauer/Lücke (Hg.), Emotionen, Geschichte und historisches Lernen; Frevert/Schmidt, Geschichte, Emotionen und die Macht der Bilder; Eder u. a. (Hg.), Bilder in historischen Diskursen; Paul, Aufstand der Bilder; ders., Das Jahrhundert der Bilder. 23 Für eine schematische Übersicht vgl. Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 237. 24 Penslar, Shylock’s Children; Berkowitz, The Crime of My Very Existence. 25 Vogl, Das Gespenst des Kapitals. 26 So im Kontext einer Systematisierung des polyphonen Korruptionsdiskurses, vgl. Engels, Geschichte der Korruption, S. 262–275; Fischer, Korruption als Problem und Element politischer Ordnung; Engels/Fahrmeir/ Nützenadel (Hg.), Geld – Geschenke – Politik; Engels u. a. (Hg.), Krumme Touren in der Wirtschaft; Grüne/Slanicka (Hg.), Korruption. Von zentraler Bedeutung für diese Auseinandersetzung sind der »Gründerkrach« und ähnliche Ereignisse in anderen Ländern nach 1873, vgl. Davis, Catherine, Spekulation und Korruption. 27 Thompson, Political Scandal, S. 16; Dirks, The Scandal of Empire, S. 30.

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28 Tietz, Die Grenzen des Wir; allgemein: Geyer, Grenzüberschreitungen. 29 Feldman, Hugo Stinnes; James, The Deutsche Bank and the Nazi Economic War against Jews. 30 Köhler/Rossfeld (Hg.), Pleitiers und Bankrotteure; Sandage, Born Losers; für einen nicht historischen Problemaufriss vgl. Friedrichs, Trusted Criminals. 31 Dabei gibt es viele Unternehmerpersönlichkeiten gerade auch im hier behandelten Zeitraum, bei denen diese Grenzen fließend sind, auch wenn das oft nur angerissen oder gar nicht thematisiert wird, vgl. Feldman, Hugo Stinnes; Priemel, Flick. Eine Konzerngeschichte; in jeder Hinsicht einseitig z. B. Danylow/Soénius (Hg.), Otto Wolff. 32 Dreiser, The Financier; Zola, Das Geld; Fulda, Schau-Spiele des Geldes; Schanitz, Das Shylock-Syndrom; Hettling/Hoffmann (Hg.), Der bürgerliche Wertehimmel. In der wissenschaftlichen Literatur werden diese flexiblen Übergänge erstaunlich wenig thematisiert, auch wenn in neuerer Zeit dafür ein größeres Interesse zu erkennen ist, vgl. z. B. Künzel/Hempel (Hg.), Finanzen und Fiktionen; Köhler/Rossfeld (Hg.), Pleitiers und Bankrotteure. 33 Vgl. z. B. Balleisen, Fraud: An American History. Der Grund für diese Missachtung durch die Forschung mag auch damit zu tun haben, dass solche Geschichten von »realen« Personen und oft undurchsichtigen Geschäften nicht leicht zu rekonstruieren und zu schreiben sind. Die Zahl von Einzelstudien wächst rasch, vgl. exemplarisch, auch was die darstellerischen Probleme der historischen Konstruktion betrifft, Jankowski, Stavisky; Partnoy, The Match King. 34 Auch für das Folgende vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft: Soziologie, S. 64, 379–383; eine gute Zusammenfassung des politischen Kapitalismus bei Swedberg, Max Weber, S. 45–53. 35 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte, S. 100–107, 232. 36 Zum Beutekapitalismus in Form eines Kriegskapitalismus vgl. Beckert, King Cotton; vgl. auch Jucker, Beute. 37 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft: Soziologie, S. 381. 38 Ders., Börsenwesen. Schriften und Reden 1893–1898, bes. die Einleitung, S. 1–111. 39 Der Begriff taucht in vielfältiger Weise in neueren Debatten über die varieties of capitalism auf. Erkennbar sind Bezüge auf Weber, aber der Gebrauch ist alles andere als einheitlich. 40 Köster, Transformationen der Kapitalismusanalyse und Kapitalismuskritik. 41 Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland, S. 354, 356, 357 (kursiv im Original), darin seine Befürchtungen in Bezug auf die Staatsanleihen, den neuen Rentierkapitalismus mit seiner »Rentnergesinnung« (S. 352),

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die Auflösung der »Ethik der Berufspflicht« (S. 356) und die Kritik an der Schwerindustrie und großen Handelsinteressen, die von diesem Kapitalismus profitierten. Mit einer etwas anderen Stoßrichtung: Weber, Deutschlands äußere und Preußens innere Politik. 42 Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Für eine Zusammenfassung vgl. Lehmann, Die Entstehung des modernen Kapitalismus, S. 94–108; Ghosh, Max Weber and the Protestant Ethic; Berg, Kapitalismusdebatten um 1900; Lenger, Werner Sombart; Swedberg, Max Weber. 43 Für die klassische Formulierung vgl. Hirschman, The Passions and the Interests; um dieses weite Feld ging es auch in der Debatte zwischen Weber und Sombart, vgl. auch allgemein Muller, The Mind and the Market. 44 Für deutsche Ansätze vgl. z. B. Budde, Kapitalismus; Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 56, 2016; Beckert, King Cotton; de Vries, Industrious Revolution; Balleisen, Fraud: An American History. Kapitel 1 Grenzüberschreitung: Der Ostjude, der aus dem Westen kam 1 Zur jüdischen Auswanderung aus Russland vgl. die anregende Darstellung bei Slezkine, The Jewish Century. 2 Das folgende Bild ist aus sehr verstreuten Quellen zusammengetragen. Barmats eigene Angaben zu seiner Ankunft sind widersprüchlich, vgl. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 6. 1925, Bd. 4, S. 1835–1836; Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung (17. 4. 1925), S. 1f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557. Ausführlich zur Einreise auch Amtsgericht Berlin-Mitte, Strafsache gegen Barmat und Gen., 5. 1. 1925, S. 7–14, ebd., Bl. 202–215; Rechtsanwälte Barmats an Amtsgericht I, Strafsache gegen Barmat und Genossen, 10. 1. 1925, S. 7, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 223–232; Amtsgericht Berlin-Mitte, Strafsache gegen Barmat und Gen., 5. Januar 1925, S. 14, ebd., Nr. 56541, Bl. 202–215, Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 7. Nicht nur zu seiner Person vgl. den biografischen Eintrag zu Judko (Julius) Barmat: https://www.genealogieonline.nl/ de/stamboom-van-emden-culemborg/I60.php [Zugriff 2. 2. 2017], mit weiterführenden Eintragungen von dieser Seite zu seinen Eltern und Geschwistern sowie seinem Sohn. 3 Hak, Versäulung innerhalb der niederländischen Gesellschaft. 4 De zwarte lijst, Het Centrum, Nr. 9763, 10. 8. 1916; De Engelsche Zwarte Lijst, ebd., Nr. 9867, 12. 12. 1916; Vincent, The Politics of Hunger. 5 Vgl. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 6. 1925, Bd. 4, S. 1836f.; Ausarbeitungen des Auswärtigen Amtes, N.V. Amsterdamsche Export- en Importmaatschappij, Keizersgracht 717, o. D., PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30337, Bl. 189–190; Amsterdam N.V. Amsterdamsche Export- & Import

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Maatschappij, Amsterdam, 18. Dezember 1922, ebd., Bl. 202–203a; N.V. Administratie en Exploitatie Maatschapij »La Novita«, ebd., Bl. 190; Aufzeichnung II: Zur Vorgeschichte und Entwicklung der Barmats, ebd., Bl. 169–172; Aufzeichnung VI: Barmat und der Lebensmittelhandel, o. D., ebd., Bl. 177–178; Aufzeichnung III: Barmat und die Auskunfteien, ebd., Bl. 173–174; eine ausführliche Darstellung auch in: Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 7–41. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 9. Rechtsanwälte Barmats an Amtsgericht I, Strafsache gegen Barmat und Genossen, 10. 1. 1925, S. 7, GStA PK, I. HA Rep. 84a Nr. 56541, Bl. 223–232. Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung (17. 4. 1925), S. 2, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; Barmat »Kaiserlicher Agent«, Vossische Zeitung, Nr. 75, 13. 2. 1925. Großer Tag im Untersuchungsausschuß, Vossische Zeitung, Nr. 50, 30. 1. 1925; Deutsches Generalkonsulat für die Niederlande an Deutsche Gesandtschaft, 9. 10. 1919, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Barmat, Bd. 1, Bl. 87–91. Gesandtschaft Den Haag, Rosen, an den Reichskanzler, Graf von Hertling, 12. 3. 1918, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30333, Bl. 5, und Den Haag, Nr. 141, Bd. 1, Bl. 19f. So Barmat engster persönlicher Freund Ernst Heilmann, PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 436. Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung (17. 4. 1925), S. 2, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; Barmat »Kaiserlicher Agent«, Vossische Zeitung, Nr. 75, 13. 2. 1925. Aufzeichnung II (wie Anm. 5). Offenbar drängten von Maltzan und andere Barmat dazu, eine deutsche Zeitschrift mit dem Titel Die Tribüne zu finanzieren, was er aber abgelehnt habe, Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung, 17. 4. 1925, S. 3, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557. Es handelte sich wohl um den Ökonomen und von 1915 bis 1923 amtierenden Legationsrat im Auswärtigen Amt Carl Brinkmann und einen »Herrn von Rhein«, vgl. Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung (17. 4. 1925), S. 1f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557. Barmat bat einen »Vertrauensmann der Botschaft«, das Telegramm an Trotzki zu übermitteln, Text des Telegramms (o. D.), PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 2, Bl. 0, und ebd. R, Nr. 30333, Bl. 1; in einem weiteren Schreiben vom 21. Dezember 1917 empfiehlt sich Barmat nochmals, ebd., Inland II A/B, Nr. R Nr. 30333, Bl. 2a.

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16 Gesandtschaft Den Haag, Rosen, an Reichskanzler Graf von Hertling, ca. 24. 12. 1917, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30333, Bl. 4–5. 17 Aufzeichnung II (wie Anm. 5), S. 2. 18 Radek, Die Barmat-Sozialdemokratie, S. 39. 19 Bayerische Gesandtschaft in Berlin an Staatsministerium des Äußeren, 15. 2. 1925, BayHStA MA, Nr. 103867. 20 Vgl. die nicht ganz eindeutige Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung (17. 4. 1925), S. 5f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; Abschrift eines Briefs Pieter Troelstra, o. D. [1925], GStA PK, I. HA Rep. 169D XIcE, Nr. 2, Beiheft 2, Bd. 1. 21 Chef des Admiralstabs der Marine an Staatssekretär im AA, 25. 4. 1918, mit Anlage eines Berichts des Diplomaten Rosen, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30333, Bl. 9–10a; vgl. auch die Dokumente in PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 1, Bl. 4–25, und die Übersicht mit Zusammenfassungen der Ereignisse und Stellungnahmen, ebd., Bl. 48f. 22 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 436f. 23 Abschrift van het rapport van den Engelschen inlichtingendienst, 26. 02. 1921, Nationaal Archief Den Haag, 2. 05. 03: A-Dossiers, 1815–1940, Nr. 1214. 24 Das berichtete der Kaufmann Linke von der »Fettvereinigung«, was nun der Vorsitzende des preußischen Untersuchungsausschusses als übertrieben abtat, vgl. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 6. 1925, Bd. 11837f. 25 Gesandtschaft der Niederlande, geheim, Prag 11. 09. 1920, Nationaal Archief Den Haag, 2. 05. 37: DEZ-dossiers, Nr. 223; AA Berlin an Gesandtschaft Den Haag, 10. 1. 1921, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 2, Bl. 104; Konzept des Antwortschreibens, Den Haag, 26. 3. 1921, ebd., Bl. 109. Vgl. auch: Bang voor en spook, Het Volk, Nr. 5588, 1. 7. 1918. Die Bolschewismusfurcht des De Telegraaf hielt diese sozialistische Zeitung für »paranoid«. 26 Aufzeichnung II (wie Anm. 5), S. 2–3. 27 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 6. 1925, Bd. 4, S. 1837 (Barmat); ebd., 29 u. 30. 1. 1925, Bd. 1, 410 (Heilmann); Ernst Heilmann im Untersuchungsausschuß. Der Barmat-Ausschuß, Frankfurter Zeitung, Nr. 92, 4. 2. 1925. 28 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 6. 1925, Bd. 4, S. 1838 (Barmat). Bei den Verhandlungen in Amsterdam standen Fragen des Friedensvertrags im Vordergrund, vgl. Ritter/von Zwehl, Die II. Internationale 1918/1919, S. 74f., 573–587, vgl. auch den Bericht Hermann Müllers in: Bericht des 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 9. Sitzung (20. 2. 1925), S. 15, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557.

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29 Aussage Barmats, ebd., 18. Sitzung, 17. 4. 1925, S. 3. 30 Ernst Heilmann im Untersuchungsausschuß, Der Barmat-Ausschuß, Frankfurter Zeitung, Nr. 92, 4. 2. 1925; PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 435f.; Radek, Barmat-Sozialdemokratie, S. 11f., 29–37; Anonym [Rosenberg], Barmat und Co. oder der größte Sieg der Demokratie, S. 195; Anonym [Kaufhold], Barmat und seine Freunde, S. 2; auch die niederländische Polizei beobachtete die Kontakte Barmats zur Internationale, vgl. Nationaal Archief Den Haag, 2. 05. 37: DEZ-Dossiers, Nr. 223; Bericht der Amsterdamer Polizei, 5. 3. 1920, StA Amsterdam, 5225, Nr. 4368. 31 Zur Finanzierung des Voorwaarts vgl. Julius Barmat an Pieter Troelstra, 11. 5. 1921, Pieter Troelstra an Julius Barmat (o. D.), Erich Juliusberg an Voorwaarts, 14. 1. 1928, ISSG Amsterdam, Archief Pieter Jelles Troelstra, Nr. 52; Archief Arbeiderspers (Amsterdam), ebd., Nr. 52; Hunin, Camille Huysmans, S. 243. 1928 bat der Anwalt Barmats um die Rückerstattung der sich zwischen 1917 bis 1924 auf 215000 Gulden belaufenden Summe; alles deutet darauf hin, dass diese Geldforderung im Zusammenhang mit einem für die Veröffentlichung gedachten Brief des damals schon kranken Troelstra an Frau Barmat zu sehen ist, in dem dieser sich positiv für Barmat aussprach und dessen Leistungen würdigte, was mit Blick auf seine Rückkehr nach Holland nach dem Verfahren wichtig sein musste, Troelstra an Rosa Barmat o. D. (ca. 1928), ISSG Amsterdam, Archief Pieter Jelles Troelstra, Nr. 52. 32 Notiz für den Botschaftsrat Baron von Maltzan, 19. 5. 1919, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 1, Bl. 53–54. Diese Pressepläne gingen möglicherweise auf den umtriebigen Parvus-Helphand zurück, vgl. Scharlau/Zeman, Freibeuter der Revolution: Parvus-Helphand, S. 311. 33 Aussage Barmats und Nachfragen vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 19. Sitzung (18. 4. 1925), S. 14–16, 18, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; die Ausweise sind gesammelt in PA AA, Inland II A/B, Nr. R 50552; dieser Akt lag den Abgeordneten des Untersuchungsausschusses vor. 34 Vgl. den ausführlichen und genauen Bericht, Der Untersuchungsausschuß des Reichstags, Frankfurter Zeitung, Nr. 135, 20. 2. 1925. 35 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 29. u. 30. 1. 1925, Bd. 1, S. 396–402; Der Untersuchungsausschuß des Reichstags, Frankfurter Zeitung, Nr. 135, 20. 2. 1925; Schreiben AA, Toepffer, an Rosen, Im Haag, 6. 5. 1919, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 1, Bl. 46 (es ist nicht klar, wer Toepfer antwortete; im vorliegenden, handschriftlichen Entwurf eines Antwortschreibens vom 12. 5 [Bl. 47], heißt es, dass man die Blockade der Angelegenheit durch von Humboldt nicht teile). 36 Schreiben Rosen an Generalkonsulat Amsterdam, 22. 5. 1919, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 1, Bl. 71. Dementsprechend hieß es immer wieder, dass

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man auf persönliches Ersuchen Eberts sich zum Handeln veranlasst gesehen habe, vgl. z. B. Notiz von H. L. R. Smend, 10. 1. 1925, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30337, Bl. 16–19. Bericht der Gesandtschaft in Den Haag, Rosen, an Grafen von Hertling, ca. 24. 12. 1917, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30333, Bl. 4–5. Tatsächlich veranlasste von Maltzan die Ausstellung eines sog. Passvisums (PA AA, Inland II A/B, Nr. R 40331, Bl. 26), und zwar im Anschluss an das Telegramm. Bericht der Gesandtschaft, Rosen, (Datum wegen Brandspuren nicht lesbar), Jan. 1919, ebd., Bl. 14–15; vgl. auch Feststellungen des Untersuchungsausschusses, Frankfurter Zeitung, Nr. 81, 31. 1. 1925; erst nach Erteilung dieses ersten Visums gelangte Barmat in Kontakt mit dem AA in Berlin, vgl. die plausible Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung (17. 4. 1925), S. 4, 13f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; demnach empfahl von Maltzan Barmat noch 1923 an landwirtschaftliche Stellen in der Ukraine. Telegramm Maltzan an AA, 21. 1. 1919, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30333, Bl. 1. Reinecke, Grenzen der Freizügigkeit; Maurer, Ostjuden in Deutschland; Heid, Sie fallen als Juden auf; Volkmann, Die russische Emigration in Deutschland; Wein, Antisemitismus im Reichstag; Oltmer, Migration und Politik in der Weimarer Republik; Wróbel, The Kaddish Years. So die Auskunft eines anonymen »Vertrauensmanns«, der sich aber insgesamt kritisch über Barmat äußerte, vgl. Deutsches Generalkonsulat für die Niederlande an Deutsche Gesandtschaft, 9. 10. 1919, PA AA, Den Haag, Nr. 141 Barmat, Bd. 1, Bl. 87–91, S. 1; dieses ausführliche Schreiben fand 1925 auch den Weg in die deutsche Presse, vgl. Auszüge auch in: Egelhaafs Historisch-politische Jahresübersicht, 17, 1925. S. 162f. Das Ostjudenproblem. Die Ursachen der Korruption, Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung, Nr. 53, 1. 2. 1925; Die Ostjuden-Plage, ebd., Nr. 53, 13. 2. 1925. Die Rechtsanwälte Bahn, Schwersenz und Davidsohn, betr. Die Strafsache gegen Barmat & Gen., Haftentlassungsantrag f. Henry Barmat, 5. 1. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 169D XIcE, Nr. 2, Beiheft 2, Bd. 1; Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 13; die Angaben zu Henry Barmat, Autobiographischer Lebenslauf (ca. 1933), GSA Brüsssel, Ministère da la Justice, Nr. 150987. Eintrag Abraham Barmat und Schewa Barmat-Pechowitsch, https://www. genealogieonline.nl/de/stamboom-van-emden-culemborg/I51.php [Zugriff 2. 2. 2017]; de Vlugt aan de Commissaris der Koningin in de Provincie Noord-Holland, 24. 03. 1925, Nationaal Archief Den Haag, 2. 05. 03: A-Dossiers, 1815–1940, Nr. 1214. P. J. Troelstra aan de Minister van Buitenlandse Zaken, 31. 12. 1920; Ge-

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zantschap der Nederlanden te Berlijn aan de Minister van Buitenlandse Zaken, 22. 3. 1921, Nationaal Archief Den Haag, 2. 05. 03: Inventaris van het archief van het Ministerie van Buitenlandse Zaken: A-Dossiers, 1815–1940, Nr. 1214. Severing als Beschützer der galizischen Juden, Das Deutsche Tagesblatt, Nr. 119, 5. 9. 1923; vgl. auch Severing, Mein Lebensweg, Bd. 2, S. 49f. Die Ostjuden in Berlin und im übrigen Preußen, Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung, Nr. 537, 30. 11. 1922. Ein Blick in die Akten zeigt aber eine ambivalente, vielfach alles andere als »humanitär« zu nennende Haltung gerade auch des preußischen Innenministeriums in dieser Frage, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 15–16. Zur humanitären Hilfe vgl. Oltmer, Migration, S. 219–270; Sammartino, Suffering, Tolerance, and the Nation; Großer Tag im Untersuchungsausschuß, Vossische Zeitung, Nr. 50, 30. 1. 1925. Vgl. unten S. 110. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 28. 1. 1925, Bd. 1, S. 346. Sein Bruder Isaak war schon im April 1924 dauerhaft eingereist und erhielt von der ukrainischen Gesandtschaft Berlin einen Pass und dann auch eine Aufenthaltsgenehmigung; nach Julius reiste Solomon Barmat im Mai 1923 dauerhaft aus Lodz und Henry Barmat im Februar 1924 aus Amsterdam ein und erhielten Aufenthaltsgenehmigungen. Bruno Manuel, Insel der Seligen, Berliner Tageblatt, 25. Juni 1933; zu den Besitzverhältnissen vgl. Rechtsanwälte Barmats an Amtsgericht BerlinMitte, Strafsache gegen Barmat und Gen., 5. 1. 1925, S. 7, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 202–215; PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 2. 1925, Bd. 2, S. 660. Kerbs (Hg.), Auf den Straßen von Berlin. Feldman, The Great Disorder, S. 99–112, 119–131; Davis, Home Fires Burning; Geyer, Teuerungsprotest und Teuerungsunruhen. So Hermann Müller mit Blick auf das erste Treffen in Amsterdam, 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, Protokolle, 9. Sitzung, 20. 2. 1925, S. 15, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557, Bl. 62. Bericht der Amsterdamer Polizei, 5. 3. 1920 (wie Anm. 5); als Kopie auch in PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 2, 106–107. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 17. 3. 1925, Bd. 2, S. 1172. 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 13. Sitzung, 12. März 1925, S. 59–61, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557. So die erste Formulierung in: Briefs, Untergang des Abendlandes, S. 5; vgl. ders., Zum Problem der »Grenzmoral«, S. 53; ausführlich Amstad, Das Werk Götz Briefs, S. 152–161. Bayerische Gesandtschaft an Staatsministerium des Äußeren, 15. 2. 1925, BayHStA MA, Nr. 103867. 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 13. Sit-

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zung, 12. März 1925, S. 60, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 17. 3. 1925, Bd. 2, S. 1194. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 17. 3. 1925, Bd. 2, S. 1172–11847; Robert Schmidts Aussage, Vossische Zeitung, Nr. 129, 17. 3. 1925. So auch die ziemlich differenzierte Analyse des bayerischen Gesandten, Bayerische Gesandtschaft in Berlin an Staatsministerium des Äußeren, 15. 2. 1925, BayHStA MA, Nr. 103867. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 6. 1925, Bd. 4, S. 1847. Ebd., 17. 3. 1925, Bd. 2, S. 1205. Der Barmat-Ausschuß des Landtags, Frankfurter Zeitung, Nr. 207, 18. 3. 1925. Robert Schmidt – Magere Fettgeschäfte, Vossische Zeitung, Nr. 121, 12. 3. 1925; Robert Schmidts Aussage, ebd., Nr. 129, 17. 3. 1925; Julius Barmat wehrt sich, ebd., Nr. 24, 15. 1. 1925. Zu den Papiergeschäften siehe auch Barmat an Matthijsen, 8. 10. 1919, und den Briefwechsel der Niederländischen Sozialdemokratischen Partei in: IISG, Archief Arbeiderspers, Nr. 52; Schreiben des Reichswirtschaftsministers an den Reichsminister für Finanzen, 11. 4. 1925, S. 2, abgedruckt in Drs. Nr. 33 (Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT), BAK, R 43I, Nr. 662, Bl. 80–82. Der Reichswirtschaftsminister a. D. gab eine eindringliche Schilderung der katastrophalen Devisenknappheit, 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 13. Sitzung, 12. 3. 1925, S. 60f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; zu den Debatten über die Bereitstellung von Devisen vgl. Feldman, Great Disorder, S. 175–179. So der Hinweis Pritschows, 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 12. Sitzung, 12. 3. 1925, S. 7, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557, Bl. 81. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 6. 1925, Bd. 4, S. 1844. Ebd. S. 1844; der ganz offensichtlich persönlich interessierte Leidig und Barmat unterhielten sich sehr ausführlich über Details der komplizierten Abwicklung, die eigentlich den preußischen Ausschuss nichts angingen; zu den Vorwürfen vgl. auch Bericht über Barmat, 23. 9. 1919, seitens eines Vertrauensmanns, PA AA, Den Haag Nr. 141 Bd. 1, Bl. 68–70; vgl. dazu auch Barmat im 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung, 17. 4. 1925, S. 7–9, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 6. 1925, Bd. 4, S. 1845. Bericht von Reisewitz Den Haag an AA, 6. 5. 1920, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 2, Bl. 81–84; PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 438f.; ebd., 17. 3. 1925, Bd. 2, S. 1176 (hier die Summe in Goldmark). Lebensmittel aus Holland für Deutschland, Vorwärts, Nr. 195, 16. 4. 1920; vgl. auch Barmat-Ausschuß des Reichstags, Frankfurter Zeitung, Nr. 100, 16. 3. 1925; Aussage Schmidts im Reichstag, 19. Ausschuß, Untersuchungs-

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ausschuß–Kreditausschuß des RT, 13. Sitzung, 12. März 1925, S. 62, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; Schmidt kritisierte die deutschen Diplomaten heftig, ebd., S. 63f. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 17. 3. 1925, Bd. 2, S. 1177. Auf die Verhandlung dieser Frage, die sich auch in den Akten des AA findet, ist hier nicht einzugehen. Edo Fimmen über Barmat, IISG Amsterdam, Ankersmit, Nr. 20, darin auch mit ähnlicher Tendenz der französische Artikel: Henri Gulbeau, Julius Barmat et Cie, o. D. o. O. Vgl. Gesandtschaft Den Haag, Rosen, an AA mit Anlage des Berichts vom 16. 4. 1920, Cattepoel, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30331, Bl. 120–128. In diesem Bericht wird nicht erwähnt, dass die Verhandlungen im Geschäftshaus Barmats stattfanden. Vgl. Bösch, Öffentliche Geheimnisse, Kap. 7. Radek, Barmat-Sozialdemokratie, S. 23; Feder, Die Juden, S. 71f.; Meyer zu Utrup, Kampf gegen die »jüdische Weltverschwörung«, bes. S. 185–191, 205–211. AA an Deutsche Generalkonsulat, Amsterdam, 22. 1. 1922, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30331, Bl. 186–188; PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 1. 4. 1925, Bd. 2, S. 952f.; Barmatausschuß des Landtags, Frankfurter Zeitung, Nr. 199, 15. 3. 1925. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 17. 3. 1925, Bd. 2, S. 953; Der Barmat-Ausschuß des Landtags, Frankfurter Zeitung, Nr. 180, 8. 3. 1925. Dass dieser Vorwurf ausgerechnet von der SPD kam, ist in der Tat rätselhaft, vgl. dazu (wenn auch ohne Bezug auf Barmat) Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 159–170, S. 150 (zu Heilmann). Hermes kämpfte verbissen um seine Reputation. Zur Widerlegung der Vorwürfe ließ er eine über 150 Seiten lange Dokumentation erstellen, vgl. Schreiben an den Reichsernährungsminister Hermes o. D. (Brandschäden), PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30334, Bl. 25–184, mit 22 Anlagen, bestehend aus Empfehlungsschreiben und Berichten über Geschäfte. Was man sich in eingeweihten Kreisen an der Börse in Rotterdam erzählt, Rotterdam, 22. 9. 1919, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30331, Bl. 71f. (das Dokument tauchte erst im Oktober in den Akten in PA AA auf, vgl. Den Haag, Nr. 141, Bd.1, Bl. 84–83). Nach Ansicht Heilmanns und Barmats handelte es sich um eine Diffamierung durch einen holländischen Konkurrenten, PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 440. Sarmatisch-Barmatisches, Hansa Kurier, Nr. 157, 4. 11. 1919, ebd., Nr. 30331, Bl. 154–156 (»Bolschewist Barmat«); Ein bolschewistischer Schützling der deutschen Reichsregierung als Millionenverdiener, Leipziger Neueste Nachrichten, Nr. 269, 11. 10. 1919, ebd., Nr. 30331, Bl. 67 und Nr. 30331, Bl. 103; Ein Vertrauensmann der deutschen Regierung in Amsterdam, Deutsche

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Wochenzeitung für die Niederlande (unter der Rubrik Mitteilungen Industrie, Handel), Nr. 47, 22. 11. 1919, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Barmat, Bd. 1, Bl. 117. Vermerk von Humboldt, 19. 11. 1919, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30331, Bl. 98 (Zitat); Diktion und Topoi im Bericht der Bochumer Handelskammer finden sich z. B. in: Niederländisches Generalkonsulat für die Niederlande an Handelskammer Reutlingen 3. 5. 1919, ebd., Nr. 30331, Bl. 48. Ende 1919 kursierten Gerüchte, dass Barmat bald Bekanntschaft mit der Staatsanwaltschaft machen werde, vgl. Wirtschaftliche Pressestelle im Haag an Botschaftsrat von Reisewitz, 20. 11. 1919, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 1, Bl. 114. Aufzeichnung II: Zur Vorgeschichte und Entwicklung der Barmats, S. 3, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30337, Bl. 169–172; Notiz für den Herrn Botschaftsrat Baron von Maltzan, von Müller Heymer (dem Pressesprecher der Botschaft), 19. 5. 1919, ebd., Den Haag, Nr. 141, Bd. 1, Bl. 53f. Tegenspraak, Het Volk, Nr. 5998, 30. 10. 1919. Dabei ging es u. a. um den Einkauf und die Einlagerung von Rohstoffen. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 31. 1. 1925, Bd. 1, S. 494; Rechtsanwälte Barmats an Amtsgericht Berlin-Mitte, Strafsache gegen Barmat und Gen., 5. 1. 1925, S. 13, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 202–215. Aus den wirtschaftlichen Kontakten, die im Zusammenhang mit Reparationslieferungen zu sehen sind, wurde wegen unterschiedlicher Preisvorstellungen nichts, vgl. die Sitzung des [sächsischen] Barmatausschusses, 18. 5. 1925, S. 1–10, HStA Dresden, Sächsischer Landtag 1919–1933, Nr. 1747. Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Bd. 2, S. 201. Verhandlungen des Barmatausschuß, Frankfurter Zeitung, Nr. 279, 16. 4. 1925. Sitzung des [sächsischen] Barmatausschusses, 18. 5. 1925, S. 7, HStA Dresden, Sächsischer Landtag 1919–1933, Nr. 1747. Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung, 17. 4. 1925, S. 18, 21, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557. Ohne Anmerkungsapparat, aber nach wie vor zentral Scharlau/Zeman, Freibeuter der Revolution: Parvus-Helphand; Heresch, Geheimakte Parvus; insbesondere Kieser, Alexander Helphand-Parvus in Germany and Turkey; Chavkin, Alexander Parvus – Financier der Weltrevolution. Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Bd. 2, S. 201–203. Diese Namen (mit Ausnahme von Hermann Müller) finden sich bei Adolph, Otto Wels und die Politik der deutschen Sozialdemokratie, S. 6f. Verhör Richters am 20. und 26. 4. 1925, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 421, Bd. 1, Bl.128–132, 133–135 (Zitate, Bl. 135 Rs); Fräulein Huber als Madame de Pompadour im Barmat-Kreise, Leipziger Tagespost, 17. 2. 1925, worin

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über die Enthüllungen der Berliner Börsen-Zeitung berichtet wird, ebd., Bl. 169; vgl. auch die Aussage des Geschäftsführers des stadtbekannten LunaParks, Siegbert Goldschmidt, eines befreundeten Schachpartners Richters, der den Polizeipräsidenten in Begleitung von Bauer, Scheidemann, Sklarz, Wels, Heilmann und dem Maler Bondi getroffen hatte, Aussage 11. 11. 1925, ebd., S. 2, ebd., Bl. 62–65; Aussagen Katharina Hubers 5. und 6. 2. 1925, ebd., Bl. 23–27 (Zitat Aussage 5. 2., S. 2). Scharlau/Zeman, Freibeuter der Revolution: Parvus-Helphand, S. 194– 226; Sigel, Die Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe, S. 58–68; Merz, Deutschland und der Bolschewismus, S. 95–117. Die Zukunft, Nr. 108, 1920, S. 112; Sigel, Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe, S. 64, 89; vgl. auch (ohne Hinweise auf Parvus-Helphand) Möller, Ernst Heilmann. Ein Sozialdemokrat in der Weimarer Republik, S. 267f. Scharlau/Zeman, Freibeuter der Revolution: Parvus-Helphand, S. 226f.; Ingenthron, Erich Kuttner, S. 141; vgl. das Flugblatt von Erich Kuttner, Das bolschewistische Tollhaus, IISG Amsterdam, Various Manuscripts Germany, Nr. 87. Protokoll über die Aussage des Außerordentlichen Gesandten und Bevollmächtigten Dr. Victor Naumann, 26. 1. 1920, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 8260, Bl. 58–56. Sklarz sei bei den Gesprächen nicht anwesend gewesen, so Naumann; vgl. auch Radek, Barmat-Sozialdemokratie, S. 36f. Für eine ausführlichere Darstellung dieses komplizierten Falles vgl. Geyer, Korruptionsdebatten in der Zeit der Revolution 1918/19; Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 108–157. Sincton Upclair, Der Rattenkönig, S. 54. Ebd. S. 4, 16, 41, 54. Der Hinweis auf ganze Koffer von Lebensmitteln findet sich auch bei Radek, Barmat-Sozialdemokratie, S. 37. Friedrich Ebert an Reichskanzler Bauer, 2. 12. 1919, BAB, R 43I, Nr. 1239, Bl. 6; Bericht des SPD-Untersuchungsausschuß zum Fall Sklarz, o. O, o. D., S. 5, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 8261. Vgl. auch Schulze, Freikorps und Republik, S. 17f. Beschwerde Georg Sklarz an den Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, 30. 5. 1921, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56531, Bl. 308–313a.; Bericht des SPD-Untersuchungsausschuß zum Fall Sklarz, o. O, o. D., S. 6, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 8261. Ingenthron, Erich Kuttner, S. 173. So der Berliner Kriminalwachtmeister Ludwig Regemann, der in den Reichstag abkommandiert worden war, um dort für Ordnung zu sorgen, vgl. seine Aussage vom 9. 12. 1919, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56521, Bl. 28–29; allgemein Merz, Deutschland und der Bolschewismus, S. 413–431. Dazu ausführlicher Geyer, Korruptionsdebatten in der Zeit der Revolution 1918/19, S. 347–349.

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106 Was die Städte die A.- u. S-Wirtschaft kostet, Deutsche Tageszeitung, 23. 12. 1918; Die sparsame Wirtschaft unserer Regierung (Erscheinungsort nicht lesbar); diese und andere Pressestimmen in BAB, R 8034II, Nr. 9118. 107 Sincton Uplcair, Der Rattenkönig, S. 4. 108 Ders., Die Korruptionszentrale; ders., Erzberger kommt wieder!!!. Wahrscheinlich handelt es sich um einen anderen Autor als den/die Verfasser der Schrift Der Rattenkönig. 109 Zu Harden vgl. bes. Domeier, Eulenburg-Skandal; Davidsohn, Deutschlands Lebensmittel- und Rohstoffversorgung; ders., Brief. Davidsohns Antialkoholbewegung erntete eher Spott als Beifall; in der sozialdemokratischen Kriegsinvalidenbewegung, in der er sich engagierte, konnte er sich nicht durchsetzen, ja stand im Streit mit Ernst Heilmann und Erich Kuttner, die beide mit Sklarz und Helphand in Verbindung standen. 110 Zur Person Sochaczewski vgl. Hambrock, Außenseiter, S. 296; das Material ist gesammelt in: LAB, A Rep. 358–01, Nr. 8257, Bl. 60 (Umschlag); Ausarbeitung ohne Titel, Beschwerde Georg Sklarz’, 15. 12. 1920, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56521, Bl. 212–220. 111 Aussage Sochaczewski, 2. 12. 1919, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 8257, Bl. 57f.; Exner/Kapfer (Hg.), Pfemfert. Erinnerungen und Abrechnungen; in diesem politischen Umfeld ist auch der Schriftsteller Wilhelm Herzog und seine Zeitschrift Das Forum zu verorten, vgl. dazu auch unten S. 242f. 112 Das Gedicht leitete seine umfangreiche, private Anklageschrift gegen Sklarz ein, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 8258, Bl. 1–3; nicht ganz korrekt abgedruckt in Albrecht, Die Macht einer Verleumdungskampagne, S. 13f. 113 Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung, 17. 4. 1925, S. 5, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; vgl. Barmatausschuß des Landtags, Frankfurter Zeitung, Nr. 70, 30. 1. 1925. Die Auseinandersetzungen begannen mit dem Artikel »Ein ›Sozialist‹ über Barmat. Heilmanns ›persönlicher Freund‹« – Abg. Davidsohn über die Gefahr Barmat, Berliner Volks-Zeitung, Nr. 39, 22. 1. 1920; diesen Streit focht Otto Nuschke aus, der dann auch als Vertreter der DDP im preußischen Untersuchungsausschuß vertreten war, vgl. dazu auch seine persönlichen Erinnerungen, in PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 12. 10. 1925, Bd. 7, S. 2923. 114 Siehe Kapitel 4. 115 Armin [Roth], Von Rathenau zu Barmat, S. 60. 116 Polizeipräsident Abt. IV, gez. Richter, an Min. des Inneren, 9. 6. 1920 (Abschrift), GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 15, Bl. 168Rs-169Rs. 117 Auch der Bericht vom 16. 1. 1920, gez. Eugen Ernst, ebd., Bl. 170–72. 118 Zu den Debatten vgl. die bisher kaum ausgewerteten internen preußischen Debatten in: ebd., Nr. 15–16. 119 Wie die Ostjuden nach Berlin kamen, Deutsche Tageszeitung, Nr. 563, 30. 11. 1924.

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120 Striesow, Deutschnationale Volkspartei und die Völkisch-Radikalen, bes. S. 102–162, 233–241. 121 Lohalm, Völkischer Radikalismus; Berding, Moderner Antisemitismus; Walter, Antisemitische Kriminalität und Gewalt; Hecht, Deutsche Juden; Schoeps/Schlör (Hg.), Bilder der Judenfeindschaft. 122 Meldungen, Zeitschrift für Nahrungsmittel, Oktober 1919, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Barmat, Bd. 1. 123 Siehe unter anderem auch Armin [Roth], Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften; ders., Der Kandidat des Auslandes; ausführlich Ulmer, Antisemitismus in Stuttgart; vgl. auch Volkov, Walther Rathenau; Benz, Die Protokolle der Weisen von Zion. 124 So Alfred Rosenberg 1925 in seinem Artikel »Barmat & Co. oder der größte Sieg der Demokratie. Ein Wort zur Reichspräsidentenwahl« in der Zeitschrift Der Weltkampf. Halbmonatsschrift für die Judenfrage aller Länder; mit einer ähnlichen Stoßrichtung Fritsch, Barmat-Kutisker im Spiegel eines Philosophen, S. 41–45; Cohn, Die Protokolle der Weisen von Zion; vgl. auch für das Folgende (ohne Hinweise auf Barmat oder Helphand) Meyer zu Utrup, Kampf, bes. S. 89–131, 150–159. 125 Barmat und Rathenau, in: Der Weltkampf, S. 56; vgl. auch Anonym, Der Barmat-Kutisker-Skandal, in: Der Hammer; Anonym, Der Barmat-Kutisker-Skandal und die jüdische Finanzherrschaft. 126 Markwart, Die Hintermänner. Solche Berichte findet man auch in der deutschnationalen Presse: Der Streit um Parvus’ Geist. Die geniale Idee der Revolution, Altpreußisches Wochenblatt, Nr. 23, 4. 2. 1925; Wie man S.P.D.-Arbeiterführer wird, Völkischer Beobachter, Nr. 216, 11. 9. 1930; für illustrative Beispiele siehe die Aufdrucke auf Inflationsgeldnoten mit dem Gesicht von Helphand, vgl. Weisberg, Notenverkehr. 127 Zarnow, Gefesselte Justiz, Bd. 1, S. 11.

Kapitel 2 Grenzgänger des Kapitalismus in der Zeit von Hyperinflation und Währungsstabilisierung 1923/24 1 Auch für weiterführende Literatur vgl. Feldman, The Great Disorder; Geyer, Verkehrte Welt; Tooze, Sintflut, S. 439–464. 2 Vgl. die Zusammenfassung bei Swedberg, Max Weber, S. 51, 65f.; Keynes, The General Theory of Employment, Interest, and Money, S. 161f.; Akerlof/Shiller, Animal Spirits. 3 Mann, Zu diesen Barmats, S. 132 (Gedankenpunkte im Original); im Original der Buddenbrooks spricht Thomas, der Sohn der Konsulin, vgl. Mann, Buddenbrooks, S. 545f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Heinrich Manns Kobes, eine Novelle, die von Hugo Stinnes handelt. 4 Max Weber betonte die Bedeutung der Geldwertstabilität für den »rationalen Kapitalismus«, die erst die Rechenhaftigkeit von Wirtschaftsvorgän-

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gen ermöglichte; dahinter stand eine Staatstheorie, wie Webers Rezeption der staatlichen Theorie des Geldes eines Georg F. Knapp illustriert; für einen Überblick vgl. Swedberg, Max Weber, S. 76f., 180f. N.V. Handelmaatshappij Gebroders Barmat, Amsterdam, PA-AA R 30337, Bl. 191; im Aufsichtsrat dieser Firma waren unter anderem die beiden deutschen Sozialdemokraten Ernst Heilmann und Albert Schwarz. Der Barmat-Konzern, o. D., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 245–247; Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 8–9. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 13. N.V. Amsterdamsche Export- & Import Maatschappij, Amsterdam, 18. 12. 1922, PA AA, Inland II A/B, NR. R30337, Bl. 202–203. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928. Auch für das Folgende vgl. die ausführliche Schilderung in: Barmat-Anklageschrift 1926. Für eine präzise Charakterisierung der im Konzern tätigen Personen vgl. den detaillierten, 54-seitigen Brief in Form eines persönlichen Sachstandsberichts von Gerhard Lewy an den Oberstaatsanwalt Linde, 5./6. 1. 1926, GStA PK, I. HA Rep. 169 D XI c E, Nr. 2, Beiheft 2, Bd.1. Dem Direktor Herrn J. Barmat gewidmet von der N.V. Amsterdamschen Export- en Import-Maaatschappij (o. D.), GStA PK, I. HA Rep. 169D XIcE, Nr. 2, Beiheft 1, Bd. 3. So in einem Schreiben vom 17. November an Brandenburgische Girozentrale, vgl. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 216. Dieser Brief war umstritten, da darin eine Reihe von falschen Angaben zum Konzern auftauchte. Pinner [Faßland], Deutsche Wirtschaftsführer, S. 242–248; König, Fritz, Neue Konzerngrößen. Pinner [Faßland], Deutsche Wirtschaftsführer, S. 289–296. Ebd., S. 249–258. Neckarsulmer, Der alte und der neue Reichtum, S. 188. Für ein Beispiel der Distinktionsbemühungen des »alten Reichtums« vgl. Derix, Die Thyssens, bes. Kap. 1 und 2. Morus [Lewinsohn], Die Umschichtung der europäischen Vermögen. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Tatkräftige, auch charismatische Wirtschaftsführer spielten bei Schumpeter eine wichtige Rolle; zur eher zögerlichen Beurteilung Max Webers vgl. die Zusammenfassung bei Swedberg, Max Weber, S. 51, 65f. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 9. 3. 1925, Bd. 2, S. 1010. Ebd., 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 440f.; Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 9f. Zuständig war die reichseigene Viag, vgl. allgemein Pohl/Schneider, Viag Aktiengesellschaft 1923–1998, S. 21–37. Vgl. die Unterlagen in: BAK, N 1205, Nr. 21, bes. Rudolf Goerrig Reichsschatzministerium und Barmat-Konzern o. D. (ca. Dez. 1924). Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 11.

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21 Ebd., S. 18f.; Republikaner skandalisierten Hermann Weber wegen seiner Nähe zur DVP, insbesondere Stresemann, vgl. die Notiz: Herr Stresemann hat lügen lassen, in der Zeitschrift Die Glocke, sowie Robert Breuer, Die Nationalverderber; vgl. auch unten S. 189. 22 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 18. 23 Ebd., S. 17, 180, 441–514. 24 Die Rechtsanwälte Barmats an Amtsgericht Berlin-Mitte, Strafsache gegen Barmat und Gen., 5. 1. 1925, S. 8f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 202–215; sehr ausführlich wird der Fall der Firma Roth behandelt im sechsten Teil der Barmat-Anklageschrift 1926, S. 335–442, sowie im siebten Teil des Barmat-Urteils des Schöffengerichts 1928, S. 343–439, S. 411, wo von 12 Millionen die Rede ist; vgl. auch PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 444f. (Heilmann). 25 Aufzeichnung X: Barmat und das Reichsschatzministerium, o. D., PA AA, Inland II A/B, Nr. R 303370, Bl. 183–184; [Emil Kautz], Meine Verhandlungen über Kreditverlängerung und -Erweiterung mit Beamten der Seehandlung, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56544, Bl. 37–43. Über Gerhard Lewy und seine Anstellung ist wenig bekannt. Lewy verstand sich als »Industrieller« und war offenbar mit Reparationsfragen und dem Dawes-Abkommen vertraut, vgl. Lewy an Linde, 5./6. 1. 1926 (wie Anm. 8), S. 17–18. 26 Pinner [Faßland], Deutsche Wirtschaftsführer, S. 252. 27 Auch für das Folgende vgl. Hellwig, Die Preußische Staatsbank; Heinicke, Die Preußische Staatsbank (Seehandlung); Riederer, Die Preußische Staatsbank; Kredit-Politik, Vossische Zeitung, Nr. 566, 28. 11. 1924. 28 Heinicke, Die Preußische Staatsbank (Seehandlung), S. 143f. 29 Kredit-Politik, Vossische Zeitung, Nr. 566, 28. 11. 1924; Das Ergebnis, ebd., Nr. 477, 8. 10. 1922. 30 Auch für das Folgende vgl. Wiedereinführung des Privatdiskonts, Vossische Zeitung, Nr. 557, 23. 11. 1924 (Zitat); Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 98f.; vgl. auch Heinicke, Die Preußische Staatsbank (Seehandlung), S. 180–183. 31 So im Telegramm des Verbands der mitteldeutschen Industrie an den Reichskanzler, 15. 1. 1925, BAB, R 43I, Nr. 662, Bl. 13. 32 Georg Bernhard, Schwebezustände, Vossische Zeitung, Nr. 312, 4. 7. 1926. 33 Das Gericht hat diese Kredite der Inflationszeit außer Acht gelassen und urteilte nur über die wertbeständigen Kredite ab dem November 1923, vgl. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 15. Zu den Zahlen für die Zeit davor vgl. Aussage des Staatsfinanzrates Brekenfeld, PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 28. 1. 1925, Bd. 1, S. 347–349. 34 Ebd., 6. 7. 1925, Bd. 4, S. 1691; Heinicke, Die Preußische Staatsbank (Seehandlung), S. 239f.; ein vierter Großkunde war die staatliche Bergwerksgesellschaft Hibernia A.G., außerdem verschiedene kleinere staatliche Elektrizitätswerke, vgl. ebd., S. 241f.

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35 Barmat-Anklageschrift 1926, S. 108f. 36 Ebd., S. 173; Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 54. Diese Entscheidung ist im Kontext der Reichsbankpolitik und Kreditaktionen für die Landwirtschaft zu sehen. 37 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 29, 57, 59; Barmat-Anklageschrift 1926, S. 138, 153. 38 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 6. 7. 1925, Bd. 4, S. 2. 39 Barmat-Anklageschrift 1926, S. 106, 137. 40 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 57. 41 Soweit zu sehen ist, tauchte auch dieser Komplex (neben konkreten Details der Lebensmittelgeschäfte 1919/20) erst relativ spät dank der umsichtigen Verhandlungsführung des Ausschussvorsitzenden Leidig (DVP) im Zusammenhang mit dem Verhör Barmats im Juni auf, bei dem auch Beamte der Staatsbank Rede und Antwort stehen mussten. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 6. 1925, Bd. 4, S. 1856. Es ist nicht klar, warum die Verteidiger Barmats diesen wichtigen Punkt nicht stärker in den Vordergrund stellten. 42 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 17–19, 149–151; Barmat-Anklageschrift 1926; Pinner [Faßland], Deutsche Wirtschaftsführer, S. 254; Morus [Lewinsohn], Dawes, Barmat, Thyssen-Wolff, S. 362 (Zitate). 43 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 19. 44 Schiff, Die Höfle-Tragödie, S. 13. 45 Zit. nach Schiff, ebd., S. 47. 46 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 230f. Die Misswirtschaft im Bereich der besetzten Gebiete führt in mehrfacher Hinsicht zu LangeHegermann, Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 231. 47 Die Höfle-Tragödie. Anfang und Ende, Vossische Zeitung, Nr. 425, 8. 9. 1925. 48 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 305; PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 4. 2. 1925, Bd. 1, S. 462 (Heilmann). 49 Das wurde nach Beginn der Verhandlungen heftig moniert, vgl. Reichsminister der Finanzen an Reichspostminister, 5. 1. 1925, BAB, R 43I, Nr. 662, Bl. 5f. 50 In der Anklageschrift wie dem Barmat-Urteil sind diese Zusammenhänge ausführlich dargestellt, worauf hier nicht im Detail einzugehen ist. 51 Kautz, Meine Verhandlungen über Kreditverlängerung (wie Anm. 25), S. 1; Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 135. 52 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 236. 53 Ebd., S. 237. 54 Ebd. 55 Dabei ging es darum, einen Finanzausgleich zwischen der Deutschen Post und der Post des britischen Königreiches (im Rahmen des internationalen Postabkommens) über die Amexima abzuwickeln. Die Briten zeig-

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ten sich nicht uninteressiert, auch wenn sich eine solche Abmachung nicht von heute auf morgen einfädeln ließ. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 266. Ebd., S. 259. Ebd., S. 259f. Vgl. dazu ebd., S. 305–311. Ebd., S. 265. Ebd., S. 267. Barmat-Anklageschrift 1926, S. 442. In diesem extrem komplizierten Fall ging es unter anderem um die Bewertung von Vermögensbeständen des Roth-Konzerns. Das Gericht folgte dem nicht, vgl. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 439. Vermerk des Staatssekretärs in der Reichskanzlei für den Reichskanzler, 26. 1. 1925, BAB, R 43I, Nr. 662, Bl. 8, worin nochmals die wichtige Rolle Lange-Hegermanns betont wurde. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 35f. Der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht an Preußischen Justizminister, 4. 5. 1925, GStA PK, I HA Rep. 84a, Nr. 56542, Bl. 216. Lewy an Linde, 5./6. 1. 1926 (wie Anm. 8), S. 2, 20, 44; ähnlich Kautz, Meine Verhandlungen (wie Anm. 25), S. 2. Lewy an Linde (wie Anm. 8), S. 39; Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 73. Lewy an Linde (wie Anm. 8), S. 17–18 (Auslandsanleihen), S. 53 (Kosten der Restrukturierung). Allein die Sanierung der Berliner Burger-Werke veranschlagte er mit bis zu 3 Millionen Reichsmark. Kautz, Meine Verhandlungen (wie Anm. 25), S. 3. So der Zentrums-Politiker Hermes und Justizrat Hermann Danziger, Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 251. Ebd., S. 74, 304. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 6. 7. 1925, Bd. 4, S. 2080; ebd., Bd. 1, S. 355–366; Heinicke, Die Preußische Staatsbank (Seehandlung), S. 238. Vgl. Raphael, »Der Wucherer«; Feinberg-Jütte, »Shylock«; Barkai, »Der Kapitalist«, sowie die einschlägigen Artikel in Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus, Bd. 3. Geyer, Defining the Common Good and Social Justice; ders., »Wucher«. Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1927, S. 338f. Zur Taktik, Ausleihgeschäfte nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, vgl. Barmat-Anklageschrift 1926, S. 112–21, S. 121; vgl. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 15f. Die hier zitierten Angaben über die Höhe des Zinses sind insofern missverständlich, als der größte Teil des Geldes nur sehr kurzzeitig ausgeliehen wurde.

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78 Zit. nach Heinicke, Die Preußische Staatsbank (Seehandlung), S. 236. 79 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 54; Heinicke, Staatsbank, S. 228f., 255. Die Mittel für einen »Erntebergungskredit« und einen »Mühlenkredit« für über 250 Millionen Goldmark wurden über andere Kreditinstitute wie die Preußische Zentralgenossenschaftskasse in Form von Wechseldiskontierungen vorgenommen. Sie führten, wie sich bald zeigen sollte, zu hohen Ausfällen. 80 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 16. 81 Heinicke, Die Preußische Staatsbank (Seehandlung), S. 250. 82 Der Generalstaatsanwalt beim Landgericht, Erster Bericht in Sachen gegen Michael & Co., 12. 3. 1925, S. 4, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56587, Bl. 6–10. Diesem Bericht beigefügt war eine Hauptanlage zum Ersten Bericht, 12. März 1925, zusammen mit verschiedenen Ausarbeitungen, Bl. 11–107. Ein zweiter Bericht folgte am 7. 4. 1925 mit Hauptanlagen zum Zweiten Bericht, ebd., Nr. 56588, Bl. 9–24. Auf die rechtlichen Begründungen kann hier nicht eingegangen werden, vgl. Geyer, Sprache des Rechts, S. 425. 83 Pinner [Faßland], Deutsche Wirtschaftsführer, S. 235–241; Lewinsohn, Umschichtung der europäischen Vermögen, S. 219–229, 228; Nietzel, Handeln und Überleben; Kreutzmüller, Ausverkauf. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit. Wenige Informationen zur Frühzeit bei Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste; vgl. dazu auch Kap. 7. 84 Hauptanlage zum zweiten Bericht Michael (wie Anm. 82), S. 11. 85 Auch nach der Währungsstabilisierung wurden viele Geschäfte über Papiermark abgewickelt. 86 Hauptanlage zum ersten Bericht Michael (wie Anm. 82), S. 4f. Die Staatsanwaltschaft verwies auf Zeitschriften wie den Uhu, die satirische Zeitschrift des Berliner Tageblatts, sowie die Weltbühne, in der Pinner [Faßland] seine Unternehmerporträts publizierte, die wegen dieser Meldungen beschlagnahmt worden seien. 87 Darum drehte sich die Beweisführung in den Hauptanlagen zum Ersten wie zum Zweiten Bericht Michael (wie Anm. 82); Germany: Stinnes the Second, Time Magazine, 5. 1. 1925. 88 Hauptanlage zum Zweiten Bericht Michael (wie Anm. 82), S. 12. Als Anlage zu diesem Bericht finden sich Übersichten über die Zinssätze 1923 und 1924. 89 Aussage des Präsidenten Schröder vor dem Barmat-Ausschuß, PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 6. 7. 1925, Bd. 4, S. 2080; Heinicke, Die Preußische Staatsbank (Seehandlung), S. 238. 90 Darauf ist hier nicht näher einzugehen. In der gewerblichen Wirtschaft waren im Zusammenhang mit den sogenannten Preistreibereiverordnungen viele Fälle von Wucher anhängig, und insbesondere der (Einzel-)Handel hatte nach der Inflation ein Interesse daran, dieses leidige Thema

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möglichst schnell verschwinden zu lassen, auch wenn hier vielfach der Wuchervorwurf gegen Banken erhoben wurde. Gutachten zur dieser Frage finden sich in GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56588; zu den Debatten über die Preistreibereiverordnung von 1923 vgl. Geyer, Die Sprache des Rechts, die Sprache des Antisemitismus, S. 425. Landgerichtsdirektor Linde, Der Fall Michael, 2. 5. 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 20314, Bl. 85f. Lewy an Linde, 5./6. 1. 1926 (wie Anm. 8), S. 8. Zur Semantik vgl. Berg, Luftmenschen. Das war ein wiederkehrendes Thema auch in der Vernehmung Kutiskers im Landtag, PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 15. 6. 1925, Bd. 4, S. 1869–1882; Geyer, Verkehrte Welt, S. 226–230. Auch für das Folgende vgl. Urteil in der Strafsache Iwan Kutisker [und Mitangeklagte], 30. 6. 1925, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 62, Bd. 1 (im Folgenden zitiert: Urteil Kutisker I), S. 4; Urteil in der Strafsache gegen Iwan Kutisker & Gen, 14. Juli 1927, ebd., Bd. 2 (im Folgenden zitiert: Urteil Kutisker II), S. 5; Staatsanwaltschaft, Zur Anklage gegen Kutisker und Gen. Ermittlungsergebnis o. D., GStA PK, I. HA Rep. 84a Nr. 56550, (keine durchgehende Seitenzählung), Bl. 19–190 (im Folgenden zitiert: Staatsanwaltschaft, Zur Anklage Kutisker). Es können nur Umrisse dieses extrem komplizierten Falles dargestellt werden, den das Gericht in mehrere Einzelfälle aufspaltete, was nicht unbedingt zur Klarheit beitrug. Urteil Kutisker I (wie Anm. 96), S. 64. Vgl. dazu auch die Ermittlungen gegen Kutisker u. a. wegen Betruges und Meineids anlässlich einer Umlagerung von Heeresmaterial 1920/21, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 412, 3 Bde. Staatsanwaltschaft, Zur Anklage Kutisker (wie Anm. 96), Bl. 37–39. Vgl. dazu auch die Ermittlungen gegen Kutisker wegen unbefugter Depositengeschäfte, Devisenvergehens u. Ä. als Generaldirektor des Bankhauses E. vom Stein, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 411, 8 Bde. Urteil Kutisker II (wie Anm. 96), S. 7. Ebd., S. 19c. Bei einem Schiedsspruch zwischen Kutisker und Michael kassierten zwei Bankdirektoren 60000 Mark, was sehr empörend kommentierte wurde und den Verdacht der Korruption nahelegte, vgl. Hauptverfahren gegen Kutisker eröffnet, Vossische Zeitung, Nr. 45, 27. 1. 1926. Urteil Kutisker I (wie Anm. 96), S. 43. Zu diesem komplizierten Fall vgl. die umfangreichen Gerichtsakten in LAB, A Rep. 358–01, Nr. 418, 64 Bde. Darin u. a. Der Generalstaatsanwalt beim Landgericht 1 Berlin, Anklage – Haftsache – Ausländer, 5. 5. 1926, ebd., Bd. 30; Schöffengericht in Berlin Mitte, Abt. 201, Urteil gegen den Kaufmann Michael Holzmann 17. 12. 1926, ebd., Bd. 14.

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106 Für das Folgende Urteil Kutisker I (wie Anm. 96), S. 61–77; Urteil Kutisker II (wie Anm. 96), S. 164–222. 107 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 63. 108 Staatsanwaltschaft, Zur Anklage Kutisker (wie Anm. 96), S. 27. Dieser Punkt taucht im Urteil nicht mehr auf. 109 Urteil Kutisker I (wie Anm. 96), S. 61–63; Staatsanwaltschaft, zur Anklage gegen Kutisker (wie Anm. 96), S. 18–28. 110 Kutisker legte fingierte Telegramme sowie Verträge, die von ihm im Namen seines ominösen Vetters selbst unterschrieben wurden, vor, da sein Verwandter diese nur mit hebräischen Buchstaben hätte unterschreiben können und ansonsten schreibunkundig sei. Staatsanwaltschaft, Zur Anklage Kutisker (wie Anm. 96), S. 18, 45f.; Urteil Kutisker I (wie Anm. 96), S. 45–47, 52–56. 111 Urteil Kutisker I (wie Anm. 96), S. 69. 112 Staatsanwaltschaft, Zur Anklage Kutisker (wie Anm. 96), S. 39f. 113 Ebd., S. 44. 114 Urteil zweiter Instanz gegen Holzmann & Gen. (wie Anm. 105), S. 44. 115 Bericht der Kriminalpolizei, Abt. IV, 20. 10. 1924, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 418, Bd. 1, Bl. 49–50. 116 Kommerzienrat B. Manasse, Sachverständiger, an den Generalstaatsanwalt beim Kammergericht 7. 12. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56544, Bl. 134–136; diese Zahlen zirkulierten schon im Frühjahr 1925, vgl. Der Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht an den Preußischen Justizminister, ebd., Nr. 56542, Bl. 216; Pinner [Faßland], Deutsche Wirtschaftsführer, S. 252. 117 Neckarsulmer, Der alte und der neue Reichtum, S. 188. 118 Manasse an Generalstaatsanwalt (wie Anm. 116). 119 Zur Stabilisierungskrise vgl. Krohn, Helfferich contra Hilferding; Feldman, The Great Disorder, S. 803–836; Feldman, Stinnes, S. 770–840; zur Verehrung Hugo Stinnes’ vgl. Widdig, Culture and Inflation, S. 134–165; Kluge, Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft, S. 19–23, 82–88; Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung, S. 670–734; zu den Wechseln vgl. Rumpelstilzchen [Adolf Stein], »Mecker’ nicht!«, S. 43–45. 120 Ufermann, Könige der Inflation, S. 20. 121 Feldman, Hugo Stinnes, S. 936–945. 122 Amtlicher Preußischer Pressedienst, Die Abwicklung der Verpflichtungen des Barmat-Konzerns, 2. 2. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a Nr. 56541, Bl. 337; Notariatsprotokoll vom 21. 1. 1925, ebd., Bl. 255–260, bei den Zahlungen eingeschlossen waren die Ehefrauen von Julius und Henry. Zum Vermögen in Deutschland vgl. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 12. 123 Der Stand der Barmat-Abwicklung, Frankfurter Zeitung, Nr. 654, 3. 9. 1925. 124 Die Liquidation des Barmat-Konzerns und die Rückversicherer, Berliner

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Börsen-Zeitung, Nr. 420, 8. 9. 1925; Tatbestand und Entscheidungsgründe des Schiedsspruchs vom 2. 11. 1926 in Sachen der Allgemeinen Garantiebank VAG., Berlin, gegen 16 Rückversicherungsgesellschaften, Hamburg am 1. 21926, BAK, N 2359, Nr. 21. Pressestelle des Preußischen Staatsministeriums, Preußen 1928, S. 13; Der Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht an den Preußischen Justizminister, 4. 5. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56542, Bl. 216. Vgl. dazu die Auseinandersetzungen, die sich bis in die 1930er Jahre hinzogen, BAK, R 43II Nr. 1352. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 4. 2. 1925, Bd. 1, S. 464f. Das Gericht vermerkte später, dass der Bremer Staatskommission Empfehlungsschreiben des Postministers Höfle und der Staatsbank geradezu »verdächtig« vorgekommen seien, Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 302; zugleich hieß es, der Beamte der Staatsbank Hellwig habe mit der Zahlungsunfähigkeit und einem Verlust nicht gerechnet, weil Barmat »mit den besten Empfehlungen von drei Ministern eingeführt und, was ein einzig dastehender Fall gewesen sei, vom Präsidenten der Staatsbank persönlich empfangen und als Kunde zugelassen worden sei«, BarmatUrteil des Schöffengerichts 1928, S. 134. Vgl. Vogel, Kreditnot und Finanzskandale, S. 8. Er verwahrte sich dagegen, das Judentum »en bloc und ausschließlich für das, was in letzter Zeit vorging«, verantwortlich zu machen. Angelegenheit Barmat (ca. 1919/20), S. 1f., 7, IISG Amsterdam, Various Manuscripts Germany, Nr. 84: Prozeß Werblowsky; für einen anderen Fall vgl. Nationaal Archief Den Haag, 2. 21. 018, Nr. 1085: Stukken betreffende het optreden van Van Beresteyn als getuige-deskundig bij een proces tussen Ch.H.G.P. Muskens en J. Barmat inzake de betaling van een partij aardappelmeel, 1921. Barmat-Anklageschrift 1926, S. 123. Ebd., S. 122. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 411f. Untersuchungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass dieser Kleinkredit gewährt wurde, vgl. Fräulein v. Papen an den Reichminister Höfle, 15. 8. 1924; Anlage zum Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht I an Justizminister durch den Herrn Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, 20. 4. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 169D XIcE, Nr. 2, Beiheft 1, Bd. 2; vgl. auch PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 16. 6. 1925, Bd. 4, S. 1928. Zum Verfahren vgl. Der Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht an den Preußischen Justizminister, 22. 12. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56544, Bl. 142–144; zu den Anklagepunkten vgl. Der Generalstaatsanwalt an Strafkammer des Landgerichts I, 23. 2. 1926, ebd., Nr. 56547, Bl. 34–69.

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135 Vgl. Staatsanwaltschaft, Zur Anklage Kutisker (wie Anm. 96), Bl. 156f. [Hervorheb. im Original]. 136 Ebd., Bl. 157–159. Das erklärt die harte Bestrafung Kutiskers und die Freisprechung der mitangeklagten Bankbeamten im ersten Kutisker-Urteil; im Revisionsverfahren wurde diese Sichtweise teilweise revidiert, und die Bankbeamten wurden wesentlich kritischer beurteilt. 137 Barmat-Anklageschrift 1926, S. 3. 138 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 126. 139 Ebd., S. 141. Zur gerichtlichen Bearbeitung der Fälle, die nur im Kontext der politischen Ereignisse verständlich werden, vgl. auch unten, 4. Kapitel. 140 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 14. Sitzung, Sonnabend 14. 3. 1925, S. 3f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; schon Ende 1924 verwies der Vorwärts Die Rote Fahne an die Gattin Koenens, die sicher in der Lage sein werde, Näheres über die Beziehung der beiden mitzuteilen, Koenen und Barmat, Vorwärts, Nr. 571, 4. 12. 1924. Barmat brauchte eine Bestätigung, dass die von deutschen Firmen mit der sowjetischen Regierung in Moskau und den einzelnen Sowjetstaaten abgeschlossenen Verträge nach deutscher Auffassung als legaler Handelsverkehr galten, von Maltzan, AA, an Amexima, 12. Juli 1922, Schreiben PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30334, Bl. 242. 141 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 317; offenbar hatte Höfle auch eine Darlehenshypothek des Michael-Konzerns erhalten, ebd., S. 314. »Eine Zuwendung ist erst dann als Geschenk gewährt, wenn der andere Teil sie als Geschenk annimmt. Der Sachverhalt hat aber nicht ergeben, daß Dr. Höfle das Geld als Geschenk in Empfang genommen oder daß er mit einer etwaigen Absicht der Angestellten, es nicht zurückzufordern, gerechnet hat«, ebd., S. 230. 142 Ebd., S. 331; Anwälte Barmats in der Strafsache Barmat & Genossen an Landgericht I, 31. 1. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 342–358, wo auf dieses Heim als soziale Leistung Barmats verwiesen wird. 143 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 324–332. 144 Weber, Politische Preise, politische Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit.

Kapitel 3 Grenzen der politischen Moral: Korruption und Koalitionspolitik 1925 1 Aussage Barmats vor dem Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung, 17. 4. 1925, S. 23, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557. 2 Vgl. die Unterlagen in GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56542. 3 Vgl. dazu Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages, S. 167–186. 4 Für eine Darstellung auch auf der Grundlage der Auswertung der Presse vgl. Fulda, Press and Politics in the Weimar Republik; differenzierter Wein, Antisemitismus im Reichstag, S. 181–224.

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5 Vermerk, Abschrift aus den Generalakten, 15. 2. 1925, geheim, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56542, Bl. 59–60. 6 Der Generalstaatsanwalt beim Landgericht I an den Herrn Justizminister durch den Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, 23. 2. 1925, ebd., Bl. 31–37. 7 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 21. 9. 1925, Bd. 6, S. 2641; System Assessor Kußmann. Regierungsdirektor Weiß sagt aus, Vossische Zeitung, Nr. 448, 22. 9. 1925; vgl. auch unten S. 197–209 (die Schreibweise des Namens Kussmann ist in den Quellen sehr uneinheitlich). 8 Der Barmat-Rummel, Vorwärts, Nr. 573, 5. 12. 1924. 9 Falter, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik, S. 44, 101; Winkler, Schein der Normalität, S. 177–228. 10 Alexander, Carl Severing, Bd. 1, bes. S. 504–605, 718–727. Für die Geschichte der KPD in dieser Zeit vgl. Hoffrogge, Werner Scholem, bes. S. 193–314; zum Tscheka-Prozess vgl. Weber/Bayerlein, Deutschland, Russland, Komintern, bes. S. 68f. 11 Radek, Barmat-Sozialdemokratie, S. 43. 12 An die Arbeiter aller Länder, abgesendet 3. 3. 1925, IISG Amsterdam Komintern Collection 1919–1938, microfilm 6, Nr. 372. 13 Keßler, Arthur Rosenberg, bes. S. 111–114; Ulmer, Antisemitismus in Stuttgart, bes. S. 299–309; Kistenmacher, Arbeit und »jüdisches Kapital«, bes. S. 110–123; vgl. auch Kapitel 5. 14 Zur Strategie der KPD und zu ihrem Antisemitismus vgl. Zadoff, Der rote Hiob, S. 153–179; Hoffrogge, Werner Scholem, S. 206–216; Olaf Kistenmacher, Vom »Judas« zum »Judenkapital«. Die bildliche Darstellung der Korruptionsagitation der KPD verdient eine eigene Untersuchung. 15 Winkler, Schein der Normalität, Kap. 7; Hoffrogge, Werner Scholem, S. 284–313. 16 Falter, Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik, S. 44, 101; Winkler, Schein der Normalität, S. 177–228. 17 Resolution an Präsidium des Preußischen Landtages, 24. 1. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 169D XI CE Nr. 2, Beiheft 3, Bd. 1. 18 Kreislandbund Ruppin: Entscheidung des Ruppiner Landvolkes an den Reichskanzler, 29. 1. 1925, BAB, R 43I, Nr. 662, Bl. 24. 19 Wahlaufruf der DNVP [Dez. 1924], in: Handbuch für den Preußischen Landtag 1925, S. 153–155; vgl. auch Jones, Conservative Antisemitism in the Weimar Republic. 20 Maurer, Ostjuden in Deutschland, bes. S. 436–507; Wein, Antisemitismus im Reichstag, S. 158–170; Reif, Antisemitismus in den Agrarverbänden Nordostdeutschlands, bes. S. 403–409; Geyer, Verkehrte Welt, Kap. 8; ders., Die Sprache des Rechts, die Sprache des Antisemitismus. 21 Staatsministerium des Äußeren an Bayerische Gesandtschaft in Berlin, 8. 1. 1925, BayHStA MA, Nr. 103867.

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22 Denkschrift der Bayerischen Staatsregierung über Missstände auf dem Gebiet der Bewirtschaftung und Verwendung von Reichsgeldern [10. 2. 1925], in: Akten der Reichskanzlei. Die Kabinette Luther I und II, bearb. von KarlHeinz Minuth, Bd. 2, Boppard 1977, Bd. 1, Nr. 20, S. 71–77, 72. 23 Halbmonatsbericht des Regierungspräsidiums der Oberpfalz und von Regensburg vom 16. 1. 1925, BayHStA MA, Nr. 102143, Bl. 1f. (Zitat); Halbmonatsbericht des Regierungspräsidenten von Niederbayern vom 5. 2. 1925, ebd., MA, Nr. 102140, Bl. 2. 24 Halbmonatsbericht des Regierungspräsidenten von Oberfranken vom 4. 3. 1925, ebd., Nr. 102155/2, Bl. 2. 25 Ebd.; Halbmonatsbericht des Regierungs-Präsidiums von Oberbayern vom 1.–15. 2. 1925, ebd., Nr. 102136, Bl. 3. 26 Eine zusammenfassende Darstellung bei Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages, S. 172–173. 27 Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, Vossische Zeitung, Nr. 16, 10. 1. 1925. 28 Der Anti-Korruptionsausschuß, Vossische Zeitung, Nr. 40, 24. 1. 1925; 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß, 3. Sitzung, 23. 1. 1925, S. 5–7, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557. Der SPD-Antrag wurde in dieser Form abgelehnt. 29 Schriftlicher Bericht des Untersuchungsausschusses Barmat (Antrag Drs. Nr. 1087), HStA Dresden, Sächsischer Landtag 1919–1933, Nr. 1747, Bl. 207–212. In Sachsen hatte sich schon 1921 ein Untersuchungsausschuß mit Lebensmittelgeschäften befasst. 30 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, Bd. 7, Drs. Nr. 1481, Anlage C und D. 31 Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, Vossische Zeitung, Nr. 16, 10. 1. 1925. 32 Vgl. die kritischen Analysen und Beobachtungen der liberalen Presse, Tagebuch der Zeit (10. 1. 1925), Das Tage-Buch 6, 1925, S. 37; Bekenntnis des Reichstages zur Mäßigung, Vossische Zeitung, Auslands-Ausgabe Nr. 2, 10. 1. 1925; Frank und Rentenmarkt, ebd., Nr. 8, 21. 2. 1925; vgl. auch Morus [Lewinsohn], Strese, Barmat, Michael, S. 26–29. Auch für das Folgende vgl. Schulze, Otto Braun, bes. Kap. 7 u. 8; Winkler, Der Schein der Normalität, S. 222–234; Möller, Parlamentarismus in Preußen. Alle drei Autoren gehen auch nicht mit einem Wort auf die parallel zu den Koalitionsverhandlungen verlaufende Geschichte des Skandals ein. 33 Zu Richter vgl. seine Aussage in PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 13. 2. 1925, Bd. 1, S. 745; Kleine Anfrage des Abg. Stendel vom 14. 1. 1925, ebd., Bd. 1, Drs. 79J; Alexander, Carl Severing, Bd. 1, S. 730f. (ohne Hinweis auf Barmat); Severing berichtet in seinen Erinnerungen wenig über die massiven Angriffe auf seine Person, vgl. Severing, Mein Lebensweg, Bd. 2, S. 48–51.

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34 Vgl. oben S. 65. 35 Barmat-Hetze im Landtag, Vossische Zeitung, Nr. 24, 15. 1. 1925; Politischer Skandal im Landtag, ebd., Nr. 15, 9. 1. 1925; Die Barmat-Partei, Deutsche Zeitung, Nr. 82, 18. 2. 1925; Sturz der Barmat-Regierung in Preußen, Die Rote Fahne, Nr. 20, 24. 1. 1925. 36 Die Protokolle der Reichstagsfraktion der deutschen Zentrumspartei 1920–1925, bes. Dok. 278–308. 37 Auch für das Folgende vgl. Schulze, Otto Braun, S. 469–471. 38 Sehr allgemein Rösch, »Bestes Witzblatt der Welt« oder »Ware von vorgestern«?. 39 Auch für das Folgende vgl. Schulze, Otto Braun, bes. S. 447–487. 40 Ein Wissender. Wir brauchen einen Justizminister, in: Das Tage-Buch 6, 1925, S. 1014–1016; Schulze, Otto Braun, S. 479. 41 Reichsfinanzminister an sämtliche Reichsressorts, 29. 1. 1925, BAB, R 43I, Nr. 662, Bl. 21. 42 Die Reichsbank und die Reichskreditanstalt waren 1923 in die Vermittlung von Krediten an Barmat involviert gewesen. Im Reich wurde 1925 das Reichsfinanzministerium unter dem DNVP-Minister Otto von Schlieben nach einem Gespräch mit Reichskanzler Luther und Hjalmar Schacht mit der Federführung der Finanzfälle beauftragt, vgl. Staatssekretär in der Reichskanzlei an Reichsminister der Finanzen, 24. 1. 1925, BAB, R 43I, Nr. 662, Bl. 19f. Diese Akten des Reichsfinanzministeriums sind nicht überliefert. 43 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 2. 1925, Bd. 1, S. 391. 44 Vgl auch oben S. 43, auch für das Folgende, nur kursorisch Mühlhausen, Friedrich Ebert, S. 921f. 45 Der Untersuchungsausschuß des Reichstags, Frankfurter Zeitung, Nr. 135, 20. 2. 1925; vgl. Bericht des 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 8. Sitzung, S. 20, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; die ausführliche Aussage Meißners in: PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 29. u. 30. 11925, Bd. 1, S. 388, 392f. Schreiben AA, Toepffer, an Rosen, 6. 5. 1919, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 1, Bl. 46. 46 Telegramm Barmats an Wels vom 15. 5. 1919, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 203331, Bl. 46. 47 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 29. 1. 1925, Bd. 1, S. 391. 48 Ebd., S. 392. 49 Deerberg wollte bezeichnenderweise auch wissen, ob Ebert schon vor dem November 1918 Kontakte zu Barmat hatte, vgl. ebd., 11. 2. 1925, S. 656; zum Magdeburger Prozess vgl. Mühlhausen, Friedrich Ebert, S. 936–966. 50 Bericht des 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 2. Sitzung, (22. 1. 1925), S. 8, und 10. Sitzung, (19. 2. 1925), S. 2, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 565572. Das Reichspräsidialamt wiegelte in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt ab: Der Herr Reichspräsident erbli-

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cke in diesem Vermerk »keine Anweisung« irgendwelcher Art; er habe damit seinerzeit vielmehr »lediglich den ihm von dem Abgeordneten Wels übermittelten Wunsch unterstützen wollen, daß die vom Auswärtigen Amt offenbar bereits zugestandene Erteilung des Sichtvermerks an Barmat beschleunigt werden möge«; demnach handelte es sich um nichts anderes als den üblichen »Büroweg«. Aktennotiz betreffend die Angelegenheit Barmat, Berlin 10. 1. 1925 PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30337, Bl. 20–21. Der Untersuchungsausschuß des Reichstags, Frankfurter Zeitung, Nr. 139, 21. 2. 1925. Bericht des 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 9. Sitzung (20. 2. 1925, Vormittag), S. 8, und 10. Sitzung (20. 2. 1925, Abend), S. 2, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 565572. Der erste Antrag Rosenbergs, ebd., 3. Sitzung 23. (Januar 1925), S. 8. So schon in einer früheren Sitzung, als es darum ging, die frühere Sekretärin ausfindig zu machen, PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 11. 2. 1925, Bd. 1, S. 628. So Erich Kuttner (SPD), ebd., 21. 2. 1925, Bd. 1, S. 792. In seiner Stellungnahme wird alles sehr verklausuliert angesprochen, deutlich wird aber, dass die SPD-Fraktion sehr alarmiert über den Antrag der DNVP war; vorsorglich wollte er gleich noch andere Zeugen aufrufen. Ebd., 23. 1. 1925, S. 838; Aufgebot. Barmat und Reichspräsidenten-Büro, Vossische Zeitung, Nr. 92, 24. 2. 1925. Seine letzten Tage, erzählt von Noske, S. 376; Peters, Friedrich Ebert, S. 110, verweist ohne Quellenangaben auf das Gespräch Noskes mit Ebert, bei dem der Reichspräsident die schmerzlichen Vorwürfe wegen angeblicher Beziehungen zu einer »Maschinenschreiberin« angesprochen haben soll. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 437; Heilmanns Aussage vor dem Ausschuß, Vossische Zeitung, Nr. 58, 4. 2. 1925; Feder, Heute sprach ich mit …, S. 378; vgl. auch Mergel, Parlamentarische Kultur, S. 379. Schlange-Schöningen, Preußengeist gegen Barmatgeist; die Flugschrift Barmat und seine Freunde, Berlin 1925, ist textidentisch mit Kaufhold, Der Barmat-Sumpf, die ebenfalls 1925 im Brunnen-Verlag erschien. Schärfste Opposition der Rechtsparteien, Reichsbote, Nr. 48, 18. 2. 1925; Versucht – es nur! Preußenkrise bis zur Ermattung, Deutsche Tageszeitung, Nr. 86, 20. 2. 1925. Wer ist für Jarres?, Vossische Zeitung, Nr. 130, 18. 3. 1925. Wilson, Ideology and Experience. Siehe oben, S. 64–79; ausführlicher Geyer, Korruptionsdebatten. Geschäft und Politik. Von Schiebergrößen und ihren Gewährsmännern, Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung, Nr. 53, 1. 2. 1925. Zit. nach Mühlhausen, Das rote Parlament, S. 272.

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64 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 29. u. 30. 1. 1925, S. 412–416. 65 Vgl. Verhör Richters am 15. 2 u. 26. 4. 1925, LAB, A Rep. 358–01 Nr. 421, Bd. 1, Bl. 124–16, 128–135; zur Skandalisierung des geselligen Umgangs vgl. auch: Aus dem Barmat-Sumpf. Nervenzusammenbruch und Geständnis Richters, Bergisch-Märkische Zeitung, 8. 7. 1925. 66 Vgl. den Bericht der Staatsanwaltschaft o. Titel, 1. 12. 1925, LAB, A Rep. 358–01 Nr. 421, Bd. 1, Bl. 172–173, worin es hieß, dass trotz des »vorhandenen Verdachts […] eine strafbare Handlung nicht nachzuweisen« sei; Aussage des Chauffeurs Richters Emil Grothe, 28. 1. 1925, LAB, A Rep. 358–01 Nr. 421, Bd. 9 (ohne Paginierung). 67 Aussage Katharina Huber, 5. 2. 1925, S. 2–3, LAB, A Rep. 358–01 Nr. 421, Bd. 1, Bl. 23–24. 68 Polizeipräsident Richter und Frau Barmat, Die Rote Fahne, Nr. 16, 10. 1. 1925; Severing, Erinnerungen, Bd. 2, S. 140. 69 Vgl. oben S. 64; Aussage Barmats vor dem 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung, 17. 4. 1925, S. 5, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557; vgl. Barmatausschuß des Landtags, Frankfurter Zeitung, Nr. 70, 30. 1. 1925. 70 Bauer an den Berliner Lokal-Anzeiger, 4. 1. 1925, BAK, N 2359, Nr. 4; PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 29. u. 30. 1. 1925, Bd. 1, S. 411; für eine zusammenfassende Darstellung vgl. Rintelen, Ein undemokratischer Demokrat: Gustav Bauer, S. 174–175. 71 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 29. u. 30. 1. 1925, Bd. 1, S. 410f. 72 Die Provisionen waren im Zusammenhang mit einem Kredit der Reichsbank an die Amexima entstanden, der sich auf über 6 Milliarden Papiermark belief. Im Streit mit Barmat soll Bauer auf mögliche Gewinne hingewiesen haben, die Barmat aus dem Reichsbankkredit hätte ziehen können. Dadurch schien sich Bauer als geschickter, wenn auch Inflationsspekulant zu entpuppen. Die Angaben über geflossene Zahlungen waren korrekt, wenngleich etwas zu niedrig gegriffen, vgl. den Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft, mit dem die Untersuchungen gegen Bauer zugleich eingestellt wurden, Verfügung o. D., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56567, Bl. 27–34. Bei dem in Rintelen, Undemokratischer Demokrat: Gustav Bauer, S. 236f., zitierten Brief handelt es sich möglicherweise um eine Fälschung; vgl. auch Walter Bahn u. Otto Kamecke an Bauer, 18. 2. 1925, BAK, N 2359, Nr. 4, Bl. 29–32. 73 Bauer suspendiert!, Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 63, 6. 2. 1925. Der Streitfall verlief nicht zwischen Barmat und Bauer, sondern vielmehr zwischen seinen Büros und Bauer; der Brief stamme nicht von ihm, betonte Barmat. Nach Barmat ging es darum, was mit den Provisionen gemacht werden sollte, ob sie verkauft oder in Devisen angelegt werden sollten, vgl. Aussage Barmats vor dem Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung, 17. 4. 1925, S. 18, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557.

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74 Schon der Vorsitzende Leidig hatte Bauer bei dessen Aussage diese argumentative Brücke gebaut, vgl. auch Rintelen, Undemokratischer Demokrat: Gustav Bauer, S. 240f. 75 Verfügung (wie Anm. 72). Offen war dagegen die Strafverfolgung Bauers wegen Devisenvergehen und »Provisionswucher«. Die geschäftlichen Verbindungen mit Barmat vor 1923 tauchen darin nur am Rande auf; es ist nicht klar, ob sie verfolgt wurden, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56567; das von der Staatsanwaltschaft angestrengte Ermittlungsverfahren gegen Bauer wegen Bestechung wurde Ende 1925 eingestellt, da es an »jedem Beweis dafür fehle, daß der Beschuldigte Geschenke usw. erhalten, gefordert oder vereinbart hätte«, Unbegründete Verdächtigungen gegen Heilmann und Bauer, 28. 1. 1928, Amtlicher Preußischer Pressedienst v. 28. 1. 1928 (worin Anschuldigungen der Zeitschrift Fridericus zurückgewiesen wurden), ebd., Nr. 56545, Bl. 166. 76 Vgl. dazu auch oben Kapitel 1. 77 Zu den Angriffen auf Bauer vgl.: Elf Fragen an den Vorstand der SPD. Was die SPD-Arbeiter nicht wissen dürfen, Die Rote Fahne, Nr. 169, 29. 11. 1924; vgl. dazu auch das Schreiben von Heilmann an Bauer, 1. 3. 1924, BAK, N 2359, Nr. 4, Bl. 17–20. Deutlich wird in diesem Brief, dass der Aufsichtsratsposten Bauers in der Internationalen Handelsbank in der Partei umstritten war, was Heilmann, der Bauer nicht sonderlich schätzte, aber nicht nachvollziehen konnte: Marx sei ein »politischer Scharlatan, aber ein sehr harmloser Mensch«. Marx war 1919 wegen des grassierenden Antisemitismus aus der DNVP ausgeschieden. 78 Tagebuch der Zeit (14. 2. 1925), Das Tage-Buch 6, 1925, S. 219–224, 221. 79 Vgl.: Die Leipziger Partei zum Barmat-Skandal, Leipziger Volkszeitung, Nr. 40, 17. 2. 1925. 80 Die Briefe wurden ganz oder in Ausschnitten in der deutschen Presse abgedruckt, Neue Barmatbriefe, Leipziger Volkszeitung, Nr. 105, 7. 5. 1925; tatsächlich hatte sich Wels in verschiedenen Zusammenhängen für Barmat eingesetzt; so sprach er zusammen mit Barmat im Sommer 1923 beim Reichsminister für Volksernährung und Landwirtschaft Hans Luther in Bezug auf Lieferungen von Margarinerohstoffen vor, vgl. Vermerk über Besprechung v. 25. 8. 1923, BAK, N 1009, Nr. 286. 81 Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Bd. 2, S. 200f. 82 Neue Barmatbriefe, Leipziger Volkszeitung, Nr. 105, 7. 5. 1925. 83 Die Leipziger Partei zum Barmat-Skandal, Leipziger Volkszeitung, Nr. 40, 17. 2. 1925; vgl. auch den Artikel in der Weltbühne, Albert Winter, Zeigner und Gürtner, S. 405. Zeigner wurde das Opfer einer Skandalisierung wegen Korruption, die in einen Prozess gegen ihn mündete, vgl. Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 185–213. 84 Auch für das Folgende: Rintelen, Undemokratischer Demokrat: Gustav Bauer, S. 244–247.

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85 Ein neues Parteischiedsgericht über Gustav Bauer, o. O, o. D., [S. 2]. Es handelt sich dabei um das Ergebnis des Schiedsgerichts von 1926, BAK, N 2359, Nr. 4; SPD, Sozialdemokratischer Parteitag 1925, S. 269; Rintelen, Undemokratischer Demokrat: Gustav Bauer, S. 245f. 86 Ohne Titel [Begründung der Beschwerdekommission des Parteitags], o. O. und o. D., S. 3, BAK, N 2359, Nr. 4. 87 Ebd., S. 6; SPD, Sozialdemokratischer Parteitag 1925, S. 269f. (Berichterstatter Buchwitz). 88 SPD, Sozialdemokratischer Parteitag 1925, S. 149f.; ähnlich Gustav Adolf Müller (Leipzig), ebd., S. 167. 89 Rintelen, Undemokratischer Demokrat: Gustav Bauer, S. 246. 90 Heilmann, Noskegarde, S. 22. 91 Zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die sich für die Empfehlungsschreiben Heilmanns und Wels’ sowie die komplizierten Transaktionen mit Anleihen und (im Falle Heilmanns) Aktien, die Barmat vermittelte und die über Konten der Amexima abgewickelt wurden, interessierte, vgl. Bericht der Bücherrevisoren Richard Jonas und Hans Below an Staatsanwaltschaft beim Landgericht I, 16. 2. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 55278, Bl. 21–28. In Deckung gehen im Übrigen auch die Biografen Heilmanns, die die Männerfreundschaft mit Barmat weitgehend ausblenden, vgl. Lösche, Ernst Heilmann; Möller, Ernst Heilmann. 92 Darauf verwiesen die Kritiker, vgl. Barmat und seine Freunde, S. 2; Radek, Barmat-Sozialdemokratie, S. 41. 93 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 435–438, 434; ebd., 4. 2. 1925, S. 460 (Leidig); vgl. auch Barmat-Ausschuß, Frankfurter Zeitung, Nr. 92, 4. 2. 1925 u. Nr. 94, 5. 2. 1925; Barmat bestätigte das selbstlose Engagement, vgl. Aussage Barmats vor dem Untersuchungsausschuß–Kreditausschuß des RT, 18. Sitzung, 17. 4. 1925, S. 18f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56557. 94 Finanzminister von Richter empörte sich noch Jahre später über die Falschaussagen Heilmanns, der Schützenhilfe von Erich Kuttener erhielt, vgl. den persönlichen Brief an Gottfried Zarnow, 9. 5. 1932, BAK, N 1205, Nr. 35. 95 So Bauer in Reaktion auf das Urteil des Prüfungsausschusses, zit. nach Rintelen, Undemokratischer Demokrat: Gustav Bauer, S. 246. 96 Winkler, Schein der Normalität, S. 321–327, bes. S. 326. 97 Eduard David, Agrarproblem im Programm, in: Vorwärts, Nr. 425 und 426, 9. 9. 1925, zit. nach Winkler, Schein der Normalität, S. 323. 98 Schulze, Otto Braun, S. 477–483, 483.

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Kapitel 4 Das System schlägt zurück: Die Grenzen des republikanischen Rechtsstaates 1926–1929 1 Auf solche Dimensionen des verbreiteten Krisendiskurses verweisen auch Föllmer/Graf (Hg.), Die »Krise« der Weimarer Republik; interessanterweise wird dieser Punkt von Siemens, Die »Vertrauenskrise der Justiz« in der Weimarer Republik, im selben Band nicht thematisiert. 2 Die Tumultszenen im Landtag, Berliner Tageblatt, Nr. 78, 21. 2. 1925. Am selben Tag trat die Regierung Marx zurück; Heilmann gegen Stresemann, Vossische Zeitung, Nr. 95, 25. 2. 1925; vgl. auch Wein, Antisemitismus im Reichstag, S. 410–413. 3 Vgl. oben S. 95. 4 Mit dem Fall Stresemann begann die Dresdner Volkszeitung, Nr. 46, 24. 2. 1925, eine Serie mit dem Titel »Leugner und Lügner«, vgl. auch den Artikel in der Weltbühne, Morus [Lewinsohn], Strese, Barmat, Michael; zur Skandalisierung vgl. auch Gatzke, Stresemann und Litwin; Klein, »Der Korruption Vorschub geleistet«. 5 Vgl. Akten der Reichskanzlei. Die Kabinette Luther I und II, Bd. 1, Dok. Nr. 10; zur Geschichte Netzband/Widmaier, Währungs- und Finanzpolitik der Ära Luther, S. 114–118, 258–265. 6 Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages, S. 190– 192; vgl. dazu den umfangreichen Bericht mit einer kurzen Zusammenfassung der komplizierten Zusammenhänge im Bericht des Untersuchungsausschusses (18. Ausschuß) zur Untersuchung der Vorkommnisse bei der Preußischen Landespfandbriefanstalt, Drs. Nr. 670, Sammlung der Drs. d. PrLT, 2. Wahlperiode, 1. Tagung, 1925–1928, Bd. 3. 7 Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages, S. 193– 194. 8 Vgl. oben S. 136; Papen und Barmat, Vossische Zeitung, Nr. 106, 4. 3. 1925. 9 Tagebuch der Zeit (14. 2. 1925), Das Tage-Buch 6, 1925, S. 219–224, 220; vgl. auch Morus [Lewinsohn, Richard], Seehandlung, Aufwertung, Landwirtschaft. 10 Schiff, Höfle-Tragödie. Das Buch erschien im Helphand’schen Verlag für Sozialwissenschaften. Anton Höfle (†). In den Tod gehetzt, Germania, Nr. 183, 21. 4. 1925; dieser Artikel taucht auch auf in der Aufstellung über »Zeitungsartikel, die Gericht und Staatsanwalt verhöhnen«, o. D., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56561, Bl. 105; die weit überwiegende Zahl der Artikel bezogen sich aber auf den Vorwärts und Die Rote Fahne. 11 Vgl. oben S. 109–111. Die Verteidigung argumentierte, dass der Hauskredit für Barmat verzinst wurde (bzw. Höfle davon ausging, dass dies der Fall sei), während die Staatsanwaltschaft der Meinung war, dass allein die Gewährung des Kredits eine Vorteilnahme war, da Höfle wahrscheinlich sonst keinen Kredit bekommen hätte. Haftbeschwerde der Anwälte Als-

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berg/Paschke in der Voruntersuchungssache gegen Dr. Höfle, 8. 4. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 5656 1, Bl. 106–109. So das Gutachten, zitiert im Höfle-Ausschuß, vgl. Der Fall Höfle, Vossische Zeitung, Nr. 213, 6. 5. 1925. Der Höfle-Skandal. Die Regierung schweigt. Die Schuld der Staatsanwälte, Vorwärts, Nr. 194, 25. 4. 1925. Vgl. auch Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages, S. 186–190. Für eine parteiische Gesamtwürdigung vgl. Schiff, Höfle-Tragödie, S. 5. So Brutus (Pseudonym), Anton Höfle, ein deutsches Trauerspiel, in: Die Glocke 11, 1925, S. 750–754. Der Fall Höfle – eine schwere Anklage. Die Untersuchung ergibt unhaltbare Zustände, Vorwärts, Nr. 215, 8. 5. 1925; Das abgepresste Selbstmordgutachten. Schwere Belastung der Staatsanwaltschaft, Vorwärts, Nr. 291, 23. 6. 1925; für eine ausführliche Darstellung vgl. PrLT, Bericht des 22. Ausschusses (Untersuchungsausschusses) über die Prüfung der Durchführung des Strafverfahrens gegen den Reichsminister a. D. Höfle, 11. 7. 1925, Drs. Nr. 930, in: Sammlung der Drs. d. PrLT, 2. Wahlperiode, 1. Tagung, 1925–1928, Bd. 5. Schiff, Höfle-Tragödie, S. 136. Ausführlich zum sogenannten Selbstmordgutachten vgl. ebd. S. 133–140. Darüber war es zu einem schweren Konflikt zwischen dem Referenten im Preußischen Justizministerium Kuhnt und der Staatsanwaltschaft gekommen, was dann auch zum Thema eines offenen Briefs der Deutschnationalen Bacmeister und Leopold in der Bergisch-Märkischen Zeitung vom 19. August 1925 unter dem Titel »Wir lassen nicht locker« wurde. Dieses Thema wurde dann u. a. auch in der 44. und 45. Sitzung des Barmatausschusses, PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 19. u. 21. 9. 1925, Bd. 6, 2563–2663, verhandelt. In diesen Richtlinien wurde die bisherige Praxis zusammengefasst, Ausarbeitung ohne Titel, gez. Lindow, 3. 1. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 6; die gleiche Position nahm auch das Justizministerium ein, vgl. die Äußerung von Wiechmann, 2. 1. 1925, ebd., Bl. 29–31. Amt. Preuß. Pressedienst, Goslar, an Justizminister 2. 2. 1925, S. 3, GStA PK, I. HA Rep. 84a Nr. 56541, Bl 22–24; S. 3; Amt. Preuß. Pressedienst, Goslar, Angriffe gegen die Staatsanwaltschaft, 13. 1. 1925, ebd, Bl. 119; vgl. die Aufstellung ohne Titel, ebd., Nr. 56543, Bl. 24. Der Generalstaatsanwalt bei dem Landgericht I an Justizminister, 23. 2. 1925, ebd., Nr. 56542, Bl. 31–37. Amtlicher Preußischer Pressedienst, In eigener Sache, 20. 1. 1925, ebd., Nr. 56541, Bl. 133. Mangelnder Schutz gegen Presseangriffe. Erklärung von Frantz Linde, 2. 5. 1933, ebd., Nr. 55279, Bl. 80–83; zu Caspary vgl. auch Bergemann/

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Ladwig-Winters, Richter und Staatsanwälte jüdischer Herkunft in Preußen, S. 155f. Auch in offiziellen Dokumenten findet sich oft die falsche Schreibweise »Kußmann« und »Caspari«. Darlegung v. 23. 8. 1928 von Staatssekretär Fritze zum Artikel: Die Barmatfiliale im Rechtsstaat, Deutsche Zeitung, Nr. 185b, 8. 8. 1928, S. 3, ebd., Bl. 239–240. Ein Wissender, Wir brauchen einen Justizminister, Das Tage-Buch 6, 1925, S. 1014–1016. Zum Verhör Casparys vgl. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 30. 6. 1925, Bd. 6, S. 2467–2597. Die Wochenzeitung war gut informiert und druckte viele Dokumente ab. Eine der ersten Darstellungen des Falles aus der Feder der radikalen Rechten, Hagen, Kutisker-Barmat-Skandal, ist sehr weitgehend auf der Grundlage des Fridericus geschrieben. Schiff, Höfle-Tragödie, S. 52; zu Nothmann vgl. auch Bergemann/LadwigWinters, Richter und Staatsanwälte, S. 269. Die Diskussion über die Autonomie der Staatsanwaltschaft gegenüber der politischen Führung ist ein interessanter, hier nicht zu verfolgender Aspekt; zur zeitgenössischen Debatte vgl. allgemein Carsten, Die Geschichte der Staatsanwaltschaft in Deutschland bis zur Gegenwart, bes. S. 79–89, 109–116. Mangelnder Schutz gegen Presseangriffe. Erklärung von Frantz Linde, 2. 5. 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 55279, Bl. 80–83. Insbesondere der Ministerialrat Gottfried Kuhnt und Ministerialdirektor Huber, die dem Staatssekretär Fritze unterstellt waren – alle drei standen der Zentrumspartei nahe –, wurden dafür verantwortlich gemacht. Dr. Kurt Rosenfeld an Preußischen Ministerpräsidenten, 15. 2. 1925, ebd., Nr. 56556, Bl. 6. Justizrat Dr. Werthauer freigelassen, Vossische Zeitung, Nr. 76, 14. 2. 1925; Die Berliner Anwaltschaft beim Justizminister, B.Z. am Mittag, Nr. 44, 14. 2. 1925. Kussmann auf Reisen. Eine kostspielige Jagd auf Glück, Vorwärts, Nr. 142, 25. 3. 1925; Staatsanwalt Kußmann. Hat das Justizministerium nichts zu erklären? Vorwärts, Nr. 152, 31. 3. 1925. Zur Rechtfertigung Kussmanns vgl. Äußerung vom 3. 4. 1926, in: GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56542, Bl. 146–149. Kußmanns Freund Knoll-Kluge, Vossische Zeitung, Nr. 446, 20. 9. 1925. Revisions-Prozeß Kußmann-Knoll, Vossische Zeitung, Nr. 457, 27. 9. 1926; Polizeipräsident Berlin an den Oberstaatsanwalt, 10. Juli 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56543, Bl. 86; Polizeiliche Vernehmung des Bankdirektors (und Segelkameraden) Franz Joseph Weixler, 25. 5. 1925, PA AA, Den Haag, Bd. 141, Bd. 3, Bl. 163–165. Für einen solchen Hinweis auf Ähnlichkeiten von Wenk und Kussmann vgl.: Die beiden Staatsanwälte, Vossische Zeitung, Nr. 356, 30. 7. 1925. Staatsanwalt und Presse, Vossische Zeitung, Nr. 4, 3. 1. 1925.

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37 Im Preußischen Justizministerium wurde eine Liste angefertigt, die Artikel vor allem aus der Germania und dem Vorwärts verzeichnete, die »Gericht und Staatsanwaltschaft verhöhnen«, (ohne Datum), GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56561, Bl. 105. 38 Der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht an Oberstaatsanwalt Linde, 26. 1. 1926, ebd., Nr. 20314, Bl. 141–143; vgl. dazu auch die detaillierten Ausführungen im Entwurf des Schreibens des Justizministeriums, gez. Staatssekretär Fritze, an Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, ebd., Bl. 136–139. 39 Preußisches Justizministerium an Vorsitzenden der 18. Zivilkammer des Landgerichts I, ebd., Nr. 55243, Bl. 197; Darlegung v. 23. 8. 1928 v. Staatssekretär Fritze zum Artikel: Die Barmatfiliale im Rechtsstaat, Deutsche Zeitung, Nr. 185b, 8. 8. 1928, S. 3f., ebd., Nr. 56597, Bl. 239f. 40 Darlegung vom 23. 8. 1925 (wie Anm. 39); Staatssekretär Fritze in: PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 18. 9. 1925, Bd. 6, 2516; System Assessor Kußmann, Regierungsdirektor Weiß sagt aus, Vossische Zeitung, Nr. 448, 22. 9. 1925. 41 Die Untersuchung gegen die Staatsanwälte. Schwerwiegendes Material gegen Kußmann und Caspary, 8 Uhr-Abendblatt, Nr., 175 29. 7. 1925; Die Organisierung der Barmat-Hetze, Schwerindustrielle Geldgeber. Zusammenarbeit politischer Stellen mit der Staatsanwaltschaft, Vossische Zeitung, Nr. 354, 29. 7. 1929. 42 Lohalm, Völkischer Radikalismus, S. 126, 180, vgl. S. 349. 43 Breithaupt, Volksvergiftung 1914–1918; vgl. auch: Aus dem Leben eines Enthüllers, Vossische Zeitung, Nr. 414, 2. 9. 1925; die Unterlagen im Zusammenhang des Rechtsstreits zwischen Kuttner und Breithaupt, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 55274. 44 Der ausführliche Bericht von Weiß in: PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 21. 9. 1925, Bd. 6, S. 2641–2663. Staatssekretär Fritze übernahm für die Untersuchungen die Verantwortung, vgl. Darlegung des Staatssekretärs am 23. August 1928 zum Artikel: Die Barmatfiliale im Rechtsstaat, Deutsche Zeitung, Nr. 185b, 8. 8. 1928, S. 3f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56597, Bl. 239–240. 45 Bilder aus der Preußischen Justiz, Bergisch-Märkische Zeitung Teil I, Nr. 216, 16. 9. 1925; Teil II, Nr. 217, 17. 9. 1925; Teil III, Nr. 219, 19. 9. 1925; Teil IV, Nr. 222 23. 9. 1925. Dabei handelt es mit Sicherheit um ein Gemeinschaftswerk, in das viele nicht öffentliche Dokumente und staatsanwaltschaftliches Insiderwissen einflossen. 46 Wir klagen an, Bergisch-Märkische Zeitung, Nr. 180, 5. 8. 1925; abgedruckt auch in: PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, Bd. 6, S. 2664. Dieser offene Brief war der Auftakt einer ganzen Serie von provozierenden Artikeln, darunter auch: Herr Severing, wie er in Wahrheit ist, Bergisch-Märkische Zeitung, Nr. 218, 27. 8. 1925; Aus dem Reiche des Herrn Severing.

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Die geschützte Korruption, ebd., Nr. 208, 7. 9. 1925; M. E. Moritz, Titanenkämpfe, Rheinische Tageszeitung, Nr. 186, 8. 8. 1925; Ohnmächtige Verleumder. Die neueste Bacmeisterei gegen Severing, Vorwärts, Nr. 403, 27. 8. 1926. So in dem Artikel: Zentrumsanklage gegen deutschnationale Korruption, Vossische Zeitung, Nr. 460, 29. 9. 1925. System Assessor Kußmann. Regierungsdirektor Weiß sagt aus, Vossische Zeitung, Nr. 448, 22. 9. 1925; Kußmanns Freund Knoll-Kluge, ebd., Nr. 446, 20. 9. 1925. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 19. 9. 1925, Bd. 6, S. 2598–2623. Aussage des Polizeidirektors Weiß in: PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 21. 9. 1925, Bd. 6, S. 2645; Polizeiliche Vernehmung des Bankdirektors (und Bekannten Kussmanns) Franz Joseph Weixler (Abschrift), 25. 5. 1925, PA AA, Den Haag, Nr. 141, Bd. 3, Bl. 163–165. Auch für das Folgende vgl. Merkblatt über die Entwicklung und den Stand der Disziplinarverfahren gegen den Gerichtsassessor Dr. Kussmann, den Gerichtsassessor Dr. Caspary und den Landgerichtsrat Peltzer, 24. 1. 1928, mit zwei Ergänzungen o. D., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 55278, Bl. 29–39. Der »fliegende Staatsanwalt« als Angeklagter, Vossische Zeitung, Nr. 163, 7. 4. 1926; Keine Amnestie für Kußmann-Knoll, ebd., Nr. 84, 19. 2. 1926. Diese Äußerung vor dem Schöffengericht, vgl.: Der »fliegende Staatsanwalt« als Angeklagter, Vossische Zeitung, Nr. 163, 7. 4. 1926. Landgerichtsrat Peltzer nicht vereidigt, Vossische Zeitung, Nr. 458, 28. 9. 1926. Das Knoll-Büro vor Gericht, Vossische Zeitung, Nr. 159, 4. 4. 1927. In einem anderen, im sächsischen Plauen verhandelten Fall, in dem es um einen Beleidigungsprozess des Ministers Stresemann gegen einen völkischen Rechtsanwalt namens Müller ging, erkannte der dortige Oberstaatsanwalt Dr. Schaufuß sofort Verbindungen zum Fall Kussmann, mit dem Büro Knoll und dem früheren Staatsanwalt als wichtige Anlaufstellen eines regen Geschäfts. Bacmeister wurde zitiert, wonach Kussmann »für eine Flasche Wein und ein Abendbrot zu haben sei«, was dieser aber, so der deutschnationale Abgeordnete Kenkel, bestritt. Vgl. Neue Justizdebatte im Landtag, Vossische Zeitung, Nr. 234, 19. 5. 1927. Freispruch im Kußmann-Prozeß, Vossische Zeitung, Nr. 164, 8. 4. 1926. Die Urteilsbegründung lag nicht vor. Eine Notiz über den Dienstantritt, Vossische Zeitung, Nr. 395, 21. 8. 1925; Warum Kußmann noch als Richter wirkt, ebd., Nr. 22, 8. 1. 1927. Landgerichtsdirektor Dr. Linde diszipliniert. Disziplinarverfahren gegen Caspary, Kußmann und Dr. Peltzer, Vossische Zeitung, Nr. 500, 22. 10. 1926.

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60 Tatsächlich liegen keine Informationen zur Person Linde vor, außer dass er, wie der Preußische Justizminister mitteilte, diszipliniert wurde, Landgerichtsdirektor Dr. Linde diszipliniert, Vossische Zeitung, Nr. 500, 22. 10. 1926. 61 Die Plädoyers der Staatsanwälte, Vossische Zeitung, Nr. 266, 7. 6. 1928. 62 Kußmann entlassen. Das Urteil des Disziplinarsenats, Vossische Zeitung, Nr. 267, 8. 6. 1926. 63 Für die Staatsanwaltschaft war entscheidend, dass Kussmann zwar die beantragte Höchststrafe erhalten hatte, aber im Fall Müller-Plauen freigesprochen worden war. 64 Milde für Kußmann, Vossische Zeitung, Nr. 227, 16. 5. 1929. 65 Eyck, Die Krise der deutschen Rechtspflege, S. 10. 66 Für das Folgende vgl. bes. Kuhn, Die Vertrauenskrise der Justiz (1926– 1928); Schulz, Der Republikanische Richterbund (1921–1933); Rasehorn, Justizkritik in der Weimarer Republik; Siemens, Die »Vertrauenskrise der Justiz«. 67 Zum Fall Sklarz vgl. oben S. 72–79. Der Verleumdungsprozess, den Georg Sklarz gegen den Herausgeber des Pamphlets Der Rattenkönig anstrebte, endete erst 1926 mit einer Niederlage von Sklarz, vgl. »Rattenkönig«, Das Deutsche Tageblatt, Nr. 77, 1. 4. 1926. 68 Anklage Kuttners: eine Rede bei den Verhandlungen des Justizetats, Vossische Zeitung, Nr. 239, 21. 5. 1921; Kuttner, Warum versagt die Justiz?, S. 23; ders., Bilanz der Rechtsprechung; vgl. auch Ingenthron, Erich Kuttner, S. 226–32. 69 Kuttner, Warum versagt die Justiz?, S. 97. 70 Radbruch, Rechtspflege; Brodauf, Die Organe der Justiz und die Republik, Berliner Tageblatt, Nr. 446, 22. 9. 1921; Angermund, Richterschaft, S. 34; Schulz, Der Republikanische Richterbund. 71 Vorwärts, Nr. 169, 11. 4. 1926; vgl. auch Ingenthron, Erich Kuttner, S. 267. 72 Kuhn, Die Vertrauenskrise der Justiz (1926–1928), S. 169–170. In der Justiz, der Zeitschrift des Republikanischen Richterbundes, häuften sich ab dem Oktober 1925 die Worte »Mißtrauen« und »Justizkrise«, vgl. Schulz, Der Republikanische Richterbund, S. 97. 73 Braun, Am Justizmord vorbei; Hoffmann, Der Fall Hörsing-Haas Magedeburg. Für eine neuere Darstellung vgl. Kölling, Tod eines Handlungsreisenden. 74 Auch für das Folgende vgl. Kuhn, Die Vertrauenskrise der Justiz (1926– 1928), S. 63f. 75 Eyck, Die Stellung der Rechtspflege zu Juden und Judentum, S. 36. 76 Verh. d. PrLT, 2. Wahlperiode, Bd. 14, 13. u. 14. 10. 1926, S. 14194, 14240; vgl. auch Kuhn, Die Vertrauenskrise der Justiz (1926–1928), S. 82; Ingenthron, Erich Kuttner, S. 268f. 77 Kuhn, Die Vertrauenskrise der Justiz (1926–1928), S. 84.

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78 Hoffmann, Der Fall Hörsing-Haas Magdeburg, S. 5. 79 Rechtsanwalt Walter Bahn in der Strafsache gegen Barmat, Berlin 7. 5. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 169D XIcE, Nr. 2, Beiheft 1, Bd. 3; Amtsärztliches Gutachten (Namen nicht lesbar), 3. 10. 1925, ebd., Bd. 4; weitere ärztliche Gutachten und die sich daran anschließenden Überlegungen der Staatsanwaltschaft finden sich in ebd., Rep. 84a, Nr. 56542. 80 Henry Barmat, Die Hinrichtung vor dem Urteil. 81 Das Tagebuch der Zeit (13. Juni 1925), in: Das Tage-Buch 6 (1925), S. 853. 82 Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 3. Der Grund für die Inhaftierung 1926 ist nicht klar; wahrscheinlich hatte sie mit dem Fall Holzmann zu tun, da sich dieser Angeklagte zeitweise ins Ausland abgesetzt hatte. Auch das interne Prozedere ist nicht ganz klar, denn das Kammergericht hatte den Fall an sich gezogen und übernahm im Winter die Anklageerhebung, aber die endgültige Anklageschrift wurde von der Staatsanwaltschaft Berlin I formuliert und unter ihrem Namen publiziert, vgl. Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht an Preuß. Justizministerium, Strafsache gegen Barmat und Genossen, 22. 12. 1925, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56544, Bl. 142–144 (mit weiteren Unterlagen zur Einstellung der Verfahren bei einzelnen Personen in: ebd., Nr. 56547). 83 Gegen Kutisker liefen gleich zwei Verfahren, darunter ein kleinerer Prozess wegen Konkurs- und Devisenvergehen, in den auch die zwei Staatsbeamten Hellwig und Rühe involviert waren, worauf hier im Detail nicht einzugehen ist, vgl. Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 248f.; Kutisker auf der Krankenbahre im Gerichtssaal, 8 Uhr-Abendblatt, Nr. 123, 31. 5. 1925; Kutisker will durchaus ins Gefängnis zurück, ebd., Nr. 203, 1. 12. 1926; Äußerung des Amtsgerichtsrats Herrmann, 31. 12. 1926, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56549, Bl. 25; die Artikel: Kutiskers Ende; Die Todesursache, Vossische Zeitung, Nr. 328, 14. 7. 1927; Woran Kutisker starb. Das Ergebnis der Sektion, Vossische Zeitung, Nr. 332, 16. 7. 1927. Zur Kritik vgl. seinen Anwalt Ferdinand Nübell, Kutisker und die Ärzte; ders., Der Fall Kutisker. Die Entwicklung wurde im Justizministerium beobachtet und man ließ sich Bericht erstatten, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56548–565489. 84 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 12. 10. 1925, Bd. 7, S. 2902, 2908; PrLT, 19. Ausschuß, Untersuchungsausschuß zur Prüfung der preußischen Rechtspflege, Berichterstatter in Sachen Justizrat Dr. Werthauer, Abg. Kuttner, 29. 11. 1932, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56566, Bl. 27; Kutiskers Ende, Vossische Zeitung, Nr. 328, 14. 7. 1927; Morus [Lewinsohn], Strese, Barmat, Michael, S. 27 (Einheitsfront); zum Fall Lubarsch vgl. Akademisches, Berliner Tageblatt, Nr. 360, 2. 8. 1927; Mangel an Takt, Berliner Morgenpost, 28. 9. 1927; Schweigepflicht gegenüber dem Toten? Oberreichsanwalt Ebermayer über den Fall Lubarsch-Kutisker, Vossische Zeitung, Nr. 440, 17. 9. 1927.

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85 Nübell, Der Fall Kutisker, in: Das Tage-Buch, 6, 1926, S. 982–987, S. 983. 86 Die Germania und der Vorwärts werden zit. in: Der Freispruch von BerlinMitte, Vossische Zeitung, Nr. 165, 8. 4. 1926. 87 Ebd. Hinter den Kulissen fand schon Ende 1925 ein ganz anderer Streit statt, da Bethke DNVP-Mitglied mit Verbindungen zur Ring-Bewegung war, Aussage Bethkes v. 1. 4. 1933 u. Aussage Carl Liebers, 20. Juni 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56570, Bl. 4–9, 24–27 (Zitate Bl. 25f.). In der zusammenfassenden Darstellung (Autor nicht lesbar), 28. 6. 1933, ebd., Bl. 34, werden Bethke und Schultze »als sehr weit rechts eingestellt« bezeichnet. Zu Neumann vgl. auch Bergemann/Ladwig-Winters, Richter und Staatsanwälte, S. 268. 88 Im Fall Claß ging es um 1926 aufgedeckte Umsturzpläne gegen die Regierung Luther mit dem Ziel der Schaffung einer Militärdiktatur mit Hugenberg an der Spitze; das Verfahren wurde vom Reichsgericht im Januar 1928 eingestellt, vgl. dazu Schulze, Otto Braun, S. 504–505; Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages, S. 194–198. Vgl. auch Leicht, Heinrich Claß, S. 346–360, bes. 358; Der Barmatprozeß erst 1927, Leipziger Neueste Nachrichten, Nr. 778, 30. 6. 1926. 89 Zarnow, Gefesselte Justiz, Bd. 1, S. 137, 142, 153. 90 Der Kammergerichtspräsident an Preußischen Justizminister, betr. Bewilligung von Hilfsrichtern, 18. 12. 1926, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 41081, Bl. 188–189. 91 Barmatparvkustiksklarz. Die Drahtanschrift einer Muster-Republik, Altpreußisches Wochenblatt, Nr. 23, 4. 2. 1925. 92 Der Fall Kutisker wurde Amtsgerichtsrat Ahlsdorff und dem Gerichtsassessor Duwe übertragen, wobei Letzterer den Vorsitz übernahm; erst das Revisionsurteil erfolgte unter Schultze und dem Landgerichtsrat Löwenstein. Schultze bearbeitete den Fall Holzmann. 93 Die Urteile ergingen am 3. April 1926. Die Berliner Zeitungen berichteten über den Prozessverlauf. Feld hatte nichts mit der Barmat’schen MerkurBank zu tun, so auch Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 250. 94 Problematischer war die Abtrennung der Fälle Holzmann und seiner Komplizen vom eigentlichen Fall Kutisker; vgl. dazu auch die Ausführungen oben S. 121–128. 95 Ausarbeitung (wahrscheinlich für den Amtlichen Pressedienst) ohne Titel, ca. Mitte Januar 1928, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56545, Bl. 155f.; vgl. auch die Meldung zum Barmat-Prozess in: Hachenburg, Juristische Umschau, in: Deutsche Juristen-Zeitung 33, 1928, Sp. 226. 96 So die Meldung des Amtlichen Preußischen Pressedienstes; Zeitungen, die das vermeldeten, vgl. den Artikel: Barmat: 182644, 06 [Mark], Kutisker: 67270,45 [Mark], Berliner Tageblatt, Nr. 286, 20. 6. 1930; wahrscheinlich waren die Kosten aber höher, unter Einbeziehung der Voruntersuchung war Anfang Januar 1928 die Rede von ca. 230000 Mark,

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Ausarbeitung ohne Titel, ca. Mitte Januar 1928, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56545, Bl. 155f. Vgl. auch die kurze Meldung zum Barmat-Prozess in der Juristischen Umschau von Rechtsanwalt Hachenburg, in: Deutsche Juristen-Zeitung 33, 1928, Sp. 226. Ebd., Sp. 570f. Löwenstein, Betrachtungen zum Barmat-Prozeß, Sp. 535, 555f., 557. Die Prozessordnung erlaubte keine Unterbrechung von länger als drei Tagen. Ebd., Sp. 557. Bewer, Lehren des Barmat Prozesses. Das Barmat-Ergebnis, Vossische Zeitung, Nr. 488, 15. 10. 1925. Hachenburg, Juristische Umschau, in: Deutsche Juristen-Zeitung 33, 1928, Sp. 571. Eine zusammenfassende Darstellung bei Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 250f. Eine Ausnahme war der Generaldirektor Carl Walther, der wegen eines Vergehens gegen das Gesetz über private Versicherungsunternehmen mit einer kleinen Geldstrafe von 200 Mark bestraft wurde. Stachel ging in Revision, unterlag dabei aber, vgl. das Revisionsurteil vom 28. 11. 1929, GStA PK, I. HA Rep. 84a 56545, Bl. 287–310. Vgl. den ausführlichen Vermerk v. 4. 4. 1928, ebd., Bl. 200–202. Vgl. dazu unten S. 357. Merkblatt über die dem Verurteilten Kaufmann Julius Barmat gewährte Strafaussetzung, 25. 10. 1929, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 428. Barmat-Urteil des Schöffengerichts 1928, S. 40f. Vgl. oben S. 131f. Vgl. Prozess gegen die Gebrüder Barmat, in: Deutsche Juristen-Zeitung 33, 1928, Sp. 580. Geyer, Verkehrte Welt. Ein Vergleich mit dem Kutisker-Urteil wäre in dieser Hinsicht interessant. Das Barmat-Urteil, Vossische Zeitung, Nr. 154, 30. 4. 1928. Korruption, in: Magazin der Wirtschaft 1, 1925, S. 2–4; Probleme der Woche, ebd., S. 93 (Deutsche Bank); vgl. auch oben S. 129. Remmele, Die maritime Geheimrüstung unter Kapitän z. S. Lohmann. Gute Kunden, Vossische Zeitung, Nr. 170, 11. 4. 1930; Stampfer, Die ersten 14 Jahre, S. 539; von Repkow [Kempner], Justizdämmerung, S. 69–88, S. 89, 101 (im Original fett). Korruption, in: Magazin der Wirtschaft 1, 1925, S. 2–4, 2. Ebd., S. 3; Zur Naturgeschichte des Finanzskandals, Germania, Nr. 29, 18. 1. 1923. Korruption (wie Anm. 115), S. 4; Morus [Lewinsohn], Dawes, Barmat, Thyssen-Wolff; ders., Strese, Barmat, Michael, sowie in vielen anderen Artikeln des Autors; von Repkow [Kempner], Justizdämmerung.

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121 Richard Lewinsohn, der unter dem Namen Morus publizierte, konnte von sich sagen, kritisch über Barmat berichtet zu haben, als der Lokal-Anzeiger »wie vor allen Multimillionären respektvoll die Hände an die Hosennaht legte«, Morus [Lewinsohn], Strese, Barmat, Michael, S. 27. 122 Das Ergebnis, Vossische Zeitung, Nr. 477, 8. 10. 1922. 123 Gasteiger, Westarp; Mergel, Tory-Konservatismus. 124 PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 12. 10. 1925, Bd. 7, S. 2913. 125 Oberfinanzrat Bang, Das Panama, Deutsche Zeitung, Nr. 33, 21. 1. 1925; Rechtsanwalt am Kammergericht Ludwig Flügge, Die soziologische Bedeutung der Barmat-Affäre, Deutsche Tageszeitung, Nr. 81, 18. 12. 1925. 126 Vgl. Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages, S. 195–200. 127 Christoph, Die politischen Reichsamnestien, S. 219–281.

Kapitel 5 Grenzen der Repräsentation: Politisches Theater 1926–1930 1 Das Barmat-Urteil, Vossische Zeitung, Nr. 154, 30. 3. 1928. 2 Zarnow, Gefesselte Justiz, Bd. 1, S. 9; Herzog, Rund um den Staatsanwalt, S. 94–96 (das ganze Gedicht). 3 Mehring, Kaufmann von Berlin. Die folgende Darstellung greift auf die gute Sammlung der Pressestimmen in: Weitz, Dramen, zurück. 4 Alfred Kerr, Berliner Tageblatt, 7. 9. 1929, in: Weitz, Dramen, S. 324. 5 Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 161f. 6 Mehring, Was ist Leichenschändung? Das Tage-Buch, in: Weitz, Dramen, S. 311; Johannes W. Harnisch, Verhöhntes Volk – gehöhnter Staat. Das Symptom Piscatorbühne, Berliner Lokal-Anzeiger, 9. 9. 1929, in: ebd., S. 347; Bar Kochba (Pseudonym), Der Schlosser-Erwin, Der Angriff, März 1929, in: ebd., S. 355f. 7 Der Zusammenhang zwischen dem Anschwellen der Kriegsliteratur einerseits und der politischen und avantgardistischen Theaterliteratur andererseits hat in der Forschung bisher wenig Aufmerksamkeit gefunden, ein Punkt, der hier ebenso wenig verfolgt werden kann wie die Konjunktur von »Zeitstücken« seit der Revolution 1918/19. Zur Kriegserinnerungsliteratur vgl. Müller, Der Krieg und die Schriftsteller; Lehmann, Imaginäre Schlachtfelder. 8 Zu den vielen Merkwürdigkeiten der Literatur zum Kaufmann von Berlin zählt die Tatsache, dass kaum systematische inhaltliche Analysen vorliegen, die über das Vordergründige und vor allem die Kommentierungen Piscators und der Theaterkritik hinausgehen. Vor allem fehlt eine systematische Analyse der Bühnenfassung Piscators. Vgl. die ausführliche Darstellung von Piscator, Das politische Theater, S. 251–260, auf welche die meisten Arbeiten zurückgreifen; unter den neueren Darstellungen vgl. z. B. Bayerdörfer, Shylock in Berlin, S. 307–323; Middendorf, »… gewisse

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Themen bleiben stets tabu«; allgemein: Willet, Die Eröffnung des politischen Zeitalters auf dem Theater; wenig informativ für diesen Zusammenhang ist Hellberg, Walter Mehring. Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 69. Ders., Leichenschändung, S. 313. Carl von Ossietzky, Die Kaufleute von Berlin, Die Weltbühne 25, 1929, in: Weitz, Dramen, S. 298. Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 127. Ebd., S. 162. Franz Köppen, Inflationsrevue bei Piscator. »Der Kaufmann von Berlin«, Berliner Börsen-Zeitung, 8. 9. 1929, in: Weitz, Dramen, S. 343; Bar Kochba, Schlosser-Erwin, Der Angriff, 16. 9. 1929 in: ebd., S. 357. Ossietzky, Kaufleute, in: ebd. S. 297, 305. Walter Mehring an Kurt Tucholsky, o. D., in: ebd., S. 316. Ebd., S. 317. So zumindest Piscator, Das Politische Theater, S. 326 (mit einer wenig zuverlässigen Kommentierung des Herausgebers). Mehring, Leichenschändung, S. 314. Bayerdörfer, Shylock in Berlin, S. 312. Andor Gabor, Zwei Theaterabende, Die Linkskurve, Okt. 1929, in: Weitz, Dramen, S. 306. W. Mehring: »Der Kaufmann von Berlin«, Die Rote Fahne, 8. 9. 1929; Bar Kochba, Schlosser-Erwin, Der Angriff, in: Weitz, Dramen, S. 357. PrLT, Niederschrift des 16. Ausschusses, 3. 2. 1925, Bd. 1, S. 441. Heilmann war sich in Bezug auf das Jahr der »Vorgänge in der Grenadierstraße« nicht sicher, wahrscheinlich meinte er die im November 1923. Der Berliner Polizeipräsident Richter hatte offenbar abgelehnt, diese Gruppe zu empfangen; zu den Unruhen vgl. Large, »Out with the Ostjuden«. Akademisches, Berliner Tageblatt, 2. 8. 1927. Vgl. dazu auch oben S. 218. Auch für das Folgende vgl. Jung-Hofmann, Wirklichkeit, Wahrheit, Wirkung, bes. S. 22–74; Schwaiger, Bertolt Brecht und Erwin Piscator; Müller-Feyen, Engagierter Journalismus, bes. S. 368–383; Laser, Kulturbolschewismus, S. 99–102. Herzog, Rund um Weismann. Staatsanwalt gegen Staatsanwalt; vgl. auch oben S. 79. Herzog, Rund um den Staatsanwalt, S. 77. Vgl. die Ankündigung von neun Veranstaltungen in den verschiedenen Bezirken Berlins in der Zeit vom 16. bis 25. April, Die Rote Fahne, 15. 4. 1925. Eine Besprechung der Stücke findet sich weder in der Roten Fahne noch in anderen Zeitungen. In der Literatur zu Piscator finden sich m. W. keine Hinweise, wohl weil der Meister selbst dieses Thema in seinem Buch Das Politische Theater ansprach. Ein Stück proletarische Bühne, Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, Nr. 3, 1. 1. 1925,

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BAB, R 1507 Nr. 2963, Bl. 43; vgl. auch das mit R.R.R. (Revue Roter Rummel) überschriebene Kapitel VII, Piscator, Das politische Theater, in dem

er aber nicht auf Barmat eingeht. 30 Ausschnitt aus dem Lagebericht Bremen, Nr. 15, 16. 5. 1925, BAB, R 1507 Nr. 2963, Bl. 53. Es handelte sich um eine Veranstaltung der Roten Hilfe. 31 Piscator, Das politische Theater, S. 146. 32 Für Beispiele vgl. Hoffrogge, Werner Scholem, S. 291; Herzog, Stalin über die Lage in Deutschland. Das Interview wurde schon 1925 geführt, vgl. dazu ausführlicher Müller-Feyen, Engagierter Journalismus, S. 350–354. 33 Herzog, Dokumente. Was man so erlebte, S. 105f.; Jung-Hofmann, Wirklichkeit, S. 165f., 198–200 (»unzeitgemäßer Kommunist«); vgl. auch Müller-Feyen, Engagierter Journalismus, S. 391–399. 34 Toller, Hoppla, wir leben! Ein Vorspiel und 5 Akte. In Kilmann kann man die Person Philipp Scheidemanns erkennen; vgl. auch die, wenn auch nicht historische Darstellung bei Jung-Hofmann, Wirklichkeit, S. 200– 226. 35 Zur Kritik: Unsere Veranstaltungen. Die neue Rote Revue, Die Rote Fahne, Nr. 15, 20. 4. 1925; Brecht, Das Epische Theater. S. 56. 36 Zu Piscator und Wolf vgl. Haarmann, Erwin Piscator und die Schicksale der Berliner Dramaturgie, bes. S. 52–71. 37 Piscator, Das politische Theater, S. 254f. 38 Ebd., S. 255. 39 Ebd., S. 253. 40 Mehring, Leichenschändung, S. 315. 41 Ders., Kaufmann von Berlin, S. 175. 42 Ebd., S. 79. 43 Piscator, Das politische Theater, S. 253. 44 Bayerdörfer, Shylock in Berlin, S. 322. 45 Geyer, »Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«. 46 Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 146. 47 Ebd., S. 109f. 48 Ebd., S. 110. 49 Ebd. S. 121. Wie Wolfgang Hardtwig gezeigt hat, sprengten solche populären Mythen auch zeitgenössische akademische Narrationen, vgl. Hardtwig, Die Krise des Geschichtsbewußtseins in Kaiserreich und Weimarer Republik. 50 Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 119. 51 Ebd., S. 121f. 52 Bloch, Erbschaft dieser Zeit, S. 115. 53 Ludwig Sternaux, Berliner Lokal-Anzeiger, »Dreck! Weg damit!, Was Piscator dem deutschen Theaterpublikum bieten kann, in: Weitz, Dramen, S. 346. 54 Harnisch, Verhöhntes Volk, in: ebd., S. 348, 350 (wie Anm.6).

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55 Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 84. Dieser Satz könnte auch von Yuri Slezkine, The Jewish Century, stammen. 56 Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 85. 57 Ders., Leichenschändung, S. 315 (wie Anm. 6). 58 Sprengel, Populäres jüdisches Theater in Berlin. 59 Berg, Kapitalismusdebatten um 1900; ders., Juden und Kapitalismus in der Nationalökonomie um 1900; Penslar, Shylock’s Children, Kap. 4. 60 Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, S. VII, IX. 61 Diese Hinzufügung stammt aus dem Jahr 1920, Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 445; vgl. auch die Anm. des Herausgebers, ebd., S. 448; vgl. auch Weber, Wirtschaftsgeschichte, S. 307. 62 Vgl.: Aus einem Aufsatz des Professors Bredt M.d.R., Calvinismus und Kapitalismus, C.V.-Zeitung 4, 1925 (2. 1. 1925), S. 5. 63 Barmat und Stinnes: Und die Landwirtschaft?, Altpreußisches Wochenblatt, Nr. 23, 4. 2. 1925. 64 Für dezidiert positive Stilisierungen vgl. Jünger, Der Kaufmann von Mülheim; Rosenberg, Offener Brief an Frau Hugo Stinnes. Dieser Deutungskampf um Stinnes zieht sich durch die gesamten Debatten, vgl. auch Geyer, Verkehrte Welt, S. 388–391. 65 Alfred Wieder, Müssen wir »abrücken«? Zum Fall Barmat und Genossen, in: C.V.-Zeitung 4, 1925, S. 157–158; Der Fall Kutisker. Die Schuldigen, ebd., 4, 1925, S. 5. 66 Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 90. 67 Ebd., S. 109. 68 Ebd., S. 134. 69 Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, S. 225–295. 70 Ebd., S. 248. 71 Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 76. 72 Ebd., S. 153; vgl. dazu auch Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, S. 251f. 73 Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 122. 74 Auf die entscheidende Szene (ebd., S. 147) und die Bezüge zum Kaufmann von Venedig ist hier nicht näher einzugehen. Es ist nicht einmal klar, wie und ob diese Szene auf der Bühne gespielt wurde. Auch die Literatur geht mit allgemeinen Hinweisen auf Shakespeare darüber hinweg, vgl. z. B. Bayerdörfer, Shylock in Berlin, S. 313, 320, wobei der Titel dieses Aufsatzes viele Missverständnisse impliziert. Zum Kaufmann von Venedig vgl. auch Fulda, Schau-Spiele des Geldes, S. 81–104; Feinberg-Jütte, »Shylock«. 75 Auch für das Folgende: Hennenberg/Knopf (Hg.), »Mahagonny«; Hermand, Bertolt Brecht und Kurt Weill. 76 Weill, Aktuelles Theater, in: Hennenberg/Knopf (Hg.), »Mahagonny«, S. 166.

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Vorwort zum Regiebuch der Oper, in: ebd., S. 161, 169, 171. Leipziger Neueste Nachrichten, 8. 3. 1930, in: ebd., S. 174. Hennenberg/Knopf, »Mahagonny«, S. 44, 45. Ebd., S. 45. Anmerkungen zu meiner Oper »Mahagonny«, in: ebd., S. 170. Vorwort zum Regiebuch der Oper, in: ebd., S. 168. Zur Uraufführung der »Mahagonny«-Oper, in: ebd., S. 173. Brecht, Verschollener Ruhm der Riesenstadt New York, S. 48f. Ders., Das Theater des Piscator, S. 132; vgl. auch Jung, Erwin Piscator, S. 204, der die Summe mit 400000 Mark beziffert. Mehring, Kaufmann von Berlin, S. 171–173. Vgl. auch Kap. 7. Herzog, Panama. Schaupiel in 9 Bildern; Möller, Panama-Skandal; Frank, Der Panama-Skandal. In diesem Zusammenhang ist das Buch von George Bernanos, La grande peur des bien-pensants (1931), zu nennen; der der Action française zuzurechnende Autor liefert im Kontext seiner dargestellten Geschichte des Panama-Skandals eine heroische Geschichte des Begründers des modernen französischen Antisemitismus Édouard Drumont in seinem Kampf gegen Korruption, »jüdischen Kapitalismus« und die liberalen, international eingestellten »Gutgläubigen« (bien-pensants) des selbstzufriedenen französischen Bürgertums, verkörpert u. a. durch den gewieften Politiker Georges Clemenceau. Über die Rezeption dieses extrem polemischen Buches in Deutschland ist dem Verfasser nichts bekannt. Mollier, Le Scandal de Panama. Herzog, Panama, S. 64 [Auslassungszeichen im Original]; das Thema hat Herzog später weiter verfolgt, unter anderem in ders., Panama. Korruption – Skandal – Trumpf; vgl. auch ders., Der Kampf einer Republik. Herzog, Panama, S. 9–12. Frank, Der Panama-Skandal. Hummel, Um Suez und Panama [das 1939 erschienene Buch erlebte bis 1943 drei Auflagen]; Ganter, Panama. Roman um einen Kanal. Monty Jacobs, Piscators Aufgang und Ende?, Vossische Zeitung, 8. 9. 1929, in: Weitz, Dramen, S. 329f. Goebbels, Die Tagebücher, Teil I, Band 2/1, S. 265. Institut zum Studium der Judenfrage (Hg.), Die Juden in Deutschland, S. 289. Ebd., S. 289, 291, 296. Friedman, L’Image et son juif, S. 10.

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Kapitel 6 Grenzgänger der Vernunft: Die Aporien des politischen Aufklärungsradikalismus 1 Zarnow, Gefesselte Justiz, Bd. 1, S. 5f. 2 Vgl. die Materialsammlung in seinem Nachlass in BAK, N 1205. 3 Zarnow, Gefesselte Justiz, Bd. 1, S. 12; vgl. auch unten S. 72–79. 4 Ebd., S. 6, 9, 11. 5 Die Spuren führen dabei wohl insbesondere zum »Gründerkrach« der 1870er Jahre. 6 Der Michael-Kohlhaas-Kampf des Bücherrevisors Lachmann gegen den Staatssekretär Dr. Weismann, General-Anzeiger für Dortmund und das gesamte rheinisch-westfälische Industriegebiet, Nr. 301, 31. 10. 1932; Philipp Lachmann an Preußischen Ministerpräsidenten z. Hdn. des stellvertr. Reichskommissar Bracht, 20. 10. 1932, S. 19f., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56604, Bl. 24–43. Es handelt sich um eine veränderte Passage aus von Jhering, Der Kampf ums Recht, S. 69. 7 Sendler, Über Michael Kohlhaas – damals und heute; Hoche, Das Rechtsgefühl in Justiz und Politik. 8 In dieser Angelegenheit gab es einen langen Briefwechsel zwischen der Industrie- und Handelskammer Berlin und dem Handelsministerium, der gut zusammengefasst ist in: IHK zu Berlin an Preußischen Minister für Wirtschaft und Arbeit, 24. 1. 1933 (Zitate S. 5), GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56600, Bl. 41–45; Kutisker und die Sachverständigen, Deutsche Zeitung, Nr. 40b, 17. 2. 1927; für eine zusammenfassende Darstellung vgl. auch Bericht des Gegenberichterstatters in Sachen Justizrat Dr. Werthauer, Berichterstatter Abg. Kuttner [SPD], 29. 11. 1932, ebd., Nr. 56566, Bl. 25–47. 9 Philipp Lachmann an Ministerpräsidenten, Otto Braun, 12. 10. 1927, ebd., Nr. 56597, Bl. 123–125, und LAB, A Rep. 358–01, Nr. 270, Bd. 1, Bl. 34–36; Schreiben vom 17. 3. 1931, ebd., Bd. 1, Bl. 22–28. Offener Brief Philipp Lachmanns an Ministerpräsidenten, Bergisch-Märkische Zeitung, 15. 3. 1927; vgl. auch Fragen ohne Antwort, Das Deutsche Tageblatt, Nr. 73, 27. 3. 1927; Wieder einmal »Fall Weismann«: Herr Weismann, wie oft muß man Ihnen Bestechung vorwerfen, bis Sie klagen? Ein Brief an Ministerpräsidenten Braun, Völkischer Beobachter, Nr. 150, 30. 5. 1931. Für eine gute Zusammenfassung mit einer zurückhaltend kritischen Bewertung Lachmanns vgl. Schreiben des Senatspräsidenten am Kammergericht Mühlenfeld an Preußischen Ministerpräsidenten, 29. 10. 1932, betr. Ermittlung in Sachen des Staatssekretärs Dr. Weismann, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56605, Bl. 3–18. Mühlenfeld war beauftragt worden, sich einen persönlichen Eindruck von Lachmann zu verschaffen. 10 Auf diesen für die Korruptionsdebatten der Weimarer Republik wichtigen Handlungsstrang ist hier nicht näher einzugehen. Über Wolff und Weis-

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mann erzählte man sich in Berlin viele Räuberpistolengeschichten, worunter der Vorwurf des exzessiven Karten- und Falschspiels eher noch der harmloseste war. Diese schwer nachprüfbaren Anschuldigungen gingen auch ein in die Darstellung von z. B. Schulze, Otto Braun, S. 379f. Chaplins Erinnerung an den Abend ist eine Slapstick-Geschichte über soziale Förmlichkeiten im Hause Werthauers anlässlich dessen »dritter Verlobung«, Chaplin, Hallo Europa, S. 194–198. Schreiben des Senatspräsidenten Mühlenfeld (wie Anm. 9), S. 5. Schreiben vom 12. 10. 1927 an Otto Braun (wie Anm. 9). Gut zu sehen ist das im Schreiben von Philipp Lachmann an Preußischen Ministerpräsidenten z. Hdn. des stellvertr. Reichskommissars Bracht, 20. 10. 1932, S. 3, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56604, Bl. 24–43. Schreiben vom 26. 5. 1931, LAB, A Rep. 358–01, Nr. 270, Bd. 1, Bl. 37. Lachmann, 20. 10. 1932 (wie Anm. 6), S. 20. Lehmann an Moritz, 21. 7. 1931 u. 29. 9. 1932, BAK, N 1205, Nr. 6. Vgl. Stöckel (Hg.), Die »rechte Nation« und ihr Verleger, darin auch bes. Kirschstein, Lehmanns Verlag im Kampf gegen die Weimarer Demokratie; Jungcurt, Alldeutscher Extremismus in der Weimarer Republik, bes. S. 183–187. Es handelte sich um den Wernigeroder Amtsgerichtsrat Dr. Beinert, der sich als Justizkritiker profilierte, vgl. Beinert, Von der politischen Freiheit in der deutschen Republik. Lehmann an Moritz, 11. 7. 1930 und 11. 11. 1930, BAK, N 1205, Nr. 6. Vgl. dazu oben, S. 210–213. Vgl. den sehr ausführlichen Bericht von Paul Schulz an Justizrat Steinfeld, Zürich 1. Nov. 1934, BAK, N 1205, Nr. 1; Rechtsanwalt Wesnigk (der juristische Vertreter des zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz lebenden Schulz) an Landgericht Berlin, 6. 2. 1936, ebd.; vgl. auch den 1930 bei Lehmann unter dem Pseudonym Friedrich Felgen herausgegebenen Sammelband des Journalisten Götz Otto Stoffregen, Femgericht (1930), der 1928 unter dem Titel Die Femelüge, 1929 in der 2. Aufl. unter dem Titel Oberleutnant Schulz, ein Opfer der Femelüge erschienen war; zu Schulz vgl. Kiesenkoetter, Gregor Strasser und die NSDAP, S. 124–127. Lehmann an Moritz, 26. 7. 1930, 17. 10. 1930 u. 4. 11. 1930, BAK, N 1205, Nr. 6; Dr. Eggemann im Namen von Regierungsrat Dr. Nicolai, Mitglied des Preußischen Landtags, an Preußischen Justizminister, Kommissar des Reichs [sic!], 18. 3. 1933, Rep. 84a, Nr. 12008, Bl. 11; darin hieß es, Zarnow [d. h. Moritz] gehörte nicht der NSDAP an und könne wegen seiner jüdischen Abstammung ihr auch nicht angehören. Lehmann an Moritz, 29. 1. 1931, BAK, N 1205, Nr. 6. Lehmann an Moritz, 4. 12. 1930, ebd. Lehmann an Reichsgerichtspräsident a. D. Simon, 17. 12. 1930, ebd., Nr. 3; Lehmann an Moritz, 17. 12. 1930, ebd., Nr. 6; Lehmann an Moritz, 21. 7.

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1931, ebd., Lehmann verwies auf das Katz-und-Maus-Spiel mit der Zensur des Buches des Chemikers und Alldeutschen Hans Freiherr von Liebig: Die Politik von Bethmann-Hollwegs [sic!]. Eine Studie. Teil I. Das BSystem vor dem Kriege; Teil II. Das B-System im Kriege. Als Handschrift gedruckt. Streng vertraulich. o. O., o. J. (München 1915). Lehmann an Moritz, 18. 3. 1931, BAK, N 1205, Nr. 6. Lehmann an Moritz, 11. 11. 1930 u. 4. 12. 1930, ebd.; vgl. z. B. Schreiben an Walter Simon, 17. 12. 1930, an Konstantin Freiherr von Gebsattel, 25. 2. 1931, an Landrat Ermingard von Brockhusen-Justin, 17. 12. 1930, ebd., Nr. 3. Ebd., 29. 11. 1930 u. 3. 12. 1930; 21. 7. 1931 (Saatgut), ebd., 1932 war von 8000 Nazi-Exemplaren die Rede, ebd., 15. 2. 1932, ebd., Nr. 6; Kiesenkoetter, Gregor Strasser und die NSDAP, S. 125f. Im Nachlass von Ewald Moritz findet sich eine Stellungnahme Hitlers ohne Titel und Datum, ebd., Nr. 3; wahrscheinlich wurde sie von Moritz als Vorlage verfasst. Darin wird Bezug genommen auf Friedrich II., und einmal mehr wird die Staats- und Justizkritik der Konservativen aufgegriffen. Die meisten Exemplare wurden in der Woche vor dem 20. Dezember verschickt, Lehmann an Moritz, 17. 12. 1930 und 20. 12. 1930 und 8. 1. 1931, ebd., Nr. 6. Verleger und Autor haben offenbar einen Teil ihrer Unterlagen zu diesem Thema vernichtet, auch wenn es in der Korrespondenz viele Andeutungen und konkrete Informationen gibt. Zur industriellen Finanzierung allgemein vgl. Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP, bes. S. 117–119; Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, bes. S. 177–181. Neue Propagandawelle der Nazis. Jetzt plant sie den Kampf gegen die »rote Justiz«, 8 Uhr-Abendblatt, Nr. 14, 17. 1. 1931; der erste Artikel trug den Titel: Schieber und Novembermänner in Schwanenwerder, Völkischer Beobachter, Nr. 6/7, 6./7. 1. 1931; Veranstaltungsankündigung, Der Angriff, Nr. 31, 17. 2. 1931; »Die Wirtschaft soll dem Volke dienen«. Zwei Berufene sprechen über nationalsozialistische Regierungsgrundsätze, Der Angriff, Nr. 34, 20. 2. 1931, 1. Beilage; Brief Lehmann an Moritz, 24. 2. 1931, BAK, N 1205, Nr. 6. Vgl. unter anderem die (mit einer Friedrich-Ebert-Briefmarke frankierte) Hitler-Postkarte, deren Poststempel nicht mehr lesbar ist, die u. a. von Adolf Hitler, Paul Schulz, Hermann Göring, Sepp Dietrich, Martin Mutschmann und wahrscheinlich Goebbels unterzeichnet ist, reproduziert in dem Manuskript aus dem Jahr 1979 von Dr. Ullrich Kröger, welches das Leben seiner Mutter dokumentiert (S. 41/42), BAK, N 1205, Nr. 64. So Moritz Ewald mit Blick auf eine Sitzung in der Redaktion der Deutschen Zeitung, Schreiben an Lehmann, 19. 2. 1931, ebd., Nr. 5. Moritz ging Lehmann um Geld an, damit alkoholische Getränke gekauft werden könnten.

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35 Auch im Falle von Stoffregens Buch scheint der Verleger Lehmann Hand angelegt zu haben; denn das »ganze Femebuch« (vgl. Anm. 22), das mit »wenn und aber, sollte, könnte und dürfte« angefüllt war, änderte er in »ist, soll, muß«, damit »aus der Schmach eine Fanfare« wird, Lehmann an Moritz vom 24. 10. 1930, ebd., Bd. 6. 36 Bitteres Verlangen an Rotpreußen, Der Tag, 10. 2. 1931, ebd., Nr. 71. 37 Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages, S. 264f.; Justizminister Schmidt und Graf Kalckreuth, Das Großdeutsche Reich, Der Tag, 31. 2. 1931, ebd. Für die Mitarbeit an dem zweiten Brief stellte Kussmann 75 Mark in Rechnung, Lachmann 42,50 Mark, vgl. Moritz an Lehmann, 10. 4. 1931, ebd., Nr. 5. 38 Zur öffentlichen Resonanz vgl. Lenz, Der Kampf um die »Gefesselte Justiz«, S. 238–246; sehr verkürzt Gründer, Walter Simons als Staatsmann, Jurist und Kirchenpolitiker, S. 271. 39 Victor Fraenkel an Lehmann, 31. 3. 1931 und an Moritz 20. 4. 1931, BAK, N 1205, Nr. 30. 40 Vgl. Gasteiger, Westarp, Kap. 6. 41 Deerberg warnte Zarnow, Vossische Zeitung, Nr. 83, 18. 2. 1931; Das Lügenbuch gerichtet! Reichsgerichtsrat a. D. Simons und Reichsgerichtsrat Müller am Pranger, Vorwärts, Nr. 79, 17. 2. 1931. 42 Lehmann an Moritz, 18. 2. 1931 und 20. 2. 1931, BAK, N 1205, Nr. 6. 43 Lehmann an Moritz, 2. 3. 1931, ebd. 44 Deerberg legt sein Mandat nieder, Vossische Zeitung, Nr. 85, 19. 2. 1931; Abg. Deerberg legt sein Mandat nieder, Frankfurter Zeitung, Nr. 134–36 [sic!], 20. 2. 1931. 45 I. F. Lehmann an Senatspräsidenten Dr. Adolf Baumbach, 24. 2. 1931, BAK, N 1205, Nr. 3; Schreiben Lehmanns an Landgerichts-Direktor Hoffmann, 24. 2. 1931, ebd., Nr. 3a. 46 Zur internen Debatte vgl. Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht an Preußischen Justizminister, 22. 1. 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 55243, Bl. 64–69. Der Generalstaatsanwalt versah die Ausarbeitung seines Kollegen vom Landgericht mit vielen Fragezeichen, vgl.: Der Generalstaatsanwalt bei dem Landgericht I an Preußischen Justizminister, 15. 1. 1931, S. 4, ebd., Bl. 22–58. 47 Moritz an Schulz, 27. 3. 1931, BAK, N 1205, Nr. 1; Lehmann an Moritz, 9. 7. 1931, ebd., Nr. 6; ausführlicher zu den Prozessen vgl. Kirschstein, Weimarer Demokratie. 48 Lehmann an Moritz, 21. 7. 1931, BAK, N 1205, Nr. 6. Die Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens v. 8. 12. 1931 (RGBl. I 699) verschlechterte die Position von Verlegern und Autoren dramatisch. Diese neuen Bestimmungen hingen wie ein Damoklesschwert über dem geplanten zweiten Band, der erst nach weitreichenden, wenn auch nicht

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mehr nachvollziehbaren Korrekturen seitens des Verlags Anfang 1932 ausgeliefert werden konnte. Alle nur möglichen Formen der Geheimhaltung waren erforderlich, um das erwartete und dann tatsächlich auch am 29. Februar erfolgte Verbot in Preußen so lange wie möglich hinauszuzögern. Zum Verbot vgl. Polizeipräsident Berlin an Lehmann Verlag, 29. 2. 1932, BAK, N 1205, Nr. 32. Lehmann an Moritz, 22. 4. 1932, ebd., Nr. 6. Lehmann an Moritz, 27. 2. 1931, ebd. Lehmann an Moritz, 18. 5. 1932, ebd. Über den Vertrieb des Eher-Verlags wurden auch viele Bücher Lehmanns ausgeliefert. Rumpelstilzchen [Adolf Stein], Das Sowieso, S. 119f., vgl. auch Kirschstein, Weimarer Demokratie, S. 190. Zu nennen sind ähnliche andere Fälle, darunter Schaefer, Bestechung und Korruption als Machtmittel der Politik; der Autor stammt aus den Reihen eines älteren politischen Liberalismus. Lehmann an Moritz, 9. 2. 1931 u. 1. 5. 1931, BAK, N 1205, Nr. 6. Lehmann an Schriftleitung von Ludendorffs Volkswarte, 28. 2. 1931, BAK, N 1205, Nr. 6. Der Anlass für dieses Schreiben war der in der Volkswarte erhobene Vorwurf, der Autor sei Jude. Moritz an Lehmann, 2. 1. 1931 und 10. 7. 1931, ebd., BAK, N 1205, Nr. 5; vgl. auch: Antisemitismus. Publizistische Schächtversuche, Deutscher Vorwärts 4. 12. 1931, ebd., Nr. 39. In seinem Lebenslauf aus dem Jahr 1947 (ebd., Nr. 53) behauptet er, Lehmann habe im März 1932 sich selbst und ihn als Parteimitglied angemeldet und die Beiträge bezahlt. Der in der zeitgenössischen Presse sehr unterschiedlich datierte Artikel: Wer hat die Front erdolcht?, Münchener Post, Nr. 202, 1. 9. 1921; vgl. u. a.: Der enthüllte Enthüller. Gottfried Zarnow in tausend Nöten, Der Abend, Nr. 46, 28. 1. 1931; Beim Schwindeln ertappt, Vossische Zeitung, Nr. 63, 6. 2. 1931; Das Lügenbuch gerichtet!, Vorwärts, Nr. 79, 17. 2. 1931. Bauer an Redaktion des Berliner Lokal-Anzeigers, 4. 1. 1925 BAK, N 2359, Nr. 4, Bl. 24–27. Bauer bezog sich mit ziemlicher Sicherheit auf den Bericht eines Vorgesetzten des militärischen Provisionsamtsinspektors Ewald Moritz in der Feldmagazin-Kommandantur an das Kriegsministerium aus dem Jahr 1918, der ihm einen »scharfen Verstand« attestierte und ihn als »Kampfnatur, Besserwisser, rechthaberisch, außerdem sehr nervös, und von einer gewissen Sucht beherrscht, sich durch besondere Leistung hervorzutun, mit seinen Erfahrungen zu prunken und andern zu zeigen, daß sie nichts verstehen«, bezeichnete. Bericht des Ober-Militär Intend. Rat Ziegler an Preußisches Kriegsministerium, Nov. 1918, BAK, N 1205, Nr. 4. Sein angeblicher Artikel in der Roten Fahne findet sich auch nicht in seinen persönlichen Unterlagen. Dafür ist sicher, dass er seit 1925 in Zeit-

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schriften und Zeitungen im rechten und rechtsextremen völkischen Spektrum publizierte. Lehmann an Moritz, 24. 11. 1931, BAK, N 1205, Nr. 6. L. H. [!] Lehmann an Moritz, 7. 5. 1932 u. 18. 5. 1932, ebd., Nr. 6. Schulze, Otto Braun, S. 725–786. Kiesenkoetter, Gregor Strasser und die NSDAP; Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 547–553. PrLT., 4. Wahlper., Drs. Nr. 50; Bd. 1, 3. Sitzung v. 1. Juni 1932, S. 46 – 47. Steffani, Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages, S. 263. Hinzuzufügen ist, dass es verfassungsrechtliche Einwände gegen die Bildung des Ausschusses gab, vgl. Arndt, Untersuchungsausschuß zur Prüfung der preußischen Rechtspflege. PrLT,4. Wahlper., St. B., Bd. 1, 9. Sitzung v. 16. Juni 1932, S. 461; vgl. auch Ingenthron, Kuttner, S. 326. PrLT, Niederschrift über die Verhandlungen des 19. Ausschuß – Untersuchungsausschuß zur Prüfung der preußischen Rechtspflege – I. Niederschrift zum Fall Dr. Weismann, 1. Sitzung 15. 6. 1932; 2. Sitzung 8. 7. 1932, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56607. PrLT, 4. Wahlperiode, St.B., Bd. 1, 8. Sitzung v. 15. 6. 1932, Sp. 399f. Zarnow an Landgerichtsdirektor Hoffmann, 9. 7. 1932, BAK, N 1205, Nr. 2; der Brief an Freisler vom November, auf den sich Moritz immer wieder berief, liegt nicht vor. Vgl. Mißmahl, MdPrLT, an Moritz, 20. 12. 1932, und Antwort 23. 12. 1932, ebd., Nr. 2. Kuttner wehrt sich, Vossische Zeitung, Nr. 64, 7. 2. 1933. Zarnow an Direktor Hubert Maushagen, Chemnitz, 2. 2. 1933, BAK, N 1205, Nr. 2, Bl. 21. Vgl. dazu ausführlich unten S. 331–334. Schreiben des Senatspräsidenten am Kammergericht Mühlenfeld (wie Anm. 9), S. 4f. Philipp Lachmann an Preußischen Ministerpräsidenten General Göring, 20. 4. 1934, in: GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56603, Bl. 10–24. Schreiben Lachmanns an Kommissar des Preußischen Justizministeriums, Herrn Landtagspräsidenten Kerrl, 3. 4. 1933, ebd., Bl. 62–67. Schreiben des Senatspräsidenten am Kammergericht Mühlenfeld (wie Anm. 9), S. 11. Schreiben Lachmanns an Kommissar des Preußischen Justizministeriums, Herrn Landtagspräsidenten Kerrl, 4. 4. 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56600, Bl. 55–57. Lachmann an Göring (wie Anm. 75). von Leers, Juden sehen Dich an, Vorwort o. S. Gedenkbuch. Opfer der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland, Eintrag Philipp Lachmann und Rudolf Cas-

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pary, http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de?result# frmResults [Zugriff: 2. 10. 2017]. 82 Zum Büro vgl. Schulz an Steinfeld (wie Anm. 22), S. 5f.; Ullrich Kröger, Familienchronik (wie Anm. 33), S. 41; Kiesenkoetter, Gregor Strasser und die NSDAP, S. 162–177. 83 Paul Schulz an Justizrat Steinfeld, (wie Anm. 22), S. 9f. 84 Das ausführliche, ziemlich nüchtern gehaltene Urteil liegt als Fotokopie vor, BAK, N 1205, Nr. 1. Zu den Verfahren nach 1940 vgl. ebd., Nr. 16–18. Kapitel 7 Schließungen: Krise des Kapitalismus, Maßnahmenstaat und Ausgrenzungen 1930–1939 1 Dieses Kapitel knüpft an frühere Überlegungen des Verf. an, vgl. Geyer, Grenzüberschreitungen, S. 372–375; ders., What Crisis?. 2 Vgl. Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 296–368, 364 (»Sklarek-Sozialdemokratie«); Harsch, Der Sklarekskandal 1929 und die sozialdemokratische Reaktion. 3 Abelshauser, Die ordnungspolitische Epochenbedeutung der Weltwirtschaftskrise; Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft; Bähr/Banken (Hg.), Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus. Diese ordnungspolitischen Auseinandersetzungen sind letztlich aber nur verständlich, wenn man die Labilität und dann den Zusammenbruch des internationalen politischen und wirtschaftlichen Systems in den Blick nimmt – ein zentraler Punkt, der hier aber nicht verfolgt werden kann. 4 Kleine Anfrage Wiegershaus und Stock (Nationalsozialistische Freiheitsbewegung), Drs. Nr. 113G, PrLT, Drs., Bd. 1., 2. Wahlperiode, S. 172; der Preußische Justizminister wies darauf hin, dass bei einem auf Gewinnsucht beruhenden Verbrechen oder Vergehen das Strafgesetzbuch (§§ 27a und 27c) eine Handhabe biete, dass man aber die Sache an den Reichsminister der Justiz weitergeleitet habe, Antwort v. 29. 2. 1925, Drs. Nr. 172, ebd. S. 214. 5 Deutschvölkische Freiheitsbewegung Halberstadt (soziale Ständegemeinschaft), Ortsgruppe Halberstadt, an Barmat-Ausschuß des Preußischen Landtags, GStA PK, I. HA Rep. 169D XI CE, Nr. 2, Beiheft 3, Bd. 1. 6 Drs. d. RT, Wahlperiode 1924/26, Bd. 404, Nr. 2232; Sten. Ber. d. RT, Wahlperiode 1924/26, Bd. 390, S. 6947 (30. 4. 1928); vgl. auch: Die Maske herunter. Der deutsche Enteignungsantrag im Reichstag, Völkischer Beobachter, Nr. 99, 1. 5. 1926, und die Sondernummer des Völkischen Beobachters (»Was dem deutschen Volk gestohlen wurde«), Nr. 127a, [8.]6.1926. 7 Vgl. das in der Folgezeit immer wieder aufgelegte Buch von Feder, Das Programm der N.S.D.A.P. und seine weltanschaulichen Grundgedanken (1927); auf Feder bezog sich auch die Deutschvölkische Freiheitspartei,

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Allgemeine grundsätzliche Richtlinien der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Deutschland [Dez. 1924], in: Handbuch für den Preußischen Landtag, S. 214; allgemein vgl. Kershaw, Hitler, Bd. 1, S. 190–191; für einen Überblick über völkischen Antikapitalismus vgl. Lange, Antisemitic Elements in the Critique of Capitalism in German Culture, S. 241–296; Geyer, Verkehrte Welt, S. 278–318. Vgl. auch für das Folgende die ausführliche Darstellung bei Schüren, Volksentscheid zur Fürstenenteignung. Ebd., S. 189–196. Goebbels, Die Tagebücher, I, Bd. 1, S. 161, vgl. dazu auch Kershaw, Hitler, Bd. 1, S. 348–359, 354; zu den Debatten in der NSDAP vgl. Stachura, Gregor Strasser, S. 40–60 (ohne dass er auf das Thema »Fürstenenteignung« einginge); Barkai, Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus, S. 25–30; Ahlheim, »Deutsche, kauft nicht bei Juden!«, S. 53–105. Schüren, Volksentscheid zur Fürstenenteignung, S. 157. Kube in Sten. Ber. d. RT, Wahlperiode 1924/26, Bd. 390, S. 6954. »Keinen Pfennig den Fürsten«. Dafür 180 Millionen der internationalen Hochfinanz, Sondernummer des Völkischer Beobachter, Nr. 127a, [8.]6. 1926; Ulmer, Antisemitismus in Stuttgart, S. 311f., der am Beispiel Stuttgarts zeigt, wie sehr sich in dieser Kampagne antisemitische Stimmen artikulierten. Darauf verwies Frick selber; vgl. Sten. Ber. d. RT, Bd. 390, S. 6923. So der Abgeordnete Rosenfeld (SPD), Sten. Ber. d. RT, Bd. 390, S. 6900f. Sten. Ber. d. RT, Bd. 390, S. 6946–6947 (Rosenberg), S. 6952 (Kube). Vgl. z. B.: Die Sparer für Fürstenenteignung. Eine Antwort an Grafen Westarp, Vorwärts, Nr. 144, 17. 6. 1926 (mit Hinweisen auch auf den Reichsgerichtspräsidenten Simons); Gründer, Walter Simons als Staatsmann, Jurist und Kirchenpolitiker, bes. S. 232–46; mit weiteren Belegen Geyer, Recht, Gerechtigkeit und Gesetze. Sten. Ber. d. RT, Wahlperiode 1924/26, Bd. 390, S. 6902f.; zu Rosenfeld vgl. auch Wein, Antisemitismus im Reichstag, S. 369–373. Ebd., S. 6921. So der Abgeordnete Kube, ebd., Bd. 390, S. 6921; Bd. 389, S. 6024f. A [Adolf Stein], Durch Volksentscheid zur Revolution, S. 5, 15. Sten. Ber. d. RT, Bd. 390, S. 6946 (Rosenberg). Ebd., S. 6901 (Rosenfeld), S. 6942 (Schulz-Bromberg), S. 7042 (von Westarp). Ebd., S. 6923 (Frick), S. 6951 (Kube). Ulmer, Antisemitismus in Stuttgart, S. 310–314. So Frick im Juni 1926, Sten. Ber. d. RT, Bd. 428, S. 6521; vgl. Wein, Antisemitismus im Reichstag, S. 412. Reupke, Der Nationalsozialismus und die Wirtschaft, S. 30, 61. Borchardt, Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirt-

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schaftskrise; allgemein vgl. Winkler, Der Weg in die Katastrophe; Büttner, Weimar. Die überforderte Republik 1918–1933, S. 397–485; Hesse/Köster/Plumpe (Hg.), Die Große Depression; Bähr/Rudolph, 1931. 2008. Finanzkrisen; Eichengreen, Hall of Mirrors. Das gilt noch mehr für die USA, wo die Weltwirtschaftskrise eine weit größere Rolle in politischen Debatten, auch der Ökonomen, über Wirtschaft spielt als in Deutschland. Alles nach Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, vgl. oben S. 21–33. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 25; vgl. auch Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft, bes. S. 40–43. So in einem Zeitungsartikel vom 23. Juli 1932, zit. nach Blasius, Carl Schmitt, S. 90f. Auch für das Folgende vgl. Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 141–144. Mußgnug, Reichsfluchtsteuer 1931–1953, S. 17–19; Friedenberger, Fiskalische Ausplünderung, S. 67–78; Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 77f., 140–150; für die Zeit nach 1933 vgl. Kuller, Finanzverwaltung und Judenverfolgung. Mußgnug, Reichsfluchtsteuer, S. 31; Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 140f. Dieser Punkt lässt sich nicht mit Quellen belegen, vgl. auch Geyer, What Crisis?. Als die zweite Verlängerung der Reichsfluchtsteuer anstand, bezog man sich in den internen Debatten auf den konkreten Fall Michael. Vgl. Rundschreiben des Referats Zülow, 17. 1. 1934, u. Anschreiben zum Gesetzentwurf vom 13. 2. 1934, BAB, R 2, Nr. 57129; Friedenberger, Fiskalische Ausplünderung, S. 78. Der Untersuchungsbericht der Frankfurter Staatsanwaltschaft findet sich im Schreiben Zollfahndungsstelle Frankfurt an Präsidenten des Landesfinanzamts Kassel, 31. 10. 1932, LAB A Rep. 358–02, Nr. 94732, Bl. 1–76. Im Zusammenhang mit der sich seit 1930 hinziehenden Diskussion über die Steuerflucht und die Verordnung des Reichspräsidenten gegen die Kapital- und Steuerflucht v. 18. Juli 1931 (RGBl. I S. 373) vgl. die Initiativen der KPD in: Sten. Ber. d. RT, V. Wahlperiode, Bd. 448, Drs. Nr. 40: Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kapitalflucht und Steuerhinterziehung v. 13. 10. 1930; ebd., Bd. 451, Drs. Nr. 1071 – Betr. Vorlegung eines Gesetzentwurfs über Bestrafung der Kapitalflucht ins Ausland mit der Einziehung des gesamten Vermögens der Schuldigen und mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren, v. 15. Juli 1931; ebd., Nr. 1072 – Betr. Verhaftung, Bestrafung und vermögensrechtliche Haftbarmachung der Kapitalschieber v. 15. 7. 1931. In eine ähnliche Richtung zielte der Antrag NSDAP, ebd., Bd. 448, Drs. Nr. 99, Antrag v. 14. 10. 1930, Punkt 4. Der Antrag der SPD, ebd., Nr. 99, der Antrag sah in Punkt 4, eine strengere Durchführung der Gesetze und Verbesserung der Auskunftspflicht der Banken vor.

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39 Zu den internen Debatten über die Kapitalflucht vgl. James, Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924–1936, S. 289–292; ein konkretes Beispiel für die komplizierten transnationalen Vermögensverflechtungen vgl. Derix, Die Thyssens, Kap. 4; für einen kurzen Überblick über die Steuerfluchtgesetzgebung vor 1923 vgl. Lion/Hartenstein, Steuer- und DevisenNotrecht, S. 103f. 40 Mußgnug, Reichsfluchtsteuer, S. 18 (Luther); vgl. den Teilabdruck der Begründung, in: Lion/Hartenstein, Steuer- und Devisen-Notrecht, S. 105. 41 Entwurf eines Gesetzes über Änderung der Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer, 13. 2. 1934, BAB, R 2, Nr. 57129. 42 Citron, Sturz der Industriekönige. 43 Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft; Abelshauser, Die ordnungspolitische Epochenbedeutung. 44 Abraham, Konzernkrach, S. 15f., 192. 45 Brüning, Memoiren, S. 85f.; für andere kritische, die Banken betreffende Äußerungen Brünings vgl. Feldman, The Deutsche Bank from World War to World Economic Crisis, S. 270f. 46 Michael-Bank insolvent, Vossische Zeitung, Nr. 142, 24. 3. 1932; vgl. auch oben S. 119. 47 Germany: Stinnes the Second, Time Magazine, 5. 1. 1925. 48 Auch für das Folgende vgl. Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste. 49 Die Aktien dieses Konzernteils verteilten sich zu einem geringen Teil auf die Vermögensverwaltung Erna Michael und in der Mehrheit auf Unternehmen der J. Michael & Co AG, namentlich die Industrie- und Privatbank AG, die Michael Industrie AG und die Terra AG für Grundbesitz, vgl. Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 123f., 125f. 50 Der Tietz-Konzern hatte mit ca. 140 Millionen einen doppelt so hohen Umsatz wie die Köster AG, vgl.: Das Stände-Warenhaus, Vossische Zeitung, Nr. 587, 9. 12. 1928; Michaels Beamten-Warenhaus, ebd., Nr. 574, 5. 12. 1928; Tietz, Alleinaktionär der Emil-Köster AG, ebd., Nr. 465, 28. 9. 1932. 51 Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei an Abt. I des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Inneren, 12. 5. 193[8], PA AA, Inland II A/B, Nr. R 100023; der kurze Hinweis auf die jüdische Gemeinde bei Kreutzmüller, Ausverkauf, S. 279. 52 Alle Zitate aus: Michael-Bank insolvent, Vossische Zeitung, Nr. 142, 24. 3. 1932. 53 Richard Lewinsohn, Der Eklat, Vossische Zeitung, Nr. 388, 18. 8. 1929; Auch Iduna-Leben verkauft, ebd., Nr. 225, 15. 5. 1929. 54 Ein gutes Beispiel ist das Buch von Hasenack, Unternehmertum und Wirtschaftslähmung (1932), das sich über weite Strecken mit wirtschaftlichem Fehlverhalten auseinandersetzt und in dem sich auch der Hinweis

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auf die »Grenzmoral« findet (S. 22–25). Hasenack, ein führender, junger Vertreter des damals noch neuen Faches Betriebswirtschaft, rechnete sich selbst dem Wirtschaftsliberalismus zu. Präsident des Landesfinanzamtes Kassel an Reichsminister der Finanzen, betr. Devisenstrafsache gegen Jakob Michael und Genossen, Berichterstatter Dr. Römer, S. 59, LAB, A Rep. 058–02, Nr. 94732, Bl. 171–229. Allgemein vgl. Banken, Das nationalsozialistische Devisenrecht als Steuerungs- und Diskriminierungsinstrument. Zur Favag vgl. Feldman, Allianz, S. 38–49. Für das Folgende: Born, Die deutsche Bankenkrise; James, Deutschland in der Weltwirtschaftskrise, S. 275–311; Feldman, The Deutsche Bank from World War to World Economic Crisis, S. 274–276; von Reeken, Lahusen. Für eine knappe Darstellung vgl. Born, Bankenkrise; Bähr/Rudolph, 1931. 2008. Finanzkrisen. Brüning, Memoiren, S. 309. Hasenack, Unternehmertum und Wirtschaftslähmung, S. 129. So John Kenneth Galbraith, zit. nach Partnoy, The Match King, S. II. Vgl. Fiedler, Netzwerke des Vertrauens, S. 102; Feldman, Deutsche Bank, S. 273. Brüning, Memoiren, S. 522. Ebd., S. 309. Ebd., S. 449, 522. Viele Personen in Brünings Umgebung, darunter auch Vertreter von Unternehmen, waren bald von dem »antiwirtschaftlichen Komplex« des Kanzlers irritiert, so der Vertreter der Schwerindustrie in Berlin Martin Blank an Generaldirektor der Gutenhoffnungshütte Paul Reusch, 1. 10. 1931, Politik und Wirtschaft in der Krise 1930–1932, Bd. 2, Dok. 332, S. 1013. Ausführlicher: Geyer, Which Crisis?. Dazu zählt der Fall der Deutschen Evangelischen Heimstättengesellschaft, der Devaheimsparkasse, in der ein guter Teil des Vermögens der (protestantischen) Inneren Mission angelegt war, vgl. dazu auch Brüning, Memoiren, S. 406; Garbe, Kirche und Kredit; Körnert/Grube, Die Deutsche Evangelische Heimstättengesellschaft; Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 378f. Zit. nach Priemel, Flick. Eine Konzerngeschichte, S. 244; Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie, S. 183. Vgl. auch Gehlen/Schanetzky, Die Feuerwehr als Brandstifter. Turner, Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, S. 310–313; Johannes Bähr u. a., Der Flick-Konzern im Dritten Reich, S. 51–52; Saldern, Hermann Dietrich, S. 179–184. Turner, Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, S. 314–316; Conze, Otto Wolff, S. 128–130, geht nicht auf das Engagement des Reichs für Wolff ein. Vgl. z. B. Priemel, Flick. Eine Konzerngeschichte, S. 238, Anm. 72.

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70 Chefbesprechung über die Bankensanierung, 15. 2. 1932, Akten der Reichskanzlei, Kabinett Brüning I u. II, Bd. 2, Dok. 675, S. 2297. 71 So Dietrich in der Kölnischen Zeitung am 26. 6. 1932, zit. nach Akten der Reichskanzlei, Das Kabinett von Papen, Bd. 1, S. 163, Anm. 3. 72 Vgl. Abelshauser, Epochenbedeutung; Haselbach, Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft, bes. S. 40–54. 73 Dazu zählt das Reichsgesetz über das Kreditwesen vom 5. 12. 1934, vgl. Kopper, Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus, S. 26–125. 74 Chefbesprechung über Bankensanierung vom 16. 2. 1932, Akten der Reichskanzlei, Kabinett Brüning I u. II, Bd. 3, Dok. 676, S. 2298; Vermerk des Ministerialrats Feßler über Bankensanierung v. 16. 2. 1932, ebd., Dok. 677, S. 2301. Zum Ausscheiden Curt Sobernheims vgl. Krause, Sobernheim, S. 395f. Was geschäftspolitisch »spekulativ« war, lasse sich, so Krause, kaum realistisch sagen (S. 398). Die Zusammensetzung des Sachverständigen-Komitees von Experten, die das Bankenwesen untersuchen sollte, wirft ein bezeichnendes Bild auf die neue Politik. Born, Bankenkrise, S. 155, erwähnt nur verblüfft, dass Brüning Friedrich Reinhart und »nicht Solmssen, Ritscher, Melchior, Mendelssohn oder Frisch« vorgeschlagen habe, zieht daraus aber keine Schlüsse. 75 Vgl. Ziegler, Kontinuität und Diskontinuität, S. 49; ders., Strukturwandel und Elitewechsel, bes. S. 197–218; ders., Die Verdrängung der Juden aus der Dresdner Bank. Andere wie Emil Stauß, der wegen der Kredite für Katzenellenbogen aus dem Vorstand der Deutschen Bank ausscheiden musste, machte aufgrund seiner politischen Orientierung nach 1933 schnell wieder Karriere, vgl. Wixford, Emil Georg Stauß, bes. S. 408. 76 Der Reichskommissar für das Bankgewerbe Friedrich Ernst, der aus der preußischen Ministerialbürokratie stammte und als »wirtschaftsfreundlich« galt, nahm hier in Zusammenarbeit mit Vertretern von Bürokratien, der Industrie und des Bankwesens eine Schlüsselstellung ein. 77 Dieses wichtige Thema ist hier nicht weiter zu verfolgen. 78 Vgl. dazu auch oben S. 190–194. 79 Klein, Korruption und Korruptionsskandale, S. 472–476, S. 474 (Zitat); Arendt, Die Bonzen im Speck, das Volk im Dreck; Franke, Korruptionssumpf Preußen; Schaefer, Bestechung und Korruption als Machtmittel der Politik; vgl. auch Ahlheim, »Deutsche, kauft nicht bei Juden!«, S. 99. 80 Die Nähe von Kreuger und den Lahusens zur NSDAP waren ein öffentliches Thema, vgl. Richard Lewinsohn, System Kreuger, Vossische Zeitung, Nr. 171, 9. 4. 1932; Lahusen, Die Nordwolle unter unserer Leitung, S. 83; Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S. 129. 81 Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 185–191, bes. 196f. 82 Sitzung des Preußischen Staatsministeriums, 15. 5. 1933, GStA PK, I. HA

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Rep. 84a, Nr. 8520, Heft 28a; Göring verwies hier schon auf Adolf Hitler. Vgl. auch Akten der Reichskanzlei, Die Regierung Hitler, Teil I 1933/34, Nr. 151. Vgl. Schulze, Otto Braun, S. 782f. Diese Attacke hatte bei allen Angegriffenen tiefe Spuren hinterlassen, vgl. u. a. Braun, Von Weimar zu Hitler, S. 446–448; Severing, Mein Lebensweg, Bd. 2, S. 380f. Der Fall war so kompliziert wie kurios. Es ging um die Verbuchung von Spenden, darunter der Industrie, die an die Parteien flossen, die den Reichspräsidenten Hindenburg unterstützten. Reichsfinanzminister Dietrich und der Preußische Innenminister Severing einigten sich, zwei Millionen Mark im preußischen Polizeietat zu verbuchen, vgl. ausführlich Schulze, Otto Braun, S. 783f. Franke, Korruptionssumpf Preußen; Rosten, Vom Bonzentum zum Dritten Reich; Ronau, Die roten Hochburgen. Für einen Überblick zur Diskussion über die nationale Revolution vgl. Bavaj, Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus. Kreutzmüller, Ausverkauf. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in Berlin 1930–1945, S. 128–145; Ahlheim, »Deutsche, kauft nicht bei Juden!«, S. 241–262. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 70– 81; vgl. ausführlich Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 201–215. Zit. nach Horkenbach, Das Deutsche Reich von 1918 bis heute, Bd. 4, S. 107. Der sogenannte Antikorruptionserlass ist abgedruckt in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 49, 1933, S. 84f.; Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 198; ursprünglich hieß es: »[…] sehe ich es als meine Pflicht an, mich an die Spitze der Bekämpfung der Korruption wie aller Volksschädlinge zu stellen«; der kursive Teil wurde gestrichen, vgl. Entwurfsvorlage, o. D., GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 8520, Bl. 3–5. In einem zweiten Durchgang (ebd., Bl. 7–9) wurde »Dezernat« durch »Referat« ersetzt. Es kann nicht gesagt werden, wer den ersten Entwurf erstellte, auch ist es nicht ganz klar, ob Kerrl als Reichskommissar für das Preußische Justizwesen diese Änderungen vorgenommen hat, die Handschrift deutet aber darauf hin. Offenbar wurden die Länder aufgefordert, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen. Das thüringische Justizministerium sah nach Rücksprache mit Gerichten und Staatsanwaltschaften keinen Bedarf in dieser Hinsicht und bat um »stillschweigende Zustimmung«, keine Sonderdezernate einzurichten. Thüringisches Justizministerium an Preußischen Justizminister, 6. 7. 1933, ebd., Heft 28b, Bl. 66. Beim Leiter des Korruptionsdezernats. Eine Unterredung mit Landgerichtsdirektor Krone [sic!] und Ministerialdirektor Dr. Freisler, Der Angriff,

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Nr. 107, 8. 5. 1933, vgl. auch Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 199f. Schenk, Hans Frank, S. 98 (Zitat); Rüther, Entartetes Recht, bes. S. 29–30.; Gruchmann, Justiz, S. 86–92; Geyer, Grenzüberschreitungen, S. 373. Vgl. auch Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 185–200, 233–338. Statistik der Korruptions-Sachen nach dem Stande vom 15. Juli 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 8520, Heft 28b, Dok. 69k. Wahrscheinlich wurden in Magdeburg alte Rechnungen im Zusammenhang mit dem früheren Fall Kölling-Haas beglichen, vgl. dazu oben S. 213–215. Das gilt bis zu einem bestimmten Grad auch für Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 199f.; der Fluchtpunkt ihrer Argumentation ist die Außerkraftsetzung der Verordnung. Fraenkel, Der Doppelstaat; vgl. auch Geyer, Grenzüberschreitungen, S. 376. Rundschreiben des Preußischen Justizministers an Staatsanwaltschaften, 15. 5. 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 8520, Bl. 25–27; Göring als Preußischer Ministerpräsident an Preußischen Justizminister 6. 6. 1933, ebd., Heft 28a, Bl. 38. Er betonte, dass es sich um unberechtigte Eingriffe handle, verwies zugleich aber darauf, dass der Einzelfall geprüft werden müsse; Rundschreiben des Preußischen Justizministers an Gerichte und Staatsanwälte, 2. 6. 1933, ebd., Bl. 32; vgl. auch Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 196. Sitzung des Preußischen Staatsministeriums, 15. 5. 1933, ebd., Heft 28a. Das Schreiben von Hitler vom 31. Mai in: Akten der Reichskanzlei, Die Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, Nr. 151; vgl. auch Rundschreiben des Preuß. Justizministers an Gerichte und Staatsanwälte, 2. 6. 1933, (wie Anm. 97), Bl. 32. Abgedruckt in Horkenbach, Das Deutsche Reich, Bd. 4, S. 381. (RGBl. I S. 769); ganz maßgeblich hatte diese Amnestie der rheinische Rechtsanwalt Friedrich Grimm betrieben, und alles deutet im Übrigen darauf hin, dass die »bremsenden« Äußerungen Hitlers im Mai 1933 auf Grimms Einfluss zurückzuführen waren. Rechtsanwalt Prof. Dr. Grimm, Essen, Denkschrift über die Notwendigkeit einer neuen Befriedigungsamnestie, 24. 9. 1933, GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit 316, Nr. 63, Bd. 3; »Wie Hitler zu Grimm und Grimm zu Hitler kam« (Titelüberschrift), vgl. Grimm, Mit offenem Visier, S. 116–123, 135f.; vgl. dazu auch Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 341–346; Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 329–336. So etwa Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 351, mit Blick auf die Anweisung vom September. Rundschreiben Dr. Crohnes v. 27. 9. 1933 zur Durchführung des Erlasses

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vom 11. 9. 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 8520, Heft 28a, Bl. 85a. Explizit ausgenommen waren alle Fälle, die mit den Krankenkassen zu tun hatten. Zu diesen wichtigen Schauprozessen vgl. Klein, Der Volksverein für das katholische Deutschland 1890–1933, S. 338–386. Jacobs, Rauch und Macht, S. 116–122; Bajohr, Parvenüs und Profiteure, S. 137–140; für den Fall der Berliner Engelhardt-Brauerei, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelte, vgl. Ludwig, Korruption und Nationalsozialismus in Berlin, S. 279–308; für ähnliche Formen der Erpressung vgl. Michel, Günther Quandt (1881–1954), S. 317; wahrscheinlich gilt das auch für Wolff, vgl. Dahlmann, Otto Wolff (1881–1940), S. 291–303, mit knappen Hinweisen nur auf Steuerhinterziehung. Friedenberger, Fiskalische Ausplünderung, S. 53, 56; Spoerer, Demontage oder Mythos?; gerade die Absenkung der Löhne und des Lebensstandards erklären die kompensatorischen Momente des Raubkrieges, ließe sich in Auseinandersetzung mit Aly, Hitlers Volksstaat, formulieren. Grimm, Denkschrift (wie Anm. 100), S. 20f., 25, 28. Ebd. S. 15. In dem in dieser Zeit abgehaltenen Görreshaus-Prozess hielt Grimm eine fulminante, in seiner Denkschrift abgedruckte Verteidigungsrede, in der er die außerhalb der Verantwortung des Einzelnen liegenden Zeitumstände, nämlich den »Prosperitytaumel«, für die Lage verantwortlich machte: Bei dem angeklagten Verlagsleiter, so seine Verteidigung, die leicht auf viele anderen Personen übertragbar war, ging es um einen Mann, »der den Ehrgeiz hatte, in wenigen Jahren die besteingerichtete Druckerei ganz Westdeutschlands zu haben, und diese Einrichtungen in wenigen Jahren auszubauen – mit geborgtem Gelde«. Man könne dem Einzelnen nicht als Schuld anrechnen, die »Prosperity-Zeit falsch vorausgesehen und falsch disponiert« zu haben. Verteidigungsrede im Görreshaus-Prozess, 11. 8. 1933, S. 1, 18, GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit 316, Nr. 3, Bd. 3. Der Hinweis auf den »Prosperitytaumel« findet sich auch in: Grimm, Denkschrift (wie Anm. 100), S. 8f.; ders., Politische Justiz, S. 72. Grimm, Denkschrift (wie Anm. 100), ebd., S. 2, 3, 24 (kursiv im Original unterstrichen). Ebd., S. 28. Landgerichtsdirektor Linde, Der Fall Michael, 2. 5. 1933, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 55279, Bl. 85f. Schreiben vom 1. 7. 1933, zit. nach Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 174, 175–179. Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 180f. Schreiben an Generalstaatsanwaltschaft, 22. 2. 1934, zit. nach Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 181f.

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115 Ebd., S. 184f.; vgl. auch Banken, Das nationalsozialistische Devisenrecht als Steuerungs- und Diskriminierungsinstrument. 116 Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 196–198. Diese Summe wurde in 225 Einzelposten in Form von Grundstücken, Aktien, Gold, Silbersachen und Brillanten aus dem Privatbesitz eingezogen, vgl. Zentral-Finanzamt an Oberfinanzpräsidenten, 24. 5. 1938, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 100023. 117 Vgl. Vermerk, LAB, A Rep. 358–02, Nr. 94734, Bl. 26a. 118 Ranke, Kampf gegen Wirtschaftssabotage, S. 297, 298. 119 Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 150–153. 120 Telefonvermerk von Ministerialrat Zülow vom 2. 11. 1933, BAB, R 2, Nr. 57129; Friedenberger, Fiskalische Ausplünderung, S. 78. 121 Anlage 9: Urteil des Reichsfinanzhofes vom 15. Juli 1933, S. 4, LAB, A Rep. 358–02, Nr. 94733, Bl. 105–110. 122 Anschreiben zum Gesetzentwurf vom 13. 2. 1934, BAB, R 2, Nr. 57129, zit. nach Friedenberger, Fiskalische Ausplünderung, S. 78. 123 Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 150. 124 Staatssekretär Bang, RWM, an Staatssekretär Lammers, Reichskanzlei, 6. 3. 1933, BAK, R 43II, Nr. 134, Bl. 10; für einen kurzen biografischen Abriss von Paul Bang: Jungcurt, Alldeutscher Extremismus, S. 129–132. Auch für das Folgende vgl. Lehmann, »Acht und Ächtung politischer Gegner im Dritten Reich«, S. IX-XXIII, hier S. XI; Hepp, Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–45. 125 RGBl. I 1933, S. 480; erst nach mehreren Anläufen war von »Pflicht und Treue« die Rede: Zunächst hieß es, »falls sie durch ihr Verhalten der Zugehörigkeit zum deutschen Volke unwürdig erwiesen«, korrigiert dann, falls sie sich »in einer den deutschen Interessen abträglichen Weise betätigt« haben, vgl.: Vorläufiger Entwurf, o. D., BAK, R 43II, Nr. 134, Bl. 17. 126 Die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. 11. 1941 (RGBl. I, S. 722) ist von dem Gesetz von 1933 zu unterscheiden. Ohne Prüfung des Einzelfalles verloren damit alle deutschen Juden, die sich im Ausland aufhielten oder dorthin begaben, die deutsche Staatsangehörigkeit. 127 Ein Beispiel ohne Angaben der Zeitung in: GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56600, Bl. 125. 128 Die Listen in: Hepp, Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–45. 129 Aufzeichnung über Besprechung vom 18. 8. 1933 über die 1. Liste der gemäß Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juni 1933 auszubürgernden Persönlichkeiten, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 99638. 130 Geheime Staatspolizei, Biographischer Hinweis zu Johannes Werthauer, o. D., ebd. Werthauer ließ sich in Paris nieder. In Berichten über seine Person war davon die Rede, dass er als Dozent an der Universität in Paris tätig

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war, aber auch, dass er versuchte, von Amsterdam aus Firmen zu gründen, die im Verdacht standen, dass sie »deutsches Emigrantenkapital verschoben«, Berichte des Deutschen Konsulats Rotterdam v. 5. 1. u. 13. 4. 1937, ebd. Benz, »Der ewige Jude«, S. 121. Vgl. unten S. 435. Der Oberbürgermeister der Reichshauptstadt Berlin, gez. Mackensen, an Reichminister des Inneren, 1. 3. 1934, betr. Ausbürgerung, vgl. PA AA, Inland II A/B, Nr. R 100023; für Hinweise auf frühere Interventionen vgl. auch Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 229–232. Die Namen tauchten am 9. 7. 1938 in der 56. Liste der auszubürgernden Personen im Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger auf, vgl. die Unterlagen in PA AA, Inland II A/B, Nr. R 100023. Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 155f. Der entscheidende Bericht kam aus der Schweiz, vgl. Deutsches Generalkonsulat Zürich an AA, 1. 2. 1940; Reichsministerium des Inneren an Auswärtige Amt, 29. 8. 1940, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 100023. Die Korrespondenz in dieser Geschichte des Reichsführers SS mit dem AA und dem AA mit der Gesandtschaft in Den Haag findet sich in ebd., darin auch das Schreiben der Gesandtschaft vom 6. April, in dem von der Liechtensteiner Staatsbürgerschaft die Rede ist. Die Rückkehrabsicht Jakobs zählt zu der zentralen Prämisse von Willems (Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, Teil 2: Jakob Michael, S. 300 u. a.), die selbstverständlich juristische Implikationen hat; ähnlich argumentierten die Anwälte in den Restitutionsauseinandersetzungen in den 1990er Jahren, vgl. Schubert, Zwischen Nachtrag und Liquidation, S. 64f. Dieser Streit braucht hier nicht entschieden zu werden. Man kann auf jeden Fall den Eindruck gewinnen, dass die Michaels seit 1931 mehr als eine Ahnung hatten, wohin die politische Reise in Deutschland gehen würde. Auch Willems, Gutachten zur Frage der Vermögensverluste, S. 127–138, beschreibt einzelne Aspekte dieses komplizierten Arrangements; auch für das Folgende vgl. Pritzkoleit, Die neuen Herren, S. 420–428. Vgl. Schubert, Zwischen Nachtrag und Liquidation, bes. S. 63f. Loomis Taylor an Rechtsanwalt Heinrich Günther, 30. 4. 1942 (Eingangsstempel beim Reichskommissar für Feindvermögensverwaltung 4. 5. 1942), S. 3, BAB, R 83, Nr. 6176, Bl. 26–33; über den Gang der Entwicklung berichtet gut: Zentralamt für Vermögensverwaltung (Britische Zone), Bericht über die Verwaltung der Emil Köster A. G. Berlin Rosenthaler Straße 40–41, Stadthagen 21. 9. 1946, ebd., Nr. 6180. Für einen Überblick vgl. Barkai, Vom Boykott, S. 111–165; für den Prozess des sukzessiven Ausschlusses von Juden aus dem Berliner Wirtschaftsleben vgl. Kreutzmüller, Ausverkauf.

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Kapitel 8 Ein grenzenloser Betrüger? Eine transnationale Geschichte 1929–1934 1 Sozialdemokratische Barmatfeiern in Amsterdam, wahrscheinlich Berliner Lokal-Anzeiger vom 20. 4. 1928; Wie Sozialdemokraten Betrüger ehren, ohne Angaben, BAK, NL 1205, Nr. 29. 2 Vgl. oben S. 226. 3 Merkblatt über die dem Verurteilten Kaufmann Julius Barmat gewährte Strafaussetzung, 25. 10. 1929, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56541, Bl. 428. 4 Der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht an Preußischen Justizminister, 25. 2. 1933 und 16. 3. 1933, ebd., Nr. 56545, Bl. 362–364, 367. 5 Meldebogen des Brüssler Stadtteils Saint-Josse-ten-Noode, 27. 1. 1930; Meldebogen Commune de Woluwe-St-Lambert, 15. 5. 1932, AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 13444/1. Rätselhaft ist nicht die Angabe seines letzten Wohnsitzes in der Aschaffenburgerstraße 19 in Berlin, sondern der Eintrag unter der Rubrik »domicil légal en étrangère«: »Moscou (Russie)« sowie die Nationalität russisch; davor und danach gab Barmat immer »Ukraine« und »staatenlos« an. 6 Bericht an den Chef der Polizei, Amsterdam, 30. 5. 1933, S. 2; dieser Bericht wurde am 16. 6. mit einem weiteren ausführlichen Bericht an den Justizminister weitergeleitet, StA Amsterdam, 5225, Nr. 4368. In diesem Aktenkonvolut mit dem Titel »Stukken betreffende de Duits-Russische bankzwendelaars Julius en Henri Barmat« [Akten betreffend die deutschrussischen Bankbetrüger Julius and Henri Barmat] findet sich eine Fülle von vielfach als geheim klassifizierten Informationen, auf die folgende Darstellung zurückgreift. 7 Petitjean an Justizminister, 27. 1. 1932, mit einem angefügten 5-seitigen Schreiben ohne Titel, das die Barmats betrifft, AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 1509874; vgl. die Aufstellung mit dem Titel: Interventionen des Ministers Petitjean, ebd., 1344/2. 8 Vermerk o. Titel, von P. de Foy, 18. 6. 1931; George Hatherill, New Scotland Yard, an die Sûreté Publique (Ausländerpolizei), 18. 6. 1931, ebd., Sûreté Publique. 9 Gerichts-Sitzung, gehalten den 28./29. 6. 1934, Präsidium Josef Signer, Straffall: Karl Enzler, Josef Bischof, F. Strittmatter, Henry Barmat, LA Appenzell, E32. 03. 01 1934–36, Kantonsgerichtsprotokolle (zitiert: GerichtsSitzung 28./29. 6. 1934), S. 23–47, 35f. (Plädoyer der Verteidigung). Die folgende Darstellung stützt sich im Wesentlichen auf dieses Protokoll sowie auf: Das Straf-Urteil des Appenzell I.-Rh. Kantonsgerichtes im Bankprozeß gegen Karl Enzler und Consorten, Mitgeteilt von der Kantonalverwaltung (zitiert: Straf-Urteil) in: Appenzeller Volksfreund, Amtliches Publikations-Organ für den Kanton Appenzell I-Rh., Nr. 108, 8. 9. 1933 (hier auch der Hinweis auf den Sohn des Bankdirektors); ausführlich auch:

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Kantonale Polizeidirektion, Tatbestand, 1. 5. 1933, AGR Brüssel, Minstère de la Justice, Nr. 1509874. Die Schweizer Untersuchungs- und Gerichtsakten lagen dem Verf. nicht vor. Vgl. Geyer, What Crisis?. Gerichts-Sitzung 28./29. 6. 1934 (wie Anm. 9), S. 25. Ebd. Dazu zählte, dass Enzler einen kleinen Teil dieser Obligationen Strittmatter gab, um sie bei einer Großbank im nahe gelegenen St. Gallen »zu Geld zu machen«, wobei der geschäftige Strittmatter ein Drittel des Gesamterlöses »für sich ad sacrum« zur Deckung privater Schulden einstrich, ebd., S. 28. Die Auflistung der einzelnen Verpflichtungen in ebd., S. 29–31; zur Höhe der Gesamtverpflichtungen vgl. Sitzung der Standeskommission am 24. 6. 1933, LA Appenzell, E 4. 21. 01, Standeskommission Protokolle 1933, S. 140. Fotokopien der von Enzler unterschriebenen Verpflichtungen finden sich in: BNB Brüssel, Nr. C795. Im Urteil (wie Anm. 9) wird dieser wichtige Teilaspekt der Tat Enzlers interessanterweise nicht erwähnt. Regierungen der beiden Halbkantone Appenzell (Hg.), Appenzeller Geschichte, Bd. 3, S. 606; Denkschrift zum 50jährigen Jubiläum der Appenzeller-Innerrhodischen Kantonalbank, S. 115f. Eine Abschrift des angeblich manipulierten Schreibens vom 14. 9. 1932 findet sich in BNB Brüssel, Nr. C795. Dabei ist der Form nach nicht ersichtlich, ob nachträglich Hinzufügungen vorgenommen wurden. Abschrift des Schreibens vom 26. 9. 1932, BNB Brüssel, Nr. C795. Vgl. Strafurteil (wie Anm. 9). Henri Barmat in vrijheid gesteld, Het Vaderland, 13. 5. 1933 (Abendausgabe); De vrijlating van Henri Barmat, Het Vaderland, 15. 5. 1933 (Abendausgabe). Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass er die diversen finanziellen Verpflichtungen in Millionenhöhe, die Enzler in Appenzell für die Kantonalbank unterschrieben hatte, herausrückte und im Gegenzug die Auslieferungsforderung fallengelassen wurde (was im Übrigen auch zu erklären vermag, dass dieser wegen der Höhe des Schadens höchst explosive Aspekt des Falles im publizierten Gerichtsurteil von 1934 kaum Erwähnung fand). Sûreté Publique, Note pour le Cabinet de Monsieur le Ministre, 29. 6. 1933, AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 1509874. Dieser undurchsichtige Strang der Geschichte, der nach Deutschland und Frankreich führt und der den Schweizern noch einigen Ärger bereiten sollte, wird hier nicht weiter verfolgt. Gerichts-Sitzung 28./29. 6. 1934 (wie Anm. 9), S. 41. Zu den erforderlichen Rückstellungen vgl. Denkschrift zum 50jährigen Jubiläum in der Appenzeller-Innerrhodischen Kantonalbank, S. 115; Sitzung der Standeskommission 10. 12. 1932, LA Appenzell, E 14. 21. 01, Standeskommission, Protokolle, 1932, S. 242.

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23 Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts in Sachen Belgische Nationalbank gegen Appenzeller-Innerrhodische Kantonalbank in Appenzell, Sitzung am 28. 2. 1939, BNB Brüssel, Nr. C793. 24 Kantonale Polizeidirektion, Tatbestand, 1. 5. 1933 (wie Anm. 9), S. 7. 25 So der Titel einer von der Belgischen Nationalbank erstellten Übersicht, o. D., BNB Brüssel, Nr. C795. 26 Sûreté Publique, Note pour le Cabinet de Monsieur le Ministre (wie Anm. 19). 27 Geyer, Which Crisis?; Eichengreen, Hall of Mirrors. 28 Auch für das Folgende: Affaires Goldzieher & Penso, Noorderbank, Appenzell-Innerrhodische Kantonal Bank, ca. 1938, S. 6f., S. 9, (im Folgenden zitiert: Bankinterner Bericht), BNB Brüssel, Nr. D306. 29 Dazu das Memorandum Méthodes a suivre sans aucun engagement, 7. 11. 1931, abgedruckt, in: Jean Laisnez, Annexes au rapport d’expertise. Affaires Banque Goldzieher & Penso & Noorderbank, Juli 1936, S. 37, BNB Brüssel, Nr. D306. Es liegt ein ausführlicher Bericht mit dem Titel »Affaire Barmat« in Form von Tagebucheinträgen mit teilweise sehr genauen Zeitangaben für die Zeit vom 8. 9 bis zum 5. 11. 1932 vor, ebd., Nr. C795. 30 Vgl. Laisnez, Rapport Goldzieher et Penso (1934) (wie Anm. 29); ders., Annexes au rapport d’expertise (1936), ebd., Nr. D306. Die Gutachten bieten einen Steinbruch von Informationen mit vielen Fakten, Zahlen, Zitaten und einer Reihe von wichtigen Quellen. Die Schlussfolgerungen der Staatsanwaltschaft, deren Akten nicht vorliegen, sind nicht bekannt. In der Bank von Belgien wurde wahrscheinlich erst 1937 ein »Dossier ›Barmat‹« angelegt, BNB Brüssel, Nr. F319/1. Vgl. auch Affaire Goldzieher & Penso, Rapport à Monsieur le Ministre de Finance, IISG Amsterdam, De Man Papers, Nr. 506; Bankinterner Bericht (wie Anm. 28). 31 Der Kauf erfolgte durch einen Bernard Rabinowitz (nicht zu verwechseln mit Julius Rabbinowitz, der aus dem deutschen Fall bekannt ist), R. de Foy an General Consul der Niederlande, van Romburgh, Jan. 1934, AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 1513444/1. 32 Audience de jeudi matin (hier die Aussage von Louis Franck), Le Soir (Brüssel), 29. 10. 1937; Vermerk (nach einem Gespräch mit Étienne) o. Titel, von P. de Foy, 18. 6. 1931, AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 1509874. 33 Der Staatsanwalt ging davon aus, dass Gyseling selbst den Kontakt zu Barmat aufnahm. Le défilé des témoins au procès Barmat, La Nation Belge, 31. 10. 1937. 34 Laisnez, Rapport Goldzieher et Penso (wie Anm. 29), S. 4. 35 Ebd.; dieses Thema wurde im Prozess ausführlich debattiert, vgl. Le procès Barmat devant la 20ième chambre correctionnelle. L’audience de vendredi (darin die Ausführungen des Staatsanwalts), La Nation Belge, 13. 11. 1937. L’audience de vendredi matin, Le réquisitoire, Le Soir (Brüssel), 13. 11. 1937; Audience de vendredi matin. La Partie civile, Le Soir (Brüssel),

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6. 11. 1937; Vendredi le tribunal a entendu la plaidoirie de Me Hayooit de Termincourt pour la partie civile van Stein, La Nation Belge, 6. 11. 1937; die Aussage des Experten Laisnez bei L’audience de samedi au procès Barmat. La 20ième chambre a entendu samedi un discussion d’experts, La Nation Belge, 7. 11. 1937, vgl. auch unten S. 412–414. L’Interrogatoire des prévenus (Gyseling, Loewenstein, de Vreese), Le Soir (Brüssel), 5. 11. 1937. L’affaire Barmat. Audience de jeudi matin, Le Soir (Brüssel), 29. 10. 1937. Bankinterner Bericht (wie Anm. 28), S. 6f. Die Aussage von Löwenstein wurde sowohl von Franck wie auch Petitjean bestritten; L’affaire Barmat. Audience de jeudi matin, Le Soir (Brüssel), 29. 10. 1937; zur Rechtfertigung Francks vgl. Louis Franck, Les Incidents de la Banque Nationale de Belgique, bes. S. 20. L’affaire Barmat. Audience de jeudi matin, Le Soir (Brüssel), 29. 10. 1937. Bankinterner Bericht (wie Anm. 28), S. 11. Bericht vom 30. 5. 1933 in Verbindung mit dem Bericht vom 16.6. (wie Anm. 6), S. 6. Im Raum standen Schadensersatzforderungen zum einen der Schweizer, die später mit 11000 SFr, und zum anderen der Nachlassverwalter der beiden Barmatbanken, die 1938 mit 47 Mio. BFr beziffert wurden. Vgl. dazu den ausführlichen Bankinternen Bericht (wie Anm. 28). Für einen guten Überblick über die Positionen der beiden Banken vgl.: In Sachen der Banque Nationale de Belgique gegen die Appenzell-Innerrhodische Kantonalbank in Appenzell, betr. Forderung (1936) (im Folgenden zitiert: In Sachen der Banque Nationale), LA Appenzell, E 32. 04. 01, Bezirksgerichts-Protokolle 1936, S. 5–41, 17, 24f. Ausgaben der in Brüssel herausgegebenen Réalités finden sich im Kantonalarchiv Appenzell-Innerrhoden. Die Berichterstattung begann am 12. April mit substanziellen Artikeln, die sich auf die Ergebnisse eines für die Staatsanwaltschaft erstellten Untersuchungsberichts stützten. Zu Marthe Hanau vgl. Desanti, La banquière des années folles. Über die angeblichen Verbindungen der Réalités zu Marthe Hanau ist in unserem Fall nichts bekannt. Le tribunal a entendu Samedi la première plaidoirie de la défense, La Nation Belge, 13. 11. 1937. Bericht der Sûreté Publique, 5. 12. 1934, Generalstaatsarchiv AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 1334, darin die Sammlung mit dem Titel Réalités Economiques et Financières. Les débuts de Barmat. Son activité en Hollande, Je suis Partout, 11. 6. 1932; Marcel Chaminage, Les icares de la finance. Jules Barmat, ebd., 16. 6. 1932. Diese Artikel wurden in den Akten der Belgischen Polizei gesammelt, der erste davon als genaue Zusammenfassung der Tatbestände; sie wurden mit dem Stempel »geheim« versehen, AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. A13444/1. Der chilenische Botschafter in Brüssel behauptete,

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dass die Barmats über Guiboud-Ribaud 10000 Fr. bezahlt hätten, damit die Zeitschrift die Kampagne stoppe, vgl. Vermerk über ein Treffen mit dem chilenischen Botschafter Baldes de Mendeville, 9. 9. 1932, S. 4, AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. A13444/1. So in einem Artikel vom 13. 9. 1930 in seiner 1927 erworbenen Zeitung L’Ami Du Peuple; vgl. auch die Artikelserie François Cotys: Les financiers qui mènent le monde. On étrangle un grand pays, comment on veut étrangler les hommes qui se dressent pour le protéger et l’éclairer. Un cas unique de légitime défense, L’Ami Du Peuple, 18. 2. 1934; 20. 2. 1934; 21. 2. 1934; 23. 2. 1934; 24. 2. 1934; 28. 2. 1934; 29. 2. 1934, gesammelt in: AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 1334; darin der Akt »Divers« (Articles de la Presse). Auch Cotys vormals profitable Unternehmen, darunter defizitäre Zeitungen wie der Figaro, kamen nach 1929 ins Schleudern, vgl. Duménil, Parfum d’Empire. Desanti, La femme aux temps des années folles; Bonin, Oustric, un financier prédateur; Berstein, Le 6 février 1934, S. 93. Vgl. Jankowski, Stavisky; Berstein, Le 6 février 1934, S. 91 (Zitat); Bon, L’ affaire Stavisky. Berstein, Le 6 février 1934, S. 92–96, S. 97 (Zitat: Action française); Soucy, French Fascism. Zu den Ereignissen vgl. Berstein, Le 6 février 1934; Tartatowsky, Les manifestations de rue en France, Kap. 1 u. 2. Für die Diskussion in der Nationalversammlung vgl. Bruttmann/Joly, La France antijuive de 1936. Für einen Überblick über die Debatten, ob die radikale französische Rechte den faschistischen Bewegungen zuzurechnen ist, vgl. Soucy, French Fascism, bes. S. 8–25. Harcobard [Jean Bardanne], Stavisky-Barmat. L’escroquerie et l’espionage marchent en pair, Le Jour (Paris), 31. 3. 1934; ders., Stavisky à Berlin, ebd., 3. 4. 1934; ders., Comment Stavisky s’appuya en Allemagne sur Julius Barmat, ebd., 5. 4. 1934; ders., L’escroc Barmat ne s’est point sucidé, ebd., 8. 4. 1934; ders., Par Stavisky à Barmat à Guiboud-Riboud, ebd., 16. 4. 1934. Bardanne, Stavisky, espion allemand, S. 32. Ebd., S. 25–29, 36–37. Caron, Uneasy Asylum, bes. S. 10, 66–68; vgl. auch die Debatte in der Nationalversammlung im Januar 1923; Bruttmann/Joly, France antijuive, S. 24–32. Bardanne, Stavisky, espion allemand, S. 11. Ebd., S. 15. Der Bericht Bardannes über die Zusammenkunft von Stavisky und Barmat lieferte einmal mehr eine abenteuerliche (Film-)Geschichte. Dabei spielt die »Prinzessin [Stephanie Juliane zu] Hohenlohe [Waldenburg-Schillingsfürst]« eine Rolle, auf die Arlette aufmerksam geworden sei. Die »Prinzessin« war eine enge Vertraute des Besitzers u. a. der London Daily Mail Lord Rothermore, der sein Land auf einen deutschland-

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freundlichen Kurs zu bringen versuchte und der über Kontakte zu Hitler und seiner Entourage verfügte, vgl. dazu Schad, Hitlers Spionin. Bardanne, Stavisky, espion allemand, S. 69. Ebd., S. 113–115. Das gilt ähnlich auch z. B. für Dorgot, France is Divided (1945), vgl. unten S. 422f. Vgl. De zaak Stavisky, Het Vaderland, 14. 3. 1934 (Morgenausgabe) (darin stritt ein Zeuge die Verbindung von Stavisky und Barmat ab); De Barmats en Stavisky, Het Vaderland, 21. 4. 1934 (Morgenausgabe), wo erneut die Verbindung diskutiert wurde; Stavisky een strooman van Julius Barmat?, Het Vaderland, 20. 12. 1934 (Abendausgabe). Aussage de Vreese in: Laisnez, Annexes au rapport d’expertise (10. 2. 1936), S. 135 (wie Anm. 30). Rapport Poncin, Stavisky-Boitel. o. D. (ca. März 1934), AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 1509874. Bardanne, Stavisky, espion allemand, S. 71 (kursiv im Original); zu Guiboud-Ribaud vgl. Jankowski, Stavisky, S. 96f. (mit falscher Schreibweise des Namens). Schreiben von P. Guiboud-Ribaud an Monsieur Barmat, La Haye, Bruxelles 4. 11. 1931, BNB Brüssel, Nr. F319/1; Auflistung der Polizei über die Interventionen Petitjeans für Barmat vgl. Anm. 7. Vgl. Jankowski, Stavisky, S. 54–61, 96f. Barmats Geschäfte in Paris, 14. 3. 1930, PA AA, Inland II A/B, Nr. R 30338; für einen kurzen Hinweis in der ausführlichen Ausarbeitung zur Person Barmats vgl. Bericht an den Justizminister, 16. 6. 1933, S. 3 (wie Anm. 6); darin wird der Name des Architekten Boyer (Paris) genannt, möglicherweise handelt es sich um den über Frankreich hinaus bekannten Architekten Marius Boyer; Barmat-Skandal in Belgien, 9. 3. [1933], Zeitungsausschnitt ohne Angaben, ebd. Ob und wo diese französischen Akten, die erst von den Deutschen ins Reich und dann von der sowjetischen Besatzungsmacht nach Moskau verschleppt wurden und von dort später wieder nach Frankreich zurückkamen, verschwanden oder ob sie bis heute unter Verschluss gehalten werden, ist angesichts der sparsamen Auskunftsbereitschaft der zuständigen französischen Archivare (jedenfalls dem Autor gegenüber) nur schwer zu sagen, Archives Nationales Fontainebleau, F 7 19940508, Nr. 288–290, 292, 297. Stavisky een strooman van Julius Barmat?, Het Vaderland, 20. 12. 1934 (Abendausgabe); Stavisky en Barmat, ebd., 22. 12. 1934 (Abendausgabe). Bericht vom 30. 5. 1933 (wie Anm. 6), S. 6. Ebd., S. 1–4; Bericht der Amsterdamer Polizei an den Justizminister, 27. 6. 1934, StA Amsterdam, 5225, Nr. 4368; Bericht an die Polizei Amsterdam, 20. 1. 1934, ebd.

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73 Bericht vom 30. 5. 1933 (wie Anm. 6), S. 5. 74 Vgl. die Zeitungsartikel vom 29. 4. 1933: Waarom Barmat werde gearresteerd und Julius Barmat moet ons land verlaten, AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 1509874. 75 Vermerk betr. Barmat J[ulius] u. H[enry]. v. 2. 3. 1933, ebd.; Ausarbeitung o. Titel, 12. 7. 1933, ebd., S. 3. 76 Für einen Überblick vgl. Moore, Refugees from Nazi Germany in the Netherlands, S. 70 (Zitat). 77 So mit Hinweis auf Berichte aus der Bevölkerung, vgl. Bericht vom 16. 6. 1933 (wie Anm. 6). 78 Geyer, Which Crisis?, S. 15. 79 Speculatie in Guldens, De Telegraaf, 7. 5. 1933 (Morgenausgabe); Valutaangst, ebd.; für die Debatte über die Guldenspekulation, bei der auch andere Personen angegriffen wurden, vgl. ausführlich ten Cate, »De Mannen van de Daad« en Duitsland 1919–1939, darin ausführlich zum »Fall Mannheimer« vgl. Kap. 7; Kreutzmüller, Händler und Handlungsgehilfen, S. 45f. 80 Anonymes Schreiben ohne Titel, Eingangsstempel 14. 4. 1933, und Anonymes Schreiben an Justizminister, 3. 5. 1933, StA Amsterdam, 5225, Nr. 4368. 81 Berichte vom 15. 5. 1933 und 16. 6. 1933 (wie Anm. 6); folgt man diesem letzten Schreiben, überschritt Julius Barmat die Grenze legal. 82 Vgl. oben S. 382f. 83 Weer uitstel voor Julius Barmat, Het Vaderland, 23. 5. 1933 (Morgenausgabe); Justizministerium an die Polizei Amsterdam, 27. 5. 1933, StA Amsterdam, 5225, Nr. 4368. 84 Generalkonsulat von Litauen an die Justizbehörden, 4. 12. 1934, ebd. 85 Das deutsche Propagandaministerium setzte sich beim Justizministerium für einen Korrespondenten des Telegraaf ein, der Material zum Fall Barmat suchte, vgl. Dienstliche Äußerung, 6. 11. 1934, GStA PK, I. HA Rep. 84a, Nr. 56542, Bl. 8. 86 Aanklacht tegen dagblad, Het Vaderland, 14. 2. 1934 (Abendausgabe); zu den weiteren Prozessen vgl. Barmat opnieuw contra De Telegraaf, Het Vaderland, 1. 2. 1935 (Abendausgabe); Barmat contra De Telegraaf, Het Vaderland, 9. 4. 1935 (Abendausgabe); Barmat contra De Telegraaf, Het Vaderland, 7. 5. 1935 (Abendausgabe). 87 Het vonnis in het proces Barmat, De Telegraaf, 19. 1. 1935 (Abendausgabe). 88 Julius Barmat, der Weltmeister der Korruption, Völkischer Beobachter, 21. 1. 1935; Das Schuldkonto des »Weltmeisters der Korruption«, Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 34, 21. 1. 1935. Als der Herausgeber des Telegraaf J. M. Goedemans 1942 von der deutschen Besatzungsmacht suspendiert wurde und von der niederländischen Kulturkammer ein Publikationsverbot erhielt, protestierte er mit Hinweis auf seine »anti-jüdischen Erfolge« in der

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Vergangenheit. Explizit nannte er in diesem Zusammenhang neben Barmat den Fall des sozialistischen Amsterdamer Beigeordneten (wethouder) Salomon de Miranda, der für öffentliche Arbeiten zuständig gewesen war. Wolf, Het geheim von De Telegraaf, S. 225–231, 293–340. Barmat contra De Telegraaf, Het Vaderland, 7. 5. 1935 (Abendausgabe). Roelants, Alles komt terecht; ders., Tout s’arrange; zitiert wird im Folgenden aus der deutschen Ausgabe aus dem Jahr 1957, Roelants, Alles kommt zurecht. Menno ter Braak, Een »Siameesche« Roman, Het Vaderland, 16. 1. 1938 (Morgenausgabe); vgl. auch ter Braak, Een »Siamese« roman. Ich danke Prof. Stefan Van den Bossche (Brüssel) für diese Auskunft.

Kapitel 9 Der Aufstieg der Rexisten und die belgische »Affaire Barmat« 1934–1938 1 Vgl. die kurzen Hinweise bei Preston, The Spanish Holocaust, S. 102; Engels, Geschichte der Korruption, S. 308f. 2 Hinweise auf den Fall Barmat fehlen in der Literatur weitgehend, so bei Dujardin/Dumoulin, Paul van Zeeland, S. 59–104; auch bei di Muro, Léon Degrelle; kurze Hinweise bei Magain, Degrelle, un tigre de papier. 3 Neben der Tatsache, dass Belgien zu den merkwürdig nahen-fernen Ländern gehört, spielen für die geringe Beachtung auch in der neueren transnationalen Forschung (z. B. Bauerkämper/Rossolinski-Liebe, ´ Facism without Borders) zum einen die konfessionellen Besonderheiten der Rexisten, dann aber offenbar auch die Tatsache, dass es keinen genuin intellektuellen Vordenker gibt, eine wichtige Rolle; zeitgenössisch wurde bezeichnenderweise insbesondere die Schrift des französischen Intellektuellen Robert Brasillach, Léon Degrelle et l’avenir de »Rex« (Paris 1936), rezipiert. Für einen Überblick aus einer anderen Forschungsrichtung (ohne auf die Korruptionskampagnen einzugehen) vgl. Capoccia, Defending Democracy, S. 108–137. 4 Étienne, Le Mouvement rexiste; Magain, Degrelle, un tigre de papier; für einen kurzen Überblick für die Zeit vor 1940 vgl. Conway, Collaboration in Belgium. 5 Große Kracht, Stunde der Laien?. 6 José Streel, Rex ou le miracle de l’improvisation persévérante, Je Suis Partout, 14. 10. 1936, vgl. auch Étienne, Le Mouvement rexiste, S. 34–37. 7 Vgl. die Zeitung Rex, 25. 2. 1933, zit. nach ebd., S. 16–17. 8 Ebd., S. 21–28 (S. 26 Zitat); für seine Nähe zum italienischen Faschismus vgl. ebd., S. 40, 84–86, 113–114. Zu den unterschiedlichen Debatten über die »Chefs« in Politik wie Wirtschaft und Kultur vgl. aus einer französischen Perspektive Cohen, Le siècle des chefs. 9 Étienne, Le Mouvement rexiste, S. 53–63; Capoccia, Defending Democracy, S. 136; Grosbois, Pierlot, S. 66–72.

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10 Van der Wee/Tavernier, Banque Nationale, S. 235–286; Eichengreen, Golden Fetters, bes. S. 357–365; Straumann, Fixed Ideas of Money, bes. S. 143–169. 11 An dieser hingen die wirtschaftlichen Organisationen sowie Konsumgenossenschaften und Versicherungen der Arbeiterbewegung. 12 Van der Wee/Tavernier, Banque Nationale, S. 262–268; van Molle, Le Boerenbond Belge, S. 252–283. 13 Die Titel der Schriften Degrelles sagen alles: J’accuse M. Segers. J’accuse le ministre Segers d’être un cumulard, un bankster, un pillard d’épargne et un lâche (1936); ders., J’accuse Marcel-Henri Jaspar. Menteur, pillard et faussaire (1936); Degrelle, Philips, Sénateur catholique. Commandeur de l’Ordre des Saint-Grégoire le Grand, banquer louche et faussaire démasqué (1936). 14 Étienne, Le Mouvement rexiste, S. 45–48; di Muro, Léon Degrelle, S. 105–122; Magain, Degrelle, S. 39–43, 143. 15 Bericht der Sûreté Publique, 5. 12. 1934 (wie Anm. 46, S. 527). 16 Vgl. oben S. 386. 17 Van der Wee/Tavernier, Banque Nationale, S. 268 – 285; sehr knapp Dujardin/Dumoulin, van Zeeland, S. 48 – 50; Grosbois, Pierlot, S. 62 – 69. 18 D. Schindler-Huber, Nochmals die belgische Devalvation, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 921, 28. 5. 1936. Die Ursachen der belgischen Devalvation, ebd., Nr. 883, 23. 5. 1936. 19 Ebd. 20 Parquet du procureur du roi, Section financiére, Rapport du procureur du roi, o. D., IISG Amsterdam, De Man Papers, Nr. 473. 21 Dieses Thema wird von Straumann, Fixed Ideas, nicht behandelt; er liefert dazu aber wichtige Hintergrundinformationen. 22 De Man, Après coup, S. 268f., 270. 23 D. Schindler-Huber, Nochmals die belgische Devalvation, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 921, 28. 5. 1936. Am 5. 4. 1936 beauftragte der sozialistische Minister Soudan die Brüsseler Staatsanwaltschaft, die getätigten Spekulationen gegen den belgischen Franken auf ihre strafbaren Handlungen hin zu untersuchen. 24 Für die Rundumschläge des Jahres 1936 vgl. Anm. 13. 25 Vgl. Léon Degrelle, Un coco à surveiller. M. Franck Gouverneur de la Banque Nationale. A chaque sauvetage d’organismes politico-financiers on retrouve le meme répêcheur, consu d’or, le Juif Franck, Rex, 7. 2. 1936, S. 1. Dieser und ein weiterer Artikel (vgl. Abb. 17, S. 400) waren der Anlass für den Prozess, vgl. dazu die Ausschnitte in BNB Brüssel, Nr. F312/2. 26 Di Muro, Léon Degrelle, S. 108, 143f.; zugleich fanden vor allem in den flämischen Regionen nationalsozialistische und rexistische Ideen Anklang, vgl. ausführlich Saerens, Étrangers dans la cité, bes. S. 415–496.

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27 Dujardin/Dumoulin, van Zeeland, S. 95–103; van der Wee/Tavernier, Banque Nationale, S. 307–313. 28 Sénat. Annales Parlementaires, Séance du Jeudi 9 Septembre 1937, S. 174, IISG Amsterdam, De Man Papers, Nr. 529. Es ging um den Kauf der Zeitschrift Le XX ième Siècle. Darin involviert waren u. a. Direktoren der BarmatBanken (aber offenbar ohne Wissen Julius Barmats) sowie Stavisky, der sich unter dem Decknamen Boitel in Brüssel aufhielt, vgl. Rapport Poncin, Barmat, Stavisky-Boitel, o. D. (ca. März 1934), AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. 1509874; allgemein vgl. Grosbois, Pierlot, S. 68f. 29 Magain, Degrelle, S. 99. 30 Étienne, Le Mouvement rexiste, S. 133–140; Grosbois, Pierlot, S. 66–73. 31 Degrelle, Les voleurs de la banque nationale, S. 16f., 21, 48, 101. 32 So die Überschrift von Le Pays Réel, Nr. 78, 17. 7. 1937. 33 Degrelle, Franck. Barmat. Van Zeeland, S. 140, 217, 139 (Zitat). Étienne, Mouvement rexiste, behauptet dagegen, dass selbst die Rexisten nicht behauptet hätten, dass van Zeeland in die Barmat-Angelegenheit verstrickt sei (S. 153); zu den Angriffen auf van Zeeland (unter Ausblendung Barmats) vgl. Dujardin/Dumoulin, van Zeeland, S. 93–105. 34 Vgl. z. B. die Überschrift des (Brüssler) Le Soir, die in der Belgischen Nationalbank als Beschriftung eines Aktenbestandes benutzt wurde und worin Presseausschnitte dieser Zeitung und der Nation Belge zum Prozess gesammelt sind, BNB Brüssel, Nr. F319. Akten zum Justizverfahren Barmat liegen laut Auskunft des Belgischen Nationalarchivs nicht vor. 35 Banque Nationale de Belgique. Erregte Generalversammlung, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1591, 1. 9. 1937; Rumoerige vergadering van de Nationale Bank van België, Het Vaderland, 14. 10. 1937 (Abendausgabe). 36 Vgl. die Ausführung des Finanzministers de Man in Chambre des Représentants, Séance du Mardi 7. 9. 1937, S. 13, IISG, De Man Papers, Nr. 529; vgl. auch van der Wee/Tavernier, Banque Nationale, S. 311. 37 Sénat, Annales Parlementaires, Séance de Mercredi 20. 10. 1937, S. 181, 185, IISG Amsterdam, De Man Papers, Nr. 529. 38 Ebd., Séance du Jeudi 9. 9. 1937, S. 172–176, ebd. 39 Ebd., Séance du Mardi 19. 10. 1937, S. 176, ebd. 40 Vgl. die Rede in der Chambre des Représentants, Annales Parlementaires, Séance du Mardi 7 juillet 1936, 199–231, S. 200 u. 231, ebd.; vgl. auch den Abgeordneten Nöe, ebd., Sénat. Annales parlamentaires, Séance du Jeudi 9 septembre 1937, S. 13–22, bes. S. 14, ebd. 41 Der Kampf der Rexisten gegen van Zeeland, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1608, 8. 9. 1937; Vertrauensvotum für van Zeeland, ebd., Nr. 1614, 9. 9. 1937; Dujardin/Dumoulin, van Zeeland, S. 97ff. 42 Vermerk über ein Treffen mit dem chilenischen Botschafter Baldes de Mendeville, 9. 9. 1932, AGR Brüssel, Sûreté Publique, Nr. A13444/1. 43 Der neue Sturm um die belgische Nationalbank, Neue Zürcher Zeitung,

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Nr. 1890, 21. 10. 1937; Demission der belgischen Regierung, ebd., Nr. 1918, 26. 10. 1937, wo nochmals auf die Aufdeckung von zweifelhaften Geschäften der Belgischen Nationalbank hingewiesen wurde. Diese Position wurde von Einzelnen schon vorher vertreten, vgl. de Man, Note pour monsieur Warland. Commissaire du gouvernement auprès de la B.N.B., 2. 9. 1937, IISG Amsterdam, De Man Papers, Nr. 523. Opfer des Barmatskandals, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 196, 25. 10. 1937, Étienne, Le Mouvement rexiste, S. 153f. Die Affäre Barmat im Senat, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1890, 21. 10. 1937; Sénat. Annales Parlementaires, Séance de Mercredi 20 Octobre 1937, S. 183 (wie Anm. 37). Wahrscheinlich war damit der für Diskontkredite zuständige Direktor der Nationalbank Tilmont gemeint. Demission der belgischen Regierung, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1918, 26. 10. 1937; Erklärungen van Zeelands, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1920, 26. 10. 1937; ungenau Dujardin/Dumoulin, van Zeeland, S. 99 – 100. Auch in diesem Fall liegt Étienne, Le Mouvement rexiste, nicht richtig, wenn er meint, dass sich die öffentliche Meinung nicht für den Skandal interessierte (S. 154). Julius Barmat uitgeleverd, Het Vaderland, 31. 12. 1937 (Abendausgabe); Julius Barmat ongesteld’, ebd., 4. 1. 1938 (Abendausgabe); Julius Barmat overleden, ebd., 6. 1. 1938 (Abendausgabe). Geen spoor van vergiftiging in de ingewanden van Barmat, ebd., 24. 2. 1938 (Morgenausgabe). Die Akten des Prozesses lagen nicht vor. Die Verhandlungen wurden in den großen belgischen Zeitungen sehr genau und zum Teil wörtlich dokumentiert. Ich stütze mich im Folgenden weitgehend auf die Artikel in La Nation Belge und Le Soir (Brüssel), die gesammelt sind in BNB Brüssel, Nr. F319. Das 90 Seiten lange, in strikt französisch-juristischer Diktion gehaltene Urteil vom 13. 1. 1938 befindet sich in: ebd., Nr. D306. Audience de jeudi matin, Les témoins à décharge, Le Soir (Brüssel), 5. 11. 1937. L’audience de vendredi matin, Le réquisitoire, ebd., 13. 11. 1937. Urteil 13. 1. 1938 (wie Anm. 50), S. 22. Conway, Collaboration in Belgium; vgl. auch Saerens, Étrangers dans la cité, Kap. 8.

Kapitel 10 Radikalisierung und Grenzüberschreitungen 1933–1945 1 Judko Barmat est mort jeudi matin à la prison de Forest, La Libre Belgique, 7. 1. 1938; Der Tod Julius Barmats, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 52, 10. 1. 1938. 2 Julius Barmat schließt ab, Kladderadatsch, Nr. 4, 23. 1. 1938, o. S. 3 Barmats Ende, Zeitungsdienst, Berliner Dienst, 7. 1. 1938, BAB, R 8034II, Nr. 20.

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4 Judko Barmat, »Die Giftblüte der Demokratie«. Ostjüdische Abenteuer in Belgien, Völkischer Beobachter, Nr. 8, 8. 1. 1938. 5 Solche Anmerkungen finden sich in vielen Akten des Bestands des Preußischen Justizministeriums. 6 Rupnow, Judenforschung im Dritten Reich. 7 Bajohr, Parvenüs und Profiteure (zum Hauskauf S. 65); Hachtmann, Wirtschaftskriminalität im »Dritten Reich« – der DAF-Konzern, S. 84–101; Bernhard Lansing, »Jupkin«, the most hated Nazi tells all Germany what to think, Life (Magazine), 20. 3. 1939, S. 61–68, S. 68. 8 Berndt, Gebt mir vier Jahre Zeit!, S. 93 (Kapitelüberschrift 3). In dokumentarischer Manier werden einzelne Fälle behandelt. 9 Schultz/Jünger, Das Gesicht der Demokratie. 10 Von Leers, Juden sehen Dich an, Widmung an Julius Streicher und im Vorwort [o. S.] u. S. 49. 11 Vgl. Geyer, Verkehrte Welt, S. 300–305; hier kann nicht auf seine späteren Ausführungen eingegangen werden, vgl. Feder, Kampf gegen die Hochfinanz; ders., Die Juden. 12 Berkowitz, The Crime of My Very Existence; Kistenmacher, Arbeit und »jüdisches Kapital«. 13 Die Barmatologie, Völkischer Beobachter, Nr. 71, 27/28.3, Nr. 80, 7. 4. 1927; Nr. 86, 14. 4. 1927; Nr. 108, 12. 5. 1927; Nr. 117, 22./23. 5. 1927; Nr. 130, 9. 6. 1927, worin ein »niederländischer Sonderberichterstatter« über Geschäfte Barmats in den Niederlanden berichtet. 14 Wein, Antisemitismus im Reichstag, S. 290–297. 15 Vgl. auch oben S. 410; so auch Messnil, Julius Barmat, Stavisky Allemand. 16 Degrelle, Franck. Barmat. Van Zeeland, S. 72. 17 Conway, Collaboration in Belgium. 18 Céline, Bagatelles pour un massacre [1937], hier zitiert nach der zweiten Ausgabe (ebenfalls 1937), S. 172. Das Buch erschien auf Deutsch unter dem Titel Die Judenverschwörung in Deutschland, Dresden [1938]; dabei handelt sich um einen merkwürdig gezähmten Abklatsch des Originals, es ist keine Übersetzung. Für einen kurzen Überblick über die Debatten zum Stellenwert der Bagatelles vgl. Halsberghe, Céline et L’extermination; Berzel, Die französische Literatur im Zeichen von Kollaboration und Faschismus, bes. S. 55–60; Derval, Bagatelles pour un massacre. 19 Celine, Bagatelles pour un massacre, S. 181. 20 Dorgot, France is Divided. 21 Ebd., S. 16f., 18. 22 Friedländer, Die Jahre der Vernichtung, S. 126; Przyrembel (Hg.), Jud Süß; Koch, Joseph Süß Oppenheimer, genannt »Jud Süß«. 23 Ahren/Hornshøj-Møller/Melchers, »Der Ewige Jude«. Wie Goebbels hetzte; Benz, »Der ewige Jude«. Metaphern und Methoden, bes. S. 138– 157; Loewy, Hanno, »Der ewige Jude«.

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24 Vgl. die Rekonstruktion in: Der ewige Jude, Internet Archive Wayback Machine, vgl. http://web.archive.org/web/20090404104158/http://www. cine-holocaust.de/cgi-bin/gdq?efw00fbw001580.gd [Zugriff: 7. 10. 2017]. 25 Wahrscheinlich handelt es sich um die Bilder, die schon in der Münchener Ausstellung gezeigt wurden, auch wenn auf den überlieferten, wenig scharfen Bildern mit Bildunterschriften der Name Barmat nicht eindeutig zu identifizieren ist, vgl. Benz, »Der ewige Jude«, S. 110. 26 Berkowitz, The Crime of My Very Existence. 27 Meldungen aus dem Reich 1938–1945, Bd. 6, S. 1917–1919. 28 Vgl. ebd., S. 1918; für Hinweise auf die unterschiedlichen Fassungen vgl. Benz, »Der Ewige Jude«. 29 Der Film mit dem Titel Les corrupteurs, der im Auftrag der deutschen Botschaft produziert wurde (vgl. ebd., S. 382), lag mir nicht vor; für eine kurze Zusammenfassung vgl. Wharton, Screening Reality, S. 82f.; Benz, »Der ewige Jude«, S. 155, 159–163. 30 Saerens, Étrangers dans la cité, S. 681; Engel, Deutsche Kulturpolitik, 382–384. 31 Die beste Beschreibung, wenn auch ohne Quellenangaben, bei Casper, Der Kutisker-Roman, S. 218–232, 227. Das Projekt zog sich vom Spätsommer 1941 bis 1945 hin; einiges deutet auf eine Hinhaltetaktik gegenüber dem Propagandaministerium hin. 32 Casper, Kutisker-Roman, S. 229, 231; vgl. auch von Studnitz, Es war wie ein Rausch, S. 324–326. 33 Zit. nach. von Studnitz, Es war wie ein Rausch, S. 325. 34 Barkai, Vom Boykott zur »Entjudung«; Ahlheim, »Deutsche, kauft nicht bei Juden!«; Penslar, Shylock’s Children; Berg, Luftmenschen. 35 Passagen aus dem Schulbuch Das Erbe der Ahnen (Leipzig 1938) sind abgedruckt in: Kröger/Thimme, Die Geschichtsbilder des Historikers Karl Dietrich Erdmann, S. 121f., 127, 129 (hier zitiert ohne Fettdruck und Sperrungen); Begutachter fanden viele Ausführungen nicht nationalsozialistisch genug, dazu ausführlich ebd., S. 59–78. 36 Aly, Hitlers Volksstaat; Tooze, Ökonomie der Zerstörung. 37 Meldungen aus dem Reich, Bd. 6, S. 1918. 38 Verh. d. RT, 4. Wahlperiode. Band 460. Stenographische Berichte 1939–1942. 1. Sitzung, Montag, 30. 1. 1939. S. 1–21, S. 16. 39 Gerlach, Die Wannsee-Konferenz, S. 85–166; Gerlach geht nicht auf die unterschiedlichen Ebenen der Rezeption des Redefragments von 1939 ein; ähnlich auch, wenngleich mit anderer Akzentsetzung als Gerlach, Longerich, Wannseekonferenz, S. 58f.; Tagebucheintrag vom 13. 12. 1941, in: Fröhlich (Hg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 2, S. 498f. 40 Vgl. Pohl, Holocaust. Die Ursachen – das Geschehen – die Folgen, S. 60f.; Herbert, Labour and Extermination; Kaienburg, Die Wirtschaft der SS.

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41 Für einen kurzen Überblick vgl. Janssen, Nationalökonomie und Nationalsozialismus, bes. S. 478–519. 42 Nonnenbruch, Die dynamische Wirtschaft, S. 41f. 43 Zu den »Börsenfürsten« vgl. oben S. 302–304; Kampf und Sieg! Eine Auswahl aus Aufsätzen, Reden und Aussprüchen Bernhard Köhlers, S. 44f. 44 Ebd., S. 12. Allgemein vgl. Buggeln/Wildt, Arbeit im Nationalsozialismus; zur Arbeitswährung ausführlicher: Geyer, Soziale Sicherheit und wirtschaftlicher Fortschritt. Es ist ein Desiderat der Forschung, diese spezifischen Grundprämissen eines deutschen »produktiven Kapitalismus« ins 19. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Ihre Quellen sind wohl in den Ideen des demokratischen Liberalismus und des Sozialismus mit ihrer inhärenten Kapitalismuskritik zu suchen, wie man sie deutlich im Umfeld des »Gründerkrachs« der 1870er Jahre beobachten kann. 45 Zur Verschränkung der verschiedenen rassistischen und ökonomischen Logiken der Vernichtung vgl. die differenzierende Darstellung bei Wachsmann, KL. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. 46 Das Protokoll der Besprechung vom 20. 1. 1942 findet sich in: Tuchel, Am Großen Wannsee 56 – 58., S. 122–136, hier S. 128f. 47 Longerich, Wannsee-Konferenz, S. 132 – 135; Jan Erik Schulte, Zwangsarbeit und Vernichtung; Kaienburg, Die Wirtschaft der SS; Blatman, The Death Marches; Wachsmann, KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Kap. 8 u. 11. 48 Ingenthron, Erich Kuttner, Kap. 5. 49 Röll, Sozialdemokraten im Konzentrationslager Buchenwald, S. 89–102; Möller, Ernst Heilmann, S. 261f. 50 Vgl. die Einträge: »Prof. dr. L. I. de Winter, 1911–1972« und »Barmat, Louis Izaak 1911–1972«, http://www.albumacademicum.uva.nl/cgi/b/bib/bibidx?submit=Sort;sort=geboortedatum;c=ap;size=1;lang=en;type=boolean; date31=1967;date32=1967;q1=id*;rgn1=id;cc=ap;view=relist;fmt=long;pa ge=reslist;start=7;http://www.jodeninnederland.nl/id/P-1396 [7. 10. 2017]. 51 Dieses Asyl passe zu Herschel »wie der Klodeckel auf die Muschel«, so der Völkische Beobachter in gewohnt derbem Ton, da »Verbrecher […] stets ihresgleichen« suchten; Heimgefunden, Völkischer Beobachter, Nr. 316, 12. 11. 1937, Barmat-Gastspiel in Polen, ebd., Nr. 329, 25. 11. 1937. 52 Vermerk vom 2. 2. 1962, AGR Brüssel, Sûreté Publique Nr. 1509874.

Nachbetrachtungen Über das Verschwinden von Julius Barmat 1 Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 21, S. 626f. Pelckmann wurde 1952 von der Bundesregierung als Prozessvertreter gegen die Reichspartei beauftragt und wiederholte in diesem Zusammenhang einige seiner späteren Ausführungen, vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 389f. Zum »Antisemitismus der Vernunft« vgl. Herbert, Best. Es muss

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eine offene Frage bleiben, ob Personen, die die Entnazifizierung der Nachkriegszeit durchliefen, mit ähnlichen Argumenten wie Pelckmann aufwarteten. Zu vermuten ist es. Grimm, Politische Justiz, S. 10 u. a.; vgl. auch oben S. 341f. Von Repkow [Kempner], Justizdämmerung; Kempner, Ankläger. »Wenn du einmal dein Herz verschenkst…«, Berliner Zeitung, Nr. 239, 30. 8. 1970. Zu Kaul, aber ohne Bezug auf seinen Pitaval, vgl. Rosskopf, Friedrich Karl Kaul; Pitaval der Weimarer Republik, 3 Bde. Kaul, Pitaval der Weimarer Republik, Bd. 2, S. 5f. Ders., Vornehme Leute. Der Bonner Pitaval; für kurze Hinweise zum Fernsehpitaval vgl. Klein, Korruption und Korruptionsskandale. Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution (1929); Sling [Schlesinger], Richter und Gerichtete; ders., Die Nase der Sphinx. Arnau, Talente auf Abwegen; Jameson/Schwill, Skandale um Millionen. Über die Tätigkeit Schwills während der NS-Zeit ist nichts bekannt; möglicherweise reichen einige Recherchen in diese Zeit zurück. Eine fast schon komisch-falsche Darstellung der »Barmat-Kutisker-Schieberaffäre« erschien im »Verlag für kriminalistische Fachliteratur« von Schweger, Die großen Kriminalprozesse, S. 344f. Sobel, Dangerous Dreamers; Galbraith, A Short History of Financial Euphoria; bei diesem Autor findet man noch deutlich die älteren Aversionen gegen Spekulation und Spekulanten; zu den ersten Arbeiten, die sich mit Korruption befassten, vgl. Bellers (Hg.), Politische Korruption. Vgl. die Analyse von Dörre, Normenkonkurrenz im Wirtschaftswunder. Simenon, Zahltag in einer Bank. Het Vaderland, 16. 1. 1938 (Morgenausgabe). Hermanowski, Moderne flämische Literatur, S. 48. Peter Menne: »Der Müll, die Stadt und der Tod«. Das Thema »Lachen und Humor« ist ein Forschungsdesiderat, vgl. die Überlegungen bei Kessel/Merziger, The Politics of Humour. Vgl. oben S. 428; Haar, »Kämpfende Wissenschaft«; Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte; Geyer, Im Schatten der NS-Zeit. Vgl. oben S. 166f.; vgl. auch Keßler, Arthur Rosenberg. Rosenbergs Buch »Entstehung der Deutschen Republik 1871–1918« war schon 1928 und 1930 in 2. Auflage erschienen; die Teile gingen ein in die »Geschichte der deutschen Republik« (1935). Beide Bücher erschienen nach 1955 in verschiedenen, sehr erfolgreichen Neuauflagen bei der Europäischen Verlagsanstalt, davon allein die »Entstehung« bis 1970 in zwölf Auflagen. Im Folgenden wird zitiert: Rosenberg, Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik; ausführlich Keßler, Arthur Rosenberg, bes. S. 188–203, vgl. auch von Saldern, Arthur Rosenbergs »Geschichte der Weimarer Republik«.

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20 Rosenberg, Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik, S. 433, 443. 21 Ebd., S. 445. 22 Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik [1936], S. 445–447; Eyck, Geschichte der Weimarer Republik, Bd. 1, S. 432–436; zu Eycks Rolle in der Debatte über die Justiz vgl. auch oben S. 210, 212. 23 Winkler, Weimar 1918–1933, S. 276f.; Winkler, Der Schein der Normalität, S. 230; Mommsen, Die verspielte Freiheit; Schulze, Weimar. Deutschland 1917–1933. 24 Sontheimer, Antidemokratisches Denken; so noch Bavaj, Von links gegen Weimar, etwa im Gegensatz zu Kistenmacher, Arbeit und »jüdisches Kapital«. 25 Die Schwierigkeiten einer angemessen Darstellung werden in der Darstellung von Rintelen, Undemokratischer Demokrat: Gustav Bauer, deutlich. 26 Mühlhausen, Friedrich Ebert, S. 971–974; vgl. auch Friedrich Ebert Gedenkstätte, http://www.ebert-gedenkstaette.de/pb/,Lde/Startseite/Schue ler/Ausstellung.html [Zugriff: 7. 10. 2017]. In Raum 10 ist auf der Informationstafel zu lesen, dass er »in der Hektik der Amtsgeschäfte« seine Krankheit verschleppt habe. 27 Die Einleitungen zur Gesamtausgabe von Max Webers Werken sind dafür nur ein gutes Beispiel. 28 Eine frühe Arbeit ist Hock, Deutscher Antikapitalismus; Wehling, Die Moderne als Sozialmythos; exemplarisch: Winkler, Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus. 29 Für klassische Formulierungen vgl. Winkler, Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus; Kocka, Ursachen des Nationalsozialismus, S. 3–15. 30 Das gilt nicht für Ruge, Weimar, S. 99–101; anders: Nussbaum, Wirtschaft & Staat in Deutschland, bes. S. 138–156, 202–295, 324–329. 31 Dabei führen viele Debatten über »Legitimationskrisen des (spät-)kapitalistischen Staates« in Diagnosen und Konstellationen der frühen 1930er Jahre zurück. Exemplarisch für diese Theoriedebatte: Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates; zur Theoriesprache der Bundesrepublik vgl. auch Geyer, Zeitgeschichte. 32 Vgl. die aus dem Ruder gelaufene Diskussion zwischen Adam Tooze und Wolfgang Streeck im Anschluss an Toozes Rezension von Streecks, How Will Capitalism End (2016, dt.: Die Zukunft des Kapitalismus) im London Review of Books, 5. Januar 2017, https://www.lrb.co.uk/v39/n01/adam-tooze/ a-general-logic-of-crisis [Zugriff: 11. 6. 2017]. 33 Slezkine, The Jewish Century. 34 Borchardt, Anerkennung und Versagen, S. 219, zit. auch von Berghoff/Vogel (Hg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte, S. 9. 35 Dazu die mit historischen Anspielungen gespickte Parabel von Leon de

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Winter, Sarrazin und die Gene. Das Geheimnis der jüdischen Intelligenz, Süddeutsche Zeitung, Nr. 208, 9. 9. 2010. Bourdieu, Die biographische Illusion. Vgl. auch Gilman/Gilman, Cosmopolitanism and the Jews. Das genauer zu zeigen, ist ein Desiderat der Forschung. In neueren Darstellungen zum transnationalen Faschismus finden sich dazu kaum Hinweise. Mit interessanten Perspektiven: Eichengreen, Hall of Mirrors; Perez, Double Bubble.

Anmerkungen Seite 451 - 460

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Anhang Abkürzungsverzeichnis AGR BAK BAB BFr

Bl. BNB BVP DDP DNVP Drs. DVP FFr GM G&P GStA PK HStA Dresden IISG KPD LAB LT LA MA

Masch. Mtre NB NL NSDAP

Archives Générales du Royaume de Belgique Bundesarchiv Koblenz Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Belgische Franken Blatt Banque Nationale de Belgique Bayerische Volkspartei Deutsche Demokratische Partei Deutschnationale Volkspartei Drucksache Deutsche Volkspartei Französische Franken Goldmark Goldzieher & Penso Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Hauptstaatsarchiv Dresden Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam Kommunistische Partei Deutschland Landesarchiv Berlin Landtag Landesarchiv Ministerium des Äußeren Maschinenschrift Ministre Noorderbank Nachlass Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

Abkürzungsverzeichnis

541

o. D. o. O. PA AA PrLT RGBl. RM RT RWM SFr SPD StA Amsterdam Sten. Ber. Verh. Zs.

ohne Datum ohne Ort Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes Preußischer Landtag Reichsgesetzblatt Reichsmark Reichstag Reichswirtschaftsministerium Schweizer Franken Sozialdemokratische Partei Deutschlands Stadsarchief Amsterdam Stenografische Berichte Verhandlung Zeitschrift

Archive Deutsche Archive: Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA) MA Ministerium des Äußeren Bundesarchiv Koblenz (BAK) N 1205 Nachlass M. E. Moritz N 1009 Nachlass Hans Luther N 2359 Nachlass Gustav Bauer R 43I Reichkanzlei Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BAB) R2 Reichfinanzministerium R 83 Zentralbehörden der allgemeinen deutschen Zivilverwaltung R 1507 Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung R 9034II Zeitungsausschnittsammlung Reichslandbund

Anhang

542

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) I. HA Rep. 77 Preußisches Innenministerium I. HA Rep. 84a Preußisches Justizministerium I. HA Rep 169 D Preußischer Landtag I. HA Rep. 109 Seehandlung I. HA NL Helphand Hauptstaatsarchiv Dresden (HStA Dresden) 10693 Volkskammer/Landtag des Freistaates Sachsen 1919–1933 Landesarchiv Berlin (LAB) A Rep. 358–01 Generalsstaatsanwalt bei dem Landgericht Berlin – Strafverfahren 1919–1933 A Rep. 358–02 Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin – Strafverfahren 1933–1945 A Rep. 092 Oberfinanzdirektion Berlin Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) Abt. Deutschland, Inland II A/B Den Haag Ausländische Archive: Landesarchiv Appenzell-Innerrhoden (LA Appenzell) E32. 03. 01: Kantonsgerichtsprotokolle 1934–1936 E14. 21. 01: Standeskommission, Protokolle Archives Générales du Royaume de Belgique (Rijksarchief in België), Brüssel (AGR Brüssel) Ministère de la Justice, Archives de la Police des Étrangers (zitiert: Sûreté Publique) Archives Nationales (Frankreich), Fontainebleau F 7: Police Générale/Sûreté Generale

Archive

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Banque Nationale de Belgique, Brüssel (BNB) Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis Amsterdam (IISG) Johan F. Ankersmit Papers Henri (Hendrik) De Man Papers Pieter Jelles Troelstra Papers Archief Arbeiderspers Various Manuscripts Germany Comintern Collection 1919–1938 Nationaal Archief (Niederlande), Den Haag 2. 05. 03: Inventaris van het archief van het Ministerie van Buitenlandse Zaken: A-Dossiers, 1815–1940 2. 05. 37: Ministerie van Buitenlandse Zaken: DEZ-dossiers (Directie Economische Zaken) 1919–1940 2. 21. 018: Inventaris van het archief van het geslacht Van Beresteyn en aanverwante geslachten Schweizerisches Bundesarchiv, Bern E 2001C Abteilung für Auswärtiges: Zentrale Ablage (1927–1936) Stadsarchief Amsterdam (StA Amsterdam) 5225 Archief van de Politie

Anhang

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Zeitungen 8 Uhr-Abendblatt Appenzeller Volksfreund B.Z. am Mittag Bergisch-Märkische Zeitung Berliner Börsen-Zeitung Berliner Lokal-Anzeiger Berliner Morgenpost Berliner Tageblatt Berliner Volks-Zeitung Berliner Zeitung De Telegraaf Der Angriff Der Reichsbote Der Tag Der Abend Der Ulk Deutsche Allgemeine Zeitung Deutsche Tageszeitung Deutsche Zeitung Deutscher Vorwärts Die Freiheit Die Rote Fahne Frankfurter Zeitung Fridericus Generalanzeiger für Dortmund und das gesamte rheinisch-westfälische Industriegebiet

Germania Hansa Kurier Het Centrum Het Vaderland Het Volk Kladderadatsch L’Ami du Peuple La Libre Belgique La Nation Belge Lachen Links Le Pays Réel Le Soir (Brüssel) Le Soir (Paris) Leipziger Neueste Nachrichten Leipziger Tagespost Leipziger Volkszeitung Münchener Post Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung Neue Zürcher Zeitung Rex Simplicissimus Völkischer Beobachter Vorwärts Vossische Zeitung

Zeitungen

545

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Anhang

576

Personen- und Sachregister A Abraham, Erich 316f. Alles kommt zurecht, Alles komt terecht (siehe Maurice Roelants) Allgemeine Garantie-VersicherungsAktiengesellschaft 96, 132 Alsberg, Max 106 Altenburger Sparbank 93, 137 Amexima (Amsterdamsche Export & Import Maatschappij) 9, 36, 44, 52, 59, 61, 66, 85–142, 174f., 176f., 182, 194, 201, 227, 256, 301, 317f., 379, 384 Amnestiegesetze 207, 231, 278, 340–342, 438f. Anseele, Edward 67, 358 Antisemitismus in Belgien und den Niederlanden 383f., 399, 404, 407, 426f. 409f., 426 Antisemitismus in Deutschland 17, 79–84, 114f., 200, 217, 234, 239, 248, 287–288, 302–305, 309, 358, 416–436, 438, 443, 448–450, 458f. Antisemitismus in Frankreich 375–380, 287, 421–423, 426 Antisemitismus in Russland 33, 39 Aufklärungsradikalismus 27, 289–297, 302, 374, 398, 423 Ausbürgerung 303, 352, 345–352, 435 Ausnahmezustand und Ausnahmerecht 299, 301, 305–311, 307f. 333f., 335f., 337 Ausweisung aus Belgien und den Niederlanden 382–388 B Bacmeister, Walther 204f., 207 Baden, Max von 175, 242 Ballin, Albert 82 Bang, Paul 204, 349

Bankster 29, 398, 406, 421, 449, 458 Baratoff, Paul 237 Bardanne, Jean 378–382, 387f., 407 Barmat, Abraham 49 Barmat, David 48 Barmat, Dora 48 Barmat, Henry (Herschel) 9, 19, 48, 110, 139, 194, 215f., 222, 225, 300, 357, 359, 361, 363–386, 412–414, 436 Barmat, Isaak 48, 66 Barmat, Louis Izaak 9, 33, 436 Barmat, Rosa 9, 48, 132 Barmat, Salomon 9, 48 Barmat-Banken siehe Altenburger Sparbank, Bremer Privatbank, Deutsche Merkurbank, Noorderbank, Preußische HypothekenAktien-Bank, Goldzieher & Penso Barmat-Konzern (siehe Amexima und Barmat-Banken) Barmatpartei, Barmatrepublik, Barmatsumpf, Barmatiden, Barmatologie, Barmat-Sozialdemokratie 18, 144, 147–149, 177, 184, 447, 420 Barmat-Pechowitsch, Schewa 49 Bassenheim, Waldbott von 45 Bauer, Gustav 50, 52, 58, 63f., 141, 150, 162, 171, 175–183, 220, 289, 439, 447 Bayerische Regierung 57, 153f. Beale, Phelan 353f. Belgische Nationalbank 16, 360, 363–374, 382f., 394, 399–414 Berliner Börsen-Zeitung 198, 223 Berliner Lokal-Anzeiger 146, 175–177, 198, 217, 236, 253, 289 Berliner Tageblatt 12, 168, Berliner Volks-Zeitung 78, 174, 190

Personen- und Sachregister

577

Berndt, Alfred-Ingemar 419 Bernhard, Georg 101, 132, 147, 203, 205, 214, 340, 432, 460 Bethke 219 Bethmann Hollweg, Theobald von 280 Beutekapitalismus 22, 312 Biografie 16–19, 24, 32, 446f., 451, 456 Bischof, Josef 363f. Bismarck, Otto von 165 Blau, Gustav 124 Bloch, Ernst 252 Bloch, Paul 287f. Blockade, See- und Wirtschaftsblockade 35, 53, 160 Blum, Léon 378, 421f. Bödeker, Hans Erich Bolschewismus und Bolschewist 54, 305, 395, 430, 436 Börsencrash, Börsenkrach 263, 300, 376, 328, 360f., 369 Börsenfürsten, Börsenkönige, Börsenmakler, Börsenkapitalismus 39, 90, 302–311, 315, 318, 324, 355f., 360, 428f., 432f., 449, 458 Braun, Otto 157f., 168, 185, 242, 245, 274, 290, 333 Brecht, Bertolt 234, 241f., 247, 259f., 263f., 299 Bredt, Johann Victor 256 Breithaupt, Wolfgang 204 Bremer Privatbank 94 Briefs, Götz 21, 56, 87, 321, 391 Brodeck y´, Vilém 41 Brüning, Heinrich 313f., 316f., 327–330 Burger Eisenwerke A. G. 96–98, 101 Bürgerblock 26, 144, 156–162, 168, 183 Busch, Ernst 235

C Capitalism politico-financier 394–398 Carlowitz 190 Caspary, Rudolf 199f., 202, 204f., 207–209, 273f., 294f. Céline, Louis-Ferdinand 422 Central-Verein Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens 256 Chaplin, Charlie 275 Chautemps, Camille 376f. Clemenceau, Georges 265 Colijn, Hendrik 386 Corbin, Alain 18 Crohne, Wilhelm 336 Curzon, George 387 Curzon, Roper 387 D Daladier, Édouard 377 David, Eduard 38, 184 Davidsohn, Georg 76f., 81 DDP 78, 81, 101, 146, 156–168, 195, 290, 328 Deerberg, Friedrich 159, 162, 164–167, 176, 230, 284f. Degrelle, Léon 394–398, 404–410, 415, 421 Dema (Deutsche Magarine- und Speisefett A.G.) 92, 176 Der Angriff 236, 239, 240, 282, 336 Der Deutsche Vorwärts 146, 288 Der Ewige Jude 79, 267, 351, 423–428, 430 Der Kaufmann von Berlin (siehe Walter Mehring) Der Kaufmann von Venedig 234, 239, 248 Dernburg, Bernhard 132 Der Rattenkönig 72–79, 269f., 288, 425 Der Weltkampf 82 De Telegraaf 383–388

Anhang

578

Deutsche Bank 228, 327 Deutsche Girozentrale 106, 108f., 225 Deutsche Merkurbank 94–97, 101, 103–108, 111f., 137, 141, 174, 237 Deutsche Zeitung 178, 206, 318 Deutschvölkische Freiheitspartei 81, 151, 189, 199, 204, 279, 302, 306 Deutschvölkischer Schutz und Trutzbund 81f. Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund 81f., 279 Die Rote Fahne 9f., 48f., 146, 199, 240, 246 Dietrich, Hermann 124, 328–330 Diktatur, diktatorischer Ausschuss 55, 265, 266, 393 Disconto-Gesellschaft 89, 117, 124, 327 Disziplinarverfahren 13, 79, 187, 197–209, 313, 274 DNVP, Deutschnationale 12f., 50f., 64, 75–77, 81, 144, 147, 150–155, 157–210, 220, 229f., 283–286, 292, 309f., 323, 331–338, 349 Dorgot, Jean 422f. Dreyfus, Alfred 156, 169, 379, 398, 447 Dumcke, Paul 322 Durieux, Tilla 264 DVP 61, 98, 157–185, 144, 156–168, 182, 189–190, 221, 230, 285, E Ebert, Friedrich 10, 14, 26, 44, 52, 73f., 83, 144, 156, 162–172, 188, 194, 210, 242, 245, 445, 447, 455 Ebert, Louise 162 Einfuhrgenehmigungen 65 Eisler, Hanns 236

Empörung 12f., 19, 72, 144–154, 179, 184, 188–197, 212, 236, 273, 288, 293, 336, 380, 403, 438 Endrulat, Margarethe 167 Engels, Jens Ivo 20 Enzler, Karl 360–365 Erdmann, Karl Dietrich 428, 444 Ernst, Eugen 80 Etzdorf, 190 Eulenburg-Skandal 71, 76 Ewald, Moritz (s. Zarnow, Gottfried) Eyck, Erich 210, 212, 214, 446 F Fallada, Hans 427f. Faßland, Frank 91 Feder, Ernst 168 Feder, Gottfried 310, 355, 420, 432 Fehrenbach, Constantin 156 Felgen, Friedrich 283 Feuchtwanger, Lion 350 Film 14, 21, 29, 79, 110, 126, 201, 239, 246, 249f., 252, 260, 267, 418, 422, 423–428, 430, 442, 459 Finanzkapitalismus 153, 330, 378, 449, 459 Fischer, Ruth 149 Flick, Friedrich 86, 91, 324, 327, 342 Flüchtlinge, russische und jüdische 25, 37, 40, 46f., 50f., 80, 256, 314f., 347, 379, 384, 423, 435, 460 Ford, Henry 263 Fraenkel, Ernst 284, 339 Franck, Louis 369, 371, 399, 404, 406f., 409, 411f. Frank, Walter 91, 337 Freisler, Roland 291f., 336 Frick, Wilhelm 302, 304f., 308, 310 Fritze, Ulrich 203 Fürstenenteignung, Volksentscheid über 28, 84, 302–310, 344

Personen- und Sachregister

579

G Gefesselte Justiz (siehe Moritz Ewald) Geschenke 54, 68, 137, 140f., 162, 169–183, 192, 225, 357, 423 Goebbels, Joseph 239f., 267, 282, 304, 333, 419, 431 Goethe, Johann Wolfgang 272 Goldschmidt, Jacob 324f. Goldzieher & Penso 362f., 366–374, 381, 399, 407, 413f. Göring, Hermann 294, 332, 334f., 338f., 341 Goslar, Hans 198 Gradnauer, Georg 67f., 70, 156 Graefe, Albrecht von 302, 304f. Grenadierstraße (siehe Scheunenviertel) Grenzgänger des Kapitalismus 20f., 25f., 85–142, 241, 456 Grenzkontrollen, Grenzsperren 28, 44, 51, 80, 226, 357, 382–387 Grenzmoral (s. Götze Briefs) Grimm, Friedrich 296, 341f., 438 Grünberg, 128 Gualino, Riccardo 323 H Haase, Hugo 42 Habbena, 127 Haensch, Konrad 70 Hafenarbeiterstreik, niederländischer 61–64 Hanau, Marthe 127, 374, 376, 423 Harden, Maximilian 71, 76 Harnisch, Johannes W. 253 Heidelberger Parteitag der SPD 178–185, 447 Heilmann, Ernst 40–44, 65, 68, 70–72, 97, 134, 158, 162, 167, 171f., 174, 178, 180–183, 189, 203, 221, 241, 257, 291, 311, 327, 435 Heinrichsbauer, August 282

Held, Heinrich 153f., 265, 267 Helphand, Alexander [Israel Lasarewitch], Parvus 69–73, 77, 221, 270, 422, 445 Helfferich, Karl 75 Helling, Hermann 213 Hellwig, Hans 100, 136, 139, 222, 225 Henk, Fritz 73 Hermanowski, Georg 443 Hermes, Andreas 64f., 158 Hertling, Georg von 37 Herz, Cornelius 175, 265 Herzog, Wilhelm 233, 242, 246, 265f., 423 Hilferding, Rudolf 132 Hindenburg, Paul von 95, 148, 169, 245, 299, 328, 439 Hippler, Fritz 267 Hirtsiefer, Heinrich 291 Hitler, Adolf 279, 284, 296, 304, 331, 333, 338f., 349, 396, 429f., 435, 438 Hoffmann, Richard 213, 215, 278 Holmes, Sherlock 403 Höltz 199 Hölz, Max 242 Holzmann, Michael 10, 125–128, 135, 220f., 423 Hosemann 222 Houssong, Friedrich 217 Hugenberg, Alfred 146, 204, 208, 220, 230, 283, 285, 287, 308, 349 Humboldt-Dachroeden, Hans Paul Frh. von 45, 66 Hunger, Hungergesellschaft 35, 38, 52–64, 79, 82, 84, 258, 270, 289, 440 Huysmans, Camille 41f., 44, 67, 383 Hyperkapitalismus 394–396, 398, 403

Anhang

580

I Industrie- und Handelskammer Berlin 273, 274. Industrie- und Handelskammer Bochum 65f Inflation, Hyperinflation 15, 19, 59, 84–142, 144, 153, 176, 210, 227–229, 235, 237f., 249f., 258, 262f., 264, 274, 301, 303–310, 314, 316–319, 324-, 337, 375, 426, 446, 453, 455, 458, 460 Internationale, Dritte (kommunistische) 39, 148f. Internationale, Zweite (sozialistische) 16, 25, 41–45, 68, 107, 164, 379 J Jacobs, Monty 266 Jaspar, Henri 398 Juden, Ostjuden und Sozialdemokraten 41–45, 74, 77, 82–83, 153, 354 Jung, Otto 353 Justizminister/ministerium, niederländisches 386, 409, 411 Justizminister/ministerium, preußisches 11, 139, 161, 197f., 200–202, 205f., 209, 212, 215, 283–285, 292, 294, 335f., 339, 348, 427, 439 Justizmord 194, 213, 215 Justizreform 27 K Kähler, Wilhelm 50 Kalckreuth, Eberhard Graf von 283 Kantonalbank Appenzell-Inerrhoden 360–366, 374 Kapitalismus, amerikanischer, deutscher, rheinischer, jüdischer 18, 29, 71, 114, 122, 131, 234, 248, 263, 267, 302–305, 320, 332, 422, 429, 441, 445, 457, 458

Kapitalismuskritik 29, 77, 133, 148f., 172, 233–268, 266, 311, 354, 393, 441, 448, 458 Kapitalismus, politischer und rationaler 21–24, 25f., 28, 74, 129, 131, 142, 185, 301, 317, 329, 330, 423, 441, 448, 449, 455, 458 Kapitalismus, siehe Bankster, Beutekapitalismus, capitalism politicofinancier, Finanzkapitalismus, Grenzgänger des Kapitalismus, Hyperkapitalismus, Kasino-Kapitalismus, Monopolkapitalismus, Raubtierkapitalismus, Sparerkapitalismus, Vampirkapitalismus Kapitalismus, spekulativer und produktiver 81, 255–259, 315–317, 323, 328, 343, 355, 431–434, 458 Kapitalismus und (Wirtschafts-) Krise 263f., 300, 311, 321, 360, 366–375, 457, 459 Kapitalismus und Wirtschaftsmoral (siehe Götz Briefs) Kapitalverkehrskontrolle 28, 314 Kapp-Lüttwitz-Putsch 62f., 173, 175, 204, 231, 245 Karstädt 190 Kasino-Kapitalismus 453 Katzenelle bogen, Ludwig 264 Kaufhold, Joseph 64 Kaul, Karl 439f. Kautsky, Luise 42 Kautz, Emil 98, 112f. Keil, Wilhelm 67–69, 178 Kempner, Robert 330, 439 Kerenski, Alexander 37 Kerr, Alfred 234, 236 Kerrl, Hanns 335, 337 Keynes, John Maynard 86, 300 Kirdorf, Emil 91 Kladderadatsch 11, 51, 121f., 151–153, 165, 243, 417, 433f. Knoll, Ernst 203–209, 219, 349

Personen- und Sachregister

581

Koenen, Wilhelm 62, 140 Köhler, Bernhard 432 Kohlhaas, Michael 27, 271–273, 277, 287, 293, 307, 424 Kölling-Haas, Der Fall 213–215, 278 Kölling, Johannes 213–215, 278 Konkursverschleppung 19, 134 Korruption und bürgerliche Parteien 331, 188–194, 204–208 Korruption und Frankreich 264–266, 375–378, 380, 421–423 Korruption und Juden, Ostjuden 17, 64–84, 72–79, 88, 133–142, 144, 147–154, 170, 244f., 265, 282, 302–211, 330–352, 373–380, 386, 387f., 393, 408f., 410, 398f., 417–437, 457 Korruption und KPD 39, 68, 140, 147–149, 175, 189, 242–246, 331 Korruption und Kriegswirtschaft und Inflation 52–84, 88, 129–133 Korruption und Niederlande und Belgien 384–386, 388, 393f., 397–403, 404–415 Korruption und radikale Rechte, NSDAP und NS-Staat 269–298, 330–356, 331–338, 417–420 Korruption und römische Republik 275f., 295 Korruption und SPD 25f., 48f., 49–51, 55–84, 134, 144–194, 269–298, 274, 311, 319f., 417 Korruption und Weltwirtschaftskrise 321–328 Korruption, Bestechung und Betrug 9f., 15, 17–20, 25–27, 29, 58, 64–84, 88, 129, 133–142, 202, 220f., 229, 234, 242, 244, 265, 269–271, 273f., 276, 278, 282, 293–300, 311, 312, 317, 325, 330–343, 348, 373, 375–378, 380,

386, 388, 393, 397, 398, 403, 414, 418–421, 428, 437f., 442, 446, 449, 454, 457f. KPD 9, 39, 47–49, 62, 68, 77f., 81f., 140, 144–149, 155, 160, 165, 166, 169, 175–177, 230f., 233, 242–248, 290, 303, 350f., 439f., 444f. Kreuger, Ivar 324, 332, 360 Kriegs-, Inflations- und Deflationsgewinnler 21, 25, 32, 35f., 47, 61, 70f, 76, 61, 81, 90, 117–121, 123, 131, 153, 179, 214, 452, 457f. Kriegswirtschaft 23, 255–258, 81, 82, 92, 142, 177, 455 Krüger, Franz 44, 52, 62 Kube, Wilhelm 305f., 308 Kulturbolschewismus 242, 343 Kussmann, Erich 199, 201–209, 212, 219, 274 Kutisker, Iwan 10–12, 19, 80, 83, 88, 99, 101–103, 113f., 117, 120–129, 134f., 137f., 145, 153, 155, 168f., 190, 197–205, 208, 213, 216, 218, 220f., 228, 240f., 244, 248, 254, 257, 269f., 273f., 282, 291, 294, 300, 302, 308, 337f., 340, 343, 350, 419, 423, 425, 427f., 438, 440, 455 Kuttner, Erich 70–72, 75, 162, 171, 203, 211f., 215, 219, 285, 287, 291f., 351, 435 L Lachmann, Philipp 27, 271–277, 287, 293–295, 297 Lahusen, Georg Carl 322 Lange-Hegermann, Hermann 104f., 107, 109, 112, 136, 141, 159, 224, 237 La Novita 34, 36, 89 Leers, Johann von 295, 420 Leidig, Eugen 61, 159, 167, 182, 230

Anhang

582

Lenin, Wladimir Iljitsch 38 Leopold, Bernhard 205 Leopold III. 400 Lewy, Gerhard 98, 112, 121 Lieber, Carl 219, 239 Liebesgaben (siehe Geschenke) Liebknecht, Karl 75, 246 Liebmann, Hermann 180 Lindow, Siegfried 198, 207f. Litwin, Paul 189, 207, 244 Löwenstein, Siegfried 201, 223, 370f., 389, 413 Lubarsch, Otto 218, 241 Ludendorff, Erich 71, 154, 279 Ludendorff, Mathilde 251 Luftgeschäft 19, 112, 121–128, 238, 255, 300, 376, 418, 433 Luxemburg, Rosa 75, 246 M Mahraun, Artur 204 Maistriau, Victor 409 Maltzan, Adolf Georg Frh. von 37, 45, 140 Man, Hendrik de 58, 106f., 130, 224, 240, 259, 262, 274f., 285, 310, 329, 333, 335, 372, 401, 403, 406, 414, 418, 425, 438, 453 Manasse, Berthold 129f., 132 Mann, Heinrich 350 Mann, Thomas 87, 134, 250 Marx, Salomon 177 Matthijsen, Jan Willem 43 Marx, Wilhelm 157, 159, 169 Mehring, Walter 27, 233–260, 351 Michael, Erna 318, 343, 351 Michael, Jakob 11, 19, 28, 88, 91, 99, 101f., 114, 117, 121, 125, 220, 238, 240, 301, 312, 316–355, 433 Militärbestände 10, 121–128, 238 Militärischer Nachrichtendienst 37, 73, 75, 135, 380

Militärischer Nachrichtendienst 37, 73, 75, 135, 380 Moholy-Nagy, László 236 Moll, Walter 175 Möller, Eberhard Wolfgang 265 Monopolkapitalismus 448 Moral, politische, wirtschaftliche, soziale 18–24, 26, 55–57, 74, 78, 86–87, 139, 143–185, 188, 227f-228, 223, 249, 256, 273, 276, 297, 305–311, 321–325, 388–392, 395, 409, 424, 429, 442f., 451f., 456 Morgan, John Pierpont 245, 263 Müller, Georg 283 Müller, Hermann 42–44, 70 Mussolini, Benito 323, 396 N Neumann, Victor 70, 219, 222, 226 Neureiche (siehe Kriegs- und Inflationsgewinnler) Nonnenbruch, Fritz 432 Noorderbank 366–374, 381, 399, 407, 413f. 442 Noske, Gustav 167, 286 Nothmann, Friedrich (Fritz) 199 Notwehr und Selbsthilfe 75, 275, 271–273, 337 NSDAP und 25-Punkte-Programm 28, 303, 304 NS-Vernichtungspolitik 428–436, 437f. Nuschke, Otto 160 O Oldenburgische Staatsbank 108, 112, 133, 225 Oppen, Joachim von 276, 283 Ordoliberale, Ordoliberalismus 315, 329 Ossietzky, Carl von 237

Personen- und Sachregister

583

Ostjuden 10f., 16, 25, 31–84, 113, 134, 144f., 150–154, 164f., 199, 218, 230, 234–241, 251–259, 267, 302, 309, 349, 422, 425, 448 Oustric, Albert 376, 423 P Paetzel, Wilhelm 195 Panama 82f, 190, 201, 223, 264–266, 378 Papen, Franz von 137, 159f., 192, 297, 327, 380 Parena, Emmanuel 397 Pariakapitalismus 255, 256 Pelchmann, Horst 69f., 72f., 77, 135, 221, 270, 422, 445, 437f. Peltzer 199 Perel, Jules 393 Petitjean, Robert 358, 371, 381, 392, 404, 407, 412 Pinner, Felix 91 Piscator, Erwin 27, 78, 233–254, 259f., 264, 267, 351 Pius XI. 395 Politische Justiz 212, 242–245, 270, 278f, 438 Preiser 209 Pressedienst, preußischer, deutschnationaler 77, 197f., 203–207 Preußische Hypotheken-AktienBank 96, Preußische Staatsbank (Seehandlung) 9–12, 25, 49, 85, 90, 92, 96–97, 98–140, 147, 152, 155f., 158, 161, 175–177, 192, 219, 220, 222, 224f., 244f., 361, 364, 379, 453, 459 Pritschow, Eugen 55, 58 Privatkredit (siehe Geschenke) Protokolle der Weisen von Zion 448

R Rabbinowitz, Julius 96, 136 Radek, Karl 39, 71, 81, 148–150, 246 Ranke, Werner 343–345 Rathenau, Walther 82f., 211 Raubtierkapitalismus 376 Rauscher, Ulrich 70 Reemtsma, Philipp 340 Reichsfluchtsteuer 312–315, 330, 343–348, 352, 355, 429, 433 Reichspost, Reichspostminister 10f., 13f., 26, 85, 100, 104–114, 119f., 133, 137, 141, 158, 189, 194–197, 225, 329, 439, 447 Reichspräsidentenwahlen 162–169 Reinbach, Jacques de 265 Reitzmann, Alexander 372 Renoir, Jean 421 Revolutionierung Russlands 31, 37f., 73, 422 Rexisten 393–416 Richter, Ernst von 158 Richter, Wilhelm 9, 70, 79, 172–175, 221, 245 Rockefeller, John D. 263 Roelants, Maurice 383, 388–391, 403, 409, 442 Römer, Felix 53 Roosevelt, Franklin D. 385, 399 Rosen, Alfred von 45 Rosenberg, Alfred 82 Rosenberg, Arthur 78, 149, 166, 294, 306, 444 Roth A. G. 96, 101, 136 Roth, Alfred 79–83, 96f., 101, 103, 111, 121, 136 Rühe, Fritz 127, 137–139 S Sänger, Alvin 166, 235 Sap, Gustave 405f., 415 Schacht, Hjalmar 103, 161, 432, 439

Anhang

584

Scheidemann, Philipp 70–74, 172, 220, 247, 350, 447 Scheunenviertel 47, 80, 238, 240f., 251, 253–255, 257, 267 Schieber, Schieberfirma, Schieberparadies, Schiebertum, BarmatSchieber, Finanzschieber, Revolutionsschieber 10, 47, 48, 56, 63, 65, 72, 72, 77f., 81, 100, 149, 151, 154, 159, 168, 189, 201, 218, 237, 267, 295, 302f., 308f., 310, 314, 351, 417, 433f., 445 Schiff, Anton 106, 194, 351 Schlesinger, Paul Felix 440 Schmidt, Hermann 215, 283 Schmidt, Paul 192 Schmidt, Robert 55–57, 221 Schmitt, Carl 266, 312, 337 Scholem, Werner 149 Schröder, Franz 131 Schröder, Richard 213 Schultze, Erich 219 Schulz, Paul 278, 281–283, 290f., 295f., 305 Schumpeter, Josef 57, 92 Schwanenwerder 9, 49, 52, 67, 69, 72, 84, 89, 139, 145, 178, 233, 244–245, 270, 419, 439 Schwarz, Albert 64, 68, 192, 214, 291 Schwarzschildt, Leopold 216f. Schwering, Leo 218 Schwill, Günther 441 Seelmann-Eggebert, Erich 195 Segers, Paul-Willem 398 Sensation, mediale 12f., 125, 145–147, 164, 177, 411, 441, 443 Seriosität und wirtschaftliche Solidität 20, 88–91., 455 Severing, Carl 50, 147f., 158, 160, 171–175, 205f., 214, 333, 445 Simon, Walter 235, 283 Simplicissimus 11, 161f., 163, 192, 307, 309, 326

Sinclair, Upton 72 Sinowjew, Grigori 149 Sklarek-Skandal 300 Sklarek, Willy 425 Sklarz, Georg 31, 72–79, 135, 205, 210f., 220f., 244, 269f., 273f., 291, 300, 338, 350, 419, 429, 445, 447, 455 Sochaczewski, Martin 77 Sombart, Werner 24, 255, 257f., 431, 448–450 Sonnenfeld, Hermann 76f., 81 Spaak, Paul-Henri 401 Sparerkapitalismus 448 SPD 18, 41–45, 52, 55–84, 187–221, 242f., 246f., 274, 290–292, 303, 434f., 444f. Spekulation, Spekulant (siehe auch Währungsspekulation) 10f., 19, 22, 26, 28f., 86, 87, 90, 92f., 95, 98–104, 119, 125, 126–128, 234, 237, 241, 250f., 255f., 262, 300, 311, 315, 317, 320,-324, 328f., 330, 343, 355, 359, 360–364, 367, 369, 373, 376, 387, 393, 399–403, 413, 419, 428, 431, 433, 440, 445, 449, 455, 456, 458 Staatsanwaltschaft, Berliner 10f, 13, 19, 79, 102f., 105, 107f., 111f., 114, 116–121, 127f., 136, 137–139, 143, 145f., 156, 163, 173, 176f., 194–231, 301, 312, 324, 332, 335, 338–341, 343–344, 368, 373, 402, 408, 410f, 413f Stachel, Bruno 225, 392 Stampfer, Friedrich 445 Staub, Alfred 96, 112, 136 Stavisky-Affäre 266, 373–383, 387f., 393, 407f., 421–423, 427, 442 Stavisky, Serge Alexandre 16, 266, 373–383, 387f., 393, 407f., 421, 423, 427, 442

Personen- und Sachregister

585

Stein, Adolf 283, 287, 308 Stein, Dietrich von 124 Stinnes, Hugo 86, 91, 131, 205, 244, 256, 316, 318, 342, 446 Stoffregen, Götz Otto 283 Straperlo-Affäre 393 Straßer, Gregor 281f., 290f., 295f., 304 Straßer, Otto 304 Strauss, Daniel 393 Streicher, Julius 420 Stresemann, Gustav 144, 157, 189f., 206, 209, 221, 244, 446 Susanne Wein 420 Süß Oppenheimer, Joseph 423 T Tardieu, André 376 Tetzlaff 207 Thälmann, Ernst 169 Thyssen, August 91 Tigges, Eduard 209 Tilmont, René 412 Toepffer, Helmuth 43f., 164 Treitschke, Heinrich 23 Trendelenburg, Ernst 328 Treu und Glauben 87, 227, 294, 307, 336f., 374, 455 Troelstra, Pieter Jeller 40–43, 357 Trotzki, Leo 38, 81, 246, 358 Tucholsky, Kurt 239, 350 U Ukraine 32, 38–40, 45, 48, 182, 377, 380, 409 Untersuchungsausschüsse, parlamentarische 13–15, 141, 143, 154–156, 159, 290–293, 161–178, 192, 195f., 204–207, 230, 283, 290–293 Usance im Geschäftsverkehr 87

V Vampirkapitalismus 421f. Van Dieren, Edmond 408f. Van Zeeland, Paul 400, 403, 410f., 415 Vertrauenskrise der Justiz, Krise der Justiz 209–215, 219, 224, 278, 287–292 Völkischer Beobachter 282, 418f., 420, 431f. Volksernährung (siehe Hunger) Volksfrontregierung 378 Volksrecht 305–311, 335–338, 345f., Vorwärts 43, 106, 146f., 172, 194f., 196, 212, 219, 246, 351, 445 Vossische Zeitung 107, 155, 223, 228, 318 Vreese, Ferdinand de 381 W Währungsspekulation, Devisenkurse 59–61, 86, 95, 387, 393, 399–403 Währungsstabilisierung 15, 26, 28, 85–87, 94, 99, 101f., 104, 108, 115, 118, 124f., 129, 131, 142, 144, 227–229, 238, 251, 304, 318, 418f., 420 Waldhausen, Wilhelm von 159, 230 Weber, Hermann 21f., 23, 95, 129, 189, 255, 311, 448–450 Weber, Max 21–24, 129, 142, 255, 311, 317, 423, 448f., 450 Weill, Kurt 260–262 Weinschenk, Hugo 97 Weismann, Robert 242 Weiß, Bernhard 147, 203, 206, 291, 340, 350 Wels, Otto 42–44, 70, 164, 178, 180f., 183f., 212, 245, 350 Wenk 201

Anhang

586

Werthauer, Johannes 200, 212, 273–275, 291, 294, 340, 350 Westarp, Kuno Graf von 192, 284, 310 Wijnkoop, David 38 Winter, Leo de 89 Winter, Rosa de 33, 141 Wolff, Otto 274, 324, 327, 340, 342 Wolpe 189 Wucher, Wucherer, Wucherzinsen 10, 19, 26, 81, 114–120, 125, 134, 151, 153, 220, 237, 256, 266, 282, 302, 303, 334, 336, 424, 433, 438

Württemberg, Karl Alexander Herzog von 58, 423, 425 Z Zarnow, Gottfried (Moritz, Ewald) 27, 84, 175, 220, 269–297, 331, 438 Zehnhoff, Hugo am 161, 197, 205 Zeigner, Erich 179 Zentrumspartei, deutsche 64f., 92, 104–107, 126f., 154–169, 187, 194–197, 202–205, 212, 215, 218f., 242, 274, 334, 340, 454 Zola, Émile 21, 169, 287

Personen- und Sachregister

587

Dank Das Interesse an Julius Barmat wurde schon vor vielen Jahren durch meine früheren Arbeiten zur deutschen Inflation geweckt. Zu einem »Projekt« wurde seine Geschichte erst dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Zeit zwischen 2009 und 2013. Ohne die damit ermöglichte zeitweise Freistellung vom Lehrbetrieb und die Finanzierung von längeren Archivaufenthalten hätte ich das Buch kaum realisieren können. Einer Vielzahl von Personen bin ich zu Dank verpflichtet. Der Aufenthalt im akademischen Jahr 2011/12 am Freiburg Institut for Advanced Studies (FRIAS/School of History), dessen kurze Geschichte mehr als alles andere ein Beispiel für die Kurzatmigkeit deutscher Wissenschaftspolitik ist, war für mich außerordentlich anregend und inspirierend. Gedankt sei den damaligen Direktoren Ulrich Herbert und Jörn Leonhard, dann aber den vielen anderen Gästen, darunter besonders Wolfgang Knöbl (Hamburg), Cornelius Torp (Berlin) und Monika Wienford (Berlin). Wichtige Überlegungen verdanke ich den Diskussionen im Rahmen des interdisziplinären Schwerpunktprogrammes Global Capitalism and the Dynamics of Inequality des Center for Advanced Studies (CAS) der LMU zwischen 2015 und 2017, insbesondere aber dem Spiritus Rector dieser Gruppe, dem inspirierenden Kollegen Stephan Lessenich. Vielfältige Hilfe geleistet haben über die Jahre hinweg die Archivarinnen und Archivare des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz und des Berliner Landesarchivs. Erst die Recherchen im Landesarchiv Appenzell-Innerrhoden haben mich wirklich auf die Spur in Belgien geführt. Hier danke ich besonders dem damaligen Archivar Stephan Heuscher, ebenso Luc Vanderweyer im Belgischen Generalstaatsarchiv (Archives Génerales du Royaume de

Dank

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Belgique/Algemein Rijksarchief) in Brüssel sowie Arnold de Schepper im Archiv der Belgischen Nationalbank. Ein besonderer Dank gilt Reinier Bijman (Amsterdam), der für mich Recherchen in niederländischen Archiven, darunter dem Nationalarchiv in Den Haag, sowie Zeitungsrecherchen durchgeführt und mir bei der Übersetzung von Quellen und Literatur ins Deutsche sehr geholfen hat. Ohne studentische Hilfskräfte keine Forschung. Besonders danke ich Patrick Labourdette (Freiburg), Paul Munzinger (München), und Johannes Rützel (München), die mehr als nur Bücher geschleppt haben. Vorträge in Kolloquien haben mir immer wieder vor Augen geführt, wie kompliziert es ist, die hier erzählte Geschichte zu präsentieren. Das erwies sich aber als ein produktiver Lernprozess, wobei ich mich gerne an die Veranstaltungen von Jens Ivo Engels (Darmstadt), Martin Lengwiler (Basel), Mirjam Triendl-Zadoff (Bloomington, IN) sowie Paul Betts und Nick Stargardt (beide Oxford) erinnere. Teile des Manuskripts lasen und kommentierten Peter Becker (Wien), Martin Baumeister (Rom) und Carola Dietze (Jena). Daniela Gasteiger, die eine Arbeit über den Grafen Kuno von Westarp erstellte, erwies sich über die Jahre hinweg als außerordentlich hilfreiche Diskussionspartnerin und Leserin, von der das Manuskript sehr profitiert hat. Birgit Otte und Wolfgang Knöbl danke ich für die Aufnahme in das Programm der Hamburger Edition. Das erwies sich als ein außerordentlicher Glücksfall, nicht zuletzt weil das Lektorat von Sigrid Weber und Birgit Otte das Manuskript sehr verbessert haben. Familienmitglieder nehmen Forschungsprojekte oft als rätselhafte Marotte wahr. Julia und Aaron danke ich für die dezenten Nachfragen nach dem absehbaren Abschluss, meiner Frau Dona, der ich das Buch widme, für die nachsichtige Versicherung, dass es schließlich fertig werden wird.

Anhang

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Zum Autor Martin H. Geyer ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine aktuellen Forschungsthemen sind die Geschichte der Zwischenkriegszeit, die Entstehung des modernen Belagerungs- und Ausnahmezustands und die Zeitgeschichte seit den 1970er und 1980er Jahren.

Dank

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