Kapitalgesellschaftsrecht: Mit Grundzügen des Kapitalmarktrechts [4th newly revised edition] 9783110595802, 9783110595789

The fourth edition of Wilhelm’s textbook on corporate law incorporates the latest legal developments in corporate law an

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Kapitalgesellschaftsrecht: Mit Grundzügen des Kapitalmarktrechts [4th newly revised edition]
 9783110595802, 9783110595789

Table of contents :
Vorwort zur 4. auflage
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der abkürzungen
Verzeichnis der abgekürzt zitierten literatur
A. kapitalgesellschaftsrecht, kapitalgesellschaften, kapitalmarktrecht
B. system und entwicklung des aktg und des gmbhg, das europäische gesellschaftsrecht und ausblick auf das kapitalmarktrecht
C. die gründung der ag und der gmbh
D. der schutz des vermögens der durch eintragung entstandenen ag und gmbh
E. die änderung des gezeichneten kapitals
F. die mitgliedschaft als rechtsstellung der gesellschafter der kapitalgesellschaft
G. aktionär und aktie im markt – kapitalmarktrecht
H. gesellschafterverantwortung und kontrollrechte in der kapitalgesellschaft
I. die organisation der ag und der gmbh
J. die kommanditgesellschaft auf aktien
K. konzernrecht
L. die rechnungslegung bei ag, kgaa und gmbh
M. ende oder umwandlung der kapitalgesellschaft
Entscheidungsregister
Sachregister

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Jan Wilhelm Kaptalgesellschaftsrecht De Gruyter Studium

Jan Wilhelm

Kapitalgesellschaftsrecht | Mit Grundzügen des Kapitalmarktrechts

4. Auflage

Dr. iur. Jan Wilhelm, em. Professor an der Universität Passau für Bürgerliches Recht und Handels- und Wirtschaftsrecht II

ISBN 978-3-11-059578-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-059580-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-059362-4 Library of Congress Control Number: 2018942598 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: SeanPavonePhoto/iStock/Getty Images Satz/Datenkonvertierung: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort | V

Vorwort zur 4. Auflage Vorwort Vorwort https://doi.org/10.1515/9783110595802-202

Das Recht der Kapitalgesellschaften ist schnelllebig. Gesetzgebung und Rechtsprechung setzen ständig neue Marksteine. Dies gilt insbesondere für das Kapitalmarktrecht, das für die Praxis der Aktie wesentlich ist, aber auch Regelungen für die Vermögensanlage in GmbH-Anteilen umfasst, und deshalb wenigstens in den Grundzügen zu berücksichtigen war. Immer öfter wird in beiden Rechtsgebieten der europäische Gesetzgeber tätig und müssen dessen Reformschritte vom nationalen Gesetzgeber umgesetzt und von der Rechtspraxis begleitet werden. Wer die Vielfalt der auf europäischer und nationaler Ebene geleisteten legislatorischen Arbeit überschauen will, kann dies an Hand der Übersichten über die Normgebung in beiden Rechtsgebieten tun: Im Recht der Kapitalgesellschaften ist die Übersicht zur deutschen Gesetzgebung Bestandteil der geschichtlichen Entwicklung, die im allgemeinen Teil unter B. III. dargestellt ist. In dem allgemeinen Teil wird das Kapitalgesellschaftsrecht vorweg in das allgemeine System eingeordnet und werden die Grundbegriffe entwickelt. Zum Europäischen Recht folgt die Übersicht über die Normgebung in dem darauf bezogenen Abschnitt B. IV. Im Kapitalmarktrecht wird die Übersicht in Rn 691 gegeben. Zum Bilanzrecht schließlich folgt noch die Übersicht unter L I. Nur beispielhaft herauszugreifen sind die Aktienrechtsnovelle 2016, die Neuregelung des Geldwäschegesetzes, die Umsetzung der CSR-Richtlinie, das 2. Finanzmarktnovellierungsgesetz. Das Verständnis der komplizierten Materien wird durch jenen allgemeinen Teil nach Kräften gefördert. Nach der Grundlegung verläuft die Darstellung von der Gründung der Gesellschaften bis zu deren Ende. Der Vermögensschutz, die Mitgliedschaft, die Organisation einschließlich der Rechnungslegung sowie die Grundzüge des Konzernrechts und die Beteiligung an den Kapitalmärkten machen die Praxis der werbenden Gesellschaften aus. Die Aufgabe, eine insbesondere für Studierende verwendbare kompakte Darstellung zu verfassen, die gleichwohl die für die Praxis wichtigen Materien umfasst, ist schwer zu bewältigen. Der Rahmen kann nur gehalten werden, wenn Kompromisse gemacht werden. Der Kompromiss, der im Vergleich zur Vorauflage jetzt verfolgt wird, betrifft die Arbeit mit der Kommentarliteratur. Nur die Rechtsprechung, die sich ja immer gründlich mit der Literatur auseinandersetzt, und bestimmte repräsentative Werke sind auf dem neuesten Stand durchgesehen. Im übrigen wird auf die wissenschaftliche Arbeitsteilung vertraut. Das Buch ist also auf eine in der Materie vollständige, wenn auch möglichst knappe Darstellung gerichtet, die es an der notwendigen Anleitung zur vertieften Auseinandersetzung nicht fehlen lassen soll. Ziel sind ein Durchgang durch das Recht der Kapitalgesellschaften und eine Einführung in das Recht des https://doi.org/10.1515/9783110595802-202

VI | Vorwort

Kapitalmarkts, die für Examen und Praxis sachkundig machen, aber auch dazu instand setzen können, der Erzählung von „Gesellschaftsrechts-Geschichten“ (Fleischer/Thiessen) zu folgen. Großen Dank habe ich den Mitarbeitern meines Bochumer Kollegen Professor Dr. Markus Fehrenbach, Frau stud. iur. Kristin Schiemann und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Frau Julia Hilger zu sagen. Sie haben es übernommen, das umfangreiche Entscheidungsregister an den seit der 3. Aufl. vollständig veränderten Text anzupassen und zu ergänzen. Gewidmet ist das Buch unverändert meiner Frau. Passau, im März 2018

Jan Wilhelm

Inhaltsverzeichnis | VII

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis https://doi.org/10.1515/9783110595802-203

Vorwort | V Verzeichnis der Abkürzungen | XXV Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur | XXXIII

A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht I. Die Einordnung der Kapitalgesellschaften in das System unseres Privatrechts | 1 1. Begriff der Kapitalgesellschaften | 1 2. Die Kapitalgesellschaften als juristische Personen | 1 3. Die Relativierung der juristischen Personen durch die Durchgriffslehre | 7 II. Die auf Personen- und Kapitalgesellschaften anwendbare lex generalis | 8 III. AG und GmbH als reine Kapitalgesellschaften, Mischformen, verbundene Unternehmen | 10 1. Unterscheidung der AG und GmbH nach deutschem Recht | 10 2. Wirtschaftliche Funktion von AG und GmbH, die AG als Kapitalsammelstelle, insbesondere über den Kapitalmarkt | 13 3. Mischformen des Gesellschaftsrechts | 14 4. Verbundene Unternehmen | 15 IV. Übersicht über die Rechtsformen zur Kapitalanlage nach deutschem Recht | 15 V. Vergleich mit den Genossenschaften | 18 VI. Die Grundmerkmale der Kapitalgesellschaften: Kapitalistische Grundlage und Haftungsbeschränkung | 20 1. Kapital, Fremd-, Eigenkapital | 20 2. Das Garantiekapital bei den Kapitalgesellschaften | 21 3. Kapital, Vermögen und Unternehmen | 26

B. System und Entwicklung des AktG und des GmbHG, das europäische Gesellschaftsrecht und Ausblick auf das Kapitalmarktrecht I. Sinn der Darstellung, Abgrenzung zum ausländischen und zum internationalen Gesellschaftsrecht | 29 II. System des AktG und des GmbHG | 30 1. System des AktG | 30 2. System des GmbHG | 34 https://doi.org/10.1515/9783110595802-203

VIII | Inhaltsverzeichnis

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 36 1. Charakterisierung der Entwicklung | 36 2. Die historische Entwicklung bis zum AktG 1965 | 38 a. AG und GmbH im 19. Jahrhundert und in der Zeit bis zum AktG von 1937 | 38 b. Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg: Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer | 47 c. AktG 1965, Reformansätze zur GmbH | 48 3. Die Wiedervereinigung | 49 4. Europarecht | 50 5. Die Gesetzgebung bis zur Gegenwart | 50 a. Übersicht, Gang der Darstellung | 50 b. Gesetz für kleine AG von 1994 | 51 c. Umwandlungsgesetz und Insolvenzordnung von 1994 | 52 d. Gesetze von 1998: Gesetz über die Rechtsanwalts-GmbH, KapAEG, KonTraG, Euro-EinführungsG und StückAG | 53 e. Internationalisierung des Bilanzrechts | 54 f. KonTraG von 1998 und NaStraG von 2001 | 55 g. TransPuG von 2002 | 55 h. Spruchverfahrensgesetz von 2003 und Gesetze von 2004 | 57 i. VorstOG vom August 2005 | 57 j. UMAG vom September 2005 | 58 k. EHUG von 2006 | 61 l. Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie – AR-RL – von 2007 (ARUG) | 61 m. Referentenentwurf zum Internationalen Gesellschaftsrecht vom Januar 2008 | 62 n. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung erstinstanzlicher Zuständigkeit des OLG vom April 2008 | 63 o. Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) vom August 2008 | 63 p. MoMiG vom Oktober 2008 im Vergleich zum Vorschlag der EG-Kommission für ein Statut der Europäischen Privatgesellschaft (SPE); Hinweis auf die „Limited“ | 65 q. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der VW-Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand (VW-Gesetz neuer Fassung) vom Dezember 2008 | 76

Inhaltsverzeichnis | IX

r.

Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) vom Mai 2009 | 77 s. VorstAG vom Juli 2009 | 77 t. Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz (MicroBilG) | 77 u. Frauenquote nach dem Gesetz von 2014 | 78 v. Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) | 79 w. Aktienrechtsnovelle 2016, Umsetzungsgesetze zur CSR-Richtlinie und zur 4. Geldwäscherichtlinie | 79 IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 80 1. Ansatzpunkte in EUV und AEUV | 80 2. Überprüfung nationaler Gesetze | 82 3. Richtlinien | 84 4. Verordnungen | 91 a. Societas Europaea; Einführung | 91 b. Die Normgebung und ihre Vorgeschichte | 92 c. Die Lösung der Mitbestimmungsfrage durch die Richtlinie | 94 d. Die Regelung der SE nach europäischem und deutschem Recht | 97 (1) Das auf die SE anwendbare Recht | 97 (2) Rechtsnatur, Kapital | 98 (3) Sitz | 99 (4) Gründung; Vorgesellschaft | 99 (5) Organe | 103 (6) Jahresabschluss | 107 (7) Auflösung, Zahlungsunfähigkeit, Umwandlung in eine AG | 107 (8) Recht der verbundenen Unternehmen | 107 5. Die Kommissionsvorschläge für eine Societas Privata Europaea und eine Societas Unius Personae | 108 V. Ausblick auf das Kapitalmarktrecht | 110

C. Die Gründung der AG und der GmbH I. Die Relevanz der Gründungsregelung | 111 II. Die Gründung als Begründung der Mitgliedschaften nach Gesetz und Satzung | 113 1. Die Mitgliedschaften in ihrer Gesamtbedeutung | 113 2. Satzung und Satzungsänderung | 114

X | Inhaltsverzeichnis

III. Das für die Gründung maßgebliche Recht | 114 IV. Möglichkeit der Rechtsformwahl für „Gegenstand“ und „Zweck“ | 119 V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 122 1. Simultangründung; die Stufen bis zur Entstehung der Gesellschaft | 122 a. Simultangründung | 122 b. Die Stufen bis zur Entstehung | 123 2. Die Regeln der Gründung und die relevanten Strukturmerkmale der Gesellschaften | 125 a. Gesellschafter, Gesellschaftsvertrag, Satzung | 125 (1) Zahl der Gesellschafter, Beteiligtenfähigkeit, Kreis der Verantwortlichen | 125 (2) Beteiligung Minderjähriger an Gründung oder Anteilsveräußerung bei der GmbH | 126 (3) „Feststellung der Satzung“ bzw Abschluss des „Gesellschaftsvertrags“ | 128 (a) Form und Inhalt | 128 (b) Disposivität der Gesetze gegenüber Satzung oder Gesellschaftsvertrag | 130 (c) Änderung der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags | 134 (4) Grundkapital und Aktien bei der AG | 135 (5) Stammkapital und Geschäftsanteile bei der GmbH, insbesondere der Unternehmergesellschaft | 137 (6) Legitimation der Aktionäre und der Gesellschafter der GmbH und die Übertragung von Aktien und Geschäftsanteilen | 139 (a) Die Arten der Aktien im Hinblick auf Legitimation und Übertragung | 139 (b) Eigene Aktien | 145 (c) Aktienerwerb mit der Folge der Beherrschung | 149 (d) Zwischenscheine und Verletzung der Schranken für die Ausgabe von Aktien oder Zwischenscheinen | 149 (e) Gewinnanteilsscheine | 150 (f) Legitimation der Gesellschafter der GmbH und Erwerb von Geschäftsanteilen | 151 (g) Eigene Anteile der GmbH, Keinmann-GmbH | 156

Inhaltsverzeichnis | XI

(7) Fortsetzung des Gründungsrechts | 158 (a) Firma; Geschäftskorrespondenz | 158 (b) Sitz | 159 (c) Gegenstand und Zweck | 160 (d) Sacheinlagen, Sachübernahmen, Sondervorteile, Gründungsaufwand | 163 (e) Wirkung des notariellen Akts | 166 (f) Organisation der errichteten Gesellschaft | 166 (g) Voraussetzung der Mindestleistung | 167 (h) Gründungsbericht, -prüfung | 171 (i) Anmeldung zum Handelsregister | 172 (j) Prüfung durch das Gericht, Eintragung, Bekanntmachung | 174 (k) Anteilsübertragung vor Eintragung, Gründerwechsel | 177 (l) Nachgründung | 178 (m) Nichtigkeit, Amtslöschung der eingetragenen Gesellschaft, Heilung von Mängeln der Gesellschaft | 178 VI. Die Parallele der Regelung der Kapitalerhöhung gegen Einlagen | 179 VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 181 1. Das Thema der Kautelen | 181 2. Sicherung bei Sacheinlagen | 182 a. Die gesetzliche Sicherung betreffend Festlegung und zutreffende Bewertung von Sacheinlagen | 182 b. Ergänzung durch die Figur der verdeckten Sacheinlage | 183 (1) Die Rechtsprechung vor MoMiG und ARUG im Widerspruch zur Bestimmung des § 56 AktG aF über die Nachgründung | 183 (2) Die Neuregelung durch das MoMiG und das ARUG | 190 (3) Voraussetzungen der verdeckten Sacheinlage | 192 (4) Die Problematik der gesetzlichen Neuregelung der verdeckten Sacheinlage | 193 3. Verantwortlichkeit der an der Gründung oder Kapitalerhöhung Beteiligten | 198 4. Aufbringungskautelen durch Tilgungserfordernisse | 201 a. Anspruchsgrundlage, Befreiungsverbot, Wegfall des Anspruchs | 201

XII | Inhaltsverzeichnis

b. Bar- oder Sachleistung; Fälligkeit der Sacheinlage | 201 c. Barzahlung, Fälligkeit | 202 d. Erfordernis der Zahlung „zu freier Verfügung“ betreffend den Mindest- und den weiteren Betrag; Verbot der verdeckten Sacheinlage, Verbot der Hin- und Herzahlung | 203 e. Aufrechnungsverbote | 205 (1) Betr den Mindestbetrag | 205 (2) Aufrechnungsverbot für den Gesellschafter aus §§ 66 I 2 AktG, 19 II 2 GmbHG | 205 (3) Die Aufrechnungsbeschränkung für die Gesellschaft, Geltung für andere Gläubiger | 205 f. Abgrenzung der Tilgungshindernisse | 207 g. Vorleistungen auf die Übernahme einer Einlage, insbesondere bei der Kapitalerhöhung | 208 h. Verzug, Verfall, Mithaftung der Mitgesellschafter | 210 i. Verjährung | 211 VIII. Anwendungsfall zum Gründungs- und Kapitalerhöhungsrecht und den darin begründeten Kautelen | 212 IX. Die Vorgesellschaft bzw Vororganisation | 213 1. Werdende juristische Person und Vorgesellschaft | 213 2. Die gesetzliche Regelung der werdenden juristischen Person | 214 3. Die Vorgründungsgesellschaft vor der Vorgesellschaft | 218 4. Die Rechtsentwicklung hin zur Identität zwischen Vorgesellschaft und Kapitalgesellschaft auch hinsichtlich der Verbindlichkeiten | 220 a. Stufe 1: Einschränkung des Vorbelastungsverbots | 220 b. Stufe 2: Aufgabe des Vorbelastungsverbots, Differenz(Vorbelastungs-, Unterbilanz-) haftung | 222 c. Stufe 3: Änderung der Haftung bei der Vorgesellschaft | 223 d. Kritische Würdigung | 226 X. Leergründung, wirtschaftliche Neugründung (Mantel- und Vorratsgründung) | 230 1. Begriffliche Festlegung | 230 2. Die Eintragbarkeit und Wirksamkeit einer Vorratsgesellschaft | 231 3. Analoge Anwendung der Gründungsvorschriften auf eine Mantelgründung | 231 4. Kritik | 235

Inhaltsverzeichnis | XIII

D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 239 1. Allgemeine Schutztatbestände | 239 2. Der kapitalgesellschaftsrechtliche Vermögensschutz | 239 3. Kapitalaufbringung | 244 4. Kapitalerhaltung an Hand des Tatbestands der §§ 30 I 1, 31 I GmbHG | 245 a. Zahlung an einen Gesellschafter durch die Gesellschaft | 246 b. Auszahlung aus dem Gesellschaftsvermögen | 247 c. Das zur Erhaltung des Garantiekapitals erforderliche Vermögen | 250 5. Die Rechtsfolge: Der Anspruch aus § 31 I GmbHG, Mithaftung der übrigen Gesellschafter | 252 6. Kapitalerhaltung und Erwerb eigener Anteile | 254 7. Organhaftung zur Kapitalerhaltung | 254 8. Mithaftung der Gesellschafter der GmbH | 255 9. Die darüberhinausgehende Vermögensbindung bei der AG | 255 10. Cash Pooling | 257 11. Folgerung für die Kreditgewährung an Organmitglieder | 259 12. Ergänzender Vermögensschutz durch Bereicherungsrecht | 259 13. Grund des unterschiedlichen Vermögensschutzes bei AG und GmbH | 261 14. Warn- und Insolvenzantragspflicht | 262 15. Strafrechtliche Sanktionen | 264 16. Haftung des faktischen Geschäftsführers | 265 II. Die Vermögensrechnung bei den Schutztatbeständen | 265 III. Die verdeckte Ausschüttung | 271 IV. Die personelle Ausweitung der Vermögensbindung nach §§ 30, 31 GmbHG, 57, 62 AktG | 274 V. Kapitalerhaltung im Konzern | 276 VI. Beispiel zur Vermögensbindung nach § 30 I 1 GmbHG | 277 VII. Gesellschafterdarlehen | 279 1. Nominelle und materielle Unterkapitalisierung | 279 2. Die frühere Rechtsprechung zu den eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen und die GmbH-Novelle von 1980 im Gegensatz zum MoMiG | 281 3. Die Neuregelung der Gesellschafterdarlehen durch das MoMiG | 288

XIV | Inhaltsverzeichnis

4. Die analoge Anwendung der Grundsätze betreffend Gesellschafterdarlehen nach der früheren Rechtsprechung und die Neuregelung | 291 a. Analoge Anwendung über den Kreis der Gesellschafter und den Darlehnstypus hinaus und das MoMiG | 291 b. Die Ausweitung hinsichtlich der Person des Darlehnsgebers | 292 c. Ausweitung nach dem Geschäftstyp auf die Nutzungsüberlassung | 295 d. Finanzplankredit und Finanzplannutzungsüberlassung | 298 VIII. Erstattungs- und Schadensersatzpflicht bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht | 300 IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 307 1. Durchgriffshaftung | 307 a. Durchgriffshaftung und allgemeine Haftungsgrundlagen | 307 b. Analoge Anwendung von Vorschriften über den Vertragskonzern | 310 c. Die Existenzvernichtungshaftung | 316 2. Die Haftung aus dem Sonderrechtsverhältnis der negotiorum gestio | 322 a. Elemente der Haftung wegen ordnungswidriger Geschäftsführung in der Rechtsprechung | 322 b. Überwindung der Durchgriffshaftung aufgrund der Wahrnehmung der juristischen Persönlichkeit | 323 c. Die Konsequenz der Geschäftsführungshaftung | 325 d. Rechenschaftspflicht | 327 e. Ausschließbarkeit der Haftung? | 328 f. Aktivlegitimation | 328 g. Subsidiäres Eingreifen der Durchgriffshaftung? | 329

E.

Die Änderung des gezeichneten Kapitals I. Effektive und nominelle Kapitalveränderung | 331 II. Die effektive Kapitalerhöhung | 333 1. Möglichkeiten | 333 2. Kapitalerhöhung gegen Einlagen | 335 a. Zustandekommen und Wirksamwerden | 335 b. Das Bezugsrecht der Gesellschafter | 341

Inhaltsverzeichnis | XV

3. Die bedingte Kapitalerhöhung bei der AG | 346 4. Das genehmigte Kapital bei AG und GmbH | 350 III. Die nominelle Kapitalerhöhung. Arbeitnehmeraktien | 355 IV. Die Kapitalherabsetzung | 360 1. Die verschiedenen Fälle der Kapitalherabsetzung | 360 2. Die ordentliche Kapitalherabsetzung | 362 3. Die vereinfachte Kapitalherabsetzung | 366 a. Anwendbarkeit und Bedeutung | 366 b. Gläubigerschutz bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung und Sanktionen | 370 c. Die Fälle Hilgers und Sachsenmilch | 371

F.

Die Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft I. Mitgliedschaft als Gesamtrechtsposition; Abspaltungsverbot | 375 1. Abgrenzung des Themas | 375 2. Entstehung der Mitgliedschaft, Gleichbehandlungsgebot, Mitgliedschaft als subjektives Recht | 375 3. Abspaltungsverbot | 378 II. Die Mitgestaltungsrechte kraft der Mitgliedschaft | 378 III. Die Vermögensrechte aus der Mitgliedschaft | 382 1. Die Vermögensrechte des Aktionärs | 382 a. Das Gewinnbeteiligungsrecht | 382 b. Das Bezugsrecht der Aktionäre, das Recht der Aktionäre auf Teilnahme am Liquidationserlös und verwandte Rechte | 385 2. Die Vermögensrechte der Gesellschafter der GmbH | 386 a. Das Gewinnbeteiligungsrecht | 386 b. Bezugsrecht der GmbH-Gesellschafter und ihr Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös; weitere Rechte | 389 IV. Actio pro socio | 389 V. Ende der Mitgliedschaft | 390 1. Bei der AG | 390 a. Die Gründe | 390 b. Kaduzierung, Amortisation, Ausschluss | 391 c. Squeeze-out | 392 2. Ende der Mitgliedschaft bei der GmbH | 398 a. Übergang von Geschäftsanteilen | 398 b. Kaduzierung, Abandon, Amortisation, Ausschluss, Austritt bei der GmbH | 398

XVI | Inhaltsverzeichnis

G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht I. Das Kapitalmarktrecht als insbesondere für Aktien relevante Rechtsmaterie | 403 1. Bedeutung der Materie; Reformarbeit | 403 2. Gegenstand des Kapitalmarktrechts | 409 3. Die Überwachung des Kapitalmarkts durch die BaFin | 411 4. Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht sowie Bürgerliches Recht | 412 II. Übersicht über die folgende Darstellung | 415 III. Die Gegenstände des Kapitalmarkts, insbesondere der Aktienerwerb in der Rechtswirklichkeit – die „rechtstechnische“ Seite des Aktienerwerbs | 417 1. Einordnung in die Finanzinstrumente | 417 2. Die Aktie als Handelsobjekt im Primär- und Sekundärmarkt | 417 3. Mangelnde Praktikabilität der Einzelverbriefung von Aktien beim Handel am Sekundärmarkt | 418 4. Die Aktie auf dem Weg in die „Entmaterialisierung“ | 419 5. Rechtliche Auswirkungen der Rationalisierung im Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber von Aktien | 420 6. Ausführungsgeschäft und Depotvertrag | 422 7. Internationalisierung des Effektenverkehrs | 423 IV. Weitere Gegenstände des Kapitalmarkts, hier Varianten des Erwerbs der Rechtsstellung als Aktionär oder Gesellschafter einer GmbH | 425 1. Die Aktie als Instrument der Mitarbeiterbeteiligung | 425 2. Die Beteiligung am Kapitalmarkt über Investmentvermögen – der „mittelbare“ Aktionär; Vergleich der UBG und der WKBG | 426 3. GmbH-Anteile als Anlagen, VermAnlG | 431 V. Weitere „Finanzinstrumente“ | 432 1. Gegenstand des Abschnitts | 432 2. Anleihen | 433 3. Derivative Geschäfte | 437 VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“ | 441 1. Verschiedene Handelsplätze | 441 2. Die Börse | 442 a. Organisation | 442 b. Die verschiedenen Börsensegmente; Börsenzulassung; Indizes | 443

Inhaltsverzeichnis | XVII

c.

Der Weg der AG an die Börse – Aktienemission im Rahmen eines „Going Public“ | 445 d. Going Private/Delisting | 448 (1) Drei Fälle | 448 (2) Der gesellschaftsrechtliche Schutz beim echten Delisting | 449 (3) Die Macrotron-Entscheidung des BGH | 450 (4) Kritik | 452 (5) Aufgabe der Macrotron-Rechtsprechung durch Frosta | 453 (6) Nachbesserung durch das Kapitalmarktrecht | 453 3. MTF, OTF, Systematische Internalisierer, OTC-Handel | 454 VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 454 1. Regelungen des Primärmarkts und des Sekundärmarkts | 454 2. Die Regeln für den Primärmarkt | 456 a. Produktfreigabeverfahren (Product Governance) | 456 b. Prospektpflicht und -haftung | 456 3. Regeln für den Sekundärmarkt | 460 a. Market Abuse Regulation (MAR) und Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) als maßgebliche Normenkomplexe | 460 b. Verbot des Insiderhandels und der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen | 461 c. Das Verbot der Marktmanipulation | 462 d. Ad-hoc-Publizität | 464 e. Managers’ Transactions | 466 f. Informations- und Mitteilungspflichten nach WpHG | 466 4. Die Regelung des WpÜG | 468 a. Entstehung und Zielsetzung | 468 b. Überblick über das WpÜG | 469

H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft I. Übersicht | 479 II. Die Treuepflicht der Gesellschafter | 481 1. Ausgangspunkt: Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft | 481 2. Öffnung der Rechtsprechung für die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander | 482 3. Unergiebigkeit der Rechtsprechung zur Treuepflicht | 484 a. VW-Audi/NSU | 484

XVIII | Inhaltsverzeichnis

b. Girmes | 487 c. Die weiteren Entscheidungen zur Treuepflicht | 491 III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 493 1. Die These vom aktienrechtlichen Organstreit | 493 2. Die Entscheidung des BGH im Fall Opel | 494 3. Die Ablehnung des Organstreits aufgrund der Klärung der Begriffe | 497 4. Anfechtung und Nichtigkeit von HV-Beschlüssen und Beschlüssen der Gesellschafterversammlung | 499 a. Das Thema, Abgrenzung zum Nichtwirksamwerden von Beschlüssen, vorbeugender Rechtsschutz | 499 b. Die Anfechtungs- und die Nichtigkeitsklage gegen HV-Beschlüsse der AG | 503 c. Die analoge Anwendung der §§ 241 ff auf die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der GmbH | 517 d. Die Abgrenzung zwischen Anfechtungs- und Feststellungsklage bei der GmbH | 520 (1) Notwendige Förmlichkeit der Beschlussfassung | 520 (2) Anfechtungs- versus Feststellungklage bei Streit um Mängel einer Stimmabgabe | 522 e. Die Anwendung der aktienrechtlichen Bestimmungen über Nichtigkeit und Anfechtbarkeit auf die GmbH ie | 526 f. Die Frage der analogen Anwendung der §§ 241 ff auf Aufsichtsratsbeschlüsse der AG | 530 g. Die Möglichkeit der Rechtsmissbräuchlichkeit von Anfechtungsklagen | 532 5. Klagerechte der Gesellschafter im Hinblick auf Maßnahmen der Geschäftsführung | 537 a. Das Problem | 537 b. Holzmüller | 538 c. Siemens/Nold; Mangusta/Commerzbank II | 539

I.

Die Organisation der AG und der GmbH I. Grundlagen | 541 1. Die Organe und ihre Bedeutung | 541 a. Übersicht | 541 b. Führungslosigkeit | 545

Inhaltsverzeichnis | XIX

c.

II.

Wesenszüge der Organisation | 545 (1) Konsequenzen aus der Unterschiedlichkeit von AG und GmbH | 545 (2) Die allgemeine Problematik der Beschlussfassung in Organen mit mehreren Mitgliedern | 549 d. Shareholder value | 549 e. Deutscher Corporate Governance Kodex; die Corporate Social Responsibility | 550 f. Allgemeine Gleichbehandlung in den Führungsetagen | 553 4. Die Möglichkeit der Einschaltung Dritter in die Organisation der juristischen Person | 553 5. Die Mitbestimmung | 556 a. Motive der Mitbestimmungsregelung, Überblick | 556 b. Das Verhältnis der gesetzlichen Grundlagen der Mitbestimmung zueinander | 559 c. Die Anwendungskriterien | 560 d. Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat; Statusverfahren; der Arbeitsdirektor | 562 e. Mitbestimmung nach dem MitbestG und die allgemeinen Rechtsformen | 566 f. Die Mitbestimmung nach dem MitbestG bei KGaA und der GmbH & Co KG | 570 g. Charakterisierung der Mitbestimmung nach dem MitbestG | 571 Die Organe der AG im Einzelnen | 573 1. Der Vorstand | 573 a. Institution, Zusammensetzung, Qualifikation | 573 b. Bestellung | 575 c. Pflichten | 576 d. Anstellung | 580 (1) Das Vertragsverhältnis | 580 (2) Vergütung | 581 e. Amts- und Vertragsende | 585 f. Organisation des Vorstands | 586 g. Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis | 588 (1) Die Kompetenz des Vorstands nach der gesetzlichen Regelung: Leitungsmacht und -pflicht | 588 (2) Der Inhalt der Geschäftsführungsbefugnis | 589 (3) Beschränkungen der Leitungsmacht | 590

XX | Inhaltsverzeichnis

(4) Holzmüller-Doktrin | 592 (5) Gelatine | 596 h. Die Vertretungsmacht des Vorstands im Einzelnen; Zurechnung tatsächlicher Handlungen des Vorstands, Kenntniszurechnung | 600 i. Die Haftung des Vorstands | 602 (1) Im Innenverhältnis | 602 (2) Im Außenverhältnis | 607 2. Der Aufsichtsrat | 608 a. Institution | 608 b. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats | 608 c. Persönliche Voraussetzungen | 610 d. Wahl, Amtsende, Dienstverhältnis | 612 e. Organisation, insbesondere Beschlussfassung des Aufsichtsrats | 615 f. Mangelhafte Aufsichtsratsbeschlüsse | 619 g. Kompetenz | 620 h. Pflichten, Haftung der Aufsichtsratsmitglieder | 623 3. Die Hauptversammlung | 628 a. Zuständigkeit | 628 b. Organisation und Verfahren | 632 (1) Grundgedanke der Regelung | 632 (2) Einberufung der HV; Teilnahme | 633 (3) Ablauf der Hauptversammlung | 637 (4) Das Auskunftsrecht des Aktionärs in der Hauptversammlung | 640 (5) Auskunftsrecht hinsichtlich bloßer Minderheitsbeteiligungen der Gesellschaft | 642 (6) Sanktionen bei Verletzung des Auskunftsrechts | 644 (7) Stimmrecht und Beschluss | 645 (8) Stimmbindungsverträge | 648 (9) Ruhen, Ausschluss des Stimmrechts (Stimmverbot), Stimmrechtsmissbrauch | 652 III. Die Organisation der GmbH | 654 1. Die Organe | 654 2. Die Geschäftsführung der GmbH | 655 a. Zusammensetzung; faktischer Geschäftsführer | 655 b. Qualifikation | 656 c. Bestellung, Amtszeit, Anstellungsverhältnis | 658 d. Abberufung, Amtsniederlegung | 660

Inhaltsverzeichnis | XXI

e. Zuständigkeit der Geschäftsführer | 662 (1) Vertretungsmacht | 662 (2) Verschuldens-, Kenntniszurechnung | 665 (3) Geschäftsführungsbefugnis | 665 f. Pflichten | 667 g. Haftung | 668 (1) Im Innenverhältnis | 668 (2) Im Außenverhältnis | 671 3. Der Aufsichtsrat; andere Gesellschaftsorgane | 674 4. Die Gesellschafter der GmbH | 676 a. Gesellschafterversammlung und Beschluss | 676 b. Beschlussfassung | 676 c. Versammlung und Ersatzformen | 682 d. Zuständigkeit der Gesellschafter | 684 e. Das Auskunftsrecht | 685

J.

Die Kommanditgesellschaft auf Aktien I. Rechtsnatur und wirtschaftliche Bedeutung, insbesondere die KGaA an der Börse | 687 1. Rechtsnatur und wirtschaftliche Bedeutung | 687 2. Die KGaA an der Börse | 690 II. Die Gründung der KGaA | 691 Übersicht über die Gründungsregelung | 691 a. Zahl der Gründer und Komplementärfähigkeit | 691 b. Gründungsakt, Einlagen, Gründungsprüfung | 692 c. Inhalt des Gesellschaftsvertrages | 692 d. Firma | 693 e. Anmeldung der Gesellschaft und Eintragung in das Handelsregister | 693 III. Die Gesellschafter der KGaA | 693 1. Die persönlich haftenden Gesellschafter (Komplementäre) | 693 2. Die Kommanditaktionäre | 695 IV. Die Organe der KGaA | 695 1. Die persönlich haftenden Gesellschafter | 695 2. Die Hauptversammlung | 696 3. Der Aufsichtsrat | 696 a. Zusammensetzung und Kompetenzen | 696 b. Mitbestimmung | 697 4. Die Gesamtheit der Kommanditaktionäre | 698

XXII | Inhaltsverzeichnis

V. Die Finanzordnung der KGaA | 698 VI. Auflösung und Beendigung der KGaA | 699

K. Konzernrecht I. Das Recht der verbundenen Unternehmen | 701 1. Überblick | 701 2. Aktienrechtlicher Konzern | 710 a. Vertragskonzern | 710 (1) Zustandekommen, Änderung und Beendigung des Beherrschungsvertrags | 710 (2) Statusänderung, Rechte und Pflichten | 712 (3) Fehlerhafter Beherrschungsvertrag | 716 b. Faktischer Konzern | 716 (1) Einordnung | 716 (2) Leitungsmacht und Verantwortlichkeit bei faktischer Herrschaft | 718 (3) Gesellschaftsrechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit | 722 (4) Faktischer Konzern und allgemeiner Vermögensschutz in der abhängigen Gesellschaft | 723 (5) Qualifizierter faktischer Konzern | 724 3. Eingliederung | 724 4. GmbH-Konzern | 727 a. Der RegE GmbHG 1972 | 727 b. Vertragskonzern | 727 (1) Allgemeine Rechtsfigur | 727 (2) Zustandekommen eines GmbH-Vertragskonzerns | 728 (3) Rechtsfolgen des Vertragskonzerns mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft | 734 (4) Beendigung des Vertragskonzerns mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft | 736 (5) Faktischer Konzern | 736 II. Europäischer Konzern | 739

L.

Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH I. Bedeutung und Rechtsentwicklung | 741 II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht bei AG und GmbH | 747

Inhaltsverzeichnis | XXIII

Übersicht über die Regelung | 747 Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung; Jahresabschluss | 750 Buchführung und Bilanz | 752 Eigenkapital und Jahresergebnis | 753 Gesetzliche Begriffe der Verwendung des Jahresergebnisses | 756 6. Die Berechnung des Eigenkapitals, Unterbilanz, buchmäßige Überschuldung | 757 7. Gewinn- und Verlustrechnung | 758 8. Verwendung des Jahresergebnisses in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung der AG | 759 9. Anhang und Lagebericht | 759 10. Prüfung | 760 11. Offenlegung | 762 III. Feststellung und Wirksamkeit des Jahresabschlusses | 762 1. Bedeutung der Feststellung, Berichtigung | 762 2. Feststellung bei der AG | 763 3. Feststellung bei der GmbH | 765 4. Gewinnverwendungsbeschluss und Gewinnberechtigung der Gesellschafter | 766 5. Sonderprüfung; Nichtigkeit und Anfechtung des Jahresabschlusses und des Gewinnverwendungsbeschlusses bei der AG | 767 6. Nichtigkeit und Anfechtung des Jahresabschlusses bei der GmbH | 769 1. 2. 3. 4. 5.

M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft I. Auflösung oder Nichtigerklärung der AG und der GmbH | 771 II. Die Auflösung und Nichtigerklärung der KGaA | 776 III. Überblick über das UmwG | 777

Entscheidungsregister | 785 Sachregister | 809

XXIV | Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abkürzungen | XXV

Verzeichnis der Abkürzungen Verzeichnis der Abkürzungen Verzeichnis der Abkürzungen https://doi.org/10.1515/9783110595802-204

a aA aaO Abl Abs Abt Abw AcP ADHGB

aE AEUV

aF AG AGG

AktG AktG 1937 allg Alt a.M. AnfG

Anh Anm AO

ApoG

auch andere(r) Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz Abteilung abweichend Archiv für civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch v 1861 idF der Aktienrechtsnovelle v 18.7.1884 am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union idF mit Geltung vom 1.12. 2009, ABl 2008 Nr C 115/1, ber. ABl 2009 Nr C 290/1 alte(r) Fassung Aktiengesellschaft, Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S 1897) Aktiengesetz idF v 6.9.1965, BGBl. I S 1089 Aktiengesetz idF v 30.1.1937, RGBl. I S 107 allgemein Alternative am Main Gesetz über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens idF v 5.10.1994, BGBl. I S 2911 Anhang Anmerkung Abgabenordnung v 16.3.1976 idF d Bekanntmachung vom 1.10.2002, BGBl. I S 3866 Apothekengesetz idF der Bekanntmachung vom 15.10.1980, BGBl. I S 1993

https://doi.org/10.1515/9783110595802-204

ArbGG

Art ARUG

Aufl BaFin BAG BAnz BayObLG BayVBl BayVGH BayVwVfG BB BBergG Bd Bearb bearb begr Bek Bekl ber betr BetrAVG

BetrVG

Arbeitsgerichtsgesetz idF der Bekanntmachung vom 2.7. 1979, BGBl. I S 853, 1036 Artikel Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2007/36/EG vom 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (ARUG), BGBl 2009 I Nr 50. 2479 Auflage Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz v 23.12.1976 Betriebsberater (Zeitschrift) Bundesberggesetz vom 13.8.1980, BGBl. I S 1310 Band Bearbeiter, Bearbeitung bearbeitet begründet Bekanntmachung Beklagter berichtigt betreffend Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) vom 19. Dezember 1974, BGBl. I S 3610 Betriebsverfassungsgesetz idF der Bekanntmachung v 25.9.2001, BGBl. I S 2518

XXVI | Verzeichnis der Abkürzungen

BetrVG 1952 BFH BGB

BGBl BGH BGHSt

BGHZ

BilKoG

BilReG BilRUG

BiRiLiG

BKR BMF BMJ BNotO BörsG BörsZulV BR BRAO BR-Drucks

Betriebsverfassungsgesetz v 11.10.1952 Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch idF der Bekanntmachung vom 2.1.2002, BGBl. I S 42, 2909; 2003 I S 738 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen v 15.12.2004, BGBl I 3408 Bilanzreformgesetz v 4.12.04, BGBl I 3166 BilanzrichtlinieUmsetzungsgesetz vom 22.7.2015, BGBl I, 1245 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz) v 19.12. 1985, BGBl I, S 2355 Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium der Justiz Bundesnotarordnung v 13.2.1937 Börsengesetz v 16.7.2007, BGBl. I S 1330, 1351 Börsenzulassungsverordnung Bundesrat Bundesrechtsanwaltsordnung v 1.8.1959 Bundesratsdrucksache

BRRD-Umsetzungsgesetz

BSG BT-Drucks BV

BVerfG BVerfGE BZRG

bzw CDO CDS CEO CESR

cic DAV DAX DB DCGK DepotG ders dh dies

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU vom 15. Mai 2014 zur Festlegung des Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (Bank Recovery and Resolution Directive) (BRRD-Umsetzungsgesetz) vom 10. Dezember 2014, BGBl 2014 Teil I Nr 59 vom 18. Dezember 2014, S 2091 Bundessozialgericht Bundestagsdrucksache Bayerische Verfassung idF der Bekanntmachung v 15.12. 1998, GVBl S 991 Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundeszentralregistergesetz idF der Bekanntmachung vom 21.9.1984, BGBl. I S 1229, 1985 I S 195 beziehungsweise Credit Default Option Credit Default Swap Chief Executive Officer Committee of European Securities Regulators – Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden culpa in contrahendo Deutscher Anwaltsverein Deutscher Aktienindex Der Betrieb (Zeitschrift) Deutscher Corporate Governance Kodex Depotgesetz idF der Bek v 11.1.1995, BGBl. I S 34 derselbe das heißt dieselbe

Verzeichnis der Abkürzungen | XXVII

DNotZ DPR DrittelbG DStR DZWIR

Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung e.V. Drittelbeteiligungsgesetz vom 18.5.2004, BGBl. I S 974 Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

EuZW EWG EWiR EWIV

E EG EGBGB

EGHGB

EGInsO

EGV

EHUG

Einl EK eP EStG

EU EuGH EuInsVO

EUV

Entwurf Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche idF der Bekanntmachung vom 21.9.1994, BGBl. I S 2494; 1997 I S 1061 Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch v 10.5.1897, RGBl S 437 Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994, BGBl. I S 2911 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft idF v 1.1.1995 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister vom 10.11.2006, BGBl I S 2553 Einleitung Eigenkapital Europäisches Parlament Einkommensteuergesetz idF der Bekanntmachung vom 19.10.2002, BGBl. I S 4210; 2003 I S 179 Europäische Union Europäischer Gerichtshof Verordnung (EG) Nr 1346/ 2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren Vertrag über die Europäische Union idF mit Geltung

EWR EWS

f, ff FamFG

FAQ FAZ FE FGG

FinDAG

FMStG

Fn FRUG

FS

vom 1.12.2009, ABl 2008 Nr C 115/1, ber. ABl 2009 Nr C 290/1 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschaftsund Steuerrecht (Zeitschrift) folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008, BGBl I, S 2586 frequently asked questions Frankfurter Allgemeine Zeitung Fondatio Europaea Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit v 17.5.1898, aufgehoben und ersetzt durch das FamFG Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22.4.2002, BGBl I S 1310 Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) v 17.10.2008, BGBl I S 1982 Fußnote Finanzmarktrichtlinieumsetzungsgsetz v 16.7.2007, BGBl I, 1330 Festschrift

XXVIII | Verzeichnis der Abkürzungen

FWB

Frankfurter Wertpapierbörse

GAAP

Generally Accepted Accounting Principles Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Genossenschaftsgesetz idF vom 16.10.2006, BGBl. I S 2230 Gewerbesteuergesetz idF der Bekanntmachung vom 15.10.2002, BGBl. I S 4167 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v 23.5.1949 Gesellschaft(en) mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v 20.4.1892 GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Grundsätze ordnungsgemäßer Geschäftsführung Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz v 27.1.1877 idF der Bek v 9.5.1975 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen idF der Bekanntmachung vom 15.7.2005, BGBl. I S 2114

IAS IASB

GemSObGerB

GenG

GewStG

GG

GmbH GmbHG

GmbHR GoB GS GVBl GVG

GWB

idF iE IFRS iG InsO InvG IPR IPRax

iS iSd iSv iü iVm IWRZ

JBl JuS JW JZ

Juristische Blätter Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

KAGB

Kapitalanlagegesetzbuch vom 4.7.2013, BGBl I, 1981 Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften idF der Bekanntmachung vom 9.9.1998, BGBl. I S 2726 Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz vom 20.4.1998, BGBl. I S 707 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vom 16.8. 2005, BGBl I S 2437 Kammergericht, Kommanditgesellschaft(en) Kommanditgesellschaft auf Aktien Kläger

KAGG

KapAEG HGB HM HRefG

hrsg HRV Hs HV

Handelsgesetzbuch v 10.5.1897 herrschende Meinung Handelsrechtsreformgesetz vom 22.6.1998, BGBl. I S 1474 herausgegeben Handelsregisterverordnung Halbsatz Hauptversammlung

International Accounting Standards International Accounting Standards Board in der Fassung im Einzelnen International Financial Reporting Standards in Gründung Insolvenzordnung v. 5.10.1994 Investmentgesetz vom 15.12.2003, BGBl. I S 2676 Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Sinne im Sinne des im Sinne von im übrigen in Verbindung mit Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht

KapMuG

KG KGaA Kl

Verzeichnis der Abkürzungen | XXIX

KlAnlSchG KO

Kom KonTraG

KostO

KStG

KWG

LAG LG li Sp lit LöschG

LPG LSG MaKonV

MAR

MbB

Kleinanlegerschutzgesetz vom 3.7.2015, BGBl I, 1114 Konkursordnung v 10.2.1877 idF der Bek v 20.5.1898, RGBl S 612 Kommission, Kommentar Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.1998, BGBl I S 786. Kostenordnung idF der Bekanntmachung vom 26.7. 1957, BGBl. I S 960 Körperschaftsteuergesetz idF der Bekanntmachung v 15.10.2002, BGBl. I S 4144 Kreditwesengesetz idF der Bekanntmachung vom 9.9. 1998, BGBl. I S 2776 zuletzt geändert durch Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vom 20. November 2015, BGBl. I S 2029. Landesarbeitsgericht Landgericht linke Spalte litera Gesetz über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften v 9.10.1934 Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Landessozialgericht Marktmanipulationskonkretisierungsverordnung vom 1.3.2005, BGBl I S 515 MarketAbuseRegulation (Marktmissbrauchsverordnung Nr 596/2014, ABl 2014 L 173, 1) (Partnerschaft) mit beschränkter Berufshaftung

MgVG

MicroBilG

MiFiD II

MiFiR

MitbestErgG

MitbestG

mN mwN MoMiG

Montan mitbestG

Gesetz zur Umsetzung der Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten vom 21.12.2006, BGBl I S 3332. Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz vom 20.12.2012, BGBl I, 2751 Markets in Financial Instruments Directive II (Richtlinie 2014/65/EU, ABl 2014 L 173, 349) Regulation (Verordnung Nr 600/2014, ABl 2014 L 173, 84) Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie v 7.8.1956, BGBl I S 707 Mitbestimmungsgesetz vom 4.5.1976, BGBl. I S 1153 mit Nachweis(en) mit weiteren Nachweisen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v 23.10.2008, BGBl I S 2026 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie v 21.5.1951, BGBl. I S 347

XXX | Verzeichnis der Abkürzungen

MoRaKG

Mrd mwN NaStraG

nF NJW NJW-RR

NV NZA NZG NZI

o OGAW OHG OLG OLGZ

OTC OVG OWiG

PublG pVV Qualifak

Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen vom 18.8.2008, BGBl. I S 1672 Milliarde(n) mit weiteren Nachweisen Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung v 18.1.2001 BGBl I S 123 neue(r) Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport Naamloze Vennootschap (niederländische GmbH) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht oben Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit over the counter Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten idF vom 19.2.1987, BGBl. I S 602 Publizitätsgesetz vom 15.8.1969, BGBl. I S 1189 positive Vertragsverletzung Qualifizierter faktischer Konzern

RabelsZ

RefE RegE re Sp RevE RFH RG RGBl RGZ RIW RL RM Rn ROHG Rs Rz S s SA SBW SCE SCEAG SE SEAG SEBG

SEC SEEG

sog Sp SPE

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Referentenentwurf Regierungsentwurf rechte Spalte Revisionsentscheidung Reichsfinanzhof Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Reichsmark Randnummer Reichsoberhandelsgericht Rechtssache Randziffer Satz, Seite, Siehe siehe Société Anonyme Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte Societas Cooperativa Europaea SCE-Ausführungsgesetz vom 14.8.2006, BGBl. I S 1911 Societas Europaea SE-Ausführungsgesetz vom 22.12.2004, BGBl. I S 3675 SE-Beteiligungsgesetz vom 22.12.2004, BGBl. I S 3675, 3686 Securities and Exchange Commission Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft vom 22.12.2004, BGBl I S 3675 sogenannte Spalte Societas Privata Europaea, Europäische Privatgesellschaft

Verzeichnis der Abkürzungen | XXXI

SpruchG

StBerG

StGB

str StuW SUP SZ TOP TransPuG/ TrPublG

TUG

u ua UBGG

UG UMAG

UmwG UWG

v VAG

Gesetz zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens vom 12.6.2003, BGBl I S 838. Steuerberatungsgesetz idFder Bekanntmachung vom 4.11.1975, BGBl. I S 2735 Strafgesetzbuch idF der Bekanntmachung vom 13.11.1998, BGBl. I S 3322 streitig Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Societas Unius Personae Süddeutsche Zeitung

Verf VerkPG

VermAnlG

VGH vgl VGR VO Vorbem Vorn vorst VorstAG

Tagesordnungspunkt Transparenz- und Publizitätsgesetz v. 19.7.2002, BGBl I S 2681 TransparenzrichtlinieUmsetzungsgesetz vom 5.1.2007, BGBl. I S 10 unten unter anderem, und andere Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften vom 17.12.1986, BGBl I S 2488. Unternehmergesellschaft Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.9.2005, BGBl I S 2802 Umwandlungsgesetz vom 28.10.1994, BGBl. I S 3210 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3.7.2004, BGBl. I S 1414 von, vom Versicherungsaufsichtsgesetz idF der Bekanntmachung vom 17.12.1992, BGBl. I S 2

VorstOG

VW-Gesetz

VwGO

VwVfG

WG WKBG

WM

Verfasser Verkaufsprospektgesetz idF der Bekanntmachung vom 9.9.1998, BGBl. I S 2701 Gesetz über Vermögensanlagen vom 6.12.2011, BGBl I, 2481 Verwaltungsgerichtshof vergleiche Gesellschaftsrechtliche Vereinigung Verordnung Vorbemerkung Vornote vorstehend Gesetz zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen vom 31.Juli 2009, BGBl I 2009 S 2509 Gesetz über die Offenlegung von Vorstandsvergütungen vom 3.8.2005, BGBl I S 2267 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagen Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21.7.1960, BGBl. I S 585 Verwaltungsgerichtsordnung idF der Bekanntmachung vom 19.3.1991, BGBl. I S 686 Verwaltungsverfahrensgesetz idF der Bekanntmachung vom 23.1.2003, BGBl. I S 102 Wechselgesetz v 21.6.1933 Gesetz zur Förderung von Wagniskapitalbeteiligungen (WKBG), Art 1 des MoRaKG vom 12.8.2008 BGBl I, 1672; Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaft Wertpapier Mitteilungen (Zeitschrift)

XXXII | Verzeichnis der Abkürzungen

WpAIV

WPg WpHG

WpPG

WpÜG

WpÜG-AV

WRV

Wertpapierhandelsanzeigeund Insiderverzeichnisverordnung vom 13.12.2004, BGBl I S 3376 Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Gesetz über den Wertpapierhandel idF der Bekanntmachung vom 9.9.1998, BGBl. I S 2708 Wertpapierprospektgesetz vom 22.6.2005, BGBl. I S 1698 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz vom 20.12.2001, BGBl. I S 3822 Verordnung über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots vom 27.12.2001, BGBl. I S 263 Verfassung des Deutschen Reichs [Weimarer Reichsverfassung] v 11.8.1919, RGBl S 1383

WuB

Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht

zB ZBB

zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung idF der Bekanntmachung vom 5.12.2005, BGBl. I S 3202; 2006 I S 431; 2007 I S 1781 Zeitschrift für Rechtspolitik zustimmend Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung vom 24.3.1897 Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen

ZfPW ZGR

ZHR

Ziff ZIP ZPO

ZRP zust ZVG

ZWH

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur | XXXIII

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur https://doi.org/10.1515/9783110595802-205

Baumbach/Hueck/Bearbeiter Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), begr. von Adolf Baumbach und fortgef. von Alfred Hueck, nunmehr hrsg von Lorenz Fastrich, 21. Aufl., München, 2017 Baums, Unternehmensfinanzierung Theodor Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, München 2017 Flume I/1 Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, Erster Teil, Die Personengesellschaft, Berlin, Heidelberg, New York, 1977 Flume I/2 Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, Zweiter Teil, Die juristische Person, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo, 1983 Flume II Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona, Budapest, 1992 Hueck/Canaris Alfred Hueck (Begr.), Recht der Wertpapiere, neu bearb. von Claus-Wilhelm Canaris, 12. Aufl., München, 1986 Hüffer/Koch Aktiengesetz, Kommentar von Uwe Hüffer, Jens Koch, 12. Aufl., München, 2016 Knobbe-Keuk Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht Brigitte Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., Köln, 1993 Kropff AktG Aktiengesetz, Textausgabe des Aktiengesetzes v 6.9.1965 und des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz v 6.9.1965 mit Begründung des Regie-

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rungsentwurfs und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, zusammengestellt von Bruno Kropff, Düsseldorf, 1965. Medicus Bürgerliches Recht Dieter Medicus, Bürgerliches Recht, 21. Aufl., Köln, 2007 Poelzig Dörte Poelzig, Kapitalmarktrecht, München 2017 Raiser/Veil Thomas Raiser, Rüdiger Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., München, 2015 Roth/Altmeppen/Bearbeiter Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Kommentar von Holger Altmeppen und Günter H. Roth, 8. Aufl., München, 2015 K. Schmidt Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München, 2002; 3. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München, 1997 (ohne Auflagenangabe 4. Aufl.) Schwarz, Günter Christian Günter Christian Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Baden-Baden, 2000 Wiedemann, Herbert Herbert Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, Grundlagen, München, 1980 Wilhelm, Rechtsform und Haftung Jan Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, Köln, Berlin, Bonn, München, 1981 Wilhelm Sachenrecht Jan Wilhelm, Sachenrecht, 5. Aufl., Berlin, Boston, 2016 Würdinger Aktienrecht Hans Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., Heidelberg, Karlsruhe, 1981

XXXIV | Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

I. Die Einordnung der Kapitalgesellschaften in das System unseres Privatrechts | 1

A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

I. Die Einordnung der Kapitalgesellschaften in das System unseres Privatrechts https://doi.org/10.1515/9783110595802-001

1. Begriff der Kapitalgesellschaften I. Die Einordnung der Kapitalgesellschaften in das System unseres Privatrechts

Wenn wir im Folgenden von Kapitalgesellschaften sprechen, meinen wir die 1 Aktiengesellschaft und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht. Selbstverständlich hinzu zählen müssen wir die europarechtliche Rechtsform der Aktiengesellschaft, die Societas Europaea. Sie wird im Rahmen des Ausblicks auf das europäische Recht behandelt1. Eine Sonderform der Aktiengesellschaft ist die Kommanditgesellschaft auf Aktien (§§ 278 ff AktG). An ihr ist neben den sog Kommanditaktionären mindestens ein Gesellschafter mit unbeschränkter Haftung beteiligt (§ 278 I AktG). Die KGaA ist zwar, wie wir sehen werden, eine Urform des deutschen Aktienrechts. Nach gegenwärtigem Rechtszustand ist sie aber Sonderform und als solche nach der Durchregelung der AG (1. Buch des AktG) im 2. Buch des AktG geregelt. Im Folgenden stellen wir die beiden reinen Formen der deutschen Kapitalgesellschaften, AG und GmbH, einander gegenüber. Danach verschaffen wir uns auch noch eine Übersicht über die überhaupt vorkommenden Rechtsformen zur Akkumulation von Kapital. Erst nach der Betrachtung des Rechts der AG und der GmbH wenden wir uns in einem zusätzlichen Abschnitt (J.) der KGaA zu.

2. Die Kapitalgesellschaften als juristische Personen Das deutsche Recht der Kapitalgesellschaften gehört zum deutschen Privat- 2 recht. Es ist lex specialis zu unserem BGB und zum HGB. Die Kapitalgesellschaften sind jedenfalls von ihrer Eintragung in das Handelsregister an rechtsfähig (§§ 1 I 1, 41 I 1 AktG, § 13 I GmbHG) und damit juristische Personen iS des 1. Buchs Allgemeiner Teil des BGB, dort Abschnitt 1 „Personen“ Titel 2 „Juristische Personen“. Das BGB unterscheidet Vereine (§§ 21 ff BGB), Stiftungen (§§ 80 ff) und Juristische Personen des öffentlichen Rechts (§ 89 BGB). Die Kapitalgesellschaften beruhen auf der Beteiligung von Mitgliedern und sind

_____ 1 U Rz 168 ff. https://doi.org/10.1515/9783110595802-001

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damit Vereine. Möglich sind Vereine mit einem einzigen Mitglied2. Stiftungen bedeuten demgegenüber die Verselbständigung von Vermögen zu einem bestimmten Zweck. Unter den Vereinen unterscheidet das BGB nicht wirtschaftliche (§ 21 BGB; 3 sog Idealvereine) und wirtschaftliche Vereine (§ 22 BGB). Für diese beiden Gruppen nennt es die Voraussetzungen dafür, wie sie Rechtsfähigkeit erlangen, also juristische Personen werden. Übrig bleiben nicht rechtsfähige Vereine. Für solche verweist das BGB in § 54 S 1 auf das Recht der Gesellschaft. Die Gesellschaften sind in §§ 705 ff und für die Sonderformen der offenen Handels-, der Kommanditgesellschaft und der stillen Gesellschaft in §§ 105 ff, 161 ff, 230 ff HGB geregelt. Das BGB und das HGB unterscheiden also nicht unter Verwendung der historischen und typologischen Unterscheidung zwischen Körperschaft und Gesellschaft3, sondern sie unterscheiden zwischen juristischer Person und Gesellschaft, wobei verwirrender Weise die Kapitalgesellschaft eine Gesellschaft ist, die gerade keine Gesellschaft iS des BGB ist. Im Mittelpunkt der Regelung des BGB steht also die Erlangung der 4 Rechtsfähigkeit. Um die Teleologie der Regelung zu verstehen, muss man sich darüber klar sein, was Rechtsfähigkeit bedeutet. Juristische Personen haben als solche Rechte und Pflichten4. Knapp gesagt, geht es um die Konzentration der Verantwortlichkeit einerseits, des Vertrauens in einen Akteur des Rechtslebens andererseits auf ein juristisches Konstrukt statt wirklicher Menschen. Dafür muss die Rechtsordnung Verantwortungs- und Vertrauensgrundlagen entwickeln. Im Recht der Kapitalgesellschaften interessiert der Zusammenschluss von Menschen zu rechtsfähigen Vereinen. Nach dem BGB erlangen nicht wirtschaftliche Vereine Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister (§ 21 BGB)5, wirtschaftliche durch staatliche Verleihung (Konzessionierung), wenn nicht besondere normative Voraussetzungen gelten (§ 22 BGB).

_____ 2 Nach § 56 BGB soll ein nicht wirtschaftlicher Verein, der durch Eintragung in das Vereinsregister rechtsfähig werden will, sieben Mitglieder haben. S demgegenüber § 2 AktG (ein oder mehrere Gründer), § 1 GmbHG (eine oder mehrere Personen). 3 Dazu näher Raiser/Vail § 3 I, S 8 ff. Der Begriff Körperschaft taucht in § 89 für die öffentlichrechtliche Körperschaft auf. 4 Rechtsfähigkeit schließt die Fähigkeit zum Handeln und zur Verpflichtung ein: Rechtsfähigkeit bedeutet nämlich die Fähigkeit zum Erwerb von Rechten, das setzt die Fähigkeit voraus, dass für das rechtsfähige Subjekt gehandelt werden kann. Kann gehandelt werden, können durch das Handeln auch Pflichten des Subjekts begründet werden, nämlich in Gestalt von Pflichten, die durch Handeln zu Lasten der Rechte des Rechtssubjekts zu erfüllen sind. 5 Zur Eintragung des Betreibers mehrerer Kindertagesstätten in das Vereinsregister BGH ZIP 2017, 1021. Dazu Segna, ZIP 2017, 1881.

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Darin kommen drei Systeme zum Ausdruck: das System der freien Kör- 5 perschaftsbildung, das Konzessionssystem und das System der Normativbestimmungen. Nach dem ersteren überlässt die Rechtsordnung die Gründung rechtsfähiger Vereine dem Willensentschluss der Beteiligten, nach dem zweiten macht sie sie von einer staatlichen Genehmigung abhängig, nach dem System der Normativbestimmungen schließlich ist der Weg der Gründung zwar nicht frei, aber gesichert durch Erfordernisse, die um des genügenden Schutzes des Rechtsverkehrs eingehalten werden müssen, die aber bei ihrer Erfüllung den Anspruch auf Eintragung in das einschlägige Register und damit die Erlangung der Rechtsfähigkeit begründen. Für den Idealverein, die AG und die GmbH gilt das System der Normativbestimmungen. Für die Idealvereine ist im BGB wegen des idealen Zwecks ein mildes Sys- 6 tem von Normativbestimmungen eingerichtet (§§ 55 ff BGB). Die AG und die GmbH kommen nach den besonderen Vorschriften des AktG und des GmbHG zur Rechtsfähigkeit. Die gegenüber dem Idealverein sehr viel strengeren Normativbestimmungen des AktG und des GmbHG beziehen sich vor Allem auf die Kapitalausstattung der Gesellschaften6. Die Gegenüberstellung zum Idealverein heißt nicht, dass AG und GmbH immer wirtschaftliche Vereine sind. Erfüllen Gründungen die Voraussetzungen einer AG oder GmbH, ist für sie die Unterscheidung zwischen nicht wirtschaftlichen und wirtschaftlichen Vereinen nicht relevant7. Für wirtschaftliche Vereine, deren Mitglieder sich nicht den Normativbestimmungen des AktG, des GmbHG oder einer anderen normativ geregelten juristischen Person (etwa einer eingetragenen Genossenschaft) unterwerfen wollen, bleibt nach § 22 BGB das Konzessionssytem8. Steht die Erlangung der Rechtsfähigkeit im Mittelpunkt der Regelung unse- 7 rer Rechtsordnung über rechtsfähige Vereine, so muss es geradezu eine koper-

_____ 6 Ganz erhebliche Erleichterungen bestimmt das Gesetz für die Sonderform der GmbH in Gestalt der Unternehmergesellschaft, s § 5a GmbHG. 7 S § 1 GmbHG: Jeder zulässige Zweck ist möglich. Das AktG enthält sich, schreibt also auch keinen besonderen Zweck vor. Da AG und GmbH auch zu einem nicht wirtschaftlichen Zweck gegründet werden können, gibt es nicht wirtschaftliche Einmannvereine in der Rechtsform der AG oder GmbH. Zur äußersten Möglichkeit einer Keinmann-Gesellschaft u Rz 238. Problematisch ist, wenn Idealvereine Tochter-Kapitalgesellschaften halten und dort Unternehmen betreiben. Den Aufbau einer Rechtsschutzversicherung (dies ist allerdings eine eigene Rechtsform) durch den ADAC hat der BGH in BGHZ 85, 84 unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärt. Dasselbe Problem stellt sich bei der Auslagerung der Fußballabteilung in Kapitalgesellschaften durch Bundesligavereine. 8 Beispiel: Die Privatärztliche Verrechnungsstelle für Ärzte und Zahnärzte Westfalen Süd ist ein Verein, der rechtsfähig kraft Verleihung ist (rkV).

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nikanische Wende bedeuten, dass nach neuerem Verständnis auch die Gesellschaften, die das BGB so scharf gegenüberstellt, rechtsfähig sind, sofern sie im Rechtsverkehr auftreten, also als Außengesellschaften agieren. Die Grundfigur der Gesellschaft, die also nach dem System des BGB nicht rechtsfähig ist, ist die in §§ 705 ff BGB geregelte „Gesellschaft“9. §§ 705 ff gehören zum Recht der Schuldverhältnisse und befassen sich mit der Grundlage, dem Inhalt und dem Ende des Schuldverhältnisses zwischen den Gesellschaftern. Eingebettet sind Vorschriften über die Vertretung der Gesellschafter im Außenverhältnis (§ 714 BGB) und die Konstituierung des gemeinschaftlichen Vermögens als Gesamthandsvermögen (§ 719 BGB). Die moderne Unterscheidung von bloßen Innenund auch nach außen als Gesellschaft auftretenden Außengesellschaften billigt in klarer Abweichung vom Verständnis des BGB auch den Außengesellschaften Rechtsfähigkeit zu, speziell der OHG (§§ 105 ff HGB) und der KG (§§ 161 ff HGB), während die stille Gesellschaft (§§ 230 ff HGB) die Form einer bloßen Innengesellschaft ist10. Im Gesellschaftsrecht wird gern von „Teilrechtsfähigkeit der Gesell8 schaften“ gesprochen. Damit ist aber nur gemeint, dass die mit Eigenschaften natürlicher Personen (Geschlecht, Alter, Verwandtschaft etc) zusammenhängenden Rechte Gesellschaften nicht zukommen können. Nach Art 19 III GG gelten die Grundrechte, insbesondere das Eigentum (Art 14 GG), auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die Anwendbarkeit scheint für das Eigentum uneingeschränkt zu gelten. In seinem Mitbestimmungsurteil hat das BVerfG allerdings die Regelung der inneren Organisation von Kapitalgesellschaften nur dann als Verletzung des nach außen gerichteten Eigentums der Gesellschaften angesehen, wenn sie die Gesellschaften funktionsunfähig mache 11. Mit der in Art 19 III GG ausgedrückten Beschränkung sind juristische Personen auch Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und von Ehre. Die Beschränkung kommt in der Verwehrung von Schmerzensgeld zum Ausdruck, welches ein Ausgleich für Leid ist, das juristische Personen nicht empfinden können: für Schmerzen, individuelle Kränkung und entgangene Lebensfreude (s. die in § 253 II BGB positivrechtlich bestimmten Fälle). Genau eine nur durch das Wesen des Trägers beschränkte

_____ 9 Sog BGB-Gesellschaft oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts. 10 Für die Rechtsfähigkeit der bürgerlich-rechtlichen (Außen-)gesellschaft BGHZ 146, 341 ff in Gefolgschaft von Flume I/1 und I/2. Weil das BGB die Vermögensgemeinschaft der Gesellschafter durch das Gesamthandsvermögen (§ 719) konstruiert, ist die Entwicklung der Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft aus dem BGB ein Thema des Sachenrechts. S dazu Wilhelm, Sachenrecht, 5. Aufl. 2016, Rz 172 ff. 11 BVerfGE 50, 290, 352 f.

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Grundrechtsträgerschaft kommt nach neuem Verständnis nicht nur juristischen Personen zu, sondern auch Personenaußengesellschaften. Sie kommt bei Personengesellschaften zur Relevanz, soweit der Grundrechtsschutz der Gesellschafter nicht ausreicht, sondern noch Bedarf für einen Schutz der Gemeinschaft bleibt. Auch besitzfähig sind die Gesellschaften, wieder juristische Personen und 9 Personengesellschaften gleichermaßen. Sofern die für sie handelnden geschäftsführungsbefugten Gesellschafter oder Organe die Sachherrschaft im Tätigkeitsbereich der Gesellschaften innehaben oder diese durch ihre Weisungsbefugnis gegenüber Besitzdienern ausüben, besitzen sie für die Gesellschaft12. So können Kapitalgesellschaften unrechtmäßigen Besitz nach §§ 985 f BGB erworben und aufgrund der Zurechnung der Bösgläubigkeit von Organträgern aus §§ 989, 990 BGB auf Schadensersatz zu haften haben13. Besteht nicht mehr der Gegensatz zwischen „rechtsfähigen“ und „nicht 10 rechtsfähigen“ Gesellschaften oder Vereinen, so fragt sich, welche wesentlichen Unterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften verbleiben, die dann die gegensätzliche Normierung der Gesellschaften rechtfertigen. Im Kern stehen sich gegenüber die Personengesellschaften als Gemeinschaften ihrer Gesellschafter einerseits und die Kapitalgesellschaften als ideales Ganzes, in dem die verschiedensten Interessen gebündelt sind, andererseits. Daraus ergeben sich grundsätzliche Einzelrechtsfolgen, die den Gegensatz zugleich veranschaulichen14.

_____ 12 Wilhelm Sachenrecht Rn 482a; speziell am Besitz der Gesamthand hat Flume I/1 § 6 S 75 ff die Rechtsfähigkeit der Gesamthandsgesellschaft (= Außengesellschaft) entwickelt. 13 Zur Zurechnung von Wissen oder Bösgläubigkeit an die Gesellschaften Alexander Reuter, ZIP 2017, 310. Für die Zurechnung im Rahmen des § 826 BGB sogleich Fn 22. Zur Zurechnung insbesondere für die Haftung als bösgläubige Besitzer Wilhelm Sachenrecht Rn 1243 ff. Dort (Rn 1259 Fn 2113a iVm Rn 1233) gegen den in BGHZ 56, 73, 78 geäußerten Gedanken, die am Eingriff in das fremde Eigentum beteiligten Organträger selbst (nur) nach §§ 989, 990 BGB haften zu lassen (dafür dann K. Schmidt, Gesellschaftsrecht § 10 III 2a, ihm folgend Raiser/Veil § 9 Rn 12). 14 Flume I/1 § 7 III S 95 ff; Wilhelm Sachenrecht Rn 200. An der Maßgeblichkeit der grundsätzlichen Konsequenzen aus der Rechtsnatur von Personengesellschaft und juristischer Person vorbei geht die Kritik an Flume durch Raiser/Veil § 3 Rn 10 -12 mit dem die Unterscheidung verkennenden Resumé in Rn 11, dass auch Außengesellschaften bürgerlichen Rechts als juristische Personen anzuerkennen seien. Die Zuordnung der Lehre Flumes zu typologischen Mustern verkennt das normgebundene Denken Flumes. Besondere Gestaltungen der Personengesellschaften einerseits (KG, Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung), der Kapitalgesellschaften andererseits (KGaA) beruhen auf der Derogation der prinzipiellen Folgerungen durch besondere gesetzliche Regelung (denkbar auch vorsichtige Rechtsfortbildung), setzen diese also auch voraus und bestätigen damit die prinzipiellen Folgerungen.

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Stichwortartig kann man folgende acht Einzelunterschiede zwischen der (Außen)-Personen- und der Kapitalgesellschaft aufzählen15. (1) Gründung durch bloßen Vertrag zu einem gemeinsamen Zweck einerseits, Gründung nach dem „System der Normativbestimmungen“, dh bestimmten Ordnungsanforderungen des Gesetzes, deren Erfüllung das Registergericht vor der Eintragung in das Handelsregister zu prüfen hat, andererseits. Die Kapitalgesellschaft kann als Einmann-Kapitalgesellschaft gegründet werden (s u (7)). Der Einzelgründer schließt keinen Vertrag, sondern setzt einen Organisationsakt und erfüllt die gesetzlichen Ordnungsanforderungen. (2) Bestimmung der Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern und der Gesellschafter untereinander durch den Gesellschaftsvertrag (Vertragsprinzip) einerseits, Gestaltung durch die Satzung (bei der GmbH den körperschaftlichen „Gesellschaftsvertrag“) nach dem Mehrheitsprinzip andererseits, (3) Ausscheiden oder Wechsel der Gesellschafter als die Grundlagen der Gesellschaft betreffend einerseits, ohne Relevanz für den Bestand der Gesellschaft andererseits, (4) volle Disposition der Gesellschafter über das Gesellschaftsvermögen einerseits, Vermögensbindung (Stichwort Garantiekapitel) zugunsten der juristischen Person andererseits, (5) Handlungshoheit der Gesellschafter (Selbstorganschaft) einerseits, gesetzliche Vertretung (Fremdorganschaft) andererseits, (6) Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten einerseits, grundsätzlich nur Haftung der Gesellschaft andererseits Dieses letztere Merkmal wird als Haftungsbeschränkung bezeichnet. Für die sog Haftungsbeschränkung gilt näher Folgendes: Die Kapitalgesellschaft haftet als juristische Person für die im Geschäftsverkehr mit ihr begründeten Pflichten grundsätzlich allein mit ihrem Vermögen, das Risiko der Gesellschafter ist also grundsätzlich auf das Risiko des Verlusts dieses Vermögens beschränkt, das nennt man beschränkte Haftung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft. Entgegengesetzt ist die Lage bei der Personengesellschaft. Hier gilt grundsätzlich die persönliche unbeschränkte Haftung der Gesellschafter. Der Gegensatz zwischen unbeschränkter und beschränkter Haftung geht aber darüber hinaus: Überhaupt ist nämlich

_____ 15 Dem folgt das Steuerrecht mit der Einkommensbesteuerung: Die privaten juristischen Personen werden als solche mit ihrem Einkommen durch die Körperschaftsteuer erfasst, bei der Personengesellschaft werden demgegenüber die Gewinnanteile der Gesellschafter der Einkommensteuer unterworfen.

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selbstverständlicher Grundsatz unserer Rechtsordnung, dass jeder unbeschränkt für seine Verbindlichkeiten einstehen muss. Schließen sich mehrere zusammen, haften sie gemeinsam. Insofern gilt die Feststellung, dass Voraussetzung der beschränkten Haftung ist, dass die Rechtsordnung einen derartigen Status eingerichtet hat und dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Einen solchen Status gibt es auch bei den Personengesellschaften, nämlich für die Kommanditisten der KG. Umgekehrt kann das Gesetz die grundsätzliche beschränkte Haftung bei der Kapitalgesellschaft mit einer unbeschränkten Haftung verbinden, dies trifft auf die KGaA (§ 278 I AktG) zu. (7) Abhängigkeit der Gesellschaft von mindestens zwei Gesellschaftern einerseits, Möglichkeit der Einmannkapitalgesellschaft andererseits. Schon die Einmanngründung ist möglich. Dies bedingt, dass vom Gründungsakt aus schon vor Entstehung der juristischen Person die Einmann-„Vorgesellschaft“ zustande kommt. (8) Kein Anteil der Gesellschaft an sich selbst einerseits, Möglichkeit „eigener Anteile“ andererseits. Die Varianten der KG einerseits und der KGaA andererseits zeigen, dass Per- 11 sonen- und Kapitalgesellschaften nicht vollständig nach ihrem mehr oder weniger intensiven Personenbezug bezüglich ihrer Mitgliedschaft unterschieden sind. Die Rechtspraxis hat das fortgeführt, indem sie Mischformen anerkannt hat, in denen Kapitalgesellschaften die einzigen persönlich haftenden Gesellschafter von KG oder KGaA sind (etwa GmbH & Co KG oder allgemeiner Kapitalgesellschaft & Co KG und ebenso Kapitalgesellschaft & Co KGaA)16. Man spricht von Erscheinungen der körperschaftlich strukturierten Personengesellschaften einerseits und der personalistischen Kapitalgesellschaften andererseits. Eine KG mit einer GmbH als einziger Komplementärin, bei der zahlreiche Kommanditisten ihre Einlagen anlegen, ist eine sog Publikumskommanditgesellschaft17.

3. Die Relativierung der juristischen Personen durch die Durchgriffslehre Die deutsche Lehre von der juristischen Person ist gekennzeichnet von dem 12 durchgehenden Zweifel, ob die juristische Persönlichkeit der Kapitalgesellschaften nicht ein bloßes Konstrukt ist und folglich zwar grundsätzlich ernst genommen, aber je nach den Anforderungen des einzelnen Falles auch einmal

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16 U Rz 19. 17 Im Jahre 1970 sind für die neuen Typen gleich drei Habilitationsschriften erschienen, N bei Raiser/Veil § 1 Rn 4 Fn 5.

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beiseite geschoben werden muss: Unter besonderen Umständen, die selbstverständlich Ausnahmen bilden müssten, müsse, so heißt es, durch die juristische Person der Gesellschaften hindurch auf die hinter ihr stehenden Personen durchgegriffen werden. Es handelt sich um die Durchgriffslehre18. Geht man die einzelnen Anwendungsfälle der Durchgriffslehre und –rechtsprechung durch, so ergibt sich, dass es sich durchgehend nur darum handelt, auf den einzelnen Fall die rechtlichen Tatbestände nach den Regeln der Auslegungskunst anzuwenden19. Das trifft, wie wir sehen werden, auch auf den praktisch wichtigsten Fall der Durchgriffslehre zu, die Lehre von der Durchgriffshaftung der Mitglieder der juristischen Person20.

II. Die auf Personen- und Kapitalgesellschaften anwendbare lex generalis II. Die auf Personen- und Kapitalgesellschaften anwendbare lex generalis 13 Als Rechtsträger nehmen juristische Personen und Personen(außen)gesellschaf-

ten am Rechtsverkehr teil, folglich unterfallen sie zunächst einmal ohne Weiteres dem Außenrecht des BGB, dh dem allgemeinen Recht des Geschäftsverkehrs und der Haftung im Verkehr. OHG und KG setzen den Betrieb eines Handelsgewerbes voraus, sind deshalb Handelsgesellschaften und fallen infolgedessen nach § 6 I HGB unter das Recht der Kaufleute. Die Kapitalgesellschaften AG und GmbH sind kraft ihrer Rechtsform Handelsgesellschaften (§ 3 I AktG, § 13 III

_____ 18 Zur Durchgriffslehre und –rechtsprechung Flume I 2, S 63 ff, Altmeppen in Roth/Altmeppen § 13 Rn 131 ff; Raiser/Veil § 39 (N zum Haftungsdurchgriff, vor § 39, sodann Rn 21 ff; zur Anwendung sonstiger Tatbestände aus der Person der Mitglieder, die die Autoren unter „Zurechnungsdurchgriff“ einordnen, § 39 Rn 5 ff). Im anglo-amerikanischen Rechtskreis spricht man von peircing the corporate veil. 19 Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981. Neuere Beispiele: BAG NZA 2017, 981: Auslegung der Vorschriften über den Fortgang der Arbeitsverhältnisse bei Betriebsübergang (dazu RL 2001/23/EG; § 613a BGB) in dem Sinn, dass die Übertragung von Geschäftsanteilen an der Arbeitgeber-GmbH und die Begründung der Herrschaft einer anderen Gesellschaft über die GmbH als Betriebsübergang auf die nunmehr herrschende Gesellschaft zu werten seien; vom BAG richtiger Weise mangels Übergangs der Arbeitgeberposition abgelehnt. – OLG Köln NZG 2017, 1306: Keine Haftung des Alleingesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH für Notargebühren nach GNotKG wegen Beurkundung eines Gersellschafterbeschlusses (Grund die Selbsttitulierungsbefugnis des Notars; Vorbehalt der Prüfung einer Durchgriffshaftung vor dem Prozessgericht). EuGH ZIP 2018, 47: Gemäß Auslegung der heranzuziehenden Richtlinien (2009/101/EG, 2012/30/EU) keine Mithaftung des „Geschäftsführers“ einer spanischen Aktiengesellschaft, der es unterlassen hat, wegen schwerer Verluste die Hauptversammlung einzuberufen, als Gesamtschuldner für die Lohnansprüche ehemaliger Arbeitnehmer. 20 Dazu u Rn 522 ff.

II. Die auf Personen- und Kapitalgesellschaften anwendbare lex generalis | 9

GmbHG) und fallen damit nach § 6 II HGB unter das HGB, sie sind sog Formkaufleute. Vom allgemeinen Recht des Rechtsverkehrs sind zu trennen die spezifi- 14 schen Fragen, wie Zusammenschlüsse zu juristischen Personen oder Gesellschaften werden und welche nach außen maßgebliche und welche innere Ordnung sie haben. Auch dafür sind leges generales das BGB und das HGB. Aus dem Vereinsrecht des BGB kommen zur Anwendung, und zwar analog auch auf die Personengesellschaften, §§ 31–31b BGB, sowie auf Kapitalgesellschaften die Vorschriften des § 2921 und des § 33 BGB, § 33 in einer von der Disposivitätsvorschrift des § 40 unberührten Kernaussage. I E: § 31 regelt die Haftung der juristischen Person für ihre Organe22. §§ 31a, b23 betrifft das Verhältnis von Organmitgliedern und Vereinsmitgliedern gegenüber dem Verein. Die Haftung von unentgeltlich oder gering vergüteten Organmitgliedern und besonderen Vertretern in ihrem Aufgabenbereich gegenüber dem Verein wird auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt, und diesen Personen wird der Regress gegen den Verein eingeräumt bei Haftung im Außenverhältnis, wieder vorbehaltlich von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Was sodann die Vorschriften des § 33 BGB betrifft, ist zunächst übertragbar § 33 I 2, der für Zweckänderungen beim Verein vorbehaltlich der Satzung (§ 40 BGB) die Zustimmung aller Mitglieder verlangt24. Weiter enthält § 33 einen Kern, der von der

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21 § 29 begründet die Möglichkeit der gerichtlichen Bestellung eines Notvorstands (allgemeiner: Vertretungsorgans), wenn die notwendigen Mitglieder der Geschäftsleitung fehlen. S etwa für die Geschäftsführung der GmbH u Rn 1197, 1202, 1218. Die Möglichkeit ist weiter relevant für die Zulassung der Entziehung der Vertretungsbefugnis des einzigen Komplementärs (oder aller Komplementäre) der KGaA (u Rn 1276 Fn 2144). 22 Zur Haftung wegen Prospektmängeln nach §§ 31, 826 BGB BGH NJW 2017, 250 mit scharfer Kritik von Wagner, JZ 2017, 522, an der Nichtzurechnung von „im Hause vorhandenen Kenntnissen von einem Prospektmangel“ an die juristische Person mit der Folge, dass für § 826 BGB auch diese Kenntnis in der Person eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters gegeben sein muss. – Die Zurechnung von Vertragsverletzungen bestimmt sich dagegen richtiger Ansicht nach nicht nach dem zwingenden (s § 40 BGB) § 31 BGB, sondern nach § 278 (Flume I 2 § 11 III 5; gegen Flume K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 IV 3 S 277, ihm folgen Raiser/Veil § 9 Rn 9). Raiser/Veil führen § 9 Rn 2 aus dem Vereinsrecht neben § 31 für die AG noch die Vorschrift des § 30 BGB (Möglichkeit der Bestimmung besonderer Vertreter durch die Satzung; auf diese bezieht sich § 31 ebenfalls) und weiter § 35 BGB an (Änderung von Sonderrechten eines Mitglieds nur mit Zustimmung des Berechtigten). Der satzungsmäßigen Bestimmung besonderer Vertreter steht aber § 23 II AktG entgegen. Die Rechtsprechung wendet freilich § 31 BGB weit an iS einer Repräsentantenhaftung (BGHZ 49, 19, Haftung für einen Filialleiter). Nach § 23 II AktG kann es auch nicht zu § 35 kommen, soweit an satzungsmäßige Sonderrechte gedacht wird. 23 Eingefügt durch Gesetz von 2009, Vergütungsgrenze von 500 € auf 720 € angehoben durch Ehrenamtsstärkungsgesetz von 2013 (vorher Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz). 24 Dazu u Rn 250.

10 | A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

Disposivitätsvorschrift des § 40 unberührt ist. § 40 zählt unter den durch die Satzung abdingbaren Vorschriften auch § 31a I 2 (Haftungsprivilegierung im Verhältnis zu den Mitgliedern)25 und eben auch § 33 auf. Die Kernaussage, dass die zugelassenen Änderungen in der Satzungshoheit der Mitglieder liegen, dh sich die Mitglieder nicht sogar der Satzungshoheit begeben können, ist davon unberührt. Aus dem HGB ist anzuführen, dass die Handelsgesellschaften, insbesondere die Kapitalgesellschaften als Formkaufleute mit einer Firma im Handelsregister eingetragen sein müssen (§ 29 HGB). Für die Firmierung von AG und GmbH ist vorgeschrieben, dass in der Firma der Rechtsformzusatz Aktiengesellschaft oder AG bzw Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder GmbH, bei dieser mit den Sonderformen der gGmbH und der Unternehmergesellschaft oder UG (haftungsbeschränkt), geführt werden muss26. Für das allgemeine Innenrecht der deutschen Gesellschaften ist sodann die Normierung der Rechnungslegung der Unternehmen hervorzuheben (§§ 238 ff HGB mit den ergänzenden Vorschriften für Kapitalgesellschaften, §§ 264 ff HGB).

III. AG und GmbH als reine Kapitalgesellschaften, Mischformen, verbundene Unternehmen III. AG u. GmbH als reine Kapitalgesellschaften, Mischformen, verb. Unternehmen

1. Unterscheidung der AG und GmbH nach deutschem Recht 15 Unter den deutschen Kapitalgesellschaften stehen sich die AG und die GmbH

als in ihrer Rechtsnatur als Kapitalgesellschaft einheitliche, in der Gesetzestypik aber prinzipiell verschiedene Rechtsformen von Kapitalgesellschaften gegenüber: Nach der Gesetzestypik 27 ist die AG auf das anonyme Aktionärspublikum, die GmbH ist demgegenüber auf die Personen ihrer Gesellschafter ausgerichtet, genauer: die Beteiligung an einer GmbH ist in bestimmten Eigenarten einer personalistischen Beteiligung angenähert. Diese grundsätzliche Unterscheidung zwischen AG und GmbH ist für das Verständnis des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts grundlegend. Aber auch für die Beratung bei einer Unternehmensgründung oder -umwandlung ist es wichtig, die gegen-

_____ 25 § 40 S 1 nimmt nur § 31b I 2 von der zwingenden Natur aus, s Fehrenbach ZWH 2016, 88 gegen OLG Nürnberg ZWH 2016, 85, welches der Satzung über den Fall des § 31b I 2 hinaus die Milderung auf Haftung nur bei Vorsatz einräumt. 26 I e u Rz 219, 241. Zur Bezeichnung der Partnerschaft u Rn 28 Fn 50. 27 In der Realität können die Gesellschaften anders gestaltet sein (Realtypen).

III. AG u. GmbH als reine Kapitalgesellschaften, Mischformen, verb. Unternehmen | 11

sätzlichen Wesenszüge der AG und der GmbH gegenüberzustellen. Auf diese Wesenszüge kommt es weiter an für die mögliche analoge Anwendung der Vorschriften aus dem einen oder dem anderen gesellschaftsrechtlichen Bereich auf die dort jeweils nicht geregelte Gesellschaftsform28 und für die Lösung allgemeiner Anwendungsprobleme in gesellschaftsrechtlichen Fällen, etwa Beweislastfragen, Die folgenden sieben Unterschiede machen die GmbH zu einer mehr per- 16 sonalistischen Gesellschaftsform29: 1. Bei der GmbH sind die Gesellschafter als Gesellschafterversammlung unumschränktes oberstes Willensbildungsorgan, und zwar insbesondere auch im Geschäftsführungsbereich (§§ 37, 45 GmbHG, s demgegenüber § 119 II AktG). 2. Die Gesellschafter der GmbH haben grundsätzlich eine unbeschränkte Satzungsfreiheit, während die Satzungsautonomie bei der AG erheblich eingeschränkt ist (§ 23 V AktG). Insbesondere können die Gesellschafter der GmbH neben dem zwingenden Organ der Geschäftsführung (§ 6 I GmbHG) und ihrem selbstverständlichen Organ der Gesellschafterversammlung unbeschränkt weitere Organe einrichten (Ausschüsse, Beiräte etc). Ein Aufsichtsrat ist im Unterschied zur AG (§ 30 I AktG) nur bei der mitbestimmten Gesellschaften mbH (s § 52 II GmbHG) und nach Sondervorschriften ( s zur externen Kapitalverwaltungsgesellschaft § 18 II 1 KAGB) zwingend, bei den anderen Gesellschaften ist der Aufsichtsrat fakultativ mit nur vorsorglicher Hilfsregelung in § 52 I GmbHG. Im Gesellschaftsvertrag können sodann weiter unbeschränkt Nachschüsse und Nebenleistungen geregelt werden (§§ 3 II, 26 GmbHG, s demgegenüber § 55 AktG). 3. Die Anteile der Gesellschafter der GmbH, die sog Geschäftsanteile, entsprechen in einer ersten Hinsicht den Nennbetragsaktien (eine Entspre-

_____ 28 Zur Relevanz des Rechtsformenvergleichs nicht nur zwischen AG und GmbH, sondern darüber hinaus s die Schrift des früheren Präsidenten des II. Zivilsenats des BGH, R. Fischer, Das Recht der OHG als ergänzende Rechtsquelle zum GmbH-Gesetz 1953. Zur ergänzenden Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH Fleischer, GmbHR 2008, 673. 29 Diese treffen auch bei der sog Unternehmergesellschaft nach § 5a GmbHG idF des MoMiG zu, die ja eine Nebenform der GmbH ist. – Die früher bestehenden Unterschiede zwischen AG und GmbH hinsichtlich der Rechnungslegung und Publizität der Rechnungslegung sind jetzt beseitigt. Es gelten die §§ 150 ff AktG, 42 ff GmbHG neuer Fassung in Verbindung mit dem 3. Buch des HGB. Gemäß §§ 264 ff HGB werden GmbH und AG gleichbehandelt. Das 3. Buch des HGB unterscheidet große, mittlere, kleine und kleinste Kapitalgesellschaften nach bestimmten Größenklassen (§§ 267, 267a HGB). Je nach diesen Unterschieden besteht eine unterschiedliche Regelung ua betreffs des Anhangs zur Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung (§ 288 HGB), der Prüfungspflicht (§ 316 I HGB) und der Publizitätspflicht (§§ 326 f HGB).

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chung zur Stückaktie gibt es nicht): Sie sind wie die Nennbetragsaktien durch ihre Nennbeträge bestimmt. In deren Höhe müssen die „Stammeinlagen“ übernommen werden (§ 3 I Nr 4 GmbHG); in summa müssen sie das Stammkapital der Gesellschaft ergeben (§ 5 III 2 GmbHG). in einer anderen Hinsicht entspricht aber dem personalen Bezug der GmbH der Unterschied, dass nach § 5 III 1 GmbHG die Nennbeträge der einzelnen Geschäftsanteile verschieden bestimmt werden können. Zwar können auch die Nennbeträge der Nennbetragsaktien unterschiedlich sein, dies dann aber für eine ganze Zahl von Nennbetragsaktien (§ 23 III Nr 4 AktG). Dem personalen Bezug der GmbH entspricht weiter, dass die Geschäftsanteile von Person zu Person übertragen werden (durch notariellen Akt, § 15 III GmbHG), während sie bei der AG, wenn nicht die Verbriefung ausgeschlossen ist – § 10 V AktG –, in Wertpapieren verbrieft sind und typischerweise anonym und massenhaft, insbesondere über die Börse, gehandelt werden. Die Geschäftsanteile an der GmbH sind nicht börsenfähig30. 4. Die Gründung und ebenso die Kapitalerhöhung sind bei der GmbH einfacher als bei der AG, darüber hinaus gibt es bei der AG eine zusätzliche Art der Kapitalerhöhung, das bedingte Kapital. Nur beispielhaft sei genannt: Zunächst bedarf es für die Gründung einer GmbH nur eines Kapitals von mindestens 25.000 € (§ 5 I GmbHG), bei der Unternehmergesellschaft sogar nur des Kapitals in Höhe der Mindestbeträge der Geschäftsanteile (§ 5a I, nach § 5 II 1 GmbHG 1 € je Anteil), während für die Gründung einer AG ein Kapital von mindestens 50.000 € aufgebracht werden muss (§ 7 AktG). Auch nur bei der AG gibt es noch eine Nachgründungsregelung (§ 52 AktG). Sodann gibt es nur bei der AG das bedingte Kapital (§§ 192 ff AktG). Dieses ist bedeutsam für die Bedienung von Aktienoptionen von Vorständen und Arbeitnehmern (§ 192 II Nr 3 AktG). Die Ausgabe neuer Aktien an Arbeitnehmer ist auch bei dem genehmigten Kapital der AG als besonderer Zweck vorgesehen (§ 202 IV AktG). Das genehmigte Kapital gibt es nach dem MoMiG inzwischen auch bei der GmbH (§ 55a GmbHG). Die Ausgabe von Anteilen an Arbeitnehmer ist auch hier zwar nicht besonders geregelt, aber ein zulässiger Zweck. 5. Die Organisation ist bei der GmbH einfacher: a. Ein Aufsichtsrat ist – vorbehaltlich des Eingreifens der Mitbestimmungsregelung oder von Sondervorschriften wie die über die GmbH als externe Kapitalverwaltungsgesellschaft (§ 18 II 1 KAGB) – nur fakultativ (§ 52 GmbHG im Vergleich zu §§ 95 ff AktG).

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30 Werden über die Geschäftsanteile „Anteilscheine“ ausgegeben, sind dies bloße Beweisurkunden, keine Wertpapiere.

III. AG u. GmbH als reine Kapitalgesellschaften, Mischformen, verb. Unternehmen | 13

b. Die Gesellschafterversammlung und ihre Beschlüsse sind weniger förmlich (§§ 48f GmbHG, nur für Satzungsänderungen sagt § 53 GmbHG Besonderes, s im Vergleich dazu §§ 121 ff, 130 AktG). 6. Die Vermögenssicherung ist bei der GmbH geringer als bei der AG (s §§ 30, 31 GmbHG im Gegensatz zu § 57 III AktG; weiter gibt es bei der GmbH keine gesetzliche Rücklage im Unterschied zu § 150 AktG). 7. Dem Charakter der GmbH als eines persönlichen Zusammenschlusses entspricht die Ausfallhaftung der Gesellschafter nach §§ 24, 31 III GmbHG, durch die das geringere Ausmaß der Vermögenssicherung gemildert wird. Erinnern wir uns an die oben31 aufgeführten Unterschiede 1–8 zwischen Per- 17 sonengesellschaften und juristischer Person, so ist die GmbH als personalistische Kapitalgesellschaft in Hinsicht auf die folgenden Einzelmerkmale der Personengesellschaft angenähert: Den Grundsätzen der Regelung der Rechtsbeziehungen durch Gesellschaftsvertrag (Unterschied oben 2) und dem Grundsatz der Selbstorganschaft (Unterschied oben 5) entsprechen die Satzungsautonomie bei der GmbH und die Stellung der Gesellschafterversammlung der GmbH als oberstes Willensbildungsorgan. Der Abhängigkeit der Personengesellschaft von der Person der Gesellschafter (Unterschied oben 3) entspricht die Übertragung der GmbH-Anteile durch förmlichen Akt. Der persönlichen Haftung der Gesellschafter der Personengesellschaft (Unterschied oben 6) entspricht die Ausfallhaftung der Gesellschafter der GmbH bei geringerer Sicherung des Gesellschaftsvermögens im Vergleich zur AG. Die folgenden Gegensätze zur Personengesellschaft sind für die GmbH immerhin gemildert: Gründung und Kapitalerhöhung sind zwar durch Normativbestimmungen geregelt, aber doch vereinfacht, auch die Vermögensbindung ist zwar konstitutiv, aber im Vergleich zur AG geringer. Vollständig ist der Gegensatz auch der GmbH im Verhältnis zur Personengesellschaft insoweit, als es bei der GmbH die Möglichkeiten der Einmann-GmbH (Unterschied oben 7) und von eigenen Anteilen gibt (Unterschied oben 8).

2. Wirtschaftliche Funktion von AG und GmbH, die AG als Kapitalsammelstelle, insbesondere über den Kapitalmarkt Was die wirtschaftliche Funktion der GmbH und der Aktiengesellschaft be- 18 trifft, ist diese zunächst in folgender Richtung beiden Gesellschaftsformen gemeinsam: An beiden ist der Gesellschafter kapitalistisch beteiligt. In der kapita-

_____ 31 Rn 10.

14 | A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

listischen Beteiligung verbinden sich die Aussicht auf Erträge und Wertsteigerung der Beteiligung einerseits und die beruhigende Gewissheit andererseits, dass die Haftung im Rechtsverkehr ausschließlich die Kapitalgesellschaft trifft. Dadurch wird die Bereitschaft initiiert, in das Unternehmen einer Kapitalgesellschaft zu investieren. Eine besondere Funktion hat sodann die Aktiengesellschaft dergestalt, dass sie wegen der grundsätzlich rein kapitalistischen Beteiligung zur Kapitalansammlung für (Groß)-Unternehmen passt. Sie kann kleine Beträge zu großem Kapital sammeln. Aufgrund der einfachen Möglichkeit, die Aktien wieder zu veräußern, insbesondere bei der börsennotierten AG, kann der Einzahler wie bei der Gewährung von Kredit seine Einzahlung durch die Veräußerung wieder zurückerhalten. Die Aktien sind dadurch mit der zusätzlichen Funktion ausgestattet, an die Stelle kurzfristigen Kredits Eigenkapital zu setzen.

3. Mischformen des Gesellschaftsrechts 19 Mit der KGaA haben wir schon eine Mischform aus Kapitalgesellschaft (in Hin-

sicht auf die Kommanditaktionäre) und der Personengesellschaft (in Hinsicht auf die persönlich haftenden Gesellschafter) kennen gelernt. Im Rechtsverkehr schon lange anerkannt ist die Mischform der GmbH & Co KG, insbesondere der Publikums-GmbH & Co KG. Sie ist, insbesondere aus steuerlichen Gründen, von außerordentlicher praktischer Bedeutung. Hier kann sie nur kurz vorgestellt und sodann jeweils in der rechtlichen Entfaltung einzelner Probleme des Rechts der GmbH berücksichtigt werden. Im Übrigen ist auf die Spezialdarstellungen zu verweisen31a. Die typische GmbH & Co KG ist dadurch gekennzeichnet, dass der einzige persönlich haftende Gesellschafter („Komplementär“) eine GmbH ist und alle anderen Gesellschafter als Kommanditisten beschränkt haften. Die GmbH kann, obwohl sie die beschränkte Haftung im Namen trägt, unbeschränkt haftende Komplementärin sein, weil sie als solche (als juristische Person) tatsächlich unbeschränkt haftet und die sog Haftungsbeschränkung nur das beschränkte Risiko ihrer Gesellschafter ausdrückt. Dennoch war die Anerkennung der GmbH & Co KG umstritten. Sie ist durch eine berühmte Entscheidung des RG durchgesetzt worden 32. Aufgrund der Prägung durch die al-

_____ 31a Insbesondere im Handbuch der Personengesellschaften von H.P. Westermann und Johannes Wertenbruch, Köln 2017. S aber auch schon die mit Recht auf die Kapitalgesellschaft & Co erweiterte Übersicht bei Raiser/Veil, §§ 52–55. 32 RGZ 105, 101 (1922). Nach § 1a III UBGG ist die Komplementärbeteiligung mögliches Wagniskapital von UBG.

IV. Übersicht über die Rechtsformen zur Kapitalanlage nach deutschem Recht | 15

lein führende Kapitalgesellschaft wird die GmbH & Co KG als kapitalistische Rechtsfigur eigener Prägung eingeordnet33. Der Gesetzgeber bringt auf sie zunehmend Vorschriften über die Kapitalgesellschaft zur Anwendung. Dies gilt nicht nur für die GmbH & Co KG, sondern darüber hinaus für eine AG & Co KG sowie überhaupt für alle Personengesellschaften, an denen keine natürliche Person als unbeschränkt haftende Gesellschafterin beteiligt ist, (s §§ 19 II, 125a I 2, 130a, 172 VI, 264a ff HGB und die neuen Vorschriften der §§ 15a I 2, IV, 39 IV mit I Nr 5, 135 InsO, 6 I AnfG, durch die das MoMiG die früher verstreuten Regelungen über die Insolvenzantragspflicht und die Gesellschafterdarlehen bei solchen Mischformen zusammengefasst hat). In jüngerer Zeit ist zur Anerkennung gelangt die GmbH & Co KGaA34. Bei ihr ist entsprechend der GmbH & Co KG eine GmbH einzige persönlich haftende Gesellschafterin der KGaA. Dann ist ebenso möglich die AG & Co KGaA und die SE & Co KGaA.

4. Verbundene Unternehmen Unternehmen derselben und verschiedener Rechtsformen können als „verbun- 20 dene Unternehmen“ verflochten sein, insbesondere können Unternehmen andere Unternehmen beherrschen oder von ihnen abhängig sein, namentlich im Konzern. Das Aktiengesetz enthält eine ausführliche Regelung der verbundenen Unternehmen (Begriffe in §§ 15ff AktG) nach der Regelung der KGaA im 3. Buch (§§ 291ff AktG). Für dort nicht geregelte Unternehmensverbindungen sind wir auf Analogiebildung oder Grundsätze des allgemeinen Gesellschaftsrechts und des Bürgerlichen Rechts angewiesen.

IV. Übersicht über die Rechtsformen zur Kapitalanlage nach deutschem Recht IV. Übersicht über die Rechtsformen zur Kapitalanlage nach deutschem Recht

Das Recht der Kapitalanlage verwendet für die möglichen Rechtsformen sowohl 21 Gesellschaftsformen des Kapital- als auch des Personengesellschaftsrechts. Als besondere Gesellschaften zur Kapitalanlage sind geregelt die Investmentak-

_____ 33 Im Lehrbuch von Raiser/Veil ist der Kapitalgesellschaft & Co ein eigenes Kapitel gewidmet (6. Teil §§ 52–55). 34 BGHZ 134, 392 (1997). Übersicht über Bedeutung und Probleme der Anerkennung bei Fett/ Stütz, NZG 2017, 1121.

16 | A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

tien- und Investmentkommanditgesellschaften (§ 1 XI KAGB35 mit Einzelregelung in §§ 108 ff, 124 ff, 140 ff, 139 ff KAGB), die als Verwaltungsgesellschaften für die in § 1 KAGB definierten und unterschiedenen Investmentvermögen in Betracht kommen. Weiter ist zu nennen die Unternehmensbeteiligungsgesellschaft (UBG) nach dem UBGG36, die Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaft nach dem WKBG37 und die REIT-AG nach dem REITG38. Dies sind keine besonderen Rechtsformen von Kapitalgesellschaften, sondern Gesellschaften allgemeinen Typs, die einem besonderen Zweck dienen und bei denen das allgemeine Gesellschaftsrecht durch Einzelvorschriften modifiziert ist. 22 Die UBG hat den Zweck des Erwerbs, Haltens und der Verwaltung von im Gesetz abgegrenzten Unternehmensbeteiligungen (§ 2 II 1 UBG)39. Sie kann in den Rechtsformen der AG, GmbH, KG und KGaA betrieben werden (§ 2 I UBGG). Durch die UBG soll auch nicht börsennotierten Unternehmen der Zugang zu den organisierten Eigenkapitalmärkten eröffnet und andererseits dem Anlegerpublikum die Möglichkeit verschafft werden, sich mittelbar an mittelständischen Unternehmen zu beteiligen. Das Gesetz zur Förderung von Wagniskapitalbeteiligungen setzt mit den Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften den Gedanken des private equity um, dh der Nutzung von Kapital, welches nicht in öffentlichem Investment (über die Börse) bereitgestellt, sondern in den im Gesetz abgegrenzten Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften gesammelt wird, die sich an bestimmten sog Zielgesellschaften beteiligen. Dabei geht es um die Investition in neue oder zu entwickelnde und deshalb in der Kapitalgrundlage zu erweiternde Unternehmensideen. Aber nicht nur um das Kapital, sondern auch um das in der WKBGesellschaft versammelte know how kann es gehen: Nach § 8 II WKBG wird die Beratung der Zielgesellschaft als zulässiger Geschäftsgegenstand hervorgeho-

_____ 35 Kapitalanlagegesetzbuch vom 4.7.2013 (BGBl I, 1981, geänd durch G vom 30.6.2016 (BGBl I, 1314). Darin aufgegangen das InvG v 15.12.2003 (BGBl I S 2676). 36 UBGG v 17.12.1986 BGBl I S 2488 idF des Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen – MoRaKG – vom 12.8.2008, BGBl I, 1672 (Art 2). 37 Gesetz zur Förderung von Wagniskapitalbeteiligungen (Art 1 MoRaKG vom 12.8.2008 BGBl I, 1672). 38 REITG v 28.5.2007 BGBl I S 914 (Begriff hergeleitet von der Rechtsfigur des Real Estate Investment Trust aus dem US-amerikanischen Recht). Zu dem Gesetz Übersicht bei Frey/ Harbarth, ZIP 2007, 1177; Götze/Hütte, NZG 2007, 332; Quass/Becker, AG 2007, 421; Wienbracke, NJW 2007, 2721. Kom z REIT-Gesetz: Helios/Wewel/Wiesbrock, München 2008. 39 Nach § 2 II 1 UBGG muss Unternehmensgegenstand das Halten, Verwalten und die Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen sein. Solche sind Eigenkapitalbeteiligungen an AG, GmbH, OHG, KG, Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ausländischen Gesellschaften entsprechender Rechtsformen, sodann die stille Beteiligung, und Genussrechte (§ 1a III UBGG).

IV. Übersicht über die Rechtsformen zur Kapitalanlage nach deutschem Recht | 17

ben. Die Zielgesellschaften sind Kapitalgesellschaften, die im Zeitpunkt der Beteiligung der WKB-Gesellschaft über nicht mehr als 20 Mio € Eigenkapital verfügen, seit ihrer Gründung nicht schon länger als 10 Jahre bestehen (auch kein länger als die Zielgesellschaft selbst bestehendes Unternehmen betreiben) und keine Wertpapiere emittiert haben, die zu einem organisierten Markt zugelassen oder in ihn einbezogen sind (§ 2 III WKBG). Die WKB-Gesellschaft darf neben Wagniskapitalbeteiligungen auch andere Vermögensanlagen haben (§ 8 WKBG), die Wagniskapitalbeteiligungen müssen aber mindestens 70% des Vermögens ausmachen (§ 9 I WKBG). Die REIT-AG ist eine AG mit börsennotierten Anteilen40 zu dem besonderen Zweck des steuerbegünstigten Haltens von Immobilienrechten. § 1 REITG bezeichnet den zulässigen Rahmen des Unternehmensgegenstands, §§ 10 f konstituieren die Erfordernisse der Börsenzulassung und einer notwendigen Streuung der Aktien41, § 12 macht Anforderungen an die Vermögens- und Ertragszusammensetzung. In §§ 16 ff REITG wird die steuerliche Begünstigung entfaltet. Im Zusammenhang mit dieser Begünstigung ergibt sich: Während die Kapitalgesellschaften grundsätzlich verselbstständigte Unternehmensträger neben den Anteilsinhabern sind und als solche auch selbstständig besteuert werden, ist die REITAG als Rechtsform des mittelbaren Haltens von Immobilien durch die Aktionäre konstruiert und unter diesem Aspekt von Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit (§ 16 REITG regelt die Steuerbefreiung der Gesellschaft, § 19 die Besteuerung der Ausschüttungen bei den Anteilsinhabern). Neben der REIT-AG gibt es den Vor-REIT nach § 2 REITG. Dieser ist eine AG, die dabei ist, zur REIT-AG entwickelt zu werden. Der Vor-REIT soll schon in den Genuss der Exit-Tax-Regelung kommen, die in dem zusammen mit dem REITG in Kraft getretenen § 3 Nr 70 EStG normiert ist42. Die Exit-Tax-Regelung besteht in der nur hälftigen Besteuerung des Gewinns, der sich durch Aufdeckung der stillen Reserven bei dem Übergang von Grundbesitz auf die REIT-AG bzw den Vor-REIT ergibt.

_____ 40 Nach der Begründung des RegE REITG, BR-Drucks 770/06, S 19 bedarf es nicht der Zulassung eines „Private REIT“, weil es die Immobilienspezialfonds nach dem InvG (jetzt KAGB) gibt. 41 Zur Kontrolle und zu Mitteln der Wiederherstellung des Streubesitzes Schroeder, AG 2007, 531. 42 Begr RegE, BR-Drucks 770/06, S 28.

18 | A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

V. Vergleich mit den Genossenschaften V. Vergleich mit den Genossenschaften 23 Genossenschaften werden mit ihrer Eintragung in das Genossenschaftsregister (§ 10 GenG) juristische Personen und gelten als Kaufleute iS des HGB (§ 17 I, II GenG). Sie haben eine Firma zu führen und in dieser den Zusatz eingetragene Genossenschaft oder eG (§ 3 GenG). Genossenschaften sind keine Kapitalgesellschaften, dh sie beruhen nicht auf einem festen Eigenkapital mit entsprechendem Kapitaleinsatz und danach bemessener Stimmberechtigung der Mitglieder; sie sind auch nicht, wie es der Kapitalbestimmtheit der Kapitalgesellschaften entspricht, in der Verwendung des aufgebrachten Kapitals zu jedem möglichen Zweck fähig, insbesondere sind sie nicht, wie die Kapitalgesellschaften in deren Hauptanwendung, durch die Führung eines eigenen Unternehmens durch die Gesellschaft geprägt. Nach § 1 I GenG ist ihr Zweck vielmehr darauf gerichtet, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern. Folgerung dieser Ausrichtung auf einen für die Mitglieder gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb ist es, dass es keine Einmann-Genossenschaften gibt, vielmehr eine Mindestzahl von drei Mitgliedern vorhanden sein muss (§ 4 GenG). Bei den Genossenschaften gilt ferner der Grundsatz der Selbstorganschaft, dh nur Mitglieder können in den Vorstand und den Aufsichtsrat gewählt werden (§ 9 II 1 GenG). Zwar spricht die Vorschrift darüber hinaus von der Amtsfähigkeit nur natürlicher Personen. Ihr Fortgang zeigt aber, dass Genossenschaftsmitglieder nicht nur natürliche Personen sein können und dies für die Amtsfähigkeit zu berücksichtigen ist. Andere eingetragene Genossenschaften und jede rechtsfähige Gesellschaft können ebenfalls Mitglied sein. Im Hinblick auf sie heißt das Prinzip der Selbstorganschaft bei der Genossenschaft, dass bei Mitgliedschaft einer anderen Genossenschaft deren Mitglieder, sofern diese natürliche Personen sind, und bei Mitgliedschaft einer Gesellschaft die zu deren Vertretung befugten Personen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied der Genossenschaft sein können (§ 9 II 2 Hs 1, 2 GenG). Das Stimmrecht ist personenbezogen: Grundsätzlich hat jedes Mitglied eine Stimme, es können aber unter besonderen Voraussetzungen Mehrstimmrechte geregelt werden (§ 43 III 1–3 GenG). Eine solche Regelung gewährt kein Sonderrecht, welches nur mit Zustimmung des Mitglieds eingeschränkt oder aufgehoben werden kann (§ 43 III 4 GenG). Die Mitglieder haben ein zwingendes Kündigungsrecht (§ 65 I, V GenG). Im Fall der Kündigung erhalten sie unter Beachtung bestimmter Schranken ihr Geschäftsguthaben (s § 19 I 2 GenG, dazu sogleich) ausgezahlt (§ 73 II 2 GenG). Das GenG enthält notwendige Satzungsbestimmungen (§§ 6, 7 GenG), weiter einen Satzungsvorbehalt, dh das Erfordernis der Regelung in der Satzung,

V. Vergleich mit den Genossenschaften | 19

wenn bestimmte Punkte geregelt werden sollen (§ 8 GenG) und schließlich wie § 23 V 1 AktG für die AG und im deutlichen Gegensatz zur weiten Autonomie bei der GmbH die Schranke für die Satzungsautonomie der Genossenschaft, dass durch Satzung vom Gesetz nur abgewichen werden darf, wenn dieses ausdrücklich zugelassen ist (§ 18 I 2 GenG). Die Satzung normiert die „Geschäftsanteile“ der Mitglieder (§§ 7 Nr 1 Hs 1, 7a GenG), die nicht mit den Geschäftsanteilen an der GmbH verwechselt werden dürfen, und die Einzahlungspflichten der Mitglieder (§ 7 Nr 1 Hs 2 GenG). Sie muss Bestimmungen darüber enthalten, ob und inwieweit die Mitglieder bei Insolvenz der Genossenschaft zu Nachschüssen in die Insolvenzmasse verpflichtet sind (§ 6 Nr 3 GenG). Die Genossenschaft darf die Geschäftsguthaben der Mitglieder zur Zeit von deren Mitgliedschaft nicht auszahlen (§ 22 IV 1 GenG). Geschäftsguthaben sind Einzahlungen auf den Geschäftsanteil und Gewinnzuschreibungen abzüglich Verlustabschreibungen, wobei der Geschäftsanteil die Obergrenze ist (§ 19 I 2, 3 GenG) und folglich ein darüber hinausgehendes Guthaben einen unbeschränkten schuldrechtlichen Auszahlungsanspruch des Mitglieds begründet43. Darüber hinaus kann die Satzung sogar ein „Mindestkapital“ enthalten, welches auch bei Kündigung nicht durch Auszahlung an die Mitglieder unterschritten werden darf (§ 8a GenG). Gleichwohl ist der Gläubigerschutz bei der Genossenschaft schwächer ausgeprägt als bei den Kapitalgesellschaften. Gesetzlicher Ausgleich ist, dass die Genossenschaft als Voraussetzung ihrer Anerkennung als eG einem genossenschaftlichen Prüfungsverband angehören und dessen Prüfung unterworfen sein muss (§§ 11 II Nr 3, 53. 54 ff GenG)44. Der Vergleich mit den Kapitalgesellschaften fällt also in den Grundlinien deutlich aus, ist aber im Einzelnen sehr differenziert durchzuführen. Entscheidend kommt es auf die Satzung der individuellen Genossenschaft an. Durch VO (EG) Nr 1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der 24 Europäischen Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea – SCE) 45 ist eine europaeinheitliche Form der Genossenschaft eingerichtet worden. Zu der VO ist das deutsche Gesetz zur Einführung der europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts (EuroGenEinfG) vom 14.8.200646 ergangen mit dem Ausführungsgesetz zur VO (SCEAG) und dem Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der Europäischen Genossenschaft (SCE-BetG).

_____ 43 44 45 46

KomGenG/Beuthien, 14. Aufl 2004, § 7 Rn 4. Dazu KomGenG/Beuthien § 54 Rn 1; ders, WM 1995, 1788, 1790. ABl v 18.8.2003 Nr L 207 S 1. BGBl I S 1911.

20 | A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

VI. Die Grundmerkmale der Kapitalgesellschaften: Kapitalistische Grundlage und Haftungsbeschränkung VI. D. Grundmerkmale d. Kapitalgesellschaften

1. Kapital, Fremd-, Eigenkapital46a 25 Kapital iS des Kapitalgesellschaftsrechts ist Vermögen in einem besonderen

Sinn: Vermögen eingeordnet danach, wem das Vermögen wertmäßig zusteht. Man kann deshalb auch sagen: Es ist der Anspruch auf ein bestimmtes Vermögen. Vermögen im allgemeinen Sinne ist der Inbegriff der einem Rechtssubjekt gehörenden, dh als solcher unmittelbar zugeordneten Rechte und sonstigen Gegenstände. Der Kapitalbegriff sagt demgegenüber, wem das Vermögen wertmäßig mittelbar zugeordnet ist, wer Anspruch darauf hat. Zu einem Unternehmen gehören Vermögensgegenstände, die vom Inhaber aus Privatvermögen eingebracht, gegen Leistungen des Unternehmens als Gegenleistung entrichtet, mit Hilfe von Krediten erworben oder von Lieferanten gegen das Versprechen der Kaufpreiszahlung etc geliefert werden. Die Gegenstände, aus denen das Vermögen besteht, gehören unmittelbar dem Unternehmensträger. Eine andere Frage ist, wer Anspruch auf das Vermögen hat (wem es mittelbar zugeordnet ist). Dies wird relevant, wenn man sich vorstellt, dass das Unternehmen jetzt liquidiert würde. Soweit Marktpartner vorgeleistet haben (insbesondere einen Kredit), erwarten sie als Gläubiger der Rückzahlungs- oder Vergütungsforderungen, dass ihre Forderungen bezahlt werden, dh den Gläubigern des Unternehmens steht das Unternehmensvermögen nach dem Betrag ihrer Forderungen zu, sie haben insoweit Anspruch auf das Vermögen. In der Liquidation wäre es ihnen auszufolgern. Soweit das Vermögen nicht solchen Marktpartnern zukommt, kommt es dem Unternehmensträger selbst zu. Es handelt sich um die schuldenfreie Substanz, erweitert um einen etwaigen Ertrag. In dieser Perspektive der mittelbaren Zuordnung ist das Vermögen Kapital. 26 Das Unternehmensvermögen steht mittelbar den daran Beteiligten als Kapitalgebern, nämlich aufgrund ihres Vermögenseinsatzes im Unternehmen, zu. Vorrangig haben in Höhe der Verbindlichkeiten die Gläubiger Anspruch auf das Vermögen, insoweit ist es sog Fremdkapital. In der darüber hinausgehenden Höhe (sog Reinvermögen) hat der Unternehmensträger selbst Anspruch auf das Vermögen (ist das Vermögen als sog Eigenkapital zugeordnet). Bei den Gesellschaften bedeutet das Eigenkapital aufgrund der Beteiligung der Gesellschafter, dass das Reinvermögen der Gesellschaft zwar zunächst der Gesellschaft als Unternehmensträgerin selbst, letztlich aber kraft ihrer Beteiligung

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46a Umfassend zur Finanzierung insbesondere der Kapitalgesellschaften s das Buch von Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, München 2017.

VI. D. Grundmerkmale d. Kapitalgesellschaften | 21

den Gesellschaftern zusteht. Insofern sind die Gesellschafter die Eigenkapitalgeber der Gesellschaft. Damit stehen insbesondere Gewinne der Gesellschaft, soweit sie das Reinvermögen steigern, den Gesellschaftern zu. Dies drückt sich in der Aussicht auf Gewinnausschüttungen und, soweit der Gewinn in der Gesellschaft verbleibt, in der Wertsteigerung der Gesellschaftsanteile aus. Eine bemerkenswerte Parallele und Bestätigung zu dieser Deutung des Begriffs des Kapi- 27 tals, speziell des Eigenkapitals, ist der englische Begriff für Eigenkapital: equity. Das Wort hat eine weite historische Herkunft47. Es leitet sich her aus der Zeit, da sich im englischen Recht neben dem formal strengen Recht – dem common law – das Recht der equity entwickelt hat. Im Zentrum dieser Entwicklung stand die Rechtsfigur des trust, wir können dazu – mit aller Vorsicht – sagen: Treuhand. Der trust ist im Mittelalter dadurch entstanden, dass – aus heute historischen Gründen – nur eine Person mit bestimmten Eigenschaften das Eigentum an Grundstücken „in law“ innehaben konnte. Personen, die die Eigenschaften nicht aufwiesen, trafen nun mit geeigneten Personen die Abmachung des trust, dh dass die eine Person das Eigentum als trustee für die andere Person halten sollte. Das in law dem trustee gehörige Eigentum stand also letztlich dem Treugeber zu. Dieser konnte aber sein Recht, weil es nicht in law bestand, nicht vor den Gerichten des common law durchsetzen, dazu musste erst das law durch equity (Billigkeitsrecht) und die Gerichte für common law durch Gerichte für equity ergänzt werden. Die Treugeberposition beim trust war also Berechtigung kraft equity. Neben den legal title des trustee tritt der equitable title des beneficiary48. Davon leitet sich ab, dass das Vermögen der Kapitalgesellschaften, soweit es von Schulden frei ist, den Gesellschaftern als equity = Eigenkapital zusteht.

2. Das Garantiekapital bei den Kapitalgesellschaften Die Einordnung des Vermögens nach seiner mittelbaren Zuordnung als Fremd- 28 kapital oder Eigenkapital gilt für Einzelunternehmen wie für Personen- und Kapitalgesellschaften gleichermaßen. Was die Gesellschaften betrifft, sind die Kapitalgesellschaften49 von den Personengesellschaften durch das sog Garantiekapital unterschieden. Damit ist ein fundamentales Thema angeschlagen. Das Garantiekapital ist die Sicherung, die tragbar erscheinen lässt, dass bei der Kapitalgesellschaft vorbehaltlich gesetzlicher Sonderformen nur die juristische Person für die im Rechtsverkehr begründeten Verbindlichkeiten haftet. Bei den Personengesellschaften, die nach außen auftreten, versteht sich die Sicherung von selbst: Bei ihnen handeln die Gesellschafter als Gemeinschaft im Rechtsverkehr, daraus begründet sich ihre grundsätzlich unbeschränkte persönliche

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47 Einleuchtend der Passauer Gelehrte der Rechtsvergleichung, Klaus Schurig. 48 Graf von Bernstorff, Einführung in das englische Recht, 3. Aufl 2006, S 260. 49 Auch die GmbH als personenbezogene Kapitalgesellschaft. Bei der KGaA ist die Bindung an ein Garantiekapital allerdings beschränkt auf die Kommanditaktionäre.

22 | A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

Haftung. Beschränkungen gibt es in Gestalt der Kommanditistenhaftung bei der KG, es bleibt für die KG aber die unbeschränkte Haftung mindestens eines Gesellschafters (eines Komplementärs) übrig (§ 161 I HGB). Im Sonderfall der Partnerschaft als Gesellschaft freier Berufe, bei der die Haftung wegen fehlerhafter Berufsausübung auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt werden kann, muss das durch eine Berufshaftpflichtversicherung ausgeglichen sein (§ 8 IV 1 PartGG)50. Der Begriff Garantiekapital ist einerseits schief, andererseits ungenau. Un29 genau ist er, weil wir ja Fremd- und Eigenkapital zu unterscheiden haben. Das Garantiekapital ist garantiertes Eigenkapital der Gesellschaft. Schief ist der Begriff, weil er so klingt, als ginge es um existentes Vermögen51. Das sog Garantiekapital (genauer Garantieeigenkapital) ist aber demgegenüber eine bloße Sollgröße: Es ist ein Betrag, der in der Mindesthöhe gesetzlich und im Übrigen mit dieser Grenze durch die Satzung festgelegt ist. An diese Festlegung knüpft die gesetzliche Vermögensbindung an. Die Festlegung hat zwei Seiten, die Vermögensaufbringungs- und die Vermögenserhaltungspflicht. Die Vermögensbindung ist die zweite Seite. Was die Aufbringungsseite betrifft, müssen die Gesellschafter Vermögen in Höhe des Garantiekapitals in die Gesellschaft einbringen. Garantiert wird jetzt zum anderen, dass die Gesellschafter nichts aus der Gesellschaft herausziehen dürfen mit der Folge, dass das Eigenkapital unter den Betrag des Garantiekapitals herabsinkt. Das ist die gesetzliche Vermögensbindung bei den Kapitalgesellschaften. Die Gesellschafter, bei der KGaA die Kommanditaktionäre (§ 278 I AktG), 30 sind in Höhe ihrer Anteile an der Vermögensaufbringungs- und -erhaltungspflicht beteiligt. Damit tragen sie andererseits auch nur das Risiko der Gesellschaft insoweit, als die Gesellschaft das von ihnen aufgebrachte Vermögen nicht mehrt oder sogar verliert und deshalb die Eigenkapitalbeteiligung der Gesellschafter keine Früchte trägt oder sogar verloren geht. Dieser Beschränkung der vermögensmäßigen Beteiligung entspricht die Bemessung des Stimmrechts (betr Aktien §§ 12 I 1, 134 I 152, betr Gesellschaftsanteile bei der GmbH § 47 II GmbHG). Ebenso entspricht dem die Gewinnbeteiligung nach den Kapitalan-

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50 Nach § 2 I 1 PartGG muss eine Partnerschaft in ihrem Namen den Namen mindestens eines Partners und den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“. sowie alle vertretenen Berufsbezeichnungen enthalten. Bei einer Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung muss der Zusatz „mit beschränkter Berufshaftung“ oder „mbB“ geführt werden (§ 8 IV 3 PartGG). Bei dieser Art der Partnerschaft kann statt der in § 2 I 1 PartGG vorgeschriebenen Zusätze zu den Namen die Abkürzung Part oder PartG in den Namen eingefügt werden (§ 8 IV 3 Hs 2 PartGG). 51 Missverständlich zB Raiser/Veil, das Grundkapital der AG sei ein in der Satzung beziffertes Mindestvermögen der Gesellschaft (§ 9 IV Rn 33). 52 Betr Kommanditaktien §§ 278 III iVm §§ 12 I 1, 134 I 1 AktG.

VI. D. Grundmerkmale d. Kapitalgesellschaften | 23

teilen – bei der GmbH vorbehaltlich der Satzung – (§§ 29 III 1, 2 GmbHG, im Aktienrecht s §§ 60 I, 278 III AktG). Die Normativbestimmungen über die Gründung und die Kapitalerhöhung 31 von Kapitalgesellschaften erlegen den daran sich beteiligenden Gesellschaftern die Eigenkapitalgarantie in dem folgenden genauen Sinne auf: Zum Verständnis ist es grundlegend, die Kapitalbegriffe zu beherrschen. Nochmals also: Kapital ist das in seinem Wert erfasste Vermögen, nach seiner Zuständigkeit unterschieden. Grundlegend dafür ist die Erfassung in der Bilanz und der Gewinnund Verlustrechnung. In der Bilanz stehen sich fair bewertete Aktiva und Passiva gegenüber. Soweit die Aktiva die Passiva übersteigen, ist das Vermögen das sog Reinvermögen. Es steht der Gesellschaft zu und ist also Eigenkapital. Im übrigen Vermögenswert steht das Vermögen als Fremdkapital den Gläubigern zu oder ist es sonst wie belastet, insbesondere für künftige Risiken zurückgelegt. Was nun die Aufbringung und Erhaltung eines Eigenkapitals der Gesellschaft betrifft, legt das Gesetz bei der AG und der GmbH einen Mindestnennbetrag fest (50.000.– € Mindestgrundkapital bei AG und KGaA, §§ 7, 278 III AktG, 25.000.– € Mindeststammkapital bei der GmbH, § 5 Abs 1 GmbHG). Dieser Betrag kann in der Satzung überschritten werden. Und das MoMiG hat jetzt andererseits Gesellschaften mbH gestattet, den Mindestbetrag zu unterschreiten (§ 5a I GmbHG). In diesem Falle müssen sie allerdings besonders firmieren (als „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG ( haftungsbeschränkt)“)53. In Höhe je des Grund- oder Stammkapitals müssen die Gesellschafter (bei der KGaA die Kommanditaktionäre, mit Kommanditaktien kann aber auch der Komplementär beteiligt sein) Vermögenswerte in die Gesellschaft einbringen (Kapitalaufbringungspflicht), und sie dürfen keine Ausschüttung erhalten, soweit dadurch das Vermögen der Gesellschaft nicht mehr in Höhe des Garantiekapitals über das Fremdkapital hinausgeht (Kapitalerhaltungspflicht)54. Die Gesellschaft kann natürlich ihr Kapital unter Wahrung des gesetzlichen Min-

_____ 53 Da nur ein Gesellschafter vorhanden sein muss (§ 1 GmbHG) und die Mindesteinlage jedes Gesellschafters 1 € beträgt (Anteil muss auf volle Euro lauten, § 5 II 1 GmbHG), sprechen Raiser/Veil von einem Mindestkapital der UG von nur einem Euro ( Rn 2). 54 Die Pflicht zur Kapitalerhaltung darf also nicht wörtlich verstanden werden. Dasselbe gilt für die sog Kapitalaufbringungspflicht. Diese ist, genau betrachtet, die Pflicht, Vermögen in Höhe der übernommenen Anteile in die Gesellschaft einzubringen. Ob aufgrund der Vermögenseinlagen der Gesellschafter die Gesellschaft ein Reinvermögen in Höhe des Garantiekapitals aufweist, ist vom tatsächlichen Vermögen der Gesellschaft unter Berücksichtigung möglicher erster Kosten und Verbindlichkeiten abhängig. Was sodann die sog Kapitalerhaltung betrifft, bedeutet diese die Beschränkung der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter im Hinblick auf unentgeltliche Zuwendungen der Gesellschaft an die Gesellschafter.

24 | A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

destkapitals herabsetzen, oder sie kann aus der Existenz als werbender Gesellschaft herausgebracht werden, indem sie aufgelöst wird. Das Gebot der Kapitalerhaltung (Erhaltung des Grund- oder Stammkapi32 tals) ist ein Grundgebot im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht. Das AktG geht noch darüber hinaus: Zunächst ist um das Grundkapital noch ein Schutzwall gezogen in Gestalt der gesetzlichen Rücklage (§ 150 AktG): Ausschüttungen dürfen hier auch das zur Deckung der Rücklage erforderliche Vermögen nicht antasten. Sodann ist der Aktionär überhaupt auf die jährliche Gewinnausschüttung beschränkt (§ 57 III AktG). Das System des Garantiekapitals erscheint dem deutschen Gesellschafts33 rechtler als selbstverständlich, das historische deutsche Aktien- und GmbHRecht hat dieses System zugrunde gelegt. Im Ausland gibt es andere Schutzsysteme55, und auch auf europäischer Ebene ist das System nicht mehr unangefochten56. Was das System des Garantiekapitals betrifft, ist zu unterscheiden zwischen dem System der Aufbringung und Erhaltung eines Garantiekapitals ohne gesetzliche Festlegung (nach dem MoMiG bei der Unternehmergesellschaft) und der strengeren Form, dass das Gesetz ein Mindestgarantiekapital festlegt (nach dem MoMiG nicht mehr für die Unternehmergesellschaft). In der strengeren Form, also einschließlich der Schranke des Mindestkapitals, ist das System noch verankert in der zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (sog Kapitalrichtlinie57). Die Richtlinie gibt dieses System indessen nur für die PublikumsKapitalgesellschaften vor, in Deutschland für die AG (nach der enumerativen Aufzählung des Art 1 nicht für die Nebenform der KGaA). Nur für die Publikumskapitalgesellschaft muss europarechtlich zwingend in den Mitgliedstaaten das Erfordernis eines Mindestkapitals (nicht weniger als 25.000 €, Art 6 I der Richtlinie) normiert sein. Gegen das gesamte Prinzip der Kapitalerhaltung werden aber im europäi34 schen Raum heftige Angriffe vorgetragen58. Hier ist eine Studie zu nennen, die von Wissenschaftlern und Praktikern zum englischen Recht erarbeitet worden

_____ 55 N bei Raiser/Veil § 9 IV Rn 34. 56 S sogleich. 57 77/91/EWG vom 13.12.1976 ABl v 31.1.1977 Nr L 26 S 1 idF der Richtlinie 2006/68/EG vom 6.9.2006 ABl v 25.9.2006 Nr L 264 S 32. Zur Kapitalerhaltung s die Formulierung in Art 15 I lit a: „Ausgenommen in den Fällen einer Kapitalherabsetzung darf keine Ausschüttung an die Aktionäre erfolgen, wenn bei Abschluß des letzten Geschäftsjahres das Nettoaktivvermögen, wie es der Jahresabschluß aufweist, den Betrag des gezeichneten Kapitals zuzüglich der Rücklagen, deren Ausschüttung das Gesetz oder die Satzung nicht gestattet, durch eine solche Ausschüttung unterschreitet oder unterschreiten würde“ (Art 15 I lit a). 58 Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals im europäischen Wettbewerb, 2006, befasst sich mit der Reformfrage.

VI. D. Grundmerkmale d. Kapitalgesellschaften | 25

ist 59. Im Hinblick auf diese und andere Reformbestrebungen ist in der 2. Erwägung zur Richtlinie 2006/68/EG vom 6.9.2006 zur Änderung der zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (Kapitalrichtlinie) ausdrücklich zur Prüfung gestellt, „ob es Alternativen zu den Kapitalerhaltungsbestimmungen gibt, mit denen die Interessen der Aktionäre und Gläubiger einer Aktiengesellschaft in angemessener Weise geschützt werden“60. Ansatzpunkt der Kritik jener Studie ist die Orientierung des Gebots der Kapitalerhaltung an der Rechnungslegung der Gesellschaften (Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung). In der Tat ist diese Rechnung der Maßstab für das Gebot der Kapitalerhaltung. Nur wenn der Wert des Vermögens der Gesellschaft nach dieser Rechnung die Summe aus Garantiekapital und Verbindlichkeiten sowie Belastungen überschreitet, kann etwas verteilt werden, nämlich dieser Überschuss. Der Bericht der englischen Kommissionsmitglieder kritisiert, dass die Leitgedanken der Normen über die Rechnungslegung 61 unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Information des Kapitalmarkts konzipiert seien. Im Gegensatz dazu solle mit der Kapitalerhaltung der Schutz der Gläubiger vor unangemessener Ausschüttung an die Gesellschafter erreicht werden. Die Ausgestaltung nach dem Informationsgesichtspunkt führe, unter dem Schutzaspekt betrachtet, zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung. Der Report schlägt statt des Prinzips von Mindestkapital und Kapitalerhaltung einen „Solvency-Test“ vor: Ausschüttungen sollen immer schon dann zulässig sein, wenn die Leitung der Gesellschaft nach sorgfaltsgemäßer Prüfung erklären kann, dass die Gesellschaft nicht in einer überschaubaren Frist nach der Auszahlung infolge der Ausschüttung insolvent wird62. Der Wesenszug der Beschränkung auf die Kapitalbeteiligung kennzeichnet die GmbH un- 35 geachtet ihres Personenbezuges. Dieser drückt sich, wie wir gesehen haben63, in anderen Eigentümlichkeiten der GmbH im Vergleich zur AG aus. Die Beschränkung auf die Kapitalbeteiligung gilt auch trotz des Namens „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“: Die Bezeichnung ist, wie nochmals hervorzuheben, nicht korrekt64. Was die GmbH selbst be-

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59 Reforming Capital: Report of the Interdisciplinary Group on Capital Maintenance, edited by Jonathan Rickford, European Business Law Review 2004, 919 ff. Reaktion in Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, ZGR, Sonderheft 17, 2006. 60 ABl v 25.9.2006 Nr L 264 S 32. 61 Dazu u Rn 1380 ff. 62 Raiser/Veil berichten von einer seitens der Kommission in Auftrag gegebenen Untersuchung, nach der keines der beiden alternativen Systeme überlegen seien. Danach werde die Arbeit an dem alternativen System nicht mehr fortgeführt (§ 9 IV Rn 34). 63 Rn 16 ff. 64 Korrekt war sie nach dem Entwurf „einer Gesellschaft mit beschränkter Haftbarkeit“, den der Reichstagsabgeordnete Oechelhäuser vorgeschlagen und den der Gesetzgeber des GmbHG

26 | A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

trifft, haftet diese für die Gesellschaftsverbindlichkeiten unbeschränkt. Was sodann die Gesellschafter betrifft, haften diese grundsätzlich überhaupt nicht für die Gesellschaftsverbindlichkeiten. Das, was bei der GmbH beschränkt ist, ist – genauso wie bei der AG – die Vermögenseinlagepflicht der Gesellschafter und ihr Risiko, indem nur die durch ihre Einlage(-verpflichtung) begründete kapitalistische Beteiligung verloren gehen kann: Die Gesellschafter müssen in Höhe des Stammkapitals Vermögen in die Gesellschaft einbringen, nach ihrem Anteil an der Aufbringung richtet sich ihr Geschäftsanteil. Mit Verlusten der Gesellschaft schrumpft der Wert der Geschäftsanteile. Indem die Gesellschafter aber nicht mehr als diesen Vermögenswert verlieren können, ist im übertragenen Sinn ihre Haftung, nämlich ihr Risiko, „beschränkt“. Ein Höchstmaß der Beschränkung hat der Gesetzgeber des MoMiG mit der Sonderform der GmbH, der sog Unternehmergesellschaft, eingeführt (§ 5a GmbHG).

3. Kapital, Vermögen und Unternehmen 36 Kapital und Vermögen der Gesellschaften können bei der unternehmerisch täti-

gen Kapitalgesellschaft65 auch als Kapital und Vermögen des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens begriffen werden. Zusammen mit den für die Gesellschaft tätigen Personen ist das Vermögen der Gesellschaft wirtschaftlich zu der Einheit des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens zusammengefasst. „Unternehmen“ ist ein typologischer Begriff aus der gesellschaftlichwirtschaftlichen Wirklichkeit. Das Gesetz verwendet den Begriff vielfach. Will man den Begriff definieren, so ist das Unternehmen eine Organisation zur Fremdbedarfsdeckung, die mit Angeboten an einem Außenmarkt auftritt, wirtschaftlich selbstständig ist und im Rahmen dieser Selbstständigkeit autonom gemäß dem Marktablauf plant und entscheidet (einschließlich des Risikos, bei Fehlentscheidungen vom Markt zu verschwinden). Über das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Unternehmen wird eine große Diskussion geführt 66. Wir begnügen uns mit folgenden Feststellungen: Verwendet eine Norm den Begriff des Unternehmens, bestimmt sie auch oder ist für sie zu bestimmen, was sie unter dem Begriff versteht, und kommt es also immer auf die Auslegung der einzelnen Norm um ihrer Rechtsfolge willen an67. Allgemeinbegrifflich ist es ohne Weiteres möglich, dass die unternehmerisch tätige Gesellschaft selbst als

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von 1892 verworfen hat. Nach diesem Entwurf sollte die GmbH, wie man vereinfacht sagen kann, als Kommanditgesellschaft ohne Komplementär geregelt werden (der Oechelhäusersche Entwurf von 1884 ist abgedruckt bei Wieland Handelsrecht Bd II, 1931, S 399 ff). 65 Der Gesellschaftszweck ist aber bei AG (s § 3 I AktG) und GmbH (§ 1 GmbHG) frei wählbar. 66 Eingehend Raiser/Veil § 3 Rn 13 ff („Kapitalgesellschaft und Unternehmen“) u § 4 Rn 10 ff („Die Kapitalgesellschaft als Unternehmen“). 67 Beispiel Mutterunternehmen in § 290 I HGB wird definiert, der dann folgende Begriff Tochterunternehmen ist interpretationsbedürftig. Begriffe aufgegriffen in § 1a IV UBGG.

VI. D. Grundmerkmale d. Kapitalgesellschaften | 27

Unternehmen eingeordnet wird68. Andererseits ist die Gesellschaft aber auch Trägerin des Unternehmens. Sie ist die rechtsfähige Einheit, der die wirtschaftliche Einheit gehört, die aus Vermögen und den Rechtsbeziehungen zu den im Unternehmen tätigen Personen besteht. So kann eine Gesellschaft auch mehrere Unternehmen betreiben. Das Gesetz kann an die eine oder andere Sichtweise, an die Gesellschaft als 37 Unternehmen oder an die Gesellschaft als Trägerin des Unternehmens, anknüpfen. So beziehen sich die §§ 15 ff, 291 ff AktG über die verbundenen Unternehmen auf die Gesellschaften, die die Unternehmen betreiben. Ebenso ist die nach § 317 I, II HGB maßgebliche „Lage des Unternehmens“ die Lage der Gesellschaft, wie denn auch § 289 I 1 HGB von der Lage der Gesellschaft spricht. § 152 UmwG demgegenüber, der vom Unternehmen eines Einzelkaufmanns spricht, bezieht sich auf das Unternehmen als dem Kaufmann gehörende wirtschaftliche Einheit. Auf die wirtschaftliche Einheit als Objectivum kommt es ebenso an für die Unternehmensveräußerung, wenn diese nicht durch Veräußerung aller oder der meisten Anteile am Unternehmensträger geschieht, und für die Unternehmensbewertung, die bei der Veräußerung eines Unternehmens und bei jeder Abfindung von Unternehmensbeteiligungen, dh Beteiligungen an Unternehmensträgern, zugrunde zu legen ist.

_____ 68 So Flume I/2 § 2 VII S 48 ff, allerdings nur für die juristischen Personen und für diese nur dann, wenn sie nicht wie die Bundesrepublik Deutschland, die sehr wohl ein herrschendes Unternehmen iS des Konzernrechts betreiben kann, noch andere Aktivitäten entfaltet als das Betreiben eines Unternehmens. Auch der in Fn 67 erwähnte Begriff des Mutterunternehmens wird mit Kapitalgesellschaft identifiziert.

28 | A. Kapitalgesellschaftsrecht, Kapitalgesellschaften, Kapitalmarktrecht

QQQ NEUE RECHTE SEITE

I. Sinn d. Darstellung, Abgrenzung zum ausl. und zum intern. Gesellschaftsrecht | 29

B. System und Entwicklung des AktG und des GmbHG, das europäische Gesellschaftsrecht und Ausblick auf das Kapitalmarktrecht B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

I. Sinn der Darstellung, Abgrenzung zum ausländischen und zum internationalen Gesellschaftsrecht I. Sinn d. Darstellung, Abgrenzung zum ausl. und zum intern. Gesellschaftsrecht

Im Folgenden verschaffen wir uns zunächst ein Verständnis vom System des 38 AktG und des GmbHG vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung, schauen dann das europäische Gesellschaftsrecht an und werfen schließlich einen Blick auf das insbesondere für die Praxis der Ausgabe von Aktien und des Handels mit ihnen relevante Kapitalmarktrecht. Wir beschränken uns auf das deutsche und das Europäische Recht und überlassen den rechtsvergleichenden Blick auf ausländische Systeme des Gesellschaftsrechts den Spezialdarstellungen. Die Darstellung des immer wichtiger werdenden internationalen Gesellschaftsrechts wird hier nur in der Darstellung des Gründungsrechts gestreift69. https://doi.org/10.1515/9783110595802-002 Die folgende Darstellung hat zunächst einen auf der Hand liegenden praktischen Nutzwert: Der Leser kann sich schrittweise in das sehr komplexe Recht der Kapitalgesellschaften hineinarbeiten, nach der Devise: über Grundverständnis und Grundorientierung zur Einzelarbeit. Indem man sich zunächst das System unserer Gesetze über Kapitalgesellschaften bewusst macht, knüpft man sozusagen ein Netz des Kapitalgesellschaftsrechts und der systematisch hinzugehörigen Regelungen. Schaut man sich sodann die Reformschritte in unseren Rechtsgebieten an, so erhält man aufgrund des Systemverständnisses immer wieder wichtige deutliche Knoten in jenem Netz. Dank dieser Grundorientierung hat jede Einzelarbeit an den großen Themen ihren festen, auf vorhandener Kenntnis und vorhandenem Verständnis aufbauenden, sie sodann immer mehr vertiefenden Grund. Geht der Leser die Übersicht über System und die Reformschritte sorgfältig durch, so erhält er hilfreiche Kenntnisse einerseits über technische, andererseits über neuralgische Punkte des Rechts der Kapitalgesellschaften und der verwandten Gebiete, die in der dann folgenden Einzeldarstel-

_____ 69 S u Rn 200 ff. Seit dem 8.1.2008 liegt der Referentenentwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und Juristischen Personen vor, s Rn 105. Einen Überblick über ausländisches Gesellschaftsrecht und internationales Recht verschaffen Raiser/ Veil § 6, S 27 ff (ausländisches Gesellschaftsrecht) und § 8 S 45 ff (Internationales Gesellschaftsrecht). https://doi.org/10.1515/9783110595802-002

30 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

lung nur noch anzuwenden, zu vertiefen und zu ergänzen sind. Mit der Kenntnis von System und Reform hat man aber auch notwendiges Material für die Anwendung, insbesondere die Auslegung unserer Gesetze an der Hand, Material für die historische, systematische und teleologische Auslegung. Bei der Anwendung ist sodann der Vorrang des Europarechts zu beachten. Der Vorrang des deutschen Verfassungsrechts darf darüber zwar nicht vergessen werden. Das Europarecht hat aber für uns sehr konkrete Relevanz, weil es geradezu ein Europäisches Gesellschaftsrecht gibt.

II. System des AktG und des GmbHG II. System des AktG und des GmbHG

1. System des AktG 39 Was zunächst das Aktiengesetz betrifft, regelt dieses in einer umfangreichen

Kodifikation die AG als die große Kapitalgesellschaft, die typischerweise Publikumskapitalgesellschaft ist. Aber es gibt auch, entnommen aus dem Namen einer einschlägigen Gesetzesnovellierung70, die sog kleine AG. Diese ist aber keine eigene Art, vielmehr war die Unterscheidung zwischen kleineren und größeren Aktiengesellschaften Motiv für den Gesetzgeber, bei einzelnen Vorschriften des AktG die Anforderungen differenziert auszugestalten (s zB § 121 IV 1 AktG). § 267 HGB unterscheidet jetzt kleine, mittelgroße und große Aktiengesellschaften, § 267a fügt noch die Klasse der Kleinstaktiengesellschaften hinzu70a. Und § 3 II AktG definiert zusätzlich noch eine besondere große Art der AG, nämlich die börsennotierte Gesellschaft. Diese ist eine Gesellschaft mit Anteilen an einem von staatlich anerkannten Stellen geregelten und überwachten, regelmäßig stattfindenden und für das Publikum mittelbar oder unmittelbar zugänglichen Markt71. In einzelnen Vorschriften wird eine börsennotierte AG vorausgesetzt (zB in § 161 AktG), in anderen Vorschriften wird eine nicht börsennotierte AG vorausgesetzt (zB § 130 I 3 AktG)71a. Das AktG beginnt in seinem 1. Buch mit „Die Aktiengesellschaft“ und 40 meint damit grundsätzlich die einzelne AG. §§ 15 ff bringen hier aber schon De-

_____ 70 U Rn 76 ff. 70a Nicht zu verwechseln mit der kapitalmarktrechtlichen Sonderbehandlung von kleinen und mittleren Unternehmen, s Rili 2014/65/EU Art 4 I Nr 13 = § 2 Abs 46 S 1 WpHG. 71 Diese Definition des Marktes ist knapper als die des organisierten Marktes in § 2 XI WpHG. 71a Übersicht zum Sonderaktienrecht für börsennotierte Aktiengesellschaften bei Poelzig, Rn 732 ff.

II. System des AktG und des GmbHG | 31

finitionen von verbundenen Unternehmen, die erst im 3. Buch behandelt werden. Das 1. Buch umfasst 8 Teile: Der 1. Teil enthält „allgemeine Vorschriften“, nämlich über das Wesen, das Kapital und die Gesellschafter (Aktionäre) der AG. Hervorzuheben sind § 1 (eigene Rechtspersönlichkeit mit in Aktien zerlegtem Grundkapital), § 2 (Möglichkeit der Einmanngründung), § 3 (die AG als Formkaufmann iSv § 6 I, II HGB), § 4 (Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ oder „AG“ als notwendiger Firmenbestandteil), § 5 über den Sitz als Satzungssitz im Inland, der entgegen der früheren Fassung nicht mehr mit dem tatsächlichen Geschäftsmittelpunkt oder dem Sitz der Verwaltung der Gesellschaft identisch sein muss, § 6 (Grundkapital als Nennbetrag in €), § 7 (Mindestgrundkapital von 50.000 €), § 8 (Aktien als Nennbetrags- oder Stückaktien, Mindestnennbetrag bzw Mindestanteil der Aktien am Grundkapital in Höhe von 1 €), § 10 (Inhaberoder Namensaktien), § 11 (Aktien mit unterschiedlichen Vermögensrechten möglich, Aktien mit gleichen Rechten bilden eine Gattung), § 12 (grundsätzlich Stimmrecht pro Aktie, vorbehaltlich nur von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht nach §§ 139 ff; weiter Unzulässigkeit von Mehrstimmrechtsaktien), § 14 (Gericht iS des AktG). Die §§ 15 ff haben wir schon genannt: Hier werden die verbundenen Unternehmen definiert. Sodann werden Mitteilungspflichten bei Überschreitung von Anteilsschwellen statuiert71b. Es folgt im 2. Teil des 1. Buches die Gründung einer AG (§§ 23ff). Während im 1. Teil die Arten der Aktien bestimmt sind und dabei auch die Möglichkeit unterschiedlich berechtigter Gattungen geregelt ist, beginnt der 3. Teil des 1. Buches über „die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter“ mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a), bei dem aber die Möglichkeit unterschiedlicher Rechtsausstattung vorausgesetzt wird. Sodann widmet sich dieser 3. Teil der Einlagepflicht (Kapitalaufbringungspflicht) und der Kapitalerhaltungspflicht der Aktionäre zum einen (§§ 54 ff) und zum anderen der Gewinnverwendung in der Gesellschaft, insbesondere der Verteilung des Gewinns unter die Aktionäre (§§ 58 ff). Konsequenz aus der Einlagepflicht der Aktionäre ist das Befreiungsverbot (§ 66), Konsequenz der Erhaltungspflicht ist der Schutz des Vermögens der Gesellschaft vor Auszahlungen an die Aktionäre vorbehaltlich der Gewinnauszahlung (§§ 57 ff, 62). Im weiteren Sinne gehören zur Erhaltungspflicht die Regelungen zu den Gesellschafterdarlehen: Sie befinden sich als allgemeine Regelungen des Kapitalgesellschaftsrechts in der InsO (§§ 19 II 3, 39 I Nr 5, IV, V, 135, 143 InsO) und in §§ 6, 6a AnfG. Zum Schutz des Vermögens der Gesellschaft gehört auch das grundsätzliche Verbot eigener Aktien der Gesellschaft

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71b Die aktienrechtlichen Mitteilungspflichten gelten nur außerhalb der Reichweite des WpHG (§§ 20 VIII, 21 V AktG).

32 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

(§§ 56, 71 ff)72. Schließlich werden im 3. Teil des 1. Buches die Legitimation aus Namensaktien und die Übertragung dieser Aktien (§§ 67 f) sowie die Möglichkeit der Kraftloserklärung von Aktienurkunden geregelt (§§ 72 ff). Die so in ihren Grundlagen normierte AG muss sodann organisiert werden 41 oder, wie das Gesetz sagt, eine „Verfassung“ erhalten (Buch 1 4. Teil: Verfassung der Aktiengesellschaft, mit §§ 76 ff über den Vorstand, §§ 95 ff über den Aufsichtsrat und §§ 118 ff über die Hauptversammlung). Die Normen über Vorstand und Aufsichtsrat befassen sich mit Zusammensetzung, Habilität, Bestellung bzw Wahl sowie mit Befugnissen und Pflichten sowie Haftung der Organe und ihrer Mitglieder. § 117 begründet Schadensersatzpflichten bei schädigender Einflussnahme auf Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder oder sonstige Geschäftsführungsbeteiligte. Zur Hauptversammlung (HV) werden deren Rechte, die Einberufung und inhaltliche Vorbereitung (§§ 121 ff), der Ablauf mit dem Auskunftsrecht der Aktionäre (§§ 129 ff, 131 f) und der Stimmrechtsausübung (§§ 133 ff), hier den Besonderheiten von Sonderbeschlüssen (§ 138) und hinsichtlich der Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§§ 139 ff), weiter die Möglichkeiten der Erzwingung einer Sonderprüfung (§§ 142 ff) und der Erzwingung der Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft (§ 147) geregelt. Der 5. Teil des 1. Buches befasst sich mit der Rechnungslegung und der 42 Gewinnverwendung in der AG, setzt also die allgemeinen Vorschriften der §§ 58 ff fort. Die Regelung knüpft an das Bilanzrechtsbuch des HGB an (§§ 238 ff, 264ff HGB mit den unterschiedlichen Größenklassen nach § 267 HGB) und gibt sodann Sondervorschriften für die AG. Wichtig ist hier die Ergänzung des Vermögensschutzes bei der AG durch die Bestimmung über die gesetzliche Rücklage (§ 150 AktG). Nach § 91 I ist der Vorstand zur Obsorge für die Buchführung mit dem Jahresabschluss verpflichtet. In §§ 170 ff werden die Vorlage des Jahresabschlusses an den Aufsichtsrat und dessen Prüfung und dann die sog ordentliche Hauptversammlung geregelt. Diese ist uU zur Feststellung, jedenfalls zur Entgegennahme des Jahresabschlusses und zur Beschlussfassung über die Gewinnverwendung zuständig. §§ 258 ff AktG sehen die Möglichkeit vor, über Ansätze im Jahresabschluss eine Sonderprüfung herbeizuführen. Nach § 161 AktG sind Vorstand und Aufsichtsrat von börsennotierten Gesellschaften zu jährlichen Erklärungen verpflichtet, wie sie es mit den Empfehlungen des „Deutschen Corporate Governance Kodex“ halten. Der 6. Teil des 1. Buches regelt Strukturveränderungen während des Lebens der AG, nämlich: Satzungsänderungen (§§ 179 ff, gleichgestellt die Veräuße-

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72 Mit dem Erwerb von Aktien, die an ihr selbst bestehen, verzichtet die Gesellschaft in Höhe der Aktien auf eine Einlage in das Gesellschaftsvermögen oder gibt sie (beim Kauf eigener Aktien) Gesellschaftsvermögen zurück.

II. System des AktG und des GmbHG | 33

rung des gesamten Gesellschaftsvermögens, § 179 a), Kapitalerhöhung und -herabsetzung (§§ 182 ff, dort wird als der in § 192 II Nr 1 vorgesehene Anlass für ein sog bedingtes Kapital die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen geregelt – § 221 –, als eine Art der Kapitalherabsetzung diejenige durch Einziehung von Aktien – § 237 –). Im 7. Teil des 1. Buches werden im Hinblick auf die zuvor normierten Beschlüsse der HV und auf den Jahresabschluss die Nichtigkeit von HV-Beschlüssen (ein Fall: die Nichtigerklärung aufgrund einer Anfechtungsklage, § 241 Nr 5 mit §§ 243 ff) und die Nichtigkeit eines festgestellten Jahresabschlusses (§ 256) normiert. Die Möglichkeit der Sonderprüfung (§§ 258 ff) ist schon im Rahmen des Themas der Rechnungslegung genannt. Nach der Regelung der Gründung und der Gestaltung des Lebens der AG sind im 8. Teil des 1. Buches (zur Erinnerung: des Buches über die Einzel-AG) Auflösung und Nichtigerklärung einer AG das Thema (§§ 262 ff). Das 2. Buch behandelt die KGaA (§§ 278 ff). Damit ist das Thema einzelner 43 Gesellschaften des Aktienrechts abgeschlossen. Es folgt im 3. Buch die Regelung der verbundenen Unternehmen (§§ 291ff 44 im Anschluss an die allgemeinen Vorschriften der §§ 15 ff) mit den Unternehmensverträgen (insbesondere dem Vertragskonzern, §§ 291, 293 ff, 302 f, 304 ff, 308 ff) und der Regelung der Verantwortlichkeit bei Fehlen eines Beherrschungsvertrags (insbesondere im sog faktischen Konzern, §§ 311 ff) sowie der Eingliederung von Gesellschaften (§§ 319 ff) und des sog Squeeze-Out von Minderheitsaktionären (§§ 327a ff)73. Den Abschluss des 3. Buchs bildet die Vorschrift des § 328 über wechselseitig beteiligte Unternehmen iSv § 19 AktG. Das letzte (vierte) Buch enthält vor allem Vorschriften über strafbare 45 Handlungen oder Ordnungswidrigkeiten (§§ 399 ff)74, daneben noch Sondervorschriften bei Beteiligung von Gebietskörperschaften (§§ 394 f) und die Möglichkeit der Auflösung einer AG oder einer KGaA von Amts wegen (§§ 396 ff). Nach § 410 ist das AktG am 1.1.1966 in Kraft getreten.

_____ 73 Daneben gibt es einen kapitalmarktrechtlichen Squeeze-Out nach §§ 39a, 39b WpÜG. 74 Die Vorschriften werden in diesem Buch nicht i e behandelt. Das darf nicht über ihre Wichtigkeit täuschen. Im Strafverfahren gegen die Brüder Haffa im Fall der EM.TV-AG ist das LG München, für die Öffentlichkeit überraschend, nachdem lange über die Strafbarkeit wegen Kursmanipulation gestritten worden war, zur Verurteilung aufgrund einer Vorschrift des AktG gekommen: § 400 I Nr 1 betr unrichtige Wiedergabe der Verhältnisse der Gesellschaft durch Mitglieder des Vorstands in Darstellungen über den Vermögensstand der Gesellschaft. Der BGH hat die Revision der Angeklagten zurückgewiesen, BGH NJW 2005, 445.

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2. System des GmbHG 46 Das auf die personalistische Kapitalgesellschaft, die GmbH, bezogene

GmbHG kommt mit wesentlich weniger Vorschriften und ohne den Anspruch auf eine „Verfassung“ der Gesellschaft aus. Es ist nicht in Bücher mit Teilen, sondern einfach in (sechs) Abschnitte unterteilt. Das MoMiG hat sich an einer verbesserten Systematisierung des GmbHG versucht: Das äußere System des GmbHG wird dadurch ersichtlich gemacht, dass die als Anlage 2 des MoMiG angefügte Inhaltsübersicht dem GmbHG vorangestellt und für Abschnitts- und §§-Überschriften übernommen wird75. Z B sprach die alte Fassung zunächst von der Stammeinlage des Gesellschafters (§ 3 I Nr 4 GmbHG aF) und definierte erst in § 14, dass sich nach dem Betrag der Stammeinlage der Geschäftsanteil bestimmt. Das MoMiG hat das Verhältnis umgekehrt: In der Neufassung wird von vornherein vom Geschäftsanteil gesprochen, den jeder Gesellschafter gegen Einlage auf das Stammkapital (Stammeinlage) übernimmt (§ 3 I Nr 4 GmbHG); § 14 normiert dann die Einlagepflicht als Pflicht, auf den Geschäftsanteil eine Einlage zu leisten. Das führt allerdings zu begrifflichen Schwierigkeiten: § 3 muss sogleich beide Begriffe verwenden. Er macht zum notwendigen Inhalt des Gesellschaftsvertrags „die Zahl und die Nennbeträge der Geschäftsanteile, die jeder Gesellschafter gegen Einlage auf das Stammkapital (Stammeinlage) übernimmt“. Erst in § 14 wird bestimmt, dass auf jeden Geschäftsanteil eine Einlage zu leisten ist und sich bei Errichtung der Gesellschaft und einer Kapitalerhöhung die Höhe der Leistung nach dem festgesetzten Nennbetrag des Geschäftsanteils richtet. Weitere Schwierigkeit: Dort wo das Gesetz bisher von der Leistung auf die Stammeinlage gesprochen hatte (so in § 7 II GmbHG aF), spricht die Neufassung von der Leistung auf den Geschäftsanteil, Teilleistung soll die Einzahlung eines Teils des Nennbetrags des Geschäftsanteils sein (§ 7 II nF). Der Zusammenhang der Leistung mit der Einlagepflicht gegenüber der Gesellschaft ist verdeckt.

Schließlich hat das GmbHG anstelle der bisher in ihm selbst enthaltenen Übergangsvorschriften (§§ 86, 87 aF) jetzt ein EGGmbHG erhalten. Dort ist auch eine Übergangsregelung zum MoMiG eingefügt. Der 1. Abschnitt über die Errichtung der GmbH ist im Einzelnen im Kapi47 tel über die Gründung von AG und GmbH darzustellen. Hier sind aber schon die allgemeinen Vorschriften hervorzuheben, die der 1. Abschnitt auch enthält: § 1 über die Verwendbarkeit der Rechtsform GmbH zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck und über die Möglichkeit der Einmann-GmbH, § 2 über die Form des

_____ 75 Art 1 Nr 51 MoMiG.

II. System des AktG und des GmbHG | 35

Gesellschaftsvertrags und dass dieser in bestimmten Konstellationen unter Verwendung eines in Anlage 1 enthaltenen Musters vereinfacht geschlossen werden kann (§ 2 Abs 1a), § 4 über die Firmenbildung mit der Bezeichnung als Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder GmbH, es sei denn, es wird eine Unternehmergesellschaft gewählt, für die § 5a I GmbHG die Bezeichnung Unternehmergesellschaft oder UG (haftungsbeschränkt) anordnet. Weiter § 5 über das Mindeststammkapital von 25.000 €, auch hier mit der Abweichung bei der Unternehmergesellschaft, bei der das Mindeststammkapital unterschritten werden kann (§ 5a I GmbHG). Die Mindesteinlage eines Gesellschafters ist jetzt auf 1 € festgelegt (§ 5 II GmbHG). Schließlich ist § 6 über die Erforderlichkeit eines Geschäftsführers hervorzuheben. Der 2. Abschnitt über Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter enthält weitere allgemeine Vorschriften: § 13 konstituiert die selbstständige Rechtspersönlichkeit der GmbH und ordnet die Gesellschaft als Formkaufmann ein. § 14 legt die Einlagepflicht in Höhe des Nennbetrags des übernommenen Geschäftsanteils fest. §§ 15 ff normieren sodann die Übertragung der Geschäftsanteile, §§ 19 ff die Kapitalaufbringung, § 29 die Gewinnverwendung (wieder im Anschluss an §§ 238 ff, 264, 265 ff mit 267 HGB) und schließlich regeln die §§ 30 ff die Kapitalerhaltung. Auch für die GmbH ist jetzt das Institut der Gesellschafterdarlehen in den Vorschriften der InsO und des AnfG geregelt, die für alle juristischen Personen und Gesellschaften gelten, die keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter aufweisen. Der 3. Abschnitt des GmbHG behandelt die „Vertretung und Geschäftsführung“. Hier wird die Organisation der Gesellschaft durch die Geschäftsführer und durch die Gesellschafterversammlung geregelt (§§ 35 ff, 45 ff). Ein Aufsichtsrat ist grundsätzlich nicht zwingend, der Gesellschaftsvertrag kann ihn vorsehen (dann enthält § 52 eine dispositive Regelung, in der bestimmte Vorschriften über den Aufsichtsrat der AG in Bezug genommen werden). Zwingend ist ein Aufsichtsrat zu bestellen, wenn die GmbH der Mitbestimmung der Arbeitnehmer unterliegt (dazu bestimmt § 52 II Näheres). Die Geschäftsführer sind vertretungsbefugt (§ 35, Beschränkungen wirken nur intern § 37), sie sind insbesondere zu Buchführung und Vorlage des Jahresabschlusses verpflichtet (§§ 41 ff). Ihre Haftung ist in § 43 normiert. Die Gesellschafter haben die in § 46 aufgezählten Aufgaben. Erst in Nr 6 wird die Zuständigkeit zur Bestellung, Abberufung und Entlastung der Geschäftsführer erwähnt. Die Organisation der Gesellschafterversammlung und die Abstimmung sind Gegenstand der §§ 47 ff. Es folgt der 4. Abschnitt über Abänderungen des Gesellschaftsvertrages (§§ 53 f), zu denen insbesondere die Maßnahmen zur Kapitalerhöhung und -herabsetzung gehören (§§ 55 ff, 57c ff, 58, 58a ff).

36 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

Der 5. Abschnitt befasst sich mit Auflösung und Nichtigkeit der Gesellschaft (§§ 60 ff). Der 6. Abschnitt enthält Schlussbestimmungen, wieder insbesondere Straf- und Bußgeldvorschriften (§§ 82 ff), daneben die Bestimmung der Personen, deren Aufgabe die Anmeldung der eintragungspflichtigen Tatsachen zum Handelsregister ist (§ 78), und die Anwendung von Zwang zur richtigen Gestaltung der Geschäftsbriefe (§ 79 I iVm § 35a), während die Anmeldung für konstitutive Eintragungen Sache der Organe ist und nicht erzwungen wird (§ 79 II76). Aufgrund des MoMiG gibt es zwei Anlagen zum GmbHG: die Anlage zu § 2 Ia über den Mustergesellschaftsvertrag und die Anlage zur Inhaltsübersicht.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH

1. Charakterisierung der Entwicklung 48 Betrachtet man die historische Entwicklung unseres Rechts der Kapitalgesell-

schaften von der Erfindung der heutigen Rechtsformen an bis zu dem in der Gegenwart zu beobachtenden Verlauf, so kann man, ganz grob modellierend, eine Zweiteilung feststellen: Die Zeit bis zum AktG von 1965, in dem wir auch heute noch die maßgebliche, wenn auch vielfältig geänderte Grundlage unseres Aktienrechts finden, und darüber hinaus bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts ist geprägt von wenigen und übersichtlichen Reformschritten. In den neunziger Jahren hat sich demgegenüber das Tempo der Reformen vervielfacht, heute kann man von einem galoppierenden Tempo sprechen. Dies hat – neben konkreten Reformanstößen in Gestalt der Feststellung von Fehlentwicklungen unseres Kapitalgesellschaftsrechts – vor allem zwei Gründe. Diese verdoppeln noch ihre Wirkung, weil sie nicht mehr nur auf das nationale, sondern auch auf das Europäische Wirtschaftsrecht einwirken: Der erste Grund ist die rasante Entwicklung des Rechts der Kapitalmärkte, auf denen die großen und mittleren Aktiengesellschaften ihr Kapital einwerben müssen. Der zweite Grund ist die Internationalisierung und Globalisierung der Märkte. Der deutsche, ebenso aber auch der europäische Gesetzgeber muss ständig zum einen die Stärkung und

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76 Die von diesen Eintragungen abhängigen Akte werden ja erst mit Eintragung wirksam; ohne die Eintragung gilt der bisherige Rechtszustand, also ist das Handelsregister nicht unrichtig, wenn nicht eingetragen wird

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 37

Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts für Anleger aus dem In- und Ausland im Auge behalten. Zum anderen geht es um die dauernde Überprüfung, ob sich die vorhandenen Rechtsformen bewähren. Der Europäische Gesetzgeber muss sich überlegen, ob er Gestaltungen der nationalen Rechtsformen anstößt und ob er darüber hinaus europaeinheitliche Rechtsformen schafft. Der deutsche Gesetzgeber muss sich um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Rechtsformen im Vergleich zu den Rechtsformen im europäischen und sonstigen Ausland bemühen. Ein Beispiel für dieses Empfinden einer ständigen Reformbedürftigkeit („nach der Reform ist vor der Reform“), welches das Kapitalgesellschaftsrecht nie zur Ruhe kommen lässt, mag das folgende sein, welches inzwischen aber auch schon wieder zurückliegt: In der Zeit, als der Gesetzgeber gerade das grundlegende Gesetz zu einer Reform des GmbHRechts (MoMiG) in Kraft zu setzen im Begriffe war, haben die Planer des 67. Deutschen Juristentags 2008 in Erfurt angekündigt, dass dieser sich mit einer Reform des Aktien- und Kapitalmarktrechts beschäftigen werde. Nach den dann dort gefundenen Thesen wird eine Ausdifferenzierung der AG in verschiedene Einzeltypen von Gesellschaften, aber auch von Gesellschaftern vorgeschlagen, unter Verbesserung des Zugangs der auf den Kapitalmarkt angewiesenen Gesellschaften zu den verschiedenen Märkten, die nicht notwendig Börsen sein müssten. Gegenstand ist weiter die Schaffung neuer Bedingungen im Wertpapierhandelsgesetz, alles dies unter Berücksichtigung der ausländischen Rechtsordnungen77.

Angesichts dieser Hektik empfiehlt es sich umso mehr, den Blick auf die Gesamtentwicklung zu richten, damit Ephemeres von Wesentlichem, äußere Gestaltungsfragen von gleichbleibenden Problemen und Wertungen getrennt und so Orientierung behalten werden kann.

_____ 77 Gutachten von Bayer (jetzt Verhdlg. 67. DJT Erfurt 2008, I, Abt Wirtschaftsrecht, E 1 ff.), dazu Spindler, AG 2008, 508, Windbichler, JZ 2008, 840; weiter Referate von Francioni, Mülbert, Wymeersch, Krieger. Nach dem Bericht der FAZ 26.9.2008 Nr 226 S 14 haben Vertreter des BMJ auf dem Juristentag Änderungen bei der Entschädigung der durch Squeeze-Out ausgeschlossenen Aktionäre und weitere Maßnahmen gegen die „räuberischen Aktionäre“ (Problem des Missbrauchs der Anfechtungsklage) angekündigt, die auch ua Thema der Vorträge von Francioni, Mülbert, Krieger waren, FAZ 25.9.2008 Nr 225 S 12. Nach FAZ 1.10. 2008 Nr 236 S 27 hat sich die Diskussion geradezu manisch auf die räuberischen Aktionäre fixiert.

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2. Die historische Entwicklung bis zum AktG 1965 a. AG und GmbH im 19. Jahrhundert und in der Zeit bis zum AktG von 1937 49 Die Aktiengesellschaft78 ist die Rechtsform der Industrialisierung. Die Industrialisierung hat in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts eingesetzt aufgrund der großen technischen Erfindungen 79 und deren Umsetzung zu Massenproduktions- und Massentransportmitteln (Eisenbahn, Dampfschifffahrt, Bergbau etc). Infolgedessen bedurfte sie des Massenkapitals und damit der Kapitalsammelstellen. Als solche wurden von den in die Zeit fallenden Gesetzen die Aktiengesellschaft und die Kommanditgesellschaft auf Aktien geregelt80. Als Aktiengesellschaften der damaligen Zeit sind die Landwirtschaftliche Akademie Thaers81 in Möglin, 1803, zu nennen sowie die HAPAG (= Hamburg-AmerikanischePacketfahrt-Actien-Gesellschaft) von 1847 und weiter die Eisenbahn-Aktiengesellschaften82. Möglich wurde die AG in ihrer modernen Form durch die Ablösung des 50 merkantilistischen Staatshandelsrechts durch das Prinzip der Gewerbefreiheit, welches die Französische Revolution durchgesetzt hat. Im Zeitalter des Merkantilismus konnten Gewerbebetriebe nur aufgrund staatlichen Monopols und Privilegs und gemäß den durch Octroi vorgeschriebenen Regelungen betrieben werden. Vorläufer der Aktiengesellschaft unter diesem alten Rechtszustand waren die überseeischen Handelscompagnien. Die alten Gesellschaften

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78 Der Name Aktie ist von dem römischrechtlichen Rechtsbegriff actio hergeleitet und bezeichnet den aus der Einlage in die Gesellschaft folgenden anteiligen Anspruch des Gesellschafters auf das Reinvermögen der Gesellschaft. Von Beginn an wurde der Begriff auch auf die Aktienurkunde erstreckt, die ursprünglich eine Quittung über die vom Aktionär geleistete Einlage war, die nach Betrag und Person des Einlegers im Aktienbuch vermerkt und sodann quittiert wurde, K. Lehmann Recht der Aktiengesellschaften Bd I S 64 ff. Zur Geschichte des Aktienrechts in Deutschland jetzt „Aktienrecht im Wandel, 1807–2007“, hrsg aus Anlass der 200jährigen Geschichte seit Inkrafttreten des frz Code de Commerce im Jahre 1807, mit dem das Aktienrecht in Europa begonnen hat, von W. Bayer und M. Habersack, 2 Bände (geschichtliche Entwicklung und Institutionengeschichte), Tübingen 2007, hier insbesondere Altmeppen zu den historischen Grundlagen des Konzernrechts, Bd 2 S 1027 ff. 79 Dampfmaschine, Schiffsschraube, Telegraphie, Erfindungen der Elektrizität, neue Erkenntnisse zur Hebung der Produktivität der Landwirtschaft mit Hilfe der Entwicklung der Chemie, hier ist A. v Thaer zu nennen, s zu ihm Fontane Wanderungen durch die Mark Brandenburg Gesamtwerke X S 103 f; s weiter Th. Nipperdey Deutsche Geschichte 1800–1866 S 147 f. 80 Zur Herkunft der Aktiengesellschaft in ihrer Gesamtgeschichte s K. Lehmann Recht der Aktiengesellschaften, Bd I S 4 ff. 81 Zu v Thaer s Fontane (Fn 79). 82 Sie wurden geregelt durch das Preußische AktG von 1843, Neuabdruck des Textes und der Materialien in: Baums (Hrsg), Gesetz über die Aktiengesellschaften für die Königlich Preußischen Staaten 1981; zum Preuß AktG auch Hadding/Kießling, FS Hattenhauer 2003, 159 ff.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 39

sind mit Ring83 wie folgt zu kennzeichnen: Wie öffentliche Körperschaften wurden die Aktiengesellschaften alten Rechts einzeln durch staatliche Entschließung geschaffen und unter staatlicher Kontrolle gehalten, ohne Anerkennung der Aktiengesellschaft als allgemeiner und eigenständiger Rechtsform für die Privatinitiative. Mit Beginn des Zeitalters der Gewerbefreiheit stand die Gründung von Ge- 51 sellschaften unter dem Grundsatz der Privatautonomie. So gab denn auch der französische Code de Commerce von 1807 die Gründung einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (société en commandite par actions) vollständig frei (System der freien Körperschaftsbildung84). Die Freiheit der Körperschaftsbildung wurde für die KGaA im Vertrauen auf die persönliche Haftung des Komplementärs als Führungsperson in der Gesellschaft eingeräumt. Für die Gründung der Aktiengesellschaft (société anonyme85) hatte der Code de Commerce von 1807, der sie erstmals regelte, den Genehmigungszwang vorgesehen (Konzessionssystem). Bei der KGaA hatte der Code de Commerce für die Kommanditaktionäre auch die Inhaberaktie anerkannt. Aufgrund der Gründungsfreiheit mit anonymen und leicht zirkulierbaren Aktien riss bald ein abenteuerlicher Gründungsschwindel ein: Etwa die Gründung einer KGaA „pour le mariage de l’Amérique et de l’Afrique“ mit 20 Mio Franken Kapital, eingeteilt in Aktien zu einem Franken. In einem anderen Fall wurden Anteilsscheine auf der Tenne mit dem Besen durcheinandergewirbelt, damit sie den Anschein kouranter Papiere erhielten. Erst 1856 fand der französische Gesetzgeber zu einem besseren Gründungsschutz durch spezialgesetzliche Regelung86. Das durch Gesetzgebungsakte der Staaten des Deutschen Bundes als über- 52 einstimmende Gesetze der Einzelstaaten87 in Kraft gesetzte Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 regelte vor der Aktiengesellschaft die Kommanditgesellschaft auf Aktien als Spezialform der Kommanditgesellschaft. Entgegen der französischen Regelung statuierte das Gesetz den Genehmigungszwang mit der Staatsaufsicht auch für Kommanditgesellschaften auf Aktien. Nach dem preußischen Entwurf zum ADHGB sollte das Genehmigungserfordernis bei der KGaA durch ein System von Normativbestimmungen ersetzt

_____ 83 Ring, Kommentar zum Reichsgesetz betr KGaA und AG, 2. Aufl, 1893, S 3 f. 84 Ausführlich Großkommentar AktG/Assmann, 4. Aufl 1992 ff, Einl Rn 21 f. 85 Der Name rührt von der reinen Sachfirma her (Bezeichnung nur nach dem Unternehmensgegenstand, ohne Hinweis auf Gesellschafternamen). 86 Großkommentar-AktG/Assmann 4. Aufl. 1992 ff, Einl Rn 32. 87 Sog allgemeines Recht im Unterschied zum gemeinen, dh aus einheitlicher Quelle stammenden Recht.

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werden. Das ADHGB hat das System der Normativbestimmungen übernommen, aber inkonsequenterweise mit dem Genehmigungserfordernis gekoppelt. Zu den Normativbestimmungen bei der KGaA gehörte die Bestimmung, dass der Gesellschaftsvertrag die Bestellung eines Aufsichtsrats vorsehen musste. Dies wurde gerechtfertigt durch die Notwendigkeit des Schutzes der Kommanditaktionäre und der Gesellschaftsgläubiger vor den Komplementären88. Die Sicherheit der Kommanditaktionäre wurde gestärkt durch die Bestimmung über die Höchstdauer von 5 Jahren, für die die Aufsichtsratsmitglieder gewählt werden konnten89. Für die Aktiengesellschaft bestimmte das Gesetz demgegenüber einen obligatorischen Aufsichtsrat nicht. Das Konzessionssystem hat sich als allgemeines Prinzip bei der Gründung 53 von Kapitalgesellschaften nicht bewährt. Die Misslichkeit des Konzessionssystems ist eindrucksvoll im Kommentar von Anschütz/Völderndorff veranschaulicht90: Die Erfahrungen seien dem Genehmigungssystem entschieden ungünstig. Weder die Genehmigung noch die staatliche Aufsicht hätten die Entstehung unsolider Aktiengesellschaften und die Verluste von Millionen von Aktienkapitalien zu verhindern vermocht, weil Staatsregierungen und Staatsorgane in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle weder imstande seien noch imstande sein könnten, die wirtschaftliche Basis und das künftige Gedeihen kommerzieller und industrieller Unternehmungen amtlich zu prüfen und festzustellen. Das System verhindere nicht den Schaden. Ja, es produziere ihn: Es werde der Anschein eines besonderen Ansehens durch die staatliche Genehmigung erweckt. Dieser Anschein werde zum Kredit ausgenutzt, andererseits würden die Aktionäre von einer eigenen Prüfung und Wachsamkeit abgehalten. Weiterhin verzögere das Genehmigungsverfahren das jeweilige Projekt. Die Genehmigung treffe oft erst ein, wenn die Verhältnisse schon ganz anders lägen als bei der Gründung. 54 In der vom Norddeutschen Bund, der das ADHGB zum Bundesgesetz er-

hoben hatte, ausgehenden Aktienrechtsnovelle von 1870 wurde aus diesen Gründen das Konzessionssystem für beide Gesellschaftsformen, AG und KGaA, abgeschafft. Man ging nunmehr konsequent zum System der Normativbestimmungen über. Sodann machte die Novelle die KGaA und die AG zu Handelsgesellschaften kraft Rechtsform, dh die Anwendbarkeit des HGB vom Betreiben eines Handelsgewerbes unabhängig. Die Novelle von 1870 beschränkte allerdings den Schutz durch das System der Normativbestimmungen auf wenige Normen, die leicht zu erfüllen waren.

_____ 88 Makower Das allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch 1868, Fn 10a zu Art 175. 89 Makower Fn 30 zu Art 191, mit Hinweis auf die Motive des preußischen Entwurfs. 90 Anschütz/Völderndorff-Waradein, Kom zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuche mit Ausschluss des Seerechts, Bd II, 1868, S 477.

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Die Staatsaufsicht wurde jetzt auch für die AG durch den obligatorischen Aufsichtsrat ersetzt. Die Aktienrechtsnovelle von 1870 hat also für die Aktiengesellschaft das dualistische Verwaltungssystem geschaffen, das bis heute für das deutsche Recht charakteristisch geblieben ist. Italien hat dieses System übernommen. Demgegenüber lässt das französische Recht die Wahl zwischen einem besonderen Aufsichtsorgan und dem Board-System iS des anglo-amerikanischen Rechts zu91. Die weitgehende Freiheit der Gestaltung, die die Novelle von 1870 ließ, 55 wurde alsbald erheblich missbraucht. Insbesondere in der Gründerzeit nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/187192 kam es gehäuft zu betrügerischen Operationen, deren Möglichkeit als Folge der Aufhebung des Konzessionssystems die Verfasser der Novelle von 1870 sogar vorausgesehen hatten, ihnen mangels konkreter Erfahrungen aber noch nicht hatten steuern wollen93. In den Jahren von 1871–1873 sind 843 Aktiengesellschaften neu gegründet worden. Dabei sind Bareinlagen durch vorgeschobene Strohmänner gezeichnet worden. Statt Ersteinzahlung auf die Bareinlagen wurden bloße Guthaben der Gesellschaft gegenüber den Gründern eingerichtet. Es war möglich, Interimsscheine auf den Inhaber nach Einzahlung von 40% auf die Einlage auszugeben. Für die sog Einlagegesellschaft (genauer Sacheinlagegesellschaft) war typisch, dass auf die übernommenen Anteile Unternehmen oder Grundstücke eingebracht wurden, die erheblich überbewertet wurden. Es bestand keine Verantwortlichkeit der Gründer. Die Aktien wurden unter Reklamerummel gewinnbringend losgeschlagen, das Agio (eine Vergütungszahlung für die Aktie über den Nominalbetrag hinaus) war als Gewinn ausweisbar, obwohl diese Mehrzahlung, die die Gesellschaft einnimmt, nur einer Spekulation auf künftigen Gewinn entspricht, aber keine Gegenleistung für eigene produktive Tätigkeit der Gesellschaft bedeutet. Ein besonders krasses Beispiel der Publikumstäuschung war die wie folgt gestaltete Ei- 56 senbahngesellschaft: Die Gründer teilten sich in Finanz- und Baukomitee auf. Das Finanzkomitee zeichnete die Aktien. Das Baukomitee baute gegen einen Baupreis, der der gesamten Summe des Grundkapitals der Aktiengesellschaft entsprach. Insgeheim floss ein Teil des Baulohns wieder an das Finanzkomitee zurück, das sich daraus bezüglich etwaiger Verluste aus Aktienemittierung bezahlt machte, aber auch einen Gewinn einstrich.

_____ 91 In Frankreich werden die beiden Systeme „la direction à la française“ und „la direction à l’allemande“ genannt, Cozien/Viandier/Deboissy, Droit des sociétés, 15. Aufl, 2002, S 276. S a Hopt/Wymeersch/Hopt Comparative Corporate Governance, 1997, S 12 f; ders, ZGR 2000, 779, 815. 92 Darstellung s Einleitung von Walther Killy in: Wilhelm v Kügelgen Bürgerleben, 1990. 93 S Ring, Kom z Reichsgesetz betr KGaA und AG S 9.

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Ein solcher, und zwar kräftiger Gewinn, steckte natürlich auch in dem von dem Baukomitee geforderten Baupreis (wobei der Rückfluss an das Finanzkomitee gleich mit einberechnet war). Besonders gewinnträchtig war es, wenn dieselben Personen sowohl Finanzwie Baukomitee besetzten.

57 Nach langem Ringen und Abwarten94 kam in Reaktion auf die erheblichen Miss-

stände noch vor der Schaffung des neuen HGB die Novelle von 1884 zustande 95. Sie reglementierte die Gründung, allerdings nur mit der Festlegung der Mindesthöhe der Einlagen (1.000 Mark) und der Mindestzahl von Gründern, die Einlagen übernehmen (fünf). Die (straf- und zivilrechtliche) Gründerverantwortlichkeit wurde normiert. Die Ausgabe von Interimsscheinen auf den Inhaber wurde untersagt, zusätzlich wurde die Haftung der Vormänner bei nicht voller Einzahlung der Einlagen statuiert. Das Agio wurde in den Reservefonds verwiesen, wie dies heute noch in § 272 II Nr 1 HGB bestimmt ist. Eine Lücke wies die Novelle von 1884 allerdings hinsichtlich der Klagebefugnis für Aktionäre auf. Zwar regelte sie erstmalig die Anfechtungsklage des Aktionärs gegen HV-Beschlüsse96. Sie verdrängte dadurch aber die in der Rechtsprechung des ROHG entwickelten Ansätze zu einer Gesellschafterklage auch gegen Maßnahmen der Verwaltung97. Allgemein kennzeichnend kann man zu dem Rechtszustand nach der Novelle von 1884 sagen: Die AG erhielt eine gewisse Formstrenge und Starrheit. Die Gründung wurde erheblich aufwendiger. Sie lohnte sich nur noch für den größeren Aktienverein, der mit viel Kapital für große Projekte ins Leben gesetzt wurde. Das forderte dazu heraus, eine kleinere und beweglichere Rechtsform der 58 Kapitalgesellschaft neben die Rechtsform der AG (und der KGaA) zu setzen. Mit dem GmbH-Gesetz vom 20. April 1892 hat der deutsche Gesetzgeber in Gestalt der GmbH eine Alternativform der Kapitalgesellschaft „erfunden“, die in Europa vielfach übernommen worden ist. Frankreich (Société à responsabilité limitée,

_____ 94 Insbes wurde immer wieder auf das bald erscheinende neue HGB verwiesen, welches mit dem BGB zusammen erlassen werden sollte. 95 Novelle zum „Handelsgesetzbuch für das Deutsche Reich“. Das ADHGB war mit Gesetzen v 16. und 22.4.1871 zum Reichsgesetz erhoben worden. Materialien zur Novelle: Entwurf mit Begründung, vorgelegt dem Bundesrath am 7.9.1883, abgedruckt bei Busch Archiv für Handelsrecht (Archiv für Theorie und Praxis des Allgemeinen Deutschen Handels- und Wechselrechts) Bd 44 (1883), Reichstagsvorlage v 7.3.1884, mit weitgehend identischer Begründung, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages 5. Legislaturperiode IV. Session Bd III 1884 Anlagen Aktenstück Nr 21 S 215 ff, 233 ff. 96 Zur Regelung der Novelle Slabschi Die sogenannte rechtsmissbräuchliche Anfechtungsklage 1997 S 20ff. 97 Knobbe-Keuk, FS Ballerstedt 1975, S 239; Flume I/2 § 8 V 4 S 310.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 43

S.A.R.L.), Italien (Società a responsabilità limitata, S.r.l.), Spanien (Sociedad de responsabilidad limitada, S.R.L.) und auch Österreich und die Schweiz haben die Rechtsform in ihr Recht übernommen 98. Mit der GmbH wurde neben die seit der Novelle von 1884 streng und starr geregelte AG eine Rechtsform auch für die kleinere, mehr personalistische Unternehmung, die aber ebenso der Haftungsbeschränkung auf ein bestimmtes Kapital bedurfte, gestellt („kleinere Schwester der Aktiengesellschaft“). Der Gesetzgeber hatte sich zu entscheiden zwischen einem Entwurf von Oe- 59 chelhäuser99 und dem Modell der GmbH als kleiner AG. Oechelhäuser hatte die neue Gesellschaft als eine Abart der KG vorgesehen dergestalt, dass die Haftung aller Gesellschafter auf Kapitaleinlagen beschränkt war, die zusammen das Grundkapital ergaben. Durchgesetzt hat sich das Gegenmodell der kleineren AG. Danach war die GmbH wie die AG als juristische Person konstruiert mit Kapitalaufbringungs- und -erhaltungspflichten der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft. Im Unterschied zur damaligen Rechtslage bei der AG war ein Mindeststammkapital normiert (20.000 Mark). Für die Mindestzahl der Gründer ergab sich aus dem Erfordernis des Abschlusses eines Gesellschaftsvertrags die Zahl von zwei. Die Mindestbeteiligung der Gesellschafter war geringer festgesetzt als bei der AG (500 statt 1000). Die Gründungsformalitäten waren vereinfacht, und das GmbHG räumte den Gesellschaftern einen größeren Einfluss im Leben der Gesellschaft ein. Zu fragen ist, wie sich die personalistische Natur der GmbH im Hinblick auf 60 die Problematik des Anlegerschutzes niederschlägt, der sich die Novelle von 1884 für die AG so dringlich angenommen hatte. Die Gesellschafter der GmbH sind nach dem GmbHG kein Anlegerpublikum. Dies kommt insbesondere in der Beschränkung der Umlauffähigkeit der Geschäftsanteile zum Ausdruck. Nach § 15 III GmbHG bedarf die Abtretung von Geschäftsanteilen durch die Gesellschafter eines in notarieller Form geschlossenen Vertrages. Nach Ansicht des Gesetzgebers sollte sich durch diese Beschränkung der Umlauffähigkeit das Schutzproblem, welches bei der AG bestand, erledigen100. Auf diesen historischen Zusammenhang hinzuweisen ist wichtig. Wenn in 61 Vorschlägen zur Reform der GmbH die Umlauffähigkeit der Geschäftsanteile an

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98 Zur weltweiten Verbreitung der GmbH s Übersicht GmbHR 1992, 428 sowie Lutter, GmbHR 2005, 1, H. P. Westermann, GmbHR 2005, 4. 99 Abgedruckt in Heft 25 der „Schriften des Vereins zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen von Handel und Gewerbe“, 1891, S 59 ff; abgedruckt auch in Wieland Handelsrecht Bd II, 1931, S 399. 100 Vgl die Begründung zum GmbHG-Entwurf v 11.2.1892, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages 8. Legislaturperiode I. Session Bd V Anlagen Aktenstück Nr 660 S 3728, 3729.

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der GmbH dadurch gesteigert werden soll, dass § 15 III GmbHG aufgehoben wird101, so ist den Verfassern solcher Vorschläge nicht bewusst, dass sie an einem Grundpfeiler des GmbH-Rechts rütteln. Bei der Beschränkung der Umlauffähigkeit durch § 15 III GmbHG geht es nicht nur um den Schutz des Anlegers durch die Betonung der Komplexität des Geschäfts in Hinsicht auf Beteiligungsverhältnisse und Risikostruktur bei der GmbH, die die notarielle Beratung angezeigt sein lässt. Vielmehr soll auch die Person der Anleger weitergehend festgelegt werden: Indem die Möglichkeit der Weiterveräußerung eingeschränkt wird, wird die Bestandskraft des persönlichen Zusammenschlusses und des in ihm gewährleisteten Vertrauens gefördert. In der weiteren Reform zur AG in Deutschland wurde der Weg, die Ge62 sellschaft ordnungspolitisch zum Schutz des Verkehrs und der Anleger voll durchzuregeln, weiter beschritten: Das HGB von 1897 hat als bedeutungsvolle Neuerung das Bezugsrecht der Aktionäre bei der Kapitalerhöhung der AG eingeführt (§ 282 HGB idF v 10.5.1897). Das Bezugsrecht konnte freilich durch Beschluss der „Generalversammlung“ (heute: HV) mit einfacher Mehrheit ausgeschlossen werden. Weiter reagierte der Gesetzgeber auf zwischenzeitliche Erfahrungen, dass in der Praxis zwar nicht mehr bewusste Überbewertungen, aber doch zu kühne Bewertungen von Sacheinlagen nach einem gegenwärtig hohen Ertrag vorgenommen wurden. Die Reaktion geschah in Regelungen außerhalb des Handelsrechts, nämlich im Börsenrecht, wo eine Wartezeit für Aktiengesellschaften bis zur Emissionsfähigkeit ihrer Aktien eingerichtet wurde. Im Jahre 1937 wurde das Aktienrecht gänzlich neu kodifiziert durch das 63 AktG von 1937. Anlass waren wiederum neu aufgetauchte Missstände und Regelungsprobleme, die sich im Leben mit der bisherigen Normierung gezeigt hatten. Nach dem Ersten Weltkrieg drang infolge der Geldentwertung in erheblichem Maße ausländisches Kapital auf den deutschen Aktienmarkt, dh es wurden deutsche Aktien mit billigem Geld gerne erworben. Gegen die ausländische Überfremdung versuchte man, sich mit den Mitteln der Mehrstimmrechtsaktien (Aktien mit mehrfachem Stimmrecht) zu wehren. Dasselbe Mittel wurde dann auch zur Sicherung gegen unerwünschten inländischen Einfluss benutzt oder zum Aufbau einer im Effekt billig kommenden Mehrheitsherrschaft 102. Zum

_____ 101 55. Deutscher Juristentag, Hamburg 1984, Abt. Wirtschaftsrecht II 4, S K 223. Dass jetzt das MoMiG in § 16 III GmbHG den Erwerb der Geschäftsanteile vom Nichtberechtigten ermöglicht, ist eine Reverenz gegenüber der Sicherheit des Rechtsverkehrs, die die Schutzregelung betreffend die Übertragung der Geschäftsanteile aber im Grundsätzlichen nicht antastet. 102 Das geschah folgendermaßen: Kauf der Aktienmehrheit, Durchsetzung der Mehrstimmrechtsaktien, Verkauf der Stammaktien, soweit diese für die Mehrheit jetzt entbehrlich waren.

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Zweck einer kapitalmäßig nicht fundierten Herrschaft dienten ebenso die sogenannten Verwaltungsaktien, dh Aktien, die der Aktiengesellschaft selbst gehörten („eigene Aktien“) und deren Rechte deshalb von der Verwaltung der Aktiengesellschaft ausgeübt wurden. Beide Mittel, Mehrstimmrechtsaktien und Verwaltungsaktien, förderten in erheblichem Maße die Konzernierung. Sie sichern die Verwaltungsherrschaft, und die Verwaltung folgt gemeinhin der relativen Mehrheit des Aktienkapitals. Folge ist die Herrschaft von Großaktionären, insbesondere Großaktionärsunternehmen103. Infolge der Weltwirtschaftskrise kam es zu einigen spektakulären Zusam- 64 menbrüchen: Danat-Bank, Nordwolle AG, Frankfurter Allgemeine Versicherungsaktiengesellschaft (Favag)104. Diese Zusammenbrüche zeigten die Gefährlichkeit der Großaktionärsherrschaft. Diese führte nämlich zur mangelhaften Aufsicht über die Geschäftsführung der AG: Die Vorstände bestanden aus Großaktionären oder wurden unter dem beherrschenden Einfluss der Großaktionäre besetzt; letztlich bestimmten dieselben Großaktionäre über die Bildung des Aufsichtsrats. Folglich hatte dieser keinerlei Gewicht gegenüber der Macht der Vorstände. Der Vorstand der Favag konnte so die Gesellschaft durch versicherungsfremde Finanzgeschäfte ruinieren105. Die „eigenen Aktien“ trugen nicht nur zu dieser Herrschaft der Großaktionäre bei, sondern waren überdies als solche wirtschaftlich gefährlich. Durch die Nachfrage der Gesellschaft nach den eigenen Aktien können Aktionäre und Gläubiger getäuscht werden. Weiter werden durch den Erwerb Gesellschaftsmittel in Anlagen festgelegt, die bei wirtschaftlichem Niedergang der Gesellschaft nicht liquidierbar sind und die mit dem Verlust der Gesellschaft selbst an Wert verlieren, wodurch sich der Verlust verdoppelt. Insbesondere bei der Danat-Bank verwirklichten sich die Gefahren der eigenen Aktien: Die Danat-Bank besaß bei ihrem Zusammenbruch von 60 Mio RM Grundkapital 35 Mio RM eigene Aktien106. Die Zusammenbrüche bewiesen die Uninformiertheit der Aktionäre und des sonstigen Publikums über den Zustand der Gesellschaft.

_____ 103 Zur zugrunde liegenden Vostellung vom „Unternehmen an sich“, die von Rathenaus Betrachtung des modernen Großunternehmens in der 1918 erschienen Schrift „Vom Aktienwesen“ ausging, Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, 111 ff. S a Knut Wolfgang Nörr zur Aktiengesellschaft in den Schriften Franz Kleins, Rudolf Hilferdings und Walther Rathenaus ZHR 172 (2008), 133. 104 Die Favag wurde mit Hilfe der Allianz in die Neue Frankfurter Allgemeine VersicherungsAG überführt, Eggenkämper/Modert/Pretzlik/Modert Die Frankfurter Versicherungs-AG 1865– 2004, 2004 S 19 ff. 105 Modert (Vornote) S 14 ff, 27 ff. Zur Rolle des Aufsichtsrats S 34 ff. 106 Hopt/Hehl/Vollrath, Handels- und Gesellschaftsrecht, Bd 2, 4. Aufl. 1996, Rn 859 Fn 3.

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Der Gesetzgeber sah sich zum Einschreiten gezwungen. 1930 begannen die Reformarbeiten (die Notverordnungen von 1931107 waren das erste Ergebnis). Umfassende Neuregelungen wurden sodann im erstmals verselbstständigten (aus dem HGB herausgenommenen) Aktienrecht durch das AktG von 1937 eingeführt. Die Reformideen waren: Zulassung nur großer anonymer Aktiengesellschaften, Mindestkapital von 500.000 RM, Steigerung der Publizität, Einschränkung von Verwaltungs- und von Mehrstimmrechtsaktien108 zugunsten legitimer Kapitalbeschaffungsmittel wie Vorzugsaktien ohne Stimmrecht – s heute §§ 139 ff AktG – und Schaffung von genehmigtem Kapital – s heute §§ 202 ff AktG. Die Möglichkeit, das Bezugsrecht auszuschließen, wurde eingeschränkt. Der Ausschluss musste in bestimmter Frist angekündigt werden und bedurfte der 3/4-Kapitalmehrheit (§ 153 III, IV AktG 1937). Neben diesen Reformideen ist die damalige Regelung durch eine konzernfreundliche Gestaltung, insbesondere durch die Unterlassung von Schutzregelungen bei Konzernierung, gekennzeichnet. Hinzu kam, aber nicht charakteristisch 109, an einzelnen Stellen nationalsozi66 alistisches Gedankengut. Zu nennen ist § 70 I AktG 1937 mit der Formulierung, der Vorstand solle das Unternehmen in eigener Verantwortung leiten, „wie das Wohl des Betriebes und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern“. Die Formulierung ist durch das Führerprinzip und die Unterwerfung des Individuums unter die im Führer verkörperte Gemeinschaft geprägt. Dieser Tendenz entsprach ebenso die, allerdings satzungsmäßig abdingbare, Regelung des AktG 1937, dass der Vorsitzende des Vorstands gegen die Vorstandsmehrheit entscheiden konnte, § 70 I 2. Die starke Stellung des Vorstands und die Förderung seiner Handlungsfähigkeit hatten aber neben dem nationalsozialistischen Gedankengut ihren Sinn auch in den sachlichen Bedingungen der Führung eines Großunternehmens und in dem nach dem Ersten Weltkrieg aufgetauchten Gedanken der Sozialpflichtigkeit von Großunternehmen110. Ebenso 65

_____ 107 VO des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie v 19.10.1931 RGBl I S 493; Dritte VO des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen v 6.10.1931, RGBl I S 537. 108 § 12 II 1 AktG 1937 hat Mehrstimmrechtsaktien grundsätzlich für unzulässig erklärt. Der Reichswirtschaftsminister konnte Ausnahmen zulassen, wenn das Wohl der Gesellschaft oder gesamtwirtschaftliche Belange es erforderten. Der Ausnahmetatbestand ist im AktG 1965 noch weiter restringiert worden. Durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich – KonTraG – (s u Rn 83) ist auch die Ausnahmemöglichkeit für die Zukunft abgeschafft worden. 109 Zu berücksichtigen ist die Herkunft des Gesetzes aus den Reformarbeiten der 20iger Jahre, K. Schmidt § 26 II 2e S 762 f. 110 Raiser/Veil § 2 Rn 5.

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kommt in der weiteren Formulierung über die ideologische Färbung hinaus der Gedanke für die soziale Verantwortung von Unternehmen zum Ausdruck (Gemeinwohlbindung)110a.

b. Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg: Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer Als Folge der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Aktienrecht zunächst 67 durch die Einführung der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmung im Aufsichtsrat) tief verändert worden. Die Siegermächte hätten einen unveränderten Fortbestand der Schwerindustrie, die für die Kriegsführung entscheidend gewesen war, dh der Kohle- und Eisenerz fördernden und veredelnden sowie der Stahl produzierenden Unternehmen, nicht geduldet. Die Unternehmen waren durch Beschlagnahme, Entflechtung, Demontage bedroht. Ein Mittel zur Kontrolle der Unternehmen, welches dazu beitragen konnte, diese Zerschlagungspolitik aufzuhalten, war die gleichgewichtige (paritätische) Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Dazu gab es nach Beendigung des Krieges alsbald erste Ansätze110b. Bis die Mitbestimmung aber als gesetzliche Regelung durchgesetzt war, bedurfte es noch einer dramatischen Streikdrohung. Im Jahre 1951 ist es dann zum MontanmitbestG110c gekommen, das eine fast paritätische Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eingerichtet hat. Für Unternehmen, die nicht zum Montanbereich gehörten, wurde im BetrVG 1952 eine „drittelparitätische“ Mitbestimmung der Arbeitnehmer geregelt. Jetzt ist maßgeblich das Drittelbeteiligungsgesetz110d. Zu dem MontanmitbestG ist 1956 das MitbestErgG 110e hinzugekommen. Dieses gilt für Gesellschaften, die nicht selbst Montanproduktion betreiben, aber als Obergesellschaften mindestens ein nach MontanmitbestG mitbestimmtes Unternehmen beherrschen. 1976 ist dann auch für große Nichtmontanunternehmen eine (fast) paritätische Mitbestimmung durch das MitbestG 1976

_____ 110a N aus der Lit nach dem 1. Weltkrieg Raiser/Veil Rz 5 Fn 3. 110b Insbes der 1947 geschlossene Vertrag zwischen Unternehmern an der Ruhr, der Treuhandverwaltung für die Industrie in der britischen Zone und den Gewerkschaften über die Einführung der paritätischen Mitbestimmung. Erstes mitbestimmtes Unternehmen wurden die Hüttenwerke Hagen-Haspe-AG, s Piper SZ v 21.10.2004 S 2. 110c Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie v 21.5.1951, BGBl I S 347. 110d Drittelbeteiligungsgesetz vom 18. Mai 2004 (BGBl. I S 974). 110e Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie v 7.8.1956, BGBl I S 707.

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begründet worden. Da die Mitbestimmung sowohl nach dem BetrVG bzw DrittelbG als auch nach dem MitbestG im Aufsichtsrat stattfindet, haben Gesellschaften mbH, die der Mitbestimmung unterliegen, zwingend einen Aufsichtsrat zu bilden.

c. AktG 1965, Reformansätze zur GmbH 68 Eine Reform unseres gesamten Aktienrechts in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg ist durch Ablösung des aus der Zeit des Nationalsozialismus stammenden AktG 1937 durch das AktG von 1965 zur Wirkung gelangt. Dieses kann unter dem Leitgedanken der Aktionärsdemokratie gesehen werden: Die Rechte und die Mitwirkung der Aktionäre sollten gegen Verwaltungs- und Konzernherrschaft verstärkt werden. Die Aktionäre wurden verstanden als die untereinander gleichgestellten Anteilseigner, unter Einschluss der Kleinaktionäre. Die Mittel der Verstärkung der Aktionärsrechte waren etwa Publizitätssteigerung, Abschwächung des Depotstimmrechts der Banken, verstärkte Gewinnberechtigung (s zB § 254 I des geltenden AktG), Verstärkung des Auskunftsrechts, Entlastung beim Kostenrisiko im Falle von Klagen. Vor allem aber gibt das AktG von 1965 eine umfassende Regelung des Rechts der verbundenen Unternehmen, welches die Konzernherrschaft in rechtliche Schranken fassen soll (§§ 291 ff AktG). Im Gegensatz zu § 70 I 2 des AktG von 1937 (Durchsetzungsfähigkeit des 69 Vorsitzenden gegen die Vorstandsmehrheit) ist heute § 77 I 2 Hs 2 AktG gesetzt. Danach kann nicht durch Satzung bestimmt werden, dass ein Vorstandsmitglied oder mehrere Vorstandsmitglieder Meinungsverschiedenheiten gegen die Mehrheit seiner Mitglieder entscheiden. Aus der historischen Erfahrung wird auch die Satzungsbestimmung beargwöhnt, die bei einem zweigliedrigen Vorstand einen Stichentscheid bei Stimmengleichheit regelt111. Ein Stichentscheid wird zugelassen bei dem mehr als zweigliedrigen Vorstand112. Auch bei vier Mitgliedern ist aber die Bestimmung eines Vorsitzenden, dem der Stichentscheid zusteht, nicht unbedenklich. Das neue Konzernrecht kann in einen größeren historischen Zusammen70 hang eingeordnet werden: Mit zögerlichem Beginn im AktG 1937, verstärkt sodann durch das AktG 1965, hat sich die Entwicklung iS des Systems der Normativbestimmungen, die sich vorher bei der Einzel-AG vollzogen hatte, für die Konzerne wiederholt113.

_____ 111 OLG Hamburg AG 1985, 251. 112 BGHZ 89, 48, 59. 113 Zum Wechsel von der Betrachtungsweise des 19. Jahrhunderts, die – insbes in der Person Otto v Gierkes – von der Sicht auf die einzelne Gesellschaft mit gleichberechtigten Aktionären

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In der Begründung des RegE zum AktG 1965 heißt es: Durch die Neurege- 71 lung (des Konzernrechts) werde „der gesellschaftspolitischen Aufgabe, immer weitere Schichten und Kreise unseres Volkes an den Produktionsvermögen der Wirtschaft zu beteiligen und einer Massierung des Kapitals in Händen weniger Personen entgegenzuwirken, wirksam gedient und eine für die Verwirklichung der Forderung breitester Streuung des Eigentums auf dem Gebiete des Aktienwesens entscheidende Voraussetzung geschaffen“114. Das klingt sehr sozialpolitisch, ist aber auch wirtschaftspolitisch gemeint oder jedenfalls zu wenden. Durch die Förderung der Möglichkeit zur Anlegergewinnung wird auch das Ziel eines funktionsfähigen Kapitalmarkts verfolgt. Für die GmbH war eine ähnlich breite Reform geplant, wie sie durch das 72 AktG 1965 für die Aktiengesellschaft durchgeführt worden ist, nämlich die Reform unter Bundesjustizminister Vogel durch den Entwurf von 1972115. Der Entwurf zeigt eine weitgehende Übereinstimmung des GmbH-Rechts mit dem AktG 1965. Dieser Entwurf ist nicht verwirklicht worden. Statt dessen ist die GmbHNovelle von 1980116 verabschiedet worden, die einige wenige Reformregelungen, insbesondere betreffend die Einmann-Gründung, das Auskunfts- und Einsichtsrecht der Gesellschafter und die Gesellschafterdarlehen, gebracht hat. Grundlegend reformiert hat das GmbH-Recht erst das MoMiG von 2008.

3. Die Wiedervereinigung In die Rechtsformen der Kapitalgesellschaften (und Genossenschaften) nach 73 bundesrepublikanischem Recht ist auch die kollektivierte Wirtschaft der ehemaligen DDR überführt worden. Zunächst wurde unter den Übergangsregierungen von Modrow und Lothar de Maizière das in der DDR noch rudimentär in Geltung gebliebene alte Gesellschaftsrecht neu belebt. Sodann ist unter de Maizière bestimmt worden – und dies galt nach der Wende weiterhin –, dass die staatswirtschaftlichen Unternehmensformen, sofern nicht in Kommunalvermögen überführt, mit Wirkung zum 1.7.1990 in Kapitalgesellschaften umgewandelt wurden, wobei die Anteile in der Hand der früheren Treuhandanstalt117 verei-

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bestimmt war, hin zu den modernen Erscheinungsformen der Gegensätze von Mehrheit und Minderheit, Paket- und Streubesitz, unternehmerisch genutzter Beteiligung und bloßer Vermögensanlage Ballerstedt, FS Knur 1972, 1, 7 ff. 114 Kropff AktG S 14. 115 BT-Drucks 6/3088 = BT-Drucks 7/253. 116 4.7.1980 BGBl I S 836. 117 Mit Wirkung v 1.1.1995 umbenannt in Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (VO über Umbenennung etc v 20.12.1994 – BGBl III/FNA Anh IV-0-4).

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nigt wurden. Nach dem DM-Eröffnungsbilanzgesetz war eine Eröffnungsbilanz zu erstellen, in der Ausgleichsposten (Forderungen und Lasten) im Verhältnis zur Treuhandanstalt zu buchen waren. Die LPG mussten sich bis Ende 1991 in eingetragene Genossenschaften umwandeln oder haben sich aufgelöst. Die Produktionsgenossenschaften des Handwerks mussten sich bis Ende 1992 in Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften oder eingetragene Genossenschaften umwandeln oder waren aufgelöst118.

4. Europarecht 74 Für die Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts ist in neuerer Zeit grundle-

gend bedeutsam das Europarecht. Das europäische Gesellschaftsrecht ist in einem eigenen Abschnitt darzustellen119.

5. Die Gesetzgebung bis zur Gegenwart a. Übersicht, Gang der Darstellung 75 War die bisher darzustellende Entwicklung des Kapitalgesellschaftsrechts der deutschen Gesetzgebung übersichtlich, nämlich in deutlichen historischen Abschnitten verlaufen, so hat sich in der neuesten Zeit, wie wir schon zu Anfang unserer Betrachtung ausgeführt haben 120, eine sich geradezu überstürzende Normenflut insbesondere über das Recht der AG ergossen121 und ist, wie oben gesagt, weiter unaufhaltsam in Gang. Waren oben die äußeren Anstöße aufgezählt (Entwicklung des Kapitalmarktrechts, Internationalisierung, Globalisierung) so kann man die inhaltlichen Neuerungen unter den folgenden Stichworten zusammenfassen: Deregulierung und Liberalisierung, Nutzung der elektronischen Kommunikation und – mit einem wie vieles andere auch aus dem amerikanischen Recht überkommenen Schlagwort – Sicherung der „best practices“ im Rahmen der „corporate governance“ (Transparenz, Kontrolle, Teilhabe).

_____ 118 Zu den Einzelheiten Brunner, JuS 1991, 354 f. 119 U Rn 144 ff. 120 O Rn 48. 121 Fleischer behandelt die Entwicklung unter den Schlagwörtern „bubble laws“ und „quack regulations“, FS Priester 2007, 75.

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Im Folgenden wird versucht, die Gesetzesschritte einigermaßen vollständig vorzustellen. Nur das Wichtigste wird näher ausgeführt. Nicht nochmals angeführt werden die im ersten Teil angesprochenen122 besonderen Anwendungsformen unserer Kapitalgesellschaften nach dem KAGB, dem UBG, dem WKBG und dem REITG.

b. Gesetz für kleine AG von 1994 Dem Ziel der Deregulierung und Liberalisierung hat sich das Gesetz für kleine 76 Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts123 verschrieben. Das Gesetz hat die bis dahin im GmbHG geregelte Möglichkeit der Einmann-Gründung auf die AG übertragen (§ 2 AktG). Mit übertragen wurde das Erfordernis der Bestellung einer Sicherung, wenn der Alleingesellschafter die Einlage noch nicht voll geleistet hat (§ 36 II 2 AktG aF). Das Erfordernis ist inzwischen für beide Gesellschaftsformen durch das MoMiG beseitigt worden. Übrig geblieben ist aus dem Gesetz über die kleine AG für die Einmanngründung die Vorschrift des § 42 AktG, wonach der Alleinaktionär dem Handelsregister namhaft zu machen ist, was bei der GmbH durch das Erfordernis der Gesellschafterliste ohnehin erfüllt ist. Weiter kann nach dem Gesetz die Satzung der AG den Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung seines Anteils ausschließen oder einschränken (§ 10 V AktG)124. Sodann ist der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (Recht auf den Bezug neuer Aktien bei einer Kapitalerhöhung) erleichtert worden. Der Ausschluss ist seitdem insbesondere dann zulässig, wenn eine Kapitalerhöhung gegen Bareinlage den zehnten Teil des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabekurs der neuen Aktien den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet (§ 186 III 4 AktG). Wesentlich und deshalb schon im Namen des Gesetzes hervorgehoben ist 77 der Reformschritt zu einer Unterscheidung zwischen Aktiengesellschaften verschiedener Prägung. Der Name des Gesetzes ist allerdings irreführend: Das Gesetz hat nicht die Rechtsform einer „kleinen AG“125 geschaffen. Der Gesetzgeber hat nur einige allgemeine Regelungen erleichtert, sofern Aktiengesellschaften

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122 Rn 21 f. 123 v 2.8.1994 BGBl I S 1961. Dazu Lutter, AG 1994, 429; zur Eignung der kleinen AG Hölters/ Buchta, DStR 2003, 79. 124 Dazu Schwennicke, AG 2001, 118 ff. 125 Hölters/Buchta erkennen richtig, dass der Gesetzgeber keine neue Rechtsform geschaffen, sondern nur ein rechtspolitisches Schlagwort für den teilweisen Verzicht auf Formalien des Aktienrechts gegeben hat (DStR 2003, 79). Die Autoren sprechen dann gleichwohl durchgehend von Strukturvergleich, Gründung etc betreffs kleiner AG.

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bestimmte, von Vorschrift zu Vorschrift variierende und deshalb je für sich formulierte Voraussetzungen erfüllen. Mehrfach taucht allerdings die Unterscheidung zwischen Aktiengesellschaften, die zum Handel an einer Börse zugelassen sind, und solchen, die dies nicht sind, auf. Aber auch das hat den Gesetzgeber damals noch nicht veranlasst, eine Legaldefinition der börsennotierten AG einzuführen. Die börsennotierte AG ist erst durch das spätere KonTraG definiert worden (§ 3 II AktG idF des KonTraG). Börsennotierte AG sind AG (oder KGaA, § 278 III AktG) deutschen Rechts, deren Aktien zum Handel an Märkten (diese können aber auch ausländische sein) zugelassen sind, die durch staatlich anerkannte Stellen geregelt und überwacht werden (anders der Freiverkehr nach § 48 BörsenG), regelmäßig stattfinden und für das Publikum unmittelbar oder mittelbar zugänglich sind125a. Börsennotierte Unternehmen wurden namentlich nach § 58 II 2 idF des Gesetzes für kleine AG besonders behandelt. Die damals neu eingefügte Vorschrift räumte die Möglichkeit ein, die Kompetenz von Vorstand und Aufsichtsrat zur Dotierung der Rücklagen durch Satzung zu erweitern oder zu beschränken. Für börsennotierte AG sollte nur die Erweiterungsmöglichkeit gelten (§ 58 II 2 idF des Gesetzes für kleine AG). Diese Sonderbehandlung ist inzwischen schon wieder beseitigt. Für nicht börsennotierte Unternehmen ist die Niederschrift über den Inhalt der HV erleichtert worden (§ 130 I 3 AktG). Vorschriften über die Einberufung der HV und die Bekanntmachung der 78 Tagesordnung wurden unter anderen Voraussetzungen als der des Merkmals der Börsennotiertheit modifiziert (§§ 121 IV, 124 I 3 AktG).

c. Umwandlungsgesetz und Insolvenzordnung von 1994 79 Noch im Herbst desselben Jahres 1994 traten Regelungen in Kraft, die für Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften gleichermaßen wichtig sind: zum einen die umfassende Regelung von Unternehmensverschmelzungen und -spaltungen sowie des Formwechsels durch das Umwandlungsgesetz von 1994125b und zum anderen die Anpassungsnotwendigkeiten aufgrund der Insolvenzordnung von 1994125c.

_____ 125a Vergleich der Definition mit der des WpHG o Rz 39 Fn 71. 125b Umwandlungsgesetz vom 28.10.1994 (BGBl I S 3210, ber. 1995 S 428). 125c Insolvenzordnung vom 5.10. 1994 (BGBl I S 2379).

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d. Gesetze von 1998: Gesetz über die Rechtsanwalts-GmbH, KapAEG, KonTraG, Euro-EinführungsG und StückAG Im Jahre 1998 zählen wir allein fünf neue Gesetze: das über die Rechtsanwalts- 80 GmbH, das KapitalaufnahmeerleichterungsG (Kap-AEG) 126, das KonTraG, das Euro-EinführungsG127 und das StückAG. Die Rechtsanwalts-GmbH ist nach langem Streit über ihre Zulässigkeit durch Einfügung spezieller Vorschriften in die BRAO (§§ 59c ff) gesetzlich anerkannt worden128. Das KonTraG ist ein erstes Gesetz, das in die Bemühung um die Verbesserung der Corporate Governance einzuordnen ist. Es ist in einem eigenen Abschnitt anzusehen (unten f). Demgegenüber sind das KapAEG und das EuroEG aus aktuellem und punktuellem Anlass erlassen worden (das eine erlaubte die US-amerikanische Art der Rechnungslegung, weil und soweit diese für die Zulassung an der New Yorker Börse erforderlich war; das andere Gesetz diente, wie der Name sagt, zur Umstellung von DM auf Euro). Mit ihrem Anlass sind die Gesetze überholt, das KapAEG deshalb, weil die Internationalisierung der Rechnungslegung inzwischen allgemein, über den Anlass des KapAEG hinaus, fortgeschritten ist. Das Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (StückAG)129 wurde kurz vor dem Euro-EinführungsG erlassen, und dies nicht ohne Grund. Das Gesetz ließ neben der Nennbetragsaktie die Stückaktie zu (§ 8 III AktG). Damit wurde die Umrechnung der Nennbeträge von DM auf Euro unter Ausgleich von Spitzenbeträgen vermieden. Die Nennbetragsaktie ist eine Aktie mit bestimmtem und auf der Urkunde aufgedrucktem Geldbetrag; die Summe der Nennbeträge aller Aktien ist gleich dem Grundkapital. Die Stückaktie ist ohne Nennbetrag, jede Stückaktie bedeutet die gleiche Beteiligung am Grundkapital (eben Beteiligung pro Stück). Auch die Stückaktien ergeben zusammen das Grundkapital, indem sich dieses auf die Stückaktien aufteilt (nach § 23 III Nr 4 AktG muss die Satzung die Gesamtzahl der Stückaktien bestimmen): Der Quotient aus Grundkapital und der Zahl der Stückaktien ergibt den Betrag pro Stückaktie; das Gesetz nennt diesen Betrag den „anteiligen Betrag des Grundkapitals“ (§ 8 III 3 AktG). Die Einführung der Stückaktie zog Folgeänderungen in zahlreichen weiteren Vorschriften nach sich.

_____ 126 V 20.4.1998 BGBl I S 707. 127 V 9.6.1998 BGBl I S 1242. 128 Gesetz v 31.8.1998 BGBl I S 2600. Zur ursprünglichen Anerkennung durch das BayObLG (NJW 1995, 199) nochmals Henssler, NJW 2017, 3094. Inzwischen hat der BGH auch Rechtsanwalts-AG anerkannt (u Rz 211). 129 V 25.3.1998 BGBl I S 590.

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e. Internationalisierung des Bilanzrechts 81 Mit dem KapAEG hat in Deutschland die Entwicklung zu einer weltweiten Inter-

nationalisierung des Bilanzrechts130 begonnen, die inzwischen auf der europäischen Ebene und der Ebene der deutschen Gesetzgebung erheblich ausgeweitet worden ist. Anwendbar sind in immer mehr zunehmendem Maße neben oder statt der Bilanzierungsregeln unseres HGB die – inzwischen umbenannten – IAS (jetzt IFRS), die inzwischen auch die nach dem KapAEG noch ermöglichte Anwendung der US-GAAP131 verdrängen. Auf die IAS (künftig IFRS) verweist die IAS-Verordnung der EG132. Für Un82 ternehmen, die als Wertpapieremittenten an einem organisierten Kapitalmarkt auftreten, schreibt sie mit Wirkung vom 1.1.2005 vor, ihre Konzernrechnung (sog Konsolidierung der Rechnungslegung der einzelnen Konzernunternehmen) nach den IAS zu legen. Für nicht an Kapitalmärkten auftretende Unternehmen und für die Einzelabschlüsse aller Kapitalgesellschaften eröffnet die VO den Mitgliedstaaten die Option, die Rechnungslegung nach IAS zu erlauben. Auf der VO und den weiteren einschlägigen Richtlinien beruht das am 5.12.2004 in Kraft getretene BilanzrechtsreformG (BilReG). Gleich danach ist das Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz – BilKoG) in Kraft getreten133. Die Reform geht aber weiter: 2009 ist das BilanzrechtsmodernisierungsG (BilMoG) in Kraft gesetzt worden134. Eine Änderungsrichtlinie zur Jahresabschlussrichtlinie ist mit dem Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz (MicroBilG) vom 20.12.2012134a umgesetzt worden. Und vor wenigen Jahren ist das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) vom 22.7.2015134b in Kraft getreten.

_____ 130 Europaweit war das Bilanzrecht schon internationalisiert: Die Rechnungslegungsregelung unseres HGB beruht auf der Bilanzrichtlinie der EG. 131 IAS = International Accounting Standards, IFRS = International Financial Accounting Standards, GAAP = Generally Accepted Accounting Principles. 132 VO (EG) Nr 1606/2002 vom 19.7.2002, ABl v 11.9.2002 Nr L 243 S 1. Die Modernisierung des Bilanzrechts betreiben weiter die sog Modernisierungsrichtlinie 2003/51/EG vom 18.6.2003 ABl v 17.7.2003 Nr L 178 S 16, die Schwellenwertrichtlinie 2003/38/EG vom 13.5.2003 ABl v 15.5.2003 Nr L 120 S 22 und die Fair-Value-Richtlinie 2001/65/EG vom 27.9.2001, ABl v 27.10.2001 Nr L 283 S 28. 133 BilReG (BGBl I S 3166). BilKoG vom 15. Dezember 2004 (BGBl I, 3408). Das BilKoG führt eine stichprobenweise und bei Verdacht auf Bilanzmanipulationen erfolgende Prüfung der Rechnungslegung kapitalmarktorientierter Unternehmen durch ein von staatlicher Seite beauftragtes privates Gremium ein. 134 BilMoG vom 25.Mai 2009 (BGBl.I, 1102). 134a BGBl I, 2751. 134b BGBl I, 1245.

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f. KonTraG von 1998 und NaStraG von 2001 Der Deregulierung und der Sicherung von best practices in der AG dient das Ge- 83 setz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)135. Erst jetzt wurde in das AktG die Definition der börsennotierten Gesellschaft eingefügt (§ 3 II). Der Erwerb eigener Aktien wurde erleichtert (§ 71 I Nr 6–8 AktG). Eine interne Kontrolle des Geschäftsgangs wurde ausdrücklich angeordnet (§ 91 II AktG) und die Tätigkeit des Aufsichtsrats intensiviert (§ 110 III). Den Auftrag an den Abschlussprüfer hat nunmehr der Aufsichtsrat und nicht mehr der zu prüfende Vorstand selbst zu erteilen (§ 111 II 3 AktG). Auch die Prüfungsvorschriften des HGB wurden verschärft. Für börsennotierte Gesellschaften wurde über die Mehrfachmitgliedschaft von Aufsichtsräten Transparenz hergestellt (§ 125 II 3 AktG). Die Bindung an das Depotstimmrecht der Aktionäre (§ 128 AktG) und die Möglichkeiten der Schadensersatzverfolgung gegen Vorstandsmitglieder und der Sonderprüfung wurden verschärft (§§ 147 II, 315 S 2 AktG). Bereits 2001 erschien die nächste grundsätzliche Anpassung durch das Ge- 84 setz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (NaStraG)136. Sie stand unter den Motiven zum einen der Neugestaltung der Aktien nach US-amerikanischer Praxis (die grundsätzlich mit Anteilen arbeitet, die unseren Namensaktien entsprechen) und zum anderen der Verbesserung der Arbeit der Organe der AG und der Teilhabe der Aktionäre. Der Name Aktienbuch erschien nicht mehr zeitgemäß und wurde entsprechend dem amerikanischen Ausdruck (registered shares) in „Aktienregister“ umgewandelt (§ 67 I AktG). Die Regelung der Namensaktie wurde verändert (§ 67). Dem Aufsichtsrat wurde die Möglichkeit einer Beschlussfassung außerhalb einer Sitzung eingeräumt (§ 108 IV AktG). Die Vorschriften über die Kommunikation mit den Aktionären wurden erleichtert und so umformuliert, dass auch moderne Kommunikationstechnologien einsetzbar sind (§§ 125, 128 AktG). § 134 III 3 AktG erlaubt das „proxy-voting“, dh dass der Aktionär einen von der Gesellschaft eingesetzten Stimmrechtsvertreter beauftragen kann. Auch die Bevollmächtigung von Kreditinstituten wurde neu geregelt (§ 135 I 1 AktG).

g. TransPuG von 2002 Im Jahre 2002 hat der Gesetzgeber die Arbeit an der corporate governance in ei- 85 nem großen Schritt fortgesetzt in dem Gesetz zur weiteren Reform des Aktien-

_____ 135 v 27.4.1998 BGBl I S 786. Zu den Auswirkungen des KonTraG auf die GmbH Altmeppen, ZGR 1999, 291. 136 v 18.1.2001 BGBl I S 123.

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und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (TransPuG)137. Vorausgegangen war die Einberufung der Regierungskommission Corporate Governance (nach ihrem Vorsitzenden Baums-Kommission genannt). Diese hat im Juli 2001 umfangreiche Vorschläge gemacht138. Auf der Grundlage dieser Vorschläge ist die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex eingerichtet worden (nach deren Vorsitzendem Cromme-Kommission genannt). Diese hat den deutschen Corporate Governance Kodex erstellt 139. Das TransPuG berücksichtigt den Kodex und setzt einen ersten Teil weiterer Gesetzesvorschläge der Regierungskommission Corporate Governance um. Was den Kodex betrifft, verpflichtet das Gesetz börsennotierte Unternehmen jährlich zu einer sog Entsprechenserklärung von Vorstand und Aufsichtsrat, durch die die Erklärung der Gesellschaft zu Jahresabschluss und Lagebericht zu ergänzen ist. Zu erklären ist, inwieweit den Empfehlungen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex entsprochen wurde und inwieweit nicht (§ 161 AktG). Im Hinblick auf die Notwendigkeit der elektronischen Kommunikation stellt § 25 AktG nF für Bekanntmachungen der Gesellschaft ab 1.1.2003 auf den elektronischen Bundesanzeiger ab. Die Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat wird spezifiziert und elektronischer Form geöffnet (§ 90 I, V AktG). § 110 AktG über Einberufung und Sitzungsfrequenz des Aufsichtsrats wird gestrafft. Die Mitteilungspflichten des Vorstands nach der Einberufung der HV werden gekürzt. Eine virtuelle Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern an der HV wird ermöglicht, die HV kann gemäß der Satzung in Ton und Bild übertragen werden. Das Auskunftsrecht der Aktionäre (§ 131 AktG) wird ausdrücklich auf 86 die Konzerndimension erstreckt (§ 131 I 4 AktG). Auch bei Jahresabschluss und Lagebericht wird in vielen Regelungen die Konzerndimension einbezogen.

_____ 137 BR-Drucks 450/02; in Kraft getreten 19.7.2002, BGBl I S 2681. Häufig wird das Gesetz auch TrPublG genannt. Auf der Homepage des Bundesjustizministeriums wird TransPuG gesagt, offenbar, damit die Bezeichnung ebenso wie NaStraG und KonTraG als Schlagwort ausgesprochen werden kann. Wir leben in einer Zeit der Mode- und Schlagwörter. 138 BT-Drucks 14/7515, v 14.8.2001. 139 v 20.8.2002, veröffentlicht vom Bundesjustizministerium im elektronischen Bundesanzeiger.

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h. Spruchverfahrensgesetz von 2003 und Gesetze von 2004 Verfahrensrechtlich von großer Bedeutung zur Abkürzung von Streitigkeiten, 87 die Maßnahmen aufhalten können, die für das Leben der Gesellschaften existenziell relevant sind, ist das Gesetz zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens (SpruchG) vom 12.6.2003140. Das Gesetz hat für die Streitigkeiten über die Angemessenheit der Bewertung in den Fällen von Aktientausch oder Abfindung bei Konzernverträgen, Eingliederung, SqueezeOut oder Umwandlung ein gegenüber dem gewöhnlichen Zivilprozess zügig durchzuführendes Spruchverfahren eingeführt. Hier nur zu verzeichnen sind das Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer 88 im Aufsichtsrat (DrittelbeteiligungsG)141, das die alten Vorschriften über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer aus dem BetrVG 1952 (aufrecht erhalten im BetrVG 1972) ersetzt hat, und das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts142, welches Unterlassungssünden der Schuldrechtsreform insbesondere im Bereich der Verjährung aktien- und GmbH-rechtlicher Ansprüche143 behoben hat (Art 11, 13 des Gesetzes).

i. VorstOG vom August 2005 Mit Gesetz vom 3.8.2005 (Gesetz über die Offenlegung von Vorstandsvergü- 89 tungen – Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz – VorstOG)144 sind die Vorschriften über die Angaben im Anhang von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechung bei den Kapitalgesellschaften sowie im Konzernanhang im Sinne größerer Transparenz der Bezüge geändert worden (§§ 285 f, 289, 314 HGB). Einbezogen sind die Bezüge von Geschäftsführungsorganen (insbesondere Vorstand der AG), Aufsichtsrat und Beirat sowie ähnlicher Einrichtungen. Eine Individualisierung ist nur für die Vorstände börsennotierter Aktiengesellschaften vorgesehen, davon kann die HV aber absehen.

_____ 140 BGBl I S 838 (geändert durch Art 5 des Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft – SEEG – vom 22.12.2004); zum RegE Emmerich, FS Tilmann 2003, 925; zum Gesetz Bungert/Mennicke, BB 2003, 2021. 141 18.5.2004 BGBl I S 974. 142 BGBl I S 3214 ff vom 14.12.2004. Inkrafttreten am Tag nach der Verkündung (Art 25 des Gesetzes). Zum Gesetz Mansel/Budzikiewicz, NJW 2005, 321 ff; zum E Krämer, GmbHR 2004, R 361 f; Thiessen, ZHR 168 (2004), 503 ff. 143 Aufgedeckt von Altmeppen, DB 2002, 514; ders, DB 2002, 879. 144 BGBl I S 2267. Zur Praxis Hohenstatt/Wagner, ZIP 2008, 945.

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j. UMAG vom September 2005 90 Am 22.9.2005 ist das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisie-

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rung des Anfechtungsrechts (UMAG) in Kraft getreten145. Das Gesetz verwirklicht weitere Vorschläge der Regierungskommission Corporate Governance. Die Neuregelung betrifft vor allem das Haftungsrecht in der AG, die Kontrollrechte der HV, insbesondere ihrer Minderheit, und die Anfechtung von HV-Beschlüssen. Zur Vorstandshaftung ist ein Haftungsausschlusstatbestand betreffend fehlgeschlagene unternehmerische Entscheidungen146 eingefügt worden (§ 93 Abs 1 S 2 AktG), der auf die „business judgment rule“ des amerikanischen Rechts zurückgeht: Danach liegt eine Pflichtverletzung dann nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln147. Die Bestimmung des früheren Rechts, dass für eine schädigende Einflussnahme auf die Vertretung der AG nicht gehaftet wird, wenn die Einflussnahme durch Ausübung des Stimmrechts in der HV geschieht (§ 117 Abs 7 Nr 1 AktG aF), ist aufgehoben. Hintergrund der früheren Bestimmung war, dass eine schädigende Stimmrechtsausübung schon durch die Anfechtung eines durch sie herbeigeführten Hauptversammlungsbeschlusses wirkungslos gemacht werden konnte. Nach der Begründung des RegE ist dieser Gedanke noch in der Weise relevant, dass das Unterlassen einer Anfechtungsklage durch die überstimmten Aktionäre als Mitverschulden (§ 254 BGB) zu berücksichtigen ist. § 123 AktG, der bisher nur die Einberufungsfrist für die HV geregelt hat, wird durch eine Regelung zur Anmeldung zur HV ergänzt. Ein neuer § 127a AktG regelt die elektronische Kommunikation zwischen Aktionären zur Ausübung von Rechten, die von einem Mindestbesitz oder einer Stimmrechtsquote abhängig sind. § 131 II AktG hat einen neuen Satz 2 erhalten, wonach die Satzung oder die Geschäftsordnung (§ 129 AktG) den Versammlungsleiter ermächtigen kann, das Frage- und Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken

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145 BGBl I 2802. Zugrunde liegt der Regierungsentwurf BT-Drucks 14/4051. Zum E Seibert, WM 2005, 157; Wilsing, DB 2005, 35; Gantenberg, DB 2005, 207; Schütz, NZG 2005, 5; zum vorausgegangenen RefE Meilicke/Heidel, DB 2004, 1479 ff. 146 Davon zu unterscheiden die Verletzung von Informations-, Treuepflichten, allgemeine Gesetzes- und Satzungsverstöße, BR-Drucks, Begründung S 17. 147 Diskussion der Formulierung des RefE, der noch von „ohne grobe Fahrlässigkeit“ gesprochen hat, durch Fleischer, ZIP 2004, 685; Ihrig, WM 2004, 2098; Kinzl, DB 2004, 1653; Paefgen, AG 2004, 245; Roth, BB 2004, 1066; Thümmel, DB 2004, 471; Ulmer, DB 2004, 859. Zum RegE unter Berücksichtigung des Zusammenhangs der Neufassung der Vorstandsverantwortlichkeit und der Minderheitsrechte Weiss/Buchner, WM 2005, 162 ff.

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und dazu Näheres zu bestimmen. Nach der neuen Nr 7 in § 131 Abs 3 AktG kann der Vorstand das Auskunftsverlangen eines Aktionärs zurückweisen, soweit die Auskunft auf der Internetseite der Gesellschaft sieben Tage vor Beginn der HV durchgängig zugänglich ist. In § 142 II und IV AktG über die gerichtliche Bestellung oder Auswechslung von Sonderprüfern sind die Beteiligungsquoten für die Antragsberechtigung geändert. An die Stelle des 10. Teils des Grundkapitals oder eines anteiligen Betrags von 1 Mio Euro148 sind der 100. Teil des Kapitals oder der anteilige Betrag (§ 8 III 3) von 100.000 Euro gesetzt worden. § 145 AktG über die Rechte von Sonderprüfern gegenüber dem Vorstand ist durch die Möglichkeit des Gerichts (§ 14 AktG) ergänzt worden, auf Antrag des Vorstands Tatsachen von der Aufnahme in den Bericht der Sonderprüfer auszunehmen, soweit überwiegende Belange der Gesellschaft dies gebieten und die Tatsachen nicht für die Unredlichkeit oder grobe Pflichtverletzung notwendig dargelegt werden müssen, die die Sonderprüfer aufzuklären haben (§ 145 IV). § 147 AktG über die Erzwingung der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Gründer, Organe und Einfluss nehmende Personen ist wie folgt geändert worden: Nach § 147 I 1 bedarf es grundsätzlich eines Beschlusses der HV mit einfacher Stimmenmehrheit. Die Möglichkeit der Durchsetzung aufgrund eines Minderheitsverlangens ist gestrichen. Dafür ist in § 148 nF AktG ein neuartiges Recht einer Minderheit begründet, deren Anteile zusammen den 100. Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000 € erreichen. Die Minderheit kann beantragen, dafür zugelassen zu werden, Ansprüche gemäß § 147 im eigenen Namen geltend zu machen. Im Rahmen der Geltendmachung nach § 147 (auf Beschluss der HV) kann eine Minderheit, deren Anteile zusammen den 10. Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von 1 Mio € erreichen, beantragen, dass das Gericht für die durch die HV erzwungene Wahrnehmung von Ersatzansprüchen andere Vertreter der Gesellschaft bestellt als die, die gesetzlich zur Vertretung der Gesellschaft berufen sind oder im Beschluss der HV bestellt worden sind (§ 147 II 2 AktG). § 243 AktG über die Gründe für die Anfechtung von HV-Beschlüssen wird in Abs 4 in Bezug auf die Anfechtung wegen unvollständiger Information

_____ 148 Nach § 8 III 3 AktG bezieht sich der Begriff des anteiligen Betrags auf Stückaktien. Er ergibt sich, indem man das Grundkapital durch die Anzahl aller Aktien teilt. Der für § 142 II AktG bisheriger Fassung notwendige anteilige Betrag von 1 Mio Euro ergibt sich, indem man den anteiligen Betrag pro Aktie mit der Zahl der an der Antragstellung beteiligten Aktien multipliziert.

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ergänzt, und zwar, was die Kausalität der Beschlussmängel und das Verhältnis des Anfechtungsrechts zum Spruchverfahren betrifft. Das Spruchverfahren verdrängt, wenn es für Bewertungsrügen vorgesehen ist, die Anfechtungsklage wegen unvollständiger Information über Bewertungsfragen. In Hinsicht auf die Kausalität wird die Anfechtung wegen unvollständiger Informationserteilung auf die Fälle beschränkt, dass ein objektiv urteilender Aktionär sein Verhalten vom Inhalt der Information abhängig gemacht hätte. Für die allgemeine Anfechtungsbefugnis von Aktionären (§ 245 Nr 1 AktG) 99 ist über die schon bisher geltenden Voraussetzungen des Erscheinens in der HV und der Erklärung eines Widerspruchs zur Niederschrift hinaus erforderlich, dass der Aktionär die Aktien schon vor der Bekanntmachung der Tagesordnung erworben hatte. Diese Voraussetzung beschränkt sodann jetzt auch die spezielle Klagebefugnis von Aktionären, die von Erscheinen und Widerspruch in der Hauptversammlung unabhängig ist, nämlich die gegen die Verfolgung von Sondervorteilen durch andere Aktionäre (§ 245 Nr 3 iVm § 243 II AktG). Der neue § 246a AktG verallgemeinert das bisher für Eingliederungs- (§ 319 VI 100 AktG), Squeeze-Out- (§327e II AktG) und Umwandlungsbeschlüsse (§ 16 III UmwG) geregelte Freigabeverfahren. Danach kann das Prozessgericht, wenn gegen die Eintragung eines HV-Beschlusses über eine Maßnahme der Kapitalbeschaffung oder Kapitalherabsetzung oder einen Unternehmensvertrag Klage erhoben ist, auf Antrag der Gesellschaft feststellen, dass die Erhebung der Klage der Eintragung nicht entgegensteht und Mängel des HV-Beschlusses die Wirkung der Eintragung unberührt lassen. Das Freigabeverfahren gilt auch für Nichtigkeitsklagen (§ 249 I 1 iVm § 246a AktG). Aufgrund der Freigabe kann das auf Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage ergehende Urteil nicht mehr nach § 248 I 3 AktG in das Handelsregister eingetragen werden (§ 242 II 5 AktG nF). Ist der Kläger im Anfechtungs- oder Nichtigkeitsprozess erfolgreich, hat die Gesellschaft ihm Schadensersatz zu gewähren (§246a IV AktG). Eine neue Regelung, die sich nur schwer erschließt, ist die Regelung, die 101 § 249 I 3 für Nichtigkeitsklagen statuiert. Danach gilt § 20 II UmwG für einen HV-Beschluss entsprechend, sofern der Beschluss Voraussetzungen für eine Umwandlung schafft und der Umwandlungsbeschluss eingetragen ist. § 20 II UmwG ist eine Vorschrift zum Umwandlungsfall der Verschmelzung. Für andere Umwandlungsfälle wird aber darauf Bezug genommen. Nach der Vorschrift lassen Mängel der Verschmelzung die Wirkungen der Eintragung der Verschmelzung (zu der es insbesondere aufgrund eines Freigabeverfahrens nach § 16 III UmwG gekommen sein kann) unberührt. Wenn § 249 I 3 AktG nF diese Regelung auf Beschlüsse anwendet, die Voraussetzung für eine Umwandlung sind, meint die Vorschrift insbesondere eine uU für die Durchführung einer Umwandlung erforderliche Kapitalerhöhung bei einer beteiligten Gesell-

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schaft. Zu Nichtigkeitsklagen gegen den Erhöhungsbeschluss kann es noch nach längerer Zeit kommen. Die Anfechtungsfrist gemäß § 246 I AktG gilt nicht (§ 249 I 1 AktG nimmt diese Vorschrift nicht in Bezug). Auch die Ausschlussfrist, die § 14 I UmwG für Klagen gegen Verschmelzungsbeschlüsse allgemein bestimmt, erfasst den einer Verschmelzung zugrundeliegenden Kapitalerhöhungsbeschluss nicht. Dann soll aber wenigstens § 20 II UmwG entsprechend gelten, wonach, wenn die Verschmelzung einmal eingetragen ist, Mängel der Verschmelzung die Wirkung der Eintragung nicht berühren. Für die KGaA werden in § 280 I AktG die Wörter „von mindestens 5 Perso- 102 nen“ gestrichen. Auch eine KGaA kann in Zukunft wie die AG (§ 2 AktG) durch eine einzige Person gegründet werden. Der Einmanngründer muss die Stellung des persönlich haftenden Gesellschafters und zugleich alle Kommanditaktien übernehmen.

k. EHUG von 2006 Alle Kapitalgesellschaften sind von der Umstellung des bisherigen Handelsre- 103 gisters auf ein elektronisches Register mit zentraler Erfassung der Daten durch das vom Bundesministerium der Justiz geführte Unternehmensregister betroffen, zu welcher das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) vom 10.11. 2006149 geführt hat. Zentrale Regelungen enthalten das HGB und die HandelsregisterVO in der neuen Fassung. l. Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie – AR-RL – von 2007 (ARUG) Das ARUG150 ist nicht nur das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtli- 104 nie, zu der inzwischen eine bis 2019 umzusetzende Änderungsrichtlinie erlassen ist150a, sondern zugleich ein Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Kapitalrichtlinie151 insofern, als diese die Möglichkeit vorsieht, bei Aktienge-

_____

149 BGBl I S 2553 ff. 150 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2007/36/EG vom 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (ARUG), BGBl 2009 I Nr 50. 2479. Zum RefE Stellungnahme des HR-Ausschusses des DAV, NZG 2008, 534; Seibert, ZIP 2008, 901; Zetzsche, Der Konzern 2008, 321; Maike Sauter, ZIP 2008, 1706; Paschos/Goslar, AG 2008, 598. Zur vorgesehenen Neuregelung im Recht der HV Noack, NZG 2008, 441, Horn, ZIP 2008, 1558. 150a S u Rn 156 a E. 151 Zur AR-RL u Rn 156, zur Kapital-RL Rn 148; die Änderungsrichtlinie ist die Richtlinie 2006/68/ EG vom 6.9.2006, ABl v 25.9.2006 Nr L 264 S 32. Zur Richtlinie H.P. Westermann, ZHR 172 (2008), 145. Zum RefE in Hinsicht auf die kapitalbezogenen Regelungsvorschläge Böttcher, NZG 2008, 481.

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sellschaften die Regelung über Sacheinlagen zu erleichtern. In Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie verstärkt das Gesetz die Möglichkeit börsennotierter Aktiengesellschaften, elektronisch mit ihren Aktionären zu kommunizieren, und umgekehrt für diese, elektronisch an der HV teilzunehmen. Darüber hinaus wird das sog Depotstimmrecht der Banken dereguliert. Was sodann die Umsetzung jener Änderungsrichtlinie betrifft, wird in § 33a AktG auf die Werthaltigkeitsprüfung bei Sacheinlagen verzichtet, wenn die Einlagen entweder in Wertpapieren bestehen, die an geregelten Märkten gehandelt und zum Durchschnittskurs der letzten drei Monate angesetzt werden, oder in Vermögensgegenständen, die in aktueller Zeit von externen Sachverständigen bewertet worden sind. Weiter hat das ARUG die Regelung des MoMiG in § 19 IV GmbHG über verdeckte Sacheinlagen durch § 27 III AktG nF auf die Gründung einer Aktiengesellschaft übertragen und für die Kapitalerhöhung gegen Einlagen bei der AG eine Verweisung auf diese Regelung eingefügt (§ 183 II AktG). In einem von der Umsetzung der Richtlinien unabhängigen Ansatz wird schließlich wieder einmal den sog räuberischen Aktionären entgegengetreten152: Insofern hat das Gesetz ein Freigabeverfahren für mit Klage angegriffene Beschlüsse der HV betr Kapitalbeschaffung oder -herabsetzung oder betr einen Unternehmensvertrag bei Klägern eingeführt, die in der Zeit von der Bekanntmachung des Beschlusses an nicht Anteile von mindestens 1000 € (Nennbetrag oder anteiliger Betrag des Grundkapitals) halten (§ 246a AktG). § 246a I S 2 AktG erklärt die §§ 82, 83, 84 ZPO für anwendbar (betreffend Ausdehnung einer Prozessvollmacht zugunsten des Gegners). Damit soll der Möglichkeit der Verfahrensverzögerung durch den Einsatz ausländischer Klagegesellschaften beigekommen werden. Den Entwurf des Bundesrats, die Angriffe gegen HV-Beschlüsse durch Konzentration des Verfahrens auf die Oberlandesgerichte zu beschränken, greift das ARUG nicht auf.

m. Referentenentwurf zum Internationalen Gesellschaftsrecht vom Januar 2008 105 Seit dem 8.1.2008 liegt ein Referentenentwurf eines Gesetzes zum Interna-

tionalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und Juristischen Personen vor153. Er erklärt die Rechtsordnung desjenigen Staates für maßgeblich, in dessen Gebiet die Gesellschaften etc registriert worden sind.

_____

152 Zum Regelungsvorschlag Waclawik, ZIP 2008, 1141; Niemeier, ZIP 2008, 1148. 153 Abrufbar auf der Homepage des BMJ (www.bmj.bund.de); dazu Wagner/Timm, IPRax 2008, 81; Bollacher, RIW 2008, 200.

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Wie zum MoMiG zu berichten ist154, ermöglicht das MoMiG parallel zur Reform des Kollisionsrechts durch Änderung des deutschen Sachrechts nun auch deutschen Gesellschaften den Wegzug ins Ausland. Die Neufassung der §§ 5 AktG, 4a GmbHG erlaubt das Auseinanderfallen des notwendig inländischen Satzungssitzes und des Verwaltungssitzes. Damit kann der Verwaltungssitz einer deutschen Gesellschaft künftig auch im Ausland begründet werden oder später dorthin verlegt werden.

n. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung erstinstanzlicher Zuständigkeit des OLG vom April 2008 Entwurf geblieben ist der eben schon erwähnte Entwurf eines Gesetzes zur Ein- 106 führung erstinstanzlicher Zuständigkeit des Oberlandesgerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten, den der Bundesrat beschlossen hat155. Der Entwurf diente der Beschneidung von Druckmöglichkeiten sog räuberischer Aktionäre mit Anfechtungsklagen gegen die Wirksamkeit von HV-Beschlüssen. Mittel sollte die Beschränkung des Verfahrens durch Einrichtung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der OLG anstelle der LG sein.

o. Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) vom August 2008 Sowohl das Aktien- wie das Kapitalmarktrecht und sogar, was hier aber nicht 107 auszuführen ist, das Recht der Sicherungsgrundschuld nach dem BGB betrifft das Risikobegrenzungsgesetz, welches am 12.8.2008 verkündet worden ist156. Das Gesetz sieht Änderungen des WpHG, des WpÜG, der Wertpapierhandelsanzeige- und InsiderverzeichnisVO, des AktG und eben des BGB vor. Im hier interessierenden Teil wird die Transparenz bei der Beteiligung von Investoren an börsennotierten Aktiengesellschaften verstärkt. Aufgrund einer Änderung des WpHG (§ 27a nF) müssen bei Erreichen oder Überschreitung eines Stimmrechtsanteils von 10% die mit der Beteiligung verfolgten Ziele und die Herkunft der Mittel für diese Beteiligung der Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, mitgeteilt werden. Solange die Meldepflicht nicht erfüllt ist, hat der Meldepflichtige kein Stimmrecht (§ 28 WpHG)157. Weiter ist die Stimmrechtszurechnung für die Schwellen der Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff WpHG und für Übernahmeangebote (§ 30 WpÜG), insbesondere im Fall eines sog acting in concert (§§ 22 II WpHG, 30 II WpÜG), genauer gefasst worden.

_____ 154 155 156 157

U Rn 115. BR-Drucks 16/9020 vom 30.4.2008. Die Gesetzesinitiative ist bisher nicht weiter gegangen. BGBl I, 1666. Kritisch Möllers, NZG 2008, 166.

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Abgeschafft wurde die Bestimmung des § 25 I 3 WpHG, die die Zusammenrechnung von Finanzinstrumenten, die zum Erwerb von Aktien nur berechtigen, mit direkten Beteiligungen für die Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff WpHG grundsätzlich ausschloss. Die Bestimmung des § 25 WpHG über die Gleichstellung von Finanzinstrumenten mit meldepflichtigen Beteiligungen ist im Fall der Übernahme der Continental-AG durch die Schaeffler-Gruppe (unter dem Dach der Schaeffler KG INA) im Sommer 2008 relevant geworden. Der Fall hat für manche gezeigt, dass das WpHG aF, aber auch in der Fassung nach dem RisikobegrenzungsG, in der Einbeziehung von Finanzinstrumenten nicht weit genug ging bzw. geht. Schaeffler hatte hier, wirtschaftlich betrachtet, eine einflussreiche Position an der Continental-AG erlangt, ohne dass die Meldepflichten eingriffen. Auch nach dem RisikobegrenzungsG bleibt ein solches „Anschleichen“ möglich: Schaeffler hatte mit mehreren Banken (die sich jeweils mit ihrem Anteilserwerb unterhalb der gesetzlichen Mitteilungsschwellen hielten), ua mit der Investmentbank Merrill Lynch, Swap-Geschäfte im Gesamtvolumen von rund 28% aller ContinentalAktien vereinbart158. Die Einzelheiten hätten wie folgt lauten können159: Swapvereinbarung (sog Cash-Equity-Swap) auf den Kurs der Conti-Aktien derart, dass bei höherem Kurs zu Ende der Laufzeit die Bank verpflichtet wäre, die Differenz zum Einstandskurs an Schaeffler zu zahlen, bei niedrigerem Kurs dagegen umgekehrt Schaeffler die Differenz an die Bank. Die Bank hätte sich dann sinnvollerweise vorsorglich mit Conti-Aktien zum Einstandskurs versorgt, die sie im Fall der Verwirklichung des sie treffenden Risikos eines höheren Kurses zu diesem höheren Kurs hätte verkaufen können; nahe lag dann die Möglichkeit, sie Schaeffler anzudienen. Schaeffler wäre, wenn die Gruppe die Aktien erwerben wollte, durch die Differenzzahlungspflicht der Bank gesichert. Gegen ein Fallen des Kurses der von der Bank erworbenen Aktien in der Swap-Laufzeit wäre die Bank durch die Differenzzahlungspflicht von Schaeffler abgesichert. Auch in diesem Fall lag zu Ende der Swap-Laufzeit die Veräußerung der ja nur zu Sicherungszwecken erworbenen Aktien nahe, wieder an Schaeffler160. Die aus der schuldrechtlichen Absprache abzuleitende bloße Expektanz bedeutete aber kein, wenn auch nur ermessensmäßig auszuübendes, Erwerbsrecht iSv § 25 I 1 WpHG nach der Fassung des RisikobegrenzungsG 161. Inzwischen ist der Fall Historie. Es gilt jetzt das WpHG idF des 2. FiMaNoG (u Rn 691 a E)

_____ 158 Fehr/Jahn in FAZ vom 9.8.2008 Nr 185 S 13. 159 Fehr/Jahn aaO. Wie sie wirklich vereinbart waren, ist der Öffentlichkeit nicht kommuniziert worden. 160 S FAZ vom 23.8.2008 Nr 197 S 16: Schaeffler hat die Swap-Geschäfte mit Merrill Lynch gekündigt, die Bank wird jetzt 28 % Aktien an Conti verkaufen, die Schaeffler-KG hat gute Chancen, dass ihr die Aktien angeboten werden. 161 Sehr weitherzig schon das WpHG aF auslegend dagegen Uwe H Schneider/Brouwer, AG 2008, 557, bei mit Geldbuße sanktioniertem Tatbestand (§ 39 II Nr 2f WpHG) sehr zweifelhaft. Für die Erfassung des „Anschleichens“ schon durch das WpHG aF auch Schanz, DB 2008, 1899. Der Vorstoß mehrerer Konzerne, den Schutz vor Überrumpelung zu verbessern, ist von der Bundesregierung zurückhaltend aufgenommen worden (FAZ 29.8.2008 Nr 202 S 15).

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 65

Schließlich wird im RisikobegrenzungsG durch Änderung des § 67 AktG bestimmt, dass in der Satzung von Aktiengesellschaften geregelt werden kann, unter welchen Voraussetzungen die Eintragung von Namensaktien in das Aktienregister im eigenen Namen zulässig ist, auch wenn die Aktien einem anderen gehören. Folge der Verletzung der Satzungsbestimmung ist das Ruhen der Stimmrechte. Darüber hinaus kann mit derselben Verletzungsfolge die Gesellschaft von einem Eingetragenen die Mitteilung verlangen, ob die Aktien im eigenen Namen oder für wen sie gehalten werden.

p. MoMiG vom Oktober 2008 im Vergleich zum Vorschlag der EG-Kommission für ein Statut der Europäischen Privatgesellschaft (SPE); Hinweis auf die „Limited“ Nach dem tief greifenden Reformschritt, den das UMAG im Aktienrecht erbracht 108 hat, ist eine ebenfalls tief greifende Reform des Rechts der GmbH durchgeführt worden162. Die beiden Reformansätze sind: Modernisierung und dh Deregulierung des GmbH-Rechts, um im Wettbewerb der europäischen Rechtsformen konkurrenzfähiger zu sein163, und sodann Bekämpfung von Missbräuchen, die sich in der längeren letzten Zeit beim Umgang mit Gesellschaften mbH verbreitet hatten. Die mit dem MoMiG eingeführten Änderungen haben aber auch Folgewirkungen wieder im Aktienrecht. Die Bundesregierung hat deshalb in ihrer Presseerklärung vom 26.6.2008 das MoMiG als die umfassendste Reform seit Bestehen des GmbH-Gesetzes bezeichnet164. Da das MoMiG seine neuen Regeln, soweit die Sachgerechtigkeit dies gebot, zugleich für die AG angeordnet hat, ist das Gesetz ein umfassendes Reformgesetz im gesamten Recht der Kapitalgesellschaften geworden. Diese Reform könnte freilich, was die GmbH betrifft, ihrerseits bald erheblich an Bedeu- 109 tung verlieren, wenn der Europäische Gesetzgeber mit seinem Ansatz ernst macht, neben die Europäische Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE165) eine europäische Rechtsform für kleine und mittlere Unternehmen zu stellen durch Erlass einer Verordnung über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft (Societas

_____ 162 Wegen des Vorziehens der Bundestagswahlen auf den 18.9.2005 konnte nicht mehr umgesetzt werden der RegE zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH – MindestkapG – (Herabsetzung auf 10.000 €), BR-Drucks 619/05. Zum neuen GmbH-Recht Wedemann, WM 2008, 1381. 163 Mit der GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen hatte sich vor dem Inkrafttreten des MoMiG insbesondere Eidenmüller befasst, ZGR 2007, 168. 164 Homepage des BMJ. 165 Dazu u Rz 158 ff.

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Privata Europaea, SPE). Ein Vorschlag der Kommission für eine solche Verordnung liegt mit Dokument vom 25.6.2008 vor 166. Es ist der Vorschlag zu einer der deutschen GmbH entsprechenden europaeinheitlichen Gesellschaft „mit beschränkter Haftung“167 mit nicht öffentlich anbietbaren oder handelbaren Anteilen (Art 3 Nr 1 d mit Nr 2 des vorgeschlagenen Statuts). Er sollte vom 1. Juli 2010 an die Gründung einer SPE (oder die Umwandlung in eine solche etc) ermöglichen. Im Rahmen ihres im Oktober 2013 begonnenen REFITProgramms167a zur Vermeidung von Bürokratie hat die EU-Kommission nun zahlreiche Gesetzesvorhaben, u.a. auch das der SPE, im Rahmen einer am 21. Mai 2014 veröffentlichten Liste zurückgezogen. Dem war vorausgegangen, dass das EU-Parlament und der Rat bereits in 2011 keine Einigung über den Verordnungsvorschlag über das Statut einer Europäischen Privatgesellschaft hatten erzielen können. An die Stelle des Vorhabens einer SPEVO hat die Kommission jetzt den Vorschlag einer Richtlinie über die Societas Unius Personae (SUP) gesetzt (Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter)167b. Man könnte meinen, dass, wenn die Arbeit an der SPE einmal wieder aufgenommen werden sollte, der soeben durch das MoMiG gestählten Wettbewerbsfähigkeit der GmbH durch die neue Europäische Rechtsform Erhebliches von ihrer Wirksamkeit genommen werden wird. Allerdings spricht der Vergleich der deutschen GmbH nach der Reform durch das MoMiG mit dem von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine SPE gegen eine bedrohliche Konkurrenzsituation: Das MoMiG verfolgt insbesondere den Ansatz, Missbräuche zu bekämpfen. Von einem solchen ist in dem Vorschlag der Kommission nichts zu sehen. Wird aber die Normierung der europaeinheitlichen Rechtsform nicht auch in dieser Hinsicht ergänzt, so wird die Europa-GmbH notwendigerweise in Hinsicht auf viele Fragen ergänzend nach nationalem Recht behandelt werden müssen. Hinter VO und Satzung (die in die Satzung mindestens aufzunehmenden Punkte sind in einem Anhang I zusammengestellt) ist nämlich nach dem vorgeschlagenen Statut subsidiär anwendbar das nationale Recht des eingetragenen Sitzes über Privatgesellschaften mit beschränkter Haftung (bei uns insbesondere das GmbHG) – Art 4 Nr 1 des Vorschlags. Damit würde aber die Attraktivität der Rechtsform erheblich leiden. Man kann sich vorstellen, dass auch dahinter der Grund für die vorläufige Stilllegung des Vorhabens liegt. Im Folgenden werden dennoch den Neuerungen durch das MoMiG die entsprechenden Regelungen nach dem vorgeschlagenen Statut einer SPE gegenübergestellt.

111 Die beiden Anlässe für die Reform des deutschen Rechts durch das MoMiG

drücken sich in dem Namen des Gesetzes aus: „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“168.

_____ 166 KOM (2008) 396 endgültig. Dazu Teichmann/Hommelhoff, GmbHR 2008, 897; Siems/ Rosenhäger/Herzog, Der Konzern 2008, 393. 167 Kom-Vorschlag Nr 7 Kap 1. 167a REFIT ist ein Programm der Kommission zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung. 167b S u Rz 195. 168 v 26.10.2008, BGBl I S 2026.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 67

Der erste Ansatz (Modernisierung) lag in der Notwendigkeit einer Reaktion auf die Konkurrenz der Rechtsformen in den europäischen Mitgliedsländern. Nachdem der EuGH für im europäischen Ausland gegründete Gesellschaften, die sich – und sei es auch mit dem Hauptgewicht ihrer Tätigkeit oder sogar ausschließlich – im Inland betätigen, die Anerkennung durch die inländische Rechtsordnung durchgesetzt hat169, können Investoren, wenn sie in Deutschland tätig werden wollen, für ihre Unternehmung unter allen im Inland und in den anderen Mitgliedstaaten bereitstehenden Rechtsformen wählen. Der deutsche Gesetzgeber musste bestrebt sein, seine Rechtsform für die mittelständischen Unternehmen hinreichend attraktiv zu halten. Dazu schuf der Gesetzgeber des MoMiG insbesondere die Nebenform der GmbH in Gestalt der schon mit geringem Kapital (bei Einmanngesellschaften: 1 €) zu gründenden Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), § 5a GmbHG169a. Zugleich musste er Hindernisse des deutschen Rechts beseitigen, wenn umgekehrt deutsche Gründungen im Ausland tätig werden wollen. Zu diesem Ansatz des MoMiG war bisher ein Blick auf die Attraktivität derjenigen im europä- 112 ischen Ausland beheimateten Rechtsform zu werfen, die aufgrund der vom EuGH eröffneten Freiheit besonders häufig genutzt wurde, die Attraktivität der englischen „private limited company by shares“. Mit deren Attraktion könnte es freilich dann vorbei sein, wenn aufgrund des Brexit die EuGH-Judikatur für englische Gesellschaftsgründungen nicht mehr gilt169b. Die Charakteristika der „Limited“, für die das englische Gesellschaftsrecht (der 2006 reformierte Companies Act) maßgeblich ist, werden hier nicht beschrieben. Dazu sei auf die Spezialliteratur verwiesen170. Bemerkenswert sind die statistischen Zahlen: Für 2002–2006 werden gegenüber etwa 230.000 Neugründungen in der Rechtsform der GmbH ca 46.000 Zweigniederlassungen von Limiteds in Deutschland gezählt171. Auf der Hand liegen Bedenken gegen ein Engagement für eine gewerbliche Betätigung in Deutschland in der Form der Limited. Zunächst hat die Einfachheit der Gründungserfordernisse die Kehrseite, dass der Betätigung in Limiteds nicht das größte Vertrauen entgegengebracht wird172. Mit einem

_____ 169 Zuletzt „Inspire Art“ Urt vom 30.9.2003, EuGH Rs C-167/01 Slg 2003, I-10155 = ZIP 2003, 1885. Mit Recht spricht man von Schein-Auslandsgesellschaften (krit Seibert, ZIP 2006, 1158 Fn 14): Realität (nur Schein einer Gesellschaft im Ausland) und rechtliche Anerkennung gehen hier auseinander. 169a Zur Bewährung im Konkurrenzkampf mit ausländischen Gesellschaftsformen Niemeier, FS Günther H. Roth 2011, 533. 169b Vorbei sein mit möglicher Weise bedrohlichen Haftungsfolgen für die Gesellschafter, s die Diskussion bei Nazari-Khanachayi, WM 2017, 2370. 170 Insbesondere Clemens Just, Die englische Limited in der Praxis: einschließlich Ltd & Co KG, 3. Aufl München 2008; sodann Daniel F. Fritz/Ottmar Hermann, Die Pivate Limited Company in Deutschland, Münster 2008. 171 Westhoff, GmbHR 2007, 474. 172 Dazu die interessanten Befragungsergebnisse von Bayer/Hoffmann, GmbHR 2007, 414.

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kurzen Blick in Gründungserfordernisse und Organisation einer Limited nach englischem Recht ist es darüber hinaus nicht getan. Das Gesellschaftsrecht steht in Zusammenhang und Nachbarschaft zum weiteren Privatrecht, insbesondere zum Insolvenzrecht. Es ist ein großer Vorzug der heimischen Rechtsform, dass sie sich in dem vertrauten Recht des eigenen Staates bewegt. Die Warnungen vor einer leichtfertigen Wahl der Limited nehmen mit Recht zu173. 113 Der zweite Reformansatz des MoMiG lag in der Bekämpfung von Missbräuchen

der GmbH, die mit dem Stichwort Firmenbestattung gekennzeichnet wurden: Von dahinsiechenden Gesellschaften wird zum Nachteil der Gläubiger das letzte Vermögen abgezogen, die Gesellschaften bleiben als leere Hülle übrig, ohne dass sich die hinters Licht geführten Gläubiger an irgendwelche verantwortlichen Personen halten können174. Erster Ansatz: Modernisierung: 114 In zahlreichen Richtungen ist das GmbH-Recht und, soweit konsequent, zugleich das Aktienrecht, dereguliert worden: Künftig können Kapitalgesellschaften auch vom deutschen Recht aus für 115 die Betätigung im Ausland gegründet werden Für das Verhältnis von Satzungs- und Verwaltungssitz werden keine Vorschriften mehr gemacht175. 116

Was die SPE betrifft, soll diese ihren eingetragenen Sitz und die Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten haben. Die beiden Orte in zwei Mitgliedstaaten zu haben und die Verlegung vom einen in einen anderen Mitgliedstaat sollen zulässig sein (Art 7 I, II des vorgeschlagenen Statuts und Art 36 ff über das Verlegungsverfahren).

_____ 173 Die Reaktion unseres Gesetzgebers auf die Limited hält angesichts von deren Entwicklung und Gefährlichkeit für überzogen Niemeier, ZIP 2007, 1794. Weiter „For Whom the Bell Tolls – Folgen einer Nichtbeachtung englischer Publizitätsgebote durch in Deutschland aktive Limited Companies“ von Zimmer/Naendrup, ZGR 2007, 789. Diskussion der Deregulierung der deutschen GmbH bei Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189; Happ, ZHR 169 (2005), 6 ff. Zur schon existierenden französischen Ein-Euro-S.A.R.L. (société à responsabilité limitée) Becker, GmbHR 2003, 706; Recq/Hoffmann, GmbHR 2004, 1070. Die spanische „Blitz“-GmbH (SLNE – Sociedad Limitada Nueva Empresa) stellt Fröhlingsdorf, RIW 2003, 584 vor. Zur Gesamtentwicklung des „GmbH“-Rechts im internationalen Rahmen ferner Lutter, GmbHR 2005, 1; Eidenmüller Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht 2004. 174 Zum Missbrauch des Insolvenzverfahrens zum Zweck der Firmenbestattung AG Duisburg NZG 2007, 439. Die Reformschritte der Deregulierung (für die Gesellschafter) und der Missbrauchsbekämpfung (mit Haftungsverschärfung für die Geschäftsführer) stellt in einen kritischen Zusammenhang K. Schmidt, GmbHR 2008, 449. 175 Zur Auswirkung des MoMiG auf das internationale Gesellschaftsrecht Kindler, AG 2007, 721. Zum vorherigen Rechtszustand, der die grundsätzliche Identität von Satzungs- und Verwaltungssitz vorsah und deshalb bei nachträglichem Auseinanderfallen einen Auflösungsgrund nach § 144a IV 2. Var FGG a.F. begründete, BGH DB 2008, 1906.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 69

Die Anmeldevoraussetzung nach dem bisherigen deutschen Recht, dass eine 117 etwa erforderliche behördliche Genehmigung des Geschäftsbetriebs schon für die Anmeldung vorliegen muss (§§ 8 I Nr 6 GmbHG, 37 IV Nr 5 AktG aF), hat das MoMiG aufgehoben. Entsprechend ist § 13e II 2 HGB geändert worden. Das nach altem Recht für die Gründung einer GmbH geltende Formerfor- 118 dernis der notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrags (§ 2 I GmbHG) ist erheblich erleichtert worden. Bei Gründung unter Beteiligung von höchstens drei Gesellschaftern können die Gründer, sofern sie Bareinlagen vereinbaren und schon einen Geschäftsführer stellen können, eine unkomplizierte Standardgründung aufgrund eines zu beurkundenden Musterprotokolls (Anlage 1a zu Art 1 Nr 50 MoMiG zur Gründung einer Einmann-GmbH, 1b zur Gründung von höchstens drei Gesellschaftern) wählen. Zur Kostenbegünstigung bei Verwendung des Musterprotokolls ist ein neuer § 41d in die KostO eingefügt worden. Die vorgeschlagene SPE-VO soll über die Gründung einer SPE nur wenige Anforderungen 119 vorgeben: Die Gründungssatzung bedarf nach dem Vorschlag der Schriftlichkeit und Unterzeichnung aller Gründungsgesellschafter (Art 8 Nr 2 des vorgeschlagenen Statuts). Schriftform soll auch für Änderungen gelten; wer hier unterzeichnen muss, ist im Vorschlag nicht bezeichnet (Art 8 Nr 3). Die Anmeldung zur Eintragung der SPE soll elektronisch erfolgen können (Art 10 Nr 1; so auch bei uns gemäß § 12 HGB). Art 10 enthält weiter eine erschöpfende Liste von Dokumenten und Angaben, die die Mitgliedstaaten für die Eintragung sollen fordern können.

Zum Kapital der GmbH ist der auch noch im RegE MoMiG verfolgte Ansatz, das 120 Mindeststammkapital von bisher 25.000 € auf 10.000 € herabzusetzen, im Rechtsausschuss des Bundestages aufgegeben worden. Der Betrag bleibt bei 25.000 € (§ 5 I GmbHG, bei der AG 50.000 €, § 7 AktG). Die Herabsetzung ist im Hinblick auf die neu geschaffene Möglichkeit un- 121 terblieben, dass auch eine sog „Unternehmergesellschaft“ gegründet werden kann, für die das Erfordernis eines Mindeststammkapitals überhaupt nicht besteht (§ 5a GmbHG)176. Das Mindeststammkapital für die gewöhnliche GmbH kann unterschritten werden, Sacheinlagen sind aber ausgeschlossen, und das Kapital muss vor der Anmeldung voll aufgebracht werden (§ 5a II 1, 2 GmbHG). Die Unternehmergesellschaft muss mit der Rechtsformbezeichnung Unterneh-

_____ 176 Initiiert worden ist die im Referentenentwurf zum MoMiG noch nicht vorgesehene UG durch den Arbeitsentwurf eines Unternehmergesellschaftsgesetzes (UGG), welchen der CDUMdB Gehb nach Vorarbeiten zusammen mit Vertretern der Rechtswissenschaft erarbeitet hat. Zum Vorschlag einer UG im RegE Joost, ZIP 2007, 2242; Wilhelm, DB 2007, 1510; Veil, GmbHR 2007, 1080.

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mergesellschaft (haftungsbeschränkt) oder UG (haftungsbeschränkt) firmieren (§ 5a I GmbHG). Grundlage auch der Unternehmergesellschaft bleibt freilich das Stammkapital, dieses allerdings in beliebiger Höhe, sofern nur die Bestimmungen über die Geschäftsanteile eingehalten werden. Die Unternehmergesellschaft wird sodann an das Mindeststammkapital von 25.000 € herangeführt: Aus den Jahresüberschüssen der Gesellschaft sind Rücklagen zu bilden, aus denen das Stammkapital von 25.000 € aufgebaut werden soll (§ 5a III GmbHG). Erreicht oder überschreitet die Gesellschaft durch Kapitalerhöhung das Mindestkapital von 25.000 €, so gelten die Sonderbestimmungen über die UG (haftungsbeschränkt) nicht mehr, ohne dass die Firma geändert werden müsste (§ 5a V GmbHG nF)177. Für die Geschäftsanteile der Gesellschafter der GmbH einschließlich der 122 UG geht das MoMiG von den bisherigen Bestimmungen der Mindesteinlagepflicht in Höhe von 100 € und der Beschränkung jedes Gesellschafters auf die Übernahme eines Anteils (§ 5 I, II GmbHG aF) ab. Es sind nur noch die Maßgaben übrig geblieben, dass die Geschäftsanteile auf volle Euro lauten (§ 5 II 1 GmbHG) und zusammen bei der Gründung (§ 5 III 2 GmbHG) und bei der Kapitalerhöhung (§ 55 IV) das Stammkapital ausmachen müssen. Daraus errechnet sich bei der Einmanngründung einer UG ein Mindeststammkapital von 1 €. 123

Der Vorschlag einer SPE-VO sieht generell nur ein Mindestkapital von 1 € vor (Art 19 Nr 4). Das Kapital ist in den Anmeldungsformalitäten, die die Mitgliedstaaten für einen Eintragungsantrag verlangen können, aufzuführen (Art 10 Nr 2 c). Die Anteile sollen frei gestaltbar sein, auch Vorzugsanteile soll es geben können (Art 14 Nr 2).

124 § 17 GmbHG aF über die Zustimmungsbedürftigkeit der Veräußerung oder

Vererbung von Teilen eines Geschäftsanteils und damit inzidenter über die Teilung von Geschäftsanteilen ist gestrichen. Stattdessen wollte der RegE es bei § 46 Nr 4 GmbHG belassen, der eigentlich nur die Zuständigkeit der Gesellschafter, über die Teilung zu beschließen, regelt177a. An die Aufnahme der Gesellschafter und ihrer Anteile in die sog Gesellschafterliste (§§ 8 I Nr 3, 40 GmbHG) knüpft eine grundlegende Neuerung an: § 16 III GmbHG ermöglicht den Erwerb

_____ 177 Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme (BR-Drucks 354/07, S 7 f) aufgegeben, weitere Gläubigersicherungen in Hinsicht auf die Beseitigung des Mindestkapitalerfordernisses zu prüfen. Mehr als allgemeine Anregungen (zB Haftung der Gesellschafter wegen materieller Unterkapitalisierung) hatte er aber nicht gegeben. 177a Dazu und zu den Widersprüchlichkeiten der Regelung Roth/Altmeppen/Roth § 46 Rn 16 ff.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 71

von GmbH-Anteilen vom Nichtberechtigten178. Nicht umfasst diese Möglichkeit den gutgläubig lastenfreien Erwerb eines Geschäftsanteils, an dem Pfandrecht oder Nießbrauch bestellt sind. In die Gesellschafterliste werden auch nur die Gesellschafter, nicht aber Pfandgläubiger oder Nießbraucher am Geschäftsanteil eingetragen. Folglich ergibt sich auch nicht aus der Nichteintragung solcher Rechte die Vermutung, dass sie nicht bestehen. Auch der Vorschlag für eine SPE-VO sieht die Registrierung der Anteile in einer Liste der 125 Anteilseigner vor, allerdings nicht in den Formalitäten für die Anmeldung (Art 10 Nr 2), sondern als vom Leitungsorgan zu erstellende und aufzubewahrende Aufstellung (Art 15 Nr 1, 3). Die Übertragung der Anteile soll im Gegensatz zur notariellen Form gemäß § 15 III, IV GmbHG nur der Schriftform bedürfen (Art 16 Nr 2). Zur Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs verweist Art 16 Nr 5 S 2 des Vorschlags auf das nationale Recht.

Erhebliche Erleichterungen hat das MoMiG zu den Problemen der Sacheinla- 126 gen und der Verbote des Hin- und Herzahlens und der Aufrechnung erbracht179. Für die AG hat das MoMiG die Erleichterungen (noch) nicht übernommen, weil die einschlägigen Fragen in die Arbeiten zur Umsetzung der Richtlinie zur Änderung der zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie einbezogen werden180. Sind bei der GmbH Sacheinlagen im Gesellschaftsvertrag festgelegt (§ 5 IV GmbHG, bei Kapitalerhöhungen § 56 GmbHG, bei der UG unzulässig, § 5a II 2 GmbHG), so ist die Eintragung der Gesellschaft oder der Kapitalerhöhung bei Überbewertung nur noch abzulehnen, wenn die Überbewertung „nicht unwesentlich“ ist (§§ 9c I, 57a GmbHG). Die von der Rechtsprechung entwickelte Figur der sog verdeckten Sacheinlage wird definiert und in den Rechtsfolgen erleichtert. Die Definition lautet (§ 19 IV 1 GmbHG): „Ist eine Geldeinlage eines Gesellschafters bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der bei Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten (verdeckte Sacheinlage)…“ Entgegen der bisherigen

_____

178 Dazu Roth/Altmeppen/Altmeppen § 16 Rn 67 ff; Nicola Preuss, ZGR 2008, 676; Wilhelm, FS Picker, 2010, S 837 ff. Keine Löschung der Liste wegen Unrichtigkeit vorgesehen, sondern der Widerspruch nach § 16 III 3 GmbHG, KG WM 2016, 1741. Zur neuen Vorschrift ie u Rn 233 ff. 179 Zur Regelung der verdeckten Sacheinlage im RegE MoMiG Büchel, GmbHR 2007, 1065. Zur Reform im Hinblick auf Kapitalaufbringung, -erhaltung und Haftung in der Krise insgesamt K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072. 180 Begründung des RegE MoMiG zu Art 5 (Änderung des Aktiengesetzes), S 118. Die Arbeit an der gesellschaftsrechtlichen Richtlinie ist weitergegangen. Jetzt liegt vor das BRRD-Umsetzungsgesetz vom 10.12.2014, welches auch die Änderung der 2. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie durch die Richtlinie 2012/30/EU umsetzt.

72 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

Rechtsprechung wird die Bareinlageschuld trotz solcher Abreden zwar nicht erfüllt (§ 19 IV 1 GmbHG). Die Verträge sind aber nicht unwirksam, vielmehr wird der verdeckt eingebrachte Gegenstand unter einigen Maßgaben angerechnet (§ 19 IV 2–5 GmbHG): Für die Bewertung ist der Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister oder, falls diese später liegt, derjenige der Überlassung an die Gesellschaft maßgeblich. Die Anrechnung erfolgt nicht vor Eintragung. Den Gesellschafter trifft die Beweislast dafür, welchen Wert der Gegenstand zum maßgeblichen Zeitpunkt hatte. § 19 IV wird für die Kapitalerhöhung in Bezug genommen (§ 56 II GmbHG). Entsprechend hat das MoMiG in §§ 19 V, 56a GmbHG das von der Rechtsprechung entwickelte Verbot des Hin- und Herzahlens von Einlagebeträgen an die Gesellschaft einerseits und von Leistungen der Gesellschaft an den Gesellschafter andererseits aufgenommen und geglättet. Die Leistung der Gesellschaft steht der Erfüllung der Einlageschuld nicht entgegen, wenn sie durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gedeckt ist181. Schließlich wird das Aufrechnungsverbot des § 19 II 2 GmbHG durch die Zulässigkeit der Aufrechnung in dem Fall eingeschränkt, dass für die Anrechnung der zur Aufrechnung gestellten Forderung § 5 IV 1 GmbHG (Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag) eingehalten wird. 127

Der Vorschlag einer SPE-VO überlässt das „Entgelt für die Anteile“ der Satzung (Art 20 Nr 1) und auch die Frage, ob eine Bewertung einer Sacheinlage durch einen Sachverständigen zu erfolgen hat (Erläuterung des Vorschlags Kap IV). Der Vorschlag überlässt sodann die Ausgestaltung der Haftung der Anteilseigner für ihr Entgelt den nationalen Rechtsvorschriften (Art 20 Nr 3). Damit könnten alle Sicherungsvorschriften unseres GmbH-Rechts doch wieder hereinkommen.

128 Ein weiterer wichtiger Deregulierungsschritt unseres MoMiG ist zum Recht der

Kapitalerhaltung vollzogen worden, jetzt wieder sowohl zum GmbH- als auch zum Aktienrecht. Die Änderung gilt der Problematik der Gesellschafterdarlehen. Gesellschafterdarlehen sind problematisch, weil die Gesellschafter damit

_____

181 Man beachte die Divergenz der Rechtsfolgen: im Fall des Hin- und Herzahlens gänzliche Nichterfüllung, wenn der Rückgewähranspruch nicht vollwertig ist; im Fall der verdeckten Sacheinlage Anrechnung der Einlageleistung, soweit der Darlehensanspruch des Gesellschafters werthaltig ist. Da sich die Entwurfsverfasser ausdrücklich auf die Cash-pooling-Systeme beziehen – s sogleich Rn 129 –, ergibt sich Folgendes: Steht nach gegenwärtigem Stand im Pooling-System die darlehnsnehmende Gesellschaft im Minus, gilt die Anrechnung jedenfalls, soweit werthaltig; kommt sie dagegen aufgrund der Einbringung ins Plus, gilt Erfüllung nur, sofern werthaltig. Der Bundesrat hatte zutreffend vorgeschlagen, die Rechtsfolgen anzugleichen, also auch im Fall des Hin- und Herzahlens entsprechend der Regelung bei der verdeckten Sacheinlage zu sagen: „soweit sie gedeckt ist“, BR-Drucks 354/07 Nr 13, S 13 f.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 73

als Gesellschaftsgläubiger auftreten wollen, obwohl für sie möglicherweise nach der Lage der Gesellschaft nur eine einzige Alternative bestanden hätte, nämlich entweder das Eigenkapital der Gesellschaft aufzustocken, damit diese wieder handlungsfähig werden kann, oder aber die Gesellschaft zu liquidieren. Die Rechtsprechung hatte – unter Berufung auf das allgemeine Verbot der Stammkapitalauszahlung (§§ 30 I, 31 GmbHG), dem entspricht das Verbot des § 57 AktG – in komplizierten Ansätzen daran gearbeitet, die Beeinträchtigung anderer Gläubiger durch Gesellschafterdarlehen in Schranken zu setzen. Daneben hatte auch noch der Gesetzgeber, dieser in der InsO, im AnfG und für die Kapitalgesellschaft & Co im HGB, Regeln über Gesellschafterdarlehen geschaffen. Nach dem MoMiG gibt es kein Nebeneinander von Rechtsprechungs- und Gesetzesregeln mehr. Der Rechtsprechung ist die Grundlage entzogen, sodass nur noch die speziell geregelten gesetzlichen Schranken übrig bleiben. Nach §§ 30 I 3 GmbHG, 57 I 3 AktG nF ist das Verbot der Stammkapitalauszahlung bzw von anderen Auszahlungen als der Gewinnausschüttung auf die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen nicht mehr anwendbar. Sodann ist die gesetzliche Regelung vereinfacht und zusammengezogen worden. Die Regeln der InsO und des AnfG gelten jetzt für alle Kapitalgesellschaften und alle Kapitalgesellschaften & Co. Weiter hat der Gesetzgeber das bisherige Kriterium aufgegeben, dass nur „eigenkapitalersetzende“ Darlehen erfasst werden. Nach § 39 Abs 1 Nr 5 iVm Abs 4 und Abs 5 InsO nF sind grundsätzlich – Sanierungsdarlehen und Darlehen mit höchstens 10% beteiligter Gesellschafter ausgenommen – alle Darlehensrückzahlungsforderungen im Insolvenzverfahren nachrangig – allerdings mit einer am Ende des Gesetzgebungsverfahrens noch hereingebrachten Inkonsequenz im Überschuldungstatbestand des § 19 II 2 InsO nF (Voraussetzung einer Rangrücktrittsvereinbarung für die Nichtberücksichtigung). § 44a InsO verweist einen Gesellschaftsgläubiger, dem ein Gesellschafter für seine Forderung Sicherheit gewährt hat, primär auf die Befriedigung aus dieser Sicherheit. Leistungen der Gesellschaft zur Sicherung eines Gesellschafterdarlehens sind nach § 135 I Nr 1 InsO, Handlungen zur Befriedigung wegen eines solchen Darlehens sind nach § 135 I Nr 2 InsO und die Befriedigung eines Dritten, den ein Gesellschafter gesichert hatte, ist nach §§ 135 II, 143 III InsO anfechtbar. Im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung entsprechen die §§ 6, 6a, 11 III AnfG den insolvenzrechtlichen Bestimmungen der §§ 135 I, II, 143 III InsO. Einem Darlehen wirtschaftlich entsprechende Handlungen werden ebenfalls dem Nachrang unterworfen. Schließlich haben Gesellschafter – wieder mit den Ausnahmen der Sanierungs- und der Kleinbeteiligung – Gegenstände, die sie der Gesellschaft zur Nutzung überlassen haben, in der Insolvenz der Gesellschaft noch für ein Jahr

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von der Insolvenzeröffnung an, allerdings gegen Entgelt, zu belassen (§ 135 III InsO182). Auch in der Gegenrichtung von Darlehen der Gesellschaft an die Gesell129 schafter erleichtert das MoMiG die Praxis. Nach §§ 30 I 2 GmbHG, 57 I 2 AktG nF gelten die Verbote der Normen nicht, wenn der Anspruch der Gesellschaft gegen den Empfänger-Gesellschafter auf Gegenleistung oder Rückzahlung vollwertig ist. Das Gesetz hat hier insbesondere die sog Cash-Pooling-Systeme im Auge, in deren Rahmen konzernangehörige Gesellschaften bei ihnen angesammelte Liquidität anderen Konzernbeteiligten zur Sicherung der Gesamtliquidität des Konzerns zur Verfügung stellen. 130

Der Vorschlag zu einer SPE-VO verfolgt einen vollständig anderen Ansatz im Vergleich zu unserem Kapitalerhaltungsrecht: Ausschüttungen aus dem SPE-Vermögen an die Gesellschafter dürfen nur nicht bewirken, dass die SPE dem „Bilanztest“ nicht genügt, dh dass nach der Ausschüttung die Vermögenswerte nicht mehr die Schulden decken (Art 21 Nr 21, zum Schlagwort Bilanztest s die Erläuterungen Kap IV). Die Begriffe von Vermögenswerten und Schulden werden im Vorschlag einer VO nicht definiert. Vielmehr wird in den Erläuterungen Kapitel IV auf die Rechnungslegungsvorschriften der EG verwiesen. Art 25 1 des Vorschlags verweist auf die Vorschriften des nationalen Rechts. Neben dem Bilanztest soll die Satzung einen sog Solvenztest vorschreiben können (Art 21 Nr 2). Der Bilanztest und, wenn vorgeschrieben, auch der Solvenztest sollen über die Zulässigkeit des derivativen Erwerbs eigener Anteile entscheiden (Art 23 Nr 2). Auf diese Tests kann dann auch für die Kapitalherabsetzung verwiesen werden (Art 24 Nr 1).

131 Als letzter Schritt auf dem Wege der Deregulierung durch das deutsche MoMiG

sind die Kapitalgestaltungsmöglichkeiten bei der deutschen GmbH erweitert worden. Das Institut des genehmigten Kapitals, welches bisher nur im Aktienrecht galt (§§ 202 ff AktG), ist jetzt auch für die GmbH vorgesehen (§ 55a GmbHG). Zweiter Ansatz: Bekämpfung von Missbräuchen: 132 Wir beginnen mit einem nicht realisierten Reformvorschlag: Die vom Bundesrat vorgeschlagene Intransparenzhaftung183 ist nicht eingeführt worden. Danach sollte der Geschäftsführer haften, wenn die Rechnungslegung für die Gesellschaft mit der Folge unzureichend geführt wird, dass der Vermögensstand der Gesellschaft, insbesondere Vermögensvermischungen mit den Gesellschaftern, verschleiert wird. Die Haftung sollte ergänzend die Gesellschafter treffen. Der erste hier zu nennende verwirklichte Komplex ist die Herausnahme der 133 Vorschriften über die Insolvenzantragspflicht der Handlungsorgane, dh über ihre Pflicht, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Die bisherigen §§ 64 I

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182 Zur Auslegung und zu Auslegungsschwierigkeiten K. Schmidt, DB 2008, 1727. 183 BR-Drucks 354/07, S 18 f.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 75

GmbHG, 92 II AktG, 130a, b, 177a HGB aF sind in die InsO verschoben worden. Dies ist systematisch folgerichtig: Die Antragspflicht ist nämlich auf die Mitglieder der Vertretungsorgane und die Abwickler aller juristischen Personen und Personengesellschaften, an denen keine natürliche Person als persönlich haftende Gesellschafterin beteiligt ist, ausgeweitet worden (§§ 15a I 1, II InsO184). Damit sollen auch ausländische juristische Personen, insbesondere die englische private limited company, wenn sie den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in der Bundesrepublik haben, erfasst werden (§§ 3, 335 InsO, Art 3 I EuInsVO). Für die GmbH und die AG wird zugleich der von der Insolvenzantragspflicht betroffene Personenkreis ausgeweitet: Bei Fehlen von Geschäftsführern oder Vorständen (sog Führungslosigkeit der Gesellschaft, Definition in §§ 78 I 2 AktG, 35 I 2 GmbHG) sind bei der GmbH die Gesellschafter, bei der AG die Aufsichtsratsmitglieder in die Pflicht zur Antragstellung mit einbezogen, vorbehaltlich ihrer Unkenntnis (§ 15a III InsO)185. Die Einbeziehung der Gesellschafter der GmbH, der Aufsichtsratsmitglieder der AG bei Führungslosigkeit der Gesellschaft in die Insolvenzantragspflicht gehört zum Thema der Bekämpfung des Bestattungsmissbrauchs. Ein weiteres Instrument gegen den Bestattungsmissbrauch ist die Sicherung 134 einer zustellungsfähigen Adresse der Gesellschaft: § 8 IV 1 GmbHG nF (mit Übergangsvorschrift in § 3 I EGGmbHG) verlangt die Angabe einer inländischen Geschäftsanschrift bei Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister und in der Eintragung selbst (ebenso § 37 III Nr 1 AktG; entsprechende Änderung in §§ 13 ff und weiteren Anmeldevorschriften des HGB 186 und in der HandelsregisterVO)186a. Nach §§ 35 I 2 GmbHG, 78 AktG können bei Führungslosigkeit der Gesellschaft Erklärungen zugehen und Schriftstücke zugestellt werden bei der AG an Mitglieder des Aufsichtsrats187, bei der GmbH an die Gesellschafter.

_____ 184 § 11 S 2 EWiV-Ausführungsgesetz stellt den Personenkreis iSv § 15a InsO bei der EWiV klar. 185 Ausnahme i e: Keine Kenntnis von den Insolvenzgründen oder von der Führungslosigkeit. Weitergehend der Bundesrat: Der Mangel der Kenntnis soll nicht entlasten, wenn grobes Verschulden zugrunde liegt (BR-Drucks 354/07 Nr 29, S 26). 186 Insbesondere für Zweigstellen von Auslandsgesellschaften (§ 13e HGB nF). 186a Die Neufassung des HGB begründet die Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung, wenn eine empfangsberechtigte Person nicht erreichbar ist (§ 15a HGB nF). Dementsprechend ist § 185 ZPO ergänzt (Nr 2). Zur Vermeidung sofortiger öffentlicher Zustellung kann die Satzung der GmbH zusätzlich die Adresse von empfangsberechtigten Personen als Zustelladresse aufnehmen, die dann auch in das Handelsregister einzutragen sind (§ 10 II S 2 GmbHG). 187 Nach § 41 I 2 SE-AusführungsG nF gilt dies bei Führungslosigkeit einer SE mit monistischem System für den Verwaltungsrat der SE.

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Schließlich ist noch ein besonderer Ausplünderungsschutz eingerichtet (§§ 64 S 3 GmbHG, § 92 II 3 AktG188): Sowohl im GmbHG als auch im Aktienrecht ist die sog Insolvenzverschleppungshaftung der Verwaltung (Geschäftsführer bzw Vorstand) erweitert worden. Griff sie bisher nur für den Fall ein, dass noch nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft Zahlungen geleistet werden, so gilt sie jetzt auch für den Fall, dass Zahlungen an Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt haben189. Den neuen Bestimmungen hat der Gesetzgeber insbesondere folgende Be136 deutung zugedacht: Nach seiner Auffassung weisen sie einen starken „insolvenzrechtlichen Bezug“ auf und „erleichtern“ damit, dass sie als insolvenzrechtliche Norm qualifiziert und nach europäischem Insolvenzrecht (Art 3 I, 4 I, II 1 EuInsVO) auch auf in Deutschland tätige Auslandsgesellschaften angewandt werden190. Europarechtlich genügt aber schon die Qualifizierung der schädigenden Handlung als unerlaubte Handlung, wie dies das OLG Stuttgart und das LG Kiel für die Nachteilszufügung im faktischen Konzern (§ 317 I 1, 2 AktG) angenommen haben mit der Konsequenz, dass damit nach Art 5 Nr 3 EuGGVO die Zuständigkeit des Gerichts am Orte der (Teilakte der) unerlaubten Handlung, wahlweise am Sitz der Gesellschaft, bei der der Schadenserfolg eingetreten ist, begründet ist191. 135

q. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der VW-Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand (VW-Gesetz neuer Fassung) vom Dezember 2008 137 Mit dem Gesetz vom 8. Dezember 2008192 versucht die Bundesregierung, einerseits dem Urteil des EuGH nachzukommen, das bestimmte Vorrechte der Bundesrepublik und des Landes Niedersachsen in der (jetzt) VW-AG nach dem VW-Gesetz als europarechtswidrig beanstandet hat, und andererseits wesentliche Sicherungen des Standortes Niedersachsen, die im Gesetz stehen, aufrechtzuerhalten192a.

_____ 188 Ebenso die Änderungen in § 130a HGB, der insbesondere für die GmbH & Co OHG gilt (auf die Vorschrift bezieht sich § 177a HGB für die GmbH & Co KG). 189 Zu Kausalität und Verschulden nach der Neuregelung Böcker/Poertzgen, WM 2007, 1203. 190 RegE S 107 f. 191 OLG Stuttgart ZIP 2007, 1210; LG Kiel NZG 2008, 346. 192 BGBl 2008 Teil I Nr 56, 2364. 192a Zu den Bestimmungen des VW-Gesetzes und dem europarechtlichen Rechtsstreit u Rn 961.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 77

r. Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) vom Mai 2009 Die Bilanzrechtsreform ist weitergegangen. Entscheidender Schritt war das Bi- 138 lanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) von 2009193. Ziel waren insbesondere eine Deregulierung für Einzelkaufleute mit kleinen Umsätzen oder Erträgen sowie die Anhebung der Schwellenwerte für die Größenklassen der Kapitalgesellschaften (§ 267 HGB) und die Einführung von Sondervorschriften für „kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften“ (definiert in § 264d HGB). Nach § 289a HGB haben börsennotierte und auf anderen organisierten Märkten tätige Aktiengesellschaften eine Erklärung zur Unternehmensführung in ihren Lagebericht aufzunehmen. Diese muss die ohnehin zu veröffentlichende Entsprechenserklärung (s § 161 AktG) und relevante Angaben zu Unternehmenspraktiken sowie eine Beschreibung der Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat sowie von deren Ausschüssen enthalten. Weiter muss der Aufsichtsrat eines kapitalmarktorientierten Unternehmens künftig ein Mitglied aufweisen, das über Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen muss (§ 100 V AktG).

s. VorstAG vom Juli 2009 Am 31 Juli 2009 ist das Gesetz zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen 139 (VorstAG) erlassen worden193a. Dieses hat insbesondere die neue Vorschrift des § 87 II AktG eingefügt. Danach soll der Aufsichtsrat, hilfsweise das Gericht, die Vorstandsbezüge auf angemessene Höhe herabsetzen, wenn sich die Lage der Gesellschaft so verschlechtert, dass die Beibehaltung der Bezüge für die Gesellschaft unbillig wäre.

t. Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz (MicroBilG) Das MicroBilG vom 20.12.2012193b hat für Kleinstkapitalgesellschaften (Defi- 140 nition in § 264a HGB) Erleichterungerungen in der Rechnungslegung erbracht.

_____ 193 Vom 25.5.2009 (BGBl. I Nr 27, 1102). Zum RegE Luttermann, ZIP 2008, 1605; Ernst/Seidler, ZGR 2008, 631; Burwitz, NZG 2008, 694. 193a BGBl. I 2009 S 2509 ff. 193b BGBl I, 2751.

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u. Frauenquote nach dem Gesetz von 2014 141 Am 9.5.2007 haben Abgeordnete der Grünen eine Gesetzesinitiative mit dem

Schlagwort „Frauen in den Aufsichtsrat“ eingebracht194. In Anlehnung an Norwegen haben die Abgeordneten angeregt, eine gesetzliche Quote von 40% Frauen in den Aufsichtsräten börsennotierter Kapitalgesellschaften anzuordnen. Inzwischen ist das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vom 24. April 2014 in Kraft getreten195. Eine gelungene, insbesondere übersichtliche Regelung ist nicht herausgekommen. Bei börsennotierten und bei der Mitbestimmung nach Montanrecht oder dem MitbestG unterliegenden Aktiengesellschaften (Abs. 3 bringt eine Sondervorschrift für Verschmelzungsfälle) besteht der Aufsichtsrat zu mindestens 30% aus Frauen (§ 96 II 1 AktG mit Details in S 2– 5). Nach § 96 II 6 AktG ist eine Wahl oder Entsendung bei Abweichung von den gesetzlichen Bestimmungen nichtig. Die Tragweite ist nicht leicht festzustellen. Gemeint ist wohl nicht die Nichtigkeit der gesamten Wahl des Aufsichtsrats, sondern nur derjenigen Einzelwahl, die abweicht. Die Folge ist ein leerer Stuhl wegen Nichtbesetzung. Wie die Quote zu erreichen ist, findet sich in § 25 II EG AktG, der die Berücksichtigung bei Neuwahlen entwickelt. Nach der weiteren Vorschrift des § 111 V 1 AktG legt der Aufsichtsrat bei börsennotierten oder der Mitbestimmung unterliegenden Aktiengesellschaften (hier also einschließlich der Mitbestimmung nach DrittelbeteiligungsG) für sich selbst und für den Vorstand Zielgrößen für den Frauenanteil fest (§ 111 V 1 AktG). Gilt für den Aufsichtsrat schon die Quote von 30% nach § 96 II AktG, bestimmt der Aufsichtsrat die Quote nur noch für den Vorstand (§ 111 V 5 AktG). Der Vorstand legt Zielgrößen für die zwei Ebenen unter ihm fest (§ 76 IV AktG). Abgesehen von der Quote nach § 96 II AktG gilt für die festzulegenden Quoten Folgendes: Liegt die vorhandene Quote unter 30%, darf die jeweilige Bestimmung den vorhandenen Anteil nicht unterschreiten, zugleich ist die Frist zur Erreichung zu bestimmen. Bei der GmbH ist die 30%-Quote nach § 96 II AktG nicht in Bezug genommen, Vielmehr gelten Quotenvorschriften nur mit den Maßgaben wie in §§ 76 IV, 111 II 2–4 AktG (Details für Quoten unter 30%). Zunächst sagt § 52 II 1 GmbHG für Gesellschaften mbH, die dem Drittelbeteiligungsgesetz unterliegen, dass hier die Gesellschafterversammlung für die Bestimmung zuständig ist, diese aber auch dem Aufsichtsrat überlassen kann (§ 52 II 1, Details in S 3 GmbHG). Bei Gesellschaften, die dem Montanmitbestimmungsrecht oder dem Mitbestimmungsgesetz unterliegen, hat nach § 52 II 2, 3 GmbHG der Aufsichtsrat für sich und die Geschäftsführung die Quoten zu

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194 BT-Drucks 16/5279. 195 BGBl 2015 Teil I Nr 17, 642. Änderung durch Art 6 der Aktienrechtsnovelle 2016.

III. Die Entwicklung des deutschen Rechts der Aktiengesellschaft und der GmbH | 79

bestimmen. § 36 GmbHG ergänzt, dass die Geschäftsführung für die beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführung die Richtgrößen für die Besetzung mit Frauen vorgibt. Schließlich schreiben § 289a 1 Nr 4 HGB für Aktiengesellschaften und Absätze 2 und 4 HGB für KGaA, Gesellschaften mbH und sogar für nicht zur Offenlegung von Lageberichten verpflichtete Gesellschaften die Erklärung zur Quotenbestimmung in einer Erklärung zur Unternehmensführung vor.

v. Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) Das BilRUG vom 22.7.2015195a hat vor Allem die Definitionsstufen der Kapitalge- 142 sellschaften in § 264 HGB verändert mit der Folge von Erleichterungen für die unteren Stufen in der Rechnungslegung.

w. Aktienrechtsnovelle 2016, Umsetzungsgesetze zur CSR-Richtlinie und zur 4. Geldwäscherichtlinie Am 22.12.2015 ist das Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechts- 143 novelle 2016) erlassen worden195b. Das Gesetz verfeinert und reguliert die Alternative der Aktien als Namens- oder Inhaberaktien (§ 10 nF). Die möglichen Vorzüge bei Vorzugsaktien werden bestimmt (§ 139 I AktG nF). Für die Rechte auf Umwandlung aus Wandelschuldverschreibungen berücksichtigt die Novelle auch Gestaltungen, nach denen die Gesellschaft selbst das Recht auf Umwandlung hat (§§ 221 I, 192 I AktG). Im Übrigen spezifiziert die Novelle technische Einzelheiten im Verkehr der Gesellschaft und ihrer Organe, insbesondere mit ihren Aktionären, aber auch anderen Stellen195c. Schließlich bringt die Novelle an vielen Stellen Glättungen oder Korrekturen in Formulierung und Verweisen. Die CSR-Richtlinie vom 22. Oktober 2014 ist durch das Umsetzungsge- 143a setz vom 11.4.2017195d umgesetzt worden. Großunternehmen (§§ 289b ff HGB) und Mutterunternehmen von Konzernen (§§ 315b ff HGB) sind mit bestimmten Ausnahmen zu Erklärungen bzw Konzernerklärungen über die nachhaltige,

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195a BGBl I, 1245 195b BGBl I, 2015. Zum Inkrafttreten Art 2 (Neufassung des § 26h EGAktG). 195c Art 3 der Novelle bringt Änderungen im HGB betr Anmeldung zum Handelsregister. Daneben wird dort die bisherige Definition des „gezeichneten Kapitals“ (§ 272 I 1 HGB aF) gestrichen. 195d Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/95/EU zur Änderung der Richtlinie 2013/34/ EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, BGBl I 2017, 802. Zu dem Gesetz Hennrichs, NZG 2017, 841, Kiene, WM 2018, 308.

80 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

bewahrende, regenerative Ressourcennutzung (Stichwort: Corporate Social Responsibility, CSR) verpflichtet worden. Unter die §§ 289b ff HGB fallen Kapitalgesellschaften, die groß (§ 267 III 1 HGB), kapitalmarktorientiert (§ 264 d HGB) sind und im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen; die nicht finanzielle Konzernerklärung haben kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen (§ 290 HGB) abzugeben, wenn im Konzern insgesamt im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt sind und die größenabhängigen Befreiungetatbestände nicht erfüllt sind. Die Koinzidenz des Gesetzes mit dem Diesel-Skandal sticht ins Auge. Schließlich sind die 4. EU-Geldwäsche-Richtlinie und andere EU-Bestim143b mungen durch Gesetz vom 26.6.2017 umgesetzt worden195e. Im Mittelpunkt steht die Einführung eines Transparenzregisters über die wirtschaftlich Berechtigten an juristischen Personen des Privatrechts und eingetragenen Personengesellschaften. Durch Änderung des § 40 GmbHG sind Angaben zur prozentualen Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft sowie von Gesellschaftern nicht eingetragener Gesellschaften, die an der GmbH beteiligt sind, vorgeschrieben worden195f.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht196 IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht

1. Ansatzpunkte in EUV und AEUV 144 Die Grundordnung der Europäischen Union ist seit dem Vertrag von Lissabon

indem Vertrag über die Europäische Union (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) enthalten196a. Der AEUV verfolgt als zentrales Ziel die Verwirklichung des Binnenmarkts (Art 26 I). Dazu gewährleistet er die Niederlassungsfreiheit im Gebiet der Mitgliedstaaten (Art 49 ff) und die Kapitalverkehrsfreiheit im Gebiet der Mitgliedstaaten und

_____ 195e Neufassung des GWG, BGBl I, 1822. Zur Auslegung betr FAQs das Bundesverwaltungsamt, s Katzenberg/Lorenz, NZG 2017, 1325. Inzwischen Einigung der Kommission, der Vertreter des Parlaments und der Mitgliedstaaten über eine 5. Geldwäsche-Richtlinie (Vernetzung der Datenbanken betr die wirtschaftlich Berechtigten, Anforderung der Kenntlichmachung bei Nichtermittelbarkeit). 195f Zum Transparenzregister Seibert/Bachmann, GmbHR 2017, 1128 ff. Zum Aktienrecht enthält das Gesetz nichts. Ob sich Konsequenzen ergeben, fragt Mohamed, ZIP 2017, 2133. Zur Änderung des § 40 GmbHG Gutachten DNotI DotI-Report 2017, 129 ff. 196 Zum europäischen Gesellschaftsrecht s das gleichnamige Buch von Habersack, 4. Aufl. 2011. 196a Beide geltend idF vom 1.12.2009, ABl 2008 Nr C 115/1, ber. ABl 2009 Nr C 290/1.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 81

zwischen Mitglied- und Drittstaaten (Art 63 ff). Der immer weiter zusammenwachsende Wirtschaftsraum der EU erfordert eine zunehmende Vereinheitlichung der nationalen Gesellschaftsrechte197. Für die Zuständigkeit der Union gilt freilich nach Art 5 EUV das Prinzip der beschränkten Einzelermächtigung. Der Harmonisierung der nationalen Gesellschaftsrechte dienen zwei institutionelle Mittel: Zunächst können die nationalen Gesellschaftsrechte durch Richtlinien und deren Umsetzung abgestimmt werden. Sodann kommt aber auch das Mittel der Verordnung in Betracht. Durch VO sind bisher insbesondere EU-einheitliche, grenzüberschreitend anwendbare Rechtsformen geregelt worden. Zusätzlich zu den institutionellen Mitteln wirken die Grundfreiheiten nach den EU-Verträgen auf die nationalen Gesellschaftsrechte ein: Die nationalen Regelungen können unmittelbar gegen die Niederlassungs- oder die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen und insoweit unanwendbar sein. Was insbesondere die Niederlassungsfreiheit betrifft, hat sie der EuGH allerdings nicht als formalschematische Schranke angewandt. Besondere Schutzvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Niederlassung von Rechtspersonen, die aus anderen Mitgliedstaaten stammen, behindern könnten, sind zulässig nach der sog GebhardFormel: Diese Formel macht folgende Voraussetzungen für die Vereinbarkeit einer Schutzvorschrift mit der Niederlassungsfreiheit: nicht diskriminierende Anwendung, zwingende Gebotenheit im Allgemeininteresse und Eignung sowie Erforderlichkeit der Maßnahme198. Die Instrumente für das Ziel der Verwirklichung der Niederlassungsfrei- 145 heit im Gesellschaftsrecht sind in Art 50 II lit g AEUV verankert. Die Vorschrift verpflichtet die Gemeinschaftsorgane Rat und Kommission, die gesellschaftsrechtlichen Schutzbestimmungen zu koordinieren. Damit ist sie im gesellschaftsrechtlichen Bereich Grundlage für den Erlass von Richtlinien (definiert in Art 288 III 1 AEUV) und Verordnungen (definiert in Art 288 II AEUV). Hinzu kommt die Kompetenz nach Art 352 AEUV, zur Verwirklichung der Vertragsziele auch außerhalb bestimmter Ermächtigungsgrundlagen Maßnahmen zu treffen unter der Voraussetzung der Einstimmigkeit im Rat. Verordnungen sind unmittelbar verbindliche allgemeine Regelungen. Richtlinien sind nur hinsichtlich der Regelungsziele verbindlich, überlassen jedoch den Mitgliedstaaten, in welcher Form und mit welchen insbesondere legislatorischen Mitteln sie die Regelungsziele umsetzen. Form und Mittel müssen nur geeignet sein, das verbindliche Richtlinienziel tatsächlich zu erreichen. Die nationalen Rechtsnor-

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197 Zu Rechtsprinzipien und Regelungskonzepten im europäischen Gesellschaftsrecht Veil, FS Priester 2007, 799. 198 EuGH Rs C-55/94 Slg 1995, I-4165 (Gebhard).

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men, durch die eine Richtlinie umgesetzt wird, sind richtlinienkonform auszulegen199.

2. Überprüfung nationaler Gesetze 146 Vor der Darstellung der positivrechtlich-institutionellen Verankerung einheitli-

chen Binnenrechts durch RL oder VO sei die Entwicklung gekennzeichnet, die die Überprüfung nationaler Gesellschaftsrechtsregelungen anhand der allgemeinen Grundsätze der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit genommen hat200. Aufgrund der Niederlassungsfreiheit hat der EuGH nationales Gesellschaftsrecht für unvereinbar mit dem seinerzeitigen EG-Vertrag erklärt, soweit dieses aufgrund der – insbesondere bis vor nicht langer Zeit auch in Deutschland noch herrschenden – sog Sitztheorie die Rechtspersönlichkeit bestimmter im Inland tätig werdender Gesellschaften nicht anerkannt hat: Nach der Sitztheorie war die Gründung in einem anderen Staat mit einer Niederlassung im Inland nicht anzuerkennen, wenn die Gründung in dem anderen Staat formell vollzogen wurde, faktisch aber der eigentliche Schwerpunkt bei der Niederlassung im Inland liegen sollte. Der EuGH hat diese Nichtanerkennung für unzulässig erklärt, sofern sie sich auf eine Gründung in einem anderen Mitgliedstaat bezog. Die Fälle bezogen sich auf englische limiteds200a. Mit dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU wird der Fall mit der limited nicht mehr nach dem Recht der EU, vielmehr nach internationalem Gesellschaftsrecht zu beurteilen sein, für das allerdings Vertragsregelungen bei den Austrittsverhandlungen in Betracht kommen. Allgemein gesehen, hat die Rechtsprechung des EuGH die Möglichkeiten der Gründung von Kapitalgesellschaften erweitert. Sie wird im Kapitel über die Gründung dargestellt201.

_____ 199 EuGH Rs 14/83 Slg 1984, 1891 (Colson Kamann); EuGH Rs 80/86 Slg 1987, 3969 (Kolpinghuis Nijmegen BV); EuGH Rs C-91/92 Slg 1994, I-3325 (Faccini Dori); bei Zweifeln steht das Vorlageverfahren nach Art 234 EG zur Verfügung; ausnahmsweise kommt auch eine unmittelbare Geltung der Richtlinie in Betracht; allg Schwarz Europäisches Gesellschaftsrecht 2003 Rn 77, 242 ff. Neben Richtlinien und Verordnungen kamen nach dem früheren Recht auch noch Staatsverträge der EG-Mitgliedstaaten mit gesellschaftsrechtlichem Inhalt in Betracht, basierend auf Art 293 EG. Art 293 hat keine Aufnahme in den AEUV gefunden (zur Bewertung Beul, Steueranwaltsmagazin 2011, 87). 200 Aufgrund der allgemeinen Grundsätze und der europäischen Verordnungen und Richtlinien bildet sich ein Europäisches Gesellschaftsrecht heraus. S zB Schön, RabelsZ 64 (2000), 1 ff. 200a S u Rn 200c. 201 U Rn 200b ff.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 83

Die Folgerung aus der Sitztheorie, dass die im Inland gegründete Gesellschaft als aufgelöst gilt und folglich am neuen Sitz neu gegründet werden muss, wenn sie unter Beibehaltung ihrer inländischen Rechtsform ihren inländischen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ist von der Niederlassungsfreiheit nicht betroffen202. Anders ist ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit die Sanktionierung mit Auflösung, wenn eine Gesellschaft ihren Satzungssitz unter Wechsel des anwendbaren Rechts und Umwandlung der Rechtsform in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, der diese Umwandlung zulässt203, ebenso umgekehrt die Verweigerung der formwechselnden Umwandlung durch den inländischen Staat, wenn eine EU-Auslandsgesellschaft unter Wahrung der inländischen Gründungsvorschriften die Form in eine inländische Gesellschaft wechseln will203a. Aufgrund der Kapitalverkehrsfreiheit sind sodann gesellschaftsrecht- 147 liche Regelungen angegriffen worden, die auf bestimmte Gesellschaften dem Staat einen besonderen Einfluss sichern sollen. Der EuGH hat Regelungen über sog goldene Aktien (mit Sonderrechten der öffentlichen Hand ausgestattete Aktien) in privatisierten Staatsunternehmen grundsätzlich für unvereinbar mit dem (seinerzeit geltenden) EGV erklärt204. Vorbehalten hat er die Zulässigkeit von staatlichen Vorrechten, sofern sie bei Unternehmen, die Dienstleistungen im allgemeinen Interesse – Daseinsvorsorge – oder von strategischer Bedeutung erbringen, nicht diskriminierend angewandt und verhältnismäßig seien. Das Argument für generelle Zulässigkeit205, der Staat brauche überhaupt

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202 So inzwischen der EuGH in der Rechtssache Cartesio Slg 2008, I-9641, in Abweichung von den Schlussanträgen des Generalanwalts Maduro vom 22.5.2008 NZG 2008, 498 = ZIP 2008, 1067. Ebenso das Vale-Urteil des EuGH, NZG 2012, 871 (Unzulässigkeit des Ausschlusses des Formwechsels einer italienischen Gesellschaft in eine ungarische unter Wahrung der Gründungsvorschriften in Ungarn). Dazu Raiser/Veil § 8 Rz 34, 36. 203 So in Abweichung von der bisher in Deutschland hM (vgl BayObLG DNotZ 2004, 725) nun der EuGH (s Vorn) in einem obiter dictum. 203a So das Vale-Urteil des EuGH, NZG 2012, 871. Dazu Raiser/Veil § 8 Rz 34, 36. 204 Goldene Aktie des französischen Staates im Unternehmen Elf Aquitaine EuGH Rs C-483/ 99 Slg 2002, I-4781 = BB 2002, 1284 (Goldene Aktien I); Begrenzung der Beteiligungsrechte ausländischer Unternehmen an privatisierten portugiesischen Unternehmen des Banken-, Versicherungs-, Energie- und Verkehrssektors, EuGH Rs C-367/98 Slg 2002, I-4731 = BB 2002, 1282 (Goldene Aktien II); Goldene Aktie der britischen Regierung in Flughafengesellschaft, EuGH Rs C-98/01 Slg 2003, I-4641 = BB 2003, 1524 (Goldene Aktien IV); staatliches Genehmigungserfordernis für Vermögenstransfers in Spanien, EuGH Rs C-463/00 Slg 2003, I-4581 = BB 2003, 1520 (Goldene Aktien V). Für zulässig erklärt wurden Sonderrechte des belgischen Staates in verschiedenen Energieversorgungsunternehmen, EuGH Rs C-503/99 Slg 2002, I-4809 = BB 2002, 1286 (Goldene Aktien III). Zur Rechtsprechung Armbrüster, JuS 2003, 224; Kilian, NJW 2003, 2653; Bayer, BB 2004, 1, 2 f. 205 Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer hatte es auf Art 295 EGV (Unberührtheit der Eigentumsordnung durch den EGV) gestützt, Schlussanträge vom 3.7.2001 Slg 2002, I-4731.

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nicht zu privatisieren, deshalb könne er es auch unter Vorbehalt von staatlichen Sonderrechten tun, hat der EuGH nicht gelten lassen. Vielmehr gilt nach ihm unter Vorbehalt der Gebhard-Formel die Alternative: ganz oder gar nicht. Auf dem europarechtlichen Prüfstand stand auch das VW-Gesetz, welches dem Land Niedersachsen (früher auch dem Bund) besondere Einflussrechte bei der Stimmrechtsverteilung und im Aufsichtsrat der VW-AG206 einräumt. Die bisherige Fassung ist vom EuGH verworfen worden207. Daraufhin ist das VW-Gesetz abgeschwächt worden. Auch gegen die Neufassung ist die Kommission vorgegangen208. Der EuGH hat das Gesetz aber bestätigt208a.

3. Richtlinien 148 Was im Rahmen der positivrechtlichen Vereinheitlichung der mitgliedstaatli-

chen Gesellschaftsrechtsordnungen die Abstimmung durch Richtlinien betrifft, ist diese durch folgende 10 Richtlinien zur Angleichung des Gesellschaftsrechts der Mitgliedstaaten vorangetrieben209: Erste Gesellschaftsrechtliche Richtlinie von 1968 (sog Publizitätsrichtlinie)210: Sie hat ua zur Einführung der positiven Publizität des Handelsregisters (§ 15 III HGB) geführt. Die Richtlinie betrifft für Deutschland die AG, die KGaA und die GmbH. Sie hat zum Ziel, die Regelungen über die Offenlegung bestimmter gesellschaftsrechtlicher Verhältnisse, die Wirksamkeit der Vertretung durch die Gesellschaftsorgane und die Gründe für die Nichtigkeit von Gesellschaften ein-

_____ 206 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagen Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21.6.1960, BGBl I S 585 mit Änderungsgesetzen von 1966 BGBl I S 461 und von 1970, BGBl I S 1149. Auch dazu Bayer, BB 2004, 1, 3, sowie Krause, NJW 2002, 2747. 207 EuGH Rs C 112/05 Slg 2007, I-8995 = NJW 2007, 3481 (Kommission/BRD) mit Besprechung Kilian, NJW 2007, 3469. 208 S u Rn 974. 208a EuGH Urteil vom 12.10.2013 – C 95/12, NJW 2014, 290. 209 Die Richtlinien sind zT beziffert und zwar als „Erste Gesellschaftsrechtliche Richtlinie“ etc. Auch das Zahlwort ist aber nur Name, der Ausdruck „Gesellschaftsrechtlich“ weitere Benennung. Es werden aber nicht die auf Gesellschaftsrecht bezogenen Richtlinien durchgezählt. Die Existenz einer Zwölften Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie bedeutet also nicht, dass es 12 gesellschaftsrechtliche Richtlinien gibt. 210 1. Richtlinie 68/151/EWG des Rates v 9.3.1968 über die Publizität, die Vertretungsmacht der Organe und die Nichtigkeit von Gesellschaften (ABl v 14.3.1968 L 65 S 8); nach Änderung durch Einbeziehung der elektronischen Registerführung (s das deutsche EHUG), sodann aufgehoben und ersetzt durch Richtlinie vom 16. 9. 2009, ABl L 258. 11.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 85

heitlich auszurichten und dadurch ein einheitliches Schutzniveau für Dritte zu schaffen, die mit der Gesellschaft zu tun haben211. Die Zweite Gesellschaftsrechtliche Richtlinie von 1976 (sog Kapitalrichtli212 nie) hat eine gleichwertige Gestaltung der Eigenkapitalgewährleistung bei den Aktiengesellschaften (in Hinsicht auf Kapitalaufbringung, -erhaltung und -änderung) zum Ziel. Sie bezieht sich folglich allein auf Aktiengesellschaften. Für diese führt sie europaweit den Grundsatz des festen Kapitals mit gesetzlichem Mindestkapital ein und reguliert Sacheinlagen. Die Richtlinie gibt weiter das grundsätzliche Verbot vor, eigene Aktien der Gesellschaft zu erwerben213. In der Änderungsrichtlinie vom 6.9.2006214 werden die Vorschriften über die Gewährleistung der Werthaltigkeit von Sacheinlagen und über die Zulässigkeit des Erwerbs eigener Aktien erleichtert 215, die Vorgaben zum Gläubigerschutz bei der Kapitalherabsetzung aber verschärft. Im zweiten Erwägungsgrund zur Richtlinie wird gesagt, „dass unverzüglich damit begonnen werden sollte, generell zu prüfen, ob es Alternativen zu den Kapitalerhaltungsbestimmungen gibt, mit denen die Interessen der Aktionäre und Gläubiger einer Aktiengesellschaft in angemessener Weise geschützt werden“. Die Dritte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie von 1978 (sog Verschmelzungsoder Fusionsrichtlinie) 216 schreibt die Möglichkeit der Verschmelzung von Aktiengesellschaften innerhalb einzelner Mitgliedstaaten217 vor und gewährleistet dabei die Koordinierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in Hinsicht auf die Verbesserung des Minderheits- und des Gläubigerschutzes 218.

_____ 211 Einzelheiten bei Habersack Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl 2011, § 5 Rn 1 ff. 212 2. Richtlinie 77/91/EWG des Rates v 13.12.1976 (ABl v 31.1.1977 Nr L 26 S 1). 213 Einzelheiten bei Habersack Europäisches Gesellschaftsrecht § 6 Rn 8 ff. 214 Richtlinie 2006/68/EG des Parlaments und des Rates vom 6.9.2006, ABl v 25.9.2006 Nr L 264 S 32. Dazu H.P. Westermann, ZHR 172 (2008), 145. Aufhebung und Neukodifizierung der Richtlinie in der Richtlinie 2012/30/EU vom 25.10.2012, ABl L 315, 74. 215 Im Themenfeld „Erwerb eigener Aktien“ ist besonders relevant die Nebenform dieses Erwerbs, nämlich die Hilfeleistung der Gesellschaft bei dem Erwerb ihrer Aktien durch einen Dritten (sog financial assistance, s derzeit § 71a AktG). Die Erleicherung, die die Änderung der Richtlinie hier vorschreibt, wahrt den Gläubiger- und den Minderheitsschutz: Die Leistungen der Gesellschaft dürfen das Grundkapital nicht angreifen, ihnen muss eine qualifizierte Mehrheit zustimmen (nach deutschem Recht ist der Beschluss bei Gesetzesverletzung anfechtbar). S Freitag, AG 2007, 157 ff. 216 3. Richtlinie 78/855/EWG des Rates v 9.10.1978 bestreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (ABl v 20.10.1978 Nr L 295 S 36); zuletzt geänd durch Beitrittsakte 1994 v 24.6.1994 (ABl v 29.8.1994 Nr C 241, S 194). Neukodifizierung in der Richtlinie 2011/35/EU vom 5.4.2011, ABl L 110,1. 217 Zur Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten die Zehnte Richtlinie, u Rn 154. 218 Dazu Habersack Europäisches Gesellschaftsrecht § 7 Rn 25.

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Die Vierte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (sog Bilanzrichtlinie)219 war zunächst, was die deutschen Rechtsformen betrifft, für AG, KGaA und GmbH statuiert. Änderungen durch die sog Mittelstandsrichtlinie und die GmbH & Co KGRichtlinie, beide vom 8.11.1990, dehnten die Richtlinie auch auf die GmbH & Co OHG oder KG aus 220. Die Richtlinien vervollständigen und vereinheitlichen in einem systematischen Ansatz das gesamte Recht der Jahresrechnung der Gesellschaften (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang, Offenlegung und Prüfung)221. An die Bilanzrichtlinie knüpft die Siebente Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (sog Konzernabschlussrichtlinie) 222 an über die Konsolidierung der Bilanzen der Einzelgesellschaften in der Konzernbilanz. Die vierte und die siebente Richtlinie sind geändert durch die sog Modernisierungsrichtlinie223. Beide Richtlinien sind aufgehoben und zusammengeführt worden durch die Richtlinie 2013/34/ EU vom 26.6.2013 223a. Diese wiederum ist geändert worden durch die Richtlinie 2014/95/EU zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen223b. Systematisch hinzu gehört die Achte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (sog Abschlussprüferrichtlinie)224, die die Qualifikationsvoraussetzungen für Abschlussprüfer regelt. Sie ist ersetzt durch die Richtlinie 2006/43/EG224a.

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219 4. Richtlinie 78/660/EWG des Rates v 25.7.1978 über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl v 14.8.1978 Nr L 222 S 11); zuletzt geänd durch Richtlinie 1999/60EG des Rates v 17.6.1999 (ABl v 26.6.1999 Nr L 162 S 65). 220 Umgesetzt in §§ 264a–c HGB. 221 Ausführlich Niessen, RabelsZ 48 (1984), 81 ff mwN. In das deutsche Recht umgesetzt durch §§ 238 ff, 264a ff HGB. 222 7. Richtlinie 83/449/EWG des Rates v 13.6.1983 über den konsolidierten Abschluß (ABl v 18.7.1983 Nr L 193 S 1); zuletzt geänd durch Beitrittsakte 1994 v 24.6.1994 (ABl v 29.8.1994 Nr C 241 S 194). Näher dazu Habersack Europäisches Gesellschaftsrecht § 8 Rn 36 ff. Im deutschen Recht §§ 290 ff HGB. 223 Richtlinie 2003/51/EG des eP und des Rates vom 18.6.2003 ABl v 17.7.2003 Nr L 178 S 16. Diese führt die mit der IAS-VO (EG) Nr 1606/2002 des Parlaments und des Rates v 19.7.2002, ABl v 11.9.2002 Nr L 243 S 1 begonnene Internationalisierung des europäischen Bilanzrechts weiter. Der Umsetzung des europäischen Rechts in Deutschland dient das Bilanzrechtsreformgesetz v. 4.12.2004, BGBl I S 3166, s den RegE vom 30.4.2004, BR-Drucks 326/04. 223a Richtlinie über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und der Richtlinie 83/439/EWG, ABl L 182, 19. 223b ABl 2014 L 330/1. S zum Umsetzungsgesetz o Rn 143a. 224 8. Richtlinie 84/253/EWG des Rates v 10.4.1984 über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungsunterlagen beauftragten Personen (ABl v 12.5.1984 Nr L 126 S 20).

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 87

Die Sechste Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (sog Spaltungsrichtlinie) 225 gilt 150 im Unterschied zur Verschmelzungsrichtlinie nur für den Fall, dass Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Spaltung vorsehen226. Die Richtlinie will nämlich die Umgehung des Schutzes, den die Verschmelzungsrichtlinie gewährleistet, durch Spaltungsgestaltungen verhindern. Dazu führt sie auch für Spaltungen einen gemeinschaftsweiten Mindestschutz der Minderheitsaktionäre und Gläubiger ein. Die Spaltungsmöglichkeiten sind im deutschen Recht umfassend im UmwG erfasst. Die Elfte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (zu Sprüngen in der Zählung 151 s o Fn 209 und sogleich) über die Offenlegung von Zweigniederlassungen227 schützt alle Personen, die über eine Zweigniederlassung mit einer ausländischen Gesellschaft in Beziehung treten. Die Richtlinie ist umgesetzt in §§ 13d ff HGB und § 80 IV AktG. Sodann ist in Kraft getreten die Zwölfte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie 152 über die Zulässigkeit von Einpersonengesellschaften (Einpersonengesellschaftsrichtlinie)228. Sie gewährleistet die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung für Einzelunternehmer und gewährleistet den nötigen Schutz Dritter durch Offenlegungspflichten und Haftungsregelungen229. In Deutschland betraf die Richtlinie die GmbH. Die Einpersonen-AG wurde bei uns erst durch das Gesetz für die kleine AG230 zugelassen.

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224a Vom 17.5.2006, ABl L 157/87. 225 6. Richtlinie 82/891/EWG des Rates v 17.12.1982 betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (ABl v 31.12.1982 Nr L 378 S 47). Änderung in den Richtlinien 2007/63/EG und 2009/ 109/EG. 226 In Deutschland hat die Richtlinie erst 1991 Bedeutung erlangt. Am 5.4.1991 wurde zur Unterstützung der Privatisierung in den neuen Bundesländern mit dem Gesetz über die Spaltung der von der Treuhand verwalteten Unternehmen (SpTrUG), BGBl I S 854, das Rechtsinstitut der Spaltung von Gesellschaften in die deutsche Rechtsordnung eingeführt, dazu Ganske, DB 1991, 791 ff. Allgemeine Bedeutung über diesen Teilbereich hinaus erlangte die Spaltungsrichtlinie dann in Deutschland mit dem neuen UmwG v. 28.10.1994, BGBl I S 3210, ber 1995 I S 428, das ua erstmalig eine umfassende Spaltungsregelung als neues Rechtsinstitut im deutschen Gesellschaftsrecht verankerte. 227 11. Richtlinie 89/666/EWG des Rates v 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweitniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (ABl v 30.12.1989 Nr L 395 S 36). 228 Richtlinie v 22.12.1989 (89/667/EWG) ABl v 30.12.1989 Nr L 395 S 40 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem Gesellschafter – Einpersonen-GmbH-Richtlinie –, zuletzt geänd durch Beitrittsakte 1994 v 24.6.1994 (ABl v 29.8.1994 Nr C 241 S 194). Neu kodifiziert durch die Richtlinie 2009/102/EG vom 16.9.2009, ABl L 258, 20. 229 Kritisch dazu Lutter, FS Brandner 1996, 82, 93 ff. 230 O Rn 76 ff.

88 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

Weiter ist die Richtlinie betreffend Übernahmeangebote (sog Übernahmerichtlinie) erlassen worden 231. Sie widmet sich der Problematik, wie frei und mit welcher Zuständigkeit über die Übernahme von Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten entschieden werden kann, also einer Problematik, die Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht miteinander verbindet. Deshalb ist sie nicht „Gesellschaftsrechtliche Richtlinie“ genannt worden. Das deutsche Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) ist dieser Richtlinie angepasst worden. Schließlich ist die Zehnte Richtlinie über grenzüberschreitende (internatio154 nale) Verschmelzungen in Kraft getreten232; sie betrifft alle Kapitalgesellschaften, nicht nur Aktiengesellschaften. Mit dem 2. Gesetz zur Änderung des UmwG233 und dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) 234 ist die Richtlinie in Deutschland umgesetzt worden. Weitere Richtlinien, die die Zählung ausfüllen oder fortführen sollten oder 155 sollen, sind gescheitert oder noch in Vorbereitung: Gescheitert sind die Bemühungen um eine Fünfte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (sog Strukturrichtlinie). Sie sollte die Struktur der Aktiengesellschaften harmonisieren (Organe, Besetzung, Kompetenzen, Mitbestimmung, Rechte und Pflichten der Anteils153

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231 Richtlinie 2004/25/EG des eP und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl v 30.4. 2004 Nr L 142 S 12. 232 Richtlinie des eP und des Rates über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten vom 26.10.2005 ABl v 25.11.2005 Nr L 310 S 1. Zusammen mit der Verschmelzungsrichtlinie neu kodifiziert durch die Richtlinie 2011/35/EU vom 5.4.2011, ABl L 110, 1. – Schon die Gründung einer SE nach der SE-VO (dazu sogleich) durch Verschmelzung war und ist eine rechtssichere Möglichkeit, allerdings nur für Aktiengesellschaften, eine Verschmelzung über die Grenze zu vollziehen; dazu und zur Frage, inwieweit hierin eine entscheidende Motivation zur Wahl der Rechtsform einer SE gesehen werden kann, Thoma/ Leuering, NJW 2002, 1452; Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 10 f (aus der Zeit vor Inkrafttreten der Richtlinie zur internationalen Verschmelzung). Der Umsetzung der Richtlinie über internationale Verschmelzungen (Frist nach der Richtlinie bis Dezember 2007) in das deutsche Recht ging voraus das Urteil SEVIC (EuGH Rs C-411/03 Slg 2005, I-10805), in welchem der EuGH die Versagung der Anerkennung einer Verschmelzung einer Gesellschaft des mitgliedstaatlichen Auslands mit einer deutschen Gesellschaft aufgrund des im Gesetz nicht durch die Möglichkeit einer Verschmelzung über die Grenze ergänzten § 1 UmwG (nur Rechtsträger im Inland können umgewandelt werden) für unvereinbar mit EG-Recht erklärt hat. 233 2. Gesetz zur Änderung des UmwG vom 19.4.2007 (BGBl I S 542 f) mit Einfügung eines 10. Abschnitts im 2. Buch §§ 122a–122l über „Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften“; zur Richtlinie und ihrer Umsetzung Neye/Timm, AG 2007, 561; Mayer/Weiler, DB 2007, 1235. 234 Art 1 des Gesetzes v 21.12.2006 zur Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie, BGBl I S 3332 ff.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 89

eigner und der Organe). Sie wurde zurückgezogen 235. Kaum noch Aussicht auf Erfolg haben Ansätze zu einer Neunten gesellschaftsrechtlichen RL, der sog Konzernrichtlinie236. Auf der Agenda bleibt die Verabschiedung einer Vierzehnten Richtlinie betreffend Sitzverlegung (sog Sitzverlegungsrichtlinie)237. Der an die Stelle des Vorhabens einer Verordnung über eine Societas Privata Europaea (SPE) getretene Vorschlag einer Richtlinie über eine Societas Unius Personae (SUP) ist nach der SPE darzustellen237a. Zu weiterer Fortentwicklung eines einheitlichen Gesellschaftsrechts hat 156 die Europäische Kommission eine Expertengruppe unter Vorsitz von Jaap Winter eingesetzt. Diese hat am 4.11.2002 einen ersten Abschlussbericht vorgelegt238. Die Kommission hat daraufhin einen Aktionsplan zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union mit Maßnahmen bis 2005, 2008 und 2009 vorgelegt239. Diese Initiative hat zur Richtlinie über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (Aktionärsrechterichtlinie, AR-RL)

_____ 235 Vorschlag v 9.10.1972, ABl v 13.12.1972 Nr C 131 S 49; geänderter Vorschlag v. 19.8.1983 ABl v 9.9. 1983 Nr C 240 S 2, erneut geändert durch Vorschlag v. 20.11.1991, ABl v 12.12.1991 Nr C 321 S 9. Richtlinien-Vorschlag zurückgezogen KOM (2001) 763 endg/2 (DG Markt). Widerstand kam insbes von Seiten Großbritanniens, dazu Nessler, ZfRV 2000, 4. 236 Geänderter Vorentwurf einer 9. Richtlinie v 1984 über das Konzernrecht, abgedruckt bei Lutter Europäisches Unternehmensrecht 4. Aufl 1996 S 244 ff. Ziel des Richtlinienvorentwurfs war es, der immer weiter zunehmenden rechtlichen Verflechtung von Gesellschaften im nationalen und internationalen Wirtschaftsverkehr Rechnung zu tragen. Der Inhalt des Vorentwurfs, der sich weitgehend am deutschen Konzernrecht orientiert, ist schon deshalb, aber auch, weil eine Rechtsvereinheitlichung in diesem Bereich nicht für dringlich gehalten wird, heftig umstritten. 237 Vorentwurf eines Vorschlags für eine 14. Richtlinie über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts v 20.4.1997 KOM XV/6002/97, abgedr in ZIP 1997, 1721, 1724 sowie anlässlich eines Symposions in ZGR 1999, 157, 164. Zum Diskussionsstand betreffend Sitzverlegung auf europäischer Ebene verweist die Veröffentlichung auf der Internetseite der Kommission vom 10.5. 2004 auf das Konsultationspapier der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vom 25.4.2002 bzw 4.11.2002. Angesichts der Ausdehnung der Niederlassungsfreiheit durch die Rechtsprechung des EuGH will die Kommission die Arbeit an der Richtlinie aber nicht weiter betreiben. Kritisch, weil noch keine genügende Rechtssicherheit bestehe, Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2008, 27. 237a S u Rn 195. 238 http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf. Dazu Maul, DB 2003, 27. 239 KOM(2003)284. Derzeit arbeitet eine Reflection Group On the Future of EU Company Law. S Raiser/Veil § 7 Rz 15 f, S 38 f.

90 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

vom 11.7.2007240 geführt. Die Richtlinie betrifft die Ausübung von Rechten, die mit stimmberechtigten Aktien börsennotierter Gesellschaften im Zusammenhang mit Hauptversammlungen verbunden sind (Art 1). Sie sieht Mindestregelungen zur Erleichterung der Ausübung vor (Art 3). Dazu gehören Regeln zu Frist und Form der Einberufung (Art 5 I, II) sowie zu den Informationen bei der Einberufung: Informationen über Teilnahme, Ausübung der Rechte gemäß Art 6 (auf Ergänzung der Tagesordnung und Einbringung von Beschlussvorlagen), weiter Informationen über die Stimmrechtsausübung und die Tagesordnung nebst Beschlussvorlagen (Art 5 III, IV). Die Richtlinie befasst sich zudem mit den Voraussetzungen der Teilnahme und der Stimmrechtsausübung (Art 7, der insbesondere für die Stimmrechtsausübung die Anknüpfung an einen „Nachweisstichtag“ vorsieht und dazu Regeln gibt), der Teilnahme auf elektronischem Wege (Art 8), dem Fragerecht (Art 9) und der Stimmrechtsausübung durch Vertreter (Art 10, 11), per Brief (Art 12), ohne Hindernisse (Art 13), schließlich mit der Feststellung der Abstimmungsergebnisse (Art 14). Die Richtlinie ist bis spätestens 3.8.2009 umzusetzen gewesen (Art 15)241. Zur Richtlinie vom 11.7.2007 hat das Europäische Parlament einen Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der AR-Richtlinie (AR-RL II) verabschiedet, die bis zum 10.9.2019 umzusetzen ist241a. Es geht um börsennotierte Aktiengesellschaften. Drei Themen sind zu nennen: erstens die Offenlegung und das Erfordernis der Zustimmung der HV bei Transaktionen zugunsten einer Muttergesellschaft (also zugunsten einer „related party“), zweitens das Recht der AG gegenüber den die Aktien betreuenden Banken auf Identifizierung ihrer Aktionäre und drittens die Zuständigkeit der HV zur Beschlussfassung über einen Vergütungsbericht des Aufsichtsrats für das vergangene Geschäftsjahr und in vierjährigem Abstand über die Vergütungspolitik für die Zukunft. Die sog CSR-Richtlinie ist für das deutsche Recht schon umgesetzt und ist oben241b aufgeführt.

_____ 240 Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 ABl v 14.7.2007 Nr L 184 S 17. Vorhaben der Kommission zur Änderung in COM (2014) 213 final. 241 Bei uns geschehen durch das ARUG, o Rn 104. 241a Richtlinie 2017/828 zur Änderung der RL 2007/36/EG, vom 17.5.2017, ABl 2017 L, 132, 1. Zum Thema Offenlegung der third party transactions Veil, NZG 2017, 521, zum Thema Identifikation der Aktionäre Noack, NZG 2017, 561 und zum Thema Vergütung Leuering, NZG 2017, 646, Habersack NZG 2018, 127. 241b Rn 143a.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 91

4. Verordnungen Besondere Kompetenzgrundlage dafür, die mitgliedstaatlichen Gesellschafts- 157 rechte durch Verordnung anzugleichen, könnte nicht nur der genannte Art 50 II lit g AEUV sein, sondern auch Art 114 I 2 AEUV. Nach dieser Bestimmung erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Ein Bedürfnis dazu, mit unmittelbar geltenden Verordnungen in die Gesellschaftsrechte der Mitgliedstaaten einzugreifen, hat sich bisher aber nicht ergeben. Im Unterschied dazu ist die Grundlage des Art 352 AEUV (Maßnahmen ohne besondere Ermächtigungsgrundlage bei Einstimmigkeit) mehrfach genutzt worden, und zwar dazu, die im Folgenden darzustellenden einheitlichen europäischen Rechtsformen zu schaffen.

a. Societas Europaea; Einführung Durch VO ist die einheitliche Rechtsform der Societas Europaea (SE) als euro- 158 päische Rechtsform einer Kapitalgesellschaft geschaffen worden242. Zur Einführung der Rechtsform in der Bundesrepublik gibt es eine hübsche Pointe: Die Allianz-AG hat sich als erstes Unternehmen aus dem Aktienindex DJ EURO STOXX in eine SE umgewandelt. Gegen die Beschlüsse, durch die die außerordentliche Hauptversammlung vom Februar 2006 der Verschmelzung mit einem Mailänder Unternehmen unter gleichzeitiger Umwandlung in eine SE zugestimmt sowie verschiedene Kapitalmaßnahmen beschlossen hat, haben mehrere Aktionäre Anfechtungsklage erhoben. Die Allianz hat mit einem Freigabeantrag nach § 246a AktG sowie § 16 III UmwG iVm Art 18 SE-VO reagiert. Vor Gericht kam es zu einem Vergleich, in dem sich die Allianz gegen Rücknahme

_____ 242 VO (EG) Nr 2157/2001 des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) vom 8.10.2001 (SE-VO), ABl v 10.11.2001 Nr L 294 S 1. – Neben der SE ist die SCE (Societas Cooperativa Europaea) geschaffen worden, die Europäische Genossenschaft (VO (EG) Nr 135/2003 des Rates vom 22.7.2003, ABl L 207, 1 zusammen mit der Richtlinie 2003/72/EG des Rates vom 22.7. 2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl L 207, 25. S a den Vorschlag für eine VO des Rates über das Statut der Europäischen Stiftung (Fundatio Europaea, FE), COM (2012) 3 final., dazu Stöber, DStR 2012, 804. Vor der SE ist schon die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) institutionalisert worden. Dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber war es überlassen, ob er die EWIV als Personengesellschaft oder juristische Person ausgestalten wollte. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für die Einordnung gleich der OHG entschieden (§ 1 EWIV-AusfG).

92 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

der Klage zur Übernahme der Anwaltskosten der Kläger und weiter dazu verpflichtet hat, eine Darstellung der Unterschiede zwischen SE und deutscher Aktiengesellschaft auf ihre Homepage zu stellen243. Dies ist geschehen244, nach Noack liegt damit „das teuerste Juraskript aller Zeiten“ 245 vor. Hier wird es genutzt.

b. Die Normgebung und ihre Vorgeschichte 159 Die SE-VO ist begleitet durch eine Richtlinie, in der die Frage der Mitbestim-

mung der Arbeitnehmer behandelt wird245a. Nach Art 70 SE-VO ist die SE-VO am 8.10.2004 in Kraft getreten. Gemäß Art 14 der Richtlinie musste diese bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO umgesetzt werden. Aber auch die VO bedarf ungeachtet ihrer unmittelbaren Geltung (jetzt Art 288 II AEUV) der mitgliedstaatlichen Regelung zur Einführung der SE. Die VO enthält nämlich zahlreiche Regelungsaufträge und Wahlrechte für den nationalen Gesetzgeber. Dies machte neben der Umsetzung der Richtlinie ein nationalstaatliches Gesetz auch zur Ausführung der VO unumgänglich. In Deutschland ist mit Wirkung vom 23.12.2004 das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) erlassen worden246. Das Gesetz enthält in Art 1 den gesellschaftsrechtlichen Teil (SE-AusführungsG – SEAG), in Art 2 den Teil betreffend die betriebs- und unternehmensrechtliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer (SE-BeteiligungsG – SEBG). Die Regelung der Societas Europaea soll für die Betätigung in der EU, auch 160 für Verschmelzungen über die Grenze der Mitgliedstaaten oder nachträgliche Verlegungen des Unternehmenssitzes über die Grenze, eine einheitliche und

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243 FAZ Nr 166 v 20.7.2006 S 12. 244 Abrufbar im Internet mit Hilfe des Suchbegriffs „Darstellung der Rechtsformunterschiede zwischen einer deutschen Aktiengesellschaft und einer Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea – SE) mit Sitz in Deutschland“. 245 FAZ Nr 177 v 2.8.2006 S 19. Zu den Praxisfragen der Umwandlung einer AG in eine SE Kowalski, DB 2007, 2243. 245a Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, Amtsblatt Nr L 294 vom 10/11/2001 S 0022–0032 246 Gesetz vom 22.12.2004, BGBl I S 3675 ff. Die Bezeichnung des Gesetzes folgt der europäischen Bezeichnung Societas Europaea. Im Hinblick auf die Arbeit an einer Societas Privata Europaea ist die Bezeichnung nicht mehr passend. Zur Unterscheidung muss es Europäische Aktiengesellschaft heißen. RegE zum Gesetz BR-Drucks 438/04, BT-Drucks 15/3405. Stellungnahme des BR zum Entwurf BR-Drucks 438/04 (B) vom 9.7.2004. Zum RegE SEEG Ihrig/Wagner, BB 2004, 1749 ff; Nagel, NZG 2004, 883 ff. Zur „Europa-AG im Kontext des deutschen und europäischen Gesellschaftsrechts“ Horn, DB 2005, 147.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 93

identisch bleibende Unternehmensform zur Verfügung stellen. In der Zeit bis zur Einführung der SE waren multinationale Gesellschaften, wie sie heute in den Ländern der EG auch unter den kleinen und mittleren Unternehmen verbreitet sind, häufig mithilfe eines Netzes von Holding- und Tochtergesellschaften aufgebaut, die in bis zu 28 (nach dem Ausscheiden Großbritanniens 27) Mitgliedstaaten nach deren unterschiedlichen Gesellschaftsrechten niedergelassen sind. Der Aufbau dieses Netzes und die zusätzlichen Management-Ebenen haben direkte Kosten zur Folge247 und wurden immer wieder als die Effizienz vermindernder Faktor genannt248. Zwar war aufgrund der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit auch die Gründung in der Gesellschaftsform eines Mitgliedstaats mit einem Netz bloßer Niederlassungen dieser Gesellschaft in den anderen Mitgliedstaaten möglich. Aber auch die Orientierung an der Rechtsordnung eines Mitgliedstaates erschien nicht ausreichend. Deshalb sollten durch Schaffung einer supranationalen Rechtsform die gesellschaftsrechtlichen, steuerlichen und psychologischen Hemmnisse reduziert werden249. Die Akzeptanz des SE-Statuts ist lange Zeit hauptsächlich an der Frage der 161 Regelung der Arbeitnehmermitbestimmung gescheitert250. Um dieses Dilemma zu lösen, hat die Kommission eine Sachverständigengruppe eingesetzt (DavignonSachverständigengruppe251). Der Abschlussbericht der Gruppe, der auch der der Kommission war252, hat vorrangig auf eine Verhandlungslösung der Mitbestimmungsfrage durch die an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften gesetzt. Für den Fall, dass innerhalb festgelegter Fristen eine solche Lösung nicht erzielt werde, sollte eine sog Auffangregelung für die Informations-, Kon-

_____ 247 Der Rat für Wettbewerbsfähigkeit unter dem Vorsitz von Ciampi hat die möglichen Kosteneinsparungen für die Unternehmen durch die Einführung der SE auf bis zu 30 Mrd US-$ geschätzt, Monti, WM 1997, 607 unter Bezugnahme auf den Rat für Wettbewerbsfähigkeit (Competitive Advisory Group, unter dem damaligen Vorsitz von Ciampi). 248 Hopt, ZIP 1998, 96, 100; Blanquet, ZGR 2002, 34 f. 249 Erwägungsgründe (2), (3) der SE-VO. Zur praktischen Bedeutung der SE heute mit Nachweisen über statistische Erhebungen Raiser/Veil § 23 Rz 5. Zu Nutzen und Nachteilen der SE Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 8 ff; Buchheim Die Europäische Aktiengesellschaft und grenzübergreifende Konzernverschmelzung 2001 S 235 ff; zu den für die SE-Gründung in Betracht kommenden Unternehmenssektoren Blanquet, ZGR 2002, 36 f; zur vermeintlichen Mittelstandsfeindlichkeit der SE Hirte, NZG 2002, 9; Hommelhoff, AG 2001, 286 f. 250 Einzelheiten bei Hopt, ZIP 1998, 96, 100 mwN; Blanquet, ZGR 2002, 26 f. 251 Besetzt mit sieben Mitgliedern aus Wissenschaft, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, ua dem ehemaligen Vorsitzenden des DGB und des europäischen Gewerkschaftsbundes Breit. 252 Abschlussbericht der Sachverständigengruppe „European Systems of Worker Involvement“, Europäische Kommission, Generaldirektion Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Angelegenheiten, Mai 1997. Dazu Hopt, ZIP 1998, 96, 100; Blanquet, ZGR 2002, 30 ff; Heinze, ZGR 2002, 70 ff.

94 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

sultations- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer gelten253. Nach Widerständen letztlich von Spanien kam eine Einigung über den arbeitsrechtlichen Teil des SE-Dossiers erst auf der Tagung des Europäischen Rats in Nizza (7.–8.12.2000) zustande. Die Lösung der Mitbestimmungsfrage wird jetzt in der RL festgelegt, die die SE-VO ergänzt (RL 2001/86/EG zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer – SE-RL254).

c. Die Lösung der Mitbestimmungsfrage durch die Richtlinie 162 Die Lösung des Mitbestimmungsproblems durch die Richtlinie besteht in der folgenden Regelung: Die Richtlinie gibt sowohl die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter über Angelegenheiten, die die SE selbst oder ihre Tochtergesellschaften oder Betriebe betreffen (betriebliche Mitbestimmung), vor als auch die sog Unternehmensmitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der Europäischen Aktiengesellschaft. Wir befassen uns hier wie im Mitbestimmungskapitel zum deutschen Recht255 nur mit der Unternehmensmitbestimmung, die die Struktur der Gesellschaftsorgane betrifft. Die Richtlinie geht vom Schutz erworbener Rechte der Arbeitnehmer aus. Es 163 gilt das sog Vorher-Nachher-Prinzip: Immer dann, wenn vor der Gründung der SE in den beteiligten Unternehmen Mitbestimmungsrechte bestanden, sollen diese Rechte auch nach der Gründung der SE nicht gegen den Willen der Mehrheit der Arbeitnehmer verringert werden können 256. Für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der SE setzt die Richtlinie in 164 erster Linie auf eine Verhandlungslösung: Für eine SE mit Sitz in Deutschland gilt deutsches Recht (Art 9 I lit c, sub-Buchst i) SE-VO) und damit für die Verhandlungslösung § 21 III SEBG. Die Verhandlungen sind zu führen zwischen den Leitungsgremien der beteiligten Unternehmen und dem „besonderen Ver-

_____ 253 Vgl Abschlussbericht aaO S 10 Ziff 83 f, der auf eine Verhandlungslösung setzte: Binnen einer Jahresfrist sollten danach anlässlich der Errichtung einer SE Vereinbarungen über die Partizipation der Arbeitnehmer auf Betriebs- und Unternehmensebene erstrebt werden. Für den Fall des Scheiterns war eine Auffanglösung mit folgendem Inhalt vorgesehen: Im Aufsichtsoder Verwaltungsrat hätten ein Fünftel der Sitze, mindestens aber zwei Mitglieder, durch die Arbeitnehmerseite besetzt bzw gewählt werden müssen, wobei es nicht um eine bloße Mitberatung, sondern um einen gleichberechtigten Status aller Aufsichts- oder Verwaltungsratsmitglieder ging. 254 Abl v 10.11.2001 Nr L 294 S 22. 255 U Rn 964 ff. 256 Erwägungsgrund (7) der Richtlinie.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 95

handlungsgremium“ der Arbeitnehmerseite – special negotiating body, SNB – (Art 3 SE-RL, § 21 SEBG)257. Für den SNB gibt die Richtlinie folgende Mehrheitserfordernisse vor: Grundsätzlich fasst der SNB seine Beschlüsse mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder, die gleichzeitig die absolute Mehrheit der Arbeitnehmer in den beteiligten Unternehmen vertreten müssen (Art 3 IV 1 SE-RL). Dagegen ist eine qualifizierte Mehrheit dann erforderlich, wenn die Verhandlungen mit den beteiligten Unternehmen zu einer Minderung der Mitbestimmung führen sollen, wenn also die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE geringer sein soll als der höchste Anteil der Arbeitnehmervertreter in den jeweils beteiligten Gründungsgesellschaften der SE. In diesem Fall muss eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des SNB zustimmen258, wobei diese qualifizierte Mehrheit gleichzeitig zwei Drittel der Arbeitnehmer vertreten und aus mindestens zwei Mitgliedstaaten kommen muss (Art 3 IV 3 SE-RL). Für die Verhandlungen ist eine Frist von 6 Monaten ab Einsetzung des SNB gesetzt, die bei Einvernehmen der Parteien auf 1 Jahr verlängert werden kann (Art 7 I 2 b iVm Art 5 SE-RL, § 20 I, II SEBG). Eine Verhandlungslösung kann durch einen Beschluss des SNB, keine Verhandlungen aufzunehmen oder aufgenommene abzubrechen, ausgeschlossen werden, sofern keine SE-Gründung durch Umwandlung einer mitbestimmten Gesellschaft gegeben ist (§ 16 I–III SEBG, zum Erhalt der Mitbestimmung in einer umzuwandelnden Gesellschaft Art 4 IV SE-Richtlinie). In diesen Fällen gibt es noch die Möglichkeit der Wiederaufnahme von Verhandlungen, frühestens zwei Jahre nach dem Beschluss über Nichtaufnahme oder Abbruch, sofern die Parteien sich nicht über einen früheren Zeitpunkt einigen (§ 18 I SEBG). Die Wiederaufnahme gibt es auch bei strukturellen Veränderungen der SE (§ 18 III 3 SEBG)258a. Sofern in der Verhandlungsfrist eine Verhandlungslösung nicht gefunden 165 wird, greift eine Auffangregelung ein. Diese gilt freilich nicht in den Fällen der Beschlüsse über die Nichtaufnahme oder den Abbruch der Verhandlungen (§16 II SEBG). Sofern die gesetzliche Regelung eingreift, gilt sie von der Eintra-

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257 Deutsch BVG (besonderes Verhandlungsgremium), § 4 I 2 SEBG. Näher mit kritischer Auseinandersetzung zur Verhandlungslösung Heinze, ZGR 2002, 80 ff. Für die Allianz SE ist eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer getroffen worden, die Regelungen im Hinblick auf den SE-Betriebsrat und die Mitbestimmung im Aufsichtsrat der Allianz SE enthält (aaO o Fn 244). 258 Diese Regelung kommt im Falle einer Gründung der SE durch Verschmelzung, als Holding- oder als Tochtergesellschaft nur dann zur Anwendung, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden (vgl Art 3 IV 3 SE-Richtlinie). 258a Bspl aus der Gesetzesbegründung: Bisher mitbestimmungsfreie SE nimmt mitbestimmtes Unternehmen auf (Begr RegE BT-Drs 15/3405, 50).

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gung der SE an (Art 7 I, II SE-RL, §§ 22, 34 ff SEBG)258b: Art 7 I, II der Richtlinie unterscheidet nach den Arten der Entstehung einer SE, die in der SE-VO vorgesehen sind (Verschmelzung, Gründung einer Holding, Gründung einer Tochter, Umwandlung 259): Für die Umwandlung muss, wenn eine der beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE bisher der Mitbestimmung unterlag, die Auffangregelung bestimmen, dass die Mitbestimmung sich auch auf die SE erstreckt und zwar nach Maßgabe des höchsten Mitbestimmungsanteils in den an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften260. Für den Fall der Gründung der SE durch Verschmelzung gilt diese Maßgabe ebenfalls, wenn mindestens 25% der Arbeitnehmer Mitbestimmungsrechte hatten. Für die Fälle der Gründung der SE als Holding oder als Tochtergesellschaft gilt die Maßgabe dann, wenn mindestens 50% der an der SE beteiligten Arbeitnehmer Mitbestimmungsrechte hatten261. Wenn bei Verschmelzung oder bei Gründung als Holding oder Tochter zwar Mitbestimmungsrechte bestanden, allerdings unterhalb der genannten Prozentsätze, so ist für die Anwendung der Auffangregelung ein Beschluss des SNB mit absoluter Mehrheit erforderlich (Art 7 II lit b 2. Spiegelstrich, II lit c 2. Spiegelstrich iVm Art 3 IV 1 SE-RL). Wenn in keiner der an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften zu166 vor Vorschriften über die Mitbestimmung bestanden, so ist auch die SE nicht verpflichtet, eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer einzuführen262. In einem Fall lässt die Richtlinie den Mitgliedstaaten noch eine Optionslö167 sung offen. Für den Fall der Gründung durch Verschmelzung haben gemäß Art 7 III SE-RL die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die genannte Auffangregelung nicht in nationales Recht umzusetzen (sog Opt-out-Regelung)263. Folge der Nichtumsetzung ist, dass eine SE in diesem Mitgliedstaat nur dann eingetragen werden kann, wenn eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeit-

_____ 258b § 22 SEBG sagt (§ 34 verweist darauf): von der Eintragung der SE an und behält die Fälle der Nichtaufnahme- oder Abbruchsbeschlüsse vor, für die es ja das Wiederaufnahmeverfahren gibt. Unklar ist die „entsprechende“ Anwendung, die § 22 II für den Fall der strukturellen Änderung nach § 18 III SEBG anordnet. 259 U Rn 173 ff. 260 Vgl Anhang Richtlinie „Auffangregelung“ Teil 3 II lit b). Für den speziellen Fall der Gründung einer SE durch Umwandlung wird klargestellt, dass alle Komponenten der Mitbestimmung weiterhin in der SE Anwendung finden, vgl Auffangregelung Teil 3 II lit a). 261 Für die Gründung der SE durch Umwandlung ist kein Mindestprozentsatz der Arbeitnehmermitbestimmung festgelegt, vgl Art 7 II lit a) SE-Richtlinie. 262 Vgl Auffangregelung Teil 3 III. 263 Erst durch die Einführung dieser Optionslösung konnte beim Europäischen Rat in Nizza vom 7.–8.12. 2000 die Zustimmung Spaniens zum Statut der Europäischen Gesellschaft erzielt werden, näher dazu Blanquet, ZGR 2002, 33 f.

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nehmer in der SE getroffen wird oder aber in allen beteiligten Gesellschaften keine Mitbestimmungsrechte bestanden. Ein Mitbestimmungsverlust gegen den Willen der Arbeitnehmer ist daher jedenfalls ausgeschlossen.

d. Die Regelung der SE nach europäischem und deutschem Recht (1) Das auf die SE anwendbare Recht Die SE-VO regelt Gründung und Struktur der SE. Art 9 bestimmt das auf die SE 168 anwendbare Recht. Zunächst ist danach maßgeblich die Verordnung. Gleichrangig steht daneben die SE-RL. Wenn die Verordnung dies für den Bereich ihrer Regelung ausdrücklich zulässt, ist die Satzung der SE maßgeblich. Soweit die Verordnung selbst einen Bereich nicht oder nur teilweise regelt, greifen auf der nächsten Stufe zunächst die Vorschriften im Rahmen von „Gemeinschaftsmaßnahmen“ ein, die die Mitgliedstaaten speziell zur SE erlassen, bei uns also das SEAG und das SEBG. Auf der nächsten Stufe greift dann das auf Aktiengesellschaften anwendbare Recht desjenigen Mitgliedstaats ein, in dem die SE ihren Sitz hat (bei uns AktG264, HGB, UmwG, WpHG, WpÜG). Auch dieses Recht kann die Maßgeblichkeit der Satzung vorbehalten. Insoweit gelten wieder einschlägige Satzungsbestimmungen265. Dass die Maßgeblichkeit des Rechts gerade des Sitzstaates erst zur subsidiären Anwendung des Aktienrechts und nicht schon bei der Anwendung der „Gemeinschaftsmaßnahmen“ auftaucht, ist verwirrend. Es ist kaum denkbar, dass ein Mitgliedstaat in seinen Gemeinschaftsmaßnahmen nicht die eigenen, sondern die Ausführungsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates für anwendbar erklärt, insbesondere angesichts dessen, dass die VO jedenfalls für das hilfsweise eingreifende Aktienrecht dasjenige des Sitzstaates für maßgeblich erklärt. § 1 des deutschen SEAG und § 3 des deutschen SEBG entscheiden richtig, dass die Vorschriften der Gesetze auf solche Europäischen Gesellschaften Anwendung finden, die ihren Sitz im Inland haben (nach § 3 SEBG kommt noch die Maßgeblichkeit des Standorts von Arbeitnehmern in anderen Mitgliedstaaten hinzu). Neben der allgemeinen Bezugnahmevorschrift des Art 9 verweist die Ver- 169 ordnung auch in einer Vielzahl von Einzelvorschriften auf das nationale Recht.

_____ 264 Beispiel: Anwendung der deutschen Vorschriften über die Anfechtung von Beschlüssen der HV auf die Fresenius-SE mit Sitz in der Bundesrepublik nach BGHZ 194, 14, 16 f. Zur Anwendung der Vorschriften über die Nichtigkeit und Anfechtung von HV-Beschlüssen Göz, ZGR 2008, 592. 265 Zu Recht weisen Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 2 darauf hin, dass das Fehlen eines Bezugs in Art 9 SE-VO auf das Recht der GmbH die Gestaltungsfreiheit für eine durch GmbH gegründete SE empfindlich einschränkt.

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So verweist Art 63 SE-VO hinsichtlich der Auflösung, Liquidation, Zahlungsunfähigkeit, Zahlungseinstellung und ähnlicher Verfahren auf die Rechtsvorschriften, die nach dem Recht des Sitzstaates der SE maßgeblich sind265a. Die Folge der Einzelverweisungen ist, dass es nicht „die“ Europäische Aktiengesellschaft gibt, sondern so viele unterschiedlich ausgestaltete europäische societates, wie es unterschiedliche Aktienrechte in Europa gibt266. Allerdings ist das Aktienrecht der Mitgliedstaaten, wie wir gesehen hatten, durch die Richtlinien in nicht unwesentlichen Teilen harmonisiert267.

(2) Rechtsnatur, Kapital 170 Die SE wird mit der Eintragung in das Register des Sitzstaates (Art 12 I) eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (Art 16 I SE-VO). Selbstverständliche Folgerung ist, dass die Haftung für Verbindlichkeiten der SE auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist (Art 1 SE-VO)268. Die SE ist Handelsgesellschaft kraft Rechtsform (Art 1 SE-VO). Ihr Kapital ist in Aktien zerlegt (Art 1 II 1 SE-VO). Vorbehaltlich nationaler Sondervorschriften über ein höheres Mindestkapital muss das gezeichnete Kapital mindestens 120.000 € betragen (Art 4 II, III SE-VO)269. Für Aufbringung, Erhaltung und Änderung des Kapitals sowie für die Aktien der SE findet das nationale Recht für Aktiengesellschaften Anwendung (Art 5 SE-VO)270. Die durch Eintragung in das Register des Sitzstaates entstandene SE muss in jedem anderen Mitgliedstaat wie eine Aktiengesellschaft behandelt werden (Art 10 SE-VO, SE-spezifisches Diskriminierungsverbot).

_____ 265a Zu den insolvenzrechtlichen Vorschriften gehört auch die EuInsVO (die ihrerseits in Art 3 auf die Bestimmungen des Sitzstaates verweist), Raiser/Veil § 23 Rn 19. 266 Dazu Ebenroth/Wilken, JZ 1991, 1016; Hirte, NZG 2002, 2; Hopt, EuZW 2002, 1; Kolvenbach, NZA 1998, 1324; Lutter, BB 2002, 3; Pluskat, EuZW 2001, 528; Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 2. 267 Vgl zB die Kapitalrichtlinie, oben Rn 104, 148. 268 Überflüssiger Weise bestimmt Art 1 II 2 SE-VO, dass die Haftung der Aktionäre beschränkt ist, und zwar auf die Höhe ihrer Einlagen. Wenn für die Verbindlichkeiten der SE die SE als juristische Person haftet, haften dafür die Aktionäre überhaupt nicht (zutr Schwarz Europäisches Gesellschaftsrecht Rn 1092 Fn 375). 269 Übergangsvorschriften für Mitgliedstaaten, für die die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion noch nicht gilt und die deshalb noch eine andere Währung als den Euro haben, in Art 67 SE-VO. 270 Unterschiede im nationalen Recht der Mitgliedstaaten bestehen vor allem im bedeutsamen Bereich der Kapitalaufbringung, vgl dazu näher Habersack Europäisches Gesellschaftsrecht § 6 Rn 1 ff; Lutter Europäisches Unternehmensrecht 4. Aufl 1996 S 49; Schwarz Europäisches Gesellschaftsrecht Rn 582 ff.

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(3) Sitz Der Satzungssitz der Gesellschaft muss in der Gemeinschaft liegen. Der Ort der 171 Hauptverwaltung muss in demselben Mitgliedstaat liegen (Art 7 I SE-VO). Die SE wird in das Handelsregister des Sitzstaates eingetragen (Art 12 I SE-VO)271. Die Eintragung kann erst erfolgen, wenn eine Regelung über die Arbeitnehmerbeteiligung nach der SE-RL erfolgt ist (Art 12 II SE-VO). Die SE kann ihren Satzungs- bzw Register-Sitz innerhalb der Gemeinschaft 172 in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, ohne dass die Verlegung wie nach unserem Recht, wonach sie anders als eine Verlegung im Inland (§ 45 I AktG) einen Auflösungsbeschluss iSv § 262 I Nr 2 AktG erforderlich machen würde, zur Auflösung der SE oder zur Gründung einer neuen juristischen Person führt (Art 8 I SE-VO)272. Wegen der möglicherweise einschneidenden Auswirkungen auf die Rechte der Beteiligten muss entsprechend den Gründungsplänen bei der Gründung einer SE hier ein Verlegungsplan aufgestellt werden. Dieser und ein Bericht dazu sind der HV abzugeben. Nach Art 8 VIII SE-VO ist die Eintragung der SE im neuen Sitzstaat von einer Erklärung der zuständigen Stelle im bisherigen Sitzstaat (in Deutschland: des Gerichts) abhängig, dass die der Verlegung vorangehenden Rechtshandlungen und Formalitäten erfüllt sind.

(4) Gründung; Vorgesellschaft Eine SE kann originär (Primärgründung) nur in den vier durch SE-VO be- 173 stimmten transnationalen Entstehungsarten gegründet werden (numerus clausus der Gründungsformen, Art 1 I iVm Art 2 I-IV SE-VO)273. Die vier Arten der Primärgründung sind die Verschmelzung (Art 2 I SE-VO), die Gründung einer

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271 Folge ist, dass sich auch die Prüfung der Gründungsvoraussetzungen nach dem Recht des Sitzstaates vollzieht, Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 3. 272 Das für die Sitzverlegung einzuhaltende Verfahren regelt die Verordnung in Art 8 II-XIII SE-VO. Im Einklang mit Art 8 V SE-VO verlangt § 12 I SEAG, dass im Fall der Sitzverlegung über die Grenze jedem Aktionär, der gegen den Verlegungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat, der Erwerb seiner Aktien gegen Barabfindung anzubieten ist. Geregelt ist mit Sitzverlegung iSd Art 8 SE-VO die Verlegung des Registersitzes, nicht auch die des Verwaltungssitzes (vgl Art 2 IV, 7 SE-VO), so auch Teichmann, ZGR 2002, 390, 456; Bungert/Beier EWS 2002, 1, 6. Fallen somit Registersitz und Hauptverwaltung auseinander, so ist dieses nach Maßgabe von Art 64 I SE-VO durch geeignete mitgliedstaatliche Maßnahmen zu beheben, deren Nichtbefolgung die Auflösung der SE zur Folge hat (Art 64 II SE-VO). Altverbindlichkeiten können Gläubiger gemäß Art 8 X, XVI SE-VO unverändert am alten Sitz der SE geltend machen. 273 Kritik an der Gründungsregelung berichtet aus Unternehmerkreisen die Europäische Kommission, Bericht an das Europäische Parlament vom 17.11.2010, KOM (2010) 676 endgültig, S 7. Zur Frage der Umgehung der Gründungsformen Hirte, NZG 2002, 1, 3; Teichmann, ZGR 2002, 390, 412.

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SE-Holding (Art 2 II), die Gründung einer SE-Tochter (ohne selbst SE zu sein, Art 2 III), schließlich die Umwandlung in eine SE (Art 2 IV SE-VO). Eine SE kann auch auf Vorrat gegründet werden274. Ist eine SE wirksam gegründet, kann diese eine Tochter-SE gründen (Art 3 II SE-VO, Sekundärgründung). Alle Gründungsarten sind auf Gesellschaften bezogen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und ihren Sitz oder ihre Hauptverwaltung im Gebiet der Gemeinschaft haben. Für die Primärgründungsarten sind die möglicherweise beteiligten Gesell174 schaftsformen (s sogleich) und die Voraussetzung der Bezogenheit auf mehr als einen Mitgliedstaat (Transnationalität) bestimmt, aber je unterschiedlich275. Ein Transnationalitätserfordernis gilt dagegen nicht für die Sekundärgründung: Eine einmal gegründete SE kann ihrerseits eine oder mehrere Tochter-SE gründen (Art 3 II 1 SE-VO). Ferner kann sie an anderen SE-Gründungen wie eine nationale AG als Gründungsmitglied teilnehmen (Art 3 I SE-VO). So können SEKonzerne aufgebaut werden. Die Kriterien der Primärgründung: Verschmolzen werden (Art 2 I) kön175 nen nur Aktiengesellschaften, und diese nur, wenn von ihnen mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten angehören. Eine SE-Holding (Art 2 II) können AG und Gesellschaften mbH (Begriff ist durch Verweisung auf einen Anhang bestimmt) gründen, von denen mindestens zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten angehören oder seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft oder Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben. Für einen noch weiteren Kreis von Rechtsträgern (einschließlich juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Erwerbszweck und von Gesellschaften des bürgerlichen und des Handelsrechts sowie Genossenschaften) ist die Gründung einer SE-Tochter nach Art 2 III SE-VO möglich, wieder mit der Transnationalitätsabgrenzung wie bei der SEHolding. Schließlich die Gründung durch Umwandlung: Eine AG kann in eine SE umgewandelt werden, wenn sie seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat (Art 2 IV SE-VO). Die Übersicht über die Primärgründungsmöglichkeiten ergibt: Während den Aktiengesellschaften alle Gründungsmöglichkeiten offenstehen, kann eine GmbH nur über die Gründung einer Holding-SE oder einer Tochter-SE zur SE kommen. Den übrigen juristischen Personen und den Personengesellschaften steht nur die Gründung einer Tochter-SE, natürlichen Personen steht die Rechtsform der SE überhaupt nicht offen.

_____ 274 Raiser/Veil § 24 Rn 10 ff. 275 Die Kriterien entbehren nach verbreiteter Meinung der sachlichen Überzeugungskraft, was eine restriktive Auslegung nicht geboten erscheinen lässt, s mit Nachweisen Raiser/Veil § 24 Rz 3 ff. Dort, Rz 10 ff, auch zur Möglichkeit der Gründung einer Vorrats-SE.

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Im Einzelnen gilt für die Primärgründungsarten Folgendes: Die erste Mög- 176 lichkeit der Verschmelzung (Art 2 I iVm Art 17 ff SE-VO)276 kann als Verschmelzung durch Aufnahme (Übergang des Vermögens der übertragenden auf die aufnehmende Gesellschaft, die zur SE wird) oder durch Neugründung (Übergang der Vermögen der Gründungsgesellschaften auf eine neue Gesellschaft, die SE wird) geschehen. Für beide Vorgänge wird auf die Dritte Gesellschaftsrechtliche RL (VerschmelzungsRL) verwiesen. Als Beispiel für die Verschmelzung durch Aufnahme können eine niederländische NV und eine deutsche AG (übertragende Gesellschaften) auf eine französische SA als aufnehmende Gesellschaft verschmolzen werden, wodurch die SA zu einer SE wird (Art 17 II 2 SE-VO). Durch Neugründung würde verschmolzen, wenn eine SE, auf die die Gründervermögen übergingen, neu gegründet würde. In beiden Fällen erhalten die Gesellschafter der Gründergesellschaften gegen ihre alten Aktien Anteile an der SE (möglicherweise zzgl einer baren Zuzahlung). Die Gründergesellschaften erlöschen. Grundlage der Verschmelzung ist der Verschmelzungsplan, der dem Verschmelzungsvertrag nach deutschem Umwandlungsrecht entspricht. Bei der Gründung einer SE als Holding-SE (Art 2 II iVm Art 32 ff SE-VO) 177 bleiben die Gründergesellschaften bestehen. Die Holding-SE erhält durch Abtretung seitens der Gesellschafter der Gründergesellschaften Anteile an den Gründergesellschaften. Grundlage ist der dem Verschmelzungsplan entsprechende Gründungsplan. Er hat für die angemessene Wahrung der Rechte der Gesellschafter der Gründergesellschaften und der Arbeitnehmer zu sorgen. Im Gründungsplan wird auch der Mindestprozentsatz festgelegt, zu dem Gesellschafter der Gründergesellschaften ihre Anteile auf die zu gründende Holding-SE übertragen sollen (Art 32 II 3). An jeder Gesellschaft muss die Holding mehr als 50% der Stimmrechte erreichen (Art 32 II 4). Nur wenn Gesellschafter innerhalb einer bestimmten Frist Anteile in Höhe des Mindestprozentsatzes eingebracht haben, kommt es zur Gründung der Holding-SE (Art 33 I, II, III 2). Die zunächst nicht bereiten Gesellschafter haben, wenn es zur Gründung kommt, noch eine Nachfrist zur Einbringung ihrer Anteile. Die zur Einbringung bereiten Gesellschafter

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276 Die Verordnung sieht dazu eigene Vorschriften zum Ablauf des Verschmelzungsverfahrens vor, das im Wesentlichen dem aus dem deutschen UmwG bekannten Schema entspricht: Aufstellung eines Verschmelzungsplans (Art 20 SE-VO), ergänzender Verschmelzungsbericht (Art 22 SE-VO), Sachverständigenprüfung (Art 22 SE-VO), HV-Beschluss (Art 23 SE-VO), Eintragung (Art 27 SE-VO). Im Übrigen erklärt die Verordnung subsidiär Vorschriften des nationalen Verschmelzungsrechts für anwendbar (vgl Art 18, 24, 25, 26, 28, 29 III, 31 I 2, II SE-VO). Als Neuerung sieht sie schließlich die Möglichkeit für nationale Behörden vor, aus ordre-publicGründen Einspruch gegen eine Verschmelzung einzulegen (Art 19 SE-VO). Näher zur Gründung durch Verschmelzung Teichmann, ZGR 2002, 390, 415 ff.

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erhalten gegen ihre Anteile an den Gründergesellschaften Anteile an der Holding-SE (Art 33 IV)277. Bei der dritten Möglichkeit, der Gründung einer SE als Tochter-SE der be178 zeichneten juristischen Personen und Gesellschaften (Art 2 III278, wiederholt in Art 35 SE-VO) ist nicht die SE an den Gründergesellschaften, sondern sind umgekehrt die Gründergesellschaften mit den bei der Gründung übernommenen Anteilen an der Tochter-SE beteiligt. Die SE-VO beschränkt sich hier darauf, für die Beteiligung der Gründergesellschaften auf die Regelung der Beteiligung an der Gründung einer AG nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem die TochterSE gegründet wird, zu verweisen (Art 36 SE-VO). Dies war in der Entstehungsgeschichte der SE-VO nicht immer so: Im Vorschlag zu einer SE-VO von 1989279 waren auch für die Gründung einer Tochter-SE noch Verfahrensregelungen vorgesehen wie die Aufstellung eines Gründungsplans und die Befragung der HV. Im Entwurf von 1991 gab es solche Regeln nicht mehr280. Dies ist zunächst verständlich, was die Gesellschafter der Gründergesellschaften betrifft: Diese geben hier keine Anteile ab. Allerdings besteht das Problem der Umgehung einer Gründung durch Verschmelzung: Auf die Tochter-SE könnten nachträglich alle betriebsnotwendigen Wirtschaftsgüter im Wege der Einzelübertragung transferiert werden. Zu fragen ist, ob daran die Gesellschafter nicht wie bei der Verschmelzung beteiligt werden müssen281. Weiter ist zu bedenken, dass der Gründungsplan bei der Holding-SE neben den Gesellschafterrechten auch die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer zu berücksichtigen hat (Art 32 II 2). Auch das Fehlen einer derartigen Regelung bei der Gründung einer Tochter-SE ist indessen verständlich: Bei der Holding-SE herrscht die neue SE, bei der TochterSE herrschen die Gründergesellschaften mit insoweit unveränderten Mitwirkungsbefugnissen der Arbeitnehmer. Schließlich kommt als vierte und letzte Art der Gründung einer SE die Um179 wandlung (der Formwechsel) einer AG in eine SE in Betracht (Art 2 IV iVm Art 37 SE-VO) 282. Grundlage ist hier der Umwandlungsplan.

_____ 277 Näher zur Gründung über eine Holding Teichmann, ZGR 2002, 390, 432 ff. 278 O Rn 175. Die SE-VO verweist auf Art 48 II EG-Vertrag (jetzt Art 54 II AEUV). 279 Vorschlag vom 16.10.1989, ABl v 16.10.1989 Nr C 263 S 41. 280 Dritter geänderter Vorschlag vom 16.5.1991, ABl v 8.7.1991 C 176 S 1. 281 Näher Teichmann, ZGR 2002, 438; ders, ZGR 2003, 396 f. 282 Die Umwandlung der nationalen AG in eine SE hat weder die Auflösung der AG noch die Gründung einer neuen juristischen Person in Form einer SE zur Folge (Art 37 II). I Ü sieht die VO für die Umwandlung ein Verfahren vor, das im Wesentlichen ähnlichen Regeln unterliegt wie der Formwechsel nach dem deutschen UmwG (Aufstellung eines Umwandlungsplans und ergänzender Umwandlungsbericht, Art 37 IV SE-VO, Sachverständigenprüfung, Art 37 VI SEVO, HV-Beschluss, Art 37 VII SE-VO, Eintragung, Art 37 IX SE-VO).

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Art 16 II SE-VO enthält eine Regelung der Vorgesellschaft, die aus den 180 Gründungsbeteiligten vor dem Wirksamwerden der SE besteht. Wird im Vorstadium im Namen der SE gehandelt, so werden die Verbindlichkeiten daraus solche der SE, wenn diese sie übernimmt. Ohne die Übernahme haften die an der Gründung Beteiligten. Da hier natürliche Personen und Gesellschaften genannt werden, ist damit eine Handelndenhaftung gemeint, nämlich eine Haftung der handelnden natürlichen Personen und derjenigen Gesellschaften, denen die Handlungen der natürlichen Personen zuzurechnen sind.

(5) Organe Oberstes, zumindest den Verwaltungsorganen gleichgeordnetes Organ der SE 181 ist die HV (Art 38 lit a SE-VO 283 ). Sie ist wie nach deutschem Aktienrecht (§§ 23 V, 119 I AktG) auf die durch das maßgebliche Recht oder vorbehaltlich der Zulassung durch dieses Recht durch die Satzung eingeräumten Aufgaben beschränkt (Art 52 SE-VO). U a hat die HV folgende Aufgaben: Nach Art 8 SE-VO beschließt sie insbe- 182 sondere über die Verlegung des Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat, weiter bestellt sie im dualistischen System (s sogleich) nach Art 40 II SE-VO die Mitglieder des Aufsichtsrats, im monistischen System die Mitglieder des Verwaltungsrats (Art 43 III SE-VO). Nach Art 66 VI SE-VO beschließt die HV auch über die Rückumwandlung der SE in eine nationale Aktiengesellschaft. Aufgrund der Verweisung des Art 52 S 2 SE-VO auf das nationale Recht ist die HV weiter für Angelegenheiten zuständig, die ihr das nationale Recht oder die Satzung zuweisen. Folglich ist auf die SE mit Sitz in Deutschland auch die deutsche Rechtsprechung zu ungeschriebenen HV-Zuständigkeiten284 anwendbar. Aus der Verweisung folgt auch die Anwendbarkeit der Sonderprüfungsund Geltendmachungsrechte der HV gemäß §§ 142, 147 AktG bei der SE mit Sitz in Deutschland sowie aufgrund der Generalverweisung des Art 9 I lit c) ii) SE-VO ebenso das Durchsetzungsrecht von Minderheitsaktionären (§§ 142, 148 AktG). Die HV entscheidet mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern die 183 SE-VO oder das berufene mitgliedstaatliche Aktienrecht nicht qualifizierte Mehrheiten vorschreiben. Die Bestimmungen über Satzungsänderungen, zu denen auch Kapitalveränderungen gehören, differieren (§ 179 AktG, Art 59 SEVO). Art 59 SE-VO behält schärfere Mehrheitserfordernisse nach nationalem Recht vor. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von HV-Beschlüssen richten sich aufgrund der Generalverweisung des Art 9 I c) ii) SE-VO für SE mit Sitz in Deutsch-

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283 Einzelheiten zur HV finden sich in den Art 52 ff SE-VO. 284 Zur Rechtsprechung u Rn 1054 ff.

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land nach den deutschen Vorschriften (§§ 241 ff AktG mit dem Freigabeverfahren nach § 246a AktG; betreffend die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern gelten §§ 250 ff AktG mit einer Ergänzung durch Art 37 II SEBG, wenn die Mitbestimmungs-Auffanglösung gilt). Termine der HV: Während die ordentliche HV nach deutschem Recht 184 (§ 175 I 2 AktG) in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahrs, welches auf den Jahresabschluss folgt, stattzufinden hat, schreibt Art 54 I SE-VO das Zusammentreten binnen sechs Monaten vor. Ein notfalls mithilfe des Gerichts durchzusetzendes Einberufungsverlangen von Minderheitsaktionären sowie ein Verlangen nach Ergänzung der Tagesordnung gibt es ebenso wie nach § 122 AktG auch nach Art 55, 56 SE-VO. Für die Gestaltung der Verwaltungsorgane räumt die VO eine Wahlmög185 lichkeit ein (Art 38 b SE-VO): Entweder kann das „dualistische System“ (Art 39 ff SE-VO) mit dem Organ Aufsichtsrat sowie einem Leitungsorgan gewählt werden285 oder das „monistische System“ (Art 43 ff SE-VO) mit nur einem Verwaltungsorgan (dem sowohl Leitungs- als auch Überwachungsfunktion obliegen)286. Die Wahl zwischen den Systemen wird in der Satzung getroffen (Art 38 lit b SE-VO). Das gewählte System kann durch Satzungsänderung wieder geändert werden287. Diejenigen Mitgliedstaaten, die bisher nur ein System kennen, wie Deutschland das dualistische System, „können“ in ihren Einführungsgesetzen Regeln für eine SE mit anderem System aufstellen (Art 39 V, 43 IV SE-VO). Weil eine nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründete SE aber die Wahlmöglichkeit hat, sind die Mitgliedstaaten doch praktisch zur Aufstellung entsprechender Vorschriften gezwungen 288. Im dualistischen System ist für die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsrats 186 nach Art 40 III 1 SE-VO die Satzung maßgeblich, wenn die Mitgliedstaaten nicht

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285 Für die Allianz SE (s o Rn 158) ist das dualistische System gewählt worden, in der o Fn 244 zitierten Darstellung sind die Merkmale, die im Fall des monistischen Systems bestehen, außer Betracht gelassen worden. 286 Gemeinsame Vorschriften für beide Systeme sind in den Art 46 ff SE-VO vorgesehen. – Das Statut über die SE geht damit den Weg Frankreichs, das ebenfalls Unternehmen die freie Wahl zwischen dem monistischen (mit einem Conseil d’administration, Art L225–17 ff Code de Commerce) und dem dualistischen Modell lässt (mit einem „Directoire“ und einem „Conseil de Surveillance“, Art L 225–57 ff); vgl dazu Hopt/Wymeersch/Hopt Comparative Corporate Governance 1997 S 12 f; ders, ZGR 2000, 779, 815. 287 Hirte, NZG 2002, 1, 5; Hommelhoff, AG 2001, 279, 283. 288 Dem folgt das deutsche SE-AG (§§ 20 ff). Zur Streitfrage, ob mit der Regelung der SE-VO ein Rechtssetzungsbefehl für den nationalen Gesetzgeber verbunden ist, Bungert/Beier, EWS 2002, 1, 3; Hirte, NZG 2002, 1, 5; Schwarz, ZIP 2001, 1854; Lutter, BB 2002, 4; Schulz/Geismar, DStR 2001, 1082. Zu den sich dadurch im deutschen Recht ergebenden Regelungsproblemen Hommelhoff, AG 2001, 282; Teichmann, ZGR 2002, 444 ff.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 105

die Zahl oder Höchst- oder Mindestzahlen festlegen (Art 40 III 2 SE-VO). Nach dem deutschen SEAG sind die Mindestzahl drei, für die Überschreitung durch die Satzung die Teilbarkeit durch drei und Höchstzahlen bestimmt (§ 17 I, II SEAG)288a. Die Mitglieder des Aufsichtsrats werden grundsätzlich durch die HV bestellt (Art 40 II 1 SE-VO). Gilt die gesetzliche Auffanglösung zur Mitbestimmung, belässt das deutsche Recht es dabei und bestimmt nur, dass die HV an die Wahlvorschläge der Arbeitnehmer gebunden ist (§ 36 IV 1, 2 SEBG). Im dualistischen System werden Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat bestellt (Art 39 II SE-VO). Im monistischen System besteht der Verwaltungsrat nach § 23 I 1 SEAG aus mindestens drei Mitgliedern, Höchstzahlen sind abhängig von der Höhe des Grundkapitals festgelegt. Greift nach Vereinbarung oder SEBG die unternehmerische Mitbestimmung ein, müssen Verwaltungsratsmitglieder der Arbeitnehmer dem Verwaltungsrat angehören. Für die Bestellung ist auch hier die HV zuständig, auch hier je nachdem mit der Bindung an die Wahlvorschläge der Arbeitnehmer (Art 43 III SE-VO, §§ 28 I SEAG, 36 IV 1, 2 SEBG). Amtsdauer: Organmitglieder werden auf die satzungsmäßig bestimmte 187 Amtsdauer, höchstens 6 Jahre, bestellt (Art 46 I SE-VO)289. Wiederbestellung ist – vorbehaltlich der Satzung – zulässig (Art 46 II SE-VO). Abstimmung: Bei Stimmengleichheit im Vorstand oder Verwaltungsrat gibt 188 vorbehaltlich der Satzung die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag (Art 50 II SE-VO). Die Satzung kann dem Vorsitzenden des Organs auch ein Vetorecht einräumen290. Wird bei Geltung des dualistischen Systems im Einzelfall das Aufsichtsorgan aufgrund der für die SE geltenden Unternehmensmitbestimmung zur Hälfte von Arbeitnehmervertretern besetzt, so muss der Vorsitzende zwingend ein Vertreter der Anteilseignerseite sein (Art 42 S 2 SE-VO)291. Dem der Anteilseignerseite zuzurechnenden Vorsitzenden oder seinem Stellvertreter, wenn dieser

_____ 288a Bei der Gründung der Allianz-SE stellte sich die Frage, ob die Zahl der Aufsichtsräte durch Mitbestimmungsvereinbarung abweichend geregelt werden kann. Die Zulässigkeit einer Vereinbarung wird nach überwiegender Ansicht zweistufig geprüft: nach Satzungsautonomie und Mitbestimmungsrelevanz. Für die Größe des Aufsichtsrats ist das Ergebnis der Prüfung umstritten. Zur Frage mit Nachweisen Raiser/Veil § 25 Rz 13, § 26 Rz 8 f mit N. 289 Die Satzung der Allianz SE belässt es bei der § 102 I AktG entsprechenden Regelung, die die 6-Jahres-Frist nicht überschreitet. 290 So geschehen in der Satzung der Allianz SE (o Fn 244). Zu Problemen um Bedenklichkeit aus Anklängen an das Führerprinzip o Rn 66. 291 Die Satzung der Allianz SE bestimmt, dass der Aufsichtsrat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden sowie zwei Stellvertreter wählt. Bei der Wahl des Vorsitzenden übernimmt das an Lebensjahren älteste Aufsichtsratsmitglied der Anteilseignerseite den Vorsitz, wobei dessen Stimme bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt.

106 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

ein Anteilseignervertreter ist, muss bei Stimmengleichheit die ausschlaggebende Stimme zustehen – ohne Satzungsvorbehalt (Art 50 II 2 SE-VO). Für die Zuständigkeit der Handlungsorgane ist zwischen dem dualisti189 schen und dem monistischen Leitungssystem zu unterscheiden. Im dualistischen System führt das „Leitungsorgan“ (ist deutsches Recht maßgeblich: der Vorstand) die Geschäfte der SE, das Leitungsorgan vertritt die SE gegenüber Dritten (Art 39 I 1 SE-VO, die Art der Vertretung bei einer SE mit Sitz in Deutschland bestimmt sich nach dem gemäß Art 9 I lit c ii SE-VO maßgeblichen § 78 III AktG). Überwacht wird das Leitungsorgan durch das „Aufsichtsorgan“ – nach deutschem Recht den Aufsichtsrat – (Art 40 I SE-VO). Zwingend muss in der Satzung ein Katalog von Geschäften festgelegt werden, für die das Leitungsorgan bzw der Vorstand der Zustimmung des Aufsichtsorgans bzw des Aufsichtsrats bedarf (Art 48 I 1 SE-VO). Der Aufsichtsrat kann die Erweiterung des Kreises beschließen oder in der Geschäftsordnung für den Vorstand festlegen (Art 48 I 2 SE-VO iVm § 19 SEAG). Im monistischen System führt die Geschäfte das „Verwaltungsorgan“. Ein 190 Mitgliedstaat kann vorsehen, dass im Verwaltungsrat ein oder mehrere „Geschäftsführer“ die laufenden Geschäfte in eigener Verantwortung führen (Art 43 I 1, 2 SE-VO). § 40 SEAG sieht dies vor. Die „geschäftsführenden Direktoren“ haben die umfassende Vertretungsmacht inne, haben aber intern die Weisungen der HV, des Verwaltungsrats und die Vorgaben der Geschäftsordnungen von Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren zu befolgen (§ 44 I, II SEAG). Im Unterschied zum Vorstand im dualistischen System (§ 84 III 1 AktG) können geschäftsführende Direktoren jederzeit durch Beschluss des Verwaltungsrats abberufen werden, wenn die Satzung nichts Gegenteiliges sagt (§ 40 V 1 SEAG). Zum geschäftsführenden Direktor kann auch der Vorsitzende des Verwaltungsrats bestellt werden, und dieser kann nach der Satzung zugleich Vorsitzender der Geschäftsleitung sein. Dadurch wächst ihm eine Machtfülle zu, die vergleichbar ist mit dem amerikanischen CEO (Chief Executive Officer) oder dem französischen PDG (président-directeur général)292. Das MoMiG hat für eine SE mit monistischem System (im dualistischen System gilt § 78 I 2 AktG) eine besondere Vorschrift für den Fall der Führungslosigkeit der SE (Fehlen geschäftsführender Direktoren) eingefügt. Nach § 41 I 2 SEAG nF wird die SE in diesem Fall durch den Verwaltungsrat vertreten.

_____ 292 In der Begründung des E SEAG wird die Zuweisung der Geschäftsführung an den Verwaltungsratsvorsitzenden schon kraft Gesetzes abgelehnt, weil hierdurch eine dem PDG entsprechende Machtfülle entstehe (BR-Drucks 438/04, S 97). Weshalb diese schlecht sein soll (was dann doch wohl auch den Ausschluss entsprechender Satzungsregelungen bedeuten müsste), wird nicht gesagt.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 107

Wie im dualistischen System die Satzung bestimmen muss, welche Art von Geschäftsführungsentscheidungen der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen, ist im monistischen System zu bestimmen, welche Angelegenheiten eines ausdrücklichen Beschlusses des Verwaltungsorgans bedürfen (Art 48 I SE-VO)293. Die Verantwortlichkeit der Organe bestimmt sich nach Art 51 SE-VO ge- 191 mäß dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Nach dem deutschen Aktienrecht gilt insbesondere die sog business judgment rule (§§ 93 I 2, 116 AktG). Die SE-VO hebt ausdrücklich hervor (was aber nach deutschem Aktienrecht aus §§ 93 I 3, 116 auch folgt), dass die Verschwiegenheitspflicht auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Amt gilt (Art 49 SE-VO). Die Regeln unseres AktG über die Vergütung (§§ 87, 113–115 AktG) gilt nach Art 9 I lit c ii SE-VO auch für eine SE mit Sitz in Deutschland.

(6) Jahresabschluss Für die Aufstellung ihres Jahresabschlusses und gegebenenfalls ihres konsoli- 192 dierten Abschlusses ist die SE den Regelungen unterworfen, die in ihrem Sitzstaat für nationale AG gelten (Art 61 SE-VO).

(7) Auflösung, Zahlungsunfähigkeit, Umwandlung in eine AG Das nationale Aktienrecht gilt auch für Auflösung, Liquidation, Zahlungsun- 193 fähigkeit294 einer SE (Art 63 SE-VO). Anders als nach nationalem Recht ist, wie bereits gesehen, die Verlegung des Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat kein Auflösungsgrund. Vielmehr gilt das Verfahren nach Art 8 SE-VO. Nach Art 66 SE-VO kann eine SE nach einer bestimmten Zeit ohne Identitätsverlust in eine AG nach dem Recht ihres Sitzstaats umgewandelt werden.

(8) Recht der verbundenen Unternehmen Die SE-VO bringt kein eigenes Recht der verbundenen Unternehmen, insbeson- 194 dere Konzernrecht. Maßgeblich ist also das Recht der Mitgliedstaaten. Je nach

_____ 293 Den Mitgliedstaaten steht es frei, rechtsverbindlich die Geschäftsarten abzugrenzen, die zwingend als der Zustimmung des Aufsichtsrats bzw eines Beschlusses des Verwaltungsorgans bedürftig in die Satzung aufzunehmen sind (Art 48 II SE-VO). Im dualistischen System kann dem Aufsichtsrat die Befugnis eingeräumt werden, dass er selbst Geschäfte von seiner Zustimmung abhängig macht (Art 48 I 2). 294 Zum Insolvenzrecht der SE, insbesondere den damit verbundenen Haftungsproblemen Raiser/Veil § 23 Rn 19 ff.

108 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

dem Sitz der von einer SE abhängigen Gesellschaft oder einer abhängigen oder herrschenden SE ist für die Lösung des anstehenden Konflikts das Recht der Mitgliedstaaten anzuwenden, in dem je nachdem die abhängige oder herrschende Gesellschaft ihren Sitz hat. Für eine von einer SE abhängige Gesellschaft und für eine abhängige oder herrschende SE mit Sitz in Deutschland gilt zufolge der Generalverweisung in Art 9 I c ii SE-VO das deutsche Recht der verbundenen Unternehmen. Das deutsche SE-AG hat sich deshalb darauf beschränkt, für die SE mit monistischem System die Leitungsmacht im Vertragskonzern (§§ 308 ff AktG) und bei Eingliederung (§§ 319 ff AktG) anzupassen (§ 49 SE-AG)294a.

5. Die Kommissionsvorschläge für eine Societas Privata Europaea und eine Societas Unius Personae 195

Neben die europaeinheitlichen Rechtsformen der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) und der Europäischen Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, SCE) wollte der europäische Gesetzgeber eine europaeinheitliche Rechtsform für kleine und mittlere Unternehmen stellen, die Societas Privata Europaea, SPE295. Oben hatten wir gesehen, dass der Vorschlag vorerst nicht weiter verfolgt wird und durch den Vorschlag zu einer Richtlinie über eine SUP (Societas Unius Personae) ersetzt ist296. Der ehrgeizige Plan war zunächst, dass Gründungen etc mit der Rechtsform der SPE ab 1.7.2010 möglich sein sollen. Die geplante SPE entsprach ihrer Rechtsnatur nach unserer GmbH. Maßgebliches Recht sollte in erster Linie die SPE-VO sein, sodann die Satzung, über deren Mindestinhalt ein Anhang im Vorschlag der Kommission Angaben enthielt, und subsidiär das nationale Recht des Mitgliedstaates, in dem die SPE ihren Satzungssitz hat: Dieses sollte in Regelungspunkten der VO oder Satzung insoweit anwendbar sein, als die VO dies vorsieht, und sodann vor allem für außerhalb des Gesellschaftsrechts belegene Fragen297.

_____ 294a Eingehende Darstellung des Konzernrechts der SE bei Raiser/Veil § 27, allerdings beschränkt auf die abhängige SE mit Sitz in Deutschland und, was herrschende Societates Europaeae betrifft, soweit es beim Abschluss eines Konzernvertrags um den Zustimmungsbeschluss der HV der herrschenden Gesellschaft (§ 293 II AktG) geht. Das von Raiser/Veil § 27 Rz 3 auch angeführte Weisungsdurchsetzungsrecht im Vertragskonzern (§ 308 III AktG) ist nur betreffs des Vorbehalts der Zustimmung des Aufsichtsrats des herrschenden Unternehmens (§ 308 III 2 Hs 2 AktG) eine Regelung, die die Ordnung der herrschenden Gesellschaft betrifft. 295 Vorschlag der Kommission KOM (2008) 396. Dazu Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897; Hommelhoff/Krause/Teichmann, GmbHR 2008, 1193; Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2008, 721. 296 Rn 109 ff (zum Vergleich des Vorschlags über eine SPE mit den Reformbemühungen des MoMiG). 297 Erläuterung des Vorschlags Kap I aE. Sowie Art 4 Nr 1 Abs 2.

IV. Das Europäische Gesellschaftsrecht | 109

Oben ist bereits zum Vergleich mit den Deregulierungsschritten unseres MoMiG über die Vorstellungen der Kommission betreffend die Gründung einer SPE, das Kapital, den Kapitalschutz und schließlich betreffend die Anteile an der SPE, insbesondere deren Übertragung, berichtet worden. Jetzt sind noch kurz die weiteren von der Kommission entworfenen Regelungen zu ergänzen. Zum Thema der Vorgesellschaft298 sagte Art 12 S 1 des Vorschlags, dass die SPE nach ihrer Eintragung die im Vorstadium begründeten Pflichten übernehmen kann. Tut sie das nicht, haften nach S 2 die Personen, die die Handlungen ausgeführt haben, in voller Höhe gesamtschuldnerisch. Aus Art 16 II SE-VO, der natürliche Personen und Gesellschaften nennt, ist zu schließen, dass auch mit den ausführenden Personen, von denen der SPEVorschlag sprach, die handelnden natürlichen Personen und diejenigen Gesellschaften gemeint waren, denen die Handlungen der natürlichen Personen zuzurechnen sind. Auch Art 12 des Vorschlags entsprach also der Handelndenhaftung des deutschen Rechts. Art 17 und 18 des SPE-Vorschlags enthielten Regelungen zur Beendigung der Mitgliedschaft aus wichtigem Grund: Art 17 ermöglichte den Ausschluss seitens der SPE. Dieser sollte eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit bedürfen (Art 27 Nr 1 b, Nr 2 des Vorschlags) und auf Antrag der SPE durch das Gericht vollzogen werden. Art 18 ermöglichte einem Anteilseigner das Ausscheiden aus wichtigem Grund durch ein Verfahren mit Übernahme des Anteils durch die SPE oder andere Anteilseigner durch Beschluss mit qualifizierter Mehrheit (Art 27 Nr 1 c, Nr 2 des Vorschlags), notfalls durch Entscheidung des Gerichts. Kapitel V des Vorschlags regelte die Organisation der SPE: Organe sind danach „die Anteilseigner“, die „Beschlüsse“ fassen (Art 27), und das „Leitungsorgan“ (Art 26 Nr 1 S 1). Nach Art 27 Nr 3 sollte es bei hinreichender Einbeziehung aller Anteilseigner nicht der Einberufung einer Versammlung bedürfen. Für die Anfechtung der Beschlüsse verwies der Vorschlag auf das nationale Recht. Art 29 regelte ein Minderheitsrecht auf Bestellung eines unabhängigen Sachverständigen durch Beschluss, hilfsweise durch das Gericht. Das Leitungsorgan war in Art 2 Nr 1 d als das nach der Satzung für die Leitung der SPE zuständige Organ definiert und vom Aufsichtsorgan (Nr 1 e) unterschieden. Art 30 ff sprachen demgegenüber von den Mitgliedern der Unternehmensleitung, die natürliche Personen sein müssen (Art 30 Nr 1). Für die Organisation der SPE bestand nach Art 26 Nr 2 Satzungsfreiheit, vorbehaltlich der Verordnung: Die Satzung sollte entscheiden, ob ein Mitglied oder mehrere Mitglieder zum Leitungsorgan gehören sollen, ob das monistische oder dualistische System gewählt wird (Erläuterungen zu Kap V). Bei der Eintragung und einer eventuellen Änderung mussten allerdings die Mitglieder der Unternehmensleitung angegeben werden, die nach der Satzung zur Vertretung der SPE gegenüber Dritten befugt waren (Art 10 Nr 2 a, 5, Art 33 Nr 1). Art 30 Nr 2 stellte faktische Organmitglieder wirksam bestellten Mitgliedern gleich. Die Leitungsbefugnis des Leitungsorgans sollte nur durch die VO und die Satzung beschränkbar sein (Art 26 Nr 1 S 2). In Art 27 legte der Vorschlag Angelegenheiten fest, für die „zumindest“ bestimmt werden sollte, dass ein Mehrheitsbeschluss der Anteilseigner erforderlich ist (Personalhoheit über das Leitungsorgan, Änderung der Anteilsrechte, Ausschluss bzw Ausscheiden von Mitgliedern, Billigung des Jahresabschlusses, Ausschüttungen, Erwerb eigener Anteile, Kapitalveränderungen, weitere Strukturänderungen so-

_____ 298 Zur Vorgesellschaft nach deutschem Recht u Rn 365 ff.

110 | B. AktG, GmbHG, Europa, Kapitalmarkt

195a

wie die Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat, Strukturveränderungen sollten wie Ausschluss und Ausscheiden von Mitgliedern eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit bedürfen, für deren Bestimmung die VO der Satzung Untergrenzen geben sollte). Für die Mitbestimmung war nach dem Vorschlag die Rechtsordnung des Sitzstaates maßgeblich (Art 34 Nr 1), bei Verlegung des Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat waren detaillierte Vorschriften über das Verlegungsverfahren (Art 36, 37) und den Schutz der Arbeitnehmer vor einer Verminderung ihres Mitbestimmungsstatus vorgesehen (Art 34 Nr 2 iVm Art 38). Für Umwandlungen der SPE und für ihre Auflösung sollten – abgesehen von Auflösungsgründen und der Notwendigkeit der Bekanntgabe, die im Vorschlag aufgeführt werden – das nationale Recht und die Europäische InsolvenzVO maßgeblich sein (Art 39, 40), für grenzüberschreitende Verschmelzungen einer SPE verwies der Vorschlag auf die einschlägige Richtlinie (Art 34 Nr 3). Der an die Stelle der Arbeit an einer SPE gesetzte Vorschlag der Kommission zu einer Richtlinie für eine Societas Unius Personae (SUP)299 soll die Gründung von Tochtergesellschaften in den Mitgliedstaaten durch natürliche Personen oder durch Gesellschaften als einzigen Gesellschaftern ermöglichen. Der Richtlinienvorschlag sieht vor, dass die Mitgliedstaaten in ihre Rechtsordnungen die Rechtsform einer SUP aufnehmen und dafür die einheitlichen Bestimmungen der Richtlinie umsetzen, während im Übrigen die nationalen Vorschriften (in der Bundesrepublik das GmbHG) gelten. Jene Bestimmungen betreffen die Möglichkeit der Sitzspaltung, vereinfachen das Gründungsverfahren (Verzicht auf die notarielle Beteiligung), reduzieren die Anforderungen an das Stammkapital (Mindestbetrag 1 €) und regeln den Schutz der Gläubiger durch einen Bilanz- und Solvenztest.

V. Ausblick auf das Kapitalmarktrecht V. Ausblick auf das Kapitalmarktrecht 196 Für die praktikable, ökonomisch effiziente Unterbringung der Aktien bei der

Gründung einer AG oder SE oder bei einer Kapitalerhöhung der Gesellschaften und vor allem für den fairen Handel mit den Anteilen ist von entscheidender Bedeutung das Kapitalmarktrecht. In einem Buch über das Recht der Kapitalgesellschaften muss dieses Rechtsgebiet wenigstens einführend behandelt werden. Wie wichtig das Kapitalmarktrecht dem deutschen und dem europäischen Gesetzgeber ist, zeigt die unablässige Reformarbeit auf beiden Ebenen. Die umfangreiche Arbeit des deutschen Gesetzgebers in dem 2. Finanzmarktnovellierungsgesetz (2. FinMaNoG) ist dafür ein markantes Zeichen. Wie gerade dieses Gesetz zeigt, geht das Kapitalmarktrecht weit über den Transfer von Gesellschaftsanteilen hinaus. Es geht um die praktikable und sinnvolle Allokation von Kapital an öffentlichen Märkten überhaupt. Schon wegen dieser weiten Anwendung kann der Ausblick in einem Buch über das Recht der Kapitalgesellschaften nur kursorisch sein. Kapitel G. widmet sich dem Anliegen. QQQ NEUE RECHTE SEITE

_____

299 Vorschlag vom 9.4.2014, COM/2014/0212 final – 2014/0120 (COD). Dazu Jung, GmbHR 2014, 579.

I. Die Relevanz der Gründungsregelung | 111

C. Die Gründung der AG und der GmbH C. Die Gründung der AG und der GmbH

I. Die Relevanz der Gründungsregelung https://doi.org/10.1515/9783110595802-003

Die Vorschriften über die Gründung einer AG oder GmbH sind kompliziert. Ge- 197 rade im Gründungsrecht der AG findet sich der Niederschlag der Novelle von 1884300. Wegen ihrer Aufwändigkeit ist die Gründung einer AG – anders als die einer GmbH – selten. Häufiger wird ein Unternehmen durch Umwandlung aus einer anderen Rechtsform oder durch Verschmelzung zur Aktiengesellschaft, beides geregelt im UmwG. Dadurch wird das Gründungsrecht nicht in seiner Bedeutung gemindert. Das UmwG greift nämlich immer wieder auf die Gründungsvorschriften zurück. Ein solcher Rückgriff findet sich sodann auch in den Regelungen über die Kapitalerhöhung gegen Einlagen. Eine solche Kapitalerhöhung wurde in der Praxis vor Inkrafttreten des UmwG auch dazu genutzt, eine bestehende AG als Rechtsform für eine neue Unternehmung zu verwenden. I. Die Relevanz der Gründungsregelung Beispiel ist der Vorgang um den Maschinenbaukonzern Hanomag300a: Die Gesellschafter der Hanomag-Baumaschinen-GmbH wollten aus ihrer Gesellschaft eine AG machen300b. Dazu haben sie nicht eine AG gegründet und das Baumaschinenunternehmen in diese eingebracht. Vielmehr haben sie eine VA-Vermögensverwaltungs-AG benutzt, die durch Fehlspekulationen tief in Verlust geraten war, nämlich einen steuerlichen Verlustvortrag von 60 Mio DM aufwies. Die Umgründung lief wie folgt ab: Die VA-Hauptversammlung beschließt eine Firmenänderung in Hanomag-AG, sodann wird das Kapital dieser bisherigen VA-Gesellschaft erhöht. Die neuen Aktien aus der Kapitalerhöhung werden von den Gesellschaftern der Hanomag-GmbH übernommen, die als Gegenleistung ihre GmbHAnteile als Sacheinlage einbringen. Damit sind die Gesellschafter der Hanomag-GmbH jetzt Aktionäre der Hanomag-AG, die ihrerseits zu 100% an der Hanomag-GmbH beteiligt ist. Die Hanomag-GmbH schüttet ihre Gewinne an die AG aus, die diese Gewinne gegen den Verlustvortrag verrechnet300c.

Ein solcher Vorgang wird – weil ein Unternehmen gleichsam in eine bestehende 197a Gesellschaft als Mantel eingekleidet wird – Mantelgründung genannt. Statt ursprünglich für sich bestehende Gesellschaften als Mäntel umzufunktionieren, können Gesellschaften aber auch von vornherein ohne eigenen aktuellen Unternehmenszweck gegründet werden, damit sie später für den Aufbau eines Un-

_____ 300 S Rn 57. 300a FAZ Nr 289 v 14.12.1987, S 15. 300b Das UmwG mit seinen Möglichkeiten des Formwechsels gab es noch nicht. 300c Möglich vor der Beschneidung des Verlustvortrags durch § 8 IV KStG 1988. https://doi.org/10.1515/9783110595802-003

112 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

ternehmens genutzt werden können; die Anteile können dann entweder von den Gründern gehalten oder später auftretenden Investoren für deren unternehmerische Zwecke angeboten werden. Hier spricht man von einer Vorratsgründung. Die Vorratsgründung geht begrifflich notwendig in eine Mantelgründung über, wenn die anfänglich auf Vorrat gegründete Gesellschaft später mit einem Unternehmen gefüllt wird. War im Fall der Hanomag-Gesellschaft wenigstens die alte VA-AG mit er197b heblicher neuer Substanz ausgestattet worden, so kommt in anderen Fällen vielfach die Mantelgründung ohne neue Substanz vor. Deshalb stellt sich das Problem, ob zur Vermeidung der Umgehung der Gründungsvorschriften die Vorschriften, insbesondere die über die Kontrolle der Kapitalaufbringung, analog anzuwenden sind. Der BGH und die überwiegende Meinung nehmen das an301. Die Mantel- und die Vorratsgründung sind Thema der weitgehenden Rechtsprechung zur Umgehung des Kapitalgesellschaftsrechts301a. Die Problematik der Mantel- oder Vorratsgründung ist exemplarisch für die 198 Frage nach der Relevanz des Gründungsrechts: Gründungsvorschriften mögen im Aktienrecht selten direkt zur Anwendung kommen, sie sind aber – und zwar für die AG und die GmbH – iR anderer Rechtsfragen von grundlegender Bedeutung. Zum Ersten ist die Regelung, wie das Beispiel der Mantelgründung zeigt, möglicher Gegenstand analoger Anwendung. Zum Zweiten ist die Gründungsregelung je auf die zu gründende Gesellschaft als besondere Rechtsfigur bezogen. Infolgedessen kann sie mit zur Bestimmung der Rechtsfigur herangezogen werden, die wiederum ihrerseits für Auslegungs- und Analogieschlüsse relevant ist. Schließlich drittens ist die Gründungsregelung, wie schon gesagt, das Vorbild der Normierung von Kapitalerhöhungen und Umwandlungen, insbesondere einer Verschmelzung. Ein Beispiel: Die Umwandlung eines einzelkaufmännischen Unternehmens in eine GmbH versteht das UmwG als Ausgliederung aus dem Vermögen des Kaufmanns zur Neugründung (§§ 152, 158 ff UmwG), auf die das Gründungsrecht der GmbH anzuwenden ist (s § 135 II UmwG für die Spaltung, nach § 123 III UmwG ist Ausgliederung ein Fall der Spaltung). Schon aus diesen Erwägungen ist eine fundierte Kenntnis des Gründungsrechts erforderlich.

_____ 301 BGHZ 153, 158; 155, 318. Darstellung bei K. Schmidt, NJW 2004, 1345 ff; Darstellung der Literatur bei K. Schmidt § 4 III S 66 ff. Zur Frage unten Rn 397 ff. 301a S u Rn 403 ff.

II. Die Gründung als Begründung der Mitgliedschaften nach Gesetz und Satzung | 113

II. Die Gründung als Begründung der Mitgliedschaften nach Gesetz und Satzung II. Die Gründung als Begründung der Mitgliedschaften nach Gesetz und Satzung

1. Die Mitgliedschaften in ihrer Gesamtbedeutung Bei der Gründung, ebenso bei der Kapitalerhöhung gegen Einlagen, werden von 199 den Beteiligten Gesellschaftsanteile gegen Einlagen übernommen: bei der AG die Aktien, bei der GmbH die Geschäftsanteile. Die Anteile verkörpern die Mitgliedschaften an den Gesellschaften. Sie sind eine Gesamtposition, die ein Querschnittsthema durch das ganze Kapitalgesellschaftsrecht hindurch begründet301b. Ihrer Einheit entspricht, dass die Mitgliedschaft zwar notgedrungen in Einzelthemen zu entfalten ist, diese aber nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden können. Mit diesem Vorbehalt sind die folgenden Einzelthemen aufzuführen: Im Zusammenhang der hier zu behandelnden Gründungsregelung (Kapitel C) sind die Arten der Gesellschaftsanteile, die Art und Weise ihrer Übertragung und die grundlegende Pflicht zur Leistung der Einlagen darzustellen. Dabei werden AG und GmbH durch Gegenüberstellung anschaulich gemacht. Die Sonderform der AG (die KGaA) wird in Kapitel J angeschlossen. An die Gründung schließt sich das große Thema des Kapital- und Vermögensschutzes der Kapitalgesellschaften an (Kapitel D). Stichworte sind die Pflichten der Gesellschafter zur Kapitalaufbringung und zur Kapitalerhaltung. In das Kapitel über die Gründung ist als Parallele zur Gründung die Kapitalerhöhung gegen Einlagen einzubeziehen, bei der zusätzliche oder neue Mitgliedschaften übernommen werden. Die Kapitalerhöhung gegen Einlagen ist auch Teil des Kapitels über alle Möglichkeiten der Veränderung des Kapitals der Kapitalgesellschaften (Kapitel E). In einem weiteren Kapitel (F) ist die Rechtsstellung der Mitglieder anzusehen: der Beginn und das Wesen der Mitgliedschaft, die Mitwirkungs- und Vermögensrechte der Mitglieder, die actio pro socio sowie schließlich das Ende der Mitgliedschaft. In einer Darstellung des Aktienrechts darf sodann das Thema des Kapitalmarkts als Markt insbesondere für den Rechtsverkehr mit Aktien nicht fehlen (Kapitel G). In einem weiteren Kapitel (H) sind Thema die speziellen Rechte und Pflichten, die sich an konkrete Machtpositionen von Gesellschaftern in ihrer Gesellschaft knüpfen. Schon das Aktiengesetz stattet die Aktionäre an vielen Stellen mit Pflichten aufgrund der Verantwortlichkeit kraft Machtstellung einerseits und Rechten im Hinblick auf Kontrolle und Durchsetzung der Verantwortlichkeit andererseits aus301c.

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301b Zur Mitgliedschaft in der juristischen Person Flume I 2 § 8 S 258 ff. 301c Rechte auf Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (§§ 245, 249 AktG), auf Schadensersatz bei widerrechtlicher Einflussnahme auf die Organe der Gesellschaft (§ 117 I 2 AktG), weiter

114 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

Weiterhin ist im Aktienrecht und ebenso im Recht der GmbH eine grundsätzliche Frage, ob und inwieweit die Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft und untereinander eine generelle Pflicht trifft, die egoistische Verfolgung von Eigeninteressen hinter die Rücksicht auf die Verbandsinteressen zurückzustellen. Stichwort ist die gesellschafterliche Treuepflicht. Das Thema dieser Rechte und Pflichten wird unter dem Titel der Verantwortung und Kontrolle in der Kapitalgesellschaft abgehandelt (Kapitel H). Die Themen von Macht und Treuepflicht sind schließlich auch Kern der Rechtsbeziehungen bei Beherrschung und Abhängigkeit, insbesondere im Konzern (Kapitel K). Die Rechnungslegung bei den Kapitalgesellschaften als Rechenschaft gegenüber Mitgliedern, Gläubigern und Öffentlichkeit folgt in Kapitel L. Das Schlusskapitel M betrifft das Ende der (konkret existierenden) Kapitalgesellschaft durch Auflösung mit anschließender Liquidation oder durch Umwandlung.

2. Satzung und Satzungsänderung 199a Die Grundordnung der Kapitalgesellschaften und der Mitgliedschaft in ihr wer-

den neben dem Gesetz durch die Satzung (bei der GmbH den sogenannten Gesellschaftsvertrag) konstituiert, die sich die Gesellschafter bei der Gründung ihrer Gesellschaft zu geben haben und die sie im weiteren Verlauf anpassen können. Im Zusammenhang der Gründungsregelung sind deshalb sogleich mit zu behandeln die Begründung der Satzung und die Art und Weise ihrer Änderung.

III. Das für die Gründung maßgebliche Recht III. Das für die Gründung maßgebliche Recht 200 Die für die Gründung einer Gesellschaft maßgebliche Rechtsordnung ist bisher

im Gesetz nicht geregelt302. Nach der in Deutschland lange Zeit herrschenden Sitztheorie302a ist maßgeblich die Rechtsordnung desjenigen Staates, in dem die

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Rechte auf Schadensersatz gegen die herrschende Gesellschaft im Konzern (§§ 309 IV 1, 317 IV, 318 IV AktG) sowie das Minderheitsrecht auf Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§ 148 AktG). 302 Zum RefE eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und Juristischen Personen s o Rn 105. 302a N bei BGH DB 2000, 1114 ff; DB 2003, 986 ff. Gegen die Sitztheorie in einem gründlich vorgetragenen Angriff Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325. Ein anderes Problem ist die Gründung einer Gesellschaft in Deutschland durch einen ausländischen Alleingesellschafter, dem eine selbstständige Erwerbstätigkeit untersagt ist. Hier geht es nicht um die Sicherung der

III. Das für die Gründung maßgebliche Recht | 115

Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hat. Als effektiver Verwaltungssitz gilt der Ort, von dem aus die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. Auf den in der Satzung festgelegten Sitz der Gesellschaft, den Satzungssitz, kommt es nicht an. Daraus folgt in Anwendung auf das deutsche Recht: Wird eine ausländische Kapitalgesellschaft mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland gegründet oder verlegt eine im Ausland gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz ins Inland, so ist die Gesellschaft in Deutschland nicht als Kapitalgesellschaft gegründet und damit grundsätzlich nicht rechtsfähig. Die Sitztheorie ist darauf ausgerichtet, dass die mit ihrem tatsächlichen Verwaltungsschwerpunkt in einem Staat tätige Gesellschaft den Sicherungsvorschriften des Gründungsrechts dieses Staates unterworfen sein muss. Bei Verlegung des Sitzes in einen anderen Staat bedeutet das, dass die Gesellschaft sich auflösen und nach dem Gründungsrecht des Sitzstaates neu gründen muss. Der Sitztheorie gegenüber steht die Gründungstheorie. Nach dieser ist für 200a die Anerkennung der Rechtsfähigkeit als Kapitalgesellschaft das Recht desjenigen Staates maßgeblich, nach welchem eine Gesellschaft gegründet (insbesondere durch Registrierung anerkannt) wird. Die danach wirksam gegründete Gesellschaft bleibt auch dann als Kapitalgesellschaft rechtsfähig, wenn sie ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegt. Die Entscheidung nach der Sitztheorie musste problematisch werden in Fäl- 200b len, in denen eine in einem Mitgliedstaat der EU wirksam gegründete Gesellschaft mit ihrem tatsächlichen Verwaltungssitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU tätig werden will. In diesem Fall könnten die Hindernisse, die die Anwendung der Sitztheorie der Gesellschaft an ihrem neuen Sitz bereitet, gegen die in Art 54 AEUV (ex-Art 48 EG) auf Gesellschaften ausgedehnte Niederlassungsfreiheit nach Art 49 AEUV (ex-43 EG) verstoßen302b.

_____ Gründungskautelen, sondern um die Sicherung der Untersagung der Erwerbstätigkeit. Das Kammergericht sichert die Untersagung, indem es die Eintragung der Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Umgehung ablehnt (NJW-RR 1997, 794 f). 302b Zur Anwendung der Gründungstheorie auch im Verhältnis der EU zu Kanada nach dem CETA-Abkommen Freitag, NZG 2017, 615. Was die EU betrifft, wurde diskutiert, ob nicht der im AEUV weggefallene Art 293 3. Spiegelstrich EG, der die Einleitung von Verhandlungen der Mitgliedstaaten über die Fragen der gegenseitigen Anerkennung von Gesellschaften iS von Art 48 II EG und der Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit bei Sitzverlegung vorsah, gegen eine per-seWirkung des Art 48 EG sprach. Auch die Arbeiten der Kommission an einem Vorschlag für eine 14. Richtlinie über die Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat waren ein Argument gegen die Verdrängung der Sitztheorie durch Art 48 II EG. Aufgrund der Judikatur des EuGH hat die Kommission indessen ihre Arbeit an der Richtlinie eingestellt, s oben Rn 155 Fn 237.

116 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

Der EuGH hat mit seinen Urteilen Centros302c, Überseering302d und InspireArt den allgemeinen Grundsatz herausgearbeitet, dass, wenn ein anderer Mitgliedstaat eine Adresse, mag sie auch eine bloße Briefkastenadresse sein, als „Hauptniederlassung“ einer Gesellschaft anerkennt (Hauptbeispiel – man muss sagen: bis zum Brexit – die Anerkennung als Private Limited Company englischen Rechts 303), derjenige Mitgliedstaat, in dem die Gesellschaft effektiv sitzt und Geschäfte betreibt, das auf seinem Gebiet betriebene Unternehmen als „Zweigniederlassung“ der (im Beispiel: englischen) Unternehmensträgerin akzeptieren muss. In den Entscheidungen Vale und Polbud-Wykanowstwo hat es der EuGH als Verletzung der Niederlassungsfreiheit angesehen, wenn ein Staat der EU den Formwechsel aus einer im EU-Ausland gegründeten Gesellschaft unter Wahrung der inländischen Gründungsvorschriften in eine inländische Gesellschaft nicht anerkennt oder der bisherige Staat bei Verlegung des Satzungssitzes die Löschung ablehnt303a. Das OLG Frankfurt hat unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit nach Art 49, 54 AEUV der Eintragung einer Gesellschaft im EU-Ausland als Formwechsel aus einer deutschen Gesellschaft analog § 202 I Nr 1, 3, II, III UmwG heilende Wirkung beigemessen303b. Die für das deutsche Recht verbindliche Rechtsprechung des EuGH hat 201 in der deutschen Rechtswissenschaft zu einem erstaunlichen Abfall von der Sitztheorie und Überlaufen zur Gründungstheorie geführt. Es soll plötzlich nicht nur die ausländische Gesellschaft anzuerkennen, sondern diese auch vollständig nach dem ausländischen Gründungsstatut zu behandeln

200c

302e

_____ 302c EuGH Rs C-212/97 Slg 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027(Centros). Anders noch, ohne Gefährdung der Sitztheorie, die Entscheidung Daily Mail (EuGH Rs C-81/87 Slg 1988, 5483 = IPRax 1989, 381), die die Beschränkung des Wegzuges einer Gesellschaft aus dem Gründungsstaat in einen anderen Mitgliedstaat durch die Rechtsordnung des Gründungsstaates (Konsequenz der Auflösung mit der Notwendigkeit der Neugründung im anderen Mitgliedstaat) mit der Niederlassungsfreiheit für vereinbar erklärt hat. Für die Verletzung der Niederlassungsfreiheit durch eine solche Regelung hat der Generalanwalt Maduro in seinen Schlussanträgen vom 22.5.2008 NZG 2008, 498 = ZIP 2008, 1067 in der Rechtssache Cartesio plädiert. Dem ist der EuGH jedoch nicht gefolgt (Urteil vom 16.12.2008 Slg 2008, I 9641, Rn 99 ff). 302d EuGH Rs C-208/00 Slg 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 (Überseering). Dazu Eidenmüller, ZIP 2002, 2233; Meilicke, GmbHR 2003, 793. 302e EuGH Rs C-167/01 Slg 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331= GmbHR 2003, 1260 (Inspire Art) mit Kom Meilicke (1271). Zu der europäischen Rspr schon o Rz 140. 303 Zu dieser Rechtsform o Rn 112. 303a EuGH Vale NZG 2012, 871; EuGH Polbud ZIP 2017, 2145 (dazu Bayer/Schmidt, ZIP 2017, 2225, Mörsdorf, ZIP 2017, 2381, Wachter, NZG 2017, 1308, Kindler, NZG 2018, 1. Folgerung des OLG Düsseldorf ZIP 2017, 2057: Formwechsel einer niederländischen BV in eine deutsche GmbH nach deutschem Recht nicht zu verwehren. 303b OLG Frankfurt ZIP 2017, 611.

III. Das für die Gründung maßgebliche Recht | 117

sein304. Große Schubkraft hat diese Meinung durch den Entwurf zu einer EG-VO zum Gesellschaftskollisionsrecht erlangt, den der Deutsche Rat für IPR vorgeschlagen304a und den die deutsche Regierung in ihre Zielsetzung für die Zeit ihrer europäischen Ratspräsidentschaft aufgenommen hatte305. Dem Vorschlag entspricht der Referentenentwurf zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und Juristischen Personen vom 8.1.2008305a. Er erklärt die Rechtsordnung desjenigen Staates für maßgeblich, in dessen Gebiet die Gesellschaften etc registriert worden sind oder, wenn noch keine Registrierung erfolgt ist, sich organisiert haben. Die Rechtsprechung des EuGH hatte solche Konsequenzen in Wirklichkeit bisher nicht. Der EuGH hatte in seiner Rechtsprechung nur die Nichtanerkennung der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründeten Gesellschaft ausgeschlossen. Damit war nicht der Anwendung von Schutzprinzipien des deutschen Rechts auf eine nur in Deutschland tätige Scheinauslandsgesellschaft widersprochen. Nach dem Schwerpunkt der Rechtsverhältnisse in Deutschland muss die Scheinauslandsgesellschaft materiellrechtlich nach den Schutzgrundsätzen des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts zu behandeln sein306. Die Anwendung dieser Schutzgrundsätze widerspricht auch nicht der Niederlassungsfreiheit. Die für die Vereinbarkeit der Anwendung des nationalen Rechts mit der Niederlassungsfreiheit aufgestellte Gebhard-Formel (nicht diskriminierende Anwendung, zwingende Gebotenheit im Allgemeininteresse, Eignung, Erforderlichkeit der Maßnahme)306a wird durch die Anwendung des deutschen Schutzsystems auf in Deutschland tätige Scheinauslandsgesellschaften nicht verletzt. Nach den sich immer mehr durchsetzenden Prinzipien der Gründungstheo- 202 rie ist aber zunächst einmal vom Recht des Staates, in dessen Gebiet die Gesellschaft gegründet worden ist, auszugehen307. Soweit sich die danach gemäß dem ausländischen Recht zu behandelnden Gesellschaften im Inland betätigen, sind

_____ 304 N dieser Neuausrichtung der hM bei Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083 Fn 7; differenzierter im Hinblick auf die Maßgeblichkeit des Gründungsstatuts Bitter, WM 2004, 2190. Für die Geltung der Sitztheorie im Verhältnis zur Schweiz BGHZ 178, 197 und ZIP 2008, 2411. 304a Erarbeitet durch eine Kommission des Deutschen Rats, s Sonnenberger/Bauer, RIWBeilage 1 zu Heft 4/2006. 305 S Günther H. Roth, RdW 2007, 206. 305a S o Rn 105. 306 Wilhelm, ZHR 167 (2003), 520, 535 ff; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1085 ff. Nicht genügend überlegt Burg, GmbHR 2004, 1379 ff; Paefgen, ZIP 2004, 2253. 306a EuGH Rs C-55/94 Slg 1995, I-4165 (Gebhard). Zusammengefasst: Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz. 307 Weitgehend iS der Gründungstheorie aufgrund des deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrags für US-amerikanische Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz in der Bundes-

118 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

danach die deutschen Schutzinstitute nur nach den Grundsätzen des ordre public etc durchzusetzen, soweit das ausländische Gesellschaftsstatut unerträgliche Lücken enthält307a. Die Hysterie, die durch die Centros-etc.-Rechtsprechung des EuGH ausge202a löst worden ist, zeigt sich nicht nur an Vorschlägen wie den soeben zitierten des Deutschen Rats für IPR, sondern auch an befremdlichen Folgerungen in unserer Gesetzgebung. Man meint307b, zwischen gesellschaftsrechtlicher und insolvenzrechtlicher Anknüpfung unterscheiden zu müssen und zu können, um deutsche Regelungsvorstellungen durchzusetzen: In ersterer Hinsicht habe man ausschließlich das Gründungsrecht anzuwenden, während im Insolvenzrecht nach Art 3, 4 (3, 7 nF) der Europäischen Insolvenz-VO das Recht desjenigen Mitgliedstaates maßgeblich ist, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Dazu meint man, Vorschriften „mit starkem insolvenzrechtlichen Bezug“ schaffen zu sollen, der die Anwendung der europäischen Insolvenzordnung „erleichtert“. Weiter führt der Gedanke, unterscheiden zu können, zu dem Missgriff, dass zusammengehörige Normen auseinandergerissen werden, weil man mit dem einen Absatz zukünftig auch die in Deutschland tätige private limited company erfassen will und auch meint, europarechtskonform erfassen zu können, während man den anderen Absatz lieber auf deutsche Kapitalgesellschaften und GmbH & Co OHG oder KG uä beschränkt. Dieser Missgriff ist nach dem MoMiG mit §§ 64 GmbHG, 92 II, III AktG, §§ 130a I–III, 177a HGB passiert. Die Vorschriften, die zu Anfang dieser Regelungen standen, nämlich die über die Pflicht der Geschäftsleitung, bei Insolvenzreife der Gesellschaften die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, sind als § 15a InsO nF verselbstständigt und auf alle bei uns tätigen juristischen Personen und juristische Personen & Co Personengesellschaften ausgedehnt worden, während die daran anknüpfenden Absätze über die Konsequenz der Pflicht zur Einleitung des Insolvenzverfahrens, dass nunmehr Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen zu unterlassen sind und bei Vornahme solcher Zahlungen Schadensersatz an die Gesellschaft zu leisten ist, als gesellschaftsrechtliche Normen in GmbH-, Aktien- und Handelsrecht stehen geblieben sind. Es ist offensichtlich, dass der Schutz der Gesellschaftsgläubiger unabhängig davon

_____

republik haben, BGH NZG 2004, 1001; NZG 2005, 44 (nur noch Erfordernis eines schwachen genuine link zum Gebiet des amerikanischen Rechts). 307a S Grigoleit in: Neuner, Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht 2007 S 266, 273 ff. Zur Überlagerung eines fremden Gründungsstatuts durch zwingende Vorschriften des deutschen Sitzrechts skeptisch Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447 ff. Gegen die Annahme der Durchsetzbarkeit des deutschen Mitbestimmungsrechts aufgrund des ordre public Sandrock, AG 2004, 57. 307b RegE MoMiG BT-Drucks 16/6140, S 47.

IV. Möglichkeit der Rechtsformwahl für „Gegenstand“ und „Zweck“ | 119

gelten muss, ob man Vorschriften dazu in die InsO schreibt oder den Schutz über die Erhaltung des Vermögens der juristischen Person entwickelt. In seinem neuen Urteil Kornhaas307c hat sich der EuGH noch nicht für die generelle Vereinbarkeit der Anwendung der deutschen Gläubigerschutzbestimmungen auf die in Deutschland tätige Scheinauslandsgesellschaft mit Art 49, 54 AEUV ausgesprochen. Aber er hat mit seinem zweiten Leitsatz einen klaren Hinweis in dieser Richtung gegeben. Zunächst hat er die Verweisung der EuInsVO an das inländische Recht großzügig ausgelegt, so dass es auf die künstliche Aufteilung zwischen Insolvenzantragspflicht (InsO) und Erstattungshaftung (§ 64 GmbHG) nicht ankomme307d. In einem zweiten Schritt prüft er dann aber selbstständig die Vereinbarkeit der Gläubigerschutzbestimmung des § 64 II 1 GmbHG (aF) mit den Grundfreiheiten und bejaht sie.

IV. Möglichkeit der Rechtsformwahl für „Gegenstand“ und „Zweck“ IV. Möglichkeit der Rechtsformwahl für „Gegenstand“ und „Zweck“

Ist deutsches Recht maßgeblich, so ist für die Gründung zunächst die Rechts- 203 form zu wählen. Die Gründer können grundsätzlich für jeden beliebigen, gesetzlich zulässigen Zweck eine AG oder GmbH errichten. Dies bestimmt ausdrücklich § 1 GmbHG, das AktG setzt es dadurch voraus, dass es die Merkmale der AG ohne Rücksicht auf einen bestimmten Zweck normiert und die Gesellschaft ohne Rücksicht darauf, ob sie ein Handelsgewerbe betreibt, zur Handelsgesellschaft macht (§ 3 I AktG). Wenn § 1 GmbHG von Zweck spricht, meint er zugleich den Unternehmensgegenstand iSv §§ 3 I Nr 2 GmbHG, 23 III Nr 2 AktG308. Lässt unser Recht auch grundsätzlich die Kapitalgesellschaft für jeden 203a Zweck und Gegenstand zu, so kennt es doch den gesetzlichen Ausschluss von kapitalgesellschaftlichen Rechtsformen für bestimmte Zwecke oder die Abhängigkeit bestimmter Zwecke einer Kapitalgesellschaft von einer behördlichen Erlaubnis. Derartige Beschränkungen bedürfen freilich der Rechtfertigung vor dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art 12 GG) 309.

_____ 307c EuGH NZG 2016, 115 Rn 19, zu dem Urteil umfassend Altmeppen IWRZ 2017, 107 ff. 307d Schon diese Anknüpfung zeigt nicht so sehr die genaue Auslegung der EuInsVO (s die Kritik von Altmeppen, S 110 mit weit N), als das Judiz des EuGH zugunsten der Anwendung der inländischen Gläubigerschutzbestimmung. 308 Zur Unterscheidung von Zweck und Gegenstand und zur Änderung u Rn 248 ff. 309 BGHZ 124, 224 hat Zahnärzte-GmbH, aber nicht –AG zugelassen. Das BayObLG spricht vom Grundrecht der juristischen Person auf Freiheit in der Berufswahl (NJW 2000, 1647).

120 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

203b

Gänzlich ausgeschlossen sind die Rechtsformen der Kapitalgesellschaften für bestimmte Berufe nach den für diese geltenden, insbesondere berufsständischen, Sonderregelungen309a. Auch für Rechtsanwälte hat man früher diese Beschränkung angenommen. Sie ist aber durch die Entscheidung des BayObLG aus dem Jahre 1994 aufgegeben worden309b. Während das BayObLG Fälle zu behandeln hatte, dass die Gesellschaft nur die Aufträge annimmt, die Tätigkeit selbst aber durch zugelassene Rechtsanwälte, die der Gesellschaft angehören, ausgeführt wird309c, hat der Gesetzgeber inzwischen in der BRAO geregelt, dass eine GmbH unter bestimmten Voraussetzungen sogar in eigener Person als „Rechtsanwaltsgesellschaft“ zugelassen werden kann (§ 59c BRAO)309d. Die Gesellschaft selbst ist dann fähig, mit der Rechtsstellung eines Rechtsanwalts Gerichts- oder Verfahrensbevollmächtigte zu sein (§ 59l BRAO)309e. Mit der in § 5a GmbHG nF zugelassenen Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) hat das MoMiG nicht etwa eine neue für die Rechtsanwaltsgesellschaft nicht verwendungsfähige Rechtsform eingeführt. Die Unternehmer-

_____

309a Für Apotheker sind Kapitalgesellschaften nach § 8 ApothekenG, für Notare nach § 9 BNotO ausgeschlossen. Im Gegensatz zu den Zahnärzten, denen der BGH die Freiheit zur Wahl der Rechtsform der GmbH, aber nicht der AG zugestanden hat (Vorn), schließt Art 18 I S 2 des Bayer. Heilberufskammergesetzes für in Bayern praktizierende Ärzte der allgemeinen Medizin Praxen in der Form von juristischen Personen des Privatrechts, also auch in der Form von GmbH aus. Der BayVerfGH hat die Regelung für vereinbar mit der Berufsfreiheit nach Art 101 BV erklärt (NJW 2000, 3418), kritisch Siebel, DStR 2000, 1275; Bachmann, NJW 2001, 3385. Das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) erlaubt die Gründung und kassenrechtliche Zulassung medizinischer Versorgungszentren. Diese können auch in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft gebildet werden. Die Versorgungszentren sind fachübergreifende Einheiten; in ihnen müssen entweder mindestens zwei Fachärzte unterschiedlicher Fachrichtungen oder ein Arzt neben der Erbringung mindestens einer sonstigen Leistung iS des SGB V tätig sein. Zur Zulässigkeit der Ärzte-GmbH allgemein Meyer/Kreft, GmbHR 1997, 193. 309b NJW 1995, 199, ergänzend die Entscheidung BayObLG NJW 1996, 3217. 309c Auf die Trennung von Organisation und Auftragsannahme einerseits und Auftragsausführung andererseits stellt auch der BGH in seiner die Zahnärzte-GmbH betr Entscheidung ab (o Fn 309). 309d Den möglichen Gesellschafterkreis grenzt § 59e BRAO ab. Nach BGH NJW 2017, 1681 kann eine Partnerschaft nicht Gesellschafterin sein (keine sog doppelstöckige Rechtsanwaltsgesellschaft, dazu Henssler, NJW 2017, 1544;). 309e Obwohl die Zulassung Voraussetzung nur für jene Fähigkeit, insbesondere also die Postulationsfähigkeit der Gesellschaft, ist, haben Zuck, Kom zu §§ 59c ff BRAO, § 59c Rn 9, Henssler/Streck/Henssler Handbuch des Sozietätsrechts 2001 S 651 Rn 48 die frühere Vorschrift des § 8 I Nr 6 GmbHG, wonach bei genehmigungsbedürftigem Gegenstand der Gesellschaft die Erteilung der Genehmigung die Voraussetzung der Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister war, auf die Rechtsanwalts-GmbH angewandt. Das MoMiG hat § 8 I Nr 6 GmbHG beseitigt und dadurch jenes Problem für die RA-GmbH.

IV. Möglichkeit der Rechtsformwahl für „Gegenstand“ und „Zweck“ | 121

gesellschaft ist eine besondere Form der GmbH mit leichteren Gründungs-, insbesondere Kapital- und Einlagevoraussetzungen. Die auf die GmbH bezogenen §§ 59c ff BRAO sind auf die GmbH, also auch auf die Unternehmergesellschaft bezogen. Unzumutbare Gefahren können davon nicht ausgehen, weil die Rechtsanwaltsgesellschaft nach § 59j BRAO eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen muss. Im Jahre 2000 hat sich das BayObLG für die Eintragbarkeit der Firma einer 203c Anwalts-AG in das Handelsregister ausgesprochen310. Der BGH hat dem inzwischen die Fähigkeit der AG hinzugefügt, sich als Rechtsanwaltsgesellschaft zulassen zu lassen310a. Das Gericht wendet die Voraussetzungen der §§ 59c ff BRAO, insbesondere den § 59e darüber, dass alle Gesellschafter (also auch die Aktionäre) entweder Anwälte sein oder zu den in der BRAO genannten Berufen gehören müssen, entsprechend an311. Bestimmte Rechtsformen sind dadurch ausgeschlossen, dass bestimmte 204 Zwecke nur in bestimmten anderen Rechtsformen betrieben werden können. § 2 I BausparkassenG beschränkt Bausparkassen auf die Rechtsform der AG, § 7 I VAG öffnet für Versicherungsunternehmen nur die Rechtsformen der AG, der SE, des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit und öffentlich-rechtlicher juristischer Personen. Die Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital kann nur als Aktiengesellschaft betrieben werden (§ 108 I KAGB)311a. Voraussetzung des Geschäftsbetriebs von Kreditinstituten und damit auch 204a solcher, die als Kapitalgesellschaft betrieben werden sollen, ist nach § 32 KWG die Erlaubnis durch die BAFin311b. Dies gilt ebenso nach dem KAGB für die verschiedenen Kapitalverwaltungsgesellschaften. Die Erlaubnispflichtigkeit ist

_____ 310 NJW 2000, 1647. Nach Ansicht des Gerichts gilt die firmenrechtliche Regelung des § 59k BRAO nicht für die Anwalts-AG (weiter seien Maßgaben nach § 9 Berufsordnung für Rechtsanwälte weder auf die Anwalts-GmbH noch auf die AG anzuwenden). Die vom Registerrichter beanstandete Firma Pro-Videntia Rechtsanwalts-AG sei auch firmenrechtlich zulässig. Weil das Registergericht bisher nur die Firma beanstandet hatte, hat das BayObLG noch nicht – wie in seiner die Anwalts-GmbH betreffenden Entscheidung aus dem Jahre 1994 – Überlegungen zur berufsrechtlich notwendigen Ausgestaltung einer Anwalts-AG angestellt. Kritisch zur Entscheidung des BayObLG angesichts der Nichtexistenz einer berufsrechtlichen Rahmenregelung für die Anwalts-AG Kemptner/Kopp, NJW 2000, 3449. 310a BGHZ 161, 376. AA Kemptner/Kopp, NJW 2004, 3605. Der BGH lässt allerdings bei einem Formwechsel einer Anwalts-GmbH in eine Anwalts-AG die Zulassung der Gesellschaft widerrufen. Dann Neubeantragung der Zulassung für die AG erforderlich. 311 Kritisch zum Ausschluss von Gesellschaften von der Mitgliedschaft an der Anwalts-GmbH (im Gegensatz zur Zulässigkeit bei Patentanwalts-, Steuerberatungs- und WirtschaftsprüfungsGesellschaften) Pluskat, GmbHR 2004, 1058. 311a Die tautologische Bestimmung enthielt schon der frühere § 96 I 1 InvG. 311b § 6 I KWG, s a §§ 1, 4 FinDAG.

122 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

kein Anwendungsfall des Konzessionssystems, weil sie dem besonderen Geschäftsbetrieb, nicht der Gründung einer Kapitalgesellschaft gilt311c.

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH

1. Simultangründung; die Stufen bis zur Entstehung der Gesellschaft a. Simultangründung 205 Für die Gründung der GmbH und der AG gilt das Prinzip der Simultangrün-

dung. Nach dem AktG von 1937 war für die AG noch eine Stufengründung möglich. Im Gründungsstadium konnten schon Aktien an das Publikum abgegeben werden. Das Kapital wurde so „nach und nach“ aufgebracht. Nach geltender Regelung müssen dagegen die Gründer der AG ebenso wie die der GmbH alle Anteile übernehmen. Das AktG drückt das in § 2 unter der zu engen Überschrift „Gründerzahl“ dahin aus, dass sich an der Feststellung des Gesellschaftsvertrages (der Satzung) eine oder mehrere Personen beteiligen müssen, welche die Aktien gegen Einlagen übernehmen (s a §§ 23 II Nr 2, 29 AktG). Nach § 28 AktG sind das die Gründer der Gesellschaft312. Im GmbHG ist das Erfordernis der Übernahme aller Anteile durch die Gründer durch die Bestimmungen ausgedrückt, dass der Gesellschaftsvertrag von sämtlichen Gesellschaftern unterzeichnet werden muss (§ 2 I 2 GmbHG312a) und dass zum Inhalt des Gesellschaftsvertrags nach § 3 I Nr 4 GmbHG die Zahl und die Nennbeträge der Geschäftsanteile gehören, „die jeder Gesellschafter gegen Einlage auf das Stammkapital (Stammeinlage) übernimmt“. Die Notwendigkeit der Simultangründung führt im Fall einer AG mit gro205a ßem Grundkapital zu der praktischen Notwendigkeit, dass eine Emissionsbank oder ein Zusammenschluss von mehreren Beteiligten (Konsortium) gefunden werden muss, die wenigstens einen Teil der Aktien als Mitgründer übernehmen312b und dann durch Weiterübertragung beim Publikum unterbringen. Bei

_____

311c Die §§ 8 I Nr 6 GmbHG, 37 IV Nr 5 AktG (Genehmigung als Voraussetzung der Anmeldung) hat das MoMiG aufgehoben. 312 Missverständlich, als wären die Gründer eine Teilmenge der (zunächst beteiligten) Aktionäre. 312a Ballerstedt (GmbHR 1967, 66, 67 mit Fn 10) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Vorschrift als bloße Formvorschrift überflüssig wäre (als solche schon enthalten in § 177 FGG aF, jetzt § 13 I 1 BeurkG). 312b Ein Konsortium kann als BGB-Gesellschaft Mitgründerin einer AG und einer GmbH sein (zur Gründerfähigkeit einer BGB-Gesellschaft bei der AG BGHZ 118, 83, 99 f, bei der GmbH Roth/ Altmeppen/Roth § 1 Rn 30 f).

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 123

der Kapitalerhöhung sieht das Gesetz selbst das entsprechende Vorgehen zur Befriedigung des Bezugsrechts der Altaktionäre vor (§ 186 V AktG). Eine Umgehung der Simultangründung durch Vorratsaktien (Aktien, die die Gesellschaft selbst zeichnet) ist unzulässig (§ 56 I AktG), die Übernahme der Aktien ist nach § 134 BGB nichtig (§ 56 I AktG mit Umkehrschluss aus Abs 2 S 2). Ebenso wenig kann die in Gründung befindliche GmbH eigene Anteile übernehmen; das wäre ein Verstoß gegen das Gebot der Aufbringung des Stammkapitals312c.

b. Die Stufen bis zur Entstehung Finden sich mehrere Personen zur Gründung einer Kapitalgesellschaft zusam- 206 men oder entschließt sich eine Person dazu (die Gründung einer Gesellschaft ist durch eine Person oder mehrere Personen möglich, §§ 1 GmbHG, 2 AktG313), so geht die Gründung ersterenfalls in drei, bei der Einmanngründung in zwei Stufen vor sich. Die Gründungsvorschriften des AktG und des GmbHG betreffen bei der Gründung durch mehrere Personen die Schritte von Stufe 2, der Errichtung der Gesellschaft, bis Stufe 3, Eintragung; bei der Einmanngründung ist die Errichtung Stufe 1 und die Eintragung Stufe 2. Auf der ersten Stufe der Mehrpersonengründung schließen die Gründer ei- 207 nen Vertrag darüber, dass sie eine bestimmte Kapitalgesellschaft gründen wollen. Dies ist ein Gesellschaftsvertrag, der die sog Vorgründungsgesellschaft hervorbringt. Sie ist Gesellschaft bürgerlichen Rechts, es sei denn, die Gesellschafter bringen schon ein Handelsgewerbe ein oder bauen es auf, dann handelt es sich um eine OHG. Schon jener Gesellschaftsvertrag bedarf der Form des § 2 I oder Ia GmbHG, weil er die Gründer zum Abschluss einer nach §§ 2 I, Ia GmbHG, 23 I 1 AktG formbedürftigen Vereinbarung verpflichtet314. Bei Nichteinhaltung der Form finden auf die Vorgründungsgesellschaft die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung 315. Die zweite Stufe – bei der Einmann-Gründung die erste – besteht in dem 207a Gründungsakt zur Errichtung einer Kapitalgesellschaft. Das AktG nennt die maßgebliche Gründungsregelung „Satzung“ (§ 2 AktG) und den Gründungsakt

_____ 312c Roth/Altmeppen/Roth § 1 Rn 33. § 33 GmbHG über den Erwerb von eigenen Geschäftsanteilen ist nicht anwendbar, weil die Geschäftsanteile erst mit Eintragung der Gesellschaft entstehen. § 33 spricht nicht wie § 56 AktG von der Zeichnung der Anteile. 313 Früher waren bei der AG nach dem Gesetz mindestens fünf Gründer, bei der GmbH (Vertragserfordernis) zwei Gründer erforderlich. Zur Zulassung der Einmanngründungen u Rn 209. 314 BGH NJW 1992, 362, 363 mN. 315 Hierzu Flume I/1 § 2 III, K. Schmidt § 6 S 136 ff.

124 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

die Feststellung der Satzung (§ 23 I 1 AktG). Die beteiligten Personen heißen Gründer (§ 28 AktG). Das GmbHG nennt den maßgeblichen Akt – auch bei der Einmann-Gründung – „Gesellschaftsvertrag“ und spricht von dem oder den Beteiligten als „Gesellschaftern“ (§§ 2, 3 etc GmbHG). Die zweite Stufe bei der Mehrpersonen-, die erste bei der Einmann-Gründung besteht also bei der AG in der Feststellung der Satzung (§ 23 AktG), bei der GmbH in dem Abschluss des „Gesellschaftsvertrags“ (§ 2 GmbHG). Nach dem AktG bewirkt die Feststellung der Satzung mit der Übernahme aller Aktien die Errichtung der AG (§ 29 AktG). Auch das GmbHG spricht von der Errichtung (§§ 1, 7 II 3 GmbHG) und meint den Abschluss des Gesellschaftsvertrags. Mit der Errichtung entsteht sowohl bei der Mehrpersonen- wie bei der Ein208 personengründung die sog Vorgesellschaft. Bei der Einmanngründung besteht sie in einem Sondervermögen als „Vor-AG“315a oder „Vor-GmbH“, welches von der sonstigen Sphäre des Gründers verselbstständigt ist316. Insbesondere haftet es nur für die Schulden der „Vorgesellschaft“. Während die Vorgesellschaft mit der durch Eintragung entstandenen juristischen Person identisch ist, besteht zwischen der Vorgesellschaft und der Vorgründungsgesellschaft keine Identität316a. Haben die Gesellschafter in der Vorgründungsgesellschaft ein Handelsgewerbe betrieben oder sonstiges Gesellschaftsvermögen angesammelt, müssen sie die Gegenstände des Gewerbes oder Vermögens auf die Vorgesellschaft übertragen. Der Einmann-Gründer muss die von ihm der Vorgesellschaft zugedachten Gegenstände in das Sondervermögen der in seiner Person bestehenden Einmann- „Vorgesellschaft“ übertragen. Die dritte, bei der Einmann-Gründung zweite Stufe der Gründung ist die 208a Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Mit der Eintragung entsteht die AG oder GmbH als solche (§§ 41 I 1 AktG, 11 I GmbHG). Zwischen der Vorgesellschaft und ebenso dem Sondervermögen in der Hand des EinmannGründers und der eingetragenen AG oder GmbH besteht Identität, die Vermögensgegenstände bleiben bei der Gesellschaft.

_____ 315a Nicht hierher gehört der Vor-REIT nach § 2 REITG (dazu o Rn 22). 316 Zur Vorgesellschaft einschließlich der Vor-AG und -GmbH u Rn 365 ff. 316a Nach BGHZ 141, 208, LSG Schleswig-Holstein DStR 2017, 2237 findet auf einen Treuhandvertrag, der die Verpflichtung zur Abtretung eines Geschäftsanteils enthält, die Formvorschrift des § 15 IV GmbHG keine Anwendung, wenn er im Vorgründungsstadium (vor Beurkundung des Gesellschaftsvertrags) und damit über einen künftigen Geschäftsanteil geschlossen wird, (krit Roth/Altmeppen/Altmeppen § 15 Rn 81).

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 125

2. Die Regeln der Gründung und die relevanten Strukturmerkmale der Gesellschaften a. Gesellschafter, Gesellschaftsvertrag, Satzung (1) Zahl der Gesellschafter, Beteiligtenfähigkeit, Kreis der Verantwortlichen Sowohl bei der AG wie bei der GmbH ist die Gründung durch mehrere Gesell- 209 schafter, aber auch die Einmanngründung durch einen Gesellschafter möglich (§ 2 AktG, § 1 GmbHG). Die Einmanngründung ist für die GmbH durch die GmbH-Novelle von 1980 zugelassen worden. Vor der Zulassung wurde mit Treuhändern gearbeitet (sog Strohmanngründung, s sogleich). Die Einschaltung von Treuhändern als vorgeschobenen Gesellschaftern ist nach wie vor zulässig, nur nicht mehr erforderlich, wenn eine Person eine GmbH gründen will. Durch das Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts317 wurde die Möglichkeit der Einmanngründung auf die AG übertragen (§ 2 AktG). Seinerzeit wurde mit übertragen das Erfordernis, welches das GmbHG damals für Einmanngründungen bestimmt hatte, nämlich das Erfordernis der Bestellung einer Sicherung, wenn der Alleingesellschafter die Einlage noch nicht voll geleistet hatte (§ 36 II 2 AktG aF). Das Erfordernis ist durch das MoMiG für beide Gesellschaftsformen beseitigt worden.

Als Gesellschafter beteiligt sein können alle natürlichen Personen und rechts- 210 fähigen Gesellschaften, auch eine Vorgesellschaft aus einer anderen Gründung, eine bürgerlichrechtliche Außengesellschaft und – so die richtige Auffassung317a – eine Erbengemeinschaft317b. Davon zu trennen ist die Frage der Mitberechtigung nach § 18 GmbHG. Diese betrifft die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte. Bei den Gesellschaften gilt die Vertretungsregelung, bei der Erbengemeinschaft gilt mangels einer Organisation (§ 2038 BGB) die Vorschrift des § 18 GmbHG über die Mitberechtigung am Geschäftsanteil317c. Was bei der GmbH die Aufnahme in die Gesellschafterliste (§ 40 GmbHG) betrifft, gilt nach der Neufassung des § 40 I 2 GmbHG: Ist ein Gesellschafter selbst eine Gesellschaft, so sind bei eingetragenen Gesellschaften in die Liste deren Firma, Satzungssitz, zuständiges Register und Registernummer aufzunehmen, bei nicht eingetragenen

_____ 317 v 2.8.1994 BGBl I S 1961. 317a Flume, Die Personengesellschaft, § 4 I, II. Dazu Wilhelm, Sachenrecht, 5. Aufl. Rn 179. 317b Bei Testamentsvollstreckung ist richtiger Auffassung nach zu verneinen, dass der Testamentsvollstrecker sich zu Lasten der Erbengemeinschaft an einer Gründung beteiligen kann. Er kann nur den Nachlass verpflichten (§ 2206 BGB). Eine persönliche Haftung kommt bei der GmbH immer in Betracht (s für die Beteiligung Minderjähriger Rn 211). 317c Flume verlangt S 110 für den Gründerbericht bei der AG (§ 32 AktG) bei Mitgründung durch eine BGB-Gesellschaft die Mitwirkung aller Gesellschafter am Bericht.

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Gesellschaften deren jeweilige Gesellschafter unter einer zusammenfassenden Bezeichnung mit Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort. Entsprechend gilt, dass bei einer sich beteiligenden Erbengemeinschaft die Erben in die Gesellschafterliste mit aufzunehmen sind317d. Von der Fähigkeit, Mitgründer zu sein, ist die Frage zu unterscheiden, wer 210a Gründer ist, wenn Gründer aufgrund schuldrechtlicher Abrede nicht für sich selbst handeln, sondern für Treugeber (aufgrund Geschäftsbesorgungsverhältnisses nach § 675 iVm §§ 662 ff BGB). Der Einschaltung eines Treuhandgesellschafters bedurfte es früher, als die Einmanngründung noch nicht zulässig war. Sie kommt heutzutage vor, wenn die eigentlichen Gründer aus welchen Gründen auch immer im Hintergrund bleiben wollen. Man spricht von Strohmanngründung. Zunächst ändert die Treuhandabrede nichts an der vollen Verantwortlichkeit der Strohmann-Gesellschafter. Zu fragen ist, ob zusätzlich die Hintermänner in die Verantwortlichkeit einzubeziehen sind. Dies hat der BGH für das Recht der GmbH in der berühmten Lufttaxi-Entscheidung angenommen317e, und zwar auch für die Kapitalaufbringungshaftung. Der Gesetzgeber ist ihm für die Gründung von AG und GmbH gefolgt: § 46 V AktG statuiert die Haftung auch von Hintermännern der Gründer für falsche Angaben, für die Schädigung durch Einlagen, Übernahmen, Gründungsaufwand und für Ausfälle bei der Einlageverpflichtung von Aktionären. § 9a IV GmbHG sagt dies für die entsprechende Haftung bei der GmbH. Wie die Aussparung des § 9a IV GmbHG in § 57 IV GmbHG zeigt, sieht der Gesetzgeber für eine entsprechende Hintermännerhaftung bei der Kapitalerhöhung keinen Gegenstand.

(2) Beteiligung Minderjähriger an Gründung oder Anteilsveräußerung bei der GmbH 211 Insbesondere bei einer Familien-GmbH kommt die Beteiligung Minderjähriger am Gesellschaftsvertrag vor. Der Minderjährige wird entweder durch den gesetzlichen Vertreter vertreten (§§ 1629 I, 1793 I 1 BGB) oder bedarf nach § 107 BGB der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters318. Der Vertreter ist, wenn er zusätzlich selbst oder ein naher Angehöriger iS des § 1795 I Nr 1 BGB beteiligt ist, von der Vertretung ausgeschlossen (§§ 1795 II, 181, 1795 I Nr 1 BGB, § 1629 II BGB

_____ 317d Zur Gesellschafterliste OLG Nürnberg NZG 2018, 61, OLG München NZG 2018, 63. 317e Dazu u Rn 480. 318 Steht ein Gründer unter Betreuung, bedarf er der Zustimmung, wenn das Betreuungsgericht einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet hat (§ 1903 BGB). Für Einpersonengründungen gilt § 111 BGB, für Mehrpersonengründungen § 108 BGB, für Fälle des Einwilligungsvorbehalts iVm § 1903 I 2 BGB.

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 127

iVm diesen Vorschriften). In diesen Fällen ist für den Minderjährigen nach § 1909 BGB ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Weiter kommen Vorschriften in Betracht, die Geschäfte des Minderjährigen von der Genehmigung des Familiengerichts abhängig machen. Wenn schon im Vorstadium der Gesellschaft ein Erwerbsgeschäft betrieben werden soll, bedürfen die Verträge über die Vorgründungsgesellschaft und über die Errichtung der GmbH nach §§ 1643, 1822 Nr 3 2. Var BGB der Genehmigung des Familiengerichts. Der Grund liegt in den – weiter unten319 noch zu entwickelnden – Haftungsrisiken der Vorgesellschaft. Unrichtig wendet die hM § 1822 Nr 3 BGB auch dann an, wenn das Erwerbsgeschäft erst von der GmbH als juristischer Person betrieben werden soll320. In diesem Fall kommt – wie auch in Fällen, in denen kein Erwerbsgeschäft betrieben werden soll, – nur die Genehmigungsbedürftigkeit nach § 1822 Nr 10 BGB wegen Übernahme fremder Verbindlichkeiten in Betracht. Die hM320a verneint die Genehmigungsbedürftigkeit bei Gesellschaften mbH mit ideellem Zweck, sofern die Einlagen vor der Anmeldung vollständig geleistet werden müssen. Dem ist nicht zu folgen: Zunächst geht es um den Vertrag, und der liegt vor der Anmeldung. Sodann ordnet das GmbHG die Ausfallhaftung gem § 24 GmbHG und die Differenzhaftung nach § 9 GmbHG an, es droht zudem die sog Vorbelastungshaftung320b. Die Genehmigungsbedürftigkeit nach § 1822 Nr 10 BGB ist folglich zu bejahen. Sehr streitig ist, ob das Erfordernis der Genehmigung des Betreuungs- oder 211a Familiengerichts ebenso wie bei der Gründung auch bei der Veräußerung oder dem Erwerb von Anteilen an der GmbH durch minderjährige Gesellschafter oder Erwerber gilt321. Auch hier sind wieder321a § 1822 Nr 3 BGB betreffend Veräußerung oder Erwerb eines Erwerbsgeschäfts und Nr 10 betreffend die Übernahme einer fremden Verbindlichkeit zu prüfen. Nr 10 kommt im Hinblick auf die Haftungsrisiken nach §§ 16 III, 22, 24 und 31 III GmbHG in Betracht. § 1822 Nr 3 BGB wird nach hM321b nur auf den Fall der Veräußerung oder des Erwerbs eines Anteilsbesitzes von 100% oder nahezu 100% angewandt (schon dies ist zweifelhaft). Die Gründung mit Betreiben eines Erwerbsgeschäfts schon im Vorstadium und der Erwerb von Anteilen an der GmbH sind nicht gleichzustellen, weil die Gründung mit den Haftungsrisiken der Vorgesellschaft verbunden ist, der Er-

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319 S Rn 365 ff. 320 Baumbach/Hueck/Fastrich § 2 Rn 26 mwN. 320a Raiser/Veil § 35 Rz 9 mN. 320b U Rn 384 ff. 321 Vgl MüKo-BGB/Wagenitz § 1822 Rn 17; StaudingerKom BGB/Engler [2004] § 1822 Rn 41 ff. 321a Von Sonderfällen abgesehen, in denen sich die Genehmigungsbedürftigkeit wegen Verfügung über Vermögensgesamtheiten nach § 1822 Nr 1 BGB ergibt. 321b Baumbach/Hueck/Fastrich § 15 Rn 4.

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werb dagegen nicht. Die Mithaftung nach den erwähnten Vorschriften, insbesondere nach § 16 III GmbHG ist nach § 1822 Nr 10 BGB zu bewerten. Die Genehmigungsbedürftigkeit nach § 1822 Nr 10 BGB greift nur für die Übernahme einer fremden Verbindlichkeit ein, dh für diejenige Übernahme, die mit der Hoffnung auf Regress beim eigentlichen Schuldner verbunden und deshalb riskant ist. Die Übernahme als eigene Verbindlichkeit (beim Erwerb des Geschäftsanteils in Anrechnung auf den Kaufpreis) löst die Genehmigungsbedürftigkeit nicht aus322. Weiter muss eine zu übernehmende Haftung mit Regressmöglichkeit nach den Vorschriften des GmbH-Gesetzes bestehen. Sind alle Einlagen geleistet und bestehen keine Anhaltspunkte für eine Rückzahlung iSv § 30 GmbHG, so ist eine Genehmigung iSd § 1822 Nr 10 BGB nicht erforderlich322a.

(3) „Feststellung der Satzung“ bzw Abschluss des „Gesellschaftsvertrags“ (a) Form und Inhalt 212 Die Aktiengesellschaft wird durch notarielle Feststellung der Satzung errichtet (§ 23 I 1 AktG)323. Nach § 13 I 1 Hs 1 BeurkG gehört zur Beurkundung die Unterzeichnung durch die Gründer. Nach § 23 I 2 AktG bedarf es für die Vertretung durch Bevollmächtigte einer notariell beglaubigten Vollmacht323a. § 23 trennt den Inhalt der Satzung (Abs 3, 4) und den Inhalt der sonstigen Urkunde (Abs 2) je nachdem, ob der Gründungsvertrag mit der Beteiligung der Gründer oder das weitere Leben der Gesellschaft geregelt wird. Die Satzung muss nach § 23 III und IV AktG sieben Punkte umfassen: Firma und Sitz, Gegenstand des Unternehmens, Höhe des Grundkapitals, Einzelheiten betr die Aktien: Nennbetrags- oder Stückaktien, Aktien mehrerer Gattungen, Namensaktie oder Inhaberaktie, weiter Zahl der Vorstandsmitglieder oder die für die Zahl maßgeblichen Regeln, schließlich (Abs 4) die Form der Bekanntmachungen der Gesellschaft (dazu § 25 AktG). Vor Allem sind die Kapital- und Kapitalanteilsgrundlagen der Gesellschaft festzulegen. In der Urkunde sind vorweg der oder die

_____ 322 BGHZ 107, 23, 26 f. 322a BGH aaO S 28. 323 Wie bei der GmbH (s Fn 324) ist die Beurkundung durch einen ausländischen Notar bei Gewährleistung der Sachkunde ausreichend. Zweifel bei Hüffer/Koch § 23 Rn 11, wenn auch die Rechtsprechung zum GmbHG für die Beibehaltung der bisherigen Ansicht spreche. 323a Gilt auch für die Genehmigung nach § 177 BGB (bei Einmanngründung nicht möglich, § 180 BGB). Die Eintragung der Gesellschaft unter Nichtbeachtung des Formmangels hat heilende Wirkung. Bei Beteiligung von juristischen Personen oder Personengesellschaften weisen sich die Vertretungsorgane durch ihre Bestellungsurkunden oder Handelsregisterauszüge aus. Letzterer genügt auch für den Prokuristen (gesetzlicher Umfang der Vertretungsmacht nach § 49 HGB deckt die Mitwirkung).

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 129

Gründer (§ 23 II Nr 1 AktG), die von diesen übernommenen Aktien (Nr 2) und der bereits eingezahlte Betrag des Grundkapitals anzugeben (§§ 2, 23 II Nr 2 AktG). Nach dem GmbHG wird die GmbH durch den notariellen Gesellschafts- 212a vertrag gegründet (§ 2 I 1 GmbHG)324. Der aktienrechtliche Ausdruck Feststellung der Satzung deckt sowohl die Einmanngründung als auch die Gründung durch mehrere Personen. Der Ausdruck „Gesellschaftsvertrag“, den demgegenüber das GmbHG gebraucht, passt nicht auf die Einmanngründung. Bei dieser ist der „Gesellschaftsvertrag“ ein einseitiger notarieller Organisationsakt. § 2 I 2 GmbHG hebt die Notwendigkeit der Unterzeichnung des Vertrages durch die Gründer ausdrücklich hervor. Nach dem von § 23 I 2 AktG ohne Relevanz abweichend formulierten § 2 II GmbHG bedarf es für die Vertretung durch Bevollmächtigte einer notariell errichteten oder beglaubigten Vollmacht324a. Für die GmbH hat das MoMiG das Erfordernis der notariellen Beurkundung erheblich erleichtert, wenn auch nicht gänzlich oder auch nur partiell beseitigt. Nach § 2 Ia GmbHG können die Gründer ein vereinfachtes Verfahren wählen. Die grundsätzlich erforderlichen drei Urkunden (Gesellschaftsvertrag, notarielles Gründungsprotokoll, Gesellschafterliste) werden in einer notariellen Urkunde vereinigt (§ 2 Ia S 2, 4 GmbHG). Personelle Voraussetzungen für diese Option sind, dass an der Gründung höchstens drei Gesellschafter beteiligt sind und sie bereits einen Geschäftsführer haben (nach § 6 III 1 GmbHG kann das ein Gesellschafter sein) und nur diesen einen bestellen wollen. Wählen die Beteiligten das vereinfachte Verfahren, haben sie inhaltliche Beschränkungen zu beachten. Sie müssen für die notarielle Beurkundung die in der Anlage zum GmbHG zur Verfügung gestellten Musterprotokolle zur Einmanngründung oder zur Gründung mit höchstens drei Personen wählen325. Dafür müssen die Gründer schon den

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324 Nach BGHZ 80, 76, 78 (für Satzungsänderung bei GmbH, fortgeführt für die Mitwirkung eines Notars bei der Aufstellung der Gesellschafterliste nach Inkrafttreten des MoMiG durch BGHZ 199, 270) genügt die Beurkundung durch einen ausländischen Notar, wenn dieser und das Verfahren vor ihm gleichwertig sind (für Österreich und Schweiz wird Gleichwertigkeit meist bejaht, s für die Schweizer Notariate BGHZ 199, 270, mit Einzelanforderungen KG ZIP 2018, 323; zu den Niederlanden OLG Düsseldorf GmbHR 1990, 169). Weiter sind nach dem KonsularG für Beurkundungen im Ausland die deutschen Konsuln zuständig. 324a Nach § 180 I BGB unheilbar nichtig war die Erklärung an den Bevollmächtigten einer Einmanngesellschafterin (einer AG) wegen inhaltlicher Unbestimmtheit der Vollmacht, OLG Frankfurt ZIP 2017, 920. Das Gericht lässt den zusätzlichen Zweifel dahinstehen, ob die vom Vorstand der AG erteilte Vollmacht, wenn sie als die Gründungserklärung umfassende Generalvollmacht auszulegen war, wegen unzulässiger Übertragung der Organkompetenz unwirksam war. 325 Die Musterprotokolle sind gemäß Art 1 Nr 50 MoMiG dem GmbHG als Anlage (Musterprotokolle a) und b)) beigefügt. Folge der Wahl des vereinfachten Verfahrens: Notargebühren von 20 € statt vorher 300 €. Der RegE hatte einen Mustergesellschaftsvertrag vorgesehen, der einer

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Geschäftsführer benennen (jeweils Nr 4 der Protokolle). Weitere Voraussetzung der Erleichterung ist eine Bargründung (Gründung ausschließlich gegen Bareinlagen, jeweils Nr 3 S 2 der Protokolle). Schließlich darf der Vertrag nicht von den gesetzlichen Bestimmungen abweichen (§ 2 Ia S 3 GmbHG). Ohne Trennung zwischen Satzung und sonstigem Inhalt gehören nach § 3 I Nrn 1–4 GmbHG zum Mindestinhalt des Gesellschaftsvertrags die Firma und der Sitz der Gesellschaft, der Gegenstand des Unternehmens325a, der Betrag des Stammkapitals und die Zahl und Nennbeträge der Geschäftsanteile, die jeder Gesellschafter gegen Einlage auf das Stammkapital (Stammeinlage) übernimmt325b.

(b) Disposivität der Gesetze gegenüber Satzung oder Gesellschaftsvertrag 213 AktG und GmbHG sind unterschiedlich in der Disposivität der Regelungen ge-

genüber der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag: Zur Aktiengesellschaft statuiert § 23 V 1 AktG, dass die Satzung von den Vorschriften des AktG nur abweichen kann, wenn es ausdrücklich zugelassen ist326. Nach § 23 V 2 AktG kann die Satzung das Gesetz ergänzen, es sei denn, das Gesetz enthält eine abschließende Regelung 327. Der Grund für die Strenge gegenüber der Satzung besteht darin, dass die Aktiengesellschaft ihrer Grundform nach eine Publikumsgesell-

_____ notariellen Beurkundung nicht bedurfte, und an seine Wahl Erleichterungen bei der Änderung des Gesellschaftsvertrags geknüpft (§ 53 II idF des RegE). Der Rechtsausschuss hat diese weitergehenden Erleichterungen zurückgenommen. 325a Oder der sonstige Zweck (s § 1 GmbHG), zB bei der offenen Vorratsgründung die Verwaltung des eigenen Vermögens. Nach § 3 II GmbHG ist für das Unternehmen eine zeitliche Beschränkung möglich und sind außer der Stammeinlage weitere Verpflichtungen der Gesellschafter denkbar. Beides bedarf nach § 3 II GmbHG der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag. Der Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag bedürfen weiter Sacheinlagen (§ 5 IV), die Vinkulierung von Geschäftsanteilen (§ 15 V), Nachschusspflichten (§§ 26 ff) und die Einziehung von Geschäftsanteilen (§ 34 I GmbHG). 325b Die Form der Bekanntmachung ist in § 12 GmbHG geregelt. 326 ZB erklärt § 55 AktG unter der Voraussetzung, dass die Aktien vinkuliert sind, die Regelung einer Nebenleistungs-AG für zulässig. Zur nachträglichen Einführung von Nebenleistungen oder Vinkulierung durch Satzungsänderung § 180 I, II AktG. – Die Vertraulichkeit ist für Vorstand und Aufsichtsrat in §§ 93 I 3, 116 AktG geregelt, eine erweiternde Satzungsbestimmung (alle in der Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglied erlangten Kenntnisse gälten als Firmengeheimnis) ist unzulässig, BGHZ 64, 325 – Bayer –. 327 BGHZ 83, 106 – Siemens –: § 107 III AktG, der dem Aufsichtsrat die Organisationsgewalt hinsichtlich der Bildung von Ausschüssen einräumt, hindert nicht allgemeine Verfahrensregeln für Ausschüsse in der Satzung (hier: Stichentscheid des Vorsitzenden bei Stimmengleichheit).

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 131

schaft ist, für die es auf einen gesetzlichen Standard der Gesellschaft und der an ihr beteiligten Mitgliedschaften ankommt328. § 23 V AktG hindert nicht die Vereinbarung schuldrechtlicher Verpflichtungen unter den Aktionären. Problematisch sind Vereinbarungen zwischen Aktionären und AG. Auch wenn sie schuldrechtlich gekleidet sind, können sie ihrem Sinne nach über einen Austausch zwischen den Partnern hinausgehen und generell gemeint sein. Dann ersetzen sie mitgliedschaftliche Regelungen, sie sind außerhalb der Satzung unzulässig und für eine Verankerung in der Satzung würden § 23 V AktG und die Regeln über die Satzungsänderung gelten328a. Bei der GmbH gibt es eine die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter be- 213a schränkende Vorschrift, wie sie § 23 V AktG für die AG aufstellt, nicht. So sind beispielsweise bei der GmbH entgegen der restriktiven Vorschrift des § 55 AktG Satzungsregelungen über Nebenleistungen und Nachschüsse grundsätzlich unbeschränkt möglich (§ 3 II GmbHG) 329. Der Satzungsfreiheit bei der GmbH setzt aber der Grundsatz der Selbstbestimmung der juristischen Person Schranken. Die GmbH wird von den Gesellschaftern als oberstem Organ für die Willensbildung und von den Geschäftsführern als gesetzlichem Vertretungs- und Verwaltungsorgan repräsentiert. Daraus folgen für die praktisch nicht selten gewählte Einrichtung zusätzlicher Gesellschaftsorgane wie Beirat, Familienrat etc, die folgenden Schranken: Solchen Organen können nicht Angelegenheiten eingeräumt werden, die zwingend den gesetzlichen Organen zugewiesen sind bzw zustehen: Als unübertragbar zu nennen sind aus dem Kreis der Aufgaben der Geschäftsführer die Vertretungsbefugnis, ihre Obliegenheiten gegenüber dem Handelsregister, sodann ihre Rechnungslegungsaufgabe und ihre Kapitalschutzpflichten einschließlich der Pflicht, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Er-

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328 Satzungsbeschlüsse, die § 23 V AktG verletzen, sind nach § 241 Nr 3 AktG nichtig (s Huber, FS Coing Bd II, 1982, 167, 184 ff; anders, der Gegenposition von Hüffer und Zöllner folgend, für Anfechtbarkeit bei Überschreitung von „weniger grundlegenden Bestimmungen“ Raiser/Veil § 16 Rn 115). § 241 Nr 3 ist analog anzuwenden auf Regelungen in der ursprünglichen Satzung, die also nicht erst durch Änderungsbeschluss getroffen sind. Auch die Heilungsvorschrift des § 242 II AktG ist anwendbar (BGH AG 2000, 515). 328a So die Vereinbarung im Fall BGH NZG 2013, 220 über die Verpflichtung des Aktionärs, Aktien unentgeltlich der AG zu überlassen, auch wenn er sie gegen Entgelt erworben hatte. Der BGH arbeitet mit Sittenwidrigkeit und leitet diese aus der Verletzung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes des Aktionärs her. Die Annahme einer Drittwirkung der Grundrechte ist zu hoch gegriffen. Das Ergebnis der Entscheidung ist vielmehr in dem mitgliedschaftlichen und damit satzungsmäßigen Sinn der Regelung begründet: Die Aktionärsstellung sollte an die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der AG geknüpft sein. 329 Soll die Nebenleistung in der Übernahme von Verlusten bestehen, darf die entsprechende Bestimmung nicht zeitlich und in der Begrenzung nach oben unbestimmt sein (BGH DStR 2008, 309).

132 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

öffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Was sodann die Gesellschafter als oberstes Willensbildungsorgan betrifft, ist zunächst einmal zu beachten, dass es um die Willensbildung der Gesellschafter geht. Ebenso wie die Abspaltung und selbstständige Übertragung des Stimmrechts der Gesellschafter auf Dritte unwirksam sind329a, können diese auch nicht durch die Satzung zugelassen werden. Weiter kann die Wirksamkeit von Satzungsänderungen oder etwa auch von umwandlungsrechtlichen Grundlagenbeschlüssen nicht von der Zustimmung Dritter abhängig gemacht werden. Ebenso wenig können den Gesellschaftern durch besondere Gesellschaftsorgane die Satzungshoheit einschließlich der Kompetenz für die sonstigen Grundlagenbeschlüsse genommen oder beschränkt werden. Unzulässig wäre schließlich die Wegnahme von Mitgliedschaftsrechten bei den Gesellschaftern (etwa des Auskunftsanspruchs nach § 51a GmbHG) unter Übertragung auf ein besonderes Organ. Der BGH329b hatte über die Einsetzung eines „Schiedsgerichts“ als besonderen Gesellschaftsorgans zu entscheiden. Die Qualität als Gesellschaftsorgan zeige sich darin, dass das sog Schiedsgericht die Beschlüsse sonstiger Gesellschaftsorgane ersetze und folglich seine Entscheidungen, wenn sie Beschlüsse eines Aufsichtsrats ersetzten, wie solche nichtig, und dann, wenn sie Beschlüsse der Gesellschafterversammlung ersetzten, wie solche Beschlüsse nach dem Beschlussmängelrecht der GmbH nichtig oder anfechtbar sein könnten. Das Gesellschaftsorgan Schiedsgericht entscheide deshalb auch nicht als Schiedsgericht iSv §§ 1025 ff ZPO329c. Der BGH hält aber fest: Satzungsänderungen könnten einem solchen Organ nicht zugewiesen werden329d.

214 In Anbetracht der Freiheit der Gestaltung des Gesellschaftsvertrags der GmbH

vereinigt dieser Vertrag häufig verschiedenartige Bestandteile. Zu unterscheiden sind Satzungsbestandteile, Individualvertragsbestandteile330 und Ge-

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329a BGHZ 43, 261, 267. 329b BGHZ 43, 261. Auf die Abtretung des Geschäftsanteils des Klägers nach Erhebung einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage ist die Fortsetzungsmöglichkeit des § 265 ZPO anzuwenden (BGH aaO). 329c S 265. Die Schiedsfähigkeit der Beschlussmängelklage bei der GmbH ist vom BGH erst spät und unter erheblichen verfahrensmäßigen Restriktionen, anerkannt worden (ablehnend noch BGHZ 132, 278 ff „Schiedsfähigkeit I“, dann zulassend BGHZ 180, 221 ff „Schiedsfähigkeit II“). 329d BGHZ 43, 264. Zur Zulässigkeit einer Satzungsregelung, wonach der Geschäftsführer die Gesellschafter anweisen kann, einen neuen Gesellschafter aufzunehmen und dafür das Kapital zu erhöhen, s Gutachten DNotI DNotI-Report 2017, 163 ff. Dieses spricht sich für die Zulässigkeit aus, wenn nur, sofern nicht alle Gesellschafter zustimmen, die Kriterien für die Rechtfertigung eines Bezugsrechtsausschlusses erfüllt werden. Außerdem ist die Satzungshoheit der Gesellschafter zu wahren (s u Rn 962). 330 U U kann derselbe Gegenstand als Satzungsbestandteil (Geltung für alle Gesellschafter und für die Zukunft unter Vorbehalt der Satzungsänderung) oder als Gegenstand einer schuld-

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schäftsführungsbestandteile. Neben dem Gesellschaftsvertrag treffen die Gesellschafter häufig noch schuldrechtliche Nebenabreden zwischen den Gesellschaftern über die Ausübung von Gesellschafterrechten, die nicht in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden. Für sie gilt normales Vertragsrecht330a. Was Bestandteile des Gesellschaftsvertrags und hier zunächst die satzungsmäßigen Bestandteile betrifft, sind diese dadurch charakterisiert, dass sie die Geschicke der Gesellschaft als überindividueller Einheit, unabhängig von der Person der dieser gerade angehörenden Gesellschafter, bestimmen sollen. Man spricht vom materiellen oder korporativen Inhalt. Für diesen Inhalt gilt das Prinzip der objektiven Auslegung nach dem Urkundeninhalt. Des Weiteren beziehen sich nur auf die satzungsmäßigen Bestandteile die Vorschriften über die Satzungsänderung (§§ 53 f GmbHG). Beides gilt aber erst für die Zeit nach der Eintragung der Gesellschaft. Vor Eintragung der Gesellschaft gilt für die Änderung von Satzungsbestandteilen das Erfordernis der Einstimmigkeit. Was sodann die Individualvertragsbestandteile betrifft, geht es bei ihnen um Vereinbarungen unter den Gesellschaftern, wie sie auch bei der Aktiengesellschaft möglich sind. Für die Auslegung gelten die allgemeinen Grundsätze der Vertragsauslegung330b. Für ihre Änderung bedarf es einer Vertragsänderung, dh der Zustimmung aller Vertragschließenden. Die notarielle Form des § 2 GmbHG gilt für sie nicht. Was schließlich etwaige Geschäftsführungsbestandteile betrifft, unterliegen diese nicht einmal dem Erfordernis der Einstimmigkeit. So wird zB der erste Geschäftsführer durch Beschluss mit einfacher Mehrheit (§ 47 I GmbHG) bestellt. Ebenso gilt für solche Geschäftsführer die Möglichkeit der Abberufung durch einfachen Beschluss (§§ 38, 46 Nr 5, 47 I GmbHG). Anders ist es ein satzungsmäßiger Bestandteil, wenn durch den Gesellschaftsvertrag bestimmten Gesellschaftern ein Sonderrecht iSv § 35 BGB, dh ein ihnen in Person zustehendes Recht, zugestanden wird330c.

_____ rechtlichen Abrede geregelt werden. Für die Einordnung kommt es dann auf die Feststellung des Parteiwillens unter Berücksichtigung der Umstände an (BGHZ 38, 155, 161). Im Fall des BGH war aber eine als Anhang zum Gesellschaftsvertrag beurkundete Schiedsabrede über die Gestaltung eines Ankaufsrechts notwendiger Weise individualrechtlich und bedurfte daher der Form des alten § 1027 ZPO. 330a Die Anwendung des gesellschafterlichen Anfechtungsrechts (für die Beschlüsse der GmbH analog § 243 AktG) auf die Verletzung von Nebenabreden über die Stimmmrechtsausübung durch BGH NJW 1983, 1910, 1911; 1987, 1890, 1891 ist aus der Sonderkonstellation erklärbar, dass alle Gesellschafter sich über die Abrede einig waren. 330b Die Beschränkungen der Revisibilität nach § 549 I ZPO aF (dazu BGHZ 21, 370) gelten nicht mehr. 330c S BGHZ 18, 205.

134 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

214a

Exemplarisch sind die unterschiedlichen Möglichkeiten, über die Einlagepflicht in Höhe der Geschäftsanteile hinaus ein Agio zu bestimmen330d. Dieses kann statutarisch, insbesondere im Beschluss über eine Kapitalerhöhung festgelegt werden, die Bestimmung wird dann mit Eintragung des Beschlusses wirksam mit der Folge, dass die allgemeinen Vorschriften über Willensmängel nicht mehr anwendbar sind330e. Die Gesellschafter können aber auch rein schuldrechtlich untereinander die Zahlung eines Agios vereinbaren.

(c) Änderung der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags 215 Zur Änderung der Satzung der AG bedarf es mit Ausnahme einer Zweckänderung, für die es grundsätzlich der Einstimmigkeit bedarf330f, nach § 179 I, II 1 AktG eines Beschlusses der HV mit einer Mehrheit von mindestens 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Der Gesellschaftsvertrag der GmbH kann in seinen vorstehend abgegrenzten Satzungsbestandteilen nach § 53 I, II 1 GmbHG durch Beschluss der Gesellschafter mit einer Mehrheit von 3/4 der abgegebenen Stimmen geändert werden. Andere Erfordernisse können hinzugefügt, dh geringere Erfordernisse können nicht bestimmt werden (§ 53 II 2 GmbHG). Für eine Verschärfung der Gesellschafterlasten bedarf es der Zustimmung aller Gesellschafter (§ 53 III, der weit auszulegen ist). Erstaunlicherweise scheint bei der AG insoweit eine größere Satzungsautonomie zu bestehen als bei der GmbH: Die Satzung der AG kann eine andere und nur zur Änderung des Unternehmensgegenstandes ausschließlich eine größere Mehrheit bestimmen (§ 179 II 2 AktG), während § 53 II GmbHG nur – wie auch bei der AG – weitere Erfordernisse neben der – insofern hier als zwingend bestimmten – 3/4-Mehrheit zulässt. Allerdings ist bei der GmbH die Bestimmung der Stimmkraft disponibel (nach Köpfen, Beteiligungshöhe etc). Für die Beschlüsse der HV der AG gelten die Vorschriften über die notarielle Niederschrift der Beschlüsse der HV (§ 130 AktG). Eine Satzungsänderung muss sodann zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden (§ 181 I AktG). Die Beschlüsse der GmbH über Änderungen des Gesellschaftsvertrages müssen notariell beurkundet (§ 53 II GmbHG) und ebenfalls zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden (§ 54 I GmbHG). Erst mit der Eintragung werden die Satzungsänderungen wirksam (§§ 181 III AktG, 54 III GmbHG). Vorher können die Änderungsbeschlüsse mit

_____ 330d BGH DB 2007, 2826. 330e Im Insolvenzverfahren kann ohne Erfordernis eines Einziehungsbeschlusses der Insolvenzverwalter das Agio einziehen, BGH aaO. 330f S u Rn 250.

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einfacher Mehrheit aufgehoben werden, vorbehaltlich der Satzung (§§ 133 AktG, 47 I GmbHG), Die Aufhebung ist keine Satzungsänderung. Bei der GmbH sind von Beschlüssen über eine Satzungsänderung bloße Satzungsdurchbrechungen zu unterscheiden. Sie bedürfen jedenfalls auch der für Satzungsänderungen erforderlichen Mehrheit. Im Übrigen ist zu differenzieren: Haben sie Dauerwirkung iS einer Zustandsbegründung, bedürfen auch sie der notariellen Beurkundung und der Eintragung aufgrund der Urkunde. Andernfalls ist der Beschluss unwirksam331. Haben Beschlüsse dagegen Einzelwirkung, dh sind sie auf einen Einzelakt bezogen, so bedürfen sie nur der satzungsändernden Mehrheit, aber nicht der nur für generell-abstrakte Neuregelung vorgesehenen Form und Eintragung331a.

(4) Grundkapital und Aktien bei der AG Für den Inhalt der Gründungsakte sind selbstverständlich von entscheidender 216 Bedeutung die Kapitalgrundlage der Gesellschaften und die Anteile der Gesellschafter daran. Diesen ist im Folgenden näher nachzugehen, bevor der weitere Verlauf der Gründung entwickelt wird331b.Bei der AG müssen mindestens 50.000 € als Grundkapital (§ 7 AktG) festgesetzt werden332. Das Grundkapital ist in die einzelnen, unteilbaren (§ 8 V AktG) Aktien zerlegt (§ 1 II AktG). Die Aktien unterscheiden sich in ihrem Bezug zum Grundkapital in Nennbetrags- und Stückaktien. Die Gesellschaft muss sich für eine Art entscheiden ((§ 8 I AktG: entweder … oder332a). Weiter unterscheiden sie sich in der Art der Legitimation des Berechtigten in Na-

_____ 331 BGHZ 123, 15 für Beschlüsse, die sich auf die Organisation des Aufsichtsrats beziehen. Zur Unterscheidung zwischen Einzelfallbezug und Dauercharakter Zöllner, FS Priester 2007, 879. 331a Beispiele für Dauercharakter: Wahl von Funktionsträgern für längere Zeit als in der Satzung vorgesehen, Bestellung eines Geschäftsführers abweichend von der Satzung mit der Beschränkung, nur zusammen mit einem Prokuristen vertretungsberechtigt zu sein (OLG München DNotI-Report 2017, 125; bei alleinigem Geschäftsführer zusätzlich Verstoß gegen Erfordernis mindestens eines alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers, s u Rn 1221b); weiter: privatschriftlicher Beschluss über die Auflösung der Gesellschaft unter Befreiung der Liquidatoren vom Verbot des Selbstkontrahierens, OLG Düsseldorf, DNotI-Report 2016, 185. Dagegen Einzelakt: Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens im einzelnen Fall, Genehmigung einer Anteilsveräußerung durch die Gesellschafter statt durch den nach der Satzung zuständigen Aufsichtsrat. 331b Unten Rn 241 ff. 332 Zu den Begriffen Grundkapital bei der AG, Stammkapital bei der GmbH (zusammengefasst: Garantiekapital) o Rn 28 ff. 332a Eine Satzungsregelung, wonach das Grundkapital bedingt durch Ausgabe von Nennbetragsaktien erhöht wird, ist bei Einteilung des Grundkapitals in Stückaktien nicht wegen Verstoßes gegen § 8 I AktG unwirksam, wenn eine Auslegung auf objektiver Grundlage ergibt, dass eine offenbare Unrichtigkeit gegeben ist, KG WM 2016, 2266.

136 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

mens- und Inhaberaktien (§ 10 AktG). Mit der Legitimation hängt die Art der Übertragung zusammen. Dem ist in einem eigenen Abschnitt nachzugehen332b. Aktien können auch bei gleichem Nennwert oder gleicher Stückzahl ver217 schiedene Rechte gewähren Gemeint sind vor Allem Vermögensrechte, nämlich Rechte bei der Verteilung des Gewinns und des Gesellschaftsvermögens (§ 11 S 1 AktG)333. Aus dieser Verschiedenheit ergeben sich in der Satzung anzugebende (§ 23 III Nr 4) Aktiengattungen (§ 11 S 2). Grundsätzlich können die besonderen Rechte solcher Aktiengattungen durch Satzungsänderung auch zum Nachteil der Aktionäre geändert werden. Dafür bedarf es aber eines Sonderbeschlusses der betroffenen Aktionäre (§ 179 III AktG). Eines Sonderbeschlusses der Aktionäre jeder Gattung bedarf es bei Vorhandensein mehrerer Gattungen im Fall von Kapitalerhöhungen (§ 182 II) und Kapitalherabsetzungen (§ 222 II). Sonderbeschlüsse sind nach Maßgabe des § 138 AktG zu fassen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 53a) steht unter 218 dem Vorbehalt der Möglichkeit satzungsmäßiger Sonderausstattung von Aktien (s § 11). Der Grundsatz setzt deshalb unterhalb der Satzungsebene und erst bei der Kompetenz der Gesellschaftsorgane, insbesondere der HV-Mehrheit, an. Werden Nennbetragsaktien ausgegeben, müssen diese auf mindestens 218a 1 €, höhere Nennbeträge auf volle Euro lauten (§ 8 II 1, 4 AktG333a). Die Nennbeträge können unterschiedlich sein, dann muss die Zahl der Aktien jeden Nennbetrags in der Satzung angegeben werden. In summa ergeben die Nennbeträge das Grundkapital (§ 23 III Nr 4 AktG). Stückaktien sind Aktien ohne Nennbetrag, die allen Inhabern gleiche Rechte verleihen. Die Gesamtzahl muss in der Satzung bestimmt sein (§ 23 III Nr 4 AktG). Die Stückaktionäre sind also am Grundkapital in gleichem Umfang beteiligt. Der auf sie entfallende Teilbetrag des Grundkapitals (nach § 8 III 3 AktG „anteiliger Betrag“) ergibt sich durch Teilung des Grundkapitals durch die Zahl der Stückaktien334. Dieser Betrag darf einen Euro nicht unterschreiten (§ 8 III 1–3 AktG)

_____ 332b U Rn 220 ff. 333 ZB tracking stocks (Spartenaktien), deren Gewinnbezugsrecht nicht vom Ergebnis des Gesamtunternehmens, sondern von dem eines bestimmten Geschäftsbereichs abhängt (dazu Baums – Hrsg – Bericht der Regierungskommission Corporate Governance 2001 Rn 237 ff). Keine besondere Ausstattung von Aktien, sondern eine besondere Gestaltung des Grundkapitals kommt in § 116 II KAGB zum Ausdruck: Bei Investmentaktiengesellschaften mit veränderlichem Kapital gibt es die sog redeemable shares (rückerwerbbare Aktien). 333a Durch satzungsändernden Beschluss mit Zustimmung aller Aktionäre können die Aktienbeträge nachträglich vergrößert werden (sog reverse stock split). 334 Bei den Stückaktien iSd AktG handelt es sich um sog „unechte Stückaktien“. Bei „echten Stückaktien“ besteht keine Beziehung zum Grundkapital, sondern zum Gesellschaftsvermö-

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 137

Die Aktien müssen mindestens zum Nennbetrag bzw dem auf die Stückaktie entfallenden „anteiligen Betrag“ ausgegeben werden (Verbot der UnterpariEmission, § 9 I AktG). Nach § 9 II AktG ist eine Überpari-Emission zulässig. Der erzielte Mehrbetrag ist das sog Agio. Er ist in der Bilanz als Kapitalrücklage auszuweisen (§ 272 II Nr 1 HGB). Die Arten der Aktien unterscheiden sich, wie wir gesehen haben: im Inhalt der Rechtsstellung (Aktiengattungen) und in Bezug auf das Grundkapital (Nennbetrags- oder Stückaktien). Hinzu kommt die Unterscheidung nach der Legitimation und dem Wechsel hinsichtlich der Zuständigkeit der Aktien. Dieser Unterscheidung ist in einem besonderen Abschnitt (u (6)) näher nachzugehen.

(5) Stammkapital und Geschäftsanteile bei der GmbH, insbesondere der Unternehmergesellschaft Bei der GmbH sind die Grundform der GmbH und die sog Unternehmerge- 219 sellschaft zu unterscheiden. Entscheiden sich die Gründer nicht für die Unternehmergesellschaft, muss im Gesellschaftsvertrag ein Stammkapital von mindestens 25.000 € festgesetzt werden (§ 5 I GmbHG). Bei der Unternehmergesellschaft kann dieser Betrag unterschritten werden (§ 5a I GmbHG), bis hinunter auf den Mindestbetrag der Einlagen pro Geschäftsanteil von 1 € (s § 5 II 1 GmbHG)335. Dann muss aber im Unterschied zu § 7 II 2 GmbHG das volle Stammkapital eingezahlt werden (§ 5a II 1, 2 GmbHG); Sacheinlagen sind ausgeschlossen (§ 5a II 2 GmbHG). Erhöht die Gesellschaft später ihr Kapital, so dass das Mindestkapital von 25.000,– € erreicht oder überschritten wird, gelten die Besonderheiten nach § 5a I–IV GmbHG nicht mehr (§ 5a V GmbHG). Folge ist, dass die Anmeldung einer Barkapitalerhöhung, mit der das Mindestkapital erreicht wird, nach § 57 GmbHG zu geschehen hat: Dazu muss das ursprünglich bei der Eintragung der UG als voll eingezahlt geprüfte Stammkapital zuzüglich der Aufbringung des Kapitalerhöhungsbetrages dem Halbaufbringungsgrundsatz des § 7 II 2 GmbHG genügen, ohne dass die Vollaufbringung des ursprünglichen Stammkapitals erneut zu prüfen ist. Die Anmeldung der Kapitalerhöhung hat

_____ gen; s zur Unterscheidung Heider, AG 1998, 1, 2 f. Durch die Berechnung der Stückaktie als anteiliger Betrag des Grundkapitals unterscheidet sich die Stückaktie von der Quotenaktie, die nicht zugelassen ist. Bei der Quotenaktie ist die Aktie durch eine Quote vom Grundkapital bestimmt, was bei jeder Änderung des Grundkapitals geändert werden müsste. Zu der Einführung der Stückaktie im Zusammenhang mit der Umstellung auf den Euro o Rn 75. 335 S o Rn 121. Die Abmahntätigkeit einer praktisch vermögenslosen UG ist nach OLG Karlsruhe NZG 2018, 178 rechtsmissbräuchlich.

138 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

sich nur auf die Kapitalerhöhung und die Mindestaufbringung der neuen Anteile (§ 7 II 1 GmbHG) zu beziehen335a. Solange die Gesellschaft noch Unternehmergesellschaft ist, muss in die Firma der Rechtsformzusatz „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ aufgenommen werden (§ 5a I GmbHG). Abweichend von § 49 III GmbHG (Einberufung bei Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals) muss die Gesellschafterversammlung bei drohender Zahlungsunfähigkeit einberufen werden (§ 5a IV GmbHG). Die Unternehmergesellschaft wird in der folgenden Weise an den Mindestbetrag des Stammkapitals von 25.000 € herangeführt: Aus den Jahresüberschüssen, abzüglich eines etwaigen Verlustvortrags aus dem Vorjahr, müssen 25% in Rücklagen eingestellt werden, die nur dazu verwendet werden dürfen, entweder einen Jahresfehlbetrag, der nicht aus einem Gewinnvortrag des Vorjahres gedeckt ist, oder einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr, der nicht aus einem Jahresüberschuss des laufenden Jahres gedeckt ist, auszugleichen oder schließlich das Stammkapital der Gesellschaft zu erhöhen (§ 5a III 1, 2 Nr 1–3 GmbHG)336. Erreicht oder überschreitet die Gesellschaft durch Kapitalerhöhung das Mindestkapital von 25.000 €, so fallen die Sonderbestimmungen über die Unternehmergesellschaft weg, ohne dass die Gesellschaft die Firma ändern müsste (§ 5a V GmbHG)336a. Bei der GmbH wie bei der Unternehmergesellschaft werden die Geschäfts219a anteile im Gesellschaftsvertrag für jeden Gesellschafter festgelegt (§ 3 I Nr 4 GmbHG). Ein Gesellschafter kann mehrere Anteile übernehmen (§ 5 II 2 GmbHG). Die Anteile können unterschiedlich hoch sein (§ 5 III 1 GmbHG). Sie müssen bei der Gründung zusammen das im Gesellschaftsvertrag festgesetzte Stammkapital ergeben (§ 5 III 2 GmbHG). Der Geschäftsanteil des Gesellschafters bestimmt seine Einlage (§§ 3 I Nr 4, 14 GmbHG). Die Stammeinlage muss nach neuem Recht, weil hier keine Mindesthöhe mehr vorgeschrieben ist, aber die Einlage auf volle € lauten muss, mindestens 1 € betragen (§ 5 I, II 1 GmbHG). Die Geschäftsanteile sind teilbar (§ 46 Nr 4 GmbHG)337.

_____

335a OLG Celle ZIP 2017, 1805. Zur Relevanz, wenn UG als Verwalterin von Wohnungseigentum eingesetzt ist, LG Dortmund NZG 2018, 146. 336 Zu den Begriffen unten Rn 1395 ff im Bilanzkapitel. 336a Der Ausschluss von Sacheinlagen (§ 5a II 2 GmbHG) gilt schon für eine Kapitalerhöhung auf mindestens 25.000,– € nicht; er gilt nicht erst von der Eintragung einer solchen Kapitalerhöhung an, BGHZ 189, 254. Wird aus einer UG durch Kapitalerhöhung eine GmbH gemacht, ist das keine Gründung und können die Kosten nicht als Gründungsaufwand der GmbH angelastet werden, OLG Celle NZG 2018, 261. 337 Die Vorschrift des § 17 aF über ein besonderes Genehmigungsverfahren für eine Anteilsaufteilung ist aufgehoben. Es bedarf nach § 46 Nr 4 GmbHG schlicht der Zustimmung der Ge-

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 139

Auch bei der GmbH ist die Gesellschafterbeteiligung Kapitalbeteiligung, und so ergibt sich ihr unterschiedliches Gewicht je nach ihrem Betrag (s § 47 II für das Stimmrecht). Aufgrund der grundsätzlich bestehenden Vertragsfreiheit kann der Gesellschaftsvertrag der GmbH bestimmte Geschäftsanteile mit vielfältigen besonderen Rechten, den Sonderrechten, ausstatten. Der Legitimation aus Geschäftsanteilen und der Übertragung von Ge- 219b schäftsanteilen ist in dem besonderen, nun folgenden Abschnitt nachzugehen.

(6) Legitimation der Aktionäre und der Gesellschafter der GmbH und die Übertragung von Aktien und Geschäftsanteilen (a) Die Arten der Aktien im Hinblick auf Legitimation und Übertragung Die Aktien an der entstandenen AG sind veräußerlich und vererblich. Die 220 Veräußerlichkeit ist ein Grundmerkmal des Aktienrechts. Beschlüsse, durch die die Veräußerung (etwa von Namensaktien) über das Gesetz hinaus (s für Namensaktien die Möglichkeit der Vinkulierung in § 68 II AktG, dazu sogleich) erschwert werden, sind nach § 241 Nr 3 AktG nichtig338. Grundlage der Übertragungsart ist die Bestimmung der Legitimation aus der Aktie gegenüber der Gesellschaft. Diese richtet sich danach, welcher Art die Aktien im Hinblick auf die Zuständigkeit, dh die Bezeichnung des Berechtigten sind. Grundsätzlich werden die Aktien als Namensaktien ausgegeben (§ 10 I 1 AktG). Unter den Voraussetzungen des § 10 I 2 Nrn 1, 2 a-c) AktG können sie auf den Inhaber lauten. Sie müssen auf Namen lauten, wenn sie vor der vollen Leistung des Ausgabebetrags ausgegeben werden (§ 10 II 1 AktG). Je nachdem, ob die Aktie Namens- oder Inhaberaktie ist. ist für die Legitimation des Aktionärs § 67 AktG maßgebend oder § 1006 BGB mit der Eigentumsvermutung aufgrund des Besitzes. Namensaktien lauten auf den Namen des ersten Berechtigten. Bei Ausgabe 221 vor Volleinzahlung sind die geleisteten Zahlungen nach § 10 II 2 AktG auf der Aktie einzutragen. Allgemein sind sie mit den Einzelheiten des § 67 I 1 AktG in ein Aktienregister einzutragen (heutzutage mit Hilfe elektronischer Führung). Dieses legitimiert den Eingetragenen als Aktionär gegenüber der Gesellschaft (§ 67 II 1 AktG), also ohne Möglichkeit des Gegenbeweises. Geht die Aktie auf einen Erwerber über, so ist das Aktienregister zu berichtigen (§ 67 III AktG).

_____ sellschafter. Im Gesellschaftsvertrag kann davon verschärfend oder abschwächend abgewichen werden. 338 So der BGH zur Einführung des Erfordernisses der Unterschriftsbeglaubigung auf Kosten des Aktionärs statt beliebiger Nachweismöglichkeiten, NJW 2004, 3561.

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Insbesondere Banken halten Aktien auch treuhänderisch für andere. Die Legitimationskraft der Eintragung im Register gilt grundsätzlich auch für solche bloßen Legitimationsaktionäre. § 67 I 2 überlässt es der Satzung, Näheres zu betimmen. Verpflichtet die Satzung zur Offenlegung, dass die Aktien einem anderen gehören, so ist nach § 67 II 2 AktG bei Nichterfüllung der Offenlegungspflicht das Stimmrecht ausgeschlossen. Nach § 67 IV 2 kann die Gesellschaft die Mitteilung begehren, ob die Aktien anderen gehören, und in diesem Fall die Bezeichnung der Person des Berechtigten verlangen. Übertragen werden Namensaktien nach § 68 I AktG iVm Art 12, 14, 16 WG339, vererbt nach den Vorschriften des BGB (mit der Schutzvorschrift des § 69 AktG für die AG bei Nachfolge einer Erbengemeinschaft). Nach § 68 I 1 AktG können Namensaktien durch Indossament übertragen werden (sog Orderpapier). Das Indossament ist die Order, dass ein neuer Berechtigter anzuerkennen ist. Möglich ist ein sog Blankoindossament, dh die Benennung des jeweiligen berechtigten Inhabers als Rechtsinhaber. Zu dem Indossament muss für die Übertragung die Begebung an den Erwerber hinzukommen. Die Namensaktie „kann“ so übertragen werden, dh sie kann auch nach §§ 413, 398 BGB durch Zession übertragen werden339a. Bei Namensaktien kann die Gesellschaft ein persönliches Band zu ihren Aktionären halten. Dazu gibt es bei Namensaktien die Möglichkeit der Vinkulierung (§ 68 II AktG)339b. Inhaberaktien gehören dem berechtigten Inhaber des Papiers, dh der Besitz des Papiers legitimiert den Inhaber gegenüber der Gesellschaft (§ 1006

_____ 339 § 68 I 2 AktG verweist nur auf Art 12, 13, 16 WG; Art 14 ist aber die selbstverständlich mit geltende Ergänzung. 339a So jetzt noch die ausdrückliche Hervorhebung durch das „auch“ in § 68 I AktG. Das von der früheren Rspr (s noch KG AG 2003, 568) und manchen in der Literatur der Zession hinzugefügte Erfordernis der Übergabe des Papiers ist mit den gesetzlichen Tatbeständen nicht vereinbar (richtig dagegen die hM, Hüffer/Koch § 68 Rn 3). 339b § 68 II zählt die Möglichkeiten der Vinkulierung auf (grundsätzlich Erfordernis der Zustimmung des Vorstands, nach der Satzung möglich stattdessen Zustimmung des Aufsichtsrats oder der HV; kumulative Regelung iS der Zustimmung des Vorstands und der HV damit ausgeschlossen, LG München I ZIP 2017, 1326). Vinkulierung umfasst das Zustimmungserfordernis für die Übertragung, Verpfändung und Bestellung eines Nießbrauchs (der schuldrechtliche Vertrag muss darauf Rücksicht nehmen, sonst Haftung wegen Rechtsmangels, RGZ 132, 149, 157); das Erfordernis greift auch ein bei Pfändung, hier aber grundsätzlich Gläubigerinteresse vorrangig (§§ 857, 851 II ZPO). Unter diesem Gesichtspunkt ist Zustimmung auch zur Verwertung des Aktie zu erteilen vorbehaltlich der Unzumutbarkeit für Gesellschaft. Keine Zustimmungspflicht für Vererbung (§ 1922 I BGB). Zustimmungspflichtig aber die Veräußerung aus einer Erbengemeinschaft oder aufgrund Vermächtnisses. Beispiele zur Überprüfung der Verweigerung der Zustimmung bei Raiser/Veil § 12 Rn 8.

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BGB). Übertragen werden Inhaberaktien durch Übereignung des Papiers (§§ 929 ff mit § 935 BGB, §§ 366, 367 HGB)339c. Nach § 8 V AktG sind die Aktien unteilbar. Dh es gibt keine Teilübertragung von Aktien. Auch die Gesellschaft kann nicht eine Aufteilung der Aktien bestimmen. Sehr wohl möglich ist aber der sog Aktiensplit, dh eine Neustückelung der Aktien. Dafür wird durch Satzungsänderung die Aufteilung des Grundkapitals in die Nennbetragsaktien mit den bisherigen Nennbeträgen oder die bisherige Anzahl von Stückaktien derart geändert, dass mehr Aktien mit kleineren Nennbeträgen zusammen das Grundkapital ergeben oder das Grundkapital in mehr Stückaktien aufgeteilt ist. Das Motiv zu einer solchen Regelung ist häufig die leichtere Handelbarkeit an der Börse. Die bisherigen Stückaktien können bleiben, es müssen dem Aktionär aber neue hinzugegeben werden, damit er denselben anteiligen Betrag des Grundkapitals behält. Die Nennbetragsaktien mit den nun zu hohen Nennbeträgen werden ungültig und gegen eine höhere Anzahl ausgetauscht, die denselben Gesamtnennwert haben wie die bisherigen Aktien. § 226 AktG über den Umtausch im Zuge einer Kapitalherabsetzung ist analog anzuwenden340. Auch der gegenteilige Vorgang (Aktienzusammenlegung oder reverse stock split) ist denkbar. Grundsätzlich sind die Aktien als Namens- oder Inhaberaktien Wertpapie- 222 341 re . Auch das Wertpapier über die Mitgliedschaft des Aktionärs wird Aktie genannt (§ 10 I AktG). Die Satzung kann den Anspruch des Aktionärs auf die Ver-

_____ 339c Im Fall BGHZ 122, 180, 196 hat der BGH die Möglichkeit lastenfreien Erwerbs kraft guten Glaubens nach § 936 BGB in der ungewöhnlichen Gestaltung behandelt, dass es nicht um die Freiheit von beschränkten dinglichen Rechten, sondern um die Freiheit von einer noch offenen Einlagepflicht ging. Der BGH hat dies im Fall mit der Begründung verneint, dass der Erwerber wegen der nur technisch bedingten Zwischenschaltung eines Kreditinstituts im Rahmen einer Kapitalerhöhung aus dem eigenen (mittelbaren) Bezugsrecht erworben habe, folglich durch Ersterwerb, nicht durch einen Zweiterwerb, für den der Verkehrsschutz der §§ 932 ff. gedacht sei. – Mentz/Fröhling, NZG 2002, 201, 202 f meinen (Hüffer/Koch § 68 Rz 3 übernehmen), Inhaberaktien könnten auch durch Zession übertragen werden. Dies ist mit der Ausgabe an den Inhaber (= Eigentümer) des Papiers nicht vereinbar. 340 GroßKom. AktG, 4. Aufl. 1992 ff/Brändel § 6 Rn 19. 341 Von der ausgebenden AG geht die Aktie – Einzelverbriefung vorausgesetzt – auf den Aktionär (häufig zunächst eine Emssionsbank) durch Begebung des unterzeichneten Papiers über (Hueck/Canaris Recht der Wertpapiere S 217). Die Unterzeichnung der Aktienurkunde kann vervielfältigt sein, ihre Gültigkeit kann von einer Form abhängig gemacht werden, § 13 S 1–3 AktG. Aufgrund der Eigenschaft des Wertpapiers als Vorlegungspapier sind Inhaber- oder Namensaktie, wenn sie verloren gehen, durch das Aufgebotsverfahren für kraftlos zu erklären (§ 72 I AktG iVm §§ 433 ff, 466 ff FamFG). Der Antragsteller ist aufgrund des Aufgebotsbeschlusses aus der verlorenen Aktie berechtigt (§ 479 I FamFG). Er kann aber auch von der AG die Ausstellung einer neuen Aktie verlangen (§ 72 I 2 AktG iVm § 800 BGB).

142 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

briefung seiner Anteile aber einschränken oder ausschließen (§ 10 V AktG). Unter den in § 10 V zugelassenen Einschränkungen der Verbriefung sind etwa die Beschränkung auf eine Urkunde pro 100 Aktien oder die Regelung zu verstehen, dass der Aktionär eine Verbriefung nur auf seine Kosten verlangen könne341a. Die Möglichkeit des Verbriefungsausschlusses in § 10 V wird von der hM so verstanden, dass der Anspruch des Aktionärs darauf, dass die Aktien irgendwie verbrieft würden, nicht angetastet werde342. Dies bezieht sich darauf, dass immerhin noch die Globalurkunde über die Aktien errichtet wird342a. Die hM hat Anhalt im Wortlaut der Vorschrift. Danach kann nur der Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung „seines Anteils“ ausgeschlossen werden. Der Anspruch, dass alle Aktien mindestens in einer Sammel- oder Globalurkunde iSv § 9a DepotG zu verbriefen sind, wird nicht berührt. Damit kommen wir zu den modernen Formen der Aktieninhaberschaft, die 223 an die Stelle des einzelnen Wertpapiers Aktie getreten sind. Für die massenhaft vorkommende Aktie, die an der Börse gehandelt wird, sind andere Handelsformen geschaffen worden: Die Entwicklung ist zur Sammelverwahrung einer Vielzahl gattungsmäßig gleicher Aktien desselben Emittenten bei einer Wertpapiersammelbank und sogar darüber hinaus zur Verwahrung einer Sammel- oder Globalurkunde über solche Aktien gegangen. Bei der Sammelverwahrung besteht immerhin noch Miteigentum der einzelnen Aktionäre am Sammelbestand der mehreren einzelnen Aktienpapiere (§ 6 I 1 DepotG). Auch der Unterschied in der Übertragungsform durch Ausstellung des einzelnen Papiers entweder als Inhaber- oder als Namensaktie ist noch spürbar. Die sammelverwahrten Aktien müssen nämlich sammelverwahrfähig sein (§ 5 DepotG), und das ist eine Namensaktie erst dann, wenn sie mit einem Blankoindossament versehen ist. Dadurch wird sie wie eine Inhaberaktie weiterübertragungsfähig342b.

_____ 341a Unzulässig wegen Verletzung der freien Übertragbarkeit der Aktie und nach § 241 Nr 3 AktG nichtig ist der Beschluss der HV über eine Satzungsänderung dahingehend, dass zum Nachweis der Übertragung nicht verbriefter Namensaktien eine beglaubigte Unterschrift auf Kosten des betreffenden Aktionärs beigebracht werden muss (BGH NJW 2004, 3561, dazu Bayer/ Lieder, LMK 2004, 224). 342 Reiche Nachweise bei Schwennicke, AG 2001, 118, 119 Fn 10. 342a S u Rn 704. 342b Hüffer/Koch § 68 Rn 3. Zur Sammelverwahrung bei Vinkulierung Heißel/Kienle, WM 1993, 1909. Das Erfordernis des Blankoindossaments folgt aus der Voraussetzung der Sammelverwahrfähigkeit, dass die Aktie vertretbar, dh austauschbar sein muss. Das wird sie durch das Blankoindossament, weil sie aufgrund dessen durch bloße Weiterbegebung übertragbar ist (§ 68 I 2 AktG iVm Art 14 II Nr 3 WG).

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Auf die unterschiedliche Übertragungsform kann es dagegen von vornherein nicht mehr ankommen, wenn über die Aktien eine Sammel- oder Globalurkunde ausgestellt ist (§ 9a DepotG). Dann gibt es entweder eine Einzelverbriefung der Aktien erst dann, wenn der Aktionär die Ausstellung einer solchen verlangt, es kann aber auch dieser Anspruch nach dem einzelnen Rechtsverhältnis ausgeschlossen sein. Stattdessen hat der Aktionär Miteigentum an der Sammel- oder Globalurkunde (§ 9a II iVm § 6 DepotG). Bei der Sammelverwahrung und der Globalurkunde geschieht die Verfügung über „die Aktien“ durch Verfügung über den Miteigentumsanteil der Aktionäre am Sammelbestand oder der Sammelurkunde343. Auf solche Verfügungen sind, wie bei anderen Miteigentumsanteilen auch, die §§ 929 ff BGB anzuwenden. Die Übereignung wird durch eine bloße Buchung der verwahrenden Bank vollzogen. In dieser kommt die Übergabe zum Ausdruck. Die Buchung bedeutet nämlich die Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses auf den Erwerber343a. An die wertpapierrechtliche Übereignung einzelner Aktien und auch an die Übertragung des Miteigentums bei Sammelverwahrung oder Sammelbeurkundung knüpft die weitgehende Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs an. Für einzelne Inhaberaktien beurteilt sich diese nach §§ 932 ff BGB mit § 935 II BGB, §§ 366 f HGB; für Namensaktien nach § 68 I AktG iVm Art 16 II WG. Wird aller-

_____ 343 Weiter kommt der gesetzliche Eigentumserwerb durch Absendung eines Stückeverzeichnisses durch einen mit dem Einkauf beauftragten Kommissionär nach § 18 III DepotG in Betracht. – Bei Miteigentum an einem Sammelbestand müsste, dogmatisch exakt betrachtet, der Miteigentumsanteil an jeder einzelnen Urkunde bestehen. „Zur Vermeidung einer heillosen Zersplitterung und einer unerträglichen Rechtsunsicherheit kann nach übereinstimmender Literaturmeinung der Depotkunde nicht über die einzelnen Miteigentumsrechte, sondern nur über deren Summe verfügen“, Kümpel, Bank- u. Kapitalmarktrecht, 3. Aufl 2004, Rn 11.164. Der Miteigentumsanteil soll sich also nach ganz überwiegender Ansicht auf den ganzen Sammelbestand beziehen. Verfügen kann der Miteigentümer über diesen Anteil insgesamt oder quotal. 343a Sogenannter stückeloser Effektengiroverkehr, s Hueck/Canaris Recht der Wertpapiere S 16. Zu Einzelheiten, insbes zu den gestuften Besitzmittlungsverhältnissen zwischen Anleger, Hausbank und Wertpapiersammelbanken muss auf die weiterführende Literatur verwiesen werden, zB Kümpel Rn 11.194 ff, 11.298 ff. Gegen die Anwendung der §§ 929 ff mit Hilfe der Figur der Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses und damit für ein reines Wertrecht Habersack/Mayer, WM 2000, 1678 für den Fall, dass Ansprüche auf Ausstellung und Herausgabe von Einzelurkunden ausgeschlossen sind. Der Ausgang des DepotG beim Miteigentum an der Globalurkunde führt aber zu § 929 1 BGB. In allen Fällen von Miteigentum haben aufgrund der Einheit der im Miteigentum stehenden Sache die Miteigentümer keinen separaten Herausgabeanspruch. Die Herausgabe gehört zur gemeinsamen Verwaltung (§§ 744, 1011, 432 BGB), der Anspruch steht allen Miteigentümern bzw für alle Miteigentümer gemeinsam zu. Damit sind alle Miteigentümer mittelbare Besitzer (zutreffend Koller, DB 1972, 1857, 1861).

144 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

dings die Namensaktie durch Zession übertragen, besteht die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten nach §§ 398 ff BGB nicht. Sind die Aktien in Sammelverwahrung genommen oder in einer Sammel- oder Globalurkunde verbrieft, ist die Umbuchung aufgrund der Übertragung als Grundlage des gutgläubigen Erwerbs anerkannt. Dies ist genau zu analysieren: Zu suchen ist nach einer passenden Rechtsscheingrundlage, die über den Rechtsschein für das Bestehen eines Anteils als solchen hinaus (dieser Rechtsschein ist schon im mittelbaren Mitbesitz an den Urkunden zu sehen) auch auf die Höhe dieses Anteils hinweist 344. Im Interesse des Verkehrsschutzes erkennt die überwiegende Ansicht hier rechtsfortbildend einen gesetzlich nicht vorgesehenen Rechtsscheinträger an: die Buchung im Verwahrungsbuch der Wertpapiersammelbank, § 14 DepotG. Die Wertpapierübertragung wird ja durch Umbuchung in den Verwahrungsbüchern der Wertpapiersammelbank ausgedrückt. An die Stelle der „normalen“ sachenrechtlichen Übergabe tritt folglich der Buchungsakt. Die Buchung bildet neben dem Mitbesitz ein weiteres, ja sogar das eigentliche Vertrauenselement345. Die Depotbuchung ist letztlich Surrogat der Rechtsscheingrundlage Besitz, soweit es um die zu veräußernde Anteilsquote geht. Anders ist der Effektengiroverkehr nicht aufrechtzuerhalten 345a . 223a Zu fragen ist, was bei der massenhaften Verwahrung und Verfügung noch von

dem Unterschied zwischen Inhaber- und Namensaktie verbleibt. Als Vorzug der Namensaktie wird angesehen, dass hier der Aktionär in das Aktienregister eingetragen wird und deshalb ein persönlicher Kontakt zwischen AG und Aktionär besteht. An diesen Vorzug knüpft bei der Namensaktie die Möglichkeit der Vinkulierung an (§ 68 II AktG). Um des Vorteils der persönlichen Verbundenheit willen hat das NaStraG346 die Namensaktie neu geregelt. Nach § 67 I AktG ist der Namensaktionär mit seinen Identitätsmerkmalen und Angaben über seine Aktien in das Aktienregister einzutragen347. Im Verhältnis zur AG gilt nur der Eingetragene als Aktionär (§ 67 II AktG). Die Eintragungsobliegenheit (und nach § 67 I 2 idF des Risikobegrenzungsgesetzes347a auch Pflicht) ist noch

_____ 344 Aufgrund des bloßen Mitbesitzes ist nach überwiegender Ansicht der gute Glaube an die Höhe der Miteigentumsquote nicht geschützt, vgl Wilhelm Sachenrecht Rn 1005 ff. 345 Grundlegend Koller DB 1972, 1905, 1908; weiter Wilhelm Sachenrecht Rn 1011. 345a Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 2002, Rn 6.71: „lebensnotwendig“. Dabei findet selten Erwähnung, dass die Gegebenheiten des Effektengiroverkehrs insoweit über den „normalen“ gutgläubigen Erwerb weit hinausgehen. Nach § 166 I BGB kommt es nämlich auf den Kenntnisstand der Clearstream Banking AG (genauer: dort auf den tätig werdenden Mittler, § 166 I BGB analog) an, die als Vertreterin der Käuferbank die Übertragungsofferte annimmt. Damit ist der Eigentumserwerb eines Wertpapierkäufers gewissermaßen „automatisiert“, denn Bösgläubigkeit der Clearstream Banking AG dürfte selten nachweisbar sein. 346 O Rn 84. 347 Zu Auskunft über die Eintragung und Verwendung des Eintragungsinhalts § 67 VI AktG. 347a O Rn 107.

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für den ersten Aktionär, an den die Emissionsbank die Aktie austeilt, zu erfüllen. Der persönliche Kontakt kann aber nicht mehr an die Benennung des Nachfolgers auf der Aktienurkunde anknüpfen, wenn die Namensaktie nach einem Blankoindossament genauso übertragen wird wie die Inhaberaktie oder aufgrund Blankoindossaments in einen Sammelbestand aufgenommen oder von vornherein in einer Globalurkunde beurkundet ist. Denn hier vollzieht sich die Übertragung durch Übergabe oder Umbuchung. Nach § 67 III AktG mit näherer Bestimmung in Abs V haben dann zwar Löschung und Neueintragung im Aktienregister „auf Mitteilung und Nachweis“ zu erfolgen. In der Praxis dürfte dies aber häufig nicht erfüllbar sein. Dies berücksichtigt die Neuregelung des § 67 AktG durch das Risikobegrenzungsgesetz.

(b) Eigene Aktien Die AG kann Inhaberin von Aktien an ihr selbst sein (sog eigene Aktien). Die 224 Neufassung der §§ 221 I 1, 192 I AktG, in die die Möglichkeit von Bezugsrechten, die die Gesellschaft selbst hat, eingefügt ist, sieht nicht etwa vor, dass die Gesellschaft selbst auch Inhaberin von Wandelschuldverschreibungen zum Bezug eigener Aktien sein kann. Dies wäre ein Widerspruch zu § 56 I AktG, wonach die Zeichnung eigener Aktien durch die Gesellschaft ausgeschlossen ist. Die Neufassung meint von Dritten ausgegebene Wandelschuldverschreibungen, bei denen das Recht auf die Umwandlung der Gesellschaft zusteht347b. Was nun jenen § 56 I AktG betrifft, ist dieser nicht schon relevant für die Gründung. Dass die Gesellschaft nicht – nach Münchhausen-Art – bei ihrer Gründung Aktien übernehmen und so Mitgründerin ihrer selbst sein kann, versteht sich von selbst. § 56 I AktG, der der AG die Zeichnung eigener Aktien verbietet, ist also erst für die Kapitalerhöhung bedeutsam. Das grundsätzliche Verbot eigener Aktien besteht zu Recht: Soweit die eigenen Aktien eingezahlt sind, ist der Erwerb eigener Aktien, wenn er entgeltlich erfolgt, einer Einlagenrückgewähr gleich zu achten, die in § 57 I 1 AktG grundsätzlich verboten ist. Darüber hinaus und unabhängig von der Ent- oder Unentgeltlichkeit des Erwerbs verbindet sich mit dem Erwerb eigener Aktien historisch die Erfahrung der Gefährdung der Gesellschaft und der Täuschung der Öffentlichkeit348. Weiter stehen zwar nach § 71b der Gesellschaft aus eigenen Aktien keine Rechte zu, das nach der Kapitalgrundlage bestimmte Gewicht der echten Aktionäre wird aber auch schon durch bloßes Mitrechnen „eigener Aktien“ verfälscht. Was insbesondere die Ka-

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347b BT-Drs 18/4349, S 27. Sog umgekehrte Wandelanleihen, Hüffer/Koch § 192 Rz 9. 348 S Rn 63. Eine empirische Studie zu den (häufig fehlgeleiteten) Reaktionen des Kapitalmarkts auf den Rückkauf eigener Aktien liefern Bayer/Hoffmann/Weinmann, ZGR 2007, 457.

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pitalerhöhung gegen Einlagen betrifft, beruht § 56 AktG darauf, dass diese Kapitalerhöhung bedeutet, dass das nachgefragte Kapital für eine durch dieses Kapital verstärkte Gesellschaft eingeworben wird. Der Einleger kann sich darauf verlassen, dass andere so wie er die Gesellschaft mit Kapital ausstatten. Darin liegt ein Urteil des Marktes über die Erfolgsaussichten der Gesellschaft. Weiter kann der Einleger davon ausgehen, dass er entsprechend seiner Einlage neben anderen Gesellschaftern an der Gesellschaft beteiligt wird. Zu Beidem würde in Widerspruch stehen, wenn bestimmte Anteile von der Gesellschaft selbst unter Verminderung ihres Vermögens und zur Ausübung durch die Verwaltung erworben werden könnten. Diesem Gedanken entsprechend ist nach § 56 II AktG auch die Übernahme von Anteilen durch Gesellschaften, die von der betreffenden Gesellschaft abhängig sind oder in ihrem Mehrheitsbesitz stehen, unzulässig. Das Gesetz verhält sich deshalb zu Recht sehr restriktiv zu der Möglichkeit der Innehabung eigener Aktien und der Rechte daraus. Nach geltender Fassung unterscheidet es, was im folgenden Text wohl zu beachten ist, die Zeichnung (§ 56 AktG) und den Erwerb eigener Aktien (§§ 71 ff AktG), dh einerseits den originären Erwerb bei einer Gründung oder Kapitalerhöhung (die Gründung bezieht der Abs 3 ein) und andererseits den derivativen Erwerb im Rechtsverkehr. Beide Erwerbsarten werden grundsätzlich verboten: § 56 I sagt dies für die Übernahme durch Zeichnung seitens der Gesellschaft selbst ausdrücklich und vorbehaltlos. Hinzukommt nach § 56 III, dass ein Gründer, Zeichner oder derjenige, der ein Bezugsrecht ausübt, sich nicht darauf berufen kann, die Aktien für Rechnung der Gesellschaft übernommen zu haben. Für den derivativen Erwerb drückt § 71 I AktG das grundsätzliche Verbot dadurch aus, dass die Gesellschaft „nur“ in den Fällen der folgenden Nummern eigene Aktien erwerben darf (s sogleich). § 71a enthält noch ein Verbot von Umgehungsgeschäften348a. Der Erwerb für Rechnung der Gesellschaft wird auch in der Erwerbsregelung erfasst (§ 71d S 1 AktG) Beide Verbote werden auf den Aktienbezug durch Dritte ausgeweitet348b, nämlich auf den Bezug durch Unternehmen, die von der Gesellschaft abhängig sind oder in ihrem Mehrheitsbesitz stehen: §§ 56 II 1, 71d AktG. Schließlich bezieht noch der § 71e AktG mit bestimmten Vorbehalten die Inpfandnahme eigener Aktien ein348c.

_____ 348a Anwendungsfall BGH WM 2017, 479. 348b Die Überschrift des § 71d ist ungenau: Der Dritte erwirbt keine eigenen Aktien, sondern Aktien der herrschenden Gesellschaft. Überdies bezieht die Vorschrift den bloßen Erwerb des Besitzes von Aktien ein. 348c Sog financial assistance oder financial engineering; dazu mit Nachw Fleischer, NZG 2004, 1133.

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Das Gesetz erklärt den (derivativen) Erwerb eigener Aktien aber, wie gesagt, nicht für uneingeschränkt unzulässig. Zunächst einmal ist er zulässig in den besonders begründeten Ausnahmefällen der Nrn 1–7 des § 71 I AktG. Darüber ist jedoch das KonTraG in Umsetzung der dies zulassenden zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EG (Kapitalrichtlinie) in § 71 I Nr 8 AktG hinausgegangen. Spätere Gesetzesschritte haben die Nr 8 noch ausgeweitet. Nach heutiger Fassung ist nach § 71 I der Erwerb eigener Aktien in den folgenden Fällen zulässig: Nr 1 Erwerb zur Schadensabwehr, Nr 2 zum Angebot an Arbeitnehmer, Nr 3 zur Abfindung bei Umstrukturierung, Nr 4 unentgeltlicher Erwerb oder Erwerb in Kommission, Nr 5 Erwerb durch Gesamtrechtsnachfolge, Nr 6 Erwerb zur Einziehung zur Herabsetzung des Grundkapitals, Nr 7 Erwerb durch Finanzunternehmen zwecks Wertpapierhandels und schließlich nach § 71 I Nr 8 AktG der Erwerb eigener Aktien generell im Rahmen eines Anteils am Grundkapital und einer Ermächtigung der HV: Die Ermächtigung muss die HV aussprechen, sie muss den niedrigsten und höchsten Gegenwert bestimmen und darf die Ermächtigung für höchstens 5 Jahre erteilen. Die Ausgabe darf einen Anteil am Grundkapital von 10% nicht überschreiten348d. Verwirrender Weise taucht die Schranke der 10% nochmals neben weiteren Schranken in § 71 II auf, die für den Fall der Nr 8 zusammen mit den Fällen der Nrn 1–3, 7 gelten. Nach § 71 II 1 AktG gilt die 10%-Schranke ebenso wie für Nr 8 auch für diese Fälle und mit der zusätzlichen Schranke, dass eine Rücklage in Höhe der Aufwendungen für den Erwerb muss gebildet werden können (sog fiktive Rücklage), ohne dass das Grundkapital oder eine auszahlungsfeste gesetzliche oder satzungsmäßige Rücklage gemindert wird. Für wieder anders abgegrenzte Fälle des Katalogs des grundsätzlich zulässigen Erwerbs eigener Aktien (nicht für Fall 3 – Abfindung bei Umstrukturierung –, stattdessen für Fall 4 – unentgeltlicher Erwerb, Erwerb in Kommission –) gilt nach § 71 II 3 AktG die weitere zusätzliche Schranke, dass nur voll eingezahlte Aktien erworben werden dürfen. Für die Buchung eigener Aktien ist das HGB maßgeblich: Die Anteile werden nicht mehr aktiviert. Auf der Passivseite ist statt einer Rücklage der Nennbetrag oder, falls ein solcher nicht vorhanden, der rechnerische Wert der Anteile als Vorposten vom Posten des gezeichneten Kapitals offen abzusetzen, der Unterschiedsbetrag zu den Anschaffungskosten ist mit freien Rück-

_____ 348d Als weitere Schranke versteht der BGH § 71 I Nr 8 S 5 AktG mit der Verweisung auf § 193 II Nr 4 AktG. Aktienoptionen für Aufsichtsräte seien ebenso wenig wie auf dem Weg der bedingten Kapitalerhöhung (dazu § 192 II Nr 3) auf dem Weg der Bedienung mit eigenen Aktien zulässig (JZ 2004, 1184 mit Anm Fuchs).

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lagen zu verrechnen (§ 272 Ia 1, 2 HGB)349. Das Gesetz fügt in Nr 8 bestimmte Schranken (§ 71 I Nr 8 S 2–4), aber auch noch Möglichkeiten für die HV (S 5 f) hinzu. Bei einer unzulässigen Zeichnung von Aktien ist die Übernahme der Akti224a en als solche wirksam (§ 56 I mit dem Ausdruck „darf“, sodann Abs 2 S 2 für die Übernahme durch verbundene Unternehmen, Abs 3 S 2 AktG für die Übernahme für Rechnung der Gesellschaft oder für Rechnung verbundener Unternehmen). Freilich hat das Registergericht, wenn es den Verstoß bemerkt, die Eintragung abzulehnen. Auch beim unzulässigen Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft, ein mit ihr verbundenes Unternehmen oder für Rechnung der Gesellschaft oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens ist nur das schuldrechtliche Geschäft in seinem verstoßenden Teil nichtig (§§ 71 IV 2, 71d S 3 AktG), demgegenüber nicht der Erwerb selbst (§§ 71 IV 1, 71d S 4 AktG). Aus der Unwirksamkeit des für den Verstoß relevanten schuldrechtlichen Geschäftsteils folgen bereicherungsrechtliche Rückgewähransprüche349a. Hat die AG den Erwerbspreis gezahlt, so ist dies eine verbotene Einlagenrückgewähr und führt zum Rückgewähranspruch nach § 62 AktG. Das Gesetz fügt in § 71c I AktG die Bestimmung an, dass die AG zur Veräußerung der unzulässig erworbenen Anteile binnen Jahresfrist verpflichtet ist (Verweisung in § 71d zunächst in S 3 auf die Berechnung nach § 71c II – zu der Vorschrift sogleich –, sodann für die Rechtsfolge der Vorschrift in § 71d S 4 auf andere vorherige Vorschriften). Mit der Veräußerungsverpflichtung ist in erster Linie die Rückveräußerung der Anteile im Rahmen der Rückabwicklung an den früheren Aktionär gemeint. Wählt die AG ohne Grundlage im schuldrechtlichen Verhältnis zu dem Aktionär eine anderweitige Veräußerung und erzielt sie hierbei einen schlechten Preis, kann sie vom Aktionär nicht den an diesen gezahlten Kaufpreis unter Anrechnung nur des schlechteren Veräußerungserlöses verlangen. Was die Zeichnung von Aktien betrifft, stehen einem Dritter, der für Rech224b nung der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens gezeichnet hat, vor der Übernahme auf eigene Rechnung keine Rechte zu (§ 56 III 3 AktG). Was den Aktienerwerb betrifft, stehen nach § 71b der Gesellschaft und nach § 71d S 4 iVm § 71b AktG einem erwerbenden verbundenen Unternehmen

_____ 349 Gemeint ist ein negativer Betrag. Dieser steht einer Kapitalrückzahlung gleich und darf deshalb nicht über die Rücklagen den anderen Aktionären zufallen (Gesetzentwurf KonTraG BT-Drucks 13/9712 S 26). 349a Hat der Aktionär seine Aktie auf die AG übertragen, kann er sie nach §§ 812 ff BGB zurückverlangen. Er kann aber nicht die Rückzahlung an die AG von der Rückgewähr der Aktie abhängig machen (s § 66 II AktG und – gegen ein Zurückbehaltungsrecht – hM, s Hüffer/Koch § 71 Rn 24).

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oder dem für Rechnung der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens erwerbenden Dritten aus den erworbenen Aktien keine Rechte zu. § 71c II AktG erlegt der AG auch hinsichtlich eines zulässigen Erwerbs eigener Aktien eine Veräußerungspflicht auf: Wenn nämlich der, gleich nach welcher Ziffer des § 71 I AktG, zulässigerweise vorgenommene Gesamterwerb die Schwelle von 10% des Grundkapitals übersteigt, hat die AG den Besitz eigener Aktien binnen drei Jahren auf 10% zurückzuführen. Kommt es in den Fristen nicht zur Veräußerung, sind die Aktien nach § 237 AktG einzuziehen (§ 71c III AktG).

(c) Aktienerwerb mit der Folge der Beherrschung Ein bedeutsames Thema zur Übertragung der Aktien ist der Aktienerwerb zur 225 Übernahme der Herrschaft über ein anderes Unternehmen. Besonders geregelt ist das sog Übernahmeangebot, das ein Großaktionär an die anderen Aktionäre der Zielgesellschaft abgibt oder sogar abgeben muss, wenn sein Aktienbesitz eine bestimmte Quote überschreitet350. Das Thema ist Gegenstand der europäischen Übernahmerichtlinie und des deutschen WpÜG. Es ist im Kapitel über das Kapitalmarktrecht zu behandeln350a.

(d) Zwischenscheine und Verletzung der Schranken für die Ausgabe von Aktien oder Zwischenscheinen Vor der Ausgabe der Aktien können nach § 8 VI AktG nach der Eintragung 226 der Gesellschaft (§ 41 IV 1, 2 AktG) Zwischenscheine erteilt werden. Nach § 10 III AktG lauten Zwischenscheine auf den Namen des Berechtigten. Nach § 8 VI sind sie Urkunden über die Mitgliedsrechte vor Ausgabe der Aktien und gelten für sie die vorstehenden Vorschriften über Aktien, nach § 67 VII AktG gelten die Vorschriften über die Eintragung von Namensaktien in das Aktienregister auch für Zwischenscheine. Zwischenscheine kommen insbesondere in Betracht, wenn Inhaberaktien vorgesehen sind, die Gesellschafter aber noch nicht die volle Einlage erbracht haben. In dieser Lage sind nur Namenspapiere zulässig (§ 10 II 1

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350 Es geht um den Verfahrensschutz der Aktionäre in einem geregelten Übernahmeverfahren, um die Möglichkeiten und Schranken der Verwaltung des Zielunternehmens, sich der Übernahme zu erwehren, und um die Pflichten der Organverantwortlichen in Bezug auf die Übernahme überhaupt (insbes wenn sie, wie im Fall Krupp/Thyssen das Aufsichtsratsmitglied bei Thyssen aus dem Vorstand der für Krupp tätigen Deutschen Bank, auf beiden Seiten Organstellungen innehaben). 350a U Rn 798 ff. Zum Stand vor dem WpÜG umfassend Witt Übernahmen von Aktiengesellschaften und Transparenz der Beteiligungsverhältnisse 1998.

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AktG), insbesondere also, weil diese nach § 10 III AktG auf Namen lauten müssen, Zwischenscheine. Vor der Eintragung der Gesellschaft oder, bei neuen Aktien, vor der Durchführung der Kapitalerhöhung können Aktien und Zwischenscheine nicht ausgegeben werden (§§ 41 IV, 191 AktG)350b. Bis zur Ausgabe der Aktie oder eines Zwischenscheins ergibt sich die Mitgliedschaft an der AG als unverkörperte Rechtsstellung einerseits aus der Erklärung gegenüber der Gesellschaft, dass der Erklärende bestimmte Aktien zeichne, und andererseits aus Annahme dieser Erklärung durch den Vorstand. Gibt die Gesellschaft unter Verstoß gegen § 10 II AktG vor der vollen Leistung 226a des Nennbetrags oder des höheren Ausgabebetrags Inhaberaktien aus, so erwirbt der Aktionär, der noch nicht voll geleistet hat, die Aktien nicht. Veräußert er sie aber und ist der Erwerber gutgläubig, so erwirbt dieser die Aktie als Inhaberaktie (§§ 932 ff iVm § 793 I 1 BGB, die letztere Vorschrift in entsprechender Anwendung351). Die offenstehende Einlage schuldet der Veräußerer und nicht der gutgläubige Erwerber. Insofern kann sich auch die Einforderung der Einlage durch den Vorstand (§ 63 I 1 AktG) nur an den Veräußerer richten. Diesen müssen also auch die Nebenpflichten und Sanktionen nach §§ 63 II, III, 64 AktG treffen352. Der Erwerber kann nur gegenüber dem Veräußerer schadensersatzpflichtig sein, wenn er eine Aufforderung des Vorstands nicht an den Veräußerer weitergibt.

(e) Gewinnanteilsscheine 227 Über die wiederkehrenden Ansprüche des Aktionärs auf Gewinnauszahlung können Gewinnanteilsscheine iSv § 804 BGB ausgegeben werden (Dividendenscheine, Kupons). Sie werden in der Praxis zu Kuponbögen zusammengefasst. Für den Fall, dass diese aufgebraucht sind, gibt es einen Erneuerungsschein (Talon) iS von § 805 BGB. Die Vorschriften des BGB regeln zusammen mit Spezialvorschriften des AktG (§§ 72 II, 75 AktG) die Legitimation für die Ausgabe neuer Urkunden und das Problem des Verlusts der Urkunden. Bei der sammelverwahrten oder global beurkundeten Aktie werden die Ansprüche mithilfe der Depotbank realisiert.

_____ 350b S u Rn 282. Da die Mitgliedschaft als Aktionär mit Eintragung der AG oder der Durchführung der Kapitalerhöhung entsteht, ist das Wertpapier Aktie ein sogenanntes deklaratorisches Wertpapier. 351 Die hM, der der BGH wohl zustimmt (anders entscheidet er für seinen Fall aus einer Kapitalerhöhung, s o Fn 339c), wendet auf die Belastung mit einer noch offenen Einlagepflicht § 936 BGB an. 352 Hüffer/Koch § 63 Rz 4.

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(f) Legitimation der Gesellschafter der GmbH und Erwerb von Geschäftsanteilen 228 Die Geschäftsanteile an einer GmbH können anders als die Aktien nicht in Wertpapieren verbrieft werden352a. Die Gesellschafter sind aber mit ihren durchlaufend nummerierten Geschäftsanteilen in einer in das Handelsregister aufzunehmenden Gesellschafterliste zu vermerken (§ 8 I Nr 3 i.V. mit § 40 GmbHG)352b. Wählen die Gründer das in der Anlage zum GmbHG zur Verfügung gestellte Musterprotokoll, gilt dieses zugleich als Gesellschafterliste (§ 2 Ia 4 GmbHG). Bei jeder Veränderung haben die Geschäftsführer, bei Änderungen in notarieller Form die Notare, eine von ihnen unterschriebene Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen (§ 40 I GmbHG)353. Der Zentralnorm des § 67 II AktG für Namensaktien bei der AG mit dem Inhalt, dass im Verhältnis zur Gesellschaft als Aktionär nur gilt, wer in das Aktienregister eingetragen ist, entspricht im Recht der GmbH § 16 I 1 GmbHG: Im Verhältnis zur Gesellschaft gilt im Fall einer Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung als Inhaber eines Geschäftsanteils nur, wer als solcher in die im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste (§ 8 I Nr 3 GmbHG) eingetragen ist. § 16 I 1 GmbHG wird relevant, wenn ein Gesellschafter seinen Anteil oder nach Aufteilung des Anteils einen Teil davon veräußert oder wenn er den Anteil oder einen Teil davon verpfändet oder daran einen Nießbrauch bestellt (§§ 1069, 1274 BGB verweisen auf die Vorschriften über die Übertragung). Nach § 15 I GmbHG ist der Geschäftsanteil an der GmbH veräußerlich und 229 vererblich353a. Insbesondere für die Vererbung ist die Regelung über die Mitbe-

_____ 352a Roth/Altmeppen/Altmeppen § 14 Rn 9. Das Erfordernis der Vorlegung und die Legitimation durch ein Papier als Merkmale des Wertpapiers sind mit dem personalistischen Charakter der GmbH, insbes der Übertragung der Anteile durch notariellen Vertrag, nicht vereinbar. 352b Dazu Dieter Meyer, DNotZ 2008, 403. Die Aufnahme der Liste in das Handelsregister setzt voraus, dass sie in dem für das entsprechende Registerblatt (§ 9 I HRV) bestimmten Registerordner gespeichert ist. Die am Erwerb beteiligten Gesellschafter müssen also für dreierlei sorgen bzw sie müssen aufpassen, dass es geschieht: Mitteilung und Nachweis des Erwerbs gegenüber der Geschäftsführung (§ 40 I 2 GmbHG), soweit nicht der Notar zuständig ist (§ 40 II 1 GmbHG), Eintragung in die Liste, Aufnahme in das Handelsregister. Zu den Praxisfragen an die Gesellschafterliste auch Götze/Bressler, NZG 2007, 894. Nach dem Geldwäschegesetz von 26.6.2017 (BGBl I, 1822) ist die prozentuale Beteiligung der Gesellschafter mit Regelung für den Fall, dass eine Gesellschaft beteiligt ist, zu vermerken. Das Gesetz ändert § 40 GmbHG. Eine Änderung des Musterprotokolls nach § 2 Ia GmbHG ist nicht beabsichtigt (Gutachten DNotI DNotI-Report 2017, 129). Zur Anwendung der neuen Bestimmungen auf eigene Anteile der GmbH Gutachten S 131. 353 Das Registergericht hat nur die Übereinstimmung mit § 40 zu prüfen, KG WM 2016, 1741. 353a Damit ist nicht die Bestimmung der Unveräußerlichkeit (iSv §§ 399, 413 BGB) ausgeschlossen, für diese bedürfte es einer Regelung oder Änderung des Gesellschaftsvertrages.

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rechtigung an einem Geschäftsanteil in § 18 GmbHG gedacht. Für die Teilung gilt – immer vorbehaltlich einer Regelung im Gesellschaftsvertrag – die Zuständigkeit der Gesellschafter nach § 46 Nr 4 GmbHG. Allein die Tatsache, dass das Gesetz die Veräußerlichkeit und Vererblichkeit des Geschäftsanteils in § 15 I GmbHG eigens hervorhebt, zeigt den fundamentalen Unterschied der GmbH zur AG. Die Veräußerlichkeit und Vererblichkeit des Anteils an einer GmbH sind nämlich nicht selbstverständlich. Dies beruht darauf, dass die GmbH eine personalistische Kapitalgesellschaft ist. Dies zeigt auch § 16 II GmbHG: Der Erwerber aus einem Veräußerungsgeschäft muss für Einlagepflichten, die aus der vorherigen Zeit offen stehen, als Gesamtschuldner neben dem Veräußerer haften354: Nach neuer Fassung geht es um die Zeit vor der Eintragung des Erwerbers in die Gesellschafterliste. Die Regelung zeigt die Bezogenheit auf die Person des Gesellschafters. Der Veräußerer wird in Person ersetzt durch den Erwerber. Auf demselben Grund der personalistischen Natur der GmbH beruht die 230 Form der Veräußerung von Geschäftsanteilen gemäß § 15 GmbHG: Die Anteile werden durch notariellen schuldrechtlichen (§ 15 IV GmbHG) und dinglichen Vertrag (§ 15 III GmbHG – Heilungswirkung nach § 15 IV 2 GmbHG –) von Person zu Person veräußert und übertragen354a, unter Ausklammerung des Massen- und Börsenverkehrs, der der AG zugänglich ist. Der BGH gebraucht für den Zweck der Formvorschrift den Ausdruck, dass der formlose Handel mit Geschäftsanteilen ausgeschlossen werden soll354b. Die Formvorschriften sind freilich so abstrakt gefasst, dass sie zwar nicht die Verfügung des Vermächtnisses betreffs eines Geschäftsanteils (keine Vereinbarung), sehr wohl aber die Abtretung in Erfüllung des Vermächtnisses erfassen.

_____ 354 Verpfändung und Nießbrauchsbestellung sind hier nicht gemeint. Für die Anwendung auf Verpfändung und Nießbrauchsbestellung sind die Frage der Legitimation und die Auferlegung einer Haftung zu unterscheiden. Für den Erben gilt § 16 II GmbHG ebenfalls nicht. Er haftet nach den Vorschriften über die Erbenhaftung, also für alle Lasten mit der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung. 354a Auch die Abtretung des Anspruchs auf Abtretung eines Geschäftsanteils ist formbedürftig (BGHZ 75, 352). Nach §§ 1069, 1274 BGB fallen auch die Nießbrauchsbestellung an einem Geschäftsanteil und die Verpfändung unter § 15 I–V GmbHG. Für die Rechtsstellungen sind das volle Nutzungsrecht des Nießbrauchers abzugrenzen (der Besteller behält nur noch das nudum ius; aA aber der BGH, der dem Besteller Stimm- und Verwaltungsrechte belässt, ZIP 1999, 68; dazu K. Schmidt, ZGR 1999, 601, der wenigstens die Möglichkeit einer vertraglichen Einräumung an den Nießbraucher anerkennt, 609 f) und bei der Verpfändung – vorbehaltlich des Nutzungspfands – die Aufteilung zwischen der Grundposition des Verpänders und der Sicherungsposition des Pfandgläubigers. – Für die Wirksamkeit der notariellen Beurkundung durch einen ausländischen Notar gilt dasselbe wie bei der Beurkundung des Gesellschaftsvertrags (o Rn 212a Fn 324). Zum Erfordernis des § 15 III GmbHG näher Kanzleiter, ZIP 2001, 2105. 354b Etwa BGHZ 19, 69, 72.

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Die Formvorschrift des § 15 IV hat eine zentrale Rolle in der historischen Entwicklung gespielt, indem sie lange Zeit zu der Auffassung des Gesetzgebers geführt hat, dass der Reformbedarf, der für die AG als Publikumskapitalgesellschaft immer wieder empfunden worden ist, bei der GmbH nicht zu sehen sei354c. Die personalistische Ausrichtung der GmbH kann verstärkt werden durch 231 eine wie auch immer näher bestimmte 355 Vinkulierung der Anteile (§ 15 V GmbHG356). Die nachträgliche Einführung bedarf einer Satzungsänderung mit Zustimmung aller betroffenen Gesellschafter356a. Eine Vinkulierung würde auch für die Erfüllung der vermächtnisweisen Zuwendung eines Geschäftsanteils gelten. Die Möglichkeit der Vinkulierung gibt es nicht für die Pfändung und die Erbnachfol- 232 ge356b. Bei der ersteren sichern §§ 857, 851 II ZPO die Gläubiger gegen Beschränkungen der Zwangsvollstreckung in den Anteil. Zur Vererbung geht die gesetzliche Bestimmung der Vererblichkeit zusammen mit § 1922 BGB Satzungsbestimmungen vor, die die Vererblichkeit ausschließen oder an die Zustimmung der Mitgesellschafter knüpfen357. Die Satzung kann den Geschäftsanteil aber mit Bindungen zugunsten der übrigen Gesellschafter belegen, zB Ablösungsrechten, die auch ein Gläubiger oder ein Erbe sich entgegenhalten las-

_____ 354c S o Rn 60. 355 In dem vom Gesetz erwähnten Fall („Genehmigung“ = Zustimmung der Gesellschaft) fällt die Erklärung in die Vertretungsmacht der Geschäftsführung. Bei Ermessensmissbrauch (Raiser/Veil § 30 Rn 12) kann auf Zustimmung geklagt werden. Wenn die Gesellschafter beschließen (§ 37 II GmbHG), kann der zessionswillige Gesellschafter nach der Rechtsprechung mitstimmen (BGHZ 48, 163, 167; dazu Wilhelm Rechtsform und Haftung, S 92 Fn 242). 356 Überträgt bei Vinkulierung ein Gesellschafter seinen Anteil einem anderen treuhänderisch, insbesondere seinem Gläubiger zur Sicherheit, so bedarf zunächst diese Abtretung der Zustimmung. Bei der Sicherungsabtretung verliert der Zedent nicht die personalistische Bindung in die Gesellschaft, folglich bedarf die Rückabtretung an ihn nicht der Zustimmung (BGH NJW 1965, 1376). Tritt er freilich seinen Rückgewähranspruch an einen Dritten ab, bedarf diese Zession neuerlich der Zustimmung nach § 15 V GmbHG. Auch bei der Verwaltungstreuhand bedarf die Übertragung der Treugeberposition der Zustimmung (RGZ 159, 272). Anders ist es, wenn der Treugeber bei der Verwaltungstreuhand seine Rechte auf einen neuen Treuhänder überträgt, dies bedeutet nur den Austausch der Treuhänderperson und keinen Handel mit Geschäftsanteilen, die Abtretung ist also weder form- noch zustimmungsbedürftig (BGHZ 19, 69). Für die Ansicht, dass der Treuhänder einem Stimmverbot aus der Person des Treugebers unterliege (Raiser/Veil § 30 Rn 5), sind Sicherungs- und Verwaltungstreuhand zu unterscheiden. Bei der Sicherungstreuhand verletzt die Ansicht das Eigeninteresse des Sicherungsnehmers. 356a RGZ 68, 211; Raiser/Veil § 30 Rn 10. 356b Zur Pfändung Raiser/Veil § 30 Rn 33; zur Erbfolge Roth/Altmeppen/Altmeppen § 15 Rn 51 f. 357 Roth/Altmeppen/Altmeppen § 15 Rn 28.

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sen müssen. Die Pfändung eines Geschäftsanteils und der Tod eines Gesellschafters können auch als Auflösungs- (§ 60 II GmbHG) oder Einziehungsgründe (§ 34 I, II GmbHG) bestimmt werden. Dann kommt es auf die Abfindungsregelung an. Der BGH hat Abfindungsbeschränkungen für unzulässig erklärt, die gerade auf die Aushöhlung des Pfändungspfandrechts zielen. Die Nichtberücksichtigung des Firmenwerts sei aber zulässig, wenn sie auch in anderen Fällen, etwa der Ausschließung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund, bestimmt sei 358. Gegen den Erben werden weitgehende Beschränkungen der Abfindung für zulässig gehalten358a. Es kann aber nicht in die Hand der verbliebenen Gesellschafter das Recht gelegt sein, über die vom Erblasser angeordnete Nachfolge befinden zu können, und dies auch noch mit dem angenehmen Vorteil, das Kapital des Erblassers zugunsten der Gesellschaft (dh sich selbst) enterben zu können. Die Abfindungsregelung darf nicht willkürlich sein. Nur soweit sie darauf ausgerichtet ist, dass die Abfindung rechtssicher und unter Erhaltung der Gesellschaft und ihres Unternehmens realisiert werden kann, ist sie zulässig. 233 Als auf die persönliche Gesellschafterstellung bezogener Vertrag (und mangels

Verkörperung des Anteils in einem Rechtsscheinträger) unterfiel die Abtretung von Geschäftsanteilen nach früherem Recht nicht dem Verkehrsschutz durch gutgläubigen Erwerb (§§ 413, 398 ff BGB). Dies hat das MoMiG geändert359: Für den rechtsgeschäftlichen Erwerb macht § 16 III nF GmbHG jetzt die Gesellschafterliste zum Rechtsscheinträger für die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten. Die Vorschriften nehmen Elemente der Regelung des BGB zum Erwerb des Eigentums an beweglichen Sachen, aber auch ein Element aus der Regelung über den gutgläubigen Erwerb von Grundstücksrechten vom Nichtberechtigten auf. Wie § 932 BGB den Erwerb auf den Rechtsscheintatbestand des Besitzes 234 des Veräußerers gründet, so § 16 III GmbHG auf die Eintragung des Veräußerers in der Gesellschafterliste360. Die Liste ist, wie der Besitz Rechtsscheingrundlage

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358 BGHZ 65, 22, 26. 358a Dazu N bei Raiser/Veil § 30 Rn 42 ff. Raiser/Veil (aber auch Roth/Altmeppen/Altmeppen § 15 Rn 28) weisen auf § 2301 BGB hin. § 2301 BGB betrifft aber nur Schenkungsversprechen. Abfindungsbeschränkungen sind dagegen inhaltliche Beschränkungen des Geschäftsanteils. 359 Die neue Regelung gilt nicht für Veränderungen der Gesellschafter in der Zeit vor Inkrafttreten des MoMiG (1.11.2008), OLG Dresden ZIP 2017, 80. 360 Diesen Rechtsscheintatbestand hat der Bundesrat für unzureichend gehalten. Bei rechtsgeschäftlichem Erwerb biete zwar der Notar hinreichende Gewähr für eine sichere Grundlage. Anders sei es aber beim gesetzlichen Übergang. Jedermann könne ohne Überprüfung seiner Identität die Gesellschafterliste mit beliebigem Inhalt einreichen. Hatte der BR an dieser Stelle nur um Überprüfung gebeten, so hatte er in Nr 17 eine bestimmte Absicherung des Rechtsscheintatbestandes angeregt: Zu § 40 GmbHG hatte er vorgeschlagen, dass die Gesellschafterliste elektronisch in öffentlich beglaubigter Form müsse eingereicht werden. Beidem ist die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu Nr 14, 17 in Anlage 3 zur elektronischen Vorabfassung des RegE MoMiG S 8 f, 9 f entgegengetreten: Nicht jedermann könne einreichen, sondern

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für das Eigentum des Veräußerers an beweglichen Sachen ist, Rechtsscheingrundlage für die Anteilsinhaberschaft des Veräußerers. Dagegen wird nicht die Existenz des Anteils, seine Freiheit von offenen Einlagepflichten oder seine freie Veräußerlichkeit (s § 15 V GmbHG) vermutet. Sogar beschränkter als der Besitz wirkt der in Gestalt der Gesellschafterliste vorliegende Rechtsscheintatbestand insofern, als an den Besitz auch der gute Glaube an das lastenfreie Eigentum anknüpfen kann (§ 936 BGB), § 16 III GmbHG demgegenüber die Möglichkeit nicht gewährt, dass ein Geschäftsanteil, an dem ein Pfandrecht oder Nießbrauch bestellt ist, lastenfrei erworben wird. In die Gesellschafterliste werden ja auch nur die Gesellschafter als Inhaber vorhandener Gesellschaftsanteile eingetragen, nichts sagt die Liste demgegenüber über das Vorhandensein eines Anteils oder die Verfügungsfreiheit aus, auch Pfandgläubiger oder Nießbraucher am Geschäftsanteil werden nicht eingetragen. Der Rechtsschein der Liste kann aufgrund eines Elements beseitigt sein, welches die Neuregelung aus dem Grundstücksrecht entnommen hat: nämlich wie dort (s §§ 899, 892 I BGB) durch einen Widerspruch. Der Eintragung in der Gesellschafterliste kann aufgrund einer Bewilligung oder einer einstweiligen Verfügung, für die es nicht der Glaubhaftmachung der Gefährdung bedarf, ein Widerspruch „zugeordnet“ werden (§ 16 III 4, 5 GmbHG) 360a . Dieser verhindert den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten (§ 16 III 3 GmbHG) 360b . Parallel zu § 935 I, II BGB verlangt § 16 III BGB sodann die Zurechenbarkeit 235 des Rechtsscheins an den wirklich Berechtigten: Der Erwerb tritt nicht ein, wenn die Liste zur Zeit des Erwerbs weniger als drei Jahre unrichtig war und die Unrichtigkeit dem Erwerber nicht zurechenbar ist (§ 16 III 2 BGB). Wie nach § 932 I, II BGB schadet dem Erwerber sowohl Kenntnis als auch grob fahrlässige Unkenntnis der Nichtberechtigung des Zedenten (§ 16 III 3 GmbHG).

_____ nach § 40 I GmbHG hätten die Geschäftsführer eine von ihnen unterschriebene Liste einzureichen. Weiter bedeute das Erfordernis der öffentlichen Beglaubigung einen unnötigen Aufwand. Die 3-Jahres-Frist (s sogleich) gewähre ausreichenden Schutz. – Zur Auswirkung des MoMiG hinsichtlich des Rechtsscheintatbestands auf die Übertragung von Geschäftsanteilen in der Schweiz Weller, Der Konzern 2008, 253 360a Zuordnung bedeutet, dass der elektronisch eingereichte Widerspruch mit dem entsprechenden TIFF(Tagged Image File Format)-Dokument der Gesellschafterliste im entsprechenden Registerordner nach § 9 HRV verbunden ist (Meyer aaO o Fn 352b). 360b Auf Bedenken des BR hin hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, dass die Regelung zum gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten erst dann in Kraft treten könne, wenn die technischen Änderungen, die für die Zuordnung eines Widerspruchs im Registerordner erforderlich seien, vollzogen und anwendungsbereit seien (elektronische Vorab-Fassung des RegE, Gegenäußerung der Bundesreg zu Nr 34 S 18). In der Endfassung des EGGmbHG sucht man eine solche Vorsorge vergebens.

156 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

236

Der an den zurechenbaren Rechtsschein der Gesellschafterliste angeknüpfte gutgläubige Erwerb muss in dem umstrittenen Fall entscheiden, dass ein Geschäftsanteil nach einer aufschiebend bedingten Erstabtretung vor Eintritt der Bedingung erneut einem Erwerber abgetreten wird. Den Schutz lehnt der BGH ab361. Er schützt also den bedingten Ersterwerber jedenfalls gegen den Zwischenerwerber. Der BGH berücksichtigt nicht sorgfältig genug die Unterschiedlichkeit der Legitimationswirkung der Gesellschafterliste einerseits (§ 16 I GmbHG) und der Rechtsscheinwirkung (§ 16 III) andererseits mit der Verweisung hinsichtlich der zweiten in § 16 III S 3 ff auf die dort vorgesehene Möglichkeit der Zuordnung eines Widerspruchs. Diese muss bei bedingter Abtretung eines Anteils genutzt werden. Unterlassen die Abtretungsparteien, insbesondere der bedingte Ersterwerber, die Zuordnung, wird der Rechtsschein dem bedingten Erwerber zurechenbar.

(g) Eigene Anteile der GmbH, Keinmann-GmbH 237 Erwerberin eines bestehenden Geschäftsanteils kann auch die GmbH sein. Das

Verbot der Zeichnung eigener Anteile bei der Gründung gilt aber entsprechend § 56 AktG auch für die GmbH. § 33 I, II GmbHG unterscheidet nämlich zwischen dem Erwerb voll eingezahlter und nicht voll eingezahlter Anteile. Der Erwerb nicht voll eingezahlter Anteile ist sogar dinglich unwirksam (§ 33 I). Das betrifft die Beteiligung der GmbH an der Gründung wie an einer Kapitalerhöhung361a und für Erwerbsgeschäfte im Rechtsverkehr, auch für unentgeltlich und von Todes wegen zugewandte Anteile. § 33 I sagt „kann nicht“ im Unterschied zu § 71 I AktG („darf nicht“). § 33 II 1 Hs 2 gibt sodann Voraussetzungen für die Zulässigkeit voll eingezahlter Anteile, nämlich die Voraussetzung der Möglichkeit der fiktiven Rücklage wie im Aktienrecht. Ist die Voraussetzung nicht erfüllt, gilt aber auch hier wie im Aktienrecht: nur schuldrechtliche Unwirksamkeit des Geschäfts (§ 33 II 3 GmbHG). Anders als das Aktienrecht stellt das GmbHG nicht auf die Grenze von 10% des (hier: Stamm-) Kapitals ab. In § 33 III werden schließlich mit derselben Beschränkung betreffs der Möglichkeit der fiktiven Rücklage (§ 33 III letzter Hs), aber ohne Beschränkung auf voll

_____ 361 BGH NZG 2011, 1268, dagegen Altmeppen, Liber Amicorum Klaus Schurig 2012, 1 ff, Jeep, NJW 2012, 658, Wilhelm, FS Picker, 2010, 837 ff, 850 ff; der Entscheidung im Ergebnis zustimmend Walek, JZ 2012, 608. 361a Gegenschluss aus § 33 GmbHG, BGHZ 15, 391, 393. An einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nimmt die Gesellschaft aber mit vorhandenen eigenen Anteilen teil ( § 57l Abs 1, j GmbHG). Die Ausweitung des Verbots nach § 56 II AktG gilt für die GmbH analog (so mwN Baumbach/Hueck/Fastrich/Zöllner § 55 Rn 19).

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 157

eingezahlte Anteile bestimmte Fälle des Erwerbs eigener Anteile zugelassen (§ 33 III Hs 1 GmbHG: zur Abfindung bei Umstrukturierung nach dem UmwG). Was die Bilanzierung betrifft, gelten in den Fällen der Zulässigkeit des Erwerbs eigener Anteile nach § 33 II und III GmbHG wie für die eigenen Aktien die Vorschriften des § 272 Ia 1, 2 HGB: Keine Buchung als Aktiva und statt einer Rücklage Buchung des Nennbetrags in den Passiva als Vorposten zum Posten des gezeichneten Kapitals (hier des Stammkapitals), Verrechnung des Unterschiedsbetrags zu den Anschaffungskosten mit freien Rücklagen. Äußerstenfalls denkbar – etwa durch Erbgang oder im Fall der Kaduzierung 238 (§ 27 III GmbHG) – ist auch der Erwerb aller Anteile durch die GmbH (sogenannte Keinmann-Gesellschaft). Da die Gesellschaft auf der Mitgliedschaft von Gesellschaftern beruht, ist der Erwerb des letzten Anteils durch die Gesellschaft aber ein Auflösungsgrund, dh die Gesellschaft tritt in das Liquidationsstadium (§§ 60 ff GmbHG). Es kann jedoch einer der Anteile wieder veräußert werden und der Erwerber die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen361b. In Hinsicht auf die grundsätzliche Bedenklichkeit des Erwerbs eigener Anteile ist es hier besonders wichtig zu beachten, dass die eingeschränkte Vermögensbindung bei der GmbH nicht alleinsteht. Der Schutz durch die Vermögensbindung wird im Hinblick auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander durch den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Beschränkung der organschaftlichen Macht der Geschäftsführung ergänzt. Die klare Aussage des § 71b AktG, der im Interesse der Erhaltung des Kräfte- 239 verhältnisses zwischen Vorstand und HV der Gesellschaft, soweit sie eigene Anteile erwerben darf oder erwirbt, die Ausübung der Anteilsrechte versagt, fehlt im GmbHG. Mit Recht (keine Ansprüche gegen sich selbst) wird aber auch hier das Ruhen der Anteilsrechte angenommen, sofern die Gesellschaft eigene Anteile erwirbt, solange sie sie hält362. Was die Kehrseite des Erwerbs, die Wiederveräußerungsmöglichkeit be- 240 trifft, hat der BGH die Veräußerung eigener Anteile der GmbH durch einen nicht geschäftsführenden Alleingesellschafter im eigenen Namen nicht als Verfügung eines Nichtberechtigten iSv § 816 I 1 BGB angesehen: Der Alleingesellschafter

_____ 361b Baumbach/Hueck/Fastrich § 33 Rn 19. Von der Keinmann-Gesellschaft ist zu unterscheiden die sogenannte Einheitsgesellschaft, dh eine GmbH & Co KG, bei der alle Anteile an der GmbH der KG gehören (für die KG ist aber die Existenz noch mindestens eines weiteren Gesellschafters neben der Komplementär-GmbH Voraussetzung), dazu Baumbach/Hueck/Fastrich § 33 Rn 20. Zum umgekehrten Fall – alle Anteile der Personengesellschaft werden auf die GmbH übertragen – u Rn 1470 Fn 2404. 362 Zur Gewinnverteilung an die anderen Gesellschafter BGH NJW 1995, 1027, 1028. Allg Altmeppen bei Roth/Altmeppen § 33 Rn 31 ff.

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könne sich aus der Macht der von ihm allein dargestellten Gesellschafterversammlung eine entsprechende Ermächtigung erteilen363.

(7) Fortsetzung des Gründungsrechts (a) Firma; Geschäftskorrespondenz 241 In der Satzung bzw dem Gesellschaftsvertrag muss insbesondere die Firma festgelegt werden (§§ 23 III Nr 1 AktG, 3 I Nr 1 GmbHG). Hinzukommt die Publizität in der Geschäftskorrespondenz nach §§ 80 AktG, 35a GmbHG363a. Die gesetzliche Regulierung der Firmenbildung bei AG oder GmbH nach der aF der §§ 4 AktG, 4 GmbHG ist schon vor dem MoMiG beseitigt worden. Die beiden Vorschriften schreiben in der neuen Fassung nur noch den Rechtsformzusatz („Aktiengesellschaft“ oder „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung wie AG oder GmbH bzw Gesellschaft mbH363b) vor. Für die Unternehmergesellschaft ist statt GmbH der Zusatz „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ erforderlich (§ 5a I GmbHG nF). Bei der Firmenbildung sind weiterhin die allgemeinen (§§ 18, 21 ff, 30 HGB) und etwaige auf die konkrete Gesellschaft bezogene besondere firmenrechtliche Vorschriften363c zu beachten, weiter der Schutz von Namen und Firmen mit Priorität vor der zu bildenden Firma und das Irreführungsverbot nach §§ 3, 5 I UWG. Nach dem Grundsatz der Firmeneinheit können AG und GmbH nur eine Firma führen, auch wenn sie mehrere Unternehmen betreiben. Die Gesellschaften können aber Zweigniederlassungen führen und für diese die Firma mit einem Zusatz versehen (§ 13 HGB).

_____

363 GmbHR 2003, 1426. 363a Sanktion mögliche Haftung, insbesondere Rechtsscheinhaftung (nach LG Detmold GmbHR 1991, 23 auch aus § 823 II BGB), Zwangsgeld nach §§ 407 AktG, 79 I GmbHG. 363b § 4 S 2 GmbHG lässt ausdrücklich die Abkürzung „gGmbH“ bei Gesellschaften mbH zu, die ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke nach §§ 51–68 AO verfolgen. Obwohl § 4 AktG eine Zulassung wie bei der GmbH nicht enthält, ist doch analog § 4 S 2 GmbHG bei entsprechender Zwecksetzung auch eine gAG möglich. Insbesondere im Krankenhauswesen ist sie bei Beteiligung der öffentlichen Hand anzutreffen (zB St. Vincentius-Kliniken gAG Karlsruhe). Voraussetzung des Gemeinnützigkeitsprivilegs ist der satzungsmäßige Verzicht der Gesellschafter auf Gewinn und sonstige Vermögenszuwendung (§§ 55 I Nr 1, 59 f AO). Die Bundesregierung hatte sich zunächst gegen den Vorschlag einer derartigen Abkürzung gewehrt (Anlage 3 zur elektronischen Vorabfassung des RegE MoMiG, S 2). 363c Die Firma einer Rechtsanwaltsgesellschaft muss nach § 59k I BRAO die Bezeichnung Rechtsanwaltsgesellschaft enthalten. Zusammen mit der Rechtsformbezeichnung ergibt sich Rechtsanwaltsgesellschaft mbH oder – AG oder Rechtsanwaltsgesellschaft UG – haftungsbeschränkt –.

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 159

Die Firma kann durch Änderung der Satzung bzw des Gesellschaftsvertrags geändert werden. Für den Fall, dass bei dem Auftreten für das Unternehmen der erforderliche 242 Rechtsformzusatz weggelassen wird, greift die Rechtsscheinhaftung der Handelnden ein. Da auch eine Sachfirma (Firmenbildung mit dem Unternehmensgegen- 243 stand) gewählt werden kann, entscheidet sich ein Gesellschafter, der seinen Personennamen für die Firma der juristischen Person zur Verfügung stellt, dafür, den Namen an die juristische Person abzugeben, was Konsequenzen auch für den Fall der Insolvenz zB einer GmbH hat. Anders war es bei der Personengesellschaft zu der Zeit, als hier noch die Benutzung eines Personennamens zwingend vorgeschrieben war. Bei der GmbH kann der Insolvenzverwalter über das Unternehmen der Gesellschaft zusammen mit der Firma verfügen364.

(b) Sitz Der Sitz ist der Ort im Inland, den Satzung bzw Gesellschaftsvertrag bestim- 244 men (§§ 5 AktG, 4a GmbHG). Die Satzung bzw der Gesellschaftsvertrag müssen einen Sitz der Gesellschaft angeben (§§ 23 III Nr 1 AktG, 3 I Nr 1 GmbHG). Man spricht vom Satzungssitz. Der Sitz der Zentrale der Verwaltung der Gesellschaft (Verwaltungssitz) kann abweichen365. Nach §§ 80 AktG, 35a GmbHG muss der Sitz auf den Geschäftsbriefen an bestimmte Empfänger angegeben werden. Der Sitz der Gesellschaft entscheidet über das zuständige Registergericht (§§ 14, 36 AktG, 7 GmbHG) und den allgemeinen Gerichtsstand (§ 17 ZPO). Am Sitz der Gesellschaft soll, vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung, die Haupt- bzw die Gesellschafterversammlung stattfinden (§ 121 V 1 AktG, der im GmbH-Recht analog gilt). Der Steuersitz der Gesellschaft entscheidet über die unbeschränkte Steuerpflicht (§§ 1 I KStG, 11 AO). Ob und in welchem Sinne der Sitz, insbesondere der Sitz einer Zweigniederlassung, auch für das anwendbare Recht maßgeblich ist, ist oben366 erörtert worden. Das MoMiG hat die Vorschriften über den Sitz in §§ 5 AktG, 4a GmbHG neu 245 gefasst. Klar gestellt ist damit, dass den deutschen Gesellschaften dasselbe Recht zur Betätigung im Ausland zusteht, wie dieses den Gründungen im mitgliedstaatlichen Ausland zukommt. Für das Verhältnis von Satzungs- und Verwaltungssitz werden keine Vorschriften mehr gemacht.

_____ 364 BGHZ 85, 221, 224; 109, 364, 367. 365 Zur Möglichkeit von Zweigniederlassungen deutscher Kapitalgesellschaften §§ 13, 13h HGB. 366 Rn 200 f.

160 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

Bei einer deutschen Gründung ist ein Satzungssitz der deutschen Gesellschaft im Ausland unzulässig. Die Verlegung des Satzungssitzes in das Ausland wird als Auflösungsbeschluss mit nachfolgender Liquidation angesehen. Möglich ist aber die formwechselnde Umwandlung in eine Gesellschaft eines anderen Landes der EU. Wird die Gesellschaft dort mit ihrer neuen Rechtsform eingetragen366a, wendet das OLG Frankfurt unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit nach Art 49, 54 AEUV die heilende Wirkung der Eintragung nach § 202 I Nr 1, 3, II, III UmwG analog an366b. Zu unterscheiden ist die Verlegung des Verwaltungssitzes ohne Satzungsänderung in das Ausland. Diese ist nicht mehr gehindert. Verlegt eine im Ausland gegründete Gesellschaft ihren Satzungssitz in das Inland, ist das nur wirksam, wenn der Wegzugsstaat den Fortbestand annimmt und zugleich die Voraussetzungen für die Eintragung nach deutschem Recht erfüllt sind367. Die Eintragung deutscher Zweigniederlassungen ausländischer „GmbH“ 246 und „AG“, dh Gesellschaften, die nach ihrem Wesen einer GmbH oder AG entsprechen, wird in §§ 13d ff HGB geregelt. Entsprechendes gilt, wenn eine im Europäischen Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt. Über die erhebliche Liberalisierung der Rechtswahl und der Sitzwahl, die 247 der Referentenentwurf zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften etc vorschlägt, ist oben367a berichtet.

(c) Gegenstand und Zweck 248 Nach §§ 23 III Nr 2 AktG, 3 I Nr 2 GmbHG muss die Satzung bzw der Gesell-

schaftsvertrag den Gegenstand der Gesellschaft bestimmen 368. Fehlt die Bestimmung, kann jeder Gesellschafter und jedes Organmitglied darauf klagen, dass die Gesellschaft für nichtig erklärt wird (§§ 275 I AktG, 75 I GmbHG). Das Registergericht kann die Gesellschaft auch von Amts wegen als nichtig löschen (§ 397 FamFG). §§ 276 AktG, 76 GmbHG ermöglichen die Heilung durch satzungsändernden (bei der AG) oder einstimmigen Gesellschafterbeschluss (bei der GmbH).

_____ 366a Im Fall des OLG Frankfurt eine deutsche GmbH als italienische Società responsibilita limitata. 366b OLG Frankfurt ZIP 2017, 611. 367 Baumbach/Hueck/Fastrich § 4a Rn 11. 367a Rn 105. 368 Zur Freiheit der Rechtsformwahl für beliebige Gegenstände unter Vorbehalt berufsständischer Sonderregelungen o Rn 203 ff.

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 161

Der Gegenstand ist frei wählbar, sofern nicht besondere Vorschriften die Rechtsform der Kapitalgesellschaft ausschließen368a. Für Industrie- und Handels-Aktiengesellschaften muss der Gegenstand nach § 23 III Nr 2 AktG näher bezeichnet werden. Die Vorschrift gilt aber darüber hinaus, etwa für Dienstleistungsunternehmen, und entsprechend auch im Recht der GmbH (zu § 3 I Nr 2 GmbHG). Fehlt die Bezeichnung oder ist sie zu vage, hat das Registergericht die Eintragung abzulehnen (§§ 38 I AktG, 9c I 1 GmbHG). Der Gegenstand muss weder bei der AG noch bei der GmbH in einem Unternehmen oder Handelsgewerbe bestehen, zB kann eine GmbH reiner Vermögensträger, Organisationsrahmen eines Forschungslaboratoriums oder eines Planungsstabes, eine Rechtsform zur Verfolgung ideeller oder hoheitlicher Zwecke sein. Nach §§ 3 I AktG, 13 III GmbHG gelten AG und GmbH, unabhängig von ihrem Gegenstand, kraft ihrer Rechtsform als Handelsgesellschaften und damit als Kaufleute (§§ 6, 1 HGB). Sie sind also kraft ihrer Rechtsform Kaufleute, sog Formkaufleute. Für die Fälle, dass der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft einer behördlichen 249 Genehmigung bedarf, war die Genehmigungsurkunde nach §§ 8 I Nr 6 GmbHG, 37 IV Nr 5 AktG aF schon für die Anmeldung zum Handelsregister erforderlich. Das MoMiG hat die Vorschriften aufgehoben. Entsprechend ist das Erfordernis für die Errichtung von Zweigniederlassungen in § 13e II 2 HGB beseitigt worden. Vom Gegenstand ist zu unterscheiden der Zweck der Gesellschaft. Als Sat- 250 zungsbestandteil unterliegt der Gegenstand den Vorschriften über die Satzungsänderung. Für Zweckänderungen gilt demgegenüber nach § 33 I 2 BGB, der auch für AG und GmbH gilt, das Erfordernis der Zustimmung aller Mitglieder. § 33 I 2 BGB kann freilich nach § 40 BGB durch Satzungsregelung abbedungen werden. Eine solche bedarf aber ihrerseits der Zustimmung aller Mitglieder368b. Die Gegenstandsänderung fällt nicht unter § 33 I 2 BGB. Der „Zweck“ iS von § 33 I 2 BGB wird als Endzweck (der meist in der Gewinnerzielung liegt), der Unternehmensgegenstand als Mittel zu dem Endzweck definiert369. Der Zweck als finaler Sinn des Zusammenschlusses ist die Geschäftsgrundlage im inneren Verhältnis der Gesellschafter. Der Gegenstand ist das Mittel der Zweckverwirklichung. Er bezeichnet den Inhalt der Tätigkeit

_____ 368a Freie Berufe können grundsätzlich als GmbH oder AG betrieben werden, für Zahnärzte hat der BGH aber die Rechtsform der AG nicht zugelassen, BGHZ 124, 224 (Gleiches muss für Ärzte gelten). § 8 ApothekenG und § 9 BNotO verbieten für die dort geregelten Berufe die Rechtsformen der Kapitalgesellschaften. 368b Soergel/Hadding § 33 Rn 7a, 12. 369 Hüffer/Koch § 23 Rn 22; MüKo-AktG/Pentz § 23 Rn 71.

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der Gesellschaft nach außen370. Eine trennscharfe Abgrenzung ist nicht möglich, wie die Gleichsetzung des Zwecks mit dem Begriff der Geschäftsgrundlage anzeigt. Klare Fälle der Zweckänderung sind der Wechsel vom idealen Zweck in den wirtschaftlichen Zweck und die umgekehrte Veränderung. Grundsätzlich ist eine bloße Gegenstandsänderung die Änderung der Branche des Unternehmens. Anders ist es, wenn die Art der Tätigkeit das Wesen der Gesellschaft ausmacht. So ist es bei der Rechtsanwalts-GmbH. Wird bei dieser die Besorgung von Rechtsangelegenheiten verlassen, ist das einer Zweckänderung zumindest gleichzustellen. Die Aufgabe der Unabhängigkeit der Gesellschaft durch vertragliche Unterwerfung unter die Herrschaft eines anderen Unternehmens ist als solche keine Zweckänderung und deshalb mit Recht in § 293 I AktG nur von einer qualifizierten Mehrheit abhängig gemacht 370a . Zur Unterscheidung von Gegenstand und Zweck eines Verbandes hat sich der BGH im Fall der Änderung der Satzung eines eingetragenen Vereins gegen unlauteren Wettbewerb geäußert370b. In der Satzung war die Verfolgung von Verbraucherinteressen gestrichen worden unter Beschränkung der Verbandstätigkeit auf die Interessen Gewerbetreibender an dem Schutz vor unlauterem Wettbewerb. Hintergrund dafür war, dass nach der Rechtsprechung des BGH ein Mischverband nicht nach § 13 UWG aF (§ 8 III Nr 2 nF) klagebefugt war. Nach der Vereinssatzung entschied über Satzungsänderungen die Mehrheit der Mitglieder. Nach der Auffassung des BGH gilt eine solche Regelung grundsätzlich nicht für Änderungen des Vereinszwecks, es sei denn, dass sich die Einbeziehung der Zweckänderung eindeutig aus der Satzung ergibt. In dem gegebenen Fall sei aber keine Zweckänderung festzustellen. Der Zweck sei die große Linie, um deretwillen die Mitglieder sich zusammengeschlossen hätten und mit deren Abänderung ein Mitglied bei seinem Beitritt schlechterdings nicht habe rechnen können. Die Akzentverschiebung in der Ausrichtung des Kampfes gegen unlauteren Wettbewerb gehöre nicht dazu. Dem BGH ist auch im Hinblick darauf beizupflichten, dass ein Verein als Verbandsperson von der Person der Mitglieder verselbstständigt ist.

251 Die Vorschriften des AktG und des GmbHG verlangen nur die Festlegung des

Gegenstands in der Satzung. Fehlt der Gegenstand, gilt als Rechtsfolge: Die Gesellschaft kann für nichtig erklärt werden mit Heilungsmöglichkeit (§§ 275 I AktG, 75 GmbHG mit § 397 FamFG).

_____

370 So kann man die unterschiedlichen Definitionsansätze (entweder nach Zweck und Mittel, so etwa Hüffer/Koch § 23 Rn 22, oder nach interner Geschäftsgrundlage und Tätigkeit der Gesellschaft, so K. Schmidt § 4 II 3 a, b S 65 f) zusammenführen. 370a Die Frage, ob die Regelung des Konzernvertrags dafür spreche, statt der Geltung des § 33 I 2 BGB im Recht der Kapitalgesellschaften die Zweckänderung durch qualifizierte Mehrheit gegen Abfindung der Minderheit (analog § 305 AktG) zuzulassen (K. Schmidt § 28 IV 4 a S 848), stellt sich somit nicht. 370b BGHZ 96, 245, dazu Reuter, ZGR 1987, 475.

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 163

(d) Sacheinlagen, Sachübernahmen, Sondervorteile, Gründungsaufwand Sollen statt einer Bareinlage auf die übernommenen Anteile Sacheinlagen371 252 geleistet werden, so müssen der Gegenstand der Sacheinlage und der Nennbetrag der gegen sie zu gewährenden Anteile in der Satzung bestimmt werden (§§ 27 I AktG, 5 IV 1 GmbHG). Fehlt es daran, schloss § 27 IV aF AktG eine Heilung in der Zeit nach Eintragung der Gesellschaft aus. Dasselbe hob § 19 V 1. Var aF GmbHG hervor, wonach Sacheinlagen ausschließlich unter den Voraussetzungen des § 5 IV 1 GmbHG befreiend geleistet werden konnten. Das MoMiG hat § 19 V aF aufgehoben, ohne für den Fall, dass schlicht statt Geld Sacheinlagen geleistet und an Erfüllungs statt angenommen werden, eine Ersatzregelung einzusetzen. Die früher in § 19 V 1. Var. GmbHG ausdrücklich hervorgehobene Maßgeblichkeit des § 5 IV 1 GmbHG ist aber in der Tat schon dem § 5 IV 1 GmbHG selbst genügend klar zu entnehmen. Dieser bestimmt: Sollen statt Geld Sacheinlagen geleistet werden, ist dafür die Festsetzung im Gesellschaftsvertrag erforderlich. Dementsprechend ist der Ausschluss der Heilung im Aktienrecht jetzt der Regelung des § 27 I AktG zu entnehmen. Es gilt der allgemeine Grundsatz: Hinter einer Sacheinlagevereinbarung steht immer die grundsätzliche Geldeinlagepflicht. Ist erstere unwirksam, die Gesellschaft (oder ihre Kapitalerhöhung) aber wirksam geworden, gilt die Bareinlagepflicht. Dies führt entsprechend zur Differenzhaftung, sofern eine Sacheinlage überbewertet ist. Gegenstand einer Sacheinlage kann nur ein Vermögensgegenstand sein, dessen Wert feststellbar ist (§ 27 II Hs 1 AktG)371a. Verpflichtungen zu Dienstleistungen können nicht Sacheinlagen sein (§ 27 II Hs 2 AktG). Der BGH sieht den Grund in den vollstreckungsrechtlichen Schwierigkeiten der Durchsetzung (§§ 887, 888 III ZPO)371b. Er zieht auch nicht den Gegenschluss, dass die Verpflich-

_____

371 Begriff in § 27 I 1, 2 AktG. 371a Zur Einlagefähigkeit von Domain-Namen Sosnitza, GmbHR 2002, 821. Bei obligatorischen Nutzungsrechten ist der Wert feststellbar, wenn ihre Nutzungsdauer in Form einer festen Laufzeit oder als konkret bestimmte Mindestdauer feststeht (Zeitwert = für die Dauer des Rechts kapitalisierter Nutzungswert), so für die AG (betr Rechte zur Verwertung der Namen und Logos von Sportvereinen) die Adidas-Entscheidung BGHZ 144, 290, für die GmbH (betr Grundstückspacht) BGH NZG 2004, 910. Kritisch zur Einlagefähigkeit obligatorischer Nutzungsrechte im Anschluss an Knobbe-Keuk, ZGR 1980, 214 Boehme, GmbHR 2000, 841. Für die Einlagefähigkeit von Darlehensansprüchen gegen die als Konzernmutter beteiligte Gesellschafterin Cahn, ZHR 166 (2002), 278. Entgegen Raiser/Veil § 35 Rn 59 ist das Urteil BGHZ 168, 201 keine Entscheidung zur Frage, ob Forderungen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft Gegenstand einer verdeckten Sacheinlage sein können, sondern zur Frage, ob Vorauszahlungen auf eine Einlage, die bei der anschließenden Kapitalerhöhung übernommen werden soll, befreiend geleistet werden können unabhängig davon, ob der Betrag bei der späteren Übernahmeerklärung noch zweifelsfrei im Vermögen der Gesellschaft vorhanden ist (s u Rn 358). 371b BGHZ 180, 38 Tz 9, 10.

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tung des Einlageschuldners zu anderen Leistungen, als solche, dh die Verpflichtung selbst, Gegenstand einer Sacheinlage sein kann. Argument des BGH ist: Damit werde der Gegenstand nicht aus dem Vermögen des Inferenten ausgesondert, es werde nur die gesellschaftsrechtliche durch eine schuldrechtliche Verpflichtung ersetzt. Die Feststellung ist zur GmbH getroffen. Es fehlt die Einordnung des § 36a II 2 AktG: Danach kann eine Sacheinlage durch Übernahme einer Verpflichtung zur Übertragung von Vermögensgegenständen bestimmt werden, es muss diese nur in 5 Jahren nach Eintragung der Gesellschaft zu erfüllen sein371c. Für die AG stellt § 27 I 1 AktG in Bezug auf die Notwendigkeit der Satzungs253 regelung den Sacheinlagen sog Sachübernahmen gleich. Dies sind Vereinbarungen im Gründungsstadium 372 darüber, dass die Gesellschaft Vermögensgegenstände übernehmen soll, wobei anders als bei der Sacheinlage die Vermögensgegenstände nicht als Einlagen auf Anteile geleistet werden und auch nicht eine Vergütung gewährt wird, die auf die Einlage angerechnet werden soll, vielmehr eine Vergütung ohne Anrechnungsvereinbarung gewährt wird. Soll die Vergütung angerechnet werden, so gilt dies nach § 27 I 2 AktG als Sacheinlage. Im GmbHG, das nicht von Sachübernahmen spricht, bedarf es dieser Klarstellung nicht. Sachübernahmen mit Anrechnung auf die Einlage sind selbstverständlich Sacheinlagen iSv insbesondere § 5 IV 1 GmbHG. Im Fall der Überbewertung der Sacheinlage, bezogen auf den Zeitpunkt der 254 Anmeldung, haftet der Gründer einer GmbH oder der Beteiligte an einer Kapitalerhöhung auf Zahlung der fehlenden Differenz (§§ 9 I, 56 II GmbHG; sog Differenzhaftung373). Nach § 24 GmbHG trifft die Mitgesellschafter der GmbH in beiden Fällen die Mithaftung für die Barzahlungspflicht.

_____ 371c Gegen die Anwendung des § 36a II 2 AktG aber u Rn 264. 372 Nach der Entstehung der AG gilt für Verträge mit Gründern oder mehr als 10 % beteiligten Aktionären gegen eine Vergütung, die den zehnten Teil des Grundkapitals übersteigt, noch für zwei Jahre die Nachgründungsregelung des § 52 AktG. 373 Verjährung nach §§ 9 II, 56 II GmbHG in 10 Jahren seit Eintragung. Auch bei Störung der Sacheinlageleistung, insbes mangelhafter Leistung, kommt die Differenzhaftung in Betracht. § 66 II AktG bezieht die Verpflichtung des Aktionärs zum Schadensersatz wegen nicht gehöriger Leistung einer Sacheinlage in das Befreiungsverbot nach § 66 I AktG ein. Die Differenzhaftung ist aber an sich keine Schadensersatzhaftung. Nur soweit der Gesellschafter nicht aus der Vereinbarung in Höhe des übernommenen Stammeinlagebetrages haftet, kann die Differenzhaftung nach § 9 I GmbHG eingreifen (BGHZ 45, 338; Roth/Altmeppen/Roth § 5 Rn 67). Nach der Schuldrechtsreform mit ihrem Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs passt das nicht mehr. Auch die Rückgewährpflicht des Käufers = Gesellschafters im Fall eines Rücktritts oder einer Minderung der Verkäuferin = Gesellschaft passt nicht: Der Gesellschafter müsste seinen Gesellschaftsanteil (oder einen Teil davon) zurückgewähren. Die hM geht von einer „Ummünzung“ dieser Pflichten in eine Zahlungspflicht aus. Der BGH hat zur GmbH bei Unmöglichkeit der Erbringung der Sacheinlage eine Barzahlungspflicht angenommen, GmbHR 1997, 545. Das

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Die Differenzhaftung ist nur in §§ 9, 56 II GmbHG ausdrücklich angeordnet. Sie ist aber auch für die AG anerkannt. Mittelbar belegen lässt sich das mit §§ 36a II 3, 188 II 1 AktG, die auch auf die volle Aufbringung der übernommenen Kapitaleinlage gerichtet sind. Der BGH sieht in den Vorschriften mit Recht die Zugrundelegung einer Kapitaldeckungszusage der Gründer oder – im Fall der Kapitalerhöhung – Zeichner374. Ebenso mit Recht erstreckt er die Differenzhaftung über die Differenz zum geringsten Ausgabebetrag hinaus auf die zu dem Betrag eines Agios. Nach § 9 I, II AktG ist das Aufgeld Bestandteil des Ausgabebetrags der Aktien. §§ 36a II 3, 188 II 1 AktG beziehen das Agio in das Wertdeckungsgebot ausdrücklich ein. § 54 AktG ist auf die mitgliedschaftliche Verpflichtung einschließlich des Agios zu beziehen375. Die auf den Anteilsbetrag beschränkte Fassung des § 9 I GmbHG beruht auf der Trennung zwischen Einlage und Nebenpflichten (§ 3 II GmbHG), die das Aktienrecht nicht macht376. Nach § 26 I AktG muss jeder einem einzelnen Aktionär oder einem Dritten 255 gewährte Sondervorteil (iSv § 35 BGB, zB Gewinnvorrechte, Warenbezugsrechte377) in der Satzung unter Bezeichnung des Berechtigten festgesetzt werden. Darunter fallen nicht Entschädigungen oder Belohnungen, die zu Lasten der Gesellschaft Aktionären oder Dritten für die Gründung oder deren Vorbereitung gewährt werden (Gründungsaufwand). Insofern muss nach § 26 II AktG nur der Gesamtaufwand in der Satzung gesondert festgesetzt werden. Die Einzelheiten sind aber in der Anmeldung der Gesellschaft anzugeben (§ 37 IV Nr 2 AktG). Die Vorschriften über die Festsetzung im Gesellschaftsvertrag gelten für die GmbH entsprechend378.

_____ bedeutet schlicht die Anwendung des § 9 I GmbHG statt der §§ 434 ff (iVm § 453) BGB. Schließlich ist die besondere Ausgestaltung der Haftung für (schädigende) Sacheinlagen in §§ 9a II GmbHG, 46 II AktG gegen eine Schadensersatzhaftung aus § 453 iVm §§ 434, 437 Nr 3 BGB anzuführen. Zur Problematik s Fall 1 (Variante 3) im Begleitbuch von Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005. 374 BGHZ 64, 52, 62, 191, 364, 370 f (Babcock). 375 Dem Befreiungsverbot des § 66 AktG widerspricht nicht ein Vergleich, der auf tatsächliche oder rechtliche Ungewissheit Rücksicht nimmt (BGHZ 191, 374). Der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf er nicht. 376 Zur Einbeziehung des Agios BGHZ 191, 372. 377 Die Lit (N bei Raiser/Veil § 10 Rn Fn 12) fasst als Sondervorteil nach Aktienrecht auch das Recht auf Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern auf. Dieses ist aber in § 101 II AktG selbstständig geregelt. Obwohl § 101 II AktG in § 52 I für die entsprechende Anwendung auf Aufsichtsräte der GmbH nicht genannt ist, wird ein Entsenderecht auch hier für möglich gehalten, Roth/Altmeppen/Altmeppen § 52 Rn 10). 378 Der Rechtsausschuss hat einen vorgesehenen § 5a GmbHG, der § 26 AktG fast wörtlich entsprach, in die GmbH-Novelle 1980 nicht übernommen, weil die in § 26 AktG zum Ausdruck kommenden Grundsätze geltendem ungeschriebenem Recht entsprächen (BT-Drucks 8/3908, S 70).

166 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

(e) Wirkung des notariellen Akts 256 Durch den notariellen Akt mit den Satzungsbestandteilen und weiter die Über-

nahme aller Aktien oder Geschäftsanteile wird die Gesellschaft errichtet (§ 29 AktG, §§ 1–3 GmbHG). Es besteht jetzt die Vorgesellschaft. Diese wird aber erst durch die Eintragung in das Handelsregister zu der „Gesellschaft als solcher“, dh der juristischen Person, (Gegenschluss aus § 41 I 1 AktG, § 11 I GmbHG)379.

(f) Organisation der errichteten Gesellschaft 257 Zur Organisation der durch den notariellen Akt errichteten Gesellschaft

wird bei der AG zunächst in notarieller Form380 der Aufsichtsrat in der gesetzlich oder satzungsmäßig festgelegten Zahl (§ 95 I 1–4 AktG) bestellt (§ 30 I 1, 2 AktG). Ob Mitbestimmungsrecht eingreifen kann, hängt davon ab, ob die Gesellschaft ein Unternehmen zum Gegenstand hat (§ 31 I, II AktG). Wenn in diesem Fall mitbestimmungsrechtliche Regelungen eingreifen werden, wird zur Mitbestimmung übergeleitet (§§ 30 II, III, 31 AktG). Neben dem Aufsichtsrat wird in notarieller Form der Abschlussprüfer für das erste Jahr bestellt (§ 30 I 1, 2 AktG) 381. Der Aufsichtsrat bestellt den ersten Vorstand (§ 30 IV AktG). Der Vorstand hat insbesondere für die Einlagezahlungen auf das Konto der Gesellschaft zu sorgen (§ 54 III AktG) und mit Gründern und Aufsichtsrat zusammen die Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 36 AktG). Bei der GmbH muss der erste Geschäftsführer bestellt werden, entweder 258 durch den Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss der Gesellschafterversammlung (§§ 6 III 2, 46 Nr 5 GmbHG). Die Geschäftsführer müssen die Mindestleistungen auf die Einlagen entgegennehmen (§§ 7 II, III, 8 II 1 GmbHG) und die Anmeldung zum Handelsregister vornehmen (§§ 7 I, 78 GmbHG). Die aktienrechtliche Regelung der Überleitung zur Mitbestimmung, sofern diese nach dem Gegenstand der Gesellschaft eingreifen sollte, gilt nicht. Der Aufsichtsrat kann in Mitbestimmungsfällen vor der Eintragung der Gesellschaft bestellt werden, dann sind die Mitglieder bei der Anmeldung dem Gericht namhaft zu machen (§ 52 III GmbHG iVm § 37 III, IV Nrn 3, 3a AktG).

_____

379 Zur Vorgesellschaft u Rn 365 ff. Zu der davon zu unterscheidenden Vorgründungsgesellschaft Rn 372 ff. 380 Dies deutet auf das Erfordernis der Einigung der Gründer hin (für die aber, wenn ein Gründer selbst Aufsichtsrat werden soll, nicht § 181 BGB gilt); anders für die Anwendung des § 133 AktG über die Mehrheitsbeschlüsse der HV die hM Hüffer/Koch § 30 Rn 2. 381 Fraglich ist, ob im Hinblick auf die Exemtion der kleinen Kapitalgesellschaft von der Prüfungspflicht (§ 316 I 1 HGB) eine Einschränkung zu § 30 AktG gemacht werden muss. Aufgrund der Bezogenheit des § 30 auf die Gründung, während die Kriterien für die kleine Kapitalgesellschaft in § 267 HGB auf das gesamte Geschäftsjahr bezogen sind, ist dies zu verneinen.

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 167

(g) Voraussetzung der Mindestleistung In vermögensmäßiger Hinsicht ist für die erfolgreiche Anmeldung der Gesell- 259 schaft Voraussetzung, dass auf die übernommenen Einlagen Mindestleistungen erbracht sind. Dabei werden die Gesellschaften durch den Vorstand oder den Geschäftsführer vertreten. Für die erforderlichen Leistungen ist zwischen der Bargründung und der Gründung mit Sacheinlagen (Sachgründung) zu unterscheiden. Bei der AG unterscheidet das Gesetz noch zusätzlich zwischen dem auf das Grundkapital eingezahlten Betrag, der in der Urkunde über die Feststellung der Satzung angegeben wird (§ 23 II Nr 3 AktG), weiter der Einforderung der Einlage und drittens bei der Bargründung der Einzahlung des eingeforderten Betrags. Der auf das Grundkapital eingezahlte Betrag muss, wenn die Angabe in der Gründungsurkunde richtig sein soll, von den Gründern wirklich schon eingezahlt sein. Bei der Anmeldung der Gesellschaft ist die Einzahlung des eingeforderten Betrags oder die Leistung einer Sacheinlage zu freier Verfügung des Vorstands nachzuweisen (§§ 36 II 1, 37 I 2 AktG). Die Einforderung geschieht bei der AG durch den Vorstand nach §§ 78 I, 63 I 1 AktG, bei der GmbH durch den Gesellschaftsvertrag oder einen Beschluss der Gesellschafterversammlung (§§ 45 II, 46 Nr 2 GmbHG) und der diese umsetzenden Anforderung durch den Geschäftsführer382. Bei der AG müssen im Falle einer Bargründung eingefordert (und vor An- 260 meldung eingezahlt) werden mindestens 25% des geringsten Ausgabebetrags der Aktien (der der Nennbetrag oder – bei der Stückaktie – der anteilige Betrag des Grundkapitals ist, § 9 I AktG) und das sogenannte Agio383 (§ 36a I AktG). Für die Zahlung kommen nach § 36 II iVm § 54 III AktG nur Barzahlung oder Überweisung auf ein Konto der Gesellschaft oder des Vorstands bei Kreditinstituten oder bestimmten Unternehmen in Betracht. Forderungen des Vorstands aus diesen Einzahlungen gelten als Forderungen der Gesellschaft (§ 54 III 2 AktG). § 36 II 1 2. Hs AktG behält den Abzug von Steuern und Gebühren vor. Keinen 261 Vorbehalt macht das AktG betreffend den Gründungsaufwand gemäß § 26 II, III 1 AktG und für die Lasten der Gesellschaft aus wirksam vereinbarten Sacheinlagen (§ 27 I, III AktG). Insoweit wird das Erfordernis der Zahlung des Mindestbetrages zu freier Verfügung also nicht berührt.

_____ 382 Beides konkludent möglich durch Einvernehmen aller Gesellschafter, von denen einer der Geschäftsführer ist (BGH ZIP 2002, 2045, 2046). 383 Das Gesetz sagt „Mehrbetrag“ (§ 36a I AktG). Agio oder Mehrbetrag ist die Differenz, um die bei der Nennbetragsaktie der Ausgabebetrag den Nennbetrag, bei der Stückaktie der Ausgabebetrag den auf die Aktie entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals (§ 9 II, I iVm § 8 III 3 AktG) übersteigt. Die Zulässigkeit dieser sogenannten „Überpari-Emission“ ergibt sich aus § 9 II AktG.

168 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

Im Fall der Sachgründung einer AG verlangt das Gesetz für die Anmeldung (§ 37 I 1 AktG) in § 36a II 1 AktG die vollständige Leistung384. In S 2 legt es für die in der Übertragung eines Vermögensgegenstands auf die Gesellschaft bestehende Leistung eine 5-Jahres-Frist fest, beginnend mit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Das ist kein Widerspruch. Der Satz beruht auf der Regelung, dass die Sacheinlage mit der Ausnahme von Verpflichtungen zu Dienstleistungen (§ 27 II Hs 2 AktG) in der bloßen Übernahme einer Verpflichtung zur Leistung von Vermögensgegenständen bestehen kann (§ 27 II Hs 2 AktG e contrario)385. Für den Fall, dass die Einlageverpflichtung darauf gerichtet ist, einen Gegenstand auf die Gesellschaft zu übertragen, muss nach jenem Satz des Gesetzes nur die in der Verpflichtungsübernahme bestehende Leistung vor der Anmeldung erbracht sein, während für die Leistung zur Erfüllung der Verpflichtung bestimmt ist, dass die Verpflichtung auf die Erfüllung in der 5-Jahres-Frist gerichtet sein muss386. Bei der GmbH sind die allgemeine Rechtsform und die Unternehmergesell263 schaft zu unterscheiden. Bei der GmbH allgemeiner Rechtsform sind vor der Anmeldung auf Bareinlagen mindestens 25 % einzuzahlen387, die Sacheinlagen sind vollständig und endgültig zu freier Verfügung der Geschäftsführung zu erbringen (§ 7 II 1, III GmbHG). Das Erfordernis der Leistung zu freier Verfügung gilt auch für die Bareinlageleistung388. Hat ein Gesellschafter einen Geschäftsanteil in der Mindesthöhe von 1 € (§ 5 I, II 1 GmbHG) übernommen, beträgt die Mindesteinzahlung darauf 25 Cts. Aber immerhin sind durch Bareinzah-

262

_____ 384 Also insoweit gleiche Rechtslage wie nach § 7 III GmbHG. Klarstellend entgegen abw Stimmen Zöllner, FS Wiedemann 2002, 1384 Fn 5. 385 Nicht in der Übernahme einer Zahlungsschuld, auch nicht bei Einräumung von Sicherheiten, BGHZ 165, 352, 356. 386 Die gegensätzlichen Interpretationen, von denen Hüffer Kom AktG 8. Aufl, 2008, § 36a Rn 4 spricht, laufen, genau besehen, auf dasselbe hinaus. Die analoge Anwendung der Sicherstellungspflicht eines Alleingesellschafters nach § 36 II 2 AktG (Hüffer aaO § 36 Rn 15; MüKoAktG/Pentz 3. Aufl 2007 ff § 36 Rn 93) ist mit Aufhebung dieser Vorschrift durch das MoMiG entfallen. 387 Die Einzahlung kann auf das Konto der Vorgesellschaft geleistet werden, über das die Geschäftsführung verfügt, oder auf ein Treuhandkonto der Geschäftsführung oder eines Anwalts oder Notars. § 54 III AktG gilt analog. Bei Einmanngründung ist die Barzahlung, wenn der Gründer auch noch Geschäftsführer ist, durch für einen Außenstehenden objektiv erkennbare Sonderung des Barbetrages zu leisten (am besten auf ein Konto der Gesellschaft, aber auch durch Aufbewahrung in einer Kasse in den Geschäftsräumen der Gesellschaft. Vorzeigen bei Notar reicht nicht, OLG Oldenburg ZIP 2008, 267 = DB 2007, 2195). 388 Das Erfordernis der Leistung zu freier Verfügung wird zunächst für die Sacheinlagen (§ 7 III GmbHG) und dann allgemein erst bei der Bestimmung des Inhalts der in der Anmeldung zum Handelsregister zu gebenden Versicherung nach § 8 II GmbHG klargestellt.

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 169

lungen und Sacheinlagen (diese berechnet nach dem Betrag der Geschäftsanteile, auf die sie zu leisten sind) mindestens 12.500 € (Hälfte des Mindestkapitals nach § 5 I GmbHG) einzubringen (§ 7 II 2 GmbHG). Bei der Unternehmergesellschaft muss das Stammkapital in voller Höhe eingezahlt werden, Sacheinlagen sind ausgeschlossen (§ 5a II GmbHG nF). Die Barzahlung gilt als Sacheinlage, wenn sie mit Ansprüchen des Gesellschafters verrechnet wird. Hin- und Herzahlung ist ebenfalls schädlich389. Die Geschäftsführung kann die Leistungen aber für die Gesellschaft verwenden, ein Thesaurierungsgebot bis zur Anmeldung gilt nicht (s sogleich Rn 268 ff). Gegenstand einer Sacheinlage kann nur ein Vermögensgegenstand sein390. Weil §§ 27 II Hs 2, 36a II 2 AktG dies für die AG anerkannt haben, könnte auch für die GmbH gelten, dass Sacheinlagen auch in der bloßen Übernahme einer Verpflichtung zur Leistung von Vermögensgegenständen (nur nicht der zu Dienstleistungen, § 27 II Hs 2 AktG oder zu Zahlungen) bestehen können und dann schon durch die Verpflichtungsübernahme als solche vollständig geleistet sind. Die Regelung des Sachgründungsberichts (§ 5 IV 2 GmbHG), die die Darlegung der Angemessenheit der Leistungen und beim Übergang eines Unternehmens die Jahresergebnisse der beiden letzten Jahre verlangt, sprechen indessen gegen die Einlagefähigkeit bloßer Verpflichtungsübernahmen391. Anders als das AktG stellt § 8 II 1 GmbHG für die Anmeldung der GmbH das Merkmal zu freier Verfügung ohne Rücksicht auf Steuern und Gebühren auf. Der Vorbehalt betreffend Steuern und Gebühren muss aber hier entsprechend gelten. Die Leistung der erforderlichen Einlagen und die Lage, dass sie zu freier Verfügung des Handlungsorgans stehen, sind bei der AG nachzuweisen, insbesondere durch Bestätigung des kontoführenden Instituts (§ 37 I AktG). Bei der GmbH hat die Geschäftsführung darüber eine Versicherung abzugeben (§ 8 II 1 GmbHG). Nach dem neuen § 8 II 2 GmbHG kann das Gericht bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der Versicherung Nachweise verlangen. Die Anmeldungserfordernisse, insbesondere die des Nachweises der Leistung zu freier Verfügung, sind sanktioniert durch die Haftung nach §§ 46 ff AktG, 9a GmbHG für falsche Angaben. Hat ein Empfängerinstitut bei Anmeldung einer AG falsch bestätigt, dass Einzahlungen auf ein bei ihm geführtes Konto geleistet seien, haftet es der Gesellschaft nach § 37 I 4 AktG. Dies gilt, so-

_____ 389 Zu beidem u Rn 303 ff. 390 Die Übernahme von Zahlungspflichten ist keine Sacheinlage (BGHZ 165, 352, 356). Entsprechend § 27 II AktG kann auch eine Dienstleistung keine Sacheinlage sein. 391 Roth/Altmeppen/Roth § 5 Rn 44 ff.

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fern hier eine Bankbestätigung beigebracht wird, entsprechend auch für die GmbH. Weiter greifen bei falschen Angaben die Straftatbestände der §§ 399 AktG, 82 GmbHG ein. Eine besondere Folgerung aus dem Merkmal der Zahlung zu freier Verfü268 gung könnte sich im Hinblick darauf ergeben, dass der gezahlte Betrag im Zeitpunkt der Anmeldung der Gründung nicht schon verwirtschaftet sein darf. Zu fragen ist, ob ein Unversehrtheits- oder Thesaurierungsgrundsatz gilt in dem Sinne, dass im Anmeldungszeitpunkt in Höhe der Zahlung noch ein Überschuss im Gesellschaftsvermögen festzustellen sein muss. Dieselbe Frage stellt sich auch bei der Kapitalerhöhung gegen Einlagen. Für die Anmeldung der Kapitalerhöhung gilt das Erfordernis der Leistung zu freier Verfügung nämlich ebenfalls (§ 188 II 1 iVm § 36 II 1 AktG, §§ 56a iVm § 7 III, 57 II 1 GmbHG). Was zunächst die Kapitalerhöhung gegen Einlagen betrifft, hat der BGH 269 die Folgerung iS des Unversehrtheitsgrundsatzes verneint392. In einem ersten Schritt hat er stattdessen gefordert, dass die zugeflossenen Mittel nicht ohne vollen Gegenwert ausgegeben worden sein dürften (Erfordernis wertgleicher Deckung). Folglich beeinträchtige der Eintritt von Verlusten der Gesellschaft im sonstigen Unternehmensbereich die Eintragungsvoraussetzung nicht 393. Inzwischen hat der BGH auch das Erfordernis einer wertgleichen Deckung des Kapitalerhöhungsbetrags aufgegeben, weil es mit der Existenz der juristischen Person als handlungsfähigen Rechtssubjekts nicht vereinbar sei. Der Übernehmer einer Kapitalerhöhungseinlage habe mit Einzahlung des Betrages zu freier Verfügung der Geschäftsführung seine Einlageschuld erfüllt. Auch nur die Versicherung, dass der Betrag zu freier Verfügung der Geschäftsführung eingezahlt und nicht zurückgezahlt worden sei, müsse dem Registergericht erklärt werden394. Für die Gründung hatte die Rechtsprechung ursprünglich daran festgehal270 ten, dass nicht ausgeglichene Verbindlichkeiten der Vor-GmbH die freie Verfügbarkeit der Einzahlungen und damit die Eintragung der Gesellschaft ausschlössen395. Inzwischen kommt für die Gründung nur noch das Erfordernis wertgleicher Deckung in Betracht396, welches der BGH ursprünglich für die Kapi-

_____

392 BGHZ 119, 177. 393 Wird mit den eingezahlten Mitteln eine Gesellschaftsverbindlichkeit gegenüber einem Dritten getilgt – bei Tilgung einer Gesellschafterforderung kommt nach der Rechtsprechung eine verdeckte Sacheinlage in Betracht –, so ist ein äquivalenter Gegenwert vorhanden, wenn die Forderung des Dritten fällig, liquide und vollwertig war, BGHZ 119, 177. Zu den Begriffen Rn 350. 394 NJW 2002, 1716 = BGHZ 150, 197. 395 BGHZ 80, 129, 143; 80, 182, 184 f; KG NJW-RR 1997, 794 f. 396 So obiter der BGH NJW 2002, 1716, 1717.

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 171

talerhöhung entwickelt, dort aber inzwischen aufgegeben hat. Aber auch für die Gründung ist das Erfordernis wertgleicher Deckung zu verneinen. Das früher geltende Vorbelastungsverbot wird nicht mehr angewandt397. Die Vorgesellschaft kann genauso wirtschaften wie die vollendete Gesellschaft, die ihr Kapital erhöht. An die Stelle der Kapitalsicherung bei der vollendeten Gesellschaft tritt bei der Vorgesellschaft die persönliche Haftung der Gesellschafter (nach BGH: Verlustausgleichshaftung gegenüber der Gesellschaft mit Ausnahmefällen direkter Außenhaftung) und bei der Eintragung der Vorgesellschaft die Vorbelastungs-(Unterbilanz-)haftung der Gesellschafter398. Nur soweit die Solvenz der Gesellschafter und damit die Deckung des Stammkapitals der Gesellschaft, was die Ansprüche gegen die Gesellschafter betrifft, gefährdet sind, ist die Eintragung der Gesellschaft abzulehnen. Wegen der Vorbelastungshaftung ist allerdings die Aufgabe des Vorbelas- 271 tungsverbots und des Gebots wertgleicher Deckung mit einer Schranke zu verbinden in dem Fall, dass ein Gesellschafter freiwillig mehr als den notwendigen Mindestbeitrag leisten will. Auch für diese Mehrzahlung ist das Erfordernis wertgleicher Deckung im Anmeldungszeitpunkt aufgegeben399. Die Leistung kann wegen der Freiheit der Vorgesellschaft zu wirtschaften verbraucht sein. Daraus folgen Haftungsrisiken für die Gesellschafter. Deshalb muss für die Befreiungswirkung einer Mehrleistung genau geprüft werden, ob sie ordnungsgemäßer Geschäftsführung für die Vorgesellschaft entspricht, bei der auch der Grundsatz der Gleichbehandlung unter den Gesellschaftern zu beachten ist. Damit dies für seine Leistung gewährleistet ist, sollte der Gesellschafter, der mehr leisten will, dann, wenn nicht alle Gesellschafter mehr leisten, sich der Zustimmung der anderen Gesellschafter versichern400.

(h) Gründungsbericht, -prüfung Sodann geht es um die Feststellung der Ordnungsgemäßheit des Gründungs- 272 vorgangs: Zunächst der Bericht: Bei der AG verfassen die Gründer (s § 28 AktG) den schriftlichen Gründungsbericht (§ 32 AktG). Dieser hat sich auf die Angemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen oder Sachübernahmen (§ 27 I 1, 2 AktG), weiter auf Aktien, die Gründer für Rechnung von Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern übernommen haben, und auf etwaige Sondervorteile

_____ 397 S u Rn 377 ff. 398 S u Rn 384. 399 BGHZ 105, 300. 400 Dies der Sinn des von der überwiegenden Meinung geforderten Zustimmungserfordernisses, s zB Raiser/Veil § 35 Rn 44 mwN.

172 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

oder Gründungsvergütungen für Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder zu beziehen (§ 32 II, III AktG)401. Bei der GmbH ist ein Bericht nur bei Sacheinlagen erforderlich. § 5 IV 2 GmbHG verlangt den sog Sachgründungsbericht. Bei Einbringung eines Unternehmens sind die Jahresergebnisse der beiden letzten Geschäftsjahre aufzunehmen. Bei der Unternehmergesellschaft sind Sacheinlagen ausgeschlossen (§ 5a II 2 GmbHG). Sodann die Prüfung: Bei der AG ist der Hergang der Gründung zu prüfen 273 (zum Gegenstand § 34 AktG): Zu prüfen haben zunächst der Vorstand und der Aufsichtsrat (§ 33 I AktG), sodann bei Identität der Organpersonen mit den Gründern, Vorteilsgewährung an sie sowie im Fall der Sachgründung zusätzlich ein oder mehrere durch das Gericht zu bestellende externe Gründungsprüfer (§ 33 II Nr 1–4, III 2 AktG), in bestimmten Fällen ersetzbar durch den beurkundenden Notar (§ 33 III 1 AktG). Das ARUG hat § 33a AktG (mit Folgevorschriften) eingefügt402: Bei bestimmten Einlagegegenständen kann auf eine externe Prüfung verzichtet werden. Bei der GmbH ist keine Prüfung als eigener Gründungsschritt vorgeschrieben. Zur Prüfung durch das Registergericht im Rahmen des Eintragungsverfahrens kommen wir gleich. Im Hinblick auf die Möglichkeit, dass die Eintragung, insbesondere wegen nicht unwesentlicher Überbewertung von Sacheinlagen, abzulehnen ist, kann das Registergericht Gutachten über die Eintragungsvoraussetzungen anfordern403.

(i) Anmeldung zum Handelsregister 274 Die Anmeldung ist elektronisch, in öffentlich beglaubigter Form vorzunehmen

(§ 12 I 1 HGB mit §§ 129, 126a BGB). Die AG ist von allen Gründern, Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 36 I AktG). Die GmbH ist von den Geschäftsführern anzumelden (§§ 7 I, 78 GmbHG). Bezüglich des Inhalts der Anmeldung sagen §§ 37 AktG, 8 GmbHG die Einzelheiten. Für beide Gesellschaften ist eine inländische Geschäftsanschrift anzugeben (§§ 37 III Nr 1 AktG, 8 IV Nr 1 GmbHG). Weiter sprechen die Gesetze von der Angabe der Art und des Umfangs der Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder (§ 37 III AktG) bzw der Geschäftsführer (§ 8 IV Nr 2 GmbHG). Was den Umfang betrifft, kann bei der GmbH die Frage gemeint

_____ 401 Letzteres unabhängig davon, ob die Vorteile zu Lasten der Gesellschaft gewährt werden. Wenn dies zutrifft, hat der Gründungsbericht darauf einzugehen, auch wenn die Vorteile nach § 26 III AktG in der Satzung festgesetzt sind. 402 O Rn 104. 403 Vgl Baumbach/Hueck/Fastrich § 9c Rn 2.

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 173

sein, ob dem Geschäftsführer Befreiung vom Verbot des Insichgeschäfts (§ 181 BGB) erteilt ist. Was die Art betrifft, gilt grundsätzlich Gesamtvertretungsmacht aller Organmitglieder, es sei denn es ist Abweichendes, etwa Einzelvertretungsmacht festgelegt (§§ 78 I–IV AktG, § 35 I, II GmbHG). In der Anmeldung sind weiter Erklärungen über die Erbringung der Mindesteinlageleistungen abzugeben (§§ 37 I AktG, 8 II GmbHG)404. Die erforderlichen urkundlichen Unterlagen der Gründung werden in §§ 37 IV AktG, 8 I GmbHG aufgeführt: Das Aktienrecht nennt nebeneinander die Satzung und die Urkunden, in denen die Satzung festgestellt worden ist und die Aktien durch die Gründer übernommen worden sind. § 8 I GmbHG nennt den Gesellschaftsvertrag und eine Liste mit den Gesellschaftern und den von diesen übernommenen Einlagen. Auch das Aktienrecht verlangt eine Liste, aber eine solche mit den Mitgliedern des Aufsichtsrats (§ 37 IV Nrn. 3, 3a AktG). Die Vorschrift gilt auch, wenn bei der GmbH nach Mitbestimmungsrecht ein Aufsichtsrat vorgeschrieben und vor der Anmeldung bestellt ist (§ 52 II, III iVm § 37 IV Nrn 3, 3a AktG). Schließlich sind Urkunden über die Bestellung und Legitimation der Organe einzureichen (§§ 37 IV Nr 3 AktG, 8 I Nr 2, IV Nr 2 GmbHG). Sind Sacheinlagen vereinbart, müssen die Unterlagen über die Vereinbarung eingereicht werden (§§ 37 IV Nr 2 AktG, 8 I Nr 4 GmbHG). Zu den Unterlagen gehören bei der AG der Gründungsbericht und der Bericht der Prüfer, wenn nicht nach § 33a AktG auf eine Prüfung verzichtet worden ist (zur Anmeldung in diesem Fall § 37a AktG). Bei AG und GmbH ist der Sachgründungsbericht vorzulegen (§§ 37 IV Nr 4 AktG, 8 I Nr 4 GmbHG). Sofern keine Prüfung durchgeführt ist (bei der AG nach § 33a AktG und bei der GmbH überhaupt), müssen in der Anmeldung Unterlagen über den Wert der Sacheinlagen eingereicht werden (§§ 37a I 2 AktG, 8 I Nr 5 GmbHG). Das MoMiG hat Neuerungen gebracht, die dazu dienen sollen, des Miss- 275 brauchs der sog Bestattung von Gesellschaften (Verschiebung des Vermögens ins Ausland, Verschwinden von zuständigen Organpersonen oder Gesellschaftern) Herr zu werden. Zu den Vorkehrungen gehören die genannten §§ 37 III Nr 1 AktG, 8 IV Nr 1 GmbHG nF, die die Angabe einer inländischen Geschäftsanschrift bei der Anmeldung verlangen. Entsprechend ist in die Eintragungsvorschriften der §§ 13 ff HGB die Eintragung der inländischen Geschäftsanschrift mit Zustellungsmöglichkeit an darunter erreichbare Personen 405 aufgenommen. Möglich ist auch die Anmeldung einer inländisch erreichbaren, für Willenser-

_____ 404 Rn 259 ff. 405 Insbesondere für Zweigstellen von Auslandsgesellschaften (§ 13e HGB nF).

174 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

klärungen und Zustellungen an die Gesellschaft empfangsberechtigten Person (§§ 39 I 2 AktG, 10 II 2 GmbHG). Ergänzend tritt die Neufassung der §§ 78 AktG, 35 GmbHG hinzu: Neben der Vertretung der AG durch den Vorstand (§ 78 AktG), der GmbH durch den oder die Geschäftsführer (§ 35 GmbHG) wird in einem neuen S 2 der §§ 78 I, 35 I bestimmt, dass bei Fehlen von Vorstand oder Geschäftsführern (sog Führungslosigkeit der Gesellschaft) Erklärungen zugehen und Schriftstücke zugestellt werden können an die Mitglieder des Aufsichtsrats der AG, bei der GmbH, und zwar auch dann, wenn ein Aufsichtsrat bestellt ist, an die Gesellschafter. Nach §§ 78 II 3 AktG, 35 II 3 GmbHG können an jene Personen Erklärungen abgegeben und Schriftstücke unter der Geschäftsanschrift der Gesellschaft zugestellt werden406. Im HGB ist zusätzlich die Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung von Willenserklärungen begründet worden für den Fall, dass eine empfangsberechtigte Person nicht erreichbar ist (§ 15a HGB nF). Dementsprechend ist § 185 ZPO betreffend die Zustellung prozessrelevanter Urkunden ergänzt worden (Nr 2).

(j) Prüfung durch das Gericht, Eintragung, Bekanntmachung 276 Das Registergericht hat bei beiden Gesellschaften die Ordnungsgemäßheit der Errichtung und der Anmeldung zu prüfen (§ 38 I 1 AktG, § 9c I 1 GmbHG). Ebenfalls gleich ist die Prüfung der Satzung bzw des Gesellschaftsvertrages: Das Registergericht hat nach § 38 IV Nrn 1–3 AktG, § 9c II Nrn 1–3 GmbHG die Möglichkeit des Fehlens oder der Nichtigkeit von Bestimmungen der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags im Hinblick darauf zu prüfen, ob gesetzlich notwendige Bestimmungen fehlen, Vorschriften im Gläubiger- oder öffentlichen Interesse verletzt sind oder die Satzung oder der Gesellschaftsvertrag nichtig sind407. Zur Unwirksamkeit des Gesellschaftsvertrags kann auch die Unwirksamkeit der Beteiligung von Gesellschaftern an der Gründung führen. Bei Mangel der Ge-

_____ 406 Nach § 41 I 2 SE-AusführungsG nF gilt Beides bei einer SE mit monistischem System im Fall der Führungslosigkeit der SE für den Verwaltungsrat der Gesellschaft – bei dualistischem System gilt aufgrund der ergänzend anwendbaren Vorschriften des AktG § 78 I 2 AktG –. 407 Hinsichtlich des Punktes 3 (Nichtigkeit der Satzung bzw. des Gesellschaftsvertrags) wird wegen des Sinns der Vorschriften, das Eintragungsverfahren zu beschleunigen, auf die Gesetzoder Sittenwidrigkeit der Satzung oder das Gesellschaftsvertrags nach deren Wortlaut abgestellt. Danach darf das Registergericht nicht prüfen, ob hinter der ganzen Gründung die Absicht sittenwidriger Gläubigerschädigung steht, BayObLG DB 1999, 956 mwN. Das Gericht weist darauf hin, dass diese Beschränkung nur für die Eintragung gilt, die zur Entstehung der Gesellschaft führt (in § 57a GmbHG ist § 9c II für die Eintragung einer Kapitalerhöhung nicht in die Verweisung aufgenommen).

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 175

schäftsfähigkeit, Vertretung ohne Vertretungsmacht und anderen Gründen der Nichtzurechenbarkeit der Mitwirkung ist die Beteiligung unwirksam, und folglich das Garantiekapital nicht gedeckt. Die übrigen Gesellschafter müssen das Garantiekapital anpassen. Das Registergericht kann dazu durch Zwischenverfügung Gelegenheit geben. Bei Willensmängeln ist die Beteiligung gleichwohl nach den Grundsätzen über den fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt wirksam und kommt nur bei der GmbH der Austritt aus wichtigem Grund in Betracht408. Besonderheiten der AG beziehen sich abgesehen davon, dass es hier auch Sachübernahmen gibt (§ 27 I 1, 2 AktG), auf das vorgeschaltete Prüfungsverfahren oder den Verzicht darauf: Nach § 38 II 1, 2 AktG sind Erklärungen der Prüfer über Mängel des Gründungs- oder Prüfungsberichts der Organe, insbesondere im Hinblick auf eine nicht unwesentliche Überbewertung der Sacheinlagen oder Sachübernahmen, zu berücksichtigen. Sind solche Erklärungen nicht abgegeben, können die Mängel offensichtlich oder die Überbewertung nach der Auffassung des Gerichts festzustellen sein. Auf eine Anmeldung ohne externe Prüfung (§ 37a iVm § 33a AktG) bezieht sich § 38 III 1, 2 AktG: Danach sind die Voraussetzungen des § 37a zu prüfen. Für die Ablehnung wegen Mängeln der Sacheinlage- oder -übernahmebewertung verlangt das Gesetz hier eine offenkundige und erhebliche Überbewertung. Bei der GmbH gibt § 9c I 2 GmbHG dem Registergericht die Ablehnung bei einer nicht unwesentlichen Überbewertung der Sacheinlagen auf. Zentral ist also wieder die Frage der richtigen Bewertung von Sacheinlagen 277 (bei der AG zusätzlich Sachübernahmen): Zusammengefasst ergibt sich: Bei beiden Gesellschaften kommt die Ablehnung der Eintragung wegen Überbewertung von Sacheinlagen in Betracht (bei der AG zusätzlich von Sachübernahmen, § 27 I 1, 2 AktG). Die Regelung ist durch das MoMiG (Erhöhung des kritischen Grades der Überbewertung von Sacheinlagen) und das ARUG (Möglichkeit des Verzichts auf eine externe Gründungsprüfung) reformiert worden. Bei der AG wird jetzt zwischen dem Grundfall der externen Gründungsprüfung und dem Ausnahmefall des Verzichts darauf (§ 33a AktG) unterschieden. Im Grundfall kann das Gericht die Eintragung ablehnen, wenn die Gründungsprüfer erklären oder das Gericht zu der Ansicht kommt, dass der Wert der Sacheinlagen „nicht unwesentlich“ hinter dem Betrag der übernommenen Einlage zurückbleibt (§ 38 II 2 AktG). In dem Ausnahmefall überprüft das Gericht nur, ob dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Nur bei offenkundiger und erheblicher Überbewertung kann die Eintragung abgelehnt werden (§ 38 III AktG).

_____ 408 Besonders zu behandeln ist der Fall der fehlerhaften Anteilsübertragung, s u Rn 282.

176 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

Sind bei der GmbH Sacheinlagen im Gesellschaftsvertrag festgelegt (§ 5 IV GmbHG), so ist die Eintragung der Gesellschaft auch hier bei Überbewertung nur noch abzulehnen, wenn die Überbewertung „nicht unwesentlich“ ist (§ 9c I 2 GmbHG). Das Gericht hat nach § 26 FamFG von Amts wegen zu ermitteln. Zur gesetzlichen Regelung des Eintragungsverfahrens kommt eine Frage 279 hinzu, um die erheblich gekämpft worden ist: die Frage, ob Vorbelastungen der Gesellschaften ein zusätzliches Eintragungshindernis sein können. Die Auffassung, dass jede Vorbelastung der Gesellschaft mit Verbindlichkeiten, die vor der Anmeldung entstanden sind, ein Eintragungshindernis ist, ist mit der inzwischen zur Vorgesellschaft entwickelten Rechtslage unvereinbar409. Es wäre unsinnig, müsste man den Gesellschaftern aufgeben, jene Vorbelastungen ohne Rücksicht auf gewährte Zahlungsziele vor der Anmeldung auszugleichen, damit die Eintragung möglich wird. Ebenso ist die Unterscheidung zwischen der Zeit vor und nach Anmeldung nicht sinnvoll. Für das angebliche Eintragungshindernis der Vorbelastung gilt ebenso wie für das Thema des Vorbelastungsverbots: Schon die Vorgesellschaft soll wirtschaften können. Ausgleich ist die Vorbelastungshaftung der Gesellschafter, die auf den Eintragungszeitpunkt bezogen ist. Der BGH sieht ein Eintragungshindernis nicht schon dann, wenn überhaupt Vorbelastungen bestehen, sondern erst dann, wenn durch solche Vorbelastungen eine Unterbilanz eingetreten ist 410, dh wenn der Wert der Vermögensgegenstände der Gesellschaft nicht mehr in Höhe des Stammkapitals die Summe aus Verbindlichkeiten und sonstigen Belastungen der Gesellschaft übersteigt. Wird aber eine solche Unterbilanz festgestellt und beharren die Gesellschafter auf der Eintragung, so gleicht die Vorbelastungshaftung der Gesellschafter, sofern diese solvent sind, die Unterbilanz aus. Besteht keine Unterbilanz, fragt sich, ob das Gericht wegen zu geringer Kapitalisierung (Unterkapitalisierung) die Eintragung ablehnen kann. Wegen der deutlich restriktiven Prüfungskompetenz des Gerichts nach den gesetzlichen Vorschriften ist dies grundsätzlich abzulehnen411.

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409 Zur Vorgesellschaft u Rn 365 ff. 410 Entscheidung vom 9.12.2002 (NZG 2003, 170, 171): Die Versicherung nach § 8 II GmbHG habe zum Inhalt, dass im Anmeldezeitpunkt die Mindesteinlagen nach § 7 II, III nicht durch schon entstandene Verluste ganz oder teilweise aufgezehrt seien. „Nur wenn zureichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieses – entgegen der Versicherung – nicht der Fall ist, darf und muss das Registergericht seine Prüfung auch auf die Frage erstrecken, ob die GmbH im Zeitpunkt der Anmeldung der Mantelverwendung nicht bereits eine Unterbilanz aufweist“. 411 Raiser/Veil § 26 Rn 50 behalten eine Missbrauchsprüfung vor. Die Ablehnung der Eintragung wegen missbräuchlicher Anmeldung ist aber nur bei Ersichtlichkeit gerechtfertigt, dass

V. Die Gründungsregelung für die AG und die GmbH | 177

Auf die Anmeldung erfolgt, wenn das Gericht kein Eintragungshindernis 280 feststellt, die Eintragung in das Handelsregister nach § 39 AktG bzw nach § 10 I GmbHG. Mit dem Wirksamwerden der Eintragung durch elektronische Verfügbarkeit (§ 8a HGB) entsteht die Gesellschaft als solche (§§ 41 I AktG, 11 I GmbHG), dh als juristische Person und Formkaufmann (§§ 3 AktG, 13 GmbHG, beide Vorschriften iV mit § 6 I, II HGB). Die Kapitalgesellschaft ist rechtsfähiger Verein (§§ 21 ff BGB), und zwar rechtsfähiger wirtschaftlicher Verein iSd § 22 BGB. Die Eintragung der Gesellschaft wird in elektronischen Medien bekannt 281 gemacht, § 10 HGB. Mit der gesetzlichen Regelung, dass mit der Eintragung die Kapitalgesellschaft als solche entsteht, ist nicht vereinbar die Anwendung des § 15 I HGB mit der Konsequenz, dass sich die Gründer Dritten gegenüber auf die Entstehung der Gesellschaft so lange nicht berufen könnten, wie die Bekanntmachung noch aussteht und Dritte keine Kenntnis von der Eintragung haben412.

(k) Anteilsübertragung vor Eintragung, Gründerwechsel Nach § 41 IV AktG können vor der Eintragung der Gesellschaft Anteilsrechte 282 (an der künftigen Gesellschaft) nicht übertragen werden, Aktien oder Zwischenscheine nicht ausgegeben werden. Vorher ausgegebene Aktien oder Zwischenscheine sind nichtig. Für den Schaden sind die Ausgeber den Inhabern gesamtschuldnerisch verantwortlich. Im Unterschied dazu ist bei der GmbH eine Vorausabtretung der mit Eintragung entstehenden Anteilsrechte nach § 15 GmbHG möglich, die mit Eintragung der Gesellschaft wirksam wird413. Davon unberührt ist die Möglichkeit eines Gesellschafterwechsels in der Vorgesellschaft. Nach den Grundsätzen des Rechts der Personengesellschaften kommt die formfreie Abtretung des Gesellschaftsanteils (§ 413 BGB) unter Zustimmung aller Mitgesellschafter in Betracht. Der BGH erkennt aber nur einen Gesellschafterwechsel durch Änderung des Gesellschaftsvertrags, bei der AG durch Neufeststellung der Satzung an414. Weil es bei dem Gesellschafterwechsel um die Teilnahme an dem Gründungsgeschehen geht, ist dieser Auffassung zuzustimmen. Aus demselben Grund ist in dem Fall, dass ein Gründungsmitglied seine

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Vorbelastungen des Stammkapitals bestehen und die Vorbelastungshaftung nicht wird realisiert werden können. 412 Roth will bei Roth/Altmeppen § 35 II 4 erweiternd anwenden (§ 10 Rz 7). 413 Dazu BGH NJW 1995, 128, 129; s iÜ Baumbach/Hueck/Fastrich § 15 Rn 24. Nach Gutachten des DNotI können aufgrund der Identität von Vorgesellschaft und mit Eintragung entstehender GmbH künftige Geschäftsanteile als Sacheinlage in eine in Gründung befindliche andere GmbH eingebracht werden (DNotI-Report 2018, 9 ff). 414 Urteil vom 13.12.2004, GmbHR 2005, 354 mit Kom von Manger.

178 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

Mitgliedschaft abtritt, die Teilnahme des Zessionars an der Vorgesellschaft auch nicht nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft als wirksam zu behandeln415.

(l) Nachgründung 283 Das Aktienrecht fügt für die AG der Regelung über die Gründung der Gesell-

schaft in § 52 AktG noch das Institut der Nachgründung hinzu416. Hiernach sind besonders abgegrenzte umfangreiche Geschäfte mit Gründern oder mehr als 10% beteiligten Aktionären, die die Gesellschaft im Zeitraum von zwei Jahren nach Eintragung abschließt, unter besondere, dem Gründungsrecht entsprechende Kautelen (insbesondere einen Formzwang) gestellt.

(m) Nichtigkeit, Amtslöschung der eingetragenen Gesellschaft, Heilung von Mängeln der Gesellschaft 284 Ist die nach Gründung angemeldete Gesellschaft trotz Mängeln eingetragen, so kann bezüglich bestimmter Mängel der Satzung (Fehlen des Stamm- bzw Grundkapitals oder des Gegenstands des Unternehmens) Nichtigkeitsklage erhoben werden (§§ 275 AktG, 75 GmbHG). Daneben kann bei denselben Mängeln das zuständige Registergericht nach § 397 FamFG die Gesellschaft von Amts wegen als nichtig löschen. Die Eintragung der Nichtigkeit aufgrund endgültiger Entscheidung, sei es auf die Nichtigkeitsklage hin, sei es aufgrund des Löschungsbeschlusses, führt zur Auflösung der Gesellschaft (§§ 277 AktG, 77 GmbHG). Nur bei Fehlen des Gegenstands können die Gesellschafter dem mit einer Heilung zuvorkommen, §§ 276 AktG, 76 GmbHG. Bei Fehlen des Stammkapitals bleibt nur die Neugründung. Bezüglich anderer Mängel der Satzung als der in §§ 275 AktG, 75 GmbHG er285 fassten regelt § 399 I FamFG die Aufforderung durch das Gericht, die Mängel binnen bestimmter Frist abzustellen. Wenn der Aufforderung nicht fristgerecht gefolgt wird, stellt das Gericht den Mangel fest. Die Folge ist die Auflösung nach §§ 262 I Nr 5 AktG, 60 I Nr 5 GmbHG.

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415 BGH aaO. Es bleibe nur der Schutz Dritter nach Rechtsscheingrundsätzen. Diese Auffassung trifft hier unabhängig davon zu, wie man grundsätzlich in der Frage der Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft auf die Anteilsabtretung entscheidet (zur Frage K. Schmidt, BB 1988, 1053 ff). 416 Das UmwG nimmt für mehrere seiner Fälle auf § 52 AktG Rücksicht (ausdrücklich in § 67, durch die Zweijahresfristen in §§ 76 und 141, und durch Anwendung der Gründungsvorschriften in § 197 UmwG). Zur praktischen Relevanz der Nachgründung Krieger, FS Claussen, 1997, 223 ff.

VI. Die Parallele der Regelung der Kapitalerhöhung gegen Einlagen | 179

Das AktG enthält außer § 276 AktG keine Regelung betreffend die Heilung 286 von Mängeln der Ursprungssatzung der AG. Der BGH hat sich für die analoge Anwendung des § 242 II AktG über die Nichtigkeit von HV-Beschlüssen ausgesprochen417.

VI. Die Parallele der Regelung der Kapitalerhöhung gegen Einlagen VI. Die Parallele der Regelung der Kapitalerhöhung gegen Einlagen

Mit Rücksicht darauf, dass es bei der Gründung der Kapitalgesellschaft vor al- 287 lem um die Aufbringung des Grund- oder Stammkapitals (zusammengefasst: Garantiekapital) geht, stellt sich die Erweiterung dieser Kapitalgrundlage, sofern sie wiederum mit Aufbringungsleistungen der Gesellschafter verbunden ist, als eine Art Umgründung dar. Die Regelung der Erhöhung des Garantiekapitals gegen Einlagen (§§ 182 ff AktG, 55 ff GmbHG) enthält dementsprechend weitgehend Verweisungen auf das Gründungsrecht. Zum Vergleich beider Institute ist hier kurz418 die Regelung der Kapitalerhöhung gegen Einlagen neben das Gründungsrecht zu stellen. Die Kapitalerhöhung gegen Einlagen ist in die Reihe der möglichen Maß- 288 nahmen zur Veränderung des Eigenkapitals einzuordnen. Zur Erhöhung gegen Einlagen müssen diejenigen, die sich daran beteiligen, in Höhe des Steigerungsbetrages Einlagen leisten. Folge der Erhöhung ist zum anderen, dass die Gesellschaft den Gesellschaftern nichts auszahlen darf, soweit entweder schon vorher oder infolge der Auszahlung das Vermögen der Gesellschaft nicht in Höhe des jetzt erhöhten Garantiekapitals die Schulden und sonstigen Belastungen überschreitet. Eine Kapitalerhöhung kann auch aus Gesellschaftsmitteln erfolgen (§§ 207 ff AktG, § 57c GmbHG). Die Gesellschaft muss dann über Vermögen verfügen, welches über die Summe aus Schulden/Belastungen und bisherigem Garantiekapitalbetrag hinausgeht. Sie kann dann den Überschussbetrag in Garantiekapital umwandeln. Hier brauchen keine Einlagen geleistet zu werden. Es wird nur das Auszahlungsverbot begründet, soweit entweder schon vor der Auszahlung oder infolge der Auszahlung das Vermögen nicht mehr in Höhe des erhöhten Betrages Schulden und sonstige Belastungen übersteigt. Von der Änderung des statutarischen Kapitals der Gesellschaften sind als 289 beweglichere Eigenkapitalposten Nachschüsse zu unterscheiden, die die Gesellschafter über ihre Einlagepflichten auf das Garantiekapital hinaus leisten. Bei der AG können solche nur schuldrechtlich versprochen werden. Das GmbHG

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417 BGHZ 144, 365. 418 Ausführlich unten Rn 561 ff.

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kennt die Möglichkeit, Nachschusspflichten durch den Gesellschaftsvertrag zu bestimmen (§ 26 GmbHG), unbeschränkt gemäß § 27, beschränkt gemäß § 28 GmbHG. § 42 II GmbHG regelt die Pflicht zur Aktivierung statutarischer Nachschussforderungen in der GmbH. Über die Rückzahlung geleisteter Nachschüsse entscheidet bei der GmbH die Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr 3 GmbHG). Die Rückzahlung unterliegt den Beschränkungen des § 30 II GmbHG, insbesondere dem Vorbehalt der Deckung des Stammkapitals. Zu der Kapitalerhöhung gegen Einlagen gibt es bei der AG noch die Unterfälle der bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff AktG)419 und des genehmigten Kapitals (§§ 202 ff AktG)420, bei der GmbH nur den des genehmigten Kapitals (§ 55a GmbHG). Der Grundfall der Kapitalerhöhung gegen Einlagen wird hier als Parallele zur Gründung behandelt. Die Kapitalerhöhung gegen Einlagen weist folgende Parallelen einerseits, Unterschiede andererseits zum Recht der Gründung der Gesellschaften auf. Bei der AG sind die Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung (§ 183 AktG) und die Durchführung der Kapitalerhöhung zu unterscheiden (§ 188 AktG). An die Stelle der Feststellung der Satzung bzw des Gesellschaftsvertrags tritt bei der Kapitalerhöhung der Kapitalerhöhungsbeschluss (§§ 182 I AktG, 53 I, 55 GmbHG) unter Übernahme der neuen Anteile (§ 185 AktG nennt dies Zeichnung, § 55 I GmbHG spricht von Erklärung der Übernahme). Etwaige Sacheinlagen müssen im Beschluss bestimmt sein (§§ 183 AktG, 56 GmbHG). Für die Einzelheiten verweist § 183 AktG auf § 27 I 1, 2 AktG, § 56 GmbHG auf §§ 9, 27 GmbHG. Bei der AG sind nicht mehr wie bei der Gründung (§ 27 I S 1 2. Alt, S 2 AktG) Sachübernahmen, bei denen die Vergütung nicht auf die neuen Anteile angerechnet wird, den Sacheinlagen gleichgestellt. Über die Festlegung im Beschluss hinaus müssen Sacheinlagen in der Übernahmeerklärung festgelegt sein (§ 185 I 2 Nr 3 AktG, § 56 I 2 GmbHG). Bei der AG findet im Unterschied zur Gründung eine Prüfung durch externe Prüfer nur bei der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen statt (§ 183 III 1, 2 AktG, wieder mit Ausnahme bestimmter Einlagegenstände: § 183a AktG). Werden bei der GmbH Sacheinlagen bestimmt, ist es wie bei der Gründung der GmbH auch hier Sache des Gerichts, eine Prüfung anzuordnen (§ 57a iVm § 9c I GmbHG).

_____ 419 Zu einem Anwendungsfall führen die Wandelschuldverschreibungen, § 221 AktG. 420 Den Maßnahmen der Kapitalerhöhung stehen gegenüber solche der (Grund- oder Stamm-) Kapitalherabsetzung (bei der AG Kapitalherabsetzung, §§ 222 ff AktG, vereinfachte Kapitalherabsetzung, §§ 229 ff, und Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien, §§ 237 ff AktG; bei der GmbH Kapitalherabsetzung, §§ 58 ff, mit dem Sonderfall der vereinfachten Kapitalherabsetzung, § 58a, Kapitalherabsetzung bei gleichzeitiger Erhöhung des Stammkapitals, § 58f GmbHG).

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 181

Für die Mindesteinzahlung und die Vollständigkeit der Leistung von Sacheinlagen verweist § 188 II AktG betr. Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung auf §§ 36 II, 36a AktG. Für die GmbH verweist § 56a GmbHG zunächst auf die Einzahlungsquote gemäß § 7 II 1 (ohne S 2 betreffend das Erfordernis des Erreichens der Hälfte des Mindeststammkapitals) und auf § 19 V (betreffend das Hin- und Herzahlungsverbot421). Bei der Beschränkung der Mindesteinlage auf die Quote ist wieder die Ausnahme der Volleinzahlungspflicht für die Unternehmergesellschaft nach § 5a II zu beachten, die bis zum Erreichen des Mindeststammkapitals iSv § 5 I GmbHG gilt (§ 5a V GmbHG). Betr Sacheinlagen verweist § 56 II GmbHG auf § 9 (Überbewertung) und § 19 IV (verdeckte Sacheinlagen), der § 56a verweist auf § 7 III (Leistung der Sacheinlagen zu freier Verfügung). Schließlich begründet § 57 II GmbHG für die Anmeldung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister das Erfordernis der Versicherung über die Leistung der Einlagen nach § 7 II 1, III (entspricht § 8 II 1) und verweist weiter auf § 8 II 2 GmbHG (Recht des Gerichts, Nachweise zu verlangen). Anzumelden sind bei der AG die beiden Schritte des Kapitalerhöhungsbeschlusses und sodann der Durchführung der Kapitalerhöhung (§§ 184, 188 AktG). Die beiden Anmeldungen können miteinander verbunden werden (§ 188 IV AktG). Bei der GmbH ist nur der Erhöhungsbeschluss nach der Übernahme der Anteile anzumelden (§ 57 GmbHG). Das Registergericht kann bei der AG schon die Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses ablehnen, wenn das Gericht feststellt, dass eine Sacheinlage nicht unwesentlich überbewertet ist (§ 184 IV AktG). Bei der GmbH gilt nach § 57a GmbHG die Gründungsvorschrift des § 9c I GmbHG entsprechend. Auf die Eintragung und Bekanntmachung beziehen sich wie bei der Gründung die §§ 8a (Wirksamwerden mit elektronischer Verfügbarkeit) und 10 HGB (Bekanntmachung). § 189 AktG hebt hervor, dass erst mit Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung die Maßnahme wirksam wird.

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VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH

1. Das Thema der Kautelen Kautele bedeutet Sicherung, und deshalb behandeln wir hier die Frage, durch 298 welche Instrumente, Haftungs- und Prüfungsvorkehrungen Gesetz und Recht-

_____ 421 Dazu u Rn 318.

182 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

sprechung die vorgeschriebenen Grundanforderungen an Gründung und Kapitalerhöhung, insbesondere die vorgeschriebene Kapitalaufbringung, absichern. Die Sicherungen sind so vielfältig, dass sie kaum überschaubar sind. Wir wollen in der folgenden Weise ordnen: Zunächst sind die gesetzlichen Regelungen der Möglichkeit, an die Stelle einer Bareinlage eine Sacheinlage zu setzen, sodann der Verantwortlichkeit der an der Gründung oder Kapitalerhöhung Beteiligten auszuführen. Im Anschluss daran422 können wir weitere Kautelen im Rahmen der dem Juristen vertrauten Frage ansprechen, wie der im Zentrum stehende Anspruch, hier derjenige der Gesellschaft auf die versprochene Einlage, begründet und zu prüfen ist. Dabei geht es um die Voraussetzungen der korrekten Tilgung der Einlageforderungen. Auch diese muss gesichert werden und mit ihr wird zugleich die Kapitalaufbringung gesichert (Aufbringungskautelen durch Tilgungserfordernisse). Die beiden Abschnitte sind nicht trennscharf auseinanderzuhalten. Mit dem Thema der verdeckten Sacheinlage kommen wir auch schon im ersten Abschnitt zur Frage der Tilgung. Durch die frühere Rechtsprechung war eine – insbesondere im Verhältnis der einzelnen Schranken zueinander – verwirrende Fülle von Kautelen entwickelt worden. Das MoMiG hat hier kräftig aufgeräumt.

2. Sicherung bei Sacheinlagen a. Die gesetzliche Sicherung betreffend Festlegung und zutreffende Bewertung von Sacheinlagen 299 Die Bestimmung von Sacheinlagen (Gegenstand423 und Anteile, auf die er geleistet werden soll424), bei der AG im Fall der Gründung auch von Sachübernahmen (§ 27 I 1 AktG), muss nach AktG und GmbHG in der Satzung bzw im Gesellschaftsvertrag festgelegt werden (§§ 27 I 1, 2 AktG, 5 IV 1 GmbHG). Das GmbHG schließt das Erfordernis eines Sachgründungsberichts durch die Gesellschafter an (§ 5 IV 2 GmbHG). Bei der AG sind wesentlich differenziertere Regeln über Gründungsbericht und Gründungsprüfung, insbesondere in Bezug auf Sacheinlagen und Sachübernahmen, in den §§ 32 ff AktG normiert (§§ 32 II, 33 II Nr 4, 33a AktG). Bei der Kapitalerhöhung gegen Einlagen ist die Bestimmung von

_____ 422 Rn 335 ff. 423 Zum möglichen Gegenstand bei AG und GmbH o Rn 252, 264 f. 424 In seiner Rechtsprechung zur verdeckten Sacheinlage (s sogleich) hat sich der BGH mit der sog gemischten Sacheinlage befassen müssen (höherer Wert als der Anteil mit Gewährung einer dementsprechend höheren Vergütung, BGH in BGHZ 185, 44, 48 Tz 11, 12 mit N aus seiner Judikatur).

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 183

Sacheinlagen (nicht mehr Sachübernahmen) im Erhöhungsbeschluss zu treffen (§§ 183 I AktG, 56 I GmbHG), die Anteilsübernahme muss sie enthalten (§§ 185 I 2 Nr 3 AktG, 56 I 2 GmbHG). Bei beiden Gesellschaften entfällt hier selbstverständlich der Gründungsbericht, bei der AG verbleiben nur noch die Prüfung der Sacheinlagebestimmung durch externe Prüfer (§ 183 III AktG) oder das Absehen davon in der § 33a entsprechenden Ausnahmebestimmung des § 183a AktG. § 19 II 2 GmbHG erstreckt die Erfordernisse der Sacheinlage auf Forderungen, mit denen der Gesellschafter gegen seine Einlagepflicht aufrechnen will425. §§ 27 I 1, 54 II AktG erreichen das Gleiche mit der Bestimmung, dass alle Leistungen, die nicht Einzahlung sind, der Regelung der Sacheinlagen unterfallen. Bei Unwirksamkeit der Bestimmung über Sacheinlagen und ebenso bei – 300 nach nF durch das MoMiG: nicht unwesentlicher – Überbewertung einer Sacheinlage, ist die Eintragung der Gesellschaft oder der (Durchführung der) Kapitalerhöhung abzulehnen (§§ 38 II 2, III Nr 2, 183 II 4, III 3 AktG, 9c I 2, II Nr 2, 57 III Nr 3, 57a GmbHG). Wird trotz Unwirksamkeit oder Überbewertung eingetragen, haftet der betroffene Gründer oder Zeichner aus seiner Teilnahmeerklärung auf Bareinzahlung auf die von ihm übernommenen Anteile. Bei jedweder, nicht nur nicht unwesentlicher Überbewertung einer Sacheinlage tritt die Differenzhaftung ein426.

b. Ergänzung durch die Figur der verdeckten Sacheinlage (1) Die Rechtsprechung vor MoMiG und ARUG im Widerspruch zur Bestimmung des § 56 AktG aF über die Nachgründung Der BGH hat seit jeher die Ansicht vertreten, dass Transaktionen zwischen Ge- 301 sellschaft und Gesellschaftern 427 – genauer: zwischen der Gesellschaft und den Gründern oder den Beteiligten einer Kapitalerhöhung –, die bis zur Eintragung der Gesellschaft oder der (Durchführung der) Kapitalerhöhung ohne Erfüllung

_____ 425 § 19 II 2 ist aus der alten Vorschrift des § 19 V GmbHG gebildet. Die Verschiebung hat einen Schönheitsfehler: Selbstverständlich darf weder die Gesellschaft noch der Gesellschafter ohne Einhaltung der Sacheinlageerfordernisse aufrechnen. § 19 II 2 GmbHG enthält aber nur das Aufrechnungsverbot gegen den Anspruch der Gesellschaft. Weiter verweist das MoMiG für die Kapitalerhöhung in § 56 II auf § 19 II 2 und IV GmbHG. In § 19 II 2 wird aber § 5 IV 1 in Bezug genommen, der sich auf die Gründung bezieht. Stattdessen ist für die Kapitalerhöhung die entsprechende Maßgabe in § 56 I 1 GmbHG selbst enthalten. 426 O Rn 254. 427 Gleich gestellt werden dem Gesellschafter nahe stehende Dritte.

184 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

der Sacheinlagevoraussetzungen abgesprochen werden, eine Umgehung der Bareinlagepflicht und damit eine verdeckte oder verschleierte Sachgründung (oder verdeckte Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen) bedeuten428. So hat die Rechtsprechung etwa bei der Vereinbarung des Austauschs einer Sachleistung des Gesellschafters gegen eine Vergütung durch die Gesellschaft, wenn die Vereinbarung bei Gründung oder Kapitalerhöhung getroffen wurde, die Vergütungszusage der Gesellschaft als Versprechen der Bevorschussung oder Rückzahlung der Bareinlage und die Gegenleistung des Gesellschafters als (verdeckte) Sacheinlage eingeordnet429. Wenn der Wert der Leistung des Gesellschafters und folglich auch die von der Gesellschaft zu zahlende Vergütung die übernommene Einlage überstieg, war dies kein Grund gegen die Annahme einer verdeckten Sacheinlage. Die Rechtsprechung hat hier von einer gemischten (verdeckten) Sacheinlage gesprochen430. Wenn das Geschäft wegen der Unteilbarkeit der vom Gesellschafter zu erbringenden Sachleistung einheitlich war, unterlag es vollständig den Regeln über die verdeckte Sacheinlage. Nach der Rechtsprechung sollte es auf den Zeitpunkt der Absprache, also 302 nicht darauf ankommen, ob die Absprache während des Gründungs- bzw des Kapitalerhöhungsstadiums oder nach der Entstehung der juristischen Person oder nach Wirksamwerden der Kapitalerhöhung vollzogen wurde. Neben der verdeckten Sacheinlage im Gewand von Austauschgeschäf303 ten stand nach der Rechtsprechung die verdeckte Sacheinlage durch Hin- und Herzahlungen, die nach Auffassung der Rechtsprechung im Ergebnis eine Verrechnung von Forderungen bedeutete: Neueres Beispiel war die folgende Gestaltung im Rahmen einer Konzernverrechnung (cash-pool-System)431. Eine Konzerngesellschaft stand im Debet bei der die Liquidität der anderen Gesellschaften des Konzerns sammelnden und Liquidität an andere Konzerngesellschaften ausreichenden Zentralgesellschaft. Das Kapital der Konzerngesellschaft wurde erhöht, die beiden Gesellschafter (die Beklagten, Vater und Sohn),

_____ 428 BGHZ 15, 52, 60 f; 110, 47 (IBH/Lemmerz). Der von einer GmbH einem Rechtsanwalt erteilte Auftrag, die für eine Kapitalerhöhung erforderlichen Erklärungen vorzubereiten, kann im Hinblick auf das Risiko verdeckter Sacheinlagen Schutzwirkung zugunsten der teilnehmenden Altgesellschafter haben, BGH JZ 2000, 469, dazu Zumbansen, JZ 2000, 442. 429 S etwa BGH NJW 1982, 2444, 2446; NJW 2003, 3127. Übungsfall bei Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005 – Fall 1, Variante 3. 430 BGH AG 2007, 121 = JZ 2007, 943 mit Anm Bezzenberger; BGHZ 173, 145 (Lurgi, dazu Martens, AG 2007, 732; Habersack, ZGR 2008, 48); BGH WM 2008, 784 (Rheinmöve, sic!, dazu Böttcher, NZG 2008, 416). 431 Urteile des II. Senats vom 16.1.2006 – II ZR 75/04, Der Konzern 2006, 382, und II ZR 76/04, NJW 2006, 1736.

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 185

die auch die Zentralgesellschaft beherrschten, übernahmen Bareinlagen; für sie beide zahlte die Zentralgesellschaft die Beträge auf ein besonderes Konto der Konzerngesellschaft ein. Nach Eintragung der Kapitalerhöhung wurde der Betrag auf das in das Cash-Pool-System einbezogene Konto der Konzerngesellschaft übertragen und von diesem aus zur Verrechnung mit dem Debet bei der Zentralgesellschaft an diese transferiert. Nach Auffassung der Rechtsprechung lag in diesem Vorgang die verdeckte Sacheinlage der Befreiung von der Darlehensverbindlichkeit gegenüber der Zentralgesellschaft, mit der die Bareinlagepflicht letztlich nur verrechnet werde. Die Bareinlagepflicht sei folglich nicht erfüllt und (insbesondere in der Insolvenz der Konzerngesellschaft) noch zu tilgen. Im Anschluss gerade an solche Gestaltungen hat die Rechtsprechung insbesondere in dem Aufrechnungsverbot des § 19 V 2. Var GmbHG aF (jetzt II 2 GmbHG) einen Anhaltspunkt für ihre Judikatur zur Durchsetzung der Sacheinlagevorschriften gegen eine Umgehung gesehen. Die Einordnung der Hin- und Herzahlung als verdeckte Sacheinlage auf- 304 grund der entsprechenden Anwendung des § 19 V 2. Var GmbHG aF hat der BGH auf jede Rückzahlung eingezahlter Einlagen auf Forderungen der Gesellschafter (etwa Darlehensforderungen) angewandt432. Darunter fiel auch das Schütt-ausHol-zurück-Verfahren433. Das Verfahren besteht darin, dass die Gesellschafter Gewinnausschüttungen von der Gesellschaft erhalten und im Gegenzug (schon vorher oder nachher) Einzahlungen auf Einlagen vornehmen, die sie im Rahmen einer Kapitalerhöhung übernommen haben. Der BGH hat dieses Vorgehen unter der Voraussetzung der Absprache bei Kapitalerhöhung als verdeckte Sacheinlage in Gestalt des Gewinnanspruchs der Gesellschafter behandelt434. In einer späteren Entscheidung435 hat er als Alternative zur Vermeidung der Grundsätze über die verdeckte Sacheinlage anerkannt, dass bei der Anmeldung der Kapitalerhöhung eine Kapitalerhöhung im Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahren offengelegt wird mit der Folge, dass der Registerrichter die Voraussetzungen der Eintragung an den Vorschriften über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ausrichtet.

_____ 432 BGHZ 113, 335, ZIP 2002, 2045. 433 In BGHZ 113, 335 spricht der BGH vom Ausschüttungs-Rückholverfahren, obwohl es um die Überweisung der Einlagebeträge auf Darlehensforderungen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft ging. 434 In der Entscheidung ZIP 2002, 2085 hat der BGH bei Fehlen einer (zu vermutenden) Vorverabredung noch § 19 II 1 GmbHG (Befreiungsverbot) analog angewandt. 435 BGHZ 135, 381 im Anschluss an einen Vorschlag von Zöllner und Lutter (s S 384).

186 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

Die von der Rechtsprechung entwickelte Figur der sog verdeckten Sacheinlage ist jetzt in das Gesetz aufgenommen worden (§ 19 IV GmbHG und § 27 III AktG436). Des Hin- und Herzahlungsverbots hat der Gesetzgeber sich in §§ 19 V GmbHG, 27 IV AktG angenommen. Für die Neuregelung ist ein volles Verständnis des Hintergrunds in Gestalt der früheren Rechtsprechung unverzichtbar437. Auch nach der Rechtsprechung war die erste Rechtsfolge der Annahme ei306 ner verdeckten Sacheinlage, dass die Zahlung des Gesellschafters auf die Bareinlage keinen Tilgungseffekt hatte. Dabei hat die Rechtsprechung es aber nicht belassen. Jedenfalls bei der AG sollte darüber hinaus die Unwirksamkeit gelten, die das alte AktG in § 27 III für Sacheinlagen, die nicht die gesetzlichen Erfordernisse erfüllten, bestimmte. Das als verdeckte Sacheinlage zu wertende Geschäft und ebenso eine Übereignung an die Gesellschaft aufgrund dieses Geschäfts wurde als unwirksam angesehen. Bei der gemischten (verdeckten) Sacheinlage in Gestalt einer unteilbaren Leistung sollte das gesamte Geschäft unwirksam sein438. Der BGH hat dann sogar die Unwirksamkeitsvorschrift des § 27 III aF AktG analog auf die GmbH angewandt439. Wegen seiner Einlagezahlung, die ohne Tilgungseffekt blieb, hatte der Gesellschafter einen Anspruch auf Rückzahlung aus ungerechtfertigter Bereicherung. Diesen konnte er aber nicht gegen die unberührt gebliebene Bareinlagepflicht aufrechnen (§§ 66 I 2 AktG, 19 II 2 GmbHG). Daneben hatte der Gesellschafter die Ansprüche aufgrund der Unwirksamkeit des Sacheinlagegeschäfts: Bei unwirksamer Übereignung hatte der Gesellschafter also zusätzlich den Anspruch nach § 985 BGB. Soweit die Leistung des Gesellschafters von der Nichtigkeitsfolge nicht erfasst sein konnte, nämlich, weil sie etwa in einer Werkleistung oder einer unbaren Zahlung bestand, war sie nach Bereicherungsrecht zurückzugewähren. Den Ansprüchen des Gesellschafters stand ein Anspruch der Gesellschaft wegen der von ihr geleisteten Vergütung gegenüber. Die Rechtsprechung hat aufgrund der Unwirksamkeit des Sacheinlagegeschäfts einen Bereicherungsanspruch auf Rückzahlung der Vergütung gegeben. Der Gesellschaft stand aber bezüglich ihrer Zahlung nicht etwa der bereicherungsunabhängige Anspruch 305

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436 Dazu u Rn 312 ff 437 Man sehe nur das außerordentlich gewundene Urteil des OLG Dresden NZG 2017, 985 über die Frage, ob der Bareinlagezahlung wegen Einordnung als Hin- und Herzahlung oder aber als verdeckte Sacheinlage der Tilgungseffekt zu versagen ist, weil sie in engem Zusammenhang mit einer Gewinnausschüttung der Gesellschaft stand (das OLG verneint schließlich die Versagung entgegen der Vorinstanz). 438 BGHZ 173, 145 Rn 16. 439 BGH NJW 2003, 3127.

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 187

zu, den das Gesellschaftsrecht bei verbotener Vermögensausschüttung gewährt (§§ 62 AktG, 31 GmbHG)440. Auf die beiderseitigen Bereicherungsansprüche war nach der Rechtsprechung die Saldotheorie anzuwenden441. Die Rechtsprechung zur verdeckten Sacheinlage bedrohte Gesellschaft wie 307 Gesellschafter mit harten Konsequenzen: Wurde zB das Unternehmen des (Mit)-Gründers einer GmbH als Unternehmen der GmbH fortgeführt und dafür der Weg gewählt, dass der Gründer das Unternehmen der GmbH verkaufte und übertrug und seinerseits eine Bareinlage übernahm, so war diese Absprache nach den genannten Kriterien eine verdeckte Sachgründung. Dies bedeutete für die Gesellschaft: Die Gesellschaft musste ihr Unternehmen und zusätzlich die mangels Tilgungserfolgs rechtsgrundlose Bareinlagezahlung dem Gesellschafter zurückgeben. Dagegen konnte sie ihre Kaufpreiszahlung zurück- und die Bareinlage neu einfordern. Das hieß: Der Gesellschaft drohte möglicherweise in Zeiten wirtschaftlichen Erfolges der Verlust des Unternehmens. Den Gesellschafter trafen harte Konsequenzen in der Insolvenz der Gesellschaft 442: Der Insolvenzverwalter konnte trotz der Zahlung des Gesellschafters auf die Einlage die Einlageleistung nochmals voll einfordern, sogar dann, wenn der Gesellschafter die Gesellschaft durch das Umgehungsgeschäft nicht geschädigt, vielleicht sogar begünstigt hatte443. Für die nachträgliche erneute Aufbringung der Einlage haftete bei der GmbH nicht nur der Gesellschafter, der die Einlage übernommen hatte, sondern hafteten auch die Mitgesellschafter (§ 24 GmbHG), neben diesen etwaige Rechtsvorgänger (§ 22 GmbHG) und Nachfolger in den betroffenen Geschäftsanteil (§ 16 III GmbHG). Hinsichtlich der Gegenansprüche des Gesellschafters war nach der Rechtsprechung zu unterscheiden: Mit dem Anspruch auf Rückgewähr seiner ohne Tilgungserfolg erbrachten Bareinzahlung war der Gesellschafter auf die Beteili-

_____ 440 BGHZ 173, 145 Rn 17 ff (Lurgi); WM 2008, 784 (Rheinmöve). 441 BGH – Lurgi – aaO; erneut Rheinmöve aaO. Folge im Fall Lurgi: Der eine Werkleistung erbringende Gesellschafter war in der Insolvenz der Gesellschaft nicht bei voller eigener Wertersatzpflicht hinsichtlich seines eigenen Anspruchs auf die Quote beschränkt. Argument: Bei von der Nichtigkeitsfolge erfasster Sachleistung stünde dem Gesellschafter der dingliche Anspruch zu. – Folge im Fall Rheinmöve: Bei Übertragung von Vermögen und Verbindlichkeiten seitens einer KG auf eine Auffang-AG Pflicht der KG zur Herausgabe des Saldos aus von der AG ausgeglichenen Verbindlichkeiten einerseits und übertragenem und nicht mehr herausgebbarem Vermögen samt Nutzungsmöglichkeiten andererseits. 442 Kritisch zu dieser überharten Rechtsfolge K. Schmidt § 37 II 4 b S 1124 f. 443 Nach §§ 54 IV AktG, 19 VI GmbHG idF des Gesetzes über die Anpassung von Verjährungsvorschriften an das neue Schuldrecht half dem Gesellschafter die auf 10 Jahre verkürzte Verjährungsfrist.

188 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

gung als Insolvenzgläubiger am Insolvenzverfahren beschränkt. Diese Beschränkung griff auch bezüglich des Anspruchs auf Rückgewähr der Sachleistung ein, soweit die Sachleistung wie etwa eine Werkleistung nicht von der Unwirksamkeitsvorschrift des § 27 III 1 AktG erfasst war. Insoweit half der BGH aber wenigstens dadurch, dass er den über die erneute Einzahlung der Einlage hinausgehenden Gegenanspruch der Gesellschaft auf Rückgewähr ihrer Vergütung durch die Anwendung der Saldotheorie beschränkte444. Der BGH hat Wege zur Heilung bzw sogar Vermeidung einer verdeckten 308 Sacheinlage eröffnet. Zunächst konnte nach Ansicht des BGH das Schütt-ausHol-zurück-Verfahren in der folgenden Weise gesetzeskonform durchgeführt werden445: Bei Offenlegung des Verfahrens vor dem Registergericht seien die Vorschriften über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 207 ff AktG, 57c ff GmbHG) sinngemäß anzuwenden. Im Rahmen dieser sinngemäßen Anwendung sollte der Ausweis von Kapital- und Gewinnrücklagen in der letzten Jahresbilanz (§ 57d) entfallen, der Richter aber, was die GmbH betrifft, in entsprechender Anwendung von § 57i I 1 iVm §§ 57a, 9c GmbHG aufgrund der in § 57i I 2, II GmbHG bestimmten Grundlagen prüfen müssen, ob die Gewinnansprüche der Gesellschafter werthaltig seien. Mit der Registereintragung (für den Inhalt sei § 57i IV anzupassen) sei zugleich die nötige Publizität gewährleistet. Hinzutreten müsse in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 57 II 1 GmbHG über die Kapitalerhöhung gegen Einlagen die Versicherung der Geschäftsführer, dass die Leistung endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehe446. Über diesen Weg zur gesetzeskonformen Durchführung des Schütt-aus-Hol309 zurück-Verfahrens hinaus hat der BGH für die GmbH eine Möglichkeit zur Heilung der verdeckten Sacheinlage eingeräumt447. Die Satzung der GmbH könne mit der nötigen Mehrheit iS einer Sacheinlagevereinbarung geändert werden. Über das Sacheinlagegeschäft müsse ein Bericht mit Unterzeichnung durch alle Geschäftsführer und betroffenen Gesellschafter erstattet werden; die Vollwer-

_____ 444 BGHZ 173, 145 Rn 20 – Lurgi –. 445 BGHZ 135, 381 im Anschluss an Lutter/Zöllner, ZGR 1996, 164, 178. Auf diese Prüfung beruft sich OLG Hamm ZIP 2008, 1475 für seine Auffassung, dass eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, die durch die vorherige Bildung einer Kapitalrücklage durch Zuzahlung sacheinlagenah gestaltet sei, ungeachtet dessen nach den Vorschriften über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln behandelt werden könne. 446 Bei der Anwendung der hiermit herangezogenen Vorschriften auf den gegebenen Fall hat der BGH Großzügigkeit walten lassen. Der II. Senat hat offenkundig die gesetzliche Regelung als Spielmaterial benutzt. 447 BGHZ 132, 141. Für die AG ist eine Heilung in analoger Anwendung des § 52 AktG vertreten worden (Knobbe-Keuk, ZIP 1986, 885 ff; K. Schmidt § 29 II 1 c bb S 889 mwN in Fn 63).

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 189

tigkeit der Sacheinlage sei durch eine von einem Wirtschaftsprüfer testierte Bilanz, bezogen auf den Zeitpunkt der Prüfung, der unmittelbar vor Eintragung in das Handelsregister zu liegen habe, nachzuweisen448; die Änderung der Satzung sei unter Beifügung der Bilanz und des Berichts sowie einer Versicherung der Geschäftsführer, dass die Sacheinlage werthaltig und an die Gesellschaft geleistet sei, beim Registergericht zur Eintragung anzumelden. In der Entscheidung vom 7.7.2003 hat der BGH angenommen, dass der Infe- 310 rent einer verdeckten Sacheinlage von den Mitgesellschaftern aus dem Gesichtspunkt der gesellschafterlichen Treuepflicht auf Mitwirkung an einer „heilenden“ Änderung der Bar- zur Sacheinlage in Anspruch genommen werden könne449. Die Rechtsprechung zur verdeckten Sacheinlage war mit dem seinerzeitigen 311 Aktienrecht und den der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Wertungen unvereinbar: Im Aktienrecht hatte sich der Gesetzgeber mit Geschäften befasst, die unter dem Gesichtspunkt der ordentlichen Kapitalaufbringung problematisch sein konnten, nämlich in der Regelung über die Nachgründung (§ 52 AktG aF). Nur für Gründer oder in bestimmtem Umfang beteiligte Gesellschafter, für Übertragungsgeschäfte eines bestimmten Umfangs und in einem kurzen und klar begrenzten Zeitraum nach der Eintragung der Gesellschaft waren besondere Kautelen aufgestellt450. Die Begründung aus der Einführung der Nachgründungsregelung durch die Aktienrechtsnovelle von 1884 lautete: Zu gewährleisten sei, dass „die Organe der Gesellschaft in ihren geschäftlichen Dispositionen nur soweit behindert (werden), als dies im unbedingten Interesse der Gesellschaft geboten erscheint“451. Damit schützte § 52 aF AktG die Handlungsfähig-

_____ 448 Nach LG Frankfurt a.M. NJW-RR 2001, 1406, welches sich auf die Anwendung der Vorschriften über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln in BGHZ 135, 381 (o Rn 294) und im Rahmen dieser Vorschriften auf § 57i II GmbHG beruft (mwN), reicht ein Werthaltigkeitstestat aus, das auf eine Schlussbilanz Bezug nimmt, die nicht älter als acht Monate ist. 449 NJW 2003, 3127 = JZ 2004, 199 mit Anm Witt (vorher schon OLG Koblenz NZG 2002, 977). In dem komplizierten Fall, in welchem die Vermögensbewegungen, in denen die „verdeckte“ Sacheinlage bestand, unter Beteiligung einer KG, an der die GmbH als Kommanditistin beteiligt war, durchgeführt worden waren, musste der BGH allerdings die Voraussetzung für die Inanspruchnahme aus Treuepflicht hinzufügen, dass das Umgehungsgeschäft einer wirksamen Heilung zugänglich sein müsse (im Fall bejaht). 450 S näher die 2. Aufl Rn 308, 309. 451 Abdruck des Entwurfs der Novelle und seiner Begründung in Buschs Archiv 44 (1883), 200. Bestätigung der grundsätzlichen Handlungsfreiheit der Gesellschaft durch das AktG 1937 aufgrund des Entwurfs eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, s Abdruck der Entwurfsbegründung Berlin 1930, S 99. Der Entwurf von 1930 steht unter dem Einfluss von Flechtheim, JW 1929, 2105 ff, der sich selbst wiederum auf Hachenburg, JW 1924, 199 ff berufen hat. Zur Beseitigung einer im HGB von 1897 noch vorhandenen Umgehungsregelung durch das AktG 1937 in demselben Zusammenhang der Gewährleistung

190 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

keit der Gesellschaft durch ihre Organe. Die Rechtsprechung von der verdeckten Sacheinlage schränkte die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft über das Maß hinaus ein, welches dem früheren Gesetzgeber als unbedingt geboten erschien. Weiter zwang die Lehre von der verdeckten Sacheinlage die Gründer oder die Beteiligten einer Kapitalerhöhung dazu, möglicherweise nur erst erwogene Transaktionen schon im Gründungsstadium oder dem Stadium der Kapitalerhöhung zu fixieren, wollten sie nicht bei späterer Vornahme in die Gefahr des Verdikts einer verdeckten Sacheinlage geraten. Dadurch trat zur Einengung der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft ein Kontrahierungszwang für Gesellschaft und Gesellschafter hinzu452. Zu der Überschreitung des § 52 aF AktG für die Gründung der Gesellschaft kam hinzu, dass die Rechtsprechung ihre Grundsätze ja auch auf die Kapitalerhöhung gegen Einlagen angewandt hat. Hierfür gab es aber nicht einmal die Ausweitung der Kautelen durch eine der Nachgründungsregelung entsprechende Norm. Mit dem Gegenschluss aus der beschränkten Nachgründungsregelung (dem § 52 aF AktG entspricht Art 11 I der zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie) war die Rechtsprechung zur verdeckten Sacheinlage als europarechtswidrig angegriffen worden453. In einem Vorlageverfahren vor dem EuGH454 hat Generalanwalt Tesauro nicht eindeutig Stellung genommen455: Einerseits hat er den auch hier gezogenen Gegenschluss aus der beschränkten Nachgründungsregelung bestätigt, andererseits hat er aber die Zulässigkeit der Anwendung des Umgehungsgedankens nach dem nationalen Recht eingeräumt. Der EuGH hat die Sache dann nicht zur Entscheidung angenommen456.

(2) Die Neuregelung durch das MoMiG und das ARUG 312 Der komplizierten, überharte oder frei erfundene Folgen enthaltenden früheren

Rechtsprechung hat das MoMiG für die GmbH in § 19 IV GmbHG (mit Verweisung

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der, abgesehen von der Nachgründungsregelung, unbeschränkten Handlungskompetenz der Gesellschaft durch ihre Organe s Wilhelm, ZHR 152 (1988), 333, 352 f. 452 Wilhelm, ZHR 152 (1988), 333, 354 f. Zu oberflächlich Raiser/Veil § 35 Rn 72, 73. 453 Prüfungsmaßstab ist die zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie. Für Europarechtswidrigkeit Meilicke Die verdeckte Sacheinlage – eine deutsche Fehlentwicklung 1989; Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573, 2583; Wilhelm, GS Knobbe-Keuk 1997, 321, 343 Fn 107. Der BGH hat demgegenüber die Vereinbarkeit mit der zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie bejaht, BGHZ 110, 47. 454 Auf Vorlagebeschluss des LG Hannover in der Sache Meilicke/DAV-ORGA ZIP 1991, 369. 455 Anregung der Annahme der Vorlage und Schlussanträge durch Tesauro, ZIP 1992, 1036 ff. Darstellung der – nicht widerspruchsfreien – Stellungnahme Tesauros bei Wilhelm, GS Knobbe-Keuk 1997, 321, 343 Fn 107. 456 Nichtannahmeentscheidung des EuGH Rs C-83/91 Slg 1992, I-4871 = ZIP 1992, 1076 (Meilicke v ADV/ORGA F. A. Meyer AG) mit Anm Frey.

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 191

darauf für die Kapitalerhöhung gegen Einlagen in § 56 II GmbHG) abzuhelfen versucht. Den Gegenschlüssen aus der früheren Nachgründungsregelung hat der Gesetzgeber des ARUG die Grundlage entzogen. Er hat die Regelung des MoMiG in § 27 III AktG auf die Gründung einer Aktiengesellschaft übertragen und für die Kapitalerhöhung gegen Einlagen bei der AG eine Verweisung auf diese Regelung eingefügt (§ 183 II AktG)456a. Die Normen definieren in Satz 1 die verdeckte Sacheinlage, wie folgt: „Ist eine Geldeinlage eines Gesellschafters (AktG: Aktionärs) bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der bei Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten (verdeckte Sacheinlage), so befreit dies den Gesellschafter (Aktionär) nicht von seiner Einlagepflicht“. Mit dem Satzausgang „Ist“ (nicht soweit…) vor der Alternative „vollständig oder teilweise“ ist auch die Rechtsprechung zur gemischten verdeckten Sacheinlage erfasst. Die Vorschriften mildern aber die von der Rechtsprechung bisher vertretenen Rechtsfolgen entscheidend ab: Selbstverständlich ist geblieben die erste von der Rechtsprechung angenommene Rechtsfolge, dass bei einer verdeckten Sacheinlage die Bareinlageschuld nicht erfüllt wird (§ 19 IV 1 GmbHG, 27 III 1 AktG). Die das Austauschgeschäft betreffende analog § 27 III AktG aF angenommene Unwirksamkeitsfolge wird aber ausdrücklich ausgeschlossen (§§ 19 IV 2 GmbHG, 27 III 2 AktG). Sodann heißt es: Auf die fortbestehende Einlagepflicht wird der „Wert des Vermögensgegenstandes“, den der Gegenstand im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft oder seiner Überlassung an die Gesellschaft hat, angerechnet. Die Anrechnung wird, wie folgt, konkretisiert: (1) Zeitpunkt: Die Anrechnung kann nicht vor der Eintragung der Gesellschaft (bzw bei der Kapitalerhöhung vor Eintragung der Kapitalmaßnahme) erfolgen (§§ 19 IV 4 GmbHG, 27 III 4 AktG). Die Konsequenz ist – wir bleiben jetzt bei der GmbH: Wenn der Geschäftsführer der GmbH bei der Anmeldung versichert, die Bareinlage sei zu freier Verfügung geleistet worden, setzt er sich der Gefahr aus, dass eine nähere Prüfung eine anfängliche kritische Abrede ergeben kann, und dass er folglich ungeachtet der Anrechnungsmöglichkeit gegen § 8 II 1 (bei Kapitalerhöhungen gegen § 57 II 1 GmbHG) verstoßen hat, also wegen unrichtiger Angaben nach §§ 9a I, 57 IV GmbHG schadensersatzpflichtig und nach § 82 Nr 1 oder 3 GmbHG strafbar sein kann. (2) Maß der Anrechnung: Maßgebend ist der Wert zur Zeit der Anmeldung der Gesellschaft bzw der Kapitalerhöhung oder der späteren Überlassung des Gegenstands (§§ 19 IV 3 GmbHG, 27 III 3 AktG).

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456a Der RegE MoMiG zu Art 5 (Änderung des Aktiengesetzes), S 118, hatte noch eine entsprechende aktienrechtliche Regelung vorbehalten. Das ARUG (o Rn 104) hat sie dann statuiert.

192 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

(3) Beweislast für die Werthaltigkeit: Die Beweislast trifft den Gesellschafter (§§ 19 IV 5 GmbHG, 27 III 5 AktG).

(3) Voraussetzungen der verdeckten Sacheinlage 313 Zur Auslegung der gesetzlichen Definition der verdeckten Sacheinlage in

§ 19 IV 1 GmbHG nF sind die Kriterien der bisherigen Rechtsprechung unverändert maßgeblich457: Die Voraussetzung der verdeckten Sacheinlage ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich458 eine Absprache über die Verrechnung von Forderung und Bareinlage des Gesellschafters oder über den Austausch der Bareinlage gegen eine Vergütung durch die Gesellschaft im Rahmen eines Austauschgeschäfts. Diese Absprache muss während der Gründungs- bzw Kapitalerhöhungsphase getroffen werden. Für die Forderungsverrechnungsfälle bei Kapitalerhöhung gibt der BGH folgende nähere Bestimmungen: Es soll zwischen der Verrechnung mit Ansprüchen des Gesellschafters, die vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss entstanden sind („Altforderungen“), und Ansprüchen, die nachher entstanden sind, zu unterscheiden sein. Die Verrechnung mit „Altforderungen“ soll jedenfalls nur dadurch erfolgen können, dass die Forderung des Gesellschafters ordnungsgemäß als Sacheinlage eingebracht wird. Insoweit kommt es also gar nicht auf die Absprache an, sondern nur darauf, ob die Forderung des Gesellschafters bei Gründung oder Kapitalerhöhung schon als möglicher Gegenstand einer Sacheinlage zur Verfügung stand. Ist die Forderung des Gesellschafters dagegen nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss entstanden, soll eine verdeckte Sacheinlage nur dann anzunehmen sein, wenn die Verrechnung vor oder bei Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses unter den Beteiligten definitiv abgesprochen worden sei. Dafür spreche eine Vermutung, wenn die Verrechnung in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Kapitalerhöhungsbeschluss vorgenommen worden sei459. Für die Bewertung von Austauschgeschäften als verdeckte Sacheinlage 314 ist ein objektiver Zusammenhang nach dem Muster der Unterscheidung zwischen der Verrechnung mit Altforderungen und der mit Forderungen, die aus der Zeit nach der Eintragung stammen, bisher noch nicht als ausreichend angesehen worden. Die Argumentation, bestimmte Gegenstände seien bereits vor der

_____ 457 Für den möglichen Gegenstand der Sacheinlage bleiben die Voraussetzungen der Sacheinlagefähigkeit maßgeblich (s o Rn 252, 264), BGHZ 180, 38 (Qivive); 184, 158, 138. 458 Selbstverständlich nicht bei der Einmann-GmbH. „Vorhaben“ reiche hier aus, BGH DB 2008, 751. 459 Der sachliche Zusammenhang ist bei Austausch von Geldzahlungen – etwa Bareinlagezahlung vor oder nach Gewinnausschüttung – selbstverständlich.

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 193

Eintragung existent und also sacheinlagefähig gewesen, ist auf Austauschgeschäfte nicht übertragen worden. Auch hier wird aber bei zeitlichem und sachlichem Zusammenhang der Leistung der Gesellschaft mit der bei Gründung oder Kapitalerhöhung übernommenen Einlage die Absprache vermutet. Was den zeitlichen Zusammenhang betrifft, hat der BGH diskutiert460, ob 315 bei Vornahme des verdächtigen Geschäfts in einem Zeitraum von 6 Monaten nach der Eintragung der Gesellschaft oder der (Durchführung der) Kapitalerhöhung der nötige Zusammenhang zu vermuten sei. Dies blieb dahingestellt. Bei Überschreitung von 3 Jahren sei die Vermutung jedenfalls unbegründet. In einer anderen Entscheidung, die die Anwendung der Umgehungsvorschrift des § 19 V 2. Var GmbHG aF auf das Schütt-aus-Hol-Zurück-Verfahren betraf (Gewinnausschüttung, danach Einlagezahlung), hat der BGH bei Überschreitung von 8 Monaten zwischen Kapitalerhöhung und Gewinnauszahlung die Annahme eines Zusammenhangs, der die Vermutung der Vorverabredung begründe, für unangebracht gehalten461. Wegen der Ungewissheit der künftigen Gewinnsituation müssten sich die Gesellschafter die Anwendung des Verfahrens vorbehalten können, ohne vorsorglich oder nachträglich die Sacheinlagevorschriften einhalten zu müssen. In der Literatur wird vorgeschlagen, dass nach Ablauf von einem Jahr nach Eintragung der (Durchführung der) Kapitalerhöhung der nötige Zusammenhang auszuschließen sei462. Was schließlich die personelle Reichweite des Tatbestands der verdeckten 316 Sacheinlage betrifft, bezieht die Rechtsprechung Geschäfte der Gesellschaft, der eine an ihr beteiligte Gesellschaft die Einlage zu erbringen hat (Inferentin), mit dritten Gesellschaften ein, wenn die Inferentin über die dritte Gesellschaft einen beherrschenden Einfluss hat oder ihrerseits dem beherrschenden Einfluss der dritten Gesellschaft unterliegt463.

(4) Die Problematik der gesetzlichen Neuregelung der verdeckten Sacheinlage Die Neufassung durch MoMiG und ARUG hat den Bedenken gegen die Tragweite 317 der Rechtsprechung zur verdeckten Sacheinlage zwar nicht im Grundsätzlichen

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460 BGHZ 132, 141, 146; s a BGH WM 2003, 199, 200; OLG Stuttgart GmbHR 2002, 1128 f. 461 ZIP 2002, 2045, 2048. 462 Versuch der zeitlichen Festlegung bei Lutter/Gehling, WM 1989, 1447; weitere N bei Henze, DB 2001, 1469, 1473. Nach Raiser/Veil § 35 Rn 76 „dürfte regelmäßig spätestens nach einem Jahr seit der Eintragung“ die Umgehung zu verneinen sein. 463 BGHZ 171, 113 mit Ablehnung einer verdeckten Sacheinlage in seinem Fall, weil die Inferentin und die Geschäftspartner-Gesellschaft zwar zu einem Konzern gehörten, aber weder die Inferentin noch jene Gesellschaft einen beherrschenden Einfluss auf die jeweils andere Gesellschaft hatten. Zustimmend Bork, NZG 2007, 375.

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(Gewährleistung der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft und Abwehr eines mittelbaren Kontrahierungszwangs), aber immerhin durch die bezeichnete Beschränkung der Rechtsfolgen Rechnung getragen. Aber schon die Gestaltung der Rechtsfolgen ist unklar. Zunächst lauert hinter der Beschränkung der Anrechenbarkeit auf die Zeit von der Eintragung an die bezeichnete Konsequenz der Haftung für falsche Anmeldung. Die Konsequenz ist verdeckt; wie ihr zu entgehen ist, ist unklar. Für eine Strafsanktion ist das nicht vertretbar. Weiter ist festzustellen: Zu unterscheiden sind die Bareinlageschuld mit möglicherweise schon darauf erbrachter Zahlung des Gesellschafters und das wirtschaftlich die Sacheinlage verdeckende Austauschgeschäft über eine Leistung der Gesellschaft gegen die Leistung eines „Vermögensgegenstandes“ des Gesellschafters, wobei die auszutauschenden Leistungen ebenfalls schon erbracht sein können. Die gesetzlichen Rechtsfolgen sind drei: 1) keine Befreiung von der Bareinlagepflicht, 2) Nicht-Unwirksamkeit des Austauschgeschäfts464 und 3) Anrechnung der Leistung des Gesellschafters (möglich von der Eintragung an). Was mit jenen drei Leistungen bzw. Leistungsverpflichtungen (Einlage, Austausch) im Einzelnen sein soll, muss man erst noch ableiten465. Dem Gesellschafter könnte nämlich für seine Zahlung auf die Bareinlage wegen Verfehlung des Tilgungszwecks (Rechtsfolge 1) ein Rückgewähranspruch nach § 812 I 2 2. Alt BGB zustehen, und schon das ist zweifelhaft. Was sodann die beiderseitigen Austauschleistungen, wenn sie erbracht werden, betrifft, sind diese, weil das Geschäft „nicht unwirksam“ ist (Rechtsfolge 2), zwar dinglich wirksam und cum causa erbracht, aber mit welcher causa, ist ebenfalls zweifelhaft. Zur Aufklärung der Zweifel ist die Rechtsfolge 3) heranzuziehen: Die Leistung des Gesellschafters wird wie bei einer Sacheinlage als Leistung auf die Einlageschuld angerechnet. Damit lässt sie im Umfang des Wertes des vom Gesellschafter zu leistenden oder geleisteten Vermögensgegenstands im Zeitpunkt der Eintragung oder späterer Erbringung die Einlageschuld erlöschen (Rechtsfolge 3), nicht hat das die vorherige Barzahlung getan (Rechtsfolge 1). Daraus ergibt sich: Das kausale Austauschgeschäft ist nicht gänzlich wirksam, sondern wird durch die Anrechnungsfolge umgestaltet. Obwohl nämlich der Gesellschafter seinen Vermögensgegenstand auf das Austauschgeschäft leisten soll oder geleistet hat, wird die Leistung als eine solche auf die Einlageschuld angerechnet (Rechtsfolge 3). Hat die Gesellschaft aber mit der Leistung des Vermögensgegenstands in dessen Umfang die Einlage erhalten (oder wird sie sie erhalten), kann sie selbst nicht weiterhin zur Gegenleistung aus dem Austauschgeschäft (jedenfalls nicht zur vollen) verpflichtet sein. Ihre „Gegenleistung“ besteht vielmehr, so muss man jene Zweifel auflösen, in der Befreiung des Gesellschafters von der Einlagepflicht. Aufgrund dieser Befreiung ist nun aber doch eine schon geschehene Barzahlung auf die Einlage im Umfang des Vermögensgegenstandes sine causa geleistet und ist folglich der Bereicherungsanspruch auf Rückgewähr der Bareinlageleistung begründet. Zu entwickeln ist noch die Rechtslage in Fällen, in denen der vom Gesellschafter geleistete oder zu leistende Vermögensgegenstand im Zeitpunkt der Anmeldung entweder weniger oder sogar mehr wert ist als der vom Gesellschafter übernommene Einlagebetrag. Weiter

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464 Man muss das so genau wiedergeben. Von voller Geltung des Geschäfts ist nämlich nicht zu sprechen (s im Folgenden). 465 Zu undifferenziert Raiser/Veil § 10 Rn 47 ff, 49 (dort wN), § 38 Rn 80.

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 195

kann in diesen Fällen, aber auch dann, wenn der Vermögensgegenstand den Einlagebetrag gerade deckt, die von der Gesellschaft versprochene Gegenleistung entweder höher oder im Gegenteil geringer sein als der Wert des Vermögensgegenstandes. Ist der Vermögensgegenstand weniger wert, besteht für die Differenz zum Einlagebetrag die Bareinlageschuld fort und ist folglich der Rückgewähranspruch bei schon geleisteter Barzahlung reduziert. Ist der Vermögensgegenstand demgegenüber im Wert höher als der Einlagebetrag, erfasst die „Gegenleistung“ der Befreiung von der Einlagepflicht nicht die ganze Leistung des Gesellschafters. Für den sich jetzt ergebenden Überschuss aus der Leistung des Gesellschafters muss das Austauschgeschäft wirksam bleiben. Dh die Gesellschaft hat im Verhältnis der Einlage zum Wert des Vermögensgegenstandes doch noch einen Teil des Kaufpreises zu zahlen. Aber nur in dieser Variante ist die Kaufpreisvereinbarung noch relevant. Ansonsten ist die Kaufpreisschuld durch die „Gegenleistung“ der Befreiung von der Einlage ersetzt.

Nicht ganz in sich schlüssig gelöst ist neben der Frage der Rechtsfolgen die Ab- 318 grenzung der Figur der verdeckten Sacheinlage von den weiteren Ansätzen zum Umgehungsschutz, insbesondere zum Verbot des Hin- und Herzahlens. Dafür reicht schon der Hinweis, dass die Hin- und Herzahlung zwischen Einlage und Zahlung auf eine Forderung des Gesellschafters nach der Rechtsprechung unter die verdeckte Sacheinlage fiel. Das Verbot des Hin- und Herzahlens steht jetzt in §§ 19 V, 56a GmbHG, 27 IV, 183 II AktG nF. Es betrifft die Einlageleistung an die Gesellschaft einerseits im Zusammenhang mit Leistungen der Gesellschaft an den Gesellschafter andererseits. Nach dem Gesetz ist Voraussetzung des Verbots eine vor der Leistung der Einlage getroffene Vereinbarung einer Leistung, die wirtschaftlich einer Einlagenrückgewähr entspricht und nicht bereits eine verdeckte Sacheinlage ist. Die Leistung der Gesellschaft steht der Erfüllung der Einlageschuld nicht entgegen, wenn sie durch einen vollwertigen und fälligen oder sofort durch Kündigung fällig zu stellenden Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gedeckt ist. Eine solche Leistung oder Vereinbarung einer Leistung der Gesellschaft ist in der Anmeldung der Gesellschaft anzugeben. Eine Rechtsfolge bei Nichtanmeldung ist nicht bestimmt. Keinesfalls entfällt ohne Anmeldung die Anerkennung als Einlageleistung, wenn die materiellen Voraussetzungen dafür erfüllt sind466. Diese Kriterien wirken sich zugleich auf das Merkmal der Leistung zu freier Verfügung 319 aus. Dazu hat zum MoMiG der Rechtsausschuss des Bundestages festgestellt: „Wenn § 19 Abs 5 unter den dort genannten Voraussetzungen eine Erfüllungswirkung anordnet, versteht es sich von selbst, dass diese nicht unter Berufung auf das Merkmal der ‚Leistung

_____ 466 Mit Recht stellt der BGH nur auf die materiellen Voraussetzungen der Vollwertigkeit und Sofort-Fälligkeit ab, BGHZ 180, 38, 45 (Qivive); 182, 103, 111 (Cash-Pool II).

196 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

zur endgültigen freien Verfügung der Gesellschafter‘ wieder infrage gestellt werden kann“ 467.

320 Die Unklarheit der Unterscheidung der verdeckten Sacheinlage von der Hin-

und Herzahlungsbeschränkung liegt auf der Hand. Nach der Begründung des RegE MoMiG468 ist zu unterscheiden etwa zwischen den Fällen des Darlehens der Gesellschaft an den Gesellschafter und umgekehrt des Darlehens des Gesellschafters an die Gesellschaft: In dem Fall, dass die Gesellschaft den eingezahlten Betrag dem Gesellschafter als Darlehen zurückgibt, soll das Hin- und Herzahlungsverbot gelten; in dem Fall, dass der Gesellschafter der Gesellschaft ein Darlehen gewährt hat und die Einlagezahlung als Darlehensrückgewähr zurückbekommt, soll es sich um eine verdeckte Sacheinlage handeln. In den beiden Fällen gelten nach dem neuen Gesetz die unterschiedlichen Rechtsfolgen. Die Begründung des RegE führt für ihre Unterscheidung das Cash-Pooling an. Auf das Cash-Pooling-System hat der BGH die neue Unterscheidung, wie folgt, angewandt469. Als Gründerin einer GmbH war die Zentralgesellschaft des Systems beteiligt. An sie floss ihr Einlagebetrag zurück. Der BGH unterscheidet: Darin liege eine verdeckte Sacheinlage, soweit die gegründete Gesellschaft bei der Zentralgesellschaft im Minus stehe (Sacheinlage durch Befreiung von einer Verbindlichkeit); hingegen sei ein Hin- und Herzahlen gegeben, soweit das Konto der Gesellschaft bei der Zentralgesellschaft ausgeglichen sei oder einen positiven Saldo aufweise (in diesen Fällen werde durch die Rückzahlung eine Rückzahlungsforderung der Gesellschaft im System begründet). Konsequenz ist die Möglichkeit, dass je nach Saldo auch zum Teil eine verdeckte Sacheinlage, zum Teil ein Hin- und Herzahlen festzustellen sei.

Bei dieser Gegenüberstellung leuchtet die Divergenz der Rechtsfolgen in den Fällen der verdeckten Sacheinlage einerseits, des Hin- und Herzahlens andererseits nicht ein. im Fall des Hin- und Herzahlens (Wiederauszahlung als Darlehen der Gesellschaft) gänzliche Nichterfüllung, wenn der Rückgewähranspruch nicht vollwertig ist; im Fall der verdeckten Sacheinlage (Auszahlung auf Darlehen des Gesellschafters) Anrechenbarkeit der Einlageleistung, also Wegfall der Einlagepflicht, soweit der Darlehensanspruch des Gesellschafters werthaltig ist. Ebenso wenig leuchtet ein die Fassung des Ausgleichs in §§ 19 V GmbHG, 27 IV AktG im Vergleich zur Ausgleichsregelung betr. verbotene Vermögensausschüttung in §§ 30 I 2 GmbHG, 57 I 3 AktG. Wieso die letztere Regelung für den Ausgleich nur

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467 BT-Drucks 16/9737 zu Art 1 Nummer 17, zu Abs 5. 468 BT-Drucks 16/6140, S 34 r Sp. 469 BGHZ 182, 103 (Cash-Pool II). Zum System o Rn 303 und u Rn 423, 438 f.

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einen vollwertigen, aber nicht wie §§ 19 V GmbHG, 27 IV AktG einen fälligen oder sofort fällig zu stellenden Anspruch verlangt, ist nicht zu erklären. Im Cash-Pooling-System ergibt sich also die folgende Ungereimtheit im 321 Hinblick darauf, ob die Einlageleistung auf die Einlage angerechnet wird: Soweit nach dem gegenwärtigen Stand der Zahlungsströme im Pooling-System die Gesellschaft im Minus steht, wird die Leistung als Sacheinlage angerechnet, und damit, soweit der Einlagegenstand (Befreiung) werthaltig ist (§ 19 IV GmbHG). Bei jedem Wert erfolgt also die Anrechnung. Wenn der Saldo der Gesellschaft dagegen ausgeglichen ist oder im Plus steht, ist die Einlagepflicht nur erfüllt, sofern die Gesellschaft aufgrund der Einlageleistung einen vollwertigen und sofort fälligen Ausgleichsanspruch hat. Dh ein nicht vollwertiger und sofort fälliger Anspruch wird überhaupt nicht angerechnet (§ 19 V GmbHG), mit keinem Wert. Der Bundesrat hatte die Divergenz der Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage einerseits und der Hin- und Herzahlung andererseits kritisiert, die Bundesregierung sie aber verteidigt470. Die Problematik der Figur der verdeckten Sacheinlage zeigt sich erneut 322 in der Frage der Heilung der verdeckten Sacheinlage, insbesondere beim Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahren. Ebenso wie unter den Beteiligten das Vorliegen einer verdeckten Sacheinlage unklar und streitig sein kann, kann die Frage, ob zur Heilung geschritten wird oder (etwa gemäß gesellschafterlicher Treuepflicht) geschritten werden muss, unklar und streitig sein. Was insbesondere die Annahme einer Treuepflicht, den Heilungsmaßnahmen zuzustimmen, betrifft, verletzt sie die Privatautonomie desjenigen Gesellschafters, der nur die Bareinlage übernommen und daneben ein Austauschgeschäft mit der Gesellschaft geschlossen hat. Zwar muss der Gründer oder der an einer Kapitalerhöhung Beteiligte bei Nichtanrechnung einer Sacheinlage nach der Entstehung der Gesellschaft oder nach Wirksamwerden der Kapitalerhöhung gegenüber der Gesellschaft auf die Bareinlage haften. Wieso er aber seinen Mitgesellschaftern, die die Absprache mit getroffen oder akzeptiert haben, dahingehend treue-

_____ 470 BR-Drucks 354/07 Nr 13, S 13 f. Dazu Gegenäußerung der BReg in der Anlage 3 der Elektronischen Vorabfassung des RegE BT-Drucks 16/6140, Stellungnahme zu Nummer 13 (S 7): Bei der Hin- und Herzahlung erreiche im Unterschied zur verdeckten Sacheinlage die Gesellschaft weder ein tatsächlicher Mittelzuwachs noch werde eine Altforderung des Gesellschafters gegen die Gesellschaft getilgt, sondern es solle die Einlageleistung durch eine neu begründete schuldrechtliche Forderung (sic!) ersetzt werden. Diese sei aber in jedem Fall ein „Minus“ gegenüber der (wenn auch verdeckten) Einbringung einer Sacheinlage. Die Stellungnahme der Bundesregierung behält sowohl die Möglichkeit einer Heilung bei Hin- und Herzahlung als auch die erfüllende Wirkung späterer Zahlungen gemäß der bisherigen Rechtsprechung vor.

198 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

pflichtig sein soll, den vereinbarten Vermögenstransfer durch einen vollständig anderen zu ersetzen, ist nicht einzusehen 471.

3. Verantwortlichkeit der an der Gründung oder Kapitalerhöhung Beteiligten 323 Die Gründer der AG (§ 28 AktG) haften der AG gegenüber (von deren Eintra-

gung an, § 41 I 1 AktG472) für die Richtigkeit der von ihnen gemachten gründungsrelevanten Angaben nach § 46 I 1 AktG mit weiteren Haftungstatbeständen in S 2 sowie Abs 2. Diese Haftung setzt Verschulden voraus, der Gründer muss sich aber entlasten (§ 46 III AktG). Zum weiteren Tatbestand des § 46 IV AktG kommen wir sogleich. Nach § 399 I Nr 1, 2 AktG sind falsche Angaben strafbar. Zum Schutz der Aktionäre greifen der Deliktsschutz nach § 823 II BGB iVm § 399 I Nr 1, 2 AktG und die Prospekthaftung473 ein, der unmittelbare Deliktsschutz gilt auch zugunsten der Gläubiger neben dem Zugriff auf den Anspruch der Gesellschaft. Nach § 46 IV AktG haften die Gründer der AG für den Ausfall von Zahlungen 324 oder (bei Sacheinlage) sonstigen Leistungen eines Aktionärs (dh Mitgründers), dessen Beteiligung die Gründer in Kenntnis seiner Zahlungs- oder Leistungsunfähigkeit angenommen haben474. Das Pendant für die Gründerhaftung bei der AG – allerdings unter Aus325 klammerung der Ausfallhaftung des § 46 IV AktG – ist bei der GmbH die Gesellschafterhaftung (auch hier gegenüber der Gesellschaft) nach § 9a GmbHG, flankiert durch die Strafnormen des § 82 I Nrn 1, 2 GmbHG. Auch die Haftung nach dem GmbHG besteht nach dem Gesetz der Gesellschaft gegenüber von de-

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471 Besonders lag allerdings der Fall BGH NJW 2003, 3127, in dem der von dem Verdikt der verdeckten Sacheinlage betroffene Kläger seinerseits von den Mitgesellschaftern, die für die schief gegangene Gründungsregelung verantwortlich waren, Heilung verlangte. 472 Geltend zu machen durch den Vorstand. Das AktG kann angesichts des Standes des Themas Vorgesellschaft zur Zeit des Erlasses des Gesetzes nur die rechtsfähige Gesellschaft meinen; das genügt nach hM auch. Raiser/Veil vertreten mit berechtigter Anführung von möglichen Schädigungen schon der Vorgesellschaft die Anspruchsberechtigung schon der Vorgesellschaft (§ 26 Rn 146). 473 Zur bürgerlich-rechtlichen Propekthaftung Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 2002, Rn 9.24 ff, zur gesetzlichen Prospekthaftung Lenenbach Rn 8.78 ff. 474 Das Gesetz spricht zwar von Aktionären, hat dabei aber offenbar übersehen, dass nach Wegfall der Stufengründung die Gründer iS der Vorschrift eine Beteiligung nur von einem Mitgründer, nicht etwa von einem späteren Aktionär annehmen können. Die Erwähnung der Sacheinlage hat die diesbezügliche Streitfrage eindeutig geklärt. Nach hM ist Voraussetzung der Haftung der Mitgründer die erfolglose Durchführung des Kaduzierungsverfahrens nach § 64 AktG, aA aber Hüffer/Koch § 46 Rn 15.

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ren Eintragung an. Für die GmbH ist die subsidiäre Einlageaufbringungshaftung nach § 46 IV AktG bewusst nicht übernommen worden. Grund ist das andersartige Haftungssystem bei der GmbH (s § 24 GmbHG)475. Neben den Gründern sind auch Hintermänner, dh Personen verantwortlich, für deren Rechnung Gründer Aktien übernommen haben (§§ 46 V AktG, 9a IV GmbHG). Nach Aktienrecht gilt die Hintermännerhaftung insbesondere für die in das Recht der GmbH nicht übernommene Ausfallhaftung nach § 46 IV AktG. Unabhängig von dem erst später durch die GmbH-Novelle von 1980476 eingefügten § 9a IV GmbHG hat der BGH in der berühmten Lufttaxi-Entscheidung477, in dem auch die Rechtsprechung zu den eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen begründet worden ist, bei der GmbH die Kapitalsicherung generell auf den Hintermann erstreckt478. Neben der Gründer- und der Hintermännerhaftung ist im Fall der Gründung einer AG eine Haftung der Mitwisser, Emittenten und Prüfer begründet. Die Mitwisserhaftung ist in § 47 Nr 1, 2, die Emittentenhaftung in § 47 Nr 3 AktG und die Haftung der Gründungsprüfer in § 49 AktG geregelt. Bei AG und GmbH haften bei Gründung und Kapitalerhöhung die Organe (Geltendmachung gegenüber Vorstandsmitgliedern durch den Aufsichtsrat, § 112 AktG, gegenüber der Geschäftsführung durch die Gesellschafter, § 46 Nr 8 GmbHG). Für die Gründung der AG ist die Organhaftung in § 48 AktG bestimmt, für die Kapitalerhöhung gilt die allgemeine Verantwortlichkeit nach §§ 93 und 116 AktG. Bei der GmbH bestimmt § 9a I, III GmbHG neben der Gesellschafterhaftung die Haftung der Geschäftsführer, die Vorschrift gilt auch für die Kapitalerhöhung (§ 57 IV GmbHG). Neben den Haftungstatbeständen greift die Strafbarkeit nach §§ 399 I, II AktG, 82 I GmbHG ein. Ein Verzicht auf oder Vergleich über die Haftung der Gründer etc sind nach §§ 50 AktG, 9b I GmbHG beschränkt (gesetzliches Verbot iS von § 134 BGB). Die Ansprüche verjähren nach den Sondervorschriften der §§ 51 AktG, 9b II GmbHG.

_____ 475 S Ulmer, ZHR 156 (1992), 377, 383. 476 O Rn 72. 477 BGHZ 31, 258. 478 Das alte Urteil ist bestätigt worden durch BGHZ 118, 107. Vgl dazu Ulmer, ZHR 156 (1992), 377: Gerade wegen des Ausschlusses der Analogie zu § 46 V AktG durch die Novelle von 1980 sei eine generelle Erstreckung auf den Treugeber nicht gerechtfertigt. Anders sei zu entscheiden bei offener (darunter versteht Ulmer die gesellschaftsintern offene) Treuhand, d h bei Einbeziehung des Treugebers in die Gesellschafterrechte, was der Zustimmung aller Gesellschafter und der Form des § 15 III GmbHG bedürfe. Bei einem Treugeber aber, der allein die Gesellschaft beherrsche – so der Fall des BGH –, sei beides irrelevant. In der Tat ist die Kapitalaufbringungspflicht nach §§ 19, 24 GmbHG von der Einbeziehung in die gesellschafterliche Mitwirkung abhängig zu machen. S auch BGHZ 119, 191.

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Eine actio pro socio der Mitgesellschafter betreffs der Gründerhaftung oder ihre Anspruchsberechtigung nach § 823 II BGB iVm mit den gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen sind abzulehnen. Nur die Haftung aus § 826 BGB und aus § 823 II BGB iV mit §§ 399 I Nr 1 AktG, 82 I GmbHG (Strafbarkeit falscher Angaben) kommt in Betracht479. Die Ansprüche nach §§ 46 AktG, 9a GmbHG etc dienen der Aufbringung des Kapitals der Kapitalgesellschaft und stehen nur – nach deren Eintragung – der Gesellschaft zu. Nach § 37 I 3 AktG ist, wenn der vor der Anmeldung aufzubringende Min332 destbetrag durch Gutschrift auf ein Konto der Gesellschaft oder des Vorstands bei einem Kreditinstitut oder bestimmten Unternehmen nach KWG – § 54 III AktG – eingezahlt worden ist, eine Erklärung des Kredit- oder sonstigen Instituts beizubringen, dass der eingezahlte Betrag (abgesehen von Steuern und Gebühren, s § 37 I 5 AktG) endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht480. Nach § 37 I 4 AktG ist das Institut der Gesellschaft für die Richtigkeit der Bestätigung verantwortlich, das Institut unterliegt also einer Gewährleistungshaftung für die Richtigkeit der eigenen Erklärung. Soweit die Bestätigung unrichtig ist, muss es seinerseits zahlen481. Dasselbe Erklärungserfordernis und dieselbe Haftung treffen das Institut nach §§ 188 II 1, 37 I 3, 4 AktG auch im Fall der Kapitalerhöhung bei der AG. Der BGH wendet diese Bankenhaftung insbesondere in dem Fall an, dass 333 der Betrag zwar eingezahlt worden ist, aber mit Wissen der Bank iR einer „verdeckten Sacheinlage“482 später wieder abgeflossen ist 483. Gerade betreffend einen solchen Fall hat der BGH § 37 I 4 (mit § 188 II 1) AktG 334 analog auch auf die GmbH angewandt. Zwar ist die Bestätigung des Kreditinstituts entgegen §§ 37 I 3, 188 II 1 AktG bei der GmbH nicht gesetzlich vorgeschrieben. Sie kann jedoch dort freiwillig beigebracht werden. Wird sie beigebracht, ist sie für den Registerrichter iR der ermessensmäßigen Prüfung ebenso maßgeblich wie die gesetzlich vorgeschriebene im Aktienrecht. Daher ist die Bank hier in gleicher Weise für die Richtigkeit der Bestätigung verantwortlich wie im Aktienrecht484. 331

_____ 479 Hüffer/Koch § 46 Rn 4; Baumbach/Hueck/Fastrich § 9a Rn 1. 480 Zu den Anforderungen BGH NJW-RR 2008, 860. 481 So BGHZ 119, 177, 181. Zu den Voraussetzungen einer Bankbestätigung, ihrer Unrichtigkeit und den Folgen der Unrichtigkeit BGH Der Konzern 2008, 231. 482 Zu dieser Figur soeben Rn 301 ff. 483 Zur Rechtsprechung Nicolai, WM 1997, 993. 484 BGHZ 113, 335, 354.

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4. Aufbringungskautelen durch Tilgungserfordernisse a. Anspruchsgrundlage, Befreiungsverbot, Wegfall des Anspruchs Die Anspruchsgrundlage für die Einlageverpflichtung der Gesellschafter der 335 Kapitalgesellschaft besteht in den zur Übernahme der Anteile erforderlichen Rechtsakten, zu denen die Übernahmeerklärung der Anleger gehört. Bei der Gründung einer AG ist Anspruchsgrundlage die „Satzung“ (§ 23 I AktG) und darin – oder in einem späteren Ergänzungsakt – die Übernahme der Anteile durch die Gründer (§§ 23 II Nr 2, 28 AktG). Bei der Gründung einer GmbH ist die Anspruchsgrundlage der Gesellschaftsvertrag und die darin enthaltene Übernahme der Geschäftsanteile (§§ 3 I Nr 4, 14 1, 2 GmbHG). Bei der Kapitalerhöhung gegen Einlagen ist Anspruchsgrundlage die von der Gesellschaft organisierte und angenommene Übernahmeerklärung der zeichnungswilligen Anleger (bei der AG nach § 185 I 1 AktG die schriftliche „Zeichnung“, bei der GmbH nach § 55 I GmbHG die notariell aufgenommene oder beglaubigte Übernahmeerklärung des übernehmenden Gesellschafters). Von der Einlageverpflichtung kann die Gesellschaft den Gesellschafter 336 nicht befreien (Befreiungsverbot, §§ 66 I 1 AktG, 19 II 1 GmbHG). Die Einlageverpflichtung entfällt nur dann, wenn bei der Gründung die Gesellschaft oder bei der Kapitalerhöhung die Erhöhung nicht in das Handelsregister eingetragen wird485. In diesem Fall ist bei der Gründung die Vor-(Einmann- oder Mehrpersonen)-Gesellschaft zu liquidieren, wenn die Gründer sie nicht als Personengesellschaft fortsetzen. Beim Scheitern einer Kapitalerhöhung hat die Gesellschaft den Anlegern die schon eingezahlten Beträge nach Bereicherungsrecht zu erstatten.

b. Bar- oder Sachleistung; Fälligkeit der Sacheinlage Ist die Einlageverpflichtung wirksam, ist für die Anspruchsprüfung zunächst 337 der Gegenstand festzustellen: Die Einlagepflicht ist grundsätzlich darauf gerichtet, dass der Nennbetrag der übernommenen Anteile in bar entrichtet wird. Eine Leistung von Sacheinlagen ist zu prüfen, wenn die Gesellschaft einen Anspruch auf eine Sacheinlage erhebt oder wenn der Gesellschafter sich darauf beruft, dass er Barzahlung nicht schulde, dass er insbesondere wegen seiner

_____ 485 Bei der Kapitalerhöhung kann der Übernehmer vom Übernahmevertrag zurücktreten, wenn die Kapitalerhöhung oder die Durchführung nicht binnen angemessener Zeit in das Handelsregister eingetragen wird. Lutter/Hommelhoff/Lutter/Hommelhoff, Kom GmbHG, 16. Aufl 2004, § 55 Rn 31 nehmen für die Kapitalerhöhung bei der GmbH ohne genügenden rechtlichen Anhalt ipsoiure-Auflösung des Übernahmevertrages nach Ablauf einer Frist von 6 Monaten an.

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Leistung einer Sacheinlage den Einlageanspruch schon erfüllt habe (§ 362 I BGB; Voraussetzungen einer wirksamen Sacheinlage in §§ 27 I AktG, 5 IV 1 GmbHG, Verweisung darauf im Recht der Kapitalerhöhung). Ist eine Sacheinlage bei der Gründung nicht, wie nach §§ 27 I AktG, 5 IV 1 GmbHG erforderlich, in Gesellschaftsvertrag oder Satzung vereinbart oder bei der Kapitalerhöhung nicht, wie nach §§ 183 I 1 AktG, 56 I 1 GmbHG erforderlich, im Beschluss über die Erhöhung des Grund- oder Stammkapitals festgesetzt worden, so kann sich der Gesellschafter vor der Eintragung auf die Unwirksamkeit berufen. Von der Eintragung der Gesellschaft oder der Kapitalerhöhung an tritt an die Stelle der unwirksamen Sacheinlageverpflichtung die Geldzahlungsverpflichtung (§§ 54 II AktG, 5 IV 1, 14 I 1 GmbHG; §§ 183 II 3 AktG, 56 I 1, 14 I 3 GmbHG). Eine wirksam übernommene Sacheinlage ist bei der AG (§§ 36a II 1, 37 I 1, 338 188 II 1 AktG) und bei der GmbH vor der Anmeldung vollständig zu freier Verfügung des Vorstands oder der Geschäftsführung, die die Gesellschaft vertreten, zu leisten (§§ 7 III, 56a GmbHG). Nach § 36a II 2 AktG ist, wenn die Sacheinlage in der Verbindlichkeit zur Leistung eines Vermögensgegenstands besteht, dieser Gegenstand binnen einer Frist von 5 Jahren zu leisten. Diese auf der Zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (zum Kapitalschutz bei der AG) beruhende Bestimmung486 gilt für die GmbH nicht.

c. Barzahlung, Fälligkeit 339 Greift eine wirksame Grundlage zur Bareinlageverpflichtung ein, so wird die Verpflichtung fällig durch Ein- und Anforderung 487. Das AktG hebt nur die Begrenzung durch den Ausgabebetrag hervor (§ 54 I AktG), das GmbHG berücksichtigt die Fälle, dass nicht der gesamte Einlagebetrag erforderlich und verlangt wird, und gibt dafür den Gleichbehandlungsgrundsatz vor (nach dem Verhältnis der Geldeinlagen, § 19 I GmbHG). Die Mitgesellschafter können sich der Einforderung bei den anderen Gesellschaftern vergewissern und bis zur Auskunft darüber oder bei Ungleichbehandlung ihre Leistung verweigern. Für die Prüfung des Anspruchs auf Bareinzahlung kommt es sodann darauf 340 an, wie der Barzahlungsanspruch zu erfüllen ist und ob gegen ihn aufgerechnet werden kann, oder ob gegebenenfalls Erfüllung (§ 362 I BGB) oder Erlöschen durch Aufrechnung (§ 389 BGB) eingetreten ist. Bei der AG ist der Mindestbetrag (§§ 36a I, 188 II 1 AktG) nach §§ 54 III 1, 188 II 2 AktG zwingend in bar oder in der in den Vorschriften zugelassenen Weise barzahlungsgleich einzuzahlen. Auch für die GmbH wird für den Mindestbetrag (§§ 7 II 1–3, 56a iVm § 7 II 1, 3

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486 Dazu Hüffer, NJW 1979, 1065, 1067. 487 Zuständigkeit: §§ 78 I, 63 I 1 AktG, 46 Nr 2 GmbHG.

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GmbHG) aus § 7 II 1 GmbHG das Erfordernis der baren oder barzahlungsgleichen Zahlung des Mindestbetrags an die Vorgesellschaft oder die ihr Kapital erhöhende GmbH entnommen488.

d. Erfordernis der Zahlung „zu freier Verfügung“ betreffend den Mindestund den weiteren Betrag; Verbot der verdeckten Sacheinlage, Verbot der Hin- und Herzahlung Zunächst für den Mindestbetrag verlangen §§ 36 II, 188 II AktG, 8 II 1, 56 II 1 341 GmbHG des Weiteren, allerdings nicht als Erfüllungs-, sondern als Eintragungsvoraussetzung, dass der Betrag bei der Anmeldung der Gesellschaft oder der Kapitalerhöhung zu freier Verfügung der Gesellschaft steht489. Obwohl das Gesetz das Kriterium der Zahlung zu freier Verfügung betreffs der Barzahlung nur als Voraussetzung wirksamer Anmeldung und hier nur für den Mindestbetrag regelt, hat die Rechtsprechung darin in einzelnen Entscheidungen eine Erfüllungsvoraussetzung, und zwar für den gesamten Einlagebetrag490, gesehen. Als Konsequenz daraus ist die Zahlung auf ein Girokonto der Gesellschaft befreiend, bei Überziehung abzüglich der Überziehungszinsen auf den Betrag. Wird auf Weisung der Gesellschaft an einen Gläubiger gezahlt (§ 362 II BGB), befreit die Leistung bei Fälligkeit. Liquidität und Vollwertigkeit der Forderung, ein Dreiklang, der bei der Frage der Aufrechnungsmöglichkeit gegen eine Forderung des Gesellschafters auftreten wird490a. Keine Befreiung von der Bareinlagepflicht tritt ein bei verdeckter Sach- 342 einlage (§§ 27 III 1 AktG, 19 IV 1 GmbHG). Jedoch wird der geleistete Vermö-

_____ 488 Die Streichung der Möglichkeit der Zahlung durch bestätigte Bundesbankschecks in § 54 III AktG ist für die GmbH nicht maßgeblich, s Baumbach/Hueck/Fastrich § 7 Rn 5, 9. 489 Näher o Rn 266 ff. 490 BGH GmbHR 2001, 1114 f mit Anm Klaus J. Müller. Eine Zahlung ist auch bei Überweisung auf ein im Debet stehendes Konto der GmbH zu deren freier Verfügung erbracht, wenn das Debet im Rahmen eines weiterhin zur Verfügung stehenden Kreditrahmens besteht und folglich in Höhe der Rückführung des Debet Liquidität im Kreditrahmen zur Verfügung steht oder wenn mit Rücksicht auf die Kapitalerhöhung anderweitiger Kredit eingeräumt wird, BGH NJW 2002, 1716 f. Zur Leistung der Stammeinlage im Fall der Einpersonen-GmbH OLG Hamburg GmbHR 2001, 972. 490a U Rn 350. Kompliziert der Fall des Gesellschafters der GmbH einer GmbH & Co KG, der an die KG geleistet hatte, die die Forderung auf eine Einlage der GmbH geltend machte. Nach BGH NJW 1986, 989 Befreiung nur, wenn gemäß § 362 II BGB auf Veranlassung der GmbH gezahlt war, die KG eine fällige, liquide und vollwertige Forderung gegen die GmbH hatte und im Hinblick auf die Haftung aus §§ 128, 161 I HGB das Vermögen der GmbH sowohl zur Erfüllung ihrer eigenen Schulden als auch der Forderungen gegen die KG ausreichte, soweit diese durch das Vermögen der KG nicht gedeckt waren.

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gensgegenstand nach seinem Wert im Zeitpunkt der Anmeldung auf die Einlagepflicht angerechnet (§§ 27 III 3 AktG, 19 IV 3 GmbHG), die Kapitalerhöhungsvorschriften verweisen auf §§ 27 III AktG, 19 IV GmbHG)491. Keine Zahlung zu freier Verfügung liegt vor, wenn der Gesellschafter den 343 Einlagebetrag zwar einzahlt, aber einen entsprechenden Betrag binnen weniger Tage ausgezahlt bekommt492. Genauer hat die Rechtsprechung die Hin- und Herzahlung von zulässigen Verwendungsabsprachen abgegrenzt, „die allein der Umsetzung von Investitionsentscheidungen der Gesellschafter oder sonstiger ihrer Weisung unterliegender geschäftspolitischer Zwecke dienen“493. Zu einer unzulässigen Hin- und Herzahlung führe eine Abrede dann, wenn sie „(auch) dahin geht, die Einlagemittel unter (objektiver) Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln mittelbar oder gar unmittelbar wieder an den Einleger zurückfließen zu lassen“. Eine solche Abrede sei bei engem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang der Einzahlung mit einer Auszahlung an den Inferenten oder ein mit ihm verbundenes Unternehmen zu vermuten494. In §§ 27 IV AktG, 19 V GmbHG nF ist das Verbot des Hin- und Herzahlens von Einlagebeträgen an die Gesellschaft einerseits, Leistungen der Gesellschaft an den Gesellschafter andererseits in das Gesetz aufgenommen, aber geglättet495. Die neuen Vorschriften der §§ 27 IV AktG, 19 V GmbHG wirken sich auch auf 344 das Merkmal der Leistung zu freier Verfügung aus. Dazu hat der Rechtsaus-

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491 Zur verdeckten Sacheinlage o Rn 301 ff. 492 Raten genügen, wenn von vornherein beabsichtigt, BGH GmbHR 2008, 818. Nach BGH WM 2003, 199 keine Zahlung zu freier Verfügung, wenn der eingezahlte Einlagebetrag absprachegemäß „umgehend“ (im Fall: am Tag nach der Einzahlung) als Darlehen an den Inferenten (hier: die beiden geschäftsführenden Gesellschafter) oder ein mit ihm verbundenes Unternehmen (hier: eine aus beiden Gesellschaftern gebildete OHG) zurückfließe. Rechne der Gesellschafter (oder das verbundene Unternehmen) später gegen die Darlehensschuld auf, werde mit dieser auch die Einlageverbindlichkeit getilgt, sofern dem nicht § 19 II sowie V aF (IV nF) GmbHG entgegenstehe. Bei Verrechnung längere Zeit nach dem Vorgang, in dessen Rahmen die Bareinlage übernommen sei, komme nicht mehr § 19 V aF, sondern nur noch § 19 II 2 in Betracht. Wirksam sei die Verrechnung danach unter der Voraussetzung des Einvernehmens der GmbH mit der Verrechnung und der Fälligkeit, Liquidität und Vollwertigkeit der verrechneten Forderung (zu § 19 II 2, V GmbHG a und nF s sogleich Rn 348 ff.). – Nach BGH DStR 2008, 311 (dazu Theiselmann, GmbHR 2008, 521; K. Schmidt, ZIP 2008, 481) Hin- und Herzahlung auch bei der Kapitalerhöhung in der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co KG, wenn der vom Inferenten eingebrachte Betrag sogleich an die von dem oder den Inferenten beherrschte KG als Darlehen weiterfließt. – Eine Wiedereinzahlung, die den Verbotsverstoß aufhebt, wird nur bei eindeutiger objektiver Zuordnung von Zuflüssen zur noch offenen Einlageschuld anerkannt, BGH GmbHR 2008, 818. 493 BGH WM 2003, 199, 200. 494 BGH aaO. 495 O Rn 318 ff.

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schuss des Bundestages festgestellt: „Wenn § 19 Abs 5 unter den dort genannten Voraussetzungen eine Erfüllungswirkung anordnen(t), versteht es sich von selbst, dass diese nicht unter Berufung auf das Merkmal der ‚Leistung zur endgültigen freien Verfügung der Gesellschafter‘ wieder infrage gestellt werden kann“ 496. Die Schwierigkeit der Abgrenzung und die Problematik der unterschiedli- 345 chen Rechtsfolgen in Hinsicht auf die Hin- und Herzahlung einerseits und die verdeckte Sacheinlage andererseits wurden schon erwähnt497.

e. Aufrechnungsverbote (1) Betr den Mindestbetrag Aus den für die Gründung und die Kapitalerhöhung angeführten Vorschriften 346 über die Art und Weise der Mindestleistung ergibt sich: Was die Forderung auf den Mindestbetrag betrifft, ist eine Aufrechnung mit Forderungen des Gesellschafters ausgeschlossen, wie ebenso die Gesellschaft nicht mit ihrer Forderung auf den Mindestbetrag gegen solche des Gesellschafters aufrechnen kann.

(2) Aufrechnungsverbot für den Gesellschafter aus §§ 66 I 2 AktG, 19 II 2 GmbHG Was die über den Mindestbetrag hinausgehende Einlageforderung betrifft, 347 schließt §§ 66 I 2 AktG die Aufrechnung seitens des Gesellschafters gegen die Einlageforderung aus. Anders kann nach § 19 II 2 GmbHG der Gesellschafter gegen die Einlageverpflichtung mit einer Forderung auf Vergütung eines sonstigen Vermögensgegenstandes dann, aber auch nur dann aufrechnen, wenn diese Anrechnung nach § 5 IV 1 GmbHG vereinbart war.

(3) Die Aufrechnungsbeschränkung für die Gesellschaft, Geltung für andere Gläubiger Der Gegenschluss aus beiden Vorschriften ergibt, dass – im Unterschied zur 348 Forderung auf die Mindesteinlage – der Gesellschaft die Aufrechnung mit der über die Mindesteinlage hinausgehenden Einlageforderung möglich sein müsste und die Bestimmungen ebenso wenig einer Aufrechnungsvereinbarung entgegenstehen. Für die Aufrechnung seitens der Gesellschaft ist aber zunächst dasjenige zu beachten, was § 19 II 2 GmbHG schon für die Aufrechnung seitens

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496 BT-Drucks 16/9737 zu Art 1 Nummer 17, zu Abs 5. 497 O Rn 318.

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des Gesellschafters aufnimmt: der Vorrang der Bareinlageverpflichtung vor der Möglichkeit einer Sacheinlage. Auch die Gesellschaft muss, wenn sie mit der Einlageforderung aufrechnen oder darüber eine Vereinbarung treffen will, die Regelung der Sacheinlage beachten. Wird die Verrechnung mit einer sacheinlagefähigen Forderung von vornherein ins Auge gefasst, gelten §§ 27 I 1 AktG, 5 IV GmbHG. Werden deren Erfordernisse nicht erfüllt, kann das Verbot der verdeckten Sacheinlage zur Anwendung kommen. Sodann muss die Gesellschaft auch für eine Aufrechnung ihrerseits oder eine Aufrechnungsvereinbarung das Befreiungsverbot beachten. Einer gänzlichen oder teilweisen Befreiung würde es gleichkommen, wenn die Gesellschaft mit der Einlageforderung gegen einen solventen Gesellschafter gegen eine Forderung des Gesellschafters aufrechnen würde, die in ihrem Wert gemindert oder wertlos ist. Aus dem Befreiungsverbot der §§ 66 I 2 AktG, 19 II 2 GmbHG folgt, dass die Gesellschaft grundsätzlich nur gegen eine Forderung des Gesellschafters aufrechnen kann, die fällig, liquide und vollwertig ist498. Fälligkeit bedeutet, dass die Gesellschaft sofort zu zahlen hat, Liquidität, dass die Forderung unstreitig oder ohne Weiteres beweisbar ist, Vollwertigkeit bedeutet schließlich, dass das Gesellschaftsvermögen alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft, also auch die Gegenforderung des Gesellschafters, deckt. Für den Begriff der Vollwertigkeit ist nach Ansicht des BGH nicht die laufende Bilanz, sondern die Feststellung der tatsächlichen Vermögenslage der Gesellschaft nach Liquidationswerten maßgeblich 499. Fehlt die Voraussetzung der Vollwertigkeit, so ist die Aufrechnung nicht nach dem Maß der Werthaltigkeit wirksam, sondern mangels einer geeigneten Gegenforderung unwirksam500. Ausnahmsweise kann die Gesellschaft auch gegen eine nicht vollwertige Forderung des Gesellschafters aufrechnen, wenn die Einlage des Gesellschafters sonst uneinbringlich oder ihre Einbringung stark gefährdet wäre 501. Die Rechtsprechung beschränkt auch die Sicherungsabtretung oder Verpfändung der Einlageforderung an einen Gläubiger der Gesellschaft, indem sie dafür eine vollwertige Gegenleistung des Gläubigers fordert, die nach überwiegender Ansicht auch nicht in einer Sachleistung bestehen kann, die auch den

_____ 498 BGHZ 15, 52. K. Schmidt § 37 II 2 e S 1117. 499 BGHZ 90, 370. 500 K. Schmidt § 37 II 2 e S 1117. 501 BGHZ 15, 52 grenzt die Ausnahme der Aufrechnungsmöglichkeit dahin ab, dass die Gesellschaft andernfalls wegen der schlechten Lage des Gesellschafters bei Barzahlung auf dessenForderung mehr aufwenden müsste, als sie über die Einlageforderung hereinholen könnte (S 57 ff). S näher Roth/Altmeppen/Roth § 19 Rn 35 ff.

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 207

Gesellschafter nicht befreien würde502. Dagegen ist die Zwangsvollstreckung in die Einlageforderung selbstverständlich möglich502a.

f. Abgrenzung der Tilgungshindernisse Zu fragen ist, wie die verschiedenen Tilgungshindernisse: verdeckte Sachein- 353 lage, Verstoß gegen das Befreiungsverbot, keine Zahlung zu freier Verfügung – voneinander abzugrenzen sind. Nach der früheren Rechtsprechung waren das Erfüllungshindernis der verdeckten Sacheinlage und die Unzulässigkeit der Aufrechnung bzw Hin- und Herzahlung aufgrund des Befreiungsverbots (§§ 19 II 1 GmbHG, 66 I AktG) zu unterscheiden, wie folgt: Für das Verbot der verdeckten Sacheinlage kam es auf einen Zusammenhang der Erfüllung der Gesellschafterforderung mit der Festlegung der Einlagepflichten bei Gründung oder Kapitalerhöhung an. Dieser Zusammenhang war für das Befreiungsverbot irrelevant. Dieses greift ja jedenfalls ein. Wenn jener Zusammenhang bestand, kam es nicht auf Fälligkeit, Liquidität, Vollwertigkeit iS des Befreiungsverbots an; wenn er fehlte, waren diese Kriterien des Befreiungsverbots maßgeblich. Nach geltendem Recht sind die Regelungen der verdeckten Sacheinlage, der 354 Hin- und Herzahlung und des Befreiungsverbots, wie folgt, voneinander abzugrenzen. Sowohl für die verdeckte Sacheinlage (§§ 27 III AktG, 19 IV GmbHG) als auch für die Beschränkung der Hin- und Herzahlung (§§ 27 IV AktG, 19 V GmbHG) ist ein Zusammenhang mit der Übernahme der Einlage erforderlich,

_____ 502 BGHZ 53, 71; Roth/Altmeppen/Roth § 19 Rn 11 f. Ebenso auf die Verrechnung der Einlageforderung mit der Forderung eines Dritten in dessen Einverständnis, BGH DStR 1997, 1257, 1258. In dem Fall einer Sicherungsabtretung, in welchem die Voraussetzungen der Fälligkeit etc fehlten, hat das OLG Stuttgart die Abtretung in eine gewillkürte Prozessstandschaft des Zessionars, den Anspruch für die GmbH geltend zu machen, umgedeutet (GmbHR 2002, 1123). Die Umdeutung eines Antrags auf Zahlung an sich selbst in einen solchen auf Zahlung an die GmbH kommt nicht in Betracht. Der Kläger muss seinen Antrag umstellen, und das hatte die Klägerin im Fall des OLG auch getan. Das OLG hat deshalb umgedeutet, damit die Klage schon von ihrer Erhebung an eine solche auf Zahlung an die Gesellschaft war. Darauf kam es deshalb an, weil das OLG sich an seiner Entscheidung nicht durch die eines amerikanischen Gerichts hindern lassen und dazu die Rechtshängigkeit der deutschen Klage vor der in den USA begründen wollte. Mit Recht kritisiert K. Schmidt (§ 37 II 2 f S 1118 f) die ganze Verwendung des Kapitalaufbringungsrechts durch die Rechtsprechung gegen Gläubiger, die keine Gesellschafterstellung haben. Unsicherheiten der Rechtsprechung in der Frage, ob die Beschränkungen auch für den Anspruch der Gesellschaft bei Wiederauszahlung des Kapitals (§ 31 GmbHG) gelten: verneinend BGHZ 69, 274; distanzierend dazu BGHZ 146, 105, 108. Zu den beiden Entscheidungen Roth/Altmeppen/Altmeppen § 31 Rn 27. 502a Roth/Altmeppen/Roth § 19 Rn 14.

208 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

bei der verdeckten Sacheinlage eine Verabredung im Zusammenhang mit der Vereinbarung der Geldeinlage, bei der Hin- und Herzahlung die Abrede vor der Einlageleistung. Zur weiteren Unterscheidung erklärt das Gesetz die Regelung der verdeckten Sacheinlage für vorrangig (§§ 27 IV, 19 V GmbHG). Von einem Zusammenhang mit vorherigen Abreden unabhängig ist das Befreiungsverbot der §§ 66 I 1 AktG, 19 II 1 GmbHG.

g. Vorleistungen auf die Übernahme einer Einlage, insbesondere bei der Kapitalerhöhung Zu fragen ist, ob Vorleistungen auf die bei der Errichtung der Gesellschaft oder 355 einer Kapitalerhöhung zu übernehmenden Einlagen als wirksame Einlageleistungen zu behandeln sind503. Grundsätzlich verfehlt ist es, hier ohne Weiteres von einem dem Gesell356 schafter zustehenden Bereicherungsanspruch zu reden, der im Rahmen der dann entstehenden Einlagepflicht uU als Sacheinlage anzurechnen sei504. Die Voreinzahlung geschieht, wenn sich Leistender und Empfänger einig sind, mit dem Rechtsgrund der Voreinzahlung auf künftige Verbindlichkeit, hier der künftigen Einlagepflicht. Der Rechtsgrund steht unter der auflösenden Bedingung des Nichtzustandekommens der Einlagepflicht oder der Nichtanrechnung der Leistung als Einlageleistung. Treten diese Bedingungen nicht ein, wird aus dem Rechtsgrund der Vorleistung die causa solvendi betreffend die Einlagepflicht. Allerdings muss der Gesellschafter, wenn er die Möglichkeit haben will, die 357 Leistung als Vorleistung auf die Einlagepflicht anrechnen zu lassen, zunächst einmal den Rechtsgrund der Vorleistung beweisen505. Weiter müssen der Gesellschaft noch bei Begründung der Einlagepflicht im Rahmen der Errichtung oder Kapitalerhöhung in Höhe der Leistung liquide Mittel zu freier Verfügung stehen, dh es müssen aus der Voreinzahlung im Zeitpunkt der Begründung der Einlagepflicht noch entsprechende liquide Mittel verblieben sein506. Ausreichende Li-

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503 Nicht zu verwechseln mit der Frage freiwilliger Mehrleistung auf die übernommene Einlage, dazu o Rn 271. Zur Frage der Vorleistung im Recht der GmbH Goette, FS Priester 2007, 95. 504 So Werner, GmbHR 2002, 530; auch BGH WM 2000, 2304, 2306 l Sp im Fall der Bareinzahlung vor einem Kapitalerhöhungsbeschluss. Vorsichtiger zuvor für die Frage, ob die Vorleistung von Sachwerten als Sacheinlage anerkannt werden kann („unter Umständen ein Anspruch …“). 505 So ist die Forderung des BGH einzuordnen, dass der Zweck der Voreinzahlung eindeutig sein müsse, ZIP 1996, 1466 = DNotZ 1997, 495 mit Anm Kanzleiter. 506 Betreffend den Zeitpunkt, für den die liquiden Mittel vorhanden sein müssen, ist manches unklar: BGH ZIP 1996, 2214 verlangt, dass der voreingezahlte Betrag im Zeitpunkt der Begrün-

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 209

quidität soll zur Verfügung stehen bei (Vor)-Einzahlung auf ein im Debet befindliches Bankkonto, wenn die Bank insoweit wieder Kredit und damit Liquidität gewährt507. Ist im Fall der Gründung die Voreinzahlung schon an die Vorgründungsgesellschaft geleistet, muss diese (nach § 267 BGB) liquide Mittel auf die Einlageschuld des Gründers an die Vorgesellschaft leisten. Dies geschieht schon durch Fortführung des Bankkontos der Vorgründungs- durch die Vorgesellschaft, wenn darüber entsprechende liquide Mittel zur Verfügung bleiben. Etwas anderes gilt für Sacheinlagen einerseits und für Bareinlagen im 358 Sanierungsfall andererseits. Sacheinlagen müssen noch im Zeitpunkt der Anmeldung gegenständlich vorhanden sein (§§ 7 III, 56a, 8 II, 57 II GmbHG, 36a II, 37 I 1, 188 II 1 AktG)508. Es reicht nicht aus, dass aus Umsätzen mit der Sacheinlageleistung im Zeitpunkt der Begründung der Verpflichtung noch liquide Mittel vorhanden sind. Was den Sanierungs-Fall betrifft, ist dieser durch das Drohen der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) gekennzeichnet. Hier muss beachtet werden, dass die Insolvenzantragspflicht in der vom Gesetz dafür gewährten Frist nicht durch eine Kapitalerhöhung abgewendet werden kann. Aus der Zwangslage können Voreinzahlungen auf eine dann vorzunehmende Kapitalerhöhung befreien. Sie sind auf die Kapitalerhöhung schon dann anzurechnen, wenn zwischen Voreinzahlung und Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses nur so viel Zeit vergeht, wie nach den Umständen des konkreten Falles zur Vorbereitung der Haupt- bzw Gesellschaftsversammlung zwingend erforderlich ist509.

_____ dung der Einlagepflicht noch als solcher im Gesellschaftsvermögen vorhanden ist. Die Frage stellt sich: Auf Sperrkonto? Mit Recht kritisch Ehlke, ZIP 2007, 749. Haben liquide Mittel im Zeitpunkt der Begründung der Einlagepflicht der Gesellschaft zur Verfügung gestanden, gilt von da ab wieder das oben zur Möglichkeit der Verwendung der Mittel bis zum Anmeldungszeitpunkt Gesagte. Weiter ist zu beachten, dass zur Begründung der Einlagepflicht der Kapitalerhöhungsbeschluss und die Übernahme des Anteils erforderlich sind. BGH NZG 2008, 512 und OLG Köln DB 2001, 1550 sprechen aber beide vom Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses. Freilich behandelt der BGH zwar zunächst die Prüfungspflicht des Notars bei der Beurkundung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses im Hinblick darauf, ob möglicherweise eine Voreinzahlung gegeben ist. Dann wird aber die Beurkundung der Übernahmeerklärungen (nach § 55 GmbHG) mit erwähnt. 507 BGH ZIP 1996, 1466. 508 BGH WM 2000, 2304, 2306 fordert das Vorhandensein zumindest im Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses. 509 BGHZ 168, 201; Werner, GmbHR 2002, 530, 533 mwN.

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h. Verzug, Verfall, Mithaftung der Mitgesellschafter 359 Wird eine Bareinlage nicht rechtzeitig geleistet, dh nicht auf die Zahlungsauf-

forderung so schleunig wie möglich, so muss der säumige Gesellschafter nach Aktienrecht 5 % Zinsen, nach GmbH-Recht „Verzugszinsen“ zahlen (§§ 63 II 1 AktG, 20 GmbHG). Die Vorschriften beziehen sich auch auf die vor der Anmeldung der Gesellschaft eingeforderte Einlage510. Mit dem Ausdruck „Verzugszinsen“ scheint das GmbH-Recht für die Zeit von dem Inkrafttreten der Neuregelung des Verzuges gem Art 229 § 5 EGBGB an auf § 288 mit § 247 BGB zu verweisen und damit einen Zins von 5% über Basiszinssatz zu regeln. Diese erhebliche Überschreitung der aktienrechtlichen Rechtsfolge ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Mit Verzugszinsen gemeint war der nach bisherigem Recht geltende Zinssatz von 4%. § 20 GmbHG ist berichtigend auszulegen als Verweis auf den gesetzlichen Fälligkeitszinssatz von 4% (§ 246 BGB) 511. Im Fall der Säumigkeit bei der Zahlung eingeforderter Bareinlagen kann als 360 weitere Sanktion die Kaduzierung 512 verhängt werden. Diese betrifft im Fall der AG die nach der Entstehung der Gesellschaft auszugebenden Aktien und im Fall der GmbH die mit Entstehung der Gesellschaft begründeten Geschäftsanteile. Nach GmbH-Recht kommt die Kaduzierung über die Bareinlage hinaus auch im Fall der Bestimmung einer Nachschusspflicht (§ 26 GmbHG) in Betracht (§ 28 GmbHG). Das Kaduzierungsverfahren läuft wie folgt ab: Der säumige Gesellschafter kann erneut unter der Androhung, dass er mit dem Anteil ausgeschlossen wird, zur Zahlung binnen bestimmter Frist aufgefordert werden. Zahlt er nicht fristgemäß, wird er seines Anteils und der geleisteten Teilzahlungen zugunsten der Gesellschaft für verlustig erklärt (§§ 64 AktG, 21 GmbHG). Ihn trifft aber weiter eine Haftung für den Ausfall bei den weiteren Rechten, die die Gesellschaft hat (§§ 64 IV 2 AktG, 21 III GmbHG). Die Gesellschaft kann im sog Staffelregress den Vormann (Rechtsvorgänger) des Ausgeschlossenen, bei Uneinbringlichkeit in dessen Person wieder dessen Vormann etc in Anspruch nehmen (§§ 65 I AktG513, 22 GmbHG514). Gegen die Zahlung wächst der Anteil dem Zah-

_____ 510 Zutr für die GmbH Roth/Altmeppen/Altmeppen § 20 Rn 2. 511 Roth/Altmeppen/Altmeppen § 20 Rn 10. 512 Von caducus = einem Anfallberechtigten (Fiskus) verfallen. Kaduzierung also Verlustigerklärung zugunsten eines Anfallberechtigten. 513 § 65 AktG spricht vom Aktienregister, meint also Namenspapiere. Ob Namensaktien registriert wurden, wenn also Urkunden nicht erteilt oder Namensaktien nicht im Register eingetragen sind, ist nach Hüffer/Koch § 65 Rn 2 irrelevant. Auch wenn entgegen § 10 II AktG Inhaberpapiere ausgegeben sind, soll die Haftung eingreifen, Hüffer/Koch aaO, MüKo-AktG/Bayer § 65 Rn 24). 514 Nach OLG Dresden GmbHR 1998, 884, 886 nicht erst bei Zahlungsunfähigkeit des ausgeschlossenen Gesellschafters.

VII. Kautelen des Gründungs- und Kapitalerhöhungsrechts bei AG und GmbH | 211

lenden zu. Ist die Zahlung auch im Staffelregress nicht aufzubringen, so kann (im Aktienrecht muss) der Anteil nach §§ 65 III AktG, 23 GmbHG veräußert werden. Bei der GmbH kann die Zahlungspflicht, wegen derer ein Gesellschafter 361 säumig werden kann, auf derjenigen eines Rechtsvorgängers beruhen. Nach § 16 II GmbHG haftet nämlich der Erwerber eines Geschäftsanteils neben dem Veräußerer für die Leistungen auf den Geschäftsanteil, die zur Zeit der Anmeldung der Zession bei der Gesellschaft (§ 16 I) rückständig (dies bedeutet fällig, dh ein- und angefordert, und nicht bezahlt) waren. Für die nach Anmeldung fällig werdenden Leistungen haftet der Veräußerer als Rechtsvorgänger nach § 22 GmbHG. Soweit die GmbH die Bareinlage weder von den Zahlungspflichtigen ein- 362 ziehen noch durch Veräußerung decken kann, haften zwingend (§ 25 GmbHG) neben dem Ausgeschlossenen (§ 21 III GmbHG) die Mitgesellschafter (aber nicht der Erwerber aus der Veräußerung durch die Gesellschaft) nach dem Verhältnis ihrer Geschäftsanteile (§ 24 GmbHG).

i. Verjährung Auf die Verjährung der Einlageansprüche hat sich das neue Verjährungsrecht 363 der Schuldrechtsreform bezogen, welches generell ab 1.1.2002, für vorher fällig gewordene Ansprüche nach der Übergangsregelung des Art 229 § 6 IV EGBGB gilt. Die Regelung war aber zumindest für die Einlageansprüche bei der GmbH nicht durchdacht. Sie musste im GmbH-Recht berichtigend ausgelegt werden. Wegen der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für die Einziehung kam die Anwendung der kurzen Verjährung nach den Grundvorschriften der §§ 195, 199 I nicht in Betracht. Vielmehr war § 199 IV BGB anzuwenden in dem Sinne, dass die Ansprüche in 10 Jahren seit Fälligkeit verjähren515. Das inzwischen in Kraft getretene Gesetz zur Anpassung der Verjährungsvorschriften an das neue Schuldrecht (an sich müsste es umgekehrt heißen) bestimmt jetzt in § 19 VI GmbHG eine 10-jährige Verjährungsfrist. Auch § 54 IV AktG nF lässt den aktienrechtlichen Einlageanspruch in 10 Jahren verjähren.

_____ 515 Altmeppen, DB 2002, 516; Roth/Altmeppen/Roth 7. Aufl § 19 Rn 69 mwN.

212 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

VIII. Anwendungsfall zum Gründungs- und Kapitalerhöhungsrecht und den darin begründeten Kautelen VIII. Anwendungsfall zum Gründungs- und Kapitalerhöhungsrecht und den darin begründeten Kautelen

364 Der Fall Kerkerbachbahn516: Der Kl war Aktionär der K-AG. Die HV der AG beschließt im Mai 1984, ihr Grundkapital um 4,76 Mio auf 8,19 Mio zu erhöhen durch Ausgabe neuer Aktien zu einem Ausgabekurs von 500% des Nennbetrages. Die Aktien übernimmt ein Konsortium, bestehend aus der SGmbH (deren Geschäftsführer der Vorstandsvorsitzende der K-AG war) und der Bekl zu 1 (einem Kreditinstitut in der Form der KG mit dem Bekl zu 2 als persönlich haftendem Gesellschafter). Die Bekl zu 1 erklärt in einem durch den Bekl zu 2 ausgestellten Zeichnungsschein, dass sie 2,1 Mio neue Stammaktien und 2,66 Mio neue Vorzugsaktien (Summe gleich Kapitalerhöhungsbetrag von 4,76) zeichne und die Summe (bei einem Kurs von 500%) in Höhe von 23,8 Mio zahle. In einem Schreiben an die K-AG teilt sie mit, sie habe der AG 23,8 Mio auf einem Sonderkonto „Kapitalerhöhung 1984“ gutgeschrieben und bestätige gemäß § 188 II, III iVm §§ 36 II, 37 I AktG, dass die K-AG in der Verfügung über den eingezahlten Betrag nicht beschränkt sei. Der Vorstandsvorsitzende der K-AG legt diese Urkunden dem Registergericht vor und erwirkt so am 19.6.1984 die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung. Entgegen der Mitteilung waren weder eine Einzahlung noch eine Gutschrift erfolgt. Der Beklagte zu 2 hatte von der S-GmbH (deren Geschäftsführer der Vorstandsvorsitzende der K-AG war) einen Scheck über 23,8 Mio erhalten, dann aber zurückgeschickt. Später stellt sich heraus, dass der Scheck nicht gedeckt war. Mit der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung waren die jungen Aktien zur Sammelverwahrung nach dem DepotG zugelassen. Der Kl erwarb über eine Bank, welche die Aktien von der Bekl zu 1 bezog, 12 junge Stammaktien und 340 Vorzugsaktien zum Gesamtbetrag von 88.888,– €. Am 28.9.1984 ist über das Vermögen der K-AG das Konkursverfahren (nach der alten KO) eröffnet worden. Der Kl verlangt von den Bekl Schadensersatz. Der Beklagte zu 2 behauptet, mit dem Vorstandsvorsitzenden der K-AG sei verabredet gewesen, dass von den Urkunden erst dann Gebrauch gemacht werden dürfe, wenn der Scheck über 23,8 Mio eingelöst sei. Der BGH prüft einen Schadensersatzanspruch aus § 823 II BGB iVm § 399 I Nr 4 AktG. Er bejaht die Natur der aktienrechtlichen Vorschrift als Schutzgesetz zugunsten der Aktionäre vor Kapitalerhöhungsschwindel. Die vom Vorstandsvorsitzenden der K-AG ausgehende Täuschung sei für den Aktienerwerb des Kl ursächlich gewesen. Dafür komme es auf die Kenntnis des Anlegers davon an, dass die infrage stehenden Angaben bei der Anmeldung zum Handelsregister gemacht worden sind. Eine solche Kenntnis sei schon dann anzunehmen, wenn einem Anleger der Inhalt des Kapitalerhöhungsbeschlusses und die Eintragung der Durchführung im Handelsregister bekannt gemacht seien. Damit seien dem Erwerber die für die Anmeldung zum Handelsregister und die Eintragung maßgebenden Einzelheiten bekannt (Mindesteinzahlung nach §§ 188 II, 36 II, 36a I, 37 I AktG, zu freier Verfügung der Gesellschaft, § 37 I 2 AktG). Daraus ergebe sich für den Erwerber die Schlussfolgerung, dass die für die Barerhöhungen vorgeschriebenen Erklärungen mit dem

_____ 516 BGH ZIP 1988, 1112 = NJW 1988, 2794, EWiR § 399 AktG 1/88, 951 (Schulze-Osterloh). Die Geldbeträge waren DM.

IX. Die Vorgesellschaft bzw Vororganisation | 213

Inhalt des Erhöhungsbeschlusses und der dafür maßgebenden Vorschriften übereinstimmten. Im Bezugsangebot, welches der Kl von der K-AG bekommen habe, seien die Einzelheiten des Beschlusses, der Erhöhungsbetrag, die Ausführung durch ein Konsortium, dem ein Kreditinstitut als Bezugsstelle angehört habe (§ 186 V AktG), zu erkennen gewesen. Daraus und aus der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister sei der Schluss auf die zwingend zu machenden Angaben begründet gewesen. Da der Kl nach Empfang des Bezugsangebots davon Gebrauch gemacht habe, könne davon ausgegangen werden, dass die Annahme, dass die Durchführung der Kapitalerhöhung ordnungsgemäß war, für seinen Entschluss zum Bezug zumindest mit ursächlich gewesen sei. Er werde Wert darauf gelegt haben, dass dem Unternehmen Mittel zugeflossen seien und die Erklärungen der Wirklichkeit entsprochen hätten. Für die Berufung der Bekl auf Nichtursächlichkeit hätten Umstände für die Nichtursächlichkeit des geschilderten Vertrauens des Kl vorgetragen und festgestellt werden müssen. Dem Kl sei der gesamte Schaden zu ersetzen. Ob die AG auch bei ordnungsgemäßer Kapitalerhöhung in Konkurs gegangen wäre, sei irrelevant, weil der Kl ohne die unrichtigen Angaben jedenfalls keine Aktien erworben hätte. Der Schaden sei nicht durch den Schadensersatz an die Gesellschaft verdrängt (§§ 117 I 2, 317 I 2 AktG seien nicht maßgeblich). Zwar habe die K-AG gegen die Beklagte zu 1 nach §§ 188 II 1, 37 I 4 AktG, gegen beide Beklagte nach §§ 823 II BGB, 399 I Nr 4 AktG, gegen den Vorstandsvorsitzenden nach § 93 II AktG Schadensersatzansprüche. Dieser Schadensersatz gehe aber nur insoweit vor, als Aktionäre an der Gesellschaft bereits beteiligt seien, nicht dagegen insoweit, als der Schaden wie hier derjenige des Kl darin bestehe, dass sich ein Anleger nunmehr an der Gesellschaft beteiligt habe. Die Bekl seien allerdings nur als Gehilfen der Tat nach § 399 I Nr 4 AktG schadensersatzpflichtig. Täter könnten nur die in § 399 I Nr 4, §§ 184 I, 188 I, 107 AktG Genannten sein. Zwar hätten die Bekl objektiv Beihilfe nach § 27 StGB geleistet (Aushändigung der Erklärung, von der der Vorstandsvorsitzende Gebrauch gemacht hat). Die behauptete Abrede mit dem Vorstandsvorsitzenden ändere an der objektiven Beihilfehandlung nichts. Sie könne aber den subjektiven Tatbestand beeinflussen. Für den Vorsatz sei ein billigendes Inkaufnehmen unter Kenntnis der Möglichkeit der Tat erforderlich. Hier sei demgegenüber die Hoffnung vorgetragen, dass der Vorstandsvorsitzende ohne Einlösung des Schecks von den Erklärungen keinen Gebrauch machen werde. Das schließe ein billigendes Inkaufnehmen aus. Das Berufungsgericht habe das Bewusstsein der Möglichkeit des Gebrauchmachens mit der Billigung gleichgesetzt. Das sei rechtsfehlerhaft. Deshalb sei das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht habe dann auch Gelegenheit, Schadensersatzansprüche nach §§ 826, 830 II BGB zu prüfen. Das Vorgehen des Vorstandsvorsitzenden sei sittenwidrig gewesen.

IX. Die Vorgesellschaft bzw Vororganisation IX. Die Vorgesellschaft bzw Vororganisation

1. Werdende juristische Person und Vorgesellschaft Der Kampf um die Einordnung der Gründungsorganisation bis zur Entstehung 365 der juristischen Person spielte sich zu Zeiten ab, in denen es noch keine Ein-

214 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

manngründungen gab. Deshalb wird das Thema mit dem Schlagwort Vorgesellschaft behandelt. Sind mehrere Gründer beteiligt, schließen sie sich durch den notariellen Gesellschaftsvertrag zur Vorgesellschaft als Trägerin der Vororganisation der künftigen Kapitalgesellschaft zusammen517. Bei Einmanngründungen gibt es dagegen die Vorgesellschaft ebenso wenig, wie es einen notariellen Gründungsvertrag gibt. Was der Alleingründer notariell setzt, ist ein einseitiger Organisationsakt, und der Gründer konstituiert durch den Akt die Vor-Organisation zur juristischen Person mit ihm, dem Gründer, als alleinigem Träger. Es tritt also eine Persönlichkeitsspaltung ein: Vom Gründer als Person des sonstigen Lebens trennt sich der Gründer als Träger der Vororganisation517a. Das für die künftige juristische Person einzuräumende Vermögen wird Sondervermögen des Alleingründers (bei Geldzahlungen nach den oben518 angegebenen Vorschriften). Der übergreifende Begriff für die Vorgesellschaft und die Einmann-Gründung ist der traditionelle Begriff der werdenden juristischen Person.

2. Die gesetzliche Regelung der werdenden juristischen Person 366 Die werdende juristische Person, bei mehreren Gründern die Vorgesellschaft

kommt mit der Errichtung der Gesellschaft durch den notariellen Errichtungsakt zustande. Auf die Phase der Vorgesellschaft – wir bleiben jetzt bei diesem Anwendungsfall – bezieht sich die gesetzliche Regelung der Gründung einer Kapitalgesellschaft. Sie normiert aber vor allem die Erfordernisse dafür, dass aus der Vorgesellschaft durch die Eintragung in das Handelsregister die juristische Person AG oder GmbH wird. Zu den Rechtsverhältnissen der Vorgesellschaft selbst enthält das Gesetz nur wenige Aussagen. §§ 41 I 1 AktG, 11 I GmbHG stellen fest: Vor der Eintragung besteht die Kapitalgesellschaft „als solche“ nicht. Wenn vor der Eintragung im Namen der Gesellschaft gehandelt wird (wie § 54 S 2 BGB hervorhebt: rechtsgeschäftlich), haften nach §§ 41 I 2 AktG, 11 II GmbHG die Handelnden. Als Folge ergibt sich, dass die Verbindlichkeiten aus diesem Handeln nicht auf die juristische Person übergehen. Sie müssten durch Schuldübernahme übernommen werden. Dazu passend enthält § 41 II, III AktG eine Regelung zur Vereinfachung dieser Schuldübernahme einerseits, zu ihrer Be-

_____ 517 Nochmals sei darauf hingewiesen: Nicht hierher gehört der sog Vor-REIT (o Rn 22). 517a Sondervermögen des Gründers, Flume, DB 1980, 1781, LB I/2 § 5 III S 148. Von vorläufiger Rechtsfähigkeit der durch Vermögen und Organisation bereits manifestierten künftigen juristischen Person spricht Karsten Schmidt, ZHR 145 (1981), 540, ihm folgend Raiser/Veil § 35 Rn 91. 518 Rn 259 sowie 263 Fn 387.

IX. Die Vorgesellschaft bzw Vororganisation | 215

grenzung andererseits. Von einer Übertragung der Vermögensgegenstände, die für die errichtete Gesellschaft begründet oder ihr übertragen werden, spricht das Gesetz dagegen nicht. Insofern geht es vom Verbleiben der Vermögensgegenstände aus, indem die Rechtsträgerin bestehen bleibt und nur ihre Natur sich von einer errichteten zur vollendeten Gesellschaft als einer juristischen Person verändert. Nach dem Gesetz ist also die juristische Person mit der Vorgesellschaft identisch hinsichtlich der Vermögensgegenstände, nicht identisch hinsichtlich der Verbindlichkeiten. Diesen Rechtszustand, wie er sich aus der gesetzlichen Regelung ergibt, 367 nannte man den Zustand des Vorbelastungsverbots519. Die Annahme der Identität zwischen Vorgesellschaft und juristischer Per- 368 son betreffend das Vermögen hat Konsequenzen für die jetzt allgemein zulässige Einmann-Gründung520. Auch bei der Einmann-Gründung ist Identität zwischen dem Gründer als Träger seiner „Vorgesellschaft“, auf den Vermögen übertragen wird und für den der bereits bestellte Geschäftsführer handeln kann, und der vollendeten juristischen Person gegeben. Das Vermögen wird auf diese Weise Sondervermögen in der Hand des Einmann-Gründers. Bei Entstehung der juristischen Person wird aus dem Gründer in seiner Rolle als Träger jenes Sondervermögens die juristische Person521. Daraus, dass die Vorgesellschaft jedenfalls hinsichtlich der Vermögensge- 369 genstände mit der vollendeten juristischen Person identisch ist, sind Folgerungen für die Behandlung der Vorgesellschaft zu ziehen. Grundsätzlich sind schon auf die Vorgesellschaft die Regeln über die vollendete juristische Person anzuwenden 522 . Insbesondere ist die Vorgesellschaft wie die juristische Person rechts- und parteifähig523. Nur Regeln, die gerade von der Rechtsfähigkeit in

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519 In Wirklichkeit war hier nichts verboten, vielmehr waren die Verbindlichkeiten aus dem Vorstadium für die juristische Person nicht wirksam. 520 Zur Einführung der Zulässigkeit o Rn 76, zur Rechtsform soeben Rn 365. 521 Flume I/2 § 5 IV 2 S 174. Privatgläubiger des Einmann-Gründers können richtiger Ansicht nach nicht vor der Entstehung der juristischen Person in das Sondervermögen vollstrecken. Eine unterschiedliche Behandlung von Einmann- und Mehrpersonengründungen ist vom Gesetz nicht gewollt. Zur Konsequenz bei späterem Fehlschlagen der Einmanngründung Petersen, NZG 2004, 400. 522 Geschäftsführungsbeschlüsse, insbesondere der über die Bestellung der Geschäftsführer können nach dem Recht der vollendeten juristischen Person, dh durch Mehrheitsentscheidung, erfolgen, BGH NJW 1981, 2125. Die Vorgesellschaft ist grundbuchfähig, LG Hildesheim GmbHR 1997, 799 mN. Dasselbe gilt für die Einmanngründung (Übertragung auf die AG oder GmbH in Gründung). Auf die Auflösung und die Liquidation wendet der BGH das Recht der Kapitalgesellschaft an (im Fall: der AG), BGHZ 169, 270 (281). 523 Aufgrund der Rechtsfähigkeit der OHG und der Anerkennung der Rechtsfähigkeit auch der BGB-Gesellschaft bleibt die Vorgesellschaft auch dann parteifähig, wenn die Gesellschafter

216 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

Gestalt der juristischen Persönlichkeit abhängig sind, finden auf die Vorgesellschaft keine Anwendung524. Die Rechtsprechung spricht von einer Rechtsform sui generis525. Für das Innenverhältnis sind der Gesellschaftsvertrag und der Zweck, die Rechtsfähigkeit zu erlangen maßgeblich. Für die Beschlüsse der Gesellschafter der Vor-GmbH gilt, sofern sie auf laufende Angelegenheiten bezogen sind, § 47 GmbHG. Soweit in die Regelung des Gesellschaftsvertrags eingegriffen wird, gilt nicht § 53 GmbHG, vielmehr bedarf es der förmlichen Vertragsänderung. Eine solche Vertragsänderung ist insbesondere ein Gesellschafterwechsel im Stadium der Vorgesellschaft. Für die Vertretung der Vorgesellschaft ist bei der GmbH die Geschäftsführung, bei der AG vom Aufsichtsrat der Vorstand einzusetzen (§§ 6 III 2 GmbHG, 30 AktG, zur Zahl der Aufsichtsratsmitglieder und zur Mitbestimmung bei der Sachgründung § 31 AktG). Für die Geschäftsführer der GmbH nimmt der BGH aber nicht die unbeschränkte Vertretungsbefugnis nach § 37 II GmbHG an525a. die sei von der Vollendung der juristischen Person abhängig, im Vorstadium sei die Befugnis auf die für die Gründung erforderlichen Rechtsakte beschränkt, deren Reichweite freilich bei Sacheinlage eines Unternehmens sehr weit geht.

_____ die Eintragungsabsicht aufgeben und die Gesellschaft trotzdem (je nach Gesellschaftszweck als OHG oder BGB-Gesellschaft) fortführen. Befindet sich die Vorgesellschaft im Prozess und hat sie einen Prozessbevollmächtigten, bleibt sie nach § 86 ZPO auch prozessfähig, BGH NJW 2008, 2441. 524 Auf die Vorgesellschaft nicht anwendbar sind § 82 AktG und §§ 35, 37 GmbHG über die unbeschränkte Vertretungsmacht des Vorstands und der Geschäftsführer, s für die GmbH BGHZ 80, 129, 139 f. Deren Vertretungsmacht beschränkt sich im Gründungsstadium – vorbehaltlich weitergehender Ermächtigung durch die Gesellschafter – auf die Geschäfte im Rahmen des Gründungszwecks. Die Ermächtigung muss einstimmig erfolgen, ist aber nicht formgebunden. Geschäftsführer, die ohne eine solche Ermächtigung über den Gründungszweck hinausgehen, haften persönlich nach § 179 BGB, haben aber, wenn einzelne Gründer zustimmen, diesen gegenüber einen Regressanspruch aus §§ 675, 670, 421 BGB, falls die zustimmenden Gründer die Verantwortung ohne Rücksicht auf die Mitzustimmung der anderen übernommen haben. Auf eine Ermächtigung kommt es nur selten an in dem Fall, dass ein Unternehmen schon in die Vorgesellschaft eingebracht ist (ist es Gegenstand einer Sacheinlage, so ist die vorherige Einbringung nach § 7 III GmbHG zwingend). Zum Gründungsgeschäft, zu dem Vertretungsmacht besteht, gehört hier die gesamte Führung des Unternehmens. Ist das Unternehmen ein Handelsgeschäft, so ergibt sich eine unbeschränkte Vertretungsmacht aus § 54 S 1 BGB iVm § 126 HGB (dies sollte unabhängig davon gelten, ob ein Gründer oder ein Dritter Geschäftsführer ist, Beuthien, NJW 1997, 565). – § 64 GmbHG über die Insolvenzantragspflicht der Geschäftsführer beschränkt sich auf die entstandene GmbH. Nur bei dieser bedarf es wegen der Haftungsbeschränkung des Gläubigerschutzes nach der Vorschrift (Altmeppen, ZIP 1997, 273). 525 S nur BGHZ 21, 242, 246. 525a S o Fn 524.

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Das Aktienrecht macht zwar keine Einschränkung zur Vertretungsmacht des im Vorstadium zu bestellenden Vorstands, es muss aber dasselbe gelten. Abhängig von der Rechtsfähigkeit als juristische Person ist jedenfalls nach §§ 41 I AktG, 11 I GmbHG die Beschränkung der Haftung auf die Gesellschaft als solche, unter Ausschluss der persönlichen Haftung der Gesellschafter. Aber auch die Formierung der Mitgliedschaftsrechte als Aktie und Geschäftsanteil mit der Folge von deren Übertragbarkeit nach den darauf bezogenen Regeln sind von der Entstehung der juristischen Person abhängig. Bei der AG ordnet das Gesetz im Fall der Ausgabe von Anteilen vor der Entstehung der AG die Nichtigkeit an (§ 41 IV AktG). Bei der GmbH wird immerhin eine Vorausabtretung der Geschäftsanteile für möglich gehalten526. Ein Gesellschafterwechsel im Stadium der Vorgesellschaft hängt, wie gesagt, von der Änderung des notariellen Gründungsakts und damit von der Zustimmung aller Mitgründer ab. Gut gegenüberstellen kann man von der juristischen Persönlichkeit abhängige und unabhängige Regeln im Beispiel der Kündigung der Vorgesellschaft aus wichtigem Grund. Für die Möglichkeit der Kündigung wendet der BGH nicht das Recht der juristischen Person, sondern §§ 314, 723 BGB an. Die Abwicklung lässt er aber bei einer Vor-AG durch den Vorstand analog § 265 I AktG durchführen527. Der irreguläre Rechtszustand bei der Vorgesellschaft (Identität betreffend 370 das Vermögen, Nichtidentität betreffend die Verbindlichkeiten) sollte durch die Gründer nach Möglichkeit zügig überwunden werden. Deshalb unterlegte das RG der Handelndenhaftung eine Druckfunktion in der Richtung, dass die Eintragung so schnell wie möglich herbeigeführt werde528. Aus dem Verständnis iS der Druck- und Ausgleichsfunktion ergab sich nach der Auffassung des RG ein weiter Handelndenbegriff iSv §§ 11 II GmbHG, 41 I 2 AktG529. Alle Mitgründer, die der Geschäftsaufnahme zugestimmt hatten, sollten als Handelnde haften. Bei dieser Umsetzung der gesetzlichen Regelung ist die Rechtsentwicklung 371 nicht stehen geblieben. Zur Darstellung des derzeitigen Verständnisses ist der Gründungsgang von der Vorgründungsgesellschaft über die Vorgesellschaft bis zur vollendeten juristischen Person, wie folgt, zu zeigen.

_____ 526 S o Rn 282. 527 BGHZ 169, 270. Wichtiger Grund zur Kündigung sei das Unvermögen eines Gesellschafters, die Einlage zu erbringen. 528 Die Auffassung, dass die Haftung sogar Straffunktion für die im Vorstadium aufgenommene Geschäftstätigkeit hatte, wurde schon vom RG in RGZ 159, 33, 43 aufgegeben. 529 Zum früheren Verständnis der Handelndenhaftung s Hachenburg/Ulmer Kom GmbHG, 8. Aufl. 1992 ff, § 11 Rn 96 ff.

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3. Die Vorgründungsgesellschaft vor der Vorgesellschaft 372 Die Vorgesellschaft, dh die errichtete Gesellschaft, ist von der Vorgründungs-

gesellschaft abzugrenzen. Diese entsteht, wenn sich mehrere Personen zur Gründung einer Kapitalgesellschaft verabreden und diese Abrede einen hinreichend bestimmbaren Inhalt hat. Weil mit dieser Abrede die Verpflichtung zu dem notariellen Errichtungsakt übernommen wird, bedarf auch diese Abrede der notariellen Beurkundung. Die Vorgründungsgesellschaft ist eine gewöhnliche Personengesellschaft, OHG oder BGB-Gesellschaft, je nachdem, was sie betreibt. Sie ist voll wirksam bei hinreichender Inhaltsbestimmung und Erfüllung des auch dafür schon geltenden Formerfordernisses der notariellen Beurkundung. Fehlt die Beurkundung, ist die Gesellschaft eine fehlerhafte Gesellschaft. Für die Vorgründungsgesellschaft gilt nicht die in §§ 11 II GmbHG, 41 I 2 AktG geregelte Haftung der Handelnden530. Auch, wenn die Gesellschafter in der Namensgebung – beispielsweise 373 durch den Zusatz „iG“ – schon auf das Projekt der Kapitalgesellschaft hinweisen, führt das nicht dazu, dass nicht das Recht der BGB-Gesellschaft oder OHG gilt. Insbesondere ist zu § 105 I HGB zu beachten531, dass die richtige Firma nicht etwa Voraussetzung für die OHG, sondern die Pflicht zu der richtigen Firmenführung Rechtsfolge aus der gemäß ihren Wesensgrundlagen entstandenen OHG ist. Ebenso wissen wir, dass die unbeschränkte Haftung nicht Voraussetzung der OHG ist, vielmehr umgekehrt eine wirksame Haftungsbeschränkung, etwa nach den Grundsätzen über die KG (§§ 161 ff HGB), Voraussetzung dafür ist, dass nicht eine OHG mit allseits unbeschränkter Haftung existiert. Die OHG ist wie die BGB-Gesellschaft Auffang-Rechtsform. Insbesondere ist sie Auffang-Rechtsform für die Vorgründungsgesellschaft532. Die Vorgründungsgesellschaft einerseits und die Vor-GmbH oder Vor-AG 374 andererseits sind nicht identisch, auch nicht hinsichtlich der Vermögensgegenstände. Dies folgt ganz formal aus der selbstständigen Rechtssubjektivität der vollendeten juristischen Person und der Identität der Vorgesellschaft mit dieser, die deshalb begründet ist, weil mit dem Gründungsakt, der die Vorgesellschaft entstehen lässt, die juristische Person „errichtet“ ist.

_____ 530 Haftung nach §179 I BGB möglich, wenn der Handelnde im Namen einer nicht vorhandenen Gesellschaft gehandelt hat, BAG NZG 2006, 751. 531 Grundlegend K. Schmidt Zur Stellung der oHG im System der Handelsgesellschaften 1972. 532 Gegen Haftungsbeschränkungsvorschläge für die BGB-Gesellschaft (etwa nach BGH NJW 1992, 3037) Flume I/1 § 16 IV S 314 ff; s auch Plambeck Die Vereinbarung der Haftungsbeschränkung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts 1993. Grundlagen für eine ausnahmsweise Haftungsbeschränkung nennen Wilhelm, DB 1996, 461, 463 und K. Schmidt, NJW 1997, 2201.

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Soll Vermögen der Vorgründungsgesellschaft auf die Vorgesellschaft übergehen, so ist dazu die Übertragung der Vermögensgegenstände erforderlich533. Ungeachtet dessen ist die Entwicklung von der Vorgründungsgesellschaft zur errichteten Gesellschaft kontinuierlich, und diese Kontinuität ist rechtlich nach Möglichkeit zu wahren. Wenn zB § 23 II Nr 3 AktG von dem eingezahlten Betrag spricht und § 54 III 1 AktG von der Einzahlung auf ein Konto der Gesellschaft oder des Vorstands spricht, so bedarf es, wenn der Betrag an die Vorgründungsgesellschaft gezahlt ist, zwar der Abtretung des Bankguthabens an die Vorgesellschaft (= errichtete AG oder GmbH). Diese Abtretung ist aber ohne Weiteres als mit dem notariellen Vertrag iS von § 23 AktG vorgenommen anzunehmen. Das Konto wird einfach weitergeführt. Hat die Vorgründungsgesellschaft Aktien erworben und ein Stimmrechts- 375 vertreter in der HV diese Aktien vertreten und gegen einen Beschluss der HV Widerspruch erhoben, so ist ohne weiteres iS von § 245 AktG derjenige klageberechtigt, der hic et nunc Inhaber der Aktien ist: die Vorgründungsgesellschaft, die Vorgesellschaft oder die vollendete juristische Person. Die etwa im Depot verwahrten Aktien werden mit Selbstverständlichkeit nach §§ 930, 931 BGB auf die Vorgesellschaft übertragen. Die Frage der Klagebefugnis ist allerdings in der Literatur umstritten534. Sollen Schulden der Vorgründungsgesellschaft die Vorgesellschaft treffen, 376 müssen sie nach §§ 414 ff BGB übernommen werden535. Die Erleichterungen der Schuldübernahme, die § 41 II AktG für das Verhältnis zwischen Vorgesellschaft und vollendeter juristischer Person bestimmt, greifen für die Vorgründungsgesellschaft nicht ein. Ebenso gibt es bei der Vorgründungsgesellschaft nicht die Handelndenhaftung. Auch wenn unbestimmt im Namen der GmbH oder AG gehandelt wird, handelt es sich – vorbehaltlich des Sonderfalls eines auf den Zeitpunkt der Eintragung der juristischen Person aufschiebend bedingten Handelns – um das Handeln für den wahren Unternehmensträger, also die Vorgründungsgesellschaft536.

_____ 533 Scholz/K. Schmidt GmbHG, 10. Aufl, § 11 Rn 20. 534 Zur Klagebefugnis bei Wechsel der Aktionärsstellung s u Rn 882. 535 Die Übernahme wird bei unverändertem Geschäftsgang konkludent erklärt, s OLG Hamm GmbHR 1997, 602 f. 536 BGHZ 91, 148.

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4. Die Rechtsentwicklung hin zur Identität zwischen Vorgesellschaft und Kapitalgesellschaft auch hinsichtlich der Verbindlichkeiten a. Stufe 1: Einschränkung des Vorbelastungsverbots 377 Der vom Gesetz vorgesehene Rechtszustand des Vorbelastungsverbots537 hat

sich als nicht durchführbar erwiesen. Zunächst musste das Vorbelastungsverbot eingeschränkt werden. Im Anschluss an die Regeln der §§ 26 II, 36 II AktG war anzuerkennen, dass für die wirtschaftlich und satzungsmäßig notwendigen Geschäfte nicht das Vorbelastungsverbot gelten konnte, sondern insoweit auch hinsichtlich der Verbindlichkeiten der Identitätsgrundsatz gelten musste. Dies war zwingend für den praktisch häufigen Fall, dass ein existentes Unternehmen in der Kapitalgesellschaft betrieben und vom bisherigen Inhaber als Sacheinlage eingebracht werden soll. Bei der AG nach § 36a II 1 AktG, bei der GmbH nach § 7 III GmbHG ist eine Sacheinlage zwingend im Stadium der Vorgesellschaft einzubringen. Das für die AG oder GmbH geführte Unternehmen kann aber keinesfalls mit den Aktiva der vollendeten Kapitalgesellschaft gehören, andererseits aber aufgrund des Vorbelastungsverbots von den Unternehmensverbindlichkeiten frei sein. Für die Interpretation des § 41 III AktG bedeutete dies: § 41 III AktG sagt nur, 378 dass die Gesellschaft Verpflichtungen aus nicht in der Satzung festgelegten Sacheinlagen nicht übernehmen kann. Er enthält aber nicht die Aussage, dass, auch wenn Sacheinlagen in der Satzung festgelegt sind, die Verpflichtungen aus ihnen doch erst noch übernommen werden müssen, wenn dies auch im Unterschied zu nicht in der Satzung festgelegten Sacheinlagen möglich sein soll. Eine zweite Lücke des Gesetzes war das Fehlen einer Antwort auf die Frage 379 nach der Haftung der Vorgesellschaft selbst und ihrer Gesellschafter. Für die Vorgesellschaft wird im Vorstadium gehandelt. Die Vorgesellschaft muss wie jede Gesellschaft aus diesem Handeln haften, und an diese Haftung muss die Haftung der Gesellschafter der Vorgesellschaft anknüpfen im Gegensatz zu einer bloßen gesetzlichen Handelndenhaftung mit Druck- und Ausgleichsfunktion. Zunächst stellte der BGH für die rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten 380 im Namen der Vorgesellschaft die Haftung der Vorgesellschaft fest und entwickelte ein Modell für die Haftung der Gesellschafter. Er nahm die beschränkte Haftung der Gründer nach Art von Kommanditisten (nach deren Eintragung) an538. Der BGH stellte die Haftungsbeschränkung allerdings unter folgen-

_____ 537 O Rn 367. 538 BGHZ 65, 378. Gründe für die Haftungsbeschränkung waren die in Aussicht stehende Haftungsbeschränkung bei der vollendeten juristischen Person und der daraus folgende allgemein erkennbare und anzuerkennende Wille der Gesellschafter zu nur beschränkter Haftung, schließ-

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den Vorbehalt: Werde die Gründung der GmbH nicht ernsthaft betrieben, so entfalle die Haftungsbeschränkung und komme die normale Haftung der Gesellschafter einer Personengesellschaft zur Anwendung, und zwar sowohl für Alt- wie für Neuschulden539. Was sodann die gesetzlichen Verbindlichkeiten betraf, vertrat hierzu das 381 BSG die unmittelbare und gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter der Vorgesellschaft540. Das Vorbelastungsverbot blieb, soweit es galt (also vorbehaltlich der wirt- 382 schaftlich oder satzungsmäßig notwendigen Geschäfte), neben der Haftung der Vorgesellschaft und der beschränkten Haftung der Gesellschafter und der Handelndenhaftung bestehen. Folglich waren nach der Entstehung der juristischen Person noch Gläubiger der Vorgesellschaft zu berücksichtigen, denen die juristische Person infolge des Vorbelastungsverbots nicht haftete. Daraus resultierte die Möglichkeit einer merkwürdigen doppelten Haftung der Gründer für rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten: zum einen im Verhältnis zu den Gläubigern der Vorgesellschaft nach Art von Kommanditisten in Höhe der noch nicht geleisteten Einlage, zum anderen auf denselben Einlagebetrag gegenüber der juristischen Person im Rahmen der Kapitalaufbringung. Diese neue Sicht hatte Folgen für das Verständnis der Handelndenhaftung 383 iSv §§ 11 II GmbHG, 41 I 2 AktG. Sie war nun neben der beschränkten Haftung der Gesellschafter der Vorgesellschaft begründet. Damit konnten die Gesellschafter nicht mehr in den Handelndenbegriff einbezogen werden. Zwar hatte die Handelndenhaftung immer noch Ausgleichsfunktion, sie diente nämlich dem Ausgleich dafür, dass die Gesellschafter beschränkt hafteten, ohne dass schon die Sicherungen der juristischen Person eingriffen. Aber der Ausgleich konnte nicht mehr die Gesellschafter selbst treffen, für die ja die beschränkte Haftung angenommen wurde. Es kam nur noch die Haftung derjenigen Personen in Betracht, die konkret im Namen der juristischen Person gehandelt hatten. So ergab sich ein enger Handelndenbegriff541.

_____ lich die Anerkennung der beschränkten Haftung auch beim nicht rechtsfähigen Verein; für die der Kommanditistenhaftung entsprechende Art der Haftung führte der BGH die Unterscheidung der Vielzahl von Mitgliedern mit kleinen Beiträgen beim Verein einerseits und der nach Art von Kommanditisten Einlagen leistenden Gründer der Kapitalgesellschaft andererseits an. 539 Zu Letzterem BayObLG DB 1986, 106. 540 Die vom BGH für die beschränkte Haftung angeführten Gründe griffen nach Ansicht des BSG nur bei rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten ein. Darstellung der früheren Rechtsprechung in BSG NJW-RR 2000, 1125, 1126. 541 BGHZ 65, 378, 380. Die Handelnden könnten Rückgriff nehmen gegen die, die ihrer Geschäftstätigkeit zugestimmt haben, oder nach deren Voraussetzungen aus Geschäftsführung ohne Auftrag.

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b. Stufe 2: Aufgabe des Vorbelastungsverbots, Differenz- (Vorbelastungs-, Unterbilanz-) haftung Mit Urteil vom 9.3.1981542 hat der BGH diese unübersichtliche Rechtslage betref384 fend die GmbH beseitigt. Dasselbe muss aber für die AG gelten. Der BGH hat nämlich den Kernsatz jener Rechtslage, das Vorbelastungsverbot, aufgegeben und durch eine andere Sicherung des Vermögens der Kapitalgesellschaft ersetzt. Vorgesellschaft und juristische Person sind jetzt uneingeschränkt identisch. Die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft werden Schulden der juristischen Person. An die Stelle des Vorbelastungsverbots tritt eine vom BGH zunächst Differenzhaftung, später Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung genannte Haftung der Gesellschafter 543. Statt dass das Kapital durch konkrete Einlagen gedeckt wird, denen keine Vorbelastungen entgegenstehen dürfen, haften die Gesellschafter, nach dem Vorbild der Differenzhaftung bei überbewerteten Sacheinlagen (§ 9 GmbHG), auf die wertmäßige Deckung des Stammkapitals im Zeitpunkt der Eintragung. Soweit also das Stammkapital im Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft nicht gedeckt ist (dh soweit der Wert der Vermögensgegenstände nicht den Betrag von Verbindlichkeiten und Rückstellungen um den Betrag des Stammkapitals überschreitet 544), müssen die Gesellschafter anteilig Nachschüsse leisten. Hinzu tritt bei der GmbH die ergänzende Ausfallhaftung der Mitgesellschafter nach § 24 GmbHG 545. Aufgrund dieser Sicherung der Kapitalgesellschaft durch die Differenzhaf385 tung (Vorbelastungs-, Unterbilanzhaftung) erklärt der BGH die Gesellschafter-

_____ 542 BGHZ 80, 129. Der BGH hat sich Ulmer, FS Ballerstedt 1975, 279, 290 ff, 293, 294 ff angeschlossen. Die Differenzhaftung hat Flume angestoßen (seit FS Gessler 1971, 3, 33 bis zu dem Aufsatz DB 1980, 1781). Den Anstoß in FS Gessler übergeht Ulmer bei seiner grundlegenden Verankerung der Differenzhaftung in FS Ballerstedt aaO. 543 Zur Umbenennung u Rn 393. Nach ihrer Begründung ist die Differenzhaftung auf die GmbH wie die AG gleichermaßen anzuwenden. § 41 II AktG hindert das nicht. Die Lösung der Differenzhaftung tauscht einen Rechtszustand aus, der im Gesetz vorausgesetzt, aber nicht angeordnet ist. Insbes § 41 II AktG setzt einen bestimmten Rechtszustand voraus, ordnet ihn aber nicht an. Schon seit eh und je war § 41 III AktG mit der Aussage, dass auch satzungsmäßige Lasten übernommen werden müssten, obsolet. Insoweit war der Ausgangspunkt des Gesetzes durch die Annahme der Identität zwischen Vorgesellschaft und vollendeter juristischer Person ersetzt. Setzt man nun insgesamt den anderen Rechtszustand der Differenzhaftung voraus, so ist § 41 II AktG über die satzungsmäßigen Lasten hinaus gegenstandslos. Nur so kommt es ja auch zur Beendigung der Handelndenhaftung nach der Auffassung des BGH, während das Gesetz von dem Fortbestand – vorbehaltlich einer Schuldübernahme – ausgeht. § 41 II AktG kommt nur noch bei einer Haftung der Handelnden, die ohne Vertretungsmacht der Gründer handeln, in Betracht. 544 Zur Vermögensrechnung genauer Raiser/Veil § 35 Rn 122 und unten Rn 449 ff. 545 BGHZ 80, 129, 140 ff.

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haftung und die neben ihr bestehende Handelndenhaftung aus dem Vorstadium mit der Vollendung der GmbH und dem Übergang der Verbindlichkeiten auf sie für erloschen546. Die Handelndenhaftung bleibt nur noch in den Fällen aufrechterhalten, in denen die Handelnden ohne Einverständnis aller Gründer und damit nicht wirksam für die Vorgesellschaft gehandelt haben (sog Sicherungsfunktion der Handelndenhaftung547).

c. Stufe 3: Änderung der Haftung bei der Vorgesellschaft Die Sicherung der vollendeten juristischen Person durch die Differenzhaftung 386 anstelle des Vorbelastungsverbots musste Konsequenzen für die Haftung bei der Vorgesellschaft haben. Auf diese Haftung kommt es an, wenn die Vorgesellschaft wegen Insolvenz oder, weil die Gesellschafter keine Erfolgsaussichten sehen, nicht zur juristischen Person fortentwickelt wird. Die Notwendigkeit von Konsequenzen wird offenbar, wenn man die Differenzhaftung in ihrer Reichweite genau begreift. Die Differenzhaftung bedeutet im Ergebnis eine unbeschränkte Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft. Die Gesellschafter müssen ja aufgrund dieser Haftung ein Gesellschaftsvermögen von einem solchen Wert herstellen, dass alle Verbindlichkeiten sowie die sonstigen Belastungspositionen der Passivseite gedeckt sind. Nach der Aufgabe des Vorbelastungsverbots schließt die Deckung der Verbindlichkeiten die der Verbindlichkeiten aus dem Vorstadium ein. Die Haftung der Gesellschafter geht sogar noch darüber hinaus: Es muss ein zusätzlicher Wert in Höhe des Stammkapitals aufgebracht werden. Damit war die bisherige Haftungsgestaltung bei der Vorgesellschaft nicht 387 mehr aufrecht zu erhalten: Nach dieser hafteten die Gesellschafter beschränkt, die Handelnden unbeschränkt. Mit Entstehung der juristischen Person trat jetzt aufgrund der Differenzhaftung eine unbeschränkte Haftung der Gesellschafter ein und fiel die Handelndenhaftung weg. Das war nicht haltbar. Man brauchte sich nur die Kämpfe vorzustellen, die zwischen der Geschäftsführung und den Gesellschaftern ausbrechen konnten: Die Geschäftsführung will die Gesellschaft anmelden, damit ihre Handelndenhaftung endet, die Gesellschaf-

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546 BGHZ 80, 129, 144. 547 S BGH DStR 2004, 1396 für die AG (§ 41 I 2 AktG). Nach dem Schutzzweck (kein Einblick des Gläubigers in die gesellschaftsinternen Verhältnisse) soll die Haftung aber nicht zugunsten des ersten Vorstands gegen den Aufsichtsrat, der ihn bestellt hat, eingreifen. Im Fall bestanden aber auch gegen das Vorliegen einer Ermächtigung durch alle Gesellschafter keine Bedenken. Auch keine Unwirksamkeit des Dienstvertrags gegenüber der Gesellschaft nach § 26 III AktG mangels Aufnahme der Vergütung als Gründungsaufwand in die Satzung. Zur Handelndenhaftung bei der AG auch OLG Bremen AG 2005, 167 ff.

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ter wollen dies verhindern, weil mit der Eintragung aus ihrer beschränkten eine im Ergebnis unbeschränkte Haftung wird. Allein konsequent erschien demgegenüber, dass die Gesellschafter schon im Vorstadium unbeschränkt haften. Den notwendigen Schritt zur unbeschränkten Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft hat der II. Senat in seinem Vorlagebeschluss an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes548 und seinem abschließenden Urteil vom 27.1.1997549 vollzogen550. Der BGH hat sich zu dem Prinzip bekannt, dass die Gesellschafter einer noch nicht zur Kapitalgesellschaft gewordenen Gesellschaft für die Gesellschaftsverbindlichkeiten unbeschränkt haften, sofern und solange sie nicht mit dem einzelnen Gläubiger etwas anderes vereinbaren. Der BGH hat daraus aber nicht eine unbeschränkte gesamtschuldnerische Außenhaftung der Gesellschafter der Vor-GmbH gefolgert, sondern sein Modell der Differenzhaftung auf die Vorgesellschaft übertragen. Dabei war allerdings die Haftung auch noch auf Deckung des Stammkapitals wegzulassen. Denn dieses ist erst der juristischen Person „garantiert“. Nach der neuen Konzeption des BGH sollen die Gesellschafter iR einer Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft anteilig auf Deckung aller Verluste der Gesellschaft haften, soweit aufgrund der Verluste die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht gedeckt sind551. Voraussetzung ist neben der wirksamen Begründung der Verbindlichkeit für die Gesellschaft, dass der in Anspruch genommene Gesellschafter der Geschäftsaufnahme für die Gesellschaft zugestimmt hat. Fällig wird der Verlustdeckungsanspruch der Vorgesellschaft mit dem Scheitern der Eintragung, dh mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder mit Aufgabe der Eintragungsabsicht durch die Gesellschafter und Beginn der Liquidation der Gesellschaft. Geltend zu machen ist der Verlustdeckungsanspruch durch Gläubiger der Vorgesellschaft aufgrund eines Titels gegen die Gesellschaft und Pfändung des Innenhaftungsanspruchs. In der Insolvenz kann ihn allein der Insolvenzverwalter geltend machen (analog §§ 92 f InsO).

_____ 548 ZIP 1996, 590. Der Vorlagebeschluss ist iR einer Revision gegen das Urteil OLG Dresden ZIP 1996, 178 ergangen. Mit seiner Vorlage ist der für Gesellschaftsrecht zuständige Senat in die Vorlage eingetreten, die das BAG (ZIP 1995, 1892) wegen Abweichung von der Rechtsprechung des BSG (ZIP 1986, 645) an den gemeinsamen Senat gerichtet hatte. 549 BGHZ 134, 333. 550 Der BGH ist damit im Ansatz Flume gefolgt, DB 1980, 1781; I/2 § 5 III S 148 ff. 551 Anwendungsfall zur Haftung in den verschiedenen Gründungsstadien: Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005: Fall 1.

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Die Begründung des BGH für die Innenhaftung lautet: Dem Gesellschafter 392 seien die Inanspruchnahme im Rahmen einer unbegrenzten gesamtschuldnerischen Haftung anstelle einer durch die Anfangsverluste begrenzten anteiligen Verlustdeckungshaftung und auch schon die Rechtsverteidigung gegen eine Klage, die von einem Gesellschaftsgläubiger gegen ihn erhoben werde, nachdem die Gesellschaft selbst die Zahlung abgelehnt habe, nicht zuzumuten552. Man wird einen weiteren Grund vermuten dürfen: Nur wenn die Gesellschafterhaftung als für die Gläubiger mühselig, nämlich durch Klage und Vollstreckung gegen die Vorgesellschaft in die Wege zu leitende, Innenhaftung ausgestaltet wurde, blieb noch ein Sinn für die im Gesetz stehende unmittelbare Außenhaftung der Handelnden (bis zur Eintragung) übrig. Die neue Haftung, also die Haftung gegenüber der Vorgesellschaft, 393 nennt der BGH Verlustdeckungshaftung. Die bisher sog Differenzhaftung gegenüber der vollendeten juristischen Person tauft der BGH um: Zur Unterscheidung von der Differenzhaftung im Anschluss an § 9 GmbHG nennt der BGH die Haftung gegenüber der vollendeten GmbH nunmehr „Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung“553. Für bestimmte Fälle gewährt der BGH554 anstelle der Verlustdeckungs- als 394 Innenhaftung gegenüber der Vorgesellschaft die unmittelbare Außenhaftung: (a) Fehlen der Eintragungsabsicht unter Fortbetreiben der Gesellschaft (unechte Vorgesellschaft oder unechte Einmanngründung). Erst spricht der BGH nur von dem Fall, dass die Gesellschafter (der Einmanngründer) von Anfang an nicht die Absicht hatten, die Gesellschaft in das Handelsregister eintragen zu lassen. Später hat der BGH den Fall ergänzt, dass die Gesellschafter später die Eintragungsabsicht aufgeben, ohne dann die Geschäftstätigkeit sofort zu beenden und die Gesellschaft abzuwickeln555.

_____ 552 BGH NJW 1997, 1507, 1509. 553 BGH NJW 1997, 1507, 1509. Unterbilanz liegt vor, wenn der Wert der Aktiva nicht die Verbindlichkeiten zzgl des Betrags des Garantiekapitals deckt. Dafür sind die Vermögensgegenstände im Fall der Prognose, dass das Unternehmen fortbestehen wird, zu Fortführungs-, nicht zu Liquidationswerten zu bewerten. Hat die Tätigkeit der Vorgesellschaft schon zum Aufbau einer als Unternehmen anzusehenden Organisationseinheit geführt, ist das Unternehmen im Ganzen zu bewerten (BGHZ 140, 35; DStR 2002, 1538). 554 S NJW 1997, 1507, 1509 unter III 2 b, 3, sodann die Darstellung von Goette, DStR 1996, 518 sowie die Interpretation durch BAG GmbHR 1997, 694, das in seinem Fall die Sache zur Prüfung der Außenhaftung wegen Vermögenslosigkeit der Gesellschaft zurückverweist. 555 BGHZ 152, 290. In diesem Fall trete die Außenhaftung auch gegenüber den Gläubigern aus der Zeit des Bestehens der Eintragungsabsicht ein. Zur Verwandlung der Vorgesellschaft in eine normale Personengesellschaft (zur Einmanngründung s (d)) bei Fortsetzung der Gesellschaft trotz Aufgabe der Eintragungsabsicht auch BGH NJW 2008, 2441.

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(b) Vermögenslosigkeit der Gesellschaft556, (c) Klagender Gläubiger einziger Gläubiger, (d) Einmann-Vor-GmbH. 395

Im ersten Fall kommt den Gesellschaftern kein Privileg bzgl der Haftung zu. Im zweiten ist der Gang der Gläubiger über die Klage gegen die Gesellschaft sinnlos. Im dritten Fall ist keine Gläubigerkonkurrenz hinsichtlich eines vorhandenen Gesellschaftsvermögens zu beachten. Im vierten hat der Gesellschafter ohnehin für alle Verbindlichkeiten aufzukommen. Nach der Rechtfertigung der Verlustdeckungshaftung durch den BGH kann es sich im zweiten und dritten Fall nur um eine anteilige, nicht um eine gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter handeln557.

d. Kritische Würdigung 396 Trotz der Konsequenz in der Rechtsfortentwicklung durch den BGH ist der jetzt erreichte Zustand nicht befriedigend558. Mit seiner Figur der Differenz- oder jetzt Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung gegenüber der entstandenen juristischen Person hat der BGH zwar Beifall in der Literatur erhalten559. Die Annahme dieser Haftung hat allerdings in der Begründung eine offene Flanke. Nach dem Gesetz haben die Gründer lediglich ihre Einlagen aufzubringen. Auch was die Sacheinlagen betrifft, stehen die Gesellschafter nach dem Gesetz für die Werthaltigkeit nur zur Zeit der Anmeldung ein (s § 9 I GmbHG und zur Gründungsprüfung oder der Anmeldungsvoraussetzung bei Verzicht darauf im Aktienrecht die §§ 34 I Ziff. 2, 37 IV Ziff. 4, 37a I 3 AktG). Die im Vorstadium zu leistenden Steuern und Gebühren und ein satzungsmäßiger Gründungsaufwand gehen Rechtens vom Betrag der Einlagen ab, die in Höhe des Garantiekapitals

_____ 556 Der BGH ergänzt unklar (sub III 2 b): „hat (die Gesellschaft) insbes keinen Geschäftsführer mehr“. Es geht darum, dass die primäre Inanspruchnahme der Vorgesellschaft den Gläubigern nicht zumutbar ist. Das soll offenbar bei Mangel des Vermögens oder der Außenorganisation zutreffen. Bei der Frage nach der Vermögenslosigkeit ist der Innenhaftungsanspruch der Gesellschaft gegen die Gesellschafter auszuklammern. 557 S Altmeppen, NJW 1997, 3273, 3274 unter IV 2. Für anteilige Außenhaftung bei Vermögenslosigkeit BSG NJW-RR 2000, 1125. 558 Möglicherweise wird die Anwendung des europäischen Gesellschaftsrechts noch Korrekturen erzwingen, s zur Außenhaftung der Handelnden (dh Gesellschafter) nach der SE-VO und dem Vorschlag zu einer SPE oben Rn 180, 195; sodann Kersting Die Vorgesellschaft im europäischen Gesellschaftsrecht 2000 (Bespr von Hammen, WM 2001, 2183). 559 S etwa K. Schmidt, NJW 1981, 1345. Kritisch zur Differenzhaftung Heerma Mantelverwendung und Kapitalaufbringungspflichten 1997 S 120 ff.

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zu erbringen sind. Das gesetzliche Recht der Kapitalaufbringung erlegt den Gesellschaftern also keineswegs die Deckung des Garantiekapitals im Zeitpunkt der Eintragung auf 560. Man kann auch nicht sagen, die Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung 397 (früher Differenzhaftung) trete nur an die Stelle des gesetzlichen Schutzes der Gesellschaft durch das Vorbelastungsverbot. Das Vorbelastungsverbot galt ja nicht für satzungsmäßig notwendige Geschäfte, also für alle diejenigen Schulden nicht, die bei ordnungsgemäßer Einbringung eines Unternehmens als Sacheinlage anfielen561. Tritt jetzt um einer Patentlösung willen für jede unternehmerische Tätigkeit der Vorgesellschaft die Differenz- oder Unterbilanzhaftung an die Stelle des Vorbelastungsverbots, so wird eine Haftung hinsichtlich der satzungsmäßigen Tätigkeit der Vorgesellschaft neu begründet. Kritisch ist auch die neue Auffassung des BGH von der unbeschränkten Haf- 398 tung der Gesellschafter der Vorgesellschaft, wenn es bei dieser bleibt, in Gestalt einer Verlustdeckungs-Innenhaftung zu sehen562. Das Haftungsmodell kann zunächst gar nicht funktionieren563. Verlustdeckungshaftung heißt Ausgleich aller Verluste am Gesellschaftsvermögen, die zur Unterdeckung der Verbindlichkeiten geführt haben, es heißt also Herstellung eines Vermögens, das zur Tilgung aller Schulden der Gesellschaft ausreicht. Die Gesellschafter müssen also letztlich doch für alle Schulden aus dem Vorstadium aufkommen. Sie haften darauf nach dem Konzept des BGH der Gesellschaft pro rata, wobei die An-

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560 Kritisch gegen die Bezugnahme der Vorbelastungshaftung nach der hM auf den Zeitpunkt der Eintragung zu Recht K. Schmidt § 34 III 4 c S 1029. K. Schmidt (S 1030 f) will die Lösung auf operative Verluste beschränken, das heiße auf die Nichterfüllbarkeit der Verbindlichkeiten des Vorstadiums aus freiem Vermögen, während, wie § 9 GmbHG zeige, eine bloße Entwertung eingebrachter Gegenstände in der Zeit zwischen Einbringung und Eintragung die Haftung nicht auslöse. Aber erstens ist nach § 9 GmbHG der Zeitpunkt der Anmeldung und nicht der der Einbringung maßgeblich, zweitens geht es nicht um eine Erfüllung von Verbindlichkeiten aus freiem Vermögen, sondern um die Frage, inwieweit bei Erfüllung der Verbindlichkeiten aus dem Vorstadium noch Aktivawerte in Höhe der neuen Verbindlichkeiten zuzüglich des Garantiekapitals vorhanden sind und wirkt sich drittens ersichtlich jene Entwertung auf die Deckung von Verbindlichkeiten und Garantiekapital aus. Viertens sind operative Verluste nicht nur Verluste aufgrund von Verbindlichkeiten (s § 275 II Nr 14, 275 III Nr 13 HGB). 561 S nur Ulmer Kom GmbHG 2005, § 11/Ulmer Rn 86 ff. 562 Mit Recht kritisch auch Raiser/Veil § 35 Rn 125 ff. Zutreffend Beuthien, WM 2002, 2261, der BGH habe sein Haftungsmodell nur zufällig, weil er eine Vor-GmbH zu behandeln gehabt habe, analog zur Kapitalaufbringung bei der Kapitalgesellschaft entwickelt. Bei einer Vorgenossenschaft wäre er nicht auf die Idee gekommen. Die Grundsätze der persönlichen Verantwortlichkeit bis zur Entstehung der juristischen Person seien aber allgemeiner Natur. Zur Alternative zwischen Innen- und Außenhaftung Zöllner, FS Wiedemann 2002, 1383. 563 Altmeppen hat (zusammenfassend NJW 1997, 3272) das Innenhaftungskonzept geradezu ad absurdum geführt. Kritisch auch Zöllner, FS Wiedemann (Vorn).

228 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

teile nach dem Gesamtbetrag der nicht gedeckten Verbindlichkeiten berechnet werden. In diesen Anspruch der Gesellschaft gegen den einzelnen Gesellschafter auf Zahlung einer Quote der Unterdeckung der gesamten Verbindlichkeiten können die Gläubiger vollstrecken564. Jeder vollstreckende Gläubiger kann sich aus dem hinsichtlich des gesamten Unterdeckungsbetrags bestehenden Quotenanspruchs der Gesellschaft gegen den Gesellschafter wegen seines Anspruchs befriedigen. Damit haftet der Gesellschafter ihm zwar mittelbar, aber nicht quotal, was den einzelnen Gläubigeranspruch betrifft, sondern je nach Gesamtunterdeckung aller Verbindlichkeiten und seiner Quote daran mehr oder weniger unbeschränkt565. Sodann ist das Konzept des BGH ohne gesetzliche und rechtliche Grundla399 566 ge . Schon das Nebeneinander von Grundsatz und Ausnahmefällen zeigt das. Sodann kann für die grundsätzliche Innenhaftung die Vorbelastungs-(Unterbilanz)-Haftung gegenüber der entstandenen juristischen Person als Grundlage nicht dienen. Diese bedarf selbst der Begründung und ist deshalb nicht Ausgangspunkt für eine Ausdehnung auf die Rechtsverhältnisse der Vorgesell-

_____ 564 Im Insolvenzverfahren macht ihn der Verwalter geltend. 565 Ganz undurchdacht ist auch das Argument des BGH, dass bei Außenhaftung möglicherweise der Gesellschafter sich allein gegen eine Klage eines Gesellschaftsgläubigers verteidigen müsse. Richtet ein Gläubiger tatsächlich, was schon ganz unwahrscheinlich ist, die Klage gegen den Gesellschafter allein, so kann der Gesellschafter der Gesellschaft mit Rücksicht auf seinen Regressanspruch den Streit verkünden (§§ 68 ff, 74 ZPO). S Altmeppen, NJW 1997, 3272 unter III 1. 566 S Wilhelm, GS Knobbe-Keuk 1997, 321, 331 ff, 354 ff; s auch Wilhelm, DB 1996, 921, 922. Im rechtlichen Endergebnis laufen zwar, wie gesehen, Außen- und Innenhaftung auf das Gleiche hinaus: Die Gesellschafter müssen für die gesamten Verbindlichkeiten aufkommen. Dafür ist aber die Außenhaftung der rechtlich begründete Weg. Und er ist auch sachlich richtig: Es ist Sache der unternehmerisch tätigen Gesellschafter, für den Schuldendienst aus dem Gesellschaftsvermögen zu sorgen, nicht dagegen Sache des Gläubigers, Verlustausgleichsansprüche der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter ausfindig zu machen (wozu er die Vermögenslage der Gesellschaft, sodann die im maßgeblichen Zeitpunkt der Gesellschaft angehörigen Gesellschafter, das Verlustanteilsverhältnis unter den Gesellschaftern und schließlich zusätzlich, weil der Ausfall eines Gesellschafters den Verlustanteil der anderen erhöht, die Solvenz der Gesellschafter ausfindig machen muss), sodann in die Verlustausgleichsansprüche zu vollstrecken und dann erst gegen den Gesellschafter vorzugehen. Der BGH erreicht auf seinem Weg einen tatsächlichen Unterschied: Dass nämlich Gläubiger auf dem ihnen vom BGH gewiesenen Weg vorzeitig aufgeben (insbes, wenn die verschiedenen Wege prozessual durchgesetzt werden müssen) und es so zu einer Risikominderung der Gesellschafter auch im Ergebnis kommt. Das ist Haftungsfreistellung ohne Rechtsgrund. Es kann nach allem nicht verwundern, dass aufgrund der neuen Linie des BGH in der Rechtsprechung keineswegs Ruhe eingekehrt ist: Für die gesamtschuldnerische Außenhaftung der Gesellschafter LSG Baden-Württemberg ZIP 1997, 1651 mit Anm Altmeppen und LAG Köln NZA-RR 1997, 375.

IX. Die Vorgesellschaft bzw Vororganisation | 229

schaft. Wir haben gesehen, dass sich die Unterbilanzhaftung mit der gesetzlichen Regelung der Kapitalaufbringung nicht begründen lässt. Sucht man nach einer Begründung der Vorbelastungs-(Unterbilanz)- 400 Haftung gegenüber der vollendeten juristischen Person, so ergibt sich diese, aber auch ihr genauer Umfang, gerade aus dem Prinzip der unbeschränkten Haftung der im Wirtschaftsverkehr Handelnden, welches der BGH in seinen neuen Entscheidungen als Grundsatz anerkennt, dann aber mit der Statuierung einer Innenhaftung verletzt. Es ergibt sich also gerade entgegen dem Vorgehen des BGH die Vorbelastungshaftung gegenüber der juristischen Person aus der unbeschränkten gesamtschuldnerischen Außenhaftung bei der Vorgesellschaft und ist nicht umgekehrt diese analog jener zu beschränken. Nur weil nämlich die Gesellschafter der Vorgesellschaft nach dem Prinzip der unbeschränkten Haftung für die Schulden der Vorgesellschaft haften, ergibt sich ihre Haftung gegenüber der juristischen Person nach deren Entstehung: Die Gesellschafter haften der juristischen Person nämlich deshalb, weil die 401 juristische Person mit den Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft belastet wird und damit Verbindlichkeiten trägt, die aufgrund der Haftung der Gesellschafter der Vorgesellschaft an sich diese tragen müssten. Die Vorbelastungshaftung ist der Ausgleich für die ungerechtfertigte Belastung der juristischen Person mit den Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft. Folglich ist sie der Sache nach ein Anspruch der juristischen Person gegen ihre Gesellschafter wegen Bereicherung in sonstiger Weise (§ 812 I 1 2. Var BGB). Daraus ergibt sich die notwendige Begrenzung der Vorbelastungs-(Unterbilanz)-Haftung. Sie kann nur eine wirkliche Haftung auf Ausgleich der im Vorstadium entstandenen Verbindlichkeiten sein. Eine Haftung für jede Unterbilanz, auch die durch den sonstigen Verlust am Vermögen der Gesellschaft, also den Verlust durch Entwertung oder Zerstörung von Vermögensgegenständen, kann die Gesellschafter, sofern sie entweder bar eingezahlt haben oder – bei Sacheinlagen – der Wert im Zeitpunkt der Anmeldung den Einlagebetrag erreicht hat (s § 9 I GmbHG), nicht treffen567. Folglich ergibt sich für die Vorgesellschaft die unverfälschte Anwendung 402 des Prinzips, dass jeder im Wirtschaftsverkehr Tätige für sein Handeln und die dadurch begründeten Verbindlichkeiten unbeschränkt haftet, sofern und solange er nicht eine andere Vereinbarung mit dem einzelnen Gläubiger oder einen gesetzlichen Status der beschränkten Haftung erreicht. Handeln mehrere zusammen, so ergibt sich unter jenem Vorbehalt die unmittelbare gesamtschuldnerische Haftung. Die gesetzliche Handelndenhaftung ordnet sich wie folgt ein: Die Haftung der einzelnen Gesellschafter der Vorgesellschaft setzt de-

_____ 567 Dazu Wilhelm, GS Knobbe-Keuk 1997, 321, 366.

230 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

ren Zustimmung dazu voraus, dass die Gesellschaft den Geschäftsbetrieb aufnimmt. Durch ihre Zustimmung werden die Gesellschafter Handelnde. Sofern nicht alle Gesellschafter zugestimmt haben, haftet der Geschäftsführer mit als Handelnder entsprechend der Vertreterhaftung nach § 179 BGB568.

X. Leergründung, wirtschaftliche Neugründung (Mantel- und Vorratsgründung) X. Leergründung, wirtschaftliche Neugründung (Mantel- und Vorratsgründung)

1. Begriffliche Festlegung 403 In seiner grundlegenden Entscheidung zur Vorratsgründung568a hat der BGH die

Begriffe Vorrats- und Mantelgründung ohne Unterscheidung zusammen gebraucht. Wir unterscheiden hier zwischen einer Vorratsgründung und einer Mantelgründung569, in der Tat geht aber Beides ineinander über. Die Vorratsgesellschaft ist eine zu gründende oder gegründete Kapitalgesellschaft, die nach der Zweckbestimmung der Gründer erst in Zukunft mit einem Unternehmen auszufüllen sein soll. Die Mantelgesellschaft ist demgegenüber eine bestehende Gesellschaft, die in Zukunft zu ganz anderen unternehmerischen Zwecken als bisher benutzt werden soll. Daraus folgt: Eine Vorratsgesellschaft wird Mantelgesellschaft dann, wenn die bisher leer gegründete Gesellschaft nunmehr mit einem Unternehmen gefüllt wird. Bei der Mantelgründung ist typisch, dass die existierenden Anteile auf neue Investoren übertragen werden und diese in der Gesellschaft ein neues Unternehmen aufbauen. Was die Vorratsgründung betrifft, ist zu fragen, ob eine solche überhaupt 404 zulässig ist. Der Vorstellung von der kontrollierten Schaffung von Kapitalgrundlagen für ein Unternehmen entspricht sie ja nicht. Was sodann die Mantelgründung betrifft, ist zu fragen, ob auf sie das Gründungsrecht analog anzuwenden ist. Schon bei der Ausweitung der Kapitalgrundlagen einer Gesellschaft durch eine Kapitalerhöhung gegen Einlagen war von einer Umgründung zu sprechen und zu zeigen, dass das Gesetz für die Kapitalerhöhung gegen Einlagen Regeln vorsieht, die den Gründungsregeln weitgehend entsprechen570. Dies

_____ 568 § 11 II GmbHG überträgt also den Gedanken des § 179 BGB auf einen entsprechenden Fall, tritt aber nicht an dessen Stelle (etwa für den Fall, dass ein Geschäftsführer ohne jede Vertretungsmacht handelt), zu Letzterem zutr André Meyer, GmbHR 2002, 1176. 568a BGHZ 117, 323, 333 ff. 569 S o Rn 197a. Anwendungsfall zum Recht der Mantelgründung bei Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005: Fall 2. 570 O Rn 287 ff.

X. Leergründung, wirtschaftliche Neugründung (Mantel- und Vorratsgründung) | 231

könnte zur Anwendung von Gründungsregeln auf die Mantelgründung ermutigen. Allerdings knüpft das Gesetz bei der Kapitalerhöhung selbst diese Regeln an, und es knüpft sie an die formellen Strukturmaßnahmen der Satzungsänderung und der Ausgabe neuer Anteile gegen Einlageversprechen an. Betreffs der Mantelgründung stellt sich demgegenüber das Analogieproblem.

2. Die Eintragbarkeit und Wirksamkeit einer Vorratsgesellschaft Für die Vorratsgesellschaft hat der BGH die folgende Unterscheidung getrof- 405 fen571: Die Eintragung einer auf Vorrat gegründeten Aktiengesellschaft in das Handelsregister sei in dem Fall zu versagen, dass der gemäß § 23 III Nr 2 AktG in der Satzung festzulegende Unternehmensgegenstand572 nicht ernstlich gewollt oder verfolgt werde, also fiktiv sei (sog verdeckte Vorratsgründung). Werde hingegen die Vorratsgründung offengelegt (offene Vorratsgründung), indem etwa die Verwaltung des eigenen Vermögens als Gegenstand bestimmt werde, sei gegen die Vorratsgründung als solche nichts einzuwenden. Auch im Fall des fiktiven Gegenstands besteht nur die Möglichkeit, die Eintragung zu verweigern. Ist eingetragen, so ist die Bestimmung des Unternehmensgegenstands zwar nach § 117 BGB unwirksam, dies begründet aber nur die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage und der Löschung als nichtig von Amts wegen, die zur Auflösung der Gesellschaft führen können (§§ 275, 277 AktG, 75 GmbHG). Der Fehler betreffs des Gegenstands kann auch noch geheilt werden, §§ 276 AktG, 76 GmbHG.

3. Analoge Anwendung der Gründungsvorschriften auf eine Mantelgründung Was sodann die Frage der analogen Anwendung der Gründungsvorschriften 406 bei einer Mantelgründung betrifft, bejahen Rechtsprechung und hM unter dem Stichwort „wirtschaftliche Neugründung“ die analoge Anwendung der Gründungsvorschriften573. In der Rechtsprechung des BGH ist diese Analogie nicht

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571 BGHZ 117, 323, 333 f. 572 Für die GmbH ist die Festlegung nach § 3 I Nr 2 GmbHG im Gesellschaftsvertrag erforderlich. 573 Grundlegende Entscheidung für die analoge Anwendung der Gründungsvorschriften auf die Vorrats-GmbH BGHZ 153, 158; sodann für die Anwendung auf die Mantelgründung BGHZ 155, 318; 192, 341. Darstellung bei K. Schmidt, NJW 2004, 1345 ff und der Literatur bei K. Schmidt § 4 III S 66 ff. Gegen die analoge Anwendung der Gründungsvorschriften BayObLG DB 1999, 954 = GmbHR 1999, 607; OLG Frankfurt GmbHR 1992, 456. Die Haftungskonsequenzen daraus,

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abgesichert gegen die andererseits bestimmte Zulässigkeit einer offenen Vorratsgründung. Wird nämlich die zulässiger Weise auf Vorrat gegründete Kapitalgesellschaft später mit einem Unternehmen ausgestattet, geht notwendiger Weise die Vorratsgründung in eine Mantelgründung über. Konsequenter Weise muss trotz der Zulassung der Vorratsgründung auch auf die auf eine solche folgende Mantelgründung das Gründungsrecht analog angewandt werden. Für die Mantel-GmbH hat der II. Zivilsenat ausgeführt: Würden Tatsachen wie Firmen- oder Satzungsänderung zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet, aus denen sich die unternehmerische Verwendung der GmbH ergibt, habe das Registergericht analog § 9c GmbHG die Erfüllung der Anmeldevoraussetzungen gemäß dem Gründungsrecht (§ 8 GmbHG) zu überprüfen und bei Nichterfüllung eines Erfordernisses die Eintragung abzulehnen574. Damit es zur Prüfung des Gerichts komme, seien die Gesellschafter analog § 7 I GmbHG zur Anmeldung der wirtschaftlichen Neugründung verpflichtet. Die Anwendung der Gründungsvorschriften impliziert, dass die Ansprüche auf die Einlageleistungen nach dem Gesellschaftsvertrag wieder aufleben575. Zusätzlich wendet der BGH auf der (materiell-rechtlichen) Haftungsebene den Schutz durch die vom Senat entwickelte Unterbilanzhaftung an576. Von einer Mantelgründung im Sinne der analogen Anwendung des Gründungsrechts spricht der BGH, wenn eine GmbH im Hinblick auf die bisherige Geschäftstätigkeit eine „leere Hülse“ geworden sei, „also kein aktives Unter-

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dass die Verwendung der Vorratsgesellschaft als Neugründung zu behandeln ist, stehen in Konkurrenz zu der Haftung des Anteilserwerbers neben dem Veräußerer nach allgemeinem Gründungsrecht (§ 16 III aF – § 16 II nF – GmbHG bei Fehlen der Voraussetzungen der Erbringung einer Bareinlage, verbotener Hin- und Herzahlung), OLG Oldenburg ZIP 2008, 267. 574 BGH NZG 2003, 170. Im Fall hatten nach dem Erwerb der Anteile an einer auf Vorrat gegründeten GmbH die neuen Gesellschafter die Änderung der Satzung iS eines neuen Sitzes, einer neuen Firma und eines neuen Unternehmensgegenstands (Eintragung erforderlich nach § 54 GmbHG) sowie die Abberufung des alten Geschäftsführers und die Bestellung eines neuen (Eintragung erforderlich nach § 39 GmbHG) zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet. Das Registergericht hatte die Eintragung abgelehnt, weil die nach § 8 II GmbHG erforderliche Erklärung über die Erbringung der nach § 7 II und III GmbHG notwendigen Leistungen und über die freie Verfügbarkeit des Leistungsgegenstandes für die Geschäftsführung fehle. 575 Nach OLG Hamburg ZIP 2004, 2431 müssen die in § 7 II, III GmbHG bezeichneten Leistungen bewirkt sein und sich zur endgültig freien Verfügung der Geschäftsführer befinden. Man muss annehmen, dass die Ansprüche aus dem Gesellschaftsvertrag wieder aufleben (ob in Höhe des gesellschaftsvertraglichen Kapitals oder des gesetzlichen Mindestkapitals, ist streitig, s u Rn 409). Schwierigkeiten bereitet der Fall, dass im Gesellschaftsvertrag – selbstverständlich bezogen auf den vergangenen Gründungszeitpunkt – Sacheinlagen vereinbart waren. 576 BGHZ 153, 158 behält die Anwendung vor; BGHZ 155, 318 entscheidet sich dafür, ebenso OLG Schleswig ZIP 2007, 822; OLG Köln GmbHR 2008, 704 gibt einen Rückwirkungsschutz. Zur Unterbilanz- oder Vorbelastungshaftung BGHZ 80, 129, 140; 105, 300, 303; 134, 333.

X. Leergründung, wirtschaftliche Neugründung (Mantel- und Vorratsgründung) | 233

nehmen mehr betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpfen kann.“577 Aus dem für die Unterbilanzhaftung bestimmten maßgeblichen Zeitpunkt 407 könnte man über die Unterbilanzhaftung hinaus folgern, dass der Senat für die Geschäfte, die mit der Mantelgesellschaft vor diesem Zeitpunkt getätigt worden sind, die persönliche Haftung anwenden will, die nach der Rechtsprechung die Gesellschafter einer Vor-GmbH trifft. Die Folgerung könnte abgeleitet werden, wie folgt: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung einer Unterbilanz war nach der vorstehend entwickelten Rechtsprechung, die auf die Anmeldung von Tatsachen zum Handelsregister abstellte, die auf die Neugründung hinweisen, der Zeitpunkt dieser Anmeldung578. Bis zu diesem Zeitpunkt drohte nach Auffassung des BGH die auf diesen Zeitpunkt abgestellte Unterbilanzhaftung. Für die Entwicklung der Gesellschaft nach diesem Zeitpunkt sei die Unterbilanzhaftung nicht mehr anzuwenden. Da die Zeit vor jenem Zeitpunkt, insbesondere dann, wenn die Anmeldung der zur Neugründung gehörenden Tatsachen hinausgeschoben wird, eigentlich nicht haftungsfrei sein kann, bliebe eigentlich für diese Zeit nur die persönliche Haftung der Gesellschafter wie bei einer Vorgesellschaft übrig. Darauf deutete auch die Formulierung des BGH hin, dass vor der Anmeldung der zur wirtschaftlichen Neugründung gehörenden Tatsachen die Handelndenhaftung für den Fall gelte, dass nicht alle Gesellschafter der Geschäftsaufnahme zugestimmt hätten. Als Umkehrschluss scheint sich zu ergeben: Wenn alle Gesellschafter zugestimmt haben, gilt statt der Handelndenhaftung die Haftung der Gesellschafter wie bei der Vorgesellschaft. Diese Folgerung hatte auch das OLG München gezogen. Der Entscheidung 408 der Frage, ob stattdessen eine Haftungsbeschränkung gelten müsste, enthielt sich das Gericht, weil die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen habe, dass im Zeitpunkt der Anmeldung der relevanten Tatsachen zum Handelsregister keine Unterbilanz bestanden habe579. Der BGH ist der Folgerung einer unbeschränkten Haftung für die Zeit vor Anmeldung entgegengetreten580: Die Gesellschafter (für

_____ 577 BGHZ 192, 341, 345 Rn 11. 578 BGHZ 155, 318. Argument: Die Eintragungen seien nicht wie bei der Gründung einer Gesellschaft für deren Existenz konstitutiv. Schutz in Fällen aus der Zeit vor der Entscheidung: Beginn der Verjährung der Unterbilanzhaftung, deren Frist analog § 9 II GmbHG zu bemessen sei, nicht erst mit Anmeldung, sondern bereits mit dem „Vorgang“ der wirtschaftlichen Neugründung (BGH DStR 2008, 933). 579 ZIP 2010, 579. 580 BGHZ 192, 341 ff.

234 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

die Beklagte als Erwerberin des Geschäftsanteils nach § 16 II GmbHG581) treffe nur die Unterbilanzhaftung. Was den für die Feststellung der Unterbilanz maßgeblichen Zeitpunkt betrifft, bezieht der BGH den Fall ein, dass Tatsachen, die auf die wirtschaftliche Neugründung hinweisen, nicht oder noch nicht zum Handelsregister angemeldet sind. In diesem Fall sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Neugründung nach außen in Erscheinung trete582. Im Fall des BGH lagen zwischen der nach außen in Erscheinung tretenden Geschäftsaufnahme und der Anmeldung der Umgründungsmaßnahmen zum Handelsregister sechs Tage. Der in Anspruch genommene Gesellschafter trage die Beweislast dafür, dass das Stammkapital im Zeitpunkt der Geschäftsaufnahme gedeckt gewesen sei583. Eine darüber hinaus gehende Verlustdeckungshaftung wie bei der Vorgesellschaft sei dagegen nicht gerechtfertigt. Die Rechtsprechung diene dem Schutz vor Umgehung der den Rechtsverkehr, insbesondere die Gläubiger sichernden Gründungsvorschriften. Eine Gleichsetzung der wirtschaftlichen Neugründung mit der Erstgründung, bei der die GmbH und folglich die Haftungsbeschränkung (§ 13 II GmbHG) erst mit Eintragung der Gesellschaft entstehe (§ 11 I GmbHG), sei nicht gerechtfertigt584. Die Verlustdeckungshaftung sei das Schutzinstrument, wenn schon vor den Erstgründungsakten im Vorfeld eine geschäftliche Tätigkeit aufgenommen werde. Der Umgehungsschutz bei wirtschaftlicher Neugründung greife dagegen nur insoweit ein, als bei der Neugründung die Kapitaldeckung nicht gewährleistet sei585. Streitig unter den Verfechtern der analogen Anwendung des Gründungs409 rechts auf die Mantelgründung war, ob für die Kapitalaufbringung das gesetzliche Mindestkapital (§§ 7 AktG, 5 I GmbHG) oder das in der Satzung der Mantelgesellschaft bestimmte Kapital auch dann, wenn es höher ist, maßgeb-

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581 Genaue Analogieprüfung, auch im Hinblick auf das Argument, dass die Unterbilanzhaftung des veräußernden Gesellschafters dessen Zustimmung zu der Neugründungvoraussetzt, S 354 ff Rn 29 ff. 582 S 349 Rn 29. 583 Die Gesellschafter könnten sonst durch Aufschiebung oder Unterlassung von Anmeldungen das Eingreifen des Präventivschutzes durch Prüfung des Gerichts vermeiden, Rn 42. Die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Unterbilanz bestanden habe, könne entgegen dem Berufungsgericht nicht dahinstehen. Die Bekl. habe immerhin zwei Jahre später 25.000,– € an die Gesellschaft gezahlt. Diese könnten bei eindeutiger Zuordnung (insbesondere durch Auslegung der Tilgungszweckbestimmung) den Anspruch aus Unterbilanz erfüllt haben (nicht komme für die Befreiung eine positive Entwicklung des Gesellschaftsvermögens in Betracht), Rn 44 ff. 584 Rn 23. 585 Rn 24. In Rz 25 f wird diese Gegenüberstellung im Hinblick auf den Zweck und die Sanktionsbreite des registerrechtlichen Prüfungsverfahrens wiederholt.

X. Leergründung, wirtschaftliche Neugründung (Mantel- und Vorratsgründung) | 235

lich ist586. In seinem die Mantelgründung betreffenden Beschluss hat sich der II. Zivilsenat für die Maßgeblichkeit des statutarischen Kapitals entschieden587.

4. Kritik Zur Rechtsprechung des BGH zur Mantelgründung war bereits die Unabge- 410 stimmtheit mit der Zulassung einer Vorratsgründung anzumerken. Überraschender Weise gibt es eine Meinung, die dem II. Senat gerade für den Fall der Vorratsgründung folgt, aber nicht für sonstige Mantelgründungen587a. Der Rechtsprechung ist aber für jedweden Fall der Verwendung von Mantelgesellschaften nicht zu folgen. Sie reiht sich ein in die schon zur Figur der verdeckten Sacheinlage beobachtete und kritisierte Tendenz der Rechtsprechung, die Vorschriften zur Kapitalaufbringung bei den Kapitalgesellschaften ohne Rücksicht auf die Grundprinzipien der gesetzlichen Regelung anzuwenden588: Diese Prinzipien sind der Grundsatz der Privatautonomie, wonach Einlagepflichten der privatautonomen Entscheidung bedürfen. Weiter die möglichst weitgehende Rechtsklarheit der Regelung von Gründung (und ebenso Kapitalerhöhung) und schließlich die grundsätzliche Handlungsfreiheit der Gesellschaft und der an ihr

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586 Nur Anwendung der Vorschriften über Mindeststammkapital und Mindeststammeinlagen nach OLG Schleswig GmbHR 2002, 1135. Maßgeblichkeit des satzungsmäßigen Kapitals OLG Frankfurt GmbHR 1999, 32, 33. 587 BGHZ 155, 318. 587a Altmeppen, NZG 2003, 145 ff. Argument: Im Fall der Vorratsgründung bereite die analog § 8 II GmbHG zu fordernde Versicherung kein Problem. 588 Dazu Wilhelm, ZHR 167 (2003), 521 ff. Bemerkenswert ist, dass noch das OLG Düsseldorf ZIP 2003, 1501 die Vorschrift des § 16 III (jetzt II) GmbHG über die Haftung des Anteilserwerbers für rückständige Einlagen auf die wirtschaftliche Neugründung unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Umgehung angewandt hat, während der BGH jetzt § 16 II ohne Weiteres auf die durch ihn erfundene Unterbilanzhaftung für anwendbar erklärt. Zur Beschneidung der Handlungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft durch die Umgehungsrechtsprechung schon Wilhelm, ZHR 152 (1988), 333 ff. Ein besonders drastisches Beispiel behandelt Just, NZG 2003, 161: Auszahlung des Geschäftsführergehalts an den Gründer, der als Geschäftsführer bestellt wird, als mögliche Hin- und Herzahlung von Einlage und Gehaltszahlung. Richtig fordert Just entgegen Hoffmann, NZG 2001, 433 ff (der sich auf BGH NJW 1979, 216 beruft) Handlungsfreiheit der Gesellschaft ein. Zutreffend (s schon Wilhelm, ZHR 152, 361 Fn 78) zieht Just (für die GmbH analog) für die nicht sacheinlagefähigen Dienstleistungen die Vorschrift des § 26 AktG über Sondervorteile und Gründungsaufwand heran. In die Vorschrift (iVm § 34 I Nr 1 AktG) muss allerdings eine Angemessenheitsprüfung hineininterpretiert werden. Die Einzelregelungen des Kapitalaufbringungsrechts sind in den Gesamtschutz der Gesellschaft in der Unterscheidung von Kapitalaufbringungsrecht und Kapitalerhaltungsrecht einzubeziehen (Wilhelm aaO S 359 ff).

236 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

Beteiligten hinsichtlich ihres Geschäftsverkehrs. Auch betreffend die Mantelgründung ist die Verletzung der Prinzipien zu kritisieren589. Die Regelung der Gründung hat klare Kriterien, die auf die Entstehung eines Rechtsträgers (oder: bei der Kapitalerhöhung auf die Änderung der Kapitalgrundlage) bezogen sind und nicht auf die Entstehung eines Unternehmens590. Schon mit der Unterbilanz- oder Vorbelastungshaftung werden die Gesellschafter über die gesetzliche Regelung und ihre privatautonome Entscheidung für die Beteiligung an der Gründung hinaus belastet. Die Rechtsprechung wendet mit ihren Folgerungen auch keineswegs das Gründungsrecht analog an. Denn dieses beruht auf der Übernahme von bestimmten Einlagepflichten und deren Erfüllung gemäß der gesetzlichen Regelung. Bestehen Gesellschaften, statt liquidiert zu werden, fort, so ist der Schutz bestehender Gesellschaften anzuwenden und nicht eine Gründung zu fingieren. Statt der Kapitalaufbringung, um die sich das Gründungsrecht bemüht, ist der Schutz der Kapitalerhaltung einer bestehenden Gesellschaft zuständig. Es ist auf das Schutz- und Sanktionsregime zurückzugreifen, welches unser allgemeines Zivilrecht für existente juristische Personen bereit hält. Geschützt ist dadurch die Gesellschaft (und sind damit die Gesellschaftsgläubiger). Nach den Grundsätzen des Zivilrechts dürfen sich die Gesellschafter nicht unter Verletzung der Erhaltung des Garantiekapitals ungerechtfertigt bereichern. Und sie tragen, soweit sie an der Gesellschaft nicht nur passiv und untergeordnet teilnehmen, Verantwortung gegenüber ihrer Gesellschaft: Sie dürfen diese – auch wieder im Hinblick auf die Erhaltung des Garantiekapitals – nicht schädigen591. Entgegen der Figur der wirtschaftlichen Neugründung beschränkt sich das 411 Gesetz darauf, die präventive Sicherung der Kapitalausstattung des Rechtsträgers für den Zeitpunkt seiner Entstehung (oder des Wirksamwerdens der Kapitalerhö-

_____ 589 Überzeugend Heerma Mantelverwendung und Kapitalaufbringungspflichten 1997, s dens, GmbHR 1999, 640 ff. Kritisch auch Kleindiek, FS Priester 2007, 369 und Roth/Altmeppen/Roth § 3 Rn 14, 14a. Wie schon zitiert (Fn 403), bleibt Altmeppen in NZG 2003, 145 ff bei der Ablehnung des Analogiekonzepts für die Mantelverwendung, während er im Fall der Verwendung einer auf Vorrat gegründeten Gesellschaft dem II. Senat folgt (S 146). Seine Begründung, dass die Erklärung nach § 8 II GmbHG hier nicht die geringsten Probleme bereiten dürfte, überzeugt nicht: Wenn das der Fall ist, ist die Erklärung unnötig. Soweit das nicht zutrifft, gilt nichts anderes als sonst bei der Mantelgesellschaft (letztlich nicht folgend deshalb Roth in Roth/Altmeppen, § 3 Rn 14). 590 Zutreffend K. Schmidt, NJW 2004, 1345, 1350 f. 591 Heerma Mantelverwendung und Kapitalaufbringungspflichten 1997 S 147 ff; ders, GmbHR 1999, 640, 642; sodann Wilhelm, ZHR 167 (2003), 521, 531; K. Schmidt, NJW 2004, 1345, 1352 f (K. Schmidt und Wilhelm mit Vorschlägen für eine Erweiterung der Existenzvernichtungshaftung und der Insolvenzverschleppungshaftung, s a K. Schmidt ZIP 2010, 855).

X. Leergründung, wirtschaftliche Neugründung (Mantel- und Vorratsgründung) | 237

hung) zu gewährleisten. Dazu gehört bei der Gründung, dass die Gesellschaft von ihren Gesellschaftern von Verbindlichkeiten aus dem Entstehungsstadium entlastet werden muss. Vom Zeitpunkt der Entstehung an existiert die Gesellschaft aber mit allen Höhen und Tiefen. Ob sie nach einem unternehmerischen Stillstand von den bisherigen oder von neuen Gesellschaftern, ob im Rahmen des bisherigen Unternehmensgegenstands oder unter Setzung eines (etwas, sehr, gänzlich?) veränderten Gegenstands belebt wird und wie lange der Stillstand in der Zwischenzeit gedauert hat, kann nicht erheblich sein592. Ebenso ist eine Prüfung von Einzelakten betreffend eine Gesellschaft (zu Firma, Sitz, Unternehmenszweck, sonstigen Satzungsänderungen, Änderung der Geschäftsführung) im Hinblick darauf, ob und wann sie den Gesamteindruck einer wirtschaftlichen Neugründung rechtfertigen, nicht im Sinne von Rechtssicherheit und Praktikabilität592a. Erst recht kommt eine Belastung der Gesellschafter oder „Handelnder“ mit Vermögensentwicklungen aus dem Stadium nach dem – wann immer zu beja-

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592 Überzeugend Altmeppen, NZG 2003, 145, 148. Abschreckend die Abgrenzung, die das OLG Jena durchführen will: Die wirtschaftliche Neugründung sei abzugrenzen sowohl von der Sanierung einer „dahindümpelnden“ GmbH als auch von einer Umstrukturierung (ZIP 2004, 2327 ff). Das OLG sucht nach „Indizien“ für eine wirtschaftliche Neugründung in Gestalt von „Veränderungen, die häufig – aber nicht notwendig – auch kumulativ auftreten“. Es bejaht in seinem Fall genügende Indizien, obwohl die Gesellschaft, eine Getränkehandels-GmbH, zwar ihre Getränkeanlagen verkauft und den Getränkehandel zwei Jahre lang nicht betrieben, aber dann vom bisherigen Gesellschafter selbst wieder aufgenommen worden war und in der Zwischenzeit immerhin die Forderung aus dem Verkauf der Anlagen als Darlehensforderung „verwaltet“ hatte. Das Gericht überlegt, ob den beklagten Alleingesellschafter die Vorbelastungshaftung für alle Verbindlichkeiten der (im Insolvenzverfahren befindlichen) GmbH treffe, die vor dem Zeitpunkt der Erklärungen, die analog §§ 7 III, 8 II GmbHG abgegeben werden müssten, entstanden seien (dies führt zur persönlichen Haftung bis zum St-Nimmerleins-Tag, wenn die Gesellschafter nicht von genügenden Indizien für eine wirtschaftliche Neugründung ausgehen und deshalb derartige Erklärungen unterlassen). Das Gericht erwägt einen Vertrauensschutz im Hinblick auf die erst vor kurzem erfolgte Feststellung des BGH zur Mantelgründung. Mindestens komme freilich die Haftung auf die Differenz zwischen Stammkapitaldeckung (fraglich, ob hierzu vom Mindestkapital auszugehen sei) und tatsächlichem Vermögen der GmbH im Zeitpunkt der Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit (dokumentiert durch Anmeldung einer etwaigen Satzungsänderung) in Betracht. Dazu stellt das Gericht Erwägungen über anrechenbare Forderungen der GmbH an. Das Gericht hat seine Überlegungen nicht zu Ende geführt; für die Zusprechung der Klage reiche die Verpflichtung des Gesellschafters zur nochmaligen Einzahlung der Stammeinlage aus; dies wird mit Argumenten hinsichtlich der freien Verfügbarkeit der bisherigen Zahlungen des Gesellschafters begründet. Das Urteil ist aus dem Dickicht der gängigen Umgehungserwägungen zum Gründungsrecht zu erklären und zeigt deutlich, dass diese kein Ruhmesblatt sind. 592a S nur OLG Schleswig ZIP 2007, 822, 823, das auf eine Gesamtschau von Indizien im Hinblick darauf abstellt, ob „in irgendeiner noch gewichtbaren Weise“ (Formulierung des BGH) an den bisherigen Geschäftsbetrieb angeknüpft werde.

238 | C. Die Gründung der AG und der GmbH

henden – In-Erscheinung-Treten der „wirtschaftlichen Neugründung“ nicht in Betracht: Auch aus der Warte der Gläubiger ist die bisherige Gesellschaft existent. Die Haftung der Gesellschafter bis zu einer Kapitaldeckung, für die sie die Beweislast tragen, dürfte für sie ein überraschendes Geschenk sein. Für „Handelnde“ oder Gesellschafter kann der Tatbestand der „Neugründung“ durchaus offen sein, was insbesondere ein mit unabsehbaren Risiken verbundenes Verharren und Wirtschaften in dem Zustand, der dann im Nachhinein als Neugründung gewertet werden könnte, zur Folge haben kann. Bisher war anerkannt, dass die Gesellschafter die Auflösung ihrer Gesellschaft beschließen, diesen Beschluss aber auch wieder rückgängig machen können. Gesellschafter, die das Letztere überlegen, müssen in Zukunft sehr genau abwägen, ob sie mit ihrem Beschluss nicht Gefahr laufen, die volle Härte der „analogen Anwendung des Gründungsrechts“ auf sich zu ziehen. Das alles sollte nicht in Betracht kommen.

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I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 239

D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände https://doi.org/10.1515/9783110595802-004

1. Allgemeine Schutztatbestände I. Grundbegriffe und Schutztatbestände

Selbstverständlich gilt zunächst einmal der allgemeine Vermögensschutz der 412 absoluten und relativen Rechte der Kapitalgesellschaften nach dem BGB. Aus dem allgemeinen, aber insbesondere auch auf die Kapitalgesellschaften bezogenen Vermögensschutz greifen wir noch den Vermögensschutz in der Insolvenz heraus. Gemeint sind die allgemeinen insolvenzrechtlichen Schutztatbestände der Anfechtung von Rechtshandlungen, die in kritischer Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind. Gesellschaftsrechtlich interessant ist hier der Begriff der nahestehenden Person. §§ 130 III, § 131 II 2, § 132 III, § 133 IV 1, 137 II 2 InsO erleichtern die Insolvenzanfechtung gegenüber Personen, die dem Insolvenzschuldner nahestehen. Den Begriff der nahestehenden Person definiert § 138 InsO, auch unter Berücksichtigung des Nahestehens zu juristischen Personen (§ 138 II InsO). So hat der BGH eine GmbH & Co KG gegenüber einer GmbH als nahestehende Person eingeordnet, wenn die Geschäftsführer beider Gesellschaften mbH miteinander verheiratet sind592b.

2. Der kapitalgesellschaftsrechtliche Vermögensschutz Zum genuin kapitalgesellschaftsrechtlichen und nicht nur insolvenzrechtlichen 412a Schutz haben wir oben593 festgestellt, dass bei der Gründung und der Kapitalerhöhung die beteiligten Gesellschafter ein bestimmtes Kapital der Gesellschaft aufzubringen haben (Kapitalaufbringung). An das Thema der Kapitalaufbringung schließt sich sodann das Thema der Kapitalerhaltung an. Gemeint ist bei beiden Fragen das Eigenkapital (s sogleich Rn 413). Ist die Gesellschaft ordnungsgemäß mit dem satzungsmäßigen Eigenkapital (in Höhe des Grundkapitals bei der AG, des Stammkapitals bei der GmbH) ausgestattet worden, so geht es in der Folge um die Erhaltung des statutarischen Eigenkapitals, wenn die Gesellschaft nicht aufgelöst ist (also eine sog werbende Gesellschaft ist). § 30 I 1

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592b BGH NZG 2018, 191. 593 Rn 25 ff. https://doi.org/10.1515/9783110595802-004

240 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

GmbHG formuliert: „Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft darf an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden.“ § 57 I 1 AktG meint zunächst einmal dasselbe, wenn er sagt: „Den Aktionären dürfen die Einlagen nicht zurückgewährt werden.“594 Mit der Erhaltung des „Kapitals“ geht es um die Erhaltung eines Eigenkapitals in Höhe des vom Gesetz in Mindesthöhe, ansonsten durch die Satzung bzw den Gesellschaftsvertrag festgelegten Grund- oder Stammkapitals. Man nennt das Grund- und das Stammkapital auch Garantiekapital595. Die handelsrechtliche Vorschrift des § 266 III A I HGB gebraucht für die bilanzielle Erfassung des Grund- oder Stammkapitals den Oberbegriff „gezeichnetes Kapital“. Der Begriff ist in den gesellschaftsrechtlichen Bilanzvorschriften der §§ 152 I 1 AktG, 42 I GmbHG übernommen. Der durch die Aktienrechtsnovelle 2016 aufgehobene § 272 I 1 HGB hatte das gezeichnete Kapital noch als „Kapital, auf das die Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaft gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft beschränkt ist“, definiert. Der Gesetzgeber hat die Definition aber mit Recht beseitigt: Von beschränkter Haftung der Gesellschafter ist nicht zu reden. Die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft haften nämlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wenn einen Gesellschafter nicht aus allgemeinen Gründen wie Bürgschaftsübernahme, unerlaubter Handlung etc eine persönliche Haftung trifft, überhaupt nicht. Es zeigt sich, dass der Vermögensschutz der Kapitalgesellschaften mit der handelsrechtlichen Regelung der Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und des Lageberichts (§§ 238 ff HGB) sowie mit den ergänzenden Vorschriften über die Rechnungslegung im AktG (§§ 150 ff) und im GmbHG (§§ 41 ff und 58b GmbHG) korrespondiert. Das Bilanzrecht schreibt die Buchung des gezeichneten Kapitals auf der Passivseite vor (§§ 266 III A I HGB) und sorgt dadurch dafür, dass sich ein ausschüttungsfähiger Gewinn erst bei Überschreiten zumindest dieses Eigenkapitalpostens (zum Eigenkapital § 272 HGB) durch die Aktiva der Gesellschaft ergeben kann. Die vielfältigen Reformschritte zum Bilanzrecht

_____ 594 Das AktG formuliert aber nicht glücklich. Das sieht man schon an § 57 I 2, der die Formulierung des Abs 1 S 1 korrigieren muss. Weiter zeigt § 93 III Nr 1 AktG die ungenaue Wortwahl des Gesetzes. Dort spricht das AktG von der Rückgewähr von Einlagen, meint aber jeden Verstoß gegen § 57 AktG, Hüffer/Koch § 93 Rn 70. Und Zahlungen der AG an die Gesellschafter sind über § 57 I 1 hinaus verboten (s § 57 III). Auch § 57 I 1 selbst erfasst mehr als das in Höhe des Grundkapitals aufgebrachte Vermögen. Der Begriff Einlage umfasst auch das sogenannte Agio, also den über den Nennbetrag der Aktie hinaus gezahlten Einlageteil im Fall einer sogenannten Überpari-Emission. Am besten geht man von der Aussage des § 30 I 1 GmbHG aus, die auch den Kern des Verbots des § 57 I 1 AktG ausmacht, und ergänzt, was das AktG zusätzlich in die Vermögensbindung nach Aktienrecht einbezieht. 595 O Rn 38 ff.

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auf europäischer und deutscher Ebene und die Einzelheiten der Rechnungslegung in den Kapitalgesellschaften werden unten in Kapitel L596 entwickelt. Hier geht es um das System des Vermögensschutzes im Grundsätzlichen. Was die Zeichnung von Kapital bedeutet, ergibt sich, wenn man die Ver- 413 mögensbindung bei der Kapitalgesellschaft genau betrachtet. Dazu müssen wir uns hier erneut die grundlegenden Begriffe bewusst machen: Die Begriffe Vermögen und Kapital, beim Kapital noch die Begriffe Eigenkapital und Fremdkapital, sind zu unterscheiden. Wichtig ist, die Kapitalbegriffe auf die Kapitalgesellschaften selbst zu beziehen. Es geht um deren Kapital, die Gesellschafter sind nur mittelbar beteiligt: Und zwar sind sie am Eigenkapital der Gesellschaft beteiligt. Und dafür ist wichtig, dass das Fremdkapital vor dem Eigenkapital vorrangig ist, Eigenkapital also nur der nach Berücksichtigung des Fremdkapitals übrige Rest des Vermögens der Gesellschaft ist597. Was nun die Beteiligung der Gesellschafter am Eigenkapital der Gesellschaft betrifft, ist diese eine dreifache: Durch den Grundsatz der Kapitalaufbringung werden sie verpflichtet, Eigenkapital der Gesellschaft aufzubringen. Durch den Grundsatz sodann der Kapitalerhaltung sind sie daran gehindert, Kapital der Gesellschaft insoweit abzuziehen, als es zur Deckung des Stamm- oder Grundkapitals erforderliches Eigenkapital ist. Sie beteiligen sich schließlich drittens in dieser Weise am Eigenkapital der Gesellschaft, weil ihnen alle Erträge aus dem Eigenkapital (Gewinne, Liquidationsüberschüsse) zukommen598. Dies vorausgeschickt, sind also die Begriffe Vermögen, Eigenkapital und Fremdkapital der Kapitalgesellschaften zu klären: Was zunächst den Begriff des Vermögens betrifft, ist dieser der Inbegriff von Rechten und sonstigen Vermögensgegenständen eines Rechtssubjekts. Diese gehören dem Rechtssubjekt unmittelbar, was unser Thema betrifft, also der Kapitalgesellschaft unmittelbar. Was sodann demgegenüber das Kapital betrifft, ist dieses zunächst einmal der

_____ 596 U Rn 1380 ff. 597 „Residualgröße“ (Baums, Unternehmensfinanzierung, Rz 1). 598 In der Alternative zwischen Eigen- und Fremdkapital verwirrt die Kategorie des sog mezzaninen Kapitals. Das mezzanine Kapital ist eine besondere Form des Fremdkapitals, besondere Form deshalb, weil es sich um Anleihen oder Darlehen handelt, die unter verschiedenen Gesichtspunkten Gesellschaftereinlagen angenähert werden (Baums, Unternehmensfinanzierung, § 12 Rn 20 ff, § 36 Rn 38 ff, § 39). Für mezzanine Darlehen typisch sind die langfristige Gewährung ohne besondere Sicherung und die Vereinbarung des qualifizierten Rangrücktritts im Insolvenzverfahren gemäß § 39 II InsO, was alles durch einen erhöhten Zins aufgewogen wird. Zur Nachrangvereinbarung insbesondere beim mezzaninen Darlehen BGH NJW 2015, 1672 = BGHZ 204, 231, dazu Berger, ZInsO 2015, 1938, Karsten Schmidt, ZIP 2015, 901, Ekkenga ZIP 2017, 1493. Die Darlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt sind nicht zu passivieren, BFH ZIP 2017, 818.

242 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

Wert jenes Vermögens. Mit dem Vermögen, welches dem Rechtssubjekt Kapitalgesellschaft unmittelbar gehört, gehört ihm der Wert des Vermögens unmittelbar. Bei den Begriffen Eigenkapital und Fremdkapital geht es demgegenüber darum, wem der Vermögenswert zusteht. Eigenkapital ist derjenige Wert des Vermögens, der dem Kaufmann und insbesondere der Kapitalgesellschaft selbst zusteht, Fremdkapital ist derjenige Wert, der den Gläubigern des Rechtssubjekts zusteht. Diese Begrifflichkeit liegt der Bilanz des Kaufmanns und insbesondere der 414 Kapitalgesellschaften zugrunde. Wenn wir besondere bilanztechnische Kategorien beiseitelassen, können wir sagen; Auf der einen Seite der Bilanz (§ 266 II HGB) werden mit den Aktiva die Vermögensgegenstände des Kaufmanns bilanziert. Auf der Gegenseite finden sich unter den Passiva vor Allem die Verbindlichkeiten (§ 266 III C. HGB). Zunächst einmal im Hinblick auf die Verbindlichkeiten können wir sagen: Die Aktivseite stellt das Vermögen dar, die Passivseite beantwortet die Frage, wem der Vermögenswert zusteht. Soweit Verbindlichkeiten zu buchen sind, steht der Wert den Gläubigern zu, ist er also Fremdkapital. Zugleich ergibt sich: Nur soweit Aktiva und Aktivawert da sind, können sie in Höhe der Verbindlichkeiten den Gläubigern zustehen. Soweit aber die Verbindlichkeiten über den Aktivawert hinausgehen, sind sie zwar durchaus wirksam, aber nicht gedeckt. Die Kapitalgesellschaft ist überschuldet. Diese Unterscheidung je nach Deckung oder Nichtdeckung ist bei den weiteren Passivposten selbstverständlich mitzudenken. Wenn nun Vermögenswert da ist, der über das Fremdkapital hinausgeht, müsste er folgerichtig der Kapitalgesellschaft selbst zustehen. Als erster Passivposten erscheint deshalb auch in der Bilanz das Eigenkapital (§ 266 III A HGB Eigenkapital). Eigenkapital ist derjenige in dem Vermögen steckende Wert, der der Kapitalgesellschaft selbst zusteht. Einfach gefolgert, könnte es sich dabei um den gesamten die Verbindlichkeiten übersteigenden Vermögenswert handeln (immer vorausgesetzt, dass ein solcher Überschuss da ist). Zwischen dem Eigenkapital und den Verbindlichkeiten steht aber noch ein weiterer Passivposten, der nicht zum Eigenkapital gehört, also nicht der Kapitalgesellschaft als Eigenkapital zugeordnet ist. Es handelt sich um die Rückstellungen (§ 266 III B). Zu den Rückstellungen kommt es aufgrund des Vorsichtsprinzips: Es wird ein Aktivawert (sofern vorhanden) für Risiken der Zukunft reserviert. Nach § 249 I, II HGB gibt es Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste. Insgesamt ergibt sich, was zunächst die Kapitalgesellschaft selbst betrifft: Die Passivseite weist aus, inwieweit – vorhandenes – Kapital des Unternehmens (der Wert der Aktiva) der Kapitalgesellschaft zusteht und inwieweit er nicht der Kapitalgesellschaft zusteht. Zur Perspektive der Gesellschaft tritt die der Gesellschafter hinzu: Von ih415 nen muss ein Anfangskapital der Gesellschaft aufgebracht werden. Das ist das

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 243

Thema der Kapitalaufbringung. Wirtschaftet die Gesellschaft sodann erfolgreich, wächst das aufgebrachte Kapital. Soweit das aufgebrachte und angewachsene Kapital der Kapitalgesellschaft als Eigenkapital gehört, steht es mittelbar den Gesellschaftern zu. Diese sind gewinnberechtigt und in der Liquidation der Gesellschaft berechtigt, dass ihnen bei der Vermögensverteilung der die Schulden übersteigende Liquidationserlös zukommt. Die Ausdrücke Gewinnberechtigung und Anspruch auf den die Schulden übersteigenden Liquidationserlös sind bewusst gewählt. Nach deutschem Recht der Kapitalgesellschaften tritt nämlich zur Kapitalaufbringung der Grundsatz der Kapitalerhaltung hinzu: Dieser bedeutet, dass der Wert des Vermögens der Kapitalgesellschaften, der über die Verbindlichkeiten und die Rückstellungen hinausgeht und das sog Garantiekapital deckt, den Gesellschaftern nicht ausgeschüttet werden darf, solange die Gesellschaft nicht liquidiert wird. Kehren wir aber wieder zur Bilanz der Gesellschaft zurück, so müssen wir 416 noch klären, woraus der Bilanzgrundsatz Aktiva = Passiva folgt. Zu einfach ist die Folgerung: Die beiden Seiten sind deshalb gleich, weil die Passiva die Gesamtzuständigkeit des Wertes aller Aktiva der Gesellschaft ausdrücken Dabei ist nämlich nicht berücksichtigt, dass nicht notwendiger Weise genügend Aktiva dafür vorhanden sind, dass zumindest die Rückstellungen, die Verbindlichkeiten und das gezeichnete Kapital gedeckt sind. Nach unserem Gesetz gibt es zB den „nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag“ (§ 268 III HGB)598a. Das ist ein Fehlbetrag, der das gezeichnete Kapital übersteigt und folglich sogar die Deckung der Passivposten der Rückstellungen oder Verbindlichkeiten berührt. Aber auch wenn sich ein solcher Betrag ergibt, bleiben die beiden Seiten der Bilanz gleich. Denn hier erreicht das Gesetz die Gleichung dadurch, dass es den Fehlbetrag auf der Aktiva-Seite buchen lässt. Die Bilanz ist dann, wie folgt zu lesen: Der Wert der Aktiva steht (buchungstechnisch) überhaupt nicht der Gesellschaft zu, sondern entfällt ausschließlich, und dies noch vermehrt um den fehlenden Betrag, auf Rückstellungen oder Verbindlichkeiten. Mit dieser – auch bilanziellen – Klarstellung der Begriffe von Vermögen, 417 Kapital, Eigen-, Fremdkapital der Kapitalgesellschaft einerseits unter Berücksichtigung der mittelbaren Zuständigkeit an die Gesellschafter andererseits löst sich zugleich die Garantieassoziation auf, die sich mit dem Begriff Garantiekapital verbindet. Das sog Garantiekapital wird in der Bilanz als erster Posten des Eigenkapitals, nämlich als gezeichnetes Kapital geführt (§ 266 III A I HGB)599. „Garantiekapital“ der Kapitalgesellschaft bedeutet denn auch nicht,

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598a S u Rn 430 Fn 614. 599 Die mehreren Eigenkapitalposten, die § 266 III A HGB aufführt, sind durch die unterschiedliche Bindungswirkung unterschieden (gezeichnetes Kapital streng gebunden, Kapital-

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dass der Gesellschaft von den Gesellschaftern Vermögen in bestimmter Höhe garantiert wird. Die Gesellschafter übernehmen vielmehr bei der Gründung oder der Kapitalerhöhung Einlagen in bestimmter Höhe, sie zeichnen die Einlagen, und so ist das Stammkapital bei der GmbH und das Grundkapital bei der AG gezeichnetes Kapital. Das von den Gesellschaftern aufgebrachte Vermögen kann aber durch Kosten oder Verluste gemindert oder mit Schulden belastet sein. Das sog Garantiekapital ist also nur ein Sollposten, es ist derjenige Wert, der der Gesellschaft von Seiten der Gesellschafter zufließen und verbleiben soll. In Höhe des Grundkapitals soll eine AG, in Höhe des Stammkapitals soll eine GmbH Eigenkapital aufweisen. Die Gesellschafter stehen dafür ein mit der Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung. Da das aufgebrachte Kapital gemindert sein kann und der Grundsatz der Kapitalerhaltung nur heißt, dass das zur Deckung des gezeichneten Stamm- bzw Grundkapitals erforderliche Vermögen nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden darf, bedeutet die Festlegung des gezeichneten Kapitals: In der satzungsmäßigen Höhe soll der Wert des Vermögens der Gesellschaft die Verbindlichkeiten und sonstigen Belastungen der Gesellschaft übersteigen und damit der Gesellschaft selbst als Eigenkapital zustehen. Kosten, Verluste, Schulden und der Charakter der Kapitalerhaltung als bloße Abflussschranke zeigen aber, dass durch die vom Gesetz vorgeschriebene Aufbringung und Erhaltung des Kapitals ein Eigenkapital in der gesollten Höhe keineswegs „garantiert“ wird.

3. Kapitalaufbringung 418 Was danach die sog Aufbringung des Grund- oder Stammkapitals betrifft,

bedeutet sie, dass nach den Vorschriften über die Gründung und die Kapitalerhöhung von den Gesellschaftern in Höhe des Grund- oder Stammkapitalbetrags (bzw nach dem Maß seiner Erhöhung) Einlagen zu übernehmen sind, dh dass die Gesellschafter Vermögensgegenstände in einer bestimmten Höhe an die Gesellschaft leisten oder die Verpflichtung zur Leistung übernehmen müssen. Voraussetzung der Eintragung der Gesellschaft oder einer Kapitalerhöhung600 ist, dass die Gesellschafter in Höhe des (Erhöhungs-)Betrages Geld oder Sacheinlagen übernommen und mindestens in Höhe der vorgeschriebenen Mindestleistungen eingebracht haben. In der restlichen Höhe bleiben sie zur Einlage

_____ rücklage – s § 272 II HGB – und gesetzliche Rücklage gebunden bei der AG nach § 150 AktG, Kapitalrücklagen und Gewinnrücklagen bei der GmbH nach § 58b GmbHG). 600 Bei der AG: der Durchführung der Kapitalerhöhung (§ 188 AktG); vorher oder zugleich (§ 188 IV) ist der Kapitalerhöhungsbeschluss einzutragen (§ 184).

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verpflichtet. Die geleisteten Einlagen und die übrig bleibenden Einlageforderungen gehören zu den Aktiva der Gesellschaft. Ob und in welcher Höhe sich aus diesen Aktiva ein Eigenkapital der Gesellschaft ergibt, hängt vom Wert der Aktiva und weiter dem Gesamtstand des Vermögens einerseits und der Belastungen der Gesellschaft andererseits ab. Schon weil die offen bleibenden Einlageforderungen gegen die Gesellschafter als solche – das Gleiche gilt für etwaige Forderungen der Gesellschaft aus der Vorbelastungshaftung – in ihrer Realisierbarkeit von der Vermögensentwicklung bei den haftenden Gesellschaftern abhängig und deshalb unsicher sind601, ist mit der Kapitalaufbringung nicht jedenfalls ein Eigenkapital der Gesellschaft in Höhe des gezeichneten Kapitals erreicht. Das Registergericht kann sogar einmal die Eintragung ablehnen, dies aber nur bei erheblichen Zweifeln an der Leistungsfähigkeit der Gesellschafter im Zeitpunkt der Prüfung. Andernfalls trägt es ein, und dann ist offen, ob die Einlageforderungen gegen die Gesellschafter die Aktivaseite in Höhe ihres Nominalbetrags verstärken.

4. Kapitalerhaltung an Hand des Tatbestands der §§ 30 I 1, 31 I GmbHG Was sodann die Kapitalerhaltung oder, wie man auch sagt, die Vermögens- 419 bindung bei den Kapitalgesellschaften betrifft, bedeutet auch diese nicht die Garantie eines Eigenkapitals in Höhe des Grund- oder Stammkapitals. Gehen wir von der Regelung der GmbH als Modell für den Kern der Vermögensbindung bei GmbH und AG aus, so darf nach § 30 I 1 GmbHG das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden602. Das Gleiche gilt bei der GmbH von der Auszahlung von Nachschüssen, die zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital benötigt werden (§ 30 II 1 GmbHG) oder den weiteren Maßgaben des § 30 II widersprechen. Zahlungen, die dem Verbot des § 30 zuwider geleistet sind, müssen nach § 31 I GmbHG der Gesellschaft erstattet werden. Dieser Anspruch entspricht dem aktienrechtlichen Anspruch aus §§ 57 I 1, 62 I AktG, der nach

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601 Zur Vorbelastungshaftung o Rn 384. Auch die bereits geleistete Einlage des Gesellschafters ist noch in der folgenden Hinsicht unsicher: Sie ist nicht etwa den Anfechtungstatbeständen entzogen: Hat ein Gesellschafter seine Einlage in Verwirklichung eines Tatbestands nach dem AnfG oder der InsO (vormals KO) geleistet, so kann dem Anfechtungsanspruch der Gläubiger nicht der Kapitalschutz nach § 30 I GmbHG (s den folgenden Text) entgegengehalten werden, RGZ 24, 14; 74, 16; BGHZ 128, 184; zustimmend Hüttemann, GmbHR 2000, 357 ff. 602 Die Vermögensbindung ist signifikant unterschieden von der Rechtslage bei der OHG, §§ 120, 121 HGB. – Zum Verhältnis der Kapitalerhaltung zu kapitalmarktrechtlichen Ansprüchen eines Aktionärs gegen die AG u Rn 694.

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dem Gesetz daraus entsteht, dass den Aktionären die Einlagen nicht zurückgewährt werden dürfen. Die aktienrechtliche Vermögensbindung geht noch darüber hinaus. Nachschüsse kennt das Aktienrecht freilich nicht. Für die GmbH und für den Kern der Vermögensbindung bei der AG sind die Tatbestandsmerkmale des Anspruchs aus §§ 31 I, 30 I 1 GmbHG wegen Leistungen der Gesellschaft an einen Gesellschafter, die der Vermögensbindung widersprechen, zu kennzeichnen. Die Tatbestandsmerkmale des Auszahlungsverbots sind: (1) Zahlung der Gesellschaft (§ 31 I GmbHG). Dies bedeutet jede Leistung der Gesellschaft603. (2) Diese muss § 30 I 1 GmbHG verletzen. Dazu ist zunächst (a) erforderlich, dass die Zahlung durch die Gesellschaft an einen Gesellschafter geleistet worden ist. Weiter (b) muss eine Auszahlung aus dem Gesellschaftsvermögen erfolgt sein. Schließlich muss (c) die Auszahlung aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen geleistet sein.

a. Zahlung an einen Gesellschafter durch die Gesellschaft 420 Ein Gesellschafter muss eine Zahlung der Gesellschaft erhalten haben. Dafür

muss auf Seiten der Gesellschaft eine Auszahlung festzustellen sein, dh eine Vermögensbewegung, die Organen der Gesellschaft in ihrem Tätigkeitsbereich für die Gesellschaft zuzurechnen sind. Diebstähle von Gesellschafter-Geschäftsführern, Untreue-Handlungen ohne Zusammenhang mit der Vertretungsmacht fallen nicht darunter603a. Für die Reichweite des Merkmals der Zahlung an einen Gesellschafter gelten zunächst einmal die Grundsätze der Anweisungsleistung: So zahlt die Gesellschaft an einen Gesellschafter auch dann, wenn sie auf dessen Anweisung an einen Dritten leistet603b, und auf der anderen Seite ist es eine Zahlung der Gesellschaft an ihren Gesellschafter, wenn ein Dritter auf Anweisung der Gesellschaft an einen Gesellschafter leistet. Rechtsprechung und Literatur haben darüber hinaus Gesellschafter aufgrund ihrer beherrschenden Stellung zur Empfängerin und Dritte aufgrund ihrer beherrschenden Stellung zu der Gesellschaft oder zu einem Gesellschafter in die gesetzliche Vermögensbindung

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603 Die Übernahme der Prospekthaftung eines Aktionärs durch die AG ist Auszahlung, die – wegen der weitergehenden Vermögensbindung bei der AG jedenfalls – verboten ist, LG Bonn AG 2007, 715, bestätigt durch BGHZ – Dritter Börsengang – 190, 7. 603a OLG Hamm NZG 2017, 741 Tz 29 mit N aus der Rechtsprechung. 603b Besonderes Beispiel: Verrechnung eines einem Gesellschafter in Wirklichkeit nicht zustehenden Gewinnanspruchs durch die Gesellschaft mit einer Forderung der Gesellschaft gegen ein dem Gesellschafter wirtschaftlich gehörendes Unternehmen, sofern und soweit dieses in Vermögensverfall gerät und die Forderung der Gesellschaft dadurch wertlos wird, BGHZ 122, 333.

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einbezogen603c. Gesellschafter sind weiterhin nicht nur die gegenwärtigen Gesellschafter der GmbH. Im Fall des Urteils des BGH vom 18.6. 2007604 hatten Gesellschafter ihre Anteile an einen Dritten unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung abgetreten. Die GmbH hatte für den Kaufpreisanspruch Sicherheit geleistet. Die Sicherheit war verwertet worden. Hier war die Leistung der GmbH sowohl den Veräußerern als Noch-Gesellschaftern als auch dem Erwerber, der durch die Leistung der GmbH Gesellschafter wurde, zugutegekommen. Mit Recht hat der BGH sowohl die Veräußerer als auch den Erwerber in die Haftung aus §§ 30, 31 GmbHG einbezogen605.

b. Auszahlung aus dem Gesellschaftsvermögen Auszahlung von gebundenem Vermögen kann jede reale Vermögensbewegung 421 zwischen Gesellschaft und Gesellschafter sein. Bei der GmbH muss hinzukommen, dass die Auszahlung aus zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichem Vermögen geschehen muss (s sogleich). Eine Auszahlung aus dem Gesellschaftsvermögen kann zum einen sehr direkt erfüllt sein. Das ist bei der in § 57 I 2 AktG an den Anfang gestellten Rückgewähr der Einlage gegeben. Aber auch der Erwerb von Anteilen der Gesellschafter, die dadurch eigene Anteile der Gesellschaft werden, ist, wenn dieser gegen Entgelt geschieht, ein Fall der Rückgewähr. Der entgeltliche Erwerb eigener Aktien und Gesellschaftsanteile ist aber besonders geregelt (§§ 71 ff AktG, 33 GmbHG)605a. §§ 71 ff AktG lassen den Erwerb unter besonderen Voraussetzungen zu. Deshalb sagt § 57 I 2 AktG, der zulässige Erwerb sei keine verbotene Rückgewähr. § 30 spricht nicht von Rückgewähr, und das GmbHG hat deshalb die Ausnahmevorschrift in § 30 GmbHG nicht nötig. Die Vorkehrung für die Erhaltung des Stammkapitals ist in §§ 33 II 1 GmbHG, 272 I a 1 HGB getroffen. Soweit es um andere Leistungen als die Rückvergütung der Einlage geht, 422 setzt die Auszahlung von Gesellschaftsvermögen an einen Gesellschafter eine aufgrund der Gesellschafterstellung ganz oder teilweise unentgeltliche Leistung der Gesellschaft voraus (Leistung causa societatis). Mit dem Merkmal der Auszahlung aus dem Gesellschaftsvermögen verbinden sich vier Fragen. Eine erste

_____ 603c Dazu u Rn 467 ff. 604 BGHZ 173, 1. 605 Die Leistung der Gesellschaft bestand in der Übertragung ihres Wertpapierdepots an die Veräußerer zur Sicherheit für deren Kaufpreisanspruch. Abfluss des Sicherungsguts, wenn nicht sogar schon in der Einräumung (so jetzt BGH NZG 2017, 658 – u Fn 608b –), so doch jedenfalls schon in der Verwertung (nicht erst bei Auskehrung des Erlöses). 605a Rn 224 ff, 237 ff.

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Frage betrifft die aus dem Steuerrecht überkommene Figur der verdeckten Gewinnausschüttung, für unser Merkmal der Auszahlung von Gesellschaftsvermögen geht es um verdeckte Ausschüttungen. Die Frage ist unten in einem selbstständigen Abschnitt zu erörtern605b. Die zweite Frage ist mit dem sog November-Urteil des BGH605c verbun423 den. Das Urteil ist zur GmbH ergangen, bei der nach § 30 I GmbHG nur das zur Deckung des Stammkapitals erforderliche Vermögen gebunden ist. Der BGH hatte die Folgerung daraus zu ziehen, dass bei bloßer Deckung oder sogar Unterdeckung des Stammkapitals nichts an die Gesellschafter ausgezahlt werden darf. Die Folgerung war nach der Auffassung des BGH, dass das Auszahlungsverbot auch dann eingriff, wenn der empfangende Gesellschafter aufgrund der Auszahlung zur Rückzahlung an die Gesellschaft verpflichtet und die Rückzahlungsforderung durchaus vollwertig war. Die Konsequenz war, dass die Darlehensgewährung an Konzerngesellschaften in Cash-PoolingSystemen durch die gesellschaftsrechtlichen Auszahlungsverbote bedroht war605d. Dem hat das MoMiG abgeholfen, und der BGH ist dem – und zwar zusätzlich unter Abrücken vom November-Urteil für Altfälle – im MPS-Urteil gefolgt606. Die Rechtfertigung besteht darin, dass für die Prüfung der Auszahlung aus dem Stammkapitaldeckungsvermögen grundsätzlich die Gesellschaftsbilanz maßgeblich ist, aber eben die vollständige607. Werden in der Bilanz nur Aktiva ausgetauscht, findet keine Vermögensauszahlung zu Lasten des Stammkapitals statt. Die Folgerung des MoMiG geht über den Cash-Pooling-Fall hinaus: Leistungen der Gesellschaft sind jetzt allgemein vom Auszahlungsverbot ausgenommen, wenn ihnen ein vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Empfänger gegenübersteht (§§ 30 I 2 2. Alt. GmbHG, 57 I 3 2. Alt. AktG). Der Gesetzgeber beruft sich für seine Neuregelung darauf, dass § 30 GmbHG von einer Vermögensauszahlung spricht und damit das Vermögen in der bilanziellen Aufstellung gemeint sei, ein bloßer Aktivtausch also nicht unter das Ausschüttungsverbot falle. Das werde jetzt klargestellt. Die Regelung ist jedoch problematisch: Zwar passt die Rechtfertigung noch für vollwertige Gegenleistungsansprüche.

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605b U Rn 463 ff. 605c BGHZ 157, 72, 75 ff. 605d Zur Problematik im Zusammenhang u Rn 438 f. 606 BGHZ 179, 71 (dazu Kropff, NJW 2009, 814, Mülbert/Leuschner, NZG 2009, 281; Bayer, LMK 2009, 275577). Neue Entscheidung BGH WM 2017, 479: Keine verbotene Auszahlung, wenn AG den gegen ihren Aktionär bestehenden Darlehensanspruch besichert und der Freistellungsanspruch gegen den Aktionär vollwertig ist. Zweites Problem: Verstoß gegen das Verbot der Umgehung des Verbots des Erwerbs eigener Aktien (§ 71a AktG). 607 S u Rn 429.

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 249

Für sie gilt die Auslegung nach dem Deckungsgebot. Danach muss, wenn ein bloßer Aktivatausch gegeben sein soll, die Leistung der Gesellschaft (insbesondere die eines Grundstücks) nach Marktwerten ausgeglichen sein607a. Was demgegenüber Darlehen betrifft, reicht der vollwertige Rückzahlungsanspruch, auf den das Gesetz ausschließlich abstellt, nicht aus. Man muss vielmehr zur Rechtfertigung auch hier annehmen, dass jedenfalls längerfristige Darlehen nur dann privilegiert sein können, wenn sie nach Marktbedingungen verzinst und besichert sind. In seinem das MoMiG aufgreifenden MPS-Urteil hat der BGH seine November-Entscheidung denn auch nur für zwar unbesicherte, aber doch immerhin kurzfristig rückforderbare upstream-loans im Cash-Pool-System aufgegeben. Auch für die Beurteilung, ob der Rückgewähranspruch aus Darlehen iS der Neuregelung vollwertig ist, ist der Charakter der Regelung als Ausnahmeregelung zu beachten. Daraus ist eine enge Auslegung und mithin eine strenge Prüfung der Vollwertigkeit zu folgern608. Die Prüfung ist allerdings, weil es um das Verbot der Auszahlung geht, aufgrund der Vermögensverhältnisse des Empfängers im Zeitpunkt der Auszahlung zu prüfen. Darüber hinaus ergibt die Negativfassung (das Verbot gilt nicht, wenn), dass die Darlegungs- und Beweislast dem Gesellschafter zugewiesen wird. Die dritte Frage zur Auszahlung aus dem Gesellschaftsvermögen ist mit dem 424 Kapitalmarktrecht verbunden. Es geht um Emissionen von Aktien, bei denen Anleger aufgrund einer – der AG zurechenbaren – fehlerhaften Beratung Aktien erwerben. Einerseits sind die Anleger Aktionäre geworden, es könnte sie also die aktienrechtliche Vermögensbindung treffen. Andererseits ist die AG zum Schadensersatz verpflichtet und bedeutet der Schadensersatz Rückzahlung der Einlage gegen Rückerwerb der Aktien, die dann eigene Aktien der AG würden. Wir werden sehen608a, dass die Schadensersatzpflicht Vorrang hat. Die Erfüllung der Schadenersatzpflicht ist keine unzulässige Auszahlung von Gesellschaftsvermögen. Die Schadensersatzpflicht ist sodann die rechtfertigende Grundlage für einen Erwerb eigener Aktien. Eine vierte Frage ist mit der Verjährungsvorschrift des § 31 V 2 GmbHG 425 verbunden: Die Fristen der Verjährung des Rückerstattungsanspruch nach § 31 I, II beginnen mit der Auszahlung. Hierzu hat der BGH entschieden, dass bei der Anwendung des Verbots auf die Bestellung einer dinglichen Sicherheit durch die Gesellschaft für das Darlehen eines Gesellschafters die Auszahlung schon mit der Bestellung zustande kommt, wenn der Gesellschafter voraussicht-

_____ 607a Begr RegE BT-Drs 16/6140, 41 unter Verweis auf das Deckungsgebot. 608 Zur Vollwertigkeit iS von § 30 I 2 GmbHG mit reichen Nachweisen Roth/Altmeppen/ Altmeppen § 30 Rn 111 ff. 608a U Rn 694.

250 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

lich zur Rückzahlung nicht in der Lage ist, nicht erst mit der Verwertung der Sicherheit608b.

c. Das zur Erhaltung des Garantiekapitals erforderliche Vermögen 426 Zur Anwendung der Auszahlungsverbote – vor allem im Recht der GmbH, wel-

ches in § 30 I GmbHG das Auszahlungsverbot auf den Schutz des Stammkapitals beschränkt, während der Fall der Auszahlung aus dem Grundkapital nur ein Kernfall auch bei der AG ist – ist schließlich zu definieren, was das zur Erhaltung des Stammkapitals (oder Grundkapitals) erforderliche Vermögen der Gesellschaft ist. Ausgangspunkt dafür ist: Ist das Stammkapital gerade gedeckt, ist das gesamte Vermögen der Gesellschaft zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlich. Das Stammkapital ist unter der Voraussetzung voll gedeckt, dass Eigenkapital in Höhe des Stammkapitals vorhanden ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Gesellschaft Vermögensgegenstände in einem so hohen Wert gehören, dass dieser die Summe aus Verbindlichkeiten und Rückstellungen zuzüglich des Betrags des Stammkapitals erreicht609. In dieser Situation ist das ganze Vermögen der Gesellschaft zur Erhaltung des Garantiekapitals erforderlich, jede Auszahlung an die Gesellschafter unzulässig. Weil zum anderen sich jedes Eigenkapital, also auch Eigenkapital in Höhe des Stammkapitalbetrages, dadurch aufbaut, dass zunächst die Verbindlichkeiten und Rückstellungen gedeckt werden und dann weiterer Vermögenswert hinzukommt, ist gerade und zunächst einmal der die Verbindlichkeiten deckende Vermögenswert zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlich. Falls nur dieser Vermögenswert und damit gar kein Eigenkapital vorhanden ist oder wenn der Gesellschaft nicht einmal Vermögen in Höhe der Verbindlichkeiten sowie Rückstellungen gehört, greift die Auszahlungssperre erst recht ein. Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen ist also 427 der bilanzielle Wert des Vermögens in Höhe der Summe aus Verbindlichkeiten, sonstigen Belastungen plus Stammkapital. Eine Auszahlung dieses Vermögens erfolgt an die Gesellschafter mithin immer dann und insoweit, wenn und

_____

608b NZG 2017, 658 (für den Bestellungszeitpunkt schon BGH NZG 2017, 344), dazu H.Heerma/ R.Bergmann, ZIP 2017, 1261; Becker, ZIP 2017, 1599; Freitag, WM 2017, 1633 und Altmeppen, ZIP 2017, 1977. 609 Formelhaft ausgedrückt ist das Stammkapital (StK) gerade gedeckt, das erforderliche Vermögen gerade vorhanden bei dem folgenden Vermögensstand: Aktivvermögenswert (Aktivawert, AW) minus Verbindlichkeiten (V) minus sonstige Belastungen (B, etwa Rückstellungen), also AW – (V + B) = StK. Ist das Stammkapital nur gerade gedeckt, so erfolgt eine Auszahlung an die Gesellschafter notwendiger Weise aus zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichem Vermögen, jede Auszahlung ist also verboten.

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 251

soweit entweder schon vor der Auszahlung oder aber aufgrund der Auszahlung bei ordnungsgemäßer Bewertung und der Berücksichtigung des Aktivatauschs iS der neuen Vorschriften des MoMiG (§§ 30 I 2 2. Alt GmbHG, 57 I 3 2. Alt AktG) der Wert des Aktivvermögens der Gesellschaft nicht (mehr) die Verbindlichkeiten und sonstigen Belastungen um den Betrag des Stammkapitals überschreitet610. Im Fall einer GmbH & Co KG können Ausschüttungen aus dem Vermögen 428 der KG an einen Gesellschafter der GmbH und der KG das Stammkapital der Komplementär-GmbH auf zweifache Art angreifen: zum einen durch Wertverminderung des Anteils der GmbH an der KG; zum anderen durch die persönliche Haftung der GmbH für die Verbindlichkeiten der KG dann, wenn das nach der Auszahlung verbleibende Restvermögen der KG für die Begleichung der Schulden der KG nicht ausreicht611. Für die Kriterien der Auszahlung von gebundenem Vermögen ist grundsätz- 429 lich die Gesellschaftsbilanz maßgeblich612. Das Auszahlungsverbot iSv § 30 I GmbHG ist anhand der Bilanzregelung der §§ 266, 272 HGB darzustellen613. Zum Verständnis ist in Erinnerung zu halten, dass Aktiva = Passiva sind, indem die Passiva-Seite ausdrückt, inwieweit die Aktivvermögensgegenstände dem Kaufmann wertmäßig zustehen, inwieweit hingegen nicht. Soweit der Wert des Aktivvermögens die Summe aus Verbindlichkeiten + Belastungen übersteigt, handelt es sich um Eigenkapital, dh steht das Vermögen der Gesellschaft zu. Nach § 266 III A Eigenkapital Ziff. I–V HGB (EK) steht das der Gesellschaft zustehende Vermögen zunächst als gezeichnetes Kapital (EK I), dann als Kapital- und Gewinnrücklagen sowie Gewinnvortrag und schließlich als Jahresüberschuss der Gesellschaft zu. Ergeben sich Verluste, können die negativen Beträge „Verlustvortrag“ und „Jahresfehlbetrag“ zu buchen sein. Diese sind von den positiven EK-Posten abzuziehen. Solange und soweit etwaige Negativbeträge von den EK-Posten II–IV abziehbar sind, ist das gezeichnete Kapital (EK I) noch

_____ 610 Wieder formelhaft: Das Auszahlungsverbot greift ohne Weiteres dann und zwar zum vollen Auszahlungsbetrag ein, wenn das Stammkapital nicht gedeckt ist, der Vermögensstand vor der Auszahlung sich also wie folgt darstellt: (AW – (V + B)) < StK. Wenn die Gesellschaft demgegenüber den Vermögensstand hat: (AW – (V + B)) > StK, ist eine Auszahlung nur dann verboten, wenn sie den Vermögensstand auf den Saldo (AW – (V + B)) < StK herabführt, und in diesem Fall auch nur in Höhe der Unterschreitung, also des Differenzbetrags (StK – AW + V + B). 611 Eine andere Frage ist, ob als Gesellschafter iSv § 30 I GmbHG auch der Nurkommanditist herangezogen wird (dh der Kommanditist, der nicht auch an der Komplementär-GmbH beteiligt ist), dazu unten Rn 467 Fn 669, 492 Fn 707. 612 S u Rn 429. 613 Die Anwendung des HGB steht unter dem Vorbehalt, dass spezialgesetzlich internationale Bilanzgrundsätze eingreifen können.

252 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

gedeckt. Erst wenn und soweit ein Negativbetrag (auch) vom gezeichneten Kapital abgezogen werden muss, ist eine Minderung des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens eingetreten614. Wenn und soweit die Minderung auf einer Auszahlung an die Gesellschafter beruht, ist die Auszahlung verboten. Umgekehrt: Eine Auszahlung ist dann und insoweit vom Kernsatz der Vermögensbindung (§ 30 I 1 GmbHG) nicht erfasst, wenn und soweit sich aufgrund ihrer entweder gar keine oder nur vom EK II–IV abziehbare Negativbeträge ergeben.

5. Die Rechtsfolge: Der Anspruch aus § 31 I GmbHG, Mithaftung der übrigen Gesellschafter, 430 Als Rechtsfolge ergibt sich: In Höhe des fehlenden Betrags ist der Rückerstat-

tungsanspruch aus § 31 I GmbHG begründet615. Wegen dieses Anspruchs muss

_____

614 Übersteigen die Negativposten nicht nur das EK II–IV, sondern auch das EK I (gezeichnetes Kapital), so kann dies nicht mehr als Abzugsposten vermerkt werden. Vielmehr ist jetzt auf der Aktivseite ein Korrekturposten einzustellen: Den nennt das Gesetz einen „nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag“ (§ 268 III HGB). Die Ausdrucksweise ist ungenau: Das Eigenkapital wird durch Vermögen gedeckt, deckt aber selbst nichts. Es geht um einen Fehlbetrag, der nicht vom Eigenkapital abgezogen werden kann. Durch die Buchung des Korrekturpostens drückt die Bilanz aus, wie viel weiterer Aktivvermögenswert nötig wäre, damit die Verbindlichkeiten und sonstigen Belastungen (Rückstellungen) gedeckt wären. Übersteigt der Fehlbetrag sogar über die EK-Posten hinaus den Betrag der sonstigen Belastungen, dann sind nicht einmal die Verbindlichkeiten gedeckt. In diesem Fall ist die Gesellschaft „buchmäßig überschuldet“. Dies muss aber wegen eventueller stiller Reserven in der Bilanz (bei zu vorsichtigem Ansatz der Posten) keine insolvenzrechtliche Überschuldung bedeuten. Macht die Gesellschaft in der Folgezeit Gewinn, so entfällt insoweit zunächst jener Korrekturposten und baut sich sodann der positive Eigenkapitalposten des gezeichneten Kapitals und bauen sich weiterhin, soweit diese noch nicht aufgelöst sind, die Posten EK II–IV auf. Erst soweit die Aktivvermögenswerte die Verbindlichkeiten samt sonstigen Belastungen und das gezeichnete Kapital übersteigen, kommen Auszahlungen an die Gesellschafter in Betracht. 615 Hat die Gesellschaft keine Geldzahlung, sondern eine Leistung anderer Art erbracht, ist der Erstattungsanspruch auf diese Leistung gerichtet. Nach der Regel, dass das allgemeine Recht dort eingreift, wo das spezielle nichts regelt, müssten auf die Rückgewährverbindlichkeit die allgemeinen Regeln über Leistungsstörungen gelten (dafür – noch nach altem Schuldrecht – Keuk, StuW 1973, 259; GK-AktG/Barz 3. Aufl § 62 Anm 5). Der BGH entnimmt aber aus dem Gebot der Kapitalerhaltung einen ergänzenden Wertersatzanspruch, wenn sich der Wert des Vermögensgegenstands beim Empfänger verringert (BGHZ 122, 333), es sei denn der Empfänger könnte dartun und notfalls beweisen, dass dieselbe Wertminderung auch bei der Gesellschaft eingetreten wäre (BGH JZ 2008, 734 mit Anm K. Schmidt). – Auf den Erstattungsanspruch nach § 31 I GmbHG wendet der BGH den Ausschluss der einseitigen Aufrechnung durch den Gesellschafter nach § 19 II 2 GmbHG analog an (BGHZ 146, 105). Kritisch dazu Lange,

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 253

die Geschäftsführung schon die Auszahlung verweigern, bei Beteiligung von Dritten kann sie das jedenfalls dann, wenn der Dritte bösgläubig oder ein den Gesellschafter beherrschendes oder vom Gesellschafter abhängiges Unternehmen ist und so neben dem Gesellschafter haftet615a. Ordnet ein Gesellschafterbeschluss die Auszahlung an, ist er analog § 241 Nr 3 AktG (Gläubigerschutz) nichtig. Ist die Ausschüttung in ein Austauschgeschäft mit dem Gesellschafter eingebettet (verdeckte Ausschüttung), ergibt sich aus dem Rückerstattungsanspruch gegen den Anspruch des Gesellschafters aus dem Geschäft die dolopetit-Einrede. Das Verpflichtungsgeschäft mit der Gesellschaft über die Auszahlung ist nämlich nicht nach § 134 BGB nichtig. Es begründet durchaus den Anspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft auf die Leistung. Diesem Anspruch steht aber aufgrund und nach dem Maß des Rückerstattungsanspruchs nach § 31 I GmbHG, der eingreifen würde, falls die Gesellschaft leisten würde, die dolo-petit-Einrede entgegen. Die Gesellschaft muss sie erheben, nach § 30 I GmbHG darf sie nicht auszahlen615b. Der Anspruch der Gesellschaft ist, wenn er einmal entstanden ist, nicht wei- 431 terhin von der laufenden Vermögensrechnung derart abhängig, dass er nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn zwischenzeitlich die Sollgröße des Stammkapitals durch die Vermögensentwicklung der Gesellschaft wieder erreicht ist616. Hat etwa ein Gesellschafter entgegen § 30 I GmbHG eine Auszahlung aus dem Gesellschaftsvermögen erlangt, so ist der Anspruch der Gesellschaft gegen ihn nach § 31 I GmbHG auf Rückzahlung entstanden und in der Vermögensentwicklung der Gesellschaft als Aktivum zu berücksichtigen. Übersteigt das Aktivvermögen unter Einschluss des Rückerstattungsanspruchs das stammkapitaldeckende Vermögen, so können bei der GmbH im Rahmen dieser Überschreitung unter Beachtung der Zuständigkeitsordnung Ausschüttungen an die Gesellschafter vorgenommen werden. Ist ein Rückzahlungsanspruch beim Empfänger-Gesellschafter nicht zu rea- 432 lisieren, haften die übrigen Gesellschafter, soweit zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich, nach Verhältnis ihrer Anteile für den Ausfall beim Empfänger und bei Mitgesellschaftern (§ 31 III 1, 2 GmbHG). Den Gesellschaftern

_____

NJW 2002, 2293 ff. Die andererseits seitens der Gesellschaft vorgenommene Verrechnung des Anspruchs aus § 31 I GmbHG mit einer Forderung des Gesellschafters gegen die Gesellschaft steht ebenso wie die Verrechnung eines Einlageanspruchs unter den Voraussetzungen der Fälligkeit, Liquidität und Vollwertigkeit der Forderung des Gesellschafters (Roth/Altmeppen/ Altmeppen GmbHG § 31 Rn 32). 615a BGHZ 31, 258 (265 ff). 615b BGHZ 136, 125, 130 f. 616 BGHZ 144, 336 (Balsam/Procedo) entgegen der früheren Entscheidung BGH NJW 1988, 139, 140 = ZIP 1987, 1113 mit Anm H. P. Westermann.

254 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

haften die schuldhaft handelnden Geschäftsführer solidarisch auf Ersatz (§ 31 VI GmbHG). Die Ansprüche aus §§ 31 I verjähren in 10 Jahren (mit der Verlängerung bei 433 Fristlauf für den Fall der Insolvenz gemäß § 19 VI 2 GmbHG), die Ansprüche aus § 31 III verjähren in 5 Jahren ab Auszahlung (§ 31 V 1, 2 GmbHG)616a, die Ansprüche aus § 31 VI ebenfalls in 5 Jahren (§ 31 VI 2 iVm § 43 IV GmbHG).

6. Kapitalerhaltung und Erwerb eigener Anteile 434 Der Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft berührt die Vermögensbin-

dung bei den Kapitalgesellschaften. Darauf beziehen sich die Spezialregelung des HGB und die Vorschriften der §§ 71 II 2 AktG, 33 II GmbHG617.

7. Organhaftung zur Kapitalerhaltung 435 Die Auszahlungsverbote werden zusätzlich gesichert durch §§ 93 III Nr 1 AktG,

43 III GmbHG: Vorstand und Geschäftsführung haften der Gesellschaft bei verbotenen Auszahlungen an die Gesellschafter auf Schadensersatz618. § 93 V AktG verstärkt bei der AG den Schutz durch ein Recht der Gläubiger, die Haftung des Vorstands geltend zu machen. Ein solches Verfolgungsrecht enthält das GmbHG nicht. Die Verantwortlichkeit des Vorstands der AG wird nach § 116 S 1 AktG auf den Aufsichtsrat erstreckt. Hat die GmbH einen Aufsichtsrat, so verweist § 52 I GmbHG für dessen Haftung nicht auf die Vorschriften des § 116 iVm § 93 III, V AktG. Eine weitere Haftung trifft die Geschäftsführer der GmbH, wie eben angesprochen, bei Verschulden gegenüber den Mitgesellschaftern, die von der Ausfallhaftung nach § 31 III GmbHG getroffen werden (§ 31 VI GmbHG).

_____ 616a Zum Zeitpunkt der Auszahlung o Rn 425. 617 S o Rn 224 ff, 237 ff. 618 Für Geschäftsführer der GmbH fügt § 43a GmbHG das Verbot der Kreditgewährung aus Stammkapitaldeckungsvermögen an andere Geschäftsführer oder sonstige Generalvertreter hinzu. Was Gesellschaftergeschäftsführer betrifft, geht das Verbot der Kreditgewährung an sie über das in § 30 I 2 GmbHG neu gefasste Verbot der Auszahlung an Gesellschafter hinaus (BGHZ 193, 96 Tz 35). Zur Geschäftsführung zählt die Rechtsprechung nicht allein formell bestellte, sondern auch den sog faktischen Geschäftsführer, BGHZ 143, 184.

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 255

8. Mithaftung der Gesellschafter der GmbH Bei der GmbH besteht die schon erwähnte Besonderheit, dass die Mitgesell- 436 schafter für die Rückerstattung nach § 31 I GmbHG subsidiär anteilig mithaften, soweit dies zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist (§ 31 III)618a. Die Haftung verjährt allerdings anders als der Anspruch gegen den Empfänger bereits nach 5 Jahren (§ 31 V 1 GmbHG). Der BGH hat ohne Anhaltspunkt in der gesetzlichen Regelung aus Billigkeitsgründen die Mithaftung auf den Betrag des Stammkapitals beschränkt619.

9. Die darüberhinausgehende Vermögensbindung bei der AG Bei der AG entspricht dem Verbot der Stammkapitalauszahlung bei der GmbH 437 das Verbot der Einlagenrückgewähr (§§ 57 I, 62 I 1 AktG). Auch das Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 57 I 1 AktG macht das die Zuwendung enthaltende Geschäft nicht nichtig. § 134 BGB ist durch den Rückgewähranspruch aus § 62 I 1 AktG als lex specialis verdrängt619a. Ein besonders geregelter Verbotsverstoß ist der entgeltliche Erwerb eigener Aktien. Dafür ist nach § 57 I 2 AktG die Spezialregelung der §§ 71 ff AktG maßgeblich619b. Nach § 57 I 3 AktG stellt es, wie gleich näher auszuführen ist, seit dem MoMiG keinen Verstoß dar, wenn der Leistung der Gesellschaft ein Gegenleistungs- oder Rückgewährsanspruch gegenübersteht und dieser vollwertig ist. Die Vermögensbindung bei der AG ist sodann zunächst in Umfang und Ausschüttungsverfahren und sodann auch in der Rechtsfolge von der Vermögensbindung bei der GmbH verschieden. Zunächst geht sie im Umfang noch über das Aktivvermögen in Höhe von Verbindlichkeiten plus sonstige Belas-

_____ 618a Anwendungsfall OLG Hamm NZG 2017, 741. 619 BGHZ 150, 61; zu der Entscheidung Altmeppen, ZIP 2002, 961. Klarstellung von BGHZ 150, 61 in BGH NJW 2003, 3629, 3632: Maßgeblichkeit des Stammkapitalbetrags, der nach § 31 III 1 GmbHG auf die übrigen Gesellschafter nach dem Verhältnis ihrer Anteile zu verteilen sei, ohne Abzug des eigenen Anteils des Mithaftenden vom Stammkapitalbetrag. Also auch keine Ausfallhaftung nur nach Maßgabe der Stammeinlage des ausfallenden Mitgesellschafters (wie bei § 24 S 1 GmbHG) und auch nicht Ausfallhaftung nur auf den Betrag der eigenen Einlage des Mithaftenden. – Versuch einer Annäherung an die Meinung des BGH über bilanzielle Erwägungen bei Jungmann, DStR 2004, 688 ff. – Umfassend zur Ausfallhaftung der Gesellschafter der GmbH im Rahmen der Kapitalaufbringung (§ 24 GmbHG) und Kapitalerhaltung (§ 31 III GmbHG) Görner/Kling, GmbHR 2004, 714 ff und 778 ff. 619a BGHZ 196, 312 Rn 12 ff. 619b O Rn 224 ff.

256 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

tungen plus Grundkapitalbetrag hinaus620. Nach § 57 III AktG darf vor der Auflösung der Gesellschaft an die Aktionäre nur der Bilanzgewinn verteilt werden621. Auf die Gewinnteilnahme bezieht sich eine Einschränkung des Rückgewähranspruchs nach § 62 I 2 AktG: Haben Aktionäre unzulässige Leistungen als Gewinnanteile bezogen, haften sie nur bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der mangelnden Berechtigung. Zum Verständnis des Unterschieds im Umfang der Vermögensbindung bei GmbH und AG gehen wir wieder von der Bilanz aus. Die Bildung von Gewinn heißt nicht notwendig, dass der Gewinn auch verteilt wird. Er kann in der Gesellschaft verbleiben („thesauriert“ werden), indem der Steigerung des Vermögens auf der Aktivseite auf der Passivseite die Posten eines Gewinnvortrags oder einer Rücklage gegenübergestellt werden. Soll in der Folgezeit der thesaurierte Gewinn ausgeschüttet werden, so müssen bei der AG der Gewinnvortrag oder die Rücklage erst aufgelöst und statt ihrer ein Bilanzgewinn verbucht werden, wenn die Ausschüttung nach § 57 III AktG zulässig sein soll. Dazu bedarf es der Aufstellung und Feststellung eines Abschlusses, der grundsätzlich der Jahresabschluss nach §§ 170 ff AktG ist. Außerdem schreibt das AktG in § 150 I eine gesetzliche Rücklage vor und stellt in den folgenden Absätzen die Verwendung dieser Rücklage sowie der nach § 272 II Nr 1–3 HGB zu buchenden Kapitalrücklage (u a das Agio und Zuzahlungen der Gesellschafter) unter besondere Voraussetzungen. Eine Sonderregelung für die gesetzliche und die Kapitalrücklage findet sich für die vereinfachte Kapitalherabsetzung in §§ 230 f AktG. Hier entsprechen sich Aktienund GmbH-Recht (s § 58b GmbHG). Schließlich ist für die Gewinnverteilung das Verfahren und dafür die Zuständigkeit zu beachten: Nach §§ 119 I Nr 2, 174 I 1 AktG entscheidet über die Gewinnausschüttung die HV. Ein Abschlag auf die zu erwartende Gewinnbeteiligung ist allerdings zulässig, wenn die Satzung dazu ermächtigt. Dann darf der Vorstand nach § 59 I AktG – mit Zustimmung des Aufsichtsrats (Abs 3) – nach Ablauf des Geschäftsjahrs einen Abschlag auf den voraussichtlichen Bilanzgewinn zahlen (Sicherungen, was Grundlage und Höhe betrifft, in § 59 II). Sodann enthält § 62 II AktG eine besondere Rechtsfolge: Der Rückgewähranspruch der Gesellschaft kann auch von den Gläubigern geltend gemacht werden, wenn sie von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können. Im Insolvenzverfahren übt das Recht der Insolvenzverwalter oder der Sachwalter aus. Verjährung tritt ein nach §§ 62 III 1, 2, 54 IV 2 AktG.

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620 Dazu Henze, AG 2004, 405 ff. 621 Folgerung des LG München I AG 2004, 159: Unzulässigkeit des Verkaufs der Anteile an 100 %iger Tochter unter Wert an Holdinggesellschaft des Mehrheitsgesellschafters der AG.

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 257

10. Cash Pooling Die Folgerung daraus, dass insbesondere im GmbH-Recht bei Deckung oder 438 sogar Unterdeckung des Stammkapitals nichts an die Gesellschafter ausgezahlt werden durfte, war nach dem sog November-Urteil des BGH622, dass das Auszahlungsverbot auch dann galt, wenn der empfangende Gesellschafter aufgrund der Auszahlung zur Rückzahlung an die Gesellschaft verpflichtet und die Rückzahlungsforderung durchaus vollwertig war. Das November-Urteil des BGH war von erheblicher praktischer Bedeutung insofern, als sie die Praxis der „aufsteigenden Darlehen“ oder „upstream loans“ im Rahmen eines konzerninternen cash-pooling berührte623. Im Vertragskonzern stellte sich die Frage der Vermögensbindung freilich nicht: Nach § 291 III AktG, der auf den Vertragskonzern mit einer GmbH als Untergesellschaft analog anzuwenden ist – das MoMiG hat jetzt die Grundvorschriften der §§ 57 AktG und 30 GmbHG entsprechend ergänzt (§§ 57 I 3, 30 I 2) –, ist die Regelung der Vermögensbindung durch die vertragliche Ausgestaltung der Abhängigkeit suspendiert. Was sodann den faktischen Konzern betrifft, war entscheidend die Frage der causa societatis. Gerade im Konzern ist diese aber schnell zu bejahen. Es braucht nur festgestellt zu werden, dass die Liquidität besser im Rahmen des Geschäftsbetriebs der gewährenden Gesellschaft gebraucht werden kann oder nicht zu Bedingungen des normalen Kreditmarkts ausgereicht wird624. Das MoMiG hat die Problematik des Cash-Pooling jetzt im GmbHG und im AktG einheitlich geregelt, und zwar für upstream loans624a wie für downstream loans. Es hat die §§ 30 I 2 GmbHG, 57 I 3 AktG eingefügt. Darin ist nicht nur die Unanwendbarkeit der Vermögensbindung im Vertragskonzern ausdrücklich hervorgehoben625, sondern nach beiden Vorschriften sind auch die Verbote der Auszahlung von Gesellschaftsvermögen für den Fall außer Kraft gesetzt

_____ 622 BGHZ 157, 72 ff, s o Rn 423; übertragen auf die AG durch OLG Jena DStR 2008, 368. Overruling der November-Entscheidung durch BGH – MPS – BGHZ 179, 71. 623 Umstritten, ob in der Entscheidung ein Todesstoß für das Cash-Pooling zu sehen ist oder nicht (für letzteres Schäfer, GmbHR 2005, 133). Warnung vor zu weitgehender Folgerung ohne Ansehung des Urteils bei Ulmer, ZHR 169 (2005), 1, 4. 624 Wilhelm, DB 2006, 2729, 2732. 624a Zum neuen Rechtszustand bei upstream loans Kiefner/Bochum, NZG 2017, 1292. 625 Die Formulierung „Leistungen … bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags“ ist auf das Merkmal der Auszahlung an den Gesellschafter zu beziehen. Damit stehen den Zahlungen direkt an den beherrschenden Gesellschafter nur solche gleich, die auf dessen Anweisung an Dritte geschehen (Begründung der Fassung durch den Rechtsausschuss BT-Drucks 16/9739 zu Art 1 Nr 20).

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worden, dass die Leistung der Gesellschaft durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Empfänger-Gesellschafter gedeckt ist. Damit ist über den herrschenden Gesellschafter im faktischen Konzern hinaus jeder Gesellschafter von der Haftung aus der Vermögensbindung befreit, wenn die Gesellschaft an ihn eine Vorleistung aufgrund eines voll entgeltlichen Vertrages oder die Auszahlung eines Kredits leistet und der Gegenleistungs- oder Rückzahlungsanspruch vollwertig ist. § 30 I 2 GmbHG steht damit im Gegensatz zum Kreditverbot an Vertreter der Gesellschaft nach § 43a GmbHG625a. 439

Mit der Neuregelung des MoMiG sollen freilich nach einer neueren Untersuchung626 die Probleme des Cash-Pooling nur für die Liquiditätsverschiebung von der Tochter- auf die Muttergesellschaft oder auf deren Anweisung an Schwestergesellschaften erfasst sein (sog upstream loans). Die Liquiditätsverschiebung in der umgekehrten Richtung (downstream loans) mache weiterhin Probleme, weil sie unter die Neuregelung der Gesellschafterdarlehen durch das MoMiG falle. Die Untersuchung führt aus: Für die Ausgleichsansprüche von Mutter und Schwestern (das sind Darlehensansprüche gegenüber der Tochter) würden etwaige Gegenansprüche der Tochter für den Fall, dass die Liquidität sich entgegengesetzt entwickle, die Funktion von Sicherheiten haben. Damit würden sie unter die 10-Jahres-Anfechtungsfrist von § 135 I Nr 1 InsO fallen mit der Folge, dass für diese ganze Zeit Verrechnungen nach § 96 I Nr 3 InsO (dem die Rechtsprechung Rückwirkung zuspricht) unzulässig sei. Dem könne nur beigekommen werden, wenn auf das Cash-Pooling das Barzahlungsprivileg nach § 142 InsO angewandt werde. Ob die Vorschrift allerdings bei Gesellschafterdarlehen helfen solle, sei zumindest zweifelhaft. In der Einzelanfechtung nach dem AnfG gelte das Barzahlungsprivileg darüber hinaus gar nicht. An dem letzten Gedanken fällt auf, dass nach dem AnfG ja auch nicht der Aufrechnungsausschluss nach § 96 InsO gilt, aus dem die Unzulässigkeit der Verrechnung in der 10Jahres-Frist folgen soll. Für die Anwendung des § 6 AnfG auf Gesellschafterdarlehen im Cash-Pooling kommt also die Anwendung der 10-Jahres-Frist betreffend Sicherheiten gar nicht in Betracht. Die Verrechnungen sind schlicht Rückführungen der Darlehen und fallen damit unter die Jahres-Frist des § 6 Nr 1 AnfG. Dies sollte auch für das Insolvenzverfahren gelten: Auch § 96 I Nr 3 InsO darf nicht dazu führen, dass von den Anfechtungstatbeständen des § 135 I Nr 1 und 2 für längst durchgeführte Verrechnungen die lange Frist betreffend Sicherheiten und nicht die 1-Jahres-Frist betreffend Rückzahlungen gilt. Frei-

_____ 625a Es gab den Vorschag, wegen der Neufassung des § 30 den § 43a GmbHG aufzuheben (Drygala/Kremer ZIP 2007, 1289, 1296, zust K. Schmidt GmbHR 2007, 1072, 1075). Der Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt. Es mussten ja auch die Vorschriften des AktG über die Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder, Prokuristen, Generalhandlungsbevollmächtigte (§ 89 AktG) und Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 115 AktG) trotz der dem § 30 I 2 GmbHG entsprechenden Änderung in § 57 I 3 AktG aufrecht erhalten werden. Sie setzen die Schutzkriterien anders an als § 43a GmbHG (s Rn 440). 626 Klinck/Gärtner, NZI 2008, 457. Replik durch Hamann, NZI 2008, 667.

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 259

lich führt auch die Anwendung der 1-Jahres-Frist nach §§ 135 I Nr 2 InsO, 6 Nr 2 AnfG zu einer erheblichen Gefährdung des Cash Pooling.

11. Folgerung für die Kreditgewährung an Organmitglieder Die unterschiedliche Vermögensbindung bei AG und GmbH wirkt sich in den 440 Vorschriften über die Zulässigkeit von Krediten der Gesellschaft an Mitglieder der Geschäftsleitung aus. §§ 89, 115 AktG stellen Kredite an Vorstandsmitglieder, an Personen, die mit umfassender Vertretungsmacht ausgestattet sind, sowie an Aufsichtsratsmitglieder gänzlich unter inhaltliche und verfahrensmäßige Sicherungen. § 43a GmbHG erfasst demgegenüber Kredite der Gesellschaft an Geschäftsführer und mit umfassender Vertretungsmacht ausgestattete Personen nur, soweit die Kreditzahlung aus zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichem Vermögen geschieht, untersagt solche Kredite allerdings vollständig. Auch wenn die GmbH einen Aufsichtsrat hat, gilt nur das Kreditverbot des § 43a GmbHG, § 115 AktG ist von der Verweisungsvorschrift des § 52 I GmbHG für einen Aufsichtsrat der GmbH ausgenommen.

12. Ergänzender Vermögensschutz durch Bereicherungsrecht Bei dem Vergleich des Vermögensschutzes bei der GmbH und der AG ist zu be- 441 achten, dass § 30 I GmbHG nur die gesetzliche Stammkapitalbindung regelt, aber nicht den gesamten Schutz des Vermögens der Gesellschaft627. Auf den allgemeinen Schutz nach bürgerlichem Recht hatten wir schon zu Beginn (Rn 412) hingewiesen. Ein über § 30 I hinausgehender, zusätzlicher Schutz des

_____ 627 Flume, ZHR 144 (1980), 18, 26 ff; Wilhelm, FS Flume II 1978, 337, 368 ff. Nach BGH DStR 1997, 1216 = JZ 1997, 965 mit Anm Altmeppen regeln §§ 30, 31 GmbHG, soweit sie die Kapitalerhaltung regeln, diese ausschließlich, unter Verdrängung der §§ 134, 812 ff BGB. Die Folgerung, auch bei bewusstem Verstoß gegen § 30 GmbHG sei die Feststellung der Auszahlung aus Stammkapital nicht entbehrlich, ist allerdings ohne Sinn: Ohne die Feststellung ist der Verstoß nicht gegeben. Die ganze Entscheidung des BGH ergibt letztlich nicht mehr als die Tautologie, dass, wenn es nur um den Schutz der Gesellschaft nach §§ 30, 31 GmbHG geht, nur diese Vorschriften anzuwenden sind. Geht es nämlich im Einzelfall um einen weitergehenden Schutz, nämlich den der Gesellschaft (und damit auch von Gesellschaftsgläubigern oder Minderheitsgesellschaftern) aufgrund der Unwirksamkeit der Geschäfte bei Überschreitung der Vertretungsmacht (s weiter im Text), so ist dieser Schutz nicht etwa durch §§ 30, 31 GmbHG verdrängt. Wie sollte er? Zutr Altmeppen aaO. Umfassend zum Gläubiger- und Gesellschafterschutz vor verdeckten Gewinnausschüttungen bei AG und GmbH Bitter, ZHR 168 (2004), 302 ff.

260 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

Gesellschaftsvermögens bei der GmbH kann sich aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung ergeben628. Der Gesellschafter, dem ohne rechtfertigenden Gesellschafterbeschluss629 seitens der Geschäftsführung eine sog verdeckte Gewinnausschüttung (nicht voll entgoltene Leistung der Gesellschaft) zufließt, wird ungerechtfertigt bereichert. Die Geschäftsführung hat nicht die Kompetenz, bestimmte Gesellschafter durch verdeckte Gewinnausschüttungen zu bevorzugen. Schließt der Geschäftsführer mit einem Gesellschafter Verträge, bei denen die Leistung der Gesellschaft nicht ausgeglichen wird (Zuwendungen causa societatis), so handelt er ohne Vertretungsmacht, die Leistung der Gesellschaft aufgrund dieser Verträge ist deshalb jedenfalls sine causa. Die unbeschränkte Vertretungsmacht des Geschäftsführers (§§ 35, 37 GmbHG) gilt nicht im Verhältnis zu Gesellschaftern. Diese müssen sich die innergesellschaftliche Kompetenzverteilung entgegenhalten lassen630. Obwohl der Mangel der Vertretungsmacht auf das dingliche Geschäft 442 durchschlagen könnte, ist der Sonderregelung der §§ 30, 31 GmbHG zu entnehmen, dass nur ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch zu gewähren ist. Das Gesetz beschränkt nämlich hier entgegen der Folgerung, dass nach dem Telos der §§ 30, 31 GmbHG auch in den Fällen dieser Vorschriften die dingliche Unwirksamkeit der Leistung der Gesellschaft in Betracht kommt, den Vermögensschutz auf den schuldrechtlichen Rückgewähranspruch. Mit Rücksicht auf diese Spezialregelung ist auch der Unwirksamkeitsgrund des Fehlens der Vertretungsmacht auf die schuldrechtliche Vereinbarung der causa societatis zu beschränken. Aus derselben Rücksicht auf die §§ 30, 31 GmbHG als leges speciales ergibt sich, dass, was die Fälle dieser Vorschriften betrifft, der Rückgewähranspruch aus diesen Vorschriften den allgemeinen Bereicherungsanspruch verdrängt. Der allgemeine Bereicherungsanspruch kann aber den Rückgewähranspruch dort, wo dieser nicht eingreift, ergänzen.

_____ 628 Nach BGH ZIP 2001, 157 ist auf den Anspruch nach §§ 30, 31 GmbHG das gegen den Gesellschafter gerichtete Aufrechnungsverbot des § 19 II 2 GmbHG analog anzuwenden. Lieb will dies auf den bereicherungsrechtlichen Anspruch der Gesellschaft erweitern (ZIP 2001, 3013, 3016). Das erstere ist zweifelhaft, das letztere nicht annehmbar. Für einen in einem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsatz begründeten Schutz vor verdeckten Gewinnausschüttungen über §§ 30, 31 GmbHG hinaus Bitter, ZHR 168 (2004), 302. 629 Der Tatbestand kann also nicht eingreifen im Verhältnis zwischen der durch den Einmanngesellschafter-Geschäftsführer vertretenen GmbH einerseits und dem Gesellschafter andererseits. 630 S K.Schmidt § 37 III f S 1137; Wilhelm, FS Flume II 1978, 337, 371 f.

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 261

13. Grund des unterschiedlichen Vermögensschutzes bei AG und GmbH Nehmen wir noch die GmbH-rechtliche Besonderheit der Mithaftung der Gesell- 443 schafter für die Rückgewähr von unzulässigen Auszahlungen nach § 31 III GmbHG und die der Organe der Gesellschaft für stammkapitalwidrig empfangene Darlehen nach § 43a GmbHG hinzu, so ergibt sich der Grund für die unterschiedliche Behandlung von AG und GmbH631: Nach dem Grundtypus der GmbH sind die Gesellschafter als Person und die Organe an dem persönlichen Band der Gesellschaft beteiligt. Bei der AG sind dagegen die Organträger reine Amtsträger, und die Gesellschafter sind nicht in die Gesellschaft eingebunden, sondern an ihr nur durch frei veräußerliche Anteile kapitalistisch beteiligt. Infolgedessen gibt es nach der Leistung der Einlage durch den Aktionär nicht mehr die Vermischung der Gesellschafts- und Gesellschaftersphären durch frei regelbare Einzahlungen und – vorbehaltlich der Stammkapitalbindung und der weiteren Maßgaben des § 30 II GmbHG – regelbare Auszahlungen von Nachschüssen der Gesellschafter und von Vermögenszuwendungen an sie. Vielmehr können die Aktionäre ihre Einlage nur über die Veräußerung ihrer Anteile wieder gewinnen. Im Übrigen sind sie aber nur über die Gewinnbeteiligung an der Vermögensentwicklung der AG beteiligt. Und die Organe haben reine Verwaltungseigenschaften. Daraus folgt eine dreifache Regelung des AktG, die die AG von der Garantie der Vermögensbindung her auszeichnet: 1. Beschränkung der Aktionäre auf den Gewinn (folglich Ausschluss sonstiger Vermögensleistungen causa societatis). 2. Mangels der Bindung der Aktionäre an die Gesellschaft stärkere Absicherung der Gesellschaft vor dem Gewinninteresse der Aktionäre (Folgerung; Regelung der gesetzlichen Rücklage nach § 150 AktG). 3. Unterschiedliche Regelung über die Kreditgewährung an Vertretungspersonen (§§ 89, 115 AktG im Vergleich zu § 43a GmbHG,). Gerade aufgrund der personalistischen Eigenart der GmbH ist bei dieser die 444 – mehr Freiheiten belassende – Vermögensbindung insoweit, als sie reicht, weitergehend gesichert als bei der AG: durch die Mithaftung der Gesellschafter.

_____ 631 S Wilhelm, FS Flume II 1978, 337, 357.

262 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

14. Warn- und Insolvenzantragspflicht 445 Weiter wird die Entwicklung des Eigenkapitals im Hinblick auf die Deckung des

Grund- oder Stammkapitals durch die Mitteilungs- und Einberufungspflicht von Vorstand oder Geschäftsführung nach §§ 92 I AktG, 49 III, 5a IV GmbHG kontrolliert. Mit Ausnahme der Unternehmergesellschaft nach § 5a GmbHG müssen Vorstand und Geschäftsführung bei Verlusten der Gesellschaft mit der Folge, dass die Hälfte des Grund- oder Stammkapitals nicht mehr gedeckt ist (so ist der missverständliche Wortlaut des § 92 I AktG zu berichtigen632), Alarm geben, dh die HV bzw Gesellschafterversammlung einberufen. Abweichend von dieser Regelung ist bei der Unternehmergesellschaft, bei der es kein gesetzliches Mindestkapital gibt, nach § 5a IV GmbHG die Versammlung bei drohender Zahlungsunfähigkeit einzuberufen. Die grundsätzlich geltende Schwelle der Nichtdeckung des Garantiekapitals in Höhe von mindestens 50% ist in der Bilanz erreicht, wenn Negativbeträge das EK I (§ 266 III A I. HGB) um 50% vermindern. Durch die Einberufung erhält die Versammlung Gelegenheit, die der Sachlage entsprechenden Beschlüsse zu fassen, zB den der Auflösung der Gesellschaft nach §§ 262 I Nr 2 AktG, 60 I Nr 2 GmbHG oder aber Beschlüsse über Kapitalherabsetzung und Wiedererhöhung des Kapitals (gegen neue Einlagen) – sog Kapitalschnitt –. Schließlich wird der Rechtsverkehr vor dem Verlust des Gesellschaftsver446 mögens durch die Insolvenzantragspflicht und die Insolvenzverschleppungshaftung der Geschäftsführung bzw des Vorstands geschützt632a. Pflicht und Haftung sind bezogen auf die beiden Gründe für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens im hier relevanten Bereich: Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO)633 und Überschuldung634. In Bezug auf die Antragspflicht und die Verschleppungshaftung hat das MoMiG erhebliche Veränderungen bewirkt: Nach §§ 64 I GmbHG, 92 II AktG aF hatten Vorstand bzw Geschäftsführung in den Fällen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft ohne schuldhaftes

_____ 632 Hüffer/Koch § 92 Rn 2. 632a Zur Haftung der Geschäftsführer im Hinblick auf Zahlungsverbote, Existenzgefährdung und Insolvenz André Torsten Weiß, Insolvenzspezifische Geschäftsführerhaftung, 2017. 633 Das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende Unvermögen, die sofort zu erfüllenden Schulden zu berichtigen. Näher BGHZ 163, 134, 137 ff. S a OLG Düsseldorf GmbHR 1997, 699, 700: Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die GmbH aus Mangel an Zahlungsmitteln voraussichtlich dauernd nicht in der Lage ist, ihre fälligen (dh sofort zu erfüllenden) Geldverbindlichkeiten im Wesentlichen zu begleichen. Das OLG gibt Erfahrungsregeln, die die Feststellung erleichtern. 634 Dafür ist ein besonderer Überschuldungsbegriff, nicht die bilanzielle Überschuldung maßgeblich (u Rn 455 ff).

I. Grundbegriffe und Schutztatbestände | 263

Zögern, spätestens aber 3 Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Nach §§ 64 II GmbHG, 92 III iVm § 93 II, III Nr 6 AktG aF hatten sie Zahlungen zu ersetzen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung der Überschuldung geleistet worden waren, sofern die Zahlungen nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar waren. Das MoMiG hat die Vorschriften über die Insolvenzantragspflicht der Geschäftsführer (§ 64 I GmbHG aF) und des Vorstands der Aktiengesellschaft (§ 92 II AktG aF)635 in die InsO verschoben636 und auf die Mitglieder der Vertretungsorgane oder die Abwickler aller juristischer Personen und solcher Personengesellschaften, bei der keine natürliche Person unbeschränkt haftet, ausgeweitet (§ 15a InsO idF des MoMiG637). Damit werden auch ausländische juristische Personen mit tatsächlichem Mittelpunkt der Tätigkeit in der Bundesrepublik erfasst (§§ 3, 335 InsO, Art 3 I EuInsVO), insbesondere die englische private limited company638. Für GmbH, AG (und Genossenschaft) wird zugleich der von der Insolvenzantragspflicht betroffene Personenkreis ausgeweitet: Bei Fehlen von Geschäftsführern oder Vorständen (sog Führungslosigkeit der Gesellschaft – bzw Genossenschaft) werden bei der GmbH die Gesellschafter, bei der AG (und der Genossenschaft) die Aufsichtsratsmitglieder in die Pflicht zur Antragstellung mit einbezogen werden (§ 15a III InsO)639. Nach § 15 I 2 InsO nF sind bei allen juristischen Personen im Fall der Führungslosigkeit auch alle Gesellschafter zur Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens berechtigt640.

_____ 635 Ebenso die Vorschriften über die strafrechtliche Sanktionierung: §§ 84 I Nr 2 GmbHG, 401 I Nr 2 AktG. 636 Ebenso nach § 15a I 2 InsO die Antragspflicht der organschaftlichen Vertreter gleichgestellter Gesellschaften (insbesondere der GmbH & Co OHG und KG, bisher §§ 130a, b, 177a HGB). Auf die Vorschrift des § 15a I 2 InsO verweist sodann § 11 S 2 EWIV-AusführungsG. Ebenso § 22 V 2 SE-AusführungsG nF. 637 Strafvorschriften jetzt in § 15a IV, V InsO. 638 Bedenken gegen diese insolvenzrechtliche Anknüpfung der Antragspflicht in der Stellungnahme des Bundesrats: Bedenkliche Folge sei, dass keine Insolvenzantragspflicht besteht für deutsche juristische Personen mit Betriebsmittelpunkt im Ausland, die betreffs der GmbH durch § 4a GmbHG nF gerade ermöglicht werden sollen (BR-Drucks 354/07, Nr 30 S 26 f). 639 Ausnahme: Keine Kenntnis von Insolvenzgründen oder Führungslosigkeit. 640 Der Bundesrat wollte, ohne den Gegensatz zu bemerken, nur die Gesellschafter der GmbH und bei AG und Genossenschaft nur die Mitglieder des Aufsichtsrats in das Antragsrecht einbeziehen (BR-Drucks 354/07, Nr 28 S 25). Darüber hinaus verlangte er für deren Antragsrecht die Glaubhaftmachung der Führungslosigkeit.

264 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

Durch die Verschiebung der Antragspflichten in die InsO sind in §§ 64 GmbHG, 92 AktG die Ersatzpflichten der Organe bei Zahlungen noch nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung allein übrig geblieben (§§ 64 GmbHG, 92 II AktG nF). Das MoMiG hat sie noch erweitert. Diese Neuregelung der zivilrechtlichen Haftungskonsequenzen ist weiter unten641 zu erörtern.

15. Strafrechtliche Sanktionen 447 Der Vermögensschutz ist strafrechtlich sanktioniert. Jedenfalls die Auszahlung

von Gesellschaftsvermögen unter Verminderung des Grund- oder Stammkapitals kann als Untreue (§ 266 StGB) oder Beihilfe bzw Anstiftung dazu strafbar sein, und zwar auch im Verhältnis des Alleingesellschafters, der zugleich Geschäftsführer ist, zur Einmann-GmbH. Darüber hinaus ist aber jede die Gesellschaft schädigende Verfügung über Gesellschaftsvermögen durch Vorstand oder Geschäftsführer nach den Kriterien der Untreuestrafbarkeit strafbar642. Das Einverständnis der Gesellschafter legitimiert die Geschäftsführer nicht, wenn entweder eine Zuwendung gerade an Gesellschafter in Frage steht und die Vermögensbindung verletzt wird oder wenn die Existenz der Gesellschaft gefährdet wird642a. §§ 401 I AktG, 84 I GmbHG stellen Verstöße gegen die Pflicht zur Benachrichtigung der HV oder der Gesellschafterversammlung bei Verlust der Hälfte der Grund- oder Stammkapitaldeckung unter Strafe. Die Strafbarkeit der Unterlassung, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, ist von AktG und GmbHG in § 15a IV, V InsO verschoben worden. Schließlich kommt strafbarer Bankrott in Betracht (§ 283 I StGB)642b. § 283 II StGB erfasst auch die Herbeiführung von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit durch Handlungen iSv § 283 I.

_____ 641 Rn 512 ff. 642 S BGHSt 34, 379 = DB 1987, 1930 mit – unrichtiger – Besprechung durch Fleck, EWiR § 29 GmbHG 2/87, 987, weiter BGH NJW 2000, 153, NZG 2012, 836. Zum Untreuetatbestand in unserem Bereich Maurer, GmbHR 2004, 1549. 642a Zu letzterem BGH NJW 2012, 836 Tz 28 ff. 642b Nach BGH NJW 2012, 836 setzt die Strafbarkeit wegen Bankrotts entgegen der früheren Rechtsprechung nicht mehr ein Handeln der Geschäftsführung im Interesse der Gesellschaft voraus.

II. Die Vermögensrechnung bei den Schutztatbeständen | 265

16. Haftung des faktischen Geschäftsführers Die Rechtsprechung stellt bei der GmbH dem wirksam bestellten Geschäftsfüh- 448 rer den sog faktischen Geschäftsführer gleich, und zwar auch für die Strafbarkeit nach § 84 I Nr 2 GmbHG aF (jetzt § 15a IV, V InsO)643.

II. Die Vermögensrechnung bei den Schutztatbeständen II. Die Vermögensrechnung bei den Schutztatbeständen

Die unterschiedlichen Stufen des Vermögensschutzes bei den Kapitalgesell- 449 schaften erfordern eine unterschiedliche Vermögensrechnung, und zwar abhängig vom jeweiligen Tatbestand. Hier ist eine verwirrende Fülle von Vermögensrechnungen zu unterscheiden (Zusammenstellung u Rn 462). Nicht auf eine rechnerische Vermögensaufstellung, sondern schlicht auf das Vorhandensein von Zahlungsmitteln kommt es zunächst an für das Kriterium der Zahlungsunfähigkeit als eines der beiden Kriterien neben dem der Überschuldung, unter dessen Voraussetzung die Insolvenzantragspflicht eingreift644. Sodann ist für das zweite Kriterium der insolvenzrechtlichen Überschuldung zwischen bilanzieller und und insolvenzrechtlicher Überschuldung zu unterscheiden. Wenn nach der Bilanz das Vermögen die Schulden nicht deckt (bilanzielle Überschuldung), muss das nicht eine Überschuldung iS des Insolvenzrechts bedeuten. Für die insolvenzrechtliche Überschuldung gilt auch nicht, wie an sich naheliegen würde, aber weiter unten644a zu klären ist, die besondere Rechnung nach Liquidationswerten. Diese Rechnung ist auch als Bilanz (Liquidationsbilanz) aufzustellen. Also ist zwischen der Rechnung aufgrund der Rechnungslegung zum Jahresabschluss mit der Jahresschlussbilanz (nach § 242 I 1 HGB „Bilanz“) und der Rechnung aufgrund einer Liquidationsbilanz zu unterscheiden. Die bilanzielle Überschuldung ist bei den Kapitalgesellschaften auch nicht gleichbedeutend mit der sog Unterbilanz: Sie ist nur ein spezieller Fall der Unterbilanz. Unterbilanz ist bei den Kapitalgesellschaften schon dann gegeben, wenn das Vermögen nicht mehr die Summe aus Schulden, sonstigen Belastungen und Garantiekapital deckt. Was vor der Überschuldungsbilanz zunächst einmal die Liquidationsbi- 450 lanz betrifft, zwingt diese zur Aufstellung des Aktivvermögens nach dem Wert, der jedem einzelnen Gegenstand im Fall seiner Veräußerung, zu der die Zer-

_____

643 BayObLG NJW 1997, 1936 f. Zur Strafbarkeit nach § 82 I Nr 1, 3 GmbHG BGH WM 2000, 1515. 644 O Rn 446. 644a Rn 461.

266 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

schlagung der Gesellschaft nötigt, zukommen würde. Bei der gewöhnlichen bilanziellen Rechnung (im Folgenden bilanzielle Rechnung) ist dagegen die letzte „Bilanz“ der Gesellschaft maßgeblich, wenn diese auch fortzuführen ist durch eine Bilanz, die zu dem für den Schutztatbestand maßgeblichen Zeitpunkt aufgestellt wird. Die Bilanz muss sodann ordnungsgemäß aufgestellt sein. Nach dem Kontinuitätsprinzip sind bisherige Bilanzansätze fortzuführen (§ 252 I Nr 1, 6 HGB), sofern von ihnen nicht mit Rücksicht auf die Wahrung der Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung abgewichen wird. Falschannahmen sind zu berichtigen. Das Ergebnis der bilanziellen Rechnung kann über dem der Rechnung nach Zerschlagungswerten liegen, muss dies aber nicht, die letztere kann sogar günstiger sein. Die bilanziellen Wertansätze können höher sein, weil sie „going concern“, dh unter der Annahme des Fortbestands des Unternehmens, anzusetzen sind (§ 252 I Nr 2 HGB). Insbesondere darf aufgrund dieser Annahme ein Unternehmenswert berücksichtigt werden, wenn das Unternehmen entgeltlich erworben wurde und der Preis die Differenz aus Vermögenswerten abzüglich der Schulden des Unternehmens übersteigt (§ 255 IV 1 HGB). Andererseits kann möglicherweise die Bewertung zu Liquidationswerten höhere Werte ergeben. In der Bilanz können nämlich aufgrund der vorgeschriebenen vorsichtigen Bewertung (§§ 252 I Nr 4, 253 HGB) sog stille Reserven vorhanden sein645. Weiter enthält die Bilanz, wieder unter dem Gesichtspunkt des Fortbestands des Unternehmens, als sonstige Belastungen des Vermögens „Rückstellungen“ für zukünftige Risiken (§ 249), während bei der Liquidationsbilanz nur die im Liquidationszeitpunkt bestehenden Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind. Die Definition der beiden Rechnungen zeigt, wann die eine, wann die an451 dere Rechnung maßgeblich ist. Die bilanzielle Rechnung ist maßgeblich, wenn der Vermögensschutz während fortbestehenden Unternehmens zu prüfen ist. Die Rechnung nach Liquidationswerten ist dann maßgeblich, wenn der Vermögensschutztatbestand auf die aktuelle oder hypothetische Notwendigkeit der Liquidation abstellt. Das Auszahlungsverbot des § 30 I 1 GmbHG schützt das Gesellschaftsver452 mögen bei laufender Gesellschaftstätigkeit. Für die Frage, ob eine Auszahlung aus dem Vermögen der GmbH das zur Deckung des Stammkapitals erforderliche

_____ 645 Stille Reserven sind allerdings auch im Rahmen von § 30 I GmbHG zu berücksichtigen, wenn sie vor der Auszahlung aufgelöst werden und ihre Auflösung ordnungsgemäßer Bilanzierung entspricht, BGHZ 106, 7, 12. Ohne gewinnwirksame Auflösung ist auch der „Sonderposten mit Rücklageanteil“ (§§ 247 III, 273 HGB) nicht als ausschüttbares Eigenkapital zu berücksichtigen (Joachim Schmitt, GmbHR 2002, 349 ff).

II. Die Vermögensrechnung bei den Schutztatbeständen | 267

Vermögen der GmbH erfasst, ist folglich die Bilanz der Gesellschaft maßgeblich646. Von der Vermögensrechnung nach § 30 I 1 GmbHG ist zu unterscheiden die Frage, ob die Rückerstattung einer nach § 30 I 1 unzulässigen Auszahlung „zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich“ ist. Darauf kommt es nach § 31 II GmbHG an, wenn auch ein gutgläubiger Empfänger haften soll, und nach § 31 III GmbHG, wenn die übrigen Gesellschafter mithaften sollen. Dafür ist die sogleich zu definierende Überschuldungsbilanz maßgeblich647. Wie grundsätzlich für § 30 I GmbHG ist die bilanzielle Rechnung maßgeblich auch für die Warnpflicht bei Verlust der Hälfte des Grund- oder Stammkapitals (§§ 92 I AktG, 49 III GmbHG). Entgegen der Maßgeblichkeit für das Auszahlungsverbot und das Warngebot ist die Rechnung nach der gewöhnlichen Bilanz nicht maßgeblich für die Feststellung der Pflicht, wegen Überschuldung der Gesellschaft den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen (§ 15a I InsO). Insofern geht es um die Notwendigkeit der Abwicklung des Unternehmens und folglich grundsätzlich um die Bewertung nach Liquidationswerten. Damit ist dennoch nicht die Liquidationsbilanz maßgeblich. Vielmehr ist von einer besonderen Überschuldungsbilanz oder dem Überschuldungsstatus zu sprechen648. Nach der InsO ist bei juristischen Personen und gleichgestellten Personengesellschaften grundsätzlich schon die Überschuldung Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 19 I, II, III InsO), es folgt dann aber die Ausnahme der Fortführungsprognose (s sogleich). Nach § 19 II InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die Begründung für diesen besonderen Insolvenz-

_____ 646 Folgerung nach OLG Celle WM 2004, 988: Unzulässigkeit der Anrechnung eines selbst geschaffenen Firmenwerts (Aktivierungsverbot nach § 248 II HGB). Ausnahme von der rein bilanziellen Rechnung die Einordnung der Bestellung von Sicherheiten (s Rn 425), Rechtfertigung der Ausnahme durch BGH WM 2017, 479 Rn 16. 647 BGH NJW 2003, 3629. Nach dem Sinn des Kriteriums sind aber Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 I HGB) zu berücksichtigen. 648 Nach früherem Recht waren Rückzahlungsforderungen aus dem Kredit eines Gesellschafters nicht zu berücksichtigen, wenn der Gesellschafter erklärte, dass er mit seiner Forderung hinter alle anderen Insolvenzgläubiger zurücktrete (KG NZI 2006, 596). Ohne eine solche Rangrücktrittserklärung waren die Forderungen auch dann zu berücksichtigen, wenn die Darlehen eigenkapitalersetzend waren (BGHZ 146, 264, 272 f; zur früheren Rechtsprechung betreffend eigenkapitalersetzende Darlehen u Rn 478 ff). Die InsO in der Fassung des MoMiG behandelt jetzt die Darlehensforderungen von Gesellschaftern generell als nachrangig (§ 39 I Nr 5, IV, V InsO nF).

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268 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

grund liegt darin, dass bei den in die Regelung einbezogenen Schuldnern ausschließlich ein Unternehmensvermögen und nicht eine natürliche Person für die Verbindlichkeiten einsteht, so dass grundsätzlich schon dann Anlass für das Insolvenzverfahren besteht, wenn das Vermögen die Verbindlichkeiten nicht deckt. Das Kriterium, welches in § 19 II InsO die Maßgeblichkeit der Überschul457 dung einschränkt, wird Fortführungsprognose genannt. § 19 II InsO wendet den sog zweistufigen Überschuldungsbegriff an. Nach dem zweistufigen Überschuldungsbegriff steht die Bewertung nach Liquidationswerten auf der ersten Stufe der Prüfung. Ergibt diese die Unterdeckung der Verbindlichkeiten, so ist damit die sog rechnerische Überschuldung festgestellt. Hinzu kommt aber als zweite Prüfungsstufe die Prüfung im Hinblick auf eine positive Fortführungsprognose. Der Grundgedanke liegt darin, dass, solange das Unternehmen fortgesetzt werden kann, für die Gläubiger allein die Zahlungsfähigkeit relevant ist (beim ersten Eröffnungsgrund für das Insolvenzverfahren: Zahlungsunfähigkeit, bleibt es ja, § 17 InsO). Der zweistufige Überschuldungsbegriff ist von K. Schmidt entwickelt worden649, die Rechtsprechung hatte ihn akzeptiert650. Beispiel für die Verneinung der Fortbestehensprognose ist der Dornier-Fall651. In diesem war die Entwicklung eines Flugzeugtyps („Seastar“) so weit voran getrieben und durch Subventionszusagen etc so gut abgesichert, dass der BGH zu der Ansicht gelangte, dass trotz einer Überschuldung, die sich, gemessen an den Liquidationswerten, ergab, von einem Fortbestehen der Gesellschaft ausgegangen werden konnte.

Der Gesetzgeber der InsO von 1999 hatte den zweistufigen Überschuldungsbegriff bewusst nicht übernommen. Die aus ihm resultierende Möglichkeit, dass die Gesellschaft trotz Mangels eines die Schulden deckenden Vermögens fortge-

_____ 649 AG 1978, 334. 650 BGHZ 119, 201. Die besondere Art der Anwendung des Überschuldungstatbestands, die das OLG Köln ZIP 1996, 915, 917 r Sp für die Phase des Anlaufens der Gesellschaft meinte anwenden zu sollen (die Ergänzung des Stammkapitals durch Fremdfinanzierung in dieser Phase sei zulässig, eine relevante Überschuldung bestehe nur dann, wenn das Scheitern der Gesellschaft unter Berücksichtigung der Fremdmittel mit Händen zu greifen sei), hat der BGH WM 1997, 1481, 1482 unter II 1 zurück gewiesen. 651 BGHZ 119, 201. Im Insolvenzverfahren kann sich der Insolvenzverwalter auf die Feststellung der Überschuldung durch einen Sachverständigen stützen. Es ist Last der Bekl, Anhaltspunkte für eine positive Fortbestehensprognose darzulegen, BGH GmbHR 1997, 890 (betr eigenkapitalersetzende Darlehen nach der früheren Rechtsprechung, zur Maßgeblichkeit des Überschuldungskriteriums für die Frage des Eigenkapitalersatzes s u Rn 482).

II. Die Vermögensrechnung bei den Schutztatbeständen | 269

führt wird, wirke sich erheblich zum Nachteil der Gläubiger aus, wenn sich die Prognose als unrichtig erweise.652 Von dieser zutreffenden Erwägung hat sich der Gesetzgeber in der Neufassung der InsO durch das FinMStG abgewandt. Die Begründung war: Die Finanzkrise habe zu erheblichen Wertverlusten insbesondere bei Aktien und Immobilien geführt. Dies könne bei Unternehmen, die von diesen Verlusten besonders massiv betroffen seien, sehr bald zu einer Überschuldung im Sinne des bisherigen § 19 II InsO und somit zur Insolvenz führen. Dieses Ergebnis sei bei positiver Fortführungsprognose ökonomisch unbefriedigend652a. Im Vertrauen auf die Bewältigung der Finanzkrise verlagert also der Gesetzgeber das Risiko einer weiteren Verschlechterung der Lage der betroffenen Unternehmen von den Gesellschaftern auf die Gläubiger. Zudem nimmt er eine erhebliche Verunsicherung bei der Prüfung der Überschuldung in Kauf. Wenn man an die Insolvenzantragspflicht der geschäftsführenden Organe (§ 15a I ff InsO) und die daran anknüpfenden Straftatbestände (§ 15a IV f InsO) denkt, ist dies ein äußerst fragwürdiger Schritt. Die Kriterien der Überschuldungsprüfung waren auch relevant im Tatbe- 458 stand der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen653. Das Merkmal des Eigenkapitalersatzes ist aber in der Reform durch das MoMiG aufgegeben worden. Für den Überschuldungsbegriff ist also von Liquidationswerten auszu- 459 gehen, es besteht aber die Möglichkeit einer anderen Bewertung bei überwiegender Wahrscheinlichkeit des Fortbestehens des Unternehmens. Gerade umgekehrt ist die Bewertung für die von der Rechtsprechung angenommene Vorbelastungs-(Unterbilanz)-Haftung (Haftung gegenüber der entstandenen juristischen Person)654 gestaltet: Die Beurteilung geht hier von der bilanziellen Rechnung aus, es besteht hier aber die Möglichkeit einer im Einzelfall begründeten Prognose des Nichtfortbestehens der Gesellschaft. Grundsätzlich geht die Beurteilung also vom Fortbestand der Gesellschaft aus, dh in der Regel ist auf den Stichtag der Eintragung der Gesellschaft eine gewöhnliche Bilanz („going concern“) aufzustellen. Nach Liquidationswerten wird das Vermögen der Gesellschaft aber dann erfasst, wenn die Fortbestehensprognose negativ ist655.

_____ 652 Beschlussempfehlung Rechtsausschuss BT-Drucks 12/7302 S 157. 652a Begr FMStG BT-Drucks 16/10600 S 21 (elektronische Vorabfassung). 653 S Rn 482. 654 O Rn 384. 655 BGHZ 124, 282, 285; BGH ZIP 1997, 2008. Mit dem KG ist bei Bewertung „going concern“ ein Geschäftswert, wenn ein Substrat schon vorhanden ist, mit zu berücksichtigen (§ 266 II A I. 2. HGB), DB 1997, 1863.

270 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

Für die Verlustdeckungshaftung der Gesellschafter – wenn es bei der Vorgesellschaft bleibt656, also in den Fällen, dass schon die Eintragung abgelehnt wird oder die Gesellschafter die Eintragungsabsicht aufgeben – ist aus der Rechtsprechung zu folgern, dass das Gesellschaftsvermögen zu Liquidationswerten zu bewerten ist. Nach der Rechtsprechung wird nämlich die Haftung erst mit Eröffnung der Liquidation oder des Insolvenzverfahrens fällig. Schließlich wird die Vermögensrechnung nach Liquidationswerten von 461 der Rechtsprechung iR des § 19 II 1 GmbHG angewandt. Danach kann die Gesellschaft ihre Gesellschafter von der Einlageschuld nicht befreien. Die Rechtsprechung folgert daraus, dass die Gesellschaft trotz ihrer Aufrechnungsmöglichkeit, die sich e contario aus § 19 II 2 ergibt, die Einlageforderung nicht gegen Forderungen der Gesellschafter aufrechnen kann, wenn diese Forderungen nicht fällig, liquide und vollwertig sind657. Für die Voraussetzung der Vollwertigkeit des Anspruchs stellt der BGH nicht auf die Bilanz, sondern auf die tatsächliche Vermögenslage der Gesellschaft nach Liquidationswerten ab658. Sieht man, dass der Begriff der Vollwertigkeit die Deckung aller Schulden durch das Vermögen der Gesellschaft meint, bei Nichtvollwertigkeit also Überschuldung vorliegt, ist der Überschuldungsbegriff anzuwenden, von dem § 19 II InsO ausgeht: dh die Vollwertigkeit ist bei Überschuldung iS des Ausgangskriteriums des § 19 II InsO zu verneinen. Insgesamt sind zu unterscheiden: Zahlungsunfähigkeit bei Mangel von 462 Zahlungsmitteln (relevant für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 17 InsO und für die darauf bezogene Antragspflicht der Leitung), insolvenzrechtliche Überschuldung (Eröffnungsgrund nach § 19 InsO, Prüfung zweistufig), Liquidationsbilanz (relevant für die Verlustdeckungshaftung und die Prüfung der Vollwertigkeit als Voraussetzung der Aufrechnung der Gesellschaft im Gegenschluss aus § 19 II 2 GmbHG) und schließlich die bilanzielle Rechnung, insbesondere die bilanzielle Überschuldung (relevant für das Auszahlungsverbot des § 30 I GmbHG und die Warnpflicht nach §§ 92 I AktG, 49 III GmbHG). Nicht auf diese, sondern auf die Überschuldungsbilanz kommt es an für das Kriterium der Erforderlichkeit zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger (§ 31 II, III GmbHG).

460

_____ 656 O Rn 393 ff. 657 BGHZ 90, 370. S Rn 350. 658 BGH aaO.

III. Die verdeckte Ausschüttung | 271

III. Die verdeckte Ausschüttung III. Die verdeckte Ausschüttung

Eine Auszahlung aus dem Gesellschaftsvermögen iSv §§ 30 I 1, 31 I GmbHG, 57 I, 463 III, 62 I 1 AktG kann auch dadurch erfolgen, dass zwar formal zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ein Austauschgeschäft oder sonstiges Rechtsgeschäft über eine Leistung der Gesellschaft abgeschlossen wird, dieses aber eine sog verdeckte Ausschüttung enthält659. Dafür sind drei Merkmale zu prüfen: (1) Minderung des Gesellschaftsvermögens durch eine Leistung der Gesellschaft an den Gesellschafter, (2) die Leistung wird objektiv nicht voll durch eine Gegen- oder sonstige Ausgleichsleistung des Gesellschafters ausgeglichen, (3) der Gesellschafter wird um seiner Eigenschaft als Gesellschafter willen begünstigt, dh die Leistung erfolgt causa societatis660. Zu beachten ist wieder die Neuregelung des MoMiG: Leistungen der Gesellschaft sind jetzt vom Auszahlungsverbot ausgenommen, wenn ihnen ein vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Empfänger gegenübersteht (§§ 30 I 2 2. Alt GmbHG, 57 I 3 2. Alt AktG). Die Folgerung könnte sein: Reicht die Gesellschaft an den Gesellschafter causa societatis zinsgünstige und/oder nach Verkehrsmaßstäben zu wenig gesicherte Darlehen aus, ist die Leistung nicht verboten, wenn nur der Rückgewähranspruch vollwertig ist. Die Neuregelung ist aber eine Ausnahmeregelung. Also ist die Vollwertigkeit streng – allerdings notwendiger Weise vom Zeitpunkt der Auszahlung aus – zu beurteilen660a. Aber auch auf Darlehen, die causa societatis unterhalb Marktbedingungen ausgereicht werden, sollten weiterhin die Verbote der §§ 30 I 1 GmbHG, 57 I 1 AktG angewandt werden660b. Der BGH prüft die teilweise Unentgeltlichkeit ausschließlich anhand objek- 464 tiver Wertmaßstäbe. Eine verdeckte Gewinnausschüttung liege dann vor, wenn

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659 Zahlreiche Beispiele bei Raiser/Veil § 19 Rz 7. – Der Begriff der verdeckten Gewinnausschüttung stammt aus dem Steuerrecht. Das Steuerrecht besteuert den Gewinn und beachtet dafür auch verdeckte Gewinnausschüttungen, s etwa § 8 III 2 KStG. Nach der Vorschrift mindern verdeckte Gewinnausschüttungen das Einkommen der Körperschaft nicht. Zur steuerrechtlichen verdeckten Gewinnausschüttung s Knobbe-Keuk Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht S 584, 642 ff. – Fall zur verdeckten Gewinnausschüttung: Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005 – Fall 7. 660 Entnimmt ein Gesellschafter-Geschäftsführer Vermögenswerte aus dem Gesellschaftsvermögen, so trifft ihn die Beweislast, wenn er der Gesellschaft Gegenwerte erbracht haben will (OLG Celle GmbHR 1997, 647). 660a S o Rn 423. 660b Das Deckungsgebot hilft freilich nicht. Es bezieht sich auf den bilanziellen Aktivtausch und wird deshalb im RegE MoMiG nur für das Erfordernis einer nach Marktbedingungen vollwertigen Gegenleistung in Austauschgeschäften herangezogen (RegE MoMiG BT-Drs 16/6140, 41).

272 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

ein gewissenhaft nach kaufmännischen Grundsätzen handelnder Geschäftsführer das Geschäft unter sonst gleichen Umständen zu gleichen Bedingungen mit einem Nichtgesellschafter nicht abgeschlossen hätte (sog Drittvergleich)661. Eine Grundlage für diese objektive Kontrolle wird nicht angegeben. Maßgebend muss demgegenüber grundsätzlich die Vereinbarung der Vertragspartner sein. Danach muss das Geschäft nicht nur durch die Inäquivalenz, sondern auch durch die causa societatis bestimmt sein, dh die Gesellschaft muss um der Stellung des Geschäftspartners als Gesellschafters willen ihre Leistung unter Marktwert abgegeben haben. Nur im Fall eines Vertragsschlusses zwischen der Gesellschaft und einem beherrschenden Gesellschafter ist statt der Maßgeblichkeit der Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter eine objektive Überprüfung angebracht. Der beherrschende Gesellschafter kann nämlich die Gestaltung des Vertrages aufseiten der Gesellschaft mit beeinflussen, so dass die Privatautonomie auf beiden Seiten des Vertrages, die für die Rechtfertigung der Geltung einer vertraglichen Regelung erforderlich ist, nicht gewährleistet ist. Im angeführten Fall des BGH662 hatte der (mit)beherrschende Gesellschafter den Vertrag abgeschlossen. Die Entscheidung des BGH ist also im Ergebnis zu billigen. 465

Für eine verdeckte Ausschüttung ist, wenn nicht ein Geschäft mit dem beherrschenden Gesellschafter infrage steht, beides erforderlich: die (teilweise) Unentgeltlichkeit und die causa societatis. Es kann auch einmal ein Geschäft causa societatis vorliegen, dessen Unentgeltlichkeit fraglich ist. So im Fall Ingram Macrotron AG des LG München I663, in welchem aber wegen der Beteiligung eines beherrschenden Gesellschafters über seine Einmann-GmbH als Empfängerin der Leistung die causa societatis schon mit der objektiven Unentgeltlichkeit gegeben gewesen wäre, es also auf die Unterscheidung gar nicht ankam: In dem Fall hatte eine AG die 100% Anteile, die sie an einer GmbH besaß, an eine andere GmbH verkauft und übertragen, die dem beherrschenden Gesellschafter der AG zu 100% gehörte. Der Kaufvertrag enthielt die Klausel, dass der Kaufpreis aufgebessert werden sollte, wenn ein von einem Gericht bestellter Sachverständiger feststellen sollte, dass der Wert des veräußerten Unternehmens höher sei als der Kaufpreis. Einen solchen Vertrag würde ein neutraler Dritter nicht schließen, die causa societatis ist also offenkundig gegeben. Fraglich ist aber wegen der Klausel die Unentgeltlichkeit. Im Ergebnis ist aber auch diesem Merkmal nicht durch die Klausel abzuhelfen. Die Parteien müssen von vornherein die ordnungsgemäße Basis des Vertrags herstellen. Wenn sie den Vertrag erst einmal durchführen und nur eine unbestimmte zukünftige Anpassungsmög-

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661 BGH ZIP 1987, 575, 576. 662 S Vornote. 663 AG 2004, 159 (betreffend eine Anfechtungsklage gegen den Zustimmungsbeschluss der HV, welcher der Vorstand das Vertragswerk offenbar in Hinsicht auf die „Holzmüller-Doktrin“ – u Rn 1054 ff – vorgelegt hatte).

III. Die verdeckte Ausschüttung | 273

lichkeit aufnehmen664, ändert das nichts an dem Verstoß gegen die Vermögensbindung, wenn sich die Unterschreitung der Leistung der Gesellschaft durch den Kaufpreis herausstellt.

Hat die Gesellschaft in diesem Sinne an den Gesellschafter eine verdeckte Aus- 466 schüttung geleistet665 und ist – so die erforderliche zusätzliche Prüfung bei der GmbH, wenn der gesetzliche Tatbestand des § 30 I 1 GmbHG angewandt werden soll – durch die causa societatis erbrachte Leistung etwas aus demjenigen Vermögen abgegeben worden, das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlich ist, so hat der Gesellschafter der GmbH nach § 31 I die Ausschüttung zu erstatten. Dh die Vorteilszuwendung der Gesellschaft ist weder in schuldrechtlicher noch in dinglicher Hinsicht unwirksam, sie ist nur der Gesellschaft zu erstatten. Der Erstattungsanspruch der Gesellschaft ist folglich grundsätzlich auf Zahlung der Differenz bis zum Wertausgleich der beiderseitigen Leistungen gerichtet. Hat die Gesellschaft einen Vermögensgegenstand oder eine Dienstleistung gegen eine Vergütung unterhalb des Marktwerts erbracht, muss der Gesellschafter Vergütung nachzahlen666. Hat der Gesellschafter einen Vermögensgegenstand oder eine Dienstleistung gegen eine Vergütung über Marktwert erbracht, hat er grundsätzlich die Differenz in Geld zu erstatten. Im Fall der Leistung eines Vermögensgegenstands an die Gesellschaft kann er aber dann, wenn dies ohne Nachteil für die Gesellschaft möglich ist, statt der Zahlung der Differenz die Rückgewähr des von ihm geleisteten Gegenstands gegen Rückgewähr des von der Gesellschaft überhöht geleisteten Preises verlangen667.

_____ 664 Die hier schon deshalb unbestimmt war, weil das gerichtliche Verfahren, in dem ein Sachverständiger hätte bestellt werden können, gar nicht absehbar war. Ein Fall des Spruchverfahrensgesetzes lag jedenfalls nicht vor. 665 Hat die Gesellschaft noch nicht geleistet, so muss sie wegen § 30 I GmbHG die Leistung verweigern (keine freie Einrede), dh der Geschäftsführer muss dies tun (andernfalls Haftung nach § 43 III GmbHG), es sei denn, der Vermögensstand der Gesellschaft verbessert sich, so dass § 30 GmbHG nicht mehr verletzt ist (insofern keine endgültige, sondern schwebende Verbotswidrigkeit der Leistung). Der Gesellschafter kann die Anwendung des Verbots nicht durch Angebot einer angemessenen Gegenleistung abwenden. Dies wäre eine einseitige Vertragsänderung, Roth/Altmeppen/Altmeppen § 30 Rn 156. 666 So im Fall BGH ZIP 1987, 575, in dem die Gesellschaft causa societatis eine Bau-Werkleistung zu einer Vergütung unter dem üblichen Entgelt erbracht hatte. 667 Flume, ZHR 144 (1980), 24.

274 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

IV. Die personelle Ausweitung der Vermögensbindung nach §§ 30, 31 GmbHG, 57, 62 AktG IV. Die personelle Ausweitung der Vermögensbindung 467 Insbesondere durch die Rechtsprechung zu den – so das seinerzeit angewandte

Kriterium – eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen 668 ist im GmbHRecht die Tendenz aufgekommen, die Vermögensbindung nach §§ 30, 31 GmbHG, dh die Haftung des Empfängers bei Auszahlungen aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der GmbH, auf Personen auszuweiten, die nicht Gesellschafter der Kapitalgesellschaft selbst sind: In den Verbotskreis einbezogen hat die Rechtsprechung Auftraggeber hinter Strohmanngesellschaftern und allgemein Personen jedenfalls dann, wenn sie auf die Gesellschaft beherrschenden Einfluss nehmen können. Beherrschenden Einfluss haben insbesondere668a Dritte, die mit Gesellschaftern in einem Unternehmensverbund stehen, oder mit der GmbH über eine gemeinsame Gesellschaft verbunden sind (etwa als Kommanditisten einer KG, der die GmbH als Komplementärin angehört)669. Inzwischen liegt, aus der Hand des XI. Senats, auch ein Urteil zur ausweitenden Anwendung der Vermögensbindungsvorschriften bei der AG (§§ 57, 62 AktG) vor670. Die Ausweitung im Anschluss an die Rechtsprechung zu den eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen liegt nahe, weil die Rechtsprechung auch ihre Sanktion der Rückgewährhaftung des Gesellschafters bei Rückzahlung eines eigenkapitalersetzenden Darlehens den §§ 30, 31 GmbHG entnommen hatte. Es ist jedoch ein entscheidender Unterschied zwischen der Haftung unmittelbar aus §§ 30, 31 GmbHG einerseits und der Anwendung der Vorschriften im Rahmen der Grundsätze zu den eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen andererseits zu beachten. Die Sanktion der Umqualifizierung von Gesellschafterdarlehen zu Eigenkapitalersatz beruhte, was zunächst die Gesellschafter betrifft, auf der unternehmerischen Beteiligung und der daraus erwachsenden Finanzierungsverantwortung der Gesellschafter, was es rechtfertigte, die in der Krise gewährten Darlehen als Eigenkapital zu werten. Dieser Gedanke trägt über die formale Stellung als Gesellschafter hinaus. Auch ein Dritter kann kraft

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668 U Rn 475 ff. 668a Weiteres Beispiel ein beherrschender stiller Gesellschafter, BGHZ 106, 7 669 S Roth/Altmeppen/Altmeppen § 30 Rn 31 ff. Von der Anwendung des § 30 I GmbHG bei der GmbH & Co KG auch auf den Nur-Kommanditisten geht neuerlich aus das OLG Celle NJW-RR 2004, 1040. Anderer Fall, deshalb nicht als Gegenmeinung verwendbar OLG Köln WM 2003, 1423: Weiterleitung der Einlageleistung des GmbH-Gesellschafters und Kommanditisten in einer GmbH & Co KG durch die GmbH an die KG (!). 670 BGH AG 2008, 120, zum Fall sogleich Fn 674. Mangel der Schwerpunktsetzung des Urteils bei § 71a AktG rügt Nodoushani, NZG 2008, 291.

IV. Die personelle Ausweitung der Vermögensbindung | 275

seines unternehmerischen Einflusses auf die Gesellschaft in die Finanzierungsverantwortung hineinkommen. Dies trägt sogar über das Merkmal des beherrschenden Einflusses hinaus670a. Demgegenüber ist die unmittelbare Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG von 468 einer Krisenfinanzierungsentscheidung ganz unabhängig. Die Vorschriften beruhen auf dem Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsversprechen der Gesellschafter, und ein solches geben zunächst einmal nur die Gesellschafter ab. Was die Ausweitung auf Dritte in diesem Bereich betrifft, ist zu differenzieren: Auszahlungen an Dritte, die von einem Gesellschafter veranlasst werden,671 sind zunächst dem veranlassenden Gesellschafter selbst nach §§ 30, 31 GmbHG und ebenso nach §§ 57, 62 AktG zuzurechnen. Zusätzlich muss aber auch der Dritte haften, wenn er gleichsam nur Empfangsstation für den Gesellschafter ist. Dies trifft zu in Fällen, in denen der Gesellschafter die Auszahlung an eine Gesellschaft lenkt, an der er als Alleingesellschafter oder beherrschender Gesellschafter beteiligt ist672. Daraus folgt sodann die alleinige Haftung eines Dritten in dem Fall, dass der Dritte um des Erwerbs von Anteilen an der Gesellschaft willen eine Auszahlung der Gesellschaft veranlasst673 und nur als Empfangsstation für Auszahlung und späteren Erwerb eine nahestehende Person vorschiebt674. Von diesen Fällen sind Fälle der Auszahlung an einen Dritten zu unter- 469 scheiden, die ein außerhalb der Gesellschaft stehender Dritter aufgrund eigenen Rechtsgrunds veranlasst. Der Rechtsgrund ist ein Treuhandverhältnis, in welchem ein Gesellschafter als Strohmann mit einem mittelbaren Anleger verbunden ist. Eine von einem solchen Anleger veranlasste Auszahlung hatte die Reklameflug- und Lufttaxi-GmbH-Entscheidung des BGH675 zum Gegenstand. Der BGH hat hier den Auftraggeber als Gesellschafter behandelt und dadurch vollständig – über die im Fall relevante Darlehensrückzahlung hinaus – in die

_____ 670a S u Rn 492 ff. 671 Davon wieder ist zu unterscheiden der Fall, dass ein Gesellschafter an der Auszahlung an einen Mitgesellschafter (!) mitwirkt oder sie zulässt. Insoweit ist die Haftung durch § 31 III GmbHG speziell geregelt (BGHZ 142, 92, 96). 672 Umfassende Erörterung bei Roth/Altmeppen/Altmeppen § 30 Rn 54 ff. 673 Vorauszahlungen auf die künftige Gesellschafterstellung sind Auszahlungen iS der Vermögensbindungsvorschriften. 674 So im Fall des XI. Senats, BGH AG 2008, 120: Dritte war hier eine AG, vorgeschoben war die Ehefrau eines Vorstandsmitglieds. Hinzukam, dass die erworbenen Aktien von der auszahlenden AG zurückzukaufen waren, die Auszahlung also letztlich dem unzulässigen Erwerb eigener Aktien diente. Die Auszahlung war auf ein Darlehen erfolgt. Dieses war nach § 71a I AktG nichtig. 675 BGHZ 31, 258.

276 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

Kapitalaufbringungs- und -erhaltungshaftung einbezogen. Die Begründung ist: Rechne man dem Bekl nicht die Gesellschafterstellung zu, so seien insbesondere die Vorschriften der §§ 24, 19 II 1 GmbHG nicht praktizierbar. Nach § 24 könnte zur Mithaftung nur der möglicherweise zahlungsunfähige Strohmanngesellschafter in Anspruch genommen werden. Und entgegen § 19 II 1 könnten die Strohmanngesellschafter ihren Hintermann davon befreien, für die Einzahlungspflicht der Strohmanngesellschafter aufzukommen. Mit der Gleichstellung von Strohmann und Hintermann stellt der BGH eine wirtschaftliche Verbindung einer rechtlich begründeten Gesellschafterstellung gleich. Anhaltspunkt im Gesetz ist die Hintermännerhaftung des Gründungsrechts (§ 46 V 1 AktG iVm Abs 4 der Vorschrift sowie § 9a GmbHG). Die Haftung der mittelbaren Anleger ist inzwischen allgemeiner Grundsatz der Judikatur675a.

V. Kapitalerhaltung im Konzern V. Kapitalerhaltung im Konzern 470 Stehen Kapitalgesellschaften in einer Beziehung als verbundene Unternehmen

(§§ 15 ff AktG), insbesondere in einem Konzern (§ 18 AktG), so stellen sich zwei Probleme in der Anwendung des allgemeinen Rechts der Kapitalerhaltung: zum einen das vorstehend unter dem Thema der personellen Ausweitung des Kapitalschutzes behandelte Problem, ob die Verantwortlichkeit für die Kapitalerhaltung in der Gesellschaft über den Kreis der Gesellschafter hinaus auf Unternehmen als Dritte auszuweiten ist, die mit Gesellschaftern in einem Unternehmensverbund stehen. Zum anderen stellt sich die Frage, ob das allgemeine Recht verdrängt wird dadurch, dass zwischen der Gesellschaft und einem Unternehmen als Gesellschafter ein Beherrschungs- und Abhängigkeitsverhältnis begründet ist. Dazu ist § 291 III AktG, dem jetzt die allgemeinen Vorschriften der §§ 57 I 3 1. Alt AktG, 30 I 2 1. Alt GmbHG entsprechen, hervorzuheben: Danach sind Leistungen im Rahmen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages mit einer AG als beherrschter Gesellschaft von der Vermögensbindung nach § 57 AktG, in der GmbH von der Bindung nach §§ 30, 31 GmbHG ausgenommen. An die Stelle der allgemeinen Regelung tritt die Pflicht des herrschenden Unternehmens zum Verlustausgleich nach § 302 AktG. Der Anspruch auf Verlustausgleich muss aber werthaltig sein, andernfalls sind Weisungen des herrschenden Unterneh-

_____ 675a Die Entscheidung BGHZ 31, 258 ist bestätigt worden u a durch BGHZ 118, 107 (dazu Ulmer, ZHR 156 (1992), 377). Anwendung im Recht der GmbH & Co KG zur Begründung einer Sanierungsbeteiligung mittelbarer Anleger, die über eine als Kommanditistin beteiligte Treuhand-GmbH investiert hatten, in BGH NJW 2015, 3789. Zur Literatur Raiser/Veil § 19 Rn 8 ff mit Nachweisen.

VI. Beispiel zur Vermögensbindung nach § 30 I 1 GmbHG | 277

mens, Leistungen vorzunehmen, nicht von § 308 AktG gedeckt und damit rechtswidrig. Also kann insoweit auch nicht die Exemtion von der allgemeinen Vermögensbindungsregelung gelten. Bei Unternehmensabhängigkeit ohne Bestehen eines Konzernvertrages stehen die allgemeinen Vorschriften neben der konzernrechtlichen Regelung der §§ 311 II, 317 f AktG. Die konzernrechtliche Regelung ist nur eine Anwendung allgemeiner Grundsätze ordnungsgemäßer Geschäftsführung676 und verdrängt nicht die allgemeinen Vermögensbindungsvorschriften, im faktischen GmbH-Konzern gelten die konzernrechtlichen Regeln analog677 und daneben §§ 30 f GmbHG. Das MoMiG hat aber auch bei nur faktischer Verbundenheit die Erleichterung gebracht, dass vom Ausschüttungsverbot ausgenommen sind Leistungen mit vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähransprüchen (§§ 30 I 2 2. Alt GmbHG, 57 I 3 2. Alt AktG).

VI. Beispiel zur Vermögensbindung nach § 30 I 1 GmbHG VI. Beispiel zur Vermögensbindung nach § 30 I 1 GmbHG

Eine GmbH weist folgende Bilanz auf:678 Aktiva: Passiva:

Guthaben bei Kreditinstitut EK I Stammkapital EK II–IV Verbindlichkeiten

471

500.000 € 100.000 € 300.000 € 100.000 €

Die Gesellschaft kauft nunmehr von einem einflussreichen Gesellschafter ein 472 (objektiv 200.000 € wertes) Grundstück zum Kaufpreis von 300.000 €. Der Kaufpreis wird gezahlt. Später fällt die Gesellschaft in die Insolvenz. Zu prüfen ist, ob der Insolvenzverwalter aufgrund seines Rechts, das Vermögen der Insolvenzschuldnerin zu verwalten und über es zu verfügen (§ 80 I InsO), gemäß §§ 30, 31 I vom Gesellschafter Zahlung in Höhe von 100.000 € verlangen kann. 1. § 31 I verlangt eine Zahlung. Zahlung iS der Vorschrift ist jede Vermögensbewegung. 2. Weiter verlangt § 31 I, dass die Zahlung dem Verbot des § 30 1 zuwider erfolgt. Dazu sind die einzelnen Merkmale des § 30, zunächst des § 30 I 1, zu prüfen (den Spezialfall des § 30 II lassen wir hier beiseite). Prüfung also, wie folgt:

_____ 676 S u Rn 1322 ff. 677 Streitig, s u Rn 1369 ff. 678 Zu den Posten s § 266 III A HGB.

278 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

Die Zahlung muss eine Zahlung an den Gesellschafter sein679. Dies ist in unserem Fall gegeben. 4. Weiter muss die Zahlung Auszahlung von Gesellschaftsvermögen sein. Dazu ist erforderlich, dass die Gesellschaft nicht aufgrund eines Verkehrsgeschäfts, sondern causa societatis unentgeltlich an den Gesellschafter leistet. Im vorliegenden Fall hat sie die Schuld aus dem Grundstückskauf getilgt und dafür einen Gegenwert erlangt. Es könnte aber eine verdeckte Ausschüttung vorliegen und zwar in der Weise, dass das Geschäft causa societatis teilweise unentgeltlich getätigt wurde. Die Unentgeltlichkeit könnte durch den Vergleich der beiden Leistungen angezeigt sein. Der Gesellschafter hat für den objektiven Wert des Grundstücks iHv 200.000 € einen Kaufpreis von 300.000 € erlangt, 100.000 € also objektiv ohne Gegenleistung. Diese objektive Inäquivalenz muss sodann causa societatis vereinbart worden sein. Wegen der Beeinflussung der Geschäftsführung durch den einflussreichen Gesellschafter, die die Autonomie aufseiten der Gesellschaft einschränkt, bleibt es bei der objektiven Prüfung durch Vergleich der Kaufpreisvereinbarung mit den Preisen, die mit Dritten vereinbart worden wären (Drittvergleich). Aufgrund dieses Vergleichs ergibt sich im vorliegenden Fall eine Auszahlung von Gesellschaftsvermögen in Höhe von 100.000 €. 5. Die Auszahlung aus dem Gesellschaftsvermögen muss schließlich aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen erfolgt sein. Dazu ist zu prüfen, ob oder inwieweit nach der Zahlung das Stammkapital der GmbH (noch) erhalten ist oder nicht. Für die Prüfung ist die Bilanz maßgeblich. Ob oder inwieweit das Stammkapital der GmbH gedeckt ist und ob oder inwieweit je nachdem eine verbotene Auszahlung iS von § 30 I vorliegt oder nicht, ist aus der ordnungsgemäß aufgestellten Bilanz zu ermitteln, nicht wie in der Überschuldungsrechnung680 aus dem Status des tatsächlich vorhandenen Vermögens. Nach der Bilanz haben sich im vorliegenden Fall die Aktiva in Höhe von 500.000 € durch die Kaufpreiszahlung um 300.000 € vermindert, andererseits um die Leistung des Grundstücks im Werte von 200.000 € vermehrt, sodass Aktiva in Höhe von 400.000 € der Gesellschaft gehören. Es ergibt sich damit folgende Bilanz: 3.

Aktiva: Guthaben bei Kreditinstitut 200.000 € Grundstücke 200.000 €

_____

Passiva: EK I Stammkapital 100.000 € EK II–IV 300.000 € Jahresfehlbetrag ./. 100.000 € Verbindlichkeiten 100.000 €

679 Zur Frage der personellen Ausweitung des § 31 I GmbHG o Rn 467 ff. 680 S o Rn 457 ff.

VII. Gesellschafterdarlehen | 279

Die Gesellschaft weist noch ein Eigenkapital (hier, weil keine Rückstellungen: 473 Vermögen abzüglich Verbindlichkeiten) in Höhe von 300.000 € auf. Damit ist das Stammkapital von 100.000 € trotz der verdeckten Ausschüttung noch erhalten. Bilanziell wird dies durch Abzug des Jahresfehlbetrags von EK II–IV ausgedrückt (hier werden es EK IV: Gewinnvortrag oder EK III sein: Gewinnrücklagen), während das Stammkapital noch nicht berührt ist. Die 100.000 € betragende verdeckte Ausschüttung konnte hier dem Vermögen entnommen werden, soweit es Verbindlichkeiten, sonstige Belastungen und Stammkapital überstieg. Der Insolvenzverwalter kann gegen den Gesellschafter keinen Anspruch der Schuldnerin aus § 31 I GmbHG geltend machen. Weiter kommt ein Bereicherungsanspruch der Gesellschaft gegen den Ge- 474 sellschafter, der die verdeckte Ausschüttung erhalten hat, in Betracht. Mangels Zuständigkeit der Geschäftsführung, einseitige Gewinnverteilungen vorzunehmen, ist die Zuwendung causa societatis ohne Vertretungsmacht vereinbart worden, also rechtsgrundlos erfolgt681. Der Insolvenzverwalter kann einen Bereicherungsanspruch auf Rückzahlung des causalos erlangten Vorteils von 100.000 € geltend machen682.

VII. Gesellschafterdarlehen VII. Gesellschafterdarlehen

1. Nominelle und materielle Unterkapitalisierung Die Vorschriften der §§ 30, 31, 43 III GmbHG, 57 III, 62 I 1, 93 III Nr 1 AktG verbie- 475 ten bestimmte Auszahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter, dh bestimmte Leistungen der Gesellschaft causa societatis. Folglich scheint die Rückzahlung von Darlehen, die die Gesellschafter der Gesellschaft gewähren, nicht berührt zu sein. Auf Darlehen der Gesellschafter an die Gesellschaft beziehen sich die §§ 57 I 4 AktG, 30 I 3 GmbHG, nach den vorhergehenden Sätzen der beiden Vorschriften, die sich auf Darlehen der Gesellschaft an die Gesellschafter beziehen. Beides sind Neuerungen des MoMiG. Die Sätze § 57 I 4 AktG und § 30 I 3 GmbHG stellen ausdrücklich fest, dass die Ausschüttungsverbote auf Gesellschafterdarlehen nicht anzuwenden sind. Dies weist darauf hin, dass die Unanwendbarkeit der Ausschüttungsverbote nicht selbstverständlich ist. Nach dem Rechtszustand vor dem MoMiG war die Rechtslage in der Tat auch noch anders.

_____

681 Zur Beschränkung des Mangels der Vertretungsmacht auf das schuldrechtliche Geschäft o Rn 442, 466. 682 S bereits o Rn 441 f.

280 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

476

Die Rechtsprechung in der Zeit vor dem MoMiG, insbesondere die Rechtsprechung zur GmbH, hat nämlich Darlehen, die die Gesellschafter der Gesellschaft gewähren, unter bestimmten Voraussetzungen als eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen683 – und damit wie Eigenkapital – behandelt, mit der Folge, dass die Rückzahlung wie die Rückgewähr einer Einlage als Auszahlung von Gesellschaftsvermögen iSv § 30 I GmbHG aF anzusehen war684. Die Rechtsprechung hat damit der verbreiteten Neigung der Gesellschafter zur Risikominimierung Grenzen gesetzt. Die Gesellschafter würden gerne das Stammkapital (Mindesthöhe 25.000,– €, § 5 I GmbHG, bei der Einmann-Unternehmergesellschaft 1,– €, §§ 1, 5 II 1 GmbHG) möglichst gering halten: Nur in dessen Höhe müssen sie nämlich Einlagen erbringen, die im Fall eines Misserfolgs der GmbH verloren sind. Weiteren Kapitalbedarf der Gesellschaft würden sie, wenn überhaupt, gerne durch Darlehen aufbringen, weil Darlehen bei unbefangener Betrachtungsweise Verbindlichkeiten der Gesellschaft begründen, die vermögensbindungsfrei rückzahlbar sein könnten und auf die, wenn es nicht zur Rückzahlung kommt, bevor das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird, wenigstens noch die Insolvenzquote entfallen könnte. Durch die Ausstattung der Gesellschaft mit geringem Stammkapital und dem darüber hinaus gehenden Kapital als Gesellschafter-Fremdkapital entsteht aber die Gefahr der Unterkapitalisierung (sog nominelle Unterkapitalisierung). Dadurch werden weniger etwaige große Vertragsgläubiger der Gesellschaft (Banken, Großkunden), die sich durch Bürgschaften und dingliche Sicherheiten absichern können, jedenfalls aber die kleineren Gläubiger des Alltags (Arbeitnehmer, Handwerker), aber auch gesetzliche Gläubiger wie der Steuerfiskus gefährdet. Dieser Gefährdung beugt entgegen dem Eindruck, den man aus §§ 57 I 4 AktG, 30 I 3 GmbHG nF entnehmen könnte, auch das MoMiG vor. Das neue Recht verfolgt aber einen ganz anderen Ansatz als die frühere Rechtsprechung. Das Kriterium des Eigenkapitalersatzes durch Gesellschafterdarlehen ist aufgegeben und deshalb auch die Anknüpfung an die Ausschüttungsverbote der §§ 57 AktG, 30 GmbHG. Im folgenden Text sind nach einer begrifflichen Klärung

_____ 683 Es geht um Eigenkapitalersatz, nicht um Kapitalersatz (falscher Wortgebrauch in §§ 39 I Nr 5, 135 InsO, richtig dagegen § 32a III 2 GmbHG). – Klausurfall zu den eigenkapitalersetzenden Darlehen (sowie zur eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung) im Begleitbuch von Brauer (Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005 – Fall 6). 684 Fleischer zieht Parallelen zur amerikanischen Figur der Equitable Subordination (NZG 2004, 1133f). Noch vor dem MoMiG hat aus ökonomischer Sicht Rudolph, ZBB 2008, 82 die Problematisierung der Gesellschafterdarlehen im Hinblick auf den Gläubigerschutz in Frage gestellt.

VII. Gesellschafterdarlehen | 281

der Rechtszustand aufgrund der früheren Rechtsprechung und derjenige aufgrund des MoMiG einander gegenüber zu stellen. Was zunächst den Begriff der Unterkapitalisierung betrifft, unterscheidet 477 man die nominelle und die materielle Unterkapitalisierung. Das Problem der nominellen Unterkapitalisierung ist das Problem der Gesellschafterdarlehen. Durch sie geben die Gesellschafter ihrer Gesellschaft durchaus Kapital, insoweit ist im Sinne des allgemeinen Begriffs Kapital vorhanden, aber die Gesellschafter geben es unter einem problematischen nomen, nämlich als Fremdstatt als Eigenkapital. Bei der materiellen Unterkapitalisierung handelt es sich demgegenüber um das Problem, dass die Gesellschafter ihre Gesellschaft angesichts der mit dieser eingegangenen Risiken mit zu wenig Eigenkapital betreiben und dies auch nicht durch Gesellschafterdarlehen ergänzen. Zu fragen ist dann, ob wegen missbräuchlicher Ausgestaltung der Gesellschaft die Gesellschafter für die Schulden der Gesellschaft im Wege der sogenannten Durchgriffshaftung685 heranzuziehen sind oder aus anderen Gründen (Stichwort: Existenzvernichtungshaftung) haften müssen. Im Kapitel über die Kapitalerhaltung ist die unzulässige Auszahlung von Gesellschaftsvermögen zu behandeln. Diese könnte auch bei Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen anzunehmen sein. Im Zusammenhang mit der Kapitalerhaltung ist also das Problem der nominellen Unterkapitalisierung zu behandeln.

2. Die frühere Rechtsprechung zu den eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen und die GmbH-Novelle von 1980 im Gegensatz zum MoMiG Die Problematik der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen hat eine 478 bewegte Geschichte: Sie spielte sich im Recht der GmbH ab, weil mit Gesellschaften mbH die praktischen Probleme auftraten. Erst in seinem Beton- und Monierbau-Urteil hat der BGH seine Rechtsprechung auf die AG erstreckt, allerdings nur auf unternehmerisch beteiligte Aktionäre685a. Nach dem früheren durch die Rechtsprechung geschaffenen Rechtszustand konnte die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen unter bestimmten Voraussetzungen gegen §§ 30, 31 GmbHG verstoßen, nämlich dann, wenn sie den Charakter von Eigenkapitalersatz hatten und durch die Auszahlung die weiteren Voraussetzungen der §§ 30, 31 GmbHG erfüllt waren. Der Gesetzgeber wollte dann dem Problem

_____ 685 Nach dem bildhaften englischen Ausdruck: piercing the corporate veil. Zu dem Problem u Rn 522 ff. 685a S u Rn 484.

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durch die GmbH-Novelle vom 4.7.1980686 eine gesetzliche Statur geben. Mit dem KapAEG vom 20.4.1998 sind dann noch das sog Kleinbeteiligungsprivileg und mit dem KonTraG vom 27.4.1998 das sog Sanierungsprivileg687 eingeführt worden, bevor das MoMiG seinen grundlegenden Schritt getan hat. Die gesetzliche Regelung vor dem MoMiG ist nicht nur dem GmbHG eingefügt worden (§§ 32 a, b GmbHG aF), sondern war über weitere Gesetze verstreut: Nach Ersetzung der KO durch die InsO waren die Gesellschafterdarlehen – und zwar allgemein, auch für die AG – neben dem GmbHG in den §§ 39 I Nr 5, 135, 264 III InsO, 6 AnfG sowie §§ 172a, 129a HGB geregelt. Trotz dieser gesetzlichen Positivierung hat sich die Rechtsprechung aber dafür entschieden, ihre Grundsätze zu §§ 30, 31 GmbHG – abgesehen von den positiven Beschränkungen durch das Kleinbeteiligungs- und das Sanierungsprivileg – neben den neueren gesetzlichen Regeln aufrechtzuerhalten688. Das MoMiG hat zunächst dieser Gemengelage von Rechtsprechungs- und 479 Gesetzesregeln ein Ende gemacht. Es hat der Rechtsprechung die Grundlage entzogen, so dass nur noch die gesetzlichen Schranken übrig bleiben. Sodann hat es aber auch die gesetzlichen Schranken selbst grundlegend verändert. In den genannten Vorschriften der §§ 57 I 4 AktG, 30 I 3 GmbHG, die die Ausschüttungsverbote auf die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen unanwendbar machen, ist die Monopolisierung der an anderer Stelle befindlichen gesetzlichen Regelung der Gesellschafterdarlehen festgeschrieben. Die veränderte gesetzliche Regelung ist jetzt einheitlich in der InsO zu finden. Um den neuen Rechtszustand zutreffend einzuordnen, ist ein Überblick 480 über die frühere Entwicklung des Rechts der Gesellschafterdarlehen erforderlich: Ausgangsentscheidung war (nach früheren Entscheidungen aus der Rechtsprechung des RG689, die sich noch an § 826 BGB hielten) die Reklameflug- und Lufttaxi-GmbH-Entscheidung des BGH690: Sachverhalt: Im Jahre 1953 war eine GmbH zur Durchführung von Werbe- und Taxiflügen mit einem Stammkapital von 20.000 DM gegründet worden. Die GmbH sollte an die Stelle

_____ 686 „Gesetz zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften“, BGBl I S 836. Das Gesetz ist zum 1.1.1981 in Kraft getreten. 687 Entgegen der Rechtsprechung, die unterschiedslos auch Kreditgeber, die Gesellschaftsanteile übernommen hatten, um die Sanierung zu versuchen, in die Rechtsprechung zu den eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen einbezogen hat, s insbesondere das Mitropa/ Sonnenring-Urteil BGHZ 81, 311 ff, vollständige Übersicht in der 2. Auflage Rn 417. 688 BGHZ 90, 370 („Nutzfahrzeuge“). 689 U a. RG JW 1938, 862 f. 690 BGHZ 31, 258.

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einer vorher maßgeblich vom Beklagten gehaltenen GmbH treten, deren Betrieb von der Alliierten Luftaufsichtsbehörde eingestellt worden war, weil gegen die drei Gesellschafter ein Strafverfahren wegen unerlaubten Besitzes von Flugzeugen durchgeführt wurde. Damit die neue GmbH den Flugbetrieb unbehelligt durchführen konnte, hatte der Beklagte zwei Strohmanngesellschafter vorgeschoben, von denen der eine einen brasilianischen Pass besaß. Nach zwei Monaten war das Kapital der GmbH verbraucht. Der Bekl gab Darlehen in Höhe von 56.000 DM. Die GmbH zahlte sie etwa zur Hälfte zurück und fiel danach in Konkurs. Der Konkursverwalter verlangte vom Bekl die Rückzahlung der als Darlehensrückgewähr ausgezahlten Beträge.

Der BGH hat den Anspruch aus § 31 I GmbHG bejaht. Zunächst hat er dafür den Beklagten als Hintermann sowohl für die Aufbringung der Einlage (einschließlich der Mithaftung für die Aufbringung der Einlage eines anderen Gesellschafters nach § 24 GmbHG) als auch für die Kapitalerhaltung nach §§ 30 I aF, 31 I GmbHG der Verantwortlichkeit als Gesellschafter unterworfen691. Sodann hat der BGH die Darlehensrückzahlung als Auszahlung von Gesellschaftsvermögen iSv § 30 I GmbHG aF eingeordnet. Er hat argumentiert, dass die der GmbH zur Abwehr der Insolvenz oder der Illiquidität als Gesellschafterdarlehen gewährten Mittel nicht wie Fremdkapital zurückverlangt werden könnten, sondern, solange der Abwehrzweck nicht nachhaltig erreicht sei, wie Eigenkapital zu behandeln seien. Bei Fehlen von Vermögen, welches über die Stammkapitaldeckung hinausgehe692, verstoße die Auszahlung mithin gegen § 30 I (aF)693. Für die Einordnung der Darlehensrückzahlung in den Tatbestand der verbo- 481 tenen Vermögensausschüttung nach dem seit der Lufttaxi-Entscheidung von der Rechtsprechung entwickelten Rechtszustand musste exakt bestimmt werden, wie sich Darlehensrückzahlung und § 30 I GmbHG a.F. zueinander verhielten: Für die verbotene Ausschüttung ist ja eine Zuwendung der Gesellschaft an den Gesellschafter causa societatis erforderlich. Was die Darlehensrückzahlung betraf, ist fraglich, welche Leistung causa societatis als verbotswidrig aufzufassen war. Und dafür galt, dass nicht irgendeine Zahlung causa societatis vorgenommen wurde, sondern causa societatis gerade das Darlehen getilgt wurde. Mithin trat der Tilgungserfolg ein, er musste nur unter der Voraussetzung des § 30 I GmbHG rückgängig gemacht werden. Genauer: Zwar trat die Darlehenstilgung ein, sie konnte aber nicht als Gegenwert für die Zahlung der Gesellschaft aufgefasst werden. Im Unterschied sodann zu dem zurückgezahl-

_____ 691 Dazu o Rn 327. 692 Klarstellung, dass gegen die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen nur das Stammkapitaldeckungsvermögen geschützt ist, in BGHZ 76, 326. 693 BGHZ 31, 258, 272.

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ten Darlehen waren allerdings als Verbindlichkeiten in der für § 30 I maßgeblichen Bilanz zu berücksichtigen die noch nicht zurückgezahlten Darlehen dieses Gesellschafters oder anderer Gesellschafter. Für die Umqualifizierung von Gesellschafterdarlehen in Eigenkapitalersatz 482 hat die Rechtsprechung Kriterien des Eigenkapitalersatzes herausgearbeitet. Maßgeblich war, ob die Gesellschaft bei Darlehensgewährung unfähig war, auf dem Kreditmarkt bei Dritten Darlehen zu erlangen. Dh die Notwendigkeit, Eigenkapital zuzuschießen, war aus der Warte eines objektiv prüfenden Kreditgebers zu beurteilen. Die Unfähigkeit, auf dem Kreditmarkt Fremdkapital aufzunehmen, war insbesondere dann gegeben, wenn die Gesellschaft illiquide oder überschuldet war. Kreditunwürdigkeit war darüber hinaus allgemein anzunehmen, wenn die Gesellschaft Darlehen zu marktüblichen Bedingungen anderweitig nicht hätte erlangen können. Der Hingabe von Darlehen in der Krise stand es gleich, wenn die Gesell483 schafter ursprünglich „intakte“ Darlehen in der Krise stehen ließen694. In seinem Beton- und Monierbau (BuM)-Urteil695 hat der BGH die Grundsätze 484 über die eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen auch auf die Aktiengesellschaft für prinzipiell anwendbar erklärt. Es könne allerdings nicht jeder Aktionär (auch der nur unwesentlich an einer Publikums-AG beteiligte Aktionär) als Adressat der Grundsätze gelten. Nur ein solcher Darlehensgeber sei einzubeziehen, der an der AG unternehmerisch beteiligt sei. Davon sei regelmäßig bei einem Aktienbesitz von etwas mehr als 25% des Grundkapitals auszugehen696. Liege die Beteiligung des Aktionärs darunter, sei sie aber immerhin nicht unbeträchtlich, so könne das in der Krise gegebene Darlehen des Aktionärs dann als haftendes Kapital einzustufen sein, wenn die Beteiligung iVm weiteren Umständen den Einfluss des Aktionärs auf die Unternehmensleitung sichere und der Aktionär ein entsprechendes unternehmerisches Interesse erkennen lasse697.

_____ 694 BGHZ 75, 334. Stehenlassen war Unterlassen der Kündigung trotz Möglichkeit der Kenntnisnahme von der Krise (BGHZ 127, 336, 344). 695 BGHZ 90, 381. 696 BGHZ 90, 381, 390 f. Der BGH bezieht sich damit auf die Sperrminorität gegen satzungsändernde Beschlüsse. 697 BGHZ 90, 381, 392. Im BuM-Fall hatte die beklagte Westdeutsche Landesbank (WestLB) nur 20,5 % vom Grundkapital innegehabt. Deshalb hatte sie nach Auffassung des BGH nur dann eine unternehmerische Beteiligung innegehabt, wenn dies aus anderen Einflussmöglichkeiten hervorgehe. Dazu soll aber die bloße Kreditgeberposition der WestLB nicht ausreichen. Aufgrund der Kreditgeberposition habe die WestLB nur externe Geldgeberinteressen wahrgenommen, bei der die Aktionärsstellung keine erkennbare Rolle gespielt habe. Dies folge schon

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Diese Einschränkung des Kreises der Adressaten der Grundsätze über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen bei der AG hat der BGH aus dem Gedanken der Finanzierungsverantwortung gefolgert698: Danach sei eine unternehmerische Stellung des Gesellschafters Voraussetzung für die Möglichkeit der Einstufung seiner Darlehen als Eigenkapitalersatz. Auch auf die GmbH & Co KG, und zwar hier auf die KG und ihre Gesell- 485 schafter, unabhängig davon, ob der betroffene Gesellschafter sowohl an der KG wie an der Komplementär-GmbH beteiligt oder Nur-Kommanditist ist, hat der BGH die Rechtsprechungsgrundsätze zu §§ 30, 31 GmbHG angewandt699. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1980699a hat der BGH die praktische Relevanz seiner Grundsätze auch außerhalb eines Konkurs- oder Vollstreckungszusammenhangs zu testen gehabt. Es machte den Rückerstattungsanspruch nämlich eine GmbH & Co KG gegen einen inzwischen ausgeschiedenen Gesellschafter und Geschäftsführer geltend. Im Vergleich zu diesen Grundsätzen der Rechtsprechung sind die mit der 486 Novelle von 1980 geschaffenen gesetzlichen Regeln über den Eigenkapitalersatz wie folgt zusammenzufassen: Nach § 32a I GmbHG aF konnte ein Gesellschafter einen Darlehensanspruch im Insolvenzverfahren nur als nachrangiger Insolvenzgläubiger (§ 39 I Nr 5 InsO) geltend machen, wenn das Darlehen in einem Zeitpunkt gewährt worden ist, in welchem die Gesellschafter der Gesellschaft als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt gehabt hätten (nach der Legaldefinition sog Krise der Gesellschaft). Nach Abs 2 konnte in dem Fall, dass ein Dritter der Gesellschaft in der Krise ein Darlehen gegeben und ein Gesellschafter dafür eine Sicherung bestellt hat, der Dritte im Insolvenzverfahren nur mit demjenigen Anteil seiner Forderung an der Verteilung der Insolvenzmasse teilnehmen, mit dem er durch Inanspruchnahme des Gesellschafters nicht zur Befriedigung gekommen war. Nach Abs 3 S 1 fanden die Vorschriften der Abs 1 und 2 sinngemäße Anwendung auf wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlungen. S 2 und 3 enthielten das Kleingesellschafterund das Sanierungsprivileg. § 32b GmbHG verpflichtete den Gesellschafter zur Rückzahlung an die Gesellschaft in Höhe seiner Sicherheit, wenn die Gesellschaft ein von einem

_____ daraus, dass die WestLB angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung der BuM ihren Aktienbesitz immer weiter zurückgeführt habe. 698 BGHZ 90, 381, 389. 699 BGHZ 110, 342, 357. Beeinträchtigung des Stammkapitals der GmbH entweder durch Wertverminderung des Anteils der GmbH an der KG oder aufgrund der persönlichen Haftung der GmbH als Komplementärin möglich. 699a BGHZ 76, 326.

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Dritten gewährtes, von dem Gesellschafter besichertes Darlehen an den Dritten innerhalb eines Jahres vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach dem Antrag zurückgezahlt hatte. § 32b gab der Sache nach ein Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters. Dies zeigten die Regelung der Frist und die Verweisung auf § 146 InsO. Deshalb war für den Anspruch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verlangen. Wurde mangels Masse nicht eröffnet (§ 26 InsO), blieb nur die Einzelanfechtung entsprechend § 6 AnfG. Aufgrund der Nachrangigkeit der Forderungen aus Eigenkapitalersatz (§ 32a I GmbHG) rangierten derartige Forderungen gemäß § 39 I Nr 5 InsO hinter den übrigen Forderungen und den in den Nrn 1–4 aufgezählten Forderungen der Insolvenzgläubiger. Nach § 135 InsO konnte der Insolvenzverwalter Sicherungsund Befriedigungshandlungen der Gesellschaft wegen eigenkapitalersetzender Darlehen oder gleichgestellter Forderungen anfechten, Sicherungshandlungen dann, wenn sie in dem Zeitraum von 10 Jahren vor Antrag auf Verfahrenseröffnung oder nach diesem Antrag, Befriedigungshandlungen dann, wenn sie im letzten Jahr vor dem Antrag auf Verfahrenseröffnung oder nach diesem Antrag erfolgt waren. § 6 AnfG gab vergeblich vollstreckenden Gläubigern ein entsprechendes Anfechtungsrecht. Die Vorschrift bezog die Zeiträume statt auf den Antrag auf Verfahrenseröffnung auf die Anfechtung. Schließlich erstreckten die §§ 129a, 172a HGB die Vorschriften der §§ 32a, 32b GmbHG und damit selbstverständlich auch die daran sich anschließenden Vorschriften der InsO und des AnfG auf die OHG und die KG, an der keine natürliche Person als unbeschränkt haftender Gesellschafter beteiligt ist. Der Vergleich zwischen den Grundsätzen der Rechtsprechung und der 487 Novellenregelung 1980 führt zu folgenden Feststellungen: Die Definitionen des Eigenkapitalersatzes waren zwar unterschiedlich. Man war sich jedoch einig, dass keine sachlichen Divergenzen zwischen der Rechtsprechung mit ihrem Kreditmarkttest und § 32a I GmbHG aF mit der dort für maßgeblich erklärten Warte eines ordentlichen Kaufmanns bestanden. Ebenso wenig wich § 32a I GmbHG aF vom Tatbestand der Rechtsprechung insofern ab, als mit der Formulierung von der Darlehensgewährung nur die Hingabe der Darlehen und nicht auch das Stehenlassen erfasst gewesen wäre. Beträchtliche sachliche Unterschiede ergaben sich jedoch im Hinblick auf die Rechtsfolgen der Darlehensrückzahlung durch die Gesellschaft und die Geltendmachung des Eigenkapitalersatzes. Die GmbH-Novelle war im ersteren Punkte strenger, im letzteren Punkte weniger streng als die Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG durch die Rechtsprechung: Die Novellenregelung regelte die Unzulässigkeit der Darlehensrückzahlung in zwei Punkten strenger:

VII. Gesellschafterdarlehen | 287

a) b)

§§ 31, 30 GmbHG waren (und sind) auf die Stammkapitaldeckung beschränkt, §§ 135 InsO, 6 AnfG dagegen nicht700. Wurde das Darlehen im Laufe des letzten Jahres vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgezahlt, so konnte nach § 135 InsO nicht geltend gemacht werden, dass der Kapitalersatzcharakter inzwischen weggefallen war. Bei Anwendung des § 31 GmbHG war dieser Einwand möglich.

Weniger streng war die Novellenregelung in drei Punkten betreffend die Geltendmachung des Eigenkapitalersatzes: a) b)

c)

Es fehlte für die GmbH die subsidiäre Mithaftung der übrigen Gesellschafter nach § 31 III GmbHG. §§ 39 I Nr 5, 135 InsO und § 6 AnfG halfen nur bei Insolvenzverfahren bzw Anfechtung. Wurde ein Insolvenzverfahren (noch) nicht, insbesondere mangels Masse nicht eröffnet (§ 26 InsO), blieb nur das Anfechtungsrecht des Einzelgläubigers nach § 6 AnfG übrig. Die Kapitalersatzfunktion konnte also nicht durch den Geschäftsführer der Gesellschaft selbst geltend gemacht werden701. Soweit nur die gesetzliche Regelung in Betracht kam, musste der Geschäftsführer auf Verlangen des Gesellschafters auszahlen, er konnte nicht zurückfordern, er hätte höchstens einen Gläubiger zur Geltendmachung seines Anfechtungsrechts nach § 6 AnfG animieren können. Nach § 31 I GmbHG in der Anwendung durch die Rechtsprechung konnte dagegen der Geschäftsführer gegen die Rückforderung eines eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens, soweit dazu das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen belastet wurde, die Arglist-Einrede erheben (dolo-petit-Einrede), § 31 I GmbHG galt sodann auch bei Liquidation ohne Insolvenzverfahren. §§ 135 InsO, 6 AnfG setzten für die Anfechtungsrechte (Erstattungsforderungen) bei ausgezahltem Darlehen Jahresfristen. Das Anfechtungsrecht unterlag der Verjährung (das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 146 InsO). Der Anspruch aus § 31 I GmbHG setzte keine Auszahlung in irgendeiner Frist voraus und verjährte in 10 Jahren (§ 31 V GmbHG).

Im Hinblick auf diese Unterschiede hat der BGH seine Rechtsprechungsgrundsätze neben der Novellenregelung aufrechterhalten.

_____ 700 Folgerung: Im Fall, dass in der Jahresfrist ausgezahlt wird, aber trotz Auszahlung das Stammkapital gedeckt ist, kam § 31 nicht in Betracht. § 135 InsO griff ein, wenn das Darlehen bei Hingabe oder Stehenlassen in der Krise kapitalersetzend war (§ 32a I). Darauf, dass die Gesellschaft noch bei Auszahlung kreditunwürdig war (so Roth/Altmeppen/Altmeppen frühere Aufl § 32a Rn 85), kam es nicht an. 701 Praktisch denkbar nach einem Herrschaftswechsel in der GmbH, so der Fall BGHZ 76, 326.

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3. Die Neuregelung der Gesellschafterdarlehen durch das MoMiG 488 Das MoMiG hat die Regelung der Gesellschafterdarlehen wesentlich verein-

facht. Zur Vereinheitlichung der Regeln erklärt die Neuregelung die gesellschaftsrechtlichen Ausschüttungsverbote in §§ 57 I 4 AktG, 30 I 3 GmbHG für unanwendbar. Damit ist der Rechtsprechung zu §§ 30, 31 GmbHG, 57 AktG die Grundlage entzogen, sodass nur noch die neuen gesetzlichen Schranken übrigbleiben. Aus diesen hat das MoMiG das Kriterium des Eigenkapitalersatzes aufgegeben. Die Nachrangigkeit und die Anfechtbarkeit von Rückzahlungen in den Fristen gelten generell für Gesellschafterdarlehen, vorbehaltlich des Sanierungs- und des Kleinbeteiligungsprivilegs702. An anderer Stelle hat das Gesetz eine Haftung der Vorstände und der Geschäftsführer nach §§ 92 II 3 AktG, 64 S 3 GmbHG begründet, nämlich die Pflicht zum Ersatz von Zahlungen an Gesellschafter, die bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten. Diese Neuregelung bereitet in Rechtfertigung und Reichweite außerordentliche Schwierigkeiten702a Sodann ist die gesetzliche Regelung vereinfacht und zusammengezo489 gen: Die bisher geltenden §§ 32a, b GmbHG, 129a, 172a HGB aF sind aufgehoben; die §§ 39, 44a, 135, 143 InsO, 6, 6a, 11 AnfG sind zT neu gefasst, zT eingefügt worden. Was zunächst die Ansprüche auf Rückzahlung von Darlehen betrifft, gilt die bisherige Einrede aus §§ 57, 62 AktG, 30 I GmbHG wegen Rückzahlungsansprüchen aus diesen Vorschriften (dolo-petit-Einrede) nicht mehr (§§ 57 I 4 AktG, 30 I 3 GmbHG). Es droht bei Rückzahlungen der Gesellschaft nur die Anfechtung, also die sogleich zu behandelnden Rechte des Insolvenzverwalters und von Einzelgläubigern auf Rückerstattung. Was die Darlehnsrückzahlungsansprüche der Gesellschafter betrifft, gilt der insolvenzrechtliche Nachrang: Nach § 39 Abs 1 Nr 5 iVm Abs 4 und Abs 5 InsO sind grundsätzlich alle Darlehensrückzahlungsansprüche (und wirtschaftlich entsprechende Ansprü-

_____ 702 Zur Konzeption des MoMiG U. Huber, FS Priester 2007, 259. Zu den Konsequenzen der Neuregelung Klinck/Gärtner, NZI 2008, 457, 458 mit Fn 16: Nach früherem Recht konnte der darlehensgebende Gesellschafter bei Feststellung, dass seine Gesellschaft in die Krise kam, das Darlehen kündigen und abziehen. Er verhütete damit, dass sein Darlehen eigenkapitalersetzend wurde und verfiel. Wenn der Gesellschafter sich jetzt in der gleichen Weise verhält, ist er dennnoch von der Zurücksetzung betroffen, weil ihn das Anfechtungsrecht nach §§ 135 InsO, 6 AnfG trifft, sofern die Gesellschaft in den 11 Monaten nach Abzug in die Insolvenz fällt. Die Anfechtungsvorschriften sind nicht mehr auf eigenkapitalersetzende Darlehen beschränkt. 702a Zu § 64 S 3 GmbHG S Roth/Altmeppen/Altmeppen § 64 Rn 65 ff.

VII. Gesellschafterdarlehen | 289

che) von Gesellschaftern der einbezogenen Rechtsformen702b ohne weitere Prüfung im Insolvenzverfahren nachrangig702c. § 39 IV 1 InsO fasst die einbezogenen Rechtsformen zusammen zu „Gesellschaften, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist“. Damit sind in der einen Norm und der einen Definition die GmbH, die AG, die typische GmbH & Co KG und andere Gesellschaften ohne natürliche Personen als unbeschränkt haftende Beteiligte erfasst703. Vom Nachrang ausgenommen sind nach § 39 IV 2 InsO bis zur nachhaltigen Sanierung bestehende oder neu gewährte Darlehen von Gläubigern, die bei eingetretener Überschuldung oder eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit Anteile zum Zwecke der Sanierung übernommen haben (hierhin ist das sog Sanierungsprivileg gewandert)703a. § 39 I Nr 5 gilt nach § 39 V InsO auch nicht für Darlehen von nicht geschäftsführenden Gesellschaftern, die mit höchstens 10% beteiligt sind (Kleinbeteiligungsprivileg, bisher § 32a III 2 GmbHG aF)704.

_____ 702b Einem Darlehen gleichgestellte Forderung ist etwa die aus einer (typischen, dh nur gewinnbeteiligten) stillen Beteiligung, BGH NZG 2018, 109. Sind die Gesellschafter ausgeschieden oder haben sie den Anteil abgetreten, kommt es auf die Darlehensgewährung zur Zeit der Zugehörigkeit zur Gesellschaft an (BGH NZG 2013, 469). Allerdings kommt es analog § 135 I 2 InsO auf ein Ausscheiden erst in der Jahresfrist oder nach Stellung des Insolvenzantrags an, BGH NZG 2012, 194. Bei Abtretung und Befriedigung des Zessionars Haftung nach NZG 2013, 469 auch des Zessionars. 702c Hat die Gesellschaft das Darlehen mit einer Hypothek gesichert, gilt der Nachrang kraft der Akzessorietät auch für diese, bei einer Sicherungsgrundschuld muss mit einer Einrede aus dem Sicherungsvertrag oder aus §§ 135 InsO, 6 AnfG gearbeitet werden, Raiser/Veil § 48 Rn 38 mwN. 703 Ebenso wie auf den Nur-Kommanditisten einer GmbH & Co KG (s bereits OLG Celle GmbHR 2003, 900) hat schon der BGH die §§ 30, 31 GmbHG auf eine Person angewandt, die am Handelsgewerbe einer GmbH als stiller Gesellschafter beteiligt ist, sofern der Stille – ähnlich wie der GmbH-Gesellschafter – die Geschicke der GmbH bestimmt sowie an Vermögen und Ertrag der GmbH beteiligt ist, BGHZ 106, 107. Nach OLG Saarbrücken ZIP 1999, 2150 reicht für eine Finanzierungsverantwortung die bloße Beteiligung als stiller Gesellschafter nicht aus. Es bedürfe weiterer Umstände wie einer besonderen persönlichen oder rechtlichen Verbindung zu einem Gesellschafter. Jetzt gelten die Kriterien des § 39 IV 1 InsO und des Kleinbeteiligungsprivilegs (§ 39 V InsO). 703a Nach BGHZ 165, 106 setzt das Sanierungsprivileg (zur Zeit der Entscheidung: nach § 32a III 3 GmbHG) voraus, dass nach pflichtgemäßer Einschätzung objektiver Dritter die Gesellschaft zur Zeit des Erwerbs der Anteile sanierungsfähig war und die zur Sanierung unternommenen Maßnahmen zur durchgreifenden Sanierung objektiv geeignet waren. 704 Zum früheren Recht hat der BGH festgestellt, dass das Kleinbeteiligungsprivileg nicht eingreift, wenn mehrere Gesellschafter mit zusammen mehr als 10% koordiniert Kredit gewäh-

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Noch hinter den Gesellschafterforderungen nach § 39 I Nr 5 InsO rangieren nach § 39 II InsO im Zweifel Forderungen, für die zwischen Gläubigern und Schuldnern Nachrang vereinbart wurde (sog qualifizierter Rangrücktritt). Nach § 19 II 2 InsO nF werden Gesellschafterdarlehen im Überschuldungsstatus des § 19 II 1 InsO dann nicht berücksichtigt, wenn der Rangrücktritt vereinbart ist704a. Der bisherige § 32a II GmbHG über die Behandlung von Fremdgläubigern, denen ein Gesellschafter Sicherheit gewährt hat, findet sich jetzt in §§ 44a InsO: Nach § 44a kann ein Gesellschaftsgläubiger, dem ein Gesellschafter Sicherheit gewährt hat (Bürgschaft oder andere Sicherheiten), zwar seine Forderung zur Tabelle anmelden, er kann aber gleichberechtigt mit den anderen Gläubigern an der Verteilung der Insolvenzmasse nur mit dem Teil seiner Forderung teilnehmen, mit dem er bei Inanspruchnahme der Sicherheit ausgefallen ist. Was sodann die Rückerstattung von Leistungen der Gesellschaft im Zu490 sammenhang mit Gesellschafterdarlehen (und gleichgestellten Forderungen) betrifft, ist für die Anfechtung solcher Leistungen in § 135 I InsO (mit der Folge der Rückerstattungspflicht nach § 143 I InsO) ebenfalls das Kriterium aufgegeben, dass es kapitalersetzende Darlehen sein müssen. Jedes Gesellschafterdarlehen ist erfasst, welches bei den einbezogenen Gesellschaftsformen und außerhalb von Sanierungs- sowie Kleinbeteiligungsprivileg gewährt ist. § 135 I unterscheidet in Nrn 1 und 2 InsO die Sicherung und die Befriedigung von Ansprüchen von Gesellschaftern: Leistungen der Gesellschaft zur Sicherung eines Darlehens iSv § 39 I Nr 5 InsO sind anfechtbar, sofern die Sicherung binnen 10 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewährt worden ist. Nr 2 macht Handlungen zur Befriedigung wegen eines solchen Darlehens anfechtbar, sofern sie binnen eines Jahres vor der Antragstellung vorgenommen worden sind. Sind aus einer in die 10-Jahres-Frist fallenden Sicherheit Befriedigungen gezogen worden, gilt für diese weiterhin die 10Jahres-Frist, nicht die 1-Jahres-Frist der Nr 2704b.

_____

ren oder stehen lassen, DStR 2007, 648. Gleichfalls kommt die Stellung eines faktischen Geschäftsführers in Betracht. 704a Übernahme von BGHZ 146, 264 aus der Zeit der Rechtsprechung zum Eigenkapitalersatz: Mit dem Rangrücktritt stelle sich der Gesellschafter selbst wie ein Eigenkapitalgeber. Zum sog. qualifizierten Rangrücktritt N o Rn 413 Fn 598. 704b BGHZ 198, 64 (74). Der Gegeneinwand des Insolvenzverwalters über das Vermögen des in Anspruch genommenen Gesellschafters, dessen Darlehensgewährung sei als unentgeltliche Leistung anfechtbar, ist mit der Regelung der Gesellschafterdarlehen unvereinbar, BGH NJW 2017, 1235.

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In § 135 II InsO geht es wieder um gesellschafterbesicherte Fremdforderungen: Nach der Vorschrift ist anfechtbar auch die in der Jahresfrist des § 135 I Nr 2 vorgenommene Befriedigung eines Dritten, den ein Gesellschafter gesichert hatte. Die Folge dieser Anfechtung ist in § 143 III InsO normiert: Der sichernde Gesellschafter muss die Leistung bis zur Höhe der Sicherheit zurückerstatten, er kann seine Rückerstattungspflicht ablösen durch Einbringung der sichernden Gegenstände in die Insolvenzmasse (bisher § 32 b GmbHG aF)704c. §§ 6, 6a AnfG entsprechen betreffs der Einzelzwangsvollstreckung dem, was die Absätze 1 und 2 des § 135 InsO für das Insolvenzverfahren sagen (an die Stelle des Zeitpunkts der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt hier der Zeitpunkt der Erlangung eines vollstreckbaren Schuldtitels). Der Haftung des Gesellschafters nach § 143 III InsO nF entspricht § 11 III AnfG nF.

4. Die analoge Anwendung der Grundsätze betreffend Gesellschafterdarlehen nach der früheren Rechtsprechung und die Neuregelung a. Analoge Anwendung über den Kreis der Gesellschafter und den Darlehnstypus hinaus und das MoMiG Die frühere Rechtsprechung hat die Sonderbehandlung von Gesellschafterdar- 491 lehen in zweifacher Hinsicht über die Bereiche hinaus ausgeweitet, die mit der Bezeichnung Gesellschafterdarlehen angesprochen sind, nämlich sowohl ausgeweitet über den Kreis von Gesellschaftern als auch über die Gewährung von Darlehen hinaus. Die personelle Ausweitung ist schon in dem Ausgangsfall der Rechtsprechung des BGH, dem Lufttaxi-Fall, relevant geworden, indem dort der Hintermann eines Gesellschafters in die Verantwortung einbezogen worden ist705. Als Geschäftstyp, der der Gewährung von Darlehen entsprechend zu behandeln sei, ist die Nutzungsüberlassung an die Gesellschaft, insbesondere von Grundstücken des Gesellschafters, eingeordnet worden. Das MoMiG lässt für die Fortführung dieser Rechtsprechung Raum: § 39 I Nr 5 InsO stellt den Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens

_____ 704c §§ 135 II, 143 III InsO müssen analog gelten in dem Fall, dass der Gläubiger in dem kritischen Zeitraum auf die Sicherheit, die ihm ein Gesellschafter gewährt hat, verzichtet (OLG Stuttgart ZIP 2012, 834; Altmeppen, ZIP 2016, 2089). Haben Gesellschaft und Gesellschafter dem Gläubiger Sicherheiten gewährt, ist der Gläubiger in seiner Disposition, welche Sicherheit er wählt, frei; auch wenn er sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Verwertung der Gesellschaftssicherheit entscheidet, gilt § 143 III InsO (BGH ZIP 2011, 2417). 705 O Rn 469.

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Forderungen aus Rechtshandlungen gleich, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. Zu untersuchen ist folglich die frühere Rechtsprechung einerseits und ihre mögliche Modifikation durch die Neufassung des MoMiG andererseits.

b. Die Ausweitung hinsichtlich der Person des Darlehnsgebers 492 Zur Frage der personellen Ausweitung der Grundsätze über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen sind maßgeblich die hier schon mehrfach erwähnte706 Lufttaxi-Entscheidung und das Mitropa/Sonnenring-Urteil706a. In der ersten Entscheidung hat der BGH die Eigenkapitalgrundsätze auf Darlehen des Hintermanns von Strohmanngesellschaftern, in der zweiten hat er sie auf Darlehen einer beherrschenden Gesellschaft, die nicht selbst, sondern mittelbar über eine Tochtergesellschaft an der GmbH beteiligt ist, ausgedehnt707. 493

In einer weiteren Ausdehnung hat der BGH in den Fällen der Darlehensrückzahlung an ein minderjähriges Kind des Gesellschafters und an einen Zessionar der Forderung aus eigenkapitalersetzendem Darlehen das Kind und – obiter – den Zessionar für rückerstattungspflichtig erklärt708. Grundsätzlich führe zwar die Regelung der Gesellschafterdarlehen nicht zu der Haftung eines Dritten, an den die Gesellschaft nach § 267 BGB die Rückzahlung des eigenkapitalersetzenden Darlehens oder die Auszahlung des eigenkapitalersetzend stehen gelassenen Vergütungsanspruchs eines Gesellschafters leiste. Anders sei es aber schon dann, wenn der Gesellschafter die durch die dolo-petit-Einrede aus §§ 30, 31 GmbHG einredebehaftete Forderung aus eigenkapitalersetzendem Gesellschafterdarlehen an den Dritten zediert habe. Ebenso sei der minderjährige Sohn des Ge-

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706 Rn 327 (betr personelle Ausweitung der Vermögensbindung), Rn 469 (Grundentscheidung zu den Gesellschafterdarlehen) 706a O Rn 478 Fn 687. 707 S a BGHZ 193, 378, NZG 2018, 309. Weiter OLG Schleswig ZIP 2007, 1217 (eigenkapitalersetzende Leistungen über BGB-Gesellschaft, die Gesellschafter mit seiner Ehefrau eingegangen ist, und über verbundenes Unternehmen des Gesellschafters). Das OLG Hamm, ZIP 2017, 2162 hat einen mittelbar über verschiedene Gesellschaften und nicht etwa maßgeblich beteiligten Gesellschafter (nur 13,95%, immerhin oberhalb der Kleinbeteiligungsschwelle des § 39 Nr 6 InsO) in den Anfechtungstatbestand des § 135 I InsO einbezogen. Seine Argumente waren die frühzeitige Information über das Risiko der Insolvenz und die Möglichkeit, die Zahlungsströme der Gesellschaft zu beeinflussen. Der Beklagte war zudem als Verpächter mit der Schuldnerin verbunden (zur Entscheidung d’Avoin/Michels, ZIP 2018, 50). – Abgrenzend BGH DB 2008, 1370: Finanzierungshilfe einer Schwester-AG an GmbH, an welcher die andere Schwestergesellschaft beteiligt ist, trotz gemeinsamer Abhängigkeit beider Schwestern von der Muttergesellschaft kein Eigenkapitalersatz, weil Vorstand der gewährenden Schwester nach § 76 AktG aus eigener Verantwortung handelt. Ebenso wenig die Darlehnshilfe einer Gesellschaft, an der einer von zwei Brüdern beteiligt ist, an die Gesellschaft des zweiten Bruders, BGHZ 188, 363. 708 BGHZ 81, 365.

VII. Gesellschafterdarlehen | 293

sellschafters im zu entscheidenden Fall zur Rückerstattung nach § 31 GmbHG verpflichtet, wenn der in der Revision zu unterstellende Sachverhalt zutreffe und demgemäß das Darlehen, das der Vater des Kindes der GmbH durch Stehenlassen seiner Vergütungsforderung gewährt habe, eigenkapitalersetzend gewesen sei. Für den Sohn waren mit der Gesellschaft Kaufverträge über Wohnungseigentum abgeschlossen worden. Zur Finanzierung des Kaufpreises hatte der Vater dem Sohn Darlehen zugesagt. Die Kaufpreisschulden des Sohnes waren mit den Darlehensforderungen des Vaters gegenüber der GmbH verrechnet worden. Trotz der Alleingesellschafter- und Alleingeschäftsführerstellung des Vaters in der GmbH hat der BGH die Verrechnung nur in dem Fall als unwirksam angesehen, dass der Vater bewusst gegen die Kapitalerhaltungsgrundsätze verstoßen hätte. Dies bedürfe aber keiner Feststellung, weil der Sohn auch ohne einen bewussten Verstoß schon aus § 31 I GmbHG hafte.

Für die Zurechnung der Leistung der Gesellschaft an den Sohn als Dritten beruft 494 sich der BGH auf die Haftung des Hintermanns oder des beherrschenden Gesellschafters im Lufttaxi-Reklameflug-GmbH- und im Mitropa/Sonnenring-Fall. Weitere Fälle der Drittzurechnung kämen hinzu: Der BGH verweist auf §§ 89, 115 AktG, die die Kreditgewährung an Organe der AG regeln. Die Vorschriften stellen nicht nur die ohne Zustimmung des Aufsichtsrates erfolgende Kreditgewährung an Organpersonen, sondern auch die an Ehegatten und minderjährige Kinder derselben unter die Voraussetzung der Zustimmung des Aufsichtsrats (§§ 89 III, 115 II). Weiter zieht der BGH §§ 31 Nr 2, 32 Nr 2 KO (jetzt §§ 133 II, 138 InsO) heran709. Dahingestellt lässt der BGH, ob bei der ausdehnenden Anwendung des § 31 I GmbHG ein 495 Unterschied zu § 89 III AktG mit Rücksicht darauf zu machen sei, dass bei einem Organkredit die Rückzahlung jedenfalls im Raum stehe, während dies bei § 31 I nicht so sei. Es komme in Betracht, im Fall des § 31 die Erkennbarkeit des Verstoßes gegen § 30 für den Empfänger zu verlangen. Dies brauche hier aber nicht entschieden zu werden: Die Kenntnis des Gesellschafters sei, weil dieser alleiniger gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen gewesen sei, dem Minderjährigen zuzurechnen710.

Dem BGH war weder im Zessions-Fall noch im Fall der Verrechnung mit 496 Schulden des minderjährigen Kindes eines Gesellschafters zu folgen. Die Zession einer Forderung aus eigenkapitalersetzendem Darlehen war, wenn §§ 30, 31 GmbHG eingriffen, nicht gegenstandslos, sondern Abtretung einer durch die dolo-petit-Einrede geschwächten Forderung. Die Einrede wirkte nach § 404 BGB gegen den Zessionar711. Wurde auf die abgetretene Forderung an den

_____ 709 BGHZ 81, 365, 369. 710 BGHZ 81, 365, 370. 711 K. Schmidt, ZIP 1981, 689, 694 will § 404 BGB nicht anwenden. § 32a I GmbHG wende sich gegen ein venire contra factum proprium, ein solches venire contra factum proprium sei aber

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Dritten gezahlt, so konnte die Zahlung vom Dritten nach § 813 I 1 BGB712 und nicht nach § 31 I GmbHG zurückverlangt werden. Infolgedessen war die Rückforderung nach § 814 BGB ausgeschlossen, wenn die Gesellschaft in Kenntnis der dolo-petit-Einrede gezahlt hatte. Diese Zahlung war dann um des Gesellschafters und Zedenten willen geleistet und deshalb von diesem, aber nicht vom Zessionar nach § 31 I GmbHG zu erstatten. Ebenso war die (nach BGH: wirksame) Verrechnung von Forderungen der 497 Gesellschaft gegen das minderjährige Kind eines Gesellschafters mit einer Forderung des Gesellschafters aus eigenkapitalersetzenden Darlehen die Auszahlung dieses Darlehens an den Gesellschafter, wenn sie auf Veranlassung des Gesellschafters, weil dieser dem Kind seinerseits Darlehen zugesagt hatte, vorgenommen wurde. Wir hatten eine Anweisungsleistung vor uns, bei der der Angewiesene (hier die GmbH) an den Anweisenden (den Vater) gezahlt und zugleich dessen Leistung auf das Darlehen an den Anweisungsempfänger (das Kind) bewirkt hat. Die Auszahlung an den Gesellschafter führte zu dessen Erstattungspflicht nach § 31 I GmbHG. Der Anweisungsempfänger haftete nicht. Die Berufung des BGH auf das Lufttaxi- und das Mitropa/Sonnenring-Urteil 498 war eine Verkehrung: Das Kind hat nicht das Darlehen an die Gesellschaft und dessen Rückzahlung dirigiert. Zudem lag in jenen Fällen eine Zwei-ParteienBeziehung und kein Dreiecksverhältnis betreffs der Rückzahlung der Gesellschaft vor. Die vom BGH angeführten aktienrechtlichen Vorschriften beschränken die 499 Darlehensvergabe durch eine AG. Sie haben mit der Konsequenz, dass die Leistung der Gesellschaft an einen Gesellschafter zugleich einem Dritten zuzurechnen war, nichts zu tun. Auch die insolvenzrechtliche Vorschrift hat einen Tatbestand mit Voraussetzungen und Ausschlussgründen. Der BGH hat nicht einmal versucht, die Merkmale zu prüfen und die Voraussetzungen als erfüllt sowie die Ausschlussgründe als nicht einschlägig darzulegen.

_____ dem Zessionar nicht zur Last zu legen, auch nicht über § 404 BGB, weil der Vorwurf nicht an der Forderung, sondern an der Person hafte. Dem Zessionar könne allerdings nach § 32a III (jetzt III 1) GmbHG das venire contra factum proprium zugerechnet werden, wenn Darlehensgewährung und Abtretung zusammen Rechtshandlungen seien, die der Gewährung eines Gesellschafterdarlehens in der Krise wirtschaftlich entsprächen. Indiz dafür sei die Insolvenznähe des Vorgangs. Einreden, die nur an der Person hängen, gibt es aber nicht, und die Zurechnung an einen Dritten, der nicht wie die beherrschende Gesellschaft den Gesellschafter dirigiert, ist auch nicht über § 32a III 1 GmbHG begründbar. 712 Dass sich die Situation, die zur Umqualifizierung eines Darlehens in Eigenkapital führt, bessern kann, macht die Einrede während dieser Situation nicht zu einer Einrede, die den Anspruch nicht iSd § 813 I 1 BGB dauernd ausschließt.

VII. Gesellschafterdarlehen | 295

Nach dem geltenden Recht sind, wie es dem Vorbild der Lufttaxi- und der 500 Mitropa/Sonnenring-Entscheidungen entspricht, als Forderungen aus wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlungen auch die Forderungen von Hintermännern und von mittelbar Einfluss innehabenden Gesellschaftern anzusehen. Ein uneinheitliches Bild ergibt sich demgegenüber für die Fälle der Zession einer Forderung aus Gesellschafterdarlehen einerseits und der Verrechnung von Darlehensforderungen eines Gesellschafters mit der Forderung der Gesellschaft gegen einen Dritten auf Anweisung des Gesellschafters andererseits. § 39 I Nr 5 InsO macht Forderungen aus Gesellschafterdarlehen nachrangig. Damit steht diesen Forderungen nicht mehr nur eine Einrede wie nach §§ 30, 31 GmbHG aufgrund der früheren Rechtsprechungsgrundsätze entgegen. Eine nachrangige Forderung kann aber nicht durch Abtretung gleichrangig werden. Insoweit wäre dem BGH mit seiner Beurteilung des Zessionsfalls aufgrund des geltenden Rechts zuzustimmen. Daraus sind aber nach wie vor entgegen dem BGH keine Folgerungen gegen den anweisungsbegünstigten Minderjährigen zu ziehen: Die Verrechnung auf Anweisung eines Gesellschafters ist dem Anweisenden, nicht dem Anweisungsbegünstigten zuzurechnen.

c. Ausweitung nach dem Geschäftstyp auf die Nutzungsüberlassung Nach heftiger Diskussion hat der BGH die Grundsätze über eigenkapitalersetzen- 501 de Gesellschafterdarlehen über Darlehen hinaus auf Fälle angewandt, dass Gesellschafter ihrer Gesellschaft bewegliche oder unbewegliche Sachen nicht übereignen, sondern zur Nutzung überlassen. Im Mittelpunkt steht hier die Fallgestaltung der sogenannten Betriebsaufspaltung713. Ein einheitliches Unternehmen wird dadurch aufgespalten, dass eine Gesellschaft, die Betriebsgesellschaft, die unternehmerische Betätigung trägt, während eine andere Gesellschaft oder die Gesellschafter selbst das zur Betriebsführung der Betriebsgesellschaft erforderliche Vermögen halten und der Betriebsgesellschaft nur nutzungsweise zur Verfügung stellen. In mehreren Entscheidungen hat der BGH eine Rechtsprechung über die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung entwickelt714. In dieser Rechtsprechung hat der BGH die Versuche abgewehrt, die darauf 502 gerichtet waren, die Gesellschafter, die der Gesellschaft Vermögensgegenstände nicht übertragen, sondern nur zur Nutzung überlassen, unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes ihrer Rechte, insbesondere des Eigentums an

_____ 713 Diskussion aus der Zeit vor der Rechtsprechung s etwa bei Knobbe-Keuk, BB 1984, 1. 714 BGHZ 109, 55 – Lagergrundstück I; BGHZ 121, 31– Lagergrundstück II; BGHZ 127, 1 – Lagergrundstück III; BGHZ 127, 17 – Lagergrundstück IV. Nicht hierher gehört die teilweise „Lagergrundstück V“ genannte Entscheidung BGH ZIP 1997, 1375.

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beweglichen Sachen oder Grundstücken, gänzlich zu berauben. Kernsatz des BGH ist (im Rahmen der Anwendung des Ausschüttungsverbots des § 30 I GmbHG): Die Grundsätze über den Eigenkapitalersatz enthalten ein Verbot des Abzugs zugeführten Kapitals, aber kein Gebot der Kapitalzuführung715. Hätten die Gesellschafter der Gesellschaft kein Eigentum gewährt, könne dieses nicht per Kapitalersatz dem Gesellschaftsvermögen zugeschlagen werden. Stattdessen hat der BGH die Möglichkeit einer kapitalersetzenden Nut503 zungsüberlassung entwickelt. Seien unter Berücksichtigung der Lage der Gesellschaft Nutzungsrechte eingeräumt worden, die in dieser Lage ein Dritter nicht eingeräumt hätte, so müssten die Gesellschafter der Gesellschaft das Nutzungsrecht so belassen, als wenn sie das Nutzungsrecht in Form einer Sacheinlage zur Verfügung gestellt hätten. Maßgeblich für die Dauer dieser Gewährung als Sacheinlage seien zunächst die – ernst gemeinten – zwischen Gesellschaft und Gesellschafter vereinbarten Grenzen (unter Ausklammerung allerdings eines für den Insolvenzfall vereinbarten Kündigungsrechts), bei Fehlen solcher Vereinbarungen die Mindestdauer, auf der ein Dritter bei entgeltlicher Gewährung hätte bestehen müssen, um über die Vergütungen (Mietzinszahlungen) seine Investitionskosten zuzüglich eines angemessenen Gewinns hereinzuholen716. Aus diesen Grundsätzen konnten sich die folgenden Rechtsfolgen ergeben: 504 Verwehrung der gleichrangigen Geltendmachung von Mietzinsansprüchen und eines Vermieterpfandrechts im Insolvenzverfahren, Rückgewähr gezahlten Mietzinses717, bei Abzug der Vermögensgegenstände durch die Gesellschafter der Anspruch auf Wiedereinräumung des Nutzungsrechts oder bei Unmöglichkeit derselben auf Schadensersatz718.

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715 Präzisierung durch BGHZ 127, 17, 23. 716 BGHZ 127, 10 ff. 717 Lagergrundstück I BGHZ 109, 55. In Lagergrundstück II BGHZ 121, 31 wird dagegen ein Schadensersatzanspruch wegen Verlustes oder Beschädigung der Mietsachen zugestanden, vorbehaltlich der Umwandlung dieses Anspruchs in Eigenkapitalersatz deshalb, weil er in der Krise der Gesellschaft stehen gelassen wurde. In Lagergrundstück III wird der Konkursverwalter nochmals auf das Nutzungsrecht beschränkt (welches er aber auch durch Überlassung der Nutzung an Dritte ausüben könne), mit der Folge, dass er, wenn er die zur Nutzung überlassene Sache veräußere, auf das Nutzungsrecht verzichte; der Erlös stehe – vorbehaltlich einer anderen Vereinbarung – als Eigentumssurrogat den Gesellschaftern zu (BGHZ 127, 1, 15). Der Konkursverwalter könne auch nicht statt des Nutzungsrechts einen Anspruch auf Zahlung in Höhe des kapitalisierten Werts der Nutzungen während der Restdauer der Überlassung geltend machen (Lagergrundstück IV BGHZ 127, 17, 29 f). 718 Lagergrundstück III BGHZ 127, 1, 14 f. Nach BGH NJW 1999, 577=BGHZ 140, 147 endet, wenn das überlassene Grundstück mit einem Grundpfandrecht belastet ist, das Abzugsverbot, dh können Pachtzinsen verlangt werden mit Wirksamwerden der Beschlagnahme zur Zwangs-

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Der Kernsatz, dass die Grundsätze über den Eigenkapitalersatz ein Ab- 505 zugsverbot, kein Zuführungsgebot begründen, stand aber der ganzen Rechtsprechung zur kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung entgegen: Nach diesem Satz konnte sogar die ganz auf die Zwecke der Gesellschaft hin eingeräumte Nutzungsgestattung nicht Kapitalersatz sein. Die Beendigung der Gestattung ist kein Abzug von Gesellschaftsvermögen. Die Langfristigkeit der Gestattung hat nur den Sinn, dass die Gesellschaft verpflichtet ist, langfristig gegen Vergütung zu nutzen, zu dem Endzweck, dass sich die Investition des Gesellschafters lohnt. Der Gesellschafter räumt aber keine langfristige Berechtigung zur Nutzung ein, die notfalls auch ohne Vergütung fortbesteht. Nutzung heißt immer Nutzungsgestattung gegen Entgelt auf Zeit, für die Zukunft beendbar durch Kündigung. Beide Partner gehen von der Langfristigkeit aus. Wenn die Gesellschaft aber nicht zahlt, wird die Nutzung nicht mehr weiter gewährt. Es folgt die Kündigung. Die Kündigung hat nicht die Bedeutung, dass ein Recht abgezogen wird, sondern die Bedeutung, dass die Nutzung in Zukunft nicht weiter gewährt wird. Wurde dem Gesellschafter nach der Auffassung des BGH die Weitergewährung der Nutzung auferlegt, so wurde ihm die Zuführung des Rechts auferlegt, statt dass ihm nur ein Abzug verboten wurde719. Mit Recht hat der BGH die Auffassung für unrichtig erklärt, zwischen einer 506 Übertragung in das Vermögen der GmbH und einem obligatorischen Nutzungsrecht dürfe kein Unterschied gemacht werden720. Ebenso wie diese Unterscheidung war aber auch die Unterscheidung zwischen einem Nutzungsrecht unter Vorbehalt der Kündigung und einem kündigungsunabhängigen Nutzungsrecht zu treffen. Nach allem war zutreffend der Standpunkt, der zu Beginn der Diskussion über 507 die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung von Brigitte Knobbe-Keuk721 vertreten worden ist. Nur die bereits gewährte Nutzung ist gewährte Nutzung. Soweit eine Nutzung in der Vergangenheit trotz Krise der Gesellschaft noch weiterhin, und zwar ohne Zinsen, fortgesetzt wird, so gelten für diese nicht eingezogenen Zinsen die Grundsätze betreffend eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen.

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verwaltung; das Verlangen sei entsprechend §§ 146 ff ZVG, 1123, 1124 II BGB von dem wirksamen Beschlagnahmebeschluss an begründet, zust Pohlmann, DStR 1999, 595 ff; Habersack, ZGR 1999, 427. 719 Als der BGH in GmbHR 2000, 932, 934 den Gesellschafter zusätzlich zur unentgeltlichen Weiterüberlassung der Nutzung noch zur Tragung von Mietnebenkosten für verpflichtet erklärt hat, weil ihm diese nach dem (doch aber entgeltlichen!) Mietvertrag zur Last fielen, ist die Überschreitung des Grundsatzes, dass die Kapitalersatzregeln nur ein Verbot des Kapitalabzugs, aber nicht ein Gebot der Kapitalzuführung begründen, evident geworden. 720 BGHZ 127, 1, 8; BGHZ 127, 17, 24 f. 721 BB 1984, 1.

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Geradezu einen Widerspruch in sich bedeutete die vom BGH angestellte Prüfung zunächst der Kapitalersatzfunktion anhand der Frage, ob ein Dritter ein entsprechendes Nutzungsrecht gewährt hätte, und sodann, wenn diese Frage zu verneinen war, die Folgerung, dass dem Gesellschafter ein unentgeltliches Nutzungsrecht in dem Maße aufzuerlegen sei, wie ein Dritter es entgeltlich gewährt hätte. Erfreulich ist demgegenüber die Klarstellung in der Begründung des 509 RegE MoMiG: Die vom BGH vertretene Pflicht zur unentgeltlichen Belassung der Nutzung weiche von den §§ 103 ff InsO ab, weil diese dem Insolvenzverwalter nur Rechte in Bezug auf die Erfüllung von Rechtsgeschäften, aber keine Rechte zur Neubegründung unter Entzug von Eigentumsrechten geben. Der RegE fügt hinzu: In der Neuregelung finde die Rechtsprechung ohnehin keine Grundlage, weil diese auf das vom BGH angeführte Merkmal des Eigenkapitalersatzes überhaupt nicht mehr abstelle722. Keine Reverenz an das Eigenkapitalersatzdenken bedeutet die Beschränkung der Rechte bei Nutzungsüberlassung, die aus dem Gesetzesverfahren jetzt in § 135 III InsO herausgekommen ist: Zwar wird hiernach – auch hier unter dem Vorbehalt des Kleinbeteiligungs- und des Sanierungsprivilegs (Abs 4) – dem Gesellschafter, der der Gesellschaft einen Gegenstand zum Gebrauch oder zur Ausübung überlassen hat, während der Dauer des Insolvenzverfahrens, aber höchstens für ein Jahr ab Eröffnung des Verfahrens, der Aussonderungsanspruch versagt, wenn der Gegenstand für die Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung ist. Der Gesellschafter erhält aber eine Vergütung in Höhe der Durchschnittsvergütung aus der letzten Zeit vor der Insolvenzeröffnung723.

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d. Finanzplankredit und Finanzplannutzungsüberlassung 510 Mit derselben Entschiedenheit ist weiteren Versuchen der Rechtsprechung entgegenzutreten, die mit dem Merkmal des Eigenkapitalersatzes angestellt worden sind. Zunächst ist hier zu nennen die Entscheidung des BGH, in der er die in der Literatur diskutierte 724 Möglichkeit eines eigenkapitalersetzenden Finanzplankredits aufgegriffen hat725. Die Gesellschafter einer GmbH mit Sitz in den neuen Bundesländern, die eine Bodenwaschanlage zur Altlastenentsorgung betreiben sollte, hatten in Gesellschaftsvertrag und

_____ 722 723 724 725

BT-Drucks 16/6140, S 56. S die Analyse von K. Schmidt, DB 2008, 1727. N bei K. Schmidt § 18 III 4 S 530. BGHZ 142, 116 = LM § 607 BGB Nr 170 mit Anm Wilhelm.

VII. Gesellschafterdarlehen | 299

Darlehensverträgen entsprechend ihren Anteilen Darlehen übernommen, die nur aus Gewinnerträgen und Liquidationsüberschüssen rückzahlbar waren. Behauptet war, dass die Gesellschafter, als das Projekt nicht in Gang kam und die Gesellschaft in die Krise geriet, auf weitere Auszahlung der Darlehen verzichtet hatten. Der Gesamtvollstreckungsverwalter (in dem Verfahren nach der GesO725a) klagte auf Auszahlung der Darlehen an die Masse.

Der BGH stellte zwar eindeutig fest, dass es nach den Kriterien der §§ 32a, b GmbHG aF keine eigenständige Kategorie eines Finanzplankredits gebe, vielmehr die allgemeinen Kriterien anwendbar seien, die ein Abzugsverbot, aber kein Zuführungsgebot begründeten. Dann aber räumte er die Möglichkeit ein, dass die Darlehen hier einlageähnlich versprochen waren mit der Folge zum einen der analogen Anwendung des § 19 II 1, III GmbHG über den Ausschluss des Erlasses von Einlagepflichten und zum anderen der Verwehrung eines Kündigungsrechts nach § 610 aF (jetzt § 490) BGB. Unter dieser Voraussetzung könne der Verwalter von den Gesellschaftern noch Darlehensauszahlung an die Masse verlangen. Damit erweitert der BGH letztlich doch die Eigenkapitalersatzsanktion: Neben das Abzugsverbot nach §§ 32a, b aF tritt ein Zuführungsgebot aufgrund der objektiven Würdigung einer Darlehensabsprache als einlageähnlich726. Mit Recht hat Altmeppen den Unterschied zwischen der Vereinbarung von Nachschüssen (§ 26) einerseits und Darlehen andererseits betont727. Nur erstere sind Eigenkapital (§§ 30 II GmbHG, 272 II HGB). Darlehen dagegen sind, selbst wenn sie mit Rangrücktrittsvereinbarung versehen sind, Fremdkapital. Dieses ist hinsichtlich der Rückzahlung in der Insolvenz zurückgesetzt. Für die Verpflichtung zur Darlehensauszahlung entgegen der getroffenen Vereinbarung und der Vertragsergänzung durch § 490 BGB ergibt sich daraus nichts728. Es bleibt dabei, dass die Eigenkapitalersatzgrundsätze dem Gesellschafter nicht mehr entziehen konnten, als was er hingegeben hat: Es gilt das Abzugsverbot, aber kein Zuführungsgebot. Das Gleiche gilt gegen die Einlageargumentation des BGH: Es gelten Versprechen der Zuführung zu Eigenkapital, aber kein darüber hinausgehendes Zuführungsgebot. Mit der Verabschiedung des Eigenkapitalersatzmerkmals hat das MoMiG jeder Ausweitung mit Hilfe von Eigenkapital-

_____ 725a Gesamtvollstreckungsordnung vom 23.5.1991 BGBl I, 1185 für Verfahren nach dem früheren Recht der DDR.

726 S Wilhelm aaO. 727 FS Sigle 2000, 211, 213 ff. 728 Entgegen Flume I 2 S 85, Wilhelm aaO auch nichts daraus, dass die Darlehen causa societatis versprochen sind. Daraus ergibt sich nicht mehr als das, was versprochen ist. Überzeugend Altmeppen aaO.

300 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

ersatzgedanken die Grundlage entzogen. Der BGH hat allerdings, weil er seinen Fall von der Problematik des Finanzplankredits abgrenzen konnte, offengelassen, ob er nicht ansonsten weiter an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Einlageähnlichkeit festhalten will728a. Die Klarstellung des BGH, dass es jedenfalls im Rahmen der §§ 32 a, b 511 GmbHG aF keine eigenständige Kategorie des Finanzplankredits gebe, schloss es immerhin aus, die Figur der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung auf den Fall einer finanzplangemäßen Nutzungsüberlassung zu erweitern, also einer Nutzungsüberlassung, die nicht in der Krise oder für den Fall der Krise der GmbH erfolgte, sondern nach einer die Kapitalausstattung der GmbH umfassenden Finanzplanung. Diese Erweiterung hat dennoch zu Unrecht das OLG Karlsruhe vertreten729.

VIII. Erstattungs- und Schadensersatzpflicht bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht VIII. Pflichten bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht 512 Oben730 war die Antragspflicht der Organe juristischer Personen bei Überschul-

dung oder Zahlungsunfähigkeit angesprochen. Das MoMiG hat die entsprechenden Vorschriften aus dem AktG und dem GmbHG (§§ 92 II AktG, 64 I GmbHG mit den Strafsanktionen aus §§ 401 I Nr 2 AktG, 84 I Nr 2 GmbHG aF) in die InsO verschoben (§ 15a InsO). Es hat die in der alten Fassung an die Bestimmung der Antragspflicht anschließende Ersatzpflicht von Vorstand oder Geschäftsführung in den Fällen, dass trotz Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit noch Zahlungen geleistet wurden, im GmbHG und AktG allein zurückgelassen. Dort ist sie jetzt Gegenstand des § 92 II AktG und des § 64 GmbHG nF. Als Strafsanktion ist in AktG und GmbHG allein die für die Unterlassung der Einberufung der Versammlungen bei Verlust in Höhe der Hälfte des Garantiekapitals zurückgeblieben (§§ 401 I AktG, 84 I GmbHG, jeweils nF). Das MoMiG hat die Ersatzpflichten darüber hinaus ergänzt und zwar betreffend Zahlungen an Gesellschafter: Vorstand und Geschäftsführung trifft jetzt

_____ 728a BGHZ 187, 69 (77 f). Im Fall durch Kündigungsvereinbarung beschränkte Patronatserklärung der herrschenden Gesellschaft mit Interimswirkung für die Zeit der Prüfung der Sanierungsfähigkeit der späteren Insolvenzschuldnerin. 729 ZIP 1996, 918. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe ist durch Nichtannahme der Revision durch den BGH rechtskräftig geworden, ZIP 1997, 1292. Zur Entscheidung s die 2. Aufl dieses Lehrbuchs Rn 451 ff, 456. 730 Rn 445 ff.

VIII. Pflichten bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht | 301

die Ersatzpflicht nicht nur bei allen Zahlungen nach Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, sondern auch bei Zahlungen an Gesellschafter, sofern solche zur Zahlungsunfähigkeit führen mussten (gemeint ist eine zwar nicht notwendig mit der Leistung unmittelbar verbundene, aber doch absehbar eintretende Zahlungsunfähigkeit731), vorbehaltlich der Entlastung wegen Nichterkennbarkeit bei Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters oder Geschäftsmanns (§§ 92 II 2 AktG, 64 S 3 GmbHG) 732. Auch für den Eintritt des Zahlungsverbots von der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung an genügt die Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung. Die Formulierung des § 64 S 1 nF = § 64 II 1 aF GmbHG, wonach das Zahlungsverbot bei Überschuldung mit der „Feststellung“ der Überschuldung beginnt, darf nicht irreführen. Die Formulierung ist ein Relikt aus der noch früheren Fassung der Vorschrift, die für die Überschuldung auf deren bilanziellen Ausweis abstellte. Nach der Neufassung kommt es für die Haftung wegen Verstoßes gegen das Zahlungsverbot bei Überschuldung wie für die Haftung bei Zahlungsunfähigkeit auf die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters bzw Geschäftsmannes an (§§ 93 I 1 AktG, 43 I GmbHG), dh auf die Erkennbarkeit der betreffenden Situationen bei Anwendung dieser Sorgfalt. Im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung trifft die Beweislast dafür, dass diese Zustände nicht erkennbar waren, die Geschäftsführer733. Das folgt aus dem allgemeinen Grundsatz der Rechenschaftspflicht der Geschäftsführer (§ 666 BGB). Das MoMiG kann durch seine Trennung von Insolvenzantragspflicht einer- 513 seits und zivilrechtlicher Ersatzpflicht andererseits die Lösung einer Frage beeinflussen, die zur Auslegung der früheren Vorschriften der §§ 64 GmbHG, 92, 93 AktG entstanden war. Nach der früheren Regelung war Abs 2 über die zivilrechtliche Ersatzpflicht die zivilrechtliche Sanktion in den Fällen, dass die in Abs 1 bestimmte Pflicht zur Antragstellung versäumt wurde734. Die Rechtsprechung hat dies allerdings anders gesehen. Sie hat nämlich aus den früheren Vorschriften zwei Anspruchsgrundlagen entnommen. Neben das in den Vorschriften selbst angeordnete Auszahlungsverbot mit Ersatzpflicht (§ 64 II 1 GmbHG aF, § 92 III mit § 93 II, III Nr 6 AktG aF) hat die Rechtsprechung noch zusätzlich eine Schadensersatzpflicht aus den voraufgehenden Absätzen über

_____ 731 BT-Drucks 16/6140, S 46 f. 732 Zum Entwurf der Vorschrift des GmbHG Knof, DStR 2007, 1536 ff, 1580 ff. 733 BGHZ 143, 184. Eine Enlastungsmöglichkeit sieht OLG München DB 2008, 457 für einen nicht mit der kaufmännischen Leitung betrauten Geschäftsführer darin, dass dieser die Insolvenzreife aufgrund eines Verlustübernahmeanspruchs im Rahmen eines Konzernvertrags nicht habe erkennen können. 734 Wilhelm, ZIP 2007, 1781, 1783 ff.

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die Insolvenzantragspflicht abgeleitet, indem sie diese als Schutzgesetze zugunsten der Gesellschaftsgläubiger iSv § 823 II BGB eingeordnet hat735. Während der in den Vorschriften selbst bestimmte Ersatzanspruch als ein solcher der Gesellschaft aus organschaftlicher Pflichtenstellung angesehen wurde, sollte der zweite Anspruch ein Deliktsanspruch der Gesellschaftsgläubiger sein736. Im Aktienrecht hatten die Gläubiger danach sowohl das Recht aus § 93 V 1 AktG, soweit sie von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen konnten, den Ersatzanspruch der Gesellschaft geltend zu machen – gemeint ist: durch Verlangen der Zahlung an sich selbst –, als auch den Schadensersatzanspruch nach § 92 II aF AktG iVm § 823 II BGB737. Die Erstattungspflicht nach § 64 II GmbHG (§§ 93 II, III Nr 6, 92 III AktG), je514 weils aF, hat der BGH bei konkreten Auszahlungen der Geschäftsleitung trotz Illiquidität oder Überschuldung der Gesellschaft herangezogen. Was demgegenüber die von ihr angenommene Schadensersatzverpflichtung 515 von Vorstand und Geschäftsführung aus den Bestimmungen über die Insolvenzantragspflicht iVm § 823 II BGB gegenüber den Gesellschaftsgläubigern betrifft, hat die Rechtsprechung früher eine generelle Beschränkung des Umfangs des Schadensersatzes vertreten738. Die Geschäftsführung, die den Insolvenzantrag rechtzeitig zu stellen versäumt, sollte nur auf den sog Quotenschaden haften. Der Quotenschaden bestand in der Differenz zwischen derjenigen Insolvenzquote, die die Gesellschaftsgläubiger aufgrund der tatsächlichen, erst später erfolgten Insolvenzeröffnung erhalten, und derjenigen Insolvenzquote, die die Gläubiger erhalten hätten, wenn die Insolvenz rechtzeitig beantragt worden wäre. Den Altgläubigern aus der Zeit vor der Insolvenzreife entstand durch die 516 Hinauszögerung des Antrags als Schaden in der Tat nur der Quotenschaden.

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735 Nicht in den Schutzbereich soll fallen die Bundesagentur für Arbeit als Trägerin des Insolvenzgelds. Möglich nur Haftung des Geschäftsführers nach § 826 BGB, BGHZ 108, 134. Anwendungsfall OLG Koblenz ZIP 2006, 120, dazu Schmülling, ZIP 2007, 1095. 736 Seit BGHZ 29, 100, s BGH ZIP 1994, 1103, 1106 f. Folgerung in BGH GmbHR 2008, 702: Für den Deliktsanspruch gelte die Möglichkeit der Teilnahme Dritter gemäß § 830 BGB, für den Ersatzanspruch nach § 64 II GmbHG aF als Anspruch eigener Art dagegen nicht. – Von dem Schutzgesetzcharakter des § 64 I GmbHG aF ist ohne weiteres ausgegangen Wagner, FS Gerhardt 2004, 1043 ff. – Übungsfall bei Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005: Fall 6 (Variante). 737 Im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Aktiengesellschaft übte der Insolvenzverwalter den Anspruch der Gesellschaft aufgrund seines Verfügungsrechts über die Rechte des Insolvenzschuldners (§ 80 I InsO) und nach § 93 V 4 AktG auch das Wahrnehmungsrecht der Gläubiger aus. Das Verfügungsrecht nach der InsO galt auch für den Anspruch der GmbH nach § 64 II GmbHG. Aber auch der Anspruch der Gesellschaftsgläubiger aus § 823 II BGB war im Insolvenzverfahren vom Insolvenverwalter auszuüben (§ 92 InsO). 738 BGHZ 29, 100, 104 ff, 107; BGHZ 100, 19, 23 ff.

VIII. Pflichten bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht | 303

Für sie hatte es also vom Standpunkt der Rechtsprechung zur Insolvenzantragspflicht iVm § 823 II BGB aus beim Ersatz des Quotenschadens zu bleiben. Aber auch die sogenannten Neugläubiger, dh Gläubiger, die mit der Gesellschaft erst nach dem Zeitpunkt in Kontakt getreten sind, in dem schon die Insolvenzeröffnung hätte beantragt werden müssen, waren nach der früheren Rechtsprechung auf den Quotenschaden beschränkt. An sich bestand der Schaden dieser Gläubiger darin, dass sie überhaupt noch mit einer insolvenzreifen Gesellschaft in Kontakt gekommen waren und dadurch zu Schaden gekommen sind, dass sie eine nicht mehr voll durchsetzbare Forderung erlangt haben. Die alte Rechtsprechung berechnete dennoch nur den Quotenschaden in der Weise, dass sie für die Neugläubiger den Zeitpunkt, in dem richtigerweise Insolvenz hätte beantragt werden müssen, mit dem Zeitpunkt der Forderungsentstehung identifiziert hat. Dh im Fall eines Vertrages hat die Rechtsprechung die Schadensersatzpflicht nicht darauf gegründet, dass die Geschäftsführer den weiteren Vertragsschluss überhaupt hätten unterlassen müssen, sondern auf den von der Schädigungshandlung unabhängigen Vorwurf, dass die Geschäftsführer in einem Zeitpunkt, in dem die Pflicht zur Antragstellung längst verletzt war, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens neuerlich nicht beantragt haben. Von diesem unhaltbaren Ansatz ist der BGH mit der Entscheidung vom 517 6.6.1994739 abgerückt („Abschied vom Quotenschaden“)740. Der BGH hat sich in dieser Entscheidung dafür ausgesprochen, dass den Neugläubigern der volle Schaden zu ersetzen sei, den sie dadurch erlitten, dass sie veranlasst worden seien, einer insolvenzreifen Gesellschaft noch Kredit zu gewähren oder eine Vorleistung zu erbringen741. Weil der BGH ausdrücklich vom Vertrauensschaden durch Kreditgewährung oder Vorleistung gesprochen hat, war dieser Schutz der Neugläubiger nicht auf gesetzliche Neugläubiger zu erstrecken742.

_____ 739 BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103. 740 Der Ausdruck „Abschied vom Quotenschaden“ stammt aus dem Titel von Hirte Der qualifzierte faktische Konzern, Fortsetzungsband zu RWS-Dokumentation 12, Nachtrag „Abschied vom Quotenschaden“, 1994. 741 Die Position, mit ihrer Forderung am Insolvenzverfahren teilnehmen und hier die Quote erhalten zu können, war nach der Rechtsprechung nicht schadensmindernd, sondern entsprechend § 255 BGB dadurch zu berücksichtigen, dass dem Geschäftsführer gegen seine volle Schadensersatzleistung die Forderung abzutreten war (BGH ZIP 2007, 676, 679). Nach BGHZ 131, 325 (= JZ 1997, 622 mit Anm Glöckner; LM § 64 GmbHG Nr 13 mit Anm Wilhelm) konnte der Geschäftsführer auch nicht einwenden, seine Haftung sei deshalb gemindert, weil der Insolvenzverwalter die Geltendmachung von Anfechtungsrechten versäumt habe. 742 S BGHZ 164, 51, 60. Für Gleichbehandlung der Deliktsgläubiger Wagner, FS Gerhardt 2004, 1046 ff.

304 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

In derselben Entscheidung hatte der BGH sodann festgestellt, dass bei einem bloßen Geschäftsabschluss oder geschäftlichen Handeln für eine insolvenzreife Gesellschaft nur dieser Anspruch aus § 64 I GmbHG aF oder § 92 II AktG aF, jeweils iVm § 823 II BGB, gegeben und nicht daneben noch eine Haftung der Geschäftsführer aus cic (Haftung aus dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Eigeninteresses der Geschäftsführung oder aus dem Gesichtspunkt der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens, jetzt §§ 311 III, 241 II BGB) begründet sei743. 518 Der „Abschied vom Quotenschaden“ ist insoweit zwingend gewesen, als der

Schaden der Neugläubiger als Quotenschaden unhaltbar konstruiert worden ist. Der Rechtsprechung war dennoch nicht beizupflichten. Die alte Rechtsprechung zum Quotenschaden bei Alt- und Neugläubigern war insoweit richtig, als § 64 I, II GmbHG aF (ebenso §§ 93 II, III Nr 6 AktG aF) alle Gläubiger – auch die Neugläubiger – nur vor einer Verminderung der Insolvenzmasse geschützt hat. Der individuelle Schaden von Neugläubigern daraus, dass sie überhaupt noch mit einer fallierenden Gesellschaft kontrahiert hatten, war dagegen hier gar nicht erfasst und nur aus allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsgrundsätzen (§§ 311 III, 280, 241 II BGB) zu ersetzen744. Der zivilrechtliche Anspruch ist auf Ersatz des individuellen Kontrahierungsschadens des Neugläubigers gegen Abtretung von dessen Anspruch gegen die insolvente Gesellschaft (§ 255 BGB) gerichtet. Die ganzen Probleme um den Quotenschaden sind entstanden aus der An519 nahme der Rechtsprechung, aus der Insolvenzantragspflicht ergebe sich iVm § 823 II BGB ein selbstständiger Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Ersatz des Quotenschadens oder welchen Schadens auch immer noch neben dem Ersatzanspruch der Gesellschaft aus §§ 64 II GmbHG, 92 III AktG aF745. Das Auseinanderreißen der Norm in viele Ansprüche der einzelnen Gläubiger aus der Insolvenzantragspflicht iVm § 823 II BGB einerseits und den Anspruch der Gesellschaft aus dem Zahlungsverbot andererseits, obwohl das Zahlungsverbot unmittelbar auf den Absatz über die Insolvenzantragspflicht folgt, war mit einem sinnvollen Verständnis der Normen nicht vereinbar746. Die Regelung war

_____ 743 Wie der BGH OLG Düsseldorf GmbHR 1997, 699 mit dem Ergebnis in seinem Fall, dass der beklagte Geschäftsführer und Alleingesellschafter mangels Verschuldens von Haftung frei sei. 744 Zutreffend Flume, ZIP 1994, 337. 745 Zur gesetzlichen Innenhaftung mit Kritik an dem von der Rechtsprechung weiterhin vertretenen Ansatz bei § 823 II BGB schon Wilhelm, ZIP 1993, 1833, sodann Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 679. 746 Wilhelm, ZIP 2007, 1781, 1783 ff. Anders allerdings die Schadensersatzpflicht gegenüber den Gläubigern nach § 42 II 2 BGB und dazu die Begründung in den Mot Mugdan I, 410, zwar hafte der Vorstand gegenüber dem Verein, aber die Gläubiger würden dadurch nur ungenügend geschützt, ihnen müsse ein Schadensersatzanspruch aus Delikt zustehen. Die Haftung

VIII. Pflichten bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht | 305

demgegenüber einheitlich in dem Sinne, dass die Verwaltung gemäß sorgfältiger Prüfung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen hatte und dann, wenn sie dies nicht tat, sondern das Vermögen der Gesellschaft sorgfaltswidrig verminderte, auf Ausgleich des Gesellschaftsvermögens haftete747. War die Ersatzhaftung der Verwaltung gegenüber der Gesellschaft als ein- 520 heitliche Haftung wegen pflichtwidriger Verminderung des Gesellschaftsvermögens einzuordnen, so war der Begriff der Zahlung in §§ 92 III AktG, 64 II GmbHG aF diesem Sinn entsprechend zu verstehen747a. Zahlung war pars pro toto für jede Verminderung des Vermögens der Gesellschaft, die sich aus dem Unterschied zwischen dem Vermögensstatus im Zeitpunkt, in dem der Insolvenzantrag zu stellen gewesen wäre, und dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (bei Geltendmachung des Anspruchs durch den Insolvenzverwalter) oder der letzten mündlichen Verhandlung (bei Geltendmachung des Anspruchs durch einen Gläubiger) ergab. Im Hinblick auf die Erfassung aller Verluste aus der unzulässigen Geschäftsführung war der Anspruch der Gesellschaft ein Verlustausgleichsanspruch748. Die „Zahlung“ wurde in den Normen nur insofern hervorgehoben (insbesondere in §§ 130a II, III 1 2. Alt, 177a HGB aF), als Auszahlungen grundsätzlich sorgfaltswidrig sind und der Geschäftsführer oder Vorstand sich im Hinblick darauf entlasten müssen, dass sie sorgfaltsgemäß gehandelt haben. Eine mögliche Entlastung ist, dass die Zahlungen keinen Verlust herbeigeführt haben, sondern durch andere Vorgänge ausgeglichen worden sind. In der Gesamtrechnung sind die Schwierigkeiten aufgehoben, die die Rechtsprechung damit hat, dass sie auf einzelne Zahlungen (oder Verrechnungen) sieht und in

_____ gegenüber dem Verein ist nur ein Stichwort. Es fehlt die Statuierung einer konkreten Sanktion, die die gesellschaftsrechtlichen Normen enthalten, und zwar ohne den Zusatz deliktischer Ansprüche von Einzelgläubigern. 747 Wilhelm, ZIP 2007, 1781, 1785 f. 747a Anders beharren Habersack/Förster, ZGR 2016, 153, 180; H.F. Müller, NZG 2016, 1021, 1022 mit der Rechtsprechung auf der Maßgeblichkeit der Einzelzahlung mit den Konsequenzen, die in Fn 749 anzuführen sind. Da waren sogar die Verfasser des BGB klüger, die neben der in § 42 II 2 BGB angeordneten Schadensersatzhaftung gegenüber den Gläubigern die Haftung des Vorstands gegenüber der juristischen Person für selbstverständlich hielten, dagegen nicht von einem – für sich genommen teleologisch sinnlosen – Zahlungsverbot redeten. 748 Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673. Zur praktischen Durchsetzung unter Berücksichtigung der Darlegungslast der Geschäftsführer entsprechend § 666 BGB Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2209. Genaue Analyse und Verteidigung des Konzepts der Verlustausgleichshaftung durch Altmeppen ZIP 2015, 949, 954 f, NZG 2016, 521 ff und Roth/Altmeppen/Altmeppen Kom GmbHG § 64 Rn 10 ff, 35 ff. Zutreffende Korrektur des § 64 II GmbHG aF iS eines Schadensausgleichs wegen sorgfaltswidriger Verminderung der Insolvenzmasse K. Schmidt ZIP 2005, 2177.

306 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

für die Geschäftsführung kaum nachvollziehbarer Differenzierung entweder (vielleicht auch nur zum Teil) Ausgleichsposten anerkennt oder ablehnt749. Auch das Problem, ob auf Auszahlungen durch die Geschäftsleitung die Privilegierung durch das Bargeschäftsprivileg nach § 142 InsO entsprechend anzuwenden ist749a, erledigt sich, wenn man dem Ansatz bei der Gesamtrechnung folgt. Den Schutz der Gesellschaftsgläubiger durch die Sorgfaltspflichten bei In521 solvenzreife hat das Gesetz durch die Haftung gegenüber der juristischen Person begründet. Er war ein Schutz vor dem Gesamtschaden aus sorgfaltswidriger Verminderung der Insolvenzmasse. Damit war gewährleistet, dass im Insolvenzverfahren der gesamte Schaden aus Insolvenzverschleppung vom Insolvenzverwalter geltend zu machen war (§§ 80 I InsO, 93 V 4 AktG). Außerhalb des Insolvenzverfahrens war nach § 93 V 3 AktG bei der AG und in Analogie zu

_____ 749 Vergütung von Arbeitsleistungen ausgeglichen nach OLG Düsseldorf NZG 2016, 642, nicht ausgeglichen, da es auf für die Gläubiger greifbare Vermögenswerte ankomme, nach OLG München NZG 2017, 1437. Dann hat die Rechtsprechung die Zulassung der Zahlung eines Drittschuldners auf das debitorische Konto der Gesellschaft immer schon als Zahlung an die Bank iS des Zahlungsverbots angesehen (s wieder BGHZ 206, 52 Rn 11). Dagegen soll die Auszahlung von einem debitorischen Konto an einen Gesellschaftsgläubiger keine verbotene Zahlung sei, weil nur der eine Gläubiger gegen den anderen (die Bank) ausgetauscht werde. In der Entscheidung BGHZ 206, 52 grenzt der BGH kaum überschaubare Alternativen des Ausgleichs der „Zahlung“ durch frei werdende Posten der Masse ab. Wenn zB mit der Bank die Sicherungszession der Forderung, auf die der Drittschuldner überweist, vereinbart und die Forderung vor Insolvenzreife entstanden und werthaltig geworden sei, liege keine verbotene Zahlung vor (Rn 12 mit näherer Ausführung in Rn 14 ff, 19 ff). Lässt die Bank für die Überweisung des Dritten die Lieferung einer in ihrem Sicherungseigentum stehenden Ware zu, Entlastung. Wenn Ware angekauft wird und ins Sicherungseigentum der Bank übertragen wird, Zahlungsverbot (BGH NJW 2016, 1092). Wiederum keine Zahlung iSv § 64 II GmbHG aF soll die Überweisung von einem debitorischen Konto an einen Gesellschaftsgläubiger sein, weil, abgesehen von der Begründung von Zinsansprüchen der Bank, die aber keine Zahlung darstelle, nur Gläubiger ausgewechselt würden, BGHZ 138, 211, 217. Kritische Analyse an Hand von „Geben ist seliger denn Nehmen“ oder gerade umgekehrt bei Bitter, Beilage zu ZIP 22/2016, S 7. Neue Beispiele der Anerkennung versus Nichterkennung der Ausgleichfähigkeit von Gegenleistungen – unter Ablehnung einer analogen Anwendung des Bargeschäftsprivilegs nach § 142 InsO – BGH NZG 2017, 1034 Rn 18 ff. Nach OLG Hamburg NZG 2017, 1350 ist die Aussicht auf Erstattung der Umsatzsteuer kein Privilegierungsgrund nach § 64 S 2 GmbHG. 749a Ablehnend der BGH in NZG 2017, 1034 gegen eine zunehmende die Analogie vertretende Ansicht in der Literatur (N bei Altmeppen ZIP 2017, 1833 Fn 1). Dem BGH bescheinigt eine konsequente Haltung, wenn man dem Ansatz bei der Einzelzahlung folge, Altmeppen, ZIP 2017, 1833 mit etwas resignativem Hinweis auf die Auslegung des Anspruchs auf Ersatz von Zahlungen (§ 64 1 nF GmbHG) iS eines Verlustausgleichsanspruchs (S 1835 rSp u). Dafür entgegen der unsicheren und widersprüchlichen Betrachtung von Einzelzahlungen Kordes, NZG 2017, 1140.

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 307

dieser Vorschrift ebenso bei der GmbH750 der einzelne Gläubiger befugt, den Anspruch der Gesellschaft zu seiner Befriedigung geltend zu machen.

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung

1. Durchgriffshaftung a. Durchgriffshaftung und allgemeine Haftungsgrundlagen Im Falle der bloßen Nutzungsüberlassung, insbesondere, wenn diese „finanz- 522 planmäßig“ erfolgt, ist entgegen der früheren Judikatur nicht von kapitalersetzenden Leistungen der Gesellschafter zu sprechen, sondern das Problem der materiellen Unterkapitalisierung zu lösen. Die Frage ist, ob es den Tatbestand der Haftung der Gesellschafter wegen materieller Unterkapitalisierung gibt, dh der Haftung unter dem Gesichtspunkt, dass die Gesellschafter die Gesellschaft mit zu wenig Vermögen ausstatten oder eine mit zu geringem Eigenkapital ausgestattete Gesellschaft fortführen. In der Literatur wird die materielle Unterkapitalisierung als ein Fall der sog 523 Durchgriffshaftung der Gesellschafter751 diskutiert752. Nach den Meinungen, die die Haftung noch bejahen752a, soll sie zumindest die maßgeblichen Gesellschafter treffen. Sie soll sich in teleologischer Restriktion der Vorschriften über die auf die Gesellschaft beschränkte Haftung (§§ 1 I 2 AktG, 13 II GmbHG) ergeben753. Bei eindeutig zu geringer, nach den Maßstäben ordnungsgemäßer Unternehmensfinanzierung nicht vertretbarer Ausstattung der Gesellschaft mit Vermögen sollen die Gesellschafter von den Gläubigern der Gesellschaft unmittelbar für die Gesellschaftsschulden in Anspruch genommen werden können.

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750 Statt einer Analogie vertritt BGH NJW 2001, 304, dass der Anspruch der Gesellschaft aus § 64 II GmbHG (aF) außerhalb eines Insolvenzverfahrens, insbes bei Ablehnung des Verfahrens mangels Masse, von Gesellschaftsgläubigern gepfändet werden kann. 751 Bekannte US-amerikanische Ausdrücke für die Durchgriffshaftung, die es auch im USamerikanischen Recht gibt: piercing the corporate veil oder disregard of legal entity. Zur Diskussion in Deutschland Nachweise – allerdings nur einseitige – bei Fleischer, NZG 2004, 1133. Den Durchgriff auf eine Eigentümer-GmbH für den Anspruch auf Bestellung einer Bauhandwerkersicherungshypothek nach § 648 BGB, wenn der Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Eigentümer-GmbH den Auftrag für eine andere GmbH erteilt hat, deren Geschäftsführer er ebenfalls ist, vertritt KG NJW-RR 2007, 1663. Gegen einen solchen – rechtlich nicht qualifizierbaren – Durchgriff Wilhelm Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person 1981 S 369 ff und ders, NJW 1975, 2322. 752 Baumbach/Hueck/Fastrich § 5 Rn 6, § 13 Rn 46 ff mwN. 752a Ablehnend jetzt Baumbach/Hueck/Fastrich aaO. 753 Wiedemann Gesellschaftsrecht I, 1980, § 10 IV 3b S 571.

308 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

Die Rechtsprechung hat eine Durchgriffshaftung wegen materieller Unterkapitalisierung bisher nicht anerkannt. Dafür gibt es zwei Gründe: Das Gesetz verlangt nur die Aufbringung eines Mindestkapitalbetrags (s § 7 AktG, § 5 I GmbHG), bei der Unternehmergesellschaft nicht einmal diese (§ 5a I GmbHG). Und genügend eindeutige betriebswirtschaftliche Grundsätze, die nach Gegenstand und Umfang eines Unternehmens Maßstäbe für dessen Kapitalisierung abgeben könnten, stehen nicht zur Verfügung754. Aufgrund seiner neuen Judikatur zur Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs hat der II. Senat des BGH die Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung schon aufgrund einer Abgrenzung zum Tatbestand des existenzvernichtenden Eingriffs abgelehnt: Wegen des Erfordernisses des Eingriffs in das zweckgebundene Vermögen der Gesellschaft gebe es keine Haftung mit der Begründung, dass die Gesellschaft zu wenig Vermögen habe755. Neben den Ansatzpunkt der materiellen Unterkapitalisierung treten als 525 weitere Gesichtspunkte, die auch nach der Rechtsprechung756 die Durchgriffshaftung auslösen können, die Vermögensvermischung und – ähnlich – die Sphärenvermischung: Mit einer Vermögensvermischung sind gemeint die Fälle einer ohne saubere Trennung vorgenommenen Verwendung des Gesellschaftsvermögens und daneben Verschiebungen zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und den Vermögen der Gesellschafter und der sonstigen Gesellschaften, an denen die Gesellschafter noch beteiligt sind. Von einer Sphärenvermischung wird gesprochen, wenn keine klare Abgrenzung zwischen der Sphäre der Gesellschaft und anderen Tätigkeitsbereichen, insbesondere der Privatsphäre der Gesellschafter, eingehalten wird – sog Waschkorblage –757. Haftungsgrundlage soll der Missbrauch der Rechtsform der juristischen 526 Person sein758. Wegen der unsicheren Begründung und unklaren Konturierung

524

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754 Henze, NZG 2003, 649, 659 mit vorsichtigen Vorbehalten für die mögliche Einbeziehung von Fällen in die Durchgriffshaftung, in denen schon durch die Satzung der Gesellschaft die Fähigkeit vorenthalten wird, die normalen vorhersehbaren Geschäftsrisiken zu bewältigen. 755 Entscheidung Gamma ZIP 2008, 1232. 756 In dieser freilich bisher nur angesprochen, nicht als Grundlage von Entscheidungen verwendet (BGH WM 2006, 573; BGHZ 125, 366; BGH WM 2008, 302). 757 Henze, NZG 2003, 658. Henze nennt weiter: Konzerneinbindung – Entzug zentraler Unternehmensfunktionen, Eingehung eines Haftungsverbundes der abhängigen Gesellschaft gegenüber der Konzernobergesellschaft –; Überbürdung unvertretbarer Risiken, Übertragung der Rolle des Kostenträgers (Aschenputtelgesellschaften); Einbindung in das zentrale Cash-Management ohne Gewährleistung jederzeitiger Liquidität der abhängigen Gesellschaft. 758 Entgegen der Annahme der Vorinstanz hat der BGH die Durchgriffshaftung abgelehnt im Fall eines Ideal-Vereins, der sich über das Nebenzweckprivileg hinaus, in dessen Rahmen eine wirtschaftliche Betätigung eines Idealvereins zulässig ist, betätigt hatte und insolvent geworden war. Die Sanktionen der Amtslöschung oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit (§§ 159 I,

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 309

der Haftung wird die Haftung nur subsidiär angewandt. Insbesondere die gesetzlichen Tatbestände der Kapitalerhaltung (§§ 57, 62 AktG, 30, 31 GmbHG) werden als vorrangig angesehen. Dort, wo die Tatbestände eingreifen könnten, verdrängten sie die Durchgriffshaftung759. Im Insolvenzverfahren ist ausschließlich der Insolvenzverwalter berech- 527 tigt, die Durchgriffshaftung geltend zu machen760. Weil die Durchgriffshaftung auf den Missbrauch der juristischen Person 528 durch die Gesellschafter gestützt wird, wird nur der Durchgriff für Gesellschaftsverbindlichkeiten auf die Gesellschafter anerkannt, aber nicht der sog umgekehrte Haftungsdurchgriff761. In Fällen der Vermögens- oder Sphärenvermischung ist von der Fallgestaltung her die Folgerung allerdings nicht abwegig, dass auch der umgekehrte Haftungsdurchgriff zu eröffnen sei. Keine Durchgriffshaftung, sondern eine Haftung nach Deliktsrecht762 ist 529 die mögliche Haftung der Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB763. Aber auch für die Gesellschaft selbst kommt der Schutz nach § 826 BGB in Betracht.

_____ 142 FGG aF, § 43 BGB) hätten ausschließliche Geltung (DStR 2008, 363). Für die Durchgriffshaftung wegen Vermögensvermischung in seinem Fall das KG GmbHR 2008, 703. 759 BGHZ 95, 330, 333. 760 BGHZ 151, 187. 761 BGH DStR 1999, 1822, 1823 mit Anm Goette; „regelmäßig nicht“ KG DStR 2003, 794 mit Anm Wälzholz. 762 Deshalb interessant, wenn man bei Auslandsgesellschaften über das Deliktsstatut zur Haftung nach deutschem Recht kommen möchte. Die EuGGVO versteht unter Haftung für unerlaubte Handlung weitergehend jede gesetzliche Haftung, also auch die aus Sonderverbindung. Auf die Grundlage in einem deutschen Deliktstatbestand kommt es also nicht an, N o Rn 136. 763 BGH NZG 2004, 1107; dazu G. H. Roth, LMK 2004, 223. Als weiterer deliktsrechtlicher Tatbestand kommt die Haftung bei Untreue (§ 266 StGB) iVm § 823 II BGB in Betracht. Spätestens das Mannesmann-Urteil (u Rn 1034) lehrt, wie wenig greifbar der Untreuetatbestand nach der Rechtsprechung ist. Zu § 266 StGB im hier interessierenden Bereich BGHSt 49, 147; Maurer, GmbHR 2004, 1549. – Neben der Deliktshaftung gegenüber den Gläubigern kommt als Haftung nach den im allgemeinen Privatrecht anerkannten oder erörterten Rechtsfiguren eine Haftung von Konzernobergesellschaften wegen cic (§§ 311 II Nr 1, 241 II, 280 BGB) aufgrund der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens – parallel zur Eigenhaftung des Vertreters – und allgemein aus Vertrauenshaftung (jetzt verankert in § 311 II, III BGB), im vorliegenden Zusammenhang einer Haftung aus der Inanspruchnahme von Konzernvertrauen, in Betracht. Mit Recht bejahend die Haftung wegen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens, verneinend die Haftung wegen Inanspruchnahme von Konzernvertrauen (die Konzerngestalt gemäß dem Trennungsprinzip ist rechtlich anerkannt) Lutter, GS Knobbe-Keuk 1997, 235. Der von Lutter sodann geäußerte Gedanke einer Außenhaftung der Mutter aus der „Auslobung“ eines „besonderen Standards der Konzerngeschäftsführung“ (S 244) ist wenig fassbar.

310 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

Gerade durch den Schadensersatzanspruch der Gesellschaft nach § 826 BGB hat der BGH mit Urteilen vom 16.7.2007 (Trihotel)764 und vom 28.4.2008 (Gamma)765 die Ansätze zu einer Haftung der Gesellschafter wegen materieller Unterkapitalisierung überwunden765a. Der tatbestandsmäßige Eingriff wird durch den Begriff der Existenzvernichtung veranschaulicht. Existenzvernichtung ist danach die Ausplünderung einer Gesellschaft zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger. Die Gesellschafter können zB versucht sein, das Vermögen einer angeschlagenen Gesellschaft auf eine andere Gesellschaft zu verschieben, um in dieser das Unternehmen ohne die Schulden der ersten Gesellschaft fortzuführen. Darin sieht der BGH eine sittenwidrige Schädigung der ersteren Gesellschaft. Vor dieser Entwicklung der Existenzvernichtungshaftung hat der BGH noch versucht, für die Durchgriffshaftung das Konzernrecht heranzuziehen. b. Analoge Anwendung von Vorschriften über den Vertragskonzern 530 An das Konzernrecht hat der BGH eine allgemeine Leitungsverantwortlichkeit der Gesellschafter angeknüpft, nämlich mit der Figur des sog qualifizierten faktischen Konzerns („Qualifak“). Auftakt war das Autokran-Urteil766. Der BGH hat sich dabei einem Vorschlag des Arbeitskreises GmbH-Reform angeschlossen767. Seit dem Urteil Bremer Vulkan768 und sodann insbesondere in dem Urteil KBV769 ist der BGH von jener Anknüpfung abgegangen. Das bedeutet aber nicht, dass man sich mit dem Gedanken einer konzernrechtlich begründeten

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764 BGHZ 173, 246. 765 BGH ZIP 2008, 1232. 765a U Rn 541 ff. 766 BGHZ 95, 330. 767 Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform Bd II S 50, 59 f, 67. Kritisch ebenso zu diesen Vorschlägen wie zum Autokran-Urteil und zum späteren Tiefbau-Urteil (s sogleich Rn 538) Altmeppen, Abschied vom „qualifizierten faktischen Konzern“, 1991. 768 BGHZ 149, 10, 15: Hier klagte die Nachfolgegesellschaft der Treuhand aus eigenem Recht und aus abgetretenen Ansprüchen der abhängigen GmbH (MTW Schiffswerft Wismar) gegen Vorstandsmitglieder der herrschenden AG (der Bremer Vulkan AG, die kraft unmittelbaren und mittelbaren Anteilsbesitzes quasi die Alleingesellschafterin der geschädigten MTW war) aufgrund des Vorwurfs, dass die AG Investitionshilfen, die die Treuhand der MTW gewährt hatte, treuwidrig verwendet habe. Die Anwendung der Vorschriften über den Vertragskonzern (insbes der §§ 302, 303 AktG) konnte dadurch relevant werden, dass sich mit der konzernrechtlichen Verantwortlichkeit des herrschenden Gesellschafters gemäß §§ 309 II, 317 III AktG die Verantwortlichkeit von dessen Organen verbindet. Der BGH prüft von der MTW der Kl abgetretene Schadensersatzansprüche gegen die Vorstandsmitglieder der AG. Der BGH hat hier aber die Anwendung des Haftungssystems der §§ 291 ff AktG verworfen. Eine GmbH werde nach §§ 30, 31 (mit § 43 III) GmbHG und ergänzend durch Bestandsschutz gegen Entziehung der Zahlungsfähigkeit durch den Gesellschafter geschützt. 769 BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024.

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 311

Leitungsverantwortlichkeit nicht mehr auseinandersetzen müsste. Der BGH hat mit der Figur des qualifizierten faktischen Konzerns die Anwendung einer konzernrechtlichen Anspruchsgrundlage de lege lata vertreten. Dieser Ansatz ist im Rahmen einer vollständigen Prüfung nach wie vor ernst zu nehmen. Die Rechtsprechung zum qualifizierten faktischen Konzern hat für die 531 Gesellschafter einen weiten Unternehmensbegriff entwickelt und die danach als Unternehmen eingeordneten Gesellschafter zusammen mit ihren Gesellschaften als qualifizierten faktischen Konzern qualifiziert. Die Folgerungen waren die Anwendbarkeit von Vertragskonzernrecht ohne Konzernvertrag und daraus eine Durchgriffshaftung. Der Ausgangspunkt war das Autokran-Urteil770. Sachverhalt: Der Fall ist mit dem Stichwort „Der Wolf und die sieben Geißlein“ zu cha- 532 rakterisieren. Eine Familie, geführt von dem späteren Bekl, betrieb das Autoverschrottungswesen. Als Betriebsgesellschaften waren 7 Gesellschaften mbH und daneben war eine Verwaltungs-GmbH, die V-Verwaltungs- und Organisationszentrale-H-GmbH, gegründet worden. Die Verwaltungs-GmbH hatte die gesamte Buchführung, Finanzierung und das Factoring für die 7 Betriebsgesellschaften zu erledigen. In allen Gesellschaften war der Bekl beherrschend beteiligt, möglicherweise über eine Treuhandstellung seiner Familienangehörigen sogar allein herrschend. Die Gesellschaften leasten von der Kl Autokräne. Diese Autokräne wurden zwischen allen 7 Gesellschaften unkontrolliert hin- und hergeschoben. Es waren keine Versicherungen abgeschlossen noch wurden Maßnahmen zur Bestandserhaltung getätigt. Die Kräne sind auch zum Bau des Privathauses der Familie eingesetzt worden. Ordnungsgemäße Abrechnungen mit reellen Gewinnchancen der einzelnen GmbHs soll es nicht gegeben haben. Die Kl hat titulierte Forderungen gegen die 7 GmbHs auf ausstehende Mietzinsen. Ihre Zwangsvollstreckung war weitgehend ergebnislos. Die Kl nimmt nunmehr den Bekl in Anspruch. Der Bekl beruft sich auf den Ausschluss der Haftung der Gesellschafter einer GmbH für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach § 13 I, II GmbHG. Weiterhin wendet er ein, dass die Kräne mangelhaft und dass die Ansprüche der Kl verjährt seien. Die wegen Titulierung der Forderung gegen die GmbH geltende Unterbrechung der Verjährung gelte nicht gegen ihn.

Der BGH prüft zunächst eine Haftung des Bekl aus Durchgriff wegen Vermö- 533 gensvermischung. Einen solchen lehnt er ab, weil die Vermischungsvorgänge auf Einzeleingriffen beruht hätten, die nach §§ 30 f GmbHG erfassbar seien. Eine undurchdringliche Buchhaltung, die allenfalls für den Durchgriff sprechen könne, sei von der Kl nicht genügend dargelegt worden771.

_____ 770 BGHZ 95, 330; dazu Wilhelm, DB 1986, 2113 ff. Verklagt waren drei Gesellschafter. Für die Haftung kam aber letztlich nur der Bekl zu 1 als allein entscheidender Hauptgesellschafter in Betracht. Im Folgenden wird der Einfachheit halber nur vom Bekl zu 1 (Bekl) gesprochen. 771 BGHZ 95, 330, 333.

312 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

534

Der BGH hält aber eine Haftung des herrschenden Gesellschafters analog § 303 I AktG (Verpflichtung des herrschenden Unternehmens, bei Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft Sicherheit zu leisten) und § 322 II AktG (Beschränkung der Einwendungen gegen die Verbindlichkeit der eingegliederten Gesellschaft bei der Haftung des Hauptgesellschafters im Fall der Eingliederung) für möglich. Dazu nimmt der BGH an: 1. 2.

3. 4.

_____

Die analoge Anwendbarkeit der Vorschriften über den aktienrechtlichen Vertragskonzern auf die abhängige GmbH. Eine dem Beherrschungsvertrag iSv § 303 I AktG vergleichbare Lage. Zunächst sei im vorliegenden Fall ein Konzernverhältnis zwischen den Gesellschaften und dem Bekl gegeben. Dazu musste der Bekl nach §§ 17, 18 AktG Unternehmen sein. Der BGH hat einen Unternehmensbegriff entwickelt, nach dem eine als Gesellschafter beteiligte natürliche Person auch dann, wenn sie kein eigenes Unternehmen leitet, Unternehmen sein kann. Dies soll dann zu bejahen sein, wenn der Gesellschafter auch noch an anderen Gesellschaften mit Tätigkeitskreisen, die der ersten Gesellschaft zumindest nahe stehen, beteiligt ist. Grundlage dieser Auslegung ist die teleologische Ausrichtung der Vorschriften über verbundene Unternehmen auf mögliche Interessenkonflikte zwischen den verbundenen Unternehmen. Die Gefahr solcher Interessenkonflikte bestehe auch bei Beteiligung eines Gesellschafters an mehr als einer sich im Unternehmensgegenstand sachlich nahestehenden Gesellschaft. Der BGH spricht vom „multiplen Mehrheitsbesitz“, der die Unternehmenseigenschaft des an mehreren Gesellschaften beteiligten Gesellschafters begründe772. Wegen seiner Beteiligung an mehreren Gesellschaften wird der Bekl als Unternehmen eingeordnet. Auch die einheitliche Leitung der Gesellschaften durch den Bekl iSd § 18 AktG bejaht der BGH. Der Bekl sei also herrschendes Konzernunternehmen773. Der Konzern mit den sieben konzernierten Gesellschaften könne einem Beherrschungsvertrag iSd § 303 AktG gleich zu achten sein. Voraussetzung der Gleichsetzung sei eine breitflächige Einflussnahme auf die Gesellschaften mbH, aufgrund deren für die Gesellschaften eine Gefährdungslage begründet sei, die derjenigen bei einem Vertragskonzern entspreche. Mit dem Arbeitskreis GmbH-Reform774 sei von einem qualifizierten faktischen Konzern zu sprechen. a) Feststellung des qualifizierten faktischen Konzerns: Ein solcher sei bei dauernder, umfassender Geschäftsleitung zu vermuten, dh zu vermuten sei die dem Vertragskonzern ähnliche Gefährdungslage. Mit der Darlegung einer dauernden und umfassenden Geschäftsleitung werde die Vermutung begründet, dass auf die Belange der einzelnen Gesellschaften keine Rücksicht genommen worden sei und das Konzerninteresse die Geschäftstätigkeit der Gesellschaften entscheidend bestimmt habe. Das herrschende Unternehmen könne die Vermutung widerlegen, insbesondere durch die Darlegung, dass die abhängige Gesellschaft iS

772 In der Entscheidung NJW 1997, 943, 944. 773 BGHZ 95, 330, 337. 774 Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform Bd II, S 59 und 67.

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 313

b)

ordentlicher Geschäftsführung wie bei einem pflichtmäßig handelnden Geschäftsführer in einer selbstständigen Gesellschaft geführt worden sei775. In casu sei die erforderliche Verdichtungslage nach dem Vortrag der Kl evident. Für einen Gegenvortrag und die erforderliche Sachverhaltsfeststellung sei die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im Falle der Bestätigung des Kl-Vortrags und unzureichenden Gegenvortrags des Bekl sei die Rechtsfolge des qualifizierten faktischen Konzerns die unmittelbare Haftung des Bekl für den Anspruch der Kl analog § 303 AktG776: aa) Der Beendigung des Beherrschungsvertrages iS der Vorschrift sei die tatsächliche Beendigung des Beherrschungsverhältnisses aufgrund Vermögenslosigkeit der abhängigen Gesellschaften gleichzustellen. bb) Statt der von der Vorschrift angeordneten bloßen Sicherung der Gesellschaftsgläubiger sei eine unmittelbare Haftung gegenüber den Gläubigern begründet, denn bei Vermögenslosigkeit der abhängigen GmbH sei eine bloße Sicherung sinnlos. cc) Die in der Vorschrift bestimmte 6-Monats-Frist sei nicht anwendbar. Sie sei auf die Sicherung der Gläubiger bei normaler Beendigung des Vertragskonzerns und Publizierung der Beendigung im Handelsregister (§ 298 AktG) bezogen, dh sie gelte nur von einem klaren Zeitpunkt der publizierten Beendigung ab als Übergangslösung, bis die abhängige Gesellschaft wieder auf eigenen Füßen stehe. Diese Übergangslösung komme bei Vermögenslosigkeit der abhängigen Gesellschaft nicht in Betracht. dd) Damit greife – vorbehaltlich der erneuten Prüfung in der Vorinstanz – eine Haftung wie bei der Eingliederung ein. Folglich sei auf die Einwendungen des Bekl (hier Einwendung der Mangelhaftigkeit der Kräne sowie der Verjährung der Ansprüche auf Leasingraten) § 322 II AktG anwendbar: Die herrschende Gesellschaft werde mit Einwendungen, die die Schuldner-Gesellschaft selbst nicht mehr geltend machen könne, präkludiert.

In seinen späteren Urteilen hat der BGH der analogen Anwendung der Haftung 535 nach § 303 AktG gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft die des § 302 AktG über die Verlustübernahmepflicht des herrschenden Gesellschafters gegenüber der abhängigen Gesellschaft im Vertragskonzern hinzugefügt. Sie war relevant dadurch, dass in der Insolvenz der abhängigen Gesellschaft der Konkurs- bzw jetzt der Insolvenzverwalter den Anspruch geltend machen konnte777.

_____

775 BGHZ 95, 330, 345. 776 BGHZ 95, 330, 346 f. An sich knüpft § 303 AktG an die Regelung des § 302 AktG an. Der BGH lässt offen, ob § 302 AktG auf die Einmann-GmbH angewandt werden könne, und wendet § 303 AktG isoliert an. Im Video-Urteil BGHZ 115, 187 greift der BGH die Zusammengehörigkeit der §§ 302, 303 AktG nochmals auf und behebt den Zweifel, indem er § 302 AktG auch auf die Einmann-GmbH für anwendbar erklärt; es gehe ja um die Außerkraftsetzung der Kapitalsicherungsvorschriften in der abhängigen Gesellschaft im Rahmen eines Vertragskonzerns. Die Kapitalsicherungsvorschriften gälten aber auch für die Einmann-GmbH (S 197). 777 BGHZ 107, 7,15 ff.

314 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

Die analoge Anwendung des § 303 AktG durch den BGH trotz vielfacher Notwendigkeit der Modifikation der anzuwendenden Vorschrift musste von Anfang an zweifelhaft erscheinen. Aber es geht im Grunde nur um einen einzigen Punkt, der entscheidend ist, und dieser ist für § 303 wie für § 302 AktG entscheidend. Das ist die Gleichstellung der Verdichtungslage bzw der Lage bei breitflächiger Beeinflussung einer abhängigen GmbH mit einem Vertragskonzern, der mit einer AG besteht. Vollzieht man diese Gleichstellung, dann folgt aus dieser Gleichstellung in der Tat alles andere. Diese Gleichstellung von Vertragskonzern und gesellschaftsgefährdender 537 Verdichtungslage ist aber unmöglich. An dieser Unmöglichkeit ist der konzernrechtliche Ansatz des BGH, wie der BGH inzwischen selbst gesehen hat, gescheitert: Nach dem Autokran-Urteil kam es nicht schon auf die Verdichtungslage durch umfassende Geschäftsleitung als solche an, sondern auf die – bei Verdichtungslage allerdings zu vermutende – ordnungswidrige Geschäftsführung. Die Haftung wegen ordnungswidriger Geschäftsführung778 hat aber nichts mit den Pflichten des herrschenden Unternehmens nach §§ 302, 303 AktG zu tun: Die ordnungswidrige Geschäftsführung ist Merkmal einer Haftung für die im Einzelfall festzustellende Verletzung der Pflicht zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung. Demgegenüber sind die Rechte der abhängigen Gesellschaft im Vertragskonzern generelle Rechte aus dem Rechtsstatus der abhängigen Gesellschaft, die durch einen rechtlich sanktionierten Vertrag der Leitung des Vertragspartners unterworfen ist779. Im Tiefbau-Urteil780 hat der BGH die Gleichstellung mit §§ 302, 303 AktG 538 noch anders anzusetzen und abzugrenzen versucht: Es gehe um die Gefährdung der Interessen der Gesellschaft, der außenstehenden Gesellschafter und der Gläubiger, die in §§ 302, 303 AktG für den Fall der vertraglichen Unterwerfung der Haftung zugrunde gelegt sei und die entsprechend bei breitflächiger tatsächlicher unternehmerischer Einflussnahme zur Haftung führen müsse. Aus diesem Ansatz bei der Gläubigergefährdung im qualifizierten faktischen Konzern folgert der BGH eine andere Fassung der Entlastungsmöglichkeit für den herrschenden Gesellschafter: Diesem wird nicht mehr die Möglichkeit des Nachweises ordnungsgemäßer Geschäftsführung eingeräumt. Vielmehr soll er nur noch nachweisen können, dass die eingetretenen Verluste auf Umständen beruhen, die mit der Ausübung der Leitungsmacht nichts zu tun haben781. 536

_____ 778 BGHZ 95, 330, 345 f. 779 Dazu u Kap K (Rn 1289 ff). 780 BGHZ 107, 7. 781 BGHZ 107, 7, 18. Im nachfolgenden Video-Urteil hat der BGH eine Rechtfertigung der Nachweismöglichkeit versucht, die er entgegen der ansonsten für analog angesehenen Rechts-

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 315

Auch damit hat der BGH aber den Sinnzusammenhang der §§ 302, 303 AktG verfehlt. Nach diesem kommt es eben nicht auf eine unbestimmte Gefährdung, sondern auf den vertraglich konstituierten Rechtsstatus der Unterwerfung an. Dieser ist die Grundlage der Verantwortlichkeit der herrschenden Gesellschaft. Das Video-Urteil782 hat gezeigt, wohin man mit der analogen Anwendung der 539 §§ 302, 303 AktG geraten konnte. Das Urteil hat jede Person mit der unbeschränkten Haftung für die Schulden einer GmbH schon dann bedroht, wenn sie der Geschäftsführer einer GmbH ist und sich daneben noch in einem sachlich angrenzenden Bereich unternehmerisch betätigt783. Damit war das erwünschte möglichst vielfältige unternehmerische Engagement insbesondere im Mittelstand im Kern bedroht. In der Folgezeit hat der BGH mit Recht seinen Versuch, §§ 302 f AktG iS einer 540 allgemeinen Durchgriffshaftung wegen unternehmerischer Einflussnahme in einer Gesellschaft entsprechend anzuwenden, aufgegeben784.

_____ lage beim Vertragskonzern eingeräumt hat: Der Grund für die Unterscheidung zum Recht des Vertragskonzerns bestehe darin, dass beim faktischen Konzern das Weisungsrecht, mit Einschluss des Rechts zu schädlichen Weisungen, nicht übergehe (BGHZ 115, 187, 193 f). Das (ehemalige) Mitglied des II. Senats Henze hat der Rechtsprechung zum Qualifak zwei Vermutungen entnommen: (1) keine angemessene Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft, (2) bei Zusammenbruch Kausalität der Benachteiligung für den Zusammenbruch; dementsprechend auch zwei Widerlegungsmöglichkeiten: (1) Verluste ohne Zusammenhang mit der Leitung, (2) Zusammenbruch aufgrund anderer Umstände als der Benachteiligung (NZG 2003, 649, 654). 782 BGHZ 115, 187. 783 Gegen das Urteil vehement Flume, DB 1992, 25 und Knobbe-Keuk, DB 1992, 1461. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil ist erfolglos geblieben, BVerfG NJW 1993, 2600, dazu Kindler, NJW 1993, 3120 (vorher Stellungnahme der Bundesregierung ZIP 1992, 1664 mit Anm Altmeppen). 784 Im Urteil Bremer Vulkan BGHZ 149, 10. Im TBB-Urteil BGHZ 122, 123 hatte der BGH noch mit der analogen Anwendung der §§ 302, 303 AktG gearbeitet, den Haftungsgrund aber schon verschoben, weg von der einheitlichen Leitung hin zum Missbrauch der beherrschenden Gesellschafterstellung durch Beeinträchtigung der Interessen der abhängigen Gesellschaft. Im Urteil Bremer Vulkan statuiert der BGH nunmehr, dass gemäß dem TBB-Urteil der herrschende Gesellschafter wegen Missbrauchs seiner Gesellschafterstellung haften könne, diese Haftung aber entgegen dem TBB-Urteil nicht konzernrechtlich angeknüpft sei. Folglich scheide auch die konzernrechtliche Organhaftung der Bekl aus.

316 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

c. Die Existenzvernichtungshaftung 541 In seinen Urteilen „Bremer Vulkan“785 und „KBV“786 hat der BGH an die Stelle des

Gedankens der Konzernverantwortlichkeit zunächst eine Durchgriffshaftung wegen bestands-787 oder existenzvernichtenden Eingriffs788 gesetzt, bevor er sich für die Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft aus § 826 BGB wegen existenzvernichtenden Eingriffs entschieden hat. Die Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung hat der BGH aus der Notwendigkeit einer Mindestrücksichtnahme auf die Erhaltung des Gesellschaftsvermögens im Interesse der Gläubiger gefolgert und auf die Verletzung dieser Mindestrücksichtnahme gestützt. Das Gesellschaftsvermögen diene vorrangig zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger. Dafür sei es abgesondert und zweckgebunden. Absonderung und Zweckbindung seien Voraussetzungen dafür, dass die Gesellschafter die Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen in Anspruch nehmen könnten. Daraus hat der BGH zunächst die nachstehende Folgerung gezogen: „Entziehen die Gesellschafter unter Außerachtlassung der gebotenen Rücksichtnahme auf diese Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens durch offene oder verdeckte Entnahmen Vermögenswerte und beeinträchtigen sie dadurch in einem ins Gewicht fallenden Ausmaß die Fähigkeit der Gesellschaft zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten, so liegt darin … ein Missbrauch der Rechtsform der GmbH …“789 Dieser müsse zum Verlust des Haftungsprivilegs führen, „soweit nicht der der GmbH durch den Eingriff insgesamt zugefügte Nachteil schon nach §§ 30, 31 GmbHG vollständig ausgeglichen werden kann oder kein ausreichender Ausgleich in das Gesellschaftsvermögen erfolgt“790. Die Rechtsprechung bezieht sich bisher nur auf die GmbH. In der Literatur bestehen Zweifel, ob die Haftung auch auf eine AG bezogen werden wird790a.

_____

785 S Vorn. 786 BGHZ 151, 181. Zur Rechtsprechung Ulmer, JZ 2002, 1049; Altmeppen, ZIP 2002, 1553; Roth, NZG 2003, 1081; Emmerich, AG 2004, 423; Fleischer, NJW 2004, 2867; Wilhelm, NJW 2003, 175. Umfassende Bemühung um dogmatische Einordnung bei Schön, ZHR 168 (2004), 268. 787 BGHZ 149, 10, 16. Wieder aufgenommen in BGH NJW 2002, 1803, 1805. 788 So das KBV-Urteil BGHZ 151, 181. 789 BGHZ 151, 181, 187. Die Formulierung im Leitsatz 1 des Urteils lautet etwas anders: „Zugriffe der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen, welche die auf Grund dieser Zweckbindung gebotene angemessene Rücksichtnahme auf die Erhaltung der Fähigkeit der Gesellschaft zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten in einem ins Gewicht fallenden Maße vermissen lassen, stellen deshalb einen Missbrauch der Rechtsform der GmbH dar“. 790 BGHZ aaO Vorn. 790a Raiser/Veil § 20 Rn 38 mwN, insbesondere mit Hinweis auf die spezielle Haftungsregelung des § 117 AktG. Die Vorschrift behandelt aber konkrete vorsätzliche Einflussnahmen auf Organe, Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte im Sinne der Veranlassung zu schädi-

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Mit der Anknüpfung an den Schutz des Gesellschaftsvermögens (der GmbH) war ein Perspektivenwechsel begründet: An die Stelle der Missachtung der juristischen Person nach der herrschenden Durchgriffslehre trat die Beachtung des Schutzes der juristischen Person mit ihrem Vermögen. Hinsichtlich der Schlussfolgerung und der Rechtsfolge (unmittelbare Haftung der Gesellschafter gegenüber den Gläubigern) blieb der II. Senat aber bei der Lehre vom Durchgriff wegen Missbrauchs der juristischen Person stehen. Nach dem neuesten Stand (Urteile Trihotel791 und Gamma792) hat der BGH 542 seinen Standpunkt vollends iS der Beachtung der Selbstständigkeit der juristischen Person geklärt: Die Existenzvernichtungshaftung wird nun als Binnenhaftung gegenüber der Gesellschaft aus sittenwidriger Schädigung des Gesellschaftsvermögens im Sinne des § 826 BGB eingeordnet793. Mit diesem Schritt hat der BGH, was den Vorwurf der unzulänglichen Vermögensausstattung der Gesellschaft betrifft, sowohl seine eigene frühere Judikatur von der persönlichen Haftung der Gesellschafter unter Beiseiteschieben der juristischen Person aufgegeben als auch den mannigfaltigen Durchgriffslehren eine Absage erteilt. Er stimmt nunmehr hier mit der Gegenansicht überein, dass die rechtliche Rahmensetzung für die beschränkte Haftung der Gesellschafter gerade umgekehrt aus der Beachtung der Rechtsstellung der juristischen Person als Rechtssubjekt folge 794 . Der bisherige Standpunkt zur Existenzvernich-

_____

genden Maßnahmen. Die allgemeine Haftung wegen Existenzvernichtung der AG ist davon nicht erfasst, 791 BGHZ 173, 246. Zur Entscheidung Schanze, NZG 2007, 681; Weller, ZIP 2007, 1681; Paefgen, DB 2007, 1907; Wilhelm, EWiR § 826 BGB 3/07, 557; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34; M. Schwab, ZIP 2008, 341; Gehrlein, WM 2008, 761; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274; Habersack, ZGR 2008, 533. Von Grund auf kritisch Hönn, WM 2008, 769. 792 ZIP 2008, 1232. Abgrenzend (kein existenzvernichtender Eingriff bei Einzug von Gesellschaftsschulden, aber Weiterleitung der Mittel zur Tilgung von Gesellschaftsschulden mit zusätzlicher Schuldtilgung aus eigenen Mitteln) BGH DB 2008, 1557. – Der IX. Senat hat bei existenzvernichtender Entziehung von Geldbeträgen den Gesellschafter vom Zeitpunkt der Entziehung an auf Verzugszinsen haften lassen (§ 286 Nr 4 BGB), DB 2008, 520. 793 S die genaue Analyse des Urteils Gamma durch Altmeppen, ZIP 2008, 1201 ff. Nach Altmeppen gibt es wegen der eindeutigen Anwendung des § 826 BGB eine Existenzvernichtungshaftung iS einer eigenständigen Fallgruppe nicht mehr. Man wird den Namen als Bezeichnung einer Fallgruppe des § 826 BGB aufrechterhalten. Zur Entscheidung Gamma auch Kleindiek, NZG 2008, 686. 794 Das ist die Kernthese der Schrift von Wilhelm „Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person“, 1981. Da im Fall Trihotel der Beklagte vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen wurde, brauchte der BGH an sich nicht zu entscheiden, ob der Anspruch der Gesellschaft, wie in jener Schrift entwickelt (aaO S 363 f) analog aktienrechtlichen Normen (§§ 62 II, 93 V, 116 iVm § 93 V, 117 V, 309 IV 3, 310 IV, 318 IV, die beiden letzten Vorschriften iVm § 309 IV 3 AktG) subsidiär von den Gesellschaftsgläubigern wahrgenommen werden kann. Der BGH

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tungshaftung bleibt freilich insofern aufrechterhalten, als auch nach den neuen Urteilen Voraussetzung für die Schadensersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft missbräuchliche Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen erforderlich sind, nämlich für die sittenwidrige Schädigung iSv § 826 BGB: Missbräuchlich sind kompensationslose Eingriffe, die zur Insolvenz der GmbH führen oder diese vertiefen. Sie sind missbräuchlich, weil sie das Gesellschaftsvermögen schädigen, das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dient. Zusammengefasst: Missbräuchlich ist die kompensationslose Selbstbedienung aus dem Gesellschaftsvermögen zu Lasten der Gläubiger, die wegen Herbeiführung der Insolvenz unbefriedigt bleiben795. Das Erfordernis des Eingriffs in das zweckgebundene Vermögen ist jetzt 543 nicht nur statt in den Durchgriffsgedanken in den Tatbestand des Schutzes der Gesellschaft nach § 826 BGB eingeordnet. Es dient dem BGH auch zur Abgrenzung des Haftungstatbestandes gegenüber der in der Literatur vertretenen Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung: Mangels Eingriffs gibt es keine Haftung gegenüber der Gesellschaft aus § 826 wegen materieller Unterkapitalisierung796. Die neue Einordnung der Existenzvernichtungshaftung als Binnenhaftung 544 aus § 826 BGB hat schließlich eine Konsequenz hinsichtlich der Konkurrenz der Haftungsnormen: Solange die Existenzvernichtungshaftung als Durchgriffshaftung eingeordnet wurde, folgte aus der Subsidiarität der Durchgriffshaftung der Vorrang eines Anspruchs der Gesellschaft, wenn diese GmbH ist, aus §§ 30, 31 GmbHG. Aufgrund des Verständnisses der Existenzvernichtungshaftung als Schadensersatzhaftung ist diese Folgerung entfallen. Der Senat bejaht jetzt eine Anspruchskonkurrenz zwischen den verschiedenen Ansprüchen der Gesellschaft.

_____ wollte aber sein Gesamtkonzept entwickeln und hat deshalb die Frage aufgegriffen. Er hat sich gegen die unmittelbare Wahrnehmungsbefugnis der Gläubiger entschieden, freilich die Analogie zu den aktienrechtlichen Vorschriften nicht thematisiert. Für das Gläubigerverfolgungsrecht Altmeppen, ZIP 2008, 1201, 1204 mN in Fn 33. 795 In der Entscheidung BGH WM 2008, 302 weist der BGH darauf hin, dass die Existenzvernichtung nur ein Fall des § 826 BGB sei, aber andere Fallgestaltungen der sittenwidrigen Schädigung in Betracht kämen: etwa dass der beklagte Alleingesellschafter einer GmbH Forderungen der Gesellschaft „auf sich umgeleitet“ hätte. 796 BGH ZIP 2008, 1232 (Gamma). Von der Frage eines Anspruchs der Gesellschaft aus § 826 BGB ist die Möglichkeit einer Haftung von Gesellschaftern gegenüber den Gläubigern zu unterscheiden, die aus § 826 BGB oder culpa in contrahendo im Hinblick darauf begründet sein kann, dass die GmbH nach ihrer Gestaltung und Tätigkeit evident auf Gläubigerschädigung hinauslaufen musste (Altmeppen, ZIP 2008, 1201, 1205, 1206 sub V 2, VI).

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 319

Fallbeispiel: Im Fall KBV hatte die insolvent gewordene KBV-GmbH zwei Gesellschafter, 545 Schwiegervater und Schwiegersohn, der erstere war zu 40%, der letztere, der zugleich das Geschäftsführeramt innehatte, zu 60% beteiligt. Die KBV hatte vom Schwiegervater Fabrikations- und Geschäftsräume gemietet. Nach einem zum 31.12.1995 aufgestellten Vermögensstatus wies die Gesellschaft einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von ca 3,8 Mio DM auf. Darin enthalten waren insgesamt rund 3 Mio DM Gesellschafterdarlehen. Ende 1995 haben die Gesellschafter den Geschäftsbetrieb der Gesellschaft eingestellt. Die Gesellschafter verwendeten eine zweite, von ihnen gehaltene Gesellschaft als Auffanggesellschaft. Diese übernahm das Personal der KBV, und ihr wurden die Forderungen und der Warenbestand der KBV übertragen. Im Gegenzug übernahm die Auffanggesellschaft in bestimmter Höhe Verbindlichkeiten der KBV. Darunter befand sich die Forderung der Kl indessen nicht. Unter Zugrundelegung des Vermögensstatus zum 31.12.1995 hatte die Auffanggesellschaft Forderungen und Waren im Gesamtbetrage von ca 1,2 Mio DM gegen Verbindlichkeiten in Höhe von ca DM 825.000 übernommen, also ein Vermögen in Höhe von ca 375.000 DM. Wie bei der KBV war aber auch bei der Auffanggesellschaft inzwischen die Eröffnung des Konkursverfahrens abgelehnt worden. Nach dem Vortrag der Kl hatte weiterhin der Schwiegervater Anlagegüter der KBV erworben und den Kaufpreis mit angeblichen Zahlungsrückständen aus den mit ihm abgeschlossenen Miet- und Leasingverträgen verrechnet. Das Anlagevermögen habe der Schwiegervater versteigern lassen und den Versteigerungserlös für sich vereinnahmt. Nach Klageabweisung durch die beiden ersten Instanzen hat der BGH aufgrund der angeführten Erwägungen die Möglichkeit eines Missbrauchs der Rechtsform der GmbH gesehen, das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Nach dem neuen Stand der Rechtsprechung des 2. Senats ist die Existenzver- 546 nichtungshaftung, wie folgt, zu prüfen. Zu untersuchen ist der Anspruch der Gesellschaft. Im Insolvenzverfahren wird er vom Insolvenzverwalter geltend gemacht797. Die Klage eines einzelnen Gläubigers könnte auf die analoge Anwendung der Wahrnehmungsbefugnis der Gläubiger gemäß §§ 93 V, 309 IV 2, 310 IV, 317 IV, 318 IV AktG gestützt werden. Diese Folgerung würde an die Formulierung des BGH von der Zweckbindung des GmbH-Vermögens zugunsten der Gesellschaftsgläubiger anschließen. In seinem Urteil Trihotel hat sich der Senat aber ausdrücklich gegen die unmittelbare Wahrnehmungsbefugnis der Gläubiger entschieden und deren Vorgehen gegen die Gesellschaft unter Vollstreckung in deren Anspruch aus Existenzvernichtungshaftung für allein möglich, aber auch ausreichend erklärt. Eine Auseinandersetzung mit der Analogie zu den aktienrechtlichen Vorschriften ist aber unterblieben. Entscheidet man sich gegen den BGH für die Wahrnehmungsbefugnis eines Gläubigers, ist zu-

_____ 797 Früher, als der BGH noch die Durchgriffshaftung annahm, musste auf das Wahrnehmungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 93 InsO aufgrund ausnahmsweise persönlicher Haftung des betroffenen Gesellschafters zurückgegriffen werden (so im Anschluss an das KBV-Urteil BAG NJW 2005, 2172, 2174). Jetzt ist die Grundlage das allgemeine Verfügungsrecht nach § 80 I InsO.

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sätzlich die Forderung des klagenden Gläubigers gegen die Gesellschaft zu prüfen. Dem Umfang nach ist die Haftung gegenüber dem Gläubiger beschränkt auf die Höhe des Ausfalls, den der Gläubiger erleidet. Zur Prüfung des Anspruchs gegen die Gesellschafter ist der folgende Weg einzuhalten: Der Gesellschaft könnte gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zustehen. 1. Aktivlegitimation des Klägers (nach BGH nur die Gesellschaft, im Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter; einzelne Gesellschaftsgläubiger könnten analog aktienrechtlichen Legitimationsvorschriften aktivlegitimiert sein, was der BGH aber bisher ablehnt). 2. Gesellschaftereigenschaft und Eingriffsteilnahme des Anspruchsgegners: Zu den Gesellschaftern zählen auch mittelbare Gesellschafter798. Dem unmittelbar Vermögen entziehenden Gesellschafter wird derjenige Gesellschafter gleichgestellt, der zwar nichts empfangen hat, aber sein Einverständnis mit dem Vermögensentzug gegeben hat. Ist eine Gesellschaft als Gesellschafter beteiligt, richtet sich deren etwaige Haftung nicht gegen die Verwaltungsmitglieder799. 3. Eingriff des Anspruchsgegners in das Gesellschaftsvermögen ohne Ausgleich. a) Entzug von Vermögen. Darunter fällt nicht nur der Entzug gegenwärtigen Vermögens, sondern auch der von Geschäftschancen. b) Entzug von Vermögen der Gesellschaft. Dazu ist nicht eine bilanzielle Betrachtung anzustellen, sondern danach zu fragen, ob der Gegenstand, um den es geht, im Insolvenzfall allen Gläubigern zur Befriedigung zur Verfügung steht800.

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798 In zwei dem KBV-Urteil nachfolgenden Urteilen vom 13.12.2004 ZIP 2005, 117 (mit Anm Altmeppen, Berichtigung der Anm S 157), ZIP 2005, 250 (zu beiden Urteilen Kessler, GmbHR 2005, 257 ff) hat der BGH die Möglichkeit der Existenzvernichtungshaftung auf einen Dritten ausgedehnt, sofern dieser in der Lage sei, über einen (mittelbaren) Gesellschafter der Schuldner-GmbH in dieser einen beherrschenden Einfluss auszuüben (so im ersten Fall der Bekl aufgrund seiner beherrschenden Stellung in einer GmbH, die Alleingesellschafterin der Schuldner-GmbH war, im zweiten Fall der Bekl aufgrund einer Mehrheitsbeteiligung an einer Gesellschaft, die mittelbar über eine Mehrheitsbeteiligung an der Schuldner-GmbH verfügte). Der BGH beruft sich dazu auf die oben Rn 467 f ausgeführte personelle Erweiterung, die die Rechtsprechung zur Haftung für Kapitalaufbringung und -erhaltung annimmt. Seine Begründung, nur so seien die Gläubiger „wirksam und praktikabel“ geschützt, ist freilich ohne rechtliche Substanz. Für die Ausweitung auf einen beherrschenden Dritten vorher schon OLG Rostock ZIP 2004, 118. 799 Dies hat der BGH in der Entscheidung Bremer Vulkan festgestellt, BGHZ 149, 10, 15. Der BGH prüft hier stattdessen Ansprüche der klagenden Treuhandanstalt gegen die Vorstandsmitglieder des Bremer Vulkan zum einen aus abgetretenem Recht der geschädigten Werft aus §§ 823 II BGB iVm Straftatbeständen (Verantwortlichkeit der Organe nach § 14 I Nr 1 StGB), nämlich §§ 266 I 2 StGB, 263 I StGB, 400 I Nr 1 AktG, sodann aus eigenem Recht der Klägerin: aus § 823 II BGB iVm §§ 263, 266 StGB, 400 I Nr 1 AktG. Die Vermögensbetreuungspflicht iS des Tatbestands der Untreue (hier zum Nachteil der Ostwerft) setzt der II. Zivilsenat mit der Rücksichtnahmepflicht im Rahmen der Existenzvernichtungshaftung gleich, nur das Merkmal des Vorsatzes sei zu prüfen, BGHZ 149, 10, 17. Vorbehalt gegenüber dieser Gleichstellung in dem Urteil des 5. Strafsenats des BGH im Fall Bremer Vulkan, BGHSt 49, 147, 160. 800 BGH ZIP 2005, 250, 252.

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 321

Kompensationsloser Entzug: Vom Beklagten veranlasste Ausgleichsleistungen zugunsten des Gesellschaftsvermögens sind entlastend zu berücksichtigen. Missachtung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens: Dies setzt die Außerachtlassung der gebotenen Rücksichtnahme auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens für die Gesellschaftsgläubiger voraus. Davon sind abzugrenzen bloße Managementfehler801. Beeinträchtigung der Fähigkeit der Gesellschaft zur Erfüllung der Verbindlichkeiten mit der Folge der Insolvenz oder Überschuldung. Zur Beweislast s. 6.b) Entfallen ist die Voraussetzung, dass keine vorrangigen anderen Haftungsgründe eingreifen dürfen: a) Nach dem Stand, als die Rechtsprechung noch die Durchgriffshaftung vertrat, waren die Ansprüche aus der gesetzlichen Vermögensbindung vorrangig, die Durchgriffshaftung ist nämlich subsidiär. Demgegenüber besteht zwischen dem Schadensersatzanspruch der Gesellschaft aus § 826 BGB und den Ansprüchen etwa einer GmbH aus §§ 30, 31 GmbHG Anspruchskonkurrenz. b) Nicht zur Subsidiarität gehört die Frage, ob der Eingriff nur zu einem begrenzten Nachteil geführt hat (im Vergleich mit der Lage bei einem redlichen Verhalten). Da es aber von vornherein nur noch um einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft geht, scheint der Einwand, dass das Verhalten des Gesellschafters nicht zur Existenzvernichtung, sondern nur zu einem begrenzten Nachteil geführt hat, nicht mehr relevant zu sein. Allerdings gehört er zu dem Kriterium der Existenzvernichtung, und dieses ist nach der neuen Version der Rechtsprechung zwar nicht für die Durchgriffshaftung, aber doch unverändert für die Haftungsauslösung konstitutiv, jetzt in Gestalt des Sittenwidrigkeitsverdikts. Aber die Existenzvernichtung ist nur ein Fall der sittenwidrigen Schädigung. Auch begrenzte Eingriffe können sittenwidrige Schädigung sein. Also gehört der Einwand der Vergangenheit an. Er war ein Ansatz zur Milderung der vollen Durchgriffshaftung und ist mit dieser in Wegfall geraten. Schaden der Gesellschaft infolge des Eingriffs. c)

4.

5. 6.

7.

_____ 801 Der BGH hat den sachlichen Haftungstatbestand auf Fälle der Entnahmen (ZIP 2005, 117) bzw „gezielter betriebsfremden Zwecken dienender Eingriffe“ in das Gesellschaftsvermögen (ZIP 2005, 250) beschränkt. Managementfehler bei dem Betrieb des Gesellschaftsunternehmens lösten die Haftung nicht aus (ZIP 2005, 250, 252). In beiden Fällen hat er die Sache zurückverwiesen, weil die sachlichen Haftungskriterien noch nicht genügend festgestellt seien. Im ersten der beiden Fälle hat er die Prüfung aufgegeben, ob der Bekl der Schuldner-Gesellschaft deren BMW-Vertriebsposition zugunsten der Alleingesellschafter-GmbH ohne angemessenen Ausgleich entzogen habe. Auch wenn dies festgestellt werde, greife die Existenzvernichtungshaftung aber dann nicht ein, wenn der Bekl nachweisen könne, dass die Gesellschaft im Vergleich zu einem redlichen Verhalten nur einen begrenzten Nachteil, der als solcher auszugleichen sei, erlitten habe. Dem ist zu entgegnen, dass der Einwand nur den Schaden begrenzt, aber nicht den Anspruch dem Grunde nach betrifft (s sogleich im Text 6.b). Auch im zweiten Fall hat der BGH die Prüfung aufgegeben, ob die Schuldner-Gesellschaft durch Überleitung des Kundenstamms auf eine andere Gesellschaft des Bekl geschädigt worden sei.

322 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

547 Im Unterschied zur Haftung im qualifizierten faktischen Konzern kommt es

nach der neuen Rechtsprechung auf die Voraussetzung eines Konzernverhältnisses zwischen dem in Anspruch genommenen Gesellschafter einerseits und der Gesellschaft andererseits und die beiden Vermutungen erstens der Gefährdungslage durch Leitung der abhängigen Gesellschaft und zweitens von deren Ursächlichkeit für den Zusammenbruch der Gesellschaft nicht mehr an.

2. Die Haftung aus dem Sonderrechtsverhältnis der negotiorum gestio a. Elemente der Haftung wegen ordnungswidriger Geschäftsführung in der Rechtsprechung 548 Die Rechtsprechung des BGH erst zur Durchgriffshaftung im qualifizierten faktischen Konzern, sodann zur subsidiären persönlichen Haftung wegen Existenzvernichtung, die auch nichts anderes als eine Durchgriffshaftung war, und jetzt zur Binnenhaftung aus § 826 BGB wegen Existenzvernichtung hat immer wieder einen Tatbestand berührt, der über die Binnenhaftung aus § 826 BGB hinaus als allgemeiner zivilrechtlicher Haftungstatbestand zur Haftung der Gesellschafter führt, nämlich die Haftung gegenüber der Gesellschaft wegen ordnungswidriger Geschäftsführung802. Dieser Tatbestand macht, wenn man ihn beachtet, zum einen die Bemühungen um den unbestimmten und deshalb kaum im Einzelnen formulierbaren Durchgriffsgedanken verzichtbar, zum anderen erweist er die Anführung nur des § 826 BGB als zu eng. Allerdings ist die richtige Abkehr des 2. Senats vom Durchgriffsgedanken und seine Hinwendung zu einer Haftung gegenüber der Gesellschaft aus § 826 BGB ein fundamentaler Fortschritt. Der Senat bleibt aber auf halbem Wege stehen, wenn er für die Anwendung des § 826 BGB bei den Kriterien der Existenzvernichtungshaftung bleibt. Demgegenüber begründet der Tatbestand der Haftung aus ordnungswidriger Geschäftsführung die Haftung gegenüber der Gesellschaft weitergehend. Die Rechtsprechung hat bisher nur nicht den Mut zur Konsequenz aufgebracht. Die Anhaltspunkte für die Haftung aus ordnungswidriger Geschäftsfüh549 rung in der Rechtsprechung des 2. Senats sind die folgenden: Im AutokranUrteil hat der BGH die analoge Anwendung der §§ 302 f AktG letztlich genau auf jenes Kriterium der ordnungswidrigen Geschäftsleitung gestützt. Im KBV-Urteil spricht der BGH von der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens und der

_____ 802 Überzeugend die Folgerung von Schön aus der Rechtsprechung, ZHR 168 (2004), 268, 289 f. Wesentliche Substanz und Differenzierung zu der hier vertretenen These von der Haftung für negotiorum gestio trägt Grigoleit (Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006) bei.

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 323

Rücksicht, die die Gesellschafter darauf zu nehmen hätten, als Voraussetzung dafür, dass die Haftungsbeschränkung der Gesellschafter eingreifen könne. Im Urteil Bremer Vulkan heißt es, wie folgt: „Der Schutz einer abhängigen GmbH gegenüber Eingriffen ihres Alleingesellschafters … beschränkt sich auf die Erhaltung ihres Stammkapitals im Sinne der §§ 30 f GmbHG, für die im Rahmen des § 43 III GmbHG auch ihre Geschäftsführer haften, und die Gewährleistung ihres Bestandsschutzes in dem Sinne, dass ihr Alleingesellschafter bei Eingriffen in ihr Vermögen und ihre Geschäftschancen angemessene Rücksicht auf ihre seiner Disposition entzogenen eigenen Belange zu nehmen hat.“803 In den beiden Urteilen vom 13.12.2004804 hat der BGH die Haftung auf einen leitend in die GmbH eingreifenden Dritten ausgedehnt, der nicht Gesellschafter der GmbH war. Das passte seinerzeit nicht zu dem Gedanken, dass die Gesellschafter einer GmbH irgendwann ihre Berechtigung verwirkt hätten, sich auf ihre Haftungsbeschränkung in der GmbH zu berufen. An die Stelle dessen hat der 2. Senat jetzt die Haftung aus § 826 BGB gesetzt. Wenn diese Haftung in jenen Fällen aber an die Leitung anknüpft, ist es die Haftung aus ordnungswidriger Geschäftsführung und nicht nur aus § 826 BGB.

b. Überwindung der Durchgriffshaftung aufgrund der Wahrnehmung der juristischen Persönlichkeit Mit seinen Ansatzpunkten und konsequent jetzt mit der Entscheidung für die 550 Innenhaftung nach § 826 BGB hat der BGH die eingefahrene Orientierung am Gedanken einer Durchgriffshaftung verlassen: Diese Haftung beruhte auf der Grundannahme, dass die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft Miteigentümer des Unternehmens sind, für die die Rechtsform der juristischen Person nur ein Mittel zur Beschränkung ihrer Haftung ist. In Konsequenz daraus ist die Durchgriffshaftung die unbeschränkte Haftung der Gesellschafter als Miteigentümer und kann deshalb und dann eingreifen, wenn und weil die Gesellschafter die zur Haftungsbeschränkung führende Rechtsform missbrauchen und ihnen folglich die Berufung auf die Haftungsbeschränkung zu versagen ist. Der positivistische Ansatzpunkt ist die teleologische Reduktion der Haftungsbeschränkung nach §§ 1 I 2 AktG, 13 II GmbHG. Gegenüber dieser tief verwurzelten Sicht waren Grundsätze des allgemei- 551 nen Zivil- und Gesellschaftsrechts durchzusetzen805: Nach der rechtlichen Regelung sind die Gesellschafter keineswegs Miteigentümer des Unternehmens

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803 BGHZ 149, 10, 16. 804 O Rn 546 Fn 798. 805 Dazu Wilhelm Rechtsform und Haftung passim.

324 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

der Kapitalgesellschaft, und die juristische Person ist keineswegs eine bloße Rechtsform zur Haftungsbeschränkung. Die juristische Person ist Rechtssubjekt und als solches Inhaberin des Unternehmens. Die Gründung der juristischen Person als eigenständiger und wie jede Person grundsätzlich unbeschränkt haftender Rechtsperson ist nicht vereinbar mit der Annahme einer Haftung „hinter ihr“ stehender natürlicher Personen. Anders als die Lehre von der Durchgriffshaftung es schon ihrer Bezeichnung nach unterstellt, geht es also nicht um die teleologische Reduktion der Konstruktion, aufgrund deren der Gesellschafter von seiner an sich bestehenden Haftung iS einer Haftungsbeschränkung abgeschirmt wird, sondern umgekehrt um die Konstituierung der Haftung einer Person (des Gesellschafters), obwohl zunächst einmal aus dem maßgeblichen Geschehen heraus die Haftung einer anderen (der juristischen Person) begründet ist. Dafür kann nicht auf den Wegfall von Voraussetzungen einer Haftungsbeschränkung verwiesen werden, sondern es müssen positive Argumente für die zusätzliche Haftung erbracht werden806. Mit einem „Missbrauchsgedanken“ ist hier jedenfalls nicht auszukommen. Diese Eigenständigkeit der juristischen Person ist zwingend zu beach552 ten, weil diese Person als selbstständiges Rechtssubjekt in die Rechtswelt eingetreten ist. Die juristische Person ist allerdings nicht Rechtssubjekt um ihrer selbst willen, wie dies für die natürliche Person zutrifft. Sie ist Rechtssubjekt um aller derer willen, die mit ihr zu tun haben, insbesondere um der Gläubiger und der Gesellschafter willen (aller Gesellschafter, Mehrheits- und MinderheitsGesellschafter). Dafür hat die Rechtsordnung die Rechtsstellung der juristischen Person bestimmt, etwa die der GmbH durch §§ 30 ff, 43 GmbHG, was die werbende Gesellschaft, und durch die Regelung von Auflösung und Liquidation (mit §§ 64 GmbHG, 15a InsO), was die Abwicklung der Gesellschaft betrifft. Indem die Rechte und Pflichten, die die juristische Person nach der gesetzlichen Regelung als Rechtssubjekt hat, geachtet werden, kommen alle, die mit ihr zu tun haben, zu ihrem Recht. Die Gesellschafter haben ihre Rechte aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der juristischen Person. Damit aber jeder Gesellschafter und jeder Gläubiger und der Rechtsverkehr insgesamt zu ihrem Recht kommen, bestehen, so hat BGH jetzt zutreffend herausgestellt, die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens und die Pflicht der Gesellschafter zur Rücksichtnahme.

_____ 806 Der BGH geht sogar im Stadium der Vorgesellschaft, wo wirklich eine Außenhaftung in Betracht kommt (weil die „haftungsbeschränkende“ juristische Person noch gar nicht besteht), gerade nicht von der Außenhaftung aus, sondern folgert aus der – erst angestrebten – juristischen Person die Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft.

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 325

c. Die Konsequenz der Geschäftsführungshaftung Die mangelnde Folgerichtigkeit der Rechtsprechung in der Umsetzung dieser 553 Prämissen wird in der Textpassage sichtbar, die im Urteil Bremer Vulkan auf die oben807 angeführte Passage folgt: In dieser wird gesagt, an der angemessenen Rücksichtnahme fehle es dann, wenn die Gesellschaft infolge der Eingriffe des Alleingesellschafters ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen könne. Eingriffe dieses Ausmaßes nennt der BGH dann bestandsvernichtend, und stützt auf sie die Haftung wegen sog existenzvernichtenden Eingriffs. Wieso erst bei existenzvernichtenden Eingriffen die angemessene Rücksichtnahme fehlt, was überhaupt angemessene Rücksichtnahme heißt, wird nicht dargelegt. Im KBVUrteil schwächt der BGH seine Missbrauchsformulierung aus Bremer Vulkan noch weiter dahingehend ab, dass die Gesellschafter „in einem ins Gewicht fallenden Ausmaß“ die Fähigkeit der Gesellschaft zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten beeinträchtigen müssten. Gänzlich ohne Rechtfertigung ist schließlich die Einschränkung der Haftung durch die beiden Urteile vom 13.12.2004808. Wenn danach der leitend eingreifende Bekl nur für Entnahmen oder für betriebsfremden Zwecken dienende Eingriffe iS etwa des Entzugs von Geschäftschancen soll haften können, ist dies ein Verstoß gegen Grundprinzipien unseres Haftungsrechts: Danach sind Vermögensrechte nicht nur vor einer Bereicherung zugunsten des Eingreifers (§§ 812 ff, 285 BGB), sondern ebenso auch vor Schädigung geschützt (§§ 823 ff, 280 BGB). Nicht einmal in der bisherigen Diskussion der Durchgriffshaftung ist eine Einschränkung auf Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen vertreten worden. Wieso die Schädigung der Gesellschaft durch Eingehen unvertretbarer Risiken anders als die Vernichtung durch Aussaugung des Gesellschaftsvermögens haftungsfrei bleiben soll, ist auch gar nicht erklärbar. Die vom BGH erkannten Elemente müssen also konsequenter, als der BGH 554 dies bisher getan hat, weiter gedacht werden. Dann führen sie unvermeidlich zu dem Tatbestand der Haftung wegen ordnungswidriger Geschäftsführung, und dieser ist ebenso unvermeidlich zur Konsequenz zu bringen. Der Tatbestand wird in den Blick gerückt durch die beiden Erkenntnisse des BGH: zum einen die Erkenntnis, dass das Gesellschaftsvermögen, bei der GmbH im Rahmen der §§ 30, 31 GmbHG, bei der AG darüber hinaus (§§ 57, 62 AktG) für die Zwecke der Gesellschaft, zusammen mit ihr der Mitgesellschafter und der Gesellschaftsgläubiger, zweckgebunden und also ein den Gesellschaftern nicht gehörendes Vermögen ist, und zum anderen die Erkenntnis, dass die Gesellschafter, wenn sie in das Gesellschaftsvermögen leitend eingreifen, auf die Gesellschaft Rücksicht zu nehmen haben, wie dies allgemein Personen tun müs-

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807 Rn 546 Fn 798. 808 ZIP 2005, 117; ZIP 2005, 250.

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sen, die fremde Geschäfte besorgen. Dies letztere hat für die leitenden Gesellschafter insbesondere das Autokran-Urteil mit dem Gesichtspunkt der ordnungswidrigen Geschäftsleitung direkt angesprochen. Die erstere Erkenntnis wird in Bremer Vulkan, KBV und den Urteilen vom 13.12.2004 zum Ausdruck und nur nicht zur Konsequenz gebracht. Die Haftung auf Schadensersatz aus Geschäftsführung für die Gesell555 schaft809 ist eine Haftung wegen ordnungswidriger Geschäftsführung810 bzw aufgrund einer negotiorum gestio811. In der Insolvenz der Gesellschaft macht die Haftung der Insolvenzverwalter geltend (als Anspruch der im Insolvenzverfahren befindlichen Gesellschaft, § 80 I InsO). Außerhalb eines Insolvenzverfahrens können, wie wir sehen werden, die Gesellschaftsgläubiger den Anspruch der Gesellschaft wahrnehmen, soweit sie von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können. Unser geltendes Privatrecht erfasst mit einer ganzen Reihe von Tatbestän556 den die Haftung bei der Führung fremder Geschäfte (s nur die §§ 662, 675 I, 713

_____ 809 Henze hat, NZG 2003, 657, 658 r Sp, zur damaligen Durchgriffshaftung der Rechtsprechung dafür votiert, dass die business judgment rule anzuwenden sei. Es zeigte sich bei ihm wie in der Autokran–Entscheidung die Nähe der Rechtsprechung zur Haftung wegen ordnungswidriger Geschäftsleitung. 810 Ordnungswidrigkeit setzt die Überschreitung des unternehmerischen Ermessens bei Führung einer Gesellschaft voraus (neumodisch: gemessen an der „Business Judgment Rule“). Wenn der BGH in ZIP 2005, 250 „Managementfehler“ schlechthin von der Haftung ausnehmen wollte, verfehlte er die maßgebliche Unterscheidung. 811 Für die Haftung aus negotiorum gestio (Bezeichnung von Flume) Wilhelm Rechtsform und Haftung S 346 ff; Flume I/2 § 3 III S 88 ff; Priester, ZGR 1993, 515, 521ff; Schnauder/MüllerChristmann, JuS 1988, 984, für die Haftung mit Einschränkung auf gröbliches Verschulden (unter Berufung auf § 93 V 2 Hs 1 AktG) Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1842 ff; ders, ZIP 2002, 961, 966 f; ders, ZIP 2002, 1553, 1562; ders, NJW 2002, 321, 323; Roth/Altmeppen/Altmeppen § 13 Rn 80, 123 ff, § 43 Rn 102 (zu der Einschränkung Wilhelm, NJW 2003, 175, 179 Fn 55). Henze, NZG 2003, 657 leistet sich die negatio auctoris, für die Haftung aus negotiorum gestio nur die Auffassung von Altmeppen anzuführen. Gegen die Haftung aus negotiorum gestio, aber doch für die Annahme einer Haftung des Alleingesellschafters einer GmbH aus Sonderrechtsverhältnis zur GmbH Ulmer, ZIP 2001, 2026; K. Schmidt § 9 IV 4 c bb S 243 f; ders, ZIP 1988, 1505; ders, NJW 2001, 3580; s a Wiedemann, FG BGH II 2000, 353. Henze argumentiert (aaO) gegen die Haftung der leitenden Gesellschafter aus negotiorum gestio: Das Verhalten, welches dem Gesellschafter nicht verboten sei, müsse auch dem Geschäftsführer erlaubt sein, begehe aber der Geschäftsführer keine Pflichtverletzung, so auch der Gesellschafter nicht in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer. Das Argument ist, wenn überhaupt zu verstehen, eine Berufung darauf, dass ein weisungsabhängiger Geschäftsführer sich durch die Weisung des weisungsbefugten Gesellschafters entlasten könne. Diese Entlastung kann aber nicht dem die Herrschaft innehabenden Gesellschafter zugutekommen. Insgesamt gilt zu dem Argument: „Wie der Herr, so’s Gescherr“ ist kein Rechtssatz, erst recht nicht die Umkehrung.

IX. Das Problem der materiellen Unterkapitalisierung | 327

BGB, sodann §§ 43 GmbHG, 93, 317 AktG etc). Insbesondere die Haftung des herrschenden Unternehmens und seiner gesetzlichen Vertreter bei faktischer Abhängigkeit (§ 317 AktG) ist der Ausdruck für die Verantwortlichkeit bei Ausübung der Leitung in einer Gesellschaft. Es ist nicht recht nachvollziehbar, wieso der BGH zuerst im Rahmen der Figur des qualifizierten faktischen Konzerns ausgerechnet Vorschriften über den Vertragskonzern analog herangezogen und mit dem Übergang zur Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs das Konzernrecht vollständig verlassen hat, also die einschlägige und weiterführende Regelung des faktischen Konzerns beharrlich außer Acht gelassen hat. Insbesondere die Fälle der Entscheidungen vom 13.12.2004812 waren Fälle des faktischen Konzerns und demgemäß die Haftung des Beklagten nach § 317 III (aufgrund der Wahrnehmungsbefugnis der Gläubiger nach § 317 IV iVm § 309 IV 3 AktG) zu prüfen. Im allgemeinen Schuldrecht ist ergänzend heranzuziehen die Haftung aus Sonderrechtsverhältnis (nach §§ 280, 311 II Nr 3, 241 II BGB). Dem entsprechen im Konzernrecht die Absätze 1 und 3 des § 317 AktG mit der Sorgfaltshaftung des herrschenden Unternehmens und seiner Verwaltungsmitglieder aufgrund der faktischen Einwirkungsmöglichkeiten auf das abhängige Unternehmen. Ein solches Sonderrechtsverhältnis im Sinne der Führung fremder Geschäfte kommt allgemein dann zustande, wenn sich Gesellschafter einer GmbH, insbesondere Mehrheitsgesellschafter, leitend in die Geschäftsführung der GmbH einmischen. Aus diesem Geschäftsführungsverhältnis sind nach unserem Recht zwingend (für die GmbH: §§ 30, 31 GmbHG813) die Konsequenzen zu ziehen.

d. Rechenschaftspflicht Eine bedeutsame Konsequenz aus der Haftungsgrundlage ist die, dass nach den 557 selbstverständlichen Grundsätzen der Geschäftsführungshaftung die kraft ihrer beherrschenden Position in die Leitung der Gesellschaft eingreifenden Gesellschafter rechenschaftspflichtig sind (analog §§ 666, 675 I, 713 BGB). Soweit der Gesellschaft das Gesellschaftsvermögen, welches zur Deckung des Garantiekapitals814 erforderlich ist, abhandengekommen ist, haben die herrschenden Gesellschafter anhand der Rechnungslegung für die Gesellschaft darzulegen und

_____ 812 BGH ZIP 2005, 117; ZIP 2005, 250 813 Für Gesellschaften, für die weder §§ 30, 31 GmbHG noch das Vermögensbindungssystem des AktG gelten (s die o Rn 34, 130 referierten Tendenzen im Europäischen Recht), ist als Minimum das Vermögen der Gesellschaft in Höhe der Verbindlichkeiten und sonstigen Belastungen gebunden (Wilhelm, ZHR 167 (2003), 520, 540 f). 814 Mindestens: zur Deckung der Verbindlichkeiten und sonstigen Belastungen (s Vornote).

328 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

im Bestreitensfall zu beweisen, dass und inwieweit das Vermögen in Verlust gekommen ist, ohne dass dies auf einer ordnungswidrigen Geschäftsführung ihrerseits beruht. Soweit sie dazu nicht in der Lage sind, haften sie auf Wiedereinzahlung815.

e. Ausschließbarkeit der Haftung? 558 Der Schadensersatzanspruch insbesondere einer GmbH gegen ihre sich in die Leitung einschaltenden Gesellschafter bei ordnungswidriger Geschäftsführung kann nicht durch einen Gesellschafterbeschluss ausgeschlossen oder beschränkt werden, an dem die leitenden Gesellschafter selbst teilnehmen. Zu formalistisch folgert die Rechtsprechung aus § 43 III 1, 3 GmbHG, dass sogar der Einmanngesellschafter, wenn er das Geschäftsführeramt innehat, sich selbst entlasten könne, ja sogar diese Selbstentlastung in dem Handeln des Alleingesellschafters implizit enthalten sei816. Die Regelung des GmbHG, dass ein Geschäftsführer außerhalb des durch § 43 III 1, 3 GmbHG gezogenen Rahmens (keine Entlastung bei verbotswidrigen Auszahlungen an Gesellschafter von einer zur Gläubigerbefriedigung erforderlichen Haftung) durch Gesellschafterbeschluss entlastet werden kann, ist kein Berufungsgrund für eine Selbstentlastung817. Die Vorschrift berücksichtigt die Stellung des von der Gesellschafterversammlung abhängigen Geschäftsführers. Die Rechtfertigung der eigenen Geschäftsführung durch leitende Gesellschafter ist ihr nicht zu entnehmen. Wer insbesondere als Alleingesellschafter eine GmbH führt, muss dies in dem Bewusstsein tun, dass auch die Einmann-GmbH ein rechtlich selbstständiges Unternehmen ist (§ 13 I GmbHG), für das er verantwortlich ist, er also nicht etwa ein eigenes Unternehmen mit dem wünschenswerten Privileg der, abgesehen von § 43 III 1, 3 GmbHG, vollständig ausgeschlossenen Haftung betreibt.

f. Aktivlegitimation 559 Eine weitere wichtige Konsequenz des hier vertretenen Ansatzes liegt in der An-

spruchsrichtung: Es geht vom Tatbestand her um einen Anspruch der Gesell-

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815 Das von Henze (NZG 2003, 657) als Hintergrund der Lösung des BGH angeführte praktische Problem der Schadensfeststellung besteht damit nicht. 816 BGH NJW 2000, 1571, LG München II NZG 2017, 505. Gegen solche Ansätze Wilhelm NJW 2003, 175, 179 Fn 55. 817 Zutreffend will Altmeppen bei Roth/Altmeppen § 13 Rn 127; ZIP 2001, 1837, 1834 f; ZIP 2002, 961, 966 f; NJW 2002, 321, 323 der Möglichkeit der Selbstentlastung immerhin die Grenze analog § 93 V 2 AktG, dh den Vorbehalt eines gröblichen Verschuldens ziehen. Altmeppen bejaht dieHaftung leitender Gesellschafter wegen negotiorum gestio bei gröblichem Verschulden.

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schaft gegen den Gesellschafter, nicht um einen „Durchgriff“ unter Missachtung der Gesellschaft. Allerdings sind die Gesellschaftsgläubiger außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht auf den Weg angewiesen, im Rahmen der Inanspruchnahme der Gesellschaft in deren Haftungsanspruch gegen den Gesellschafter zu vollstrecken. Die Gesellschaftsgläubiger können selbst aus dem Anspruch der Gesellschaft aktiv legitimiert sein. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens können sie, soweit sie von der Gesellschaft keine Befriedigung erhalten können, den Anspruch der Gesellschaft zu eigener Befriedigung geltend machen. Dies folgt aus einer Gesamtanalogie zu §§ 62 II, 93 V, 117 V, 309 IV 3, 310 IV, 317 IV AktG818.

g. Subsidiäres Eingreifen der Durchgriffshaftung? Die allgemeine zivilrechtliche Haftung aus negotiorum gestio ist wie andere 560 gesetzliche Tatbestände, zB die Haftung aus § 826 BGB, vorrangig vor der nur subsidiär zu erwägenden Durchgriffshaftung. Damit ist die Durchgriffshaftung nicht ausgeschlossen. Der Gedanke des Missbrauchs von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten ist ein allgemeiner Gedanke unseres Rechts. Auf die Durchgriffshaftung kommt es aber praktisch nicht an. Sie ist mit ihren ausfüllungsbedürftigen, aber kaum der Ausfüllung fähigen Floskeln zu einer rechtlichen Begrenzung der Betätigung in einer GmbH oder sonstigen juristischen Person letztlich nicht geeignet. Ein die Haftung wegen Missbrauchs der juristischen Person in Anspruch nehmender Gläubiger weiß gar nicht, was er alles vortragen muss oder soll, um den Richter zu dem Urteil zu bewegen, dass hier keine „angemessene“ Rücksicht auf das Eigeninteresse der Gesellschaft geübt worden ist. Es kann aber ohnehin nicht Sache des außerhalb der juristischen Person stehenden Gläubigers sein, alle möglichen und möglichst viele interne Umstände eines zweifelhaften Umgangs mit der Gesellschaft auszuspähen. Die Frage, was alles die Tatsacheninstanzen und wie sie die in Betracht kommenden Tatsachen berücksichtigen sollen, um entweder die Haftung (noch gerade) abzuweisen oder die Beklagten zu verurteilen, ist nicht programmierbar.

_____ 818 Wilhelm, Rechtsform und Haftung S 363 f; Altmeppen, ZIP 2001, 1846; Ulmer, ZIP 2001, 2027.

330 | D. Der Schutz des Vermögens der durch Eintragung entstandenen AG und GmbH

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I. Effektive und nominelle Kapitalveränderung | 331

E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

I. Effektive und nominelle Kapitalveränderung I. Effektive und nominelle Kapitalveränderung https://doi.org/10.1515/9783110595802-005

Die Reichweite der Kapitalaufbringungs- und -erhaltungspflicht wird bestimmt 561 durch die Stamm- bzw Grundkapitalziffer (nach unserem Bilanzrecht das „gezeichnete Kapital“ – §§ 266 III A I, 272 I 1 HGB –, landläufig Garantiekapital genannt, mit der Untergrenze des gesetzlichen Mindestbetrags festgelegt in der Satzung bzw dem Gesellschaftsvertrag). Dieses gezeichnete Kapital kann variiert werden. Die Kapitalgesellschaften können und sind durch die wirtschaftliche Entwicklung oder die Neuausrichtung ihrer Strategie häufig dazu genötigt, in vielfältiger Weise ihr Grund- oder Stammkapital anzupassen. Die Kapitalerhöhung gegen Einlagen haben wir schon als Parallele zur Gründung von Kapitalgesellschaften erkannt und skizziert819. Sie ist insbesondere dann angebracht, wenn die Gesellschaft ihre Eigenkapitalgrundlage für höhere Investitionen im Rahmen der Ausweitung ihres Erfolgs- und Geschäftskreises verstärken will. Eine andere Entwicklung ist, dass das Eigenkapital dauerhaft unter die satzungsmäßige Garantiekapitalziffer herab geschrumpft ist. In diesem Fall ist die Herabsetzung des Grund- oder Stammkapitals zu überlegen, die aber auch mit einer gleich im Anschluss daran durchgeführten Kapitalerhöhung gegen Einlagen verbunden werden kann. Im Folgenden ist die ganze Vielfalt der Kapitalveränderungsregelungen darzustellen. Dabei ist ein Fixpunkt im Auge zu behalten: Weil die Kapitalgesellschaften auf der Eigenkapitalausstattung durch ihre Gesellschafter aufbauen und die Anteilsrechte der Gesellschafter sich nach deren Eigenkapitalbeteiligung (genauer: der Aufteilung des Grund- oder Stammkapitals auf die Anteile der Gesellschafter) bemessen, sind Maßnahmen der Kapitalveränderungen Strukturmaßnahmen, die in die Rechte der Gesellschafter eingreifen und folglich Satzungsänderungen erfordern. Zu unterscheiden sind die effektive und die nominelle Kapitalerhöhung 562 und begrifflich auch, obwohl das Gesetz nicht so unterscheidet, die effektive und die nominelle Kapitalherabsetzung. Immer geht es um Eigen-, nicht um Fremdkapital. Gemeinsam ist den Kapitalmaßnahmen die Veränderung des satzungsmäßigen Grund- oder Stammkapitals. Was Kapitalveränderung bedeutet, ergibt sich aus den Begriffen des Kapitals und des Garantiekapitals: Wenn das Gesellschaftsvermögen wertmäßig, soweit sein Wert die Summe aus Verbindlichkeiten und sonstigen Belastungen überstieg, bisher in Höhe der Satzungszif-

_____ 819 O Rn 287 ff. https://doi.org/10.1515/9783110595802-005

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fer x der Gesellschaft als gebundenes Vermögen zustand, so steht es in Zukunft in Höhe von > x oder < x als gebundenes Vermögen zu. Unterschritt der die Belastungen übersteigende Vermögenswert die Ziffer x, war also das Garantiekapital nicht gedeckt, so kann durch eine Kapitalherabsetzung die Deckung erreicht werden. Überstieg der Vermögenswert sogar die Summe aus x + Belastungen, so kann durch eine Kapitalerhöhung erreicht werden, dass der Überschuss nicht mehr an die Gesellschafter auszahlbar, sondern als Bestandteil der Deckung des erhöhten Garantiekapitals in die Gesellschaft gebunden ist. Das sind Anpassungen des gezeichneten Kapitals an den tatsächlichen Vermögensstand der Gesellschaft, die sog nominellen Kapitalveränderungen. Ebenso kann aber auch das Ziel sein, dass die Gesellschafter eine Erhöhung des Kapitals durch Übernahme und Einzahlung neuer Einlagen bewirken oder dass in der Gegenrichtung aus vorhandenem gebundenem Vermögen auszahlbares Vermögen wird und die Gesellschafter Auszahlungen aus der Gesellschaft erhalten. Das sind die sog effektiven Kapitalveränderungen. Eine effektive Kapitalveränderung korrespondiert nicht notwendig mit einer entsprechenden Deckung des Garantiekapitals. Bei der effektiven Kapitalerhöhung ist weder Voraussetzung die Deckung des bisherigen Garantiekapitals noch entspricht die tatsächliche Vermehrung des Gesellschaftsvermögens notwendig einer Deckung des erhöhten Kapitals. Auf die bisherige Kapitalaufbringung nimmt nur die Vorschrift des § 182 IV 1 AktG Bedacht: Danach soll bei der AG das Grundkapital nicht erhöht werden, solange ausstehende Einlagen auf das bisherige Grundkapital noch erlangt werden können (Einschränkungen in S 2 und 3 der Vorschrift). Nach § 184 II ist in der Anmeldung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses zu erklären, welche Einlagen noch nicht geleistet sind und warum sie nicht erlangt werden können. Die Vorschriften gelten nicht für die bedingte Kapitalerhöhung (Gegenschluss aus § 192 III 2, 193 I 3 AktG). Für das genehmigte Kapital enthält § 203 III wieder entsprechende Vorschriften. Bei der GmbH gibt es nicht einmal derartige Bestimmungen, sie gelten auch nicht entsprechend820. Die effektive Kapitalerhöhung entspricht nur der Höhe des Betrages der von den Gesellschaftern nunmehr übernommenen Einlagen. Inwieweit die Übernahme der Einlagen zur Deckung des erhöhten gezeichneten Kapitals führt, hängt vom sonstigen Vermögen der Gesellschaft und vom Wert der Einlagenübernahme ab. Standen zB dem derzeitigen Grundkapital von 100.000 € ein

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820 RGZ 132, 392, 394. Der Unterschied liegt im Kapitalaufbringungssystem bei der GmbH begründet. So haftet für die offenen Einlagen ein neu eintretender Gesellschafter subsidiär mit (§ 24 GmbHG).

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 333

Differenzbetrag aus Aktiva minus Belastungen iHv 80.000 € gegenüber, war also das Grundkapital von 100.000 € nur iHv 80.000 € gedeckt und wird es nun um 100.000 € erhöht, und zwar effektiv, so vermehrt sich das Gesellschaftsvermögen, wenn die Einlagen der Gesellschafter dem Erhöhungsbetrag entsprechen und der Wert des Gesellschaftsvermögens sonst unverändert bleibt, um 100.000 €. Das neue Grundkapital beträgt dann 200.000 €, ist aber immer noch nicht voll, sondern nur iHv 180.000 € gedeckt. Nicht einmal die prozentuale Änderung der Deckung korrespondiert mit der effektiven Kapitalerhöhung. In unserem Beispiel war das Kapital vor der Erhöhung zu 80% gedeckt, nach der Erhöhung ist es zu 90%, also nur um 10% mehr gedeckt, obwohl die Aktiva auf mehr als das Doppelte gewachsen sind. Bei der effektiven Kapitalherabsetzung gibt es ebenfalls keine Entspre- 567 chung von Vermögensauszahlung und Deckung. Die Deckung des Grund- bzw Stammkapitals ist allerdings die Grenze der Auszahlung. Dies beruht auf der Vermögensbindung. Infolge der Vermögensbindung ist die Auszahlung des Gesellschaftsvermögens (bei der AG: die Gewinnauszahlung) dadurch begrenzt, dass die Deckung des neu festgesetzten Kapitals, dh ein positiver Saldo aus Aktiva minus Verbindlichkeiten/Belastungen in Höhe des neu festgesetzten Kapitals, übrigbleiben muss, vollständiger formuliert, dass die Auszahlung gehindert ist, soweit nach der Auszahlung der Saldo nicht (mehr) besteht. Für alle Beschlüsse über Kapitalveränderungen hat der Gesetzgeber das 568 Freigabeverfahren des § 246a AktG geschaffen, um einem Übermaß von Anfechtungsklagen zu steuern, wie es für die möglichst geschmeidige Anpassung der Gesellschaften an die wirtschaftliche Entwicklung erforderlich ist. Nach verbreiteter Ansicht ist § 246a AktG so wie auch das sonstige aktienrechtliche Anfechtungsrecht auf die GmbH analog anzuwenden820a.

II. Die effektive Kapitalerhöhung II. Die effektive Kapitalerhöhung

1. Möglichkeiten Nach Aktienrecht gibt es drei Möglichkeiten der effektiven Kapitalerhöhung: die 569 Kapitalerhöhung gegen Einlagen (§§ 182 ff), die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff) und das genehmigte Kapital (§§ 202 ff). Das GmbHG regelte bis zum Inkrafttreten des MoMiG nur die Kapitalerhöhung gegen Einlagen (§§ 55 ff), seit dem MoMiG gibt es auch bei der GmbH das genehmigte Kapital (§ 55a GmbHG).

_____ 820a Roth/Altmeppen/Roth § 57 Rn 14.

334 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

Die Kapitalerhöhung gegen Einlagen821 kann begrifflich entweder durch eine Erhöhung der bisherigen Beteiligungen oder die Übernahme neuer Beteiligungen, jeweils gegen Einlagen, geschehen. Denn das Grundkapital der AG ist in Aktien zerlegt (§ 1 II), und ebenso muss bei der GmbH der Gesamtbetrag der Geschäftsanteile (in deren Höhe Stammeinlagen zu übernehmen sind) mit dem Stammkapital übereinstimmen (§§ 5 III 3, 3 I Nr 4 GmbHG). Die Gesetze stellen freilich von den begrifflich in Betracht kommenden zwei Möglichkeiten nur die Möglichkeit der Ausgabe neuer Anteile zur Verfügung (§§ 182 I 1, 4 AktG, 55 II 1 GmbHG, nach § 55 III GmbHG bleiben alter und neuer Anteil selbstständig). Bei der GmbH ist aber in bestimmten Fällen doch die Erhöhung des Nennbetrags der „alten“ Geschäftsanteile für zulässig zu halten: § 55 II 1 und III GmbHG stehen im Zusammenhang mit der Sicherung der Einlagenaufbringung nach §§ 21 ff GmbHG, und zwar mit der Haftung des Rechtsvorgängers nach § 22. Der Rechtsvorgänger kann nicht durch eine Erhöhung des Nennbetrags des von ihm veräußerten Anteils beschwert werden. Folglich ist eine Erhöhung des Nennbetrags dann möglich, wenn die Haftung eines Rechtsvorgängers nicht in Betracht kommt. Dies ist zum einen bei voll eingezahlten Anteilen und zum anderen bei Anteilen, die sämtlich noch in der Hand der Gründer sind, der Fall821a. Nach § 56 AktG, der analog auch für die GmbH gilt, ist die Übernahme 571 neuer als eigener Anteile durch die Gesellschaft ausgeschlossen822. Selbst wenn diese Übernahme bei der GmbH aus stammkapitalübersteigenden Mitteln finanzierbar wäre, ist sie unzulässig823. Insoweit würde es sich nämlich um eine nominelle Kapitalerhöhung handeln, denn der Gesellschaft flössen keine neuen Mittel zu, vielmehr würde bisheriges freies Vermögen in gebundenes Vermögen umgewandelt. Dafür ist die Regelung der nominellen Kapitalerhöhung zu beachten. Wie soeben824 angeführt, soll bei der AG – im Unterschied zur GmbH – nach 572 § 182 IV 1 AktG das Grundkapital grundsätzlich (Einschränkungen in S 2, 3) nicht erhöht werden, solange ausstehende Einlagen auf das bisherige Grundkapital noch erlangt werden können. § 184 II zieht daraus Folgerungen für das

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821 Zu ihr bereits o Rn 287 ff in Gegenüberstellung der Kapitalerhöhung zur Gründung der Kapitalgesellschaft. 821a BGHZ 63, 116 (118). Zur Mindesteinzahlung auf den Erhöhungsbetrag BGH NZG 2013, 865. 822 Auch § 56 II AktG mit dem Ausschluss der Übernahme neuer Anteile durch abhängige Unternehmen ist anzuwenden (Raiser/Veil § 49 Rn 13). Zum Problem der Übernahme durch die KG bei der Einheits-GmbH&Co KG (KG hält alle Anteile an der GmbH) Veil aaO.Rn 14. 823 BGHZ 15, 391, 392. 824 Rn 565.

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 335

Eintragungsverfahren. §§ 192 III 2, 193 I 3 AktG ergeben, dass Gleiches nicht für die bedingte Kapitalerhöhung gilt, während § 203 III AktG für das genehmigte Kapital bei der AG entsprechende Vorschriften enthält.

2. Kapitalerhöhung gegen Einlagen a. Zustandekommen und Wirksamwerden Die Kapitalerhöhung gegen Einlagen vollzieht sich bei AG und GmbH in den 573 folgenden Schritten: Grunderfordernis ist, weil Grund- und Stammkapital in der Satzung festgelegt sind, ein satzungsändernder Beschluss der HV bzw Gesellschafterversammlung. Bei der AG ist der Beschluss über die Kapitalveränderung als besonderer Beschluss geregelt (§ 182 AktG825). Für die neue Höhe des Grundkapitals gibt die Rechtsprechung die Freiheit, die Ausführung innerhalb einer Mindest- und einer Höchstgrenze zu bestimmen825a. Bei Nennbetragsaktien ist der Nennbetrag der neuen Aktien festzulegen, bei Stückaktien ist die Zahl der jungen Aktien in demselben Verhältnis wie das Grundkapital zu erhöhen (§ 182 I 5 AktG). Nach § 182 III muss der Mindestbetrag festgesetzt werden, wenn die neuen Aktien für einen höheren als den geringsten Ausgabebetrag (s § 9 I AktG) ausgegeben werden sollen. Das GmbHG fasst die Kapitalerhöhung als Unterfall der in §§ 53 f GmbHG geregelten Änderung des Gesellschaftsvertrags auf (§ 55 I knüpft an §§ 53 f an). Die Rechtsprechung lässt auch hier den Beschluss über die Erhöhung bis zu einem Höchstbetrag zu, aufgrund dessen dann der Betrag einzutragen ist, der durch Übernahme von Anteilen erreicht ist825b. Das GmbHG unterscheidet vom Erhöhungsbeschluss in § 55 II 1 GmbHG den Zulassungsbeschluss, dh die Beschlussfassung darüber, wer zur Übernahme der neuen Anteile zuzulassen ist (die Altgesellschafter nach Maßgabe ihrer bisherigen Beteiligung oder, wenn das anteilige Bezugsrecht der Altgesellschafter mit deren Zustimmung oder durch satzungsändernden Mehrheitsbeschluss verringert oder ausgeschlossen wird, auch Dritte825c). Ob statt der Ausgabe neuer Anteile auch die Erhöhung des

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825 Es bedarf aber auch bei der AG der Satzungsänderung, die Vorschriften darüber sind ergänzend heranzuziehen, vgl Hüffer/Koch § 182 Rn 3. 825a RGZ 55, 65, 68 (noch zum HGB). Kommt es auf die Ausfüllung im Rahmen einer Bandbreite an, wird die Abgrenzung zum genehmigten Kapital problematisch: OLG München verlangt deshalb die Bestimmung einer Frist für den Durchführungszeitraum, der 6 Monate nicht überschreiten darf (AG 2010, 88, Raiser/Veil § 20 Rn 6 mit wN in Fn 12). 825b RGZ 85, 203, 207. Unzulässig dagegen, bei Beschließung eines bestimmten Betrages den dann tatsächlich erreichten einzutragen. 825c Zum Bezugsrecht und der Möglichkeit seiner Ausschließung u Rn 588 ff.

336 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

Nennbetrags der alten zulässig ist, war soeben ausgeführt825d. Die GmbH selbst kann sich nicht an der Erhöhung beteiligen (s § 56 AktG). Die Versammlung der AG und der GmbH ist bei ihrer Entschließung frei. Verträge, die die Gesellschaft zu einer Kapitalerhöhung verpflichten, sind insoweit unwirksam826. Das AktG verlangt eine Mehrheit von mindestens 3/4 des vertretenen 574 Grundkapitals (§ 182 I 1). Hinzukommen muss, wie immer, die Stimmenmehrheit827. Die Satzung kann eine andere Kapitalmehrheit, für die Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§§ 139 ff AktG) aber nur eine größere Kapitalmehrheit bestimmen (§ 182 I 2). Außerdem kann sie weitere Erfordernisse aufstellen. Sind mehrere Gattungen stimmberechtigter Aktien vorhanden827a, muss jede Gattung durch Sonderbeschluss zustimmen, für den Abs 1 über den grundsätzlich zu fassenden Beschluss gilt (§ 182 II). Das GmbHG verlangt eine Mehrheit von mindestens 3/4 der abgegebenen Stimmen (§ 53 II 1 GmbHG). Der Gesellschaftsvertrag kann noch andere Erfordernisse aufstellen. Bei AG und GmbH ist der Beschluss zur Eintragung in das Handelsregister 575 anzumelden (§§ 184 I AktG, 54 I 1 GmbHG). Bei der GmbH ist Voraussetzung der Anmeldung, dass das erhöhte Kapital durch Übernahme von Anteilen gedeckt ist (§ 57 I GmbHG). Erst wenn eingetragen wird, werden die Beschlussfassung über die Kapitalveränderung und diese selbst wirksam (§ 54 III GmbHG). Bei der AG trennt das Gesetz den Beschluss über die Kapitalerhöhung und seine Eintragung von der Durchführung mit der Zeichnung neuer Aktien und setzt dann für das Wirksamwerden der Kapitalerhöhung die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung voraus (§ 189). Erst für die Anmeldung der Durchführung muss die vollständige Übernahme der neuen Aktien mit der Mindestaufbringung gesichert sein (§ 188 II AktG)). Nach § 188 IV kann die Anmeldung

_____ 825d Rn 570. 826 OLG Schleswig NZG 2004, 1006. Die Unwirksamkeit steht nach Ansicht des Gerichts aber nicht der Anwendung des Vertrages insoweit entgegen, als die Gesellschaft zum Wertersatz für schon als Sacheinlage erbrachte Leistungen, und zwar nach der vertraglichen Bewertung der Leistungen, verpflichtet wird. Zur schuldrechtlichen Wirkung von Vereinbarungen über Kapitalerhöhungen Hermanns, ZIP 2003, 788. 827 Das kann bei Stimmrechtsbeschränkungen relevant sein, insbesondere bei nicht voll eingezahlten Aktien (§ 134 II 1 AktG). 827a Zur Gattung o Rn 217. Mit dem Merkmal stimmberechtigt sind die Vorzugsaktien ohne Stimmrecht ausgeklammert. Eines Beschlusses der Vorzugsaktionäre kann es aber nach § 141 II AktG bedürfen (Ausgabe neuer gleichberechtigter oder vorrangiger Vorzugsaktien). Zur Notwendigkeit, die HV der Obergesellschaft über eine Kapitalerhöhung der Tochtergesellschaft miteintscheiden zu lassen, nach dem Holzmüller-Urteil BGH 83, 122 u Rn 930 ff.

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 337

des Kapitalerhöhungsbeschlusses mit der Anmeldung der Durchführung verbunden werden. Daraus, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss mit Eintragung wirksam 576 wird, wurde früher gefolgert, dass es von der Eintragung an in der Zeit bis zur Eintragung der Durchführung zur Aufhebung des Beschlusses einer qualifizierten Mehrheit, und zwar bei der AG derjenigen entsprechend § 222 I AktG, bedürfe. Inzwischen hat sich die Meinung durchgesetzt, dass auch jetzt noch wie allgemein für die Aufhebung eines Beschlusses zur Satzungsänderung, der noch nicht wirksam geworden ist, vorbehaltlich der Satzung die einfache Mehrheit genügt (§ 133 AktG)828. Werden nach Eintragung des Beschlusses über die Kapitalerhöhung Wirksamkeitsmängel festgestellt, gelten die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft829. Der Vorstand muss die HV zur Aufhebung oder Änderung des mangelhaften Beschlusses für die Zukunft einberufen. Als Erfordernis nach dem Beschluss über die Kapitalerhöhung regeln die 577 Gesetze also die Übernahme der neuen Anteile in den schriftlichen Zeichnungsscheinen (§ 185 AktG) bzw den notariell aufgenommenen oder beglaubigten Übernahmeerklärungen (§ 55 I GmbHG)830. Daraus folgen die Mindestaufbringungspflichten. Für die Wirksamkeitserfordernisse und das Wirksamwerden von Zeich- 578 nungsscheinen und Übernahmeerklärungen gilt im Einzelnen das Folgende: Zunächst für die GmbH: Die Übernahme der neuen Anteile bei der GmbH bedarf einer notariell aufgenommenen oder beglaubigten Erklärung des Übernehmers (§ 55 I). Diese ist Bestandteil eines korporativen Akts, an dem auf der anderen Seite die Gesellschafterversammlung mitwirkt831. Die Gesellschafterversammlung kann aber einen Bevollmächtigten bestimmen, insbesondere den Geschäftsführer zum Abschluss des Übernahmegeschäfts ermächtigen. Die Bevollmächtigung ist nicht Bestandteil der satzungsändernden Regelung, also genügt für die Bestellung die einfache Mehrheit832. Nach der Auffassung des BGH833 unterliegt der Einmanngesellschafter, wenn er selbst den Beschluss

_____ 828 Hüffer/Koch § 182 Rn 16 mwN. 829 Zöllner, AG 1993, 68. Zur Frage auch Lutter/Leinekugel, ZIP 2000, 1225. 830 Zur Problematik der Anfechtung der Übernahmeerklärung, etwa wegen arglistiger Täuschung, (möglich bis zur Eintragung der (Durchführung) der Kapitalerhöhung, danach nicht mehr), s Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005 Fall 9. 831 S BGHZ 49, 117, 119. 832 Nicht zutreffend deshalb Raiser/Veil § 49 Rn 12. Die einfache Mehrheit hat auch Vertretungsmacht dazu, selbst den Übernahmevertrag abzuschließen. Insoweit ist nicht etwa die Mitwirkung aller Gesellschafter als Gesamtvertreter nötig. S OLG Frankfurt AG 1981, 230, dazu Mertens, AG 1981, 216. 833 AaO Fn 831.

338 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

der Gesellschafterversammlung fasst und auf der anderen Seite selbst die neuen Anteile übernimmt, dem Verbot des Selbstkontrahierens nach § 181 BGB834. Durch die Übernahme unter Mitwirkung der Gesellschafterversammlung 579 erwirbt der Übernehmer bei der GmbH den neuen Geschäftsanteil noch nicht. Durch die mit den Einlageversprechen verbundene Übernahme von Geschäftsanteilen wird die Kapitalerhöhung „gedeckt“ (§ 57 I GmbHG), sie ist aber noch von der Eintragung abhängig (§ 54 III GmbHG). Im Zeitraum vor der Anmeldung gelten die Erfordernisse hinsichtlich der 580 Mindestleistung auf die Einlage. §§ 56a, 57 II GmbHG verweisen auf das Gründungsrecht (unter Ausklammerung des in § 7 II 2 bestimmten Erfordernisses der Einlageleistung in Höhe der Hälfte des Stammkapitals). Trotz solcher Leistungen hat der Übernehmer aber keinen Anspruch auf Erfüllung des Kapitalerhöhungsbeschlusses, aus dessen Verletzung ein Anspruch auf das positive Interesse abgeleitet werden könnte834a. Der Übernehmer erwirbt auch nicht unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung, vielmehr ist der Erwerb unsicher, bis alle Geschäftsanteile gezeichnet sind und die Kapitalerhöhung durch Eintragung wirksam geworden ist. Die hM wendet auf das Scheitern der Eintragung oder das Abstandnehmen von ihr das Rücktrittsrecht des Übernehmers wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage an (§ 313 III BGB)834b. Für den Fall, dass der Übernehmer seine Erklärung befristet hat, hat der BGH §§ 163, 158 II BGB mit der automatischen Beendigung des Übernahmevertrages angewandt834c. In der Tat ist fraglich, wovon bei Scheitern der Eintragung der Übernehmer noch zurücktreten soll. Wem der Bereicherungsanspruch wegen schon geleisteter Zah-

_____ 834 Mit Recht kritisch Baumbach/Hueck/Fastrich/Zöllner § 55 Rn 35, Raiser/Veil § 49 Rn 12. Der BGH entwertet die Schranke des § 181 BGB sogleich wieder, indem er § 181 BGB dadurch für ausschaltbar erklärt, dass der Einmanngesellschafter als Gesellschafterversammlung den Geschäftsführer (eine von ihm vollständig abhängige Person) zum Abschluss des Übernahmevertrages auf Seiten der Gesellschaft ermächtigen und zugleich durch den Geschäftsführer, unter Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens, sich selbst bei der Übernahme der Anteile vertreten lassen könne. § 181 BGB ist demgegenüber bei Einmann-Gesellschaften auf die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung überhaupt nicht anwendbar. Für die Beschlussfassung von Gesellschafterversammlungen ist § 47 IV 2 GmbHG maßgeblich. Dieser gilt für den Einmanngesellschafter nicht, s Wilhelm Rechtsform und Haftung S 148 ff. 834a BGHZ 140, 258. Die GmbH kann allerdings aus den zugrunde liegenden Absprachen zur Förderung der Kapitalerhöhung verpflichtet sein. Auch dann sind die Gesellschafter aber in der Vollendung der Kapitalerhöhung frei. Der Abbruch der Bestrebung zur Eintragung der Kapitalerhöhung begründet, wenn darin eine Verletzung der Förderpflicht liegt, nur die Haftung auf den Vertrauensschaden (BGH NJW 2015, 3786). 834b Roth/Altmeppen/Roth § 55 Rn 15 mwN. 834c BGHZ 140, 258.

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 339

lungen zu schwach erscheint, der möge sich bei der verschärften Haftung der Gesellschaft aus § 820 I 1 BGB beruhigen. Mit Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses der GmbH treffen 581 den Übernehmer nicht nur die Pflicht zur Zahlung der eigenen (Rest)einlage, sondern auch die Mithaftung für noch offene Einlagen der anderen, auch der Altgesellschafter (§ 24 GmbHG)834d. Willens- oder Formmängel bei der Übernahmeerklärung können nicht mehr geltend gemacht werden. Nur Mängel der Zurechnung (Mangel der Geschäftsfähigkeit, nicht zurechenbarer Mangel der Vertretungsmacht) sind einwendbar834e. Bei der AG kann der Kapitalerhöhungsbeschluss schon vor der Übernahme 582 der neuen Aktien zum Handelsregister angemeldet werden (§§ 184, 188 IV AktG)835. Die Übernahme der neuen Aktien geschieht hier durch „Zeichnung“836. Diese bedarf der schriftlichen Erklärung, des sogenannten Zeichnungsscheins (§ 185 I 1AktG). Die andere Erklärung geschieht in Vertretung der AG, dh durch den Vorstand837. Aktien oder Zwischenscheine können vor der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung nicht ausgegeben werden (§ 191 AktG) Hinsichtlich des Aktienerwerbs ist die Lage wie bei der GmbH: Durch die 583 Zeichnung erwerben die Zeichner die Aktien noch nicht (§ 191 AktG), auch kein Anwartschaftsrecht. Es gilt nur, dass, wenn das neue Kapital gezeichnet ist, diejenige Eintragung in das Handelsregister erfolgen kann, die die Kapitalerhöhung bei der AG wirksam macht. Dies ist die Eintragung der Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals (§ 189 AktG). Die Zeichnung wird im Zeichnungsschein mit einer Frist versehen, mit deren Ablauf die Zeichnung unverbindlich wird, wenn nicht bis dahin die Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals erreicht ist (§ 185 I 3 Nr 4 AktG). Erst von der Eintragung der Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals an können die neuen Aktien ausgegeben werden (§ 191 AktG).

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834d RGZ 132, 392. Konsequent ist auch die Haftung der Altgesellschafter bei Uneinbringlichkeit von Einlagen der Neugesellschafter, RGZ 93, 251. Des Schutzes bedarf nur ein Gesellschafter, der seinen Anteil abgetreten hatte, vor der Haftung für Ausfälle beim Rechtsnachfolger nach § 22 GmbHG (s o Rn 570). 834e BGH ZIP ConsulTrust ZIP 2017, 2295. 835 Zum Problem fehlerhaft angemeldeter Kapitalerhöhungen Lutter/Leinekugel, ZIP 2000, 1225. 836 Praktisch wird das Zeichnungserfordernis idR durch die Zusage einer Bank oder eines Bankenkonsortiums erfüllt, die neuen Aktien zwecks Unterbringung im Publikum zu übernehmen. Diese Praxis berücksichtigt § 186 V AktG, der bestimmt, dass durch diese Übernahme das Bezugsrecht der Aktionäre nicht ausgeschlossen wird, und weiter das Bezugsangebot durch den Übernehmer an die Aktionäre regelt. 837 § 185 IV AktG, der jede nicht im Zeichnungsschein enthaltene Beschränkung der Gesellschaft gegenüber für unwirksam erklärt, bedeutet eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands (Brodmann KomAktienrecht 1928 § 281 HGB Anm 2 S 449).

340 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

Die Anmeldung der Durchführung ist in § 188 AktG geregelt. Wie die Regelung der Anmeldung des Kapitalerhöhungsbeschlusses im GmbH-Recht verweist § 188 II 1 AktG bezüglich der Erfordernisse der Mindesteinlage auf das Gründungsrecht. Durch Gutschrift auf ein Konto des Vorstands kann die Einzahlung aber hier nicht geleistet werden (§ 188 II 2 AktG)838. Zum Merkmal der Leistung zu freier Verfügung (§ 188 II 1 iVm § 36 II) war schon zum Gründungsrecht das Nötige ausgeführt838a. Besonders geregelt ist die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen (§§ 183 585 AktG, 56 GmbHG). Im Wesentlichen wird hier das Gründungsrecht wieder aufgenommen. §§ 183 I 1 AktG, 56 I GmbHG verlangen die der Regelung des Gründungsakts entsprechenden Festsetzungen im Kapitalerhöhungsbeschluss. Wie bei der Gründung besteht zwischen AG und GmbH die Verschiedenheit betreffs der Gründungsprüfung: Bei der AG wird grundsätzlich eine Prüfung vorgeschaltet (§ 183 III AktG). Das ARUG hat aber für die Gründung in § 33a, für die Kapitalerhöhung in § 183a AktG Ausnahmen eingefügt. Demgegenüber steht es bei der GmbH im Ermessen des Registerrichters, die ordnungsgemäße Bewertung der Sacheinlagen im Eintragungsverfahren nachzuprüfen (§ 57a iVm § 9c GmbHG). Mit dieser Unterschiedlichkeit hängt folgender Gegensatz zusammen: Bei der AG ist die subsidiäre Barzahlungspflicht nur im Fall der Unwirksamkeit der Sacheinlagebestimmung statuiert (durch § 183 I AktG iVm § 27 I AktG: Regelung der Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Sacheinlage, wenn nicht die Barzahlungspflicht eingreifen soll). Das GmbHG enthält demgegenüber neben dieser Zahlungspflicht, die sich aus dem Fehlen der Voraussetzungen für eine wirksame Sacheinlage ergibt, auch die Pflicht zu einer ergänzenden Zahlung dann, wenn der Wert der Sacheinlage im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung nicht den Betrag der dafür übernommenen Stammeinlage erreicht (§ 56 II, § 9 GmbHG, Differenzhaftung). Bei der AG wird die Differenzhaftung aber aus dem Kapitaleinlageversprechen des Zeichners gefolgert839. Bei der AG bezieht das Gründungsrecht die Sacheinlageregelung auch auf 586 Sachübernahmen (§ 27 I 1 AktG), dies wird in § 183 I AktG für die Kapitalerhöhung nicht wiederholt. An beiden Stellen wird die Heilung einer unwirksamen Sacheinlagebestimmung durch nachträgliche Satzungsänderung ausdrücklich

584

_____ 838 Der Vorstand muss bei Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung versichern, dass Bareinzahlungen gemäß dem Kapitalerhöhungsbeschluss in seine uneingeschränkte Verfügungsmacht gelangt sind, BGH NJW 2002, 1751, zum pflichtgemäßen Ermessen des Registerrichters BayObLG DB 2002, 1544. Zu Voreinzahlungen auf künftige Kapitalerhöhungen o Rn 355 ff sowie Kort, DStR 2002, 1223. 838a Rn 268 f, 355. 839 Spindler/Stilz/Servatius Kom AktG 2007 § 183 Rn 64.

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 341

ausgeschlossen (§§ 27 IV, 183 II 4 AktG). Die zeitlichen Sperren indessen, die das Gründungsrecht für die Änderung oder Aufhebung wirksamer Sacheinlagebestimmungen setzt (§ 27 V), finden sich im Kapitalerhöhungsrecht nicht. § 56 II GmbHG verweist für die GmbH neben der Bestimmung über die er- 587 gänzende Leistungspflicht bei zu geringem Wert der Sacheinlage (§ 9 GmbHG) auf den Aufrechnungsausschluss vorbehaltlich der Erfüllung der Voraussetzungen für eine Sacheinlage (§ 19 II 2). Für die AG ergibt sich der Aufrechnungsausschluss aus § 66 I 2 AktG. Was die bei Anmeldung (der Durchführung) der Kapitalerhöhung nachzuweisende Erfüllung der Mindestzahlungspflicht betrifft, kommt insoweit eine Aufrechnung ohnehin nicht in Betracht. Zum Problem der Vorauszahlungen auf die übernommene Einlage ist schon zum Gründungsrecht das Nötige gesagt839a.

b. Das Bezugsrecht der Gesellschafter Nach § 186 I 1 AktG haben die Aktionäre, auch Vorzugsaktionäre betreffend 588 neue Stammaktien und Aktionäre betreffend neue Vorzugsaktien, aber nicht die Gesellschaft aus eigenen Aktien (§ 71b AktG) bei der Kapitalerhöhung ein Recht auf den Bezug eines Teils der neuen Aktien, der ihrem bisherigen Anteil am Grundkapital entspricht839b. Das Bezugsrecht entsteht mit der Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister840. Es wird durch einseitige Erklärung gegenüber der Gesellschaft ausgeübt, die das Recht auf die dem Bezugsrecht und den Ausgabebedingungen840a entsprechende Zeichnung von Aktien oder Zwischenscheinen840b begründet. Das Bezugsrecht ist aber auch möglicher Gegenstand von Verfügungen. Bei der Zeichnung aufgrund des Bezugsrechts gilt wieder: Vor der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung kann die Gesellschaft die der Zeichnung entsprechenden Aktien oder Zwischenscheine nicht ausgeben (§ 191 AktG). Das Bezugsrecht ist selbstverständliche Konsequenz der Mitgliedschaft an der Gesellschaft. Kraft der Mitgliedschaft an der Gesellschaft haben die Aktionä-

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839a O Rn 355 ff. 839b Wird das Grundkapital um einen Prozentsatz erhöht, auf den der bisherige Aktienbesitz des Aktionärs nicht teilbar ist, entsteht ein überschüssiges Bezugsrecht, das veräußerlich ist. 840 LG Düsseldorf AG 1999, 238. Kein Bezugsrecht der Aktionäre der Muttergesellschaft bei Kapitalerhöhungen der Tochtergesellschaft, Kort, AG 2002, 369, Raiser/Veil § 20 Rn 15. 840a Bekanntmachung der Bezugsfrist von mindestens 2 Wochen und der übrigen Bedingungen durch den Vorstand in den Gesellschaftsblättern (§ 186 II 1 iVm Abs 1 S 2 AktG). Die Bedingungen dürfen nicht so gefasst sein, dass sie einem faktischen Bezugsrechtsausschluss gleichkommen, Raiser/Veil § 20 Rn 16 mN in Fn 32. 840b Zu den Zwischenscheinen o Rn 226.

342 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

re Anteil auch an der Erweiterung der Gesellschaft, wenn sie an der Erweiterung teilnehmen wollen. Deshalb kommt ein Recht auf den Bezug der neuen Anteile, obwohl das GmbHG davon, auch im neuen § 55a GmbHG über das genehmigte Kapital, nicht ausdrücklich spricht, in analoger Anwendung des § 186 I, III, IV AktG auch den Gesellschaftern der GmbH zu841. Die Bedeutung insbesondere des Bezugsrechts der Aktionäre zeigt sich in 589 folgenden Faktoren: 1.

2.

3.

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Das Bezugsrecht hat Vermögenswert. Zur Unterbringung im Publikum werden die neuen Aktien bei der Festsetzung des Ausgabebetrags über pari (§ 9 AktG) mit einem Kursabschlag ausgegeben. Das Bezugsrecht ist das Recht zum Erwerb von Aktien unter Kurswert. Durch den geringeren Gegenwert für die neuen Aktien, obwohl die neuen Aktionäre entsprechend ihrer Quote gleichberechtigt beteiligt werden, ergibt sich für die bisherigen Aktien vermögensmäßig ein Verwässerungseffekt (value dilution)842. Durch die neuen Beteiligungen ändern sich die Stimmverhältnisse (Verwässerung des Simmrechtsgewichts, voting dilution), möglicherweise geht eine Sperrminorität bisheriger Aktionäre gegenüber Beschlüssen verloren, die eine qualifizierte Kapitalmehrheit erfordern. Weiter sind die Minderheitsrechte aus §§ 93 IV 3, 120 I 2, 122 II, 142 II 1, 147, 148, 258 II 3, 309 III 1, 317 IV iVm 309, 318 IV iVm 309 bedroht. Möglich ist auch, dass die AG sich in die Abhängigkeit von einem neuen Aktionär begibt. Die Folge kann sein, dass die Kurse der abhängig werdenden AG fallen.

Zusicherungen neuer Aktien an einzelne Gesellschafter oder Dritte stehen unter dem Vorbehalt des Bezugsrechts (§ 187 I AktG842a). Solche Zusicherungen sind denkbar, wenn die Gesellschaft ein Unternehmen erwerben und dem Veräußerer Aktien einräumen will, aber auch zu den weiteren Zwecken, die § 192 II AktG für die bedingte Kapitalerhöhung nennt. Um insbesondere Zusicherungen an Dritte zu erfüllen, kann, freilich nur im 591 Beschluss über die Kapitalerhöhung, das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen werden. Als Ausschluss gilt nach § 186 V AktG nicht die Emission über Banken und entsprechende Institute mit der Verpflichtung iSv § 328 BGB842b, die neuen Aktien den Aktionären zum Bezuge anzubieten842c. Es kommt

590

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841 Baumbach/Hueck/Fastrich/Zöllner § 55 Rn 20 ff. 842 Zur Berechnung des Verwässerungseffekts Köhler, AG 1985, 52. Zur Angemessenheitskontrolle hinsichtlich des Ausgabebetrags für die neuen Aktien (vorbehaltlich der Zustimmung aller Gesellschafter) bei personalistischen Aktiengesellschaften (kein Ausgleich über den Börsenkurs möglich) Rottnauer, ZGR 2007, 401 im Anschluss an OLG Stuttgart NZG 2000, 156 (Rottnauer S 403, 439). 842a Solche vor dem Erhöhungsbeschluss sind der Gesellschaft gegenüber unwirksam, § 187 II AktG. 842b BGHZ 114, 203, 208.

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 343

in § 186 V S 2 Hs 2 AktG noch eine Gleichstellung des mittelbaren Bezuges über andere Übernehmer als die zuvor genannten Institute. Diese bezieht das Gesetz aber nur auf die Veröffentlichung der Bezugsbedingungen in den Gesellschaftsblättern, aber nicht auf die Bestimmung über die Nichtgeltung als Bezugsrechtsausschluss. Die Rechtsprechung stellt den mittelbaren Bezug konsequent dem unmittelbaren gleich: So ist es keine verdeckte Sacheinlage, wenn die von der übernehmenden Bank eingezahlten Einlagen zur Erfüllung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber der Bank verwendet werden und die Bank ihre Position als fremdnützige Treuhänderin nicht verlassen hat842d. Die Bank ist nämlich bloße fremdnützige Treuhänderin, wenn sie alle Aktien im Wege des mittelbaren Bezuges an die Aktionäre unterbringt. Bleiben unabgesetzte Spitzen oder werden Bezugsrechte nicht ausgeübt, bleibt die Bank trotzdem fremdnützig tätig, sofern sie solche Anteilsrechte auf dem Markt unterbringen und den Erlös der Gesellschaft zuführen soll. Diese Rechtsstellung bleibt bestehen, solange die Bank noch Aussicht auf Unterbringung hat und sich darum bemüht. Die Haftung nach den Grundsätzen über die verdeckte Sacheinlage trifft die Bank aber dann, wenn sie durch Ausübung von Rechten aus den Aktien oder durch Selbsteintritt die Treuhänderstellung verlässt. Im Gegensatz zu dieser Trennung zwischen der fremdnützigen Einlegerposition der Bank und ihrer Eigenposition bei Zahlung von Forderungen an sie begründet die Verwendung der von der Bank aufgebrachten Einlagemittel zugunsten der Bank dann eine fehlerhafte Kapitalaufbringung, wenn die gezahlten Mittel absprachegemäß der Finanzierung des Bezugspreises der Altaktionäre dient, die von ihrem mittelbaren Bezugsrecht Gebrauch machen. In diesem Fall erwerben die Altaktionäre auch nicht etwa die Aktien von der Bank gutgäubig lastenfrei. Denn die Altaktionäre erwerben im Rahmen des mittelbaren Bezuges, folglich rechtlich nicht als Zweiterwerber iSv §§ 932, 953 BGB842e. Als Voraussetzung für den Beschluss über die Ausschließung des Be- 592 zugsrechts schreibt das Gesetz eine Kapitalmehrheit von mindestens 3/4 des vertretenen Kapitals vor (§ 186 III AktG, die Satzung kann hier nur verschärfen, § 186 III 3 AktG). § 186 IV verlangt die Bekanntmachung des vorgesehenen Ausschlusses als Punkt in der Tagesordnung (§ 124 I AktG) und einen Bericht des Vorstands, der die genaue Abwägung zur Rechtfertigung des Ausschlusses und zum Ausgabepreis enthalten muss. Reicht die Erklärung nicht, kommt die

_____ 842c Zum Erwerb zusätzlicher Aktien durch die Emissionsbanken im Rahmen einer sog Greenshoe-Option u Rn 759. 842d BGHZ 118, 83 ff. 842e BGHZ 122, 180.

344 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

Anfechtung wegen Verletzung der Gleichbehandlung (§ 255 I iVm §§ 243, 53a AktG), wegen Sondervorteilserstrebung (§ 255 iVm § 243 II AktG) oder wegen unangemessen niedrigen Bezugspreises (§ 255 II AktG) in Betracht. Nach einer Auffassung in der Literatur, die sich auf die analoge Anwendung 593 von § 186 III 1 AktG beruft, gilt das Erfordernis der qualifizierten Kapitalmehrheit (zusätzlich zum Erfordernis der 3/4-Stimmenmehrheit nach § 53 II 1 GmbHG) auch für den Bezugsrechtsausschluss bei der GmbH843. Weiter werden Ankündigung und Begründung wie nach § 186 IV AktG auch für die GmbH verlangt844. Die Rechtsprechung hat die empfindliche Beeinträchtigung der Gesellschaf594 ter durch den Bezugsrechtsausschluss unter eine gegenüber dem Gesetz noch verschärfte materielle Beschlusskontrolle gestellt. Leitend ist das Urteil Kali & Salz845. Allein maßgeblich für die darin eröffnete Prüfung ist nach dem Urteil der Bericht des Vorstands846. Nach den Grundsätzen des Kali & Salz-Urteils ist der Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts nach §§ 243, 255 AktG anfechtbar, wenn der Ausschluss nicht im Interesse der AG sachlich zu rechtfertigen ist (Erfordernis des sachlichen Grundes)847. Weiter darf der Zweck nicht auf schonendere Weise erreichbar sein (Grundsatz der Erforderlichkeit)848. Dritte

_____ 843 Baumbach/Hueck/Fastrich/Zöllner § 55 Rn 25; Ulmer/Ulmer § 55 Rn 44 ff. Die Begünstigung eines Gesellschafters durch Beschränkung des Bezugsrechts der anderen ist eine korporative Entscheidung. Der Begünstigte kann mitstimmen. 844 Baumbach/Hueck/Fastrich/Zöllner aaO mwN. 845 BGHZ 71, 40. S a BGHZ 120, 141, 145f(Bankverein Bremen); 125, 239, 241 (Deutsche Bank), ZIP 1995, 372, 373 (Siemens/Nold). 846 BGHZ 83, 319, 326; OLG Celle AG 2002, 292, 293. 847 Sehr differenzierte Prüfung mit dem Ergebnis, dass keine Rechtfertigung vorlag, bei OLG Celle aaO. Ein typischer Fall der sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses ist das Bestreben der Gesellschaft, eine Sacheinlage zu erwerben. Hier muss das Bezugsrecht der Aktionäre um der Übernahme der Anteile durch den Sacheinleger willen ausgeschlossen werden. Denn die Sacheinlage kann nun einmal nur vom Sacheinleger und nicht von den Aktionären, die die Sache ja nicht haben, eingebracht werden. Im Kali & Salz-Urteil hat der BGH die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses ohne weiteres bejaht, weil die Gesellschaft eine Sacheinlage aufnehmen wollte (BGHZ 71, 40, 46 f). Zu beachten war aber, dass das Bezugsrecht zugunsten des Großaktionärs der Gesellschaft ausgeschlossen wurde. Hier kommt alternativ in Betracht, dass das Kapital so weit erhöht wird, dass allen Aktionären das Bezugsrecht gewährt werden kann und auf den Großaktionär ein genügender Anteil entfällt, dass er darauf die Sacheinlage einbringen kann. So mit Recht Flume I/2 § 7 III S 214 f. – Ein weiteres Beispiel für die Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses ist die Ausgabe der neuen Aktien als Belegschaftsaktien, s § 192 II Nr 3 AktG. Zum sachlichen Grund Bezzenberger, ZIP 2002, 1917. 848 Will die AG die neuen Anteile bestimmten Aktionären aus Gründen des Überfremdungsschutzes (statt der Abwehr gesellschaftsschädlicher Gefahren) zuwenden, so ist dies kein legitimes Interesse (Hüffer/Koch § 186 Rn 32), der Überfremdungsschutz kann auch durch die Vin-

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 345

Voraussetzung ist das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit ieS: Gemäß der konkreten Situation darf der Nachteil für die Gesellschafter nicht außer Verhältnis zu dem Vorteil der Gesellschaft stehen. Dieses Erfordernis galt nach der früheren Rechtsprechung des BGH generell. Jetzt hat der BGH es für das genehmigte Kapital (Im Fall: bei der AG) eingeschränkt849: Bei der Ermächtigung zur Kapitalerhöhung an den Vorstand ist eine Überprüfung im Hinblick auf das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit noch nicht möglich, weil das Ziel der Maßnahme noch nicht feststeht. Die Möglichkeit zu solchen Ermächtigungen ist aber um der unternehmerischen Flexibilität auf den internationalen Kapitalmärkten willen unentbehrlich und deshalb vom Gesetzgeber eingeräumt. Genaue Angaben im Voraus sind schon aus Geheimhaltungsinteressen aus unternehmensstrategischen Gründen ausgeschlossen. Bei der gewöhnlichen Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen gilt das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit aber weiterhin850. Die Rechtsprechung des BGH zur sachlichen Rechtfertigung ist mit europä- 595 ischem Recht vereinbar. Der BGH hatte im Siemens/Nold-Verfahren gezweifelt, ob seine Rechtsprechung mit der Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie in Einklang stehe, und die Frage gemäß Art 177 EGV (jetzt Art 234 EG) dem EuGH vorgelegt851. Aus der Umsetzung der Richtlinie stammt allerdings schon die Vorschrift des § 186 IV 2 AktG, wonach der Vorstand der HV, wenn ein Bezugsrechtsausschluss vorgesehen ist, einen schriftlichen Bericht über den Grund des Ausschlusses vorzulegen hat. Freilich hatte die Richtlinie nur bei der Barkapitalerhöhung ein Bezugsrecht vorgesehen852. Im Fall des BGH war demgegenüber ein Bezugsrechtsausschluss iR einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen zu prüfen. Da bei der Sachkapitalerhöhung nach der Richtlinie kein Bezugsrecht und demgemäß auch kein Bezugsrechtsausschluss vorgesehen sind, war daraus gefolgert worden, die Sachkapitalerhöhung unterliege nach der Richtlinie lediglich einer Missbrauchskontrolle, der Bezugsrechtsausschluss sei iÜ an keinerlei Voraussetzungen geknüpft853. Der EuGH ist dem nicht gefolgt854. Aus dem Umstand, dass die Richtlinie nur bei der Barkapitalerhöhung ein Bezugsrecht vor-

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kulierung der Aktien erreicht werden (§ 68 II AktG). Zu der aus der Voraussetzung der Erforderlichkeit folgenden Berichtspflicht Natterer, ZIP 2002, 1672. 849 Unten Rn 610 ff. 850 OLG Celle AG 2002, 292. 851 ZIP 1995, 372; dazu Natterer, ZIP 1995, 1481. 852 Art 29 I der Richtlinie. 853 Kindler, ZHR 158 (1994) 339, 361 f; der BGH greift diese Argumentation im Vorlagebeschluss auf, BGH ZIP 1995, 372, 374. 854 EuGH Rs C-42/95 Slg 1996, I-6017 = ZIP 1996, 2015 (Siemens/Nold); s auch den Schlussantrag des Generalanwalts Tesauro ZIP 1996, 1825.

346 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

sehe, könne nicht geschlossen werden, dass ein Bezugsrecht bei einer Sachkapitalerhöhung unzulässig sei855. Eines der Ziele der Richtlinie bestehe darin, einen wirksameren Schutz der Aktionäre zu gewährleisten, daher entspreche die Rechtsprechung des BGH der Richtlinie856. In seiner Fassung, die das AktG durch das Gesetz über die kleine AG857 er596 halten hat, hat das Gesetz inzwischen für börsennotierte Gesellschaften das Erfordernis der sachlichen Rechtfertigung beschränkt, gerade dadurch hat es aber auch mittelbar die grundsätzliche Geltung des Erfordernisses zum Ausdruck gebracht. In § 186 III ist ein S 4 eingefügt, wonach der Ausschluss des Bezugsrechts insbesondere dann zulässig ist, wenn die Kapitalerhöhung 10% des Grundkapitals nicht überschreitet und der Ausgabebetrag den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet. Da der Bezugsrechtsausschluss in § 186 III 1 bereits für zulässig erklärt ist, ist § 186 III 4 vordergründig sinnlos. Die Bestimmung hat nur Sinn vor dem Hintergrund des von der Rechtsprechung praeter legem entwickelten Erfordernisses der materiellen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll es, sofern die Voraussetzungen des § 186 III 4 AktG nF erfüllt sind, einer sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses iS der Rechtsprechung des BGH nicht bedürfen858. Im Recht der GmbH gilt das Erfordernis der materiellen Rechtfertigung des 597 Bezugsrechtsausschlusses uneingeschränkt859. § 186 III 4 AktG kann schon wegen seiner Verweisung auf den Maßstab des Börsenpreises nicht entsprechend angewandt werden.

3. Die bedingte Kapitalerhöhung bei der AG 598 Das AktG regelt als besondere Art der effektiven Kapitalerhöhung die bedingte

Kapitalerhöhung (§§ 192 ff AktG). Bei der bedingten Kapitalerhöhung wird das

_____ 855 EuGH Rs C-42/95 Slg 1996, I-6017 Rn 16 = ZIP 1996, 2015, 2017 (Siemens/Nold). 856 EuGH Rs C-42/95 Slg 1996, I-6017 Rn 19, 21 = ZIP 1996, 2015, 2017 (Siemens/Nold). Ausführliche Diskussion bei Natterer, Kapitalveränderung der Aktiengesellschaft, Bezugsrecht der Aktionäre und ‚sachlicher Grund‘, 2000, S 237 ff. 857 S o Rn 76 ff. 858 So die Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucks 12/6721, S 10 re Sp u; s auch die umfangreiche Rechtfertigung der Neuregelung durch den daran beteiligten Referenten im Bundesjustizministerium, Seibert in: Seibert/Köster/Kiem Die kleine AG 1996 Rn 180a ff. Anwendungsfall zum Recht der Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss bei Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005, Fall 3. 859 Baumbach/Hueck/Fastrich/Zöllner § 55 Rn 26 f.

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 347

Grundkapital nur insoweit aufgestockt, als von den Bezugsrechten Gebrauch gemacht wird, die die Gesellschaft hat (zur Möglichkeit § 221 I 1 AktG) oder auf die neuen Aktien („Bezugsaktien“) einräumt (§ 192 I). Mit den Umtauschrechten der Gesellschaft ist die Besonderheit von Titeln Dritter gemeint, bei denen die Gesellschaft das Recht hat, die Umwandlung zu verlangen859a. Der Beschluss zur bedingten Kapitalerhöhung begründet die Möglichkeit, dass aufgrund der Umwandlungsrechte die in § 198 AktG geregelte Bezugserklärung abgegeben wird, die zum Abschluss des Zeichnungsvertrags bindet. Mit der Ausgabe der Bezugsaktien (dazu § 199 AktG) wird das Grundkapital erhöht ( § 200 AktG). Eine bedingte Kapitalerhöhung „soll“ nach § 192 II „nur“ zu den Zwecken der Nrn 1–3 der Vorschrift beschlossen werden: zu dem Bezug von Aktien durch Inhaber von Wandelschuldverschreibungen859b, zur Vorbereitung des Zusammenschlusses mehrerer Unternehmen oder zur Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens (sog stock options oder, weil nicht mit Wandelschuldverschreibungen verknüpft, „isolierte Bezugsrechte“860). Die Wandelschuldverschreibungen des § 192 II Nr 1 sind in § 221 AktG gere- 599 gelt. § 192 II Nr 1 AktG spricht vom Zweck der Gewährung von Umtausch- oder Bezugsrechten aufgrund von Wandelschuldverschreibungen. Zu dem Zweck dieser Gewährung ist das Mittel die bedingte Kapitalerhöhung. Die beiden Arten der Wandelschuldverschreibungen (die zweite nennt man Optionsanleihen) sind in § 221 I AktG aufgeführt. Wenn die bedingte Kapitalerhöhung Mittel zum Zweck der Gewährung von Wandelschuldverschreibungen ist, ist die Hingabe von Wandelschuldverschreibungen gegen die Bezugsaktien selbstverständlich keine Sacheinlage (§ 194 I 2 AktG). Nach § 221 IV AktG haben die Aktionäre ein Bezugsrecht auf die Wandelschuldverschreibungen, deren Ausgabe die HV nach § 221 I AktG beschließt. Das Bezugsrecht kann nach § 221 IV 2 iVm § 186 AktG ausgeschlossen werden. Nach der Ansicht des BGH kann die HV sogar analog § 203 II 1 AktG den Vorstand zum Bezugsrechtsausschluss ermächtigen861.

_____ 859a RegE Aktienrechtsnovelle 2016 BT-Drs 18/4349, S 27. In der Lit sog umgekehrte Wandelanleihen (Hüffer/Koch § 192 Rn 9). Der Entwurf nennt Kredite der Gesellschaft mit dem Tilgungswahlrecht, dass der Kredit durch Aktien abgelöst wird, oder sog Pflichtwandelanleihen. Auch Pflichtwandelanleihen oder bedingte Pflichtwandelanleihen, bei denen die Umtauschpflicht des Gläubigers automatisch entsteht, fallen darunter. 859b Gleich zu behandeln Gewinnschuldverschreibungen iSv § 221 I, die mit Bezugsrechten kombiniert sind. 860 „naked warrants“. 861 BGH DB 2006, 493; DB 2007, 2472. Zu den Kontrollinstrumenten der Aktionäre, die sie dazu haben, die Einhaltung der Maßgaben sicherzustellen, unter denen der Vorstand tätig werden darf, Bayer, ZHR 168 (2004), 132.

348 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

Der Begriff des Zusammenschlusses in Nr 2 des § 192 II umfasst Fälle, in denen die rechtliche Selbstständigkeit der Unternehmen erhalten bleibt, ebenso wie Fälle, in denen sie verloren geht. Anwendungsfälle der Nr 2 sind der Konzernvertrag und die Eingliederung, bei denen die Gesellschafter der vereinnahmten Gesellschaft in eigenen Anteilen der vereinnahmenden Gesellschaft abgefunden werden müssen (§§ 305 II Nr 1, 320b AktG). Hier werden die abzufindenden Gesellschafter als Bezugsberechtigte der neuen Aktien festgestellt (§ 193 II Nr 3 AktG). Weitere Fälle sind Umwandlungsfälle solcher Art, bei der die eine Gesellschaft Anteile an der anderen gegen Hingabe eigener erwirbt862. 601 Bezugsrechte iSv § 192 II Nr 3 AktG (sog stock options) können nur an Arbeitnehmer oder Mitglieder der Geschäftsführung863 gewährt werden, nicht an Mitglieder des Aufsichtsrats. Legen Arbeitnehmer gegen Bezugsaktien Geldforderungen aus einer Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft ein, ist diese Einlage von der Regelung über Sacheinlagen ausgenommen (§ 194 III AktG). Die Ausschließung der Aufsichtsratsmitglieder von der Möglichkeit der bedingten Kapitalerhöhung zum Zwecke von Aktienoptionsplänen, die § 192 II Nr 3 zum Ausdruck bringt, hat der BGH auf Optionspläne erstreckt, die mit Hilfe eigener Aktien der Gesellschaft nach § 71 I Nr 8 S 5 AktG durchgeführt werden sollen864.

600

Die Begründung der Ausschließung durch den Gesetzgeber (des KonTraG) sei allerdings vordergründig: In der Begründung werde gesagt, die Erstreckung auf Aufsichtsratsmitglieder stoße deshalb auf Schwierigkeit, weil der Aufsichtsrat die Einzelbedingungen der Aktienausgabe, die über die Festsetzungskompetenz der HV (§ 193 II Nr 4 AktG) hinausgingen, schlecht für sich selbst festsetzen könne. Dieses Argument könne nicht das entscheidende gewesen sein. Denn jener Schwierigkeit hätte der Gesetzgeber ohne Weiteres mit der Ausweitung der HV-Kompetenz (ohnehin angelegt in § 113 I 2 AktG) Rechnung tragen können. Die Entscheidung des Gesetzgebers müsse also eine tiefere Begründung haben: Offenbar habe der Gesetzgeber eine – der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats möglicherweise abträgliche – Ausrichtung der Vergütung von Aufsichtsräten am Aktienkurs für

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862 Nicht in Betracht kommt der Fall der Verschmelzung durch Neugründung nach §§ 2 Nr 2, 36 ff, 73 ff UmwG. Hier entstehen die Anteile durch Neugründung. 863 Das Gesetz wählt einen neutralen Begriff, weil die mit einbezogenen verbundenen Unternehmen möglicherweise nicht durch einen Vorstand geleitet werden. Der Wortlaut des Gesetzes umfasst auch die bedingte Kapitalerhöhung in einer Tochtergesellschaft zur Bedienung von Bezugsrechten von Vorständen der Obergesellschaft. Eine Verletzung von § 87 AktG sieht in Anreizprogrammen für Vorstände von Töchtern oder Enkelinnen, die am Kurs der Aktien der Mutter orientiert sind, OLG München NZG 2008, 631 (REW-Energy). Im Fall ging es um Vergütungsparameter, die der Aufsichtsrat festgesetzt hatte. Allerdings sei keine schwerwiegende Gesetzesverletzung festzustellen, die den Beschluss über die Entlastung des Aufsichtsrats anfechtbar mache. 864 BGHZ 158, 122 (Mobilcom) = JZ 2004, 1185 mit Anm Fuchs.

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 349

nicht angebracht erachtet: Der Aktienkurs sei durch gezielte Sachverhaltsgestaltungen des Managements beeinflussbar und erfahrungsgemäß auch sonst nicht immer ein zuverlässiger Maßstab für den inneren Wert und den langfristigen Erfolg eines Unternehmens. § 113 III AktG sehe andere Arten von erfolgsabhängigen Vergütungen vor, der Deutsche Corporate Governance Kodex behalte diese vor, empfehle aber keine Aktienoptionen an Aufsichtsratsmitglieder. Diese Wertung und ebenso jene vordergründige Begründung des § 192 Nr 3 durch den Gesetzgeber des KonTraG stünden auch Aktienoptionsplänen über § 71 I Nr 8 S 5 AktG im Wege. Die Verweisung der Vorschrift auf § 193 II Nr 4 nehme eine Norm in Bezug, die ihrerseits selbstverständlich auf den Teilnehmerkreis des § 192 II Nr 3 bezogen sei und diesen damit voraussetze. Die Unterschiede zwischen Aktienoptionsplänen über § 192 II Nr 3 einerseits und § 71 I Nr 8 S 5 andererseits (bedingtes Kapital bedeute Schaffung neuer Anteile und damit eine gewisse Verwässerung des Aktienbesitzes der Altaktionäre, § 71 I Nr 8 dagegen einen Abfluss aus dem Gesellschaftsvermögen) seien für eine unterschiedliche Behandlung nicht relevant. Die Neuregelung der Vorschriften mache auch die bisherige Anwendung der Wandel- oder Optionsanleihen (§ 221 AktG) für ein Aktienoptionsprogramm für Aufsichtsratsmitglieder zweifelhaft. Dies brauche aber hier nicht entschieden zu werden.

Nach § 192 II Nr 3 AktG kann die HV zur Gewährung von stock options an Geschäftsführer oder Arbeitnehmer einen Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss fassen. Die Formulierung ist unglücklich. Eine Zustimmung liegt in Wirklichkeit in dem Kapitalerhöhungsbeschluss selbst. Aus diesem erwächst der Anspruch der Bezugsberechtigten (s § 197 S 2 AktG), der durch die Nichtigkeit entgegenstehender Beschlüsse geschützt ist (§ 192 IV AktG). Ermächtigung bedeutet demgegenüber, dass die HV der künftigen Entwicklung von Optionsplänen (für die Optionen an Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat, § 87 AktG, für die Optionen an Arbeitnehmer durch den Vorstand) zustimmt. Über die vom Gesetz ermöglichten Fälle des bedingten Kapitals hat die HV 602 im Rahmen von Höchstbeträgen (§ 192 III 1 AktG) mit mindestens 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals zu entscheiden (§ 193 I 1 AktG, die Satzung kann erschwerden, S 2). In dem Beschluss sind nach § 193 II Nr 1–4 AktG nähere Maßgaben zu treffen. Dazu gehört nach § 193 II Nr 3 die Bestimmung des Ausgabebetrags oder der Grundlagen, nach denen dieser Betrag errechnet wird. Nach aF galt: Legt die HV nur einen Mindestbetrag fest und erteilt sie i ü dem Vorstand die Ermächtigung zur Festsetzung (etwa bei Ausübung der Ermächtigung nach § 192 II Nr 1), so war der Beschluss wegen Verletzung des § 193 II Nr 3 AktG nach § 241 Nr 3 AktG iVm § 139 BGB nichtig865. Das ARUG hat für den Fall der Wandelschuldverschreibungen (§ 192 II Nr 1 AktG) die Möglichkeit eröffnet, dass die HV nur den

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865 KG ZIP 2008, 648; OLG Hamm AG 2008, 506; OLG Celle AG 2008, 85. AA Spiering/Grabbe, AG 2004, 91.

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Mindestausgabebetrag bzw die Grundlagen der Bestimmung des Ausgabebetrags oder des Mindestbetrags festlegt (§ 193 II Nr 3 2. Hs AktG). Für die stockoptions der Arbeitnehmer etc (§ 192 II Nr 3 AktG) muss eine vierjährige Wartezeit für die erste Ausübung bestimmt werden (§ 193 II Nr 4 AktG) Beschlüsse, die die Angaben der Nrn 1–4 nicht enthalten, sind, weil es hier 603 um das Wesen der Kompetenzverteilung in der AG geht, nach § 241 Nr 3 AktG nichtig. Ein späterer Beschluss der HV, der dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung entgegensteht, ist nach § 192 IV AktG nichtig. Die bedingte Kapitalerhöhung ist selbstständig geregelt. Auf das allgemeine 604 Kapitalerhöhungsrecht wird nur in Einzelverweisen zurückgegriffen (s §§ 192 III 2, 193 I 3).

4. Das genehmigte Kapital bei AG und GmbH 605 Im Aktienrecht ist seit dem AktG 1937 als eine Art der effektiven Kapitalerhö-

hung das sog genehmigte Kapital geregelt (heute in §§ 202 ff AktG). Das Institut wird wegen seiner Flexibilität in der Praxis in weitem Umfang genutzt. Der Hauptzweck des Instituts des genehmigten Kapitals866 ist, dass dem Vorstand ermöglicht wird, kurzfristig sich bietende Chancen auf dem Kapitalmarkt für die Eigenkapitalfinanzierung auszunutzen867. Das genehmigte Kapital vermeidet das schwerfällige Verfahren der ordentlichen Kapitalerhöhung und wirkt dem entgegen, dass der Zweck der kurzfristigen Ausnutzung der Marktlage auf unerwünschtem Wege, nämlich bei der AG durch verdeckte Haltung von Vorratsaktien (§§ 71a II, 71d AktG), zu erreichen versucht wird. Weil es um den Zweck der kurzfristigen Ausnutzung des Kapitalmarkts ging, war bis zum MoMiG eine vergleichbare Figur bei der GmbH nicht vorgesehen. Die Überlegung war: Die Anteile an einer GmbH sind nicht an der Börse handelbar und werden auch sonst am Kapitalmarkt nicht in vergleichbarem Umfang nachgefragt. Das MoMiG hat aber inzwischen das Institut des genehmigten Kapitals auch für die GmbH eingeführt (§ 55a GmbHG). Bei der AG kann der Vorstand für die Dauer von höchstens 5 Jahren durch 606 die Satzung ermächtigt sein oder durch Änderung der Satzung ermächtigt werden, bis zu einer zu bestimmenden Grenze, höchstens bis zu 50%, das Grundkapital durch Ausgabe neuer Aktien gegen Einlagen, gegen Sacheinlagen nur

_____ 866 Neben anderen Zwecken, z B dem der Ausgabe an Arbeitnehmer, § 202 IV AktG. 867 Der Vorstand entscheidet allein, ob er Aktien ausgibt. Der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf nur die – vom Ermächtigungsbeschluss offen gelassene – Entscheidung des Vorstands betreffs des Inhalts der Rechte und der Bedingungen der Ausgabe (§ 204 I 1, 2 AktG).

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 351

bei besonderer Ermächtigung (§ 205 I AktG), zu erhöhen (§ 202 I, III AktG)868. Der Vorstand legt den Inhalt der Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe fest, soweit die Ermächtigung keine Bestimmungen enthält (§ 204 I 1). Dazu bedarf er der Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 204 I 2). Das Bezugsrecht der Aktionäre gilt auch hier (§ 203 I iVm § 186 AktG)868a. Die Ausnutzung des genehmigten Kapitals ist einzutragen869 und bekannt zu machen (§§ 203 I, 188 I, 189 AktG, 10 HGB). Das sog business combination agreement zwischen abhängiger und herrschender Gesellschaft, wonach der Vorstand der abhängigen Gesellschaft ein dort genehmigtes Kapital nur mit Zustimmung der herrschenden Gesellschaft ausnutzen durfte, haben das LG München und das OLG München mit Recht für unvereinbar mit der Kompetenzordnung in der AG und deshalb für unwirksam erklärt869a. Für die GmbH begründet § 55a GmbHG nF die dem § 202 AktG ganz ent- 607 sprechenden Möglichkeiten. § 55a enthält sich aber der ausführlichen Regelung, wie sie das Aktienrecht vorsieht (§§ 202 ff AktG). Mehr als die Möglichkeit der 5jährigen Ermächtigung durch den Gesellschaftsvertrag zur Erhöhung höchstens um die Hälfte des Stammkapitals (für Sacheinlagen besondere Ermächtigung nötig) enthält die Norm nicht. Entscheidend ist, dass die Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag ihrer Geschäftsführung die beschränkte Ermächtigung der Kapitalerhöhung geben. Sie müssen dazu auch alle Einzelheiten konzipie-

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868 Bisher nicht ausgenutztes genehmigtes Kapital ist bei der Höchstgrenze mitzurechnen. Die neuen Aktien sollen nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats ausgegeben werden (§ 202 III 2 AktG). Über den Inhalt der Aktien und die Bedingungen der Ausgabe entscheidet vorbehaltlich des Ermächtigungsbeschlusses der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 204 I AktG). Die Ausgabe gegen Sacheinlagen muss der Ermächtigungsbeschluss vorsehen (§ 205 I AktG, näher die folg Abs). Als neue Aktien kann der Vorstand Vorzugsaktien ohne Stimmrecht mit höherer oder gleicher Gewinnberechtigung wie die der bisherigen Vorzugsaktien nur ausgeben, wenn der Ermächtigungsbeschluss dies vorsieht (§ 204 II). Die Mehrheitsregelung des § 182 I 2 für die Kapitalerhöhung durch Ausgabe von Vorzugsaktien gilt nicht, weil die Regelung des § 202 II 3 schon generell gleich streng ist. § 202 II 4 verweist deshalb nur auf § 182 II: Bestehen mehrere Gattungen stimmberechtigter Aktien, sind Sonderbeschlüsse der der Gattung zugehörenden Aktionäre erforderlich. 868a Ist bei dem genehmigten Kapital ein erster und (sog Greenshoe) bei Nichtausreichen ein zweiter Schritt vorgesehen, darf zum Ausschluss des Bezugsrechts nach § 186 III 4 AktG (keine Überschreitung von 10% des Grundkapitals, Ausgabe nicht wesentlich unter Börsenpreis) die 10%-Grenze unter Einrechnung des Greenshoe nicht überschritten werden, BGH ZIP 2009, 913. 869 Da bei Notwendigkeit der Zustimmung des Aufsichtsrats die Kapitalerhöhung ohne die Zustimmung nicht eingetragen werden darf, ist der Registerrichter berechtigt, im Fall der Notwendigkeit den Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrats anzufordern (BayObLG AG 2002, 397, 398). 869a LG München I NZG 2012, 1152, OLG München NZG 2013, 459.

352 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

ren. Ergänzt werden muss die neue Norm insbesondere zum Bezugsrecht der Gesellschafter. Die im Folgenden darzustellenden Kämpfe um Möglichkeiten und Schranken der Ausschließung des Bezugsrechts spielen für die GmbH keine Rolle. Die strenge Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses gilt hier uneingeschränkt, insbesondere gilt hier nicht etwa anlog § 186 III 4 AktG (die Norm spricht vom Maßstab des Börsenpreises). Die HV der AG kann bereits im Beschluss über die Schaffung des geneh608 migten Kapitals gemäß §§ 203 I 1, 186 III, IV das Bezugsrecht der Aktionäre ausschließen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die HV das Bezugsrecht nicht selbst ausschließt, sondern den Vorstand zur Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt (§ 203 II 1)870. In diesem Fall bedarf der Vorstand für die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss der Zustimmung des Aufsichtsrates (§ 204 I 2 Hs 2). Für den Ausschluss durch die HV oder die Ermächtigung des Vorstands dazu ist nach § 203 I 1 die Vorschrift des § 186 IV einzuhalten, dh der Vorstand muss den Ausschluss ausdrücklich und ordnungsgemäß bekanntmachen und der HV über den Grund des Ausschlusses oder seiner Ermächtigung dazu (§ 203 II 2 AktG) einen schriftlichen Bericht erstatten. Die Rechtfertigung eines Bezugsrechtsausschlusses ist inzwischen durch 609 die in § 186 III 4 AktG bestimmte Zulässigkeit erleichtert, die gilt, wenn die Kapitalerhöhung gegen bar erfolgt, 10% des Grundkapitals nicht überschreitet und bei der Ausgabe der neuen Aktien der Börsenkurs nur unwesentlich unterschritten wird. Oberhalb dieser Grenzen hilft diese Bestimmung nicht, vielmehr bestätigt sie die Notwendigkeit der materiellen Beschlusskontrolle bei Ausschluss des Bezugsrechts. Diese Kontrolle ist Gegenstand einer wechselvollen Rechtsprechung zum genehmigten Kapital. In seiner Holzmann-Entscheidung871 hatte der BGH die Grundsätze über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre aus seiner Entscheidung im Fall Kali & Salz872 auf einen Beschluss der HV zur Schaffung genehmigten Kapitals übertragen, bei dem der Vorstand zugleich gemäß § 203 II 1 zum Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt wurde873. Nach

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870 Die 10 %-Schranke des § 186 III 4 AktG für den Bezugsrechtsausschluss gilt auch für den Ermächtigungsbeschluss, OLG München NJW-RR 1997, 871 (Hypo-Bank). Zum Freigabeverfahren betr Ermächtigung des Vorstands OLG Nürnberg ZIP 2018, 527. 871 BGHZ 83, 319; vollständiger Abdruck in WM 1982, 660. 872 BGHZ 71, 40, s o Rn 594. 873 BGHZ 83, 319, 321 f. Nach OLG Frankfurt AG 2002, 352 Angreifbarkeit des Beschlusses (auch) in entspr Anwendung des § 144 II FGG (jetzt § 398 FamFG). Zur sachlichen Rechtfertigung OLG Schleswig AG 2005, 48. Keine Rechtfertigung kann es bedeuten, wenn ein Beschluss über die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen ergeht, der Vorstand aber gegen Sacheinlagen ausgeben will. Dadurch würde § 205 verletzt. – Zur sachlichen Rechtfertigung bei sog Stock-for-

II. Die effektive Kapitalerhöhung | 353

der Entscheidung musste der Vorstand den Ausschluss des Bezugsrechts nicht erst dann sachlich rechtfertigen, wenn aufgrund des Ermächtigungsbeschlusses die neuen Aktien ausgegeben wurden. Bereits bei der Beschlussfassung der HV müssten – so damals der BGH – bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Vorstand während der Dauer seiner Ermächtigung im Gesellschaftsinteresse genötigt sein könnte, die Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss durchzuführen. Ohne dass sich eine bestimmte Entwicklung abzeichne, an Hand derer die sachliche Rechtfertigung überprüfbar sei, also als Ermächtigung gleichsam „auf Vorrat“, sei die Ermächtigung unzulässig874. In der Berichtspflicht des Vorstands gemäß § 203 II 2 iVm § 186 IV 2 sah der BGH eine Bestätigung seiner Rechtsprechung875. Diese Auffassung hat der BGH in dem schon erwähnten Siemens/Nold- 610 Urteil876 aufgegeben, also in dem Endurteil gerade desjenigen Verfahrens, in dem der BGH zuvor die Entscheidung des EuGH eingeholt und dieser die Richtlinienkonformität des Erfordernisses der sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses bestätigt hatte877. Der BGH hält jetzt die bisherige Rechtsprechung, gleich, ob die HV selbst das Bezugsrecht ausschließt oder den Vorstand zum Bezugsrechtsausschluss ermächtigt, für nicht vereinbar mit der Funktion des genehmigten Kapitals. Die Möglichkeit schnellen Reagierens insbesondere auf internationale Marktbewegungen werde vereitelt. Außerdem sei die Abgrenzung zwischen zulässigen Ermächtigungs- und unzulässigen Vorratsbeschlüssen mit kaum überwindbaren Schwierigkeiten verbunden. Die Voraussetzungen des Bezugsrechtsausschlusses seien neu zu bestimmen: Die HV könne den Bezugsrechtsausschluss auch ohne Angabe konkreter Tatsachen beschließen oder zu ihm ermächtigen, wenn 1) die durch das genehmigte Kapital unter Bezugsrechtsausschluss anzustrebende Maßnahme im Bericht des Vorstands an die HV allgemein umschrieben werde und 2) die Maßnahme im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liege. Wenn der Vorstand sodann eine konkrete Maßnahme durchführe, habe er im Rahmen seines

_____ Stock-Akquisitionen (statt an die Aktionäre gibt der Vorstand die jungen Aktien an den Inhaber der Beteiligung an einem Zielunternehmen, der als Sacheinlage gegen die Aktien seine Beteiligung einbringt), Kossmann, AG 2005, 9 ff. 874 BGHZ 83, 319, 322, 325. 875 BGHZ 83, 319, 326. 876 BGHZ 136, 133 ff, o Rn 594. 877 Der II. Senat des BGH hat sich bei seiner Wendung einer Presseerklärung zufolge von dem Bestreben leiten lassen, durch die Liberalisierung des Aktienrechts den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken (abgedruckt NJW 1997, Heft 29 S XIV). Dazu und zur Reaktion der Wirtschaft Natterer Kapitalveränderung der Aktiengesellschaft, Bezugsrecht der Aktionäre und ‚sachlicher Grund‘ 2000 S 121, 124 ff.

354 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

unternehmerischen Ermessens sorgfältig zu prüfen, ob 1) die Maßnahme im Rahmen des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands liege, 2) sie der abstrakten Umschreibung durch den HV-Beschluss entspreche, 3) sie – auch jetzt noch – im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liege, 4) bei Festsetzung des Ausgabebetrags durch den Vorstand § 255 II AktG beachtet sei. Der Aufsichtsrat habe diese Voraussetzungen bei seiner Zustimmungsentscheidung (§ 204 I 2 Hs 2 AktG) zu kontrollieren. Der Vorstand habe der HV auf der nachfolgenden ordentlichen Versammlung zu berichten und Rede und Antwort zu stehen. Die Ordnungsmäßigkeit des Verhaltens des Vorstands werde durch folgende mögliche Sanktionen gesichert: Verweigerung der Entlastung, Schadensersatzpflicht, Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme, ggf schon vorher Klage auf Unterlassung gegen die Gesellschaft878. Die Beschränkung der Aktionäre auf die Nachkontrolle hat der BGH in den Entscheidungen Mangusta/Commerzbank I und II bestätigt879. Die Siemens/Nold-Entscheidung geht am Gesetz vorbei, dh aber nicht, dass 611 die Holzmann-Entscheidung richtig war880. Beide Entscheidungen gingen in dem zu entscheidenden Fall am Gesetz vorbei. Das Gesetz unterscheidet den Bezugsrechtsausschluss durch die HV selbst und die Ermächtigung des Vorstands zum Bezugsrechtsausschluss. Holzmann betraf den Ermächtigungsfall und hat hier unrichtig die volle Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses schon beim Ermächtigungsbeschluss gefordert. Siemens/Nold betraf den Fall des Bezugsrechtsausschlusses durch die HV selbst und hat unrichtig für diesen auf die volle Rechtfertigung verzichtet. Im Fall der Ermächtigung (Beispiel Holzmann) ordnet § 203 II AktG nur die 612 „sinngemäße“ Anwendung des § 186 IV AktG auf den HV-Beschluss über die Satzungsänderung (§ 202 II AktG) an. Der vom Vorstand in sinngemäßer Anwendung des § 186 IV 2 AktG zu gebende Bericht muss diesem Ermächtigungsbeschluss die Grundlage geben. Der Vorstand muss darin begründen, weshalb er die Ermächtigung benötigt. Dagegen braucht er nicht schon eine volle sachliche Rechtfertigung für den künftigen Bezugsrechtsausschluss darzulegen. Ein solches Verlangen ist in Anbetracht dessen, dass das genehmigte Kapital ein flexibles Finanzinstrument sein soll und 5 Jahre Laufzeit haben kann (§ 202 II AktG), geradezu abwegig. Auf die sachliche Rechtfertigung iSv Kali & Salz kommt es erst bei der Ausübung der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss an. Die Aktionäre sind hier dadurch geschützt, dass der Aufsichtsrat

_____ 878 Dazu verweist der BGH auf die Holzmüller-Entscheidung BGHZ 83, 122, 125, 133 ff. 879 BGHZ 164, 241; 164, 249. Zur Rechtsprechung Henze, FS Priester, 2007, 201. 880 Zum Folgenden Natterer Kapitalveränderung der Aktiengesellschaft, Bezugsrecht der Aktionäre und ‚sachlicher Grund‘ 2000 S 133 ff; ders, ZIP 2002, 1672 ff.

III. Die nominelle Kapitalerhöhung. Arbeitnehmeraktien | 355

zustimmen muss (§ 204 II 2 AktG). Der Vorstand ist auch nicht verpflichtet, der HV eine Vorabinformation zu geben881. Die Aktionäre, die nachträglich von der Maßnahme unter Bezugsrechtsausschluss erfahren, haben die Feststellungsklage und ggf Schadensersatzklagen882. Im Fall des Bezugsrechtsausschlusses schon durch die HV selbst (Beispiel 613 Siemens/Nold) verweist § 203 I 1 AktG auf § 186 III, IV AktG, dh der Beschluss über das genehmigte Kapital tritt an die Stelle des Kapitalerhöhungsbeschlusses unter Bezugsrechtsausschluss. Die Kali & Salz-Kriterien müssen schon bei dem HV-Beschluss erfüllt sein. Ist das nicht darlegbar, muss der Vorstand sich zum Bezugsrechtsausschluss ermächtigen lassen.

III. Die nominelle Kapitalerhöhung. Arbeitnehmeraktien III. Die nominelle Kapitalerhöhung. Arbeitnehmeraktien

Ein erster Fall der nominellen Kapitalerhöhung ist schon iR der Regelung 614 des genehmigten Kapitals bei der AG zu finden. Er ist dort selbstständig geregelt. Nach § 202 IV AktG kann die Satzung vorsehen, dass die aufgrund der Ermächtigung des Vorstands auszugebenden neuen Aktien an Arbeitnehmer der Gesellschaft ausgegeben werden (Arbeitnehmeraktien). Dies hat zunächst nur die Konsequenz, dass das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschaltet wird882a. § 204 III AktG ermöglicht darüber hinaus, dass die Einlagen auf diese Aktien aus dem Teil des Jahresüberschusses gedeckt werden, der nach § 58 II AktG durch Vorstand und Aufsichtsrat in freie Rücklagen eingestellt werden kann883. §§ 202 IV, 204 III AktG stellen die dritte Möglichkeit von Arbeitnehmeraktien dar, die das AktG vorsieht (Arbeitnehmeraktien (3)). Zuvor Arbeitnehmeraktien (1): Nach § 71 I Nr 2 AktG kann die Gesellschaft eigene Aktien erwerben, um

_____ 881 So jetzt zutreffend der BGH in Mangusta/Commerzbank I BGHZ 164, 241, 245 f. 882 Mangusta/Commerzbank II BGHZ 164, 249. Von Unterlassungsklagen wird nicht gesprochen. Die Aktionäre erfahren ja auch erst im Nachhinein von der Ausgabe der Aktien ohne Bezugsrecht. 882a Bei den vom Vorstand unter Zustimmung des Aufsichtsrats zu gestaltenden Bedingungen der Aktienausgabe (§ 204 I AktG) können den besonderen sozialpolitischen Zweck der Arbeitnehmeraktien berücksichtigen, Raiser/Veil § 20 Rn 55. 883 S § 58 II AktG: Die Satzung kann für den Fall, dass die HV den Jahresabschluss feststellt, bestimmen, dass bis zu 50 % in Rücklagen einzustellen sind. Ohne Satzungsregelung können Vorstand und Aufsichtsrat bis zu 50 % in die Rücklage einstellen. Die Satzung kann zur Einstellung über 50 % ermächtigen, es sei denn, die Rücklagen erreichen die Hälfte des Grundkapitals. Ohne Satzungsgrundlage kann noch die HV im Gewinnverwendungsbeschluss die freien Rücklagen bedienen. S dazu aber § 254 AktG.

356 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

sie gegenwärtigen oder ehemaligen Arbeitnehmern der Gesellschaft oder verbundener Unternehmen anzubieten; und sodann Arbeitnehmeraktien (2): Als bedingte Kapitalerhöhung kann eine Kapitalerhöhung zu dem Zweck der Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Geschäftsführungpersonen der Gesellschaft oder verbundener Unternehmen beschlossen werden (§ 192 II Nr 3 AktG). Allgemein ist die nominelle Kapitalerhöhung, dh die vom Gesetz so615 genannte Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln884, für die AG in §§ 207 ff AktG geregelt. Für die Mehrheitserfordernisse und das Anmeldungserfordernis verweist § 207 II AktG auf die Vorschriften der §§ 182, 184 AktG über die effektive Kapitalerhöhung. Da es um die Umwandlung vorhandener, bisher verfügbarer Gesellschaftsmittel in gebundenes Garantiekapital geht, verwendet das Gesetz besonderes Augenmerk auf die bilanziellen Grundlagen (§ 207 III, 208 f AktG). Die Erhöhung ist erst möglich, wenn der letzte Jahresabschluss festgestellt und über die Ergebnisverwendung Beschluss gefasst ist (§ 208 I 1 AktG). Dem Beschluss über die Kapitalerhöhung ist eine Bilanz zugrunde zu legen (§ 207 III AktG)884a. Die Kapitalrücklage und die gesetzliche Rücklage dürfen nur beschränkt umgewandelt werden (§ 208 I 2 AktG). § 208 II enthält für alle Rücklagen den Vorbehalt der Minderung durch Verlust oder Verlustvortrag, für zweckbestimmte Gewinnrücklagen den der Wahrung des bestimmten Zwecks. § 216 AktG erklärt das Verhältnis verschieden eingezahlter Aktien oder verschiedener Gattungen von Aktien zueinander und die Wahrung der Rechte Dritter gegenüber der Gesellschaft für unberührt, die von Gewinn, Aktien oder Grundkapital der Gesellschaft abhängen. Bei der GmbH war die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln früher in einem besonderen Gesetz885 geregelt, jetzt befindet sich die Regelung in §§ 57c– 57o GmbHG886, die Erfordernisse der bilanziellen Grundlagen, einschließlich des Erfordernisses der Prüfung, normieren die §§ 57d (mit der Unterscheidung der Grundlage in der letzten Jahresbilanz, § 57e, oder einer Zwischenbilanz, § 57f GmbHG)886a. Auch bei der GmbH ist die Erhöhung erst möglich, wenn der

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884 Europäischer Rechtsvergleich im Hinblick auf die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln bei Hirte/Butters, ZBB 1998, 286. 884a S u Rn 621. 885 Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Verschmelzung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung – Kapitalerhöhungsgesetz – v 23.12.1959. Das Kapitalerhöhungsgesetz ist durch Art 5 des Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (v 28.12.1994, BGBl I S 3210) aufgehoben worden. 886 Der BGH wendet die Vorschriften analog an auf das Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren (o Rn 308). 886a S u Rn 621.

III. Die nominelle Kapitalerhöhung. Arbeitnehmeraktien | 357

letzte Jahresabschluss festgestellt und über die Ergebnisverwendung Beschluss gefasst ist (§ 57c II GmbHG), und ist dem Beschluss über die Kapitalerhöhung eine Bilanz zugrunde zu legen (§ 57c III GmbHG), eben die letzte Jahresbilanz oder eine Zwischenbilanz. Als Beschränkung der verfügbaren Mittel findet sich neben dem Vorbehalt eines Verlustes oder Verlustvortrags (§ 57d II GmbHG) freilich nur die Wahrung des Zwecks einer Gewinnrücklage (§ 57d III GmbHG). Wie die effektive Kapitalerhöhung ist bei der GmbH auch die nominelle ein Fall der Satzungsänderung nach §§ 53 f GmbHG (§ 57c IV GmbHG). Während bei der AG das erhöhte Grundkapital sich zwingend in der Ausgabe neuer Aktien auswirkt, gibt es bei der GmbH zwei Arten der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln: die Erhöhung durch Bildung neuer Geschäftsanteile und die Erhöhung des Stammkapitals durch Erhöhung des Nennbetrags der Geschäftsanteile (§ 57h I 1 GmbHG). Bei teileingezahlten Anteilen kann die Erhöhung nur durch Erhöhung des Nennbetrags ausgeführt werden (§ 57l II 2 GmbHG). Die Unberührtheit des Verhältnisses der Geschäftsanteile zueinander und der vertraglichen Rechte Dritter zur Gesellschaft statuiert wie § 216 AktG die Vorschrift des § 57m GmbHG. Das Prinzip der nominellen Kapitalerhöhung ist: Bei einem Stand des 616 Gesellschaftsvermögens, in dem der Saldo aus Aktivawert minus Belastungen das Grund- oder Stammkapital übersteigt, wird dieser Mehrbetrag oder ein Teil davon als Erhöhung des Grund- oder Stammkapitals festgelegt. Vor dieser Erhöhung steht das Vermögen in Höhe des Mehrbetrags den Gesellschaftern nicht als streng gebundenes, sondern als – vorbehaltlich der Rücklagenbindungen – ausschüttbares Vermögen zu. In der Bilanz erscheint dieses Eigenkapital in Gestalt des Ausweises von Rücklagen. Deshalb spricht das Gesetz davon, dass bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln Rücklagen in Grund- oder Stammkapital umgewandelt werden (§§ 207 I AktG, 57c GmbHG) und sagt dann Näheres zu Beschränkungen auch von Rücklagen, bei der AG betreffs der gesetzlichen Rücklage (§ 207 I 2 AktG) und der Bestimmungen des § 207 II AktG, bei der GmbH nur betreffs der Zweckbindung von Gewinnrücklagen (§ 57d III GmbHG). Mit der Umwandlung der Rücklagen in Grund- oder Stammkapital können die umgewandelten Reserven nicht mehr als Gewinn oder – bei der GmbH – als stammkapitalübersteigendes Vermögen ausgeschüttet werden. Die nominelle Kapitalerhöhung bedeutet also eine Verstärkung der Stellung der Gläubiger und demzufolge eine Kreditstärkung. Sie kann eine vorgesehene effektive Kapitalerhöhung vorbereiten. Wählt ein Alleinaktionär statt des Wegs der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen den 617 Weg der Einbringung von Vermögenswerten in das Gesellschaftsvermögen als Zuzahlung

358 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

iSv § 272 II Nr 4 HGB887 unter Bildung einer Kapitalrücklage und sodann einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nach § 207 I AktG, wendet das OLG Hamm888 mit Recht nicht unter Umgehungsgesichtspunkten die Vorschriften über die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen (§§ 183 ff AktG) an. Durch den nach § 210 IV AktG vorgeschriebenen Zusatz bei der Eintragung der Kapitalerhöhung, dass es sich um eine solche aus Gesellschaftsmitteln handelt, gewährleistet die Regelung dieser Kapitalerhöhung selbst, dass dem Rechtsverkehr deutlich gemacht wird, dass bei der Kapitalerhöhung kein realer Zufluss erfolgt ist. Zudem enthält die Regelung selbst genügende Ansätze zur gegenwartsbezogenen Werthaltigkeitsprüfung der „Zuzahlung“: Die Bildung der Kapitalrücklage muss sich aus einer testierten Bilanz (§§ 316 ff HGB) ergeben, die nicht älter als acht Monate ist (§ 209 I AktG)889. §§ 317 I, 319 I HGB beziehen die Prüfung der Bilanz auch auf die Werthaltigkeit der Zuzahlungen. Weiter haben Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzender (die Anmeldenden gemäß §§ 207 II 1, 184 I 1 AktG) bei der Anmeldung zu erklären, dass nach ihrer Kenntnis seit dem Stichtag der Bilanz bis zum Tage der Anmeldung der Kapitalerhöhung keine Vermögensminderung eingetreten ist (§ 210 I 2, II AktG). Das OLG zieht aus dem umgehungsnahen Vorgang in seinem Fall nur die Konsequenz, dass das Prüfungsermessen des Registergerichts (§ 210 III AktG) dahin eingeschränkt ist, dass das Registergericht bei Anhalt für Zweifel an den Grundlagen der Werthaltigkeitsprüfung eigene Feststellungen zu treffen hat. 618 Bei der AG sind den Aktionären bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschafts-

mitteln durch Ausgabe neuer Aktien diese Aktien zwingend zugewiesen (§ 212 AktG, sog Gratisaktien). Eigene Aktien nehmen an der Kapitalerhöhung teil (§ 215 I AktG). Im Fall von Stückaktien kann die Ausgabe neuer Aktien unterbleiben (§ 207 II 2 AktG). In diesem Fall verteilt sich das erhöhte Kapital auf die vorhandenen Stückaktien und erhöht sich deren anteiliger Betrag (§ 8 III 3 AktG). Bei Nennbetragsaktien können, wenn die Erhöhung des Grundkapitals nicht anders aufteilbar ist, Teilrechte entstehen. Sie sind selbstständig handelbar, führen aber nur dann zu einer neuen Aktie, wenn sich Teile zu einer Aktie in einer Hand vereinigen (§ 213 I, II AktG). Wird von Großaktionären eine nominelle Kapitalerhöhung mit der Konsequenz vieler Teilrechte angestrebt, kann in dem Erhöhungsbeschluss ein Missbrauch zu sehen sein. Bei der GmbH gibt es, wie angeführt, vorbehaltlich des § 57l II 2 GmbHG 619 (teileingezahlte Anteile) die zwei Arten der Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Anteile und durch Erhöhung des bisherigen Nennbetrags der Anteile

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887 In dem vom OLG Hamm (s folg Fn) entschiedenen Fall Einbringung von Anteilen an einer GmbH unter Ergänzung durch eine Barzahlung. 888 ZIP 2008, 1475. 889 Entsprechendes gilt für die GmbH nach § 57i I iVm § 57a, 9c GmbHG, dazu BGHZ 135, 381 (das OLG zitiert BGHZ 113, 335, das ist aber die Entscheidung, die das Schütt-aus-Hol-zurückVerfahren als verdeckte Sacheinlage eingeordnet hat; die Heilung in Anwendung der Regeln des GmbHG über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln hat der BGH in BGHZ 135, 381 entwickelt).

III. Die nominelle Kapitalerhöhung. Arbeitnehmeraktien | 359

(§ 57h I 1 GmbHG). Der Grund für die Beschränkung auf die Erhöhung des Nennbetrags im Fall teileingezahlter Anteile besteht darin, dass bei teileingezahlten Anteilen die Möglichkeiten der Kaduzierung (§ 21 GmbHG) und Verwertung (§ 23 GmbHG) für die Beteiligung der Gesellschafter als eine einheitliche bestehen, die ja durch die nominelle Kapitalerhöhung nur dem Gesellschaftsvermögen angepasst wird. Insbesondere die sonst wie bei der AG (§ 213 AktG) denkbaren selbstständigen Teilrechte (§ 57k GmbHG) sollen hier ausgeschlossen sein. Auch bei der GmbH ist, wenn hier die Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Anteile erfolgt, die Ausgabe der neuen Anteile als Gratisgeschäftsanteile an die bisherigen Gesellschafter zwingend (57j GmbHG). Bei beiden Arten der Kapitalerhöhung (Erhöhung des Nennbetrags oder Ausgabe neuer Anteile) nehmen eigene Anteile der Gesellschaft an der Erhöhung teil (§ 57l I GmbHG). Die Gratisaktien bzw –anteile, auch, wie gesehen, etwaige Teilrechte, sind 620 selbstverständlich veräußerlich, sie bedeuten einen Dividenden- bzw Ausschüttungsersatz. Bei der börsennotierten AG ist nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage die Folge der Ausgabe von Gratisaktien, dass der Börsenkurs der Aktien regelmäßig sinkt. Das hat den Vorteil, dass der Erwerb der Aktien für Kleinanleger wieder möglich wird. Dadurch steigt auch die Möglichkeit, anschließend an die nominelle eine effektive Kapitalerhöhung durchzuführen. Was die für die Umwandlung in Garantiekapital erforderlichen Rücklagen 621 betrifft, unterscheidet das Gesetz die Fälle, dass nur die letzte Jahresbilanz oder dass zusätzlich eine aktuelle Zwischenbilanz zugrunde gelegt wird. Ausschließlich auf den Rücklagenausweis in der Jahresbilanz kann die Kapitalerhöhung nach §§ 209 I AktG, 57e I GmbHG gestützt werden, wenn der Stichtag der Bilanz höchstens 8 Monate vor der Anmeldung des Erhöhungsbeschlusses zur Eintragung in das Handelsregister liegt. Liegt der Stichtag längere Zeit zurück, muss eine Zwischenbilanz aufgestellt und der Beschluss auf die Erhaltung der Rücklagen in dieser gestützt werden. Auch in diesem Fall bedarf es allerdings jedenfalls aktienrechtlich zusätzlich des Ausweises der Rücklagen in der letzten Jahresbilanz. Dies ist aus dem Erfordernis der Rücklagenzuweisung begründet, für die das AktG in § 58 die Kompetenz an die Aufstellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Jahresüberschusses knüpft und dies wegen der Abgrenzung zum Gewinnanspruch der Aktionäre zwingend ist890. Für die GmbH müsste demgegenüber die Satzungsautonomie gelten, aufgrund des § 57d GmbHG gilt jedoch grundsätzlich dieselbe Beschränkung wie

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890 S Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum RegE eines BiRiliG BTDrucks 10/4268 zu Nr 40 S 126.

360 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

im Aktienrecht891. Es sollte aber – und dies für AG und GmbH gleichermaßen – das Erfordernis eines Rücklagenausweises auch im Jahresabschluss bei Zustimmung aller Gesellschafter zu einer Zwischenbilanz mit Rücklagenzuweisung überwindbar sein. Der dem Kapitalerhöhungsbeschluss zugrunde gelegte Rücklagenausweis muss durch Prüfung der Bilanz und uneingeschränkten Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers gesichert sein (auch bei Zugrundelegung einer Zwischenbilanz, s §§ 209 III–VI AktG, 57e I, 57f II GmbHG)892.

IV. Die Kapitalherabsetzung IV. Die Kapitalherabsetzung

1. Die verschiedenen Fälle der Kapitalherabsetzung 622 Zur Herabsetzung des Kapitals893 unterscheidet das Gesetz nicht entsprechend

der Unterscheidung zwischen einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen (das wäre dann effektive Kapitalherabsetzung) und einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (nominelle Kapitalherabsetzung). Die entsprechende Unterscheidung bei einer Kapitalherabsetzung würde sein die Unterscheidung zwischen einer Kapitalherabsetzung unter Auszahlung von Einlagen und einer Kapitalherabsetzung unter Aufhebung der Bindung von Gesellschaftsmitteln. Eine Kapitalherabsetzung unter Auszahlung von Einlagen kann es bei der AG aber schon deshalb nicht geben, weil es bei der AG keine Rückzahlung der Einlagen gibt, sondern die Aktionäre auf die Gewinnauszahlung beschränkt sind (§ 57 III AktG). Weiter steht die Kapitalherabsetzung allgemein dadurch im Gegensatz zur Unterscheidung zwischen effektiver und nomineller Kapitalerhöhung, dass die Kapitalherabsetzung nur Vermögen freigibt, während die Kapitalerhöhung eine zusätzliche feste Vermögensbindung einführt, hinsichtlich deren man klar zwischen nominell (Bindung vorhandener Mittel) und effektiv (neue Einlagen) unterscheiden kann. Die durch eine Kapitalherabsetzung geschaffenen Freiräume können jetzt oder in den kommenden Geschäftsjahren unterschiedlich genutzt werden. Immer werden Auszahlungen möglich, sie sind aber nie fest vorzusehen. Auch bei einer Kapitalherabsetzung zum Ausgleich von Wertminderungen oder Verlusten, die man im Ansatz als nominell bezeich-

_____ 891 S Baumbach/Hueck/Fastrich/Zöllner § 57d Rn 4. 892 Fehlt die geprüfte Bilanz bei der Beschlussfassung, ist der Beschluss über die Kapitalerhöhung nach § 241 Nr 3 AktG nichtig (BayObLG AG 2002, 397, 398). Dies gilt in entsprechender Anwendung der Vorschrift auch für die GmbH. 893 Zur Kapitalherabsetzung im Zuge der Umstellung auf Euro Heidinger, DNotZ 2000, 661.

IV. Die Kapitalherabsetzung | 361

nen könnte, sind Vermögensauszahlungen denkbar, allerdings erst in einem späteren Zeitraum. AktG und GmbHG unterscheiden zwischen der Kapitalherabsetzung 623 (§§ 222 ff AktG nennt sie ordentliche, anders spricht § 58 GmbHG schlicht von Herabsetzung des Stammkapitals) und der vereinfachten Kapitalherabsetzung zum Ausgleich insbesondere von Wertverminderungen und Verlusten (§§ 229 ff AktG, 58a GmbHG). Das AktG fügt noch die Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien hinzu (§§ 237 ff AktG)893a. Das GmbHG regelt insoweit nur die Einziehung von Geschäftsanteilen (§ 34 GmbHG), die als solche ohne Wirkung für die Bezifferung von Stammeinlagen und Stammkapital ist; der eingezogene Anteil wächst vielmehr den übrigen Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Anteile zu, nach § 34 III GmbHG bleibt die Bindung der Deckung des Stammkapitals unberührt. Die Einziehungsverfahren sind zum Thema der Beendigung der Mitgliedschaft dazustellen894. Die vereinfachte Kapitalherabsetzung ist im Ansatz eine nominelle Kapi- 624 talveränderung, weil sie dem Ausgleich von Buchpositionen dient (§§ 229 ff AktG, 58a ff GmbHG). Die Grundregelung der Kapitalherabsetzung geht von der Konsequenz aus, dass die Gesellschaft aufgrund der Kapitalveränderung alsbald Auszahlungen vornehmen kann. Deshalb sorgt sie für Gläubigerschutz durch Befriedigung oder Sicherstellung. Die vereinfachte Kapitalherabsetzung dient demgegenüber bei AG und GmbH gleichermaßen dazu, Wertminderungen auszugleichen oder sonstige Verluste zu decken (§§ 229 I 1, 230 I 2 AktG, §§ 58a I, 58b I GmbHG). Der Gläubigerschutz wird hier nur mittelbar durch Beschränkung insbesondere von Gewinnausschüttungen gesichert. Eine zweite Vereinfachung, die das Aktienrecht nur für die vereinfachte Kapitalherabsetzung gewährt, besteht darin, dass die Kapitalherabsetzung in Abweichung vom Stichtagsprinzip (§ 252 I Nr 3 HGB) mit Rückwirkung auf den letzten Jahresabschluss vorgenommen werden kann (§ 234, ebenso für eine gleichzeitig vorgenommene Kapitalerhöhung mit besonderen Voraussetzungen betreffs Zeichnung der neuen Aktien und Einlageleistung, § 235 AktG). Durch die Berücksichtigung im früheren Jahresabschluss kann die Ausweisung von Verlusten im Jahresabschluss erspart werden. Für die Rückwirkung darf der Jahresabschluss nicht schon festgestellt sein, und es muss die Feststellung des Jahresabschlusses der HV überlassen, sie soll mit dem Kapitalherabsetzungsbeschluss verbunden werden (§ 234 II AktG). Das GmbHG sieht allgemein die Berücksichtigung einer Kapitalherabsetzung und auch einer eventuell mit vorgenommenen Kapitalerhöhung im Jahresabschluss für das letzte Geschäftsjahr vor den Beschlüssen vor, auch hier

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893a Dazu u Rn 671a. 894 Rn 670 ff, 682 ff.

362 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

wieder unter Vorbehalt der Feststellung durch die Gesellschafterversammlung (§§ 58e I 2, 58f I 2 GmbHG) und hinsichtlich der Kapitalerhöhung mit den Voraussetzungen für die Übernahme der neuen Geschäftsanteile und die Einlageleistungen (§ 58f I 2, 3 GmbHG). Bei der AG kann die vereinfachte Kapitalherabsetzung auch noch dazu die625 nen, Beträge in die Kapitalrücklage einzustellen (§ 229 I 1). § 58b II GmbHG sagt auch etwas von der Kapitalrücklage. Die Lücke, dass § 58a I GmbHG als zulässigen Zweck der vereinfachten Kapitalherabsetzung nicht die Einstellung in die Kapitalrücklage erwähnt, wird durch § 58b II 1 GmbHG gefüllt: Nach der Vorschrift dürfen „daneben“ die gewonnenen Beträge in die Kapitalrücklage eingestellt werden, soweit die 10%-Grenze nicht überschritten wird. „Daneben“ kann nicht heißen, dass die Kapitalherabsetzung immer in erster Linie zur Deckung von Verlusten dienen muss. Das wäre neben der 10%-Grenze ohne Sinn, insbesondere ohne rechtfertigenden Grund im Vergleich zur Regelung des Aktienrechts.

2. Die ordentliche Kapitalherabsetzung 626 Die praktischen Fälle der Kapitalherabsetzung sind zwei: Zum einen kann eine

Kapitalherabsetzung um der Entlastung der Gesellschafter von ihren Einlagepflichten (§§ 66 III, 225 II AktG, 19 III GmbHG) oder um alsbaldiger Auszahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen willen überlegt werden. Hintergrund sind hier vor allem Desinvestitionen. ZB wird eine Zeche stillgelegt, es werden Betriebsgrundstücke verkauft. Nach dem neuen Zuschnitt des Unternehmens kann die bisherige Eigenkapitalbasis überhöht erscheinen. Die Gesellschafter oder die Gesellschaft können an einer höheren Ausschüttung oder anderweitigen Anlagemöglichkeiten interessiert sein. Die zweite praktische Fallgruppe ist die Kapitalherabsetzung zur Vorbereitung einer Kapitalerhöhung. § 228 AktG berührt sie durch Einräumung der Möglichkeit, dass die Kapitalherabsetzung das Grundkapital unter den nach § 7 AktG erforderlichen Mindestbetrag herabsetzt, sofern das Mindestkapital durch die Kombination mit einer Kapitalerhöhung wieder erreicht wird. Das GmbHG gewährt diese Möglichkeit für die Grundregelung der Kapitalherabsetzung nicht (§ 58 II GmbHG). Bedeutsamer ist ja auch die Kombination einer Kapitalerhöhung mit einer vereinfachten Kapitalherabsetzung zum Ausgleich von Wertminderungen oder Verlusten. Für diese verweist § 229 III AktG auf § 228, und für die vereinfachte Kapitalherabsetzung kommt auch das GmbHG zur Möglichkeit der Herabsetzung des Stammkapitals unter den in § 5 I GmbHG bestimmten Mindestbetrag (§ 58a IV 1 GmbHG). Die Gesetze lassen, das GmbHG für

IV. Die Kapitalherabsetzung | 363

die vereinfachte Kapitalherabsetzung, die Unterschreitung des Mindestbetrages zu, wenn im Rahmen desselben Beschlusses das Kapital, und zwar nicht durch Sacheinlagen, erhöht wird895. Die Kombination einer Kapitalerhöhung mit einer vereinfachten Kapitalherabsetzung ist erforderlich, damit die Wertminderungen oder Verluste, die ja die bisherigen Gesellschafter erlitten haben, von diesen durch Verminderung ihrer Anteile auf eigene Rechnung übernommen werden. Sollten sie ohne diesen Ausgleich durch eine isolierte Kapitalerhöhung auch zu Lasten der neuen Gesellschafter gehen, wird es keine Beteiligung an dieser Kapitalerhöhung geben. Die Kapitalherabsetzung, ordentliche wie vereinfachte, ist wie die Kapital- 627 erhöhung eine Strukturmaßnahme, zu der es des Beschlusses einer Satzungsänderung bedarf (Spezialregelung für die AG in § 222 AktG; für die GmbH bleibt es bei der allgemeinen Regelung der §§ 53 f GmbHG mit formellen Voraussetzungen in § 58 I GmbHG). Wird der Herabsetzungsbeschluss angefochten, kann nach AktG, analog auch im Recht der GmbH das Freigabeverfahren helfen (§ 246a I AktG). Das AktG trennt auch zur Kapitalherabsetzung zwischen dem Veränderungsbeschluss und seiner Durchführung (§§ 222 ff, 226 f AktG), während das GmbHG nur Zustandekommen und Wirksamwerden des Kapitalveränderungsbeschlusses regelt (§§ 58, 58a iVm §§ 53 f GmbHG). Auch bei der AG bedarf es aber nicht jedenfalls einer Durchführung. Die Kapitalherabsetzung wird mit der Eintragung des Herabsetzungsbeschlusses wirksam (§ 224 AktG). Wenn Aktien zusammengelegt und für kraftlos erklärt werden müssen (dazu § 226 AktG), muss die Kapitalherabetzung noch durchgeführt und die Durchführung zum Handelsregister angemeldet werden (§ 227 AktG). Spezifische Probleme der Kapitalherabsetzung sind zwei, das erste ist das 628 des Gläubigerschutzes, das zweite ist, dass bei der Herabsetzung des Garantiekapitals auch die darauf entfallenden Anteile vermindert werden müssen. Was den Gläubigerschutz betrifft, setzt das AktG für Auszahlungen an die Gesellschafter eine Sperrfrist von sechs Monaten vom Zeitpunkt der Bekanntmachung der Eintragung des Herabsetzungsbeschlusses im Handelsregister an.

_____

895 Nach der Entscheidung Hilgers (BGHZ 142, 167) kann das Grundkapital auf null gesenkt werden, wenn es gleichzeitig auf den Mindestbetrag oder einen höheren Betrag erhöht wird. Der HV-Beschluss sei aber anfechtbar, wenn der Mehrheitsaktionär diese Möglichkeit dazu benutze, dass die Einteilung des neuen Kapitals in Anteile oberhalb des Mindestbetrags (im Zeitpunkt des zu entscheidenden Falles 5.-DM) Spitzenbeträge verursacht mit der Folge, dass Kleinaktionäre ausgeschlossen werden. Der Mehrheitsaktionär handele treupflichtwidrig. Damit möglichst viele Aktionäre in der Gesellschaft bleiben könnten, müssten die Anteile grundsätzlich zum Mindestbetrag ausgegeben werden, es sei denn die Gesellschaft lege ein berechtigtes Interesse an höheren Anteilsbeträgen dar, BGHZ 142, 167. Zur rechtlichen Einordnung u Rn 644, 646 f.

364 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

Voraussetzung der Auszahlung ist weiter, dass denjenigen Gläubigern Befriedigung oder Sicherheit geleistet wurde, die sich in der Sperrfrist gemeldet haben, worauf sie in der Bekanntmachung hinzuweisen sind (§ 225 AktG)896. Bei der GmbH ist die Sperre vor der Anmeldung des Herabsetzungsbeschlusses zum Handelsregister gesetzt. Die Geschäftsführung hat den Beschluss drei Mal in den Gesellschaftsblättern (§ 12 GmbHG) unter der Aufforderung an die Gläubiger, sich zu melden, bekanntzumachen, damit diese befriedigt oder sichergestellt werden können. Aus den Handelsbüchern der Gesellschaft ersichtliche oder bekannte Gläubiger erhalten eine besondere Mitteilung. Nur die Gläubiger, die der Herabsetzung des Kapitals nicht zustimmen, sind zu befriedigen oder abzusichern (§ 58 I Nr 2 GmbHG)897. Die Sperrfrist beträgt 1 Jahr von der Bekanntmachung des Beschlusses in den Gesellschaftsblättern (§ 58 I Nr 1) an und gilt für die Anmeldung des Beschlusses zur Eintragung im Handelsregister (§ 58 I Nr 3 GmbHG). Nach § 58 I Nr 4 ist mit der Anmeldung des Beschlusses zum Handelsregister die Bekanntmachung des Beschlusses einzureichen und die Versicherung zu abzugeben, dass die Gläubiger, die sich gemeldet und nicht zugestimmt haben, befriedigt oder sichergestellt sind. Die Abgabe einer unwahren Versicherung macht strafbar (§ 82 II Nr 1 GmbHG) und ist eine Schutzgesetzverletzung iSv § 823 II BGB. Die zusammen das Garantiekapital ergebenden Anteile sind im Zuge der 629 Kapitalherabsetzung entsprechend der Herabsetzung zu vermindern. Bei der AG sind die Nennbetragsaktien und die Stückaktien zu unterscheiden. Die Stückaktien vermindern sich ohne Weiteres dadurch, dass jetzt auf die einzelnen Stücke das verminderte Kapital aufgeteilt ist (§ 8 III 2 AktG). Die Zahl der Stückaktien muss nur dann verändert werden, wenn sonst der Quotient aus neuem Kapital und Aktien den Mindestbetrag von 1 € pro Aktie unterschreiten würde (§ 8 III 3 AktG). In diesem Fall ist eine Zusammenlegung der Aktien erforderlich (§ 222 IV 2 AktG). Die Anpassung der Nennbetragsaktien geschieht gemäß § 222 IV 1 AktG grundsätzlich durch Herabsetzung des Nennbetrags aller Aktien. Wie bei den Stückaktien ist eine Zusammenlegung der Aktien insoweit erforderlich und zulässig, als sonst der Mindestbetrag von 1 € (§ 8 II 1) unterschritten würde.

_____ 896 Eine Sicherheitsleistung ist insoweit entbehrlich, als Gläubiger im Fall eines Insolvenzverfahrens ein Recht auf vorzugsweise Befriedigung aus einer gesetzlich zu ihrem Schutz eingerichteten Deckungsmasse hätten, § 225 I 3 AktG. 897 Der Unterschied zur Regelung bei der AG ist nicht groß. Die Gläubiger der AG haben zwar unbeschränkt das Recht auf Befriedigung oder Sicherstellung. Sie brauchen es aber nicht geltend zu machen.

IV. Die Kapitalherabsetzung | 365

Beispiel898: Die Gesellschaft hat gemäß § 8 II AktG Aktien zum Nennbetrag von 2 € ausgegeben. Sie will das Kapital im Verhältnis von 4 zu 1 herabsetzen. Dann sind die Aktien erst auf den Mindestnennbetrag von 1 € herabzusetzen und dann im Verhältnis 2 zu 1 zusammenzulegen.

Die Zusammenlegung von Stückaktien oder der Nennbetragsaktien erfolgt, 630 wenn sie erforderlich ist, durch Einreichung der bisherigen Aktien gegen Herausgabe einer im Verhältnis der Herabsetzung verringerten Anzahl. Reicht ein Aktionär trotz Aufforderung nicht ein oder erreichen eingereichte Aktien nicht die zur Zusammenlegung zu neuen Aktien notwendige Anzahl alter Aktien und hat der Aktionär auch nicht der Verwertung zugestimmt, die zur Auseinandersetzung des Miteigentums erforderlich ist, welches sich mit anderen Betroffenen zusammen an neuen Anteilen ergibt, so werden die Aktien für kraftlos erklärt (§ 226 I 1, 2 AktG). Die Gesellschaft hat die neuen Aktien, die auf die Gesamtzahl der für kraftlos erklärten Aktien entfallen, zum Börsenpreis oder, wenn es einen solchen nicht gibt, durch Versteigerung für Rechnung der durch die Kraftloserklärung Betroffenen zu veräußern (§ 226 III AktG). Bei der GmbH sind Garantiekapital und Anteile nicht formal (stücke- oder 631 nennbetragsmäßig) aufeinander bezogen. Dass die Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile der Gesellschafter mit dem Stammkapital übereinstimmen muss, gilt für Gründung (§ 5 III 2 GmbHG) und Kapitalerhöhung (§ 55 IV iVm § 5 III GmbHG). Dagegen bedeutet die Kapitalherabsetzung nicht notwendig die Herabsetzung der Einlagen und damit der Nennbeträge der Geschäftsanteile (§ 3 I Nr 4 GmbHG). Das Gesetz muss bei der Kapitalherabsetzung deshalb zunächst nur sichern, dass – vorbehaltlich der Unternehmergesellschaft (§ 5a I GmbHG) – der Mindestbetrag des Stammkapitals von 25.000,– € (§ 5 I GmbHG) nicht unterschritten wird (§ 58 II 1 GmbHG). Sodann grenzt das Gesetz in § 58 II 2 GmbHG den Fall ab, dass Einlagezahlungen erlassen oder zurückgewährt werden sollen. Soll dies nicht geschehen, ändert sich durch die Kapitalherabsetzung nur der Betrag des nach §§ 30 ff GmbHG gebundenen Vermögens. Allerdings ist doch mehr oder weniger selbstverständlich im Beschluss enthalten, dass entsprechend der Herabsetzung des Kapitals auch die Geschäftsanteile quotal herabgesetzt werden. In diesem Fall sind, wie in § 58a III 2 GmbHG für die vereinfachte Kapitalherabsetzung ausdrücklich bestimmt, die Geschäftsanteile auf volle Euro zu stellen. In dem in § 58 II 2 GmbHG abgegrenzten Fall (Einlageerlass oder – zurückzahlung) müssen über den Mindestbetrag des Stammkapitals hinaus die Übereinstimmung der Nennbeträge der Geschäftsanteile mit dem Stammkapital

_____ 898 Hüffer/Koch, Kom AktG § 222 Rn 23.

366 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

(§ 5 III 2 GmbHG) und der Mindestnennbetrag pro Geschäftsanteil (nach § 5 II 1 GmbHG volle Euro) gewährleistet werden. Dies ordnet § 58 II 2 GmbHG an. Auch bei der GmbH gibt es eine Einziehung von Anteilen (§ 34 I GmbHG)898a. 632 Die ist aber nicht notwendig mit einer Kapitalherabsetzung verbunden. Ohne eine solche bleibt das Stammkapital unverändert, die Beteiligung an Gesellschaftsvermögen und –gewinn teilt sich bei wirksamer Einziehung auf die verbliebenen Gesellschafter entsprechend deren quotalen Beteiligung auf. Nach § 40 I 1 haben die Geschäftsführer für eine entsprechende Berichtigung der Gesellschafterliste zu sorgen.

3. Die vereinfachte Kapitalherabsetzung a. Anwendbarkeit und Bedeutung 633 Die vereinfachte Kapitalherabsetzung ist eine Herabsetzung, bei der vorerst eine Auszahlung an die Gesellschafter ausgeschlossen ist. Die Kapitalherabsetzung kann zunächst einmal zum Ausgleich von Wertminderungen und zur Deckung sonstiger Verluste dienen (§§ 229 I 1 AktG, 58a I GmbHG). Zuvor müssen bei der AG Gewinnvorträge verbraucht und Gewinnrücklagen und gesetzliche Rücklagen nebst Kapitalrücklagen insoweit aufgelöst sein, als sie 10% des nach Herabsetzung verbleibenden Grundkapitals übersteigen (§ 229 II AktG). Bei der GmbH gilt das Entsprechende, nur gibt es hier nicht eine gesetzliche Rücklage (s § 58a II GmbHG). Es geht um den Ausgleich erwarteter Wertminderungen oder Verluste. §§ 232 AktG, 58c GmbHG regeln den Fall, dass sich die Erwartung nicht erfüllt. Unterschiedlich formulieren §§ 229 I 1 AktG und 58a GmbHG, was einen wei634 teren möglichen Zweck der vereinfachten Kapitalherabsetzung betrifft: die Einstellung von Beträgen in die Kapitalrücklage. Das AktG nennt die Einstellung von Beträgen in die Kapitalrücklage in § 229 I 1 AktG als weiteren möglichen Zweck neben dem ersteren. In Bezug auf beide zulässigen Zwecke bestimmt § 229 II AktG neben der Voraussetzung, dass kein Gewinnvortrag vorhanden ist, folgende vorrangig durchzuführenden Maßnahmen: Erst einmal müssen etwaige Gewinnrücklagen aufgelöst werden sowie ebenfalls die gesetzliche Rücklage und die Kapitalrücklage, soweit diese beiden zusammen 10% des neuen Grundkapitals übersteigen. Dh, was insbesondere den Zweck der Einstellung in die Kapitalrücklage betrifft, darf die Kapitalherabsetzung nur insoweit vorgenommen werden, als die durch Kapitalherabsetzung freiwerdenden und einzustel-

_____ 898a S näher u Rn 683 f.

IV. Die Kapitalherabsetzung | 367

lenden Beträge die Kapitalrücklage zusammen mit der gesetzlichen Rücklage auf höchstens 10% des neuen Grundkapitalbetrags ansteigen lassen. Entgegen § 229 I AktG nennt das GmbHG in § 58a I GmbHG als zulässigen Zweck der vereinfachten Kapitalherabsetzung nur den Ausgleich von Wertminderungen oder sonstigen Verlusten. Dann folgen in Absatz 2 die Grenzen betreffend Gewinnvortrag und Rücklagen, die § 229 II AktG entsprechen: Was die Rücklagen betrifft, darf nur eine Summe von Kapital- und Gewinnrücklagen in Höhe von maximal 10% des neuen Stammkapitals übrigbleiben. Höhere Rücklagen sind „vorweg aufzulösen“. Im Unterschied zu § 229 AktG spricht das GmbHG nicht von der gesetzlichen Rücklage. Die gibt es ja entgegen § 150 AktG bei der GmbH auch nicht. Die 10%-Grenze des § 58a II GmbHG ist noch in einer weiteren Hinsicht zur 635 Klärung einer unklaren Formulierung maßgeblich: Die Rede in § 58a II GmbHG davon, dass Rücklagen „vorweg aufzulösen“ sind, heißt nicht, dass zur Deckung von Verlusten zunächst die Rücklagen zu verwenden sind. Die gesamte Kapitalherabsetzung kann so geplant werden, dass neben dem verringerten Stammkapital Rücklagen unter Wahrung der 10%-Grenze je nachdem verbucht bleiben oder verbucht werden899. Die Kapitalherabsetzung und ebenso die Auflösung von Rücklagen zur De- 636 ckung von Verlusten sind aus den Begriffen des Verlustes, des Garantiekapitals (nach § 266 III A I HGB „gezeichnetes Kapital“) und der Rücklagen zu verstehen. Verlust ist eine negative Entwicklung des Reinvermögens der Gesellschaft (des Saldos aus Aktivawerten und Verbindlichkeiten nebst Belastungen), er kann entweder durch eine Minderung der Aktivavermögenswerte oder durch eine Steigerung der Verbindlichkeiten oder Belastungen entstehen, häufig kommt auch beides zusammen. In der Bilanz ist ein Verlust, vorbehaltlich des

_____ 899 Zutreffend Baumbach/Hueck/Haas/Zöllner § 58a Rn 12. Die Vorschrift bestimmt eine Zulässigkeits-, aber keine Buchungsgrenze. Beispiel: Ist bei einem Stammkapital von 100.000 und Rücklagen von 43.000 ein erwarteter Verlust von 42.000 auszugleichen, so muss dieser nicht voll durch Auflösung der Rücklagen gedeckt werden, so dass nur noch Rücklagen von 1.000 übrig bleiben. Nach § 58b II GmbHG dürfen nur nicht Rücklagen von mehr als 10 % des herabgesetzten Stammkapitals verbleiben. Das muss bei der Kapitalmaßnahme berücksichtigt werden. Diese ist aber vom Ergebnis her zu planen, nichts ist „vorweg aufzulösen“. Die Gesellschaft kann also etwa eine Kapitalherabsetzung auf 92.000 durchführen. Dann dürfen in Höhe von 10 % des neuen Kapitals = 9.200 Rücklagen verbleiben. In Höhe der Differenz zum bisherigen Rücklagenbetrag (43.000./.9.200 = 33.800) sind die Rücklagen zwingend zur Verlustdeckung aufzulösen. Es bleibt übrig ein Verlustbetrag von 8.200 (42.000./.33.800). In Höhe von 8.000 ist der Betrag durch die Kapitalherabsetzung von 100.000 auf 92.000 gedeckt, es verbleibt ein Verlust-Restbetrag von 200, der noch aus den Rücklagen zu decken ist. Ergebnis: Neues Stammkapital 92.000, Rücklagen von 9.000.

368 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

Falls eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages (§ 268 III HGB), als negativer Betrag auf der Passivseite zu buchen (§ 266 III A IV, V HGB). Gezeichnetes Kapital und Rücklagen sind demgegenüber Bilanzpassivposten zur Berücksichtigung von Vermögensmehrungen der Gesellschaft. Mit dem ersteren Posten werden die aufgrund der Kapitalzeichnung einzubringenden Vermögenseinlagen berücksichtigt, mit den Rücklagen sonstige Einlagen und Gewinne im Gesellschaftsvermögen. Treten jetzt Verluste ein, so kann dies bedeuten, dass das Reinvermögen der Gesellschaft nicht mehr dem gezeichneten Kapital und den Rücklagen entspricht. Insoweit bedeuten Verluste zunächst einmal, dass die genannten Passivposten (Rücklagen oder Garantiekapital) nicht gedeckt sind. Wenn das Gesetz jetzt umgekehrt in §§ 58a I GmbHG, 229 I AktG von der „Deckung von Verlusten“ spricht, so geht es um die Verminderung der Passivposten dergestalt, dass die verminderten Passivposten jetzt doch vom Vermögenssaldo gedeckt sind bzw, wie das Gesetz sich ausdrückt, jetzt ihrerseits diesen decken900. 637 Wird das gezeichnete Kapital zur Deckung von Verlusten herabgesetzt, so ändert sich die materielle Rechtsposition der Gesellschaft und der Gesellschafter in der Gesellschaft, wie folgt: Der Verlust als Minderung des im Restbetrag (nach Abzug der Belastungen) den Gesellschaftern zustehenden Vermögens bleibt bestehen. Die Gesellschafter haben insofern weiterhin weniger Vermögensaussicht. Es bleibt auch bestehen, dass alles Reinvermögen (Aktiva nach Abzug der Belastungen) der Gesellschaft als Eigenkapital und damit mittelbar den derzeitigen Gesellschaftern zusteht. Was sich ändert, ist folgendes: Erstens die Art und Weise, in der das Vermögen den Gesellschaftern zusteht: Mit der Kapitalherabsetzung wird bewirkt, dass künftige Gewinne nicht zunächst noch im gebundenen Vermögen eintreten (also die Deckung des Garantiekapitals erst wieder „auffüllen“ müssen), sondern zur Gewinnverwendung, auch zur Ausschüttung an die Gesellschafter, zur Verfügung stehen. Zweitens nehmen die bisherigen Gesellschafter durch die Verlustdeckung 638 den Verlust auf ihre Rechnung, dh sie tragen ihn durch die Anpassung ihrer Aktien oder Geschäftsanteile gemäß der Verminderung des Garantiekapitals.

_____

900 Der Bilanzbegriff der „Deckung“ hat also den Charakter eines Chamäleons: Einerseits werden die Passivposten durch das Vermögen gedeckt, andererseits decken sie ihrerseits das Vermögen. Wenn man sagt: das Stammkapital ist gedeckt, meint man, dass ein Reinvermögen in Höhe des Stammkapitals vorhanden ist. Wenn das Gesetz in § 268 III HGB vom „nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag“ spricht, meint es die Deckung in der Gegenrichtung: Verluste, die nicht mehr den Vermögenssaldo in Höhe des Eigenkapitals (Rücklagen, gezeichnetes Kapital) nur vermindern, sondern darüber hinausgehen. Folge für die Kapitalherabsetzung: Man kann Verluste dadurch decken, dass man Eigenkapitalposten vermindert und die verminderten Posten das verminderte Reinvermögen wieder decken.

IV. Die Kapitalherabsetzung | 369

Auch das GmbHG sorgt dafür, indem es bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung ebenso, wie dies bei der Kapitalherabsetzung im Fall der AG generell zutrifft, die Geschäftsanteile an die Kapitalveränderung anpassen lässt: Im Unterschied zur gewöhnlichen Kapitalherabsetzung bei der GmbH (§ 58 II) müssen hier die Nennbeträge der Geschäftsanteile entsprechend dem verminderten Stammkapital herabgesetzt werden (§ 58a III 1). Die Verlusttragung durch die Anpassung der Aktien und der Geschäftsan- 639 teile hat, wie schon angedeutet, eine entscheidende Funktion bei der Suche nach neuen Kapitalgebern: Dem bisherigen Garantiekapital entspricht die Anteilsberechtigung der derzeitigen Gesellschafter. Jeder Vermögenszuwachs der Gesellschaft kommt den bisher beteiligten Gesellschaftern in dieser Anteilsverteilung zu. Sollen neue Kapitalgeber gefunden werden, so muss das gezeichnete Kapital erhöht werden. Das erhöhte Kapital verteilt sich unter Berücksichtigung der alten Anteile auf alte und neue Beteiligte. Würden das Kapital und entsprechend die Anteile der bisherigen Gesellschafter nicht zuvor herabgesetzt, so nähmen die neuen Beteiligten an dem vor ihrem Hinzutreten eingetretenen Verlust am gezeichneten Kapital teil. Indem im Rahmen der Kapitalherabsetzung die Anteile der bisherigen Gesellschafter herabgesetzt werden, entfällt der Verlust allein auf die bisherigen Gesellschafter. Sie schaffen damit Platz für Kapitalerhöhungen, an der neue Kapitalgeber vernünftigerweise teilnehmen können. Beispiel: Nehmen wir an, das Grundkapital einer AG betrage € 8 Mio € und sei in 8.000 640 Aktien à 1.000 € aufgeteilt. Das Reinvermögen der Gesellschaft soll nach erheblichen Verlusten der Gesellschaft nur noch 4 Mio € betragen. Die Aktien sind damit in Wirklichkeit nur noch die Hälfte wert: Würde die Gesellschaft jetzt liquidiert, bekäme jeder der 8.000 Aktionäre nur 500 €. Würde – ohne Liquidation – von dem Stand des Verlusteintritts aus eine Kapitalerhöhung in Höhe von 4 Mio € vorgenommen, so brauchte man dazu 4.000 neue Aktien. Würden diese gezeichnet und die Einlagen aufgebracht, hätten wir ein Reinvermögen von 8 Mio €. Dieses würde 12.000 Aktionären zustehen. Würde jetzt liquidiert, bekämen die alten Aktionäre statt 500 € 666,66 €, dasselbe bekämen die neuen Aktionäre für ihre Einzahlung von 1.000 €. Folglich würden die neuen Aktionäre vernünftigerweise auch nur je 666,66 € für ihre Aktie zahlen. Die Aktien wären damit zu pari gar nicht unterzubringen. Eine Ausgabe unter pari ist unzulässig (§ 9 I AktG) und würde den benötigten Betrag von 4 Mio € nicht erbringen. Deshalb muss erst das Kapital auf 4 Mio € herabgesetzt werden, unter Beschränkung der alten Aktionäre, danach kann es wieder auf 8 Mio € erhöht werden.

Deshalb setzt eine Kapitalerhöhung häufig eine Kapitalherabsetzung vo- 641 raus. Ein solcher „Kapitalschnitt“ ist tägliches Brot bei Sanierungsbedarf der Gesellschaft. Im Fall einer Kapitalherabsetzung bei gleichzeitiger Kapitalerhöhung ist auch nach dem GmbHG (§ 228 AktG gibt die Möglichkeit bei

370 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

jeder Kapitalherabsetzung) ausnahmsweise die Unterschreitung des Mindeststammkapitalbetrags zulässig (§ 58a IV 1 GmbHG). Weiter kann mit der Kapitalherabsetzung auch die Kapitalerhöhung schon auf das letzte Geschäftsjahr zurückbezogen werden (§§ 234, 235 AktG, 58e, f GmbHG)901. So werden auch Vorauszahlungen auf die im Rahmen der Kapitalerhöhung zu übernehmenden Einlagen möglich (§ 235 I 2 AktG). Diese sind aber nur dann auf die Einlagen anzurechnen, wenn sie als zins- und provisionslose Vorauszahlungen gewährt werden mit Vereinbarung des Nachrangs des Bereicherungsanspruchs, der entsteht, wenn die Kapitalerhöhung scheitert901a.

b. Gläubigerschutz bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung und Sanktionen 642 Bei der auf Wertminderungsausgleich, Verlustdeckung und/oder Zuführung zur

Kapitalrücklage eingeschränkten vereinfachten Kapitalherabsetzung besteht Gefahr für die Gläubiger dadurch, dass aufgrund der bilanziellen Entwicklung im Jahr nach dem Ausgleich der Wertminderungen etc theoretisch wieder Gewinnausschüttungen möglich werden können. Solche werden in §§ 233 I AktG, 58d I GmbHG unter die Voraussetzung eines Mindestbestandes der Rücklagen (10 vom Hundert des Garantiekapitals) gestellt, bei der AG des Bestandes der gesetzlichen Rücklage und der Kapitalrücklage, bei der GmbH des Bestandes der Gewinn- und der Kapitalrücklagen, bei der GmbH überdies beschränkt auf die Dauer von 5 Geschäftsjahren. Über die Gewährleistung des Rücklagenbestandes hinaus ordnen die Gesetze eine Sperre der Gewinnauszahlung an: Sofern nicht in bestimmter Frist (Beginn nach AktG und GmbHG unterschiedlich) sich meldende Gläubiger sichergestellt oder befriedigt sind, dürfen für die Dauer von 2 Jahren nur 4% Gewinn ausgezahlt werden (§§ 233 II 1 AktG, 58d II 1 GmbHG) 902. Damit nicht genug der Kautelen: Weil es bei der

_____ 901 Mit der Beschränkung, dass Rücklagen oberhalb der in § 229 II 1 AktG bestimmten 10%Grenze aufgelöst sein müssen (entsprechende Beschränkung hinsichtlich der Zuführung in § 231 S 1 AktG), verweist das Gesetz auf die zur vereinfachten Kapitalerhöhung erforderliche Bilanz, die nicht die Jahresbilanz sein muss. – Für die GmbH gilt ganz das Gleiche. 901a BGHZ 118, 83 (90 f). 902 Anderes gilt merkwürdigerweise iR der Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien in der vereinfachten Gestaltung des § 237 III, IV AktG. Es werden danach zwar keine Mittel der Gesellschaft, die gebunden sind, zur Gegenleistung in Anspruch genommen, aber mit der Einziehung der Aktien verringert sich das Grundkapital. Das führt, wenn die Aktien nicht zum Nominalwert aktiviert waren und so die Verringerung des Grundkapitals durch Wegfall dieses Aktivums ausgeglichen wird, notwendig zu einem Buchgewinn. § 237 V AktG sagt nur, dass ein den eingezogenen Aktien entsprechender Betrag des Grundkapitals in die Kapitalrücklage einzustellen ist. Aus der Rücklage kann ein Verlust gedeckt werden, § 150 III, IV AktG. Damit

IV. Die Kapitalherabsetzung | 371

GmbH keine gesetzliche Rücklage gibt, begründet § 58b III GmbHG – wiederum für 5 Jahre – eine Verwendungsbindung (nur Verwendung nach Ziff 1–3) für den Fall, dass im Rahmen der Kapitalherabsetzung die Kapitalrücklage aufgestockt wird. Beschlüsse, die diese Gläubigerschutzvorschriften verletzen, sind nichtig 643 (§ 241 Nr 3 AktG in direkter oder analoger Anwendung). Nichtig sind weiter nach den Sonderbestimmungen der §§ 234 III, 235 II AktG, ebenso nach §§ 58e II 1, 58f II 1 GmbHG die Beschlüsse zur Rückwirkung von Kapitalherabsetzung und ggf -erhöhung, wenn sie nicht binnen drei Monaten nach Beschlussfassung bzw -durchführung im Handelsregister eingetragen sind. Bei unzulässigen Auszahlungen haften die Organe der Gesellschaft (§§ 93 II AktG, 43 GmbHG) und den Gläubigern (nach § 93 V 1, 2 AktG und nach § 58 I GmbHG iVm § 823 II BGB902a) auf Schadensersatz, der auch auf Herstellung der Lage wie bei ordentlicher Kapitalherabsetzung, dh auf Sicherstellung der Gläubiger gerichtet sein kann (s § 58 I Nr 2 GmbHG). Anders als die Verletzung der Gläubigerschutzvorschriften führt die Verletzung der Vorschriften über die Zwecke der vereinfachten Kapitalherabsetzung und die Vorwegauflösung der über 10% des verminderten Garantiekapitals hinausgehenden Rücklagen nur zur Anfechtbarkeit. Die Vorschriften zu dem Fall, dass die angenommenen Grundlagen der Herabsetzungsmaßnahme nicht zutreffen (§§ 232 AktG, 58c GmbHG), zeigen, dass es nur um die richtige Buchung geht, aber nicht wegen Nichtigkeit die ursprüngliche Höhe des Garantiekapitals in Geltung bleibt.

c. Die Fälle Hilgers und Sachsenmilch Im Fall Hilgers903 hat der BGH bei einer Kapitalherabsetzung auf Null, mit der eine Kapi- 644 talerhöhung verbunden war, eine Gesetzesverletzung durch den HV-Beschluss angenommen, durch den eine Anzahl von Minderheitsaktionären aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde904. Das Grundkapital von 6,93 Mio DM (eingeteilt in 138.600 Aktien à 50 DM) war auf null herabgesetzt und gleichzeitig auf 115.500 DM (2.310 Aktien à 50 DM) erhöht worden. Den Aktionären war ein Bezugsrecht eingeräumt worden. Aufgrund der Relation (138.600 alte zu 2.310 neuen Aktien) waren 60 alte Aktien für den Umtausch in eine neue

_____ können die in der Folgezeit entstehenden Betriebsgewinne ausgeschüttet werden, die Grenze des § 233 AktG ist nicht maßgeblich. S KK/Lutter, 3. Aufl, § 237 Rn 112 f. 902a BayObLG BB 1974, 1362 f. 903 BGHZ 142, 167 = NZG 1999, 1158 mit Anm Rottnauer. 904 Gegen die Möglichkeit eines Hinaussetzens der Minderheitsaktionäre durch Kapitalherabsetzung auf Null Priester, DNotZ 2003, 592.

372 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

645

erforderlich. Wäre der Nennbetrag der neuen Aktien demgegenüber, wie zulässig (zu der Zeit, in der der Fall sich ereignet hat), auf 5 DM festgesetzt worden, hätten 6 Aktien zum Umtausch ausgereicht. Die Folge der Beibehaltung des alten Nennbetrags von 50 DM bei der Kapitalerhöhung war, dass viele Kleinaktionäre – ohne Bezugsrechtszukauf, dessen Möglichkeit nach dem Sachverhalt überdies zweifelhaft war – aus der Gesellschaft ausscheiden mussten. Dies kam dem Mehrheitsaktionär der Gesellschaft zugute. Der BGH hat eine Verletzung der Treuepflicht durch den Mehrheitsaktionär angenommen. Der Nennbetrag von 50 DM sei aus der Zeit, in der das Gesetz einen Mindestnennbetrag der Aktie von 50 DM gefordert hatte, übriggeblieben. Die Beibehaltung in einer Zeit mit einem geringen Mindestnennbetrag sei sachlich nicht gerechtfertigt. Im Fall Sachsenmilch905 hat der BGH demgegenüber gegen die ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre entschieden. In diesem Fall ging es um die Sanierung der in Gesamtvollstreckung gefallenen Sachsenmilch-AG (Bekl). Diese hatte ein Grundkapital von 75 Mio DM, eingeteilt in 37.500 Stück vinkulierte Namensaktien à 1.000 DM (= 37,5 Mio) und 750.000 Stück Inhaberaktien à 50 DM (= 37,5 Mio). In Vorbereitung waren Investitionsmaßnahmen des Müller-Milch-Konzerns, auf dessen Holding-Tochter der Vollstreckungsverwalter schon das Anlagevermögen der beklagten Gesellschaft übertragen hatte. Die Maßnahmen waren unter der Voraussetzung des Mehrheitserwerbs des M-Konzerns im Rahmen einer Kapitalherabsetzung auf den Mindestnennbetrag (seinerzeit 100.000 DM) in Aussicht gestellt. Das Grundkapital sollte demgemäß von 75 Mio DM auf 100.000 DM herabgesetzt werden. Das entspricht einer Kapitalherabsetzung im Verhältnis 750 zu 1. Der nicht zu unterschreitende Mindestbetrag pro Aktie betrug damals 5 DM. Durch Herabsetzung des Nennbetrags auf 5 DM konnte das in Namensaktien eingeteilte Kapital auf 187.500 DM, das in Inhaberaktien eingeteilte Kapital auf 3.750.000 DM herabgesetzt werden. Die weitere Kapitalherabsetzung auf 100.000 DM musste durch Zusammenlegung der Aktien vollzogen werden. Die 37.500 Namensaktien und die 3.750.000 Inhaberaktien mussten so weit zusammengelegt werden, dass sie jeweils 50.000 DM des Grundkapitals repräsentierten. Die Namensaktien gehörten einer S-Beteiligungs-AG und konnten von dieser ohne Weiteres in neue Aktien umgetauscht werden. Für die breit gestreuten Inhaberaktien bedeutete die Zusammenlegung eine solche im Verhältnis von 3.750.000:50.000 = 75:1. Das hieß für viele Aktionäre, dass sie die für die Umwandlung auf eine neue Aktie erforderliche Zahl von Aktien nicht besaßen. Kauften sie nicht die erforderliche Anzahl hinzu oder konnten sie dies nicht, war die Kraftloserklärung ihrer Aktien nach § 226 AktG (unter Veräußerung der neuen Aktien, die auf die für kraftlos erklärten Aktien entfielen, für Rechnung der Altaktionäre) unvermeidlich. Von dieser Konsequenz bedrohte Minderheitsaktionäre haben die Kapitalherabsetzungsbeschlüsse (gefasst vom Inhaber der Namensaktien und den Inhaberaktionären, § 222 II 1, 2 AktG) angefochten. LG und Berufungsgericht haben der Klage stattgegeben. Das OLG Dresden hat gemeint, die Beschlüsse bedürften ebenso, wie dies nach der Kali & Salz-Rechtsprechung für den Ausschluss des Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung zutreffe, der sachlichen Rechtfertigung und erfüllten dieses Erfordernis nicht. Der BGH hat demgegenüber eine materielle Beschlusskontrolle entsprechend den Erfordernissen für einen Bezugsrechtsausschluss abgelehnt und nur wegen der vom Beru-

_____ 905 BGHZ 138, 71. Berufungsentscheidung OLG Dresden ZIP 1996, 1780. Entscheidung nach Zurückverweisung durch den BGH OLG Dresden AG 2001, 489.

IV. Die Kapitalherabsetzung | 373

fungsgericht nicht mehr geprüften Möglichkeit, dass das Auskunftsrecht der Aktionäre verletzt war, zurückverwiesen. Eine Kapitalherabsetzung zu Sanierungszwecken könne auch ohne gleichzeitige Kapitalerhöhung durchgeführt werden, und zwar sogar dann, wenn sich die Gesellschaft im Insolvenzverfahren befinde. Eine etwaige Gläubigergefährdung beruhe nicht auf der Kapitalherabsetzung, sondern auf den bereits eingetretenen Verlusten. Der Ausschluss der Minderheitsaktionäre bedürfe keiner besonderen sachlichen Rechtfertigung. Die gesetzliche Regelung (insbesondere die Stufung in Herabsetzung des Nennbetrags und erst als ultima ratio zulässige Zusammenlegung (§ 222 IV 2 AktG) enthalte die erforderliche Abwägung selbst. Die Minderheitsaktionäre könnten durch Zukauf weiterer Teilrechte die zum Erwerb neuer Aktien erforderliche Anzahl erreichen oder aber ihre unzureichenden „Spitzen“ veräußern906.

Im Fall Hilgers wie im Fall Sachsenmilch haben wir Gestaltungen zur Umgehung 646 des Bestandsschutzes der Beteiligung von Minderheitsaktionären vor uns907. In beiden Fällen ist der BGH den Gestaltungen aufgesessen. Im Fall Hilgers hat er aber wenigstens im Ergebnis richtig entschieden. In diesem Fall ist die Regelung des § 222 IV AktG umgangen worden, mit ihrer Stufung: erst Herabsetzung des Nennbetrags, nur als ultima ratio die Zusammenlegung. Umgangen worden ist die Regelung dadurch, dass eine Kapitalherabsetzung auf null beschlossen und dann der gewünschte Nennbetrag durch eine in Verbindung mit der Herabsetzung beschlossene Erhöhung erreicht worden ist. Selbstverständlich handelte es sich aber schlicht um eine Kapitalherabsetzung auf den gewünschten Nennbetrag. § 222 IV AktG war anzuwenden, die Herabsetzung des Nennbetrags, soweit möglich, ging nach dieser Vorschrift zwingend vor. Im Fall Sachsenmilch bestand die Umgehung darin, dass die notwendige 647 Kapitalmaßnahme bei dem ersten Teil, der Kapitalherabsetzung, künstlich abgebrochen worden ist. Die bloße Kapitalherabsetzung im Gesamtvollstreckungsverfahren war von der im Gesamtvollstreckungsverfahren befindlichen Gesellschaft her ohne Sinn. Sie bestand lediglich in einer Umstellung der Grundkapitalziffer, war also für den Vermögensstand der zu sanierenden Gesellschaft ohne jede Wirkung. Allerdings hatte die Maßnahme durchaus einen materiellen Effekt, freilich nicht für die Gesellschaft, sondern für die Aktionäre – genauer: gegen die Minderheitsaktionäre. Die Maßnahme war mit dem einzigen Sinn verbunden, durch Zusammenlegung der Aktien möglichst viele Minderheitsaktionäre zu expedieren. Die angestrebte Veränderung für den investi-

_____ 906 BGHZ 138, 71, 77. Mit Recht kritisch Natterer Kapitalveränderung der Aktiengesellschaft, Bezugsrecht der Aktionäre und ‚sachlicher Grund‘ 2000 S 282 ff sowie ders, AG 2001, 629. 907 Zum Folgenden Wilhelm, FS Ulrich Huber 2006, 1019, 1022 ff (S 1023 heißt es im Sachverhalt zu Sachsenmilch: Nach Herabsetzung des Nennbetrags der Aktien betrug das Inhaberaktienkapital 750.000. Richtig muss es heißen:3.750.000).

374 | E. Die Änderung des gezeichneten Kapitals

tionswilligen M-Konzern bestand darin, dass er, statt die Mehrheit der Aktien nach deren bisherigem Bestand erwerben zu müssen, sich nunmehr darauf beschränken konnte, von den übrig bleibenden Aktionären die Mehrheit nach dem herabgesetzten Grundkapital zu erwerben. Eine Kapitalherabsetzung zur Hinausquetschung von Aktionären ist aber nicht in §§ 222 ff oder §§ 229 ff AktG, sondern in §§ 237 ff AktG geregelt und bedarf der satzungsmäßigen Grundlage. Heutzutage kommen noch die Squeeze-Out-Regelungen der §§ 327a ff AktG, 39a ff WpÜG hinzu. Die ordentliche Kapitalherabsetzung muss dem Interesse der Gesellschaft, die vereinfachte Herabsetzung dem Ausgleich von Wertminderungen oder Verlusten oder der Zuführung zur Kapitalrücklage dienen. Diese Kapitalherabsetzungsmöglichkeiten zur Verminderung des Aktionärsstandes zu benutzen, ist ein Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten. Man hätte die HVBeschlüsse der Sachsenmilch-AG sogar als mit dem Wesen der AG unvereinbar oder gegen die guten Sitten verstoßend nichtig ansehen können (§ 241 Nr 3, 4 AktG). Jedenfalls waren sie nach § 243 II AktG anfechtbar, weil sie dem MKonzern Sondervorteile einräumten907a.

QQQ NEUE RECHTE SEITE

_____ 907a Zu eng hat der BGH § 243 II AktG nur im Hinblick darauf geprüft, dass der S-Beteiligungs-AG angesichts ihres Aktienbesitzes keine Nachteile aus der Zusammenlegung drohten (BGHZ 138, 71, 80 f). Mehr hatte die Revision freilich auch nicht geltend gemacht. Mit Recht kritisch zur Entscheidung Sachsenmilch Natterer AG 2001, 629 (633). Der Entscheidung zustimmend Hüffer/Koch § 222 Rn 14 mwN.

I. Mitgliedschaft als Gesamtrechtsposition; Abspaltungsverbot | 375

F. Die Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

I. Mitgliedschaft als Gesamtrechtsposition; Abspaltungsverbot https://doi.org/10.1515/9783110595802-006

1. Abgrenzung des Themas I. Mitgliedschaft als Gesamtrechtsposition; Abspaltungsverbot

Oben908 ist die Mitgliedschaft in den Kapitalgesellschaften als Gesamtrechts- 648 und pflichtenposition in ihrer das ganze Recht der Kapitalgesellschaften durchziehenden Vielfalt der Einzelthemen gekennzeichnet worden. An dieser Stelle geht es uns nun um eine Betrachtung der Rechtsstellung der Mitglieder, von ihrer Entstehung an, in Hinsicht auf ihr Wesen, weiter auf die wesentlichen Rechte der Gestaltungsteilnahme und der Vermögensberechtigung und schließlich bis zum Ende der Mitgliedschaft.

2. Entstehung der Mitgliedschaft, Gleichbehandlungsgebot, Mitgliedschaft als subjektives Recht Die Mitgliedschaft an der Aktiengesellschaft, die zunächst Vor-AG und mit der 649 Eintragung AG ist (§ 41 I 1 AktG), beginnt mit der Teilnahme am Gesellschaftsvertrag und der Übernahme von Aktien als Verkörperungen der Mitgliedschaft, mit der Zeichnung neuer Aktien bei einer Kapitalerhöhung und mit dem Erwerb von Aktien durch Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge909. Die Gesellschafter der GmbH, die ebenfalls zunächst Vor-GmbH und dann rechtsfähige Gesellschaft ist (§§ 11, 13 I GmbHG), sind mit der Teilnahme am Gesellschaftsvertrag und den darin übernommenen Geschäftsanteilen Mitglieder der GmbH. Wie über die Aktie ist auch über Veräußerung und Erwerb von Geschäftsanteilen oben910 das Grundsätzliche ausgeführt. Für beide Gesellschaften gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitglieder. Für die Aktionäre steht er positiv in § 53a AktG. Mitzudenken sind

_____ 908 Rn 199. 909 Die Beteiligung als Gründer kann nur durch Vertragsänderung mit Zustimmung aller Mitgründer übertragen werden, die Rechtsstellung aus der Zeichnung neuer Aktien, solange solche nur gezeichnet sind, die Kapitalerhöhung aber noch nicht wirksam ist, nur mit Zustimmung der Gesellschaft. 910 Zu Veräußerung und Erwerb von Aktien Rn 220 ff, von Geschäftsanteilen o Rn 228 ff. https://doi.org/10.1515/9783110595802-006

376 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

der Vorbehalt der Möglichkeit satzungsmäßiger Sonderausstattung von Aktien (§§ 11, 26 I AktG) und – bei der GmbH – die noch sehr viel weitergehende Geltung der Vertragsautonomie. Zur Autonomie bezüglich der Satzung bzw des Gesellschaftsvertrags ist oben schon das Nötige gesagt911. Betreffs der Gleichbehandlung gilt: Ausgeschlossen wird die willkürliche, sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Eine unterschiedliche Behandlung durch den Vorstand (etwa bei Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung bei vinkulierten Aktien – § 68 II 2 AktG –) oder durch die HV ist ein rechtswidriger Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn sie nicht sachlich gerechtfertigt ist911a. Beispiele aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für rechtfertigende Gründe sind die folgenden: Der Ausschluss vom Bezugsrecht bei einer Kapitalerhöhung ist gerechtfertigt, wenn dieser der Verhinderung des gesellschaftsschädlichen Einflusses einer Aktionärsgruppe dient912; die Einführung eines Höchststimmrechts (nach § 134 I 2 AktG aF – noch ohne Beschränkung auf nicht börsennotierte AG –) ist gerechtfertigt, wenn sie das Leitbild der AG gegen zu starke Einflüsse von Großaktionären wahren soll913. Der Ausschluss des Bezugsrechts von Kleinaktionären auf Genussrechte (§ 221 IV AktG) ist gerechtfertigt, wenn die Genussrechte gegenüber dem durch einen vorherigen Beherrschungsvertrag garantierten vorrangigen Gewinnanteil außenstehender Aktionäre nicht ins Gewicht fallen, folglich kaum auf Nachfrage stoßen würden, so dass sie schlecht platzierbar sind, und ein Ausgleich in Gestalt von Schuldverschreibungen der Gesellschaft angeboten wird914. Sodann hat das OLG Köln die

_____ 911 Rn 213a. 911a Zur Gleichbehandlung bei der GmbH Roth/Altmeppen/Altmeppen § 13 Rn 61. Weitgehend kann die Satzung der GmbH Sonderrechte der Gesellschafter iSv § 35 BGB konstituieren: Vorzugsdividende, Vorzugsanteil am Liquidationserlös, Vorbehalt der Zustimmung zu Satzungsänderungen (RGZ 169, 65 (81), Sonderrechte auf Besetzung der Geschäftsführung (RGZ 170, 358; OLG Düsseldorf DNotZ 2007, 394). Der in RGZ 159, 272, 280, 281 behandelte Passus, dass es zur Abtretung eines Geschäftsanteils der Zustimmung der übrigen Gesellschafter bedarf und diese bei Ableben eines Gesellschafters dessen Anteil übernehmen dürfen, begründet zwar Sonderrechte iSv § 35 BGB, aber kein Vorrecht einzelner Gesellschafter. Zu möglichen Sonderrechten weiter Roth/Altmeppen/Altmeppen § 14 Rn 21, der das Erfordernis hervorhebt, dass bei nachträglicher Einführung von Sonderrechten die dadurch benachteiligten Gesellschafter zustimmen müssen. Bei Änderung von Sonderrechten müssen die Sonderberechtigten zustimmen (§ 35 BGB). Aus wichtigem Grund, der zur Unzumutbarkeit für die anderen Gesellschafter führt, kann ein Sonderrecht ohne Zustimmung eingeschränkt oder entzogen werden (Raiser/Veil § 37 Rn 8). Ohne wichtigen Grund einschränkende oder entziehende Beschlüsse sind unwirksam, statt Anfechtungsklage kommt die allgemeine Feststellungsklage in Betracht. 912 BGHZ 33, 175. 913 BGHZ 70, 122 f. 914 BGHZ 122, 141. https://doi.org/10.1515/9783110595802-006

I. Mitgliedschaft als Gesamtrechtsposition; Abspaltungsverbot | 377

Umwandlungsprämie für Vorzugsaktionäre als Belohnung für gerechtfertigt erklärt, wenn diese ihre Beteiligung in Stammaktien umwandeln, weil der Vorteil der Präsenz der AG an internationalen Kapitalmärkten auch Stammaktionären zukomme915. Fehlt die sachliche Rechtfertigung, wird also der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, kommen je nachdem, welches Organ die Verletzung begeht, ein Anspruch auf Gleichbehandlung oder die Anfechtung des HV-Beschlusses nach § 243 I AktG in Betracht.916 Viel erörtert ist die Frage, ob die Mitgliedschaft als Ganzes ein subjektives 650 und insbesondere absolutes Recht iS von § 823 I BGB ist917. In der Entscheidung Schärenkreuzer ordnet der BGH die Mitgliedschaft in einem Verein zur Förderung eines bestimmten Bootstyps und zur Förderung der Eigner dieses Typs als ein sonstiges Recht iS von § 823 I BGB ein. Verneine der Vereinsvorsitzende unrichtig die Regattazulassungsvoraussetzungen für das Boot des Kl und baue dieser das Boot entsprechend um, so könne der Verein und auch der Vorsitzende selbst nach § 823 I BGB (der Verein nach dieser Vorschrift iVm § 31 BGB) schadensersatzpflichtig sein. Die Ersatzpflicht entfalle freilich – möglicherweise sogar vollständig – nach § 254 BGB, weil der Kl gegen die Erklärung des Vorsitzenden eine Feststellungsklage hätte anstrengen können. Darüber hinaus sei der Vorsitzende dann nicht schadensersatzpflichtig, wenn er in Vollzug einer bindenden Versammlungsentscheidung gehandelt habe.

Dem BGH ist nicht zu folgen: Soweit die Mitgliedschaft in dem Verhältnis des Gesellschafters zur Gesellschaft und den Mitgesellschaftern besteht, ist sie kein absolutes Recht, sondern eine relative Position. Ihre Durchsetzung und ihr Schutz bestimmen sich nach Gesellschafts-, insbesondere Korporationsrecht und dessen sinngemäßer Ergänzung nach den Grundsätzen über Sonderbeziehungen (§§ 241 II, 280, 311 I–III, 278 BGB)918. Weiter kommt § 826 BGB in Betracht. Vorbehaltlich dieser Grundsätze sind Organmitglieder der Korporation durch ihre Organpflichten mit der Korporation und nicht mit den Mitgliedern verbunden919. Eine absolute Dimension hat die Mitgliedschaft nur so, wie

_____ 915 ZIP 2001, 2049. 916 Raiser/Veil, § 11 Rn 65. 917 So der BGH BGHZ 90, 92; 110, 323 (Schärenkreuzer). Für die Einordnung der Mitgliedschaft als absolutes Herrschaftsrecht Habersack Die Mitgliedschaft – subjektives und ‚sonstiges‘ Recht 1996. Dazu mit Recht kritisch die Besprechung von Reuter, AcP 197 (1997), 322. Aber auch die von Reuter gezogene Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis (S 325 f) ist nicht angemessen. 918 Zur Sonderbeziehung zur Gesellschaft s bereits o Rn 551 ff im Rahmen des Themas der Durchgriffshaftung. Zur Sonderbeziehung unter den Gesellschaftern (Stichworte: Treuepflicht, actio pro socio) u Rn 669, 822 ff. 919 Die Organpflichttatbestände der §§ 93, 116 AktG sind keinesfalls Gesetze zum Schutz der Mitglieder (allerdings nicht einschlägig die von Raiser/Veil § 11 Rn 7 Fn 12 angeführten Ent-

378 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

jedes relative Recht, insofern, als sie allein dem Inhaber, dem Mitglied, gehört. Die Anmaßung eines Mitgliedschaftsrechts, insbesondere die Verfügung darüber durch Dritte, löst den Schutz absoluter Rechte aus920. Besonders ist die Rechtslage, wenn das Mitgliedschaftsrecht in einem Wertpapier verkörpert ist. Zerstörung oder Entwendung des Papiers sind Eingriffe in das Sacheigentum am Papier, mit dem das Mitgliedschaftsrecht aus dem Papier verbunden ist. Die Mitgliedschaft ist also ein subjektives, aber relatives Recht. Aus ihr ergeben sich Rechte gegenüber der Gesellschaft und die actio pro socio bei Verletzung der Mitgliedschaft.

3. Abspaltungsverbot 651 Die aus der Mitgliedschaft fließenden Einzelrechte sind vorbehaltlich von kon-

kretisierten schuldrechtlichen Ansprüchen (sog Gläubigerrechten, etwa Dividendenanspruch des Aktionärs für ein bestimmtes Geschäftsjahr921) integrale Bestandteile der Mitgliedschaft, also mit dieser übertragbar und durch Pfandrecht oder Nießbrauch belastbar. Sie sind aber nicht von der Mitgliedschaft abspaltbar (Abspaltungsverbot, vgl § 717 BGB). Zulässig ist bei der AG die Legitimationszession durch einen anonym bleiben wollenden Aktionärs (§ 129 IV AktG)922.

II. Die Mitgestaltungsrechte kraft der Mitgliedschaft II. Die Mitgestaltungsrechte kraft der Mitgliedschaft 652 Das Hauptgestaltungsrecht des Aktionärs ist das Recht auf Mitwirkung in der Hauptversammlung, aufgeteilt in das Recht auf Teilnahme § 118 I 1 AktG), Auskunft (§ 131 AktG) und Abstimmung (§§ 133 ff AktG). Einzelrechte sorgen für die substantiierte Ausübung dieser Rechte, insbesondere das Recht auf Aus-

_____

scheidungen RGZ 63, 324 – Thema ist Schutz von Anlegern –; RGZ 159, 211, 223, BGH NJW 1979, 1829 – Thema ist der Schutz von Gesellschaftsgläubigern –). 920 Beispiel Verwertung verpfändeter Mitgliedschaftsrechte durch den Pfandgläubiger, obwohl die gesicherte Forderung beglichen ist (RGZ 100, 274, 278; RGZ 158, 248, 255: Für eine Verletzung der Mitgliedschaft müsse der Aktionär „um die Aktienrechte selbst ganz oder teilweise gebracht“ werden). 921 S sogleich Rn 658 ff. 922 Unzulässig aber die Umgehung der Vinkulierung (§ 68 II 1 AktG) durch Abtretung der Aktie und, wenn die Zustimmung verweigert wird, Stimmrechtsermächtigung des Zessionars (BGH NJW 1987, 780).

II. Die Mitgestaltungsrechte kraft der Mitgliedschaft | 379

kunft923. Bei der GmbH ist das Mitgestaltungsrecht durch die personalistische Natur der Gesellschaft bestimmt, also wesentlich mehr treuegebunden. Maßgebend ist der Gesellschaftsvertrag (§ 45 I GmbHG). Mangels anderer Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags werden aber auch bei der GmbH die Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen gefasst (§§ 45 II, 48 I GmbHG). Anders als bei der AktG haben die Gesellschafter auch außerhalb der Versammlung ein weitgehendes Auskunfts- und Einsichtsrecht, welches die Novelle von 1980 gesetzlich fixiert hat (§§ 51a, 51b GmbHG)924. Nach § 12 I 1 AktG gewährt jede Aktie das Stimmrecht, nach S 2 der Vorschrift können „Vorzugsaktien ohne Stimmrecht“ ausgegeben werden. Sie bilden eine besondere Gattung gemäß § 11 AktG. Es gibt also Vorzugsaktien und Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Ein Recht von Aktionären zur Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 101 II AktG) begründet keine besondere Gattung iSv § 11 AktG (§ 101 II 3 AktG). Das Recht ist also auch nicht wie die gattungsmäßige Sonderausstattung durch Sonderbeschluss abänderbar (§§ 179 III, 138 AktG). Was das jedem gewöhnlichen Aktionär zustehende Stimmrecht betrifft, wird dieses gemäß § 134 I 1 AktG nach Aktiennennbeträgen oder der Zahl der Stückaktien ausgeübt. Für den Fall, dass einem Aktionär mehrere Aktien gehören, kann aber die Satzung einer nicht börsennotierten AG – vorbehaltlich der Berechnung satzungsmäßiger oder gesetzlicher Kapitalmehrheiten (§ 134 I 6 AktG) – das Stimmrecht durch Festsetzung eines Höchstbetrags oder von Abstufungen beschränken (§ 134 I 2 mit näheren Bestimmungen in den Folgesätzen). Bei der GmbH gewährt grundsätzlich – vorbehaltlich des Gesellschaftsvertrags – jeder € eines Geschäftsanteils eine Stimme (§ 47 II GmbHG). Zur Teilnahme an der HV und der Stimmrechtsausübung in ihr muss der 653 Aktionär aus der Aktie legitimiert sein. Dies ist der Aktionär bei der Namensaktie durch die Eintragung im Aktienregister (§ 67 II AktG) oder an seiner Stelle die Eintragung des depotführenden Instituts oder sonstiger Personen, die die Aktie für ihn halten (§ 67 IV 2 ff AktG). Bei der Inhaberaktie an einer nicht börsennotierten Gesellschaft ist der Aktionär legitimiert durch Vorlegung der Inhaberaktie. Die Satzung hat hier Freiraum, wie sie die Nachweisart bestimmt (§ 123 III 1

_____ 923 Weiter die Rechte auf Mitteilung (§ 125 II AktG), auf Einsichtnahme in den Jahresabschluss und etwaige Unternehmensverträge sowie auf die Erteilung von Abschriften (§§ 175 II 2, 293 lit f, 295 I, 2 AktG, 63 I, 3 UmwG), das Recht auf Einleitung des Verfahrens zur Klärung der maßgeblichen Aufsichtsratsregelung (§ 98 II Nr 3 AktG), Minderheitsrechte auf Einberufung der HV und/oder Bekanntmachungen zur Tagesordnung (§ 122 I, II AktG), auf Sonderprüfung (§§ 142 II, IV, 258 II, 315 AktG) 924 Näher Raiser/Veil § 37 III.

380 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

AktG)925. Bei börsennotierten Gesellschaften reicht eine in Textform erstellte Bescheinigung der depotführenden Bank aus (§ 123 III 2 AktG)926. Bei der GmbH ergibt sich die Legitimation des Gesellschafters aus der Gesellschafterliste (§§ 16 I 1, 40 GmbHG). Im Übrigen ist das Recht der HV und der Gesellschafterversammlung der GmbH im Rahmen der Darstellung der Organisation der Kapitalgesellschaften zu erörtern927. Bei den Vorzugsaktien ohne Stimmrecht ist die besondere Gestaltung des 654 Stimmrechtsausschlusses die Kehrseite von Vorzügen, die vermögensbezogen sind. Die Vorzugsaktien ohne Stimmrecht sind in §§ 139 ff AktG näher geregelt928. Der Sprachgebrauch unterscheidet Stammaktien, kurz Stämme, also Aktien mit Stimmrecht, und Vorzugsaktien ohne Stimmrecht, kurz Vorzüge (Vorzug bezogen auf die Dividendenberechtigung, sog Vorabdividende). Vorzugsaktien ohne Stimmrecht können bis zu 50% des Grundkapitals ausmachen (§ 139 II AktG). Sinn der Schranke ist die Verhinderung der Herrschaft nur weniger stimmrechtsbegabter Aktionäre über die Mehrheit von Kapitalgebern. Die Vorabdividende ist keine Einlagenverzinsung, sondern setzt verteilbaren Bilanzgewinn voraus929. Nur wird durch Nachzahlung eine gewisse Gleichmäßigkeit der Dividendenzahlung gewährleistet (§§ 139 I, 140 II 1 AktG). Häufig wird durch Ansammlung eines Dividendenreservenfonds die Auszahlung der Dividenden auch in ertragslosen Jahren gesichert und so die Notwendigkeit einer Nachzahlung vermieden. Zu vermeiden ist damit auch ein Wiederaufleben des Stimmrechts, welches § 140 II AktG regelt. Die Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht haben zwar, solange sie bevorzugt bedient werden, kein Stimmrecht (bei gesetzlich oder satzungsmäßig erforderlichen Kapitalmehrheiten sind sie nicht mitzurechnen, § 134 I 6 AktG); sie sind aber berechtigt, an der HV teilzunehmen, sie sind hier antrags- bzw vorschlagsberechtigt (§§ 126, 127, 137 – iVm § 124 III 1 – AktG), auskunftsberechtigt (§§ 131 f AktG), und sie sind berechtigt, HV-Beschlüsse anzufechten (§ 245 Nr 1–3 AktG).

_____ 925 Etwa Legitimation durch Hinterlegung beim Notar und die notarielle Bescheinigung darüber, s Happ Aktienrecht, 3. Aufl 2007, 10.01 Rn 4, Muster von Hinterlegungsbescheinigungen in 10.02. § 123 AktG in der Fassung des UMAG sieht eine Hinterlegung nicht mehr vor. Der Begriff sei ausländischen Investoren nicht klar (Begr BT-Drucks 14/4051, S 26). 926 Wenn die Satzung hier noch Regelungen treffen soll, dann kann das nur iS einer Erleichterung geschehen. 927 S u Rn 1144 ff (HV), 1234 ff (Gesellschafterversammlung). 928 Zu Vorzugsaktien als Finanzierungsmittel Siebel, ZHR 161 (1997), 628. 929 S BGHZ 7, 263; 9, 279.

II. Die Mitgestaltungsrechte kraft der Mitgliedschaft | 381

Bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen930 sind auch Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht bezugsberechtigt (§ 186 I AktG). Das Bezugsrecht bezieht sich auf Stammaktien, wenn nur gegen solche erhöht wird. Wird das Kapital sowohl in Bezug auf die Stamm- wie die Vorzugsaktien ohne Stimmrecht, und zwar in deren bisherigem Verhältnis, erhöht, kann das Bezugsrecht der Vorzugsaktionäre auf die neuen Vorzugsaktien beschränkt werden931. Wird das Kapital gegen Ausgabe von Vorzugsaktien mit vorgehendem oder gleichberechtigtem Gewinn- oder Vermögensverteilungsrecht erhöht, müssen die Inhaber von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht durch Sonderbeschluss zustimmen (§ 141 II 1 AktG – mit Ausnahmen in § 141 II 2 AktG). Der Beschluss ist in gesonderter Versammlung – §§ 141 III 1 AktG, 138 AktG – mit 3/4-Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen (§ 141 III 2 AktG). Ebenso zustimmungsbedürftig ist der Beschluss über die Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs (§ 141 I AktG). Vorzugsaktien ohne Stimmrecht können also in Stammaktien umgewandelt werden932. Auch bei der GmbH können aufgrund der Satzungsautonomie Vorzugsge- 655 schäftsanteile ohne Stimmrecht geschaffen werden933. Die Zulassung von Mehrstimmrechten im Aktienrecht ist abgeschafft 656 (§ 12 II)934. Rechte aus Aktien können ruhen. Das Ruhen wird zunächst einmal ange- 657 ordnet als Konsequenz von Mitteilungspflichten, die die §§ 20 und 21 AktG zur Aufklärung über einflussreiche und möglicherweise zur Konzernierung führende Beteiligungen anordnen. Solange die Pflichten nicht erfüllt werden, können die Rechte aus den Aktien nicht ausgeübt werden (§§ 20 VI, 21 IV AktG). Gleichfalls wird das Ruhen bestimmt für Aktien, die für Rechnung der Aktiengesellschaft, an der sie bestehen, übernommen werden (§ 56 III 3 AktG). Ist die Gesellschaft Inhaberin eigener Aktien, stehen ihr keine Rechte daraus zu (§ 71b AktG). Sind Unternehmen wechselseitig beteiligt, sind die Rechte aus den Aktien eingeschränkt (§ 328 I, II AktG). Auch aus eigenen Geschäftsanteilen der GmbH ruhen die Rechte935.

_____

930 Bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ist § 216 I AktG zu beachten. In Umwandlungsfällen § 23 UmwG (betr Verschmelzung; zur Bedeutung der Verschmelzungsregelung als eine Art allgemeiner Teil u Rn 1466). 931 Raiser/Veil § 11 Rn 21 mN in Fn 28. 932 Dazu Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859. 933 Roth/Altmeppen/Altmeppen § 47 Rn 17 f. 934 Durch das KonTraG. Übergangsregelung in § 5 EGAktG, dazu Wasmann, BB 2003, 57. Zur Ausgleichspflicht BayObLG BB 2003, 66; Löwe/Thoß, ZIP 2002, 2075; Hering/Olbrich, ZIP 2003, 104. 935 Baumbach/Hueck/Fastrich § 33 Rn 23 ff.

382 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

III. Die Vermögensrechte aus der Mitgliedschaft III. Die Vermögensrechte aus der Mitgliedschaft

1. Die Vermögensrechte des Aktionärs a. Das Gewinnbeteiligungsrecht 658 Die Regelung des Rechtsverhältnisses des Aktionärs zu seiner Gesellschaft be-

ginnt nach der Voranstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a AktG) mit den Pflichten des Aktionärs (§§ 54 f AktG) und dem, was die Gesellschaft, insbesondere im Verhältnis zu ihren Aktionären, nicht tun darf (§§ 55–57 II AktG). Dann erst erscheint das Gewinnbeteiligungsrecht des Aktionärs936, aber auch bei diesem wird in § 57 III AktG zunächst die Beschränkung hervorgehoben: Vor Auflösung der Gesellschaft darf unter die Aktionäre nur der Bilanzgewinn verteilt werden. Erst in § 58 IV AktG wird das Gewinnbeteiligungsrecht als Gewinnanspruch937 positiv formuliert, mit Fälligkeit – vorbehaltlich des Beschlusses oder der Satzung – am dritten auf den HV-Beschluss folgenden Geschäftstag938. Allerdings steht die positive Formulierung noch unter mehrfachem Vorbehalt: Die Aktionäre haben Anspruch auf den Bilanzgewinn, soweit er nicht nach Gesetz oder Satzung, durch HV-Beschluss nach § 58 III AktG oder als zusätzlicher Aufwand aufgrund des Gewinnverwendungsbeschlusses der HV (§ 174 AktG)939 von der Verteilung unter die Aktionäre ausgeschlossen ist. § 58 AktG nimmt dabei mehrfach auf die Feststellung des Jahresabschlusses und den Gewinnverwendungsbeschluss Bezug. Diese sind in §§ 172 ff AktG geregelt und im Einzelnen unten bei der Rechnungslegung der Aktiengesellschaften zu behandeln940. Sieht man die in § 58 IV AktG angeführten Vorbehalte für den Anspruch auf 659 den Bilanzgewinn im Zusammenhang mit denjenigen Vorbehalten, unter denen noch obendrein die Größe des Bilanzgewinns steht, auf den der Aktionär den vorbehaltlichen Anspruch hat, erweist sich die Rede des Gesetzes von den Anteilen der Aktionäre am Gewinn der Gesellschaft (§ 60 I AktG) als irreführend941. Gewinn ist, wie das Steuerrecht sinnvoll definiert942, der Unterschiedsbetrag

_____ 936 Sogenanntes Dividendenrecht (vom lateinischen Ausdruck für „Aufzuteilendes“; man müsste genauer also von Gewinndividendenrecht sprechen). Ausschluss des Dividendenrechts bei Inanspruchnahme des Fonds nach FMStG, Art 1 § 10 II Nr 5 FMStG iVm § 5 II Nr 5 FMStV. 937 Zur Verwandlung in einen Anspruch erst durch den Gewinnverwendungsbeschluss der HV BGHZ 124, 27 (31). 938 Fälligkeit nach § 58 IV 2,3 AktG geltend ab 1.1.2017 (Aktienrechtsnovelle 2016). 939 Je nach dem Beschluss kann sich eine höhere steuerliche oder Tantiemebelastung ergeben, als im Jahresabschluss berücksichtigt. 940 Rn 1380 ff. 941 S schon Wilhelm, ZHR 159 (1995), 454, 456. 942 § 4 I 1 EStG, der nach §§ 7 I, II, 8 I KStG auch für die Kapitalgesellschaften gilt.

III. Die Vermögensrechte aus der Mitgliedschaft | 383

zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen943, vermindert um den Wert der Einlagen944. Dieser Gewinn ist aber nicht der Gewinn des Kapitalgesellschaftsrechts, insbesondere nicht der des AktG. Das AktG verwendet für diesen Gewinn weitestgehend deckungsgleich945 den Terminus Jahresüberschuss (§§ 266 III A V HGB, 58 AktG). Ist aber der Gewinn der Jahresüberschuss, so muss der Bilanzgewinn etwas anderes sein. Er ist diejenige Größe, die aus dem Jahresüberschuss nach dessen Verwendung übrigbleibt. Nach § 268 I 2 HGB kommt der Bilanzgewinn heraus, wenn das Jahresergebnis teilweise verwendet (§ 270 II HGB), insbesondere ihm ein etwa vorhandener Gewinnvortrag aus dem Ergebnis der Bilanz des Vorjahres hinzugefügt, ein Verlustvortrag von ihm abgezogen wird (§ 268 I 2 Hs 2 HGB). Die Verwendung mit dem Ergebnis des Postens Bilanzgewinn/verlust ist bei der AG zwingend (nach § 152 II, III AktG iVm § 268 I 2 HGB für die Bilanz, nach § 158 I 1 Nr 1 ff, 5 AktG für die Gewinn- und Verlustrechnung). Die teilweise Verwendung des Jahresergebnisses bedeutet insbesondere die 660 Einstellung von Teilen des Jahresergebnisses in Rücklagen. § 158 I 1 AktG zählt unter Nr 4 a-d die folgenden Einstellungen in Rücklagen auf: Einstellung in gesetzliche Rücklagen (dazu § 150 AktG), die Einstellung in die Rücklage für Aktien an herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen (dazu § 272 IV HGB)946, die Einstellung in satzungsmäßige Rücklagen und die Einstellung in andere Rücklagen. Die Möglichkeit der Einstellung in „andere“ Rücklagen regelt § 58 I–III 661 AktG. Wenn Vorstand und Aufsichtsrat den Jahresabschluss feststellen (s § 172 AktG), gibt ihnen § 58 II AktG – neben der besonderen Einstellungsmöglichkeit des § 58 IIa947 – mit den Vorbehalten des § 58 II 3 die Befugnis, bis zur Hälfte des Jahresüberschusses in andere Rücklagen einzustellen, wenn nicht die Satzung sie zur Einstellung eines noch höheren oder nur eines geringeren Teils

_____ 943 Diese bedeuten Abschöpfung, aber nicht Verminderung des Betriebsergebnisses. 944 Diese bedeuten Vermehrung der Kapitalgrundlage des Betriebs, sind aber nicht Betriebsergebnis. 945 Zu einer Differenz s Wilhelm ZHR 159 (1995), S 456 Fn 5. 946 Auf die Bilanzierung eigener Aktien bezieht sich § 272 Ia HGB und die den Erwerb eigener Aktien über die Grundvoraussetzungen des § 71 I AktG hinaus beschränkende Vorschrift des § 71 II 2 AktG. 947 Sie bezieht sich auf die Auflösung nicht mehr gerechtfertigter Abschreibungen (und der darin liegenden stillen Reserven) gemäß dem Wertaufholungsgebot nach § 253 V 1 HGB. Der Erhöhungsbetrag abzüglich der Steuerbelastung (die Differenz ist der sog Eigenkapitalanteil) kann in die Rücklage eingestellt werden, womit eine Erhöhung von Aktiva durch Erhöhung der Rücklage als Passivum neutralisiert wird. Aus stiller wird offene Rücklage.

384 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

ermächtigt (§ 58 II 2). Für den Fall, dass die HV den Jahresabschluss feststellt (§ 173 AktG), kann die Satzung bestimmen, dass ein Teil des Jahresüberschusses, wieder bis zu 50%, in andere Rücklagen einzustellen sind (§ 58 I). Eine bloße Ermächtigung reicht hier also nicht. Ohne Satzungsbestimmung oder aufgrund einer lediglich ermächtigenden Satzungsbestimmung kann die HV die Einstellung nicht vornehmen (§ 173 II 2 AktG)948. Die Satzungsbestimmung über „andere“ Rücklagen verdrängt nicht die weitere Möglichkeit, satzungsmäßige Rücklagen zu bilden. Nach § 158 I Nr 4 AktG stehen satzungsmäßige und „andere“ Rücklagen nebeneinander. § 58 I AktG bezieht sich auf andere Rücklagen. Kommt erst unter Berücksichtigung all’ dieser Möglichkeiten der Jahresab662 schluss mit dem Bilanzgewinn zustande, so setzt auch hier noch nicht das Gewinnbeteiligungsrecht der Aktionäre an. Jetzt ist noch über die Verwendung des Bilanzgewinns zu entscheiden, und über die Verwendung des Bilanzgewinns entscheidet jedenfalls die HV (§ 174 AktG). Diese kann nun noch im Verwendungsbeschluss weitere Beträge in Gewinnrücklagen949 einstellen oder als Gewinn vortragen und – hier aufgrund Ermächtigung in der Satzung – anderen Zwecken950 zuführen als denjenigen der Einstellung in Rücklagen oder der Verteilung unter die Aktionäre (§§ 174 II, 58 III AktG). Für die Rücklagenbildung und den Gewinnvortrag gibt es keine Obergrenze. Erst auf den Gewinn gemäß diesem Ausschüttungsbeschluss, also den Gewinn gemäß dem Beschluss, der unter diesen Schranken und Vorbehalten zustande kommt, haben die Aktionäre einen Anspruch (§ 59 IV AktG), der sich nach dem Verhältnis ihrer Anteile am Grundkapital (§ 60 I AktG) bemisst951. Nach § 59 AktG kann die Satzung den Vorstand ermächtigen, nach Abschluss des Geschäftsjahrs auf den voraussichtlichen Bilanzgewinn eine Abschlagszahlung zu gewähren. Das Gesetz begründet zwei Sicherungen der Gewinnteilnahme: zum einen 662a in § 254 AktG: Die Vorschrift gibt, allerdings unter verschiedenen einschränkenden Voraussetzungen, die Möglichkeit, durch Anfechtungsklage gegen den Gewinnverwendungsbeschluss wenigstens eine Gewinnausschüttung von 4% des Grundkapitals – abzüglich von noch nicht eingeforderten Einlagen – zu erreichen. Zum zweiten können die Aktionäre gegen den festgestell-

_____

948 Stellt die HV ein, so besteht ein Nichtigkeitsgrund gem § 256 I Nr 4 AktG. 949 In andere oder auch gesetzliche Rücklagen, s Hüffer/Koch § 58 Rn 22 f. 950 Etwa einer gemeinnützigen Verwendung, s Hüffer/Koch § 58 Rn 25. 951 Anders als die Stimmberechtigung, die grundsätzlich erst mit der vollen Einzahlung der Aktie beginnt (§ 134 II 1 AktG, mit Satzungsvorbehalt gem § 134 II 3 ff AktG), beginnt die Gewinnberechtigung mit der Beteiligung als Aktionär als solcher, wobei nur gem § 60 II AktG ein Voraus auf die geleistete Einzahlung in Betracht kommt, und nach § 60 III AktG die Satzung überhaupt etwas anderes bestimmen kann.

III. Die Vermögensrechte aus der Mitgliedschaft | 385

ten Jahresabschluss nach §§ 258 ff AktG vorgehen: Danach haben Aktionäre mit 1% des Grundkapitals oder Anteilen von mindestens 100.000,– € (§ 258 II 3 iVm § 142 II AktG) das Minderheitsrecht, durch das Gericht eine Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung iSv § 256 V 3 AktG iVm §§ 253 -256a HGB (Unterbewertung von Aktiv- oder Überbewertung von Passivposten) zu veranlassen. Die Einschränkungen der Gewinnbeteiligung der Aktionäre durch die Ge- 662b staltung des Jahresabschlusses und dann sogar noch durch den Gewinnverwendungsbeschluss der HV verschärfen sich noch, wenn eine Gesellschaft von einer anderen faktisch abhängig ist, also insbesondere im faktischen Konzern. Beim Vertragskonzern oder einem Gewinnabführungsvertrag sind das Probleme der gesetzlichen und vertraglichen Regelung. Bei faktischer Abhängigkeit kommt es zur doppelten Anwendung der Beschränkungen der Gewinnteilnahme hinsichtlich des Gewinns der abhängigen Gesellschaft, zunächst auf der Ebene der abhängigen und dann nochmals betreffs des dort freigegebenen Gewinns auf der Ebene der herrschenden Gesellschaft. Wegen der Faktizität der Verbindung führt aber kein Weg an der Anwendung des § 58 II, IIa, III AktG auf beiden Ebenen vorbei952. Das Gewinnbeteiligungsrecht ist ein individuelles Sonderrecht iS von § 35 662c BGB. Eine nachträgliche Beschränkung des auf die Aktien entfallenden Gewinnanteils durch Satzungsänderung ist nicht möglich953.

b. Das Bezugsrecht der Aktionäre, das Recht der Aktionäre auf Teilnahme am Liquidationserlös und verwandte Rechte Der Aktionär hat bei Kapitalerhöhungen, die die Gesellschaft gegen Einlagen 663 vornimmt, ein Bezugsrecht954, bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln das Recht auf Gratisaktien955. Weiter ist der Aktionär nach § 271 AktG bei Auflösung und Liquidation der Gesellschaft am Liquidationserlös beteiligt. Dem entsprechen der Rückzahlungsanspruch bei einer Kapitalherabsetzung (§ 225 II AktG ordnet Beschränkungen an) und die Ausgleichsansprüche bei Strukturveränderungen (§§ 304, 305, 320b AktG und nach dem UmwG).

_____ 952 Zutreffend Hüffer/Koch § 58 Rz 17. 953 BGHZ 23, 150, 157; Hüffer/Koch § 58 Rn 28. 954 Näher dazu o Rn 588 ff. Zum Bezugsrecht bei Gewinn- und Wandelschuldverschreibungen o Rn 599 mit Fn 859b. 955 O Rn 618.

386 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

2. Die Vermögensrechte der Gesellschafter der GmbH a. Das Gewinnbeteiligungsrecht 664 Für das Gewinnbeteiligungsrecht des Gesellschafters der GmbH ist zwischen dem Gewinnstammrecht und dem Gläubigerrecht zu unterscheiden. Das Gewinnstammrecht ist Bestandteil der Mitgliedschaft. Erst mit dem Beschluss der Gesellschafter über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Gewinns spaltet sich aus dem Stammrecht eine bezifferte und fällige Forderung als Vermögensbestandteil des Gesellschafters ab956. Die Folge ist, dass eine vor dem Beschluss der Gesellschafter wirksam gewordene Einziehung des Geschäftsanteils das Stammrecht aufhebt, und es so auch für das während der Einziehung laufende Geschäftsjahr nicht mehr zum Gläubigerrecht des Gesellschafters kommen kann957. § 29 GmbHG grenzt das Gewinnbeteiligungsrecht (Gewinnstammrecht) der 665 Gesellschafter ab. Nach § 29 I aF GmbHG hatten die Gesellschafter einen Anspruch auf den nach der jährlichen Bilanz sich ergebenden Reingewinn, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt war. Es galt das sogenannte Vollausschüttungsgebot. § 29 aF GmbHG ist durch das BiRiLiG958 von 1985, dem in der Hauptsache das 3. Buch des HGB entstammt, geändert worden. Die Änderung hat die Vorschrift des § 29 GmbHG an das System und die 665a Terminologie des 3. Buchs des HGB angepasst. Sodann hat sie der Gesellschafterversammlung von Gesellschaften mbH, die nach dem 1.1.1986 gegründet worden sind, die grundsätzliche – dh auch ohne Grundlage im Gesellschaftsvertrag bestehende, in diesem aber abdingbare – Möglichkeit gegeben, durch Gesellschafterbeschluss Gewinne zu thesaurieren959. Minderheitsgesellschafter

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956 RGZ 87, 383, 386. In RGZ 98, 319, 320 lässt das RG die Abtretung des künftigen Gläubigerrechts auf den Anteil am Gewinn des laufenden Jahres zu, auch die Übertragung des Geschäftsanteils unter Ausklammerung des Gläubigerrechts (zu denken als Rückabtretung des künftigen Gläubigerrechts an den Veräußerer). Nach – allerdings bestrittener – Ansicht hat ein der Gesellschaft angehörender Gesellschafter darauf, dass ein Beschluss über die Ergebnisverwendung gefasst wird, einen gem § 888 ZPO durchsetzbaren Anspruch (Roth/Altmeppen/Roth § 29 Rn 50; näher Gutbrod, GmbHR 1995, 551). 957 BGHZ 139, 299. 958 BiRiLiG v 19.12.1985 BGBl I S 2355. 959 S Roth/Altmeppen/Roth § 29 Rn 1. Dort auch zur Übergangsregelung. Nach der früheren Fassung konnte die notwendige Bildung von Reserven durch Bildung stiller Reserven in der Bilanz erfolgen. Dies hat das BiRiLiG beendet (§§ 279, 280 HGB, Folgevorschriften sind § 58 IIa AktG und die entsprechende Vorschrift des § 29 IV GmbHG). Schon wegen des grundsätzlichen Ausschlusses stiller Reserven musste das Vollausschüttungsgebot – das dadurch verschärft worden wäre – abgeschafft werden, Roth/Altmeppen/Roth § 29 Rn 6, zum früheren Vollausschüttungsgebot 5. Aufl § 29 Rn 24.

III. Die Vermögensrechte aus der Mitgliedschaft | 387

können gegen solche Beschlüsse nur mit der Anfechtungsklage vorgehen, für die die unbestimmten Schranken des Rechtsmissbrauchs oder des Verstoßes gegen die Treuepflicht bemüht werden müssen960. Weiter räumt § 29 IV GmbHG der Geschäftsführung die eingeschränkte Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Aufsichtsrats oder der Gesellschafter Teile des Jahresüberschusses in andere Rücklagen einzustellen. Die Möglichkeit entspricht der des § 58 IIa AktG961: Es geht um die Möglichkeit, stille Reserven, die nach dem HGB aufgelöst werden müssen, weiterhin – jetzt als Rücklage – zu thesaurieren. Der grundsätzliche Unterschied zur Stellung des Aktionärs besteht in der 665b Freiheit des GmbHG für die Satzung der Gesellschaft und nach § 29 II für die Beschlussfassung der Gesellschafter. Aber auch nach der gesetzlichen Fassung scheint nach wie vor ein bedeutsamer Unterschied zur AG zu bestehen: Anders als die Aktionäre haben die Gesellschafter der GmbH nach der neuen Regelung grundsätzlich nicht nur einen – vorbehaltlichen – Anspruch auf den seinerseits sich erst nach Abzugsmöglichkeiten ergebenden Bilanzgewinn, sondern sie haben einen – allerdings wieder mit einem Vorbehalt versehenen – Anspruch auf den Jahresüberschuss, zuzüglich eines Gewinnvortrags und abzüglich eines Verlustvortrags (§ 29 I 1 GmbHG). Vorbehalten ist der Ausschluss von der Verteilung, der sich nach dem Gesetz, der Satzung oder aufgrund eines Beschlusses nach § 29 II oder schließlich als (zusätzlicher steuerlicher) Aufwand aufgrund eines solchen Beschlusses ergibt. § 29 I 2 GmbHG erwähnt allerdings auch die Möglichkeit, die Bilanz unter 665c Berücksichtigung der teilweisen Ergebnisverwendung aufzustellen (§ 268 I 1 HGB). Da nach der für AG und GmbH einheitlich geltenden Vorschrift des § 268 I 2 HGB in diesem Fall an die Stelle des Jahresüberschusses der Posten Bilanzgewinn tritt, in den ein vorhandener Gewinn- oder Verlustvortrag einzubeziehen ist, haben auch die Gesellschafter der GmbH in diesem Fall statt des Anspruchs auf den Jahresüberschuss zuzüglich Gewinnvortrags, abzüglich Verlustvortrags, den Anspruch auf den Bilanzgewinn (§ 29 I 2 GmbHG). Zum Anspruch auf den Bilanzgewinn muss berücksichtigt werden, dass sich der Bilanzgewinn nach § 270 II HGB dadurch ergibt, dass schon bei der Aufstellung der Bilanz neben der Berücksichtigung eines Gewinn- oder Verlustvortrags die gesetzlich oder nach dem Gesellschaftsvertrag in Gewinnrücklagen einzustellenden Beträge abzuziehen sind (§ 270 II HGB). Zum Anspruch auf den Jahresüberschuss

_____ 960 Roth/Altmeppen/Roth § 29 Rn 20 mit reichen N. Die analoge Anwendung des § 254 AktG kommt wegen der dort bestimmten 4%-Schranke nicht in Betracht. Es dürfte § 243 II AktG in entsprechender Anwendung ausreichen. Auch an den Austritt aus wichtigem Grund ist zu denken, der freilich ultima ratio ist, s u Rn 689. 961 O Rn 661.

388 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

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behält § 29 I 1 GmbHG genauso jene Beträge vor. Also besteht zwischen den beiden Anspruchsgestaltungen kein Unterschied. Vergleichen wir danach AG und GmbH, so ist vorerst nur der Unterschied zu entdecken, dass es bei der GmbH auch die Aufstellung der Bilanz mit dem Ergebnis des Jahresüberschusses, dh ohne Berücksichtigung der teilweisen Verwendung des Jahresergebnisses, gibt962. Der Unterschied zwischen der gesetzlichen Stellung des Aktionärs auf der einen und der gesetzlichen Stellung des Gesellschafters der GmbH auf der anderen Seite ist nicht in der Formulierung des Anspruchsgegenstands begründet. Er liegt in den gesetzlichen Schranken, die das Gesetz für die Gewinnausschüttung, sei es in Bezug auf die Ausschüttung des Jahresüberschusses, sei es in Bezug auf die Bildung des Bilanzgewinns aus dem Jahresüberschuss, macht. Bei der GmbH gibt es zunächst einmal keine gesetzliche Rücklage, wie diese für die AG in § 150 AktG geregelt ist. Sodann geht die Ermächtigung der Organe der AG, über die Ergebnisverwendung zu entscheiden, weiter als die der Geschäftsführung nach § 29 IV GmbHG. Entscheidend ist aber die umfassende Autonomie der Gesellschafter der GmbH. Auch die Anteile an dem zur Verteilung kommenden Gewinn sind bei der GmbH disponibel. Die Verteilung bemisst sich grundsätzlich nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile – ohne Rücksicht auf deren Einzahlung. Dies steht aber unter dem Vorbehalt, dass im Gesellschaftsvertrag nicht ein anderer Maßstab der Verteilung festgesetzt ist (§ 29 III 1, 2 GmbHG). Ein Maßstab muss es aber sein. Ein solcher ist auch der, den das Steuerprivileg der Gemeinnützigkeit voraussetzt: nach der Satzung muss jede Gewinn- und Vermögensbeteiligung der Gesellschafter ausgeschlossen sein963. Ist der Gewinn der Gesellschaft ganz oder teilweise an ein anderes Unternehmen abzuführen, müssen nach der Rechtsprechung die aktienrechtlichen Voraussetzungen eines Gewinn- oder Teilgewinnabführungsvertrages erfüllt sein (s §§ 291, 292 II Nr 2, 293 ff AktG)964. Der Gewinnanspruch (das Gläubigerrecht) der Gesellschafter entsteht aufgrund des Beschlusses der Gesellschafterversammlung über die Ergebnisverwendung. Entsprechend der Unterschiedlichkeit des Wesens und der Vermögensbindungssysteme beider Gesellschaftsformen ist die Haftung auf Rückzahlung,

_____ 962 Die Bildung der Rücklage betr eigene Anteile, die § 158 I Nr 3 lit b, 4 lit b AktG bei der Entwicklung des Bilanzgewinns anspricht, ist auch bei der GmbH und auch hier schon aufgrund der Vorschrift des § 272 IV 1, 3 HGB bei der Aufstellung der Bilanz vorzunehmen (§ 33 III GmbHG nimmt auf § 272 IV HGB Bezug). 963 §§ 55 I Nr 1, 59 f AO. 964 S u Rn 1347.

IV. Actio pro socio | 389

wenn den Gesellschaftern ein Betrag als Gewinn ausgezahlt worden ist, dem kein Gewinn entspricht, bei AG und GmbH unterschiedlich geregelt. Haben Aktionäre der AG gesetzwidrig Beträge bezogen, die als Gewinnanteile ausgezahlt worden sind, so sind sie zur Rückzahlung verpflichtet, wenn sie wussten oder infolge von Fahrlässigkeit nicht wussten, dass sie zum Bezuge nicht berechtigt waren (§ 62 I 1 AktG). Gesellschafter der GmbH haben einen verbotenen Empfang, wenn sie beim Empfang im guten Glauben waren, nur insoweit zu erstatten, als die Erstattung zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist (§ 31 II GmbHG). Insbesondere dasjenige, was die Gesellschafter im guten Glauben als Gewinnanteil bezogen haben, sind sie gemäß § 32 GmbHG nur nach § 31 I GmbHG zurückzuzahlen verpflichtet, dh nach § 31 I iVm § 30 I GmbHG, soweit die Leistung aus dem zur Stammkapitaldeckung erforderlichen Vermögen erfolgt ist, und nach § 31 II GmbHG, soweit die Rückzahlung zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist.

b. Bezugsrecht der GmbH-Gesellschafter und ihr Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös; weitere Rechte Auch die Gesellschafter der GmbH haben bei der Kapitalerhöhung, die ihre 668 Gesellschaft gegen Einlagen vornimmt, ein Bezugsrecht und bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ein Recht auf Gratisaktien965. Nach § 72 GmbHG wird – wie bei der Gewinnverteilung vorbehaltlich abweichender Bestimmung des Gesellschaftsvertrags – das in der Liquidation übrig bleibende Vermögen unter die Gesellschafter nach dem Verhältnis ihrer Geschäftsanteile verteilt. Darüber hinaus sind wie bei der AG Rechte auf Ausgleich, Umtausch, Abfindung nach Konzern- und Umwandlungsrecht zu nennen.

IV. Actio pro socio IV. Actio pro socio

Wie sie bei der Personengesellschaft aus der rechtlichen Verbundenheit durch 669 den Gesellschaftsvertrag allgemein herzuleiten ist, könnte die actio pro socio auch bei der Aktiengesellschaft und der GmbH anzuerkennen sein. Die Klage ist allerdings die Klage „als“ Gesellschafter und nicht in Prozessstandschaft „für“ die Gesellschaft966. Die Ausgangslage für diese Klage ist freilich bei den Kapitalgesellschaften als rechtsfähigen Verbänden grundlegend anders als bei den

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965 O Rn 588, 619. 966 Dies wird von der hM im GmbH-Recht verkannt (s N bei Roth/Altmeppen/Altmeppen § 13 Rn 16).

390 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

Personengesellschaften. Mit der Entstehung als juristische Personen treten die Verbände in die selbstständige Existenz. Maßgebend für sie ist nicht ein vertragliches Band unter den Gesellschaftern, sondern die rechtliche Verfasstheit durch Organe und Mitgliedschaften. Als actio pro socio verbleibt nur der Schutz der einzelnen Mitgliedschaft gegen Eingriffe gerade in diese. Als solche sind zu nennen Verstöße gegen das Gleichbehandlungsprinzip, Sondervorteilserstrebungen durch Mehrheitsgesellschafter, Verletzung der Gewinnaussichten durch verdeckte Gewinnausschüttungen unter Verstoß insbesondere gegen §§ 30, 31 GmbHG, Verhinderung der Mitwirkungsrechte in Haupt- oder Gesellschafterversammlung. Eine allgemeine Gesellschafterklage bei allen möglichen Gesetzesoder Satzungs-, insbesondere Pflichtverletzungen anderer Gesellschafter ist demgegenüber mit dem Wesen der Kapitalgesellschaften unvereinbar967. Auch die vom Verletzungstyp her begründete actio pro socio ist noch insofern an die Verbandsordnung gebunden, als die Verfassung der Gesellschaftsorgane maßgeblich ist, insbesondere zunächst in ihrem Rahmen nach Klärung gesucht werden muss. Bei der GmbH heißt das: in der Gesellschafterversammlung, deren Beschlüsse auch noch angefochten werden können968. Das Thema der actio pro socio wird uns immer wieder auch an anderer Stelle: der Erörterung der Treuepflicht und der Verantwortlichkeit der Organe und im Konzern, begegnen969.

V. Ende der Mitgliedschaft V. Ende der Mitgliedschaft

1. Bei der AG a. Die Gründe 670 Die Mitgliedschaft an der AG endet mit der Veräußerung des Anteils, dem Tod des Gesellschafters, gesellschaftsrechtlichen Aufhebungsgründen oder mit der Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft. Bei Tod und (wirksamer) Veräußerung ist das Ende auf der anderen Seite der Beginn der Mitgliedschaft des Erben oder des Erwerbers.

_____ 967 Zöllner, ZGR 1988, 392, 415. Raiser/Veil votieren für die GmbH zunächst für eine allgemeine Gesellschafterklage § 37 Rn 26 f, kommen dann aber zu Einschränkungen unter Beachtung der Verfassung der GmbH (Rn 28 ff). 968 Zum Ganzen Altmeppen in Roth/Altmeppen § 13 Rn 16 ff. 969 Rn 824, 844, 854, 931, 1226, 1374. Zur actio pro socio in der Aktiengesellschaft s die gleichnamige Schrift von Nicolai Behr, 2010.

V. Ende der Mitgliedschaft | 391

b. Kaduzierung, Amortisation, Ausschluss Im Fall der nicht rechtzeitigen Einzahlung auf die Bareinlage (§ 63 AktG)970 kann 671 der säumige Aktionär seiner Aktien und der darauf bisher geleisteten Zahlungen für verlustig erklärt werden (§ 64 I–III AktG; sogenannte Kaduzierung)971. § 237 AktG regelt sodann die Einziehung von Aktien (nach der Klammer- 671a definition in § 34 GmbHG: Amortisation). Das Gesetz unterscheidet die Einziehung von Aktien der Gesellschaft und die Zwangseinziehung der Aktien von Aktionären. Die Zwangseinziehung bedarf der satzungsmäßigen Grundlage (§ 237 I 2 AktG972). Bei der Einziehung geht es um die Aufhebung der Aktien. Sie ist jedenfalls mit der Verringerung des Grundkapitals verbunden (zum Wirksamwerden § 238 AktG, wie bei den sonstigen Kapitalmaßnahmen wird zusätzlich die Durchführung eingetragen, § 239 AktG). Bei Unterschreitung des Mindestbetrags von 50.000,– € (§ 7 AktG) ist die Einziehung nur zulässig in Verbindung mit einer Kapitalerhöhung auf mindestens den Mindestbetrag (§ 237 II 1 iVm § 228 I AktG). Grundsätzlich sind die Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung zu beachten (§ 237 II 1 AktG). In den Fällen des § 237 III Nr 1–3 AktG brauchen die Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung nicht beachtet zu werden, sofern die Aktien voll eingezahlt sind. Nr 1 nennt die Einziehung von Aktien, die der Gesellschaft unentgeltlich zur Verfügung gestellt sind, Nr 2 die Einziehung zu Lasten des Bilanzgewinns oder nicht anderweitig festgelegter Gewinnrücklagen. In den beiden Fällen ist statt des wegfallenden Betrags des Grundkapitals ein entsprechender Betrag in die Kapitalrücklage einzustellen (§ 237 V AktG). Schließlich sieht § 237 III Nr 3 AktG bei Stückaktien die Möglichkeit vor zu bestimmen, dass sich das vorhandene Grundkapital auf die verbleibenden Stückaktien verteilt973. Aktionäre, deren Anteile zwangseingezogen werden, werden ausgezahlt. Für diese Auszahlung wie ebenso für das Entgelt, welches die Gesellschaft zum entgeltlichen Erwerb von Aktien zwecks Einziehung zahlt, und für die Befreiung der Aktionäre von der Einlagepflicht gilt die Vorschrift des § 225 II AktG sinnge-

_____ 970 Für Sacheinlagen steht das Kaduzierungsverfahren nicht zur Verfügung. Diese sind ja bereits vor der Anmeldung vollständig zu leisten. 971 Dazu o Rn 360. 972 Die Satzung (ursprüngliche Fassung oder Änderung vor der Zeichnung der Aktien) kann die Einziehung anordnen oder zulassen. Die Anordnung muss genügend konkret sein. Ist eine solche maßgeblich, zieht der Vorstand ein, § 237 VI AktG. Zieht die HV aufgrund einer Zulassungsvorschrift ein, bedarf der Beschluss der sachlichen Rechtfertigung nach den Kali&SalzGrundsätzen, Natterer, ZIP 2001, 635 mwN, Raiser/Veil § 21 Rn 19. Ohne vorherige Satzungsgrundlage können Aktien durch Satzungsänderung mit Zustimmung der Betroffenen zwangseingezogen werden (Hüffer/Koch § 237 AktG Rz 8). 973 Dazu Tillmann, DStR 2003, 1796.

392 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

mäß (§ 237 II 3 AktG). „Eigene Aktien“ können von Aktionären zum Zweck der Einziehung zur Verfügung gestellt werden (s dazu § 71 I Nr 6 AktG974). Sind die gesetzlichen Schranken für den Erwerb eigener Aktien verletzt, muss die Gesellschaft die Aktien in bestimmten Fristen veräußern, notfalls einziehen (§ 71c I–III AktG). Ist eine AG aus einem engeren Aktionärskreis zusammengesetzt, kommt die 671b Anwendung des allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Prinzips des Ausschlusses aus wichtigem Grund in Betracht, entsprechend der Rechtsprechung zur GmbH975.

c. Squeeze-out 672 Durch das WpÜG von 2001 ist die Möglichkeit eines sog Squeeze-out (des

„Hinausquetschens“ von Minderheitsaktionären aus der AG gegen Abfindung976) in das AktG eingefügt worden (§§ 327a ff AktG)977. Weil es inzwischen ein zusätz-

_____ 974 Zur Kombination der Kapitalherabsetzung durch Einziehung mit dem vorherigen Erwerb eigener Aktien und dem dabei zu beachtenden Gleichbehandlungsgrundsatz Zöllner, FS Doralt 2004, 752 ff. 975 U Rn 688. 976 Nach Fleischer soll der Abfindungsgedanke einschließlich der Bewertungsmethoden auf das amerikanische Recht zurückgehen (Gedanke der Appraisal Rights), NZG 2004, 1134. Peters, BB 1999, 801 hat (betr das amerikanische Recht) bei Hinausdrängen der Minderheit mit zulässigen Mitteln von „freeze-out“ gesprochen, wohingegen das „Squeeze-out“ das Hinausdrängen mit unzulässigen Mitteln sei. Dem könnte eine Verwechslung zugrunde liegen, insbes wenn in dem Beitrag die Aushungerung (keine Gewinnausschüttungen) als freeze-out bezeichnet wird. Jedenfalls wird das jetzt nach §§ 327a ff AktG zulässige Hinausdrängen der Minderheit als Squeeze-out bezeichnet. 977 Der im AktG neu geregelten Möglichkeit des Squeeze-out-Verfahrens ist vorausgegangen die Gestaltungsmöglichkeit für den Großaktionär, das Vermögen auf ihn oder eine andere zu seinem Verbund gehörige Gesellschaft zu übertragen (§ 179a AktG) und die AG aufzulösen („Sale of asset Squeeze-out“). Es spricht viel dafür, dass das Squeeze-out-Verfahren an die Stelle dieser Lösung getreten ist und die alte Lösung, weil sie den Kriterien des neuen Verfahrens widerspricht, unzulässig ist (dafür Wilhelm/Dreier, ZIP 2003, 1369; aA Wolf, ZIP 2002, 153; Roth, NZG 2003, 998). Es hat aber immer schon die Auflösung der Gesellschaft mit anschließender Übertragung wesentlicher Betriebsteile auf den Mehrheitsaktionär oder eine seiner Gesellschaften gegeben (s nur den Fall Linotype BGHZ 103, 184), und der Gesetzgeber des Squeeze-out-Verfahrens hat sich nicht mit genügender Klarheit dahin ausgesprochen, dass das Verfahren jetzt ausschließlich in Betracht kommen soll. – Gegen Ansätze in der Rechtsprechung für die Annahme von Missbräuchen, die von den formalen Voraussetzungen des Gesetzes abweichen (neues Beispiel OLG Köln Strabag NZG 2017, 2468) Fröde, NZG 2007, 729. Zum Squeeze-out, insbes zu Fragen der Rechtsmissbräuchlichkeit, s Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005: Fall 3.

V. Ende der Mitgliedschaft | 393

liches Squeeze-out-Verfahren nach dem WpÜG selbst gibt (§§ 39a f WpÜG), unterscheidet man jetzt den gesellschaftsrechtlichen vom kapitalmarktrechtlichen Squeeze-out978. Ist das kapitalmarktrechtliche Verfahren eingeleitet, ist bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss das gesellschaftsrechtliche ausgeschlossen (§ 39a VI WpÜG). Das Squeeze-out dient dem Interesse des Mehrheitsaktionärs an straffer Führung der AG, der Vermeidung der Formalitäten der HV (bei Einmann-AG gelten §§ 121 VI, 130 I 3 AktG) und kapitalmarktrechtlicher Publizitätsvorschriften979. Nach der aktienrechtlichen Regelung gilt Folgendes980: Hat ein Aktionär 673 mindestens 95% (aber eben nicht schon 100%) des Grundkapitals der AG inne (sog Hauptaktionär)981, „kann“ (und wird, wenn der Hauptaktionär das will, aufgrund der Mehrheit des Hauptaktionärs982) auf sein Verlangen der Vorstand

_____ 978 Zum Vergleich der beiden Formen Deilmann, NZG 2007, 721; Paefgen, WM 2007, 765; Ott, WM 2008, 384. Es gibt auch noch das umwandlungsrechtliche squeeze-out (Verschmelzung auf die Mutter mit Ausschluss der Minderheitsaktionäre der Tochter, § 62 V 1 UmwG unter Verweisung auf § 327a I 1 AktG). Ob es daneben auch noch die vor der gesetzlichen Regelung des squeeze-out angewandte, im Moto Meter-Beschluss des BVerfG (u Rn 679) behandelte sog übertragende Auflösung gibt, ist, wie gesagt (soeben Fn 977) zweifelhaft. 979 Zu deren Aufwändigkeit Gampenrieder, WPg 2003, 481. Nach der Begr des RegE (BTDrucks 14/7034, S31 f) soll durch die Einführung des Squeeze-out der Aufwand aufgrund der Berücksichtigung von Minderheitsaktionären vermieden werden. Dadurch soll die Entfaltung der unternehmerischen Initiative des Hauptaktionärs gestärkt werden (s Hüffer/Koch § 327a Rn 1). So führe die Beteiligung von Minderheitsaktionären mit einem kleinen Anteil zu einem erheblichen Formalaufwand, der dadurch entstehe, dass minderheitsschützende Normen (zB § 122 AktG) einzuhalten seien. Im Übrigen zeige die Erfahrung, dass Minderheitsbeteiligungen häufig dazu missbraucht würden, den Hauptaktionär in seiner Unternehmensführung zu behindern, insbes im Wege der Anfechtungsklage gegen HV-Beschlüsse. Weiter gebe es die Fälle, in denen vom Hauptaktionär geringe Mengen Aktien nicht zu erwerben seien, weil deren Inhaber – etwa infolge Erbschaft – nichts von ihrem Anteilseigentum wüssten. 980 Vereinbarkeit mit Art 14 I GG nach BVerfG NJW 2007, 3268; ZIP 2007, 2121 (auch im Stadium der Abwicklung). Anwendungsfall der §§ 327a ff BGH WM 2017, 483. 981 Feststellung der erforderlichen Beteiligungsquote mit Hilfe von §§ 16 II, IV AktG. Einzelheiten bei Geibel/Süßmann/Grzimek WpÜG Art 7 § 327a Rn 41 ff. BGHZ 180, 154 hat als Grundlage für die Mehrheit auch die Übernahme von Aktien durch eine sog Wertpapierleihe anerkannt. Im Unterschied zum kapitalmarktrechtlichen Squeeze-out (§ 39a I 1 WpÜG) kommt es nicht auf 95% des stimmberechtigten Grundkapitals an, Vorzugsaktien zählen also mit. Die Vorzugsaktionäre können nur nicht mitstimmen. Ihre Interessen sind gewahrt durch die Abfindung und folglich die Legitimation im Spruchverfahren (OLG Frankfurt AG 2008, 167, 169). 982 Der HV-Beschluss unterliegt aber der Anfechtungsmöglichkeit nach § 241 Nr 5 AktG. Wird die Squeeze-out-Regelung anlässlich eines Beschlusses über den Ausschluss von Minderheitsaktionären als verfassungswidrig angegriffen, ist die Verfassungsbeschwerde ohne vorherige Anfechtungsklage unzulässig, BVerfG NJW 2003, 58, dazu Anm Dreier EWiR § 327a AktG 2003, 141 f.

394 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

die HV einberufen und diese wird beschließen, dass die restlichen Anteilsinhaber (sog Minderheitsaktionäre) ihre Aktien gegen Barabfindung auf den Hauptaktionär übertragen (§ 327a I 1 AktG)983. Dem Beschluss müssen die Festlegung der Barabfindung durch den Hauptaktionär (§ 327b) und deren Prüfung vorausgehen (§ 327c II 2–4). Der Hauptaktionär hat dem Vorstand seine Solvenz durch Erklärung eines Kreditinstituts zu belegen (§ 327b III). Er hat der HV die Erfüllung der Voraussetzungen des Squeeze-out sowie die Angemessenheit der Abfindung zu erläutern984. Sein Bericht ist zusammen mit dem Prüfungsbericht der HV bekanntzumachen (§ 327c III AktG). Der Beschluss der HV ist in das Handelsregister einzutragen (§ 327e I AktG). Bei Anfechtung ist die vorzeitige Eintragung im Freigabeverfahren möglich 327e II iVm 319 VI AktG). Mit der Eintragung gehen die Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär über (§ 327e III 1 AktG)985. Bei Ausgabe von Aktienurkunden verbriefen diese bis zur Eintragung den Anspruch des Minderheitsaktionärs auf Abfindung (§ 327e III 2 AktG). Über die Festlegung der Barabfindung kann nur ein Spruchstellenverfahren durchgeführt werden (§ 327f iVm § 1 Nr 3 SpruchG986). In diesem wird der Abfindungsergänzungsanspruch der ausgeschlossenen Aktionäre bei Unangemessenheit der bisher festgelegten Barabfindung verwirklicht. 674

Vom aktienrechtlichen Squeeze-out ist die aktienrechtliche Eingliederung auf einen mit 95% beteiligten Mehrheitsaktionär zu unterscheiden (§ 320 AktG). Die Eingliederung ist eine besonders enge konzernmäßige (§ 18 I 2 AktG) Unterwerfung der einzugliedernden

_____

983 Zum Spannungsverhältnis zwischen der Möglichkeit eines Squeeze-out und dem Pflichtangebot nach § 35 WpÜG Wiesbrock, DB 2003, 2584. 984 Zur Methode der Unternehmensbewertung für die Abfindung nach § 327a AktG OLG Frankfurt NZG 2017, 622, OLG Karlsruhe (keine Unterschreitung des Börsenkurses) ZIP 2018, 122. Zur Angemessenheit der Abfindung OLG Zweibrücken NZG 2018, 143; Ott, DB 2003, 1615 ff. Maßgeblich die betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethoden (Ertragswert- und Buchwertmethode), Geibel/Süßmann/Grzimek WpÜG Art 7 § 327b Rn 13 ff; Hüffer/Koch § 305 Rn 19 ff. Bei börsennotierten Gesellschaften ist Untergrenze der Börsenkurs, BVerfGE 100, 289 (DAT/Altana). Zu den Schwierigkeiten, die sich für die Bestimmung der Barabfindung aufgrund der Zeitspanne zwischen Einberufung der HV und HV-Beschluss ergeben s Geibel/Süßmann/Grzimek WpÜG Art 7 § 327b Rn 3 ff. Zum Vergleich: Unternehmensbewertung für den Zugewinnausgleich, BGH ZIP 2018, 422. 985 Entsprechend § 265 II ZPO verliert der Aktionär, der zuvor Anfechtungs- bzw Nichtigkeitsklage gegen Beschlüsse der HV über eine Ausgliederung auf eine Tochtergesellschaft erhoben hatte, nicht seine Aktivlegitimation (BGHZ 169, 221; dazu Lehmann, NZG 2007, 295). – Zum Problem der Existenz von effektiven Einzelstücken von Aktien (Veräußerung an einen gutgläubigen Erwerber, Nachweis des 100-prozentigen Aktienbesitzes durch Hauptaktionär nach dem Squeeze-out) Weißhaupt/Özdemir, ZIP 2007, 2110. 986 LG Frankfurt a.M. will die Prüfung auf Plausibilitäts- und Rechtskontrolle beschränken, NZG 2006, 868.

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Gesellschaft unter die Hauptgesellschaft und wird deshalb unten987 im Kapitel über verbundene Unternehmen behandelt. Die Eingliederung unterscheidet sich vom Squeezeout, abgesehen von ihrem Charakter als Unternehmensverbindung, dadurch, dass sie nur zugunsten einer Aktiengesellschaft mit Sitz im Inland vorgenommen werden kann (§ 320 I 1 AktG) und die ausgeschiedenen Aktionäre grundsätzlich in Aktien der Hauptgesellschaft abgefunden werden müssen (§ 320b AktG).

Das WpÜG beschränkt sich nicht auf den kapitalmarktrechtlichen Squeeze- 675 out nach §§ 39a f. Dem Squeeze-out nach diesen Vorschriften steht ein Andienungsrecht der Minderheitsaktionäre nach § 39c WpÜG gegenüber. Der Squeeze-out ist, wie folgt, gekennzeichnet988: Der sog Bieter (Definition in § 2 IV WpÜG) muss nach einem Übernahmeangebot gemäß § 29 WpÜG oder einem Pflichtangebot gemäß § 35 WpÜG 95% der stimmberechtigten Anteile am Grundkapital der Zielgesellschaft innehaben. § 39a WpÜG unterscheidet also anders als § 327a AktG zwischen stimmberechtigten Aktien und Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Hat der Bieter jenen Anteilsbesitz, kann er beim LG Frankfurt (§ 39b V WpÜG) im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 39b I WpÜG) den Antrag stellen, dass ihm die restlichen 5% gegen angemessene Abfindung (es gilt die Regelung zur Gegenleistung bei Übernahme- bzw Pflichtangeboten mit notwendigem Wahlrecht einer Geldleistung, § 39a III WpÜG) durch Beschluss übertragen werden. Hat er 95% des gesamten Grundkapitals, unterliegen auch die Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht der Zwangsübertragung (§ 39a I 2 WpÜG). Stellt der Bieter den Antrag trotz bestehender Berechtigung nicht, können die Minderheitsaktionäre, die das Übernahme- oder Pflichtangebot nicht angenommen haben, ihrerseits im Rahmen des § 39c WpÜG das voraufgegangene Angebot jetzt ihrerseits doch noch annehmen (Andienungsrecht). Stellt der Bieter den Antrag, gehen mit Rechtskraft des Anordnungsbe- 676 schlusses die Aktien auf ihn über (§ 39b V 2 WpÜG). Gegen den Anordnungsbeschluss ist aber noch die sofortige Beschwerde möglich, für die ausschließlich das OLG Frankfurt zuständig ist (§ 39b III 3, 5 WpÜG). Im Unterschied zum Spruchstellenverfahren, bei dem § 12 SpruchG der Beschwerde nicht eine aufschiebende Wirkung beilegt, hat die sofortige Beschwerde nach § 39b III 4 WpÜG aufschiebende Wirkung. Allerdings wird auch nach § 13 1 SpruchG die Entscheidung des Gerichts im Spruchstellenverfahren erst mit der Rechtskraft wirksam. Der Unterschied klärt sich wie folgt auf: Zu unterscheiden sind der Übergang der Beteiligungen und die Abfindung. Nach Aktienrecht gehen die Aktien der Minderheitsaktionäre durch den HV-Beschluss und seine Eintragung

_____

987 Rn 1337 ff. 988 Darstellung bei Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157.

396 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

in das Handelsregister über (§ 327e III 1 AktG), das Spruchstellenverfahren hat nur noch die angemessene Abfindung zum Gegenstand. Im Unterschied dazu geht es nach WpÜG in erster Linie um das Wirksamwerden des Anteilsübergangs. Der Vorteil des kapitalmarktrechtlichen Squeeze-Out liegt neben der Abkürzung des Verfahrens durch gerichtliche Anordnung in der Bestimmung des § 39a III 3 WpÜG: Hat der Übernehmer aufgrund seines Übernahmeangebots 90% der vom Angebot betroffenen Aktien erworben, so wird die Angemessenheit der von ihm gebotenen Abfindung unwiderleglich989 vermutet. Die Möglichkeit des Hinausdrängens von Minderheitsaktionären ist nach 677 der Rechtsprechung des BVerfG bei Wahrung bestimmter Voraussetzungen verfassungsgemäß. Die Squeeze-out-Regelungen erfüllen diese Voraussetzungen: Ausgangsentscheidung, die aber noch zu einer Regelung vor derjenigen des Squeeze-out ergangen ist, ist die Feldmühle-Entscheidung990: Sie betraf § 15 UmwG 1956991. Die Vorschrift erlaubte es, das Vermögen einer Kapitalgesellschaft auf einen einzelnen Gesellschafter im Ganzen unter Ausschluss der Liquidation zu übertragen (sog „übertragende Umwandlung“), wenn der Gesellschafter mehr als 3/4 der Anteile innehatte. Die Minderheitsaktionäre mussten aus der AG ausscheiden und wurden in Geld abgefunden. Begründet wurde diese Möglichkeit damit, dass den Beteiligten nicht zuzumuten sei, eine als erforderlich angesehene Umwandlung auf dem Weg der Liquidation und Einzelübertragung auf den neuen Rechtsträger vorzunehmen 992 . Das BVerfG hat die Regelung für mit Art 14 GG vereinbar befunden. Eine Enteignung liege nicht vor, weil diese vom Staat oder einem mit staatlichen Zwangsrechten beliehenen Unternehmer ausgehen müsse. Daher liege eine Inhalts- und Schrankenbestimmung iSd Art 14 I 2 GG993 vor. Als solche sei die Regelung zulässig. Der Gesetz-

_____ 989 AA LG Frankfurt aM NZG 2008, 665, dazu Schlitt/Ries/Becker, NZG 2008, 700. 990 BVerfGE 14, 263. Im Anschluss daran für Verfassungsgemäßheit der Regelung des Squeeze-out Sellmann, WM 2003, 1545. Aus der Rspr OLG Hamburg NZG 2003, 539; OLG Oldenburg NZG 2003, 691; OLG Köln BB 2003, 2307 mit Anm Aha; OLG Stuttgart ZIP 2003, 2363; DB 2004, 60, OLG Köln AG 2004, 39 und schließlich BVerfG NJW 2007, 3268. 991 § 15 UmwG 1956 hatte folgende Fassung: „Wird das Vermögen einer Aktiengesellschaft auf einen Gesellschafter übertragen, so finden, wenn sich alle Aktien der Gesellschaft in der Hand des Gesellschafters (Alleingesellschafter) befinden, §§ 3 bis 8, wenn sich mehr als drei Viertel des Grundkapitals in der Hand des Gesellschafters (Hauptgesellschafter) befinden, §§ 9 bis 14 mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß an die Stelle der offenen Handelsgesellschaft und der geschäftsführenden Gesellschafter der übernehmende Gesellschafter tritt“. 992 BT-Drucks II/1953, S 2402; s auch BVerfGE 14, 263, 267. 993 Zu Enteignung sowie Inhalts- und Schrankenbestimmung s ausführlich Wilhelm Sachenrecht Rn 250 ff.

V. Ende der Mitgliedschaft | 397

geber habe es aus gewichtigen Gründen des Gemeinwohls für angebracht halten können, den Schutz des Eigentums der Minderheitsaktionäre hinter die Interessen der Allgemeinheit an einer freien Entfaltung der unternehmerischen Initiative im Konzern zurücktreten zu lassen994. Voraussetzung für die Zulässigkeit sei allerdings, dass die berechtigten In- 678 teressen der Minderheitsaktionäre gewahrt würden. Dazu gehöre, dass wirksame Rechtsbehelfe gegen einen Machtmissbrauch zur Verfügung stünden und dass die Minderheitsaktionäre für den Verlust ihrer Rechtsposition wirtschaftlich voll entschädigt würden995. Im Moto Meter-Beschluss996 hat das BVerfG die Grundsätze der Feldmühle- 679 Entscheidung auf die sog „übertragende Auflösung“997 angewandt. Die Minderheitsrechte dürften auf die Vermögenskomponente der Beteiligung konzentriert werden998. Art 14 GG erfordere jedoch, dass Minderheitsaktionäre „voll“ entschädigt würden. Insofern müsse es Sicherungen dafür geben, dass ein zum Ausscheiden gezwungener Aktionär erhalte, was seine gesellschaftliche Beteiligung am betreffenden Unternehmen wert sei999. In der Entscheidung DAT/Altana1000 hat das BVerfG die näheren Grundsätze 680 für eine angemessene Entschädigung von Minderheitsaktionären entwickelt, und zwar zur Abfindung außenstehender oder ausgeschiedener Aktionäre nach §§ 304, 305, 320b AktG. Die Entschädigung dürfe, wenn sie die von Art 14 GG geforderte volle Entschädigung erreichen solle, nicht unter dem Verkehrswert liegen1001. Die Minderheitsaktionäre dürften nicht weniger erhalten, als sie bei einer von ihnen frei getroffenen Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt der Strukturmaßnahme erlangt hätten. Ein existierender Börsenkurs müsse bei der Ermittlung des Werts der Unternehmensbeteiligung berücksichtigt werden. Da der Verkehrswert die Untergrenze der „wirtschaftlich vollen Entschädigung“ bilde, stehe es mit Art 14 GG grundsätzlich nicht im Einklang, im Spruchstellenverfahren eine Barabfindung festzusetzen, die niedriger sei als der Börsenkurs1002. Bloße, in dem aktuellen Wert des konkreten Eigentums noch nicht abgebildete Gewinnerwartungen und in der Zukunft liegende Verdienstmöglichkeiten sowie Chancen und

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994 BVerfGE 14, 263, 282. 995 BVerfGE 14, 263, 283. S auch BVerfGE 100, 289 (DAT/Altana). 996 BVerfG ZIP 2000, 1670. 997 Dazu, ob eine solche jetzt noch neben der neuen Squeeze-out-Regelung zulässig bleibt, (o Fn 977). 998 BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671. 999 BVerfG ZIP 2000, 1670, 1672. 1000 BVerfGE 100, 289. 1001 BVerfGE 100, 289, 305. 1002 BVerfGE 100, 289, 306 ff.

398 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

Gegebenheiten, innerhalb derer ein Unternehmen seine Tätigkeit entfalte, lägen aber grundsätzlich außerhalb des Schutzbereichs der Eigentumsgarantie1003.

2. Ende der Mitgliedschaft bei der GmbH a. Übergang von Geschäftsanteilen 681 Auch bei der GmbH sind für das Ende der Mitgliedschaft zunächst die Veräußerung des Geschäftsanteils oder der Tod des Gesellschafters maßgeblich1004.

b. Kaduzierung, Abandon, Amortisation, Ausschluss, Austritt bei der GmbH 682 Sodann gibt es bei der GmbH wie bei der AG die Kaduzierung und die Möglich-

keit der Einziehung oder Amortisation1005. Zur Kaduzierung war schon an früherer Stelle1006 das Nötige ausgeführt. In einem entscheidenden Unterschied zur AG tritt bei der Kaduzierung nach dem Recht der GmbH zu der Ausfallhaftung des Ausgeschlossenen (§ 21 III GmbHG) zwingend (§ 25 GmbHG) die Ausfallhaftung aller Mitgesellschafter hinzu (§ 24 GmbHG). Für die Einziehung unterscheidet das GmbHG nicht wie das AktG die 683 Zwangseinziehung und die Einziehung nach Erwerb durch die Gesellschaft (so § 237 I 1 AktG). Das GmbHG unterscheidet in § 34 GmbHG die Einziehung mit und die Einziehung ohne Zustimmung des betroffenen Anteilsberechtigten (Zwangseinziehung)1007. In beiden Fällen bedarf es der Grundlage in der Satzung (§ 34 I GmbHG). Für die Zwangseinziehung verlangt § 34 II GmbHG aber besondere Voraussetzungen. Für eine Einziehung mit Zustimmung reicht eine allgemeine Formulierung in der Satzung. Bei Zwangseinziehung müssen demgegenüber die Voraussetzungen festgesetzt sein und zwar schon vor Erwerb des betroffenen Anteils (§ 34 II GmbHG)1008. Aufgrund der persönlichen Haftung der

_____ 1003 BVerfG ZIP 2000, 1670, 1672. Übrig bleibt noch folgendes Risiko für die im Spruchverfahren zu schützenden Aktionäre: Setzt das Gericht eine höhere Entschädigung fest, kann der Hauptaktionär inzwischen insolvent geworden sein. Der BGH mutet dieses Risiko zu (ZIP 2005, 2107). Dazu kritisch Meilicke, AG 2007, 261. 1004 S o Rn 228 ff, 232 ff. 1005 Eine Gegenüberstellung von Kaduzierung und Amortisation gibt Goette in der Darstellung von BGH II ZR 221/96 in DStR 1997, 1257. 1006 O Rn 360 ff. 1007 Die Einziehung eigener Anteile kann es auch bei der GmbH geben. Nach hM muss dafür das Stammkapital gedeckt sein, aA zutreffend Roth/Altmeppen/Altmeppen § 34 Rn 15. 1008 Die Satzung der GmbH kann die Möglichkeit der Einziehung aus wichtigem Grund in der Person eines Gesellschafters, so dass die Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zumutbar ist,

V. Ende der Mitgliedschaft | 399

verbleibenden Gesellschafter (s sogleich) setzt die Einziehung bei der GmbH nicht etwa voraus, dass der Geschäftsanteil voll eingezahlt ist. § 19 II 1 GmbHG ist kein Hinderungsgrund. Die automatische Erhöhung der Anteile der verbleibenden Gesellschafter 684 nach Wirksamwerden eines Ausschlusses erklärt, dass es keinen Hinderungsgrund für Einziehung oder Ausschluss bedeutet, dass die Anteile der Gesellschafter nicht mehr dem Betrag des Stammkapitals entsprechen1009. Vermögen und Gewinn der Gesellschaft stehen automatisch den verbleibenden Gesellschaftern zu. Deren Anteilserhöhung entsprechend ihrer Quote ist durch Korrektur der Gesellschafterliste zu dokumentieren (§ 40 I 1 GmbHG). Grundsätzlich hat der betroffene Gesellschafter einen Anspruch auf volle 685 Abfindung wegen des Vermögenswerts des eingezogenen Anteils 1010 . Die Abfindung kann aber im Gesellschaftsvertrag beschränkt sein. Der BGH zieht freilich eine Linie der Unzulässigkeit unter Berufung auf § 138 BGB. Die Beschränkung dürfe nicht außer Verhältnis zu dem stehen, was im Interesse des Fortbestands der Gesellschaft und der Fortführung des Unternehmens erforderlich sei, andernfalls sei sie eine willkürliche Beschränkung1011. In der Literatur wird auch die Klausel einer unentgeltlichen Einziehung für möglich gehalten, wenn der Gesellschafter darauf eingehe oder seinen Anteil unentgeltlich weitergebe, insbesondere vererbe1012. Hier ist zu unterscheiden zwischen der konkreten Einziehung und der Bestimmung einer Einziehungsmöglichkeit im Gesellschaftsvertrag. Die Zustimmung zu einer im Einzelfall und hier unentgeltlich vorgenommenen Einziehung ist wirksam, man fragt sich freilich, wann sie im

_____ bestimmen. Wichtiger Grund ist insbes die Pfändung des Anteils. Bei der Beschlussfassung über die Einziehung aus wichtigem Grund hat der Gesellschafter als Betroffener kein Stimmrecht. Mehrheitserfordernisse der Satzung beziehen sich dann auf die übrigen Gesellschafter (Goette, DStR 1997, 1257, 1259). Zur Einziehung bei Pfändung H. Roth, ZGR 2000, 187, 212 ff. 1009 BGHZ 203, 303 unter Beiseiteschieben der schlicht unrichtigen Folgerung, die der RegE MoMiG aus § 5 III 2 zieht (BT-Drucksache 16/6140 S. 31. 1010 Als selbstverständlich anerkannt, BGHZ 116, 359. Der Gesellschafter bleibt Mitglied bis zur vollständigen Abfindung, BGH DStR 1997, 1336; OLG Düsseldorf NZG 2007, 278 (str, kritisch etwa Kolb, NZG 2007, 815). Zum Schutz der Stammkapitaldeckung OLG Celle NJW-RR 1998, 175. 1011 BGHZ 116, 359. In BGHZ 123, 281 und ebenso BGHZ 126, 226 (für die Vergütung bei Pflicht zur Andienung von Anteilen an die anderen Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft, in der die Gesellschafter Kapitalgesellschaftsanteile einer schuldrechtlichen Zweckbindung unterworfen hatten) hat der BGH die Fallgestaltung behandelt, dass sich das Missverhältnis erst im Lauf der Entwicklung ausbildet. In diesen Fällen sei die Klausel zwar nicht nichtig, aber die Gesellschaft gehindert, sich darauf zu berufen. Sie müsse eine nach Abwägung aller Interessen angepasste Abfindung leisten (kritisch Flume, DB 1986, 629, 633 ff; ders I/1 § 12 IV S 187; Roth/Altmeppen/ Altmeppen § 34 Rn 54 f.) 1012 Raiser/Veil § 30 Rn 54 mit zahlreichen N.

400 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

Fall, dass eine Abfindung möglich ist, denkbar sein soll. Jedenfalls liegt aber in einem irgendwann geschlossenen Gesellschaftsvertrag keine solche Zustimmung. Insbesondere die Macht der übrigen Gesellschafter, einen vom Gesellschafter bestimmten Erben ohne (nach Lage der Gesellschaft mögliche) Abfindung auszuschließen, ist mit dem Eigentumsrecht am Geschäftsanteil und dem Zusammenschluss aller Gesellschafter zum gemeinsamen Gesellschaftszweck nicht vereinbar. Die Abfindung kann zu Lasten der Gesellschaft nur aus Vermögenswert er686 folgen, der die Summe aus Stammkapital und Verbindlichkeiten sowie Rückstellungen überschreitet (§ 34 III iVm § 30 I GmbHG). Der BGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 20121013 zu der umstrittenen Frage Stellung genommen, in welcher Weise die Einziehung und die Abfindung miteinander zu verknüpfen sind. Ob etwa die Wirksamkeit der Einziehung von der Abfindung abhängig zu machen ist oder ob, wenn das Gesellschaftsvermögen nicht unter Wahrung des § 30 I GmbHG ausreicht, die verbleibenden Gesellschafter für die Abfindung haften müssen. Der BGH erklärt die Einziehung mit der Mitteilung an den betroffenen Gesellschafter grundsätzlich für sofort wirksam. Stehe allerdings schon bei Beschlussfassung fest, dass die Gesellschaft die Abfindung nicht werde leisten können, sei der Beschluss analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig. Sei er wirksam, greife eine anteilige Haftung der anderen Gesellschafter ein, soweit das die Stammkapitaldeckung überschreitende Vermögen der Gesellschaft für die Abfindung nicht ausreiche und die Gesellschafter dennoch die Gesellschaft fortsetzten und sich so den Wert des eingezogenen Anteils aneigneten1014. Altmeppen, von dem die Lösung der persönlichen pro-rata-Haftung der Mitgesellschafter stammt1015, hat zu Recht zunächst einmal die Inkonsequenz festgestellt, die in dem Vorbehalt der Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses analog § 241 Nr 3 AktG bei absehbar nicht ausreichender Stammkapitaldeckung besteht1016. Wird bei Wirksamkeit des Beschlusses das Garantiekapital durch die persönliche Haftung der verbleibenden Gesellschafter geschützt, bleibt für eine Nichtigkeit je nach Einsicht in die Vermögenslage der Gesellschaft kein Raum. Weiter ist aus demselben Grund die Treuwidrigkeitsidee inkonsequent1017. Schlicht und unbeschränkt müssen die Gesellschafter bei nicht ausreichendem

_____ 1013 BGHZ 192, 236. 1014 BGHZ 192, 236 Rn 21 f. Anwendung der Grundsätze durch BGHZ 210, 186 ff. Der Treuwidrigkeit durch Fortsetzung der Gesellschaft steht nach BGH NZG 2016, 742 die Treuwidrigkeit gleich, dass die Gesellschafter die Unterdeckung schuldhaft herbeiführen. 1015 Auf ihn beruft sich der BGH in BGHZ 192, 236, 240. 1016 ZIP 2012, 1685, 1691; Roth/Altmeppen/Altmeppen § 34 Rn 26, 22. 1017 Altmeppen ZIP 2016, 1557.

V. Ende der Mitgliedschaft | 401

Gesellschaftsvermögen für die Abfindung mit haften, weil es sich bei dem Abfindungsanspruch nicht um eine Drittgläubigerforderung handelt, für die die Haftungsbeschränkung nach § 13 II GmbHG gilt, sondern um einen Sozialanspruch aus dem Innenverhältnis unter den Gesellschaftern aus dem Grunde, dass der Anteil des ausgeschlossenen Gesellschafters den anderen Gesellschaftern anteilig anwächst. Neben Kaduzierung und Amortisation gibt es bei der GmbH das Ende der 687 Mitgliedschaft durch Preisgabe oder Abandon. Die Preisgabe ist der Akt, durch den ein Gesellschafter einen Geschäftsanteil der Gesellschaft zur Veräußerung durch sie zur Verfügung stellt, um sich von der im Gesellschaftsvertrag bestimmten unbeschränkten Nachschusspflicht zu befreien (§ 27 I, IV GmbHG). Neben der im Gesetz geregelten Einziehungsmöglichkeit und der Auflösung 688 aus wichtigem Grund (bei der GmbH: §§ 60 I Nr 3, 61, bei der AG §§ 262 I Nr 2, 396 AktG) sind angesichts der mehr personalistischen Struktur der GmbH bei dieser die Möglichkeiten des Ausschlusses und des Austritts eines Gesellschafters aus der Gesellschaft aus wichtigem Grund anerkannt1018. Die Grundlage ist der allgemeine Grundsatz der Lösbarkeit personenbezogener Dauerrechtsverhältnisse. Die Einzelausgestaltung für die GmbH ist im Anschluss an das Recht der Personengesellschaft (was den Ausschluss betrifft, analog § 140 HGB) entwickelt worden. Der Ausschluss aus wichtigem Grund kommt in Betracht, wenn die satzungsmäßigen Grundlagen der Einziehung fehlen (§ 34 I, II GmbHG). Er erfolgt durch Gesellschafterbeschluss1019 mit anschließender von der Geschäftsführung für die Gesellschaft zu erhebender Ausschließungsklage (analog §§ 61 GmbHG, 117, 127, 133, 140 HGB), wenn der Gesellschaftsvertrag nicht davon absieht. Voraussetzung des Ausschlusses ist ein wichtiger Grund in der Person des auszuschließenden Gesellschafters, wobei die anderen Gesellschafter nicht gleichwertige Gründe gesetzt haben dürfen. Der Ausschluss ist ultima ratio. Der Auszuschließende hat kein Stimmrecht (§ 47 IV 2 GmbHG). Für die Abfindung gilt das zur Zwangseinziehung Gesagte1020.

_____ 1018 Eine Grundlage in der Satzung ist nicht erforderlich, BGH BB 1999, 2262; BGH NZG 2000, 35; Roth/Altmeppen/Altmeppen § 60 Rn 65 ff, 96 ff; Baumbach/Hueck/Fastrich Anh § 34; Lutter/ Hommelhoff/Lutter/Hommelhoff § 34 Rn 32 ff. S a OLG Brandenburg ZIP 2002, 1806 sowie BGH DStR 2001, 1898. Zu den Folgen des Ausschlusses näher Wolff, GmbHR 1999, 958. Fallbeispiel bei Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005 – Fall 7. 1019 Nach BGHZ 9, 157, 177 bedarf es der qualifizierten Mehrheit, entsprechend dem Auflösungsbeschluss, § 60 I Nr 2 GmbHG; ebenso BGH AG 2003, 383 (str, s Kamanabrou, NJW 2003, 1849). 1020 O Rn 686.

402 | F. Mitgliedschaft als Rechtsstellung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft

689

Auch der Austritt des Gesellschafters aus wichtigem Grund ist möglich. Satzungsregelungen können den Austritt zwar erleichtern, bei wichtigem Grund aber nicht ausschließen oder wesentlich beeinträchtigen. Der Austritt erfolgt durch einseitige formlose Erklärung gegenüber der Gesellschaft. Der Austritt aus wichtigem Grund setzt voraus, dass sich eine Lage ergibt, die für den Gesellschafter die Fortdauer der Mitgliedschaft unzumutbar macht1021. Auch dieser Austritt ist nur als ultima ratio zulässig. Weiter muss der Geschäftsanteil voll eingezahlt sein, und es muss möglich sein, den Gesellschafter voll oder nach der Satzung abzufinden, ohne dass dadurch die Deckung des Stammkapitals beeinträchtigt wird1022. Die wirksame Austrittserklärung begründet einen Anspruch auf Übernahme des Geschäftsanteils gegen Abfindung. Die Gesellschaft kann den Anteil ebenso wie beim Ausschluss des Gesellschafters verwerten. Kommt es nicht in angemessener Zeit zur Abfindung und Verwertung, kann der austrittsberechtigte Gesellschafter eine Klage auf Auflösung der Gesellschaft aus wichtigem Grund erheben1023.

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_____ 1021 Wegen § 24 GmbHG zB bei einer Kapitalerhöhung, der der Gesellschafter widersprochen hat. Der Gesellschafter muss aber unverzüglich nach der Kapitalerhöhung austreten, Roth/Altmeppen/Altmeppen § 24 Rn 17. 1022 Soweit ersichtlich, ist bisher nicht behandelt die Frage, ob der austrittswillige Gesellschafter eine Kapitalherabsetzung verlangen kann. Man sollte dies als Vorstufe dazu bejahen, dass der Gesellschafter Klage auf Auflösung der Gesellschaft erheben kann (s sogleich). 1023 Baumbach/Hueck/Fastrich Anh § 34 Rn 25.

I. Das Kapitalmarktrecht als insbesondere für Aktien relevante Rechtsmaterie | 403

G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht – G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

I. Das Kapitalmarktrecht als insbesondere für Aktien relevante Rechtsmaterie https://doi.org/10.1515/9783110595802-007

1. Bedeutung der Materie; Reformarbeit I. Das Kapitalmarktrecht als insbesondere für Aktien relevante Rechtsmaterie

Die Praxis der Aktie als Mitgliedschaft an der AG ist gekennzeichnet durch die 690 Handelbarkeit neben anderen Wertpapieren und den, wie das WpHG es umfassend nennt, Finanzinstrumenten überhaupt als Gegenstand des Kapitalmarkts. Infolgedessen gewinnt für Aktieninhaber neben dem Recht der AG das Kapitalmarktrecht zunehmende Bedeutung1023a. Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht wachsen zu einer übergreifenden Gesamtmaterie zusammen. Aktien sind zwar weiterhin Gesellschaftsanteile, zugleich sind sie aber Kapitalmarkttitel und so Gegenstand des Schutzes der Marktbeteiligten. Die zunehmende Bedeutung des Kapitalmarktrechts führt neben dem Einfluss des europäischen Rechts zu einer zweiten tiefgreifenden Neuorientierung unseres Kapitalgesellschaftsrechts. Das neue kapitalmarktrechtliche Denken lässt sich nicht ohne Weiteres mit der aktienrechtlichen Ausgestaltung der Aktionärsstellung vereinbaren. In jenem Denken herrscht die Rechnung in Geldeinheiten vor, während das Aktienrecht den Aktionär als Mitglied der AG und deshalb auch als an der Bestimmung des Geschehens in der Gesellschaft beteiligt ansieht. Kapitalmarktrechtlich ist der Gesichtspunkt vorrangig, dass der Anleger informierte Investitionsentscheidungen trifft und vor Kapitalverlust geschützt wird. Gesellschaftsrechtlich ist der Gesichtspunkt vorrangig, dass angemessene Mitwirkungsrechte des Aktionärs durchgesetzt werden müssen. I.

Geradezu existenziell wurde die Notwendigkeit der Regulierung des Kapitalmarkts 691 in der Bankenkrise, die im Herbst 2008 über die Finanzmärkte hereingebrochen war. Binnen einer Woche hat die Bundesregierung das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht1024. Art 1 enthält das Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds

_____ 1023a Zum Kapitalmarktrecht Petra Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 9. Aufl. 2017, Markus Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 3. Aufl. 2007. Hier wird zugrunde gelegt das Buch von Dörte Poelzig, Kapitalmarktrecht, 1. Aufl. 2018. 1024 Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmepakets zur Stabilisierung der Finanzmärkte (FMStG) vom 17. Oktober 2008, BGBl I, 1982. Zuletzt geändert durch Art 6 Gesetz vom 6. November 2015 (BGBl I, 1864). https://doi.org/10.1515/9783110595802-007

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II.

(FMStFG1025). Art 2 enthält das Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz1026. Zur Ausführung des Fondsgesetzes ist die Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung (FMStFV) vom 20.10.2008 erlassen worden1027. Mit den Mitteln des Fonds können inländischen Unternehmen des Finanzmarktsektors Garantien gewährt, Eigenkapital zur Verfügung gestellt oder Risikopositionen abgenommen werden. Auf die Unternehmen, denen der Fonds solche Hilfe gewährt, findet das Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz Anwendung. Der Fonds ist ein nicht rechtsfähiges, aber aktiv und passiv parteifähiges Sondervermögen des Bundes iSv Art 110 I, 115 II GG (§§ 2 II, 3 S 1 FMStFG). In seinem Namen handelt nach § 3a FMStFG eine Finanzmarktstabilisierungsanstalt (FMSA). Nach dem FMStFG erfolgen die Stützungsmaßnahmen des Fonds entgeltlich und erlegen dem Unternehmen eine risikoaverse Geschäftspolitik auf. Zur beschleunigten Durchführung der Maßnahmen wird vom geltenden Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht an verschiedenen Stellen abgewichen. Für die Reformarbeit auf der europäischen Ebene ist das vierstufige Lamfalussy II-Verfahren entwickelt worden1028. An Europäischen Rechtsquellen sind zu nennen: zunächst an Richtlinien die TransparencyDirective (TAD)1029, die ProspectDirective (PD)1030 und schließlich die Richtlinie MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive II)1031. An Verordnungen gehört hinzu die VO MiFIR (Markets in Financial Instruments Regulation)1032. Gemäß einer Aufschiebung durch die Kommission sind MIFID II und MIFIR erst ab 3.1.2018 anzuwenden. Weiterhin ist gundlegend die Europäische Marktmissbrauchsverordnung MAR (MarketAbuseRegulation1033). Schließlich ist die Regulierung der für die Kapitalmarktinformation wichtigen Ratingagenturen durch die Ratingverordnung1034 zu nennen. Die

_____ 1025 Finanzmarktstabilisierungsfonds, nach dem Gesetz FMS, dann gebräuchlich SoFFin (Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung). 1026 Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungfonds FMS“, vom 17.10.2008, zuletzt geändert durch Art 7 der Aktienrechtsnovelle 2016. 1027 Vom 20.10.2008, eBAnz 2008, AT 123.VI. 1028 Benannt nach dem von der Kommission im Jahr 2000 eingesetzten unter Leitung von Baron Alexandre Lamfalussy stehenden „Ausschuss der Weisen“, der das Verfahren erarbeitet hat. Stufe 1 normale Gesetzgebungsakte in Gestalt von Richtlinien und Verordnungen, Stufe 2 Richtlinien und Verordnungen der Kommission kraft Delegation auf Stufe 1. Zu Stufen 3 und 4 s die weitere Darstellung bei Poelzig, Rn 41 ff. Das Verfahren ist die spezielle Ausprägung des Komitologie-Verfahrens (Gesetzgebung durch die Kommission mit Hilfe von Ausschüssen – comités – kraft Delegation seitens der Gesetzgebungsgremien. Darstellung und Grundlage bei Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht Rn 439, 483). 1029 vom 15.12.2004, ABl 2004 L 390, 48. 1030 vom 4.11.2003 ABl 2003 L 345, 64. 1031 vom 15.4.2014, ABl 2014 L 173, 349; zur MIFID u Rn 773 Fn 1214. 1032 vom 15.5.2014, ABl L 173, 84 1033 vom 16.4.2014. ABl 2014 L 173, 1. 1034 VO vom 16.9.2009, ABl 2009 L, 302, 1. Das OLG Düsseldorf hat die Haftung von Ratingagenturen gegenüber Anlegern für ihre Unternehmensratings abgelehnt, ZIP 2018, 427.

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VO hat die Aufsicht durch die European Securities and Markets Authority (ESMA) installiert. Für das deutsche Recht des Handels mit Kapitalmarkttiteln (Finanzinstrumenten) ist grundlegend das insbesondere mit der Europäischen Marktmissbrauchsverordnung abgestimmte WertpapierhandelsG (WpHG) und für den Handelsplatz der Börse das BörsG. Die Technik der Verbriefung massenhafter Rechte1035 in leicht (heutzutage elektronisch) handelbaren Wertpapieren und deren Verwahrung durch Banken ist im Depotgesetz geregelt. Für Wertpapiere und sonstige öffentlich angebotene Vermögensanlagen ordnet das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) die Aufstellung von Prospekten an und regelt diese. Am 1.1.2002 ist das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG)1036 in Kraft getreten. Das Gesetz regelt öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, insbesondere Aktien. Angebote zum Kontrollerwerb (mindestens 30% der Stimmrechte) müssen öffentlich sein und sind dann auf den Erwerb aller Aktien der Zielgesellschaft zu richten. Zu einem solchen Angebot ist der Erwerber von Aktien einer bestimmten Gesellschaft auch dann verpflichtet, wenn er die Kontrollquote bereits anderweitig erlangt hat. Die deutsche Gesetzgebung hat hier mit Bestrebungen konkurriert, eine europäische Übernahmerichtlinie zu schaffen1037. Die RL ist als Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.20041038 erlassen. Der deutsche Gesetzgeber musste – in Abänderung des soeben verabschiedeten WpÜG – die europäische Übernahmerichtlinie umsetzen1039.

_____ 1035 Wir meinen die Verbriefung einzelner Mitgliedschaftsrechte oder Schuldverschreibungen. Davon zu unterscheiden ist die sog Kreditverbriefung, dh die Abgabe ganzer Bündel von Kreditforderungen durch die Banken an Institute (sog Zweckgesellschaften), die auf der Grundlage und gesichert durch die Kredite („asset backed“) Wertpapiere („Asset backed securities“) schaffen und im Kapitalmarkt unterbringen. Dies sorgt für erhebliche Streuung der Risiken einerseits und Freiraum für die Banken zur Ausgabe neuer Kredite andererseits. Die Krise um die amerikanischen Hypothekenbanken „Fannie Mae“ (für FNMA) und „Freddie Mac“ (für Federal Home Loan Mortgage Corporation) haben allerdings die Anfälligkeit des Systems in der weltweiten Finanzkrise gezeigt (s SZ v 12/13.7.2008 Nr 161 S 1). Die deutsche Reaktion war das Finanzmarktstabilisierungsgesetz. 1036 v 20.12.2001, BGBl I S 3822, zuletzt geändert durch G vom 20.11.2015, BGBl I 2029. Überblick bei Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 724; zur Regelung betr Übernahmen Hahn, RIW 2002, 741. Zu einem historischen Vorläufer-Fall (Thyssen-Krupp) und seiner Aufarbeitung mit damaligen Mitteln Witt, Übernahmen von Aktiengesellschaften und Transparenz der Beteiligungsverhältnisse, 1998. 1037 S den von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Übernahmerichtlinie v 2.10.2002 KOM (2002) 534 – 2002/0240(COD). 1038 ABl v 30.4.2004 Nr L 142 S 12. 1039 Gesetz vom 8.7.2006, BGBl I S 1426.

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Der Umsetzung der EU-Marktmissbrauchsrichtlinie hat das Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (AnlegerschutzverbesserungsG – AnSVG)1040 gedient. Das Gesetz hat das Insiderrecht, das Recht der Ad-hoc-Publizität und die Regelungen zu Marktmanipulationen modernisiert. Weiter ist die Prospektpflicht für die Emission von Wertpapieren auf nicht in Wertpapieren verbriefte Anlageformen erweitert worden mit entsprechenden Haftungskonsequenzen. Das Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen vom 4. Dezember 18991041 ist durch das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung vom 31. 7.2009 ersetzt worden1042. Die Vermögensanlage in Investmentvermögen (Fonds) und die Verwaltung durch Verwaltungsgesellschaften ist umfassend und unter Berücksichtigung europäischer Richtlinien im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB)1043 aus dem Jahre 2013 geregelt. Dieses ist an die Stelle des früheren Investmentgesetzes (InvG) getreten, durch welches der Vorläufer, das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG), abgelöst worden ist. Ergänzend hinzu tritt das Gesetz über Vermögensanlagen (VermAnlG) vom 6.12.20111044. Die im VermAnlG behandelten Anlagen fallen auch unter den Begriff der Finanzinstrumente iS des WpHG (§ 2 IIb WpHG), aber nach § 1 II VermAnlG geht es weder um Wertpapiere iS des WpPG noch werden sie als Anteile an Investmentvermögen iS des § 1 I KAGB ausgestaltet. Das trifft nach der in § 1 II VermAnlG folgenden Aufzählung zu für Anteile an einer GmbH und an einer Personengesellschaft, für Genussscheine, Namensschuldverschreibungen und partiarische Darlehen sowie Nachrangdarlehen. Mit einem Auffangtatbestand (§ 1 II Nr 7) sind etwa Direktinvestitionen in Container oder Rohstoffe gemeint. Das VermAnlG macht die Auflegung eines Verkaufsprospekts zur Pflicht (§§ 6 ff)1045. §§ 20–22 VermAnlG regeln die Prospekthaftung1046.

_____ 1040 BGBl I S 2630; RegE BT-Drucks 15/3174. Darstellung bei Holzborn/Israel, WM 2004, 1948 ff, Spindler, NJW 2004, 3449 ff; zur Prospektpflicht und -haftung im grauen Kapitalmarkt nach dem Gesetz Fleischer, BKR 2004, 339 ff. Zu drei Verordnungen, die das BMF vorbereitet hatte (und inzwischen erlassen hat) aufgrund einer Ermächtigungsgrundlage, die das AnSVG im WertpapierHandelsG eingefügt hat, – FinAnV, MaKonV, WpAIV –, s ZBB-Dokumentation 2004, 422 ff. 1041 RGBl 1899, 691. 1042 BGBl I Nr 50, 2512. Zum Gesetz in Abgrenzung zur Geltendmachung von Ansprüchen aus ausländischen Anleihen Grüneberg, WM 2016, 1621. 1043 Gesetz vom 4. 7. 2013, BGBl I, 1981. 1044 BGBl I, 2481. 1045 Zu bestimmten Fragen der Prospektpflicht Auslegungsschreiben der BaFin als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift (www.bafin.de/verkaufsprospekte/auslegungsschreiben. htm). 1046 Wichtig ist, dass diese Haftung unabhängig ist von der nach WpPG vorgesehenen Billigung des Prospekts durch die BaFin (§ 13 WpPG). Diese prüft nur die formale Übereinstimmung mit den Erfordernissen des Prospektinhalts, nicht inhaltlich nach. Weiter übernimmt sie keine Verantwortlichkeit im Verhältnis zu den Anlegern.

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XI. XII.

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XIV.

XV.

Über eine besondere Anlageform ist das Pfandbriefgesetz ergangen1047. Mit einigen Ausnahmen betreffend steuerliche Regelungen, deren Inkrafttreten von europarechtlichen Maßnahmen abhängig war, ist am 13.8.2008 das „Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen (MoRaKG)“ in Kraft getreten1048. Durch das in Art 1 geregelte Gesetz zur Förderung von Wagniskapitalbeteiligungen (Wagniskapitalbeteiligungsgesetz, WKBG) sind die sog Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften geschaffen worden. Art 2 enthält Änderungen des UBGG. Schon das WKBG bringt steuerliche Besonderheiten. Die Art 2–5 des MoRaKG ändern EStG, KStG, GewStG, Art 6 ändert das KWG durch Einfügung der Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften in § 2 I Nr 6a und schließlich ändert der Art 7 des MoRaKG das FinDAG. Das Gesetz zur Umsetzung der Beteiligungsrichtlinie vom 12. 3.20091049 hat die sog Beteiligungsrichtlinie1050 umgesetzt. Dieser geht es um die Erleichterung grenzüberschreitender Beteiligungen im Banken-, Versicherungs- und Wertpapierdienstleistungssektor, soweit hier eine staatliche Kontrolle, insbesondere betreffend Zuverlässigkeit, eingerichtet ist. Das Umsetzungsgesetz sieht aufgrund der Richtlinie Änderungen des KWG, VAG, InvG (jetzt abgelöst vom KAGB), BörsG ua vor. Oben1051 bereits erwähnt sind die kapitalmarktorientierten Ansätze zur Modernisierung der Rechnungslegung und der Information darüber, das Bilanzkontrollgesetz (BilKoG) und das BilMoG, weiter das ebenfalls oben1052 referierte Risikobegrenzungsgesetz. Die Durchsetzung des Anlegerschutzes hat das Gesetz vom 16.8.2005 über Musterfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-MusterverfahrensG – KapMuG –) verbessert1053. Mit diesem Vorstoß ist der Gesetzgeber

_____ 1047 Dazu Wilhelm Sachenrecht Rn 1426. 1048 BGBl I, 1672. RegE BT-Drucks 16/6311. Zur Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaft schon o Rn 21 f. Zum RegE gutachtliche Stellungnahme eines Teams unter Leitung von Ann-Kristin Achleitner/Kaserer, veröff ZBB 2007, 513. 1049 BGBl I, 470. 1050 Richtlinie 2007/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.9.2007, ABl v 21.9.2007 Nr L 247 S 1. 1051 Rn 82. 1052 Rn 107. 1053 BGBl I S 2437 ff. Die ersten Anwendungsfälle betreffen die Deutsche Telekom und Daimler. Im Fall Telekom haben 2.700 Kläger eine Gesamtsumme von 80 Mio € eingeklagt. Die Kläger haben T-Aktien erworben, deren Kurs verfallen ist, und klagen auf Schadensersatz aus Prospekthaftung wegen unrichtiger Prospektangaben gegen die Deutsche Telekom AG. Am 7.4.2008 ist nach Erfüllung der Voraussetzungen das Musterverfahren vor dem OLG Frankfurt eröffnet worden (SZ v 7.4.2008 Nr 81 S 2). Das OLG hat Ansprüche abgelehnt, der BGH hat mit Beschluss des 11. Senats vom 21. 10. 2014, BGHZ 203, 1, aufgehoben und zurückverwiesen.- Im Fall Daimler geht es um die Haftung der Daimler AG aus § 37b WpHG aF wegen Unterlassung einer Ad-hoc-Angabe über den bevorstehenden Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden Schrempp als veröffentlichungspflichtige Insiderinformation. Im Musterverfahren hat das OLG Stuttgart AG 2007, 250 eine veröffentlichungspflichtige Information erst bei Beschlussfassung des Aufsichtsrats angenommen und die

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Anregungen der Regierungskommission Corporate Governance gefolgt. Das Gesetz war auf 5 Jahre befristet. Nach Art. 1 des G vom 19.10.2012 ist das jetzt geltende KapMuG in Kraft gesetzt worden1054. § 28 lässt das Gesetz am 1.12.2020 außer Kraft treten. Nach dem Gesetz können Verfahren gebündelt werden, die Kapitalanleger vor dem LG einleiten (ausschließlicher Gerichtsstand nach § 32b ZPO) zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus falscher öffentlicher Kapitalmarktinformation oder Erfüllungsansprüchen aus dem WpÜG. Der Kläger kann Antrag auf Musterfeststellung stellen, welchen das Prozessgericht nach Prüfung im Klageregister des BAnz öffentlich bekannt macht1054a. Das Verfahren vor dem LG wird damit unterbrochen (§ 3 KapMuG). Kommen innerhalb von vier Monaten 9 weitere Anträge hinzu, verweist das erstveröffentlichende Prozessgericht an das übergeordnete OLG (§ 4)1055. Kommen nicht genügend gleichgerichtete Anträge zustande, weist das Prozessgericht den Antrag zurück und setzt das Verfahren fort. Ist das Musterverfahren durchzuführen, macht das OLG das Musterfahren bekannt. Das Prozessgericht hat daraufhin alle Verfahren auszusetzen (§ 7). Das OLG wählt nach seinem Ermessen einen Musterkläger aus (§ 8 II)1056. Die übrigen Kläger werden beigeladen (§ 8 III). Das OLG entscheidet durch Musterentscheid (§ 14), der mit Rechtsbeschwerde (§§ 574 ff ZPO) anfechtbar ist (§ 15). Der bestandsfeste Entscheid entfaltet Bindungswirkung in den nunmehr fortzusetzenden Verfahren vor den LG (§ 16). Die Regelung erscheint wenig attraktiv, weil sie nicht die Erhebung der Klage jedes einzelnen Betroffenen vor dem LG erspart, was schon deshalb nötig bleibt, damit der Anspruch nicht verjährt. XVI. Den Anlegerschutz hat für Kleinanleger ausdifferenziert, aber auch mit Ausnahmen für das sog Crowd-Funding versehen das Kleinanlegerschutzgesetz vom 3.7.20151057. XVII. Weiter hatte die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Haftung für falsche Kapitalmarktinformationen (KapitalmarktinformationshaftungsG – KapInHaG) vorgelegt1058. Aufgrund massiver Kritik aus der

_____ Haftung abgelehnt; der BGH hat mit Entscheidung vom 25.2.2008 (Der Konzern 2008, 287) die Sache an das OLG zurückverwiesen. Zur Entscheidung Leuering, DStR 2008, 680. Zum KapMusterverfahren im Fall Infomatec BGH ZIP 2008, 1197. – Zu Arbeiten der europäischen Kommission an einer europäischen Sammelklage Mattil/Desoutter, WM 2008, 521. 1054 Anwendungsfall BGH WM 2017, 2237; weiter die Zulassung eines Musterverfahrens betr Schadensersatz von Anlagern gegen VW wegen zu später Information über die Dieselmanipulation (SZ Nr. 183 9.8.2016, S 19). 1054a Zu den (abstrakt erforderlichen) Voraussetzungen des Vorrangs eines Verfahrens nach KapMuG (hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass Feststellungen im Musterfahren die Entscheidung des Rechtsstreits beeinflussen wird), OLG München ZIP 2018, 327. 1055 Möglichkeit eines zentralen OLG und – durch Staatsvertrag – auch eines zentralen OLG im ganzen Bundesgebiet nach § 4 V KapMuG, § 71 II Nr 3 GVG. 1056 Im Telekom-Verfahren ist dies ein von einer Tübinger Kanzlei vertretener Kläger, der 1,2 Mio € Schadensersatz verlangt. 1057 BGBl I, 1114. 1058 Stand vom 7.10.2004, Diskussionsentwurf des BMF abgedr in NZG 2004, 1042; zum E Sünner, DB 2004, 2460 ff.

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Wirtschaft1059 ist der Entwurf aber am 10.11.2004 zu weiterer Abwägung erst einmal wieder zurückgezogen worden. Der Entwurf bedroht mit Schadensersatzhaftung jeden Emittenten, aber auch jedes Mitglied des Leitungs-, Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans eines Emittenten, wenn solche Personen bei der Emission von Finanzinstrumenten unrichtige Angaben machen oder relevante Umstände verschweigen, es sei denn, dass der Emittent oder das Organmitglied die Unrichtigkeit der Angabe nicht gekannt hat und die Unkenntnis oder das Verschweigen nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Durch die Fassung wird die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens dem Emittenten oder Organmitglied zugeschoben. Als Schaden wird der Unterschiedsbetrag zwischen Kaufpreis und gewichtetem durchschnittlichem Börsenpreis in der Zeit nach Bekanntwerden der Unrichtigkeit zugrunde gelegt. Das Organmitglied kann die Haftung wegen grober Fahrlässigkeit auf das Vierfache seines Jahreseinkommens (einschließlich variabler Bestandteile wie Aktienoptionen) im letzten Jahr vor der falschen Angabe beschränken. XVIII. Am 23.6.2017 ist schließlich das 2. Finanzmarktnovellierungsgesetz (2. FiMaNoG) erlassen worden1060. Der deutsche Gesetzgeber hat hier eine Mehrzahl von europäischen Richtlinien und Verordnungen in Bezug genommen bzw umgesetzt, insbesondere die Richtlinie MiFID II und die VO MiFIR., die ab 3.1.2018 anzuwenden sind. Entsprechend diesem Datum treten Teile des 2. FiMaNoG am 3.1.2018 in Kraft (Art 26 V 2. FiMaNoG). Das 2. FiMaNoG hat die europäische Reformarbeit berücksichtigende Änderungen der folgenden Gesetze gebracht: in Art 1–3a Änderungen zum WpHG, in Art 4–6 zum KWG, in Art 7, 8 zum BörsG, in Art 9 zum WpÜG, in Art 10–12 zum KAGB, in Art 13–15 zum VAG, in Art 16 zum FinDAG und in Art 23 zum KleinanlegerschutzG.

2. Gegenstand des Kapitalmarktrechts Zum Aktienrecht tritt das Kapitalmarktrecht als externe Dimension hinzu. Es 692 handelt sich um das Recht des Marktes, besser: der Märkte, auf dem bzw denen die AG mit ihren Aktien agieren und sodann die Aktien als Handelsobjekte gehandelt werden, und mit diesen die anderen Finanzinstrumente. Der Kapitalmarkt ist der Markt für den Handel mit den in § 2 I WpHG definierten Wertpapieren und den sonstigen Finanzinstrumenten iS des in § 2 Abs IV WpHG nF abgegrenzten Markts für Finanzinstrumente1061.

_____ 1059 S Berichte in der FAZ v 25.10.2004, S 13; vom 27.10.2004, S 19. 1060 BGBl I, 1693. 1061 An Finanzinstrumenten zählt § 1 IV WpHG auf Wertpapiere, Anteile an Investmentvermögen, Geldmarktinstrumente, Emissionszertifikate, Rechte auf Zeichnung von Wertpapieren und schließlich Vermögensanlagen (iSv § 1 II VermAnlG) mit bestimmten Ausnahmen.

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§ 2 I WpHG gebraucht einen Wertpapierbegriff, der sich vom allgemeinen Begriff unterscheidet1062. Aktien sind, wenn einzeln verbrieft, Wertpapiere in beiderlei Sinn, wenn nicht einzeln verbrieft, nur Wertpapiere nach § 2 I Nr 1 WpHG. Man spricht auch von Effekten1063. Weitere Beispiele sind Inhaberschuldverschreibungen iS der §§ 793 ff BGB, Orderschuldverschreibungen, beide Arten Anleihen oder Bonds genannt, wenn aus Gesamtemissionen stammend, und Gegenstand des Schuldverschreibungsgesetzes vom 31.7.2009 (§ 2 I Nr 3 a WpHG)1064. § 2 I WpHG definiert in verunglückter Formulierung Wertpapiere als „Gattungen von übertragbaren Wertpapieren mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten, die ihrer Art nach auf den Finanzmärkten handelbar sind“. Die Handelbarkeit wird natürlich für die Wertpapiere verlangt und ist nicht Merkmal der davon ausgenommenen Zahlungsinstrumente. Nach dem RegE zum Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz1065 sind die Wertpapiermerkmale drei, nämlich Übertragbarkeit, Standardisierung und Handelbarkeit. Standardisierung bedeutet die Ausgabe einer Mehrzahl von durch Gattungsmerkmale gleich gestalteten Wertpapieren (sofern Urkunden, unterfallen sie den vertretbaren Sachen iSv § 91 BGB). Damit fallen nicht unter den Begriff individuelle Gestaltungen nach Kundenwünschen. Für die Handelbarkeit wird die Handelbarkeit an irgendeinem Markt vorausgesetzt (vermöge Umlauffähigkeit und Austauschbarkeit). Die aus dem Wertpapierbegriff ausgenommenen „Zahlungsinstrumente“ sind Bargeld, Schecks oder andere liquide Mittel, die zur Zahlung verwendet werden1066. Der Bereich der Handelbarkeit (jeder Markt reicht aus) ist zu unterscheiden vom engeren Begriff des organisierten Markts nach § 2 XI WpHG, auf den sich bestimmte Vorschriften des WpHG beschränken.

Das Kapitalmarktrecht befasst sich, was uns hier insbesondere interessiert, mit dem Handel von Gesellschaftsbeteiligungen und folglich mit zwei Märkten, auf denen Aktien transferiert werden. Der erste Markt ist der, auf dem die AG (bei dieser bleiben wir jetzt) als Kapitalgesellschaft zu ihrem Eigenkapital, dh dazu kommt, dass die von ihr geschaffenen Aktien auch abgenommen werden. Die Aktiengesellschaften sind hier die Emittenten und suchen Anleger. Sie bedienen sich dabei der Banken(konsortien) als Intermediären, die sich an der Gründung durch Übernahme der Aktien beteiligen und dann die Aktien den Anlegern zuteilen, dh verkaufen (Primärmarkt). Das Recht muss diesen Aufbau einer AG ermöglichen und dabei die Anlageinteressenten und Anleger bei ihren Entscheidungen über die Anlage schützen. Auf dem zweiten Markt (Sekundärmarkt) geht es um die effiziente Gestaltung des Austauschs der Aktien durch die Anleger. Dazu ist erforderlich die Optimierung der Anlageentscheidungen durch möglichst umfassende und täuschungsfreie Information aus möglichst gleichermaßen zugänglichen und auswertbaren Quellen. Um diese

_____ 1062 1063 1064 1065 1066

Zu diesem Wilhelm Sachenrecht Rn 1506d. Ausführlich Lenenbach (Fn 1023a) Rn 4.1 ff. BGBl I, 1693, näher Poelzig, Rn 80 f. FRUG BT-Drucks 16/4028, S 53. RegE FRUG aaO S 54.

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Marktperspektiven, also die Kapitalbeschaffung am Markt und den Schutz der Anleger am Kapitalmarkt, geht es in der folgenden Darstellung1067.

3. Die Überwachung des Kapitalmarkts durch die BaFin Mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist durch das gleich- 693 namige Gesetz (FinDAG) vom 22.4.20021068 eine sektorübergreifende (Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Versicherungsunternehmen erfassende) staatliche Allfinanzaufsicht geschaffen worden. Die BAFin ist eine rechtsfähige bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts (Art 87 III 1 GG) unter Rechts- und Fachaufsicht des BMF. Ihr Sitz ist in Frankfurt/Main und Bonn, für Klagen gegen die BAFin in Frankfurt, für Verfahren nach dem OWiG Bonn (§ 1 II, III FinDAG). Zu den Aufgaben der Anstalt gehört die Überwachung der Einhaltung der Verhaltenspflichten gemäß den die Märkte regulierenden Normen (MAR, WpHG, WpÜG etc)1069. Die Europäische Verordnung und die nationalen Gesetze verweisen für die Kontrolle ihrer Verhaltensregeln immer, was die Bundesrepublik Deutschland betrifft, auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Für die Maßnahmen der Anstalt besteht Ermessen, sie müssen sich an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz halten. Klagen dagegen haben keine aufschiebende Wirkung. Nach § 4 IV FinDAG nimmt die Anstalt ihre Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahr. § 4 II führt die Zusammenarbeit mit den Ländern und die internationale Zusammenarbeit nach den geltenden Marktregelungsgesetzen auf (nach WpHG wird bei der BAFin ein Wertpapierrat mit Ländervertretern gebildet, weitere Zusammenarbeit mit dem Committee of European Securities Regulators – CESR –, seit 2009 aufgegangen in European Securities and Markets Authority – ESMA1070 –, und schließlich in der International Organisation of Securities Commissions – IOSCO –). Die weiteren Abschnitte des FinDAG befassen sich mit Organisation, Personal, Haushalt sowie Rechnungslegung, Gebühren/Umlagen, besondere Finanzierungen und enden in Übergangs- und Schlussvorschriften.

_____ 1067 Näher zu den Aufgaben des Kapitalmarkts und des Kapitalmarktrechts Poelzig, Rn 23 ff, zum Regulierungsbedürfnis aus ökonomischer Sicht Rn 30 ff. Zur Diskussion des Kapitalmarktrechts auf dem Deutschen Juristentag 2002 Spindler, DStR 2002, 1576; zur Entwicklung des Kapitalmarktrechts in den Jahren 2003/2004 Spindler/Christoph, BB 2004, 219 ff. 1068 BGBl I S1310. 1069 Auch Maßnahmen gegen die Werbung von Finanzdienstleistungsunternehmen (zB das cold calling als unlautere Belästigung nach § 7 I, II Nr 2 UWG) gehören dazu. 1070 Zum Gesamtsystem der ESFS s homepage der BAFin.

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4. Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht sowie Bürgerliches Recht 694 Das Kapitalmarktrecht umfasst öffentlichrechtliche, strafrechtliche und pri-

vatrechtliche Rechtsfolgen1071. Uns interessiert hier insbesondere, dass es mit dem Gesellschaftsrecht und dem Bürgerlichen Recht Überschneidungen haben kann1072. Dazu ist jeweils das Verhältnis der Rechtsmaterien zu klären. Kriterium muss die Abgrenzung der jeweiligen Schutzinteressen sein. Kollidieren diese im Einzelfall, muss eine möglichst weitgehende Konkordanz gefunden werden. Drei Beispiele belegen das. Zunächst kann das Verhältnis zwischen Aktienrecht und Kapitalmarktrecht ein Spannungsverhältnis sein. Dieses kann durch Spezialregeln des Gesetzes aufgelöst sein: Etwa stellt das AktG klar, dass für den Anteilserwerb der einen an einer anderen AG bei börsennotierten Gesellschaften statt der aktienrechtlichen Mitteilungspflichten die Mitteilungspflichten nach dem WpHG gelten (§§ 20 VII, 21 V AktG). Ebenso ist das Verhältnis des aktienrechtlichen Squeeze-out (§§ 327a ff AktG) zu dem übernahmerechtlichen Squeeze-out (§§ 39a, b WpÜG) in § 39a VI WpÜG zugunsten der Anwendung des WpÜG geregelt. Sodann können konkurrierende Regelungen nebeneinander anwendbar sein: Ohne Widerspruch sind etwa die konzernrechtlichen Regeln des AktG und die Regeln des WpÜG über den Kontrollerwerb (§§ 29 ff WpÜG) nebeneinander anwendbar. Ohne Hilfe durch Spezialregelung aufzulösen, und zwar zugunsten des kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutzes, ist die Spannung zwischen dem Anlegerschutz nach Kapitalmarktrecht einerseits und dem Schutz der Gesellschafter und Gläubiger nach Aktienrecht andererseits1073. Insoweit gilt ein grundsätzlicher Vorrang des Kapitalmarktrechts1074: Wenn sich die Aktiengesellschaft im

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1071 S Poelzig, Rn 57 ff. 1072 Übertriebenes Zeitgeistdenken drückt sich in dem Reformansatz aus, das Gesellschaftsrecht, was die börsennotierten Gesellschaften betrifft, generell an den Interessen des Kapitalmarkts auszurichten, s Richter, ZHR 172 (2008), 420. 1073 Zum Verhältnis von Kapitalmarktinformationshaftung und Kapitalerhaltung bei der AG Gruber, JBl 2007, 2 ff, 90 ff. Weiteres Spannungsfeld die Informationsrechte oder -pflichten des Aufsichtsrats etwa im Konzern einerseits und die Beschränkungen nach Kapitalmarktrecht andererseits, Veil, ZHR 172 (2008), 239. 1074 Welcher durchaus problematisch ist: S etwa die Untersuchung der New Yorker SEC zur Frage, ob Wertpapierklagen die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen und damit den Shareholder Value und den Investorenschutz beeinträchtigen, FAZ v 25.9.2007, Nr 223 S 23. Von der gegenüber der aktienrechtlichen Vermögensbindung vorrangigen kapitalmarktrechtlichen Veranwortlichkeit einer AG als Emittentin gegenüber den Anlegern ist zu unterscheiden der Fall, dass eine AG ihrem Aktionär bei der Emission von dessen Aktien hilft. Hier gilt kein Vorrang des Kapitalmarktrechts. Die Übernahme der Prospekthaftung durch die AG ist

I. Das Kapitalmarktrecht als insbesondere für Aktien relevante Rechtsmaterie | 413

Kapitalmarkt bewegt, ist sie den Schutzsanktionen zugunsten der Marktteilnehmer unterworfen. Nur als Marktakteur im Rahmen der Marktsanktionen steht sie insbesondere ihren Gläubigern zur Verfügung, die Gläubiger haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen eine von den Bedingungen des Kapitalmarkts dispensierte Kapitalgesellschaft als Schuldnerin zur Verfügung gestellt wird. Deshalb kann insbesondere der kapitalmarktrechtliche Schutz eines bestimmten Investors vermittels der Emittentenhaftung der Aktiengesellschaft nicht dadurch relativiert werden, dass der Investor als Aktionär, der er inzwischen geworden ist, der aktienrechtlichen Vermögensbindung unterworfen ist1075. Grundsätzlich gilt freilich eine andere Folgerung dann, wenn das Aktienrecht gerade einen bestimmten Aktienerwerb untersagt und nichtig macht. Hier kann nicht um des Schutzes des Kapitalmarkts willen das Geschäft für wirksam erklärt werden. Dies trifft grundsätzlich für das Verbot des Erwerbs eigener Aktien (§ 71 I AktG) und die Folge der Unwirksamkeit des schuldrechtlichen Geschäfts zu (§ 71 IV 2 AktG). Davon unberührt ist aber der Schutz des Erwerbers von Aktien insoweit, als er in Schadensersatzansprüchen aufgrund kapitalmarktrechtlicher (und bürgerlichrechtlicher) Tatbestände besteht. Und im Rahmen eines solchen Schadensersatzanspruchs wird man auch die Naturalrestitution durch Rücknahme von Aktien vertreten müssen, soweit gerade diese unter Verstoß gegen kapitalmarktrechtliche Verhaltenspflichten an den Mann gebracht worden sind1076. Zweites Beispiel ist die mögliche Kollision gesellschaftsrechtlicher Infor- 695 mations- und Aufklärungsrechte mit dem kapitalmarktrechtlichen Verbot der Weitergabe von Insiderinformationen (früher § 14 I Nr 2 iVm §§ 12 f und § 39 II Nr 3 WpHG, ab 3.1.2018 die europäische Marktmissbrauchsverordnung). Man denke sich den Fall, dass in einer KG nicht nur die gesetzlichen Informationsrechte der Kommanditisten bestehen, sondern für bestimmte Kommanditisten auch darüber hinausgehende persönliche Einsichts- und Prüfungsrechte

_____ unzulässige Vermögensausschüttung an den Aktionär nach §§ 57, 62 AktG. Zutreffend LG Bonn AG 2007, 715 = WM 2007, 1695, bestätigt durch BGHZ – Dritter Börsengang – 190, 7. 1075 BGH NJW 2005, 2450 (EM.TV); OLG Stuttgart WM 2008, 1368, Poelzig, Rn 303. Dieses normative Verhältnis von Außen- und Innenrecht entscheidet die Konkurrenz von kapitalmarktrechtlichen Sanktionen einerseits und aktienrechtlicher Vermögenssicherung andererseits, nicht dagegen folgt der Vorrang des Kapitalmarktrechts aus dem Verhältnis von lex prior und lex posterior oder lex specialis und lex generalis (so aber Poelzig aaO). Zum Verhältnis von Vermögensbindungsregelung und Kapitalmarktschutz Henze, NZG 2005, 115; Langenbucher, ZIP 2005, 239. Fall zur Prospekthaftung (und zur Problematik des Verhältnisses zu den Kapitalerhaltungsregeln): Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005 – Fall 9. 1076 S BGH EM.TV NJW 2005, 2450, 2452; darauf verweist BGH NZG 2007, 345 (Comroad I), ebenso BGH NJW 2014. 2345 (dazu Ebke, ZGR 44 – 2015 –, 325 ff.)

414 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

vereinbart sind und die KG jetzt ihr operatives Geschäft in eine börsennotierte AG verlegt und sich selbst auf die Holding-Rolle zurückzieht. Die Konsequenz, dass jetzt das Informationsrecht der Kommanditisten über den in die AG verlagerten Geschäftsbetrieb am kapitalmarktrechtlichen Verbot der Weitergabe von Insiderinformationen scheitert, kommt nicht in Betracht. Andernfalls könnten Sonderrechte von Gesellschaftern allzu leicht durch Beteiligungskonstruktionen ausgehebelt werden. Hier muss nach einer Lösung des Interessenkonflikts unter möglichst weitgehender Beachtung beider Interessen, derjenigen der Gesellschafter und derjenigen des Kapitalmarkts, gesucht werden. Art 10 ff Marktmissbrauchsverordnung bieten Ansatzpunkte dafür, dass die Interessen des Kapitalmarkts an möglichst vollständiger und gleich behandelnder Information nicht absolut gesetzt werden dürfen. Eine harmonisierende Lösung unseres Falles könnte in der Regelung bestehen, die § 145 AktG vorsieht: Zwischenschaltung von Sonderprüfern, die auch in Konzerngesellschaften hineinprüfen können (§ 145 III AktG). Tragbar ist dies, weil die Sonderprüfer einer besonderen Verantwortlichkeit unterliegen. Das letzte Beispiel betrifft das Verhältnis des Kapitalmarktrechts zur all696 gemeinen Schadensersatzhaftung aus Pflichtverletzung oder Delikt nach bürgerlichem Recht. Die Deliktshaftung nach § 823 II BGB hängt von der individualschützenden Natur der im Einzelfall anzuwendenden kapitalmarktrechtlichen Norm ab. Diese ist für jede Norm durch Auslegung zu ermitteln1077. Was sodann das Verhältnis von allgemeiner Pflichtverletzungshaftung und Kapitalmarktrecht betrifft, so wird dieses in der folgenden Frage relevant: Die §§ 31 ff WpHG in der Neufassung durch das FRUG1078 behandeln Verhaltenspflichten etc von Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Die frühere Verjährungsregelung des § 37a WpHG1079 ist aufgehoben, es gilt das BGB. Die Regeln der Verhaltenspflichten sind aufsichtsrechtlicher Natur, strahlen aber auf das Zivilrecht aus. Dh auch die Aufklärungs- und Beratungspflichten im Verhältnis der Unternehmen zu ihren Kunden nach §§ 241 II, 311 II BGB sind unter Heranziehung der §§ 31 ff WpHG (ab 3.1.2018 §§ 63 ff) zu bestimmen1080. In den Grenzen der §§ 138, 305 ff BGB können die Parteien aber für ihr Verhältnis die Haftung der Unternehmen abmildern, während die Regeln als Aufsichtsrecht zwingend sind. Fraglich ist, ob durch die Parteivereinbarung und deren Auslegung die Verhal-

_____ 1077 Poelzig, Rn 29. 1078 Ab 3.1.2018 Neufassung durch das 2. FiMaNoG. 1079 Zu einem – gescheiterten – Versuch, die Berufung auf die Verjährung durch Anführung eines vorsätzlich-missbräuchlichen Verhaltens der auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Bank zu vereiteln, OLG München WM 2008, 351. 1080 Überzeugend Assmann/Schneider/Koller § 31 Rn 3.

II. Übersicht über die folgende Darstellung | 415

tensanforderungen auch über die §§ 31 ff (aF) bzw §§ 63 ff WpHG nF hinaus verschärft werden können. Beispiel1081: Die kein eigenes Rating aufweisende Tochtergesellschaft einer Investmentbank emittiert Zertifikate. Eine Patronatserklärung oder Garantie hat die Muttergesellschaft nicht abgegeben. Nach § 31 III WpHG genügt ein genereller Hinweis auf die Bonitätsrisiken bei Zertifikaten. Kann die zivilrechtliche Auslegung des Beratervertrages darüber hinaus zu dem Ergebnis kommen, dass auf die schlechte Bonität gerade dieses Emittenten hingewiesen werden muss?1082

Die Folgerung von Anforderungen aus der zivilrechtlichen Aufklärungspflicht, die über die §§ 31 ff WpHG hinausgehen, ist problematisch, weil die Richtlinien, auf denen §§ 31 ff WpHG beruhen, einen Maximalschutz festlegen1083. Letztlich ist die Möglichkeit einer solchen Auslegung aber zu bejahen1084. Den Richtlinien und dem Umsetzungsgesetz1085 ist nicht der Wille zur Vereinheitlichung des Zivilrechts und zur Beschränkung der Vertragsfreiheit zu entnehmen.

II. Übersicht über die folgende Darstellung II. Übersicht über die folgende Darstellung

In unserem Rahmen des Kapitalgesellschaftsrechts interessiert vor allem die 697 Kapitalbeschaffung der AG durch Ausgabe von Aktien. „Grundform“ dieser Kapitalbeschaffung ist die Gründung einer AG durch Aktionäre oder die Aufnahme von Aktionären in die Gesellschaft gegen Zahlung einer Einlage1086. Ob es der Gesellschaft gelingt, hierfür in ausreichender Zahl Aktionäre zu gewinnen,

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1081 Nach Mülbert, WM 2007, 1149, 1156. 1082 So denkbar nach der sog Bond-Judikatur, die eine auf die spezifischen Risiken des empfohlenen Produkts bezogene Aufklärung verlangt, s BGHZ 123, 126 (Bond). 1083 Koller, FS Ulrich Huber 2006, 821, 838; s zB die Durchführungsrichtlinie 2006/73/EG, ABl v 2.9.2006 Nr L 241 S 26, 46: Art 4 I: Verschärfende Anforderungen dürfen von Mitgliedstaaten nur in außergewöhnlichen Fällen beibehalten oder eingeführt werden. Deshalb gegen die Möglichkeit zivilrechtlicher Anforderungen, die den Schutz nach §§ 31 ff WpHG überschreiten, Mülbert, WM 2007, 1149, 1157, 1169. 1084 Assmann/Schneider/Koller Kom WpHG, 4. Aufl 2006,§ 31 Rn 3. 1085 Für das FRUG hat sich der Gesetzgeber nicht auf die Bundeskompetenz im Bereich des bürgerlichen Rechts (Art 74 I Nr 1 GG), sondern auf die für das Recht der Wirtschaft berufen (Art 74 I Nr 11 GG), BT-Drucks 16/4028, S. 53. 1086 Diese Form der Kapitalbeschaffung wird hier deshalb als Grundform bezeichnet, weil durch sie überhaupt erst eine Gesellschaft entstehen kann (Gründung). Zu möglichen weiteren Formen der Kapitalbeschaffung (namentlich in Form von „venture capital“, also Wagniskapital) für die AG vgl Beck’sches Handbuch der AG § 19 Rn 90 ff.

416 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

hängt entscheidend davon ab, dass auch der „Austritt“ aus der Gesellschaft unproblematisch möglich ist, sprich: die Aktie muss leicht veräußerlich, dh verkehrsfähig sein, und der Markt muss nach Breite und Tiefe liquide, er muss transparent und öffentlich mit niedrigen Transaktionskosten sein1087. Denn für die Investoren am Aktienkapitalmarkt ist typisch, dass ihr Engagement kurzfristig, auf den schnellen Austausch durch andere Erfolg versprechende Anlagen gerichtet ist. Zu den Fragen der Kapitalbeschaffung und Weiterverfügung verschaffen 698 wir uns zunächst einen Überblick über die Gegenstände des Kapitalmarkts, insbesondere den Erwerb von Aktien und den Handel mit ihnen im öffentlichen Markt; also Antworten auf die Frage des Was des Handels auf dem Kapitalmarkt. Der Verkehr mit Aktien gehört zum Verkehr mit Wertpapieren iS des kapitalmarktrechtlichen Wertpapierbegriffs des § 2 I WpHG. Sie sind Spielarten der Finanzinstrumente. Diese beziehen wir in weiteren Hauptbeispielen ein. Insbesondere Aktien tauchen nämlich in einigen Varianten des Erwerbs der Aktionärsstellung auf, insbesondere die Möglichkeiten mittelbarer Aktionärsbeteiligung in den Rechtsformen nach dem KAGB, des UBGG und des WKBG sind vorzustellen. An zweiter Stelle sind die Orte des Kapitalmarkts (Marktplätze) zu erläutern, die Frage des Wo des Handels: Weil insbesondere der organisierte Markt für den Aktienhandel bedeutsam ist, wird namentlich der organisierte Markt mit seinen Einrichtungen und seiner Struktur näher dargestellt. Insbesondere ist der Eintritt einer AG in die Börse (Going Public) und das Verlassen der Börse (Going Private) zu erläutern. Nach dieser Darstellung der Gegenstände und der Orte des Kapitalmarktverkehrs (des Was und des Wo) verschaffen wir uns eine Übersicht über Fragen des Wie, nämlich in zwei Richtungen: zum einen wollen wir wesentliche Techniken des Handels erkunden. Zum anderen verschaffen wir uns einen kursorischen Überblick über die wesentlichen Rechtsquellen zur Regulierung der Verhaltensweisen in den Handelsmärkten, insbesondere über die umfassenden Regelungen zum Schutz der Anleger, die Europäische Marktmissbrauchsverordnung (MAR)1088 und das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG).

_____ 1087 S Buck-Heeb (o Fn 1023a) Rn 8 ff. 1088 MarketAbuseRegulation, ABl 2014 L 173, 1.

III. Gegenstände d. Kapitalmarkts | 417

III. Die Gegenstände des Kapitalmarkts, insbesondere der Aktienerwerb in der Rechtswirklichkeit – die „rechtstechnische“ Seite des Aktienerwerbs III. Gegenstände d. Kapitalmarkts

1. Einordnung in die Finanzinstrumente Die Aktien als Gegenstände des Kapitalmarkts gehören zu den Wertpapieren iS 699 des Kapitalmarktrechts (§ 2 I WpHG), die eine Art der Finanzinstrumente sind (§ 2 IV Nr 1 WpHG)1089. Voraussetzung der Wertpapiereigenschaft ist die Handelbarkeit des Titels und damit die Möglichkeit des einfachen Übertragungsakts und dabei des gutgläubigen Erwerbs. Beides trifft auf Aktien zu. Demgegenüber fallen nicht unter den kapitalmarktrechtlichen Wertpapierbegriff Rektapapiere (auch nicht der nach § 808 BGB mit Legitimationskraft versehene Sparkassenbrief) und wegen der Erschwerung der Übertragbarkeit nach §§ 15 III, IV, 16 III GmbHG auch nicht GmbH-Anteile. GmbH-Anteile und ebenso Anteile an Personenhandelsgesellschaften können aber vom VermAnlG erfasst werden. Dann sind sie Finanzinstrumente nach § 2 IV Nr 7 WpHG. Finanzinstrumente sind sodann die unter § 1 I KAGB fallenden Investmentvermögensanteile (§ 2 IV Nr 2 WpHG). Das WpHG bezieht sich auf alle Finanzinstrumente, das WpPG und das BörsG demgegenüber nur auf Wertpapiere, das VermAnlG nur auf Vermögensanlagen iSv § 1 II VermAnlG und das KAGB schließlich nur auf Investmentvermögensanteile.

2. Die Aktie als Handelsobjekt im Primär- und Sekundärmarkt In Aktien investiert ein Investor in einer ersten Variante dadurch, dass er die AG 700 mitgründet oder an einer Kapitalerhöhung durch Erwerb „neuer“ Gesellschaftsanteile (sog junger Aktien) teilnimmt. Der Erwerb geschieht, wenn die AG börsennotiert ist oder werden will, mit Hilfe der Übernahme der Aktien durch Banken und deren Zuteilung an die Anleger. In der zweiten Variante wird der Investor Aktionär, indem er sich schon existierende Anteile übertragen lässt, die sich in der Hand von „Altgesellschaftern“ oder der Gesellschaft selbst (eigene Aktien) befinden. Grundlage der Übernahme der jungen Aktien durch die Banken (idR ein Emissionskonsortium) ist ein Übernahmevertrag mit der AG1090. Die

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1089 Identifizierung, wenn Urkunden ausgestellt, durch Aufdruck einer zwölfstelligen Abkürzung, näher Poelzig, Rn 67. 1090 Näher u Rn 757.

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Banken wollen die Aktien aber nicht für sich erwerben, sondern begleiten nur mithilfe ihrer Infrastruktur, die dem Emittenten fehlt, die Emission. Sie geben die Aktien im sog Primärmarkt an die eigentlichen Zielpersonen der Emission weiter. Davon unterscheidet sich der Anteilserwerb aufgrund Übertragung als Erwerb auf dem sog Sekundärmarkt. Aktien werden als Wertpapiere übertragen. Der Verkehr mit ihnen weicht 701 von ursprünglichen Vorstellungen des Wertpapierrechts ab: Die Verbriefung der Beteiligung in einem Wertpapier ist hier fast nur noch als formales Relikt zu erkennen. Nach § 10 V AktG kann der Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Aber auch Aktienurkunden werden zum überwiegenden Teil in Kundendepots bei den Banken verwahrt und wandern nicht iS der §§ 929 ff BGB von Hand zu Hand1091. 702 Es sind zunächst die Gründe für diese Entwicklung zu bezeichnen. Anschließend sind die rechtlichen Schritte in diesem Wandel zu beschreiben.

3. Mangelnde Praktikabilität der Einzelverbriefung von Aktien beim Handel am Sekundärmarkt 703 Das Erfordernis der Einzelverbriefung von Wertpapieren hat sich in mancher

Hinsicht als nicht praktikabel erwiesen. Wäre jedes wertpapiermäßige Recht einzeln zu verbriefen, so bedürfte jeder Gläubiger eines eigenen Papiers, das jeweils gedruckt und wegen des Vorlegungserfordernisses an ihn übermittelt werden müsste. Für die Übermittlung wären Sicherheitsvorkehrungen mit Blick auf die Transport-1092 und Liberationsfunktion1093 des Papiers erforderlich, zB der Abschluss einer Versicherung. Bei jeder neuen Transaktion würde sich der Vorgang wiederholen müssen. Angesichts der täglich – vor allem an der Börse –

_____ 1091 Nach der statistischen Sonderveröffentlichung der Deutschen Bundesbank vom August 2005, www.deutsche-bundesbank.de, wurden in Depots inländischer Kreditinstitute vom Aktienbesitz im Jahre 2004 55,6% verwahrt. Das Volumen der Depotbestände in Aktien (ohne Versicherungsaktien) inländischer Emittenten betrug Ende 2004: € 965,8 Mrd (Kurswert). Aufgrund der am 14.7.2004 beschlossenen Änderung des Erhebungsverfahrens schließen die neueren Statistiken nicht mehr an die älteren an. Nach den Hinweisen der Bundesbank dauert es noch einige Zeit, bis die Angaben über die Kundendepots für Analysezwecke geeignet sind. Laut Statistik von Ende September 2007 beträgt das Volumen der Depotbestände in Aktien inländischer und ausländischer Emittenten: € 559,1 Mrd (Kurswert). 1092 Am Papier hängende Übertragungsfunktion. Auch ein Abhandenkommen des Wertpapiers schließt – je nach Papier – den gutgläubigen Erwerb nicht aus, s zB für Inhaberpapiere § 935 II BGB. 1093 Freiwerden des Schuldners bei Leistung gegen Vorlage des Papiers.

III. Gegenstände d. Kapitalmarkts | 419

umgesetzten Werte wäre das ein immenser Aufwand, verbunden mit hohen Kosten. Die Modernisierung des Effektenverkehrs hat in mehreren Stufen zu einer „Rationalisierung“ geführt, durch die die bezeichneten Schwierigkeiten überwunden worden sind.

4. Die Aktie auf dem Weg in die „Entmaterialisierung“ Für die rechtliche Entwicklung von der einzelnen Aktie als Wertpapier bis zum 704 Massenverkehr über die Börse können wir die Feststellungen aufgreifen, die oben zur Aktie als Wertpapier und zur Übertragung von Aktien getroffen worden sind1094. Dabei ist wichtig, dass die Aktien nicht nur, wenn sie Inhaberaktien, sondern auch wenn sie Namensaktien, diese aber mit einem Blankoindossament versehen sind, und schließlich die einzeln gar nicht mehr verbrieften Aktien anonym durch bloße Weitergabe oder Umbuchung übertragen werden können. Ursprünglich nahm die Hausbank des Aktionärs dessen Aktien als Einzelpapiere in „Sonderverwahrung“, dh die Papiere wurden gesondert, individuell aufbewahrt. In einem ersten Schritt ging man dazu über, die Papiere der Kunden in „Sammelverwahrung“ zu nehmen (§ 5 DepotG). Die Hausbanken gaben die Sammelbestände üblicherweise ihrerseits in Sammelverwahrung bei eigens dafür vorgesehenen Gesellschaften, den Wertpapiersammelbanken1095. Diese (gestufte) Sammlung führte dazu, dass die Papiere durch schlichte Umbuchungen bei den Haus- und Wertpapiersammelbanken übertragen werden konnten1096. Alternativ kann sich freilich der Anleger nach dem Gesetz grundsätzlich auch

_____ 1094 Rn 220 ff. 1095 Diese noch heute übliche Form der „Drittsammelverwahrung“ wird Girosammelverwahrung genannt, da sich Transaktionen nur noch im Wege von Umbuchungen vollziehen. Die „Haus-Sammelverwahrung“ durch Hausbanken existiert nur noch vereinzelt. Die Wertpapiersammelbanken sind heute zusammengeschlossen in der Clearstream Banking AG, die zur Clearstream International gehört. Die Clearstream Banking AG ist die einzige verbliebene inländische Wertpapiersammelbank. Als solche verwahrt und verwaltet sie im nationalen Rahmen fast alle vertretbaren Wertpapiere. Sie ist aus dem „Deutschen Kassenverein“ hervorgegangen (einem Zusammenschluss mehrerer Wertpapiersammelbanken). Der Kassenverein ist 1997 in „Deutsche Börse Clearing AG“ umfirmiert worden und hat sich später mit einer Luxemburger Wertpapiersammelbank zur „Clearstream Banking AG“ zusammengeschlossen. Alleinige Anteilsinhaberin ist die Deutsche Börse AG. 1096 Durch Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses, die sich im Buchungsakt manifestiert.

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Aktien aus dem Sammelbestand in Höhe seiner Beteiligung aushändigen lassen und sie dann „wertpapiermäßig“ übertragen, §§ 7, 8 DepotG. Der nächste Schritt nach der Zusammenfassung in der Sammelverwahrung war die Einführung sogenannter Sammel- oder Globalurkunden. Durch diesen Schritt wird die Verwahrung dadurch vereinfacht und werden die Ausgabekosten der Emissionen dadurch gesenkt, dass sämtliche Gesellschaftsanteile in einer einzigen Urkunde verbrieft werden1097. Der einzelne Aktionär hatte auch dabei zunächst noch „ersatzweise“ einen Anspruch auf Aushändigung einer Einzel-Urkunde auf eigene Kosten (§ 9a III 1 iVm §§ 7, 8 DepotG). In der weiteren Entwicklung begründete der Gesetzgeber aber die Möglichkeit der Einführung von Dauerglobalurkunden, dh Sammelurkunden ohne Anspruch auf Einzelurkunden. § 9a III 2 DepotG setzt dafür den Ausschluss des Anspruchs auf Einzelurkunden in dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis voraus. Für Aktien sieht § 10 V AktG die Möglichkeit vor, dass der Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung seines Anteils durch die Satzung ausgeschlossen wird. Die „Entmaterialisierung“ des Aktienhandels war mit Ausnahme der Voraussetzung wenigstens noch einer Globalurkunde vollendet.

5. Rechtliche Auswirkungen der Rationalisierung im Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber von Aktien 705 Diese Entwicklung wirkte sich auf die Rechtspraxis des Aktienhandels aus. Die

heute seltene Sonderverwahrung (vgl § 2 S 1 DepotG) erlaubte noch die Anwendung der Regeln für die „wertpapiermäßige“ Übertragung des Rechts. Nach der Zeichnung der Aktien blieb der Anleger nämlich Eigentümer der einzelnen Papiere1098. Die Aktien lagen, mit Hilfe von „Streifbändern“ unterscheidbar gehalten, bei der Bank. Bei der Sammelverwahrung haben die Aktionäre Miteigentum am Sam706 melbestand nach ihrer Quote. Die §§ 5 ff DepotG sind leges speciales zur Regelung des Miteigentums an beweglichen Sachen nach dem BGB (§§ 1008 ff, 741 ff).

_____ 1097 Die Existenz solcher Urkunden erkennt § 9a DepotG an. Sie dürfen nur von Wertpapiersammelbanken verwahrt werden. 1098 Nach der depotgesetzlichen Grundkonzeption ist dem Kunden zwar auch heute noch grds Alleineigentum an bestimmten Wertpapierurkunden zu verschaffen, § 18 DepotG. Die Bank leistet in der Praxis aber Girosammeldepot-(Miteigentums-)Anteile, § 24 I DepotG, dazu sogleich. Diese Art der Erfüllung wird in den AGB der Banken als vorrangige Art der Erfüllung vereinbart, Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl 2004, Rn 10.303 ff, 10.320.

III. Gegenstände d. Kapitalmarkts | 421

Bei Globalurkunden verhält es sich nicht anders. Auch hier ist Handelsobjekt der Miteigentumsanteil an der bei Emission erzeugten Globalurkunde, § 9a II iVm § 6 DepotG. Der Handel mit den Miteigentumsanteilen musste noch auf die wohl wich- 707 tigste Wertpapierfunktion, die Ermöglichung gutgläubigen Erwerbs, abgestimmt werden. Da die Übertragung der sammelverwahrten oder -beurkundeten Aktien durch Übertragung des Miteigentums nach §§ 929 ff BGB geschieht, konnte die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs nach §§ 932 ff BGB anknüpfen. Dafür war aber noch die Rechtsscheingrundlage zu entwickeln, die nicht nur das Miteigentum des Veräußerers als solches, sondern auch das Bestehen der für die Veräußerung erforderlichen Quote anzeigte. Diese wurde in der Buchung im Verwahrungsbuch der Wertpapiersammelbank, § 14 DepotG, gesehen. Das ist genau einzuordnen: Mit dieser dogmatischen Konstruktion wird die 708 (für den Fall der rechtsgeschäftlichen Übertragung „deklaratorische“1099) Depotbuchung zum Surrogat eines Rechtsscheinträgers erhoben, der nach sachenrechtlichen1100 Grundsätzen an sich nicht geeignet wäre, den erforderlichen Rechtsschein – nämlich in Bezug auf die Quote – zu erzeugen. Nur damit konnte den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs in der Praxis Rechnung getragen werden1101. Die Entmaterialisierung des Aktienhandels hat somit an die Stelle des typi- 709 schen Wertpapierverkehrs einen bloßen „Rechte“-Verkehr gesetzt, der in Gestalt von Miteigentumsanteilen am Sammelbestand oder an der Globalurkunde nur noch eine sehr entfernte Anknüpfung an Wertpapiere als körperliche Sachen aufweist1102. Der Effektengiroverkehr vollzieht sich unter Einschaltung von Banken, die Umbuchungen im Hinblick auf die Aktiendepots vornehmen.

_____ 1099 „Konstitutiv“ ist die Umstellung der Besitzmittlungsverhältnisse auf den Erwerber, die der Buchungsvorgang nur belegt. Soweit der Buchungsakt nach § 24 II DepotG von Bedeutung für den Rechtsübergang ist, lässt er sich mit gutgläubigem Erwerb nicht in Verbindung bringen. Denn hierbei handelt es sich um einen gesetzlich angeordneten Rechtsübergang – der das Bestehen des Rechts voraussetzt. Das ergibt sich schon aus § 24 II 1 DepotG, der an die Verfügungsbefugnis der Bank anknüpft. 1100 Auf wertpapierrechtliche Grundsätze kann es nicht ankommen. Eine „wertpapiermäßige“ Übertragung findet ja nicht statt. 1101 Lenenbach (o Rn 1023a) Rn 6.71: „lebensnotwendig“. Dabei findet selten Erwähnung, dass die Gegebenheiten des Effektengiroverkehrs insoweit über den „normalen“ gutgläubigen Erwerb weit hinausgehen. Nach § 166 I BGB soll es nämlich auf den Kenntnisstand der Clearstream Banking AG ankommen (genauer: dort auf den tätig werdenden Mittler, § 166 I BGB analog), die als Vertreterin der Käuferbank die Übertragungsofferte annimmt, Lenenbach Rn 5.73. Damit ist der Eigentumserwerb eines Wertpapierkäufers gewissermaßen „automatisiert“, denn Bösgläubigkeit der Clearstream Banking AG dürfte selten nachweisbar sein. 1102 Das setzt sich übrigens über den gutgläubigen Erwerb hinaus fort: Zur Legitimation akzeptieren die Aussteller von Wertpapieren eine schriftliche Bestätigung der Wertpapiersam-

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710

Für die (wenigen) Fälle, in denen die Aktien noch als einzelne Wertpapiere existieren und umlaufen, ist für Übertragung und Erwerb das Folgende festzustellen: Die Übertragung der Namensaktie als Orderpapier erfolgt durch Indossament oder Weiterübereignung nach einem Blankoindossament (§ 68 I 1, 2 AktG iVm dem WG)1103. Daneben ist, wie § 68 I 1 AktG ausdrücklich hervorhebt („auch“), die Übertragung durch Zession möglich. Nach überwiegend vertretener Ansicht soll die Zession auch bei der Inhaberaktie möglich sein. Dies ist indessen unzutreffend. Das Gesetz knüpft schon bei der Grundform des Inhaberpapiers, der Schuldverschreibung auf den Inhaber (§ 793 BGB), an die Inhaberschaft am Papier an. Berechtigt aus dem Papier ist also der am Papier berechtigte Inhaber. Damit ist die Rechtsstellung mit dem Eigentum verbunden. Über diese gesetzliche Anknüpfung setzt sich hinweg, wer meint, auch bei Inhaberpapieren mit einer Zession operieren zu können. Bei der Namensaktie als Orderpapier verhält es sich genau umgekehrt. Sie kann – außerhalb der Sammelverwahrung – nur durch Zession des verkörperten Rechts oder – vorbehaltlich der Übereignung eines blanko indossierten Papiers – durch Indossament und Begebung übertragen werden.

6. Ausführungsgeschäft und Depotvertrag 711 In die Anbahnung und Abwicklung des eben beschriebenen dinglichen Effek-

tenverkehrs sind die Banken eingeschaltet. Sind sie nicht selbst Käufer bzw Verkäufer (sog Festpreisgeschäft), so nehmen sie das Kaufgeschäft aufgrund eines Kommissionsvertrags (§§ 383 ff HGB) im eigenen Namen als sog Ausführungsgeschäft1104 vor, während sich die dingliche Übertragung in der Regel ohne Durchgangserwerb der Bank unmittelbar auf den Kunden vollzieht1105. 712 Die Einzelheiten der Kommission sind für die Einkaufskommission in §§ 18 ff DepotG und weiter durch AGB geregelt1106. Es ist Aufgabe der Bank, die Wertpapiere für Rechnung des Kunden zu kaufen oder zu verkaufen. Dabei handelt es sich um ein Bankgeschäft iS von § 1 I 2 Nr 4, XI Nr 1 KWG. Die Bank hat

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melbanken. Zur Ausübung des Stimmrechts ist die Bescheinigung einer Wertpapiersammelbank ausreichend, § 123 II AktG. 1103 Verbreitet ist allerdings die Ansicht, dass das Orderpapier übereignet wird und das Indossament als zusätzliches Erfordernis hinzutritt. Wird aber durch Indossament übertragen (anders die Weiterbegebung nach einem Blankoindossament, Art 14 II Nr 3 WG), so ist das Indossament kein Formerfordernis im Rahmen einer Übereignung, sondern zusammen mit der Begebung eine eigene, wertpapierrechtliche Übertragungsart, s Wilhelm Sachenrecht Rn 1506d. 1104 Dazu allg Lenenbach(o Fn 1023a) Rn 4.34 ff. 1105 Lenenbach Rn 4.48, 5.59. Entgegen Lenenbach ist nicht von einem Anwendungsfall der Figur des Geschäfts für den, den es angeht, zu sprechen. Käufer- und Verkäuferbank handeln erkennbar nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Kunden, wobei dieser nur nicht identifiziert wird. 1106 Es handelt sich um die „Sonderbedingungen der Banken für Wertpapiergeschäfte“ (SBW). Nr 1 SBW stellt jetzt Kommissionsgeschäft und „Festpreisgeschäfte“ nebeneinander.

III. Gegenstände d. Kapitalmarkts | 423

allerdings nicht die unbedingte Pflicht, für ihren Kunden durch den Abschluss eines Ausführungsgeschäfts Wertpapiere zu kaufen oder zu verkaufen. Sie schuldet lediglich sorgfältiges Bemühen um die Ausführung des Kundenauftrags1107. Hauptpflichten des Anlegers sind, das für ihn abgeschlossene Geschäft auf seine Rechnung zu nehmen, dh für die auf ihn übertragenen Wertpapiere den Kaufpreis zu erstatten (Aufwendungsersatz iSv § 396 II HGB, § 670 BGB). Des Weiteren hat die Bank einen Provisionsanspruch, § 396 I HGB, wenn das Ausführungsgeschäft der Bank durch den Partner des Kaufgeschäfts erfüllt wurde1108. Neben dem einzelnen „Auftrag“ zum Erwerb oder zur Veräußerung von Ak- 713 tien ist der Kunde seiner Bank im Allgemeinen durch einen Depotvertrag verbunden1109. Der Abschluss eines solchen Depotvertrags wird regelmäßig zur Bedingung dafür gemacht, dass die Bank für den Kunden überhaupt tätig wird. Für Verkaufsgeschäfte ergibt sich das schon aus Nr 4 SBW: Dort wird für Verkaufsaufträge vorausgesetzt, dass das Kundendepotkonto die zur Auftragsausführung erforderliche Zahl von Papieren bereits enthält. Für den Erwerb ist § 24 DepotG zu berücksichtigen: Erworbene Anteile werden dem Depotkonto iSv § 24 DepotG gutgeschrieben. Über die Verwahrungs- und Verwaltungselemente des Depotvertrags hinaus sorgt die Bank auch für das Inkasso bei Zins-, Gewinnanteils- und Ertragsscheinen sowie bei rückzahlbaren Wertpapieren, wenn die Zahlungsansprüche fällig werden. Außerdem informiert sie ihren Kunden über die wertpapierbezogenen Rechte, etwa über die Einräumung von Bezugsrechten, den Verfall von Rechten aus Optionsscheinen, etc.

7. Internationalisierung des Effektenverkehrs Ausländische, an einer deutschen Börse zugelassene Namensaktien, deren ur- 714 kundliche Ausstattung nicht den nationalen Zulassungs- bzw Handelsvoraussetzungen genügt, können von der Clearstream Banking AG1110 „neu“ verbrieft werden. Zu diesem Zweck emittiert die Clearstream Banking AG ein InhaberSammelzertifikat über die nach einer Order treuhänderisch erworbenen auslän-

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1107 Kümpel Bank- und Kapitalmarktrecht 3. Aufl. 2004, Rn 10.85. Zu den Ausführungsmodalitäten näher Lenenbach Rn 4.19 ff. Für Kundenaufträge im Rahmen einer Neuemission, die mangels Zuteilung nicht ausgeführt werden konnten, können Banken ein maßvolles Entgelt verlangen, BGH NJW 2003, 1447. 1108 Üblicherweise ist eine Provision als Prozentsatz vom Kaufpreis zu zahlen, Lenenbach Rn 4.22. Dort auch zu weiteren Pflichten des Kunden. 1109 Näher zum Depotgeschäft Lenenbach Rn 5.1 ff. 1110 Zu dieser o Fn 1095.

424 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

dischen Originalaktien1111. Das Sammelzertifikat wird in einem Girosammeldepot hinterlegt. Auf diesem Umweg können „die ausländischen Aktien“ vom Anleger erworben werden. Nähere Regelungen hierzu finden sich in den AGB der Wertpapiersammelbank. Außerdem unterhält die Clearstream Banking AG Teile ihrer Sammelbestände im Ausland und bildet hierdurch grenzüberschreitende Sammelbestände, die auch einen grenzüberschreitenden Effektengiroverkehr ermöglichen1112. Zu diesem Zweck sind zwischen verschiedenen großen europäischen Wertpapiersammelbanken grenzüberschreitende Kontenverbindungen geschaffen worden, die eine Belieferung zwischen den Wertpapiersammelbanken erleichtern. Die gesetzliche Regelung dieses praktisch sehr wichtigen Teilbereichs des Effektenverkehrs ist äußerst knapp. § 5 IV DepotG gibt einige Rahmenbedingungen für die Internationalisierung der Girosammelverwahrung vor1113. Ergänzend haben die Banken in ihren SBW in Nr 12 eine eigene Regelung gestaltet. Danach erwirbt, verkürzt gesagt, die beauftragte Bank treuhänderisch Eigentum oder eine nach ausländischem Recht vergleichbare Rechtsposition und erteilt dann dem Kunden eine Gutschrift über seinen Herausgabeanspruch aus der depotvertraglichen Geschäftsbesorgung. § 17a DepotG enthält eine internationalprivatrechtliche Kollisionsregel über das auf Verfügungen über international verwahrte Wertpapiere anzuwendende Recht1114.

_____ 1111 Näher Kümpel Rn 8.131 ff. 1112 Näher Kümpel Rn 11.31, 11.275 ff. Zum grenzüberschreitenden Verkehr gibt es zwei EGRichtlinien, die aber den internationalen Effektenverkehr generell betreffen, die sog Finalitätsrichtlinie (98/26/EG vom 19.5.1998) und die Richtlinie über Finanzsicherheiten (2002/47/EG vom 6.6.2002). Die Finalitätsrichtlinie führt für grenzüberschreitende Sicherungsgeschäfte in Wertpapieren den sog PRIMA-Ansatz ein (Place of the relevant intermediary approach), aufgrund der Richtlinie ist § 17a DepotG ergangen (Reuschle, RabelsZ 68 [2004], 687, 720). Die Richtlinie über Finanzsicherheiten präzisiert, dass für im Effektengiro übertragbare Wertpapiere maßgeblich ist das Recht des Landes, in dem das betreffende Konto geführt wird. 1113 Dazu Kümpel Rn 11.278 ff. 1114 § 17a DepotG hat die auf Sicherungsgeschäfte bezogene sog Finalitätsrichtlinie (soeben Fn 1112) erweiternd umgesetzt. Zum grenzüberschreitenden Effektengiroverkehr Reuschle, RabelsZ 68 (2004), 687 ff; zur Richtlinie Einsele WM 2001, 2415. Hinzukommt ein Haager Übereinkommen über das auf bestimmte Rechte im Zusammenhang mit zwischenverwahrten Wertpapieren anzuwendende Recht, welches am 13.12.2003 von der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht angenommenen worden ist, dazu Einsele, WM 2004, 2349.

IV. Weitere Gegenstände des Kapitalmarkts, bei AG und GmbH | 425

IV. Weitere Gegenstände des Kapitalmarkts, hier Varianten des Erwerbs der Rechtsstellung als Aktionär oder Gesellschafter einer GmbH IV. Weitere Gegenstände des Kapitalmarkts, bei AG und GmbH

1. Die Aktie als Instrument der Mitarbeiterbeteiligung Auf dem später1115 zu beschreibenden Weg kann sich der Anleger über den Kapi- 715 talmarkt an einer „fremden“ AG beteiligen. Daneben ist über die letzten Jahre eine besondere Art der Verbindung von Aktionär und Aktiengesellschaft praktisch bedeutsam geworden: Der Börsenboom der letzten Jahre hat viele internationale Gepflogenheiten 716 in das deutsche Aktienrecht hineingeschwemmt. Zu diesen Usancen gehört die Beteiligung von Mitarbeitern am eigenen Unternehmen. Im Rahmen von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen erhalten vor allem Führungskräfte, differenziert nach Führungsebenen, als erfolgsbezogenen Bestandteil ihrer Vergütung oftmals einen Teil des Gehalts in Form einer Option auf den Bezug von Gesellschaftsanteilen zu bevorzugten Konditionen („stock options“)1116. Diese Form der Beteiligung soll zu leistungsgerechter Vergütung und zur Motivation der Mitarbeiter beitragen1117. Der Deutsche Corporate Governance Kodex, der Vorgaben für die „gute Führung“ börsennotierter AG enthält, sieht ausdrücklich vor, dass dem Vorstand „variable Vergütungsteile“ wie Aktienoptionen eingeräumt werden sollen (Ziff 4.2.3. DCGK). Für die Schaffung solcher Aktienoptionen sind vielfältige gesellschafts- 717 rechtliche Konstruktionen denkbar1118. Das Gesetz stellt in § 192 II Nr 3 AktG für die Vergütung von Arbeitnehmern und Mitgliedern der Geschäftsführung1119 insbesondere den Weg über eine bedingte Kapitalerhöhung zur Verfügung. Stammen die Anteile für die Bedienung der Aktienoptionen aus einer solchen Kapitalerhöhung, so ist das Bezugsrecht der (bisherigen) Aktionäre

_____ 1115 Rn 752 ff 1116 Denkbar ist natürlich auch eine direkte Anteilsbeteiligung im Wege der Kapitalerhöhung oder durch Rückkauf und anschließende Übertragung eigener Aktien, vgl Schanz, Börseneinführung, 3. Aufl 2007, § 21 Rn 22 ff. Zu üblichen Formen der Mitarbeiterbeteiligung vgl Beck’sches Handbuch der AG § 21. 1117 Schanz § 21 Rn 3 f. Adams, ZIP 2002, 1325 spricht demgegenüber pointiert von einem „Ausplünderungsverfahren“ zu Lasten der AG. 1118 Näher Beck’sches Handbuch der AG § 21 Rn 90 ff. 1119 Nach der Auffassung des BGH NJW 2004, 1109 dagegen nicht für Mitglieder des Aufsichtsrats, auch nicht auf der Basis zurück gekaufter eigener Aktien. Zur Diskussion vgl Wiechers, DB 2003, 595; Hoff, WM 2003, 376; Habersack, ZGR 2004, 721; Bürgers, NJW 2004, 3022.

426 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

insoweit kraft Gesetzes ausgeschlossen. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, folgt aber aus dem Sinn und Zweck des § 192 AktG1120. 718 Die konkrete Ausgestaltung von Aktienoptionsprogrammen zugunsten des Vorstands hat in der Praxis zu lebhaften Diskussionen über die Grenzen zulässiger Vergütung geführt1121. Der DCGK enthält mittlerweile einige Vorgaben für die Ausgestaltung von Aktienoptionsprogrammen (Ziff 4.2.2. ff DCGK).

2. Die Beteiligung am Kapitalmarkt über Investmentvermögen – der „mittelbare“ Aktionär; Vergleich der UBG und der WKBG 719 Betreffs Aktien gilt: Direkt am Aktienmarkt agieren vor allem die professionel-

len Anleger, insbesondere institutionelle Anleger1122. Sie kaufen und verkaufen unmittelbar Aktien an einzelnen Aktiengesellschaften. Privatanleger, aber ebenso auch professionelle, beteiligen sich vielfach nicht direkt an einzelnen Kapitalgesellschaften, sondern wählen den Weg über den Anteil an einem Investmentvermögen (Investmentfonds), Ziel ist die Portfoliodiversifizierung, dh die Gewährleistung der Diversität von Chancen und Risiken durch Investition in mehrere Anlagen. Das ist nicht gleichbedeutend mit „Risikomischung“. Diese setzt das Gesetz für bestimmte Fondsarten voraus, etwa in § 262 I KAGB für geschlossene Publikums-AIF, die in Sachwerte investieren wollen. Das Gesetz verlangt dafür grundsätzlich die etwa gleichgewichtige Investition in mindestens drei Sachwerte iSd § 261 II KAGB (§ 262 I Ziff 1 KAGB) unter Gewährleistung, dass bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise das Ausfallrisiko gestreut ist (Ziff 2). Erwirbt ein Fonds Aktien, sprechen wir von einem Aktienfonds. Anteile an einem Investmentvermögen sind nach § 2 IV Nr 2 WpHG Finanzinstrumente.

_____ 1120 Hüffer/Koch § 192 Rn 3. 1121 Anschaulich Adams, ZIP 2002, 1325. Das LG München I hat ein am Börsenkurs der Muttergesellschaft orientiertes Aktionoptionsprogramm der mit Anfechtungsklage verklagten Tochtergesellschaft für zulässig erklärt, AG 2008, 133. Bei Stabilisierungsmaßnahmen nach dem FMStG soll davon begünstigten Unternehmen nun aufgegeben werden, Aktienoptionsprogramme auf ihre Anreizwirkung und Angemessenheit zu überprüfen und darauf hinzuwirken, dass diese nicht zur Eingehung unangemessener Risiken verleiten sowie an langfristigen und nachhaltigen Zielen ausgerichtet und transparent sind (§ 5 II Nr 3 FMStFV). 1122 Das KAGB unterscheidet professionelle, halbprofessionelle und private Anleger (§ 1 XIX Nr 31–33).Professionelle Anleger sind Unternehmen mit erheblichem, meist kontinuierlichem Anlagebedarf wie zB Versicherungsgesellschaften, Pensionskassen oder Anlagefonds.

IV. Weitere Gegenstände des Kapitalmarkts, bei AG und GmbH | 427

Für die „Investmentfonds“ gilt das KAGB1123. Das KAGB setzt die OGAW- 720 Richtlinie1124 und die AIF-Richtlinie um1125. Steuerlich werden die Fonds behandelt nach dem Investmentsteuergesetz1126. An Investmentvermögensarten unterscheidet das KAGB, abgesehen von der Grundun- 721 terscheidung in grundsätzlich zu regelnde inländische und in Sondervorschriften berücksichtigte ausländische Vermögen, zwischen OGAW und AIF: OGAW sind nach der OGAW-Richtlinie, auf die § 1 II KAGB verweist, Investmentvermögen, die ihr Kapital grundsätzlich nur in Wertpapiere, die am organisierten Markt (§ 2 V WpHG) gehandelt werden, und in Geldmarktinstrumente (§ 1 II WpHG) investieren und deren Anleger stets ihre Anlagen an den Fonds zurückgeben können. AIF sind schlicht alle Investmentvermögen, die keine OGAW sind (§ 1 III KAGB). Dazu gehören auch Hedge-Fonds, dh Fonds, die in beträchtlichem Umfang Leverage (Kreditfinanzierung) oder Leerverkäufe einsetzen, und die das KAGB in §§ 225 ff, 283 regelt. Weitere Grundunterscheidung ist die zwischen offenen Investmentvermögen (Anleger können Anteile jederzeit zurückgeben) und geschlossenen Fonds. OGAW sind notwendig offen. Nächste Unterscheidung: Publikumsund Spezial-Investmentvermögen. Letztere können nur von professionellen oder halbprofessionellen Anlegern erworben werden (§ 1 VI 1 KAGB)1127. OGAW sind Publikumsinvestmentvermögen. AIF können beides sein, entweder Publikums-AIF oder sog Spezial-AIF. Das KAGB ist in 8 Kapitel unterteilt. Kapitel 1 enthält in § 1 eine umfangreiche Auflistung 722 der im Gesetz verwendeten Begriffe. Es bezeichnet in § 5 die Bundesanstalt (gemeint ist nach § 1 I Nr 6 vor a) WpHG die BAFin) als zuständige Behörde. In §§ 17 ff werden die für alle Investmentvermögen erforderlichen Kapitalverwaltungsgesellschaften und in §§ 68 ff die ebenso allgemein erforderlichen Verwahrstellen geregelt. Ab § 91 werden schließlich die Rechtsformen der unterschiedlichen Investmentvermögen und ihrer Kapitalverwaltungsstellen normiert (§§ 91 ff die offenen inländischen Investmentvermögen mit §§ 92 ff über die Sondervermögen, §§ 108 ff über die Investmentaktiengesellschaften mit veränderlichem Kapital, §§ 124 ff über die offenen Investmentkommanditgesellschaften; §§ 139 ff betreffen die geschlossenen inländischen Investmentvermögen mit der Investmentaktiengesellschaft mit fixem Kapital und der geschlossenen Investmentkommanditgesellschaft). Kapitel 2 (§§ 162 ff) regelt die zulässigen Anlagearten und Strukturen der unterschiedlichen Publikumsinvestmentvermögen (§§ 162 ff beginnen mit allgemeinen Vorschriften, insbesondere mit § 164 über die Prospektpflicht, es folgen

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1123 4. Juli 2013 (BGBl. I S. 1981), zuletzt geändert durch Artikel 11 ff des Gesetzes vom 24. Juni 2017 (2. FiMaNoG, BGBl. I S. 1693) Zu dem Gesetz und zum InvSteuerG Kom von Weitnauer/ Boxberger, Anders, 2. Aufl 2017. 1124 Richtlinie 2001/107/EG vom 21.1.2002 betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) zwecks Festlegung von Bestimmungen für Verwaltungsgesellschaften und vereinfachte Prospekte, ABl v 13.2.2002 Nr L 41 S 20. 1125 AIFD steht für Alternative Investment Fund Directive vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds. ABl 2011 L 174, 1. 1126 Dazu Köndgen/Schmies, Sonderbeilage 1 zu WM Heft 11/2004 S 20 ff. 1127 „Professionell“ definiert in § 1 XIX Nr 32 KAGB iVm MiFID (= § 67 II WpHG), „halbprofessionell“ in § 1 XIX Nr 33.

428 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

§§ 171 ff über Master-Feeder-Strukturen – Definitionen in § 1 XIX Nrn 11 ff –, §§ 181 ff über die Verschmelzung von offenen Publikumsinvestmentvermögen, sodann schließen sich die §§ 192 ff über Investmentvermögen gemäß der OGAW-Richtlinie an, insbesondere § 205 über Leerverkäufe; weiter betreffen §§ 214 ff offene inländische Publikums-AIF, insbesondere §§ 225 ff Dach-Hegefonds und §§ 230 ff über Immobiliensondervermögen; sodann regeln §§ 261 ff geschlossene inländische Publikums-AIF, insbesondere § 265 über Leerverkäufe, § 268 über den erforderlichen Verkaufsprospekt). Kapitel 3 (§§ 273 ff) behandelt das Entsprechende zu den inländischen Spezial-AIF1128 (§§ 273 ff, mit § 274 über Begrenzung von Leverage, § 276 über Leerverkäufe, §§ 278 ff betreffend offene inländische Spezial-AIF, § 280 über Master-Feeder-Strukturen, zu allgemeinen offenen inländischen Spezial-AIF zunächst § 282 über Anlageobjekte und -grenzen, dann § 283 über Hedge-Fonds, § 284 über offene Spezial-AIF mit festen Anlagebedingungen; es folgen §§ 285 f mit allgemeinen Vorschriften über geschlossene Spezial-AIF und dann §§ 287 ff mit einem Übernahmesonderrecht neben dem WpÜG, das AIF betrifft, die die Kontrolle über nicht börsennotierte Unternehmen und Emittenten erlangen). Sodann normiert Kapitel 4 (§§ 293 ff) den Vertrieb und Erwerb von Investmentvermögen. Kapitel 5 (§ 337) behandelt Europäische Risikokapitalfonds, Kapitel 6 (§ 338) Europäische Fonds für soziales Unternehmertum, Kapitel 7 (§ 338a) Europäische langfristige Investitionsfonds. Kapitel 8 schließt mit Straf-, Bußgeld- und Übergangsvorschriften 723 Nach der Definition des Investmentvermögens in § 1 I KAGB wird von einer

Vielzahl von Anlegern Kapital eingesammelt und in verschiedene Vermögensgegenstände (Finanzinstrumente wie Aktien, Vermögensanlagen, Immobilien, Handelsschiffe) zum Nutzen der Anleger investiert. Die Rechtsformen von Fonds sind verwirrend: § 1 I KAGB benutzt den Ausdruck „Organismen“. Diese können selbst Gesellschaften sein, aber auch nicht rechtsfähige Sondervermögen, die das KAGB in §§ 92 ff regelt. Aus dem Begriff Investmentvermögen nimmt § 1 I KAGB heraus operativ tätige Unternehmen, dh Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit schwerpunktmäßig über den Erwerb und Vertrieb von Anlagen hinausgeht. Sie sind dann nicht erlaubnispflichtig1129. Das Investmentvermögen, auch dasjenige in Gestalt von Sondervermögen, 724 wird von Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVG) iSv § 17 KAGB verwaltet. Das Gesetz setzt inländische Gesellschaften voraus. Es unterscheidet externe und interne KVG, je nachdem, ob für das Investmentvermögen eine selbstständige KVG beauftragt wird, oder ob es in einer Gesellschaft besteht, die selbst als KVG handelt. § 17 II Nr 1 definiert zunächst die externe KVG. Und dann in Nr 2 die interne als das Investmentvermögen selbst unter der Voraussetzung, dass die Rechtsform eine interne Verwaltung zulässt und der Vorstand oder die Geschäftsführung entscheidet, keine externe KVG zu bestellen. Danach scheint

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1128 Anwendungspraxis zu Kapitel 2 und 3 bei Poelzig Rn 111; Beispiel zu Kapitel 2 und 3 Rn 91 mit Rn 111 f. 1129 Näher zum Investmentvermögen Poelzig Rn 87 ff.

IV. Weitere Gegenstände des Kapitalmarkts, bei AG und GmbH | 429

der Grundfall die externe KVG zu sein, und die interne KVG unter die bestimmten Voraussetzungen gestellt zu werden. Ungeachtet dessen bestimmt das Gesetz aber etwa in § 112 I 1 KAGB ausdrücklich, dass die InvestmentAG mit veränderlichem Kapital eine externe KVG beauftragen kann. Immerhin kann gesagt werden, dass bei Sondervermögen die KVG notwendig eine externe KVG ist. Externe KVG müssen die Rechtsform der AG, GmbH oder GmbH & Co KG, eine GmbH muss einen Aufsichtsrat, eine GmbH & Co KG muss einen Beirat haben (§ 18 KAGB). Die externe KVG muss ein Anfangskapital von mindestens 125.000,– €, die interne KVG ein Anfangskapital von mindestens 300.000,- € haben (§ 25 I Nr 1 Buchst a, b KAGB). Die Kapitalverwaltungsgesellschaften bedürfen grundsätzlich der Erlaubnis der BAFin (§ 20 KAGB, für extern verwaltete offene InvAG nochmals § 113 KAGB). Für die zulässigen Rechtsformen der Investmentvermögen unterschei- 725 det das KAGB zwischen offenen und geschlossenen Investmentvermögen. Sondervermögen kommen nur für offene Investmentfonds in Betracht. Bei ihnen steht das Investmentvermögen entweder im Eigentum der KVG oder im Miteigentum der Anleger. Darüber und über die weiteren Bedingungen entscheidet der Investmentvertrag zwischen KVG und den Anlegern (dazu § 92 KAGB). Die Miteigentümer erhalten sog Anteilscheine oder Investmentzertifikate. Weiter können offene Investmentfonds als Investment-AG mit veränderlichem Kapital organisiert sein (§§ 108 ff KAGB). Nach § 117 KAGB kann die Investment-AG mehrere Teilgesellschaftsvermögen bilden (sog Umbrella-Konstruktion). Das Gesetz statuiert mehrere Abweichungen vom AktG, insbesondere entgegen dem festen, nur durch Kapitalerhöhung oder –herabsetzung zu verändernden Grundkapital das veränderliche „Gesellschaftskapital“, aufteilbar nur in Stückaktien. Verwaltet die AG das Vermögen durch ihre eigenen Organe, ist sie interne KVG. Sie kann aber auch eine externe KVG beauftragen (§ 112 I 1 KAGB). Für offene Spezial-AIF – nicht jedoch für OGAW – kommt sodann die Rechtsform der offenen Investment-KG in Betracht (§ 91 II KAGB) mit Sondervorschriften zum Schutz der Anleger in § 127 KAGB und derselben Alternative zwischen interner und externer KVG. Für geschlossene Publikums- und Spezial-AIF lässt das KAGB ausschließlich zum einen die Investment-AG mit fixem Kapital, an der die Anleger als Aktionäre beteiligt sind (§ 139 KAGB), und zum anderen die geschlossene Investment-KG zu (§ 149 KAGB). Auch hier lässt das Gesetz die Alternative zwischen interner und externer KVG zu. Die KVG müssen Verwahrstellen mit der „Verwahrung“ ihres oder des im 726 Miteigentum der Anleger stehenden Investmentvermögens schriftlich beauftra-

430 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

gen (§§ 68, 80 KAGB), für OGAW-Verwahrstellen geregelt in §§ 68 ff KAGB, für AIF-Verwahrstellen in §§ 80 ff. Als Verwahrstellen kommen in Betracht Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und berufsständisch beaufsichtigte Gesellschaften (zB Wirtschaftsprüfungsgesellschaften). Die Verwahrstellen haben nicht nur Verwahrungsaufgaben, sondern – so insbesondere bei Vermögensgegenständen, die einer unmittelbaren Verwahrung nicht zugänglich sind, etwa Grundstücken – Kontrollaufgaben. Bei Abhandenkommen unmittelbar verwahrter Gegenstände haften die Verwahrstellen vorbehaltlich unabwendbarer Ereignisse verschuldensunabhängig (§§ 77 I, 88 I KAGB). Im Übrigen gilt die allgemeine Haftung aus Pflichtverletzung iVm § 276 BGB (§§ 77 II, 88 II KAGB). 727

Von den Rechtsformen des KAGB sind die UBG iS des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften (UBGG) idF des MoRaKG1130 und die WKBG iS des ebenfalls im MoRaKG enthaltenen Gesetzes zur Förderung von Wagniskapitalbeteiligungen abzugrenzen. Die UBG hat gemäß § 2 II 1 UBGG den Zweck des Erwerbs, Haltens und der Verwaltung von sog Unternehmensbeteiligungen. § 1a UBGG fasst unter Unternehmensbeteiligungen Eigenkapitalbeteiligungen an AG, GmbH, OHG, KG, Gesellschaft bürgerlichen Rechts, entsprechenden ausländischen Rechtsformen sowie die stille Beteiligung und Genussrechte. Die UBG kann in den Rechtsformen der AG, GmbH, KG und KGaA betrieben werden (§ 2 I UBGG). Sie ist gedacht zu den Zwecken, einerseits auch nicht börsennotierten Unternehmen den Zugang zum organisierten Eigenkapitalmarkt und andererseits dem Anlegerpublikum die Möglichkeit zu verschaffen, sich mittelbar an mittelständischen Unternehmen zu beteiligen1131. Zu diesen Zwecken wurden den UBG steuerliche Vergünstigungen und ein Bezeichnungsschutz eingeräumt1132. Die Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaft dient der Beteiligung privater Investoren, die ihr Kapital in den Beteiligungsgesellschaften sammeln, also des sog private equity an sog Zielgesellschaften, das sind Kapitalgesellschaften, an denen sich die WKBG beteiligt. Die WKB-Gesellschaft ist durch den besonderen Unternehmensgegenstand des Haltens etc von Wagniskapitalbeteiligungen gekennzeichnet. Die Zielgesellschaften, an denen die Wagniskapitalbeteiligungen erworben werden, dürfen nicht mehr als 20 Mio € Eigenkapital besitzen, nicht älter als 10 Jahre sein (und kein Unternehmen betreiben, das älter ist als sie selbst), und sie dürfen nicht zu einem organisierten Markt zugelassen oder in ihn einbezogen sein. Neben den Wagniskapitalbeteiligungen dürfen geschäftliche Aktivitäten auch in anderen Vermögensanlagen und auch in der Beratung der Zielgesellschaften betrieben werden. Die Wagniskapitalbeteiligungen müssen aber mindestens 70% des Vermögens ausmachen. Einen Kanon zu-

_____ 1130 Vom 12.08.2008, BGBl I, 1672. 1131 BT-Drucks 10/4551, S 12. Zum Reformansatz durch das MoRaKG Fischer, WM 2008, 857. 1132 Zum Erfolg des Modells der UBG in der ersten Zeit Schüppen/Ehlermann Corporate Venture Capital Rn 37 (sie sprechen von nur 9 UBG im Jahre 1997). Ein aktueller Blick in das elektronische Handelsregister (www.handelsregister.de) ergibt jedoch 84 Treffer, 3 AG, 56 GmbH, 1 AG & Co KG, 24 GmbH & Co KG. Ausführlich zur Resonanz des UBGG in der Anfangszeit Gehlermann/Schüppen, ZIP 1998, 1513 und Vollmer, ZBB 1998, 221). Nach Ritzer-Angerer, DB 2004, 2383 sind 1998–2003 60 UBG angemeldet worden.

IV. Weitere Gegenstände des Kapitalmarkts, bei AG und GmbH | 431

lässiger Rechtsformen, in denen eine Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaft organisiert sein darf, enthält das WKBG im Unterschied zum UBGG nicht. Dem UBGG entspricht das WKBG wiederum durch steuerliche Besonderheiten und den Bezeichnungsschutz. UBG und WKBG bedürfen der Anerkennung durch die zuständige Behörde (bei der UBG ist es die zuständige oberste Landesbehörde, bei der WKBG ist es die BaFin). Die Anerkennung muss aber bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen erteilt werden.

3. GmbH-Anteile als Anlagen, VermAnlG Noch durchaus traditionelle Anlagen, insbesondere solche in Anteilen an einer 728 GmbH, werden vom VermAnlG erfasst. Vermögensanlagen iS des § 1 II des Gesetzes sind Finanzinstrumente nach § 2 IV Nr 7 WpHG. Das VermAnlG zählt in § 1 II Nrn 1–7 die grundsätzlich erfassten1133 Anlagen in einem abschließenden Katalog auf, der in Nr 7 allerdings einen Auffangtatbestand mit Anlagen in Sachgütern enthält, und grenzt sie dann durch zwei negative Merkmale ab: keine Wertpapiere iS von § 2 I WpHG und keine Anteile, die als Anteile an Investmentvermögen iSv § 1 I KAGB ausgestaltet sind. Hineingehören gewinnberechtigende Anteile, also solche an einer GmbH oder einer Personengesellschaft, ebenso Genussrechte iSv § 221 III AktG, sofern sie nicht in Wertpapieren verbrieft sind. Weil sie nicht am Markt handelbar und deshalb keine Wertpapiere iSv § 2 I WpHG sind, gehören auch Namensschuldverschreibungen zu den Vermögensanlagen (§ 1 II Nr 6 VermAnlG). Das Kleinanlegerschutzgesetz hat die Vermögensanlagen auf partiarische Darlehen und Nachrangdarlehen erweitert (§ 1 II Nrn 3, 4 mit Einschränkung für soziale und gemeinnützige Projekte, §§ 2b, 2c VermAnlG). Anlagen mit Nachschusspflichten für die Anleger verbietet das VermAnlG (§ 5b). Was GmbH-Anteile betrifft, können diese also als Anlagen iS des VermAnlG vermarktet, dh öffentlich angeboten werden (§ 1 II Nr 1 VermAnlG). Wenn § 1 II VermAnlG vor der Aufzählung der möglichen Vermögensanlagen Anlagen ausschließt, die in Wertpapieren iS des WpHG verbrieft oder als Anteile an Investmentvermögen iS des § 1 I KAG ausgestaltet sind, so scheinen damit GmbH-Anteile auch als Gegenstand von Investmentvermögen in Betracht zu kommen, wenn sie nur als solche ausgestaltet werden. Damit fielen sie nur nicht unter das VermAnlG. Für diese Ausgestaltungsmöglichkeit könnte nach dem KAGB die Rechtsform des Sondervermögens passen. Was diese Rechtsform betrifft, spricht das KAGB zwar in § 92 I von Eigentum oder Miteigentum an den

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1133 Zur besonderen Voraussetzung in § 5a VermAnlG (zwecks Planungssicherheit für Investoren) und Ausnahmen betr Genossenschaften und Schwarmfinanzierungen, s Poelzig, Rn 133, 134, 136.

432 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

Anteilen und besteht Eigentum an körperlichen Gegenständen, § 92 spricht dann aber in Abs. 2 von Erträgen aus den zum Sondervermögen gehörenden Rechten.

V. Weitere „Finanzinstrumente“ V. Weitere „Finanzinstrumente“

1. Gegenstand des Abschnitts 729 Am Kapitalmarkt werden nicht nur Aktien1134 und die Gegenstände des Verm-

AnlG gehandelt, sondern auch verzinsliche Wertpapiere (Anleihen1135, Rentenpapiere, Obligationen oder Bonds genannt) und Mischformen zwischen beiden (wie zB die Wandelschuldverschreibung iSv § 221 I 1 AktG). Nicht in Wertpapieren verkörpert (sog Wertrechte) sind die Schuldverschreibungen des Bundes. Sie werden im Bundesschuldbuch registriert. Die Eintragungen genießen öffentlichen Glauben1136. Immer wieder werden neue „moderne Finanzinstrumente“ erfunden. Bereits bekannte Instrumente werden in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt und neu verbunden, sodass immer neue Kombinationen von Leistungsmerkmalen (zB Zins, Laufzeit, Rückzahlungsmodi) entstehen. Kennzeichen ist zunehmend die vollständige Loslösung der Anlagen von natürlichen Austausch- und Bedarfsgütern und ihre Ersetzung durch bloß finanziell abzuwickelnde Wetten auf die Entwicklung der Marktverhältnisse solcher Güter, aber sogar auf die Entwicklung der abstrakten Finanztitel selbst. So zählt das WpHG in § 2 III Nr 2 unter bestimmten Voraussetzungen als Finanzinstrumente (derivative Geschäfte) Termingeschäfte mit Bezug auf Klima- oder andere physikalische Variablen, Inflationsraten oder andere volkswirtschaftliche Variablen oder

_____ 1134 Hier nicht näher zu behandeln sind besondere Ausgestaltungen der Aktie wie die sog „tracking stocks“. Zu solchen Aktien mit besonderen Gewinnrechten Thiel Spartenaktien für deutsche Aktiengesellschaften – Übernahme des US-amerikanischen Tracking Stock-Modells in europäische Rechtsordnungen 2001; weiter Sieger/Hasselbach, BB 1999, 1277. Zu „stapled stocks“ (Verbundanteilen) Tauser Stapled Stocks – Tracking Stocks – Mittelbare Organschaft 2001. 1135 Hierzu Lenenbach (Fn 1023a) Rn 2.18 ff mit einem gut verständlichen Überblick. Das Volumen der am deutschen Kapitalmarkt gehandelten Anleihen ist wesentlich größer als dasjenige des Aktienhandels (vgl die Kapitalmarktstatistiken der Deutschen Bundesbank, einsehbar über www.bundesbank.de). 1136 §§ 5, 8 des BundesschuldenwesenG (Art 1 des G vom 12.9.2006, BGBl I S 1466). Die Länder haben zT für ihre Schuldverschreibungen ein Landesschuldbuch. Der Handel mit solchen (Schuldbuch)Forderungen ist von ganz erheblicher Bedeutung am Kapitalmarkt, Kümpel Rn 8.127.

V. Weitere „Finanzinstrumente“ | 433

sonstige … Indices oder Messwerte als Basiswerte auf. Diese Tendenz zu immer abstrakteren Finanzprodukten wird für die weltweite Finanzkrise verantwortlich gemacht1137. An dieser Stelle kann – zumal beschränkt auf Instrumente mit aktienrechtlichem Hintergrund – nur ein sehr fragmentarischer Überblick über die Funktionsweise einiger prominenter Finanzierungsinstrumente gegeben werden1137a.

2. Anleihen Die Aufnahme von Fremdkapital in Form von Bankdarlehen ist mit hohen Kos- 730 ten verbunden. Eine Alternative ist das Angebot von Anleihen1138 – dh Inhaberschuldverschreibungen iSv § 793 BGB, durch die sich das Unternehmen gegen eine Einzahlung „unter pari“ (dh unterhalb des Nennwerts der Schuldverschreibung) zur Rückzahlung des Nennwerts nach Kündigung oder Ablauf einer bestimmten Zeit zuzüglich einer Verzinsung verpflichtet. Der Mechanismus – Aufnahme von Geld gegen Rückzahlungsverpflichtung – entspricht der Darlehnsaufnahme. Allerdings akzeptieren die Anleihegläubiger niedrigere Zinsen, da die Gesellschaft die Gläubigerstellung zusätzlich mit bestimmten Vergünstigungen, ua der Ausgabe unter pari, ausstattet. Wichtigste Ausstattungsmerkmale der Anleihe sind die Tilgung, die Verzinsung, die Laufzeit, Kündigungsrechte sowie Rangfragen im Falle der Insolvenz. Die AG hat die Obligationen nach § 266 III C Nr 1 HGB unter den Passiva mit dem Rückzahlungsbetrag auszuweisen. Das Disagio (Differenz zwischen Einzahlung und höherem Nennbetrag) kann als Rechnungsabgrenzungsposten in die Aktiva aufgenommen und planmäßig abgeschrieben werden (§ 250 III HGB). Die Ausgabe von Anleihen liegt in der Kompetenz des Vorstands. Die Obli- 731 gationen können insbesondere von Banken (v a Konsortien) zur Weitergabe an das Publikum übernommen werden. In diesem Fall leisten die Banken die Einzahlung auf der Grundlage eines „Übernahmevertrags“, der als causa der Übernahme eine Darlehensabrede enthält. Bei der Emission an das Publikum werden die Anleihen durch die Banken verkauft.

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1137 Bundespräsident Köhler hat im Mai 2008 in einem Interview mit dem „Stern“ angesichts der Krise auf den internationalen Finanzmärkten eine Entwicklung der Märkte zu einem „Monster“ gesehen, das in die Schranken gewiesen werden müsse. „Die Überkomplexität der Finanzprodukte und die Möglichkeit, mit geringstem eigenem Haftungskapital große Hebelgeschäfte in Gang zu setzen, haben das Monster wachsen lassen“ (FAZ v 15.5.2008, Nr 112 S 11). 1137a Zu Umwandlung und Umtausch von Finanzinstrumenten Baums, FS Canaris II 2007, 3 ff. 1138 Dazu Raiser/Veil § 17.

434 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

Eine wesentliche rechtliche Problematik von Anleihen liegt in der Frage der gesellschaftsrechtlichen und allgemein zivilrechtlichen Zulässigkeit ihrer inhaltlichen Ausgestaltung – Stichwort ua: AGB-Kontrolle1139 –. 733 Besondere Formen von Anleihen sind die vom Gesetz sog Wandelschuldverschreibungen (§ 221 I 1 AktG). Das Gesetz nennt Wandelschuldverschreibung sowohl solche Obligationen, die in Aktien verwandelt werden können, als auch solche, die mit einem daneben bestehenden Recht auf den Bezug von Aktien ausgestattet sind. Seit der Aktienrechtsnovelle ist klargestellt, dass das Recht, dass der Gläubiger Aktien bezieht, auch der Gesellschaft zustehen kann1140. Die Wandelanleihen werden in Wertpapieren verbrieft. Diese müssen nicht Schuldverschreibungen auf den Inhaber iSv § 794 BGB sein, sie können auch Namensschuldverschreibungen iSv Rektapapieren sein1141. Für die Wandelschuldverschreibungen mit Umtauschrecht des Gläubigers gibt es den englischen Ausdruck „convertible bonds“, die Wandelschuldverschreibungen mit Bezugsrecht des Gläubigers kann man genauer Optionsanleihen nennen, für sie gibt es den Ausdruck bonds with stock purchase warrants1142. Bei der Wandelschuldverschreibung mit Umtauschrecht des Gläubigers erhält der Gläubiger das Wahl- und Gestaltungsrecht, unter Aufgabe seiner Gläubigerstel-

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_____ 1139 Die Problematik der AGB-Kontrolle im Verhältnis der Anleger zum Emittenten einer Anleihe liegt zunächst darin, dass die Anleihebedingungen erstens zwischen Emittent und Emissionsbanken oftmals im einzelnen ausgehandelt werden (deshalb AGB-Charakter problematisch) und dass zweitens die Emissionsbanken den Verkauf der Wertpapiere übernehmen („Fremdemission“). Dadurch stellt der Emittent den Anlegern an sich die AGB nicht iSv § 305 I BGB. Außerdem kommt bei der Fremdemission die Anwendung von § 310 BGB (Beschränkung der Inhaltskontrolle) in Betracht. Zur Problematik grundlegend BGHZ 119, 305 (Klöckner). Eingehend auch Kümpel Rn 9.203 ff; Lenenbach Rn 2.25; 8.113 ff. 1140 Sog umgekehrte Wandelanleihen. 1141 Die Obligation aus Rektapapieren wird durch Abtretung übertragen (§ 398 BGB). Aber auch für Namensschuldverschreibungen besteht bei Verlust die Möglichkeit des Aufgebots, die § 799 BGB an sich nur für die Inhaberschuldverschreibungen regelt. Auf Namenswandelschuldverschreibungen muss die Möglichkeit kraft Analogie angewandt werden. 1142 Umstritten ist, ob die Begebung von „nackten Optionen“ (naked warrants) möglich ist, die nicht mit einer Anleihe verbunden sind (selbstständige Optionsscheine) und bei denen die zu beziehenden Anteile noch nicht geschaffen sind (sonst spricht man von covered warrants oder gedeckten Optionsscheinen). Der Umkehrschluss zu § 192 II Nr 3 AktG spricht dagegen, die Begebung „nackte Optionen“ als allgemeines Finanzierungsinstrument zu akzeptieren, vgl den Bericht der Regierungskommission Corporate Governance Rn 222. Zum Streit Hüffer/Koch § 221 Rn 75 mwN. Für die Zulässigkeit von naked warrants streiten Roth/Schoneweg, WM 2002, 677. Die Ausgabe von naked warrants als bedingte Kapitalerhöhung anzusehen, lehnt das OLG Stuttgart ZIP 2002, 1807 mit guter Begründung ab, v a weil Registergerichte in ihren Prüfungspflichten bei neuen Finanzierungsinstrumenten nicht überfordert werden dürften. Zu diesem Ergebnis kommt auch Kuntz, AG 2004, 480.

V. Weitere „Finanzinstrumente“ | 435

lung in das Unternehmen als Aktionär einzutreten, indem er statt der Zahlung der Obligation Aktien verlangt. Die Optionsanleihe kombiniert die Obligation mit der Berechtigung, Aktien zu verlangen, indem hier nicht statt der Rückzahlung, sondern daneben das Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird1143. Dieses kann von der Anleihe abgetrennt und separat gehandelt werden. Die Anleihe selbst bleibt unabhängig von der Ausübung der Option bestehen und ist vom Emittenten am Ende der Laufzeit zu tilgen. Als Arten der Wandelanleihe mit Umtauschrecht der Gesellschaft (umgekehrte Wandelanleihe) gibt es die Pflichtanleihe (mandatory convertible bonds) und die bedingte Pflichtanleihe (contingent convertible bonds, CoCo-bonds) – bei ihnen entsteht das Recht der Gesellschaft mit Ende der Laufzeit oder bei Eintritt einer Bedingung – und schließlich Anleihen mit Tilgungswahlrecht der Gesellschaft1144. Für die Wandelschuldverschreibungen schreibt § 221 I AktG wie bei der Ka- 734 pitalerhöhung gegen Einlagen die Erfordernisse eines HV-Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit vor. Die Aktionäre haben statt ihres Bezugsrechts auf Aktien ein Bezugsrecht auf die Wandelschuldverschreibungen (§ 221 IV AktG). Zur Einlösung der Rechte auf die Gewährung der Aktien ist – schon bei Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen – die Schaffung bedingten Kapitals möglich (§ 192 II Nr 1 AktG). Der Kapitalerhöhungsbeschluss enthält die Ermächtigung zur Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen. Nach § 221 II AktG ist die Möglichkeit der Ermächtigung auf 5 Jahre begrenzt. Der Bezug der Aktien erfolgt bei der Wandelschuldverschreibung iS des Umtauschs von Obligation gegen Aktien gegen Einbringung der in der Obligation verkörperten Forderung, die dadurch erlischt. Die Einbringung gilt nicht als Sacheinlage (§ 194 I 2 AktG). Es gilt das Verbot der Unterpari-Emission (§ 199 II AktG). Nach § 192 IV AktG ist das Bezugsrecht gegen nachfolgende Eingriffe durch HV-Beschlüsse geschützt. Die Gesellschaft kann freilich durch Umwandlung in eine andere Rechtsform die Bezugsrechte gegenstandslos machen. Die Obligationäre sind dann schadensersatzberechtigt. Will die Gesellschaft ein Bezugsrecht einräumen und hat sie eine entsprechende Zahl eigener Aktien vorrätig, so kommt der Austausch durch Individualvertrag zustande. §§ 221, 199 II AktG gelten nicht1145. Statt mit den Rechten auf Umtausch in oder Bezug von Aktien, möglicher- 735 weise auch zusätzlich zum Umtausch- oder Bezugsrecht kann eine Obligation mit dem Recht auf Teilnahme am Gewinn der Gesellschaft verbunden sein (Ge-

_____ 1143 Die Option zum Erwerb einer bestimmten Menge Aktien innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu einem bestimmten „Preis“. Der Einlagebetrag für die Aktie wird schon vor Ausgabe der Schuldverschreibung festgelegt. 1144 Übersicht mit Lithinweisen bei Hüffer/Koch § 192 Rn 9. 1145 Näher Würdinger Aktienrecht § 19 IV, V S 89 ff, 92; Rozijn, ZBB 1998, 77.

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winnschuldverschreibung, § 221 I 3. Var AktG). Bei guter Gewinnlage der Gesellschaft fällt das den Zins übersteigende Gewinnrecht an, bei schlechter immer noch der feste Zins. Zum Erfordernis der Zustimmung der HV, zum Bezugsrecht der Aktionäre und bei Kombination mit Bezugsrechten auch zur Möglichkeit der bedingten Kapitalerhöhung gilt das Gleiche wie bei Wandelschuldverschreibungen (§§ 221 I, IV, 192 II Nr 1 AktG). Bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln sind die Gewinnschuldverschreibungen nach § 216 III AktG geschützt1146. Werden Papiere mit dem Recht zur Teilnahme am Gewinn oder am Liquida736 tionserlös ausgegeben, die nicht Bestandteil einer Obligation sind, spricht man von Genussrechten, verkörpert in Genussscheinen. Auch hierfür gelten die Erfordernisse eines HV-Beschlusses (§ 221 III AktG). Besonders geregelt sind Genussscheine zur Belohnung von Gründern oder Vorstandsmitgliedern für die bei der Gründung geleistete Arbeit: Diese sind nach § 26 I AktG in die Satzung aufzunehmen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie der Änderungskompetenz der HV unterliegen würden. Weitere Genussscheine sind zB bei Einbringung von Patenten als Sacheinlage denkbar und als Gegenleistung für freiwillig zuzahlende Aktionäre. Auch auf Genussrechte besteht nach § 221 IV AktG ein Bezugsrecht für die Aktionäre1147. Der externe Genussberechtigte – aber nach der Neufassung des § 221 AktG kann auch die Gesellschaft Genussberechtigte sein – steht der Gesellschaft im Hinblick auf das Genussrecht als Dritter gegenüber. Der Vertrag mit ihm ist Sache der Geschäftsführung und der nach außen unbeschränkten Vertretung. Nur nach innen bedarf es wegen der Betroffenheit der Aktionäre nach § 221 III iVm I AktG des Beschlusses der HV mit qualifizierter Mehrheit1148. § 216 III AktG gilt auch hier.

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1146 Demonstrationsbeispiel bei Würdinger Aktienrecht, 1981, § 19 II 4 c S 87. 1147 S dazu Würdinger Aktienrecht § 19 II 1, 4a S 85, 87. 1148 Zum Schutz der Genussrechtsinhaber im Verhältnis zur AG (im Fall KGaA), ie zu folgenden Fragen: Rechtsstellung als Gläubiger im Unterschied zu der von Aktionären; AGBKontrolle; weiter jedenfalls dann keine Umgehung der Regelung der Vorzugsaktien ohne Stimmrecht – §§ 139 ff AktG –, wenn die Genussrechte gekündigt werden können und in der Liquidation vor den Aktionären befriedigt werden, BGHZ 119, 305 ff 110 (Klöckner). Anwendung des Rechtsgedankens des § 304 II 1 AktG zur Anpassung des Anspruchs gegen die (abhängige) Emittentin bei Störung der Gewinnaussichten durch Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, BGH NZG 2013, 987. Zum Auskunftsanspruch von Genussscheininhabern BGH ZIP 2016, 1529. Nach LG Frankfurt a.M. WM 2006, 1340; OLG Frankfurt WM 2007, 828 findet auf gewinnabhängige Genussscheine das SchuldverschrG mit dem Recht, eine Gläubigerversammlung einzuberufen, keine Anwendung. Zur Wahrung der Genussrechte bei Umwandlung s §§ 23, 36 I 1, 204 UmwG und Baum, ZBB 2003, 9. Zu den Genussrechten allgemein Koppensteiner, ZHR 139 (1975), 191; Zöllner, ZGR 1986, 288 (insbesondere zm Verwässerungsschutz nach § 216 III AktG). – Zur Gewinnbeteiligung Dritter und zu Genussrechten bei der

V. Weitere „Finanzinstrumente“ | 437

3. Derivative Geschäfte Derivative Geschäfte (nach § 2 II, II b aF WpHG noch Derivate), sind nach 737 § 2 III nF Finanzinstrumente1149, die den Vermögenserfolg von der Entwicklung von Basiswerten abhängig machen, von ihm ableiten (=derivare) und dafür zeitlich verzögert zu erfüllen sind (Termingeschäfte, im Gegensatz zu Kassageschäften)1150. Als mögliche Basiswerte zählt § 2 III ua auf: Wertpapiere wie Aktien, Devisen, Zinssätze, nach Ziff 4 auch Kreditderivate1151. Basiswert können auch wiederum derivative Geschäfte sein, sodann aber auch, wie schon eben erwähnt, unter bestimmten Voraussetzungen (§ 2 III Ziff. 2 WpHG) Waren, Frachtsätze, Klima- oder andere physikalische Variablen. Derivate können verbrieft sein (Bsp. Optionsschein) und sind dann nach § 2 I Nr 3 b WpHG Wertpapiere, die an Wertpapierbörsen gehandelt werden können. Die anderen Derivate werden in standardisierter Form an Terminbörsen

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GmbH (auch für die GmbH kommt nach §§ 6 HGB, 13 III GmbHG, 363 ff HGB die Möglichkeit der Ausgabe von Orderpapieren in Betracht, nach § 793 BGB die Möglichkeit der Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen), s Baumbach/Hueck/Fastrich § 29 Rn 79 ff, 88 ff. 1149 § 2 IV Nr 4 WpHG. 1150 Kassageschäfte sind Innerhalb von zwei Börsentagen zu erfüllen. Zu näherer Information geeignet die Darstellung von HSBC Trinkaus, erreichbar unter www.hsbc-tip.de, dort Deutschland und dort Derivate-Wissen. 1151 Zur Vielfalt möglicher Basiswerte Beispiel BGH WM 2017, 2237: Herr K entwickelt mit bekl Bank die Emission eines Zertifikats, das mittels Index auf die Entwicklung eines von K verwalteten Portfolios von Hegefonds bezogen sein soll. Problem: Schutzwirkung des Vertrages zwischen Bank und professionellen Ersterwerbern zugunsten der klagenden Zweiterwerber (BGH verneint).- Kreditderivate werden von Bonitätsveränderungen bei bestimmten Kreditschuldnern als Basiswerten abgeleitet, etwa Credit Default Swaps (Absicherung von Krediten für den Fall, dass ein sog Kreditereignis – Credit Event – eintritt, dh dass sich bestimmt definierte Bonitätsveränderungen ereignen. Beispiel: Eine Vertragspartei, der sogenannte Sicherungsnehmer, bezahlt zur Absicherung eines von ihm gewährten Kredits eine laufend zu entrichtende sowie zusätzlich eine einmalig am Anfang zu zahlende Prämie. Dafür erhält er von seinem Vertragspartner, dem sogenannten Sicherungsgeber, eine Ausgleichszahlung, sofern der in dem CDS-Vertrag bezeichnete Referenzschuldner ausfällt. Die Ausgleichszahlung besteht typischerweise entweder in der Zahlung der Kreditsumme gegen Übertragung der Kreditaktiva – physical settlement – oder in der Zahlung des Verlusts aus dem Kreditgeschäft – cash settlement –. Bei den CDS wird ein Referenz- oder Basisinstrument festgelegt, dessen Kreditwürdigkeit als Maßstab für den Eintritt eines Kreditereignisses sowie für die Höhe der dadurch ausgelösten Ausgleichszahlung gelten soll. Basisinstrument können die Indizes von Krediten einer ganzen Branche sein, sog Basket Credit Derivatives. Die Kreditderivate (genauer: die Rechte auf Glattstellung bei den Events) werden außerbörslich – „over the counter“, abgekürzt OTC –, gehandelt. Je größer die Kreditrisiken werden, desto wertvoller werden die Derivate. Der Amerikaner John Paulson hat durch CDS, indem er auf das künftige Platzen der Blase im amerikanischen Immobilienmarkt gewettet hat, 3,7 Mrd US-$ verdient, FAZ v 17.4.2008 Nr 90 S 23).

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gehandelt1152 oder individuell außerhalb von Börsen (over the counter, sog OTCDerivate). Derivative Geschäfte dienen der Risikoabsicherung (hedging), aber auch der Spekulation (leverage-effekt, geringer Kapitaleinsatz bei überproportionaler Gewinnteilnahme)1153. Sog Futures sind Festpreisgeschäfte, die über die Börse gehandelt werden. 738 Forwards werden individuell außerbörslich ausgehandelt. Bei beiden handelt es sich um Festpreisgeschäfte in Gestalt von Kauf- oder Tauschverträgen über Basiswerte, die zu einem späteren Zeitpunkt zu einem festen Preis erfüllt werden müssen (Erwerbspflicht des Käufers, sog long position, Lieferungspflicht des Verkäufers, sog short position)1154. Keine Derivate sind Leerverkäufe, dh Verkäufe von Titeln, die der Verkäufer noch gar nicht im Eigentum hat, sondern entweder geliehen oder deren Beschaffung er anderweitig gesichert hat (sog gedeckter Leerverkauf) oder bei denen die Beschaffung nicht gesichert ist (ungedeckter Leerverkauf). Der Verkäufer spekuliert auf fallende Kurse. Da aber die Erfüllung innerhalb der üblichen Fristen versprochen wird, sind sie keine Derivate. Der Gefährlichkeit von Leerverkäufen, die sich insbesondere in der Finanzkrise gezeigt hat, ist der Europäische Gesetzgeber mit der EU-Leerverkaufs-VO entgegengetreten. Ungedeckte Leerverkäufe sind grundsätzlich verboten, gedeckte sind von bestimmten Schwellenwerten an mitteilungspflichtig1155. Durch den Erwerb von Futures erwirbt der Käufer gleichsam ein besonderes Austauschgeschäft des Inhalts, dass zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt die eine Partei an die andere eine festgelegte Menge eines Basiswertes zu einem bestimmten Preis zu liefern hat (Bsp: Lieferung von 500.000 US-$ gegen 0,70 € pro Dollar in 3 Monaten). Die Abwicklung erfolgt über ein Clearinghouse. Gegen dieses richtet sich die Forderung der einen, gegenüber diesem besteht die Leistungspflicht der anderen Partei. Aufgrund der Vereinbarung künftiger Lieferung gegen Preis hängt der Wert des Future-Titels von der Verknüpfung mit einem Basiswert ab (Derivat). Je nach Basiswert werden „Financial Futures“ und „Commodity Futures“ unterschieden. Basiswerte der ersteren Art sind etwa Währungen oder Kredite, Basiswerte von Commodity Futures sind realwirt-

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1152 Etwa deutsch-schweizerische Eurex in Eschborn oder EEX in Leipzig. 1153 Zu den Funktionen und Risiken Poelzig, Rn 145 f. 1154 Erläuterung bei Poelzig, Rn 140. Bei dem Börsenskandal um die Société-Générale im Januar 2008 soll der Händler Jérôme Kerviel 50 Mrd € in futures insbesondere auf das Steigen des deutschen DAX gewettet haben mit einem Verlust der Bank in Höhe von ca 5 Mrd € (Markus Zydra in SZ v 26./27.1.2008 Nr 22, S 29; zur Laxheit der Kontrollen, die so etwas ermöglichte, FAZ v 7.6.2008 Nr 131 S 25). 1155 Zur Leerverkaufs-VO Poelzig Rn 464 ff.

V. Weitere „Finanzinstrumente“ | 439

schaftliche Objekte (zB Rohstoffe). Für den Erwerb des Future wird nicht ein Preis, sondern eine sog Anfangsmarge („initial margin“) als Sicherheit geleistet. Börsentäglich wird die Entwicklung des Marktpreises des Basiswerts verfolgt (marking to the market) und auf den Konten beim Clearinghouse zur Feststellung der Erhaltungsmarge („maintenance margin“1156) abgebildet. Steigt der Wert des Future (dh sinkt der vom Erwerber am Stichtag zu leistende Wert), ist die Marge zu hoch, dies wird durch Verzinsung entgolten. Fällt der Wert, ist die Marge zu niedrig und muss Kapital vom Erwerber nachgeleistet werden. Futures werden „glattgestellt“ durch Weiterveräußerung. Beim over the counter gehandelten Forward entfällt demgegenüber logischerweise das marking to the market mit Bildung des maintenance margin. Futures werden je nach Kontraktart und Basiswert nicht durch tatsächliche Lieferung des Basiswerts erfüllt, sondern im Wege eines „cash settlements“ nur bezüglich der Kursdifferenz ausgeglichen1157. Futures auf Waren oder auf Anleihen werden aber öfter physisch beliefert (physical settlement). Bei ihnen spielen auch die sog Differenzsysteme zum Preisausgleich der tatsächlich gelieferten Qualität gegenüber der Standardqualität des Kontraktes eine Rolle. Für den Liefernden stellt sich dann das „cheapest to deliver“-Problem, das einen Einfluss auf die Bewertung haben kann. Während für die Futures die wertmäßige Abrechnung (cash settlement) durchaus typisch ist, ist der Forward meist auf physical settlement gerichtet. Bei Optionen ist das Festpreisgeschäft bedingt. Es ist das Recht, das Ange- 739 bot zu einem Austauschgeschäft über den Basiswert bis zu einem bestimmten Zeitpunkt anzunehmen1158. „Europäische Optionen“ sind auf einen festen Ausübungstermin abgestellt, „amerikanische“ auf eine Ausübungsfrist. Zu unterscheiden sind die Kauf-(Call-) und die Verkaufs-(Put)-Option, je nachdem ob die Option das Recht verbrieft, eine bestimmte Menge des Basiswerts zu kaufen oder zu verkaufen1159. Den Ausgeber oder „Schreiber“ der Option (von dem der Inhaber der Option bei der Call-Option kaufen oder an den er bei der Put-Option

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1156 Richtig müsste es heißen maintainance margin. 1157 Lenenbach (Fn 1023a) Rn 6.24 f. 1158 Die als Derivate gehandelten Optionen dürfen nicht mit der Option verwechselt werden, die zu einer Optionsanleihe gehört, die von einer AG begeben werden kann. Der Handel mit einer Option, die Bestandteil einer Optionsanleihe ist, wird nicht als Börsentermingeschäft angesehen. 1159 ZB Aktien zum vereinbarten Preis (Basispreis); bei den Kreditderivaten sind Credit Puts und Credit Calls zu unterscheiden: Die Option bei Credit Puts ist auf Überlassung eines Kredits an den Optionsgeber gegen Empfang einer Entschädigung, die Option bei Kredit Calls auf die Hereinnahme von Krediten gegen Zahlung einer Entschädigung gerichtet.

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verkaufen kann) nennt man „Stillhalter“. Der Optionserwerber zahlt dem Veräußerer für das Ausübungsrecht eine Optionsprämie, dh, worauf zu achten ist: sowohl die Kauf- wie die Verkaufsoption sind Gegenstand eines Kaufs. Pointiert formuliert: Der Käufer einer Verkaufsoption erwirbt das Recht, an den Verkäufer (der Option) zu verkaufen. Je nachdem wie sich der Preis des Basiswerts entwickelt, ist die Optionsausübung zum Basispreis gewinn- oder verlustbringend. Nimmt der Optionsinhaber sein Ausübungsrecht nicht in Anspruch, erlischt die Option am Ende der Laufzeit. Eine besondere Form stellen knock-out oder knock-in options dar, erstere sind Optionen, die wertlos werden, sofern der Basiswert eine bestimmte Preisgrenze durchbricht, letztere sind solche, die nur dann in Geltung kommen, wenn der Basiswert die Schranke mindestens einmal in der Frist erreicht (hat). Zertifikate sind Rechte auf eine bestimmte Leistung oder ein bestimmtes 740 Verhalten, die von Basiswerten abhängig sind. Nur als Beispiele: Bonuszertifikate mit vollem Rückzahlungsversprechen für den Fall, dass die Basiswerte (etwa Aktien) nicht einen bestimmten Kurs unterschreiten (Sicherheitspuffer), und mit – allerdings abgestuften – Bonuszahlungen trotz Absinkens bis zu diesem Puffer, Garantiezertifikate mit Garantie der Zahlung des Emissionspreises, wenn der Basiswert zum Laufzeitende verloren hat, mit begrenzter Gewinnteilnahme (Cap), wenn der Basiswert gestiegen ist. Discountzertifikat mit Emissionspreis weit unter aktuellem Kurs des Basiswerts und Gewinnauszahlung in Höhe der Differenz des Emissionspreises zu einem bestimmten (höheren Kurs) trotz Fallens des Basiswerts bis hinunter zu diesem Kurs. Expresszertifikat mit Auszahlung etwa nach drei Jahren, wobei eine Auszahlung über dem Emissionspreis und zwar in jährlicher Höherstufung versprochen wird, sofern der Basiswert in dem einzelnen Jahr auf dem Niveau von Beginn der Laufzeit geblieben ist. § 2 IV Nr 5 WpHG nennt sodann Emissionszertifikate, dh Rechte, Mengen von Treibhausgasen aus einer bestimmten Anlage freizusetzen. Derivat sind sie in ihrer Abhängigkeit von den tatsächlichen Emissionen eines Unternehmens (dieses muss nicht Inhaber sein1160). Zugeteilt werden sie in Deutschland vom Bundesumweltamt. Übersteigen die Emissionen die zulässigen Werte, gleichen Emissionszertifikate aus. Die nicht für solchen Ausgleich im eigenen Unternehmen benötigten Zertifikate können gehandelt werden, in Deutschland über die Leipziger Energiebörse (EEX, European Energy Exchange).

_____ 1160 S Art 19 II iVm Art 3 Buchst g Emissionhandelsrichtlinie vom 13.10.2003, ABl 2003 L 275, 32. Die Teilnehmer an Märkten für Emissionsrechte sind EAMP (Emission Allowances Market Participants).

VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“ | 441

Mehrere auf verschiedene Zahlungszeitpunkte bezogene derivative Ge- 741 schäfte können in sog swaps (=Austauschverträgen) zusammengefügt werden. Swaps umfassen Verträge über den Austausch beliebiger Zahlungsströme1161. Beispiel eines Devisenswap: Partei A verkauft Partei B 100 Mio. US-Dollars gegen Bezahlung in Euro zum Kassakurs; beide vereinbaren gleichzeitig den Rückkauf der US-Dollars durch Partei A in 1 Monat zum jetzt gültigen Terminkurs.

VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“ VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“

1. Verschiedene Handelsplätze Wertpapiere und andere Finanzinstrumente werden auf sog organisierten und 742 anderen Handelsplätzen gehandelt. Organisierte Märkte definiert § 2 XI WpHG: Die Merkmale sind Multilateralität, staatliche Genehmigung, Regelung und Überwachung der Zusammenführung einer Vielzahl von Personen zum Kauf von Finanzinstrumenten. Organisierter Markt sind insbesondere die durch das BörsG regulierten Wertpapierbörsen (für Wertpapiere iSv § 2 I WpHG, die mit der Ausnahme von Staatsanleihen, § 37 BörsG, nach § 32 BörsG der Zulassung bedürfen). Die Definition der Börse im BörsG (§ 2 I) entspricht der Definition des WpHG: Danach sind Börsen teilrechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts, die nach Maßgabe dieses Gesetzes multilaterale Systeme regeln und überwachen, welche die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von dort zum Handel zugelassenen Wirtschaftsgütern und Rechten innerhalb des Systems nach festgelegten Bestimmungen in einer Weise zusammenbringen oder das Zusammenbringen fördern, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Handelsobjekte führt. Andere Handelsplätze sind nicht öffentlich-rechtlich, sondern privatrecht- 743 lich organisiert. Zu ihnen gehören nach § 2 XXII WpHG die multilateralen Handelssysteme (MultilateralTradingFacilities, MTF) iSv §§ 2 VIII S 1 Nr 8, XXI WpHG und die organisierten Handelssysteme (Organized Trading Facilities, OTF) iSv § 2 VIII S 1 Nr 9 WpHG. Daneben gibt es den OTC-Handel (over the counter) im individuellen bilateralen Verkehr außerhalb öffentlicher Handelssysteme.

_____ 1161 Zum Kreditdefaultswap soeben Fn 1151.

442 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

2. Die Börse a. Organisation 744 Die Börse ist entweder Wertpapierbörse (§ 2 II BörsG) oder Warenbörse (§ 2 III BörsG). Der Börsenhandel ruht auf zwei Organisationen, einer Börsenträgerin und der von dieser getragenen Anstalt Börse (definiert in § 2 I BörsG). Die Trägerin (§ 5 I BörsG, private partner, zB die Deutsche Börse-AG) errichtet mit Erlaubnis der obersten Landesbehörde (§ 3 I BörsG)1162 die Anstalt und stellt ihr die personellen und sachlichen Mittel zur Verfügung. Die öffentlich-rechtliche Anstalt Börse1163 (§ 2 I BörsG, public partner, zB die Frankfurter Wertpapierbörse1164) betreibt und überwacht den regulierten Markt. Unter dem Dach der Deutsche Börse-AG ist nicht nur die Börse organisiert, sondern kann mit Zustimmung der Börse nach § 48 BörsG auch der Freiverkehr betrieben werden (multilaterales Handelssystem iS von § 2 VIII S 1 Nr 8 WpHG). Die Börse hat als Organe die Börsengeschäftsführung (§ 15 BörsG) mit der Aufgabe insbesondere der Zulassung und Einbeziehung von Wertpapieren zum Handel (§§ 32 ff BörsG, Verwaltungsakt iSv § 35 VwVfG). Sie wird bestellt und überwacht (§ 12 I S 1 BörsG) vom Börsenrat (mit Vertretern der am Börsenhandel beteiligten Kreise, s § 12 I S 2 BörsG). Die Aufsicht ist dreistufig: Die Handelsüberwachungsstelle (§ 7 BörsG) berichtet den Landesaufsichtsbehörden, dritte Stufe ist die BAFin. Die Landesregierung kann durch VO Vorschriften für einen Sanktionsausschuss (§ 22 BörsG) bestimmen. Unter der Leitung der Geschäftsführung ist der Börsenpreis festzustellen 745 (§ 24 I BörsG)1165, im Präsenzhandel durch Skontroführer (§ 27 BörsG, übersetzt: Orderbuchführer), im elektronischen Handel (XETRA) automatisch. §§ 30 f BörsG legen Vor- und Nachhandelstransparenzanforderungen bzgl der Preisentwicklung von Aktien und Aktienzertifikaten fest.

_____ 1162 Dh Wirtschaftsministerien bzw Wirtschaftssenator. 1163 Die Einordnung als öffentlich-rechtliche Anstalt bedeutet, dass diese Anstalt verbindliche Ordnungen erlassen kann, die insbesondere die Zulassung der Marktteilnehmer regeln. Der Ausdruck teilrechtsfähig heißt rechtsfähig für die Rechte und Pflichten im Rahmen des BörsG. Nach § 2 IV BörsG kann die Börse in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter ihrem Namen klagen und verklagt werden. 1164 Zentraler Marktplatz für Aktien. Weiteres Beispiel die BÖAG BörsenAG für HamburgHannover. In Hamburg wird insbesondere der Fondshandel, in Hannover insbesondere der Warenterminhandel betrieben. Optionsscheine werden über die Börse Stuttgart gehandelt, die von der Börse-Stuttgart-AG betrieben wird. 1165 Referenzwert für die Pfandversteigerung von Sachen §§ 1221, 1235 II BGB, und Wertpapieren, § 1295 BGB, § 821 ZPO.

VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“ | 443

Um an der Börse als Unternehmen oder Händler teilnehmen zu dürfen 746 (Börsenteilnehmer) muss das einzelne Unternehmen, die von diesem bestellte Person oder sonst die einzelne Person zum Handel zugelassen sein (§ 19 I BörsG – Börsenhändler –1166). Die Zulassungsvoraussetzungen erfüllen Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsunternehmen und auch professionelle Anleger wie die Kapitalverwaltungsgesellschaften nach dem KAGB. Private Anleger sind auf Finanzintermediäre wie Kreditinstitute angewiesen. Auf ihren Antrag können Unternehmen zu Skontroführern bestellt werden (§ 27 BörsG).

b. Die verschiedenen Börsensegmente; Börsenzulassung; Indizes Für den Börsenhandel mit Wertpapieren sind zu unterscheiden der Handel im 747 regulierten Markt und der Handel im Freiverkehr (an der Frankfurter Börse: open market) 1167. Der Freiverkehr ist ein multilaterales Handelssystem (MTF: MultilateralTradingFacility) und im nächsten Abschnitt zu behandeln. Für den regulierten Markt bedarf es grundsätzlich einer Zulassung als mitwirkungsbedürftigen, gebundenen Verwaltungsakts. § 32 III Nr 1 verweist auf die EU-DurchführungsVO zur Durchführung der MiFID1168 und die auf § 34 BörsG beruhende BörsenZulVO. Für das Zulassungsverfahren besteht die Prospektpflicht nach WpPG oder KAGB (§ 32 III Nr 2 BörsG). Empfindliche Folge: die Haftung wegen fehlender oder fehlerhafter Prospekte nach §§ 21 f WpPG. Der Emittent zugelassener Aktien ist weiter nach § 40 I BörsG verpflichtet, für später ausgegebene Aktien derselben Gattung die Zulassung zum regulierten Markt zu beantragen. Neben der Zulassung kommt noch eine Einbeziehung in Betracht, wenn die dem Zulassungsverfahren entsprechenden Voraussetzungen anderweitig erfüllt sind (§ 33 I BörsG). Wesentliche Folge der Zulassung zur Börse ist die ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art 17 MAR, §§ 114 ff WpHG, 161 AktG1169. Für Papiere, die zum regulierten Markt zugelassen sind, hat die Frankfurter 748 Wertpapierbörse (FWB) die Handels-Segmente „General Standard“ und

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1166 Börsengeschäfte, die mit oder über Personen getätigt werden, die nicht zugelassen sind, sind nicht etwa nach § 134 BGB unwirksam. 1167 Das BörsG ist hier neu geregelt aufgrund mehrerer europarechtlicher Richtlinien. Die frühere Unterteilung in amtlichen und geregelten Markt ist entfallen. 1168 VO (EG) Nr 1287/2006 der Kommission vom 10.8.2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG betreffend die Aufzeichnungspflichten für Wertpapierfirmen, die Meldung von Geschäften, die Markttransparenz, die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel und bestimmte Begriffe iS der MiFID, ABl v 2.9.2006 Nr L 241 S 1. 1169 Dieselbe Pflicht gilt nach Art 17 MAR auch für Finanzinstrumente, die für multilaterale Handelssysteme oder organisierte Handelssysteme zugelassen sind.

444 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

„Prime Standard“ eingerichtet1170. Dabei handelt es sich lediglich um eine Unterteilung des regulierten Marktes. Als besondere Sparte des Freiverkehrs, die für kleinere und mittlere Unternehmen den Übergang zum regulierten Markt erleichtern sollte, war ein besonderer Standard eingerichtet, der sog Entry Standard. Wegen gemischter Erfahrungen von Anlegern mit den gelisteten Start-ups ist seit März 2018 der Standard Scale an die Stelle getreten. Während Zulassungsvoraussetzung zum „General Standard“ die Erfüllung der gesetzlichen Mindestanforderungen ist, die Zulassung zum „General Standard“ also mit der Zulassung zum regulierten Markt automatisch verbunden ist, müssen sich die Unternehmen im „Prime Standard“ zusätzlich zu erhöhter Transparenz verpflichten. Dazu gehören nach §§ 62 ff BörsO Ffm Quartalsberichterstattung, Anwendung internationaler Rechnungslegungsvorschriften (IFRS oder US-GAAP), Veröffentlichung eines Unternehmenskalenders mit den wichtigsten Terminen (HV, Bilanzpressekonferenz, Analystenveranstaltung etc), Durchführung mindestens einer Analystenkonferenz pro Jahr und Ad-hoc-Meldungen sowie laufende Berichterstattung in englischer Sprache. Am 7.11.2007 ist im Rahmen des Prime Standard das eigenständige REIT749 Segment geschaffen worden1171. Die Zulassung zum Prime Standard ist Voraussetzung der Aufnahme in die 750 Auswahlindizes DAX, M-DAX, S-DAX und Tec-DAX und den am 7.11.2007 hinzugekommenen RX Real Estate Index1172. Diese Aktienindizes spiegeln lediglich rechnerisch die Entwicklung der dort aufgenommenen Werte wieder, sind also ein permanentes Informationsmedium. Sie sind an der FWB neu gruppiert worden. Der RX Real Estate Index ist für REITs des Prime Standard eingerichtet. In den DAX1173 werden die 30 größten deutschen Unternehmen (nach Orderbuchumsatz und Marktkapitalisierung), in den MDAX1174 die 50 auf die obersten dreißig folgenden Unternehmen mit Ausnahme der Technologiebranchen, in den SDAX1175 die 50 nächstfolgenden Unternehmen und schließlich in den TecDAX1176

_____ 1170 Kritisch zu der Neusegmentierung Spindler, WM 2003, 2073. Er wendet sich insbesondere gegen die Einführung von Quartalsberichtspflichten im Prime Standard. Der VGH Kassel hat diese Zulassungsvoraussetzung allerdings für zulässig erklärt (WM 2007, 1264). 1171 Zur REIT-AG o Rn 22. 1172 Bei Eröffnung des Marktes, 7.11.2007, wurde ein einziger Titel geführt: Alstria-officeREIT-AG. Die Gesellschaft ist zugleich im SDAX gelistet. 1173 Deutscher Aktienindex. 1174 Medium Caps DAX. 1175 Small Caps DAX. 1176 DAX von Technologieunternehmen. Näher dazu die Homepage der Deutschen Börse, www.deutsche-boerse.com.

VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“ | 445

die dreißig größten Technologieunternehmen, die auf die DAX-Unternehmen folgen, aufgenommen. Schließlich können aufgrund der Entscheidung der Börsengeschäftsfüh- 751 rung nach billigem Ermessen auch andere Wirtschaftsgüter und Rechte als Wertpapiere, insbesondere andere Finanzinstrumente iSd § 2 IV WpHG zum Handel an der Börse zugelassen werden (§ 23 BörsG). Derivate werden vor allem an der Terminbörse EUREX gehandelt, an der EEX (European Energy Exchange) in Leipzig Derivate auf Strom, Erdgas, CO2-Emissionsrechte und Herkunftsnachweise auf Grünstrom gehandelt1177.

c. Der Weg der AG an die Börse – Aktienemission im Rahmen eines „Going Public“ Die erstmalige Zulassung einer AG zum regulierten Handel von Aktien über 752 die Börse (anders der Freiverkehr nach § 48 BörsG) hat über die Auswirkung auf die Rechtsstellung der Anteilseigner hinaus weitreichende Konsequenzen für das börsennotierte Unternehmen selbst1178. Einige rechtliche Aspekte des Börsengangs, speziell die „Zulassungsfolgepflichten“ der Börsennotierung, sollen im Folgenden näher dargestellt werden1179. Motiv für den Gang an die Börse ist vor allem die Beschaffung von Eigen- 753 kapital für das Unternehmen. Um die Voraussetzungen der Zulassung zum Börsenhandel zu erfüllen, muss die Gesellschaft in betriebswirtschaftlicher, aber auch in rechtlicher Hinsicht den Anforderungen der Börse angepasst werden. In der Praxis hat sich mittlerweile ein „standardisiertes“ Verfahren herausgebildet, in dem die jeweilige Gesellschaft an die Börse geführt wird1180. Aus rechtlicher Sicht sind einige Stationen des Börsengangs von besonde- 754 rem Interesse: Zentraler Bestandteil der Vorbereitung des Börsengangs ist die Erstellung eines Emissionsprospekts nach den Vorschriften des WpPG oder des KAGB (§ 32 III Nr 2 BörsG). Das börsenrechtliche Verfahren der Zulassung zu den jeweiligen Segmenten bezweckt, dem Anlegerpublikum ein möglichst realistisches Bild über die Grundlagen, vor allem die Risiken des Erwerbs des angebotenen Wertpapiers zu verschaffen. Zu diesem Zweck hat der Emittent in

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1177 Poelzig, Rn 188. 1178 Börsennotiert sind an sich die Anteile der Gesellschaft, nicht die Gesellschaft selbst. Aus der Zulassung der Aktien zur Börse (einem regulierten Markt) folgert § 3 II AktG die Einordnung „börsennotiert im Sinne dieses Gesetzes“. 1179 Zum tatsächlichen und rechtlichen Ablauf eines Börsengangs sowie zu den Zulassungsfolgepflichten aus der Börsennotierung s ie Brauer Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer Aktiengesellschaft 2005 S 20 ff. 1180 Poelzig, Rn 170 ff.

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seinem Emissionsprospekt ausführliche Informationen über sein Unternehmen zu publizieren. Der konkrete Umfang der erforderlichen Informationen im Prospekt hängt vom angesteuerten Segment ab1181. Durch den Börsengang findet eine Verbreiterung des Aktionärskreises über 755 den organisierten Kapitalmarkt statt. Dafür müssen Aktien angeboten werden1182. Diese können von bisherigen Gesellschaftern oder aus einer Kapitalerhöhung stammen. Regelmäßig werden beim Börsengang ein „Altanteilsverkauf“ und die Begebung junger Aktien aus einer Kapitalerhöhung kombiniert. Soll die Gesellschaft aus der Kapitalerhöhung die maximal denkbare Eigenkapitalzufuhr erreichen, muss das Bezugsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen werden. Denn andernfalls profitieren die Aktionäre, nicht die Gesellschaft von etwaigen Veräußerungsgewinnen1183. Damit stellt sich die Frage, inwieweit ein Bezugsrechtsausschluss zu rechtfertigen ist1184. § 186 III 4 AktG pauschaliert die Rechtfertigungsprüfung durch drei Kriterien der Zulässigkeit: Barkapitalerhöhung, 10% des Grundkapitals werden nicht überstiegen, der Börsenpreis wird nicht wesentlich unterschritten. Umstritten ist, ob eine Ermächtigung für den Börsengang als solchen 756 durch die HV zu fordern ist. In der Lehre wird das zT für notwendig gehalten1185, es handele sich um eine „Strukturentscheidung“, für die notwendigerweise die HV zuständig sei. Dem ist nicht zu folgen1186. Die Aktien werden auf einem „Umweg“ über die Emissionsbanken an den 757 Markt gebracht. Die beteiligten Banken (Bankenkonsortium) verpflichten sich entweder als Übernahmekonsortium zur Zeichnung der jungen Aktien und ggf zum Erwerb weiterer Anteile von Altgesellschaftern des Emittenten (firmcommitment underwriting). Diese Anteile reichen sie dann an die eigentlichen Anleger weiter. Es kommt aber auch die Übernahme nur in Kommission (§ 383

_____ 1181 Zur Regelung der Prospektpflicht und –haftung u Rn 776. Die alte börsengesetzliche Prospekthatung (§ 44 BörsG aF) ist aufgehoben. 1182 Das folgt – je nach Segment – schon aus den Vorgaben des Börsenrechts, das sowohl für den absoluten Umfang der Emission (in Euro), als auch für die quotale Streuung der Aktien (in Prozent) beim Publikum Vorgaben macht, s § 9 I BörsZulV (für den regulierten Markt). 1183 Zu lesen ist zwar häufig von „Zeichnungsgewinnen“. Bei der Emission von Aktien zeichnen aber Banken die Aktien und verkaufen sie dann weiter. Der Ausdruck ist also aus rechtlicher Sicht nicht zutreffend. 1184 Zum Bezugsrechtsausschluss o Rn 552 ff. 1185 So zB Lutter/Drygala, FS Raisch 1995, 239 ff mwN. Anders nach ausführlicher Diskussion Brauer, Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer Aktiengesellschaft, 2005 S 67 ff. 1186 Brauer, aaO, Poelzig, Rn 177. S a BGH NJW 2014, 146 (sog Frosta-Beschluss) mit der Ablehnung der HV-Zuständigkeit für den Rückzug von der Börse.

VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“ | 447

HGB) in Betracht (best-efforts underwriting)1187. Zur Platzierung der Aktien zum Verkauf, insbesondere bei der Kommission als mittelbare Stellvertreter des Emittenten, bieten die Banken die Anteile öffentlich aus (invitatio ad offerendum)1188. Der Emissionspreis wird üblicherweise im sog bookbuilding-Verfahren ermittelt1189. Die nach § 32 BörsG zugelassenen Aktien können nach der Zuteilung an der 758 Börse „eingeführt“, genauer: zur Aufnahme der Notierung im regulierten Markt (Einführung) eingeführt werden (§ 38 BörsG). Dazu bedarf es des Antrags des Emittenten und der Bewilligung durch Verwaltungsakt der Börsengeschäftsführung (§ 38 I 1 BörsG). Mit der Börseneinführung kann der Handel am Sekundärmarkt – von Anleger zu Anleger – beginnen. Der Gang an die Börse ist abgeschlossen. In der Praxis verpflichten sich die Emissionsbanken zur Kurspflege unmit- 759 telbar im Anschluss an die Börseneinführung. Dafür setzen sie bereits in der Zuteilungsphase an: Die Banken geben hier, entsprechende Nachfrage vorausgesetzt, zunächst mehr Aktien an den Markt, als sie eigentlich aus der Emission zur Verfügung haben. Diese zusätzliche Tranche von Aktien bezeichnet man als „Greenshoe-Tranche“1190. Die Grundlage dafür, dass die Banken mit der Mehrzuteilung zurechtkommen, ist die sog „Greenshoe-Option“, die im Übernahmevertrag vereinbart wird1191. Regelmäßig „leihen“ sich die Emissionsbanken auf der Basis dieser Vereinbarung vom Emittenten (oder von Aktionären des Emittenten) zunächst die Aktien für die Greenshoe-Tranche. Sinn der Aktienleihe und der Ausgabe der zusätzlichen Aktien ist der folgende: Zum einen kann eine erhöhte Nachfrage der Aktien beim Börsengang erfüllt werden. Zum anderen können die Emissionsbanken aber auch ihrerseits „Stützungskäufe“ tätigen,

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1187 Poelzig, Rn 185 ff. 1188 Die Preisfindung hängt von einer Unternehmensbewertung im Vorfeld des Börsengangs sowie dem darauf basierenden späteren „Bookbuilding-Verfahren“ ab, in dem der Preis durch die Emissionsbanken unter Einbeziehung der Investoren ermittelt wird, i e Poelzig, Rn 190. 1189 Darstellung bei Poelzig Rn 190. 1190 Die Bezeichnung stammt vom seinerzeitigen Namen derjenigen Gesellschaft, bei deren Börsengang das hier zu schildernde Verfahren erstmals praktiziert wurde – der Green Shoe Manufacturing Co. Nach Wikipedia jetzt Stride Rite Corporation, Boston. 1191 Zur Greenshoe-Option Poelzig, Rn 191. Nach einem Urteil des KG (ZIP 2001, 2178) ist die Bedienung des Greenshoes mit Aktien aus einer Kapitalerhöung problematisch, weil die Ermächtigung des Vorstands, das Kapital im Rahmen des Greenshoes zu erhöhen (§ 202 II AktG), anfechtbar sein kann im Hinblick darauf, dass auch die neuen Aktien zum Ausgabebetrag der Haupttranche ausgegeben werden, der Börsenkurs für die bisher untergebrachten Aktien allerdings erheblich über diesen Ausgabebetrag gestiegen sein kann, dazu Lenenbach (o Fn 1023a) Rn 7.102 ff; Brauer Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer Aktiengesellschaft 2005 S 37 ff.

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also weitergegebene Aktien wieder zurückkaufen und damit eine künstliche Nachfrage entwickeln in dem Fall, dass der Kurs in den Tagen nach der Börseneinführung fällt, weil viele Aktien“zeichner“ wieder verkaufen. Aus der „Aktienleihe“ sind die Banken nun an sich zur Rückgewähr nach dem Ende der Leihfrist – idR ein Zeitraum von 30 Tagen nach der Börseneinführung – verpflichtet. Haben die Banken Stützungskäufe getätigt, so können sie am Ende der Leihfrist ihrer Rückgewährverpflichtung nachkommen und erzielen möglicherweise durch die Differenz zwischen Platzierungspreis, niedrigerem Rückkaufspreis und Leihgebühren einen Gewinn. Werden keine Stützungskäufe vorgenommen, weil der Kurs stabil geblieben oder gestiegen ist, so kommt ein weiterer Bestandteil der Greenshoe-Option zum Zuge: Die Option erlaubt es den Banken, die zunächst „geliehenen“ Aktien nachträglich zu kaufen. Dadurch können sie sich von ihrer Rückgewährpflicht – im Wege der Aufrechnung – befreien. Veräußern sie jetzt die gekauften Aktien weiter, so kommt ihnen eine Differenz aus dem Veräußerungserlös und dem Platzierungspreis abzüglich Leihgebühren zugute. Von den Tatbeständen des Insiderhandels und der Marktmanipulation (Art 14, 15 MAR) nimmt Art 5 IV MAR unter bestimmten Voraussetzungen die Praxis wegen ihrer Kursstabilisierungswirkung um der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes willen aus. Zur Kurspflege durch die Banken kann die Unterstützung durch die Altak760 tionäre hinzukommen. Diese verpflichten sich häufig in sog Lock-up-Vereinbarungen zum Stillhalten während einer bestimmten (häufig 12 Monate währenden) Frist1192.

d. Going Private/Delisting (1) Drei Fälle 761 Unechtes Delisting (cold delisting) tritt durch Verlust der Börsengeschäftsfähigkeit ein. Fälle sind die Verschmelzung auf eine nicht börsenfähige AG1192a oder die Umwandlung in eine GmbH. Die Fälle regelt das UmwG. Zwangsdelisting ist der Entzug der Börsenzulassung nach § 39 I BörsG durch die Börsengeschäftsführung, wenn ein ordnungsgemäßer Handel nicht mehr gewährleistet erscheint. Gegen das Zwangsdelisting hat der Emittent die Abwehrmittel von Widerspruch und Anfechtungsklage, richtiger Weise nicht die einzelnen Aktio-

_____ 1192 Zu diesen Vereinbarungen Grüger, BKR 2008, 101. 1192a Zum kalten Delisting durch Umwandlung in eine nicht börsenfähige Rechtsform OLG Düsseldorf DB 2005, 657; Pluskat, BKR 2007, 54. Zu den Begrifflichkeiten näher Brauer, Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer Aktiengesellschaft, 2005, S 53 ff.

VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“ | 449

näre1193. Schließlich tritt drittens das echte Delisting (reguläres Delisting) hinzu. Dieses ist in § 39 II-VI BörsG neuer Fassung geregelt. Im Hinblick auf den Schutz der Aktionäre ist der gesellschaftsrechtliche und der kapitalmarktrechtliche Schutz zu unterscheiden.

(2) Der gesellschaftsrechtliche Schutz beim echten Delisting Ebenso wie beim Börsengang wurde für den Bereich des Delisting, wenn es 762 durch Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag der Gesellschaft erfolgt, darüber gestritten, ob den Aktionären der betroffenen AG ein Mitspracherecht vor Stellung des entsprechenden Antrags bei der Börse durch den Vorstand zusteht. Das BörsG machte bis 2015 die Aufhebung der Börsenzulassung nur von der Voraussetzung abhängig, dass der Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag des Emittenten nicht dem Schutz der Anleger widerspricht (§ 39 II 2 BörsG aF). Das Nähere war den Börsenordnungen überlassen worden1194. Fraglich war, ob die Leerstelle mit gesellschaftsrechtlichem Schutz auszu- 763 füllen war1195. In Betracht kam auch hier eine ungeschriebene Mitwirkungskompetenz der HV in Bezug auf die Entscheidung über die Antragstellung bei der Börse. Solche Mitwirkungsbefugnisse wurden in der Literatur häufig unter Hinweis auf die weiter unten1196 dargestellte Holzmüller-Entscheidung bejaht. Der Vorstand bedürfe, damit er den Antrag auf Börsenrückzug stellen dürfe, der vorherigen Ermächtigung durch die HV. Der Rückzug von der Börse stelle sich als „Strukturänderung“ entsprechend einer Umwandlung dar: Der Charakter der AG wandle sich von einer Publikums- zu einer geschlossenen Gesellschaft, Informations- und Publizitätspflichten des Emittenten entfielen, schließlich sei mit dem Rückzug von der Börse und der damit verbundenen Einschränkung der Fungibilität der Aktie ein schwerer Eingriff in die Mitgliedschaft des Aktionärs verbunden. Namentlich Kleinaktionären könne es nach dem Rückzug von der Börse gleichsam unmöglich werden, ihre Aktien noch zu veräußern1197.

_____ 1193 Poelzig, Rn 204. 1194 § 58 BörsO FWB sah zB vor, dass die Interessen der Aktionäre hinreichend gewahrt sind, wenn ihnen genug Zeit verbleibt, vor dem Rückzug von der Börse ihre Anteile zu veräußern. 1195 Vgl Mülbert, ZHR 165 (2001), 104, 116 f mwN. 1196 Rn 930 ff. 1197 Aus dem reichhaltigen Schrifttum zum Delisting vgl etwa: Mülbert, ZHR 165 (2001), 104; Land/Hasselbach, DB 2000, 557; Groß, ZHR 165 (2001), 141; Wirth/Arnold, ZIP 2000, 111; Hellwig/Bormann, ZGR 2002, 465.

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(3) Die Macrotron-Entscheidung des BGH 764 Dieser Auffassung ist der BGH in der Macrotron-Entscheidung1198 beigetreten.

Der Begründungsansatz dieses Urteils bricht mit einer bis dahin einheitlichen Linie der Rechtsprechung zu ungeschriebenen Mitwirkungsrechten der HV, welche das Holzmüller-Urteil begründet hatte. Auf diese Linie hatte sich die Vorinstanz berufen1199. 765

Sachverhalt: Die Ingram Macrotron AG, die an der FWB und der Bayerischen Börse notiert war, ließ in der HV darüber beschließen, ob die Aufhebung der Börsennotierung durch den Vorstand bei den beiden Börsen zu beantragen sei. Die HV ermächtigte den Vorstand durch entsprechenden Beschluss mit qualifizierter Mehrheit. Dagegen wandten sich mehrere Kläger im Wege der Anfechtungsklage. Sie hielten den Beschluss wegen fehlender Befristung, fehlender sachlicher Rechtfertigung sowie wegen Unverhältnismäßigkeit und Fehlens eines Vorstandsberichts für fehlerhaft. LG und OLG hatten die Klagen abgewiesen. Der BGH bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts insoweit. Die Entscheidung: Obwohl ein HV-Beschluss mit qualifizierter Mehrheit vorlag, äußert sich der Senat zum Mitwirkungsrecht der HV bei der Entscheidung über ein Delisting, offenbar, weil es ihm auf den Zusammenhang der verfassungsrechtlichen Begründung von HV-Kompetenz einerseits und des weiter von ihm vertretenen Abfindungsrechts der Minderheitsaktionäre andererseits ankam. Er bejaht zunächst die HV-Kompetenz. Vor der Antragstellung durch den Vorstand (§§ 38 IV, 53 II BörsG aF) bedürfe es eines HV-Beschlusses, für den freilich die einfache Mehrheit ausreiche. Sodann vertritt der Senat einen Abfindungsanspruch der „Minderheitsaktionäre“. Diesen müsse ein Pflichtangebot über den Kauf ihrer Aktien durch die Gesellschaft oder durch „den Großaktionär“ vorgelegt werden, wobei die Höhe dieses Angebots in einem Spruchverfahren zu klären sei1200. Einer zusätzlichen materiellen Beschlusskontrolle unterliege der Beschluss der HV über das Delisting nicht. Auch eines Vorstandsberichts analog § 186 IV 2 AktG bedürfe es nicht. Zur Kompetenz der HV führt der Senat aus, Rechte der Aktionäre sowie die „innere Struktur“ der AG würden durch einen Rückzug von der Börse nicht berührt. Insbesondere komme es nicht zu einer „Mediatisierung“ von Rechten der Aktionäre, wie sie das Holzmüller-Urteil voraussetze, so dass aus diesem Blickwinkel eine ungeschriebene Zuständigkeit der HV für die Entscheidung über das Delisting nicht in Betracht komme. Allerdings werde dem Aktionär durch den Rückzug von der Börse ein Markt genommen, der

_____ 1198 BGHZ 153, 47 = ZIP 2003, 387 mit Anm Streit. Zu den Entscheidungen Macrotron und Gelatine (zur Letzteren u Rn 1070 ff.) Habersack, AG 2005, 137 ff. 1199 Unklar und widerspruchsvoll noch die erste Instanz LG München I ZIP 1999, 2017, 2019 li Sp: „Strukturmaßnahme von herausragender Bedeutung“; r Sp: „Das Delisting stellt rechtlich keinen Struktureingriff … dar“. Die in der Holzmüller-Entscheidung aufgestellten Kriterien trifft das nur am Rande, ausdrücklich nimmt das Gericht auf die Entscheidung nicht Bezug. Eindeutig demgegenüber OLG München ZIP 2001, 700. 1200 Zum Beginn der Antragsfrist für Spruchverfahren beim Delisting BayObLG DB 2005, 214 (mit Anm Martinius/von Oppen, DB 2005, 212); OLG Zweibrücken ZIP 2004, 1666: mit Veröffentlichung des Widerrufs der Zulassung der Wertpapiere in mindestens einem (überregionalen) Börsenpflichtblatt.

VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“ | 451

ihn in die Lage versetze, den Wert seiner Aktien jederzeit durch Veräußerung zu realisieren. Das stelle vor allem für Minderheits- und Kleinaktionäre einen gravierenden wirtschaftlichen Nachteil dar, der auch durch eine etwaige Einbeziehung der Anteile in den Freihandel nicht ausgeglichen werden könne. Der Verkehrsfähigkeit der Aktien aufgrund der Börsennotierung sei, so wird unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG betont, besondere Bedeutung für die Wertbestimmung der Anteile beizumessen. Nach Abschluss eines Unternehmensvertrags (§§ 291 ff AktG) bzw einer Eingliederung (§§ 319 ff AktG) könnten dem Aktionär Abfindungsansprüche erwachsen, wobei der Abfindungsbetrag so zu bemessen sei, dass die Minderheitsaktionäre nicht weniger erhielten, als sie bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum maßgebenden Zeitpunkt erzielen könnten. Daraus folgert der Senat, der Verkehrswert und die jederzeitige Möglichkeit seiner Realisierung seien „Eigenschaften des Aktieneigentums“, die „wie das Aktieneigentum selbst verfassungsrechtlichen Schutz“ genössen. Dieser Schutz wirke sich „auch im Verhältnis der Gesellschaft zu den Aktionären“ aus. Da der Schutz des mitgliedschaftlichen Vermögenswertes nicht in den Händen der Geschäftsleitung, sondern in denen der HV liege, sei für Entscheidungen darüber die HV zuständig. Nur die HV könne über das Delisting als eine die Verkehrsfähigkeit der Aktie beeinträchtigende Maßnahme befinden. Aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Aktieneigentums folge zum anderen ein Recht der (Minderheits)-Aktionäre, denen die Börsengängigkeit ihrer Aktien genommen werde, auf ein Pflichtangebot zum Kauf ihrer Aktien- „durch die Gesellschaft (in den nach §§ 71 f AktG bestehenden Grenzen) oder durch den Großaktionär“1201. Das Börsengesetz, welches einen solchen Ausgleich nicht enthalte, weise eine Schutzlücke auf, die durch das Gesellschaftsrecht geschlossen werden müsse. Der Übergang zur Handelbarkeit der Aktien im sog Freiverkehr ändere an der Pflicht zum Kauf nichts, weil die Veröffentlichung des Rückzugs von der Börse in der Regel einen rapiden Kursverfall zur Folge habe. Zu den gesellschaftsrechtlichen Grundlagen dieses Pflichtangebotes macht der Senat allerdings keine Angaben1202. Über die angemessene Höhe des Kaufpreises könne nach der Natur der Sache nicht im Anfechtungsprozess, sondern müsse im Spruchverfahren entschieden werden (entsprechend §§ 304 III 2, 305 V 2 AktG sowie §§ 15, 34, 95, 212 UmwG)1203. Im dritten Teil der Entscheidung wird dargelegt, warum der erforderliche Beschluss der HV über das Delisting keiner materiellen Beschlusskontrolle unterliege. Der vermögensrechtliche Schutz der Aktionäre sei durch das Erfordernis des Pflichtangebotes sichergestellt. Abschließend nimmt der BGH zur Frage Stellung, ob angesichts des erforderlichen HVBeschlusses der Vorstand einen Bericht analog § 186 IV 2 AktG zu erstatten hat. Mangels

_____ 1201 BGH ZIP 2003, 390. Umsetzung der BGH-Entscheidung durch LG München I AG 2004, 393, 395. 1202 Die Lücke in der Argumentation hat das BayObLG zu schließen versucht (DB 2005, 214). Anspruchsgrundlage sei § 207 UmwG in entsprechender Anwendung. Zustimmend Raiser/Veil § 16 Rn 15 mwN. 1203 Zum Verfahren näher BGH DB 2008, 1735. Anwendungsfall LG Hannover AG 2008, 426. Erledigung des Spruchverfahrens in der Hauptsache, wenn die Aktien wieder zum Markt zugelassen werden und das voraufgegangene Delisting für die Minderheitsaktionäre keine negativen Auswirkungen hatte, OLG Zweibrücken, AG 2007, 913.

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Informationsbedürfnisses der Minderheitsaktionäre verneint er dies in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen. Nach dem Rechtsgedanken des § 124 II 2 AktG genüge es, dass den Aktionären die Einzelheiten des Widerrufsantrags (§ 39 II BörsG) und das Abfindungsangebot „des Mehrheitsaktionärs“1204 bekannt gegeben würden.

(4) Kritik 766 Die (im Kern verfassungsrechtliche) Argumentation des Senats lässt eine frühere Feststellung des BVerfG eine Drittwirkung im Verhältnis der Aktionäre gegenüber ihrer AG entfalten. Es ist die Feststellung, dass gesetzliche Regelungen, die den Entzug der Aktionärsstellung durch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen ermöglichen, anhand des Eigentumsgrundrechts zu überprüfen sind1205. Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Drittwirkung von Grundrechten müsste diese Drittwirkung über ein verfassungskonformes Verständnis des AktG, insbesondere der aktiengesetzlichen Befugnisnormen zugunsten des Vorstands einerseits und der HV andererseits, begründet werden. Der BGH hat aber nicht verfassungsrechtlich zwingend begründet, weshalb der „Schutz des mitgliedschaftlichen Vermögenswertes“ statt in den Händen des Vorstands bei der HV liegen soll. Auch eine Begründung des BGH für die Verbindung der HV-Zuständig767 keit mit einem „Abfindungsangebot“ bleibt offen. Vor dem Hintergrund verschiedener umwandlungsrechtlicher Vorschriften, die in der Achtung vor dem Mehrheitsprinzip Abfindungsansprüche überstimmter Aktionäre bei Umwandlungsvorgängen ausschließen, ist die Annahme einer ungeschriebenen Abfindungspflicht kaum begründbar1206. Unklar bleibt auch, wer überhaupt iS der Entscheidung „Minderheitsaktionär“ einerseits und „Großaktionär“ andererseits sein soll. Da der Senat für den Beschluss über das Delisting die einfache Mehrheit ausreichen lässt, könnte jeder Aktionär, der nicht die einfache Stimmenmehrheit erreicht und überstimmt wird, potenzieller „Minderheitsaktionär“ sein. Ob umgekehrt ein Pflichtangebot auszuscheiden hat, wenn in der AG kein „Großaktionär“ vorhanden ist, wie ihn der Senat vor Augen hat, wird nicht ausgeführt. Damit hat der BGH gesellschaftsrechtliche Maßgaben für das Delisting wie 768 ein Gesetzgeber statuiert. Aus dem seinerzeit geltenden Gesellschaftsrecht war

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1204 Gemeint ist nach dem Vorangegangenen offenbar: des Mehrheitsaktionärs oder der AG. 1205 Grundlegend BVerfGE 14, 263; BVerfGE 50, 290; zum Börsenkurs als Referenz für den Abfindungswert BVerfGE 100, 289 (DAT/Altana). 1206 Mülbert, ZHR 165 (2001), 104, 137, s a Brauer Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer Aktiengesellschaft 2005 S 217 ff. Die vom BayObLG angeführte Vorschrift des § 207 UmwG betrifft einen Sonderfall, iü gilt ein argumentum e contrario.

VI. Handelsplattformen für Kapitalmarkttitel, insbesondere „die Börse“ | 453

dagegen nichts anders als die alleinige Kompetenz des Vorstands herzuleiten1207.

(5) Aufgabe der Macrotron-Rechtsprechung durch Frosta Der verfassungsrechtlichen Argumentation hat das BVerfG den Boden entzo- 769 gen1208. Das Gericht hatte über den Widerruf der Börsenzulassung zu entscheiden und hat statuiert, dass dadurch dem Aktionär keine von der Rechtsordnung als privatnützig und für ihn verfügbar zugeordnete Rechtsposition iSv Art 14 I GG genommen werde. Geschützt sei die rechtliche, aber nicht die tatsächliche Verkehrsfähigkeit, welche nur eine schlichte Ertrags- und Handelschance sei. Daraus folgert der BGH im Frosta-Beschluss1209, dass für die Ansicht aus der Macrotron-Entscheidung, dass die Entscheidung des Vorstands über den Rückzug von der Börse der Zustimmung der HV bedürfe, die mit einem Angebot auf Barabfindung zu verbinden sei, keine Grundlage bestehe. Der BGH prüft verschiedene von der Literatur angeführte Ansätze des UmwG und hält sie alle nicht für ergiebig. Auch aktienrechtliche und kapitalmarktrechtliche Vorschriften, die auf die Börsenzulassung abstellen, berührten nicht unmittelbar die Vermögens- und Mitgliedsinteressen der Aktionäre (so das Pflichtangebot nach WpÜG, die Ad-hoc-Publizitätspflicht) oder seien sogar von der Börsenzulassung unabhängig (Verbot bei Insidergeschäften, Marktmanipulationsverbot).

(6) Nachbesserung durch das Kapitalmarktrecht Mit dem Gesetz vom 20.11.2015 zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie- 770 Änderungsrichtlinie1210 hat der deutsche Gesetzgeber zwar keine Zuständigkeit der HV, aber einen Anspruch der Aktionäre auf Barabfindung begründet. § 39 II S 3 Nr 2, III BörsG nF macht bei Aktien, aktienvertretenden Zertifikaten und auf den Erwerb solcher Papiere gerichteten Wertpapieren den Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag davon abhängig, dass den Inhabern zugleich ein öffentliches Angebot (Angebotsunterlage iS des § 11 WpÜG) im Hinblick auf eine analog § 31 WpUG angemessene Gegenleistung gemacht wird. Ob vollständiger

_____ 1207 Dazu, dass auch jenseits der Macrotron-Grundsätze eine Entscheidung der Aktionäre über die Frage des Börsenrückzugs nicht in Betracht kommt, s Brauer Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer Aktiengesellschaft 2005 S 164 ff. 1208 BVerfGE 132, 99. 1209 NJW 2014, 146 (kleinlaute Rücknahme, die nicht einmal für die amtliche Sammlung vorzusehen war). 1210 BGBl I, 2029.

454 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

Rückzug oder Downgrading in den Freiverkehr erfolgen soll, ist gleich. Hinsichtlich der Angemessenheit des Angebots haben die Aktionäre zivilrechtlichen Schutz, die Rechtmäßigkeit des Widerrufs ist davon unberührt (§ 39 VI BörsG).

3. MTF, OTF, Systematische Internalisierer, OTC-Handel 771 Im Gegensatz zur Börse sind die weiteren Handelsplätze MTF (multilateral tra-

ding facilities) und OTF (organized trading facilities) – § 2 VIII 1 Nr 8, 9, XXI, XXII WpHG – privatrechtlich organisiert. MTF und OTF unterscheiden sich zum einen nach dem Anwendungsbereich (die OTF sind auf bestimmte Finanzinstrumente beschränkt) und zum anderen danach, ob für die Aufnahme in den Markt kein Ermessen besteht (MTF ist ein „nicht diskretionäres“ System) oder dies kein Merkmal ist. Der Freiverkehr, den § 48 I BörsG behandelt, ist ein MTF. Die im Freiverkehr auftretende Aktiengesellschaft ist keine börsennotierte Gesellschaft iS von § 3 II AktG, sodass für sie nicht die Pflicht zur Erklärung gilt, ob dem Deutschen Corporate Governance Kodex entsprochen wird (§ 161 AktG), und auch nicht das VorstOG1211. Anders als über die Marktplätze können Finanzinstrumente bilateral vertrieben werden, entweder zwischen „Systematischen Internalisierern“ (§ 2 VIII S 1 Nr 2 b WpHG) oder „over the counter“ (OTC) Nach neuer Fassung ab 3.1.2018 wird aber auch der OTC-Handel von der MIFIR erfasst1212.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts

1. Regelungen des Primärmarkts und des Sekundärmarkts 772 In einer Übersicht über die Regelungen der Kapitalmärkte sind Regeln für den

Primär- und Regeln für den Sekundärmarkt zu unterscheiden. Für den Primärmarkt muss das Eintreten des Finanzprodukts in den Markt reguliert werden. Ab 3.1.2018 ist ein sog Produktfreigabeverfahren (das auch die Überwachung umschließt – deshalb „Product Governance“) eingerichtet. Es obliegt jedem Hersteller von Finanzinstrumenten – Konzepteur – (§ 2 X WpHG). Daneben und schon nach bis dato geltendem Recht geht es sodann um die Pros-

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1211 Dazu o Rn 89. 1212 Zu den Systemen und ihrer Regulierung (vom 3.1.2018 an auch für den OTC-Handel) Poelzig, Rn 219 ff.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 455

pektpflicht und die Haftung für Richtigkeit und Vollständigkeit der Prospekte. Auf den Sekundärmärkten muss demgegenüber das Verhalten der Anbieter im Handel gesteuert werden. Informationsungleichgewichte durch Missbrauch sind fernzuhalten, und die Publizität der Grundlagen ist zu gewährleisten, die der Anleger für seine Entscheidung benötigt. Das Produktfreigabeverfahren ist in §§ 63 IV, V, 80 IX WpHG nF geregelt. Die Prospektpflicht ist in verschiedenen gesetzlichen Regelungen normiert. Die Missbrauchskontrolle und die Publizitätspflichten sind Gegenstand der MAR und des WpHG. In den Regeln zum Sekundärmarkt taucht immer wieder der Market Maker auf. Es geht um Personen (Organisationen), die durch das Versprechen des Handels mit bestimmten Finanzinstrumenten zu bestimmten Kursen den Markt auch bei umsatzschwachen Papieren stabilisieren sollen. Für diese sind immer wieder Ausnahmen von den allgemeinen Tatbeständen zu finden. Für den Begriff verweist Art 1 I Nr 30 MAR auf Art 4 I Nr 7 der Richtlinie 2014/65/EU1213. Die Anleger auf dem Sekundärmarkt können sich nach der Auffassung des 772a BGH grundsätzlich nicht auf Schutzwirkungen des Vertrages zwischen dem Emittenten und dessen Abnehmer auf dem Primärmarkt zu ihren Gunsten als Dritter berufen1213a. Für die Emission von Wertpapieren auf dem Primärmarkt und für die Anla- 773 ge auf Primär- und Sekundärmarkt sind die Teilnehmer auf Finanzintermediäre (Banken oder Finanzdienstleistungsinstitute) angewiesen. Diesen Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Begriff in § 2 X WpHG) gilt eine umfassende Verhaltensregelung, die europarechtlich vorgeprägt1214 und in die deutsche Gesetzgebung umgesetzt worden ist1215. Seit Inkrafttreten von MIFID II im Januar 2018 benötigen Emittenten, die Fi- 773a nanzinstrumente am regulierten Markt handeln wollen, einen Legal Entity

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1213 Zum Market Making System § 26c BörsG. Dazu Poelzig Rn 164. Ausnahmen für Market Maker enthalten etwa Art 9 II MAR, § 36 V WpHG, s Poelzig Rn 398, 606. 1213a BGH WM 2017, 2237. 1214 Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 1993 (WpD-RL), ABl 1993 L 141, 1, MIFID, weiter MIFID II (o Rn 691 II). 1215 §§ 63 ff WpHG auf der Grundlage des FRUG und des 2. FiMaNoG. Zu der Regelung Poelzig, Rn 733 ff mit Beispiel Rn 766 f und Fall Rn 769 ff. Zu dem in der Rechtsprechung des BGH entwickelten System der Aufklärungspflichten Poelzig, Rn 778, 779, zu den Informationspflichten insbesondere in der Anlageberatung Rn 789 ff (zur Pflicht zur Prüfung des Finanzprodukts Rn 798 ff; Beispielsfall in Rn 804 ff, nach BGHZ 189, 13). Zur anleger- und produktbezogenen Prüfungspflicht, insbesondere bei ausländischen Wertpapieren BGH NJW 2017, 3088 mit Anm Buck-Heeb; zu sonstigen Wertpapierdienstleistungen neben Anlageberatung und Portfolioverwaltung Beispiel Poelzig, Rn 811 ff. Zur – auch hier wieder umstrittenen – Reichweite deliktischer Schadensersatzpflichten Rn 819 ff. Schließlich zu den Organisationspflichten nach §§ 80 ff WpHG Rn 822 ff.

456 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

Identifier (LEI), dh ein Identifizierungszeichen, welches von Local Operating Units (LOU) gegen Gebühr verliehen wird. Auf die LEI nehmen Bezug Art 27, 28 MIFIR und Art 9 EMIR (European Market Infrastructure Regulation). Für das Inkrafttreten der LEI-Pflicht ist eine halbjährige Übergangsfrist eingeräumt. Ein Sonderkapitel für den Sekundärmarkt und hier speziell für börsenno774 tierte Aktiengesellschaften ist das Übernahmerecht, welches Angebote für den Erwerb von Aktienpaketen bis zum Aufbau einer Herrschaft über die Beteiligungsgesellschaft regelt. Während also das Prospektrecht die Veräußerung von Finanzinstrumenten auf dem Primärmarkt regelt, geht es in dem ergänzenden Kapitel um Angebote zum Erwerb auf dem Sekundärmarkt, und zwar dem Sekundärmarkt für börsennotierte Aktien und darauf bezogene Erwerbstitel. Das Thema ist im WpÜG geregelt (u Rn 798 ff).

2. Die Regeln für den Primärmarkt a. Produktfreigabeverfahren (Product Governance) 775 Zur Einhaltung des Produktfreigabeverfahrens muss der Hersteller eines Fi-

nanzinstruments (Konzepteur) nach § 80 IX WpHG nF den Zielmarkt nach der Art der Kunden genau bezeichnen. Die Finanzinstrumente sind entsprechend auszugestalten. Einzelheiten regelt die WpDVerOV1216. Nach § 63 IV 2 WpHG muss der Vertrieb innerhalb des Zielmarkts zumutbar gesichert werden. Nach § 64 V WpHG müssen die Vertriebsunternehmen die Finanzinstrumente verstehen und den vom Konzepteur bezeichneten Zielmarkt berücksichtigen. Bei Veräußerung außerhalb des Zielmarkts ist der Hersteller zu informieren (§ 12 WpDVerOV).

b. Prospektpflicht und -haftung 776 Die Prospektpflicht ist für Wertpapiere in §§ 3, 4 WpPG1217, für Publikumsinvest-

mentvermögen in §§ 164, 268 KAGB und für Vermögensanlagen in § 5 VermAnlG geregelt. Was zunächst § 3 WpPG betrifft, gilt er für Wertpapiere, die öffentlich angeboten oder an einem organisierten Markt zugelassen werden sollen. § 1

_____ 1216 VO zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, in Kraft seit 3.1.2018. 1217 Ab dem 3.1.2019 wird das WpPG hinsichtlich der Prospektpflicht von der Europäischen Prospektverordnung abgelöst werden (VO EU 2017/1129 vom 14.6.2017 – ABl 30.6.2017 L 168/12. Übersicht bei Poelzig, Rn 308). Art 11 enthält die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine zivilrechtliche Prospekthaftung nach Maßgabe des Art 11 vorzusehen. Art 31 ff machen Vorgaben für die verwaltungsrechtliche Aufsicht und Sanktionierung.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 457

II WpPG nimmt Staatsanleihen und Investmentfondsanteile aus, erstere wegen ihrer Sicherheit, letztere, weil sie sich nach KAGB richten. Die Prospektpflicht gilt nach § 3 I WpPG für öffentliche Angebote von Wertpapieren (Begriff nach § 2 Nr 4 WpPG). Abs 2 bringt davon Ausnahmen im Hinblick auf den Personenkreis der Empfänger und den Umfang der Wertpapiere. § 3 IV WpPG begründet sodann eine Prospektpflicht für Wertpapiere, die zu einem organisierten Markt (§ 2 Nr. 16 WpPG) zugelassen werden sollen1218. § 4 macht Ausnahmen zu beiden Tatbeständen. Die Prospekte müssen grundsätzlich von der BAFin gebilligt werden (§ 13 WpPG, In-sich-Schlüssigkeits-, keine Bonitätsprüfung), mit Ausnahme sogenannter Basisprospekte für bestimmte Wertpapiere (§§ 6, 14 WpPG). Über den Inhalt sagen §§ 5, 7 (iVmit einer EU-Prospektverordnung) und § 8 WpPG die Einzelheiten, § 8 enthält auch Befreiungsmöglichkeiten für die BAFin. Auslaufen muss die Darstellung in einer Zusammenfassung, die Schlüsselinformationen und Warnhinweise umfassen muss (§ 5 II WpPG). Der Prospekt ist vor dem öffentlichen Angebot bzw der Einführung in den Börsenhandel zu veröffentlichen ((§ 14 WpPG). § 16 WpPG begründet nachträgliche Aktualisierungspflichten für kursrelevante Umstände, die vor Schluss des öffentlichen Angebots oder, falls diese später erfolgt, der Einführung in den Handel an der Börse auftreten1219. Aufgrund der Billigung durch die BAFin können die Prospekte grenzüberschreitend genutzt werden (europäischer Pass, §§ 17, 18 WpPG). Die Prospektpflicht nach WpPG ist verwaltungsrechtlich und bußgeld- 777 rechtlich sanktioniert1220. Sodann statuieren §§ § 21 ff WpPG spezialgesetzliche Schadensersatzhaf- 778 tungen1221: § 21 eine solche der Prospektverantwortlichen (§ 5 IV WpPG1222) und

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1218 Für die Zulassung zur Börse muss ein Prospekt iS von § 3 IV vorliegen (§ 32 III BörsG), für die Zulassung zum Freiverkehr ein Prospekt nach Abs 1, wenn das Angebot öffentlich erfolgt. Fallbeispiel zur Frage des öffentlichen Angebots bei Poelzig Rn 243 f. 1219 Der Prospektnachtrag bedarf gemäß § 16 I WpPG der Billigung durch die BAFin und ist unverzüglich nach der Billigung zu veröffentlichen. Geht es um eine kursrelevante Insiderinformation, greift aber schon die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung nach Eintritt der Tatsache (Art 17 MAR) ein. Beides steht nebeneinander. Beispielsfall OLG Frankfurt AG 2006, 162 – EM-TV, s Poelzig Rn 263 ff. Ungereimt ist die Einräumung des Widerrufsrechts bei Zeichnung vor Veröffentlichung des Nachtrags (§ 16 III WpPG), wenn die neue Tatsache schon aufgrund der ad-hoc-Mitteilung bekannt war. 1220 Poelzig, Rn 267 f. 1221 Zu den Anspruchsberechtigten nach §§ 21 f, 24 WpPG und den Tatbeständen i e, insbesondere der Verschuldensvermutung (Mindesterfordernis grobe Fahrlässigkeit) nach § 23 I WpPG und der Kausalitätsvermutung nach § 23 II WpPG und zu den Möglichkeiten ihrer Widerlegung – Entsprechendes gilt richtiger Weise auch im Rahmen der Haftung für das Fehlen eines Prospekts nach § 24 WpPG –; schließlich zum Inhalt der Schadensersatzleistung Poelzig,

458 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

der Prospektveranlasser1223 bei Fehlerhaftigkeit von Börsenzulassungsprospekten (Prospektpflicht nach § 3 IV WpPG), § 22 die Haftung jener Personen bei Fehlerhaftigkeit von Wertpapierverkaufsprospekten (Prospektpflicht nach § 3 I WpPG). § 24 begründet die Haftung der Emittenten und Anbieter bei Fehlen von Wertpapierverkaufsprospekten entgegen der Pflicht nach § 3 I, während das Fehlen von Börsenzulassungsprospekten nicht haftungsrechtlich geregelt ist, sondern zur Ablehnung der Börsenzulassung führt (§ 32 III Nr 2 BörsG). Die dogmatische Einordnung der Haftung ist umstritten. Der BGH hat sie als Vertrauenshaftung1224, der EuGH für die internationalprivatrechtliche Qualifikation als sonderdeliktsrechtliche Haftung eingeordnet1225. Im Fall des BGH ging es aber auch um die direkte Haftung des Anbieters gegenüber dem Anleger, während der EuGH einen Fall zu behandeln hatte, in dem es um den Erwerb von Wertpapieren ging, die eine englische Bank emittiert und eine österreichische Bank veräußert hatte. Nach § 25 II WpPG bleiben weitergehende vertragliche Ansprüche von den §§ 21 ff WpPG unberührt1226. Was sodann die Prospektpflicht nach dem KAGB betrifft, gilt sie für Publi779 kumsinvestmentvermögen (OGAW und Publikums-AIF), deren Anteile von Privatanlegern erworben werden können. Für die nur an professionelle oder halbprofessionelle Anleger gerichteten Spezial-AIF gelten nur die Informationspflicht und die Haftung nach § 307 KAGB. Die Prospekte und daneben ein Dokument über die wesentlichen Anlegerinformationen sind von den Kapitalverwaltungsgesellschaften zu erstellen. Für offene Publikumsinvestmentvermögen gelten §§ 164–166 KAGB, für geschlossene Publikums-AIF §§ 268–370 mit weitgehendem Verweis auf die §§ 164 ff. Die Voraussetzung der Billigung durch die BAFin gilt hier nicht, die Unterlagen sind nur unverzüglich nach erstmaliger Verwendung bei der BAFin einzureichen (§ 164 IV KAGB). Die Haf-

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Rn 278 ff, mit einem Beispielsfall in Rn 293 f., der entsprechend dem der Entscheidung BGHZ 139, 225 gebildet ist, die zur früheren Regelung der Haftung für Unternehmensberichte im BörsG ergangen ist. 1222 Emittent sowie die begleitende Konsortialführerin und auch eine weitere Bank, die mit unterzeichnet. 1223 Hintermänner, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht, indem sie besonderen Einfluss auf den Emittenten ausüben (dazu BGHZ 195, 1, Rn 36 f), nicht die Organe des Emittenten, auch nicht über § 830 BGB. Keine Haftung, auch keine Amtshaftung trifft die BAFin und die Börse (keine Gesamtverantwortlichkeit für den Prospekt, Handeln ausschließlich im öffentlichen Interesse, §§ 4 IV FinDAG, 15 VI BörsG). 1224 BGHZ 190, 7 (13 f). 1225 NJW 2015, 1581 – Kolassa –. 1226 Für einen Schadensersatzanspruch aus Schutzwirkung des Vertrages des Emittenten mit einer Wirtschaftsprüfergesellschaft für Dritte BGH NJW 2014, 2345 (s Falllösung bei Poelzig, Rn 306 ff.).

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 459

tung ist in § 306 I, II KAGB normiert, mit Differenzierung zwischen Verkaufsprospekten und Anlegerinformationen sowie zwischen Fehlerhaftigkeit und Fehlen1227. Was schließlich die Regelung von Prospektpflicht und –haftung nach dem 780 VermAnlG betrifft, verpflichtet § 6 VermAnlG zur Erstellung eines Verkaufsprospekts für öffentlich angebotene Vermögensanlagen iS von § 1 II. § 13 VermAnlG verpflichtet zur Ergänzung durch ein separates VermögensanlagenInformationsblatt (entsprechend der Notwendigkeit der Zusammenfassung nach § 5 II WpPG). Ausnahmen bestimmt § 2 unter den Aspekten der mangelnden Schutzbedürftigkeit des Anlegerkreises einerseits, der Solidität der Angebote andererseits, § 2a privilegiert die Schwarmfinanzierung kleinerer und mittlerer Emittenten in Form von Crowdfunding, § 2b soziale Projekte durch Exzeption von der Prospektpflicht, nicht von der Pflicht zu Vermögensinformationen nach § 13. Der Prospekt (nicht das Informationsblatt, welches nur zu hinterlegen ist, § 14 VermAnlG) bedarf der Billigung durch die BAFin (§ 8 VermAnlG mit erweiterter Prüfung der Darstellung des Emittenten nach § 8 I 3). Eine Aktualisierungspflicht gilt wie nach § 16 WpPG (§ 11 VermAnlG). § 12 VermAnlG schränkt schließlich die Werbung für öffentlich angebotene Vermögensanlagen ein. §§ 16 ff VermAnlG ermächtigen zu verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen. §§ 20 ff enthalten die spezialgesetzliche Prospekthaftung, sie entsprechen im Wesentlichen den §§ 21, 22, 24 WpPG1228, § 22 VermAnlG muss für die Informationsblätter die Regelung ergänzen, weil die Blätter hier anders als nach WpPG getrennt veröffentlicht werden müssen. Die Prospekthaftung ist im Bereich des sog grauen Kapitalmarkts erst 781 nach und nach gesetzlich geregelt worden. Die Schutzlücke hat die Rechtsprechung nach allgemeinem Zivilrecht durch eine bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung ieS und eine solche iwS (uneigentliche Prospekthaftung) ausgefüllt. Beide hat sie auf die Haftung aus culpa in contrahendo (jetzt sog Vertrauenshaftung gemäß §§ 311 III 2, 280 I, 241 II BGB) gestützt. Die bürgerlichrechtliche Prospekthaftung ieS knüpft an ein typisiertes (nicht konkret partnerbezogenes) Vertrauen in einen Prospekt an. Da diese Haftung inzwischen gesetzlich durchgeregelt ist, wird die zivilrechtliche Prospekthaftung ieS weitestgehend durch die spezialgesetzliche verdrängt. Die Gesetze enthalten für die Prospekthaftung auch einschränkende Kriterien und dürfen durch die zivilrechtlichen Grundsätze nicht konterkariert werden. Allerdings verbleibt ein schmaler Anwendungsbereich: nämlich durch einen weitergehenden Prospektbegriff. „Prospekt“ iS der zivilrechtlichen Prospekthaftung ieS ist auch die noch

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1227 Einzelheiten, auch in Gegenüberstellung zum WpPG, bei Poelzig, Rn 311 ff. 1228 Poelzig, Rn 332 ff.

460 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

neben dem Verkaufsprospekt herausgegebene umfassend informierende Beschreibung des beworbenen Produkts. Dafür ist noch Platz für die Haftung nach Zivilrecht. Sie trifft auch die sog Garanten (die mit ihrer beruflichen Autorität für die Werbung einstehen) 1229. Die uneigentliche Prospekthaftung ist eine eigentliche Haftung aus konkretem Vertrauensverhältnis. Mit diesem Haftungsgrund steht sie neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung1230.

3. Regeln für den Sekundärmarkt a. Market Abuse Regulation (MAR) und Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) als maßgebliche Normenkomplexe 782 Mit dem Schritt an die Kapitalmärkte, insbesondere an die organisierten Märkte, die MTF oder OTF, unterliegen Unternehmen, aber auch ihre Mitglieder und Organe, strengen kapitalmarktrechtlichen Vorschriften für ihr Verhalten gegenüber den Anlegern. Die vorrangige Rechtsquelle dieser Pflichten war früher das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), das wegen seiner großen praktischen Bedeutung auch als „Grundgesetz des deutschen Kapitalmarktrechts“ bezeichnet wurde1231. Inzwischen ist das Marktmissbrauchsrecht ieS (Insiderhandelsverbot, Verbot der Marktmanipulation) in der Europäischen Marktmissbrauchsverordnung (MAR)1232 geregelt. Das WpHG verweist in § 1 I Nr 8 e) für die verwaltungs-, zivilrechtlichen, straf- und bußgeldrechtlichen Rechtsfolgen auf die MAR in ihrer jeweiligen Fassung, mit Ausnahme der Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 119, 120 XIV, XV WpHG. Der Anwendungsbereich der MAR ist der Handel mit bestimmten Finanzinstrumenten (im Gegensatz zu § 2 IV WpHG nicht Vermögensanlagen), die zum Handel auf geregelten Märkten, MTF (ab 3.1.2018 auch OTF) zugelassen sind oder für die der Antrag auf Zulassung gestellt ist. Auch Handlungen oder Unterlassungen, die in einem Drittstaat vorgenommen sind und das Auftreten auf den einbezogenen Märkten betreffen, werden erfasst (Art 2 IV MAR, s a § 1 II WpHG). Der Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen und Kursstabilisierung ist ausgenommen (Art 5 I, IV MAR)1233. Ein gängiges Mittel zur Kursstabilisierung ist die Greenshoe-Option.

_____ 1229 1230 1231 1232 1233

BGHZ 191, 310. Falllösung bei Poelzig, Rn 351 f. Darstellung und N bei Poelzig, Rn 353. Hopt, ZHR 159 (1995), 135. Vom 16.4.2014, ABl 12.6.2014 L, 173, 1. Näher Poelzig, Rn 362.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 461

b. Verbot des Insiderhandels und der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen Art 14 MAR statuiert das Insiderhandelsverbot und das Verbot der unrecht- 783 mäßigen Offenlegung von Insiderinformationen (gegenüber einer anderen Person). Gerechtfertigt sind die Verbote durch den Schutz des Vertrauens in die Chancengleichheit auf dem Markt und die diese voraussetzende Funktionsfähigkeit des Marktes als Organisation fairer und rationaler Austauschgeschäfte1234. Die Nutzung von nicht öffentlichen Geschäftsinformationen, zu denen Marktteilnehmer aufgrund ihrer Funktion oder auch ohne eine solche kommen und deren Nutzung Vorteile vor anderen Anlegern verschafft, würde das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Marktes stören oder aufheben. Erster Ausgangsbegriff ist der Begriff der Insiderinformation: Art 7 MAR de- 784 finiert ihn mit einigen Sondertatbeständen als nicht öffentlich bekannte präzise Information mit Kursbeeinflussungspotenzial bei öffentlicher Bekanntheit1235. Der Begriff ist auch maßgeblich für die ad-hoc-Publizität nach Art 17 MAR. Zweiter Ausgangsbegriff ist das Insidergeschäft (Art 8 MAR), dh die Tätigung eines auf Finanzinstrumente bezogenen Geschäfts für sich oder andere unter Nutzung von Insiderinformationen1236. Art 8 I, IV UAbs 1 MAR wendet den Begriff des Insidergeschäfts auf die sog Primärinsider an, dh solche Personen, die aufgrund Berufs, Funktion oder Gesellschafterstellung über die Insiderinformation verfügt, UAbs 2 bezieht aber auch die sog Sekundärinsider ein, für die dieser Zusammenhang zwar nicht besteht, die aber die Information besitzen und wissen oder wissen müssten, dass es sich dabei um eine Insiderinformation handelt1237. Art 9 MAR zählt unter der nicht ganz zutreffenden Formulierung, als

_____ 1234 Zum ökonomischen Streit um das Insiderhandelsverbot Poelzig, Rn 364. 1235 Näher zu dem Merkmal der Präzisheit Poelzig Rn 367 ff (Beispielsfall des Scalping: Eine Person, von der Börsenempfehlungen ausgehen – Börsen-Guru –, kauft Papiere in der Absicht, das Papier zum Kauf zu empfehlen, damit er seine Papiere aufgrund gestiegenen Kurses gewinnbringend veräußern kann. Der BGH hatte einen solchen Fall zum WpHG zu entscheiden und die Verbotenheit mangels Drittbezuges der Information abgelehnt – BGHZ 48, 373 –; zur MAR wäre anders zu entscheiden, Poelzig Rn 369 ff (unklar Rn 435); Poelzig weiter Rn 375 ff zur Tatbestandsmäßigkeit von Zwischenschritten mit Ablehnung des probability-magnitude-Tests als unzulässige Vermischung der Merkmale der Präzisheit = Wahrscheinlichkeit und der Kursrelevanz anhand der Entscheidung BGH NJW 2013, 2114), sodann zum Merkmal des Bezuges zum Emittenten oder zum Finanzinstrument, Poelzig Rn 378 ff., und schließlich den Merkmalen der fehlenden öffentlichen Bekanntheit, Rn 382, und der Kursrelevanz Rn 383 ff. 1236 Nutzung = Ursächlichkeit der Information für das Geschäft, bei Kenntnis von der Information widerleglich zu vermuten. Beispiel das sog frontrunning: Eigengeschäfte in Kenntnis von Kundengeschäften. 1237 Für die Primärinsider setzt die Verordnung dies voraus. Für die Strafbarkeit wegen Offenlegung von Insiderinformationen (Art 14 Buchst c MAR) setzt § 119 III Nr 3 WpHG aber Vor-

462 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

gehe es um die Ausräumung der Vermutung der Kenntnis und Nutzung der Insiderinformation, Ausnahmen legitimer Handlungen auf1238. Dritter Ausgangspunkt ist der Begriff der unrechtmäßigen Offenlegung einer Insiderinformation (Art 10 MAR)1239. Art 11 MAR rechtfertigt Marktsondierungen unter Verantwortung der Sondierungsempfänger1240. Art 21 privilegiert journalistische Recherche und Publikation. Art 14 MAR enthält in Anknüpfung an die zuvor gegebenen Definitionen 785 und Ausnahmetatbestände die Verbotstatbestände. Die Vorschrift verbietet das Tätigen von Insidergeschäften und den Versuch hierzu, sodann, Dritten zu empfehlen, Insidergeschäfte zu tätigen, oder Dritte anzustiften, Insidergeschäfte zu tätigen, und schließlich die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen. Die Vorbeugungsmaßnahmen gegen Verstöße sowie die verwaltungs-, strafbzw bußgeld- und schließlich zivilrechtlichen Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verbot des Insiderhandels und der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen sind zusammen mit denen gegen das Verbot der Marktmanipulation darzustellen.

c. Das Verbot der Marktmanipulation 786 Das Verbot der Marktmanipulation nach Art 15 MAR (zuvor § 20a WpHG) trifft

jedermann, bei juristischen Personen auch die für sie handelnden natürlichen Personen (Art 12 IV MAR). Der Anwendungsbereich des Verbots ist in Art 2 II a, b und c über den Markt für Finanzinstrumente hinaus ausgeweitet1241. Das Verbot

_____ satz und damit Kenntnis der Eigenschaft der Information als Insiderinformation voraus; wenn Vorsatz fehlt, kommt noch eine Ordnungswidrigkeit in Betracht, allerdings nur bei Leichtfertigkeit (§ 120 XIV iVm der Tathandlung nach § 119 III Nr 3 WpHG). Da auch für Sekundärinsider die Sanktionen Vorsatz oder Leichtfertigkeit voraussetzen, wird die Differenzierung des Art 8 MAR auf der Ebene der Strafbarkeit bzw Ordnungswidrigkeit nivelliert, Poelzig Rn 455. Zur Frage der Zurechnung der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis bei juristischen Personen oder Personengesellschaften Poelzig, Rn 407, Wilhelm, Sachenrecht Rn 1243 ff. Für ad-hocPublizität und Insiderhandelsverbot die Relevanz abgrenzend Klöhn, NZG 2017, 1285. 1238 Zu Art 9 Poelzig Rn 398 ff. Insbesondere das Gewinnen und Nutzen von Informationen im Rahmen einer due-diligence-Prüfung kann nach Art 9 IV legitim sein, Poelzig, Rn 399, 407. 1239 Dazu Poelzig Rn 404 ff mit Beispielsfall in Rn 406 ff. Das Offenlegungsverbot hat Vorrang vor dem Auskunftsrecht der Aktionäre nach § 131 I AktG. Nach § 131 III Nr 5 AktG kann der Vorstand die Auskunft verweigern, sofern er sich nach Art 14 Buchst c MAR strafbar machen würde. 1240 Poelzig Rn 409 ff mit Anführung von Leitlinien der ESMA, die in Art 11 XI vorgesehen werden, in Rn 415. 1241 Poelzig, Rn 418.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 463

knüpft wie auch das Verbot des Insiderhandels an zuvor definierte Begriffe an. Art 12 I grenzt unter dem Begriff der Marktmanipulation die verschiedenen Tathandlungen ab. Der Katalog differenziert zwischen handels- und informationsgestützten Marktmanipulationen. Auch der Versuch ist verboten1242. Wie Art 9 zum Verbot des Insiderhandels und Art 11 zum Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen behält Art 13 zum Verbot der Marktmanipulation legitime Verhaltensweisen („zulässige Marktpraxis“) vor, deren Kriterien nach bestimmten Merkmalen von den nationalen Finanzaufsichtsbehörden auszufüllen sind. Die Verfolgung der Verbote betreffend Insiderhandel (Art 14) und Marktma- 787 nipulation (Art 15) werden durch Systemanforderungen an sowie Anzeigepflichten von Marktbetreibern und gewerblichen Vermittlern (Art 16 MAR)1243 und die Pflichten von Emissionsbeteiligten zur Erstellung von Insiderlisten und Obsorge zur Einhaltung der Insiderpflichten gestützt (Art 18 MAR). Was die Strafsanktion betrifft, hat das 1. FiMaNoG die Europäische Richtli- 788 nie zu einheitlichen strafrechtlichen Sanktionen gegen Marktmanipulation umgesetzt: Nach § 119 I WpHG betreffs Art 15 MAR, § 119 III WpHG betreffs Art 14 MAR ist der vorsätzliche Verstoß gegen die Verbote der Marktmanipulation strafbar. § 120 WpHG enthält schließlich einen umfangreichen Katalog von Ordnungswidrigkeiten1244. Zivilrechtlich ist die Folge von Verstößen gegen die Manipulationsverbote 789 nicht die Nichtigkeit des Geschäfts nach § 134 BGB. Die Verbote betreffen idR nur eine Partei und jedenfalls nur das Zustandekommen, nicht den Inhalt des Geschäfts. Was sodann eine Haftung nach § 823 II BGB betrifft, wurde für die Vorläufernormen im WpHG und im BörsG einheitlich vertreten, dass keine Schadensersatzpflicht gegenüber Anlegern oder dem betroffenen Unternehmen aus § 823 II BGB folge. Insbesondere das Verbot des Insiderhandels diene dem Schutz des

_____ 1242 I E Poelzig Rn 420 ff mit Beispielsfällen in Rn 423 ff, 435 ff. 1243 Verletzung ist Ordnungswidrigkeit nach § 120 XV Nrn 4, 5 WpHG. 1244 S – auch zu den Auffang- und Ergänzungstatbeständen im Katalog der Ordnungswidrigkeiten nach WpHG – Poelzig, Rn 445 ff, 450 ff mit Beispielsfall in Rn 454 f. Zum Vergleich kann der Fall EM.TV dienen, der auf der Grundlage der Vorläufernormen zu beurteilen war. Im Fall hat das LG München I die Strafbarkeit der Angeklagten nach § 38 II aF WpHG abgelehnt und nur die Ordnungswidrigkeit nach § 39 aF berücksichtigt, weil für die Strafbarkeit die tatsächliche Kursbeeinflussung (durch Zeugenbefragung von Anlegern) nachgewiesen werden müsse und dieser Nachweis fehle (und im Übrigen auch kaum jemals im Nachhinein beigebracht werden könne). Das Gericht hat die Angeklagten aus § 400 I Nr 1 AktG bestraft und bei der Zumessung den Unrechtsgehalt der Ordnungswidrigkeit berücksichtigt. Der 1. Strafsenat des BGH hat das Urteil bestätigt, BGH NJW 2005, 445. Zur zivilrechtlichen Aufarbeitung Voraufl Rn 821.

464 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

Marktes, es habe keine Individualschutzrichtung. Nach Art 1 und den Erwägungen, die Art 14, 15 MAR zugrunde liegen, könnte man anderer Meinung sein: Hier wird der Anlegerschutz ausdrücklich betont. Weil aber in bestimmten Vorschriften (§§ 97 f WpHG, Art 35 Ratingverordnung, zu ihr o Rn 691 II) eine Haftung ausdrücklich angeordnet wird, ist man nach wie vor der Meinung, dass daneben und überholend nicht die allgemeine Haftung nach § 823 II BGB eingreife1245. Marktmanipulatives Verhalten kann aber, wenn die weiteren Voraussetzungen hinzukommen, eine Schadensersatzpflicht aus § 826 BGB begründen1246. Ist durch marktmanipulatives Verhalten ein bei dem Geschäft vertretenes Unternehmen geschädigt, ist die Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht (besser: Sonderbeziehung iSv § 311 II Nr 3 iVm § 241 II BGB), die Haftung nach § 823 II BGB iVm §§ 404 AktG, 17 UWG, 204 StGB (Geheimnisschutz) zu prüfen. Für Anleger bleibt es bei § 826 BGB.

d. Ad-hoc-Publizität 790 Nach Art 17 I MAR sind Emittenten, die die Zulassung von Finanzinstrumenten

der MiFID II1247 für einen regulierten Markt (die Börse) oder für MTF und OTF1248 beantragt oder der Zulassung zugestimmt haben, verpflichtet, Insiderinformationen (Art 7 MAR), die den Emittenten unmittelbar betreffen1249, unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern, § 121 BGB) zu veröffentlichen (Ad-hoc-Publizität). Art 17 VIII enthält einen Sondertatbestand für einem Dritten offengelegte Informationen. Die Pflicht dient der Prävention von Insiderhandel und der allgemeinen und gleichen Informiertheit der Anleger. Über die Art der Veröffentlichung sagt Art 17 I UAbs 2 MAR, dass eine umfassende und sachgemäße Information der Öffentlichkeit erreicht werden muss. Für die Einzelheiten, insbesondere das

_____ 1245 Poelzig, Rn 459, Verweis auf eine möglicherweise europarechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers zur Einführung der Haftung Poelzig, ZGR 2015, 801, 807 ff. 1246 Beispielsfall mit zu §§ 823 II (auch in Verbindung mit § 263 StGB), 826 negativem Ergebnis der Porsche/VW-Fall OLG Stuttgart WM 2015, 875 (Poelzig Rn 461 ff). 1247 Für Vermögensanlagen ergänzt § 11a VermAnlG eine Ad-hoc-Publizitätspflicht für Emittenten von Vermögensanlagen iS des Gesetzes, dazu Poelzig Rn 541 f. 1248 Die Ausdehnung (auch der Veröffentlichung von Insiderlisten) nach Art 18 MAR auf MTF und OTF bringt Lasten für KMU (kleine und mittlere Unternehmen, s Rili 2014/65/EU Art 4 I Nr 13 = § 2 Abs 46 S 1 WpHG) mit sich. Zu Erleichterungen für diese durch ergänzende Regelungen Poelzig, Rn 470. 1249 Zum unmittelbaren Betreffen Poelzig, Rn 475 ff; unmittelbar betreffend auch Veränderungen der Aktionärsstruktur oder ein Übernahmeangebot, da die Unternehmensleitung reagieren muss (§ 40 WpHG nF, § 27 WpÜG).

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Publikationsorgan verweist die Vorschrift auf die Bestimmung der Transparenzrichtlinie, die im WpHG umgesetzt ist. Ergänzend gilt eine DVO1250. Der Emittent darf nach Art 17 IV MAR die Veröffentlichung aufschieben 791 (aufgrund einer konkreten Entscheidung der zuständigen Organe), wenn der Aufschub zum Schutz seiner berechtigten Interessen erforderlich ist (Voraussetzung 1), eine Irreführung der Öffentlichkeit nicht zu befürchten ist (Voraussetzung 2) und der Emittent die Vertraulichkeit der Insiderinformation gewährleisten kann (Voraussetzung 3)1251. Erst wenn eine der Voraussetzungen entfällt, muss der Emittent die Veröffentlichung nachholen und über den Aufschub und dessen Gründe die BAFin informieren. Wäre der Aufschub berechtigt gewesen, fehlte es aber an einer Entscheidung des Emittenten, liegt in der Nichtveröffentlichung ein bußgeldbewehrter Verstoß (§ 120 XV Nr 9 WpHG). Wegen rechtmäßigen Alternativverhaltens führt der Verstoß aber nicht zur Schadensersatzpflicht nach § 97 WpHG1252. Weitere bußgeldbewehrte Fälle von Verstößen gegen Art 17 MAR, immer unter der Voraussetzung von Vorsatz oder Leichtfertigkeit1253, sind in § 120 XV Nrn 6–8, 10 u 11 WpHG aufgeführt. Für nur fahrlässige Verstöße sehen § 6 I, II, VI–IX WpHG verwaltungsrechtliche Sanktionen vor. Die Anleger, die aufgrund zurückgehaltener Informationen zu teuer anlegen, können Schadensersatz geltend machen, gegen den Emittenten nach § 97 WpHG wegen nicht rechtzeitiger Insiderinformation, nach § 98 WpHG wegen fehlerhafter Insiderinformation, gegen Organe nach § 823 II BGB iVm § 400 AktG, § 826 BGB1254. Das WpHG stellt nur Verstöße gegen die Pflichten zur Ad-hoc-Publizität unter die Schadensersatzsanktion, und dies nur gegen die Emittenten. Das Gesetz begründet absichtlich nicht eine allgemeine Haftung der Emittenten oder ihrer Organe wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation1255.

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1250 Näher Poelzig, Rn 481 ff. Das in Art 21 II der Transparenzrichtlinie geforderte amtliche System ist bei uns das Unternehmensregister nach § 8b HGB. Beispielsfälle zur Ad-hocPublizität Poelzig, Rn 485 f, 500 ff. 1251 Zu den Voraussetzungen Poelzig Rn 489 ff mit den Beispielen des berechtigten Interesses bei Übernahmeprojekten, wenn deren Veröffentlichung zu erheblichen Kurssteigerungen führen würde, der Irreführungsgefahr, wenn der Emittent vorher selbst zu Übernahmegerüchten Stellung genommen hatte und dazu im Widerspruch handelt, und der Nichtgewährleistung der Vertraulichkeit, wenn sich das Übernahmegerücht schon verbreitet hatte. 1252 Poelzig, Rn 498. 1253 Leichtfertig handelt, wer die gebotene Sorgfalt in außergwöhnlich hohem Maße außer Acht lässt. 1254 Poelzig Rn 507 ff mit Beispielsfall BGHZ 192, 90 in Rn 530 ff, insbesondere zu Fragen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität der Unterlassung einer Insiderinformation. 1255 Die Ansätze zu einem KapInHaG, o Rn 691 XVII, sind im Sande verlaufen.

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e. Managers’ Transactions 792 Der Vorbeugung von Insiderhandel dient weiter Art 19 MAR (früher § 15a WpHG).

Die Vorschrift verpflichtet zur Meldung und Veröffentlichung von Managers’ Transactions. Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen (dazu Art 3 I Nr 25 MAR) oder in enger Beziehung zu solchen stehen (Art 3 I Nr 26 MAR)1256, haben Eigengeschäfte in Finanzinstrumenten des Emittenten1257 dem Emittenten und der BAFin und Eigengeschäfte in Emissionszertifikaten (oder damit zusammenhängenden Titeln) von Teilnehmern am Markt diesen Teilnehmern und der BaFin unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Werktagen mitzuteilen1258. Der Adressat hat die Informationen – merkwürdiger Weise in denselben drei Tagen – EU-weit zu veröffentlichen1259 und die Veröffentlichung der BaFin mitzuteilen (§ 26 II WpHG). Die BaFin veröffentlicht die Meldungen in einer Datenbank. Die Regelung enthält eine Bagatellklausel: Eine Mitteilung muss nicht erfol793 gen, wenn der Erwerb der Papiere den Wert von 5.000 € je Kalenderjahr nicht überschreitet (Art 19 VIII MAR; nach Art 19 IX kann die BAFin auf 20.000,– € anheben). Art 19 XI MAR ergänzt durch ein befristetes Handelsverbot (sog closed pe794 riod), das aber nur für die Personen mit Führungsaufgaben gilt1260. Verstöße gegen Art 19 MAR (betr Eigengeschäfte, closed period) werden bei 795 Vorsatz oder Leichtfertigkeit mit Bußgeld geahndet ((§ 120 XV Nrn 17–22, XVIII S 1–3 WpHG). §§ 134, 823 II BGB sind angesichts der Richtung des Art 19 MAR auf Verhalten am Markt nicht anwendbar1261.

f. Informations- und Mitteilungspflichten nach WpHG 796 Schließlich ordnet neben der MAR das WpHG die folgenden Informations- und

Mitteilungspflichten an: Die Regelpublizität nach §§ 114 ff WpHG betrifft Inlandsemittenten von Wertpapieren (s § 2 XIV WpHG). Sie sind zum Jahresfinanzbericht (es sei denn die Rechnungslegung nach HGB greift ein), bei Emission von Aktien oder Schuldtiteln zu einem Halbjahresfinanzbericht (§ 115 WpHG) verpflichtet1262. Die früher in §§ 21 ff WpHG geregelten Mitteilungs- und Veröf-

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1256 Das können auch juristische Personen etc sein, s Poelzig Rn 545 f. 1257 Zum Kreis der Geschäfte Poelzig Rn 547 ff. Auch Schenkung und Erwerb durch Erbfolge fallen darunter. 1258 Poelzig, Rn 543 ff. 1259 Zu den Medien Poelzig Rn 554. Dort auch zu der Pflicht zur Führung von Listen über die Führungskräfte bzw nahestehenden Personen. 1260 Einzelheiten zur Frist und zur ausnahmsweisen Möglichkeit einer Erlaubnis des Eigengeschäfts durch den Emittenten bei Poelzig Rn 555 ff. 1261 Poelzig, Rn 563. 1262 Poelzig, Rn 564 ff.

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fentlichungspflichten börsennotierter Aktiengesellschaften bei Veränderung von Stimmrechtsanteilen stehen jetzt in §§ 33 ff WpHG. Die Vorschriften begründen im Interesse der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts durch Transparenz (Transparenzgebot im Hinblick auf Informationen über Entwicklungen, die für den Börsenkurs relevant und möglicherweise Gegenstand von Insiderinformationen und zur Vorbereitung einer Übernahme sind) Pflichten zur Mitteilung und Veröffentlichung. Die Pflichten greifen ein bei Erreichen, Überoder Unterschreiten von bestimmten Prozentsätzen von Stimmrechten aus Aktien (§ 38 stellt zur Abwehr von Umgehungen andere Instrumente gleich), die an einem organisierten Markt (§ 2 V WpHG) gehandelt werden1263. Die Meldepflichten nach WpHG gehen den aktienrechtlichen Mitteilungspflichten vor, letztere gelten also nur außerhalb der Reichweite des WpHG (§§ 20 VIII, 21 V AktG). Die nach § 33 WpHG maßgeblichen Grenzen sind 3% (diese Schwelle gilt nicht für die Instrumente nach § 38 WpHG), 5, 101264, 15, 20, 25, 30, 50 und 75% stimmberechtigte Beteiligung1265. Die Meldung ist unverzüglich, spätestens in-

_____ 1263 Berechnung der %-Sätze aufgrund der Veröffentlichung der Stimmrechtsanzahl durch den Emittenten (§ 26a WpHG). Es kommt nicht auf den dinglichen Akt an. Der bloße Kauf reicht, wie §§ 22 I Nr 5 und 25 I WpHG ergeben. Die zugrunde liegende Transparenzrichtlinie spricht von Kauf, ihr ist nicht mit dem Hinweis auf das deutsche Trennungs- und Abstraktionsprinzip zu begegnen. Zu eng deshalb Buck-Heeb Rn 313; mit Recht kritisch Hutter/ Kaulamo, NJW 2007, 471, 476. Erweiterte Meldepflicht nach § 27a WpHG idF des Risikobegrenzungsgesetzes. Der Fonds nach dem FMStG ist davon ausgenommen (Art 2 § 11 FMStG). 1264 Wegen Beginns bei 3% könnte die chinesische HNA ihre Mitteilungspflicht betreffs ihrer Anteile an der Deutschen Bank verletzt haben, s SZ vom 5.12.2017, S. 17 (Deutsche Finanzaufsicht prüft HNA). Bei Erreichen oder Überschreiten der Schwelle von 10% begründet § 43 WpHG die Pflicht gegenüber dem Emittenten zur Erklärung darüber, welche Ziele der Erwerber verfolgt und aus welchen Quellen die Mittel stammen (dazu Poelzig, Rn 633 ff). Bei Planung des Erwerbs bedeutender Beteiligungen (§ 1 IX KWG) an einem Kreditinstitut Pflicht zur Anzeige an die BAFin nach § 2c KWG. Wegen der Beteiligung der HNA an der Deutschen Bank in Höhe von 9,9% will die Europäische Kommission unter Nutzung einer Ausdnahmeregel Transparenz der Beteiligungsverhältnisse bei der HNA erreichen (SZ v 20./21.01.2018 S. 27). 1265 Zum Kampf gegen die Umgehung der Mitteilungspflichten zum Zwecke des sog Heranschleichens an eine Übernahme Poelzig, Rn 579. § 33 WpHG spricht neben dem Erwerb und der Veräußerung vom Erreichen oder Unterschreiten der %-Sätze „auf sonstige Weise“. Damit ist insbesondere die Zurechnung von Stimmrechten nach § 34 WpHG gemeint. § 34 spricht der Einfachheit halber vom Meldepflichtigen, dem Stimmrechte zuzurechnen sind, obwohl sich die Meldepflicht uU erst durch die Zurechnung ergibt. U a erfolgt eine Zurechnung bei acting in concert (§ 34 II WpHG). Entgegen der Zurechnungserweiterung (Kettenzurechnung), die daraus folgt, dass zu den Stimmrechten eines Dritten, die nach § 34 I WpHG zugerechnet werden, die Stimmrechte hinzukommen, die dem Dritten selbst nach § 34 I zugerechnet werden, kommt eine Kettenzurechnung dadurch, dass dem Dritten durch acting in concert Stimmrechte zugerechnet werden, nicht in Betracht (arg e contrario aus § 34 II 2 WpHG). – Zurechnung bedeutet,

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nerhalb von 4 Handelstagen (Begriff in § 47 WpHG) dem Emittenten und der BaFin zu machen. Der Emittent hat die Meldung zu veröffentlichen und dem Unternehmensregister (§ 8b HGB) zu übermitteln (§ 40 I 1, II WpHG). Bußgeldbewehrt ist der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nach § 120 II 797 Nr 2 Buchst d, f, der Verstoß gegen die Veröffentlichungspflicht nach § 120 II Nr 4 Buchst a, b, beides iVm Abs. 17 WpHG. Neben der Bußgeldsanktion sieht § 44 I S 1 WpHG mit Ausnahmen in S 2 folgende weitere scharfe Sanktion bei der Verletzung der Meldepflicht vor: Solange die Pflicht nicht erfüllt wird (mit Verlängerung nach § 44 I 3, 4 WpHG bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit), bestehen unter Vorbehalt bestimmter Rechte nach S 2 keine Rechte aus den Aktien des Meldepflichtigen1266. Die inhaltlich mangelhafte Meldung steht der Nichterfüllung gleich. Es muss die Meldepflicht aber bestehen, fehlerhafte Meldungen aufgrund irrtümlicher Annahme, die Voraussetzungen der Meldepflicht seien gegeben, führen nicht zur Sanktion. Auf Verschulden kommt es, obwohl die Norm davon nicht spricht, nach allgemeinen Grundsätzen doch an1267. Wird an den Meldepflichtigen entgegen § 44 I S 1, 2 WpHG Gewinn ausgeschüttet, greift nach allgemeiner Meinung der Rückerstattungsanspruch nach § 62 AktG ein. Was § 823 II BGB betrifft, spricht die umfassende Sanktionierung durch Bußgeld, Kontrolle der Bafin, Rechtsverlust mehr für den Charakter der §§ 33 ff WpHG als spezielle Marktfunktions- statt Individualschutzregelung1268. In Betracht kommt aber die Haftung nach § 826 BGB.

4. Die Regelung des WpÜG a. Entstehung und Zielsetzung 798 Ein weiterer Rechtsbereich, in dem sich der deutsche Gesetzgeber zur Anpassung der nationalen Standards an internationale Entwicklungen genötigt gesehen hat, betrifft einen Sonderfall von Angeboten zum Erwerb von Aktien und auf Aktien bezogenen Titeln: das „öffentliche Angebot“ eines Bieters (der eine natürliche, eine juristische Person oder eine Personengesellschaft sein kann) an die Aktionäre einer börsennotierten AG, deren Anteile oder Rechtsstellungen darauf zu erwerben.

_____ dass die Stimmrechte auch, aber nicht nur bei dem Zurechnungsadressaten relevant sind. – S weiter Poelzig, Rn 586 ff. mit Beispielsfall in 608 f. 1266 Auch keine Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr 2 AktG, OLG Frankfurt AG 2007, 592. 1267 Von Verschulden spricht erst § 44 I S 2 WpHG. Für die allgemeine Voraussetzung Poelzig Rn 620, Beispielsfall in Rn 629. 1268 Poelzig Rn 631. Erst recht spricht dieser Charakter gegen eine Klageberechtigung des Anlegers aus §§ 1004 BGB, 33 ff WpHG auf Erfüllung der Veröffentlichungspflicht.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 469

Immer wieder Aufsehen in der Öffentlichkeit erregen die Fälle einer sog feindlichen Übernahme1269. Darüber hinausgehend haben die Übernahmeaktionen eine eingehende gesetzliche Regelung erfahren, nachdem der Versuch einer freiwilligen Bindung an einen Übernahmekodex mangels Akzeptanz gescheitert war. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) vom 20.12. 799 20011270 verfolgt folgende Ziele1271: Transparenz von öffentlichen Erwerbs- und Übernahmeangeboten (§ 3 II WpÜG), Gewährleistung eines geordneten Übernahmeverfahrens mit rascher Abwicklung (§ 3 IV WpÜG) unter Schutz des sonstigen Marktes (§ 3 V WpÜG, Marktverzerrungsverbot) und unter Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft auf das Interesse ihrer Gesellschaft (§ 3 III WpÜG), Gleichbehandlung der Aktionäre der Zielgesellschaft (§ 3 I WpÜG), Schutz der Minderheitsgesellschafter. Dazu werden Erwerbs-, Übernahme- und Pflichtangebote sowie die darin angebotene Leistung des Bieters und weiter das Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft während des Übernahmeverfahrens geregelt. Hinzugetreten ist 2004 die EU-Übernahmerichtlinie1272. Sie ist bereits umgesetzt1273. Dank der Spielräume, die die Richtlinie lässt und die vom deutschen Gesetzgeber genutzt worden sind, brauchte das WpÜG nur in wenigen Einzelheiten geändert zu werden.

b. Überblick über das WpÜG Der erste Abschnitt des Gesetzes regelt in § 1 den Anwendungsbereich1274: Be- 800 griffsbestimmungen schließt das Gesetz wie das WpHG und die MAR in § 2

_____ 1269 Damit ist die Übernahme von Gesellschaftsanteilen zum Zwecke der Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft durch den Übernehmer gegen den Willen des Managements der Zielgesellschaft gemeint. S den Fall Schaeffler/Continental o Rn 107. 1270 BGBl I S 3822. Zugrunde liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 14/7034. 1271 Diskussion der Vor- und Nachteile von Übernahmen bei Poelzig, Rn 641 f. mit der Quintessenz, dass ein geordnetes Verfahren mit Transparenz und Fairness, insbesondere Ausschaltung opportunistischer Einflussnahme durch die Leitung der Zielgesellschaft zu schaffen ist. Zu § 3 WpÜG Poelzig Rn 645 ff. 1272 ABl v 30.4.2004 Nr L 142 S 12. 1273 UmsetzungsG BGBl I 2006 S 1426. 1274 Nach § 108 V KAGB ist das WpÜG auf die InvestmentAG mit veränderlichem Kapital nicht anwendbar. Das KAGB enthält in §§ 287–292 weiteres Übernahmesonderrecht, s Poelzig Rn 727 ff. – Die Streitfrage, ob auch der Erwerb eigener Aktien der Zielgesellschaft unter das WpÜG fallen kann, ist von der BaFin positiv beantwortet worden (FAZ Nr 102 v 3.5.2002 S 17). Zum Streit Diekmann/Merkner, ZIP 2004, 836 (mwN in Fn 1). Die BaFin hält den Anwendungsbereich des WpÜG des Weiteren dann für eröffnet, wenn jemand sämtliche nicht börsennotierte Stammaktien (oder 30% der Stimmrechte) erwirbt und daneben börsennotierte Vorzugsaktien existieren – dazu Krause, NJW 2004, 3682 mwN.

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an. Das Gesetz ist anwendbar auf öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren (Begriffsbestimmung in § 2: Aktien, Aktienzertifikate, Papiere über Rechte auf Erwerb solcher Papiere), die an einem organisierten Markt zugelassen und von inländischen AG oder KGaA oder unter bestimmten Voraussetzungen von zum EWR gehörenden Zielgesellschaften ausgegeben worden sind. § 3 stellt die allgemeinen Grundsätze auf. Die haben wir soeben aufgezählt1275. § 2 I WpÜG definiert Angebote iS des Gesetzes als öffentliche Kauf- oder 801 Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren iSv § 3 II WpÜG1276. Unabhängig von einem öffentlichen Angebot greift die Regelung über Pflichtangebote ein: § 35 I, II WpÜG begründet im Fall eines Kontrollerwerbs (s sogleich), wenn dieser nicht auf einem öffentlichen Übernahmeangebot beruht (§ 35 III WpÜG), die Pflicht, diesen Erwerb zu veröffentlichen und nach der Veröffentlichung auch ein Übernahmeangebot zu veröffentlichen. Das WpÜG erklärt nicht, was unter einem „öffentlichen Angebot“ zu verstehen ist. Der Gesetzgeber hat sich „angesichts der Vielgestaltigkeit der möglichen Sachverhalte“ zu einer Definition nicht in der Lage gesehen1277. Die Herausarbeitung dieses Begriffs ist daher Rechtswissenschaft und -praxis vorbehalten. Zu Hilfe zu nehmen ist das WpPG1278. Die „Öffentlichkeit“ eines Angebots ist anhand der Mitteilungsform (allgemein zugängliches Medium) oder des Adressatenkreises (größerer, unpersönlicher Kreis) zu ermitteln1279. Beim Erwerb über die Börse ist demgegenüber kein öffentliches Angebot anzunehmen, da Kauf- und Verkauforders anonym platziert werden und in einem nach eigenen Regeln funktionierenden System angebahnt und abgewickelt werden1280. Abschnitt 2 des Gesetzes regelt die in diesem Bereich wesentlichen Zu802 ständigkeiten der BaFin mit besonderen Gremien, Zusammenarbeits- und Verschwiegenheitspflichten (§§ 4–9 WpÜG). Verfahrensfragen beantworten die

_____ 1275 Der in § 3 I statuierte Gleichbehandlungsgrundsatz ist abzugrenzen von § 53a AktG. § 53a AktG regelt die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter, § 3 I WpÜG regelt das Verhältnis des Bieters zu den Aktionären der Zielgesellschaft, vgl Geibel/Süßmann/ Schwennicke, Kom WpÜG, 2002, § 3 Rn 3. 1276 Ob verbindlich und unbedingt, ist für den Begriff nicht relevant. § 18 II WpÜG untersagt aber beide Arten von Angeboten. 1277 BT-Drucks 14/7034, S 33. 1278 Poelzig Rn 644. 1279 Haarmann/Riehmer/Schüppen/Schüppen, Kom WpÜG, 2002, § 2 Rn 10 ff. 1280 Näher Haarmann/Riehmer/Schüppen/Schüppen § 2 Rn 13.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 471

§§ 40 ff WpÜG. Die BaFin nimmt auch die ihr nach dem WpÜG zugewiesenen Aufgaben allein im öffentlichen Interesse wahr, § 4 II WpÜG1281. Die Abschnitte 3–5 WpÜG hängen, wie folgt, zusammen: Abschnitt 3 (§§ 10– 803 28 WpÜG) enthält eine Art „Allgemeinen Teil“ für alle öffentlichen Angebote, ohne Rücksicht darauf, ob sie auf den Erwerb der Kontrolle der Zielgesellschaft gerichtet sind. Abschnitt 4 (§§ 29–34) ergänzt zusätzlich geltende Sondervorschriften für Übernahmeangebote, d.h. solche, die auf den Kontrollerwerb gerichtet sind. Schließlich fügt der Abschnitt 5 (§§ 35–39, § 39 verweist auf die Abschnitte 3 und 4) die Pflicht zur Veröffentlichung eines Kontrollerwerbs und zur Abgabe eines Pflichtangebots hinzu, wenn die Kontrolle erworben ist, ohne dass vorher ein öffentliches Angebot abgegeben worden ist1282. Nach Abschnitt 3, § 10 I WpÜG hat der Bieter (§ 2 IV WpÜG) schon seine Entscheidung zur Abgabe eines öffentlichen Angebotes (§ 2 I WpÜG) unverzüglich zu veröffentlichen1283. Diese ist bei einer AG mit dem Vorstandsbeschluss und, sofern nötig, der Zustimmung des Aufsichtsrats erreicht. § 10 I WpÜG enthält weitere Einzelheiten. Bei Pflichtangeboten (s. sogleich) sind die Veröffentlichungspflichten speziell geregelt (in § 35 WpÜG, § 39 des Gesetzes schließt deshalb die Anwendung des § 10 I 1 WpÜG aus). Nach § 11 I 1 WpÜG hat der Bieter sodann eine Angebotsunterlage (sog 804 Prospekt) zu erstellen und zu veröffentlichen. Inhalt des Angebots und ergänzende Angaben regelt § 11 II WpÜG1284. Insbesondere muss sie die Annahmefrist enthalten (§ 11 II Nr 6 WpÜG), zu der § 16 WpÜG eine Mindest- und eine Höchstfrist gibt. Die Veröffentlichung der Angebotsunterlage ist nach § 14 I, II WpÜG von der Prüfung durch die BaFin abhängig, die durch Ablauf einer Frist

_____ 1281 Zu Aufgaben und Befugnissen der BaFin allg s Geibel/Süßmann/Schwennicke § 4 Rn 3 ff Nach Böckmann/Kießling, DB 2007, 1796 kann die BaFin nach § 4 I 3 WpÜG übermäßige Konkurrenzkämpfe mehrerer Anbieter etwa durch Einschaltung eines Auktionsverfahrens beenden. 1282 Zu den Besonderheiten bei Übernahme- und Pflichtangeboten Poelzig, Rn 687 ff. 1283 § 10 WpÜG hat eine dem § 15 WpHG entsprechende Zielrichtung und bezweckt die Information der „Bereichsöffentlichkeit“. Die Pflicht aus § 10 WpÜG ist im Verhältnis zu § 15 WpHG spezieller, s BAWe-Schreiben v 26.4.2002 (das BAWe =Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel ist eine Vorgängerinstitution der BaFin, die zum 1.5.2002 gegründet worden ist). 1284 Das BMF hat auf Grundlage der §§ 11 IV, 31 VII, § 37 II WpÜG die VO v 27.12.2001 (WpÜGAngebotsverordnung, BGBl I S 4263 mit Änderung 2006, BGBl I S 1697) erlassen und in § 2 der VO weitere Angaben vorgeschrieben. Die Art der Veröffentlichung, zu der die Pflicht besteht, richtet sich nach § 14 III WpÜG. Zum Schutz der Zielgesellschaft gegen Angebote, die nach § 11 WpÜG mangelhaft sind Aha, AG 2002, 160.

472 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

von 10 Werktagen seit Eingang der Angebotsunterlage ersetzt wird, wenn in der Frist das Angebot nicht untersagt worden ist1285. Die Angebotsunterlage hat der Bieter innerhalb von vier Wochen nach der 805 Veröffentlichung seiner Entscheidung für das Angebot der BaFin zu übermitteln (§ 14 I WpÜG). Das Billigungsverfahren wird für Angebote aus dem EWR durch den Europäischen Pass ersetzt (§ 11a WpÜG). Das Billigungsverfahren gilt aber seinerseits ausschließlich im Verhältnis zum Recht der AGB1286. Nach der Gestattung (bzw Nichtuntersagung) der Veröffentlichung durch die Bundesanstalt hat der Bieter die Angebotsunterlage unverzüglich in der in § 14 III WpÜG bestimmten Art und Weise zu veröffentlichen (§ 14 II WpÜG), und unverzüglich nach der Veröffentlichung hat er die Angebotsunterlage dem Vorstand der Zielgesellschaft zu übermitteln (§ 14 IV 1 WpÜG). Die Einbeziehung der Arbeitnehmer beider Gesellschaften regelt § 14 IV 2, 3 WpÜG. Mit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage beginnt die Annahmefrist, die die Angebotsunterlage nach § 11 II Nr 6 WpÜG zu enthalten hat (§ 16 I 2 WpÜG). Der Bieter darf nicht zu Angeboten, die erst von den bisherigen Wertpapierinhabern kommen und also für ihn unverbindlich sind, auffordern (§ 17 WpÜG). Änderungen des Angebots des Bieters sind im Rahmen des § 21 WpÜG möglich mit der Konsequenz der Verlängerung der Annahmefrist. Auch konkurrierende Angebote (§ 22 WpÜG) verlängern die Annahmefrist des schon laufenden Angebots, darüber hinaus begründen sie ein Rücktrittsrecht solcher Wertpapierinhaber, die das laufende Angebot schon angenommen haben. § 23 WpÜG erlegt dem Bieter während des Laufs der Annahmefristen betreffs seines bisherigen und nach Ablauf der Frist betreffs seines gesamten Beteiligungserfolges Veröffentlichungspflichten auf. Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben zu dem Angebot und eventuellen Änderungen Stellung zu nehmen, § 27 WpÜG. Die Pflicht ist bußgeldbewehrt nach §§ 60 I Nr 1b, III WpÜG. Eine Schadensersatzpflicht, wie diese § 12 WpÜG im Fall der Unrichtigkeit der Angebotsunterlage begründet (s sogleich), ist hier bewusst nicht geregelt. Es bleibt also nur die Haftung für Vorsatz (§§ 117 AktG, 823 II BGB iVm §§ 263, 266 StGB, 826 BGB).

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1285 Die Aktionäre der Zielgesellschaft genießen allerdings grds keinen Rechtsschutz gegen eine nicht offensichtlich rechtswidrige Genehmigung der Veröffentlichung eines Übernahmeangebotes durch die BaFin, vgl. BVerfG ZIP 2004, 950. Nach OLG Frankfurt ZIP 2003, 1251; ZIP 2003, 1297; ZIP 2003, 1392 kein Recht von Aktionären der Zielgesellschaft auf Hinzuziehung zur Angebotsprüfung durch die BaFin und folglich mangels subjektiven Rechts kein einstweiliger Rechtsschutz für die Aktionäre gegen die Genehmigung des Übernahmeangebots. Zum Ganzen Seibt, ZIP 2003, 1865; Uechtritz/Wirth, WM 2004, 410 (mwN); Schnorbus, WM 2003, 625 ff, 657 ff. Zum zivilrechtlichen Schutz Dritter ausführlich Verse, ZIP 2004, 199. 1286 Buck-Heeb (o Fn 1023a) Rn 536.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 473

Bei Mängeln der Angebotsunterlage und aufgrund fehlerhafter Veröffentlichung der Unterlage nach Gestattung kann die BaFin das Angebot untersagen (§ 15 WpÜG). Dies zieht eine Sperrfrist nach sich (§ 26 WpÜG). Bei Unrichtigkeit der Angebotsunterlagen kann ein Annehmer oder ein 806 durch Squeeze-out Betroffener (§ 39a WpÜG) nach § 12 WpÜG vom Anbieter und sonstigen Verantwortlichen Schadensersatz verlangen1287. Der Bieter hat vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage die Finanzierung 807 seines Angebotes, bei Geld-Gegenleistung durch Bestätigung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens, sicherzustellen, § 13 I WpÜG. Das bestätigende Unternehmen haftet bei Scheitern der Finanzierung wegen Nichtvornahme der notwendigen Maßnahmen nach § 13 II WpÜG auf das positive Interesse. Für die Einzelheiten verweist § 13 III WpÜG auf § 12 II–VI WpÜG. Der 4. Abschnitt (§§ 29–34 WpÜG) enthält noch darüber hinausgehende An- 808 forderungen bei Übernahmeangeboten. Nach § 34 WpÜG gilt auch für diese der 3. Abschnitt, es kommen die Besonderheiten nach §§ 29 ff hinzu. Die Übernahmeangebote stehen in der Praxis ganz im Vordergrund. Übernahmeangebote sind öffentliche Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind (§ 29 I WpÜG). Sie sind also anzunehmen, wenn nicht weniger erworben werden soll (beschränkte Einstiegsbeteiligung) und die Kontrollschwelle nicht schon gehalten wird (Aufstockungsangebot). Für ein beschränktes Angebot, welches überzeichnet wird, bestimmt § 19 WpÜG die Pflicht zu einer anteiligen Zuteilung. Wird ein Angebot verlautbart, das auch in einer bloßen Einstiegsbeteiligung enden könnte, aber unbedingt abgegeben wird, also auch im Umfang eines Kontrollerwerbs enden könnte, gilt dies als Übernahmeangebot. § 29 II WpÜG definiert Kontrolle formal als Halten von mindestens 30% der Stimmrechte an der Zielgesellschaft1288. § 30 WpÜG enthält eine – in Übereinstimmung

_____ 1287 Hierzu, insbes zu der aus der Norm resultierenden gesellschaftsrechtlichen Problematik, eingehend Möllers, ZGR 2002, 665; des weiteren Assmann, AG 2002, 153. 1288 Bei der 30%-Schwelle hat sich der Gesetzgeber an den Regelungen anderer Rechtsordnungen sowie an den HV-Präsenzen börsennotierter deutscher Unternehmen orientiert, näher Haarmann/Riehmer/Schüppen/Hommelhoff/Witt vor §§ 35–39 Rn 21 ff. Für die Erlangung der Kontrolle kommt es nach Auffassung der BaFin allein auf die 30%-Schwelle an, nicht auf weitere Gesichtspunkte, die für eine Erlangung der Kontrolle sprechen könnten. In der Angelegenheit Mobilcom/France Telecom hat die BaFin keine Verpflichtung der France Telecom gesehen, ein Pflichtangebot abzugeben. Die France Telecom hielt 28,5% der Anteile an Mobilcom und hatte mit ihrem Einfluss maßgeblich die Ablösung des Vorstandsvorsitzenden der Mobilcom, Gerhard Schmid, betrieben. Dieser Umstand führte nach Auffassung der BaFin jedoch nicht dazu, dass France Telekom die Kontrolle erlangt hatte (vgl Pressemitteilung der BaFin v 1.8.2002, abrufbar unter www.bafin.de).

474 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

mit § 34 WpHG gefasste und auszulegende – Zurechnungsvorschrift1289. Reicht der „Kontroll“erwerb wegen der Stimmrechtsverteilung in der Zielgesellschaft zur Ausübung von Kontrolle nicht aus, berücksichtigt § 37 I WpÜG das durch Befreiung vom Pflichtangebot1290. Schon bei Angeboten, die auf einen Kontrollerwerb hinauslaufen können 809 (sog freiwilliges Übernahmeangebot), greift der Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft nach §§ 29–24 WpÜG ein1291: Der Bieter eines solchen Übernahmeangebots ist im Unterschied zu der ihm freistehenden Gestaltung seiner Angebote gemäß §§ 11 ff WpÜG nach § 31 WpÜG verpflichtet, den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene, in Euro oder liquiden (börsennotierten) Aktien bestehende Gegenleistung anzubieten1292. Für die Bestimmung der angemessenen Gegenleistung sind der durchschnittliche Börsenkurs der Zielgesellschaft1293 (sog „Börsenpreisregel“) sowie Vorerwerbe von Aktien1294 durch den Bieter maßgeblich. Der Bieter ist auf eine Geldleistung beschränkt, wenn er in den drei Monaten vor der Veröffentlichung nach § 10 III 1 WpÜG 5% oder

_____

1289 Die Kontrolle kann danach auch lediglich „mittelbar“ – etwa wenn die von einer Tochtergesellschaft gehaltenen Stimmrechte dem Erwerber erstmals nach § 30 WpÜG zuzurechnen sind – oder im Wege einer Verschmelzung erreicht werden. Letzteres hat die BaFin anlässlich der Verschmelzung der nicht börsennotierten Carl Zeiss Ophthalmic Systems AG auf die börsennotierte Asclepion-Meditech AG entschieden. Näher Krause, NJW 2004, 3684 mwN. Nach § 30 II WpÜG findet eine Zurechnung sodann in bestimmten Fällen abgestimmten Verhaltens („acting in concert“) statt (praktischer Fall: OLG Frankfurt ZIP 2004, 1309 – Pixelpark; hierzu Seibt, ZIP 2004, 1829). Nach BGHZ 169, 98 (WMF) muss sich die Vereinbarung auf die Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft in der HV beziehen. Zur Kettenzurechnung (Zurechnung von dem Dritten, dessen Anteile zugerechnet werden, zuzurechnenden Anteilen) § 30 I 2 und II 2 WpÜG. Zum acting in concert nach WpÜG unter Berücksichtigung des zur Zeit des Beitrags noch erst geplanten Risikobegrenzungsgesetzes Wackerbarth, ZIP 2007, 2340; Schockenhoff/Wagner, NZG 2008, 361. 1290 Beispielsfall bei Poelzig Rn 608, 652 f. 1291 Zum Angebotsverfahren und den erforderlichen Angebotsunterlagen und der Haftung dafür gemäß §§ 10–28 WpÜG Poelzig Rn 657 ff. 1292 Dazu Poelzig, Rn 694 ff, richtiger Weise gegen Ansätze, die Pflicht zu angemessener Gegenleistung auf Pflichtangebote (§ 39 verweist auf § 31) zu beschränken. Beispielsfall in Rn 692, 700 ff. 1293 Das BMF hat in der WpÜG-AV auf Basis des § 31 VII WpÜG den gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs (§ 5 WpÜG-AV) bzw den durchschnittlichen Börsenkurs jeweils der letzten 3 Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 I 1 WpÜG als maßgeblich geregelt. Zur Angemessenheit des Angebots Habersack, ZIP 2003, 1123 mit Folgerungen aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach §§ 4, 5 WpÜG-AV. Zur Unternehmensbewertung und dem Rechtsschutz gegen sie Lappe/Stafflage, BB 2002, 2185. 1294 Im Falle von Vorerwerben durch den Bieter muss die Gegenleistung mindestens dem Wert der höchsten gewährten oder vereinbarten Gegenleistung innerhalb der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 I 1 WpÜG entsprechen, § 4 WpÜG-AV.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 475

nach der Veröffentlichung vor Ablauf der Annahmefrist 1% der Aktien oder Stimmrechte an der Zielgesellschaft erworben hat, § 31 III WpÜG. Hat ein Bieter die Kontrollschwelle erreicht, ohne zuvor ein öffentliches 810 Übernahmeangebot abgegeben zu haben (§ 35 III WpHG)1295, begründet § 35 WpÜG die Verpflichtung zur Veröffentlichung des Kontrollerwerbs und jetzt zur Abgabe eines Pflichtangebots gemäß den vorhergehenden Abschnitten zum Erwerb der restlichen Aktien (§ 35 I, II WpÜG)1296. Von der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Übernahme- 811 angebots (§ 10 WpÜG) an1297 bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses (§ 23 WpÜG) untersagt § 33 I 1 WpÜG dem Vorstand der Zielgesellschaft grundsätzlich Handlungen, die den Erfolg des Angebots gefährden könnten (dh dazu objektiv geeignet sind)1298. § 33 I 2 und II enthalten Ausnahmen, die sogleich auszuführen sind. § 33 WpÜG ist damit die zentrale Verhaltensnorm für den Vorstand der Zielgesellschaft während eines Übernahmeangebotsverfahrens. Die Satzung einer (möglichen) Zielgesellschaft kann § 33 abbedingen und sich für das Europäische Verhinderungsverbot entscheiden (§§ 33a I WpÜG). Damit können Ausnahmen abbedungen werden, die § 33 vom Grundsatz des Verhinderungsverbots vorsieht. Die europäische Regel ist darauf gerichtet, dass der Erfolg von Übernahmeangeboten in geringerem Maße beeinträchtigt werden kann als nach § 33 (s § 33a II WpÜG). Die Satzung kann sich weiter für die Europäische Druchbrechungsregel entscheiden (§ 33b I WpÜG). Dann gelten bestimmte strukturelle Hindernisse, die bei der Zielgesellschaft bestehen, während der Annahmefrist für ein Übernahmeangebot und für die erste HV, die der Bieter nach Erwerb von mindestens 75% der Stimmrechte einberuft, nicht. Von den Satzungsbestimmungen müssen die für den Wertpapierhandel zuständigen Stellen des Inlands (BaFin) und des EWR unterrichtet werden (§§ 33a III, b III WpÜG). Die Satzung kann die Geltung der europäischen Regeln vom Bestehen der Gegenseitigkeit beim Bieter abhängig machen (§ 33c WpÜG).

_____ 1295 Zum Problem des Creeping in, welches die in § 35 III bestimmte Entlastung vom Pflichtangebot bei vorherigem freiwilligen Übernahmeangebot unter Beachtung der §§ 29–34 WpÜG bedeutet, Poelzig Rn 702. 1296 Zur Wegrechnung von Stimmrechten nach § 36, zur Befreiungsmöglichkeit nach § 37 WpÜG, zur Möglichkeit des gleichzeitigen Erwerbs der Kontrolle durch mehrere, zu den Sanktionen (insbesondere Verlust der Rechte aus den Aktien nach § 59 WpÜG) Poelzig Rn 688 ff mit Beispiel BGHZ –Postbank – 202, 180 in Rn 692 ff. 1297 § 33 WpÜG ist zwar allgemein formuliert, bezieht sich aber nach seiner systematischen Stellung nur auf Übernahmeangebote. 1298 Z B Veräußerung wesentlicher Vermögensteile (crown jewels defense), Erwerb von kartellrechtlich bei Erfolg des Bieters problematischen Unternehmen (antitrust defense). S Poelzig Rn 703 ff.

476 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

Bleibt es bei § 33 WpÜG, so macht § 33 I 2 von dem Grundsatz des Verhinderungsverbots drei Ausnahmen: Die Vorschrift gestattet dem Vorstand erstens in Anlehnung an § 93 AktG (also auch vorbehaltlich seiner aktienrechtlichen Kompetenz) Handlungen, die auch der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft vorgenommen hätte1299, zweitens die Suche nach einem konkurrierenden Angebot iSv § 22 I WpÜG1300 und drittens von der Zustimmung des Aufsichtsrates gedeckte Maßnahmen1301. Eine Kompetenzerweiterung für den Vorstand nimmt § 33 II WpÜG vor: 813 In der Zeit vor der Veröffentlichung der Entscheidung für ein Pflichtangebot kann die HV den Vorstand für die Dauer von 18 Monaten mit 3/4-Mehrheit ermächtigen, zur Verhinderung des Erfolges eines Übernahmeangebotes konkret bestimmte Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, auch solche, die an sich in die Zuständigkeit der HV fallen1302. Zur Einberufung und Tagungsort der HV enthält § 16 IV WpÜG Sonderregeln. Abwehrmaßnahmen auf Grundlage der Ermächtigung bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrates, § 33 II 4 WpÜG. Mit einem Erst-recht-Schluss wird darüber hinaus weiterhin die vor Inkrafttreten des WpÜG angenommene Möglichkeit vertreten, dass die HV während der Laufzeit eines Angebots den Vorstand zu Abwehrmaßnahmen ermächtigt. Macht der Vorstand von der Ad-hoc-Ermächtigung der HV Gebrauch, unterliegt er nicht dem Verhinderungsverbot des § 33 I 1 WpÜG. Das in § 33 II WpÜG für die dort geregelte Ermächtigung bestimmte Erfordernis der Zustimmung des Aufsichtsrats gilt nicht1303. 814 § 33 WpÜG ist bußgeldbewehrt (§ 60 I Nr 6, III WpÜG). Die Pflichten des Vorstands sind solche gegenüber der Gesellschaft gemäß § 93 I AktG. § 33 WpÜG ist aber kein Schutzgesetz zugunsten der Aktionäre. § 826 BGB kommt jedoch in Betracht. Nach § 33d WpÜG ist es dem Bieter verboten (§ 134 BGB), Vorstands815 oder Aufsichtsratsmitgliedern, gemessen am Interesse der Zielgesellschaft (§ 3 III WpÜG) ungerechtfertigte Geldleistungen oder geldwerte Vorteile zu 812

_____

1299 Fortführung des Tagesgeschäfts (s a Ziff 3.7.II DCGK) sowie schon eingeleiteter Unternehmensstrategieen. 1300 Angebot eines „white knight“. 1301 Zu den „Verhaltenspflichten des Aufsichtsrats bei Vorliegen eines feindlichen Übernahmeangebots“ s die Schrift dieses Titels von Schmieder 2008. 1302 Bspe: Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien, Ermächtigung zur Durchführung einer Kapitalerhöhung. 1303 Assmann/Pötzsch/Schneider/Seiler Kom WpÜG 1. Aufl 2005 § 16 Rn 48; Krause/Pötzsch ebendort § 33 Rn 79, 188, 199; Schanz, NZG 2007, 927, 932.

VII. Die Regulierung des Kapitalmarkts | 477

gewähren (also auch Ausschluss des § 817 S 2 BGB) bzw in Aussicht zu stellen1304. Ein mit dem Richtlinien-Umsetzungsgesetz eingefügter Abschnitt 5a sieht 816 ein kapitalmarktrechtliches Squeeze-Out-Verfahren zum Ausschluss von Minderheitsaktionären vor (§§ 39a, b WpÜG), ergänzt durch das Recht der Minderheitsaktionäre, ihre Aktien zum Erwerb anzudienen (dh ein Übernahmeoder Pflichtangebot noch nachträglich anzunehmen, § 39c WpÜG)1305. Die Abschnitte 6 bis 9 (§§ 40–68 WpÜG) regeln Fragen zum Verfahren bei 817 der BaFin, Rechtsmittel gegen Verfügungen der Anstalt mit dem OLG Frankfurt als Beschwerdegericht1306, Sanktionen und weitere gerichtliche Zuständigkeiten. Für zivilrechtliche Streitigkeiten sind ausschließlich die Landgerichte (Kammern für Handelssachen) zuständig – § 66 I, II (mit der Möglichkeit für die Landesregierungen, in ihrem Land eine zentrale Kammer zu bestimmen, § 66 III WpÜG).

_____ 1304 Befreiung für den Fonds nach FMStG, Art 2 § 12 FMStG. – Zum Problem von Interessenkonflikten, wenn Aufsichtsratsmitglieder der Zielgesellschaft zugleich Aufgaben auf der Bieterseite erfüllen Lange, WM 2002, 1737. 1305 Dazu o Rn 672, 675 und Poelzig Rn 719 ff. 1306 Zur Beschwerdebefugnis von Aktionären der Zielgesellschaft Pohlmann, ZGR 2007, 1, 31 ff.

478 | G. Aktionär und Aktie im Markt – Kapitalmarktrecht –

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I. Übersicht | 479

H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

I. Übersicht https://doi.org/10.1515/9783110595802-008 I. Übersicht

Von den gesellschaftsrechtlichen Rechtsbeziehungen in und zu der Kapitalge- 818 sellschaft ist bisher die Haupt-Rechtsbeziehung – die Mitgliedsstellung der Gesellschafter – im Hinblick auf die Kapitalisierungspflichten1307 und im Hinblick auf Beginn und Ende und das Wesen der Mitgliedschaft und schließlich die Rechte aus ihr, insbesondere die actio pro socio1308 behandelt worden. Die Möglichkeit von gesellschaftsrechtlichen Rechtsbeziehungen zur Gesellschaft und anderen Gesellschaftern geht aber darüber hinaus, indem an Machtpositionen von Gesellschaftern angeknüpft wird und dazu einerseits Pflichten, andererseits Kontrollrechte der Gesellschafter begründet werden. Schon das Aktiengesetz hat einzelne Kontroll- und Ausgleichsrechte der Aktionäre statuiert. Zu nennen ist insbesondere die Befugnis einzelner Gesellschafter oder einer Gesellschafterminderheit zur Kontrolle der Organtätigkeit, und zwar sowohl hinsichtlich des eigenen Organs Hauptversammlung als auch hinsichtlich der Tätigkeit der geschäftsführenden Organe. Bei der GmbH sind diese Klagerechte analog angewandt worden1309. Weiter hat das Aktienrecht und wieder daran anschließend auch das Recht der GmbH mit der Machtausübung von Gesellschaftern in der Gesellschaft eine besondere Verantwortung verbunden. Dies ist vor Allem Gegenstand des Konzernrechts1310. Aber auch über die Einzelregelung von Kontrollrechten zum einen und das Konzernrecht zum anderen hinaus hat die Rechtsentwicklung zum Ausbau von Rechtsbeziehungen bei Machtausübung geführt. Sehr zentral ist hier der Aspekt der Treuepflicht unter den Gesellschaftern geworden, den das bedeutende ITT-Urteil des BGH zum Anknüpfungspunkt für die Kontrolle der Macht des Mehrheitsgesellschafters in der GmbH gemacht hat1311. Eine eigenartige Problematik im Hinblick auf Rechtsbeziehungen in den Gesellschaften ist sodann mit dem MitbestG und der durch dieses vorgeschrie-

_____ 1307 Im Rahmen der Darstellung der Gründung und der Kapitalerhöhung (o Rn 197 ff, 569 ff) und im Rahmen der Darstellung des Vermögensschutzes der Gesellschaften (Rn 412 ff). 1308 O Rn 648 ff. Zur actio pro socio Rn 669. 1309 Zum Thema s die Monographie von Martin Schwab Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten 2005. 1310 U Rn 1289 ff. 1311 S sogleich. https://doi.org/10.1515/9783110595802-008

480 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

benen Wahl von Arbeitnehmer-Vertretern in den Aufsichtsrat aufgekommen: das Thema von Klagemöglichkeiten im Verhältnis zwischen Organen und Organmitgliedern der Kapitalgesellschaft. Das Gesetz enthält zu den Rechtsbeziehungen in der Kapitalgesellschaft 819 die folgenden bruchstückhaften Regelungen. Das AktG regelt Minderheitsrechte in §§ 122, 142 II, 147 II 2, 148, weiter Klagerechte einzelner Aktionäre gegen Gesellschafter und Organmitglieder in § 117 I 2, II AktG1312. Hinzu kommen konzernrechtliche Ansprüche, insbesondere die Möglichkeit für Aktionäre der abhängigen Gesellschaft im Vertragskonzern, die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens in Anspruch zu nehmen (§ 309 IV 1)1313. Ob § 309 IV 1 AktG auch auf die Klage der abhängigen gegen die herrschende Gesellschaft anzuwenden oder die Anspruchsgrundlage in der allgemeinen Haftung wegen Pflichtverletzung (§ 280 I BGB) zu finden ist, ist streitig, aber letztlich irrelevant, weil auch die Grundlage des § 309 IV in der Verletzung von Organ- und Treuepflichten liegt1314. Sodann ist ein bedeutsames Gebiet das der Rechte einzelner Gesellschafter gegen die Gesellschaft zur Anfechtung oder wegen Nichtigkeit von HV-Beschlüssen (§§ 241 ff AktG). § 245 Nr 4 und 5 AktG gibt gegen HVBeschlüsse auch dem Vorstand und unter bestimmten Voraussetzungen einzelnen Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrates die Klagebefugnis. Noch spärlicher als im AktG ist die Ausbeute im GmbHG: Hier gibt es nur 820 die Regelung von Rechten einer Minderheit in § 50 I GmbHG (zur Einberufung der Versammlung1315) und des § 61 II 2 GmbHG (Befugnis zur Auflösungsklage) und weiter die Beschlussfassung über Schadensersatzansprüche gegen Mitgesellschafter nach § 46 Nr 8 GmbHG iVm dem Stimmverbot des § 47 IV 2 GmbHG1316. In Anwendung dieser gesetzlichen Regelung, aber auch über sie hinaus 821 sind die folgenden drei Themenkreise zu behandeln: die Treuepflicht1317, die

_____ 1312 Anwendungsfall BGHZ 94, 55 (mit der Abgrenzung des geltend zu machenden persönlichen Schadens des Aktionärs vom Schaden der Gesellschaft, der nach § 117 I 2 nicht geltend gemacht werden kann – sprich: die Entwertung der Aktien durch die Schädigung der Gesellschaft –, und der weiteren Abgrenzung des Aktionärsschadens von einem Gläubigerschaden, dessen Geltendmachung durch den Gläubiger nach § 117 V AktG subsidiär hinter der Inanspruchnahme der Gesellschaft zurücktritt). 1313 S sodann die weiteren konzernrechtlichen Geltendmachungsbefugnisse in §§ 310 IV, 317 IV, 318 IV, 323 I 2 AktG. 1314 S Hüffer/Koch § 309 Rn 26 f. 1315 Zu den Möglichkeiten der Reaktion des Mehrheitsgesellschafters (etwa Nichtbefassungsbeschluss) Altmeppen, GmbHR 2017, 788 ff. 1316 Zum Minderheitsschutz bei der Gewinnverteilung Bork/Oepen, ZGR 2002, 241. 1317 S sogleich Rn 822 ff.

II. Die Treuepflicht der Gesellschafter | 481

Möglichkeit von Klagen zwischen Organen und Organmitgliedern1318 und die Klagemöglichkeiten der Gesellschafter hinsichtlich der Tätigkeit der Organe der AG und der GmbH1319.

II. Die Treuepflicht der Gesellschafter II. Die Treuepflicht der Gesellschafter

1. Ausgangspunkt: Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft Allgemein wird von einer Treuepflicht der Gesellschafter gegenüber der Gesell- 822 schaft und untereinander gesprochen1320. Bei dem unbestimmten und mehr emotionalen Begriff der Treue kommt aber Alles darauf an, den einzelnen Fall im Hinblick auf die Einzelumstände zu analysieren, die die Rechtswidrigkeit einer Abstimmung und möglicherweise eine Schadensersatzpflicht begründen könnten1321. Wie bei der Begründung und Sanktionierung eines Schuldverhältnisses geht es darum zu prüfen, ob ein Gesellschafter sich zur Gesellschaft oder zu anderen Gesellschaftern im Hinblick auf seine Nähe zur Gesellschaft und die daraus gebotene Verfolgung des Gesellschaftsinteresses rücksichtlos und damit unzulässig verhalten hat. Die Rechtsprechung hat zunächst nur die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft bejaht. Was die Treuepflicht eines Aktionärs im Verhältnis zur AG betrifft, sind die Belege aus der Rechtsprechung des RG und aus der frühen des BGH nicht sehr aussagekräftig. Sie betreffen Sonderfälle, für deren Kern der wolkige Begriff der Treue keine Substanz hat1322. Eine Treuepflicht der Aktionäre untereinander hat die Rechtsprechung dagegen zunächst sogar abge-

_____ 1318 S u Rn 845 ff. 1319 S u Rn 859 ff, 926 ff. 1320 S OLG Brandenburg ZIP 2017, 1417; Raiser/Veil für die AG § 11 Rn 44 ff, für die GmbH § 38 Rn 50 f, jew mit zahlreichen N. 1321 Charakteristisch die Entscheidung des OLG Brandenburg, deren Leitsätze die mögliche Verletzung eines Stimmverbots, der Treuepflicht und den möglichen Missbrauch des Stimmrechts formulieren, woraufhin der Leser überrascht feststellt, dass alles drei nach der Wertung des OLG nicht gegeben ist. 1322 RGZ 146, 71, 76 f begründet ein Stimmverbot wegen Interessenkonflikts: Ausschluss des Mitstimmens, wenn es um die Einrichtung einer Sonderprüfung geht, die die Entlastung von Aufsichtsratsmitgliedern betrifft, die an den mitstimmenden Gesellschaften maßgeblich beteiligt sind. RGZ 146, 385, 395 ff ist ohne weiteres unter §§ 226, 826 BGB einzuordnen: Das Gericht weist eine Anfechtungsklage zurück, sofern sie zu dem Zweck erhoben ist, der Gesellschaft den Willen des Klägers erpresserisch aufzuzwingen.

482 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

lehnt1323. Dabei ist es freilich nicht geblieben. Es kommt aber auch hier darauf an, den Fallentscheidungen genau nachzugehen. Die Anführung von Judikaten, die zu besonderen Zusammenhängen gehören1324, ist nicht sinnvoll. Wenn solche Entscheidungen mit der Treuepflicht in Zusammenhang gebracht werden, bestätigt sich nur der entscheidende Einwand gegen den Einsatz der Treuepflicht: die gefährliche Konturenlosigkeit der Figur. Was sodann die Treuepflicht im Verhältnis zur GmbH betrifft, kommt insbesondere bei enger personeller Zusammensetzung die Treuepflicht in Gestalt eines Wettbewerbsverbots, entsprechend dem bei der OHG (§ 112 HGB), in Betracht. Entscheidend ist die Abgrenzung eines Bereichs von corporate opportunities, die zum Tätigkeitsbereich der Gesellschaft gehören und die die Gesellschafter nicht treuwidrig auf sich ableiten dürfen1325.

2. Öffnung der Rechtsprechung für die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander 823 Die spätere Rechtsprechung des BGH hat sich dem Gedanken geöffnet, dass

wie bei Personengesellschaften auch die Gesellschafter der Kapitalgesellschaften untereinander durch eine Treuepflicht verbunden sind, deren schuldhafte Verletzung zum Schadensersatz verpflichtet1326. Ausgangspunkt im Recht der GmbH ist die ITT-Entscheidung des BGH1327. In dieser hat der BGH den herr-

_____ 1323 RGZ 158, 248 führt die Rechtsprechung zur Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft an und lehnt im Gegensatz dazu ein Treueverhältnis der Gesellschafter untereinander ab. Dies ebenso ablehnend der BGH in BGHZ 18, 350 (365), JZ 1976, 561 f. 1324 Raiser/Veil § 11 Rn 55 mit Anführungen aus der Problematik des Bezugsrechtsausschlusses. 1325 Zutreffend die Zurückhaltung von Altmeppen in Roth/Altmeppen § 13 Rn 46 f. Es kommt allerdings weniger auf die Stellung als beherrschender Gesellschafter an als auf die personelle Nähe zum Zusammenschluss, s zutreffend BGH WM 1978, 1205: Ausbeutung der bisherigen Tätigkeit einer Zwei-Personen-GmbH durch den einen, nachdem der andere politisch inhabilis geworden war. Im Vergleich dazu BGH NJW 1971, 802: Zulässiger Wettbewerb, nachdem GmbH in Liquidation war. 1326 Umfassende Erörterung bei K. Schmidt § 20 IV 2 c, d S 591 ff sowie § 28 I 4 S 807 ff mit zahlreichen N. Weiter Wilhelm, FS Ulrich Huber 2006, 1019 ff. Aufgrund der Anerkennung der Treuepflicht durch die Rechtsprechung kann diese nach LG München I AG 2007, 255, 257 auch in der Satzung einer AG geregelt werden (die Formulierung, die Interessen der Mitaktionäre seien angemessen zu beachten, hält das Gericht nicht für einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot). – Speziell zur Treuepflicht eines GmbH-Alleingesellschafters Burgard, ZIP 2002, 827. 1327 BGHZ 65, 15 (Urteil aus dem Jahre 1975). Von Treuepflichten zur Information eines Mitgesellschafters bei Berührung seiner mitgliedschaftlichen Interessen und zur Genehmigung des

II. Die Treuepflicht der Gesellschafter | 483

schenden Gesellschafter im GmbH-Konzern gegenüber den Mitgesellschaftern aus Treuepflicht haften lassen. Veranlasse ein herrschender Gesellschafter die Geschäftsführung der beherrschten GmbH dazu, Zahlungen von Kommanditgesellschaften, in denen die GmbH Komplementärin ist, an weitere mit dem Mehrheitsgesellschafter verbundene Gesellschaften zu bewirken, ohne dass die Kommanditgesellschaften eine äquivalente Gegenleistung erhielten, so sei dies eine schuldhafte Verletzung der Treuepflicht, die den Mehrheitsgesellschafter mit einem an der GmbH und den Kommanditgesellschaften beteiligten Minderheitsgesellschafter verbinde. Der Mehrheitsgesellschafter habe dem Minderheitsgesellschafter Schadensersatz durch Rückzahlung in die Kommanditgesellschaften zu leisten. Es ist ohne weiteres klar, wohin die ITT-Entscheidung gehört: ins Konzernrecht. Dazu genügen die aktienrechtliche Regelung der Herrschaft und Abhängigkeit und ihre entsprechende Anwendung auf die GmbH. Die Vokabel Treuepflicht trägt dazu nichts bei. Der vom BGH als Anspruch aus Treuepflichtverletzung hergeleitete An- 824 spruch war schon als actio pro socio des Minderheitsgesellschafters aus der analogen Anwendung der §§ 311, 317 AktG über den faktischen Konzern zu begründen. Der Mehrheitsgesellschafter steht aufgrund seiner Einwirkungsmacht in dem dort geregelten gesetzlichen Schuldverhältnis zur Gesellschaft und ist folglich bei Schädigung der Gesellschaft schadensersatzpflichtig. Weiter haftete der Beklagte im ITT-Fall der Gesellschaft aufgrund der verdeckten Gewinnausschüttung aus der Gesellschaft (Verstoß gegen §§ 30, 31 GmbHG und das Verbot ungerechtfertigter Bereicherung). Wir haben den Fall einer Sondervorteilserstrebung als Kardinalfall der Verletzung des Gesellschaftsverhältnisses vor uns. Mit der actio pro socio können sowohl die aus der Schädigung und der verdeckten Gewinnausschüttung folgenden Ansprüche der Gesellschaft (letztere aus §§ 30, 31 GmbHG bzw ungerechtfertigter Bereicherung) als auch ein eigener Schadensersatzanspruch des Gesellschafters geltend gemacht werden (actio pro socio heißt Anspruch „als“ Gesellschafter). Der Schadensersatzanspruch des Gesellschafters erfasst den eigenen Schaden des Gesellschafters (nach dem Vorbild der Vorschrift des § 117 I 2 AktG). Zu begründen ist der Anspruch, wie folgt: Das Mitgliedschaftsverhältnis verbietet dem herrschenden Gesellschafter die Schädigung der juristischen Person. Die Schutzwirkung der Mitgliedschaft betrifft auch den eigenen Schaden des Minderheitsgesellschafters.

_____ Geschäftsführergehalts eines Mitgesellschafters, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer entsprechende Leistungen erbracht hat, geht BGH DZWIR 2007, 292 (mit Anm Lieder) aus. Für das Verbot zu täuschen und die Bewilligung eines Geschäftsführergehalts, wenn die Leistung nicht als unentgeltlich versprochen wurde (vgl § 612 BGB) sollte es nicht der Vokabel der Treuepflicht bedürfen. Zur Treuebindung der Mehrheit in Sanierungsfällen Reichert, NZG 2018, 134.

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825

Der ITT-Fall ist exemplarisch dafür, dass statt der unbestimmten Rede von der Treuepflicht die rechtlichen Haftungsgründe und Gestaltungsmöglichkeiten zu beachten sind. Es kann demgegenüber keine allgemeine Oberaufsicht einzelner Gesellschafter über die Erfüllung der gesellschafterlichen Pflichten anderer Gesellschafter geben1328. Einziger Vorbehalt ist der der gesetzlichen Anspruchsgründe wie des Schadensersatzanspruchs aus § 117 AktG und der actio pro socio aus jenen Ansprüchen und bei sonstiger Verletzung der Mitgliedschaft1329. Es kann aber nicht jeder Gesellschafter der Gesellschaft zu ihren Ansprüchen gegen Gesellschafter zu verhelfen berechtigt sein. Dies ist Sache der dafür zuständigen Gesellschaftsorgane und der Kontrolle der Organe nach der gesetzlichen Regelung.

3. Unergiebigkeit der Rechtsprechung zur Treuepflicht a. VW-Audi/NSU 826 Wie wenig demgegenüber mit dem Gedanken der Treuepflicht anzufangen ist, zeigt die Bestandsaufnahme der Rechtsprechung. Hier stehen Entscheidungen, die einen Gesellschafter aus Treuepflicht verantwortlich machen, unverbunden solchen Entscheidungen gegenüber, in denen die schädigende Einwirkung durch einen Mehrheitsgesellschafter aus rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gerechtfertigt wird, deren Anwendung keiner Rechtfertigung bedürfe1330. Eine Haftung aus Treuepflicht prüft, aber lehnt ab die Entscheidung des BGH im Fall VW-Audi/NSU1331. Sachverhalt: VW hatte die Mehrheit bei Audi/NSU erworben und schloss am 23.4.1971 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit Audi/NSU ab (Vertragskonzern nach § 291 AktG). Nach §§ 304 ff AktG muss die die Herrschaft übernehmende Gesellschaft den außenstehenden Aktionären der abhängigen Gesellschaft einen angemessenen Ausgleich zahlen, wenn sie Aktionäre der Untergesellschaft bleiben, andernfalls muss sie die Aktien dieser Aktionäre gegen Aktien, die an ihr selbst bestehen, eintauschen. Für den Austausch muss die einzutauschende Aktie zur eigenen Aktie des herrschenden Unternehmens in Wertrelation gesetzt werden. VW und Audi/NSU legten ein Verhältnis von 1 zu 2,5 fest. Der gegenwärtige Aktienkurs besagte demgegenüber aber gerade das umgekehrte Verhältnis. Deshalb erhob der größte der außenstehenden Audi/NSU-Aktionäre, die IsraelBritish-Bank, gegen den HV-Beschluss bei Audi/NSU Anfechtungsklage. Zugleich stellte sie Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel der Untersagung der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister (Wirksamkeitserfordernis nach § 294 II

_____ 1328 1329 1330 1331

So aber zur GmbH Raiser/Veil § 37 Rn 26. O Rn 669. Wilhelm, FS Ulrich Huber 2006, 1019 ff. BGH JZ 1976, 561.

II. Die Treuepflicht der Gesellschafter | 485

AktG). VW musste unter Zeitdruck reagieren (§ 246a AktG gab es noch nicht). Audi/NSU trieb auf einen Jahresverlust zu, den VW noch mit dem eigenen Jahresergebnis steuerwirksam verrechnen wollte. VW bot einen Vergleich an, nach welchem VW die IsraelBritish-Aktien zum 4-fachen Preis des ursprünglichen Angebots übernehmen wollte. Auch die übrigen Aktien von Audi/NSU waren stark angezogen. VW machte nunmehr allen Aktionären ein gleiches Angebot wie Israel-British. Der Kl hatte bereits (streitig war, ob vor oder nach Beginn der Vergleichsverhandlungen zwischen VW und Israel-British) 5100 Audi/NSU-Aktien an der Börse verkauft. Der Tageskurs war damals noch aufgrund des ursprünglich schlechteren VW-Angebots sehr niedrig, der Kaufpreis erreichte also bei Weitem nicht den Preis des späteren VW-Angebots. Der Kl klagte auf Zahlung der Differenz, gestützt auf die Verletzung der Treuepflicht. Alle Instanzen haben die Klage abgewiesen1332.

Der BGH hat einen Anspruch aus Verletzung einer Treuepflicht mit folgenden 827 Gründen abgelehnt: Ein schuldrechtliches Band sei nur der Vertrag zwischen VW und Audi/NSU. Daraus folge zunächst einmal lediglich der Schutz der Gesellschaft, nämlich von Audi/NSU. Die außenstehenden Aktionäre seien durch § 305 AktG geschützt. Seien sie mit dem Angebot auf Abfindung nicht zufrieden, so stehe das Verfahren nach §§ 305 V 2–4 und 306 AktG1333 zur Verfügung. Dieses Verfahren sei im vorliegenden Fall nicht angestrengt worden. Auch ein Anspruch aus § 826 BGB komme nicht in Betracht. Weil jeder Ak- 828 tionär das Kursrisiko seiner Aktien selbst trage, habe VW den Plan des Paketkaufs von Israel British den anderen Aktionären von Audi/NSU nicht mitteilen müssen, etwa um diese vor einem übereilten Verkauf ihrer Audi/NSU-Aktien zu warnen. Eine solche Warnung hätte auch die Gefahr einer Beunruhigung der Börse mit sich gebracht1334. Lutter hat das Urteil „in Ergebnis und Begründung wahrhaft betrüblich“ 829 genannt 1335 . Eine Treuepflicht unter Aktionären könne nicht mehr einfach schlicht ablehnt werden. Lutter bezog sich insbesondere auf das ITT-Urteil. Der Bezug war aus zwei Gründen verfehlt: Zunächst betraf das ITT-Urteil einen ganz anderen Fall. Im ITT-Fall hat der Mehrheitsgesellschafter auf die Geschäftsführung der GmbH in einer Weise Einfluss ausgeübt, dass die Gesellschaft selbst und mit dieser zusammen der Mitgesellschafter geschädigt worden sind. Im VW-Audi/NSU-Fall ging es dagegen ausschließlich um eine Beeinträchtigung der Gewinnerwartung anderer Aktionäre hinsichtlich ihrer Aktien. Sodann verdiente auch die Begründung der Entscheidung im ITT-Fall mit der Treuepflicht, wie gezeigt, keine Fortführung.

_____ 1332 1333 1334 1335

Vorinstanz: OLG Celle WM 1974, 1013 = DB 1974, 525. Damaliger Fassung. § 305 V geändert, § 306 aufgehoben durch das SpruchG. BGH JZ 1976, 561, 562. Anm JZ 1976, 562.

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Im VW-Audi/NSU-Fall hat der BGH mit Recht darauf verwiesen, dass, weil eine Schädigung von Audi/NSU nicht in Betracht kam, VW nur darauf zu achten hatte, dass seine gesetzlichen Pflichten gegenüber den Aktionären erfüllt wurden. Aus § 305 AktG hatte VW die Pflicht zu einer angemessenen Bewertung der Anteile1336. Mit Recht hat der BGH aber auf die gesetzliche Sanktion für den Fall, dass die Aktionäre mit der Bewertung nicht zufrieden waren, verwiesen. Gingen unzufriedene Aktionäre nicht in das vorgesehene Verfahren, sondern nutzten den Börsenkurs aus, so war das ihr Risiko. Auch ein nachträgliches Nachgeben im Vergleichswege, damit das Verfahren vereinfacht wurde (was hier auch noch, wie der BGH sagt, steuerlich erwünscht war), war VW nicht vorzuhalten. Die Meinung von Lutter, es liege ein venire contra factum proprium vor, ist nicht zu begründen. Danach wäre VW verpflichtet gewesen, bei dem niedrigeren Gebot stehen zu bleiben, was den Kl natürlich nichts genützt haben würde. Die Frage ist, ob Vergleichsverhandlungen bekannt zu geben sind oder aber die Aussetzung des Börsenhandels1337 anzuregen ist. Die Bekanntgabe der Vergleichsverhandlungen hätte aber nur wilde Spekulationen ausgelöst1338. Und die Aussetzung hätte nicht ewig dauern können, da irgendwann den Aktionären wieder die Verkaufsmöglichkeit offenstehen musste. Dass die Aussetzung ohne Wert war, zeigt schon die Tatsache, dass VW sonst im eigenen dringenden Interesse bei der Geschäftsführung der Börse die Aussetzung des Börsenhandels angeregt hätte (um nämlich das Nachziehen des Börsenkurses mit dem Vergleichsergebnis und so die Konsequenz ebenso hoher Abfindung der anderen Audi-Aktionäre zu vermeiden). Jedenfalls ist zu sagen: VW war nicht verpflichtet, Vergleichsverhandlungen sozusagen mit der Aktionärsöffentlichkeit zu führen. Und so wäre es bei Publizierung der Vergleichsofferte gewesen. Sie hätte den Börsenkurs hochgetrieben, was wieder auf die Vergleichsverhandlungen Auswirkungen gehabt hätte. VW konnte demgegenüber durchaus Vergleichsverhandlungen speziell mit einem aggressiven Aktionär führen. Es war das Risiko der anderen Aktionäre, ob sie die Entwicklung abwarten wollten oder nicht. Das ist immer so beim Kursrisiko. Danach gilt im VW-Audi/NSU-Fall wie im ITT-Fall: Es kommt darauf an, ob 831 eine gesetzliche Pflicht (hier aus § 305 AktG) verletzt ist und welche Sanktionen das Gesetz für etwaige Pflichtverletzungen statuiert. Im VW-Fall hieß das: Es

830

_____ 1336 Die dafür maßgeblichen Grundsätze werden vom OLG Düsseldorf AG 2003, 329 zusammengefasst. 1337 Vgl § 43 BörsG. 1338 Nach heutigem Kapitalmarktrecht sieht das WPüG in § 35 II bei einem Kontrollerwerb ein Pflichtangebot an die Aktionäre der Zielgesellschaft vor.

II. Die Treuepflicht der Gesellschafter | 487

kam darauf an, ob unrichtig bewertet worden war oder nicht. Aktionäre, die das Letztere annahmen, hatten das gesetzliche Verfahren (heute nach § 305 V 2 AktG das Spruchverfahren) wahrzunehmen.

b. Girmes Der in der Literatur unter Anführung insbesondere durch Lutter entwickelten 832 Tendenz zur Anerkennung einer allgemeinen Treuepflicht unter Aktionären ist der BGH im Girmes-Urteil1339 erlegen. Bemerkenswert ist, wie der BGH an seine frühere Rechtsprechung anschließt. Noch in der Linotype-Entscheidung1340 hatte der BGH im Fall des Betreibens der Auflösung einer Gesellschaft durch die Mehrheitsgesellschafterin, die wesentliche Betriebsteile der Gesellschaft vereinnahmen wollte, nur die schon im ITT-Fall bejahte Treuepflicht eines Mehrheitsgesellschafters bestätigt mit der Abgrenzung: „Es darf dabei nicht verkannt werden, dass die Gesellschafterpflichten eines Kleinaktionärs in der Regel nicht von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bestimmt werden“. Unter Bezug darauf heißt es in dem Girmes-Urteil1341: „Zu den Gesellschafterpflichten des Kleinaktionärs hat der Senat darauf hingewiesen, dass diese in der Regel nicht von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bestimmt werden … Damit ist … die Beantwortung der Frage offen geblieben, ob die Treupflicht über die Begrenzung der Mehrheitsherrschaft hinaus dem Aktionär allgemein Schranken … setzt. Das ist mit der nahezu einhellig im Schrifttum vertretenen Meinung grundsätzlich zu bejahen.“ Sachverhalt: Die Girmes-AG ist in Schwierigkeiten, sie könnte überschuldet sein. Der Vor- 833 stand entwickelt zusammen mit den Banken (insbesondere der Deutschen Bank) einen Sanierungsplan. Danach wollen die Banken auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Zum Zwecke anschließender Kapitalerhöhung soll das Grundkapital im Verhältnis 5:2 herabgesetzt werden 1342. Die Sache wird von Bolko Hoffmann, Herausgeber einer Börsenzeitschrift („Effecten-Spiegel“), verfolgt. Dieser meint, die Aktionäre von Girmes würden zu stark gedrückt. Eine Kapitalherabsetzung im Verhältnis 5:3 sei akzeptabel (so die letzte nach mehreren Zahlenangaben), 5:2 dagegen nicht. Er fordert die Aktionäre auf, ihm das Stimmrecht zu überlassen, um eine entsprechende Abstimmung durchzusetzen. Das hat Erfolg: Bolko Hoffmann ist auf der entscheidenden HV mit 39,7% des in der HV vertretenen Kapitals präsent. Mit diesen Stimmen lehnt er die Kapitalherabsetzung im Verhältnis 5:2 ab. Die Banken bleiben hart. Sie willigen in den Teilerlass ihrer Forderungen nicht ein. Der Vorstand beantragt am 4.2.1989 die Eröffnung des Vergleichsverfahrens, am 28.2.1989

_____ 1339 1340 1341 1342

BGHZ 129, 136. Dazu Flume, ZIP 1995, 161 ff. BGHZ 103, 184, 195 (Linotype), zur Entscheidung u Rn 842. BGHZ 129, 136, 143. Dh aus fünf alten Aktien der Girmes-AG werden zwei neue Aktien.

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wird der Anschlusskonkurs eröffnet1343. Ein Inhaber wertlos gewordener Girmes-Aktien klagt gegen Bolko Hoffmann auf Schadensersatz. Das OLG Düsseldorf 1344 hält nur eine Schadensersatzpflicht aus § 826 BGB für denkbar. Mangels vorsätzlich sittenwidriger Schädigung sei die Klage abzuweisen.

834 Der BGH nimmt die Möglichkeit einer Haftung auf Schadensersatz wegen Ver-

letzung der unter den Aktionären bestehenden Treuepflicht an. Für diese Haftung müsse Bolko Hoffmann nach § 179 I BGB in entsprechender Anwendung einstehen. § 179 I schütze das Vertrauen des Partners einer Rechtsbeziehung darauf, dass er durch Benennung des Vertretenen in die Lage versetzt werde, den Vertretenen auf Erfüllung der sich aus dem Rechtsverhältnis ergebenden Verpflichtungen in Anspruch zu nehmen. Werde dieses Vertrauen enttäuscht, habe der Vertreter für die Pflichtverletzung einzustehen. Die Haftung des Vertreters beschränke sich auf die in § 179 I BGB genannte Alternative des Schadenersatzes1345. Der BGH verlangt für diese aber, wenn sie auf schädigendes Verhalten bei der Abstimmung in der HV gestützt ist, den Schädigungsvorsatz des in Anspruch genommenen Aktionärs1346. Der BGH verweist zurück1347. Der BGH baut den Haftungstatbestand für den geltend gemachten Scha835 densersatzanspruch nicht auf. Es geht (nach neuem Schuldrecht gemäß §§ 280 I, 311 II, III, 241 II BGB) um eine Schadensersatzpflicht außerhalb von unerlaubter Handlung und Vertrag. Für solche Schadensersatzpflichten ist das Freiheitsproblem zu berücksichtigen, welches das BGB mit der grundsätzlichen Beschränkung der Schadensersatzhaftung auf unerlaubte Handlung, Vertrag und vertragsähnliche Schuldverhältnisse im Auge hat. Die allgemeine Handlungsfreiheit im Rechts- und allgemeinen Verkehr darf nicht mit haftungsbewehrten Rücksichtspflichten aller Art und allen möglichen Leuten gegenüber beschränkt

_____

1343 Der Vergleichsantrag führte wegen Nichteinreichung von Unterlagen zum Anschlusskonkurs. Nach dem Verkauf durch den Konkursverwalter im Jahre 1989 führte eine neue Girmes-GmbH die Geschäftstätigkeit fort. Ihrer Pflicht zur Einreichung der Bilanzen beim Handelsregister kam sie nicht nach. Im Jahr 1994 übernahm die Garbe-Lahmeyer AG etwa ein Drittel der Geschäftsanteile der Girmes-GmbH. Durch ein hierzu erforderliches Bewertungsgutachten wurden genaue Angaben zum Geschäftserfolg der Girmes-GmbH bekannt. Dieses Gutachten setzte den Wert der stillen Reserven im Zeitpunkt des Konkurses der AG mit DM 100 Mio an. Ferner wurde ein Betriebsgewinn der Girmes-GmbH zB für die Jahre 1990/91 von DM 35,68 Mio und für 1992/93 von DM 33,54 Mio bei einem Stammkapital von DM 20 Mio ausgewiesen (wiedergegeben nach ZIP 1996, A 13). 1344 WM 1994, 1436. 1345 BGHZ 129, 136, 150 f. 1346 BGHZ 129, 136, 152 f. 1347 In seiner neuen Entscheidung hält das OLG Düsseldorf an seiner Auffassung fest, ZIP 1996, 1211 mit Anm Wilhelm, EWiR § 179 BGB 2/96, 779.

II. Die Treuepflicht der Gesellschafter | 489

oder erstickt werden. Deshalb wird die Haftung grundsätzlich beschränkt auf den Schutz absoluter, dh jedermann gegenüber bestehender Rechte, weiter auf den Schutz besonders gesetzlich vertypter Schutzpositionen, darüber hinaus auf die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) und schließlich daneben noch auf die von der privatautonomen Begründung abhängigen Vertrags- und Sonderbeziehungen. Die nach der neueren Rechtsentwicklung zu der Haftung aus Vertrag und Delikt hinzutre- 836 tende Haftung aus Schuldverhältnis (§§ 280 I, 311 II, III, 241 II BGB) ist in das Erfordernis der privatautonomen Begründung wie folgt einzuordnen: Im Fall der culpa in contrahendo (§ 311 II Nr 1, 2 BGB) führt zur Haftung die privatautonom zu bestimmten Personen begründete Verhandlungs- oder Geschäftsbeziehung, im Fall der Schutzwirkung eines Vertrages für Dritte (§ 311 III BGB) erwächst die Haftung aus der ebenso autonom begründeten Vertragsbeziehung mit notwendiger Einbeziehung bestimmter Drittpersonen in die Vertragsdurchführung. Verallgemeinert geht es darum, dass die eine Seite die Einbeziehung in den eigenen Verantwortungsbereich anbietet und daraufhin die andere Seite ihre Rechtsgüter der Sphäre des anderen anvertraut. Mit Anerbieten der Verantwortung und Anvertrauen haben wir einen dem Vertragsschluss entsprechenden Tatbestand. Dieser fügt sich dem Haftungstatbestand (jetzt des § 280 I BGB) als das erste, grundlegende Merkmal der Haftung aus Sonderverbindung ein: (1) Es muss zwischen dem, der auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden soll, und dem Anspruchsteller überhaupt erst einmal ein Rechtsverhältnis in Gestalt einer Sonderverbindung (ein Schuldverhältnis) begründet sein. Die weiteren Tatbestandsmerkmale (jetzt des § 280 I BGB) sind: (2) Verhaltenspflicht aus dem Schuldverhältnis, die im konkreten Fall verletzt sein könnte (dazu jetzt § 241 II BGB), (3) die Verletzung der Pflicht, (4) das Verschulden (nach § 280 I 2: das Fehlschlagen der Entlastung), (5) ein Schaden in ursächlicher Verknüpfung mit der Verletzung.

Die Prüfung des grundlegenden Merkmals eines Schuldverhältnisses zwi- 837 schen den Gesellschaftern hat der BGH in der Girmes-Entscheidung unterlassen. Er hat von Treuepflichten geredet, das sind aber nur mögliche Rücksichtspflichten, die bei Vorliegen eines Rechtsverhältnisses aus diesem entwickelt werden könnten. Sie setzen also die Begründung eines Schuldverhältnisses gerade voraus. Der BGH stellt auf die Möglichkeit ab, die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen. Im Hinblick darauf sei als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht zu fordern, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen1348. Diese Argumentation reicht nicht aus, sofern es nur um die Mitwirkung von Minderheitsgesellschaftern geht, die sich auch nicht zu einer gesellschaftsschädigenden Ausübung einer gesetzlichen Sperrminorität zusammengeschlossen haben. Was das Stimmverhalten einzelner

_____ 1348 BGHZ 129, 136, 142, nochmals S 144.

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Gesellschafter betrifft, besteht die Möglichkeit zur Beeinträchtigung der Interessen anderer nicht anders als bei jedem Teilnehmer am allgemeinen Wettbewerb und jedem Lobbyisten, ohne dass daraus vertragsähnliche Rücksichtspflichten zu folgern wären. 838

Um die Begründung eines Schuldverhältnisses zwischen Kl und Bekl ging es im GirmesFall, obwohl der Beklagte als Stimmrechtsvertreter aufgetreten ist. In der Anwendung des § 179 BGB1349 ist dem BGH zu folgen: In der Tat ist § 179 I BGB seinem Gedanken nach auf die Haftung aus Sonderverbindung zu übertragen. Tritt eine Person im Namen eines anderen auf, dann muss schon für die Haftung aus culpa in contrahendo (jetzt §§ 280 I, 311 II Nr 1, 2, 241 II BGB) die Alternative gelten: Entweder deckt der Vertreter den Vertretenen auf, dann haftet dieser, unter Zurechnung des Verschuldens, insbesondere eines solchen des Vertreters selbst, nach § 278 BGB (neben der Haftung des Vertretenen kann eine Eigenhaftung des Vertreters aus Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens oder wirtschaftlichem Eigeninteresse in Betracht kommen, s jetzt § 311 III BGB). Deckt der Vertreter aber nicht auf, dann muss ihn selbst die Haftung treffen. Auch wenn die Haftung wegen Nichtaufdeckung des Vertretenen den Vertreter treffen kann, ist es aber eine Haftung aus einem zum Vertretenen begründeten Schuldverhältnis, muss also dieses erst begründet und kann dann erst von der Adressierung der Haftung an den Vertreter gesprochen werden.

839 Im Fall Girmes kam dagegen nur die Haftung aus § 826 BGB in Betracht: Das

Rechtsverhältnis zur Girmes-AG war nicht verletzt, da, wie der BGH zutreffend feststellt1350, eine AG kein Recht gegenüber den Gesellschaftern auf Fortbestand oder Sanierung hat. Weiter hatte der Beklagte mit seinem Einsatz für eine Kapitalherabsetzung im Verhältnis von 5 : 3 statt 5 : 2 auch nicht die notwendige Bezogenheit der Abstimmung auf die Sache der Gesellschaft verlassen und Sondervorteile erstrebt. Geht es aber nicht um eine Schädigung der Gesellschaft oder eine Erstrebung von Sondervorteilen, ist für den Schaden der Gesellschafter allein § 826 BGB zuständig. Die vom BGH geprüfte Verhinderung einer sinnvollen Sanierung aus eigennützigen Gründen ist für die Frage der sittenwidrigen Schädigung relevant1351. Auch der BGH will, wie berichtet1352, den Beklagten nur bei Vorsatz haften 840 lassen. Angesichts dieser Beschränkung drängt sich die Frage nach der Rele-

_____

1349 S o Rn 834. 1350 BGHZ 129, 136, 151. 1351 Unklar ist allerdings der vom BGH geforderte Vergleich zwischen der Stellung des Aktionärs bei Zusammenbruch der Gesellschaft und bei Austritt aus der fortbestehenden Gesellschaft – im Fall der AG durch Veräußerung der Aktien – (BGHZ 129, 136, 153, 156, mit Verweisung auf K. Schmidt 2. Aufl § 5 IV 5 S 118 – die Stelle ist ebenso unklar –, s Wilhelm, GS KnobbeKeuk 1997, 321, 325 Fn 23). 1352 O Rn 834.

II. Die Treuepflicht der Gesellschafter | 491

vanz des Ringens um eine derart beschränkte Haftung aus Treuepflichtverletzung auf. In seiner Entscheidung nach der Zurückverweisung konnte das OLG Düsseldorf darauf verweisen, dass es alles Nötige schon unter dem Gesichtspunkt des § 826 BGB geprüft habe1353. Da mit der Treuepflicht schlechterdings nichts ausgesagt wird1354, geht alles um die Haftungsbegrenzung, wozu der BGH sich schließlich in das Vorsatzerfordernis rettet. Sagt aber die Rede von der Treuepflicht nichts, kommt es auf das letztlich haftungsbegründende Merkmal an. Das ist die vorsätzlich sittenwidrige Schädigung, also das Merkmal des § 826 BGB. Zu fragen ist weiterhin nach der Relevanz der Kapitalherabsetzung im Verhältnis von 5:2 841 statt 5:3. Der BGH handelt davon zu § 826 BGB bei der Sittenwidrigkeit1355. Er sagt: Ohne den größeren Schnitt (5:2) wäre ein größerer Verlustvortrag auszuweisen gewesen. Wie die Revision hervorgehoben habe, hätte in diesem Fall eine geringere Überlebenssicherheit bestanden. Bereits bei Erzielung eines weiteren Verlusts von 5 Mio DM hätte der Vorstand die Anzeige nach § 92 I AktG zu machen gehabt, dass ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals bestehe, und dies hätte für den Fortbestand der Gesellschaft erhebliche nachteilige Folgen gehabt. Das ist außerordentlich unklar. Die Anzeige nach § 92 I AktG wird mehr gefürchtet als eine Kapitalherabsetzung in einem besonders drastischen Verhältnis, die ja nur buchmäßig den andernfalls anfallenden Verlustvortrag nebst Notwendigkeit der Anzeige nach § 92 I verhindert. Gerade wenn man bedenkt, dass die Kapitalherabsetzung keine Vermögensänderung, sondern nur den Verzicht auf Beteiligung bedeutet, fragt sich zudem, wie die Banken eigentlich ihre Härte als unumgänglich ausgeben konnten.

c. Die weiteren Entscheidungen zur Treuepflicht Die rechtlichen Haftungsgründe und Gestaltungsmöglichkeiten entscheiden 842 schließlich auch in den weiteren Fällen der Rechtsprechung des BGH, die mit der Treuepflicht in Zusammenhang stehen. Im Fall der Linotype-Entscheidung1356, in dem die Mehrheitsgesellschafterin einer AG den Beschluss über die Auflösung der Gesellschaft erreichte, um sich in der Liquidation die wesentlichen Vermögensgegenstände zu sichern und so den Minderheitsgesellschafter loszuwerden, hat der BGH den Auflösungsbeschluss unbeanstandet gelassen. Er bedürfe keiner sachlichen Rechtfertigung. Die Treuepflicht stehe nur entgegen, wenn die Mehrheitsgesellschafterin schon im Vorfeld mit dem Vorstand

_____ 1353 ZIP 1996, 1211 (dazu Wilhelm, EWiR § 179 BGB 2/96, 779). 1354 Man vergleiche die alle vorhandenen Tatbestände (auch § 243 I und II AktG) zudeckende Arbeit mit der Treuepflicht bei Grunewald, FS Kropff 1997, 89. 1355 BGHZ 129, 136, 173 f. 1356 BGHZ 103, 184.

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feste Erwerbsabsprachen getroffen habe1357. Ebenso hat der BGH im Fall Sachsenmilch1358 die Maßnahme des Mehrheitsaktionärs, das Kapital in einer Weise herabzusetzen, dass viele Kleinaktionäre ausgeschlossen wurden, als der materiellen Rechtfertigung nicht bedürftig hingehen lassen. Im Fall Hilgers1359 hat er dagegen einen entsprechenden Beschluss, in dem die Hinausdrängung durch Kombination von Kapitalherabsetzung und gleichzeitige Kapitalerhöhung praktiziert wurde, für treupflichtwidrig erklärt. Schließlich hat der BGH für möglich erklärt, dass Mitgesellschafter aus dem Gesichtspunkt der Treuepflicht verpflichtet sind, an der Heilung einer Sacheinlage mitzuwirken 1360. 843 Entscheidungen des Mehrheitsgesellschafters zum Schaden des Minderheitsgesellschafters sind an die gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten gebunden und unterliegen auch in deren Rahmen noch dem Schädigungsverbot im Rahmen des gesetzlichen Schuldverhältnisses, welches die Mitgliedschaft des Minderheitsgesellschafters dagegen schützt, dass der Mehrheitsgesellschafter ihn ohne Entschädigung aus der Gesellschaft drängt. Zum Schädigungsverbot kommt hier das Bereicherungsverbot hinzu1361. Zu den Fällen Sachsenmilch und Hilgers haben wir gesehen1362, dass in diesen der Mehrheitsgesellschafter die gesetzlichen Gestaltungsschranken verletzt hat. Demgegenüber sind die Auflösung, insbesondere die übertragende Auflösung nach § 179a AktG, zulässige Gestaltungsmöglichkeiten. Hier gelten aber die Schranken des Schädigungsund Bereicherungsverbots zum Schutz des Minderheitsgesellschafters. Das BVerfG hat entsprechende Schranken aus Art 14 I 2 GG gefolgert1363: Der Minderheitsgesellschafter muss zunächst eine ausreichende Möglichkeit haben, den Beschluss auf Rechtsverstöße hin überprüfen zu lassen. Dies gewährleistet die Regelung über Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Gesellschaftsbeschlüsse (§§ 241 ff AktG, sie gelten für die GmbH entsprechend). Darüber hinaus muss der Mehrheitsgesellschafter dem Minderheitsgesellschafter dessen Anteil, mit dem dieser ausgeschlossen wird, voll entschädigen.

_____ 1357 BGHZ 103, 193 ff. Es ist offensichtlich, dass man nicht einmal für diese Variante der Berufung auf die Treuepflicht bedarf. § 243 II AktG reicht für den Fall aus. 1358 BGHZ 138, 71. 1359 BGHZ 142, 167. 1360 BGH NZG 2003, 867 ff = JZ 2004, 199 mit Anm Witt. 1361 Zur Unterscheidung zwischen einer immer möglichen Beendigung einer Investition und dem Hinausdrängen des Minderheitsgesellschafters Wilhelm, FS Ulrich Huber 2006, 1019, 1028 f. 1362 O Rn 644 ff. 1363 Seit der Feldmühle-Entscheidung BVerfGE 14, 263, sodann Moto Meter ZIP 2000, 1670, DAT/Altana BVerfGE 100, 289; s weiter die Squeeze-out-Regelungen in §§ 327a ff AktG und §§ 39a ff WpÜG.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 493

Was schließlich die Treuepflicht zur Heilung einer verdeckten Sacheinlage 844 betrifft, haben wir gesehen1364, dass diese Annahme eine noch in sich nicht haltbare Konsequenz aus der – durch das MoMiG für die GmbH glücklicherweise überwundenen (§ 19 IV GmbHG) – verfehlten Lehre von der Unwirksamkeit der Absprachen bei verdeckter Sacheinlage war. Wie diese Lehre (auch für das Aktienrecht) der Vergangenheit angehören sollte, so auch die Operation mit einer Treuepflicht zur Mitwirkung an der Heilung.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft

1. Die These vom aktienrechtlichen Organstreit Wie eingangs1365 gesagt, ist im Zuge der Streitigkeiten um die Behandlung der 845 Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nach dem MitbestG die These aufgekommen, dass es einen Organstreit gebe, dh Organe der Kapitalgesellschaft gegeneinander oder Organmitglieder gegen ein Organ klagen könnten. Zum Beleg wurden angeführt § 90 AktG (Pflicht des Vorstands zum Bericht an den Aufsichtsrat), § 245 Nr 4, 5, § 249 I AktG (Befugnis des Vorstands oder von Vorstandsmitgliedern zur Erhebung einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen HV-Beschlüsse) und § 250 II, III AktG (Klage von Betriebsrat, Vorstand oder Mitgliedern des Aufsichtsrats oder des Vorstands auf die Feststellung, dass die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds nichtig ist). Zu dieser These hat Flume den klaren Gegenstandpunkt vertreten1366. Flume weist darauf hin, dass rechts- und pflichtenfähig nur die Kapitalgesellschaft selbst und das einzelne Organmitglied seien. In der Tat stellen zunächst einmal die Abs 2 und 3 des § 250 AktG Ausnahmeregelungen dar. § 245 Nr 4 AktG begründet nicht die Möglichkeit eines Organstreits, sondern die Möglichkeit eines In-Sich-Prozesses: Der Vorstand klagt im Namen der Gesellschaft gegen die vom Aufsichtsrat (§ 112 AktG) vertretene Gesellschaft. Schon wegen der Kosten und der Vollstreckbarkeit kann es sich nicht um einen Organstreit handeln. Von der Rechtsfähigkeit her, dh ohne Rücksicht auf Ausnahmebestimmun- 846 gen, ist (ebenso wie die Klage der Gesellschaft gegen ein Organmitglied) nur die Klage eines einzelnen Organmitglieds gegen die Gesellschaft möglich. Das Organmitglied kann hier namentlich besondere Rechte anführen (zB dasjenige aus

_____

1364 O Rn 310. 1365 Rn 818. 1366 I/2 § 11 V S 405 ff.

494 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

§ 90 III 2 AktG). Sodann kann das Organmitglied generell im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des eigenen Organs klagen.

2. Die Entscheidung des BGH im Fall Opel 847 Zu der Möglichkeit einer Klage einzelner Aufsichtsratsmitglieder insbesondere

gegen den Vorstand einer AG wegen Rechtswidrigkeit eines Vorstandsbeschlusses hatte der BGH in der Opel-Entscheidung1367 Stellung zu nehmen: 848

Sachverhalt: Die Kl waren im Zeitpunkt der Klageerhebung Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Bekl zu 1 (der Opel AG); sie klagten gegen diese und ihren Vorstand (Bekl zu 2). Die Aktien der Opel AG befanden sich zu 100% im Eigentum der General Motors Corporation, USA (GMC). 1984 erwarb die GMC eine Gesellschaft für elektronische Datenverarbeitung in den USA (EDS), die darauf spezialisiert war, Dienstleistungen auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung zu erbringen. Damit die Bekl zu 1 in das Vorhaben, umfassenden Zugang zu den neuesten Computertechnologien zu erhalten, einbezogen werden konnte, hat die amerikanische EDS die EDS Deutschland GmbH gegründet. Der Bekl zu 2 beschloss, die gesamte Datenerfassung und -weiterverarbeitung von Opel auf die EDS GmbH zu übertragen. Dies wurde dem Aufsichtsrat von Opel in der Sitzung vom 6.3.1985 mitgeteilt. Der Kl zu 8 brachte einen Antrag ein, der die Missbilligung des Vorhabens zum Gegenstand hatte. Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Kl mit den Stimmen der Vertreter der Anteilseigner abgelehnt worden. Im Juli 1985 hat Opel mit der EDS GmbH einen Rahmen-Dienstleistungsvertrag abgeschlossen. Nach diesem Vertrag übernahm die EDS GmbH ab 1.5.1985 alle auf dem Gebiet der Datenverarbeitung anfallenden Aufgaben von Opel. Von der Ausgliederung der Datenverarbeitung waren insgesamt 590 Mitarbeiter von Opel betroffen. Die EDS GmbH hat 539 von ihnen ein Angebot auf Abschluss von Arbeitsverträgen unterbreitet. Die Kl haben die vorliegende Klage im eigenen Namen erhoben und beantragt, 1. die Bekl zu verurteilen, es zu unterlassen, die elektronische Datenerfassung und -verarbeitung aus dem Unternehmen der Bekl zu 1 auszugliedern und auf einen Dritten, insbesondere auf die EDS GmbH, zu übertragen, 2. die Bekl zu verurteilen, alle auf die Ausgliederung gerichteten Verwaltungshandlungen einzustellen, jede Weitergabe von Personaldaten an die EDS GmbH zu unterlassen, weiter alle im Hinblick auf die Ausgliederung iS des Antrags zu 1 getroffenen Maßnahmen zu beseitigen, soweit diese Maßnahmen oder ihre Folgen dem Antrag 1 zuwiderlaufen. Hilfsweise haben die Kl auf Feststellung der Unzulässigkeit der Ausgliederungsmaßnahmen geklagt.

_____ 1367 BGHZ 106, 54 = NJW 1989, 979 = ZIP 1989, 23.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 495

Der BGH bestätigt die Abweisung der Klage durch die Vorinstanzen wegen Un- 849 zulässigkeit. Aus den Bestimmungen des AktG könne kein Recht eines Aufsichtsratsmitglieds oder einer Gruppe von Aufsichtsratsmitgliedern hergeleitet werden, gegen eine Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstandes mit der Begründung vorzugehen, diese verstoße gegen geltendes Recht und müsse deshalb unterbleiben oder wieder rückgängig gemacht werden. Nach Erörterung der verschiedenen in der Literatur1368 vertretenen Ansichten stellt der BGH fest, den Kl als einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern stehe auf keinen Fall ein Klagerecht zu. Sie könnten ihr Klagebegehren auch nicht aus einem etwaigen Recht des Aufsichtsrates mit Hilfe der actio pro socio durchsetzen1369. Aus der Tatsache, dass das Gesetz neben dem Aufsichtsrat auch den einzel- 850 nen Mitgliedern das Recht auf Berichterstattung gegen den Vorstand einräume (§ 90 III 2 AktG), könne eine Klagebefugnis der Kl nicht hergeleitet werden. Zwar könne erwogen werden, ein Klagerecht damit zu begründen, dass die Maßnahme des Bekl zu 2 zu einer Aushöhlung der den Kl selbst zustehenden Informationsrechte führe und damit eine in ihren Kompetenzbereich eingreifende Maßnahme darstelle. Die Ansicht, nach welcher der Aufsichtsrat berechtigt sei, die Eingriffe des Vorstandes in seinen Kompetenzbereich im Wege der Klage abzuwehren, könne hier aber nicht zum Tragen kommen. Das Überwachungsrecht iS des § 111 I AktG, um dessen Schutz es bei Eingriffen in das Informationsrecht nach § 90 AktG gehe, stehe dem Aufsichtsrat als Kollegialorgan zu. Da der Gesamtaufsichtsrat mithin Träger des Überwachungsrechts sei, könne auch nur er sich auf ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen des Vorstandes berufen, die geeignet erschienen, seine insoweit gesetzlich geschützte Kompetenz zu beschneiden1370. Die Pflicht zu eigenverantwortlicher Amtsausübung jedes einzelnen Mit- 851 glieds des Aufsichtsrates (§ 116 AktG) sei kein Gegenargument. Ein Anspruch der Kl gegen den Vorstand, eine rechtswidrige Maßnahme zu unterlassen, könne hieraus nicht hergeleitet werden. Denn die Überwachung des Vorstandes und die Geltendmachung gegen ihn gerichteter Ansprüche seien nach § 112 AktG Sache des Gesamtaufsichtsrats. Auch § 245 Nr 5 AktG sei kein Berufungsgrund für ein Klagerecht einzelner Aufsichtsratsmitglieder. Dadurch, dass die Bestimmung die Befugnis zur Anfechtung eines HV-Beschlusses dann gebe, wenn sich die Mitglieder der Organe durch Handlungen zur Ausführung des

_____ 1368 Flume I/2 § 11 V S 405; H. P. Westermann, FS Bötticher 1969, 369; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 291 f; Bork, ZGR 1989, 1, 22 ff; K. Schmidt, ZZP 92 (1979), 212; Teichmann, FS Mühl 1981, 663; Häsemeyer, ZHR 144 (1980), 265; Raiser, ZGR 1989, 43, 62 ff. 1369 BGHZ 106, 54, 62. 1370 BGHZ 106, 54, 62 f.

496 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

Beschlusses strafbar oder schadensersatzpflichtig machten, trage sie dem Umstand Rechnung, dass die betroffenen Mitglieder in eine unzumutbare Zwangslage gedrängt würden, wenn sie ohne ein Mittel der Gegenwehr an den HV-Beschluss gebunden wären. In eine entsprechende Zwangssituation könnten die Mitglieder des Aufsichtsrates bei gesetzwidrigen Handlungen des Vorstandes aber nicht kommen, weil der Aufsichtsrat die Beschlüsse des Vorstandes nicht ausführe1371. Auch das Holzmüller-Urteil1372 ergebe keine Klagebefugnis einzelner Auf852 sichtsratsmitglieder. Das in dem Urteil für Aktionäre begründete Klagerecht hinsichtlich von Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstandes sei daraus herzuleiten, dass der Vorstand bei Durchführung von Geschäften wie im Falle Holzmüller die HV in unzulässiger Weise ausschalte und auf diese Weise in die Mitgliedsstellung der betroffenen Aktionäre eingreife. Im vorliegenden Fall beeinträchtige demgegenüber die Maßnahme des Vorstands von Opel die Rechtsstellung der Kl als Aufsichtsratsmitglieder nicht. Dem Aufsichtsrat könne auch nicht die Aufgabe zukommen, die der HV zustehenden Rechte wahrzunehmen, die hier deshalb nicht gegen die Geschäftsführung wahrgenommen würden, weil alle Mitgliedschaftsrechte von Opel bei GMC lägen. Eine solche Verschiebung auf den Aufsichtsrat komme nicht in Betracht. Auch für den faktischen Konzern sehe das Gesetz keine Kompetenzverlagerung auf den Aufsichtsrat vor, sondern beschränke sich in den §§ 311 ff AktG auf die Normierung bestimmter Schutzvorschriften1373. Auch aus dem MitbestG ergebe sich keine Rechtsgrundlage, die das Klage853 begehren der Kl stützen könne. Das Gesetz verweise in der einschlägigen Generalklausel des § 25 MitbestG lediglich auf das AktG. Die Entwicklung eines Klagerechts kraft Richterrechts komme angesichts der eindeutigen Gesetzeslage nicht in Betracht. Das MitbestG habe kein „Bänkeprinzip“, sondern einen homogen zusammengesetzten Aufsichtsrat geschaffen, der aus gleich berechtigten und gleich verpflichteten Mitgliedern bestehe. Der Widerstreit der Interessen zwischen den Anteilseigner- und den Arbeitnehmervertretern könne daher nur durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der einheitlich auf das Unternehmensinteresse verpflichteten Aufsichtsratsmitglieder gelöst werden 1374. Schließlich könne auch unter dem Gesichtspunkt der actio pro socio die 854 Klage nicht zugelassen werden. Zwar habe sich unter den Verfechtern der Lehre vom Organstreit weitgehend die Ansicht durchgesetzt, das einzelne Aufsichts-

_____ 1371 1372 1373 1374

BGHZ 106, 54, 63 f. BGHZ 83, 122; u Rn 930 ff. BGHZ 106, 54, 64 f. BGHZ 106, 54, 65.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 497

ratsmitglied sei grundsätzlich berechtigt, Rechte des Gesamtaufsichtsrats mithilfe der Regeln der actio pro socio gegenüber dem Vorstand geltend zu machen. Die Rechtsfigur der actio pro socio dürfe jedoch nicht dazu dienen, Konflikte, die zwischen Mehrheit und Minderheit im Aufsichtsrat auftreten, über den Umweg einer gerichtlichen Inanspruchnahme des Vorstandes auszutragen. Im gegebenen Fall könne nichts anderes gelten, da der Aufsichtsrat die Angelegenheit beraten und durch Mehrheitsbeschluss vom 6.3.1985 eine Missbilligung der umstrittenen Geschäftsführungsmaßnahme des Bekl zu 2 abgelehnt habe. Wenn unter diesen Umständen für eine actio pro socio überhaupt ein Bedürfnis anzuerkennen sein solle, so allenfalls unter der Voraussetzung, dass die klagewilligen Aufsichtsratsmitglieder zuvor den Aufsichtsratsbeschluss im Klagewege erfolgreich angegriffen hätten. Ob hiervon eine Ausnahme gemacht werden könne, wenn der Aufsichtsratsbeschluss nichtig sei, könne dahingestellt bleiben, denn nach dem Vorbringen der Kl ergebe sich eine derartige Nichtigkeit des Beschlusses vom 6.3.1985 im vorliegenden Fall nicht1375.

3. Die Ablehnung des Organstreits aufgrund der Klärung der Begriffe Zur Klärung der Fragen um den sogenannten Organstreit sind die allgemeinen 855 prozessualen Begriffe klarzustellen: Die Parteifähigkeit entspricht der Rechtsfähigkeit, ist also die Fähigkeit, Träger von Rechten oder Pflichten zu sein (§ 50 ZPO). Die Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, durch eigene Handlungen ein Prozessverhältnis zu begründen, zu verändern oder aufzuheben, und ist also von der Geschäftsfähigkeit abgeleitet (§§ 51, 52 ZPO). Demgegenüber bezeichnet der Begriff der Prozessführungsbefugnis die Befugnis, Rechte im eigenen Namen vor Gericht geltend zu machen. Wer eigene Rechte geltend macht, ist grundsätzlich auch selbst prozessführungsbefugt. Ein Problem besteht, wenn im Prozess fremde Rechte im eigenen Namen geltend gemacht werden. In diesem Fall ist die Prozessstandschaft Voraussetzung. Prozessstandschaft bedeutet die Befugnis, im eigenen Namen fremde Rechte geltend zu machen. Die Prozessführungsbefugnis mit dem Unterfall der Prozessstandschaft entspricht also der materiellrechtlichen Verfügungsbefugnis. Auf den Kl bezogen, nennt man die Prozessführungsbefugnis Klagebefugnis (der Begriff wird im Zivilprozess aber nicht verwendet)1376.

_____ 1375 BGHZ 106, 54, 66 f. 1376 Musielak/Weth, Kom ZPO, 6. Aufl 2008, § 51 Rn 14 ff.

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Von der Prozessführungsbefugnis ist die Prozessvollmacht zu unterscheiden, so wie im materiellen Recht zwischen Ermächtigung und Vollmacht zu unterscheiden ist. Nicht auf das geltend gemachte Recht, sondern auf das Gericht als Ort der Geltendmachung bezieht sich die Postulationsfähigkeit1377. Das ist die Fähigkeit, vor Gericht aufzutreten und Prozesshandlungen vorzunehmen; im Anwaltsprozess ist die private Partei nicht postulationsfähig, sie muss durch Prozessvollmacht einen Anwalt bevollmächtigen, s § 78 I ZPO. Von der Prozessführungsbefugnis ist die Sachlegitimation zu unterscheiden (Aktiv- bzw Passivlegitimation). Die Sachlegitimation ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Insoweit geht es um die materiellrechtliche Frage, ob das eingeklagte Recht dem Kl zusteht und ob der Beklagte der nach materiellem Recht Verpflichtete ist1378. Macht der prozessfähige Kl eigene Rechte geltend, so ist er selbstverständlich prozessführungs(=klage)-befugt. Die Klage ist insoweit zulässig. Wenn dem Kl das behauptete Recht zusteht, so ist er auch aktivlegitimiert. Wenn er nicht aktivlegitimiert ist, ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Für die These vom Organstreit geht es zunächst um die Frage, ob Organe 856 parteifähig sein können. Damit geht es um die Rechtsfähigkeit. Nur Organmitglieder und die Gesellschaft selbst sind aber rechtsfähig. Ein Streit zwischen Organen, durch Organe oder gegen Organe scheidet also mangels besonderer gesetzlicher Regelung, die die Parteifähigkeit erweitert, aus. Es bleibt die Möglichkeit, dass ein Organmitglied durch Klage gegen die Gesellschaft die Rechtswidrigkeit von Beschlüssen eines Organs geltend macht, dem es angehört, oder sogar eines anderen Organs. Insoweit geht es nicht um die Frage der Parteifähigkeit, sondern dann, wenn insoweit eine Feststellungsklage erhoben wird, um das Feststellungsinteresse, und dann, wenn – wie Baums 1379 dies zu Aufsichtsratsbeschlüssen vertreten hat – eine Gestaltungsklage zu erheben ist, um die Anfechtungsbefugnis. Dafür ist zu fragen, ob nach dem Gesetz oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Kl in einem Rechtsverhältnis betroffen ist. Im Opel-Fall1380 war zunächst die Klage gegen den Vorstand mangels Partei857 fähigkeit des Vorstands von vornherein unzulässig. Die Klage gegen die OpelAG hat der BGH sodann mangels Feststellungsinteresses des einzelnen Auf-

_____ 1377 Dazu Musielak/Weth § 78 Rn 4. 1378 Musielak/Foerste Kom ZPO 10. Aufl 2013, vor § 253 Rn 2; MüKo-ZPO/Becker-Eberhard vor § 253 Rn 9. 1379 ZGR 1983, 300. 1380 S o Rn 848.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 499

sichtsratsmitglieds (eine Anfechtungsklage war nicht erhoben) als unzulässig abgewiesen 1381. Den Streit um die Organklage oder die Klagen gegen Organe im Aktienrecht 858 hat der BGH sodann in der Entscheidung BGHZ 122, 342 endgültig bereinigt: Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hatten gegen die Wahl in den Vorstandsausschuss des Aufsichtsrats geklagt, weil Mitglieder, die die ArbeitnehmerVertreter benannt hatten, nicht gewählt worden waren. Der BGH hat die selbstverständliche Voraussetzung der Parteifähigkeit hervorgehoben. Aus dieser folge, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied bei Zweifeln an der Wirksamkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses nur gegen die Gesellschaft, nicht gegen den Aufsichtsrat, vorgehen könne, und zwar mit der Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses1382.

4. Anfechtung und Nichtigkeit von HV-Beschlüssen und Beschlüssen der Gesellschafterversammlung a. Das Thema, Abgrenzung zum Nichtwirksamwerden von Beschlüssen, vorbeugender Rechtsschutz Das Thema der Anfechtung oder Nichtigkeit von HV-Beschlüssen oder Be- 859 schlüssen der Gesellschafterversammlung der GmbH ist die Unwirksamkeit von Beschlüssen, nicht von Stimmabgaben, die zu Beschlüssen führen. Die Abstimmungserklärungen sind nach den allgemeinen Regeln über Willenserklärungen und besonderen Vorschriften des Gesellschaftsrechts (s etwa § 135 VII AktG, weiter die Vorschriften über den Ausschluss vom Stimmrecht, §§ 136 AktG, 47 IV GmbHG) zu beurteilen. Ihre Unwirksamkeit führt zur Mangelhaftigkeit von Beschlüssen, für die die entsprechende Stimme Voraussetzung der erforderlichen Mehrheit ist.

_____ 1381 Ebenso keine Prozessführungsbefugnis des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds zum Vorgehen gegen Maßnahmen der Gesellschaft, weil diese als qualifizierte faktische Konzernierung unzulässig seien, ebenso wenig Aktivlegitimation zum Verlangen einer Urkundenvorlegung durch die abhängige Gesellschaft, OLG Stuttgart AG 2007, 873. Aber Aktivlegitimation zur Durchsetzung eigener Rechte, wenn das Aufsichtsratsmitglied geltendmachen will, dass der AR-Vorsitzende ihm seine Rechte im AR beschneidet, LG München I WM 2007, 1975. 1382 BGHZ 122, 342, 344 f. Vertreten werde die Gesellschaft durch den Vorstand (§ 78 I AktG). Die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats bei Auseinandersetzungen mit dem Vorstand (§ 112 AktG) greife nicht ein, S 345 f. Mit der Verweisung auf die Feststellungsklage verneint der BGH die von Baums vertretene analoge Anwendung der §§ 241 ff AktG auf Aufsichtsratsbeschlüsse, s u Rn 910 ff.

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Beschlüsse aller Organe der Kapitalgesellschaften können, wenn sie gegen Gesetz oder Satzung verstoßen, grundsätzlich keine Wirksamkeit haben. Nach allgemeinem Recht müssten Organmitglieder und Gesellschafter nach § 256 ZPO gegen die Gesellschaft auf Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses klagen können, wenn auch gegen die ex-tunc-Nichtigkeit die Konsequenzen aus der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft beachtet werden müssen1383. Entgegen der allgemeinen Folgerung grundsätzlicher Unwirksamkeit geht das AktG, was Beschlüsse der HV betrifft, in §§ 241 ff AktG im Interesse der Rechtssicherheit in der AG einen anderen, restriktiven Weg. Wir werden noch sehen1384, dass die §§ 241 ff AktG auf die GmbH analog angewandt werden. §§ 241ff AktG regeln für die AG die Voraussetzungen und Schranken der Nichtigkeit. § 241 AktG grenzt Nichtigkeitsgründe ab. Darunter rangieren zwei, die nicht dem Beschluss materiell anhaften, sondern Folge von gerichtlichen Entscheidungen sind: Zunächst der, dass ein HV-Beschluss auf Anfechtungsklage durch Urteil für nichtig erklärt worden ist (§ 241 Nr 5 AktG), und sodann der weitere, dass ein Beschluss im Verfahren nach FamFG als nichtig gelöscht worden ist (§ 241 Nr 6 AktG). § 242 AktG handelt sodann von der Möglichkeit der Heilung der Nichtigkeit. Ab § 243 AktG wendet sich das Gesetz der Anfechtungsklage zu. In § 249 AktG fügt das Gesetz die Nichtigkeitsklage an, dh die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit durch Aktionäre, Verwaltungsorgane oder Organmitglieder der AG gegen die Gesellschaft. Für die Nichtigkeitsklage des § 249 AktG, dh die Feststellungsklage durch die besonderen Kläger gegen die Gesellschaft, verweist das Gesetz auf verschiedene Vorschriften über die Anfechtungsklage, u a die des § 248 AktG, der sagt, dass das klagezusprechende Urteil Rechtskraftwirkung für und gegen die in der Gesellschaft Zusammenwirkenden hat (§ 252 AktG bezieht in seinem Fall noch die Arbeitnehmerseite ein). Das Gesetz unterscheidet also in § 241 Gründe der per-se-Nichtigkeit von der 861 durch gestaltendes Urteil auf Anfechtungsklage hin begründeten Nichtigkeit. Die Anfechtungsklage und die in § 249 AktG geregelte Nichtigkeitsklage verfolgen aber ungeachtet dieses Unterschieds dasselbe materielle Ziel, nämlich die identische Rechtskraftwirkung (§ 248 I 1, § 249 I 1 iVm § 248 I 1 AktG). Die

860

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1383 So bei einem fehlerhaften Beherrschungsvertrag Lösung der herrschenden Gesellschaft von Verlustübernahme und Sicherheitsleistung nur für die Zukunft (BGHZ 103, 1). Bei Nichtigkeit eines Kapitalerhöhungsbeschlusses infolge erfolgreicher Anfechtungsklage will Zöllner, AG 1993, 68, entgegen dem BGH (BGHZ 139, 225, 231), der für die Zeichnung der jungen Aktien im Anschluss an die seinerzeitige Literatur von der Unwirksamkeit ausgegangen ist, mit dem Gedanken der fehlerhaften Gesellschaft helfen. Weiter dürfte mit dem Gedanken auch zu helfen sein, wenn ein fehlerhaft bestellter Aufsichtsratsvorsitzender die HV geleitet und iSv § 130 I 3 AktG ein privatschriftliches Protokoll unterschrieben hat, aA Heller, AG 2008, 493. 1384 S u Rn 891 ff.

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Folgerung ist: Nicht nur die Anfechtungsklage, sondern auch die Nichtigkeitsklage ist eine Gestaltungsklage. Sofern die Voraussetzungen für beide Klagen erfüllt sein können, sind sowohl Nichtigkeits- wie Anfechtungsgründe zu prüfen1385. In Fällen der Nichtigkeit ist neben der Nichtigkeitsklage, die erhoben wird, wenn die eben Genannten gegen die Gesellschaft auf Feststellung der Nichtigkeit eines HV-Beschlusses klagen, nach § 249 I 2 AktG auch bei Gegebensein eines Feststellungsinteresses die normale Feststellungsklage möglich (§ 256 ZPO). Sie kommt also insbesondere für außerhalb des Kreises des § 249 I 1 AktG stehende Dritte in Betracht, die an der Feststellung ein rechtliches Interesse haben, Zu unterscheiden ist aber nicht nur zwischen Nichtigkeit und Anfechtbar- 862 keit, sondern es kommt zusätzlich die Möglichkeit in Betracht, dass einem Beschluss die Voraussetzungen des Zustandekommens oder des Wirksamwerdens fehlen1385a. Beispiele sind etwa das Fehlen der Eintragung in das Handelsregister bei der Satzungsänderung (§§ 181 III AktG, 54 III GmbHG), das Fehlen der Zustimmung nach §§ 141, 179 III, 180 I iVm § 138 AktG oder das Fehlen von Sonderbeschlüssen aufgrund der Regelung der Kapitalerhöhung oder Kapitalherabsetzung bei der AG, dass im Fall des Vorhandenseins mehrerer Gattungen stimmberechtigter Aktien der Erhöhungsbeschluss der Zustimmung der Aktionäre jeder Gattung bedarf (§ 182 II, 222 II mit § 138 AktG). Kann die fehlende Voraussetzung noch nachgeholt werden, ist der Beschluss schwebend unwirksam. Die Abgrenzung des Fehlens der Beschlussvoraussetzungen von der Mög- 863 lichkeit der Anfechtbarkeit hat im Rahmen der entsprechenden Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften auf die GmbH zu zwei Problemen geführt: zum einen im Hinblick auf die förmlichen Voraussetzungen eines Beschlusses der Gesellschafter, wenn eine Willensbildung der Versammlung anfechtbar sein soll, und zum anderen in den Fällen, dass Stimmabgaben bei einem solchen Beschluss mangelhaft oder gerade umgekehrt entgegen der Annahme in der Versammlung mangelfrei sein könnten. Beispiel für die letztere Frage ist, dass

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1385 BGH BB 1997, 988. Überschrift über § 241 AktG deshalb „Nichtigkeit“. Zum Verhältnis von Nichtigkeits- und Anfechtungsklage Steinmeyer/Seidel, DStR 1999, 2077; Kindl, ZGR 2000, 166. 1385a Nicht mehr verfolgt wird die Diskussion um Scheinbeschlüsse (Beispiel des BGH in BGHZ 11, 236: Mann auf der Straße beruft Gruppe von Menschen zusammen, die mit der Gesellschaft nichts zu tun haben). Die Einberufung der HV oder der Gesellschafterversammlung der GmbH ohne Befugnis dazu hindert demgegenüber nicht eine Beschlussfassung, sondern ist ein Nichtigkeitsgrund (für die GmbH in einem Fall, in dem es um die Grenzen des Minderheitsrechts nach § 50 I, III GmbHG ging, BGHZ 87, 1, 3).

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wegen des möglichen Eingreifens des Stimmverbots nach § 47 IV GmbHG Stimmen zur Mehrheit fehlen könnten oder umgekehrt wegen möglichen Nichteingreifens im Hinblick auf die zu erwartende Abstimmung des Ausgeschlossenen die angenommene Mehrheit nicht zustande gekommen sein könnte1386. Weil die Fragen sich im Rahmen der analogen Anwendung der aktienrechtlichen Nichtigkeits- und Anfechtungsvorschriften auf die GmbH stellen, sind sie bei dieser zu erörtern1387. Zuletzt ist noch die Möglichkeit einer positiven Beschlussfeststellungs864 klage zu erwähnen: Kommt bei einer Klage auf Feststellung des Nichtzustandekommens eines Beschlusses oder bei einer Anfechtungsklage in Betracht, dass bei Berücksichtigung des gerügten Fehlers eindeutig ein anderes Beschlussergebnis herausgekommen wäre, kann die Klage mit der Klage auf Feststellung dieses anderen Beschlusses verbunden werden (positive Beschlussfeststellungsklage)1388. Sie ist zur Anfechtungsklage akzessorisch; folglich ist sie ebenso wie diese eine Gestaltungsklage, die innerhalb der Anfechtungsfrist zu erheben ist und bei der das Urteil Rechtskraft inter omnes hat. Wird sie auf missbräuchliche Stimmabgabe eines Aktionärs gestützt, muss er, wenn dieser nicht ohnehin als Nebenintervenient am Verfahren teilnimmt, auf positive Stimmabgabe mit verklagt werden1389. Über die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage hinsichtlich gefasster Be865 schlüsse hinaus wird (insbesondere bei der GmbH) dem Gesellschafter auch – allerdings sehr eingeschränkt – die Möglichkeit des vorbeugenden Rechtsschutzes im Wege einer einstweiligen Verfügung eingeräumt. Die Rechtslage

_____ 1386 Möglich sind sogar stimmlose Beschlüsse (etwa wenn allen Gesellschaftern wegen Verletzung ihrer Pflicht sei es nach AktG, sei es nach WpHG, der Gesellschaft die Beteiligung mitzuteilen, das Stimmrecht versagt ist), dazu Nietzsch, WM 2007, 917. 1387 U Rn 896 ff. 1388 Ausgangsentscheidung BGHZ 76, 191 (zur AG): Der Versammlungsleiter stellt das Beschlussergebnis der Ablehnung einer Satzungsänderung fest, weil er von dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit ausgeht. Nach der Satzung reicht aber die einfache Mehrheit. Der BGH erklärt auf die Anfechtungsklage den Beschluss der Ablehnung für nichtig und stellt zugleich auf den entsprechenden Feststellungsantrag den bei richtiger Zählung zustande gekommenen Beschluss der Satzungsändereung fest. Weiteres Beispiel: Verbindung der Anfechtungsklage gegen einen Gewinnverwendungsbeschluss in einer GmbH mit Klage auf Feststellung eines anders lautenden Gewinnausschüttungsbeschlusses, OLG München DB 2008, 521. 1389 Zur Möglichkeit der positiven Feststellung, wenn der zu rügende Gesellschafter als Nebenintervenient beteiligt ist, BGHZ 88, 320 (zur GmbH). Nach BGH NJW 1986, 2051 reicht andernfalls die Inkenntnissetzung des Gesellschafters, wenn sein Ausschluss vom Stimmrecht geltend gemacht wird. Für den anderen Fall, dass eine missbräuchliche Stimmabgabe gerügt wird, verlangt K. Schmidt, NJW 1986, 2018 (2020 f) die Erhebung auch einer Klage gegen den Gesellschafter auf (zustimmende) Stimmabgabe.

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und die Gefahr der Beschlussfassung entgegen der Rechtslage müssen dafür eindeutig oder das Schutzbedürfnis des Antragstellers überragend sein 1390.

b. Die Anfechtungs- und die Nichtigkeitsklage gegen HV-Beschlüsse der AG Die Regelung des AktG betreffend Nichtigkeit und Anfechtung von Beschlüssen 866 der HV ist eine Drei-Schichtenregelung aus speziellen und allgemeinen Nichtigkeitsgründen und den darauf bezogenen Klagen. § 241 AktG zählt die Nichtigkeitsgründe auf, die neben den speziellen gelten, die in den Vorschriften angeordnet sind, die § 241 einleitend mit „außer“ zitiert1391. Das Gesetz erwähnt also spezielle und zählt dann allgemeine Nichtigkeitsgründe auf, darunter rangiert aber auch die Nichtigkeit aufgrund zusprechenden Urteils auf eine Anfechtungsklage hin (§ 241 Nr 5) und die Nichtigkeit auf die Löschung im Verfahren nach § 398 FamFG hin (Nr 6). Sodann werden nach einer Vorschrift über Heilungsmöglichkeiten (§ 242 AktG) in umgekehrter Reihenfolge erst die Anfechtungs-, dann die Nichtigkeitsklagen geregelt. Es schließt sich an eine dritte Schicht: Hier werden noch Nichtigkeit und An- 867 fechtbarkeit für besondere Beschlüsse speziell geregelt: §§ 250–252 betreffen die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern1392. Ist die Wahl nichtig, gilt nach der Auffassung des BGH1393 die Lehre vom faktischen

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1390 Scholz/K. Schmidt Kom GmbHG 10. Aufl 2006 f, § 45 Rn 183. OLG München räumt zu Recht auch die Möglichkeit ein, dass der Richter dem Vorstand durch einstweilige Verfügung untersagt, einen eintragungsbedürftigen Beschluss zur Eintragung anzumelden, oder, wenn die Anmeldung schon erfolgt ist, die Rücknahme des Antrags aufgibt, AG 2007, 335. Allgemein zur Rspr zum einstweiligen Rechtsschutz betr Beschlüsse Buchta, DB 2008, 913. 1391 In den Vorschriften sind die folgenden Nichtigkeitsgründe enthalten: Beschlüsse im Widerspruch gegen bedingte Kapitalerhöhung; bei Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln im Widerspruch gegen Zuordnung der neuen Aktien, sodann die Versäumung der Eintragungsfrist bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 217 II 4), bei Kapitalherabsetzung unter Mindestbetrag (§ 228 II 1) sowie bei vereinfachter Kapitalherabsetzung (234 III 1) oder bei vereinfachter Herabsetzung in Verbindung mit Kapitalerhöhung (§ 235 II 1). Bei Nichtigkeit infolge Fristversäumung Heilung möglich nach § 242 III AktG. 1392 Die Verletzung des § 105 AktG (Inkompatibilität von Vorstands- und Aufsichtsrsatsmitgliedschaft) wird herrschend unter die Vorschrift des § 250 AktG gezogen (Raiser/Veil § 16 Rn 111). Entsprechende Anwendung des § 250 I auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat. 1393 BGHZ 196, 195, Rn 20 ff in Abgrenzung zur Rechte- und Pflichtenstellung, die das nichtig gewählte Mitglied nach BGHZ 168, 188 Rn 18 betrifft. In BGHZ 196, 195 das Problem der Erledigung der Anfechtungsklage gegen Wahlbeschlüsse durch den Rücktritt der betroffenen Aufsichtsratsmitglieder. Keine Erledigung, wenn die Frage der Wirksamkeit für Rechtsbeziehungen der Gesellschaft relevant sind. Dazu die Ausführungen zu den Folgen der Anfechtung von Wahlbeschlüssen. Folgerung von KG ZIP 2017, 617: Keine Aussetzung des Verfahrens der An-

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Organ(mitglied) zwar für die materielle Stellung (Vergütung, Haftung), aber nicht für die Stellung als mit beschlussfassendes Aufsichtsratsmitglied. Für Beschlüsse, an denen das nichtig gewählte Mitglied mitgewirkt hat, ist die Stimme des Mitglieds nicht zu zählen. Ist als Folge der Beschluss unwirksam, sind Dritte durch ihr Vertrauen auf die Befugnis des Organs, welches die Beschlüsse vollzieht, geschützt. Eine Vorstandsbestellung mit der nichtigen Stimme ist fehlerhaft mit Wirkung ex nunc, aber nicht aufgrund der Lehre vom nichtig gewählten Aufsichtsratsmitglied als faktischem Organ wirksam. §§ 253 f betreffen die Verwendung des Bilanzgewinns, § 255 die Kapitalerhöhung gegen Einlagen und schließlich betreffen die §§ 256 ff die Nichtigkeit eines festgestellten Jahresabschlusses, und zwar nicht nur bei Feststellung durch die HV, sondern auch bei Feststellung durch Vorstand und Aufsichtsrat. Klagebefugt sind für die Nichtigkeitsklage nach § 249 I 1 AktG Aktionäre, der Vorstand, Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats1394, für die Anfechtungsbefugnis enthält § 245 AktG die weiter unten (Rn 881 ff) darzustellende Regelung. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sind gegen die Gesellschaft, vertreten durch Vorstand und Aufsichtsrat, bei Klage eines Mitglieds des einen Organs jeweils vertreten durch das andere Organ (§§ 246 II, 249 I 1 AktG), zu richten. Ausschließlich zuständig ist das Landgericht am Sitz der Gesellschaft (§§ 246 III 1, 249 I 1 AktG). Dieses bestimmt nach Maßgabe des § 247 (§ 249 I 1) AktG den Streitwert1395. Nach § 241 per se nichtig, also nicht erst auf Anfechtungsklage durch Ent868 scheidung des Gerichts vernichtbar (Nichtigkeitsgrund des § 241 Nr 5 AktG), sind HV-Beschlüsse nur zunächst einmal aufgrund der mit „außer“ angeführten Nichtigkeitsvorschriften, sodann der in § 241 enumerativ aufgezählten Kriterien des § 241 Nrn 1–6 AktG. Zu § 241 kommen schließlich die Nichtigkeitsgründe hinzu, die noch in den Spezialvorschriften der §§ 250 ff AktG bestimmt sind. Die allgemeinen Nichtigkeitsgründe des § 241 sind: Einberufungs- und Beurkundungsmängel (Nrn 1, 2), Unvereinbarkeit mit dem Wesen der AG, Verstoß gegen Vorschriften im Gläubigerinteresse oder im öffentlichen Interesse (Nr 3) und Verstoß des Inhalts gegen die guten Sitten (Nr 4)1396. In Nr 6 fügt § 241 nach dem Nichtig-

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meldung eines bestellten Vorstandsmitglieds, wenn der Wahlbeschluss der HV angefochten ist. 1394 Für die Bilanznichtigkeitsklage hält OLG Dresden NZG 2017, 652 für klagebefugt entsprechend §§ 256 VII 1, 249 I AktG auch den Insolvenzverwalter. 1395 S u Rn 889. 1396 Beispiele: Zu einem Nichtigkeitsstreit um Einberufungsmängel (§ 241 Nr 1 AktG) OLG Düsseldorf ZIP 1997, 1153 (ARAG/Garmenbeck). Ein zur Nichtigkeit führender Einberufungsmangel soll nach LG Frankfurt aM ZIP 2008, 1723 mit Anm Jens Wagner; OLG Frankfurt ZIP 2008, 1722 bei unrichtigen Angaben zur Stimmrechtsvollmacht gegeben sein. Anders bei ande-

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keitsgrund aufgrund Anfechtungsurteils (Nr 5) noch einen weiteren Nichtigkeitsgrund infolge einer gerichtlichen Entscheidung hinzu, der aber an die materiellen Nichtigkeitsgründe des § 241 Nrn 3 u 4 angelehnt ist: Nach § 398 FamFG kann das zuständige Gericht einen im Handelsregister eingetragenen Beschluss wegen Verletzung zwingender gesetzlicher Vorschriften als nichtig löschen, wenn das im öffentlichen Interesse erforderlich erscheint. Ist die Löschungsentscheidung rechtskräftig, ist der Beschluss nach § 241 Nr 6 AktG nichtig. Bei der Auslegung der Nichtigkeitsgründe des § 241 AktG ist Richtschnur, 869 dass Gesetzes- und Satzungsverletzungen grundsätzlich nur zur Anfechtbarkeit führen, für die Nichtigkeit also neben den formellen Mängeln bei Einberufung und Beurkundung nur besonders schwerwiegende Verstöße in Betracht kommen1397. Beschlüsse können bei komplexem Inhalt auch teilnichtig sein (§ 139 BGB). 870 Nichtige Beschlüsse dürfen von Vorstand und Aufsichtsrat nicht ausgeführt werden. Sie dürfen nicht in das Handelsregister eingetragen werden (Eintragungshindernis). Auch per se nichtige HV-Beschlüsse können geheilt werden. § 242 AktG be- 871 stimmt den Ausschluss der Geltendmachung der Nichtigkeit (nach hL materiellrechtliche Heilung) für solche HV-Beschlüsse, die im Handelsregister einzutragen (insbesondere Satzungsänderungen) und eingetragen sind1398. §§ 253 I 2, 256 VI AktG fügen Heilungsgründe aufgrund der Regelung über die Nichtigkeit von festgestellten Jahresabschlüssen hinzu. Die Heilung bei Eintragung in das Han-

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ren Mängeln der Einberufung, die nicht die Mindestanforderungen berühren, OLG Frankfurt AG 2008, 667, 670. – Nichtigkeitsfall wegen Verletzung von Vorschriften im öffentlichen Interesse (§ 241 Nr 3) ist die Verletzung des § 23 V AktG, s o Rn 213 Fn 328. Nichtig wegen Verletzung von Vorschriften im öffentlichen Interesse sind auch Satzungsbeschlüsse, die gegen das Mitbestimmungsrecht verstoßen. Das Wesen der AG, aber auch der Gläubigerschutz (Nr. 3) sind verletzt bei Beschlüssen, die gegen die Vermögensbindung nach § 57 AktG verstoßen, zB ein HVBeschluss über vorschriftswidrige Zuwendungen (OLG Koblenz AG 2007, 408). Unvereinbar mit dem Wesen der AG ist auch ein Beschluss, der die Kompetenzverteilung in der AG verschiebt, zB ein Beschluss der HV in Geschäftsführungsfragen, den der Vorstand nicht verlangt hat. S a LG Heidelberg ZIP 2017, 1160 (Ermächtigung eines besonderen Vertreters über die Grenzen des § 147 AktG hinaus). Zur Nichtigkeit wegen Unvereinbarkeit mit dem Wesen der AG bei Einführung einer Satzungsregelung über formelle Voraussetzungen für die Übertragung von Namensaktien BGH ZIP 2004, 2093. 1397 Raiser/Veil fügen § 16 Rn 112 die folgende Regel hinzu: Beschlüsse seien nach der Rspr auch dann nichtig, wenn sie eine Person schädigten, die nicht anfechtungsbefugt sei. Die Zitate geben das nicht her: Sie betreffen die Nichtigkeit wegen sittenwidriger Gläubigerschädigung (RGZ 161, 129, 144 zur GmbH) und wegen Unvereinbarkeit mit dem MitbestG als Gesetz im öffentlichen Interesse (dazu die Entsch. des BGH BGHZ 83, 106, 151; 89 48). BGHZ 15, 382 ist nicht einschlägig. 1398 Nicht einzutragen (nur nach § 106 AktG bekanntzumachen) ist die Wahl von Aufsichtsratsdmitgliedern. § 242 AktG ist werder direkt noch analog anwendbar, Pentz, NZG 2017, 1211.

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delsregister tritt sofort mit der Eintragung ein im Fall eines Mangels der Beurkundung (§§ 241 Nr 2, 242 I AktG). Mit Ablauf von 3 Jahren seit der Eintragung in das Handelsregister sind Mängel der Einberufung der HV, die Verletzung des Wesens der AG oder von Gläubigerschutzbestimmungen oder schließlich ein Inhaltsverstoß gegen die guten Sitten (§ 241 Nr 1, 3, 4 AktG) geheilt (§ 242 II 1 AktG)1399. Die Löschung von Amts wegen nach § 398 FamFG ist davon nicht berührt (§ 242 II 3 AktG). Früher1399a galt gemäß § 183 II 2 AktG eine Sonderregelung über die Heilung eines nichtigen Beschlusses. Sie beruhte auf dem Grundsatz, dass hinter einer Sacheinlagevereinbarung immer die Bareinlageverpflichtung steht: Die Vorschrift erklärte eine nach § 189 AktG mit der Eintragung der Durchführung in das Handelsregister wirksam gewordene Kapitalerhöhung für unberührt von der Unwirksamkeit von Verträgen über Sacheinlagen. Dies war entsprechend anzuwenden, wenn der HV-Beschluss über die Kapitalerhöhung wegen Überbewertung einer Sacheinlage und damit der Verletzung der §§ 188 II 1, 36a II 3 AktG nach § 241 Nr 3 AktG nichtig war. Nach dem Grundsatz der realen Kapitalaufbringung mit der Folge subsidiärer Bareinlagepflicht, wie dieser Grundsatz auch in §§ 9, 56 GmbHG zum Ausdruck kommt, traf den Sacheinleger die Differenzhaftung. Jetzt verweisen §§ 183, 183a AktG uneingeschränkt auf die allgemeinen Vorschriften. Weiterhin ist aber aus dem Wirksamwerden der Kapitalerhöhung mit der Eintragung der Durchführung zu entnehmen, dass die Wirksamkeit ungeachtet der Unwirksamkeit oder Überbewertung von Sacheinlagen eintritt und dafür die hilfsweise Bareinlagepflicht einschließlich der Differenzhaftung gilt1400. Eine weitere Heilungsregelung hat das Gesetz über die kleine AG1401 eingeführt (§ 242 II 4 iVm §§ 241 Nr 1, 121 IV AktG): Wird bei Möglichkeit der Ladung durch eingeschriebenen Brief ein Aktionär nicht geladen oder erreicht, so heilt die Genehmigung des HV-Beschlusses durch den Aktionär diesen Mangel. Alle Gesetzes- und Satzungsverstöße, die nicht zu den in § 241 aufgezählten 872 per-se-Nichtigkeitsgründen gehören, können nur zur Anfechtbarkeit führen (§ 243 I AktG), mit ergänzenden Sonderbestimmungen über Anfechtbarkeit in § 251 (betr Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern), § 254 (betr Verwendung des Bi-

_____ 1399 Der BGH erstreckt die Heilungsvorschrift auf Satzungsänderungen infolge nichtiger Beschlüsse (BGHZ 99, 211; 116, 359; 144, 365). Es bleibe nur die Möglichkeit der Amtslöschung nach § 242 II 3 AktG iVm § § 398 FamFG. 1399a Schon § 150 II 2 AktG 1937. 1400 S bereits o Rn 254; zur Differenzhaftung Hüffer/Koch § 183 Rn 21 iV mit § 27 Rn 21. 1401 S o Rn 69 ff.

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lanzgewinns, Mindestdividende), § 255 I, II (betr Kapitalerhöhung gegen Einlagen, angemessener Ausgabepreis für die neuen Aktien bei Ausschluss des Bezugsrechts), § 257 (betr Feststellung des Jahresabschlusses durch HV). Ein anfechtbarer Beschluss ist bis zur Nichtigerklärung auf Anfechtungsklage hin wirksam1402. Für eine Anfechtungsklage werden in § 243 AktG zunächst die Anfechtungsgründe genannt (in den eben genannten speziellen Vorschriften werden sie wiederholt und ergänzt). Wenn die Anfechtungsgründe hier als erste Voraussetzung einer Anfechtungsklage ausgeführt werden, entspricht das nicht der praktischen Prüfung: In dieser befasst sich das Gericht zuerst mit der Anfechtungsbefugnis (sogleich Rn 881 ff) und der Einhaltung der Anfechtungsfrist (sogleich Rn 885). Für alle Anfechtungsgründe gilt: Sie müssen für den angefochtenen HV- 873 Beschluss erheblich gewesen sein. Zu unterscheiden ist zwischen Verfahrensfehlern, Abstimmungsfehlern und inhaltlichen Verstößen. Inhaltliche Verstöße führen jedenfalls zur Anfechtbarkeit. Abstimmungsfehler nur dann, wenn ohne die unwirksame Stimme oder bei richtiger Zählung die notwendige Mehrheit nicht erreicht worden wäre. Auch bei Verfahrensverstößen wurde früher eine potenzielle Kausalität geprüft, dh es wurde darauf abgestellt, ob sich der Mangel möglicherweise auf das Ergebnis der Beschlussfassung ausgewirkt hat, mit Darlegungs- und Beweislast der verklagten AG, diese potenzielle Kausalität auszuräumen. Jetzt steht die Rechtsprechung auf dem Standpunkt, dass zunächst einmal die verletzte Norm maßgeblich ist: Wenn in § 124 IV 1 AktG steht, dass über nicht ordnungsgemäß bekannt gemachte Tagesordnungspunkte keine Beschlüsse gefasst werden dürfen, dann führen Bekanntmachungsmängel ohne weitere Relevanzprüfung zur Anfechtbarkeit1403. Bei Berichts- oder Auskunftsmängeln kommt es demgegenüber darauf an, ob der Mangel für die Informations- und sonstigen Mitgliedsrechte insbesondere der überstimmten Minderheitsaktionäre relevant ist1404. Für die Anfechtung wegen unterlassener oder fehlerhafter Information wird das Erheblichkeitsmerkmal jetzt in § 243 IV 1 AktG dahin formuliert, dass ein objektiv urteilender Aktionär die Information als wesentliche Voraussetzung für die sachge-

_____ 1402 Sonderfall der rechtsmissbräuchlichen Vollziehung des Beschlusses der Einziehung eines Geschäftsanteils in einer zweigliedrigen GmbH nach Ablauf der Anfechtungsfrist BGHZ 101, 113. 1403 BGHZ 149, 158, 165. 1404 BGHZ 160, 253, 255 f.

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rechte Wahrnehmung der Teilnahme- und Mitwirkungsrechte hätte ansehen müssen1405. Unter diesem Vorbehalt sind aus § 243 AktG die folgenden Anfechtungs874 gründe zu nennen: § 243 I spricht zunächst von der Verletzung des Gesetzes oder der Satzung1406. Als solche kommen in Betracht zunächst Verfahrensfehler, insbesondere Verstöße gegen die Regeln über die Bekanntmachung1407 oder bei der Abstimmung (etwa bei Nichtausreichen der Stimmenzahl für die Mehrheit, insbesondere bei Verstoß einer Mitabstimmung gegen das Stimmverbot nach § 136 I AktG)1408; sodann ist praktisch häufig die Anfechtung wegen Verletzung des Auskunftsrechts (§ 131 AktG)1409 oder sonstiger Berichtspflichten

_____ 1405 So auch schon der grundsätzliche Stand der Rspr zur aF, BGHZ 149, 158, 164. Raiser/Veil meinen § 16 Rn 144, dass die Neufassung des § 243 durch das UMAG die Meinung der Rechtsprechung nicht vollends widerspiegele. Sie zitieren dafür Formulierungen aus der Begründung des RegE (BT-Drs 15/5092 S 26: Erforderlichkeit der Verhaltensbeeinflussung; ohne die Auskunft keine Zustimmung etc). Der Gesetzgeber wollte aber die Rechtsprechung „aufgreifen und verdichten“. Dem entspricht der Wortlaut des § 243 IV 1 AktG. 1406 Bei der GmbH hat der BGH die Verletzung schuldrechtlicher Abreden im Hinblick auf das Abstimmungsverhalten in der Gesellschaft gleichgestellt, wenn diese zwischen allen Gesellschaftern getroffen wurden, NJW 1983, 1910, NJW 1987, 1890. Dem ist trotz der Zweifel, die sich aus dem Vergleich mit der Satzung als formeller Regelung der Gesellschaft ergeben (Roth/ Altmeppen/Roth § 47 Rn 124 mN), zu folgen. Die Anfechtungsklage ist das richtige Mittel der Auseinandersetzung über das Verhalten in der Gesellschaft auch bei schuldrechtlichen Abreden, sofern alle an der das Gesellschaftsverhalten bestimmenden Gesellschafter an der Abrede beteiligt sind. 1407 So im Fall VEBA-Gelsenberg, BGHZ 69, 334 der Bekanntmachungsfehler nach § 320 II Nr 2 AktG, weil der Fall gegeben war, in dem neben der Abfindung in eigenen Aktien auch eine Barabfindung angeboten werden muss. Die Hauptgesellschaft VEBA, in die die beklagte Gesellschaft (Gelsenberg AG) eingegliedert werden sollte, war ein abhängiges Unternehmen (Folge: Erfordernis der Bekanntmachung eines Barabfindungsangebots nach § 320 II Nr 2 AktG iV seinerzeit mit § 320 V, jetzt § 320b I 3 AktG). Der BGH hatte zu klären, dass die Bundesrepublik herrschendes Unternehmen der VEBA als von ihr abhängiger Gesellschaft war. 1408 Als Gesetzesverstoß iS von § 243 I AktG kommt nicht das Mitzählen einer Stimme in Betracht, die missbräuchlich abgegeben worden ist. Darauf ist § 243 II (s sogleich) anzuwenden. Die Grenzen werden verwischt, wenn man die allgemeine Treuepflicht unter Aktionären anerkennt und als Fall von § 243 I die Verletzung der Treuepflicht bei der Stimmabgabe in Betracht zieht (so Grunewald, FS Kropff 1997, 89, 94). 1409 Beispiel Anfechtbarkeit der Beschlüsse über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat bei Nichtbeantwortung oder unzureichender Beantwortung berechtigter Fragen hinsichtlich der Organisation der Gesellschaft (betr die eigenverantwortliche Leitung), OLG Frankfurt AG 2008, 417; Anfechtbarkeit der Entlastung bei Fehlen der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, OLG München DB 2008, 1148; bei Fehlen des Lageberichts, BGH AG 2008, 83 (dazu Graff, AG 2008, 479). Allgemein Kersting, ZGR 2007, 319.

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(§§ 171 II, 186 IV 2, 293a, f, 312, 314 II AktG1410 etc). Auf diesen Anfechtungsgrund bezieht sich die Spezialvorschrift des § 243 IV AktG. Die Neufassung des § 243 IV 1 durch das UMAG ist soeben genannt. Nach § 243 IV 2 AktG tritt sodann die Anfechtungsklage wegen Verletzung des Informationsrechts (merkwürdigerweise: nur für den Fall der Information in der HV) dann, wenn die Information Bewertungsfragen bei Abfindungen etc betrifft, hinter das Spruchverfahren nach dem SpruchG zurück (zB in den Fällen der §§ 304 III 2, 3, 305 V 1, 2, 327f AktG). Schließlich kann ein Beschluss in seinem Inhalt gegen Gesetz oder Satzung verstoßen1411. Hinsichtlich der Auskunftsrüge ist das Verhältnis der Anfechtungsklage 875 zum Auskunftserzwingungsverfahren nach § 132 AktG zu klären. Auskunftserzwingung und Beschlussanfechtung sind selbstständige Verfahrensgegenstände. Nach einer Entscheidung des BGH1412 regelt § 132 trotz § 132 II 1 (im Fall der Beschlussfassung Antragsberechtigung auch aller erschienenen und Widerspruch einlegenden Aktionäre) nicht ein Vorschaltverfahren für die Anfechtungsklage. Der Gegenstand des Erzwingungsverfahrens ist die Erzwingung der Auskunft, Gegenstand der Anfechtungsklage die Vernichtung des Beschlusses wegen fehlerhaften Zustandekommens. Zum Auskunftsverweigerungsbeschluss nach §§ 51a, b GmbHG hat der 876 BGH1413 diesen Beschluss von dem anderen Beschluss unterschieden, der nach Verweigerung der Auskunft in der Angelegenheit, auf die sich das Auskunftsbegehren bezog, gefällt wird. Hinsichtlich des Verweigerungsbeschlusses ist, so der BGH, das Auskunftserzwingungsverfahren vorrangig, wenn ein Gesellschafter diesen Beschluss allein mit der Begründung anficht, ihm müsse Auskunft erteilt werden. Anders sei es wiederum dann, wenn ein Gesellschafter einen Schadensersatzanspruch gegen einen anderen Gesellschafter wegen dessen Mitwirkung an dem Beschluss darlege und die Aufhebung des Beschlusses mit Wirkung inter omnes als Vorbereitung für die Klage gegen den anderen Gesellschafter begehre. Auch mittelbar können Gesetzes- oder Satzungsverstöße Gründe für die 877 Anfechtung eines HV-Beschlusses sein, nämlich des HV-Beschlusses über die

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1410 S BGHZ 62, 193 (Seitz) zur Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses trotz Fehlens des Berichts des Vorstands nach § 312 und des Aufsichtsrats nach § 314 II 1 AktG über die Beziehung zu einer Unternehmensgruppe, von der die beklagte AG nach der Prüfung des BGH abhängig war. 1411 Nach BGHZ 71, 40 (Kali u Salz) bedeutet es einen inhaltlichen Verstoß, wenn der Ausschluss des Bezugsrechts der (Minderheits-)Aktionäre nicht sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig ist (s o Rn 594). 1412 BGHZ 86, 1. 1413 BGH NJW 1988, 1090.

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Entlastung von Vorstand oder Aufsichtsrat. Haben Vorstand oder Aufsichtsrat solche Verstöße begangen und werden sie trotzdem entlastet, so kommt die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses in Betracht. Der BGH verlangt allerdings für die Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses einen eindeutigen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß1414. Ein für das ganze Kapitalgesellschaftsrecht grundlegend wichtiger Anfech878 tungsgrund ist in § 243 II AktG geregelt: Danach kann die Anfechtung auch darauf gestützt werden, dass ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts für sich oder einen Dritten Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder der anderen Aktionäre zu erlangen suchte und der Beschluss geeignet ist, diesem Zweck zu dienen. Nach Flume ist die Verfolgung eines Sondervorteils die „Todsünde“ der Stimmrechtsausübung1415. Weil sich das aus der Ausrichtung der Stimmrechtsausübung auf die juristische Person von selbst ergebe, kommt nach Flume dem § 243 II AktG keine besondere Bedeutung zu. Nach h.M. sind schon die Treuebindung der Gesellschafter und der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur ausreichende, sondern möglicherweise weiterführende Kontrollansätze1416. Bedenklich ist § 243 II 2: Danach soll das Verbot der Sondervorteilserstrebung nicht gelten, wenn der Beschluss den anderen Aktionären einen angemessenen Ausgleich für ihren Schaden gewährt. Die Vorschrift beruht auf dem irrtümlichen Verständnis der AG als einer MiteigentümerGesellschaft. Die Norm ist schon im Hinblick auf das Verbot verdeckter Gewinnausschüttung (§ 57 I, III AktG) ohne Bedeutung1417. Sondervorteilsgewähr ist Ungleichbehandlung ohne sachlich gerechtfer879 tigten Grund1418. Als Beispiel für die Verfolgung eines Sondervorteils ist der Fall BGHZ 76, 352 anzuführen. Im Fall ging es um den Auflösungsbeschluss, den ein Gesellschafter anstrebte, um sich das Gesellschaftsunternehmen anzueignen. An sich ist die Möglichkeit zur Auflösung der Gesellschaft ein vom Gesellschaftsinteresse her nicht kontrollierbares Eigenrecht der Gesellschafter. Anders ist aber im Fall eines solchen Aneignungsvorsatzes zu entscheiden1419. Die

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1414 Macrotron, BGHZ 153, 47. Noch ohne Hervorhebung dieser Einschränkung die Entscheidung BGHZ 62, 193 zur Anfechtung des Entlastungsbeschlusses trotz Fehlens der Berichte nach § 312, § 314 II 1 AktG 1415 I/2 § 7 III, S.213 unter Anführung von G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht,1958. 1416 Zöllner, Kölner Kom AktG, 3. Aufl. 2004 ff § 243 N 231 f. 1417 S Flume a.a.O. Zur Frage i e Hüffer, FS Kropff 1997, 127. 1418 Ein Bezugsrechtsausschluss zugunsten eines Aktionärs, der der Gesellschaft eine Sacheinlage erbringen soll, gewährt bei sachlicher Rechtfertigung keinen unzulässigen Sondervorteil. 1419 Flume I/2 § 7 IV S 217, s a o Rn 832, 842 zur Linotype-Entscheidung.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 511

Sanktion der missbräuchlichen Stimmabgabe ist die Nichtigkeit der Stimme. Der Beschluss kann angefochten werden, zugleich kann Klage auf Feststellung des Zustandekommens des Beschlusses ohne die missbräuchlich abgegebene Stimme erhoben werden1420.

§ 243 III Nr 1 schließt bestimmte Fehler von der Anfechtbarkeit aus: So sind 880 Fehler aufgrund der Störung der elektronischen Kommunikation, wenn die Verwaltung nicht mindestens grob fahrlässig gehandelt hat, kein Anfechtungsgrund. Nach § 243 III Nr 2 AktG ist ebenso wenig ein Anfechtungsgrund die Verletzung des § 128 AktG (über die Kommunikation zwischen Kreditinstituten bzw Wertpapiervereinigungen und Aktionären zur Vorbereitung einer HV). Nach § 243 III Nr 3 sind schließlich Gründe hinsichtlich der Bestellung eines Abschlussprüfers ausschließlich in dem Verfahren nach § 318 III HGB geltend zu machen. Anfechtungsgründe können nur unter folgenden Voraussetzungen geltend 881 gemacht werden: Die Anfechtungsbefugnis (§ 245 AktG)1421: Sie ist materiellrechtliche Regelung der Aktivlegitimation und nicht der Prozessführungsbefugnis1422. Anfechtungsbefugt ist zunächst (§ 245 Nr 1) jeder Aktionär1423, der in der HV erschienen ist, seine Aktien schon vor Bekanntmachung der Tagesordnung erworben hatte und gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat1424. Zusätzliche Beschränkungen enthält die Vorschrift über die gerichtliche Freigabe von Beschlüssen: Nach § 246a II Nr 2 AktG erklärt bei Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse über Kapitalveränderungen oder Unternehmensverträge das Gericht auf Antrag der Gesellschaft die Freigabe, wenn der Aktionär nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Freigabeantrags der Gesellschaft

_____ 1420 Flume I/2 § 7 II 1 S 215 f. 1421 Das subjektive Recht zur Anfechtung besteht nur in den Grenzen der §§ 245 f AktG. Die Erfüllung der Voraussetzungen gehört also zur Begründetheit der Klage. Bei Versäumung der Frist gibt es keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Hüffer/Koch § 245 Rn 2, § 246 Rn 20). 1422 BGH NJW-RR 1992, 1388, 1389; Hüffer/Koch § 245 Rn 2 1423 Auch Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht (Hüffer/Koch § 245 Rn 5). Stellvertretung ist möglich. Zur Rechtsstellung bei Verfügung über die Aktie sogleich. Für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ist in § 251 II die Anfechtungsbefugnis mitbestimmungsrechtlich erweitert. In § 254 II 3 ist für die Anfechtungsbefugnis von Aktionären beim Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns, wenn der besondere Gegenstand des § 254 I geltend gemacht werden soll, ein bestimmtes Quorum erforderlich. 1424 Bei einzutragenden Maßnahmen kann der widersprechende Aktionär mit seinem Widerspruch den Antrag beim Registergericht verbinden, das Eintragungsverfahren auszusetzen (§ 381 FamFG).

512 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

durch Urkunden nachweist, dass er seit Bekanntmachung der Einberufung einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000 € hält. Was die Befugnisvoraussetzung des Widerspruchs zur Niederschrift betrifft, reicht nach dem Urteil des OLG Hamm zum Fall Hoesch/Hoogovens1425 der Widerspruch „gegen alle bisher auf dieser HV gefassten und alle künftig hier noch zu fassenden Beschlüsse“ auch dann aus, wenn der Widerspruch ohne weitere Begründung erhoben ist. Diese Auffassung ist umstritten1426, aber im Grundsätzlichen gerechtfertigt1427. Der Aktionär hat kraft seiner Mitgliedschaft ein Recht zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der HV-Beschlüsse1428. Das Widerspruchserfordernis soll nur ein venire contra factum proprium ausschließen, das darin besteht, Beschlüsse in der Versammlung hinzunehmen und später mit der Klage anzugreifen. Die Erklärung eines Generalwiderspruchs schließt ein derartiges venire contra factum proprium aus1429.

Nach hM muss die Aktionärsstellung vom Zeitpunkt der Bekanntmachung der Tagesordnung bis zur Klageerhebung fortbestehen1430. Eine Ausnahme wird nur für den Fall der Gesamtrechtsnachfolge zugelassen1431. Diese Sichtweise schränkt die Fungibilität der Aktie über Gebühr ein, ohne dass dies zur Verhinderung von Missbräuchen1432 gerechtfertigt wäre. Es kann nur darauf ankommen, dass die rechtzeitig erworbene Aktie in der Hauptversammlung vertreten war und vom Inhaber bzw Vertreter Widerspruch zur Niederschrift erklärt wurde. Wird

_____ 1425 AG 1981, 198; ebenso OLG Jena DB 2006, 2281. 1426 Anders etwa LG Frankfurt a.M. AG 2005, 51 (Widerspruch ohne Kenntnis der HV-Beschlüsse sei nicht sinnvoll). Zutreffend gegen das LG Vetter, DB 2006, 2278, als Folge müsse der Aktionär bis zum Ende der uU bis Mitternacht dauernden HV ausharren für den Fall, dass der Beschluss kommen wird, und könne der Versammlungsleiter die HV nicht schließen, bevor nicht alle Widersprüche gegen die häufig an das Ende der Versammlung gelegten Beschlüsse aufgenommen sind. 1427 Überzeugend OLG Jena DB 2006, 2281. 1428 Deshalb kein Rechtsschutzinteresse aus einer Betroffenheit des Aktionärs erforderlich, BGH WM 1964, 1188. Kein Rechtsschutzinteresse allerdings, wenn angefochtener Beschluss inzwischen aufgehoben oder einzutragen, die Anmeldung zum Register aber zurückgenommen ist (OLG Jena aaO). 1429 Nach BGH NZG 2007, 907 erhält auch ein Widerspruch, der vor Fassung des Beschlusses ausgesprochen wird, die Klagebefugnis. 1430 K. Schmidt/Lutter/Schwab Kom AktG, 2008, § 245 Rn 25; Spindler/Stilz/Dörr Kom AktG, 2007, § 245 Rn 19, beide mN. 1431 OLG Celle ZIP 1984, 594, 600 mwN (Pelikan). 1432 Zu missbräuchlichen Anfechtungsklagen s u Rn 915 ff.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 513

die Aktie nach Beschlussfassung übertragen, steht dem Rechtsnachfolger das Anfechtungsrecht zu1433. Wird die Aktie erst während des Rechtsstreits veräußert, hat dies in ent- 882 sprechender Anwendung des § 265 II ZPO auf den Rechtsstreit keinen Einfluss1434. Ein rechtliches Interesse zur Fortführung ist aber erforderlich, wenn der Aktionär seine Aktionärsstellung durch einen Squeeze-out verliert (§§ 327a, 327e AktG) 1435. Für die Durchsetzung der Mindestdividende nach § 254 I AktG kommt es nach Abs 2 S 3 der Vorschrift auf ein bestimmtes Quorum der Aktionäre an. Nach § 245 Nr 2 AktG ist jeder in der HV nicht erschienene Aktionär kla- 883 gebefugt, wenn die AG sein Nichterscheinen iS der Vorschrift zu vertreten hat1436. Jeder Aktionär, der die Aktien vor Bekanntmachung der Tagesordnung erworben hat ist klagebefugt, wenn er wegen Sondervorteilserstrebung (§ 243 II AktG) anficht (§ 245 II Nr 3).

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1433 KK/Zöllner, 1. Aufl, § 243 Rn 20 f, 33. Der Wortlaut des § 245 Nr 1 AktG, der vom „erschienenen“ Aktionär spricht, steht dieser Auffassung nicht entgegen; in § 245 Nr 1 AktG ist nur der Gegensatz zum nicht erschienenen Aktionär gemeint. Daran ändert auch die Neufassung der Vorschrift durch das UMAG (Voraussetzung des Erwerbs vor Bekanntmachung der Tagesordnung) nichts. Die Einführung der Haltefrist soll nur verhindern, dass nach Bekanntmachung der Tagesordnung gezielt Aktien gekauft werden, um später Anfechtungsklagen zu betreiben (Begr RegE BT-Drucks 15/5092, S 27). Besteht aber nach Widerspruch zur Niederschrift die Anfechtungsbefugnis, entfällt sie auch bei Veräußerung nicht, sondern besteht zugunsten des Erwerbers fort. 1434 Im Urteil Massa (BGHZ 169, 221) spricht der BGH allgemein von dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses (mit Recht kritisch Waclawik, ZIP 2007, 1, 5; K. Schmidt/Lutter/Schwab § 245 Rn 26). § 265 II ZPO ist eine Vorschrift gegen die Klagebefugnis des Erwerbers, nicht zur Begründung der Klagebefugnis des Veräußerers, die problematisch und noch zu erschweren wäre. Anders ist zu entscheiden aus der besonderen Rechtswirkung des Squeeze-out (s folgende Fn). 1435 Insoweit zustimmungswürdig BGHZ 169, 221 Rn 16 ff (Massa); dazu Nietsch, NZG 2007, 451. Im Fall war der Beschluss über die Zustimmung zur Vermögensübertragung (§ 179a AktG) wegen zu geringer Gegenleistung nach § 243 II AktG angegriffen. Bei Erfolg der Anfechtungsklage waren für die Abfindung im Rahmen des Squeeze-out die Rückabwicklungsansprüche der Gesellschaft gegen den Mehrheitsgesellschafter zu berücksichtigen, mit Rechtskraft (§ 248 AktG) auch für ein eventuelles Spruchverfahren über die Bemessung der Abfindung (§ 327f AktG). Das geforderte rechtliche Interesse war deshalb gegeben. Von der Entscheidung Massa grenzt LG Bonn ZIP 2008, 835 mit Anm Lutter den Fall einer Anfechtungsklage gegen Entlastungsbeschlüsse des übertragenden Rechtsträgers einer Verschmelzung noch nach der Verschmelzung ab. Eine solche Klage sei wegen Erlöschens des übertragenden Rechtsträgers (§ 20 I Nr 2 UmwG) generell unzulässig. 1436 Nr 2 ist auch anwendbar, wenn der Aktionär durch unberechtigte Verweisung aus dem Saal daran gehindert worden ist, Widerspruch zu erheben. Weiteres Beispiel OLG Frankfurt AG 2007, 357: Ein Aktionär verlässt die Veranstaltungshalle, weil eine Taschenkontrolle verlangt wird. Das OLG hält dies für unzumutbar und verweist auf die Möglichkeiten von Durchleuch-

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Neben den Aktionären ist anfechtungsbefugt der Vorstand (Nr 4)1437; weiter ist jedes Mitglied des Vorstands und des Aufsichtsrats anfechtungsbefugt unter der Voraussetzung der straf- oder bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit oder der Schadensersatzpflicht der Mitglieder bei Durchführung des Beschlusses (Nr 5). Montanmitbestimmungsrechtliche Besonderheiten zur Anfechtungsbefugnis sieht § 251 II 2, 3 AktG betreffend die Anfechtung der Wahl in den Aufsichtsrat vor. Eine weitere Voraussetzung ist die Klageerhebung in der Anfechtungs885 frist: Die Frist beträgt einen Monat seit Beschlussfassung (§ 246 I AktG). Sie ist nach § 187 I BGB vom Tag nach Beschlussfeststellung an zu berechnen, bei mehrtätiger HV muss das der Tag nach der Beendigung der HV sein. Die Frist läuft bis zu demjenigen Tag, der dem Tag der Beschlussfeststellung oder des Endes der HV entspricht (§ 188 II 1. Alt BGB)1438. Die Klage muss in dieser Frist gegen die Gesellschaft (vertreten durch Vorstand und Aufsichtsrat, § 246 II 2) erhoben werden1439. In der Frist müssen auch die Anfechtungsgründe (in ihrem wesentlichen Kern) bezeichnet werden; eine Nachschiebung von Gründen ist also unzulässig1440. Die Anfechtungsfrist ist keine Klagefrist, deren Nichteinhaltung die Klage unzulässig macht, sondern eine materiell-rechtliche Frist. Eine verspätete Klage ist daher unbegründet. Die Vorschriften der ZPO über Fristen sind nicht anwendbar, insbesondere gibt es keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand1441. 886 Die Anfechtungsklage ist ausgeschlossen, wenn die HV ihren anfechtbaren Beschluss bestätigt und der neue Beschluss nicht wirksam angefochten wird (§ 244 AktG)1442.

884

_____ tung (mit der Möglichkeit anschließender genauer Taschenüberprüfung bei Auffälligkeiten), stattdessen komme die Verweisung auf sichere Aufbewahrungsstelle in Betracht (außerhalb des Eingangsbereichs, wenn eine Terrorbedrohung im unmittelbaren Eingangsbereich ausgeschlossen werden soll). 1437 Eine Mitverursachung der Anfechtbarkeit ändert die Anfechtungsbefugnis nicht, BGHZ 206, 143. 1438 Für Anwendbarkeit der Bestimmungen des BGB K. Schmidt/Lutter/Schwab Kom AktG 2008 § 246 Rn 6. Dort auch überzeugende Begründung für den Fristbeginn bei mehrtätigen HV (bis zuletzt kann Widerspruch und dadurch erst die Anfechtungsbefugnis begründet werden). 1439 Dh es muss die Klageschrift bei Gericht eingereicht werden und die Zustellung demnächst erfolgen (§§ 253, 270, 167 ZPO), Antrag auf Prozesskostenhilfe soll nach sich zunehmend durchsetzender Meinung genügen, Raiser/Veil § 16 Rn125. Beispiel für eine Verfristung OLG Brandenburg AG 2008, 497. 1440 BGHZ 180, 9 Rn 34 f. 1441 Hüffer/Koch § 246 Rn 20. 1442 Durch einen nicht seinerseits angefochtenen Bestätigungsbeschluss wird die Klage in der Hauptsache erledigt (§ 91a ZPO), es sei denn der Aktionär hat und verfolgt ein Interesse

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 515

Nach dem Vorbild von § 16 III UmwG (ebenso betr Eingliederung §§ 319 VI, 887 320 I 7, betr Squeeze-Out § 327e II AktG) sieht § 246a AktG idF des UMAG und des ARUG das soeben schon genannte Freigabeverfahren vor. Eine Freigabe kommt auf dieser Grundlage bei der Anfechtung von HV-Beschlüssen über eine Maßnahme der Kapitalbeschaffung, der Kapitalherabsetzung oder einen Unternehmensvertrag iS der §§ 291–307 AktG in Betracht. § 249 (betreffend die Nichtigkeitsklage) und § 255 III (über die Anfechtung einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen) verweisen auf die Regelung des Freigabeverfahrens in § 246a AktG. Die erfassten Beschlüsse bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung. Nach § 246a I kann das Gericht (OLG am Sitz der Gesellschaft, § 246a I 3) auf Antrag der Gesellschaft feststellen, dass eine Anfechtungsklage der Eintragung nicht entgegensteht und Mängel des Beschlusses die Wirkung der Eintragung unberührt lassen1443. Abs 2 ermöglicht diese Feststellung bei Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit (Nr 1)1444, weiter in dem Fall, dass der Kläger nicht binnen Wochenfrist einen Aktienbesitz von mindestens 1.000,– € nachweisen kann (Nr 2), oder schließlich bei Vorrang des Interesses der Gesellschaft

_____ betreffend die Zeit vom angefochtenen Beschluss bis zum Bestätigungsbeschluss (§ 244 S 2 AktG, denkbar bei Gewinnverwendungsbeschlüssen). Näher zur Bestätigung BGH NJW 2004, 1165. Zur Entscheidung Zöllner, AG 2004, 397, mit einer Grundsatzkritik am Institut der Bestätigung. 1443 Die Begr des RegE führt dazu aus (S 61): „Die Bestandskraft der Eintragung wird dadurch gewährleistet, dass gemäss § 242 Abs. 2 Satz 5 erster Halbsatz (des Entwurfs) das der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage stattgebende Urteil nach § 248 Abs. 1 Satz 3 nicht mehr eingetragen werden kann, wenn das Prozessgericht rechtskräftig festgestellt hat, dass Mängel des Hauptversammlungsbeschlusses die Wirkung der Eintragung unberührt lassen. Mit dieser Formulierung wird klargestellt, dass trotz Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses infolge einer erfolgreichen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage der eingetragene Hauptversammlungsbeschluss nicht durch Eintragung des der Klage stattgebenden Urteils mittels Vermerk nach § 44 HRV als nichtig bezeichnet werden kann. § 242 Abs. 2 Satz 5 zweiter Halbsatz stellt klar, dass ein als bestandskräftig bezeichneter Hauptversammlungsbeschluss auch nicht nach § 144 Abs. 2 FGG (jetzt § 398 FamFG) von Amts wegen als nichtig gelöscht werden darf. Die Eintragung des Hauptversammlungsbeschlusses unter Feststellung der Bestandskraft durch das Prozessgericht kann somit weder nach § 248 Abs. 1 Satz 3 AktG, noch nach § 144 Abs 2 FGG (aF) rückgängig gemacht werden.“ Um dieser Wirkung willen ist ein Freigabeverfahren auch dann zulässig, wenn der angefochtene Beschluss schon eingetragen worden ist (OLG Celle AG 2008, 217). 1444 Das Merkmal setzt die Prüfung durch den Senat voraus (bei Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme kommt es auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit des negativen Ergebnisses an). Das Merkmal darf nicht mit leichter Erkennbarkeit verwechselt werden. Zum Merkmal OLG Frankfurt AG 2007, 357; AG 2007, 867; OLG Karlsruhe AG 2007, 284. Offensichtliche Unbegründetheit, weil wegen leichterer Einberufungsmängel kein Nichtigkeitsgrund vorliege und die Anfechtungsfrist versäumt war, nimmt OLG Frankfurt, AG 2008, 667 an.

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an dem Beschluss aufgrund Unverhältnismäßigkeit der Klage, vorbehaltlich einer besonderen Schwere des Verstoßes (Nr 3)1445. Der Registerrichter ist an die Freigabeentscheidung gebunden (§ 246a III 5). Wenn der Anfechtungs- oder Nichtigkeitskläger mit seiner Klage Erfolg hat, kann er nur noch Schadensersatz verlangen, allerdings nicht durch Rückgängigmachung der Maßnahme (§§ 246a IV, 249 I 1 AktG). Abgesehen von dieser Möglichkeit prüft bei einzutragenden Beschlüssen 888 das Registergericht, bei dem die Eintragung beantragt wird, selbstständig, ob der Beschluss Mängel hat. Wenn in der HV Widerspruch erhoben wurde, wird es die Anfechtungsfrist abwarten (s § 381 FamFG). Wird in der Frist keine Klage erhoben, muss es immer noch im Hinblick auf Mängel, durch welche Gläubigerinteressen, die öffentliche Ordnung oder das Interesse künftiger Aktionäre verletzt wird, die Eintragung ablehnen. Entgegen der in den Voraussetzungen und Möglichkeiten der Überwindung 889 der Anfechtungsklage zum Ausdruck kommenden Tendenz zur Beschränkung dieser Klage enthält das Gesetz in § 247 II 1 AktG die Möglichkeit der Erleichterung durch eine Streitwertspaltung: Das Prozessgericht1446 kann auf Antrag eines Beteiligten anordnen, dass sich die Kostenlast für diesen nach einem seiner wirtschaftlichen Lage angemessenen Teil des Streitwerts bemisst. Als begünstigte Partei kommt praktisch nur der Anfechtungskläger in Betracht. Insofern bedeutet § 247 II 1 AktG eine Erleichterung der Klage für Kleinaktionäre. Die Regelung hat freilich die Milderung erst nach einem vorherigen Gesetzesschritt erbracht, durch den die Last der Anfechtungsklage durch Bemessung des Streitwerts nach dem Interesse sowohl der AG als auch des Kl verschärft worden war (§ 247 I 1 AktG1447). Die Einführung des Freigabeverfahrens ist auch eine Reaktion des Ge890 setzgebers auf die bekannte Problematik missbräuchlicher Anfechtungsklagen (Stichwort „räuberische Aktionäre“). Auf dieses Problematik wird nach der Prüfung der Reichweite der Beschlussmängelvorschriften des AktG, dh den Themen der analogen Anwendung der Vorschriften des AktG, eingegangen1448.

_____

1445 Zur Interessenabwägung KG AG 2007, 359. Das ARUG hat die schon vom Gesetzgeber des UMAG beabsichtigten Wertungen in der Formulierung der Vergleichspunkte der Interessenabwägung klargestellt (Begr. RegE ARUG BT-Drs. 16, 11642, 41; hier insbesondere zum Merkmal der besonderen Schwere des Verstoßes). 1446 Zuständig ist das LG, in dessen Bezirk die AG ihren Sitz hat, § 246 III 1 AktG. 1447 Die analoge Anwendung des § 247 I 1 AktG auch auf andere Anträge, die die Gesamtheit der Aktionäre betreffen, zB Antrag auf einstweilige Verfügung der Untersagung von Maßnahmen der Verwaltung ohne Zustimmung der HV, vertritt OLG Hamm AG 2007, 421. 1448 U Rn 915 ff.

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c. Die analoge Anwendung der §§ 241 ff auf die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der GmbH Das GmbHG enthält keine Regelung über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit 891 von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung. Die Rechtsprechung des RG und sodann des BGH wendet seit je die Nichtigkeits- und Anfechtungsregelung des AktG auf die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung entsprechend an, soweit nicht die Besonderheiten der GmbH Abweichungen erfordern1449. Umstritten, aber letztlich zu bejahen ist die Anwendung des neuen § 246a AktG über das Freigabeverfahren1450. In seiner neuen Rechtsprechung hat der BGH dem Drängen des Schrifttums nachgegeben, für Beschlussmängelstreitigkeiten unter dem Vorbehalt der Satzung oder einvernehmlicher Entscheidung der Gesellschafter und weiter der Gewährleistung einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung Schiedsverfahren zuzulassen unter Zubilligung der Rechtskraft inter omnes analog §§ 248, 249 AktG1451. In seiner Entscheidung aus dem Jahre 1981 1452 hat der BGH allerdings noch 892 die Analogie zu den aktienrechtlichen Anfechtungsvorschriften dahinstehen lassen. Hier kam es ihm nur auf die Heilung der Nichtigkeit nach § 242 II 1 AktG in entsprechender Anwendung an: Sachverhalt: X und Y sind Gesellschafter einer OHG. Y erteilt X Generalvollmacht, weil er in Brasilien weilt. X gründet eine GmbH & Co KG als Betriebsgesellschaft, so dass die OHG nur noch Besitzgesellschaft ist. Die Komplementär-GmbH hat X sowohl im eigenen als auch im Namen des Y gegründet; zu ihrem Geschäftsführer hat er sich selbst bestellt. Y kehrt zurück, billigt die Gründungen, hält aber die Bestellung des X zum Geschäftsführer für unwirksam. Y erhebt Feststellungsklage am 11.6.1979 (die GmbH war mit dem Geschäftsführer X eingetragen am 2.1.1976). Der BGH prüft zunächst das Zustandekommen des Beschlusses über die Bestellung des X zum Geschäftsführer. Auch im Gründungsstadium der GmbH reiche eine Mehrheitsentscheidung über die Bestellung zum Geschäftsführer aus, soweit die Vertretungsmacht des Geschäftsführers nicht über das zur Gründung notwendige Maß hinausgehe. Die VorGmbH sei entsprechend der GmbH zu behandeln, soweit die Vorschriften über die GmbH nicht von der Rechtsfähigkeit abhängig seien1453.

_____

1449 RGZ 166, 129, 131, BGHZ 11, 231, 235; sodann etwa BGHZ 83, 341 betreffend Nichtigkeit nach § 256 V AktG; BGH NJW 1981, 2125 betreffend Heilung nach § 242 II 1 AktG, WM 1989, 63 betreffend Anfechtung in kurzer Frist, wenn kein Nichtigkeitsgrund iSv § 241 Nr 1–4 AktG (analog) begründet ist. – Übungsfall bei Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005, Fall 4. 1450 Gegen die Anwendung KG NZG 2011, 1068; mit überzeugender Abwägung dafür Roth/Altmeppen/Roth § 57 Rn 14 mit weit N. 1451 BGHZ 180, 221. 1452 NJW 1981, 2125. Zu der Entscheidung K. Schmidt, ZIP 1981, 611. 1453 BGH NJW 1981, 2125, 2126.

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Für den Beschluss, den X zum Geschäftsführer zu bestellen, waren nach Ansicht des BGH die erforderlichen Stimmen vorhanden. Erforderlich ist insoweit die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 47 I GmbHG). X hatte 100 Stimmen für sich und 100 Stimmen für Y abgegeben. Der BGH folgert: Seien die 100 Stimmen für Y mangels Vertretungsmacht (die sich nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht auf die Aufhebung der Parität in den Gesellschaften erstreckte) ungültig, so entscheide die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen, also die 100 des X allein1454. Was die materielle Wirksamkeit des Beschlusses über die Bestellung des X zum Geschäftsführer betrifft, verwehrt der BGH die Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen wie dem Mangel der Ladung etc. § 242 II 1 AktG (mit der 3-Jahres-Frist) sei analog anzuwenden. Bisher habe der BGH die analoge Anwendung wegen der überschaubaren Zahl der Gesellschafter bei der GmbH mit der Folge der Maßgeblichkeit auch der persönlichen Verhältnisse der Betroffenen abgelehnt, so dass ein Rechtssicherheitsbedürfnis nur eingeschränkt zu gewährleisten sei. Zudem habe sich die frühere Rechtsprechung auf die Üblichkeit längerer Einigungsversuche bei der GmbH berufen. Die bessere Einsicht spreche nunmehr aber für die Anwendung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsvorschriften des Aktienrechts. Auch die GmbH kenne eintragungspflichtige Beschlüsse, die (etwa solche über die Kapitalerhöhung) auch für die Gläubiger der GmbH relevant seien. Für die Beschlüsse müsse gewährleistet sein, dass sie nach bestimmter Zeit geheilt seien; die Heilung müsse sich nach objektiv feststellbaren Kriterien richten. Die von der früheren Rechtsprechung genannten Gründe könnten für die Anfechtbarkeit relevant sein, nicht aber für die Nichtigkeit mit der 3-Jahres-Frist. Da im vorliegenden Fall die GmbH mit dem Geschäftsführer X am 2.1.1976 in das Handelsregister eingetragen worden sei, die Feststellungsklage des Y aber erst am 11.6.1979 erhoben worden sei, sei Heilung eingetreten1455. Auch ein Recht des Kl aus dem OHG-Vertrag auf paritätische Gesellschafter- und damit auch Geschäftsführer-Stellung sei abzulehnen. Der Kl sei auch in Zukunft zur eigenen Wahrnehmung der Geschäftsführerposition nicht in der Lage. Eine rein formale Geschäftsführerstellung entspreche aber weder dem Bild des GmbH-Geschäftsführers noch sei es ein berechtigtes Anliegen eines Gesellschafters der OHG, eine Geschäftsführerstellung zu erlangen, die er nicht ausfüllen könne1456. Der Fall ist durch die Abwesenheit eines der beiden Gesellschafter und die Überlassung der Leitung an den anderen Gesellschafter gekennzeichnet. In diesem Fall kommt es

_____ 1454 Nach BGHZ 83, 35 ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (mit der Folge, dass Stimmenthaltung nicht mitzählt) auch für den Verein maßgeblich trotz § 32 I 2 BGB. Das Wort „erschienen“ solle ausschließen, dass es auf die Mehrheit aller vorhandenen Vereinsmitglieder ankomme. Das Mitzählen der Stimmenthaltung verlange der Wortlaut nicht. Würde nicht auf die abgegebenen Stimmen abgestellt, so würde die Enthaltung ein Nein bedeuten. Eine Enthaltung bedeute aber eben gar nichts, sie sei deshalb nicht mitzuzählen. Auch bei Wahlen gilt das Erfordernis der absoluten Mehrheit gem § 47 GmbHG und § 32 I 2 BGB. Bei Nichterreichen einer absoluten Mehrheit, weil mehrere Kandidaten zur Wahl stehen, ist der Ausweg durch Stichentscheid zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen zu nehmen. Bei Stimmengleichheit kommt – vorbehaltlich der Satzung – die Wahl nicht zustande. 1455 BGH NJW 1981, 2125, 2126 f. 1456 BGH NJW 1981, 2125, 2126 l Sp.

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schon durch die Beschlussfassung des allein verbleibenden Gesellschafters zu festgestellten Beschlüssen, die, wie der BGH mit Recht folgert, unter den Bestandsschutz der aktienrechtlichen Regelung fallen müssen.

Ungeachtet des zitierten für die Fallentscheidung irrelevanten Vorbehalts geht 893 die Rechtsprechung aber von der Gesamtanalogie aus. Diese wird mit dem historischen Sinn der aktienrechtlichen Normen über Anfechtung und Nichtigkeit von HV-Beschlüssen begründet. Die Regelung stammt aus der Novelle von 1884. Sie verfolgt einen doppelten Zweck: Zunächst sollten der Zufälligkeit der Geltendmachung auch geringfügiger (insbesondere Verfahrens-) Verstöße noch nach Jahr und Tag in irgendeinem Prozess von irgendeinem Beteiligten Schranken gesetzt werden. Die AG muss mit ihren Beschlüssen leben und ist in Grenzen vor einer Aufstörung gewachsener Verhältnisse zu schützen. Zum anderen war aber auch in einer genauen Regelung die Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung der HV-Beschlüsse auf Rechtsverletzungen hin zu institutionalisieren und damit praktisch anwendbar zu machen. Von der Feststellungsklage, die von der Feststellung eines Rechtsschutzinteresses abhängig ist, schien das nicht zu erwarten. Die sicherlich im Vordergrund stehende Idee der Rechtssicherheit war also nicht allein maßgeblich, vielmehr trat der Gedanke einer wirksamen innergesellschaftlichen Kontrolle hinzu. Gegen die Gesamtanalogie hat Fehrenbach in einer grundlegenden Untersuchung Stellung 894 genommen1457. Er hat gezeigt, dass die aktienrechtliche Beschlussmängelregelung in einen historisch gewachsenen Rechtszustand einer allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Beschlussmängeldogmatik eingefügt worden ist, und zwar in rechtspolitischer Wahrnehmung der besonderen Aufgabe der AG als Kapitalsammelstelle. Dies passt nach Fehrenbach nicht zu der flexiblen, personenbezogenen Rechtsnatur der GmbH. Deshalb hat weder der Gesetzgeber des GmbHG von 1891 noch haben spätere Reformbemühungen die aktienrechtliche Regelung auf die GmbH übertragen. Folglich müsse für das Beschlussmängelrecht der GmbH auf das historische allgemeine Beschlussmängelrecht zurückgegriffen werden. Dies schließe die Analogie zu aktienrechtlichen Normen nicht aus. Aber für jede einzelne Norm der §§ 241 ff AktG sei die Analogie zu prüfen. Überwiegend geht die Prüfung durch Fehrenbach negativ aus. Sofern das mit dem Typ realer GmbHs als Publikumsgesellschaften nicht zusammenpasse, müsse durch den Gesellschaftsvertrag geholfen werden.

Analysiert man die von der Rechtsprechung bejahte Analogie in den Einzelhei- 895 ten, die die Rechtsprechung entwickelt hat, so ist doch eine überzeugende Anwendung zu erreichen. Die Bestandskraft von Beschlüssen, die die Anfech-

_____ 1457 Markus Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss in der GmbH, 2011.

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tungsregelung des AktG wahrt, ist auch für die Beschlüsse der GmbH erstrebenswert. Sodann berücksichtigen die Einzelmodifikationen, die die Rechtsprechung immer für die analoge Anwendung auf die GmbH vorbehalten und die sie dann in ihrem Verlauf entwickelt hat, das besondere Wesen der GmbH in einem Grade, dass die Gesamtanwendung schlüssig erscheint.

d. Die Abgrenzung zwischen Anfechtungs- und Feststellungsklage bei der GmbH (1) Notwendige Förmlichkeit der Beschlussfassung 896 Der Korrektur bedarf die Rechtsprechung des BGH allerdings im Hinblick auf die oben1458 angesprochenen zwei Fragen der Abgrenzung der anfechtbaren Beschlüsse einerseits und des Nichtzustandekommens von Beschlüssen, welches Gegenstand von Feststellungsklagen ist, andererseits. Die erste Frage hat mit förmlichen Voraussetzungen zu tun, die der BGH für einen anfechtbaren Beschluss der Gesellschafterversammlung macht. Die Abgrenzung durch den BGH kann nicht überzeugen. Ausgangspunkt der Rechtsprechung ist, dass die Normen des AktG für die in der HV ergangenen förmlichen Beschlüsse gelten. Einen solchen förmlichen Beschluss verlangt die Rechtsprechung auch für die Anfechtungsklage bei der GmbH. Das bedingt die folgende Unterscheidung: Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der GmbH können, wie zB satzungsändernde Beschlüsse, ebenso förmlich vorliegen wie bei der AG. Treffe dies nicht zu, sei für die Anfechtungsklage eine Ersatzförmlichkeit zu suchen und, wenn diese nicht erfüllt sei, nur die Beschlussfeststellungsklage zulässig. Eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 19801459 zeigt, dass der BGH sich selbst bei dieser Abgrenzung unsicher war: Der Kläger, Minderheitsgesellschafter der in der Liquidation befindlichen Beklagten, begehrt gegen die Beklagte die Feststellung von Beschlüssen über die Geltendmachung von Forderungen gegen die Mehrheitsgesellschafterin und eine von dieser zusammen mit deren Mutter gegründete GmbH. Auf seinen Antrag waren die Punkte vom Liquidator auf die Tagesordnung gesetzt worden, die Anträge des Klägers aber durch die Mehrheit der trotz des Hinweises auf das Stimmverbot nach § 47 IV GmbH mitstimmenden Mehrheitsgesellschafterin abgelehnt worden. In der Verhandlungsniederschrift hatte der Liquidator die Stimmverhältnisse festgestellt und dazu festgehalten, dass die Frage des Stimmverbots nicht von ihm zu entscheiden sei. Der Kläger klagt auf Feststellung, dass die von ihm beantragten Beschlüsse gefasst worden seien. Der II. Senat hat das klagezusprechende Urteil des OLG bestätigt.

_____ 1458 Rn 863. 1459 BGHZ 76, 154 (bestätigt durch BGH DStR 1996, 387 mit Anm Goette).

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Wegen der Formulierung des Liquidators sei gerade kein Beschluss festgestellt worden. Nach der rechtlichen Prüfung habe das Stimmverbot eingegriffen, entgegen der Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschafterin seien mithin die vom Kläger beantragten Beschlüsse zustande gekommen und gerichtlich festzustellen. Bemerkenswert ist, dass die Mehrheitsgesellschafterin gegen die Beschlüsse, wie sie der Kläger nun festgestellt bekommt, Anfechtungsklage erhoben hat.

In seiner weiteren Rechtsprechung hat sich der II. Senat dahin festgelegt1460, 897 dass, wenn keine Nichtigkeitsgründe analog § 241 AktG gegeben seien, die Alternative zwischen Anfechtungs- oder Beschlussfeststellungsklage davon abhänge, ob in der Gesellschafterversammlung ein Beschluss förmlich festgestellt werde oder nicht. Abgesehen von den zu beurkundenden Beschlüssen komme es in einer Versammlung mit einem Versammlungsleiter darauf an, ob dieser den fraglichen Beschluss festgestellt und verkündet habe1461. Auch ohne einen Versammlungsleiter könne aber auch durch andere Mittel (etwa ein vom Geschäftsführer unterzeichnetes und allen Gesellschaftern zugeleitetes Protokoll, das im Protokollbuch der Gesellschaft verwahrt wird) für die nötige Rechtssicherheit über den Beschluss gesorgt sein. Andernfalls gebe es keinen Beschluss, der grundsätzlich Anspruch auf Geltung habe, sofern er nicht an Nichtigkeitsgründen leide oder angefochten werde. Vielmehr müsse in diesem Fall erst einmal geklärt werden, ob ein bestimmter Beschluss durch die Abstimmung zustande gekommen sei oder, wenn dies behauptet werde, gerade nicht. Dafür gebe es die allgemeine Feststellungsklage (Beschlussfeststellungsklage), die nicht an eine Anfechtungsfrist gebunden, sondern nur zeitnah zu erheben sein soll, wenn nicht Verwirkung eingetreten sein soll. Mit Recht ist gegen diese Rechtsprechung eingewandt worden, dass Souverän die Gesellschafterversammlung und nicht ein Versammlungsleiter ist und für die Beschlüsse der Versammlung, wenn weder das Gesetz (etwa betreffs Satzungsänderungen) noch die Satzung Förmlichkeiten vorschreiben, die Stimmenmehrheit ausschlaggebend ist (§ 47 I GmbHG)1461a. Auch die Ersatzförmlichkeiten, die der BGH entwickelt, sind reine Erfindung. Zwischen Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage gilt bei der GmbH 898 dann, wenn eine Entscheidung mit Mehrheit zustande gekommen ist und weder

_____ 1460 S BGH NZG 2016, 552. 1461 Nach OLG München ZIP 2017, 1467 ist ein Versammlungsleiter nicht von der Beschlussfeststellung ausgeschlossen, wenn er selbst betroffen ist. Zum Versammlungsleiter im GmbHRecht Noack, GmbHR 2017, 792 ff. 1461a Altmeppen, NJW 2016, 2833. An das Fehlen eines zu einer Sicherung des Beschlussergebnisses führenden Beschlussverfahrensrechts im Recht der GmbH knüpft die Kritik Fehrenbachs an der ganzen Analogie der aktienrechtlichen Regelung an, S 149 ff, 381.

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das Gesetz noch die Satzung besondere Förmlichkeiten bestimmt1461b, dieselbe Unterscheidung, die auch das AktG trifft: Für die Anfechtungsklage muss der Beschluss wirksam sein, dazu bedarf es der Mehrheitsentscheidung, haften ihr Nichtigkeitsgründe an, ist die Nichtigkeitsklage analog § 249 AktG oder die daneben noch mögliche allgemeine Feststellungsklage zuständig.

(2) Anfechtungs- versus Feststellungklage bei Streit um Mängel einer Stimmabgabe 899 Die zweite oben1462 angesprochene Problematik der Abgrenzung zwischen Anfechtungs- und Feststellungsklage stellt sich im Hinblick auf das Eingreifen von Abstimmungsmängeln. Oben war schon das Beispiel des Streits um das Eingreifen oder Nichteingreifen von Stimmverboten angeführt. Die Problematik stellt sich ebenso, wenn wegen bürgerlichrechtlich wirksamer Anfechtung oder Unwirksamkeit einer Stimmabgabe aus anderen Gründen als einem Stimmrechtsausschluss Stimmen zur Mehrheit fehlen oder gerade umgekehrt die Mehrheit unwirksam mit begründen könnten. Zum Stimmverbot hat der BGH früher1463 die Nichtmitrechnung der vom Verbot betroffenen Stimme – allerdings mit Ausnahme des Falls notarieller Beurkundung des Beschlusses – und folglich die Nichtexistenz des Beschlusses, der auf dem Mitstimmen unter Verstoß gegen das Stimmverbot beruht, angenommen. Diese Rechtslage sei nicht durch eine Anfechtungsklage zu klären, da diese einen Beschluss iSd § 47 gerade voraussetze, sondern könne auf andere Weise, vor allem durch eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO geltend gemacht werden. Ein Gegenfall ist der eines Urteils des BGH aus dem Jahre 19821464: Von den 900 zwei gleichberechtigten Gesellschaftern einer GmbH war der eine Alleingeschäftsführer. Der andere hat den Mehrheitsbeschluss über die Abberufung

_____ 1461b Allerdings können Beschlüsse eine Satzungsregelung auch „durchbrechen“. Satzungsdurchbrechende Beschlüsse sind, wenn sie nur einen Einzelfall betreffen, unter der Voraussetzung der für Satzungsänderungen erforderlichen Mehrheit rechtmäßig und nur, wenn sie eine Dauerregelung zum Gegenstand haben (so im Fall BGHZ 123, 15), auch bei Zustandekommen mit Satzungsänderungsmehrheit unwirksam, wenn nicht die weiteren Voraussetzungen einer Satzungsänderung erfüllt sind (notarielle Form und Eintragung in das Handelsregister, §§ 53 f GmbHG), dh bei Formmangel unwirksam oder vorbehaltlich der Eintragung schwebend unwirksam (zur Unterscheidung wischen Einzelakts-bezogenheit und Dauerwirkung Zöllner, FS Priester 2007, 879). 1462 Rn 863. 1463 BGHZ 51, 209, 211 ff. 1464 BGHZ 86, 177.

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des Geschäftsführers aus wichtigem Grund nur dadurch zustande bringen können, dass der BGH den anderen wegen der Geltendmachung des Stimmverbots für nicht stimmberechtigt erklärte. Die Prüfung in der neuen Entscheidung ergab freilich, dass ein wichtiger Grund für die Abberufung nicht gegeben war. Hier war wieder fraglich, ob das Fehlen der Mehrheit, hier: wegen Nichteingreifens des Stimmverbots – durch Anfechtungsklage hätte geltend gemacht werden müssen. Der BGH hat darüber nicht entschieden, dies zu Unrecht. Der Rechtsstreit wurde geführt auf die Räumungsklage der GmbH gegen einen Mieter aufgrund der Kündigung des Mietvertrags, die für den geschäftsführenden Gesellschafter nach dessen Abberufung erklärt worden war. Der Beklagte berief sich darauf, dass die Kündigung wegen Wegfalls der Vertretungsbefugnis des geschäftsführenden Gesellschafters aufgrund der Abberufung unwirksam war. War der Abberufungsbeschluss ein wegen Nichteingreifens des Stimmverbots anfechtbarer Beschluss, so war er mangels Anfechtung weiterhin wirksam. Der BGH hat hier einerseits das Eingreifen des Stimmverbots schon bei bloßer Geltendmachung der Abberufung des wichtigen Grundes und andererseits die automatische Unwirksamkeit des Beschlusses, wenn die Voraussetzung des Stimmverbots objektiv nicht gegeben war, zugrunde gelegt1465. An der Auffassung vom Nichtzustandekommen eines Beschlusses bei blo- 901 ßer Geltendmachung des Stimmverbots hat der BGH später Zweifel geübt, diese aber im Hinblick auf den zu entscheidenden Fall dahinstehen lassen, in dem der Versammlungsleiter nur die Stimmabgaben festgestellt, sich aber einer Stellungnahme zum Eingreifen des Stimmverbots enthalten hatte1466. Daran anknüpfend heißt es sodann in einer Entscheidung aus dem Jahre 19881467: Habe der Versammlungsleiter den Beschluss der Gesellschafterver-

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1465 Der BGH erklärt S 182 f die materielle Rechtslage nach § 38 II GmbHG für entscheidend: die Sofortwirksamkeit des bloßen Abberufungsbeschlusses analog § 83 IV 3 AktG sei zumindest hier bei gleich hoch beteiligten Gesellschaftern abzulehnen, denn dann könne der eine durch die bloße Behauptung, der andere sei für die Gesellschaft als Geschäftsführer nicht mehr tragbar, dessen Stimme ausschalten und einen formal gültigen Abberufungsbeschluss herbeiführen. Wenn beide Gesellschafter geschäftsführungsbefugt wären, könnten sie sich gegenseitig abberufen. Wenn die Abberufung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung wirksam wäre, könnten die Geschäftsführer auf Jahre hinaus ausgeschaltet sein. 1466 BGHZ 76, 154. 1467 BGH WM 1988, 753, 754. So auch beim stimmlosen Beschluss BGH WM 2006, 1151. Im Fall der Stimmlosigkeit durch Verletzung von Mitteilungspflichten steht nach Ansicht des BGH die Anfechtungsbefugnis mit nachträglicher Erfüllung der Mitteilungspflicht zu (zur Anfechtungsbefugnis des Gesellschafters, der wegen Verletzung der Mitteilungspflicht bei der Beschlussfassung vom Stimmrecht ausgeschlossen war, die Mitteilung aber nachgeholt hat, OLG Schleswig ZIP 2007, 2214).

524 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

sammlung festgestellt, so bleibe nur die Anfechtungsklage. Dem stellt das OLG Hamburg1468 gegenüber: Die Feststellungsklage sei doch, ohne dass es einer Beschlussanfechtung bedürfe, dann zulässig, wenn es um Meinungsverschiedenheiten über das Beschlussergebnis gehe oder die Feststellung des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter fehle1469. Ungeachtet dieser Unsicherheit ist im Fall einer Entscheidung aus jüngster 902 Zeit1470 sogleich Anfechtungsklage erhoben worden. Es klagte der Minderheitsgesellschafter, dessen Antrag auf Abberufung des Mehrheitsgesellschafters und Geschäftsführers aus wichtigem Grund der Mehrheitsgesellschafter als Versammlungsleiter abgelehnt hatte. Die Anfechtungsklage war verbunden mit der Klage auf Feststellung des beantragten Abberufungsbeschlusses. Der BGH hat hier die Frage aufgegriffen, ob das Stimmverbot schon bei Geltendmachung eines wichtigen Grundes zur Abberufung oder nur unter der Voraussetzung eines wichtigen Grundes eingreife. Er hat die Beantwortung dahinstehen lassen, weil er ja jedenfalls darüber entscheiden müsse, ob ein wichtiger Grund nun gegeben war oder nicht. In der Frage liegt aber der nervus rerum: Ob das Stimmverbot eingreift oder nicht, kann immer fraglich sein. Die Auffassung eines Versammlungsleiters kann nur darüber entscheiden, welche Stimme der Versammlungsleiter berücksichtigt und welchen Beschluss er demgemäß feststellt, falls er sich nicht der Wertung enthält, in welchem Fall die Mehrheit entscheidet1471. Das führt aber nur zum Zustandekommen eines bestimmten Beschlusses, die entscheidende rechtliche Wertung muss objektiv sein und geschieht auf Anfechtungsklage desjenigen, der durch den festgestellten Beschluss oder Mehrheitsbeschluss belastet ist. Wenn für die Auffassung vom Stimmrechtsausschluss schon bei Beantragung der Abberufung aus wichtigem Grund geltend gemacht wird, dass andernfalls ein Geschäftsführer für die Dauer des langen Rechtsstreits über das Gegebensein eines wichtigen Grundes im Amt bleiben würde, gegen den vielleicht sogar strafrechtlich relevante Vorwürfe erhoben würden1472, so sind dagegen die Mittel zu nennen, die der BGH im Fall aus dem Jahre 1982 mit zwei gleich hoch beteiligten Gesellschaftern genannt hat: der Antrag auf einstweilige Verfügung der Untersagung von Maßnahmen der

_____ 1468 ZIP 1991, 1430. 1469 S soeben Rn 896 ff. 1470 BGH ZIP 2017, 1065. Dazu Altmeppen, ZIP 2017, 1185. 1471 Nach Altmeppen (aaO S. 1187) kann die Mehrheit gegen den Versammlungsleiter entscheiden, wenn nicht die Satzung die Entscheidung des Versammlunghsleiters für maßgeblich erklärt. Auch dann sei aber eine einstimmige Meinung der Versammlung über den Beschluss gegen den Versammlungsleiter maßgeblich (1188). 1472 So BGH NJW 1969, 1483.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 525

Geschäftsführung und Vertretung, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers1473. Entscheidend ist, ob ein Mehrheitsbeschluss nach der Einzelprüfung des 903 Falles wegen Verletzung des Stimmverbots fehlerhaft ist oder nicht. Und das ist, da ein Nichtigkeitsgrund iSv § 241 AktG nicht gegeben ist, jedenfalls durch Anfechtungsklage zu klären. Dabei ist eine zweistufige Prüfung erforderlich, nämlich zunächst, ob ein Gesellschafter von der Abstimmung ausgeschlossen war oder nicht, dafür ist objektiv zu prüfen, ob ein Ausschlussgrund vorlag oder nicht, und sodann ist auf der zweiten Stufe zu prüfen, ob der Beschluss auf der Mitrechnung (oder im Gegenfall: der Nichtmitrechnung) beruhte oder ob die Mehrheit davon unabhängig war. Selbstverständlich liegt, was die erste Prüfungsstufe betrifft, die Beweislast für das Vorhandensein von als wichtig zu wertenden Gründen bei demjenigen, der dem Betroffenen sein Stimmrecht abspricht1474. Genau diese Zweistufigkeit kennzeichnet die gesetzliche Regelung eines Tatbestands, der zur Abstimmung entgegen einem Stimmverbot benachbart ist, nämlich des Tatbestands des Stimmrechtsmissbrauchs, und er ist ein Fall der Anfechtbarkeit: § 243 II AktG lässt die Anfechtung auch darauf stützen, dass ein Aktionär mit der Stimmrechtsausübung Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft erstrebt (Stufe 1) und (Stufe 2) der Beschluss geeignet ist, diesem Zweck zu dienen. Die Prüfung einer Abstimmung entgegen einem Stimmverbot kann 904 nicht anders verlaufen als die eines Stimmrechtsmissbrauchs. Also bedarf es der Anfechtungsklage gegen einen Mehrheitsbeschluss, gleich ob dieser missbräuchlich oder stimmverbotswidrig zustande gekommen sein soll. Ebenso übrigens wie also dann, wenn ein Mehrheitsbeschluss nach Stimmenzahl zustande gekommen ist und dann die Frage der Unwirksamkeit oder Wirksamkeit einer Stimmabgabe im Hinblick auf ein Stimmverbot oder einen Stimmrechtsmissbrauch durch Anfechtungsklage zu klären ist, so trifft dies auch für die Geltendmachung jedes anderen rechtsgeschäftlichen Mangels einer Stimmabgabe zu. Zu einem anfechtbaren Beschluss kann es allerdings in den Fällen wie dem- 905 jenigen des BGH aus dem Jahre 1982 nicht kommen, also in Fällen, in denen

_____ 1473 BGHZ 86, 177, 183: Die Entscheidung setzt erst voraus, dass der vom Widerrufsbegehren betroffene Gesellschafter vom Stimmrecht ausgeschlossen sei. Folgerung wäre, dass der Betroffene durch den Beschluss des anderen vorbehaltlich seiner Anfechtungsklage ausgeschlossen war. Später spricht der BGH aber davon, dass maßgeblich sei, ob der wichtige Grund für den Widerruf objektiv vorliege, und nennt für die Dauer des darüber zu führenden Rechtsstreits die im Text genannten Mittel. 1474 BGH ZIP 2017, 1065, 1066 Tz 14 aE.

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sich zwei gleich hoch beteiligte Gesellschafter unversöhnlich gegenüberstehen. Ebenso ist es, wenn ein Gesellschafter ein Sonderrecht auf die Geschäftsführung iSv § 35 BGB hat und seiner Abberufung nicht zustimmt1475. Im ersteren Fall kommt jedenfalls nicht in Betracht, wovon der BGH seinerzeit ausgegangen ist, dass die bloße Erhebung des Stimmverbots von der Abstimmung ausschließt und bei beidseitiger Geschäftsführung die Gesellschafter sich wechselseitig ausschließen können. Wie der BGH zutreffend gesehen hat, kommt es auf die materielle Rechtslage des § 38 II GmbHG an. Ohne Klärung derselben gibt es kein Stimmverbot, also kommt es nicht zum Beschluss, wenn keiner der Gesellschafter nachgibt. Verweigert ein Sonderberechtigter seine Zustimmung, gilt das Gleiche. Hier muss erst durch Feststellungsklage geklärt werden, ob ein wichtiger Grund zur Abberufung besteht. Für die Dauer des Rechtsstreits helfen die soeben genannten Mittel, auf die der BGH in der damaligen Entscheidung verweist (Antrag auf einstweilige Verfügung der Untersagung von Maßnahmen der Geschäftsführung und Vertretung, gegebenenfalls mit Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers).

e. Die Anwendung der aktienrechtlichen Bestimmungen über Nichtigkeit und Anfechtbarkeit auf die GmbH ie 905a Im Rahmen der hierdurch abgegrenzten Anwendbarkeit der aktienrechtlichen Vorschriften über Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von HV-Beschlüssen auf die GmbH gilt im Einzelnen das Folgende: Zunächst sind die Nichtigkeitsgründe der §§ 241, 250, 256 AktG maßgeblich. § 241 ergibt in Bezug auf die GmbH: Für die Einberufung unter Verletzung der Einberufungsvorschriften (§ 241 Nr 1 AktG) sind die §§ 49, 50, 51 GmbHG zu prüfen1476. Vorbehalten sind Abweichungen durch die Satzung und der Fall des Erscheinens aller Gesellschafter (§ 51 III GmbHG). Mängel der Beurkundung (§ 241 Nr 2 AktG) können bei satzungsändernden und sonstigen Grundlagenbeschlüssen vorkommen. § 241 Nr 3: Mit dem Wesen der GmbH unvereinbar sind Beschlüsse, die zwingende Vorschriften missachten, die Individualrechten der Gesellschafter dienen: etwa Auferlegung unbeschränkter Haftung, Entzug des Teilnahme- oder des Anfechtungsrechts etc. Der Gläubigerschutz ist durch die Regelung der Kapitalaufbringung und -erhaltung sanktioniert. § 250 AktG (Nichtigkeit der Wahl zum Aufsichtsrat) setzt bei der GmbH einen Aufsichtsrat und die Inbezugnahme der in § 250 genannten Vorschriften voraus. § 256 betr Nichtigkeit des Jahresabschlusses ist anzuwenden1477. Zur Anwendbar-

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1475 Zur Notwendigkeit der Zustimmung Altmeppen, ZIP 2017, 1189. 1476 Anwendungsfall BGH NZG 2016, 552. 1477 BGHZ 83, 341.

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keit der Vorschrift über die Heilung nichtiger Beschlüsse (§ 242 AktG) ist soeben1478 die Entscheidung des BGH aus 1981 angeführt. Ist ein Beschluss nicht nichtig, so ist er anfechtbar. Zur Anfechtbarkeit hat die 906 Rechtsprechung schrittweise die folgenden Modifikationen entwickelt. Dabei berücksichtigt sie die weniger förmlichen Verhältnisse unter den Gesellschaftern der GmbH. Die Modifikationen betreffen zunächst die Anfechtungsbefugnis. Jeder Gesellschafter, auch wenn er nicht an der Versammlung teilgenommen hat, ist anfechtungsbefugt, wenn er nicht in Kenntnis des Anfechtungsgrundes zugestimmt oder auf das Anfechtungsrecht verzichtet hat1479. Auf Anwesenheit und Widerspruch zu Protokoll kommt es nicht an. Die Anfechtungsbefugnis des Vorstands oder von Mitgliedern des Vorstands bzw Aufsichtsrats (§ 245 Nr 4, 5 AktG) hat die Rechtsprechung früher auf die Fremdgeschäftsführer der GmbH nicht angewandt1480. Die Literatur schwankt, ob den Geschäftsführern die Anfechtungsbefugnis nur bei Gefahr von Haftung oder Strafbarkeit, wenn sie einen Beschluss auszuführen haben, oder bei jeder Ausführungsnotwendigkeit, wenn auch uU mit Unterscheidung zwischen Verfahrens- und inhaltlichen Mängeln, einzuräumen ist1481. Der ersteren Ansicht ist zuzustimmen. Dafür gilt folgender Schluss: Wenn § 245 Nr 5 AktG insbesondere die Möglichkeit der Haftung auf Schadensersatz zur Grundlage der Anfechtungsbefugnis macht, sollte nicht gegen diese Möglichkeit beim Geschäftsführer der GmbH die Entlastungswirkung von Gesellschafterbeschlüssen eingewandt werden: Umgekehrt sollte gelten, dass, weil die Geschäftsführer gegen gesellschaftsschädliche Beschlüsse durch Anfechtungsklage vorgehen können, sie bei Unterlassung der Klage schadensersatzpflichtig werden können. Wie die Anfechtungsbefugnis muss auch die aktienrechtliche Anfech- 907 tungsfrist von einem Monat (§ 246 I AktG) bei der GmbH modifiziert werden. Der BGH handhabt sie als Regelfrist. Zwingende Gründe, die der Anfechtungskläger zu beweisen hat, können die Überschreitung der Frist rechtfertigen, wenn die Klage mit aller zumutbarer Beschleunigung erhoben wurde. Hier ist insbesondere an den Fall zu denken, dass auf positive Beschlussfeststellungsklage hin ein Beschluss erst einmal festzustellen ist und dann erst angefoch-

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1478 O Rn 892. 1479 Roth/Altmeppen/Roth § 47 Rn 138. Grundsätzlich wird das durch einen Gesellschafter erhobene Verfahren auf Nichtigkeit oder Anfechtung zugunsten der Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterbrochen, wenn über das Vermögen des Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 240 S 1 ZPO, BGH NZG 2018, 32) 1480 BGHZ 76, 154 (159). 1481 N bei Roth/Altmeppen/Roth § 47 Rn 139. Die Anfechtungsbefugnis gegen den Beschluss, der den Geschäftsführer möglicherweise zu Unrecht aus wichtigem Grund (s § 38 II GmbHG) abberuft, vertreten Raiser/Veil § 42 Rn 62.

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ten werden kann. Weiter ist exemplarisch eine Entscheidung aus dem Jahre 1988:1482 Sachverhalt: Die Beklagte ist ein in der Rechtsform der GmbH organisierter Verband, in dem sich die kommunalen Aktionäre der RWE unter anderem mit dem Ziel zusammengeschlossen haben, durch einheitliche Meinungsbildung in energiewirtschaftlichen und kommunalpolitischen Fragen ihren Einfluss und ihre Stimmenmehrheit zu sichern. Die klagende Stadt ist Gesellschafterin der Bekl. Nach dem Gesellschaftsvertrag der Bekl ist die hier als Verbandsversammlung bezeichnete Gesellschafterversammlung beschlussfähig, wenn die Hälfte der Mitglieder und des Stammkapitals vertreten sind. Die Vertretung der Mitglieder in der Verbandsversammlung erfolgte in der Vergangenheit idR durch die jeweiligen Hauptverwaltungsbeamten (Gemeindedirektor etc). Mit Beschluss vom 11.2. 1982 bestellte die Kl, die diese Form der Vertretung nicht mehr für zweckmäßig hielt, stattdessen die Vorsitzenden der drei in ihrem Rat vertretenen politischen Fraktionen zu ihren Vertretern in der Verbandsversammlung der Bekl. Da das Auftreten dieser Vertreter der Kl in der Verbandsversammlung bald zu Spannungen mit den anderen Mitgliedern führte, beschloss die am 31.10.1984 zusammengetretene Verbandsversammlung gegen die Stimme der Kl, die Satzung durch den Satz zu ergänzen: „Die Mitglieder können sich in der Verbandsversammlung nur durch eine Person je Mitglied vertreten lassen“. Mit einem am 21.1.1985 übergebenen Schreiben regte die Kl an, vor Herbeiführung einer Entscheidung ihres Stadtrates über die Einleitung gerichtlicher Schritte zunächst Verhandlungen über eine gütliche Beilegung der Streitfrage aufzunehmen. Dieser Antrag ist von der Bekl am 22.3.1985 abgelehnt worden. Die Kl hat sodann gegen den Beschluss vom 31.10.1984 Klage erhoben, ihrer Meinung nach am 3.5.1985, ausweislich der Gerichtsakten am 8.5. 1985. Der BGH prüft zunächst, ob die am 31.10.1984 beschlossene Satzungsänderung nichtig oder unwirksam war. Dies lehnt er ab. Die Satzung einer GmbH könne das Teilnahmerecht der Gesellschafter ebenso wie das Stimmrecht regeln, soweit dadurch nicht in den unentziehbaren Kernbereich der Mitgliedschaft eingegriffen werde. Der unentziehbare Kernbereich des Teilnahmerechts als Ausfluss der Mitgliedschaft sei grundsätzlich erst dann berührt, wenn dem Gesellschafter eine von seinem eigenen Willen getragene Wahrnehmung seiner Gesellschafterrechte nicht mehr zugestanden werde. Die geänderte Satzung verlange aber von der Kl weder, ihr Stimm- und Teilnahmerecht einem Dritten zu überlassen, noch dessen Ausübung von einem gesetzlichen Vertreter auf einen Bevollmächtigten zu übertragen. Auch der eine, in Zukunft noch zugelassene Vertreter sei in jedem Sinne Vertreter der Kl 1483. Alle übrigen von der Kl geltend gemachten Mängel seien als Anfechtungsgründe durch Anfechtungsklage geltend zu machen. Der BGH hält auch die Abgrenzung zwischen nichtigen und anfechtbaren Beschlüssen nach § 241 AktG für anwendbar1484. Was die Anfechtungsfrist angehe, sei die Anfechtungsklage mit aller dem anfechtungsberechtigten Gesellschafter zumutbaren Beschleunigung zu erheben. Die Frist des § 246 I AktG wirke dabei als Untergrenze für die Zeit, die dem Gesellschafter mindestens zur Verfügung ste-

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1482 WM 1989, 63. 1483 BGH WM 1989, 63, 64. 1484 BGH WM 1989, 63, 65 re Sp.

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hen müsse. Bezüglich der Obergrenze sei sie in der Weise Leitbild, dass bei wesentlicher Überschreitung der Monatsfrist zu prüfen sei, ob der Gesellschafter an einer früheren Klageerhebung durch zwingende Umstände gehindert gewesen sei 1485. Diesen Anforderungen an eine rechtzeitige Erhebung der Anfechtungsklage sei die Kl nicht gerecht geworden. Zwischen Beschlussfassung und Erhebung der Klage lägen im vorliegenden Fall mehr als 6 Monate. Eine solche Zeitspanne könne nicht mehr als angemessen gelten. Gleiches sei zu sagen, wenn man nicht auf den Gesamtzeitraum zwischen Beschluss und Klageerhebung abstelle, sondern zugunsten der Kl die Zeit zwischen der Einreichung ihres Antrags auf gütliche Regelung und dessen Zurückweisung außer Ansatz lasse. Allein für die Einreichung ihres Antrags auf gütliche Regelung habe sich die Kl 3 Monate Zeit gelassen. Die Länge der Zeit, die der Kl schon bis dahin für die rechtliche Prüfung und ihre Willensbildung zur Verfügung gestanden habe, schließe es aus, die Zeit von weiteren rund 6 Wochen, die die Kl erneut zwischen der Ablehnung ihres Antrags und der Klageerhebung habe verstreichen lassen, für sich allein zu betrachten. Es könne deshalb dahinstehen, ob diese Frist, wenn die Kl ihre Bemühungen um eine gütliche Einigung unverzüglich nach dem 31.10.1984 aufgenommen gehabt hätte, noch als angemessen gelten könne 1486. Die Kl könne auch nicht mit Erfolg geltend machen, sie sei an einer früheren Klageerhebung durch zwingende Umstände gehindert worden. Zwar habe die Kl die Beschlussfassung ihres Hauptausschusses abwarten müssen. Sie habe aber die Einberufung und Beschlussfassung des zuständigen Organs bei fristgebundenen Erklärungen mit aller gebotenen und zumutbaren Beschleunigung herbeiführen müssen. Dazu hatte die Kl vorgetragen, ihr Hauptausschuss habe sich in der Sitzung vom 7.11.1984 wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mit der Sache befassen können, er habe dies aber in der folgenden Sitzung am 28.11.1984 und sodann erneut nach Untersuchung der Rechtsfragen am 17.1.1985 getan. Dieses Vorbringen macht nach Ansicht des BGH deutlich, dass die Kl die Anfechtung des Beschlusses vom 31.10.1984 als Routineangelegenheit auf den turnusmäßigen Sitzungen ihres Hauptausschusses habe behandeln lassen. Es fehle jede schlüssige Darlegung, dass es der Kl unter gebührender Berücksichtigung der Fristgebundenheit der Anfechtungsklage nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, ihren Hauptausschuss kurzfristig, notfalls auch zu einer außerordentlichen Sitzung, einzuberufen und über die Angelegenheit unverzüglich verbindlich entscheiden zu lassen. Bei dieser Sachlage könne die Kl nicht mit Erfolg geltend machen, sie habe die erst am 3. oder 8.5. eingereichte Anfechtungsklage mit aller ihr billigerweise zumutbaren Beschleunigung erhoben1487.

Wie zitiert, ist die 1-Monats-Frist des § 246 I AktG als Untergrenze der Anfech- 908 tungsfrist bei der GmbH anzusehen. Dazu hat der BGH1488 entschieden, dass die

_____ 1485 BGH WM 1989, 63, 66 liSp. Nach OLG Hamm NZG 2004, 380, dient die Frist des § 246 I AktG zwar nur als „Leitbild“. Aber auch eine nur geringfügige Überschreitung der Frist könne schädlich sein, nämlich bei Fehlen besonderer Umstände, welche die Fristüberschreitung rechtfertigen. 1486 BGH WM 1989, 63, 66. 1487 BGH WM 1989, 63, 66 reSp. 1488 WM 1988, 753

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Satzungsbestimmung einer GmbH, die für die Anfechtung des Gesellschafterbeschlusses in der Gesellschaft eine Frist von weniger als einem Monat vorsehe, unwirksam sei. Eine letzte Modifikation setzt sich in der Rechtsprechung mehr und mehr 909 durch im Hinblick auf die Rechtsfolge der Einrede der Anfechtbarkeit1489. An sich müsste gelten, dass die aus der Anwendung der aktienrechtlichen Normen folgende Bestandskraft durch eine solche Einrede nicht konterkariert werden kann. Daraus würde folgen, dass die Einrede dilatorisch bestehen kann, solange der Beschluss noch angefochten werden kann, nach Erlöschen der Anfechtungsmöglichkeit aber selbst erlischt. Diese Folgerung ist zunächst einmal zu begrenzen: Die Bestandskraft gilt nur für den Beschluss, nicht für davon unabhängige Folgen, die an die Rechtswidrigkeit des Handelns anknüpfen. Sodann arbeitet die Rechtsprechung gegen die harte Folge des Ausschlusses der Einrede, wenn der Beschluss nicht mehr angefochten werden kann, mit dem Einwand rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme des Gesellschafters durch die Gesellschaft aus dem Beschluss1490.

f. Die Frage der analogen Anwendung der §§ 241 ff auf Aufsichtsratsbeschlüsse der AG 910 Nach der Auffassung des BGH sind die §§ 241 ff AktG auf Aufsichtsratsbeschlüsse der AG nicht analog anzuwenden. Aufsichtsratsbeschlüsse, die gegen zwingendes Satzungs- oder Gesetzesrecht verstießen, seien nichtig. Dies habe das Gericht auf Feststellungsklage hin festzustellen1491. Für die Feststellungklage haben das Feststellungsinteresse (s § 256 ZPO) jedenfalls die opponierenden Aufsichtsratsmitglieder1492. Darüber hinaus hat der BGH auch kurz von einer Klage der Gesellschaft gesprochen, ohne die Frage der Vertretung auf der Aktivund der Passivseite auszuführen1493. Die Klage der Organmitglieder ist gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand, zu richten. Bei Verfahrensmängeln,

_____ 1489 Dazu Scholz/K. Schmidt Kom GmbHG 10. Aufl. 2006 f, § 45 Rn 124 f. 1490 BGHZ 101, 113 mit Anm K. Schmidt, JZ 1987, 1081. Hier begehrte eine GmbH mit zwei Gesellschaftern gegen den einen Gesellschafter die Feststellung der Wirksamkeit eines Einziehungsbeschlusses, hinter dem der andere Gesellschafter stand und anstößige Ziele verfolgte. 1491 BGHZ 122, 342, 351 f. Der BGH behält Einschränkungen der Nichtigkeitsfolgen aus Gründen der Rechtssicherheit in persönlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht vor. (Dies wird aufgenommen in BGHZ 207, 190 Rn 21). Nichtigkeitsgrund in dem BGHZ 122, 342 vorliegenden Fall: Die Wahl zum Vorstandsausschuss habe die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat entgegen der Wertung des MitbestG nicht berücksichtigt und sei deshalb unwirksam (S 354 f, 351 ff). 1492 BGHZ 135, 244 (250). 1493 BGHZ 122, 352.

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die nur bestimmte Personen betreffen, ist nur die betroffene Person klagebefugt und kann sie den Beschluss auch noch genehmigen. Die Nichtigkeitsfeststellung ergeht grundsätzlich mit Wirkung ex nunc. Hängt jedoch ein Beschluss von der Stimme eines Aufsichtsratsmitglieds ab, dessen durch die HV beschlossene Wahl nichtig war oder erfolgreich angefochten ist, ist der Beschluss vorbehaltlich des Schutzes gutgläubiger Dritter, denen gegenüber der Beschluss vollzogen wird, und der Grundsätze von der fehlerhaften Bestellung von Vorstandsmitgliedern, ex tunc unwirksam1494. Der BGH begründet die Ablehnung der analogen Anwendung der §§ 241 ff AktG im Einzelnen wie folgt: Die §§ 241ff AktG sicherten das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Bestand grundlegend wichtiger, außenwirkender und mit Publizität ausgestatteter Beschlüsse gegen Angriffe aus dem großen, anonymen Kreis der Aktionäre. Demgegenüber weise der Aufsichtsrat eine kleine Mitgliederzahl auf, wobei die Mitglieder untereinander bekannt seien. Es gehe um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Streitigkeiten würden informell geklärt und möglichst einer gütlichen Einigung zugeführt1495. Darüber hinaus seien die Beschlüsse überwiegend nur mit Innenwirkung 911 ausgestattet (betreffend die Überwachung und Kontrolle des Vorstands). Anders sei es freilich bei Wahlentscheidungen. Hier gehe es darum, bei erfolgreichen Angriffen die Wirkung für die Vergangenheit zu versagen und nur auf die Zukunft zu beschränken. Demgegenüber würden §§ 241 ff AktG aber, sofern sie angewandt würden, gerade rückwirkend eingreifen1496. Die Monatsfrist des § 246 I AktG dränge zur Klage, statt dass eine erwünsch- 912 te gütliche Einigung gefördert würde1497. Die Rechtssicherheit sei auch bei Aufsichtsratsbeschlüssen gefordert, sie sei aber für diese flexibel, durch sachgerechte Bestimmung des Rechtsschutzinteresses mithilfe des Instituts der Verwirkung, zu berücksichtigen1498. Die Geltendmachung minderschwerer Mängel (so bei Verletzung verzichtbarer, nur auf Teilhaberechte Rücksicht nehmender Verfahrensvorschriften) werde verwirkt, wenn die im Einzelfall zumutbare Beschleunigung versäumt werde1499. Die Mängel seien durch Erklärung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden geltend zu machen. Nach pflichtgemäßer Prü-

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1494 BGHZ 196, 195, 201 ff., s o Rn 867. 1495 BGHZ 122, 342, 347 f. 1496 BGHZ 122, 342, 348. 1497 BGHZ 122, 342, 350. 1498 Dazu ist anerkannt, dass regelmäßig das Feststellungsinteresse eines Aufsichtsratsmitglieds (BGHZ 135, 244, 250) und des Vorstands (GK AktG/Hopt/Roth 4. Aufl 1992 ff § 108 Rn 174) gegeben ist. Aber auch eine Klage der Gesellschaft gegen ein opponierendes Aufsichtsratsmitglied auf Feststellung der Wirksamkeit eines Beschlusses kommt in Betracht. 1499 BGHZ 122, 342, 351 f.

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fung (auch auf Seiten der Gesellschaft) sei Klage zu erheben, wenn eine Heilungsmöglichkeit nicht mehr bestehe1500. Die Rechtskraftwirkung gemäß § 248 AktG sei durch die auch im Vereins913 recht anerkannte allgemeine Wertung erreichbar, dass ein Urteil, das einen Aufsichtsratsbeschluss als nichtig feststelle, Rechtskraftwirkung für die gesamte Kapitalgesellschaft habe1501. 914 Im vorliegenden Fall hat der BGH den Kl die rechtzeitige Geltendmachung attestiert. Die Kl hätten die von ihnen geltend gemachten Mängel unverzüglich gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden moniert. Wenn die beklagte Gesellschaft den Schwebezustand früher hätte beenden wollen, hätte sie selbst klagen können1502.

g. Die Möglichkeit der Rechtsmissbräuchlichkeit von Anfechtungsklagen 915 Mitte bis Ende der 80er Jahre sind erstmals Fälle aufgetreten, in denen Aktionäre bei HV-Beschlüssen Gesetzesverletzungen festgestellt und die Anfechtungsklage erhoben haben, danach aber auf Angebote des Vorstands eingegangen sind – die sie zum Teil sogar provoziert hatten –, gegen eine beträchtliche Zahlung ihre Klage zurückzunehmen1503. Es bestand der Verdacht, dass die Aktionäre von vornherein die Klage nur als Mittel zu dem Zweck angesehen hatten, Abstandszahlungen der Gesellschaft zu erreichen1504. Gegen diese strategische Verwendung der Anfechtungsklage ist die Rechtsprechung mit der Figur des Rechtsmissbrauchs vorgegangen1505. Leitentscheidung ist die Entscheidung Kochs Adler des BGH vom 22.5. 916 19891506.

_____ 1500 BGHZ 122, 342, 352. 1501 BGHZ 122, 342, 350 f. Für die Rechtskraftwirkung über die korporationsweite Reichweite hinaus, nämlich inter omnes, Raiser/Veil § 15 Rn 78 mwN. 1502 BGHZ 122, 342, 352. 1503 Zur Verantwortlichkeit des Vorstands, wenn er ein Anfechtungsrecht abkauft, Kiethe, NZG 2004, 489, Poelzig, WM 2008, 1009. 1504 Fall im Jahr 2008 die Bremsung der Kapitalerhöhung, mit der die durch Spekulation in Schieflage geratene Mittelstandsbank IKB mit Hilfe der Kreditanstalt für Wiederaufbau wieder aufgerichtet werden sollte, durch „Berufskläger“ (FAZ v 9.7.2008 Nr 158 S 15). 1505 Nach OLG Bremen NZG 2007, 468 ist ein Saalverweis rechtmäßig, wenn sich der Aktionär zusätzlich zur Androhung von Anfechtungsklagen zu Formalbeleidigungen der „Herren dort vorne“ hinreißen lässt und daran trotz Abmahnung festhält. 1506 BGHZ 107, 296 = ZIP 1989, 980. Zur Unzulässigkeit einer aktienrechtlichen Nichtigkeitsklage bei Rechtsmissbrauch OLG Stuttgart NZG 2003, 1170.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 533

Sachverhalt: Die Kl waren Minderheitsaktionäre der Kochs Adler AG. Hauptaktionärin der AG war die FAG Kugelfischer KGaA. Diese hielt zugleich einen Anteil von 99,7% am Stammkapital der Dürkoppwerke GmbH. In der HV der Kochs Adler AG wurde beschlossen, dem Entwurf eines Verschmelzungsvertrages zwischen der AG und der Dürkoppwerke GmbH zuzustimmen. Die Kl haben gegen den Abschluss dieses Vertrages gestimmt und zu dem Punkt der Tagesordnung, in dem es um die Zustimmung zu dem Entwurf ging, Widerspruch zur Niederschrift des Notars erklärt. Sie haben sich mit der Anfechtungsklage gegen den Beschluss gewandt. Die Anforderungen des § 340a aF AktG 1507 an den vom Vorstand vorzulegenden Verschmelzungsbericht seien nicht erfüllt gewesen. Die beklagte AG hat insbesondere geltend gemacht, die Anfechtungsklage sei rechtsmissbräuchlich, weil die Kl mit ihr lediglich das Ziel verfolgten, sich den „Lästigkeitswert“ ihres Vorgehens abkaufen zu lassen.

Der BGH stellt zunächst fest, dass die von den Kl gerügte Gesetzesverletzung in der Tat gegeben sei und den Beschluss fehlerhaft mache1508. Auch die Kausalität des Verstoßes für den Verschmelzungsbeschluss sei nicht in Abrede zu stellen. Der BGH legt hier bereits die alte Gesetzeslage iS der objektiven Prüfung der Relevanz des Verstoßes aus, die dem heutigen § 243 IV 1 AktG entspricht. Bei Vorlage eines den Anforderungen nicht entsprechenden Verschmelzungsberichts würde jedoch ein objektiv urteilender Aktionär zu dem Ergebnis gelangen, angesichts der gesetzlichen Bedeutung dieses Berichts sei es grundsätzlich nicht gerechtfertigt, ohne vollständigen Bericht der Verschmelzung zuzustimmen. Unter diesen Umständen beruhe die Zustimmung auf der Verletzung des Gesetzes1509. Sodann prüft der BGH, ob die Anfechtungsklage eine unzulässige Rechtsausübung bedeute und aus diesem Grund als unbegründet zurückzuweisen sei. Der im allgemeinen Interesse liegende Kontrollzweck des Aktionärsanfechtungsrechts schließe freilich einen institutionellen Rechtsmissbrauch aus. Dem Einwand des individuellen Rechtsmissbrauchs stehe er aber nicht entgegen. Das Anfechtungsklagerecht sei ein individuelles Recht, wie die jederzeitige Verfügbarkeit über die Klage für die Kl zeige. In Ausnahmefällen könne eine eigensüchtige Interessenverfolgung den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs begründen. Diese Voraussetzung könne in Fällen wie dem vorliegenden bereits dann gegeben sein, wenn ein Kl die Anfechtungsklage mit dem Ziel erhebe, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch habe und billigerweise auch nicht erheben könne1510. Die Bekl habe im Einzelnen schlüssig Umstände dargelegt und unter Beweis gestellt, aus denen der Einwand unzulässiger Rechtsausübung hergeleitet wer-

_____ 1507 1508 1509 1510

S jetzt § 8 UmwG. BGHZ 107, 296, 302 ff = BGH ZIP 1989, 980, 982. BGHZ 107, 296, 306 ff = BGH ZIP 1989, 980, 983. BGHZ 107, 296, 308 ff = BGH ZIP 1989, 980, 984.

917

918 919

920

534 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

den könne. Nach diesem Vortrag hatten die Kl in einem mit den Vertretern der Bekl vereinbarten Gesprächstermin auf ihre Anfechtungsklage einerseits und die Möglichkeit eines finanziellen Interessenausgleichs andererseits, wie sie einen solchen auch in anderen Fällen erreicht hätten, hingewiesen 1511. Der BGH hat die Sache zur weiteren Prüfung nach den angegebenen Grundsätzen an das Berufungsgericht zurück verwiesen. Die Rechtsmissbrauchsfrage hat sich insbesondere aus der Schwierigkeit 921 entwickelt, die es für die Gesellschaften bedeutet, einen grundlegenden Beschluss, der zu seiner Wirksamkeit der Eintragung in das Handelsregister bedarf, nach Maßgabe der drängenden wirtschaftlichen Verhältnisse möglichst zügig zu verwirklichen. Anfechtungsklagen können als schädlich für eine schlagkräftige Unternehmenspolitik erscheinen. Gerade deshalb ist das Bestreben, solche Anfechtungsklagen durch informelle Mittel aus dem Weg zu schaffen, auch aufseiten der Gesellschaft zu erkennen. Der in der Entscheidung Kochs Adler an die Hand gegebene Rechtsmissbrauchseinwand erscheint aber als zu unsicher in seinen Grenzen, als dass dadurch die Problematik als ausgeräumt betrachtet werden könnte1512. Ein die Sache grundsätzlicher angehender Schritt ist vom Gesetzgeber in 922 § 16 III UmwG getan worden. In dieser Regelung, die in § 16 UmwG für den Verschmelzungsfall als Grundfall eingeführt ist, auf dessen Regelung bei den anderen Fällen des UmwG verwiesen wird 1513, sind Mittel bereitgestellt worden, um die Vollendung eines Verschmelzungsverfahrens nach Maßgabe der wirtschaftlichen Notwendigkeit zügig zu erreichen. Das Entsprechende zu § 16 UmwG hat die Neuregelung des § 319 VI AktG für die Eingliederung bestimmt. Der Regelung des UmwG und der Eingliederung entsprechend ist durch 923 das UMAG der ergänzende § 246a AktG über das Freigabeverfahren für Kapitalbeschaffungs- und -herabsetzungsbeschlüsse und Unternehmensverträge eingefügt worden1514. Die Regelung des UMAG, die § 16 III UmwG entspricht,

_____ 1511 BGHZ 107, 296, 312 = BGH ZIP 1989, 980, 985. 1512 S allein die Unklarheit in den Grundlagen, die in dem Gegensatz zum Ausdruck kommt, in dem das Urteil im Fall Kochs Adler zu dem Urteil vom 14.10.1991, WM 1991, 2061 steht: Hatte der BGH im ersteren Urteil den institutionellen Rechtsmissbrauch verneint, was aber einen individuellen Rechtsmissbrauch unberührt lasse, so begründet der BGH im zweiten Urteil den individuellen Rechtsmissbrauch gerade mit dem institutionellen Zweck der Anfechtungsklage. Zudem sind in allen einschlägigen Urteilen die Einzelumstände schon deshalb zweifelhaft, weil der Missbrauch immer, wenn überhaupt vom Kl, dann jedenfalls von der Verwaltung der Gesellschaft mit verantwortet worden ist. 1513 §§ 125, 176 ff, 198 III UmwG. 1514 Was das UmwG betrifft, schließt das OLG Frankfurt ZIP 1997, 1291 bei Streit um schwierige Rechtsfragen die Eintragung nach § 16 III UmwG aus. Weiterhin reiche die pauschale Be-

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 535

ist oben dargestellt1515. Mit den Neuregelungen ist ein Weg zu legaler zügiger Klärung gewiesen. Daraus ist die Folgerung zu ziehen, dass künftig der Abkauf missbräuchlicher Klagen durch den Vorstand eine Pflichtverletzung ist1516. Ein weiteres Mittel des UMAG gegen die Missbrauchspraxis, welches einer- 924 seits über die vom Freigabeverfahren erfassten Fälle hinaus allgemein gilt, andererseits allerdings beschränkt auf börsennotierte Gesellschaften, ist in § 248a AktG normiert: Danach hat eine börsennotierte Gesellschaft nach Beendigung eines Anfechtungsprozesses die Verfahrensbeendigung unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekannt zu geben, und zwar (so § 149 II AktG, auf den § 248a AktG verweist) einschließlich aller Vereinbarungen und Nebenabreden, insbesondere über Leistungen der Gesellschaft. Diese letztere Veröffentlichungspflicht gilt auch für Maßnahmen zur Vermeidung eines Prozesses (§ 248a iVm § 149 III AktG). Unveröffentlichte Leistungspflichten sind unwirksam, erbrachte Leistungen sind zurückzufordern (§ 149 II 3, 5 AktG). Das „Klagegewerbe“ ist dennoch nicht merklich zurückgegangen, wie 925 eine Studie des unter Leitung des früheren Vorsitzenden der Regierungskommission Corporate Governance, Baums, stehenden Frankfurter Institute for Law and Finance ergeben hat 1517. Die Entscheidung des deutschen Aktienrechts für die Kontrollmöglichkeit von HV-Beschlüssen durch den Aktionär ist aber nicht

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hauptung hoher Kosten oder eines hohen Arbeitsaufwands infolge der Verzögerung der Eintragung nicht aus. S auch OLG Stuttgart DB 1997, 217 sowie den Bericht von Decher, AG 1997, 388 über erste Erfahrungen mit der Vorschrift. Mit der Eintragung der Maßnahme aufgrund des Unbedenklichkeitsverfahrens entfällt nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsoder Nichtigkeitsklage (OLG Stuttgart ZIP 2004, 1145). Nach § 16 III 6 UmwG (= §§ 319 VI 8, 246a IV 1 AktG) ist in dem Fall, dass der Beschluss eingetragen wird und sich später die Anfechtungsklage als begründet erweist, Schadensersatz möglich, der allerdings nicht durch die Beseitigung der Wirkungen der Eintragung gewährt werden kann. Dennoch spricht sich Schmid, ZGR 1997, 493 für die Rückgängigmachung der Eintragung bei nachträglicher Feststellung der Rechtswidrigkeit des Versammlungsbeschlusses aus, wenn anders der Mangel nicht zu beheben ist. Dies schließt § 246a IV 2 Hs 2 AktG nochmals ausdrücklich aus. 1515 Rn 887. 1516 Geißler, DZWIR 2007, 364. 1517 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629. Unter Berufung auf den Bericht hat die FAZ v 30.7.2007 S 9 die „Top 10“ der Anfechtungskläger genannt (eine solche Aufstellung findet sich in dem Bericht freilich nicht). Die von der FAZ erzielte Prangerwirkung ist fragwürdig. Zu dem Thema weiter Baums, in: VGR (Hrsg) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, Bd 13, 2008, 109 ff. Der 2. Zivilsenat des BGH hat wenigstens das Sich-Anhängen an Anfechtungsverfahren durch streitgenössische Nebenintervention dadurch vergällt, dass er die Parallelität der Kostenerstattung für Kläger und Intervenienten gemäß dem Vergleichsschluss ausgeschlossen hat (DStR 2007, 1265 mit Anm Goette, s a Goette, in: VGR (Hrsg) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, Bd 13, 2008, 1, 38).

536 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

grundsätzlich infrage zu stellen1518. Es geht um die Aufrechterhaltung zweier Prinzipien des deutschen Rechts: Zunächst einmal des Prinzips, dass der Aktionär Gesellschafter der AG als seiner Gesellschaft und nicht nur Kapitalanleger ist. Dieses Prinzip drückt aus, dass der Aktionär an dem Handeln der AG aufgrund seiner Gesellschafterstellung als Mitwirkender, über das bloße Gewinninteresse hinaus, beteiligt ist, ein gerade in der gegenwärtigen Entwicklung hochzuhaltendes wirtschafts- und sozialethisches Prinzip. Darüber hinaus folgt die Regelung der Anfechtungsklage dem Prinzip unserer Rechtsordnung: Primärrechtsschutz vor Sekundärrechtsschutz. Vor dem Vermögensschutz durch Schadensersatz steht der Schutz durch die Beseitigung der Störung der Rechtsordnung selbst. Schon als fleet in being, die die Verwaltungsorgane der AG zu gesetzmäßiger Vorbereitung und Durchführung der HV anhält, ist die Anfechtungsklage unentbehrlich. Kosten von Fällen, in denen die Wahrnehmung des Klagerechts missbräuchlich und deshalb zu unterbinden ist, bleiben, sofern bei allen Fällen die soeben gezeigten Gegenmittel drohen und gegebenenfalls auch entschlossen angewandt werden, nicht in einem so gravierenden Maße übrig, als dass sie die andauernde Diskussion um die „räuberischen Aktionäre“ rechtfertigen könnten. An dieser Diskussion fällt auch auf, dass diese Aktionäre, und sie noch unabhängig von den Fehlern, die ihr Eingreifen ermöglicht, das Bild beherrschen, aber wenig die Fälle notwendiger und berechtigter Anfechtungsklagen. Die Kosten verlieren insbesondere dann an Gewicht, wenn man sie den Abfindungen von Managern auf Kosten der AG nach einem Misserfolg gegenüberstellt. Ebenso wenig wie diese das Bild des Wirkens von Unternehmensorganen beherrschen sollten, trifft das für das Schreckbild der räuberischen Aktionäre zu.

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1518 Für eine Ersetzung durch einen Ausgleichsanspruch unter Anknüpfung des Spruchverfahrens plädiert für die Fälle der Verschmelzung (auf Übernehmerseite) und der Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss Hüffer, ZHR 172 (2008), 8 ff entsprechend einem Vorschlag des HR-Ausschusses des DAV. Ein Vorschlag für eine Neufassung des gesamten Beschlussmängelrechts stammt von einem „Arbeitskreis Beschlussmängelrecht“, AG 2008, 617. Zur rechtlichen Bewältigung des Problems s die grundlegende Arbeit von Slabschi Die sogenannte rechtsmissbräuchliche Anfechtungsklage 1997. Insbes hat Slabschi herausgearbeitet, dass die Problematik der Zahlungen der Gesellschaft an anfechtungswillige Aktionäre schon mit dem Verbot der verdeckten Gewinnausschüttung zu erfassen ist. Weder ist dem Vorstand der AG die Abwehrstrategie, noch ist dem klagewilligen Aktionär das Behalten der ungerechtfertigt erlangten Sondervorteile zuzugestehen. Slabschi ist nicht berücksichtigt bei der Suche nach einem Bereicherungsanspruch als Sanktion durch Erik Ehmann, ZIP 2008, 584. – Die Reformdiskussion ist vorangetrieben in AG 2008 durch Vetter (177), Poelzig (196), Assmann (208). Zum Einfluss des UMAG auf die Handlungsmöglichkeiten des Vorstands Poelzig, WM 2008, 1009. Zustimmungswürdig für Erhaltung des Anfechtungsrechts D. Schwintowski, DB 2007, 2695 (Vorschläge nur zur Korrektur am Freigabeverfahren).

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 537

5. Klagerechte der Gesellschafter im Hinblick auf Maßnahmen der Geschäftsführung a. Das Problem Die vorstehend entwickelten Überlegungen zur Anfechtungsklage bestimmen 926 die weitere Problematik des Versuchs, über die Kontrolle im Hinblick auf HVBeschlüsse der AG bzw Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der GmbH hinauszugehen und dem einzelnen Gesellschafter auch ein Klagerecht im Hinblick auf gesetz- und satzungswidrige Maßnahmen der Geschäftsführung zu geben, die nicht in bloßer Ausführung von Versammlungsbeschlüssen bestehen. Man denke an vorbereitende oder endgültige Maßnahmen der Geschäftsleitung, die an eine Änderung des Unternehmensgegenstandes grenzen oder sie bedeuten, wie etwa die Veräußerung des Hauptteils des Unternehmens, die Änderung der Produktion von Stahl auf Textilien, den Eintritt in eine konzernmäßige Abhängigkeit, aber weiter auch an die Verlegung des Unternehmenssitzes ins Ausland oder an Geschäfte, die eine verdeckte Gewinnausschüttung enthalten, – alles dies ohne Beteiligung der HV. In der Anfangszeit des modernen deutschen Aktienrechts – dh zugleich in 927 der Anfangszeit der Rechtsprechung des RG und seines Vorgängers, des ROHG, – ging die Rechtsprechung von der Einzelklagebefugnis jedes Aktionärs unter der Voraussetzung eines Feststellungsinteresses aus1519. In der Folgezeit kamen Bestrebungen in Richtung auf Rechtssicherheit einerseits und die Sicherung straffer Führung vor chaotischer Störung durch Einzelaktionäre andererseits auf. So wie die Verfasser der Novelle von 1884 schon das Anfechtungsrecht bezüglich von HV-Beschlüssen geregelt und kanalisiert hatten, nahmen sie auch zur Einzelklagebefugnis gegen Maßnahmen der Geschäftsführung Stellung. Sie hielten diese aber für gänzlich ausgeschlossen mit der Argumentation. „Es [das Einzelklagerecht] eröffnete eine völlige Anarchie, gefährdete den Halt der Organisation, die Thätigkeit der Gesellschaftsorgane und leistete Erpressungen aller Art Vorschub“1520. Mit dieser historischen Begründung in den Gesetzesmaterialien war die Problematik nicht erschöpft. Vor allem ist sie für das Recht der GmbH nicht erschöpft, indem hier ja nicht einmal die Anfechtungsklagemöglichkeit geregelt ist.

_____ 1519 Freilich war in der Rechtsprechung sehr unklar, wann das Feststellungsinteresse gegeben sei und wann nicht. In der Literatur wird insoweit vom „Prinzipien-Maulheldentum“ des ROHG gesprochen (Zöllner, ZGR 1988, 392, 422). S auch K. Schmidt § 21 V 3 S 648 ff. 1520 Entwurfsbegründung Busch’s Archiv S 244 = Reichstagsverhandlungen S 298. Obwohl Großfeld, JZ 1981, 231 diese Passage zitiert, spricht er – mit Rücksicht auf die Entscheidungen des ROHG zu Recht – von einer nicht eindeutigen Entstehungsgeschichte.

538 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

Aber auch für das Aktienrecht entwickelte sich in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wieder eine größere Bereitschaft für die Anerkennung des Einzelklagerechts, weil statt der Straffung der AG zunehmend das Gebot der Neutralisierung von Machtkonzentration durch Verstärkung der Minderheitsrechte ins Auge gefasst wurde. Der Gesetzgeber von 1965 hatte denn auch gerade im Konzernrecht der Einzelklagebefugnis vorsichtig wieder Raum geschaffen1521. In der Literatur ist in der Folgezeit eine deutliche Stimme für die generelle 929 Wiederanerkennung der Einzelklagebefugnis hervorgetreten. Es handelt sich um den berühmten Aufsatz von Knobbe-Keuk in der FS für Kurt Ballerstedt1522.

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b. Holzmüller 930 Der BGH hat in dem viel berufenen Holzmüller-Urteil die Einzelklagebefugnis

von Aktionären in Hinsicht auf rechtswidrige Geschäftsführungsmaßnahmen der Verwaltung anerkannt1523. Er hat hier dem einzelnen Aktionär aufgrund seines Mitgliedschaftsrechts ein Klagerecht gegen gesetz- oder satzungsverletzendes Handeln der Organe zugestanden. Das Klagerecht umfasse die allgemeine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns bzw der Nichtigkeit von Organbeschlüssen wegen Rechtswidrigkeit und daneben auch die Leistungsklage auf Herstellung des rechtmäßigen Zustands. Die Klage sei jeweils gegen die Gesellschaft zu richten. Ausgehend von seinem Fall, hat der BGH hier die Klagemöglichkeit beschränkt auf den Fall der kompetenzwidrigen Übergehung der HV durch den Vorstand. Der BGH vertritt dazu keine actio pro socio1524 auf Herstellung der Ordnung 931 im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Geschäftsführung, sondern er gibt dem Aktionär ein eigenes Recht gegen die Gesellschaft, auf Feststellung der Verletzung bzw Herstellung seiner Mitwirkungsrechte in der HV, wenn diese durch den Vorstand als Gesellschaftsorgan gestört sind, zu klagen. Im Vordergrund des Holzmüller-Urteils steht indessen nicht die Einräumung 932 dieser Klagemöglichkeit, sondern der Versuch einer Rechtsfortbildung des aktienrechtlichen Verhältnisses von Vorstand und HV. Der BGH hat die Pflicht des

_____ 1521 S die §§ 309 IV, 310 IV, 317 IV, 318 IV, 323 I AktG. 1522 1975, S 239. 1523 BGHZ 83, 122; Berufungsentscheidung OLG Hamburg JZ 1981, 231. Thema die Pflicht des Vorstands, die Auffassung der HV einzuholen. Darstellung bei der Organisation der AG u Rn 1054 ff. 1524 Im verbreitet vertretenen Sinne der Geltendmachung von Rechten der Gesellschaft. Richtig handelt es sich um eine Klage aus der Mitgliedschaft, Flume I/2 § 8 V S 300 ff.

III. Klagen wegen Beschlüssen von Organen der Kapitalgesellschaft | 539

Vorstands etabliert, an Entscheidungen, die das Leben der AG grundlegend betreffen, die HV zu beteiligen. Das Nähere dazu ist unten 1525 zu dem Verhältnis von Vorstand und HV auszuführen. Was die Klagemöglichkeit betrifft, sind die Ansätze des Holzmüller-Urteils in den Entscheidungen Siemens/Nold und Mangusta/Commerzbank II weitergeführt worden.

c. Siemens/Nold; Mangusta/Commerzbank II Die Fortbildung der in der Holzmüller-Entscheidung begründeten Klagebefugnis 933 einzelner Aktionäre hat der BGH in einem Bereich vollzogen, der solche Klagerechte fast selbstverständlich macht, nämlich bei der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals durch den Vorstand unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre. Auf diese beziehen sich die Entscheidungen Siemens/Nold1526 und Mangusta/Commerzbank II1527. In beiden Entscheidungen ist der BGH davon ausgegangen, dass der Vorstand die Aktionäre nicht vor seiner Kapitalmaßnahme auf diese hinweisen muss, sondern nur einer Nachkontrolle in der nächsten ordentlichen HV unterliegt. Als Ausgleich hat der BGH festgestellt, dass die Aktionäre neben der – allerdings aus Zeitgründen wenig in Betracht kommenden – vorbeugenden Unterlassungsklage gegen die Gesellschaft die allgemeine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) auf Feststellung der Nichtigkeit von Vorstands- bzw Aufsichtsratsbeschluss erheben können1528. Das Rechtsverhältnis zwischen der beklagten Gesellschaft und ihren Organen sei im Verhältnis zum Aktionär Gegenstand eines berechtigten Feststellungsinteresses: An die Feststellung werde sich häufig schon auf Initiative der Organe selbst die interne Reparatur der Maßnahme oder zumindest die Minimierung des Fehlers, soweit noch möglich, anschließen. Wenn solche Reaktionen ausblieben, habe der Aktionär einen Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft1529 und könnten in der HV Anträge betreffend Entlastung, Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern, Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 147 AktG gestellt werden. Der BGH hat seine Rechtsprechung iSv Siemens/Nold auf den Ausschluss 934 des Bezugsrechts bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 AktG) im Zusammenhang mit der bedingten Kapitalerhöhung (§ 192 II Nr 1 AktG) insoweit übertragen, als sie die Anforderungen an den Ermächtigungsbeschluss

_____ 1525 1526 133 ff. 1527 1528 1529

Rn 1054 ff. BGHZ 136, 133, 141 unter Hinweis auf die Entscheidung Holzmüller BGHZ 83, 122, 125, BGHZ 164, 249. Anwendungsfall LG Köln AG 2008, 327. Der BGH spricht unklar von konkreten Sekundäransprüchen, BGHZ 164, 256.

540 | H. Gesellschafterverantwortung und Kontrollrechte in der Kapitalgesellschaft

im Rahmen des genehmigten Kapitals herabgesetzt hat1530. Dies legt es nahe, auch im Bereich der Wandelschuldverschreibungen den betroffenen Aktionären die Klagebefugnis aus Mangusta/Commerzbank II einzuräumen.

QQQ NEUE RECHTE SEITE

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1530 Jetzt gesetzlich geregelt in § 221 IV 2 AktG. Der BGH musste in WM 2006, 432, WM 2007, 2110 mit der analogen Anwendung von § 203 II 1 iV mit § 186 III 4 AktG sowie der Prüfung der in § 186 IV begründeten Anforderungen bei Gebrauchmachen von der Ermächtigung arbeiten.

I. Grundlagen | 541

I. Die Organisation der AG und der GmbH I. Die Organisation der AG und der GmbH

I. Grundlagen I. Grundlagen

1. Die Organe und ihre Bedeutung https://doi.org/10.1515/9783110595802-009

a. Übersicht1530a Das AktG regelt für die AG in seinem 4. Teil die „Verfassung der Aktiengesell- 935 schaft“. Das GmbHG spricht nicht von einer Verfassung, sondern schlicht von der Vertretung und Geschäftsführung (§§ 35 ff GmbHG). Dennoch wird auch bei der GmbH von den Organen der juristischen Person gesprochen1531. Die Organe der AG sind Vorstand, Aufsichtsrat und HV. Der Vorstand ist das alleinige Leitungsorgan; der Aufsichtsrat ist das Organ, welches den Vorstand zu bestellen hat und darüber hinaus die Kontrolle inne hat, insbesondere sich für einzelne Entscheidungen die Zustimmungskompetenz vorbehalten oder dem die Satzung eine solche einräumen kann; die Hauptversammlung ist das Organ der Gesellschafter, aber anders als bei der GmbH nicht mit oberster Kompetenz, wenn auch mit wesentlichen Zuständigkeiten ausgestattet: (1) Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder (vorbehaltlich der Normen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer), (2) kritische Begleitung der Geschäftsführung und ihre Entlastung, (3) Feststellung des Jahresabschlusses bei Uneinigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat oder Überlassung der Feststellung an die HV durch die beiden Leitungsorgane (§ 173 AktG), (4) Gewinnverwendung (§ 174 AktG), schließlich (5) Beschlüsse, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen. Bei der Gründung haben die Gründer in notarieller Form den Aufsichtsrat 936 zu bestimmen (§ 30 I AktG), dieser bestellt den ersten Vorstand (§ 30 IV AktG). Die Besetzung beider Organe ist zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 37 IV Nr 3 AktG). Ebenso sind – jeweils vom Vorstand – Änderungen der Besetzung anzumelden (§§ 81, 106 AktG). Auf allen Geschäftsbriefen müssen die in Abs 1 bestimmten Personen und neben anderen Angaben die Handelsregister-Nr kenntlich sein (§ 80 AktG).

_____ 1530a Zu den Pflichten und der Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat der AG und der Geschäftsführer der GmbH s das Handbuch Managerhaftung, hrsg von Krieger und Schneider, 3. Aufl Köln 2017, Rezension Strohn, WM 2018, 400. 1531 Exakt dagegen der BGH in NZG 2017, 662 in dem Beschluss, dass ein Ordnungsgeld wegen Fernbleibens im Termin (§ 141 III 1 ZPO) nur gegen die bekl juristische Person, nicht dagegen gegen deren „gesetzlichen Vertreter“ festgesetzt werden darf. https://doi.org/10.1515/9783110595802-009

542 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

Das GmbHG regelt die Geschäftsführung und die Rechte der Gesellschafter der GmbH unter dem Titel „Vertretung und Geschäftsführung“ im 3. Abschnitt. Das Gesetz macht nur das Geschäftsführungsorgan zwingend (§ 6 I GmbHG) und setzt die Gesellschafter, die ihre Beschlüsse grundsätzlich in der Gesellschafterversammlung fassen (§ 48 I GmbHG), als selbstverständliches oberstes Organ voraus. Ansonsten gilt bei der GmbH weitgehende Satzungsfreiheit. Vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung (Möglichkeit von Sonderrechten, Verlagerung von Rechten auf die Geschäftsführung) sind die Gesellschafter auch im Geschäftsführungsbereich oberstes Organ (§§ 37 I, 45 I GmbHG). Einen Aufsichtsrat kann die GmbH haben, muss dies aber nicht (§ 52 I GmbHG), es sei denn, das Mitbestimmungsrecht gilt (darauf bezieht sich § 52 II GmbHG) oder die GmbH ist externe Kapitalverwaltungsgesellschaft (§ 18 II 1 KAGB). Für die Offenlegung des Geschäftsführungsorgans und, wenn vorhanden, des Aufsichtsrats in der Anmeldung zum Handelsregister gilt das Gleiche wie bei der AG (§§ 8 I Nrn 1, 2, 39, § 52 III GmbHG). Ebenso entspricht § 35a GmbHG in Bezug auf die Geschäftsbriefe dem Aktienrecht. Im Unterschied zur AG wird beim Handelsregister eine Liste der Gesellschafter geführt (§ 40 GmbHG). Zu den – insbesondere im Aktienrecht sehr detaillierten – Regelungen über 938 die Organe sind die nachstehend angesprochenen Themen zu unterscheiden. Sie betreffen direkt die Verwaltungsorgane, auf die Gesellschafterversammlungen sind sie aber zum größten Teil dem Sinne nach übertragbar. Diese Themen sind: (1) Gesetzliche Einrichtung des Organs, (2) Zusammensetzung, (3) Qualifikation der Mitglieder, (4) Bestellung/Abberufung, (5) Amtszeit, (6) Vergütung, (7) Organisation, (8) Aufgaben bzw Kompetenz, (9) Verhältnis zu anderen Organen, (10) Pflichten, (11) Sanktionen. Die im Folgenden hiernach geordneten Vorschriften können dadurch erarbeitet werden, dass sie gelesen und stichwortartig gekennzeichnet werden: Zum Vorstand enthalten das AktG (und die InsO) folgende Regelung: – Institution §§ 30 IV, 76 AktG, Stellvertreter §§ 94, 105 II AktG – Zusammensetzung § 76 II AktG mit Hinweis in S 3 auf den Arbeitsdirektor nach MitbestG – Qualifikation, insbesondere Bestellungshindernisse, §§ 76 III, 105 AktG – Bestellung/Abberufung §§ 30 IV, 84 mit Abs 4, 85 AktG, Eintragung in das Handelsregister nach §§ 39, 81 AktG – Amtszeit § 84 I AktG – Vergütung (§ 87 AktG; zu Aktienoptionen §§ 192 II Nr 3, 71 I Nr 8 S 5 AktG) – Organisation §§ 77 (insbes II), 78, 84 II AktG (betr Vorstandsvorsitzenden) – Aufgaben bzw Kompetenz: §§ 76, 78, 82, 91 AktG, insbesondere Rechnungslegung nach §§ 91, 170 AktG, §§ 242, 264 HGB, Vertretung in Anfechtungsprozessen § 246 II AktG. 937

I. Grundlagen | 543

– – –

Verhältnis zu anderen Organen: §§ 82 II, 83, 90, 105, 106, 111 IV, 118 II 1, 119 I Nr 3, II, 120 (mit § 84 III 2 aE), 121 II, 124 ff AktG Pflichten ergeben sich aus den Aufgaben sowie dem Verhältnis zu den anderen Organen, s sodann §§ 81, 91, 92, 93 I AktG, 15a I 1 InsO, 317, 318 AktG Sanktionen: Haftung (§ 92 II, § 93 AktG), Zwangsgelder (§ 407 AktG), Strafbarkeit nach §§ 399 ff AktG, 15a IV, V InsO; Nichtigkeit gesetzwidriger Beschlüsse des Vorstands; Möglichkeit von Einzelklagen von Aktionären gegen die AG auf Feststellung, Unterlassung oder Schadensersatz in den Fällen, dass der Vorstand Vorschriften verletzt, die die Rechtsstellung der Aktionäre betrifft1532.

Die Regelung des Aufsichtsrates umfasst: 939 – Institution §§ 30, 95 AktG, Stellvertretung § 101 III AktG – Zusammensetzung §§ 30, 95–99 AktG – Qualifikation §§ 100, 105 AktG – Bestellung/Abberufung § 101–104, 119 I Nr 1 AktG, Eintragung in das Handelsregister §§ 37 IV Nr 3a, 106 AktG – Amtszeit (§ 102 AktG) – Vergütung § 113 AktG – Organisation §§ 110, 107–109 AktG – Aufgaben bzw Kompetenz: §§ 84 (30 IV), 111, 112 AktG, Rechnungslegung § 171 AktG, Vertretung in Anfechtungsprozessen § 246 II AktG – Verhältnis zu anderen Organen §§ 30 IV, 84, 110, 111 III, IV, 118 II, 119 I Nr 3, 120 AktG – Pflichten folgen aus den Aufgaben und dem Verhältnis zu den anderen Organen, sodann §§ 116 iVm 93 I AktG, 15a III InsO, 318 AktG – Sanktionen: Haftung nach § 116 iVm § 93 AktG, Strafbarkeit nach §§ 399 ff AktG, Nichtigkeit von gesetzwidrigen Beschlüssen, Möglichkeit von Einzelklagen von Aktionären gegen die AG wie beim Vorstand. Über die HV sind geregelt: 940 – Institution § 118 AktG – Zusammensetzung aus allen Aktionären – Teilnahme- und Stimmberechtigung gemäß §§ 123, 134, 136 AktG, Anfechtungsberechtigung nach § 245 Nr 1 AktG – Organisation §§ 83, 111 III, 121 ff, 129 ff AktG – Aufgaben/Kompetenz §§ 119 I, II, 120, 131 f (Auskunft), 142 ff AktG (Sonderprüfung), Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§§ 147 f AktG), Rech-

_____ 1532 Entwickelt in der Entscheidung Holzmüller BGHZ 83, 122.

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nungslegung (§ 173 AktG), Satzungsänderung, Kapitalveränderung (§§ 179, 182 ff AktG), Auflösung (§ 262 I Nr 2 AktG), Vertragskonzern (§ 293 I, II AktG), Umwandlung nach UmwG, Zustimmung zu einem Vertrag über die Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens, wenn dieser nicht schon unter das UmwG fällt (§ 179a AktG) Verhältnis zu anderen Organen §§ 30, 83, 101, 111 III, 121 ff, 147, 258 ff AktG (Sonderprüfung) Sanktionen: Haftung von Aktionären § 117 AktG, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Beschlüssen, §§ 241 ff AktG, konzernrechtliche Haftung herrschender Gesellschafter, Existenzvernichtungshaftung

941 Das GmbHG sowie die InsO enthält folgende Bestimmungen über das Organ

der Geschäftsführung: – Institution § 6, Stellvertreter durch Satzung oder Versammlung, s dazu § 44 GmbHG – Zusammensetzung § 6 I GmbHG – Qualifikation, insbesondere Bestellungshindernisse, § 6 II–IV GmbHG – Bestellung/Abberufung §§ 46 Nr 5, 38 GmbHG, Eintragung §§ 10, 39 GmbHG – Vergütung nach dem Anstellungsvertrag (§§ 675, 611 ff BGB) – Organisation § 35 I, II GmbHG – Aufgaben/Kompetenz §§ 35–37, 40, 41, 42a, 49 (insbesondere Abs 3) GmbHG, § 15a I 1 InsO, §§ 242, 264 HGB – Verhältnis zu den Gesellschaftern §§ 46 Nrn 5, 6, 8, 37 I, 40, 49 GmbHG – Pflichten aus den Aufgaben der Geschäftsführung und ihrem Verhältnis zu den Gesellschaftern – Sanktionen: §§ 43, 64 GmbHG, Zwangsgelder nach § 79 GmbHG, Strafbarkeit nach §§ 82 ff GmbHG, 15a IV, V InsO. 942 Über die Rechte der Gesellschafter ist geregelt:

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die Zuständigkeit: §§ 45 f GmbHG die Beschlussfassung: §§ 47 f GmbHG die Einberufung: §§ 49 ff GmbHG Auskunfts- und Einsichtsrecht, § 51a GmbHG Sanktion bei Gesetzwidrigkeit der Beschlüsse §§ 241 ff AktG analog, bei Rechtswidrigkeit der Ausübung der Gesellschafterrechte konzernrechtliche Haftung herrschender Gesellschafter, Existenzvernichtungshaftung

943 Wird durch die Satzung der GmbH ein Aufsichtsrat eingerichtet, ist dafür in

§ 52 I GmbHG eine dispositive Regelung unter Verweisung auf aktienrechtliche Vorschriften zu finden. Nach den Mitbestimmungsgesetzen ist ein Aufsichtsrat

I. Grundlagen | 545

auch für die GmbH zwingend, soweit die einzelne GmbH die Größenkriterien der Mitbestimmungsgesetze erfüllt (§§ 3 I MontanmitbestG, 6 MitbestG, § 1 I Nr 3 DrittelbG) oder soweit das MgVG1533 gilt. Die Mitbestimmungsgesetze enthalten Vorschriften über den Aufsichtsrat, in denen sie auf Vorschriften des AktG verweisen. Schließlich ist bei externen Kapitalverwaltungs-Gesellschaften mbH nach dem KAGB zwingend ein Aufsichtsrat zu bilden (§ 18 II 1 KAGB).

b. Führungslosigkeit Das MoMiG hat in das Recht der Kapitalgesellschaften eine neue Kategorie ein- 944 geführt: die sog Führungslosigkeit der Gesellschaft. Damit wird der Zustand bezeichnet, dass die GmbH keinen Geschäftsführer (§ 35 I 2 GmbHG) oder die AG keinen Vorstand hat (§ 78 I 2 AktG). In den beiden Vorschriften wird für diese Fälle die Empfangsvertretungsmacht dem Aufsichtsrat und bei der GmbH, und zwar auch dann, wenn diese einen Aufsichtsrat hat, den Gesellschaftern zugewiesen. Das Gesetz trifft aber noch an anderen Stellen Vorsorge für den Fall der Führungslosigkeit: Insbesondere wird die Pflicht ausgeweitet, bei Überschuldung oder Insolvenz Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Bei Fehlen von Geschäftsführern werden die Gesellschafter, bei Fehlen von Vorständen werden die Aufsichtsratsmitglieder in die Pflicht zur Antragstellung einbezogen (§ 15a III InsO)1534. Die genannten Vorschriften über die Ausweitung der Passivvertretung gehören in die Reform, mit der das MoMiG gegen den Bestattungsmissbrauch angegangen ist. Diese ist an früherer Stelle zusammengefasst1535.

c. Wesenszüge der Organisation (1) Konsequenzen aus der Unterschiedlichkeit von AG und GmbH Die AG braucht als Gesellschaft, die typischerweise ein Großunternehmen be- 945 treibt, ein weitgehend unabhängiges Management. Daraus resultiert die Selbstständigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat als Leitungsorganen der AG bei nur zurückhaltend geregelter Kompetenz der HV. Primär hat die Leitungskompetenz der Vorstand, er hat gemäß § 76 AktG das Geschäftsführungsmonopol, bestätigt durch § 111 IV 1 AktG, wonach der Aufsichtsrat vorbehaltlich einzelner Zustim-

_____ 1533 Gesetz zur Umsetzung der Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten vom 21.12. 2006 (Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie ABl v 25.11.2005 Nr L 310 S 1), BGBl I S 3332. 1534 Ausnahme: Keine Kenntnis von Insolvenzgründen oder von der Führungslosigkeit. 1535 Rn 133 ff.

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mungszuständigkeiten keine Geschäftsführungsaufgaben haben kann, und durch § 119 II AktG, wonach die HV über eine Geschäftsführungsangelegenheit nur dann entscheiden kann, wenn der Vorstand sie zur Entscheidung heranzieht. Der Aufsichtsrat ist ursprünglich aus der Überlegung geschaffen worden, 946 die weit verstreuten Gesellschafter einer Publikumsgesellschaft mit einem Gesellschafterausschuss auszustatten. Aus diesem Verständnis heraus ist der Aufsichtsrat im 19. Jahrhundert für die AG zunächst als freiwillige Einrichtung entstanden. Wie eingangs gesehen1536, wurde der Aufsichtsrat in der Novelle von 1870 zwingend festgelegt als Ersatz für das wegfallende Konzessionssystem und die wegfallende Staatsaufsicht über die AG. Zunächst war der Aufsichtsrat aber noch beschränkt auf die Überwachung des Vorstands, wenn ihm auch durch die Satzung die Bestellungs- und Abberufungskompetenz und die Bestimmung der Richtlinien der Geschäftspolitik übertragen werden konnten. Nach gegenwärtiger Rechtslage hat der Aufsichtsrat kraft Gesetzes die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder. Er ist das eigentümliche Institut des deutschen Rechts zum Ausgleich der verschiedenen mit der AG als Großunternehmen verbundenen Interessen. Die Interessen sind schon je nach Aktionärscharakter verschieden (Großaktionäre, Kleinaktionäre etc), sodann ist das öffentliche Interesse beteiligt, das Interesse der Verwaltung, das Interesse der Arbeitnehmer, das Interesse der Gläubiger und das Interesse künftiger Anleger. Dem deutschen System mit dem Aufsichtsrat steht das angloamerikanische 947 System des board gegenüber, in dem Verwaltungs- und Kontrollfunktionen vereinigt sind1537. Board-System und das deutsche System des Duopols können nach der SE-VO gewählt werden1538. Auch im französischen Recht kann das board-System gewählt werden1539. 948 Die Ausgleichsfunktion des selbstständigen Aufsichtsrates nach deutschem Recht ist noch verstärkt worden durch die – ebenfalls im deutschen Recht begründete – Regelung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Durch diese sind dem Aufsichtsrat Aufgaben zugewachsen, die von der Interessenvertretung für die Gesellschafter ganz unabhängig sind. Der Wandel des Aufsichtsrates ist un-

_____ 1536 S o Rn 54 f. 1537 Vgl hierzu Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht 1991 Rn 482 ff. 1538 O Rn 185. 1539 Hopt/Wymeersch/Hopt Comparative Corporate Governance 1997 S 12 f; Hopt, ZGR 2000, 779, 815. Zur Frage, ob das board-System in das deutsche Recht eingeführt werden sollte KK/ Mertens Kom AktG 3. Aufl 2004 ff vor § 95 Rn 19, zur Möglichkeit, eine GmbH nach dem boardSystem zu organisieren Loges, ZIP 1997, 437.

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ter dem Stichwort Unternehmens- statt Gesellschaftsorgan thematisiert worden1540. Was die GmbH im Vergleich zur AG betrifft, ist diese als personalistische Gesellschaftsform von ihren Gesellschaftern weniger abgehoben, vielmehr umgekehrt gerade auf die Gesellschafter bezogen. Das Gesetz spricht gar nicht von der Gesellschafterversammlung, sondern von „den Gesellschaftern“ (§ 45 GmbHG). Die Gesellschafter bilden das willensbestimmende Organ gegenüber den Geschäftsführern, auch was den Geschäftsführungsbereich betrifft (§§ 37 f, 45 f GmbHG). Der Unterschied zwischen den geschäftsführenden Organen in AG und GmbH kommt klar in der Bestellungs- und Abberufungskompetenz zum Ausdruck: Nach § 84 AktG wird der Vorstand der AG vom Aufsichtsrat auf 5 Jahre bestellt, und die Bestellung kann nach § 84 III 1 nur aus wichtigem Grund widerrufen werden. Nach § 46 Nr 5 GmbHG ist demgegenüber die Bestellung der Geschäftsführer Sache der Gesellschafter, und nach § 38 GmbHG kann die Bestellung jederzeit widerrufen werden. Die Zentrierung der Macht in der AG bei Vorstand und Aufsichtsrat darf nicht überzeichnet werden: Immerhin bestellt die Hauptversammlung auch bei der mitbestimmten AG die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat, und haben diese das Übergewicht. Zudem sind die Aufsichtsratsmitglieder aufgrund der Befristung der Amtszeit von der HV abhängig. Der Vorstand wiederum ist abhängig vom Aufsichtsrat, bei der mitbestimmten AG von den Anteilseignervertretern im Aufsichtsrat, auch noch insoweit, als der Vertrauensentzug durch die HV einen wichtigen Grund zur Abberufung durch den Aufsichtsrat darstellen kann (§ 84 III 2 AktG)1541. Schließlich steht der HV der AG die Grundlagenkompetenz zu. Ein Großaktionär oder beherrschender Gesellschafter ist also durchaus in der Lage, seinen Willen auch bei der AG durchzusetzen. Nur im mitbestimmten Konzern könnte diese Durchsetzungsmöglichkeit bezweifelt werden angesichts der Regelung, dass die Mitbestimmung auf mehreren Ebenen mit dem Endpunkt oben bei der Konzernspitze gemäß § 5 MitbestG eingreift. § 32 MitbestG sorgt aber für die Durchsetzungsmöglichkeit der Anteilseigner auch hier: Die Ausübung der Anteilsrechte an den abhängigen Unternehmen ist, soweit die Personalkompetenz betroffen ist, nicht wie sonst allein in der Hand der Verwaltung des herrschenden Unternehmens, wobei die Verwaltung von dem mitbestimmten Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens abhängig ist. Vielmehr muss die Verwaltung für die Ausübung der Anteilsrechte bei Beschlüssen über Personalentscheidungen in der abhängigen Gesellschaft

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1540 KK/Mertens vor § 95 Rn 1 f. 1541 Beachte aber: Der Aufsichtsrat „kann“ widerrufen.

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jeweils einen Beschluss des Aufsichtsrates einholen, wobei dieser Beschluss nur der Mehrheit der Anteilseigner im Aufsichtsrat bedarf. Grundsätzlich machtlos könnte aber die HV bei der Publikums-AG mit 953 verstreutem Anteilsbesitz erscheinen. In der Tat ist die HV hier häufig darauf beschränkt, den meist vom Vorstand vorbereiteten Vorschlägen zur Wahl des Aufsichtsrats zu akklamieren. Eine Gegenmacht der Versammlung könnte hier aber zunächst von den Depotbanken ausgehen. Diese sind freilich gemeinhin als verwaltungsnah (schon dadurch, dass sie Aufsichtsratssitze besetzen) und deshalb zur Abstimmung mit der Verwaltung geneigt anzusehen. Sie wirken sogar häufig an der Kooptation der Kandidaten mit. Man muss allerdings sehen, dass diese Ohnmacht des Kleinaktionärs gerade in der Zielrichtung der Organisationsstruktur der AG liegt, soll doch der Verwaltung die kompetente, kontinuierliche Unternehmensführung ermöglicht werden, frei von sachfremden Einwirkungen aus Zufallsaktionismus, radikalen Ansätzen oder sogar Randale heraus. Eine neue Entwicklung ist hier allerdings in Gestalt der zunehmenden Einflussnahme von (insbesondere sich international bewegenden) sog Hedgefonds zu verzeichnen. Diese verfolgen häufig mit einem Anteilsbesitz von zunächst wenigen Prozent, den sie aber sehr schnell ausbauen oder mit demjenigen anderer Player abstimmen können, eine sehr aktive Politik, die bei der gewöhnlichen geringen Präsenz der Aktionäre auf den HV1542 sehr schnell sehr durchsetzungsfähig sein kann. Dies war zum Jahreswechsel 2004/2005 bei dem Versuch der Frankfurter Börse-AG zu erleben, die Londoner Börse zu übernehmen1543. Ist bei der AG auf die Möglichkeit beherrschender Einflussnahme durch 954 Groß- oder Mehrheitsaktionäre hinzuweisen, so ist umgekehrt bei der GmbH auf die Möglichkeit gerade der Beschränkung der grundsätzlich umfassenden Einflussnahmemöglichkeit der Gesellschafter hinzuweisen. Diese Beschränkung folgt hier aus der im Gegensatz zu § 23 V AktG weitgehend eingeräumten Gestaltungsfreiheit iR der Satzungskompetenz (s § 45 I GmbHG). In der Satzung einer GmbH können Bestellungsrechte, eine weitergehende Unabhängigkeit der Geschäftsführung und auch die Ergänzung der Verwaltungsseite durch – meist beratende – Beiräte etc bestimmt sein. Wegen der Notwendigkeit einer 3/4-Mehrheit für Satzungsänderungen (§ 53 II 1 GmbHG) sind diese Gestaltungen sehr

_____ 1542 Die HV-Praxis zeichnet sich durch niedrige Aktionärspräsenz aus. Zu rechtstatsächlichen Entwicklungen der Stimmrechtsausübung s den diesbzgl Bericht des BMJ in NZG 2004, 948. 1543 S Berichte der FAZ v 3.3.2005 S 25, 4.3.2005 S 11, 21. Der Versuch musste schließlich abgebrochen werden. Vgl in diesem Zusammenhang die Bestandsaufnahme aus Schweden: A Remarkable Decade: The Awakening of Swedish Institutional Investors, Skog, AG 2005, 2 ff.

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bestandsfest, sodass sie der GmbH auf Dauer einen besonderen (der AG nahen) Typus verleihen können.

(2) Die allgemeine Problematik der Beschlussfassung in Organen mit mehreren Mitgliedern Haben die Organe mehrere Mitglieder, so bilden sie ihren Willen durch Be- 955 schlüsse. Dazu stimmen die Mitglieder ab. Es ergibt sich die allgemeine Frage des Verhältnisses zwischen Einzelabstimmung und Beschluss. Das Thema haben grundlegend Ernst, Koppensteiner und Altmeppen erörtert1544. Wir behandeln die Frage dort, wo sie die größte Rolle spielt: nämlich bei den Beschlüssen der Gesellschafter der GmbH1545. Die dort festgestellten Ergebnisse gelten aber grundsätzlich auch für die Beschlüsse der anderen Organe.

d. Shareholder value In den letzten Jahren ist zu einem zentralen Aspekt der Unternehmensführung 956 die Ausrichtung des Vorstandshandelns auf den „Shareholder Value“1546 geworden. Mit diesem von A. Rappaport begründeten Begriff1547 wird die Orientierung der Unternehmensführung an einer Steigerung des Aktionärsvermögens thematisiert (share = Aktie)1548. Gegenläufig zum Shareholder-Value-Gedanken ist der Gedanke des Stakeholder Value. Nach diesem sind die Interessen aller

_____ 1544 Ernst, FS Leenen (2012), S 1 ff, Koppensteiner, JBl 2017, 273 ff, Altmeppen, GmbHR 2018, 225 ff. 1545 U Rn 1236, 1242 ff. 1546 An anderer Stelle (beispielsweise vom ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Kopper, Nachweise bei v Werder, ZGR 1998, 69, 70 Fn 10) wird auch von „Stakeholder Value“ gesprochen. Diese Wortwahl bedeutet keine reine Geschmackssache, sondern macht in der Sache einen Unterschied, dazu sogleich im Text. 1547 Creating Shareholder Value 1986. Zur aktienrechtlichen Diskussion Eidenmüller, in: Siebeck (Hrsg) Artibus ingenuis 2001 S 35 ff; v Bonin Die Leitung der Aktiengesellschaft zwischen Shareholder und Stakeholder-Interessen 2004, 1548 Dabei bezieht man sich auf die große, börsennotierte AG, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich ein Großteil der Aktien in Streubesitz befindet und daher eine große Inhomogenität der verschiedenen Interessen zu verzeichnen ist. Für andere Arten von Aktiengesellschaften (Einmann-AG, kleine AG) mit weniger inhomogenen Strukturen eignet sich der shareholder value-Gedanke schon der Natur der Sache nach nicht. Als Ausfluss des shareholder-Denkens bezeichnet Freiberger, SZ vom 2./3.12.2017, S 26, die Ankündigung der Siemensleitung, im Jahr eines mehrere Milliarden betragenden Unternehmensgewinns mehrere Standorte der Kraftwerkssparte mangels Wettbewerbsfähigkeit auf dem wegen der Energiewende enger werdenden Markt zu schließen.

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denkbaren Bezugsgruppen (= stakeholder) im Unternehmen (Aktionäre, Arbeitnehmer, Gläubiger, die Allgemeinheit) auszugleichen1549. Im Kern geht es dabei um das Verhältnis von Aktionären und Arbeitnehmern im Rahmen der gemeinsamen Unternehmung. Was das Handeln des Vorstands angeht, sind zunächst §§ 76 I, 93 I AktG zu 957 beachten. Danach hat der Vorstand die AG unter eigener Verantwortung zu leiten, bei dieser Leitung aber die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Für diese gilt zwar nicht mehr die Formulierung des § 70 I AktG 1937 von der Verantwortung zu leiten, „wie das Wohl des Betriebes und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern“1549a. Die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters hat aber durchaus die Einbettung des Unternehmens in sein wirtschaftliches und soziales Umfeld zu beachten. Das Schlagwort des „Shareholder Value“ kann also kein reiner Selbstzweck sein, sondern hat sich an den bezeichneten Rahmenparametern, die dem Vorstandshandeln insoweit Grenzen setzen, zu orientieren. Die äußersten Grenzen des Vorstandshandelns dürften jedenfalls in der Weise zu ziehen sein, dass der Vorstand ein Unternehmen zu leiten hat und dieses nicht nur kurzfristig, sondern langfristig kraft der Risikoabwägung, zu der auch die Existenz im Rahmen des Umfelds gehört, Bestand und Erfolg haben muss.

e. Deutscher Corporate Governance Kodex; die Corporate Social Responsibility 958 In jüngster Zeit ist weiter der Fragenkreis um die „Corporate Governance“ Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und der Gesetzesreform geworden. Mit dem Begriff der „Corporate Governance“ werden aus der Praxis heraus entwickelte und standardisierte Führungsgrundsätze (best practices of corporate governance) bezeichnet. Diese wenden sich zunächst an alle Organe, in Deutschland wegen § 76 I AktG hauptsächlich an den Vorstand der AG (interne Corporate Governance). Hinzu kommt die Relevanz der Unternehmenskontrolle für den Markt (externe Corporate Governance). Schließlich geht es um die Publizität und Kontrolle der Rechnungslegung im Unternehmen. Hierzu hat nach Vorarbeiten der OECD1550 eine Regierungskommission Corporate Governance, die nach ihrem Vorsitzenden sog Baums-Kommission, im Jahre 2001 ihren Ab-

_____ 1549 S die OECD Prinziples of Corporate Governance 2004, 21, 46 ff. Dazu Mendrzyk Das deutsche Aktienrecht verglichen mit den Principles of Corporate Governance der OECD 2004. S a Schneider, AG 2004, 429. 1549a O Rn 66. 1550 Vorschläge abgedruckt in AG 1999, 340.

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schlussbericht vorgelegt1551. Nach den Vorschlägen dieser Kommission, ua dem, einen Code of best Practice zu schaffen, hat die Bundesregierung eine weitere Kommission eingesetzt, die auf der Grundlage der Arbeiten der Baums-Kommission konkrete Vorschläge entwickeln sollte (Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, sog Cromme-Kommission). Die Cromme-Kommission hat den „Deutschen Corporate Governance Kodex“ (DCGK) erarbeitet, der im Bundesanzeiger veröffentlicht ist und ständig nach den aktuellen Erfahrungen weitergebildet werden kann und soll1552. Motiv für die Einführung ist zunächst einmal das Informationsbedürfnis des Kapitalmarkts, insbesondere der ausländischen Anleger. Diesen soll ein Informationsangebot gemacht werden. Darüber hinaus erhofft man sich die Deregulierung und Flexibilisierung des Aktienrechts durch nicht zwingende, folglich schmiegsame Regeln1553. Der Kodex enthält – insoweit nur zur Information der Anlegeröffentlichkeit – Gesetzesvorschriften, weiterhin Empfehlungen und Anregungen1554. Auch was die Empfehlungen betrifft, sind diese nicht verbindlich1555, sie haben auch keine Vermutungswirkung wie die Empfehlungen des Deutschen Rechnungslegungsstandard-Committees, welches auf der Basis des § 342 HGB tätig wird. Die Empfehlungen sollen aber Modellcharakter haben, so dass die Unternehmen sich Gedanken darüber machen, ob sie die Regeln befolgen wollen und, wenn nein, warum sie das nicht tun. Ihre Entscheidung sollen sie der internationalen Anlegeröffentlichkeit kundtun. Durch das TransPuG vom 19.7.2002 ist § 161 AktG eingefügt worden, der dem angloamerikanischen Prinzip zu Governance-Regeln folgt, welches lautet: comply or explain. Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Aktiengesellschaften1556 wird die jährliche Erklärung1557 darüber auf-

_____ 1551 S Baums (Hrsg) Bericht der Regierungskommission Corporate Governance – Unternehmensführung, Unternehmenskontrolle, Modernisierung des Aktienrechts 2001. 1552 Aktuelle Fassung von 2017 abrufbar unter http://www.ebundesanzeiger.de. 1553 S Präambel des Kodex. Zuvor Baums (Hrsg) Bericht der Regierungskommission Corporate Governance 2001, Rn 6 f. Über Corporate Governance liegt ein ganzes Handbuch vor: Hommelhoff/Hopt/v Werder 2003 (827 Seiten). Zur „Bedeutung des Deutschen Corporate Governance Kodex im Deutschen Aktienrecht“ die Schrift dieses Titels von Knöringer-Fröhlich, 2006. 1554 Nach der Präambel des Kodex sind Empfehlungen mit „soll“, Anregungen mit „sollte“ oder „kann“, gesetzliche Bestimmungen durch Fehlen solcher Formulierungen gekennzeichnet. 1555 LG München I WM 2008, 130. 1556 Das BilMoG hat in § 161 S 2 AktG bestimmte andere Aktiengesellschaften gleichgestellt, die ihre Aktien über ein multilaterales Handelssystem handeln lassen und andere Wertpapiere als Aktien über einen Markt iS des WpHG emittieren. 1557 Erklärung beider Organe, ein Einigungszwang besteht nicht. Jährlich ist sinnvoller Weise auf die Jahresrechnungslegung zu beziehen, also auf das dort abgerechnete Geschäftsjahr. Unklar OLG München DB 2008, 1148, 1149 sub 3 (spätestens nach Ablauf eines Jahres nach Abgabe der vorangegangenen Erklärung?).

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erlegt, ob sie die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex befolgen oder welche Empfehlungen sie nicht anwenden. Dies ist die sog Entsprechenserklärung1558. Nach § 325 I 3 HGB ist die Erklärung zusammen mit dem Jahresabschluss elektronisch beim Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers einzureichen. Wollen Vorstand und Aufsichtsrat entgegen der Erklärung im laufenden Jahr von einer Empfehlung abweichen, müssen sie das nach dem Sinn der Erklärung unterjährig ebenfalls kundmachen. Soweit die Entsprechenserklärung vorgeschrieben ist, muss im Anhang zum Jahresabschluss (§ 285 1 Nr 16 HGB) und zum Konzernabschluss (§ 314 I Nr 8 HGB) die Angabe enthalten sein, dass die Erklärung abgegeben und den Aktionären zugänglich gemacht worden ist. Jahresabschluss und Konzernabschluss sind zu prüfen. Nach § 321 I 3 HGB bezieht sich die Prüfung auf die Einhaltung der Gesetze, also auch der §§ 161 AktG, 285, 314 HGB. Aufgrund des BilMoG enthält § 289a HGB die Verpflichtung der börsennotierten Aktiengesellschaften (und der gleichgestellten Emittenten), die Erklärung zur Unternehmensführung in den Lagebericht (§ 289 HGB) aufzunehmen. Inhalt sollen zunächst die Entsprechenserklärung und sodann einzeln aufgezählte relevante Angaben zu Unternehmensführungspraktiken sein. Darunter zählen nach § 289a II Nr 4 HGB auch Angaben zum Frauenanteil in den Leitungsgremien. Diese Publizitätspflicht wird in § 289a IV HGB auf die anderen Gesellschaftsformen erstreckt, für die die Pflicht zur Beteiligung von Frauen an Führungsgremien angeordnet ist1559. 959 Der Beschluss über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat ist an-

fechtbar, wenn die Organe ihrer Pflicht gemäß § 161 AktG nicht genügt hatten1560. Fraglich ist, ob an einen Verstoß gegen § 161 AktG Haftungsfolgen anknüpfen können (unter der ohnehin schwer nachzuweisenden Voraussetzung, dass – so bei der Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft – ein Schaden der Gesellschaft oder – so für die Außenhaftung gegenüber Anlegern – die kausale Herbeiführung eines Schadens zu beweisen ist). Für die Organverantwortlichkeit im Innenverhältnis gelten die Haftungstatbestände der §§ 93, 116 AktG. Im Außenverhältnis ist mangels Normcharakters des Kodex und mangels individueller Schutzrichtung des § 161 AktG eine Haftung wegen Schutzgesetzverletzung höchstens iVm § 400 I Nr 1 AktG denkbar. Die Entsprechenserklärung ist sodann

_____

1558 So die Überschrift des den § 161 AktG enthaltenden Abschnitts. 1559 Zum Gesetz o Rn 141. 1560 ZB Fehlen des Berichts über das Vorliegen und die Behandlung eines möglichen Interessenkonflikts in der Person eines Organmitglieds (entgegen Ziff. 5.5.3 DCGK), BGHZ 180, 9, Rn 21 ff, und 182, 272, Rn 17 ff. Der Fehler muss schwerwiegend sein und über einen bloßen Formalverstoß hinausgehen, BGHZ 194, 14 Rn 28 ff (zwar Fehlen im Bericht des Aufsichtsrats an die HV nach § 171 II AktG, aber Hinweis darauf in dem im Lagebericht der Gesellschaft enthaltenen Corporate Governance-Bericht). Zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Corporate Governance Erklärung insgesamt Theusinger/Liese, DB 2008, 1419.

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auch kein Prospekt iS der Prospekthaftung. Allerdings könnten in den Vorschriften über die Haftung wegen falscher oder unterlassener Kapitalmarktinformationen (§§ 37b, c WpHG aF, jetzt Art 14, 15 MAR) Haftungsgrundlagen zu finden sein1561. Aufgrund einer EU-Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber durch das CSR- 959a Richtlinie-UmsetzungsG1562 in §§ 289b ff, 315b ff HGB die Pflicht zur „nicht finanziellen Erklärung“ bzw „nicht finanziellen Konzernerklärung“ für Großunternehmen (s § 289b I Ziff 1–3 HGB) bzw Mutterunternehmen (§ 315b I Ziff 1, 2 HGB) eingefügt1562a.

f. Allgemeine Gleichbehandlung in den Führungsetagen Noch wenig aufgearbeitet ist das Thema, ob bzw inwieweit sich auf die Beset- 960 zung der Verwaltungs- und Aufsichtsorgane der Körperschaften durch die zuständigen anderen Organe die Antidiskriminierungsrichtlinien und das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auswirken muss1563. Oben1564 ist das auf Initiative der Grünen erlassene Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen vorgestellt.

4. Die Möglichkeit der Einschaltung Dritter in die Organisation der juristischen Person Soweit bei der juristischen Person Satzungsautonomie besteht, sind auch Rege- 961 lungen über Mit- oder Alleinentscheidungen Dritter in der juristischen Person möglich (in einem Beirat, kraft Zustimmungszuständigkeit im Fall von Geschäftsführungsbeschlüssen der Mitglieder, in Gestalt von Bestellungsrechten für Organe etc). Bei der Aktiengesellschaft ist die Satzungsautonomie nach § 23 V AktG eingeschränkt. Nicht in den Zusammenhang mit drittbezogenen Satzungsregelungen gehören Stimmbindungen wie die nach § 136 II AktG. Nach dieser Vorschrift ist ein Vertrag über die Abstimmung des Aktionärs nach Weisung der Gesellschaft, des Vorstands oder des Aufsichtsrats nichtig.

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1561 In der sonst sehr vollständigen Übersicht bei K. Schmidt/Lutter/Spindler Kom AktG, 2008, § 161 Rn 63 ff nicht erwähnt. S aber – noch zum WpHG-E – Raiser/Veil § 13 Rn 36. Zur inzwischen maßgeblichen MAR o Rn 782 ff. 1562 v 11.4.2017, BGBl 2017, 802. 1562a Dazu und zur Ausstrahlung auf die Pflichten der Verwaltung der betroffenen Unternehmen über die Einfügung der nichtfinanziellen Erklärung hinaus Hommelhoff, NZG 2017, 1361. 1563 Dazu Krause, AG 2007, 392; Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993. 1564 Rn 141.

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Was drittbezogene Regelungen betrifft, behält § 23 V AktG selbstverständlich vor die Entscheidungskompetenzen Dritter nach dem Konzernrecht. Als weitere in § 23 V AktG vorbehaltene gesetzliche Regelung handelt § 101 II AktG von der Möglichkeit, dass in der Satzung für Aktionäre Rechte zur Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat der Gesellschaft begründet werden. Ein solches Entsenderecht bestand bei der Volkswagen-AG. Nach § 101 II 5 aF AktG blieb die frühere Fassung des § 4 I des Volkswagengesetzes1565 unberührt. Nach § 4 I des Gesetzes waren die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen berechtigt, je zwei Aufsichtsratsmitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, solange ihnen Aktien der Gesellschaft gehören1566. Abs 2 der Vorschrift band die Errichtung und Verlegung von Betriebsstätten an die Zustimmung des Aufsichtsrats, die einer Mehrheit von 2/3 bedurfte. Neben dem Entsenderecht bestimmte das VW-Gesetz in § 2 I (mit Ausdehnung auf mittelbare Beteiligung in den folgenden Abs) ein Höchststimmrecht von 20% (entgegen § 134 I 2 AktG, der die Möglichkeit eines Höchststimmrechts auf nicht börsennotierte Gesellschaften beschränkt und zudem von einer Satzungsregelung abhängig macht). § 4 III hob das Mehrheitserfordernis von 75% bei Grundlagenbeschlüssen auf mehr als 4/5 der Stimmen an, so dass Niedersachsen mit 20% eine Sperrminorität besaß1567. In seinem Urteil vom 23.10.20071568 hat der EuGH festgestellt, dass das VW-Gesetz mit allen diesen staatlichen Vorrechten die Kapitalverkehrsfreiheit (Art 56 EG) verletze. Die Verletzung der Niederlassungsfreiheit hatte die Kommission nicht gerügt und ist somit nicht geprüft worden. Das Gesetz ist daraufhin neu gefasst worden1569. Nach der Neufassung sind § 2 über das Höchststimmrecht und § 4 I über das Entsenderecht sowie die Verweisung darauf in § 101 II 5 AktG aufgehoben. Die Sperrminorität bei 20% gemäß § 4 III des VW-Gesetzes und das Zustimmungserfordernis bei Errichtung und Verlegung von Betriebsstätten (§ 4 II) sind aufrecht erhalten geblieben. Der EuGH hat die Neufassung nicht beanstandet1570.

_____ 1565 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagen GmbH (nach § 1 I in eine AG umzuwandeln) v 21.7.1960, BGBl I, 585 idF des Gesetzes v 31.7.1970, BGBl I, 1149. 1566 Da die Bundesrepublik ihre Aktien an VW veräußert hatte (der Erlös ist der Stiftung Volkswagenwerk zugeflossen), hatte sie keine Aufsichtsratsmandate mehr (FAZ Nr 259 v 7.11. 1997, S 24). 1567 Zur Frage, ob VW damit vom Land Niedersachsen konzernrechtlich abhängig ist, s BGH ZIP 1997, 887. 1568 EuGH Rs C-112/05 Slg 2007, I-8995 = NJW 2007, 3481 (Kommission/BRD) mit Bespr Kilian, NJW 2007, 3469. 1569 O Rn 137. 1570 EuGH Urteil vom 12.10.2013 C 95/12, NJW 2014, 290 In dem von der EU-Kommission auch gegen die Neufassung eingeleiteten Verfahren (EuZW 2008, 386)

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Im Unterschied zur AG besteht freier Gestaltungsspielraum bei der GmbH. 962 Auch bei der GmbH sind aber zwei Schranken für die Beteiligung Dritter in der Organisation zu beachten. Diese garantieren die Letztentscheidungskompetenz der Gesellschafterversammlung. Die eine Schranke folgt daraus, dass alle kraft Satzung eingesetzte Dritte Organe oder Organpersonen der Körperschaft werden. Konsequenz ist die Regelung des § 27 II BGB, der § 38 GmbHG entspricht: Die Bestellung des Dritten ist widerruflich, wobei nur die Beschränkung des Widerrufs auf wichtige Gründe möglich ist1571. Zum anderen besteht die Satzungskompetenz, dh die Gesellschafter können den Organen oder Organpersonen die satzungsmäßige Grundlage entziehen1572. Beide Schranken sind verbunden, wenn es um die Entziehung des satzungsmäßigen Sonderrechts eines Mitglieds zur Organbestellung geht1573. Ein satzungsmäßiges Sonderrecht ist zwar nicht durch Satzungsregelung frei verfügbar, kann aber durch Satzungsänderung aus wichtigem Grund widerrufen werden. Bei dem Satzungsbeschluss hat der Betroffene kein Stimmrecht (§ 47 IV GmbHG). Die Satzungskompetenz ist eine letzte Schranke auch insofern, als nicht 963 etwa die körperschaftliche juristische Person sich der Satzungskompetenz begeben kann. Dies wäre ein Verzicht auf die Autonomie seitens einer auf die Autonomie der Mitglieder bezogenen, eben körperschaftlichen juristischen Person. Das KG1574 hat betreffs eingetragener Vereine für möglich gehalten, Satzungsänderungen von der Genehmigung seitens Nichtmitgliedern abhängig zu machen. Dies ist ebenso abzulehnen wie die Entscheidung des BayObLG1575, dass die Auflösungskompetenz in Abweichung von § 41 BGB beim Vorstand des Vereins liegen könne. Es muss autonome Entscheidungen der juristischen Person geben. Das oberste Organ für die Autonomie ist im Fall der körperschaftlichen juristischen Person die Versammlung der Mitglieder. Im Verhältnis zur „Gesetzgebung“ der Mitgliederversammlung ist der Vorstand „Exekutive“. Insofern hat er zwar einen eigenen, ebenfalls von der Autonomie der juristischen Person abgeleiteten Bereich. Dieser umfasst nur eben nicht die Grundentscheidungen

_____ 1571 Die Beschränkung auf den Widerruf aus wichtigem Grund kann auch durch den Anstellungsvertrag, wenn dieser durch die Gesellschafter abgeschlossen wird, erfolgen, selbst wenn die Satzung die freie Widerruflichkeit bestimmt. Sie kann auch für den NichtgesellschafterGeschäftsführer erfolgen. S Flume I/2 § 10 I 3 S 349 Fn 17. 1572 Flume I/2 § 7 I S 189 ff. 1573 Zu unterscheiden ist das mitgliedschaftliche – der Satzungskompetenz entzogene – Sonderrecht von der – für die AG allerdings in § 101 II mit § 23 V AktG ausgeschlossenen – Möglichkeit satzungsmäßiger Bestellungskompetenz oder Organkompetenz Dritter, welcher kein Recht der Dritten entspricht. 1574 MDR 1975, 140 = OLGE 1974, 385. 1575 NJW 1980, 1756.

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betreffend die juristische Person. Zwar kann das Gesetz die Autonomie einschränken. Selbstverständlich ist § 33 II BGB mit dem Inhalt, dass für den konzessionierten Verein die Satzungskompetenz eingeschränkt ist. Die Selbsteinschränkung der juristischen Person gibt es demgegenüber jedoch nicht1576.

5. Die Mitbestimmung a. Motive der Mitbestimmungsregelung, Überblick 964 Historische Motive für die Regelung der Mitbestimmung sind der Gedanke ei-

ner genossenschaftlichen Zusammenfassung von Kapital und Arbeit, dh im Gegensatz zum individualvertraglichen Arbeitsvertrags- und Direktionsverhältnis die Zuordnung des nicht nur der Kapitalgeberseite zuzurechnenden Unternehmens auch zu den hier ihre Existenzgrundlage findenden Arbeitnehmern. Damit verbinden sich die Gedanken der Verhütung sonst denkbarer sozialrevolutionärer Bedrohung des Systems einerseits und des Schutzes der Arbeitnehmerschaft vor der mit Proletarisierung Hand in Hand gehenden gesellschaftlichen Entmündigung und kulturellen Verelendung andererseits1577. Diese Motive führten in Deutschland1578 zu ersten, allerdings nicht erfolgreichen Ansätzen in der Paulskirchen-Versammlung von 1849. Im Jahr 1891 kam es in einer Novelle zur Gewerbeordnung zu einer fakultativen Einrichtung von Arbeiterausschüssen. Durch das „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“ aus dem Kriegsjahr 1916 wurden die Arbeiterausschüsse zwingend gemacht. Ausgedehnt wurde der Anwendungsbereich (auf alle Betriebe mit über 20 Beschäftigten) schließlich im Betriebsrätegesetz von 1920. 1922 kam ein „Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat“ hinzu1579.

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1576 Im Blick über das Recht der Kapitalgesellschaften hinaus ist ein weiterer Vorbehalt aus Art 140 GG, Art 137 WRV betr die den Religionsgemeinschaften zuzuordnenden Vereine zu machen. Nur aus dieser Sonderstellung des vom KG in seinem Fall zu behandelnden Vereins iR der Organisationshoheit der Kirchen (als insofern ebenfalls gesetzlicher Beschränkung der Vereinsautonomie) ist die Entscheidung des KG zu rechtfertigen, vgl Flume I/2 § 7 I 3/4 S 193 ff. 1577 Ganz konkret ist an die Bürokratisierung der Großbetriebe und die Anonymisierung in ihnen zu denken. Ökonomisch positive Bewertung der Mitbestimmung durch den KodexEntwurf des Berliner Initiativkreises German Code of Corporate Governance (Teil II Ziff. 4.4), DB 2000, 1573, 1576 = AG 2001, 1, 9. 1578 Die Unternehmensmitbestimmung ist in Deutschland historisch tief verankert. Deutschland hat insofern einen Sonderstatus. Zum Recht der EU-Staaten Baums/Ulmer (Hrsg) Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten – Employees’ CoDetermination in the Member States of the European Union, Beihefte der ZHR, Heft 72. 1579 Zu den Ansätzen in der Paulskirchen-Versammlung vgl Wiedemann I § 11 I 1 a S 586; s auch K. Schmidt § 16 IV 1 e S 480. Vorreiter zu diesen Ansätzen war der liberalrechtsstaatliche

I. Grundlagen | 557

Damit war die doppelspurige Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmensleitung angelegt. Zwischen Betrieb und Unternehmen ist, wie folgt, zu unterscheiden. Betrieb ist die organisatorische Einheit, mittels derer ein bestimmter arbeitstechnischer Erfolg (etwa die Produktion von LKW) durch Einsatz von menschlicher Arbeitskraft und sächlichen Mitteln unmittelbar und fortgesetzt erreicht werden soll. Unternehmen ist demgegenüber die Organisation zur Fremdbedarfsdeckung1580 mit wirtschaftlicher Selbstständigkeit und autonomer Planung und Entscheidung gemäß dem Marktablauf (einschließlich des Risikos, bei Fehlentscheidungen vom Markt zu verschwinden)1581. Betrieb und Unternehmen sind durch die Merkmale technischer Erfolg einerseits und am Markt agierende Planungseinheit andererseits geschieden. Daraus folgt die kardinale Unterschiedlichkeit der beiden Spuren der Mitbestimmung: Die betriebliche Mitbestimmung betrifft die konkreten technischen Arbeitsbedingungen. Zusammen mit der Tarifautonomie, durch die der allgemeine Rahmen der Bedingungen der Arbeitsverträge geregelt wird, setzt die betriebliche Mitbestimmung Daten für den Unternehmer. Dieser bleibt aber in seiner Disposition, was er an Unternehmen veranstaltet, in dem jene Daten erst greifen können, unberührt. ZB kann die Tarifpolitik eine Rationalisierung sozial ausgleichen, sie kann aber nicht die Rationalisierungsentscheidung vorausbestimmen. Sie umfasst nur die allgemeinen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Kraft der prinzipiell unberührten Dispositionsmacht des Unternehmers kann dieser auf die Daten reagieren, sie auch, insbesondere durch Rationalisierung, Auslagerung personalintensiver Betriebsteile in ein kostengünstigeres Ausland, Neueinstellung statt Überstundenmehrbezahlung oder umgekehrt, neutralisieren. Gerade in diese unternehmerische Dispositionsfreiheit greift nun die zweite Spur der Mitbestimmung, die unternehmerische Mitbestimmung, ein. Die historischen gesetzlichen Grundlagen für unsere heutige Gestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung (Mitbestimmung im Aufsichtsrat) sind

_____ Denker Robert v Mohl. – Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst v 5.12.1916 RGBl I S 1333; Betriebsrätegesetz v 4.2.1920 RGBl I S 147; Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat v l5.2.1922 RGBl I S 209. 1580 Die demgemäß mit Angeboten an einem Außenmarkt auftritt. 1581 Eine besondere Problematik der Unternehmensdefinition stellt sich für § 5 III MitbestG, der die Mitbestimmung im Konzern bei Beherrschung durch ein „anderes“ Unternehmen in der diesem Unternehmen nächststehenden Gesellschaft ansetzt, die in den Rechtsformenkreis des MitbestG fällt. Nach OLG Frankfurt AG 2008, 504 kann auch der Alleingesellschafter einer unter das MitbestG fallenden GmbH ein solches anderes Unternehmen sein.

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oben1582 dargestellt. Im Jahre 1951 ist es zum MontanmitbestG1583 gekommen, das eine fast paritätische Mitbestimmung eingerichtet hat. Für Unternehmen, die nicht zum Montanbereich gehörten, wurde im BetrVG 1952 eine „drittelparitätische“ Mitbestimmung der Arbeitnehmer eingerichtet. Zu dem MontanmitbestG ist 1956 das MitbestErgG1584 hinzugekommen für Gesellschaften, die nicht selbst Montanproduktion betreiben, aber als Obergesellschaften mindestens ein nach MontanmitbestG mitbestimmtes Unternehmen beherrschen1585. 1976 ist unter der Kanzlerschaft Willy Brandts für große Nichtmontanunternehmen eine (fast) paritätische Mitbestimmung durch das MitbestG 1976 begründet worden. Die drittelparitätische Mitbestimmung des BetrVG 1952 ist im neuen BetrVG 1972 aufrechterhalten geblieben. Im DrittelbeteiligungsG von 2004 ist diese Mitbestimmung in einem selbstständigen Gesetz normiert worden. In den europarechtlichen Regelungen der SE ist insbesondere die deutsche Mitbestimmung berücksichtigt. Dazu sind in unserem Überblick über das Europäische Gesellschaftsrecht Hinweise gegeben1586. Die schwere Geburt der SE, die vor allem an der Mühsal der Verarbeitung der verschiedenen Mitbestimmungsregelungen lag, hat sich insofern gelohnt, als in der Richtlinie zur Verschmelzung von Kapitalgesellschaften an die zur SE gefundene Regelung angeknüpft werden und das dort vorgesehene Verfahren mit Verhandlungsstufe und subsidiär eingreifender gesetzlicher Regelung übernommen werden konnte. Die für uns geltende Regelung ist in der Umsetzungsregelung des MgVG vom 21.12.2006 enthalten1587.

_____ 1582 Rz 67. 1583 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie v 21.5.1951, BGBl I S 347. 1584 Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie v 7.8.1956, BGBl I S 707. 1585 Beherrschung iS von § 17 AktG. 1586 Rn 162 ff. 1587 Gesetz zur Umsetzung der Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten vom 21.12. 2006 (Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie ABl v 25.11.2005 Nr L 310 S 1), BGBl I S 3332. Zum Statusverfahren (§§ 97 ff AktG) bei grenzüberschreitender Verschmelzung mit einer der Mitbestimmung unterliegenden Gesellschaft als aufnehmender Gesellschaft Deck, NZG 2017, 968. Schon der positivistische Charakter der Regelungen der Mitbestimmung steht Ansätzen entgegen, das deutsche Mitbestimmungsrecht zum Bestandteil des ordre public zu machen, zutreffend Sandrock, AG 2004, 57 ff.

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b. Das Verhältnis der gesetzlichen Grundlagen der Mitbestimmung zueinander Die stärkste Mitbestimmung ist den Arbeitnehmern im MontanmitbestG und 973 dem MitbestErgG zugestanden, nämlich eine nahezu paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Die Gesetze räumen aber auch dem öffentlichen Interesse über die Anteilseigner- und Arbeitnehmerinteressen hinaus Raum ein: Sie sorgen für die Beteiligung sog „weiterer Mitglieder“ im Aufsichtsrat, die keiner „Seite“ im Unternehmen und weder den Gewerkschaften noch den Arbeitgeberverbänden zuzurechnen sein dürfen (§ 4 I, II MontanmitbestG). Das Montanrecht geht den weiteren Mitbestimmungsregelungen vor. Voneinander grenzen sich MontanmitbestG und MitbestErgG wie folgt ab: Die Mitbestimmung nach dem MitbestErgG gilt für das herrschende Unternehmen unter drei Voraussetzungen: 1. Die Gesellschaft muss in einem Herrschaftsverhältnis zumindest zu einer 974 montanmitbestimmten Gesellschaft stehen (§ 1 MitbestErgG). 2. Die Obergesellschaft darf nicht selbst nach dem eigenen überwiegenden Betriebszweck die Kriterien des MontanmitbestG erfüllen, sonst fällt sie unter das MontanmitbestG (§ 2 MitbestErgG). 3. Mindestens 20% des Gesamtumsatzes des Konzerns muss von den angehörigen Montan-Unternehmen erzielt werden (§ 3 II Nr 1 MitbestErgG)1588. Sog Montanquote. Nach § 1 III MontanmitbestG gelten die Vorschriften des Gesetzes, auch wenn 975 ein Unternehmen eine der Voraussetzungen des Gesetzes nicht mehr erfüllt, noch 6 Jahre lang fort. Erst wenn in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren eine der Voraussetzungen nicht mehr erfüllt war, ist die Mitbestimmung nach dem MontanmitbestG beendet. Gilt das MontanmitbestG in einem herrschenden Unternehmen fort, verdrängt es weiterhin die Anwendung des MitbestErgG auf das herrschende Unternehmen (§ 2 S 2 MitbestErgG). Umgekehrt kann sich, wenn das herrschende Unternehmen selbst nicht montanmitbestimmt ist, aus der Fortdauer der Montanmitbestimmung in einem abhängigen Unternehmen die Anwendung des MitbestErgG auf das herrschende Unternehmen ergeben. Einen nur wenig hinter dem Montanmitbestimmungsgrad zurückbleiben- 976 den Grad der Mitbestimmung im Unternehmen – nämlich immer noch eine fast paritätische Mitbestimmung, wenn hier auch die Letztdurchsetzung der Anteilseignerseite leichter ist – regelt das MitbestG. Das MitbestG gilt vorbehalt-

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1588 § 3 II 1 Nr 2 MitbestErgG, der zusätzlich eine Arbeitnehmerquote forderte, ist vom BVerfG (BVerfGE 99, 367) für unvereinbar mit Art 3 I GG und damit nichtig erklärt worden. Bezüglich der Montanquote in Nr 1 erklärt das Urteil § 3 II MitbestErgG für wirksam.

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lich der Mitbestimmung nach dem MontanmitbestG und dem MitbestErgG (§ 1 II Nr 1, 2 MitbestG). Die schwächste Mitbestimmung im Unternehmen regelt das Drittelbeteili977 gungsG. Das Gesetz gilt vorbehaltlich des MitbestG und des MontanmitbestG und des MitbestErgG (§ 1 II Nr 1 DrittelbeteiligungsG)1589.

c. Die Anwendungskriterien 978 Zunächst ist immer nach den Rechtsformen zu fragen, für die die Mitbestim-

mungsgesetze gelten. Weiter kann es auf den Unternehmensgegenstand ankommen. Drittes Kriterium kann die Beschäftigtenzahl sein. Das Montanmitbestimmungsrecht gilt nur für Unternehmen in der 979 Rechtsform der AG oder der GmbH (§ 1 II MontanmitBestG)1590. Weiter ist für die Montanmitbestimmung erforderlich die Zugehörigkeit zum Montanbereich, dh der sachliche Zweck der Unternehmen muss überwiegend in der Förderung, Veredelung von Kohle und Eisenerz oder in der Erzeugung von Eisen und Stahl liegen (§ 1 I MontanmitbestG). Drittens muss hinzukommen, dass das Unternehmen idR mehr als 1000 Arbeitnehmer beschäftigt (§ 1 II MontanmitbestG). Für die Mitbestimmung nach dem MitbestErgG ist, wie soeben gesagt1591, erforderlich, dass die montanmitbestimmten Unternehmen im Konzern die sog Montanquote erreichen (mindestens 20% des Konzernumsatzes in montanmitbestimmten Konzernunternehmen). Das MitbestG nennt für die übrig bleibenden Unternehmen die folgenden 980 Kriterien für die Mitbestimmung nach diesem Gesetz: Erfasste Rechtsformen sind AG, KGaA, GmbH, Erwerbs- oder Wirtschaftsgenossenschaft (§ 1 I Nr 1 MitbestG), unter bestimmten Voraussetzungen die GmbH & Co KG (§ 4 MitbestG1592). Nicht erfasst sind Personenunternehmen und der wirtschaftliche Verein, auch nicht der VVaG. Kein Erfordernis ist für die Mitbestimmung nach dem MitbestG ein bestimmter Unternehmensgegenstand, es werden aber Tendenzunternehmen (Presse-, Buchverlage, politische, gewerkschaftliche, kirchliche Unternehmen) nach § 1 IV MitbestG ausgenommen. Gründe dieser Bereichsausnahme sind: Es geht hier um die Verwirklichung von

_____ 1589 Zum DrittelbetG ausführlich Boewer/Gaul/Otto, GmbHR 2004, 1065. 1590 Die im Gesetz noch erwähnte Rechtsform der bergrechtlichen Gewerkschaft besteht seit dem 1.1.1994 nicht mehr, vgl § 163 I, IV BBergG, zuletzt geändert durch Art 2 II des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren und des Bundesberggesetzes v 20.12.1988 (BGBl I S 2450). 1591 S o Rn 974. 1592 S u Rn 1010 f.

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Grundrechten – etwa aus Art 5 GG –, die für den Unternehmensträger ohne Beeinträchtigung durch Arbeitnehmer- oder Gewerkschaftsforderungen gewährleistet werden soll. Zugleich ist damit aber auch ordnungspolitisch die Gewährleistung von bestimmten Institutionen, insbesondere der Presse, angestrebt. Wieder erforderlich ist eine bestimmte Beschäftigtenzahl: Es müssen idR 981 mehr als 2000 Arbeitnehmer im Unternehmen der Gesellschaft beschäftigt sein (§ 1 I Nr 2 MitbestG); im Konzern ist die Zahl aus dem herrschenden und allen abhängigen Unternehmen zusammenzurechnen, § 5 I MitbestG1593. Das DrittelbeteiligungsG erfasst aus dem Kreis der jetzt noch übrig blei- 982 benden Unternehmen – wieder unter Herausnahme der Tendenzunternehmen (§ 1 II Nr 2) – die Unternehmen mit idR mehr als 500 Arbeitnehmern (§ 1 I Nr 1). Was die Rechtsform anbelangt, trennte die Regelung bis zu einer Änderung durch das Gesetz für die kleine AG1594 mit Wirkung vom 10.8.1994 wie folgt: AG, KGaA wurden grundsätzlich einbezogen, sodann wurden aber Familien-, einschließlich Einmanngesellschaften (mit einer natürlichen Person als Einmanngesellschafter) mit weniger als 500 Arbeitnehmern wieder herausgenommen. Umgekehrt wurden GmbH und Genossenschaften nur dann unter das Gesetz gestellt, wenn sie mehr als 500 Arbeitnehmer hatten. Der Unterschied zwischen diesen letzteren Rechtsformen und der AG bzw der KGaA ist durch das Gesetz für die kleine AG beseitigt: Danach fallen auch AG und KGaA nur dann unter das Gesetz, wenn sie mehr als 500 Arbeitnehmer haben. Für AG und KGaA mit in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmern, die vor dem 10.8.1994 eingetragen sind, ist aber – immer vorbehaltlich der Tendenzunternehmen – die vor der Änderung geltende Mitbestimmung beibehalten, dh sie gilt mit den Aus-

_____ 1593 Nach § 3 I MitbestG sind Arbeitnehmer die in § 5 I BetrVG bezeichneten Personen. Nach § 5 I MitbestG werden beim Konzern (auch einem faktischen) die Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften für die herrschende Gesellschaft mitgezählt. Nach hM sind aufgrund des Territorialitätsprinzips nur Personen, die im Unternehmen (samt Konzerngesellschaften) in Deutschland tätig sind, Arbeitnehmer iS des BetrVG und damit auch des MitbestG. Das hat ein Aktionär der TUI als europarechtswidrig angegriffen, das KG hat die Frage dem EuGH vorgelegt (KG NZG 2015, 1311). Der EuGH hat die deutsche Regelung für europarechtskonform erklärt, EuGH – Erzberger – NJW 2017, 2603 mit Anm Kainer, dazu auch Krause, JZ 2017, 1003. Die Entscheidung entspricht der aus der Entstehungsgeschichte gerechtfertigten Kompromissnatur der Mitbestimmungsregelung. Ebenso hat der EuGH mit Art 45 AEUV für vereinbar erklärt, wenn Arbeitnehmer nach dem Recht des nunmehr zuständigen Mitgliedsstaates ihr aktives und passives Wahlrecht und ggf ein Aufsichtsratsmandat in dem Fall verlieren, dass sie von dem inländischen Betrieb eines Konzerns mit mitbestimmter Muttergesellschaft in eine nicht mitbestimmte Tochter derselben Gesellschaft wechseln (WM 2017, 2261). 1594 Zu diesem o Rn 76ff.

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nahmen von Familien-, insbesondere Einmanngesellschaften (§ 1 I Nr 1 S 2, Nr 2 S 2)1595. Grob zusammenfassend kann man sagen: Die Unternehmensmitbestim983 mung besteht für die juristische Person des Erwerbslebens, und zwar ab 501 bis 2000 Beschäftigten nach dem DrittelbeteiligungsG, ab 2001 Beschäftigte nach dem MitbestG, ausgenommen der Bereich der Montanindustrie, wo ab 1001 Beschäftigte die Regelung der Montanmitbestimmung gilt. Für die betriebliche Mitbestimmung gilt das BetrVG von 1972. Ab fünf 984 Beschäftigten ist ein Betriebsrat zu bilden (§ 1 BetrVG). Umfasst ein Unternehmen mehrere Betriebe mit Betriebsräten, ist ein Gesamtbetriebsrat, im Konzern ein Konzernbetriebsrat zu bilden (§§ 47 ff BetrVG), weitere Vertretungen kommen hinzu (Jugend-, Auszubildende, Wirtschaftsausschuss, Sprecherausschuss der leitenden Angestellten). Die praktische Relevanz der Bestimmungen über die Mitbestimmung im 985 Unternehmen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Montanmitbestimmung im Zuge des Rückgangs der Montanindustrie immer mehr an Bedeutung verliert. Durch die Wiedervereinigung sind freilich noch einmal einige Unternehmen in den neuen Bundesländern in die Montanmitbestimmung hineingekommen. Nach einer Auskunft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 15.2.20051596 fielen zu dieser Zeit unter das MontanmitbestG ca 20 Unternehmen, kein einziges allerdings mehr unter das MitbestErgG. Nach dem MitbestG waren ca 700, nach dem DrittelbeteiligungsG 2130 Unternehmen mitbestimmt1597.

d. Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat; Statusverfahren; der Arbeitsdirektor 986 Das Prinzip der Unternehmensmitbestimmung ist das der rechtsformspezifi-

schen Mitbestimmung. Es gibt also keinen Sondertyp einer „mitbestimmten Gesellschaft“, sondern nur bestimmte Modifikationen, die den ansonsten unveränderten Gesellschaftstypen eingefügt werden. Diese Modifikationen betreffen vor allem das Organ Aufsichtsrat, dh dasjenige Organ, welches die Überwachung und Kontrolle, aber auch die Mitwirkung an der Gesamtplanung des

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1595 Die Arbeitnehmerzahl ist unter Einrechnung der Arbeitnehmer abhängiger Gesellschaften zu berechnen, allerdings hier nur im Vertragskonzern oder bei Eingliederung (§ 2 II DrittelbetG). Die Konzernierung ohne Unterscheidung gilt nach § 2 I DrittelbetG für die Berechtigung der Arbeitnehmer zur Wahl von Vertetern in den Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens. 1596 Gedankt sei der zuständigen Sachbearbeiterin Frau Isolde Sackers. 1597 Neuere Daten über Mitbestimmung nach MitbestG und DrittelbetG bei Raiser/Veil § 13 Rn 21: Ende 2013 651 nach dem MitbestG mitbestimmte Unternehmen, Okt 2009 1.477 Unternehmen mit Drittelbeteiligung.

I. Grundlagen | 563

Unternehmens innehat. In der Hauptsache findet nach allen Mitbestimmungsgesetzen die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Geschicken des Unternehmens im Aufsichtsrat statt. Die Mitbestimmungsregelung fügt deshalb den mitbestimmten Unternehmen, sofern sie in einer Rechtsform organisiert sind, die einen Aufsichtsrat nicht (zwingend) vorsieht, das Organ Aufsichtsrat ein. Dies gilt insbesondere für die mitbestimmte GmbH. Nach Aktienrecht hat sodann bei der AG der Aufsichtsrat auch den Vorstand zu bestellen (§ 84 I AktG) und damit die Personalhoheit im Unternehmen inne. Auch diese Personalhoheit wird nach Montanmitbestimmungsrecht und MitbestG bei der GmbH dem Aufsichtsrat eingeräumt, der in der nach diesen Gesetzen mitbestimmten GmbH zu bilden ist (§§ 12 MontanmitbestG, 31 I MitbestG iVm § 84 AktG). Dagegen belässt es das DrittelbeteiligungsG bei der Bestellungskompetenz der Gesellschafter der GmbH. Die Kompetenz des Aufsichtsrats ist auch in weiterer Hinsicht differenziert ausgestaltet, was die GmbH betrifft: Das MontanmitbestG verweist hier voll auf die Vorschriften des AktG (§ 3 MontanmitbestG). Dagegen klammert die Verweisungsvorschrift des § 25 I Nr 2 MitbestG etwa den § 172 AktG über die Feststellung des Jahresabschlusses aus: Nach § 172 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat den Jahresabschluss gemeinsam festzustellen, sofern sie die Feststellung nicht der HV überlassen. § 172 gilt nicht für die GmbH. Die Gesellschafter der GmbH können also jedenfalls den Jahresabschluss abweichend von der Vorlage der Geschäftsführung feststellen. Ebenso hält es die Verweisungsvorschrift des § 1 I S 2 Hs 2 Nr 3 DrittelbG. In Streitigkeiten darüber, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, entscheidet auf Antrag ausschließlich das Landgericht, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 98 AktG, Verweisung darauf für die anderen Rechtsformen in den Mitbestimmungsgesetzen, sog Statusverfahren1598). Anders als der Aufsichtsrat ist das Geschäftsführungsorgan der mitbe- 987 stimmten Gesellschaften grundsätzlich mitbestimmungsfrei. Es muss nur nach Montanmitbestimmungsrecht und dem MitbestG (hier mit Ausnahme der KGaA, die unter das MontanmitbestimmungsG ohnehin nicht fällt) ein Vorstandsmitglied bzw Mitglied der Geschäftsführung zum Arbeitsdirektor bestellt werden, der für Arbeit und Soziales zuständig ist (§§ 13 MontanmitbestG, 13 MitbestErgG, 33 MitbestG; nach § 76 II 3 AktG bleiben die Vorschriften über die Bestellung eines Arbeitsdirektors unberührt)1599. Die (insbesondere für die

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1598 Ein Statusverfahren ist soeben vor dem EuGH gelaufen (o Fn 1593). 1599 Also hat bei der mitbestimmten GmbH ab deren Entstehung mit der Eintragung (vorher gilt § 6 GmbHG) der Aufsichtsrat (§ 31 I 1 MitbestG) mindestens zwei Geschäftsführer zu bestel-

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kleinere AG sinnvolle) zusätzliche Übertragung anderer Aufgaben an den Arbeitsdirektor ist nicht ausgeschlossen. Nach § 13 I 2 MontanmitbestG kann der Arbeitsdirektor nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmer bestellt und abberufen werden. Die Bestimmung ist in das MitbestErgG und das MitbestG nicht übernommen worden (s § 13 MitbestErgG, § 33 MitbestG). Ebenso wie grundsätzlich das Geschäftsführungsorgan sind ebenso die 988 Grundlagenentscheidungen, die in allen Rechtsformen der Gesellschafterversammlung obliegen, der Mitbestimmung verschlossen. Was nun die Besetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats betrifft, gilt im 989 Einzelnen: Das Montanmitbestimmungsrecht richtet eine paritätische Mitbestimmung durch Aufteilung des Aufsichtsrates in zwei „Bänke“ mit je 5 Mitgliedern1600 ein. Je 4 Mitglieder1601 sind unmittelbar, einerseits durch die Anteilseigner, andererseits durch die Arbeitnehmer zu wählen. Hinzu tritt ein fünftes auf jeder Seite zu wählendes „weiteres Mitglied“1602, welches weder dem Unternehmen noch einem Arbeitgeberverband oder einer Gewerkschaft angehören darf. Die Möglichkeit einer Pattsituation verhindert der sogenannte neutrale 11. Mann1603. Er ist ebenfalls ein „weiteres Mitglied“, muss also ebenfalls unternehmens- und verbandsfremd sein. Er wird durch die HV auf Vorschlag des Aufsichtsrates gewählt, wobei der Vorschlag letztlich nicht gegen die Stimmen der Anteilseigner durchzusetzen ist1604. Für die Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist wichtig: Obwohl die Aufsichts990 ratsmitglieder teils durch die HV, teils durch andere Wahlgremien gewählt werden, sind sie nach der ausdrücklichen Regelung von § 4 III MontanmitbestG mit den gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet wie alle Aufsichtsratsmitglieder. § 4 III 1 MontanmitbestG entspricht einem allgemeinen Grundsatz des Mitbestimmungsrechts. § 25 MitbestG erklärt die aktienrechtlichen Vorschriften über die Rechtsstellung der Mitglieder auf den Aufsichtsrat für anwendbar.

_____ len. Nach der von Rechtsprechung und Literatur aufgegriffenen Formel des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung muss dem Arbeitsdirektor ein „Kernbereich von Zuständigkeiten in Personal- und Sozialfragen“ zustehen, KK/Mertens Kom AktG, 3. Aufl 2004 ff Anh § 117 B § 33 MitbestG Rn 12, für die Montanmitbestimmung Anh § 117 C MontanMitbestG Rn 30. 1600 Nach § 9 MontanmitbestG kann für größere Gesellschaften durch die Satzung die Zahl von 7 oder 10 Mitgliedern jeder Bank festgelegt werden. § 5 MitbestErgG sieht grundsätzlich 7, als alternativ regelbar 10 Mitglieder vor. 1601 Bzw nach den in der Vornote genannten Variationsmöglichkeiten 5 oder 7. 1602 Oder nach den erwähnten Gestaltungen 6. und 7. oder 8. bis 10. Mitglied. 1603 Nach den anderen Gestaltungen der 15. oder 21. 1604 Notfalls kann ein gerichtliches Verfahren eingeschaltet werden, vgl § 8 II 2, 3 MontanmitbestG.

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Die Mitbestimmung nach dem MitbestG ist wie die nach dem Montanmit- 991 bestG fast paritätisch: Nach § 7 MitbestG ist eine gleiche Zahl von Anteilseignerund Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zu bestellen. Bei Beschäftigtenzahl des Unternehmens bis zu 10.000 sind je 6, also 12 Mitglieder, bei Beschäftigtenzahl bis 20.000 sind je 8, also 16 Mitglieder zu bestellen, bei Beschäftigtenzahl von mehr als 20.000 sind je 10, also 20 Mitglieder zu bestellen1605. Die Arbeitnehmervertreter werden nach dem MitbestG zum Teil aus dem Un- 991a ternehmen, zum Teil von den Gewerkschaften gewählt. In der ersteren Gruppe wird durch gewählte Delegierte gewählt1606. Bei der Wahl der Delegierten ist die Repräsentanz je der Arbeiter und der Angestellten, bei den letzteren auch die Repräsentanz der leitenden Angestellten gewährleistet (§ 7 II, IV, §§ 11, 15 MitbestG). Nach § 29 II 1 MitbestG ist die Pattsituation im Aufsichtsrat durch die 992 Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden überwindbar. Dieser wird nach 2 § 27 MitbestG mit /3-Mehrheit, bei Nichtzustandekommen dieser Mehrheit von den Anteilseignervertretern allein gewählt. Die Arbeitnehmerseite wählt einen stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden ist einsetzbar bei zweimaligem Abstimmungsergebnis der Stimmengleichheit. Nach früher hM genügte das Verlangen eines Aufsichtsratsmitglieds dafür, eine erneute Abstimmung (und zwar auch sogleich im Anschluss an die gescheiterte) durchzuführen1607. Die heute hM lehnt ein Recht jedes Aufsichtsratsmitglieds, eine erneute Abstimmung zu verlangen, ab, weil dies die Leitungsbefugnis des Aufsichtsratsvorsitzenden zu stark einenge1608. Es besteht aber die Möglichkeit, dass der Aufsichtsrat im Einzelfall mehrheitlich einen abweichenden Geschäftsordnungsbeschluss fasst (und so den Aufsichtsratsvorsitzenden zur Durchführung einer Zweitabstimmung zwingt). Ebenfalls können die Satzung oder die Geschäftsordnung des Aufsichtsrates ergänzende Vorschriften aufstellen und zB vorschreiben, dass stets eine Zweitabstimmung stattfinden muss oder dass sie jedenfalls dann stattzufinden hat, wenn ein oder mehrere Aufsichtsratsmitglieder dies verlangen1609. Bei dieser Abstimmung kann der Aufsichtsratsvorsitzende seine Zweitstimme einsetzen. Das MitbestG strebt durch seine Regelung einen Einigungszwang an. Damit ist die Regelung

_____

1605 Nicht zu verwechseln mit den unterschiedlichen Höchstzahlen der Aufsichtsratsmitglieder nach § 95 S 4 AktG. Diese sind von der Höhe des Grundkapitals abhängig: Bei einem Grundkapital bis zu € 1,5 Mio besteht der Aufsichtsrat höchstens aus 9, bei einem höheren Grundkapital aus 15, bei einem Grundkapital über € 10 Mio besteht der Aufsichtsrat aus höchstens 21 Mitgliedern. 1606 Zur Durchführung BAG NJW 2017, 3467. 1607 Vgl Raiser MitBestG 1. Aufl 1977 § 29 Rn 10. 1608 MüKo-AktG/Gach, 2007 ff, § 29 MitbestG Rn 11. 1609 Vgl Ulmer/Habersack/Henssler/Habersack Kom MitbestG 2. Aufl 2006 § 29 Rn 13.

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durch Satzung und Geschäftsordnung nur zu konkretisieren, aber nicht abzubedingen. Das Verfahren bis zur Einsetzbarkeit der Zweitstimme ist noch komplizierter 993 im Fall der Bestellung des Vorstands oder der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat (§ 31 MitbestG): Zunächst ist eine 2/3-Mehrheit erforderlich. Kommt sie nicht zustande, wird ein Vermittlungsausschuss angerufen, der Vorschläge macht. Wird den Vorschlägen nicht gefolgt, ist die Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden einsetzbar. Das komplizierte Verfahren ist von eher theoretischer Bedeutung, aber als fleet in being wirksam. Nach § 4 I DrittelbeteiligungsG besteht der Aufsichtsrat, sofern Hauptver994 sammlung oder Gesellschafterversammlung nicht mehr Vertreter wählen1610, zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern. Mit Rücksicht darauf muss die Gesamtzahl der Aufsichtsratsmitglieder durch drei teilbar sein1611. Je nach Zahl der Aufsichtsratsmitglieder wird die Herkunft einer bestimmten Zahl von Arbeitnehmervertretern aus dem Unternehmen selbst festgelegt (§ 4 II). Die Regelung ergibt eine schwache Mitentscheidung der Arbeitnehmerseite. Gerade wegen der geringeren Einflussmöglichkeit der Arbeitnehmerseite wird aber die andere Seite zu einer größeren Transparenz und mehr Mitberatung durch alle Aufsichtsratsmitglieder bereit sein. Die Befürchtung der Konfrontation ist nicht so groß wie nach den anderen Mitbestimmungsregelungen.

e. Mitbestimmung nach dem MitbestG und die allgemeinen Rechtsformen 995 An der Regelung des MitbestG ist charakteristisch das doppelte Bemühen um Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern in den mitbestimmten Unternehmen einerseits und um die Beibehaltung der bisherigen Gesellschaftsformen andererseits. Es wird weder ein Rechtsformzwang geübt noch eine Umbildung der Gesellschaften, die nicht AG sind, iS der aktienrechtlichen Aufgabenverteilung zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und HV eingeführt. Dadurch kommt es zu einer Systembrüchigkeit zwischen paritätischer Mitbestimmung einerseits, der Betonung der bisherigen Rechtsformen aber andererseits, sowie schließlich der Überstülpung eines aktienrechtlich gestalteten Aufsichtsrats über die Rechtsformen, die nicht AG sind, zum Dritten. Im Hinblick auf diese Systembrüchigkeit besteht die folgende Alternative für den Rechtsanwender:

_____ 1610 Zulässig nach BGH NJW 1975, 1657 (für die HV und noch in der Zeit der Drittelbeteiligung nach BetrVG). Offen lässt der BGH die Frage, ob die Satzung der AG die Zahl der Arbeitnehmervertreter erhöhen kann oder ob durch Stimmbindungsvertrag ein erhöhendes Ergebnis erreicht werden kann. 1611 Daraus erklärt sich die Fassung des § 95 AktG.

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Entweder muss das Mitbestimmungstelos teilweise für unvollziehbar erklärt werden oder es müssen Unternehmensträger, die nicht AG sind, doch – jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen –durch die Mitbestimmungsregelung aktienrechtlich umgeformt werden1612. Exemplarisch für die Problematik ist die GmbH: In das GmbHG, das in § 52 996 nur einen fakultativen Aufsichtsrat kennt und den Gesellschaftern die Bestellung der Geschäftsführung vorbehält, wurde durch das MitbestG in der folgenden Weise eingegriffen: 1. Der Aufsichtsrat wurde zwingend gemacht (§ 6 I MitbestG). 997 2. Dem Aufsichtsrat wurde das Bestellungsrecht für die Geschäftsführung übertragen (§ 31 MitbestG iVm § 84 AktG). 3. Die Regelung des Arbeitsdirektors (§ 33 MitbestG) gilt auch für die GmbH. Mehr an Änderungen hat das MitbestG aber nicht positiv festgelegt. Infolgedes- 998 sen ergeben sich Streitpunkte darüber, wie das Gesetz anzuwenden ist. Ein 1. Beispiel betrifft die Unterscheidung zwischen der Bestellung und der Anstellung 999 der Geschäftsführer. Die Bestellung ist die Einsetzung einer Person in ihr Organamt, die Anstellung begründet das dienstvertragliche Rechtsverhältnis der Gesellschaft zu dieser Person. Nach LG Hamburg1613 umfasst die Bestellungskompetenz des Aufsichtsrates bei der mitbestimmten GmbH auch die Anstellungskompetenz. § 31 MitbestG spricht aber nur von der Bestellung der Geschäftsführung, § 37 III MitbestG unterscheidet klar zwischen Bestellung und Anstellung. Sodann ist in § 31 MitbestG die Vorschrift des § 87 AktG, der auch die Anstellung umfasst, nicht mit erwähnt. § 25 I Nr 2 MitbestG bezieht zwar § 112 AktG ein, der den Aufsichtsrat für alle Geschäfte mit dem Vorstand handlungsbefugt macht. § 112 AktG bezieht sich aber nur auf die Vertretungsmacht, nicht auf eine Geschäftsführungs-, dh Entscheidungszuständigkeit nach innen. Das sind an sich genügend Argumente dafür, dass die Bestellungskompetenz des Aufsichtsrates bei der mitbestimmten GmbH auf die Bestellung als solche beschränkt ist, dh die Entscheidung über den Anstellungsvertrag nicht enthält. Das LG Hamburg hat dennoch im gegenteiligen Sinne entschieden: Wenn die Gestaltung 1000 der Anstellungsbedingungen und der Anstellungsvertrag überhaupt der Gesellschafterversammlung der GmbH überlassen blieben, so könne die Gesellschafterversammlung den Bestellungsbeschluss des Aufsichtsrates konterkarieren. Dies dürfe nicht sein. Folglich müsse hier die Mitbestimmungsregelung ergänzt werden1614. Das OLG Hamburg1615 hat in der Berufungsinstanz gegen das LG entschieden. Jedenfalls 1001 eine Satzungsregelung bei der GmbH, nach der die Gesellschafterversammlung über die Anstellung beschließe, müsse möglich sein. Allerdings müsse dabei die Maßgabe beste-

_____ 1612 1613 1614 1615

Für die letztere Position Reuter/Körnig, ZHR 140 (1976), 494. AG 1982, 53 (Reemtsma). Ebenso Zöllner, ZGR 1977, 318, 322. ZIP 1983, 175.

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hen, dass der Bestellungsakt des Aufsichtsrates nicht in seiner Wirkung behindert werden dürfe. Das OLG spricht insofern von der Notwendigkeit einer akzessorischen Beschlussfassung. Weiter meint das OLG, dass eine Satzungsregelung nicht einmal erforderlich sei. Abgesehen von der Regelung der §§ 30 f MitbestG sei das gewöhnliche Gesellschaftsrecht aufrecht erhalten geblieben. Für die Anstellung sei aber Abweichendes nicht bestimmt. Die Berufungsentscheidung des OLG Hamburg ist ihrerseits aufgehoben worden durch die Revisionsentscheidung des BGH1616. Die Annahme einer akzessorischen Beschlusskompetenz widerspreche der Stellung der Gesellschafterversammlung als obersten Willensbildungsorgans. Da andererseits aber auch keine konterkarierende Entscheidung möglich sein dürfe, bleibe nur die Möglichkeit, in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Entscheidung die Kompetenz zur Bestellung und Anstellung als zusammengefasst dem Aufsichtsrat übertragen anzusehen. 2. Beispiel: Indem der BGH in seiner Entscheidung das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung der GmbH als iÜ unangetastet angesehen hat, ist aus seiner Entscheidung eine Konsequenz auch für die folgende Problematik zu ziehen: Nach Reuter/ Körnig1617 soll hinsichtlich der Weisungskompetenz der Gesellschafterversammlung zwischen dem Typus Satzungs- und dem Typus Vertragsgesellschaft zu unterscheiden sein. Eine Gesellschaft iS des letzteren Typus sei durch individuelle Gebundenheit der Gesellschafter untereinander ausgezeichnet. Weil es sich hier um ein Instrument kurzlebiger, dem Wettbewerb ausgesetzter Individualinteressen handele, sei die freie Gestaltbarkeit gerechtfertigt. Demgegenüber gehe es bei einer Gesellschaft iS des ersteren Typus einer Satzungsgesellschaft um Normsetzung für das überindividuelle Unternehmen, deshalb habe hier früher der Konzessionszwang gegolten. Heute müsse immerhin eine Kontrolle nach Maßgabe der Sozialgestaltung gelten. Für das MitbestG folge daraus, dass auf die mitbestimmte Satzungs-GmbH die §§ 37, 45 GmbHG über das Letztentscheidungsrecht der Gesellschafterversammlung nicht anwendbar seien1618. Andererseits soll bei einer auf Individualbeteiligung beruhenden Gesellschaft § 111 IV AktG – die Möglichkeit eines Zustimmungsvorbehalts für den Aufsichtsrat – unanwendbar sein. Der Standpunkt ist nicht vertretbar, ganz abgesehen davon, dass die beiden von den Autoren unterschiedenen Gesellschaftstypen kaum abgrenzbar sind. Der freien Anwendung des MitbestG iS eines vom Rechtsanwender angenommenen einheitlichen teleologischen Zusammenhangs steht der politische Kompromisscharakter des MitbestG entgegen: Was die Weisungskompetenz der Gesellschafter im Geschäftsführungsbereich betrifft, bleibt es für die GmbH jedenfalls – ohne die Möglichkeit der Differenzierung – im Gegensatz zu § 119 II AktG bei dem Einwirkungsrecht der Gesellschafter. Der Beschluss der Gesellschafter in Geschäftsführungsangelegenheiten ist nach § 37 GmbHG und § 45 GmbHG für die Geschäftsführung (vorbehaltlich der Satzungsregelung) bindend. Die Mitbestimmungsregelung hat keine Prinzipien gesetzt, die zu allgemeiner Entfaltung gebracht werden müssten oder dürften. Dies gilt gerade für die GmbH: Nur einzelne Vorschriften werden vom MitbestG betroffen, nicht aber zB die Vorschrift des § 45 GmbHG. Das MitbestG ist kein

_____ 1616 BGHZ 89, 48. 1617 S soeben Fn 1612. 1618 Ebenso seien bei der mitbestimmten Satzungs-GmbH & Co KG etwaige Geschäftsführungsrechte qua Kommanditistenstellung zu streichen.

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Vehikel zur Schaffung eines allgemeinen Unternehmensrechts. Die Entmachtung der Gesellschafter in der GmbH ist nur punktuell erfolgt (in Bezug auf die Bestellung der Geschäftsführung), iü ist die Kompetenzverteilung aber unangetastet. Eine Ausweitung der Kompetenz des Aufsichtsrates iS der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung wäre unzulässig. Die Mitbestimmungsregelung hat keine sachbezogene Mitbestimmung in Geschäftsführungsfragen, sondern eine institutionelle Mitbestimmung in einem bestimmten Organ statuiert. Soweit die Zuständigkeit dieses Organs nicht durch Gesetz erweitert ist, kann die Erweiterung nicht durch Ausweichen auf allgemeine Grundsätze doch noch erlangt werden. Die Möglichkeit eines Zustimmungsvorbehalts für den Aufsichtsrat nach § 111 IV 2 AktG ist nach § 25 I Nr 2 MitbestG auf die mitbestimmte GmbH jedenfalls anzuwenden. Die Gesellschafter können sich aber, ungeachtet eines vom Aufsichtsrat aufgestellten Zustimmungskatalogs noch ihrerseits die Zustimmung zu bestimmten Geschäften vorbehalten. Lediglich die totale Übernahme der Geschäftsführung durch die Gesellschafter ist unzulässig1619. Sofern ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats eingreift, ist aufgrund der Verweisung des MitbestG die Verfahrensmöglichkeit des § 111 IV S 3, 4 AktG einzuhalten. Dh gegen die Verweigerung der (für erforderlich erklärten) Zustimmung des Aufsichtsrates kann die Geschäftsführung die Gesellschafterversammlung einberufen, diese kann mit qualifizierter Mehrheit das Veto ausräumen. Mit der Verweisung des § 25 I Nr 2 MitbestG auf § 111 IV AktG unvereinbar ist die Letztzuständigkeit der Gesellschafter in Geschäftsführungsmaßnahmen in dem Sinne, dass die Gesellschafter durch eine eigene Weisung zu einem zustimmungsbedürftigen Geschäft den Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats aushebeln könnten1620. 3. Beispiel ist die Frage der Einführung von Stimmverboten, weil man meint, eine Parität in materiellem Sinne erhalten zu müssen. Aber zum einen kann es Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseignerseite nicht verboten werden, über die eigene Kandidatur zur Wahl in den Vorstand mitzustimmen, bei deren Erfolg allerdings das Aufsichtsratsmandat nach § 105 AktG endet1621. Zum weiteren gilt gegen die Arbeitnehmervertreter kein Stimmverbot betreffend Tarif- und Arbeitskampfangelegenheiten1622.

_____ 1619 So der zutr Standpunkt von Zöllner, ZGR 1977, 325. 1620 Der Geschäftsführer kann freilich bei einer Weisung der Gesellschafter nicht etwa die Angelegenheit erst einmal dem Aufsichtsrat vorlegen zu dem Zweck, dass der Aufsichtsrat nunmehr einen Zustimmungsvorbehalt schafft (so aber Westermann, ZGR 1981, 393, 411). Überzeugend Wiedemann I § 11 II 1 S 611; ebenso Zöllner, ZGR 1977, 319, 327 f; Flume I/2 § 2 VII 3 S 61 Fn 128. 1621 S gegen Ulmer, NJW 1982, 1975 Wilhelm, NJW 1983, 912. 1622 Dafür Wiedemann Gesellschaftsrecht I, 1980, § 11 IV 1 S 634. Wenn der Gesetzgeber, wie Wiedemann schreibt, unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz von Tarifautonomie und Mitbestimmung das Zweitstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden geschaffen hat, so kann diese Maßnahme nicht durch ein ungeschriebenes Stimmverbot ergänzt werden. Wiedemann will sodann selbst das Stimmverbot für Vorstandsmitglieder nicht gelten lassen, weil die Vorstandsmitglieder gegenüber Kapitaleigner- und Arbeitnehmerseite, also doppelseitig abhängig seien (mithin, wie zu ergänzen ist, nicht „Richter in ,eigener‘ Sache“ seien). Diese nicht nur einseitige Abhängigkeit trifft aber genauso zu auf den Aufsichtsrat, wegen seiner von Wiedemann selbst

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f. Die Mitbestimmung nach dem MitbestG bei KGaA und der GmbH & Co KG 1009 Die bezeichnete Rechtsformspezifik der Mitbestimmung nach dem MitbestG

führt zu einer erheblich beschränkten Mitbestimmung insbesondere bei der KGaA. Wegen der persönlichen Haftung und der damit korrespondierenden Eigenschaft der Komplementäre als geborene Geschäftsführer (§ 278 II AktG iVm dem Recht der KG) entfallen hier die Befugnis des Aufsichtsrates zur Bestellung der Vorstandsmitglieder (§ 31 I 2 MitbestG) ebenso wie der Arbeitsdirektor (§ 33 I 2 MitbestG). Die Komplementäre können auch nach den Grundsätzen für die KG die Kommanditaktionäre an der Geschäftsführung beteiligen und auf diese Weise Zustimmungszuständigkeiten des mitbestimmten Aufsichtsrates entkommen. Zu rechtfertigen ist die Sonderregelung der KGaA aus der Alleinverantwortung einer natürlichen Person oder mehrerer natürlicher Personen als Komplementäre. Nachdem sich der BGH für die Zulässigkeit der GmbH & Co KGaA ausgesprochen hat und der Gesetzgeber dem gefolgt ist1623, ist die KGaA mit ihrer Sonderregelung ein Instrument für die Großunternehmen, die Mitbestimmung ohne Rücksicht auf den gesetzlichen Grund der Sonderregelung auszuhebeln. Die Ausführung des BGH, wonach „es allein Sache des Gesetzgebers ist, das MitBestG den neuen Gegebenheiten anzupassen, wenn er der Auffassung sein sollte, die KGaA ohne natürliche Person als persönlich haftende Gesellschafterin müsse der Mitbestimmung unterworfen werden“1624, dreht die Beweiskette (in der Lage vor Änderung des AktG iS der Rechtsprechung) um: Zu beweisen war die Zulassung einer juristischen Person als Komplementärin einer KGaA entgegen der Voraussetzung des Gesetzgebers im Mitbestimmungsrecht, dass Komplementärin einer KGaA eine natürlich Person ist. Was sodann die GmbH (oder auch AG) & Co KG betrifft, so dehnt § 4 Mit1010 bestG die Mitbestimmung nach diesem Gesetz auf solche Gesellschaftsformen unter bestimmten Voraussetzungen in der Weise aus, dass zwar nur die Komplementär-GmbH oder -AG nach dem MitbestG mitbestimmt werden kann, die Arbeitnehmer der KG aber als solche der Komplementärgesellschaft angesehen werden. Die Voraussetzungen sind: 1011

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Mindestens ein Komplementär muss GmbH oder AG sein. Die Mehrheit der Kommanditisten muss die Mehrheit in der Komplementär-GmbH oder -AG haben.

betonten Verpflichtung auf das Gesamtinteresse. Wie will Wiedemann zudem entscheiden, wenn ein Arbeitnehmervertreter in den Vorstand gewählt wird. Soll er dort mitentscheiden dürfen, was ihm im Aufsichtsrat versagt war? Dies alles zeigt die Notwendigkeit gesetzlicher Regelung. Bisher hat die Kompromissregelung des MitbestG eine solche nicht hervorgebracht. 1623 S § 279 II AktG und u Rn 1263. 1624 ZIP 1997, 1027, 1030.

I. Grundlagen | 571

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Schließlich darf die Komplementär-Gesellschaft nicht selbst mehr als 500 Beschäftigte haben, dh es darf nicht für sie als solche schon die Mitbestimmung entweder nach dem Drittelparitätsgesetz oder (bei Überschreitung von 2000 Arbeitnehmern) nach dem des MitbestG gelten.

Zunächst ist festzustellen, dass, selbst wenn diese Mitbestimmung gilt, ihre 1012 Wirksamkeit erheblich abgeschwächt ist. Es besteht ja die Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden im Aufsichtsrat (§ 29 II 1 MitbestG). Sodann besteht die Letztzuständigkeit der Gesellschafter für die Geschäftsführung in der Komplementär-GmbH. Schließlich ist, abgesehen von § 4 II MitbestG, wonach das Komplementär-Unternehmen nicht von der Führung der Geschäfte der KG ausgeschlossen werden darf, die Möglichkeit zu sehen, im Gesellschaftsvertrag der KG die Kommanditistenversammlung für entscheidungsbefugt zu erklären (insbesondere für grundlegende Fragen).

g. Charakterisierung der Mitbestimmung nach dem MitbestG Die Mitbestimmung nach dem MitbestG ist in ihrer Bedeutung zusammenfas- 1013 send wie folgt zu charakterisieren. Die Rede von der fast paritätischen Mitbestimmung hat sich in mancher Hinsicht als nur sehr bedingt zutreffend erwiesen. Die Durchsetzungsmöglichkeit des Kapitals ist letztlich stark, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer schwach. Folgende Feststellungen begründen dies: 1. 2. 3. 4.

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Festgestellt haben wir das Letztentscheidungsrecht der Anteilseigner durch die 1014 Zweitstimme des letztlich von ihnen zu wählenden Aufsichtsratsvorsitzenden. Bei der KGaA, und zwar auch bei der vom BGH anerkannten GmbH & Co KGaA hat der Aufsichtsrat nicht die Kompetenz zur Bestellung des Vorstands. In der GmbH und in der KGaA bleibt das Geschäftsführungsrecht der Gesellschafter bzw Komplementäre bestehen. Wichtig ist auch das Recht der Gesellschafter der GmbH und der HV der KGaA – hier mit Zustimmung der Komplementäre – zur Feststellung des Jahresabschlusses, aus dem sich der verfügbare Gewinn ergibt (§ 46 Nr 1 GmbHG; § 286 AktG). Die Feststellungsbefugnis von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 172 AktG ist im MitbestG auf die GmbH und die KGaA nicht übertragen worden. Bei allen Gesellschaften sind schließlich immer noch die Grundlagenentscheidungen über Satzungsänderung, Kapitalbeschaffung, Auflösung allein in die Hände der Anteilseigner (bei der KGaA zusammen mit den Komplementären) gelegt. Aber sogar soweit der Aufsichtsrat und damit die in ihm bestehende Mitbestimmung zum Zuge kommen, sind noch Schwächen zu konstatieren: Der Aufsichtsrat ist ja auch im Verhältnis zum Geschäftsführungsorgan von der aktiven Geschäftsführung ausgeschlossen (§ 111 IV 1, 2 AktG). Sodann ist seine Stellung betreffs Feststellung des Jahresabschlusses auch bei der AG nur hinter dem Vorstand sekundär (§§ 170 ff AktG). Die Schwäche des mitbestimmten Aufsichtsrates in den Bereichen der Ge-

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schäftsführung und Gewinnfeststellung wird sodann durch die Überwachungs- und Konrollfunktion des Aufsichtsrates und die Möglichkeiten des Zustimmungsvorbehalts keinesfalls aufgehoben, da der Aufsichtsrat nicht über einen eigenen Stab verfügt. Daraus resultiert die weitgehende Abhängigkeit des Aufsichtsrates von den Informationen und von der Einweihung durch Vorstand oder Konzernspitze. Dem kann der Aufsichtsrat nur begegnen, indem er sich frühzeitig informell in den Planungsund den Entscheidungsprozess einschaltet. Dies ist naturgemäß nicht dem ganzen Aufsichtsrat möglich, sondern idR lediglich dem Aufsichtsratsvorsitzenden und sodann noch besonders aktiven Arbeitnehmervertretern1625. Ein gewichtiger Einfluss ist von alledem nur bei starker Persönlichkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden oder bei starker Stellung der ihn entsendenden Gruppe mit dementsprechender Macht zu erwarten, über die Bestellungskompetenz des Aufsichtsrates Druck zu entwickeln1626. Sollten schließlich trotz dieser Feststellungen doch einmal Widerstände von der Arbeitnehmerbank aus auftauchen, so wird dies doch allenfalls in grundlegenden Fragen zu erwarten sein. In diesen kann dann aber mit der Pression gearbeitet werden, dass die Sache durch Grundlagenentscheidungen überholt werden kann, für die die Gesellschafterversammlung zuständig ist. Zu allen diesen schwächenden Faktoren kommt die Schwächung der Arbeitnehmerbank durch deren inhomogene Zusammensetzung (vor allem die nicht integrierte Stellung der leitenden Angestellten)1627 hinzu.

1015 Die Einschätzung des BVerfG, dass die Unternehmen trotz der Mitbestimmung

durchaus iS der Rentabilität des Kapitals funktionieren werden, hat in diesen Feststellungen eine starke Grundlage und hat sich auch in der inzwischen eingetretenen Praxis bestätigt. Insbesondere aufgrund dieser Annahme hat das BVerfG im Mitbestimmungsurteil1628 die Mitbestimmungsregelungen nach dem MitbestG für verfassungsgemäß erklärt.

_____ 1625 Dh dem Präsidium (idR identisch mit dem Ausschuss iS von §§ 27 III, 31 III MitbestG). 1626 Bei schwacher Stellung des Aufsichtsrates wird die Bestellungskompetenz des Aufsichtsrates eher umgekehrt ausgeübt, nämlich iS einer Kooptation des Aufsichtsrates aus dem Vorstand (Benennung geeigeneter Mitglieder durch den Vorstand, Weiterleitung der Vorschläge an die HV durch den Aufsichtsrat nach § 124 III 1 AktG, Akklamation der HV). Beide Möglichkeiten aber – Herrschaft eines Großaktionärs oder Kooptation – laufen darauf hinaus, dass die Gegenposition zur Arbeitnehmerseite – dh entweder das Management oder die Anteilseigner – in der Machtstellung verstärkt ist. S das Beispiel des Besetzungsstreits in der von Daimler-Benz beherrschten Flugzeugbaufirma Dornier: Der von den Arbeitnehmern in dem Familienstreit unterstützte Vorstandsvorsitzende Fischer wurde auf Veranlassung des Mehrheitsaktionärs Daimler-Benz dennoch aus dem Amt gesetzt, s FAZ v 5.12.1985, S 15. 1627 S aber auch die Unterschiedlichkeit der von Gewerkschaftsseite aus bestimmten Arbeitnehmervertreter einerseits, die die Arbeitnehmerinteressen über das Unternehmen hinaus vertreten, und der aus der Belegschaft des Unternehmens gewählten Arbeitnehmervertreter andererseits. 1628 BVerfGE 50, 290. S Darstellung und Analyse bei Wilhelm Sachenrecht Rn 284 ff.

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II. Die Organe der AG im Einzelnen1628a II. Die Organe der AG im Einzelnen

1. Der Vorstand a. Institution, Zusammensetzung, Qualifikation Der Vorstand leitet gemäß § 76 I AktG die AG unter eigener Verantwortung. Lei- 1016 tung ist Unternehmensplanung, -koordinierung, -kontrolle und Besetzung der nachgeordneten Führungspositionen1629. Der Vorstand hat dafür die grundsätzlich (§ 82 II AktG) unbeschränkte Geschäftsführungsbefugnis (§ 77 AktG). Nach außen hat er die Vertretungsmacht (§ 78 AktG), diese ist hinsichtlich ihres Umfangs sogar unbeschränkbar (§ 82 I, II AktG). Der Vorstand kann aus einer oder mehreren Personen bestehen, bei einem 1017 Grundkapital von mehr als 3 Mio € aus mindestens zwei, es sei denn die Satzung bestimmt, dass nur eine Person Vorstand ist (§ 76 II 1, 2 AktG)1630. Die Satzung muss zwingend (§ 23 V AktG) etwas über die Zahl der Vorstandsmitglieder regeln (§ 23 III Nr 6 AktG). Hinsichtlich des Inhalts der Regelung ist sie aber nicht festgelegt. Sie kann dem Aufsichtsrat Spielraum lassen, auch etwa den Gesetzeswortlaut des § 76 II AktG wiederholen mit an die Bedürfnisse der Gesellschaft angepassten Vorgaben für die Bestimmung der Zahl der Vorstandsmitglieder. Ist nach dem Mitbestimmungsrecht ein Arbeitsdirektor zu bestellen, so besteht der Vorstand aus mindestens 2 Mitgliedern (§ 76 II 3 AktG). Bei mehreren Vorstandsmitgliedern kann der Aufsichtsrat ein Mitglied zum 1018 Vorsitzenden des Vorstands ernennen (§ 84 II AktG)1631. Der Vorstandsvorsitzende ist primus inter pares, er hat die Vorstandssitzungen einzuberufen, sie zu leiten, die Beschlüsse festzustellen. Die rechtliche Stellung des CEO (Chief Executive Officer) des amerikanischen Rechts gibt es im deutschen Recht nicht, obwohl sich die Bezeichnung in den deutschen Aktiengesellschaften für den Vorstandsvorsitzenden mehr und mehr durchsetzt1632.

_____ 1628a Übersicht s o Rn 938 ff. 1629 Semler Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft 2. Aufl 1996 Rn 11. 1630 Ist der Vorstand nicht vorschriftsmäßig besetzt (zB nur ein Mitglied trotz eines Grundkapitals von über € 3 Mio und Fehlens einer den Vorstand auf ein Mitglied beschränkenden Satzungsbestimmung), ist der Vorstand handlungsunfähig, BGH DStR 2002, 1312 (Sachsenmilch IV). 1631 Die rechtliche Stellung dieses Vorstandsvorsitzenden ist im Gesetz nicht näher ausgestaltet, Vorschriften finden sich insoweit nur in §§ 80 I 2 AktG, 285 Nr 10 S 2 HGB und der Sache nach in § 78 III 1, 2 AktG. Abzugrenzen ist der Vorstandsvorsitzende von dem sogenannten Vorstandssprecher, der durch die Geschäftsordnung des Vorstands (§ 77 II 1 AktG) vorgesehen werden kann. Einen Vorstandssprecher hat etwa die Deutsche Bank. 1632 Realistisch hinnehmend die Regierungskommission Corporate Governance, s Baums (Hrsg) Bericht der Regierungskommission 2001 Rn 36.

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Nach § 76 III 1 AktG können nur natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Personen Vorstandsmitglieder sein. Über die fachliche Qualifikation entscheidet der Aufsichtsrat, die Satzung kann hier aber Vorgaben machen. Die Neufassung des § 76 III 2–4 AktG durch das MoMiG schließt sodann bestimmte Personen von der Vorstandsstellung aus, nämlich Personen, die unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt stehen oder einem Berufs- oder Gewerbeverbot unterliegen, das sich mit dem Unternehmensgegenstand überschneidet, oder schließlich wegen Taten vorbestraft sind, die unter einen Katalog strafbarer Verletzungen von Erklärungs-, Treue- oder Vermögenspflichten fallen. Die strafrechtliche Verurteilung darf nicht mehr als 5 Jahre seit Rechtskraft zurückliegen. Einer Verurteilung in Deutschland stehen Verurteilungen im Ausland gleich, sofern sie einer Verurteilung in Deutschland vergleichbar sind1633. Der Grund für den Ausschluss juristischer Personen vom Vorstandsamt ist, dass die persönliche Qualifikation entscheiden muss und die Verantwortlichkeit nur von natürlichen Personen getragen werden kann. Weitere Voraussetzungen für die Vorstandsmitglieder, etwa Mindestalter, deutsche Staatsngehörigkeit etc, sind durch die Satzung regelbar, wobei dem Aufsichtsrat aber seine Auswahlmöglichkeit (§ 84 AktG) nicht praktisch genommen werden darf1634. Nach Meinung mancher kann die Satzung auch in personeller Hinsicht (etwa Familienzugehörigkeit) Voraussetzungen machen1635. Zwischen der Zugehörigkeit zum Vorstand und der zum Aufsichtsrat be1020 steht Inkompatibilität (§ 105 I AktG). Für einen beschränkten Zeitraum kann der Aufsichtsrat Aufsichtsratsmitglieder als Vertreter von fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitgliedern bestellen. Diese scheiden aber für diese Zeit aus dem Aufsichtsrat aus (§ 105 II AktG). § 85 I AktG sieht daneben die gerichtliche Bestellung eines sog Notvorstands vor. An Aufsichtsräten anderer Gesellschaften kann ein Vorstandsmitglied beteiligt sein, wenn nicht Näheverhältnisse iSv § 100 II AktG bestehen. 1019

_____ 1633 Der Bundesrat hat jede ausländische Untersagung der Vorstands- oder Geschäftsführertätigkeit zum Bestellungshindernis machen wollen BR-Drucks 354/07 Nr 8. Die Bundesregierung hat diese Präjudizialität jeder einschlägigen ausländischen Entscheidung für zu weitgehend gehalten (s Gegenäußerung in Anlage 3 zur elektronischen Vorabfassung des E MoMiG). – Zur Anmeldung der Gesellschaft und neuer Vorstandsmitglieder haben die Vorstandsmitglieder nach §§ 37 II, 81 III AktG zu versichern, dass keine Umstände ihrer Bestellung entgegenstehen. Sie sind über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht zu belehren und dann unbeschränkt auskunftspflichtig (§ 53 II BZentralRegG). Falsche Angaben machen haft- und strafbar (§§ 48, 93, 399 I Nr 6 AktG). 1634 Vgl Hüffer/Koch § 76 Rn 26, § 23 Rn 38. 1635 Hüffer/Koch § 76 Rn 60 unter Vorbehalt des Bestehenbleibens von Auswahlermessen des Aufsichtsrats. Zweifelhaft: Nur fachliche Mindestanforderungen in der Satzung sind vertretbar.

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Im Gegensatz zu den genannten Möglichkeiten, überraschende Ausfälle 1021 auszugleichen, steht die in § 94 AktG bestimmte Möglichkeit, dass Vertreter von Vorstandsmitgliedern bestellt werden. Nach § 94 haben diese Vertreter die gleiche Stellung wie die anderen Mitglieder des Vorstands. Sie bedeuten also eine Erweiterung des Vorstands und keine Ersatzmitglieder. Wie der sonstige Vorstand sind sie zum Handelsregister anzumelden (§§ 39 I 1, 81 I AktG), und zwar ohne Vertreterzusatz1636. Auch für sie gilt § 23 III Nr 6 AktG, dass die Satzung über die Zahl der Vorstandsmitglieder oder die Regeln, sie zu bestimmen, etwas sagen muss. Weiter sind die Vertreter wie die anderen Vorstandsmitglieder vertretungsmächtig, insbesondere nach § 78 II 2 AktG allein passivvertretungsmächtig. Aus der Möglichkeit, dass die Geschäftsführungsbefugnis nach innen gestaltbar ist, folgt allerdings, dass die Gleichheit der Stellung nicht hindert, dass nach innen berücksichtigt wird, dass die betreffende Person nur die Eigenschaft als Vertreter von Vorstandsmitgliedern hat. Aufgrund dieser Eigenschaft gilt, wenn nichts anderes bestimmt ist, dass die Vertreter im Zweifel nach innen nur dann mitentscheidungsbefugt sind, wenn die vertretenen Mitglieder wegfallen oder verhindert sind. Durch die Möglichkeit der Stellvertreter können junge Manager an die volle Funktionserfüllung herangeführt werden.

b. Bestellung Die Vorstandsmitglieder werden durch den Aufsichtsrat bestellt (§§ 30 IV, 84 I 1 1022 AktG). Sie sind aufgrund eines Dienstvertrags tätig (§ 84 I 5)1637. Damit gilt bei der AG das Prinzip der Drittorganschaft1638. Dieses steht der Selbstorganschaft bei den Personengesellschaften gegenüber, die mit der persönlichen Haftung der Gesellschafter der Personengesellschaften korrespondiert im Gegensatz zu der nur kapitalmäßigen Beteiligung der Aktionäre. Zu der nach § 84 I 1 AktG durch den Aufsichtsrat erfolgenden Bestellung bedarf es eines ausdrücklichen Beschlusses nach § 108 AktG mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, soweit nicht das MitbestG etwas Anderes sagt. Die Beschlusskompetenz kann nicht auf einen Ausschuss des Aufsichtsrates übertragen werden (s § 107 III 4 AktG1639). Die Bestellung gilt für höchstens 5 Jahre. Sie ist gemäß § 84 I 1 AktG wiederholbar, wobei aber der neue Bestellungsbe-

_____ 1636 BGH NJW 1998, 1071 (für den dem stellvertretenden Vorstandsmitlied entsprechenden stellvertretenden Geschäftsführer nach § 44 GmbHG). 1637 Zur Unterscheidung von Bestellung und Anstellung s u Rn 1028. 1638 Hierzu K. Schmidt § 14 II 2 S 409 ff. Zur Selbstorganschaft ders, GS Knobbe-Keuk 1997, 307. 1639 iV mit § 84 I 1, 3 AktG.

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schluss frühestens ein Jahr vor dem Ablauf der bisherigen Amtsperiode erfolgen kann, wenn nicht zuvor eine kürzere Zeit als 5 Jahre festgelegt war und die Amtszeit nunmehr auf 5 Jahre ausgedehnt werden soll (§ 84 I 2–4)1640. Fehlt ein erforderliches Vorstandsmitglied, so hat in dringenden Fällen (Fällen, in denen das Vorstandsmitglied für eine unaufschiebbare Maßnahme erforderlich ist) das Gericht auf Antrag das Mitglied zu bestellen (§ 85 I AktG, sog Notvorstand). Daneben besteht die eingeschränkte Möglichkeit des § 105 II AktG, dass ein Aufsichtsratsmitglied zum Vertreter bestellt wird1641. In der nach dem MitbestG mitbestimmten AG erfolgt die Bestellung des 1023 Vorstands mit 2/3-Mehrheit des Aufsichtsrats, bei Nichterreichen der Mehrheit durch einfache Mehrheit in einer Beschlussfassung aufgrund eines Vorschlags des Vermittlungsausschusses, bei Nichterreichen auch dieser Mehrheit durch Einsatz des Zweitstimmrechts des Aufsichtsratsvorsitzenden in einer erneuten Abstimmung (§ 31 II–IV MitbestG). Für den Arbeitsdirektor iS von § 33 MitbestG gilt nichts davon Abweichendes. Die Bestellung der Vorstandsmitglieder ist unter Angabe ihrer Vertretungs1024 macht zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§§ 39 I 1, 81 I AktG).

c. Pflichten 1025 § 76 I AktG sagt: Der Vorstand hat die Gesellschaft unter eigener Verantwortung

zu leiten. Damit ist die Stellung des Vorstands als Pflichtenstellung gegenüber der Gesellschaft konstituiert. Diese Position ist eine einheitliche, die in dreifacher Richtung zu entfalten ist: Zunächst sind die Pflichten aufzuführen. Später ist die Pflichtenstellung im Hinblick auf die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands zu analysieren. Teil der Geschäftsführungsbefugnis ist die Vertretungsmacht. Schließlich drittens ist Gegenstand der Betrachtung die Haftung des Vorstands. Wenn in dieser dreifachen Thematik Überschneidungen vorkommen, darf das nicht irritieren. Es ist die Konsequenz der Einheitlichkeit der Leitungsverpflichtung des Vorstands.

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1640 In Parallele zu § 84 I 3 AktG soll auch die Erstbestellung nicht früher als 1 Jahr vor Beginn der Amtszeit erfolgen Der Umgehungstrick, statt der unzulässigen vorzeitigen Verlängerung eine einvernehmliche Auflösung mit sogleich anschließender längerfristiger Neuanstellung vorzunehmen (so nach FAZ v 15.3.2005 Nr 62 S 27 im Fall Schrempp bei Daimler/Chrysler), ist selbstverständlich ebenso eine Verletzung der Vorschrift wie die vorzeitige Verlängerung selbst. 1641 Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern (§ 94 AktG) kommen nicht als Ersatz in Betracht. Der Stellvertreter hat nach § 94 dieselbe Stellung wie sonstige Vorstandsmitglieder, er ist also möglicherweise selbst erforderliches, aber fehlendes Vorstandsmitglied.

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Was zunächst die Pflichten des Vorstands betrifft, knüpfen diese auf erster 1025a Grundlage an seine Amtsstellung der Leitungsverantwortlichkeit kraft seiner Bestellung an. Eine zweite Grundlage haben die Pflichten bei wirksamer Anstellung der Vorstandsmitglieder in der im nächsten Abschnitt zu behandelnden Anstellung als Abschluss eines Dienstvertrages. Relevant sind die beiden Grundlagen für die damit verbundenen unterschiedlichen Sanktionen (aus beiden Grundlagen folgen Schadensersatzpflichten in Anspruchskonkurrenz, speziell zur Amtsführung gehören die Entlastung oder ihre Ablehnung und die Abberufung, zum Dienstvertrag gehört die Möglichkeit der Kündigung, insbesondere aus wichtigem Grund). Die Unternehmensleitung, zu der der Vorstand verpflichtet ist, ist auf das 1026 Unternehmensinteresse gerichtet. Zu diesem ist als Maßstab der Geschäftsführungsbefugnis unten Weiteres auszuführen1641a. Konsequenz ist zunächst einmal eine umfassende Planung. Die Planungspflicht des Vorstands ist in Hinsicht auf die Bestimmung und Kontrolle der ökonomischen Unternehmensstrategien in den durch das KonTraG neu gefassten bzw eingefügten Bestimmungen der §§ 90 I 1 Nr 1 und 91 II AktG zum Ausdruck gebracht. Nach der ersteren Norm muss der Vorstand dem Aufsichtsrat über die beabsichtigte Geschäftspolitik unter Erläuterung der Abweichung der Entwicklung von früher berichteten Zielen der Gesellschaft berichten (ergänzend § 90 I 2, 3 AktG). Nach § 91 II AktG hat der Vorstand ein Frühwarnsystem im Hinblick auf den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen einzurichten (und zu unterhalten)1642. Einer Planung bedarf es sodann auch für die Einhaltung der Gesetze zur Wahrung der Legalitätspflicht. Hier kommt es insbesondere auf eine ausreichende Corporate-Compliance-Organisation an1643. Diese dient ebenso der

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1641a Rn 1043 f. 1642 Nach LG München I NZG 2008, 319 bedeutet das auch eine Pflicht zur Dokumentation des Systems, bei deren Nichterfüllung der Beschluss über die Entlastung des Vorstands anfechtbar sei. Der DCGK weist in 3.4 Abs II dem Aufsichtsratsvorsitzenden die Aufgabe zu, mit dem Vorstand regelmäßigen Kontakt über Strategie, Geschäftsentwicklung und Risikomanagement zu halten.Durch das BilMoG ist für den Aufsichtsrat die Möglichkeit eines Prüfungsausschusses betr Risikomanagement und Compliance – s sogleich – eingerichtet worden, wenn der Aufsichtsrat die Kontrolle nicht als Gesamtgremium wahrnehmen will (§ 107 III 2 AktG, dazu Preußner, NZG 2008, 574). 1643 Zur Haftung wegen mangelhafter Compliance-Kontrolle bei Siemens LG München I ZIP 2014, 570. Zum Thema zuvor die Diskussion der gesellschaftsrechtlichen Vereinigung, Bd 13 2007 (Beiträge Hauschka, Bachmann und Diskussion, Bachmann dann auch ZIP 2014, 579 zum Siemens-Urteil). Dem Thema widmet sich eine ganze Zeitschrift (CCZ, Zeitschrift zur Haftungsvermeidung im Unternehmen). Gute Übersicht über das Institut bei Sebastian Wilhelm in CMS Report XIV www.cms-hs.com S 7 ff. Zur Corporate Compliance als Mittel der Haftungsvermeidung Kiethe, GmbHR 2007, 393.

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Erfüllung der Legalitätspflicht wie der Entlastung von der Verantwortlichkeit dafür. Dazu sind die Unternehmensbereiche einer konkreten Risikoanalyse (due diligence) zu unterwerfen. Die Compliance-Organisation ist sodann zu dezentralisieren durch Einsatz von Compliance Officers und Compliance Committees in den nachgelagerten Bereichen. Der Vorstand kann sich auf diese Organisation beschränken, wenn er nur für die erforderliche Kommunikation zur Überwachung dieser nachgelagerten Bereiche durch dafür zuständige Vorstandsmitglieder sorgt. Aufgrund des CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes hat insbesondere der 1026a Vorstand die Planung für die nicht finanzielle Erklärung (§§ 289b ff HGB, 315b ff HGB) in der Hand. Wenn die Gesellschaft die Kriterien des § 289b I bzw des § 315b I HGB erfüllt (große Kapitalgesellschaft bzw Mutterunternehmen, Kapitalmarktorientierung, durchschnittlich mehr als 500 Arbeitnehmer, im Konzern: insgesamt)1643a, ist sie vorbehaltlich von Befreiungstatbeständen zur Ergänzung des Lageberichts durch die nicht finanzielle Erklärung verpflichtet. Den Vorstand treffen nach dem Gesetz vielfältige Einzelpflichten. §§ 399 ff 1027 AktG begründen Sanktionen und unterscheiden dabei Strafbarkeit, Ordnungswidrigkeit und die Verhängung von Zwangsgeld. Das Letztere ist nach § 407 I AktG für diejenigen Pflichten angeordnet, die konkret durchgesetzt werden müssen. Zuständig ist hierfür das Verfahren nach §§ 388 ff FamFG. Ein übergreifender Aspekt ist die Loyalitätspflicht der Vorstandsmitglieder: ihre Treuepflicht mit der Pflicht zur Verschwiegenheit (§§ 93 I 3 mit 4, 404 AktG) und dem Handelsgewerbe- sowie Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG)1644 und schließlich der Pflicht, Geschäftschancen im Tätigkeitsbereich der Gesellschaft (corporate opportunities) für die Gesellschaft wahrzunehmen1645.

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1643a Zum CSR-Richtlinienumsetzungsgesetz o Rn 143a. Zu den Kriterien der betroffenen Gesellschaften ieS § 289b I HGB, Zur Verantwortung des Vorstands aufgrund des Gesetzes Hommelhoff, NZG 2017, 1361. 1644 Zur Frage, ob das Wettbewerbsverbot bei Doppelmandat eines Vorstandsmitglieds in abhängiger Gesellschaft und Konzernspitze verletzt sein kann (in einer AG & Co KG), Altmeppen, ZIP 2008, 437. Die Möglichkeit, an Aufsichtsräten anderer Gesellschaften beteiligt zu sein, beschränkt § 100 II AktG unter dem Gesichtspunkt der unabhängigen Amtsführung des Aufsichtsrats. Zum Begriff des Geschäftemachens iS von § 88 AktG großzügig BGH ZIP 1997, 1063 (gewinngerichtete Tätigkeit nicht nur zur Befriedigung privater Bedürfnisse, keine bloße Vermögensanlage); dazu Wilhelm, EWiR § 88 AktG 1/97, 631. – Nach OLG Köln AG 1999, 573 beginnt der Lauf der in § 88 III AktG bestimmten Verjährungsfrist für die Ansprüche der Gesellschaft erst, nachdem jedes Mitglied von Vorstand und Aufsichtsrat – einschließlich der stellvertretenden Mitglieder – Kenntnis von der Konkurrenztätigkeit erlangt hat. 1645 Konsequenz der Verletzung des Wettbewerbsverbots neben der Schadensersatzpflicht das Eintrittsrecht der Gesellschaft nach § 88 II AktG.

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Sodann Pflichten zur Sicherung des Gesellschaftskapitals und damit der Gesellschaftsgläubiger: 1. 2. 3.

Risikomanagement (Überwachung der Existenzfähigkeit der Gesellschaft durch ein Frühwarnsystem, § 91 II AktG)1646, § 92 I (Einberufung der HV und Anzeige an sie bei Feststellung, dass die Hälfte des Grundkapitals nicht mehr vorhanden ist), § 15a I InsO (Pflicht, im Fall des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung Insolvenz zu beantragen).

Dann organisationsbezogene Pflichten: 1. 2. 3.

4. 5. 6.

Umfassende Information des Aufsichtsrats, § 90 AktG, Pflicht zur Einreichung einer Liste über Änderungen im Aufsichtsrat an das Handelsregister, § 106, Pflicht zur Einberufung der HV, § 121 I, §175, weiter auf Verlangen einer Minderheit, §§ 122 ff, Pflicht zu Mitteilungen betr HV § 125, zur Ausführung von HV-Beschlüssen (§§ 83 II, 121 ff AktG), Auskunftserteilung an Aktionäre in der HV, § 131, Unterrichtung über Strukturmaßnahmen (§§ 293a, 319 III AktG, nach Vorschriften des UmwG), Führung der Handelsbücher, Rechnungslegung (§§ 91 I, 170 AktG, 264, 242 HGB).

Besondere Pflichten des Vorstands begründet das öffentliche Recht: sozialversicherungsrechtlichen Pflichten iVm §§ 266a, 14 StGB, 823 Abs 2 BGB1647; § 266a StGB (was die organschaftlichen Vertreter betrifft, in Verbindung mit § 14 Abs 1 Nr 1 StGB) stellt die Nichtabführung der Beiträge zur Sozialversicherung sogar unter Strafe. Aus der Strafnorm wird eine Haftung der Geschäftsleiter gegenüber den Sozialkassen wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs 2 BGB abgeleitet. Weiter zu nennen ist die Steuerabführungspflicht nach §§ 34, 69 AO. Die Vorschriften der AO verpflichten die Geschäftsleiter zur Abführung der Lohnsteuer aus den Arbeitsverhältnissen. Schließlich ergeben sich Informationspflichten gegenüber den Arbeitnehmern nach dem BetrVG und bei börsennotierten Gesellschaften Marktinformationspflichten aus dem Kapitalmarktrecht.

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1646 Für deutsche Unternehmen, die an einer US-Börse notiert sind, fordert der SarbanesOxley-Act die Einrichtung eines Publizitätskontrollsystems („disclosure controls“), das über die in § 91 II genannten Maßnahmen hinaus geht. Die disclosure controls beziehen sich nämlich nicht nur auf Entwicklungen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden könnten, vielmehr werden alle wesentlichen Informationen erfasst, die in den bei der SEC einzureichenden Berichten enthalten sein müssen, s Gruson/Kubicek AG 2003, 393. 1647 Nach ständiger Rechtsprechung ist § 266a StGB Schutzgesetz zugunsten der Träger der Sozialversicherung, BGHZ 134, 304, 307; 136, 332, 333; 144, 311, 313 f; ZIP 2003, 921, 923; 2005, 1026, 1027. Dazu Uwe H. Schneider/Tobias Brouwer, ZIP 2007, 1033 f. Uwe H. Schneider/Brouwer äußern sich mit Recht kritisch zu der Merkwürdigkeit der Anknüpfung der Pflicht der Geschäftsleiter zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge an die Strafnorm. Zum Verhältnis der öffentlich-rechtlichen Abführungspflichten zum Gebot, bei Insolvenzreife der Gesellschaft Zahlungen zu unterlassen, s Roth/Altmeppen/Altmeppen § 64 Rn 21 ff.

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d. Anstellung (1) Das Vertragsverhältnis 1028 Von der Bestellung der Vorstandsmitglieder ist die Rechtsstellung aufgrund des Anstellungsvertrags zu unterscheiden1648. Nach § 84 I 5 AktG gelten die zeitlichen Maßgaben des § 84 I AktG zur Bestellung sinngemäß für den Anstellungsvertrag. In diesem kann nur vorgesehen werden, dass er für den Fall, dass die Amtszeit verlängert wird, bis zu deren Ende weitergilt. Die Pflichten kraft Amtes sind zugleich die dienstvertraglichen Pflichten. Der Vertrag kann zugleich mit einem Dritten, der die Vergütung übernimmt oder an den für darüber hinausgehende Leistungen eine Gesamtvergütung gezahlt wird, abgeschlossen werden1649. Zuständig für den Vertragsschluss, auch bei Abschluss mit einem Dritten, ist aufgrund seiner Vertretungsmacht gegenüber dem Vorstand der Aufsichtsrat (§ 112 AktG, in § 84 I 5 vorausgesetzt). Anders als bei der Bestellung kann ein Ausschuss des Aufsichtsrats tätig werden, denn § 107 III 4 AktG nennt den § 84 I 5 AktG nicht. Die Tätigkeit des Verstandsmitglieds als Organmitglied ist Gegenstand der Verpflichtung aus diesem Vertrag. Als Gegenleistung bestimmt der Vertrag die Vergütung der Tätigkeit. Wird der Anstellungsvertrag geschlossen, ist aber die Bestellung unwirksam, so ist der Anstellungsvertrag auf eine unmögliche Leistung gerichtet. Ist die Bestellung wirksam, aber der Anstellungsvertrag nicht, ist die AG zum Abschluss eines wirksamen Vertrags verpflichtet1650. Die Trennung zwischen Bestellung und Anstellung kommt in § 84 I 5 und III 5 AktG zum Ausdruck. Der Anstellungsvertrag ist ein Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter1651. Hinsichtlich der Laufzeit ist der Anstellungsvertrag parallel mit der Bestel1029 lungszeit abzuschließen, er ist allerdings, was seine Selbstständigkeit hervorhebt, mit Verlängerungsklausel abschließbar (§ 84 I 5 AktG). Bei einer Ab-

_____ 1648 Nach OLG Hamm AG 2007, 910 ist ein Vorstandsmitglied bei Abschluss des Anstellungsvertrags Verbraucher iSv § 13 BGB. Eine Schiedsabrede bedürfe folglich nach § 1031 V ZPO einer besonderen von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde. Andererseits hat der organschaftliche Vertreter in seinem Amt Arbeitgeberfunktion, so dass es für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses keiner Abmahnung bedarf (besonderer Umstand iS von § 314 II 2 iVm § 323 II Nr 3 BGB), BGH NJW-RR 2007, 1520 (für den Geschäftsführer einer GmbH). 1649 BGH WM 2015, 1197; OLG München ZIP 2017, 372. Zu beachten ist allerdings die Aufgabe des Aufsichtsrats zur Bemessung der Vergütung und seine Bindung an den Maßstab der Angemessenheit im Interesse des vom Vorstand zu leitenden Unternehmens (§ 87 I AktG). 1650 Raiser/Veil § 14 Rn 47. 1651 BGHZ 36, 142 f.

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berufung aus wichtigem Grund läuft der Anstellungsvertrag möglicherweise weiter1652. Der Vorstand ist Dienstverpflichteter nach §§ 675, 611 ff BGB, nicht Ar- 1030 beitnehmer1653. Nach dem ArbGG kann er als Arbeitgeberbeisitzer bei den Arbeitsgerichten bestellt werden (§§ 22 II Nr 1, 2, 37 II, 43 II ArbGG). § 5 I 3 ArbGG schließt seine Eigenschaft als Arbeitnehmer auch für das ArbGG aus1654. Möglicherweise können aber auf den Vorstand – in Gleichstellung mit leitenden Angestellten – auch einmal arbeitsrechtliche Normen anzuwenden sein1655.

(2) Vergütung Der Vergütungsanspruch der Vorstandsmitglieder ist in § 87 AktG geregelt. 1031 Zuständig für die Festsetzung ist der Aufsichtsrat. Nach § 120 IV AktG kann die HV börsennotierter Gesellschaften (§ 3 II AktG) über die Billigung des Vergütungssystems beschließen. Der Beschluss ist aber nur ein unverbindliches und nicht anfechtbares Votum (§ 120 IV 2, 3 AktG). Die in der Praxis vorkommenden Vergütungsbestandteile zählt § 87 I 1 AktG 1032 auf, der dem Aufsichtsrat aufgibt, für eine angemessene Vergütung zu sorgen. Bestandteil können insbesondere Aktienoptionen sein. Der Gedanke solcher stock options geht dahin, das Interesse des Vorstands mit der Gewinnentwicklung des Unternehmens zu koppeln und so den sog principal-agent-Konflikt (volle Entwicklung der Kräfte nur bei Eigeninteresse am Unternehmen, nicht bei Tätigwerden im fremden Interesse) zu überwinden1656. Das KontraG hat unter diesem Gesichtspunkt eine Möglichkeit des Rückkaufs eigener Aktien (§ 71 I Nr 8 AktG) und eine vereinfachte bedingte Kapitalerhöhung zur Gewährung von Bezugsrechten eröffnet (§§ 192 II Nr 3, 193 II Nr 4 AktG). Das VorstAG vom 31. Juli 20091657 hat in § 87 II AktG eine Verpflichtung zur 1033 Kürzung der Vergütung eingefügt, mit Einschränkung betr Ruhegehalt etc (§ 87 II 3) und Kündigungsmöglichkeit für das betroffene Vorstandsmitglied (S 4). Auch für die Kürzung ist der Aufsichtsrat zuständig. Zu der Kürzungsmöglich-

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1652 S Rn 1037. 1653 BGHZ 10, 187 (191). Aber die Insolvenzsicherung der Ruhegehaltsbezüge nach §§ 7, 17 BetrAVG kommt Vorstandsmitgliedern zu, sofern sie nicht an der Gesellschaft maßgeblich beteiligt sind, BGHZ 77, 94 (96 ff). 1654 In Betracht kommt der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten in der Zeit nach dem Ausscheiden aus der Organtätigkeit, s Reinecke, ZIP 1997, 1525. 1655 Zur arbeitsrechtlichen Behandlung von Organmitgliedern vgl Schaub Arbeitsrechtshandbuch § 14 II S 103 ff. 1656 Nachw zur Diskussion Fleischer, NZG 2004, 1129, 1131 Fn 43. 1657 O Rn 139.

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keit hatte sich jüngst der BGH mit den weichen Kriterien (dem Vorstand zurechenbare Verschlechterung der Lage mit der Folge der Unbilligkeit der Vergütungshöhe für die Gesellschaft) abzuplagen1658. Mit Recht berücksichtigt der BGH die Kriterien der Grundvorschrift des § 87 I 1 AktG, die dem Aufsichtsrat, mit Einzelmaßgaben in den dann folgenden Sätzen, auferlegt, für ein angemessenes Verhältnis der Vergütung zu den Aufgaben der Vorstandsmitglieder und zur Lage der Gesellschaft zu sorgen, als Richtschnur in der Frage der unbilligen Vergütung1659. Nach § 87 I hat der Aufsichtsrat freilich grundsätzlich Ermessen, für das die sog Business Judgment Rule (§ 93 I 2 iVm § 116 AktG) heranzuziehen ist. Anhaltspunkte zur Ausübung des Ermessens (zT Empfehlungen, zT Anregungen) enthält der DCGK (4.2.2, 4.2.3)1660. Was demgegenüber die Kürzungsmöglichkeit betrifft, räumt der BGH dem Aufsichtsrat aber kein Ermessen ein. § 87 I (Ermessensprüfung) und § 87 II wirkten dergestalt zusammen, dass der Aufsichtsrat nach § 87 II die Vergütung auf den nach § 87 I höchstmöglichen angemessenen Betrag herabsetzen müsse1660a. Hat der Aufsichtsrat herabgesetzt, ergibt sich für eine Klage des betroffenen Vorstandsmitglieds die folgende Prüfung: (1) Voraussetzungen des Abs 2 erfüllt?, (2) Herabsetzung auf Billigkeit? Wenn der Aufsichtsrat die Vergütung unter die Billigkeit herabgesetzt hat, ist die Klage teilweise begründet1660b.

_____ 1658 BGHZ 207, 190. In BGHZ 205, 190, 197 Rn 25 lehnt der BGH die analoge Anwendung des § 87 AktG auf den Geschäftsführer der GmbH ab. Für die Entwicklung eines Rechtsgedankens aus der Vorschrift und dessen Übertragbarkeit auf die GmbH dagegen Roth/Altmeppen/Altmeppen § 6 Rn 93. 1659 Beispiele für § 87 I: Im Fall NZG 2008, 631 (REW-Energy) hat das OLG München § 87 I AktG durch Vergütungskriterien als verletzt angesehen, die in der Konsequenz Entscheidungen des Vorstands gegen das Interesse der Gesellschaft honorierten (es ging um die Ausrichtung der Vergütung für Vorstände in Tochter- oder Enkelgesellschaften am Aktienkurs der herrschenden Gesellschaft in einem faktischen Konzern). Weil die Frage aber umstritten sei, sei der Verstoß nicht so schwerwiegend, dass damit der Beschluss über die Entlastung des Aufsichtsrats anfechtbar sei (schwerwiegend iS der Entscheidung Macrotron, BGHZ 153, 47, die für die Anfechtbarkeit der Entlastung einen eindeutigen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß verlangt). Einen Verstoß gegen § 87 I 1 hat das OLG München in der Entscheidung ZIP 2017, 372 behandelt. Im Fall war die Vorstandsvergütung für ein bestimmtes Vorstandsmitglied Bestandteil der Vergütung im Rahmen eines mit einem Dritten vereinbarten Beratervertrags. Welcher Anteil auf die Vorstandstätigkeit entfallen sollte, war aber gänzlich unbestimmt. 1660 Zum Abfindungs-Cap gemäß 4.2.3 Dörrwächter/Trafkowski, NZG 2007, 846. Bei Inanspruchnahme des Fonds nach dem FMStG (s o Rn 691 I) bestimmt § 10 Nr 3 FMStG iVm § 5 Nr 3, 4 FMStFV eine Begrenzung der Vergütung. 1660a BGHZ 207, 205, Rn 45. 1660b AaO Rn 46.

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In der ersten Hälfte 2008 und jetzt wieder ist die Diskussion über überhöhte Managergehälter und fragwürdige Boni besonders heftig geworden. Anlass waren damals insbesondere hohe Abfindungen für Vorstandsmitglieder, die im Verhältnis zur Leistung für das Unternehmen unverhältnismäßig erschienen. Gegenwärtig sind es der Dieselskandal bei VW und die fatale Fülle von Rechtsstreitigkeiten, in die sich die Deutsche Bank vor Allem in den USA verwickelt sieht. Inzwischen gibt es die Institutsvergütungsverordnung (IVV)1661, die mit Inkrafttreten am 4.11.2017 verschärft worden ist. Diese schreibt Obergrenzen für Boni im Verhältnis zum Fixgehalt vor und für die Zukunft die Rückforderung von Boni bei nachgewiesenen Gesetzesverletzungen. Allerdings gilt die VO nur für in Vorschriften des KWG definierte Kreditinstitute, also nicht für andere und nicht für Industriekonzerne wie VW. Außerdem dürften der Wille zur Durchsetzung und der Nachweis der Voraussetzungen kaum praktisch werden. Schließlich ist es leicht, die Vorschrift über die Reduzierung der Boni in ihrem Verhältnis zum Fixgehalt durch Erhöhung des Fixgehalts auszuhebeln1661a. Neue Maßgaben schreibt die inzwischen in Kraft getretene Richtlinie zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie1662 vor. Nach Art 9a, 9b hat der Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften einen Vergütungsbericht für das Geschäftsjahr zu erstellen, über den die HV Beschluss zu fassen hat. Alle vier Jahre hat die HV darüber hinaus über die Vergütungspolitik in der Zukunft zu entscheiden.

Im Mannesmann-Prozess waren Mitglieder des Aufsichtsrats der Mannesmann- 1034 AG angeklagt, weil sie nach der Übernahme der Gesellschaft durch die Vodafone AirTouch Plc nachträgliche Abfindungen („Anerkennungsprämien“ oder „appreciation awards“) an ausscheidende Vorstandsmitglieder gewährt hatten. Das LG Düsseldorf1663 hat die Unzulässigkeit der Abfindungen wegen Überschreitung des in § 87 I AktG eingeräumten Ermessens festgestellt. Der Aufsichtsrat habe die Bezüge für die Zukunft festzusetzen, dürfe aber nicht im Nachhinein die einmal getroffene und damit für die Gesellschaft gültige Festsetzung aufstocken. Die besonderen Voraussetzungen einer strafrechtlichen Untreue wurden aber nicht als erfüllt angesehen. Aus Sicht einiger Angeklagter habe es an dem in der Rechtsprechung anerkannten Merkmal der gravierenden

_____ 1661 Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten vom 16.12.2013, , BGBl I S 4270, Novelle verkündet im BGBl vom 4.11.2017. 1661a Nach SZ vom 30.11.2017 S 19 bringt die Deutsche Bank ihre Deutsche Asset Management Abteilung (DeAM) an die Börse, um die Manager von den Boni-Beschränkungen der IVV zu befreien. 1662 O Rn 156. Zum Vergütungssystem des AktG und zu den Ansätzen für eine Reform in der Änderungs-RL zur AR-RL Habersack, NZG 2018, 127. 1663 ZIP 2004, 2044. Vom Urteil im Strafverfahren zu unterscheiden das Urteil OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791 (Mannesmann/Vodafone) auf die Klage des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Mannesmann auf Schadensersatz, insbesondere Schmerzensgeld wegen Amtspflichtverletzung durch Einleitung des Ermittlungsverfahrens und dessen Behandlung in der Öffentlichkeit.

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Pflichtverletzung gefehlt, für andere sei ein entschuldbarer Verbotsirrtum anzunehmen1664. Der BGH hat das Urteil aufgehoben. Er hat in der Gewährung der nachträglichen Vergütung, ohne dass die Sonderzahlung der Gesellschaft einen „zukunftsbezogenen Nutzen“ bringe1665, eine Verletzung der organschaftlichen Vermögensbetreuungspflicht gesehen, die nicht noch zusätzlich gravierend sein müsse. Auch die Voraussetzungen eines Verbotsirrtums hat er verneint1666. Vor dem LG Düsseldorf ist es sodann zu einem der in Wirtschaftsstrafsachen an Häufigkeit zunehmenden „Deals“ gekommen. Das Gericht hat das Verfahren unter der Auflage von Zahlungen in Höhe von insgesamt 5,6 Mio Euro eingestellt1667. Bei der Diskussion über die Angemessenheit der Vorstandsbezüge ist zu 1035 berücksichtigen, dass der Gesetzgeber des VorstOG immerhin für Offenlegungspflichten gesorgt hat, so dass Anleger sich informieren können. In einem Anhang zum Jahres- bzw Konzernabschluss oder im Lagebericht sind die Gesamtbezüge anzugeben (§ 285 1 Nr 9 a) mit Abmilderung für nicht börsennotierte Gesellschaften in § 286 IV HGB, zur Alternative des Lageberichts § 289 II Nr 5 a) HGB, zum Konzernanhang und –lagebericht §§ 314 I Nr 6 a), 315 II Nr 4 HGB).

_____ 1664 Eine gravierende Pflichtverletzung sei nicht gegeben, wenn und soweit die Ertrags- und Vermögenslage der AG gut sei, Bestand und Rentabilität nicht gefährdet würden, die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen sorgfältig ermittelt seien, die innerbetriebliche Transparenz und die Zuständigkeitsverteilung gewahrt seien und die Mitglieder des zuständigen Gremiums der AG keine sachwidrigen Motive verfolgten. Auch das Einverständnis des Mehrheitsaktionärs mit den Leistungen wirke unrechtsmindernd. Zum Fall Mannesmann Hüffer Beilage 7 zu BB 2003 (Gutachten für einzelne der Angeklagten); Brauer, NZG 2004, 502; Kort, NJW 2005, 333. Zur strafrechtlichen Beurteilung vor dem Urteil Rönnau/Hohn, NStZ 2004, 113; zum Urteil Anm Tiedemann, ZIP 2004, 2056. Zur Problematik erfolgsabhängiger Vergütungen Binz/Sorg, BB 2002, 1273; Brauer, NZG 2004, 502; Kort, NJW 2005, 333. Zur Frage, ob aufgrund der vom LG Düsseldorf festgestellten aktienrechtlichen Lage wenigstens zivilrechtliche Ansprüche gegen die beteiligten Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder geltend zu machen sind, Brauer/Dreier, NZG 2005, 57. 1665 Möglichkeiten solcher Nutzenwirkungen bei Bauer/Arnold, DB 2006, 546. 1666 JZ 2006, 560 mit Anm Vogel/Mocke. Zu dem Urteil Fleischer, DB 2006, 542. Das Urteil ist nicht sehr disziplinierend, weil es bei dienstvertraglicher Vereinbarung jährlicher variabler Vergütungsbestandteile eine nachträgliche Gewährung innerhalb der Angemessenheitsgrenze des § 87 I AktG für zulässig erklärt und daraufhin inzwischen wohl alle Vorstandsverträge entsprechend umgestellt worden sein dürften. Zur weitgehenden Nichtbetroffenheit von Change Of Control-Klauseln (Abgeltung der Vorstandsbezüge wegen vorzeitigen Ausscheidens aufgrund des Kontrollerwerbs durch neuen Mehrheitsaktionär) Dauner-Lieb, DB 2008, 567. Brand, AG 2007, 681 misst einem Einverständnis aller Aktionäre tatbestandsausschließende Wirkung zu, soweit nicht die Deckung des Grundkapitals und der gesetzlichen Rücklagen betroffen ist. 1667 Zu den zivilrechtlichen Folgen der festgestellten Strafbarkeit Kort, DStR 2007, 1127.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 585

Die HV kann die Publizierung durch einen Beschluss mit Dreiviertelmehrheit ablehnen (§§ 286 V, 314 III 1 HGB).

e. Amts- und Vertragsende Das Amt des Vorstandsmitglieds endet durch Zeitablauf oder dadurch, dass der 1036 Betreffende sein Amt freiwillig niederlegt1668. Nach § 84 III 1 AktG kann der Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied (auch des ersten Vorstands nach § 30 IV AktG, § 84 III 3 AktG) aus wichtigem Grund abberufen („die Bestellung widerrufen“). Bei zunächst nur substantiiert begründetem Verdacht eines wichtigen Grundes ist das mildere Mittel einer Suspendierung (vorläufiger Ausschluss von der Amtsausübung) zulässig1668a. Abberufung und Suspendierung können ebenso wenig wie die Bestellung durch einen Aufsichtsratsausschuss beschlossen werden (§ 107 III 2 mit § 84 III 1), erforderlich ist ein Mehrheitsbeschluss des gesamten Aufsichtsrats. Auch hier gilt der Vorbehalt für die Spezialregelung des Mitbestimmungsrechts (§ 84 IV AktG; s § 31 V MitbestG für den Vorstand generell, § 13 I 3 MontanmitbestG für den Arbeitsdirektor). Gründe für den Widerruf sind nach § 84 III 2 AktG grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit1669. Auch ein Vertrauensentzug durch die HV ist ein wichtiger Grund (problematisch, wenn in der HV ein Mehrheitsaktionär herrscht), freilich ist ein Beschluss dann nicht relevant, wenn dem Entzug offenbar unsachliche Gründe zugrunde liegen1670. Auch bei Vorliegen wichtiger Gründe – dies gilt auch bei einem relevanten HV-Votum – hat der Aufsichtsrat noch Ermessen. Gegen die Abberufung kann das betroffene Vorstandsmitglied klagen. Der Widerruf ist aber wirksam, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist (§ 84 III 4 AktG). Liegt ein Widerrufsbeschluss vor (oder wird er analog § 244 AktG nachgeholt), so ist statt einer Feststellungklage nur eine Gestaltungskla-

_____ 1668 Die Niederlegung ist durch einseitige Erklärung gegenüber dem Aufsichtsrat (§ 112 AktG) möglich. Die hM macht die Niederlegung mit Recht nicht davon abhängig, ob wichtige Gründe dazu bestehen. Sie schränkt aber dahin ein, dass nicht zur Unzeit niedergelegt werden könne (Deilmann, NZG 2005, 54 f). Auch dies sollte aber allein für eventuelle Schadensersatzpflichten im Rahmen des Anstellungsverhältnisses relevant sein. 1668a Mit der Frage, ob es auch das mildere und vorläufige Mittel der Suspendierung gibt, beschäftigt sich Dörrwächter, NZG 2018, 54. 1669 Aber ein wichtiger Grund ist auch die Ankündigung der Hausbank, eine wegen Insolvenzreife überlebenswichtige Kreditlinie nicht zu verlängern, wenn ein bestimmtes Vorstandsmitglied im Amt bleibe, BGH NJW-RR 2007, 369. 1670 Dazu BGH WM 2017, 298: Offenbar unsachlich nicht schon dann, wenn Gründe der HV sich als unzutreffend herausstellen. Der HV-Beschluss muss nicht begründet werden. Anhörung des Vorstands grundsätzlich keine Wirksamkeitsvoraussetzung des Widerrufs der Bestellung.

586 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

ge zulässig. Die Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag werden durch § 84 AktG nicht berührt (§ 84 III 5 AktG). § 84 III 5 verweist auf die allgemeinen Vorschriften, es gilt also insbesondere § 626 I BGB. Was die Beendigung der Anstellung betrifft, ist in dem Widerruf der Be1037 stellung häufig die Kündigung des Anstellungsvertrages konkludent enthalten. Der BGH lässt sogar die Bedingtheit des Dienstvertrages durch die Organstellung zu. Die Folge sei die Beendigung des Dienstvertrags zum Ablauf des Monats nach dem Widerruf1671. An der Entscheidung wird zu Recht Kritik geübt1672: Gerade die Trennung zwischen Anstellung und Organstellung ist der Ausgleich für die sofortige Wirkung des Widerrufs nach § 84 III 4 AktG. Die Unterschiedlichkeit kommt in der folgenden Fallgestaltung zu rechtlicher Wirksamkeit: Werden Vorstandsmitglieder aufgrund des Vertrauensentzuges durch die HV abberufen, ist die Abberufung grundsätzlich wirksam, vorbehaltlich der offenbaren Unsachlichkeit des Beschlusses. Dagegen trifft hinsichtlich der Kündigung des Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund die Beweislast für den wichtigen Grund die Gesellschaft. Betreffend die Kündigung sind wegen der Eingehung des Dienstverhältnis1038 ses auf Zeit die Vorschriften der §§ 621, 622 BGB über die ordentliche Kündigung nicht anwendbar (§ 620 I BGB). Die Kündigung des Dienstvertrags kann zwar wie sein Abschluss durch einen Aufsichtsratsausschuss beschlossen werden, er wird aber wirksam nur durch Erklärung des Aufsichtsrats (§ 112 AktG). Wird dem Vorstandsmitglied die Kündigung nur durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats mitgeteilt, so findet § 174 BGB Anwendung über die Möglichkeit der Zurückweisung der einseitigen Erklärung eines Vertreters, wenn keine Vollmachtsurkunde vorgelegt wird und der Empfänger auch nicht von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt ist1673.

f. Organisation des Vorstands 1039 Bei einem mehrköpfigen Vorstand steht, von der Sonderzuständigkeit des Ar-

beitsdirektors abgesehen, die Geschäftsführung nach § 77 I 1 AktG grundsätzlich

_____

1671 BGH WM 1989, 1246 (letzteres analog § 622 aF BGB). Zu der Entscheidung Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809. 1672 Eckardt, AG 1989, 431. 1673 OLG Düsseldorf AG 2004, 321. Was die Bevollmächtigung selbst betrifft, reicht nach Auffassung des Senats die bloße Stellung als Aufsichtsratsvorsitzender nicht aus. Vielmehr bedürfe dieser einer besonderen Ermächtigung, die bspw durch die Satzung, die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats oder im Einzelfall durch Beschluss des Aufsichtsrats erteilt werden könne (daraus wird man dann auch zumindest die Inkenntnissetzung des Erklärungsgegners nach § 174 S 2 BGB ableiten).

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 587

allen Mitgliedern gemeinsam zu (Prinzip der Gesamtgeschäftsführung). Die Satzung oder die Geschäftsordnung1674 können aber etwas anderes bestimmen. In Betracht kommen das Mehrheitsprinzip oder eine Ressortaufteilung nach Funktionen (Produktion, Einkauf, Finanzwesen etc) oder die sog Divisionalisierung (Aufteilung nach Sparten, dh in Unternehmensbereiche)1675. Möglich ist auch die Verselbstständigung in Tochtergesellschaften, so dass die Mutter möglicherweise als Holding übrig bleibt. Werden Bereiche in Tochtergesellschaften ausgegliedert, können dieselben Personen dort und im Vorstand der Mutter sitzen, wenn beide Aufsichtsräte zustimmen (§ 88 I 2 AktG). Ein aus mehreren Mitgliedern bestehender Vorstand entscheidet durch Be- 1040 schluss, aufgrund der Satzung oder Geschäftsordnung (dazu § 77 II) durch Mehrheitsbeschluss (§ 77 I 2 AktG). Ausgeschlossen ist die Regelung des positiven Durchsetzungsrechts eines Vorstandsmitglieds (§ 77 I S 2 Hs 2 AktG). Die Regelung schließt nach ihrem Wortlaut die Möglichkeit eines Vetorechts, aber auch eines Stichentscheids bei Stimmengleichheit im Vorstand nicht aus1676. Ein Vetorecht des Vorsitzenden ist jedoch, sofern es in der mitbestimmten AG auch im Arbeitsbereich des Arbeitsdirektors gelten soll, mit der Stellung des Arbeitsdirektors unvereinbar1677. Was sodann die Satzungsregelung eines Stichentscheids betrifft, wird diese – unabhängig von der Frage der Mitbestimmung –

_____ 1674 Zur Geschäftsordnung s § 77 II AktG (Satzung kann dem Aufsichtsrat überlassen, ohne Überlassung kann der Aufsichtsrat erlassen und bei dessen Untätigkeit der Vorstand selbst, die Satzung kann Einzelheiten festlegen). 1675 Weitere Einzelheiten bei Raiser/Veil § 14 Rn 23 ff. Nach dem Geschäftsbericht 2007 der Siemens AG war das Unternehmen in dem damaligen Zeitpunkt in fünf Zentralabteilungen (Corporate Development, Corporate Finance, Corporate Legal and Compliance, Corporate Personnel, Corporate Technology) und zwölf sog Bereiche gegliedert (Schwerpunkte: Industry, Energy, Healthcare). Der Vorstandsvorsitzende hatte die Leitung der Zentralabteilung Corporate Development inne und betreute die Zentralstelle Corporate Communications and Government Affairs. In der Geschäftsordnung von 2002, nach der Zentralabteilungen (allgemeine Richtlinienkompetenz, Kontrollpflichten, Koordinationsaufgaben) und Bereiche (Träger des Geschäfts) unterschieden werden und die nähere Bestimmung dem Aufsichtsrat zukommt, sind die folgenden Zuständigkeiten bei den 11 Mitgliedern des Vorstandes loziert: neben der Länderbetreuung Europa, Asien, Australien, Afrika, Naher und Mittlerer Osten, GUS die Tätigkeitsfelder Automation and Drives, Industrial Solutions and Services, Transportation Systems, Siemens Building Technologies, OSRAM GmbH, Medical Solutions, Siemens IT Solutions and Services, Siemens VDO Automotive, Siemens Financial Services GmbH, Siemens Real Estate, Corporate Communications and Government Affairs, Corporate Information Office, Corporate Supply Chain and Procurement, Global Shared Services, Managment Consulting Personnel. 1676 Vgl Hüffer/Koch § 77 Rn 12. 1677 BGHZ 89, 48, 59.

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bei einem zweigliedrigen Vorstand als problematisch angesehen1678. Aber gerade in diesem Fall muss die Funktionsfähigkeit des Organs durch die Möglichkeit der Bestellung eines Vorsitzenden mit der Befugnis zum Stichentscheid gesichert werden1679. Verstößt ein Beschluss des Vorstands gegen das Gesetz (etwa gegen die 1041 Pflicht zu ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleitung, § 93 I 1 AktG) oder gegen die Satzung1680, so ist der Beschluss nichtig. Das Feststellungsinteresse zur Erhebung der Nichtigkeitsfeststellungsklage haben zunächst die überstimmten Vorstandsmitglieder selbst. Nur bei einem Eingriff in die Rechte der Aktionäre kommt das Feststellungsinteresse auch dem Aktionär zu. Darüber hinaus ist aufgrund seiner Überwachungs- und Vertretungsbefugnis (§§ 111 I, 112 AktG) auch der Aufsichtsrat befugt, im Namen der Gesellschaft Nichtigkeitsfeststellungsklage zu erheben.

g. Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis (1) Die Kompetenz des Vorstands nach der gesetzlichen Regelung: Leitungsmacht und -pflicht 1042 Oben1680a war die Leitungsverpflichtung des Vorstands als einheitliche, in drei Richtungen zu entfaltende Pflichtenstellung charakterisiert. Wir kommen jetzt zur zweiten Komponente der Pflichtenstellung: der Geschäftsführungskompetenz des Vorstands. § 78 I AktG sagt zu der Vertretungsmacht als deren Teil: Der Vorstand vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Von der Vertretungsmacht ist weiter unten zu handeln1681. Hier ist die Leitungsmacht und -pflicht, dh die Geschäftsführungsbefugnis und –verantwortung zu entwickeln. Die Leitungskompetenz des Vorstands nach § 76 I AktG bedeutet erstens, dass der Vorstand die umfassende Zuständigkeit, aber auch Verpflichtung zur (eigenen!) Bestimmung der Strategie und der einzelgeschäftlichen Tätigkeit der Gesellschaft hat. Der Rahmen wird durch den Unternehmensgegenstand und die gegebene Struktur der AG bestimmt, der Vorstand kann hier Änderungen nur in die Wege leiten. Zweitens bedeutet § 76 I AktG, dass der Vorstand, wenn er aus mehreren Mitgliedern besteht, die soeben zum Thema der Organisation be-

_____ 1678 S bereits o Rn 66. 1679 Raiser/Veil § 14 Rn 16. 1680 So bei „Satzungsunterschreitung“, dh Maßnahmen, die dauerhaft die Ausfüllung des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands ausschließen (etwa Veräußerung von Unternehmensaktivitäten, die zum Unternehmsgegenstand gehören, LG Köln AG 2008, 327, 331. 1680a Rn 1025. 1681 Rn 1080 ff.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 589

zeichnete Leitung als Kollegialorgan mit grundsätzlich geltender Gesamtgeschäftsführungsbefugnis innehat (Abweichungsmöglichkeiten nach S 1 und Abs 2 des § 77 AktG).

(2) Der Inhalt der Geschäftsführungsbefugnis Die oben1682 aufgeführten Pflichten des Vorstands sind zugleich Inhalt seiner 1043 Geschäftsführungsbefugnis. Nach ihrem allgemeinen Inhalt ist die Geschäftsführungskompetenz nach 1044 wie vor unter den Grundsatz gestellt, den § 70 I AktG 1937 in NS-Terminologie wie folgt ausgedrückt hatte: „Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es erfordern“. Terminologisch gereinigt, bedeutet dies die Führung des Unternehmens im Unternehmensinteresse. Dies schließt die Wahrung insbesondere öffentlicher Interessen und von Arbeitnehmerinteressen ein1683. Die Maßnahmen des Vorstands sind also nicht an der Messlatte unmittelbarer Geldrechnung zu messen, vielmehr gehört es zur eigenverantwortlichen Ermessensausübung des Vorstands, auch soziale, karitative oder unternehmenspolitische Aufwendungen zu tätigen. Dies ist auch für die Sorgfaltspflicht des Vorstands gemäß § 93 zu berücksichtigen. Dort ist inzwischen nach amerikanischem Vorbild die business judgment rule eingefügt (§ 93 I 2 AktG). Das Unternehmensinteresse ist eine multidimensionale und dynamische 1045 Größe, die nicht abstrakt und auch, was die konkrete Situation betrifft, nur in Bezug auf Extrempositionen festgelegt werden kann. Sichere Verletzungsgründe sind die Verletzung der Rechtsordnung, weiter die Unterlassung sachgemäßer Planung und die Unterlassung der nach der wirtschaftlichen Erfahrung erforderlichen Kontrollen von Mitarbeitern bei der Umsetzung1684.

_____ 1682 Rn 1026 ff. 1683 S. Ziff 4.1.1 DCGK. S ebenso schon die Formulierung von Flume I/2 § 2 VII 3 S 58: „Ist das Unternehmensinteresse ein selbstständiges Moment, welches den Bestand des Unternehmens als einer wirtschaftlichen, dh auf Rentabilität ausgerichteten Leistungseinheit zum Gegenstand hat, so gilt andererseits für die Verfolgung des Unternehmensinteresses, dass der Bestand des Unternehmens als wirtschaftliche Leistungseinheit idR nur zu wahren ist, wenn alle beteiligten Interessen beachtet werden“. Neuzeitlich-modisch spricht man von der Corporate Social Responsibility. Zu dieser s die Mitteilungen der Europäischen Kommission unter dem Titel „A Business Contribution to Sustainable Development“ COM 2002, 347 final (2002) und jetzt das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, oben Rn 143a. 1684 Für diese Kontrolle hat sich – ebenfalls in Anlehnung an das amerikanische Recht – der Begriff der Corporate-Compliance-Verantwortung gebildet, Fleischer, NZG 2004, 1129, 1131. Der

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Zu darüber hinaus unzulässigen Handlungen, die allein als Beispiele für einen Ermessensmissbrauch genannt werden können, gehören Spenden für bestimmte politische Richtungen, die nicht aus einem objektivierbaren Unternehmensinteresse heraus motivierbar, vielmehr nur aus der eigenen Auffassung der Vorstandsmitglieder begründet sind1685.

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Als Beispiel der Verletzung des Unternehmensinteresses ist der Fall Fruehauf-France aus der französischen Rechtsprechung anzuführen, den Flume berichtet1686. Die französische Gesellschaft Fruehauf-France, an welcher eine amerikanische Gesellschaft zu 70% beteiligt war, hatte mit einem ihrer Hauptabnehmer, mit dem sie 40% des Umsatzes tätigte, einen Vertrag über die Lieferung von Lastwagen abgeschlossen, die vom Abnehmer zur Lieferung in die Volksrepublik China bestimmt waren. Auf Veranlassung des amerikanischen Handelsministeriums verlangte die amerikanische Gesellschaft aufgrund ihrer 70%-igen Beteiligung, dass die französische Gesellschaft den Vertrag storniere. Auf Antrag der Minderheitsaktionäre hat die Cour de Commerce die amerikanisch bestimmte Mehrheit des Verwaltungsrats abgesetzt und einen Mandataire de Justice eingesetzt, damit nicht im Interesse des Mehrheitsgesellschafters das Unternehmen ruiniert werde. Auch für das deutsche Recht wäre hier die Verpflichtung des Vorstands zur Übergehung des Interesses des Gesellschafters um des Interesses der Gesellschaft willen zu bejahen. Nicht nur über die Vertragserfüllung, sondern auch schon über den Vertragsabschluss wäre ausschließlich nach Maßgabe des Unternehmensinteresses zu befinden gewesen. Nur nachteilige Rückwirkungen auf sonstige Geschäftsverbindungen oder die öffentliche Reputation des Unternehmens hätten bei sonst bestehender Lukrativität des Geschäfts einen Fall von Ermessensmissbrauch im Vorstand ausgeschlossen.

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(3) Beschränkungen der Leitungsmacht 1049 Die erste grundsätzliche Schranke der Leitungsmacht ist die selbstverständlich

mit ihr verbundene Pflichtgebundenheit und Verantwortlichkeit des Vorstands. Diese ist näher zur Haftung des Vorstands nach § 93 AktG zu entwickeln. An dieser Stelle sind die abstrakten, institutionellen Schranken aufzuzeigen: Solche sind nach § 82 II AktG neben dem Gesetz die Satzung, Maßgaben des Aufsichtsrats, der Hauptversammlung, Bestimmungen in den Geschäftsordnungen des Vorstands und des Aufsichtsrats. Wichtig ist der Zusatz „im Rahmen der

_____

Sorgfaltsmaßstab des § 93 I AktG ist auch für die Haftung des herrschenden Unternehmens im faktischen Konzern (§ 317 II AktG) maßgeblich. Zu seiner Anwendung in diesem Rahmen s das UMTS-Urteil des BGH NJW 2008, 1583 mit Besprechung Altmeppen, NJW 2008, 1553; Fleischer, NZG 2008, 371. 1685 Schlagendes Beispiel die Spende an den SSV Reutlingen, dessen Präsident das spendende Vorstandsmitglied war (BGHSt 47, 187). Fleischer entnimmt dafür dem amerikanischen Recht den Begriff der „pet charities“ (NZG 2004, 1129, 1132). 1686 I/2 § 2 VII 3 S 59 f. Gleiche Problematik bei Däubler im Hinblick auf das von Präsident Reagan verhängte Embargo gegen das Erdgasröhrengeschäft, ZRP 1982, 285.

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Vorschriften über die Aktiengesellschaft“. Etwa kann nach § 119 II AktG die HV über Geschäftsführungsfragen nur entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt1687. Was den Aufsichtsrat betrifft, kann der Vorstand nur durch Zustimmungsvorbehalte für den Aufsichtsrat beschränkt sein (§ 111 IV 2 AktG). Nach der Neufassung des § 111 IV 2 AktG hat die Satzung oder der Aufsichtsrat einen Zustimmungsvorbehalt einzurichten. Die Verweigerung einer Zustimmung durch den Aufsichtsrat, soweit die Zustimmung vorbehalten ist, ist überwindbar durch einen 3/4-Mehrheitsbeschluss der HV (§ 111 IV 3, 4 AktG). Handelt der Vorstand unter Übergehung des Zustimmungsvorbehalts, so ist der Akt des Vorstands nach außen wirksam, der Vorstand macht sich aber schadensersatzpflichtig nach §§ 82 II, 93 AktG. Ein Zustimmungsvorbehalt heißt keineswegs, dass der Aufsichtsrat ge- 1050 schäftsführungskompetent wird. Der Aufsichtsrat hat nur ein Verhinderungsrecht. Dies ergibt sich aus folgenden Feststellungen: 1.

2.

Der Zustimmungsvorbehalt ist für Einzelfälle zu bestimmen (Grundstücksgeschäfte, 1051 Bürgschaften, die Erteilung einer Prokura etc). Ein Zustimmungsvorbehalt kann nicht iS einer Zuständigkeitsverschiebung auf den Aufsichtsrat lauten. Der Zustimmungsvorbehalt stellt eben nur unter den Vorbehalt der Zustimmung. Die Anregung und Durchführung der Maßnahme bleiben beim Vorstand, dh auch in dessen Verantwortung (s § 93 IV 2 AktG). Der Zustimmungsvorbehalt bedeutet keine Weisungskompetenz. Demgegenüber muss der Vorstand, wenn er nach § 119 II AktG einen Beschluss der HV einholt, diesen nach § 83 II AktG befolgen. Der HV-Beschluss entlastet den Vorstand nach § 93 IV 1 AktG aber auch von der Haftung gegenüber der Gesellschaft.

Wenn § 119 II AktG bestimmt, dass die HV über Geschäftsführungsfragen nur 1052 entscheiden kann, wenn der Vorstand es verlangt, so sind Eigeninitiativen aus der HV im Geschäftsführungsbereich in Konkurrenz zum Vorstand ausgeschlossen. Deshalb kann es auch nicht zu einer wirksamen Beschlussfassung der HV in dem Sinne kommen, dass ein solcher Beschluss für den Vorstand Verbindlichkeit und Haftungsentlastungswirkung nach § 93 IV 1 AktG hätte1688. Der Mangel der Verbindlichkeit und der Entlastungswirkung folgt schlicht daraus, dass ein solcher HV-Beschluss nach § 241 Nr 3 AktG nichtig wäre. Schranken der Satzung enthält insbesondere die Festlegung des Unter- 1053 nehmensgegenstands (§ 23 III Nr 2 AktG). Diese darf nicht zu eng sein, wenn

_____ 1687 Der Vorstand hat der HV in diesem Fall alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die für eine sachgerechte Beschlussfassung benötigt werden, BGHZ 146, 288. 1688 Davon handelt K. Schmidt/Lutter/Spindler. Kom AktG 2008, § 119 Rn 25 mN.

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von der Leitungsmacht des Vorstands noch etwas übrig bleiben soll. Gegenstandsfremde Hilfsgeschäfte von nachgeordneter Bedeutung sieht der BGH als zulässig an1689.

(4) Holzmüller-Doktrin 1054 In der berühmten Holzmüller-Entscheidung1690 hat der BGH die Auffassung ent-

wickelt, dass es ausnahmsweise eine Pflicht des Vorstands geben kann, ein Votum der HV einzuholen1691. 1055

Sachverhalt: Die Beklagte ist 1795 als Familienunternehmen für Holzhandel und -vermakelung gegründet worden, 1916 ist sie in eine AG umgewandelt worden. Die Beklagte hat ein Gelände am Hafen von Wilhelmshaven gepachtet, 1967 hat sie die vollen Umschlagsrechte (über den Holzbetrieb hinaus) erhalten. Der Seehafenbetrieb der Bekl entwickelte sich zu einem weitgehend verselbstständigten Betriebsteil. Der Vorstand hat eine Änderung der Satzung durchgesetzt. Danach ist die Bestimmung des Gegenstands des Unternehmens dahingehend ergänzt worden, dass die AG ihren Betrieb ganz oder teilweise anderen Unternehmen überlassen kann. Sodann hat der Vorstand den Seehafenbetrieb rechtlich verselbstständigt. Er hat (in der damaligen Zeit geschah dies noch mittels eines Strohmanns) eine 100%-ige GmbH-Tochter und mit dieser als Komplementärin zusammen eine KGaA gegründet mit den Kommanditanteilen in den Händen der Bekl. Der Vorstand hat den Seehafenbetrieb im Austausch gegen die Kommanditanteile eingebracht. Nach der Satzung der KGaA konnte die GmbH als Komplementärin das Kapital der KGaA unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre erhöhen. Ein Aktionär klagt auf Feststellung der Nichtigkeit der Ausgliederungsgeschäfte, hilfsweise auf Rückabwicklung, hilfsweise auf Feststellung, dass die verklagte AG in ihrer Eigenschaft als Alleingesellschafterin der KGaA verpflichtet sei, die Zustimmung der HV der AG zu allen Maßnahmen in der KGaA, für die es einer 3/4-Kapitalmehrheit bedürfe, insbesondere zu Kapitalerhöhungsmaßnahmen, einzuholen.

1056 Das OLG Hamburg hat die Klage abgewiesen. Das Gericht prüft zunächst

§ 361 aF AktG (Zustimmungserfordernis bei Vermögensübertragung)1692. Die Vorschrift sei nicht einschlägig, da immerhin ein Teil der Aktiva (7,5 Mio DM von

_____ 1689 BGHZ 144, 290, 293 (Lizenzgeschäfte mit Namen und Logo zur Werbung für die Produkte des Unternehmens). 1690 BGHZ 83, 122. Dazu eingehend Brauer Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer Aktiengesellschaft 2005 S 93 ff. Zur Problematik außerdem ders Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005 – Fall 8. 1691 Zur Ausdehnung der sog Holzmüller-Doktrin auf die KGaA OLG Stuttgart AG 2003, 527. Reiche weitere Nachw bei Raiser/Veil § 16 Rn 110 ff. 1692 Der Vorschrift entspricht heute § 179a AktG, der gilt, sofern nicht Vorschriften des UmwG eingreifen.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 593

rund 23 Mio DM)1693 noch zurückgeblieben war, so dass das Restunternehmen der Bekl selbstständig weiterführbar sei1694. Es handle sich auch nicht um eine faktische Änderung des Unternehmensgegenstandes, weil es sich nicht um eine Aufgabe der Geschäftstätigkeit in einem Bereich des Unternehmensgegenstandes handele; nach Auffassung des OLG wird nur aus unmittelbarem ein mittelbares Betreiben des Seehafengeschäfts gemacht1695. In Frage komme, eine faktische Satzungsänderung unter dem Gesichtspunkt der Konzernbildung anzunehmen (fusionsgleicher Tatbestand). Dann könnten entsprechende Erfordernisse (zB Zustimmung der HV) in der herrschenden Gesellschaft begründet sein. Dieses neue große Thema war nach Ansicht des OLG noch zu sehr im Fluss und wirtschaftlich noch zu wenig überschaubar, als dass die Rechtsprechung vorpreschen könne. Außerdem sei eine Rückwirkung im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip zu befürchten1696. Einen besseren Erfolg hat der Kl durch die Revisionsentscheidung des BGH erzielt1697. Der BGH bejaht die Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit nach § 256 ZPO. Sachlich erklärt der BGH die Nichtigkeitsfeststellungsklage für nicht begründet. Insbesondere liege keine der Zustimmung der HV bedürftige Vermögensübertragung nach § 361 aF AktG1698 vor. In der Ausgliederung sei auch keine faktische Satzungsänderung zu sehen. Für einen die Ausgliederung deckenden Wortlaut der Satzung hatte der Vorstand ja zuvor gesorgt1699. Es stelle sich allerdings die Frage, ob der Vorstand entgegen seinem grundsätzlichen Ermessen, das ihm die Vorschrift des § 119 II AktG einräume, hier ausnahmsweise die HV hätte befragen müssen. Unter Umständen sei die Verpflichtung zur Befragung der HV bei ähnlich grundlegenden Eingriffen in die Mitgliedschaftsrechte begründet, wie die §§ 361 aF, 293 AktG sie regelten1700. Die Abspaltung des Seehafenbetriebs sei ein so grundlegender Eingriff, dass der Vorstand nicht habe annehmen dürfen, die Maßnahme ausschließlich in eigener Verantwortung treffen zu können1701.

_____ 1693 1694 1695 1696 1697 1698 1699 1700 1701

LG Hamburg AG 1980, 201. OLG Hamburg JZ 1981, 231, 232. OLG Hamburg JZ 1981, 231, 232 f. OLG Hamburg JZ 1981, 231, 233 f. BGHZ 83, 122. Zu der Entscheidung Flume I/2 § 8 V 4 S 309 ff; Rehbinder ZGR 1983, 92. Jetzt §§ 174 ff UmwG, 179a AktG. BGHZ 83, 122, 128–130. BGHZ 83, 122, 131. BGHZ 83, 122, 131 f.

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Die Verletzung der internen Sorgfaltspflicht des Vorstands führe aber nicht zur Nichtigkeit der Ausgliederung im Außenverhältnis. Die KGaA sei durch Sachgründung vollendet worden und deshalb seien auch außenstehende Gläubiger der KGaA betroffen seien. Eine Rückgängigmachung der Sacheinlage ohne Kapitalherabsetzung oder Auflösung der Gesellschaft, einfach wegen Verneinung der Vertretungsmacht, komme damit nicht in Betracht1702. Was sodann die Klage auf Rückführung des Seehafenbetriebs betreffe, sei diese zwar zulässig. Das Klagerecht dürfe aber nicht missbräuchlich ausgeübt werden. Der Aktionär dürfe seine Klage nicht unangemessen verzögern. Entsprechend der Frist für die Anfechtungsklage gegen Beschlüsse der HV dürfe im Fall von Geschäftsführungsmaßnahmen das Vorgehen mit der Leistungsklage nicht außer Verhältnis zu der für Anfechtungsklagen geltenden Frist stehen. Aus diesem Grunde sei dem Kl, der die Klage auf Wiederherstellung des früheren Zustands lange hinausgezögert habe, dieses Ziel zu versagen1703. Sodann prüft der BGH die Klage auf Feststellung der Verpflichtung, die Zustimmung der HV der Bekl dann einzuholen, wenn die Beklagte (durch Ausübung der Anteilsrechte durch den Vorstand) an Beschlüssen der KGaA teilnehmen wollte, für die es der 3/4-Mehrheit bedarf. In der Literatur ist nach dem verbreiteten Stichwort die Frage der „konzernspezifischen Binnenordnung“ gestellt worden1704. Diese Ansätze greift der BGH für den von ihm zu entscheidenden Fall, dass eine 100%-ige Tochter gegründet und mit dem wertvollsten Betriebsvermögen der Bekl ausgestattet wird, auf. Hier müsse eine weitere Schmälerung der Aktionärsrechte durch die Vertretungsmacht des Vorstands in der Untergesellschaft abgewehrt werden1705. Der dem Kl zu gewährende Schutz sei durch Beteiligung der Gesellschafter der Obergesellschaft an Entscheidungen der Untergesellschaft zu erreichen,

_____ 1702 BGHZ 83, 122, 132. Scharfe Kritik an dieser Beschränkung des Schutzes der vertretenen Obergesellschaft auf deren Innenverhältnis bei Ekkenga/Schneider, ZIP 2017, 1053 ff. 1703 BGHZ 83, 122, 136. Für die rechtzeitige Geltendmachung der Gesetz- oder Satzungswidrigkeit von Geschäftsführungsmaßnahmen sind nach Flume I/2 § 8 V 4 S 312 dem Aktionär zwei Monatsfristen zu gewähren: 1. ab Kenntnis des Aktionärs vom Satzungs- oder Gesetzesverstoß, 2. ab dem Zeitpunkt, in dem der Aktionär dem Vorstand Gelegenheit gegeben hat, das Vorhaben zu ändern und der Vorstand dies abgelehnt hat. 1704 BGHZ 83, 122, 136 ff. Der BGH zitiert hierzu: Lutter, FS H. Westermann 1974, 364; U. H. Schneider Der GmbH-Konzern S 78, 95 ff; ders, FS Bärmann 1975, 888; ders, ZHR 143 (1979), 485, 498 ff betr die GmbH und die Personengesellschaft als herrschende Unternehmen, sowie Timm, AG 1980, 172, 182; ders Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze 1980 S 135 ff, S 165 ff. 1705 BGHZ 83, 122, 139.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 595

soweit diese grundlegend und für die Rechtsstellung der Obergesellschaft in der Untergesellschaft bedeutsam seien1706. Der Antrag des Kl gehe allerdings zu weit. Es gebe Satzungsänderungen ohne besondere Auswirkungen (Sitzverlegung im Inland, Firmenänderung, Regelung iS von § 111 IV AktG etc). Anders sei aber zu entscheiden hinsichtlich einer Weiterübertragung des Vermögens nach § 361 aF AktG, bei Kapitalerhöhungen, Unternehmensverträgen, Auflösungsbeschlüssen nach §§ 262 I Nr 2, 289 IV1707. Also sei nur der auf Kapitalerhöhungen zielende Hilfsantrag gerechtfertigt. 1068 Konkreter Anlass für den Antrag sei die Ermächtigung in der Satzung für die GmbH, die gerade auf die mögliche Gewinnung außenstehender Gesellschafter ziele. Der HV der Obergesellschaft müsse überlassen bleiben zu entscheiden, ob eine Kapitalerhöhung durchgeführt werde oder nicht, ob das Bezugsrecht ausgeschlossen werde oder nicht (insbesondere die Möglichkeit ergriffen werde, das Bezugsrecht zugunsten der Aktionäre der Obergesellschaft auszuschließen), und schließlich über die sachliche Rechtfertigung des Ausschlusses des Bezugsrechts zugunsten der Ausgabe der jungen Aktien gegen Sacheinlage1708 zu befinden1709. Diese Pflicht der Obergesellschaft, dass der Vorstand bei Kapitalerhöhun- 1069 gen in der Untergesellschaft jeweils einen Beschluss der Obergesellschaft nach §§ 182 ff AktG herbeiführe1710, müsse auf Antrag des Kl festgestellt werden1711. Die festgestellte Pflicht lasse freilich die Vertretungsmacht des Vorstands unberührt1712.

_____ 1706 Der BGH lässt dahingestellt, ob der Schutz entfallen kann, wenn die HV der Ausgliederung zugestimmt habe oder ob weitere Voraussetzungen aufgestellt werden müssten. Hinsichtlich weiterer Voraussetzungen s aber schon das Hoesch/Hoogovens-Urteil BGHZ 82, 188 und dazu Timm, JZ 1982, 403. Hier werden auf einen Vertrag über eine Vermögensübertragung nach § 361 aF AktG (jetzt § 179a AktG) die §§ 293 ff AktG analog angewandt, deshalb sei die Eintragung in das Handelsregister erforderlich. Weiterhin müsse das Entgelt nachgeprüft werden (der BGH meint: uU nach §§ 305 ff AktG, Timm will auf die Umgehung der Verschmelzungsvorschriften der §§ 339 f aF AktG abstellen). 1707 BGHZ 83, 122, 140 f. 1708 Diese sachliche Rechtfertigung ist notwendig nach BGHZ 71, 40 (Kali & Salz), s o Rn 594 mit Fn 847. 1709 BGHZ 83, 122, 141 ff. 1710 Zur Ergänzung der Vorlagepflicht des Vorstands um Informationspflichten, damit Grundlagen für einen ordnungsgemäßen Beschluss geschaffen werden, OLG Dresden AG 2003, 433. 1711 Eine Parallele ist die Gewährung des Einsichtsrechts des Kommanditisten einer GmbH & Co KG bei Ausgliederung eines Betriebs in die GmbH durch BGHZ 25, 115. Die Aktionäre der Muttergesellschaft haben aber kein Vorerwerbsrecht bei einem Börsengang des ausgegliederten Tochterunternehmens (zutreffend Habersack, WM 2001, 545; aA Lutter, AG 2001, 349). 1712 BGHZ 83, 122, 144.

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(5) Gelatine 1070 Der BGH hat Gelegenheit erhalten, seine hochkontroverse und in der Rechts-

praxis stark verunsichernd wirkende Rechtsprechung1713 von Grund auf zu überprüfen1714. Er hat sich, um das Ergebnis vorwegzunehmen, der anhaltenden Grundsatzkritik am Holzmüller-Urteil nicht gebeugt, sondern die HolzmüllerDoktrin neu begründet, die Holzmüller-Kriterien für „ungeschriebene Zuständigkeiten“ eingeschränkt und das Erfordernis der Zustimmung in den Holzmüller-Fällen präzisiert. Sehr viel sicherer ist die Rechtslage dadurch aber nicht geworden1715. 1071

Sachverhalt: Die bekl AG hält ua 100% der Geschäftsanteile an der G-GmbH, der schwedischen E-AB und der englischen D-Holdings Ltd. Die Ltd hat nur geringe wirtschaftliche Bedeutung für die Beklagte, die schwedische Gesellschaft trägt „nicht unerheblich“ zum Konzernergebnis bei. Die Anteile an der schwedischen und an der englischen Gesellschaft werden vom Vorstand der Bekl – ohne Mitwirkung der HV – im Wege einer Sachkapitalerhöhung in die G-GmbH eingebracht und mithin von der Tochter- auf die „Enkel“-Ebene verschoben. Diesen Schritt haben die Kl in einem anderen (bis zur Erledigung der vorgreiflichen Anfechtungsklage ausgesetzten) gerichtlichen Verfahren angefochten, sie fordern dort die Rückgängigmachung der Anteilsübertragung. Daraufhin hat der Vorstand der bekl Muttergesellschaft die angegriffenen Maßnahmen der HV zur Genehmigung vorgelegt. Die Genehmigung ist mit rund 633.700 zu 271.000 Stimmen (also rund 70%, unter den Gegenstimmen: die Stimmen der Kl) erteilt worden. Die Kl des ersten Verfahrens haben gegen diesen Beschluss Widerspruch zu Protokoll gegeben und Anfechtungsklage erhoben. Sie sind der Auffassung, der Beschluss habe der qualifizierten Mehrheit von 3/4 des

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1713 Überblick, insbes zu dem Versuch einer Gesamtanalogie zu den sog „Grundlagenkompetenzen“, bei GK-AktG/Mülbert, Kom AktG, 1992 ff, § 119 Rn 17 ff. Brauer Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer Aktiengesellschaft 2005 S 161 ff. legt das Kriterium der HV-Zuständigkeit bei Änderungen des Gesellschaftsvertrags zugrunde. 1714 BGHZ 159, 30 (Gelatine); weitere, weitestgehend textgleiche Entscheidung des BGH vom selben Tag in NZG 2004, 575 (Bezeichnung auch Gelatine). Dort ging es um eine noch geplante Verschiebung von Gesellschaftsanteilen aus einer Tochter- in eine Enkelgesellschaft. Zu den Urteilen Altmeppen, ZIP 2004, 999; Barta, GmbHR 2004, R 289 ff; Bungert, BB 2004, 1345; Fleischer, NJW 2004, 2335; Fuhrmann, AG 2004, 339; Götze, NZG 2004, 585; Simon, DStR 2004, 1482, 1528. Insbes zu „Holzmüller“-Informationspflichten des Vorstands gegenüber der HV (§ 124 II 2 2. Var AktG analog) im Lichte der Gelatine-Entscheidung Weißhaupt, AG 2004, 585. 1715 Die Unsicherheit der durch die neue Rechtsprechung angestoßenen Rechtslage zeigt das Verfahren betr den Erwerb der Dresdner Bank durch die Commerzbank: Ein Entlastungsbeschluss der HV der Bank war angefochten, weil Vorstand und Aufsichtsrat es unterlassen hatten, die HV mit dem Erwerb zu befassen. Das LG Frankfurt aM AG 2010, 416 hatte den Verstoß und die Anfechtbarkeit bejaht, das OLG Frankfurt hatte die Anfechtbarkeit auch deshalb abgelehnt, weil jedenfalls wegen der unsicheren Rechtslage ein eindeutiger und schwerwiegender Verstoß, wie er für die Anfechtbarkeit einer Entlastung erforderlich sei (zur Rspr s u Rn 1145 Nr. 3), gefehlt habe (AG 2011, 173). Mit dieser Begründung hat auch der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde abgewiesen (WM 2012, 546 f.).

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 597

vertretenen Kapitals bedurft. Sie halten die Einbringung der Anteile an der schwedischen und englischen Gesellschaft in die G-GmbH für eine „Holzmüller-Maßnahme“. Die Maßnahme sei nämlich Teil eines weitreichenden Gesamtkonzepts zur Umstrukturierung des Konzerns und zur Umwandlung der Bekl in eine reine Holdingsgesellschaft.

Das LG hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Berufung der Kl 1072 zurückgewiesen. Auch die Revision hatte keinen Erfolg: Der BGH stellt fest, dass der Unternehmensgegenstand der Bekl, weil dieser die Beteiligung an anderen Unternehmen gerade vorsah („Konzernklausel“), der Verlagerung der Anteilsrechte nicht entgegenstand. Eine Zustimmungspflicht der HV unter dem Gesichtspunkt einer „faktischen Satzungsänderung“ – genauer: einer Maßnahme, die erst nach einer Satzungsänderung durch die HV zulässig gewesen wäre, mithin vorher einen Satzungsverstoß bedeutete – kam also nicht in Betracht. Sodann subsumiert der Senat die von den Kl aufgegriffenen Maßnahmen 1073 unter die im Holzmüller-Urteil entwickelten Kriterien für eine interne HVZuständigkeit: Seine Interpretation der Kriterien beschränkt er ausdrücklich auf die Fallgruppe der Veräußerung bzw Verschiebung von Vermögenswerten aus der betroffenen (Mutter)-AG heraus1716. Diese Maßnahmen könnten erstens den Einfluss der Aktionäre als „Satzungsgeber“, der über Gegenstand und Grenzen des Handelns der Leitungsorgane bestimme, „mediatisieren“. Zum Zweiten könnten sie den Wert der Beteiligung der Aktionäre schwächen. Folglich könne die Mitwirkung der HV erforderlich werden. Der Ansatz des Holzmüller-Urteils bei § 119 II AktG sei allerdings aufzugeben. Zwar gehe es gemäß dem Holzmüller-Urteil um das Innenverhältnis zwischen Vorstand und HV im Hinblick auf die Abgrenzung der internen Geschäftsführungsbefugnis. Die in der Literatur vorgeschlagene Gesamtanalogie zu den gesetzlichen Kompetenzen der HV „passe“ aber in der Rechtsfolge nicht, weil ihr zufolge die vom Vorstand kompetenzwidrig vorgenommenen Maßnahmen dann zugleich ohne Vertretungsmacht vorgenommen und mithin unwirksam seien. Allerdings habe die Literatur recht mit ihrer tatbestandlichen Abgrenzung nach dem Kriterium der strukturänderungsgleichen Maßnahmen. Dies berücksichtige der Ansatz bei § 119 II AktG nicht, weil dieser nur zu einer Befassung der HV überhaupt und

_____ 1716 Zu weiteren denkbaren „Holzmüller-Fallgestaltungen“ s etwa GK-AktG/Mülbert § 119 Rn 30. Klargestellt wird im Urteil lediglich, dass „Holzmüller“ für eine konzernspezifische Sichtweise, also für die Frage nach Zustimmungspflichten bei Maßnahmen mit Konzernbezug, nicht in Anspruch genommen werden könne. Im Übrigen weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass nicht abschließend darüber befunden werden solle, bei welchen einzelnen Geschäftsführungsmaßnahmen das Erfordernis der Zustimmung der HV in Betracht komme (BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860, 1863).

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ihrer Entscheidung mit einfacher Mehrheit führe. Der Tatbestand der strukturänderungsgleichen Maßnahmen begründe aber das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit1717. 1074 Wegen dieser Abgrenzung zu § 119 II AktG einerseits und zu der Rechtsfolge des Analogiekonzepts der Literatur andererseits entscheidet sich der Senat für die Begründung der Zustimmungspflichtigkeit einer Maßnahme im Wege einer „offenen Rechtsfortbildung“. Sodann sucht der BGH nach dem Grad der Beeinträchtigung der Aktionärs1075 rechte, der vom Vorstand vorgesehene Maßnahmen zustimmungspflichtig mache. Die Orientierung der Literatur an „Bagatellschwellen“, unterhalb derer keine ausreichende Beeinträchtigung der Aktionärsstellung in der Muttergesellschaft anzunehmen sei, hält der Senat für verfehlt1718. Es sei gerade entgegengesetzt grundsätzlich von einer starken, eigenverantwortlichen Leitungsmacht des Vorstands auszugehen. Dieser Grundsatz setze einer Verschiebung von Kompetenzen auf die HV enge Grenzen. Die entscheidende Frage sei, ob die Maßnahme an die Kernkompetenzen der HV rühre und in ihren Auswirkungen einer Satzungsänderung nahezu gleichkomme1719. An diesen Vorgaben misst der Senat den zu entscheidenden Fall. Es gehe um die Verlagerung von Anteilsrechten und damit von Vermögen aus der Mutter auf eine Tochter (Mediatisierung). Die vom Kläger gelieferten „Kennziffern“ für die betroffenen Anteile in Form der Bilanzsumme, des Eigenkapitals, des Umsatzes und des Ergebnisses vor Steuern lägen bei „maximal 30%“1720. Damit halte sich das betroffene Vermögen seiner Bedeutung nach weit unterhalb der Schwelle, die eine ungeschriebene Zustimmungspflicht der HV auslösen könne. Im Beschluss vom 20.11.2006 – II ZR 226/05 –1721 hat der II. Zivilsenat die Zu1076 stimmungspflicht der HV bei Beteiligungsverkäufen vorbehaltlich des § 179a

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1717 BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860, 1864. Nach dem Macrotron-Urteil BGHZ 153, 47 hatte es so ausgesehen, als werde sich der BGH für die einfache Mehrheit entscheiden. Dieses Urteil befasst sich ebenfalls mit der Frage nach einer ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz, und zwar im Falle des Börsenrückzugs (Delisting). Der BGH hat dort einen Beschluss der HV mit einfacher Mehrheit für ausreichend gehalten. Die Entscheidung war aber kapitalmarktrechtlich orientiert, der BGH hat sie mit der Entscheidung NJW 2014, 146 aufgegeben (s o Rn 769). Zu Macrotron und Gelatine Habersack, AG 2005, 137 ff. 1718 BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860, 1863 mwN. 1719 BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860, 1864 l Sp. 1720 Im Parallelfall (s oben Fn 1714: NZG 2004, 575) ging es um eine Tochter, an der die beklagte AG 49% der Anteile hielt, die ca 44 % zum Konzernumsatz beitrug, etwa 55% der Konzernmitarbeiter beschäftigte und eine Bilanzsumme von rd 31 % im Verhältnis zur Konzernbilanzsumme auswies. 1721 NZG 2007, 234. S a Ablehnung eines Antrags auf einstweilige Verfügung durch OLG Hamm AG 2008, 421.

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AktG verneint, weil bei Verkäufen bestehender Beteiligungen der erforderliche Mediatisierungseffekt der Maßnahme vollständig fehle. Die Kernaussage des Gelatine-Urteils ist in der Literatur weitgehend begrüßt 1077 worden1722. Die Beschränkung von „Holzmüller-Maßnahmen“ auf krasse Ausnahmefälle sei geeignet, die jahrzehntelang währende Rechtsunsicherheit bei der Beurteilung der Zustimmungspflichtigkeit einer Geschäftsführungsmaßnahme zu beseitigen oder jedenfalls einzudämmen1723. Auch die Klarstellung der erforderlichen Mehrheit für den betreffenden Beschluss wird positiv hervorgehoben1724. In Entscheidungen vom 24.8.2006 und vom 31.1.2008 hat das LG München I 1078 Folgerungen aus der Rechtsprechung für die Einladung zur HV (analoge Anwendung des § 124 II 2 AktG) und bei Verletzung dieser Vorschrift für die Anfechtbarkeit eines nachfolgenden Beschlusses der HV gezogen (Kausalität des Gesetzesverstoßes für die Beschlussfassung nach den Kriterien des § 243 IV 1 AktG)1725. Derzeit (April 2017) zeichnet sich ein Rechtsstreit ab, der ein Test auf die angebliche Rechtssicherheit sein könnte1726: Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz macht für die hinter ihr stehenden Aktionäre geltend, dass die HV der Linde-AG nach den Rechtsprechungsgrundsätzen Beschluss fassen müsse über die geplante Fusion von Linde mit der US-Amerikanischen Praxair1727. Die Planung des Sitzes in den USA und die operative Führung von dort bedeute eine grundlegende Strukturänderung iS der HolzmüllerGrundsätze. Der Vorstand von Linde lehnt es bisher ab, die HV von Linde über das Fusionsvorhaben beschließen zu lassen. Er argumentiert, die Aktionäre von Linde stimmten dadurch über das Fusionsvorhaben ab, dass sie das Umtauschangebot ihrer Aktien in Anteile an der gemeinsam mit Praxair gegründeten Holding annähmen oder nicht.

_____ 1722 Kritik zur Grundposition des BGH äußert aus rechtsvergleichender Sicht auf das britische und US-amerikanische Recht Paefgen, ZHR 172 (2008), 42. 1723 Fuhrmann, AG 2004, 339, 341; Fleischer, NJW 2004, 2335, 2337; Götze, NZG 2004, 585; Weißhaupt, AG 2004, 585. 1724 Altmeppen, ZIP 2004, 999; Fleischer, NJW 2004, 2335, 2339; Fuhrmann, AG 2004, 339, 341 f. 1725 AG 2007, 336; ZIP 2008, 555. Keinen Anwendungsfall der Holzmüller-/Gelatine-Rspr sieht in seinem Fall LG Köln AG 2008, 327. Aber Nichtigkeit der Beschlüsse des Vorstands und des Aufsichtsrats wegen Satzungsunterschreitung und Mitwirkung an dem Verstoß der herrschenden Gesellschaft gegen das Nachteilsverbot beim faktischen Konzern. 1726 SZ vom 12.04.2017, Nr 86 S 20. 1727 Die neuen Vorschriften über grenzüberschreitende Verschmelzungen (§§ 122a-l UmwG) erfassen nur Verschmelzungen mit Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten der EU oder des EWR.

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1079 Fragwürdig ist die „offene Rechtsfortbildung“, auf die sich der BGH beruft. Der

Hinweis, dass dieser Ansatzpunkt für vorzugswürdig gehalten werde,1728 kann sicherlich zur Rechtfertigung nicht ausreichen. Der Senat hätte bei der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung ansetzen und eine Gesamtanalogie1729 bilden müssen: Die vom BGH erwähnte Nähe bestimmter Fallgestaltungen zu Konstellationen einer Satzungsänderung ist der entscheidende Gesichtspunkt. Mit dem Hinweis auf vermeintlich „unpassende“ Rechtsfolgen lässt sich eine Gesamtanalogie jedenfalls nicht vom Tisch wischen1730. Gerade die vom BGH beschworene Nähe einer Maßnahme zu einer Satzungsänderung muss es nahe legen, auch die Rechtsfolgen anzugleichen: So wie eine Satzungsänderung ohne entsprechende Mehrheit der HV nichtig ist, muss dies für ähnliche kompetenzwidrig vorgenommene Maßnahmen gelten1731. Sind Dritte betroffen und gutgläubig, ist Verkehrsschutz zu gewähren1732.

h. Die Vertretungsmacht des Vorstands im Einzelnen; Zurechnung tatsächlicher Handlungen des Vorstands, Kenntniszurechnung 1080 Aus der Geschäftsführungsbefugnis ist die Vertretungsmacht des Vorstands hervorzuheben: Der Vorstand hat eine grundsätzlich im Umfang unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht (§ 82 I AktG). Neben der Vertretungsmacht des Aufsichtsrats bei gerichtlichem und außergerichtlichem Handeln

_____ 1728 Der BGH verweist noch auf den Beitrag von Geßler, FS Stimpel 1985, 771, 780. Dieser befasst sich indessen auch nicht näher mit den Voraussetzungen der Rechtsfortbildung. Kritisch zum dogmatischen Vorgehen des BGH auch Fleischer, NJW 2004, 2335, 2337; Götze NZG 2004, 585, 587. 1729 Altmeppen, ZIP 2004, 999 plädiert zu Recht für eine enge Anbindung der Ausnahmefälle, in denen die HV zuständig sein muss, an die gesetzlichen Hauptversammlungskompetenzen. Diese müssten vor einer „Umgehung“ seitens des Vorstands geschützt werden. Zutreffend prüft der BGH in seiner Entscheidung, durch die er die Macrotron-Entscheidung aufgegeben hat, nach der die Maßnahme des Rückzugs von der Börse der Zustimmung der HV bedürfe, die mit einem Barabfindungsangebot an die Aktionäre verbunden werden müsse, einzelne Ansätze zu einer Analogie und schließlich auch zu einer Gesamtanalogie zu Vorschriften des UmwG und lehnt sie ab (BGH NJW 2014, 146, s o Rn 769). 1730 Nach Simon, DStR 2004, 1482, 1484 passten die Rechtsfolgen einer Gesamtanalogie nicht zu der vom BGH „beabsichtigten Systematik von Holzmüller-Zuständigkeiten“. Man kann die Rechtsordnung aber nicht deshalb „offen fortbilden“, weil sie einem nicht passt. 1731 IE ebenso Weißhaupt, AG 2004, 585, 586. 1732 S Weißhaupt, AG 2004, 585, 586: Auch bei Anlehnung an die Grundlagenkompetenzen ist es nicht zwingend, bei kompetenzwidrig vorgenommenen Maßnahmen eine „Außenwirkung“ – dh ihre Unwirksamkeit – anzunehmen. Ähnlich Fleischer, NJW 2004, 2335, 2337, der von einer „Teilanalogie“ spricht.

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gegenüber Vorstandsmitgliedern (§ 112 AktG) und der Zustimmungskompetenz des Aufsichtsrats bei Abschluss von Verträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern über Hilfsleistungen höherer Art (§ 114 I AktG) und Zustimmungskompetenzen der HV (bei Strukturverträgen, §§ 179a, 293 AktG, nach UmwG) beschränken nur die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht die Machtausübung1733. Die Vertretungsmacht ist, vorbehaltlich der Satzung, Gesamtvertretungsmacht (nach der Satzung auch Alleinhandeln oder Zusammenhandeln einzelner Mitglieder mit Prokuristen bestimmbar, § 78 III 1 AktG1733a). Auch bei Gesamtvertretungsmacht kann der Vorstand einzelne Mitglieder zum Handeln ermächtigen, und zwar auch iR einer Gruppen- oder Artermächtigung (§ 78 IV AktG)1734. Eine Generalermächtigung ist hingegen unzulässig. Sie würde die Gesamtvertretungsmacht der Vorstandsmitglieder unterlaufen. Ist ein Vorstandsvorsitzender bestellt, so kann dieser durch die Satzung oder mit ihrer Ermächtigung durch einen Beschluss des Aufsichtsrates die Alleinvertretungsmacht erhalten (§ 78 III 1, 2 AktG). Für die Passivvertretung gilt wie allgemein bei Gesamtvertretungsmacht Einzelvertretungsmacht (§ 78 II 2 AktG). Bei Fehlen eines Vorstands (Führungslosigkeit1735) wird die Gesellschaft passiv durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 78 I 2 AktG), mit der Möglichkeit der Abgabe oder Zustellung an die im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift (§ 78 II 2, 3 AktG). Der Vorstand ist bei Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten zwischen Vorstandsmitgliedern und der Gesellschaft von der Vertretungsmacht ausgeschlossen. Hier vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft (§ 112 AktG)1736. Der Vorstand ist in bestimmten Fällen nicht zum Alleinhandeln befugt. Nach §§ 50, 93 IV, 116 AktG bedarf er zu bestimmten Verzichtserklärungen und zu Vergleichen der Zustimmung der HV. Nach § 89 AktG darf die Gesellschaft (das hat ihr gegenüber der Vorstand einzuhalten) Kredite an Vorstandsmitglieder, leitende Angestellte, Familienmitglieder derselben oder nahestehende Gesellschaften grundsätzlich nur

_____ 1733 Wegfall der Vertretungsmacht bei Evidenz des Missbrauchs oder bei Kollusion zwischen Vertreter und Geschäftspartner, s Flume II § 45 II 3 S 788 ff. 1733a Das Zusammenhandeln mit einem Prokuristen (sog unechte Gesamtvertretung, Umfang der Macht des Vorstands, nicht der Prokura maßgeblich) nur bei grundsätzlich geltender Gesamtvertretungsmacht des Vorstands bestimmbar (als Erleichterung; nicht als Beschränkung der Vorstandsmacht, Hüffer/Koch § 78 Rn 16). 1734 Eine Ermächtigung iS von § 78 IV AktG ist keine eintragungspflichtige Tatsache iS von § 81 AktG. 1735 S o Rn 944. 1736 Als Beispiel für die Aktivierung des Aufsichtsrates zu Haftungsprozessen gegen den Vorstand s den ARAG/Garmenbeck-Fall u Rn 1140 ff.

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aufgrund eines Beschlusses des Aufsichtsrates gewähren. Die Vorschrift formuliert die Unzulässigkeit aus Sicht der Gesellschaft im Hinblick auf die erste Konsequenz der Verletzung der Vorschriften: Nach § 89 V AktG sind die Kreditnehmer zu sofortiger Rückgewähr des Kredits verpflichtet, vorbehaltlich der nachträglichen Zustimmung des Aufsichtsrates. Daneben greift aber die Schadensersatzhaftung des Vorstands nach § 93 II, III Nr 8 AktG ein1737. 1085 Für ein Dritte schädigendes Handeln des Vorstands haftet die Gesellschaft iR von Schuldverhältnissen nach § 278 BGB, andernfalls gemäß § 31 BGB. Für die Zurechnung von Kenntnissen von Unternehmensvertretern, insbesondere also Vorstandsmitgliedern (ebenso was die Zurechnung fahrlässiger oder grob fahrlässiger Unkenntnis betrifft) ist vorweg festzustellen, dass wie bei der Passivvertretung ungeachtet der Gesamtvertretungsmacht die Kenntnis eines Mitglieds der Geschäftsleitung ausreicht. Über die eigenen Kenntnisse auf der aktiven Geschäftsführungsebene hinausgehend, hat der BGH zunächst versucht, mit den gesetzlichen Vorschriften der §§ 166 und 831 BGB zu arbeiten1738. Später hat er – besser – mit der Zurechnung an Organisationen gearbeitet, ohne die Hilfestellung in positiven Normen zu suchen. Es komme auf die Verfügbarkeit von Informationen an, die typischerweise aktenmäßig (in der EDV) festgehalten würden. Diese Verfügbarkeit müsse organisiert werden1739. Darüber hinaus kämen Obliegenheiten zur Einholung von Informationen in Betracht, deren Vernachlässigung als Kenntnis des Organisationsträgers zuzurechnen sei1740.

i. Die Haftung des Vorstands (1) Im Innenverhältnis 1086 Wir kommen jetzt zur dritten Komponente der einheitlichen Leitungsmacht des Vorstands, zu seiner Haftung. Die Vorschriften der § 93 I bis III AktG begründen die allgemeine Schadensersatzpflicht des Vorstands gegenüber der AG1741. Abs 1 S 1 beginnt mit der Pflicht zur Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Dafür sind insbesondere die oben 1742 aufgeführten Pflichten des Vorstands heranzuziehen. § 93 I 3 führt daraus besonders die

_____ 1737 Anwendungsfall OLG Dresden WM 2007, 1029. 1738 BGHZ 16, 259 ff; 32, 53, 58 1739 BGHZ 132, 30, 36 ff; 135, 202 ff. Problematisch die Verengung der Kenntniszurechnung auf eigene Kenntnisse von Organmitgliedern für die Haftung aus § 826 BGB (o Rn 14 Fn 22). 1740 BGH NJW-RR 2006, 771. Zur Einordnung der Rspr Wilhelm, Sachenrecht, Rn 1244 ff. 1741 Beispielsfall OLG Dresden WM 2007, 1029. 1742 Rn 1025a ff.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 603

Pflicht zur Geheimhaltung mit der Ausnahme des S 4 an. § 93 III Ziff. 1–9 hebt einzelne gegen die Kapitalaufbringung und -Erhaltung gerichtete Verstöße hervor. § 93 I 2 AktG nimmt sodann für „unternehmerische Entscheidungen“ von der Pflichtverletzung aus die Einhaltung der business judgment rule. Die Schadensersatzpflicht wird geltend gemacht durch den Aufsichtsrat (§ 112 AktG), der vorbehaltlich einer pflichtgemäßen Ermessensprüfung dazu verpflichtet ist, will er nicht selbst schadensersatzpflichtig werden1743. Neben der Haftung nach § 93 I, II AktG gibt es die Haftung nach dem Sondertatbestand des § 117 II iVm I AktG. Klagen auf Unterlassung, Beseitigung, Leistung sind in den Haftungstatbeständen nicht vorgesehen. Sie waren Thema der Holzmüller-Entscheidung im hier voraufgegangenen Abschnitt. Die Durchsetzung von Pflichten und die Abwehr von Pflichtverstößen durch Unterlassungs- oder Beseitigungsklage bilden aber eine aus allgemeinen Grundsätzen selbstverständliche Ergänzung des Pflichtenkanons. Allerdings geht es nicht um Eigenrechte etwa des Aufsichtsrats, sondern darum, dass der Aufsichtsrat im Namen der AG klagt1744. Neben der Haftung des Vorstands stehen für die in § 407 I AktG aufgeführten Pflichten die Sanktion des Zwangsgelds durch das Registergericht (im Verfahren nach §§ 388 ff FamFG) sowie die Sanktionen der Nichtentlastung (§ 120 AktG) und der Abberufung aus wichtigem Grund (§ 84 III AktG). Außerdem kann sich ein Vorstandsmitglied der Untreue (§ 266 StGB) schuldig machen1745. Der Machtfülle des Vorstands (und der dementsprechend hohen Vergütung 1087 der Vorstandsmitglieder) müsste eine umfassende Verantwortlichkeit für die Prosperität der Gesellschaft entsprechen (Konnexitätsprinzip). § 93 AktG scheint diese auch – in den Grenzen der business judgment rule – auszudrücken. Das tatsächliche Bild der Praxis spiegelt indessen die Konnexität zwischen Macht, Vergütung und Verantwortlichkeit nur bedingt wider. In Zeiten der Krise treten eher hervor die Fälle der Auswechselung des für eine krisenhafte Entwicklung verantwortlichen Managements gegen hohe Abfindungen (auf Kosten der Gesellschaft) um des reibungslosen Neuanfangs willen, als dass die volle Verantwortung in schwierigen Auseinandersetzungen eingefordert würde. Zudem ist verbreitet, dass – ebenfalls auf Kosten der Gesellschaft – für die 1088 Vorstandsmitglieder im Hinblick auf Fälle nachweisbarer Schadensverur-

_____ 1743 Dazu das ARAG/Garmenbeck-Urteil des BGH BGHZ 135, 244, s den Bericht u Rn 1140 ff. 1744 Flume I/2 S 406 ff. 1745 Zur Strafbarkeit eines Mitglieds des Zentralvorstands von Siemens wegen Nichtauflösung einer schwarzen Kasse BGH WM 2017, 32.

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sachung, derentwegen eine Entlastung scheitert, eine D & O-Versicherung abgeschlossen wird1746. Dagegen ist um der Abfederung eines möglicherweise untragbaren Risikos willen nichts einzuwenden, wenn in den Versicherungsverträgen nur ein genügender (angemessener) Selbstbehalt vereinbart wird, der die Verantwortlichkeit spürbar sein lässt. In § 93 II 3 AktG schreibt jetzt das Gesetz einen Selbstbehalt von mindestens 10% des Schadens bis zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen Jahresvergütung vor1747. Das haftungsbegründende Merkmal des Schadensersatzanspruchs nach 1089 § 93 AktG ist die Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (genauer betrachtet ist die Einhaltung der Sorgfalt das haftungsausschließende Merkmal). Es geht um die eigene Sorgfalt. § 278 BGB ist nicht anwendbar1748. Ermessen und Sorgfalt hat jedes Vorstandsmitglied selbstständig auszu1090 üben, Satzung oder Mehrheitsbeschlüsse können das Vorstandsmitglied davon nicht entlasten. Selbstverständlich wirkt sich eine Bereichsaufteilung im Vorstand auf die Sorgfaltsanforderungen an die einzelnen Vorstandsmitglieder aus. Trotzdem bleibt die Sorgfaltsausübung gesamtheitlich orientiert, indem zumindest die anderen Vorstandsmitglieder beobachtet werden müssen und bei Auffälligkeiten eingeschritten werden muss. Dies setzt wiederum eine einwandfreie Organisation der Unternehmensleitung mit wechselseitiger Information und Abstimmung voraus1749. Von der grundsätzlich anzuwendenden Sorgfalt scheint § 93 I 2 idF des 1091 UMAG den Fall unternehmerischer Entscheidungen auszunehmen. Es geht aber nur um die Konkretisierung des im Rahmen der konkreten Pflichten bestehenden Geschäftsleiterermessens für einen bestimmten Bereich von Entscheidungen. Die Regelung leitet sich her von der Business Judgment Rule des USamerikanischen Rechts1750. § 93 I 2 grenzt dahin ab, dass der Vorstand bei einer

_____ 1746 Abkürzung für Directors and Officers Liability Insurance. Zum Versicherungsschutz Dreher, ZHR 165 (2001), 293; weiter Peltzer, FS H. P. Westermann 2008, 1257; zur Frage, ob das Fehlen einer solchen Versicherung ein Rücktrittsgrund für die Organmitglieder ist Deilmann, NZG 2005, 54. 1747 So 3.8 des DCGK. Grundsätzliche Erörterung der Problematik durch Ulmer, FS Canaris II 2007, 451. 1748 Schuldner und Geschäftsherr ist die AG, die Vorstandsmitglieder haften nur für die eigene Sorgfalt bei Auswahl, Einweisung, Information und Überwachung (Hüffer/Koch § 93 Rn 46; ebenso für den Geschäftsführer der GmbH BGHZ 127, 336, 347 mwN). 1749 Beispielhaft, auch für die Kommunikation mit den Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene, die dargestellte erforderliche Corporate Compliance Organisation. 1750 Zur Rule Lutter, ZIP 2007, 841. An der Business Judgment Rule orientiert auch die ARAG/ Garmenbeck-Entscheidung BGHZ 135, 244 f, u Rn 1140 ff. Nach Fleischer, NZG 2004, 1131 hat die

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„unternehmerischen“ Entscheidung seine Pflichten dann nicht verletzt, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Unternehmerische Entscheidungen sind solche, die dem Vorstand wegen ihres Prognosecharakters oder wegen nicht justiziabler Einschätzungskomponenten einen Ermessensspielraum belassen1751. Im Grunde ist die in § 93 I 2 AktG aufgenommene rule eine Selbstverständlichkeit: Bei Prognoseentscheidungen muss ein Geschäftsführer sich eine ausreichende Entscheidungsgrundlage verschaffen und dann eine im Rahmen der Rechtsordnung an den Interessen des Geschäftsherrn ausgerichtete, nachvollziehbare Entscheidung treffen. Sodann erweckt die Formulierung den Eindruck, als gälten die Merkmale nicht schon für die grundsätzliche Sorgfaltspflicht gemäß § 93 I 1 AktG. Selbstverständlich muss der Vorstand aber durchgehend zum Wohl der Gesellschaft handeln. Verfolgung anderer, insbesondere eigener Interessen macht das Handeln zur Pflichtverletzung. § 93 II 2 AktG (ebenso § 117 II 2 AktG) kehrt für die Schadensersatzpflicht aus 1092 Pflichtverletzung die Beweislast hinsichtlich Pflichtwidrigkeit und Verschulden zu Lasten der Vorstandsmitglieder um1752. Nach der Rechtsprechung gilt weitergehend: Den Vorstand trifft die Beweislast auch betr die Kausalität insoweit, als er sich dahin entlasten will, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre1753. § 93 folgt damit allgemeinen Haftungsgrundsätzen. Weder der Maßstab der Haftung noch die Beweislastregelung wären bei Geltung des allgemeinen Haftungsrechts anders zu fassen. Das Besondere ist die Freiheit des unternehmerischen Ermessens des Vorstands. Als spezielle Fälle der Ersatzpflicht nach § 93 II hebt § 93 III bestimmte Fälle 1093 hervor, in denen es um Transaktionen aus dem Gesellschaftsvermögen geht, die gegen grundlegende Schranken des Aktienrechts, insbesondere die aktienrechtliche Vermögensbindung verstoßen1754. Die Hervorhebung bedeutet nicht, dass es

_____ Entscheidung die Rule in die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung eingeführt, ebenso Raiser/Veil § 14 Rn 66. 1751 RegE UMAG (o Rn 90) S 22. Besondere Freiräume, wenn es um Rettung in der Krise geht, gibt es nach deutschem Recht nicht (Raiser/Veil § 14 Rn 70 führen zu dem Thema eine Diskussion um eine Gerichtsentscheidung aus den USA an). 1752 Zur Frage der Entlastung wegen Rechtsirrtums s die ISION-Entscheidungen BGH NZG 2011, 1271 und NZG 2015, 792 und – betr Rechtswidrigkeit von Cum/ex-Geschäften – Florstedt NZG 2017, 601. 1753 BGHZ 152, 280 (284). 1754 Den Rechtfertigungsgrund der Erpressung der Gesellschaft, der eine nach § 57 AktG verbotene Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen rechtmäßig machen soll, wenn auch unter der Voraussetzung sofortiger Wiedereinforderung (Raiser/Veil § 14 Rn 79), gibt es nicht. Zum Problem räuberischer Aktionäre o Rn 925.

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hier um eine verschuldensunabhängige Haftung geht (Argument: § 93 V 2 AktG). Vielmehr liegt der Sinn der Hervorhebung in der Definition eines Mindestschadens, der der Gesellschaft in jenen Fällen jedenfalls zu ersetzen ist. Zudem ist in den Fällen der Vorschrift die Befugnis der Gesellschaftsgläubiger begründet, den Schadensersatzanspruch der Gesellschaft geltend zu machen, und zwar anders als in anderen Fällen von Pflichtverletzung bei jedem Verschulden (§ 93 V 2 AktG). Beruht das Handeln des Vorstands auf einem gesetzmäßigen Beschluss der 1094 HV, ist der Vorstand nach § 93 IV 1 AktG entlastet, dagegen entlastet nicht die Billigung durch den Aufsichtsrat (§ 93 IV 2). Verzicht und Vergleich sind nach § 93 IV 3 AktG erst nach Ablauf einer Frist durch Beschluss der HV, dem nicht eine Minderheit von 10% widersprechen darf, möglich1755. S 4 bringt Ausnahmen von der Frist. Während Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen, die § 93 III 1095 AktG hervorhebt, von den Gläubigern bei jedem Verschulden des Vorstands geltend gemacht werden können, steht die Wahrnehmungsbefugnis der Gesellschaftsgläubiger bei anderen Pflichtverletzungen unter der Voraussetzung gröblicher Sorgfaltsverletzung des Vorstands (§ 93 V 2 AktG). Die Klagebefugnis der Gläubiger ist auf Zahlung an die Gläubiger selbst gerichtet. Sie gilt nur außerhalb eines Insolvenzverfahrens (§ 93 V 4 AktG) und steht unter der Voraussetzung, dass die Gläubiger von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen (ebenso für seinen Fall § 117 V 1, 3 AktG)1756. Sie bleibt unberührt von Verfügungen der Gesellschaft über den Anspruch gegen den Vorstand und von einem das Vorgehen des Vorstands billigenden Beschluss der HV (§ 93 V 3, ebenso § 117 V 2 AktG). Die HV kann die Geltendmachung von Ansprüchen aus §§ 93 oder 117 AktG 1096 durch den Aufsichtsrat für die Gesellschaft binnen 6 Monaten erzwingen (§ 147

_____ 1755 Zweifelhafte Anwendung des § 93 IV 3 AktG durch den BGH (BGHZ 202, 26) auf Fälle, in denen es um die Übernahme einer Strafsanktion gegen ein Vorstandsmitglied durch die AG geht. Der BGH unterscheidet zwischen der Zuständigkeit der HV nach § 93 IV 3 AktG und der des Aufsichtsrats (§ 112 AktG), wie folgt: Sei das Handeln des Vorstandsmitglieds eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft gewesen, sei die Übernahme der Sanktion die Verschärfung eines Schadens und somit die HV zuständig (Rn 17 ff); sei dagegen die Handlung des Vorstands keine Pflichtverletzung gewesen, könne der Aufsichtsrat die Entscheidung treffen, die Sanktion zu übernehmen (Rn 21 ff). Die Frage ist aber, ob der Nachteil der Übernahme der Strafsanktion dem Vorstand überhaupt als Ausweitung einer pflichtwidrigen Schädigung der AG zuzurechnen sein kann; nur dann ginge es um einen Verzicht iSv § 93 IV 3 AktG. 1756 Für die Aktionäre sind die Möglichkeiten der Beschlussfassung der HV über eine Sonderprüfung nach § 142 und über die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 147 sowie das Minderheitsrecht nach § 148 AktG vorgesehen. Auch hierzu s den ARAG/Garmenbeck-Fall u Rn 1140 ff.

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I AktG). Nach Abs 2 S 1 der Vorschrift kann sie besondere Vertreter bestellen1757. Eine Minderheit, die den 10. Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag (§ 8 IV AktG) von 1 Mio € erreicht, kann bei Gericht (§ 14 AktG) Vertreter ihrer Wahl bestellen lassen. Darüber hinaus gibt es für eine Minderheit, die den 100. Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000,– € inne hat, das Klagezulassungsverfahren nach § 148 AktG. Die Ansprüche gegen den Vorstand aus § 93 verjähren nach § 93 VI AktG, 1097 der einen nach § 200 BGB von Kenntnis unabhängigen Fristbeginn statuiert und bezgl der Fristen zwischen börsennotierten und anderen Gesellschaften unterscheidet.

(2) Im Außenverhältnis Neben der allgemeinen Haftung des Vorstands nach § 93 AktG aus dem Innen- 1098 verhältnis gegenüber der Gesellschaft kommen Grundlagen für eine unmittelbare Haftung des Vorstands im Außenverhältnis in Betracht. Die Pflichten gegenüber Sozialkassen und Fiskus sind schon genannt1758. Weiter kann § 823 II BGB zusammen mit Schutzgesetzen zugunsten von Aktionären oder Gläubigern eingreifen. Schutzgesetze enthalten insbesondere die Tatbestände von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten nach §§ 399 ff AktG1759. Dementgegen ist § 93 AktG kein Schutzgesetz iSv § 823 II BGB1760. Sehr wohl hat die Rechtsprechung aber § 92 II AktG aF über die Pflicht zur Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung (jetzt § 15a I InsO) als Schutzgesetz zugunsten der Gesellschaftsgläubiger angesehen1761. Umstritten ist die Ansicht des VI. Zivilsenats, dass der Geschäftsführer einer GmbH – dasselbe müsste für den Vorstand gelten – für Verkehrspflichten

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1757 In § 147 werden einbezogen Ersatzansprüche gegen den herrschenden Gesellschafter im Konzern LG Heidelberg ZIP 2017, 1160 („Gelita-AG“). Fall der Anwendung des § 147 mit der Pointe der schwer fehlerhaften Leitung der HV durch einen befangenen Leiter OLG Köln ZIP 2017, 1211 („Strabag). Nach dem Gericht bedeutet es einen Rechtsmissbrauch, wenn ein Squeeze-out betrieben wird, um der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs durch den nach § 147 II AktG bestellten besonderen Vertreter zu entgegen (ZIP 2017, 2468). 1758 O Rn 1027. 1759 Zur Haftung aus § 823 II BGB iVm §§ 399 ff AktG s den Fall Kerkerbachbahn (ZIP 1988, 1112 – o Rn 364 –) sowie OLG München ZIP 2004, 462. Die Strafbarkeit nach § 400 I Nr 1 AktG wegen unrichtiger Darstellung des Vermögensstandes der AG ist im Fall Haffa/EM.TV relevant geworden, BGH NJW 2005, 445. Kein Schutzgesetz iS der Haftung von Organen im Hinblick auf geschädigte Vermögensinteressen ist nach BGHZ 125, 366, 373 ff § 130 OWiG betreffend die Haftung für Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten im Betrieb – offen gelassen, ob etwas anderes gilt bei Verletzung von Tatbeständen zum Schutz der Gläubiger vor Insolvenz. 1760 BGH NJW 1979, 1829. 1761 S o Rn 513 ff.

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im Bereich der Gesellschaft im Hinblick auf die Gefährdung deliktisch geschützter Rechtsgüter einstehen muss1762. Dagegen wird gesagt, dass die Verkehrspflichten die Gesellschaft treffen und die Organe nur der Gesellschaft haften1763. Die Innenrichtung einer Verantwortlichkeit hindert aber nicht, dass § 831 II BGB den vertraglichen Übernehmer der Aufsicht über Verrichtungsgehilfen in die deliktische Außenhaftung einbezieht. Nur so ist auch die eigene zum Schadensersatz verpflichtende Handlung des Organs zu begründen, die das Gesetz für die Haftung der juristischen Person nach §§ 31, 86, 89 BGB voraussetzt1764. Für die Verletzung von kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten kann der Vorstand nach § 826 BGB haftbar sein1765,

2. Der Aufsichtsrat a. Institution 1099 Der Aufsichtsrat (§§ 30 f, 95 ff AktG) ist nach seinem historischen Ursprung ein Ausschuss der HV, der eingerichtet worden ist, weil diese wegen ihrer Größe die Geschäftsführung des Vorstands nicht als Ganze begleiten und überwachen kann. Auch der heutige Aufsichtsrat hat Begleitungs- und Überwachungsfunktion. Nach § 111 I AktG hat er die Geschäftsführung zu überwachen. Er ist aber nicht mehr als Aktionärsorgan, sondern als Unternehmensorgan einzuordnen1765a.

b. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats 1100 Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder beträgt, vorbehaltlich der Bestimmung ei-

ner höheren Zahl durch die Satzung oder durch die Mitbestimmungsgesetze,

_____ 1762 BGHZ 109, 297. 1763 S die Diskussion im Urteil des II. Senats BGHZ 125, 366, 375 f. Spezialfälle sind Wettbewerbsverstöße oder die Verletzung von gewerblichen Schutzrechten, BGH GRUR 1986, 248. 1764 Gegen die Anwendung des § 831 II BGB auf Geschäftsführer der GmbH allerdings sowohl der VI. wie der II. Senat. 1765 Der BGH sieht die Schädigung von Teilnehmern am Sekundärmarkt durch grob unrichtige, direkt vorsätzliche Ad-hoc-Mitteilungen als sittenwidrig an und lässt nach § 249 I BGB auch auf Naturalrestitution haften (Erstattung des Kaufpreises gegen Rückübertragung der erworbenen Anteile, BGHZ 160, 149 (152 ff) in einem Fall, in dem zunächst auch die AG verklagt, diese Klage aber zurückgenommen worden war, weil die Gesellschaft insolvent geworden war. Die Mitteilung war unrichtig, weil sie ein nur mögliches großes Auftragsvolumen als schon erteilt angab. 1765a Zur Reform des Aufsichtsrats durch KonTraG und TransPuG Holl, Die Reform des aktienrechtlichen Aufsichtsrats, 2002.

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drei (§ 95 S 1 AktG). Die Satzung kann erhöhen (§ 95 S 2 AktG). Wegen der Mitbestimmung nach DrittelbeteiligungsG, die eingreift, wenn die Sonderbestimmungen des Montanmitbestimmungsrechts und des MitbestG nicht gelten, muss die Zahl durch drei teilbar sein (§ 95 S 3 AktG). Das Gesetz bestimmt, vorbehaltlich jener Mitbestimmungsgesetze (S 5), nach denen besondere Zahlen gelten1766, Höchstzahlen: Bei einem Grundkapital bis zu 1,5 Mio € neun, bei einem Grundkapital bis zu 10 Mio € fünfzehn, bei einem Grundkapital über 10 Mio € einundzwanzig (§ 95 S 4 AktG). Für die Bestellung des ersten Aufsichtsrats bei der Gründung ist die Mitbestimmung grundsätzlich noch nicht (§ 30 II AktG), ausnahmsweise dann aber doch zu berücksichtigen, wenn ein möglicherweise mitbestimmtes Unternehmen übernommen wird. In diesem Fall ist die Bestellung noch unvollständig, nämlich unter Freihalten der Plätze vorzunehmen, auf die nach der einschlägigen Mitbestimmungsregelung Arbeitnehmervertreter kommen müssen (§ 31 I 1 AktG). § 31 I 2 bestimmt jedoch auch in diesem Fall die Mindestzahl von drei Aufsichtsmitgliedern. Dies wird relevant bei Geltung des DrittelbeteiligungsG. § 96 II AktG legt einen Frauenanteil fest1767. Wahlen, die dagegen versto- 1101 ßen, sind nichtig (§§ 96 II S 6, 7, 250 I Nr 5 AktG). Nach § 95 I 5 AktG bleiben von der Bestimmung der Zahlen der Aufsichts- 1101a ratsmitglieder das MitbestimmungsG und das Montanmitbestimmungsrecht unberührt. § 96 I listet auf, dass nach den Mitbestimmungsregelungen sich der Aufsichtsrat je nachdem aus Mitgliedern der Aktionäre, der Arbeitnehmer und weiteren Mitgliedern und bei den übrigen Gesellschaften nur aus Mitgliedern der Anteilseigner bestehen. Für die hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen schwierige Frage, ob überhaupt und wenn ja welche Mitbestimmung in dem Unternehmen gilt, sieht das AktG die Feststellung und Bekanntmachung durch den Vorstand vor (§ 97 AktG), die nach § 97 II AktG maßgeblich ist, sofern nicht die gerichtliche Entscheidung nach § 98 AktG beantragt wird (Verfahren nach § 99, sog Statusverfahren). Der Vorstand muss nach § 97 I 3 auf die Maßgeblichkeit unter Vorbehalt des Verfahrens hinweisen. Nach § 96 IV AktG gilt das Kontinuitätsprinzip: Danach kann der Auf- 1101b sichtsrat nur dann anders als nach den zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt werden, wenn nach der Bekanntmachung des Vorstands (geregelt in § 97 AktG) oder gerichtlicher Entscheidung (geregelt in § 98 AktG) andere gesetzliche Vorschriften anzuwenden sind. Nur gemäß der (nicht angegriffenen) Bekanntmachung des Vorstands (§ 97 II AktG) oder nach der Gerichtsentscheidung (§ 98 IV AktG) kommt es zu einer gültigen Wahl. Andernfalls

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1766 S o Rn 989 ff. 1767 S o Rn 141.

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tritt Nichtigkeit nach § 250 I Nr 1 AktG ein1768. Eine von der bisherigen Zusammensetzung abweichende Inzidententscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates in anderen Verfahren ist ausgeschlossen. Nach § 101 II AktG gibt es das Recht zur Entsendung von Aufsichtsrats1102 mitgliedern: Die Satzung kann für höchstens 1/3 der Sitze anstelle der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ein Entsendungsrecht zugunsten bestimmter Aktionäre (etwa zugunsten von Unternehmen der öffentlichen Hand1769, Konzernmüttern, Familienaktionären1770) oder von Inhabern bestimmter vinkulierter Namensaktien verankern. Das gesetzliche Recht des Landes Niedersachsen zur Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat der VW AG, auf das § 101 II 5 AktG verwiesen hatte1771, ist gestrichen und so auch § 101 II 5 AktG. Stellvertreter von Aufsichtsratsmitgliedern können nicht bestellt werden 1103 (§ 101 III 1, s a § 111 VI AktG). Es können nur vorbehaltlich der Mitbestimmungsregelung Ersatzmitglieder gewählt werden (§§ 101 III 2–4, 102 II AktG). Daneben gibt es die gerichtliche Bestellung bei Fehlen von Mitgliedern mit der Folge, dass die zur Beschlussfähigkeit nötige Zahl nicht erreicht wird (§ 104 AktG). Eine Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats ist der Anmeldung der Gesell1104 schaft zum Handelsregister beizufügen (§ 37 IV Nr 3a AktG). Bei späteren Änderungen hat der Vorstand eine geänderte Liste einzureichen (§ 106 AktG).

c. Persönliche Voraussetzungen 1105 Wie § 76 III AktG beim Vorstand verlangt § 100 I AktG für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Personen und schließt unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt stehende Personen aus. Entgegen § 76 III 2–4 AktG werden aber Bestrafungen, die zur Unfähigkeit für eine Vorstandstätigkeit führen, nicht als gesetzliche Hindernisse für Aufsichtsratsmandate aufgeführt. Die Satzung kann – wie für die Vorstandsmitglieder1772 – für nicht entsandte oder in der Bindung an Wahlvorschläge (nach §§ 6, 8 MontanmitbestG) gewählte Mitglieder persönliche Voraussetzungen aufstellen (§ 100 IV AktG). Anregungen oder Empfehlungen dazu im DCGK finden sich nicht.

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1768 Die Regelung ist entsprechend auf die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat anzuwenden. 1769 S die Sonderbestimmungen der §§ 394 f AktG. 1770 Die Anfechtung des Satzungsänderungsbeschlusses, mit dem ein Entsenderecht für die mit 25,1 % beteiligte B-Stiftung in den Aufsichtsrat der ThyssenKrupp AG begründet wurde, hatte bei OLG Hamm AG 2008, 552 keinen Erfolg. Der BGH hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen, AG 2009, 694. 1771 S o Rn 961. 1772 S o Rn 1019.

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Das Gesetz achtet auf die Mindestverfügbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder und die Trennung von Leitungs- und Aufsichtstätigkeit: Nach § 100 II 1 Nr 1 AktG steht das Innehaben von 10 Aufsichtsratsmandaten in gesetzlich mit Aufsichtsräten versehenen Handelsgesellschaften einer neuerlichen Wahl entgegen1773. S 2 nimmt zur Ermöglichung der einheitlichen Leitung auf Konzernverbindungen Rücksicht (Begriff in § 18 AktG). S 3 rechnet die Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender doppelt. Aufsichtsratsmitglied kann weiter nicht sein, wer gesetzlicher Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens ist (§ 100 II Nr 2). Solche Mitglieder würden der Herrschaft durch denjenigen Vorstand unterliegen, den sie ihrerseits kontrollieren sollen. Aufsichtsräte dürfen auch nicht Vorstand einer Kapitalgesellschaft sein, deren Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied derjenigen Gesellschaft angehört, in der sie zum Aufsichtsrat kandidieren (§ 100 II Nr 3). Sonst würde Aufsichtsratsmitglied X das Vorstandsmitglied Y kontrollieren, von dem es in der anderen Gesellschaft seinerseits kontrolliert wird. Schließlich schließt Nr 4 Vorstandsmitglieder derselben börsennotierten Gesellschaft aus der Zeit der letzten zwei Jahre aus (Karenzzeit, cooling-off-period). Es können sie aber Aktionäre, die mehr als 25% innehaben, zur Wahl vorschlagen. Nach § 105 I AktG kann ein Aufsichtsratsmitglied nicht zugleich Vor- 1106 standsmitglied, dauernd Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern oder Prokurist oder Generalhandlungsbevollmächtigter der Gesellschaft sein (Inkompatibilität). Abs 2 lässt im Fall des Fehlens von Vorstandsmitgliedern die zeitlich eng befristete Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern durch den Aufsichtsrat zu stellvertretenden Vorstandsmitgliedern zu. Damit für leitende Angestellte eine echte Wahl in Betracht kommt, macht § 6 II MitbestG von der Inkompatibilitätsregel des § 105 I AktG in Hinsicht auf Prokuristen eine Ausnahme (analog muss dies für Generalbevollmächtigte gelten): Die Wählbarkeit eines Prokuristen als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer ist nur dann ausgeschlossen, wenn dieser dem zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens befugten Organ unmittelbar unterstellt oder zur Ausübung der Prokura für den gesamten Geschäftsbereich des Organs ermächtigt ist. § 100 III AktG verweist für weitere persönliche Voraussetzungen betreffend 1107 Arbeitnehmervertreter und „weitere Mitglieder“ (nach Montanmitbestimmungsrecht) auf die Mitbestimmungsgesetze. § 100 V AktG verlangt im Aufsichtsrat kapitalmarktorientierter Aktiengesell- 1108 schaften iS der Definition des § 264d HGB und weiterer in anderen Vorschriften

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1773 Sog lex Abs (nach dem früheren Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank). Zur Organverantwortung bei mehrfacher Organstellung Wiedemann Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft 1989 S 23 ff.

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definierter Gesellschaften ein Mitglied mit Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung1774.

d. Wahl, Amtsende, Dienstverhältnis 1109 Vorbehaltlich von Entsendungsrechten (§ 101 II AktG) und der Wahl von Arbeit-

nehmervertretern nach den Mitbestimmungsgesetzen werden die Mitglieder des Aufsichtsrats nach §§ 101 I 1, 119 I Nr 1 AktG auf Vorschlag des Aufsichtsrates (§ 124 III S 1 AktG)1775 durch die HV mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt (§ 133 I AktG, dort sog einfache Stimmenmehrheit, vorbehaltlich der Satzung, § 133 II). Die HV ist an Wahlvorschläge grundsätzlich (Ausnahmen nach dem Montanmitbestimmungsrecht) nicht gebunden (§ 101 I 2 AktG). Selbstwahl ist wie immer zulässig. Auch eine Listenwahl ist zulässig, bei der aber auf die Möglichkeit hingewiesen werden muss, dass gegen die Liste gestimmt werden kann und bei deren Ablehnung Einzelwahl durchzuführen ist. Der DCGK empfiehlt für börsennotierte Unternehmen Einzelwahl (5.4.3). Für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die HV gelten nicht nur 1110 die allgemeinen Tatbestände über Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, sondern auch noch die Sondervorschriften der §§ 250 ff AktG über die Nichtigkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, die u a die Mitbestimmung im Aufsichtsrat berücksichtigen1775a. Die grundsätzliche Dauer der Amtszeit von Aufsichtsratsmitgliedern ist in 1111 § 102 AktG geregelt. Höchstens kann die Amtszeit dauern bis zum Abschluss derjenigen HV, die über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder für das 4. Geschäftsjahr nach dem Amtsbeginn beschließt1776. Das Geschäftsjahr, in wel-

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1774 Der RegEBilMoG (zum G o Rn 138, u Rn 1391) verlangte auch noch die Unabhängigkeit des Mitglieds. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission ist für die Unabhängigkeit erforderlich, dass die betreffende Person in keiner geschäftlichen, familiären oder sonstigen Beziehung zum Unternehmen oder seinem Mehrheitsgesellschafter und dessen Organen steht, sofern diese Beziehungen einen Interessenkonflikt begründen, die das Urteilsvermögen der Person beeinträchtigen könnte. Abschnitt III Ziff 13.1 der Empfehlung der Kommission vom 15.2.2005 ABl v 25.2.2005 Nr L 52 S 51; auf sie soll man sich nach Erwägungsgrund 24 der Abschlussprüferrichtlinie, deren Umsetzung das BilMoG dienen soll, stützen können. 1775 Zum Vorrang des Wahlvorschlags eines Aktionärs bei dem Votum einer Minderheit § 137 AktG. 1775a Wegen der Sonderregelung finden bei nichtiger Wahl die Grundsätze über den fehlerhaften Gesellschafterbeschluss nur eingeschränkte Anwendung ( s o Rn 867). 1776 Nach BGH NJW-RR 2002, 1461 f kommt es auf die HV an, in der über die Entlastung spätestens hätte entschieden werden müssen, auch wenn ein solcher Beschluss tatsächlich nicht oder erst später gefasst worden ist.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 613

chem die Amtszeit beginnt, wird nicht mitgerechnet. Da das Geschäftsjahr idR dem Kalenderjahr entspricht und die HV, die über die Entlastung zu entscheiden hat, idR im Frühjahr oder Sommer stattfindet, kommt aus der gesetzlichen Bestimmung der Höchstzeit im Ergebnis heraus: 1. 2. 3.

Das neue Mitglied wird in einer solchen HV bestimmt, ist also ab Frühjahr oder Sommer tätig. Die Zeit bis Jahresende zählt nicht. Danach dauert die zulässige Amtszeit 4 Jahre. Dann hat die HV im Frühjahr oder Sommer des 5. Jahres, die über die Entlastung für das 4. Geschäftsjahr entscheidet, neu zu wählen.

Folglich beträgt die Höchstdauer der Amtszeit von Aufsichtsratsmitgliedern etwa wie beim Vorstand 5 Jahre1777. Wiederwahl ist freilich zulässig. Nach § 103 I AktG kann die HV (vorbehaltlich der Satzung) die ohne Bin- 1112 dung an Wahlvorschläge gewählten Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat, unabhängig von einem wichtigen Grund, mit 3/4-Mehrheit vorzeitig abberufen. Ein entsandtes Aufsichtsratsmitglied kann vom Entsendungsberechtigten jederzeit abberufen werden (§ 103 II AktG). Für die Arbeitnehmervertreter gelten die Mitbestimmungsgesetze (§ 103 IV AktG). Daneben gibt es die Möglichkeit der gerichtlichen Abberufung aus wichtigem Grund (§ 103 III AktG)1778. Antragsberechtigt ist der Aufsichtsrat, bei entsandten Mitgliedern auch eine Aktionärsminderheit. Die Aufsichtsratsmitglieder können ihr Amt, und zwar auch ohne wichtigen 1113 Grund, durch einseitige Willenserklärung gegenüber dem Vorstand (§ 78 I AktG) niederlegen1779. Weiter endet das Amt bei Erlöschen der Gesellschaft durch Verschmelzung oder Spaltung nach dem UmwG oder durch den Verlust der erforderlichen persönlichen Eigenschaft (zB als Arbeitnehmer des Unternehmens). Bei Eintritt einer Befangenheitslage kommt nur die Abberufung aus wichtigem Grund in Betracht.

_____ 1777 Rechtsfolgen, wenn das Ausscheiden von Aufsichtsratsmitgliedern nicht beachtet wird, behandelt Fortun, DB 2007, 1451. 1778 Beispiele OLG Hamburg AG 1990, 218: Abberufung eines für Energie zuständigen Ministers, der die Politik des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernkraft vertritt, aus dem Aufsichtsrat eines Energieversorgers, der seine Energie zu einem großen Teil aus AKW bezieht; OLG Stuttgart AG 2007, 218: Verletzung der Verschwiegenheitspflicht als wichtiger Grund; OLG Frankfurt AG 2008, 456: Abberufung wegen Anmaßung der Organzuständigkeit durch ein einzelnes Mitglied. 1779 Raiser/Veil § 15 Rn 53; Deilmann, NZG 2005, 54 f mit Hinweisen auch zu den üblichen Satzungsregelungen. Nach hM soll nicht zur Unzeit niedergelegt werden können (Raiser/Veil, Deilmann). Diese Voraussetzung sollte aber nur im Rahmen des Anstellungsverhältnisses, nicht für die Wirksamkeit der Amtsniederlegung relevant sein.

614 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

1114

Wie beim Vorstand ist auch beim Aufsichtsrat von der Organstellung das Anstellungsverhältnis zu trennen. Die Aufsichtsräte sind aufgrund eines Dienstvertrags mit Geschäftsbesorgungscharakter (§§ 675, 611 mit 626 ff BGB) für die Gesellschaft tätig. Ein eigens abgeschlossener Vertrag ist nicht erforderlich. Nach §§ 675 I iVm § 670 haben die Aufsichtsratsmitglieder einen Anspruch auf Ersatz ihrer Auslagen1780. Durch Satzung oder HV-Beschluss, der eine vorhandene Satzungsregelung auch mit einfacher Mehrheit abändern kann (§ 113 I S 4 AktG), kann den Aufsichtsratsmitgliedern eine Vergütung gewährt werden (§ 113 I 1, 2 AktG). Für eine Beteiligung am Gewinn enthält § 113 III AktG bindende Maßgaben. Die Vergütung soll den Aufgaben des Aufsichtsrats und der Lage der Gesellschaft angemessen sein (S 3). Üblich ist, den Aufsichtsratsvorsitzenden mit dem zweifachen Satz, seine Stellvertreter mit dem eineinhalbfachen Satz im Vergleich zu normalen Aufsichtsratsmitgliedern zu vergüten1781. Bemerkenswert ist die Regelung des § 10 Nr 4 KStG, wonach Vergütungen (nicht: Auslagenersatz) an Aufsichtsratsmitglieder nur zur Hälfte abziehbare Aufwendungen sind. Historischer Hintergrund dieser immer wieder bekämpften Sonderregelung ist der Gedanke, dass eine Tendenz zu unangemessen hohen Vergütungen bestehe, so dass die Vergütung zumindest teilweise als nicht betrieblich bedingte Ausgabe anzusehen sei1782.

Die Gewährung von Aktienoptionen (stock options) an Aufsichtsratsmitglieder ist nach der vom BGH bisher angenommenen Rechtslage ebenso wenig wie nach § 192 II Nr 3 nach § 71 I Nr 8 AktG zulässig1783. 1115 Neben der Regelung in § 113 AktG über die Vergütung der Aufsichtsratstätigkeit steht § 114 AktG betreffend Dienst- oder Werkverträge über eine Tätigkeit höherer Art außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit, wenn ein Aufsichtsratsmitglied solche Verträge mit der Gesellschaft abschließen will. Solche Verträge bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats, von dessen Beschlussfassung der Betroffene nach § 34 BGB ausgeschlossen ist. Eine Beschränkung der Zustimmung enthält das Gesetz nicht, es gelten also nur die allgemeinen Haftungsgrundsätze (§§ 116, 93 AktG). § 114 II 1 begründet die Pflicht zur Rückzahlung einer ausgezahlten Vergütung, wenn die Zustimmung fehlt und auch nicht nachträglich erteilt wird. Mit Bereicherungsansprüchen wegen geleisteter Vorteile kann nicht aufgerechnet werden (§ 114 II 2 2. Hs). Ist ein Beratungsvertrag vor der Bestellung des Vertragspartners in den Aufsichtsrat geschlossen, so

_____ 1780 ZB Auslagen für die Teilnahme an Sitzungen, s Thüsing/Veil AG 2008, 359, 362 ff. 1781 Zu dieser Vergütungspraxis Raiser/Veil § 15 Rn 93. 1782 Clemm/Clemm, BB 2001, 1873. 1783 S o Rn 601. Zu den Grenzen aktienkursorientierter Vergütung von Aufsichtsratsmigliedern Fuchs, WM 2004, 2233; Meyer/Ludwig, ZIP 2004, 940.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 615

tritt der Vertrag mit der Wahl des Vertragspartners in den Aufsichtsrat für die Zeit der Aufsichtsratstätigkeit außer Kraft1784. Mit der Unterscheidung des Gesetzes zwischen § 113 AktG einerseits und § 114 AktG andererseits ist ein Vertrag unvereinbar, folglich nichtig, der mit einem Aufsichtsratsmitglied über eine solche Tätigkeit gegen ein nicht gänzlich unerhebliches Entgelt abgeschlossen wird, die schon von der Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds umfasst wird (etwa eine Beratungstätigkeit, die nicht klar auf vom Tätigkeitsbereich der AG getrennte Fachfragen beschränkt ist, die nicht zu übergeordneten allgemeinen Fragen der Unternehmenspolitik gehören, in denen der Aufsichtsrat den Vorstand ebenfalls kraft seines Amtes zu beraten hat)1785. Der BGH hat die Nichtigkeit ausgedehnt auf Fälle, in denen Beratungsverträge mit Gesellschaften abgeschlossen waren, an denen ein Aufsichtsratsmitglied entweder mit 50% oder mehr beteiligt war oder aus deren Vergütung dem Aufsichtsratsmitglied Anteile in dem eben genannten nicht unerheblichen Umfang zugeflossen sind1786. Auf Rückzahlung der Vergütung (analog § 114 II 1 AktG) hafte sowohl die Gesellschaft, an die die Vergütung geflossen sei, als auch das Aufsichtsratsmitglied1787.

e. Organisation, insbesondere Beschlussfassung des Aufsichtsrats Der Aufsichtsrat kann sich, wie § 82 II AktG als selbstverständlich voraussetzt, 1116 eine Geschäftsordnung geben. Dies folgt aus der Kompetenz des Organs zur Selbstorganisation. Aus dieser folgt auch, dass die Satzung zwar einzelne Fragen der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats regeln, aber nicht eine vollständige Geschäftsordnung enthalten kann1788.

_____ 1784 BGHZ 114, 127, 133 f. 1785 S BGHZ 114, 127; AG 2007, 484; OLG Hamburg ZIP 2007, 814, 816. Zur Zulässigkeit der anwaltlichen Beratung der AG durch Aufsichtsratsmitglieder Semler, NZG 2007, 881. 1786 Schädlichkeit der Beteiligung des Aufsichtsratsmitglieds als Alleingesellschafter an der Vertragspartnergesellschaft BGH NZG 2006, 712 mit Anm Marsch-Barner, LMK 2006, 195990, Schädlichkeit einer 50%-Beteiligung BGH NJW 2007, 298; zur Maßgeblichkeit der Beteiligung an der dem Vertragspartner zufließenden Vergütung BGHZ 194,14, 18. Das OLG Hamburg stellt ZIP 2007, 814 fest, dass Ersatzaufsichtsratsmitglieder vor ihrem Ersatzeinsatz nicht betroffen seien, und auch nicht betroffen seien Beratungsverträge, die das Aufsichtsratsmitglied einer Mutter- mit deren Tochtergesellschaft geschlossen habe (der Schutzzweck, dass das Aufsichtsratsmitglied nicht vom Vorstand, der über die Beratungsaufträge und ihre Vergütung entscheide, abhängig sein dürfe, sei bei einem Aufsichtsratsmitglied der herrschenden Gesellschaft nicht berührt (zweifelhaft, weil der Vorstand der herrschenden Gesellschaft auf den der Tochter einwirken kann). 1787 Analyse der Rechtsprechung bei Happ, FS Priester 2007, 175. 1788 Hüffer/Koch § 107 Rn 34.

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Nach § 107 I 1 wählt der Aufsichtsrat einen Aufsichtsratsvorsitzenden und einen oder mehrere Stellvertreter1789. Für die Wahl genügt grundsätzlich – vorbehaltlich der Satzung – die einfache Stimmenmehrheit (Mehrheit der abgegebenen Stimmen), Enthaltungen zählen nicht. Die wichtige Ausnahme für den Aufsichtsratsvorsitzenden des nach dem MitbestG mitbestimmten Aufsichtsrates (§ 27 MitbestG) ist oben1790 festgestellt. 1118 Der Aufsichtsratsvorsitzende bereitet die Aufsichtsratssitzungen vor, beruft sie ein, leitet sie, unterfertigt die Protokolle (wie nach § 107 II 1 AktG erforderlich) und teilt die Niederschriften den Aufsichtsratsmitgliedern mit (§ 107 II S 4 AktG). Beschließt der Aufsichtsrat die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Vorstand, lässt er sich vom Aufsichtsratsvorsitzenden vertreten. Mit dem Vorstand zusammen hat der Aufsichtsratsvorsitzende die Beschlüsse zur Kapitalveränderung zum Handelsregister anzumelden (s betr die Kapitalerhöhung gegen Einlagen §§ 184 I, 188 I, betr die Kapitalherabsetzung § 223 AktG). Dem Aufsichtsratsvorsitzenden hat der Vorstand neben seiner Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat nach § 90 I 1, 2 AktG aus sonstigen wichtigen Anlässen zu berichten (§ 90 I 4). Der Vorsitzende erläutert der HV den Bericht des Aufsichtsrats über Jahresabschluss und Gewinnverteilungsvorschlag (§ 176 I 2 AktG). Nach der Satzung kann die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden noch verstärkt werden, insbesondere kann der Aufsichtsratsvorsitzende zum Leiter der HV bestellt werden. Der Vertreter des Aufsichtsratsvorsitzenden hat dessen Befugnisse, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende verhindert ist (§ 107 I 3 AktG). Das Zweitstimmrecht iSd MitbestG steht dem Vertreter nicht zu. Die Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden ragt heraus, weil der Aufsichts1119 ratsvorsitzende der vornehmliche Partner für den Vorstand bei der Abstimmung der Geschäftsleitung ist (s Ziff 5.2 Abs 3 DCGK). Üblich ist, den Aufsichtsratsvorsitzenden dadurch zu verstärken, dass er mit einem oder mehreren Stellvertretern das Aufsichtsratspräsidium bildet. Das Aufsichtsratspräsidium ist einer der nach § 107 III 1 AktG dem Auf1120 sichtsrat möglichen Ausschüsse des Aufsichtsrats. Diese können zur Vorbereitung der Verhandlungen und Beschlussfassung des Aufsichtsrats gebildet werden1791. Einem Ausschuss kann aber auch die Beschlusskompetenz selbst 1117

_____ 1789 Nach § 80 I 1 AktG ist der Name des Vorsitzenden, nicht aber der des Stellvertreters in den Geschäftsbriefen der Gesellschaft anzugeben. 1790 Rn 992. 1791 Mitbestimmungsrechtliche Grundlage hat der Vermittlungsausschuss (dazu o Rn 993, 1023). Nach Ziff 5.3.1 DCGK soll der Aufsichtsrat einer börsennotierten AG fachlich qualifizierte Ausschüsse bilden. Der DCGK überlässt die Einzelheiten der Berücksichtigung des Einzelfalls (insbesondere der verfügbaren persönlichen Ressourcen).

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 617

überlassen werden. Dann muss er mindestens drei Mitglieder haben, die auch an der Beschlussfassung teilnehmen müssen1792. Von der Überlassung der Beschlusskompetenz klammert § 107 III 4 AktG wichtige Entscheidungen aus. Zu nennen sind die Bestellung und die Abberufung der Vorstandsmitglieder (§ 84 I 1 u 3, II, III 1 AktG), die Bemessung der Vergütung des Vorstands (§ 87 I 1 u 2 AktG) und die Einrichtung von Zustimmungsvorbehalten. Übliche Aufsichtsratsausschüsse sind neben dem Präsidium der Personalausschuss, der für die Vorbereitung der Vorstandsbestellung zuständig ist1793, weiter der Prüfungsausschuss (nicht korrekt Audit Committee genannt1794) sowie Finanz-, Investitions-, Kreditausschüsse. Die Ausschüsse haben über ihre Arbeit dem Gesamtaufsichtsrat regelmäßig zu berichten (§ 107 III 5 AktG). Für die Besetzung der Ausschüsse gilt im Verhältnis der Anteilseigner- zu Arbeitnehmervertretern ein Diskriminierungsverbot, bei Geltung des MitbestG allerdings nach Maßgabe von dessen Wertungen1795. Der Aufsichtsrat muss zwei Sitzungen im Kalenderhalbjahr abhalten. Bei 1121 nicht börsennotierten Gesellschaften kann er beschließen, dass nur eine Sitzung im Kalenderhalbjahr abzuhalten ist (§ 110 III 1, 2 AktG). Jedes Aufsichtsratsmitglied und der Vorstand können mit Begründung verlangen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende den Aufsichtsrat einberuft, so dass dieser binnen zwei Wochen zusammentreten muss. Notfalls können sie selbst einberufen (§ 110 I, II AktG).

_____

1792 Analog § 108 II 3 AktG. BGHZ 65, 190, 192 f. 1793 Die Bestellung kann aber dem Ausschuss nicht zur Beschlussfassung anstelle des Aufsichtsrats übertragen werden (§ 107 III 4 iVm § 84 I 1). Der Personalausschuss kann Vermittlungsausschuss nach § 27 III MitbestG sein. 1794 Die Einrichtung eines „Prüfungsausschusses (Audit Comittee)“ empfiehlt der DCGK in Tz 5.3.2. Nach Altmeppen, ZGR 2004, 390 und v Rosen, AG 2008, 537, 538 ist der Prüfungsausschuss, den der Aufsichtsrat nach § 107 III 2, 3 AktG bilden kann, kein Audit Committee angloamerikanischer Prägung. Das Comittee gehört zum Board, während wir die Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat haben. Der Aufsichtsrat hat die Leitungsbefugnis des Vorstands zu respektieren und darf nicht eine zweite Berichtsschiene zu den Mitarbeitern unter Eingriff in die Leitungsbefugnis des Vorstands aufbauen. Eine Pflicht zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses begründet für bestimmte Kredit-Unternehmen § 25d III, IX KWG sowie bei nicht vom Aktienrecht erfassten kapitalmarktorientierten Gesellschaften § 324 HGB. Bei den kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften müssen nach § 100 V AktG ein Mitglied den Sachverstand iSdes § 100 V und die Gesamtheit der Mitglieder die Vertrautheit mit dem Tätigkeitsbereich der Gesellschaft iS der Vorschrift aufweisen. 1795 Nach BGHZ 122, 342 (358) ist der nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigte Ausschluss von Arbeitnehmervertretern vom Personalausschuss unzulässig. Nach BGHZ 83, 106 (117 f), 83,144 (149) kann das leichte Übergewicht, welches das MitbestG den Anteilseignervertretern einräumt, auch bei der Beschlussordnung des Personalausschusses eingeräumt werden. Zur Rechtsprechung Altmeppen, FS Brandner, 1996, 3.

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Die Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse sind grundsätzlich nicht öffentlich (§ 109 I 1 AktG). Die Vorschrift ist Sollvorschrift. Verstöße machen Beschlüsse grundsätzlich nicht nichtig1796. Allerdings ist die Geheimhaltungspflicht des Aufsichtsrats nach §§ 116, 93 I 3 AktG zu berücksichtigen. In deren Rahmen ist die Nichtöffentlichkeit zwingend. Zur Teilnahme zugelassen sind nach § 109 I AktG außer den Aufsichtsratsmitgliedern auch der (nach § 93 I 3 AktG ebenso geheimhaltungspflichtige) Vorstand. Der Vorstand hat aber kein Teilnahmerecht. Zur Teilnahme an Ausschusssitzungen sind auch Aufsichtsratsmitglieder, die dem Ausschuss nicht angehören, berechtigt, sofern der Aufsichtsratsvorsitzende nichts anderes bestimmt (§ 109 II AktG). Nach § 109 I 2 AktG können zu Einzelgegenständen Sachverständige und Auskunftspersonen zugezogen werden. § 109 III AktG ermöglicht für die Satzung, die Teilnahme (nur diese) von Personen zu erlauben, die von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern in Textform (§ 126b BGB) zur Teilnahme ermächtigt worden sind. Aufsichtsratsentscheidungen ergehen grundsätzlich durch Beschluss (§ 108 1123 I AktG). Ein Beschluss muss ausdrücklich gefasst werden1797. Nach § 108 IV AktG ist die Beschlussfassung in schriftlicher, fernmündlicher oder vergleichbarer Form vorbehaltlich einer Satzungs- oder Geschäftsordnungsregelung dann möglich, wenn kein Aufsichtsratsmitglied widerspricht. Diese Änderung sollte mit Blick auf die verstärkte Entwicklung zu einer internationalen Besetzung der Aufsichtsräte die Zulassung von Videokonferenzen ermöglichen1798. Beschlussfähig ist der Aufsichtsrat – sofern gesetzlich oder durch die Satzung nichts anderes bestimmt ist (§ 108 II 1 AktG) – bei Teilnahme der Hälfte der nach dem Gesetz oder der Satzung vorgeschriebenen Mitgliederzahl an der Beschlussfassung. Mindestens müssen 3 Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen (§ 108 II 3)1799. Die Bestimmung der Mindestzahl von 3 Mitgliedern ist zwingendes Recht1800. Die Hälfteklausel ist im Bereich des MitbestG zwingend (§ 28 S 1 MitbestG)1801. Fehlen Mitglieder für die Beschlussfähigkeit, ist die gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrates nach § 104 AktG möglich. Für die Be1122

_____ 1796 Sogar die Mitstimmung eines Unbefugten nicht, wenn sie nicht für das Beschlussergebnis relevant war (BGHZ 47, 341, 346). Allerdings kommen Schadensersatzpflichten in Betracht, so, wenn zur Aufsichtsratssitzung nicht teilnahmeberechtigte Personen zugelassen werden und hinterher Interna der Gesellschaft öffentlich bekannt werden. 1797 BGHZ 207, 190 (198). Eine Auslegung ist aber möglich. 1798 BT-Drucks 14/4051, S 12. Zur veränderten Praxis Kindl, ZHR 166 (2002), 335. 1799 Analoge Geltung auch für Ausschüsse, BGHZ 65, 190 (192). 1800 Hüffer/Koch § 108 Rn 16. 1801 Ebenso § 10 S 1 MontanmitbestG, § 11 S 1 MitbestErgG.

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schlussfähigkeit ist irrelevant, ob alle gesetzlich oder satzungsmäßig bestimmten Aufsichtsratssitze besetzt sind (§ 108 II 4 AktG)1802. Zur Beschlussfassung reicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen1803. 1124 Von der Abstimmung ausgeschlossen ist ein Aufsichtsratsmitglied entsprechend § 34 BGB, wenn es um Rechtsgeschäfte oder Prozesse mit ihm selbst geht. Der Ausschluss von der Abstimmung führt nicht zur Beschlussunfähigkeit mangels der Mindestzahl von 3 Mitgliedern nach § 108 II 3 AktG1804. Bei Stimmengleichheit ist der Beschlussvorschlag abgelehnt, wenn nicht das MitbestG mit dem Zweitstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden eingreift1805. Bei der Abstimmung kann sich ein Aufsichtsratsmitglied nicht vertreten 1125 lassen, es kann seine Stimme nur durch einen Stimmboten (anderes Mitglied oder zugelassen nach § 109 III AktG) abgeben, indem es diesen seine schriftliche Stimmabgabe überreichen lässt (§ 108 III AktG). An sich ist schriftliche Übermittlung nach § 126 BGB geboten. Eine zunehmende Meinung lässt die Erleichterung durch Telegramm oder Telefax zu1806. Die für den Einsatz eines Stimmboten nötige eigene Entscheidung des Aufsichtsratsmitglieds setzt die rechtzeitige Ladung unter Angabe der Tagesordnung und eindeutige Entscheidungsalternativen für die Beschlussfassung voraus.

f. Mangelhafte Aufsichtsratsbeschlüsse Auf die Frage eventueller Beschlussmängel sind, wie oben dargestellt1807, die 1126 §§ 241 ff AktG richtiger Ansicht nach nicht analog anzuwenden. Vielmehr ergibt sich eine Nichtigkeit der Beschlüsse nach allgemeinen Grundsätzen. Bei schweren Verfahrensverstößen (bei Einberufungsmängeln, bei Beschlussunfähigkeit1808, bei Ausschluss eines Mitglieds1809) und im Falle eines gesetz- oder

_____

1802 Ebenso § 28 S 2 MitbestG, § 10 S 2 MontanmitbestG, § 11 S 2 MitbestErgG. 1803 Allg Meinung, s Hüffer/Koch § 108 Rn 6. 1804 BGH NZG 2007, 516. AA noch BayObLG NZG 2003, 691. Analyse bei Priester, AG 2007, 190. 1805 S o Rn 992. 1806 KK-Mertens, Kom AktG 3. Aufl. 2004 ff, § 108 Rn 200; aA K. Schmidt/Lutter/Drygala, Kom AktG 2008, § 108 Rn 17. 1807 Rn 910 ff. 1808 Zu den Folgen der Beschlussunfähigkeit, wenn, wie in der Praxis vorkommt, das Amtsende von Aufsichtsratsmitgliedern nicht beachtet wird, Fortun, DB 2007, 1451. 1809 Grundsätzlich aber nicht bei Verstoß gegen § 109 I AktG über die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen. § 109 I ist bloße Sollvorschrift. Freilich kann die Zulassung von nicht befugten Teilnehmern die Geheimhaltungspflicht nach §§ 116, 93 I 3 AktG verletzen. Beschlüsse werden aber idR nicht auf dieser Gesetzesverletzung beruhen noch kann die Gesetzesverletzung durch Nichtigkeit des Beschlusses bereinigt werden.

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satzungswidrigen Inhalts sind die Aufsichtsratsbeschlüsse nichtig1810. Für die Klage sind oben1811 die Klagebefugnis und die Gesellschaft als Klagegegner festgestellt und, wie gesehen, eine kurze Frist, mit deren Ablauf Verwirkung eintritt, anzunehmen. Im Falle der Nichtigkeit oder Anfechtung einer einzelnen Stimmabgabe ist von einem Beschlussmangel nur dann auszugehen, wenn die Stimmabgabe kausal für den Beschluss war. Eine Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen kann sich insbesondere aus 1127 einem Verstoß gegen §§ 93, 116 AktG ergeben1812. Betreffend die Nichtigkeit eines von Vorstand und Aufsichtsrat festgestellten Jahresabschlusses gilt die Sondervorschrift des § 256 II AktG.

g. Kompetenz 1128 Die grundsätzliche Vorschrift ist schon genannt: Nach § 111 I AktG hat der Auf-

sichtsrat die Geschäftsführung zu überwachen. Das Gesetz misst dem Aufsichtsrat sodann vor Allem die Personalkompetenz für den Vorstand zu: –

Der Aufsichtsrat hat den Vorstand zu bestellen und die Dienstverträge zu schließen (§§ 30 IV, 84)1813.

Weiter ist der Aufsichtsrat das Vertretungs- und Organisationsorgan der Gesellschaft gegenüber dem Vorstand: –

Er hat die Gesellschaft gegenüber dem Vorstand zu vertreten (§ 112)1814. Insbesondere hat er mögliche Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand geltend zumachen.

_____ 1810 Keine Nichtigkeitsgründe sind nach OLG München ZIP 2017, 372 die Anwesenheit eines Dritten ohne Beeinflussung des Beschlusses und die möglichwerweise mangelhafte Informationsgrundlage. 1811 Rn 910. 1812 S den Fall ARAG/Garmenbeck u Rn 1140 ff. 1813 Wegen der Kompetenz des Aufsichtsrats für den Anstellungsvertrag mit den Vorstandsmitgliedern hält LG Frankfurt a.M. ZIP 1997, 1030 die Ermächtigung des Vorstands durch die HV nach § 221 I, II AktG, Aktienoptionen an Führungskräfte auszugeben, darunter auch an Mitglieder des Vorstands, nur im Hinblick darauf für zulässig, dass die Ausgabe an die Zustimmung des Aufsichtsrats geknüpft war. 1814 Dies gilt auch bei Streitigkeiten mit einem früheren Vorstandsmitglied, s OLG München DStR 2003, 1719. Zuständig für die Vertretung der Gesellschaft gegenüber früheren Vorstandsmitgliedern ist nicht die gegenwärtige Leitung der Gesellschaft, sondern der Aufsichtsrat. Aber nicht der Aufsichtsratsvorsitzende allein, OLG Dresden WM 2007, 1029, 1032. Nicht anwendbar ist § 112 bei parallelen Erklärungen von Gesellschaft und Vorstandsmitglied im Rahmen eines mehrseitigen Vertrages gegenüber einer anderen Vertragspartei, BGH WM 2017, 1940.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 621

– –

Die Regelung des § 148 I 2 Nr 3 AktG über die Zulassung der Klagen von Minderheitsaktionären ist auch Richtschnur für den Aufsichtsrat1815. Er kann eine Geschäftsordnung für den Vorstand erlassen (§ 77 II 1). Sofern die Satzung ihn ermächtigt, kann er eine Alleinvertretungsmacht für einzelne Vorstandsmitglieder oder deren Gesamtvertretungsmacht zusammen mit einem Prokuristen begründen (§ 78 III 2).

Eine der wichtigsten Kompetenzen des Aufsichtsrates ist die Mitzuständigkeit 1129 für den Jahresabschluss: Der Aufsichtsrat hat bei prüfungspflichtigen Gesellschaften (s § 316 HGB) den Auftrag zur Prüfung des Jahresabschlusses an den Abschlussprüfer zu erteilen (§ 111 II 3 AktG). Er prüft – bei Bestellung eines Prüfers zusammen mit diesem – den Jahresabschluss und den Lagebericht, die der Vorstand aufgestellt und ihm vorzulegen hat, und hat darüber der HV schriftlich zu berichten (§§ 170 I, 171 I, II 1 AktG). Nach §§ 172 f AktG stellt die HV nur dann, wenn Vorstand und Aufsichtsrat dies entscheiden oder wenn zwischen ihnen Streit über die Feststellung besteht, den Jahresabschluss fest. Ansonsten wird der Jahresabschluss dadurch festgestellt, dass der Aufsichtsrat den Entwurf des Vorstands billigt. In der Publikums-AG ist die Feststellung durch die HV nicht sehr sinnvoll. Deshalb ist hier ein weitgehender Zwang zur Einigung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat begründet. Dies eröffnet dem Aufsichtsrat großen Einfluss. Sind Aufsichtsrat und Vorstand über die Billigung einig, entscheidet die HV nur noch über die Gewinnverwendung (§ 174 AktG). Der Aufsichtsrat kann aber zusammen mit dem Vorstand nach § 58 II AktG die Hälfte des Jahresüberschusses in freie Rücklagen einstellen und damit der Gewinnverwendung durch die HV vorenthalten. In diesen Zusammenhang gehört noch die folgende Einzelzuständigkeit: –

Beim genehmigten Kapital bedarf der Vorstand zur Regelung der Bedingungen der Aktienausgabe der Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 204 I 2 AktG).

Der Aufsichtsrat ist Überwachungsorgan. Ihm können aber keine Geschäftsfüh- 1130 rungsmaßnahmen übertragen werden (§ 111 I, IV 1 AktG). Er soll jedoch Einzelkompetenzen der Einschaltung in die Geschäftsführung innehaben: Die Satzung oder der Aufsichtsrat haben nämlich zu bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dür-

_____ 1815 Redeke, ZIP 2008, 1549, der § 148 I 2 Nr 4 den Gegengrund des Entgegenstehens überwiegender Gründe des Gesellschaftswohls entnimmt und die Frage stellt, ob für die Entscheidung über die Geltendmachung die business judgment rule (§§ 116, 93 I 2 AktG) gilt oder es sich um eine rechtliche Entscheidung handelt.

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fen (§ 111 IV 2 AktG)1816. Die Satzung kann das Recht des Aufsichtsrats, einen solchen Zustimmungsvorbehalt zu regeln, nicht ausschließen. Verweigert der Aufsichtsrat die erforderliche Zustimmung, kann der Vorstand verlangen, dass die HV über die Zustimmung beschließt. Diese kann mit 3/4-Mehrheit der abgegebenen Stimmen die Zustimmung erteilen (§ 111 IV 3, 4, satzungsfest nach S 5 der Vorschrift). Steht die Gesellschaft als abhängige in einem Vertragskonzern, so kann ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates bei einer Weisung des herrschenden Unternehmens nur relevant werden, wenn der Aufsichtsrat darauf hinweisen kann, dass die Weisung offensichtlich nicht den Belangen des herrschenden Unternehmens oder sonstiger konzernverbundener Unternehmen dient (s § 308 II 2 AktG aE). Bei Nichteingreifen des Zustimmungsvorbehalts stehen dem Aufsichts1131 rat im Fall eines Streites zwischen ihm und dem Vorstand über bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen folgende Mittel zur Verfügung: Sieht er das Wohl der Gesellschaft berührt, hat er nach § 111 III AktG die HV einzuberufen. Sodann steht ihm hinsichtlich der Beschlussfassung der HV zu bestimmten Tagesordnungspunkten ein Vorschlagsrecht zu (§ 124 III AktG). Der Aufsichtsrat kann sodann streitige Angelegenheiten im Rechenschaftsbericht erwähnen (§ 171 II AktG). Er kann erwägen, gegen den Vorstand Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche gemäß § 93, 112 AktG zu erheben. Schließlich kommt die Abberufung von Vorstandsmitgliedern aus wichtigem Grund in Betracht (§ 84 III AktG).

_____ 1816 Nach der früheren Fassung des § 111 IV 2 war nur die Möglichkeit der Einführung eines Zustimmungsvorbehalts geregelt. Der Aufsichtsrat hatte also auch betreffs des Ob eines Vorbehalts Ermessen. Jetzt kommt ihm nur noch das Ermessen in Hinsicht auf den Kreis der zustimmungsbedürftigen Geschäfte zu. Den Vorbehalt kann der Aufsichtsrat auch ad hoc zu einem Geschäft aussprechen. Das Ermessen kann auf Null schrumpfen. Dann trifft den Aufsichtsrat die Pflicht zur Einführung eines Zustimmungsvorbehalts, so dass ein dies missachtender Beschluss nichtig ist, BGHZ 124, 111, 127. Die Neufassung des § 111 IV 2 AktG verpflichtet nunmehr, entweder in der Satzung oder durch den Aufsichtsrat einen Zustimmungsvorbehalt einzuführen. Nach der Begründung des RegE ist der Zustimmungsvorbehalt namentlich für Entscheidungen zu bestimmen, welche die „Unternehmensstrategie“ betreffen oder als weitreichende Investitionsentscheidungen „die Ertragsaussichten der Gesellschaft grundlegend verändern“ (BT-Drucks 14/8769, S 17). Konkretisierungsversuch bei Lange, DStR 2003, 376. In der Begr zum RegE des BilReG wird die Erteilung des Beratungsauftrags durch den Vorstand an den Abschlussprüfer als besonders geeignet für einen Zustimmungsvorbehalt bezeichnet (BR-Drucks 326/04, S 55). Die Neufassung des § 111 IV 2 geht auf einen Vorschlag der Baums-Kommission (Regierungskommission Corporate Governance), 2001, Rn 34 f zurück. Dort ist die Art der unter Zustimmungsvorbehalt zu stellenden Geschäfte wie folgt gekennzeichnet: Geschäfte, „die die Ertragsaussichten der Gesellschaft oder ihre Risikoexposition grundlegend verändern“.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 623

Im Unterschied zur Zuständigkeit zu aktiver Geschäftsführungstätigkeit hat 1132 der Aufsichtsrat nach innen zunächst die rückblickende Kontrolle (§ 111 I AktG), zu deren Erfüllung das Sonderprüfungsrecht nach § 111 II AktG bereitsteht. Sodann steht dem Aufsichtsrat auch die in die unternehmerischen Führungsentscheidungen eingespannte vorbeugende Kontrolle zu (s § 90 I Nr 1 AktG und §§ 170 ff AktG – hier insbesondere die Mitzuständigkeit für den Lagebericht –)1817. Aber auch mit der Einschaltung in die Unternehmensplanung geht die Rolle des Aufsichtsrats nicht über die eines Kontrollorgans hinaus1818. Eine allgemeine Genehmigungszuständigkeit des Aufsichtsrates hinsichtlich der Unternehmensplanung ist nämlich aus dem Gesetz nicht zu begründen1819. Der BGH spricht zutreffend nur von einer „in die Zukunft gerichteten Kontrolle“1820. Die vorbeugende Kontrolle bezieht sich, wenn sie auch immer über den 1133 Vorstand gehen muss, bei einer Spartenorganisation, in der wesentliche Unternehmensentscheidungen von nachgeordneten Personen gefällt werden, auch auf diese nachgeordneten Personen. Auch die Leitungsangelegenheiten, die es für den Vorstand im Hinblick auf abhängige Unternehmen gibt, werden von der Kontrollzuständigkeit des Aufsichtsrates umfasst.

h. Pflichten, Haftung der Aufsichtsratsmitglieder Für die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gilt die entsprechende Regelung 1134 wie für den Vorstand (§ 116 1 iVm § 93, weiter § 117 II AktG)1821. Gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern wird die AG durch den Vorstand vertreten. Nach den genannten Bestimmungen hat der Aufsichtsrat die Pflicht, sein Amt im Interesse der Gesellschaft sorgfältig auszuüben1822. Vor allem trifft den Aufsichtsrat die Pflicht zur Wahrnehmung seiner Rechte gegenüber dem Vorstand, insbesondere

_____ 1817 Die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats sollte durch Verabschiedung des TransPuG gestärkt werden. Übersicht über die Neuregelungen zB bei Gaul/Otto, GmbHR 2003, 6 ff. Zur Intensität der möglichst laufenden Zusammenarbeit DCGK Ziff. 5.2 Abs 3. 1818 S Albach, ZGR 1997, 32. 1819 Anders Albach aaO. Albach nennt freilich keine Belege. 1820 BGHZ 114, 127, 129 f. In der Entscheidung geht es um die Unwirksamkeit eines Vertrages über die Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds für die Gesellschaft, die schon von der Aufsichtsratstätigkeit umfasst sein konnte. 1821 Zur Haftung umfassend Thümmel Haftung von Managern und Aufsichtsräten 5. Aufl 2016. 1822 Zur Pflicht des Aufsichtsratsvorsitzenden, in einer Krisensituation den Aufsichtsrat einzuberufen, LG München I NZI 2007, 609.

624 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

die Überwachungspflicht1823. Das notwendige Korrelat für die unbeschränkte Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat (§ 90 AktG) ist die Schweigepflicht der Aufsichtsratsmitglieder – namentlich auch der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – nach § 116 S 1 iVm § 93 I 3 AktG sowie § 116 S 2 AktG1824. Bei börsennotierten Aktiengesellschaft ergänzt das Vertraulichkeitsgebot das kapitalmarktrechtliche Verbot der Weitergabe von Insiderinformationen. Die besonderen Pflichten des Vorstands gemäß den §§ 88–92 AktG, insbesondere das Wettbewerbsverbot, wie es für Vorstandsmitglieder in § 88 bestimmt ist, gelten für Aufsichtsratsmitglieder nicht. Das Wettbewerbsverbot ist für das Aufsichtsratsmandat als Nebenamt und angesichts der Möglichkeit mehrerer Mandate unpassend. Allerdings muss der Möglichkeit von Interessenkonflikten gesteuert wer1135 den. Ziff. 5.5.2 und 3 DCGK nehmen sich der Frage an: Pflicht zur Amtsniederlegung bei dauerndem Konflikt wesentlicher Natur1825, Gebot der Offenlegung im Aufsichtsrat und vor der HV bei Schwierigkeiten etwa durch Beratungstätigkeiten für oder Organfunktionen in Unternehmen, wenn deren Tätigkeit sich im Einzelfall mit derjenigen der Gesellschaft überschneidet. Das Mittel einer Abschottung der Aufsichtsratstätigkeit vom Hauptberuf, das in Gestalt von Stimmverboten vorgeschlagen worden ist für die Fälle, dass ein Engagement des Aufsichtsratsmitglieds außerhalb seines Mandats für bestimmte Interessenträger seines Hauptberufs besteht und sich im Aufsichtsrat Interessenkonflikte abzeichnen könnten1826, ist zu diffus und deshalb nicht zu vertreten. Jedes Aufsichtsratsmitglied hat die Aufgaben des Aufsichtsrats in eigener 1136 Verantwortung wahrzunehmen (§ 111 VI AktG, § 101 III 1 über die Unzulässigkeit von Vertretern ist eine Konsequenz daraus). Aus gegebenem Anlass muss das Aufsichtsratsmitglied für die Einberufung des Aufsichtsrats und eine entsprechende Tagesordnung sorgen (§ 110 AktG). Alle Aufsichtsratsmitglieder

_____ 1823 Zur Compliance-Überwachung Blassl, WM 2017, 992. 1824 Sondervorschriften für die Beteiligung von Gebietskörperschaften in §§ 394, 395 AktG. Strafsanktion in § 404 AktG. Zur Verschwiegenheitspflicht BGHZ 64, 325, dazu Rittner, FS Hefermehl 1976, 365. Zur möglichen Kollision zwischen der gesetzlichen Pflicht zur Berichterstattung gegenüber der HV nach § 171 II AktG und der Vertraulichkeit Drygala, AG 2007, 381. 1825 Zur Abberufung aus wichtigem Grund nach § 103 III AktG im Fall der Zugehörigkeit eines den Atomausstieg betreibenden Ministers aus einem die Kernkraft nutzenden Energieversorgungsunternehmen OLG Hamburg AG 1990, 218. 1826 Beispiel die Führung von Tarifverhandlungen für Gewerkschaften oder die Teilnahme an Arbeitskämpfen und sodann spätere Abstimmung im Aufsichtsrat über einen einschlägigen Gegenstand.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 625

– dh auch die Arbeitnehmervertreter1827 – müssen folglich gleichermaßen ein Mindestmaß an Überblick und Sachverstand mitbringen1828. Für ihre Verantwortlichkeit ist sodann, ausgehend von diesem Mindestmaß, aufgrund der verschiedenen Erfahrungshorizonte und der Zuständigkeitsaufteilung unter den verschiedenen Aufsichtsratsmitgliedern zu differenzieren. Etwa kann die Erfolgsaussicht einer technischen Innovation vom technisch vorgebildeten Aufsichtsratsmitglied besser beurteilt werden als von den Bankenvertretern. Das für Rechnungslegung oder Abschlussprüfung sachverständige Mitglied (§ 100 V AktG) ist für diese Gebiete führend verantwortlich. Die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder ist bezogen auf das Unternehmensinteresse. Es gibt keine Abhängigkeit von Weisungen von Drittpersonen1829. Stimmbindungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern, auch wenn sie nur mit wirtschaftlichen Sanktionen arbeiten, sind unwirksam. Mit der Ausrichtung auf das Unternehmensinteresse ist, weil das Unternehmensinteresse alle beteiligten Interessen umfasst, auch ein Schwerpunkt in der Ausrichtung von Arbeitnehmervertretern auf die Verfolgung der Arbeitnehmerinteressen vereinbar. Die Gemeinsamkeit der Ausrichtung auf das Unternehmensinteresse gilt für die Ausübung des Aufsichtsratsmandats. In Tätigkeitsbereichen außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit können die Aufsichtsratsmitglieder die Interessen ihres Hauptberufs verfolgen. Aber immerhin trifft sie, wie ausgeführt, die Schweigepflicht nach §§ 93 I 3, 116 AktG. Die Wahrnehmung des Aufsichtsratsamtes in der eigenen Verantwortung vor dem Unternehmensinteresse ist vom Gericht nur im Rahmen der §§ 93, 116 AktG, also, abgesehen von Gesetzes- und Satzungsverletzungen, im Hinblick auf einen Ermessensmissbrauch nachzuprüfen. Die Haftung verschärfende oder mildernde Vorschriften in der Satzung sind nicht zulässig1830. Die Unzulässigkeit folgt aus der Beschränkung der Satzungsautonomie nach § 23 V AktG. Dass die Haftung eines Aufsichtsratsmitglieds geltend gemacht wird, ist selten1831. Zwei Gründe gibt es: Zunächst ist der Vorstand zur Erhebung einer

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1827 Zur Haftung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Edenfeld/Neufang, AG 1999, 49. 1828 BGHZ 85, 293 (Hertie). 1829 Weder für Arbeitnehmervertreter (s § 4 II MontanmitbestG) noch für entsandte Aufsichtsratsmitglieder. Zulässig sind aber erläuternde Hinweise bzw Richtlinien in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats zur Wahrung der Geheimhaltung, BGHZ 64, 325, 328 (zur Entscheidung Rittner, FS Hefermehl, 1976 S 365). 1830 So BGHZ 64, 325 betr die Schweigepflicht der Arbeitnehmervertreter. 1831 Zu der Aufsichtsratshaftung soll der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Abs, gesagt haben: Ein Aufsichtsratsmitglied zur Haftung bringen zu wollen, sei so, wie wenn

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Klage zuständig. Angesichts seines Zusammenwirkens mit dem Aufsichtsrat und der Kontrollfunktion, die der Aufsichtsrat ihm gegenüber hat, wird er das kaum einmal tun. Es kommt also mehr auf die Rechte der HV oder einer Aktionärsminderheit nach §§ 147, 148 AktG an. Und zu deren Gebrauch kommt es auch nur selten. Der zweite Grund ist der große Ermessensspielraum, den der Aufsichtsrat – ebenso wie der Vorstand – hat. Die Problematik war Gegenstand der Prozessserie im Fall ARAG/Garmenbeck1832: 1141

Die ARAG ist eine große Rechtsschutzversicherung mit Sitz in Düsseldorf. Sie ist von 2 Brüdern aufgebaut worden. Nach deren Tod sind die beiden Familienstämme beteiligt. Diese sind heftig zerstritten. Vorstandsvorsitzender der ARAG ist ein Mitglied des einen Familienstammes. Der Vorstandsvorsitzende baut zusammen mit dem Finanzvorstand zwei 100%-ige Tochtergesellschaften (AR-Grund, AR-Finanz) auf, die Geschäfte betreiben sollten, die nach § 7 II VAG1833 für Versicherungsgesellschaften möglicherweise nicht zugelassen sind. Der Finanzvorstand wird Geschäftsführer der Gesellschaften. Die Tochtergesellschaften treten mit Garmenbeck Ltd, London, in Verbindung. Diese Gesellschaft ist eine bloße Briefkastengesellschaft, gegründet von dem deutschen Elektroinstallateur A, der mit seinem Elektrogeschäft Konkurs gemacht hat. Garmenbeck bietet die Aufnahme von Krediten zu überhöhten Zinsen und die Ausgabe von Krediten zu Zinsen unter Marktniveau an (die Gerichte werden dazu feststellen, dass es sich um ein Schneeballsystem handelt). Die ARAG-Töchter steigen in den Geschäftsverkehr mit Garmenbeck ein. Sie besorgen über Schweizer Banken Euro-Kredite, die sie an Garmenbeck zu überhöhtem Zins weiterreichen. Sie lassen sich andererseits von Garmenbeck Kredite zu Zinsen unter Marktniveau auszahlen. Davor, dass das Schneeballsystem vorzeitig zusammenbrechen könnte, sichern sich die ARAG-Töchter durch lückenlose Banksicherheiten. Nur bei einem dieser Umwälzvorgänge versagt das Sicherungssystem. Der Finanzvorstand gibt einmal eine Tranche von 55 Mio DM an Garmenbeck (dh an A) frei, ohne dass vorher schon die Sicherheiten da sind. A vereinnahmt die 55 Mio DM. Die Garmenbeck Ltd bricht zusammen.

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man versuche, ein eingeseiftes Schwein am Schwanz festzuhalten. Die Zeiten scheinen sich insbesondere durch die mehrfachen Aufsichtsratsreformen (etwa im KontraG und TransPuG) geändert zu haben. So kommt es heutzutage vor, dass sich der Aufsichtsrat entschließt, Haftungsansprüche gegen (insbesondere frühere) Vorstandsmitglieder geltend zu machen, weil er bei Nichtgeltendmachung die eigene Haftung befürchtet. Dies scheint der Hintergrund zu sein für die Inanspruchnahme früherer Vorstandsmitglieder der Bilfinger-SE um den ehemaligen Ministerpräsidenten von Hessen, Roland Koch, s Bericht der SZ vom 22.02.2018 S 17. 1832 Nachbildung und Lösung des Falls bei Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005 – Fall 5 (Variante 2). 1833 „Versicherungsunternehmen dürfen neben Versicherungsgeschäften nur solche Geschäfte betreiben, die hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehen“. Die Vorschrift beruht auf Art 8 I lit b der ersten EG-Richtlinie zum Versicherungsaufsichtsrecht (v 24.7.1973–73/ 239/EWG – ABl v 16.8.1973 Nr L 228 S 3). Entsprechend der Maßgabe der Richtlinie wird in dem neuen § 7 II VAG erstmals gesetzlich festgelegt, dass die Versicherungsunternehmen als Spezialunternehmen keine versicherungsfremden Geschäfte betreiben dürfen.

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Folgende Verfahren entwickeln sich: 1. A ist untergetaucht und wird mit englischem Haftbefehl gesucht. 2. Der Finanzvorstand der ARAG ist rechtskräftig wegen Untreue und Steuerhinterziehung strafrechtlich verurteilt. 3. Der Aufsichtsrat der ARAG beschließt über die Frage, ob gegen den Vorstandsvorsitzenden Schadensersatzklage erhoben wird. Der Familienstamm um den Vorstandsvorsitzenden hat mit Arbeitnehmervertretern des Aufsichtsrates zusammen die Mehrheit. Die Klageerhebung wird abgelehnt. Gegen diesen Beschluss klagen die überstimmten Aufsichtsratsmitglieder auf Feststellung der Nichtigkeit. Das LG Düsseldorf1834 gibt der Klage statt. Dreher äußert sich1835 iS eines weiten Ermessens des Aufsichtsrats, und zwar auch zur Fallgestaltung ARAG/Garmenbeck. Darauf entgegnet Lutter scharf1836. Die Berufungsinstanz (OLG Düsseldorf)1837 entscheidet iS Drehers. In der Revisionsinstanz hebt der II. Senat des BGH auf und verweist die Sache zurück1838. 4. Ein Minderheitsverlangen aus der HV führt in der außerordentlichen HV vom 26.10. 1994 zu dem Beschluss, gegen die Vorstandsmitglieder einschließlich des Vorstandsvorsitzenden (ausgenommen ist der Finanzvorstand) Klage auf Schadensersatz zu erheben. Die daraufhin erhobene Klage weist eine andere Kammer des LG Düsseldorf ab1839. Die Begründung ist: Die Mitglieder des Vorstands hätten das Verhalten des Finanzvorstands nicht erkennen können. Gegen den Beschluss der HV vom 26.10.1994 und einen weiteren damit identischen Beschluss der HV vom 10.1.1995 erhebt der Vorstand Nichtigkeitsklage. Sie wird vom OLG Düsseldorf abgewiesen1840. 5. Klage des Aufsichtsrates gegen den Finanzvorstand. Dieser Klage hat das OLG Düsseldorf1841 stattgegeben.

Es ist geradezu anstoßerregend, dass die Gerichte sich mit der Voraussehbarkeit 1142 von Schäden für die ARAG befassen, statt hervorzuheben, dass man sich an solchen Geschäften, wie sie im Fall betrieben worden sind, überhaupt nicht beteiligt. Diejenigen Vorstandsmitglieder, die von der Art der betriebenen Geschäfte wussten, hätten schon wegen der Zurechnung aller Folgen in dem Fall, dass vorsätzlich pflichtwidrige Geschäfte begonnen werden, haften müssen. Entsprechend ist ein Aufsichtsratsbeschluss, der trotz dieser Haftung die Erhebung

_____ 1834 ZIP 1994, 628. 1835 ZHR 158 (1994), 614. 1836 ZIP 1995, 441. Auf die Entgegnung Lutters hat Dreher geantwortet in ZIP 1995, 628. 1837 ZIP 1995, 1183. 1838 ZIP 1997, 883 = BGHZ 135, 244 f. Durch das Urteil hat laut Fleischer, NZG 2004, 1131, die Business Judgment Rule den höchstrichterlichen Ritterschlag erhalten. Zu den Urteilen des OLG Düsseldorf und des BGH Horn, ZIP 1997, 1129. 1839 ZIP 1995, 1985. 1840 ZIP 1997, 1153. Im Sachverhalt wird S 1155 l Sp von einer Nichtigkeits- und Anfechtungsklage gesprochen. Nach dem Urteil unter II c cc ist Anfechtungsklage nicht erhoben worden, wäre sie andernfalls auch nicht fristgemäß (§ 246 I AktG). 1841 ZIP 1997, 27.

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von Schadensersatzklagen gegen den Vorstand ablehnt, wegen Verstoßes gegen §§ 93, 116 nichtig. Die Haftungssanktionen gegen Aufsichtsratsmitglieder sind, zusam1143 mengefasst, die folgenden: Neben der Schadensersatzpflicht nach §§ 93, 116 AktG sind weitere Sanktionen aus § 117 AktG1842 sowie aus der Organhaftung gegenüber der Gesellschaft bei deren Abhängigkeit (§ 318 II AktG) und schließlich aus den Straftatbeständen der §§ 399 ff AktG, 266 StGB, diese iVm § 823 II BGB zu entnehmen1843.

3. Die Hauptversammlung a. Zuständigkeit 1144 Ausgangspunkt für die Behandlung der HV ist § 118 I 1 AktG. Die Aktionäre

üben ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft in der HV aus, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt1844. Nach § 118 I 2 und II kann die Satzung vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen vorzusehen, dass die Aktionäre an der HV auf elektronischem Wege teilnehmen („Erscheinen“ iSv § 245 Nr 1 AktG) und ihre Stimme abgeben können (Briefwahl). Vorstand und Aufsichtsrat sollen teilnehmen, die Satzung kann für bestimmte Fälle die Teilnahme per Bild- und Tonübertragung ermöglichen (Abs 3). Abs 4 ermöglicht die Bild- und Tonübertragung der Versammlung1845. Die HV hat nach dem AktG neben den generellen Kompetenzen von Vorstand und Aufsichtsrat eine nur beschränkte Zuständigkeit1846. In Geschäftsführungsfragen ist die HV mit den Einschränkungen der Rechtsprechung (Holzmüller, Gelatine1847) nur auf Verlangen des Vorstands zuständig (§ 119 II

_____ 1842 S dazu BGHZ 94, 55. 1843 Mit der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Aktionären aus sittenwidriger Schädigung wegen Beihilfe zu betrügerischer Kapitalerhöhung beschäftigt sich OLG Düsseldorf DB 2008, 1961 mit Anm Wilsing/Ogorek. 1844 Andere Bestimmungen sind etwa die über den Dividendenzahlungsanspruch (§ 58 IV) und die Anfechtungsbefugnis (§ 245). Vgl weiter Hüffer/Koch § 118 Rn 9. 1845 Einführung der elektronischen Mittel nicht nur für die Teilnahme von Vorstand und Aufsichtsrat (so noch § 118 II aF) durch das ARUG. 1846 „Nach der Organisationsverfassung der AG sind die Aktionäre den anderen Gesellschaftsorganen nicht übergeordnet“; die HV hat „nach der zwingenden Organisationsverfassung der AG keine allumfassende Kontrollbefugnis über die Verwaltung“, BVerfG NJW 2000, 349 (350, 351) = NZG 2000, 192 (Wenger/Daimler-Benz). 1847 Die bisher dritte im Bunde, Macrotron, aufgegeben durch BGH NJW 2014, 146.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 629

AktG)1848. Der Vorstand kann, insbesondere im Fall eines Zustimmungsvorbehalts für den Aufsichtsrat und bei von diesem verweigerter Zustimmung, verlangen, dass die HV über die Zustimmung beschließt (§ 111 IV 3, 4 AktG). In Angelegenheiten, die die anderen Organe, deren Kontrolle und die Rechnungslegung sowie Gewinnverwendung betreffen, ist die HV für die folgenden Fragen zuständig: 1.

2.

3.

Bestellung der – nicht entsandten – Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat (§ 119 I 1145 Nr 1 iVm § 101 I 1 AktG). Ebenso deren Abberufung (§ 103 I 1 AktG; S 2 macht hierfür vorbehaltlich der Satzung eine 3/4-Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich). Die Vergütung des ersten Aufsichtsrats und des Aufsichtsrats weiterhin, wenn diese nicht in der Satzung geregelt ist (§ 113 II, I 2 AktG). Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns (§ 119 I Nr 2 AktG). Der Kompetenzbereich ist gering: Nach §§ 172 ff AktG Entscheidung der HV über die Feststellung des Jahresabschlusses nur, wenn Aufsichtsrat diesen nicht billigt oder Vorstand und Aufsichtsrat die Entscheidung der HV überlassen; nach § 58 AktG Möglichkeit der Thesaurierung für HV neben der der anderen Organe je nach Feststellungszuständigkeit. Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrates (§ 119 I Nr 3 AktG). Die Verhandlung über die Entlastung soll mit der über die Verwendung des Bilanzgewinns verbunden werden (§ 120 III AktG). Zum zeitlichen Rahmen des Entlastungsbeschlusses und zur Alternative der Gesamtentlastung oder der Entlastung einzelner Mitglieder s § 120 I AktG. Der Beschluss enthält eine Billigung der Unternehmensleitung (§ 120 II 1), ohne dass dem Beschluss – so wie früher und jetzt noch im Recht der GmbH – die Bedeutung eines Verzichts1849 auf Schadensersatzansprüche zukommen würde (§ 120 II 2 AktG). Ein Verzicht auf Schadensersatzansprüche durch die Gesellschaft (ihr Vertretungsorgan) ist nur bei Zustimmung der HV ohne den Widerspruch einer Minderheit und grundsätzlich erst nach 3 Jahren möglich (§ 93 IV 3, Ausnahme in S 4; für den Aufsichtsrat gilt § 116 iVm § 93 IV 3, 4; für die Gründung s § 50; für die Ersatzpflicht nach § 117 I s § 117 IV AktG). Die Entlastung steht nicht gänzlich im Belieben der HV. Bei „eindeutig schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstößen“, andererseits aber auch nur bei solchen,

_____ 1848 Schaltet der Vorstand die HV nach § 119 II AktG zur Beschlussfassung über grundlegende Vertragsschlüsse ein (im Fall Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Vermögens einer 100%igen Tochter), muss er sie entsprechend den Vorschriften über zustimmungspflichtige Verträge (hier § 179a II AktG) mit den erforderlichen Informationen und Unterlagen versehen, BGH NJW 2001, 1277. 1849 Auch im GmbH-Recht wird allerdings nicht von Verzicht gesprochen, sondern von einer „Präklusionswirkung“ des Entlastungsbeschlusses; die Geschäftsführer könnten sich gegen eine spätere Inanspruchnahme unter Berufung auf § 242 BGB (venire contra factum proprium) zur Wehr setzen (K. Schmidt § 36 II 4 d S 1080 ff.)

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4. 5. 6.

ist der HV-Beschluss rechtswidrig und anfechtbar1850. Das OLG München1851 hat deshalb die Anfechtbarkeit verneint, obwohl nach Ansicht des Gerichts das Vergütungssystem des Aufsichtsrats einer Tochtergesellschaft § 87 AktG verletzte, weil es die Vergütung des Vorstands auch an der Geschäftsentwicklung der herrschenden Gesellschaft ausrichtet, deren Interesse nicht notwendig konform mit dem Interesse der abhängigen Gesellschaft gehe. Schwerwiegend sei der Verstoß aber nicht, weil die Rechtswissenschaft, auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelung zum Schutz der abhängigen Gesellschaft, darüber streite, ob die Orientierung (u a) an den Interessen der herrschenden Gesellschaft der Lage in der abhängigen Gesellschaft unangemessen sei. Ist der Entlastungsbeschluss mit seiner bloßen Billigungswirkung von schwacher Bedeutung, so kommt eine größere Relevanz der Verweigerung der Entlastung eines Vorstandsmitglieds zu. Durch diese Verweigerung ist das betroffene Vorstandsmitglied nicht nur in seiner Stellung erheblich geschwächt. Vielmehr muss der Aufsichtsrat prüfen, ob er an die Verweigerung der Entlastung nach § 84 III 1 AktG die Abberufung aus wichtigem Grund knüpft. Die Vorschrift nennt in Abs 3 S 2 als wichtigen Grund den Vertrauensentzug durch die HV1852. Man könnte unterscheiden, dass die Verweigerung der Entlastung die Amtsführung der vergangenen Zeit betreffe, der Vertrauensentzug aber für die Zukunft auszusprechen sei1853. Das ist zu fein gesponnen. Man fragt sich auch, wie Beschlüsse über den Vertrauensentzug noch neben dem über die Verweigerung der Entlastung zustande kommen sollen. Weiter sollte der Stimmrechtsausschluss nach § 136 I AktG nicht auf den Entlastungsbeschluss unter Ausklammerung des Beschlusses über den Vertrauensentzug beschränkt werden1854. Zu beachten ist, dass § 84 III 1 die Abberufung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in das Ermessen des Aufsichtsrats stellt, Geltendmachung von Ersatzansprüchen bzw Verzicht nach den soeben genannten Vorschriften (§§ 50, 93 IV 3, 117 IV, 147 AktG). Bestellung des Abschlussprüfers (§§ 119 I Nr 4 AktG, 318 HGB), Bestellung von Sonderprüfern (§§ 119 I Nr 7, 142 AktG). Bei börsennotierten Gesellschaften kann die HV über die Billigung des Systems der Vergütung der Vorstandsmitglieder beschließen. Der Beschluss ist ohne be-

_____ 1850 BGHZ 153, 47 (Macrotron); OLG Frankfurt AG 2007, 401. Liegt der Fehler in der Verweigerung einer Auskunft, so ist der Entlastungsbeschluss anfechtbar, wenn die Auskunft zur sachgerechten Beurteilung, ob die Organmitglieder zu entlasten sind, erforderlich war (BGHZ 160. 385, 388 ff, BGHZ 194, 14, 25 f). LG Frankfurt a.M. AG 2005, 51 meint, es müsse sich um Verstöße handeln, die gerade in dem Jahr lägen, auf das sich der Entlastungsbeschluss beziehe. Anders der BGH in NZG 2005, 77, 79: Frühere Vorgänge könnten sich erst jetzt ausgewirkt haben oder bekannt geworden sein oder es könne sich um neue Gesichtspunkte handeln, die einen zurückliegenden Vorgang in einem neuen Licht erscheinen ließen. 1851 NZG 2008, 631 (REW-Energy). 1852 Näher zum Beschluss über den Vertrauensentzug o Rn 1036 Fn 1670. 1853 So Hüffer/Koch § 84 Rz 38. 1854 So aber Hüffer/Koch aaO.

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sondere Bedeutung (nur „say on pay“, nicht „decide on pay“1855): Rechte und Pflichten werden nicht begründet, die Verantwortung des Aufsichtsrats nach § 87 nicht berührt. Deshalb ist der Beschluss auch nicht anfechtbar (§ 120 II 1–3 AktG).

Die HV kann weiter die Einleitung einer Sonderprüfung von Vorgängen bei der 1146 Gründung oder der Geschäftsführung beschließen (§ 142 AktG). Das Gesetz enthält Stimmverbote für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder (§ 142 I 2, 3)1855a. Eine Minderheit kann die gerichtliche Einsetzung eines Sonderprüfers erzwingen (§ 142 II)1855b. Dieselbe Minderheit kann nach § 258 II 3 AktG eine gerichtliche Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung von Bilanzposten, dh Unterbewertung von Aktiv- oder Überbewertung von Passivposten (s § 256 V 3 AktG), veranlassen. Das Prüfungsrecht wird durch die Möglichkeit der HV nach § 147 AktG ergänzt, mit einfacher Stimmenmehrheit (§ 133 I AktG) zu beschließen, dass Ersatzansprüche aus der Gründung oder der Geschäftsführung geltend zu machen sind. Soll der Ersatzanspruch nach § 117 AktG gegen einen Mehrheitsaktionär geltend gemacht werden, kann dieser nach § 136 I 1 AktG nicht mitstimmen. Zur Geltendmachung kann die HV besondere Vertreter bestellen (§ 147 II 1 AktG)1856, auf Antrag einer Minderheit auch das Gericht (§ 147 II 2 ff). Auf das Verlangen einer anders bestimmten Minderheit hat das Gericht unter besonderen Voraussetzungen deren Klage zuzulassen (§ 148 AktG1857). Die Klageerzwingungsmöglichkeit nach § 148 AktG kann missbraucht werden, um letztlich nur durch Leistungen der Gesellschaft abgekauft zu werden. Darauf weist § 149 AktG hin, der in § 248a AktG für Anfechtungsklagen aufgenommen ist: Danach sind alle Abmachungen, auch zur Abwendung von Verfahren, ins-

_____

1855 Informationen über die Reformüberlegungen, auch der Europäischen Kommission bei Raiser/Veil § 16 Rn 8. 1855a Anwendungsfall LG München I NZG 2017, 1224 (betr Karwendelbahn-AG). 1855b Durch Beschluss vom 8.11.2017, NZG 2017, 1381, hat das OLG Celle in der Diesel-Affäre der VW-AG nach § 142 II AktG einen Sonderprüfer bestellt (zur Entscheidung Bachmann, ZIP 2018, 101). Die VW-AG hat dagegen Verfassungsbeschwerde erhoben und die einstweilige Anordnung beantragt, dass der Sonderprüfer bis zur Entscheidung auf die Beschwerde nicht tätig werden darf. Mit Beschluss vom 20.12.2017, WM 2018, 132, hat das BVerfG den Antrag abgelehnt. 1856 Zu den Befugnissen des besonderen Vertreters OLG München WM 2008, 215: Die weitgehenden Einsichtsrechte eines Sonderprüfers (§ 145 AktG) stünden diesem nicht zu. Er müsse sich im Rahmen von Ersatzansprüchen halten, zu denen die gerügten Vorgänge konkret bezeichnet werden müssten; für weitergehende Befugnisse noch die Vorinstanz LG München I WM 2007, 2114. Zu den Entscheidungen Mock, DB 2008, 393; Verhoeven, ZIP 2008, 245. 1857 Zu den Kriterien der Unredlichkeit oder groben Gesetzes- oder Satzungsverletzung in § 148 I 2 Nr 3 AktG Seibert, FS Priester 2007, 763; Happ, FS H. P. Westermann 2008, 971, 983 ff.

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besondere über Leistungen der Gesellschaft, offen zu legen. Bei Nichtbekanntmachung sind die Abmachungen unwirksam (§ 149 II 3 AktG). Die Leistungen können zurückgefordert werden (§ 149 II 5 AktG). Vor allem aber verbleiben der HV die Grundlagenentscheidungen. Diese 1147 bedürfen neben der einfachen Stimmenmehrheit (§ 133 I AktG) mindestens einer 3/ -Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals und der Eintra4 gung in das Handelsregister. Zu den Grundlagenbeschlüssen zählen die Beschlüsse über Satzungsänderungen (§§ 119 I Nr 5, 179 I 1 AktG), Kapitalveränderungen (§§ 119 I Nr 6, 182 ff), über die Auflösung der Gesellschaft (§§ 119 I Nr 8, 262 Nr 2), die Umwandlung etc iS des UmwG1858, weiter über die Zustimmung zu Unternehmensverträgen (§§ 293 f) und über die Eingliederung (§§ 319 ff). Besonderes gilt für das Squeeze-out (§§ 327a ff AktG): Die HV beschließt mit Stimmenmehrheit (§ 133 I), der die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre verlangende Hauptaktionär muss aber mindestens 95% des Grundkapitals innehaben (§ 327a I AktG). § 119 I spricht auch von Kompetenzen der HV, die die Satzung bestimmt. 1148 Diese Möglichkeit hat wegen § 23 V AktG nur eine geringe Bedeutung. Als gesetzliche Ermächtigung iSv § 23 V 1 ist die Kompetenz zu satzungsmäßiger Abänderung der Mehrheitsvoraussetzungen zu nennen, die in §§ 103 I 2, 133 II, 179 II 2, 3, 179a I 2 AktG statuiert ist.

b. Organisation und Verfahren (1) Grundgedanke der Regelung 1149 Das AktG regelt die Organisation und das Verfahren der HV in akribischer Genauigkeit, um den Schutz der Aktionärsinteressen (insbesondere Minderheits-, Kleinaktionärsinteressen) gegen die notwendige Straffung der Publikumsversammlung angemessen abzuwägen. Durch das NaStraG, TransPuG, UMAG, EHUG und jüngst die Aktienrechtsnovelle von 20161859 sind in das AktG und hier namentlich in das Recht der HV zahlreiche Änderungen aufgenommen worden. Insbesondere ist die Verwendung neuer, elektronischer Medien wie Internet und e-mail zugelassen worden1860. Die Richtlinie über die Ausübung bestimmter

_____ 1858 Ebenso über Vermögensübertragungen, die unter den Auffangtatbestand des § 179a AktG fallen, der im AktG übrig geblieben ist, nachdem der alte § 361 AktG durch das UmwG ersetzt worden ist. 1859 Oben Rn 83, 85, 84, 90, 103, 143. 1860 ZB offenere Begriffe wie „Mitteilung zu machen“ in § 125 II, „weiterzugeben“ in § 128 I AktG. § 127a AktG ermöglicht die elektronische Kommunikation von Aktionären oder Aktionärsvereinigungen in sog Aktionärsforen. Ebenso können Aktiengesellschaften ermöglichen,

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Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften1861, die neuerliche Änderungen und Ergänzungen, gerade auch im Bereich der elektronischen Kommunikation, vorgegeben hat, ist durch das ARUG umgesetzt1862. Zur Umsetzung steht an die Richtlinie zur Änderung der AR-RL (AR-RL II) mit dem Recht der börsennotierten AG gegenüber den die Aktien betreuenden Intermediäre (insbesondere Banken) auf Identifizierung der Aktionäre zwecks Informationsaustauschs mit ihnen1863.

(2) Einberufung der HV; Teilnahme Der Unterabschnitt der §§ 121 ff AktG regelt die Einberufung der HV. Nach § 121 I 1150 AktG ist die HV in den durch Gesetz oder Satzung bestimmten Fällen und dann einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft es verlangt. Die §§ 175 f AktG enthalten besondere Vorschriften zur Vorbereitung und Einberufung der sog ordentlichen HV, in der es um die Entgegennahme des Jahresabschlusses und des Lageberichts geht1864. Mit der Ausnahme des § 121 VI AktG (s sogleich) sind Beschlüsse der HV bei Verletzung des § 121 II (Zuständigkeit, Erfordernis des Mehrheitsbeschlusses des Vorstands vorbehaltlich anderer Zuständigkeiten), des Abs 3 S 1 (Angabe von Firma und Sitz der Gesellschaft, Zeit und Ort der HV) oder IV (Medium der Bekanntmachung) nichtig (§ 241 Nr 1 AktG)1865, andernfalls sind sie anfechtbar, wenn der Fehler für die Beschlussfassung relevant ist1866.

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dass Anweisungen an das „Proxy Commitee“ (s § 134 III 2 AktG) zum Proxy Voting auf elektronischem Wege gegeben werden. 1861 2007/36/EG des e P und des Rates vom 11.7.2007 ABl v 14.7.2007 Nr L 184 S 17. 1862 O Rn 98. ZB § 118 I, II AktG: Die Satzung kann elektronische Teilnahme des Aktionärs an der HV ermöglichen. Weiter § 124a AktG, wonach alsbald nach der Einberufung hauptversammlungsrelevante Dokumente über die homepage einer börsennotierten Gesellschaft zugänglich sein müssen. Änderung des § 128 I über die Weitergabe von Mitteilungen durch Aktien verwahrende Kreditinstitute an die Aktionäre: Die Satzung kann auf die Weitergabe durch email beschränken (die Kostenersparnis der Gesellschaften, die die Kosten nach der VO zu tragen haben, zu der § 128 III AktG das BMJ ermächtigt, wird in der Einleitung des RefE zum ARUG auf 50 Mio € geschätzt). 1863 Nach Noack NZG 2017, 561 stehen an Änderungen der §§ 121, 125, 128 AktG. 1864 Zu den sich daraus ergebenden Fristen insbesondere bei börsennotierten AG Bedkowski/ Kocher, AG 2007, 341. 1865 Nach LG Frankfurt, ZIP 2008, 1723 mit Anm Wagner und OLG Frankfurt ZIP 2008, 1722 bei Verlangen einer schriftlichen Stimmrechtsvollmacht für die Stimmrechtsausübung eines Vertreters, mit Zugang bei der Gesellschaft zum Verbleib bei ihr, ohne dass die Satzung dafür eine Grundlage bietet. 1866 So für Bekanntmachungsfehler OLG Frankfurt AG 2007, 374. Nach LG Frankfurt ZIP 2007, 2034 sind schon wegen der Möglichkeit, dass Aktionäre sich dadurch von einer Bevollmächtigung haben abhalten lassen und dadurch nicht vertreten waren, HV-Beschlüsse nichtig,

634 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

Nach § 121 VI AktG sind die Vorschriften des Unterabschnitts des AktG über die Einberufung nicht anzuwenden, wenn alle Aktionäre erschienen oder vertreten sind und keiner der Beschlussfassung widerspricht (§ 121 VI AktG). Auf die Möglichkeit, durch die Satzung den Aktionären die elektronische Teilnahme und Stimmabgabe zu ermöglichen (§ 118 I 2, II AktG), ist auch hier nochmals hinzuweisen. Was die Einberufung nach Gesetz oder Satzung betrifft, ist nach dem Gesetz 1151 insbesondere die jährliche sog ordentliche HV einzuberufen (§§ 175 f AktG). In dieser sind neben weiter genannten Rechnungswerken der Jahresabschluss und der Lagebericht entgegenzunehmen und ist über die Verwendung des Bilanzgewinns zu beschließen. Mit der Verhandlung über den letzteren Gegenstand soll die Verhandlung über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat verbunden werden (§ 120 III AktG). Die HV hat in den ersten 8 Monaten des Geschäftsjahrs stattzufinden (§ 175 I 2 AktG, entsprechend die Fristbestimmung für die Beschlussfassung über die Entlastung in § 120 I 1 AktG). Weitere Fälle gesetzlicher Einberufung sind §§ 92 I (Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals), 122 I (Verlangen einer Minderheit1867) , 327a I 1 AktG (auf Verlangen des Hauptaktionärs beim Squeeze-out). Die Einberufung geschieht vorbehaltlich der Rechte anderer (§ 121 II 3 AktG) 1152 durch den Vorstand (§ 121 II 1, 2). Eine die Einberufung verlangende Aktionärsminderheit (§ 122 I AktG) kann durch das Gericht zur Einberufung ermächtigt werden (§ 122 III1868). Zum Wohl der Gesellschaft kann auch der Aufsichtsrat die HV einberufen (§ 111 III AktG). Die Einberufung ist mit den Angaben nach § 121 III 1 (Firma, Sitz der Gesellschaft, Zeit, Ort der HV) und S 2 (Tagesordnung1869) in

_____ die nach einer Einberufung ergangen sind, in der fälschlich entgegen § 135 II 4 AktG (für den Nachweis der Vollmacht an Kreditinstitute etc genügt, dass die Vollmacht nachweisbar – etwa durch Archivierung einer e-mail – festgehalten ist) die Vollmacht in schriftlicher Form verlangt worden ist. Offen gelassen hat das LG, ob die Satzung von § 135 II 4 AktG abweichen kann. 1867 Von mindestens 5 % des Grundkapitals. Die Satzung kann einen geringeren Anteil am Grundkapital genügen lassen (§ 122 I 2). Für den Nachweis der erforderlichen Mindestbeteiligung gilt in Bezug auf Namensaktien § 67 II AktG, bei dem es auch dann bleibt, wenn die Eintragung im Aktienregister unter Nichtachtung des § 67 III gelöscht wird, OLG Zweibrücken AG 1997, 140. 1868 Örtliche Zuständigkeit nach § 14 AktG, sachliche (Amtsgericht) nach § 23 II Nr 4 GVG. Verfahren nach FamFG. Beispiel (aus der Zeit der Geltung des FGG) ist das Verfahren ARAG/ Garmenbeck, s OLG Düsseldorf ZIP 1997, 1153. Voraussetzung des Verlangens vor Gericht ist nach OLG Düsseldorf DStR 2004, 2022 die personelle Identität der Aktionäre, die das Verlangen an den Vorstand stellen und später vor Gericht verfolgen. 1869 § 121 III 3 idF des ARUG enthält für börsennotierte Gesellschaften weitere erforderliche Angaben über Teilnahme, Ausübung des Stimmrechts, Verfahren der Stimmabgabe, die Inter-

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den Gesellschaftsblättern (s § 23 IV) bekannt zu machen (§ 121 IV 1), bei börsennotierten Gesellschaften, die nicht ausschließlich Namensaktien ausgegeben haben oder von der Bekanntmachungsbefugnis des Abs 4 S 2 Gebrauch machen, europaweit (§ 121 IVa). Die Bekanntmachungsbefugnis des Abs 4 S 2 gilt für Gesellschaften, denen die Aktionäre namentlich bekannt sind. Bei diesen kann die HV mit eingeschriebenem Brief einberufen werden, vorbehaltlich der Satzung, die beispielsweise Einberufung per e-mail bestimmen kann (§ 121 IV 2 AktG)1870. Wie einleitend gesagt, machen mit der Ausnahme von § 121 VI AktG Verstöße gegen § 121 II (Einberufung auf Mehrheitsbeschluss des Vorstands), III 1 (Angabe von Firma, Sitz, Zeit, Ort) und IV (Publikation oder Zusendung der Einberufung) HV-Beschlüsse der Versammlung nichtig (§ 241 Nr 1 AktG), andere machen anfechtbar (§ 243 I AktG). Die Einberufung kann bis zum Eintreffen der Aktionäre zurückgenommen 1153 werden, und zwar von dem für die Einberufung zuständigen Organ, vom Vorstand also auch dann, wenn dieser auf Verlangen einer Minderheit einberufen hat1871. Die HV ist mit einer Frist von mindestens dreißig Tagen einzuberufen 1154 (§ 123 I AktG). Die Frist ist vom nicht mitzählenden Tag der HV aus zu berechnen. Maßgeblich ist der Tag der Bekanntmachung der Einberufung (bei Einberufung in den Gesellschaftsblättern der Tag des Erscheinens des letzten Blattes, § 10 II HGB analog1872, bei Einberufung mit eingeschriebenem Brief etc der Tag der Absendung, § 121 IV 1 Hs 2 AktG). Die Vorschrift des § 123 IV in der Fassung bis 2009, wonach von dem der HV vorhergehenden Werktag auszugehen ist, wenn die Frist an einem Sonn-, Feiertag oder Sonnabend endet, was der Bestimmung des § 193 BGB für die Abgabe von Willenserklärungen oder die Bewirkung von Leistungen entsprach, gilt nicht mehr. § 121 VII S 2 spricht von einer Verlegung auf einen vorhergehenden Tag und schließt diese aus. § 121 VII 3 schließt auch die Anwendung der §§ 187 ff BGB aus. Bei nicht börsennotierten Gesellschaften kann die Satzung betreffend die Fristberechnung abweichen (S 4). Ort ist grundsätzlich (Vorbehalt für die Satzung) der Sitz der Gesellschaft, 1155 bei Notierung an einer deutschen Börse auch der Sitz der Börse (§ 121 V 1, 2 AktG).

_____ netseite der Gesellschaft (für die Veröffentlichungen nach § 124a AktG). Abs 4a ergänzt eine europaweite Bekanntmachung. 1870 Zur Einberufung der HV durch Bekanntmachung nur im elektronischen Bundesanzeiger Groß, DB 2003, 867. 1871 BGHZ 206, 143. 1872 S KK/Zöllner 3. Aufl. 2004 ff § 121 Rn 31.

636 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

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§ 123 AktG regelt neben der Mindesteinberufungsfrist (Abs 1) die Möglichkeiten einer Satzungsregelung über das Erfordernis einer Anmeldung für die Teilnahme (§ 123 II) und über die Notwendigkeit und die Art und Weise des Nachweises der Legitimation; bei börsennotierten Gesellschaften mit besonderer Regelung für Inhaberaktien (§ 123 IV, insbesondere Terminbestimmung, record date); für Namensaktien börsennotierter Gesellschaften gilt § 67 II 1 AktG (§ 123 V)1873. Wird bei Inhaberaktien an börsennotierten Gesellschaften der Nachweis nicht erbracht, besteht keine Berechtigung. Wird er erbracht, gilt für Teilnahme oder Stimmrechtsausübung gegenüber der Gesellschaft als Aktionär nur derjenige, der den Nachweis erbracht hat, dieser aber auch unwiderleglich (§ 123 IV 5 AktG)1874.

1157 Bei der Einberufung ist die Tagesordnung bekannt zu machen (§ 121 III 2 AktG):

Es müssen die Tagesordnungspunkte angegeben werden. Die Aktionärsminderheit kann wie die Einberufung der HV auch die Ergänzung der Tagesordnung verlangen und kann, wenn dem nicht entsprochen wird, vom Gericht zur Ergänzung ermächtigt werden (§ 122 II, III AktG)1874a. Zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern und zur Beschlussfassung über Satzungsänderungen oder Grundlagenvertragsschlüsse sind nach Maßgabe von § 124 II nähere Einzelheiten zu geben1875. Zur Jahreshauptversammlung sind der Jahresabschluss und die ergänzenden Unterlagen auszulegen oder (möglich seit dem EHUG) online zugänglich zu machen (§ 175 II 1–3, 4 AktG). Sodann haben Vorstand und Aufsichtsrat, zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern und Prüfern nur der Aufsichtsrat Vorschläge zur Beschlussfassung zu machen1876. Über die Vorschläge entscheidet das Gesamtorgan1877. Bei mitbestimmten Gesellschaften bedarf es mit Vorbehalt für § 8 MontanmitbestG (betr das neutrale Mitglied1878) für einen Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern nur der Mehrheit der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat (§ 124 III 5 AktG).

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1873 S § 67 II, IV AktG. Ein schriftlicher Nachweis der Abtretung unverbriefter Namensaktien, wie K. Schmidt/Lutter/Ziemons § 123 Rn 17 zur Teilnahme an der HV fordert, ist nur dann entsprechend § 410 BGB erforderlich, wenn die Übertragung der Namensaktie durch bloße Abtretung erfolgt und nicht durch Umbuchung der Mitberechtigung an der Globalurkunde, die ja jedenfalls ausgegeben werden muss. 1874 Zu dieser Neuregelung des UMAG Heidinger/Blath, DB 2006, 2275. 1874a Anwendungsfall LG München I NZG 2017, 1224 (betr Karwendelbahn-AG). 1875 Betr mitbestimmte Aufsichtsräte; zu den Grundlagenbeschlüssen Wortlaut und wesentlicher Inhalt; Zusätzliche Erfordernisse sind bei den einzelnen Verträgen geregelt, s etwa §§ 293f AktG, 61, 63 etc UmwG. 1876 Sondervorschrift über den Vorschlag der Prüfer bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften (§ 124 III 2 AktG). Ausnahme von der Vorschlagsobliegenheit nach S 1 für den Fall der Bindung an Wahlvorschläge oder die Platzierung von Vorschlägen durch eine Minderheit (§ 124 III 3). 1877 S betreffend Vorstandsvorschläge OLG Dresden ZIP 1999, 1632. 1878 S o Rn 989.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 637

Im Falle nicht ordnungsgemäßer Bekanntmachung von Tagesordnungspunkten (auch bei Fehlen von Vorschlägen nach Abs 3) darf keine Beschlussfassung über den nicht ordnungsgemäß bekannt gemachten Punkt stattfinden (§ 124 IV 1 AktG). Ein trotzdem ergehender Beschluss ist nach § 243 I AktG anfechtbar. Die Tagesordnung kann noch ergänzt werden auf Verlangen einer Minderheit, die 5% des Grundkapitals oder zusammen den anteiligen Betrag am Grundkapital iHv 500.000 Euro erreicht; das Verlangen muss der Gesellschaft mindestens 24 Tage, bei börsennotierten Gesellschaften mindestens 30 vor der Versammlung zugehen (§ 122 II 4, Bekanntmachung nach § 124 I AktG). Zur Tagesordnung können spätestens 14 Tage vor der Versammlung nach Maßgabe der §§ 126, 127 AktG von Aktionären Gegenanträge zu den Vorschlägen der Verwaltung und Wahlvorschläge eingebracht werden. Zur Aktivierung der Wahrnehmung dieser Rechte, aber auch anderer Aktionärs-, insbesondere Minderheitsrechte ist durch § 127a idF des UMAG das sog Aktionärsforum im elektronischen Bundesanzeiger eingerichtet worden. Neben der Bekanntmachung sind nach § 125 AktG besondere Mitteilungen zu machen:

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§ 125 I: Mitteilung des Vorstands an Kreditinstitute und Wertpapiervereinigungen, die in der letzten HV Stimmrechte für Aktionäre ausgeübt oder die die Mitteilung verlangt haben. Der Vorstand hat die Einberufung, die Bekanntmachung der Tagesordnung, etwaige Anträge und Wahlvorschläge, eine etwaige Begründung und eine etwaige Stellungnahme der Verwaltung dazu mitzuteilen. Bei börsennotierten Gesellschaften sind einem Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern deren Stellung in anderen Kontrollgremien beizufügen (Abs 1 S 5). § 125 II: Die Mitteilung muss der Vorstand auch bestimmten Aktionären machen, die für den Vorstand nach der besonderen Regelung der Vorschrift namhaft oder greifbar sind. Nach § 125 III kann auch jedes Aufsichtsratsmitglied verlangen, dass ihm der Vorstand die gleichen Mitteilungen übersendet1879. § 128 I schreibt die Weitergabe der Mitteilungen durch die Kreditinstitute vor, wenn sie Inhaberaktien in Verwahrung haben oder für Namensaktien, die ihnen nicht gehören, im Register eingetragen sind.

(3) Ablauf der Hauptversammlung Das AktG geht grundsätzlich vom Modell der Präsenz-HV aus (§ 118 I AktG). 1163 Auch die neue Bestimmung des § 121 V 1, die Satzungsbestimmungen über den Ort der HV erlaubt, bietet keinen Freiraum für die sog virtuelle HV. Die Vorschrift bezieht sich nur auf den geografischen Ort. § 118 I, II AktG ermög-

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1879 An dieselben Aktionäre und die Aufsichtsratsmitglieder muss der Vorstand Mitteilungen auch über die in der HV gefassten Beschlüsse machen (§ 125 IV).

638 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

licht nur die elektronische Teilnahme und Stimmrechtsausübung von Aktionären. Die HV ist nicht öffentlich. An der HV nehmen die Aktionäre und solche, die für Aktionäre handeln, teil. Vorstand und der Aufsichtsrat sollen teilnehmen (§ 118 III 1 AktG, nach S 2 kann die Satzung für bestimmte Fälle die Möglichkeit der Teilnahme durch Bild- oder Tonübertragung vorsehen). Die Leitung der HV (s sogleich) kann Personen als Gäste zulassen. Insbesondere kann die Presse zugelassen werden, sofern die HV nicht durch Mehrheitsbeschluss deren Ausschluss verlangt. Nach § 129 I AktG kann sich die HV mit ¾ Mehrheit des bei der Beschluss1164 fassung vertretenen Grundkapitals eine Geschäftsordnung mit Regeln für die Vorbereitung und Durchführung geben1880. Die Leitung1881 liegt in der Hand des Vorsitzenden der HV, der durch die Satzung oder die Geschäftsordnung zu bestimmen ist, aber auch durch die HV gewählt werden kann1882. Häufig leitet die HV der Aufsichtsratsvorsitzende oder sein Stellvertreter1883. Die HV dauert bis zum Ende des Tages, zu dem sie einberufen ist (sie kann auch für mehr als einen Tag einberufen werden). Mitternacht muss nicht die Grenze sein: Eine Überziehung kann zeitlich unerheblich sein, auch kommt die Herstellung des Einverständnisses der Versammlung in Betracht1884. Der Vorsitzende eröffnet die Versammlung und stellt fest, ob die HV nach § 123 AktG ordnungsgemäß einberufen worden ist und die Teilnahmevoraussetzungen gemäß der Satzung erfüllt sind. Er sorgt für ein Teilnehmerverzeichnis (§ 129 I 2, Angaben nach § 129 III AktG), welches bis zur ersten Abstimmung allen Teilnehmern zugänglich zu machen ist (§ 129 IV 1, Einsichtgewährung noch zwei Jahre nach der HV § 129 IV 2 AktG). Sodann sorgt der Vorsitzende für die ordnungsgemäße Behandlung der Tagesordnungspunkte unter Berücksichtigung auch der Stellungnahmen von Minderheiten. Die Teilnehmer haben Rederecht. Der Vorsitzende hat zur Abstimmungsreife hinzuführen, sodann die Beschlussfassung durchzuführen1885, das Ergebnis festzustellen und zu verkünden.

_____ 1880 Dazu Bezzenberger, ZGR 1998, 352; Hennerkes/Kögel, DB 1999, 81. 1881 Dazu Wicke, NZG 2007, 771. 1882 Zur Existenz des Vorsitzenden s §§ 122 III S 2, 130 II AktG. Nach allg Meinung darf ein Vorstandsmitglied nicht bestimmt werden. 1883 Die Satzung einer mitbestimmten AG wird in aller Regel durch die positive Bestimmung eines bestimmten Funktionsträgers zum Leiter der HV dafür sorgen, dass die Leitung durch einen Arbeitnehmervertreter ausgeschlossen ist. 1884 LG Düsseldorf AG 2007, 797. Andernfalls Nichtigkeit nach § 241 Nr 1 AktG. 1885 Es können ergänzend die allgemeinen Grundsätze aus der Geschäftsordnung der Parlamente angewandt werden. Daraus leitet sich zB der Vorrang von Anträgen zur Geschäftsordnung ab, vgl MüKo-AktG/Kubis 3. Aufl 2007 ff § 119 Rn 143.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 639

Die Ergebnisse sind durch eine Niederschrift mit den Einzelheiten des § 130 II AktG zu beurkunden, grundsätzlich von einem Notar, mit Ausnahme von Beschlüssen nicht börsennotierter Gesellschaften, sofern solche nicht mit qualifizierter Mehrheit zu fassen sind (§ 130 I 1, 3 AktG, in der Vorschrift weitere Einzelheiten). Eine Abschrift der Niederschrift ist dem Handelsregister zuzuleiten (§ 130 V AktG), börsennotierte Gesellschaften haben die Abstimmungsergebnisse und die näheren Einzelheiten (Abs 2 S 2) auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen (§ 130 VI AktG). Der Vorsitzende hat die Ordnungsgewalt in der HV1886. Er hat sie unter Be- 1165 achtung der Gleichbehandlung der Aktionäre und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszuüben. Schon nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des UMAG war anerkannt, dass die Ordnungsgewalt die Beschränkung der Redezeit umfasste1887. Insbesondere ist das „Filibustern“ (Endlos-Verlängern der Sitzung durch nicht endende Beiträge) abzuwehren. § 131 II 2 AktG idF des UMAG räumt jetzt die Möglichkeit ein, durch Satzung oder Geschäftsordnung den Vorsitzenden zu ermächtigen, das Frage- und Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken. Damit soll nicht etwa die Beschränkung der Redezeit anders als bisher von der Ermächtigung durch Satzung oder Geschäftsordnung abhängig sein1888. Der Sinn der Regelung liegt darin, die Gesellschaft zu Regelungen anzuregen, damit für die Ausübung des Ermessens durch den Versammlungsleiter keine unsichere Rechtslage besteht1889. Außerdem wird die neue Möglichkeit ausdrücklich auch auf das Fragerecht bezogen, was für die bisherigen Beschränkungsmöglichkeiten zweifelhaft war. Die Ermächtigung durch Satzung oder Geschäftsordnung kann nicht nur abstrakt dahin lauten, dem Vorsitzenden das Beschränkungsrecht zu geben. Sie kann auch für die Ermessensausübung konkrete Vorgaben machen, etwa Gesamtdauer der Sitzung je nach Gegenstand der Beschlussfassung (zB 6 Stunden bei gewöhnlichen, 10 Stunden bei außergewöhnlichen TOP), Möglichkeit der Festlegung einer Re-

_____ 1886 ZB für einen Saalverweis wegen Beschimpfung der auf dem Podium anwesenden Repräsentanten der Verwaltung, OLG Bremen NZG 2007, 468. 1887 Zur Beschränkung der Redezeit vor der Änderung des § 131 AktG durch das UMAG Schaaf, ZIP 1997, 1324. 1888 Happ, Aktienrecht 2007, 10.17 Rn 29. 1889 Dieser Zielsetzung nimmt das OLG Frankfurt NZG 2008, 432 weitgehend die Wirksamkeit, indem es unter dem Gesichtspunkt verfassungskonformer Auslegung (Schutz des Aktionärseigentums nach Art 14 GG) von der Ermächtigung die Bestimmung konkreter Kriterien der Beschränkung als unverhältnismäßig (weil ohne Zusammenhang mit den Belangen der jeweils anstehenden HV) ausnimmt, so dass nur noch die Ermächtigung zur Regelung des Verfahrens zur Beschränkung durch den Vorsitzenden übrig bleibt. Aufgehoben durch BGHZ 184, 239, welches das Urteil des LG (s folg Fn) wiederherstellt.

640 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

dezeit je Wortmeldung von maximal 15 Minuten1890. Die Beschränkung der Redezeit wird durch Entziehung der Redeerlaubnis bis hin zur Verweisung aus dem Saal als ultima ratio realisiert1891. Die Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen wird kontrolliert aufgrund der Anfechtbarkeit der nachfolgenden HV-Beschlüsse.

(4) Das Auskunftsrecht des Aktionärs in der Hauptversammlung 1166 Jeder Aktionär kann in der HV Auskünfte über Angelegenheiten der Gesellschaft und von verbundenen Unternehmen verlangen (§ 131 I 1, 2 AktG). Das Auskunftsrecht ist nach § 131 I 1 AktG auf Auskunftserteilung durch den Vorstand gerichtet1892. Es ist nicht nur ein Verfahrensrecht in der HV, sondern darüber hinaus genauso wie bei der GmbH ein grundlegendes Gesellschafterrecht. Das BVerfG hat die Regelung des Auskunftsrechts in § 131 AktG sowohl in Hinsicht auf die Möglichkeit der Beschränkung der Redezeit (§ 131 II 2 AktG) als auch im Hinblick auf die Verweigerung der Offenlegung stiller Reserven (§ 131 III Nr 3 AktG) für eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS von Art 14 I 2 GG erklärt1893. Die Grundlagen und Grenzen dieses Auskunftsrechtes sind im Zusammenhang mit Auskunftsbegehren zu Beteiligungen der Gesellschaft an anderen Gesellschaften fraglich geworden, die keine verbundenen Unternehmen iS der Erstreckung des Auskunftsrechts nach § 131 I 2 AktG sind. Auf diese Frage wird sogleich1894 eingegangen. 1167 Das Auskunftsrecht ist auf die Auskunftserteilung beschränkt und umfasst nicht wie nach §§ 118, 166 HGB und § 51a GmbHG das Recht, die Bücher und Pa-

_____ 1890 So Regelungen der Satzung, die von LG Frankfurt a.M. AG 2007, 505 gegen eine Anfechtungsklage, die gegen die Satzungsänderungsbeschlüsse gerichtet war, gebilligt wurden, mit Hinweis darauf, dass der Versammlungsleiter sein Ermessen auch iS einer Erweiterung über die Schranken hinaus ausüben könne (möglicherweise ausüben müsse, zB iS der Festlegung der HV über mehrere Tage hinweg). 1891 S den Fall BVerfG NJW 2000, 349 = NZG 2000, 192: HV (damals) Daimler, TOP Entlastung des Aufsichtsrats, Begrenzung der Redezeit, Entfernung des beschwerdeführenden Aktionärs, als der sich trotz Hinweises hartnäckig nicht daran hält. Verfassungsbeschwerde mangels grundsätzlicher Bedeutung nicht angenommen. Die Rechtsprechung sei klar: Bf sei nicht in seinen Rechten verletzt. 1892 Auch, was die Entlastung des Aufsichtsrats betrifft (im Fall der Vornote hat das BVerfG diese Richtung gegen die Aktion des Bf hervorgehoben, den Aufsichtsratsvorsitzenden als Versammlungsleiter mit seinem Auskunftsbegehren betreffs des Aufsichtsrats, speziell des Vorsitzenden, anzusprechen). 1893 Zur Beschränkung der Redezeit NJW 2000, 349 (s Fn 1891). Zur Nichtoffenlegung stiller Reserven ZIP 1999, 1801. Zur letzeren Entscheidung kritisch Siegel/Bareis/Rückle/Schneider/ Siegloch/Streim/Wagner, ZIP 1999, 2077. 1894 Rn 1169.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 641

piere der Gesellschaft einzusehen. In dieser Hinsicht ist der Aktionär auf die Einsicht in den Jahresabschluss und den Lagebericht beschränkt. Die Voraussetzungen und Schranken der Auskunftsberechtigung in der HV 1168 sind in § 131 I und III AktG geregelt1895. Abs 2 sagt etwas über die Art der Auskunftserteilung (treue Rechenschaft) und enthält die Ermächtigung zur zeitlichen Rede- und Fragenbeschränkung in der Satzung oder Geschäftsordnung. Nach Abs 1 muss die Auskunft zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands eines Tagesordnungspunktes erforderlich sein. Dh der Aktionär ist darauf beschränkt, dasjenige zu erfahren, was für die informierte und sachkundige Entscheidung der HV wesentlich ist1896. Polemik, Profilierungssucht und Störzweck, aber auch Gesetzwidrigkeiten1897 sind auszuschließen. Schranken errichtet § 131 III durch Rechte des Vorstands, die Auskunft zu verweigern: so nach der sog Schutzklausel des § 131 III Nr 1 AktG bei Eignung der Auskunftserteilung dazu, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen, zB wegen des Bekanntwerdens von Unternehmensergebnissen für die Konkurrenz. Weiter kann die Auskunft verweigert werden nach den Ziffern 2–7 des § 131 III: Ziff 2–4 sowie 6 beruhen auf der Kompetenzverteilung für Jahresabschluss und Lagebericht, eine Zusatzkompetenz des einzelnen Aktionärs soll es nicht geben. Weshalb der Vorstand sich für das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 III Ziff 5 (Strafbarkeit der Auskunft) nicht auf die Strafbarkeit nach § 404 AktG (Verletzung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen) soll berufen können1898, ist nicht einzusehen. Ziff 7 schließt mit einem Verweigerungsrecht, das an die Selbstverantwortlichkeit des Aktionärs appelliert: Ein Verweigerungsrecht ist begründet, wenn die Auskunft binnen 7 Tagen vor und sodann in der HV auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich ist, was für frequently asked questions (FAQ) in Betracht kommt. Das Auskunftsverweigerungsrecht ist abschließend geregelt (§ 131 III 2 AktG)1899. § 131 IV AktG sorgt noch für Gleichbehandlung der Aktionäre betref-

_____ 1895 Geregelt ist in der Vorschrift das selbstständige Auskunftsverlangen. Anders verhält es sich mit einem Auskunftsbegehren, das sich an eine freiwillige Auskunftserteilung anhängt, s dazu § 131 IV. 1896 S die Formulierung des § 293g IV AktG, weiter Hüffer/Koch § 131 Rn 12. Damit wird auch eine Sachkompetenz des die Auskunft erheischenden Aktionärs gefordert, Wilhelm, DB 2001, 520. 1897 ZB sind Auskünfte hinsichtlich der Häufigkeit der Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen für die Entlastung des Aufsichtsrates sachdienlich, nicht dagegen solche über Einzelheiten des Verlaufs der – nach § 109 AktG vertraulichen – Sitzungen. 1898 Raiser/Veil § 16 Rn 58 unter Berufung auf Literaturstimmen. 1899 Wegen der abschließenden Regelung darf entgegen dem KG AG 1973, 25 eine Auskunft betr den Abhängigkeitsbericht nach § 312 AktG nicht verweigert werden. Wie das KG auch OLG

642 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

fend Auskünfte, die anderen Aktionären im Hinblick auf deren Aktionärseigenschaft außerhalb der HV erteilt worden sind. Neben den sachlichen Grenzen steht die zeitliche Grenze. Es können nur Auskünfte „in der HV“ verlangt werden. Verlesungen über mehr als 4 Stunden kommen nicht in Betracht1900. Ebenso wenig sind 25.000 Einzelangaben betreffend 5.000 Erwerbe oder Veräußerungen eigener Aktien zum Tagesordnungspunkt Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrates zu verlangen1901. § 131 II 2 AktG eröffnet, wie gesehen, die Möglichkeit, das Rede- und Fragerecht durch Satzung oder Geschäftsordnung angemessen zu beschränken.

(5) Auskunftsrecht hinsichtlich bloßer Minderheitsbeteiligungen der Gesellschaft 1169

Eine überaus streitige Rechtsprechung ist zu der Frage ergangen, ob es ein Auskunftsrecht der Aktionäre über die Beteiligungen der Gesellschaft an anderen Gesellschaften über die Grenzen des § 131 I 2 hinaus (Beziehungen der Gesellschaft zu verbundenen Unternehmen) gibt. Das Thema hat der Würzburger Wirtschaftswissenschaftler Wenger aufgebracht. In verschiedenen Auskunftserzwingungsverfahren (nach § 132 AktG) hat er erreicht, dass das KG1902 und das BayObLG1903 bei Aktienbesitz der Gesellschaft an DAXGesellschaften im Börsenwert von mindestens 100 Mio DM oder bei mindestens 5% Beteiligung am Grundkapital oder am Stimmrecht in solchen Gesellschaften eine generelle Auskunftspflicht bejaht haben1904. Das Kriterium der 5%-Beteiligung war identisch mit der ersten Beteiligungsgröße, bei deren Erreichen nach damaliger Fassung des § 21 I WpHG die beteiligte Gesellschaft der Beteiligungsgesellschaft (sowie der Aufsichtsanstalt1905) unverzüglich, spätestens innerhalb von 7 Kalendertagen, Mitteilung machen musste. Die 100 Mio DM-Grenze ist eine frei gegriffene Grenze, von der ab Beteiligungsbesitz spätestens von besonders schwerwiegender Bedeutung sein soll. Dieser Rechtsprechung ist entgegenzutreten1906. Nach der Fassung des § 131 I 1 durch das AktG von 1965 muss die begehrte Auskunft, wenn sie zu erteilen sein soll, zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich sein. Nach S 2 erstreckt sich die Auskunftspflicht auch auf die Beziehungen der Gesellschaft zu einem verbunde-

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Frankfurt AG 2003, 335 (§ 312 AktG verdränge für seinen Anwendungsbereich den § 131 AktG). Dagegen mit Recht Habersack/Verse, AG 2003, 300. 1900 OLG Hamburg AG 1968, 190. 1901 OLG Frankfurt ZIP 1983, 1204 f. 1902 WM 1993, 1845 (Siemens I); WM 1995, 1920 (Siemens II); WM 1994, 1479 (Allianz I); WM 1995, 1927 (Allianz II); WM 1995, 1930 (Allianz III). 1903 AG 1996, 516; zuletzt DStR 1997, 832. 1904 Das KG hatte in der Siemens I Entscheidung (s Fn 1902) noch 10 % gesagt, jetzt hat die Rechtsprechung 5% als Schwellenwert angenommen, vgl BayObLG AG 1996, 516; DStR 1997, 832. 1905 Seinerzeit noch Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel. 1906 Zum folgenden Hüffer, ZIP 1996, 401.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 643

nen Unternehmen (iS v §§ 15 ff AktG). Diese – einzelfallabhängigen und bestimmten Voraussetzungen unterworfenen – Erfordernisse sind von den Gerichten nicht ernst genommen worden. Nach Auffassung des KG besteht das Auskunftsrecht nicht nur im mitgliedschaftlichen Interesse, sondern dient auch einem Rechenschaftsanspruch des Aktionärs, der diesem im Hinblick auf seine durch die Mitgliedschaft vermittelten Vermögensrechte auch in seiner Eigenschaft als Kapitalanleger zustehen soll. Der Aktionär müsse Rechenschaft über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage erhalten. Dazu gehörten auch die Minderheitsbeteiligungen in den genannten Größenordnungen1907. Demgegenüber steht der umfassende Rechenschaftsanspruch, der aus der Fremdnützigkeit des Vorstandshandelns folgt, der AG selbst zu und ist in der Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat konkretisiert. Allerdings kommt den Verwaltungsorganen der AG auch gegenüber der HV eine Informationspflicht zu. Diese ergibt sich aus §§ 172, 173, 175 f AktG bezüglich Jahresabschluss und Lagebericht. Informationsberechtigt ist insoweit wiederum die AG, hier durch ihre HV. Die Informationspflicht gegenüber der HV ist aber abgestuft. Die Annahme einer umfassenden Pflicht nicht nur gegenüber dem Aufsichtsrat, sondern auch gegenüber der HV würde der Gesellschaft – anders als nach §§ 93 I 3, 116 AktG – keine Vertraulichkeit und keine Geheimsphäre belassen. Angesichts ihrer beschränkten Zuständigkeit benötigt die HV auch gar keine umfassende Information1908. Die Annahme einer generellen Informationspflicht ist deshalb mit Ausschließlichkeit und Sinn der Regelung des AktG nicht vereinbar. Auch das Auskunftsrecht des Aktionärs nach § 131 AktG kann die hier zu behandelnde Rechtsprechung nicht rechtfertigen. Das individuelle Auskunftsrecht steht dem Einzelaktionär nur als Teilnehmer der HV zu. Dies entspricht dem Prinzip des § 118 AktG. Die Auskünfte aufgrund des individuellen Auskunftsrechts ergänzen die Informationen gegenüber der HV. Als Ergänzung erfordern sie nach § 131 I 1 AktG Informationen, die nach dem Urteil eines verständigen Aktionärs zur Beurteilung der Verhandlungsgegenstände wesentlich sind. Dabei gibt die Zuständigkeit der HV den Rahmen auch für das individuelle Informationsrecht1909. Die Auskünfte über Beteiligungen sind in dem generellen Ansatz, den die Gerichte behandelt und nach Maßgabe abstrakter Kriterien bejaht haben, zur Beurteilung von Tagesordnungspunkten nicht erforderlich. In Betracht kommen die Tagesordnungspunkte gemäß § 175 I 1 (Entgegennahme von Jahresabschlüssen und Lagebericht), §§ 119 I Nr 2, 175 (Verwendung des Bilanzgewinns), §§ 119 I Nr 3, 120 (Entlastung) und § 119 I Nr 4 AktG, § 318 HGB (Bestellung der Abschlussprüfer). Für keinen dieser Tagesordnungspunkte besteht

_____ 1907 Das Gericht (KG WM 1995, 1927, 1929 – Allianz II) geht davon aus, dass an sich eine umfassende Auskunft begehrt werden kann, schränkt dann aber aus Praktikabilitätsgründen nach den kapitalmarktrechtlichen Kriterien und vergleichbaren Größenordnungen ein. Der Anspruch besteht nach dem Gericht „jedenfalls“ bei diesen Größenordnungen. 1908 Sie hat in den laufenden Angelegenheiten die Zuständigkeit nur betr Entlastung (§ 120 AktG), betr Wahl der Abschlussprüfer (§ 318 HGB), betr Sonderprüfung (§ 258 AktG), betr die Wahl und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern (§§ 101, 103 I AktG). Eine Erweiterung der Unterichtung der HV kommt nur bei besonderen Beschlussgegenständen zum Zuge (zB § 293a, f, g AktG). 1909 Hüffer, ZIP 1996, 401, 405.

644 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

Relevanz, wenn der Aktionär nicht konkret darlegt, inwiefern die Beantwortung der Fragen seine Beurteilung beeinflussen könnte. Insbesondere besteht keine Relevanz für die Gewinnverwendung. Die HV hat nur über den von der Verwaltung vorgegeben Betrag zu befinden (§ 174 I 1). Was sodann die Entlastung betrifft, sind Beteiligungen nur dann relevant, wenn sie als satzungswidrig oder verlustbringend beanstandet werden könnten. Dazu müssen aber Einzelumstände vorgetragen werden1910. Dementgegen ist das vom KG und vom BayObLG bejahte Auskunftsrecht von konkreten Ansatzpunkten für die Beurteilung von Tagesordnungspunkten gänzlich unabhängig. Die Bejahung des Auskunftsrechts hat vielmehr den Hintergrund in der generellen rechtspolitischen Sorge, dass durch eine „Ringverflechtung“ Aktionärsbefugnisse usurpiert werden könnten. Damit geht es aber bei der Rechtsprechung um ein aktienrechtspolitisch motiviertes Petitum, nicht aber um ein Auskunftsverlangen nach § 131 AktG1911. Gegen die Rechtsprechung des KG und des BayObLG hat zu Recht das LG Frankfurt a.M. entschieden1912.

(6) Sanktionen bei Verletzung des Auskunftsrechts 1170 Wird eine Auskunft abgelehnt, kann der Aktionär verlangen, dass seine Frage und die Verweigerung mit dem Verweigerungsgrund in die Niederschrift aufgenommen werden (§ 131 V AktG). Sodann können der Aktionär, dem die Auskunft verweigert worden ist, und bei Beschlussfassung über den Punkt jeder erschienene Aktionär, der gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat, nach § 132 AktG das Landgericht am Sitz der Gesellschaft anrufen und so versuchen, die Auskunft zu erzwingen (Auskunftserzwingungsverfahren)1913. Das Gericht kann insbesondere im Fall der Verweigerung unter Berufung auf die Schutzklausel (§ 131 III Nr 1 AktG) voll nachprüfen, ob die Voraussetzungen der Schutzklausel erfüllt sind. Der nach der Auskunftsverweigerung ergangene HVBeschluss kann aber auch nach § 243 I, IV AktG wegen unberechtigter Verweigerung angefochten werden1914. Der Meinung, § 131 AktG über das Auskunftsrecht sei Schutzgesetz und der Vorstand deshalb von Schadensersatzklagen des Auskunft begehrenden Aktionärs bedroht, etwa im Fall des Verlusts aufgrund falscher Auskunft bei Veräu-

_____ 1910 Hüffer, ZIP 1996, 401, 406 re Sp, 407. 1911 Hüffer, ZIP 1996, 401, 408; ebenso Raiser/Veil § 16 Rn 52. 1912 WM 1994, 1929, 1931. 1913 Aber nur hinsichtlich in der HV mündlich gestellter Fragen, OLG Frankfurt AG 2007, 451. – Die Frist des § 132 II 2 AktG wird auch durch Anrufung eines unzuständigen Gerichts gewahrt. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, sobald der Aktionär die geforderten Auskünfte außerhalb der HV vollständig erhalten hat, BayObLG NJW-RR 2002, 104. Das Verfahren nach § 132 ist ein solches der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 1914 Die Anfechtungsklage wegen Gesetzesverletzung (§ 243 I AktG) ist vom Auskunftserzwingungsverfahren unberührt, BGHZ 86, 1.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 645

ßerung von Aktien1915, ist nicht zu folgen. Der Vorstand gibt die Auskunft als Organ der Gesellschaft. Die Gesellschaft kann dem Aktionär wegen Verletzung seines Auskunftsrechts nach § 280 I iVm § 278 BGB schadensersatzpflichtig sein. Schutzgesetz mit der Folge der Haftung des Vorstandsmitglieds gegenüber dem Aktionär nach § 823 II BGB ist nur der Straftatbestand des § 400 I Nr 1 AktG (vorsätzliche Täuschung über die Verhältnisse der Gesellschaft).

(7) Stimmrecht und Beschluss HV-Beschlüsse ergehen grundsätzlich zu einzelnen Punkten der Tagesord- 1171 nung1916 mit der (einfachen) Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 133 I 1 AktG), Enthaltungen sind also nicht mitzuzählen1917. Das Gesetz sieht keine Erfordernisse hinsichtlich der Beschlussfähigkeit vor. Die Satzung kann aber nicht nur das Mehrheitserfordernis verschärfen, sondern auch andere Erfordernisse aufstellen (§ 133 I 2 AktG). Für Wahlen gilt überhaupt Satzungsfreiheit (§ 133 II AktG; etwa Entscheidung durch relative Mehrheit, Verhältniswahl). Für bestimmte Fälle regelt das Gesetz abweichende Mehrheitserfordernisse. 1172 Eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 3/4 der abgegebenen Stimmen ist – mit Satzungsvorbehalt – erforderlich für die Abberufung des Aufsichtsrates (§ 103 I 2 AktG). Für Satzungsänderungen (§ 179 II 1 AktG) und sonstige Grundlagenbeschlüsse bedarf es einer Mehrheit von 3/4 des vertretenen Grundkapitals (Stimmrechtsbeschränkungen werden also nicht berücksichtigt, s a § 134 I S 6 AktG). Häufig wird gefolgert1918, dass mit 25% des Grundkapitals eine Sperrminorität bei Grundlagenbeschlüssen erreicht ist. Neben 25% ist aber die Mehrheit von 75% denkbar. Die Sperrminorität wird also erst mit 25% plus 1 Aktie erreicht. Die Vorschriften über die Grundlagenbeschlüsse normieren jeweils und zT unterschiedlich, inwieweit Freiraum für die Satzung eingeräumt ist. Zu der Kapitalmehrheit muss immer die Stimmenmehrheit nach § 133 I AktG hinzukommen1919.

_____ 1915 Raiser/Veil § 16 Rn 66 mwN. 1916 Aber auch sog Blockabstimmungen (Abstimmungen über mehrere Sachfragen gleichzeitig) sind zulässig, wenn zuvor auf die Möglichkeit der Ablehnung dieses Abstimmungsmodus durch Mehrheitsbeschluss hingewiesen wurde, BGH NJW 2003, 3412. Dazu auch LG München I ZIP 2004, 853. 1917 S BGHZ 83, 35, wo dies sogar zu § 32 I 2 BGB gesagt wird. 1918 ZB von Raiser/Veil § 16 Rn 69. 1919 Hüffer/Koch § 133 Rn 13. Kapitalmehrheit und Stimmenmehrheit konnten früher bei Mehrstimmrechtsaktien auseinanderfallen – zum Bestehen beider Mehrheitserfordernisse hier BGH NJW 1975, 212. Mehrstimmrechte sind jetzt nach § 12 II AktG unzulässig. Ein Fall, in dem es auf das zusätzliche Erfordernis der Stimmenmehrheit ankommt, ist der Fall von Stimmrechtsbeschränkungen (§ 134 I 2), insbes bei nicht vollständig eingezahlten Aktien (§ 134 II 1 AktG).

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Schließlich gibt es Sonderbeschlüsse einzelner Gruppen nach §§ 179 III, 182 II, 141 I, III 1, 2 mit § 138 AktG. Nach § 35 BGB ist bei jedem Eingriff in ein Sonderrecht die Zustimmung des betroffenen Aktionärs erforderlich (etwa die Entziehung eines Entsendungsrecht nach § 101 II AktG). Und der Änderung des Zwecks der Gesellschaft (etwa statt erwerbswirtschaftlich jetzt gemeinnützig) müssen nach § 33 I 2 BGB (vorbehaltlich der Satzung, § 40 BGB) alle Aktionäre zustimmen1920. Die Beschlussfassung wird durch den Antrag eines Teilnahmeberechtigten 1173 eingeleitet, der vom Vorsitzenden nach der Aussprache zur Abstimmung gestellt wird. Die Reihenfolge ist in einem Spezialfall (Wahlvorschlag eines Aktionärs für Aufsichtsratsmitglieder, § 127 AktG) durch § 137 AktG bestimmt. Sonstige Grundsätze gelten nach der Logik: Über den weitestgehenden Antrag ist zuerst abzustimmen. Die Abstimmung geschieht notwendigerweise offen (Handaufheben, 1174 Stimmkarten, Möglichkeit der elektronischen Teilnahme und Abstimmung nach § 118 I 2 AktG). Offene Abstimmung ist erforderlich zum Zweck der erkennbaren Zählung der Stimmen als Grundlage des Beschlusses, auch im Hinblick auf mögliche Anfechtungsprozesse1921. 1175 Das Stimmrecht ist pro Aktie begründet (§ 12 I 1) und wird nach Nennbetrag oder Stückzahl ausgeübt (§ 134 I S 1 AktG). Nach dem Gesetz ist das Stimmrecht – sofern die Satzung nicht den Beginn des Stimmrechts mit der Mindesteinzahlung bestimmt – erst von der vollen Einzahlung der Aktie an gewährt (§ 134 Abs 2 S 1, 3 AktG). Kein Stimmrecht begründen die Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§§ 139 ff AktG). Für den Fall des Innehabens mehrerer Aktien können bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften1922 nach § 134 I 2 AktG (mit Zurechnungsmöglichkeiten nach S 3, 4, Verankerung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in § 134 I S 5) Höchstbeträge des Stimmrechts festgelegt werden. Nach Meinung des BGH kann dies auch rückwirkend ohne Zustimmung des Betroffenen geschehen1923. Das Stimmrecht ist vom Aktionär für die eigene Person oder von einem dazu Befugten für den Aktionär auszuüben. Bei mehreren Aktien kann der Inhaber unterschiedlich abstimmen1924. Eine Ausübung ge-

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1920 Zum Zweck iS des § 33 I 2 BGB s o Rn 250. 1921 Nach OLG Frankfurt AG 2007, 374 zulässig die sog Subtraktionsmethode (Gesamtzahl der Teilnehmer abzgl Nein-Stimmen und Enthaltungen = Ja-Stimmen). 1922 Das KonTraG hat die Höchststimmrechtsbeschränkung für börsennotierte AG gestrichen. 1923 BGHZ 70, 117, 121 unter Berufung auf die körperschaftliche Verfassung der AG und den Schutz des Unternehmensinteresses vor Überfremdung. Für die Sanktion bei Umgehung in § 405 III Nr 5 AktG kann das aber nicht gelten. 1924 Anders noch RGZ 118, 67 (69). Zu berücksichtigen aber insbesondere die Fälle bei treuhänderischer Innehabung für mehrere Treugeber.

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gen Gewährung besonderer Vorteile ist durch § 405 III Nr 2, 3 AktG als Ordnungswidrigkeit unter Geldbuße gestellt. Das Stimmrecht muss also nicht persönlich ausgeübt werden. Es ist ausüb- 1176 bar: –





Nach § 134 III 1 durch Bevollmächtigte1925. Die Vollmacht ist vorbehaltlich der Satzung in Textform (§ 126b BGB) zu erteilen (§ 134 III 3). Wenn die Satzung dies zulässt, bei börsennotierten Gesellschaften immer ist auch der elektronische Weg möglich (§ 134 III S 3, 4). Der Aktionär kann dann die Vollmacht in der Weise erteilen, dass er sich durch seine Aktiennummer auf der Homepage der Gesellschaft identifiziert und den Auftrag mittels Bildschirmformulars erteilt. Früher wurde eine Vollmacht an einen von der Gesellschaft selbst zu bestimmenden Stimmrechtsvertreter („proxyvoting“)1926 als ausgeschlossen, nämlich als Verstoß gegen §§ 71b, d (keine Rechte der Gesellschaft aus eigenen Aktien, auch wenn diese durch Dritte erworben werden) angesehen. Jetzt erlaubt § 134 III 5 das proxy-voting. Die Gesellschaft muss in diesem Fall die Vollmachtserklärung drei Jahre nachprüfbar festhalten (§ 134 III 5). § 129 III setzt voraus, dass das Stimmrecht durch Ermächtigte, die in eigenem Namen handeln, ausgeübt werden kann, sog Legitimationsübertragung1927. Die Vorschrift bestimmt die Angaben bei der Eintragung in das Teilnehmerverzeichnis. Eine Ermächtigung muss auch zugrunde liegen, wenn ein Kreditinstitut das Stimmrecht aus Namensaktien ausübt, die ihm nicht gehören, für die es aber im Aktienregister (§ 67 I ff, VII AktG) eingetragen ist (§ 135 VI). § 135 regelt das Vollmachtsstimmrecht der Kreditinstitute. Damit normiert § 135 zusammen mit §§ 125, 128 AktG das sog Banken- oder Depotstimmrecht1928. In Abgrenzung zum Fall der Legitimationsübertragung darf nach § 135 I 1 ein Kreditinstitut das Stimmrecht aus Aktien, die ihm nicht gehören und für die es auch nicht im Aktienregister eingetragen ist, nur ausüben, wenn es (formfrei, dh uU elektronisch, aber nachprüfbar festzuhalten, Abs 1 S 2) bevollmächtigt ist. Die auf § 135 I 1 folgenden Sätze und Absätze bestimmen Näheres zur möglichsten Sicherung der Stimmrechtsausübung im Sinne des Aktionärs statt nach eigenen Interessen der Bank (oder solchen nahe stehender Unternehmen)1929. Abs 7 stellt die Auswirkung der Erforder-

_____ 1925 § 134 III AktG ist Sondervorschrift zu § 180 BGB. Gem § 180 S 2 iVm § 177 I BGB ist die vollmachtlos erfolgte Stimmabgabe genehmigungsfähig nach § 184 I BGB, s OLG Frankfurt DNotZ 2003, 459 f für die GmbH iRd § 47 III GmbHG. 1926 Zu seiner Geltung im amerikanischen Gesellschaftsrecht Merkt US-Amerikanisches Gesellschaftsrecht Rn 633 ff. 1927 Es handelt sich um eine Verfügungsermächtigung nach § 185 BGB in wertpapierrechtlicher Übertragungsform. 1928 Nach §§ 125 V, 135 X AktG sind den Kreditinstituten sonstige Finanzdienstleister gleichgestellt. 1929 Es gibt aber die Möglichkeit einer generellen Vollmacht, die das Kreditinstitut ermächtigt, nach eigenen oder nach Vorschlägen des Vorstands oder Aufsichtsrats abzustimmen, die es dem Aktionär allerdings vorher zu übermitteln hat (§ 135 I 4 Ziff 1 mit Abs 2, 3 und Ziff 2 mit Abs 4) nebst Zuleitung der Unterlagen nach Abs 1 S 5.

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nisse auf die Wirksamkeit der Stimmabgabe klar. Es geht um die Unwirksamkeit der einzelnen Stimme. Ein Beschluss ist nur anfechtbar, wenn er auf der Stimme beruht. Nach § 243 III Nr 1 AktG kommt im Gegensatz zu der Verletzung des § 135 die Verletzung des § 128 (betr Übermittlung der Mitteilungen zur Einberufung der HV) überhaupt nicht als Anfechtungsgrund in Betracht. Schließlich wendet sich § 135 IX wie auch schon § 128 II gegen Vorvereinbarungen über den Ausschluss der Schadensersatzpflicht (aus § 280 I und – so die hM zu §§ 128, 135 AktG – aus § 823 II BGB) bei Verstößen gegen bestimmte (die meisten) Vorschriften des § 135. § 135 VIII macht die Abs 1–7 sinngemäß anwendbar auf die Stimmrechtsausübung durch: 1. Aktionärsvereinigungen, 2. auf Personen, die sich geschäftsmäßig zur Stimmrechtsausübung erboten haben1930.

1177 Ein Beschluss ist festzustellen1931, bekannt zu geben und in einer Niederschrift zu

beurkunden (§ 130 AktG)1931a. Grundlagenbeschlüsse (etwa nach § 179 AktG) werden durch Eintragung in das Handelsregister wirksam (s die Grundvorschrift über Satzungsänderungen: § 181 III AktG). Nichtzustandekommen, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der HV-Beschlüsse sind oben1932 im Rahmen der Rechtsbeziehung der Mitglieder zur Gesellschaft erörtert.

(8) Stimmbindungsverträge 1178 Stimmbindungsverträge sind von Satzungsregelungen zu unterscheiden, die die

Gesellschafter zu einer bestimmten Beschlussfassung binden1932a. Mit Stimmbindungsverträgen bindet das einzelne Mitglied seine Abstimmung an den Willen eines anderen. Solche Verträge dienen etwa einer einheitlichen Abstimmung in Familiengesellschaften, in einem Stimmenpool oder in einem Konsortium, weiter der Sicherung der Stimmrechtsausübung bei treuhänderischer Übertragung von Aktien oder bei Verpfändung. § 136 II AktG macht Verträge nichtig, durch die sich ein Aktionär verpflichtet, nach Weisungen oder Vor-

_____ 1930 Die Vorschrift des § 135 VIII AktG wendet die Bestimmungen über die Ausübung des Depotstimmrechts auf die genannten Personen an und dient damit insbesondere der Abwehr von Umgehungen der Vorschriften über das Depotstimmrecht. § 135 VIII 2 AktG nimmt bestimmte Personen (den gesetzlichen Vertreter, Ehegatten und nahe Verwandte) von dieser entsprechenden Anwendung der Depotstimmrechtsvorschriften aus. 1931 Einzelheiten, die bei börsennotierten Gesellschaften zur Feststellung gehören sollen, in § 130 II 3 AktG. 1931a Zur Möglichkeit der Änderung einer Niederschrift durch den Notar und zu den Anforderungen an die Niederschrift BGH NJW 2018, 52, dazu Herrler, NJW 2018, 585. 1932 Rn 859 ff. 1932a Dazu o Rn 961 f.

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schlägen der Gesellschaft, ihrer Verwaltungsorgane oder eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens zu stimmen. Nach § 405 III Nr 6, 7 AktG ist über diese Vorschrift hinaus jedwedes Versprechen oder Gewähren ebenso wie das Sich-Versprechenlassen oder die Annahme besonderer Vorteile für eine Stimmabgabe (Stimmenkauf) ordnungswidrig und folglich nach § 134 BGB nichtig. Sieht man nur auf diese Vorschriften, so ergibt sich per argumentum e contrario: Stimmbindungsverträge, die sich erstens (argumentum e contrario aus § 136 II) auf Weisungen anderer als der in § 136 II genannten Weisungsgeber beziehen, also Verträge über Weisungen von Mitgesellschaftern oder Dritten, und die zweitens (argumentum e contrario aus § 405 III Nr 6, 7) die vertragsgemäße Stimmabgabe nicht mit besonderen Vorteilen verknüpft, sind zulässig1933. Nach einer Entscheidung des BGH ist die Stimmbindung nach § 894 ZPO vollstreckbar1934. Nach ergänzender Auslegung lassen Stimmbindungsverträge dem Gebundenen insoweit Freiraum, als bei einem Beratungsergebnis in der HV, das sich gegenüber den bei Stimmbindung gehegten Erwartungen wesentlich geändert hat, die Bindung entfallen kann. Zudem ist nach den Grundsätzen über Dauerschuldverhältnisse (§ 314 BGB) bei dauernder Bindung die Kündigung aus wichtigem Grund möglich. Die Problematik der Stimmbindungsverträge ist damit nicht erschöpft. Zu 1179 genauerer Analyse und Abgrenzung ist sie in die umfassendere Problematik einzuordnen, inwieweit ein Gesellschafter über sein Stimmrecht verfügen kann. Darüber hinaus ist die Selbstständigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter zu berücksichtigen. Die Gesellschafter sind einerseits die Mitglieder, die nach der Verfassung der Gesellschaft für diese konstitutiv sind. Andererseits sind sie als Rechtssubjekte von der Gesellschaft als selbstständiger Rechtspersönlichkeit getrennt. Was die Möglichkeit, über das Stimmrecht zu verfügen, betrifft, so geht 1180 es, nachdem oben1935 die Verbandssouveränität gegen deren Selbstentäußerung durch die Mitgliedergesamtheit zu wahren war, hier um die Frage der Mitwirkungsbeschränkung auf Seiten des einzelnen Mitglieds1936. Zunächst kann ein Mitglied sein Stimmrecht nicht an ein Nichtmitglied abspalten. Dies würde der autonomen Bestimmung der juristischen Person durch die Mitglieder widersprechen. Anderes gilt für einen Nießbrauch am Gesellschaftsanteil: Der Nieß-

_____ 1933 So die hM: Raiser/Veil § 16 Rn 37; MüKo-AktG/Schröer § 136 Rn 61. Zur Stimmbindung betr Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat Bausch, NZG 2007, 574. 1934 BGHZ 48, 163. Der BGH weicht damit von der Rspr des RG ab. Zu den Fällen u Rn 1186. 1935 Rn 961 f. 1936 Zum Folgenden Flume I/2 § 7 II S 201 ff sowie für die Personengesellschaft ders I/1 § 14 IV S 220 ff.

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braucher ist stimmberechtigt kraft der konstitutiven Übertragung der Mitgliedschaft durch die Nießbrauchsbestellung. Auf Seiten des Mitglieds bleibt nur noch das nudum ius zurück. Aber nicht nur die Stimmrechtsabspaltung an ein Nichtmitglied, auch die an ein Mitglied ist unzulässig, allerdings aus dem anderen Grunde, dass dadurch in die Verfassung der juristischen Person eingegriffen würde. Es ist ausschließlich Sache des Gesetzes und in seinem Rahmen der Satzung zu bestimmen, welchem Mitglied welches Stimmrecht zukommt. So kann sicherlich auch die Satzung, soweit Satzungsautonomie besteht und, vorbehaltlich des Eingreifens der §§ 35 BGB, 53 III GmbHG, eine Mitgliedschaft des Stimmrechts entkleiden und eine andere im Stimmrecht aufstocken. Auch für das Treuhandverhältnis sollte man bei dem Grundsatz bleiben, dass der Treuhänder als Inhaber des Anteils stimmberechtigt und nur gegenüber dem Treugeber schuldrechtlich gebunden ist und natürlich auch noch – iR der gesetzlichen Vorschriften – dem Treugeber eine Stimmrechtsvollmacht geben kann1937. Die Sicherungstreuhand ist also von der Pfandrechtsbestellung am Gesellschaftsanteil durch das Stimmrecht des Sicherungsnehmers geschieden1938. Eine unwiderrufliche Stimmrechtsvollmacht setzt eine Eigenposition des Vertreters hinsichtlich der Stimmrechtsausübung voraus. Damit kommt sie in der Wirkung, was die grundsätzliche Unzulässigkeit anbetrifft, der Stimmrechtsabspaltung gleich. In Anbetracht aber der Besonderheit der Treuhand als Aufspaltung von rechtlicher und wirtschaftlicher Zuständigkeit (mit der Folge, dass aufseiten des Treugebers eigentlich keine Fremdheit gegenüber der juristischen Person besteht) kann man die unwiderrufliche Vollmacht an den Treugeber als Besonderheit des Treuhandrechts anerkennen1939. Ansonsten gilt aber: Da das Stimmrecht die der Verwirklichung der Vereinsautonomie dienende autonome Befugnis ist, bei der Herstellung des Willens für die Körperschaft mitzuwirken und als solche nur dem Mitglied zusteht, darf ansonsten eine Macht zur Betätigung des Eigenwillens des Bevollmächtigten unabhängig von dem Willen des Mitglieds und sogar gegen diesen nicht zugelassen werden. Diese Grundsätze müssen auch bei der Beurteilung der Stimmrechtsbindung angewandt werden. Generelle Stimmbindungsverträge zugunsten von Nichtmitgliedern wirken bezüglich des Autonomieverlustes wie Stimmrechtsabspaltungen, sind also entgegen der hM als unzulässig zu beurteilen. Anders

_____ 1937 Für die Stimmberechtigung des Treuhänders BGHZ 3, 354, 360; zu Unrecht dahinstehen lassend BGH LM § 47 GmbHG Nr 25. 1938 S Flume I/2 § 7 II 1 S 205 Fn 65. 1939 Flume I/2 § 7 II 1 S 208.

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 651

ist zu entscheiden bei Stimmbindung unter Mitgliedern. Diese bewirken keinen Fremdeinfluss. Anders als die Abspaltungen an Mitglieder verstoßen die Stimmrechtsbindungen unter Mitgliedern auch nicht gegen die verfassungsmäßige Stimmrechtsverteilung. Weiter ist statt der Gewährung des Stimmrechts an den Treugeber auch eine Stimmrechtsbindung gegenüber dem Treugeber zulässig. Auch eine Stimmbindung unter Mitgliedern ist aber dann unzulässig, wenn 1185 sie zur Umgehung der Regelung des § 136 II AktG, des Verbots des Stimmenkaufs oder von Höchststimmrechtsbestimmungen dienen sollen. Eine Vinkulierung der Anteile1940, die auch für eine Abtretung an Mitglieder gilt, macht auch die Stimmrechtsbindung gegenüber den Erwerbern zustimmungsbedürftig1941. Umgekehrt ist die grundsätzlich als unzulässig anzusehende Stimmrechts- 1186 bindung unter Nichtmitgliedern dann ausnahmsweise zulässig, wenn der Gesellschafter einem Dritten zu einer Leistung verpflichtet ist, zu der es der Mitwirkung der Gesellschaft bedarf, sofern der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft ein Anrecht auf die Mitwirkung hat. Insofern geht es um das oben1942 genannte zweite Problem, die Beachtung der Selbstständigkeit der Gesellschaft als Eigenperson gegenüber dem Gesellschafter. Hat der Gesellschafter einem Dritten eine Leistung zu erbringen, so ist er zu dieser unvermögend, wenn es zu der Leistung der Mitwirkung der Gesellschaft bedarf und der Gesellschafter kein Recht gegen die Gesellschaft hat, aufgrund dessen er die Mitwirkung erlangen kann. Die Anerkennung und Vollstreckung einer Verpflichtung des Gesellschafters, durch Abstimmung in der Gesellschaft den Leistungserfolg herbeizuführen, würde die Abstimmung des Gesellschafters für die Gesellschaft den persönlichen Pflichten des Gesellschafters unterwerfen. Das ist mit der Eigenart der Abstimmung als Mitwirkung an der Gesellschaft nicht vereinbar. Nur wenn der Gesellschafter ein Recht gegenüber der Gesellschaft hat, den Leistungserfolg herbeizuführen, ist er zur Leistung vermögend und die Vollstreckung nach §§ 887, 888, 894 ZPO unbedenklich. Es ist eine besondere Pointe, dass es sowohl in dem Urteil des BGH, das den Vollstreckungszwang bei Stimmrechtsbindungen bejaht hat1943, als auch in demjenigen des RG, gegen dessen Ablehnung des Vollstreckungszwangs der BGH sich gewandt hat1944, um die Er-

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1940 Möglich bei Namensaktien, § 68 II AktG. 1941 Zur Umgehung durch Stimmrechtsvollmacht an den Erwerber o Rn 651 Fn 922. 1942 Rn 1179. 1943 BGHZ 48, 163. Es ging um die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen, zu der sich der Bekl verpflichtet hatte. 1944 RGZ 160, 257. Der Fall betraf die Zusage des Alleingesellschafters einer Walfang-GmbH gegenüber der Stadt Wilhelmshaven, den wirtschaftlichen Mittelpunkt der GmbH nach Wilhelmshaven zu verlegen.

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zwingung von Leistungen ging, die der Gesellschafter einem Dritten schuldete, und in beiden Fällen ein Recht des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft auf Mitwirkung der Gesellschaft oder seine Mitwirkung in der Gesellschaft an der Leistung bestand1945. So hat das RG in seinem Fall auch nicht etwa den Erfüllungszwang gegen den Gesellschafter abgelehnt.

(9) Ruhen, Ausschluss des Stimmrechts (Stimmverbot), Stimmrechtsmissbrauch 1187 Das Stimmrecht ruht bei eigenen Aktien (§§ 56 III 3, 71b, 71d S 4 AktG) sowie vor Erfüllung der Mitteilungspflicht gemäß §§ 20, 21 AktG (§§ 20 VII, 21 IV AktG) und bei börsennotierten Gesellschaften nach dem WpHG (§§ 21, 28 WpHG, die das Aktienrecht verdrängen, §§ 20 VIII, 21 V AktG)1946. Bei wechselseitiger Beteiligung ist das Stimmrecht beschränkt (§ 328 I AktG). Ausgeschlossen ist nach § 136 I AktG das Stimmrecht von Personen (insbe1188 sondere von Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern, die Aktien innehaben), wenn es bei der Beschlussfassung um ihre Entlastung, Befreiung von einer Verbindlichkeit oder die Geltendmachung eines Anspruchs gegen sie geht. § 136 I ist der Restbestand des allgemeinen Stimmverbots betreffend 1189 Rechtsgeschäfte der juristischen Person im Verhältnis zum Gesellschafter1947. In der allgemeinen Fassung ist das Stimmverbot noch in § 34 BGB und § 47 IV GmbHG erhalten. § 136 I AktG begründet das Stimmverbot nur noch für die ge-

_____ 1945 Zur Rechtfertigung der beiden Entscheidungen s Flume I/2 § 7 VI S 245 f, 247 mit Fn 210; Wilhelm Rechtsform und Haftung S 167 f, 179 Fn 608, 191 f, 196, 248 f. 1946 Der Gesellschafter, der wegen Verletzung der Mitteilungspflicht bei der Beschlussfassung vom Stimmrecht ausgeschlossen war, die Mitteilung aber nachgeholt hat, ist zur Anfechtung des Beschlusses befugt, OLG Schleswig ZIP 2007, 2214 1947 Die Stimmverbote betreffen nur die Abstimmung über Rechtsgeschäfte als Willensbildung für die juristische Person. Das vom Stimmrecht ausgeschlossene Mitglied ist aber berechtigt, an Versammlung und Beratung teilzunehmen, BGH DStR 1997, 1259. Nicht zu den Rechtsgeschäften der juristischen Person, von vornherein also nicht unter das Stimmverbot betr Rechtsgeschäfte zählen die körperschaftlichen Angelegenheiten, die sog Sozialakte, Wilhelm Rechtsform und Haftung S 87 ff. Also kann die Begründung eines Entsenderechts in den Aufsichtsrat auf keinen Fall unter § 136 AktG fallen (OLG Hamm AG 2008, 552, 553 f). Auch nach § 47 IV 2 GmbHG ist die Selbstwahl eines Gesellschafters zum Organmitglied also zulässig. Rechtsgeschäft der Gesellschaft ist nur der Anstellungsvertrag. So für die Beschlussfassung über die Bestellung eines Gesellschafters zum Geschäftsführer KG NZG 2004, 664. Auf die Selbstwahl eines Stimmrechtsbevollmächtigten hat der BGH freilich § 181 BGB angewandt (BGHZ 112, 339). Unter das Stimmverbot als Verbot iSv § 181 BGB fällt die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers der GmbH aus wichtigem Grund. Dafür wird als zusätzlicher Grund des Stimmverbots die Unzulässigkeit des Richtens in eigener Sache genannt (Raiser/Veil § 33 Rn 53, 58).

II. Die Organe der AG im Einzelnen | 653

nannten besonderen Rechtsakte im Verhältnis zum Gesellschafter, nimmt aber andere Rechtsgeschäfte der juristischen Person vom Stimmverbot aus. Damit sollten aus der Vorschrift herausgenommen werden insbesondere die Unternehmensverträge der AG nach §§ 291 ff AktG1948. Der Gesetzgeber des AktG hat zu diesen andere Sicherungen als das Stimmverbot eingeführt. Beispiele des aktienrechtlichen Stimmverbots sind die Beschlussfassungen der HV über die Befreiung von einer Haftung gemäß §§ §§ 46, 48, 93 IV 3, 116, 117 IV AktG und über die Geltendmachung eines Anspruchs durch eine Klage gemäß § 147 I 1 AktG (aber auch bei Einschaltung nach § 119 II AktG für eine Klage gegen ein Verwaltungsmitglied). Verwandt ist der Stimmrechtsausschluss im Fall des § 142 I 2 AktG (betreffend die Sonderprüfung). Ein Gesellschafter ist auch dann vom Stimmrecht ausgeschlossen, wenn die 1190 Beschlussfassung eine von ihm abhängige Gesellschaft oder, ist der Gesellschafter selbst eine Gesellschaft, einen ihn beherrschenden Gesellschafter betrifft1949. Ebenso ist ausgeschlossen derjenige, der für einen anderen abstimmt, wenn er selbst oder der andere iS der Stimmverbote befangen ist § 136 I 1, 2). Die Tatbestände des Stimmrechtsausschlusses im Körperschaftsrecht (§§ 136 I 1191 AktG, 47 IV GmbHG, 34 BGB) entsprechen § 181 BGB1950. Wie das Verbot des Insichgeschäfts (s zB § 1795 I BGB im Vergleich zu § 1795 II BGB) werden auch die Tatbestände des Stimmrechtsausschlusses um der Rechtssicherheit willen formal eng angewandt. Die Anwendung der Stimmverbote über die eigene Beteiligung des Gesellschafters auf der Gegenseite hinaus auf die Beteiligung durch Beherrschung der auf der Gegenseite beteiligten Gesellschaft ist damit vereinbar. Andererseits ist trotz der grundsätzlich formalen Anwendung der Stimmverbote diese nicht anwendbar gegen einen Alleingesellschafter oder bei gleicher Betroffenheit aller Gesellschafter1951. Andernfalls gäbe es hier keine stimmberechtigten Gesellschafter und folglich die Willensbildung der Gesellschafterversammlung nicht. Die zwingende Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung verdrängt in diesen Fällen die Stimmverbote1952.

_____ 1948 Zur historischen Tendenz zur Privilegierung der Konzernherrschaft bei der AG, die zur Änderung im Aktienrecht geführt hat, Wilhelm Rechtsform und Haftung S 107 ff. Folgerung des Ausschlusses einer analogen Anwendung des § 136 auf Konzernsachverhalte OLG Köln ZIP 2017, 1211, 1218 ff. 1949 Dazu Flume I/2 § 7 V 3, S 224 ff; Wilhelm Rechtsform und Haftung S 125 ff, 134 ff. Zu eng der Versuch mit der Abgrenzung durch den Einfluss des Gesellschafters auf die Leistung, um die es im Rechtsgeschäft geht, OLG Brandenburg ZIP 2017, 1417 1950 Wilhelm Rechtsform und Haftung S 66 ff. 1951 BGHZ 105, 324, 333. Zum Ausschluss aber der Selbstentlastung eines Alleingesellschafters oben Rn 558. 1952 Wilhelm Rechtsform und Haftung S 147 ff.

654 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

Wie bei § 181 BGB wird die enge Abgrenzung aufgefangen durch die auf den Einzelfall abstellende „bewegliche Schranke“ der Unzulässigkeit des Machtmissbrauchs. § 181 BGB wird durch die Rechtsfigur des Missbrauchs der Vertretungsmacht, die Stimmrechtsausschlusstatbestände werden durch die des Missbrauchs des Stimmrechts ergänzt1953. Die Missbräuchlichkeit der Stimmrechtsausübung hat der BGH in einer die GmbH betreffenden Entscheidung1954 in dem Fall angenommen, dass Gesellschafter für die Befreiung eines Mitgesellschafters vom gesellschaftsvertraglich bestimmten Wettbewerbsverbot gestimmt hatten. Die Befreiung hätte zur Folge gehabt, dass die Gesellschaft von dem dem Mitgesellschafter zuzurechnenden Unternehmen iS von § 17 AktG abhängig geworden wäre. Anders als § 181 BGB, der die Genehmigung des Insichgeschäfts vorbehält, 1193 sind die Stimmrechtsverbote zwingend. Es geht um die notwendige Willensbildung für die juristische Person und nicht um eine privatautonom begründete und gestaltete Vertretung1955. Die Rechtsfolge des Verstoßes gegen ein Stimmverbot oder einer miss1194 bräuchlichen Stimmrechtsausübung ist die Nichtigkeit der Stimmabgabe. Daran schließt § 243 II 1 AktG die Anfechtbarkeit von Beschlüssen an, die auf der nichtigen Stimmabgabe beruhen, insbesondere wegen Sondervorteilserstrebung1956. Zur Nichtigkeit von Stimmbindungsverträgen, um die es in § 136 II AktG 1195 geht, war im vorherigen Abschnitt das Notwendige auszuführen. 1192

III. Die Organisation der GmbH1956a III. Die Organisation der GmbH

1. Die Organe 1196 Das GmbHG sieht für die Vertretung und Geschäftsführung bei der GmbH

(§§ 35 ff GmbHG) als notwendiges Organ die Geschäftsführung (§ 6 I GmbHG)1957 vor. für die Willensbildung spricht es von der Gesamtheit der Gesellschafter

_____

1953 Zum Stimmrechtsmissbrauch N bei Raiser/Veil § 33 Rn 68 f. 1954 BGHZ 80, 69, 71 ff, – Süssen –. 1955 Nach § 40 BGB ist die Stimmverbotsregelung des § 34 BGB zwingend. Für die zwingende Natur der Stimmverbote allgemein Flume I/2 § 7 V 3 S 224 ff. Für die Unabdingbarkeit des Stimmverbots betr Entlastung BGHZ 108, 22 sowie OLG Stuttgart und BGH in der Darstellung von Goette DStR 1994, 869. 1956 Dazu s o Rn 878. 1956a Übersicht s o Rn 941 ff. 1957 Zum Geschäftsführer Wellhöfer/Peltzer/Müller Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer – mit GmbH-Geschäftsführer – 2008.

III. Die Organisation der GmbH | 655

(§§ 45 ff GmbHG). Beim Einmanngesellschafter, der zugleich einziger Geschäftsführer ist, fallen beide Organstellungen zusammen. Die Gesellschafter fassen ihre Beschlüsse in Versammlungen (§ 48 I GmbHG), bei der Einmanngesellschaft bedarf es einer förmlichen Versammlung nicht1958. Die Gesellschafter sind zuständig für die Gestaltung der vertraglichen Grundlagen der Gesellschaft (§§ 53 ff GmbHG). Abgesehen von der Existenz der beiden Organe und der unbeschränkbaren Vertretungsmacht der Geschäftsführer sowie bestimmter gläubigerbezogener Pflichten der Geschäftsführung, besteht Satzungsautonomie. Dafür sind die Gesellschafter oberstes Organ. Nach dem Gesetz (§§ 37 I, 45 GmbHG) haben die Gesellschafter Weisungskompetenz gegenüber den Geschäftsführern. Kraft der Satzungsautonomie können sie diese aber beschränken, haben es jedoch in der Hand, die Satzung wieder zu ändern. Außerdem haben sie nach ihrer Stellung immer das Recht, gegen Störungen einzugreifen. Dieses Eingriffsrecht gilt insbesondere für die Möglichkeit, durch Gesellschaftsvertrag einen Aufsichtsrat einzurichten, Ist der Aufsichtsrat beschlussunfähig, fällt seine Kompetenz an die Gesellschafter zurück1959. Für den kraft Satzung eingerichteten Aufsichtsrat sieht das GmbHG eine Hilfsregelung vor (§ 52 I GmbHG). Es folgen in Abs 2 Regeln für den mitbestimmten Aufsichtsrat1960 und in Abs 3 und 4 Regelungen für Aufsichtsräte beider Grundlagen. § 52 I GmbHG, der für den fakultativen Aufsichtsrat eine Regelung an die Hand gibt, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts regelt, verweist auf Vorschriften über den aktienrechtlichen Aufsichtsrat (§ 52 I GmbHG). Im Fall der Einrichtung eines Aufsichtsrats ist die Gesellschaft verpflichtet, die Existenz eines Aufsichtsrats und seine Zusammensetzung über das Handelsregister bekannt zu machen (§ 52 III GmbHG).

2. Die Geschäftsführung der GmbH a. Zusammensetzung; faktischer Geschäftsführer Die Zahl der Geschäftsführer ist frei wählbar (§ 6 I GmbHG), es sei denn, das 1197 Mitbestimmungsrecht1961 macht einen Arbeitsdirektor und damit mindestens 2 Mitglieder der Geschäftsführung erforderlich. Fehlt es – unabhängig vom Mit-

_____ 1958 BGHZ 12, 337, 339. 1959 BGHZ 12, 337 (Eingriffsbefugnis bei Übertragung der Kündigung der Geschäftsführer auf einen Aufsichtsrat, wenn dieser funktionsunfähig wird; Fall mit NS-Belastung von Geschäftsführer und Aufsichtsrat). 1960 O Rn 937. 1961 O Rn 987.

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bestimmungsrecht – an einem Geschäftsführer, so greift die Möglichkeit ein, dass ein Notgeschäftsführer durch das Gericht bestellt wird (§ 29 BGB)1962, oder es ergibt sich ein wichtiger Grund für die Auflösung der Gesellschaft durch das Gericht (§ 61 GmbHG). Auch bei der GmbH gibt es Stellvertreter von Geschäftsführern. § 44 GmbHG entspricht § 94 AktG1963. Das MoMiG begegnet dem Missbrauch, Gesellschaften bewusst führungslos zu machen (sog Firmenbestattung1964). Die Führungslosigkeit wird definiert in §§ 78 I 2 AktG, 35 I 2 GmbHG. In den Vertretungsvorschriften wird ihr begegnet bei der AG mit der subsidiären Vertretungsmacht des Aufsichtsrats, bei der GmbH derjenigen der Gesellschafter, im Hinblick auf Passivvertretung mit der Möglichkeit, einem Mitglied zu erklären bzw an die im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift zu erklären bzw zuzustellen (§ 35 II 2, 3 GmbHG). Gerade bei der GmbH mit ihrer personalistischen Struktur ist denkbar, dass 1198 einflussreiche Personen Geschäftsführerkompetenzen wahrnehmen, ohne rechtlich zum Geschäftsführer bestellt zu sein. Man spricht vom faktischen Geschäftsführer. Dieser wird in Hinsicht auf die Verantwortlichkeit dem rechtswirksam bestellten Geschäftsführer gleichgestellt1965.

b. Qualifikation 1199 Für die Qualifikation zum Geschäftsführer bzw den Ausschluss vom Geschäfts-

führeramt gilt zunächst einmal der Gesellschaftsvertrag, der hier einem Gesellschafter ein Sonderrecht auf die Geschäftsführungsposition einräumen und auch unter Vorbehalt der Wahrung des AGG zusätzliche Erfordernisse für die Bekleidung des Geschäftsführeramts aufstellen kann1966. Nach § 6 II GmbHG gelten sodann dieselben Vorschriften wie beim Vorstand der AG (§ 76 III AktG): Als Geschäftsführer kommen nur natürliche Personen mit unbeschränkter Ge-

_____ 1962 Antragsberechtigt jeder in seiner Rechtsstellung unmittelbar Berührte (BayObLG ZIP 1997, 1785), folglich Gesellschafter, aber auch Gläubiger der Gesellschaft, sogar weitere Geschäftsführer, wenn diese allein nicht handeln können. 1963 Zu § 94 AktG o Rn 1021. In das Handelsregister ist der stellvertretende Geschäftsführer ohne Zusatz einzutragen, BGH AG 1998, 137. 1964 O Rn 113, 133. 1965 Abgrenzend BGH GmbHR 2008, 702: Die Einbehaltung der Verfügungsgewalt über das Bankkonto der Gesellschaft reiche nicht aus. – Für Durchgriffshaftung wegen sowohl faktischer Geschäftsführer- wie faktischer Gesellschafterstellung KG GmbHR 2008, 703. – Allgemein zum faktischen Geschäftsführer Geißler, GmbHR 2003, 1106. 1966 Nach OLG Hamm NZG 2017, 1065 kein Verstoß gegen das AGG, wenn im Anstellungsvertrag ein Recht zur Kündigung mit Vollendung des 60. Lebensjahrs vereinbart wird, sofern für eine betriebliche Altervorsorge gesorgt ist.

III. Die Organisation der GmbH | 657

schäftsfähigkeit in Betracht1967. Unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt stehende Personen sind ebenso ausgeschlossen wie – nach näherer Maßgabe des Gesetzes (§ 6 II GmbHG gleich § 76 III AktG1968) – vorbestrafte und einem Berufs- oder Gewerbeverbot unterliegende Personen1969. Anders als im AktG ist in § 6 V GmbHG eine Sanktion gegen Gesellschafter bestimmt, die vorsätzlich oder grob fahrlässig einer Person die Geschäftsführung überlassen, gegen die Bestellungshindernisse iSv § 6 II GmbHG begründet sind: Sie haften auf Ersatz des Schadens, den jene Person durch Verletzung ihrer Obliegenheiten gegenüber der Gesellschaft verursacht. Angesichts des personalistischen Charakters der GmbH hebt das GmbHG 1200 hervor, dass auch Nicht-Gesellschafter Geschäftsführer sein können (§ 6 III 1 GmbHG). Auch bei der GmbH gilt also nicht das Prinzip der Selbst-, sondern der Fremdorganschaft. Hat die GmbH einen Aufsichtsrat, so besteht grundsätzlich wie bei der AG Inkompatibilität zwischen Geschäftsführung und Mitgliedschaft im Aufsichtsrat (§ 52 I GmbHG iVm § 105 AktG). Abgesehen von den Voraussetzungen und Beschränkungen in § 6 GmbHG 1201 sind nur noch Voraussetzungen dafür zu machen, dass die Geschäftsführerpflichten auf deutschem Gebiet überhaupt erfüllt werden können. Dazu sind auch Ausländer aufgrund der EU-Freizügigkeit oder Aufenthaltserlaubnis imstande1970.

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1967 Die Stellung als Organ endet ohne weiteres, wenn der Geschäftsführer geschäftsunfähig wird. Das damit einhergehende Ende der Vertretungsbefugnis ist gem § 39 I GmbHG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Solange die Eintragung nicht erfolgt ist, kann die Gesellschaft gem § 15 I HGB Dritten nicht entgegenhalten, dem Geschäftsführer habe die Vertretungsmacht gefehlt. Gleichwohl ist eine vom Geschäftsführer abgegebene Willenserklärung nichtig, denn die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist gem §§ 105 I, 165 BGB auch dann nichtig, wenn er sie als Vertreter abgibt. Der Umstand, dass das Ende der Organstellung nicht in das Handelsregister eingetragen worden ist, ändert daran nichts, denn die Geschäftsfähigkeit unterfällt nicht der Publizität des Handelsregisters (BGHZ 115, 78, 79 ff). Allerdings kommt eine Haftung nach dem neuen § 6 V GmbHG in Betracht: Aus der Vorschrift ergibt sich eine Pflicht zum Handeln, und es steht ihre Verletzung der Überlassung gleich; die Gesellschaft kann nach den allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen haften (BGHZ 115, 78, 81 ff, Baumbach/Hueck/Fastrich § 6 Rn 1); dagegen aber Roth/Altmeppen/Altmeppen § 6 Rn 24 ff (Haftung der Gesellschaft allenfalls aus cic (§ 311 BGB). 1968 S o Rn 1019. 1969 Wie im Aktienrecht die Vorstandsmitglieder nach §§ 37 II, 81 III AktG haben bei der GmbH die Geschäftsführer nach §§ 8 III, 39 III GmbHG bei der Anmeldung der Gesellschaft oder ihrer Person als neuer Geschäftsführer zu versichern, dass keine die Bestellung hindernden Umstände entgegenstehen, und sind sie über ihre Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht zu belehren und dann unbeschränkt auskunftspflichtig (§ 53 II BZentralRegG). Falsche Angaben machen sie haft- und strafbar (§§ 9a, 43, 82 I Nr 5 GmbHG). 1970 Bei Bestellung eines ausländischen Geschäftsführers wurde als Wirksamkeitserfordernis die Möglichkeit angesehen, dass dieser jederzeit in die Bundesrepublik einreisen kann, OLG

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c. Bestellung, Amtszeit, Anstellungsverhältnis 1202 Die Geschäftsführer werden, wenn die GmbH unter das Montanmitbestim-

mungsrecht (§ 12 MontanmitbestG, § 13 MitbestErgG) oder das MitbestG (§ 31 MitbestG) fällt, nach § 84 AktG durch den gesetzlich zwingenden Aufsichtsrat bestellt. Bei den anderen Gesellschaften mbH – auch das DrittelbetG belässt es bei der Personalhoheit der Gesellschafter – entscheidet über die Bestellung der Gesellschaftsvertrag (§ 6 III 2 GmbHG) oder ein Beschluss der Gesellschafter (§ 46 Nr 5 GmbHG)1971. Wie oben1972 schon erwähnt, kann, wenn die Gesellschafter nicht zu einer Entscheidung kommen, nach § 29 BGB auf Antrag eines Gesellschafters oder sonstiger in ihrer Rechtsstellung berührter Personen ein Notgeschäftsführer bestellt werden. Bei Bestellung durch die Gesellschafter gibt es keine gesetzlich bestimmte Amtszeit. Die Bestellung zum Geschäftsführer ist frei widerruflich, wenn nicht die Satzung der GmbH etwas anderes besagt (§ 38 GmbHG). Auch in anderer Hinsicht kann die Satzung Besonderes bestimmen, zB ein Bestellungsrecht oder ein Sonderrecht auf einen Geschäftsführerposten begründen oder Eigenschaften für die Geschäftsführer über § 6 GmbHG hinaus erforderlich machen. Die Bestellung zum Geschäftsführer ist nach § 39 GmbHG zum Handelsre1203 gister anzumelden. Auch bei den Geschäftsführern der GmbH ist von der Bestellung der An1204 stellungsvertrag (iSv §§ 675, 611 BGB) zu unterscheiden1973. Für den Anstellungsvertrag sind die Gesellschafter zuständig gemäß § 46 Nr 5 GmbHG, der die Bestellung als die Anstellung als Annex mitumfassend meint. Immer gilt der Vorbehalt dafür, dass der Gesellschaftsvertrag etwas anderes besagt, insbesondere durch Einsetzung eines Aufsichtsrates (§ 52 GmbHG), dem dann die Vertretung der Gesellschaft gegenüber der Geschäftsführung zukommt (§ 52 I GmbHG iVm § 112 AktG). Auch die Zuständigkeit, über den Anstellungsvertrag und seine Bedingungen zu entscheiden, kann der Gesellschaftsvertrag in diesem Fall dem Aufsichtsrat einräumen. Die Gesellschafter können auch zustimmen, dass der

_____ Hamm ZIP 1999, 1919, dazu auch Wächter, ZIP 1999, 1577. S aber Roth/Altmeppen/Altmeppen § 6 Rn 40: Jedenfalls keine Bedenken gegen Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaats. Für allgemeine Aufgabe jenes Erfordernisses unter Hinweis auf die modernen Kommunikationsmittel Altmeppen aaO Rn 41 mwN 1971 Soll ein Gesellschafter zum Geschäftsführer bestellt werden, so ist dessen Stimmrecht nicht nach § 47 IV 2 GmbHG ausgeschlossen. Der BGH wendet demgegenüber auf die Ausübung eines Vollmachtsstimmrechts, wenn der Bevollmächtigte kraft der Vollmacht für seine eigene Bestellung stimmt, § 181 BGB an, BGHZ 112, 339. 1972 S o Rn 1197. 1973 S aber o Rn 999 zur mitbestimmungsrechtlichen Besonderheit. Die Anstellung kann an die Organstellung des Geschäftsführers gekoppelt werden, BGH GmbHR 1999, 1140.

III. Die Organisation der GmbH | 659

Vertrag mit einem Dritten (Konzernobergesellschaft, KG bei der GmbH & Co KG) geschlossen wird1974. Die Vergütung des Geschäftsführers bestimmt sich nach dem Anstellungs- 1205 vertrag1975. Allgemein gilt für die Bedingungen des Anstellungsvertrages: Verpflichtet sich die Gesellschaft in dem schuldrechtlichen Anstellungsvertrag in einer von der Satzung abweichenden Weise, so kann der Anstellungsvertrag zwar nicht organisationsrechtlich wirken, ist aber für Schadensersatzansprüche des Geschäftsführers gegen die Gesellschaft und sein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund maßgeblich1976. Die Geschäftsführer der GmbH gelten wie der Vorstand der AG nach § 5 I 3 1206 ArbGG nicht als Arbeitnehmer iS des ArbGG. Auch das KSchG1977 und § 5 II Nr 1 BetrVG schließen Geschäftsführer von wichtigen Vorschriften aus. Weil Geschäftsführer grundsätzlich keine Arbeitnehmer sind, sind für Rechtsstreitigkeiten zwischen der GmbH und ihren Geschäftsführern über Fragen des Anstellungsvertrages grundsätzlich die Zivilgerichte zuständig1978.

_____ 1974 Ob dann trotz Abschlusses des Anstellungsvertrages mit der KG über die Verlängerung des Vertrages entsprechend § 46 Nr 5 GmbHG die Gesellschafterversammlung der GmbH zu entscheiden hat, ist umstritten. Der BGH hat die Frage im Fall NZG 2016, 826 dahinstehen lassen, weil nur eine Verlängerung zu gleichen Konditionen, was im Ausgangsvertrag sogar vorbehalten gewesen sei, in Frage gestanden habe; hinzukämen die Identität der Gesellschafterpersonen in GmbH und KG und die Zustimmung durch einen Beirat in der KG). Der BGH hätte besser klar gestellt, dass die Vertretung der KG bei deren Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer gar nicht zur Kompetenz der GmbH gehört. 1975 Eine § 87 I AktG entsprechende Vorschrift gilt nicht. In BGHZ 207, 190 lehnt der BGH in einer Schlussbemerkung die analoge Anwendung der Herabsetzungsmöglichkeit des § 87 II AktG auf den Geschäftsführer der GmbH ab. Für die Entwicklung eines Rechtsgedankens aus der Vorschrift und dessen Übertragbarkeit auf die GmbH dagegen Roth/Altmeppen/Altmeppen § 6 Rn 93. S a Geißler, GmbHR 2017, 1195.- Zur „Angemessenheit“ der Geschäftsführerbezüge BGH NJW 1990, 2625 sowie – aus steuerrechtlicher Sicht – BFH NZG 2003, 1077. 1976 S den Streitstand bei Ulmer/Paefgen, Kom GmbHG, Bd 2, 2006, § 35 Rn 141; Scholz/ Schneider/Sethe, Kom GmbHG, 10. Aufl 2006 f, § 35 Rn 156 ff, 166. Auch durch einen sonstigen Gesellschafterbeschluss kann die Gesellschafterversammlung den Anstellungsvertrag nicht aushebeln. 1977 §§ 14 I Nr 1, 17 V Nr 1 KSchG. Ist im Anstellungsvertrag die Anwendbarkeit des KSchG vereinbart, ist die Beendigung der Organstellung ein personenbedingter Kündigungsgrund iSv § 1 II KSchG und bedarf es keiner weiteren sozialen Rechtfertigung, OLG Hamm GmbHR 2007, 442. 1978 BAG GmbHR 1999, 816; LG Dresden DStR 2004, 101. Auch ist auf die Geschäftsführer § 613a BGB über den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse bei Betriebsübergang nicht anwendbar (BAG GmbHR 2003, 765). Zu Differenzierungen zwischen Fremd- und Gesellschaftergeschäftsführern Raiser/Veil § 32 Rn 44 f.

660 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

d. Abberufung, Amtsniederlegung 1207 Wie der Vorstand der AG kann auch der Geschäftsführer der GmbH sein Amt

grundsätzlich jederzeit niederlegen, und zwar analog § 35 II 3 GmbHG durch Erklärung gegenüber einem Gesellschafter1979. Die Niederlegung kann aber rechtsmissbräuchlich und deshalb unwirksam sein. Das BayObLG hat dies für einen Einmanngesellschafter als Geschäftsführer bejaht, wenn dieser sein Amt niederlege, ohne gleichzeitig einen neuen Geschäftsführer zu bestellen1980. Legt ein Fremdgeschäftsführer nieder, ist das grundsätzlich kein Rechtsmissbrauch1981. 1208 Für den Widerruf der Bestellung zum Geschäftsführer ist wie bei der Bestellung selbst zwischen den nach dem Montanmitbestimmungsrecht und dem MitbestG mitbestimmten und den nicht darunter fallenden Gesellschaften zu unterscheiden. Für die ersteren gilt die Personalhoheit des Aufsichtsrats nach § 84 AktG. Was die nicht nach jenen Mitbestgesetzen mitbestimmte GmbH betrifft, ist die Bestellung zum Geschäftsführer nach § 38 I GmbHG frei widerruflich1982. Nach Abs 2 kann der Gesellschaftsvertrag den Widerruf auf Vorliegen eines 1209 wichtigen Grundes beschränken. Aber auch, wenn der Gesellschaftsvertrag dies nicht bestimmt, wird die Abberufung aus wichtigem Grund relevant. Bei der nicht mitbestimmten GmbH erfolgt der Widerruf der Bestellung zum Geschäftsführer durch Mehrheitsbeschluss nach §§ 46 Nr 5, 47 I GmbHG1983. Ist ein Gesellschafter Geschäftsführer, kann er grundsätzlich über seine Abberufung mitstimmen1984. Hat der Mehrheitsgesellschafter das Amt des Geschäftsführers inne, gibt es also grundsätzlich keine Abberufung gegen seinen Willen. Das Stimmverbot greift aber dann ein, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer

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1979 BGHZ 149, 28. 1980 DStR 2000, 290; erneut OLG Köln GmbHR 2008, 544, auch für den Fall des Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführers, wenn von diesem die Bestellung eines neuen Geschäftsführers abhänge. AA Roth/Altmeppen/Altmeppen § 38 Rn 77 f (es gälten die allgemeinen Regeln wie § 57 ZPO, § 29 BGB und die allgemeinen Haftungskonsequenzen). 1981 OLG Bamberg ZIP 2017, 1466. 1982 Folgerung nach BGH WM 2002, 2508: Auch keine Haftung der Gesellschaft nach § 628 BGB. OLG Zweibrücken GmbHR 2003, 1206 sieht die freie Abberufbarkeit als eingeschränkt durch die gesellschafterliche Treuepflicht, wenn es sich um einen Gesellschafter-Geschäftsführer handelt. Daraus folge zwar nicht das Erfordernis eines wichtigen, aber doch eines sachlichen Grundes (bejaht im Fall der dauerhaften Erkrankung des Geschäftsführers). 1983 Ist der Abberufungsbeschluss möglicherweise anfechtbar, aber nicht angefochten, kann der (Fremd)-Geschäftsführer nicht auf Feststellung der Unwirksamkeit klagen. Die allgemeine Feststellungsklage steht nur gegen einen nichtigen Beschluss (iSv § 241 AktG analog) zu, BGH NJW-RR 2008, 706, 709. 1984 BGHZ 18, 205, 210.

III. Die Organisation der GmbH | 661

aus wichtigem Grund abberufen werden soll. Durch Mitstimmen würde er hier als Richter in eigener Sache entscheiden1985. Also kann darüber in einer Gesellschaft mit zwei Gesellschaftern der Minderheitsgesellschafter gegen den Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer allein entscheiden. Das bringt folgende Konsequenz mit sich: Sofern nicht ein Sonderrecht eines Gesellschafters zur Geschäftsführung besteht1986, stehen sich Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter mit ihren Stimmen gegenüber. Entweder stimmt der Mehrheitsgesellschafter bei Geltendmachung eines wichtigen Grundes gegen ihn (unter Verwahrung gegen einen wichtigen Grund) nicht mit bzw wird vom Versammlungsleiter aufgrund von dessen – aber doch immer zweifelhaften Würdigung – ausgeschlossen, dann kommt ein Beschluss mit der Stimme des Minderheitsgesellschafters über die Abberufung zustande. Der Mehrheitsgesellschafter muss anfechten, um das Vorliegen eines wichtigen Grundes nachprüfen zu lassen. Oder der Mehrheitsgesellschafter stimmt mit, dann ist es jetzt Last des Minderheitsgesellschafters, den Beschluss der Ablehnung seines Abberufungsantrags anzufechten in Verbindung mit der positiven Beschlussfeststellung iS der Abberufung1987. Mit der Verweisung auf die Möglichkeit der Abberufung aus wichtigem 1210 Grund gibt das Gesetz zugleich eine zwingende Untergrenze des Widerrufsrechts. Beschränkt die Satzung den Widerruf auf wichtige Gründe, so kann nicht das Erfordernis qualifizierter Mehrheit hinzugefügt werden1988. Sind Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund eines gesellschaftsvertraglichen Sonderrechts bestellt, kommt trotz des Sonderrechts der Widerruf aus wichtigem Grund in Betracht. Die Beendigung des Anstellungsvertrags unterliegt dem allgemeinen 1211 Kündigungsrecht, sofern nicht der Widerruf der Organstellung oder die Amtsniederlegung als auflösende Bedingung oder Kündigungsgrund vereinbart sind. Im Insolvenzverfahren haben der Insolvenzverwalter und auch der Geschäftsführer ein Kündigungsrecht (§ 113 InsO). Die Kündigung kann dasjenige Organ aussprechen, das auch zum Abschluss des Anstellungsvertrags zuständig ist, dh bei der GmbH mangels anderer Bestimmung im Gesellschaftsvertrag oder der Zuständigkeit des Aufsichtsrates nach dem MitbestG1989 die Gesellschafter. Für

_____ 1985 BGH ZIP 2017, 1065 Rn 10. Grundlage ist der Gedanke des § 47 IV 1, 2 GmbHG. Das RG hatte mit dem Missbrauch des Stimmrechts argumentiert (RGZ 124, 371, 380). 1986 Zu Folgerungen für die Abberufung aus wichtigem Grund Altmeppen, ZIP 2017, 1189. 1987 S o Rn 864. 1988 BGHZ 86, 177, 179. 1989 Zur Frage o Rn 999 ff. Hat die GmbH einen Aufsichtsrat, ist dieser – immer vorbehaltlich des Gesellschaftsvertrags – nur zur Erklärung der Kündigung an den Geschäftsführer zuständig

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die außerordentliche Kündigung gilt § 626 BGB1990. Für die ordentliche gilt bei einem Fremdgeschäftsführer oder nur mit einem Minderheitsanteil beteiligten Geschäftsführer § 622 I BGB1991, für den maßgeblich beteiligten Geschäftsführer ist die Möglichkeit der Kündigung nach § 621 Nr 3 BGB begründet. Bei längerfristigen Dienstverhältnissen kommt das Kündigungsrecht nach § 624 BGB in Betracht. Aus wichtigem Grund kann die Gesellschaft nach § 626 BGB kündigen1992. 1212 Die Prüfung des § 626 BGB ist nicht deckungsgleich mit der des § 38 II GmbHG. Insbesondere ist die 2-Wochen-Frist des § 626 II BGB für § 38 II GmbHG nicht maßgeblich. Nach Beendigung des Dienstverhältnisses treffen den Geschäftsführer die 1213 Pflicht zur Rechnungslegung und Herausgabe der Geschäftsunterlagen (§§ 675, 666, 259 BGB). Geschäftschancen der Gesellschaft, die er während seiner Dienstzeit erlangt hat, darf er auch jetzt nicht für sich ausnutzen1993. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot müsste im Anstellungsvertrag gegen angemessene Karenzentschädigung vereinbart sein.

e. Zuständigkeit der Geschäftsführer (1) Vertretungsmacht 1214 Die Zuständigkeit der Geschäftsführer der GmbH umfasst zunächst die unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht im Rechtsverkehr (§§ 35 I, 37 II GmbHG) und entspricht insofern der des Vorstands der AG1994. Die den Geschäftsführern übergeordnete Geschäftsführungsbefugnis der Gesellschafter (§§ 45 I, 37 I, II GmbHG) gilt grundsätzlich nur im Innenverhältnis, dh für die Verantwortlichkeit der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft nach § 43 GmbHG. Aufgrund ihrer Vertretungsmacht können die Geschäftsführer auch wirksam Prokura und Generalhandlungsvollmacht erteilen, obwohl

_____ (§ 52 I GmbHG iVm § 112 AktG). Die Entscheidung liegt aber bei der Gesellschafterversammlung (auf § 84 AktG verweist § 52 I GmbHG nicht). 1990 Der BGH misst dem Geschäftsführer Arbeitgeberfunktionen zu, so dass besondere Umstände vorlägen, die die Abmahnung, die § 314 II 1 BGB in Ergänzung von § 626 BGB grundsätzlich erforderlich macht, gemäß § 314 II 2 iVm § 323 II Nr 3 BGB ausnahmsweise entbehrlich machten (BGH GmbHR 2007, 936; dazu Winzer, GmbHR 2007, 1190). 1991 BGHZ 91, 217 (220 f) 1992 Beispielsfall BGH NJW 2003, 431. 1993 BGH NJW 1986, 585. 1994 Zur Vertretungsmacht bei Führungslosigkeit u Rn 1215. Eine Weitergabe der umfassenden Vertretungsmacht an einen Vertreter ist unzulässig, BGH NJW-RR 2002, 1325. Zur Prokura oder Generalhandlungsvollmacht s sogleich

III. Die Organisation der GmbH | 663

intern die Entscheidung darüber nach § 46 Nr 7 GmbHG den Gesellschaftern zusteht. Von der Vertretungsmacht der Geschäftsführer ausgeschlossen sind die in § 46 Nr 5 und 7 GmbHG genannten Angelegenheiten der Gesellschafter (Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern – einschließlich des Anstellungsvertrags – sowie die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen sie). Sie fallen in die Entscheidungs- und Vertretungsmacht der Gesellschafter oder – kraft Gesellschaftsvertrags oder Mitbestimmungsrecht – des Aufsichtsrats oder eines Beirats. Die Vertretung gegenüber den Geschäftsführern steht also nicht den persönlich nicht betroffenen Geschäftsführern, sondern, wenn die GmbH keinen Aufsichtsrat hat, den Gesellschaftern zu. Bei Einrichtung eines Aufsichtsrats verweist § 52 I GmbHG auf die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats nach § 112 AktG. Die Vorschrift ist differenzierend anzuwenden. Grundsätzlich bleibt es bei der obersten Organkompetenz der Gesellschafter. Es empfiehlt sich, die Zuständigkeiten durch den Gesellschaftsvertrag zu regeln1995. Von der grundsätzlich durch Beschlüsse der Gesellschafter nicht beschränkbaren Vertretungsmacht gibt es Ausnahmen: Sie gilt nicht (1) bei Rechtsgeschäften mit Gesellschaftern, (2) im Fall des evidenten Missbrauchs der Vertretungsmacht 1996 und schließlich (3) bei Offenlegung einer internen Beschränkung, etwa des Erfordernisses der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Kündigung eines Vertrages, beim Vertragsschluss mit einem Dritten unter (konkludenter) Einbeziehung der offengelegten Beschränkung in den Vertrag1997. Hat die GmbH mehrere Geschäftsführer, so steht die Vertretungsmacht nach 1215 dem Gesetz den Geschäftsführern als Gesamtvertretern zu (§ 35 II 1 GmbHG). Für die Passivvertretung gilt wie immer die Wirksamkeit des Zugangs, wenn auch nur ein Vertreter erreicht wird. Dasselbe gilt für die Zurechnung von Kenntnis oder bösem Glauben1998. Über die Einzelzurechnung bei Gesamtvertretung hinaus ist die Passivvertretung nunmehr in § 35 II 2–4 GmbHG sorgfältig im Hinblick darauf geregelt,

_____

1995 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 35 Rn 116, 250, 305. 1996 Sofern keine Sittenwidrigkeit wegen Kollusion gegeben ist, kann die Versammlung nach § 177 BGB genehmigen. Zum Missbrauch der Vertretungsmacht bei der Geschäftsführung für die GmbH s BGH NJW 1984, 1461; NJW-RR 2004, 247. 1997 BGH NJW 1997, 2678. Nach OLG München DB 2004, 973 kann ein Geschäftsführer die GmbH dann nicht vertreten, wenn er als Gesellschafter gegen die GmbH klagt. 1998 Zur Zurechnung der Kenntnis etwa von inzwischen ausgeschiedenen Geschäftsführern s die Darstellung der Rspr zur Bösgläubigkeit iSv § 990 BGB durch Wilhelm, Sachenrecht Rn 1247. Weitere N bei Raiser/Veil § 42 Rn 31, 32.

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dass die GmbH jedenfalls soll erreicht werden können. Im Fall der Führungslosigkeit sind die Gesellschafter empfangszuständig. Darüber hinaus sind jedenfalls Vertreter der Gesellschaft durch Zustellung an die im Handelsregister eingetragene inländische Geschäftsanschrift zu erreichen. Will die Gesellschaft nicht wegen Unmöglichkeit der Zustellung an der Geschäftsanschrift die Zustellung durch öffentliche Bekanntgabe nach § 185 Nr 2 ZPO riskieren, sollte sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, nach § 10 II Nr 2 GmbHG eine zusätzliche Person nebst Anschrift in das Handelsregister eintragen zu lassen. Abweichend von der grundsätzlich geltenden Gesamtvertretungsmacht 1216 kann der Gesellschaftsvertrag auch Einzelvertretungsmacht einräumen1999. Entsprechend §§ 125 III HGB, 78 III AktG können einzelne Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen vertretungsbefugt gemacht werden (unechte Gesamtvertretung), sofern die Vertretung allein durch Geschäftsführer (organschaftliche Vertretung) möglich bleibt. Aus der Notwendigkeit der organschaftlichen Vertretung folgt, dass Einzelvertretungsmacht übrig bleibt, wenn einer von zwei gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführern durch Abberufung, Tod oder Verlust der Geschäftsfähigkeit aus der Geschäftsführung ausscheidet2000. Für die Vertretungsmacht gilt das Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 1217 BGB). Davon kann durch den Gesellschaftsvertrag Befreiung erteilt werden. Die Gestaltung der Vertretungsmacht, insbesondere eine (möglicherweise eingeschränkte2001) Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens, muss nach der Rechtsprechung2002 zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden (§ 10 I 2 GmbHG). Für die Einmann-GmbH hält § 35 III 1 GmbHG die Anwendung des Verbots des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) auch für Geschäfte aufrecht, die der alleinige Gesellschafter, der zugleich alleiniger Geschäftsführer ist, mit sich selbst schließt. Die Praxis verlangt zur Wirksamkeit solcher Geschäfte auch beim Einmanngesellschafter-Geschäftsführer eine Gestattung durch den Gesellschaftsvertrag (Befreiung oder Ermächtigung zur Befreiung im Einzelfall), die nach § 10 I 2 GmbHG in das Handelsregister einzutragen sei2003. Nach § 35 III 2 GmbHG müssen Geschäfte mit dem Einmanngesellschafter, auch wenn

_____ 1999 Einzel- und Alleinvertretungsmacht sind nach BGH DB 2007, 1244 synonym. 2000 Roth/Altmeppen/Altmeppen § 35 Rn 43. Vorübergehende Verhinderung führt nur zu Bestellung eines Notgeschäftsführers als gesamvertretungsberechtigten Geschäftsführers. 2001 OLG Stuttgart DB 2007, 2422. 2002 Kritisch Altmeppen, Anm zu OLG Stuttgart (Vorn) DNotZ 2008, 305 mwN. 2003 Nachw bei Roth/Altmeppen/Altmeppen § 35 Rn 77 ff mit Kritik an der Vorschrift und der dazu gebildeten Praxis.

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dieser nicht alleiniger Geschäftsführer ist, in eine Niederschrift aufgenommen werden.

(2) Verschuldens-, Kenntniszurechnung Für die Zurechnung des Verschuldens der Geschäftsführung oder ihrer Hilfsper- 1218 sonen und für die Zurechnung von Kenntnissen oder einer fahrlässigen oder grob fahrlässigen Unkenntnis bzgl Tatsachen, die für den Rechtsverkehr relevant sind, gelten – auch, was Kenntnisse schon ausgeschiedener Geschäftsführer betrifft – dieselben allgemeinen Organisationsgrundsätzen wie beim Vorstand der AG2004.

(3) Geschäftsführungsbefugnis Die Vertretung ist begrifflich Bestandteil der Geschäftsführungsbefugnis der 1219 Geschäftsführer, wird aber davon als Befugnis im Außenverhältnis getrennt. Wegen der Einheit der Geschäftsführungsbefugnis gilt die nach dem Gesetz für die Vertretungsmacht geltende Gesamtzuständigkeit mehrerer Geschäftsführer auch für die Geschäftsführungsbefugnis2005. Nach dem Gesetz ist sie also Gesamtgeschäftsführungsbefugnis. Der Gesellschaftsvertrag kann Anderes bestimmen. Die Gesellschafter können auch durch Einzelbeschluss die Geschäftsverteilung und eine Geschäftsordnung2006 festlegen. Die Bestimmung des § 77 I 2 AktG, dass ein Vorstandsmitglied nicht gegen die Mehrheit des Vorstands entscheiden kann, gilt im GmbH-Recht nicht. Im markanten Gegensatz zum Vorstand steht die Pflicht der Geschäftsfüh- 1220 rer nach § 37 I GmbHG, die internen Handlungsbeschränkungen (durch den Gesellschaftsvertrag und – vorbehaltlich des Gesellschaftsvertrags – durch die Beschlüsse der Gesellschafter) einzuhalten. Die Gesellschafter sind also vorbehaltlich des Gesellschaftsvertrags weisungsberechtigt (§§ 37 I, 43 III 3, 45 GmbHG)2007. Bei Geschäften, die im Umfang über den bisherigen Geschäftsbe-

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2004 S o Rn 1085, s soeben Fn 1998. 2005 Roth/Altmeppen/Altmeppen § 35 Rn 4, § 37 Rn 33 ff. 2006 OLG Stuttgart GmbHR 1992, 48; Uwe H. Schneider, FS Mühl 1981, 633. 2007 Hält der Geschäftsführer einen Beschluss der Versammlung für rechtswidrig, kann er, wenn er sich durch Ausführung schadensersatzpflichtig machen würde, anfechten (analog § 245 Ziff 5 AktG). Die Nachteiligkeit von Weisungen ist aber irrelevant, sofern diese nicht gesetzwidrig sind. OLG Frankfurt ZIP 1997, 450 zieht die Grenze bei naheliegender Gefahr einer Insolvenz. Eine bizarre Folge des Weisungsrechts der Gesellschafterversammlung ergab sich im Fall OLG München NZG 2015, 66, Revisionsentscheidung BGH NJW 2016, 2739: Der Minderheitsgesellschafter hatte durch Geltendmachung seines Rechts nach § 50 I, II GmbHG die Wahl bestimmter

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trieb hinausgehen, müssen die Geschäftsführer nach § 49 II GmbHG die Gesellschafterversammlung einberufen, um dieser Gelegenheit zur Willensbildung zu geben2008. Das Weisungsrecht der Gesellschafter gilt auch für die mitbestimmte GmbH2009. Nur ist bei der nach Montanmitbestimmungs-Recht oder dem MitbestG mitbestimmten GmbH die Mindestzuständigkeit des Arbeitsdirektors zu beachten. Im Hinblick auf das Weisungsrecht spricht § 45 I GmbHG von den Rechten der Gesellschafter in Bezug auf die Geschäftsführung. Diese Beschränkungen sind aber, wie schon gesagt, grundsätzlich intern, dh die Vertretungsmacht der Geschäftsführer wird grundsätzlich davon nicht berührt. Teil der Geschäftsführungsbefugnis ist die Aufgabe der Geschäftsführer, die 1221 Gesellschafterversammlung einzuberufen (§ 49 I GmbHG). Diese Befugnis ist eine Innenbefugnis im Verhältnis zu den Gesellschaftern. § 121 II 2 AktG, der für die Einberufung der HV unter Mitwirkung eines abberufenen Vorstandsmitglieds auf dessen Eintragung im Handelsregister abstellt, ist nicht analog anzuwenden2010. Ist ein Geschäftsführer abberufen, ist dies aber noch nicht im Handelsregister eingetragen, ist eine von ihm erklärte Einberufung unwirksam. Auf der Gesellschafterversammlung gefasste Beschlüsse sind entsprechend § 241 Nr 1 AktG trotz der Verweisung der Vorschrift auf § 121 II AktG nichtig. Wie soeben bemerkt, haben die Geschäftsführer nach § 49 II GmbHG die Versammlung insbesondere dann einzuberufen, wenn es im Interesse der Gesellschaft erforderlich erscheint. Dadurch ist die Mitwirkung der Gesellschafter an der Geschäftsführung gesichert, Das Problem der Holzmüller-Entscheidung2011

_____ Standorte auf die Gesellschafterversammlung gebracht. Der Mehrheitsgesellschafter war nicht etwa gegen diese Standorte, sondern vertrat die Auffassung, dass nach der gesellschaftsvertraglichen Kompetenzordnung der Geschäftsführer allein über die Standorte zu bestimmen habe. Statt aber mit seiner Mehrheit einen Beschluss zu fassen, dass allein die Geschäftsführung zuständig war, stimmte er gegen den Antrag des Minderheitsgesellschafters auf Einrichtung der bestimmten Standorte. Es erging ein diese Einrichtung ablehnender Beschluss. Danach wies der Mehrheitsgesellschafter aber die Geschäftsführung an, genau die abgelehnten Standorte einzurichten. Auf Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage des Minderheitsgesellschafters erklärte das OLG München die Ablehnung durch den Mehrheitsgesellschafter für treuwidrig, stellte also den Beschluss unter Negierung der Stimmabgabe des Mehrheitsgesellschafters fest. Der BGH musste darüber belehren, dass die engen Voraussetzungen einer Treupflichtverletzung nicht gegeben waren. Die Anfechtungs- und Feststellungsklage war also abzuweisen. Damit war aber die Maßnahme der Geschäftsführung beschluss-, also weisungswidrig, der Mehrheitsgesellschafter hätte einen neuen Beschluss herbeiführen müssen. 2008 Zum Missbrauch der Vertretungsmacht bei Handeln über diese Schranke hinweg BGH NJW 1984, 1461. 2009 S dazu o Rn 1003 ff. 2010 BGHZ 212, 342 = NZG 2017, 182 mit zust Anm Götze., a A Bayer/Illhardt, NZG 2017, 801. 2011 Dazu o Rn 1054 ff.

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stellt sich also bei der GmbH nicht. Eigenverantwortlich haben die Geschäftsführer der GmbH nur die gesetzlichen Pflichten der GmbH zu erfüllen.

f. Pflichten Schon die Bestellung, sodann aber auch der Anstellungsvertrag begründet die 1222 Pflicht der Geschäftsführer zur Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers (§ 43 I GmbHG). Wie dem Vorstand der AG kommt auch dem Geschäftsführer die Haftungsprivilegierung durch das unternehmerische Ermessen und die business judgment rule zu2012. Auch für die Geschäftsführungsbefugnis gilt die Gesamtverantwortung jedes der uU mehreren Geschäftsführer2013. Dies entspricht den Vorschriften des § 93 I AktG für den Vorstand und der §§ 116, 93 I AktG für den Aufsichtsrat (die nach § 52 I GmbHG für den Aufsichtsrat der GmbH gelten, wenn diese einen solchen hat). Impliziert ist die Treuepflicht des Geschäftsführers. Aus dieser ergeben sich auch bei der GmbH ein Wettbewerbsverbot2014, die Pflicht, Geschäftschancen im Bereich des Gegenstands der GmbH für die Gesellschaft wahrzunehmen2015, und die Verschwiegenheitspflicht wie nach Aktienrecht (§§ 88, 93 I 3 AktG). Zur Verschwiegenheitspflicht ist wie im

_____ 2012 Zu den Grenzen des unternehmerischen Ermessens (Voraussetzung: sorgfältige Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen) BGH WM 2008, 1688. Zur Anwendung der business judgment rule entsprechend § 93 I 2 AktG Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 43 Rn 22 ff. 2013 Beispiel die Haftung jedes einzelnen Geschäftsführers bei Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge, BGH WM 2008, 1403, 1404. Die Gesamtverantwortung hat die Folge des vollen Informationsrechts (gegenüber der Gesellschaft), auch auf Auskünfte von Mitarbeitern der Gesellschaft, OLG Koblenz DB 2008, 571. 2014 Analog § 88 AktG, s BGH ZIP 1997, 1063. Für die Frage, ob den Geschäftsführer auch das Verbot trifft, überhaupt ein Handelsgewerbe zu betreiben (s § 88 I 1 AktG), ist nach der Erscheinung der einzelnen GmbH und dem Umfang der für sie erforderlichen Tätigkeit zu unterscheiden. Das Wettbewerbsverbot trifft nach BGHZ 119, 257 nicht den AlleingesellschafterGeschäftsführer. 2015 Aufgrund der Treuepflicht; so die Geschäftschancenlehre (nachgebildet der Doktrin von den corporate opportunities, N bei Fleischer, NZG 2004, 1129, 1130.). Konsequenz der Verletzung neben der Schadensersatzpflicht das Eintrittsrecht der Gesellschaft analog § 113 HGB (BGHZ 80, 69, 76 – Süssen –). Für die Pflicht zur Wahrnehmung der Geschäftschancen insbes Röhricht, WPg 1992, 766, 769, s a Wilhelm in Anm zu BGH ZIP 1997, 1063, EWiR § 88 AktG 1/97. Der BFH hat in Fällen, dass Gesellschaft und Gesellschafter/Geschäftsführer in derselben Branche tätig sind und die Gesellschaft dies ohne klare Abgrenzung der beiderseitigen Bereiche geschehen lässt, eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Gesellschafter angenommen, kritisch dazu Knobbe-Keuk Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht S 654 ff. Abstellend jetzt auf die Möglichkeit der Kapitalgesellschaft, für den Dispens vom Wettbewerbsverbot ein besonderes Entgelt durchzusetzen, und den Verzicht hierauf BFH NJW 1997, 1804; dazu Lawall, NJW 1997, 1742.

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Aktienrecht (§ 404 AktG) auch im GmbHG eine Strafsanktion statuiert (§ 85 GmbHG). Die oben2016 für den Vorstand der AG aufgeführten besonderen Pflichten 1223 bestehen vorbehaltlich der Pflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat entsprechend für die Geschäftsführer der GmbH: Pflicht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung (Zuständigkeit nach § 49 I GmbHG) in den gesetzlich und durch Satzung bestimmten Fällen, insbesondere zum Zwecke der jährlichen Rechnungslegung (§ 42a GmbHG), bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals (§ 49 III GmbHG mit § 84 I Nr 1 GmbHG, abweichend die Regelung des § 5a IV GmbHG für die Unternehmergesellschaft: bei drohender Zahlungsunfähigkeit), weiter die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags (§ 15a I InsO). Nach § 43a GmbHG dürfen die Geschäftsführer Inhabern genereller Vertretungsmacht (anderen Geschäftsführern, Prokuristen etc) keine Kredite aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der GmbH gewähren2017. § 78 GmbHG hebt besonders hervor, dass die Geschäftsführung, für bestimmte Angelegenheiten alle Geschäftsführer zusammen, für die Anmeldung zum Handelsregister zuständig sind2018. Pflichten gegenüber dem Aufsichtsrat haben die Geschäftsführer nach § 52 I GmbHG iVm Aktienrecht dann, wenn die GmbH einen Aufsichtsrat hat. Schließlich sind die Pflichten zur Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen aus den Arbeitsverhältnissen der Gesellschaft hervorzuheben, mit denen sich auch eine Haftung der Geschäftsführer unmittelbar gegenüber den Abgabegläubigern verbindet (§§ 34, 69 AO, § 823 II BGB iVm §§ 266a, 14 I Nr 1 StGB)2019.

g. Haftung (1) Im Innenverhältnis 1224 Die Geschäftsführer haften der Gesellschaft gegenüber nach § 43 II GmbHG im Fall der Verletzung ihrer Obliegenheiten auf Schadensersatz, sofern sie sich

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2016 Rn 1027. 2017 Zu § 43a o Rn 440. Ungeachtet der Neufassung des § 30 I 2 GmbHG fallen unter das Verbot der Kreditausgabe an Geschäftsführer auch Gesellschaftergeschäftsführer (BGHZ 193, 96 Tz 35). 2018 Pflicht zur Anmeldung der Änderung der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer und der Geschäftsanschrift der GmbH auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH, OLG Hamm ZIP 2017, 820. 2019 Rn 1027.

III. Die Organisation der GmbH | 669

nicht entlasten können2020. Die Vorschrift entspricht § 93 II AktG2021. Wie dort kann auch hier der Gesellschaftsvertrag die Vorschrift nicht abbedingen2022. Anders als bei der AG hat allerdings ein Beschluss der Gesellschafterversammlung, der eine bestimmte Weisung an die Geschäftsführer enthält, im Falle der Durchführung der Weisung grundsätzlich Entlastungswirkung für den Geschäftsführer2023. Sodann hat ein Entlastungsbeschluss (§ 46 Nr 5 GmbHG) die Wirkung eines Verzichts auf alle erkennbaren oder den Gesellschaftern privat bekannten Kündigungsgründe und Ersatzansprüche gegen die Geschäftsführer2024. Eine Frist, wie sie § 93 IV 3 AktG vor einen Verzicht oder Vergleich betreffs Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder der AG setzt, gilt hier nicht2025. Wird die Entlastung wegen bestimmter Pflichtverletzungen verweigert, kann der Geschäftsführer dagegen eine negative Feststellungsklage erheben2026. Von der Entlastungswirkung eines Weisungsbeschlusses nimmt das Gesetz nur Ansprüche wegen Verletzung der Vermögensbindung durch Zahlung an die Gesellschafter (§ 30 I GmbHG), aber auch durch Kreditgewährung an Inhaber genereller Vertretungsmacht entgegen § 43a GmbHG2027 aus, wenn die Ansprüche zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich sind (§ 43 III 1–3 GmbHG)2028. Keinesfalls ist tragbar der Gegenschluss aus der gesetzlichen Regelung, dass, wenn die Schranken des § 43 III GmbHG nicht eingreifen, ein als Geschäftsführer tätiger leitender Gesellschafter, insbesondere der als Geschäfts-

_____ 2020 Anwendungsfall zu § 43 II GmbHG: Brauer Fälle zum Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2005, Fall 4 (insbes unter Berücksichtigung der corporate-opportunities-Doktrin, dazu soeben Fn 2015). 2021 Wie § 93 II AktG die Vorstandsmitglieder lässt § 43 II GmbHG die Geschäftsführer für die Verletzung ihrer eigenen Pflichten haften. § 278 BGB ist nicht anwendbar. Zu der § 93 II AktG entsprechenden Beweislastverteilung BGH WM 2002, 2509. 2022 Altmeppen, DB 2000, 261. 2023 Entlastung durch stillschweigendes Einverständnis nimmt in seinem Fall OLG Stuttgart GmbHR 2000, 1048 an. Haftungsbefreiung durch „Generalbereinigung“ nach BGH GmbHR 2003, 712. 2024 BGHZ 97, 382 (384). 2025 Zum Problem, ob das Regime des GmbHG uneingeschränkt zur Anwendung kommt, wenn eine AG ihre Rechtsform in eine GmbH wechselt und Haftungsansprüche gegen die bisherigen Vorstandsmitglieder in Betracht kommen, Allmendinger/Lüneborg, ZIP 2017, 1842 ff. 2026 BGHZ 94, 324. Der BGH billigt aber keinen Anspruch auf Entlastung zu. Angesichts der Bedeutung der Entlastung für etwaige Ansprüche der Gesellschaft ist dem zuzustimmen (kritisch dagegen Raiser/Veil § 33 Rn 11). 2027 Analoge Anwendung des § 43 III GmbHG hierauf, Roth/Altmeppen/Altmeppen § 43a Rn 14. 2028 Die Sätze des § 43 III 2, 3 GmbHG beziehen sich auf den Anspruch aus § 43 III 1, nicht den nach § 43 II, s zu S 2 iVm § 9b I GmbHG BGH WM 2008, 696.

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führer tätige Alleingesellschafter, sich selbst entlasten kann, wozu es bei der Einmann-GmbH nicht einmal eines Gesellschafterbeschlusses bedürfte2029. Unabhängig von diesen Grenzen hat ein Weisungsbeschluss dann keine Entlastungswirkung, wenn er nichtig oder wenn er zwar nur anfechtbar ist, der Geschäftsführer aber gemäß der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers die Gesellschafter von dem Beschluss hätte abhalten müssen oder, sofern er anfechtungsbefugt ist2030, von seiner Anfechtungsbefugnis hätte Gebrauch machen müssen. Die Ansprüche nach § 43 GmbHG verjähren in 5 Jahren (§ 43 IV GmbHG). 1225 Entgegen der Rechtsprechung wird richtiger Weise in den Schadensersatzschutz des Vermögens der Gesellschaft eingeordnet der Anspruch aus § 64 S 1 GmbHG wegen Auszahlungen, die die Geschäftsführer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung der Überschuldung der Gesellschaft vornehmen2031. Gleich gestellt ist der Anspruch aus § 64 S 3 GmbHG wegen Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten. Für beide Ansprüche gilt wieder, dass sie, soweit es um die Befriedigung der Gläubiger geht, von Weisungsbeschlüssen der Gesellschafter unberührt sind (§ 64 S 4 iVm § 43 III GmbHG). Ebenfalls gilt die Verjährung nach § 43 IV GmbHG. Ebenso wie der Weisungsbeschluss und mit denselben Grenzen steht auch der Entlastungsbeschluss der Gesellschafterversammlung bei der GmbH anders als der HV-Beschluss bei der AG (§ 120 II 2 AktG) einer Inanspruchnahme des Geschäftsführers entgegen2032, und zwar auch bei der mitbestimmten GmbH2033. Zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber der 1226 Geschäftsführung bedarf es, wenn die GmbH nicht im Insolvenzverfahren und die Geltendmachung Sache des Insolvenzverwalters ist2034, eines Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr 8 GmbHG, es sei denn, die GmbH ist mitbestimmt oder hat sonst einen Aufsichtsrat mit der Folge der Geltung von § 112 AktG. Die Klage des einzelnen Gesellschafters (Gesellschafterklage) ist nur als actio pro socio bei Eingriffen in die Mitgliedschaft zuzulassen2035. Das GmbHG selbst sieht keine

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2029 S o Rn 558 2030 Zur Anfechtungsbefugnis s o Rn 906, 1220 Fn 2007. 2031 S o Rn 512 ff. 2032 In Bezug auf erkennbare Ansprüche mit Ausnahme solcher, die auf einer strafbaren Handlung des Geschäftsführers beruhen, OLG München GmbHR 1997, 847. 2033 § 93 IV AktG ist in das MitbestG nicht übernommen worden, s § 25 I Nr 2 MitbestG. 2034 BGH WM 2004, 1925. 2035 O Rn 669. Bei einer GmbH & Co KG haben die Kommanditisten betreffend die Ansprüche der KG gegen den Fremdgeschäftsführer der Komplementär-GmbH kein Klagerecht, BGH NZG 2018, 220.

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Möglichkeit für die Gläubiger vor, solche Ansprüche geltend zu machen. Die Gläubiger werden nur durch Ansprüche der Gesellschaft iR von § 43 III 3, § 64 S 4 iVm § 43 III GmbHG geschützt. Weiter ist oben2036 vorgetragen die Erweiterung der Haftung nach Geschäftsführungsrecht auf maßgebliche Gesellschaftergeschäftsführer und auf die Geschäftsführung Einfluss nehmende Gesellschafter2037.

(2) Im Außenverhältnis Gegenüber den Gesellschaftsgläubigern haftet der Geschäftsführer persönlich 1227 aus einer Reihe von Tatbeständen. Anzuführen sind hier insbesondere die Haftung aus § 311 III BGB (Eigenhaftung des Vertreters)2038, die Deliktstatbestände der §§ 823 I2039, 831 II2039a und 826 BGB sowie die Haftung wegen Nichterfüllung der Steuerpflichten der GmbH (§ 69 AO). § 823 II BGB führt zur Außenhaftung bei Nichtabführung der Sozialabgaben der Arbeitnehmer der GmbH

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2036 Rn 553 ff. 2037 Die Idee, dass entsprechend der Entlastung von Fremdgeschäftsführern durch die Gesellschafter (unter den im Text gemachten Vorbehalten) der Alleingesellschafter-Geschäftsführer außerhalb von §§ 43 III, 64 S 4 GmbHG überhaupt nicht haften könne (Raiser/Veil § 32 Rn 90 mit N aus der Rechtsprechung), ist, wie soeben (Rn 1224) bemerkt, eine Verkehrung. Eine „Selbstentlastung“ gibt es nur, wenn der Betreffende sich damit ausschließlich selbst schädigt, dh soweit der Alleingesellschafter nur Vermögen angreift, das nicht für die Gläubiger zu erhalten ist. Mit Recht sprechen Raiser/Veil dann auch selbst in Rn 92 von der zwingenden Natur der Geschäftsführerhaftung auch um der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit willen (man denke nur an die Pflicht zur Abführung der Steuern und Sozialabgaben). 2038 Die Haftung aus culpa in contrahendo des Vertreters (jetzt § 311 III BGB) trifft den Geschäftsführer als Vertreter nur dann, wenn er ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen oder ein wirtschaftliches Eigeninteresse am Geschäftskontakt gehabt hat, dazu Medicus Bürgerliches Recht Rn 200 ff und (vor Inkrafttreten des § 311 nF BGB) Lutter, GS Knobbe-Keuk 1997, 229, 234 f. In der Entscheidung BGHZ 126, 181 hat der BGH (unter Zustimmung der anderen Senate, S 186) für die Eigenhaftung des Geschäftsführers verschärfte Anforderungen aufgestellt: Für die Haftung wegen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens verlangt er, dass der Geschäftsführer über das normale Verhandlungsvertrauen hinaus ein zusätzliches, von ihm selbst ausgehendes Vertrauen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen erweckt hat. Die Versäumung der Aufklärung über die Lage der Gesellschaft, zu der er vielleicht als Organ der Gesellschaft gehalten war, reiche nicht. Was sodann die Haftung wegen Eigeninteresses betrifft, sieht der BGH ein relevantes wirtschaftliches Eigeninteresse dann, wenn der Geschäftsführer den Vertragsgegenstand zu eigenem Nutzen verwenden wollte. Das Interesse an der Gesellschaft, weil der Geschäftsführer ihr Kredit oder Sicherheiten gewährt hat, reiche nicht. 2039 Zur Haftung bei Produktmängeln Medicus, GmbHR 2002, 809. 2039a S Dreier, Die Verkehrspflichthaftung des Geschäftsführers der GmbH, zum Anwendungsbereich des § 831 Abs 2 BGB, 2002.

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(iVm §§ 266a I, 14 I StGB)2040. Nach hM greift eine unmittelbare Außenhaftung nach § 823 II BGB weiter ein bei Versäumung der Pflicht zur Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 64 I GmbHG aF, jetzt § 15a I InsO)2041. Die Schutzgesetznatur des § 130 OWiG betreffend Versäumung der Aufsichtspflicht in Betrieben hat der BGH demgegenüber insoweit verneint, als es um die Haftung der Geschäftsführer für die Nichtverhinderung von Betrug oder Untreue von Betriebsangehörigen gehe. Anders möge es sein, soweit die Gesellschaft insolvent sei und Schutzgesetze verletzt seien, die das Insolvenzrisiko der Gläubiger beträfen2042. Ebenso wie der BGH insoweit die Schutzgesetznatur des § 130 OWiG dahinstehen lässt, lässt er in der Entscheidung auch die Schutzgesetznatur des § 41 GmbHG über die Pflicht zu ordnungsgemäßer Buchführung offen2043. Die persönliche Haftung des Geschäftsführers aus § 823 I BGB für unerlaub1228 te Handlungen im Betrieb der GmbH ist zwischen Rechtsprechung und Literatur seit der sogenannten Baustoff-Entscheidung2044 des BGH umstritten. Bis zur Baustoff-Entscheidung ist der BGH in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Geschäftsführer nur dann in Anspruch genommen werden kann, „wenn er persönlich den Schaden durch eine unerlaubte Handlung herbeigeführt hat“2045. In der Baustoff-Entscheidung hat der BGH dann eine neue Rechtsprechung eröffnet.

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2040 Vgl dazu BGH BB 1997, 591; OLG Rostock GmbHR 1997, 845; AG Berlin-Mitte GmbHR 2003, 838. Zur Haftung wegen Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung während einer Krise der GmbH Kiethe, ZIP 2003, 1957. 2041 Besonderer Fall OLG Naumburg DStR 2007, 1220: Haftung wegen Unterlassung einer Rückstellung, bei deren Einbuchung Insolvenzreife ausgewiesen worden wäre. 2042 BGHZ 125, 366, 377. Das Urteil leidet daran, dass der BGH im Grundsatz bei der Verantwortlichkeit der Organe allein im Verhältnis zur Gesellschaft und der Außenhaftung allein der Gesellschaft nach § 31 BGB stehen bleiben will, dabei aber schon wegen seiner eigenen Anwendung des § 823 II BGB auf die Insolvenzantragspflicht der Geschäftsführer nicht zurechtkommt. Zu Widersprüchen führt auch, dass der BGH sich (S 375) für die grundsätzliche Verantwortung der Organe allein im Innenverhältnis auf seine Rechtsprechung beruft, die § 831 II BGB auf die Organe nicht anwendet (BGHZ 109, 297, 304), obwohl § 31 BGB die eigene Außenhaftung der Organe, gerade die nach § 831 II BGB, nach seinem Tatbestand voraussetzt. 2043 BGHZ 125, 366, 379: Die Klägerin habe nicht im Hinblick auf einen bestimmten Vermögensstand der Gesellschaft Dispositionen getroffen. Schädigungen des Gesellschaftsvermögens, die möglicherweise durch ordnungsgemäße Buchführung hätten verhindert werden können, seien als konkrete Auswirkungen iS einer schutzgesetzwidrigen Gläubigerschädigung zu wenig fassbar. 2044 BGHZ 109, 297. Eingehende Sachverhaltsdarstellung unter Einbeziehung der Vorgeschichte der Baustoff-Entscheidung bei Dreier Die Verkehrspflichthaftung des Geschäftsführers der GmbH 2002 S 59 ff. 2045 So die Formulierung wieder in BGH NJW 1996, 1535 mwN. Im Fall der Entscheidung reichte die Formulierung auch aus. Eine GmbH hatte ein nicht in ihrem Eigentum stehendes

III. Die Organisation der GmbH | 673

Im Fall der Baustoff-Entscheidung waren unter verlängertem Eigentumsvorbehalt an eine 1229 GmbH gelieferte Baumaterialien abredewidrig für ein Bauvorhaben verwendet worden. Mit der Bauherrin war ein Abtretungsausschluss gemäß § 399 2. Var BGB vereinbart worden2046. Dieser Einbau führte bei der Kl gemäß §§ 946, 94 BGB zu einem Eigentumsverlust, für den von der GmbH infolge Konkurses kein Ersatz erlangt werden konnte. Am Abschluss der maßgeblichen Verträge war der Geschäftsführer nicht beteiligt gewesen, hätte also nach dem soeben gegebenen Zitat des BGH nicht persönlich in Anspruch genommen werden können. Dennoch hat der BGH den Geschäftsführer mit der Begründung haften lassen, der Geschäftsführer nehme „dem Vorbehaltseigentümer gegenüber, der sein Eigentum der GmbH anvertraut hat, eine Garantenstellung ein, deren Verletzung zu einer deliktischen Haftung führen kann“2047. „Indem der Beklagte als der für die Organisation der GmbH verantwortliche Geschäftsführer es unterlassen hat, ausreichende Vorsorge für die Beachtung des Vorbehaltseigentums der Kl zu treffen, hat er die abredewidrige Verwendung der von ihr gelieferten Baustoffe ermöglicht. Den durch die Verwendung der Baustoffe eingetretenen Eigentumsverlust der Kl muss der Beklagte sich demgemäß zurechnen lassen. Er haftet der Kl nach § 823 I BGB“2048.

Die Entscheidung ist in der Literatur überwiegend auf – zum Teil scharfe – Ab- 1230 lehnung gestoßen2049. Befürwortet wird, zwischen der Garantenhaftung des Geschäftsführers und einer solchen der Gesellschaft zu unterscheiden und für letztere ausschließlich die Gesellschaft haften zu lassen2050. Nach dem System des BGB gibt es aber eine Verschuldenshaftung der juristischen Person für die Verletzung eigener Pflichten außerhalb der Haftung aus Sonderverbindungen (mit § 278 BGB) nicht. Insbesondere trifft die Verantwortlichkeit, die den Geschäftsherrn für seine Verrichtungsgehilfen trifft, nach § 831 II BGB die Verwaltungsorganpersonen der Gesellschaft. Die juristische Person haftet nach § 31 BGB ausweislich von dessen klarem Wortlaut nur, wenn, und nur dafür, dass die Organe selbst schadensersatzpflichtig geworden sind2051. In diese gesetzliche Systematik fügt sich die Rechtsprechung ein2052.

_____ Fahrzeug aufgrund einer Entscheidung des Geschäftsführers veräußert und dadurch das Eigentum des Kl verletzt. 2046 Zu den sachenrechtlichen Fragen dieser Konstruktion s Wilhelm Sachenrecht Rn 1083 ff, 2450 f. Das Problem ist durch die neue Regelung des § 354a HGB für die Praxis entschärft. 2047 BGHZ 109, 297, 304. 2048 BGHZ 109, 297, 306. 2049 S Lutter, ZHR 157 (1993), 464, erneut ders, GmbHR 1997, 329, 333 ff; Medicus, FS Lorenz 1991, 155; K. Schmidt § 14 V 2 S 427 f; ders Karlsruher Forum 1993, 31 f. Zust. jedoch Altmeppen ZIP 1995, 881; Brüggemeier AcP 191 (1991), 33. 2050 K. Schmidt aaO. 2051 Dazu Dreier Die Verkehrspflichthaftung des Geschäftsführers der GmbH 2002 S 138 ff. 2052 S – im Anschluss an Verf – Altmeppen, ZIP 1995, 881, mit Vorschlägen zu einer sachgerechten Eingrenzung der Haftung für vermutetes Verschulden nach § 831 BGB bei der Anwendung auf Verwaltungsorgane.

674 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

3. Der Aufsichtsrat; andere Gesellschaftsorgane 1231 Bei der GmbH gibt es den Aufsichtsrat grundsätzlich nur, wenn der Gesell-

schaftsvertrag es bestimmt (§ 52 I GmbHG). Einen Aufsichtsrat kraft Gesetzes schreibt unter bestimmten Voraussetzungen (Mindestzahl 500 Arbeitnehmer) das Mitbestimmungsrecht vor2053. Weiter gibt es Spezialvorschriften über den notwendigen Aufsichtsrat bei der GmbH wie dem früheren § 6 II InvG für die als GmbH formierte KAG (InvG 2013 aufgehoben und durch das KAGB ersetzt, dieses schreibt einen Aufsichtsrat in § 18 II 1 KAGB für die externe Kapitalverwaltungsgesellschaft vor). § 52 II GmbHG gibt für den mitbestimmten Aufsichtsrat die Entwicklung der Frauenquote vor. Abs 3 sorgt für die Publikation der Aufsichtsratsmitglieder durch das Handelsregister, Abs 4 regelt die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder. Was den durch Gesellschaftsvertrag eingesetzten Aufsichtsrat betrifft, kommt es auf die Bezeichnung „Aufsichtsrat“ nicht an, entscheidend ist die Überwachungskompetenz des zusätzlich eingerichteten Gesellschaftsorgans gegenüber der Geschäftsführung. Für alle Einzelheiten (Einrichtung, Besetzung, Verfahren, Kompetenz) ist der Gesellschaftsvertrag maßgeblich, § 52 I GmbHG gibt nur eine hilfsweise Verweisung auf grundsätzlich passende aktienrechtliche Vorschriften. Zwingende Schranken der Satzungsregelung sind zwei: zunächst die notwendige Vertretungskompetenz und Verantwortlichkeit der Geschäftsführer und dann die unverzichtbare Autonomie der Gesellschafter; zumindest die Satzungsbeschlüsse müssen den Gesellschaftern verbleiben. Nach einer Meinung sollen bestimmte Grundsätze über den aktienrechtlichen Aufsichtsrat (Kontrollzuständigkeit, Prinzip der Unvereinbarkeit der Positionen von Geschäftsführung und Mitgliedschaft im Aufsichtsrat) zwingend gelten. Argument ist die gesetzliche Pflicht, die Existenz eines Aufsichtsrats und seine Zusammensetzung über das Handelsregister bekanntzumachen (§ 52 III GmbHG). Damit werde ein Vertrauen des Rechtsverkehrs in Mindesteigenschaften eines Aufsichtsrats begründet2054. In der Tat darf die Öffentlichkeit nicht irregeführt und ein Aufsichtsrat bekannt gemacht werden, der keiner ist2055.

_____ 2053 LG Berlin AG 2007, 455 wendet auf die Frage der Mitbestimmung im Aufsichtsrat der GmbH das Statusverfahren der §§ 97 ff AktG entsprechend an. 2054 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 52 Rn 27 f. 2055 Auch der Einmanngesellschafter darf das nicht (für diesen anders Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2565 f). Dass die Gesellschaftergesamtheit, und also insbesondere der Einmanngesellschafter, oberstes Organ der Gesellschaft ist und sich deshalb vorbehaltlich des Gesellschaftsvertrags auch in die Geschäftsführung einmischen darf, ist davon unberührt.

III. Die Organisation der GmbH | 675

Obwohl § 52 I GmbHG für den Aufsichtsrat bei der GmbH nicht auf § 108 1232 II 4 AktG (Beschlussfähigkeit auch bei Unterschreitung der gesetzlich oder in der Satzung festgesetzten Zahl von Mitgliedern) verweist, hält der BGH die Vorschrift dennoch auch auf den Aufsichtsrat bei der GmbH für anwendbar2056: Im zu entscheidenden Fall war der Aufsichtsrat nach der Satzung mit drei Mitgliedern, nämlich je einem von jeder der drei Gesellschaftergruppen entsandten Mitglied, besetzt. Weiter bestimmte die Satzung, dass bei Anwesenheit von zwei Mitgliedern, darunter dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, der Aufsichtsrat beschlussfähig war. Sechs Jahre lang hatte dieser Aufsichtsrat nicht getagt, ein Mitglied war verstorben, und eines hatte sein Amt niedergelegt. Allerdings konnte das zum Vorsitzenden bestimmte Mitglied der einen Gruppe noch aktiv werden, und eine andere Gruppe hatte wieder ein neues Mitglied entsandt; dieses wurde von den nunmehr wieder zwei Mitgliedern zum Stellvertreter des Vorsitzenden gewählt.

Nach Ansicht des BGH verfügte der Aufsichtsrat so wieder über die Mindestzahl für die Beschlussfähigkeit und konnte folglich wirksam beschließen. 6 Jahre Stillstand brächten ein Organ nicht zum Erliegen. Für die Abschaffung eines Organs sei ein eindeutiger (wenn auch konkludent fassbarer) Gesellschafterbeschluss erforderlich. Auch für die Amtsniederlegung seitens der Mitglieder sei eine klare Willensäußerung erforderlich, dass und zu welchem Zeitpunkt das Amt niedergelegt werden solle. Die Vorschrift des § 108 II 4 AktG sorge für die Erhaltung der Funktionsfähigkeit eines gesetzlichen oder statutarischen Organs und sei entsprechend auf die GmbH anwendbar. Vielfach sehen Gesellschaftsverträge noch neben dem Aufsichtsrat Beiräte 1233 (möglich auch vielfältige andere Bezeichnungen) mit besonderen Funktionen vor. Aus einer oben2057 berichteten Entscheidung des BGH ist insbesondere das mögliche Gesellschaftsorgan eines Schiedsgerichts zu nennen. Es unterscheidet sich von der Vereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit für Beschlussmängelstreitigkeiten der GmbH dadurch, dass seine Beschlüsse wie die eines Gesellschaftsorgans nach Ansicht des BGH je nachdem, welches Organ ersetzt wird, nichtig oder nichtig bzw anfechtbar sein können2058. Für die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter im Hinblick auf die Schaffung solcher Organe und der Zuschneidung von deren Befugnissen gelten die früher2059 aufgeführten Schran-

_____ 2056 BGH ZIP 1983, 1063, 1064 f = DB 1983, 1864. 2057 Rn 213a Fn 329b, d. 2058 S o Rn 213a. Unterschiedslos für Nichtigkeit im Fall der Rechtswidrigkeit plädieren Raiser/Veil § 45 Rn 8. 2059 Rn 213a.

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ken. Mit der Übernahme der Organfunktion rücken die Organmitglieder in die Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft analog § 43 GmbHG bzw § 52 I GmbHG iVm §§ 116, 93 AktG.

4. Die Gesellschafter der GmbH a. Gesellschafterversammlung und Beschluss 1234 Das GmbHG bringt nur fragmentarische und überwiegend nachgiebige Verfah-

rens- und Organisationsregeln für die Willensbildung der Gesellschafter. Abgesehen von den wenigen zwingenden Schranken haben die Gesellschafter nach der Regelung des Gesetzes also weite Gestaltungsfreiheit (§ 45 I, II GmbHG). Zu beachten ist aber der Grundsatz der Selbstbestimmung, der der Gestaltung von Gesellschafterversammlungen und der Teilnahme daran bestimmte Grenzen setzt2060. Im Unterschied zum Organ der Hauptversammlung im Aktienrecht spricht das GmbHG nicht von dem Organ Gesellschafterversammlung, sondern von den Rechten der Gesellschafter. Erst als Überschrift zu der Verfahrensvorschrift des § 48 I GmbHG taucht die Gesellschafterversammlung auf. §§ 47 und 48 GmbHG enthalten folgende Punkte, zu denen im Weiteren Näheres zu sagen ist: (1) Nach § 47 I GmbHG erfolgen die von den Gesellschaftern zu treffenden Bestimmungen durch Beschlussfassung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. (2) Nach 48 I GmbHG werden Beschlüsse der Gesellschafter grundsätzlich in Versammlungen gefasst2061.

b. Beschlussfassung 1235 Nach § 47 I GmbHG treffen die Gesellschafter ihre Bestimmungen durch Beschlussfassung mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Enthaltungen nicht mitgezählt). Eine qualifizierte Mehrheit (vorbehaltlich der

_____ 2060 Zu der Frage, ob die Wirksamkeit von Beschlüssen an die Zustimmung gesellschaftsfremder Dritter gebunden oder Dritte in der Gesellschaft mit Stimmrecht ausgestattet werden können, s bereits o Rn 1180 ff im Anschluss an Flume I/2 § 7 II S 201 ff sowie für die Personengesellschaft ders I/1 § 14 IV S 220 ff. Zum Recht der GmbH Scholz/K. Schmidt, Kom GmbHG, 10. Aufl 2006 f, § 47 Rn 13 ff. Zu den Grenzen der Gestaltungsfreiheit monographisch Teichmann Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen 1970; Reuter Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen 1973. 2061 Zur (dringlichen) Beachtung der Formerfordernisse bei zerstrittenen ZweipersonenGesellschaften Wiester, GmbHR 2008, 189.

III. Die Organisation der GmbH | 677

Satzung: des Kapitals) ist für Satzungsänderungen2062 und für die Auflösung und entsprechend für die Ausschließung von Gesellschaftern sowie hinsichtlich der Umwandlung der Gesellschaft erforderlich. Wenn der Gesellschaftsvertrag nichts Anderes sagt, gewährt jeder Euro eines Geschäftsanteils eine Stimme (§ 47 II GmbHG). Die Satzung kann Stimmrechtsregelungen wie Höchststimmrecht, Mehrfachstimmrecht, stimmrechtslose Vorzugsanteile, Abstimmung nach Köpfen statt Kapitalanteilen, Ausreichen relativer Mehrheit bei Wahlen statuieren. Die Abstimmungen der Gesellschafter2063 sind Willenserklärungen, die den anwesenden 1236 anderen Gesellschaftern oder, wenn ein solcher bestimmt wird, dem Versammlungsleiter zugehen müssen (auch Konkludenz ist möglich). Sie unterliegen den allgemeinen Gründen der Anfechtung, Nichtigkeit oder des Nichtzustandekommens. Beruht die Mehrheit, die zum Beschluss geführt hat, auf einer wirksam angefochtenen oder einer unwirksamen Stimmabgabe, ist der Beschluss anfechtbar2064. Im Unterschied zur Abstimmungserklärung sind die gefassten Beschlüsse vorbehaltlich von Formvorschriften (s § 53 II 1 GmbHG) bindende Organakte. Sofern sie der Umsetzung durch die Geschäftsführung bedürfen, müssen sie dieser zugehen.

Das Stimmrecht steht dem Gesellschafter, bei Bestellung eines Nießbrauchs 1237 am Geschäftsanteil richtiger Ansicht nach dem Nießbraucher zu 2065 . Das Stimmrecht gehört zum Gesellschaftsanteil. Aus einem Geschäftsanteil kann nur einheitlich abgestimmt werden; wenn ein Gesellschafter mehr als einen Geschäftsanteil innehat, kann er aus den Geschäftsanteilen unterschiedlich abstimmen2066. Deshalb sind Stimmrechtsabspaltung und -übertragung grundsätzlich unwirksam2067. Der Gesellschafter kann aber eine Stimmrechtsvoll-

_____ 2062 Hier können die Mehrheitserfordernisse nur verschärft werden, § 53 II GmbHG. Beschlüsse, die Rechte einzelner Gesellschafter beschränken oder Lasten verschärfen, bedürfen der Zustimmung der Betroffenen (§ 53 III GmbHG). 2063 Zum Verhältnis von Stimmabgabe und Beschluss s die grundlegende Erneuerung der Diskussion durch Wolfgang Ernst, Der Beschluss als Organakt, FS Leenen, 2012, 1 ff. Zu diesem Beitrag die Aufnahme der Diskussion durch Koppensteiner, JBl 2017, 273 ff und Altmeppen, GmbHR 2018, 225 ff mit letztlich überzeugenden Ergebnissen. 2064 S o Rn 891 ff. 2065 Nach hM haben weder Pfandgläubiger noch Nießbraucher das Stimmrecht, Roth/Altmeppen/Roth § 47 Rn 20, der aber zum Nießbrauch auch die mit Recht sich wandelnde Tendenz feststellt. 2066 Raiser/Veil § 33 Rn 34. Zur Abstimmung für einen in eine Erbengemeinschaft gefallenen Anteil s den Fall BayObLG ZIP 1997, 1785. 2067 Zu Dispositionen über das Stimmrecht s o Rn 1180 ff. Insbesondere gilt: Dem Treuhandverhältnis entspricht die Belassung des Stimmrechts beim Treugeber. Dem Nießbraucher muss

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macht erteilen (§ 47 III GmbHG verlangt Textform2068, für Satzungsänderungen erschwerte Voraussetzungen in § 2 II GmbHG). Mit einer Vollmacht kann sich der Gesellschafter aber nicht seines Letztentscheidungsrechts begeben. Anderes gilt für nur schuldrechtlich wirkende Stimmbindungsabsprachen. Zum Aktienrecht ist ausgeführt2069, dass Stimmbindungen nur durch die Einzelvorschriften der §§ 136 II, 405 III Nr 6,7 AktG verboten sind und daraus per argumentum e contrario ihre grundsätzliche Zulässigkeit folgt. Im GmbHG gibt es sogar die aktienrechtlichen Beschränkungsvorschriften nicht. Schuldrechtliche Stimmbindungen sind folglich hier allgemein, vorbehaltlich des Gesellschaftsvertrags, zulässig und vollstreckbar2070. Nach den Grundsätzen über Dauerschuldverhältnisse (§ 314 BGB) ist bei dauernder Bindung die Kündigung aus wichtigem Grund möglich. Fremdausübung des Stimmrechts ist zwangsläufig bei Mangel der Geschäftsfähigkeit eines Gesellschafters und bei an der Gesellschaft beteiligten juristischen Personen und Personengesellschaften. Hier üben die gesetzlichen Vertreter das Stimmrecht aus. Hat ein Gesellschafter Anteile auf sein minderjähriges Kind übertragen, sind auf seine Mitabstimmung für das Kind bei Satzungs- und Strukturveränderungen §§ 1629 II 1, 1795 II iVm § 181 BGB anzuwenden, ist also ein Ergänzungspfleger zu bestellen, anders bei bloßen Geschäftsführungsangelegenheiten2071. Für die Beschlussfassung steht keine Regelung über die Beschlussfähigkeit einer Gesellschaft mit mehreren Gesellschaftern im Gesetz. Wenn nicht die Satzung etwas anderes vorschreibt, genügt schon die Anwesenheit eines Gesellschafters. Stimmen nur nicht stimmberechtigte Personen ab, kommt ein Beschluss nicht zustande. Wurde er festgestellt, ist er nichtig. Mit einfacher Mehrheit kann insbesondere ein Versammlungsleiter bestellt werden. Die Feststellung eines Beschlusses durch einen Versammlungsleiter hat die Rechtsprechung früher dafür verlangt, dass die Vorschriften des AktG über die Anfechtbarkeit von HV-Beschlüssen analog anwendbar sind. Nach einer neuen Entscheidung2072 kann aber auch ohne einen Versammlungs-

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zumindest das Stimmrecht eingeräumt werden können (soeben Fn 2065); zweifelhaft, ob auch einem Pfandgläubiger vor der Verwertungsphase (tendenziell dafür Raiser/Veil § 33 Rn 50). 2068 Teleologische Reduktion der Formvorschrift durch BGHZ 49, 183 (194): Keine Unwirksamkeit, wenn allen Gesellschaftern die Vollmachtserteilung bekannt (sie sogar in der Gesellschafterversammlung, an der alle Gesellschafter teilnehmen, erteilt wird). 2069 Rn 1178 ff. 2070 Roth/Altmeppen/Roth § 47 Rn 38, 39b. 2071 Zum Problem BGHZ 65, 93 (für die gesetzliche Vertretung von Kindern bei der Abstimmung in einer KG); Flume I/1 § 14 IX S 252 f; Wilhelm, JZ 1976, 674, 676 f. 2072 BGH NZG 2016, 552.

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leiter ein Beschluss festgestellt werden. Es könne durch andere Mittel (etwa vom Geschäftsführer unterzeichnetes und allen Gesellschaftern zugeleitetes Protokoll, das im Protokollbuch der Gesellschaft verwahrt wird) für die nötige Rechtssicherheit über den Beschluss gesorgt sein. Schon die Anfechtungsvoraussetzung der Beschlussfeststellung durch einen Versammlungsleiter war abzulehnen2073. GmbH-Beschlüsse gelten kraft Mehrheit (§ 47 I GmbHG). Beschließt ein Mehrheitsgesellschafter einen bestimmten Inhalt, so ist der Beschluss damit wirksam, wenn nicht Nichtigkeitsgründe vorliegen. Der Beschluss kann dann nur angefochten werden. Wenn das Zustandekommen eines Beschlusses zweifelhaft oder wegen gleich hoher Beteiligung zweier Gesellschafter ausgeschlossen ist, kann ein sich beeinträchtigt fühlender Gesellschafter auf Feststellung der Rechtslage klagen. Stellt das Gericht unter Abweisung der Klage auf Feststellung des Nichtzustandekommens eines Beschlusses einen entsprechenden Beschluss fest, ist hilfsweise die Anfechtungsklage möglich. Die Abstimmung eines Gesellschafters kann gegen ein sog Stimmverbot 1242 (genauer: den Ausschluss vom Stimmrecht) verstoßen (§ 47 IV 1, 2 GmbHG)2074. S 1 schließt von der Abstimmung über die eigene Entlastung oder die Befreiung von einer eigenen Verbindlichkeit, S 2 von der Abstimmung über ein eigenes Rechtsgeschäft oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits mit der Gesellschaft aus. Sehr umstritten sind die Grenzen des Stimmverbots betreffend Rechtsgeschäfte: Umstritten ist insbesondere, ob die Entwicklung, die im Aktienrecht zur Beschränkung des Stimmverbots durch Herausnahme des Stimmverbots betreffend Rechtsgeschäfte geführt hat (s § 136 AktG), weil die Zusammenführung zum Konzern begünstigt werden sollte,2075 auch im GmbHRecht – trotz Aufrechterhaltung des § 47 IV 2 GmbHG – nachzuvollziehen ist2076. Die Konzernierungsbegünstigung durch Beschränkung des Stimmverbots müsste aber schon vom Gesetzgeber kommen und wie im Aktienrecht rechtspolitischkonzeptionell durchdacht werden, eine Analogie ohne diese Konzeptualisierung gegen das unverändert gebliebene GmbHG ist ausgeschlossen.

_____ 2073 Altmeppen, NJW 2016, 2833, ZIP 2017, 1188. Ein Beschluss sei nur irgendwie festzustellen, sei es durch mehrheitliche Anweisung an den Versammlungsleiter, sei es durch die Mehrheit selbst. Gegen besondere Feststellungserfordernisse Koppensteiner, JBl 2017, 281. Es komme auf die Erklärung des Mehrheitswillens sei es an einen Versammlungsleiter, sei es an die anderen Gesellschafter an. 2074 Zum allgemeinen Grundsatz des Stimmverbots betr Rechtsgeschäfte der juristischen Person o Rn 1189 ff. 2075 Zur Entwicklung Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S 115 ff. 2076 Dafür Raiser/Veil § 62 Rn 25 mwN; dagegen Flume I/2 § § 7 V 4 S 227 f, 7. S 235 f, Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S 123.

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Der BGH hat sich daran nicht gehalten und für die GmbH die Anwendung des Stimmverbots auf die Kündigung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags abgelehnt. Er hat die Kündigung wie aber auch den Abschluss eines solchen Vertrages als korporativen Akt eingeordnet, für den das Stimmverbot nicht gelte2077. 1243 In der Tat fallen Beschlüsse über korporative Akte wie Satzungsänderungen,

die Auflösung der Gesellschaft, die Bestellung eines Gesellschafters zum Geschäftsführer2078, den Widerruf der Bestellung (unter Vorbehalt des Widerrufs aus wichtigem Grund) nicht unter das Merkmal der Rechtsgeschäfte der Gesellschaft iSv § 47 IV 2 GmbHG. Das sind aber in der Tat bloße innerkorporative Akte. 1244

Es ist dementgegen offensichtlich, dass der Vertrag einer Gesellschaft, der auf Übertragung des autonomen Leitungs- und sogar des Gewinnvereinnahmungsrechts der Gesellschaft auf eine andere Gesellschaft gerichtet ist, ein nicht nur innerer organisationsrechtlicher Akt, sondern ein Rechtsgeschäft der Gesellschaft mit einem Dritten ist. Nur deshalb hat sich der Gesetzgeber des AktG gezwungen gesehen, wegen der Konzernverträge, bei denen er den Schutz umfassend anders gestalten wollte, das allgemeine Stimmverbot betreffend Rechtsgeschäfte aus dem aktienrechtlichen Stimmverbot (§ 136 AktG) herauszunehmen. Dem BGH hätte der Rechtsgeschäftscharakter seines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, bei dem der herrschende Gesellschafter Gegenpartei und deshalb von der Abstimmung auszuschließen war, spätestens angesichts einer Einzelheit des Vertrages klar sein müssen, die er nur im Sachverhalt erwähnt hat: Einen Ausgleich für die Schuldnerin (die in Insolvenz gegangene Minderheitsgesellschafterin) habe der Vertrag nicht bestimmt. Der Mehrheitsgesellschafter konnte nach dem Urteil also die Beibehaltung eines Vertrages durchsetzen, der bei Abschluss mit einer AG nichtig wäre (§ 304 III 1 AktG). Sehr überzeugend ist die Entscheidung des BGH schließlich auch deshalb nicht, weil der Mehrheitsgesellschafter einer GmbH ja ohnehin mit seiner Mehrheit die Geschäftsführung und Gewinnverteilung in der GmbH nach den innergesellschaftlichen Grundsätzen bestimmen kann. Wieso ihm noch das darüber hinausgehende Recht zugestanden werden soll, bei Beteiligung mit ¾ Mehrheit allein durch seine Mitabstimmung den Vertrag über seine Beherrschung und die Gewinnabführung an ihn zustande zu bringen oder aufrechtzuerhalten2079, ist nicht einzusehen.

_____ 2077 BGHZ 190, 45 Tz 19 f. 2078 OLG München (NZG 2017, 1216) erweitert auf Bestellung eines Gesellschafters zum Prokuristen. Das ist nur vertretbar, wenn wegen der Gesellschafterstellung auch die Prokura als durch Organ- und Treupflichten gebunden angesehen wird. Das OLG stellt weiter klar, dass ein Stimmverbot von der Stimmabgabe ausschließt, aber nicht von der Beschlussfeststellung als Versammlungsleiter. 2079 Bemerkenswert ist, dass im Fall der Insolvenzverwalter des Minderheitsgesellschafters um der besseren Verwertung des Geschäftsanteils des Schuldners willen für die Kündigung gestimmt hatte.

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An der nötigen Differenzierung bei der Anwendung des Stimmverbots betreffend Rechtsgeschäfte lässt es der BGH auch insofern fehlen, als er die Abstimmungsbefugnis des Gesellschafters bei seiner Wahl und dem Widerruf seiner Bestellung über die Wahl bzw den Widerruf hinaus auf den Abschluss, die Kündigung und die Bedingungen seines Anstellungsvertrages ausdehnt2080. Der Anstellungsvertrag ist aber eindeutig ein Rechtsgeschäft der Gesellschaft iSv § 47 IV 2 GmbhG. Aus dem anderen Grund des Ausschlusses von der Selbstentlastung (§ 47 IV 1 GmbHG) fällt das Mitstimmen bei der eigenen Abberufung aus wichtigem Grund unter das Stimmverbot des § 47 IV GmbHG. Ausgeschlossen ist allgemein das Richten in eigener Sache. § 47 IV GmHG ist zwingend. Richtigerweise wird der Stimmrechtsausschluss nach § 34 BGB aus der Reihe der in § 40 BGB aufgezählten dispositiven Vorschriften ausgeklammert. Neben dem Stimmverbot zum Schutz vor formell abgegrenzten Interessenkonflikten ist die Gesellschaft durch die bewegliche Schranke des Verbots eines Missbrauch des Stimmrechts geschützt2081. Wegen der persönlichen Bindung bei der GmbH und der Geschäftsführungsaufgaben, die die Gesellschafter für die GmbH innehaben, ist die Bindung an das Unternehmensinteresse bei der GmbH enger als bei den Aktionären. Gerne, wenn auch zu wolkig, wird von der Treuepflicht der Gesellschafter gesprochen2082. Zuzustimmen ist der Ansicht, dass die Stimmabgabe bei Verstößen gegen das Stimmverbot nichtig ist2083. Die Frage der Geltung des Stimmverbots führt aber wie die nach Verstößen gegen das Missbrauchsverbot (§ 243 II AktG) zur Anfechtbarkeit. Das Nichtzustandekommen, die Nichtigkeit und die Anfechtbarkeit der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung sind oben2084 erörtert.

_____ 2080 Für das Mitstimmen BGHZ 18, 205 (210). Dagegen Flume I/2 S 231, in Übereinstimmung mit Wilhelm, Rechtsform und Haftung S 89 f, 124 f. 2081 S das Beispiel Süssen – BGHZ 80, 69 –. In dem die GmbH betreffenden Fall entnimmt der BGH das Eintrittsrecht der Gesellschaft bei vertragswidriger Konkurrenz statt aus § 88 II AktG aus § 113 HGB analog (S 75 f).Über die Frage, ob Schadensersatz oder Eintritt verlangt wird, habe die Gesellschafterversammlung zu entscheiden (§ 46 Nr 8 GmbHG). Kein Missbrauch ist nach OLG Karlsruhe GmbHR 2003, 1004 bei Abstimmung im Interesse einer konkurrierenden GmbH anzunehmen, wenn die Doppelstellung als Gesellschafter und als Hauptbeteiligter der konkurrierenden GmbH von Anfang an der Gesellschaft zugrunde lag,. 2082 O Rn 822 ff. Die Feststellung der engeren Bindung der Gesellschafter der GmbH findet sich in BGHZ 14, 25, 38 mit der richtigen Feststellung, dass der Gesellschafter sein eigenes Interesse nicht hinter die Interessen der Gesellschaft zurückstellen muss. 2083 Baumbach/Hueck/Noack/Zöllner § 47 Rn 104. 2084 Rn 891 ff, 899.

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c. Versammlung und Ersatzformen 1250 Die nach § 48 I GmbHG für die Beschlussfassung grundsätzlich erforderliche

Versammlung wird nach § 49 I GmbHG durch die Geschäftsführer einberufen. Auch einer von mehreren gesamthandlungsbefugten Geschäftsführern kann einberufen2085. Eine Einberufungsbefugnis analog § 121 II 2 AktG aufgrund der Eintragung im Handelsregister, also in dem Fall, dass ein durch wirksamen Beschluss abberufener Geschäftsführer einberuft, der noch im Handelsregister eingetragen ist, ist abzulehnen2086. Bei Gesellschaften mit Aufsichtsrat, insbesondere mitbestimmungspflichtigen GmbH, hat auch der Aufsichtsrat ein Einberufungsrecht (§§ 52 I GmbHG, 25 I Nr 2 MitbestG iVm § 111 III AktG). Auch die Einberufung durch einen Gesellschafter ist möglich, wenn alle Gesellschafter damit einverstanden sind2087. Eine Minderheit der Gesellschafter von 10% des Stammkapitals kann die Einberufung erzwingen, notfalls selbst einberufen (§ 50 I, III GmbHG). § 50 GmbHG ist zwingend. Die Pauschalverweisung mit Pauschalvorbehalt für den Gesellschaftsvertrag in § 45 II GmbHG ändert daran nichts. § 45 I GmbHG enthält ja den Vorbehalt gesetzlicher Bestimmungen. Die Geschäftsführer sind zur Einberufung verpflichtet zum Zwecke der Jah1251 resrechnungslegung (§ 42a I, II GmbHG), bei Erforderlichkeit im Interesse der Gesellschaft (§ 49 II GmbHG)2088, bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals (§ 49 III GmbHG)2089 und auf Verlangen der Minderheit (§ 50 I GmbHG)2090. Darüber hinaus (wenn man so will, als Anwendungsfall, in dem das Interesse der Gesellschaft die Einberufung gebietet) ist die Einberufungspflicht der Geschäftsführer insbesondere dann anzunehmen, wenn sie außergewöhnliche Maßnahmen planen, bei denen sie sich der Zustimmung der Gesellschafter nicht sicher sein können2091. Die Einberufung geschieht nach dem Gesetz (immer vorbehaltlich des Gesell1252 schaftsvertrags) durch eingeschriebenen Brief mit Mindestfrist von 1 Woche

_____ 2085 Roth/Altmeppen/Roth § 49 Rz 2 mit zahlreichen N. 2086 O Rn 1221. 2087 OLG München BB 2002, 2196. 2088 Prüfung nach Ermessen gemäß der Sorgfalt iSv § 43 I GmbHG. 2089 Die Vorschrift ist durch Strafsanktion gesichert nach § 84 I Nr 1 GmbHG. Abweichend geregelt die Pflicht zur Einberufung bei der Unternehmergesellschaft (§ 5a IV GmbHG). 2090 Hat die Geschäftsführung auf Verlangen einer Minderheit einberufen, kann sie die Versammlung auch wieder absetzen. Der Minderheit verbleibt die Möglichkeit des § 50 III GmbHG. Die Geschäftsführer können sich schadensersatzpflichtig machen; OLG Hamburg GmbHR 1997, 795. 2091 Roth/Altmeppen/Roth § 45 Rn 6 ff. Wegen der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführung stellt sich nicht eine vergleichbare Problematik wie bei Holzmüller-Fällen in der AG. Es geht nicht um eine Kompetenzverschiebung, sondern darum, dass durch die Vorlagepflicht rein faktisch die Weisungsmöglichkeit der Gesellschafterversammlung gewahrt wird.

III. Die Organisation der GmbH | 683

(§ 51 I 1, 2 GmbHG). Die Angabe der Tagesordnung ist ergänzbar bis 3 Tage vor der Versammlung (§ 51 IV GmbHG), auch auf Verlangen der genannten Minderheit von 10%, notfalls durch sie (§ 50 II, III GmbHG). Werden Einberufungsvorschriften verletzt, so bleibt dies folgenlos bei Anwesenheit aller Gesellschafter in der Versammlung (Vollversammlung). Andernfalls ist eine Beschlussfassung ausgeschlossen (§ 51 III GmbHG). Die Folge einer trotz Mangels der Einberufung vorgenommenen Beschlussfassung ist Nichtigkeit (entsprechend § 241 Nr 1 AktG), bei Mängeln in der Ankündigung der Tagesordnung ist der Beschluss anfechtbar (entsprechend § 243 I AktG)2092. Alle Gesellschafter (auch die von anstehenden Angelegenheiten vom 1253 Stimmrecht ausgeschlossenen) sind teilnahmeberechtigt. Das Recht jedes Gesellschafters zur Teilnahme ist zwingend2093. Wenn Gesellschaftern die Teilnahme an der Versammlung verwehrt wird, ist der Beschluss anfechtbar2094. Merkwürdigerweise haben die Geschäftsführer, die doch die Versammlung einzuberufen und die Tagesordnung vorzubereiten haben, nach hM aufgrund des GmbHG, also vorbehaltlich des Gesellschaftsvertrags, kein Teilnahmerecht2095. Weder mit der Einberufungskompetenz noch mit der Auskunftspflicht der Geschäftsführer nach § 51a I GmbHG, die gerade in der Versammlung relevant werden kann, ist diese Auffassung vereinbar. Geschäftsführer sollten schon nach der Gesetzeslage als sowohl berechtigt wie verpflichtet angesehen werden teilzunehmen. Die Gesellschafter können sie freilich aus sachlich berechtigten Gründen von einzelnen Beratungspunkten ausschließen. Für Aufsichtsratsmitglieder der mitbestimmten GmbH verweist die mitbestimmungsrechtliche Regelung auf die Teilnahmepflicht nach § 118 II AktG. Die Versammlung kann durch ein schriftliches Verfahren unter Beteili- 1254 gung aller Gesellschafter ersetzt werden (§ 48 II GmbHG). Entweder muss eine iS des § 126b BGB textförmliche Zustimmung aller Gesellschafter zu der schriftlichen Durchführung erlangt werden oder ein einstimmiger schriftlicher Beschluss. Zustimmung ist auch nachträglich möglich in der Form, dass das Anfechtungsrecht wegen Verletzung des § 48 II GmbHG für den Zustimmenden erlischt. Unter dieser Voraussetzung ist auch eine telefonische Beschlussfas-

_____

2092 Einen Überblick über Einberufungsmängel gibt Zeilinger, GmbHR 2001, 541. Die Einberufung unter Angabe eines „nichtssagenden“ TOP führt zur Nichtigkeit des Beschlusses (BGH BB 2000, 1538). Unzulässig ist eine „Eventualeinberufung“ vor Durchführung der ersten Versammlung für den Fall der Beschlussunfähigkeit, BGH ZIP 1998, 335 = DStR 1998, 348 (m Anm Goette). 2093 S Raiser/Veil § 33 Rn 28. 2094 Zum Fall der Verwehrung der Teilnahme durch den Inhaber des Hausrechts in dem Hause, in dem die Versammlung stattfinden soll, OLG Hamm GmbHR 2003, 1211. 2095 Roth/Altmeppen/Roth § 48 Rn 6.

684 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

sung aller Gesellschafter möglich, in der Entwicklung ist die Frage der Beschlussfassung über das Internet2096. Entsprechend der Lage bei Zustimmung unanfechtbar ist eine form- und rügelose Vollversammlung2097. 1255 Bei der Einmann-Gesellschaft (ebenso bei einem einzigen Gesellschafter neben Anteilen der Gesellschaft) bedarf es keiner Versammlung, sondern der Entscheidung des Alleingesellschafters. Diese muss nach § 48 III GmbHG unverzüglich in eine Niederschrift aufgenommen und unterschrieben werden. Die Vorschrift ist keine Formvorschrift iSv § 125 BGB, sondern lex imperfecta, an die sich der Alleingesellschafter im eigenen Interesse halten sollte2098.

d. Zuständigkeit der Gesellschafter 1256 Die Gesellschafter als Gesamtheit sind das oberste Organ der GmbH. Ihre Zu-

ständigkeit richtet sich grundsätzlich nach dem Gesellschaftsvertrag (§ 45 I GmbHG), in Ermangelung von Satzungsvorschriften nach der dispositiven Regelung des Gesetzes (§ 45 II iVm §§ 46 ff GmbHG). § 46 GmbHG zählt bestimmte Angelegenheiten als solche der Gesellschafter auf: Rechnungslegung und Ergebnisverwendung (Nrn 1, 1a, 1b), Einforderung von Einlagen, Rückzahlung von Nachschüssen (Nrn 2, 3), Maßnahmen betr Geschäftsanteile, insbesondere Einziehung (Nr 4), sodann die Bestellung, Abberufung und Entlastung der Geschäftsführer (Nr 5). Ein Entlastungsbeschluss bedeutet den Verzicht auf alle erkennbaren oder bekannten Ansprüche oder Kündigungsgründe gegen die Geschäftsführung2099. Das Kriterium der Erkennbarkeit hängt mit der in Nr 6 genannten Zuständigkeit zusammen, nämlich der für die Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung2100. Spricht sich die Mehrheit der Gesellschafter trotz klarer Verstöße gegen Gesetz, Satzung oder trotz eindeutiger Schädigungen der Gesellschaft entgegen der Sorgfalt einer ordnungsgemäßen Geschäfts-

_____ 2096 Roth/Altmeppen/Roth § 48 Rn 39. 2097 N bei Raiser/Veil § 33 Rn 20 Fn 34. 2098 Die ursprünglich vorgesehene Nichtigkeitsvorschrift wurde im Gesetzgebungsverfahren gestrichen. Dritte können sich, wenn sie ihn beweisen können, auch auf einen nicht förmlich festgehaltenen Beschluss berufen (etwa der Geschäftsführer auf einen Weisungs- oder Entlastungsbeschluss). Folglich können sich auch die GmbH und der Gesellschafter auf einen nicht niedergeschriebenen Beschluss berufen. Wenn man eine Sanktion haben will, genügt es, die Vorschrift als Ordnungsvorschrift einzuordnen, deren Verletzung zur Schadensersatzpflicht führen kann, Baumbach/Hueck/Noack/Zöllner § 48 Rn 48. 2099 Rn 1224. 2100 Die Kontrollzuständigkeit gemäß Nr 6 ist auch Grundlage einer Sonderprüfung, Leinekugel, GmbHR 2008, 632.

III. Die Organisation der GmbH | 685

leitung für die Entlastung aus, ist der Beschluss anfechtbar2101. In § 46 Nr 7 GmbHG folgt die Zuständigkeit für die Bestellung von Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigten, Nr 8 beendet die Aufzählung mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Die Aufzählung des § 46 ist nicht abschließend. Wichtig ist noch etwa das Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung. Dieses wird in §§ 45 I und 37 I GmbHG vorausgesetzt. Ein Weisungsbeschluss hat in den aufgezeigten Grenzen Entlastungswirkung. An die Seite der Kompetenz betr Gestaltung der Geschäftsanteile (§ 46 Nr 4) gehört auch die Entscheidung über die Zustimmung bei Vinkulierung (§ 15 V GmbHG) Zwingend zuständig sind die Gesellschafter für Satzungsänderungen 1257 (§§ 53 ff GmbHG), einschließlich Kapitalveränderungen2102, für die Einforderung von Nachschüssen (§ 26 GmbHG, im Unterschied zu der in § 46 Nr 3 genannten Entscheidung über die Rückzahlung von Nachschüssen), für die Auflösung der Gesellschaft und die Bestellung sowie Abberufung der Liquidatoren (§§ 60, 66 GmbHG), schließlich für Verschmelzung und Umwandlung nach dem UmwG. Satzungsänderungen sind notariell zu beurkunden (§ 53 II GmbHG2103). Sie sind wie auch die weiter genannten Strukturmaßnahmen zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§§ 54, 65, 67 GmbHG, Vorschriften des UmwG).

e. Das Auskunftsrecht Den Gesellschaftern der GmbH steht seit der Novelle von 1980 ein in den §§ 51a, 1258 b GmbHG geregeltes Auskunfts- und Einsichtsrecht zu2104. Das Auskunftsrecht ist entgegen dem des Aktionärs (§ 131 AktG) von einer Gesellschafterversammlung und bestimmten Tagesordnungspunkten in dieser unabhängig. Sodann ist das Verweigerungsrecht der Geschäftsführung in § 51a II GmbHG enger gefasst

_____ 2101 Die Mehrheit hat ein Beurteilungsermessen, Roth/Altmeppen/Roth § 46 Rn 37 unter Hinweis auf die Entscheidung des BGHZ 153, 47, 51 (Macrotron) zur Entlastung durch die HV. 2102 Zur Satzungsänderung o Rn 215, zur Kapitalveränderung o Rn 561 ff. 2103 Auch durch ausländischen Notar, wenn dieser nach seiner Ausbildung und Praxis einem deutschen Notar gleichwertig ist. Bei schriftlichem Verfahren nach § 48 II GmbHG sind die Stimmen zu protokollieren und an den beurkundenden Notar zur Beurkundung des Beschlusses zu übersenden, Scholz/Priester Kom GmbHG 9. Aufl, § 53 Rn 65. 2104 Nach OLG Jena ZIP 2004, 2003 muss der Gesellschafter bei der Ausübung des Auskunftsund Einsichtsrechts das schonendste Mittel zur Erfüllung seines Informationsbedürnisses wählen.

686 | I. Die Organisation der AG und der GmbH

als in § 131 III AktG2104a. Nicht die objektive Warte des Unternehmensinteresses allein, sondern das individuelle Verhältnis zwischen Gesellschaft und Auskunft begehrendem Gesellschafter ist maßgeblich. Es muss zu besorgen sein, dass der Gesellschafter die Auskunft zu einem gesellschaftsfremden Zweck verwenden und dadurch der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zufügen wird. Die Folge ist, dass der Auskunft begehrende Gesellschafter bei dem Beschluss über die Auskunftsverweigerung nicht mitstimmen kann, weil dieser einen wichtigen Grund in seiner Person betrifft2105. 1259 Will die Geschäftsführung die Auskunft verweigern, so kann sie nicht allein entscheiden, sondern bedarf es eines Gesellschafterbeschlusses, bei dem, wie gesagt, der Auskunft begehrende Gesellschafter kein Stimmrecht hat (§ 51a II 2 GmbHG). Wenn die Auskunft iR einer Gesellschafterversammlung begehrt wird, muss die Geschäftsführung einen Beschluss über die Verweigerung herbeiführen. Andernfalls muss sie zum Zwecke der Beschlussfassung eine Gesellschafterversammlung einberufen oder das schriftliche Verfahren einleiten. Obwohl das Auskunfts- und Einsichtsrecht zwingend geregelt ist (§ 51a III 1260 GmbHG), kann der Gesellschaftsvertrag ein faires Verfahren regeln, in dem auch angemessen bestimmte Fristen einzuhalten sein können. Nach § 51b GmbHG kann das Auskunftsrecht entsprechend dem Auskunftserzwingungsverfahren des AktG durchgesetzt werden. Die Möglichkeit, einen nach Auskunftsverweigerung getroffenen Beschluss anzufechten, steht grundsätzlich neben dem Auskunftserzwingungsverfahren. Ausnahme ist der Beschluss, der gerade darin besteht, die Auskunft abzulehnen. Gegen diesen steht nur das Auskunftserzwingungsverfahren zur Verfügung2106.

QQQ NEUE RECHTE SEITE

_____ 2104a LG München I nimmt NZG 2017, 1308 ein ungeschriebenes Auskunftsverweigerungsrecht in dem Fall an, in dem der Geschäftsführer sich durch die Auskunft strafbar machen würde (im Fall: wegen Verletzung des Anwaltsgeheimnisses, § 203 I Nr 3 StGB). 2105 Gemäß § 47 IV 2 GmbHG, Roth/Altmeppen/Roth § 51a Rn 31; Raiser/Veil § 27 Rn 22. 2106 Dazu schon o Rn 876. Zur Problematik, wenn Antragsteller zugleich alleiniger Geschäftsführer der GmbH ist, LG München I aaO.

I. Rechtsnatur und wirtschaftliche Bedeutung, insbes. die KGaA an der Börse | 687

J. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien J. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien

I. Rechtsnatur und wirtschaftliche Bedeutung, insbesondere die KGaA an der Börse I. Rechtsnatur und wirtschaftliche Bedeutung, insbes. die KGaA an der Börse

1. Rechtsnatur und wirtschaftliche Bedeutung https://doi.org/10.1515/9783110595802-010

Die KGaA ist wie die AG eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit 1261 (§ 278 I AktG). Sie ist Formkaufmann (§§ 278 III, 3 AktG, § 6 HGB). Im Unterschied zur AG haftet bei der KGaA nach § 278 I AktG mindestens ein Gesellschafter unbeschränkt (nach dem Gesetz: persönlich haftender Gesellschafter, nach dem Recht der KG auch Komplementär genannt). Nur die übrigen Gesellschafter sind wie die Aktionäre der AG ohne persönliche Haftung an dem in Aktien zerlegten Grundkapital beteiligt (Kommanditaktionäre). Die KGaA ist ursprünglich im ADHGB als Spezialfall der Kommanditgesellschaft und vor der Aktiengesellschaft geregelt gewesen2107. Demzufolge war sie als Mischform zwischen KG und AG zu bezeichnen; nach der Verselbstständigung des Aktienrechts unter Voranstellung der AG muss man aber sagen: Die KGaA ist eine Mischform zwischen Aktienrecht und dem Recht der Kommanditgesellschaft2108. In § 278 AktG findet sich noch die alte Reihenfolge: Nach Abs 2 bestimmt sich das Rechtsverhältnis der persönlich haftenden Gesellschafter untereinander und gegenüber der Gesamtheit der Kommanditaktionäre sowie gegenüber Dritten, namentlich die Befugnis der persönlich haftenden Gesellschafter zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft, nach den Vorschriften des HGB über die Kommanditgesellschaft. Erst im Übrigen verweist der Abs 3, vorbehaltlich der folgenden Spezialnormen, auf das Recht der AG. Die Mischform führt zu Ungereimtheiten: Wenn sich nach § 278 II AktG die Rechtsstellung der Komplementäre mit Rücksicht auf deren persönliche Haftung nach dem Recht der KG bestimmt, passt dazu nicht die Vorschrift des § 283 Nr 14 AktG darüber, dass den Komplementär die für den Vorstand der AG begründete Pflicht trifft, bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag zu stellen. Diese Verweisung ist nicht mehr sinnvoll. Zunächst begründet § 15a I 1 InsO die Antragspflicht von Vertretungsorganen juristischer Personen allgemein. Damit gilt er für AG und KGaA per se. Für die AG ist deshalb auch die spezielle Regelung der Antragspflicht in § 92 II AktG aF aufgeho-

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2107 O Rn 52. 2108 Nach BGHZ 132, 392, 398 ist die KGaA „keine bloße Spielart der Aktiengesellschaft“. https://doi.org/10.1515/9783110595802-010

688 | J. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien

ben. Auf diese Vorschrift über den Vorstand ist aber § 283 Nr 14 AktG bezogen (s den Eingang der Vorschrift). Auf § 15a InsO als allgemeiner Norm über juristische Personen muss im Recht der KGaA nicht verwiesen werden. Sodann ist die Antragspflicht nach § 15a InsO nF dem Sinne nach für die KGaA, bei der eine natürliche Person unbeschränkt haftet, nicht passend: § 15a I 2, II InsO grenzt ja idF des MoMiG die Antragspflicht durchgehend nach dem Kriterium ab, ob eine natürliche Person unbeschränkt haftet oder nicht. Die KGaA kann auch als Einmann-KGaA gegründet werden. Aus der Be1261a zeichnung der unterschiedlichen Gesellschafterstellungen in § 278 I AktG folgt nicht, dass die KGaA mindestens zwei Gesellschafter haben muss. Das Erfordernis des § 280 I 1 AktG aF, dass die Satzung von mindestens 5 Personen festgestellt werden muss, hat das UMAG beseitigt. Folglich gilt die allgemeine Möglichkeit der Gründung einer AG durch eine Person (§ 278 III, § 2 AktG). Ein und dieselbe Person kann die Rechtsstellung als persönlich haftender Gesellschafter und die Kommanditaktien übernehmen. Weil für das Verhältnis der Komplementäre zur Gesamtheit der Kommanditaktionäre nach § 278 II AktG das Recht des HGB über die KG maßgeblich ist, besteht insoweit entgegen § 23 V AktG im Recht der KGaA ein hohes Maß an Satzungsfreiheit. Die Satzungsautonomie hat ihre Grenzen nur in der Struktur der KGaA sowie im Schutz Dritter2109. Schon in der Satzungsautonomie ist die Attraktivität der KGaA begründet. Weiter ist die Rechtsform dadurch attraktiv, dass sie personalistische Strukturen mit der Möglichkeit des Börsenganges2110 verbindet2111. Ungeachtet ihrer Vorteile hat die KGaA in der Praxis früher vergleichsweise 1262 wenig Verbreitung gefunden 2112, lange waren lediglich zwischen 20 und 30 KGaA zu finden2113. Ein Grund dafür hat vornehmlich darin gelegen, dass sich die persönliche Haftung des Komplementärs nicht für große Unternehmungen

_____ 2109 Dazu GK-AktG/Assmann/Sethe 4. Aufl. 1992 ff v § 278 Rn 58 ff. 2110 Dazu sogleich Rn 1264. 2111 Zu den Vorteilen der KGaA s GK-AktG/Assmann/Sethe v § 278 Rn 51; Priester, ZHR 160 (1996), 250, 252 f. Zu steuerrechtlichen Fragen Lorz, VGR 1 (1998), 57, 67 ff; zur Inhaltskontrolle der Satzung Raiser/Veil § 23 Rn 49 ff. 2112 Zu den Ursachen GK-AktG/Assmann/Sethe v § 278 Rn 153 ff. 2113 Genaue statistische Angaben bei GK-AktG/Assmann/Sethe v § 278 Rn 44. Die bekanntesten KGaA dürften der Kosmetikhersteller Henkel AG & Co KGaA, der Pharmahersteller Merck KGaA und der Fußballverein Borussia Dortmund GmbH & Co KGaA sein (zum Börsengang von Borussia Dortmund und den damit verbundenen Problemen Schanz, Praxis des Börsengangs, 2007, § 15 Rn 25 ff). Der Reifenhersteller Michelin ist in der der KGaA entsprechenden französischen société en commandite par actions formiert (zu dieser Urform der Publikumskapitalgesellschaft o Rn 51.

I. Rechtsnatur und wirtschaftliche Bedeutung, insbes. die KGaA an der Börse | 689

geeignet hat2114. Als Familiengesellschaft kam die KGaA aber wegen der Möglichkeiten des persönlichen Einflusses des Komplementärs in Betracht2115. Inzwischen hat der BGH mit Beschluss vom 24.2.1997 die Gestaltung der 1263 GmbH & Co KGaA „grundsätzlich“ anerkannt2116. Damit ist ohne weiteres auch die AG & Co KGaA und die SE & Co KGaA für grundsätzlich zulässig erklärt2117. Infolgedessen ist die Anzahl der Kommanditgesellschaften aA jetzt erheblich angestiegen 2118. Vor der Entscheidung des BGH war die Gestaltungsmöglichkeit iS einer GmbH & Co KGaA nach dem Vorbild der GmbH & Co KG2119 streitig. Das OLG Hamburg hatte dies bejaht2120, das OLG Karlsruhe2121 hatte verneint. In seiner Begründung für die Zulässigkeit räumt der BGH die gegen die Zulässigkeit der Rechtsform vorgebrachten Argumente ein2122, spricht sich aber für die Freiheit privatautonomer Gestaltung aus: Das AktG enthalte keine Vorschrift, die eine KGaA mit einer GmbH als alleinigem Komplementär ausdrücklich oder zwingend untersage. Insbesondere § 76 III 1 AktG, wonach Vorstandsmitglied bei der AG nur eine natürliche Person sein könne, passe nicht auf den Komplementär als geborenes Leitungsorgan. Unabweisbare Bedürfnisse des Rechtsverkehrs (Gläubiger- und Anlegerschutz) stünden der vom Gesetz nicht vorgesehenen Mischform nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat die Anerkennung inzwischen

_____ 2114 Vgl Hüffer/Koch § 278 Rn 2. 2115 GK-AktG/Assmann/Sethe v § 278 Rn 49. 2116 NJW 1997, 1925 = BGHZ 134, 392. Das „grundsätzlich“ bezieht sich auf die Möglichkeit, dass der Satzungsfreiheit bei der juristische Person & Co KGaA engere Grenzen zu ziehen sein könnten als bei der gesetzestypischen KGaA, wenn sie zu Lasten der Kommanditaktionäre gebraucht würde. Zu dem Beschluss Hennerkes/Lorz, DB 1997, 1388. Zu Problemen mit der GmbH & Co KGaA K. Schmidt, FS Priester 2007, 691. Übersicht bei Fett/Stütz, NZG 2017, 1121. 2117 Hüffer/Koch § 278 Rz 8. 2118 GK-AktG/Assmann/Sethe v § 278 Rn 43 mwN. Raiser/Veil führen die Beliebtheit der KGaA bei der Ausgliederung von Lizenzspielerabteilungen aus Fußballbundesligavereinen in Kapitalgesellschaften an (§ 29 Rz 4 mit Fn 5). So der Fußballverein Borussia Dortmund GmbH & Co KGaA. 2119 Anerkannt seit RGZ 105, 101. 2120 NJW 1969, 1030. Allerdings gab es im Fall noch eine natürliche Person als Komplementärin. 2121 GmbHR 1996, 776. 2122 Der historische Gesetzgeber sei stets von einer natürlichen Person als persönlich haftendem Gesellschafter der KGaA ausgegangen; die im Vergleich zu der Stellung des Vorstandes einer AG größere Selbstständigkeit des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA, die vor allem in seiner Unabhängigkeit von der Wahl durch den Aufsichtsrat und den ungleich geringeren Rechten des Aufsichtsrats zur Kontrolle seiner Geschäftsführung zum Ausdruck komme, sei nur durch seine unbeschränkte persönliche Haftung gerechtfertigt; mitbestimmungsrechtliche Schwierigkeiten.

690 | J. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien

mit vollzogen, indem er die vom BGH für erforderlich erachtete Hervorhebung der allseits beschränkten Haftung in der Firma der GmbH & Co KGaA2123 in § 279 II AktG ausdrücklich angeordnet hat. Mit der Anerkennung der GmbH & Co KGaA hat der BGH freilich das seinerseits geltende Aktienrecht und die Mitbestimmungsgesetze verletzt. Aus der historischen Entwicklung war überkommen, dass das AktG mit der Separierung der Rechtsform der KGaA die Gesellschaft mit natürlicher Person als Komplementär gemeint hat. Darauf ist auch die Exemtion bezogen, die das MitbestG für die Befugnisse des mitbestimmten Aufsichtsrats bei der KGaA bestimmt2124. Der BGH hat sich über die spezielle Regelung aus allgemeinen Gründen hinweggesetzt. Dies ist unzulässig. Es hätte einer Gesetzesänderung bedurft. Wie so oft hat der Gesetzgeber, ohne das bis dahin geltende Recht zu durchdenken, die davon abweichende Rechtsprechung nur nachvollzogen.

2. Die KGaA an der Börse 1264 Die KGaA ist uneingeschränkt börsenfähig2125. Für die Zulassung zur Börse gel-

ten die gleichen Regelungen wie für die AG2126. Nach dem früher geltenden § 18 Nr 3 BörsZulV war für den Inhalt des Prospekts erforderlich, dass dort Angaben über die Struktur des Komplementärs sowie über von der gesetzlichen Regelung abweichende Bestimmungen der Satzung aufzunehmen sind. Von einer „Struktur des Komplementärs“ spricht die jetzt nach § 7 WpPrG maßgebliche VO der Kommission (dort Anhang 1) nicht mehr. Hommelhoff 2127 hat im Anschluss an den Beschluss des BGH über die Kom1265 plementärfähigkeit juristischer Personen2128 die Auffassung vertreten, die Satzung der KGaA sei von der Börsenzulassungsstelle einer Überprüfung dahin zu unterziehen, ob sie eine sachliche und personelle Rückkopplung an den Willen der Kommanditaktionäre gewährleiste. In seinem Beschluss hatte der BGH in Anlehnung an Priester2129 die Frage erwogen, ob Satzungsgestaltungen, die zu Lasten der Kommanditaktionäre gehen, einer Kontrolle entsprechend derjenigen zu unterwerfen seien, die die Rechtsprechung zu den Publikumspersonen-

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2123 Der BGH hatte die analoge Anwendung des damaligen § 19 V (jetzt § 19 II) HGB angenommen, BGHZ 134, 392, 401. 2124 O Rn 987, 1009. 2125 Zur Satzung der börsennotierten KGaA s Herfs, VGR 1 (1998), 23. 2126 Dazu o Rn 752 ff. 2127 In: Ulmer (Hrsg) Die GmbH & Co KGaA nach dem Beschluss BGHZ 134, 392 1998 S 9, 26 ff. 2128 Soeben Rn 1263. 2129 ZHR 160 (1996), 250 ff.

II. Die Gründung der KGaA | 691

gesellschaften entwickelt hat2130. Im Anschluss daran hat Hommelhoff gefolgert, die Entscheidungsmacht der Komplementär-GmbH müsse eingeschränkt werden durch Kontroll- und Überwachungsrechte anderer Organe der KGaA, auf deren Zusammensetzung die Kommanditaktionäre entscheidenden Einfluss nehmen könnten 2131. Diese Prüfungskompetenz folge aus § 1 BörsZulV (in der seinerzeit geltenden Fassung), wonach die Satzung des Emittenten dem Recht seines Sitzes zu entsprechen habe. Aus dem AktG folge die Notwendigkeit der bezeichneten Regelungen, insofern habe die Börsenzulassungsstelle die Satzung der KGaA zu prüfen. Dieser Auffassung Hommelhoffs ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Regelungen über die Börsenzulassung eine solche materielle Inhaltskontrolle der die Zulassung begehrenden KGaA nicht vorsehen2132. In der Literatur werden deshalb vielfältige materiellrechtliche Ansätze zum Anlegerschutz der Kommanditaktionäre in einer Kapitalgesellschaft & Co KGaA erwogen2133.

II. Die Gründung der KGaA II. Die Gründung der KGaA

Übersicht über die Gründungsregelung a. Zahl der Gründer und Komplementärfähigkeit Für die Gründung der KGaA gelten die Vorschriften über die Gründung der 1266 AG2134, soweit sich nicht aus §§ 279 ff AktG etwas anderes ergibt (§ 278 III AktG). Die Schwierigkeit der früheren Fassung des § 280 I 1 AktG, dass die Satzung von mindestens 5 Personen festgestellt werden musste 2135, hat, wie schon bemerkt,

_____

2130 NJW 1997, 1925, 1927. Zu der Kontrolle bei Publikumspersonengesellschaften K. Schmidt § 57 IV S 1684 ff. 2131 In: Ulmer (Hrsg) Die GmbH & Co KGaA nach dem Beschluss BGHZ 134, 392 1998 S 9, 18. 2132 Vgl Herfs, VGR 1 (1998), 23, 51 f. Durchschlagend ist weiter der Hinweis von Herfs, aaO, 53, dass es sich bei der Ablehnung der Börsenzulassung um einen belastenden Verwaltungsakt handelt, gegen den der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Es wäre in der Tat wenig sachgerecht, wenn ein Verwaltungsgericht die Gestaltung einer KGaA-Satzung beurteilen müsste. 2133 Wirkung des Anstellungsvertrages der Komplementärgesellschaft mit ihrem Geschäftsführer/Vorstandsmitglied zugunsten der Kommanditaktionäre als Dritter, Inhaltskontrolle der Satzung, Übersicht bei Raiser/Veil § 31 Rn 14 ff. 2134 S dazu o Rn 205 ff. 2135 In der Literatur wurde diese Diskrepanz zwischen AG und KGaA als Redaktionsversehen angesehen. GK-AktG/Assmann/Sethe § 280 Rn 4 traten dafür ein, wie bei der AG die Einmanngründung zuzulassen, Hüffer hatte in Kom AktG, 6. Aufl, 2004, § 280 Rn 2 wegen des KGElements der KGaA eine Absenkung auf 2 Gründer vertreten.

692 | J. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien

das UMAG beseitigt2136; die Komplementäre dürfen alle Aktien selbst übernehmen 2137. Nicht mehr nur durch spätere Vereinigung aller Anteile in einer Person ist die Einmann-KGaA möglich. Insgesamt kommen als Komplementäre der KGaA zunächst natürliche Per1267 sonen, daneben auch die Personenhandelsgesellschaften OHG und KG2138 und vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des BGH zur Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft2139 auch eine BGB-Gesellschaft in Betracht. Schließlich kann seit dem Beschluss des BGH vom 24.2. 1997 2140 auch eine juristische Person, insbesondere eine GmbH, einzige Komplementärin der KGaA sein.

b. Gründungsakt, Einlagen, Gründungsprüfung 1268 An der Feststellung der Satzung müssen sich alle Komplementäre und Aktien

übernehmenden Kommanditaktionäre beteiligen, § 280 II AktG. Diese Personen sind die Gründer, § 280 III AktG. Die Gründer haben den ersten Aufsichtsrat und die Abschlussprüfer für das erste Geschäftsjahr zu bestellen (§§ 278 III, 30 I 1 AktG), einen Gründungsbericht zu erstatten (§§ 278 III, 32 AktG) und die Gründungsprüfung durchzuführen oder zu veranlassen (§§ 278 III, 33 ff AktG). Die Gründer müssen auf die übernommenen Aktien die erforderlichen Einlagen erbringen (§§ 278 III, 36a AktG), auch die Komplementäre, sofern sie Aktien übernommen haben. Nach Übernahme der Aktien durch die Gründer ist die KGaA errichtet, (§§ 278 III, 29 AktG).

c. Inhalt des Gesellschaftsvertrages 1269 Aufgrund der Verweisung nach § 278 III AktG gilt der notwendige Satzungsin-

halt nach § 23 III, IV AktG. Darüber hinaus sind nach § 281 I AktG Name, Vorname und Wohnort jedes persönlich haftenden Gesellschafters in die Satzung aufzunehmen. Vermögenseinlagen des Komplementärs, die nicht auf das Grundkapital geleistet werden (also nicht als Gegenwert für die Übernahme von Kommanditaktien), sind nach Art und Höhe in der Satzung festzusetzen, § 281 II AktG. Für das Rechtsverhältnis der Komplementäre untereinander und zur Ge-

_____ 2136 S o Rn 1261a. Zum UMAG o Rn 96. 2137 Hüffer/Koch § 278 Rn 5. 2138 GK-AktG/Assmann/Sethe § 278 Rn 42. 2139 BGHZ 146, 341; dazu eingehend Wilhelm Sachenrecht Rn 180 ff. Dagegen dürfte nach wie vor als nicht komplementärfähig die Erbengemeinschaft anzusehen sein. Der BGH misst ihr keine Rechtsfähigkeit zu, BGH DStR 2002, 1958. 2140 O Rn 1263.

III. Die Gesellschafter der KGaA | 693

samtheit der Kommanditaktionäre sowie gegenüber Dritten gilt nach § 278 II AktG das Recht der KG und in den Grenzen dieses Rechts und der Sonderbestimmungen der §§ 278 ff AktG Satzungsfreiheit.

d. Firma Die Firma muss die Bezeichnung „Kommanditgesellschaft auf Aktien“ oder eine 1270 entsprechende Abkürzung enthalten, § 279 I AktG. Haftet in der Gesellschaft keine natürliche Person persönlich, muss die Haftungsbeschränkung gekennzeichnet werden, § 279 II AktG. Dh entsprechend der Lage bei der GmbH & Co KG (§ 19 II HGB) muss die Gesellschaft als GmbH & Co KGaA oder entsprechend bezeichnet werden.

e. Anmeldung der Gesellschaft und Eintragung in das Handelsregister Die KGaA ist nach §§ 278 III, 36 AktG zur Eintragung in das Handelsregister an- 1271 zumelden. Statt der Vorstandsmitglieder sind die persönlich haftenden Gesellschafter mit ihrer Vertretungsbefugnis einzutragen (§ 282 AktG). Mit der Eintragung entsteht die KGaA (§§ 278 III, 41 I 1 AktG). Es können jetzt die Aktien und Zwischenscheine ausgegeben werden (§§ 278 III, 41 IV 1 AktG).

III. Die Gesellschafter der KGaA III. Die Gesellschafter der KGaA

1. Die persönlich haftenden Gesellschafter (Komplementäre) Die persönlich haftenden Gesellschafter müssen in der Satzung festgestellt 1272 werden (§ 281 I AktG). Tritt ein neuer ein, muss die Satzung geändert werden. Dafür sind – vorbehaltlich der bei der KGaA freien Satzung – ein Beschluss der HV der Kommanditaktionäre mit qualifizierter Mehrheit (§§ 278 III, 179 II AktG) und die Zustimmung der Komplementäre erforderlich (§ 285 II, III AktG). Die Rechtsstellung der Komplementäre richtet sich nach dem Recht der KG (§ 278 II AktG), also nach §§ 161 ff HGB. Für ihr Stimmrecht gilt eine besondere Beschränkung nach § 285 I 1, 2 AktG2141. Beschlüsse der HV bedürfen ihrer Zustimmung für Angelegenheiten, für die bei der KG das Einverständnis von Komplementären und Kommanditisten erforderlich ist (§ 285 II 1 AktG mit Beschränkungen nach S 2). Die Komplementäre haften für die Verbindlichkeiten der KGaA

_____ 2141 S u Rn 1277.

694 | J. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien

gegenüber den Gesellschaftsgläubigern unmittelbar, unbeschränkt und persönlich (§§ 278 II AktG, 161 II, 128 ff HGB), auch für die vor ihrem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten (§§ 278 II AktG, 130 I HGB) und trotz Ausscheidens für die bis zum Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten (§§ 278 II AktG, 160 HGB). Die vermögensmäßige Beteiligung der Komplementäre besteht zunächst 1273 in ihrer persönlichen Haftung. Daneben geht § 281 II AktG von den Möglichkeiten aus, dass der Komplementär Kommanditaktien (Einlagen auf das Grundkapital) und noch daneben oder stattdessen nicht auf das Grundkapital erbrachte Vermögenseinlagen übernimmt, die in der Satzung festzusetzen, aber nicht in das Handelsregister einzutragen sind. Leistet er solche Einlagen, so steht ihm ein Kapitalanteil zu, wovon § 286 II 1 AktG spricht2142. Ein Komplementär kann nach §§ 278 II AktG, 161 II, 140 HGB aus wichtigem 1274 Grund durch gerichtliches Urteil aus der KGaA ausgeschlossen werden (erwähnt in § 289 V AktG). Die Satzung kann aber vorsehen, dass der Ausschluss durch einfachen Beschluss der HV geschieht. Gibt es keine derartige Regelung in der Satzung, greift also das Gesetz ein, so ist die Ausschließungsklage auf Seiten der Kommanditaktionäre vom Aufsichtsrat, der die Gesamtheit der Komanditaktionäre vertritt (§ 287 II AktG), und weiter von den übrigen Komplementären zu erheben. Für die Erhebung der Klage bedarf es von Seiten der Kommanditaktionäre eines Beschlusses der HV mit qualifizierter Mehrheit (analog § 289 IV 3 AktG). Vorbehaltlich der Ausschließung hängt das Ausscheiden eines Komplementärs nach § 289 V AktG davon ab, dass es in der Satzung für zulässig erklärt ist. Dies ist einer früheren Fassung des HGB geschuldet, nach der jeder Gesellschafter durch Kündigung die Auflösung der Gesellschaft herbeiführen konnte. Die Ewigbindung an die Gesellschaft ist bei unbeschränkter Haftung nicht tragbar. Nach der neuen Fassung des HGB (§ 131 III Nr 3 HGB) muss die Kündigung möglich sein. Für sie gilt – immer vorbehaltlich der Satzung der KGaA – nach § 289 I § 161 II iVm § 132 HGB: Kündigung zum Schluss des Geschäftsjahrs mit 6-monatiger Frist. Das Ausscheiden eines Komplementärs muss von allen Komplementären zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden (289 VI 1 AktG).

_____ 2142 §§ 286, 288 AktG iVm §§ 120–122, 167–169 HGB). Kapitalanteil ist ein bilanzieller Rechnungsposten (§ 286 II 1 AktG), maßgeblich für Gewinn- und Verlustbeteiligung, Entnahmerecht und Beteiligung am Gesellschaftsvermögen (zur Buchung der Gewinne und Verluste § 286 II– IV AktG, abw die Praxis mit festem und variablem Kapitalkonto, s Raiser/Veil § 30 Rn 8 f).

IV. Die Organe der KGaA | 695

2. Die Kommanditaktionäre Die Kommanditaktionäre haben nach § 278 III AktG die gleichen Rechte und 1275 Pflichten wie die Aktionäre der AG2143. Sie sind an dem in Aktien zerlegten Grundkapital beteiligt und haften für die Verbindlichkeiten der KGaA nicht persönlich. Nebenverpflichtungen der Kommanditaktionäre können nach §§ 278 III, 55 AktG begründet werden. Die Kommanditaktionäre üben ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft in der HV aus (§§ 278 III, 118 I AktG).

IV. Die Organe der KGaA IV. Die Organe der KGaA

1. Die persönlich haftenden Gesellschafter Alle Komplementäre sind, sofern die Satzung keine andere Regelung vorsieht, 1276 einzeln zur Geschäftsführung für die Gesellschaft (§§ 278 II AktG, 161 II, 115 I HGB) und zur Vertretung (§§ 278 II AktG, 161 II, 125 I HGB) befugt. Die Einzelgeschäftsführungsbefugnis bezieht sich nicht auf außergewöhnliche Geschäfte (immer vorbehaltlich der Satzung): Es bedarf dazu der Zustimmung aller Komplementäre und der HV (§§ 278 II AktG, 116 II, 164 HGB). Die Vertretungsbefugnis kann nur durch die Gestaltungen der echten oder unechten Gesamtvertretung (§ 125 II, III HGB) beschränkt werden. Zwingende Zuständigkeiten enthält der Katalog des § 283 AktG. Nach Nr 3 der Vorschrift sind die Komplementäre wie der Vorstand der AG verantwortlich (§ 283 Nr 3 AktG iVm § 93 AktG). Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis kann einzelnen Komplementären2144 aus wichtigem Grund durch gerichtliche Entscheidung entzogen werden 278 II AktG, 117, 127 161 II HGB). Nach § 284 AktG unterliegen die Komplementäre einem – dispositiven2145 – Wettbewerbsverbot,

_____ 2143 Wegen der Alleinzuständigkeit für die Feststellung des Jahresabschlusses (§ 286 I AktG) geht das Aufkunftsrecht der Komanditaktionäre weiter als das der Aktionäre, s u Rn 1277. Das OLG Stuttgart will die Grundsätze der Holzmüller-Judikatur auf die KGaA übertragen, ZIP 2003, 1981; kritisch Fett/Förl, NZG 2004, 210. 2144 Im Unterschied zur KG (BGHZ 51, 198, 200 f) auch die Vertretungsbefugnis des einzigen Komplementärs (oder aller Komplementäre). In diesem Fall kann entsprechend § 29 BGB ein Notvorstand bestellt werden (Hüffer/Koch § 278 Rn 17b). 2145 Fall des § 278 II und damit der Vertragsfreiheit des Rechts der Personengesellschaften. Greift das Wettbewerbsverbot ein, ist Befreiung durch satzungsändernden Beschluss nach § 285 II AktG möglich. Wird die Gesellschaft dadurch abhängiges Unternehmen, ist die Zustimmung zur Befreiung nur dann nicht missbräuchlich, wenn die Befreiung im Interesse der Gesellschaft geboten ist (BGHZ 80, 69, 74 zur GmbH).

696 | J. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien

nicht darüber hinaus einem Gewerbeverbot wie der Vorstand der AG nach § 88 AktG.

2. Die Hauptversammlung 1277 Nach § 278 III iVm § 118 AktG ist die HV der KGaA das Organ der Kommanditak-

tionäre. Wir werden gleich sehen, dass das Gesetz auch noch von der Gesamtheit der Kommanditaktionäre spricht. Die Einordnung dieser Gesamtheit noch neben der HV ist aber höchst problematisch. Die HV ist jedenfalls das grundsätzlich zuständige Organ der Komanditaktionäre. Die Komplementäre haben nur dann ein Stimmrecht, wenn sie gleichzeitig Aktien halten (§ 285 I 1 AktG). Auch ein solches Stimmrecht ist in den Fällen des § 285 I Nr 1–6 (Wahl des Aufsichtsrats, Entlastung der Komplementäre und des Aufsichtsrats etc) ausgeschlossen2146. Die Beschlüsse der HV bedürfen der Zustimmung der Komplementäre, soweit sie Angelegenheiten betreffen, die bei der KG des Einverständnisses der Komplementäre und Kommanditisten bedürfen (§ 285 II 1 AktG)2147. §§ 285 II 2, 327a I 2 AktG machen davon Ausnahmen. Abweichend von § 172 AktG beschließt die HV über die Feststellung des Jahresabschlusses, allerdings bedarf der Beschluss der Zustimmung der Komplementäre (§ 286 I 1, 2 AktG). Wegen der Feststellungskompetenz der HV entfallen die Rechte der Komplementäre, nach § 131 III Nr 3, 4 AktG die Auskunft zu verweigern2148.

3. Der Aufsichtsrat a. Zusammensetzung und Kompetenzen 1278 Der Aufsichtsrat ist wie bei der AG auch bei der KGaA notwendiges Organ

(§§ 278 III, 95 ff AktG). Er hat die Kontrollfunktion gegenüber den Komplementären (§ 278 III iVm § 111 I–III AktG). Die Komplementäre können folglich nicht Mitglieder des Aufsichtsrates sein (§§ 287 III AktG). Der BGH tendiert richtiger Weise dazu, entsprechend Geschäftsführer, Vorstände und auch maßgeblich

_____ 2146 Zum Stimmverbot nach § 285 I 2 Schnülle, NZG 2017, 1056. 2147 Hierher zählen Satzungsänderungen und sonstige Grundlagenbeschlüsse. Nach überwiegender Meinung auch außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen iSd §§ 164, 116 II HGB, Hüffer/Koch § 285 Rn 2; K. Schmidt/Lutter/K. Schmidt Kom AktG, 2008, § 285 Rn 29. 2148 MüKoAktG/Perlitt § 278 Rn 120. Anwendungsfall zum Auskunftsrecht in der Entscheidung BayObLG NJW-RR 1999, 1487.

IV. Die Organe der KGaA | 697

beteiligte Gesellschafter einer juristischen Person, die die Komplementärsstellung innehat, vom Aufsichtsrat der KGaA auszuschließen2149. Der Aufsichtsrat führt die Beschlüsse der Kommanditaktionäre aus, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt (§ 287 I AktG). Zur Vertretung der Gesamtheit der Kommanditaktionäre gegenüber den Komplementären kommen wir gleich. Selbstverständlich ist die Organstellung des Aufsichtsrats als Vertreter der Gesellschaft gegenüber den Komplementären (§§ 278 III, 112 AktG)2150. An der Feststellung des Jahresabschlusses wirkt der Aufsichtsrat nicht mit (§ 286 I AktG), der Aufsichtsrat hat den Jahresabschluss lediglich zu prüfen, §§ 171, 278 III AktG). Die Befugnisse nach § 77 II AktG (Geschäftsordnung für den Vorstand, hier die Komplementäre)2151 und § 84 AktG (Personalkompetenz) stehen dem Aufsichtsrat selbstverständlich nicht zu.

b. Mitbestimmung Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer richtet sich ebenso wie die der AG nach 1279 Montanrecht, MitbestG und Drittelbeteiligungsgesetz2152. Auch die Mitglieder des Aufsichtsrats einer mitbestimmten KGaA haben aber keine Kompetenz, die Mitglieder der gesetzlichen Vertretung (das wären ja hier die Komplementäre) zu bestellen (§ 31 I 2 MitbestG). Ein Arbeitsdirektor ist bei der KGaA nicht einzusetzen (§ 33 I 2 MitbestG). Nachdem der BGH anerkannt hat, dass alleinige Komplementärin der KGaA eine Kapitalgesellschaft sein kann, ergibt sich – wie gesehen2153 – ein Wertungswiderspruch zum Mitbestimmungsgesetz. In der Literatur wird versucht, diesen durch analoge Anwendung des § 4 MitbestG über die Zurechnung der Arbeitnehmer der KG an die Komplementärgesellschaft und – vielleicht daneben – § 5 MitbestG über die Zurechnung der Arbeitnehmer einer abhängigen Gesellschaft an die herrschende Gesellschaft zu überwinden2154.

_____ 2149 BGH NJW 2006, 519 Rn 13 f. 2150 Auch gegenüber ehemaligen Komplementären, selbst wenn diese inzwischen selbst Aufsichtsratsmitglieder geworden sind. Ein Vertrag, den Komplementäre im Namen der Gesellschaft mit anderen Komplementären über die Gründung einer stillen Gesellschaft geschlossen haben, ist mangels Zustimmung des Aufsichtsrats unwirksam. Es gelten aber die Grundsätze betr die fehlerhafte Gesellschaft, BGH BB 2005, 514 ff. 2151 Dazu MüKo-AktG/Semler/Perlitt 3. Aufl. 2007 ff § 278 Rn 78. 2152 Dazu o Rn 964 ff. 2153 O Rn 1263. 2154 Die Anwendung von § 4 lehnt ab und die Stellung der Komplementärgesellschaft als herrschende Gesellschaft iSv § 5 verneint dann, wenn die Komplementärgesellschaft nicht noch anderweitig unternehmerisch tätig ist, OLG Celle ZIP 2015, 123 Rn 3, 4.

698 | J. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien

4. Die Gesamtheit der Kommanditaktionäre 1280 Neben der HV als dem Gesellschaftsorgan, in dem die Kommanditaktionäre ihre

Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft ausüben, spricht das AktG in zwei Vorschriften von der „Gesamtheit der Kommanditaktionäre“ (§§ 278 II und 287 II AktG). § 278 II AktG erklärt insbesondere auf das Rechtsverhältnis der Komplementäre gegenüber der Gesamtheit der Kommanditaktionäre das Recht der KG für anwendbar. Nach § 287 II AktG vertritt in Rechtsstreitigkeiten zwischen den Komplementären und der Gesamtheit der Kommanditaktionäre der Aufsichtsrat die Gesamtheit, sofern die HV nicht besondere Vertreter gewählt hat. Die Einordnung der Gesamtheit der Kommanditaktionäre ist umstritten. Nach der älteren Auffassung2155 ist die Gesamtheit der Kommanditaktionäre zwar nicht juristische Person, jedoch im Prozess gegen Komplementäre aktiv und passiv parteifähig. Nach der Gegenauffassung verträgt sich diese Ansicht nicht mit der Rechtsnatur der KGaA als juristischer Person2156. Danach sind die Rechte und Pflichten der Komplementäre auf die Gesellschaft zu beziehen und ist § 287 II AktG als bloße Kompetenznorm anzusehen2157. Dem ist zu folgen.

V. Die Finanzordnung der KGaA V. Die Finanzordnung der KGaA 1281 Das Grundkapital der KGaA unterliegt den gleichen Kapitalerhaltungsregeln

wie das Grundkapital der AG, § 278 III AktG. Für Vermögenseinlagen der Komplementäre, die nicht auf das Grundkapital erbracht werden, gilt OHG-Recht2158. Das Entnahmerecht wird in § 288 AktG eingeschränkt. In der KGaA sind Kapitalveränderungen wie bei der AG möglich. Diese sind 1282 von der HV zu beschließen (§§ 278 III, 119 I Nr 6 AktG), die Beschlüsse bedürfen der Zustimmung der Komplementäre (§ 285 II 1 AktG). Die Gewinnverwendung richtet sich für die Komplementäre nach der Sat1283 zung, iÜ nach § 278 II AktG, §§ 168, 121 HGB. Für die Kommanditaktionäre gelten die Regeln des Aktienrechts. Nach §§ 58 IV, 60 AktG hat jeder Kommanditaktionär Anspruch auf einen seiner Beteiligung entsprechenden Anteil am Bilanzgewinn.

_____ 2155 Dazu RGZ 74, 303. 2156 KK/Mertens/Cahn Kom AktG, 2. Aufl, 1988 ff, § 278 Rn 45. 2157 S auch Hüffer/Koch § 287 Rn 2. 2158 Die Einlagefähigkeit richtet sich damit allein nach personengesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten (dazu Baumbach/Hopt/Hopt, Kom HGB, 33. Aufl 2008, § 109 Rn 6 ff), auf eine Sacheinlagefähigkeit nach aktienrechtlichen Maßstäben kommt es nicht an.

VI. Auflösung und Beendigung der KGaA | 699

Zu Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht werden die für AG und GmbH maßgeblichen Grundlagen in einem späteren Kapitel2159 erläutert. Diese Ausführungen gelten im Grundsatz auch für die KGaA, das Gesetz stellt jedoch besondere Regeln für den Kapitalanteil des Komplementärs auf. Dieser ist aus den Vermögenseinlagen zu bilden, die nicht auf das Grundkapital geleistet sind (§ 281 II AktG). Nach § 286 II 1 AktG ist er nach dem „Gezeichneten Kapital“ gesondert auszuweisen. Ein auf den Komplementär entfallender Verlust ist von seinem Kapitalanteil abzuschreiben, § 286 II 2 AktG. Nach § 286 III AktG braucht der auf die Kapitalanteile der Komplementäre entfallende Gewinn bzw Verlust in der Gewinn- und Verlustrechnung nicht gesondert ausgewiesen zu werden2160. Für den Anhang2161 wird eine Ausnahme von der Aufnahme der Gesamtbezüge der Leitungspersonen einer Gesellschaft nach § 285 Nr 9 lit a, b HGB gemacht. Angaben über die Gewinnanteile der Komplementäre brauchen nicht aufgenommen zu werden, § 286 IV AktG. Für die Aufstellung des Jahresabschlusses und des Lageberichtes (§ 289 HGB) sind die Komplementäre zuständig (§ 283 Nr 9, 10 AktG). Festzustellen hat ihn die HV mit Zustimmung der Komplementäre (§ 286 I AktG). Verweigert die HV die Feststellung des von den Komplementären aufgestellten und von den Kontrollinstanzen geprüften Jahresabschlusses, kommt eine Klage auf Erteilung der Zustimmung in Betracht.

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VI. Auflösung und Beendigung der KGaA VI. Auflösung und Beendigung der KGaA

Zur Auflösung und Abwicklung der KGaA s u Rn 1458 f.

_____ 2159 S u Rn 1380 ff. 2160 Näher zur Gewinn- und Verlustrechnung in der KGaA GK-AktG/Assmann/Sethe Kom AktG 4. Aufl 1992 ff, § 286 Rn 46. 2161 Einzelheiten bei GK-AktG/Assmann/Sethe § 286 Rn 47 ff.

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700 | J. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien

QQQ NEUE RECHTE SEITE

I. Das Recht der verbundenen Unternehmen | 701

K. Konzernrecht K. Konzernrecht

I. Das Recht der verbundenen Unternehmen I. Das Recht der verbundenen Unternehmen

1. Überblick https://doi.org/10.1515/9783110595802-011

Im 3. Buch das AktG wird das Recht der verbundenen Unternehmen behan- 1289 delt; der Konzern, wegen dessen man von Konzernrecht spricht, ist nur ein Spezialfall der verbundenen Unternehmen. Nach § 15 AktG sind verbundene Unternehmen rechtlich selbstständige Unternehmen, die zueinander in Mehrheitsbesitz stehende und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (dazu § 16), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17), Konzernunternehmen (§ 18), wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags (§§ 291, 292) sind. Die Kodifizierung des Konzernrechts ist erst in neuerer Zeit geschaffen worden. Sie gilt vollständig für die AG und die KGaA 2162, die GmbH ist einbezogen, sofern sie über eine AG oder KGaA herrscht. Für das Konzernrecht der GmbH als abhängiger Gesellschaft stellt sich die Frage der Analogie2163. Im Folgenden betrachten wir vor dem GmbH-Konzern das kodifizierte Aktien-Konzernrecht. Das Europäische Recht hat die Societas Europaea (SE) geschaffen, die als 1290 Spitze oder Tochter in einem Konzern figurieren kann2164. Weiter hat es die Konzernbilanzrechtsrichtlinie gebracht, die in §§ 290 ff HGB umgesetzt worden ist. Der bilanzrechtliche Konzernbegriff umfasst alle abhängigen und herrschenden Unternehmen (§ 290 II, III HGB, dort weitere Spielarten), ist also weiter als der aktienrechtliche. Die Kommission versucht derzeit, mit den Richtlinienentwürfen zur societas unius personae (SUP) und zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie betreffend related party transactions ein gemeines Europäisches Konzernrecht anzustoßen2165. Das Recht der §§ 291 ff AktG behandelt schwerpunktmäßig die Interessenge- 1291 fährdungen und –konflikte, die mit der Möglichkeit der Beherrschung eines

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2162 Seit dem AktG 1965 enthält das Aktienrecht ein Konzernrecht. Das AktG 1937 brachte nur die Begriffe des Konzerns und des Konzernunternehmens und einzelne Regelungen dazu (insbesondere § 256 über den Abschluss von bestimmten Unternehmensverträgen). Viele andere Rechtsordnungen enthalten sich bis heute jedweder Regelungen zu dieser komplexen Materie (s den rechtsvergleichenden Überblick bei Emmerich/Habersack Konzernrecht 10. Aufl 2013, § 1 V S 15 ff). 2163 Zum GmbH-Konzern u Rn 1345 ff. 2164 Dazu u Rn 1376 ff. 2165 O Rn 156, 195. https://doi.org/10.1515/9783110595802-011

702 | K. Konzernrecht

Unternehmens durch ein anderes verbunden sind. Die Normierung geht davon aus, dass die Beherrschungsmöglichkeit schon besteht. Für das Problem, dass sich eine solche entwickeln kann, gibt es im Gesetz nur wenige Ansätze. In Literatur und Rechtsprechung werden Fragen des „Konzerneingangsschutzes“ oder der „Konzernbildungskontrolle“ diskutiert2166. Ausgangspunkt ist die Diskussion um das oben dargestellte Holzmüller-Urteil2167. Mit dem Urteil war der Konzerneingangsschutz auf der Ebene der Obergesellschaft thematisiert, es ging um die Frage „ungeschriebener HV-Kompetenzen“2168. Insoweit war insbesondere auf die Ausführungen zum WpÜG zu verweisen, das einen Teilbereich der Fragen regelt2169. Es geht andererseits aber auch um die Kontrolle des Übergangs in die Abhängigkeit. Das AktG schafft nur in §§ 20 ff AktG Transparenz durch bestimmte Mitteilungspflichten und begründet in § 328 AktG Rechtsbeschränkungen bei wechselseitiger Beteiligung. Durch die Gesellschafter selbst kann der Entstehung einer Beherrschungsmöglichkeit bei der GmbH durch Satzungsregelungen vorgebeugt werden, bei der AG ist dies wegen § 23 V AktG nur sehr beschränkt möglich2170. Im Übrigen ist es Aufgabe der Rechtsprechung, Schranken zu ziehen. In seinem Urteil „Süssen“ hat der BGH dies insbesondere unter den Gesichtspunkten des Rechtsmissbrauchs und der Treuepflicht getan2171. Insgesamt befassen sich die §§ 291 ff AktG über das Recht der verbundenen 1292 Unternehmen im ersten Teil mit Unternehmensverträgen, im 2. Teil mit der Leitungsmacht und Verantwortlichkeit bei Abhängigkeit von Unternehmen, im dritten Teil mit eingegliederten Gesellschaften, im 4. Teil mit dem Aus-

_____ 2166 MüKo-AktG/Kropff 3. Aufl. 2007 ff vor § 311 Rn 40 ff. 2167 S o Rn 930 ff, 1054 ff , Weiterentwicklung in Gelatine, o Rn 1070 ff. 2168 S dazu oben Rn 1054 ff. 2169 S dazu Rn 798 ff. Hinzuweisen ist weiter auf §§ 33 ff WpHG. Sie ermöglichen es den Aktionären, den Aufbau einer beherrschenden Position im Vorfeld zu ersehen und darauf ggf adäquat zu reagieren (zu Gegenstrategien MüKo-AktG/Kropff vor § 311 Rn 70 ff). 2170 Übersicht bei Raiser/Veil § 60 Rn 15 ff, auch – Rn 35 ff – zu den – wegen § 23 V AktG – beschränkten Möglichkeiten bei der AG. 2171 BGHZ 80, 69 – Süssen – (Missbrauch des Stimmrechts bei der Befreiung von einem Wettbewerbsverbot, wenn die Betätigung des Gesellschafters, dem die Befreiung erteilt wird, zur Abhängigkeit von einem Konkurrenzunternehmen führt, an dem der Gesellschafter maßgeblich beteiligt ist). Nicht hierher gehört BGHZ 89, 162 – Heumann-Ogilvy –zur Begründung eines Wettbewerbsverbots gegen die (über eine Tochtergesellschaft) herrschende Gesellschaft einer GmbH & Co KG aus analoger Anwendung des § 112 HGB (und, aber nicht weiterführend, aus Treuepflicht). Um analoge Anwendung des § 112 HGB ging es, weil die Bekl nur Kommanditistin war, ungeachtet dessen aber einen entscheidenden Einfluss auf die GmbH & Co KG hatte. Außerdem war die Bekl im Verhältnis zur GmbH & Co KG herrschendes Unternehmen, es ging also nicht um die Begründung einer Konzernherrschaft.

I. Das Recht der verbundenen Unternehmen | 703

schluss von Minderheitsaktionären und im 5. Teil mit wechselseitig beteiligten Unternehmen. Nach der grundlegenden Entscheidung des BGH aus dem Jahre 19932172 gehören die Unternehmensverträge zu den unter § 83 I 2 AktG fallenden Grundlagenverträgen, über die die HV verbindlich entscheidet und deren Entscheidung auf Verlangen der HV der Vorstand nach der Vorschrift vorzubereiten hat. Die Normen der §§ 291 ff AktG über Unternehmensverträge befassen sich nach der Abgrenzung der verschiedenen Arten von Unternehmensverträgen mit dem Abschluss, der Änderung und Beendigung aller Unternehmensverträge, über den Beherrschungsvertrag hinaus (§§ 293–298), weiter mit der Sicherung der Gesellschaft und der Gläubiger mit Differenzierungen für die verschiedenen Arten von Unternehmensverträgen (§§ 300 ff), im Unterschied dazu mit einem Ausgleich für außenstehende Aktionäre nur bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen (§§ 304 ff). Es folgt der 2. Teil über die verbundenen Unternehmen, nämlich der über Leitungsmacht und Verantwortlichkeit bei Abhängigkeit von Unternehmen, hier zunächst im Fall eines Beherrschungsvertrags (§§ 308 ff AktG), sodann in Fällen ohne Beherrschungsvertrag (§§ 311 ff AktG). Der sog Vertragskonzern ist also die auf einer bestimmten Art von Unter- 1293 nehmensvertrag, dem Beherrschungsvertrag, beruhende Unternehmensverbindung (§ 291 I 1 AktG). Dieser ist dadurch definiert, dass eine abhängige AG oder KGaA durch Vertrag ihre Leitung einem anderen Unternehmen unterstellt. Daneben stehen der Gewinnabführungsvertrag (§ 291 I Alt 2) und andere Unternehmensverträge (gemäß § 292 AktG). Ein Vertrag über die einheitliche Leitung, ohne dass eine Gesellschaft abhängig ist, ist kein Beherrschungsvertrag (§ 291 II AktG). Die Konstellation unterfällt aber dem Konzernbegriff nach § 18 II AktG. Man spricht vom Gleichordnungskonzern. Im Gegenschluss zur Herausnahme aus dem Begriff des Beherrschungsvertrags ergibt sich, dass der Vertrag unter eine der anderen Arten von Unternehmensverträgen fallen kann. Der sog faktische Konzern ist ein Konzern mit einheitlicher Leitung ohne vertragliche Grundlage; die §§ 311 ff AktG behandeln aber allgemeine Folgerungen aus faktischer Abhängigkeit und Beherrschung. Wir sehen: Wenn wir hier von Konzern, Vertragskonzern, faktischem Kon- 1294 zern handeln, ist das nur eine Arbeit mit Stichworten, gibt aber nicht das vollständige Bild wieder. Insbesondere müssen wir sehen, dass über den Vertragskonzern an vier Stellen (§§ 293 ff, 300 ff, 304 ff, 308 ff) verschiedene Themen normiert sind (Vertragsschluss, Sicherung von Gesellschaft und Gläubigern,

_____ 2172 BGHZ 122, 211 ff.

704 | K. Konzernrecht

Ausgleich für außenstehende Aktionäre, Leitungsmacht und Verantwortlichkeit des herrschenden Unternehmens). Das Gesetz unterscheidet „die Gesellschaft“ (s zB §§ 300, 303) und den anderen Vertragsteil oder das herrschende Unternehmen, bezeichnet also im Über- und Unterordnungsvertragskonzern als Gesellschaft die abhängige Gesellschaft. Eine besonders geregelte Form der „vertragslosen“ Unternehmensverbin1295 dung (genauer: einen Vertrag nicht voraussetzender Unternehmensverbindung) gibt es für die AG, nicht für die KGaA: Die Verbindung ist nicht faktisch, sondern basiert auf einer rechtlichen Strukturveränderung, die die HV der einzugliedernden und der Haupt-Gesellschaft beschließen können: die Eingliederung (§§ 319 ff AktG)2173. Nach § 18 I 2 AktG unterfällt sie dem Konzernmerkmal der einheitlichen Leitung. Auf die Regelung der Eingliederung folgen Vorschriften des AktG über den 1296 Ausschluss von Minderheitsaktionären (das sog Squeeze-out, §§ 327a ff AktG) und sodann die soeben schon genannten2174 Vorschriften über wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 328 AktG). Das Squeeze-out ist an anderer Stelle behandelt2175. Das Thema der wechselseitigen Beteiligung gehört, wie oben gesagt, zum Thema der Transparenz bei Aufbau einer maßgeblichen Beteiligung. Die §§ 20 f AktG begründen Mitteilungspflichten einzelner Unternehmen bei Erwerb von mehr als 25% oder der Mehrheit der Anteile an einem anderen Unternehmen (§ 20 I, IV behandelt die entsprechende Beteiligung eines Unternehmens an einer inländischen AG oder – § 278 III AktG – KGaA; der § 21 I, II behandelt die Beteiligung einer AG oder KGaA an einer anderen Kapitalgesellschaft). Die Vorschriften enthalten verschiedene Zurechnungstatbestände (insbesondere stehen Anteile abhängiger Unternehmen eigenen Anteilen am anderen Unternehmen gleich, §§ 20 I 2, 21 I 2 iVm § 16 IV AktG). Die Beendigung dieser Beteiligungen ist gleichfalls mitzuteilen. Für die Zeit der Nichterfüllung der Mitteilungspflichten betr den Erwerb der Anteilsrechte schließen die Vorschriften die Rechte des mitteilungspflichtigen Unternehmens aus den Anteilen zT aus, zT lassen sie sie ruhen (§§ 20 VII, 21 IV). Bei börsennotierten Gesellschaften gelten statt der aktienrechtlichen Mitteilungspflichten die Mitteilungspflichten nach dem WpHG (§§ 20 VII, 21 V AktG, s §§ 33 ff WpHG). Die wechselseitige Beteiligung ist in § 19 AktG definiert. § 19 II–IV grenzen 1297 die Regelung des § 328 vom Recht der abhängigen und herrschenden Unternehmen ab. Gehört einem wechselseitig beteiligten Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung am anderen oder kann es einen herrschenden Einfluss aus-

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2173 Dazu u Rn 1337 ff. 2174 Rn 1291 f. 2175 Rn 672 ff.

I. Das Recht der verbundenen Unternehmen | 705

üben, so ist das eine Unternehmen als herrschendes, das andere als abhängiges anzusehen. § 19 III AktG geht von der Möglichkeit für beide Unternehmen aus, dann gelten beide sowohl als herrschend als auch als abhängig. § 328 AktG gilt für die nach Abs 2 oder 3 herrschenden oder abhängigen Unternehmen nicht (§ 19 IV AktG). Soweit § 328 im Fall wechselseitiger Beteiligung eingreift, beschränkt er die Rechte desjenigen wechselseitig beteiligten Unternehmens, welches von der wechselseitigen Beteiligung Kenntnis erlangt oder dem das andere die wechselseitige Beteiligung mitgeteilt hat, es sei dann es hat seinerseits vorher Mitteilung gemacht. § 160 Nrn 7, 8 AktG verpflichten zur Angabe über wechselseitige Beteili- 1298 gungen oder mitteilungspflichtige Beteiligungen im Anhang zum Jahresabschluss. Der Konzern wird Im Rahmen der in §§ 15 ff AktG gegebenen Definitionen 1299 der verbundenen Unternehmen in § 18 AktG abgegrenzt2176. In seiner Hauptform fasst ein Konzern ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter einheitlicher Leitung eines herrschenden Unternehmens zusammen (Unterordnungskonzern, § 18 I 1 AktG). Die „einheitliche Leitung“ ist – jenseits der in der Praxis entscheidenden gesetzlichen Vermutungstatbestände – nur schwer zu definieren. Die Vermutungstatbestände sind zwei, die aneinander anknüpfen: Zunächst werden bei einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen (zur Feststellung von Mehrheitsbesitz und Mehrheitsbeteiligung detaillierte Maßgaben in § 16 AktG) das in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen als abhängiges und das mit Mehrheit beteiligte Unternehmen als herrschendes Unternehmen vermutet (§ 17 II AktG). Die Vermutung ist gerade für eine in Mehrheitsbesitz stehende AG realistisch, weil der Mehrheitsgesellschafter kraft Mehrheit die Wahl zum Aufsichtsrat bestimmen kann, der den Vorstand der in Mehrheitsbesitz stehenden AG bestellt. Daraus folgen andererseits Fälle, in denen die Vermutung widerlegt ist: Stimmrechtsbeschränkungen oder Stimmbindungen können die Personalbestimmungsmacht ausschließen. Auch die Möglichkeit eines vertraglichen Ausschlusses der Vermutung durch sog Entherrschungsverträge ist überwiegend anerkannt, für seine Wirksamkeit im Sinne des Ausschlusses der Beherrschungspotenz kommt es auf Langfristigkeit bei Kündbarkeit nur aus wichtigem Grund an2177. Die zweite Vermutung steht in § 18 I 3 AktG:

_____ 2176 Der aktienrechtliche Konzernbegriff ist relevant für einzelne Vorschriften des AktG (etwa § 100 II AktG) und dann das Mitbestimmungsrecht (Möglichkeit eines Konzernbetriebsrats, § 54 BetrVG, sodann §§ 5 MitbestG, 2 DrittelbG). Das europarechtlich induzierte Bilanzrecht spricht zwar vom Konzernabschluss (§ 290 HGB), definiert den Konzernbegriff aber selbstständig (§ 290 I–III HGB). 2177 MüKoAktG/Bayer 3. Aufl 2008, § 17 Rn 99 ff.

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Von einem abhängigen Unternehmen wird vermutet, dass es mit dem anderen Unternehmen einen Konzern bildet. Der Gesetzgeber hat zu diesen Vermutungen gegriffen, weil ihm eine genauere Festlegung der an die einheitliche Leitung zu stellenden Anforderungen „angesichts der vielfältigen Formen, die die Wirtschaft für die Konzernleitung herausgebildet hat, nicht möglich“ erschien2178. Praxisformen der einheitlichen Leitung sind etwa personelle Verflechtungen (Entsendung von Vorstandsmitgliedern der herrschenden Gesellschaft in Vorstand oder Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft, umgekehrte Berufung, wenn nötig unter Befreiung vom Wettbewerbsverbot des § 88 AktG2179). Das Gesetz fügt noch drei begriffliche Festlegungen zum Konzernbegriff hinzu: Besteht ein Beherrschungsvertrag oder ist ein Unternehmen in ein anderes eingegliedert, so gelten diese Konstellationen als Konzern (§ 18 I 2). § 18 II AktG ergänzt sodann die Möglichkeit des Unterordnungskonzerns durch die des Gleichordnungskonzerns. Das ist die Zusammenfassung mehrerer nicht abhängiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung2180. Der im Zentrum des Interesses stehende Konzernbegriff des Unterordnungskonzerns baut also auf den Begriffen von abhängigem und herrschendem Unternehmen auf. Ein Unternehmen ist dann von einem anderen abhängig („abhängiges Unternehmen“), wenn das andere („herrschendes Unternehmen“) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen ausüben kann (§ 17 I AktG). Auf das Können kommt es an, nicht auf die tatsächliche Ausübung des Einflusses. Auch auf die Beherrschungsmöglichkeit kommt es nicht an, vielmehr reicht die Mehrheitsbeteiligung für Herrschaft und Abhängigkeit aus bei wechselseitiger Beteiligung (§ 19 II, III AktG). Motive für die weit verbreitete Erscheinung der Konzernbildung sind nicht 1300 nur das gemeinschaftliche Wirtschaften im dezentralisierten, mit zugehörigen Gesellschaften auch im Ausland auftretenden Gesamtunternehmen und die Ermöglichung eines möglichst flexiblen und rentablen Einsatzes von Kapital an den verschiedenen Stellen im Konzern2181. Hinter der Konzernierung stehen oftmals auch und vor allem steuerliche Beweggründe. Bemerkenswerter Weise ist das Steuerrecht für die Konzerngestaltung sogar führend gewesen. Für den Vertragskonzern insbesondere mit der GmbH als

_____ 2178 Regbegr zum AktG 1965, bei Kropff, Textausgabe AktG 1965, S 33. Zum Meinungsstand s Emmerich/Habersack Kom-KonzR, 2008, § 18 Rn 10 ff. 2179 Der Versuch des OLG Hamm (NJW 1987, 1030), für die ordnungsgemäße Bildung des Aufsichtsrats im abhängigen Unternehmen wenigstens eine konzernfremde Person vorauszusetzen, widerspricht der Mehrheitswahl nach §§ 101 1, 133 I AktG. 2180 Mittel der Gleichordnungskonzernierung etwa Bildung einer BGB-Gesellschaft. 2181 Zu den Vor- und Nachteilen der Konzernierung Raiser/Veil § 58 Rn 9 ff.

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beherrschter Gesellschaft hatte sich aufgrund der Praxis des Steuerrechts eine feste Gestaltung herausgebildet. Wir werden sehen, dass der BGH trotz dieser Rechtslage gemeint hat, der GmbH die aktienrechtliche Regelung der §§ 293 ff AktG überstülpen zu müssen2182. Die steuerrechtlich maßgebliche Figur ist die Bildung einer „Organschaft“. Sie gestattet die Behandlung der beherrschten, zivilrechtlich selbstständigen Konzerngesellschaften (Organgesellschaften) als steuerlich unselbstständige Einheiten (gewerbesteuerlich: Betriebsstätten) einer steuerlichen Wirtschaftseinheit, sodass eine „Verrechnung“ von Gewinnen und Verlusten im Organkreise beim Organträger möglich ist2183. Allerdings ist die Bedeutung speziell des Beherrschungsvertrags für die Schaffung einer solchen Organschaft mittlerweile geschwunden. Früher setzte das Steuerrecht die organisatorische, wirtschaftliche und finanzielle Eingliederung einer Kapitalgesellschaft (Organ) in eine andere Gesellschaft, den Organträger, voraus, wobei der Beherrschungsvertrag die unwiderlegbare Vermutung für die organisatorische Eingliederung schuf (§ 14 Nr 2, 17 KStG aF). §§ 14, 17 KStG nF (sowie § 2 II 2 GewStG für das Gewerbesteuerrecht, das insoweit auf §§ 14, 17 KStG Bezug nimmt2184) verlangen demgegenüber nur noch den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags (§ 291 I 2. Alt AktG) und die „finanzielle Eingliederung“ des Organs in den Organträger. Diese Form der Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt ist, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (§ 14 I 1 Nr 1 KStG). Insoweit ist heute im Hinblick auf die Organschaft eher von einem Vorteil aus einem Unternehmensvertrag als von einem Vorteil der Konzernierung ieS zu sprechen. Die große Gefahr der Konzernierung ist die Verwischung der Organver- 1301 antwortlichkeiten im abhängigen Unternehmen. Zum Aufbau der Herrschaft über eine Tochter- oder Enkelgesellschaft genügt grundsätzlich die Mehrheit der Anteile, der Aufwand ist also relativ gering. Die Rechte aus den Anteilen werden vom Vorstand oder der Geschäftsführung der herrschenden Gesellschaft ausgeübt. Damit steht nicht, wie nach dem Grundtypus der AG, die HV der Aktionäre der Unternehmensleitung gegenüber, sondern in der HV spielt die entscheidende Rolle die Unternehmensleitung der Obergesellschaft.

_____ 2182 U Rn 1346 ff. 2183 Näher zur Organschaft Beck’sches Handbuch der AG/Liebscher § 14 Rn 112a ff. 2184 BGHZ 141, 79 ordnet die gewerbesteuerliche Umlage zu Lasten einer Organgesellschaft, wenn der Organträger die erreichte steuerliche Entlastung nicht an die Organgesellschaft zurückgibt, als Nachteilszufügung iSv § 311 AktG ein mit der Konsequenz der Schadensersatzpflicht der Obergesellschaft nach § 317 AktG.

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Damit sind erneut die grundlegenden Rechtsfragen angesprochen, die das Konzernrecht bestimmen2185: Zentrales Anliegen dieses Regelungskomplexes ist die Abwehr der konzernspezifischen Gefahren, die aus der Abweichung vom gesetzlichen Leitbild der „Einzel-AG“ resultieren. Die Gefahren bestehen für die Gläubiger und für die Minderheitsgesellschafter der abhängigen Gesellschaft. Ihnen droht eine Einflussnahme auf „ihre“ Gesellschaft im Sinne gesellschaftsfremder Interessen 2186. Die Beachtung dieses Interessenkonflikts ist maßgeblich schon für die Aus1303 legung der Begrifflichkeit der verbundenen Unternehmen in §§ 15 ff AktG. Für die Einordnung als herrschendes Unternehmen sind beide Merkmale zu prüfen: die Unternehmensnatur und die Eigenschaft als herrschendes Unternehmen. Was die Herrschaftsbeziehung betrifft, hat der BGH Im Beton- und Monierbau-Urteil herausgearbeitet, dass es sich um eine gesellschaftsrechtlich vermittelte Herrschaft handeln muss, für das Recht der Unternehmensverbindungen eine wirtschaftliche Abhängigkeit also nicht ausreicht2187. Gesellschaftsrechtlich vermittelte Herrschaft allein reicht aber nicht, sonst wäre jeder Mehrheitsgesellschafter herrschendes Unternehmen. Notwendig ist vielmehr, dass an einer Gesellschaft eine andere Organisationseinheit mit eigenen, von denen der Gesellschaft verschiedenen unternehmerischen Interessen beteiligt ist, so dass die Gefahr besteht, dass diese Einheit die Geschicke des anderen Unternehmens im Sinne der eigenen Interessen nachteilig dirigiert. So hat der BGH in der VEBA/Gelsenberg-Entscheidung2188 festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland herrschendes Unternehmen iS des Konzernbegriffs des § 18 AktG über die beklagte Gelsenberg-AG war2189. Die Stellung maß ihr der BGH zu aufgrund der Beteiligung der Bundesrepublik an der an Gelsenberg herrschend beteiligten VEBA. Unternehmen iS der Unternehmensverbindung war die Bun1302

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2185 Wichtig ist die Erörterung übergreifender Fragen zu den Interessenspannungen im Konzern: S etwa Altmeppen, Die Haftung des Managers im Konzern, 1998. Zu den Problemen des Konzernrechts, die hier nicht näher behandelt werden können, zählt der Bereich der praktisch sehr bedeutsamen grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen. Vgl hierzu die Einführung von Altmeppen in MüKo-AktG 3. Aufl 2007 ff, Einl §§ 291 ff Rn 35 ff m weiterf N. 2186 Zu Interessenkonflikten im Konzern Altmeppen, ZHR 171 (2007), 320. 2187 U Rn 1333 f. 2188 BGHZ 69, 334 (VEBA/Gelsenberg). Folgerung: Den Minderheitsaktionären von Gelsenberg musste die Bundesrepublik bei der Eingliederung in die VEBA gemäß Aktienrecht a.F. (jetzt § 320b I 3 AktG) nach deren Wahl eine Barabfindung zahlen. 2189 Im Fall Dritter Börsengang führte das zur Haftung der Bundesrepublik für den Börsengang mit ihren Anteilen an der Telekom unter Übernahme des Haftungsrisikos durch Telekom, BGHZ – Dritter Börsengang – 190, 7, Tz 30. Zu einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen einer öffentlich-rechtlichen Anstalt und einer GmbH Konrad Adenauer, NZG 2018, 164.

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desrepublik nach der damaligen Entscheidung deshalb, weil sie zahlreiche Beteiligungsunternehmen hielt und so die Gefahr begründet sei, dass sie das beherrschte Unternehmen für fremde und übergeordnete Ziele einspanne. Für herrschend beteiligt an der über Gelsenberg herrschenden VEBA hielt der BGH die Bundesrepublik ungeachtet ihrer Beteiligung mit nur 43,7% im Hinblick auf die gewöhnliche HV-Präsenz der Aktionäre2190. Im Unterschied zur VEBA/ Gelsenberg-Entscheidung ist der BGH in einer späteren Entscheidung für die öffentliche Hand davon ausgegangen, dass für sie die Stellung als herrschende Gesellschafterin in einer Gesellschaft ausreiche, also für ihre Einordnung in den Unternehmensbegriff nicht die Betätigung in mehreren wirtschaftlichen Unternehmen mit konfligierenden Interessen hinzukommen müsse2191. Weiter können Familienbeziehungen zur Unternehmensverbindung mit 1304 Herrschaft und Abhängigkeit führen. Sind zwei Familienstämme an mehreren Gesellschaften paritätisch beteiligt und haben diese Gesellschaften zusammen die Mehrheit in einer anderen Gesellschaft, so sind die Gesellschaften herrschende Unternehmen (Mehrmütter), weil die Familienstämme in den mehreren Gesellschaften nicht in derselben Angelegenheit unterschiedlich abstimmen werden2192. Der Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH kann trotz Minderheitsbeteiligung im Verhältnis zu der GmbH herrschender Gesellschafter sein, wenn er neben Familienmitgliedern beteiligt ist und mit diesen zusammen eine in der Vergangenheit festzustellende Einheit mit ihm als Mehrheitsführer bildet. Herrschendes Unternehmen ist er sodann, wenn er Mehrheitsgesellschafter einer weiteren Gesellschaft ist, die ihrerseits an einem Konkurrenzunternehmen der GmbH beteiligt ist und dort zusammen mit den Söhnen des Gesellschafters die Mehrheit inne hat2193. Auch im berühmten Autokran-Urteil2194 hat der BGH eine natürliche Person als herrschendes Unternehmen angesehen,

_____ 2190 Die gewöhnliche HV-Präsenz ist kein Argument für die Herrschaft von Banken aufgrund des Depotstimmrechts. Dieses ist auftrags- und weisungsgebunden und kann gekündigt werden. 2191 BGHZ 135, 107: Niedersachsen ein Unternehmen aufgrund der Beteiligung an VW und darüber hinaus herrschend, weil trotz Minderheitsbeteiligung in der HV von VW durchgehend die Mehrheit gestellt wurde. Folgerung: VW hatte nach § 312 AktG einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen. 2192 BGHZ 62, 193. (Seitz). Folgerung: Abhängigkeitsbericht iSv § 312 AktG erforderlich, ohne einen solchen Entlastung des Vorstands rechtswidrig. 2193 BGHZ 80, 69 (Süssen). Folgerung, wenn Familiengesellschafter als Interessenverbund festgestellt: Abstimmung iS der Befreiung vom Wettbewerbsverbot missbräuchlich und rechtswdrig, wenn sie in die Abhängigkeit führt. 2194 BGHZ 95, 330. Vom multiplen Mehrheitsbesitz spricht der BGH in der Entscheidung NJW 1997, 943, 944.

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weil der Gesellschafter auch noch mehrheitlich an anderen Gesellschaften mit Tätigkeitskreisen beteiligt war, die der ersten Gesellschaft zumindest nahe standen. Der BGH spricht insofern vom „multiplen Mehrheitsbesitz“, der die Unternehmenseigenschaft des an mehreren Gesellschaften beteiligten Gesellschafters begründe.

2. Aktienrechtlicher Konzern a. Vertragskonzern (1) Zustandekommen, Änderung und Beendigung des Beherrschungsvertrags 1305 Für den Abschluss eines Beherrschungsvertrags gilt zunächst § 293 I 2 AktG2195. Danach wird der Vertrag zwar von den Vorständen vorbereitet und geschlossen, aber es gelten Zustimmungserfordernisse: Zunächst einmal muss die HV der sich der Herrschaft unterwerfenden Gesellschaft mit einer Mehrheit von 3/ des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals zustimmen2196. Sodann gilt 4 ein weiteres Zustimmungserfordernis bei einem Beherrschungsvertrag mit einer AG oder einer KGaA als herrschender Gesellschaft: Dieser bedarf auch der Zustimmung der HV dieser Gesellschaft (§ 293 II AktG) 2197. Beide Zustimmungskompetenzen erklären sich vor allem aus der Nähe der Konzernierung zu den Tatbeständen der Verschmelzung. Der Abschluss von Unternehmensverträgen

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2195 Geregelt ist in § 293 generell der Abschluss von Unternehmensverträgen, nicht nur von Beherrschungsverträgen. Das LG München I hat in seiner Entscheidung vom 31.1.2008 ZIP 2008, 555 (dazu Goslar, DB 2008, 800) neben der auf Anfechtungsklage ausgesprochenen Nichtigkeit des HV-Beschlusses über die Zustimmung zu Anteilsveräußerungsverträgen zwischen der Hypovereinsbank und dem italienischen Unicredito auch die Feststellungsklage für begründet erklärt, die darauf gerichtet war festzustellen, dass der den Anteilsveräußerungsverträgen zugrunde liegende Vertrag (Business Combination Agreement) als verdeckter Beherrschungsvertrag der Zustimmung der HV der HVB nach § 291, 293 I AktG bedurft habe. Auch der Squeeze-out der Minderheitsaktionäre durch Unicredito war angefochten, LG München I vom 24.4.2008 NZG 2008, 637 hat den Beschluss für wirksam erklärt. Das OLG München hat die Argumentation des LG mit dem verdeckten Beherrschungsvertrag abgelehnt und folglich die Anwendung des Spruchverfahrens nach dem SpruchG, WM 2008, 1932. – Zur Qualifizierung eines Kooperationsrahmenvertrags als (verdeckten) Beherrschungsvertrags OLG Schlewig DB 2008, 2076. 2196 Zu den Folgen der Unwirksamkeit des Beschlusses der HV für die Wirksamkeit eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags OLG Zweibrücken ZIP 2004, 559. Bei Unwirksamkeit des Vertrages keine Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, OLG Schleswig, vorst Fn. 2197 Was das Gesetz mit der Zustimmung „der“ HV, was es mit der Zustimmung der „anderen“ HV oder der HV des „anderen“ Vertragsteils meint, folgt aus der Definition der Unternehmensverträge in §§ 291 f AktG.

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wurde vom Gesetzgeber als Vorstufe oder möglicher Ersatz einer Fusion – über welche zwingend die beteiligten HV zu befinden haben – verstanden2198. Um eine „Aushebelung“ der jeweiligen HV-Kompetenz in den beteiligten Gesellschaften bei der Fusion durch die Erzielung eines wirtschaftlich ähnlichen Ergebnisses auf dem Vertragswege – für den vorbehaltlich des möglichen Erfordernisses der Zustimmung des Aufsichtsrats der Vorstand zuständig ist – zu unterbinden, wurden die HV-Kompetenzen auf das Recht der Unternehmensverbindungen ausgedehnt2199. Der Abschluss eines Konzernvertrags ist zwar eine Strukturveränderung des 1306 beherrschten Unternehmens, aber keine Änderung der Satzung des unterworfenen Unternehmens. Daraus folgert § 293 I 4 AktG: „Auf den Beschluss (sc der HV der sich unterwerfenden Gesellschaft) sind die Bestimmungen des Gesetzes und der Satzung über die Satzungsänderungen nicht anzuwenden“. Hier schon ist zu vermerken, dass der BGH ungeachtet dessen für den Beherrschungsvertrag mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft die Vorschriften des GmbHG über die Satzungsänderung (§§ 53 f GmbHG) anwendet2200. Nach § 293 III AktG bedarf der Vertrag der Schriftform (§ 126 BGB), § 293a 1307 AktG verlangt einen Bericht der Vorstände von am Vertragsschluss beteiligten AG und KGaA, insbesondere – entsprechend dem Verschmelzungsbericht gemäß § 8 UmwG – über den Ausgleich bzw die Abfindung für außenstehenden Aktionäre der unterworfenen Gesellschaft nach §§ 304, 305 AktG. Die §§ 293b ff AktG ordnen eine besondere Vertragsprüfung an. In §§ 293f und g sieht das Gesetz Pflichten für die Beschlussfassungen der HV vor. Das Bestehen und die Art des Unternehmensvertrags sind zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, § 294 I AktG. Erst mit Eintragung wird er wirksam (§ 294 II AktG). Für die Änderung des Beherrschungsvertrags gilt nach § 295 iVm §§ 293 f AktG das Ent- 1308 sprechende wie für den Abschluss. Bei Verträgen mit Ausgleichsregelung (für Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge zwingend – s § 304 AktG –) ist allerdings ein Sonderbeschluss der außenstehenden Aktionäre (mit mindestens ¾ Mehrheit) erforderlich (§ 295 II AktG). Die Parallele zum Vertragsabschluss gilt nicht für die Aufhebung und Kündigung von Unternehmensverträgen. Das Gesetz sieht sie, wenn nicht im Vertrag Ausgleichsleistungen für außenstehende Aktionäre vorgesehen sind, als eine Angelegen-

_____ 2198 S die amtliche Begründung zu §§ 253–256 AktG 1937 bei Klausing, Aktiengesetz, 1937, S 219 f. Dementsprechend unterliegt der Abschluss eines Beherrschungsvertrags der kartellrechtlichen Zusammenschlusskontrolle (§ 37 I Nr 2 GWB, Art 3 I 1b, III FKVO). 2199 Zur Deutung der HV-Kompetenzen im Recht der Unternehmensverbindungen Brauer Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer AG 2005 S 192 ff. 2200 S u Rn 1349.

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heit der Geschäftsführung an, bezieht die HV hier also nicht ein (§§ 296, 297 AktG)2201. Im Fall der Bestimmung von Ausgleichsleistungen bedürfen auch Aufhebung und Kündigung der Zustimmung der außenstehenden Aktionäre. Die Beendigung ist wie der Abschluss nach § 298 AktG und die Änderung nach §§ 295 I 2, 294 AktG zur – konstitutiven – Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Ein Sonderfall der Beendigung ist der Fall, dass eine 100%ige Tochtergesellschaft außenstehende Aktionäre erhält (§ 307 AktG).

(2) Statusänderung, Rechte und Pflichten 1309 Der Abschluss des Beherrschungsvertrags verändert den Status der abhängigen Gesellschaft. Es wird jetzt unwiderleglich vermutet, dass die unterworfene Gesellschaft abhängig ist und die Unternehmensverbindung einen Konzern darstellt (§ 18 I 2 AktG). Das herrschende Unternehmen hat aufgrund des Vertrages die grundsätzlich umfassende Leitungsmacht. Nach § 308 I, II 1 AktG hat es das Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand der abhängigen Gesellschaft2202. Es darf die Unternehmensziele und –strategien bestimmen, dabei – allerdings vorbehaltlich der Regelung des Beherrschungsvertrags – auch nachteilige Weisungen erteilen, sofern diese den Belangen des herrschenden Unternehmens oder eines mit diesem und der (abhängigen) Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmens dienen (§ 308 I 2 AktG). Das Recht, die Befolgung einer Weisung zu verweigern, hat der Vorstand der abhängigen Gesellschaft aber nur bei offensichtlich nicht den Belangen der herrschenden oder einer verbundenen Gesellschaft dienenden Weisung (§ 308 II 2 AktG). Sogar über die Vermögensbindung bei der abhängigen Gesellschaft kann eine Weisung sich hinwegsetzen: Nach §§ 57 I 3, 291 III gilt die Vorschrift des § 57 I 1 AktG über die Vermögensbindung für Leistungen „der“ (dh der beherrschten) Gesellschaft bei Bestehen eines Beherrschungs- (oder Gewinnabführungs)vertrages nicht. Dadurch wird das gemeinschaftliche, zentral gesteuerte Wirtschaften im Konzern möglich. Mit der Ausstattung der Obergesellschaft mit Leitungsmacht korrespondie1310 ren zum einen die Sicherung des Vermögens der abhängigen Gesellschaft durch Ausweitung der gesetzlichen Rücklage (§ 300 AktG), die Begrenzung der Gewinnabführung (§ 301) und die Verlustübernahme durch die Obergesellschaft (§ 302) und zum anderen die Verantwortlichkeit der Obergesellschaft,

_____ 2201 Näher KK/Koppensteiner, 3. Aufl, § 296 Rn 1 ff, 4; Emmerich/Habersack Konzernrecht § 19 II 2 S 248 f, § 19 II 2 S 253 f. Zum Fortbestehen bzw zur Beendigung von Unternehmensverträgen in der Insolvenz s Dorothee Berthold Unternehmensverträge in der Insolvenz 2004 passim. Zum Problem der Doppelinsolvenz Jacoby, ZIP 2018, 505. 2202 Nicht gegenüber dem Aufsichtsrat oder der HV (also kein Recht zur Anweisung einer Satzungsänderung). Bei Weisungen zu der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürftigen Geschäften regelt § 308 III AktG die Überwindung der Verweigerung der Zustimmung.

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ihrer gesetzlichen Vertreter und der Vertreter der abhängigen Gesellschaft im Verhältnis zur abhängigen Gesellschaft (§§ 308–310 AktG). Daneben sorgt das Gesetz für die Sicherung der Gläubiger der Gesellschaft bei Beendigung des Vertrages (§ 303) und für einen Ausgleich zugunsten der außenstehenden Aktionäre2203. Durch die Regelung der Verantwortlichkeit der herrschenden Gesell- 1311 schaft bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags werden, gleichsam präventiv, der Umfang des Weisungsrechts der herrschenden Gesellschaft begrenzt (§ 308 AktG)2204 und seine Grenzen durch eine spezielle Organhaftung abgesichert, und zwar sowohl der Verwaltungsorgane der Ober- (§ 309 AktG) als auch derjenigen der Untergesellschaft (§ 310 AktG). Die Haftung der Obergesellschaft selbst folgt aus allgemeinen Grundsätzen, sei es aus Verletzung der Pflichten aus dem Beherrschungsvertrag (§ 280 I iVm § 278 BGB), sei es aus der Anwendung des § 31 BGB2205. Im Rahmen dieser Verantwortlichkeit soll das Vermögen der abhängigen 1312 Gesellschaft vor Nachteilen gesichert werden, die innerhalb der Grenzen des Weisungsrechts zugefügt werden2206. Die gesetzliche Rücklage wird ergänzt, § 300 AktG, die Gewinnabführung beschränkt, § 301 AktG. Das bilanzmäßige „Anfangsvermögen“ der Untergesellschaft im Zeitpunkt des Vertragsbeginns wird für die Dauer des Vertrags gesichert durch eine Verlustausgleichs- und Verlustübernahmepflicht des herrschenden Unternehmens, § 3022207. Der Umfang dieser Sicherungen erklärt sich bei richtigem Verständnis wieder aus der 1313 Nähe der Unternehmensverbindung durch einen Beherrschungsvertrag zum Tatbestand der Fusion2208. Das Gesetz versteht die Untergesellschaft als derart eng mit der Obergesell-

_____ 2203 Die Ausgleichspflicht besteht auch bei Gewinnabführungsverträgen, ebenfalls als Ausgleich für den Verlust der wirtschaftlichen Selbstständigkeit. S außerdem § 302 II AktG zu Betriebspacht und Betriebsüberlassungsverträgen. 2204 Schranken des Weisungsrechts können sich – außer aus § 308 I 2 – ergeben aus dem Beherrschungsvertrag, aus der Satzung der beherrschten Gesellschaft sowie aus den allgemeinen Vorschriften (§§ 134, 138 BGB). Insbes ist das Weisungsrecht auf die Geschäftsführung der Untergesellschaft zugeschnitten, so dass auch nur Weisungen verbindlich erteilt werden können, die denjenigen Bereich betreffen, der in die Zuständigkeit der Geschäftsführung fällt (Emmerich/Habersack Konzernrecht, 2013, § 23 V 4 a S 348). 2205 KK/Koppensteiner, 3. Aufl, § 309 Rn 37. 2206 § 309 IV AktG ist insoweit analog anzuwenden. 2207 Umstritten ist, wie sich die Absicherung der Untergesellschaft durch die Verlustausgleichs- und -übernahmepflichten zur Sicherung durch die Haftung nach §§ 309, 310 AktG verhält. Zum Verhältnis dieser Regelungskomplexe näher MüKo-AktG/Altmeppen § 309 Rn 78 ff (dort auch zu weiteren Fragen der Schadensberechnung). 2208 Dazu schon oben Rn 1305.

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schaft verbunden, dass es die vollständige Übernahme von Verlusten anordnet. Das geht über die Pflicht zur Übernahme „beherrschungsbedingter“ Nachteile2209 oder von Nachteilen aus der Aufhebung der Kapitalbindung (§ 291 III) zugunsten der herrschenden Gesellschaft weit hinaus 2210 und lässt sich (allein) daraus folglich nicht erklären. Erfasst werden nämlich auch die von der Obergesellschaft gar nicht verursachten, möglicherweise marktbedingten Verluste in der beherrschten Gesellschaft. Die Obergesellschaft kann aber gegen den Verlustausgleichsanspruch der Untergesellschaft aufrechnen, wenn ihre Gegenforderung werthaltig ist (Beweislast dafür bei ihr), Vorausleistungen und Leistungen an Erfüllungs statt sind zulässig. Solche Leistungen können nicht als eigenkapitalersetzend aufgefasst werden2211.

1314 Den Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre2212, deren Unternehmen im

Konzerninteresse „ausgeplündert“ zu werden droht, gewährleisten die §§ 304, 305 AktG. Sie bezwecken vor dem Hintergrund des Art 14 I GG die volle Entschädigung dieser Aktionäre dafür, dass das Gesetz einem anderen die Möglichkeit zu so weitgehenden Beeinträchtigungen ihrer Rechtsposition einräumt2213. Nach § 304 AktG muss der Vertrag – nach Abs 1 S 1 ein Gewinnabführungsvertrag, nach Abs 1 S 2 ein Beherrschungsvertrag – für die außenstehenden Aktionäre den in Abs 2 näher bestimmten Ausgleich gewähren. Die Zahlungen treten an die Stelle der Gewinnausschüttungen in der Zeit vor der Unterwerfung. Bestimmt der Vertrag keinen Ausgleich, ist er nichtig (§ 304 III 1

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2209 In diesem Sinne die Deutung des Zwecks der Ausgleichspflichten durch die Regbegr zum AktG 1965, s bei Kropff, Textausgabe AktG 1965, S 391. 2210 S betr die Kapitalbindung BGH NJW 1988, 1326, Woodtli, Vermögensbindung und Geschäftsleitung im Vertragskonzern, 2010. 2211 BGH NJW 2006, 3279. 2212 „Außenstehend“ sind grundsätzlich sämtliche Aktionäre der Untergesellschaft, wenn sie nicht „wirtschaftlich identisch“ sind mit dem Vertragspartner, weil sie dann von den nachteiligen Folgen des Beherrschungsvertrags (die ausgeglichen werden sollen) nicht betroffen sind (s dazu schon die Regbegr zum AktG 1965, bei Kropff S 385). Eine solche Identität ist anzunehmen bei Aktionären (der Untergesellschaft), die an dem anderen Vertragsteil zu 100 % beteiligt sind oder an denen der andere Vertragsteil mit 100 % beteiligt ist, sowie bei Aktionären, die Teil eines Eingliederungskonzerns sind. Schließlich sind auch solche Aktionäre nicht außenstehend, die mit dem anderen Vertragsteil durch einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag verbunden sind. Zu den Einzelheiten – insbes zur Frage einer Ausdehnung der Ausgleichs- und Abfindungsansprüche auf sonstige „Stakeholder“ in der Untergesellschaft – MüKo-AktG/Bilda, 2007 ff, § 304 Rn 17 ff. Zur Notwendigkeit der Anpassung der Bedingungen für Genussscheine, die von der zuvor konzernfreien, jetzt unterworfenen Gesellschaft begeben worden sind, aufgrund des Abschlusses eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags BGHZ 197, 284. 2213 Grundlegend zum „Aktieneigentum“ BVerfGE 14, 263 ff (Feldmühle). Nach BVerfGE 100, 289 darf die Abfindung nach § 305 AktG nicht ohne Berücksichtigung des Börsenkurses festgesetzt werden.

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AktG); ist der Ausgleich nicht angemessen, hat ihn auf Antrag das in § 2 SpruchG2214 bestimmte Gericht zu bestimmen (§ 304 III 3 AktG). Nach § 305 I AktG muss der Vertrag darüber hinaus bestimmen, dass ein außenstehender Aktionär verlangen kann, im Wege der Übernahme seiner Aktien durch die herrschende Gesellschaft endgültig abgefunden zu werden. Nach § 305 II sind Gegenstand der Abfindung nach § 305 II Ziff 1 und 2 Aktien der herrschenden Gesellschaft oder der über diese herrschenden Gesellschaft, wenn diese Gesellschaften AG oder KGaA mit europäischem Sitz sind, andernfalls eine Barzahlung2215. Die Rechtsfolge des Fehlens einer Abfindungsregelung ist anders als die des Fehlens einer Ausgleichsregelung nicht die Nichtigkeit des Vertrages, sondern wie bei Unangemessenheit des Ausgleichs die Bestimmung durch das Gericht im Spruchverfahren (§ 305 V 2 AktG). Der BGH folgert, dass der Beherrschungsvertrag zwar seinem Wesen nach ein echter Vertrag zugunsten Dritter ist, aber mit Rechtshängigkeit des Spruchverfahrens an die Stelle der vertraglichen Regelung eine Abfindung kraft Gesetzes tritt, die auch gilt, wenn der Unternehmensvertrag während des Spruchverfahrens beendet wird2216. Für die Bestimmung des Ausgleichs nach § 304 wie der Abfindung nach 1315 § 305 AktG ist das Spruchverfahren nach dem SpruchG eingerichtet. Das hat seinen Grund in der außerordentlichen Schwierigkeit der Anwendung der Regelung: Hier sind ökonomische Methoden der Unternehmens- und der Anteilsbewertung anzuwenden, die rechtlich auf Logik, Widerspruchsfreiheit und Übereinstimmung mit dem Entschädigungstelos des Gesetzes zu überprüfen sind. Wichtig ist der Gesichtspunkt der Sicherheit von Praxis und Rechtsanwendung. Die Gerichte haben sich in die Schwierigkeit der Materie einzufinden und aus der ökonomischen Diskussion plausible und sichere Maßstäbe zu entwickeln2217. Gläubiger der abhängigen Gesellschaft werden bei Beendigung des 1316 Beherrschungsvertrags (oder Gewinnabführungsvertrags) abgesichert: § 303 AktG räumt Gläubigern, deren Forderungen vor Eintragung der Beendigung des Unternehmensvertrags in das Handelsregister begründet worden sind, einen

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2214 Zum SpruchG etwa Bungert/Mennicke, BB 2003, 2021. Nach BGHZ 167, 299 ist die Regelung verfassungsgemäß, auch was die Bindung des außenstehenden Aktionärs während des Spruchverfahrens dahin betrifft, dass er die Aktien jetzt nicht veräußern kann, ohne den Abfindungsanspruch zu verlieren. 2215 Zur Barabfingung bei nachfolgendem Squeeze-out, OLG Düsseldorf NZG 2017, 378. 2216 BGHZ 135, 374, 380 f. 2217 Übersicht über die schwierigen Fragen der Unternehmens- und Aktienbewertung bei Emmerich/Habersack Kom-KonzR, 2008, § 305 Rn 51 ff; Martens, AG 2003, 593, Tebben, AG 2003, 600, Raiser/Veil § 62 Rn 68 ff. Zu speziellen Ausgleichs- und Abfindungsproblemen in mehrstufigen Konzernverbindungen Emmerich/Habersack Konzernrecht, 2013, § 22 III S 313 ff.

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Anspruch auf Sicherheitsleistung (§§ 232 ff BGB) ein, wenn sie nicht in der in § 303 II bestimmten Weise anderweitig gesichert sind. Der Anspruch richtet sich gegen den „anderen Vertragsteil“, also das herrschende Unternehmen. Das Gesetz berücksichtigt, dass die bisher beherrschte Gesellschaft nach der Beendigung des Unternehmensvertrags nicht ohne Weiteres (wieder) voll allein lebensfähig sein kann. 1317

Die Rechtsprechung hat angenommen, analog § 322 AktG könne sich der Anspruch auf Sicherheitsleistung in einen Zahlungsanspruch „verwandeln“, wenn die andere Gesellschaft vermögenslos und damit der Anspruch auf Sicherheitsleistung sinnlos sei. Auf diese Rechtsprechung (betreffend vor allem den „qualifizierten faktischen Konzern“) ist bereits an anderer Stelle eingegangen worden2218.

(3) Fehlerhafter Beherrschungsvertrag 1318 Ist ein Beherrschungsvertrag fehlerhaft, aber trotzdem eingetragen und ist mit seiner Durchführung begonnen, finden – vorbehaltlich schwerwiegender Mängel – die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung2219.

b. Faktischer Konzern (1) Einordnung 1319 Die gesetzliche Gegenfigur zum Vertragskonzern ist nach der gesetzlichen Regelung nicht der faktische Konzern, sondern die faktische Herrschaft (Beherrschungsmacht) über eine faktisch abhängige Gesellschaft. Diese regeln die §§ 311–327 AktG. Die Herrschaft ist schon durch die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses begründet (§ 17 I 1 AktG). Bei Innehabung der Mehrheit der Anteile wird sie vermutet (§ 17 II AktG). Erst der Kernfall dieser faktischen Herrschaft und Abhängigkeit ist der faktische Konzern. Er ist durch die wirkliche Ausübung eines beherrschenden Einflusses durch einheitliche Leitung definiert (§ 18 I 1 AktG). Die einheitliche Leitung wird bei faktischer Abhängigkeit vermutet (§ 18 I 3 AktG). In Anbetracht der bloß faktischen Herrschaft und Abhängigkeit gibt es ein 1320 Weisungsrecht, wie es im Vertragskonzern besteht, beim faktischen Konzern nicht. Dass trotzdem, basierend auf der Innehabung der Mehrheitsanteile, eine „Herrschaft“ der Obergesellschaft begründet sein soll, mutet zunächst einmal merkwürdig an. Denn das Aktienrecht kennt keinen „permanenten“ Einfluss der

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2218 S oben Rn 534. 2219 S für den Vertrag mit einer GmbH BGHZ 103, 1, 4 f. Weitere Einzelheiten und N bei Raiser/ Veil § 62 Rn 30 ff.

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Aktionäre bzw der HV auf die Geschäftsführung durch den Vorstand. Die HV entscheidet nur in eng umgrenzten Fällen über Fragen der Geschäftsführung, §§ 119 II, 111 IV AktG. Ein „Weisungsrecht“ der Anteilseigner existiert gerade nicht. Die Vorschriften über den faktischen Konzern reagieren hier auf die Macht kraft Zusammenballung von Aktionärsrechten in einer Mehrheit von Aktien. Ein Mehrheitsgesellschafter kann regelmäßig deswegen Druck auf die Geschäftsleitung ausüben, weil er über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates bestimmen kann, der seinerseits über die Zusammensetzung des Vorstands befindet2220. Die Regelung der §§ 311 ff AktG betreffend faktische Beherrschung und Ab- 1321 hängigkeit wird so angesehen, als würde sie vorrangig Gefahren aus dem Unterstelltsein einer Gesellschaft unter fremden Einfluss abwehren. Dahin kann man einordnen die Vorschriften betreffs der Pflicht des Vorstands, über die Geschäftsbeziehungen zu verbundenen Unternehmen zu berichten und den Bericht dem Aufsichtsrat vorzulegen (Abhängigkeitsbericht, §§ 312, 314 I AktG)2221, und die Pflicht des Aufsichtsrats, den Bericht zu prüfen (§ 314 II, III, ergänzend zur Prüfung durch den Abschlussprüfer in Gesellschaften, bei denen die Abschlussprüfung erforderlich ist, § 313 AktG). Weiter die Verpflichtung der Obergesellschaft zum Ausgleich nachteiliger Maßnahmen (§ 311 AktG). Neben dieser Ausgleichspflicht scheint der Schutz der Untergesellschaft zu stehen, der dadurch begründet ist, dass der Obergesellschaft und ihren gesetzlichen Vertretern (§ 317 AktG) und zusätzlich nach Maßgabe des § 318 AktG den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrates der Untergesellschaft eine besondere Verantwortlichkeit auferlegt wird. Diese Sicht ist allerdings zu vordergründig und beachtet nicht den Zusam- 1322 menhang, in dem die Pflichtensysteme einander ergänzen: Genauer betrachtet, ordnet sich die Regelung der faktischen Beherrschung und Abhängigkeit in den Gedanken der negotiorum gestio ein2222. Die Einmischung in die Leitung der abhängigen Gesellschaft ist Geschäftsführung für diese, sie hat also iS einer ordentlichen Geschäftsführung etwaige Nachteile auszugleichen (§ 311 AktG) und führt bei Verletzung der Pflicht zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung zur Haftung (§§ 317, 318). Die Dokumentations- und Prüfungspflichten dienen der Rechenschaftslegung im Rahmen der Geschäftsführung mit der Folge von Ausgleichspflichten, wenn die Rechenschaft nicht lückenlos ist und damit, vorbehaltlich eines Gegenbeweises, Nachteile auf Verstöße gegen die Pflicht zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung zurückzuführen sind.

_____ 2220 S dazu oben Rn 1022, 1109. 2221 Zwangsgeldsanktion nach § 407 I AktG. Entlastung ohne ordnungsgemäßen Abhängigkeitsbericht ist anfechtbar. 2222 Altmeppen, FS Priester 2007, 1. S schon Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S 349 ff.

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Das dogmatische Verständnis der Regelung der Verantwortlichkeit im faktischen Konzern (§§ 311ff AktG) ist freilich hoch umstritten2223. K. Schmidt hat der Regelung entnommen, dass eine faktische Konzernherrschaft unter den Voraussetzungen des § 311 AktG (Nachteilsausgleich spätestens am Ende des Geschäftsjahrs) legitimiert wird. Dieser Einordnung der §§ 311 ff AktG ist zu widersprechen2224. Ist der Konzern oder ist eine Abhängigkeit faktisch, so gibt es keine Grundlage für eine rechtliche Unterwerfung. Es wäre Willkür, wollte der Gesetzgeber eine solche durch gesetzliche Legitimation ersetzen. Die gesetzliche Regelung ist vielmehr daraus zu verstehen und zu interpretieren, dass die abhängige der herrschenden Gesellschaft rechtlich gleichberechtigt gegenübersteht. Die nachteilige Weisung der Konzernspitze ist auch bei Ausgleich nicht rechtmäßig, sofern sie sich nicht als solche oder durch den Ausgleich einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung im Verbund unter gleichberechtigter Berücksichtigung der Interessen der abhängigen Gesellschaft in diesem Verbund einfügt. Die heiß diskutierte Figur des qualifizierten faktischen Konzerns darf nicht, wie aber vielfach geschehen ist und geschieht, zur utopischen Bemühung um eine eigenständige Figur des „Qualifak“ führen. Es geht vielmehr um die einzelfallgerechte Anwendung der Verantwortlichkeit bei Geschäftsführung im Rahmen faktischer Beherrschung und Abhängigkeit2225.

(2) Leitungsmacht und Verantwortlichkeit bei faktischer Herrschaft 1324 Das Schutzsystem der §§ 311 ff AktG unterscheidet sich von der oben behandelten Regelung zum Vertragskonzern fundamental. Der Beherrschungsvertrag versetzt die abhängige Gesellschaft in einen anderen Rechtsstatus. Aus diesem folgen die Rechte und Pflichten bei vertraglicher Abhängigkeit als generelle Statusrechte und -pflichten. Die Begründung einer bloß faktischen Abhängigkeit kann eine solche Änderung des Rechtsstatus nicht bedeuten. Der Schutz der abhängigen Gesellschaft folgt hier iS eines „Einzelausgleichs“ je nachteiliger Maßnahme im Verhältnis zur benachteiligten Gesellschaft. Ein Ausgleich für „außenstehende“ Aktionäre, der aufgrund einer Statusänderung geboten ist, scheidet hier aus. Gleiches gilt für die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft. Aktionäre wie Gläubiger werden durch die Regelung des Ausgleichs und zum anderen der Verantwortlichkeit gegenüber der abhängigen Gesellschaft geschützt.

_____ 2223 K. Schmidt § 31 IV 2 b S 959 f. 2224 Wilhelm Rechtsform und Haftung S 221 ff. 2225 S Flume, I 2 S 122 f. Unrichtig, weil zu pauschal, führt OLG Hamm NJW 1987, 1030 Flume für Unzulässigkeit des qualifizierten faktischen Konzerns an.

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§ 311 I AktG sagt zunächst einmal unmissverständlich: Das herrschende Un- 1325 ternehmen darf das abhängige nicht benachteiligen2226. Die Regelung des Nachteilsausgleichs ist aus der Situation des faktischen Konzerns oder der faktischen Herrschaft heraus zu verstehen, in der zwei grundsätzlich gleichberechtigte Personen kooperieren. Sind die Personen aber gleichberechtigt, ist die Kooperation zwischen ihnen als Rechtsverhältnis der Gemeinschaft von gleichberechtigten Personen zu verstehen. Im faktischen Konzern sind herrschende und abhängige Person lediglich unter einheitlicher Leitung zusammengefasst. Als Rechtsverhältnis verstanden, ist der faktische Konzern damit eine besonders ausgestaltete bürgerlichrechtliche Innengesellschaft: Gemeinsamer Zweck dieser Innengesellschaft ist die unternehmerische Betätigung unter einer einheitlichen Leitung. Zur Förderung der Gewinnerzielung jeder einzelnen Gesellschaft iR der Gesamtgewinnerzielung im Unternehmensverbund ist die Unternehmensführung koordiniert. Der faktische Konzern ist eine Verwaltungsgemeinschaft. Wie sich bei ausgeübter einheitlicher Leitung (dh im Konzern) die Leitung als ordnungsgemäße Geschäftsführung einer Verwaltungsgemeinschaft zu legitimieren hat, muss, wenn kein Konzern besteht und nur kraft Beherrschungsmöglichkeit in Einzelfällen auf die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft eingewirkt wird, die Einwirkung als Einzelmaßnahme iS ordnungsgemäßer Geschäftsführung gerechtfertigt werden2227. § 311 AktG zieht die Konsequenz aus der Geschäftsführung im faktischen 1326 Konzern oder bei faktischer Abhängigkeit. In dieses Geschäftsführungsverhältnis ist auch der in § 311 I aE vorbehaltene Nachteilsausgleich einzuordnen2228. Die angewiesenen Geschäfte und Maßnahmen müssen unter dem Gesichts-

_____ 2226 Beispiele für Benachteiligung BGHZ 141, 79 (Schsadensersatzpflicht der Obergesellschaft nach § 317 AktG, wenn sie die von ihr der Tochtergesellschaft auferlegte Gewerbesteuerumlage nicht anteilig erstattet, obwohl sie aufgrund der gewerbesteuerlichen Organschaft mit der Tochter eine Steuerminderung erfahren hat); BGHZ 190, 7 ff – Dritter Börsengang – (Schadensersatzpflicht des herrschenden Unternehmens, im Fall der Bundesrepublik, wenn es die Platzierung der Altaktien an der Tochter (Telekom-AG) unter Übernahme des Prospekthaftungsrirsikos durch die Tochter veranlasst). 2227 S schon Buchwald in den Reformarbeiten zum Entwurf AktG 1930 vor dem AktG 1937, Verhandlungen und Berichte des Unterausschusses für allgemeine Wirtschaftsstruktur 1928. Dazu Wilhelm Rechtsform und Haftung S 114 f. In der Arbeit am AktG 1965 hat den Abhängigkeitsbericht entscheidend Flume verfochten, Der Referentenentwurf eines Aktiengesetzes S 25 f. 2228 Nicht zu folgen deshalb Tillmann/Rieckhoff, AG 2008, 486, die entgegen der überwiegenden Ansicht im Fall einer vom herrschenden Gesellschafter betriebenen Abspaltung die Regelung der Abspaltung durch das UmwG als § 311 AktG verdrängende Spezialregelung einordnen. Sofern trotz der Regelung des UmwG für die abhängige Gesellschaft Nachteile verbleiben, müssen diese am Maßstab der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers gerechtfertigt sein.

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punkt sorgfältiger Geschäftsführung ausgeglichen werden2229. Der Ausgleich kann zunächst durch Einzelkompensation erreicht werden. Ist diese wegen der strukturellen Eigenart der Leitungsmaßnahmen nicht möglich, spricht man von „qualifizierter Nachteilszufügung“ 2230 . Ausgleichend könnte hier der Abschluss eines Beherrschungsvertrages oder eine Eingliederung sein. Man kann sich einen Nachteilsausgleich aber auch ohne diese Statusveränderungen vorstellen, nämlich in der Weise, dass die leitende Gesellschaft die Geschäfte auf eigene Rechnung nimmt und der abhängigen Gesellschaft eine angemessene Vergütung oder angemessene Vorteile für den Einsatz im Interesse der leitenden Gesellschaft zukommen lässt. Richtet die Leitung die Gesamtstrategie der abhängigen Gesellschaft auf den Verbund aus, so kann der Ausgleich durch Beteiligung am Gesamtgewinn des Konzerns geleistet werden (Gewinnbeteiligung oder Gewinnausgleich nach dem Maßstab des Verhältnisses des inneren Werts der Unternehmen). Am Ende des Konzernverhältnisses ist ein möglicher Substanzverlust bei der abhängigen Gesellschaft auszugleichen. Der Abhängigkeitsbericht nach § 312 AktG ist nach dem Sinn des § 311 1327 AktG Rechenschaftslegung iS der Rechenschaftslegung einer ordentlichen Geschäftsführung (§§ 713, 666 BGB). Nach § 312 I 1, 2 AktG ist die Rechenschaft nach einem Geschäftsjahr zu legen. Die Rechenschaftslegung obliegt dem Vorstand der abhängigen Gesellschaft, weil dieser aufgrund seiner Mitwirkung an der Gesamtgeschäftsführung auch insgesamt Rechenschaft zu legen hat. Nach § 317 AktG sind das herrschende Unternehmen (§ 317 I AktG) und 1328 seine gesetzlichen Vertreter (§ 317 III AktG) der abhängigen Gesellschaft verantwortlich. Die Verantwortlichkeit greift ein, wenn für bestimmte vom herrschenden Unternehmen veranlasste Maßnahmen nicht dargetan werden kann, dass sie für die abhängige Gesellschaft förderlich bzw dass sie durch den Nachteilsausgleich neutralisiert sind. § 317 begründet die Verantwortlichkeit wegen der Verletzung der Pflicht zu ordentlicher Geschäftsführung2231. Daraus erklärt sich der Sinn von § 317 I und II AktG: Wörtlich genommen, sind sie ohne Sinn. Wenn Abs 1 zum Schadensersatz wegen nachteiliger und im Nachteil nicht ausgeglichener Geschäfte verpflichtet, kann es keine Entlastung mit der Begründung geben, dass auch ein ordnungsgemäß handelnder Geschäftsführer

_____ 2229 Als Verletzung der ordnungsgemäßen Geschäftsführung hat das OLG Jena die Vergabe ungesicherter Darlehen an das herrschende Unternehmen angesehen AG 2007, 785, der II. Zivilsenat hat demgegenüber in BGHZ 179, 71 das Kriterium der Vollwertigkeit aus § 57 III 1 AktG angewandt. 2230 LG Köln AG 2008, 327, 334 mN. 2231 Wilhelm Rechtsform und Haftung S 349 ff. Klar abgrenzend gegenüber anderen Deutungsversuchen Altmeppen, NJW 2008, 1553.

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einer unabhängigen Gesellschaft diese Maßnahme getroffen hätte. Nachteilige Geschäfte sind nicht ordnungsgemäß. Erst wenn § 311 in die Pflicht zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung eingeordnet wird, werden die Abs 1 und 2 sinnvoll. Abs 1 meint mit „Benachteiligen“ bzw den „Nachteil nicht ausgleichen“ eine nicht ordnungsgemäße Geschäftsführung. Er begründet mithin die Ersatzpflicht bei Verletzung der Pflicht zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung. § 317 II AktG enthält dann nur noch die § 93 II 2 AktG entsprechende Umkehr der Beweislast. Ist durch Veranlassung seitens der herrschenden Gesellschaft ein Schaden bei der abhängigen Gesellschaft entstanden, tragen das (geschäftsführende) herrschende Unternehmen (und seine gesetzlichen Vertreter) die Beweislast dafür, dass die Veranlassung der Maßnahme einer ordentlichen Geschäftsführung für die abhängige Gesellschaft entsprach2232. Die Beweislast des herrschenden Unternehmens und seiner Vertreter ist das Pendant zur Rechenschaftspflicht und hebt die Rechenschaftspflicht nochmals hervor (jetzt iS der Rechenschaft auf der Seite des herrschenden Unternehmens). Wenn der Konzern als BGB-Gesellschaft und §§ 311, 317 AktG in die Pflicht 1329 zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung einzuordnen sind, so tritt im Konzern zu der Haftung wegen bestimmter Maßnahmen die Haftung wegen Unterlassung bestimmter Maßnahmen hinzu. Bei bloßer faktischer Abhängigkeit (statt faktischer Konzernierung als Ausübung einer – permanenten – Geschäftsführungsgewalt) kommt es demgegenüber auf die Geschäftsführung bei einer Einzelmaßnahme an. Neben dem herrschenden Unternehmen und seinen Vertretern haften die 1330 Organe der abhängigen Gesellschaft bei ungenügender Dokumentation und Prüfung der nachteiligen Rechtsgeschäfte im Abhängigkeitsbericht (§ 318 I, II AktG)2233. Es bleibt also bei ihrer Verantwortlichkeit nach §§ 93, 116 AktG, die nur, was das Verhältnis zur herrschenden Gesellschaft betrifft, durch die Regeln zum Nachteilsausgleich modifiziert sind. Wenn die Organe dem Einfluss nachgeben (sie müssen es nicht), so dürfen sie das nur tun unter Einhaltung jener Regeln. Die Vorschriften des § 309 III-V AktG über die Verantwortlichkeit im Ver- 1331 tragskonzern (Einschränkung des Verzichts oder Vergleichs, Verjährung, Gel-

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2232 Anwendungsfall der Inanspruchnahme des herrschenden Gesellschafters nach §§ 311, 317 AktG (mit §§ 317 IV, 309 IV AktG) der Streit von Aktionären der Telekom mit der Bundesrepublik wegen des Preises, für den die Telekom die UMTS-Lizenz in der von der Bundesrepublik als ihrem herrschenden Gesellschafter veranstalteten Versteigerung ersteigert hatte (BGH NJW 2008, 1583 mit Besprechung Altmeppen, NJW 2008, 1553; Fleischer, NZG 2008, 371). Nach Ansicht des BGH jedenfalls kein Verschulden der Bundesrepublik. Von der gesellschaftsrechtlichen Haftung ist die Möglichkeit einer kartellrechtlichen Haftung wegen Monopolmissbrauchs zu unterscheiden (dazu Altmeppen aaO). 2233 Beispiel zur Haftung des Aufsichtsrats OLG Jena AG 2007, 785.

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tendmachung durch Aktionäre oder Gläubiger) gelten sowohl für die Haftung der herrschenden Gesellschaft und ihrer gesetzlichen Vertreter wie für die der Organe der abhängigen Gesellschaft sinngemäß (§§ 317 IV, 318 IV AktG). Schon aufgrund der Stellung als abhängige Gesellschaft (bilanzrechtlicher 1332 Konzernbegriff, § 290 I, II HGB) ist das Tochterunternehmen nach § 294 III HGB verpflichtet, dem herrschenden Unternehmen die nötigen Unterlagen zur Aufstellung eines Konzernabschlusses zur Verfügung zu stellen.

(3) Gesellschaftsrechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit Die Verantwortlichkeit kraft Geschäftsführung im Konzern oder bei faktischer 1333 Abhängigkeit ist eine Verantwortlichkeit iR einer gesellschaftsrechtlich begründeten Kooperation. Mit Recht hat der BGH festgestellt, dass für einen beherrschenden Einfluss iSv § 17 AktG eine rein wirtschaftliche Abhängigkeit, die durch Austauschbeziehungen, zB einen Kreditvertrag, begründet sein kann, nicht ausreicht2234. Durch sie könne sich lediglich ein ohnehin schon bestehender gesellschaftsinterner Einfluss zu einem beherrschenden Einfluss verstärken. Der BGH begründet seine Feststellung damit, dass § 17 und die daran anknüpfenden Vorschriften spezifisch aktienrechtliche Regelungen sind. Die Einbeziehung nicht gesellschaftlicher Einflüsse in die aktienrechtlichen Vorschriften über verbundene Unternehmen würde bei der Vielzahl und Vielfalt möglicher wirtschaftlicher Abhängigkeiten tief und in einem kaum mehr zu übersehenden Ausmaß in das Marktgeschehen eingreifen. Es sei nicht Aufgabe des Rechts der verbundenen Unternehmen, sondern des Zivilrechts, des Wettbewerbsrechts und des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen, Schutzbedürfnissen gegenüber rücksichtsloser Machtausübung Rechnung zu tragen2235. Die Auffassung des BGH ist zwingend, wenn man die aktienrechtlichen Re1334 gelungen über die Verantwortlichkeit im faktischen Konzern und bei faktischer Abhängigkeit als Regeln iS der Pflicht zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung versteht. Diese Pflicht trifft Gesellschafter, die entweder eine Organstellung in der Gesellschaft innehaben oder doch die Funktion als Organwalter wahrnehmen. Das Verhältnis etwa von Kreditgebern zur Gesellschaft, welches durchaus von erheblicher Macht der Kreditgeber bestimmt sein kann, ist das Verhältnis der Einwirkung auf ein fremdes Vermögen. Als solches ist es, was das vom BGH berufene Zivilrecht betrifft, für § 826 BGB relevant.

_____ 2234 BGHZ 90, 381 (BuM). 2235 BGHZ 90, 381, 395 f.

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(4) Faktischer Konzern und allgemeiner Vermögensschutz in der abhängigen Gesellschaft Das Verständnis der Verantwortlichkeit im faktischen Konzern hat Rückwir- 1335 kungen auf die Anwendung der sonstigen „allgemeinen“ Vorschriften des Kapitalgesellschaftsrechts (§§ 57, 62 AktG) bzw weiterer – allgemeiner – Ausgleichsnormen im Verhältnis zu den konzernrechtlichen Schutzregeln. Die Überlegungen zum dogmatischen Hintergrund der §§ 311 ff AktG haben gezeigt, dass Einwirkungen kraft herrschender Stellung nicht prinzipiell legitimiert sind. Die herrschende Gesellschaft erhält zwar die Möglichkeit (und sie ist iS einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung aufgerufen), entstehende Nachteile von Einwirkungen auszugleichen. Geschieht dies, kommt es von vornherein nicht zur Haftung. Anders verhält es sich indes, wenn der Nachteil nicht (sogleich) ausgeglichen wird. Dann kommt die Konkurrenz der konzernrechtlichen Ausgleichsansprüche zu den allgemeinen Kapitalerhaltungsvorschriften in Betracht, indem diese möglicherweise nicht durch die „Möglichkeit“ zum Nachteilsausgleich als verdrängt anzusehen wären2236. Der BGH hat jedoch für die Geschlossenheit des Systems der §§ 311 ff AktG unter Ausschluss der §§ 57, 62 AktG votiert, nicht dagegen für den Ausschluss der Vorschriften über die Verantwortlichkeit der Organe der abhängigen Gesellschaft (§§ 93, 116 AktG) durch § 318 AktG2237. In seinem weiteren Urteil „Dritter Börsengang“2238 hat der BGH das Konkurrenzverhältnis dann aber genauer und überzeugend geklärt. § 311 II 1 AktG erlegt der herrschenden Gesellschaft im Fall einer Nachteilszufügung auf, spätestens am Ende des Geschäftsjahrs den Nachteilsausgleich zu bestimmen. Nach S 2 muss der abhängigen Gesellschaft ein Anspruch auf den Nachteilsausgleich gewährt werden. Der Wortlaut lässt offen, ob während des Laufs des Geschäftsjahrs unbestimmt bleiben kann, ob die herrschende Gesellschaft sich zur Nachteilszufügung und dem Ausgleich oder dem Anspruch auf Ausgleich bekennen wird. Bleibt dies während des Laufs des Jahres unbestimmt, wäre für diese Zeit Platz für die allgemeinen Vorschriften, die dann einfach in Geltung bleiben könnten, wenn weder ein Nachteilsausgleich noch ein Anspruch darauf gewährt werden. In seiner neueren Entscheidung fordert der BGH aber, dass als Alternative zum Ausgleich am Ende des Geschäftsjahrs der abhängigen Gesellschaft „bis zum Ende des Geschäftsjahrs“ ein Rechtsanspruch auf Ausgleich gewährt wird, und folgert, dass dann, wenn sich die herrschende Gesellschaft

_____ 2236 Die Vermögenserhaltung könnte wie der Schutz vor ungerechtfertigter Bereicherung neben der Verantwortlichkeit aus Sonderverbindung stehen. Zutreffend OLG Koblenz AG 2007, 408. 2237 BGHZ 179, 71, 77, 79 (MPS). 2238 BGHZ 190, 7 (Dritter Börsengang).

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nicht daran hält, die allgemeinen Normen des Vermögensschutzes eingreifen. Daneben mache sich die herrschende Gesellschaft nach § 317 AktG schadensersatzpflichtig2239.

(5) Qualifizierter faktischer Konzern 1336 Wie gesehen, installiert das AktG in §§ 311 ff ein System, welches im Gegensatz

zu den allgemeinen Rechten und Pflichten aus dem Rechtsstatus des Vertragskonzerns vom „Einzelausgleich“ von Schädigungen ausgeht. Dieser Gegensatz erwies die frühere Rechtsprechung über die Heranziehung gerade von Vorschriften über den Vertragskonzern unter dem Stichwort vom „qualifizierten faktischen Konzern“ auf faktische Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse (in Fällen der Beherrschung einer GmbH) als nicht haltbar. Mit Recht hat der BGH diese Herleitung von Haftungsfolgen aus analoger Anwendung der Vorschriften über den Vertragskonzern aufgegeben 2240. Die Diskussion um eine besondere Gestaltung im Sinne eines qualifizierten faktischen Konzerns und um die Ausgestaltung dieser wie auch immer abzugrenzenden Figur ist damit aber nicht zum Erliegen gekommen2241. Es geht demgegenüber um die Weiterentwicklung der Gedanken der §§ 311 ff AktG als Regelung der ordnungsgemäßen Geschäftsführung und der Verantwortlichkeit dafür in einer Unternehmensverbindung2242.

3. Eingliederung 1337 Die praktisch weniger bedeutsame2243 Eingliederung kann nur in eine Aktienge-

sellschaft, nicht in eine KGaA, und in eine AG nur, wenn diese ihren Sitz im Inland hat, vorgenommen werden 2244. Sie begründet wie der Vertragskonzern einen neuen Rechtsstatus der in die sog Hauptgesellschaft (s § 319 I 1 AktG)

_____ 2239 BGHZ 190, 7 Tz 48 f, zu § 317 Tz 29 ff. 2240 S oben Rn 540 ff. 2241 S Raiser/Veil § 61 Rn 7, 53 ff. 2242 S o Rn 553 ff. 2243 S MüKo-AktG/Altmeppen Einl §§ 291 ff Rn 8. Genutzt wurde vor allem die Mehrheitseingliederung, da sie den Ausschluss von Minderheitsaktionären ermöglichte (dazu sogleich Näheres). Mit den §§ 327a ff AktG steht dafür nun ein anderer Weg zur Verfügung. 2244 Habersack hat in Emmerich/Habersack KomAktien- u KonzR 8. Aufl. 2016 § 319 Rn 6 die Möglichkeit einer Eingliederung in eine KGaA vertreten. Der Wortlaut des Gesetzes ist aber bewusst gewählt. Das Gesetz sieht die persönliche Haftung des Komplementärs als hinderlich für die Eingliederung an.

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eingegliederten Gesellschaft. Wie auf den Abschluss des Konzernvertrags (§ 293 I 4 AktG) sind auf die Eingliederung die Vorschriften über die Satzungsänderung nicht anzuwenden (§ 319 I 2 AktG). Die Hauptgesellschaft hat anders als das herrschende Unternehmen im Vertragskonzern ein umfassendes Weisungsrecht über die eingegliederte Gesellschaft (§ 323 I 1, S 2 verweist nur auf §§ 308 II 1, 309 f AktG). Ausgeklammert werden in § 323 I 3 AktG die Vorschriften über die faktische Abhängigkeit in §§ 311 ff AktG. Auch auf Leistungen der eingegliederten Gesellschaft an die Hauptgesellschaft finden die Vorschriften über die gesetzliche Vermögensbindung und Gewinnverteilung (§§ 57, 58, 60 AktG) keine Anwendung (§ 323 II AktG). Bei der Eingliederung treten in der eingegliederten Gesellschaft sogar die gesetzlichen Vorschriften über die Bildung einer gesetzlichen Rücklage außer Anwendung (§ 324 I AktG). Wie die ausdrückliche Ausklammerung der §§ 311 ff zeigt, ist Grundlage der 1338 Eingliederung kein Vertrag mit der Hauptgesellschaft2245, sondern ein Beschluss der HV der eingegliederten Gesellschaft, an dem die Hauptgesellschaft dadurch mitwirkt, dass ihr 100% der Aktien (§ 319 I 1) oder Aktien in Höhe von 95% des Grundkapitals der einzugliedernden Gesellschaft (§ 320 I 1 AktG) gehören. Im wirtschaftlichen Ergebnis gleicht die Eingliederung einer Verschmel- 1339 zung. Als Vorzüge gelten aber die Bewahrung des good will und der Firma der eingegliederten Gesellschaft sowie der Erhalt der Vorstands- und Aufsichtsratsposten2246. Auch die Eingliederung kann, im Verbund mit einem Gewinnabführungsvertrag, zur steuerlichen „Organschaft“ nach §§ 14, 17 KStG führen. Das Gesetz regelt die Eingliederung in eine zu 100% beteiligte Hauptgesell- 1340 schaft (Eingliederung) und die in eine zu 95% beteiligte Hauptgesellschaft (Eingliederung durch Mehrheitsbeschluss) in §§ 319 und 320 AktG getrennt, mit übereinstimmender Grundregelung, sodann weitgehender Verweisung des § 320 I 3 AktG auf die Regelung der Eingliederung in § 319 AktG und schließlich einer Sonderregelung für den Fall der Beteiligung mit 95%. Nach der Grundregelung ist erste Voraussetzung der Eingliederung in beiden Fällen, dass sowohl die einzugliedernde Gesellschaft als auch die (künftige) Hauptgesellschaft über die Rechtsform der AG verfügen und ihren Sitz im Inland haben. Sodann muss in der Untergesellschaft der Eingliederungsbeschluss der HV gefällt werden (§§ 319 I 1, 320 I 1 AktG). Nach den Vorschriften des § 319 II, III AktG, auf die § 320 I 3 verweist, muss die HV der Obergesellschaft nach Vorbereitung gemäß Abs 3 mit mindestens 3/4 des vertretenen Grundkapitals zustimmen. Das Erfordernis der Beschlüsse in beiden HV erklärt sich wie beim

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2245 Irreführend ist die Zuordnung der Eingliederung zu den „Vertragskonzernen“, wie sie Emmerich in Emmerich/Habersack Kom-KonzR § 18 Rn 3 vorschlägt. 2246 KK/Koppensteiner, 3. Aufl, vor § 319 Rn 6.

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Konzernvertrag aus der Nähe des Vorgangs zu einer Fusion 2247. Schließlich muss die Eingliederung nach den Vorschriften der §§ 319 III–VI, 320 I 3 AktG zur Eintragung in das Handelsregister des Sitzes der einzugliedernden Gesellschaft angemeldet werden. Mit der Eintragung wird die Eingliederung wirksam (§§ 319 VII, 320 I 3 AktG), und zwar betreffs der Aktien endgültig, auch bei nachträglich festgestellten Mängeln des HV-Beschlusses (§§ 319 VI S 11, 320 I 3 AktG). Im Fall der Eingliederung durch Mehrheitsbeschluss kommt folgende 1341 Sonderregelung hinzu: Die Bekanntmachung der Eingliederung als Gegenstand der Tagesordnung muss Firma und Sitz der künftigen Hauptgesellschaft und ihr Abfindungsangebot an die ausscheidenden Aktionäre enthalten (§ 320 II AktG). Sodann ist die Eingliederung durch Eingliederungsprüfer zu prüfen, die vom Vorstand der zukünftigen Hauptgesellschaft zu bestellen sind (§ 320 III AktG). Diese Prüfung soll sicherstellen, dass die außenstehenden Aktionäre angemessen abgefunden werden (§ 320 III 3 iVm § 293e AktG)2248. Wird die Eingliederung im Fall der Eingliederung durch Mehrheitsbeschluss 1342 wirksam (durch Eintragung in das Handelsregister), hat dies zunächst zur Folge, dass die außenstehenden Aktionäre der eingegliederten Gesellschaft aus dieser Gesellschaft ausscheiden. Alle Aktien, die sich nicht schon vorher in der Hand der Hauptgesellschaft befanden, gehen mit der Eintragung der Eingliederung in das Handelsregister auf die Obergesellschaft über (§ 320a 1 AktG). Als Entschädigung für diese „Enteignung“ erhalten die Minderheitsaktionäre nach § 320b I 1 AktG einen – betreffs der Angemessenheit ausschließlich im Spruchverfahren überprüfbaren (§ 320b II 1, 2 AktG) – Abfindungsanspruch gegen die Hauptgesellschaft. Etwa ausgegebene Urkunden über Aktien der Minderheitsgesellschafter verbriefen, nachdem die Anteile auf die Hauptgesellschaft übergegangen sind, nur noch den Abfindungsanspruch (§ 320a 2 AktG). Grundsätzlich sind den Aktionären als Abfindung Aktien der Hauptgesellschaft zu gewähren2249. Ist die Hauptgesellschaft ihrerseits abhängig, müssen die ausgeschiedenen Aktionäre gemäß § 320b I 3 AktG nach ihrer Wahl entweder in Aktien der Hauptgesellschaft oder in bar abgefunden werden2250. Ein Hauptgegenstand der Regelung ist wiederum der Schutz der Gläubiger 1343 der eingegliederten Gesellschaft, der an die Stelle der außer Anwendung gesetz-

_____ 2247 S Brauer Die Rechte der Aktionäre beim Börsengang und Börsenrückzug ihrer Aktiengesellschaft 2005 S 199 ff. 2248 Zur Notwendigkeit der Berücksichtigung des Börsenkurses bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung LG Dortmund NZG 2001, 1145. 2249 Zu Einzelheiten s Emmerich/Habersack Konzernrecht, 2013, § 10 III 4 S 140 ff. 2250 Zur Eingliederung in mehrstufigen Konzernen s Emmerich/Habersack KonzR § 10 III 5 S 142 ff.

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ten Regeln betreffend Beschränkung der Vermögensausschüttung und Rücklage (§§ 323 II, 324 I AktG) tritt: „Altgläubigern“ der Untergesellschaft aus der Zeit vor der Eingliederung steht unter den näheren Voraussetzungen des § 321 AktG ein Anspruch auf Sicherheitsleistung (§§ 232 ff BGB) zu. Zugleich wird die Haftung der Hauptgesellschaft (als Gesamtschuldnerin der eingegliederten Gesellschaft) für alle Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft angeordnet, also auch die für die Sicherheitsleistung, § 322 I AktG. Eine weitere Absicherung gewährleistet § 324 III AktG, der die Hauptgesellschaft zum Ausgleich sämtlicher Verluste der eingegliederten Tochter verpflichtet2251. Die Eingliederung endet nach § 327 AktG mit Aufhebung oder Wegfall eines 1344 der Erfordernisse für die Eingliederung aus den §§ 319, 320 AktG. Der Vorstand der bisher eingegliederten Gesellschaft hat die Beendigung zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 327 III AktG). Die Mithaftung der Hauptgesellschaft verjährt in spätestens 5 Jahren (§ 327 IV AktG).

4. GmbH-Konzern a. Der RegE GmbHG 1972 Das GmbHG enthält keine spezifisch-systematische Konzernregelung für die 1345 GmbH. Unter der sozialliberalen Koalition hat Justizminister Vogel versucht, auch für die GmbH eine Konzernregelung einzuführen. Es kam zu dem RegE zu einem GmbHG vom 31.1.19722252. Dieser RegE übertrug nahezu vollständig die aktienrechtliche Regelung auf die GmbH. Der Entwurf ist nicht Gesetz geworden. Des Konzernrechts der GmbH haben sich stattdessen Literatur und Rechtsprechung angenommen.

b. Vertragskonzern (1) Allgemeine Rechtsfigur Die GmbH ist zunächst einmal Adressatin des Konzernrechts der §§ 291 ff AktG 1346 (und der §§ 311 ff AktG) in direkter Anwendung, soweit sie als herrschende Gesellschaft aufgrund eines Beherrschungsvertrags oder als beherrschende Gesellschaft mit einer AG oder KGaA als abhängiger Gesellschaft verbunden ist. Das Aktienrecht normiert die Beherrschung einer AG oder KGaA durch ein „anderes“ Unternehmen. Ein solches kann auch eine GmbH sein.

_____ 2251 Zu den Einzelheiten s Emmerich/Habersack KonzR § 10 V 3 b S 149. 2252 BT-Drucks 7/253.

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Aber auch soweit eine GmbH in einem Vertragskonzern abhängige Gesellschaft ist, wird Aktienkonzernrecht angewandt: Der im Aktienrecht geregelte Vertragskonzern wird auch hinsichtlich einer GmbH als beherrschter Gesellschaft für eine allgemeine Rechtsfigur iS eines allgemeinen Konzernrechts gehalten2253. Die Neuregelung des § 30 I 2 GmbHG durch das MoMiG nimmt auch vom Vermögensschutz der GmbH Leistungen aus, die aufgrund eines Beherrschungs- oder eines Gewinnabführungsvertrags erfolgen. Weiter bestätigt § 17 KStG die anerkannte Möglichkeit einer steuerwirksamen Organschaft auch für die GmbH als Organgesellschaft2254. Klar ist demnach: Es gibt den vertraglichen GmbH-Konzern – festzulegen ist nur, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen er entstehen kann.

(2) Zustandekommen eines GmbH-Vertragskonzerns 1348 Der BGH hat Vorschriften des Aktienrechts über die Voraussetzungen eines Beherrschungsvertrags auf den Vertrag mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft übertragen 2255. § 293 II AktG sei analog heranzuziehen mit der Konsequenz, dass zum Konzernvertrag die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der herrschenden Gesellschaft mit einer Mehrheit von 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals erforderlich sei. Ob auch § 293 I 2 AktG zu übertragen ist, wonach auch die Gesellschafterversammlung der beherrschten Gesellschaft mit 3/4 Mehrheit zustimmen muss, hat der BGH offen gelassen2256. Das

_____ 2253 N bei Baumbach/Hueck/Beurskens Anhang GmbHG Rn 94. Beurskens selbst wendet sich gegen die grundsätzliche Analogie und will umgekehrt aktienrechtliche Vorschriften vorsichtig einzeln heranziehen. Das Scheitern der Reform und der darin vorgesehenen konzernrechtlichen Regelung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers der Novelle von 1980 nicht etwa dahin verstanden werden, dass sie die Ausbildung von Rechtsgrundsätzen in Literatur und Praxis ausschließe, s BT-Drucks 8/1347, S 27. 2254 Für den Beherrschungsvertrag gilt das zumindest unter Berücksichtigung von § 14 Nr 2 KStG aF, der an den Abschluss eines Beherrschungsvertrags die Vermutung der organisatorischen Eingliederung der Organgesellschaft knüpfte. Aus dem Verweis in § 17 KStG ergab sich mithin zwingend, dass das Gesetz auch die Figur des Beherrschungsvertrags als eine „GmbHgängige“ Vertragsform ansah. Unter dem alten wie unter dem neuen Recht gilt das für den Gewinnabführungsvertrag. 2255 In BGHZ 105, 324 f. Es handelte sich um einen Unternehmensvertrag, in dem sowohl eine Beherrschungsvereinbarung als auch eine Gewinnabführungsverpflichtung enthalten war. 2256 Für das Erfordernis der Zustimmung aller Gesellschafter Baumbach/Hueck/Beurskens Anh GmbHG Rn 106. Zutreffend ist hier, wie auch der BGH später angenommen hat (s sogleich), das Erfordernis der 3/4-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals – und damit iE: der außenstehenden Gesellschafter – anzunehmen. Belässt man es bei der qualifizierten Mehrheit, so greift gegen den herrschenden Gesellschafter das Stimmverbot des § 47 IV 2 GmbHG ein Die

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konnte er tun, weil es sich in seinem Fall um eine Einmann-GmbH handelte, nämlich die Unterwerfung einer GmbH unter eine an ihr als Alleingesellschafterin beteiligte andere GmbH. Später hat er sich, wie gleich festzustellen, für das 3/4Mehrheitserfordernis bei der beherrschten Gesellschaft entschieden. Neben § 293 II will der BGH aus dem Aktienrecht § 293 III AktG anwenden, 1349 wonach der Vertragsschluss selbst schriftlich erfolgen muss. Hinzu fügt der BGH aus der Anwendung der §§ 53, 54 GmbHG über die Satzungsänderung bei der GmbH, dass der Zustimmungsbeschluss bei der unterworfenen GmbH notariell beurkundet werden müsse. Sodann müsse der Beschluss zum Handelsregister angemeldet und dort – mit konstitutiver Wirkung – eingetragen werden 2257. Die §§ 54 II 1, 10 I 1 (aF) GmbHG ersetzt der BGH wiederum durch die aktienrechtliche Regelung, nämlich die des § 294 AktG. Der Zustimmungsbeschluss müsse zusammen mit Datum, Art und Partner des Unternehmensvertrages im Handelsregister eingetragen werden 2258. Was das Mehrheitserfordernis für die Zustimmung der zu unterwerfenden GmbH betrifft, hat der BGH in seiner Entscheidung vom 31.5.2011, in der er allerdings über die Kündigung des Vertrages zu befinden hatte, den Vertragsschluss mit erwähnt und die Kündigung wie diesen Vertragsschluss als innergesellschaftlichen Organisationsakt gleich einer Satzungsänderung eingeordnet2259. Folgerung ist grundsätzlich das Erfordernis der 3/4-Mehrheit des § 53 I 2 Hs 1 GmbHG. Die Literatur verlangt für den Vertrag teilweise sogar Einstim-

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Meinung der Literatur, § 47 IV 2 GmbHG sei auf Verträge wie die vorliegenden als sogenannte Sozialakte nicht anwendbar, ist abzulehnen. Das Aktienrecht geht in § 136 AktG (der ein Selbstkontrahieren nicht ausdrücklich ausschließt) einen anderen Weg als das GmbH-Gesetz. Das RG hatte seinerzeit das Stimmverbot betreffend Rechtsgeschäfte in historischer Begünstigung des Konzerninteresses neglegiert, RGZ 60, 172, 174; 74, 276, 280 – zu der Entwicklung Wilhelm Rechtsform und Haftung S 70 ff. Daraufhin wurde das Stimmverbot in der § 136 AktG entsprechenden Vorschrift des AktG 1937 aufgehoben. Das AktG setzt aber an die Stelle des Schutzes durch das Stimmverbot den materiellen Schutz der §§ 293 ff AktG. Im GmbH-Recht gilt demgegenüber das Stimmverbot unverändert. Außerdem ist die Lage im Aktienrecht und im Recht der GmbH unterschiedlich. Im Fall des BGH (BGHZ 105, 324), dem einer Einmann-GmbH, war allerdings § 47 IV 2 GmbHG aus dem anderen Grunde, dass es sich um eine EinmannGmbH handelte, nicht anzuwenden. Bei Anwendung des Stimmverbots auf den betroffenen Alleingesellschafter wäre die Einmann-GmbH nicht handlungsfähig. 2257 In BGHZ 116, 37 hat der BGH auf einen Vertragskonzern mit einer GmbH, der nicht eingetragen war, die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft angewandt, den Vertragskonzern also trotz Fehlens des Wirksamkeitserfordernisses wegen tatsächlicher Durchführung als wirksam behandelt. 2258 Nach der späteren Entscheidung BGH GmbHR 1992, 253 sind auch die §§ 293 III 6 aF AktG (jetzt § 293g II 2 AktG) und 294 I 2 AktG betreffend Unterlagen, die zur Anmeldung des Unternehmensvertrags beizufügen seien, zu beachten. 2259 BGHZ 190, 45 Tz 19 ff.

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migkeit2260: Die Unterwerfung bedeute die Veränderung der Mitgliedschaft iSv § 53 III GmbHG. Jedenfalls für die Kündigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags hat der BGH § 53 III GmbHG nicht erwogen; hätte nämlich für die Entscheidung über die Kündigung das Erfordernis der Einstimmigkeit gegolten, hätte in der Entscheidung nicht, wie der BGH es in der Entscheidung tut, für den Mehrheitsgesellschafter das Stimmverbot des § 47 IV 2 GmbHG außer Kraft gesetzt werden müssen. 1350

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Gegen den Beschluss des BGH aus dem 105. Band zur analogen Anwendung des § 293 II AktG hat sich mit vehementer Kritik Flume 2261 gewandt: Für den Analogieschluss des BGH habe es schon an der erforderlichen Gesetzeslücke gefehlt: Der Steuergesetzgeber habe die Organschaft mit einer GmbH in § 17 KStG 1976 auch für die GmbH bestätigt und hier für die GmbH die schon bisher anerkannten Vertragserfordernisse „festgeschrieben“ (Schriftform und 3/4-Mehrheit der Gesellschafterversammlung der Organgesellschaft). Darüber hinaus fehle es an der teleologischen Vergleichbarkeit zwischen Aktien- und GmbH-Vertragskonzern. Entgegen der Notwendigkeit der Konstituierung des Weisungsrechts des herrschenden Gesellschafters gegenüber einer abhängigen AG hätten die Gesellschafter bei der GmbH ohnehin das Weisungsrecht. Dieses sei zwar begrenzt durch die Unzulässigkeit der Sondervorteilserstrebung. Wenn diese Grenze aber einmal, weil es ausnahmsweise nicht nur um die steuerliche Organschaft gehe, durch einen Beherrschungsvertrag mit einem Mehrheitsgesellschafter außer Kraft gesetzt werden solle, reiche für die Vertragskontrolle das Stimmverbot des § 47 IV 2 GmbHG. Weiter passten die Einzelheiten der aktienrechtlichen Regelung nicht: Der GmbHG-Entwurf 1972 habe die aktienrechtliche Bestimmung über das Erfordernis der Zustimmung der herrschenden Gesellschaft (§ 293 II AktG) für die GmbH nicht übernommen, weil die Vorschrift darauf beruhe, dass das Aktienrecht den Aktionären der abhängigen Gesellschaft die Abfindung in Aktien der herrschenden Gesellschaft eröffne. Sei dagegen die herrschende Gesellschaft eine GmbH, so verlange schon § 293 II AktG mangels Abfindung in Anteilen an der GmbH nicht die Zustimmung der Gesellschafter der herrschenden Gesellschaft. Die Formerfordernisse des BGH seien insoweit, als der Einmann-Gesellschafter nach Abschluss des Vertrages noch in einer Gesellschafterversammlung der abhängigen Gesellschaft in notarieller Form dem eigenen Vertrag zustimmen müsse, „barer Unsinn“ 2262. Entgegen der Anwendung der Satzungsvorschriften bedeuteten ein Unternehmensvertrag und die Zustimmung dazu auch gerade keine Satzungsänderung im formellen Sinne. Wegen ihrer materiellen Bedeutung gelte das 3/4-Mehrheitserfordernis, es dürften aber nicht die Formalitäten der Satzungsänderung gelten. Dies hebe für seinen Bereich § 293 I 4 AktG sogar ausdrücklich hervor 2263.

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2260 N Roth/Altmeppen/Altmeppen Anh § 13 Rn 36. 2261 DB 1989, 665. 2262 DB 1989, 665, 668. 2263 S weiter § 298 AktG: Die Beendigung des Unternehmensvertrages, die doch eine genau so materielle (Rück-)Änderung bedeutet, hängt auch nicht vom Handelsregistereintrag ab. So auch für die GmbH BGH ZIP 1992, 29.

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Formale Wirksamkeitserfordernisse für eine privatautonome Gestaltung entgegen beste- 1354 hender Rechtsübung aufzustellen, sei Sache positivistischer Rechtssätze und damit der Gesetzgebung. Juristen in Rechtsprechung und Wissenschaft könnten auf eine Reform hinwirken. Die Macht des Gesetzgebers zu usurpieren, stehe jenen Juristen nicht zu. Anders sei es nur bei Bestehen einer Rechtsnot und der Weigerung des Gesetzgebers, der Rechtsnot zu steuern.

Flume hatte es als wünschenswert bezeichnet, dass die Registergerichte die 1355 Meinung des BGH nicht übernähmen. Dann könne ein erneuter Vorlagebeschluss zustande kommen, der dem II. Senat Gelegenheit gebe, die Sache noch einmal in Ruhe zu überdenken2264. Zu der von Flume erhofften Gelegenheit ist es durch den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 4.9.19912265 gekommen. Im Wesentlichen aus den von Flume vorgebrachten Argumenten hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass es für einen Gewinnabführungsvertrag zwischen einer GmbH und einer AG als einziger Gesellschafterin der GmbH eines Zustimmungsbeschlusses bei der AG nicht bedürfe und der Abschluss des Unternehmensvertrags keine in das Handelsregister einzutragende Tatsache sei. Auf diesen Beschluss des OLG Düsseldorf hat der II. Senat des BGH mit Be- 1356 schluss vom 30.1.1992 2266 seine Rechtsmeinung bekräftigt. Die Begründung des Entwurfs einer GmbH-Reform sei nicht maßgeblich. Maßgeblich sei die Begründung der Vorschrift des § 293 II AktG. In dieser würden neben der Pflicht zur Abfindung in Aktien die weiteren Risiken der Verlustübernahme und der Sicherheitsleistung angeführt. Diese Risiken träfen auf den Fall des Beherrschungsvertrages mit einer abhängigen GmbH zu. § 293 II AktG sei auch anwendbar auf eine abhängige AG, wenn 100% der Anteile in den Händen der herrschenden Gesellschaft stünden. In diesem Fall gebe es die Pflicht, außenstehende Aktionäre abzufinden, nicht. Folglich seien hier die weiteren Risiken maßgeblich, die in der Begründung genannt würden2267. Auch bei der Eintragung des Zustimmungsbeschlusses mit Unternehmensvertrag in das Handelsregister müsse es bleiben. Der Unternehmensvertrag sei ein Grundlagengeschäft, mithin sei er der Kompetenz der Gesellschafterversammlung zugewiesen. Von ihm werde der Gesellschaftszweck betroffen (an die Stelle der erwerbswirtschaftlich selbstständigen Teilnahme am Wirtschaftsleben werde die dienende, dem Konzerninteresse untergeordnete Tätigkeit gesetzt). Die formelle Strenge des Registerrechts hindere nicht, ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung ein Eintragungserfordernis zu entwickeln. Zwar sei eine solche Ausweitung nur

_____ 2264 2265 2266 2267

DB 1989, 665, 669. DB 1991, 2381. GmbHR 1992, 253. BGH GmbHR 1992, 253, 255.

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mit Zurückhaltung vorzunehmen. Kraft Auslegung gesetzlicher Vorschriften, Analogiebildung sowie richterlicher Rechtsfortbildung sei aber der Kreis eintragungsbedürftiger, auch konstitutiv eintragungsbedürftiger Tatsachen durchaus zu ergänzen2268. Es handele sich ja um Normen mit Wirksamkeitsvoraussetzungen, nicht um Eingriffsnormen2269. 1357

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Dem BGH ist mit Flume zu widersprechen: Der II. Senat hat Grundregeln der Analogie verletzt. Eine nach diesen Regeln vorausgesetzte Regelungslücke bestand betreffend den GmbH-Konzern nicht. Konzernverträge mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft waren auch bisher schon nach verfügbaren gesellschaftsrechtlichen Regeln abschließbar. Der Organschaftsvertrag war, durch das Steuerrecht induziert, feststehendes Institut des GmbH-Rechts. Zudem sollte die Regelung des Aktienrechts, aus der der BGH entgegen dem bisherigen Rechtszustand bei der GmbH die §§ 293 ff AktG übertragen hat, im GmbHRecht bewusst nicht übernommen werden. Im Aktienrecht ist die Entwicklung dahin gegangen, dass das dem Konzernvertragsschluss hinderliche Stimmverbot für Rechtsgeschäfte mit dem Mehrheitsgesellschafter im AktG 1937 abgeschafft worden ist (s heute § 136 I AktG 1965), und an seine Stelle die materiellen Vertragsschlussregeln der §§ 293 ff AktG geltender Fassung gesetzt worden sind 2270. Demgegenüber ist im Recht der GmbH das Stimmverbot betreffend Rechtsgeschäfte und seine Anwendung auf den Konzernvertrag unangetastet geblieben. Dann bedarf es umgekehrt keiner Absicherung durch besondere Zustimmungserfordernisse. Allerdings hat der BGH unter Übergehung dieses historischen Zusammenhangs seine Rechtsprechung dahin begradigt, dass er auf die Kündigung wie den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags das Stimmverbot betr Rechtsgeschäfte nicht anwendet. Es handele sich wie bei einer Satzungsänderung um einen Organisationsakt2271. Flume behandelt in seiner Kritik allerdings zu wenig, dass im Aktienrecht genau diejenigen Regeln, die er in der Anwendung auf den GmbH-Konzern zT als unsinnig kritisiert, vom Gesetz in eben dieser Weise für den AG-Konzern ausdrücklich angeordnet worden sind. Einerseits ist, wie der BGH mit Recht hervorhebt, das Erfordernis der Zustimmung der HV der herrschenden Gesellschaft nach § 293 II AktG auch für den Fall 100%-igen Anteilsbesitzes der herrschenden Gesellschaft bestimmt. Dh die aktienrechtliche Regelung denkt in der Tat nicht nur an die Notwendigkeit der Abfindung außenstehender Aktionäre in Aktien der herrschenden Gesellschaft. Die Begründung, die der Gesetzgeber zu § 293 selbst gegeben hat, geht auch der Begründung des nicht in Kraft getretenen RegE GmbHG 1972 2272 vor. Weiter muss gerade in dem Fall des 100%-igen Anteilsbesitzes die herrschende Gesellschaft in der Tat als die einzige Gesellschafterin in der HV der abhängigen Gesellschaft die Zustimmung erteilen, und dies nach der zur Zeit der Entscheidung des

_____ 2268 BGH GmbHR 1992, 253, 255 f. 2269 BGHZ 105, 324, 341. 2270 S Wilhelm Rechtsform und Haftung S 70 ff. 2271 BGHZ 190, 45 Tz 19 f. S dazu o Rn 1242 ff. Mit Recht kritisch sodann Altmeppen in Roth/ Altmeppen Anh § 13 Rn 39 mit der realistischen resignativen Ergänzung, dass die Praxis bis auf Weiteres vom Standpunkt des BGH ausgehen werde. 2272 S o Rn 1345.

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BGH unbeschränkt geltenden Vorschrift des § 130 I 1 AktG in notarieller Form2273. Der von Flume für die GmbH gebrandmarkte „bare Unsinn“ ist also für die AG Gesetz. Damit ist die Entscheidung des BGH aber nicht gerechtfertigt: Gerade die Fragwürdigkeit der aktienrechtlichen Regelung steht ihrer Ausdehnung auf die GmbH entgegen. Und diese Problematik verschärft sich bei der GmbH noch: Hier gilt nicht die Institution der förmlichen HV. Die Abhaltung einer Gesellschafterversammlung, in der der Gesellschafter seinem eigenen Vertrag die Zustimmung gibt, ist hier – zumindest im Fall der Einmanngesellschaft – in der Tat geradezu abwegig. Durch die Formvorschrift wird das Ergebnis ganz unhaltbar. Für die Form kann der BGH hier nicht einmal auf das Aktienrecht zurückgreifen. Er entnimmt die Formvorschrift vielmehr der Regelung des GmbHG über Satzungsänderungen. Nun schließt aber die sonst im vorliegenden Zusammenhang vom BGH an sich angewandte Regelung des Aktienrechts selbst in § 293 I 4 AktG den Rückgriff auf Satzungsrecht sogar für die AG ausdrücklich aus. Erst recht ist dies für die GmbH auszuschließen. Schließlich zeigt der Gesetzgeber des AktG selbst, dass er seine Regelung auf die AG begrenzt. § 293 II AktG fordert die Zustimmung der HV der herrschenden Gesellschaft nur für den Vertrag einer AG mit einer AG oder KGaA als herrschender Gesellschaft. Da, wie gesehen, der Grund für dieses Zustimmungserfordernis nicht allein in der Notwendigkeit der Abfindung der außenstehenden Aktionäre in Aktien der herrschenden Gesellschaft zu suchen ist, müsste überlegt werden, ob nicht die Vorschrift auch für die GmbH als herrschende Gesellschaft anzuwenden ist. Der Gesetzgeber sieht hier aber die Besonderheit der GmbH mit eigenem Organisationsrecht und dem Weisungsrecht der Gesellschafter und bestimmt deshalb die Übertragung auf die GmbH gerade nicht. Damit haben wir einen klaren Hinweis des Gesetzes, dass die Lage bei der GmbH überhaupt eine besondere ist. Hinzu kommt das Folgende: Die nähere Analyse, insbesondere die historische Auslegung der HV-Kompetenzen im Recht der Unternehmensverbindungen, zeigt, dass ein wesentliches Leitmotiv des Gesetzgebers bei der Anordnung der Kompetenzen der jeweiligen Anteilseigner die angenommene Nähe der Konzernierung iR eines Unternehmensvertrags zur Verschmelzung war. Diese Annahme beruht freilich nicht auf der tatsächlichen und in jedem Einzelfall nachzuvollziehenden Ähnlichkeit der Tatbestände. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber zu einer pauschalen Gleichsetzung aufgrund von Wertungsgesichtspunkten entschieden und somit eine rechtspolitische Entscheidung getroffen. Es ist, wie Flume in anderem Zusammenhang hervorhebt, nicht Sache der Gesetzesanwendung, solche wertenden Entscheidungen auf andere Gesellschaftsformen auszudehnen. Vor diesem Hintergrund ist die Einebnung der Unterscheidung durch den BGH unhaltbar. In seiner weiteren Rechtsprechung verliert der BGH sodann, ohne es zu bemerken, die argumentative Stütze, mit dem Erfordernis der Eintragung des Unternehmensvertrages in das Handelsregister werde nur eine Vorschrift über ein Wirksamkeitserfordernis, aber keine Eingriffsnorm analog angewandt 2274. In einer späteren Entscheidung 2275 wendet er

_____ 2273 Durch die Novelle zur „kleinen AG“ ist heute eine Erleichterung durch § 130 I 3 AktG in das Gesetz eingefügt worden. 2274 BGHZ 105, 324, 341. Der BGH reagierte damit auf den Einwand, eine öffentlichrechtliche Pflicht lasse sich im Wege der Analogie nicht begründen. Die Eintragung einer Satzungsänderung habe aber, so der Senat, ebenso wie die eines Unternehmensvertrags keine deklaratori-

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auch die Vorschrift des § 298 AktG an, wonach die (wirksam gewordene) Beendigung des Vertrages in das Handelsregister einzutragen ist. Die Norm regelt keine Wirksamkeitsvoraussetzung, sondern begründet einen Eintragungszwang.

1364 Zusammenfassend ist also festzuhalten: Zwar ist der GmbH-Vertragskonzern

feststehendes Institut des Gesellschaftsrechts. Daraus folgt aber entgegen der Rechtsprechung des BGH nicht die komplette Analogie zur Behandlung des aktienrechtlichen Vertragskonzerns. Was insbesondere den Vertragsschluss eines Beherrschungsvertrags mit einer abhängigen GmbH betrifft, ist nicht der Ansicht des BGH zu folgen, der die §§ 291 ff AktG analog, ergänzt durch die Vorschriften des GmbHG über die Satzungsänderung (§§ 53, 54 GmbHG) anwendet. Richtiger Ansicht nach sind die Anforderungen an den Vertragsschluss aus der steuerrechtlichen Positivierung der zuvor in der Praxis gebildeten und vom Steuergesetzgeber vorausgesetzten Rechtslage zu entnehmen. Danach gilt: Für den Abschluss eines Beherrschungsvertrags kommt es – entgegen der Ansicht des BGH – bei schriftlicher Fixierung des Organschaftsvertrags allein auf die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der beherrschten Gesellschaft an. Als Statusänderung bedarf der Vertrag der Zustimmung der Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft mit 3/4-Mehrheit. Der herrschende Gesellschafter ist gemäß § 47 IV 2 GmbHG von der Abstimmung ausgeschlossen. Weitere Zustimmungserfordernisse existieren nicht, ebenso wenig zusätzliche Form- und Eintragungserfordernisse.

(3) Rechtsfolgen des Vertragskonzerns mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft 1365 Für die Rechtsfolgen des Konzernvertrags mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft sind die aktienrechtlichen Vorschriften vorsichtig, unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen AG und GmbH, nutzbar. Zunächst ist festzustellen, dass wie die Voraussetzungen des Zustandekommens des Vertrages auch die §§ 293a ff AktG über die besonderen Berichte und die Prüfung beim Aktienkonzernvertrag auf den GmbH-Konzern nicht anzuwenden sind2276. Die Vorschriften nehmen darauf Rücksicht, dass es sich bei der AG um eine Publikumsgesellschaft handelt, die mit entsprechendem Minderheitsschutz auszustatten ist.

_____ sche, sondern konstitutive Wirkung. Es bestehe gerade keine erzwingbare öffentlichrechtliche Anmeldepflicht (vgl §§ 79 II, 54 I GmbHG, § 14 HGB), die Anmeldung sei lediglich Wirksamkeitsvoraussetzung. 2275 BGHZ 116, 37. 2276 Ebenso Emmerich/Habersack Kom-KonzR § 293a Rn 10 ff mwN.

I. Das Recht der verbundenen Unternehmen | 735

Vorschriften, die dem Inhalt eines Beherrschungsvertrages entsprechen, 1366 sind übertragbar. Dies trifft jedenfalls insoweit zu, als der Abschluss eines Beherrschungsvertrags das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens, ohne Bindung an die Weisungsbefugnis der Gesellschafter der beherrschten GmbH, begründet2277. Für das vertraglich eingeräumte Weisungsrecht ist § 308 AktG analog heranzuziehen. Notwendiges Pendant zum Weisungsrecht ist die Pflicht des herrschenden 1367 Unternehmens, das von ihm gesteuerte Wirtschaften der abhängigen Gesellschaft auf eigene Rechnung zu nehmen. Folglich gilt auch im GmbH-Vertragskonzern die Pflicht des herrschenden Unternehmens zur Verlustübernahme nach § 302 AktG. Richtiger Weise ist als Folge angeschlossen worden, dass, wenn der Verlustübernahmeanspruch der abhängigen Gesellschaft werthaltig ist, entsprechend § 291 III AktG die Vermögensbindung nach §§ 30, 31 GmbHG nicht gilt2278. Das MoMiG hat das jetzt in § 30 I 2 Hs 1 GmbHG positiviert. Die Vorschrift des § 300 AktG über die Verstärkung der gesetzlichen Rücklage ist auf die GmbH mit ihrem anders gestalteten Vermögensschutz nicht übertragbar. Im Gegensatz zur Verlustübernahme nach § 302 AktG ist § 303 AktG mit dem Recht der Gläubiger auf Sicherheitsleistung als positivrechtliche Anordnung, die nicht aus allgemeinen Grundsätzen herleitbar ist, nicht übertragbar2279. Für die Regelung der Verantwortlichkeit kann man sich aber wieder an die aktienrechtliche Regelung als Ausdruck der Haftung aus einem Geschäftsführungsverhältnis anlehnen. § 309 AktG gilt also analog für die Verwaltungsmitglieder des herrschenden Unternehmens (dessen Verantwortlichkeit aus § 31 BGB folgt). Für den Geschäftsführer der beherrschten GmbH greift die Haftung analog § 310 AktG ein2280. Das Ausgleichs- und Abfindungsrecht für die außenstehenden Gesellschafter der beherrschten Gesellschaft nach §§ 304, 305 AktG ist,

_____ 2277 Nicht ganz treffend ist es, hier von einem „Übergang“ des Weisungsrechts der Gesellschafter auf die Obergesellschaft zu sprechen (so Roth/Altmeppen/Altmeppen Anh § 13 Rn 49). Die Leitungsmacht der Obergesellschaft ist nicht identisch mit dem Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung. Richtig ist aber, dass die beherrschte Gesellschaft durch den Abschluss des Vertrags ein Weisungsrecht einräumt. Dadurch verzichten die Gesellschafter der Untergesellschaft, die ebendiesen Beschluss fassen, auf die Ausübung ihrer Weisungsrechte, soweit sie diese Leitungsmacht beeinträchtigten würde. 2278 Wilhelm, DB 2006, 2729, 2730 Fn 11 mN. Der BGH wollte allerdings die Regeln über den Eigenkapitalersatz, auch soweit sie an §§ 30, 31 GmbHG anknüpfen (jetzt nach § 30 I 3 GmbHG nF ausgeschlossen), anwenden und nur Leistungen auf die Verlustausgleichspflicht davon ausnehmen (NJW 2006, 3279, 3281 f). 2279 Zur analogen Anwendung des § 302 AktG BGH NJW 1980, 231 (Gervais). Überholt ist das Autokran-Urteil BGHZ 95, 330 zur analogen Anwendung von § 303 AktG. 2280 Roth/Altmeppen/Altmeppen Anh § 13 Rn 82 ff.

736 | K. Konzernrecht

wenn es ausnahmsweise solche gibt und nicht der Standardfall der Organschaft mit dem Einmanngesellschafter vorliegt, als Entschädigung für den Verlust der Anteilsberechtigung an einer selbstständigen GmbH übertragbar2281. Die Verweisung der Literatur2282 auf das Einstimmigkeitserfordernis nach § 53 III GmbHG und auf den folglich möglichen und gebotenen Selbstschutz der Minderheitsgesellschafter ist, abgesehen von der Unsicherheit um § 53 III GmbHG, zu schwach.

(4) Beendigung des Vertragskonzerns mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft 1368 Auf den Zeitpunkt der Aufhebung eines Konzernvertrages mit einer GmbH wendet der BGH § 296 I 1 AktG analog an2283: Der Vertrag kann danach nur zum Ende des Geschäftsjahrs oder des sonst vertraglich bestimmten Abrechnungszeitraums aufgehoben werden. Die Gesichtspunkte, die den Gesetzgeber zur Abwehr einer vertraglich vereinbarten unterjährigen Beendigung durch § 296 I 1 AktG angeführt hat, sind in der Tat auf den GmbH-Konzern übertragbar. Die Regelung dient der Rechtssicherheit und -klarheit2284. Anders als § 296 AktG will der BGH § 297 II AktG über das alleinige Recht des Vorstands der abhängigen Gesellschaft zur Kündigung mit dem Erfordernis nur der Zustimmung der außenstehenden Aktionäre, wenn der Vertrag einen Ausgleich an sie vorsieht, nicht anwenden2285.

(5) Faktischer Konzern 1369 Für den faktischen GmbH-Konzern (Konzern mit einer abhängigen GmbH)

kommt unter Vorbehalt der von der Rechtsprechung vorläufig abgewehrten Bemühung um die Sonderfigur eines qualifizierten faktischen GmbH-Konzerns2286 die analoge Anwendung der §§ 311 ff AktG über die Beherrschung ohne Beherrschungsvertrag in Betracht. In der Literatur wird die Analogie über-

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2281 Näher Roth/Altmeppen/Altmeppen Anh § 13 Rn 86 ff. In der Entscheidung BGHZ 190, 45 nimmt der BGH keinen Anstoß daran, dass der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag keinen Ausgleich für den Minderheitsgesellschafter bestimmte. 2282 BGHZ 105, 335 nimmt auf § 305 II AktG Bezug. Zur Problematik Gutachten DNotI DNotIReport 2017, 115 ff, Raiser/Veil § 62 Rn 65. 2283 BGHZ 206, 74. 2284 Kropff, AktG 1965 S 385. Die Ausnahmen: Notwendigkeit der unterjährigen Abrechnung bei fristloser Kündigung (§ 297 AktG) oder Insolvenz – bestätigen die Regel. 2285 BGHZ 190, 45 Tz 20. 2286 O Rn 531 ff.

I. Das Recht der verbundenen Unternehmen | 737

wiegend abgelehnt2287, weil bei der GmbH kein Schädigungsrecht gegen Ausgleich begründet sei. Auch der BGH hat sich in seiner Autokran-Entscheidung2288 gegen die Anwendung der §§ 311 ff auf die GmbH gewandt, allerdings unter unklarer Berufung auf eine strukturelle Verschiedenheit zwischen AG und GmbH2289. Er zieht für die Regelung des Verhältnisses zwischen herrschendem Unternehmen und GmbH demgegenüber sein ITT-Urteil heran, in dem er dem Minderheitsgesellschafter einer abhängigen GmbH Schadensersatzansprüche gegen den herrschenden (Unternehmens)-Gesellschafter aus Treuepflichtverletzung gegeben hat2290. Nach dem ITT-Urteil besteht eine Rechtspflicht des Mehrheitsgesellschaf- 1370 ters in der GmbH zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Minderheitsgesellschafters. Der Gesellschafter, der die Mehrheit in der GmbH innehabe, habe die Möglichkeit, zu Lasten des Minderheitsgesellschafters Einfluss zu nehmen. Dies verlange als Gegengewicht die Pflicht zur Rücksichtnahme. Ob die Treuepflicht im Einzelfall mit der Konsequenz einer Schadensersatzpflicht verletzt sei, hänge von der konkreten Tätigkeit und dem Zweck der GmbH ab sowie davon, wie die Mitgliedschaft gestaltet sei, sodann von der Frage, ob bereits gesetzliche oder satzungsmäßige Regelungen den Mitgliedern ausreichenden Rechtsschutz gewährten. Die Beklagte habe sich, von der rechtlichen Geschäftsführungsbefugnis unabhängig, durchgesetzt und sei dafür verantwortlich. Ob sie schuldhaft gehandelt habe, sei nach Maßgabe von § 43 GmbHG zu prüfen 2291. Im Autokran-Urteil hat der BGH ergänzt, dass solche Ansprüche nicht nur 1371 dem Minderheitsgesellschafter, sondern auch der GmbH zustehen können. Zudem müsse die Begründung mit einer Treuepflicht nicht der Ansicht widersprechen, dass solche primär der GmbH zustehenden Ansprüche auch (analog §§ 309 IV 3, 317 IV, 318 IV, 323 I 2) von den Gesellschaftsgläubigern geltend gemacht werden könnten. Damit ist der Gegenschluss aus der Rechtsprechung zur Haftung des Mehrheitsgesellschafters aus Treupflichtverletzung ausgeschlossen, dass es keine Haftung des Alleingesellschafters geben könne. Der BGH formuliert deshalb vorsichtig2292: „Jedenfalls außerhalb der Gefährdung

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2287 Hüffer Kom AktG, 2008, § 311 Rn 53 mwN, Raiser/Veil § 61 Rn 4. 2288 BGHZ 95, 330. 2289 BGHZ 95, 330, 340. 2290 BGHZ 65, 15. Dazu bereits o Rn 823 ff. Statt der vom BGH favorisierten Anspruchsgrundlage der Treupflichtverletzung sind richtiger Weise §§ 311, 317 AktG analog oder eine Verletzung des Gesellschaftsvertrags iS von § 280 I BGB zu prüfen. 2291 S den Abdruck der Entscheidung in JZ 1976, 409 re Sp (insoweit in BGHZ 65, 15 nicht abgedruckt). 2292 BGHZ 119, 257 (262).

738 | K. Konzernrecht

von Gläubigerinteressen ist ein von der Gesamtheit der Gesellschafterinteressen unabhängiges Gesellschaftsinteresse, dem eine Treupflicht des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft Rechnung zu tragen hätte, grundsätzlich nicht anzuerkennen“. Schöner kann man die Trivialität, dass es bei Alleingesellschafterstellung kein weiteres Gesellschafterinteresse nicht gibt, umschreiben. Daneben steht – eigentlich ebenfalls trivial – das Gesellschaftsinteresse, welches um der Interessen der Gläubiger der Gesellschaft willen zu beachten ist. Entgegen der Ansicht des BGH ist nicht die Treuepflicht, sondern die analo1372 ge Anwendung des § 317 I, IV (iVm § 309 IV) AktG die Lösung, dies war sie schon im ITT-Fall. Die §§ 311 ff AktG sind nach dem hier entwickelten Verständnis gerade der gesetzliche Ausdruck der vom BGH in seinem Urteil gesetzesfrei entwickelten Verantwortlichkeit des faktisch herrschenden Gesellschafters für Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH. Die zusätzlich vom BGH im Autokran-Urteil für möglich gehaltene Anwendung der Vorschrift des § 317 IV iVm § 309 IV 3 über das Gläubigerbefriedigungsrecht ist im Rahmen der Anwendung der §§ 311 ff AktG selbstverständlich. 1373

1374

Im ITT-Fall hatte die GmbH außerdem einen Anspruch wegen verdeckter Vermögensausschüttung. Die von der herrschenden Gesellschaft veranlasste Konzernumlage war nach dem für die Revision unterstellten Sachverhalt causa societatis gezahlt worden. Bei der AG ist eine verdeckte Gewinnausschüttung per se verboten (§§ 57 III, 62 AktG). Bei der GmbH besteht das Verbot in den engeren Grenzen des § 30 I GmbHG. Aber auch wenn diese Grenzen nicht verletzt sind, ist ein Rückerstattungsanspruch begründbar, nämlich aus Bereicherungsrecht. Die Vorteilsgewährung causa societatis ist ein Handeln der Geschäftsführung jenseits ihrer Organkompetenz, und dies führt zu den Grundsätzen über den evidenten Missbrauch der Vertretungsmacht. Daraus folgt die Bereicherungshaftung gegenüber der Gesellschaft2293. Diese ist von einem Verschulden unabhängig. Daneben kommt ein Schadensersatzanspruch wegen Anstiftung zur Untreue in Betracht. Der Kläger des ITT-Verfahrens konnte als Gesellschafter der GmbH die betreffenden Ansprüche mit der actio pro socio2294 geltend machen, und zwar gerichtet auf Leistung an die Gesellschaft (zum Anspruch aus § 317 I 1 geregelt in §§ 317 IV, 309 IV 1, 2 AktG) im Gegensatz zum eigenen (Aktionärs)-Schadensersatz nach § 317 I 2 AktG.

1375 Zusammengefasst: Die Vorschriften des AktG über den faktischen Konzern, ge-

nauer: die faktische Abhängigkeit, sind entgegen der unklaren Berufung auf eine Treuepflicht im Verhältnis der Gesellschafter zueinander sowie im Verhältnis des Gesellschafters zu seiner GmbH auf den faktischen GmbH-Konzern analog anzuwenden.

_____ 2293 S o Rn 441. 2294 Zur actio pro socio im Recht der Kapitalgesellschaften o Rn 669.

II. Europäischer Konzern | 739

II. Europäischer Konzern II. Europäischer Konzern

Auf europäischer Ebene ist eine einheitliche Gesellschaftsform geschaffen wor- 1376 den, für die von der rechtlichen Regelung selbst vorgesehen ist, dass sie an der Spitze eines Konzerns stehen oder Tochtergesellschaft in einem Konzern sein kann. Es ist die Societas Europaea nach der SE-VO mit deutschem Ausführungsgesetz2295. Diese ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit2296, die nach zwei der von der SE-VO zur Verfügung gestellten Entstehungsarten Konzernober- oder -untergesellschaft ist. Eine SE kann originär (Primärgründung) in den vier durch SE-VO bestimm- 1377 ten transnationalen Entstehungsarten gegründet werden (Art 1 I iVm Art 2 I– IV SE-VO)2297. Ist eine SE wirksam gegründet, kann diese – ohne Voraussetzung der Transnationalität – eine Tochter-SE gründen (Sekundärgründung). Die erste Möglichkeit der – transnationalen – Primärgründung ist die Verschmelzung von mindestens zwei AG, die dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen (Art 2 I iVm Art 17 ff SE-VO)2298. In diesem Fall erlöschen die Gründergesellschaften, haben wir also keinen Konzern vor uns. Daneben kann aber eine SE auch als Holding-SE von AG und/oder GmbH aus verschiedenen Mitgliedstaaten gegründet werden (Art 2 II iVm Art 32 ff SE-VO). In diesem Fall bleiben die Gründergesellschaften bestehen. Die Holding-SE erhält durch Abtretung seitens der Gesellschafter der Gründergesellschaften Anteile an den Gründergesellschaften. Von jeder Gesellschaft müssen mehr als 50% der Stimmrechte erreicht werden (Art 32 II 4). Die zur Einbringung bereiten Gesellschafter erhalten gegen ihre Anteile an den Gründergesellschaften Anteile an der Holding-SE (Art 33 IV)2299.

_____ 2295 O Rn 158 ff. 2296 Diese wird mit Registereintragung von der SE erworben (Art 2 III, 12, 16 I SE-VO). 2297 Zur Frage der Umgehung der Gründungsformen Hirte, NZG 2002, 1, 3; Teichmann, ZGR 2002, 390, 412. 2298 Die Verschmelzung kann auf zweierlei Weise erfolgen: entweder nach Art 17 II a SE-VO durch Aufnahme in eine bestehende Gesellschaft, die damit die Rechtsform der SE annimmt (Art 17 II 2 iVm Art 29 I d SE-VO), oder gemäß Art 17 II b SE-VO durch Gründung einer neuen Gesellschaft in der Rechtsform der SE (Art 17 II 3 SE-VO). Die Verordnung sieht dazu eigene Vorschriften zum Ablauf des Verschmelzungsverfahrens vor, das im Wesentlichen dem aus dem deutschen UmwG bekannten Schema entspricht: Aufstellung eines Verschmelzungsplans (Art 20 SE-VO), ergänzender Verschmelzungsbericht (Art 22 SE-VO), Sachverständigenprüfung (Art 22 SE-VO), HV-Beschluss (Art 23 SE-VO), Eintragung (Art 27 SE-VO). Im Übrigen erklärt die Verordnung subsidiär Vorschriften des nationalen Verschmelzungsrechts für anwendbar (vgl Art 18, 24, 25, 26, 28, 29 III, 31 I 2, II SE-VO). Als Neuerung sieht sie schließlich die Möglichkeit für nationale Behörden vor, aus ordre-public-Gründen Einspruch gegen eine Verschmelzung einzulegen (Art 19 SE-VO). Näher zur Gründung durch Verschmelzung Teichmann, ZGR 2002, 390, 415 ff. 2299 Näher zur Gründung über eine Holding Teichmann, ZGR 2002, 390, 432 ff.

740 | K. Konzernrecht

Weiter kann die SE als Tochter-SE von Gesellschaften iSd Art 48 EGV2300 oder sonstigen juristischen Personen des öffentlichen oder privaten Rechts aus verschiedenen Mitgliedstaaten (Art 2 III SE-VO) gegründet werden (Art 2 III, wiederholt in Art 35 SE-VO). Hier ist nicht die SE an den Gründergesellschaften, sondern sind umgekehrt die Gründergesellschaften mit den bei der Gründung übernommenen Anteilen an der Tochter-SE beteiligt. Bei der Holding-SE herrscht die neue SE, bei der Tochter-SE herrschen die Gründergesellschaften. Eine einmal gegründete SE kann wiederum ihrerseits eine oder mehrere 1379 Tochter-SE gründen (sog Sekundärgründung; Art 3 II 1 SE-VO). Ferner kann sie an anderen SE-Gründungen wie eine nationale AG als Gründungsmitglied teilnehmen (Art 3 I SE-VO). So können über die Beteiligung einer SE an einem Konzern hinaus ganze SE-Konzerne aufgebaut werden.

1378

QQQ NEUE RECHTE SEITE

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2300 Gesellschaften des bürgerlichen und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften.

I. Bedeutung und Rechtsentwicklung | 741

L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

I. Bedeutung und Rechtsentwicklung https://doi.org/10.1515/9783110595802-012 I. Bedeutung und Rechtsentwicklung

Für die Existenz, die Kontrolle wirtschaftlicher Fort- aber auch Fehlentwicklung 1380 und die erforderliche Reaktion, die Rechte und Pflichten der Beteiligten sowie die Besteuerung der Kapitalgesellschaften ist wie bei jedem kaufmännischen Unternehmen (§§ 238, 242 I 1 HGB) die Rechnungslegung von zentraler Bedeutung. Mit ihr legt die Verwaltung vor der Haupt- oder der Gesellschafterversammlung Rechenschaft ab, sie legt aber auch vor der Öffentlichkeit (§ 325 HGB), insbesondere dem Kapitalmarkt, den Stand des Unternehmens offen2301. Die ordentliche Rechnungslegung und weitere – außerordentliche – Unternehmensrechnungen sind die maßgeblichen Grundlagen einerseits für die Darstellung und den Schutz des Gesellschaftsvermögens und andererseits für das Ergreifen von Sanierungs- oder Liquidationsmaßnahmen bei Verlust des Gesellschaftsvermögens. Beides dient der Prosperität und Sicherung der Gesellschaft und damit der Befriedigung der Interessen der an der Gesellschaft iwS Beteiligten 2302 (sog stakeholder), insbesondere dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger, aber auch der Akquisition neuen Kapitals für die Gesellschaft. Bis zum AktG von 1965, in dem die erste grundlegende Normierung der 1381 Rechnungslegung, nämlich die für die AG, enthalten hat, war die Rechnungslegung in den spärlichen Vorschriften der §§ 38 ff HGB aF und den dazu entwickelten gewohnheitsrechtlichen „Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB)“ enthalten2303. Die Hauptmaßgabe vor dem AktG 1965 war die Sicherung der Gläubiger vor dem Gewinninteresse der Gesellschafter. Deshalb waren die Überbewertung und die Ausweisung noch nicht realisierter Gewinne verboten. Demgegenüber war die Bildung stiller Reserven durch Unterbewertung der Aktiva durchaus zielkonform. Was dabei auf der Strecke blieb, war der Zweck, den Gesellschaftern und auch den potenziellen Anlegern einen zuverlässigen Einblick in die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft zu vermitteln2304.

_____ 2301 Zur Möglichkeit der Durchsetzung der Publizitätspflicht nach § 325 HGB durch einen Wettbewerber nach UWG OLG Köln NZG 2017, 992 2302 Zu den Gewinnbeteiligungsrechten der Gesellschafter s Rn 658 ff (AG), 664 ff (GmbH). Zur Vermögensbindung 419 ff. 2303 Knobbe-Keuk Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht S 34. 2304 Würdinger Aktienrecht 1981 § 32 I 1 a S 157 f. https://doi.org/10.1515/9783110595802-012

742 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

Als Grundaufgabe jeder Rechnungslegung im Unternehmen ist anzuführen, dass zwischen Kapital und Gewinn, genauer: zwischen dem Eigenkapital des Unternehmens einerseits und dem Ertrag, den das Unternehmen mit seinem Kapital erwirtschaftet, andererseits klar unterschieden werden muss. Entgegen dieser Aufgabe war die gesetzliche Regelung der Kapitalgesellschaften zunächst grundsätzlich nur auf die Sicherung des Garantiekapitals in den Gesellschaften ausgerichtet2305. Die einzige Ausnahme war, dass bei der AG das Agio, dh der Mehrbetrag bei Ausgabe der Aktien über pari, in einen gesetzlichen Reservefonds gebunden war, der nur zur Deckung eines sich aus der Bilanz ergebenden Verlustes verwendet werden konnte 2306. Für die AG fügte erst das HGB von 1897 zu der Bindung des Agio die Bindung von Zuzahlungen hinzu, die die Aktionäre gegen die Gewährung von Vorzugsrechten der Gesellschaft leisteten2307. Für die GmbH galt dies nicht. Es gab keine Regelung über die Bindung der bei der GmbH frei regelbaren Nachschüsse der Gesellschafter der GmbH (§§ 26 ff GmbHG). Es gab nur den auch heute noch geltenden § 30 II GmbHG, der davor sichert, dass Nachschüsse zurückgezahlt werden, die zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital erforderlich sind. Das anonyme Aktionärspublikum sollte auf die Gewinnbeteiligung be1383 schränkt sein. Das führte zur strengeren Abgrenzung zwischen Kapital und Gewinn bei der AG. Für die GmbH als Kapitalgesellschaft mit mehr personalistischer Beteiligung der Gesellschafter wurde dagegen nicht streng zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftersphäre getrennt. Ebenso wie die Gesellschafter durch Nachschussregelung des Gesellschaftsvertrags auch außerhalb einer Kapitalerhöhung zur Finanzierung der Gesellschaft herangezogen werden konnten (und auch heute noch können, § 26 GmbHG), wurde ihnen auch die Ausweisung und die Wiederauszahlung der zusätzlichen Beiträge überlassen, wenn nur das Stammkapital erhalten blieb. Ebenso unterschiedlich zwischen AG und GmbH war, dass bei der AG auch sonstige Rücklagen den Aktionären nur über die Ausweisung und Ausschüttung des Bilanzgewinns durch den Gewinnverwendungsbeschluss der HV am Jahresende2308 zugutekommen konnte (§ 57 III AktG), während sie bei der GmbH als solche ausgeschüttet werden können (arg e contrario aus § 30 GmbHG)2309. Den ersten grundlegenden Reformschritt zu einer genauen und sachgerech1384 ten Rechnungslegung der Kapitalgesellschaften hat, wie schon gesagt, das AktG von 1965 getan. „Durch Übergang zu dem Bewertungssystem, dessen Grundzug 1382

_____ 2305 2306 2307 2308 2309

Wilhelm, FS Flume II 1978, 337, 348 ff. Art 185b, 239b ADHGB idF der Novelle von 1884. § 262 Nr 3 HGB neben der das Agio betreffenden Nr 2. Auch der Abschlag nach § 59 AktG ist der Abschlag auf den Gewinn am Jahresende. Näher Wilhelm, FS Flume II 1978, 337, 358 mit Fn 84.

I. Bedeutung und Rechtsentwicklung | 743

die planmäßige Bewertung und die Ausschaltung willkürlicher stiller Reserven bildete, wurde die Rechnungslegung zur „Rechenschaftslegung der Verwaltung gegenüber den Aktionären“2310. Durch das sogenannte PublG von 19692311 ist die Regelung des AktG für alle Großunternehmen, gleich welcher Rechtsform, maßgebend geworden. Aufgrund europäischer Richtlinien zur Koordinierung des Gesellschafts- 1385 rechts, insbesondere der vierten, der sogenannten Bilanzrichtlinie2312, ist das BiRiLiG vom 19.12.1985 erlassen worden2313. Dadurch ist das Handelsbilanzrecht für alle kaufmännischen Unternehmen im 3. Buch des HGB geregelt2314. Dieses enthält Sondervorschriften für die Kapitalgesellschaften (§§ 264 ff HGB). Sie gelten für die AG, die KGaA und für die GmbH2315. Durch die allgemeinen Vorschriften der §§ 238 ff HGB (erster Abschnitt des 3. Buchs) und die ergänzenden Vorschriften der §§ 264 ff HGB für Kapitalgesellschaften (zweiter Abschnitt) sind zahlreiche Vorschriften aus dem Rechnungslegungskapitel des AktG (§§ 148 ff aF AktG) entfallen. Nur noch Besonderheiten für die AG sind stehen geblieben (§§ 150–160 AktG mit Lücken)2316. Das GmbHG enthält wenige Sondervorschriften für die GmbH2317. Für AG und GmbH gleichermaßen gilt die zwingende Zu-

_____ 2310 So Würdinger Aktienrecht § 32 I 1 a S 158 unter Anführung von Gessler Der Bedeutungswandel der Rechnungslegung im Aktienrecht, in: „75 Jahre deutsche Treuhandgesellschaft (1890–1965)“, hrsg von Muthesius S 154 ff. 2311 Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen v. 15.8. 1969, BGBl I S 1189, ber 1970 I S 1113 mit zahlreichen Änderungen, BGBl III/FNA 4120-7. Unter der Voraussetzung besonderer Größenordnung (betr Bilanzsumme, Umsatzerlöse und Zahl der Arbeitnehmer) hat das PublG Unternehmen anderer Rechtsformen als der Kapitalgesellschaften diesen gleichgestellt. 2312 Vierte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie v 25.7.1978 (78/660/EWG) ABl v 14.8.1978 Nr L 222 S 11 – Jahresabschlussrichtlinie. 2313 Als Grundlage der Bilanzrichtlinie haben nach Würdinger Aktienrecht § 32 I 1 b S 158 weitgehend die Vorschriften des AktG 1965 gedient. 2314 Zur Umsetzung der EG-Richtlinien näher Knobbe-Keuk Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht S 34 ff. 2315 Das HGB unterscheidet nun zwischen kleinen (§ 267 I HGB), darunter Kleinstgesellschaften (§ 267a HGB), mittelgroßen (§ 267 II HGB) und großen Kapitalgesellschaften (§ 267 III HGB). Kleine Kapitalgesellschaften brauchen etwa gem § 266 I 3, Kleinstgesellschaften nach § 266 I 4 HGB nur verkürzte Bilanzen aufzustellen. 2316 § 150: Gesetzliche Rücklage, § 152 zu Posten der Bilanz (u a Abs 1 S 1: Grundkapital als gezeichnetes Kapital auszuweisen), § 158 zu Posten der Gewinn- und Verlustrechnung, § 160 zu Angaben im Anhang. In § 161 folgt die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Aktiengesellschaften und bestimmter Wertpapierhandels-AG zur Erklärung zum Corporate Governance Kodex. 2317 Verpflichtung der Geschäftsführer zur Buchführung (§ 41), Maßgaben des § 42 zur Bilanz § 42 (Abs 1: Stammkapital als gezeichnetes Kapital auszuweisen, Abs 2: Besonderheiten für

744 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

weisung von Zuzahlungen der Gesellschafter in die Kapitalrücklage (§ 272 II Nr 3 HGB)2318. Das PublG2319 für Großunternehmen gilt nur noch für Personenhandelsge1386 sellschaften mit mindestens einer natürlichen Person als persönlich haftendem Gesellschafter 2320, weiter den Einzelkaufmann und bestimmte Unternehmen in anderer Rechtsform als der der Kapitalgesellschaften (§ 3 PublG) 2321. § 1 I legt die Größenmerkmale fest: Zwei von drei Größenmerkmalen müssen in bestimmten Stichzeiten erfüllt sein: Bilanzsumme über 65 Mio, Umsatz über 130 Mio, durchschnittlich mehr als 5.000 Arbeitnehmer. 1387 Ein weiterer bedeutsamer Reformschritt ist durch das BilanzrechtsreformG – BilReG – vom 4.12.20042322 vollzogen worden. Das Gesetz passt das deutsche Recht an die sog IAS-Verordnung der EG2323 an und setzt die sog Modernisierungsrichtlinie 2324 , Schwellenwertrichtlinie 2325 und Fair-Value-Richtlinie 2326

_____ Nachschüsse, Abs 3: Ausweisung von Titeln der Gesellschaft gegenüber Gesellschaftern), Maßgaben des § 42a für die Vorlage des Jahresabschlusses durch die Geschäftsführer und die Beschlussfassung der Gesellschafter über Feststellung und Ergebnisverwendung, und schließlich § 58b über die Verwendung bestimmter Rücklagen. 2318 Gegen die Praxis, die es bei verdeckten, nämlich in einem Austauschgeschäft zwischen Gesellschaft und Gesellschafter versteckten Zuzahlungen zulässt, diese als Ertrag auszuweisen, Wilhelm, ZHR 159 (1995), 452, 476 Fn 49. Zu den Zuzahlungen umfassend Schulze-Osterloh, FS Claussen 1997, 796 ff. Schulze-Osterloh lässt einen Ausnahmefall der Verbuchung einer Zuzahlung als Ertrag zu, nämlich den, die Zuzahlung in der Überleitungsrechnung, die nach § 158 AktG zum Bilanzergebnis hin aufzustellen ist, mit dem Bilanzverlust zu verrechnen. Weshalb es nicht auch in diesem Ausnahmefall bei der klaren Einstellung in die Kapitalrücklage und der Buchung als Entnahme aus dieser (§ 158 I 1 Nr 2 AktG) bleiben soll, ist nicht einzusehen. Schulze-Osterloh übertreibt mit der Klage über die „unnötige Förmlichkeit“ das Gewicht des Buchungsvorgangs. 2319 vom 15.8.1969, BGBl I, 1189, mehrfach geändert. 2320 Abgrenzung zu §§ 264a, b HGB: Einbeziehung von Gesellschaften in das Recht der Rechnungslegung bei Kapitalgesellschaften, wenn es keinen solchen Gesellschafter gibt und die Gesellschaft auch nicht in den Konzernabschluss eines Mutterunternehmens einbezogen ist. 2321 Das PublG behandelt die von ihm erfassten Unternehmen grundsätzlich gleich. Personenhandelgesellschaften und Einzelkaufleute brauchen die Gewinn- und Verlust-Rechnung und den Beschluss über die Verwendung des Jahresergebnisses nicht offenzulegen (§ 9 II). 2322 BGBl I S 3166. 2323 VO (EG) Nr 1606/2002 des e P und Rates vom 19.7.2002, ABl v 11.9.2002 Nr L 243 S 1. 2324 Richtlinie 2003/51/EG des e P und Rates vom 18.6.2003 ABl v 17.7.2003 Nr L 178 S 16. Zum Prinzip der Bilanzwahrheit und dem Vorsichtsprinzip gemäß der Richtlinie 78/660/EWG in der durch die Richtlinie vom 18.6.2003 gegebenen Fassung EuGH NZG 2017, 915 (mit Anm Hennrichs, Pöschke) betr die Frage, ob die Bilanzierung des Veräußerungspreises von Aktienoptionsrechten im Jahr der Ausübung der Rechte diesen Prinzipien widerspricht. 2325 Richtlinie 2003/38/EG des Rates vom 13.5.2003 ABl v 15.5.2003 Nr L 120 S 22. Sie betrifft vor allem das öffentliche Vergaberecht und wird ständig angepasst. 2326 Richtlinie 2001/65/EG des e P und Rates vom 27.9.2001, ABl v 27.10.2001 Nr L 283 S 28.

I. Bedeutung und Rechtsentwicklung | 745

um. Zunächst zur IAS-VO: Diese schreibt für börsennotierte Unternehmen vor, dass sie ihre Konzernabschlüsse nach den internationalen Rechnungslegungsregeln in Gestalt der sog IAS = International Accounting Standards, jetzt „IFRS“ = International Financial Reporting Standards2327 aufstellen2328. Für Konzernabschlüsse von Unternehmen, die nicht börsennotiert sind, räumt die IAS-VO eine Option zur Anwendung der IAS ein. Die Mitgliedstaaten können die Anwendung vorschreiben oder ihre Wahl zulassen. Das BilReG unterscheidet Konzernmutterunternehmen, die nach europäischen Regeln international rechnungslegungspflichtig sind (§ 315a I HGB), weiter börsennotierte Unternehmen (§ 315a II HGB) und schließlich Mutterunternehmen, für die das nicht zutrifft. Diese letzteren haben die Möglichkeit der Wahl der IFRS (§ 315a III HGB nF) 2329. Die IAS-VO hat sodann die Mitgliedstaaten dazu ermächtigt, die Anwen- 1388 dung der IAS über den Konzernabschluss hinaus auch für den Einzelabschluss zu gestatten oder vorzuschreiben. Diese Ermächtigung hat das BilReG nur sehr eingeschränkt genutzt. Zunächst wird die Anwendung der IAS nur zugelassen, nicht vorgeschrieben. Sodann wird sie nach § 325 IIa nF HGB nur zugelassen für die informatorische Offenlegung des Einzelabschlusses im Bundesanzeiger. Für den Einzelabschluss selbst bleibt es bei der Pflicht zur Rechnungslegung gemäß HGB. Die Kosten dieser doppelten Bilanzierung werden dadurch gemindert, dass bei Wahl des zusätzlichen Abschlusses nach IAS die Pflicht zur Veröffentlichung im Bundesanzeiger auf den IAS-Abschluss beschränkt wird.

_____ 2327 Die IAS wurden erarbeitet vom International Accounting Standards Committee (IASC) mit Sitz in London, das Committee wurde dann übernommen und fortgeführt vom International Accounting Standards Board (IASB). Dieser hat die IAS beibehalten und entwickelt sie fort. Jetzt ist die Bezeichnung: IFRS. Committee wie Board sind private Gremien, das IASB wird von der in den USA domizilierten International Accounting Standards Committee Foundation getragen. Zur Verankerung der Arbeit eines privaten Gremiums im deutschen Recht s § 342 HGB, zur Verankerung in Europa s Begr RegE BilReG, BR-Drucks 326/04, S 41 f. Nach der Angabe der Begr sind die IAS in der Anlage zur IAS-VO im ABl abgedruckt. Erreichbar aber auch über die Homepage des IASB. 2328 Zur Problematik der Kompetenz der Gerichte zur Auslegung von IAS/IFRS Schön, BB 2004, 763 ff. 2329 Das BilReG hatte durch Einfügung von Art 57 EGHGB die in der IAS-VO begründete Ermächtigung genutzt, für Unternehmen, die nicht in der EU oder dem EWR, sondern zB in den USA Wertpapiere in den Börsenhandel gebracht haben, für eine zweijährige Übergangszeit Rechnung zu legen nach anerkannten Standards der Drittstaaten, bei Emission in den USA also nach den US-amerikanischen US-GAAP (Generally Accepted Accounting Principles). Die Übergangsfrist ist inzwischen abgelaufen. Die amerikanische Börsenaufsicht SEC verfolgt Pläne, U.S. GAAP und IFRS alternativ zuzulassen (s die homepage der SEC).

746 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

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Der Grund für die beschränkte Anwendung der IAS ist nach der Begründung des RegE BilReG2330 die Eigenart der IAS im Vergleich zur Regelung des HGB. Die IAS seien in Verfolgung des „Fair-Value-Gedankens“ darauf gerichtet, dass noch nicht realisierte Gewinne (aufgrund der Veränderung von Aktienkursen, Zinssätzen etc) – zunehmend sogar erfolgswirksam – ausgewiesen würden. Dies könne für Informationsinteressen Sinn machen, die Ausschüttung nicht realisierter Gewinne an die Anteilseigner oder ihre Besteuerung seien aber nicht angemessen2331. In demselben Jahr wie das BilReG (2004) ist das Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz – BilKoG) in Kraft getreten2332. Das BilKoG führt eine stichprobenweise und bei Verdacht auf Bilanzmanipulationen erfolgende Prüfung der Rechnungslegung kapitalmarktorientierter Unternehmen durch ein von staatlicher Seite beauftragtes privates Gremium ein. Was nach der IAS-VO die Modernisierungsrichtlinie betrifft, hatte sich das BilReG noch mit der Umsetzung zwingender Anordnungen (betr Lagebericht, Gestaltung des Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers und strengere Transparenzanforderungen) begnügt. Erst das BilanzrechtsmodernisierungsG2333 hat von der Richtlinie eröffnete Gestaltungsspielräume genutzt: etwa betreffend Zeitwertberechnung im Unterschied zur bisherigen Alleinmaßgeblichkeit der historischen Kosten. Was schließlich die Fair-Value-Richtlinie betrifft, hat das BilReG die obligatorischen Vorgaben betreffend Anhang und Lagebericht (§§ 284, 289 HGB) umgesetzt. Eine Änderungsrichtlinie zur Jahresabschlussrichtlinie ist mit dem Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz (MicroBilG) vom 20.12. 20122334 umgesetzt worden. Es hat die Definition in § 267a HGB und für die definierten Kleinstkapitalgesellschaften u a Erleichterungen für die Gewinn- und Verlustrechnung (§ 275 V HGB) und die Offenlegung der Bilanz (§ 326 II HGB) gebracht. Das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) vom 22.7.20152335 hat die insbesondere zur Entlastung von Lagebericht und Prüfungspflicht relevanten

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2330 BR-Drucks 326/04, S 45. 2331 Kritisch zu den Auswirkungen der Internationalisierung der Rechnungslegung auf Grundprinzipien des deutschen Rechts Schulze-Osterloh, Der Konzern 2004, 173 ff; Buck, JZ 2004, 883 ff. Vehemente Kritik an der Entwicklung der IFRS, was insbesondere den Ausweis immaterieller Vermögenswerte betrifft – er spricht nach dem US-amerikanischen Bilanzskandal von „Enronitis“ – bei Schildbach, BB 2005, Heft 1 1. Seite. 2332 BilKoG vom 15. Dezember 2004 (BGBl I, 3408). 2333 Vom 25.5.2009 (BGBl. I Nr 27, 1102). 2334 BGBl I, 2751. 2335 BGBl I, 1245.

II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht | 747

Schwellenwerte des § 267 HGB zwischen großen, mittleren und kleinen Kapitalgesellschaften und in § 293 HGB die größenabhängige Befreiung vom Konzernabschluss verändert. Das CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz2335a verpflichtet kapitalmarktori- 1394a entierte Unternehmen und Konzerne zur „nicht finanziellen (Konzern)-Erklärung“ (§§ 289b ff, 315b ff HGB) in Ergänzung des (Konzern)-Lageberichts.

II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht bei AG und GmbH II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht

1. Übersicht über die Regelung Das 3. Buch des HGB (§§ 238 ff) regelt die „Handelsbücher“, dh die kaufmänni- 1395 sche laufende Buchführung mit ihrem jährlichen Abschluss in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Im allgemeinen (1.) Abschnitt behandeln die §§ 238 ff die Buchführung und die §§ 242 ff die Bilanz (§ 242 I) und die Gewinn- und Verlustrechnung (§ 242 II). Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung bilden den Jahresabschluss (§ 242 III HGB). In den allgemeinen Vorschriften finden sich wichtige Bilanzierungsgrundsätze zunächst über Vollständigkeit und Richtigkeit (§ 249 II HGB), bei den Kapitalgesellschaften ergänzt durch den Grundsatz der Übereinstimmung mit den tatsächlichen Verhältnissen (§ 264 II 1 HGB) – beides zusammen der Grundsatz der Bilanzwahrheit –. Weiter allgemein das Verbot der Verrechnung einzelner Posten (§ 246), die inhaltliche Anordnung der Bilanz (§ 247), die Regelung über Rückstellungen (§ 249) und Rechnungsabgrenzungsposten (§ 250). Die wichtige Norm des § 252 enthält Bewertungsgrundsätze: Kontinuitätsgrundsatz, grundsätzliche Bewertung going concern, Stichtagsprinzip, Einzelbewertung, Vorsichtsprinzip mit Imparitätsprinzip, dh Bilanzansatz noch nicht realisierter, aber vorhersehbarer Risiken und Verluste, kein Bilanzansatz nicht realisierter Gewinne2336. Es folgen Vorschriften über Wertansätze (§ 253), steuerliche Abschreibungen (§ 254) und die Begriffe der Anschaffungs- und Herstellungskosten (§ 255). Schließlich wird für eine übersichtliche Aufbewahrung gesorgt und die Vorlegung geregelt, sofern die Buchführung relevant wird (insbesondere im Rechtsstreit) – §§ 257–261 HGB. Im 2. Abschnitt (§§ 264 ff HGB) folgen ergänzende Vorschriften für Kapi- 1396 talgesellschaften und bestimmte Personenhandelsgesellschaften. Das AktG

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2335a v 11.4.2017, BGBl I, 2017, s o Rn 143a. 2336 Zum Prinzip der Bilanzwahrheit und dem Vorsichtsprinzip EuGH NZG 2017, 915 mit Anm Hennrichs und Pöschke.

748 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

enthält noch besondere Vorschriften für die AG (§§ 150 ff AktG, aus der Regelung der Kapitalveränderung §§ 231 f, 240 AktG), das GmbHG einige wenige für die GmbH (§§ 41–42a, aus der Regelung der Kapitalveränderung §§ 57d ff GmbHG). Die handelsrechtliche Regelung für Kapitalgesellschaften beginnt mit 1397 allgemeinen Vorschriften über die Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses zusammen mit einem Anhang, der mit der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung eine Einheit bildet (§ 264 I 1 HGB), und zusätzlich einem Lagebericht (jetzt zusammen mit der „nicht finanziellen Erklärung“ nach §§ 289b ff, 315b ff HGB). Den Lagebericht brauchen kleine Kapitalgesellschaften (zum Begriff sogleich) nicht aufzustellen (§ 264 I 4), Kleinstkapitalgesellschaften können auch auf den Anhang verzichten, wenn sie bestimmte Angaben unter der Bilanz angeben (§ 264 I 5). Sodann wird die Geltung der Regelung auch für besondere Personenhandelsgesellschaften bestimmt, nämlich solche, die über keine natürliche Person als unbeschränkt haftenden Gesellschafter verfügen und auch nicht in einen Konzernabschluss einbezogen sind (§§ 264a, b). § 265 HGB schließt allgemeine Grundsätze über die Gliederung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung an. Ein besonderer Titel (§§ 266 ff HGB) widmet sich der Bilanz und stellt deren 1398 Einzelgliederung an den Anfang. Nach § 266 I 2, 3 HGB ist die Gliederung für große und mittelgroße Kapitalgesellschaften einerseits und für die kleine Kapitalgesellschaft andererseits unterschiedlich. Nach der zweimaligen Differenzierung (in §§ 264 und 266) unterscheidet der Gesetzgeber jetzt in § 267 die Größenklassen der kleinen, mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften, neuestens auch noch Kleinstkapitalgesellschaften (§ 267a HGB). Auch im Weiteren ist die Unterscheidung immer wieder Anknüpfungspunkt für Differenzierungen (zB in § 264 I 4, 5 HGB betreffend Frist zur Aufstellung des Jahresabschlusses, Anhang und Lagebericht, § 274a über größenabhängige Erleichterungen bei der Gestaltung der Bilanzposten2336a). Für die Größenklassen sind maßgeblich die Bilanzsumme (BS), die Umsatzerlöse (UE) und die Arbeitnehmerzahl (AZ), wobei jeweils zwei von den dreien ausreichen: Kleinstgesellschaften sind nach § 267a HGB kleine Kapitalgesellschaften, die zwei der drei Stufen BS 350.000 €, UE 700.000 €, AZ im Jahresdurchschnitt 10 nicht überschreiten; kleine Gesellschaften dürfen zwei der drei Stufen BS 6 Mio €, UE 12 Mio €, AN 50 nicht überschreiten, mittelgroße dürfen oberhalb der für kleine Gesellschaften geltenden Stufen zwei von den drei für große Gesellschaften geltenden Stufen BS 20 Mio €, UE 40 Mio €, AN 250 nicht überschreiten.

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2336a Weiteres Beispiel: Festsetzung eines nur geringfügigen Ordnungsgeldes nach § 335 IV 2 Nr 1 HGB bei Kleinstkapitalgesellschaften (erweiternde Auslegung nach LG Bonn NZG 2018, 186: Es reiche, wenn Gesellschaft vom Recht nach § 326 II HGB hätte Gebrauch machen können).

II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht | 749

Die §§ 268 ff sagen Näheres zu der Gestaltung oder Gestaltbarkeit einzelner Posten der Bilanz (insbesondere in § 272 zum Eigenkapital). Dazu gehören auch Definitionen von Begriffen aus der Gliederung (zB die Begriffe der verbundenen Unternehmen und der Beteiligungen aus § 266 II A III. Nr 1 und 3 in § 271). Im nachfolgenden Titel wird die Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung geregelt (§ 275) und werden Vorschriften auch zu einzelnen Posten dieser Rechnung normiert (§§ 276–279). §§ 279 ff enthalten Sondervorschriften zu den allgemeinen Bewertungsvorschriften der §§ 253 ff. Die §§ 284 ff schreiben den Inhalt des von Kapitalgesellschaften mit Ausnahme der Kleinstgesellschaften zusätzlich vorzulegenden Anhangs, §§ 289 ff geben Näheres zu dem für große und mittelgroße Kapitalgesellschaften zwingenden, für kleine fakultativen Lagebericht vor. §§ 290 ff HGB begründen zusätzliche Regeln über Konzernabschluss und Konzernlagebericht. In § 264 III HGB werden zuvor Ausnahmen von den Rechnungslegungsvorschriften statuiert, die für Tochterkapitalgesellschaften gelten, die in den Abschluss ausländischer Mütter einbezogen sind. Die Normen sodann über den Konzernabschluss grenzen ihren Geltungsbereich selbstständig, also nicht unter Verweis auf die Konzerndefinition in § 18 AktG ab. Es gilt ein bilanzrechtlicher Konzernbegriff. Die Konzernrechnungslegungspflichten gelten für eine Kapitalgesellschaft („Mutterunternehmen“), die auf ein Tochterunternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (§ 290 I HGB). Den beherrschenden Einfluss definiert § 290 II HGB in mehreren Spielarten, nach Nr 1 reicht die Innehabung der Mehrheit der Stimmrechte. Nach der aktienrechtlichen Abgrenzung führt demgegenüber die Innehabung der Mehrheit der Anteile (§ 16 AktG) zur Vermutung der Herrschaft und Abhängigkeit (§ 17 II AktG) und diese wiederum zur Vermutung der für einen Konzern erforderlichen einheitlichen Leitung (§ 18 I 3 AktG). Der durch das BilReG eingefügte § 315a HGB bestimmt für Mutterunternehmen, die unter die IAS-VO fallen und weiter für börsennotierte Unternehmen die Pflicht, ihren Jahresabschluss nach den IAS/IFRS aufzustellen. Die Mutterunternehmen, die nicht darunter fallen, haben die Wahlmöglichkeit, den Konzernabschluss nach diesen internationalen Rechnungslegungsstandards aufzustellen (§ 315a III HGB). Nach der handelsrechtlichen Regelung sind im Konzern aufzustellen ein Konzernabschluss (Konzernbilanz, Konzerngewinn- und -verlustrechnung, Konzernanhang) sowie ein Konzernlagebericht (§ 290 I HGB, mit nicht finanzieller Konzernerklärung, § 315b ff HGB). Für diese Rechnung werden, grob gesagt, die Einzelrechnungen der konzernangehörigen Unternehmen so zusammengefasst („konsolidiert“), als wenn ein einheitliches Unternehmen vorläge. Aktiva und Passiva aller beteiligten Unternehmen sind zusammenzufassen. Aus

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internen Lieferungen sollen keine Ertragssteigerungen entstehen. Geschäftstätigkeiten sollen erst dann berücksichtigt werden, wenn sie aus dem Konzern nach außen erbracht werden2337. Nach §§ 316 ff HGB (mit wesentlichen Veränderungen durch das BilReG) 1403 sind mit Ausnahme kleiner Kapitalgesellschaften iSv § 267 I HGB die Kapitalgesellschaften verpflichtet, ihren Jahresabschluss und ggf Konzernabschluss prüfen zu lassen. §§ 325 ff HGB befassen sich mit der Offenlegung. Durch das BilReG ist den offenlegungspflichtigen Kapitalgesellschaften das Wahlrecht eingeräumt worden, bei der Offenlegung an die Stelle des Jahresabschlusses einen Einzelabschluss zu stellen, der nach IAS (IFRS) aufgestellt ist (§ 325 IIa HGB nF). Sanktioniert werden die Rechnungslegungspflichten durch Straf- und Buß1404 geldvorschriften (§§ 331 ff HGB). Danach kommen ergänzende Vorschriften zu eingetragenen Genossenschaften (3. Abschnitt, §§ 336 ff HGB) und zu Unternehmen bestimmter Geschäftszweige (4. Abschnitt, §§ 340 ff HGB). Nach dem 5. Abschnitt kann das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz für die Entwicklung von Empfehlungen für die Konzernrechnungslegung und für Gesetzgebungsvorhaben (u a) ein privates Rechnungslegungsgremium anerkennen (§ 342 HGB), andernfalls hat es einen Rechnungslegungsbeirat zu bilden (§ 342a mit Abs 9 HGB). Ermessen hat das Ministerium wiederum darin, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen eine Prüfstelle für Rechnungslegung (für die Einhaltung der Rechnungslegungsvorschriften, sog Enforcement-Verfahren) zu bilden (6. Abschnitt, §§ 342b–342e HGB2338). Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung ist seit dem 1.7.2005 tätig. Sie ist privatrechtlich tätig und prüft kapitalmarktorientierte Unternehmen. Das Prüfverfahren ist zweistufig, neben der privaten Prüfstelle ist die BAFin beteiligt.

2. Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung; Jahresabschluss 1405 Nach § 238 I 1 HGB sind Kaufleute mit der Ausnahme von Einzelkaufleuten mit

kleinen Umsatzerlösen und Jahresüberschüssen (§ 241a HGB) verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen ihre Handelsgeschäfte (§ 343 HGB) und die Lage ihres Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen. Mit derselben Ausnahme (§ 242 IV HGB) haben Kaufleute

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2337 So die vom HGB als Prinzip zugrunde gelegte Einheitstheorie, Staub/Kindler, Kom HGB 4. Aufl, vor § 290 Rn 27. 2338 Es folgt der vertraute § 343 HGB mit dem Begriff der Handelsgeschäfte.

II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht | 751

zu Beginn ihres Handelsgewerbes eine Eröffnungsbilanz und für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs eine Bilanz aufzustellen (§ 242 I 1 HGB). Diese Bilanzen sind ein das Verhältnis des Vermögens und der Schulden des Kaufmanns darstellender Abschluss. Für die Eröffnungsbilanz gelten die Vorschriften über den Jahresabschluss betreffs der Bilanz entsprechend (§ 242 I 2 HGB). Die Aufstellungspflicht zum Jahresabschluss umfasst außer der Bilanz auch die Gewinnund Verlustrechnung (§ 242 II, III HGB). Die Gewinn- und Verlustrechnung ist eine Gegenüberstellung der Aufwendungen und Erträge des Geschäftsjahrs (§ 242 II HGB). Neben der Unterscheidung zwischen der Eröffnungsbilanz und der Bilanz (§ 242 I 1) unterscheidet das Gesetz noch im Hinblick auf die Bilanz die Schlussbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahrs und die Eröffnungsbilanz des Geschäftsjahres (§ 252 I Nr 1 HGB). Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung bilden den Jahresabschluss (§ 242 III HGB) Bei den Kapitalgesellschaften ist mit Ausnahme der Kleinstgesellschaften in den Jahresabschluss noch ein Anhang einbezogen; zusätzlich ist – dies mit Ausnahme der kleinen (inklusive kleinsten) Kapitalgesellschaften – ein Lagebericht aufzustellen (§ 264 I 1, 4 HGB). §§ 290 ff HGB behandeln die Rechnungslegung im Konzern durch Konzernabschluss und Konzernlagebericht. Dies ist ein spezieller Gegenstand des Konzernrechts. Wir sprechen im Folgenden grundsätzlich nur vom Jahresabschluss. Wie wir gleich genauer ausführen werden, bestehen die Bilanzen aus den beiden Seiten der Aktiva (Vermögensgegenstände) und der Passiva (wem steht der in den Vermögensgegenständen steckende Wert = das Kapital zu?). Die Seiten sind notwendig gleich: Fehlt ein zur Deckung von Rückstellungen oder Verbindlichkeiten erforderlicher Betrag, wird er auf der Aktivseite gebucht (§ 268 III HGB). Weiter sind notwendig gleich die Jahresergebnisse in der Bilanz und in der Gewinn- und Verlustrechnung. Die Gewinn- und Verlustrechnung führt den Verbrauch und den Zuwachs an Vermögensgegenständen (Aufwand und Ertrag) auf. Das Ergebnis entspricht den Veränderungen der Bestände der Bilanz. Im Konzern unter der einheitlichen Leitung einer Mutterkapitalgesellschaft mit Sitz im Inland2339 hat die Muttergesellschaft zusätzlich (auf denselben Stichtag, § 299 I HGB) – vorbehaltlich der sachlichen Befreiung nach § 292 und der größenabhängigen Befreiung nach § 293 – einen Konzernabschluss (Konzernbilanz, Konzerngewinn- und verlustrechnung mit Konzernanhang, § 297 I 1 HGB) und einen Konzernlagebericht aufzustellen (§ 290 I HGB).

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2339 Andere Unternehmen als Kapitalgesellschaften können nach dem PublG konzernrechnungslegungspflichtig sein. – Für die von § 290 HGB gemachte Voraussetzung der einheitlichen Leitung werden in § 290 II HGB feste Tatbestände aufgestellt.

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Nur für die Kapitalgesellschaften sind in §§ 266 ff HGB und §§ 275 ff HGB genauere Vorschriften über die Gestaltung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung gegeben. An diesen Vorschriften orientiert sich aber auch die Rechnungslegung bei den anderen Kaufleuten. Sondervorschriften hat das HGB im AktG für die AG und im GmbHG für die GmbH zurückgelassen. § 152 I 2 AktG schreibt in der Bilanz der Aktiengesellschaft zum gezeichneten Kapital die Buchung der verschiedenen Aktiengattungen, S 3 der Vorschrift die Buchung des bedingten Kapitals mit dem Nennbetrag vor. Sodann enthält § 152 II AktG Besonderheiten für die Buchung von Kapitalrücklagen, Abs 3 für die von Gewinnrücklagen, Abs 4 bestimmt Besonderheiten für kleine und KleinstAktiengesellschaften, Schließlich lässt § 158 AktG die Gewinn- und Verlustrechnung der Aktiengesellschaft durch die Posten Gewinnvortrag/Verlustvortrag aus dem Vorjahr, Entnahmen aus der Kapitalrücklage, Entnahmen aus, Einstellungen in Gewinnrücklagen sowie Bilanzgewinn/Bilanzverlust ergänzen. Für die GmbH gibt es besondere Bilanzierungsvorschriften in § 42 GmbHG und für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 57d ff GmbHG).

3. Buchführung und Bilanz 1411 Das Rechenwerk2340 stellt die Vermögenslage des Unternehmens auf folgende

Weise dar: Zuerst von der Eröffnungsbilanz (§ 242 I 1 HGB), sodann von der Schlussbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahres geht die Buchführung aus. Die Schlussbilanz ist zugleich die Eröffnungsbilanz des (laufenden, abzurechnenden) Geschäftsjahres (§ 252 I Nr 1 HGB). Alle Posten der Bilanz, Aktiva und Passiva, werden als Anfangsbestände in einzelne Konten (Bestandskonten) übernommen. Die Konten für die Aktiva sind Aktivkonten, die Aktiva erscheinen dort auf der Sollseite, die Konten für die Passiva sind Passivkonten, die Passiva erscheinen dort auf der Habenseite2341. Auf diesen Konten wird jeder Geschäftsvorfall im Unternehmen gebucht. In dem Konto, dessen Bestände von dem einzelnen Geschäftsvorfall berührt 1412 werden, wird ein Zugang oder Abgang gebucht. Zum Jahresschluss werden die

_____ 2340 Dazu Wilhelm, ZHR 159 (1995), 454, 461 f. 2341 Die Begriffe Soll und Haben haben keine sachliche Bedeutung, sondern bezeichnen nur noch die Kontenseiten als Gegenseiten zum Eröffnungskonto, das seinerseits seitenverkehrt die Aktiva und Passiva der Bilanz aufnimmt. Wegen dieses Zusammenhangs gilt der Satz von Soll und Haben (genauer: Soll = Haben). Es geht ja letztlich immer nur um dieselbe Größe des Vermögens des Kaufmanns in den Zuordnungsweisen seines Werts (an ihn selbst oder an Gläubiger oder in Risikoreserve).

II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht | 753

Konten abgeschlossen, dh es wird die Differenz zwischen der Summe aus Anfangsbestand und Zugängen einerseits und der Summe der Abgänge andererseits gebildet und als Endbestand derjenigen Kontenseite hinzugefügt, die die kleinere Summe aufweist, sodass sich im Ergebnis die Kontenseiten ausgleichen. Die Endbestände aller Bestandskonten sind im Schlussbilanzkonto gegenzubuchen. Aus der Habenseite des Schlussbilanzkontos wandern die Bestände in die Aktivseite der Bilanz, die Bestände der Sollseite wandern in die Passivseite der Bilanz. Einer der Passivposten ist das Jahresergebnis: Sofern die Geschäftsvorfälle des Jahres bei Berücksichtigung aller Zu- und Abgänge auf allen Aktiv- und Passivkonten die Differenz zwischen Aktiva und Verbindlichkeiten/Belastungen verbessert haben, hat der Kaufmann einen Jahresüberschuss gemacht, im Fall der Verschlechterung hat er einen Jahresfehlbetrag erlitten.

4. Eigenkapital und Jahresergebnis Das Jahresergebnis sagt nichts darüber aus, ob das Unternehmen gut oder 1413 schlecht steht. Es stellt lediglich die Differenz gegenüber dem Vermögensstand des Vorjahres dar. War das Unternehmen im Vorjahr beinahe insolvenzreif, so kann es im laufenden Jahr einen Jahresüberschuss erwirtschaftet haben und trotzdem aus der Gefahrenzone nicht heraus sein. Dies bestätigt die Betrachtung der Eigenkapitalposten in der Bilanz (§ 266 III A HGB). Die Eigenkapitalposten gehören zu den Passivkonten gemäß der Grund- 1414 aussage der Bilanz2342. Nach dieser Grundaussage drückt die Bilanz das Vermögen des Kaufmanns in zweifacher Richtung aus. Unter den Aktiva erscheint das Vermögen als Inbegriff der Vermögensgegenstände, die dem Kaufmann (unmittelbar) gehören. Das Kapital ist der in diesen Vermögensgegenständen steckende Wert. Durch die Passiva wird dargestellt, wem das Kapital (der Wert des Vermögens) letztlich (mittelbar) zusteht. Soweit der Vermögenswert letztlich dem Kaufmann selbst zusteht, erscheint er auf der Passivseite als Eigenkapital. Das Vermögen steht dem Kaufmann letztlich selbst insoweit zu, als es die Verbindlichkeiten und sonstigen Belastungen (die Risikoreserve der Rückstellungen, § 249 HGB) übersteigt. Bei den Kapitalgesellschaften (Formkaufleuten) steht das der Gesellschaft zustehende Vermögen dieser in unterschiedlicher Weise zu. Als „gezeichnetes Kapital“ (§ 266 III A I. HGB) ist es fest in die Gesell-

_____ 2342 S bereits o Rn 416 ff.

754 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

schaft gebunden2343. Was sodann die Kapitalrücklagen betrifft (§ 266 III A II. HGB), nehmen diese Konten Zahlungen auf, die die Kapitalgrundlage der Gesellschaft verstärken, aber nicht von der Gesellschaft erwirtschaftet worden sind (§ 272 II HGB). Das bedeutet aber nur die zwingende Einbuchung in die Kapitalrücklage. Aus dieser können Beträge aber sogleich wieder – bei der AG freilich nur in den Grenzen des § 150 AktG – entnommen werden2344. 1415 Alle Eigenkapitalposten zusammen geben den Teil des Kapitals (=Vermögenswerts) der Kapitalgesellschaft wieder, der der Kapitalgesellschaft zusteht. Das Jahresergebnis ist demgegenüber die Vermehrung oder Verminderung des Vermögenswerts, gerechnet vom Stand des Schlusses des vorhergehenden Geschäftsjahres an. 1.

Beispiel: Soweit die Gesellschaft in der Vergangenheit positiv gewirtschaftet hat, kann dies dazu geführt haben, dass in der Bilanz am Schluss des vorhergehenden Geschäftsjahres die Eigenkapitalposten Gewinnrücklage und Gewinnvortrag erscheinen (§ 266 III A III., IV.). Ein Jahresüberschuss (§ 266 III A V.) ergibt sich jetzt nur dann, wenn das Vermögen noch über die Summe aus den folgenden Beträgen hinaus

_____ 2343 § 272 I 2, 3 HGB gestattet zwei Alternativen der Bilanzierung des gezeichneten Kapitals: Entweder einerseits auf der Aktivseite Einstellung der ausstehenden Einlagen der Gesellschafter vor dem Anlagevermögen mit gesondertem Vermerk „davon eingefordert“, soweit die Gesellschaft ihre Gesellschafter zur Leistung aufgefordert hat, aber noch nicht geleistet ist – andererseits auf der Passivseite das gesamte gezeichnete Kapital als ein Posten. Oder es ist einerseits auf der Passivseite nach Ausweis des gezeichneten Kapitals in der Hauptspalte in einer Vorspalte der Teil der ausstehenden Einlagen zu vermerken, der nicht eingefordert ist, und sodann in der Hauptspalte der Differenzposten „eingefordertes Kapital“ einzustellen – andererseits sind auf der Aktivseite die eingeforderten, aber noch nicht eingezahlten Einlagen mit besonderer Kennzeichnung unter den Forderungen auszuweisen. Beispiel: Gezeichnetes Kapital 2.000.000, eingefordert 1.500.000, bisher eingezahlt 1.200.000, dh ausstehend 800.000, davon 500.000 nicht eingefordert, 300.000 eingefordert, aber nicht gezahlt. Erste Alternative (§ 272 I 2 HGB): Aktiva: A. „Ausstehende Einlagen auf gezeichnetes Kapital“ 800.000, „davon eingefordert“ 300.000. Ebenso möglich Aktiva: A. „Ausstehende Einlagen“, darunter: „eingefordert“ 300.000, „nicht eingefordert“ 500.000, dann Summenstrich, darunter 800.000. Sodann Passiva: A. Eigenkapital, darunter I. „Gezeichnetes Kapital“ 2.000.000. Zweite Alternative (§ 272 I 3 HGB): Aktiva: B. Umlaufvermögen, darunter II. Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände, darunter 4. „Eingefordertes, noch nicht eingezahltes Kapital“ 300.000. Sodann Passiva: A. Eigenkapital. Darunter I. „Gezeichnetes Kapital“ 2.000.000. Dann in Vorspalte „nicht eingeforderte Einlagen“ 500.000. Dann Hauptspalte „Eingefordertes Kapital“ 1.500.000. 2344 Nach Beck’scher Bilanzkom/Budde/Raff, 3. Aufl, 1995, § 270 Rn 10 „kann – sollte aber nicht –“ die Auflösung einer Kapitalrücklage vorbehaltlich der aktienrechtlichen Vorschriften bereits im Jahre ihrer Zuführung wieder zur Gewinnausschüttung im Rahmen von § 270 II verwendet werden. § 150 AktG gibt aber nur betragsmäßige, keine zeitlichen Grenzen. Also gibt es die auch sonst nicht. Die 6. Aufl 2006 (Förschle) enthält die Bemerkung denn auch nicht mehr. Eine sofortige Entnahme muss allerdings ersichtlich gemacht werden (s für die AG § 158 I 1 Nr 2).

II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht | 755

2.

angestiegen ist: Schulden/Belastungen, gezeichnetes Kapital, Kapitalrücklagen, Gewinnrücklagen, Gewinnvortrag. Beispiel: War bei einer AG im vergangenen Jahr nicht einmal genügend Aktivvermögen vorhanden, um Schulden und gezeichnetes Kapital zu decken, so ist dies in der Schlussbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahres durch die (negativen) Posten Verlustvortrag und Fehlbetrag ausgedrückt, bei deren Subtraktion von den positiven Eigenkapitalposten ein geringerer Betrag als der des gezeichneten Kapitals herauskommt. Ein Jahresüberschuss ist im neuen Jahr schon dann zu verzeichnen, wenn der Wert des Vermögens sich so weit verbessert hat, dass der am gezeichneten Kapital fehlende Betrag geringer geworden ist, auch wenn der Wert immer noch nicht Schulden und Grundkapital deckt. Entsprechend ergibt sich bei Verschlechterung der Vermögenslage im Vergleich zur Schlussbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahres ein Jahresfehlbetrag.

Soweit Verluste in einem Maße eingetreten sind, dass die Verbindlichkeiten und 1416 sonstigen Belastungen den Wert der Aktiva sogar übersteigen, kann dies nicht mehr durch einen Negativbetrag (Fehlbetrag) auf der Passivseite (Verlust zu Lasten des Garantiekapitals) ausgedrückt werden. In diesem Fall ist auf der Aktivseite ein Posten mit der Bezeichnung „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ auszuweisen (§ 268 III HGB). Man spricht auch von einem negativen Eigenkapital. Das Jahresergebnis darf nicht mit Gewinn- oder Verlustvorträgen aus 1417 dem Vorjahr verrechnet werden: Das Unternehmen war im laufenden Jahr relativ weniger erfolgreich, soweit ein Unternehmensgewinn schon aus dem Vorjahr stammt, im Gegensatz dazu war das Unternehmen umso erfolgreicher, wenn es auch einen Verlustvortrag aufgeholt hat. Nach § 268 I 1, 2 HGB kann ein Gewinn- oder Verlustvortrag aus dem Vorjahr freilich in das Jahresergebnis einzubeziehen sein. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Mehrung oder Minderung des Jahresergebnisses, sondern um seine „Verwendung“. Auch bei der Einbeziehung eines Gewinn- oder Verlustvortrags ist noch ein gesonderter Vermerk erforderlich (§ 268 I 2 HGB). Unter Berücksichtigung der Eigenkapitalkonten ergibt die Buchführung das 1418 Jahresergebnis als Leistung des Unternehmens. Folglich muss das Ergebnis von Vorgängen abgegrenzt werden, die mit der Leistung des Unternehmens nichts zu tun haben. Der Unternehmenserfolg wird nicht gemindert, sondern gerade genutzt, wenn der Kaufmann Entnahmen tätigt oder Unternehmensvermögen an die Gesellschafter ausgeschüttet wird. Andererseits gehören Einlagen der Gesellschafter nicht zur Leistung des Unternehmens. Sie bedeuten eine Vermehrung der Kapitalgrundlage des Unternehmens. Entnahmen und Einlagen dürfen also nicht das Jahresergebnis beeinflussen. Dies wird in der Buchführung dadurch gewährleistet, dass die Aktivaminderung oder -vermehrung durch Entnahmen und Einlagen auf passivischen Eigenkapitalkonten gegenge-

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bucht wird, die Entnahmen etwa als Minderungen des aus dem festgestellten Jahresüberschuss gebildeten Überschusskontos, die Einlagen als Mehrungen der Kapitalkonten (Kapitalrücklagen). Die Minderung des Passivums Eigenkapital gleicht die Minderung von Aktiva durch die Entnahmen aus, die Mehrung des Passivums Eigenkapital gleicht die Mehrung der Aktiva durch Einlageleistungen aus. Auf diese Weise beeinflussen Entnahmen und Einlagen den Saldo der Bilanz nicht.

5. Gesetzliche Begriffe der Verwendung des Jahresergebnisses 1419 § 268 I 1 HGB sieht den Fall vor, dass die Bilanz (dh neben der in § 266 III A HGB

zunächst angeordneten Weise) unter Berücksichtigung der vollständigen oder teilweisen Verwendung des Jahresergebnisses aufgestellt wird. Bei der AG muss die Verwendung erfolgen (§§ 152 II, III, 158 AktG). Das Jahresergebnis wird teilweise verwendet, wenn Maßnahmen der Verwendung (etwa Verrechnung mit Verlustvortrag, Einstellung in die gesetzliche Rücklage nach § 150 II AktG, Dotierung der Gewinnrücklagen durch den Vorstand nach § 58 II AktG) nur einen Teil des Jahresüberschusses betreffen2345. Bei vollständiger Ergebnisverwendung verbleibt nichts zu weiterer Verwendung übrig. Im Fall der teilweisen Verwendung tritt an die Stelle der beiden Posten „Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag“ und „Gewinnvortrag/Verlustvortrag“ der Posten „Bilanzgewinn/Bilanzverlust“. In diesen ist ein etwa aus dem Vorjahr noch vorhandener Gewinn- oder Verlustvortrag unter gesondertem Vermerk einzubeziehen (§ 268 I 2 HGB). Bei vollständiger Ergebnisverwendung gibt es weder den Posten des Jahresüberschusses/-fehlbetrags noch den des Bilanzgewinns/-verlusts 2346. Der Posten Gewinnvortrag/Verlustvortrag bleibt, wenn er durch die Verwendung nicht beseitigt ist, mangels Einbeziehbarkeit in einen Ergebnisposten bestehen. Die verwendeten Ergebnisbeträge sind in den zugehörigen Konten zu buchen, 1420 die neuen Saldi ergeben veränderte Bilanzposten. Werden Teile des Ergebnisses in die Rücklagen eingestellt, so verändern sich die Rücklagenbeträge. Zur Aus-

_____ 2345 Die Aufstellung der Bilanz unter teilweiser Ergebnisverwendung ist der gewöhnliche Fall bei der AG, weil bei dieser zumeist statutarische oder gesetzliche (s §§ 150 II AktG, 272 IV HGB) Verpflichtungen zur Einstellung in Rücklagen begründet sind. 2346 Wie bei vollständiger Ergebnisverwendung mit der Folge, dass kein verwendbares Ergebnis verbleibt, doch noch ein Restgewinn soll übrig bleiben können, der dann doch noch als Bilanzgewinn auszuweisen sein soll (Staub,GKHGB/Hüttemann § 268 Rn 10 unter Berufung auf Beck’scher Bilanzkommentar/Budde/Raff § 268 Rn 8), ist unerfindlich.

II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht | 757

schüttung bestimmte Teile führen zum Ausweis von Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber den Anteilseignern als „sonstige Verbindlichkeiten“. Bei der AG ist das Jahresergebnis zwingend zum Bilanzgewinn oder -verlust 1421 fortzuführen. § 152 II, III AktG schreibt dies für die Bilanz, § 158 I 1, 2 AktG für die Gewinn- und Verlustrechnung vor.

6. Die Berechnung des Eigenkapitals, Unterbilanz, buchmäßige Überschuldung Die Bilanz stellt dar, wieviel Eigenkapital das Unternehmen hat. Das vorhande- 1422 ne Eigenkapital (im Unterschied zum gesollten, dem „Garantie-Kapital“) ist durch Addition und Subtraktion der positiven und negativen Beträge gemäß § 266 III A I.–V. HGB zu berechnen (bei teilweiser Verwendung des Jahresergebnisses: gemäß Ziff I.–III. plus oder minus Bilanzgewinn oder Bilanzverlust). Übersteigt die Summe aus Jahresfehlbetrag und Verlustvortrag bzw der Bilanzverlust die Rücklagen, so bedeutet dies, dass das gezeichnete Kapital nicht mehr gedeckt ist, dh dass das Vermögen nicht mehr in Höhe des gezeichneten Kapitals die Verbindlichkeiten und die sonstigen Belastungen übersteigt. Dies nennt man bei den Kapitalgesellschaften Unterbilanz2347. Haben sich Fehlbeträge ergeben, die in summa über die positiven Posten 1423 einschließlich des Garantiekapitals hinausgehen, so ist, wie gesagt2348, der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag auszuweisen. § 268 III HGB formuliert diesen Fall zweistufig, nämlich dahin, dass das Eigenkapital durch Verluste aufgebraucht ist und sich ein Überschuss der Passivposten über die Aktivposten ergibt. Nach der Vorschrift ist der Betrag am Schluss der Aktivseite der Bilanz gesondert unter der Bezeichnung „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ auszuweisen2349. Wird dieser Posten ausgewiesen, ist die Gesell-

_____ 2347 Zu einer schon bestehenden Unterbilanz als Hindernis der Eintragung der Gesellschaft o Rn 279. 2348 O Rn 1416. 2349 Geht man von der Aussage der Bilanz aus, dass auf der Aktivseite steht, welches Vermögen dem Unternehmer gehört, auf der Passivseite, wem der Wert des Vermögens zusteht, so sind die beiden Fälle der Unterbilanz und eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags, wie folgt, einzuordnen: Im Fall der Unterbilanz drücken die negativen Posten auf der Passivseite (Verlustvortrag und Jahresfehlbetrag) aus, in welcher Höhe Vermögen dazu fehlt, dass der Kapitalgesellschaft der Wert ihres Vermögens in Höhe des gezeichneten Kapitals zusteht, dh die Verbindlichkeiten übersteigt und das Eigenkapital deckt. Im Fall eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags bedeutet die Buchung auf der Aktivseite, dass Aktiva schon dazu fehlen, dass der Wert des Vermögens den Betrag der Verbindlichkeiten erreicht.

758 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

schaft „buchmäßig überschuldet“. Die buchmäßige Überschuldung bedeutet eine insolvenzrechtliche Überschuldung erst dann, wenn den Fehlbetrag ausgleichende stille Reserven fehlen, die sich bei zu vorsichtiger Bewertung von Aktivavermögenswerten oder von Verbindlichkeiten/Belastungen auf der Passivseite in der Bilanz ergeben können2350.

7. Gewinn- und Verlustrechnung 1424 Neben der Bilanz, aus der der Erfolg als Zu- oder Abnahme der Differenz zwi-

schen Aktivvermögenswerten und Verbindlichkeiten/Belastungen der Gesellschaft im Vergleich zum Vorjahr zu entnehmen ist, steht nach §§ 275 ff HGB eine zweite Rechnung, die Gewinn- und Verlustrechnung. Zu dieser kommt es aufgrund des Prinzips der doppelten Buchführung, nämlich des Prinzips von Soll und Haben. Nach diesem Prinzip entspricht jeder Buchung eine gleich hohe Gegenbuchung2351. Die Gegenbuchung kann die Buchung einer gleich hohen Bestandsveränderung sein (Einbuchung einer Maschine einerseits, einer Bankverbindlichkeit andererseits), häufig treten aber Geschäftsvorfälle auf, bei denen ein Zugang oder Abgang in dem einen Bestandskonto nicht oder nicht vollständig durch einen Abgang oder Zugang in einem anderen Bestandskonto ausgeglichen wird. In diesen Fällen ist ein positiver oder negativer Erfolg eingetreten. Der positive Erfolg wird in einem Ertragskonto, der negative in einem Aufwandskonto verbucht. Da auch insoweit eine doppelte Buchung erfolgt, ist das System der doppelten Buchführung geschlossen2352. 1425 So wie man den Erfolg des Unternehmens durch den Vergleich des Vermögensstandes am Schluss des Jahres und am Schluss des vorangegangenen Jahres feststellen kann, kann man ihn auch durch Vergleich der Aufwände und Erträge in dem Jahr feststellen. Die erste Vergleichsfeststellung ist die Bilanz, die zweite die Gewinn- und Verlustrechnung. Da Aufwände und Erträge nichts anderes sind als Zu- oder Abgänge im Bestand, die nicht durch eine gegenteilige Bestandsveränderung ausgeglichen sind, muss notwendig die Verbesserung oder Verschlechterung des Vermögensbestands gemäß der Bilanz mit der Differenz von Aufwänden und Erträgen gleich sein (s §§ 266 III A V., 275 II Nr 20, III Nr 19 HGB).

_____

Man muss die Bilanz dann so verstehen, dass sie darauf Antwort gibt, wieviel Aktiva daran fehlen, dass der den Gläubigern zustehende Vermögenswert da ist (nach der Rechnung: Vorhandener Aktivavermögenswert plus wieviel – fehlender – Aktivavermögenswert ist gleich den Verbindlichkeiten auf der Passivseite). 2350 O Rn 451 f, 455. 2351 S o Rn 1411 Fn 2341. 2352 S Wilhelm, ZHR 159 (1995), 454, 461 ff.

II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht | 759

8. Verwendung des Jahresergebnisses in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung der AG Nach § 152 II AktG sind zu den Posten der Kapitalrücklage und der Gewinnrück- 1426 lagen oder im Anhang die in die Rücklagen eingestellten und die daraus entnommenen Beträge anzugeben. Nach § 268 I 2 HGB muss ein Gewinn- oder Verlustvortrag aus dem Vorjahr einbezogen werden. Entsprechend muss nach § 158 AktG das Jahresergebnis der AG in der Gewinn- und Verlustrechnung durch folgende Posten ergänzt werden (nach S 2 auch hier im Anhang möglich): ein Gewinnvortrag/Verlustvortrag aus dem Vorjahr, Entnahmen aus der Kapitalrücklage und aus den Gewinnrücklagen, schließlich Einstellungen in Gewinnrücklagen (aufgrund der Satzung bei Feststellung des Jahresabschlusses durch die HV nach Maßgabe des § 58 I, weiter aufgrund der Ermächtigung von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 58 I–IIa AktG). Ein Gewinnvortrag aus dem Vorjahr, Entnahmen aus Rücklagen sind positive, ein Verlustvortrag aus dem Vorjahr und die Einstellungen in die Rücklagen sind negative Posten. Als Resultat ergibt sich nach § 268 I 2 HGB für die Bilanz und nach § 158 I 1 Nr 5 AktG in der Gewinn- und Verlustrechnung der Bilanzgewinn oder (dies ist denkbar, wenn ein Jahresfehlbetrag Ausgangsposten war) ein Bilanzverlust. Die §§ 152, 158 AktG betreffen die Aufstellung des Jahresabschlusses 1427 (§ 242 III HGB). Ist der Jahresabschluss festgestellt (dazu im Folgenden2353), so entscheidet die HV über die Verwendung des Bilanzgewinns. Im Verwendungsbeschluss ist nach § 174 II AktG namentlich anzugeben unter Nr 1 der Bilanzgewinn, unter Nr 2 der an die Aktionäre auszuschüttende Betrag oder Sachwert, unter Nr 3 die in Gewinnrücklagen einzustellenden Beträge (Ermächtigung der HV dazu in § 58 III AktG), unter Nr 4 ein Gewinnvortrag und unter Nr 5 der zusätzliche Aufwand (insbesondere steuerliche Aufwand) aufgrund des Beschlusses.

9. Anhang und Lagebericht Der in den Jahresabschluss der Kapitalgesellschaften aufzunehmende Anhang 1428 (§ 264 I 1 HGB), den Kleinstkapitalgesellschaften durch bestimmte Angaben unter der Bilanz ersetzen können (§ 264 I 5 HGB), enthält Pflichtangaben oder wahlweise vorzunehmende Angaben zu einzelnen Posten der Bilanz oder Gewinn- und Verlustrechnung. Die Angaben werden in §§ 284 ff HGB im Einzelnen

_____ 2353 Rn 1433 ff.

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abgegrenzt und aufgezählt. Für die Aktiengesellschaft bestimmt § 160 AktG notwendige Ergänzungen des Anhangs insbesondere über den Bestand an unmittelbar und mittelbar eigenen Aktien der Gesellschaft. Nach § 285 Nr 16 HGB muss der Anhang die Angabe enthalten, dass die (für börsennotierte AG) vorgeschriebene Entsprechenserklärung nach § 161 AktG abgegeben und den Aktionären zugänglich gemacht ist. Dieselbe Angabe muss für jede in den Konzernabschluss einbezogene börsennotierte Gesellschaft der Anhang zum Konzernabschluss enthalten (§ 314 I Nr 8 HGB). Nach § 321 I 3 HGB bezieht sich die Prüfung der Abschlüsse auf die Einhaltung der Gesetze, also auch der §§ 161 AktG, 285, 314 HGB. In dem durch das BilReG wesentlich angereicherten Lagebericht, den aber 1429 kleine Kapitalgesellschaften nicht aufzustellen brauchen (§ 264 I 4 HGB), sind – neben weiteren Punkten, auf die in dem Bericht einzugehen ist (§ 289 II HGB) – der Geschäftsverlauf und die Lage der Kapitalgesellschaft so darzustellen, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt wird. Dabei ist eine im Einzelnen näher spezifizierte Analyse anzustellen (§ 289 I HGB). § 289 III HGB erlegt großen Kapitalgesellschaften (§ 267 III HGB) auch die Analyse nichtfinanzieller Leistungsindikatoren wie Informationen über Umwelt- und Arbeitnehmerbelange auf, soweit für Geschäftsverlauf oder Lage von Bedeutung. Hinzugekommen ist die Pflicht zur nicht finanziellen Erklärung bzw Konzernerklärung (§§ 293b ff, 315b ff HGB). In § 289 HGB folgen noch besondere Anforderungen für AG und KGaA, die einen organisierten Markt in Anspruch nehmen (Abs 4) oder nehmen wollen (Abs 5). § 289a I, III HGB fügt für börsennotierte und auf definierten anderen Märkten tätige Aktiengesellschaften und KGaA die Pflicht hinzu, in den Lagebericht (oder auf der Internetseite mit Verweis darauf im Lagebericht) eine Erklärung zur Unternehmensführung aufzunehmen mit den in Abs 2 der Vorschrift bezeichneten Angaben (nach Ziff 1 die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG; nach Ziff 4 Angaben zur Frauenquote; die letzteren Angaben müssen auch in einer Erklärung von Gesellschaften mbH zur Unternehmensführung und von nicht zur Offenlegung von Lageberichten verpflichteten Gesellschaften gemacht werden, § 289a IV HGB).

10. Prüfung 1430 Jahresabschluss und Lagebericht müssen bei den Kapitalgesellschaften, ausge-

nommen die kleinen Kapitalgesellschaften iSv § 267 I HGB, der Prüfung durch Abschlussprüfer unterzogen werden (§§ 316 ff HGB). Die Prüfer werden von den Gesellschaftern, bei der AG also von der HV gewählt. Den Auftrag an den Prüfer

II. Buchführung, Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht | 761

erteilt das Vertretungsorgan, bei der AG der Aufsichtsrat (§§ 318 I 4 HGB, 111 II 3 AktG). Die §§ 319 ff HGB sichern umfassend die Unabhängigkeit der Prüfer durch vielfältige Inhabilitätsregeln2354. Die Prüfung gilt der Einhaltung der gesetzlichen Regelung, der Satzung bzw des Gesellschaftsvertrags (§ 317 I 2 HGB), insbesondere bei börsennotierten Aktiengesellschaften der sachgemäßen Etablierung und Führung des nach § 91 II AktG erforderlichen Frühwarnsystems durch den Vorstand (§ 317 IV HGB). Über die Prüfung ist ein schriftlicher Prüfungsbericht zu erteilen (§ 321 HGB), mit dem Ergebnis der Prüfung, welches die Versagung des Bestätigungsvermerks oder ein uneingeschränkter oder mehr oder weniger eingeschränkter Bestätigungsvermerk sein kann (§ 322 HGB). Was den nicht finanziellen Bericht (§§ 289b, 315b HGB) betrifft, kann der Aufsichtsrat über die formelle Prüfung hinaus eine inhaltliche Prüfung des CSR-Berichts in Auftrag geben (§ 111 II 4 AktG). In zusätzlicher Reaktion auf die Entwicklung, die in den USA nach den Bi- 1431 lanzskandalen um die US-amerikanischen Unternehmen Enron (2001) und Worldcom (2002) zum Sarbanes-Oxley-Act geführt hat, ist neben dem BilReG das Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (BilanzkontrollG – BilKoG –) erlassen worden 2355. Das Gesetz sieht die Einsetzung einer privaten Prüfstelle durch das BMJ vor, die (1) bei konkreten Anlässen, (2) auf Verlangen der BaFin und (3) unabhängig davon stichprobenartig prüft, ob Jahresabschluss und Konzernabschluss sowie Lagebericht und Konzernlagebericht börsennotierter Unternehmen dem Gesetz und den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entsprechen. Mit dem Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (TUG) vom 5.1.2007 ist in die Strafnorm des § 331 HGB eine neue Nr 3a eingefügt worden: Die Strafbarkeit der falschen Versicherung nach den ebenfalls neu eingefügten Vorschriften über die Pflicht der Organe zu bestätigen, dass bestimmte Rechnungsunterlagen über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens nach bestem Wissen ein zutreffendes Bild des Unternehmens vermitteln (Versicherung nach §§ 264 II 3 HGB, 289 I 5, 297 II 4 oder § 315 I 6 HGB). Die Versicherung ist der sog Bilanzeid, und die Strafnorm gilt dem falschen Bilanzeid2356.

_____

2354 Vorbild im US-amerikanischen Sarbanes-Oxley-Act. Insbesondere setzt § 319b HGB idF des BilMoG mit der Netzwerkregel die Abschlussprüferrichtlinie um, Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung des Jahresabschlusses und des konsolidierten Abschlusses und zur Änderung der Richtlinien 78/660 EWG und 83/349 EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABl L 157, 87. Ist ein gewählter Prüfer inhabilis, ist er zu ersetzen im Verfahren nach § 318 III HGB, die Anfechtung des HVBeschlusses ist daneben ausgeschlossen (§ 243 III Nr 1 AktG). 2355 v 15.12.2004, BGBl I 2004 S 3408. S schon o Rn 1390, 1404. 2356 Zum Bilanzeid und seiner Strafbarkeit Altenhain, WM 2008, 1141; Abendroth, WM 2008, 1147.

762 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

11. Offenlegung 1432 Jahresabschluss und Lagebericht sind neben weiteren Unterlagen (zB der Ent-

sprechenserklärung nach § 161 AktG) offen zu legen und dazu in bestimmter Frist elektronisch beim Betreiber des Bundesanzeigers einzureichen (§ 325 I, Ia HGB, mit verschiedenen Erleichterungen je nach Größe, §§ 326 ff). Letztlich gibt den großen Kapitalgesellschaften § 325 IIa HGB idF des BilReG die Wahlmöglichkeit der Offenlegung eines Abschlusses unter Anwendung der internationalen Rechnungslegungsstandards. Die weitergehenden Veröffentlichungspflichten des Kapitalmarktrechts sind im Kapitel über das Kapitalmarktrecht dargestellt2357.

III. Feststellung und Wirksamkeit des Jahresabschlusses III. Feststellung und Wirksamkeit des Jahresabschlusses

1. Bedeutung der Feststellung, Berichtigung 1433 Der Jahresabschluss besteht, wie oben gesagt2358, aus der Bilanz und der Gewinn-

und Verlustrechnung. Zu erweitern ist er bei den Kapitalgesellschaften mit Ausnahme der kleinsten (§ 264 I 5 HGB) um den Anhang, der mit der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung eine Einheit bildet (§ 264 I 1 HGB). Nach derselben Vorschrift haben die Kapitalgesellschaften mit Ausnahme der kleinen (§ 264 I 4 HGB) den Lagebericht aufzustellen. Bei der AG und der GmbH wird der Jahresabschluss in einem besonderen Verfahren festgestellt. Die Feststellung des Jahresabschlusses ist die Billigung des Jahresabschlusses durch das dazu berufene Gesellschaftsorgan 2359. Der festgestellte Jahresabschluss ist die Grundlage für den Beschluss über die Ergebnisverwendung. Bei der AG kann nur der Bilanzgewinn aufgrund des festgestellten Jahresabschlusses zur Gewinnverteilung an die Aktionäre verwendet werden (§ 57 III AktG) und haben die Aktionäre unter vielen weiteren Vorbehalten Anspruch nur darauf (§ 58 IV AktG). Bei der GmbH haben die Gesellschafter Anspruch auf den Jahresüberschuss aufgrund des festgestellten Jahresabschlusses (§ 29 I GmbHG). Die Feststellung des Jahresabschlusses hat bei der GmbH nach der Auffas1434 sung des BGH2360 die Bedeutung einer Verbindlicherklärung der Bilanz jedenfalls im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft und auch untereinander.

_____ 2357 O Kapitel 790 ff, 796 ff. 2358 Rn 1405. 2359 BGHZ 76, 338, 342. Zur Zuständigkeit bei AG und GmbH s sogleich. 2360 BGH NZG 2009, 659. S schon BGH WM 1960, 187; gegen die Bedeutung als Schuldanerkenntnis Koller/Kindler/Roth/Morck/Morck HGB 8. Aufl § 245 Rn 4.

III. Feststellung und Wirksamkeit des Jahresabschlusses | 763

Typischer Inhalt einer solchen korporativen Abrede sei auch der Ausschluss bekannter oder mindestens für möglich gehaltener Einwendungen gegenüber bilanzierten Gesellschafterverbindlichkeiten im Sinne eines deklaratorischen Anerkenntnisses. Der Jahresabschluss kann auch nach seiner Feststellung noch berichtigt 1435 oder geändert werden. Die Berichtigung eines als unrichtig erkannten Bilanzansatzes ist auch dann möglich, wenn der Jahresabschluss nicht nichtig oder angefochten ist. Nur muss, wenn durch die Berichtigung in bestehende Rechte Dritter eingegriffen wird (zB in Gewinnansprüche), der Dritte zustimmen2361. Die Änderung eines Bilanzansatzes ist das Ersetzen eines zulässigerweise gewählten Bilanzansatzes durch einen anderen Ansatz. Voraussetzung für eine solche Änderung ist ein wichtiger Grund. Darüber hinaus müssen die Beteiligten mit der Änderung einverstanden sein. Für die Berichtigung und die Änderung von Bilanzansätzen ist das Verfahren von der Aufstellung der Bilanz bis zur Publizierung vollständig neu zu durchlaufen.

2. Feststellung bei der AG Das Verfahren der Feststellung des Jahresabschlusses ist für die AG in 1436 §§ 170 ff AktG normiert. Die Pflicht zur Aufstellung samt Anhang und Lagebericht (Anhang und Lagebericht, sofern die AG zu diesen verpflichtet ist2362) trifft den Vorstand. Dieser hat den Jahresabschluss und den Lagebericht (bei kleinen Gesellschaften, wenn diese ihn aufstellen) für das vergangene Geschäftsjahr binnen drei Monaten (auch davon wieder Ausnahme für kleine Gesellschaften) aufzustellen (§ 264 I 1, 3, 4 HGB). Zum Lagebericht gehört bei den betroffenen Gesellschaften auch der sog gesonderte nicht finanzielle Lagebericht nach §§ 289b, 315b HGB. Der Vorstand legt den Jahresabschluss und den Lagebericht dem Aufsichtsrat vor (§ 170 I 1 AktG, nach S 3 einschließlich des gesonderten nicht finanziellen Lageberichts), daneben, wenn gewählt, einen Einzelabschluss iS der internationalen Rechnungslegungsstandards (§ 325 IIa HGB nF) und – im Fall der Konzernrechnungslegungspflicht – auch Konzernabschluss

_____ 2361 BGHZ 23, 150. 2362 Für kleine Kapitalgesellschaften (§ 267 I HGB) keine Verpflichtung zum Lagebericht (§ 264 I 3 HGB). Entlastung auch vom Anhang bei Kleinstgesellschaften (§ 264 I 5 HGB). Eine uneingeschränkte Satzungsregelung bedingt aber das Wahlrecht ab. Bei irreführender Ankündigung des Lageberichts in der Einladung zur HV kann Anfechtbarkeit des Entlastungs- und des Gewinnverwendungsbeschlusses begründet sein, BGH WM 2008, 540.

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und -lagebericht (§ 170 I 2 AktG). Zusätzlich gibt der Vorstand einen Vorschlag an die HV über die Verwendung des Bilanzgewinns ab (§ 170 II AktG). Der Aufsichtsrat prüft diese Unterlagen in eigener Verantwortung (§ 171 AktG), einschließlich des gesonderten nicht finanziellen Lageberichts (§ 171 I 4 AktG). Zweck dieser Prüfung ist die Wahrnehmung der Überwachungsfunktion nach § 111 I AktG durch den Aufsichtsrat. Für diese Prüfung stehen dem Aufsichtsrat ergänzend die erweiterten Einsichts- und Überprüfungsbefugnisse nach § 111 II AktG zu, mit der Möglichkeit betreffs des gesonderten nicht finanziellen Berichts, eine inhaltliche Prüfung in Auftrag zu geben (§ 111 II 4 AktG). Insofern überschneidet sich die Prüfung durch den Aufsichtsrat, wenn die AG nach § 316 HGB prüfungspflichtig ist (dh keine kleine Gesellschaft ist), mit der Prüfung durch den Abschlussprüfer (zum Prüfungsgegenstand § 317 I 2 HGB). Der Auftrag an den von der HV gewählten Abschlussprüfer (§ 318 I 1 Hs 1, Hs 2 HGB) erteilt der Aufsichtsrat (§ 111 II 3 AktG). Der Prüfer hat den Bericht dem Aufsichtsrat vorzulegen und zugleich dem Vorstand mit Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 321 V 2, 3 HGB). Er nimmt an den Verhandlungen des Aufsichtsrats teil und berichtet diesem über die Ergebnisse seiner Prüfung (§ 171 I 2 AktG). Der Aufsichtsrat prüft darüber hinaus die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit bilanzpolitischer Ermessensentscheidungen2363. Das in der Abschlussprüferrichtlinie für kapitalmarktorientierte Unternehmen vorgesehene audit comittee hat der deutsche Gesetzgeber nicht erzwungen. Den Gesellschaften ist die Einrichtung eines Prüfungsausschusses freigestellt (§ 107 III 2 AktG). Vorgeschrieben ist aber bei kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften die Besetzung des Aufsichtsrats mit mindestens einem sachverständigen Mitglied (§ 100 V AktG). Über das Ergebnis seiner Prüfung hat der Aufsichtsrat an die HV zu be1437 richten (§ 171 II 1 AktG). Der Bericht schließt die Frage ein, in welchem Umfang und welcher Art der Aufsichtsrat über das Geschäftsjahr hinweg die Geschäftsführung der Gesellschaft geprüft hat (§ 171 II 2 AktG). Am Schluss seines Berichts hat der Aufsichtsrat eine Erklärung darüber abzugeben, ob er Einwendungen erhebt und ob er den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss billigt (§ 171 II 4, 5, IV 1 nF AktG). Einen Einzelabschluss nach den internationalen Rechnungslegungsstandards (§ 325 IIa HGB) darf der Vorstand erst nach der Billigung durch den Aufsichtsrat offenlegen (§ 171 IV 2 AktG nF). Die Billigung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat erfolgt durch Beschluss des Gesamtorgans (§ 107 III 2 iVm § 171 AktG). Der Beschluss ist ein korporationsrechtliches Rechtsgeschäft eigener Art.

_____ 2363 Betr die Ausübung von Bewertungswahlrechten etc.

III. Feststellung und Wirksamkeit des Jahresabschlusses | 765

Billigt der Aufsichtsrat den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss, dann ist der Abschluss festgestellt, sofern nicht Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam die Feststellung der HV überlassen (§ 172 1 AktG). Überlassen sie die Feststellung der HV oder hat der Aufsichtsrat den Jahresabschluss nicht gebilligt 2364, wird der Jahresabschluss durch die HV festgestellt (§ 173 I 1). Diese darf aber nur Einstellungen in Gewinnrücklagen vornehmen, die durch Gesetz oder Satzung vorgeschrieben sind (§ 173 II 2 AktG). Ein zu prüfender Jahresabschluss ist im Fall von Änderungen erneut zu prüfen (§ 173 III AktG). Hat der Aufsichtsrat seinen Bericht an die HV dem Vorstand zugeleitet, so 1438 hat dieser unverzüglich die HV zur Entgegennahme des festgestellten Jahresabschlusses und des Berichts des Aufsichtsrats für die Zeit der ersten 8 Monate des Geschäftsjahrs zur ordentlichen Hauptversammlung einzuberufen (§ 175 I AktG). Sofern der Aufsichtsrat den Jahresabschluss durch den Vorstand billigt und die beiden Organe die Feststellung des Jahresabschlusses nicht der HV überlassen, werden die Aufstellung durch den Vorstand und die Billigung des Aufsichtsrats verbindlich mit der Einberufung der HV (§ 175 IV 1 1. Var AktG). Auch die Feststellung des Jahresabschlusses durch die HV erfolgt durch Beschluss. Wenn die HV den Jahresabschluss festzustellen hat, sind Vorstand und Aufsichtsrat erst mit der HV an ihre Aufstellung gebunden (§ 175 IV 1 2. Var AktG).

3. Feststellung bei der GmbH Bei der GmbH richtet sich die Feststellung des Jahresabschlusses nach § 42a 1439 GmbHG. Hinzukommt, wenn die GmbH keine kleine Gesellschaft ist, die Notwendigkeit einer Abschlussprüfung nach §§ 316 ff HGB. Die Geschäftsführung hat den Jahresabschluss, den Lagebericht, einen etwaigen Konzernabschluss und Konzernlagebericht und schließlich nach der Fassung durch das BilReG einen etwaigen Abschluss nach internationalen Standards (§ 325 IIa HGB) bei Notwendigkeit der Abschlussprüfung dem nach § 318 I 1 Hs 1, Hs 2 HGB von den Gesellschaftern gewählten Prüfer (§ 320 I 1 HGB), bei kleinen Gesellschaften sind die für diese erforderlichen Unterlagen direkt den Gesellschaftern vorzulegen. Ist geprüft, haben die Geschäftsführer den Prüfungsbericht mit den anderen Unterlagen zusammen den Gesellschaftern vorzulegen.

_____ 2364 Der Nichtbilligung steht die Fristüberschreitung nach § 171 III AktG gleich, S § 171 III 3 AktG.

766 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

Komplizierter wird es, wenn die GmbH einen Aufsichtsrat hat, entweder nach der Satzung (§ 52 I GmbHG) oder nach Mitbestimmungsrecht2365: Hier hat die Geschäftsführung die maßgeblichen Unterlagen dem Aufsichtsrat vorzulegen (Verweisungsvorschriften iVm § 170 I AktG), dessen Prüfungsbericht (§ 171 AktG) ist aber an die Geschäftsführer zu übergeben und von diesen den Gesellschaftern vorzulegen (§ 42a I 3 GmbHG). Ist eine Abschlussprüfung erforderlich, so ist der Auftrag an den Abschlussprüfer vom Aufsichtsrat zu erteilen (auf § 111 II 3 AktG wird verwiesen). Der Prüfer hat den Bericht dem Aufsichtsrat vorzulegen und zugleich der Geschäftsführung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 321 V 3 HGB). Der Prüfer nimmt an den Verhandlungen des Aufsichtsrats teil und berichtet diesem über die Ergebnisse seiner Prüfung (§ 171 I 2 AktG). Zur Feststellung und Billigung des Jahresabschlusses, darüber hinaus zur Entscheidung über die Offenlegung eines Abschlusses nach internationalen Standards sind jedenfalls zuständig die Gesellschafter (§ 46 Nr 1, 1a, 1b nF GmbHG), auch dann, wenn die GmbH einen Aufsichtsrat hat (§ 52 I GmbHG und die Mitbestimmungsgesetze beziehen § 172 AktG nicht ein). Ist die Gesellschaft geprüft worden, kann jeder Gesellschafter die Teilnahme des Prüfers an der Verhandlung verlangen (§ 42a III GmbHG). Ändern die Gesellschafter den Jahresabschluss, hat eine Nachtragsprüfung stattzufinden (§ 316 III HGB) mit Nachtragsveröffentlichung (§ 325 Ib 1 HGB). § 42a II 1 GmbHG gibt Fristen für die Beschlussfassung, für kleine Gesellschaften eine längere Frist. Mit Ausnahme der Fristbestimmung (§ 42a II 2 GmbHG) sind §§ 42a und 46 GmbHG disponibel, der Gesellschaftsvertrag kann daher ein anderes zur Billigung und Feststellung zuständiges Organ bestimmen. In diesem Fall besteht die Vorlagepflicht der Geschäftsführung, die § 42a I 1 GmbHG anordnet, gegenüber diesem Organ und gilt die Fristbestimmung für die Beschlussfassung dieses Organs.

4. Gewinnverwendungsbeschluss und Gewinnberechtigung der Gesellschafter 1440 Ist der Jahresabschluss der AG festgestellt, so beschließt die HV über die Ge-

winnverwendung (§ 174 I AktG). Gehen schon die gesetzlichen Vorgaben und Möglichkeiten der Gestaltung des Jahresabschlusses, bis es zur Ausweisung des Bilanzgewinns kommt, sehr weit, so hat auch die HV noch erhebliche andere Verwendungsmöglichkeiten als die der Ausschüttung des Gewinns an die Aktionäre (§ 174 II AktG). Die deshalb zurückhaltend gefasste Gewinnberechti-

_____ 2365 § 1 I Nr 3 DrittelbG und § 25 I Nr 2 MitbestG verweisen für den Aufsichtsrat der GmbH auf §§ 170 f AktG.

III. Feststellung und Wirksamkeit des Jahresabschlusses | 767

gung der Aktionäre und im Vergleich dazu die weitergehenden Gewinnbeteiligungsrechte der Gesellschafter der GmbH sind oben2366 behandelt. Bei der GmbH umfasst die Beschlussfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses die Ergebnisverwendung (§§ 42a II 1, 46 Nr 1 GmbHG).

5. Sonderprüfung; Nichtigkeit und Anfechtung des Jahresabschlusses und des Gewinnverwendungsbeschlusses bei der AG Gegen den festgestellten Jahresabschluss hat das Gesetz zunächst einmal in 1441 § 258 AktG Aktionären mit 1% des Grundkapitals oder Anteilen von mindestens 100.000,– € (§ 142 II AktG) das Minderheitsrecht eingeräumt, durch das Gericht eine Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung iSv §§ 258 ff AktG zu veranlassen. Was sodann Klagen der Aktionäre gegen den Jahresabschluss und den Ge- 1442 winnverwendungsbeschluss betrifft, sind solche zunächst insofern denkbar, als Beschlüsse der HV zugrunde liegen. Was den Gewinnverwendungsbeschluss betrifft, den ausschließlich die HV zu fassen hat, sind in §§ 253 f AktG spezielle Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe normiert: Der Gewinnverwendungsbeschluss ist abgesehen von § 173 III (Prüfungsvorbehalt bei Änderungen des Jahresabschlusses durch die feststellende HV), § 217 II (betr Durchführung einer Kapitalerhöhung) und § 241 AktG (s die dort aufgezählten Nichtigkeitsgründe) nur dann nichtig, wenn die Gründe des § 256 AktG für die Nichtigkeit des festgestellten Jahresabschlusses nach § 256 AktG eingreifen. Was die Anfechtung des Gewinnverwendungsbeschlusses betrifft, greift insbesondere der Anfechtungsgrund der Unterschreitung einer Mindestdividende ein (§ 254 AktG). Was sodann die Feststellung des Jahresabschlusses betrifft, kommen hier Anfechtungsklagen in Betracht, wenn die HV den Jahresabschluss feststellt (§ 257 I 1 AktG). Die Anfechtung ist in § 257 AktG speziell geregelt. Gesetzes- und Satzungsverletzungen durch den Inhalt des Jahresabschlusses sind aber Gegenstand der Vorschrift über die Nichtigkeit eines festgestellten Jahresabschlusses (§ 256 AktG). Auf solche Verstöße kann also eine Anfechtungsklage nicht gestützt werden (§ 257 I 2 AktG). Übrig bleiben Verfahrensfehler oder das Fehlen der Voraussetzung für die Feststellung des Jahresabschlusses durch die HV. Von den allgemeinen Anfechtungsvorschriften spart die Verweisungsnorm des 257 II 1 AktG sodann das Freigabeverfahren nach § 246a AktG aus.

_____ 2366 Rn 658 ff.

768 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

Im Übrigen gilt im Aktienrecht die spezielle Regelung der Nichtigkeit eines festgestellten Jahresabschlusses mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 256 VII iVm § 249 AktG2367. Entgegen der Terminologie des Gesetzes ist, genau genommen, nur der feststellende Korporationsakt (Feststellung durch Vorstand und Aufsichtsrat oder durch die HV) nichtig, der Jahresabschluss ist damit nur indirekt unwirksam. Die Nichtigkeitsgründe sind in § 256 AktG abschließend aufgezählt, für die Feststellung des Jahresabschlusses durch Vorstand und Aufsichtsrat in Abs 1 und 2, für die Feststellung durch die HV in Abs 1 und 3, beide Regelungen ergänzt durch Abs 4 und 5. Abs 6 bestimmt eine Klagefrist. Die besondere Nichtigkeitsregelung verdrängt die allgemeine Regelung über Gründe der Nichtigkeit von HV-Beschlüssen. § 256 I AktG verweist für die Gründe der Nichtigkeit eines Jahresab1443 schlusses wegen Verstoßes seines Inhalts gegen Satzung oder Gesetz zunächst auf im Gesetz zuvor schon ausgesprochene Nichtigkeitsgründe, nämlich nach § 173 III AktG (Fehlen des Bestätigungsvermerks des Wirtschaftsprüfers für einen HV-Beschluss, der einen geprüften Jahresabschluss ändert), § 234 III AktG (Unwirksamkeit des Feststellungsbeschlusses im Rahmen einer rückwirkenden Kapitalherabsetzung, wenn die Frist zur Eintragung in das Handelsregister nicht eingehalten wird) und nach § 235 II AktG (Überschreitung derselben Frist bei Kombination von Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung). Weiter tritt natürlich Nichtigkeit mangels der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfung nicht nur in dem Spezialfall des § 173 III AktG, sondern jedenfalls ein (§ 256 I Nr 2 AktG). § 256 I zählt darüber hinaus inhaltliche Mängel (§ 256 I Nr 1, Nr 4 AktG) und formelle Mängel auf (§ 256 II AktG für die Feststellung durch Vorstand und Aufsichtsrat, § 256 III AktG für die Feststellung durch die HV). Die Abs 4 und 5 des § 256 AktG sind systematisch eine Begrenzung der Nich1444 tigkeitsfolge nach Abs I Nr 12368. Es kommt nach Abs 4 auf die wesentliche Beeinträchtigung der Klarheit und Übersichtlichkeit oder nach Abs 5 auf die vorsätzliche nicht nur unwesentliche Fehlbewertung von Posten an2369.

_____ 2367 Klagebefugnis auch eines Insolvenzverwalters OLG Dresden ZIP 2017, 2003. Ist die Feststellung nichtig, so bedeutet das Nichtigkeit des gesamten korporationsrechtlichen Rechtsgeschäfts, bei Nichtigkeit der Feststellung nach § 172 durch Billigung seitens des Aufsichtsrats also Nichtigkeit der Vorlage durch den Vorstand, der Schlusserklärung des Aufsichtsrats zum Prüfungsberichts und des Beschlusses des Aufsichtsrats über die Billigung, BGHZ 124, 111. 2368 BGHZ 124, 111. 2369 Eine Unterbewertung iSv § 256 V S 1 Nr 2, S 3 liegt auch dann vor, wenn Aktiva nicht berücksichtigt sind (BGHZ 124, 111). Allerdings reichen dafür Presseberichte über Schwarzgeld und die Folgerung von Rückzahlungsansprüchen nicht aus, OLG München WM 2008, 876. Im Fall BGHZ 124, 111 war § 256 V S 1 Nr 2, S 3 AktG verletzt, weil der Schadensersatzanspruch nach § 317 AktG bei der Tochtergesellschaft nicht nur nicht aktiviert war (entspricht einer Unterbewer-

III. Feststellung und Wirksamkeit des Jahresabschlusses | 769

Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses kann entweder nach §§ 256 VII, 249 I 1445 2 AktG incidenter geltend gemacht werden oder es kann Nichtigkeitsklage erhoben werden (§§ 256 VII, 249 I 1, 246 ff AktG). Bestimmte Nichtigkeitsgründe sind nach § 256 VII AktG heilbar. Die Nichtigkeitsgründe wirken sich auf die folgenden Jahresabschlüsse aus, wenn sie hier nicht berücksichtigt werden2370.

6. Nichtigkeit und Anfechtung des Jahresabschlusses bei der GmbH Für die GmbH sind spezielle Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe für die Fest- 1446 stellung des Jahresabschlusses ebenso wenig wie allgemeine Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe geregelt. Der Gesetzgeber wollte die Entwicklung der Rechtsprechung überlassen. Nach ganz hM ist auf den Jahresabschluss der GmbH § 256 I AktG ohne Unterscheidung danach, ob bei der AG Vorstand und Aufsichtsrat oder die HV festgestellt haben, analog anzuwenden2371. § 256 III AktG ist als ergänzende Vorschrift über die Feststellung durch die HV auf die GmbH mit anzuwenden2372. Auch die Heilungsvorschrift des § 256 VI AktG gilt entsprechend. § 256 II AktG, der die Feststellung durch Vorstand und Aufsichtsrat betrifft, 1447 ist auf die GmbH auch dann nicht anwendbar, wenn die GmbH nach ihrer Satzung einen Aufsichtsrat hat. In diesem Fall sind nach § 52 I GmbHG zwar die Bestimmungen über die Vorlage an den Aufsichtsrat und seine Prüfung (§§ 170, 171 AktG) anwendbar, nicht aber die Vorschrift über die Feststellung durch Vorstand und Aufsichtsrat. Die Satzung kann aber auf die Regelung des § 173 und des § 256 II AktG verweisen. Fraglich ist, ob für die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesell- 1448 schafter der GmbH die allgemeinen Anfechtungsvorschriften gelten. Nach der

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tung), sondern darüber hinaus die entsprechenden Gewinne an anderer Stelle des Konzerns konzentriert waren (= vorsätzliche unrichtige Wiedergabe oder Verschleierung der Vermögensund Ertragslage). An der vorsätzlichen Verschleierung fehlte es im Fall BGHZ 137, 378. Die Ausweisung des bei einer Tochtergesellschaft erzielten Gewinns in zeitlicher Abstimmung mit der Rechnungslegung der Tochter musste noch, sogar durch Vorabentscheidung des EuGH („Tomberger“), geklärt werden. Darauf war keine vorsätzliche Verschleierung zu stützen (BGHZ 137, 384). Das Urteil ist aber Maßgabe für die Gewinnbuchung im Konzern für die Zukunft. 2370 Was in Anbetracht des Grundsatzes der Bilanzkontinuität (§ 252 I Nr 1 HGB) Korrekturbuchungen nötig macht. 2371 Lutter/Hommelhoff/Lutter/Hommelhoff, 3. Aufl 2007 ff, Kom GmbHG 16. Aufl. 2004 Anh § 47 Rn 1 ff. 2372 AA Hachenburg/Schilling/Zutt 7. Aufl Anh § 47 Rn 63. Die Autoren argumentieren damit, dass § 256 III AktG neben § 241 Nr 1 AktG keine eigenständige Bedeutung habe. Wird aber auch in § 256 III AktG das allgemein Geltende nur wiederholt, so ist doch im speziellen Fall die spezielle Regelung anzuwenden.

770 | L. Die Rechnungslegung bei AG, KGaA und GmbH

Literatur soll die Vorschrift des § 257 I 2 AktG über den Ausschluss der Anfechtung wegen inhaltlicher Mängel nicht anzuwenden sein2373. Einsichtig ist das nicht. Zwar sieht das AktG über die Vorschriften der §§ 256, 257 AktG hinaus noch die des § 258 AktG über die Möglichkeit einer Sonderprüfung vor und passt diese Vorschrift für die GmbH nicht. Freilich ist diese Möglichkeit beschränkt, und es ist fraglich, ob infolge dessen bei der GmbH entgegen der AG jede Gesetzesverletzung durch den Inhalt des Jahresabschlusses die Anfechtbarkeit begründen soll. Es wird versucht, die Anfechtbarkeit auf erhebliche Rechtsverletzungen zu beschränken2374. Die Bestimmung der Erheblichkeit ist unsicher2375. Mehr spricht für die analoge Anwendung des § 257 I 2 AktG auf die GmbH.

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2373 Roth/Altmeppen/Altmeppen § 42a Rn 38; MüKo-AktG/Hüffer, 3. Aufl 2007 ff, § 257 Rn 14 mwN. Für Unanwendbarkeit auch KG NZG 2001, 845). Zur Anfechtung eines Beschlusses, weil er gegen das gesellschaftsvertragliche Vollausschüttungsgebot verstoße, BGH BB 1997, 988. Wirksame Anfechtung bei nicht erforderlicher Rücklagenbildung von 65% des Gewinns nach OLG Hamm DB 1991, 2477. 2374 OLG Brandenburg GmbHR 1997, 796 mN aus der Literatur. 2375 Das OLG Brandenburg nimmt die Erheblichkeit zu geringfügiger Rückstellungen (iSv § 249 I 1 HGB) bei dadurch bedingter Überbewertung der Gesellschaft in Höhe von 10% des Jahresüberschusses und darüber an, wenn nicht wegen Geringfügigkeit des Jahresüberschusses auf die Bilanzsumme abzustellen sei.

I. Auflösung oder Nichtigerklärung der AG und der GmbH | 771

M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft

I. Auflösung oder Nichtigerklärung der AG und der GmbH https://doi.org/10.1515/9783110595802-013 I. Auflösung oder Nichtigerklärung der AG und der GmbH

AktG und GmbH-Gesetz – das AktG zum Abschluss der Regelung über die ein- 1449 zelne AG – regeln die Auflösung, Nichtigerklärung und Abwicklung der Kapitalgesellschaft (§§ 262 ff AktG, 60 ff GmbHG). Die Unterschiedlichkeit der Gesellschaften zeigt sich in § 60 I Ziff 2 (uneingeschränkte Autonomie betr Quorum für Auflösungsbeschlüsse) und Abs 2 GmbHG (Satzungsspielraum zur Statuierung weiterer Gründe wie Tod, Insolvenz, Kündigung eines Gesellschafters2376). Nach den Gesetzen (§§ 262 I AktG, 60 I GmbHG) sind Auflösungsgründe zunächst einmal der Ablauf der in der Satzung bestimmten Zeit (Ziff 1) und nach Ziff 2 ein Beschluss der HV2377 mit 3/4 des vertretenen Grundkapitals (vorbehaltlich Verschärfung in der Satzung) bzw ein Beschluss der Gesellschafterversammlung mit 3/4 der abgegebenen Stimmen (vorbehaltlich des Gesellschaftsvertrages)2378. Danach kommen verschiedene Gründe, die sich auf Verfahren beziehen, die die Gesellschaften treffen können. Darunter nennt das GmbHG in § 60 I Nr 3 GmbHG den Auflösungsgrund gemäß §§ 61, 62 GmbHG: Nach § 61 GmbHG kann auf die Klage von mindestens mit 10% des Stammkapitals beteiligten Gesellschaftern die Gesellschaft durch gerichtliches Urteil wegen Unmöglichkeit der Erreichung des Gesellschaftszwecks oder wegen des Eintritts eines wichtigen Grundes in den Verhältnissen der Gesellschaft aufgelöst werden. Die Auflösung auf Gesellschafterklage ist ultima ratio, vorrangig ist die Möglichkeit der Ausschließung des Klägers, wenn dieser für den wichtigen Grund mit verantwortlich ist und die anderen weiter machen wollen. Was sodann § 62 GmbHG betrifft, regelt diese Vorschrift die Möglichkeit der Auflösung durch Auflösungsbescheid der Verwaltungsbehörde (privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt) wegen Gefährdung des Gemeinwohls durch gesetzwidrige Beschlüsse oder durch von den Gesellschaftern nicht abgestellte gesetzwidrige Handlungen der Geschäftsführer. Ein entsprechender Auflösungsgrund ist für die AG unter Einschal-

_____ 2376 Die Satzungsbestimmung ist aber im Zweifel iS des Ausscheidens dieses Gesellschafters (s o Rn 688) auszulegen. 2377 Zur Frage der Treupflichtverletzung, wenn der Mehrheitsgesellschafter die Auflösung um eigener Anlageinteressen willen betreibt, s die Entscheidungen BGHZ 76, 352 und 103, 184 (Linotype). 2378 §§ 53 f GmbHG sind nur einzuhalten, wenn durch den Beschluss von der Satzung abgewichen wird. Ansonsten wirkt der Beschluss eo ipso. https://doi.org/10.1515/9783110595802-013

772 | M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft

tung des Landgerichts am Sitz der Gesellschaft in §§ 396 f AktG geregelt. Daneben können AG und GmbH unter den Voraussetzungen des § 17 VereinsG von den Verboten nach diesem Gesetz getroffen werden. Einen weiteren Auflösungsgrund enthalten die §§ 262 I Ziff 5 AktG, 60 I Ziff 6 GmbHG: Die Vorschriften verweisen auf § 399 FamFG, wo die Auflösung aufgrund der Nichtbehebung schwerer Mängel der Satzung trotz gerichtlicher Aufforderung geregelt ist. Als letzten Auflösungsgrund nennen §§ 262 I Ziff 6 AktG, 60 I Ziff 7 GmbHG die Löschung der Gesellschaften durch Gericht nach § 394 FamFG wegen Vermögenslosigkeit2379. Neben der Auflösung gibt es die Nichtigkeit von Gesellschaften. Dazu sogleich. Die Auflösung ist mit den Ausnahmen der Auflösung wegen Eröffnung des 1450 Insolvenzverfahrens oder der Ablehnung mangels Masse und der Auflösung aufgrund der gerichtlichen Feststellung eines Mangels der Satzung und schließlich der Löschung wegen Vermögenslosigkeit von den vertretungsbefugten Organen, insbesondere den Liquidatoren zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. In den Auflösungsfällen des Insolvenzverfahrens, der Ablehnung eines solchen oder der Feststellung eines Mangels der Satzung hat das Gericht von Amts einzutragen. Die Eintragung ist in beiden Fallgruppen deklaratorisch. Bei Löschung wegen Vermögenslosigkeit entfällt die Eintragung der Auflösung (§§ 263 AktG, 65 GmbHG). Praktisch relevant ist die Auflösung durch Eröffnung des Insolvenzverfah1451 rens 2380 oder durch rechtskräftigen Beschluss, dass die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird (§ 262 I Nr 3, 4 AktG, § 60 I Nr 4, 5 GmbHG). Eröffnungsgründe sind bei AG und GmbH Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (§§ 17, 19 InsO). In beiden Fällen müssen Vorstand oder Geschäftsführung oder in der Phase der Abwicklung die Liquidatoren die Eröffnung des Verfahrens beantragen (§ 15a I–III InsO, Strafsanktionen in Abs 4, 5)2381. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit kann die Eröffnung beantragt werden (§ 18 I, III InsO). Nach einem Insolvenzverfahren hat das Gericht, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass noch Vermögen da ist, nach § 394 I 2 FamFG von Amts wegen die Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit zu löschen.

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2379 Früher geregelt im LöschungsG, welches durch Art 2 Nr 9 EGInsO v 5.10.1994 (BGBl 1 S 2911) mit Wirkung zum 1.1.1999 aufgehoben worden ist. Zum Begriff der Vermögenslosigkeit BayObLG GmbHR 1999, 414. Zur gerichtlichen Löschung der Löschung von Amts wegen nach § 395 FamFG wegen mangelhafter Prüfung der Vermögenslosigkeit OLG Düsseldorf ZIP 2017, 1717. Die Möglichkeit von Steuerschulden der Gesellschaft macht nicht das Einverständnis der Finanzverwaltung zur Löschung erforderlich, OLG Düsseldorf NZG 2017, 663. Zur nachträglichen Feststellung, dass doch noch Vermögen da ist, s Fn 2386. 2380 Zu den Möglichkeiten einer Unternehmenssanierung in der Insolvenz Rattunde ZIP 2003, 2103. 2381 Zur Schadensersatzpflicht bei Versäumung des Antrags o Rn 512 ff.

I. Auflösung oder Nichtigerklärung der AG und der GmbH | 773

Abgesehen vom Fall der Auflösung durch amtswegige Löschung wegen 1452 Vermögenslosigkeit2382 bedeutet die Auflösung nicht das Ende der juristischen Person, sondern die Änderung des Status der juristischen Person. Aus einer werbenden Gesellschaft mit dem Unternehmenszweck wird eine Liquidationsgesellschaft mit dem Abwicklungszweck. Wenn nicht vom Insolvenzverwalter das Insolvenzverfahren durchgeführt wird (§§ 264 I AktG, 66 I GmbHG), werden sog Abwickler (AktG) oder Liquidatoren (GmbHG) tätig (grundsätzlich Vorstand oder Geschäftsführer, es sei denn, es ist oder wird etwas anderes bestimmt (§§ 265 AktG, 66 GmbHG)2383. Die Abwickler haben den Abwicklungszweck in der Firma zu kennzeichnen (§§ 269 VI AktG, 68 I 1 GmbHG). Üblich ist „in Liquidation“ oder „i.L.“ Die Liquidatoren haben die Auflösung in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. Zugleich sind die Gläubiger aufzufordern, sich bei der Gesellschaft zu melden (§§ 267 AktG, 65 II GmbHG). Sie sind zu befriedigen, die Geschäfte abzuwickeln (die unbeschränkte Vertretungsmacht von Vorstand, Geschäftsführern gilt weiter, ebenso von anderen Abwicklern bzw Liquidatoren, § 269 I AktG, § 69 I iVm § 35 GmbHG), über das restliche Vermögen sind Bilanzen aufzustellen, ggf zu prüfen, verbleibendes Vermögen ist unter die Gesellschafter zu verteilen (§§ 268 ff AktG, 70 ff GmbHG), aber nach §§ 272 I AktG, 73 GmbHG nicht vor Ablauf eines Sperrjahres seit dem Aufruf an die Gläubiger, ihre Ansprüche anzumelden. Erst mit Beendigung der Liquidation, also nicht vor Ablauf des Sperrjahres, 1453 ist der Schluss der Liquidation zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden und die Gesellschaft zu löschen (§§ 273 I AktG, 74 I GmbHG). Die Anmeldung vor Ablauf des Sperrjahres ist allerdings möglich, wenn die Gesellschaft gar kein Vermögen hat2384. Stellt sich nach der Anmeldung zur Löschung die Notwendigkeit weiterer Abwicklungsmaßnahmen heraus, hat das Gericht auf Antrag eines Beteiligten die Nachtragsliquidatoren neu zu bestellen oder neue zu berufen (§ 273 IV 1 AktG)2385.

_____ 2382 Zur Frage der konstitutiven Wirkung der Löschung auch bei Vorhandensein von Restvermögen, so dass es bei Löschung – anders als bei einer Auflösung – keine Fortsetzung der Kapitalgesellschaft geben würde, s Rn 1454 mit Fn 2386. 2383 Abwickler oder Liquidatoren können auch juristische Personen sein (so § 265 III 2 AktG ausdrücklich, das GmbHG mittelbar durch Ausklammerung von § 6 II 1 GmbHG in der Verweisung des § 6 II 1 in § 66 IV GmbHG). 2384 OLG Naumburg ZIP 2002, 1529; OLG Köln NZG 2005, 83. Zum Nachweis der Vermögenslosigkeit (Nachw zum Begriff o Fn 2379) ist eine Versicherung des Liquidators ausreichend. 2385 Der BGH hat § 273 IV 1 AktG analog auf den Fortbestand einer gelöschten ausländischen Gesellschaft betreffs ihres inländischen Restvermögens angewandt, BGHZ 212, 381 = WM 2017, 433.

774 | M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft

Denkbar ist auch, dass die Gesellschaft im Handelsregister gelöscht wird, aber sich herausstellt, dass doch noch Vermögen da ist. In diesem Fall sind auf Antrag eines Beteiligten durch Gericht Liquidatoren zu bestellen (§§ 273 IV AktG, 66 V GmbHG)2386. Das AktG befasst sich mit der Möglichkeit der Fortsetzung der Aktienge1455 sellschaft, dh ihrer Reaktivierung zu einer werbenden Gesellschaft. Nach § 274 I 1, 2 AktG kann die Fortsetzung In den Fällen der Auflösung durch Ablauf der in der Satzung bestimmten Dauer der Gesellschaft (§ 262 I Nr 1 AktG) oder durch Beschluss der HV (Nr 2 der Vorschriften) unter der Voraussetzung, dass noch nicht mit der Vermögensverteilung unter die Aktionäre begonnen worden ist, beschlossen werden. Der Beschluss bedarf wie der Auflösungsbeschluss einer Mehrheit von mindestens ¾ des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (vorbehaltlich satzungsmäßiger Verschärfung). Das Gleiche gilt nach § 274 II AktG im Fall der Auflösung durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn der Eröffnungsantrag zurückgenommen oder ein Insolvenzplan aufgestellt wird, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht, und weiterhin bei Auflösung wegen Satzungsmangels und nachträglicher Behebung des Satzungsmangels (§ 274 II Nr 1, 2 AktG). Bei der GmbH nimmt betreffend Insolvenz die Vorschrift des § 60 I Nr 4 GmbHG die im Aktienrecht geregelte Möglichkeit als Einschränkung in den Tatbestand des Auflösungsgrundes mit hinein. Darüber hinaus ist bei allen Auflösungsgründen die Fortsetzung durch Fortsetzungsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit (bei Mängeln des Gesellschaftsvertrags betreffend den Gegenstand des Unternehmens durch einstimmigen Beschluss, § 76 GmbHG) zuzulassen, wenn der Grund, der zur Auflösung geführt hat, beseitigt wird (bei Auflösung durch Auflösungsbeschluss liegt die Beseitigung im Fortsetzungsbeschluss selbst)

1454

_____ 2386 Zur Rechtsnatur (Fortbestand der juristischen Person oder analog der Vor- eine Nachgesellschaft) Heerma Mantelverwendung und Kapitalaufbringungspflichten 1997 S 84 f; Bachmann, FS Lindacher, 2017, S 23 ff. Jedenfalls gibt es bei Vorhandensein von Vermögen ein Liquidationssubjekt. Umgekehrt ist wegen dieses Subjekts auch jedenfalls Vermögen der gelöschten Gesellschaft denkbar. Also ist nicht Konsequenz der Löschung, dass bei der gelöschten GmbH keine, nach der Ansicht der früheren Rechtsprechung die Haftung aus qualifiziertem faktischem Konzern bzw wegen existenzvernichtenden Eingriffs sogar verdrängenden, Einzelausgleichsansprüche mehr denkbar sind; richtig Zeidler, GmbHR 1997, 881 (gegen BGH GmbHR 1996, 366). Das von Zeidler ebenfalls angegriffene Urteil des OLG Köln (GmbHR 1997, 220) hat dies (nach der Zurückverweisung durch den BGH) allerdings auch nicht angenommen. Es meint vielmehr, dass die Haftung aus qualifiziertem faktischen Konzern nur nicht durch die Möglichkeit einer Geschäftsführerhaftung nach § 43 GmbHG verdrängt werde. Nach OLG München NZG 2017, 1071 ist Gesellschaft passiv parteifähig, wenn der Kläger substantiiert vorträgt, dass noch Gesellschaftsvermögen vorhanden ist.

I. Auflösung oder Nichtigerklärung der AG und der GmbH | 775

und sofern noch nicht mit der Verteilung des Vermögens unter die Gesellschafter begonnen worden ist (entsprechend § 274 I 1 AktG) 2387. Abgesehen von den Fällen der Insolvenz und der Löschung wegen Vermö- 1456 genslosigkeit kommt die Beendigung von Kapitalgesellschaften in der Praxis kaum vor. Mit ihrem Unternehmen in Schwierigkeiten gekommene Gesellschafter werden ihre Gesellschaften nicht beseitigen lassen, sondern entweder die rechtlich existierende Gesellschaft noch als Mantel für den Aufbau eines neuen Unternehmens mithilfe des alten Gesellschaftsrahmens2388 verwerten oder aber von den vielfältigen Möglichkeiten der Umstrukturierung des Unternehmens, die das UmwG vorsieht, Gebrauch machen. Die Kapitalgesellschaften können aus besonderen Gründen auf die Klage 1457 einzelner Aktionäre oder Gesellschafter, der Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer oder von Aufsichtsratsmitgliedern (bei der GmbH: falls ein Aufsichtsrat besteht) durch das Gericht für nichtig erklärt werden. Es handelt sich um einen besonderen Fall einer Anfechtungsklage (§ 275 IV AktG), auch für die GmbH verweist das Gesetz auf §§ 246–248 AktG (§ 75 II GmbHG). Die Gründe bestimmen die Gesetze abschließend, obwohl nur das AktG dieses ausdrücklich sagt (§ 275 I 2 AktG)2389. Gründe sind das Fehlen von Bestimmungen der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags über die Höhe des Grund- bzw Stammkapitals oder über den Gegenstand des Unternehmens oder die Nichtigkeit der Bestimmung über den Unternehmensgegenstand etwa wegen Scheingeschäfts, Sittenwidrigkeit oder Verbotenheit (§§ 275 I 1 AktG, 75 I GmbHG)2390. Mängel betreffend den Unternehmensgegenstand können, bei der AG nach den Vorschriften über Satzungsänderung (§ 276 AktG), bei der GmbH durch einstimmigen Beschluss der Gesellschafter (§ 76 GmbHG) geheilt werden. Wird die Gesellschaft durch rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt, findet die Abwicklung wie bei der Auflösung der Gesellschaften statt; Rechtsgeschäfte mit Dritten werden nicht berührt; die Gesellschafter haben ihre Einlagen zu leisten, soweit dies zur Befriedigung der Gesellschaftsverbindlichkeiten erforderlich ist (§§ 277 I–III AktG, 77 I–III GmbHG).

_____ 2387 In einem erst-recht-Schluss zum Fall des Beginns der Vermögensverteilung lehnt das OLG Celle NZG 2008, 271 die Fortsetzung durch bloßen Fortsetzungsbeschluss ab, wenn eine Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden ist (auch wenn sie tatsächlich nicht vermögenslos war). 2388 Dazu s o Rn 406 ff. 2389 Für die GmbH BGHZ 21, 378, 381 unter Berufung auf eine Vorläufernorm des HGB (?). 2390 S schon o Rn 276 f.

776 | M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft

II. Die Auflösung und Nichtigerklärung der KGaA II. Die Auflösung und Nichtigerklärung der KGaA 1458 Die Gründe für die Auflösung einer KGaA (und das Ausscheiden eines persönlich haftenden Gesellschafters) richten sich, soweit in § 289 II-VI AktG nichts anderes gesagt ist, nach dem Recht der KG (§ 289 I AktG), also nach §§ 161 II, 131 HGB: Gründe sind Zeitablauf, Gesellschafterbeschluss, Insolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen2391 und gerichtliche Entscheidung (§ 131 I Nr 1– 4 HGB). Daneben gibt § 289 II AktG weitere, dem Aktienrecht entnommene Auflösungsgründe, nämlich den rechtskräftigen Beschluss über die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 26 InsO), die rechtskräftige Verfügung des Gerichtes nach § 399 FamFG und die Löschung wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG. § 289 IV AktG spricht von der Kündigung der Gesellschaft durch die Kommanditaktionäre. Da aufgrund des Handelsrechtsreformgesetzes (§ 131 III HGB) die Kündigung eines Gesellschafters nach dem Gesetz nicht mehr zur Auflösung der Gesellschaft führt, betrifft Absatz 4 Fälle einer Satzungsregelung, wonach die Kündigung diese Wirkung hat. Nach § 289 VI AktG ist die Auflösung in den soeben genannten Fällen des § 289 II AktG mit Ausnahme der Löschung wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen einzutragen, in den anderen Fällen ist sie von allen persönlich haftenden Gesellschaftern zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Nach § 278 III iVm §§ 275 ff AktG gelten die Vorschriften über die Nichtigerklärung einer AG auch für die KGaA. Die Abwicklung der KGaA ist – vorbehaltlich anderer Regelung in der Sat1459 zung – gemäß § 290 AktG von allen Komplementären und einem oder mehreren von der HV zu wählenden Abwicklern durchzuführen. Sie richtet sich gem § 278 III AktG nach §§ 264 ff AktG, Die Aufteilung des Restvermögens zwischen Komplementären und Kommanditaktionären richtet sich nach § 278 II AktG iVm §§ 161 II, 155 HGB2392.

_____ 2391 Kein Auflösungsgrund ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Kommanditaktionärs; Gläubiger eines Kommanditaktionärs sind zur Kündigung der Gesellschaft nicht berechtigt, § 289 III 1, 2 AktG. 2392 Das HGB sieht eine dem § 272 AktG entsprechende Sperrfrist nicht vor, für die Kapitalgesellschaft & Co KGaA wird die entspr Anwendung befürwortet, vgl Raiser/Veil § 23 Rn 63, str.

III. Überblick über das UmwG | 777

III. Überblick über das UmwG2392a III. Überblick über das UmwG

Im Vordergrund existenzieller Umwälzungen bei der Kapitalgesellschaft steht 1460 nicht die Auflösung, sondern die „Umwandlung“, dh die Umgestaltung zu einem Träger anderer Unternehmen oder zur Neuformierung des Unternehmensträgers. Das Thema der Umwandlung ist nicht auf die Umwandlung aus der Rechtsform der Kapitalgesellschaft heraus beschränkt, sondern betrifft genau so die Möglichkeit der Umwandlung in die Rechtsform der Kapitalgesellschaft hinein. Das Thema der Umwandlung gehört also zu Ende und Neubeginn von Kapitalgesellschaften zugleich. Das UmwG erstreckt sich sodann weit über die Rechtsformen der Kapitalgesellschaften hinaus. Auch das UmwG ist aber kein Unternehmensrecht, sondern auf die Rechtsträger und deren Vermögen bezogen. Nur einzelne Vorschriften haben das Unternehmen als Bezugspunkt (§§ 152, 161, 168 UmwG). Die frühere Beschränkung des UmwG auf Umwandlungen in Deutschland hat der EuGH im Urteil Sevic beanstandet2393. Im Fall ging es um die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. Dazu ist die Verschmelzungsrichtlinie erlassen worden2394. Der deutsche Gesetzgeber hat dementsprechend nur für die Verschmelzung Vorschriften über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften über die Grenze eingefügt (§§ 122a–122l UmwG). Die Vorschriften regeln jetzt Verschmelzungen, bei denen mindestens eine der beteiligten Gesellschaften dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der EU oder des EWR unterliegt. Als deutsches Gesetz regelt das UmwG sodann nur die Möglichkeiten für die Umwandlung von Unternehmen mit Sitz in Deutschland (§ 1 I UmwG). Zur komplizierten und vielfältigen Regelung des UmwG sei hier ein Überblick 1461 gegeben: In seinem § 1 Abs 1 (aus § 1 besteht das „erste Buch“) zählt das Umwandlungsgesetz die Arten der Umwandlung nach dem UmwG auf. Es sind die Verschmelzung (2. Buch, § 2 ff), die Spaltung (3. Buch, §§ 123 ff mit Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung), die Vermögensübertragung (4. Buch, §§ 174 ff) und der Formwechsel (5. Buch, §§ 190 ff). § 1 II UmwG setzt für andere Umwandlungen iS dieser Arten des UmwG eine ausdrückliche gesetzliche Zulassung voraus, Abs 3 erlaubt die Abweichung vom Gesetz nur bei ausdrücklicher Zulassung und die ergänzende Regelung in Verträgen, Satzungen oder Willenserklärungen nur unter der Voraussetzung, dass das UmwG keine abschließende Regelung enthält (entspricht der Begrenzung der Satzungsautonomie bei der AG nach § 23 V AktG).

_____ 2392a Zum UmwG s den großen Kommentar von Marcus Lutter u.a. 5. Aufl. 2014. 2393 Rs C – 411/103 v. 13.12.2005 – Sevic Systems AG Slg 2005, I-10805. 2394 Zur Richtlinie für grenzüberschreitende Verschmelzungen und ihrer Umsetzung im UmwG Neye/Timm, GmbHR 2007, 561.

778 | M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft

Das UmwG folgt allgemeinen Prinzipien, zum einen Prinzipien der Einfachheit und zum anderen Prinzipien des notwendigen Schutzes von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern: Um der Einfachheit willen bleibt der Rechtsträger beim Formwechsel identisch und geht in den Fällen, in denen der Rechtsträger wechselt, das erfasste Vermögen vom einen auf den anderen im Wege der Universalsukzession über. Werden nur Teile des Vermögens erfasst, erfordert der gesetzliche Übergang ein genaues Verzeichnis der erfassten Vermögensgegenstände (s zB § 126 I Nr 9 UmwG). Die Auffangnorm des AktG über Verträge mit dem Inhalt der Verpflichtung zur Übertragung des Vermögens als Ganzen (§ 179a AktG) bietet die Universalsukzession nicht. Minderheitsgesellschafter werden zunächst einmal durch Sicherung ge1463 nauer Grundlagen (Vertrag, etwa §§ 4 f zur Verschmelzung, oder Plan, § 138 iVm § 126 UmwG betr Spaltung zur Neugründung) und durch Berichtspflichten geschützt, die wichtig sind für die Beschlusskontrolle durch Anfechtungsoder Nichtigkeitsklagen. Die Beschlusskontrolle kann durch das Freigabeverfahren beschleunigt werden (§§ 16 III, 125, 198 III UmwG). Nach einer Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister lässt die Beschlusskontrolle die Wirkungen der Umwandlung unberührt (20 II, 131 II, 202 III UmwG)2395. Bei Verschmelzungen, Spaltungen, Vermögensübertragungen und unter bestimmten Voraussetzungen auch beim Formwechsel (§ 208) greifen Prüfungspflichten ein. Sodann werden die Gesellschafter durch Ansprüche auf Zuzahlungen (ua § 15 UmwG) und im Fall des Ausscheidens durch volle Entschädigung geschützt (ua § 29 UmwG)2396. Die gerichtliche Überprüfung von Zuzahlung und Entschädigung erfolgt im Spruchverfahren nach dem SpruchG (ua § 34 UmwG). Gegen die Auszahlungsansprüche müssen, was das UmwG nicht hervorhebt, die Einreden gelten, dass die Kapitalgesellschaften ihr gebundenes Vermögen nicht verletzen dürfen (§§ 30 GmbHG, 57, 62 AktG). Bei jeder Umwandlungsvariante gelten für die Beschlussfassung qualifizierte Zustimmungserfordernisse. Das Erfordernis der Zustimmungsbeschlüsse wird zunächst als solches genannt (etwa in § 13 UmwG für die Verschmelzung, in § 193 UmwG für den Formwechsel), es wird aber ohne Mehrheitserfordernis genannt. Die Mehrheitserfordernisse sind bei den einzelnen Rechtsformen geregelt, 1462

_____ 2395 S a § 16 III 9 1., 2. Hs UmwG: Hat eine Beschlussmängelklage Erfolg, obwohl zuvor die Freigabe erfolgt war, haftet der die Freigabe erwirkende Rechtsträger auf Schadensersatz, aber nicht auf restitutio in integrum. Die Reichweite des Bestandsschutzes ist allerdings umstritten, s Raiser/Veil § 67 Rn 66 f. 2396 Minderheitsgesellschafter, die bei einer Verschmelzung ihre Rechte verlieren, sind, bezogen auf den Stichtag der Verschmelzung, zu entschädigen (BVerfG AG 2003, 624, noch zu den alten Vorschriften der §§ 339 ff AktG aF).

III. Überblick über das UmwG | 779

die für die Umwandlung in Betracht kommen und für die jeweils unterschiedliche Erfordernisse der Beschlussfassung über Strukturveränderungen gelten (s für die Verschmelzung §§ 43, 50, 65, 78, 84, 103, 106, 112 III, 118; für den Formwechsel §§ 233 II, 240 I, 252 II, 262 I, 275 II, 284 S 2, 293 UmwG). Zusammenfassen können wir, wie folgt: Jedenfalls gilt das Erfordernis einer Mehrheit von mindestens ¾ der abgegebenen Stimmen bzw des vertretenen Grundkapitals, wenn nicht Zusatzerfordernisse gelten, wie zB bei Beteiligung von Personengesellschaften, bei denen vorbehaltlich des Gesellschaftsvertrags, dieser wiederum seinerseits vorbehaltlich der Zustimmung der unbeschränkt haftenden Gesellschafter, alle Gesellschafter zustimmen müssen. Gläubigern dient zunächst die Anwendung der Gründungsvorschriften auf die zu gründende Gesellschaft oder im Hinblick auf die als neue Rechtsform gewählte Gesellschaft (§§ 36 II 1, 135 II 1, 197 I 1 UmwG). Weiter enthält das UmwG zu Verschmelzung und Spaltung Vorschriften über Sicherheitsleistung (§§ 22 I, 125, 204). Durch das Prinzip der Universalsukzession gewährleistet das UmwG die Haftungskontinuität. Für bestimmte Konstellationen gibt es Schadensersatz (§§ 35, 125, 205 II UmwG). Die Umwandlungen durch Verschmelzung, Spaltung und Formwechsel werden wirksam durch Eintragung in das Handelsregister (§§ 20 I für die Verschmelzung, § 131 I für die Spaltung, § 202 I für den Formwechsel). Das Verhältnis allgemeiner zu besonderen Regeln des UmwG ist nach dem gezeichneten Bild notwendig kompliziert. Das 2. Buch regelt die Verschmelzung (auch genannt Fusion), ist aber zugleich eine Art allgemeiner Teil, auf den etwa § 125 für die Spaltung verweist. Bleiben wir bei der Spaltung, so wird diese dann im Hinblick auf die Spaltung zur Aufnahme (§§ 126 ff) und die Spaltung zur Neugründung (§§ 135 ff) und dann noch durch die Sondervorschriften, die nach den unterschiedlichen beteiligten Rechtsformen unterscheiden, besonders geregelt. Aber auch schon die Regelung der Verschmelzung, auf die in § 125 verwiesen wird, enthält besondere Vorschriften je nach beteiligter Rechtsform. Dem Verhältnis von allgemeinen und besonderen Vorschriften mit vielen Verweisungen entspricht die Regelung der anderen Umwandlungsarten (sog Baukastenprinzip). Die einzelnen Umwandlungsarten sind, wie folgt, zu unterscheiden: Verschmelzung heißt: Ein oder mehrere Rechtsträger gehen in einem anderen Rechtsträger auf, so dass das Vermögen auf den anderen übergeht und die Mitglieder der aufgehenden Rechtsträger zu Mitgliedern des anderen Rechtsträgers werden. Der andere Rechtsträger kann schon bestehen (Verschmelzung durch Aufnahme, §§ 4 ff UmwG)2397 oder von dem oder den (sog übertragenden)

_____

2397 Eine Gesellschaft in Liquidation kann kein übernehmender Rechtsträger sein, OLG Naumburg NJW-RR 1998, 178. Zur Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen, die in

1464

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780 | M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft

Rechtsträgern neu gegründet werden (Verschmelzung durch Neugründung, §§ 36 ff UmwG). § 3 UmwG nennt den Kreis der Rechtsformen, die als übertragende, übernehmende oder neue Rechtsträger in Frage kommen Personenhandelsgesellschaften, Partnerschaftsgesellschaften, Kapitalgesellschaften, eingetragene Genossenschaften, eingetragene Vereine, genossenschaftliche Prüfverbände, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Wirtschaftliche Vereine können nur als übertragende Rechtsträger, natürliche Personen, die Alleingesellschafter einer Kapitalgesellschaft waren, kommen als das Vermögen der Kapitalgesellschaft übernehmende Rechtsträger in Betracht. Alleingesellschafter können das Vermögen auch dann übernehmen, wenn die Kapitalgesellschaft kein Handelsgewerbe betrieben hat (etwa Wirtschaftsprüfergesellschaft ist)2398. Beispiel für Verschmelzung durch Aufnahme: A-AG mit 1 Mio Grundkapital und 1000 Aktionären hat ein Vermögen von 2 Mio und Verbindlichkeiten von 1 Mio. Die B-AG mit 2 Mio Grundkapital und 2000 Aktionären hat ein Vermögen von 4 Mio und Verbindlichkeiten von 2 Mio. A wird auf B verschmolzen. Dh A erlischt und B hat nunmehr ein Vermögen von 6 Mio und Verbindlichkeiten von 3 Mio. Damit würde ein Reinvermögen von 3 Mio auf die 2000 Aktionäre der B entfallen. Die Steigerung des Reinvermögens rührt aber von A und den Aktionären der A her. Folgerung: Das Grundkapital der B muss auf 3 Mio erhöht werden, die 1000 neuen Aktien an der B erhalten die Aktionäre der A, die jetzt statt an der A an der B beteiligt sind 2399. 1468 Auch die Spaltung ist in mehreren Arten vorgesehen2399a. Die Arten der Spal-

tung sind in § 123 UmwG definiert: Nach Abs 1 ist die Aufspaltung der zur Verschmelzung mehrerer Ausgangs-Rechtsträger entgegengesetzte Vorgang:

_____ einer GmbH entstanden sind, nach deren Verschmelzung auf eine AG Niklas Cordes, ZfPW 2017, 497. 2398 Das Hindernis, welches OLG Zweibrücken DB 1996, 418 gesehen hat, dass der Alleingesellschafter nicht, wie in § 122 I UmwG vorgesehen, als Inhaber eines Handelsgewerbes in das Handelsregister eingetragen werden kann, ist durch Einfügung des § 122 II UmwG, die im HRefG vorgenommen worden ist, beseitigt. Zur Eignung natürlicher Personen als übernehmende Rechtsträger BGH NJW 1998, 2536 (vor dem HRefG). 2399 Zur Frage notwendiger Verbindung der Verschmelzung mit einer Kapitalerhöhung Petersen, GmbHR 2004, 728. Eine Differenzhaftung bei Überbewertung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers trifft die Aktionäre der beteiligten Rechtsträger grundsätzlich nicht, BGH NJW-RR 2007, 1487. Die Regelung der Verschmelzung zweier AG im UmwG ist zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iSv Art 14 I 2 GG, BVerfG ZIP 2007, 1600. LG Bonn lehnt Anfechtungsklage gegen Entlastung der Organe der übertragenden Gesellschaft nach Eintragung der Verschmelzung mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig ab, weil die übertragende Gesellschaft nach § 20 I Nr 2 UmwG erloschen sei (ZIP 2008, 835 mit Anm Lutter). 2399a Zur Spannung zwischen Gestaltungsfreiheit und Schutz der Gläubigerinteressen bei Spaltungen Wöhlert, Gestaltungsfreiheit und Gläubigerschutz, 2010.

III. Überblick über das UmwG | 781

Ein Rechtsträger gibt sein Vermögen an mehrere andere ab, sodass sein Vermögen auf die anderen verteilt wird und seine Mitglieder zu Mitgliedern der anderen Rechtsträger werden. Die Abspaltung (§ 123 II UmwG) lässt einen Teil des Vermögens auf einen anderen Rechtsträger übergehen, wobei die Mitglieder des Ausgangsrechtsträgers solche bleiben und zugleich solche des anderen Rechtsträgers werden. Die Ausgliederung (§ 123 III UmwG) kann sowohl das ganze Vermögen als auch einen Teil betreffen. Sie unterscheidet sich von Auf- und Abspaltung durch die Zuständigkeit der neuen Mitgliedschaftsrechte: Diese stehen nicht den Mitgliedern des bisherigen Rechtsträgers zu, sondern der bisherige Rechtsträger selbst ist als Inhaber der Mitgliedschaftsrechte an dem anderen Rechtsträger beteiligt2400. § 124 grenzt in weitgehender Verweisung auf § 3 die spaltungsfähigen Rechtsträger ab. Anders als nach § 3 können aber nach § 124 I übertragende Rechtsträger einer Ausgliederung auch Einzelkaufleute sein (nähere Vorschriften in §§ 152 ff)2401. Die Vermögensübertragung gibt es nach dem UmwG2402 in zwei Arten 1469 (§ 174 UmwG): Voll- und Teilübertragung. Die Vermögensübertragung ist dadurch definiert, dass die Gegenleistung für das Vermögen nicht in Mitgliedschaftsrechten am anderen Rechtsträger, sondern in anderen Gegenständen besteht. Die Vollübertragung erfasst das ganze Vermögen, die Gegenleistung erfolgt an die Mitglieder des übertragenden Rechtsträgers, der übertragende Rechtsträger erlischt. Die Teilübertragung ist in drei Möglichkeiten denkbar, die den drei Möglichkeiten bei der Spaltung entsprechen: Übertragung des ganzen Vermögens auf mehrere andere Rechtsträger, Gegenleistung an die Mitglieder des bisherigen – erlöschenden – Rechtsträgers; Teilübertragung gegen Gegenleistung an die Mitglieder des – hier bestehen bleibenden – Rechtsträgers; Voll- oder Teilübertragung gegen Gegenleistung an den bisherigen – bestehen bleibenden – Rechtsträger. Nach § 175 UmwG ist eine Vermögensübertragung möglich von einer Kapitalgesellschaft auf die öffentliche Hand (Nr 1), von einer Versicherungs-AG auf einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit oder ein öffentlich-rechtliches Versicherungsunternehmen (§ 175 Nr 2 lit. a UmwG), von einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit auf eine Versicherungs-AG oder ein öffentliches Versicherungsunternehmen (§ 175 Nr 2 lit. b UmwG) und

_____

2400 Möglich auch die Kombination der Gestaltungen: A-Gesellschaft bildet durch Ausgliederung eine Tochtergesellschaft und weist die ihr dadurch zuwachsenden Anteile gleichzeitig durch Abspaltung einer anderen Gesellschaft zu (zB der eigenen Muttergesellschaft). 2401 Ein Einzelkaufmann kann also aus seinem Unternehmen, statt eine GmbH zu gründen und das Unternehmensvermögen einzeln in die Gesellschaft einzubringen, durch Umwandlung in Gestalt der Ausgliederung eine Einmann-GmbH machen (allerdings unter Wahrung der Gründungsvorschriften des GmbHG, s §§ 152, 158 ff, 135 II, 123 III UmwG). 2402 Auffangvorschrift in § 179a AktG.

782 | M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft

von einem öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen auf eine Versicherungs-AG oder einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (§ 175 Nr 2 lit. c UmwG). 1470 Beim Formwechsel (§ 190 UmwG) bleibt der Rechtsträger bestehen, er erhält nur eine andere Rechtsform. Motiv etwa für den Wechsel der Rechtsform einer GmbH zu einer AG kann zB die Erreichung des umwandlungsrechtlichen Squeeze-out (§ 62 V UmwG) sein2403. § 190 II UmwG bestimmt für den Formwechsel, dass, soweit ein Formwechsel in anderen Gesetzen vorgesehen ist, die Vorschriften des UmwG nicht gelten, es sei denn, etwas anderes sei bestimmt2404. Nach § 191 I UmwG können formwechselnder Rechtsträger sein 2405 : Personenhandelsgesellschaften2406, Kapitalgesellschaften, eingetragene Genossenschaften, rechtsfähige Vereine, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Rechtsträger neuer Rechtsformen (die ange-

_____ 2403 OLG Hamburg NZG 2012, 944 (mit verfassungsrechtlicher Überprüfung). Zur Frage der uneingeschränkten Anwendbarkeit des GmbHG bei Formwechsel einer AG in eine GmbH, wenn Haftungsansprüche gegen die bisherigen Vorstandsmitglieder in Betracht kommen, Allmendinger/Lüneborg, ZIP 2017, 1842 ff. 2404 Lutter hat in der 3. Aufl. seines Kom zum UmwG § 190 Rn 14 ff folgende Fälle einer Rechtsformänderung außerhalb des UmwG genannt: Eine oHG/KG wird in eine BGB-Gesellschaft verwandelt oder umgekehrt. Eine oHG nimmt Kommanditisten auf. Das Vermögen einer Personengesellschaft wächst durch Ausscheiden aller Gesellschafter außer einem einzigen diesem einzigen an. Sodann nennt Lutter UmwG § 190 Rn 17, folgende Möglichkeit einer Anwachsung: Ausgangspunkt kann zunächst eine GmbH & Co KG sein. Bei der GmbH wird das Kapital erhöht, die Kommanditisten übernehmen das neue Kapital und bringen dafür ihre Kommanditanteile in die GmbH ein. Folge ist, dass die GmbH einzige Gesellschafterin und damit Einzelinhaberin des Unternehmens wird. Ist sodann Ausgangspunkt eine KG oder oHG, so kann sich das Folgende vollziehen: Die Gesellschafter gründen eine GmbH und bringen ihre Anteile an der Personenhandelsgesellschaft in die GmbH ein. Diese Art der Umwandlung ist auch anstelle eines Formwechsels interessant. 2405 Zur Möglichkeit des Formwechsels im Stadium der Auflösung § 191 III UmwG. Umwandlungsmöglichkeiten im Insolvenzplan erklärt § 225a III InsO für zulässig So wurde im Fall Suhrkamp die Verlags-GmbH & Co KG in eine AG umgewandelt (Einzelheiten bei Raiser/Veil § 57 Rn 16 f). 2406 Also nicht Gesellschaften bürgerlichen Rechts. Sind sie gewerblich tätig oder verwalten sie nur eigenes Vermögen, können sie durch Eintragung in das Handelsregister zur OHG werden (§ 105 II HGB). Wichtiger Fall des Formwechsels: Umwandlung einer GmbH & Co KG in eine GmbH oder AG. Ist die GmbH ohne Kapitalanteil an der KG beteiligt, hat sie, bedingt auf die Eintragung der Kapitalgesellschaft, ihren Austritt zu erklären. Umwandlung und Austritt geschehen uno actu. Zum Grundsatz der Identität der Gesellschafter vor und nach dem Formwechsel, was Schwierigkeiten machte bei diesem Wechsel aus einer GmbH & Co KG in eine GmbH (die vorherige Komplementär-GmbH wird überflüssig), aber auch in dem umgekehrten Fall (eine Komplementär-GmbH wird gebraucht), liberalisierend BGH GmbHR 2005, 1136, Baßler, GmbHR 2007, 1252.

III. Überblick über das UmwG | 783

strebte Rechtsform) können sein: Gesellschaften bürgerlichen Rechts, Personenhandelsgesellschaften, Kapitalgesellschaften, eingetragene Genossenschaften. Das frühere 6. Buch des UmwG hatte in §§ 305 ff ein Einspruchsverfahren 1471 geregelt (auf dieses verwiesen die Vorschriften der §§ 15, 34, 176–181, 184, 186, 196 und 212 UmwG). Die Regelung ist jetzt ersetzt durch das SpruchverfahrensG vom 12.6.20032407. Das frühere 7. Buch mit Strafvorschriften und der Möglichkeit der Verhängung von Zwangsgeldern ist jetzt zum 6. Buch geworden. Das letzte (jetzt) 7. Buch des Umwandlungsgesetzes enthält Übergangsund Schlussvorschriften, insbesondere über das individuelle Arbeitsrecht (Kündigungsschutz) und das Mitbestimmungsrecht (§§ 322–325 UmwG)2408.

_____ 2407 BGBl I S 838. 2408 Die Auswirkung der Umwandlungsmaßnahmen auf die Verhältnisse der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter ist in den Grundlagen der Umwandlungsmaßnahmen darzustellen (§§ 5 I Nr 9, 126 I Nr 11, 194 I Nr 7 UmwG).

784 | M. Ende oder Umwandlung der Kapitalgesellschaft

A. Mit Namen bezeichnete Entscheidungen | 785

Entscheidungsregister Entscheidungsregister https://doi.org/10.1515/9783110595802-014

Die Verweise auf Randziffern schließen die zugehörigen Fußnoten ein.

A. Mit Namen bezeichnete Entscheidungen A. Mit Namen bezeichnete Entscheidungen

I. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Entscheidung

Randnummer

Entscheidungsname

EuGH NJW 2014, 290 EuGH NJW 2015, 1581 EuGH NJW 2017, 2603 EuGH NZG 2012, 871 EuGH NZG 2016, 115 EuGH NZG 2017, 915 EuGH Slg 1984, 1891 EuGH Slg 1987, 3969 EuGH Slg 1988, 5483 = IPRax 1989, 381 EuGH Slg 1992, I-4871 = ZIP 1992, 1076 EuGH Slg 1994, I-3325 EuGH Slg 1995, I-4165 EuGH Slg 1996, I-6017 = ZIP 1996, 2015 EuGH Slg 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 EuGH Slg 2002, I-4731 = BB 2002, 1282 EuGH Slg 2002, I-4781 = BB 2002, 1284 EuGH Slg 2002, I-4809 = BB 2002, 1286 EuGH Slg 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 EuGH Slg 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331 = GmbHR 2003, 1260 = ZIP 2003, 1885 EuGH Slg 2003, I-4581 = BB 2003, 1520 EuGH Slg 2003, I-4641 = BB 2003, 1524 EuGH Slg 2005, I-10805

Rn 147, 961 Rn 778 Rn 981, 1593 Rn 146, 200c, 203a Rn 202a, 307c Rn 1395 Rn 145 Rn 145 Rn 200c

VW-Gesetz Kolassa Erzberger Vale Kornhaas Immo Chiaradia SPRL Colson Kamann Kolpinghuis Nijmegen BV Daily Mail

Rn 311

Meilicke/ADV/ORGA

Rn 145 Rn 201, 144 Rn 595

Faccini Dori Gebhard Siemens/Nold

Rn 200c

Centros

Rn 147

Goldene Aktien II

Rn 147

Goldene Aktien I

Rn 147

Goldene Aktien III

Rn 200c

Überseering

Rn 111, 200c

Inspire Art

Rn 147

Goldene Aktien V

Rn 147

Goldene Aktien IV

Rn 154

SEVIC

https://doi.org/10.1515/9783110595802-014

786 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

Entscheidungsname

EuGH Slg 2007, I-8995 = NJW 2007, 3481 EuGH Slg. 2008, I-9641 EuGH WM 2017, 2261 EuGH ZIP 2017, 2145 EuGH ZIP 2018, 47

Rn 147, 961

Kommission/BRD

Rn 146, 200c Rn 981 Rn 200c Rn 12

Cartesio Erzberger Polbud Miravitlles Ciurana u.a.

II. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidung

Randnummer

Entscheidungsname

BVerfGE 14, 263 = NJW 2007, 3268 BVerfGE 100, 289 BVerfG NJW 2000, 349 = NZG 2000, 192 BVerfG WM 2018, 132 BVerfG ZIP 2000, 1670

Rn 677, 1314

Feldmühle

Rn 680, 673, 678, 766 Rn 1144

DAT/Altana Wenger/Daimler-Benz

Rn 1146 Rn 672, 679

Diesel-Affäre Moto Meter

Entscheidung

Randnummer

Entscheidungsname

BGH DStR 2002, 1312 BGH JZ 1976, 561 BGH NJW 1980, 231 BGH NJW 2005, 445 BGH NJW 2005, 2450 BGH NJW 2008, 1583 BGH NJW 2014, 146 BGH NZG 2007, 345 BGH NZG 2011, 1271 BGH NZG 2015, 792 BGHSt 49, 147 BGH WM 1991, 2061 BGH WM 2008, 784 BGHZ 62, 193 BGHZ 64, 52 BGHZ 65, 15 BGHZ 69, 334 BGHZ 71, 40 BGHZ 80, 69

Rn 1017 Rn 822, 828, 826 Rn 1367 Rn 45, 788, 1098 Rn 694 Rn 1045 Rn 756, 769 Rn 694 Rn 1092 Rn 1092 Rn 529 Rn 921 Rn 306 Rn 874, 1304 Rn 254 Rn 823, 1369 Rn 874, 1303 Rn 594, 609, 874, 1068 Rn 1192, 1222, 1248, 1291, 1304 Rn 478

Sachsenmilch IV VW-Audi/NSU Gervais Haffa/EM.TV EM.TV UMTS Frosta-Beschluss Comroad I ISION I ISION II Mannesmann Kochs Adler Rheinmöve Seitz Babcock ITT VEBA-Gelsenberg Kali & Salz Süssen

III. Ordentliche Gerichte

BGHZ 81, 311

Mitropa/Sonnenring

A. Mit Namen bezeichnete Entscheidungen | 787

Entscheidung

Randnummer

Entscheidungsname

BGHZ 82, 188 BGHZ 83, 106 BGHZ 83, 122

Rn 1067 Rn 213 Rn 574, 610, 852, 933, 938, 1221 Rn 609

Hoesch/Hoogovens Siemens Holzmüller

Rn 1136 Rn 1291 Rn 650 Rn 478 Rn 484, 1333 Rn 530, 531, 1304, 1367, 1369 Rn 672, 832, 842, 1449 Rn 847, 857 Rn 538 Rn 501, 504 Rn 1228 Rn 534, 538, 539 Rn 732, 736 Rn 594 Rn 501, 504 Rn 540 Rn 696 Rn 594 Rn 501, 504 Rn 501, 504 Rn 832, 834, 837, 839 Rn 213a Rn 1265 Rn 1086, 1091 Rn 610, 933 Rn 645, 842 Rn 626, 644, 842

Hertie Heumann-Ogilvy Schärenkreuzer Nutzfahrzeuge Beton-und Monierbau (BuM) Autokran

Rn 252 Rn 431 Rn 530, 540, 546, 549

Adidas Balsam/Procedo Bremer Vulkan

Rn 530, 541

KBV

Rn 764, 877, 1033, 1073, 1079, 1114 1145, 1256 Rn 601

Macrotron

BGHZ 83, 319 = WM 1982, 660 BGHZ 85, 293 BGHZ 89, 162 BGHZ 90, 92 BGHZ 90, 370 BGHZ 90, 381 BGHZ 95, 330 BGHZ 103, 184 BGHZ 106, 54 BGHZ 107, 7 BGHZ 109, 55 BGHZ 109, 297 BGHZ 115, 187 BGHZ 119, 305 BGHZ 120, 141 BGHZ 121, 31 BGHZ 122, 123 BGHZ 123, 126 BGHZ 125, 239 BGHZ 127, 1 BGHZ 127, 17 BGHZ 129, 136 BGHZ 132, 278 BGHZ 134, 392 BGHZ 135, 244 BGHZ 136, 133 BGHZ 138, 71 BGHZ 142, 167 = NZG 1999, 1158 BGHZ 144, 290 BGHZ 144, 336 BGHZ 149, 10 = BGHSt 49, 147 BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 BGHZ 153, 47 = ZIP 2003, 387 BGHZ 158, 122 = JZ 2004, 1185

Holzmann

Linotype Opel Tiefbau Lagergrundstück I Baustoff Video Klöckner Bankverein Bremen Lagergrundstück II TBB Bond Deutsche Bank Lagergrundstück III Lagergrundstück IV Girmes Schiedsfähigkeit I Hommelhoff ARAG/Garmenbeck Siemens/Nold Sachsenmilch Hilgers

Mobilcom

788 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

Entscheidungsname

BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860, 1863 = NZG 2004, 575 BGHZ 164, 241, BGHZ 164, 249 BGHZ 169, 98 BGHZ 169, 221 BGHZ 173, 145 BGHZ 173, 246 BGHZ 179, 71 BGHZ 180, 38 BGHZ 180, 221 BGHZ 182, 103 BGHZ 190, 7

Rn 1070, 1073

Gelatine

Rn 610, 612 Rn 610, 612, 933 Rn 808 Rn 882 Rn 307 Rn 529, 542 Rn 1335 Rn 313, 318 Rn 213a Rn 318, 320 Rn 419, 694, 1303, 1325, 1335 Rn 810 Rn 364, 1098

Mangusta/Commerzbank I Mangusta/Commerzbank II WMF Massa Lurgi Trihotel MPS Qivive Schiedsfähigkeit II Cash-Pool II Dritter Börsengang

Rn 595 Rn 501 Rn 691 Rn 529, 542, 543 Rn 581 Rn 1169 Rn 1169 Rn 1169 Rn 1169 Rn 1169 Rn 1034 Rn 999 Rn 1096 Rn 1146, 1157 Rn 1026 Rn 1146 Rn 881 Rn 645 Rn 645 Rn 1034

Siemens/Nold Lagergrundstück V Infomatec Gamma ConsulTrust Siemens I Allianz I Siemens II Allianz II Allianz III Mannesmann Reemtsma Gelita-AG Karwendelbahn-AG Siemens Diesel-Affäre Pelikan Sachsenmilch Sachsenmilch Mannesmann/Vodafone

Rn 868, 1083, 1152 Rn 776 Rn 808 Rn 881 Rn 672, 1096

ARAG/Garmenbeck EM-TV Pixelpark Hoesch/Hoogovens Strabag

Rn 608

Hypo-Bank

BGHZ 202, 180 BGH ZIP 1988, 1112 = NJW 1988, 2794 BGH ZIP 1995, 372 BGH ZIP 1997, 1375 BGH ZIP 2008, 1197 BGH ZIP 2008, 1232 BGH ZIP 2017, 2295 KG WM 1993, 1845 KG WM 1994, 1479 KG WM 1995, 1920 KG WM 1995, 1927 KG WM 1995, 1930 LG Düsseldorf ZIP 2004, 2044 LG Hamburg AG 1982, 53 LG Heidelberg ZIP 2017, 1160 LG München I NZG 2017, 1224 LG München I ZIP 2014, 570 OLG Celle NZG 2017, 1381 OLG Celle ZIP 1984, 594 OLG Dresden AG 2001, 489 OLG Dresden ZIP 1996, 1780 OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791 OLG Düsseldorf ZIP 1997, 1153 OLG Frankfurt AG 2006, 162 OLG Frankfurt ZIP 2004, 1309 OLG Hamm AG 1981, 198 OLG Köln NZG 2017, 2468 = ZIP 2017, 1211 OLG München NJW-RR 1997, 871

Postbank Kerkerbachbahn

B. Die übrigen Entscheidungen | 789

Entscheidung

Randnummer

Entscheidungsname

OLG München NZG 2008, 631 OLG Stuttgart WM 2008, 1368 OLG Stuttgart WM 2015, 875

Rn 601, 1033, 1145 Rn 694 Rn 789

REW-Energy EM.TV Porsche/VW

B. Die übrigen Entscheidungen B. Die übrigen Entscheidungen

I. Verfassungsgerichte Entscheidung

Randnummer

BayVerfGH NJW 2000, 3418 BVerfG AG 2003, 624 BVerfG NJW 1993, 2600 BverfG NJW 2000, 349 BVerfG NJW 2003, 58 BVerfG NJW 2007, 3268 BVerfGE 14, 263 BVerfGE 50, 290 BVerfGE 99, 367 BVerfGE 100, 289 BVerfGE 132, 99 BVerfG ZIP 2000, 1670, 1672 BVerfG ZIP 2004, 950 BVerfG ZIP 2007, 1600 BVerfG ZIP 2007, 2121

Rn 203b Rn 1463 Rn 539 Rn 1166 Rn 673 Rn 673 Rn 766, 677, 678 Rn 8, 766, 1016 Rn 974 Rn 1314 Rn 769 Rn 680 Rn 804 Rn 1467 Rn 673

II. Ordentliche Gerichte Entscheidung

Randnummer

BayObLG DStR 2000, 290 BayObLG NZG 2003, 691 BGH AG 1998, 137 BGH AG 2000, 515 BGH AG 2003, 383 BGH AG 2007, 121 = JZ 2007, 943 BGH AG 2007, 484 BGH AG 2008, 83 BGH AG 2008, 120 BGH AG 2009, 694 BGH BB 1997, 591 BGH BB 1997, 988 BGH BB 1999, 2262

Rn 1207 Rn 1124 Rn 1197 Rn 213 Rn 688 Rn 301 Rn 1115, 1123 Rn 876 Rn 467, 468 Rn 1102 Rn 1227 Rn 861, 1448 Rn 688

790 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

BGH BB 2000, 1538 BGH BB 2005, 514 BGH DB 1980, 1781 BGH DB 1989, 665 BGH DB 2000, 1114 BGH DB 2003, 986 BGH DB 2006, 493 BGH DB 2007, 1244 BGH DB 2007, 2472 BGH DB 2007, 2826 BGH DB 2008, 520 BGH DB 2008, 751 BGH DB 2008, 1370 BGH DB 2008, 1557 BGH DB 2008, 1735 BGH Der Konzern 2008, 231 BGH DStR 1997, 1216 = JZ 1997, 965 BGH DStR 1997, 1257 BGH DStR 1997, 1259 BGH DStR 1997, 1336 BGH DStR 1999, 1822 BGH DStR 2001, 1898 BGH DStR 2002, 1538 BGH DStR 2002, 1958 BGH DStR 2004, 1396 BGH DStR 2007, 648 BGH DStR 2007, 1265 BGH DStR 2008, 309 BGH DStR 2008, 311 BGH DStR 2008, 363 BGH DStR 2008, 933 BGH GmbHR 1992, 253 BGH GmbHR 1996, 366 BGH GmbHR 1997, 545 BGH GmbHR 1997, 890 BGH GmbHR 1999, 1140 BGH GmbHR 2000, 932 BGH GmbHR 2001, 1114 BGH GmbHR 2003, 712 BGH GmbHR 2005, 354 BGH GmbHR 2005, 1136 BGH GmbHR 2007, 936 BGH GmbHR 2008, 702 BGH GmbHR 2008, 818 BGH GRUR 1986, 248 BGH JZ 1997, 622

Rn 1252 Rn 1278 Rn 388 Rn 1353, 1355 Rn 200 Rn 200 Rn 599 Rn 1216 Rn 599 Rn 214a Rn 542 Rn 313 Rn 492 Rn 542 Rn 765 Rn 332 Rn 441 Rn 352 Rn 1189 Rn 685 Rn 528 Rn 688 Rn 393 Rn 1267 Rn 385 Rn 489 Rn 925 Rn 213a Rn 343 Rn 526 Rn 407 Rn 1349, 1356 Rn 1454 Rn 254 Rn 457 Rn 1204 Rn 505 Rn 341 Rn 1224 Rn 282 Rn 1470 Rn 1211 Rn 513, 1198 Rn 343 Rn 1098 Rn 517

B. Die übrigen Entscheidungen | 791

Entscheidung

Randnummer

BGH JZ 2000, 469 BGH JZ 2004, 1184 BGH JZ 2008, 734 BGH NJW 1965, 1376 BGH NJW 1969, 1483 BGH NJW 1971, 802 BGH NJW 1975, 212 BGH NJW 1975, 1657 BGH NJW 1979, 216 BGH NJW 1979, 1829 BGH NJW 1981, 2125 BGH NJW 1982, 2444 BGH NJW 1983, 1910 BGH NJW 1984, 1461 BGH NJW 1986, 585 BGH NJW 1986, 989 BGH NJW 1986, 2051 BGH NJW 1987, 780 BGH NJW 1987, 1890 BGH NJW 1988, 139 = ZIP 1987, 1113 BGH NJW 1988, 1090 BGH NJW 1988, 1326 BGH NJW 1990, 2625 BGH NJW 1992, 362 BGH NJW 1992, 3037 BGH NJW 1995, 128 BGH NJW 1995, 1027 BGH NJW 1996, 1535 BGH NJW 1997, 943 BGH NJW 1997, 1507 BGH NJW 1997, 1925 BGH NJW 1997, 2678 BGH NJW 1998, 1071 BGH NJW 1998, 2536 BGH NJW 1999, 577 = BGHZ 140, 147 BGH NJW 2000, 153 BGH NJW 2001, 304 BGH NJW 2001, 1277 BGH NJW 2002, 1716 BGH NJW 2002, 1751 BGH NJW 2002, 1803 BGH NJW 2003, 431 BGH NJW 2003, 1447 BGH NJW 2003, 3127 BGH NJW 2003, 3412 BGH NJW 2003, 3629

Rn 301 Rn 224 Rn 430 Rn 231 Rn 902 Rn 822 Rn 1172 Rn 994 Rn 410 Rn 650, 1098 Rn 369, 891, 892 Rn 301 Rn 214, 874 Rn 1214, 1220 Rn 1213 Rn 341 Rn 864 Rn 651 Rn 214, 874 Rn 431 Rn 876 Rn 1313 Rn 1205 Rn 207 Rn 373 Rn 282 Rn 239 Rn 1228 Rn 534, 1304 Rn 392, 393, 394 Rn 1265 Rn 1214 Rn 1021 Rn 1467 Rn 504 Rn 447 Rn 521 Rn 1144 Rn 270, 341 Rn 584 Rn 541 Rn 1212 Rn 712 Rn 301, 306, 322 Rn 1171 Rn 453

792 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

BGH NJW 2004, 1109 BGH NJW 2004, 3561 BGH NJW 2005, 445 BGH NJW 2006, 519 BGH NJW 2006, 1736 BGH NJW 2006, 3279 BGH NJW 2007, 298 BGH NJW 2008, 1583 BGH NJW 2008, 2441 BGH NJW 2012, 836 BGH NJW 2013, 2114 BGH NJW 2014, 146 BGH NJW 2014, 2345 BGH NJW 2015, 3786 BGH NJW 2016, 1092 BGH NJW 2016, 2739 BGH NJW 2017, 250 BGH NJW 2017, 1235 BGH NJW 2017, 1681 BGH NJW 2017, 3088 BGH NJW 2018, 52 BGH NJW-RR 1992, 1388 BGH NJW-RR 2002, 1325 BGH NJW-RR 2002, 1461 BGH NJW-RR 2004, 247 BGH NJW-RR 2006, 771 BGH NJW-RR 2007, 1487 BGH NJW-RR 2007, 1520 BGH NJW-RR 2008, 706 BGH NJW-RR 2008, 860 BGH NZG 2000, 35 BGH NZG 2003, 170 BGH NZG 2003, 866 BGH NZG 2004, 1001 BGH NZG 2004, 1107 BGH NZG 2004, 575 BGH NZG 2004, 910 BGH NZG 2005, 44 BGH NZG 2005, 77 BGH NZG 2006, 712 BGH NZG 2007, 234 BGH NZG 2007, 516 BGH NZG 2007, 907 BGH NZG 2008, 512 BGH NZG 2009, 659 BGH NZG 2011, 1268

Rn 717 Rn 222 Rn 45, 788, 1098 Rn 1278 Rn 303 Rn 1313, 1367 Rn 1115 Rn 1328 Rn 369, 394 Rn 447 Rn 784 Rn 1073 Rn 694, 778 Rn 469, 580 Rn 520 Rn 1220 Rn 14 Rn 490 Rn 203b Rn 773 Rn 1177 Rn 881 Rn 1214 Rn 1111 Rn 1214 Rn 1085 Rn 1467 Rn 1028 Rn 1209 Rn 332 Rn 688 Rn 279, 406 Rn 842 Rn 202 Rn 529 Rn 1075 Rn 252 Rn 202 Rn 1145 Rn 1115 Rn 1076 Rn 1124 Rn 881 Rn 357 Rn 1434 Rn 236

B. Die übrigen Entscheidungen | 793

Entscheidung

Randnummer

BGH NZG 2012, 194 BGH NZG 2013, 220 BGH NZG 2013, 469 BGH NZG 2013, 865 BGH NZG 2013, 987 BGH NZG 2016, 552 BGH NZG 2016, 742 BGH NZG 2016, 826 BGH NZG 2017, 182 BGH NZG 2017, 344 BGH NZG 2017, 658 BGH NZG 2017, 662 BGH NZG 2017, 1034 BGH NZG 2018, 32 BGH NZG 2018, 109 BGH NZG 2018, 191 BGH NZG 2018, 220 BGH WM 1960, 187 BGH WM 1978, 1205 BGH WM 1988, 753 BGH WM 1989, 63 BGH WM 1989, 1246 BGH WM 1997, 1481 BGH WM 2000, 1515 BGH WM 2000, 2304 BGH WM 2002, 2508 BGH WM 2002, 2509 BGH WM 2003, 199 BGH WM 2004, 1925 BGH WM 2006, 432 BGH WM 2006, 573 BGH WM 2006, 1151 BGH WM 2007, 2110 BGH WM 2008, 1009 BGH WM 2008, 302 BGH WM 2008, 540 BGH WM 2008, 696 BGH WM 2008, 784 BGH WM 2008, 1403 BGH WM 2008, 1688 BGH WM 2012, 546 BGH WM 2015, 1197 BGH WM 2017, 32 BGH WM 2017, 298 BGH WM 2017, 433 BGH WM 2017, 479

Rn 489 Rn 213 Rn 489 Rn 570 Rn 736 Rn 905a, 1242 Rn 686 Rn 1204 Rn 1221 Rn 425 Rn 420, 425 Rn 935 Rn 520 Rn 906 Rn 439. 492 Rn 412 Rn 1226 Rn 1434 Rn 822 Rn 901, 908 Rn 907 Rn 1037 Rn 457 Rn 448 Rn 356, 358 Rn 1208 Rn 1224 Rn 316, 343 Rn 1226 Rn 934 Rn 525 Rn 901 Rn 934 Rn 915 Rn 525, 542 Rn 1436 Rn 1224 Rn 301 Rn 1222 Rn 1222 Rn 1070 Rn 1028 Rn 1086 Rn 1036 Rn 1453 Rn 224, 423, 452

794 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

BGH WM 2017, 483 BGH WM 2017, 1940 BGH WM 2017, 2237 BGH ZIP 1983, 1064 BGH ZIP 1987, 575 BGH ZIP 1992, 29 BGH ZIP 1994, 1103 BGH ZIP 1995, 372 BGH ZIP 1996, 590 BGH ZIP 1996, 1466 = DNotZ 1997, 495 BGH ZIP 1996, 2214 BGH ZIP 1997, 883 = BGHZ 135, 244 BGH ZIP 1997, 887 BGH ZIP 1997, 1027 BGH ZIP 1997, 1063 BGH ZIP 1997, 2008 BGH ZIP 1998, 335 = DStR 1998, 348 BGH ZIP 1999, 68 BGH ZIP 1999, 1801 BGH ZIP 2001, 157 BGH ZIP 2002, 2045 BGH ZIP 2002, 2085 BGH ZIP 2003, 390 BGH ZIP 2003, 921 BGH ZIP 2004, 2093 BGH ZIP 2005, 117 BGH ZIP 2005, 250 BGH ZIP 2005, 1026 BGH ZIP 2005, 2107 BGH ZIP 2007, 676 BGH ZIP 2008, 2411 BGH ZIP 2009, 913 BGH ZIP 2011, 2417 BGH ZIP 2014, 579 BGH ZIP 2016, 1529 BGH ZIP 2017, 1021 BGH ZIP 2017, 1065 BGH ZIP 2017, 1185 BGH ZIP 2018, 422 BGHSt 34, 379 = DB 1987, 1930 BGHSt 47, 187 BGHZ 3, 354 BGHZ 7, 263 BGHZ 9, 157 BGHZ 9, 279

Rn 673 Rn 1128 Rn 691, 772a, 737 Rn 1232 Rn 464, 466 Rn 1353 Rn 513 Rn 595 Rn 388 Rn 357 Rn 357 Rn 1141 Rn 961 Rn 1009 Rn 1027, 1222 Rn 459 Rn 1252 Rn 230 Rn 1166 Rn 441 Rn 259, 315 Rn 304 Rn 765 Rn 1027 Rn 868 Rn 553, 546, 556 Rn 553, 546, 555, 556 Rn 1027 Rn 680 Rn 517 Rn 201 Rn 606 Rn 490 Rn 1026 Rn 736 Rn 4 Rn 902, 903 Rn 902 Rn 673 Rn 447 Rn 1046 Rn 1182 Rn 654 Rn 688 Rn 654

B. Die übrigen Entscheidungen | 795

Entscheidung

Randnummer

BGHZ 10, 187 BGHZ 11, 231 BGHZ 11, 236 BGHZ 12, 337 BGHZ 14, 25 BGHZ 15, 52 BGHZ 15, 382 BGHZ 15, 391 BGHZ 16, 259 BGHZ 18, 205 BGHZ 18, 350 BGHZ 19, 69 BGHZ 21, 242 BGHZ 21, 370 BGHZ 21, 378 BGHZ 23, 150 BGHZ 25, 115 BGHZ 29, 100 BGHZ 31, 258 BGHZ 33, 175 BGHZ 36, 142 BGHZ 38, 155 BGHZ 43, 261 BGHZ 43, 264 BGHZ 45, 338 BGHZ 47, 341 BGHZ 48, 163 BGHZ 48, 373 BGHZ 49, 117 BGHZ 49, 183 BGHZ 51, 198 BGHZ 51, 209 BGHZ 53, 71 BGHZ 56, 73 BGHZ 62, 193 BGHZ 63, 116 BGHZ 64, 325 BGHZ 65, 22 BGHZ 65, 93 BGHZ 65, 190 BGHZ 65, 378 BGHZ 69, 274 BGHZ 70, 117 BGHZ 70, 122 BGHZ 75, 334 BGHZ 75, 352

Rn 1029 Rn 891 Rn 862 Rn 1196 Rn 1248 Rn 301, 350, 351 Rn 869 Rn 237, 571 Rn 1085 Rn 214, 1209, 1245 Rn 822 Rn 230, 231 Rn 369 Rn 214 Rn 1457 Rn 662c, 1435 Rn 1069 Rn 513, 515 Rn 327, 430, 469, 480 Rn 649 Rn 1028 Rn 214 Rn 213a Rn 213a Rn 254 Rn 1122 Rn 231, 1178, 1186 Rn 784 Rn 578 Rn 1237 Rn 1276 Rn 899 Rn 352 Rn 9 Rn 877 Rn 570 Rn 213, 1134, 1137, 1139 Rn 232 Rn 1239 Rn 1123 Rn 380, 383 Rn 352 Rn 1175 Rn 649 Rn 483 Rn 230

796 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

BGHZ 76, 154 BGHZ 76, 191 BGHZ 76, 326 BGHZ 76, 338 BGHZ 76, 352 BGHZ 77, 94 BGHZ 80, 76 BGHZ 80, 69 BGHZ 80, 129 BGHZ 80, 182 BGHZ 81, 365 BGHZ 83, 35 BGHZ 83, 106 BGHZ 83, 122

Rn 896, 901, 906 Rn 864 Rn 480, 485, 487 Rn 1433 Rn 1449 Rn 1029 Rn 212a Rn 1276 Rn 270, 369, 384, 385, 406 Rn 270 Rn 493, 494, 495 Rn 892, 1171 Rn 869, 1120 Rn 930, 1054, 1059, 1060, 1061, 1062, 1064, 1065, 1066, 1067, 1068, 1069 Rn 1120 Rn 594, 609 Rn 891, 905a Rn 6 Rn.243 Rn 875, 1170 Rn 900, 902, 1210 Rn 862 Rn 864 Rn 869, 1002, 1040 Rn 350, 461 Rn 484 Rn 376 Rn 1211 Rn 819, 1143 Rn 1224 Rn 526, 533, 534, 537 Rn 250 Rn 1224 Rn 860, 1318 Rn 842 Rn 271, 406 Rn 1191, 1348, 1356, 1363, 1367 Rn 450, 467 Rn 849, 850, 851, 852, 853, 854 Rn 489 Rn 535, 538 Rn 211a Rn 916, 917, 918, 919 Rn 1194 Rn 513

BGHZ 83, 144 BGHZ 83, 319 BGHZ 83, 341 BGHZ 85, 84 BGHZ 85, 221 BGHZ 86, 1 BGHZ 86, 177 BGHZ 87, 1 BGHZ 88, 320 BGHZ 89, 48 BGHZ 90, 370 BGHZ 90, 381 BGHZ 91, 148 BGHZ 91, 217 BGHZ 94, 55 BGHZ 94, 324 BGHZ 95, 330 BGHZ 96, 245 BGHZ 97, 382 BGHZ 103, 1 BGHZ 103, 193 BGHZ 105, 300 BGHZ 105, 324 BGHZ 106, 7 BGHZ 106, 54 BGHZ 106, 107 BGHZ 107, 7 BGHZ 107, 23 BGHZ 107, 296 = BGH ZIP 1989, 980 BGHZ 108, 22 BGHZ 108, 134

B. Die übrigen Entscheidungen | 797

Entscheidung

Randnummer

BGHZ 109, 297 BGHZ 109, 364 BGHZ 110, 47 BGHZ 110, 342 BGHZ 112, 339 BGHZ 113, 335 = ZIP 2002, 2045 BGHZ 114, 127 BGHZ 114, 203 BGHZ 115, 78 BGHZ 116, 37 BGHZ 116, 359 BGHZ 117, 323 BGHZ 118, 83 BGHZ 118, 107 BGHZ 119, 177 BGHZ 119, 191 BGHZ 119, 201 BGHZ 119, 257 BGHZ 122, 141 BGHZ 122, 180 BGHZ 122, 211 BGHZ 122, 333 BGHZ 122, 342 BGHZ 123, 15 BGHZ 123, 281 BGHZ 124, 27 BGHZ 124, 111 BGHZ 124, 224 BGHZ 124, 282 BGHZ 125, 366 BGHZ 126, 181 BGHZ 126, 226 BGHZ 127, 1 BGHZ 127, 10 BGHZ 127, 17 BGHZ 127, 336 BGHZ 128, 184 BGHZ 129, 136 BGHZ 131, 325 BGHZ 132, 30 BGHZ 132, 141 BGHZ 132, 392 BGHZ 134, 304 BGHZ 134, 333 BGHZ 134, 392 BGHZ 135, 107

Rn 1098, 1227, 1229 Rn 243 Rn 311 Rn 485 Rn 1189, 1202 Rn 304, 334, 617 Rn 1115, 1132 Rn 591 Rn 1199 Rn 1349, 1363 Rn 685 Rn 403, 405 Rn 205a, 591, 641 Rn 327, 469 Rn 269, 332 Rn 327 Rn 457 Rn 1222, 1371 Rn 649 Rn 221, 591 Rn 1292 Rn 420, 430 Rn 858, 910, 911, 912, 913, 914, 1120 Rn 215, 898 Rn 685 Rn 658 Rn 1130, 1442, 1444 Rn 203a, 248 Rn 459 Rn 525, 1098, 1227 Rn 517,1227 Rn 685 Rn 506 Rn 503 Rn 502, 506 Rn 483 Rn 418 Rn 841 Rn 517 Rn 1085 Rn 309, 315 Rn 1261 Rn 1027 Rn 388, 406 Rn 19, 1263, 1265 Rn 1303

798 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

BGHZ 135, 202 BGHZ 135, 244 BGHZ 135, 374 BGHZ 135, 381 BGHZ 136, 125 BGHZ 136, 332 BGHZ 137, 378 BGHZ 137, 384 BGHZ 138, 71 BGHZ 138, 211 BGHZ 139, 225 BGHZ 139, 299 BGHZ 140, 35 BGHZ 140, 258 BGHZ 141, 79 BGHZ 141, 208 BGHZ 142, 92 BGHZ 142, 116 BGHZ 143, 184 BGHZ 144, 290 BGHZ 144, 311 BGHZ 144, 365 BGHZ 146, 105 BGHZ 146, 264 BGHZ 146, 288 BGHZ 146, 341 BGHZ 149, 10 BGHZ 149, 28 BGHZ 149, 158 BGHZ 150, 61 BGHZ 151, 181 BGHZ 150, 197 BGHZ 152, 280 BGHZ 152, 290 BGHZ 153, 158 BGHZ 155, 318 BGHZ 157, 72 BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860 BGHZ 160, 149 BGHZ 160, 253 BGHZ 160. 385 BGHZ 161, 376 BGHZ 163, 134 BGHZ 164, 51 BGHZ 164, 256 BGHZ 165, 106

Rn 1085 Rn 910, 912 Rn 1314 Rn 304, 308, 309, 617 Rn 430 Rn 1027 Rn 1444 Rn 1444 Rn 645, 647 Rn 520 Rn 778, 860 Rn 664 Rn 393 Rn 580 Rn 1300, 1325 Rn 208 Rn 468 Rn 510 Rn 435, 512 Rn 1053 Rn 1027 Rn 286 Rn 352, 430 Rn 455, 489 Rn 1049 Rn 1267 Rn 541 Rn 1207 Rn 873 Rn 436 Rn 541 Rn 269 Rn 1092 Rn 394 Rn 406 Rn 406, 407, 409 Rn 423, 438 Rn 1075 Rn 1098 Rn 873 Rn 1145 Rn 203c Rn 446 Rn 517 Rn 933 Rn 489

B. Die übrigen Entscheidungen | 799

Entscheidung

Randnummer

BGHZ 165, 352 BGHZ 167, 299 BGHZ 168, 201 BGHZ 169, 221 BGHZ 169, 270 BGHZ 171, 113 BGHZ 173, 1 BGHZ 173, 145 BGHZ 178, 197 BGHZ 179, 71 BGHZ 180, 9 BGHZ 180, 38 BGHZ 180, 154 BGHZ 180, 221 BGHZ 182, 272 BGHZ 184, 239 BGHZ 185, 44 BGHZ 187, 69 BGHZ 188, 363 BGHZ 189, 13 BGHZ 189, 254 BGHZ 190, 7 BGHZ 190, 45 BGHZ 191, 310 BGHZ 191, 372 BGHZ 191, 374 BGHZ 192, 90 BGHZ 192, 236 BGHZ 192, 341 BGHZ 193, 96 BGHZ 193, 378 BGHZ 194, 14 BGHZ 195, 1 BGHZ 196, 195 BGHZ 196, 312 BGHZ 197, 284 BGHZ 198, 64 BGHZ 199, 270 BGHZ 202, 26 BGHZ 203, 1 BGHZ 203, 303 BGHZ 204, 231 BGHZ 205, 190 BGHZ 206, 52 BGHZ 206, 74 BGHZ 206, 143

Rn 262 Rn 1314 Rn 252, 358 Rn 673 Rn 369 Rn 316 Rn 420 Rn 301, 306 Rn 201 Rn 423, 1326 Rn 885, 959 Rn 252 Rn 673 Rn 891 Rn 959 Rn 1165 Rn 299 Rn 510 Rn 492 Rn 773 Rn 219 Rn 778 Rn 1242, 1349, 1367, 1368 Rn 781 Rn 254 Rn 254 Rn 791 Rn 686 Rn 406, 408 Rn 435, 1223 Rn 492 Rn 959, 1115, 1145 Rn 778 Rn 867, 910 Rn 437 Rn 1314 Rn 490 Rn 212a Rn 1094 Rn 691 Rn 684 Rn 413 Rn 1033 Rn 520 Rn 1368 Rn 884, 1154

800 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

BGHZ 207, 190 BGHZ 207, 205 BGHZ 212, 342 BGHZ 212, 381 KG AG 1973, 25 KG AG 2003, 568 KG AG 2007, 359 KG DB 1997, 1863 KG DStR 2003, 794 KG GmbHR 2008, 703 KG MDR 1975, 140 = OLGE 1974, 385 KG NJW-RR 1997, 794 KG NJW-RR 2007, 1663 KG NZG 2001, 845 KG NZG 2004, 664 KG NZG 2011, 1068 KG NZG 2015, 1311 KG NZI 2006, 596 KG WM 2016, 1741 KG WM 2016, 2266 KG ZIP 2001, 2178 KG ZIP 2008, 648 KG ZIP 2017, 617 KG ZIP 2018, 323 LG Berlin AG 2007, 455 LG Bonn AG 2007, 715 = WM 2007, 1695 LG Bonn NZG 2018, 186 LG Bonn ZIP 2008, 835 LG Detmold GmbHR 1991, 23 LG Dortmund NZG 2001, 1145 LG Dortmund NZG 2018, 146 LG Dresden DStR 2004, 101 LG Düsseldorf AG 1999, 238 LG Düsseldorf AG 2007, 797 LG Düsseldorf ZIP 1995, 1985 LG Frankfurt a.M NZG 2006, 868 LG Frankfurt a.M. AG 2005, 51 LG Frankfurt a.M. AG 2007, 505 LG Frankfurt a.M. NJW-RR 2001, 1406 LG Frankfurt a.M. WM 1994, 1929 LG Frankfurt a.M. WM 2006, 1340 LG Frankfurt a.M. ZIP 1997, 1030 LG Frankfurt a.M. ZIP 2007, 2034 LG Frankfurt a.M. ZIP 2008, 1723 LG Frankfurt a.M. AG 2010, 416 LG Frankfurt a.M. NZG 2008, 665

Rn 910, 1033, 1123, 1205 Rn 1033 Rn 1221 Rn 1453 Rn 1168 Rn 221 Rn 887 Rn 459 Rn 528 Rn 526, 1198 Rn 963 Rn 270 Rn 523 Rn 1448 Rn 1189 Rn 891 Rn 981 Rn 455 Rn 124, 228 Rn 216 Rn 759 Rn 602 Rn 867 Rn 312a Rn 1231 Rn 419, 694 Rn 1398 Rn 882, 1467 Rn 241 Rn 1341 Rn 219 Rn 1206 Rn 588 Rn 1164 Rn 1141 Rn 673 Rn 881, 1145 Rn 1165 Rn 309 Rn 1169 Rn 736 Rn 1128 Rn 1150 Rn 868 Rn 1070 Rn 676

B. Die übrigen Entscheidungen | 801

Entscheidung

Randnummer

LG Frankfurt a.M. ZIP 2008, 1723 LG Hamburg AG 1980, 201 LG Hannover AG 2008, 426 LG Heidelberg ZIP 2017, 1160 LG Hildesheim GmbHR 1997, 799 LG Kiel NZG 2008, 346 LG Köln AG 2008, 327 LG München I AG 2004, 159 LG München I AG 2004, 393 LG München I AG 2007, 255 LG München I AG 2007, 336 LG München I AG 2008, 133 LG München I NZG 2008, 319 LG München I NZG 2008, 637 LG München I NZG 2012, 1152 LG München I NZG 2017, 1308 LG München I NZI 2007, 609 LG München I WM 2007, 1975 LG München I WM 2007, 2114 LG München I WM 2008, 130 LG München I ZIP 1999, 2017 LG München I ZIP 2004, 853 LG München I ZIP 2008, 555 LG München I ZIP 2017, 1326 LG München II NZG 2017, 505 LG München ZIP 2008, 555 OLG Bamberg ZIP 2017, 1466 OLG Brandenburg AG 2008, 497 OLG Brandenburg GmbHR 1997, 796 OLG Brandenburg ZIP 2002, 1806 OLG Brandenburg ZIP 2017, 1417 OLG Bremen AG 2005, 167 OLG Bremen NZG 2007, 468 OLG Celle AG 2002, 292 OLG Celle AG 2008, 85 OLG Celle AG 2008, 217 OLG Celle GmbHR 1997, 647 OLG Celle GmbHR 2003, 900 OLG Celle NJW-RR 1998, 175 OLG Celle NJW-RR 2004, 1040 OLG Celle NZG 2008, 271 OLG Celle NZG 2018, 261 OLG Celle WM 1974, 1013 OLG Celle WM 2004, 988 OLG Celle ZIP 2015, 123 OLG Celle ZIP 2017, 1805

Rn 1150 Rn 1056 Rn 765 Rn 868 Rn 369 Rn 136 Rn 933, 1041, 1078, 1326 Rn 437 Rn 765 Rn 823 Rn 1078 Rn 718 Rn 1026 Rn 1305 Rn 606 Rn 1258 Rn 1134 Rn 857 Rn 1146 Rn 958 Rn 764 Rn 1171 Rn 1078 Rn 221 Rn 558 Rn 1305 Rn 1207 Rn 885 Rn 1448 Rn 688 Rn 822, 1191 Rn 385 Rn 915, 1165 Rn 594 Rn 602 Rn 887 Rn 463 Rn 489 Rn 685 Rn 467 Rn 1455 Rn 219 Rn 826 Rn 452 Rn 1279 Rn 219

802 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

OLG Dresden AG 2003, 433 OLG Dresden GmbHR 1998, 884 OLG Dresden NZG 2017, 652 OLG Dresden NZG 2017, 985 OLG Dresden WM 2007, 1029 OLG Dresden ZIP 1996, 178 OLG Dresden ZIP 1999, 1632 OLG Dresden ZIP 2017, 80 OLG Dresden ZIP 2017, 2003 OLG Düsseldorf AG 2003, 329 OLG Düsseldorf AG 2004, 321 OLG Düsseldorf DB 1991, 2381 OLG Düsseldorf DB 2005, 657 OLG Düsseldorf DB 2008, 1961 OLG Düsseldorf DNotZ 2007, 394 OLG Düsseldorf DStR 2004, 2022 OLG Düsseldorf GmbHR 1990, 169 OLG Düsseldorf GmbHR 1997, 699 OLG Düsseldorf NZG 2007, 278 OLG Düsseldorf NZG 2016, 642 OLG Düsseldorf NZG 2017, 378 OLG Düsseldorf NZG 2017, 663 OLG Düsseldorf WM 1994, 1436 OLG Düsseldorf ZIP 1994, 628 OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1183 OLG Düsseldorf ZIP 1996, 1211 OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27 OLG Düsseldorf ZIP 1997, 1153 OLG Düsseldorf ZIP 2003, 1501 OLG Düsseldorf ZIP 2017, 1717 OLG Düsseldorf ZIP 2017, 2057 OLG Düsseldorf ZIP 2018, 427 OLG Düsseldorf, DnotI-Report 2016, 185 OLG Frankfurt ZIP 2008, 1722 OLG Frankfurt AG 1981, 230 OLG Frankfurt AG 2002, 352 OLG Frankfurt AG 2003, 335 OLG Frankfurt AG 2007, 357 OLG Frankfurt AG 2007, 374 OLG Frankfurt AG 2007, 401 OLG Frankfurt AG 2007, 451 OLG Frankfurt AG 2007, 592 OLG Frankfurt AG 2007, 867 OLG Frankfurt AG 2008, 167 OLG Frankfurt AG 2008, 417 OLG Frankfurt AG 2008, 504

Rn 1069 Rn 360 Rn 867 Rn 305 Rn 1084, 1086, 1128 Rn 388 Rn 1157 Rn 233 Rn 1442 Rn 830 Rn 1038 Rn 1355 Rn 761 Rn 1143 Rn 649 Rn 1152 Rn 212a Rn 446, 517 Rn 685 Rn 520 Rn 1314 Rn 1449 Rn 833 Rn 1141 Rn 1141 Rn 834, 840 Rn 1141 Rn 1141 Rn 410 Rn 1449 Rn 200c Rn 691 II. Rn 215 Rn 868 Rn 578 Rn 609 Rn 1168 Rn 883, 887 Rn 1150, 1147 Rn 1145 Rn 1170 Rn 797 Rn 887 Rn 673 Rn 875 Rn 965

B. Die übrigen Entscheidungen | 803

Entscheidung

Randnummer

OLG Frankfurt AG 2008, 667 OLG Frankfurt AG 2011, 173 OLG Frankfurt DnotZ 2003, 459 OLG Frankfurt GmbHR 1992, 456 OLG Frankfurt GmbHR 1999, 32 OLG Frankfurt NZG 2008, 432 OLG Frankfurt NZG 2017, 622 OLG Frankfurt WM 2007, 828 OLG Frankfurt ZIP 1983, 1204 OLG Frankfurt ZIP 1997, 450 OLG Frankfurt ZIP 1997, 1291 OLG Frankfurt ZIP 2003, 1251 OLG Frankfurt ZIP 2003, 1297 OLG Frankfurt ZIP 2003, 1392 OLG Frankfurt ZIP 2008, 1722 OLG Frankfurt ZIP 2017, 611 OLG Frankfurt ZIP 2017, 920 OLG Hamburg AG 1968, 190 OLG Hamburg AG 1990, 218 OLG Hamburg GmbHR 1997, 795 OLG Hamburg GmbHR 2001, 972 OLG Hamburg JZ 1981, 231 OLG Hamburg NJW 1969, 1030 OLG Hamburg NZG 2003, 539 OLG Hamburg NZG 2012, 944 OLG Hamburg NZG 2017, 1350 OLG Hamburg ZIP 1983, 175 OLG Hamburg ZIP 1991, 1430 OLG Hamburg ZIP 2004, 2431 OLG Hamburg ZIP 2007, 814 OLG Hamm AG 2007, 421 OLG Hamm AG 2007, 910 OLG Hamm AG 2008, 421 OLG Hamm AG 2008, 506 OLG Hamm AG 2008, 552 OLG Hamm DB 1991, 2477 OLG Hamm GmbHR 1997, 602 OLG Hamm GmbHR 2003, 1211 OLG Hamm GmbHR 2007, 442 OLG Hamm NJW 1987, 1030 OLG Hamm NZG 2004, 380 OLG Hamm NZG 2017, 1065 OLG Hamm NZG 2017, 741 OLG Hamm ZIP 1999, 1919 OLG Hamm ZIP 2008, 1475 OLG Hamm ZIP 2017, 820

Rn 868, 887 Rn 1070 Rn 1176 Rn 406 Rn 409 Rn 1165 Rn 673 Rn 736 Rn 1168 Rn 1220 Rn 923 Rn 804 Rn 804 Rn 804 Rn 1150 Rn 200c, 245 Rn 212a Rn 1168 Rn 1112, 1134 Rn 1251 Rn 341 Rn 930, 1056, 1057, 1058 Rn 1263 Rn 677 Rn 1470 Rn 520 Rn 1001 Rn 901 Rn 406 Rn 1115 Rn 889 Rn 1028 Rn 1076 Rn 602 Rn 1102, 1189 Rn 1448 Rn 376 Rn 1253 Rn 1206 Rn 1299, 1323 Rn 907 Rn 1199 Rn 420, 436 Rn 1201 Rn 308, 617 Rn 1223

804 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

OLG Hamm, ZIP 2017, 2162 OLG Jena AG 2007, 785 OLG Jena DB 2006, 2281 OLG Jena DStR 2008, 368 OLG Jena ZIP 2004, 2003 OLG Jena ZIP 2004, 2327 OLG Karlsruhe AG 2007, 284 OLG Karlsruhe GmbHR 1996, 776 OLG Karlsruhe GmbHR 2003, 1004 OLG Karlsruhe NZG 2018, 178 OLG Karlsruhe ZIP 1996, 918 OLG Karlsruhe ZIP 2018, 122 OLG Koblenz AG 2007, 408 OLG Koblenz DB 2008, 571 OLG Koblenz NZG 2002, 977 OLG Koblenz ZIP 2006, 120 OLG Köln AG 1999, 573 OLG Köln AG 2004, 39 = BB 2003, 2307 OLG Köln DB 2001, 1550 OLG Köln GmbHR 1997, 220 OLG Köln GmbHR 2008, 544 OLG Köln GmbHR 2008, 704 OLG Köln NZG 2005, 83 OLG Köln NZG 2017, 992 OLG Köln NZG 2017, 1306 OLG Köln WM 2003, 1423 OLG Köln ZIP 1996, 915 OLG Köln ZIP 2001, 2049 OLG Köln ZIP 2017, 1211 OLG Köln ZIP 2017, 2468 OLG München AG 2007, 335 OLG München AG 2010, 88 OLG München BB 2002, 2196 OLG München DB 2004, 973 OLG München DB 2008, 457 OLG München DB 2008, 521 OLG München DB 2008, 1148 OLG München DnotI-Report 2017, 125 OLG München DStR 2003, 1719 OLG München GmbHR 1997, 847 OLG München NZG 2013, 459 OLG München NZG 2015, 66 OLG München NZG 2017, 1071 OLG München NZG 2017, 1216 OLG München NZG 2017, 1437 OLG München NZG 2018, 63

Rn 492 Rn 1326, 1330 Rn 881 Rn 438 Rn 1258 Rn 411 Rn 887 Rn 1263 Rn 1248 Rn 219 Rn 511 Rn 673 Rn 868, 1335 Rn 1222 Rn 310 Rn 513 Rn 1027 Rn 677 Rn 357 Rn 1454 Rn 1207 Rn 406 Rn 1453 Rn 1380 Rn 12 Rn 467 Rn 457 Rn 649 Rn 1189 Rn 1096 Rn 865 Rn 573 Rn 1250 Rn 1214 Rn 512 Rn 864 Rn 958 Rn 215 Rn 1128 Rn 1225 Rn 606 Rn 1220 Rn 1454 Rn 1243 Rn 520 Rn 210

B. Die übrigen Entscheidungen | 805

Entscheidung

Randnummer

OLG München WM 2008, 215 OLG München WM 2008, 351 OLG München WM 2008, 876 OLG München WM 2008, 1932 OLG München ZIP 2001, 700 OLG München ZIP 2010, 579 OLG München ZIP 2017, 372 OLG München ZIP 2017, 1467 OLG München ZIP 2018, 327 OLG Naumburg DStR 2007, 1220 OLG Naumburg NJW-RR 1998, 178 OLG Naumburg ZIP 2002, 1529 OLG Nürnberg NZG 2018, 61 OLG Nürnberg ZIP 2018, 527 OLG Oldenburg NZG 2003, 691 OLG Oldenburg ZIP 2008, 267 = DB 2007, 2195 OLG Rostock GmbHR 1997, 845 OLG Rostock ZIP 2004, 118 OLG Saarbrücken ZIP 1999, 2150 OLG Schleswig AG 2005, 48 OLG Schleswig GmbHR 2002, 1135 OLG Schleswig NZG 2004, 1006 OLG Schleswig ZIP 2007, 822 OLG Schleswig ZIP 2007, 1217 OLG Schleswig ZIP 2007, 2214 OLG Schlewig DB 2008, 2076 OLG Stuttgart DnotZ 2008, 305 OLG Stuttgart AG 2003, 527 OLG Stuttgart AG 2007, 218 OLG Stuttgart AG 2007, 250 OLG Stuttgart AG 2007, 873 OLG Stuttgart DB 1997, 217 OLG Stuttgart DB 2004, 60 ZIP 2003, 2363 OLG Stuttgart DB 2007, 2422 OLG Stuttgart GmbHR 1992, 48 OLG Stuttgart GmbHR 2000, 1048 OLG Stuttgart GmbHR 2002, 1123 OLG Stuttgart GmbHR 2002, 1128 OLG Stuttgart NZG 2000, 156 OLG Stuttgart NZG 2003, 1170 OLG Stuttgart ZIP 2002, 1807 OLG Stuttgart ZIP 2003, 1981 OLG Stuttgart ZIP 2004, 1145 OLG Stuttgart ZIP 2007, 1210

Rn 1146 Rn 696 Rn 1444 Rn 1305 Rn 764 Rn 408 Rn 1028, 1033, 1126 Rn 897 Rn 691 XV. Rn 1227 Rn 1467 Rn 1453 Rn 210 Rn 608 Rn 677 Rn 263, 406 Rn 1227 Rn 546 Rn 489 Rn 609 Rn 409 Rn 573 Rn 406, 411 Rn 492 Rn 901 Rn 1305 Rn 1217 Rn 1054 Rn 1112 Rn 691 Rn 857 Rn 923 Rn 677 Rn 1217 Rn 1219 Rn 1224 Rn 352 Rn 315 Rn 589 Rn 916 Rn 733 Rn 1275 Rn 923 Rn 136

806 | Entscheidungsregister

Entscheidung

Randnummer

OLG Stuttgart ZIP 2012, 834 OLG Zweibrücken AG 1997, 140 OLG Zweibrücken DB 1996, 418 OLG Zweibrücken GmbHR 2003, 1206 OLG Zweibrücken ZIP 2004, 559 OLG Zweibrücken ZIP 2004, 1666 OLG Zweibrücken, AG 2007, 913 OLG Zweibrücken NZG 2018, 143 RG JW 1938, 862 RGZ 24, 14 RGZ 55, 65 RGZ 60, 172 RGZ 63, 324 RGZ 74, 303 RGZ 85, 203 RGZ 87, 383 RGZ 93, 251 RGZ 98, 319 RGZ 100, 274 RGZ 105, 101 RGZ 118, 67 RGZ 124, 371 RGZ 132, 149 RGZ 132, 392 RGZ 146, 71 RGZ 146, 385 RGZ 158, 248 RGZ 159, 33 RGZ 159, 211 RGZ 159, 272 RGZ 160, 257 RGZ 161, 129 RGZ 166, 129 RGZ 169, 65 RGZ 170, 358

Rn 490 Rn 1150 Rn 1467 Rn 1208 Rn 1305 Rn 765 Rn 765 Rn 673 Rn 480 Rn 418 Rn 573 Rn 1348 Rn 650 Rn 1280 Rn 573 Rn 664 Rn 581 Rn 664 Rn 650 Rn 19, 1263 Rn 1175 Rn 1209 Rn 221 Rn 565, 581 Rn 822 Rn 822 Rn 650, 822 Rn 370 Rn 650 Rn 231, 649 Rn 1186 Rn 869 Rn 891 Rn 649 Rn 649

III. Andere Gerichtszweige Entscheidung

Randnummer

BAG GmbHR 1997, 694 BAG NZA 2017, 981 BAG NZG 2006, 751 BAG ZIP 1995, 1892 BFH ZIP 2017, 818

Rn 394 Rn 12 Rn 372 Rn 388 Rn 413

B. Die übrigen Entscheidungen | 807

Entscheidung

Randnummer

BSG NJW-RR 2000, 1125 BSG ZIP 1986, 645 LAG Köln NZA-RR 1997, 375 LSG Baden-Württemberg ZIP 1997, 1651 LSG Schleswig-Holstein DStR 2017, 2237 VGH Kassel WM 2007, 1264

Rn 381, 395 Rn 388 Rn 399 Rn 399 Rn 208 Rn 748

808 | Entscheidungsregister

Sachregister | 809

Sachregister Sachregister Sachregister https://doi.org/10.1515/9783110595802-015 Die Fundstellen beziehen sich – soweit nichts anderes angegeben ist – auf die Randziffern. Zu den europarechtlichen Quellen und den deutschen Gesetzen zum Gesellschafts-, Kapitalmarktund Bilanzrecht s die Übersichten in Rn 75 ff (deutsche Gesetze), 144 ff (Europarecht mit deutscher Umsetzung), 691 (Kapitalmarktrecht) und 1384 ff (Bilanzrecht). Zu Namen der Entscheidungen s Entscheidungsregister. Abandon 687 Abfindungs-Cap 1033 Fn 1660 Abfindungsergänzungsanspruch 673 Abhängige Gesellschaft 857 Fn 1381, 1189, 1294, 1319, 1324 Abhängigkeitsbericht 1325 Fn 1227, 1327 Abschlussprüfer 1430, 1436 acting in concert 107, 796 Fn 1265, 808 Fn 1289 actio pro socio 199, 331, 650, 669 ADAC 6 Fn 7 ADHGB 1861 52 Ad-hoc-Publizität 691 VII, 747 f, 769, 790 AG & Co. KG 19 AG & Co. KGaA 19, 1263 Agio 55 AIF 720 Fn 1125, 721, 778 AktG 1937 65 AktG 1965 68 Aktie 216 ff Aktienindizes 750 Aktienoptionen 601, 716, 1032, 1114 Aktienregister 84 Aktiensplit 221 Aktienzusammenlegung (reverse stock split) 218a Fn 333a, 221 Aktionär 216 ff Aktionärsdemokratie 68 Aktionärsforum 1161 Aktiva 31, 414 Amortisation 671a Amtslöschung 284, 871 Fn 1399 Anerkennunsprämie 1034 Anfechtungsklage 859 ff Angebot – öffentliches 691 VI, 728, 802 f

https://doi.org/10.1515/9783110595802-015

– Pflichtangebot 673, 675 Fn 963, 765, 801, 810 – Übernahmeangebot 104, 153, 675 Anhang 1397, 1402 Anleihen 692, 729, 730 Anteilschein – bei der GmbH 16 Fn 30 – bei der KAG 725 Appraisal Rights 672 Fn 976 Appreciation Award 1034 Arbeitnehmeraktien 614 Arbeitsdirektor 987 Asset backed securities 691 IV Fn 1035 Audit Committee 1120 Aufgebotsverfahren 221 Fn 341 Auflösung 1449 ff Auflösungsklage 689 Aufrechnung gegen Einlagepflicht 126, 346 ff Aufsichtsrat 1099 ff Aufsichtsrat in der GmbH 1231 f Auktionen 802 Fn 1281 Ausfallhaftung 16, 326, 384, 682 Ausgliederung 198, 1468 Auskunftserzwingungsverfahren 875, 1170 Auskunftsrecht – des Aktionärs 1166 ff des Gesellschafters der GmbH 1258 ff Ausplünderung 135 Ausschließungsklage 688 Austritt 689 Außengesellschaft 7 BAFin 693 Bankbestätigung 266 , 267 Bankrott 447 Barabfindung 673, 680 Bargründung 259 Basiswert 737

810 | Sachregister

Basket Credit Derivatives 737 Fn 1151 BAWe 803 Fn 1283 Bedingte Kapitalerhöhung 598 ff Beherrschungsvertrag 1305 ff, 1347 Beschlussfeststellungsklage 863 f, 896 f Besitzfähig 9 Besonderes Verhandlungsgremium (bVG) 164 Bestattungsmissbrauch 944 Betrieb 965 Betriebsaufspaltung 501 Bezugsrecht 588 ff Bilanzierung 1395 ff Bilanzgewinn 1419 Bilanztest 130 Board-System 947 Bond-Judikatur 696 Fn 1082 Bonds 692, 729 Bonds with stock purchase warrants 733 Börse 742, 744 ff Börsenhändler 746 Börsennotierte AG 39 Börsenpreisregel 809 Bösgläubigkeit 9 Book-building-Verfahren 757 Buchführung 1395 ff Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) 693 ff Business judgment rule 1091 Cash-pooling 129, 303 Cash-settlement 738 causa societatis 422 Change of Control-Klauseln 1034 Fn 1666 Chief Executive Officer (CEO) 1018 Clearstream Banking AG 714, 784 Fn 1095 Closed period 794 Committee of European Securities Regulators (CESR) 693 convertible bonds 733 Coco-Bonds 733 Corporate Compliance 1026 Corporate Governance 925 Corporate Opportunities 1027 Corporate Social Responsibility 1044 Fn 1683 Credit-default-swaps 737 Fn 1151 Credit event 737 Fn 1151

Credit puts, calls 737 Fn 1159 Crowd-funding 691 XVI, 780 DAX, M-DAX, S-DAX, Tec-DAX 750 D&O-Versicherung 1088 Dauerglobalurkunden 704 Davignon-Sachverständigengruppe 161 Deckung 636 Fn 900 Deckungsgebot 264, 463 Fn 660b Delisting 761 ff Depotstimmrecht 1176 Depotvertrag 713 Derivate, derivative Geschäfte 737 Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) 958 Differenzhaftung 254 Directors’ Dealings (Managers’ Transactions) 792 Disagio 730 Dividendenschein 227 Doppelinsolvenz 1308 Fn 2201 Downstream loans 438 Drittorganschaft 1022 Drittvergleich 464 Dualistisches System 54, 185 Due Diligence 1026 Durchgriff 12 EEX 737 Fn 1152, 740, 751 Effektiver Verwaltungssitz 200 Effekten 692 Effektenverkehr 711 Ehrenamtsstärkungsgesetz 14 Fn 23 Eigene Aktie 224 ff Eigene Geschäftsanteile 237 ff Eigenkapital 413 Eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen 467 ff Eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung 501 ff Eingliederung 1337 Einheitsgesellschaft 237 Fn 361b Einlageforderung 341 ff Einmanngesellschaft 10 (7), 111, 1196 Einmannverein 6 Fn 7 Emissionsbank 205a, 757 Emissionsprospekt 754

Sachregister | 811

Emittentenhaftung 328 Enforcement-Verfahren 1404 Entlastung 1154 Entry Standard 748 Entsprechenserklärung 958 Equity 27 ESMA 691 II Eurex 737 Fn 1152, 751 Europäische Aktiengesellschaft s societas europea Europäische Durchbrechungsregel 811 Europäische Genossenschaft s societas cooperativa europea Europäische Privatgesellschaft s societas privata europea Europäischer Pass 776, 805 Europäische Stiftung s Fundatio Europaea EWIV 158 Fn 242 Existenzvernichtungshaftung 541 ff Faktischer Geschäftsführer 435 Fn 618, 1198 Faktischer Konzern 1319 ff Fannie Mae, Freddy Mac 691 IV Fn 1035 Fehlerhafter Beherrschungsvertrag 1318 ff Fehlerhafte Gesellschaft 207, 576 Festpreisgeschäft 711 Filibustern 1165 Finanzierungsverantwortung 467 Finanzinstrumente 692, 699 Finanzintermediäre 773 Finanzplankredite 510 ff Firma 14, 241, 1270 FMSA 691 I Formkaufmann 280, 1261 Formwechsel 1470 Fortbestehensprognose 437 Forwards 738 Freigabeverfahren 887 ff Freiverkehr 744, 747 Fremdkapital 26 Fremdorganschaft 1022 frontrunning 784 Fn 1236 Frühwarnsystem 1026 Führungslosigkeit 133 Fundatio Europaea 157 Fn 242 Fusion 1466 Futures 738

US-GAAP 81 gAG 241 Fn 363b Garantiekapital 561 Gattungen von Aktien 217 Gebhard-Formel 144 Gemeinnützigkeit 241 Fn 363b Gemischte (verdeckte) Sacheinlage 301 Genehmigtes Kapital 605 ff General Standard 748 Genossenschaft 23 ff Genussrechte 728, 736 Genussscheine 736 Geschäftsanteil bei der GmbH 16 Nr 3 Geschäftschancenlehre 1222 Fn 2015 Geschäftsführer 12 Fn 19, 1197 ff Geschäftsguthaben 23 Geschäftskorrespondenz 241 Geschäftsordnung des Vorstands 1039 Gesellschafterdarlehen 467 ff Gesellschafterliste 124, 663 Gesellschafterversammlung 1234 ff Gesellschaftsvertrag der GmbH 212 ff Gewinnabführungsvertrag 1293 Gewinn- und Verlustrechnung 1405 Gewinnschuldverschreibungen 735 Gezeichnetes Kapital 1414 gGmbH 241 Fn 363b Globalurkunden 704 GmbH & Co. KG 11 GmbH & Co. KGaA 11, 1263 going concern 450 going public 752 ff going private 761 ff goldene Aktien 147 Gratisaktien 618 Greenshoe-Option 759 Grundkapital – Aufbringung s Kapitalaufbringung – Erhaltung s Kapitalerhaltung Gründungsaufwand 255 Gründungssysteme 5 Gründungstheorie 200a Haftungsbeschränkung 10 (6) Handelndenhaftung 370 Handelscompagnie 50 Handelsgesellschaften 54

812 | Sachregister

Handelsregister (elektronisches) 103 Hauptversammlung 1149 ff Hedgefonds 721, 953 Hedging 737 Heilung 844, 860, 866, 871 Heranschleichen 796 Fn 1265 Herrschende Gesellschaft 1294, 1346 Hintermännerhaftung 326 Hin- und Herzahlen 343 Höchststimmrecht 649 IAS 81, 1387 Idealverein 3 IFRS 81 Inhaberaktie 216 Inhaberschuldverschreibungen 692 Inkorporationstheorie s Gründungstheorie Insiderhandel 783 Insiderrecht 691 VII Insolvenzantragspflicht 446 Insolvenzgründe 455 ff Insolvenzverschleppungshaftung 135 Institutsvergütungsverordnung 1033 Interimsschein 55, 57 International Accounting Standards (IAS) 81, 1387 International Financial Reporting Standards (IFRS) 1387 Internationales Gesellschaftsrecht 38, 38 Fn 69 Intransparenzhaftung 132 Investmentaktiengesellschaft 204, 722 Investmentfond 725 Investmentgesellschaft s Kapitalanlagegesellschaft Investmentvermögen 691 IX, 723 Investmentzertifikat 725 IOSCO 693 Jahresabschluss 1395 Jahresergebnis 1413 Jahresfehlbetrag 1412 Jahresschlussbilanz 449 Jahresüberschuss 659 Junge Aktien 700

Kaduzierung 360, 671 Kaltes Delisting 761 Kapital 25 Kapitalanlagegesellschaft (KAG) 691 IX Kapitalaufbringung 412a ff Kapitalerhaltung 412a ff Kapitalerhöhung 561 ff Kapitalgesellschaft 15 ff – große, mittlere, kleine, kleinste 16 Fn 29 Kapitalherabsetzung 622 ff Kapitalrücklage 625, 1414 Kapitalschnitt 445 Kapitalverkehrsfreiheit 961 Kapitalverwaltungsgesellschaft 722, 724 Keinmanngesellschaft 238 Kleine AG 16 Fn 29, 39 Kleinbeteiligungsprivileg 489 Komitologieverfahren 691 I Fn 1018 Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) 1261 ff Konsolidierung 82 Konzern 1289 Konzerneingangsschutz 1291 Konzernrecht 1289 ff Konzessionssystem 5 Körperschaft 3 Kreditderivate 737 Kurspflege 759 Lagebericht 1429 Lamfalussy-Verfahren 691 II Leerverkäufe 721, 738 LEI 773a Leverage 737 Limited 112 Liquidationsbilanz 449 Liquidationsgesellschaft 1452 Lock-up-Vereinbarung 760 LOU 773a Maintenance margin 738 Managers’ Transactions 792 Mantelgründung 197a f, 403 Market Maker 772 Marktmanipulation 782, 786 ff Materielle Unterkapitalisierung 477 Mehrstimmrechtsaktie 1172 Fn 1919

Sachregister | 813

Mezzanines Kapital 413 Fn 598 Minderjährige 211 f Mindestkapital 33, 170, 216, 219, 263, 409, 524 Missbrauch 132, 526, 541, 647, 695, 782, 890, 903, 915, 1192 Mitarbeiterbeteiligung 716 Mitbestimmung 964 ff Mitgliedschaft 199 Mitteilungspflicht 657, 694 MTF 743, 771 f multilaterale Handelssysteme 743 Multipler Mehrheitsbesitz 534, 1304 Musterentscheid 691 XV Musterprotokoll 118 Nachgründung 283 Nachhandelstranparenz 745 Nachschuss 213a, 1257 Nachtragsliquidation 1453 Nahestehende Person 412 naked warrants 598 Fn 860, 733 Fn 1142 Namensaktie 220 negative Fortbestehensprognose 457 negotiorum gestio 548 ff Nennbetragsaktie 216 Nichtigkeitsklage 284, 860 Niederlassungsfreiheit 144 Nießbrauch an Geschäftsanteil 228, 234 Nominelle Kapitalerhöhung 562 Nominelle Unterkapitalisierung s eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen Nordwolle 64 Notvorstand 1020, 1022 Obligationen 729 Octroi 50 Oechelhäuserscher Entwurf 59 OGAW 720 Fn 1124, 721, 778 Open Market 747 Optionsanleihen 599, 601 Optionen 739, 1032 ordre public 202 organisierte Märkte 742 Organschaft 1300 Organstreit 845 ff OTF 743, 771 ff

Partnerschaft 28 Persönlichkeitsrecht 8 Pfändung eines Geschäftsanteils 221 Fn 339b, 232 Pflichtangebot 675 physical settlement 738 Portfoliodiversifizierung 719 Postulationsfähigkeit 855 Président-directeur général (PDG) 190 PRIMA 714 Fn 1112 Primär-, Sekundärinsider 784 Primärmarkt 692, 700 Prime Standard 748 Principal-agent-Konflikt 1032 Private Equity 22, 727 Private Limited Company (Ltd) 112 Produktfreigabeverfahren 772, 775 Professionelle, halbprofessionelle, private Anleger 719 Fn 1122 Prospekthaftung 781 Prospektpflicht 754, 776 ff proxy-voting 1176 Prozessfähigkeit 855 Prozessführungsbefugnis 855 Publikumskommanditgesellschaft 11 Qualifizierter faktischer Konzern (Qualifak) 530 ff, 1323 Qualifizierter Rangrücktritt 489 Quotenschaden 515 Rangrücktritt 489 Ratingagenturen 691 II räuberische Aktionäre 890 Real Estate Investment Trust AG (REIT-AG) 21 Rechnungslegung 34, 1380 ff Rechtsanwalts-GmbH, -AG 80 Rechtsfähigkeit 2 Rechtsformmissbrauch 526 Rechtsformwahlfreiheit 203 ff Redeemable Shares 217 Fn 333 Regelpublizität 796 regulierter Markt 747, 752 Reinvermögen 26 REIT-AG 21 REIT-Segment 749 Related party transactions 156

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Repräsentantenhaftung 14 Fn 22 reverse stock split 218a Fn 333a Risikomanagement 1027 Risikomischung 719 Rücklagen 1414, 1415 RX Real Estate Index 750 Scale 748 Sacheinlage 252 Sachgründungsbericht 264 Sachübernahme 272 Sammelurkunden s Globalurkunden Sammelverwahrung 704, 706 Sanierungsprivileg 478 Sarbanes-Oxley-Act 1027 Fn 1646 Satzung 212 Satzungsdurchbrechung 215 Satzungsunterschreitung 1041 Fn 1680 Scalping 784 Fn 1235 Scheinbeschluss 862 Fn 1385a Schiedsabrede 1028 Fn 1648 Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahren 304 Sekundärmarkt 692, 700 Selbstorganschaft 1022 Shareholder Value 956 Simultangründung 205 ff Sitz – der AG, GmbH 244 – der SE 171 Sitztheorie 200 Sitzverlegung 155, 172 Fn 272 Skontroführer 745 sociedad de responsabilidad limitada (S.R.L.) 58 sociedad limitada nueva empresa (S.L.N.E.) 112 Fn 173 società a responsabilità limitata (S.r.l.) 58 societas cooperativa europea (SCE) 158 Fn 242 societas europaea (SE) 158 ff societas privata europaea (SPE) 159 Fn 246 societas unius personae (SUP) 195 société à responsabilité limitée (S.A.R.L.) 58 SOFFin 691 I Fn 1025 solvency test 34 Sonderprüfer 695 Sonderprüfung 940, 1146

Sonderrecht 214 Sondervermögen 365 Sonderverwahrung 704 Sondervorteil 592, 669 Sozialversicherungsbeiträge 1027 Fn 1647 Spaltung 1461 Special negotiating body (SNB) 164 Sperrminorität 1172 Sphärenvermischung 525 Split (Aktien-) 221 Spruchverfahren 765, 874 Squeeze-out 44 Fn 72, 672 ff Staffelregress 360 Stakeholder Value 956 Stammaktie 654 Stammeinlage s Geschäftsanteil Stammkapital 16 3 Statusverfahren 972 Fn 1587, 986 Stichentscheid 1040 Stiftung 2 Stimmbindungsverträge 1178 ff Stimmrecht 1175 f, 1235 Stimmverbot 899 ff, 1187 ff stock options s Aktienoptionen Streitwertspaltung 889 Strohmanngründung 210a Stückaktie 216 Stufengründung 205 SUP 109, 1290 Swaps 737 Fn 1151, 741 systematische Internalisierer 771, 791 Teilrechtsfähigkeit 7 Termin-, Kassageschäft 737 Terminbörsen 737 tracking stocks 217 Fn 333 Transparenzregister 143b Treuepflicht 822 ff Treuhand 209, 469, 1182 Trust 27 Übernahmerecht 691 VI, 774, 798 ff Überpari-Emission 218a Überschuldung 449 ff Übertragende Auflösung 672 Fn 978 Umbrella-Konstruktion 725 umgekehrter Haftungsdurchgriff 528

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UMTS 1328 Fn 2232 Umwandlung 1460 ff Unechte Vorgesellschaft, unechte Einmanngründung 394 Unterbilanz 393 Fn 553 Unterkapitalisierung 475 Unternehmen 36, 531, 965 Unternehmensbeteiligungsgesellschaft (UBG) 21; 727 Unternehmensbewertung 673 Fn 948 Unternehmensgegenstand 203 Unternehmensinteresse 253, 1026 Unternehmergesellschaft (UG) 219 Unterpari-Emission 218a, 734 Untreue 420, 529 Fn 763, 1086 Unversehrtheitsgrundsatz 288 f upstream loans 268 f US-Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) 1387 Fn 2329 Venture Capital 697 Fn 1086 Verbraucher (Vorstandsmitglied) 1028 Fn 1648 Verbriefung 76, 222 verbundene Unternehmen 1289 ff verdeckter Beherrschungsvertrag 1305 Fn 2195 verdeckte Ausschüttung 422 verdeckte Sacheinlage 301 ff Verein 2 ff vereinfachte Kapitalherabsetzung 624 ff Verhinderungsverbot 811 Verlustdeckungshaftung 392 f Verlustübernahme 1310 Vermögensbindung 29 Vermögensübertragung 1461, 1469 Vermögensvermischung 525, 533 Verschmelzung 1460 ff Vertragskonzern 1293 Verwahrstelle 722, 726 Verwaltungsaktie 63 Verwässerungseffekt 589 Vinkulierung 220 f, 231 Vollausschüttungsgebot 665 Vorbelastungshaftung 270 f,

Vorbelastungsverbot 270 Voreinzahlung 355 ff Vorgesellschaft 365 ff Vorgründungsgesellschaft 372 ff Vormännerhaftung 57, 384, 581 Vorratsaktie 205a, 605 Vorratsgesellschaft 403 Vorratsgründung 403 Vor-REIT 22 Vorsichtsprinzip 414 Vorstand 1016 ff Vorzugsaktie 652, 1175 Vorzugsanteil 123, 649 Fn 911a Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaft (WKBG) 21, 691 XII Fn 1048, 727 Wandelanleihen, -schuldverschreibungen 143, 224, 598 f, 733 Warnpflicht 462 Waschkorblage 525 Wechselseitige Beteiligung 1297 Werbende Gesellschaft 412a Wertaufholungsgebot 661 Fn 947 Wertpapier 692, 699 Wertpapierdienstleistungsunternehmen 696, 807 Wertpapiersammelbank 223, 704, 706 Wertrechte 729 Wettbewerbsverbot 822, 1027, 1213 White knight 812 Fn 1300 Wissenszurechnung 1218 ff XETRA 745 Zahlungsinstrumente 692 Zahlungsunfähigkeit 457, 462 Zeichnung 577 Zeichnungsschein 577 Zielgesellschaft 675 Zuordnung (eines Widerspruchs) 236 Zusammenschluss 600 Zustimmungsvorbehalt 1003, 1049 f Zwangseinziehung 671a Zweigniederlassung 151, 200c, 241 Zwischenschein 226, 282

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