Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien: Systematik und Besteuerung: Zugleich ein Beitrag zur Kohärenz von Steuer- und Gesellschaftsrecht [1 ed.] 9783428553112, 9783428153114

Die Arbeit untersucht den Begriff bzw. Steuergegenstand des ›Kapitalertrags aus börsennotierten Aktien‹, indem sie das G

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Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien: Systematik und Besteuerung: Zugleich ein Beitrag zur Kohärenz von Steuer- und Gesellschaftsrecht [1 ed.]
 9783428553112, 9783428153114

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Schriften zum Steuerrecht Band 130

Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien: Systematik und Besteuerung Zugleich ein Beitrag zur Kohärenz von Steuerund Gesellschaftsrecht

Von

Nicolai Moriz Mertz

Duncker & Humblot · Berlin

NICOLAI MORIZ MERTZ

Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien: Systematik und Besteuerung

S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 130

Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien: Systematik und Besteuerung Zugleich ein Beitrag zur Kohärenz von Steuerund Gesellschaftsrecht

Von

Nicolai Moriz Mertz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2016/2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-15311-4 (Print) ISBN 978-3-428-55311-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-85311-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Jede Dissertation hat (gleich einem Baum) nicht nur einen sichtbaren Stamm mit Ästen, sondern auch unsichtbare Wurzeln. Die folgenden Zeilen geben mir die Gelegenheit, dieses Fundament der Arbeit ans Tageslicht zu holen und denjenigen zu danken, ohne die diese Arbeit nicht entstanden wäre. Die Arbeit entstand auf Anregung meines verehrten Doktorvaters, Prof. Dr. Heribert Hirte, der ursprünglich vorschlug, die Abgeltungssteuer aus gesellschaftsrechtlicher und ökonomischer Sicht zu untersuchen. Daraus entwickelte sich im Laufe der Einarbeitung in das Thema der Ansatz, vorgelagert eine Antwort auf die Frage, was unter einem Kapitalertrag zu verstehen sein sollte, herauszuarbeiten. Die Prüfung der Abgeltungssteuer an diesem Maßstab wurde zum vierten Teil der Arbeit. Die Dissertation ist auf dem Stand von August 2017. Zu besonderem Dank bin ich an erster Stelle meinem bereits erwähnten Lehrer verpflichtet. Er hat es verstanden, Impulse zu geben ohne Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen. Auch die Förderung abseits der eigentlichen Dissertation hatte er wohlwollend im Auge. Da eine zügige Erstellung des Erstgutachtens keine Selbstverständlichkeit ist, sei auch hierfür ausdrücklich gedankt. Das Zweitgutachten hat dankenswerterweise PD Dr. David Hummel übernommen. Weiterhin möchte ich auch Jun.-Prof. Dr. Lars Hummel danken, der ebenfalls wertvolle Anregungen gegeben hat. Auch in meinem Fall hat die Dissertation zu ihrer heutigen Form nur durch Diskussion und Gedankenaustausch mit anderen Doktoranden gefunden. Genannt seien an dieser Stelle insbesondere Dr. Fabian Schlüter und Dr. Norbert Paulo, aber auch Dr. Florian Walch und Dr. Mauritz v. Einem. Zudem gehörte zu den fortwährenden Unterstützern meine Frau Yvonne, die Höhen und Tiefen begleitet hat und mir stets Halt gab. Schließlich habe ich der Konrad Adenauer Stiftung zu danken, die die Dissertation mit einem Promotionsstipendium gefördert hat. Auch die ideelle Förderung, die damit einhergeht – insbesondere das „Promotionskolleg Soziale Marktwirtschaft“ –, haben einen inspirierenden Rahmen für die wissenschaftliche Auseinandersetzung gesetzt. München, im März 2018

Nicolai Moriz Mertz

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

1. Teil Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien als Forschungsgegenstand

23

A. Begriff des Kapitalertrags (aus börsennotierten Aktien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Historische Entwicklung des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts und der Besteuerung von Aktiengesellschaften sowie Kapitaleinkommen aus Aktien im Privatvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Entwicklung des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Entwicklung der Besteuerung von Aktiengesellschaften sowie von Kapitaleinkommen aus Aktien im Privatvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Vergleich der Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Steuerrecht und ökonomische Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Steuerrecht aus juristischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Steuerrecht aus ökonomischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Auflösung der Konkurrenz von Rechts- und Wirtschaftswissenschaft . . . . . . . 35 a) Prävalenz der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Schnittmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Steuergegenstand und Steuerbemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Verfassungsvorgaben für die Konkretisierung des Steuergegenstandes ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Folgerichtige Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit . . . . . . 39 (1) Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (2) Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (a) Leistungsfähigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (b) Folgerichtigkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (c) Zusammenwirken von Leistungsfähigkeitsprinzip und Folgerichtigkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

10

Inhaltsverzeichnis b) Kriterium der Ergiebigkeit einer Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (1) Ergiebigkeit als Bestandteil des Steuerbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (2) Ergiebigkeit als Konsequenz der Steuerrechtfertigung . . . . . . . . . . . . 48 (3) Ergiebigkeit als Konsequenz des Wirtschaftlichkeitsgebots des Art. 114 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (4) Kriterium der Ergiebigkeit einer Steuer als Verfassungsgebot . . . . . . 50 3. Verfassungsvorgaben für die Ausgestaltung der Steuerbemessungsgrundlage

51

a) Vollzugsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Eigentumsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 d) Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 e) Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4. Entwicklung der Steuerbemessungsgrundlage aus dem Steuergegenstand . . . . 54 III. Zusätzliche Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Objektives Nettoprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Keine eigenständige Leistungsfähigkeit juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . 57 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Steuerrechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

2. Teil Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik des Steuergegenstandes ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘

61

A. Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Preisbildung am Aktienmarkt (Kapitalmarkttheorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Aktienbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Zeitwert von Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Bewertungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 c) Rendite und Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 d) Einfluss von Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 e) Empirischer Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Marktineffizienzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Angebot-Nachfrage-Ungleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Marktpsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Monetäre Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Inhaltsverzeichnis

11

II. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen und ihre wirtschaftlichen Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Bardividende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Sachdividende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Rückerwerb eigener Aktien durch die Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 77 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Gewinnthesaurierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Umwandlungsrechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Auf- und Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4. Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Kapitalherabsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Kapitalerhöhung gegen Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5. Verlust der Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Veräußerung der Aktie an einen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Squeeze-out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

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Inhaltsverzeichnis c) Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 d) Ausschluss aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 6. Gesellschaftsgründung und Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 7. Aktiensplit und umgekehrter Aktiensplit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Wirtschaftliche Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 III. Rechnungslegung börsennotierter Aktiengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Grundsätze der Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Ermittlung des Jahresergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Gewinn- und Verlustrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Verwendung des Jahresergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Verwendung im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses . . . . . . . . 100 (1) Zwingende gesetzliche Gewinnverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (a) Gesetzliche Rücklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (b) Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) Optionale Gewinnverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (a) Feststellung des Jahresabschlusses durch die Verwaltung . . . . . . . 102 (b) Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung 103 b) Verwendung im Rahmen des Beschlusses über den Bilanzgewinn . . . . . . . 103 4. Eigenkapitalausweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Ausweis des von innen zugeführten (thesaurierten) Eigenkapitals . . . . . . . 104 b) Ausweis des von außen zugeführten Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (1) Grundkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (2) Kapitalrücklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 5. Auflösung von Gewinnrücklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 IV. Langfristige Entwicklung von Aktienmärkten am Beispiel des DAX . . . . . . . . . 107 1. Entwicklung des DAX-Kursindexes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Entwicklung des DAX-Performanceindexes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Inhaltsverzeichnis

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B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 I. Ableitung konkreter Steuergegenstände des Kapitalertrags aus börsennotierten Aktien: fundierter, unfundierter und aggregierter Kapitalertrag . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Vorläufige Erkenntnisse für die Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Folgerichtige Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit . . . . . . 112 (1) Gebot der wirtschaftlichen Saldierung gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (2) Einbeziehung von Zahlungen infolge eines Verlustes der Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (3) Äquivalenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (a) Irrelevanz der Ausschüttungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (b) Wirtschaftliche Äquivalenz von Abspaltung und Ausgliederung mit anschließender Sachdividende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (4) Quellen der Leistungsfähigkeit des Aktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Kriterium der Ergiebigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Bisherige Diskussion in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (2) DAX-Kurs- und Performanceindex als Indikator für die Ergiebigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (a) Grundsätzliche Ergiebigkeit der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (b) (Fehlende) Ergiebigkeit der Besteuerung der ,reinen‘ Kursveränderung einer Aktie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (c) (Vorhandene) Ergiebigkeit der Besteuerung der Jahresüberschüsse der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Zusammenführung der Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Fundierte vs. unfundierte Kapitalerträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (1) Fundierter Kapitalertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (2) Unfundierter Kapitalertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (3) Abgrenzbarkeit von fundiertem und unfundiertem Kapitalertrag . . . . 124 (4) Aggregierter Kapitalertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Konsequenzen für die Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. ,Fundierter‘ und ,aggregierter‘ Kapitalertrag als verfassungskonforme konkrete Steuergegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Fundierter Kapitalertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Aggregierter Kapitalertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Fundierter Kapitalertrag im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Jahresüberschuss als grundsätzlicher Indikator des ,Gewinns‘ . . . . . . . . . . . . . 127 2. Folgerungen aus den Vorschriften über die Gewinnverwendung nach AktG 131 a) (Zwangs-)Verwendung des Jahresüberschusses für die gesetzliche Rücklage 131 b) (Zwangs-)Verwendung des Jahresüberschusse für die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen . . . . . . 132 c) Verwendung des Jahresüberschusses durch die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . 133

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Inhaltsverzeichnis d) Verwendung des Bilanzgewinns durch die Hauptversammlung . . . . . . . . . . 135 e) Verwendung des Bilanzgewinns aufgrund Satzungsbestimmung . . . . . . . . . 135

C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

3. Teil Zinsberücksichtigung in der Kapitaleinkommensbesteuerung

137

A. Nominal- vs. Realwertprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Grundproblematik und Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Nominal- vs. Realwertprinzip und Besteuerung von Kapitalerträgen aus börsennotierten Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 III. Nominal- vs. Realwertprinzip und Besteuerung von Kapitaleinkommen insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Evaluation des gegenwärtigen Diskussionsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Erweiterung der Diskussion um ein Deflationsszenario . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Definition und Bedeutung der Deflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Literatur zur Bedeutung von Deflation für das Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . 144 c) Entstehung einer Deflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 d) Nominalwertprinzip bei Deflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 e) Realwertprinzip bei Deflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (1) Ausgangspunkt der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (2) Konsequenzen aus dem Folgerichtigkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (3) Anreizwirkungen des Realwertprinzips bei Deflation . . . . . . . . . . . . . 150 3. Abwägung zwischen Nominal- und Realwertprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 B. Einkommens- vs. konsumorientierte Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Idee und Umsetzungsmöglichkeiten einer konsumorientierten Besteuerung . . . . 154 II. Äquivalenz zum Realwertprinzip im Hinblick auf die Folgen einer Deflation . . . 155 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

4. Teil Besteuerung des ,Kapitalertrags aus börsennotierten Aktien‘

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A. Mögliche Bemessungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Bemessungsgrundlagen des fundierten Kapitalertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Ausschließliche Besteuerung auf Ebene der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . 159 2. Ausschließliche Besteuerung auf Ebene des Aktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Kombinationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

Inhaltsverzeichnis

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II. Bemessungsgrundlagen des aggregierten Kapitalertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Ausschließliche Besteuerung auf Ebene des Aktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Kombinationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B. Kritik der Besteuerung de lege lata (Abgeltungsteuer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Besteuerung des Jahresüberschusses auf Ebene der körperschaftsteuerpflichtigen Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Besteuerung auf Ebene des einkommensteuerpflichtigen Aktionärs . . . . . . . . 165 a) Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Bardividende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Sachdividende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (3) Veräußerung der Aktie an die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Umwandlungsrechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Auf- und Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Kapitalherabsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Effektive Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (3) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Verlust der Gesellschafterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Veräußerung der Aktie an einen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (2) Squeeze-out des Aktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (3) Einziehung von Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (4) Ausschluss aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 e) Gesellschaftsgründung und Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 f) Aktiensplit und umgekehrter Aktiensplit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 g) Berücksichtigung von Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 h) Werbungskostenabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Vereinbarkeit der Besteuerung mit den möglichen Bemessungsgrundlagen . . . . . 176 1. Vom Gesetzgeber gewählter Besteuerungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Widersprüche zum verfassungsrechtlichen Besteuerungsideal . . . . . . . . . . . . . 176 a) Steuerbilanzgewinn und Handelsbilanzgewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Verlustverrechnungsverbot des § 20 Abs. 6 S. 4 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Besteuerung einer Ausschüttung von Aktien in Form einer Sachdividende 179 d) Ausschluss des Verlustrücktrags von Aktienkursverlusten . . . . . . . . . . . . . . 180 e) Unterschiedlicher Steuersatz für fundierte und unfundierte Kapitalerträge 181 f) Nichterfassung unfundierter Kapitalerträge im Rahmen einer Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 g) Squeeze-out und Ausschluss aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 h) Einziehung von Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

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Inhaltsverzeichnis i) Berücksichtigung von Werbungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 j) Zusammenfassung der Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Verfassungsrechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 IV. Exkurs: Konsequenzen bei Annahme einer eigenen steuerlichen Leistungsfähigkeit juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

C. Vorschlag einer Besteuerung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 I. Kapitalertragbesteuerung und Internationales Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Gleichheitssatz und Internationales Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Quellenprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Welteinkommensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Vorgaben der europäischen Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Möglichkeiten der Kapitalertragbesteuerung im internationalen Kontext . . . . 195 II. Festlegung des konkreten Steuergegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 III. Kriterien für die Wahl der Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Verfassungsrechtlich verankerte Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Vollzugsgleichheit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Gebot einer eigentumsschonenden Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 d) Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 e) Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Steuertechnische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Kohärenz mit dem Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Sicherung eines konstanten Steueraufkommens und einkommensorientierte Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Internationaler Steuerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 d) Weitere Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3. Ökonomische Effizienzkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Entscheidungsneutralität auf Ebene der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . 202 b) Entscheidungsneutralität auf Ebene des Aktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 IV. Evaluierung und Abwägung der Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Vor- und Nachteile einer linearen Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Schwierigkeiten einer Umsetzung der Tarifprogression . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Steuerwettbewerb und Standortattraktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 4. Abschließende Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 V. Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Werbungskostenabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Freistellung des Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Schachtelbeteiligungen bei Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

Inhaltsverzeichnis

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VI. Vereinbarkeit mit sekundärem Gemeinschaftsrecht und völkerrechtlichen Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Europäische Zins- und Lizenzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Europäische Mutter-Tochter-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 VII. Konkreter Reformvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Veröffentlichungen des Bundesministeriums der Finanzen und der obersten Finanzbehörden der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

Einleitung Klaus Tipke, Gründer der Kölner Steuerrechtsschule, hat einmal programmatisch postuliert, der Steuerrechtswissenschaft komme die Aufgabe zu, den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Leistungsfähigkeitsprinzips zu unterstützen.1 Dazu habe sie die Bedeutung dieses Fundamentalprinzips zu „explizieren“.2 Eine solche ,Explikation‘ erfordert es, die Steuergegenstände,3 zu denen Einkommen, Vermögen und Konsum gehören,4 zu benennen und systematisch zu erschließen. Insbesondere der Steuergegenstand ,Einkommen‘ lässt sich allerdings als a priori vorgegebene Gesamtheit zwar denken, aber nicht erfassen. Er zerfällt notwendigerweise in viele Einzelausformungen von Einkommen.5 Eine dieser Einzelausformungen des Steuergegenstandes Einkommen soll im Folgenden erschlossen werden: ,Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien‘. Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien bieten sich für eine solche Untersuchung in besonderer Weise an: Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nur aus dem Zusammenspiel mehrerer Rechtsgebiete sowie der Funktionsweise des Kapitalmarkts heraus erklären und verstehen lassen. Die – vermögenswirksame – Beziehung zwischen Aktionär und Aktiengesellschaft wird direkt durch das Gesellschaftsrecht, indirekt aber auch durch das Rechnungslegungsrecht des HGB bestimmt. Die gesellschaftsrechtliche Beziehung ist nicht nur durch das AktG, sondern auch durch das UmwG geprägt. Hinzu tritt der vordergründig vom gesellschaftsrechtlichen Verhältnis unabhängige Aktienhandel an Börsen, bei dem die Eigentumsrechte an der Gesellschaft zum Austausch kommen. Doch auch dieser Aktienhandel ist mit dem Gesellschaftsrecht wiederum insofern verschränkt, als Akti1

Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 493. Tipke, DStZ 1975, 406 (406). 3 Die Nomenklatur ist nicht einheitlich. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 230, spricht vom ,Steuergegenstand‘, während etwa Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 6 Rz. 36 sowie Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, S. 31, Rn. 102, den Begriff des ,Steuerobjekts‘ verwenden; zum Teil wird der Steuergegenstand zudem von einem übergeordneten ,Steuergut‘ abgegrenzt, das dem Steuergegenstand gedanklich vorgelagert sei, vgl. Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 6 Rz. 36; für den weiteren Gang der Arbeit wird vom ,Steuergegenstand‘ ausgegangen, da er einerseits auch vom BVerfG verwendet wird, siehe etwa BVerfGE 120, 1 (30), und andererseits eine gesetzliche Normierung erfahren hat, vgl. etwa die Überschrift zu §§ 1 ff. UStG. 4 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 230 ff.; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 6 Rz. 37. 5 Nicht ohne Grund klassifiziert das EStG entsprechend in § 2 Abs. 1 auch mehrere Einkunftsarten, die jeweils näher ausgestaltet werden. 2

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Einleitung

engesellschaften auch Aktien ihrer eigenen Gesellschaft erwerben können. Es kommt dadurch zu einem Geflecht an wirtschaftlichen Austauschbeziehungen, die sich alle auf die Frage nach dem wirtschaftlichen Gehalt, gewissermaßen dem ,Wesen‘ dieses Kapitalertrags auswirken. Hinzu kommt, dass sich nach Jahrzehnten des Streits um die ,richtige‘ Besteuerung von Unternehmen und ihren Anteilseignern immer deutlicher abzeichnet, dass eine optimale ,Einheitslösung‘ wohl nicht existent, zumindest aber nicht umsetzbar ist.6 Der kritische Blick der Steuerjuristen sollte sich daher mehr darauf konzentrieren, die einzelnen zivilrechtlichen Gestaltungen inhärente Leistungsfähigkeit zu identifizieren, das heißt, die steuerliche Beurteilung an der wirtschaftlichen Wirkung der jeweiligen Zivilrechtsform auszurichten.7 Diesen Versuch will die vorliegende Arbeit unternehmen. Es wird damit auch die Hoffnung verbunden – angesichts von vier Millionen direkten Aktienbesitzern in Deutschland8 –, einen praktisch relevanten Forschungsbeitrag zu leisten. Der Besteuerung von Aktionär und Aktiengesellschaft haben sich freilich schon andere Arbeiten angenommen. Sie nehmen aber meist Einzelfragen in den Blick, etwa die Besteuerung von Dividenden9 oder Veräußerungsgewinnen,10 bzw. entwickeln ein System, das die Gerechtigkeit und Neutralität der Unternehmensbesteuerung in und zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern sucht.11 Diese Arbeit ergründet dagegen eine vorgelagerte Frage: Was sollte eigentlich überhaupt als Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien betrachtet werden? Sie wertet dazu das Geflecht aus Gesellschaftsrecht, Rechnungslegungsrecht und ökonomischen Wirkungen des Kapitalmarkts im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Besteuerung aus. In der dabei zu entwickelnden Systematik des Kapitalertrags aus börsennotierten Aktien werden die Quellen der Leistungsfähigkeit des Aktionärs aufgezeigt und auf ihre Steuerwürdigkeit hin analysiert. In einem sich daran anschließenden Schritt wird die Besteuerung de lege lata näher untersucht und ein Vorschlag für eine Besteuerung de lege ferenda entwickelt. Dabei konzentriert sich die Arbeit auf die Besteuerung von Privatpersonen durch die Einkommensteuer, berücksichtigt in diesem Zusammenhang aber auch die Körperschaftsteuer. Ge6

Lang, DStJG 24 (2001), 49 (98). Lang, DStJG 24 (2001), 49 (100). 8 Deutsches Aktieninstitut, DAI-Kurzstudie 1/2012, S. 1. 9 Englisch, Dividendenbesteuerung. 10 Siehe etwa Küppers, Besteuerung privater Veräußerungseinkünfte im Vergleich zur britischen Capital Gains Tax; auch Kleinmanns, Besteuerung inflationsbedingter Scheingewinne, S. 2 ff.; aus der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur Jacob, ZfB 79 (2009), S. 579 ff.; aus österreichischer Sicht auch die Arbeit von Kirchmayr zur Abgrenzung von Substanzgewinn und (dem klassischen Verständnis von) Kapitalertrag, Kirchmayr, Besteuerung von Beteiligungserträgen. 11 So das Ziel der Arbeit von Hey, Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa, S. 4. 7

Einleitung

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werbesteuer, Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschlag werden dagegen vernachlässigt. Eine Untersuchung zur Besteuerung von Kapitaleinkommen tangiert zudem stets die Frage, an welchem Wertprinzip das Steuerrecht ausgerichtet werden sollte, ob am Nominal- oder am Realwertprinzip. Dieses Problem wird in einem eigenen Zwischenteil sowohl im Hinblick auf die Besteuerung von Aktien als auch hinsichtlich der Besteuerung von Kapitaleinkommen insgesamt behandelt und einem neuen Lösungsansatz zugeführt. Zur Gewinnung der Erkenntnisse wird in hohem Maße auf wirtschaftswissenschaftliche Forschung zurückgegriffen. Dies erfolgt deshalb, damit die Phänomene am Aktienmarkt sowohl eingeordnet als auch empirisch überprüft werden können. Die besondere Aktualität der „richtigen“ Besteuerung von Kapitaleinkommen zeigt sich schon daran, dass die Abgeltungsteuer nach wie vor sowohl wissenschaftlich als auch politisch hoch umstritten ist.12 Das Bundesfinanzministerium eruiert fortlaufend, ob und ggf. inwiefern diese Art der Steuererhebung (einschließlich des pauschalen Steuersatzes von 25 Prozent) noch angemessen ist.13 Zuletzt wurden vom Bundesfinanzministerium in einem internen Vermerk insbesondere die Vorzüge der Abgeltungsteuer hervorgehoben und vor Steuerausfällen im Falle ihrer Abschaffung gewarnt.14 Die Arbeit gliedert sich in vier Teile: (1) Im ersten Teil der Arbeit wird zunächst der Begriff des Kapitalertrags analysiert, ein Überblick über die unterschiedliche historische Entwicklung von kapitalmarktnahem Gesellschaftsrecht und Steuerrecht gegeben und der methodische Ausgangspunkt dieser Untersuchung geklärt. (2) Im Anschluss daran wird im zweiten Teil eine Systematik des Steuergegenstandes ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ entwickelt, die in die Ableitung möglicher konkreter Gegenstände für die Besteuerung mündet. (3) Der dritte Teil beschäftigt sich mit der übergeordneten Frage, ob die Besteuerung von Kapitalerträgen aus börsennotierten Aktien im Besonderen bzw. das Steuerrecht im Allgemeinen an Nominal- oder Realwerten sowie einkommensoder konsumbasiert ausgerichtet werden sollten. (4) Der vierte und letzte Teil widmet sich schließlich der konkreten Besteuerung von Kapitalerträgen aus börsennotierten Aktien. Nach der Darlegung möglicher Bemessungsgrundlagen wird zunächst die gegenwärtige Rechtslage am Maß12 Vgl. jüngst etwa die unterschiedlichen Standpunkte im „Zeitgespräch“, Wirtschaftsdienst 2016, 83 ff. 13 Mitteilung der Pressestelle des Bundesfinanzministeriums auf eine telefonische Anfrage des Verfassers im Juli 2017 zu internen Diskussionen des Bundesfinanzministeriums hinsichtlich einer Abschaffung der Abgeltungsteuer. 14 Wirtschaftswoche v. 2. 12. 2016.

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Einleitung

stab der zuvor gewonnenen Erkenntnisse untersucht und sodann – unter Berücksichtigung gefundener Kritikpunkte – ein Reformvorschlag entwickelt. Anschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst.

1. Teil

Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien als Forschungsgegenstand Bevor Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien und ihre Besteuerung im Detail analysiert werden, sollte ein Verständnis davon bestehen, welche Stellung der Begriff des Kapitalertrags im Steuerrecht hat und welche historische Entwicklung kapitalmarktnahes Gesellschaftsrecht und Steuerrecht genommen haben. Darüber hinaus ist der methodische Ausgangspunkt der Arbeit zu bestimmen.

A. Begriff des Kapitalertrags (aus börsennotierten Aktien) Was sind Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien? Was sind Kapitalerträge an sich? Bei einem ersten pragmatischen Herangehen könnte man sagen: Kapitalerträge sind, was das Gesetz als solche deklariert. Untersucht man daraufhin das Steuerrecht, ist festzustellen, dass das EStG zwar keine Legaldefinition des ,Kapitalertrags‘ kennt, der Begriff ,Kapitalertrag‘ aber durchaus an verschiedener Stelle verwendet wird. So verwenden insbesondere § 32d Abs. 2 EStG sowie § 43 Abs. 1 S. 1 EStG den Begriff ,Kapitalerträge‘, um sich auf einzelne Tatbestände des § 20 EStG zu beziehen.1 Parallel dazu überschreibt das Gesetz alle Tatbestände des § 20 EStG mit dem Begriff ,Einkünfte aus Kapitalvermögen‘. Offenbar sollen beide Begriffe – ,Kapitalerträge‘ und ,Einkünfte aus Kapitalvermögen‘ – also dasselbe bezeichnen: Einkünfte, die aus der Nutzung privaten Geldvermögens entstehen, denn darin kann der gemeinsame Nenner der Tatbestände des § 20 EStG gesehen werden.2 Nach der Logik des Gesetzes scheint es somit verschiedene einzelne Formen von Kapitalerträgen zu geben, die alle in § 20 EStG aufgelistet werden und die wiederum zusammen die Einkünfte aus Kapitalvermögen bilden. Ein ,Kapitalertrag‘ ist damit gewissermaßen eine ,Einzeleinkunft‘ aus Kapitalvermögen.3 1 Daneben findet sich der Begriff des Kapitalertrags auch in § 20 Abs. 4a und Abs. 9 EStG, § 32d Abs. 3 und Abs. 5 EStG, § 3 Nr. 7 EStG sowie §§ 43a, 43b EStG. 2 Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, § 20 Rn. 3. 3 Demgegenüber ist unter dem Begriff der ,Kapitalertragsteuer‘ im geltenden Steuerrecht (§§ 43 – 45d EStG) nicht die materielle Besteuerung von Kapitalerträgen zu verstehen, sondern lediglich eine besondere Form der Erhebung der Einkommensteuer (und der Körperschaft-

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

Im Hinblick auf den ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ finden sich nun diverse Einzeltatbestände, die nach der Systematik des EStG offenbar Einzelausformungen bzw. Teilaspekte dieses Kapitalertrags sind: So zählt § 20 EStG insbesondere Dividenden, Ausbeuten und sonstige Bezüge aus Aktien (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG), bestimmte Bezüge, die nach der Auflösung oder im Zuge einer Kapitalherabsetzung der Aktiengesellschaft anfallen (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG), sowie den Gewinn aus der Veräußerung von Aktien (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG) zu den steuerbaren Einkünften. Das Gesetz verwendet also eine Vielzahl von Einzeltatbeständen. Diese werden zudem im Hinblick auf die Komplexität gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen noch durch Spezialvorschriften in § 20 Abs. 4a EStG ergänzt, um den ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ zu erfassen. Unabhängig davon, ob durch diese Gesetzestechnik eine gleichmäßige steuerliche Erfassung entsprechender Einkünfte erreicht wird (bzw. werden kann), stellt sich die Frage, ob der Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien nicht auch abstrakter bestimmt werden kann. Ein Blick in juristische lexikalische Werke zum Themengebiet ,Kapitalertrag‘ führt allerdings kaum weiter. Im Staats-Lexikon aus dem Jahr 1846, in dem noch keine eingehende Beschäftigung mit dieser Frage vermutet wird, findet sich immerhin unter dem Stichwort „Capital-Steuer“ nicht nur eine programmatische Forderung nach einer Besteuerung der „Geld-Capitalien“,4 sondern auch eine erste Auflistung von „Capitalien“, die gerechterweise der Besteuerung unterliegen sollten: auf gerichtlichen Obligationen ruhende, mit Pfandrecht auf Realitäten versehene oder durch gesetzliche Fürkehr gesicherte Capitalien.5 Die meisten aktuellen lexikalischen Werke bleiben eine Antwort dagegen schuldig; sie beschränken sich auf einen Eintrag „Kapitalertragsteuer“, der lediglich die Erhebungsform darstellt.6 Nur im Deutschen Rechts-Lexikon findet sich das Stichwort „Kapitaleinkünfte (Steuerrecht)“.7 Es bleibt allerdings bei einer sehr knappen Darstellung des § 20 EStG. Auch die wirtschaftswissenschaftliche Literatur führt nicht viel weiter. Die monographische Literatur, insbesondere einschlägige Lehrbücher, geht nicht auf die Frage ein, welche Vermögensrückflüsse einer Kapitalanlage (in Aktien) aus ökonomischer Sicht als Kapitalertrag zu klassifizieren sind bzw. nach welchen Kriterien sich die Bestimmung eines Kapitalertrags überhaupt bemessen sollte. Lehrbücher zur betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, etwa von Kußmaul und Schneeloch, besteuer, § 31 Abs. 1 KStG). Bei der Kapitalertragsteuer wird die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer des Gesellschafters im Abzugswege direkt an der Quelle dem Steuerabzug unterworfen. Welche Arten von Kapitalertrag aber besteuert werden, beantwortet die Kapitalertragsteuer nicht bzw. nur indirekt. Vgl. auch Knaupp, in: Kirchhof, EStG, § 43 Rn. 1. 4 Rotteck, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, S. 42. 5 Rotteck, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, S. 46. 6 Alpmann Brockhaus, Studienlexikon Recht; Creifelds, Rechtswörterbuch; Klein, Lexikon des Rechts, Steuer- und Finanzrecht; Schneider, Lexikon des Steuerrechts. 7 Schlenker, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2.

B. Historische Entwicklung des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts

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schränken sich auf die Darstellung der aktuellen Rechtslage, ohne sich mit den betreffenden Fragen kritisch auseinanderzusetzen.8 Finanzwissenschaftlich ausgerichtete Lehrbücher, etwa von Reding/Müller, Homburg oder Cansier, belassen es bei allgemeinen theoretischen Ausführungen zu (gerechter) Besteuerung von Einkommen.9 Wirtschaftswissenschaftliche lexikalische Werke führen wiederum – wenn überhaupt – nur sehr spärliche Einträge unter dem Stichwort ,Kapitalertrag‘: eine genauere Definition als „Verzinsung des investierten Kapitals in Form von Gewinnen, Dividenden, Zinsen […]“ findet sich nicht.10 Was also Kapitalerträge, insbesondere aus börsennotierten Aktien, sind, bleibt unklar. Eine systematische, auch dogmatische Durchdringung dieses Begriffs scheint in der Literatur bisher nicht erfolgt zu sein und dem EStG nicht zugrunde zu liegen.

B. Historische Entwicklung des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts und der Besteuerung von Aktiengesellschaften sowie Kapitaleinkommen aus Aktien im Privatvermögen Die Ursachen dafür, dass der Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien bisher gesetzlich nicht ganzheitlich erfasst worden ist, dürften in der unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklung von kapitalmarktnahem Gesellschaftsrecht einerseits und Steuerrecht andererseits, insbesondere der Besteuerung von Aktiengesellschaften und Kapitaleinkommen im Privatvermögen, zu suchen sein.

I. Entwicklung des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts Erste Formen einer Kapitalgesellschaft, die man als Vorläufer der heutigen Aktiengesellschaft ansehen kann, entstanden mit den niederländischen Handelskompanien im 17. Jahrhundert.11 Die elementaren Merkmale der heutigen Aktiengesellschaft gewannen erstmals 1807 mit dem französischen Code de Commerce an Kontur: die Aufteilung des Kapitals der Gesellschaft in nennwertidentische Aktien, die Haftungsbeschränkung zugunsten von Aktionären und Bevollmächtigten sowie 8 Kußmaul, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, S. 390 ff.; Schneeloch, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Bd. I, S. 119 ff. 9 Homburg, Allgemeine Steuerlehre, S. 113 ff. sowie 195 ff.; Reding/Müller, Einführung in die Allgemeine Steuerlehre, S. 308 f. u. S. 338 ff.; Cansier, Finanzwissenschaftliche Steuerlehre, S. 130 ff. 10 Vgl. mit beinahe identischen Einträgen o. V., in: Corsten/Gössinger, Lexikon der Betriebswirtschaftslehre; o. V., in: Dichtl/Issing, Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Bd. I. 11 Vgl. hierzu und zum Folgenden Assmann, in: GroßK AktG, Einl. Rn. 13 ff.

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

die Übertragung der Leitung der Gesellschaft auf Bevollmächtigte.12 Der Code de Commerce fand über seine Anwendung im Rheinbund zeitweise auch Anwendung im deutschen Rechtsraum und floss später – neben dem Preußischen Aktiengesetz – in das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 ein, das das Aktienrecht für alle deutschen Landesteile vereinheitlichte.13 Wesentlicher Motor der Entwicklung war auch der Wandel von einem ständischen zu einem bürgerlich-liberalen Staatsverständnis, welches unternehmerische Betätigungsfreiheit stärker einforderte.14 So wurde mit der ersten Aktienrechtsnovelle vom 11. 6. 1870 das vormals geltende Konzessionssystem aufgegeben und die Aktiengesellschaft für andere als Handelsgesellschaften geöffnet. Nach kleineren Novellen 1884 und 1931 wurde das Aktienrecht 1937 aus dem HGB herausgelöst und im neuen AktG normiert. Die Aktienrechtsreform von 1965 gab der Aktiengesellschaft schließlich ihre noch heute typische Grundprägung. Sie führte zu einer geschlossenen Kodifikation des Aktienkonzernrechts, die auch den Minderheitenschutz einbezog.15 Seitdem wurde das Aktienrecht in regelmäßiger Abfolge durch kleinere Gesetze angepasst, zuletzt durch zwei Gesetze aus dem Juli 200916 sowie die Aktienrechtsnovelle 2016.17 Grundsätzlich handelt es sich beim deutschen Aktienrecht seit jeher um Verbandsrecht, also Innenrecht der Aktiengesellschaft, während der Handel mit Aktien, der auf dem Sekundärmarkt stattfindet, durch das (noch relativ junge) Kapitalmarktrecht, insbesondere in Form des WpHG, geschützt wird.18 Gleichwohl haben die Anforderungen an einen effizienten, integren und liquiden Kapitalmarkt auch die Entwicklung des Aktienrechts nachhaltig beeinflusst und tun dies bis heute. Schon die Reform von 1937 brachte Neuerungen hinsichtlich Publizität und Rechnungslegung.19 Die Verbandsregeln trugen bereits damals auch dem Schutz des Anlegerpublikums und des Kapitalmarkts mittels Normativbestimmungen für die Aktiengesellschaft und die Rechtsstellung des Aktionärs zumindest indirekt Rechnung.20 Eine zunehmende Überlagerung des für börsennotierte Gesellschaften geltenden Aktienrechts durch das Kapitalmarktrecht wird zudem durch die Überschneidungen von Aktien- und Kapitalmarktrecht in gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien be12

Assmann, in: GroßK AktG, Einl. Rn. 30 f. Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, Einl. Rn. 2. 14 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 1 Rn. 42. 15 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 1 Rn. 44. 16 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30. 7. 2009, BGBl. I 2009, S. 2479 ff.; Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) v. 31. 7. 2009, BGBl. I 2009, S. 2509 ff. 17 Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes v. 22. 12. 2015, BGBl. I 2015, 2565 ff. 18 Nach Hirte/Heinrich, in: KK WpHG, Einl. Rn. 4, umfasst das Kapitalmarktrecht all diejenigen Rechtsmaterien, die die Märkte für Kapitalanlagen regeln und damit direkt oder indirekt zur Schaffung eines funktionierenden Kapitalmarktes beitragen. 19 Assmann, in: GroßK AktG, Einl Rn. 169. 20 Hopt, ZHR 141 (1977), 389 (390 ff.). 13

B. Historische Entwicklung des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts

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dingt,21 die in vielen Fällen Ursprung für nationale aktienrechtliche Reformen waren.22 Was die Bestimmung des Kapitalertrags aus börsennotierten Aktien betrifft, erhielt das Aktienrecht im Jahr 1994 einen wichtigen Impuls durch das UmwG. Umwandlungen waren zwar auch zuvor schon möglich, allerdings in einem deutlich eingeschränkteren Rahmen. Spaltungen, also Auf- und Abspaltungen, sowie Ausgliederungen wurden überhaupt erstmals durch das UmwG 199423 ermöglicht.24 Dadurch erhielten Aktiengesellschaften ganz neue Möglichkeiten, ihre Struktur zu ändern, etwa um einzelne Teile der Gesellschaft separat an die Börse zu bringen.25 Die durch das KonTraG26 im Jahr 1998 geschaffene Möglichkeit, durch schlichten Beschluss der Hauptversammlung (in begrenztem Umfang) eigene Aktien zurückzuerwerben (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG), erlaubt Aktiengesellschaften mittlerweile ein deutlich flexibilisiertes Eigenkapitalmanagement. So können Aktienrückkäufe etwa eine Alternative zur Dividendenausschüttung sein.27 Durch das TransPuG 200228 kam zudem die Möglichkeit hinzu, statt einer Bardividende eine Sachdividende auszuschütten, wodurch nun insbesondere Aktien von Tochtergesellschaften zur Ausschüttung kommen können.29 Die Schaffung des sogenannten Squeeze-out in den §§ 327a ff. AktG im selben Jahr30 hat zudem die Möglichkeit eröffnet, Minderheitsaktionäre in einem geregelten Verfahren aus der Gesellschaft auszuschließen. Dieser aktienrechtliche Squeeze-out wurde später durch einen übernahmerechtlichen und einen umwandlungsrechtlichen Squeeze-out weiter ergänzt.31

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Habersack, in: MüKo AktG, Einl. Rn. 181 f. Vgl. nur Richtlinie 89/592/EWG v. 13. 11. 1989, ABl. L 334 v. 18. 11. 1989, S. 30 (Insider-Richtlinie); Richtlinie 2003/6/EG v. 28. 1. 2003, ABl. L 96 v. 12. 4. 2003, S. 16 (Marktmissbrauchsrichtlinie); Richtlinie 2003/71/EG v. 4. 11. 2003, ABl. L 345 v. 31. 12. 2003, S. 64 (Prospektrichtlinie); Richtlinie 2004/109/EG v. 5. 12. 2004, ABl. L 390 v. 31. 12. 2004, S. 38 (Transparenzrichtlinie); diese Richtlinien sind alle auch Ausfluss des sogenannten Segré-Berichts aus dem Jahr 1966, der eine weitgehende Integration der europäischen Kapitalmärkte anstrebt, siehe EWG-Kommission, Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarkts, S. 12 u. 31. 23 Umwandlungsgesetz v. 28. 10. 1994, BGBl. I 1994, S. 3210 ff. 24 Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Einl. I Rn. 5 ff. 25 Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Einl. I Rn. 4. 26 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich v. 27. 4. 1998, BGBl. I 1998, S. 768 ff. 27 Oechsler, in: MüKo AktG, § 71 Rn. 8; siehe zu diesem Regelungskomplex im Detail auch unten 2. Teil, A.II.1.c). 28 Ergänzung des § 58 AktG um einen Absatz 5 durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) v. 19. 7. 2002, BGBl. I 2002, S. 2681 ff. 29 Näher dazu unten 2. Teil, A.II.1.b). sowie A.II.3.b). 30 Eingeführt durch das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG) v. 20. 12. 2001, BGBl. I 2001, S. 3822 ff. 31 Näher dazu unten 2. Teil, A.II.5.b). 22

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

Insgesamt regelt das Aktienrecht damit heute zwar immer noch vornehmlich Verbandsrecht, die konkrete Ausgestaltung des Verbands ist aber inzwischen in besonderem Maße durch die Anforderungen des Kapitalmarktes geprägt. Es ist zu einer deutlichen kapitalmarktorientierten ,Dynamisierung‘ des Aktienrechts gekommen, insbesondere für börsennotierte Gesellschaften.

II. Entwicklung der Besteuerung von Aktiengesellschaften sowie von Kapitaleinkommen aus Aktien im Privatvermögen Die für das gegenwärtige deutsche Steuerrecht relevanten Anfänge wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts begründet.32 Seit dieser Zeit lässt sich eine gewisse Kontinuität in der Besteuerung von Kapitalerträgen ausmachen. Im ersten33 deutschen Einkommensteuergesetz, dem „Reglement, das Kriegsschuldenwesen der Provinz Ostpreußen und Litthauen und der Stadt Königsberg insbesondere, betreffend“ vom 23. Februar 1808,34 sah § 22 i. V. m. §§ 27 ff. eine Besteuerung bestimmter Erträge des Kapitalvermögens, insbesondere von Dividenden, vor: „§. 22. Da alles Einkommen der Einwohner der Stadt Königsberg sich in Einkommen von Grundstücken, von Kapitalien, von Arbeitslohn, und Einkommen aus Wohlthätigkeit theilt, aber sich doch an eine dieser Arten des Einkommens vorzüglich anschließet; so kommt es auf Ausmittelung und Besteuerung dieser verschiedenen Gattungen des Einkommens an. §. 28. Die Dividenden der Aktien werden dem Einkommen von Kapitalien gleich geachtet, und nach gleichen Grundsätzen besteuert.“

Nach einer Zwischenphase, in der andere Länder des Deutschen Reiches ebenfalls Einkommensteuergesetze erließen, während Preußen selbst ab 1820 wieder zu einer Klassensteuer zurückkehrte, begann mit dem PreußEStG von 189135 die moderne deutsche Einkommensteuergesetzgebung. Mit diesem PreußEStG nimmt zugleich auch die Besteuerung von Kapitalgesellschaften ihren wesentlichen Anfang.36 Seit dieser Zeit stellt sich die Besteuerung von Kapitalerträgen aus (börsennotierten) 32 Die Ursprünge der Besteuerung von Kapitalerträgen allgemein reichen bis in die Antike zurück, siehe dazu Richter, Einkommensbesteuerung privater Finanzanlagen, S. 35. 33 Als solches bezeichnet von BVerfGE 84, 239 (240); Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 8 Rz. 5; Großfeld, Die Einkommensteuer, S. 29 f.; Richter, Einkommensbesteuerung privater Finanzanlagen, S. 38; a. A. hingegen Neumark, in: Schultz (Hrsg.), Mit dem Zehnten fing es an, S. 232 (233). 34 Sammlung der für die Königlichen Preußischen Staaten erschienenen Gesetze und Verordnungen von 1806 bis zum 27sten Oktober 1810, Berlin 1822, S. 193 ff. 35 PreußEStG v. 24. 6. 1891, Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1891, S. 175 ff. 36 Vgl. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, S. 558, auch mit dem Hinweis, dass schon das SächsEStG von 1874/1878 juristische Personen als steuerpflichtig einstufte.

B. Historische Entwicklung des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts

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Aktien stets als Zusammenspiel von einer Besteuerung auf Ebene der Aktiengesellschaft, insbesondere in Form der Körperschaftsteuer (die Gewerbesteuer wird im Folgenden vernachlässigt), und einer Besteuerung beim jeweiligen Aktionär, insbesondere im Form der Einkommensteuer, dar. Diese Zweigliedrigkeit ist Ausfluss der Trennung der beiden Vermögensebenen von Gesellschaft und Gesellschafter. Da der progressive Steuertarif damals allerdings sowohl für natürliche Personen als auch für Kapitalgesellschaften 4 % nicht überschritt, war die Gesamtbelastung für heutige Verhältnisse überaus moderat. Mit dem KStG von 192037 wurde die Besteuerung der Kapitalgesellschaften in einem eigenen Gesetz geregelt. Sie sah einen proportionalen Steuersatz in Höhe von 10 % vor, der sich für ausgeschüttete Gewinnanteile um bis zu weitere 10 % erhöhte, während gleichzeitig aber 3 % des Nennkapitals steuerfrei blieben.38 Ab dem Jahr 1922 betrug der Steuersatz auf einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne einheitlich 20 %. Er stieg in den Folgejahren, insbesondere während der Kriegsjahre, weiter an und erreichte 1951 mit 60 % seinen Höhepunkt. Parallel dazu blieb es bei einer vollumfänglichen Besteuerung von Gewinnausschüttungen, zum Teil auch von Veräußerungsgewinnen, im Rahmen der Einkommensteuer der Anteilseigner. Während das ReichsEStG 192039 einen weiten Einkommensbegriff zugrunde legte, der an die Reinvermögenszugangstheorie von v. Schanz40 angelehnt war und entsprechend neben Dividenden auch Aktienkursgewinne vollumfänglich erfasste (§ 5 ReichsEStG 1920),41 orientierte sich das ReichsEStG 192542 stärker an der sogenannten Quellentheorie.43 Nach diesem Ansatz sind im Privatvermögen nur die Früchte einer dauernden Quelle steuerbar, nicht dagegen die Quelle selbst (das Vermögen). Wertänderungen im Vermögen sind danach für die Einkommensteuer grundsätzlich bedeutungslos, auch wenn sie realisiert werden.44 Das bedeutete, dass Aktienkursgewinne nicht steuerbar waren, wobei jedoch für sogenannte Spekulationsgeschäfte eine – an sich systemwidrige – Ausnahme galt: Als Spekulationsgewinne galten Wertpapierveräußerungen, bei

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ReichsKStG v. 30. 3. 1920, RGBl. I 1920, S. 393 ff. Vgl. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, S. 559. 39 ReichsEStG 1920 v. 29. 3. 1920, RGBl. I 1920, S. 359 ff. 40 Schanz, FinArch 13 (1896), 1 ff. 41 Clausen, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Dok. Rn. 10, 242. Lfg. 2010; bereits 1921 wurde die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen jedoch wieder stark eingeschränkt (auf kurzfristige Spekulationsgewinne), da mangels Steuerehrlichkeit vor allem Verluste geltend gemacht wurden, vgl. Ball, DStZ 1921, 14 (14 f.). 42 ReichsEStG 1925 v. 10. 8. 1925, RGBl. I 1925, S. 189 ff. 43 Zurückgehend auf v. Miquel und Fuisting, die diese Theorie dem PreußEStG von 1891 zugrunde legten, siehe Fuisting, Die Grundzüge der Steuerlehre, S. 133 ff. 44 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, S. 190, Rn. 611; siehe auch Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 8 Rz. 50. 38

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung des Wertpapiers weniger als drei Monate betrug.45 Zusätzlich zur Einkommensteuer wurden seit 1920 Kapitalerträge zwischenzeitlich einer separaten Kapitalertragsteuer nach dem KapErtStG46 unterworfen. Erfasst waren unter anderem Dividenden, nicht jedoch Kursgewinne.47 Die Steuer wurde in Form einer Quellensteuer in einer Höhe von 10 % des Kapitalertrages bereits vor der Veranlagung im Rahmen der Einkommensteuer erhoben48 und sollte der Deckung der Kriegsschulden dienen. Man erachtete es aus Billigkeitsgründen als angemessen, Einkommen, das aus dem Besitz von Vermögen herrührt – sogenanntes „fundiertes“ Einkommen –, noch einmal zusätzlich zu belasten.49 Seit dieser Zeit beruht die Besteuerung von Zuflüssen aus (börsennotierten) Aktien bei Aktionären, solange sie im Privatvermögen gehalten werden,50 auf der Quellentheorie. Auch die heutige Struktur des § 20 EStG mit seiner Aufzählung einzelner steuerbarer Kapitalerträge geht schon auf das EStG 1934 zurück. Anpassungen erfolgten nur punktuell: So wurde der Wandel der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln von der Doppelmaßnahme zur Einheitstheorie durch das Kapitalerhöhungssteuergesetz (KapErhStG)51 auch steuerlich vollzogen.52 Auch die Novellierung des UmwG 199453 wurde durch das UmwStG 199554 begleitet, sodass die entsprechenden Umstrukturierungen auch für die Anteilseigner steuerneutral durchgeführt werden konnten.55 Die Einführung der Sachdividende, die Ausweitung der Möglichkeiten des Aktienrückkaufs und auch die Schaffung des Squeeze-out wurden dagegen nicht durch Anpassungen des EStG begleitet, obwohl dies teilweise durchaus angemahnt wurde.56 Auch der faktische Wechsel zur Reinvermögenszugangstheorie für Kapitaleinkünfte, der durch Einführung der Abgeltungsteuer als Teil des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 (UntStRefG)57 vorgenommen wurde, hat nicht zu einer 45 § 42 Abs. 1 Nr. 1 lit. b EStG 1925; gleichzeitig wurde die Verlustberücksichtigung bereits auf im gleichen Steuerabschnitt erzielte Veräußerungsgewinne beschränkt, vgl. § 42 Abs. 3 EStG 1925. 46 Kapitalertragsteuergesetz v. 29. 3. 1920, RGBl. I 1920, S. 345 ff. 47 Rohde, Kapitalertragsteuergesetz 1920, S. 58. 48 § 6 Abs. 1 KapErtStG 1920. 49 Rohde, Kapitalertragsteuergesetz 1920, S. 11. 50 Von der Fiktion des § 17 EStG abgesehen. 51 KapErhStG v. 10. 10. 1967, BGBl. I 1967, S. 977. 52 Dazu im Einzelnen Hirte, in: GroßK AktG, § 207 Rn. 1 ff. 53 Umwandlungsgesetz v. 28. 10. 1994, BGBl. I 1994, S. 3210 ff. 54 Umwandlungssteuergesetz v. 28. 10. 1994, BGBl. I 1994, S. 3267 ff. 55 Dazu Schumacher, in: Lutter, UmwG, Einl. II Rn. 1 ff. 56 So etwa bei Einführung der Sachdividende, siehe nur den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 14/9079, S. 17; ferner Seibert, NZG 2002, 608 (609). 57 UntStRefG v. 14. 8. 2007, BGBl. I 2007, S. 1912 ff.

B. Historische Entwicklung des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts

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wirklichen Neuausrichtung des § 20 EStG geführt. Stattdessen werden Kursgewinne nun durch eine Neufassung des § 20 Abs. 2 EStG vollumfänglich in die Besteuerung beim Aktionär einbezogen. Kapitalerträge aus (börsennotierten) Aktien werden daher – trotz eines grundsätzlichen Wandels in der Dogmatik – weiterhin nach dem Muster der Quellentheorie durch Einzeltatbestände erfasst. Gewandelt hat sich allerdings die Auffassung zur Angemessenheit der wirtschaftlichen Doppelbelastung der Unternehmensgewinne mit Körperschaftsteuer auf Ebene der Gesellschaft und Einkommensteuer auf Ebene der Gesellschafter. Obwohl diese Problematik von Anfang an erkannt wurde,58 erachtete man die besondere Besteuerung der Körperschaften vor allem mit Blick auf deren wirtschaftliche Vorteile als gerechtfertigt.59 Dies änderte sich erst mit dem KStG 197760 grundlegend, welches erstmals ein Vollanrechnungsverfahren vorsah. Danach wurde der Einkommensteuerhöchstsatz von 56 % zwar grundsätzlich auf die Besteuerung der Unternehmensgewinne übernommen, doch konnte sich der (inländische) Anteilseigner im Falle einer Ausschüttung die bereits abgeführte Körperschaftsteuer im Rahmen seiner auf die theoretische Bruttodividende zu zahlenden Einkommensteuer voll anrechnen lassen. Eine Doppelbelastung wurde dadurch effektiv vollständig vermieden.61 Nach vereinzelten Anpassungen dieses Systems und einem Wechsel zum sogenannten Halbeinkünfteverfahren zwischen 2001 und 2008, werden Unternehmensgewinne gegenwärtig, vereinfacht gesagt, stets mit 15 % Körperschaftsteuer und im Falle einer Ausschüttung darüber hinaus im Rahmen der Abgeltungsteuer mit 25 % Einkommensteuer belastet. Zudem werden Veräußerungsgewinne, wie bereits zuvor erwähnt, von der Abgeltungsteuer ebenfalls in Höhe von 25 % erfasst. Demgegenüber erfolgt die Besteuerung unternehmerischer Einkünfte (insbesondere aus Gewerbebetrieb) seit jeher nach der Reinvermögenszugangstheorie. Diese Zweigleisigkeit des Besteuerungsansatzes, die in § 2 Abs. 2 EStG angelegt ist, wird als Dualismus der Einkünfteermittlung bezeichnet.62 Für die Zwecke dieser Arbeit spielt dieser Dualismus grundsätzlich keine Rolle. Denn hier soll unabhängig vom Dualismus der Einkünfteermittlung und den unterschiedlichen dahinter stehenden Einkünftebegriffen der Steuergegenstand des Kapitalertrags als solcher untersucht werden. Die Konsequenzen des Dualismus scheinen jedoch bei der Darstellung der unterschiedlichen Besteuerung von Aktiengesellschaft und Aktionär durch.63

58 59 60 61 62 63

Vgl. z. B. Fuisting, Die Grundzüge der Steuerlehre, S. 187 ff. Siehe dazu näher Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, S. 559 f. Körperschaftsteuerreformgesetz v. 31. 8. 1976, BGBl. I 1976, S. 2597 ff. Vgl. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, S. 563 f. Siehe dazu Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 8 Rn. 181 ff. Siehe dazu unten 4. Teil, Kap. B.I.

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

III. Vergleich der Entwicklungen Während das kapitalmarktnahe Aktienrecht in hohem Maße an Komplexität gewonnen hat, verharrt das Steuerrecht noch immer in seinen Grundstrukturen von 1925 bzw. 1934, als das Verhältnis zwischen Aktionär, Aktiengesellschaft und Aktienmarkt deutlich anders war als heute. Es greift insbesondere im Rahmen der Einkommensteuer einzelne Geldzuflüsse beim Aktionär für einen Steuerzugriff heraus, ohne die vielfältigen Wertzuwachs- und -minderungseffekte des Aktienmarktes und die Interdependenzen zwischen der Vermögensebene des Aktionärs und der Aktiengesellschaft – vermittelt durch die Aktie – präzise widerzuspiegeln. Die beachtliche Öffnung des Gesellschaftsrechts für „kapitalmarktrechtliches Denken“64 ging also nicht mit einer entsprechenden Entwicklung der Besteuerung von Aktiengesellschaft und Aktionär einher. Ob und gegebenenfalls in welcher Hinsicht die gegenwärtige Steuerlage im Detail unzureichend ist, wird noch im Verlauf der Arbeit zu untersuchen sein. An dieser Stelle sei aber bereits angemerkt, dass der Gesetzgeber etwa die (auch steuerrechtlich relevante) wirtschaftliche Bedeutung von Aktienrückkäufen durch die Gesellschaft wahrscheinlich gar nicht erkannt hat. Anders lässt sich nicht erklären, dass bis zur Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009 derartige Gewinnausschüttungen steuerlich nicht erfasst wurden. Aber auch die jüngst erfolgte vollständige Einbeziehung von Kursgewinnen in die Besteuerung erscheint schon auf den ersten Blick zu undifferenziert geraten, da ohne Rücksicht auf die Wechselwirkungen des Aktienmarktes nur ein einzelner Tatbestand – § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG – ergänzt wurde. Ob so die wirtschaftliche Komplexität des Aktienhandels steuerrechtlich hinreichend abgebildet wird, ist fraglich. Insgesamt entsteht damit der Eindruck, dass die Anpassung des Steuerrechts nach wie vor hinter der Entwicklung des kapitalmarktnahen Gesellschaftsrechts zurückbleibt. Daher besteht Anlass, die Frage, was als Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien zu betrachten und zu besteuern ist, grundlegend aufzuwerfen und einer ganzheitlichen Lösung zuzuführen.

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit Die Antwort auf die Frage, was als Kapitalertrag zu betrachten und zu besteuern ist, hängt maßgeblich davon ab, welcher methodische Ausgangspunkt eingenommen wird.

64

Habersack, in: MüKo AktG, Einl. Rn. 183.

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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I. Steuerrecht und ökonomische Effizienz Im Steuerrecht haben wirtschaftliche Zusammenhänge eine besondere Bedeutung. Steuerrecht ist gewissermaßen ökonomisches Recht, dessen Logik insbesondere auf ökonomischen Sachgesetzlichkeiten beruht.65 Daher bedarf es zur Klärung des methodischen Ausgangspunktes zunächst einer Abgrenzung zwischen Rechtsund Wirtschaftswissenschaften. Das heißt, es geht um die Frage, in welchem Maße die Ausgestaltung des Steuerrechts wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen und Kriterien Raum geben sollte. Über diese Frage wird seit Langem diskutiert,66 und sie kann noch nicht als geklärt betrachtet werden. 1. Steuerrecht aus juristischer Sicht Die Rechtswissenschaft erschließt das Steuerrecht in erster Linie aus der Werteordnung des Grundgesetzes. Schon früh hat das BVerfG festgestellt, dass „kein Zweifel daran [besteht], daß der Gesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit gebunden ist, der sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt“.67 Das Basisprinzip des Steuerrechts ist das Leistungsfähigkeitsprinzip, nach dem die individuelle Steuerbelastung nach der Fähigkeit zu beurteilen ist, Steuerleistungen aus dem Einkommen im Verhältnis zum Einkommen aufbringen zu können.68 Wie das Leistungsfähigkeitsprinzip und andere Verfassungsvorgaben zu konkretisieren sind, ist im Einzelnen freilich umstritten.69 Ausgangspunkt bleibe aber stets das Grundgesetz, denn Steuerrecht sei letztlich konkretisiertes Verfassungsrecht.70 2. Steuerrecht aus ökonomischer Sicht Die Wirtschaftswissenschaft – soweit sie einen normativen Ansatz verfolgt – will das Steuerrecht dagegen insbesondere an der Allokationseffizienz bzw. Entscheidungsneutralität der Besteuerung ausrichten.71 Damit beziehen sich die Fi65

Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 1 Rz. 15. Siehe etwa den Tagungsband Raiser/Sauermann/Schneider (Hrsg.), Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, 1964, darin speziell zum Steuerrecht Loitlsberger, Die Zusammenarbeit zwischen Betriebswirtschaftslehre und Recht. Dargestellt am Beispiel der Entwicklung des steuerrechtlichen und betriebswirtschaftlichen Gewinnbegriffs, S. 154 ff. 67 BVerfGE 6, 55 (70). 68 Kirchhof, StuW 1996, 3 (6). 69 Dazu sogleich unten 1. Teil, C.II.2. 70 Vogel, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1972/1973, S. 115 (115), mit Verweis auf den Ausspruch des früheren Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Fritz Werner: „Verwaltungsrecht ist konkretisiertes Verfassungsrecht.“ 71 Die Finanzwissenschaftliche Steuerlehre befasst sich zudem mit der Wahl zwischen Arbeitszeit und Freizeit, auch als ,Theorie der optimalen Besteuerung‘ bezeichnet, siehe dazu Elschen/Hüchtebrock, FinArch 41 (1983), 253 (258 f.). 66

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

nanzwissenschaftliche (Allokationseffizienz) bzw. Betriebswirtschaftliche (Entscheidungsneutralität) Steuerlehre auf die Überlegung, dass die volkswirtschaftlich effiziente Güterzuordnung (Allokationseffizienz) bzw. einzelwirtschaftliche unternehmerische Entscheidungen (Entscheidungsneutralität) nicht durch das Steuersystem verzerrt werden sollten.72 Diesen Ansatz verfolgt auch die vor allem aus dem Zivilrecht bekannte73 Ökonomische Analyse des Rechts, die in jüngerer Zeit auch im Öffentlichen Recht und Steuerrecht vermehrt angewendet wird74. Der Finanzwissenschaftlichen und Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre ist gemeinsam, dass sie die Wirkungen von Steuern im Hinblick auf Ersparnisbildung, Real- und Finanzinvestitionen, Eigen- und Fremdfinanzierung sowie auf Thesaurierung und Ausschüttung betrachten, das eine Mal makroökonomisch, das andere Mal mikroökonomisch.75 Ob daraus auch folgt, dass mikroökonomische Entscheidungsneutralität immer auch zu makroökonomischer Allokationseffizienz führt, ist umstritten,76 kann hier aber dahinstehen. Jedenfalls im Hinblick auf die Besteuerung von Kapitalerträgen aus börsennotierten Aktien, bei der aus ökonomischer Sicht insbesondere die Finanzierungsund Investitionsneutralität im Vordergrund steht, dürften sich Entscheidungsneutralität und Allokationseffizienz nämlich decken.77 Denn werden etwa thesaurierte Gewinne der Aktiengesellschaft gegenüber einer „Schütt-aus-hol-zurück“-Politik steuerlich begünstigt, ist dies nicht nur nicht entscheidungsneutral, sondern auch allokationsineffizient, da die gerade bei börsennotierten Aktiengesellschaften so wichtige Lenkungs- und Kontrollfunktion des Kapitalmarktes geschwächt wird.78

72 Elschen, StuW 1991, 99 (100); Herzig/Watrin, StuW 2000, 378 (379 f.); Seer, in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, § 1 Rz. 18; Stiglitz/Schönfelder, Finanzwissenschaft, S. 408; Wagner, FinArch 44 (1986), 32 (37 f.); a. A. allerdings Musgrave/Musgrave/Kullmer, Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. 2, S. 9, die die Gerechtigkeit an erster Stelle sehen; zweifelnd an der Sinnhaftigkeit einer Ausrichtung des Steuersystems am Kriterium der Entscheidungsneutralität auch Schmiel, ZfB 2009, 1193 ff. 73 Siehe für die deutschsprachige Literatur insbesondere Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, sowie Adams, Ökonomische Theorie des Rechts. 74 van Aaken, in: van Aaken/Schmid-Lübbert (Hrsg.), Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, S. 89 (93); siehe auch den Tagungsband Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung. 75 Elschen/Hüchtebrock, FinArch 41 (1983), 253 (253); König/Wosnitza, Betriebswirtschaftliche Steuerplanungs- und Steuerwirkungslehre, S. 142 ff.; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 1 Rz. 20; Wagner, in: FS Lang, S. 345 (350). 76 Zu dieser Frage Elschen, StuW 1991, 99 (107 f.). 77 Wagner, FinArch 44 (1986), 32 (42). 78 Aufgrund von Prinzipal-Agenten-Problemen, vgl. Herzig/Watrin, StuW 2000, 378 (386); Wagner, FinArch 44 (1986), 32 (44).

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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3. Auflösung der Konkurrenz von Rechts- und Wirtschaftswissenschaft a) Prävalenz der Rechtswissenschaft Wirtschaftswissenschaftler reklamieren bisweilen für sich, die Erfassung von Kapitaleinkommen sei die „ureigene Domäne der Ökonomie“79, da aus dem (juristischen) Leistungsfähigkeitsprinzip keine hinreichenden Aussagen abgeleitet werden könnten.80 Wenn vonseiten der Wirtschaftswissenschaft ein solcher normativer Anspruch hinsichtlich der Gestaltung des Steuerrechts erhoben wird, ist sie in erster Linie mit der Frage nach ihrem Geltungsgrund zu konfrontieren.81 Da verfassungsrechtliche Wertungen zwingend auch im Steuerrecht zu beachten sind,82 können ökonomische Wertungen nur dann zur Geltung kommen, wenn diese in der Verfassung angelegt sind.83 Söhn hat diese Grundbedingung dahingehend beschrieben, dass es „den Ökonomen […] selbstverständlich […] unbenommen [ist], einen Sachverhalt ökonomisch zu werten. Für die rechtliche Beurteilung sind indessen bindende verfassungsrechtliche Vorgaben maßgebend; und daran ist auch jede ökonomische Betrachtung gebunden, wenn sie verfassungsrechtlich zulässige Betrachtung sein will. […] Was ökonomisch sinnvoll und logisch möglich ist, mag ökonomisch eine (mögliche) Lösung sein. Keine Alternative kann sich jedoch über zwingende verfassungsrechtliche Vorgaben hinwegsetzen, wenn sie verfassungsrechtlich zulässig in die (Besteuerungs-)Praxis umgesetzt werden soll.“84

Das Effizienzkriterium ist in der Verfassung nun aber eben nicht verankert. Es findet sich weder in der Werteordnung der Grundrechte noch in einer expliziten verfassungsrechtlichen Bestimmung.85 Ein normativer ökonomischer Ansatz, welche Prägung er im Detail auch haben mag, muss im Steuerrecht daher zumindest dort ausscheiden, wo verfassungsrechtlich verankerte Rechtsprinzipien eine vorrangige Geltung für die Steuergesetzgebung reklamieren.86 Lediglich in Regelungsberei-

79

Wagner, in: FS Lang, S. 345 (350). Zöllner, Die Zinsbereinigte Gewinnsteuer (ZGS), S. 10. 81 Ismer, in: van Aaken/Schmid-Lübbert (Hrsg.), Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, S. 69 (72 u. 81). 82 Siehe nur Vogel, Verfassungsrechtsprechung zum Steuerrecht, S. 5. 83 Ismer, in: van Aaken/Schmid-Lübbert (Hrsg.), Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, S. 69 (82); Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 793; Vogel, StuW 1999, 201 (205). 84 Söhn, in: FS Klein, S. 421 (425). 85 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 445. 86 Fehling, in: Bucerius Law School (Hrsg.), Begegnungen im Recht, S. 39 (46). 80

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

chen, in denen solche Verfassungsprinzipien keinen absoluten Vorrang haben, kann der Gesetzgeber auf Effizienzgesichtspunkte zurückgreifen.87 Insofern sind die Betriebswirtschaftliche und Finanzwissenschaftliche Steuerlehre zwar im Hinblick auf ihre ökonomischen Erkenntnisse interessant, für die Entwicklung steuerrechtlicher Maßstäbe aber nicht aus sich heraus hinreichend begründet. Das Steuerrecht ist daher aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben heraus zu entwickeln, anstatt im Nachhinein die Verfassungsmäßigkeit ökonomischer Reformvorschläge zu prüfen. b) Schnittmengen Allerdings spricht nichts gegen eine selektive Rezeption ökonomischer Erkenntnisse, welche die Rechtswissenschaft nach ihren eigenen Kriterien steuert.88 Raum für den normativen Anspruch der wirtschaftswissenschaftlichen Steuerlehren eröffnet sich dort, wo sich entweder ihre Ergebnisse mit den juristischen Maximen decken oder die juristischen Maximen verschiedene Besteuerungswege eröffnen. Dann kann und sollte durchaus auf entsprechende ökonomische Erkenntnisse zurückgegriffen werden. Und eine Identität von juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Postulaten ist durchaus denkbar: So wird eine gleichmäßige Besteuerung zumindest in einigen Fällen auch eine entscheidungsneutrale sein.89 Darüber hinaus kommt der Wirtschaftswissenschaft aber vor allem als positiver Wissenschaft (im Gegensatz zur normativen Wissenschaft) eine wichtige Rolle im Steuerrecht zu. Eine Wirtschaftswissenschaft, die das Primat des Rechts nicht infrage stellt, sondern ökonomische Phänomene erklärt und empirische Daten bereitstellt, sollte durchaus in die Steuerrechtswissenschaft einbezogen werden. Will der Gesetzgeber Sachverhalte regeln, in denen es auf die ,richtige‘ ökonomische Bestimmung eines Tatbestandes ankommt, sollte die Wirtschaftswissenschaft für die Rechtswissenschaft fruchtbar gemacht werden.90 Sie kann der normativ arbeitenden (Steuer-) Rechtswissenschaft dann zur „Vergewisserung über die tatsächlichen Umstände ihres Arbeitsfeldes“91 dienen und der bisweilen anzutreffenden wirtschaftlichen „Naivität“ des Rechts ein Gegengewicht geben, ohne in die „verfas87

recht. 88

Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 447 f., allerdings mit Bezug auf das Zivil-

Morlok, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 1 (25); ähnlich auch Fehling, der das analytische Potential der Ökonomik zur Aufdeckung von Grundfragen nutzen will, siehe Fehling, in: Bucerius Law School (Hrsg.), Begegnungen im Recht, S. 39 (66). 89 Dazu unten 4. Teil, C.IV.1. 90 Ismer, in: van Aaken/Schmid-Lübbert (Hrsg.), Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht, S. 69 (72 ff.). 91 Morlok, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 1 (2).

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

37

sungsrechtliche Falle“ zu treten.92 Es geht somit um eine begrenzte Einbindung ökonomischer Erkenntnisse in die Rechtswissenschaft.93 Denn – so hat es Mestmäcker einmal treffend formuliert – die Explikation der in juristische Entscheidungen eingehenden Werturteile über wirtschaftliche Sachverhalte bedürfe der Heranziehung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnismethoden. Mit Blick auf das Aktienrecht führt er aus, die „wirtschaftliche Substanz“ der Mitgliedschaftsrechte sowie die Auswirkungen von Veränderungen des Vermögens der Gesellschaft auf den Anteilseigner könnten nur mithilfe der Wirtschaftswissenschaft hinreichend ermittelt werden.94 Allerdings könne diese Eigengesetzlichkeit der zu regelnden wirtschaftlichen Sachverhalte die möglichen rechtlichen Lösungen lediglich begrenzen, nicht hingegen determinieren.95 Eine Rezeption ist somit möglich und nötig, aber eben nur innerhalb des verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens.96

II. Verfassungsrechtlicher Rahmen Diesen verfassungsrechtlichen Rahmen für die Besteuerung gilt es nun herauszuarbeiten, um ihn anschließend – unter Zuhilfenahme wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse – zu konkretisieren. Die Bedeutung des Verfassungsrechts für das Steuerrecht wird seit etwa 1970 zunehmend betont.97 Ausgehend von Bestrebungen in der Rechtswissenschaft, das Steuerrecht durch verfassungsrechtlich abgesicherte Prinzipien zu erschließen und damit rationaler zu machen, wurde mit der Zeit eine umfassende Steuerrechtsdogmatik entwickelt.98 Dieser hat sich mittlerweile – zumindest teilweise – auch das 92 Morlok, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 1 (5). 93 So auch schon Nußbaum, Die Rechtstatsachenforschung, 1914, S. 6. 94 Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz, S. 457. 95 Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz, S. 455. 96 Die Rechtswissenschaft sollte im Übrigen nicht übersehen, dass sich (ebenso wie juristische) auch ökonomische Überzeugungen durchaus im Laufe der Zeit ändern können. „Ein Ökonom, der die Weisheit des Gesetzes bezweifelt, [greift] daher in Wahrheit die Lehren seiner Väter an“, so Schön, in: Kirchhof/Neumann (Hrsg.), Freiheit, Gleichheit, Effizienz, S. 121 (123). 97 Vogel datiert den Beginn der neuen deutschen Steuerrechtswissenschaft auf das Jahr 1961, als Tipke und Kruse in erster Auflage einen Kommentar zur Reichsabgabenordnung veröffentlichten, siehe Vogel, JZ 1993, 1121 (1122 Fn. 15). 98 Zu nennen ist hier insbesondere die Kölner Steuerrechtsschule unter Klaus Tipke und seinen Schülern, die diese Entwicklung von verfassungsrechtlich geprägten Systematisierungsbestrebungen und Gerechtigkeitskonkretisierungen des Steuerrechts beharrlich verfolgt haben, siehe nur Tipke, Steuerrechtsordnung, 3 Bd., 1. Aufl. 1993, 2. Aufl. 2000 – 2012; daneben hat aber auch Klaus Vogel, neben Tipke der prägende im Öffentlichen Recht verhaftete Steuerrechtslehrer der frühen Nachkriegszeit, auf die Bedeutung der Verfassung für die

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

BVerfG angeschlossen, während es in seiner frühen Judikatur zunächst eine starke Zurückhaltung bei der Entfaltung des Verfassungsrechts im Steuerrecht übte. Es hat sich eher behutsam an die Gewinnung verfassungsrechtlicher Aussagen für das materielle Steuerrecht herangetastet.99 Erst nach und nach wurde die Steuerrechtswissenschaft also auch in der Verfassungsrechtsprechung zur „Steuergerechtigkeitswissenschaft“ 100. Die hier relevanten Leitlinien einer verfassungskonformen Besteuerung werden in erster Linie dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) entnommen. Zudem wirkt sich der in Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG niedergelegte Wirtschaftlichkeitsgrundsatz auf das Steuerrecht aus. 1. Steuergegenstand und Steuerbemessungsgrundlage Dogmatisch ist im Hinblick auf die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zwischen dem Steuergegenstand und der Steuerbemessungsgrundlage zu unterscheiden.101 Der Steuergegenstand gibt an, was steuerpflichtig ist.102 Er spiegelt den wirtschaftlichen Belastungsgrund wider.103 In der Regel werden als Steuergegenstände das Einkommen, das Vermögen und der Konsum bezeichnet. Damit wird aber zunächst nur eine Abstraktion der Einzelsteuergegenstände des Einkommens, des Vermögens und des Konsums ausgedrückt. Steuergegenstände sind daher auch die einzelnen Bestandteile des Gesamtsteuergegenstandes ,Einkommen‘, also beispielsweise der (Einzel-)Steuergegenstand ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘.

Steuerordnung immer wieder hingewiesen, vgl. nur Vogel, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1972/1973, S. 115 ff., sowie Vogel, DStJG 12 (1989), 123 ff.; siehe zur Bedeutung Vogels als Gegenpol zur Kölner Schule den Aufsatz „Die ,andere Seite‘ des Steuerverfassungsrechts“ von Waldhoff, in: Schön/Beck (Hrsg.), Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 125 (149 f.). 99 Birk, DStR 2009, 877 (878); Schenke, in: FS Wahl, S. 803 (806); zu den ,drei Phasen‘ der Rechtsprechung des BVerfG in Steuersachen siehe Vogel, Verfassungsrechtsprechung zum Steuerrecht, S. 6 ff. 100 So der Titel eines Aufsatzes von Vogel, JZ 1993, 1121 ff.; siehe auch Vogel, DStZ 1975, 409 ff. 101 Während der Begriff des ,Steuergegenstandes‘ nicht einheitlich verwendet wird, siehe oben Einleitung, Fn. 3, besteht hinsichtlich der Verwendung des Begriffs der ,Steuerbemessungsgrundlage‘ Einigkeit. 102 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, S. 31, Rn. 102. 103 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 266.

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

39

Die Steuerbemessungsgrundlage dagegen fasst und umgrenzt den Steuergegenstand tatbestandlich, wodurch er in eine zählbare Größe überführt wird.104 Sie ist der in Normen quantifizierte Steuergegenstand,105 der „Spiegel des Steuergegenstandes in Zahlen“106. Die Bemessungsgrundlage betrifft also die Frage, wie der Steuergegenstand konkret besteuert wird. Aus der Bemessungsgrundlage und dem Steuersatz lässt sich schließlich die konkrete Steuerschuld ermitteln. Die Frage, was als Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien zu betrachten ist, muss somit von der konkreten Besteuerung getrennt werden. Die für das Steuerrecht relevanten Verfassungsnormen wirken sich in ihren Einzelgeboten teilweise auf die Bestimmung des Steuergegenstandes, teilweise auf die Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage und teilweise auch auf beide Ebenen aus. 2. Verfassungsvorgaben für die Konkretisierung des Steuergegenstandes ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ a) Folgerichtige Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit Die beiden zentralen Leitgedanken für die Gerechtigkeit einer Steuer sind das Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit107 sowie das Gebot der Folgerichtigkeit der Besteuerung. Zum Teil wird auch von der folgerichtigen Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit gesprochen. Beide Prinzipien werden dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG entnommen. (1) Rechtsprechung des BVerfG Das BVerfG hat zunächst – stückweise108 – das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit entwickelt, das es in nunmehr ständiger Rechtsprechung109 anwendet. Steuerpflichtige seien bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu be104

Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 266. Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 6 Rz. 40. 106 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 267. 107 Zum Teil wird der Begriff der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verwendet, so etwa von Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rz. 121, zum Teil der Begriff der finanziellen Leistungsfähigkeit, so etwa von Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 183, sowie vom BVerfG, siehe etwa BVerfGE 126, 268 (278); beide Begriffe bezeichnen jedoch denselben Maßstab; im Folgenden wird einheitlich der Begriff der finanziellen Leistungsfähigkeit verwendet. 108 Das BVerfG stellte zunächst fest, „dass der Gesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit gebunden ist, der sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt“ (BVerfGE 6, 55 (70)); wenig später führte es aus, „dass das moderne Einkommensteuerrecht […] auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen angelegt ist“ (BVerfGE 9, 237 (243)); und schließlich entwickelte es das grundsätzliche „Gebot der Steuergerechtigkeit, dass die Besteuerung nach der (wirtschaftlichen) Leistungsfähigkeit ausgerichtet wird“ (BVerfGE 43, 108 (120)). 109 BVerfGE 123, 111 (120); 120, 1 (44 f.); 117, 1 (30); 82, 60 (86 f.); 61, 319 (343 f.). 105

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

steuern. Später hat es daneben das Gebot der Folgerichtigkeit der Steuerordnung gestellt.110 Beide Maßstäbe leitet es aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG ab. Mittlerweile führt das BVerfG das Leistungsfähigkeitsprinzip und das Folgerichtigkeitsgebot gemeinsam an, um den Maßstab der gleichheitsrechtlichen verfassungsrechtlichen Prüfung von Steuernormen zu verdeutlichen.111 Der Gesetzgeber habe danach zwar grundsätzlich einen weiten Bereich bei der Auswahl der Steuergegenstände, die sich daran anknüpfende Ausgestaltung müsse sich aber am Prinzip der Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit orientieren.112 Im Hinblick auf das Folgerichtigkeitsgebot sei nicht die Konsistenz oder Inkonsistenz der Gesetzessystematik relevant, sondern ausschließlich das Ergebnis einer bestimmten Regelung für die durch sie Betroffenen.113 Es geht also um Belastungsgleichheit innerhalb eines Steuergegenstandes, die durch eine folgerichtige Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes zu gewährleisten sei.114 Das BVerfG ergänzte später, Ausnahmen bedürften eines besonderen sachlichen Grundes.115 Als solche kämen in erster Linie außergesetzliche Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse in Be110 Ständige Rechtsprechung, BVerfGE 123, 111 (120); 105, 17 (47 f.); 99, 88 (95); 93, 121 (136), erstmals in BVerfGE 84, 239 (271); siehe zu ersten Bezügen des BVerfG zur Folgerichtigkeit auch Thiemann, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 179 (183 Fn. 12), sowie allgemein zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG zur Folgerichtigkeit Schwarz, in: FS Isensee, S. 949 (958 ff.). 111 Ständige Rechtsprechung, BVerfGE 123, 111 (120); 110, 412 (433); 107, 27 (46), erstmals in BVerfGE 105, 73 (125). 112 „Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen angemessen sein muss. Zwar hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstands und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum, jedoch muss er unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung aller Steuerpflichtigen bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen.“, BVerfGE 122, 210 (230 f.); 107, 27 (46 f.). 113 So Schwarz, in: FS Isensee, S. 949 (957) mit Bezug auf BVerfGE 83, 395 (402). 114 BVerfGE 122, 210 (231); 117, 1 (31); 107, 27 (47); undeutlicher noch BVerfGE 99, 88 (95). 115 Erstmals, einschränkend auf eine Durchbrechung des Gebots der Gleichbehandlung der Einkunftsarten, BVerfGE 99, 88 (95); allgemein für jede Durchbrechung des Folgerichtigkeitsgebots BVerfGE 105, 73 (126); vgl. auch Thiemann, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 179 (184).

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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tracht.116 Letztere hätten aber im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung zu stehen.117 Explizit nicht erfasst würden dagegen rein fiskalische Zwecke.118 Sparmaßnahmen des Staates müssten grundsätzlich gleichheitsgerecht ausgestaltet werden.119 Diese Maßgaben gälten insbesondere im Einkommensteuerrecht.120 Dort müsse darauf abgezielt werden, dass einerseits Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert würden, andererseits die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich zu der Besteuerung niedrigerer Einkommen angemessen sei.121 Zudem fänden sowohl das Leistungsfähigkeitsprinzip als auch das Folgerichtigkeitsgebot grundsätzlich umso strengere Anwendung, je mehr der Einzelne als Person betroffen sei; umgekehrt habe der Gesetzgeber umso mehr Gestaltungsspielraum, als allgemeine Lebensverhältnisse geregelt würden.122 Konkret hat das BVerfG aus dem Folgerichtigkeitsgebot – unter Zugrundelegung des vom Gesetzgeber als Grundentscheidung gewählten objektiven Nettoprinzips – etwa abgeleitet, dass ein vollständiger Ausschluss der interperiodischen Verlustverrechnung innerhalb einer Einkunftsart verfassungswidrig sei, sofern keine besonderen Sachgründe dafür vorlägen.123 Ebenso bedürfe eine Ungleichbehandlung im Tarifverlauf verschiedener Einkunftsarten einer besonderen Rechtfertigung, wenn die Einkünfte nach der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentierten.124 (2) Meinungsstand in der Literatur Ebenso wie das BVerfG betrachtet auch das Schrifttum Art. 3 Abs. 1 GG als die wichtigste grundrechtliche Wertungsnorm für das Steuerrecht.125 (a) Leistungsfähigkeitsprinzip Das Leistungsfähigkeitsprinzip wird in der (juristischen) Literatur mittlerweile einhellig anerkannt.126 Dazu hat beigetragen, dass es in seinem Kern bereits auf die 116

BVerfGE 126, 268 (278); 122, 210 (231); 116, 164 (182 f.). BVerfGE 125, 1 (37); 120, 1 (30); 117, 1 (31). 118 BVerfGE 126, 268 (278); 122, 210 (231); 116, 164 (182 f.). 119 BVerfGE 122, 210 (233). 120 BVerfGE 107, 27 (46); 105, 73 (126); 82, 60 (86). 121 BVerfGE 123, 111 (120). 122 BVerfGE 96, 1 (6). 123 BVerfG, Beschluss vom 30. 9. 1998, 2 BvR 1818/91, DStR 1998, 1743 (1745). 124 BVerfGE 116, 164 (181). 125 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rz. 110; Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, § 2 Rn. 8 f. 126 Umfassend Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, sowie Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer; siehe ferner Hey, in: Tipke/Lang, 117

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

Weimarer Reichsverfassung zurückgeht127 und daher auf eine gewisse Rechtstradition zurückblicken kann. Teilweise wird seine Fruchtbarmachung für die Zukunft aber als eher schwierig erachtet.128 Das Leistungsfähigkeitsprinzip stehe im Konflikt mit einer einfachen, das heißt wenig komplexen Besteuerung, weshalb es einen Zugewinn an Vollzugsfähigkeit des Steuerrechts nur durch Abstriche am Leistungsfähigkeitsprinzip geben könne.129 Auch wird bisweilen bemängelt, dass diesem Prinzip keine wirklichen Aussagen entnommen werden könnten. Diese Kritik wurde aber nur vereinzelt geäußert. Für die h. L.130 ist das Leistungsfähigkeitsprinzip das zentrale Prinzip einer gleichheitsgerechten Steuerlastverteilung. Es sei insbesondere durch ein Anknüpfen an Ist- statt an Soll-Erträge gekennzeichnet und setze eine „Liquidität der Steuerzahlung“ voraus, der Steuerpflichtige müsse also zahlungsfähig sein.131 (b) Folgerichtigkeitsgebot Im Gegensatz dazu wird die Geltung des Folgerichtigkeitsgebots noch sehr konträr diskutiert. Die noch schwächste Kritik verweist darauf, dass die Ableitung konkreter Folgerungen schwierig, ein wirklicher Rationalitätsgewinn nicht gegeben132 und das Folgerichtigkeitsgebot selbst „inhaltsleer“ sei133. Gravierender ist der Vorwurf, das Folgerichtigkeitsgebot konterkariere differenzierte Regelungen und laufe daher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zuwider.134 Hinzu komme, dass das Folgerichtigkeitsgebot auch eine – falsche – Idealisierung der Gesetzgebung intendiere: Die parlamentarische Gesetzgebung sei in erster Linie ein politischer Prozess, sodass Kompromisse nicht am Ideal der Widerspruchsfreiheit und Systemkonsistenz gemessen werden dürften.135 Diese kritischen Stimmen halten das Folgerichtigkeitsgebot wenn nicht für grundlegend falsch, so doch jedenfalls für verzichtbar. Die Gegenmeinung hingegen will das Folgerichtigkeitsgebot als konsequente Ergänzung des Leistungsfähigkeitsprinzips fruchtbar machen. Teilweise wird ihm sogar eine größere tatsächliche Bedeutung zugestanden als dem Leistungsfähigkeitsprinzip.136 Das Folgerichtigkeitsgebot sei mittlerweile der praktisch wichtigste Steuerrecht, § 3 Rz. 40 ff. m. w. N; siehe aber zur nach wie vor gegebenen Bedeutung des Äquivalenzprinzips Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, S. 51 ff. 127 Art. 134 WRV. 128 Schenke, in: FS Wahl, S. 803 (818). 129 Schenke, in: FS Wahl, S. 803 (810 f.). 130 Siehe die Nachweise in Fn. 123 zuvor. 131 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rz. 63 f. 132 Payandeh, AöR 136 (2011), 578 (595 f.). 133 Schwarz, in: FS Isensee, S. 949 (964); Payandeh, AöR 136 (2011), 578 (598). 134 Lepsius, JZ 2009, S. 260 (262). 135 Dann, Der Staat 49 (2010), 630 (645). 136 Schenke, in: FS Wahl, S. 803 (812).

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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Ausfluss des Gleichheitssatzes.137 In der Regel stellen die Befürworter des Folgerichtigkeitsgebots dieses aber gleichwertig neben das Leistungsfähigkeitsprinzip. Das Folgerichtigkeitgebot bedinge eine Widerspruchsfreiheit (des bereichsspezifischen) Steuerrechts.138 (c) Zusammenwirken von Leistungsfähigkeitsprinzip und Folgerichtigkeitsgebot Insbesondere die Kölner Steuerrechtsschule um Tipke und Lang will aus dem Zusammenwirken von Leistungsfähigkeitsprinzip und Folgerichtigkeitsgebot noch wesentlich weitgehendere Restriktionen für den Steuergesetzgeber ableiten als das BVerfG, das in seiner Spruchpraxis bisher nicht vermocht habe, das Folgerichtigkeitsgebot zu einem stringenten Prüfungsmaßstab zu entwickeln.139 Ziel müsse sein, die Befriedigung steuerrechtlicher Partikularinteressen aufgrund politischer Opportunitäten zu unterbinden.140 Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Primärgrundsatz des Steuerrechts leite ein inneres System von Rechtsprinzipien. Durch Subprinzipien, Legislativakte, Judikatur und wissenschaftliche Dogmatik sei das Leistungsfähigkeitsprinzip bis zur einzelnen Steuerfolge zu konkretisieren.141 Ein bereichsspezifisches Leitprinzip, das sich immer am Leistungsfähigkeitsprinzip orientieren müsse, strahle auf die gleichmäßige Verwirklichung von Unterprinzipien aus. Solche Subprinzipien dürften ohne gesonderte Rechtfertigung nicht im Wertungswiderspruch zu einem übergeordneten Prinzip stehen.142 Gleichwohl kämen dem Gesetzeber einerseits Wertungsspielräume zu, andererseits könne er bei sachlich hinreichend begründeter Wertung auch gegenläufige Gesichtspunkte berücksichtigen.143 Tipke nennt dies „vertikale Folgerichtigkeit“.144 Das Folgerichtigkeitsgebot setze danach sprachlich also beim Leistungsfähigkeitsprinzip an, indem es dem Gesetzgeber für einzelne Konkretisierungen eine Konstruktionsmaxime anbiete.145 Es bewirke, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Steuergesetze zwar durchaus ein gewisser Spielraum bleibe; er dürfe sich in ihm aber nicht frei, sondern nur nach den Regeln der Rechtslogik bewegen,146 auch wenn die 137

Kirchhof, StuW 2006, 3 (14). Kirchhof, StuW 2000, 316 (322). 139 Englisch, in: FS Lang, S. 167 (169). 140 Englisch, in: FS Lang, S. 167 (177); Lang, Die einfache und gerechte Einkommensteuer, S. 33 f.; Tipke, in: Raupach/Tipke/Uelner (Hrsg.), Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts?, S. 133 (146 ff.). 141 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rz. 41. 142 Englisch, in: FS Lang, S. 167 (181). 143 Englisch, in: FS Lang, S. 167 (183). 144 Tipke, JZ 2009, 533 (535). 145 So Thiemann, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 179 (189) in Beschreibung des Ansatzes von Lang, in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 4 Rz. 83. 146 Tipke, JZ 2009, 533 (538). 138

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

Rechtslogik als Wertungslogik nicht so stringent wie die formale Logik sei.147 Ziel müsse eine Verallgemeinerung, vertikale Folgerichtigkeit sowie Widerspruchsfreiheit der Steuern sein. Auf diese Weise könne verhindert werden, dass das Steuerrecht durch Interventionstatbestände verfremdet werde.148 Deutungshoheit und Gestaltungsmacht des Gesetzgebers fänden ihre gleichheitsrechtlichen Grenzen stets im Folgerichtigkeitsgebot.149 Daneben wird kritisiert, dass das BVerfG dem Gesetzgeber bei der Auswahl der Steuergegenstände praktisch keine Grenzen ziehe.150 Dadurch bleibe die Trennung zwischen der frei gestaltbaren Grundentscheidung des Gesetzgebers und der Bindung an selbst gewählte Systemgesetzlichkeiten unklar.151 Bereits die Auswahl der einzelnen Steuern müsse sich in das übergeordnete Besteuerungsgleichmaß einordnen.152 Belastungsgründe könnten daher nur das Einkommen, das Vermögen und der Konsum sein; wähle der Gesetzgeber daher beispielsweise das Einkommen als Belastungsgegenstand, so erfordere das Leistungsfähigkeitsgebot, dass der gesamte individuelle (am Markt) realisierte Vermögenszuwachs als Bemessungsgrundlage gewählt und einem einheitlichen Tarif unterworfen werde.153 Belaste der Gesetzgeber dagegen einzelne Einkunftsarten, andere hingegen nicht, so sei dies ein Messen mit verschiedenem Maß.154 Diesen Überlegungen liegt der Gedanke zugrunde, dass die in einer Vermögensmehrung zum Ausdruck kommende subjektive Leistungsfähigkeit nicht von der Art der Einkommensart abhängen dürfe.155 (3) Stellungnahme Dem Verständnis des Gleichheitssatzes in der Rechtsprechung des BVerfG und der überwiegenden Literatur ist gemeinsam, dass als zentrales Merkmal eines gleichheitsgerechten Steuerrechts die folgerichtige und am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierte Ausgestaltung der Steuergegenstände angesehen wird. Dieser Grundaussage ist zunächst uneingeschränkt zuzustimmen. Darauf aufbauend entfaltet die entsprechende Literatur das Leistungsfähigkeitsprinzip und Folgerichtigkeitsgebot allerdings deutlich konsequenter als das BVerfG. Auf diesem Weg ist ihr nur eingeschränkt zu folgen:

147

Tipke, JZ 2009, 533 (539). Kirchhof, NJW 1987, 3217 (3221). 149 Englisch, in: FS Lang, S. 167 (183). 150 Lang, in: FS Tipke, S. 3 (20); Tipke, StuW 2007, 201 (207). 151 Schön, in: Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), Die Diskriminierungsverbote im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, S. 13 (21 f.). 152 Englisch, in: FS Lang, S. 167 (189). 153 Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 167 ff.; Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 7 Rz. 30 f. u. § 8 Rz. 51 m. w. N. 154 Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 326 f. 155 Schön, in: FS Solms, S. 263 (267). 148

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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Im Hinblick auf die Umsetzung des Leistungsfähigkeitsprinzips ist es zwar grundsätzlich richtig, dass dieses Prinzip als „Herzstück“156 des deutschen Steuerverfassungsrechts konsequenter eingefordert werden sollte (und in der Rechtsprechung des BVerfG bleibt es zum Teil „mehr Rechtsidee als Rechtssatz“157). Gleichwohl sollte dem Gesetzgeber bei der Auswahl der Steuergegenstände zunächst durchaus ein Gestaltungsspielraum zugestanden werden. Eine größere Freiheit des Steuergesetzgebers bei der Auswahl der Steuergegenstände schlägt zwar auf die Entfaltung des Folgerichtigkeitsgebots durch, da die Krux letztlich in der weiten oder engen Definition eines einzelnen Steuergegenstandes liegt. Und solange das BVerfG nicht sagt, wo der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers endet, wird der Konsequenzgedanke zumindest teilweise entwertet.158 Dennoch würde eine Verpflichtung des Gesetzgebers, auch die Auswahl der Steuergegenstände uneingeschränkt am Leistungsfähigkeitsprinzip auszurichten, diesen zu sehr beschränken. Sie nähme ihm nämlich die nötige Flexibilität, um auf wechselnde praktische Erfordernisse der Steuererhebung angemessen reagieren zu können. Überzeugender ist es vielmehr, dem Gesetzgeber im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG zuzubilligen, bestimmte Ausschnitte persönlicher Leistungsfähigkeit herauszugreifen und folgerichtig auszugestalten.159 Diese Auswahl hat gleichwohl auf sachlichen Gründen zu beruhen. Hat der Gesetzgeber diese Ausschnitte sachgerecht festgelegt, sollte die Besteuerung möglichst konsequent an der finanziellen Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden. Die konkrete Steigerung der finanziellen Leistungsfähigkeit ist dabei grundsätzlich die jeweilige in Geldeinheiten ausdrückbare Vermögensmehrung des Steuerpflichtigen. Nach welchem Prinzip bzw. welchen Prinzipien der Gesetzgeber diese Vermögensmehrungen definieren will, sollte ihm wiederum freigestellt sein. Er hat solche konkretisierenden Prinzipien – etwa das objektive Nettoprinzip160 – dann aber jedenfalls innerhalb dieses Steuergegenstandes folgerichtig umzusetzen. Folgerichtigkeit bedeutet dabei, das einmal gewählte Prinzip als Wertentscheidung einzuhalten. Eine Abweichung von einem solchen Prinzip bedarf eines besonderen sachlichen Grundes. Die vom BVerfG genannten Kriterien erscheinen insoweit angemessen; insbesondere sind Abweichungen, die ausschließlich oder vorwiegend fiskalisch motiviert sind, nicht zu akzeptieren. Die Schwierigkeit besteht freilich darin, das tragende Prinzip zu bestimmen bzw. die getroffene Wertentscheidung richtig zu „identifizieren“. Das kann fehleranfällig 156

Schenke, in: FS Wahl, S. 803 (804). Thiemann, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 179 (182). 158 So zutreffend Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 328. 159 Ebenso Schön, in: Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), Die Diskriminierungsverbote im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, S. 13 (23). 160 Dazu sogleich 1. Teil, C.III.1. 157

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

sein, denn es kommt auf die richtige Wahl des Anknüpfungspunktes an.161 Und es ist mitunter kaum möglich auszumachen, ob bestimmten Regelungen bereits der Rechtscharakter eines tragenden Prinzips zukommt. Aber allein aufgrund seiner Wirkung, die Erwägungen des Gesetzgebers hinsichtlich rationaler Gründe überprüfbar zu machen, vermag das Folgerichtigkeitsgebot einen wichtigen Beitrag zur Systematik zu leisten.162 Es zeigt einen Weg auf, um der seit Langem beklagten „Unsystematik“ des Steuerrechts beizukommen.163 Der von der Kölner Steuerrechtsschule vertretene Ansatz, dem Steuergesetzgeber ein bis ins Detail ausdifferenziertes – zwingend zu beachtendes – System vorzugeben, geht allerdings zu weit.164 Ein solcher Ansatz wäre, wie dies auch schon zuvor anklang, zu unflexibel, um das Steuersystem angesichts der vielfältigen und komplexen Zielkonflikte wechselnden Erfordernissen anzupassen. Leistungsfähigkeitsprinzip und Folgerichtigkeitsgebot sind „Leitplanken“, die lediglich einen ausfüllungsbedürftigen Rahmen setzen. Ziel muss sein, dem Steuerrecht die zum Teil vorhandene Willkür, nicht, dem Gesetzgeber seine Gesetzgebungskompetenz zu nehmen. Nicht jede Abweichung von der individuellen Vermögensmehrung eines Steuerpflichtigen sollte sofort als gleichheitswidrig eingestuft werden. Die genaue Konkretisierung von Leistungsfähigkeitsprinzip und Folgerichtigkeitsgebot kann im Detail daher schwierig und streitanfällig sein bzw. bleiben. Eine dadurch bestehen bleibende Rechtsunsicherheit ist aber hinnehmbar. Denn die von manchen Literaturstimmen165 bemängelte Unbestimmtheit des Folgerichtigkeitsgebots und auch des Leistungsfähigkeitsprinzips findet sich in der gleichen Weise im Öffentlichen Recht beim Prinzip der Verhältnismäßigkeit: Auch die Angemessenheit eines Verwaltungsakts ist eine Wertungsentscheidung. Systemtragende Prinzipien sind notwendigerweise wertend zu bestimmen.166

161 Payandeh, AöR 136 (2011), 578 (590 f.); Thiemann, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 179 (191). 162 Schmehl, in: FS Bryde, S. 457 (471). 163 Zu einer frühen Kritik an der Unsystematik siehe den Aufsatz „Der Weg aus dem Steuerchaos der Gegenwart“ von Flume, DB 1948, 502 ff. 164 Deutlich formuliert etwa Englisch diesen Ansatz: „Das Wertsystem einer Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip ist also in erster Linie ein verfassungsrechtliches; dessen unbeschadet sind Wertungsspielräume des Steuergesetzgebers nicht ausgeschlossen. […] Sowohl die mangels verfassungsrechtlich tragfähiger Alternativen zwingend vorgegebenen wie auch die wertend konkretisierten Subprinzipien sind grundsätzlich in der gesamten von ihrem jeweiligen Fundamentalprinzip umfassten Rechtsmaterie folgerichtig vorgegeben“, in: FS Lang, S. 167 (181 f.), Hervorhebung durch Verfasser. 165 Payandeh, AöR 136 (2011), 578 (595 f.). 166 So für das Leistungsfähigkeitsprinzip Schmehl, Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen mit Mindestbesteuerungseffekt, S. 15.

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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b) Kriterium der Ergiebigkeit einer Steuer Das Steuerrecht ist nicht nur am Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem Folgerichtigkeitsgebot auszurichten, die jeweilige Steuer selbst sollte auch einen positiven Steuerertrag erzielen können. Das heißt, die erzielten Zuflüsse beim Staat haben höher als die zu berücksichtigenden Aufwendungen des Steuerpflichtigen zu sein. Diese Anforderung soll hier als ,Kriterium der Ergiebigkeit‘ einer Steuer bezeichnet werden. Sie wird – mit nicht ganz klarer Kontur – nur vereinzelt neben die Leitprinzipien der Leistungsfähigkeit und Folgerichtigkeit gestellt.167 Dem Kriterium der Ergiebigkeit kommt aber Verfassungsrang zu, da es sich als eigenständiges Gebot aus dem Grundgesetz ableiten lässt. Es ergibt sich aus einem Zusammenwirken des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs, der Steuerrechtfertigungslehre und des Wirtschaftlichkeitsgebots des Art. 114 Abs. 2 GG. (1) Ergiebigkeit als Bestandteil des Steuerbegriffs Das Kriterium der Ergiebigkeit ergibt sich zunächst aus dem Steuerbegriff des Grundgesetzes. Denn BVerfG und Literatur greifen für seine Bestimmung auf die Legaldefinition der Steuer in § 3 Abs. 1 AO zurück, die ihrerseits auf § 1 RAO (Reichsabgabenordnung) zurückgeht.168 Danach sind Steuern „Geldleistungen, die […] zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden“169. Zwar erschöpft sich der verfassungsrechtliche Steuerbegriff nicht im einfachgesetzlichen; in ihren Kernelementen, namentlich im Zweck der Einnahmeerzielung, decken sich verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Steuerbegriff aber.170 Die Erzielung von Einnahmen muss allerdings nicht Hauptzweck sein, es genügt, wenn sie – wie im Fall von Lenkungssteuern – Nebenzweck ist (§ 3 Abs. 1 Hs. 2 AO). Unklar bleiben im Rahmen dieser Definition beim Merkmal der Einnahmeerzielungsabsicht aber drei Details: So bleibt zum einen offen, ob sich der Begriff ,Einnahmen‘ auf Einnahmen i. S. d. § 8 Abs. 1 EStG bezieht oder auf einen Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten bzw. den Gewinn, wie er in § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 1 EStG zum Ausdruck kommt. Genügt es also, dass der Staat Einnahmen im Sinne eines (vorläufigen) Geldzugangs verzeichnet, oder muss es sich vielmehr um saldierte positive Steuererträge handeln? Zum anderen ist zu klären, ob ein saldierter Steuerertrag, 167

So vage Hey, in: Tipke/Lang, § 7 Rn. 9. BVerfGE 67, 256 (282); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 105 Rn. 3; Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 116 Rn. 85; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 177; zu dieser Rezeption eingehend Schaefer, Der verfassungsrechtliche Steuerbegriff, S. 13 ff. 169 Hervorhebung durch Verfasser. 170 Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 116 Rn. 85. 168

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

sofern er denn gemeint ist, auch nach Berücksichtigung des Erhebungsaufwands der Verwaltung verbleiben muss, ob also ein positiver Nettosteuerertrag gegeben sein muss. Und darüber hinaus ist fraglich, ob es ausreicht, dass der Staat die Erzielung von Einnahmen, also eines Steuerertrags, nur bezweckt oder ob er diesen Zweck auch erreichen muss. Zumindest im Hinblick auf Fiskalzwecknormen wird man annehmen müssen, dass mit Einnahmen grundsätzlich nur Steuererträge gemeint sein können. Denn Fiskalzwecknormen dienen dazu, den staatlichen Finanzbedarf zu decken.171 Lenkungssteuern verfolgen zwar nicht primär das Ziel der Einnahmeerzielung, der Fiskalzweck muss – entsprechend der Definition – aber zumindest Nebenzweck bleiben. Dann aber wird man auch bei Lenkungssteuern einen Steuerertrag voraussetzen müssen. Steuern müssen also stets einen saldierten Steuerertrag bezwecken. Das Erfordernis eines Nettosteuerertrags sollte man dagegen nicht zu vorschnell zur Voraussetzung des Steuerbegriffs machen. So fehlt es an einem unmittelbaren Bezug zu den Erhebungskosten nicht nur im Begriff der Einnahme; eine derartige Beschränkung des Steuerbegriffs könnte auch den Anwendungsbereich für Lenkungssteuern über Gebühr einengen. Die Frage nach der Notwendigkeit der Zweckerreichung wird richtigerweise wohl dahingehend zu beantworten sein, dass die Unmöglichkeit der Zweckerreichung auch zur Unzulässigkeit der Zweckverfolgung führt. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber mit einem Tatbestand die Absicht hat, Einnahmen zu erzielen, genügt allein also noch nicht. Es handelt sich nur dann um eine Steuer, wenn der Tatbestand auch objektiv geeignet ist, einen Steuerertrag zu erzielen. Denn ansonsten könnte sich der Gesetzgeber stets darauf berufen, er habe ja die Absicht gehabt, Steuern zu erzielen und das Erfordernis des Steuerertrags liefe ins Leere. Zusammenfassend setzt der verfassungsrechtliche Steuerbegriff also voraus, dass eine Steuer zu einem Steuerertrag führt, das heißt tatsächlich einen positiven Saldo aus Einnahmen und Werbungskosten (Aufwand) erzielt. Er setzt dagegen nicht voraus, dass dieser Steuerertrag auch nach Berücksichtigung des Erhebungsaufwands positiv ist. (2) Ergiebigkeit als Konsequenz der Steuerrechtfertigung Diese Verankerung des Ergiebigkeitskriteriums im Begriff der Steuer wird – zumindest für Fiskalzwecksteuern – durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip ergänzt. Denn seine grundlegende Rechtfertigung zieht der Steuerzugriff des Staates daraus, dass die „Steuer als Preis der Freiheit“ zu betrachten ist, wie Kirchhof es treffend

171 Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 3 Rn. 12a, 144. Lfg. 2016; Waldhoff, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 116 Rn. 85.

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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formuliert hat.172 Erst die Beteiligung des Staates am privaten wirtschaftlichen Erfolg ermöglicht die Gewähr der wirtschaftlichen Grundfreiheiten, die Steuer ist das Korrelat zum privaten wirtschaftlichen Erfolg.173 Fehlt es aber an einem Steuerertrag und dient die Steuer auch keinem Lenkungsziel, fehlt es an einer Begründung, weshalb der Staat in den privaten wirtschaftlichen Erfolg eingreift. Der Steuereingriff ist kein Selbstzweck, er hat ausschließlich der Finanzierung oder Lenkung des Freiheit gewährenden Staates zu dienen. Eine Steuer, die weder Erträge abwirft noch ein Lenkungsziel verfolgt, ist daher unverhältnismäßig, da ihr schon kein legitimer Zweck zugrunde liegt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass jede (direkte) Steuererhebung für den Steuerpflichtigen auch mit administrativen Kosten verbunden ist. Sie sind vom Steuerpflichtigen grundsätzlich als (so könnte man sagen) ,Nebenpreis der Freiheit‘ hinzunehmen, verlieren aber ebenfalls ihre Rechtfertigung, wenn die Erhebung der Steuer eines legitimen Zwecks ermangelt. Denn auch darin liegt eine Belastung des Steuerpflichtigen, der kein irgendwie gearteter Nutzen für den Staat bzw. das Gemeinwohl gegenübersteht. Steuern sind daher unverhältnismäßig, wenn sie weder einen Steuerertrag erzielen noch einem Lenkungsziel dienen. (3) Ergiebigkeit als Konsequenz des Wirtschaftlichkeitsgebots des Art. 114 Abs. 2 GG Weiterhin statuiert das Grundgesetz in Art. 114 Abs. 2 die Wirtschaftlichkeit als Verfassungsgebot. An dieses ist auch der Gesetzgeber bei der Auf- und Feststellung des Haushaltsplans gebunden, wenngleich nach dem Wortlaut nur der Bundesrechnungshof die Wirtschaftlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung zu prüfen hat.174 Denn soll die Prüfungspflicht des Rechnungshofs einen materiellen Wert haben, so muss die Pflicht zur Prüfung dazu führen, dass die geprüften Organe an den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit objektiv gebunden werden. In letzter Konsequenz kann dies aber nur bedeuten, dass nicht nur die Exekutive, sondern auch die Legislative einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Pflicht unterliegt. Denn die Prüfung des Bundesrechnungshofes entbehrt ihres Zweckes, wenn das Wirtschaftlichkeitsprinzip nicht eine eigene Pflicht der Exekutive ist; diese Pflicht der Exekutive wiederum bleibt folgenlos, wenn nicht auch die Legislative gebunden ist. Letztere muss schon durch die Ausgestaltung des Haushaltsgesetzes sicherstellen, dass das Wirtschaftlichkeitsprinzip Grundlage des Staatshandelns ist. Ansonsten könnte sich die Exekutive darauf berufen, ihre eigene Pflichtverletzung 172 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 1 (Überschrift). 173 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 2; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 1 Rz. 5. 174 Gröpl, in: BK GG, Art. 110 Rn. 207 ff., 174. Lfg. 2015; Grupp, DVBl 1994, 140 (146); Heintzen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 120 Rn. 48; Hummel, Verfassungsfragen der Verwendung staatlicher Einnahmen, S. 261; Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 1251.

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

sei nur Folge entsprechend unwirtschaftlicher Gesetze. Der Gesetzgeber ist somit unmittelbar in die Treuhänderstellung des Staates eingebunden und darf öffentliche Mittel nicht verschwenden. Er muss diese bestmöglich für die Bürger verwenden.175 Er kann zwar die Ziele frei wählen, muss zu ihrer Erreichung aber die erforderlichen Kosten minimieren.176 Ist das Ziel aber gar nicht zu erreichen, ist jeder Kostenaufwand unwirtschaftlich. Für die Steuergesetzgebung folgt daraus, dass der Verwaltungsaufwand für die Erhebung von Steuern nur wirtschaftlich ist, wenn der Aufwand bei Fiskalzwecksteuern auch zu einem Nettosteuerertrag führt. Das Vorhalten des Verwaltungsapparats ist ansonsten sinnlos. Für Lenkungssteuern gilt dies freilich nicht. Fiskalzwecksteuern, die keinen positiven Nettosteuerertrag erzielen, sind unwirtschaftlich und verstoßen damit gegen Art. 114 Abs. 2 GG. (4) Kriterium der Ergiebigkeit einer Steuer als Verfassungsgebot Aus der Zusammenschau ergibt sich für die Erhebung von Steuern die Konsequenz, dass diese – unabhängig davon, ob Fiskal- oder Lenkungszwecke verfolgt werden – grundsätzlich zu einem positiven Steuerertrag führen müssen. Diese Anforderungen lassen sich als ,Kriterium der Ergiebigkeit‘ einer Steuer zusammenfassen. Es findet seine Verankerung in der Verfassung und ist ein allgemeines Verfassungsgebot für den Steuergesetzgeber. Für Fiskalzwecksteuern sollte darüber hinaus ein strenges Ergiebigkeitskriterium in dem Sinne gelten, dass sie zu einem Nettosteuerertrag führen müssen. Die Steuer muss also auch nach Berücksichtigung der Erhebungskosten einen positiven Steuerertrag aufweisen. Dies folgt insbesondere aus Art. 114 Abs. 2 GG. Lenkungszwecksteuern sollten dagegen nur einem einfachen Ergiebigkeitskriterium unterliegen, für sie genügt ein positiver Steuerertrag. Entsprechende Überlegungen lassen sich auch jetzt schon an verschiedener Stelle im EStG nachweisen. So ist etwa die Steuerfreistellung von Lottogewinnen darauf zurückzuführen, dass eine Besteuerung die Abzugsfähigkeit der Wetteinsätze nach sich ziehen würde, was im Ergebnis für den Staat ein Verlustgeschäft wäre.177 Ähnliche Überlegungen lassen sich zudem hinsichtlich der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Kunstgegenständen und Antiquitäten anstellen.178

175

v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 74. Vgl. dazu auch Hummel, Verfassungsfragen der Verwendung staatlicher Einnahmen, S. 267 ff. 177 Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 666 f. 178 Döring, DB 2003, 576 (576 f.). 176

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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3. Verfassungsvorgaben für die Ausgestaltung der Steuerbemessungsgrundlage Die Steuerbemessungsgrundlage muss nicht nur die im Steuergegenstand vorgefundene finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen folgerichtig abbilden, sondern auch weitere Verfassungsvorgaben beachten. a) Vollzugsgleichheit Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird auch das Gebot einer Vollzugsgleichheit abgeleitet. So hat das BVerfG in seinem Zinsurteil179 klargestellt, dass auch die Sicherstellung eines hinreichenden Steuervollzugs eine maßgebliche verfassungsrechtliche Anforderung an die Steuerordnung ist. Die Steuerpflichtigen sind nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gleich zu belasten. Der Steuergesetzgeber kann nicht auf die Steuerehrlichkeit der Steuerpflichtigen vertrauen,180 sondern hat die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens hinreichend sicherzustellen.181 Tut er dies nicht, führt der strukturelle, im Gesetz angelegte Erhebungsmangel zur Verfassungswidrigkeit der Steuernorm, sofern dem Gesetzgeber dieser Mangel zuzurechnen ist.182 In einer späteren Entscheidung, die das Zinsurteil grundsätzlich bestätigte, ergänzte das BVerfG seine Rechtsprechung dahingehend, dass die Feststellung eines tatsächlichen Erhebungsdefizits ein strukturelles Vollzugsdefizit indizieren kann, wenn an die Ermittlungstätigkeit der Finanzverwaltung überzogene Anforderungen gestellt werden.183 Diese Rechtsprechung ist in der Literatur zwar unterschiedlich aufgenommen worden.184 Ihre grundlegende Bedeutung für das Steuerverfahrensrecht wird aber nicht bestritten. Sie kann als konsequente Fortführung des Folgerichtigkeitsgebots auf der Ebene des Steuervollzugs betrachtet werden.185 Eine klare, aus den Urteilen zu ziehende Schlussfolgerung ist daher, dass die Vollzugstauglichkeit eines Steuertatbestandes im Rahmen der Ausgestaltung des materiellen Rechts zwingend mitberücksichtigt werden muss.186

179

BVerfGE 84, 239 ff. BVerfGE 84, 239 (273). 181 BVerfGE 84, 239 (268). 182 BVerfGE 84, 239 (272). 183 BVerfGE 110, 94 (115 f.). 184 Zustimmend Hey, DB 2004, 724 (724); Tipke, FR 1991, 480 (480); tendenziell kritisch dagegen Funke, AöR 132 (2007), 168 (200); Meyer, DÖV 2005, 551 (558); Seiler, JZ 2004, 481 (485 f.). 185 Goerlich, JZ 1991, 1139 (1140); Seer, in: Tipke/Kruse, AO, Vor § 85 Rn. 8 f., 147. Lfg. 2017. 186 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rz. 115. 180

52

1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

b) Eigentumsschutz Zusätzlich zu Art. 3 GG wirkt auch Art. 14 GG in das Steuerrecht hinein.187 Nach der Rechtsprechung des BVerfG schützt Art. 14 GG vor einer übermäßigen Belastung und grundlegenden Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse.188 Insbesondere eine erdrosselnde Wirkung von Steuern ist unzulässig.189 Dem Steuerpflichtigen muss ein Kernbereich des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen erhalten bleiben, es muss ihm ein „privater Ertragsnutzen“ verbleiben. 190 Zwar genießt auch das Vermögen des Steuerpflichtigen als solches nach der jüngsten Rechtsprechung des 2. Senats des BVerfG den Schutz des Art. 14 GG.191 Jenseits der zuvor genannten Grenzen formuliert das BVerfG jedoch nach wie vor keine präzisen Schranken für den Steuerzugriff,192 insbesondere soll sich der für die Vermögensteuer entwickelte „Halbteilungsgrundsatz“193 nicht auf das Einkommensteuerrecht erstrecken194. Auch der Tauschwert des Geldes ist – anders als die Integrität von dessen Bestand – nicht von der Eigentumsgarantie umfasst.195 Die Grenzen, die Art. 14 GG der staatlichen Besteuerungsgewalt setzt, sind damit äußerst weit gezogen.196 Zusätzlich lässt sich aus Art. 14 GG das sogenannte Liquiditätsprinzip als Ausdruck eigentumsschonender Besteuerung ableiten. Darunter ist zu verstehen, dass Steuern nach Möglichkeit an Geldflüsse, das heißt an die Liquidität des Steuerpflichtigen, anknüpfen sollten. Das Liquiditätsprinzip wird – sofern in der Literatur überhaupt darauf eingegangen wird – bisher üblicherweise eher mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip in Verbindung gebracht.197 Das dürfte die verfassungsrechtliche Dogmatik indes nicht ganz zutreffend wiedergeben. Denn die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen wird auch durch die (unrealisierte) Wertsteigerung von Vermögensgegenständen grundsätzlich gesteigert. Man mag 187 Anschaulich zu den Schranken von Art. 14 Abs. 1 GG für das Steuerrecht – auch unter Einbeziehung der bis heute nicht geklärten Frage, ob Steuern überhaupt einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG darstellen – F. Kirchhof, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. III, § 59 Rn. 41 ff. 188 BVerfGE 14, 221 (241). 189 BVerfGE 95, 267 (300); 38, 61 (102). 190 BVerfGE 115, 97 (117); 93, 121 (137); 87, 153 (169). 191 BVerfGE 115, 97 (111), wobei der 2. Senat die Abgrenzung zur – wohl abweichenden – Rechtsprechung des 1. Senats (zuletzt) in BVerfGE 95, 267 (300) offen lässt, vgl. BVerfGE 115, 97 (113). 192 BVerfGE 115, 97 (113 ff.). 193 BVerfGE 93, 121 (136 ff.). 194 BVerfGE 115, 97 (108 ff.). 195 BVerfGE 105, 17 (30 f.); 97, 350 (371). 196 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 384. 197 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rz. 64.

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

53

zwar argumentieren, im (unrealisierten) Wertzuwachs eines Vermögensgegenstandes liege für sich allein keine Zunahme der Leistungsfähigkeit, da noch kein tatsächlicher dauerhafter ,Zufluss‘ erfolgt sei. Das würde aber verkennen, dass auch unrealisierte Wertzuwächse durchaus einen wirtschaftlichen Vorteil in sich bergen. Dies zeigt sich etwa an dem Umstand, dass beispielsweise Aktien oder Immobilien mit ihrem (zum Teil unrealisierten) Marktwert als Sicherheit für Kredite dienen können. Konsequenter ist es daher, eine Zunahme der Leistungsfähigkeit in jedem Wertzuwachs zu erkennen und das Liquiditätsprinzip als Ausprägung einer eigentumsschonenden Besteuerung aus Art. 14 GG abzuleiten.198 Denn liegt der gesteigerten Leistungsfähigkeit kein Geld(zu)fluss zugrunde, ist der Steuerpflichtige unter Umständen gezwungen, zur Steuerzahlung einen Kredit aufzunehmen oder den betroffenen oder einen anderen Vermögensgegenstand zu verkaufen. Das aber würde in besonderem Maße in die Eigentumsfreiheit eingreifen und zudem in vielen Fällen zusätzliche Transaktionskosten verursachen. c) Bestimmtheitsgrundsatz Ein Ausfluss der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, die sich auf die Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage auswirkt, ist auch der Bestimmtheitsgrundsatz. Steuerrechtliche Eingriffe müssen nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß bestimmt sein, sodass sie in gewissem Umfang vom Steuerpflichtigen voraussehbar und berechenbar sind.199 Erforderlich ist eine Normenklarheit, nach der eine Bestimmung der eigenen Steuerlast im Vorhinein möglich ist. Dabei ist allerdings der Eigenart des geregelten Sachbereichs genauso Rechnung zu tragen wie der Intensität des Betroffenseins von Grundrechten.200 d) Sozialstaatsprinzip Das in den Art. 20 und 28 GG niedergelegte Sozialstaatsprinzip strahlt ebenfalls auf das Steuerrecht aus. Allerdings ist der Gesetzgeber in der Wahl der Mittel, mit denen er eine gerechte Sozialordnung herbeiführt, weitgehend frei.201 Will er sich dazu des Steuerrechts bedienen, so kann er dies insbesondere durch einen progressiven Steuertarif erreichen. Dieser ist nicht Ausdruck des Leistungsfähigkeits-

198 Zum Prinzip der eigentumsschonenden Besteuerung insbesondere Kirchhof, VVDStRL 39 (1981), 213 ff. 199 St. Rspr., BVerfGE 108, 186 (235); 34, 348 (367); 13, 153 (160). 200 BVerfGE 108, 186 (235). 201 BVerfGE 22, 180 (204).

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

prinzips, das eher einen proportionalen Steuersatz nahelegt, sondern Sozialzwecknorm.202 e) Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns Der im Rahmen des ,Kriteriums der Ergiebigkeit‘ bereits erläuterte Wirtschaftlichkeitsgrundsatz des Art. 114 Abs. 2 GG strahlt auch auf die Ausgestaltung der Steuerbemessungsgrundlage aus. Diese sollte im Sinne einer Kosten-(Steuerertrags-) Nutzen-Abwägung so beschaffen sein, dass sie bei gleichem Steueraufkommen den mit der Steuer in Zusammenhang stehenden Verwaltungsaufwand (die Erhebungskosten) minimiert. Dazu müssen richtigerweise nicht nur die Kosten der Veranlagung zählen, sondern auch die Bearbeitungskosten von Einsprüchen und die Kosten, die durch finanzgerichtliche Klagen verursacht werden.203 Die Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns ist gerade bei der Besteuerung von Kapitaleinkommen wichtig, da der Bearbeitungsaufwand in diesem Bereich im Fall einer Veranlagung bei den Finanzämtern besonders hoch ist, wie eine Studie der Finanzverwaltung zeigt.204 In der Finanzwissenschaft wird dieser Aspekt üblicherweise als Wohlfeilheit der Besteuerung bezeichnet. Die Wohlfeilheit berücksichtigt jedoch auch die korrespondierenden Kosten der Steuerpflichtigen (Entrichtungsbilligkeit) und ist somit grundsätzlich weiter gefasst als das Wirtschaftlichkeitsgebot des Verwaltungshandelns.205 4. Entwicklung der Steuerbemessungsgrundlage aus dem Steuergegenstand Der verfassungsrechtliche Rahmen ist nun also grundsätzlich abgesteckt. Wie Steuergegenstand und Steuerbemessungsgrundlage zu verknüpfen sind, soll hier aber noch einmal anhand einer Entscheidung des BVerfG zum Erbschaftsteuerrecht206 verdeutlicht werden, die Kirchhof zu einer allgemeinen Dogmatik unter anderem für das Einkommensteuerrecht weiterentwickelt hat.207 Daran zeigt sich exemplarisch, wie genau die Bemessungsgrundlage aus dem Steuergegenstand heraus zu entwickeln ist.

202 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rz. 212; Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 116 Rn. 108. 203 Homburg, Allgemeine Steuerlehre, S. 55; Hirte/Mertz, DStR 2013, 331 (334). 204 OFD München, OIS III: Teststrecke Steuerrecht, S. 20 ff. 205 Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 7; Hey, in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, § 7 Rz. 11 206 BVerfGE 117, 1 ff. 207 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 267.

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

55

Nach der Entscheidung des BVerfG setzt eine gleichmäßige Besteuerung voraus, dass die Bemessungsgrundlage die im Steuergegenstand getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig und realitätsgerecht abbildet.208 Außerfiskalische Lenkungszwecke dürfen erst auf der Rechtsfolgenseite, etwa durch steuerliche Verschonungsregelungen, verfolgt werden.209 Kirchhof verallgemeinert dies dahingehend, dass eine Steuer grundsätzlich nur dann dem Gebot der Folgerichtigkeit genügt, wenn für den Steuerpflichtigen erkennbar und für alle Rechtsbeteiligten nachvollziehbar der Steuerzugriff in drei Schritten entwickelt wird: Zunächst muss der Gesetzgeber im Steuergegenstand, den er sachgerecht und widerspruchsfrei auszuwählen hat, eine Belastungsentscheidung treffen; diese Belastungsentscheidung muss er sodann in der Bemessungsgrundlage folgerichtig und realitätsgerecht abbilden und darf erst im Anschluss daran und darauf aufbauend gegebenenfalls steuerliche Verschonungsregeln vorsehen oder auch Steuersätze differenzieren. Die Bemessungsgrundlage findet also die Vorgaben für ihre konkrete Bestimmung im Steuergegenstand selbst vor.210 Um die Bemessungsgrundlage zu konkretisieren und entsprechend dem Anspruch einer folgerichtigen Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit auszugestalten, müssen daher die wertbildenden Faktoren, ökonomischen Wirkungszusammenhänge und rechtlichen Verknüpfungen des jeweiligen Steuergegenstandes aufgezeigt werden. Beim Steuergegenstand muss die entscheidende systematische Aufarbeitung erfolgen, insbesondere ihn muss die Steuerrechtswissenschaft im Hinblick auf die Ziele der Besteuerung „explizieren“. Nur auf dieser Grundlage kann ein Steuertatbestand gefunden werden, der die im ausgewählten Steuergegenstand zum Ausdruck kommende Leistungsfähigkeit richtig quantifiziert und so den wirtschaftlichen Gesamtvorgang realitätsgerecht abbildet. Eine solche Analyse kann im Übrigen auch helfen, steuerliche Anknüpfungspunkte für eine gleichheitsgerechte und zugleich einfache Besteuerung des Steuergegenstandes zu identifizieren. Denn es ist ein häufiges Problem, dass eine folgerichtige Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit eine hohe rechtliche Komplexität nach sich zieht.211 Die Dichotomie zwischen Steuergegenstand und Steuerbemessungsgrundlage gibt auch die weitere Struktur dieser Arbeit vor: Während in den Teilen 2 und 3 der Steuergegenstand ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ systematisch erschlossen (Teil 2) und unter dem Gesichtspunkt der Zinsberücksichtigung diskutiert (Teil 3) wird, widmet sich der vierte Teil schließlich der bzw. den konkreten Bemessungsgrundlage(n) im Hinblick auf die Besteuerung de lege lata et ferenda.

208 209 210 211

BVerfGE 117, 1 (33). BVerfGE 117, 1 (34 f.). Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 267 f. Schenke, in: FS Wahl, S. 803 (811).

56

1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

III. Zusätzliche Prämissen Wie bereits erläutert, bleibt das Leistungsfähigkeitsprinzip in seinen Details zunächst durchaus offen.212 Es lässt unterschiedliche Ableitungen zu,213 die zu unterschiedlichen Besteuerungsansätzen und -ergebnissen führen können. Um die Untersuchung in einem überschaubaren Rahmen zu halten, werden daher zwei Prämissen eingeführt. Die beiden hier vorzunehmenden Eingrenzungen – die Festlegung auf eine Besteuerung nach dem objektiven Nettoprinzip sowie die Annahme, dass juristische Personen über keine eigene steuerliche Leistungsfähigkeit verfügen – liegen dem Einkommensteuerrecht zwar auch jetzt schon (teilweise) zugrunde. Gleichwohl können sie richtigerweise dem Grundgesetz nicht unmittelbar entnommen werden, sodass es ihrer expliziten Einbeziehung bedarf. 1. Objektives Nettoprinzip Zugrunde gelegt wird zunächst eine Besteuerung nach dem objektiven Nettoprinzip. Darunter wird in der Steuerrechtswissenschaft verstanden, dass nicht einzelne erwirtschaftete Vermögenszuwächse steuerliche Leistungsfähigkeit indizieren, sondern allein das wirtschaftliche Ergebnis steuerlich belastet werden soll. Das objektive Nettoprinzip erfordert dementsprechend eine uneingeschränkte Berücksichtigung von Aufwendungen bzw. Verlusten.214 Zu besteuern ist nur der Saldo (aus positiven und negativen Faktoren). Die Anwendung des objektiven Nettoprinzips soll sich nach Ansicht eines Teils der Literatur bereits aus der Verfassung ergeben.215 Dem ist allerdings zu widersprechen, da dem Gesetzgeber in der Wahl des Prinzips, mit dem er die Steigerung der finanziellen Leistungsfähigkeit messen will, Wahlmöglichkeiten zukommen sollten.216 Eine verfassungsrechtliche Bindung des Gesetzgebers an das objektive Nettoprinzip würde diesen zu sehr einschränken. Das BVerfG hat den Verfassungsrang des objektiven Nettoprinzips bislang zwar offengelassen,217 jedoch entschieden, dass der Gesetzgeber das objektive Nettoprinzip jedenfalls dann, wenn er

212

Siehe oben C.II.2.a.(3). Hennrichs, DStJG 24, 301 (308 f.); Kirchhof, StuW 1984, 297 (311); Schmehl, in: Schön/ Beck (Hrsg.), Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 99 (115); Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 622. 214 Dazu und insbesondere zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit statt aller Röder, Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht, S. 211 f. u. 282. 215 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 8 Rz. 55; Lehner, DStR 2009, 185 (189 f.); DJT, Sitzungsbericht N zum 57. DJT, S. 214. 216 Vgl. oben 1. Teil, C.II.2.a)(3). 217 BVerfGE 126, 268 (280). 213

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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es zu einer Grundentscheidung des Steuersystems erhebt, folgerichtig umzusetzen hat. Ausnahmen bedürfen dann eines besonderen rechtfertigenden Grundes.218 Diese Grundentscheidung hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 EStG getroffen, weshalb er nunmehr verpflichtet ist, das objektive Nettoprinzip grundsätzlich konsequent umzusetzen.219 Es ist daher sinnvoll, auch der weiteren Untersuchung das objektive Nettoprinzip zugrunde zu legen. 2. Keine eigenständige Leistungsfähigkeit juristischer Personen Daneben wird ebenfalls davon ausgegangen, dass juristische Personen nicht über eine eigenständige finanzielle Leistungsfähigkeit verfügen. Die dazugehörige Kontroverse gehört zu den ältesten220 und bis heute nicht entschiedenen Grundfragen des Steuerrechts.221 Es geht im Kern um die Frage, ob Gewinne einer Körperschaft sowohl auf Ebene der Gesellschaft als auch auf Ebene der Gesellschafter (zweimal) vollumfänglich besteuert werden dürfen bzw. sollten oder ob eine wirtschaftliche Doppelbelastung der Gewinne durch eine (irgendwie geartete) gegenseitige Berücksichtigung der Steuern zu vermeiden ist. a) Meinungsstand Der Meinungsstand ist vielfach aufbereitet worden und soll hier daher nur zusammengefasst wiedergegeben werden.222 Nach der – wie man wohl sagen kann – klassischen Sichtweise223 ist eine eigenständige Besteuerung juristischer Personen gerechtfertigt, wenn nicht sogar geboten. Denn Leistungsfähigkeit sei – vereinfacht gesprochen – die Fähigkeit, Steuerleistungen aus dem Einkommen oder Gewinn zu erbringen.224 Da juristische Personen typischerweise eigenständige, im Wettbewerb aktive Organismen seien und einen Gewinn erzielen könnten, bestehe kein Zweifel,

218

BVerfGE 126, 268 (280). Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rz. 123. 220 Zur frühen Diskussion etwa Fuisting, Grundzüge der Steuerlehre, S. 190, der sich gegen eine wirtschaftliche Doppelbelastung ausspricht; dafür aber beispielsweise Bredt, Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, S. 114 f. 221 Siehe zum Streitstand Desens, in: Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, Einf. Anm. 30 ff., 265. Lfg. 2014; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 1165 ff. 222 Eingehend Wäckerlin, Betriebsausgabenabzugsbeschränkung und Halbeinkünfteverfahren, S. 49 ff.; Hey, Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa, S. 2245 ff. 223 Englisch, Dividendenbesteuerung, S. 116; Flume, StbJb 1973/74, S. 53 (68); Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 1173 f.; Wäckerlin, Betriebsausgabenabzugsbeschränkung und Halbeinkünfteverfahren, S. 59 f. 224 Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 1173. 219

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

dass sie steuerlich objektiv leistungsfähig sind.225 Ergänzend wird auch auf die Einheit der Rechtsordnung verwiesen: Die den juristischen Personen aufgrund des Zivilrechts verliehene Rechtspersönlichkeit und Abschirmung der Vermögenssphäre erlaube dem Gesetzgeber, juristischen Personen auch eine eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zuzuweisen.226 Dieser Argumentation hat sich bisher auch das BVerfG angeschlossen.227 Gegen eine solche – rein formale – Betrachtungsweise wendet sich aber ein Teil der Literatur, der eine einheitliche (wirtschaftliche) Perspektive auf Kapitalgesellschaft und Gesellschafter einnimmt.228 Danach verfügten juristische Personen über keine eigene steuerliche Leistungsfähigkeit, da hinter Kapitalgesellschaften letztlich immer natürliche Personen stünden, die die Gewinne vereinnahmten.229 Kapitalgesellschaften erwirtschafteten Gewinne weder für sich selbst noch für sogenannte Stakeholder, sondern für ihre Anteilseigner.230 Entsprechend sei der Maßstab des Leistungsfähigkeitsprinzips auf natürliche Personen zuzuschneiden.231 b) Stellungnahme Die formal-juristische Betrachtungsweise, die eine eigenständige Leistungsfähigkeit juristischer Personen annimmt, konnte so lange eine gewisse ,Systemlogik‘ für sich in Anspruch nehmen, wie Rechts- und Vermögensfähigkeit Kapital-, nicht aber Personengesellschaften zustand. Wie aber Palm jüngst gezeigt hat, vermag diese Argumentation nicht länger zu überzeugen.232 Denn die zivilrechtliche Dogmatik gesteht diese Eigenschaften mittlerweile auch Personengesellschaften zu, sodass die Rechtfertigung einer steuerlichen Ungleichbehandlung entfällt.233 Das gilt mit wenigen Einschränkungen auch hinsichtlich der Haftungsregime von Kapital- und Personengesellschaft.234 Das heißt indes noch nicht, dass eine steuerliche Doppelbelastung sowohl von Kapital- als auch von Personengesellschaften obsolet wird. Sind nämlich beide rechts- und vermögensfähig, könnte auch beiden eine eigenständige steuerliche Leistungsfähigkeit zugestanden werden.

225 Englisch, Dividendenbesteuerung, S. 116; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 1173; Wäckerlin, Betriebsausgabenabzugsbeschränkung und Halbeinkünfteverfahren, S. 59. 226 Birk, StuW 2000, 328 (333). 227 BVerfGE 116, 164 (199). 228 Desens, in: Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, Einf. Anm. 34, 265. Lfg. 2014; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 118 Rn. 234. 229 Neumark, Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik, S. 131 f. 230 Palm, JZ 2012, 297 (301). 231 Walz, Gutachten F für den 53. DJT, S. 41. 232 Palm, Person im Ertragsteuerrecht, S. 485 ff. 233 Palm, Person im Ertragsteuerrecht, S. 489 f. 234 Palm, Person im Ertragsteuerrecht, S. 511 ff.

C. Methodischer Ausgangspunkt der Arbeit

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Die Privatrechtsfähigkeit an sich kann indes nur eine objektive Leistungsfähigkeit begründen. Eine solche hat alle Rechtssubjekte formal gleich zu behandeln, sie kennt auch weder ein steuerrechtliches Existenzminimum noch eine progressive Besteuerung.235 Als entscheidendes Kriterium muss aber auch eine subjektive Leistungsfähigkeit hinzutreten. Subjektive Leistungsfähigkeit setzt ein besonderes Substrat voraus, indem sie danach fragt, ob das Rechtssubjekt Selbstzweck ist.236 Einen solchen Selbstzweck hat aber nur der Mensch. Nur er ist als Person subjektiv leistungsfähig, nicht aber eine Kapital- oder Personengesellschaft. Die privatrechtliche Vermögensrechtsfähigkeit ist also eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für steuerrechtliche Leistungsfähigkeitssubjektivität. Letztere folgt erst aus der finalen Zurechnung von Erträgen zu einer natürlichen Person.237 Ob diese Wertung nun verfassungsrechtlich zwingend ist,238 ist fraglich und soll hier dahingestellt bleiben; jedenfalls ist sie die ökonomisch wie rechtlich konsistenteste und wird aus diesem Grund der weiteren Untersuchung zugrunde gelegt. Zivilrechtliche Rechtsformen können daher nur insoweit steuerliche Relevanz haben, als sie die Leistungsfähigkeit natürlicher Personen beeinflussen.239 Dieser Gedanke findet sich inzwischen auch in Gesetzesbegründungen.240 Vor diesem Hintergrund ist die Frage, was Kapitalertrag ist, ausschließlich aus der Perspektive des Aktionärs als natürlicher Person zu beantworten. Die Vermögenssphäre des Aktionärs und die Vermögenssphäre der Aktiengesellschaft müssen in eine Gesamtbetrachtung einbezogen werden. c) Steuerrechtspraxis Dieses Verständnis liegt – im Grundsatz – ohnehin bereits jetzt dem deutschen Steuerrecht und dem Steuerrecht der größten anderen Industrienationen zugrunde. Der deutsche Gesetzgeber betrachtet bei der Besteuerung von Kapitaleinkommen die steuerliche Gesamtbelastung des Aktionärs unter Berücksichtigung der Vorbelastung auf Ebene der Gesellschaft.241 In Frankreich gilt seit 2005 ein Teileinkünfteverfahren, das zuvor mit Körperschaftsteuer belastete Dividenden zu 40 % von der Einkommensteuer freistellt.242 Das Vereinigte Königreich (UK) vermeidet eine wirtschaftliche Doppelbelastung durch ein Anrechnungsverfahren, das auf ausgeschüttete

235

Palm, Person im Ertragsteuerrecht, S. 541 f. Palm, Person im Ertragsteuerrecht, S. 542. 237 Ähnlich Palm, Person im Ertragsteuerrecht, S. 543. 238 So aber explizit Palm, Person im Ertragsteuerrecht, S. 543. 239 Pezzer, DStJG 25 (2002), 37 (48 f.). 240 BT-Drs. 14/2683, S. 93 f. 241 BT-Drs. 16/4841, S. 33. 242 Crucifix, in: Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Ländereintrag Frankreich, Rn. 142 f., 90. Lfg. 2012. 236

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1. Teil: Kapitalerträge als Forschungsgegenstand

Dividenden eine Steuergutschrift gewährt.243 In den Vereinigten Staaten werden Körperschaften und ihre Anteilseigner nach dem klassischen System besteuert, doch werden Dividenden beim Anteilseigner mit höchstens 15 % besteuert;244 Japan schließlich gewährt eine Teilanrechnung der Körperschaftsteuer der von inländischen Kapitalgesellschaften empfangenen Dividenden.245

243 Alberts, in: Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Ländereintrag Großbritannien, Rn. 182 u. 229 f., 88. Lfg. 2011. 244 Bomm/Hölscher, in: Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Ländereintrag USA, Rn. 218., 79. Lfg. 2009. 245 Arnold, in: Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Ländereintrag Japan, Rn. 251, 83. Lfg. 2010.

2. Teil

Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik des Steuergegenstandes ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ Im zweiten Teil der Arbeit soll durch Konkretisierung der zuvor gefundenen Verfassungsvorgaben und Prämissen der Steuergegenstand ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ näher bestimmt werden. Diese Konkretisierung erfolgt in zwei Schritten: Zunächst werden die theoretischen Grundlagen dargelegt, die zur Konkretisierung herangezogen werden. Daraufhin werden diese Grundlagen dahingehend untersucht, welche Schlussfolgerungen aus ihnen im Hinblick auf die Bestimmung des Steuergegenstandes ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ zu ziehen sind.

A. Theoretische Grundlagen Im Rahmen der theoretischen Grundlagen sind – die Preisbildung am Aktienmarkt, – gesellschaftsrechtliche Maßnahmen bei börsennotierten Aktiengesellschaften und ihre wirtschaftlichen Wechselwirkungen, – die Rechnungslegung börsennotierter Aktiengesellschaften sowie – die langfristige Entwicklung von Aktienmärkten zu erläutern.

I. Preisbildung am Aktienmarkt (Kapitalmarkttheorie) Für das richtige Verständnis der ,Entstehung‘ von Kapitalerträgen, insbesondere des Zustandekommens des für einen Veräußerungsgewinn relevanten Aktienkurses auf dem Sekundärmarkt, leistet die Finanzmarkttheorie einen wichtigen Beitrag. Sie beschäftigt sich seit Langem mit der Frage, nach welchen Kriterien sich Kurse am Aktienmarkt bilden. Zu diesem Zweck entwickelt und untersucht sie Methoden, mit denen der Wert von Aktien bzw. Aktiengesellschaften möglichst präzise ermittelt

62

2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

werden kann. Und sie untersucht, welche weiteren Faktoren bei der Kursbildung eine Rolle spielen. Hinsichtlich der Aktienbewertung steht allerdings nicht die Frage im Fokus, welche der Bewertungsmethoden die juristisch richtige ist, was etwa im Rahmen des § 305 AktG sowie der §§ 327a ff. AktG von Bedeutung ist.1 Vielmehr nimmt die Methode der Aktienbewertung für diese Arbeit nur eine erklärende Rolle ein. 1. Aktienbewertung Die theoretische Ermittlung des Wertes einer Aktie kann von zwei Seiten angegangen werden. Zum einen kann der Wert einer einzelnen Aktie indirekt aus der Gesamtbewertung der Aktiengesellschaft abgeleitet werden. Zum anderen lässt sich der Wert einer Aktie direkt bzw. genuin aus sich selbst heraus ermitteln.2 Die indirekte Wertermittlung verweist auf die Grundlagen der Unternehmensbewertung. Diese basiert heutzutage vorwiegend auf dem Discounted-CashflowVerfahren, das den Gegenwartswert der im Unternehmen generierten Free Cashflows (Gewinne auf Unternehmensebene) zu ermitteln versucht. Der Wert einer einzelnen Aktie ergibt sich dann schlicht durch Division des ermittelten Unternehmenswertes durch die Anzahl der ausstehenden Aktien. Die direkten Methoden der Aktienwertermittlung setzen dagegen nicht bei den auf Unternehmensebene generierten Geldströmen an, sondern fassen den Vermögenstransfer von der Aktiengesellschaft an den Aktionär ins Auge. Das ist ein entscheidender Unterschied, da die Wertgenerierung auf Unternehmensebene nicht zwingend in einen gleich hohen Vermögenstransfer an die Aktionäre münden muss. Da hier die Sichtweise des Aktionärs und der Vermögenszufluss bei ihm im Mittelpunkt stehen, orientiert sich auch die weitere Darstellung an der direkten Aktienbewertung. a) Zeitwert von Geld Für fast alle Bewertungsmethoden spielt der Zeitwert von Geld eine entscheidende Rolle. Denn ,Geld‘ ist nicht gleich ,Geld‘. Geld, das heute zur Verfügung steht, wird ein höherer Wert beigemessen als Geld, das erst in einem Jahr erlangt werden kann. Denn Geld besitzt einen sogenannten Zeitwert. Je weiter der Zeitpunkt, zu dem das Geld zur Verfügung steht, in der Zukunft liegt, desto weniger ist dieser Geldbetrag heute wert. Man spricht vom Gegenwartswert des Geldes, der sich durch eine sogenannte Abzinsung (Diskontierung) zukünftig zur Verfügung stehender Geldbeträge ermitteln lässt.3 Als Grund für den Zeitwert des Geldes wird die Konsumpräferenz des Menschen angeführt. Heutiger Konsum werde grundsätzlich zu1

Hierzu umfassend Hirte/Hasselbach, in: GroßK AktG, § 305 Rn. 111 ff. Volkart, Corporate Finance, S. 505. 3 Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, Kap. 2 – 1, S. 18; Volkart, Corporate Finance, S. 182 f. 2

A. Theoretische Grundlagen

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künftigem Konsum vorgezogen,4 was unter anderem durch Geldentwertung infolge von Inflation bedingt sein kann. Der Abzinsungsprozess lässt sich als komplementärer Vorgang zur Verzinsung verstehen. Während heute verfügbares Geld durch Anlage bei einer Bank bzw. allgemeiner am Kapitalmarkt in der Zukunft aufgrund des Zinseszinseffektes mehr wert sein wird, lässt sich dieser Prozess auch umgekehrt denken und einem Geldbetrag, der erst in 10 Jahren erlangt wird, sein theoretischer heutiger Wert zuordnen. Welchen Wert ein zukünftiger Geldbetrag heute hat, hängt vom Diskontierungsfaktor (komplementär zum Zinsfaktor) ab. Je höher er ist, desto geringer ist der Gegenwartswert einer in der Zukunft liegenden Geldzahlung. In welcher Höhe der Zinssatz gewählt wird, hängt wiederum davon ab, welche Renditeerwartungen an das eigene investierte Kapital gestellt werden.5 Die Abzinsung erfolgt umgekehrt zur Verzinsung. Während bei der Verzinsung der Geldbetrag mit dem Zinssatz multipliziert wird, wird bei der Abzinsung der Geldbetrag durch den Zinssatz dividiert. So errechnet sich der Zukunftswert eines heute verfügbaren Geldbetrages (Verzinsung) nach VZ ¼ K ? zt , während man den Gegenwartswert eines erst zukünftig verfügK baren Geldbetrages (Abzinsung) gemäß VG ¼ t erhält. z Dabei steht ,V‘ für das Vermögen (Z = Zukunft, G = Gegenwart), ,K‘ für das Kapital, ,z‘ für den Zinssatz und ,t‘ für die Anzahl der Jahre. b) Bewertungsmodelle Unter Zugrundelegung des Zeitwertes von Geld lassen sich im Wesentlichen drei Modelle zur direkten Aktienbewertung unterscheiden: das Gewinnmodell, das Dividendendiskontierungsmodell und das Dividendenwachstumsmodell.6 Das Gewinnmodell basiert auf der Grundannahme, dass das Unternehmen weder wächst noch schrumpft und als Dividende den jedes Jahr gleich bleibenden Reingewinn pro Aktie ausschütten kann. Der Wiederverkaufserlös der Aktie wird vernachlässigt, da bei Annahme einer ewigen Haltedauer der Aktie der Verkaufserlös so weit in der Zukunft liegt, dass sein Gegenwartswert nahe null ist. Der heutige Wert der Aktie (Kurs0) wird nun aus der Höhe des zu erwartenden durchschnittlichen Gewinns pro Aktie (EPS für Earnings per Share) und der vom Aktionär verlangten Rendite auf seine Anlage (ZinsEK für auf das Eigenkapital geforderter Zinssatz) berechnet: 4

Fisher, The Theory of Interest, S. 65. Siehe zur Bestimmung des Zinssatzes sogleich unten 2. Teil, A.I.1.c). 6 Zum Folgenden Volkart, Corporate Finance, S. 508 ff.; die Darstellung skizziert lediglich die Grundlagen der Aktienbewertung, die in der betriebswirtschaftlichen Literatur mit verschiedenen Schwerpunkten verfeinert wurden; diese theoretischen Ausdifferenzierungen können hier vernachlässigt werden, da sie für das Verständnis der Grundsystematik nicht notwendig sind. 5

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Kurs0 ¼

EPS . ZinsEK

Das Dividendendiskontierungsmodell legt differenziertere Annahmen als das Gewinnmodell zugrunde. Insbesondere wird nicht mehr davon ausgegangen, dass stets der gesamte Unternehmensgewinn ausgeschüttet wird und die Dividenden ewig gleich bleiben. Der heutige Aktienwert (Kurs0) errechnet sich vielmehr aus der Summe aller in Zukunft erwarteten Dividenden (Dt), wobei jede Dividende wie zuvor abgezinst wird (1+ZinsEK): 1 X Dt Kurs0 ¼ . ð1 þ ZinsEK Þt t¼1 Als weitere Variante geht das Dividendenwachstumsmodell von einem konstanten Wachstumsfaktor (1+g) der Dividenden (D1) aus: 1 X D1 1 ð1 þ gÞt@1 D1 Kurs0 ¼ . t = ðk @ gÞ ð1 þ Zins Þ EK EK t¼1 An allen drei Modellen zeigt sich, dass der Gegenwartswert bzw. -kurs der Aktie sowohl vom erwarteten Zinssatz als auch von der Höhe der erwarteten Dividenden abhängt. Insbesondere kleine Veränderungen des erwarteten Wachstums der Dividende können den Aktienwert erheblich beeinflussen. Dies verdeutlicht folgendes Beispiel:7 Der Bewertung einer Aktie liegt zugrunde, dass die nächste Dividende 1 Euro beträgt und fortan mit einer Rate von 9 % jährlich wächst. Zudem wird eine Rendite von 10 % vom Anleger erwartet. Der Aktienwert ist dann: Kurs0 ¼

1 ¼ 100. 0; 1 @ 0; 09

Beträgt die Wachstumsrate stattdessen lediglich 6 %, so fällt der Aktienwert auf nur noch ein Viertel des ursprünglichen Wertes von 100 Euro: Kurs0 ¼

1 ¼ 25. 0; 1 @ 0; 06

Bereits unerheblich erscheinende Änderungen des in Zukunft erwarteten Wachstums der Dividende können den gegenwärtigen Aktienkurs also erheblich sinken oder steigen lassen. Solche Erwartungsänderungen können etwa Folge von Ad-hoc-Mitteilungen der Aktiengesellschaft oder auch von bloßen Marktgerüchten sein. Ein Aktienwert lässt sich ferner auf der Basis einer Gewinnthesaurierung errechnen. In diesem Fall wird angenommen, dass das Unternehmen die Gewinne nicht – wie bisher unterstellt – ausschüttet, sondern stattdessen einbehält und reinvestiert. Unternehmen behalten auch in den bisherigen Modellen unter Umständen einen Teil 7

Entnommen aus Volkart, Corporate Finance, S. 512.

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des Gewinns ein, um durch Investitionen die Wirtschaftsgrundlage für eine dauerhafte Ausschüttung von Dividenden zu sichern. Darüber hinaus kann die Aktiengesellschaft aber zusätzlich auch die nicht für den Erhalt der laufenden Geschäftstätigkeit benötigten Gewinne, die normalerweise ausgeschüttet werden würden, einbehalten – das heißt thesaurieren –, um in neue Projekte zu investieren.8 Auch für solche Fälle lässt sich ein Aktienwert formelhaft modellieren. Seine Berechnung erfolgt komponentenweise aus einem Wert, der sich an einer der klassischen Bewertungsmethoden orientiert, und zusätzlich einem Wert, der die zukünftigen Wachstumsmöglichkeiten des Unternehmens aus thesaurierten Gewinnen abbildet.9 Die Methoden zur Berechnung komponentenweise konstruierter Aktienwerte beruhen oft auf sehr komplexen mathematischen Formeln, die aber immer Annahmen über die Höhe zukünftiger Gewinne enthalten. Auch hier haben daher bereits kleine Korrekturen der erwarteten Entwicklung der Gewinne in der Zukunft – wie zuvor vereinfacht gezeigt – erhebliche Auswirkungen auf den gegenwärtigen Aktienwert. c) Rendite und Risiko Unerwähnt blieb bisher, wie genau sich der im vorigen Kapitel erwähnte – und in den Formeln verwendete – Diskontierungsfaktor (bzw. Eigenkapitalzins) bestimmt. Das den Diskontierungsfaktor bestimmende Kriterium ist die Zinserwartung des Anlegers – hier eines Aktionärs – an sein investiertes Kapital.10 Diese Zinserwartung setzt sich aus einem risikolosen Basiszinssatz für den gegenwärtigen Verzicht auf das Kapital und einem variablen Risikoaufschlag zusammen.11 Da Anleger grundsätzlich risikoavers sind, das heißt, Risiko zu vermeiden versuchen, verlangen sie für das Eingehen von Risiko eine Prämie.12 Je höher das eingegangene Risiko ist, desto höher ist die erwartete Prämie. Unter Risiko wird in der Finanzierungslehre jedoch nicht nur die Gefahr verstanden, das eingesetzte Kapital teilweise oder vollständig (durch Insolvenz der Aktiengesellschaft) zu verlieren. Vielmehr bezieht sich ,Risiko‘ auch auf die Kursschwankungen der Aktie, die Volatilität.13 Kursschwankungen bedeuten Unsi8 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist eine solche Thesaurierung allerdings nur sinnvoll, wenn das Unternehmen mit den einbehaltenen Gewinnen einen höheren Zusatzgewinn erwirtschaften kann, als dies dem Anteilseigner des Unternehmens nach einer Ausschüttung der Gewinne selbst auf andere Weise am Kapitalmarkt möglich wäre. Daher werden die Aktionäre in der Regel nur dann mit einer vollständigen Thesaurierung der Gewinne einverstanden sein, wenn die Aktiengesellschaft eine höhere Rendite als ihre Aktionäre erzielen kann. 9 Siehe dazu detailliert Volkart, Corporate Finance, S. 514 ff. 10 Zum Folgenden umfassend aus der juristischen Literatur Hirte/Hasselbach, in: GroßK AktG, § 305 Rn. 195 ff. 11 Hirte/Hasselbach, in: GroßK AktG, § 305 Rn. 220. 12 Berk/DeMarzo, Grundlagen der Finanzwirtschaft, S. 97. 13 Genau genommen auf die Kursschwankungen im Verhältnis zu den Schwankungen anderer Anlagen in der Volkswirtschaft, siehe Berk/DeMarzo, Grundlagen der Finanzwirtschaft, S. 100.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

cherheit, sie bedeuten für den Anleger ,Stress‘. Je volatiler also der Kurs einer Aktie ist, das heißt, je ausgeprägter die Kursschwankungen sind, desto höher ist auch die erwartete Risikoprämie. Das Risiko einer einzelnen Aktie kann durch eine ausreichende Diversifikation ausgeglichen werden.14 In einem Aktienportfolio spielt das Insolvenzrisiko einer einzelnen Aktie nur noch eine untergeordnete Rolle, von größerer Bedeutung ist die grundsätzliche Anfälligkeit des Portfolios für Kursschwankungen, was als Marktrisiko bezeichnet wird. Das Verhältnis des individuellen Risikos einer einzelnen Aktie zum Marktrisiko wird durch das sogenannte Beta ausgedrückt; dieses b gibt an, wie volatil eine Aktie im Verhältnis zum Aktienmarktdurchschnitt, dem Marktrisiko, ist. Mit zunehmender Volatilität der Aktie – und damit höherem b – steigt das individuelle ,Risiko‘ der Aktie, womit die individuelle Zinserwartung der Aktionäre erhöht wird.15 Kursgewinne und -verluste einer Aktie resultieren im Rahmen der Aktienkursbewertung somit nicht nur aus einer Veränderung der erwarteten zukünftigen Dividenden, sondern auch aus einer Veränderung des verlangten Diskontierungsfaktors, die auf einer höheren Volatilität der Aktie beruhen kann. d) Einfluss von Informationsasymmetrien Die Erwartungen hinsichtlich der Höhe der zukünftigen Dividenden der Aktiengesellschaft können durch Informationsasymmetrien beeinflusst werden. Die Aktionäre einer börsennotierten Aktiengesellschaft verfügen in der Regel über eine schlechtere Informationslage als der Vorstand der Aktiengesellschaft. Denn letzterer ist mit den Details interner Planungen vertraut und hat Zugriff auf genauere interne Daten. Es liegt eine Informationsasymmetrie zwischen beiden Akteuren vor. Aktionäre und potenzielle Aktionäre versuchen daher, aus dem Verhalten des Vorstands Informationen zur Lage der Gesellschaft abzuleiten.16 So ist die Theorie entwickelt worden, dass (potenzielle) Aktionäre dem Vorschlag des Vorstandes zur Dividendenausschüttung besondere Bedeutung zumessen. Erhöht der Vorstand die Dividenden, antizipiert der Markt die Ausschüttung höherer Dividenden auch für die Zukunft; kürzt er hingegen die Dividende, wird dies als Signal einer auch in Zukunft schlechteren Ertragslage gedeutet.17 Diese Erwartung basiert unter anderem auf der Idee, dass Unternehmen versuchen, eine möglichst konstante

14

Siehe hierzu Berk/DeMarzo, Grundlagen der Finanzwirtschaft, S. 353 ff. Zum Zusammenhang zwischen Risiko und Renditeerwartung nach dem sogenannten ,Capital Asset Pricing Model‘ aus der juristischen Literatur eingehend Hirte/Hasselbach, in: GroßK AktG, § 305 Rn. 220 ff. 16 Überblicksartig zum Folgenden Berk/DeMarzo, Grundlagen der Finanzwirtschaft, S. 640 f. 17 Bhattacharya, Bell Journal of Economics 10 (1979), 259 (269 f.). 15

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Dividendenausschüttung, eine sogenannte Dividendenkontinuität, einzuhalten.18 Wenn die Dividende also erhöht wird, sei mit einer dauerhaft höheren Dividende zu rechnen und umgekehrt.19 Aus diesem Grund wird im Übrigen auch der Ankündigung einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ein besonderer Informationswert beigemessen. Denn da der nominelle Dividendensatz nach einer solchen Kapitalerhöhung in der Regel gleich bleibt, führt die Maßnahme angesichts der anschließend höheren Zahl von Aktien faktisch zu einer (von den Aktionären als dauerhaft erwarteten) realen Dividendenerhöhung.20 e) Empirischer Befund Der Zusammenhang zwischen Aktienkursentwicklung und erfüllten bzw. nicht erfüllten Ertragserwartungen der Analysten ist auch empirisch bestätigt worden.21 Er deckt sich aber auch mit dem täglich zu beobachtenden Börsengeschehen: Meldungen über erfolgreiche Geschäftsabschlüsse oder eine höhere Dividende als erwartet führen unmittelbar zu Kursgewinnen; Gewinnwarnungen haben dagegen zumeist einen augenblicklichen Kursverlust zur Folge. Die Aktie des amerikanischen Unternehmens Facebook verlor beispielsweise nach der Vorlage mäßiger Quartalszahlen erheblich an Wert.22 Ausschlaggebend dafür war in erster Linie nicht, dass die unmittelbar anstehende Dividende geringer ausfiel als erwartet, sondern die Tatsache, dass das Geschäftsmodell von Facebook noch nicht so ausgereift war wie erwartet und daher generell für die Zukunft mit niedrigeren Erträgen zu rechnen war. Auch die Theorie zum Einfluss von Informationsasymmetrien ist empirisch untersucht und teilweise bestätigt worden. Dividendenveränderungen beeinflussen tatsächlich den Kurs.23 Ob die Erwartungen im Hinblick auf dauerhaft höhere Dividenden aber auch begründet sind, bleibt unter Ökonomen umstritten.24 Die Si18 Diese Theorie ist von Lintner, American Economic Review 46 (1956), 97 ff., aufgestellt worden. 19 Das Ausmaß der Informationsasymmetrie ist allerdings von Kultur und Rechtssystem abhängig. So gibt es in Japan eine intensivere Kommunikation zwischen der Unternehmensleitung und wichtigen Investoren als in westlichen Ländern. Japanische Unternehmen sind infolgedessen nicht nur eher bereit, ihre Dividenden bei schlechterer Ertragslage zu reduzieren, sondern der entsprechende Kursrückgang fällt auch geringer aus, siehe Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, Kap. 16, S. 405; siehe auch Dewenter/Warther, Journal of Finance 53 (1998), 879 (902). 20 Hirte, in: GroßK AktG, § 207 Rn. 37. 21 Copeland, Journal of Applied Finance 12 (2002), 5 (7 f.). 22 Siehe FAZ v. 6. 8. 2012, S. 11. 23 Asquith/Mullins, Journal of Business 56 (1983), 77 (93 f.). 24 Healy/Palepu, Journal of Financial Economics 21 (1988), 149 (173), bejahen dies, Grullon/Michaely/Swaminathan, Journal of Business 75 (2002), 387 (421 f.), stellen das Gegenteil fest und bieten auch eine andere Ursache-Wirkungs-Theorie an.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

gnalwirkung einer Anhebung der Dividende ist regelmäßig auch ein25 Grund für Aktienrückkaufprogramme.26 Wollen Unternehmen überschüssige Barmittel an ihre Aktionäre ausschütten, ohne eine ,faktische‘ Bindung der Unternehmensleitung für spätere Dividendenzahlungen zu erzeugen, kann dies durch Aktienrückkäufe geschehen. Andererseits wird auch Aktienrückkäufen ein Informationsgehalt zugestanden: Das Unternehmensmanagement würde dem Markt damit signalisieren, dass es die Aktie für unterbewertet hält.27 Rückkaufprogramme rufen daher nachweislich positive abnormale Renditen der jeweiligen Aktie von nahezu einem Prozent hervor, sowohl im Euroraum insgesamt28 als auch in Deutschland29. Dabei konnte auch gezeigt werden, dass die bloße Benachrichtigung des Marktes über den Aktienrückkauf die Überrendite verursacht, nicht die Ankauftransaktion durch die Gesellschaft.30 Informationsasymmetrien gelten ebenfalls als Grund für Kurseffekte im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen gegen Einlagen. Denn neben der ,normalen‘ Kursreadjustierung31 wird einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen ein Informationswert bezüglich der Lage der Gesellschaft zugeschrieben, etwa dass das Management annimmt, in Zukunft höhere Erträge erzielen zu können.32 2. Marktineffizienzen In der Realität werden Aktienkurse durch weitere Faktoren beeinflusst, die sich als Marktineffizienzen zusammenfassen lassen. Diese Marktineffizienzen haben grundsätzlich nichts mit der Fundamentalbewertung einer Aktie zu tun. a) Angebot-Nachfrage-Ungleichgewichte Für die kurzfristige Veränderung von Aktienkursen ist das Verhältnis von Angebot zur Nachfrage der konkreten Aktie von Bedeutung. Geringfügige Kursveränderungen finden ihre Ursache oft nicht in einer Änderung des Erwartungswertes, sondern in der Tatsache, dass einem bestimmten Verkaufsangebot an Aktien keine entsprechende Kaufnachfrage bzw. einer bestimmten Kaufnachfrage kein entspre25

Der andere Grund ist die steuerliche Bevorzugung von Aktienrückkäufen gegenüber Dividenden in einigen Ländern. 26 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 5 Rn. 100; Kellerhals/Rausch, AG 2000, 222 (223); Merkt, in: GroßK AktG, § 71 Rn. 20; Volkart, Corporate Finance, S. 714 f. 27 Europäische Zentralbank, Monatsbericht Mai 2007, S. 119. 28 Europäische Zentralbank, Monatsbericht Mai 2007, S. 118. 29 Gerke/Fleischer/Langer, in: Börsig/Coenenberg (Hrsg.), Bewertung von Unternehmen, S. 275 (291); zu noch höheren Renditen kommen Bayer/Hoffmann/Weinmann, ZGR 36 (2007), 457 (469). 30 Bayer/Hoffmann/Weinmann, ZGR 36 (2007), 457 (459). 31 Siehe unten 2. Teil, A.II.4.b)(2). 32 Bollinger, Die Entwicklung von Börsenkursen im zeitlichen Umfeld von Kapitalerhöhungen, S. 40 f.

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chendes Verkaufsangebot gegenübersteht. Solche Ungleichgewichte können zu Kursschwankungen führen, sowohl in Form von Kursgewinnen als auch in Form von Kursverlusten. Verschiedene Ursachen spielen dabei eine Rolle: Beispielsweise treten solche Ungleichgewichte auf, wenn Aktionäre mit wesentlichen Beteiligungen gezwungen sind, ihre Beteiligung an einem Unternehmen zu verkaufen oder zu reduzieren. Dies kann etwa bei Fondsgesellschaften der Fall sein, die ausschließlich in Aktien bestimmter (Größen-)Gattungen investieren. Wird eine Aktiengesellschaft etwa vom Deutschen Aktienindex (DAX) in den nachrangigen MDAX herabgestuft, weil sie bestimmte Kriterien nicht mehr erfüllt, kann dies dazu führen, dass einige Fondsgesellschaften ihr finanzielles Engagement hinsichtlich dieser Aktie reduzieren oder ganz aufgeben. Ebenso kann die Ausgliederung und anschließende Börsennotierung einer Tochtergesellschaft mit einem zur Muttergesellschaft unterschiedlichen Unternehmensgegenstand einen Fonds zum Verkauf dieser Aktie zwingen.33 Das kann zu einem nicht unerheblichen Angebotsdruck im Markt führen, insbesondere wenn mehrere bedeutende Marktakteure ähnlichen Restriktionen unterliegen. Ein Überangebot kann auch entstehen, wenn Haltefristen bestimmter Aktionärsgruppen auslaufen. Dies führt dann regelmäßig zu einem teilweise erheblichen Kursrückgang. So sackte der Aktienkurs des amerikanischen Unternehmens Groupon innerhalb weniger Tage rasant ab, nachdem eine Haltefrist für Aktionäre, die schon vor der Börsennotierung am Unternehmen beteiligt waren, geendet hatte.34 Dasselbe Ereignis führte beim börsennotierten Unternehmen Facebook zu Beginn des entsprechenden Handelstages zu einem Kursverlust von 7 Prozent – es wurde mehr als das Dreifache des üblichen Durchschnittsvolumens gehandelt.35 Ebenso sank der Kurs der LinkedIn-Aktie nach dem Ablauf einer sechsmonatigen Haltefrist für frühe Investoren.36 Andere Effekte können dagegen zu einem Kursanstieg führen, der auf einer Zwangsnachfrage beruht. Interessant ist in diesem Zusammenhang insbesondere der kurzzeitige extreme Kursausschlag der VW-Aktie im Oktober 2008. Die VW-Aktie vervierfachte ihren Wert innerhalb von zwei Tagen, da viele institutionelle Anleger sich verpflichtet hatten, die Aktie zu niedrigen Kursen zu verkaufen, aber nur wenige VW-Aktien tatsächlich im Markt zur Verfügung standen.37 Als die Käufer dieser Optionen eine Lieferung der VW-Aktie verlangten, schoss der Kurs mangels ausreichenden Angebots in die Höhe.

33 34 35 36 37

FAZ v. 5. 7. 2012, S. 18. Handelsblatt v. 24. 11. 2011, S. 22. FAZ v. 17. 8. 2012, S. 21. Handelsblatt v. 30. 11. 2011, S. 10. FAZ v. 30. 10. 2008, S. 13.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Weil das relative Gewicht einer Aktie am DAX von seiner Marktkapitalisierung38 abhängt,39 wuchs durch diesen Kursanstieg gleichzeitig das relative Gewicht der VW-Aktie am DAX.40 Dadurch waren Aktienfonds, die mit ihrem Portfolio ausschließlich oder teilweise den DAX nachbilden, gezwungen, ebenfalls VW-Aktien nachzukaufen, um ihren Anlagerichtlinien zu genügen.41 Das führte zusätzlich zu einer höheren Nachfrage bei weiterhin kaum angebotenen VW-Aktien. In allen diesen Fällen rühren die Kursveränderungen nicht von veränderten Gewinnprognosen, sondern von der Tatsache her, dass das Angebot von und die Nachfrage nach bestimmten Aktien zu weit auseinanderliegen.42 Will oder muss eine Seite aber eine Markttransaktion unbedingt herbeiführen, ist eine (erhebliche) Preisanpassung die Folge, die unabhängig von Ertragserwartungen erfolgt. b) Marktpsychologie Auch die ,Marktpsychologie‘ kann zu Verwerfungen führen. Eine Anomalie ist beispielsweise das sogenannte ,Herdenverhalten‘, bei dem Anleger versuchen, das Verhalten des jeweils anderen nachzuahmen.43 Das kann mehrere Gründe haben. So kann es für professionelle Fondsmanager rational sein, bei ihren Anlageentscheidungen nicht zu sehr aus dem ,Mainstream‘ auszuscheren, um ihre Reputation nicht zu beeinträchtigen.44 Sie orientieren ihre eigenen Anlageentscheidungen an denen anderer Investoren, anstatt auf ihre eigene Marktanalyse zu vertrauen. So können sie im Falle einer schlechten Investition darauf verweisen, dass auch andere diesen Fehler begangen haben. Eine andere Untersuchung zeigt, dass komplexe Informationsstrukturen in einem Markt einen Anreiz für Herdenverhalten darstellen können. Anleger würden unterstellen, dass andere Marktakteure besser informiert seien, weshalb sie deren Anlageverhalten folgten.45 Solche Verhaltensweisen können zu einer erhöhten Marktvolatilität46 oder sogar zu Preisblasen mit anschließenden Marktabstürzen47 führen. Die Kursentwicklung spiegelt in solchen Fällen also nicht mehr den ,inneren‘ Wert einer Aktie wider, sondern verläuft irrational. 38 Unter Marktkapitalisierung versteht man das Produkt aus Kurs und ausstehenden Aktien, also den Gesamtwert des Unternehmens, wie er sich aus dem aktuellen Börsenkurs ergibt. 39 Deusche Börse, Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, S. 38. 40 Die VW-Aktie erreichte am 28. 10. 2008 einen Anteil von 27 % am DAX, vgl. Deutsche Börse, Pressemitteilung v. 28. 10. 2008. 41 FAZ v. 29. 10. 2008, S. 9. 42 Vgl. auch FAZ v. 30. 10. 2008, S. 3. 43 Berk/DeMarzo, Grundlagen der Finanzwirtschaft, S. 469. 44 Scharfenstein/Stein, American Economic Review 80 (1990), 465 (477). 45 Avery/Zemsky, American Economic Review 88 (1998), 724 (735 f.). 46 So Scharfenstein/Stein, American Economic Review 80 (1990), 465 (477). 47 So Avery/Zemsky, American Economic Review 88 (1998), 724 (737).

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Eine andere Anomalie sind Börsenstimmungen. Das ,Wohlbefinden‘ der Marktakteure beeinflusst offensichtlich deren Investitionsentscheidungen. So konnten statistisch Zusammenhänge zwischen dem Wetter an einem Börsenplatz und der Marktentwicklung an der betreffenden Börse gefunden werden.48 An sonnigen Tagen sind die Aktienrenditen demzufolge tendenziell höher als an bewölkten Tagen. Auch der Ausgang großer Sportveranstaltungen kann wohl die Börsenstimmung beeinflussen.49 Diese Zusammenhänge mögen teilweise bizarr anmuten, und es lässt sich nie ausschließen, dass auch noch andere Faktoren für bestimmte Marktvorgänge von Bedeutung waren, gleichwohl handelt es sich um statistisch nachweisbare Effekte. Das Geschehen an der Börse beruht bisweilen also auf irrationalen Kalkülen bzw. Verhaltensweisen der Marktakteure. 3. Monetäre Einflussfaktoren In der Literatur wird ferner darauf hingewiesen, dass die klassische Aktienbewertung einige Widersprüche des Aktienmarktes nicht hinreichend erklären kann. So ist etwa bisweilen zu beobachten, dass während einer Hochkonjunktur mit hohen Unternehmensgewinnen die Aktienkurse fallen, wohingegen die Kurse während einer Rezession durchaus steigen können.50 Dieses ,Phänomen‘ wird auf monetäre Faktoren zurückgeführt. Dazu zählen insbesondere die durch die Notenbank beeinflussten Größen ,Geldmenge‘ und ,Zins‘, die zu veränderten Nachfrageverhältnissen zwischen den einzelnen Investitionsgütern führen können.51 Senkt die Zentralbank etwa ihren Leitzins, sinken in der Regel auch die auf Festgeldanlagen gezahlten Zinsen, sodass Festgeld im Verhältnis zu Aktien unattraktiver wird und verstärkt in Aktien investiert wird. Ebenso kann eine Ausweitung der Geldmenge zu einer stärkeren Nachfrage nach Aktien führen und die Aktienkurse entsprechend steigen lassen. Die Kursentwicklung wird somit auch von Einflüssen stimuliert, die keinerlei Bezug zur einzelnen zu analysierenden Aktiengesellschaft haben.

II. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen und ihre wirtschaftlichen Wechselwirkungen Die Aktienbewertung erklärt das Entstehen von Kursgewinnen und -verlusten, die auf das Vermögen des Aktionärs insbesondere im Fall einer Veräußerung der Aktie 48

Hirshleifer/Shumway, Journal of Finance 58 (2003), 1009 (1026). Aktienmärkte weisen eine statistisch signifikante negative Rendite auf, wenn die Nationalmannschaft in einer für das Land wichtigen Sportart am Tag zuvor verloren hat, siehe Edmans/Garcia/Norli, Journal of Finance 62 (2007), 1967 (1984). 50 Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 238. 51 Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 240. 49

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Einfluss haben. Solange ein Aktionär an einer Aktiengesellschaft beteiligt ist, spielt dagegen die gesellschaftsrechtliche Beziehung zwischen Aktionär und Aktiengesellschaft die wichtigere Rolle für die Vermögenssituation des Aktionärs. Die daraus resultierenden Vermögensmehrungen und -einbußen beeinflussen die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Aktionärs maßgeblich. Das Gesellschaftsrecht sieht eine Vielzahl von Möglichkeiten vor, wie Vermögen von der Aktiengesellschaft auf den Aktionär oder vom Aktionär auf die Aktiengesellschaft übertragen werden kann, wie das Vermögen der Aktiengesellschaft umstrukturiert, Kapital erhöht oder herabgesetzt oder auch nur neu gestückelt werden kann. Aber auch Erwerb und Verlust der Gesellschafterstellung sind in diesem Zusammenhang ergänzend zu erörtern. Alle diese Maßnahmen tangieren das Vermögen des Aktionärs. Im Folgenden werden die einzelnen vermögensbeeinflussenden gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen dar- und möglichen (ebenfalls vermögenswirksamen) wirtschaftlichen Wechselwirkungen beim Aktionär gegenübergestellt. Soweit angebracht und verfügbar werden zur Verdeutlichung der Wechselwirkungen auch empirische Ergebnisse angeführt. Die Darstellung beschränkt sich auf die wichtigsten gesellschaftsrechtlichen Vorgänge, die aber gleichwohl hinreichend geeignet sind, um aus ihnen die maßgeblichen Vorgaben für eine Systematik abzuleiten. Alle Vorgänge einzubeziehen, würde den Rahmen der Untersuchung sprengen. Eingegangen wird deshalb auf Barund Sachdividenden, den Rückerwerb eigener Aktien sowie die Thesaurierung als Formen der Gewinnverwendung, Auf- und Abspaltung sowie Ausgliederung als umwandlungsrechtliche Maßnahmen, die wesentlichen Formen der Kapitalherabsetzung und -erhöhung und schließlich Veräußerung, Squeeze-out und Einziehung von Aktien als Möglichkeiten eines Verlustes der Gesellschafterstellung. Nicht näher werden dagegen insbesondere Mischformen zwischen Eigen- und Fremdkapital, das heißt in erster Linie Wandel- und Optionsanleihen (§ 221 AktG) und das damit im Zusammenhang stehende ,bedingte Kapital‘ (§§ 192 ff. AktG) behandelt.52 Ebenso bedarf die Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (§§ 202 ff. AktG), die in ihren Vermögenswirkungen denen der Kapitalerhöhung gegen Einlagen entspricht,53 keiner separaten Darstellung. Auch wird nicht auf alle Varianten des Erwerbs eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 AktG eingegangen. Von den umwandlungsrechtlichen Maßnahmen bleibt die Verschmelzung (§§ 2 ff. UmwG), einschließlich der aus ihr resultierenden Austrittsrechte, ausgespart.54 Auch die

52 Siehe dazu aus gesellschaftsrechtlicher Sicht Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 5 Rn. 4 ff. u. § 6 Rn. 44; aus betriebswirtschaftlicher bzw. steuerrechtlicher Sicht Kußmaul, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, S. 227 ff. 53 Siehe zu den Einzelheiten des genehmigten Kapitals Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 37 ff. 54 Dazu Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 155.

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Eingliederung (§§ 320 ff. AktG) bedarf angesichts ihrer strukturellen Ähnlichkeit zum Squeeze-out keiner gesonderten Erörterung. 1. Gewinnausschüttung a) Bardividende (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Die klassische Form der Übertragung von Vermögen von der Aktiengesellschaft auf die Aktionäre ist die Ausschüttung einer Bardividende. Dieser Anspruch auf die Dividende ist eines der zentralen mitgliedschaftlichen Vermögensrechte des Aktionärs.55 Zur Ausschüttung kann maximal der im Jahresabschluss festgestellte Bilanzgewinn kommen (zur genauen Ermittlung des Bilanzgewinns siehe sogleich das Unterkapitel ,Rechnungslegung börsennotierter Aktiengesellschaften‘). Festlegung und Ausschüttung einer Dividende verlaufen vereinfacht wie folgt: Der Vorstand legt dem Aufsichtsrat den Vorschlag vor, den er der Hauptversammlung hinsichtlich der Verwendung des Bilanzgewinns machen möchte, § 170 Abs. 2 AktG. Die Hauptversammlung beschließt daraufhin gemäß § 174 Abs. 1 und 2 AktG über die Verwendung des Bilanzgewinns und gibt in ihrem Beschluss insbesondere an, welcher Betrag an die Aktionäre als Dividende ausgeschüttet werden soll. Im Zeitpunkt der Wirksamkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses der Hauptversammlung wird jeder Aktionär Gläubiger eines Anspruchs auf Zahlung der konkreten Dividende.56 Der Tag der Hauptversammlung ist daher in der Regel auch der sogenannte Dividendenstichtag: Wer am Ende dieses Handelstages Inhaber der Aktie ist, ist zum Bezug der Dividende berechtigt. Die Dividende wird am Tag nach der Hauptversammlung bekannt gemacht und häufig auch bereits an diesem Tag ausgezahlt. (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Schüttet die Aktiengesellschaft an ihre Aktionäre eine (Bar-)Dividende aus, wird Vermögen aus der Sphäre der Gesellschaft in die Sphäre der Gesellschafter übertragen. Auf Ebene der Gesellschaft erfolgt also ein Mittelabfluss.57 Diesem Vorgang trägt der Markt mit dem sogenannten Ex-Dividenden-Effekt, auch als Dividendenabschlag bezeichnet, Rechnung.58 Am Tag nach dem Dividendenstichtag sinkt der Aktienkurs bei Handelsbeginn etwa in Höhe der Dividende, und die Aktie wird nun 55

Henze, in: GroßK AktG, § 58 Rn. 85. Henze, in: GroßK AktG, § 58 Rn. 94. 57 Siehe zum Folgenden Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, Kap. 16 – 1, S. 402 f. 58 Auf diesen Effekt wies bereits 1926 Becker hin, siehe StuW 1926, 1917 (1932). 56

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

zum sogenannten Ex-Dividenden-Kurs gehandelt.59 Auf diese Weise berücksichtigt der Aktienmarkt, dass nun ein Käufer der Aktie nicht mehr zum Bezug der zuvor beschlossenen Dividende berechtigt ist. Ein Käufer der Aktie wird nach dem Stichtag Aktionär einer Gesellschaft, die rechtlich für ihn über ein vermindertes Vermögen verfügt. Der Verkäufer der Aktie hingegen erhält zwar die Dividende, muss aber hinnehmen, dass er die Aktie nur zu einem niedrigeren Kurs als am Dividendenstichtag verkaufen kann. Aus wirtschaftlicher Sicht gewinnt um den Dividendenstichtag herum also weder der Käufer noch der Verkäufer etwas. Die Ausschüttung der Dividende führt bei keinem von beiden zu einem Mehrwert. Für einen Aktionär, der die Aktie über den Dividendenstichtag hinaus hält und sein Vermögen vor und nach Auszahlung einer Dividende vergleicht, bedeutet der Ex-Dividenden-Effekt lediglich eine Verschiebung zweier Positionen in seinem Gesamtvermögen. Vor der Dividendenzuteilung wies das Vermögen des Aktionärs nur die Aktie zum Kurs ,x‘ auf. Nach der Dividendenausschüttung muss der Aktionär einen Kursrückgang hinnehmen, bekommt seinem Verrechnungskonto allerdings die Dividende gutgeschrieben. Sein (Buch-)Vermögen beträgt nun vereinfacht (x–D) + D, wobei ,x‘ den Aktienkurs vor Ausschüttung und ,D‘ die Dividende bezeichnet. Aufgrund der Dividendenausschüttung ändert sich wirtschaftlich gesehen das Vermögen des Gesellschafters also nicht. Es findet lediglich eine Umstrukturierung seiner Vermögenspositionen statt. Ein Beispiel verdeutlicht die obige Aussage: Grundfall: Ein Anleger kauft eine Aktie unmittelbar nach Ausschüttung einer Dividende zu einem Kurs in Höhe von 100 Euro (Ex-Dividenden-Kurs). Im Verlauf der nächsten 365 Tage steigt der Aktienkurs kontinuierlich bis auf 110, da die Aktiengesellschaft Gewinne erwirtschaftet, die sich im Aktienkurs abbilden. Nach einem Jahr kommt es nach der Hauptversammlung erneut zur Zahlung einer Dividende. Die Höhe der Dividende soll 10 Euro betragen. Als Folge der Dividendenausschüttung – es fließt Vermögen aus dem Unternehmen ab (pro Aktie 10 Euro) – sinkt der Aktienkurs um ungefähr 10 Euro. Der Aktienkurs befindet sich also wieder bei ca. 100 Euro. Nun verkauft der Aktionär die Aktie. Der Aktionär erzielt eine Dividende von 10 Euro. Die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufskurs ist null. Das Gesamtvermögen des Aktionärs ist also um 10 Euro gestiegen. Der Aktionär verzeichnet einen nominellen Vermögenszuwachs in Höhe von 10 Euro. Abwandlung: Ein anderer Anleger kauft dieselbe Aktie erst vier Wochen vor der Ausschüttung der Dividende. Der Kurs befindet sich bereits bei 109 Euro und soll der Kaufkurs des Anlegers sein. Bis zum Tag der Hauptversammlung, dem Cum-Dividenden-Tag, steigt der Aktienkurs wie zuvor auf 110 Euro. Es kommt zur Ausschüttung der Dividende in Höhe von 10 Euro. 59

Zuvor wird vom ,Cum-Dividenden-Kurs‘ gesprochen.

A. Theoretische Grundlagen

75

Als Folge der Ausschüttung sinkt der Aktienkurs wie zuvor um ungefähr 10 Euro, sodass die Aktie am Ex-Dividenden-Tag für 100 Euro gehandelt wird. Der Aktionär verkauft nun ebenfalls sofort seine Aktie. Auch dieser Aktionär erzielt eine Dividende in Höhe von 10 Euro. Allerdings hat er die Aktie zu einem Kurs in Höhe von 109 Euro gekauft, kann sie aber nur für 100 Euro verkaufen. Er erleidet folglich einen Veräußerungsverlust in Höhe von 9 Euro. Dieser Veräußerungsverlust steht der bezogenen Dividende in Höhe von 10 Euro gegenüber. Das Gesamtvermögen des Aktionärs ist trotz der Dividende in Höhe von 10 Euro lediglich um 1 Euro gestiegen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist dieses Ergebnis allerdings korrekt. Denn der Aktionär hatte in der Abwandlung nur für vier Wochen investiert, während der Aktionär im Ausgangsfall für ein ganzes Jahr als Aktionär in die Aktie investiert hatte.

Da die Ausschüttung einer Dividende stets einen durch die Ausschüttung bedingten Kursrückgang zur Folge hat, wird das Gesamtvermögen eines Aktionärs durch die Ausschüttung selbst also nicht tangiert – es nimmt weder zu noch ab, es wird lediglich umgeschichtet. Entgegen dieser Theorie ist in der Realität allerdings festzustellen, dass der Dividendenabschlag betragsmäßig regelmäßig leicht hinter der Höhe der ausgezahlten Dividende zurückbleibt. In einer der ersten umfassenden Untersuchungen zu diesem Phänomen wurde ein durchschnittlicher Kursrückgang um lediglich etwa 90 % der ausgeschütteten Dividende festgestellt.60 Spätere Studien kamen zu anderen Abweichungen, bestätigten jedoch das Zurückbleiben des Kursrückgangs hinter der Höhe der Dividende.61 Die Ursache hierfür ist nicht abschließend geklärt; neben unterschiedlichen marginalen Steuersätzen62 werden als Begründung auch mikroökonomische Marktstrukturen angeführt63. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Dividendenabschlag niemals von einer marktbedingten Kursänderung unterschieden werden kann, die beispielsweise infolge einer hohen Dividendenausschüttung auf einen höheren erwarteten zukünftigen Ertragswert der Aktie zurückzuführen ist.64 Anlagestrategien versuchen, diese Marktimperfektionen bewusst zu ihren Gunsten auszunutzen.65 60

Campbel/Beranek, Journal of Finance 10 (1955), 425 (428). Elton/Gruber, Review of Economics and Statistics 52 (1970), 68 (72 f.); Kalay, Journal of Finance 21 (1982), 1059 (1066). 62 So Elton/Gruber, Review of Economics & Statistics 52 (1970), 68 (72 f.), denen ein Großteil der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur folgt, siehe etwa Eades/Hess/Kim, Journal of Financial Economics, 13 (1984), 3 ff.; Poterba, Journal of Financial Economics, 15 (1986), 395 ff.; Whitworth/Rao, Financial Management 39 (2010), 419 ff.; a. A. Kalay, Journal of Finance 21 (1982), 1059 ff.; Michaely, Journal of Finance 46 (1991), 845 ff. 63 Frank/Jagannathan, Journal of Financial Economics 47 (1998), 161 ff. 64 Kempf/Spengel, Die Bewertung des DAX-Futures: Der Einfluß von Dividenden, S. 5; siehe hierzu auch schon oben 2. Teil, A.I.1.d). 65 Siehe etwa die Studie der DZ-Bank, Equity Strategy Germany, S. 10. 61

76

2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Die empirische Abweichung des Dividendenabschlags von seiner theoretischen Höhe darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ex-Dividenden-Effekt als solcher eindeutig nachweisbar ist.66 Als Grundregel kann von einem der Höhe der Dividende entsprechenden Kursverlust am Ex-Tag ausgegangen werden.67 b) Sachdividende (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Neben der Bardividende kann der Bilanzgewinn seit einer Ergänzung des § 58 AktG auch in Form einer Sachdividende ausgeschüttet werden.68 Dadurch kann nun auch unbares Vermögen als Dividende zur Ausschüttung gelangen.69 Die Bardividende bleibt aber der Regelfall.70 Als wichtigster Anwendungsbereich eröffnet die Sachdividende Aktiengesellschaften die Möglichkeit, Wertpapiere – speziell Aktien von Tochterunternehmen – an die eigenen Aktionäre ,auszuschütten‘.71 Anders als bei einer Bardividende erhält der Aktionär bei einer Sachdividende also kein Geld. Obwohl eine Sachdividende im Konflikt zum Gewinnanspruch des Aktionärs stehen kann, ist sie so lange unproblematisch, wie sie „ohne Aufwand und ohne persönliches Wissen oder Geschick in Geld konvertierbar“72 ist. Statt Aktien können aber auch Sachwerte – etwa in Form eigener Produkte der Gesellschaft – ausgeschüttet werden, allerdings eben nur, wenn diese leicht veräußerlich und marktgängig sind.73 Die Sachdividende dient in erster Linie der Schonung der Liquidität der Aktiengesellschaft und der Möglichkeit, eigene Produkte oder Dienstleistungen der Gesellschaft zu leisten.74 Die Tatsache, dass das Gewinnrecht des Aktionärs den Charakter eines vermögenswerten Vorteils behalten muss,75 schränkt den Anwendungsbereich der Sachdividende abseits der Ausschüttung von Aktien jedoch erheblich ein.

66 Im Übrigen ,kennt‘ auch das Gesetz den Dividendenabschlag: es benutzt ihn definitorisch für die Bestimmung des Zeitpunktes des Dividendenzuflusses in § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InvStG. 67 Boyd/Jagannathan, Review of Financial Studies 7 (1994), 711 (737 f.). 68 Ergänzung des § 58 AktG um einen Absatz 5 durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) v. 19. 7. 2002, BGBl. I 2002, S. 2681 ff.; ein Großteil der Aktiengesellschaften hat eine entsprechende Regelung inzwischen auch in ihre Satzungen aufgenommen, siehe dazu die Statistik von Bayer/Hoffmann, AG-Report 2011, 215 (215 f.). 69 Zuvor bestand keine Einigkeit darüber, ob und inwiefern unbares Vermögen als Dividende ausgeschüttet werden durfte, siehe Henze/Notz, in: GroßK AktG, § 58 Rn. 129. 70 Waclawik, WM 2003, 2266 (2267). 71 Hirte, in: Hirte, TransPuG, Kap. 1 Rn. 75, S. 35. 72 Leinekugel, Die Sachdividende im deutschen und europäischen Aktienrecht, S. 137. 73 Hirte, in: Hirte, TransPuG, Kap. 1 Rn. 80, S. 38. 74 Henze/Notz, in: GroßK AktG, § 58 Rn. 133; Schnorbus, ZIP 2003, 509 (510). 75 Leinekugel, Die Sachdividende im deutschen und europäischen Aktienrecht, S. 130.

A. Theoretische Grundlagen

77

(2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Die wirtschaftlichen Wechselwirkungen einer Sachdividende können nicht so präzise angegeben werden wie bei einer Bardividende. Schüttet die Aktiengesellschaft tatsächlich Sachgegenstände aus, so wird eine entsprechende Reaktion des Aktienkurses insbesondere davon abhängen, ob diese Sachwerte auf dem Markt auch anderweitig hätten veräußert werden können, also davon, inwieweit bei der Gesellschaft tatsächlich ein relevanter Vermögensverlust eingetreten ist. Schüttet die Gesellschaft etwa eigene Produkte oder Dienstleistungen aus, wird ein Kursverlust in einigen Fällen fraglich sein. Wird die Sachdividende hingegen zur Ausschüttung von Aktien benutzt, so gehen die wirtschaftlichen Wechselwirkungen noch über diejenigen einer Bardividende hinaus. Da in diesem Fall nämlich nicht nur Geld, sondern die Beteiligung an einer anderen Wirtschaftseinheit die Gesellschaftsebene verlässt, wird der Dividendenabschlag in vielen Fällen von Dauer sein. Es kommt dann bei normaler wirtschaftlicher Entwicklung im Verlauf des folgenden Jahres nicht zu einer Kurserholung. Der Kursrückgang wird insoweit unter Umständen ,definitiv‘. c) Rückerwerb eigener Aktien durch die Aktiengesellschaft (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Eine Aktiengesellschaft kann Gesellschaftsvermögen auch durch den Rückkauf eigener Aktien an ihre Aktionäre übertragen (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG).76 Diese Möglichkeit ist in jüngerer Zeit77 im deutschen Rechtsraum erst wieder seit dem KonTraG78 aus dem Jahr 1998 in den Blickwinkel gerückt. Zuvor wurde – abgesehen 76 Nicht zu verwechseln ist der Rückerwerb eigener Aktien von rückerwerbbaren Aktien. Diese sind ein bisher im deutschen Recht nicht zulässiges Finanzierungsmittel und werden daher an dieser Stelle nicht näher diskutiert. Siehe dazu aber gegebenenfalls Brammer, Rückerwerbbare Aktien. 77 Der Rückerwerb eigener Aktien wurde erstmals 1870 im Rahmen der ersten Aktienrechtsnovelle normiert. Die Regelung in Art. 215 Abs. 3 ADHGB 1870 führte allerdings ein generelles Verbot von Aktienrückkäufen ein und ging über die Forderung der Wissenschaft hinaus, Aktienrückkäufe einzuschränken. Auf Kritik aus der Literatur hin wurde das Verbot dann im Rahmen der Aktienrechtsnovelle von 1884 und des 1897 neu geschaffenen Handelsgesetzbuchs aufgeweicht. Die Formulierung des Gesetzes, eigene Aktien sollten im „regelmäßigen Geschäftsbetriebe“ nicht erworben werden (§ 226 Abs. 1 HGB 1897), war vom Gesetzgeber ursprünglich als weites Verbot intendiert, wurde aber im Laufe der Jahre von der Literatur immer enger ausgelegt. Während der Erwerb eigener Aktien zur Kurspflege im frühen 20. Jahrhundert einhellig als Verstoß gegen § 226 Abs. 1 HGB angesehen wurde, galt er spätestens zu Beginn der 1930er-Jahre als zulässig. Zum Ganzen siehe Merkt, in: GroßK AktG, § 71 Rn. 96 ff.; Löwenfeld, Recht der Actien-Gesellschaften, S. 489 ff.; Schön, Geschichte und Wesen der eigenen Aktie, Diss. 1937, S. 10 f. 78 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich v. 27. 4. 1998, BGBl. I 1998, S. 768 ff.; dieses Gesetz setzt damit Art. 19 Abs. 1 der europäischen Kapital-

78

2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

von selten vorliegenden Ausnahmetatbeständen (§ 71 Abs. 1 Nr. 1 – 7 AktG) – der Rückkauf eigener Aktien als Einlagenrückgewähr betrachtet79 und galt daher aus Gläubigerschutzgründen grundsätzlich als unzulässig.80 Aber auch nach Inkrafttreten des KonTraG wurde in der Literatur teilweise noch angenommen, dass der Rückerwerb eigener Aktien eigentlich eine Einlagenrückgewähr an die Aktionäre sei,81 und teilweise wird dies bis heute so gesehen.82 Auch die Finanzverwaltung hat jüngst wieder diese Ansicht vertreten;83 sie ist wohl aus der handelsrechtlichen Bilanzierung eigener Anteile zu erklären,84 gibt die tatsächliche Bedeutung des Rückerwerbs aber im Ergebnis nicht richtig wieder. Denn um eine Einlagenrückgewähr handelt es sich schon deshalb nicht, da für den Rückerwerb eigener Aktien nur der Bilanzgewinn sowie freie Gewinnrücklagen verwendet werden dürfen, die ansonsten (gegebenenfalls nach ihrer Auflösung) auch für eine Dividendenausschüttung benutzt werden könnten (§ 71 Abs. 2 S. 2 AktG). Eine das Grundkapital tangierende Auszahlung von Gesellschaftskapital liegt also gerade nicht vor. Der Rückerwerb eigener Aktien durch die AG ist daher eine Form der Gewinnausschüttung85 – es handelt sich „um eine Art Dividende“86.

richtlinie v. 13. 12. 1976 um, siehe Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates v. 13. 12. 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften i. S. d. Art. 58 Abs. 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. EG Nr. L 026 v. 30. 1. 1977, S. 1. 79 Cahn, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 763 (786); Peltzer, WM 1998, 322 (327 u. 329). 80 Diese Ansicht dürfte in der historischen Rechtsentwicklung des Aktienrückkaufs zu suchen sein. Während des bis 1870 geltenden Konzessionssystems waren Aktienrückkäufe durchaus üblich. Da damals die Ansicht weit verbreitet war, bei Aktienkapital handele es sich um eine Art Fremdkapital, konnte sich auch kein richtiges Verständnis für die grundsätzliche Beständigkeit des Grundkapitals entwickeln. In der Praxis legten die Statuten der Aktiengesellschaften allerdings zum Teil fest, dass für Rückkäufe nur erwirtschaftete Gewinne aus einem sogenannten Amortisationsfond verwendet werden durften. Die Lehre erkannte damals bereits zutreffend, dass in einem solchen Fall keine Gefahr für die Gläubiger bestünde, da das entsprechende Kapital auch im Rahmen einer Dividende ausgezahlt werden könnte. Vgl. zum Ganzen Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens im 19. Jahrhundert, S. 159 ff. sowie Brinckmann, Handelsrecht, S. 254. 81 Siehe etwa Henze, in: GroßK AktG, § 57 Rn. 183; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 29 II 2 c, erstaunlicherweise unter Hinweis auf T. Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien durch die AG; Klingberg, BB 1998, S. 1575 (1580). 82 Oechsler, in: MüKo AktG § 71 Rn. 21; Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 249 f., Rn. 662 f. 83 BMF-Schreiben v. 27. 11. 2013, BStBl. I 2013, S. 1615 (1615 Tz. 2). 84 Dazu unten 2. Teil, A.III.4.b)(1). 85 Escher-Weingart/Kübler, ZHR 162 (1998), 537 (548); Merkt, in: GroßK AktG, § 71 Rn. 115; es war auch gerade das Ziel der Kapitalrichtlinie, das gebundene Kapital zugunsten der Gläubiger zu schützen, siehe Art. 19 Abs. 1 lit. c KapRL. 86 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 5 Rn. 100.

A. Theoretische Grundlagen

79

(2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Die Vermögenswirkungen bei den Aktionären hängen davon ab, in welcher Form der Aktienrückkauf erfolgt.87 Erfolgt er in der Weise, dass alle bisherigen Aktionäre zu verhältnismäßig gleichen Teilen ,ihrer‘ Aktiengesellschaft Aktien verkaufen, entspricht der Rückkauf in seinen Vermögenswirkungen exakt einer Dividende.88 Denn dann wird freies Gesellschaftsvermögen entsprechend den Beteiligungsverhältnissen an die Aktionäre verteilt. Das amerikanische Recht erkennt konsequent im Rückkauf eigener Aktien schon seit Langem eine Form der „distribution“, also eine Art Dividendenausschüttung.89 Üblicherweise erfolgen diese Aktienrückkäufe über den regulären Börsenhandel. Die Vergleichbarkeit von Dividendenzahlung und Aktienrückkauf wird am besten durch ein einfaches Beispiel verdeutlicht, das die Vermögenswirkungen von Dividende und Aktienrückkauf einander gegenüberstellt.90 Im Ausgangsfall hat eine Aktiengesellschaft ein Gesellschaftsvermögen in Höhe von 100.000 Euro. Es gibt 10.000 ausstehende Aktien, sodass jede Aktie einen Wert in Höhe von 10 Euro hat: Tabelle 1 Vermögen der Aktiengesellschaft und ausstehende Aktien Wert des Gesellschaftsvermögens

100.000 Euro

Zahl der Aktien

10.000 Euro

Wert jeder Aktie

10 Euro

Ferner wird von einem Beispielaktionär A ausgegangen, der 100 Aktien im Gesamtwert von 1.000 Euro besitzt; er ist also zu 1 % an der Gesellschaft beteiligt. Weiteres Vermögen besitzt der Aktionär nicht. Für ihn ergibt sich folgendes Bild: Tabelle 2 Vermögen des Aktionärs A Zahl der Aktien des Aktionärs A

100

Wert jeder Aktie

10 Euro

Weiteres Vermögen des Aktionärs A

0 Euro

Gesamtvermögen des Aktionärs A

1.000 Euro

87

Zum Folgenden Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, Kap. 16 – 3, S. 406 ff.; Volkart, Corporate Finance, S. 708 ff. 88 In der deutschen Literatur dürfte Kübler als einer der Ersten auf die Äquivalenz zur Dividende hingewiesen haben, siehe Kübler, Aktie, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt, S. 41 ff. 89 § 1.40 (6) des Model Business Corporation Act; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 308. 90 Angelehnt an Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, S. 55 f., und Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, Kap. 16 – 3, S. 406 ff.

80

2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Schüttet die Aktiengesellschaft ihren Aktionären insgesamt 10.000 Euro in Form einer Dividende aus – also 1 Euro je Aktie –, so ergibt sich folgende Aufstellung für das Vermögen der Aktiengesellschaft nach der Ausschüttung:91 Tabelle 3 Vermögenswirkungen bei der Aktiengesellschaft im Dividendenfall Ausgeschüttetes Gesellschaftsvermögen

10.000 Euro

Wert des verbleibenden Gesellschaftsvermögens

90.000 Euro

Zahl der Aktien

10.000

Wert jeder Aktie

9 Euro

Für den Aktionär A ergibt sich anschließend folgendes Bild seiner Vermögenslage: Tabelle 4 Vermögenswirkungen beim Aktionär A im Dividendenfall Zahl der Aktien des Aktionärs A

100

Wert jeder Aktie

9 Euro

Weiteres Vermögen des Aktionärs A (ausgeschüttete Dividende)

100 Euro

Gesamtvermögen des Aktionärs A

1.000 Euro

Alternativ kann die Aktiengesellschaft 10.000 Euro statt durch eine Dividende aber auch durch Aktienrückkäufe ausschütten. Sie kann dann von den Aktionären 1.000 Aktien zu einem Preis von 10 Euro zurückkaufen. Da die rückerworbenen Aktien von der Gesellschaft wertmäßig neutralisiert werden müssen – also keinen direkten Vermögenswert darstellen –, stellt sich die Vermögenssituation der Aktiengesellschaft nach dem Aktienrückkauf wie folgt dar: Tabelle 5 Vermögenswirkungen bei der Aktiengesellschaft im Fall eines Aktienrückkaufs Wert des verbleibenden Gesellschaftsvermögens

90.000 Euro

Zahl der Aktien

9.000

Wert jeder Aktie

10 Euro

Auf den einzelnen Aktionär übertragen bedeutet dies, dass die Aktiengesellschaft von allen Aktionären gleichmäßig Aktien zurückkauft, hier 10 % der Aktien. Auf diese Weise erhält Aktionär A für 10 seiner Aktien insgesamt 100 Euro, und es verbleiben ihm 90 Aktien à 10 Euro. Seine Vermögenssituation stellt sich nun wie folgt dar:

91

Vgl. zur Vermögenswirkung einer Dividendenausschüttung auch 2. Teil, A.II.1.a)(2).

A. Theoretische Grundlagen

81

Tabelle 6 Vermögenswirkungen beim Aktionär A im Fall eines Aktienrückkaufs Zahl der Aktien des Aktionärs A

90

Wert je Aktie

10 Euro

Weiteres Vermögen des Aktionärs A (durch Verkauf der Aktien an die Aktiengesellschaft)

100 Euro

Gesamtvermögen des Aktionärs A

1.000 Euro

Ein solcher gleichmäßiger Aktienrückkauf wird allerdings nur selten eintreten, da ein exakt verhältniswahrender Rückerwerb kaum umsetzbar sein dürfte. Denn zumeist wird der Rückkauf derart erfolgen, dass nur ein Teil der Aktionäre seine Aktien an die Aktiengesellschaft verkauft bzw. die Aktionäre in unterschiedlichen relativen Anteilen ihre Aktien an die Aktiengesellschaft verkaufen. Für diese Fälle einer ungleichmäßigen Verteilung des Aktienrückkaufs hat Bezzenberger gezeigt, dass es sich um eine Form der Auseinandersetzung zwischen den Aktionären handelt.92 Der Wert eigener Aktien der Gesellschaft besteht für die verbleibenden Aktionäre dann nämlich darin, dass ihr relativer Anteil am Unternehmen steigt. Da sich das verbleibende Gesellschaftskapital auf weniger Aktionäre verteilt, hat dies nicht nur eine zukünftig höhere Dividende pro verbleibender ausstehender Aktie zur Folge, sondern im Falle der Liquidation auch einen höheren Anteil am Liquidationserlös. Der Rückkauf ist mit der Auseinandersetzung der Gesellschafter in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vergleichbar. Der Kaufpreisanspruch des veräußernden Aktionärs entspricht dem Abfindungsanspruch des ausscheidenden BGB-Gesellschafters, während die erworbenen Aktien – analog zum Anwachsungsmodell der BGB-Gesellschaft – den Anteil der verbleibenden Aktionäre am Gesellschaftskapital erhöhen. Auf diese Weise kaufen die verbleibenden Aktionäre dem ausscheidenden Aktionär dessen Teil des Gesellschaftsvermögens ab, indem die Aktiengesellschaft aus dem Gesellschaftsvermögen den ausscheidenden Aktionär befriedigt.93 Häufig wird es sich freilich um eine Kombination aus Gewinnverteilung und Auseinandersetzung handeln. Für die Vermögenslage eines beliebigen Aktionärs ist es aber stets unerheblich, ob er an einem Aktienrückkauf teilnimmt oder nicht. Entweder erhält er eine Ausschüttung, oder sein relativer Anteil an der Aktiengesellschaft wächst. Die Bedeutung von Aktienrückkäufen nimmt auch in der Praxis zu: Studien zum Verhältnis von Dividendenausschüttungen zu Aktienrückkäufen bestätigen, dass Gesellschaftsvermögen zunehmend durch Aktienrückkäufe statt durch Dividenden ausgeschüttet wird, sowohl in den USA94 als auch in Europa95. Es hat sich sowohl der 92 93 94

Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien durch die AG, Kap. V Rn. 60 ff. Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien durch die AG, Kap. V Rn. 62. Fama/French, Journal of Financial Economics 60 (2001), 3 ff.

82

2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

absolute Anteil der Firmen, die überhaupt Dividenden zahlen, als auch der Anteil von Dividenden an den Gesamtausschüttungen verringert; der Anteil von Aktienrückkäufen an den Gesamtausschüttungen liegt für die wichtigsten 15 EU-Industrienationen mittlerweile bei rund einem Drittel.96 Aktienrückkäufe können also ein Substitut für Dividenden sein. Auf ihren Internetauftritten präsentieren börsennotierte Aktiengesellschaften Aktienrückkäufe folglich auch gerne als Teil ihrer Gesamtstrategie eines umfassenden ,Shareholder Value‘. Auf der Homepage der Allianz SE beispielsweise wird in der Rubrik ,Investor Relations‘ unter dem Unterpunkt ,Dividende‘ offen gesagt, dass die Unternehmensleitung neben einer kontinuierlichen Dividende das Ziel verfolge, überschüssiges Kapital insbesondere auch in Form von Aktienrückkäufen an die Aktionäre auszuschütten.97 Diese zweigleisige Strategie, auch als Flexibilitätshypothese bekannt,98 kommt häufig zur Anwendung.99 2. Gewinnthesaurierung a) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Die Aktiengesellschaft kann erwirtschaftete Gewinne – statt sie in einer der zuvor besprochenen Formen auszuschütten – auch auf Gesellschaftsebene thesaurieren. Sie werden dann in Gewinnrücklagen eingestellt.100 Die Mittel stehen nun für neue Projekte zur Verfügung oder können von der Gesellschaft am Kapitalmarkt investiert werden. Bei Bedarf können sie in späteren Jahren natürlich auch noch ausgeschüttet werden. b) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Eine Gewinnthesaurierung führt im Idealfall dazu, dass der Aktienkurs weiter steigt.101 Denn aus ökonomischer Sicht sollte es für die Bewertung der Aktie keine Rolle spielen, ob die Aktiengesellschaft die Gewinne ausschüttet (als Dividende oder durch einen Aktienrückkauf) oder thesauriert.102 Die zeitliche Strukturierung von 95

v. Eije/Megginson, Journal of Financial Economics 89 (2008), 347 ff. v. Eije/Megginson, Journal of Financial Economics 89 (2008), 347 (355). 97 Homepage der Allianz SE, Stichpunkt ,Dividendenpolitik‘, abrufbar unter https://www.al lianz.com/de/investor_relations/aktie/dividende/#Dividenden-%20politik%20 (abgerufen am 21. 9. 2017). 98 Jagannathan/Stephens/Weisbach, Journal of Financial Economics 57 (2000), 355 (368). 99 Vgl. etwa die Studie von Lee/Rui, Journal of Financial and Quantitative Analysis 42 (2007), 119 (132). 100 Zu den Gewinnrücklagen siehe unten 2. Teil, A.III.4.a). 101 Vgl. zum Folgenden auch die Ausführungen zur Aktienbewertung oben 2. Teil, A.I.1.b). 102 Volkart, Corporate Finance, S. 709 ff.; grundlegend zur Irrelevanz Miller/Modigliani, Journal of Business 34 (1961), 411 ff., die allerdings auf eine Finanzierung höherer Dividenden durch eine Kapitalerhöhung abstellen; ähnlich zuvor auch schon Williams, The Theory of 96

A. Theoretische Grundlagen

83

Ausschüttungen – ob heute oder in der Zukunft – beeinflusst das Vermögen der Anteilseigner nämlich grundsätzlich nicht.103 Entscheidend ist lediglich, dass die Gesellschaft die einbehaltenen Mittel investiert. Sie kann diese Mittel in neue Projekte der Gesellschaft investieren, um deren Wachstum zu steigern, oder aber auch in festverzinsliche Wertpapiere wie Staatsanleihen.104 Für den Anleger macht es dann aus theoretischer Sicht keinen Unterschied, ob er selber (im Anschluss an eine Ausschüttung) den Gewinn investiert oder ob die Gesellschaft dies an seiner Stelle vornimmt. Entscheidend ist nur, ob die von den Anlegern geforderte Eigenkapitalrendite erreicht wird, ob also Risiko und Rendite in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Denn werden die Gewinne thesauriert und von der Gesellschaft investiert, stehen in der nachfolgenden Periode mehr Mittel für eine Ausschüttung zur Verfügung. Verknüpft man diese Überlegung mit der Aktienbewertung nach der Dividend-Discount-Methode, folgt daraus ein Kursanstieg der Aktie, da mit höheren Dividenden in der Folgeperiode zu rechnen ist.105 Diese Überlegung wird auch als ,Gewinnthese‘ bezeichnet.106 Dass die Gewinnthesaurierung tatsächlich eine Alternative zur Ausschüttung ist, zeigt ein häufig in Lehrbüchern zitiertes Beispiel:107 Die amerikanische Aktiengesellschaft Microsoft Inc. hat über Jahre hinweg überhaupt keine Dividende ausgeschüttet, sondern sämtliche Gewinne reinvestiert, da sie den Aktionären glaubhaft machen konnte, dass dadurch gesellschaftsintern eine höhere Verzinsung möglich sei, als wenn die Aktionäre die Dividende selbst anlegten. Microsoft investierte in neue Geschäftsfelder, die zusätzliche Unternehmensgewinne erwarten ließen und auch einbrachten, und der Aktienkurs stieg auf diese Weise weiter. Die Gewinnthesaurierung und interne Reinvestition war also eine Alternative zur Dividendenausschüttung. Aus Aktionärssicht ist eine Realisierung des Wertzuwachses dann allerdings nur durch einen Verkauf der im Wert gestiegenen Aktie möglich. Ob ein Euro thesaurierter Gewinne den Aktienkurs in der Realität aber auch tatsächlich proportional steigen lässt und somit für den Aktionär vermögensmäßig einer Ausschüttung gleichsteht, darüber ist man sich in der Wirtschaftswissenschaft nicht ganz einig. Schwierig ist hier eine Aussage auch deshalb, weil sich an diesem Punkt verschiedene Probleme vermengen: die externen Refinanzierungskosten für die Gesellschaft, Prinzipal-Agenten-Probleme und auch die Renditeerwartung der Investment Value, S. 61 ff.; siehe allgemein zur Irrelevanz von Ausschüttung und Thesaurierung Berk/DeMarzo, Grundlagen der Finanzwirtschaft, S. 632 ff. 103 Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 560. 104 Anders verhält es sich entsprechend, wenn die thesaurierten Gewinne nicht investiert, sondern als Barmittel gehalten werden; denn dann wird der thesaurierte Gewinn nicht verzinst, sodass in der Zukunft nicht mit höheren Erträgen zu rechnen ist. 105 Volkart, Corporate Finance, S. 712. 106 Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 561. 107 Berk/DeMarzo, Grundlagen der Finanzwirtschaft, S. 640.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Aktionäre an investiertes Kapital.108 Da neben thesaurierten Gewinnen auch andere Faktoren den Aktienkurs beeinflussen, ist eine empirische Überprüfung der Äquivalenz von Ausschüttung und Thesaurierung letztlich nicht möglich. 3. Umwandlungsrechtliche Maßnahmen a) Auf- und Abspaltung (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Dem Aktionär können im Zuge einer Auf- oder Abspaltung nach § 123 Abs. 1 bzw. 5 UmwG Aktien zufließen. Anders als bei der Sachdividende handelt es sich in diesen Fällen allerdings nicht um einen Ausschüttungsvorgang, sondern um eine Umstrukturierung der Aktiengesellschaft.109 Die rechtliche Struktur der Gesellschaft wird dabei so geändert, dass entweder das gesamte Vermögen auf andere Rechtsträger unter Auflösung des eigenen Rechtsträgers (Aufspaltung) oder lediglich ein Teil des Vermögens auf einen anderen Rechtsträger (Abspaltung) überführt wird. Die Anteile an dem oder den neuen Rechtsträger(n) entstehen dabei direkt bei den Aktionären der auf- bzw. abspaltenden Aktiengesellschaft. Es kommt dadurch bei den beteiligten Aktionären zu einem Anteilstausch.110 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Kommt es zu einer Aufspaltung der Gesellschaft, geht die aufspaltende Gesellschaft zwar vollständig unter, die Aktionäre erhalten jedoch Aktien an den das Vermögen übernehmenden Gesellschaften. Da der (addierte) Wert der neuen Aktien in der Regel gerade dem Wert der untergehenden Aktie entsprechen sollte, ist eine Aufspaltung für den Aktionär wirtschaftlich idealerweise ein neutraler Vorgang. Eine Abspaltung führt zu einem (dauerhaften) Sinken des Aktienkurses der abspaltenden Gesellschaft, da die Grundlage zukünftiger Erträge unmittelbar an die Aktionäre übertragen wird. Die Höhe des korrespondierenden Kursverlustes entspricht aber demjenigen Betrag, den der Aktionär durch die neue Aktie erhält, sodass auch die Abspaltung wirtschaftlich nur zu einer Vermögensumschichtung des Aktionärs führt. Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, dass die jeweilige Maßnahme einen positiven Effekt auf den bzw. die Aktienkurs(e) hat, wenn der Kapitalmarkt in der Auf- bzw. Abspaltung einen ,Mehrwert‘ sieht.

108 109 110

Berk/DeMarzo, Grundlagen der Finanzwirtschaft, S. 632. Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 168. Sagasser/Bultmann, in: Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, § 18 Rn. 175.

A. Theoretische Grundlagen

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b) Ausgliederung (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Die Voraussetzung für eine Sachdividende, in deren Rahmen Wertpapiere ausgeschüttet werden sollen, kann eine Aktiengesellschaft insbesondere durch eine Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG schaffen. Eine solche Ausgliederung entspricht im Hinblick auf die daraus resultierende Vermögensverteilung und die Möglichkeiten der Vermögensübertragung vollumfänglich der Abspaltung, da aus dem Vermögen des übertragenden Rechtsträgers ein Teil auf einen oder mehrere andere Rechtsträger übertragen wird.111 Allerdings verbleiben die Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft nun bei der ausgliedernden Aktiengesellschaft selbst und werden nicht den Aktionären gewährt (§ 123 Abs. 3 UmwG). Die Vermögensebene der Aktionäre wird daher im Gegensatz zur Auf- bzw. Abspaltung zunächst nicht tangiert. Die Aktionäre halten auch nach einer Ausgliederung weiterhin nur Anteile an einer Aktiengesellschaft; letztere verfügt nun allerdings über eine abhängige Tochtergesellschaft. Die Mutter-Aktiengesellschaft kann die Anteile an der ausgegliederten Tochtergesellschaft aber – wie zuvor beschrieben – anschließend in Form einer Sachdividende an ihre eigenen Aktionäre ausschütten. (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Eine Ausgliederung tangiert den Aktienkurs der ausgliedernden Aktiengesellschaft zunächst einmal nicht. Erst eine Ausschüttung der ausgegliederten Aktien (sofern auf eine Aktiengesellschaft ausgegliedert wurde) in Form einer Sachdividende führt zu dem schon dort beschriebenen dauerhaften Kursrückgang. Allerdings kann sich der Aktienkurs – je nachdem wie der Kapitalmarkt die Ausgliederung beurteilt – auch bei einer Ausgliederung leicht ändern; wesentliche Kursreaktionen sind jedoch nicht zu erwarten. Denn der Wert der Hauptaktie richtet sich nach den erwarteten Dividenden.112 Diese werden durch die Ausgliederung aber gerade nicht berührt, da die Erträge der zuvor ausgegliederten Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft und so an deren Aktionäre ausgeschüttet werden können.

111 112

Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 177. Siehe oben 2. Teil, A.I.1.b).

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

4. Kapitalmaßnahmen a) Kapitalherabsetzung (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Vermögen der Aktiengesellschaft kann auch im Rahmen einer effektiven113 Kapitalherabsetzung nach den §§ 222 ff. AktG an die Aktionäre übertragen werden.114 Die Übertragung muss von der Hauptversammlung beschlossen werden. Wenngleich Kapitalherabsetzungen in der Praxis kaum vorkommen,115 eröffnet § 222 Abs. 3 AktG explizit die Möglichkeit, die freiwerdenden Teile des Grundkapitals an die Aktionäre zurückzuzahlen. Auf Ebene der Aktiengesellschaft handelt es sich dabei zwar um einen besonderen gesellschaftsrechtlichen Vorgang, der gebundenes Vermögen der Gesellschaft aus der strengen Kapitalschutzbindung löst und daher besonderen Gläubigerschutzregeln unterliegt.116 Für den Aktionär ändert diese gesellschaftsrechtliche Besonderheit aber zunächst einmal nichts daran, dass ihm gegebenenfalls unmittelbar Vermögen zufließt. Die frei werdenden Mittel müssen allerdings nicht zwingend auf die Aktionäre übertragen werden; sie können zunächst auch lediglich in Rücklagen eingestellt oder für weitere Zwecke verwendet werden.117 Inwieweit es im Rahmen einer Kapitalherabsetzung zu einem Vermögenszufluss beim Aktionär kommt, hängt von der Zweckbestimmung des Kapitalherabsetzungsbeschlusses ab. (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Sofern im Rahmen der effektiven Kapitalherabsetzung Kapital aus der Sphäre der Gesellschaft in die Sphäre der Gesellschafter abfließt, geht dies regelmäßig ebenfalls mit einem Rückgang des Aktienkurses einher. War das ausgeschüttete Kapital aber zur nachhaltigen Gewinnerzielung nicht notwendig, wird der Kurs relativ schnell dahin zurückkehren, wo er vorher war. Unter Umständen ist daher durch die Kapitalherabsetzung ein Gesamtvermögenszuwachs für den Aktionär zu verzeichnen.

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Beim Gegenstück – der (bloßen) nominellen Kapitalherabsetzung – fließen keine Leistungen an die Aktionäre, weshalb auf eine nähere Erörterung dieser Konstellation verzichtet werden kann. 114 Zum Folgenden Sethe, in: GroßK AktG, Vor § 222 Rn. 4 ff., sowie Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 55 ff. 115 Heine/Lechner, AG 2005, 269 (274). 116 Zum Schutz der Gläubiger dürfen Zahlungen an die Aktionäre nach § 225 Abs. 2 AktG erst geleistet werden, wenn seit der Bekanntmachung der Eintragung der Kapitalherabsetzung sechs Monate vergangen sind und Gläubigern gegebenenfalls Sicherheit gewährt worden ist. 117 Zu den weiteren Zwecken siehe Sethe, in: GroßK AktG, Vor § 222 Rn. 4 ff.

A. Theoretische Grundlagen

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b) Kapitalerhöhung gegen Einlagen (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Spiegelbildlich zur Kapitalherabsetzung kann die Hauptversammlung auch eine Kapitalerhöhung beschließen. Zu einem tatsächlichen Mittelzufluss bei der Aktiengesellschaft durch die vorhandenen oder neuen Aktionäre kommt es aber nur bei einer effektiven Kapitalerhöhung - insbesondere118 bei der Kapitalerhöhung gegen Einlagen (§§ 182 ff. AktG).119 Diese kann begrifflich auf zwei verschiedene Arten erfolgen: zum einen, indem ausschließlich Altgesellschafter Kapital nachschießen, und zum anderen, indem neue Aktien zur Zeichnung sowohl durch alte als auch durch neue Gesellschafter ausgegeben werden.120 Im deutschen Aktienrecht steht ausschließlich die Möglichkeit der Ausgabe neuer Aktien zur Verfügung. Eine Verpflichtung der Altaktionäre, ihre Beteiligung zu erhöhen, käme einer Nachschusspflicht gleich und ist unzulässig.121 Altaktionären darf aber genauso wenig im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen eine Verwässerung ihres Gesellschaftsanteils aufgezwungen werden. Aus diesem Grund steht ihnen nach § 186 Abs. 1 AktG ein Bezugsrecht zu, sofern ihr Bezug nicht ausgeschlossen wird.122 Das Bezugsrecht berechtigt sie zur Zeichnung junger Aktien aus der Kapitalerhöhung in dem Umfang, in dem sie zuvor bereits an der Gesellschaft beteiligt waren.123 Sie haben so die Möglichkeit, ihre relative Beteiligung an der Gesellschaft aufrechtzuerhalten.124 Dieses Bezugsrecht können die Altaktionäre entweder selbst ausüben oder verkaufen. Es ist gewissermaßen Teil des in der alten Aktie verkörperten Stammrechts.125 Dessen Ausgabe kann als „Umschichtung in den Mitgliedschaftsrechten der Gesellschafter“126 verstanden werden, da ein Teil des vermögenswirksamen Stammrechts aus der Altaktie separiert wird. Spätestens drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist muss der Ausga118 Auf die beiden anderen Formen der effektiven Kapitalerhöhung - die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) sowie die Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (§§ 202 ff. AktG) - wird dagegen zur Vereinfachung nicht näher eingegangen, vgl. den Hinweis zu Beginn des Kapitels. Für die Aussagekraft der zu entwickelnden Systematik sind sie ohne Bedeutung. 119 Rieder/Holzmann, in: Grigoleit, AktG, § 182 Rn. 2 f.; Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 208, Rn. 538. 120 Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 208, Rn. 539. 121 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 25. 122 Der aktienrechtliche Ausschluss des Bezugsrechts ist ein Sonderfall, der für die Zwecke dieser Arbeit keine wesentliche Rolle spielt und daher nicht näher zu erörtern ist, siehe hierzu im Einzelnen Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 27 ff.; außerdem Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung. 123 Siehe zur grundrechtlichen Bedeutung des Bezugsrechts im Rahmen des Eigentumsschutzes von Art. 14 GG, BVerfGE 100, 289 (302 ff.). 124 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 23. 125 BFHE 94, 251 (253); als sogenannte Abspaltungstheorie zurückgehend auf RFH v. 2. 7. 1930, RStBl. 1930, 762; diese Auffassung kritisierend Gerlach, BB 1985, Beilage 3, 8. 126 Wiedemann, in: GroßK AktG, § 186 Rn. 223.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

bebetrag der jungen Aktien durch die Gesellschaft gemäß § 186 Abs. 2 AktG bekannt gemacht werden. Die jungen Aktien werden in der Regel unter dem gegenwärtigen Kurs der Altaktien ausgegeben, um die Unterbringung im Publikum zu erleichtern. (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen führt die Ausgabe der Bezugsrechte zu einem vermögensmäßigen Verwässerungseffekt der Altaktien. Denn die jungen Aktien werden am gesamten Gesellschaftsvermögen gleichberechtigt beteiligt.127 Am ersten Handelstag nach der Kapitalerhöhung sinkt der Kurs daher – entsprechend dem Anteil der neu emittierten Aktien am Gesamtkapital der Gesellschaft – auf ein Niveau zwischen altem Kurs vor der Kapitalerhöhung und dem Kurs, zu dem die neuen Aktien ausgegebenen wurden. Für den Fall, dass der Altaktionär im Rahmen der Kapitalerhöhung junge Aktien zeichnet, ,verbraucht‘ er sein Bezugsrecht selbst und erhält dadurch, im Gegenzug für eine Einlage, Aktien, die nach der Kapitalerhöhung höher notieren als der Preis, zu dem er sie gezeichnet hat. Gleichzeitig sinkt der Kurs der alten Aktien. Ein solcher Aktionär steht vermögensmäßig nicht schlechter da als vor der Kapitalerhöhung, da der Kursgewinn der jungen Aktien den Kursverlust der Altaktien ausgleicht. Verkauft der Altaktionär seine Bezugsrechte hingegen, kompensiert der Veräußerungspreis dieser Bezugsrechte die Verwässerung seiner Altaktien. Denn der Kursverfall der alten Aktien entspricht in der Regel genau dem Veräußerungspreis des Bezugsrechts.128 Wirtschaftlich steht der Altaktionär daher nach einer Kapitalerhöhung, an der er nicht teilnimmt, ebenfalls genauso da wie vorher. Er erleidet einen leichten Kursverlust, der durch den Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf des Bezugsrechts im Idealfall vollständig kompensiert wird. Denn die Zahlungsbereitschaft für die Bezugsrechte wird gerade so hoch sein, dass die Summe aus dem Kauf des Bezugsrechts und dem Ausgabepreis der jungen Aktien dem erwarteten Aktienkurs am ersten Börsentag nach der Kapitalerhöhung entspricht. Eine Kapitalerhöhung gegen Einlagen ist für den Aktionär in beiden Fällen wirtschaftlich somit ein neutraler Vorgang. c) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Im Kontrast zur effektiven Kapitalerhöhung steht die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nach den §§ 207 ff. AktG.129 Sie führt lediglich zu einer Anpas127 Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 212, Rn. 557; Bollinger, Die Entwicklung von Börsenkursen im zeitlichen Umfeld von Kapitalerhöhungen, S. 43. 128 Siehe zur Berechnung des Bezugsrechts Wiedemann, in: GroßK AktG, § 186 Rn. 222. 129 Siehe zum Folgenden Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 48 ff.

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sung der Kapitalziffer, indem diese durch bereits in der Gesellschaft vorhandenes Vermögen erhöht wird. Es handelt sich dabei um einen einheitlichen, rein bilanzmäßigen Vorgang.130 Das so umgewidmete Vermögen steht nun nicht mehr für reguläre Ausschüttungen im Rahmen der Verteilung des Bilanzgewinns zur Verfügung. Es kann später nur unter den erschwerten Voraussetzungen einer Kapitalherabsetzung an die Gesellschafter ausgekehrt werden. Im Regelfall, das heißt, wenn das Grundkapital auf Nennbetragsaktien verteilt ist, geht mit der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln die Ausgabe neuer Aktien einher, § 207 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 182 Abs. 1 AktG. Diese stehen gemäß § 212 AktG den Altgesellschaftern zu. Anders ist dies nur bei Stückaktien (§ 207 Abs. 2 S. 2 AktG), da in diesem Fall die Gesellschafter nur rechnerisch am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt sind. (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Entsprechend dieser Unterscheidung zwischen Nennbetrags- und Stückaktien muss auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Wechselwirkungen differenziert werden. Handelt es sich um Nennbetragsaktien, führt die Ausgabe der neuen Aktien dazu, dass der Kurs der Aktie sinkt. Denn das Gesellschaftsvermögen verteilt sich nun auf eine höhere Anzahl Aktien. Dennoch steht ein Aktionär nach einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln wiederum nicht schlechter als zuvor, da der Kursverlust der Altaktien durch den Wert der erhaltenen Gratisaktien vollumfänglich kompensiert wird. Der Aktionär steht aber auch nicht besser als zuvor. Die häufig gebrauchte Bezeichnung der neu ausgegebenen Aktien als ,Gratisaktien‘ ist daher zumindest irreführend: den Aktionären fließt kein Vermögen ,gratis‘ zu.131 Der BFH stellte einst treffend dazu fest, dass bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln „der Gesellschafter durch die neuen Anteilsrechte nichts [erhalte], was er nicht schon früher besessen hätte“.132 Das Gesellschaftsvermögen wird lediglich in einer Weise umstrukturiert, die gesellschaftsrechtlich eine Neuausgabe von Aktien bedingt. Wurden hingegen Stückaktien ausgegeben, wird lediglich die Kapitalziffer geändert, ohne dass dadurch der Aktienkurs tangiert würde. 5. Verlust der Gesellschafterstellung Der Aktionär kann seine Gesellschafterstellung aus unterschiedlichen Gründen verlieren. Die Veräußerung der Aktie an die Gesellschaft (Rückerwerb eigener Aktien) kam bereits im Rahmen der Gewinnausschüttung zur Sprache. Nicht näher

130 Hirte, in: GroßK AktG, § 207 Rn. 4; anders die Rechtslage bis 1959, dazu Lutter, in: KK AktG, 2. Aufl., Vorb § 207 Rn. 1 ff. 131 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 6 Rn. 53. 132 BFH, Urteil v. 20. 10. 1976, BStBl. II 1977, 177 (178).

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

eingegangen wird zudem auf die Kaduzierung, da sie von dem hier nicht weiter relevanten Sonderfall ausgeht, dass der Aktionär seine Einlage nicht erbringt. a) Veräußerung der Aktie an einen Dritten (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Wird die Aktie an einen Dritten veräußert, verliert der bisherige Aktionär seine Mitgliedschaft an der Gesellschaft, der neue Aktionär erwirbt diese. Wie die Veräußerung rechtsgeschäftlich in Abhängigkeit von der Aktiengattung jeweils erfolgt, braucht hier nicht weiter zu interessieren.133 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Der veräußernde Aktionär erzielt als Gegenleistung einen Vermögenszufluss in Höhe des Verkaufspreises (Aktienkurses), der Erwerber erleidet in Höhe des Kaufpreises einen Vermögensverlust. Für beide ist der Veräußerungsvorgang aber im Ergebnis nur ein Tausch von Wirtschaftsgütern – nämlich von Geld gegen Aktieneigentum. b) Squeeze-out (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Es gibt drei verschiedene Arten des Squeeze-out: einen aktienrechtlichen (§§ 327a ff. AktG), einen übernahmerechtlichen (§§ 39a f. WpÜG) und einen umwandlungsrechtlichen (§ 62 Abs. 5 S. 1 UmwG). In allen Fällen geht es darum, einen Minderheitsaktionär aus der Gesellschaft auszuschließen. Der ausscheidende Aktionär verliert seine Gesellschafterstellung jeweils an den Mehrheitsaktionär. In den Details unterscheiden sich die Verfahren teilweise voneinander – etwa was die Höhe des Anteils des Mehrheitsaktionärs angeht, den dieser für ein Ausschlussverfahren haben muss –, in ihren Grundstrukturen stimmen sie aber überein.134 Dem aus133

Dazu Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 513 ff. Beim aktienrechtlichen Squeeze-out kann ein Mehrheitsaktionär, der über mindestens 95 % des Grundkapitals verfügt, nach § 327a Abs. 1 S. 1 AktG durch Beschluss der Hauptversammlung die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre gegen Leistung einer angemessenen Barabfindung erreichen. Der umwandlungsrechtliche Squeeze-out greift auf den aktienrechtlichen zurück, lässt aber eine Beteiligungshöhe von 90 % des übernehmenden Hauptaktionärs am Grundkapital der übertragenden Aktiengesellschaft genügen, wenn der Hauptversammlungsbeschluss der übertragenden Gesellschaft innerhalb von drei Monaten nach Abschluss eines Verschmelzungsvertrages gefasst wird (§ 62 Abs. 5 UmwG). In diesem reduzierten Mehrheitserfordernis liegt der Hauptvorteil des umwandlungsrechtlichen Squeezeouts. Für den übernahmerechtlichen Squeeze-out nach §§ 39a f. WpÜG müssen einem Aktionär 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gehören; er kann dann, sofern er zuvor ein Übernahme- oder Pflichtangebot abgegeben hat, beim LG Frankfurt die Übertragung der Aktien der Minderheitsgesellschafter gegen Leistung einer angemessenen Barabfindung oder 134

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scheidenden Aktionär steht stets ein Abfindungsanspruch zu, der vom übernehmenden Mehrheitsaktionär zu zahlen ist. Unter Umständen ist auch eine Abfindung in eigenen Aktien möglich.135 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Sofern eine Barabfindung gewährt wird, entspricht ein Squeeze-out für den ausscheidenden Aktionär in seinen wirtschaftlichen Wirkungen einer freiwilligen Veräußerung der Aktie. Erhält der ausscheidende Minderheitsaktionär dagegen Anteile des übernehmenden Aktionärs, ist der Sachverhalt eher einem Verschmelzungsvorgang vergleichbar, da die Beteiligung an der Aktiengesellschaft gegen Anteile an einer übergeordneten Gesellschaft getauscht wird. Sofern die Höhe der Abfindung bzw. das Umtauschverhältnis angemessen ist, steht der Aktionär vermögensmäßig vor einem Squeeze-out nicht schlechter da als zuvor. c) Einziehung (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Die Gesellschaft kann Aktien nach § 237 AktG auch einziehen. Eine solche Einziehung hat ein Erlöschen des jeweiligen Mitgliedschaftsrechts zur Folge.136 Sie ist vorrangig bei Aktiengesellschaften mit einem engen Aktionärskreis von Relevanz. Bei börsennotierten Publikumsaktiengesellschaften spielt sie nur eine untergeordnete Rolle.137 Gleichwohl kann sie Bedeutung erlangen, wenn eine bestimmte Aktiengattung, beispielsweise Vorzugsaktien, beseitigt werden sollen.138 Im Detail sind vier verschiedene Konstellationen zu unterscheiden. Die Einziehung kann entweder – zwangsweise oder – nach vorherigem Erwerb der Aktien durch die Gesellschaft erfolgen. Sie kann zudem entweder – mit einer Kapitalherabsetzung oder – ohne eine Kapitalherabsetzung einhergehen. gegebenenfalls alternativ gegen Gewährung von eigenen Anteilen erreichen. Im Einzelnen Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 4 Rn. 93 ff., ferner Klie/Wind/Rödter, DStR 2011, 1668 (1671) sowie Diekmann, NJW 2007, 17 (19). 135 So beim übernahmerechtlichen Squeeze-out, §§ 39a f. WpÜG. 136 Veil, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 237 Rn. 7. 137 Tielmann, DStR 2003, 1796 (1797). 138 Dissars, in: Schüppen/Schaub, Handbuch Aktienrecht, § 43 Rn. 1.

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Sofern die Einziehung der Aktien zwangsweise vorgenommen wird (§ 237 Abs. 1 AktG), ist sie – wie in den Squeeze-out-Fällen – ein Mittel, um Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft auszuschließen.139 Im Gegensatz zum Ausschluss im Rahmen eines Squeeze-out gehen die Aktien aber im Rahmen der Einziehung unter. Eine zwangsweise Einziehung ist nur zulässig, wenn diese Möglichkeit zuvor satzungsmäßig geschaffen wurde (§ 237 Abs. 1 AktG). Dem ausscheidenden Aktionär steht als Kompensation ein Abfindungsanspruch in Höhe des Verkehrswerts der einzuziehenden Aktien zu.140 Dieser richtet sich bei börsennotierten Gesellschaften nach dem Börsenkurs.141 Alternativ kann die Einziehung der Aktien aber auch lediglich infolge eines vorherigen Erwerbs der Aktien durch die Gesellschaft erfolgen. Es handelt sich dann nicht um einen tatsächlichen Rechtsverlust, da die Aktiengesellschaft bereits Eigentümerin der Aktien war. Es wird lediglich verhindert, dass die Gesellschaft die zuvor erworbenen Aktien erneut veräußert und dadurch eine einer Kapitalerhöhung ähnliche Maßnahme ohne Beschluss der Hauptversammlung durchführt. Im Hinblick auf die zweite Differenzierung – Einziehung mit (§ 237 Abs. 2 AktG sowie § 237 Abs. 3 Nr. 1 u. 2 AktG) oder ohne (§ 237 Abs. 3 Nr. 3 AktG142) gleichzeitige Kapitalherabsetzung – ist es für ein richtiges Verständnis wichtig zu erkennen, dass die Kapitalherabsetzung, wenn sie denn erforderlich ist, nicht Ziel, sondern lediglich notwendige Folge eines Einziehungsverfahrens ist.143 Notwendig ist sie nur im Fall von Nennbetragsaktien (§ 8 Abs. 1 Alt. 1 AktG). Grund für die inhärente gesetzliche Verknüpfung von Einziehung und Kapitalherabsetzung bei Nennbetragsaktien ist, dass das Grundkapital der Gesellschaft nicht ohne Weiteres auf die verbleibenden Aktien ,umverteilt‘ werden kann. Denn zum einen fehlt im AktG eine Vorschrift, die eine ,Berichtigung‘ des Nennbetrags der verbleibenden Aktien im Hinblick auf die nun höhere Beteiligung am Grundkapital ermöglichen würde,144 zum anderen müssen die Nennbeträge der Aktien auf volle Euro lauten (§ 8 Abs. 2 S. 4 AktG), sodass es regelmäßig zu – unzulässigen – nicht auf volle Euro lautenden Nennbeträgen käme.145 Wird das Grundkapital in Höhe der Nennbeträge der eingezogenen Aktien aber herabgesetzt, werden diese Probleme vermieden. Ist das Grundkapital der Gesellschaft dagegen auf Stückaktien verteilt (§ 8 Abs. 1 Alt. 2 AktG), ist den Aktien kein fester Nennbetrag zugeordnet 139

Port/Steinlein, Kapitalmaßnahmen, S. 41. Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 4 Rn. 85 ff. 141 Veil, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 237 Rn. 16 u. 22. 142 Diese Alternative wurde erst durch das TransPuG v. 19. 7. 2002 in das AktG eingefügt. 143 Wieneke/Förl, AG 2005, 189 (189). 144 Eine solche Regelung könnte aber ohne systematische Brüche durchaus eingefügt werden, siehe Terbrack, DNotZ 2003, 734 (737); Deutscher Anwalt Verein, NZG 2002, 115 (119). 145 Tielmann, DStR 2003, 1796 (1796); im Gegensatz zur Berichtigung des Nennkapitalbetrags stellt dieses Erfordernis wohl auch das tatsächliche gravierendere Problem dar, vgl. Terbrack, DNotZ 2003, 734 (737). 140

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(§ 8 Abs. 3 S. 1 AktG). Stückaktien sind am Grundkapital einer Gesellschaft in gleichem Umfang entsprechend der Zahl ausstehender Aktien beteiligt (§ 8 Abs. 3 S. 2 u. Abs. 4 AktG). Daher ist in diesen Fällen eine Kapitalherabsetzung im Rahmen einer Einziehung entbehrlich (§ 237 Abs. 3 Nr. 3 AktG).146 Sofern es sich um eine Zwangseinziehung mit einhergehender Kapitalherabsetzung handelt (§ 237 Abs. 2 u. Abs. 3 Nr. 1 u. 2 AktG), kennzeichnet diesen Vorgang, dass einerseits Mitgliedsrechte vernichtet, andererseits die Aktionäre dabei aber ungleich behandelt werden.147 Während nämlich im Normalfall einer Kapitalherabsetzung der Nennbetrag aller Aktien gleichmäßig herabgesetzt wird, wirkt sich die Herabsetzung bei der Einziehung nur auf die eingezogenen Aktien aus. An die verbleibenden Aktionäre wird in der Regel keine Auskehrung erfolgen. Die Kapitalherabsetzung ist in diesem Fall anders zu bewerten als im oben diskutierten148 Standardfall. Ihr kommt lediglich eine ,technische‘ Funktion zu, sodass es sich im Ergebnis um eine besondere Form der Auseinandersetzung zwischen den ausscheidenden und den verbleibenden Aktionären handelt. Ebenfalls um eine Art der Gesellschafterauseinandersetzung handelt es sich, wenn eine Einziehung von Stückaktien erfolgt, die keiner Kapitalherabsetzung bedarf. (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Für den ausscheidenden Aktionär entspricht die Einziehung vermögensmäßig einer Veräußerung der Aktie. Für die verbleibenden Aktionäre stellt sie sich dagegen wirtschaftlich wie ein Rückerwerb eigener Aktien dar. Denn es findet zu ihren Lasten zwar ein Abfluss von Gesellschaftsvermögen statt, gleichzeitig steigt aber ihr relativer Anteil an der Aktiengesellschaft, sodass der Aktienkurs nicht sinkt. Zu beachten ist allerdings, dass aufgrund der möglicherweise damit einhergehenden Kapitalherabsetzung ein Teil der Abfindung auch aus dem Grundkapital bzw. den Kapitalrücklagen stammen kann. d) Ausschluss aus wichtigem Grund (1) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Ein Aktionär kann seine Mitgliedschaft an einer Aktiengesellschaft auch infolge eines Ausschlusses aus wichtigem Grund verlieren. Ein solcher Ausschluss ist gesetzlich nicht geregelt, seine Zulässigkeit wird aber in Analogie zu § 737 S. 1 BGB, § 140 HGB allgemein angenommen.149 Er kommt insbesondere dann in Betracht, 146 Dem Gläubigerschutz wird durch § 327 Abs. 2 bzw. Abs. 5 AktG Rechnung getragen; auf die Rücklagenbildung nach Abs. 5 kann im Wege teleologischer Reduktion im Fall des § 327 Abs. 3 Nr. 3 AktG verzichtet werden, siehe Hirte, in: Hirte, TransPuG, Kap. 1 Rn. 102, S. 47. 147 Hüffer/Koch, AktG, § 222 Rn. 2. 148 2. Teil, A.II.4.a). 149 Zu den Voraussetzungen im Detail Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 4 Rn. 88 ff.

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wenn für eine Einziehung die satzungsmäßigen Grundlagen fehlen.150 Auch in diesem Fall steht dem ausscheidenden Aktionär ein Abfindungsanspruch zu, der aus den frei verfügbaren Rücklagen bzw. dem Jahresüberschuss der Gesellschaft zu leisten ist. Die Aktien des ausgeschlossenen Aktionärs gehen auf die Aktiengesellschaft über. Diese kann die Aktien als eigene Aktien behalten, verwerten oder einziehen.151 (2) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Die wirtschaftlichen Wirkungen eines Ausschlusses entsprechen denen eines Rückerwerbs eigener Aktien durch die Gesellschaft.152 6. Gesellschaftsgründung und Liquidation a) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Zur Gründung einer Aktiengesellschaft muss das Nennkapital aufgebracht werden. Dieses wird von den Gründungsgesellschaftern geleistet. Zudem ist gegebenenfalls ein Aufgeld, das sogenannte Agio, in das Gesellschaftsvermögen einzuzahlen. Das Agio steht der Gesellschaft für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zur Verfügung, ist aber nicht in gleicher Weise wie das Nennkapital gebunden.153 Nennkapital und Aufgeld sind die ,Startfinanzierung‘, damit die Aktiengesellschaft ihre wirtschaftliche Tätigkeit aufnehmen kann. Durch Liquidation hingegen beendet die Gesellschaft ihre wirtschaftliche Tätigkeit wieder. Nach Anmeldung der Auflösung der Aktiengesellschaft und Befriedigung der Gläubiger wird das verbleibende Vermögen an die Aktionäre in Form einer Art „Liquidationsdividende“154 verteilt.155 Anschließend muss die Beendigung der Gesellschaft zum Handelsregister angemeldet werden, woraufhin die Gesellschaft gelöscht wird.156 b) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Besondere wirtschaftliche Wechselwirkungen sind nicht zu verzeichnen. Bei der Gründung erhält der (zukünftige) Aktionär für die Hingabe seines Anteils am Gründungskapital Aktien der zu gründenden Aktiengesellschaft. Der Wert dieser 150 151 152 153 154 155 156

Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 261 f., Rn. 688. Hierl/Huber, Rechtsformen und Rechtsformwahl, S. 213. Siehe oben 2. Teil, A.II.1.c)(2). Zur bilanziellen Bindung des Aufgeldes siehe unten 2. Teil, A.III.4.b.(2). Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 7 Rn. 21. § 271 Abs. 1 AktG i. V. m. § 272 Abs. 1 AktG. § 273 Abs. 1 AktG.

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Aktien deckt sich dabei zumindest anfangs gerade mit dem aufgebrachten Gründungskapital.157 Spiegelbildlich verhält es sich bei der Liquidation. In der Regel wird die Höhe der Liquidationsdividende der des letzten Aktienkurses entsprechen. 7. Aktiensplit und umgekehrter Aktiensplit a) Gesellschaftsrechtliche Bedeutung Eine Aktiengesellschaft kann schließlich als besondere Strukturmaßnahme einen Aktiensplit durchführen. Dabei handelt es sich um die Aufteilung der Aktie in zwei oder mehrere Aktien. Es ändern sich weder der Gesellschaftsanteil des einzelnen Aktionärs noch das Grundkapital, das Grundkapital wird also nur neu gestückelt.158 Bei einem umgekehrten Aktiensplit werden – spiegelbildlich – mehrere Aktien zusammengelegt. b) Wirtschaftliche Wechselwirkungen Die wirtschaftlichen Folgen eines (umgekehrten) Aktiensplits lassen sich leicht erschließen: Die Erhöhung der Zahl der ausstehenden Aktien führt zu einem proportionalen Rückgang des Aktienkurses, eine Reduktion zu einem Anstieg. Da der Aktionär aber jeweils auch (neue) Aktien erhält bzw. verliert, wird das Gesamtvermögen des Aktionärs nicht beeinflusst. Zu beachten ist jedoch, dass insbesondere infolge eines Aktiensplits die Handelbarkeit der Aktie verbessert werden kann. Sehr hohe Aktienkurse können nämlich vornehmlich Kleinaktionäre davon abhalten, entsprechende Aktien zu kaufen. Ein Aktiensplit kann daher eine erhöhte Nachfrage zur Folge haben, wodurch der Aktienkurs dann möglicherweise doch beeinflusst wird (Kursanstieg).159

III. Rechnungslegung börsennotierter Aktiengesellschaften Soweit zuvor vom ,Gewinn‘ der Aktiengesellschaft die Rede war, blieb unklar, was darunter genau zu verstehen ist. ,Den‘ Gewinn der Aktiengesellschaft gibt es auch nicht. Stattdessen gibt es – neben weiteren in der Wirtschaftswissenschaft

157 Ebenso Hackmann, in: Wickström (Hrsg.), Finanzpolitik und Unternehmensentscheidung, S. 87 (106). 158 Rödder, in: Beck’sches Handbuch der AG, § 13 Rn. 648. 159 Vgl. dazu auch oben 2. Teil, A.I.2.a).

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entwickelten Kennzahlen160 – durch Gesetz vorgegebene Rechnungslegungs- und Bilanzposten, die Ausgangspunkt für die Bar- und Sachdividende sowie den Rückkauf eigener Aktien durch die Aktiengesellschaft sind. Sie bestimmen die Ausschüttungsmöglichkeiten der Aktiengesellschaft. 1. Grundsätze der Rechnungslegung Aktiengesellschaften sind verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen ihre Handelsgeschäfte und die Lage ihres Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen (§ 238 Abs. 1 S. 1 HGB). Auf der Grundlage dieser Buchführung wird der Jahresabschluss erstellt, der bei börsennotierten Aktiengesellschaften aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang, Kapitalflussrechnung sowie einem Eigenkapitalspiegel besteht. Zusätzlich ist ein Lagebericht aufzustellen (§§ 242, 264 Abs. 1 HGB). Eine börsennotierte Aktiengesellschaft gilt stets als große Kapitalgesellschaft (§ 267 Abs. 3 HGB) und hat die Bilanz nach § 266 Abs. 2 u. 3 HGB und die Gewinn- und Verlustrechnung gemäß § 275 Abs. 2 bzw. 3 HGB entsprechend detailliert zu untergliedern (vgl. §§ 266 Abs. 1, 276 HGB). Die handelsrechtliche Rechnungslegung verfolgt als Zwecke die Dokumentation, Rechenschaft, Kapitalerhaltung und – nach teilweiser Auffassung und mit dem Zweck der Kapitalerhaltung korrespondierend – die Zahlungsbemessung.161 Der Jahresabschluss ermöglicht eine zusammenfassende Auskunft über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Er hat insbesondere bei Kapitalgesellschaften ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln (§ 264 Abs. 2 HGB). Das schließt auch und vor allem eine periodengerechte Erfolgsermittlung ein. Der Jahresabschluss soll darüber Rechenschaft ablegen, „ob das Ziel ,Verdienen‘ erreicht wurde“162. Als Periodenerfolg soll aber gleichzeitig nur der Betrag ausgewiesen werden, der bei seiner Entnahme das nominelle Haftkapital nicht angreift. 2. Ermittlung des Jahresergebnisses Das Jahresergebnis, entweder Jahresüberschuss oder Jahresfehlbetrag, wird unter Zugrundelegung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung anhand der Gewinn- und Verlustrechnung als Saldo der Erträge und Aufwendungen eines Wirt-

160 Zu unterschiedlichen in der Wirtschaftswissenschaft entwickelten Gewinnkennzahlen siehe unten 2. Teil, B.II.1. 161 Zum Folgenden Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, S. 94 ff.; im Hinblick auf die Zahlungsbemessungsfunktion Drescher, Zur Zukunft des deutschen Maßgeblichkeitsgrundsatzes, S. 59 m. w. N. 162 Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, S. 97.

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schaftsjahres ermittelt. Es spiegelt das Ergebnis der Unternehmenstätigkeit in der Rechnungsperiode wider.163 a) Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) bezeichnen allgemein anerkannte Regeln hinsichtlich der Führung der Handelsbücher und der Erstellung des Jahresabschlusses.164 Sie sind – aufgrund ihrer Erwähnung in § 243 Abs. 1 bzw. 264 Abs. 2 S. 1 HGB – zwingende Rechtssätze, die immer dann eingreifen, wenn Gesetzeslücken auftreten oder eine Auslegung des Gesetzes erforderlich ist. Die wichtigsten GoB sind im Laufe der Zeit kodifiziert worden. Zu ihnen gehören165 – der Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit (§§ 238 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 2 HGB), – das Saldierungsverbot (§ 246 Abs. 2 HGB), – der Grundsatz der Einzelbewertung (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB), – der Grundsatz der Richtigkeit und Willkürfreiheit (§ 239 Abs. 2 HGB), – der Grundsatz der Vollständigkeit (§§ 239 Abs. 2, 246 Abs. 1 HGB), – der Grundsatz der Bilanzidentität (§ 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB), – der Grundsatz der Vorsicht (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), – das Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), – das Imparitätsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), – der Grundsatz der Periodenabgrenzung (§ 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB), – der Grundsatz der Fortführung der Unternehmenstätigkeit (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) sowie – der Grundsatz der Stetigkeit (§§ 246 Abs. 3, 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB). Diese Grundsätze strahlen sowohl auf den Ausweis der Vermögenslage der Gesellschaft als auch auf die Ermittlung des handelsrechtlichen Gewinns der Gesellschaft aus. 163

Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 538. Zum Folgenden Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 38 ff. 165 Siehe Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 46 f.; zur Bedeutung der einzelnen Grundsätze Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 40 ff.; die zusätzlichen vom Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) erarbeiteten Bestimmungen, die sich lediglich auf die Konzernrechnungslegung beziehen, können hier unbeachtet bleiben, siehe dazu Coenenberg/ Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 48 ff. 164

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Von besonderer Bedeutung ist dabei das Vorsichtsprinzip. Um einen hinreichenden Gläubigerschutz zu gewährleisten, soll die Rechnungslegung keinen zu optimistischen Eindruck von der Lage des Unternehmens vermitteln. Das Vorsichtsprinzip wird durch das Realisations- und Imparitätsprinzip weiter konkretisiert.166 Nach dem Realisationsprinzip sind Erlöse aus dem Verkauf von Sachgütern bzw. Dienstleistungen erst dann bilanziell ausweisfähig, wenn die Lieferung vollzogen bzw. die Dienstleistung beendet ist. Noch nicht ,realisierte‘ Leistungen dürfen dagegen nur mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten in der Bilanz angesetzt werden, sodass in der Bilanz keine unrealisierten Erträge aufgenommen werden, auch wenn diese mit hoher Wahrscheinlichkeit erzielt werden können.167 Einzige Ausnahme ist die Aktivierung von selbst geschaffenen immateriellen Vermögensgegenständen (Patente, Warenzeichen, Urheberrechte) nach § 248 Abs. 2 S. 1 HGB, die jedoch – da sie erfolgswirksam sind – zugunsten des Gläubigerschutzes einer Ausschüttungssperre unterliegen (§ 268 Abs. 8 HGB). Auf der Grundlage dieses Realisationsprinzips wären einzelgeschäftliche Verluste erst mit Leistungserbringung bzw. mit Ablauf des Leistungszeitraums (mindernd) erfolgswirksam. Da dadurch aber eine Aushöhlung der Vermögenssubstanz in der Vorperiode drohen könnte, wird das Realisationsprinzip im Hinblick auf Verbindlichkeiten durch das sogenannte Imparitätsprinzip modifiziert. Danach sind einzelgeschäftliche Verluste so früh wie möglich buchhalterisch zu erfassen. Das Imparitätsprinzip wirkt dabei auf zwei Arten: Zum einen ist der Buchwert von Vermögensgegenständen herabzusetzen, wenn der tatsächliche Wert niedriger als der Buchwert ist (Niederstwertprinzip), zum anderen sind wahrscheinliche Verluste aus sogenannten schwebenden Geschäften, das heißt aus noch nicht erfüllten Liefer- oder Beschaffungsverträgen, durch Bildung einer Rückstellung zu erfassen.168 Es sind „alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen“ (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Das Vorsichtsprinzip führt demnach insgesamt zu einer tendenziell ,defensiven‘ Bilanzierung und Erfolgsermittlung. Gleichwohl genießt das Vorsichtsprinzip keinen Vorrang vor den anderen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung; insbesondere der Grundsatz der Richtigkeit und Willkürfreiheit verbietet ein „armrechnen“. Ziel ist stets eine Bilanzierung und Erfolgsermittlung nach dem Grundsatz „Vorsicht mit Rücksicht auf die Rechenschaft“169.

166 167 168 169

Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 42 f. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 43. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 45 f. Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, S. 141.

A. Theoretische Grundlagen

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b) Gewinn- und Verlustrechnung Das Jahresergebnis als Zielgröße der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) stellt die Erträge und Aufwendungen der Gesellschaft im abgelaufenen Geschäftsjahr einander gegenüber. Die GuV hat die Aufgabe, die Erfolgsquellen aufzuzeigen, die zur Entstehung des Jahresergebnisses geführt haben, und ermöglicht so einen Einblick in die Ertragslage des Unternehmens; der Ausweis der Erträge und Aufwendungen erfolgt grundsätzlich vollständig und unsaldiert.170 Das Bilanz- bzw. Gewinnermittlungsrecht ist durch die Bestimmung des sogenannten ,entziehbaren‘ Gewinns geprägt.171 Darunter ist derjenige Betrag zu verstehen, der der Gesellschaft entzogen werden kann, ohne dass es zu einer Gefährdung der Gläubiger oder des Kapitals kommt.172 Diese Prägung ergibt sich unmittelbar aus der Ausgestaltung der GoB, insbesondere aus dem Vorsichts- und Realisationsprinzip.173 Seit dem BilMoG174 und der in diesem Zuge geschaffenen Möglichkeit, selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte zu aktivieren, hat sich diese Prägung des Gewinnausweises zwar geändert. Doch die Reform ist nur von theoretischer Natur, da, wie zuvor schon erwähnt, entsprechend ausgewiesene ,Gewinne‘ nicht unmittelbar ausgeschüttet, das heißt der Gesellschaft ,entzogen‘ werden dürfen. 3. Verwendung des Jahresergebnisses Sofern das Jahresergebnis positiv ist, das heißt ein Jahresüberschuss erzielt wurde, ist dieser Gewinn zu ,verwenden‘. Die Verwendung des Jahresüberschusses erfolgt in zwei Stufen: Eine teilweise Gewinnverwendung erfolgt bereits im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses; im Anschluss kann eine Gewinnverwendung zudem im Rahmen der Verwendung des Bilanzgewinns durch die Hauptversammlung erfolgen.

170 Schmidt/Peun, in: Beck’scher Bilanzkommentar, § 275 Rn. 8; zur Unterscheidung zwischen dem Umsatzkosten- und dem Gesamtkostenverfahren siehe Schmidt/Peun, in: Beck’scher Bilanzkommentar, § 275 Rn. 26 ff., für die Ermittlung des Jahresergebnisses spielt es – eine einheitliche Bewertung vorausgesetzt – letztlich keine Rolle, welchem der beiden Verfahren gefolgt wird. 171 Moxter, in: FS Heigl, S. 31 (33). 172 Schön, StuW 1995, 366 (377). 173 Moxter, in: FS Clemm, S. 231 (231); siehe ferner die Ausführungen bei Drescher, Zur Zukunft des deutschen Maßgeblichkeitsgrundsatzes, S. 102 ff. 174 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz BilMoG) v. 25. 5. 2009, BGBl. I 2009, S. 1102 ff.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

a) Verwendung im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses Jeder Jahresabschluss muss festgestellt werden. Bei dieser Feststellung handelt es sich um ein korporationsrechtliches Rechtsgeschäft eigener Art,175 durch das die Verwaltung bzw. die Hauptversammlung formell erklärt, dass der festgestellte Jahresabschluss die vom Gesetz geforderte und gesellschaftsrechtlich maßgebende Rechnungslegung ist.176 Die Feststellung des Jahresabschlusses kann entweder nach § 172 AktG durch die Verwaltung der Aktiengesellschaft, das heißt durch Vorstand und Aufsichtsrat, oder nach § 173 AktG durch die Hauptversammlung erfolgen. Bereits im Rahmen dieser Feststellung findet eine teilweise Gewinnverwendung statt. Zu unterscheiden ist zwischen zwingenden, da gesetzlich vorgegebenen, Gewinnverwendungsvorschriften und optionalen Gewinnverwendungsvorschriften. Die optionale Gewinnverwendung hängt weiterhin davon ab, ob die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Verwaltung oder durch die Hauptversammlung erfolgt. Die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung ist heutzutage die Ausnahme, die Feststellung durch die Verwaltung die Regel.177 Nur wenn Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam beschließen, die Feststellung des Jahresabschlusses der Hauptversammlung zu überlassen (§ 173 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AktG) oder wenn der Aufsichtsrat die Aufstellung durch den Vorstand nicht billigt (§ 173 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AktG), stellt die Hauptversammlung den Jahresabschluss fest. (1) Zwingende gesetzliche Gewinnverwendung Unabhängig davon, ob der Jahresabschluss von der Verwaltung oder von der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft festgestellt wird, sind aus dem Jahresüberschuss bestimmte Eigenkapitalposten zu dotieren. Das ist zum einen die gesetzliche Rücklage nach § 150 AktG und zum anderen die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen (§ 272 Abs. 4 HGB). Beide Rücklagen sind nach dem Wortlaut des Gesetzes bereits bei Aufstellung des Jahresabschlusses zu bilden.178 Stellt die Verwaltung den Jahresabschluss fest, wird die Aufstellung als notwendige Vorstufe durch den Vorstand vorgenommen. Die Feststellung selbst umfasst dann streng genommen nur, dass der aufgestellte Jahresabschlusses dem Aufsichtsrat vom Vorstand vorgelegt und durch den Aufsichtsrat gebilligt wird.179 Wird der Jahresabschluss dagegen von der Hauptversammlung 175

BGHZ 124, 111 (116). Hennrichs/Pöschke, in: MüKo AktG, 3. Aufl., § 172 Rn. 10 sowie § 173 Rn. 24. 177 Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 7; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 4 Rn. 13; zur früheren Rechtslage vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., S. 921. 178 Vgl. § 150 Abs. 1 AktG sowie § 272 Abs. 4 S. 4 HGB. 179 Hennrichs/Pöschke, in: MüKo AktG, 3. Aufl., § 172 Rn. 22 ff.; vgl. auch den Wortlaut von § 172 S. 1 AktG. 176

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festgestellt, vereinigen sich in deren Hand die Aufgabe des Vorstands, den Jahresabschluss aufzustellen, und die Aufgabe des Aufsichtsrats, den Jahresabschluss zu billigen, zu einer einheitlichen Feststellung durch Beschluss.180 Denn die Hauptversammlung kann, anders als der Aufsichtsrat, im Rahmen ihres Feststellungsbeschlusses auch bilanzpolitische Entscheidungen eigenständig treffen (soweit diese handelsrechtlich zulässig sind).181 (a) Gesetzliche Rücklage Aktiengesellschaften müssen zwingend eine gesetzliche Rücklage bilden. In diese Rücklage sind so lange 5 % des um einen eventuellen Verlustvortrag geminderten Jahresüberschusses einzustellen, bis die gesetzliche Rücklage sowie die Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB zusammen den zehnten (bzw. den in der Satzung der Aktiengesellschaft bestimmten höheren) Teil des Grundkapitals erreichen (§ 150 Abs. 2 AktG). Diese Dotierung hat bereits bei Aufstellung des Jahresabschlusses durch den Vorstand zu erfolgen.182 Die gesetzliche Rücklage darf nur sehr eingeschränkt verwendet werden, solange sie zusammen mit den Kapitalrücklagen nicht mindestens 10 % des Grundkapitals ausmacht. Zulässig ist lediglich der Ausgleich eines – abgesehen durch Grundkapital – anders nicht ausgleichbaren Jahresfehlbetrags oder Verlustvortrags (§ 150 Abs. 3 AktG). Übersteigen gesetzliche Rücklage und Kapitalrücklagen dagegen 10 % oder den in der Satzung genannten höheren Teil des Grundkapitals, so ist eine Verwendung ähnlich183 wie zuvor zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags bzw. eines Verlustvortrags und zusätzlich auch für eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln möglich (§ 150 Abs. 4 AktG).184 Die Hauptversammlung kann nach § 58 Abs. 3 AktG zudem weitere Beträge in die gesetzliche Rücklage einstellen; wovon allerdings nur selten Gebrauch gemacht wird.185 (b) Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen Daneben ist gemäß § 272 Abs. 4 HGB gegebenenfalls eine Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen zu bilden. Diese Rücklage kann aus dem Jahresüberschuss, aber auch aus vorhandenen frei verfüg-

180

Brönner, in: GroßK AktG, § 173 Rn. 11. Hennrichs/Pöschke, in: MüKo AktG, 3. Aufl., § 173 Rn. 33. 182 Hennrichs/Pöschke, in: MüKo AktG, 3. Aufl., § 150 Rn. 11. 183 Mit der Abweichung, dass nicht zwingend zuvor andere Gewinnrücklagen aufgelöst werden müssen. 184 Zudem dürfen im Falle des Ausgleichs eines Jahresfehlbetrags oder Verlustvortrags nicht gleichzeitig Gewinnrücklagen zur Gewinnausschüttung aufgelöst werden, § 150 Abs. 4 S. 2 AktG. 185 Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, S. 509. 181

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

baren Rücklagen oder einem Gewinnvortrag gebildet werden.186 In ihrer Höhe muss die Rücklage den auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesenen Beträgen entsprechen (§ 272 Abs. 4 S. 2 HGB). Sie ist aufzulösen, soweit die Anteile an dem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen veräußert, ausgegeben oder eingezogen werden oder auf der Aktivseite ein niedrigerer Betrag angesetzt wird (§ 272 Abs. 4 S. 4 HGB). (2) Optionale Gewinnverwendung Je nachdem, ob der Jahresabschluss durch die Verwaltung oder die Hauptversammlung festgestellt wird, können weitere Teile des Jahresüberschusses in bestimmter Weise verwendet werden. (a) Feststellung des Jahresabschlusses durch die Verwaltung Sofern der Jahresabschluss von der Verwaltung festgestellt wird, kommt der Verwaltung gemäß § 58 Abs. 2 u. 2a AktG das Recht zu, im Rahmen der Feststellung nach eigenem Ermessen bestimmte Rücklageposten zu dotieren.187 Die Hauptversammlung ist dann gemäß § 174 Abs. 1 S. 2 AktG an diese Feststellung gebunden. So können Vorstand und Aufsichtsrat insbesondere nach § 58 Abs. 2 AktG einen Teil des Jahresüberschusses, höchstens jedoch die Hälfte, in andere Gewinnrücklagen einstellen. Die Höhe kann aufgrund Satzungsbestimmung auch höher oder niedriger ausfallen, höher jedoch nur, soweit die anderen Gewinnrücklagen die Hälfte des Grundkapitals nicht übersteigen bzw. solange sie nach der Einstellung die Hälfte nicht übersteigen würden, § 58 Abs. 2 S. 3 AktG. Beträge, die in die gesetzliche Rücklage einzustellen sind, sowie ein eventueller Verlustvortrag sind vorab vom Jahresüberschuss abzuziehen.188 Im Konzern kann diese Ermächtigung zu Problemen führen, da unter Umständen eine mehrfache ,Aushöhlung‘ des Jahresüberschusses durch die Verwaltung möglich ist.189 Darüber hinaus darf die Verwaltung nach § 58 Abs. 2a AktG aus dem Jahresüberschuss den Eigenkapitalanteil von Wertaufholungen bei Vermögensgegenständen des Anlage- und Umlaufvermögens sowie von Passivposten, die bei der steuerrechtlichen Gewinnermittlung gebildet wurden und die nicht im Sonderposten mit Rücklageanteil ausgewiesen werden dürfen, in andere Gewinnrücklagen einstellen. Der Verwaltung soll dadurch ermöglicht werden, nachträglich aufgedeckte stille Reserven zu thesaurieren und dem Zugriff der Hauptversammlung zu entziehen. Da der Gesellschaft durch die Wertaufholung keine finanziellen Mittel zufließen, widerspräche eine eventuelle Ausschüttung entsprechender Beträge dem handelsbi186

Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 272 Rn. 11. Zur Historie von § 58 Abs. 2 siehe Lutter, in: FS Goerdeler, S. 327 (329 ff.). 188 § 58 Abs. 2 S. 4 AktG i. V. m. § 58 Abs. 1 S. 3 AktG. 189 Auf diese Problematik kann hier nicht näher eingegangen werden, siehe dazu Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 63 ff. 187

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lanzrechtlichen Realisationsprinzip.190 Diese Wertaufholungen darf die Verwaltung unabhängig von der Dotierung der anderen Gewinnrücklagen nach § 58 Abs. 2 AktG vornehmen.191 (b) Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung Für den Fall, dass die Hauptversammlung den Jahresabschluss feststellt, kann die Satzung gemäß § 58 Abs. 1 AktG vorsehen, dass Beträge aus dem Jahresüberschuss, höchstens jedoch die Hälfte des Jahresüberschusses, in andere Gewinnrücklagen einzustellen sind. Die Satzung muss eine feste Berechnungsgrundlage vorgeben, etwa einen festen Prozentsatz des Jahresüberschusses oder eine eindeutige Summe.192 Es handelt sich also nicht um ein Wahlrecht der Hauptversammlung hinsichtlich der Bildung einer entsprechenden Rücklage, vielmehr hat die Hauptversammlung im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses durch sie eine Rücklage zu bilden, wenn die Satzung dies vorsieht. Ist eine derartige Satzungsregelung nicht vorhanden, darf die Hauptversammlung im Rahmen der Feststellung keine Rücklagen dotieren.193 Auch in diesem Fall sind aber Beträge, die in die gesetzliche Rücklage einzustellen sind, sowie ein eventueller Verlustvortrag vorab vom Jahresüberschuss abzuziehen. b) Verwendung im Rahmen des Beschlusses über den Bilanzgewinn Ist der Jahresabschluss festgestellt, beschließt die Hauptversammlung über die Verwendung des im Jahresabschluss ausgewiesenen Bilanzgewinns. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Bilanzgewinn keine bloße Fortschreibung des Jahresüberschusses nach seiner teilweisen Verwendung im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses ist. Vielmehr gehen in den Bilanzgewinn weitere Beträge ein, die gegebenenfalls auf einem Gewinn- bzw. Verlustvortrag beruhen oder als Teil der Feststellung einer Rücklage, das heißt Gewinnen aus früheren Perioden, entnommen wurden. So ist es möglich, dass trotz eines vorhandenen Jahresüberschusses ein Bilanzgewinn von null oder auch trotz eines Jahresfehlbetrags ein positiver Bilanzgewinn ausgewiesen wird. Gleichwohl rührt in vielen Fällen der Bilanzgewinn zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem verbleibenden Jahresüberschuss.

190 191 192 193

Bayer, in: MüKo AktG, § 58 Rn. 72; Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 79. Bayer, in: MüKo AktG, § 58 Rn. 78. Bayer, in: MüKo AktG, § 58 Rn. 25. Bayer, in: MüKo AktG, § 58 Rn. 24.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Sofern die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung erfolgt, ist zu beachten, dass auch in diesem Fall zwischen der Feststellung des Jahresabschlusses (und der insoweit möglichen Verwendung des Jahresergebnisses) und der Verwendung des Bilanzgewinns durch die Hauptversammlung zu trennen ist. Die Hauptversammlung ist hinsichtlich der Höhe des Bilanzgewinns an dessen Feststellung im Jahresabschluss gebunden. Sie ist jedoch nicht auf den gegebenenfalls von Vorstand und Aufsichtsrat unterbreiteten Verwendungsvorschlag festgelegt.194 Es steht der Hauptversammlung frei, ob sie den Bilanzgewinn ausschüttet, in Rücklagen einstellt, vorträgt oder einer anderen Verwendung zuführt. Insgesamt muss der Beschluss den zur Verfügung stehenden Betrag des Bilanzgewinns vollständig ausschöpfen.195 Regelmäßig wird eine Ausschüttung des Gewinns beschlossen. Die Hauptversammlung kann aber auch – neben den bereits im Rahmen der Feststellung gebildeten Rücklagen – weitere Beträge in Gewinnrücklagen einstellen. Dabei ist gegebenenfalls der Minderheitenschutz, den § 254 AktG gewährt, zu beachten. Wird ein Gewinnvortrag auf neue Rechnung beschlossen, so erhöht dies unmittelbar den Bilanzgewinn des Folgejahres mit der Konsequenz, dass der entsprechende Betrag dann nicht noch einmal zur Disposition der Verwaltung steht.196 Schließlich ist auch eine andere Verwendung, insbesondere für gemeinnützige Zwecke, möglich, sofern eine Satzungsermächtigung gegeben ist. Die Satzung kann dieses Recht der Hauptversammlung, über den Bilanzgewinn frei zu verfügen, wiederum einschränken. Dies ergibt sich aus § 58 Abs. 4 AktG. Zulässig ist sowohl eine Satzungsbestimmung, die die Hauptversammlung zur vollständigen oder teilweisen Gewinnausschüttung verpflichtet, als auch eine, die eine teilweise oder vollständige Ausschüttung einschränkt oder sogar verbietet.197 4. Eigenkapitalausweis a) Ausweis des von innen zugeführten (thesaurierten) Eigenkapitals Nach dem zuvor Gesagten ergibt sich für das aufgrund von Gewinnthesaurierung auszuweisende Eigenkapital folgende Struktur: Als Gewinnrücklagen sind – die gesetzliche Rücklage, 194

Rn. 1.

Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. IV, § 47

195 Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 91; eine Ausschüttung ist jedoch nur eingeschränkt möglich, wenn es zuvor zu einer Kapitalherabsetzung gekommen ist, siehe dazu Grigoleit/ Zellner, in: Grigoleit, AktG, § 58 Rn. 26. 196 Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 106. 197 Grigoleit/Zellner, in: Grigoleit, AktG, § 58 Rn. 30; näher dazu Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 117 ff.

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– die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen, – die satzungsmäßigen Rücklagen sowie – die anderen Gewinnrücklagen auszuweisen (§ 266 Abs. 3 HGB). Daneben ist auch ein Gewinnvortrag auszuweisen, sofern die Hauptversammlung dies im Rahmen der Verwendung des Bilanzgewinns beschließt. b) Ausweis des von außen zugeführten Kapitals Daneben werden in der Bilanz aber auch von außen zugeführtes Eigenkapital, nämlich Grundkapital und Kapitalrücklage, erfasst. (1) Grundkapital Beim Grundkapital einer Aktiengesellschaft handelt es sich um das von den Aktionären eingezahlte Nominalkapital. Abgesehen von der Möglichkeit, nennwertlose Aktien auszugeben, wird das Nominalkapital durch die Summe der Nennbeträge aller ausgegebenen Aktien bestimmt. Kommt es später zu einer Kapitalerhöhung, kann das Grundkapital aber sowohl ,von außen‘ als auch ,von innen‘ erhöht werden.198 Wenn die Aktiengesellschaft eigene Anteile hält, muss sie deren Nennbetrag nach § 272 Abs. 1a HGB offen vom Posten ,Gezeichnetes Kapital‘ durch einen Korrekturposten absetzen. Der Unterschiedsbetrag zwischen Nennbetrag und Anschaffungskosten der eigenen Anteile ist nach § 272 Abs. 1a S. 2 HGB mit frei verfügbaren Rücklagen zu verrechnen und damit erfolgsneutral zu behandeln. Es kommt also insoweit zu einer Verminderung der Rücklagen.199 Wie zu verfahren ist, wenn die Rücklagen nicht ausreichen bzw. die Anschaffungskosten unter dem Nennbetrag liegen, ist dagegen gesetzlich nicht näher bestimmt. Vorgeschlagen wird etwa, einen nicht durch Rücklagen gedeckten Betrag im Rahmen der Ergebnisverwendung zu verrechnen.200 Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll es sich beim Rückerwerb eigener Aktien aus wirtschaftlicher Sicht um eine Form der Kapitalherabsetzung handeln.201 Das gibt die Bedeutung des Rückerwerbs indes nicht korrekt wieder, da ja für den Rückerwerb nur der Bilanzgewinn sowie Gewinnrücklagen verwendet werden können und in Höhe des Nennbetrags stets eine Rücklage gebildet werden können

198 199 200 201

Dazu im Einzelnen oben 2. Teil, A.II.4. Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, S. 490. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 360 f. BMF-Schreiben v. 27. 11. 2013, BStBl. I 2013, S. 1615 (1615 Tz. 2).

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

müsste (§ 71 Abs. 2 S. 2 AktG)202. Das Grundkapital wird also gerade nicht tangiert.203 Insgesamt ist daher die bilanzielle Spiegelung des Rückerwebs eigener Anteile nicht glücklich geraten.204 (2) Kapitalrücklagen Die Kapitalrücklage umfasst die Eigenkapitalanteile, die der Gesellschaft von ihren Eignern neben dem Nominalkapital zugeführt wurden. Sie unterscheidet sich dadurch von den Gewinnrücklagen, die durch das Einbehalten von Teilen des Jahresüberschusses im Unternehmen gekennzeichnet sind.205 Die Bildung der Kapitalrücklagen richtet sich nach § 272 Abs. 2 HGB. Es sind zwei verschiedene Arten von Kapitalrücklagen zu unterscheiden: zum einen Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB und zum anderen solche nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB. Erstere, im Gesetz als „andere Zuzahlungen, die Gesellschafter in das Eigenkapital leisten“, bezeichnet, umfassen vor allem diejenigen Beträge, die bei einer vereinfachten Kapitalherabsetzung nach § 229 AktG bzw. einer Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien nach § 237 Abs. 5 u. 3 AktG frei werden.206 Sie können ohne weitere Einschränkungen jederzeit und unbegrenzt aufgelöst werden.207 Die zweite Art von Kapitalrücklagen, zu denen insbesondere im Rahmen der Aktienemission erzielte Aufgelder gehören (§ 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB), unterliegt hingegen einer strengeren ,Bindung‘. Die jeweiligen Beträge dürfen nur nach den Vorgaben des § 150 Abs. 3 u. 4 AktG aufgelöst werden. Danach darf diese Kapitalrücklage (unter zusätzlichen Voraussetzungen208) nur zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags oder eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr ver202

Diese (nur noch) hypothetische Rücklage ist seit der Änderung des § 71 Abs. 2 S. 2 AktG durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz - BilMoG) v. 25. 5. 2009, BGBl. I 2009, S. 1102 ff., zu bilden. 203 Vgl. oben 2. Teil, A.II.1.c). 204 Reiner, in: MüKo HGB, § 272 Rn. 34, weist darauf hin, dass durch die Absetzung des Nennbetrags der rückerworbenen Aktien vom Posten ,Gezeichnetes Kapital‘ zudem eine vom Gesetzgeber wahrscheinlich nicht gesehene theoretische Kapitalschutzlücke entstehen kann; sie sollte richtigerweise aber durch eine entsprechende zusätzliche Ausschüttungssperre der frei verfügbaren Rücklagen korrigiert werden, wie Verse, VGR 15 (2010), 67 (85 f.), überzeugend vorschlägt; ein Aktienrückkauf muss daher bilanziell stets aus den frei verfügbaren Rücklagen aufgebracht werden, die auch für eine Dividendenausschüttung zur Verfügung stünden. Diese Problematik kann hier nicht umfassend aufbereitet werden, siehe dazu eingehend Reiner, in: MüKo HGB, § 272 Rn. 30 ff.; der Rückkauf selbst birgt allerdings noch keine Gefahr für den Kapitalschutz, da in Höhe der Anschaffungskosten bei Erwerb der Aktien eine Rücklage in entsprechender Höhe aus den frei verfügbaren Rücklagen gebildet werden können müsste, § 71 Abs. 2 S. 2 AktG. 205 Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 347. 206 Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 347 f. 207 Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, S. 506. 208 Zudem darf der Jahresfehlbetrag bzw. Verlustvortrag nicht durch einen Gewinnvortrag bzw. Jahresüberschuss oder die Auflösung einer Gewinnrücklage ausgleichbar sein, § 272 Abs. 3 Nr. 1 u. 2 AktG.

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wendet werden, solange Kapitalrücklage und gesetzliche Rücklage nicht den zehnten bzw. den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals übersteigen. Wird der zehnte oder höhere Teil des Grundkapitals erreicht, ist auch eine Verwendung zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln zulässig (§ 150 Abs. 4 Nr. 3 AktG). Die Kapitalrücklagen, vor allem diejenigen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB, dienen der Kapitalerhaltung und somit dem Gläubigerschutz.209 5. Auflösung von Gewinnrücklagen Die Gewinnrücklagen können – sofern die Satzung oder das Gesetz nicht spezielle Regeln vorsehen – im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses nach Ermessen des zuständigen Organs wieder aufgelöst werden. Dies ist beispielsweise denkbar, um einen Jahresfehlbetrag auszugleichen, den Bilanzgewinn (etwa im Hinblick auf eine über den Jahresüberschuss und einen eventuellen Gewinnvortrag hinausgehende Ausschüttung) zu erhöhen oder um die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen zu dotieren (§ 272 Abs. 4 S. 3 HGB).

IV. Langfristige Entwicklung von Aktienmärkten am Beispiel des DAX Die Kenntnis der langfristigen Entwicklung von Aktienmärkten ist wichtig, um daraus unter Einbindung der Grundlagen zur Preisbildung am Aktienmarkt, die zu Beginn dieses zweiten Teils erläutert wurden, Rückschlüsse hinsichtlich der Ergiebigkeit von Kapitalerträgen zu ziehen. Die langfristige Entwicklung von Aktienmärkten lässt sich am besten anhand von Aktienindizes untersuchen. Alle größeren Aktienmärkte weltweit werden durch entsprechende Indizes abgebildet, und häufig werden für einen nationalen Aktienmarkt sogar mehrere Indizes berechnet. Indizes messen die durchschnittliche Veränderung bestimmter Merkmalsausprägungen von einer bestimmten Zahl festgelegter Vermögenswerte. Aktienindizes, von denen es weltweit inzwischen mehrere zehntausend gibt,210 zeichnen die Entwicklung einer festgelegten Auswahl von Aktien nach, was die Beobachtung der Kapitalmarktentwicklung ermöglicht. Zu unterscheiden ist grundsätzlich zwischen Aktienperformanceindizes und Aktienkursindizes (Aktienkursindizes im engeren Sinn). Während erstere die Wertentwicklung des Portfolios unter Berücksichtigung aller Renditekomponenten, das heißt Kursveränderungen und Ausschüttungen, anzeigen, messen Aktienkurs-

209 210

Coenenberg/Haller/Mattner/Schultze, Einführung in das Rechnungswesen, S. 400. Wetzel, Aktienindizes, S. 5.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

indizes ausschließlich die Kursveränderung eines Portfolios (bereinigt lediglich um Bezugsrechtsabschläge und Aktienkapitalveränderungen).211 In welchen (weltweiten) Aktienmärkten die in Deutschland steuerpflichtigen Personen und Gesellschaften investiert sind, ist weder nachweisbar noch kann es im Rahmen dieser Arbeit umfassend behandelt werden. Exemplarisch wird daher hier die langfristige Entwicklung des deutschen Aktienmarktes dargestellt, da dieser gegenwärtig zumindest am Portfolio inländischer Privatpersonen den größten Anteil haben dürfte (über 50 % des gesamten investierten Aktienvermögens).212 Für eine Darstellung des deutschen Aktienmarktes eignet sich insbesondere der DAX. Er repräsentiert ca. 80 % des in Deutschland zugelassenen Börsenkapitals und gewährleistet eine hohe Kontinuität der im Index enthaltenen Titel. Er ist daher der wichtigste Börsenindex für den deutschen Aktienmarkt.213 Die in ihm erfassten Aktiengesellschaften müssen ihren Sitz oder den Schwerpunkt ihres Handelsumsatzes in Deutschland haben, zu den nach Marktkapitalisierung und Börsenumsatz größten Gesellschaften zählen und einen Streubesitz von mindestens 10 % aufweisen.214 Der DAX ist auf den 30. 12. 1987 basiert.215 Die Berechnung des DAX erfolgt nach einer modifizierten Form des Preisindexes von Laspeyres.216 Ihr liegt vereinfacht folgende Formel zugrunde: Pn p = Fi × Basis], [ i¼1 it A wobei pit den Preis der Aktie ,i‘ zum Zeitpunkt ,t‘ angibt, F i der aktienindividuelle Gewichtungsfaktor ist und ,A‘ eine Basisgröße ist, die bis zu einer Änderung der Indexzusammensetzung konstant bleibt.217 In Worten ausgedrückt werden die Kurse der erfassten Aktien jeweils mit dem (aktien-)individuellen Gewichtungsfaktor multipliziert und die so ermittelten Produkte summiert. Diese Summe wird anschließend durch eine Basisgröße geteilt, die

211

Schmitz-Esser, Aktienindizes, S. 6 f.; Rolfes/Jirousek, WISU 2003, 1230 (1230). Inländische Privatpersonen verfügten zum Ende des Jahres 2004 über ein Aktienvermögen (Kurswert) von rund 182 Mrd. Euro (einschließlich Genussscheine), das sich zu 80 % auf inländische und zu 20 % auf ausländische Emittenten verteilte, vgl. Deutsche Bundesbank, Wertpapierdepotstatistik 2005, S. 33. Dieses Verhältnis hat sich inzwischen zwar zugunsten der Aktien ausländischer Emittenten verändert – vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Oktober 2008, S. 24 –, doch dürfte auch heute noch der Anteil deutscher Aktien am Portfolio inländischer Privatanleger über 50 % liegen. 213 Deutsche Börse AG, Die DAX-Indexwelt, S. 5. 214 Deutsche Börse AG, Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, S. 22 f. 215 Deutsche Börse AG, Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, S. 15. 216 Zu den grundlegenden Berechnungsformeln für Aktienindizes, insbesondere den heute verbreitetsten Preisindexformeln von Laspeyres oder Paasche bzw. der Wertindexformel, siehe Bleymüller, Theorie und Technik der Aktienkursindizes, S. 48 f. 217 Deutsche Börse AG, Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, S. 38. 212

A. Theoretische Grundlagen

109

sich nur im Fall einer neuen Indexzusammensetzung ändert.218 Der so ermittelte Wert wird mit der Basis, im Falle des DAX 1.000 Punkte, multipliziert. Der individuelle Gewichtungsfaktor hängt von der Marktkapitalisierung des Streubesitzes der Aktie ab,219 kann jedoch maximal 10 % der Indexkapitalisierung betragen220. Das bedeutet, dass der DAX Kursveränderungen so abbildet, als hätte ein hypothetischer Anleger ein Aktienportfolio in einer Basisperiode gekauft und nicht mehr umgeschichtet, das heißt nach einer reinen ,Kaufen-und-halten-Strategie‘ investiert hätte.221 Damit die Aktien kleinerer Gesellschaften, die am gesamten Handelsvolumen nur einen geringeren Anteil haben, nicht überproportional berücksichtigt werden, bildet der DAX nicht das einfache arithmetische Mittel, sondern nimmt eine Gewichtung nach dem tatsächlich frei gehandelten Grundkapital der Gesellschaft vor (begrenzt das ,Gewicht‘ einer einzelnen Aktie aber gleichwohl auf max. 10 %). 1. Entwicklung des DAX-Kursindexes Der DAX-Kursindex entwickelte sich über die vergangenen 25 Jahre wie folgt: 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Abb. 1: Entwicklung des DAX-Kursindexes zwischen 1988 und 2016

Es ist zu erkennen, dass die Kurse am Aktienmarkt keineswegs einem konstanten (linearen) Aufwärtstrend folgen. Ebenso wenig handelt es sich aber um ein regelmäßiges ,Auf und Ab‘. Vielmehr gibt es anhaltende Gewinnphasen, anhaltende Verlustphasen, Phasen relativer Stagnation, sowie Phasen, in denen sich Gewinn- und 218 Deutsche Börse AG, Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, S. 39., dort auch zur exakten Formel für die Berechnung des DAX. 219 Deutsche Börse AG, Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, S. 11 f. u. 46. 220 Deutsche Börse AG, Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, S. 72. 221 Schmitz-Esser, Aktienindizes, S. 151 f.

110

2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Verlustsituationen innerhalb kurzer Zeit abwechseln. Eine Regelmäßigkeit ist nicht feststellbar. Abhängig vom Anschaffungs- und Veräußerungszeitpunkt können Aktionäre also sowohl bedeutende Gewinne realisieren als auch erhebliche Verluste erleiden. Das gilt sowohl für die kurze als auch für die lange Frist. Gleichwohl vermittelt der Chart den Eindruck, dass der DAX-Kursindex (zumindest von 1988 bis jetzt) langfristig einem gewissen Aufwärtstrend folgt. Dass aber auch extreme Abstürze möglich sind, zeigt der Zeitraum von Anfang 2000 bis Anfang 2003, in dem der DAX-Kursindex von knapp 6000 Punkten auf unter 2000 Punkte sank. Die Aktien büßten in dieser Zeitspanne im Mittel also rund zwei Drittel ihres Wertes ein. Sollen durchschnittliche Wachstumsraten des Indexes ermittelt werden, kommt es entscheidend auf den jeweils gewählten Anfangs- und Endzeitpunkt, also auf den konkret betrachteten Zeitraum, an. Dies möge an einigen Beispielen näher erläutert werden: – Wird für eine erste Betrachtung der Zeitraum von der ersten (offiziellen) Berechnung des DAX (1. 1. 1988) bis zur Gegenwart (31. 12. 2012) gewählt, so ist der DAXKursindex in diesen 25 Jahren von ursprünglich 1.000 Punkten auf nunmehr 4.161 Punkte gestiegen. Das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen nominellen Wachstum (das heißt einer durchschnittlichen jährlichen Nominalrendite) von & 5,87 %.222 – Wird dieser Zeitraum um sechs Monate in die Vergangenheit verschoben, somit (unter Rückgriff auf eine Rückberechnung des DAX223) das durchschnittliche jährliche Wachstum von 1. 7. 1987 bis 31. 6. 2012 errechnet, so ergibt sich lediglich ein durchschnittliches nominelles jährliches Wachstum von & 3,54 %.224 Wird der betrachtete Zeitraum um weitere sechs Monate in die Vergangenheit verschoben, also das durchschnittliche jährliche Wachstum vom 1. 1. 1987 bis zum 31. 12. 2011 ermittelt, so führt dies zu einem Wert von 2,99 %.225 Diese in Abhängigkeit vom betrachteten Zeitraum doch erheblichen Unterschiede im durchschnittlichen jährlichen Wachstum hängen damit zusammen, dass einerseits kurz vor der erstmaligen Ermittlung des DAX ein allgemeiner Kurssturz an der 222 1.000 × ð1; 05868725 ) = 4.161, Zahlen der Deutschen Bundesbank, Zeitreihe BBK01.WU3140: DAX Kursindex. 223 Hier wird auf Daten der Rückberechnung des DAX von Stehle/Huber/Maier, KuK 1996, 277 (296), zurückgegriffen, bei der es sich um die wissenschaftlich fundierteste Rückberechnung handeln dürfte. 224 Der DAX hätte am 1. 7. 1987 bei einem Stand von 1.468 Punkten eröffnet und schloss am 29. 6. 2012 mit einem Stand von 3.507 Punkten; daraus errechnet sich eine jährliche Wachstumsrate von & 3,54 %: 1.468 × (1; 03544825 ) = 3.507; es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der Rückberechnung des DAX von Stehle/Huber/Maier um eine Rückberechnung des Performanceindexes handelt, was aber aufgrund des kurzen Zeitraums von weniger als einem Jahr kaum einen Unterschied zum Kursindex macht und daher vernachlässigbar ist. 225 1.602 × (1; 02989825 ) = 3.346.

A. Theoretische Grundlagen

111

deutschen Börse erfolgte (und die Erstnotierung des DAX damit bei einem allgemeinen Tiefstand begann226), andererseits sich die Kurse seit dem Kurssturz im Rahmen der Finanzkrise erst gegen Ende des Jahres 2012 wieder einigermaßen erholten. Durch Verschiebung des Betrachtungszeitraums um sechs bis zwölf Monate sind hier daher erhebliche Differenzen bei der Wachstumsrate zu verzeichnen. Anhand der Auswahl weiterer ,geeigneter‘ Zeiträume ließen sich aber noch weit extremere Durchschnittswachstums- wie auch Durchschnittsschrumpfungsspannen errechnen.227 2. Entwicklung des DAX-Performanceindexes Der Performanceindex des DAX wird grundsätzlich auf dieselbe Art berechnet wie der Kursindex, doch fließen nun alle Renditekomponenten in die Wertentwicklung des Portfolios mit ein, neben der Kursveränderung also auch alle Ausschüttungen (insbesondere Dividenden). In den vergangenen 25 Jahren entwickelte sich der DAXPerformanceindex wie folgt: 14000 12000 10000 8000 6000 4000 2000 0 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Abb. 2: Entwicklung des DAX-Performanceindexes zwischen 1988 und 2016

Während sich der grundsätzliche Verlauf des Kurs- und Performanceindexes offensichtlich weitgehend deckt – sie erlebten Wachstums- und Schrumpfungs226 Ein Umstand, der den Konstrukteuren des DAX bisweilen vorgeworfen wird, da dadurch der DAX auf eine gewisse Weise ,geschönt‘ worden sei. 227 Die Auswahl ist letztlich willkürlich, je nachdem zu welchen Wachstums- oder Schrumpfungswerten man gelangen möchte: Wählt man – um die Beliebigkeit rational zu begrenzen – etwa den Zeitraum vom 1. 1. 1999 (vor Beginn der New-Economy-Blase) bis zum 31. 12. 2006 (vor Beginn der Finanzkrise) und somit zwei ,gemäßigte‘ Randdaten, so stieg der DAX-Kursindex innerhalb dieser acht Jahre von 3.933 auf 4.429 Punkte, verzeichnete mithin lediglich ein durchschnittliches jährliches Wachstum von & 1,5 %; diesen Stand erreichte der DAX-Kursindex nach Ausbruch der Finanzkrise in der zweiten Jahreshälfte 2007 nur an wenigen einzelnen Tagen wieder, bis heute ist er zumeist (deutlich) dahinter zurückgeblieben.

112

2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

phasen zur selben Zeit –, ist der Performanceindex im Vergleich zum Kursindex insgesamt deutlich stärker gestiegen. Das ist nicht verwunderlich, schließlich fließen in seine Berechnung alle Ausschüttungsvorgänge mit ein. So lässt sich für dieselben Parameter wie zuvor ein durchschnittliches jährliches Wachstum des DAX-Performanceindexes zwischen 5,8 % und 8,5 % errechnen.228 Damit verzeichnet der DAXPerformanceindex in diesem Zeitraum in etwa eine zusätzliche jährliche nominelle Rendite gegenüber dem DAX-Kursindex in Höhe von 3 %.

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen Diese theoretischen Grundlagen sollen nun im Hinblick auf eine Konkretisierung des Steuergegenstandes ,Kapitalertrag aus börsennotierten Aktien‘ ausgewertet werden. Ziel ist es, näher zu bestimmen, worin eine Steigerung der finanziellen Leistungsfähigkeit eines Aktionärs besteht. Zunächst werden mögliche konkrete Steuergegenstände des Kapitalertrags aus börsennotierten Aktien abgeleitet. Dazu werden vorläufige Erkenntnisse hinsichtlich der Besteuerung gewonnen und sodann zusammengeführt. Dies wird zu zwei konkreten verfassungskonformen Steuergegenständen führen. Im Anschluss daran wird einer dieser beiden konkreten Steuergegenstände – der ,fundierte Kapitalertrag‘ – näher bestimmt werden.

I. Ableitung konkreter Steuergegenstände des Kapitalertrags aus börsennotierten Aktien: fundierter, unfundierter und aggregierter Kapitalertrag 1. Vorläufige Erkenntnisse für die Besteuerung a) Folgerichtige Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit Eine Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit erfordert, dass die aus der Gesellschafterstellung resultierenden Vermögensmehrungen des Aktionärs umfassend steuerlich berücksichtigt werden. Das betrifft insbesondere die vielfältigen Möglichkeiten, Vermögen von der Gesellschafts- in die Gesellschaftersphäre zu transferieren oder auf Ebene der Gesellschaft umzustrukturieren. Dabei müssen als Konsequenz des objektiven Nettoprinzips zugleich die wirtschaftlichen Wech228

Zwischen dem 1. 1. 1988 und dem 31. 12. 2012 stieg der DAX-Performanceindex von 1.000 auf 7.612 Punkte, was einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von & 8,5 % entspricht; zwischen dem 1. 1. 1987 und dem 31. 12. 2011 stieg er von 1.432 auf 5.898 Punkte, was einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von & 5,8 % entspricht; Zahlen der Deutschen Bundesbank, Zeitreihe BBK01.WU3141: DAX Performanceindex.

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

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selwirkungen gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen in die steuerliche Betrachtung einbezogen werden. Zudem bedarf es einer Erfassung der Wertsteigerung (oder -minderung) der Aktie, die jedenfalls im Zeitpunkt eines Verlustes der Gesellschafterstellung final wird. (1) Gebot der wirtschaftlichen Saldierung gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen Es bestehen die unterschiedlichsten Möglichkeiten, Vermögen von der Gesellschaft an den Gesellschafter zu transferieren, das Vermögen auf Ebene der Gesellschaft umzustrukturieren oder auch zulasten des Gesellschaftervermögens zu erhöhen. Typisch für all diese Vorgänge ist jedoch, dass sich das Vermögen des Aktionärs bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung allein aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Maßnahme nicht verändert. Soweit Vermögen von der Gesellschafts- in die Gesellschaftersphäre übertragen wird, erhöht sich dadurch zwar einerseits das Geldvermögen des Aktionärs, andererseits spiegelt die Aktie diesen Vermögenstransfer aber wider, indem ihr Kurs sinkt: – So wird die Ausschüttung einer Bardividende am Tag nach dem Dividendenstichtag im Aktienkurs mit dem Dividendenabschlag berücksichtigt. Dieser führt dazu, dass der Aktienkurs bei Handelsbeginn bereits um einen Abschlag notiert, der in etwa der Höhe der Dividende entspricht. Die Ausschüttung einer Dividende selbst führt saldiert somit nicht zu einem Vermögensvorteil.229 Gleichwohl holt der Aktienkurs den Abschlag regelmäßig im Laufe der Zeit wieder auf, da die Gesellschaft neue Erträge erzielt. – Auch bei Ausschüttung einer Sachdividende wird es in den meisten Fällen – zumindest wenn Aktien ausgeschüttet werden – zu einem Dividendenabschlag kommen. Allerdings kann der Abschlag in diesen Fällen sogar von dauerhafter Natur sein. Denn die Ausschüttung von Aktien entzieht der Gesellschaft nicht schlichtes Vermögen, sondern die Substanz, mit der weitere Erträge erzielt werden könnten. Dadurch werden die dauerhaften Ertragspotenziale der Gesellschaft gemindert, was sich in einem dauerhaft niedrigeren Kurs ausdrückt. – Bei einer Kapitalherabsetzung erlangt der Aktionär nur dann einen wirtschaftlichen Vorteil, wenn das zurückgezahlte Kapital für die Unternehmenstätigkeit tatsächlich gar nicht notwendig war. In allen anderen Fällen wird der Aktienkurs auch dauerhaft sinken. In anderen Fällen kommt es nicht zu einer klassischen Ausschüttung, sondern lediglich zu Umstrukturierungen des Gesellschaftsvermögens, die unter Umständen mit der Ausgabe von Aktien einhergehen (müssen). Dem Aktionär fließen dann zwar Aktien zu, eine Vermögensmehrung bedingt dies aber nicht:

229

Siehe bereits oben 2. Teil, A.II.1.a)(2).

114

2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

– Umwandlungsrechtliche Maßnahmen führen lediglich zu einer Umstrukturierung des Vermögens der Aktiengesellschaft. Sie können die Zusammensetzung des Vermögens des Aktionärs beeinflussen, nicht jedoch die Höhe des Vermögens an sich. Eine Ausgliederung bleibt zunächst ganz ohne Wirkung beim Aktionär. Aber auch wenn einem Aktionär etwa im Rahmen einer Abspaltung zusätzliche Aktien zufließen, erhöht dies seine finanzielle Leistungsfähigkeit nicht. Der Wert dieser neuen Aktien ist lediglich eine Kompensation für die Werteinbuße, die der Aktionär bei der Altaktie hinnehmen muss. – Kommt es zu einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, wird das Gesellschaftskapital intern anders gebunden. Die Ausgabe neuer Aktien ist lediglich Folge gesellschaftsrechtlicher Erfordernisse, sie bedeutet jedoch ebenfalls keine Vermögensmehrung des Aktionärs. – Ein Aktiensplit stückelt das Vermögen der Aktiengesellschaft auf eine höhere Anzahl Aktien. Im selben Maße wie dem Aktionär Vermögen durch neue Aktien zufließt, büßen die anderen Aktien an Wert ein. Überträgt der Aktionär Vermögen auf eine Aktiengesellschaft, ist auch dieser Vorgang für ihn grundsätzlich neutral: – Bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen decken sich regelmäßig zugeführtes Kapital und der daraus resultierende höhere Aktienkurs. Für den Aktionär ist es ein Nullsummenspiel. – Erwirbt er die Aktien erst, beispielsweise im Rahmen einer Emission, decken sich hingegebenes und empfangenes Vermögen zumindest anfänglich. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, welcher Art sie auch sein mögen, stellen sich somit für den Aktionär wertmäßig saldiert stets als neutrale Vorgänge dar. Was der Aktionär auf der einen Seite an Vermögen gewinnt, etwa infolge einer Dividendenausschüttung, eines Bezugsrechtsausgleichs oder einer Abspaltung, büßt er andererseits (spiegelbildlich) indirekt immer durch einen entsprechenden Kursverlust der (Alt-) Aktie ein. Es handelt sich aus Sicht des Aktionärs also stets um wirtschaftlich neutrale Ereignisse. Ausschüttungsvorgänge, Umstrukturierungen des Gesellschaftsvermögens und Kapitalmaßnahmen beeinflussen das Vermögen des Aktionärs somit grundsätzlich nicht. Sie führen zum Teil zu einer anderen Zusammensetzung dieses Vermögens, bei saldierter Betrachtung aber nicht zu einer Zunahme und damit auch nicht zu einer Steigerung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Aktionärs. Die Besteuerung darf daher nicht nur einzelne Zuflüsse des Aktionärs ins Auge fassen, sondern muss stets die korrespondierenden wirtschaftlichen Auswirkungen berücksichtigen. In den meisten Fällen zeigen sich diese im Aktienkurs. Vermögenszuflüsse beim Aktionär und Aktienkurs korrelieren unmittelbar miteinander – sie sind zwei Seiten derselben Medaille.

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

115

Dies bedeutet, dass Zeitpunktbetrachtungen grundsätzlich keine hinreichende Grundlage für die Besteuerung sein können. Maßgeblich für die Steigerung der finanziellen Leistungsfähigkeit kann stets nur eine Zeitraumbetrachtung sein. (2) Einbeziehung von Zahlungen infolge eines Verlustes der Gesellschafterstellung Weiterhin müssen im Hinblick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip die vielfältigen Möglichkeiten eines Verlustes der Aktionärsstellung berücksichtigt werden. Das gilt sowohl in Bezug auf einen Veräußerungs- bzw. Abfindungsgewinn als auch einen entsprechenden Verlust. Denn für die Frage, ob die steuerliche Leistungsfähigkeit gestiegen ist oder gemindert wurde, spielt die Ursache des Verlustes der Aktionärsstellung keine Rolle. Eine Abfindung erhöht – abzüglich der Anschaffungskosten – die steuerliche Leistungsfähigkeit genauso wie ein Veräußerungsgewinn. Die rechtliche Ursache für den Eigentumsverlust ist irrelevant. (3) Äquivalenzen (a) Irrelevanz der Ausschüttungspolitik Es spielt für den Aktionär zudem keine Rolle, in welcher Weise ihm Gewinne der Gesellschaft zugutekommen. Ob dies in Form einer Bardividende, eines Aktienrückkaufs oder eines Aktienkursanstiegs infolge von Thesaurierung erfolgt, hat für sein Vermögen grundsätzlich keine Bedeutung. Die Ausschüttungspolitik der Aktiengesellschaft ist aus wirtschaftlicher Sicht irrelevant.230 Dieser Befund darf gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Äquivalenz nur unter ,perfekten‘ Rahmenbedingungen gilt,231 die in der Realität kaum anzutreffen sind.232 Auch wenn dieser Befund daher zumindest mit Vorsicht zu genießen ist,233 darf die Grundaussage gleichwohl nicht verkannt werden. Für das Ziel einer an der Leistungsfähigkeit orientierten, gleichmäßigen Besteuerung ist es wichtig, dass diese Gleichwertigkeit von Ausschüttungs- und Thesaurierungsmöglichkeiten erkannt und bei der Besteuerung auch entsprechend berücksichtigt wird.

230

Grundlegend Miller/Modigliani, Journal of Business 34 (1961), 411 ff.; ähnlich zuvor auch schon Williams, The Theory of Investment Value, S. 61 ff. 231 Volkart, Corporate Finance, S. 709; insbesondere Steuern können die Neutralität zwischen Ausschüttung, Aktienrückkauf und Thesaurierung verzerren, dazu Schulz, Der Einfluss von Dividenden auf Aktienrenditen, S. 54 ff. 232 Siehe beispielhaft bezüglich der Relevanz der Ausschüttungspolitik für die alte Rechtslage in Deutschland Hötzel/Beckmann, Wpg 2000, 696 (697 f.). 233 Kritisch zur Irrelevanzthese Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, S. 554 ff.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

(b) Wirtschaftliche Äquivalenz von Abspaltung und Ausgliederung mit anschließender Sachdividende Auch stellt sich eine Ausgliederung mit anschließender Ausschüttung der Aktien in Form einer Sachdividende für den Aktionär wirtschaftlich als äquivalent zu einer Abspaltung dar. Auf Ebene der Aktiengesellschaft bestehen zwar Unterschiede im Hinblick auf den Gläubigerschutz, doch kommt ihnen für die Wertbildung beim Aktionär der Muttergesellschaft keine Bedeutung zu. Das zeigt sich auch daran, dass die Ausschüttung von Aktien im Rahmen einer Sachdividende in gleicher Weise wie eine Abspaltung zu einem dauerhaften Kursrückgang der ausgliedernden bzw. abspaltenden Aktiengesellschaft führt. Die Besteuerung sollte daher nicht zwischen direkten Spaltungsvorgängen (Ab- und Aufspaltung) und indirekten Spaltungsvorgängen (Ausgliederung und anschließende Sachdividende) unterscheiden. (4) Quellen der Leistungsfähigkeit des Aktionärs Wird die Steigerung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Aktionärs von einer abstrakteren Warte aus betrachtet, lassen sich zwei Quellen für Vermögensmehrungen ausmachen: – zum einen Zuflüsse, die aus dem Vermögen der Aktiengesellschaft stammen, – zum anderen Kursgewinne, die im Rahmen einer Veräußerung der Aktie realisiert werden können. Zuflüsse, die aus dem Vermögen der Aktiengesellschaft stammen, können entweder auf erwirtschafteten Erträgen, das heißt auf realisierten Jahresüberschüssen beruhen, oder aus dem bei Gründung der Gesellschaft aufgebrachten Kapital herrühren. Letztere Möglichkeit ist betragsmäßig allerdings beschränkt, sodass sich Ausschüttungen dauerhaft nur aus Jahresüberschüssen speisen können. Kursgewinne, die im Rahmen einer Veräußerung realisiert werden, finden ihre Ursache entweder in nicht ausgeschütteten Jahresüberschüssen, die auf Ebene der Gesellschaft thesauriert wurden, oder in einer Erhöhung der zukünftig erwarteten Jahresüberschüsse bzw. Dividenden.234 Parallel spielen Änderungen in den Renditeerwartungen eine Rolle. In gewissem Umfang können zudem Marktineffizienzen und monetäre Einflussfaktoren von Bedeutung sein. Anders formuliert: Die auf Gesellschaftsebene realisierten Jahresüberschüsse können vom Aktionär sowohl als Dividende als auch als Kursgewinn im Rahmen einer Veräußerung der Aktie realisiert werden. Die lediglich erwarteten zukünftigen Jahresüberschüsse schlagen sich hingegen ausschließlich im Aktienkurs nieder und können folglich auch nur durch eine Veräußerung der Aktie vereinnahmt werden. 234 Wobei die Erhöhung der zukünftig erwarteten Jahresüberschüsse bei einer Thesaurierung auf diese zurückzuführen sein kann, aber nicht zurückgeführt werden muss. Auch bei einer regelmäßigen Vollausschüttung können die erwarteten Erträge steigen.

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

117

Beide Quellen stellen aus Sicht des Aktionärs grundsätzlich eine Steigerung seiner finanziellen Leistungsfähigkeit dar. b) Kriterium der Ergiebigkeit der Besteuerung Die Darstellung der langfristigen Entwicklung von Aktienmärkten hat gezeigt, dass die Kurse von Aktien über die Jahre hinweg ganz erheblich schwanken können. Es gibt Phasen, in denen die Kurse im Mittel über einen längeren Zeitraum stark steigen, und Phasen, in denen sie stark fallen. Das wirft die Frage auf, inwieweit die Besteuerung von Kursgewinnen überhaupt zu einem Steuerertrag für den Fiskus führt. Sie hat in der Literatur bisher wenig Beachtung gefunden. Zu klären, ob das Kriterium der Ergiebigkeit erfüllt wurde, ist deutlich schwieriger, als zu bestimmen, ob die Leistungsfähigkeit gestiegen ist. Es soll hier gleichwohl ein Versuch unternommen werden, das Steuerertragspotenzial von Kapitalerträgen aus börsennotierten Aktien abstrakt abzuschätzen. Dazu werden die Erkenntnisse zur langfristigen Entwicklung des DAX und zur Preisbildung am Aktienmarkt herangezogen. (1) Bisherige Diskussion in der Literatur Im Hinblick auf die Besteuerung von kurzfristigen Veräußerungsgewinnen bei Aktien hat für das deutsche Recht235 Durchlaub eingehender untersucht, inwiefern für den Fiskus tatsächlich mit einem positiven Steuerertrag zu rechnen ist.236 Er verweist darauf, dass sich in der kurzen Frist Gewinn- und Verlustchancen am Aktienmarkt über das Ganze betrachtet (unabhängig von der Besteuerung) grundsätzlich ausglichen.237 Wenn der Gesetzgeber nicht nur die Gewinne besteuere, sondern auch Verluste gleichwertig berücksichtige – was aufgrund des objektiven Nettoprinzips systematisch geboten ist – sei die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen keine ergiebige Einnahmequelle, sondern ein „Nullsummenspiel“.238 Daher sei es vernünftig, wenn der Gesetzgeber auf eine Besteuerung kurzfristiger Veräußerungsgewinne verzichte.239 Diesem Befund für die kurze Frist ist aus theoretischer Sicht zuzustimmen, wenngleich Durchlaub seine Aussagen nicht empirisch belegt. 235 Für das schweizerische Recht thematisieren Zuppinger/Böckli/Locher/Reich, Steuerharmonisierung, S. 99 ff., diese Problematik; in der US-amerikanischen Literatur wird das Argument etwa bei Blum, Taxes: The Tax Magazine 35 (1957), 247 (251), erwähnt. 236 Durchlaub, Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen, S. 120 ff. 237 Durchlaub, Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen, S. 123 238 Durchlaub, Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen, S. 127. 239 Durchlaub, Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen, S. 129.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Insbesondere die Erkenntnisse zu den Marktineffizienzen legen für die kurze Frist nahe, dass sich Kursgewinne und -verluste ausgleichen. Trifft der Befund aber ebenso für die lange Frist zu? Von Arnim hat dies in einer älteren Abhandlung zur Problematik der Geldentwertung in einem Nebensatz ohne nähere Ausführungen bejaht.240 Und der Gesetzgeber ahnte im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 zumindest, dass die Berücksichtigung der Verluste aus Aktienveräußerungsgeschäften, die die Besteuerung von Aktienkursgewinnen nach sich zieht, als Gefahr für das Steueraufkommen keinesfalls zu unterschätzen ist.241 Idealerweise müssten über einen längeren Zeitraum hinweg (mind. 10 – 20 Jahre) Bankdaten (exemplarisch etwa aller deutschen Banken) im Hinblick auf den Saldo aus Veräußerungsgewinnen und Veräußerungsverlusten aller geführten (beispielsweise aller privaten) Aktiendepots ausgewertet werden. Ein solches Vorgehen ist jedoch aus zwei Gründen nicht praktikabel: Zum einen ist entsprechendes Datenmaterial nicht verfügbar, zum anderen wird das Handelsverhalten der Aktionäre nicht unerheblich durch Steuerregelungen beeinflusst. So dürfte insbesondere nach Einführung der Abgeltungsteuer ein erheblicher Anreiz bestehen, Aktien, die vor Einführung der Abgeltungsteuer erworben wurden und daher auch in Zukunft steuerfrei veräußert werden können, zu halten, anstatt Kursgewinne bzw. -verluste frühzeitig zu realisieren. (2) DAX-Kurs- und Performanceindex als Indikator für die Ergiebigkeit der Besteuerung Um abzuschätzen, mit welchem potenziellen saldierten Steueraufkommen langfristig aus der Veräußerung von Aktien zu rechnen ist, soll – in einem indirekten Ansatz – die langfristige Entwicklung von Aktienindizes, hier exemplarisch des DAX, herangezogen werden. Es kam im Rahmen der Berechnungsmethode bereits zur Sprache, dass ein Index nach Laspeyres, wie der DAX einer ist, die Kursentwicklung nach einer Kaufen-undhalten-Strategie abbildet. Das hat insbesondere den Vorteil, dass der Index stets die nominale Veränderung im Verhältnis zum Basiszeitpunkt und keine relative Veränderung zum Zeitpunkt der letzten Berechnung misst. So lässt sich das nominale Ausmaß von Kurssteigerungen und Kursverlusten über einen langen Zeitraum hinweg beobachten. Damit korrespondiert, dass der DAX nicht inflationsbereinigt

240

Von Arnim, Die Besteuerung von Zinsen bei Geldentwertung, S. 52: „Da die Kurse fallen und steigen können und es je nach Konjunkturlage auch tun, tendieren die aus der Nichtberücksichtigung der Wertschwankungen resultierenden Vor- und Nachteile über längere Zeit hinweg dazu, sich auszugleichen.“ 241 BT-Drs. 16/5491, S. 19; aus diesem Grund wurde die „Sonderschedule“ für Aktienkursgeschäfte in § 20 Abs. 6 S. 4 EStG eingeführt.

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

119

ist, sodass auch dem (bis jetzt242 nicht hinterfragten) steuerrechtlichen Nominalwertprinzip Rechnung getragen wird. Allerdings kann – theoretisch – die Tatsache, dass die meisten Indizes ihre Gewichtung der Aktien am Streubesitz243 orientieren, verzerrend wirken. Im Fall von großen Aktiengesellschaften, deren Aktien sich zu einem hohen Anteil in Festbesitz befinden, wird im Index das nominelle Steuerpotenzial möglicherweise nur ungenügend abgebildet. Und auch die Kappung der enthaltenen Titel auf maximal 10 % der Gesamtgewichtung verzerrt schließlich den Aussagegehalt, da Aktien, deren Gewichte nicht gekappt werden, im Index relativ übergewichtet werden.244 Das steuerlich relevante Gewinn- und Verlustpotenzial kleiner Gesellschaften wird dadurch überrepräsentiert. Diese Verzerrungen sind aber zu vernachlässigen, da sie die grundsätzliche Aussagefähigkeit eines Indexes, das durchschnittliche nominale Auf und Ab an der Börse in geeigneter Weise widerzuspiegeln, nicht infrage stellen. (a) Grundsätzliche Ergiebigkeit der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen Soll das Steuerertragspotenzial langfristiger Veräußerungsgewinne analysiert werden, muss zunächst einmal auf den Kursindex des DAX zurückgegriffen werden. Denn im Performanceindex werden auch die Ausschüttungen abgebildet, sodass dieser für eine Betrachtung der Veräußerungsgewinne nicht geeignet ist. Wie die Rechenbeispiele im Rahmen der Darstellung der langfristigen Entwicklung des Kursindexes gezeigt haben,245 ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen einen positiven Steuerertrag hervorbringt. Denn auch wenn der Kursindex starken Schwankungen ausgesetzt ist und war, verzeichnet er langfristig doch ein durchschnittliches Wachstum zwischen etwa drei und sechs Prozent pro Jahr.246 Ob ein positiver Steuerertrag auch noch nach Berücksichtigung des Erhebungsaufwands der Verwaltung gegeben ist, ob also auch ein positiver Nettosteuerertrag vorliegt, soll hier zunächst offen bleiben.247 Allerdings ermittelt auch der Kursindex nicht die ,reine‘ Kursschwankung der Aktie, da im Kursindex – notwendigerweise – die auf Ebene der Aktiengesellschaft thesaurierten Teile der jährlichen Jahresüberschüsse, das heißt die nicht ausgeschütteten Gewinne der Aktiengesellschaft, enthalten sind. Interessant wäre es aber gerade zu wissen, welchen Verlauf ein solcher ,reiner‘ Kursindex nähme, also ein Index, der von einer Vollausschüttung der Jahresüberschüsse ausgeht und damit nur 242

Näher dazu unten 3. Teil, A. Zu der Frage, wann eine Aktie zum Streubesitz und wann sie zum Festbesitz gehört, im Einzelnen Deutsche Börse AG, Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse, S. 11 f. 244 Schmitz-Esser, Aktienindizes, S. 156. 245 Siehe oben 2. Teil, A.IV.1. 246 Siehe oben 2. Teil, A.IV.1. 247 Dies wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht nur bei einer Lenkungssteuer von Bedeutung, vgl. oben 1. Teil, C.II.2.b)(1). 243

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

die veränderten Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Jahresüberschüsse der Aktiengesellschaft widerspiegelt. (b) (Fehlende) Ergiebigkeit der Besteuerung der ,reinen‘ Kursveränderung einer Aktie Da unklar ist, welche Kursentwicklung eine Aktie bei einer Vollausschüttung des Jahresüberschusses genommen hätte, lässt sich dieser ,Thesaurierungsanteil‘ am Wachstum des Kursindexes nicht sicher separieren. Er kann aber näherungsweise bestimmt werden, wenn berücksichtigt wird, dass - die im DAX 30 erfassten Aktiengesellschaften in den vergangenen Jahrzehnten im Durchschnitt etwa 40 Prozent der jeweils erzielten Jahresüberschüsse ausgeschüttet, rund 60 Prozent der Jahresüberschüsse dagegen thesauriert haben,248 und - die durchschnittliche jährliche Wachstumsdifferenz zwischen dem Kurs- und dem Performanceindex des DAX etwa 3 % beträgt.249 Daraus folgt nämlich, dass 40 % des Jahresüberschusses etwa eine durchschnittliche jährliche Rendite von 3 % ausmachen, indem dieser Teil das Zusatzwachstum des Performanceindexes gegenüber dem Kursindex widerspiegelt. Dann aber erscheint es möglich, dass die durchschnittlich thesaurierten 60 % des Jahresüberschusses ein Wachstum des Kursindexes in Höhe von 4,5 %, mithin also genau den Mittelwert der oben250 berechneten durchschnittlichen jährlichen Wachstumspanne des Kursindexes in Höhe von 3 – 6 % verursachen. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Wachstum des Kursindexes auch auf andere Ursachen zurückgeht.251 Es liegt aber durchaus nahe, dass der Kursindex bei einer Vollausschüttung der Jahresüberschüsse langfristig kein Wachstum aufweisen würde.252 Zu beachten ist, dass es sich hier um eine übergreifende Gesamtbetrachtung für alle Aktionäre handelt. Es ist natürlich keineswegs ausgeschlossen, dass einzelne Aktionäre auch langfristig mit Gewinn am Aktienmarkt handeln. Der Kursgewinn des einen wird im Hinblick auf die ,reine‘ Kursveränderung aber langfristig immer durch einen Kursverlust eines anderen Aktionärs ausgeglichen. Die Beobachtung, dass saldiert nicht mit einem positiven Steuerertrag zu rechnen ist, setzt also voraus, dass die Perspektive des Staates eingenommen wird. Das ist aber angebracht, da ja gerade infrage steht, ob die Besteuerung aus Sicht des Staates ergiebig ist. 248 Frère/Röhl, dips/DSW Dividendenstudie 2013, S. 7; Prokot, Strategische Ausschüttungspolitik deutscher Aktiengesellschaften, S. 12 f. 249 Siehe oben 2. Teil, A.IV.2. 250 Siehe oben 2. Teil, A.IV.1. 251 Siehe dazu auch die Ausführungen zur Korrelation von Aktienkursen und Inflation, 3. Teil, A.II. 252 Ein früher Hinweis auf diesen Zusammenhang findet sich bei Walter, Kapitalertragsbesteuerung und Kapitalmarkt, S. 91 Fn. 3.

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

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(c) (Vorhandene) Ergiebigkeit der Besteuerung der Jahresüberschüsse der Aktiengesellschaft Während für ,reine‘, auf eine Änderung der Erwartungswerte der Aktie zurückgehende Kursschwankungen eine Ergiebigkeit der Besteuerung ernsthaft infrage steht, ergibt sich für die Ergiebigkeit einer Besteuerung der Jahresüberschüsse ein anderes Bild. Auch das Jahresergebnis einer Aktiengesellschaft kann in einzelnen Jahren zwar negativ sein, das heißt einen Fehlbetrag aufweisen. Langfristig ist aber von einem positiven Saldo der Jahresergebnisse aller Aktiengesellschaften auszugehen. Das zeigt sich nicht nur am Chart des DAX-Performanceindexes und den berechneten durchschnittlichen jährlichen Renditen, sondern folgt bereits daraus, dass auf Dauer wirtschaftliche Aktivität nur bei positiven Erträgen erfolgt. Die Analyse des DAXPerformance- und -Kursindexes zeigt, dass die Jahresüberschüsse eine durchschnittliche jährliche Rendite zwischen 6 und 9 % erbringen. Die Besteuerung der Jahresüberschüsse erfüllt daher das Kriterium der Ergiebigkeit, während dies für eine Besteuerung der reinen Kursveränderung stark in Zweifel zu ziehen ist. Eine letztverbindliche Sicherheit ist aber nicht zu erreichen, da es insoweit immer bei hypothetischen Überlegungen bleiben muss. 2. Zusammenführung der Erkenntnisse Es zeigt sich also, dass einerseits zwar alle Vermögenszu- und -abflüsse beim Aktionär im Hinblick auf die Ermittlung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen sind, die Besteuerung von Kursgewinnen, die lediglich auf veränderten Erwartungswerten beruhen, in einer Gesamtbetrachtung andererseits wahrscheinlich nicht ergiebig ist. a) Fundierte vs. unfundierte Kapitalerträge Aus Sicht des Aktionärs können daher zwei verschiedene Kapitalertrags-,Arten‘ unterschieden werden. Zum einen sind für den Aktionär die von der Gesellschaft erwirtschafteten, realisierten Gewinne, die Jahresüberschüsse, von Bedeutung. Diese bestimmen die Möglichkeit der Gesellschaft, Vermögen von der Gesellschaftsin die Gesellschaftersphäre zu transferieren. Sie beeinflussen – solange sie nicht ausgeschüttet wurden – aber auch die Bewertung der Aktie selbst, da Gewinnthesaurierungen in der Regel zu Kurssteigerungen führen. Zum anderen spielen für den Aktionär im Rahmen der Bewertung der Aktie erwartete Erträge (sowie die Renditeanforderungen an die Aktie) eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zu den erwirtschafteten Erträgen wirken sie sich jedoch ausschließlich auf die Berechnung des Aktienkurses aus. Wird erwartet, dass die Aktiengesellschaft in Zukunft hohe bzw. höhere Jahresüberschüsse als gegenwärtig

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

ausweisen wird, steigt der Aktienkurs grundsätzlich. Werden sinkende Jahresüberschüsse erwartet, wird der Kurs grundsätzlich sinken. Diese beiden Gewinnarten lassen sich insbesondere im Hinblick auf ihre Persistenz, das heißt ihre Dauerhaftigkeit, differenzieren: Dem von der Gesellschaft erwirtschafteten Gewinn hängt ein wesentlich dauerhafterer Charakter an als einem volatilen Aktienkurs. Denn der nach handelsbilanziellen Grundsätzen ermittelte Jahresüberschuss spiegelt einen Wertschöpfungsbeitrag wider. Der Aktienkurs hingegen kann sich bereits aufgrund minimal veränderter erwarteter Erträge (Jahresüberschüsse) oder Renditeerwartungen erheblich ändern. Hinzu kommen die üblichen durch den ständigen Handel bedingten minimalen Kursveränderungen. Aktienkursen fehlt also im Gegensatz zu handelsbilanziellen Gewinnen ein dauerhafter Charakter. Dieser tritt für einen Aktionär erst mit Veräußerung der Aktie ein. Auf die langfristige Entwicklung des Aktienmarktes bezogen, fehlt es aber gänzlich an einem saldierten Wertzuwachs. Dieser Unterschied in der Persistenz ist ein geeigneter Anknüpfungspunkt für eine systematische Differenzierung zwischen zwei verschiedenen Arten des Kapitalertrags. In der Steuertheorie wurde insbesondere früher zwischen fundiertem und unfundiertem Einkommen unterschieden.253 Zum fundierten Einkommen zählten Einkünfte aus Besitz bzw. Vermögen, zum unfundierten Einkommen dagegen Einkünfte aus einer Arbeitstätigkeit.254 Die begriffliche Differenzierung bezog sich darauf, dass das Vermögen als Einkommensquelle von dauerhafterem und sichererem Charakter und somit ,fundierter‘ sei als Arbeitseinkommen, das durch Krankheit oder Ähnliches ausfallen könne (und daher als ,unfundiert‘ bezeichnet wurde). Man kann auch sagen, Vermögen hafte eine gewisse „Verstetigung“255 an. Dieses Verständnis vom Verhältnis von Kapital und Arbeit war zur damaligen Zeit durchaus bestimmend und fand auch Eingang in die Steuergesetzgebung der damaligen Zeit,256 hat sich heutzutage aber weitgehend überlebt.257 Die systematische Idee, die hinter dieser Begrifflichkeit steckt, eignet sich aber, um zwischen diesen verschiedenen Arten von Kapitalerträgen zu differenzieren, nämlich ,fundierten‘ und ,unfundierten‘ Kapitalerträgen (aus börsennotierten Aktien).

253 Siehe etwa Wagner, Finanzwissenschaft, 1890, S. 456, sowie Neumann, Die progressive Einkommensteuer im Staats- und Gemeinde-Haushalt, 1874, S. 177 f.; siehe auch schon oben 1. Teil, B.II. 254 Kirchhof, Gutachten F für den 57. DJT, S. 32. 255 Kirchhof, Gutachten F für den 57. DJT, S. 32. 256 So wird etwa im „Preussischen Gesetzentwurf vom 2. November 1892 wegen einer Ergänzungssteuer“ in den Vorbemerkungen der Begründung auf die Unterscheidung zwischen fundiertem und unfundiertem Einkommen dergestalt Bezug genommen, dass dem Einkommen aus Besitz eine größere Steuerkraft beiwohne, woraus sich eine stärkere Heranziehung zur Steuerveranlagung rechtfertige, siehe FinArch 10 (1893), 370 (370 f.). 257 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rz. 66.

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

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(1) Fundierter Kapitalertrag Vermögensmehrungen, die auf tatsächlich erwirtschafteten Gewinnen der Aktiengesellschaft, das heißt auf Jahresüberschüssen beruhen, sollen im Folgenden als ,fundierter Kapitalertrag‘ bezeichnet werden. Sie können entweder – im Rahmen der handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften – an die Aktionäre ausgeschüttet werden oder auf Gesellschaftsebene reinvestiert, das heißt thesauriert, werden. Eine Vermögensmehrung beim Aktionär tritt entweder als direkter Geldzufluss (Ausschüttung) oder in Form einer indirekten Wertsteigerung von dessen Gesellschaftsanteil (Kurssteigerung aufgrund Thesaurierung) ein. Der fundierte Kapitalertrag ist keine Bestandsgröße, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasst werden kann, sondern eine Stromgröße, die sich nur über einen bestimmten Zeitraum hinweg erfassen lässt. Das zeigt sich insbesondere an den Wechselwirkungen des Aktienkurses mit Ausschüttungsvorgängen. Diese Wechselwirkungen beeinflussen zwar (teilweise) die Zusammensetzung des Vermögens des Aktionärs, nicht aber die Höhe von dessen Vermögen an sich. Diese Erkenntnis ergibt sich aber auch bereits daraus, dass Grundlage des Jahresüberschusses, und somit des fundierten Kapitalertrags, die Gewinn- und Verlustrechnung der Aktiengesellschaft ist. (2) Unfundierter Kapitalertrag Vermögensmehrungen des Aktionärs, die lediglich auf einer Änderung der erwarteten Gewinne der Gesellschaft beruhen, sollen im Folgenden als ,unfundierter Kapitalertrag‘ bezeichnet werden. Sie drücken sich in Kurssteigerungen der Aktie aus und treten ausschließlich auf der Vermögensebene des Aktionärs auf. Zu den unfundierten Kapitalerträgen zählen zudem Kursänderungen, die auf Marktineffizienzen zurückzuführen sind. Man könnte diese ,unfundierten Kapitalerträge‘ auch als Spekulationsgewinne bezeichnen. Denn sie beruhen auf dem spekulativen Element, in welcher Höhe in Zukunft mit fundierten Kapitalerträgen zu rechnen ist. Der Begriff des ,Spekulationsgewinns‘ hat im Einkommensteuerrecht jedoch eine bestimmte historische Ausprägung erfahren: Er bezeichnete bis vor wenigen Jahren Gewinne aus Erwerbsund Veräußerungsgeschäften, welche innerhalb einer bestimmten (relativ kurzen) Zeitperiode durchgeführt wurden. Diese Spekulationsgewinne können begrifflich allerdings nicht mit unfundierten Kapitalerträgen gleichgesetzt werden. Spekulationsgewinne erfassten nämlich nicht nur Gewinne aus veränderten Erwartungswerten, sondern auch Kurssteigerungen, die auf tatsächliche Gewinne der Kapitalgesellschaft zurückzuführen waren. Aufgrund dieser ,Unschärfe‘ des Begriffs des Spekulationsgewinns und von dessen historisch bedingter Bedeutung empfiehlt es sich, begrifflich zwischen der historischen begrifflichen Ausprägung des Spekulationsgewinnbegriffs und dem hier neu eingeführten ,unfundierten Kapitalertrag‘ zu differenzieren.

124

2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

(3) Abgrenzbarkeit von fundiertem und unfundiertem Kapitalertrag Fundierte Kapitalerträge sind auf Ebene der Gesellschaft exakt bestimm- und abgrenzbar: Es handelt sich um den im Jahresabschluss festgestellten Jahresüberschuss. Unfundierte Kapitalerträge dagegen drücken sich in Kurssteigerungen aus. Nicht jede Kurssteigerung ist aber auf einen unfundierten Kapitalertrag zurückzuführen; auch die Thesaurierung von fundierten Kapitalerträgen bedingt in der Regel eine Zunahme des Aktienkurses. Veränderungen des Aktienkurses können daher nicht sicher in fundierte und unfundierte Bestandteile ,aufgespalten‘ und unfundierte Kapitalerträge daher nicht mit letzter Sicherheit bestimmt werden. Es ist allerdings möglich, unfundierte Kapitalerträge beim Aktionär dadurch näherungsweise zu bestimmen, dass bilanziell thesaurierte Beträge (abgeschlossener Wirtschaftsjahre) zu einer Erhöhung der Anschaffungskosten der Aktien führen bzw. im Falle einer späteren Ausschüttung die Anschaffungskosten mindern.258 (4) Aggregierter Kapitalertrag Aufgrund dieser Abgrenzungsprobleme sollten unfundierte Kapitalerträge definitorisch insbesondere als Teil eines Gesamtkapitalertrags erfasst werden. Dieser Gesamtkapitalertrag soll im Folgenden als ,aggregierter Kapitalertrag‘ bezeichnet werden. Er umfasst den fundierten und unfundierten Kapitalertrag, der mit börsennotierten Aktien erzielt werden kann. Es handelt sich beim aggregierten Kapitalertrag um die aus der Beteiligung an einer Aktiengesellschaft resultierende Gesamtvermögensänderung beim Aktionär innerhalb eines bestimmten Zeitraums. b) Konsequenzen für die Besteuerung Welche Konsequenzen ergeben sich daraus nun für die Besteuerung? Zunächst ist festzuhalten, dass die Besteuerung des aggregierten Kapitalertrags, wenn sie, konsequent umgesetzt, die Interdependenzen zwischen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen und Veränderungen des Aktienkurses berücksichtigt, sowohl einer folgerichtigen Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit entspricht, als auch ergiebig ist. Für den Aktionär tatsächlich gleichmäßig ist die Besteuerung des aggregierten Kapitalertrags jedoch nur dann, wenn der Aktionär auch eine interperiodische Verlustverrechnung über sehr lange Zeiträume wahrnehmen kann. Sie müsste sich insbesondere auf unfundierte Kapitalerträge und damit Kursverluste erstrecken und konsequenterweise nicht nur einen Verlustvortrag, sondern auch einen Verlustrücktrag mit einbeziehen. Denn gerade Kleinanleger neigen dazu, sich im Zuge einer Aktienmarktkrise teilweise oder vollständig aus dem Markt zurückzuziehen, also 258

Siehe dazu auch näher unten 4. Teil, A.

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

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Aktien endgültig zu verkaufen.259 Nur wenn auch ein Verlustrücktrag gewährt wird, können diese Kursverluste mit früheren positiven Erträgen verrechnet und eine gleichmäßige Besteuerung sichergestellt werden. Ein langer und umfassender Verlustrücktrag steht allerdings mit der Rechtssicherheit und Sicherung der Funktionsfähigkeit einer periodischen Haushaltsplanung in Konflikt. Es handelt sich dabei um qualifizierte Interessen des Haushaltsgesetzgebers, die einen Verlustrücktrag einschränken können.260 Eine tatsächlich gleichmäßige Besteuerung des aggregierten Kapitalertrags ist daher praktisch nur eingeschränkt möglich. Demgegenüber kann eine Beschränkung auf den fundierten Kapitalertrag zwar auch zur Problematik von Verlustrückträgen führen, wenn die Rechnungslegung der Aktiengesellschaft einen Verlust statt eines Gewinns ausweist. Jahresfehlbeträge der Gesellschaft werden aber regelmäßig in ihrer Höhe weit hinter möglichen summierten Kursverlusten aller Aktionäre der Gesellschaft zurückbleiben. Eine Einschränkung des Verlustrücktrags im Hinblick auf fundierte Kapitalerträge wird daher die Gleichmäßigkeit der Besteuerung des Aktionärs in der Regel nur unwesentlich beeinträchtigen. Sofern die steuerliche Berücksichtigung des Verlustes zudem auf Ebene der Gesellschaft erfolgt (anstatt beim Aktionär), geht dieser ,Steuerbonus‘ im Fall einer Veräußerung der Aktie durch den Aktionär auch nicht verloren, sondern steht dem neuen Aktionär indirekt zu. Dies kann sich positiv auf den Aktienkurs auswirken, da die ,Steuerfreiheit‘ zukünftiger Gewinne der Gesellschaft am Kapitalmarkt vergütet wird. Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob die fehlende Ergiebigkeit unfundierter Kapitalerträge aus systematischer Sicht nicht auch auf das Kriterium der Ergiebigkeit des aggregierten Kapitalertrags ,durchschlägt‘. Da sich der fundierte und der unfundierte Kapitalertrag im Grundsatz deutlich als Teilbestandteile des aggregierten Kapitalertrags identifizieren lassen, haftet auch dem aggregierten Kapitalertrag eine gewisse Unergiebigkeit an. Der Gesetzgeber geht mit der Besteuerung des aggregierten Kapitalertrags über das für ihn sinnvolle Maß hinaus. Die Einbeziehung unfundierter Kapitalerträge in die Besteuerung beeinflusst nur noch die Verteilung der Steuerlast, erbringt selbst aber keinen zusätzlichen Steuerertrag. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Besteuerung sollte daher der fundierte Kapitalertrag als gleichwertiger verfassungskonformer konkreter Steuergegenstand neben den aggregierten Kapitalertrag gestellt werden. Der fundierte Kapitalertrag erfasst zwar die individuelle finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuer259 Zahlen des Deutschen Aktieninstituts zeigen, dass sich die Zahl der Aktionäre zwischen 1990 und 2000 von etwa 2,5 Mio. auf über 5 Mio. mehr als verdoppelte, dann aber – infolge des Börsencrashs im Jahr 2000 – in den Folgejahren wieder bis auf ca. 3 Mio. zurückging; sie ist seitdem – sicherlich auch vom erneuten Kurseinbruch in den Jahren 2007/2008 mitgetragen – bis zuletzt (2015) nicht über die Grenze von 3,6 Mio. gestiegen, vgl. Deutsches Aktieninstitut, Zahl und Struktur der Aktionäre in Deutschland. 260 Röder, Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht, S. 276.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

pflichtigen nicht optimal. Dafür ist er praktisch schon im Grundsatz besser gleichmäßig umzusetzen und sieht sich auch keinen Widersprüchen hinsichtlich des Ergiebigkeitskriteriums ausgesetzt. Unzulässig ist hingegen eine ausschließliche Besteuerung des unfundierten Kapitalertrags. Sie entspräche weder einer Besteuerung nach der individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit, noch würde sie das Ergiebigkeitskriterium erfüllen. Der Gesetzgeber hat also ein Wahlrecht, ob er unfundierte Kapitalerträge als Teil des aggregierten Kapitalertrags steuerlich erfassen oder den Steuerzugriff auf den fundierten Kapitalertrag beschränken will. Der Gesetzgeber hat aber zu beachten, dass sich über die intraperiodische Verlustverrechnung hinaus bei der Besteuerung des aggregierten Kapitalertrags besondere Anforderungen an die interperiodische Verlustverrechnung des Aktionärs ergeben. Dieses Zwischenergebnis gibt auch eine Antwort auf die vieldiskutierte261 Frage, inwieweit Wertzuwächse (der Aktie) in die Besteuerung einzubeziehen sind: Dies ist abhängig von dem vom Gesetzgeber gewählten Steuergegenstand. Im Fall des aggregierten Kapitalertrags sind die Wertzuwächse vollständig, im Fall des fundierten Kapitalertrags überhaupt nicht bzw. nur teilweise zu berücksichtigen.262 Vor diesem Hintergrund erscheint im Übrigen auch die Rechtsprechung des BVerfG als weitsichtig, nach der dem Gesetzgeber bei der Auswahl der Steuergegenstände, an die er die gleichen Rechtsfolgen knüpfen will, grundsätzlich ein Ermessensspielraum zukommt.263 Denn diese Differenzierungsmöglichkeiten sind notwendig, damit der Gesetzgeber auf die Eigenheiten der einzelnen Steuergegenstände angemessen einzugehen vermag. 3. ,Fundierter‘ und ,aggregierter‘ Kapitalertrag als verfassungskonforme konkrete Steuergegenstände Auf der Grundlage dieser Argumentation ergeben sich für die Besteuerung des Kapitalertrags aus börsennotierten Aktien nun grundsätzlich zwei verfassungskonforme konkrete Steuergegenstände: der aggregierte und der fundierte Kapitalertrag. Allerdings bedarf es noch der Festlegung eines geeigneten Betrachtungszeitraums. 261 Siehe dazu etwa die in den letzten Jahren zur Besteuerung von Wertzuwächsen insgesamt erschienenen Dissertationen von Dechant, Die Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte in systematischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht, 2006; Bäuml, System und Reform der Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte, 2005; Reutershan, Die Besteuerung der Gewinne aus privaten Beteiligungsveräußerungen, 2004; Mückl, Besteuerung von Capital Gains in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, 2003; Reimer, Die steuerliche Erfassung privater Veräußerungsgewinne, 2001; früher: Durchlaub, Zur Steuerpflicht der Gewinne aus der Veräußerung von Privatvermögen, 1993; Fasselt, Wertsteigerungen und Veräußerungsgewinne im Einkommensteuerrecht, 1949; Brendel, Die Besteuerung der Spekulationsgewinne, 1931. 262 Dazu im Einzelnen unten 4. Teil, A.I. 263 BVerfGE 116, 164 (180 f.), siehe auch oben 1. Teil, C.II.2.a).

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

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Theoretisch könnten beide Kapitalerträge für jeden beliebigen Zeitraum ermittelt werden. Anknüpfend an die Rechnungslegung der Aktiengesellschaft, die jährlich zu erfolgen hat, bietet sich aber als Grundlage ein einjähriger Zeitraum an. Zu beachten ist zudem, dass hinsichtlich des aggregierten Kapitalertrags für die Definition zunächst vernachlässigt wird, dass Kursveränderungen gegebenenfalls erst nach einer Realisation besteuert werden. a) Fundierter Kapitalertrag Der ,fundierte Kapitalertrag‘ eines Aktionärs ist der auf ihn entfallende Anteil am Jahresüberschuss der Aktiengesellschaft. b) Aggregierter Kapitalertrag Der ,aggregierte Kapitalertrag‘ eines Aktionärs bezeichnet die aus der Beteiligung an einer Aktiengesellschaft resultierende Gesamtvermögensmehrung innerhalb eines Jahres. Er kann entweder durch eine Gesamtsaldierung oder partiell aus dem fundierten und unfundierten Kapitalertrag ermittelt werden.

II. Fundierter Kapitalertrag im Detail Was die Höhe des fundierten Kapitalertrags anbelangt, wurde in dieser Arbeit bis jetzt auf den Gewinn bzw. Jahresüberschuss der Gesellschaft verwiesen. An den Jahresüberschuss anzuknüpfen, ist allerdings keineswegs vorgegeben. Denn die Frage, was als Gewinn einer Aktiengesellschaft und damit als fundierter Kapitalertrag anzusehen ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Daher muss der Begriff des fundierten Kapitalertrags näher bestimmt werden. 1. Jahresüberschuss als grundsätzlicher Indikator des ,Gewinns‘ Der Begriff des Gewinns ist relativ, es gibt keinen Gewinn ,an sich‘, der ,überpositiv‘ vorgegeben wäre. Denn ,Gewinn‘ ist immer nur der Betrag, welcher sich aus der Anwendung bestimmter Gewinnermittlungsregeln ergibt.264 Aus ökonomischer Sicht lässt sich Gewinn als der Betrag betrachten, der während eines Jahres konsumiert werden kann, ohne am Ende des Jahres schlechter zu stehen als zu Beginn des Jahres. Gewinn ist mit anderen Worten der Betrag, der aus einem Unternehmen maximal entzogen werden kann, ohne dass dadurch die zukünftige, den Erfolg sicherstellende Substanz angegriffen wird.265 264 265

Hennrichs, DStJG 24 (2001), 301 (309). Coenenberg/Haller/Mattner/Schultze, Einführung in das Rechnungswesen, S. 67 f.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Die Rechnungslegung von Unternehmen orientiert sich an buchhalterischen Gewinnermittlungskonzepten: der einfachen Einnahme-Überschuss-Rechnung sowie der bilanziellen Gewinnermittlung. Letztere wiederum kann sich an verschiedenen Rechnungslegungsstandards orientieren, etwa am HGB, an den International Financial Reporting Standards (IFRS) oder den United States General Accepted Accounting Principles (US-GAAP). Daneben bestehen noch diverse weitere ,Gewinnkennzahlen‘: Die Unternehmensberatung Stern Stewart beispielsweise hat das Gewinnkonzept des ,Economic Value Added (EVA)‘ entwickelt, das insbesondere die Kosten des eingesetzten Kapitals berücksichtigt.266 Die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e. V. (DVFA) wiederum empfiehlt, als Kennzahl zur Beurteilung der Ertragskraft eines Unternehmens das ,Ergebnis nach DVFA‘ heranzuziehen.267 Das Ergebnis nach DVFA ist um bestimmte Sondereinflüsse bereinigt, um Rechnungslegungsstandards miteinander vergleichbar zu machen.268 Im Rahmen der voranschreitenden Internationalisierung von Rechnungslegung und Besteuerung sind aus deutscher Sicht zudem verschiedene Entwürfe für ein Steuerbilanzrecht entwickelt worden, die die zunehmende Ausrichtung der Rechnungslegung insbesondere an den International Financial Reporting Standards (IFRS) berücksichtigen.269 Woran aber sollte die Festlegung des Gewinns, das heißt eine Definition des fundierten Kapitalertrags, nun anknüpfen? Grundsätzlicher Ausgangspunkt für die Ermittlung des relevanten Gewinns muss auf der Grundlage einer personalen Bestimmung des Kapitalertragbegriffs die Perspektive des Aktionärs sein. Maßgeblich kann allein sein, in welcher Weise die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Aktionärs im Sinne einer Zahlungsfähigkeit270 erhöht wird. Da für die Wertbildung beim Aktionär allein die potenziellen Ausschüttungen entscheidend sind, sollte ,Gewinn‘ daher grundsätzlich derjenige Betrag sein, der nach einer Periode zusätzlich für Ausschüttungen zur Verfügung steht. Dabei ist nicht entscheidend, ob es tatsächlich zu einer Ausschüttung kommt, da einbehaltene Gewinne zu einem Aktienkursanstieg führen, solange sie auf Gesellschaftsebene produktiv angelegt werden (können).

266

Hierzu Stewart, The quest for value, S. 118 ff. Dazu Busse v. Colbe et al. (Hrsg.), Ergebnis je Aktie nach DVFA/SG; vgl. ferner Arbeitskreis DVFA/Schmalzenbach-Gesellschaft e.V., BB 2003, 1913 ff. 268 Busse v. Colbe et al. (Hrsg.), Ergebnis je Aktie nach DVFA/SG, S. 3; zu den einzelnen Sondereinflüssen vgl. Busse v. Colbe et al. (Hrsg.), Ergebnis je Aktie nach DVFA/SG, S. 27 ff. 269 Siehe zum ,Entwurf eines Gesetzes zur Steuerlichen Gewinnermittlung‘, der unter dem Dach der ,Stiftung Marktwirtschaft‘ entwickelt wurde Wendt, in: Oestreicher (Hrsg.), Reform der Unternehmensbesteuerung, S. 189 ff.; des Weiteren liegt ein Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen vor, siehe Herzig, IAS/IFRS und steuerliche Gewinnermittlung, 2004; siehe zur Auswirkung der Internationalisierung der Rechnungslegung auf die Gewinnermittlung auch Hennrichs, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 9 Rz. 56 ff. 270 Vgl. oben 1. Teil, C.II.2.a)(2)(a). 267

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

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Allein auf die potenziell zulässigen Ausschüttungen Bezug zu nehmen, könnte indes zu kurz greifen, wenn dadurch eine Gefährdung der Unternehmenssubstanz drohte. Denn dann würde ein stetiges ,Ausreizen‘ der zulässigen Ausschüttungen auf Dauer zwangsläufig in die Insolvenz führen. Der Gewinn muss sich daher am nachhaltig entziehbaren Gewinn orientieren.271 Diese Kriterien erfüllen die in der Literatur entwickelten Gewinnkennzahlen nicht, ihnen fehlt bereits die Relevanz für die Ausschüttungsbemessung. Die Ermittlung des zusätzlichen für Ausschüttungen zur Verfügung stehenden Gewinns richtet sich allein nach den Vorschriften des HGB, konkret nach dem ausgewiesenen Jahresüberschuss. Sofern das Jahresergebnis neutral ist oder ein Jahresfehlbetrag vorliegt, ist in der Periode kein ausschüttbarer Gewinn hinzugekommen. Das Jahresergebnis bzw. ein Jahresüberschuss indiziert, von wenigen Einschränkungen abgesehen,272 den grundsätzlich für Ausschüttungen zur Verfügung stehenden Vermögenszuwachs auf Gesellschaftsebene. Zudem erfüllt der Jahresüberschuss auch das zweite Kriterium, da er – wie im Rahmen der Grundlagen ausgeführt273 – ,defensiv‘ ermittelt wird und lediglich den Vermögenszuwachs ausweist, der ohne Gefährdung der Substanz ausgeschüttet werden kann. Der Jahresüberschuss ist daher die grundsätzlich richtige Bemessungsgrundlage für den ,Gewinn‘ der Gesellschaft, das heißt für die Ermittlung des fundierten Kapitalertrags. Dass der Jahresüberschuss einer gewissen ,Scheingenauigkeit‘ unterliegt, da er in vielfältiger Weise von Schätzungen und Prognosen im Rahmen der Bilanzierung abhängt,274 schadet dabei nicht. Denn ein exakter Periodenerfolg ließe sich ohnehin immer nur ex post im Rahmen einer Ermittlung des Totalerfolgs einer Unternehmung an deren Lebensende ermitteln.275 Auch ist Stimmen in der Literatur zu widersprechen, die eine Heranziehung des Jahresüberschusses nach HGB als ,relevanten‘ Gewinn mit dem Argument ablehnen, das Vorsichtsprinzip konterkariere die Ermittlung eines objektiven Gewinnausweises.276 Abgesehen davon, dass willkürliche handelsrechtliche Unterbewertungen ohnehin schon lange nicht mehr möglich 271

Ähnlich Schön, StuW 1995, 366 (377); Moxter, in: FS Heigl, S. 31 (33). Das HGB korrigiert die grundsätzliche Ausschüttungsfähigkeit des Jahresüberschusses im Hinblick auf einige wenige Bilanzposten: Die Ausübung der Aktivierungsmöglichkeit für selbstgeschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens nach § 248 Abs. 2 HGB geht mit einer Art Ausschüttungssperre für eben diese aktivierten Beträge einher, vgl. § 268 Abs. 8 S. 1 HGB; Gleiches gilt nach § 268 Abs. 8 S. 2 HGB für aktive latente Steuern, die die passiven latenten Steuern übersteigen, sowie gemäß § 268 Abs. 8 S. 3 HGB für einen aktivierten Unterschiedsbetrag aus der Vermögensverrechnung nach § 246 Abs. 2 S. 2 HGB; siehe dazu auch BT-Drs. 16/10067, S. 49 f. u. 64. 273 Siehe oben 2. Teil, A.III.2.b). 274 Siehe zu diesem Problemkreis Clemm, in: Mellwig/Moxter/Ordelheide (Hrsg.), Handelsbilanz und Steuerbilanz, S. 57 ff. 275 Drescher, Zur Zukunft des deutschen Maßgeblichkeitsgrundsatzes, S. 93 u. 97. 276 So wohl Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 17 Rz. 44 f.; vgl. dazu auch Hennrichs, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 9 Rz. 47; im Hinblick auf das Imparitätsprinzip für zulässig erachtend Schlotter, FR 2007, 951 (957). 272

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

sind,277 könnte dieser Einwand, wenn überhaupt, nur im Falle einer kleinen ,geschlossenen‘ GmbH überzeugen. Bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft zieht eine zu vorsichtige Bilanzierung aufgrund der entsprechend geringeren Ausschüttungspotenziale immer auch eine entsprechende Wertminderung für die Aktionäre nach sich. Die Definition des relevanten Gewinns vom zusätzlich ausschüttbaren Betrag zu trennen, widerspräche daher einer korrekten Ermittlung des fundierten Kapitalertrags im Hinblick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Aktionärs. Kritik am gegenwärtigen Konzept des Gewinnausweises wäre stattdessen eher unter dem Gesichtspunkt der fingierten Liquidität des ausgewiesenen Gewinns zu üben, da der bilanzrechtliche Gewinn nicht mit einem Kassenüberschuss verwechselt werden darf.278 Denn die Realisation einer Forderung liegt erst im Zeitpunkt des zivilrechtlichen Gefahrübergangs vor, bis zur Begleichung derselben durch Zahlung kann durchaus eine Weile vergehen.279 Es kann aus Sicht des Unternehmens daher ein Problem darstellen, wenn ein handelsrechtlicher Gewinn ausgewiesen wird, aber nur Forderungen statt tatsächlicher Einnahmen entstanden sind.280 Dieser Aspekt soll hier jedoch nicht näher erörtert werden, denn seine Brisanz hängt insbesondere vom Vorhandensein eines effizienten Kapitalmarktes ab, über den kostengünstig die gegebenenfalls notwendige Liquidität aufgebracht werden kann. Es sei schließlich darauf hingewiesen, dass eine Orientierung des Gewinns bzw. fundierten Kapitalertrags am Jahresüberschuss nach HGB keineswegs zwingend ist. Es ist für die Beurteilung de lege lata von entscheidender Bedeutung, dass die Bilanzierung nach HGB aufgrund ihrer Ausgestaltung funktionell sowohl der Information der Anteilseigner und Gläubiger als auch dem Kapitalschutz, und damit der Ausschüttungsbemessung, dient.281 Mit zunehmender Orientierung der deutschen Handelsbilanzierung an internationalen Rechnungslegungsstandards (insbesondere an den IFRS), die vorrangig an der Informationsfunktion ausgerichtet sind, wird bzw. würde die Bilanzierung nach HGB ihre Ausschüttungsbemessungsfunktion und damit auch ihre Eigenschaft als ,nachhaltiger Gewinnindikator‘ verlieren. Es ist dann gegebenenfalls eine eigenständige Ausschüttungsbilanz zu erstellen oder eine Ausschüttungsgrenze aus einer möglichen Informationsbilanz abzuleiten.282 Die zuvor erwähnten Vorschläge für eigenständige Steuerbilanznormen, die die Internationalisierung der Rechnungslegung berücksichtigen, können aber bereits deshalb

277

Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, S. 45 m. w. N. Moxter, in: FS Clemm, S. 231 (231). 279 Drescher, Zur Zukunft des deutschen Maßgeblichkeitsgrundsatzes, S. 104. 280 So schon Schneider, Wpg 1971, 607 (610). 281 Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 19 f. 282 Zur Eignung der IFRS für Ausschüttungszwecke Spengel, FR 2009, 101 (104); Hennrichs, BFuP 2008, 415 ff.; Herzig, Wpg 2000, 104 (111 ff.). 278

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

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nicht überzeugen, weil sie die Ermittlung des Gewinns ausschließlich aus Sicht der Gesellschaft, aber nicht aus Sicht des Gesellschafters angehen.283 2. Folgerungen aus den Vorschriften über die Gewinnverwendung nach AktG Der Jahresüberschuss gibt zwar den grundsätzlich für Ausschüttungen zur Verfügung stehenden Gewinn der Gesellschaft an, doch können die Aktionäre nicht unmittelbar über den Jahresüberschuss verfügen. a) (Zwangs-)Verwendung des Jahresüberschusses für die gesetzliche Rücklage Gemäß § 150 Abs. 2 AktG sind 5 % des Jahresüberschusses so lange einer gesetzlichen Rücklage zuzuführen, bis diese Rücklage gemeinsam mit der Kapitalrücklage 10 % des Nennkapitals beträgt.284 Das bedeutet, dass qua Gesetz der Jahresüberschuss – jedenfalls eine gewisse Zeit lang – doch nicht vollumfänglich für Ausschüttungen zur Verfügung steht. Es ist daher zumindest zweifelhaft, inwiefern diese 5 % des Jahresüberschusses für den Aktionär einen Wertzuwachs bedeuten. Bei einer strengen Orientierung an der Ausschüttungsfähigkeit des Vermögenszuwachses dürfte der in die gesetzliche Rücklage einzustellende Teil des Jahresüberschusses nicht als fundierter Kapitalertrag betrachtet werden. Denn über ihn kann nur in zwei Fällen verfügt werden: entweder wenn die Gesellschaft einen Jahresfehlbetrag bzw. Verlustvortrag ausweist und über keine anderen auflösbaren Rücklagen verfügt (§ 150 Abs. 3 AktG) oder wenn die Gesellschaft liquidiert wird.285 Er mindert daher nicht nur das gegenwärtige, sondern auch das zukünftige Ausschüttungspotenzial der Gesellschaft, solange es nicht zur Liquidation kommt. Streng genommen ist nach der Finanzmarkttheorie daher davon auszugehen, dass derjenige Teil des thesaurierten Jahresüberschusses, der in die gesetzliche Rücklage einzustellen ist, nicht zu einem Anstieg des Aktienkurses führt.286 Auf der anderen Seite kann nicht negiert werden, dass die in die gesetzliche Rücklage eingestellten Beträge gleichwohl auf Ebene der Gesellschaft für Investi-

283

Vgl. Wendt, in: Oestreicher (Hrsg.), Reform der Unternehmensbesteuerung, S. 189 (192); Herzig, IAS/IFRS und steuerliche Gewinnermittlung, S. 60 u. 334. 284 Siehe dazu schon oben 2. Teil, A.III.3. 285 Vernachlässigt sei an dieser Stelle der Fall, dass die Einstellung von 5 % des Jahresüberschusses in die gesetzliche Rücklage die Mindestreserve übersteigt und überschießende Beträge nach § 150 Abs. 4 Nr. 3 AktG auch für eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln verwendet werden dürfen, dazu v. Falkenhausen NZG 2009, 1096 (1097). 286 Nur im Fall einer Liquidation der Gesellschaft wird die gesetzliche Rücklage wieder ,frei‘ und erhöht – aber erst in diesem Zeitpunkt – den Wert der Anteile.

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

tionen zur Verfügung stehen und somit produktiv genutzt werden können. Die gesetzliche Rücklage ist also nicht ,wertlos‘, sie darf nur nicht ausgeschüttet werden. Aus Sicht des Aktionärs nimmt die gesetzliche Rücklage somit eine Zwitterstellung ein: Einerseits ist sie für Ausschüttungen gesperrt, andererseits bleibt sie gleichwohl auf Gesellschaftsebene investierbar. Zur Klärung der Frage, inwieweit der Kapitalmarkt diese Zwangsrücklage im Rahmen der Kursbildung berücksichtigt, wäre eine umfassende Untersuchung notwendig. Empirische Studien, die die Korrelation von gesetzlicher Rücklage und Aktienkurs untersuchen, liegen allerdings – nach Kenntnis des Autors – nicht vor. Das dürfte daran liegen, dass die intensivste Kapitalmarktforschung sich auf die Vereinigten Staaten bezieht, das US-Gesellschaftsrecht eine der gesetzlichen Rücklage entsprechende Regelung aber nicht kennt. Dort erfolgt der Gläubigerschutz vornehmlich durch sogenannte Covenants und Solvenztests,287 sodass es der dortigen Literatur an Anschauungsmaterial im eigenen Land fehlt. Inwiefern es sich bei den in die gesetzliche Rücklage einzustellenden Beträgen um einen Kapitalertrag des Aktionärs handelt, kann also gegenwärtig nicht eindeutig beantwortet werden. Es ist sowohl vertretbar, die in die gesetzliche Rücklage eingestellten Beträge in die Definition des fundierten Kapitalertrags einzubeziehen, als auch sie aus dieser Definition auszuschließen. b) (Zwangs-)Verwendung des Jahresüberschusse für die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen Ähnlich wie bei der gesetzlichen Rücklage bildet auch die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen einen Posten des Eigenkapitals, der qua Gesetzes gebildet werden muss und dessen Beträge nicht für eine Ausschüttung zur Verfügung stehen. Diese Rücklage unterscheidet sich allerdings in zwei Punkten von der gesetzlichen Rücklage. Zum einen obliegt es dem Vorstand der Gesellschaft, inwieweit es durch den Erwerb von entsprechenden Anteilen dazu kommt, dass die Ausschüttungssperre eingreift. Denn während die Gesellschaft zur Bildung der gesetzlichen Rücklage in jedem Fall verpflichtet ist, kann die Pflicht zur Bildung der Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen schlicht dadurch vermieden werden, dass keine entsprechenden Anteile erworben werden. Zum anderen kann die Rücklage neben dem Jahresüberschuss auch aus bereits vorhandenen frei verfügbaren Rücklagen gebildet werden, mithin also aus thesaurierten Gewinnen früherer Perioden, einem Gewinnvortrag oder auch aus nicht gebundenen Kapitalrücklagen (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB).288 Insbesondere die letztere 287 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Wpg 1996, 421 (424 ff.). 288 Reiner, in: MüKo HGB, § 272 Rn. 121.

S. 297 ff.;

Wüstemann,

B. Schlussfolgerungen aus den Grundlagen

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Möglichkeit, die Bildung der Rücklage aus nicht gebundenen Kapitalrücklagen, bedeutet, dass es nicht unbedingt zu einer Zwangsthesaurierung von Gewinnen kommen muss, sondern auch von den Gesellschaftern eingezahltes Kapital verwendet werden kann. Gleichwohl bedeutet die Pflicht zur Bildung dieser Rücklage, dass die Gewinnverwendungskompetenz von Verwaltung und Aktionären eingeschränkt wird. Insbesondere die Tatsache, dass es dem Vorstand obliegt, ob es überhaupt zur Bildung dieser Rücklage kommt, spricht aber gegen eine Beschränkung des relevanten Jahresüberschusses im Hinblick auf den Gewinnbegriff. Die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen mindert den steuerlich relevanten Jahresüberschuss damit nicht. c) Verwendung des Jahresüberschusses durch die Verwaltung Unabhängig von den beiden aufgrund Gesetzes zu bildenden Rücklagen steht der Verwaltung der Aktiengesellschaft, zumindest wenn sie den Jahresabschluss feststellt, im Rahmen dieser Feststellung das Recht zu, bestimmte Beträge des Jahresüberschusses in andere Gewinnrücklagen einzustellen.289 Es handelt sich um eine beachtliche Einschränkung der Entscheidungsautonomie der Aktionäre, da grundsätzlich auch der im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses in Rücklagen eingestellte Betrag des Jahresüberschusses für eine Ausschüttung zur Verfügung stünde.290 Diese Problematik verschärft sich zusätzlich im Fall eines Konzerns.291 Insofern stellt sich auch für entsprechende von der Verwaltung im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses in andere Rücklagen eingestellte und damit (aus Sicht der Aktionäre) zwangsthesaurierte Beträge die Frage, inwieweit diese das Ausschüttungspotenzial der Gesellschaft mindern und eine Einschränkung des Gewinnpotenzials der Gesellschaft für die Aktionäre bedeuten. Anders als im Fall der gesetzlichen Rücklage haben die Aktionäre aber grundsätzlich durch die Wahl von Vorstand und Aufsichtsrat einen Einfluss darauf, ob es zu einer Thesaurierung oder Ausschüttung der entsprechenden Beträge des Jahresüberschusses kommt. Sie können die Gewinnverwendung mittelbar beeinflussen. Handeln Vorstand und Aufsichtsrat nicht im Interesse der Aktionäre, müssen sie mit einer Abwahl rechnen. 289

Siehe oben 2. Teil, A.III.3.a)(2)(a). Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 18. 291 Im Konzern, der in der Regel über viele Tochtergesellschaften verfügt, tritt dieses Problem noch gravierender auf, weil eine Potenzierung der Rücklagenbildung durch Vorstand und Aufsichtsrat möglich ist; denn rein nach dem Gesetzeswortlaut des § 58 Abs. 2 AktG kann theoretisch bei jeder Tochtergesellschaft – auch bei tiefen Schachtelbeteiligungen – eine entsprechende Rücklagenbildung vorgenommen werden, sodass bei der einzig an der Börse notierten Obergesellschaft am Ende möglicherweise kaum nennenswerte Jahresüberschüsse bilanziell zu veranlagen sind; in der Literatur hat sich zum angemessenen Umgang mit dieser Problematik ein umfassender Meinungsstand herausgebildet, siehe dazu Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 63 ff. 290

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

Mag der Einfluss eines einzelnen Aktionärs auch hypothetisch bleiben, so vermögen doch bereits geringe Minderheitsbeteiligungen einen erheblichen Einfluss auf das Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat auszuüben. Treffliches Beispiel hierfür war in der jüngeren Vergangenheit der Einfluss eines englischen Investmentfonds auf Vorstand und Aufsichtsrat der Deutsche Börse AG. Der englische Hedgefonds TCI, der nur eine Minderheitsbeteiligung an der Deutsche Börse AG hielt, konnte die Absetzung des Vorstandsvorsitzenden durchsetzen, die vom Vorstand der Deutsche Börse AG geplante und von TCI als ökonomisch falsch eingestufte Übernahme der London Stock Exchange unterbinden und stattdessen eine Ausschüttung der Mittel an die Aktionäre erwirken.292 Ein ähnliches Beispiel aus dem amerikanischen Markt ist der Versuch einiger Investmentfonds, das amerikanische Unternehmen Apple Inc. zur Ausschüttung eines erheblichen Teils der Barreserven zu bewegen und dies, obwohl die Fonds kaum ein Prozent der Aktien an Apple Inc. hielten.293 Dennoch ist die umfangreiche Befugnis der Verwaltung hinsichtlich der Verwendung des Jahresüberschusses rechtspolitisch nicht unproblematisch.294 Wird aber grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Verwaltung der Gesellschaft im Interesse der Aktionäre handelt, macht es keinen Unterschied, ob Gewinne in der Gegenwart oder Zukunft ausgeschüttet werden, solange die ,interne Verzinsung‘ der Rücklagen mindestens den Renditeanforderungen des einzelnen Aktionärs entspricht und solange die Gewinne grundsätzlich ausschüttungsfähig sind. Im Normalfall führt eine Gewinnthesaurierung zu einer Kurssteigerung, sodass die Gewinne dem Aktionär indirekt zufließen.295 Wie schon im Rahmen der theoreti292

Vgl. FAZ v. 9. 9. 2005, S. 13; FAZ v. 25. 5. 2005, S. 20. Vgl. FAZ v. 15. 8. 2013, S. 14; FAZ v. 24. 8. 2013, S. 15. 294 Bedenken bestehen etwa im Hinblick auf die Lenkungsfunktion des Kapitalmarkts: Da Vorstand und Aufsichtsrat über einen Teil des Jahresüberschusses weitgehend frei verfügen, kann sich die Unternehmensführung insoweit der Kontrolle durch den Kapitalmarkt entziehen. Durch Auflösung der in früheren Jahren in andere Gewinnrücklagen eingestellten Beträge wird zudem die ,Vertuschung‘ eines Missmanagements zumindest erleichtert. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die gesetzliche ,Bevormundung‘ der Aktionäre durch Vorstand und Aufsichtsrat keineswegs so klar ist, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Denn die Interessen innerhalb des Aktionärskreises sind im Hinblick auf Ausschüttung oder Thesaurierung keineswegs homogen. Die Entscheidung über die Verwendung des Jahresüberschusses allein der Hauptversammlung zuzuweisen, hilft einem in der Minderheit befindlichen Investor nur sehr begrenzt; denn es würde lediglich bedeuten, das Problem in einen Mehrheits-/Minderheitskonflikt umzuwidmen, nicht jedoch, es zu lösen. Im Rahmen der Verwendung des Bilanzgewinns durch die Hauptversammlung ist der Minderheitenschutz nämlich nur schwach ausgeprägt. Ihm wird lediglich durch § 254 AktG Rechnung getragen, wonach der Gewinnverwendungsbeschluss anfechtbar ist, wenn er wirtschaftlich nicht geboten ist und zudem nicht eine Dividende von mindestens 4 % des Grundkapitals verteilt wird. Davon abgesehen kann auch die Hauptversammlung den Bilanzgewinn vollständig vortragen oder in Rücklagen einstellen. Siehe zu dieser Problematik Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 19 u. 101; auch Baums, in: FS K. Schmidt, S. 57 (62 f.); zur Intention des Gesetzgebers Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 340. 295 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 4 Rn. 17; Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 16. 293

C. Zwischenergebnis

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schen Grundlagen dargestellt296 wurde, sind Aktionäre bei Annahme eines effizienten Kapitalmarkts gegenüber der Wahl von Ausschüttung oder Thesaurierung indifferent. Die von der Verwaltung in andere Rücklagen eingestellten Beträge beeinflussen die Höhe des fundierten Kapitalertrags somit nicht. d) Verwendung des Bilanzgewinns durch die Hauptversammlung Ist der Jahresabschluss festgestellt, ergibt sich aus ihm der Bilanzgewinn. In diesen können neben dem Jahresüberschuss des abgelaufenen Wirtschaftsjahres auch ein Gewinnvortrag oder die Auflösung von Rücklagen durch die Verwaltung einfließen. Über die Verwendung des Bilanzgewinns entscheidet nach § 58 Abs. 3 AktG die Hauptversammlung. Beschließt sie, den Bilanzgewinn (teilweise) zu thesaurieren, anstatt ihn auszuschütten, liegt darin eine von den Aktionären selbst getroffene Finanzierungsentscheidung.297 Auch diese wirkt sich nicht auf die grundsätzliche Höhe des fundierten Kapitalertrags aus. e) Verwendung des Bilanzgewinns aufgrund Satzungsbestimmung Ob die Satzung der Aktiengesellschaft im Rahmen der Verwendung des Bilanzgewinns zur Bildung einer Rücklage verpflichten kann, war umstritten. Inzwischen wird eine solche Möglichkeit aber ganz überwiegend angenommen.298 Eine entsprechende Satzungsregelung ist dann – ähnlich wie ein Beschluss der Hauptversammlung über die Verwendung des Bilanzgewinns – als Wille der Aktionäre aufzufassen.

C. Zwischenergebnis Der Gesetzgeber hat zu beachten, dass es sich bei Kapitalerträgen aus börsennotierten Aktien um eine Stromgröße, nicht um eine Bestandsgröße handelt. Die Besteuerung muss daher an Zeitraumbetrachtungen anknüpfen und darf nicht einzelne Zuflüsse im Sinne einer Zeitpunktbetrachtung herausgreifen. Bei der Ermittlung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Aktionärs sind daher – unter Be-

296

Siehe 2. Teil, A.I.1.b). Zu entsprechenden Interessenkonflikten zwischen verschiedenen Aktionärsgruppen siehe zuvor Fn. 291. 298 Bayer, in: MüKo AktG, § 58 Rn. 94; Drygala, in: KK AktG, § 58 Rn. 98; HoffmannBecking, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. IV, § 47 Rn. 18; anders noch Lutter, in: KK AktG, 2. Aufl., § 58 Rn. 69. 297

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2. Teil: Entwicklung einer verfassungskonformen Systematik

rücksichtigung des objektiven Nettoprinzips – die wirtschaftlichen Wechselwirkungen gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen zu beachten. Aus systematischer Sicht können bei börsennotierten Aktien fundierte und unfundierte Kapitalerträge unterschieden werden. Im Hinblick auf eine Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit sind beide Bestandteile als aggregierter Kapitalertrag zu besteuern, doch führen nur die fundierten Bestandteile auch zu einem Steuerertrag für den Staat. Der Gesetzgeber kann mit Rücksicht auf die Verhältnismäßigkeit der Besteuerung zwischen der Besteuerung des fundierten oder des aggregierten Kapitalertrags wählen. Der nach Handelsrecht ermittelte Jahresüberschuss ist grundsätzlich der zugrunde zu legende Gewinnbegriff und entspricht dem fundierten Kapitalertrag einer Periode. Er ist möglicherweise jedoch um die in die gesetzliche Rücklage einzustellenden Beträge zu mindern. Ob diese Minderung im Hinblick auf eine an der finanziellen Leistungsfähigkeit auszurichtende Besteuerung tatsächlich geboten ist, muss aber durch eine ökonometrische Untersuchung geklärt werden. Bis dahin kann als fundierter Kapitalertrag sowohl der volle als auch ein um die gesetzliche Rücklage geminderter Jahresüberschuss zugrunde gelegt werden.

3. Teil

Zinsberücksichtigung in der Kapitaleinkommensbesteuerung Bevor zur konkreten Besteuerung des Kapitalertrags aus börsennotierten Aktien übergegangen werden kann, bedarf es der Erörterung eines Aspekts, der bisher noch nicht zur Sprache kam, welcher gleichwohl besondere Bedeutung gerade bei der Besteuerung von Kapitalerträgen hat: der Frage nach dem angemessenen bzw. ,richtigen‘ Wertprinzip, das heißt der Frage, ob sich die Besteuerung am Nominaloder am Realwertprinzip orientieren sollte. Die Entscheidung über die Ausrichtung des Steuersystems an Nominal- oder Realwerten deckt sich in ihren Grundzügen mit der Beantwortung der Frage, ob das Steuerrecht konsum- statt einkommensorientiert ausgerichtet werden sollte. Beide Problembereiche werden daher im Folgenden gemeinsam behandelt.

A. Nominal- vs. Realwertprinzip I. Grundproblematik und Meinungsstand Sowohl in der betriebswirtschaftlichen als auch in der rechtswissenschaftlichen Steuerlehre wird zwischen nominellen und realen Erträgen unterschieden. Nominelle Erträge sind – im Gegensatz zu realen Erträgen – nicht um die Kaufkraftveränderung des Geldes bereinigt. Üblicherweise1 wird von Inflation gesprochen, wenn das Preisniveau anhaltend ansteigt und damit einhergehend die Kaufkraft abnimmt.2 Eine geringe Inflation wird allerdings nicht nur von den Notenbanken angestrebt,3 sondern allgemein auch noch als Preisstabilität betrachtet.4 1

Eine einheitliche Definition des Begriffs ,Inflation‘ besteht bis heute nicht. Issing, Einführung in die Geldtheorie, S. 202 bzw. 208. 3 Die Europäische Zentralbank schreibt etwa auf ihrer Homepage, dass sie eine Inflationsrate unter, aber nahe an 2 % anstrebe, vgl. das Kapitel ,Introduction‘ des Informationsbereichs ,Monetary Policy‘ unter http://www.ecb.int/mopo/intro/html/index.en.html (abgerufen am 30. 08. 2014); siehe ferner Gischer/Herz/Menkhoff, Geld, Kredit und Banken, S. 257. 4 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 1968, S. 3 u. 12, in dem eine Inflation von weniger als 1 % noch nicht als Geldwertminderung, eine Inflation zwischen 1 und 2 % nur mit Einschränkungen als Geldwertminderung angesehen wird; Jarchow, Grundriss der Geldtheorie, Kap. V 6c, S. 281. 2

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3. Teil: Zinsberücksichtigung in der Kapitaleinkommensbesteuerung

Inflation beeinflusst die ,Qualität‘ von Vermögenszuwächsen. Denn als Folge von Inflation können sogenannte Scheingewinne auftreten. Um einen solchen Scheingewinn handelt es sich bei demjenigen Teil eines nominellen Vermögenszuwachses – im Falle von Aktien ist dies insbesondere die Kurssteigerung –, der allein dazu dient, den Kaufkraftverlust während der Zeit der Investition des Kapitals auszugleichen.5 Kauft beispielsweise eine Person einen Gegenstand für 100 Euro und verkauft ihn ein Jahr später für 105 Euro, so wird ein Gewinn von fünf Euro erzielt. Dieser Gewinn ist aber nur ein Scheingewinn, wenn es im gleichen Zeitraum eine Inflation in Höhe von fünf Prozent gab und somit das allgemeine Preisniveau ebenfalls um fünf Prozent gestiegen ist. Denn dann liegt (voraussichtlich) auch der Wiederbeschaffungspreis für den Gegenstand bei 105 Euro. Dem nominellen Gewinn von fünf Euro entspräche real kein Wertzuwachs, da kein Kaufkraftgewinn vorliegt. Im Verlauf mehrerer Jahre können diese Scheingewinne durchaus einen beträchtlichen Teil des Gesamtwertes eines Vermögensgegenstandes ausmachen. Bei einer jährlichen Inflation von lediglich zwei Prozent büßt Geld nach zwanzig Jahren knapp ein Drittel seines Wertes ein.6 Das bedeutet, dass beim Verkauf einer Aktie nach zwanzig Jahren und jährlicher Inflation von zwei Prozent ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 48 %7 allein Scheingewinn ist. Während der nominelle Wert der Aktie also beträchtlich gewachsen ist, ist ihr Wert real (inflationsbereinigt) gleich geblieben. Insbesondere in den 1970er-Jahren, als die Inflationsraten in Deutschland zwischenzeitlich die 7 %-Marke erreichten,8 ist die Scheingewinnproblematik und mit ihr die Frage, inwiefern das Steuerrecht an Real- statt an Nominalwerten auszurichten ist, diskutiert worden.9 Der baldige Rückgang der Preissteigerungen10 ließ die Diskussion zwar zunächst wieder abebben, dennoch war die Problematik der Scheingewinnbesteuerung auch in den Folgejahren11 und bis zuletzt12 immer wieder Gegenstand auch umfassenderer Abhandlungen. Es werden im Wesentlichen zwei Positionen vertreten. Nach einer Ansicht sollte der Gesetzgeber das Problem der Scheingewinne als Folge von Inflation im Rahmen der Besteuerung von Kapitaleinkünften berück5

Esser, Ertragsbesteuerung und Geldentwertung, S. 11. 1