Judenfeindschaft in der Antike : Die Münchener Vorträge 3406420222

Eingeleitet von Christian Meier Die Juden standen treu zu Jahwe als dem einzigen und wahren Gott; streng befolgten sie

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Judenfeindschaft in der Antike : Die Münchener Vorträge
 3406420222

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Zvi Yavetz

Judenfeindschaft in der Antike Mit einer Einleitung von Christian Meier Becksche Reihe

Die Juden der Antike standen treu zu Jahwe als dem einzi­ gen und wahren Gott; streng befolgten sie seine Gesetze. Diese Haltung äußerte sich notwendig in der Abkehr von den vielen anderen möglichen Formen des Lebens und des Glaubens in der Antike. So empfanden die Zeitgenossen die kompromißlose Haltung der Juden in diesen Fragen als Hochmut und sahen darin eine Kritik der eigenen Werte. Ihre Reaktion bestand nicht selten in Haß und Verfolgung. Welche Formen die Judenfeindschaft in der Antike annahm und welche Ereignisse damit im Zusammenhang stehen, wurde in vier eindrucksvollen Vorträgen an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität im Sommer 1996 von ei­ nem der besten Kenner der Geschichte seines Volkes er­ zählt. Zvi Yavetz, geboren 1925 in Czernowitz, im Krieg vor den Nazi-Truppen nach Israel geflohen, genießt als Altertums­ wissenschaftler hohes internationales Ansehen. Er ist einer der Gründungsväter der Tel Aviv-University. 1990 wurde er mit dem Israel-Preis geehrt, der höchsten Auszeichnung seines Landes auf dem Gebiet der Kultur. François Mitter­ rand hat ihn zum Mitglied der Académie Internationale de Culture ernannt - eine Vereinigung, die insgesamt nur 46 Mitglieder aus der ganzen Welt umfaßt, zu denen beispiels­ weise Jorge Semprun, Günter Grass und Umberto Eco ge­ hören. Zur Zeit ist Zvi Yavetz Distinguished Professor an der City University of New York.

ZVI YAVETZ

Judenfeindschaft in der Antike Die Münchener Vorträge

Eingeleitet von Christian Meier

VERLAG C. H. BECK

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Yavetz, Zvi Judenfeindschaft in der Antike : die Münchener Vorträge / Zvi Yavetz. Eingeleitet von Christian Meier. - Orig.-Ausg. - München : Beck, 1997 (Beck’sche Reihe; 1222) ISBN 3406420222

Originalausgabe ISBN 3406 42022 2 Umschlagentwurf: Uwe Göbel, München © C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München 1997 Gesamtherstellung: C. H. Beck’sche Buchdruckerei, Nördlingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany

Für Elisabeth und Christian Meier

Inhaltsverzeichnis Christian Meier Einführung zur Gastproiessur von Zvi Yavetz am 8. Juli 1996.....................................................................

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Zvi Yavetz Dankesworte...................................................................

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Zvi Yavetz Erste Vorlesung............................................................... 1. Der Begriff „Antisemitismus“................................. 2. Theorien von der Entstehung des Judenhasses in der Antike................................................................ 3. Juden und Barbaren................................................

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Christian Meier Einführung in die Vorlesung vom 15. Juli 1996

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Zvi Yavetz Zweite Vorlesung............................................................ 1. Die Juden im Urteil der Antike.............................. 2. Antisemitismus und Antijudaismus........................ 3. Die Tempelzerstörung in Elephantine.................. 4. Antijüdische Propaganda in Ägypten.....................

46 46 49 53 63

Christian Meier Einführung in die Vorlesung vom 22. Juli 1996............

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Zvi Yavetz Dritte Vorlesung................................................................ 1. Die Konfrontation zwischen Judentum und Hel­ lenismus...................................................................... 2. Die Entstehung eines unabhängigen Judenstaates im 2. Jahrhundert v. Chr.......................................... Christian Meier Einführung in die Vorlesung vom 29. Juli 1996............

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Zvi Yavetz Vierte Vorlesung............................................................... 95 1. Schlußfolgerungen................................................... 95 2. Griechische Propaganda gegen die Juden............... 96 3. Kaiser Caligula und die Juden..................................... 101 4. Kaiser Claudius und die Juden................................. 110

Zeittafel.................................................................................. 115 Auswahlbibliographie........................................................

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Christian Meier

Einführung zur Gastprofessur von Zvi Yavetz am 8. Juli 1996 Es bereitet mir große Freude, aber auch einige Schmerzen, Ihnen Zvi Yavetz vorzustellen. Er ist emeritierter Professor für Alte Geschichte in Tel Aviv, zugleich nicht-emeritierter Distinguished Professor am Queens College der City University of New York; lehrt dort - und zugleich an der Graduates School der City Uni­ versity - nach wie vor in jedem Frühjahr. Geboren ist Zvi Yavetz 1925 in Czernowitz. Er besuchte dort das Rumänische Gymnasium; im traditionsreichen al­ ten deutschen Gymnasium herrschten zu der Zeit, wie er berichtet, schon Anhänger der NS-Ideologie. Einige Zeit nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die 1940 von der Sowjetunion in Besitz genommene Bukowina gelang ihm auf abenteuerliche Weise die Flucht. Er kam nach Zypern, schließlich, 1944, nach Israel. Studierte Alte Geschichte, Alte Sprachen und anderes. Beschäftigt war er an einer Taubstummenschule, wo er in langen Nächten seine be­ wundernswerte, weithin wörtliche Kenntnis großer Teile der antiken Literatur sich aneignete. Die Lehrer an der Hebrew University in Jerusalem stammten zumeist aus Deutschland. Victor Tscherikower (der Schüler Eduard Meyers) in der Alten Geschichte (daneben freilich Chaim Wirszubski), Richard Koebner, der zuvor Professor in Breslau gewesen war - und, wie man weiß, das Hebräische nur von rechts nach links, also in la9

teinischen Buchstaben zu schreiben vermochte. Nicht zu­ letzt Martin Buber, bei dem Zvi Yavetz, im Fach „Kul­ tursoziologie“, seinen MA machte. Übrigens über „Totem und Tabu“. Promoviert hat er dann aber in Alter Geschichte, bei Tscherikower, über die Römische plebs und das Problem des Schuldenerlasses. Er war also sehr rasch bei den sozial­ geschichtlichen Themen der römischen Geschichte gelandet, vor allem bei der römischen plebs, die ihn auch weiterhin so sehr beschäftigen sollten. Es folgte ein Studienaufenthalt in Oxford, der legendäre Oxford Don Tom Stevens war schon Gutachter bei der Promotion gewesen, Geoffrey De Ste. Croix wurde ein zweiter wichtiger Lehrer. In die Nähe Ronald Symes hat Yavetz sich zunächst nicht getraut, später wurde der sein väterlicher Freund, vielfaches Vorbild und Lehrer. Das junge Israel bot seinen jungen Leuten, zumal wenn sie so sehr von Schwung, Pioniergeist, Unternehmungsfreu­ de, Phantasie und Kraft beseelt waren, große Chancen. Zvi Yavetz hat sie gern ergriffen. So gehörte er zu den Grün­ dungsvätern der Tel Aviv University, 1956 (mit 31 Jahren). Und weil er die Gründungserfahrung schon einmal hatte, wurde er 1962-64 zur Entwicklungshilfe ins damals noch kaiserliche Äthiopien entsandt, wo er die Philosophische Fakultät als Gründungsdekan aufzubauen hatte. Die Erfah­ rungen mit dem Kaiser Haile Selassie und dessen so beson­ derer Weise, sich von der schmutzigen Arbeit seiner Polizei zu distanzieren, um eben dadurch seine Verbundenheit mit dem Volk auszudrücken, bildeten einen der Anstöße zu dem Buch, mit dem Zvi Yavetz dann im Fach bekannt wur­ de: Plebs and Princeps, Oxford 1969, eine Analyse eben der Beziehungen zwischen Kaiser und niederem Volk für das frühe römische Prinzipat. Mehrere Artikel über die Plebs, ihre Lebensbedingungen, die Catilinarische Verschwörung 10

und anderes waren vorangegangen. Ein Buch über die Plebs in Iwrith folgte. Ich füge rasch noch ein paar Daten an. 34 Jahre lang hat Zvi Yavetz dem Historischen Institut der Tel Aviv University vorgestanden; viele Jahre war er Dekan der Fakultät. 1989 wurde er emeritiert. An sich müßte ich jetzt noch unzählige Gastprofessuren all over the world - buchstäblich - sowie Aufenthalte an Institutes for Advanced Study (in Princeton mehrfach und in Berlin) nennen. Indes hat der Gebrauch dieser Art Eh­ rentitel durch Kollegen für mich zunehmend etwas De­ goutantes: nach den sowjetischen Marschällen mit ihrem Ordensgeklingel sind die Wissenschaftler offenbar die letz­ ten, die dieserart Prunk betreiben, deren Bundesverdienst ­ kreuze, Akademiemitgliedschaften, Preise und - eben Gastaufenthalte überall zu Notiz gegeben werden. Obwohl sie eigentlich wissen müßten, daß - so Musil - Ehrungen „etwas sind, wo man jemand hineinstecken muß wie Ge­ fängnis und Militär“. Kurz, ich lasse das und muß trotzdem zweierlei erwähnen. Erstens: 1990 erhielt Zvi Yavetz den Is­ rael-Preis, die einmal im Jahr verliehene höchste Auszeich­ nung des Landes auf dem Gebiet der Kultur, die in langge­ strecktem Turnus herausragende Persönlichkeiten auf den verschiedensten Gebieten erreicht. Und zweitens: Er ist von François Mitterrand zum Mitglied der hoch hinauswollen­ den Académie Internationale de Culture gewählt worden, einem Gremium von nur 46 Mitgliedern aus aller Welt. Was es bedeutet, ihm anzugehören, verdeutlichen die Namen einiger seiner Kollegen: Jorge Semprun etwa, Günter Grass, Toni Morrison, Liv Ullmann und, selbstverständlich, Um­ berto Eco. Natürlich ist Zvi Yavetz unterdes auch wissenschaftlich nicht untätig gewesen. Nur daß die meisten seiner Bücher bisher auf Iwrith erschienen sind, so die großen Abhand­ 11

lungen über Augustus, Tiberius, Caligula, sowie über Skla­ ven und Sklaverei, zahlreiche Aufsätze, die zu nennen mir hier die Zeitknappheit verbietet. Ich muß mich aber, abschließend, noch mit einem ganzen Komplex etwas ausführlicher beschäftigen, der bisher nur angeklungen ist, den man jedoch anläßlich dieser Professur in München, in Deutschland nicht auslassen kann. Hier kann man mit einem Buch beginnen, das auf Ihrer Einladung als einziges verzeichnet steht und das ich bis­ her umgangen habe: Caesar in der öffentlichen Meinung. Düsseldorf 1979. Nebenbei: Hier ist schon im Titel ein be­ sonderer Forschungsansatz von Zvi Yavetz verwirklicht: Nicht so sehr den Mann (der so schwer zu fassen ist) wie sein Bild, seinen Ruf zu studieren. Man könnte auch, wenngleich das nicht das Ganze wäre, von Propaganda sprechen, für die Zvi Yavetz stets besonderes Interesse ge­ zeigt hat, aufs Vielfältigste - hier wie sonst - angeregt von der Moderne, eben damit dann aber zugleich interessante Aufschlüsse für Rom erzielend. Der frühere Ministerpräsi­ dent Perez hat bei der Vorstellung des letzten Buches von ihm gesagt: Er schreibt über Rom, meint aber (ich würde sagen: zugleich) uns. Dieses Buch nun ist weithin auf deutsch geschrieben. Zvi Yavetz hat es seiner Mutter gewidmet, „die im Jahre 1941 unter unmenschlichen Umständen im Ghetto Czernowitz umkam. Und in jenen Tagen, während wir täglich in Le­ bensgefahr schwebten und als jüdischen Kindern der Schul­ besuch verboten war, achtete meine Mutter streng darauf, daß ich jeden Tag einen Abschnitt deutscher Literatur las und ein Diktat schrieb, damit ich die Rechtschreibung nicht vergäße. Darum wird man begreifen, warum dieses Buch ihr und ihrem Andenken gewidmet ist“. Die Mutter hatte vorher einen Onkel beauftragt, den Jun­ gen von früh an mit deutscher Kultur vertraut zu machen. 12

Neben Hebräisch war Deutsch daher seine Muttersprache, im genauen Sinne des Wortes. Nach dem Krieg hat er sich vorgenommen, 25 Jahre nicht nach Deutschland zu fahren; danach mußte eine neue Generation herangewachsen sein; danach mußte er endlich das Land kennenlernen, in dem er geistig so lange schon gelebt hatte. Gegen viele Widerstände hat Zvi Yavetz es durchgesetzt, daß in Tel Aviv schon 1971 ein Institut für Deutsche Ge­ schichte gegründet wurde. Im gleichen Jahr, vor 25 Jahren, kam er dann selbst hierher. Und ich werde nie vergessen, wie er täglich dem Onkel (den 1941 die Russen von Czer­ nowitz nach Sibirien verschleppt hatten, der also überleben konnte) eine Ansichtskarte schrieb. Als er kurz darauf zum ersten Mal zu einem Vortrag in Köln war und sich in mei­ nem Haus im Arbeitszimmer vorbereitete, hörte sich meine Tochter eine Schallplatte mit alten deutschen Kinderliedern an, streng vermahnt von der Mutter, daß es nur ganz leise geschehen dürfe, wegen des israelischen Professors, der sich zu konzentrieren hatte. Aber der israelische Professor hörte es irgendwie trotzdem, kam herauf, begegnete erst­ mals wieder den Liedern, die seine Großmutter ihm vorge­ sungen hatte - und es brach ein ganzes Feld voller Erinne­ rungen auf. Daß wir uns beim ersten Kennenlernen schon über den genauen Wortlaut eines von ihm gebrauchten Grillparzer-Zitats stritten und - daß er Recht hatte, sei nur beiläufig bemerkt. Bei Karl May (und den Fußballergebnis­ sen Leipziger Mannschaften vor 1914) konnte ich eh nicht mitreden. Zvi Yavetz hat dann 1982/83 erstmals eine Gastprofessur in Deutschland gehabt, hier in München. Zusammen mit Paul Zänker und Wilfried Stroh haben wir damals ein Augustus-Seminar gehalten, das von Stunde zu Stunde an­ wuchs, und auf das man noch heute immer wieder ange­ sprochen wird. 13

1991/92 war Zvi Yavetz wieder hier, diesmal auf der Gastprofessur für Jüdische Geschichte. Seine Vorlesung be­ handelte jüdische Geschichte im Altertum. Längst gehört Zvi Yavetz auch nach München. Immer wieder ist er auch zur eigenen Arbeit hier. Während seiner ersten Gastprofessur gab er den entscheidenden Anstoß für das Zustandekommen der Patenschaft zwischen der Lud­ wig-Maximilians-Universität und der Tel Aviv University. Geplant war das schon länger gewesen. Aber in diesem Fall wie beim Antrag auf die Gastprofessur, der auch schon län­ ger gestellt worden sein sollte, waren restlos alle Akten verloren gegangen, auch bei der DFG in Bonn. Sehr myste­ riös. 1983 wurde das Abkommen dann in Tel Aviv ge­ schlossen, und seitdem hat sich wie in andern Fächern so in der Alten Geschichte eine enge Zusammenarbeit heraus­ gebildet. Sie verstehen inzwischen, warum ich bei dieser Vorstel­ lung nicht nur große Freude, sondern auch einige Schmer­ zen empfinde. Schmerzen nicht nur im Gedenken an seine Mutter, an seine Jugend (um mich hier auf das Persönliche zu beschränken), sondern auch: weil er, wenn der entsetzli­ che Haß auf die Juden und vor allem: der Beschluß, sie alle zu ermorden, und seine konsequente Ausführung nicht da­ zwischengekommen wäre, vermutlich ein deutscher Profes­ sor geworden wäre. Dann stünde er vielleicht hier und führte einen Gastprofessor ein. Und das hätte in seinem wie in so vielen andern Fällen uns sehr gut getan. Um so größer ist mein Dank an das Rektorat, das ihn eingeladen, und an die Gesellschaft der Freunde, die diese Einladung, die dritte deutsche, die dritte Münchner Gastprofessur für Zvi Yavetz ermöglicht hat. Doch genug: Wir sind gespannt, lieber Zvi, und ich bitte Dich, endlich selbst zu beginnen.

Yvi Yavetz

Dankesworte Als erstes möchte ich Rektor Heidrich sowie Prorektor von Rosenstiel und der Münchener Universitätsgesellschaft für die Einladung zu dieser Vortragsreise danken und gleich­ zeitig betonen, daß der erste Anstoß hierzu vom früheren Rektor, Professor Steinmann, stammt. Sehr dankbar bin ich ihm auch für die langjährige Zusammenarbeit bei der Ent­ wicklung der akademischen Beziehungen zwischen der Ludwig-Maximilians-Universität und der Universität Tel Aviv. Meinem lieben Freund, dem Dekan der Historischen Fa­ kultät, Rudolf Kuhn, sei für sein unermüdliches Streben, diese Beziehungen aufrechtzuerhalten, gedankt, und ganz besonders - ihm und seiner Gattin - für ihre liebevolle Betreuung der Tel Aviver Stipendiaten an der LudwigMaximilians-Universität. Von meinen Freunden Paul Zän­ ker, Wilfried Stroh, Ernst Vogt und Gerhard A. Ritter habe ich viel gelernt. Nicht nur dafür gilt ihnen mein besonderer Dank, sondern auch der meiner Frau - für ihre Gastfreund­ schaft während unseres Aufenthalts in München. Ganz herzlich möchte ich allen Mitgliedern der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik danken. Herr Michael Wörrle und seine Mitarbeiter öffneten mir großzügig die Tore ihres Instituts, und ich konnte jederzeit ganz ungestört dort arbeiten. Seit meiner ersten Gastprofessur in München im Jahre 1982 ist die Kommission mein zweites wissen­ schaftliches Zuhause. 15

Und zu guter Letzt - Christian Meier, dessen Res publica amissa mich überzeugte, die Beziehungen zu einem neuen Deutschland anzuknüpfen, und seither entwickelte sich eine Freundschaft, die selten zwischen Professoren zu finden ist, die über dasselbe Thema schreiben und sich mit denselben Problemen befassen. Seine freundlichen Einführungsworte beweisen mir, daß er mich besser kennt als die Kollegen an meiner eigenen Universität. * Meinem Freund Professor Geza Vermes danke ich für seine Erlaubnis, im ersten Vor­ trag den größten Teil des Materials zu benutzen, das in den German-Jewish Studies (1993, S. 1) erschien. Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß ich froh bin, das Institut für Deutsche Geschichte an der Tel Aviver Universität mitbegründet zu haben. Es wurde von meinem Kollegen Walter Grab initiiert und 1971 eröffnet. Auch nach seiner Emeritierung floriert das Institut unter Leitung seiner Nachfolger Shulamit Volkov (1986) und Dan Diner (1992). * Die Einführungen Christian Meiers zu den einzelnen Vorträgen wurden auf meinen Wunsch in den vorliegenden Band aufgenommen.

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Erste Vorlesung Dieser Vortrag besteht aus zwei Teilen. Zuerst möchte ich das Problem der Verwendung von Begriffen diskutieren, die einst bedeutungsneutral waren, später emotionsgeladen und schließlich zu einem heißen Eisen der Politik wurden - im Grunde genommen: politische Slogans. „Imperialismus“ ist dazu ein treffendes Beispiel: Im alten Rom war Imperium nichts weiter als die militärische Macht und Kontrolle eines römischen Magistrats. Es soll hier nicht auf alle Wegstationen des Wortes - von Imperium bis impe­ rium populi Romani - zu Imperium Romanum - imperium sacrum zu „Imperialismus“ - eingegangen werden, doch so­ viel sei gesagt: Im Jahre 1860 kannte das Oxford Dictionary den Begriff „Imperialismus“ noch nicht. Cecil Rhodes und Joseph Chamberlain waren stolz darauf, „Imperialisten“ zu sein. Rhodes beobachtete eines Tages eine stürmische Ver­ sammlung der Arbeitslosen in einem Londoner Armenvier­ tel (East End). Als er die Leute „Brot, Brot, Brot!“ schreien hörte, ging er nach Hause, dachte nach und kam zu der Überzeugung, daß „Empire“ (Reich) immer eine Frage von Brot und Butter war: „In order to save 40 million inhabitants of the United Kingdom from a bloody civil war, we colonial statesmen must acquire new lands to settle the surplus popu­ lation, to provide new markets for the goods produced by them in factories and mines.“ (Weil wir 40 Millionen Ein­ wohner des Vereinigten Königreiches vor einem blutigen Bürgerkrieg bewahren müssen, müssen wir als Staatsmänner einer Kolonialmacht neue Länder erwerben, um die über­ 17

schlissige Bevölkerung anzusiedeln und neue Märkte für jene Güter zu erschließen, die sie in den Fabriken und Minen schaffen.) Einige Jahre später versprach Joseph Chamberlain im Parlament, Indien nie zu verlassen. Nicht nur die Abgeord­ neten der Konservativen, sondern auch die der Labour Party - klatschten mit Begeisterung Beifall. Doch seit der Veröffentlichung von Lenins Pamphlet „Imperialism - the Highest State of Capitalism“ wollte sich niemand mehr als Imperialist ausgeben. So wie mit „Faschist“ von da an nur noch Feinde bezeichnet wurden. Die Sowjetunion durfte nicht „imperialistische Macht“ genannt werden. Amerikaner oder Engländer erobern und besetzen fremde Gebiete. 1956 hingegen wurde Budapest „befreit“, und 1968 wurde Prag gerettet. Deshalb wird in der sowjetischen Enzyklopädie Imperialismus ganz logisch definiert: Imperialismus ist die Besetzung eines fremden Landes durch „Imperialisten“. Meine Absicht ist es, zu zeigen, daß der Antisemitismus ei­ ne ähnliche Entwicklung durchgemacht hat und daß nach der Vernichtung der Juden in Osteuropa niemand mehr öffent­ lich als Antisemit bezeichnet werden möchte. Ich weiß nicht, seit wann sich der Begriff „Holocaust“ in den europäischen Sprachen eingebürgert hat. Es tut mir leid, daß „Shoah“ - he­ bräisch: Katastrophe - nicht akzeptiert wurde; denn „Holo­ caust“ ist eine falsche Bezeichnung. Das Wort bedeutet „Ganzopfer“ und ist die Übersetzung des hebräischen Wor­ tes: „Ola“. Aber die Juden Europas wurden vernichtet und nicht geopfert. Für die vorchristliche klassische Antike möchte ich anstelle des modernen Begriffs „Antisemitismus“ den deutschen Ausdruck „Judenhaß“ verwenden, jedoch nicht aus prinzi­ piellen Erwägungen, wie ich später noch darlegen werde. Im zweiten Teil dieses Vortrags werde ich kurz auf die häufigsten Darstellungen der Entstehung des Judenhasses in 18

der heidnischen Antike eingehen, die meiner Meinung nach unbefriedigend sind. Das ist auf eine falsche Fragestellung zurückzuführen. Nächste Woche werde ich einen neuen Forschungsansatz erläutern, den ich in meinen Vorträgen anwenden werde.

1. Der Begriff „Antisemitismus“ Es ist allgemein bekannt, daß der Begriff „Antisemitismus“ zum ersten Mal 1879 von Wilhelm Marr benutzt wurde. Er erklärte in seinen „zwanglosen antisemitischen Heften“, er hege nicht die geringste Feindschaft gegen die Juden, wohl um anzudeuten, daß nicht das Judesein an sich, d.h. die jü­ dische Religion, ihn abstoße, sondern verschiedene Aspekte des jüdischen Charakters und Verhaltens. Schilderungen semitischer Minderwertigkeit sind in der Forschungslitera­ tur in Deutschland schon seit 1844 und in Frankreich seit 1855 zu finden. Ich möchte nur Christian Lassens Indische Altertumskunde und Ernest Renans Histoire générale et sy­ stème comparé des langues sémitiques erwähnen. Renan meinte, semitische Minderwertigkeit drücke sich in extre­ mer Eigenbezogenheit und erbärmlicher Engstirnigkeit aus. Semiten seien unfähig, etwas Brauchbares zur Wissenschaft oder zur Philosophie beizutragen, da sie nicht imstande sei­ en zu abstrahieren und zu verallgemeinern. Sie seien ferner völlig untauglich in der bildenden Kunst und hätten keiner­ lei organisatorische Fähigkeiten. Die Erfolge der Assyrer und Babylonier auf dem Schlachtfeld seien - laut Renan nur Ausnahmen gewesen, welche die Regel bestätigen. Re­ nan sprach in seiner Arbeit aber nicht speziell über Juden und war unangenehm überrascht, als Dühring ihn in seinen leidenschaftlich antisemitischen Schriften zitierte; besonders: DieJudenfrage als Rassen-, Sitten- und Kulturfrage ( 1881 ). In 19

einer ungehaltenen Antwort an Dühring stellte Renan fest, das Judentum in seinem Buch von 1855 in keiner Weise zu den Semiten gezählt zu haben. Nur Araber seien seiner Meinung nach Semiten, und wirklich - in den dreißiger Jah­ ren unseres Jahrhunderts fühlte sich der Großmufti von Je­ rusalem durch den Begriff Antisemitismus tief beleidigt und beklagte sich darüber bei Alfred Rosenberg. Die europäischen Juden, so Renan, seien eine Mischrasse, keine reine Rasse und daher besser. Seine feierlichen Berichtigungsversuche konnten aber nicht mehr verhindern, daß 1881 300000 Deutsche eine an ihre Regierung gerichtete, offizielle anti­ semitische Petition unterzeichneten, und ebensowenig war der antisemitische Kongreß 1882 in Dresden zu verhindern. Diese Tagung trug dazu bei, eine Laune oder Gesinnung in eine Massenbewegung zu verwandeln. Ähnliche Erschei­ nungen wurden auch über Frankreich berichtet. Ich möchte den französischen Antisemitismus auf keinen Fall außer acht lassen. Gründlich wurde das Thema von George Mosse, Zeev Sternhell, Eugen Weber, Ernst Nolte (alle in: Stanley G. Payne, A History of Fascism, 1995, S. 46 ff.) behandelt. Es schaudert einen, wenn man Bücher wie Edouard Drumont, La France juive (1886) liest, oder an Maurice Barrés und seinen Mythos - La terre et les morts - denkt, und dar­ an, daß der Begriff „Nationalsozialismus“ eigentlich aus Frankreich stammt (François Bietry - 1903). Ernst Nolte glaubt sogar, daß die „Action Française“, von Charles Maurras gegründet, den Anfang des Faschismus bil­ dete. Ich erwähne dies nur, um zu betonen, daß antisemitsche Literatur nicht unbedingt zum Genozid führen muß, und daß ich mich in dieser Beziehung ganz Bracher, Jäckel und Christian Meier anschließe. Trotz derartiger Ereignisse machten gewisse kulturelle und religiöse Schranken den Antisemiten in manchen euro­ 20

päischen Ländern vorerst noch das Leben schwer. Erst mit dem Fallen dieser Schranken im Nazideutschland wurde der „Holocaust“ möglich, und erst Hitlers totale Niederlage brachte den Antisemitismus dann in völligen Verruf. Ras­ sistische und antisemitsche Bemerkungen verschwanden aus dem öffentlichen Leben und konnten nur noch bei privaten Anlässen oder in engerer Privatsphäre geäußert werden. Ein zufälliges Durchsickern in die Öffentlichkeit mochte da und dort für Schlagzeilen sorgen und die Beteiligten in Verle­ genheit bringen. Kein Politiker einer westlichen Demokratie kann es sich heute erlauben, als „Antisemit“ gekennzeichnet zu werden, ebensowenig wie als „Imperialist“ oder „Ras­ sist“. Ein kleines Beispiel möge genügen: Als Jörg von Uthmann ein satirisches Büchlein mit dem Titel Kleiner Ratge­ berfür Rassisten veröffentlichen wollte, sträubte sich der Ver­ leger und schlug vor: Vorurteile halten warm. Das Büchlein ist vor einem Jahr erschienen, und der Titel gefällt mir überhaupt nicht, da Unwissende ihn ernst nehmen könnten. Die Begriffe „Imperialismus“ und „Antisemitismus" ha­ ben die Wissenschaftler vor ähnliche Probleme gestellt. Ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß Fragen wie „weshalb“ oder „wie kam es dazu“ die Forschung über den „römi­ schen Imperialismus“ in eine frustrierende Sackgasse lenk­ ten, und auch bei der Durchsicht verschiedener Arbeiten zum Thema Judenhaß in der klassischen Antike kann man nur verzweifelt feststellen: cui non videtur causa sua iusta? Ein paar Beispiele können es hinlänglich bestätigen.

2. Theorien von der Entstehung des Judenhasses in der Antike Die rassisch begründete Theorie des antiken Judenhasses wird heute im allgemeinen verworfen. In der Nazizeit er­ 21

schienene Bücher sind jetzt vor allem für Forscher von Wert, die den geistigen Rückfall deutscher Professoren in Barbarei und Unmenschlichkeit psychologisch ergründen möchten. Eugen Fischers „Gutachten“ in Rassenkundliche Prüfung der antiken Judenkarikaturen ist selbst eine Karika­ tur der Forschung, und seine Zusammenarbeit mit dem be­ kannten Experten des Neuen Testaments, Gerhard Kittel, trug ihnen beiden eine scharfe Rüge des holländischen Pa­ stors Sevenster ein, der dies als „Skandal des Lehrzweigs“ bezeichnete. Auch die ökonomisch begründete Theorie hielt nicht lan­ ge stand. Das Stereotyp des jüdischen Geldverleihers - im Mittelalter verachtet und gehaßt - war für die griechische und römische Antike ungewöhnlich. Jüdische Bonzen oder Großbankiers gab es sehr selten, und es war nicht leicht, Josephus zu widersprechen, als er sagte: „Unser Land ist nicht vom Meer umgeben. Wir begehren weder Geschäfte noch derartige Kontakte mit der Außenwelt“. Der Nachweis, daß ökonomische Faktoren im Antagonismus zwischen den Ju­ den und ihren Nachbarn in der Antike überhaupt eine we­ sentliche Rolle gespielt haben, muß noch erbracht werden. Abgesehen davon waren Antisemiten nach dem Zweiten Weltkrieg und besonders nach dem Vietnamkrieg weniger darauf erpicht, die „Rothschilds“ zu verurteilen als darauf, die Juden eher als Militaristen und Söldner hinzustellen. Der ökonomischen Theorie trauerte wahrlich niemand nach. Auch Salomon Lurias These fand nur wenige Anhän­ ger; sei es, weil sie in russischer Sprache geschrieben war, die im Westen kaum gelesen wurde, oder weil sein Buch Antisemitismus in der Antike (Berlin 1923) von keinem ge­ ringeren Forscher als Elias Bickermann vollständig zerpflückt wurde. Luria machte den Fehler zuzugeben, daß sich sein Standpunkt nicht ausschließlich auf die Untersuchung antiker Quellen stützte, sondern auch auf persönliche, aktuelle Be­ 22

obachtungen. Antisemitismus gründe, so Luria, heute, wie auch in der Antike, auf der jüdischen Eigentümlichkeit, ein staatenähnlicher nationaler Organismus ohne eigenes Terri­ torium und eigene Sprache zu sein. Gemäß Luria konnten weder Römer noch Griechen jemals verstehen, weshalb die Juden darauf bestanden, sogar weitab von ihrer Heimat eine nationale Einheit zu bilden. Römer und Griechen hätten sich vor den Kopf gestoßen gefühlt, weil die Juden einen Staat im Staat unterhielten, sich selbst nie als Hellenen sahen und es bevorzugten, als hellenisierte Juden zu gelten. Luria hat möglicherweise Theodor Reinachs Textes d'auteurs grecs et romains relatifs aux Juifs et au Judaïsme (1895) gele­ sen und zu seiner großen Freude festgestellt, daß seine eige­ ne Theorie dazu paßt. Bickermann war, wie gesagt, anderer Meinung und ließ kein gutes Haar an Lurias Werk. Heute neigen die meisten Forscher dazu, entweder reli­ giösen oder sozialen Faktoren - oder gar beiden zusammen - die Hauptrolle beim Schüren des Judenhasses in der Anti­ ke zuzuschreiben. Nehmen wir W. Holsten als Beispiel: In seinem Artikel „Antisemitismus“ in: Religion in Geschichte und Gegenwart schreibt er: „In der Antike hat zweifellos die religiöse Besonderheit der Juden den größten Anstoß er­ regt. Sicherlich hat die religiöse Besonderheit auch das po­ litische und wirtschaftliche Verhalten geprägt.“ Es wurde vielfach darauf hingewiesen, daß die griechischen Götter durchaus auch Israels Gott neben sich geduldet hätten, was umgekehrt jedoch nicht der Fall gewesen sei. Daraus wurde die logische Schlußfolgerung gezogen, das Festhalten der Juden an ihrer Thora sei für ihren sozialen und religiösen Alleingang verantwortlich. Wirklichen Auftrieb gaben dem Judenhaß aber folgende Faktoren: a) das Verbot der Thora, eine Verbindung zwischen Judentum und heidnischen Kul­ ten oder Herrscherpersonenkulten zu schaffen; b) das jüdi­ sche Beharren auf ihrem Gott als einzigem wahren Gott, für 23

welchen ja keinerlei sichtbare Anhaltspunkte existierten; c) die jüdische Weigerung, frei mit der nichtjüdischen Umge­ bung zu verkehren. Marcel Simon meint dazu in ähnlichem Sinne: „La cause fondamentale de l’antisémitisme grécoromain réside dans le séparatisme des Juifs, et en dernière analyse, puisque c’en est la source, dans leur religion.“ (Die wesentliche Ursache des griechisch-römischen Antisemi­ tismus liegt im Separatismus der Juden, und letztlich, da sie die Quelle dafür ist, in ihrer Religion). Simon betont aus­ drücklich, der Rassenbegriff sei der antiken Mentalität völ­ lig fremd gewesen, und die Menschen hätten einfach dieje­ nigen angefeindet, „qui ne vivent pas comme tout le monde“. Ein gutes bibliographisches Verzeichnis kann ohne weiteres sehr deutliche Textstellen aus jüdischen Quellen aufweisen, die diese Art der Anfeindung gleichsam recht­ fertigen würden. Ein Beispiel dazu aus den jüdischen Apo­ kryphen: „Trenne dich von den Völkern und iß nicht mit ihnen und handle nicht nach ihrem Tun und sei nicht ihr Genosse. Denn ihr Werk ist Unreinheit, und alle ihre Wege sind Befleckung, Verwerfung und Abscheulichkeit.“ Dabei spielt es praktisch keine Rolle, daß in den Quellen auch ge­ genteilige Zitate gefunden werden können. Ein Haßgefühl der Massen stützt sich nie auf intelligente Textinterpretatio­ nen. Es war vox populi, die den Begriff „das auserwählte Volk“, ungeachtet dessen wahrer Bedeutung, als Herrenvolk interpretierte. Selten wird die entscheidende Stelle aus den Propheten Amos (3) zitiert, wo es ausdrücklich heißt: Nur euch habe ich erwählt / aus allen Stämmen der Erde; dann ziehe ich euch zur Rechenschaft / für alle eure Vergehen. Auch Martin Hengel, einer der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet, sah im jüdischen Glauben und in dessen exklusivem Offenbarungsanspruch des wahren Gottes den Hauptgrund für die Abneigung aller anderen Nationen. Sein bemerkenswertes Buch über Judentum und Hellenis­ 24

mus vermittelt eine ausführliche Darlegung der zentralen Formel „jüdische Religion - jüdisches Volk und jüdische Geschichte“. Für Hengel ist sie das Sublimat jüdischer Be­ sonderheit und Selbstisolation, die zum Judenhaß führten. Auch J. N. Sevensters erschöpfendes Werk kann man der­ selben Kategorie zuweisen: „Bei näherer Betrachtung kann davon ausgegangen werden, daß der Hauptgrund für den heidnischen Antisemitismus das Fremde am Juden inmitten der antiken Gesellschaft war.“ Juden seien fast überall zur Selbstisolation neigende Einwanderer gewesen, die keinen Anteil an den Sitten und Gebräuchen der sie umgebenden Bevölkerung gehabt hätten. Sevenster hat in überzeugender Weise manche moderne, sowohl inhaltlich grob antisemi­ tische als auch mehr oder weniger latent antisemitisch ge­ prägte Arbeiten widerlegt. Es war jedoch sein Hauptanlie­ gen, gegen jene zu polemisieren, welche die Bedeutung des heidnischen Antisemitismus herunterspielten und dem Chri­ stentum die Hauptlast aufbürden wollten. So befand etwa Jules Isaac, daß die jüdische Frage im heidnischen Rom von zweitrangiger Bedeutung gewesen sei. Ein weiteres Beispiel dazu liefert Poliakov, der vier dicke Bände zur Geschichte des Antisemitismus verfaßte, davon aber nur zehn Seiten über heidnischen Judenhaß. Oder Ja­ mes Parker, der schrieb, das Aufkommen des Christentums sei der Auslöser der jüdischen Tragödie gewesen. Sevenster wollte beweisen, daß auch in vorchristlicher Zeit der jüdi­ schen Religion stets etwas Besonderes anhaftete. Heidni­ scher Antisemitismus sei demnach von grundlegend religiö­ ser Natur, obwohl sich die gewalttätigen Auswüchse meist gegen das jüdische Alltagsleben richteten, das natürlich stark von der Religion geprägt war. Jüdische „Amixia“, d.h. das Bedürfnis der Juden, nicht durch den Umgang mit Nichtjuden unrein zu werden, wurde als purer Aberglaube interpretiert; die Speisegesetze als Weigerung, mit Nichtju­ 25

den am selben Tisch zu sitzen, und die Sitte der Beschnei­ dung wurden ganz zum Gespött. Sevenster weiß natürlich, daß Religion nicht alles überall erklären kann. So sieht er zum Beispiel im Falle des alexandrinischen Antisemitismus eine Mischung von politischen, sozialen, kulturellen und religiösen Motiven, wenn auch seine Grundhaltung eindeu­ tig bleibt. Von der Thora gehe eine fremde Lebensart aus. Darin liege der tiefere Grund für den heidnischen Judenhaß. Sevensters Thesen wurden ziemlich kühl aufgenommen und zwar nicht nur von jüdischer Seite. Sogar ein Theologenkol­ lege kritisierte ihn in einem wichtigen Buch. Der Autor ha­ be Grund und Vorwand verwechselt und die Leserschaft zu dem Schluß verleitet, der jüdische Charakter und das jüdi­ sche Benehmen seien die Hauptursache ihres Mißgeschicks. Wider Erwarten haben es die Juden selber auf Selbstkritik abgesehen. Der jüdische Charakter und das jüdische Verhal­ ten wurden von Juden unvergleichlich heftig kritisiert. Or­ thodoxe Juden machen die nichtorthodoxen für das Un­ glück und Leid verantwortlich, das den Juden im Verlauf der Geschichte zugestoßen ist; der jüdische Mittelstand be­ schuldigt die jüdischen Sozialisten. Die eigentlichen Sünder waren die Trotzkis. Bestraft aber wurden die Bronsteins. * Jüdische Kommunisten schieben den jüdischen Rothschilds die Schuld zu, und für die Zionisten war die Diaspora der Ursprung alles Bösen aller Zeiten, wie das zum Beispiel an folgender Stelle in Pinskers einflußreicher kleiner Schrift Autoemanizipation zum Ausdruck kam, die 1882 in Berlin anonym unter dem Titel Mahnruf an seine Stammesgenossen von einem russischen Juden veröffentlicht wurde: „Unser Vaterland - die Fremde, unsere Einheit - die Zer* Im Jahre 1910 gelang es dem jüdischen Kommunisten Leib Bronstein, unter dem Namen Trotzki aus der sibirischen Gefangenschaft zu entkom­ men. Er behielt ihn seither. 26

Streuung, unsere Solidarität - die allgemeine Anfeindung, unsere Zukunft - der nächste Tag. Welche verächtliche Rolle für ein Volk, das einst seine Makkabäer hatte!“ Pinsker war Arzt, und sein Antisemitismusbegriff war medizinisch geprägt. Judophobie war für ihn eine erbliche Psychose, eine Krankheit, die schon seit 2000 Jahren wei­ tervererbt wurde. Die Krankheit sei unheilbar, etwa mit der Angst vor Gespenstern zu vergleichen. Er schreibt: „So ist der Jude für die Lebenden ein Toter, für die Eingeborenen ein Fremder, für die Einheimischen ein Landstreicher, für die Besitzenden ein Bettler, für die Armen ein Ausbeuter und Millionär, für den Patrioten ein Vaterlandsloser, für alle Klassen ein verhaßter Konkurrent.“ Pinskers Botschaft hatte einen ungeheuren Einfluß auf zionistische Historiker. Sie betrachteten den Antisemitismus - im Gegensatz zu nichtzionistischen jüdischen Liberalen - als ziemlich natür­ liche Begleiterscheinung des Diasporadaseins aller Zeiten, ob das nun die heidnische, christliche oder moslemische Epoche betreffe. Für diese Ansicht gibt es reichlich Beispie­ le. Für Voltaire waren die Juden eine Gruppe von Schuften und Halunken; er sprach über das jüdische Talent, allerorts zuerst akzeptiert und dann weggeschickt zu werden. Voltai­ re wurde möglicherweise, ohne es zu wollen, zum Vorreiter jener antijüdischen Propaganda, die mehr auf rationalen Ar­ gumenten als auf religiösen Gefühlen aufbaut. Doch seit Stoecker und christliche Sozialisten die Juden als ökonomi­ sche Klasse darstellten, seit Rohling und die römischkatholische Kirche sie als religiöse Gruppe bezeichneten und Treitschke für die Juden eine rassisch bedingte Defini­ tion herleitete, mußte Pinsker mehr und mehr recht gegeben werden. Für Jean-Paul Sartre ist Antisemitismus keine Idee, sondern eine Leidenschaft; der Antisemit sei ein Feigling, der sich vor sich selbst fürchte. Ohne Pinsker zu zitieren und offenbar auch ohne Pinsker je gelesen zu haben, schrieb 27

Sartre: „Der Antisemit wirft dem Juden vor, Jude zu sein. Der Demokrat wirft ihm mit Vorliebe vor, sich als Jude zu betrachten. Zwischen seinem Gegner und seinem Verteidi­ ger ist der Jude übel daran ... denn der Jude bleibt im Her­ zen der Gemeinschaft der Fremde, der Eindringling, der Außenseiter. Alles ist ihm zugänglich, und doch besitzt er nichts.“ Historiker, die Zionisten sind, scheinen - bewußt oder unbewußt - anzunehmen, daß sogar in der Antike „der fremde Charakter der Juden die Hauptursache für den An­ tisemitismus gewesen war.“ Victor Tscherikover, einer der ausgewogensten Histori­ ker, denen ich je begegnet bin, hat sich in seinen Studien zwar nie speziell auf den Antisemitismus im Altertum kon­ zentriert, doch beim Schreiben des folgenden Satzes muß er wohl Pinsker im Kopf gehabt haben: „Der innere Gehalt des Antisemitismus hängt allein mit der Eigenschaft des jüdischen Volkes zusammen, ein Fremdkörper unter den Nationen zu sein.“ Falls Quellen aus dem Altertum als ver­ läßliches Indiz akzeptiert werden, kann man sich auf Josephus’ Äußerung berufen, die ersten Verunglimpfungen gegen Juden hätten in Ägypten begonnen. Und wer an der These festhalten möchte, wonach die Hauptursache für den Antisemitismus stets unverändert geblieben sei und nur die Vorwände sich geändert hätten, kann Julian, den Abtrün­ nigen, zitieren. Er geißelte die Juden für ihren Hochmut, ihren unerschütterlichen Ein-Gott-Glauben und ihre Wei­ gerung, die Existenz weiterer Götter anzuerkennen: „In die­ ser einen Sache täuschen sie sich: Indem sie ihre tiefste Hin­ gabe ihrem Gott vorbehalten, tun sie nichts, um auch die anderen Götter zu beschwichtigen. Jene Götter seien nur für uns Nichtjuden bestimmt, so glauben sie. Z« solcher Dummheit haben sie es mit ihrer barbarischen Eitelkeit ge­ bracht. “ Julian beschuldigte somit die Juden, keine Heiden 28

zu sein, und die Christen warfen ihnen genau das Gegenteil vor. Juden hätten also, nach christlicher Lesart, praktisch nichts gegen Heiden und haßten nur Christen. Die Zioni­ sten - genau wie Pinsker - sahen im Antisemitismus eine un­ heilbare Krankheit und glaubten, nur die Errichtung eines unabhängigen jüdischen Staates könne das Problem lösen. Nicht- oder Antizionisten glaubten das Gegenteil, nämlich daß es gerade die Errichtung eines unabhängigen jüdischen Staates in der Antike war, die den Judenhaß entfachte. Elias Bickermann schrieb in seinem Buch Historical Foundations of Post-Biblical Judaism ausdrücklich: „Vor dem Makkabäeraufstand finden sich in der griechischen Li­ teratur weder antijüdische Passagen noch irgendeine Notiz über antijüdische Aktivitäten.“ Hengel schloß sich Bicker­ mann an. Er vertrat die These, das Aufkommen des antiken Antisemitismus sei einerseits auf das Scheitern der Reformer Jason und Menelaos und andererseits auf den Sieg der chas­ sidischen Bewegung zurückzuführen, welche die Juden noch weiter von den Nichtjuden trennte. Darauf sei die politische Expansion der Juden in Palästina und die Kon­ zentration militärischer Macht in jüdischen Händen gefolgt. Dies habe das Faß endgültig zum Überlaufen gebracht. Bei Christian Habicht spitzt sich Bickermanns Argument noch weiter zu: Die Hasmonäer schufen einen jüdischen Staat. Sie fügten die geistliche Gewalt mit der weltlichen zusammen, indem sie das Hohepriestertum an sich rissen. Auf Kosten ihrer Nachbarn dehnten sie die Grenzen Israels mit Gewalt nach allen Seiten aus. Sie terrorisierten Andersgläubige und zwangen sie, zum Judentum überzutreten, d.h. sie übten ähnlichen Gesinnungsterror aus, wie sie ihn selbst nur kurze Zeit zuvor erfahren hatten (z.B. die Verfolgung durch Antiochos IV. Epiphanes). Habicht schreibt, diese Entwick­ lung habe das unselige Phänomen hervorgerufen, das wir als Antisemitismus bezeichnen. In der vormakkabäischen Zeit 29

sei in der griechischen Literatur kein antijüdischer Satz zu finden und kein antijüdischer Akt in der Geschichte. Seit der Gründung des jüdischen Staates hingegen fänden wir solche Stimmen und beobachteten solche Taten. Die durch das Schwert der Nachkommen Judas’ errungene Freiheit sei ei­ ne Gabe von zweifelhaftem Wert. Christian Habicht ist ein außerordentlich gründlich und makellos arbeitender For­ scher, dessen Akribie ihresgleichen sucht, doch auf diesem Gebiet kann ich ihm nicht zustimmen und zwar aus folgen­ den Gründen: Erstens, Bickermann wird von Habicht nicht ganz kor­ rekt zitiert. Bickermann sprach nur von „keiner antijüdi­ schen Passage in der griechischen Literatur“. Habicht spricht außerdem unzweideutig von „keinem judenfeindli­ chen Akt“ in der Geschichte. Dabei übersieht er das Nie­ derbrennen des jüdischen Tempels in Elephantine im Jahre 411, also 244 Jahre vor dem Ausbruch der MakkabäerRevolte (167 v. Chr.), das Bickermann nie bestritten hatte. Diese Episode werde ich in meinem zweiten Vortrag aus­ führlich behandeln. Zweitens, wäre Habicht Bickermann wirklich gefolgt, hätte er nicht geschrieben, daß die Juden seit der Errichtung ihres Staates anderen zufügten, was sie kurz zuvor selbst erfahren hätten. Bickermann befreite Antiochos von der Verantwortung für die antijüdischen Dekrete und schob dem hellenisierten Menelaos die Schuld zu. Somit kann Bikkermann höchstens gesagt haben, die Juden hätten anderen zugefügt, was sie sich selbst zufügten; denn Antiochos sei ein aufgeklärtes Produkt hellenistischer Toleranz gewesen und daher unfähig, solche abwegigen, antireligiösen Dekrete zu erfinden. Auf dieses Thema werde ich in meinem dritten Vortrag zurückkommen. Meine dritte kritische Anmerkung zu Habichts These, wonach die antisemitischen Texte in der griechischen Lite­ 30

ratur eine Folgeerscheinung der Errichtung des Hasmonäerstaates gewesen seien, lautet folgendermaßen: Es muß doch erstaunen, daß seit der späteren hellenistischen Peri­ ode bis Apion (und allein die Liste gemäß der SternSammlung ist lang) die Hasmonäer-Tyrannei weniger von heidnischen Schriftstellern kritisiert wurde als vom jüdi­ schen Historiker Josephus. Nur vereinzelte Anspielungen sind über die gewalttätige und aggressive Ausdehnung der Grenzen des jüdischen Staates auf Kosten der Nachbarn zu finden. Der von Habicht so sehr hervorgehobene Gesin­ nungsterror der Juden gegen die Edomiter fehlt verdächti­ gerweise in den Quellen. Andererseits erscheint die alte Be­ hauptung sehr häufig, wonach die Juden aus Ägypten vertrieben wurden, da sie für die Ausbreitung einer anstekkenden Seuche verantwortlich gewesen seien. Der Sabbat wurde als Tumor in der Leistengegend belächelt (auf äyyptisch sabbatosis), der von den Juden bei ihren Wanderungen in der Wüste zusammengedrückt werde und sie deshalb am siebten Tag zur Ruhe zwinge. „Nach sechstägigem Mar­ schieren bekamen die Juden Leistengeschwüre und mußten deshalb am siebenten Tag ruhen, nachdem sie glücklich das jetzt Judäa genannte Land erreicht hatten.“ Damit nannten sie mit Beibehaltung eines ägyptischen Wortes den sieben­ ten Tag - Sabbat, denn der Schmerz, den Leistengeschwüre verursachen, heißt bei den Ägyptern - Sabbatosis. Eine andere Verleumdung der Juden erzählt von Esels­ köpfen, die angeblich in jüdischen Tempeln aufgestellt und angebetet wurden. Eine dritte Anschuldigung handelt gar von der Entführung und Mästung eines Griechen durch die Juden für ein Opferritual. Apion von Alexandrien, ein nicht unbekannter Erforscher Homers, schrieb ein Geschichts­ buch mit dem Titel Aigyptiaka. Sein Judenhaß war grenzen­ los. Er ließ kaum eine schwere Anschuldigung gegen die Ju­ den aus. Josephus seinerseits erwähnte nur drei Arten von 31

Verleumdungen: solche, die mit dem Auszug der Juden aus Ägypten zusammenhingen, Anschuldigungen gegen die jü­ dischen Einwohner Alexandriens und allerlei Verleumdun­ gen hinsichtlich der Tempelriten und der jüdischen Bräuche im allgemeinen (wie etwa Beschneidung, Einhalten der Sabbatruhe, fremdartige Speisegesetze, Selbstabsonderung usw.). Doch Poseidonios, Apollonios Molon und Poly­ histor (die auch nicht gerade Judenfreunde waren) erwähn­ ten nur ein Mal die Ausdehnung der Grenzen „Israels“ - die Bekehrung der Edomiter aber niemals. Keine der oben erwähnten Thesen kann demnach die ver­ schiedenen Facetten des Judenhasses im Altertum befriedi­ gend erklären. Ich habe absichtlich auf die Diskussion von zwei weiteren Themen verzichtet und das nicht ohne Grund: Da wäre zuerst die Sündenbocktheorie, die zwar für manche Fälle des modernen Antisemitismus angebracht er­ scheint, aber für die heidnische Antike ziemlich irrelevant ist; und schließlich die Theorie, die den heidnischen Anti­ semitismus zu trivialisieren sucht, wonach die nichtjüdische Umgebung die jüdischen Bräuche eher mit einer Art belu­ stigter Verachtung denn mit wirklichem Haß betrachtete. Gemäß dieser Theorie ist das Christentum in seinem Wesen und von Anfang an die Hauptquelle des Antisemitismus in der westlichen Kultur. Jules Isaac ist der bedeutendste Ex­ ponent dieser Theorie, die von Marcel Simon über Charlot­ te Klein bis zu Rosemary Ruether weiterverfolgt werden kann. Ruether hält den christlichen Antisemitismus für ein neuartiges Phänomen, denn vom heidnischen Antisemitis­ mus (Judenhaß) hätte die Kirche nur wenig ohne Umgestal­ tung übernehmen können. Die frühe Kirche teilte den jüdi­ schen Glauben an die Geschichte des Exodus und hätte daher die Version von Manetho-Apion nicht akzeptieren können. Die jüdische und anti-polytheistische Polemik sei von den Christen fortgesetzt worden, weshalb sie die Juden 32

nicht gut mit Vorwürfen wie Selbstabsonderung, Misanthropie und Illoyalität hätten angreifen können. Die grie­ chisch-römische Welt habe den Frühchristen dieselben Sünden vorgeworfen. Dieses Thema ist zwar theologisch von Bedeutung, doch ich werde mich hier nicht darauf kon­ zentrieren, da sich meine Vorträge nicht mit dem Einfluß heidnischer, antijüdischer Textstellen auf den christlichen Judenhaß befassen. Ich habe auch nicht die Absicht zu be­ schreiben, wie sich ein Ressentiment im Volk zur Rechtfer­ tigung antijüdischer Gesetzgebung im späten römischen Reich entwickelte. Nur eine kurze Bemerkung: Die moder­ ne Literatur über dieses Thema ist außerordentlich umfang­ reich. Das Dilemma, das bis zu heutigen Tag wichtige Theologen plagt, wurde von Lloyd Gaston folgendermaßen formuliert: „Ein antisemitisches Neues Testament ist zwar abscheulich. Aber eine Kirche ohne ein Neues Testament unbegreiflich und unfaßbar.“ Ein völlig neuer Ansatz zu diesem Thema ist denkbar, und ich möchte ihn an dieser Stelle in etwas detaillierterer Form erläutern. Es erhebt sich die Frage, ob der Judenhaß im Altertum überhaupt als isoliertes und besonderes Phä­ nomen studiert werden kann. Falls Heinemann recht hat mit seiner Darstellung des Antisemitismus als „unfreund­ liche Gesinnung und Haltung gegen die Juden“, warum sollte man dann die antijüdische Haltung aus der Kategorie der allgemeinen antibarbarischen Ressentiments der klassi­ schen Epoche herauslösen und isoliert betrachten? Eratosthenes hatte unrecht, als er befand, daß Xenopho­ bie eine spezifisch barbarische Eigenschaft sei, und das ist nicht schwer nachzuweisen. Die zivilisierten Griechen und Römer standen den Barbaren auf diesem Gebiet in nichts nach, und auch die Haltung der Juden gegenüber der heid­ nischen Welt ist bestimmt kein Vorbild, das man bewun­ dern könnte. Ist es deshalb nicht ungerechtfertigt, Cicero 33

nur auf Grund einiger antijüdischer Bemerkungen in Pro Flacco als Antisemiten darzustellen? Hat er uns nicht per­ sönlich davor gewarnt, die Argumente zu ernst zu nehmen, mit denen er die Geschworenen zu überzeugen suchte? Man könnte Cicero höchstens zu den Römern zählen, die den Juden gegenüber - wenn auch nicht besonders positiv, so doch vor allem gleichgültig eingestellt waren. Sie wurden ja weder in all seinen anderen Reden noch in seinen philoso­ phischen Schriften und seiner Privatkorrespondenz je wie­ der erwähnt. In seiner Verteidigungsrede für Flaccus mußte Cicero den Richtern beweisen, daß die jüdischen Zeugen keinerlei Glaubwürdigkeit und Gewicht beanspruchen könnten. In technischer Sprache nennt man das: Improbatio Testium. - Zur Veranschaulichung mögen einige Abschnitte aus dem Pro Flacco zitiert werden: „Jetzt folgt die leidige Geschichte von dem Gold der Ju­ den. Das ist natürlich der Grund, weshalb die Sache des Flaccus in der Nähe der aurelischen Stufen nicht weit vom Castor Tempel verhandelt wird; wegen dieses Anklage­ punktes hast du dich um diesen Platz und die Clique dort bemüht, Laelius; du weißt, wie stark sie ist, wie sie zusam­ menhält und welche Rolle sie bei Versammlungen spielt. Ich werde mit gedämpfter Stimme sprechen, so daß mich nur die Richter verstehen können; es fehlt ja nicht an Leuten, die dieses Gesindel gegen mich und alle Rechtschaffenen aufhetzen möchten - ich werde ihrer Bereitschaft, das zu tun, keine weitere Nahrung geben. Jahr für Jahr wird regelmäßig auf Rechnung der Juden Gold aus Italien und allen unseren Provinzen nach Jerusa­ lem ausgeführt; Flaccus untersagte in einem Erlaß die Aus­ fuhr aus Asien. Wer könnte diese Maßnahme nicht uneinge­ schränkt gutheißen, ihr Richter? ... Diesem fremdartigen Aberglauben die Stirn zu bieten, zeigte Festigkeit; um der öffentlichen Ordnung willen auf den jüdischen, in den Ver­ 34

Sammlungen nicht selten zügellosen Haufen keine Rück­ sicht zu nehmen, bewies einen ausgeprägten Sinn für Wür­ de.... Jedes Volk hat seine Religion, Laelius, wie wir die unsere. Schon vor der Einnahme Jerusalems, als die Juden noch mit uns im Frieden lebten, vertrug sich die Ausübung ihrer Re­ ligion schlecht mit dem Glanz dieses Reiches, mit der Grö­ ße unseres Namens ...; jetzt aber ist das um so weniger der Fall, als dieses Volk durch Waffengewalt kundgetan hat, was es von unserer Herrschaft hält; dabei hat es auch vorge­ führt, was es den unsterblichen Göttern wert ist; es ist be­ siegt, ist zinsbar, ist versklavt.“ Improbatio Testium war übliche Praxis in römischen Ge­ richtsverhandlungen. So stellte Cicero bei der Verteidigung des Fonteius die Kelten als meineidige Mörder, ja als Feinde des menschlichen Geschlechts dar und als „Stämme, so weit entfernt von anderen Rassen in Charakter und Sitten, daß sie nicht für ihre Religion sondern gegen die Religion der ganzen Menschheit kämpfen“. Würde jemand Cicero des­ halb „Antikeltismus“ vorwerfen? Bei der Verteidigung von Scaurus sparte Cicero keine Mühe, die Sardinier verächtlich zu machen. Sie seien ein wertloser Stamm, so wertlos, daß sich die Freiheit bei ihnen nur in einem von der Sklaverei unterscheide, nämlich in der unbegrenzten Freiheit, ... lü­ gen zu können. War er etwa antisardisch? Gewiß nicht, denn diese Ausdrucksweise zeichnete nicht nur Ciceros Rhetorik aus, der damit einen Prozeß zu gewinnen suchte. Sie findet sich in vielen Quellen des Altertums, wo von an­ deren Stämmen oder Völkern die Rede ist, und dabei fanden sicher nicht nur die Juden Erwähnung. Kreter, zum Bei­ spiel, wurden als Lügner betrachtet, Böotier als Säufer, Ägypter als Schurken, Abderitaner als Narren, Syrer als untauglich für den Krieg und zum Sklavendasein geboren, und im allgemeinen galt Tria Kappa Kakista: Kappadokia 35

Kai Krete Kai Kilikia. (Drei „K“ sind besonders schlecht: Kappadokien, Kreta und Kilikien.) Ursprünglich stand „Barbaren“ einfach für Völker, die eine fremde Sprache sprachen, und dies ist auch die Bedeu­ tung von barbarophonos bei Homer. Wie Strabos Stotterer hatte der Begriff „barbarisch“ im alten Griechenland wäh­ rend mehrerer Generationen keine abfällige Bedeutung und ist damit gleichwertig mit dem hebräischen Ausdruck Am Loez. Und wie bei den antisemitischen Gefühlen wuchs der Antagonismus zwischen Griechen und Barbaren nur lang­ sam, und es vergingen mehrere Jahrhunderte, bis uns Aelian darüber „informierte“, daß sogar Tiere zwischen Griechen und Barbaren unterscheiden könnten. Das Thema hat in der Moderne mindestens seit 1814 die Aufmerksamkeit vieler Forscher erweckt, und manche älteren Dissertationen sind heute noch brauchbar. Die Fülle zeitgenössischer Literatur zum Thema ist schon beinahe grenzenlos, und auch ohne Computer hat sich ein gigantischer Katalog von sogenann­ ten „barbarischen Eigenschaften“ angesammelt. Wie ge­ wöhnlich - ist auch auf diesem Gebiet eine deutsche Doktorarbeit aus dem Jahre 1904 hervorzuheben: Arno Eichhorn: Barbaros, quid significaverit (also 25 Jahre vor Jüthners wichtigem Buch über Hellenen und Barbaren). Barbaren seien anstößig, häßlich, grob, vulgär, abergläu­ bisch, unbeholfen, blöd, unzivilisiert, ungebildet, zügellos, unterwürfig, gemein, ausschweifend, wild, brutal, verrückt, primitiv, gewaltsam, nicht vertrauenswürdig, gierig, jäh­ zornig, unersättlich, hinterhältig, blutrünstig usw. Jean Juster - in seinem Werk Les Juifs dans I’Empire Romain - hat in ähnlicher Weise alle Anschuldigungen gegen die Juden in der griechischen und römischen Literatur zusammengetra­ gen. Seine Liste ist beeindruckend und deprimierend zu­ gleich. Als erstes wurden die Juden wegen ihrer ungewöhn­ lichen religiösen Riten verspottet (Beschneidung, seltsame 36

Speisegesetze, Einhalten der Sabbatruhe usw.). Ferner wur­ den sie als Tempelbeschmutzer hingestellt und deshalb von den Göttern gehaßt (misomenous hypo ton theon). Einige Autoren waren der Ansicht, die Juden seien ein nutzloses, menschenfeindliches Volk. In Ermangelung jeglichen pa­ triotischen Gefühls huldige es dem Kaiser nicht, und Soli­ darität pflege es nur unter sich; daher auch die selbstaufer­ legte Abgeschlossenheit. Juden seien brutal, eigensinnig, dreist, gemein und gleichzeitig aufrührerisch, lüstern, bös­ artig, schmutzig und stinkend. Quintilian fand die Juden gefährlich für ihre Umgebung; Tacitus hielt sie für eine ab­ scheuliche Gruppe und Seneca gar für kriminell. Sollte dies ein realistisches Bild des Judenhasses in der Antike darstel­ len, so muß man Habicht recht geben, wenn er das Phäno­ men als „unselig“ bezeichnet. Doch war der „Antibarbaris­ mus“ als Ganzes weniger „unselig“? Nun könnte man einwenden, die jüdische Forschung auf diesem Gebiet sei unnötig überempfindlich geworden, und die Bedeutung gewisser antijüdischer Ausdrücke werde übertrieben dargestellt. Wenn die Griechen einander be­ schrieben, drückten sie sich ebenso bissig aus wie manchmal die Bayern sich heutzutage über die Preußen auslassen. Es kam vor, daß Atoler von den übrigen Griechen als Barbaren bezeichnet wurden; der Sizilier Gorgias war für Aristophanes gut und gerne ein Barbar; der lesbische Dialekt von Sappho und Alkaios tönte in den Ohren des verwöhnten Platon barbarisch; Apollonios von Tyana - schließlich räumte ein, er sei nach längerer Lehrzeit in Sikyon, Phokis und Lokris zum Barbaren geworden, und zwar nicht, weil er zu viele Jahre weg von Griechenland, sondern eher weil er zu lange dort gewesen sei. Anders formuliert, sei die Bedeutung mancher Ausdrücke ethnischer Ablehnung und Verachtung nicht mit Ekel und Abscheu gleichzusetzen, denn Haß gründe weniger auf an­ 37

geborenen und ewig anhaltenden Haßgefühlen, sondern sei sehr oft Resultat von Mißverständnissen und Unwissen. Manche haben das Problem des modernen Antisemitismus so angegangen, und diejenigen, die dieselbe Betrachtungs­ weise auch auf die Antike anwenden wollen, können Josephus zitieren. Er behauptete, der Judenhaß beruhe auf ei­ nem Mißverständnis, und es sei sein Ideal, „die anderen Nationen mit uns zu versöhnen und die Ursachen des Has­ ses zu eliminieren, der in rücksichtslosen Menschen unter uns Wurzeln geschlagen hatte“. Somit sei das isolierte Stu­ dium des Judenhasses in der Antike beschränkt, irreführend und reizlos. Er solle nicht als besonderes Phänomen be­ trachtet werden und könne nur vor einem viel breiteren Hintergrund, nämlich dem allgemeinen Antibarbarismus, verstanden werden. Ich kann diesen Ansatz nicht akzeptieren und schlage da­ her folgende Variante vor: Juden waren in verschiedener Hinsicht Barbaren, genau wie alle anderen auch, doch in be­ zug auf einige Aspekte waren sie es noch etwas mehr, und genau dieses „bißchen mehr“ verdient unsere besondere Aufmerksamkeit.

3. Juden und Barbaren (1) Juden waren verpflichtet, seltsame Speisegesetze zu be­ folgen und ihre Söhne zu beschneiden. Skythen tranken Stutenmilch, aber den Ägyptern war es untersagt, Lamm­ fleisch zu essen sowie Krokodile, Katzen und Schlangen an­ zubeten. Die Juden waren nicht die einzigen in Kleinasien, denen der Verzehr von Schweinefleisch nicht erlaubt war, und die Beschneidung wurde auch unter ägyptischen Prie­ stern, Arabern, Syrern, Phöniziern, Kolchern und Äthiopi­ ern praktiziert. Griechen und Römer verspotteten sie alle, 38

doch in einer quantitativen Übersicht aller Textstellen zu diesem Thema würden die Juden an der Spitze aller Verach­ tenswerten figurieren, und zwar weil Beschneidung und seltsame Speisegesetze nur ein kleiner Zusatz weit schwer­ wiegenderer, im folgenden zu erläuternder Untugenden war, die sie aus der Masse hervorhoben. (2) Griechen und Römer erkannten den Mut und die physische Stärke der nördlichen und westlichen Barbaren an, doch verachteten sie deren Unterwürfigkeit, Ignoranz und Ungeschliffenheit. Kein gebildeter Grieche hätte einen Spanier geachtet, der meinte, die Olympien zu gewinnen heiße, das Volk der Olympier zu schlagen. Polybios kennt keine nüchternen oder freundlichen Thraker; Velleius Paterculus mochte die Pannonier nicht besonders; für Florus waren alle Nordbarbaren roh, zäh und ungeschlacht; und Galen verglich die Germanen mit Wölfen und Bären. Allein, die Römer begegneten selbst ihren bittersten Feinden dann mit Bewunderung, wenn sie auch in ausweglosen Situatio­ nen noch tapfer kämpften und ihre einzige Hoffnung ihr Mut war. Pompeius Trogus schrieb über die Spanier mit Achtung: „corpora hominum ad inediam laboremque, animi ad mortem parati“ (die bereit waren, Hunger zu leiden, schwere Arbeiten zu leisten und seelisch zum Tode bereit). Auch Vergil sprach nicht verächtlich über Turnus und die Rutuler. Die Aduatucer wurden für ihre Standhaftigkeit im gallischen Krieg gelobt, doch findet sich kein gutes Wort für die Tempelverteidiger von 70 n. Chr. oder für diejeni­ gen, die der römischen Militärmacht drei Jahre lang in Massada trotzen - und sich wahrscheinlich so verhielten, wie Seneca es beschrieben hat, als sie „den schmutzigen Tod der fairen Sklaverei, sei sie noch so mild, vorzogen“. Mögli­ cherweise war sogar Josephus über diese eklatante Diskri­ minierung schockiert. Wie gesagt, das ist nur eine Vermu­ tung. 39

Niemand weiß, was Josephus dazu bewog, die Rede von Elazar Ben Jai'r zu konstruieren, während er selber im alten Palast von Vespasian lebte. Sein Haß auf die Zeloten (und speziell auf die sicarii, die Meuchelmörder) kannte keine Grenzen, doch er wollte vermutlich, trotz allem, der Öf­ fentlichkeit den Eindruck vermitteln, daß die Zeloten zwar verrückt seien, aber nicht ohne Glauben und Ideale. Jose­ phus’ Buch fand jedoch keine Beachtung bei den gebildeten Schichten Roms, wahrscheinlich weil es nur wenig gelesen oder weil nie daraus zitiert wurde. Wie auch immer - jüdi­ scher Mut, Selbstaufopferung und Patriotismus wurden vergleichbaren Eigenschaften anderer Barbaren nie gleich­ gestellt, weil diese Tugenden sonstige Nachteile nicht auf­ wiegen konnten, die sie so sehr von den anderen abhoben. (3) Diejenigen, die uns davor warnen, die ethnischen Ver­ unglimpfungen nicht allzu ernst zu nehmen, könnten ein­ wenden, die Römer hätten das Auftreten aller Fremden bei ihren contiones gehaßt. So könnte Ciceros Bemerkung „multitudinem Judaeorum flagrantem in contionibus“ (die Masse der Juden, die mit heißer Glut an unseren Volksver­ sammlungen teilnimmt) als bissig interpretiert werden. Tat­ sächlich benutzte Cicero eine ähnliche Ausdrucksweise, wenn es um Griechen ging: „Nostras contiones, illarum na­ tionum homines plerumque perturbant“ (die unsere Volks­ versammlungen stören und in große Unordnung bringen). Richtig ist auch, daß die Römer die griechische perfidia und levitas, ihre adulatio, iactantia und insolentia (Treulosigkeit, Leichtsinn, Wankelmut, Schmeichelei, Überheblichkeit) nicht ausstehen konnten. Doch im Endeffekt wurden die Griechen von den Römern als eruditissima gens (gelehrte Rasse) betrachtet, was alle ihre anderen Mängel aufwog. Die Gelehrsamkeit der Juden hingegen wurde nie geschätzt, entweder weil ihre Bildung fremdartig war oder weil das be­ reits Bekannte verachtet wurde. Es wäre in jedem Fall ab40

surd, die Haltung der Römer gegenüber den Griechen und den Juden miteinander zu vergleichen. Sogar der meistge­ haßte Graeculus in den Tagen des Tacitus und Juvenal war noch besser dran als ein geduldeter Jude. Römer schätzten im allgemeinen Eigenart und Traditionalismus, doch sie ga­ ben sich nicht immer aufnahmebereit. Sulla, zum Beispiel, reagierte verärgert, als die Athener anfingen, ihm Geschich­ ten über Theseus und die Perserkriege zu erzählen: „Rom hat mich nicht nach Athen geschickt, damit ich griechische Geschichte lerne, sondern um Rebellen zu unterwerfen.“ Dann kehrten aber doch Respekt und Toleranz wieder ein. Caesar verhielt sich ähnlich nach der Schlacht bei Pharsalos. In der Zeit Quintilians durfte man ruhig zugeben, daß la­ teinisches Wissen vielfach von den Griechen abstammte, daß es für manche griechischen Wörter kein lateinisches Äquivalent gebe und Latein im Vergleich zum Griechischen minderwertig sei. Plinius der Jüngere forderte, die Griechen sollten für ihre Vergangenheit geehrt werden (illam veram et meram Graeciam), das wahre und echte Griechenland, wo zuerst Bildung und Wissenschaft und auch der Acker­ bau erfunden sein sollten. Er suchte seine Landsleute dazu zu bewegen, die Würde der Griechen und sogar ihren etwas übertriebenen Stolz zu respektieren, obwohl sie ihre ruhm­ reiche Vergangenheit damals schon weit hinter sich hatten (z.B. als Wiege der Zivilisation zu gelten). Solche Respektbezeugungen gab es für die Juden nicht; Griechen und Römer wußten natürlich, daß die Juden ein altes und ehrwürdiges Volk waren, und Moses wurde als großer Gesetzgeber geachtet, doch sie weigerten sich, die Juden für zurückliegende Tugenden zu ehren und ihnen ih­ re aktuellen Mängel zu verzeihen (dieses Privileg wurde nur den Griechen zuteil). Strabon (Poseidonios?) wußte wohl, daß Korruption und Systemzerfall überall vorkommen können, bestand aber darauf, daß die „zu abergläubischen 41

Räubern gewordenen Juden zu bestrafen seien, daß Aber­ glaube zu Verzicht auf Fleischverzehr - und zu Beschnei­ dung“ führe. Das Festhalten an der eigenen Tradition half den Juden also nicht, ihren gesellschaftlichen Status zu ver­ bessern. Dementgegen ist hervorzuheben, daß die Juden zu einer gewissen Zeit im ersten Jahrhundert n. Chr. ein besse­ res Ansehen als die Christen genossen, die sich gegen ihren eigenen mos maiorum (Sitte der Vorväter) auflehnten: Für Römer waren aber die Christen Juden, die an ihrem Juden­ tum nicht genügend festhielten. (4) Es kann nicht bestritten werden, daß nebst den jüdi­ schen Eigentümlichkeiten das Verhalten der Juden in der politischen Arena viele Römer und/oder Griechen gestört und sogar empört hat. Hasmonäische Herrscher belagerten, eroberten und plünderten griechische Städte entlang den Küsten Palästinas. So wurden sie von gewissen deutschen Geschichtsforschern als „hasmonäische Räuberbanden“ be­ schrieben. Dokumentiert ist auch, daß sich Jochanan von Gischala und Simeon Bar Giora gegen die Römer auflehn­ ten und Neros „Ostpolitik“ fast zum Scheitern brachten. Doch die Hasmonäer waren nicht die einzigen. Florus und Sacrovir taten dasselbe in Gallien, Tacfarinas rebellierte in Afrika, und das Vorgehen Burebistas gegen griechische Städte entlang der Schwarzmeerküste, von Olbia bis Apol­ lonia, war nicht humaner als Jochanan Hyrkanos’ Verhalten gegenüber griechischen Städten an Palästinas Mittelmeer­ küste. Die Belagerung von Histrien, die Plünderung von Tomi und die Zerstörung von Kallatis sind Themen, die kürzlich abgehandelt wurden. Aus den Arbeiten geht her­ vor, daß das Schicksal der Daker nie etwas mit dem Schick­ sal der Juden gemein hatte. Nach der Unterwerfung von Decebalus und der Zerstörung von Sarmizegetuza wurde kein „fiscus Dacicus“ - etwa vergleichbar mit dem „fiscus Iudaicus“ - verhängt. Florus, Sacrovir und Tacfarinas wur42

den genauso unterworfen wie Simeon Bar Kochba; doch keinem Gallier oder Afrikaner wurden Schwierigkeiten ge­ macht, wenn er sich außerhalb von Gallien oder Afrika nie­ derlassen wollte. Bei Juden verhielt es sich anders, und Sueton bezeugt: „Ich erinnere mich, als ganz junger Mensch zugegen gewesen zu sein, als von dem Prokurator vor einem zahlreich versammelten Kollegium ein neunzigjähriger Greis sich besichtigen lassen mußte, ob er beschnitten sei“. Für römische Eroberer war es ehrenvoll, Beinamen zu haben wie „Africanus“ oder „Germanicus“, aber auch „Dacicus“ und sogar „Balearicus“ oder „Adiabenicus“. Doch Titus wurde nie zum „Iudaicus“, und die Frage ist, weshalb. Worin unterschieden sich die Juden von den übri­ gen Barbaren? Darüber nächste Woche.

Christian Meier

Einführung in die Vorlesung vom 15. Juli 1996 Zvi Yavetz hat die letzte (seine erste) Vorlesung dazu ge­ nutzt, um uns gespannt zu machen. Heute will er einen neuen Forschungsansatz vortragen. Er hat über die Geschichte des Begriffs Antisemitismus gesprochen, vor allem über Theorien, die über den Ur­ sprung des Judenhasses in Antike und Moderne vorgebracht worden sind; das heißt in Antike und Moderne und für die Entstehung in Antike und Moderne vorgebracht. Rassische, ökonomische, religiöse und soziale, die These vom Staat im Staate, von der Selbstisolation etc. - ich brau­ che sie nicht alle zu wiederholen; auch nicht die Einwände, die gegen sie geäußert worden sind. Allzu leicht gerät man, wenn man Antisemitismus und Judenhaß erklären will, in die Versuchung, irgendwelche negativen Faktoren als Ursa­ che aufzusuchen, wenn man nicht einfach auf das „AndersSein“ abheben will oder - auf bestimmte Eigenheiten der christlichen Gesellschaft. Aber das, worum es hier im engeren Sinne geht, ist ja die Entstehung des Judenhasses im Altertum, im heidni­ schen Altertum! Und hier hat sich Zvi Yavetz vor allem mit Christian Habicht auseinandergesetzt, der findet, daß es letztlich dem jüdischen Staat der Makkabäer zuzuschrei­ ben sei, daß die Juden sich damals so unbeliebt gemacht haben. Die Zionisten zogen aus dem Antisemitismus die Konsequenz, es müsse ein unabhängiger jüdischer Staat gegründet werden; Habicht findet, daß gerade der unab­ 44

hängige Makkabäer-Staat den Judenhaß im Altertum her­ vorgerufen habe. Yavetz hat dagegen zunächst einmal die Feststellung ge­ setzt, daß die Juden im Altertum eine Sorte von Barbaren gewesen seien. Man könne sich bei vielen antijüdischen Äu­ ßerungen fragen, wieweit sie wirklich speziell antijüdisch und nicht nur im Rahmen des Üblichen antibarbarisch oder barbarokritisch gewesen seien, und obendrein oft gar nicht grundsätzlich gemeint, sondern nur taktisch bestimmt. Allein, ganz kommt das nicht hin. Die Juden müssen doch ein „bißchen mehr“ barbarisch gewesen sein (oder um Orwell umzudrehen: some barbarians are more barbarian than others) - oder sie waren anders barbarisch als die anderen. Erstens: seltsame Speisegesetze und Beschneidung kann­ ten auch andere. Und trotzdem wird es den Juden mehr als den anderen vorgehalten. Zweitens: Griechen und Römer vermochten, die Tapfer­ keit auch von erbitterten Gegnern, von Besiegten anzuer­ kennen; nicht aber bei Juden: Jüdischer Mut, Selbstaufopfe­ rung und Patriotismus wurden vergleichbaren Eigenschaf­ ten anderer Barbaren nie gleichgestellt; fanden nie, wie es bei diesen möglich war, Respekt. Drittens: auch andere Arten von Respektbezeugungen gegen andere Völker kamen vor, nicht aber gegen Juden, auch wenn man wußte, daß die Juden - wie die Griechen, wie die Ägypter - ein altes, ehrwürdiges Volk waren, und Moses als Gesetzgeber hoch achtete. Viertens: für römische Eroberer war es ehrenvoll, sich ei­ nen Beinamen von den Besiegten her beizulegen: Africanus, Germanicus, Dacicus, selbst Balearicus. Doch Titus wurde nie zum „Iudaicus“, und die Frage ist, weshalb? „Worin unterscheiden sich die Juden von den übrigen Barbaren? Darüber nächste Woche“, so hat Yavetz geschlossen. Die nächste Woche ist nun da, also ... 45

Zvi Yavetz

Zweite Vorlesung 1. Die Juden im Urteil der Antike Meine Damen und Herren, bevor ich die Frage beantworte, nur eine Bemerkung: Man muß wissen, wem die Zusammenfassung zu überlassen ... Also - ich bestehe darauf - die Juden waren barbarischer als die andern. Erstens: Die Juden galten als altes und zivilisiertes Volk. Ihre Helden konnten also nie als noble Wilde (nobles Sava­ ges) betrachtet werden - homines feri magnaequae virtutis (wild, aber mit großer Tugend ausgestattet), obwohl virtus eher Mut und Männlichkeit als Tugend bedeutet. Horaz hätte nie lamentiert, „campestres melius Iudaei“ (der jüdische Sohn der Steppe hat es besser). Dies hätte mehr zu den Skythen gepaßt (campestres melius Scythae). Ihnen sagte man nach, sie seien eine unkomplizierte, primi­ tive Rasse, die aber - nur durch ihren Kontakt mit Griechen und Römern - verdorben, verweichlicht und korrupt ge­ worden sei. Verleumderische Anspielungen gegen sie von Seiten römischer oder griechischer Autoren hätten also kei­ nen besonderen „Anti-Skythianismus“ provozieren kön­ nen. Doch die Juden wurden nicht zu den Völkern gezählt, die ihren natürlichen Anlagen stets treu blieben (nihil omnino contra voluntatem facere); und daher waren sie deutlich von den nördlichen Barbaren zu unterscheiden, denen Pflichtbewußtsein oder Disziplin fremd waren (nullo 46

officio aut disciplina assuefacti). Die Juden konnten nie An­ erkennung als „noble Wilde“ erhalten. Sie hatten ihren ei­ genen Wertmaßstab sowie Gebote und Verbote, die von der Umgebung völlig abgelehnt oder mißverstanden wurden oder gar beides. So wurden die Juden von Mark Aurel noch unterhalb der Sarmaten, der Quaden und der Markoman­ nen eingestuft. Zweitens: Juden unterschieden sich von Dakern oder Illyrern dadurch, daß sie, die im Exil lebten, kein System strenger Verhaltensweisen und Bräuche aus ihrer Heimat mitgebracht hatten, was die Bevölkerung zumindest irritier­ te. Die Zalmolxis-Verehrung in Sarmizegetuza kann nicht mit der Jehova-Verehrung in Jerusalem verglichen werden, und die Tempelzerstörung 70 n. Chr. war der Behandlung der Daker durch die Römer in keiner Weise ähnlich. Die Juden bildeten in der heidnischen Antike mehr als nur ein mysterium tremendum et fascinosum, wie sie es für die mit­ telalterliche Kirche waren. Sie verhielten sich wie Prosely­ ten, und Römer wie Seneca verachteten Unterlegene, die ih­ ren Bezwingern Gesetze geben wollten: „ Victi victoribus leges dederunt. “ Auch gegenüber den Griechen blieben die Römer standhaft, letztlich aber vergaben sie ihnen und re­ spektierten sie. Doch „graecari“ war das eine und „iudaizein“ eben das andere. Die Griechen waren keine Bekeh­ rer, ganz im Gegensatz zu den Juden. Somit bedeuteten die Juden für das römische Imperium auch nach ihrer Unter­ werfung noch eine Gefahr. In den Augen Domitians war ein Jude nicht nur ein Mensch, der sich zum Judentum bekann­ te, sondern jeder, der ein jüdisches Leben führte, auch ohne sich öffentlich dazu zu bekennen. Tacitus verabscheute sie, weil sie andere lehrten, „contemnere deos, exuere patriam, parentes, liberos, fratres vilia habere“ (Götter zu verachten, ihr Vaterland zu verleugnen, ihre Eltern, Kinder und Ge­ schwister für nichts zu halten). Dies ist die einzig plausible 47

Erklärung für die antijüdischen Passagen, die noch mehr als dreißig Jahre lang nach der Tempelzerstörung geschrieben wurden. Drittens: Iudaeus war nie nur eine Herkunfts-, sondern gleichzeitig auch eine Glaubensbezeichnung. Ohne hier auf die Polemik über den tieferen Sinn des Judentums einzuge­ hen, ob es eine Abstammungs- oder Schicksalsgemeinschaft war, darf man für diesen Vortrag ruhig Hengeis Definition des Judentums akzeptieren: Judentum bedeutet sowohl politische Zugehörigkeit zur, als auch Abstammung von der jüdischen Nation, Glauben an den einzigen Gott Israels und dessen Gebote. Daher lehne ich die Auffassung ab, wonach Titus den Beinamen Iudaicus deshalb nicht bekam, weil er in Judäa keinen bellum iustum führte, sondern lediglich eine Polizeiaktion befehligte. Eine Polizeiaktion, so erfolgreich sie auch sein mag, ist zwar nie von aufwendigem Triumph begleitet, und ebensowenig würde man einen Triumphbo­ gen errichten, um an die Unterwerfung einer Handvoll Krimineller zu erinnern. Doch die Römer waren trotzdem stolz auf ihren Sieg über die Juden. Titus hingegen, dessen Verhältnis mit einer jüdischen Frau ihm enorme öffentliche Kritik eingetragen hatte, war gezwungen, sie „invito, invitam“ (gegen seinen und gegen ihren Willen) zu verlassen, um dem Titel „Iudaicus“ zu entgehen; denn dies hätte als Annahme jüdischer Bräuche und Religion aufgefaßt werden können. Somit scheint mir Judenhaß etwas mehr zu sein als nur einfach allgemeiner Haß gegen Barbaren. Es ist daher, im ganzen betrachtet, absolut legitim, dem Judenhaß des Alter­ tums gesonderte Aufmerksamkeit zu schenken. Das heißt aber nicht, daß ich den Begriff „Antisemitismus“ für das Altertum besonders glücklich finde. Einerseits, weil jedes Konzept, das zu zahlreicher einleitender Erklärungen be­ darf, Zweifel erweckt. Andererseits - ich sagte es schon zu 48

Beginn des ersten Vortrags - ist mein Unbehagen bei dem Begriff „Antisemitismus“ für die klassische Antike aber keine prinzipielle Angelegenheit, und dazu bin ich noch eine Erklärung schuldig.

2. Antisemitismus und Antijudaismus Ich gehöre nicht zu denjenigen, die gleich neue Begriffe er­ finden, wenn die alten nicht mehr ganz genügen. Das Al­ lerwichtigste ist, verstanden zu werden. Der Begriff selbst ist zweitrangig. Daher sollte man „Antijudaismus“ wegen seiner starken theologischen Konnotationen nicht durch „Antisemitismus“ ersetzen, wie das von einigen Forschern vorgeschlagen wurde. Das Neue Testament ist ohne Zweifel antijudaistisch; gleichzeitig kann Paul, der pharisäische Jude aber schwerlich als Antisemit bezeichnet werden. Auch die Polemik gegen die verschiedenen existierenden Definitionen des Begriffs „Antisemitismus“ wird die Forschung nicht viel weiterbringen. Die Definition sind leicht widerlegt. So zum Beispiel die bizarre Deutung von Ralph Marcus: „‘Antisemitismus' ist ein Ausdruck der Feindseligkeit gegen Juden, welche von Staaten oder Bürgern eines Staates, in denen Juden in genügender Zahl leben, als feindlich gesinnte Fremdlinge empfunden werden.“ Wie groß die Minderheit sein soll, um als feindlich gesinnt zu gelten, ist eine offene Frage. Auch zur Deutung des Antisemitismusphänomens in Ländern, aus denen die Juden fast vollständig verschwun­ den sind (z.B. das heutige Polen oder Rumänien), ist diese Definition nicht sehr hilfreich. Schon viel schwieriger ist es, gegen die wohlbedachte Definition von Marcel Simon zu polemisieren: Antisemitismus ist für ihn „une attitude fondamentalment et systématiquement hostile aux juifs, fondée 49

par surcroît sur des mauvaises raisons, sur des calomnies, sur une image incomplète, partiale ou fausse de la réalité“ (eine im wesentlichen systematisch judenfeindliche Hal­ tung, die sich obendrein auf falsche Ursachen und Ver­ leumdungen stützt). Marcel Simons Ansicht zu akzeptieren, würde heißen, der Linie des Josephus treu zu folgen. Er nahm in seinem Contra Apionem jene Autoren aufs Korn, die sich in einer Weise äußerten, die von Juden als „frech und verlogen“ angesehen wurde. Er äußerte sich auch gegen fiktive Anschuldigungen und Beleidigungen, die er in die Kategorie von Verleumdungen und Beschimpfungen ein­ reihte. In eine ähnliche Richtung ging Heinemann. Er defi­ nierte Antisemitismus einfach als „unfreundliche Gesin­ nung und Haltung“ gegenüber Juden. Für Gager heißt Antisemitismus „feindselige Äußerungen über Juden und Judentum“, für Amos Funkenstein „Propaganda gegen die Juden“. Mommsen faßte es in einem Wort: „Judenhaß“, manchmal auch „Judenhetze“ zusammen. Dies scheint mir die treffende Entsprechung zu dem von Josephus verwende­ ten Begriff zu sein (Ssin’ at Jisrael) - Misos pros Iudaious. Damit ist aber noch nichts erledigt: Amos Funkenstein, der zwischen heidnischer, christlicher, muslimischer und moderner antijüdischer Propaganda unterschied, stellte die grundsätzliche Frage, weshalb eine derart widerwärtige und sich wiederholende Literaturgattung überhaupt studiert werden sollte. Haß sei geschichtslos. Haß gegenüber Indivi­ duen und Gruppen sei Teil der elementarsten emotionellen Ausstattung des Menschen. Dem möchte ich die beste De­ finition des Hasses zwischen Volksgruppen entgegenhalten, die mir je begegnet ist, nämlich Zangwills Aphorismus „dislike of the unlike“. Historiker haben leider nicht die Mittel, den Haß und seine Ursprünge zu erforschen. Psy­ chologen und Anthropologen haben da wohl bessere Aus­ sichten. Ich bin jedenfalls mit Funkenstein einig, daß anti50

jüdische Propaganda oder Judenhaß oder Antisemitismus (der Begriff spielt keine Rolle) nicht als Literaturgattung studiert werden sollte. Das wäre ein schlechtes Beispiel der Ideengeschichte. Eine Sammlung jüdischer Textstellen aus den Schriften Martin Luthers, Johannes Reichlins, Sebastian Münzers und Philipp Melanchthons, aus den Schriften von Rationalisten wie Voltaire, Diderot, Holbach und Marx, und von Romantikern wie Arndt, Jahn und Goerres wäre zwar ein mühsames, aber unnützes Unterfangen. Der Forscher müßte sich durch Tausende von Seiten arbeiten, um das Thema einigermaßen auszuschöpfen. In bezug auf das Al­ tertum wäre ein solches Vorhaben allerdings vollkommen überflüssig, zumindest seit dem Erscheinen des dreibändi­ gen Monumentalwerks von Menachem Stern. Er sammelte jede noch so kleine Erwähnung von Juden und Judentum in der heidnischen Antike. Somit macht eine zusätzliche Be­ standsaufnahme zur Haltung gegenüber den Juden keinen Sinn mehr. Beim Lesen der Textstellen und der aufschluß­ reichen Kommentare Sterns kann sich jeder sein eigenes Ur­ teil über die Frage bilden, ob nun der Judenhaß des Alter­ tums im allgemeinen einfach eine spontane, unüberlegte und intuitive Reaktion war (Marcel Simon), oder ob mehr da­ hinter steckt; ob nun ein wütender Ausbruch eines Rutilius Namatianus (dem ein jüdischer Gastwirt gerade zu viel be­ rechnet hatte) mit den berüchtigten Kapiteln in Tacitus’ Hi­ storien vergleichbar ist. Diese Fragen werden das Studium des Judenhasses im Altertum keinen Schritt weiterbringen. Leider können Althistoriker die Methoden von Glock und Starck, die folgende drei Komponenten in der Dyna­ mik des modernen Antisemitismus untersuchten, nicht nachvollziehen: 1) Anschauungen, 2) Gefühle und 3) Taten. Althistoriker können keine Fragebogen unter Heiden und Christen verteilen, und ebensowenig können sie mit genü­ gender Sicherheit feststellen, ob und bis zu welchem Grad 51

ein antijüdisches Zitat eines Dichters oder Philosophen der Antike die damalige öffentliche Meinung reflektierte. Die undankbare Frage nach der Quelle des Hasses sollte (zu­ mindest vorübergehend) fallengelassen werden. Stattdessen sollte man sich auf die Akteure konzentrieren, auf „who dunnit“ im Slang der englischen Kriminalromane. Die Ant­ wort, Is fecit cui prodest (Der hat’s getan, der davon profi­ tiert) hat in der Erforschung des modernen Antisemitismus zu interessanten Resultaten geführt. Das folgende Beispiel ist dazu sehr aufschlußreich: In einem 1950 erschienenen Artikel behauptete Leonore Sterling, die antijüdischen Ausschreitungen vom 2. August 1819 in Würzburg seien nur ein verdeckter sozialer Protest gewesen, der sich in erster Linie gegen die reaktionären und unterdrückenden Regime gerichtet habe, wie sie nach dem Wiener Kongreß in Mittel- und Westeuropa die Norm ge­ wesen seien. Auf dem Hintergrund der Erdolchung August Kotzebues durch den Jenaer Studenten Karl Ludwig Sand scheint Leonore Sterlings Artikel tatsächlich sehr überzeu­ gend. Doch 23 Jahre später (1973) gelangte Yaakov Katz zu dem völlig entgegengesetzten Schluß, indem er die Frage anders formulierte. Beim Ergründen der Problematik, wer für die Ausschreitungen von 1819 in Würzburg verant­ wortlich gewesen sei, kam er zu dem Ergebnis, daß es sich dabei nicht um die revolutionären Studenten gehandelt ha­ be, sondern eher um die Gegenseite. Gleichzeitig fanden nämlich auch in Frankfurt und Ham­ burg Unruhen statt, wo es keine Universitäten gab. Und ge­ rade in der ältesten deutschen Universitätsstadt, Heidelberg, schützten Studenten die Juden vor den Unruhestiftern. Würzburg, Frankfurt und Hamburg wurden Zentren anti­ jüdischer Ausschreitungen und zwar nicht aus Protest ge­ gen ein reaktionäres Regime, sondern weil sich der nichtjü­ dische Handel, der bis dahin eine Monopolstellung genoß, 52

von der ehemaligen Ghettobevölkerung bedroht fühlte, die sich seit 1813 in Würzburg niederlassen durfte. Der antijü­ dische Aufstand war dazu bestimmt, der Regierung zu si­ gnalisieren, den Emanzipationsprozeß nicht fortzusetzen, solange die Bürgerschaftsfrage nicht gelöst sei. Das hatte al­ so nichts mit der Opposition revolutionärer Studenten ge­ gen das Regime zu tun. Mit der Fragestellung „who dunnit“ hat also Katz die Tatmotive besser verstehen können. Wenn wir einen ähnli­ chen Zugang zur Geschichte des Altertums suchen, könnten wir die von Stern kommentierten Texte so interpretieren, daß neben andauernden Feindseligkeiten, aufrichtiger Ab­ neigung und tiefer Verachtung auch längere Perioden fried­ licher Koexistenz zwischen Juden und Heiden möglich waren. In meinen folgenden Vorträgen möchte ich mich vor al­ lem darauf konzentrieren, das politische Klima zu erläutern, welches Ideen wie Haß und Verachtung förderte. Gleich­ zeitig soll aber auch auf das „wie“ und „wer“ eingegangen werden; wie eine latent vorhandene Abneigung auf Grund spezifischer Ereignisse zu offener Feindseligkeit führen kann, wie Worte manchmal zu Taten werden. Für die klas­ sische Antike können somit vier Phasen des Judenhasses definiert werden:

3. Die Tempelzerstörung in Elephantine Die Tempelzerstörung in Elephantine 411 v. Chr. ist als er­ ster antijüdischer Aufstand zu betrachten, und es kann leicht aufgezeigt werden, daß dieser Zwischenfall von patrioti­ schen ägyptischen Priestern angezettelt wurde, die die Zu­ sammenarbeit zwischen den elephantinischen Juden und den verhaßten persischen Herrschern über Ägypten verur­ teilten. 53

Diese Phase möchte ich nur kurz beschreiben. Woran dachte Theodor Mommsen, als er ausdrücklich schrieb: „Judenhaß ist so alt wie die Diaspora“ (R.G.V. 519)? Ein religiöser Jude würde zweifellos auf das 2. Buch Mo­ ses hinweisen und die berühmte Stelle (Ex. 1. 16-22) zitie­ ren: „Alle Söhne, die geboren werden, werft ins Wasser, und alle Töchter laßt leben.“ Ich glaube kaum, daß Mommsen diesen Absatz historisch beweisbar fand, noch hat er den folgenden berühmten Satz aus dem Buch Esther jemals in Betracht gezogen (Est. 3-8): „Und Haman sprach zum König Ahasveros: ,Es ist ein Volk, zerstreut und teilt sich unter alle Völker in allen Län­ dern Deines Königreiches, und ihr Gesetz ist anders denn aller Völker und tun nicht nach des Königs Gesetzen. Es ziemt dem König nicht, sie also zu lassen. Gefällt es dem König, so lasse er schreiben, daß man sie umbringe, jung und alt, Frauen und Kinder.““ Fundamentalisten zweifeln an keinem Jota, das in der Heiligen Schrift erscheint; Bibel­ kritikern hingegen ist es erlaubt, skeptisch zu sein: Es gibt nämlich keinen Haman in persischen Quellen, keiner weiß, wer dieser König Ahasveros war, und wann er regierte, und wäre er auch mit Artaxerxes I. zu identifizieren, dann hätte es keine Judenverfolgungen zu seiner Zeit gegeben. Oder sollte es vielleicht Artaxerxes III. (Ochos) gewesen sein (358-338 v. Chr.). Dieser ließ zwar Juden an die Südküste des Kaspischen Meeres vertreiben. Von einem Vernich­ tungsplan war nie die Rede. Meiner Meinung nach hielt Mommsen - wie viele andere Historiker - das Buch Esther für eine Allegorie, und als er schrieb, Judenhaß sei so alt wie die Diaspora, muß er an andere Quellen gedacht haben, z.B.: „Unser Land“, schreibt Philon, „kann die Juden nicht erhalten, es gibt ihrer zu viele“ (Flacc. 45, Vita Mosis. II. 232) oder „Land und See sind voller Juden“, lesen wir im dritten Sibyllischen Orakel (III. 271), und Strabon betont, 54

daß es den Juden gelungen ist, in jede Stadt einzudringen, und ... „es gibt kaum einen Platz in der zivilisierten Welt (Oikumene), welcher dieses Volk nicht aufgenommen hat, und in welchem sich seine Macht nicht fühlbar machte“ (Jos. Ant. 14.155, Bell. II. 398, VII. 43; Phil. Leg. 46.281). Mommsen, dem selten ein Absatz in den griechischen und lateinischen Quellen entging, muß an Josephus gedacht haben, der betonte: (Ap. I. 223). „Die Lästerungen gegen uns fingen in Ägypten an.“ Im allgemeinen, das muß hier hinzugefügt werden, hatte eine Diaspora nichts Außerge­ wöhnliches an sich. Es gab eine große griechische Diaspora in Kleinasien und Sizilien, eine phönizische in Ägypten, und viele Einwohner Eretrias wurden noch von Dareios nach Susa vertreiben. Auch hundert Jahre später hatten sie ihre Muttersprache beibehalten. Es war sehr schmerzlich für die Griechen, allein, verwaist, verliebt zu sein - und weit entfernt von Griechenland zu le­ ben, doch weit von Griechenland war am schmerzlichsten. Auch Juden trauerten an den Flüssen Babylons, wenn sie an Jerusalem dachten, und in den Sprüchen (27.8) lesen wir: Wie ein Vogel, der aus seinem Nest weicht, so ist (auch ein Mensch), der von seiner Stätte weicht. Trotzdem ist das Schicksal der jüdischen Diaspora noch trauriger. In der christlichen Theologie war die Diaspora eine Strafe Gottes. Juden wurden verflucht, weil sie an Jesus nicht glaubten. Ihr Land wurde zerstört und das Volk in der gan­ zen Welt zerstreut. Nun erhebt sich die Frage - seit wann gab es eine jüdische Diaspora in Ägypten? Sie entstand m.E. im 7. Jahrhundert v. Chr. zur Zeit der Könige Menasche und Joshijahu. Ein Teil der Auswanderer meldete sich freiwillig als Söldner, um die südliche Grenze Ägyptens gegen die Nu­ bier (Sudan) zu verteidigen (e.g. Herodot 11.30). Andere wurden von proägyptischen Königen fast aufgefordert hin­ 55

zuziehen (Deut. 17.26). Die dritte Gruppe bestand aus reli­ giösen Dissidenten, die aus verschiedenen Gründen Judäa verlassen mußten. Zu jener Zeit war die Religion der Ein­ wanderer den Ägyptern gleichgültig. Deshalb zogen viele Juden - besonders nach der Zerstörung des Ersten Tempels (586 v. Chr.) - nach Ägypten (Jer. 24.8,44.1). In der Bibel stehen zwar Anweisungen, die auf religiöse Spannungen zwischen Juden und Ägyptern hinweisen (Gen. 46.32, 43.34), aber im Gegensatz zum ewigen Haß, der zwischen Juden und Amelekitern bezeugt ist, ist die traditionelle Haltung der Bibel anderen Fremdlingen ge­ genüber grundverschieden: „Den Edomiter sollst du nicht für ein Greuel halten. Er ist dein Bruder. Den Ägypter sollst du auch nicht für ein Greuel halten - denn du bist ein Fremdling in seinem Land gewesen“ (Deut. 23.8; cf. Ex. 22.20): „Die Fremdlinge sollst du nicht schinden und unterdrücken - denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägypten gewesen.“ Als die aramäischen Papyri aus Elephantine am Anfang dieses Jahrhunderts ans Licht kamen, konnte man die bruta­ le Zerstörung des jüdischen Heiligtums aus dem Jahre 411 v. Chr. kaum erklären, und der englischer Forscher Cowley, der diese Dokumente seltsam nannte, sie übersetzt und kommentiert hat, stellte die Frage, wie es möglich sei, daß Juden einerseits öffentliche Ämter in Ägypten bekleide­ ten, am wirtschaftlichen Leben beteiligt waren, ja, sich sogar durch Heirat mit der sie umgebenden Bevölkerung ver­ mischten, und andererseits eine Verfolgung ertragen muß­ ten, die man heutzutage als „Pogrom“ betrachtet hätte. Die Wichtigkeit dieser Dokumente (über 100 Papyri und ca. 300 Ostraka) kann nicht hoch genug geschätzt werden. Dies sind die frühesten jüdischen außerbiblischen Texte, mit Ausnahme der Siloan-Inschrift und der Ostraka von Sama­ ria. Wir sind über die Geschichte der Juden im persischen 56

Zeitalter ziemlich schlecht unterrichtet; deshalb wurden die Papyri von Elephantine (der erste Papyrus betrifft das Jahr 495) in jeder Hinsicht „ausgequetscht“ - um etwas über das Leben der Juden im 5. Jahrhundert v. Chr. zu erfahren. Tat­ sächlich sind die Berichte über Wirtschaft und Gesellschaft, Privatrecht und Religion eine wahre Fundgrube von außer­ ordentlicher Wichtigkeit. Leider kann ich auf die Verdienste der großen Forscher seit Eduard Meyers Papyrusfund in Elephantine bis auf die hervorragenden Werke Yarons und Portens nicht eingehen. Ich will mich aber in diesem Vortrag nur auf die Papyri Nr. 27 und besonders Nr. 30 und 31 beschränken, weil sie die Vorgänge im Jahre 411 v. Chr. ausführlich beschreiben und die Vernichtung des Tempels in Elephantine behandeln. Während der Unruhen, die im Monat Tamus (also etwa im Juli) ausbrachen, kooperierte der persische Gouverneur Ägyptens - Waidrang - mit den ägyptischen Priestern des Gottes Khnub. Der Sohn des persischen Gouverneurs führte eine Gruppe von Ägyptern gegen die Festung an; der Tempel wurde sofort angegriffen, völlig zerstört, und die steinernen Säulen, auf die sich das Gebäude stützte, wurden zerschlagen. Jedoniah, der Vorsitzende der Jüdischen Ge­ meinde in Elephantine, wendet sich im Jahre 408 (also drei Jahre nach den Ereignissen) an den persischen Vizekönig in Judäa - Bigoas (Bigoai); er beschreibt den Schmerz und die Empörung der Gemeinde nach der Vernichtung des Tem­ pels und ersucht den wahrscheinlich liberaleren Vizekönig von Judäa, die Beschlüsse des persischen Gouverneurs von Ägypten zurückzuweisen und den Wiederaufbau des Tem­ pels in Elephantine zu gestatten. Es steht fest, daß der Bau des Tempels für die jüdische Söldnergemeinde in Elephantine noch von Psammetichos II. - also 300 Jahre früher - bewilligt wurde, und daß die Juden dort auch zu Pessach einen Widder opferten, ist kaum zu 57

bezweifeln, besonders nach der Zerstörung des Ersten Tempels im Jahre 586, da man nicht mehr in Jerusalem op­ fern konnte. Daß ägyptische Priester das Opfern eines Widders für Frevel hielten, ist keine Neuigkeit; viele Berich­ te in der Bibel bestätigen das. Es fragt sich aber, warum sie diese Greueltat ca. 175 Jahre lang duldeten und ihrer Wut erst im Jahr 411 freien Lauf ließen. Schließlich lag der Tem­ pel des Widdergottes Khnub gleich nebenan, und in den Papyri schreiben die Juden ausdrücklich, daß nicht nur Je­ hova in Elephantine wohnte, sondern auch Khnub wohnte in Elephantine. Anekdotisch ist die Angelegenheit leicht zu erklären: Es wird von einem ukrainischen Bauern erzählt, der mit seinem jüdischen Nachbarn jahrelang in Frieden lebte. Eines Tages kam er wütend nach Hause und verprü­ gelte den Juden. Als der verblüffte Jude eine Erklärung für diese Mißhandlung verlangte, sagte der Bauer: „Ihr habt ja den Jesus gekreuzigt.“ „Ja“, erwiderte der Jude, „das ge­ schah aber vor 2000 Jahren.“ „Macht nichts“, antwortete der Bauer, „ich habe davon erst heute durch die Predigt des Pfarrers in der Kirche erfahren.“ - So einfach ist die Sache in Elephantine nicht. Es gibt eine seriösere Erklärung, die ich ganz kurz erläutern möchte, ohne mich auf Einzelheiten einzulassen. Seit 525 v. Chr. gehörte auch Ägypten zum riesigen Reich Persien, das sich nun von Indien bis zum Nil ausdehnte, und auch der neue Herrscher brauchte eine loyale Besat­ zungstruppe an der südlichen Grenze, um Ägypten gegen nubische Überfälle zu schützen. Das jüdische Söldnerregi­ ment hatte keinen Grund, sich den Persern zu widersetzen. Schließlich hatte Kyros die Wiederkehr der Exilanten aus Babylonien nach Judäa gestattet, ließ den Tempel auf seine Kosten wieder aufbauen und gewährte den Juden volle re­ ligiöse Freiheit. Da die Einwohner Judäa? nie auf politische Selbständigkeit erpicht waren, werden das 4. und 5. Jahr­ 58

hundert in der jüdischen Geschichte als Friedenszeiten betrachtet. Es passierte auch nichts Ereignisreiches auf politi­ scher Ebene, entweder weil wichtige Quellen verlorenge­ gangen sind oder weil Friedenszeiten eben ein weißes Blatt in der Geschichte hinterlassen. Das jüdische Regiment in Elephantine war in Kompanien eingeteilt, die seit dem Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. ein persischer oder babylonischer Hauptmann befehligte. Der Oberbefehlshaber war Perser. Die Unteroffiziere aber blie­ ben Juden. Es steht auch fest, daß die Juden Ägyptens kei­ nen Widerstand leisteten und sich, ohne zu murren, mit der persischen Eroberung abfanden. Daran ist nichts Überra­ schendes oder Aufregendes festzustellen, da Minderheiten sich fast immer einer neuen Regierung fügen, um so mehr, wenn die neuen Herrscher sich milde und verständnisvoll benehmen. Den Ägyptern gegenüber benahm sich Kambyses (529— 522 v. Chr.) weder milde noch verständnisvoll. Nach der Niederlage Psammetichs III. bei Pelusion (das heutige Beluza in der Sinai-Wüste) im Jahre 525 v. Chr. kassierte der persische Eroberer die Staatsschenkungen an viele ägypti­ sche Tempel, befahl, zahlreiche Schreine buchstäblich zu zerstören, und ließ vor allem Priester der Tiergötter verfol­ gen (Kraeling, P. 28). Kein Wunder also, daß die Priester des Widdergottes Khnub zu den ersten Opfern der Verfol­ gung gehörten. Der jüdischen Minorität war diese Politik bestimmt nicht unlieb, da die Spannung mit der lokalen Be­ völkerung besonders von der feindlichen Einstellung der Khnub-Priester den Juden gegenüber herrührte. Die persischen Könige erfreuten sich in der ägyptischen Geschichte keines guten Rufes, und viele Jahre, bevor Juden als Lepra-Infizierte diffamiert wurden, galten die persischen Könige als unrein (Herodot III. 271, III. 19). König Ochos wurde besonders beschimpft, weil er heilige Tiere schlach59

ten ließ, Gräber schändete und Tempel entweihte. Er hatte auch ägyptische Götzen und andere Heiligtümer nach Asien verschleppen lassen. Tatsache ist, daß es schon im 5. Jahrhundert v. Chr. zu unzähligen antipersischen Auf­ ständen kam, und daß Athen und Kyrene die aufrühreri­ schen Ägypter unterstützten. Eines Tages wurde sogar der persische Satrap in Ägypten getötet, und nur mit Mühe und Not gelang es den Persern im Jahre 455 v. Chr., den Auf­ stand blutig niederzuschlagen. Zu einer Verständigung aber mit den Besiegten konnte es nicht mehr kommen. Während all dieser Zeit blieben die Juden in Elephantine persertreu, niemals war ihre Loyalität fraglich, und darauf waren sie auch stolz. In ihren Briefen, die mit den aramäischen Papyri ans Licht kamen, schrieben sie ausdrücklich: „Ah der Diglin (Fahnenträger) der Ägypter sich (gegen die Perser) erhob - hat keiner von uns seinen Posten verlassen, und Untreue kann uns nicht vorgeworfen werden“ (C. 30.13, 31.12, 27.1). Eben dieses Verhalten der Juden in Elephantine verursachte letzten Endes den heftigen Zusammenstoß im Jahre 411. Nach jahrelanger Spannung hing er sowieso in der Luft, und es war nur eine Frage der Zeit. So komme ich zu meiner These zurück, die ich in mei­ nem ersten Vortrag vorgelegt habe - daß eine latent vorhan­ dene Abneigung auf Grund spezifischer Ereignisse zu offe­ nen Feindseligkeiten führen könne, und die Frage „Wer hat’s getan?“ uns auch die Tatmotive besser erklären könnte. Eine strenge Trennung zwischen religiösen und politi­ schen Motiven hat immer etwas Künstliches an sich, aber eins steht fest: Ein jüdischer Tempel mitten im ägyptischen Gebiet mußte schon etwas Fremdes an sich haben. Öffent­ liche Beachtung jüdischer Vorschriften und Gepflogenhei ­ ten mußte auch bizarr erscheinen, und es sei immer wieder unterstrichen, daß Judaismus stets mehr als eine Religion war. Er war auch eine Lebensweise. Deshalb soll man nie 60

„Halacha“ mit „Gesetz“ übersetzen. Halacha stammt vom hebräischen Zeitwort „haloch“ und bedeutet „gehen“, und die Halacha lehrt, wie Juden sich im tagtäglichen Leben verhalten sollen. Auch Origenes wußte, daß Ioudaios ein Mensch war, der sein Leben auf jüdische Art führte (Prohairesis). Wenn ein Angehöriger eines anderen Volkes oder Stammes (Allogenes) sich wie ein Jude benahm - also ein Proselytos wurde er als Ioudaios betrachtet. Josephus glaubte zwar, daß die Lehren und Verbote in unserer Ha­ lacha einfach und vertraut seien: Er hatte aber ebenso recht wie der gute Gibbon, der uns hinterließ, die Ursachen für den Untergang des römischen Reiches seinen einfach und klar gewesen („simple and obvious“). Also, die alten Ägypter dachten anders: Die Zerstörung des Tempels in Elephantine war ein rein fremdenfeindlicher Akt, der auf einem langen und echten religiösen Antago­ nismus beruhte, und der von den Priestern des Gottes Khnub auch auf national-politischer Ebene seit langer Zeit propagiert wurde. Diese Propaganda fiel auf fruchtbaren Boden. Den ägyptischen Priestern gelang es, ihre Mitgläu­ bigen endlich zu überzeugen, daß der Tempel in Elephanti­ ne zerstört werden müsse, weil er die Juden mit den verhaß­ ten Persern identifizieren könnte. Das genügte. Historische Erinnerungen spielten - wenn überhaupt - nur eine ganz geringe Rolle. Hier waren die Juden ein Mittelding zwi­ schen Sündenbock und Blitzableiter, und dies war kein Ein­ zelfall in der Geschichte. Im Jahre 1648 wurden jüdische Rentner von ukrainischen Bauern unter Führung von Bogdan Hmelmitzki erschlagen, weil man Juden mit den verhaßten polnischen Gutsherren identifizierte, und etwas Ähnliches passierte während des Bauernaufstandes in Rumänien im Jahre 1907. Das Interes­ sante an der ganzen Geschichte ist, daß es endlich den Khnub-Priestern nach langen Bemühungen gelang, durch 61

Bestechung den korrupten persischen Statthalter Weidrang für sich zu gewinnen. Sie konnten ihn vielleicht auch über­ zeugen, daß es viel vorteilhafter für die persischen Behörden sei, sich auf eine freundliche ägyptische Majorität statt auf eine verhaßte jüdische Minorität zu verlassen. Tatsächlich ist die Zerstörung des Tempels in Elephantine ohne persi­ sche Unterstützung und Mitwirkung kaum zu begreifen. Der Erfolg der Khnub-Priester hielt aber nicht lange an. Ju­ den waren nicht bereit, den Kampf aufzugeben, und nach langjährigen politischen und diplomatischen Bemühungen gewannen sie Sympathie bei den persischen Behörden. Wei­ drang wurde abgesetzt oder zeitweilig aufs Eis gelegt. Aber schon vor dem Jahr 402 wurde der Tempel in Ele­ phantine wieder aufgebaut. Soviel steht fest: Im Kraeling Papyrus 12.2 u. 12.18 steht ausdrücklich, daß im Jahre 403 Jahwe wieder in Elephantine wohnte. Es kam zu einem Kompromiß. Man sollte nicht mehr in Elephantine opfern. Das stellte die Priester in Jerusalem und die ägyptischen Priester in Elephantine zufrieden, und die Juden durften wieder ihre Synagoge aufbauen. Wann soll das geschehen und wie zu erklären sein? Nach langem Hin und Her und Bestechungen wurde der Wieder­ aufbau des Tempels durch Bagoas bewilligt. Bestechungen können selten bewiesen werden, weil für sie keine Quittun­ gen ausgestellt werden. Wenn man aber im Papyrus aus­ drücklich liest: „Und was das Geld betrifft“, haben wir schon die nötigen Hinweise gegeben (Cowley 30.28), dann „geht einem eine Kerzenfabrik auf“. Man gelangte zu einem Kompromiß: Ein neuer, aber viel kleinerer Tempel sollte in Elephantine wieder errichtet wer­ den. Ganzopfer aber durfte man nicht mehr darbringen, nur Dank- und Brandopfer. Das hätte eigentlich die KhnubPriester ein für allemal befriedigen sollen, da sie nur gegen das Opfern des Widders etwas einzuwenden hatten. Es war 62

ja schon jahrelang ein Greuel für die Ägypter gewesen. Aber auch die Priester in Jerusalem sollten sich mit diesem Kompromiß zurechtfinden, da sie auf Grund des alten Bi­ beltextes darauf bestanden, das Opfer nur im Jerusalemer Tempel zu gestatten. Diaspora-Juden sollten sich zum Pessach mit der Mitzwa (religiösen Pflicht) des Mazze-Essens in Ägypten begnügen. Wenn sie aber unbedingt opfern wollten, dann mußten sie die Wallfahrt nach Jerusalem an­ treten. So wurde die zentrale Stellung des Tempels in Jerusa­ lem gesichert, und die kleine Gemeinde in Elephantine mußte zurückstehen. Auch den Persern war dieser Kom­ promiß lieb. Sei waren Feueranbeter und betrachteten das Verbrennen eines Tieres als Verschmutzung des Feuers (Herodot I. 132; Strab. XVI. 3,13-15). Was weiter geschah, wissen wir nicht. Es gibt keine ara­ mäischen Papyri für das 4. Jahrhundert. Wir wissen also nicht, ob die jüdische Siedlung gewaltsam oder durch inne­ ren Zerfall und Auswanderung zugrunde ging. Ein argu­ mentum ex silentio ist nie ein willkommener historischer Beweis. Aber eines steht fest: Als Artaxerxes III. Ägypten wieder eroberte, gab es keine Juden mehr in Elephantine.

4. Antijüdische Propaganda in Ägypten Die zweite Phase bestand nur aus einer unblutigen Propa­ gandaschlacht zwischen Juden und griechisch sprechenden Ägyptern; sie betrifft die Exodus-Geschichte. Nach der Beilegung des Konfliktes in Elephantine, den ich in diesem Vortrag schon behandelte, lebten wieder Juden und Ägyp­ ter in friedlicher Koexistenz, die viele Jahre anhielt. Juden feierten nach wie vor das Pessachfest und lasen jedes Jahr am Sederabend die „Haggada“, die Geschichte des Auszugs aus Ägypten. Solange die Geschichte über die zehn Plagen 63

und die demütigende Niederlage Pharaos am Ufer des Ro­ ten Meeres auf die hebräische Version beschränkt war, blieb die gebildete Schicht Ägyptens gleichgültig. Doch nachdem die Bibel ins Griechische übersetzt worden war, reagierte man in Ägypten ungehalten, um es vorsichtig auszudrükken. Und warum wurde die Bibel übersetzt? Warum, weiß eigentlich niemand. Es gibt aber ziemlich plausible Vermu­ tungen. Die jüdische Diaspora in Ägypten sprach im dritten Jahrhundert v. Chr. nicht mehr hebräisch, sondern grie­ chisch, obwohl sie ihrer Religion treu blieb. Man übersetzte die Bibel, um den Juden das Lesen der Heiligen Schrift zu erleichtern. Es gab aber auch einen noch triftigeren Grund. Viele orientalische Völker wollten sich damals der siegrei­ chen griechischen, zivilisierten Welt vorstellen. Das konnte nur auf griechisch geschehen. So schrieb Xanthos von Lydi­ en eine Geschichte Lydiens auf griechisch. Manetho schrieb auf griechisch eine Geschichte Ägyptens, Berossos eine Ge­ schichte Syriens und Fabius Pictor schrieb die erste römi­ sche Geschichte auf griechisch gegen Ende des dritten Jahr­ hunderts v. Chr. Politisch begingen die Juden einen großen Fehler; sie hätten eine jüdische Geschichte nach einem grie­ chischen Modell schreiben sollen und so den Griechen ein wenig schmeicheln, und betonen, daß Juden und Griechen eigentlich verwandt seien, und Juden und Spartaner von Abraham abstammen. Eine solche Legende gab es auch, und sie wurde erst später bekannt gemacht. Griechen waren dar­ an gewöhnt und hatten nichts dagegen. Auch die Römer er­ zählten, daß die Fabier von Herakles stammten, die Sabiner von Sparta, und daß die Arkadier das alte Latium koloni­ siert hätten. Die Juden aber hatten kein Verständnis für solche Tricks. Sie übersetzten die Bibel wortwörtlich, langweilten die Griechen, und es gab wirklich kaum einen Griechen, der die Septuaginta zum Vergnügen las. Die Ägypter jedoch fühlten 64

sich getroffen und beleidigt. Seit dem 3. Jahrhundert zirku­ lierte in Ägypten eine Anti-Exodus-Version, wonach die Juden von Lepra befallen gewesen seien und aus Ägypten hätten verjagt werden müssen, um das Land vor Verunrei­ nigung und Seuchen zu bewahren. Eine solche Version ist schon in Hekataios von Abdera - der kein Judenfeind war zu entdecken. Hier einige Absätze, die in Josephus’ Schrif­ ten erhalten blieben. „Hekataios von Abdera, Philosoph und tüchtiger Ge­ schäftsmann zugleich, der unter König Alexander Ruhm er­ langte und später mit Ptolemaios, Sohn des Lagos, befreun­ det war, legte ein ganz anderes Zeugnis ab. Er machte keine flüchtigen Andeutungen, sondern widmete den Juden ein ganzes Buch, wovon ich kurz ein paar Stellen anschneiden möchte. Seuchen wurden im antiken Ägypten als göttliche Strafe betrachtet. Die eingeborene Bevölkerung verfiel dem Glauben, daß die Lösung ihrer Probleme erst mit der Ver­ treibung der Fremden gelingen könne, die darauf auf einen Schlag aus dem Lande vertrieben wurden. Doch die größere Zahl der Vertriebenen wurde in die heute als Judäa bekannte Region geschickt, die nicht sehr weit von Ägypten entfernt liegt und zu jener Zeit sozusagen menschenleer war. Der Führer der neuen Kolonie, der als besonders weise und mutig galt, hieß Moses. Er nahm vom Land Besitz und gründete einige Städte, darunter das heute am besten bekann­ te Jerusalem. Ferner errichtete er einen Tempel, der von da an als heilig galt, legte einen bestimmten religiösen Ritus fest, erließ Gesetze und etablierte politische Institutionen. Er teilte das Volk sodann in zwölf Stämme, da die Zahl Zwölf als vollkommen galt und der Zahl der Monate eines Jahres entsprach. Er machte dem Volk kein Bild der Götter, da er Gott nicht als menschliche Gestalt verstand. Gott sei im Himmel und regiere allein das Universum. Der Opfer­ brauch, den er einführte, unterschied sich von jenen anderer 65

Nationen, wie auch die Lebensweise seines Volkes über­ haupt. Als Folge der Vertreibung aus Ägypten führte er un­ soziale und unmenschliche Sitten ein. Er wählte die gebil­ detsten und am meisten zur Führung befähigten Männer, machte sie zu Priestern und bestimmte sie dazu, sich dem Tempel, der Gottesverehrung und der Opfergabe hinzuge­ ben. Dieselben Männer ernannte er zu Richtern und be­ stimmte sie zu Wächtern von Gesetz und Brauch. Aus die­ sem Grunde wurden die Juden nie von Königen regiert, und die Macht über das Volk wurde stets jenem Priester anver­ traut, der seine Kollegen an Weisheit und Tugendhaftigkeit überragte. Dieser Priester wird Hohepriester genannt und als Überbringer von Gottes Geboten betrachtet. Er verkün­ det die Gesetze vor versammelter Gemeinde, die dem Ho­ hepriester ehrerbietig zu Füßen liegt. Am Ende ihres Ge­ setzbuches ist sogar folgender Satz vermerkt: .Diese Worte hat Moses von Gott empfangen und sie den Juden offen­ bart .. .* Der Gesetzgeber der Juden war auch darauf be­ dacht, für den Krieg vorzusehen, und forderte von den jungen Männern die Pflege von Männlichkeit und Standhaftigkeit sowie die Abhärtung. In bezug auf Heirat und Bestattung achtete er darauf, Bräuche einzuführen, die sich von jenen anderer Völker deutlich unterscheiden würden. Als die Ju­ den jedoch später unter fremde Herrschaft kamen und sich mit anderen Völkern vermischten (dies sowohl unter persi­ scher als auch unter der sie ablösenden makedonischen Herrschaft), verloren sich manche ihrer Traditionen.“ Also außer diesem einen Satz: unsozial und unmenschlich (auch intolerant übersetzt) kein bösartiges Wort. Es gibt auch Forscher, die Hekataios als judenfeindlich bezeichnen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Der erste literarische Exponent einer expliziten anti­ jüdischen Richtung in der griechischen Historiographie ist zweifellos Manetho. Ob es Manetho oder nur ein Pseu66

do-Manetho war, kann uns hier nicht beschäftigen. Der In­ halt des Textes ist für uns entscheidend - und nicht die Identität des Autors. Zwei Riesenfragmente Manethos sind von Josephus in seinem Contra Apionem umschrieben, also nicht verbatim zitiert. Der erste Abschnitt (I. 73-79) be­ schreibt die Herrschaft der Hyksos in Ägypten, wie sie Göttertempel dem Erdboden gleichmachten. Der zweite Teil berichtet über den „Auszug aus Ägypten“: Seine Schil­ derung beginnt - so Josephus: mit unseren Vorfahren, die zu Zehntausenden in Ägypten eingefallen seien, die Herr­ schaft über die Einheimischen erlangt hätten, zu einer späte­ ren Zeit wieder aus dem Lande verjagt worden seien, darauf die heute als Judäa bekannte Region bevölkerten, Jerusalem gründeten und den Tempel errichteten. Bis dahin war er der Heiligen Schrift gefolgt. Danach fügte er frei unglaubwür­ dige Geschichten hinzu, indem er Legenden und aktuelles Gerede über die Juden aufzeichnete, um bei uns und unter zahlreichen Ägyptern Verwirrung zu stiften, die, wie er be­ richtet, wegen Lepra und anderer Krankheiten aus Ägypten verbannt worden waren. Manetho fährt dann weiter fort (ich zitiere seinen Bericht wortwörtlich): „Nachdem die Männer in den Steinbrüchen eine lange Zeit gelitten hatten, baten sie den König, er möge ihnen als Wohnstatt Auaris, die verlassene Hirten-Stadt, zur Verfügung stellen. Er wil­ ligte ein. Nach religiöser Tradition war diese Stadt seit frü­ hester Zeit Typhon gewidmet. Zum Anführer der neuen Einwohner dieser Stadt, die nun mit ihrer Umgebung auch als Basis für eine Revolte diente, wurde Osarseph, einer der Priester von Heliopolis, erkoren, dem sie den absoluten Gehorsam schworen. Der Priester, der die neue Konstituti­ on und die Gesetze erlassen hatte, soll aus Heliopolis ge­ kommen sein und Osarseph, nach dem Gott Osiris, gehei­ ßen haben. Er habe seinen Namen jedoch auf Moses ge­ ändert, als er sich jenem Volk angeschlossen habe.“ 67

Es wäre müßig, diesen komplizierten Text in einem Vor­ trag gründlich zu analysieren. Ich möchte nur betonen, daß der Text bis heute noch ziemlich umstritten ist und wir auf eine neue Interpretation Erich Gruens gespannt sind, der so freundlich war, mir den ersten Entwurf seines Aufsatzes zur Verfügung zu stellen. Heute möchte ich nur eins betonen. Die ägyptische Ver­ sion der Exodus-Geschichte wirkte besonders auf die gebil­ deten Schichten in Alexandrien. Die einfachen Menschen la­ sen weder die Bibel in griechischer Übersetzung noch die Geschichte Manethos. Zu großen Ausschreitungen gegen Juden im ptolemäischen Ägypten kam es nicht; und die wenigen antijüdischen Äußerungen, die man in den Papyri finden mag, sind kaum auf die antijüdische Exodus-Version zurückzuführen. Wie sich aber die antijüdische Propaganda im damaligen Syrien durchsetzte, werde ich in meinem dritten und vierten Vortrag behandeln.

Christian Meier

Einführung in die Vorlesung vom 22. Juli 1996 Die Frage, wodurch die Juden im Altertum sich von den „andern“ Barbaren unterschieden (mit der der erste Vortrag von Zvi Yavetz vor zwei Wochen schloß), hat im letzten folgende Antwort gefunden: 1. Die Juden waren keine „edlen Wilden“ (an denen man auch seine Freude haben konnte), sondern ein altes zivili­ siertes Volk. 2. Anders aber als die Griechen, Ägypter und andere (die das auch waren) hielten sie sich in irritierender Weise an ein System strenger Verhaltensnormen und Bräuche und suchten, Anhänger für ihren Glauben zu gewinnen, so daß man sie auch nach ihrer Unterwerfung für gefährlich halten konnte. Man könnte hinzufügen, daß sie, anders als die - wenn ich das mit einem Schlagwort sagen darf - andern „zivili­ sierten Barbaren“, sich eben auch kräftig zur Wehr zu set­ zen wußten (was sonst nur die „wilden“ gelegentlich taten). Übrigens waren wohl auch Speisegesetze etc. nicht eigen­ tümlich für die „zivilisierten Barbaren“ und die „wilden“, die solcherart Riten kannten, verbreiteten sich kaum über ihr eigenes, in der Regel entlegenes Gebiet hinaus. Insofern begegnete man den Juden anders als allen andern Barbaren. Folglich fordert der Judenhaß - denn so muß es heißen, nicht Antisemitismus oder gar Antijudaismus - be­ sondere Aufmerksamkeit. Er entsteht nach Zvi Yavetz in vier Phasen, von denen zwei Thema der letzten Vorlesung waren. 69

Die Methode der Betrachtung soll durch die Frage: „Who dunnit?“ bestimmt sein. Woher die „latent vorhandene Ab­ neigung“ komme, sei nicht auszumachen. Aber Täter seien es. Das stimmt zumindest für den ersten Ausbruch offenen Judenhasses im Innern einer politischen Einheit, von dem in der letzten Vorlesung zu erzählen war. Der Judenhaß nahm seinen Anfang - nach Josephus - in Ägypten. Bekannt ist als erstes die Zerstörung des jüdischen Tempels in Elephantine im Jahre 411 v. Chr, Dort, an der Südgrenze Ägyptens, stand eine aus jüdischen Söldnern gebildete Militäreinheit. Im jüdischen Tempel wurden Widder geopfert, die Ägypter hielten das für frevelhaft, und ganz besonders taten das die Priester des Widder-Gottes Khnub, der seinen Tem­ pel in der unmittelbaren Nachbarschaft hatte. Außerdem waren die Juden unbeliebt, weil sie zu den Persern hielten, die Ägypten unterworfen hatten und den Ägyptern verhaßt waren. Freilich, der jüdische Tempel stand dort schon seit Jahr­ hunderten. Nichts verlautet, daß das Widder-Opfer jünge­ ren Datums gewesen wäre. Und die Perserherrschaft war schon 525 begründet worden. Warum schritt man erst 411 zur Tat? Das läßt sich nicht genau erklären. Man kann nur sagen, daß dergleichen immer wieder vorkommt: Latente Span­ nungen - die einem langen, friedlichen Zusammenleben nicht im Wege gestanden haben - brechen irgendwann offen aus, warum auch immer. Hier kann man immerhin feststel­ len, daß die ägyptischen Priester offenbar den persischen Gouverneur auf ihre Seite gebracht hatten. Vorübergehend, aus irgendwelchen Gründen. Die grundsätzlich juden­ freundliche Politik der Perser wurde bald darauf wieder aufgenommen. In Sachen des Opfers ließ sich ein Kom­ promiß finden. 70

Nach diesem lokalen Ereignis ist als „zweite Phase“ eine unblutige Propagandaschlacht zu verzeichnen: Sie geht dar­ auf zurück, daß die Septuaginta ins Griechische übersetzt wurde. Wohl weil die Juden in Alexandria sie sonst nicht verstanden hätten (denn sie sprachen vorwiegend grie­ chisch), aber auch weil sich damals die verschiedenen nicht­ griechischen Völker der Ökumene der zivilisierten griechi­ schen Öffentlichkeit bekannt machen wollten. Der Unter­ schied war nur: Die andern schrieben ihre Geschichte neu, eigens auf den Adressaten hin, während die Juden ihre eige­ nen kanonischen Schriften übersetzten (wohl eben auch, weil sie sie in der Übersetzung selber brauchten; weil für sie die Bücher so, wie sie waren, wichtig waren, die andern da­ gegen solche Bücher nicht hatten). So wurden die Ägypter damit vertraut und sie ärgerten sich über die Geschichte vom Auszug der Juden aus Ägypten und von der Niederla­ ge Pharaos. Sie erfanden eine neue Version: Die Juden seien in Wirklichkeit vertrieben worden, weil sie Lepra hatten. Soweit also zu Ägypten! Heute dagegen kommen wir ins jüdische Land selbst und ins hellenistische Seleukidenreich, dem es zeitweise zuge­ hörte. Genug der Überleitung. Die Brücke vom vorigen Montag ist gebaut, so hoffe ich, die Erzählung kann also ih­ ren Fortgang nehmen. Bitte.

Zvi Yavetz Dritte Vorlesung Dies führt uns zur dritten Phase des Judenhasses in der heidnischen Antike, und sie gehört ins 2. Jahrhundert v. Chr. Wie bei der zweiten Phase handelt es sich zunächst um einen Propagandakrieg, angeführt von der gebildeten, hellenisierten Oberklasse, die noch stark von der seleukidischen Sphäre beeinflußt war. Ihre Anschuldigungen gegen die Juden waren ägyptischen Ursprungs, was sie aber nur wenig kümmerte. Sie übernahm sie vor allem, um die Juden bei den neuen Machthabern im Nahen Osten, den Römern, anzuschwärzen. Das alte seleukidische Establishment konnte zwar die ihm von den mächtigen römischen Armeen zuge­ fügte Niederlage hinnehmen, doch die gegen die Juden erlit­ tenen Niederlagen, die Entstehung eines selbständigen Ju­ denstaates und der Zerfall des Seleukidenreiches nach dem Tode des Antiochos VII. Sidetes erniedrigte sie zutiefst. Die seleukidische Intelligenz konnte nicht eingestehen, daß ihre Streitkräfte eine Niederlage gegen die Judäer einstecken mußten, und zogen es vor, die Schuld für den Zerfall ihres Reiches einer ,internationalen jüdischen Konspiration' zu­ zuschieben und vor allem der römischen Unterstützung für den neuerrichteten jüdischen Staat. Das Hauptziel der anti­ jüdischen Propaganda war es, einen Keil zwischen Juden und Römer zu treiben und das Bündnis zwischen dem neu­ entstandenen Judenstaat und Rom zu untergraben. So be­ trachteten die Seleukiden die Eroberung Jerusalems durch Pompeius 63 v. Chr. als ihren Erfolg. 72

1. Die Konfrontation zwischen Judentum und Hellenismus Der Erste Tempel wurde im Jahre 586 v. Chr. von Nebukadnezar zerstört und die führende Schicht der Juden nach Babylonien verschleppt. Physisch hatten die Juden im baby­ lonischen Exil nichts zu leiden. Sie bauten sich Wohnhäu­ ser, pflanzten Weinberge und beteten für den Frieden des Landes, in dem sie lebten. Seelisch jedoch „weinten sie an den Wassern Babylons“ und gelobten, Jerusalem nie zu ver­ gessen. So hatten sie im tiefsten nationalen Sinn keinen Grund, den Zusammenbruch Babylons zu beklagen, und nahmen die Perser mit offenen Armen auf. König Kyros war Sinnbild des heidnischen Liberalismus und polytheistischer Toleranz. 538 v. Chr. ließ er seine be­ rühmte, in der jüdischen Geschichte verewigte Erklärung ergehen, mit der er den Juden erlaubte, in ihr Land zurück­ zukehren. Ganz nebenbei sei bemerkt, daß die Erklärung viel weniger zweideutig ist als so manche moderne Dekla­ ration. Kyros gestattete den Juden, ihren Tempel wiederaufzu­ bauen. Er gestattete ihnen, Opfer zu bringen und die heiligen Gefäße, die Nebukadnezar geraubt hatte, zurückzuholen, und befahl seinem Schatzamt, die Kosten zu übernehmen. Doch verbot er ausdrücklich den Wiederaufbau der Stadt­ mauern, und nirgends in der Erklärung ist auch nur ein Hinweis auf eine Rückgabe der politischen Freiheit zu fin­ den. Die Deklaration von Kyros bezog sich ausdrücklich nur auf religiöse Freiheit. Deshalb gibt es noch bis heute Historiker, die das persische Judäa als Tempelstaat bezeich­ nen. Das jüdische Gebiet war sehr klein. Es hieß Jahoud (unter den Griechen in Ioudaia umgetauft) und wurde nun 73

von einem Satrapen, dem früheren „Shatparvan“ (persisch) verwaltet. Es erstreckte sich auf ein 40 km langes Gebiet von Bethel und Bet Horon im Norden bis Bet Tzur im Sü­ den und ca. 50 km von Gezer, Emmaus und Modiin im Westen bis Jericho und Ein Gedi im Osten - im großen und ganzen auf ca. 2800 km2. Weder Idumea (in der Gegend von Hebron) und das Nabatäerland (im Süden) noch die Gebie­ te des gewesenen, von Assyrien zerstörten Königreichs Is­ rael - mit der Hauptstadt Samarien - gehörten zu Iudaia; von den Küstenstädten wie Gaza, Aschkalon, Aschdod gar nicht zu reden. Jerusalem war damals die einzige Stadt Iudaias, war aber keine Polis, sondern nur ein Ethnos der Juden, mit einem Tempel im Zentrum, 8.8 km2 groß und hatte wahrscheinlich eine Bevölkerung von ca. 120000 Ein­ wohnern. Im allgemeinen waren dies Friedenszeiten für die Einwohner Palästinas, und die religiösen Spannungen zwischen Jerusalem und Samaria führten zu keinem Blut­ vergießen. All dies ging mit der Eroberung des Nahen Ostens durch Alexander den Großen zu Ende. Nach seinem plötzlichen Tod (323 v. Chr.) wurde die Lage noch schlim­ mer. Die Streifzüge der Diadochen verwüsteten das Land, und man denke nur daran, daß im Laufe von 20 Jahren (von 320-302 v. Chr.) Jerusalem sieben Mal den Herrscher wech­ selte, und daß im Jahre 306 v. Chr. der einäugige Antigonos 80000 Fußsoldaten und 8000 Mann Kavallerie über Palästi­ na gegen Ägypten aufmarschieren ließ. Nicht umsonst er­ zählte man sich folgenden Witz im von der Sowjetunion be­ setzten Polen: Die Polen wünschten sich damals, zweimal von chinesischen Truppen erobert zu werden; nicht weil sie sich nach den Chinesen sehnten, sondern weil eine zweima­ lige Durchquerung der Sowjetunion durch chinesische Truppen eine passende Strafe für das verhaßte Rußland sei. In Polen war das nur ein Witz, in Palästina zur Zeit der 74

Diadochen bis zur Schlacht bei Ipsos (301 v. Chr.) aber bit­ tere Wirklichkeit. Das 3. Jahrhundert war eine Periode ständiger Spannung zwischen Syrien und Ägypten. Fünf blutige Kriege wurden geführt, und Palästina war in diesem Konflikt ein nicht un­ wesentlicher Streitpunkt. Der makedonische General Ptolemaios, der Ägypten er­ oberte und sich in der Titanenschlacht bei Ipsos zurück­ hielt, wollte auf keinen Fall auf Palästina verzichten. Er brauchte es dringend als Pufferstaat zwischen Ägypten und Syrien, brauchte Zedernholz aus den libanesischen Bergen, um Schiffe zu bauen, und hohe Hafensteuern von den pa­ lästinensischen Städten Gaza, Jaffa, Ptolemais (Akko) konnten ihm viel Geld einbringen; denn die Wüstenkara­ wanen brachten dorthin kostbare Waren aus dem Osten, um sie von da in den Westen weiter zu expedieren. Seleukos wollte Palästina aus denselben Gründen nicht aufgeben. Deshalb wüteten die eben erwähnten blutigen Kriege zwischen den Soldaten des Ptolemaios und denen des Seleukos - das wahre Opfer aber war - wie gewöhnlich - die Zivilbevölkerung. In dieses Zeitalter gehört auch die erste Begegnung zwi­ schen Judentum und Hellenismus. Beide Begriffe erscheinen zum ersten Mal im 2. Makkabäerbuch, dessen Verfasser, Iason von Kyrene (ein frommer nordafrikanischer Jude, über dessen Lebzeiten sehr wenig bekannt ist), wußte schon, daß der Begriff „Judaismus“ (2. Makk. 2.21, 8.1) sich einerseits auf eine politisch-genetische Bindung mit dem jüdischen Volk - andererseits aber auch auf einen exklusi­ ven Glauben an den Gott Israels bezieht, und es ohne ein Festhalten an den Gesetzen der Thora den Judaismus nicht geben könne. Deshalb ist der deutsche Begriff „Judentum“ m. E. treffender als der englische Begriff „Judaism“, der sich auf die Ideengeschichte beschränkt. 75

Auch die Bezeichnung „Hellenismus“ erscheint zum er­ sten Mal im 2. Makkabäer-Buch (2. Makk. 4.13) und bezieht sich auf die Versuche zur hellenistischen Reform in Jerusa­ lem, die als Höhepunkt des Hellenismus bezeichnet wird. Ich muß gestehen, daß es viel leichter ist, das hellenistische Zeitalter als den Hellenismus zu definieren. Das hellenisti­ sche Zeitalter begann mit der Eroberung des Ostens durch Alexander, drückte sich aber später nicht nur in den von Makedonien besetzten Gebieten aus, sondern wirkte sich verschiedenartig von Kleinasien bis auf den gesamten Mit­ telmeerraum einschließlich Spanien aus, und das auf politi­ scher, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, kultureller und re­ ligiöser Ebene. Eines steht fest: Erwähnenswerte Beziehun­ gen zwischen Juden und Griechen entstanden erst nach der Eroberung Palästinas durch Alexander im Jahre 332. Vorher kam es wohl zu sporadischen Treffen zwischen Griechen und Juden. Theophrast nannte die Juden „ein philosophisches Volk“, und Klearchos von Soli spricht von einem jüdischen Gelehrten, der dem Aristoteles Beweise zu Platons Unsterb­ lichkeitslehre liefern konnte. Solch judenfreundliche Aussa­ gen irritierten so manchen Antisemiten im 19. und 20. Jahr­ hundert, und Eduard Meyer fand auch dafür einen Grund: Ja - so war es nur am Anfang. „Bei näherer Bekanntschaft freilich mußte die anfängliche Idealisierung des Judentums notwendig in ihr Gegenteil umschlagen“; oder: „Die Eigen­ art (des Judentums) mußte den Judenhaß notwendig heraus­ fordern. Derselbe ist dann so alt wie das Judentum selbst.“ Heutzutage würde man es kaum wagen, dies öffentlich so zu formulieren. Es gibt aber auch eine viel objektivere Er­ klärung: Solange die Griechen Palästina nicht erobert hat­ ten, wußten sie nicht viel über die dort hausenden Stämme. Für einen griechischen Kaufmann, der in Kleinasien oder Syrien mit einem Orientalen ein Geschäft machte, war die Religion seines Partners ziemlich einerlei. Alle Orientalen 76

sahen gleich aus, waren gleich gekleidet, alle sprachen Ara­ mäisch, da dies die lingua franca vom Euphrat bis zum Nil war, und der Unterschied zwischen einem Juden und einem Samaritaner, Idumäer oder Nabatäer interessierte ihn wenig. Bei Tischgesprächen konnten ab und zu Sitten und Religion erörtert werden, und so erfuhr man etwas über die „philo­ sophischen Grundlagen“ der jüdischen Religion. Sonst, auch das nicht. Selbstverständlich - als Palästina erobert wurde und griechische oder makedonische Statthalter Steu­ ern kassierten und unnütze Streite zwischen den verschie­ denen Stämmen verhindern oder schlichten mußten, war es nicht mehr überflüssig, sich über die Verschiedenartigkeit der lokalen Bevölkerung zu erkundigen. Auf Grund dieser Erscheinung möchte ich den Hellenis­ mus in Judäa erklären und deshalb gesellschaftliche und politische Einflüsse stärker betonen als die geistigen; nicht weil ich die geistigen geringschätze, sondern weil die geisti­ ge Wechselwirkung zwischen Judentum und Hellenismus von Martin Hengel so hervorragend behandelt wurde, daß ich nur wenig hinzufügen kann. Hengel ist kein einziger Absatz aus den Spätschriften des alten Testaments - wie Kohelet, Hiob, das Hohelied Salomos (Schir ha’Schirim), Salomos Sprüche (Mischle) entgangen. Trotzdem ist es bemerkenswert, wie wenig der Geist Griechenlands in Judäa Fuß faßte. Sogar ein aufgeschlosse­ ner Jude wie Ben Sirah, der auf Reisen ging, mit hellenisti­ schen Syrern und Kleinasiaten verkehrte, der seine griechi­ sche Bildung nie verleugnete, blieb unüberzeugt. Letzten Endes kam er zu dem Schluß (19.21): „Besser gering Klug­ heit und Gottesfurcht als große Klugheit mit Gottesverach­ tung“ - oder (Sprüche 2-6): „Denn der Herr gibt Weisheit, und aus seinem Munde kommt Erkenntnis und Verstand.“ Und noch wichtiger: „Des Herren Furcht - ist Anfang der Weisheit“ (1.7) - also nicht die Fragestellung, die bei den 77

Griechen - wie Thales, Heracleitos und Demokritos - die Philosophie hervorrief. Auch Hengel weist darauf hin, daß trotz alledem in den von der griechischen Philosophie beeinflußten hebräischen Schriften - der einzig jüdische Gott allmächtig blieb und das polytheistische griechische Pantheon - bei Juden den kürzeren zog. Deshalb möchte ich an viel prosaischere Einflüsse erin­ nern. Die folgenden Umstände sind in Betracht zu ziehen. Die Zahl der gebürtigen Griechen und Makedonier, die sich wirklich in Palästina niederließen, war gering. Einige waren demobilisierte Soldaten, die beschlossen, nach ihren lang­ jährigen Feldzügen im Osten zu bleiben. Andere waren ver­ armte Bauern oder glücklose Kaufleute vom griechischen Festland, die versuchen wollten, ihren Lebensstandard durch Auswanderung zu verbessern. Sie waren weder Mis­ sionare griechischer Kultur und Zivilisation, noch waren sie ausgezogen, um Homers Dichtung und Platons Philosophie unter den Barbaren zu verbreiten. Vermutlich verstanden sie selbst nicht sehr viel davon. Ihr wesentliches Vermächt­ nis an die nach Alexanders Tod gegründeten Städte war die Sprache selbst - Griechisch wurde zur offiziellen Landes­ sprache - und ebenso die Einrichtungen wie Boule (Stadt­ rat), Gymnasion, Ephebeion usw. Die Mehrheit der Stadt­ bevölkerung war orientalischer Herkunft. Sie akzeptierte diese äußerlichen Erscheinungen hellenistischer Zivilisation, aber mehr auch nicht. Das trifft für das gesamte Gebiet zu. Hellenismus durchdrang Judäa noch auf eine andere Art, nicht nur durch den Einfluß der griechischen Städte, son­ dern auch infolge persönlicher Beziehungen, die sich zwi­ schen einigen Juden und den ptolemäischen Behörden ent­ wickelten; und - wie in allen orientalischen Ländern waren die ersten, die unter den Einfluß gerieten, die Rei­ chen und die Mächtigen. 78

Die Ptolemäer konnten sich nicht leisten, Palästina aus­ schließlich durch den Hohen Priester zu regieren. Deshalb machten sie außerordentliche Anstrengungen bei der Suche nach zusätzlichen Verbündeten und fanden sie unter den wohlhabenden Grundbesitzern. Von ihnen sind uns manche aus verschiedenen Papyri bekannt. Die Familie der Tobiaden aus Philadelphia in Transjordanien muß als klassisches Beispiel angeführt werden. Im Gegensatz zu der Jerusale­ mer Aristokratie waren die Tobiaden Kosmopoliten mit ausgezeichneten Beziehungen zu ihren Nachbarn. Leute wie sie mußten häufig nach Ägypten reisen, und man darf an­ nehmen, daß sie so den örtlichen Dialekt erlernten. Auch ist es wahrscheinlich, daß sie, wenn sie an der Tafel ihrer Gast­ geber in Alexandria saßen, sich nicht allzu streng an die mo­ saischen Speisegesetze hielten. Sie blieben Juden - doch sehr verschieden von denen, die in Jerusalem auf striktester Be­ folgung aller mosaischen Vorschriften bestanden. Josephus erzählt in seinen Altertümern (XII. 224), daß Jo­ seph, der Sohn des Tobias (geboren wahrscheinlich zwi­ schen 270-260 v. Chr.), das jüdische Volk aus einer Lage der Armut und Dürftigkeit in eine Lage des Wohlstandes em­ porhob. Das geschah ganz einfach. Als Joseph im Jahre 242 v. Chr. Jerusalem besuchte, kam es zu einer Krise in den Beziehungen zwischen den ägyptischen Finanzbehörden und dem Hohen Priester Onias. Auf der Tagesordnung stand, wie leicht zu erraten, die Höhe der Steuern, die der Hohepriester im Gebiet seiner Jurisdiktion eintreiben müs­ se. Joseph, der gute Verbindungen in Alexandrien hatte, schlug seine Vermittlung vor, zog nach Ägypten, erreichte einen zufriedenstellenden Kompromiß und zu gleicher Zeit auch eine „Kleinigkeit“ für sich selbst. Er wurde zum ptolemäischen Staatspächter. Das waren die ersten jüdischen publicani, telonai auf griechisch, die das Eintreiben der Steuern vom Hohen Priester übernahmen. Wir sind durch 79

die Zenonpapyri ziemlich gut über solche Typen informiert. Wichtig ist zu unterstreichen, daß man einen Vertrag über das Eintreiben der Steuern nur in Alexandrien abschließen konnte. Man braucht keine besonders große Phantasie, um sich solche Besuche reicher Juden im hellenistischen Alexandri­ en vorzustellen. Ein Joseph mußte mit dem „Ho epi ton pragmaton“ (Minister) in Ägypten Griechisch sprechen, konnte während der Verhandlungen nicht immer auf echt koscherem Essen bestehen, und als er nach Palästina zu­ rückkam und viel Geld verdiente, erschien es ihm ganz na­ türlich, auch sein Privatleben nach den Gepflogenheiten seiner Standesgenossen unter anderen Völkern zu richten. Es ist anzunehmen, daß der alte Joseph ben Tobias noch ziemlich bescheiden lebte. Seine Söhne aber wurden schon als Kinder eines reichen Mannes erzogen und eigneten sich einen ganz anderen Lebensstil an. Josephus Flavius berichtet: „Er, Hyrkanos, der Sohn Jo­ sephs, erbaute sich eine feste Burg, die er bis zum Dache aus weißem Marmor aufführte und rings mit Tiergestalten ver­ sah. Um dieselbe zog er einen breiten und tiefen Graben. An dem gegenüberliegenden Gebirge ließ er die vorsprin­ genden Felsgraten durchbohren und stadienlange Höhlen daselbst anlegen. Letztere dienten teils zur Abhaltung von Schmausereien, teils zu Wohn- und Schlafstätten. In sie hinein leitete er kräftige Quellen, die der Anlage zum Schmucke und zur Bewässerung dienten. Die Eingänge zu den Höhlen ließ er nicht größer machen, als daß ein Mann eben eintreten konnte, und zwar mit Rücksicht auf seine Si­ cherheit. Sollte er nämlich von seinen Brüdern einmal bela­ gert werden, so dachte er ihnen auf diese Weise zu ent­ schlüpfen. Dazu legte er auch noch Höfe von großer Ausdehnung an und schmückte sie mit weiten Gartenanla­ gen. Die ganze Ansiedlung nannte er Tyros. Sie liegt zwi80

sehen Arabien und Judaea, jenseits des Jordan und nicht weit von Essebonitis. Hier herrschte Hyrkanos sieben Jahre lang, die ganze Zeit hindurch, während welcher Seleukos in Syrien regierte. Als dieser gestorben war, bestieg sein Bru­ der Antiochos mit dem Beinamen Epiphanes den Thron“ Jos. Ant. XII.5.11). Inzwischen starb auch Ptolemaios, der König von Ägyp­ ten, der ebenfalls Epiphanes hieß und zwei noch jugendli­ che Söhne hinterließ, von denen der ältere Philometor, der jüngere Physkon genannt wurde. Da nun Hyrkanos die große Macht des Antiochos erkannte und befürchten muß­ te, wegen seiner Kriegszüge gegen die Araber von ihm ge­ fangen und hingerichtet zu werden, tötete er sich selbst. Seine sämtlichen Besitzungen aber zog Antiochos ein. Dieser Absatz bedarf einiger historischer Erläuterungen: 1. Hyrkanos kann als Prototyp der hellenistischen Juden betrachtet werden. Er war nicht der einzige. Es gab viele solcher assimilierten Juden - nicht nur in Transjordanien sondern auch in Jerusalem. Alle gehörten zur Oberschicht, waren reich und verstanden, daß man ohne Griechisch zu sprechen (Koine) keine Geschäfte machen konnte. Das ist auch in talmudischen Quellen bestätigt. Man gestattete jüdi­ schen Männern, Griechisch zu lernen, um ohne Dolmetscher Geschäfte machen zu können. Frauen war es verboten. 2. Der Hellenismus dieser reichen Juden war ziemlich oberflächlich und sollte meiner Meinung nach als erstes levantinisches Phänomen betrachtet werden. Sie eigneten sich nur die äußerlichen glitzernden, unerheblichen Seiten der westlichen Kultur an. Sie sprachen Koine, liebten Pferde­ rennen mehr als griechische Tragödien und wußten, daß ein Weltmensch sich seine Erziehung in einem Gymnasion ho­ len muß. Für griechische Philosophie und Dichtung hatten sie kein Interesse. Man kann mit Sicherheit behaupten, daß die Tobiaden und ihresgleichen keine Ahnung von Homer 81

und Sappho, Thukydides und Platon hatten. Kein Zufall al­ so, daß in Josephus’ .Beschreibung des Palais' des Hyrkanos eine Bibliothek gerade durch ihre Abwesenheit auffällt. Man soll deshalb den geistigen Einfluß des Griechentums in Judäa nicht überschätzen. Gerade die wenigen Juden wie Je­ sus Sirach, die vertraut mit griechischen Werten waren wie Erforschung der Wahrheit, Skeptizismus und Universalismus, wiesen sie verächtlich ab. Sie blieben den Gesetzen der Thora treu, und als von hellenisierten Juden die Rede war, schrieben sie (1. Makk. 1.12): „Zu dieser Zeit waren in Israel böse Leute. Sie überrede­ ten das Volk und sprachen: Laßt uns einen Bund machen mit den Heiden umher - und ihre Gottesdienste annehmen; denn wir haben viel leiden müssen seit der Zeit, da wir uns von den Heiden abgesondert haben. (Der König) erlaubte ihnen heidnische Weise anzufangen. Da richteten sie in Je­ rusalem ein heidnisches Spielhaus her und hielten die Be­ schneidung nicht mehr, und fielen ab vom heiligen Bund und wurden ganz verstockt, alle Schande und Laster zu treiben.“

2. Die Entstehung eines unabhängigen Judenstaates im 2. Jahrhundert v. Chr. Bei einer Diskussion über Judentum und Hellenismus sollte man das „Politische“ nicht vernachlässigen. Die Trennung zwischen dem Kulturellen und dem Politischen ist müßig und entspricht einfach nicht der Wahrheit. Politische, sozia­ le, wirtschaftliche und religiöse Faktoren waren miteinander eng verflochten. Am Anfang seines Absatzes über Hyrka­ nos schrieb Josephus: Nach dem Tode Josephs „entstand durch seine Söhne Uneinigkeit im Volke“. Was bedeutet dieser Satz? 82

Solange die Ptolemäer im Lande regierten, blieb alles beim alten. Die Tobiaden in Philadelphia und die Oniaden in Jerusalem hatten zwar unterschiedliche religiöse An­ schauungen und lebten in verschiedenen Lebensstilen, wa­ ren aber auf politischer Ebene gleicher Meinung. Beide Familien hielten zu den Ptolemäern. Die Seleukiden aber, die Syrien und den Osten regierten, hatten ihr heftiges Be­ gehren nach der Eroberung Palästinas nie aufgegeben, und so spaltete sich die jüdische Oberschicht. Vier Söhne des verstorbenen Josephs hielten nun zu den Seleukiden - nur Hyrkanos, der Jüngste, blieb Ägypten treu. So lesen wir auch im Kommentar des Hieronymus zu Daniel 11.14: In medio Iudaea posita, in contrario, studia scindebatur - (von Schizo - sich spalten) aliis Antiocho, aliis Ptolomaeo faventibus. (Iudaea, in der Mitte gelegen, wurde von Parteifehden zerrissen, da die einen Antiochos, die anderen Ptolemaios zuhielten). Tatsächlich, im Jahre 200 v. Chr. gelang es Antiochos III. nach der Schlacht auf den Golanhöhen am Baneas Palästina zu erobern, und Polybios berichtet, daß das Volk der Juden sich kampflos den Syrern unterwarf. Das ist leicht erklärbar: Das ptolemäische Ägypten war ein zentralistisches und bü­ rokratisches Königreich. Die seleukidische Monarchie war nicht so homogen und infolgedessen nicht so zentralistisch. Offensichtlich fand die Führung Judäas und deren plurali­ stisches System mehr Gefallen an ihr als an der monolithi­ schen Zentralisierung Ägyptens. Sie wartete auf den günsti­ gen Augenblick, in dem eine Schwächung Ägyptens mit einer seleukidischen Option zusammenträfe, zumal sogar die pro-ägyptischen Elemente in der Aristokratie - nervös über den immer stärker werdenden Druck aus Alexandria zu der Ansicht gelangten, daß sie unter den Seleukiden grö­ ßere Handlungsfreiheit gewinnen könnten. Antiochos III., der Große, belohnte diesen Zug mit einer Reihe von projü83

dischen Dekreten wie z. B. unter anderem die Befreiung der Ältesten (dabei handelte es sich wahrscheinlich um die Mit­ glieder einer Gerousia), der Priester, der Tempelschreiber und Sänger in Jerusalem von allen Steuern, ein Verbot für Nichtjuden, das Innere des Tempels zu betreten, ebenso wie das Einfuhren in die Stadt von Fleisch, dessen Genuß den Juden untersagt war (von Pferden, Mauleseln, Eseln, Ha­ sen), nicht mehr gestattet wurde (Jos. Ant. XII. 3, 4). Auf weitere Einzelheiten soll hier nicht eingegangen werden. Genüge es aber zu betonen, daß die Mehrheit des Volkes sich mit den Beschlüssen der Führung einverstanden erklär­ te. Die Ptolemäer mußten sich widerwillig mit der neuen Lage abfinden. Palästina, unter den Ptolemäern PhoinikeSyria genannt, wurde in Koile-Syria (vielleicht aus dem He­ bräischen coi Syria), Großsyrien, umgetauft. Der neue seleukidische Statthalter war ein Strategos: unter seinen Besu­ chern gab es einen Meridarches, auch Toparchoi und Nomarchoi (Unterstatthalter). Solange die jüdische Füh­ rung Jerusalems sich mit der neuen Situation zurechtfand, änderte sich die allgemeine Lage nicht. Sogar die große Nie­ derlage Antiochos’ III. bei Magnesia blieb folgenlos für das jüdische Palästina. Niemand in Jerusalem dachte damals an Rom, und dies aus einem einzigen Grunde. Alexander der Große war mit Pauken und Trompeten über den Nahen Osten hergefallen. Rom hingegen betrat ihn auf Katzen­ pfoten und hat deshalb die modernen Wissenschaftler von Niese über Holleaux, Will, Sherwin-White und Erich Gruen fasziniert. Die jüdischen Zeitgenossen Antiochos’ III. waren sich des römischen Erscheinens am Horizont kaum bewußt. Doch unter Seleukos IV. - dem Nachfolger von Antiochos III. - kam es zum Streit zwischen dem Hohen Priester Onias III. (dem Nachfolger Simons des Gerechten) und seinem administrativen Tempelvorsteher (Prostates ton hierou). Der letztere gehörte der einflußreichen Familie 84

Bilga an. Er wollte seinem Sohn den Posten als Agoranomos sichern. Der Agoranomos beaufsichtigte nicht nur die Märkte, er war auch für das gesamte wirtschaftliche Leben verantwortlich. Onias III. war dagegen - die Bilgas wandten sich an den seleukidischen Statthalter (strategos) Apollonios, den Sohn des Thraseas. Dieser unvorsichtige Schritt war der Anfang aller Schwierigkeiten. Der Tempel war schließlich nicht nur das zentrale Heilig­ tum der Juden, sondern zu gleicher Zeit auch die jüdische „Nationalbank“. Alle Geschenke, alle Spenden und Stiftun­ gen der Juden wurden im Tempel unter der Aufsicht des Hohen Priesters und seines Verwalters aufbewahrt. Auch Privatgelder waren dort angelegt, so z.B. hatte der pro­ ägyptische Hyrkanos aus Transjordanien seine Gelder im Tempel. Er unterhielt mit Onias weiter gute Beziehungen, wurde zum Mittelsmann zwischen den Seleukiden und Ptolemäern in Ägypten, und die Syrer schienen eine Zeitlang mit seinen Diensten zufrieden zu sein. In der ersten Phase des Streites zwischen Onias und Simon Bilga behielt Onias die Oberhand. Er erzielte einen Kompromiß mit dem seleukidischen Kanzler Heliodor und blieb der einzige Be­ vollmächtigte im Tempel. Darauf beruht die Legende, die uns durch das Gemälde von Delacroix gut bekannt ist, daß Heliodor sich mit Gewalt den Weg zum Tempelschatz bah­ nen wollte und plötzlich einem Schlaganfall zum Opfer fiel. (12. Makk. 3,1-10). Eigentlich passierte nichts, alles blieb beim alten, und Onias und Heliodor blieben weiter auf ihren Posten. Alles änderte sich im Jahre 175 v. Chr. Damals starb Seleukos der IV., und durch verschiedene Intrigen kam sein Bru­ der, Antiochos IV. Epiphanes auf den Thron der Seleukiden. Die Bilgas, die wenige Jahre zuvor den kürzeren hatten ziehen müssen, verbündeten sich mit Onias’ Bruder, Jason, der eine ganz neue Politik befürwortete. Er wollte sofort ein 85

Bündnis mit Antiochos IV. schließen und alle Beziehungen mit Hyrkanos in Transjordanien abbrechen. Hyrkanos be­ griff sofort, daß er bei Antiochos nichts erreichen würde, und beging Selbstmord. Onias flüchtete nach Ägypten, und Jason begab sich zum seleukidischen König Antiochos Epiphanes. 2. Makk. 4.7: „Jason verhieß dem König, wenn er’s zuwege brächte, 36 Zentner Silber und von anderem Einkommen, 80 Zentner. Und überdies verhieß er ihm auch sonst zu verschreiben 150 Zentner, wenn man ihm zulassen wollte, daß er ein Gymnasion herrichten möchte, und die Antiochäer, die in Jerusalem wohnten, als Bürger zu verschreiben.“ Diesen Satz hat Luther in seiner Übersetzung nicht rich­ tig übersetzt, weil er den historischen Hintergrund einfach nicht verstanden hat. Die Übersetzung dieses Satzes hat auch einen Riesenstreit zwischen Tscherikover und Bickermann verursacht. Statt sich zu streiten, hätten sie dem Grundsatz ihres Lehrers Wilamowitz-Moellendorff folgen sollen, der sagte einst bei der Übersetzung eines schwierigen Passus zu seinen Schülern: „Verstehen tun wir’s beide übersetzen kann’s keiner.“ Im Augenblick, da das Priesteramt sich in eine weltliche Behörde mit erheblichem politischen Einfluß verwandelte, wurde es auch zur Zielscheibe politischer Intrigen. Die Tobiaden und die Bilgas teilten nicht unbedingt die religiösen Ideale der älteren Oniaden, der Leviten und der jüdischen Schriftgelehrten. Ihre Bestrebungen waren eher materieller und politischer Natur. Sie wollten Einfluß auf die Wahl des Hohen Priesters gewinnen und ließen nichts unversucht, um diese Absicht zu verwirklichen. Die Quellen berichten auch über die neue politische Richtlinie: Also alle Althistoriker wissen heute, daß Jason dem Kö­ nig viel Geld bezahlte, um in Jerusalem eine griechische Polis mit dem Namen „Antiocheia“ gründen zu lassen. Dieser 86

Name sollte den König ehren (wie Alexandreia, Seleukeia, Ptolémaïs usw.); doch nicht ganz Jerusalem sollte umgetauft werden - nur die Akra - die Oberstadt, die noch in der Zeit der Römer diesen Namen behielt. Jerusalem als Polis anzuerkennen wäre ein ganz drastischer Schritt vorwärts gewesen. Als solche konnte es endlich seine eigenen Münzen prägen, gleichgestellt internationalen Han­ del betreiben und - genau wie zu Athen ganz Attika, zu Theben ganz Böotien gehörte - so sollte das gesamte Hin­ terlandjudäas der Jerusalemer Oberschicht unterstehen. Man kann sich leicht vorstellen, daß weder die Landbevölkerung Judäas noch die plebs urbana Jerusalems von diesem Plan entzückt waren. Auf jeden Fall betrachteten Jason und seine Gesinnungsgenossen sich nicht als Reformrabbiner, sondern verstanden sofort die politischen und sozialen Folgen der neuen Politik. Nicht alle sollten Bürger der neuen Polis werden, sondern nur die Oberschicht, die anderen sollten zu den Katoikoi (Einwohner ohne Privilegien wie etwa das Bürgerrecht) gehören. Kein Wunder, daß die Führer der Antireformisten dem niederen Priestertum entstammten, nicht aus Jerusalem, sondern aus einem kleinen Städtchen Modi’in, und das waren die Makkabäer - oder Hasmonäer. Ihr pater familias war Matitjahu Hachaschmonai (deutsch: Mattathias) und dessen Sohn Judas Makkabäus. Die jüdische nationale Erhebung hatte also soziale Unter­ töne. Die Makkabäer lehnten sich vor allem gegen die jüdi­ schen Hellenisierer in Jerusalem auf, gegen jene Oligarchie, die versuchte, wie ich schon erwähnte, Jerusalem in eine griechische Polis und den ärmeren Teil der Bevölkerung in Bürger zweiter Klasse umzuwandeln. Diese Situation allein könnte die Revolte der unteren Schichten gegen die hellenistische Oligarchie erklären. Doch wird der Aufstand der Makkabäer noch verständlicher, wenn zwei zusätzliche Faktoren in Betracht gezogen wer­ 87

den: der Verfall von Antiochos’ internationalem Prestige sowie seine bösartigen Verordnungen gegen die jüdische Religion. Und hier ist die Stelle, an der wir uns auf Antio­ chos’ Feldzug in Ägypten und Roms Erscheinen auf der Bildfläche konzentrieren wollen. In den Jahren 169 und 168 v. Chr. fiel Antiochos IV. Epiphanes in Ägypten ein. Die Römer beschlossen, dem Ehr­ geiz des Antiochos ein Ende zu setzen. Sie entsandten C. Popillius Laenas, der Antiochos rund heraus den Befehl erteilte, seinen Angriff auf Ägypten einzustellen. Als Antio­ chos versuchte, die Angelegenheit zu diskutieren, erfand Popillius eine ganz neue Methode der Diplomatie: Mit sei­ nem Stab zog er einen Kreis um den König und verbot die­ sem, aus dem Kreis herauszutreten, bevor er eine Antwort habe. Antiochos war in seiner Jugend als Geisel in Rom ge­ wesen und hatte dort seine Erziehung erhalten. Er kannte und verstand Roms Einstellung gegenüber dem Osten und war sich klar darüber, daß Popillius es ernst meinte. So eva­ kuierte er Ägypten ohne weitere Einwände und zog sich zutiefst gedemütigt nach Syrien zurück, beschloß jedoch, auf dem Heimweg im unruhigen Jerusalem Gesetz und Ordnung wiederherzustellen. Dort erließ er die antijüdi­ schen Dekrete: Unter anderem wurde die Beschneidung verboten, der Sabbat aufgehoben und die Brandopfer, Spei­ seopfer und Opfer im Heiligtum wurden abgeschafft. Gegen diese Gesetze brach 167 v. Chr. ein allgemeiner, von den Makkabäern angeführter Aufstand aus. Ob Antio­ chos die Dekrete aus eigener Initiative erlassen hatte oder eher dem Rat der extremen jüdischen Hellenisten wie Menelaos gefolgt war, ist noch heute umstritten. Wir können uns jetzt nicht mit diesem Thema beschäftigen, da wir uns - wie vorher angekündigt - auf eine ganz andere Frage konzen­ trieren müssen: Wie gelang es den Makkabäern, die Helle­ nisten und Antiochos zu besiegen? 88

Für fromme Juden ist das kein Problem. So wollte es Gott, und der Sieg war einfach ein Gotteswunder. Das Chanukka-Fest (Einweihung des Tempels) bezieht sich nicht auf die Siege des Judas Makkabäus auf dem Schlacht­ feld, sondern erinnert an die Säuberung des Tempels von Götzen und an die Suche nach koscherem Weihöl, um das Ereignis zu feiern. Man fand nur ein kleines Kännchen, das kaum für einen Tag reichte; doch, siehe da, ein Wunder Gottes: Das angezündete Licht brannte volle acht Tage. Deshalb steckt man bis heute in jüdischen Häusern zu Cha­ nukka acht Abende hintereinander Kerzen an. Im Talmud werden die Siege der Makkabäer außer acht gelassen. In der säkularen nationalistischen Geschichtsschreibung (wie bei J. Klausner) geschieht das Gegenteil: Die Chanukka-Le­ gende ist dort nebensächlich, der Sieg der Wenigen über die Vielen ziemlich übertrieben dargestellt. Die Hauptrolle spielen Judas Makkabäus’ militärische Fähigkeiten, die Op­ ferbereitschaft seiner Mitkämpfer und der feste Wille des Volkes, sich von den fremden Eroberern zu befreien. Bei Judenhassern hingegen wird der Sieg der Makkabäer geringschätzig behandelt und die Vertreibung der Seleukiden aus Palästina eher der römischen Politik als der strategi­ schen und taktischen Tüchtigkeit der Juden zugeschrieben. Die Römer zogen es vor, im Nahen Osten kleine Klientel­ staaten wie Pergamon, Bithynien und Judäa zu fördern. Rom war es lieber, mit einem geschwächten, aber selbständigen Ägypten zu verhandeln als mit einem Riesenreich wie dem der Seleukiden zu tun zu haben. Dieser Anschauung gemäß war es die römische Politik, die den Seleukiden den Todes­ stoß versetzte, nicht die Siege der Makkabäer bewirkten es. Dieser Ansicht kann ich mich nicht anschließen: Die Be­ teiligung Napoleons III. an den Schlachten bei Magenta und Solferino kann und soll der nationalen Bewegung der Italie­ ner unter Mazzini und Cavour keinen Abbruch tun, und die 89

Revolution in Rußland 1917 ist nicht auf das Einschmug­ geln Lenins nach Rußland durch die Deutschen zurückzu­ führen. Ohne Lenin hätte zwar die Revolution anders aus­ gesehen, aber die Revolution als solche war echt, und jedes uns nicht sympathische Phänomen als Produkt einer impe­ rialistischen Intrige darzustellen, ist ein kommunistisches Klischee und muß verworfen werden. Da mir weder die na­ tionalistische noch die religiöse Erklärung für den Mak­ kabäeraufstand einleuchtet, möchte ich eine vierte, ausgewogenere Lösung vorschlagen: Judas Makkabäus war ein ausgezeichneter Guerillakämpfer. Er gewann durch brillan­ te Überraschungsfinten und Überfälle aus dem Hinterhalt sämtliche Kleinschlachten - wie es Prof. Bezalel BarKochva in seinem Kommentar zum ersten Makkabäer-Buch trefflich analysiert hat -, unterlag aber bei allen Zusam­ menstößen, die auf offenem Felde und bei Tageslicht gegen eine gut organisierte Armee stattfanden. Er selbst fiel im Kampf auf dem Schlachtfeld. Die Unabhängigkeit Judäas erreichte er nicht. Warum also wird Judas Makkabäus trotz seiner militäri­ schen Niederlagen bis zum heutigen Tag als Nationalheld gefeiert? In den meisten Fällen aus Ignoranz. Legende und Tradition sind stärker als langweilige historische Quellen. Eines aber steht fest. Er war nicht nur ein Guerillakämpfer, sondern auch ein guter Politiker und ausgezeichneter Di­ plomat. Er wußte nur zu gut, daß Judäa keine Chance hatte, unbegrenzte Zeit allein gegen das seleukidische Reich und gegen die feindselige griechisch-syrische Bevölkerung Pa­ lästinas durchhalten zu können. Deshalb war sein ganzes Trachten auf einen Versuch ausgerichtet, zu einem Vertrag mit Rom zu gelangen. Häufig lesen wir von Abkommen zwischen dem mächti­ gen Rom und irgendeinem kleinen Land, in denen beide Vertragspartner gleichgestellt erscheinen. Solche Verträge 90

sind als „foedus aequum“ bekannt, doch sollte man sich von der Terminologie nicht beirren lassen. Wenn die Römer ei­ nen kleinen Partner als socius et amicus, also als Verbünde­ ten und Freund des römischen Volkes, bezeichneten, so hieß das keineswegs, daß sie ihn als Gleichen betrachteten. In einem solchen Fall war amicus ein Euphemismus, und die Römer erwarteten, daß sich der Betreffende entsprechend betrug. Nicht alle „Freunde“ verstanden das sogleich und hatten eine harte Lektion zu lernen. So sollte auch der Bund zwischen Rom und Judäa ver­ standen und zu den Verträgen Roms mit der kleinasiati­ schen Stadt Kibyra, mit Methymna (Lesbos) und mit der winzigen Insel Astypalaia im Ägäischen Meer in Beziehung gebracht werden. Der Vertrag mit Astypalaia wurde 104 v. Chr. unterzeichnet und zeigt in vielen seinen Klau­ seln deutlich Ähnlichkeit mit dem im Jahre 161 mit Judäa geschlossenen. Glücklicherweise ist die Inschrift erhalten, und es mag aufschlußreich sein, aus ihr zu zitieren: „... Sollte irgendjemand Krieg gegen das Volk von Astypalaia führen, so soll das römische Volk dem Volk von Astypalaia beistehen. Und sollte irgendjemand zuerst Krieg gegen das römische Volk führen, so soll das Volk von Astypalaia Hilfe leisten gemäß den Verträgen und Eiden, die zwischen dem römischen Volk und dem Volk von Astypalaia bestehen..."

Es ist geradezu erstaunlich zu lesen, daß eine Insel von 98 km2 dem allmächtigen Rom Beistand leisten sollte, doch zweifellos hob der Vertrag die Stimmung der Astypalaier. Das Verhältnis zu Judäa war nicht anders. 2. Makk. 8.20 ff.: „Judas Makkabäus und seine Brüder und das jüdische Volk haben uns zu euch gesandt, einen Frieden und Bund mit euch zu machen, daß Ihr uns in Schutz nehmen wolltet als Freunde und Bundesgenossen“ (amici und socii). Das 91

gefiel den Römern, und sie ließen den Bund auf eherne Ta­ feln schrieben und schickten die Abschrift nach Jerusalem... Und unter anderem, ibid. 24: „Wo aber die Römer Krieg haben würden zu Rom oder in ihren Landen und Gebieten, so sollen die Juden den Rö­ mern getreulich Hilfe tun - danach es die Not fordert.“ Der Vertrag brachte Judäa keine unmittelbaren hand­ greiflichen Vorteile, und bis zur echten Unabhängigkeit hatte es noch einen langen, dornigen Weg vor sich, aber die Stimmung erhielt enormen Auftrieb durch die formelle An­ erkennung von Seiten der größten Weltmacht. Praktische Hilfe leistete Rom nie, und die Juden waren immer auf sich selbst angewiesen. Die Brüder Judas Makkabäus, Jonathan und Simon waren nach wie vor seleukidische Beamte. Sie erhielten nicht allein die Titel wie Strategos und Meridarches, sondern auch das Hohepriesteramt von seleukidischen Königen. Jonathan und Simon durften zwar die Grenzen Judäas erweitern, aber nur mit Zustimmung der Seleukiden. Beide waren tief in die unendlichen Intrigen am Hof der Seleukiden verstrickt, und beide fielen einem Meuchelmord zum Opfer. Simon gelang es zwar noch, 142 v. Chr. die Akra in Jerusalem zu erobern, aber noch sein Sohn Jochanan Hyrkanos wurde von Antiochos VII. Sidetes zwischen 134 und 132 v. Chr. in Jerusalem belagert, mußte offiziell die syrische Oberhoheit anerkennen und Antiochos VII. auf seinem Feldzug gegen die Parther be­ gleiten, obwohl dieser Krieg nichts mit jüdischen Interessen zu tun hatte. Nur der Tod des Antiochos im Osten ermög­ lichte es Jochanan Hyrkanos, sich endlich im Jahre 129 völ­ lig von den Seleukiden frei zu machen und die Grenzen Ju­ däas zu erweitern. Ohne diesen Hintergrund wäre die dritte und vierte Phase des Judenhasses unverständlich. Diesen Phasen wird mein letztes Kapitel gewidmet sein. 92

Christian Meier

Einführung in die Vorlesung vom 29. Juli 1996 Vier Phasen des Judenhasses im vorchristlichen Altertum will Zvi Yavetz in dieser Vorlesungsreihe behandeln. Die erste war ganz kurz. Sie fand im Jahre 411 v. Chr. statt, als der jüdische Tempel in Elephantine in Ägypten zerstört wurde. Die zweite dagegen war längerfristig; auch sie spielt sich in Ägypten ab, jenem Land, in dem eine starke jüdische Diaspora lebte. Sie schlägt sich für uns nieder in der Be­ hauptung, die Juden seien in Wirklichkeit nicht aus Ägyp­ ten ausgewandert, sondern vertrieben worden, weil sie Le­ pra gehabt hätten. Diese Behauptung war die Antwort der Ägypter auf das jüdische Bild eben von der Auswanderung, von der Niederlage Pharaos. Die erste und die zweite Phase bildeten das Thema der zweiten Vorlesung. Die dritte Phase wurde uns in der drit­ ten Vorlesung letzten Montag vorgestellt: Auch hier geht es um Propaganda. Auch hier spielt Ägypten eine Rolle. Denn die Anschuldigungen gegen die Juden waren von dort über­ nommen. Aber vorgebracht wurden sie vom hellenisierten Establishment des Seleukidenreichs. Und der Anlaß dazu war, daß die Juden, wie andere auch, vom Seleukidenreich abgefallen waren. Denn darüber haben sich die Griechen geärgert und zu­ sätzlich noch darüber, daß die Juden mit den Römern ein Bündnis schlossen, das ihnen zwar militärisch nicht viel, wenn überhaupt etwas, geholfen hat, das ihnen aber im­ merhin diplomatische Vorteile schuf: Sie waren die Günst93

linge Roms in jenem Teil der Welt. Eben deswegen lag es für die Griechen nahe, sie bei den Römern anzuschwärzen, sie zu verleumden. In der dritten Vorlesung ist all dies nur angedeutet wor­ den. Denn dort ging es zunächst nur um die ersten Begeg­ nungen von Griechen und Juden sowie um die ereignisge­ schichtliche Darstellung der Entstehung und Geschichte des unabhängigen jüdischen Gemeinwesens unter den Mak­ kabäern. Heute soll die vierte Phase sich anschließen. Was diese Geschichten nun für den Judenhaß im Alter­ tum bedeuten; wieweit davon in der vorchristlichen Antike die Rede sein kann; wieweit er auf ereignisgeschichtlichen Windungen sowie den daraus hier und dort resultierenden Verärgerungen abgeleitet werden kann, etwa im Sinne des „kleine Ursachen - große Wirkungen“, das möchten wir jetzt in dieser abschließenden Vorlesung erfahren.

Zvi Yavetz

Vierte Vorlesung 1. Schlußfolgerungen 1) Das Entstehen des Hasmonäerstaates ist die historische Konsequenz eines echten Entwicklungsprozesses, der nicht nur in Palästina vor sich ging, sondern einen weiten Bogen dieses Bereichs umspannte. Der Hellenismus war nirgends tief verwurzelt, und je schwächer die Zentralregierung der Seleukiden wurde, desto weiter schritt der Zerfall fort. Zipoetas von Bithynien, Mithridates von Pontos sowie Ari­ arathes von Kappadokien fielen vom Reich ab und gründe­ ten schließlich eigene Staaten unter eigenen Königsfamilien, genau wie die Hasmonäer Judäas. Die Oberschichten all dieser Länder nahmen zwar den äußeren Aufputz des Hel­ lenismus an, die meisten sprachen Griechisch, gründeten griechische Institutionen und standen unter dem Einfluß griechischer Religion, doch verzichteten sie nie auf ihre na­ tionalen Interessen und kämpften für ihre Unabhängigkeit. Der Hasmonäerstaat war keine Ausnahme. Judas Makkabäus und seine Brüder erhoben sich zu gleicher Zeit ge­ gen die hellenisierte Oberschicht Jerusalems, die bereit war, das Hohepriesteramt in Antiochia zu erkaufen, gegen die antijüdischen Dekrete Antiochos’ IV. und gegen die tyran­ nischen Aktionen der syrischen Siedler in Judäa - nicht ge­ gen griechische Kultur und Zivilisation. Die Nachfolger des Judas Makkabäus verschmähten weder griechische Namen (Hyrkanos, Aristobulos) noch griechische Institutionen und 95

Gepflogenheiten. Ihr Ziel war es, wie ein hervorragender Gelehrter einmal sagte, einen hellenistischen Staat auf jü­ dischnationaler Grundlage zu errichten. Die Unabhängig­ keit Judäas war nicht der römischen Macht zu verdanken, sondern war eine ganz natürliche Folge nach dem Zerfall des Seleukidenreiches. 2) Der Zerfall des Seleukidenreiches ist nicht auf eine römische divide et impera (Schalte und walte)-Politik zu­ rückzuführen. Die Seleukiden waren sich selbst gegenüber die größten Feinde und richteten ihr schon längst nicht mehr regierbares Riesenreich mit eigenen Händen zugrun­ de. Nach dem Tode des Antiochos Epiphanes kam es zu Unruhen in vielen Gebieten des Reiches, und die Zentral­ regierung wurde durch innere Zwistigkeiten, fortwährende Hofintrigen, Korruption und Meuchelmord von Tag zu Tag mehr geschwächt. Viele Kleinstaaten wandten sich zwar an Rom und baten um Hilfe, bekamen aber nicht mehr als ein nichtssagendes foedus, das Rom zu nichts verpflichtete. Die Seleukiden selbst wandten sich oft an Rom, um Hilfe und Anerkennung zu bekommen. Doch solange die römischen Interessen nicht bedroht waren, zog Rom die indirekte He­ gemonie einer konkreten Einmischung oder gar Annexion vor.

2. Griechische Propaganda gegen die Juden Allmählich gewöhnte man sich im Nahen Osten an die neue Wirklichkeit. Im Laufe des 2. Jahrhunderts v. Chr. erkann­ ten zahlreiche griechische Intellektuelle die Größe Roms an. Anerkennung ist nicht immer mit Sympathie verbunden. Es fiel aber doch leichter, sich mit der Niederlage im Kampf gegen Rom abzufinden. Schließlich war es kein Vergnügen, aber auch keine Schande, einem solch großen Reich unter96

liegen zu müssen. Die griechischen Intellektuellen in Kleinasien und Syrien wußten ganz genau, daß die seleukidischen Heere keine Chance hatten, sich gegen die kriegser­ fahrenen römischen Legionen auf dem Schlachtfeld zu be­ haupten. Eine aus damaligen Zeiten stammende Anekdote illustriert dieses Gefühl: Vor der Schlacht bei Magnesia wollte Antiochos III. (der Große) Hannibals Meinung über die Armee hören. Hannibal, der sich damals als Flüchtling in Kleinasien aufhielt und dem die Niederlage bei Zama noch schwer im Magen lag, betrachtete den prächtigen Aufmarsch der Armee des Antiochos, schüttelte bedenklich den Kopf und sagte: „Die Römer sind ziemlich habgierig. Ich glaube aber, daß sie sich mit alledem begnügen werden.“ Den Untergang des Vaterlandes sich selbst zuzuschreiben, ist unangenehm. Nur Juden waren bereit, die Schuld auf sich zu nehmen. Bis auf den heutigen Tag betonen sie in ih­ ren Gebeten: „Unserer Sünden wegen wurden wir aus unse­ rem Lande vertrieben.“ Viel leichter ist es, einen Sünden­ bock zu finden und die Niederlage im Krieg einem Dolchstoß aus dem Hinterhalt zuzuschreiben. Die gebilde­ ten Griechen im Nahen Osten konnten und wollten auch nicht den Makkabäer-Aufstand verzeihen, der sich in Jeru­ salem abspielte, gerade als Antiochos IV. in Ägypten Schwierigkeiten mit den Römern hatte. Der Vertrag zwi­ schen Rom und Jerusalem im Jahre 161 machte sie stutzig, und der endgültige Abfall Judäas vom Seleukidenreich nach dem tragischen Tod des Antiochos VII. Sidetes empörte sie besonders, weil die Römer auch die Unabhängigkeit des Jochanan Hyrkanos anerkannten. Deshalb behauptete ich am Anfang dieses Vortrags, daß die damalige griechische Propaganda sich besonders gegen das jüdisch-römische Bündnis richtete. Ihr Hauptziel war es, Unfrieden zwischen Juden und Römern zu stiften, nicht weil die Juden Andersgläubige terrorisierten und sie zwan97

gen, zum Judentum überzutreten. Dieses Thema wird in keinem judenfeindlichen Text erwähnt, und deshalb konnte ich mich nicht Christian Habichts Ansicht anschließen, daß der „jüdische Gesinnungsterror“ den antiken Antisemitis­ mus hervorgerufen hat. Die griechischen Philosophen und Rhetoriker in Kleina­ sien und im Nahen Osten, die mit so manchen römischen Magistraten und Offizieren Kontakt hatten, versuchten vor allem den guten Ruf zu ruinieren, dessen sich Juden in rö­ mischen Kreisen erfreuten. Sie ahmten vor allem Schmä­ hungen nach, wie sie im ptolemäischen Ägypten üblich wa­ ren. So zum Beispiel übernahm Mnaseas aus Patara (im kleinasiatischen Lykien) die Eselsgeschichte, die sich auf den Auszug aus Ägypten bezog, und die den Kleinasiaten und Römern ziemlich gleichgültig hätte sein müssen. Im Laufe der Zeit fand man bessere Argumente. Für Apollonios Molon, Ciceros Lehrer und Verfasser einer Jü­ dischen Geschichte, war Moses ein Betrüger, die Juden wa­ ren die schlimmsten aller Barbaren und die einzigen, die gar nichts zur Entwicklung der Zivilisation beigetragen hatten. Die Judenhetzer schimpften nicht nur über die Ausdehnung der Grenzen Judäas unter Alexander Iannaios, sie warfen den Juden auch vor, die Bevölkerung in Syrien und Phöni­ kien belästigt zu haben, und behaupteten sogar, die Juden seien Piraten, obwohl es bekannt war, daß das Seefahren nie eine jüdische Stärke war. Gescheit aber war die Beschuldi­ gung doch. Zur gleichen Zeit kämpfte Pompeius gegen Pira­ ten im Mittelmeer, und die Beschreibung von Juden als Seeund Landräubern hätte die Römer schon alarmieren müs­ sen. Als Cicero in seiner Pro Flacco-Rede erleichtert aufat­ men konnte, weil dieses Volk endlich besiegt und versklavt worden war, sprach er seinem Lehrer Apollonios Molon aus dem Herzen. Im großen und ganzen aber gelang es der grie­ chischen Judenhetze nicht, die römische Politik zu beein98

Aussen. Parcere subiectis et debellare superbos - Schone des Feinds, der liegt - und den trotzigen kämpfe zu Boden (übersetzt von Wilhelm Binder, 1861) war schon seit jeher eine römische Maxime, und wer sich fügte und die römische Oberhoheit anerkannte, konnte in gewissen Grenzen fried­ lich und ruhig leben. Caesar war kein Judenfeind, und Au­ gustus gestattete Herodes, ein Königreich fast innerhalb der Grenzen König Davids zu errichten. Dies aber nur, solange Herodes die Grenzen der Unabhängigkeit respektierte, Grenzen, die Augustus festsetzte. Als er eines Tages ohne römische Bewilligung die Nabatäer im Süden Judäas angriff, bekam er eine scharfe schriftliche Warnung von Augustus: Wenn so etwas noch einmal vorkäme, werde er ihn nicht mehr als Freund (amicus), sondern als Untertan betrachten (Jos. Ant. 16.291). Solange Herodes mächtig war, konnte er sich als Patron der jüdischen Diaspora aufspielen. Nach sei­ nem Tod waren Diaspora-Juden auf sich selbst angewiesen. Dies bringt mich zur vierten Phase des Judenhasses. Vorher aber noch eine Bemerkung: Ich bin nicht überzeugt, daß die Feindschaft, die zwischen dem Hasmonäerstaat und dessen Nachbarländern herrschte - besonders gemeint sind die hellenisierten Syrer und Kleinasiaten - als sogenannter An­ tisemitismus oder Judenhaß gebrandmarkt werden darf. Feindschaft zwischen Ländern gab es und gibt es leider auf der ganzen Welt noch heute, und das hat nichts mit dem zu tun, was Professor Habicht „das unselige Phänomen Anti­ semitismus“ nennt. Woher aber stammt all das? Meiner Meinung nach liegt es an dem Punkt, den ich schon in meinem zweiten Vortrag betont habe: Iudaeus war nie nur eine Herkunfts-, sondern gleichzeitig eine Glau­ bensbezeichnung; oder - um mit Hengel zu sprechen: poli­ tische Zugehörigkeit und Abstammung von der jüdischen Nation, der Glauben an einen einzigen Gott und dessen Gebote. 99

Antijüdische Propaganda seit der Zeit des MakkabäerAufstands war anti Judaea - qua Palästina - und auch anti­ jüdisch - qua Diaspora-Juden, mußte aber nicht immer zu gleicher Zeit erscheinen. Die vierte Phase war im Gegensatz zur zweiten und drit­ ten gewalttätig. Der Verlust der jüdischen Unabhängigkeit nach Pompeius’ Einmarsch in Jerusalem ermutigte feindlich gesinnte Griechen in Ägypten, Kleinasien und Palästina selbst, für die Abschaffung der Privilegien zu kämpfen, die das römische Imperium den Juden in der Zeit von Julius Caesar und Caesar Augustus gewährt hatte. Damit wollten sie den Römern beweisen, daß die Griechen und die hellenisierte Bevölkerung für Rom verläßlichere Verbündete sei­ en als die Juden. Zwei Jahrhunderte unblutiger antijüdischer Propaganda endeten in Blutvergießen. Die gesamte Geschichte des Judentums der Diaspora des Altertums in einem halben Vortrag bewältigen zu wollen, ist wohl unmöglich. Deshalb möchte ich mich nur auf ein, meiner Meinung nach typisches Thema konzentrieren: Caligula, Claudius und die Juden Alexandriens. Trotzdem muß ich einige Punkte erwähnen, die ich aus Zeitmangel nicht behandeln werde. 1) Die Vertreibung von 4000 Juden aus Rom zur Zeit des Kaisers Tiberius im Jahre 19 n. Chr. (Tac. Ann. II. 85.5; Dio 57.18.5 a; Suet. Tib. 36; Jos. AJ. 18, 65-84). 2) Das Niedermetzeln von 20 000 Juden in Caesareia (Caesarea) 66 n. Chr. (Jos. BJ: II. 457 ff.; cf. VII. 361-363). 3) Im selben Jahr verloren 2500 Juden in Askalon und 2000 in Akko (Ptolemais) ihr Leben: (Jos. BJ: II: 477). 4) In Scythopolis wurden im selben Jahr 13 000 Juden getötet (BJ. II: 457, 461), und besonders schlecht erging es den Juden in Alexandrien. Der römische Statthalter Tiberius Julius Alexander (ein Neffe Philons) ließ die römischen Soldaten wüten, und 50000 Juden wurden ermordet 100

(Jos. BJ. II. 487-498). Als Hauptursachen für diese Ereignis­ se unterstreicht Josephus Haß, Furcht und Habgier beim Plündern (Pleonexia) (BJ. II. 469-478). 5) Die fast endgültige Vernichtung der Juden in Ägypten von 115-117 n. Chr. (Dio 68.32): Eus.H.E.42. ist ein The­ ma für sich (CPJ. I. 86-93).

3. Kaiser Caligula und die Juden Hier soll noch kurz und ohne Kommentar auf Caligulas be­ sonderes Verhältnis zu den Juden eingegangen werden. Bei der Behandlung dieser Frage muß zwischen den Juden in Palästina und den Juden der Diaspora, darunter vor allem den alexandrinischen Juden, unterschieden werden. Zur Zeit der Ptolemäer kam es zu keinen Gewalttaten gegen Juden in Ägypten. Wenn man in einem Privatbrief liest: „Denn Du weißt ja, daß sie Juden verabscheuen“ (C.P. Jud. 141-8), bedeutet das nur, daß man Juden nicht liebte, aber auch nicht verfolgte. Im Heer der Ptolemäer kämpften viele Ju­ den und viele ausgediente Soldaten siedelten sich in Ägyp­ ten an. Mit der Eroberung Ägyptens durch Rom veränderte sich die Lage der Juden. Seit Hyrkanos II. und Antipatros Julius Caesar bei der Eroberung Ägyptens 47 v. Chr. unterstützt hatten, verbes­ serten sich die Beziehungen zwischen Rom und den Juden in Palästina. Nach der Schlacht bei Aktium wurde König Herodes ein Hauptverbündeter von Augustus im Nahen Osten, und die Juden der Diaspora genossen eine Reihe von Privilegien, die anderen ethnischen Minderheiten vorenthal­ ten waren. Unter anderem war ihnen erlaubt, nach ihren überlieferten Sitten und Gesetzen (moribus et legibus suis uti) zu leben; sie wurden nicht ins Heer eingezogen und durften Gaben für den heiligen Tempel nach Jerusalem 101

schicken. Die Stellung der alexandrinischen Juden bedarf einer besonderen Erklärung. Nach der Eroberung Ägyptens durch Augustus erhielten die jüdischen Einwohner all jene Privilegien, die die Juden im übrigen Imperium bereits besaßen. Ihre Rechte wurden in eine Steintafel (Stele), die an einem zentralen Punkt der Stadt aufgestellt wurde, eingemeißelt. Diese Privilegien wa­ ren den griechischen Einwohnern Alexandriens ein Dorn im Auge, denn sie erkannten die Juden nicht als vollwertige Bürger an. Sie wandten sich an die Römer mit der Forde­ rung, der Stadt den Status einer von Steuern befreiten grie­ chischen Polis zu verleihen. Zudem verlangten sie das Recht, einen eigenen Stadtrat (Boule) zu wählen, was ihnen nicht einmal während der Ptolemäerherrschaft in Ägypten eingeräumt worden war. Der konservativ eingestellte Au­ gustus hielt sich mit Reformen zurück. Er weigerte sich, Alexandrien eine Ratsversammlung zuzugestehen, war je­ doch bereit, die Bürger der drei griechischen Städte Ägyp­ tens (Alexandria, Ptolemais und Naukratis) von der Kopf­ steuer (Laographia) unter der Bedingung zu befreien, daß sie ihr „Griechentum“ nachweisen konnten. Als Grieche galt damals in Ägypten, wer den Beweis beibringen konnte, von griechischen Eltern abzustammen, oder wer nachweis­ lich aufs Gymnasion gegangen war. Alle anderen Bürger mußten die Kopfsteuer bezahlen. Dies bedeutete für die Betroffenen zu jener Zeit nicht nur eine finanzielle Bela­ stung, sondern auch eine Beeinträchtigung ihres gesell­ schaftlichen Status. Die Juden wurden nicht als Griechen anerkannt und mußten als Fremde die Kopfsteuer entrich­ ten. Seit der Herrschaft von Julius Caesar und Augustus ge­ nossen die alexandrinischen Juden eine Art soziale und re­ ligiöse Autonomie. Sie lebten in eigenen Gemeinden, deren Vorstand zuerst ein Ethnarchos und später ein Ältestenrat 102

war. Neben dem Ältestenrat existierte noch eine Reihe jüdi­ scher Hilfsinstitutionen (wie zum Beispiel ein Gericht), und von griechischer Seite in Alexandrien wurde behauptet, die Juden hätten sich einen „Staat im Staat“ aufgebaut. Uber die gesellschaftliche Identität der ägyptischen Juden - wenn sie überhaupt als Einheit zu betrachten sind - ist nichts Genaues bekannt. Man darf aber annehmen, daß sich die Juden geweigert haben, die erniedrigende Kopfsteuer zu entrichten, wenn auch nicht sicher ist, ob die gesamte jüdi­ sche Gemeinde bereit war, auf ihre religiöse Unabhängig­ keit und ihre Gemeindeautonomie zu verzichten, die vielen jüdischen Bürgern wohl wichtiger waren als die volle bür­ gerliche Gleichberechtigung in Alexandrien. Andererseits ist bekannt, daß die assimilierten Juden - die meist aus bes­ sergestellten Kreisen stammten - alles taten, um in der grie­ chisch-alexandrinischen Gesellschaft als vollwertige Bürger zu gelten. Sie waren bereit, ihre Kinder aufs Gymnasion zu schicken, und beriefen sich auf das Argument, schon Alex­ ander der Große habe ihnen die Gleichberechtigung (isepoliteia) gewährt. Das wurde allerdings kaum ernstge­ nommen. Die Alexandriner wandten sich vehement gegen die volle bürgerliche Gleichberechtigung ihrer jüdischen Mitbürger (oder der eingeborenen ägyptischen Bevölkerung). Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die Juden die römische Herrschaft einer lokalen griechischen Regierung vorzogen. Damit lassen sich die Spannungen zwischen den Juden und den (als vollwertige Bürger geltenden) Alexandrinern einer­ seits und den römischen Machthabern andererseits erklären. Die Römer weigerten sich, Alexandrien das Recht einzu­ räumen, eine eigene Ratsversammlung (Boule) zu wählen. Nicht zu Unrecht wies ein Gelehrter darauf hin, daß die Alexandriner ihren Protest gegen Rom einfach durch die Diskriminierung der alexandrinischen Juden zum Ausdruck 103

brachten. Diese Erscheinung erreichte beim Besuch Agrip­ pas I. in Ägypten im August des Jahres 38 n. Chr. einen Höhepunkt. Agrippa I. war der Sohn von Aristobulos und Berenike, Enkel von Herodes und Miriam der Hasmonäerin. Seine Mutter war die Tochter Salomes, der Schwester des Hero­ des. Doch eine solche Verwandtschaft konnte sich in der Zeit von Herodes dem Großen als fatal erweisen. Er ließ Aristobulos, den Vater Agrippas, hinrichten und schickte den fünfjährigen Jungen nach Rom. Dort sollte der „letzte Hasmonäer“ seine Erziehung erhalten, zusammen mit Drusus, dem Sohn des Tiberius Caesar (nicht zu verwechseln mit Drusus, dem Bruder des Tiberius und Vater des Germanicus). Er wurde als begabter junger Mann bekannt, in der Gesellschaft schnell beliebt und begehrt. Trotz guter Einnahmequellen war er bald tief verschuldet. Im Jahre 23 starb Drusus, und Agrippa kehrte nach Palästina zurück. Er ließ sich am Hof seines Großvaters Herodes in der Region von Edom nieder. In dieser verlassenen Gegend verfiel er in tiefe Melancholie, was angesichts seiner Erinnerungen an das Leben der Vergnügungen und Ausschweifungen in Rom nicht verwunderlich ist. Seiner Schwester Herodias, die mit dem Herrscher (Landesherrn) Galiläas, Herodes Antipas, verheiratet war, gelang es, ihren Gemahl zu über­ zeugen, Agrippa zu helfen. So holte Herodes Antipas ihn nach Tiberias. Doch auch das Amt des Agoranomos konnte Agrippa, der sich nach den Lichtern der Großstadt sehnte, nicht zufriedenstellen. Nach einer Reihe von Abenteuern und Irrfahrten, auf die ich hier nicht näher eingehen will, gelangte er über Syrien nach Alexandrien. Er erhielt eine Anleihe von Tiberius Alexander, dem Vetter Philons von Alexandrien, und kehrte nach Rom zurück. Dort wurde er von Tiberius Caesar wohlwollend empfangen. Der Kaiser hatte Agrippas Verbindung mit seinem verstorbenen Sohn 104

Drusus nicht vergessen und vertraute ihm dessen Sohn, Ti­ berius Gemellus, an. Agrippa begriff schnell, daß Gemellus keine Chance hatte, Tiberius auf den Thron zu folgen. Dar­ aufhin wendete er sich Caligula zu und wurde bald sein en­ ger Freund. Auf eine unvorsichtige Bemerkung über Tibe­ rius Caesar hin wurde er ins Gefängnis gesteckt. Nach dem Tode von Tiberius befreite ihn Caligula. Von ihm bekam er eine goldene Kette geschenkt und wurde zum König über ein großes Gebiet in Golanitis ernannt, an Stelle des Philip­ pus (Sohn von Herodes dem Großen), der einige Jahre zu­ vor gestorben war. Agrippa blieb noch ein Jahr in Rom und trat die Heimrei­ se, wie bereits erwähnt, erst im August 38 an. Sie führte ihn nicht direkt nach Golanitis, sondern zunächst nach Alexan­ drien, um seinen Wohltäter, Tiberius Julius Alexander, den Alabarches (Zolleintreiber) von Alexandrien, zu treffen. Die alexandrinischen Juden waren über den Besuch hoch­ erfreut und bereiteten Agrippa einen königlichen Empfang. Sie hofften, in ihm einen Fürsprecher im Palast des römi­ schen Kaisers zu haben - das freundschaftliche Verhältnis zwischen Caligula und Agrippa war längst ein offenes Ge­ heimnis. Der griechische Teil der Bevölkerung seinerseits setzte ganz auf Flaccus, den römischen Statthalter in Ägyp­ ten, einen allzu treuen Anhänger von Tiberius Caesar, der Caligula fürchtete, weil der zusammen mit Tiberius die Mutter Caligulas in die Verbannung geschickt hatte. Es ist bekannt, daß Flaccus die Glückwünsche der jüdischen Be­ völkerung Alexandriens Caligula zu dessen Machtüber­ nahme nicht übermittelt hatte, und außerdem, daß er, Flac­ cus, ein freundschaftliches Verhältnis mit Isidoros, dem alexandrinischen Griechenführer und bekannten Gegner der Juden, unterhielt. Die alexandrinischen Juden beabsich­ tigten ohne Zweifel, den Besuch Agrippas für ihre Zwecke zu nutzen und in erster Linie ihre gesellschaftliche Stellung 105

gegenüber der lokalen nichtjüdischen Bevölkerung zu ver­ bessern. Zudem baten sie Agrippa, Caligula ihre Glückwün­ sche zu übermitteln und ihn wissen zu lassen, daß der Statt­ halter Aulus Avilius Flaccus ihre Glückwunschbotschaft böswillig über ein Jahr zurückgehalten hatte. Ganz offensichtlich hatten auch Agrippas Prachtparade in Alexandrien und vor allem die mit Gold und Silber beschla­ genen Rüstungen seiner Leibwächter den Zorn des einfa­ chen Volkes geweckt. Es kam zu wüsten Ausschreitungen, unter denen die jüdische Bevölkerung schwer zu leiden hatte: Zuerst inszenierte das Volk eine antijüdische Satire. Darin trat ein in königliche Gewänder gehüllter geistesge­ störter Bettler mit einem Kohlkopf auf dem Haupt auf, der (ähnlich wie Agrippa) von Leibwächtern umgeben war. Er wurde spöttisch als König der Kohlköpfe (Karabas) vorge­ stellt und „Merin“ („unser Herr“ auf aramäisch, ironisch für „jüdischer Herrscher“) genannt. Von da war der Weg zu Gewalttätigkeiten nicht mehr weit, und der römische Statt­ halter unternahm nichts dagegen. Er stufte die Juden als feindlich gesinnte Fremdlinge ein, und der aufgehetzte Mob brannte einige Synagogen nieder, entweihte andere mit Statuen des Kaisers, verwüstete jüdisches Eigentum, plün­ derte Geschäfte und überfiel unbeteiligte Passanten. Auch diejenigen Forscher, die die Meinung vertreten, Philon von Alexandrien hätte das Leid der Juden übertrieben geschil­ dert, räumen ein, daß die Lage der jüdischen Bevölkerung in Alexandrien äußerst schlecht war. Flaccus ordnete an, die jüdischen Einwohner in nur einem Stadtviertel zu konzen­ trieren, was ihr Leid noch vergrößerte. Dies sei zur Wieder­ herstellung der öffentlichen Ordnung notwendig, rechtfer­ tigte man sich. Die Platznot war derart groß, daß viele aus ihren Häusern vertriebene Juden nun am Strand oder auf Friedhöfen wohnen mußten. Die führenden Mitglieder der jüdischen Ratsversammlung wurden auf offener Straße ge­ 106

schlagen und ihre Frauen zum Verzehr von Schweinefleisch gezwungen. Im Oktober desselben Jahres ließ Caligula Flaccus verhaf­ ten. Er wurde beschuldigt, Verrat am römischen Reich be­ gangen zu haben, und auf die Insel Andros verbannt, wo ihn die Häscher des Kaisers erschlugen. Ob und inwieweit Agrippa die kaiserliche Politik beeinflussen konnte, ist nicht bekannt. Caligula hatte jedenfalls eigene gute Gründe, Flac­ cus zu liquidieren. Der neue Statthalter, Gaius Vitrasius Pollio, erlaubte den Juden die Rückkehr in ihre früheren Behausungen und verfügte, daß der endgültige Status der alexandrinischen Juden vom Kaiser zu bestimmen sei. Dar­ auf begaben sich zwei Delegationen nach Rom, eine jüdi­ sche, geführt von Philon, und eine griechische unter Füh­ rung von Apion, Isidoros und Lampon, um bei Caligula für ihre jeweiligen Standpunkte einzutreten. Die Romreisen der Delegationen fanden wahrscheinlich Ende 39 oder Anfang 40 statt. Der Kaiser sagte höflich zu, sich bei erster Gele­ genheit der jüdischen Frage anzunehmen, machte aber zu­ nächst keine Anstalten, die Gesandten zu empfangen. Er hatte sich vorerst für die Behandlung anderer, dringenderer Probleme entschieden. Dabei ist nicht klar, ob dies auf die Geringschätzung der Delegationen oder darauf zurückzu­ führen ist, daß er der Lösung des alexandrinischen Problems keine hohe Priorität beimaß. Schließlich kam es doch noch zum - eigenartigen - Empfang der Delegationen beim Kai­ ser. Caligula wurde jedoch ermordet, bevor er eine Ent­ scheidung in der Sache fällen konnte, und darüber liegen nun keine Anhaltspunkte vor. Deshalb beschrieb ich die Tatsachen, ohne sie zu bewer­ ten, und betonte nur das Endresultat. Zu einer Entschei­ dung kam es nicht und - wer weiß, wie sie ausgefallen wäre, hätte man Caligula nicht ermordet. Eines aber steht fest: Caligula war vor allem wütend über die Juden, weil sie den 107

Kaiserkultus nicht pflegten. Im letzten Augenblick wechsel­ te er aber seinen Ton und bemerkte, Leute, die seine Gött­ lichkeit nicht zu sehen vermochten, seien mehr zu bedauern als zu tadeln (Leg. ad Gaium 367). Ich sagte „eigenartig“, hätte aber über einen „tragikomi­ schen Empfang“ der Gesandtschaften sprechen können. Der Kaiser empfing nämlich zur selben Zeit auch Architek­ ten und Ingenieure, lief mit ihnen, von den Delegationen der Juden und Griechen gefolgt, von einem Zimmer ins an­ dere und erteilte Anordnungen, wie sein Palast zu renovie­ ren und wie die Gärten anzulegen seien. Er hatte keine Ge­ duld, dem ausführlichen Bericht Philons über die rechtliche Lage der Juden in Alexandrien zuzuhören. Den jüdischen Sprecher unterbrach er und brauste plötzlich auf: „Aber warum esset Ihr kein Schweinefleisch?“ Eine ins Einzelne gehende Beschreibung dieser Szenen wäre vielleicht amü­ sant, wenn sie nicht so traurig gewesen wären. Sie geben aber eher einen Einblick in Caligulas Charakter als in die Geschichte der Juden von Alexandrien. Zur selben Zeit beschäftigte die Jerusalemer Juden ein an­ deres, nicht weniger bedeutsames Problem: Ende 39 oder Anfang 40 errichteten die griechischen Einwohner Jawnehs einen Altar, der für den Kaiserkult bestimmt war. Die auf­ gebrachte örtliche jüdische Bevölkerung zerstörte den Altar, worüber der römische Prokurator Gaius Herennius Capito dem Kaiser direkt Bericht erstattete (es ist darauf hinzuwei­ sen, daß die Jawneh-Affäre nur bei Philon nicht, aber bei Josephus erwähnt ist). Caligula reagierte ungehalten und befahl, sein Standbild im heiligen Tempel von Jerusalem aufzustellen. Der römische Statthalter in Syrien, Flavius Pe­ tronius, war sich der Tragweite dieses Befehls bewußt und versuchte zunächst, Zeit zu gewinnen. Er erteilte Bildhau­ ern im Norden des Landes den Auftrag, die entsprechende Statue anzufertigen, und suchte in der Zwischenzeit mit der 108

jüdischen Bevölkerung in Palästina einen Weg der Verstän­ digung. Bei der ersten Begegnung indes wurde ihm klar, daß auf jüdischer Seite keinerlei Bereitschaft vorhanden war, in dieser, für den jüdischen Glauben so zentralen Angelegen­ heit nachzugeben. Petronius bedeutete daraufhin den Bild­ hauern in Zidon, „sich Zeit zu lassen“, damit sie ihm für weitere Verhandlungen mit den Juden bleiben würde. In Tiberias traf er eine weitere jüdische Delegation. Ihren Standpunkt legte er so aus, daß sie zwar keinen offenen Krieg gegen Rom wünschten, aber dennoch drohten, die landwirtschaftliche Produktion zu behindern, eventuell die Ernte auf den Feldern zu vernichten und damit eine Hun­ gersnot im Land herbeizuführen. Petronius übermittelte Caligula die Positionen der jüdischen Delegation originalge­ treu und ersuchte den Kaiser, seine Anordnung abzuschwä­ chen. Die Widersprüche zwischen den Darstellungen von Philon und Josephus haben in der modernen Geschichtsfor­ schung zu erheblichen Deutungsunterschieden geführt. In dieser knappen Übersicht sei nur darauf hingewiesen, daß die Zeitabfolge der historischen Ereignisse auf Grund des vorhandenen Quellenmaterials schwer zu bestimmen ist und die wissenschaftliche Kontroverse über den im folgen­ den beschriebenen Ausgang der Episode immer noch an­ hält: Beharrte Caligula auf seiner Anordnung (die sich nach seiner Ermordung ohnehin erübrigte), im heiligen Tempel als Götterstandbild verewigt zu sein? Oder konnte er von Agrippa I., der sich zu dieser Zeit gerade in Rom aufhielt, überzeugt werden, den unheilvollen Befehl zu widerrufen? Die jüdische Intransigenz gegenüber dem Kaiserkult mag Caligula sehr zornig gemacht haben. Möglicherweise hat er Petronius befohlen, sich das Leben zu nehmen, bevor er - auf Grund einer etwaigen Intervention Agrippas - den Beschluß fassen würde, seine Anordnung zu widerrufen. Wie auch immer, zweifelsfrei steht fest, daß das Dekret den 109

Nahen Osten erst im Januar 41, d.h. nach dem gewaltsamen Tod des Kaisers, erreichte. Zusammenfassend kann also mit Bestimmtheit gesagt werden, daß es unter Caligula faktisch weder in Jerusalem noch in Alexandrien zu antijüdischen Maßnahmen gekom­ men war. Die Frage, ob die tatsächlichen Aktionen den ei­ gentlichen Absichten des Kaisers entsprachen oder ob die Ausführung geplanter Maßnahmen nicht mehr gelang, ist Gegenstand der Interpretation. Eine zweite offene Frage betrifft das Ausmaß des Einflusses von Agrippa I. auf Cali­ gula. Beide Fragen sollen aber hier nicht erörtert werden, weil ich mich auf Spekulationen nicht einlassen möchte. Trotz alledem ist folgendes klar: Durch den Tod Caligulas ermutigt, schlugen die Juden Alexandriens los. Sie verschafften sich Waffen, erhielten vielleicht auch Verstärkung von aufständischen anti­ römischen Elementen aus Judäa, und es kam zu blutigen Kämpfen. Militär mußte eingesetzt werden, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.

4. Kaiser Claudius und die Juden Der von Geburt an verkrüppelte und stotternde Kaiser Claudius bewies sich auch auf diesem Gebiet als viel tüchti­ ger und energischer als sein Außeres vermuten ließ oder als er in einigen Quellen beschrieben ist. In einem scharfen Brief, der uns in einem Papyrus erhalten ist (CP. Jud. 153, 73), erklärte er den Griechen und Juden Alexandriens ein für alle Mal, wie ihre tatsächliche Position aussah. Er schrieb: „Was die Frage betrifft, wer von Euch verantwort­ lich war für den Aufstand und die Fehde oder - wenn man die Wahrheit sagen soll - den Krieg gegen die Juden, so bin ich nicht geneigt, ein bestimmtes Urteil zu fällen, obwohl 110

Eure Gesandten ... Eure Sache angesichts ihrer Gegner mit Eifer vertreten haben. Ich behalte mir aber unerbittlichen Zorn gegen jede Partei vor, welche die Feindseligkeiten wieder aufnehmen sollte. Ich sage Euch rund heraus, wenn Ihr nicht von dieser verbohrten Feindschaft gegeneinander abseht, werde ich mich genötigt sehen, zu zeigen, was aus einem wohlwollenden Fürsten werden kann, wenn sich sein Sinn gerechtem Zorn zuwendet. Deshalb beschwöre ich Euch noch einmal, auf der einen Seite die Alexandriner, sich verträglich und freundlich gegen die Juden zu zeigen, die viele Jahre in derselben Stadt gewohnt haben, sie in der Ausübung ihres herkömmlichen Gottesdienstes nicht zu kränken, sondern ihnen die Beobachtung ihrer Sitten zu er­ lauben wie zur Zeit des seligen Augustus, und diese Sitten habe ich auch nach Anhörung beider Seiten bestätigt. Und auf der anderen Seite gebiete ich den Juden, nicht nach ir­ gend etwas zu streben über das hinaus, was sie bisher besa­ ßen, ... sich nicht in die Kampfspiele der Gymnasiarchen und Kosmeten einzudrängen, sondern sich nutzbar zu ma­ chen, was sie besitzen, und in einer Stadt, die nicht ihr eigen ist, den Überfluß reichen Wohlstandes zu genießen; auch nicht Juden einzuführen oder einzuladen, die aus Syrien oder Ägypten zu ihnen kommen, und mich dadurch zu nötigen, um so mehr Verdacht zu schöpfen. Sonst werde ich mit allen Mitteln gegen sie vorgehen als gegen Men­ schen, die der ganzen Welt eine allgemeine Seuche erregen.“ (Tscherikover C. P. L, 27) Mit anderen Worten betonte Claudius: Geld verdienen, so viel Ihr wollt, aber vollberechtigte Bürger wart Ihr nicht und werdet es auch nicht sein. Alexandrien gehört Euch nicht. Feindschaft gegen Euch dulde ich nicht, aber Fremd­ heit ja. Ihr wart immer fremd. Hört auf zu träumen: Fest­ halten an nationaler Tradition, Religion und an den nationa­ len Sitten einerseits, aber gleichzeitig der Wunsch, sich den 111

Bräuchen der Umwelt anzupassen, ist bei Euch vielleicht logischer und verständlich. Wir Römer verstehen diesen wi­ dersprüchlichen Wunsch nicht. Weiter entnimmt man diesem Brief, daß Römer sich schon zur Zeit von Claudius vor den jüdischen Zeloten aus Judäa wie vor einer Seuche fürchteten. Und als man jemand vor den römischen Behörden anklagen wollte, beschrieb man ihn als „Pest und Hetzer zum Aufruhr unter allen Juden in der ganzen Welt“ (Act. Apost. 24.5). Deshalb verbot Clau­ dius den Juden Alexandriens, Juden aus Syrien (also Judäa) und anderen Teilen Ägyptens nach Alexandrien einzuladen. Es gelang den Römern, mit den Juden Alexandriens eine Zeitlang fertig zu werden - bereits zur Zeit Neros kam es wieder zu Unruhen (Jos. BJ. 2, 480—488). Dagegen gelang es ihnen nicht, die Zeloten in Judäa auszurotten. Auch die gemäßigten Politiker Judäas brachten es nicht fertig, die Extremisten zu überzeugen. Der große Aufstand, der zur Zerstörung des Tempels führte, brach aus. Josephus z.B. verstand, daß der jüdische Staat während der ganzen Geschichte seiner Unabhängigkeit niemals eine Großmacht wie Babylon, Assyrien oder Ägypten hätte be­ siegen können. Ein Sieg über Ammoniter, Moabiter oder Philister war zwar möglich, doch immer mußte man sich dafür das Wohlwollen einer Großmacht sichern, vorzugs­ weise einer weit entfernten. Genau das war die Politik, die Judas Makkabäus eingeschlagen hatte, als er sich während seines Kampfes gegen das verfallende Seleukidenreich um ein Bündnis mit Rom bemühte. Um Tacitus zu zitieren: „... als die Makedonier im Abstieg waren, der Partherstaat noch in den Kinderschuhen und die Römer noch weit ent­ fernt waren, ergriffen die Juden die Gelegenheit, ihre eigene Monarchie zu gründen.“ So schrieb man Geschichte vor 2000 Jahren. Ein Kissinger hätte es heutzutage etwa so ausgedrückt: „Erfolg in der 112

Außenpolitik besteht in der Kunst, das Mögliche zu erken­ nen und zu erreichen“ (the art of the possible). Die späteren Hasmonäer und die Zeloten erkannten das nicht. Sie waren noch immer von den Siegen König Davids und Judas’ Makkabäus berauscht und überzeugt, daß sie jedes Feindes Herr werden könnten, wenn nur ihr Kampf gerecht und das Volk geeint wäre. Dabei erkannten sie nicht, daß die Größe Kö­ nig Davids und Judas’ Makkabäus darin bestand, daß sie die Grenze ihrer Möglichkeiten deutlich sahen. Der Krieg, der zur Zerstörung des Zweiten Tempels führte, war von Anfang an aussichtslos, ebenso wie im Krieg gegen die Babylonier 586 v. Chr. keinerlei Chance auf Erfolg bestanden hatte. Das war die Botschaft, die Josephus zu vermitteln hoffte, als er Agrippa II. eine Rede in den Mund legte, „um Irregeleitete zu Verstand zu bringen. Nehmt Ihr wirklich an, Ihr zieht in einen Krieg gegen Ägypter oder Araber? Wollt Ihr Eure Augen vor der Macht des römischen Weltreiches verschließen und Euch weigern, Eure eigne Schwäche abzuschätzen?“ Und schließlich ist es unmöglich, allein und ohne Ver­ bündete Krieg gegen Rom zu führen. Niemand wird den Juden in einem Krieg gegen die Römer zur Seite stehen. Nicht einmal die jüdische Diaspora wird das Geringste tun. Deshalb ist der Krieg schon vor dem ersten Schwertstreich verloren. Tatsächlich gab es viele Juden, die für das, was die Römer in Judäa getan hatten, des Lobes voll waren. Mit Hochach­ tung sprachen sie von den von ihnen erbauten Marktplät­ zen, Brücken und Badehäusern. Nicht einmal der Talmud schreckt vor der Anerkennung der guten Taten römischer Herrschaft zurück. Doch zahlreiche andere Juden - und wahrscheinlich bildeten sie die Mehrheit - waren weniger beeindruckt, und auch der Talmud weiß eine unterschiedli­ che Version zu überliefern: „Alles, was (die Römer) einrich113

teten, taten sie nur für ihren eigenen Bedarf, die Marktplät­ ze für ihre Huren, die Badehäuser für ihr Vergnügen und die Brücken, Brückengeld zu kassieren.“ Zeloten lassen sich niemals von rationellen Argumenten überzeugen und zahlen deshalb immer einen hohen Preis. Man kann die Katastrophe auf jüdische Starrköpfigkeit, Intoleranz und religiösen Fanatismus zurückführen. Nicht von ungefähr betonte Tacitus, daß „der Eigensinn dieses störrischen Volkes Vespasian mit Groll erfüllte“. Doch sollte nicht vergessen werden, daß sich im Altertum die heftigsten Konflikte zwischen Juden und Nichtjuden gegen Könige richteten, die als liberal, aufgeklärt und tolerant galten. Antiochos Epiphanes, Titus und Hadrian sind typi­ sche Beispiele. Alle drei verfolgten die Juden mit dem er­ klärten Ziel, sie zu zwingen, nicht anders als andere zu sein. Also fielen sogar diese „wohlmeinenden“ Herrscher der Krankheit dislike of the unlike zum Opfer, dem Kern der Intoleranz. Goethes Worte sollte man nie vergessen: „Die wahre Liberalität ist Anerkennung. Toleranz sollte eigent­ lich nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen!“ Die Frage, was hätte geschehen können, wenn die Juden zu einem Kompromiß bereit gewesen wären, ist müßig. Die Antwort schwankt zwischen „Nichts“ und „Alles“. Es war eine tragische Geschichte, und Tragik ist nichts anderes als der Unterschied zwischen dem, das war, und dem, das hätte sein können.

Zeittafel 586 v. Chr. 538 v. Chr.

525 v.Chr. 411 v. Chr.

402 v. Chr. 332 v. Chr. 1. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr.

169/168 v. Chr. 167 v. Chr. 161 v. Chr. 139 v. Chr. 63 v. Chr. 49—44 v. Chr. 31-12 v. Chr. 19 n. Chr. 38—41 n. Chr.

39/40 n. Chr. 70 n. Chr.

Zerstörung des 1. Tempels durch Nebukadnezar König Kyros erlaubt den Juden die Rückkehr in ihr Land Niederlage Psammetichs III. bei Pelusion, Be­ gründung der Perserherrschaft in Ägypten Zerstörung des jüdischen Tempels in Elephanti­ ne Wiederaufbau des jüdischen Tempels in Ele­ phantine Eroberung Palästinas durch Alexander d. Gro­ ßen Übersetzung des Alten Testaments durch an­ geblich 72 Juden (Septuaginta) ins Griechische Àntiochos IV. Epiphanes fällt in Ägypten ein Makkabäer-Aufstand Vertrag zwischen Rom und Judäa Juden werden aus Rom ausgewiesen Eroberung Jerusalems durch Pompeius Julius Caesar gewährt den Juden Privilegien Octavian/Augustus gewährt den Juden Privile­ gien Vertreibung der Juden aus Rom unter Tiberius gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Juden und Griechen in Alexandria Jüdische und griechische Delegationen in Rom Zerstörung des Tempels in Jerusalem

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Die Juden standen treu zu Jahwe als dem einzigen und wahren Gott; streng befolgten sie seine Gesetze. Diese Haltung äußerte sich notwendig in der Abkehr von den vielen anderen möglichen Formen des Lebens und des Glaubens in der Antike. So empfanden die Zeit­ genossen die kompromißlose Haltung der Juden in diesen Fragen als Hochmut und sahen darin eine Kritik der eigenen Werte. Ihre Reaktion bestand nicht selten in Haß und Verfolgung. Zvi Yavetz, geboren 1925 in Czernowitz, im Krieg vor den Nazi-Truppen nach Israel geflohen, genießt als Altertumswissen­ schaftler internationales Ansehen. 1990 wurde er mit dem Israel-Preis geehrt, der höchsten Auszeichnung seines Landes auf dem Gebiet der Kultur. François Mitter­ rand hat ihn zum Mitglied der Académie Internationale de Culture ernannt. Zur Zeit ist er Distinguished Professor an der City University of New York.

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