Joachim Georg Darjes und die preußische Gesetzesreform: Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des ALR [1 ed.] 9783428524037, 9783428124039

Der Autor untersucht die Mitwirkung des am 23. Mai 1714 geborenen späteren Frankfurter (Oder) Universitätsprofessors Joa

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Joachim Georg Darjes und die preußische Gesetzesreform: Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des ALR [1 ed.]
 9783428524037, 9783428124039

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 131

Joachim Georg Darjes und die preußische Gesetzesreform Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des ALR

Von

Florian Gärtner

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

FLORIAN GÄRTNER

Joachim Georg Darjes und die preußische Gesetzesreform

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 131

Joachim Georg Darjes und die preußische Gesetzesreform Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des ALR

Von

Florian Gärtner

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier hat diese Arbeit im Sommersemester 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-12403-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Sommersemester 2006 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Inauguraldissertation angenommen worden. Von Anbeginn hat mein verehrter Doktorvater, Herr Prof. Dr. Peter Krause, ihre Entstehung in besonderer Weise gefördert. Ihm verdanke ich nicht nur alle wissenschaftliche Erkenntnis, die durch diese Arbeit gewonnen worden sein mag. Überdies hat mich die von ihm gelebte Praxis, die Methode niemals über das Denken zu stellen, in jeder Hinsicht geprägt und insbesondere gelehrt, welches Erbe wir in Gestalt des aufgeklärten Denkens immerzu auf ’s Neue anzutreten haben. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Franz Dorn für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Ganz besonders danken möchte ich meinen ehemaligen Kollegen und Freunden, Herrn Richter am Verwaltungsgericht Dr. Andreas Hammer und Herrn Laurenz Voss, LL.M., deren vielfältige Anregungen Eingang in diese Arbeit gefunden haben. Darüber hinaus habe ich in ihnen immer treue Verbündete gefunden in einer Zeit, in der man nicht weiß, was mehr zu beklagen ist: die ignoranten Zumutungen der Politik an die Universität oder die unterwürfige Anpassungsbereitschaft gewisser Wissenschaftsbetriebsverwalter. Nicht zuletzt danke ich meinen Eltern, die diese Arbeit in jeder Phase aufmerksam begleitet und ihren Druck erst ermöglicht haben. Fort Meyers Beach, im November 2006

Florian Gärtner

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

A. Das Allgemeine Landrecht und die Rechtswissenschaft seiner Zeit . . . . . .

22

1.

Zur Einbeziehung der deutschen Rechtswissenschaft in die Ausarbeitung des Allgemeinen Gesetzbuchs (Landrechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.

Zum Allgemeinen Landrecht als Kodifikation aus dem Geist eines preußischen Naturrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

a)

Geschichtsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

b)

Preußische Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

c)

22

Das Preußische Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

Schlosser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

B. Kontext der Gesetzesreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

C. Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

3.

1.

Jugend und Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

2.

Die Auseinandersetzung mit Lange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

3.

Der Einfluß Wolffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

4.

Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

5.

Verhältnis zu Svarez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

6.

Mitwirkung an der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

D. Die von Darjes eingebrachten Abhandlungen und monita . . . . . . . . . . . . . . .

84

1.

Strenges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

2.

Publikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

3.

Rechteeinteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

4.

Kriminalordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

5.

Abschoßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

6.

Sachenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

E. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 F.

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

8

Inhaltsverzeichnis

Materialien – monita, Abhandlungen und Korrespondenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1.

Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

2.

Zu dem ersten Titul der ersten Abtheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

3.

Zum zweiten Abschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

4.

Zum sechsten Abschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

5.

Erläuterung meiner Gedankken von dem Unterschiede des billigen und strengen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

6.

Gedanken von den Grundsäzen des Abschoßrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

7.

Anmerkungen zu der ersten Abtheilung des zweyten Theils des allgemeinen Gesetzbuchs vom Sachen=Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

8.

Erste Gründe des Untersuchungsproceßes sowohl in bürgerlichen, als auch in peinlichen Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

9.

Die Korrespondenz zwischen Carmer und Darjes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 a)

03.01.0188. Concept des Schreibens des Großkanzlers an Darjes vom 6. Mai 1784 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

b)

03.01.0208. Schreiben Darjes’ vom 23. Mai 1784 . . . . . . . . . . . . . . . . 220

c)

07.35.0285. Schreiben Darjes’ vom 13. Dezember 1784 . . . . . . . . . . 221

d)

07.69.0108. Schreiben Darjes’ vom 25. März 1785 . . . . . . . . . . . . . . . 222

e)

Concept der Antwort des Großkanzlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

f)

Schreiben Darjes’ vom 30. Mai 1785 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

g)

03.02.0036. Concept des Schreibens des Großkanzlers an Darjes vom 26. März 1785 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

h)

03.02.0142. Concept des Schreibens des Großkanzlers an Darjes vom 12. April 1786 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

i)

07.55.0232. Schreiben Darjes’ vom 11. Juni 1786 . . . . . . . . . . . . . . . . 226

k)

Concept der Antwort des Groß Kanzlers vom 15. Juny 1786 . . . . . . 227

l)

03.02.0310. Schreiben Darjes’ vom 30. November 1787 . . . . . . . . . . 227

m) 03.02.0312. Concept der Antwort des Großkanzlers . . . . . . . . . . . . . . 228 n)

Schreiben Darjes’ vom 30. Dezember 1787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

o)

Concept der Antwort des Großkanzlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

p)

07.56.0123. Schreiben von Darjes vom 17. Febr. 1788 . . . . . . . . . . . . 231

q)

07.56.0137. Concept der Antwort des Großcanzlers . . . . . . . . . . . . . . 231

r)

03.03.0086. Schreiben des Großkanzlers an Darjes vom 26. Juni 1788 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

s)

16.01.0159. Schreiben Darjes’ vom 7. Juli 1788 . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

t)

16.01. Concept der Antwort des Großkanzlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

u)

03.04.0026. Schreiben Darjes’ vom 29. Oktober 1790 . . . . . . . . . . . . 235

v)

03.04.0028. Concept der Antwort des Großkanzlers . . . . . . . . . . . . . . 236

Inhaltsverzeichnis

9

w) 14.02.0139. Schreiben Darjes’ vom 27. November 1790 . . . . . . . . . . 237 x)

03.04.0058. Schreiben Darjes’ vom 27. Feb. 1791 . . . . . . . . . . . . . . . . 237

y)

03.04.0060. Concept der Antwort des Großkanzlers . . . . . . . . . . . . . . 238

z)

03.04.0107. Konzept des Schreibens des Großkanzlers an Darjes vom 20. Juli 1791 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Literaturübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2.

Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

3.

Gesetzestexte und -sammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

Einführung Joachim Georg Darjes (1715–1791) hatte seit 1733 in Jena zunächst als Magister der Philosophie, ab 1739 als Doktor der Rechte und von 1744 an als Professor der Moral und Politik an der Philosophischen Fakultät gelehrt.1 1763 war er als Professor der Rechte und der Philosophie nach Frankfurt a. O. gegangen, wo er sowohl an der juristischen wie an der philosophischen Fakultät unterrichtete; dort war er 1772 Geheimrat und Direktor der Universität geworden. Mit mehr als zehntausend Hörern allein in Jena gehörte er zu den erfolgreichsten Hochschullehrern seiner Zeit. Mit den Nachschriften seiner Vorlesungen wurde schwunghafter Handel betrieben, einen unberechtigten Abdruck konnte er nur durch schnelle Veröffentlichung des eigenen Vorlesungsmanuskripts2 abwehren. Auch als Autor philosophischer und rechtswissenschaftlicher Werke war er überaus fruchtbar und erfolgreich.3 Seine Lehrbücher des Gemeinen Rechts4 und des Natur- und Völkerrechts5 trugen teils direkt, teils über das Landrecht vermittelt, erheblich zur Ausbildung des Systems der Rechtswissenschaft, auch der historischen Schule und des BGB bei. Was das System und die Rechtsprinzipien des allgemeinen Gesetzbuchs angeht, bemerkte die von Svarez konzipierte und von Carmer unterzeichnete Vorrede zur letzten Abteilung des Entwurfs (1788): „Wegen der Methode, welche bey der Ausarbeitung eines solchen Lehrbuchs zu beobachten seyn möchte, ist man denjenigen, welche sich damit beschäftigen wollen, irgend etwas vorzuschreiben gar nicht gesonnen. Inzwischen würde es vermuthlich die Arbeit erleichtern, wenn dabey diejenige, welche der verdiente geheime Rath Darjes in seinen Lehrbüchern des Natur= und des Römisch=Deutschen Rechts gewählt hat, zum Grunde gelegt würde, da die Ordnung der Materien im Gesetzbuch selbst sich dieser Methode am meisten nähert.“ Und in dem ebenfalls von Svarez konzipierten Schreiben des Großkanzlers vom 2. Oktober 1788 an Eggers in Kopenhagen heißt es, die für das Lehrbuch 1

Zur Biographie s. unten S. 73. Discours über sein Natur- und VölkerRecht, 3 Bände, 1762/63. 3 Vgl. die Bibliographie unter F. 4 Institutiones jurisprudentiae privatae Romano-Germanicae, erstmals 1749. 5 Institutiones jurisprudentiae universalis zwischen 1740 und 1776 in sieben Auflagen. 2

12

Einführung

gewünschte naturrechtliche (prinzipielle) Einleitung in das Allgemeine Gesetzbuch könne sich unschwer an den Kompendien von Darjes und Höpfner orientieren.6 Darjes galt in seiner Zeit gewiß als einer der bedeutendsten philosophischen Rechtsgelehrten, er konnte sich daher bereits von der durch Carl Gottlieb Svarez konzipierten, selbständig und in den maßgeblichen Zeitschriften erschienenen Vorerinnerung Heinrich Casimir [von] Carmers zum Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten vom 24. März besonders angesprochen fühlen, die das Publikum aufgefordert hatte, Verbesserungsvorschläge vorzulegen und Kritik zu üben. Friedrich der Große hatte weder für die Veröffentlichung des Entwurfs noch für das mit der Aufforderung verbundene Preisausschreiben Geld bewilligt, der Absatz des Entwurfs im Buchhandel mußte nicht nur den Druck, sondern auch die ausgesetzten Preise tragen. Daher war die Anzahl der Freiexemplare gering und ihre Verwendung begrenzt. Die meisten von ihnen überreichte der Großkanzler Personen aus der Umgebung des Königs und seinen Ministerkollegen, die den Entwurf nicht selbst im Buchhandel erworben hätten, sowie den Mitgliedern der Gesetzkommission und den preußischen Justizkollegien. Nur wenige Stücke konnte er an auswärtige Gelehrte geben. Vornehmlich bedachte er die Herausgeber von namhaften Zeitschriften mit Rezensionsexemplaren. Auf seine Anweisung übersandte der Verleger den Entwurf der ersten Abtheilung des ersten Teils sechs Professoren der Rechtswissenschaften: 1.

Dem in Göttingen lehrenden August Ludwig Schloezer, dem Herausgeber der „Stats=Anzeigen“,

2.

dem Gießener Professor Johann August Schlettwein, der das „Archiv für Menschen und Bürger in allen Verhältnissen, oder Sammlung von Abhandlungen, Vorschlägen, Planen, Versuchen, Rechnungen, Begebenheiten, Thaten, Anstalten, Verfassungen, Gesetzen, Verordnungen, Länder-, Aemterund Ortsbeschreibungen, Bücheranzeigen und Kritiken, welche das Wohl und Wehe der Menschheit und Staaten angehen“, herausgab,

3.

dem Leipziger Rechtslehrer August Friedrich Schott, der die „Bibliothek der neuesten Juristischen Literatur“ edierte,

4.

dem Marburger Universitätskanzler Johann Heinrich Christian von Selchow, der in seiner der „Juristischen Bibliothek“ bereits die Prozeßordnung und den „Briefwechsel über die gegenwärtige Justiz=Reform“ besprochen hatte,

6 05.01.0003. Die Findnummer (hier wie im Folgenden) bezeichnet – durch Punkte getrennt – die Nummer und den Band der Repositur 84 Abteilung XVI des Geheimen Staatsarchivs (Stiftung Preußischer Kulturbesitz) in Berlin-Dahlem (je zweistellig) und Folium (vierstellig).

Einführung

13

5.

dem Direktor der Universität Halle, ersten Professor der Rechte, Ordinarius der Fakultät und Geheimrat Daniel Nettelbladt, dessen Übersicht über die juristische Literatur fast alle Rechtsstudenten und Rechtspraktiker verwendeten, und

6.

schließlich dem Göttinger Geheimrat Johann Stephan Pütter, der in seinen „Beiträgen zum Teutschen Staats= und Fürsten=Rechte“ erst jüngst über die Preußische Justizreform eingegangen war7 und der den Entwurf alsbald in den „Göttinger Gelehrten Zeitungen“ besprach.

Dazu schrieb er ihnen am 24. April 1784: „Vermuthlich ist das Advertissement wegen des auf Sr. Kgln. May: Befehl von mir entworfenen subsidiarischen Gesetzbuches für die gesamten Preußischen Staaten Ewr. Wohlgeb. schon bekannt geworden. Da ich aber noch außer der in besagtem Advertissement enthaltenen allgemeinen Aufforderung auch besonders von Ewr. Wohlgeb. rühmlichst bekannten Einsichten in diesem Fache zu profitiren wünsche, so habe ich dem Verleger aufgetragen, Ihnen in meinem Nahmen ein Exemplar von dem nunmehr abgedruckten Ersten Theile des Entwurfs zu übersenden; und würde mich sehr freuen, wenn Ewr. Wohlgeb. der näheren Prüfung deßelben einige Zeit und Aufmerksamkeit widmen wollen.“8 Darüber hinaus erhielt im Nachgang – wohl für Schlosser – der führende Zivilrechtler seiner Zeit, der Gießener Geheimrat Ludwig Julius Friedrich Hoepfner, den Entwurf.9 Ferner sandte Carmer am 6. Mai 1784 aus den ihm überlassenen Exemplaren noch vier Stücke an weitere „auswärtige Gelehrte“.10 Mit drei von ihnen verbanden Carmer und Svarez von Schlesien her persönliche Beziehungen. Karl Friedrich von Beneckendorff war Präsident der Oberamtsregierung zu Breslau gewesen und durch seine Oeconomia forensis hervorgetreten; der in Breslau privatisierende Philosophieprofessor Christian Garve 7

Zweyter Theil Göttingen 1779 S. 8. 03.01.0165. Svarez, Konzept des Briefes an den Geheimen Justizrat Pütter in Göttingen, Hofrat Schloezer in Göttingen, Geheimrat Nettelbladt in Halle, Regierungsrat Schlettwein, Professor Schott in Leipzig und Hofrat Schlosser vom 24. April 1784. Bemerkungen: Nach einer Bemerkung Steindamms ist das Schreiben an Schlosser nicht abgegangen. „da Se hochfreyh Excell es cassiert haben.“ 03.01.0166. Note von Svarez, nach der ein ähnliches Schreiben auch an den Regierungsrat Hoepfner in Gießen abgehen soll. 9 03.01.0166. Note von Svarez, nach der ein ähnliches Schreiben auch an den Regierungsrat Hoepfner in Gießen abgehen soll. 10 03.01.0167: Schreiben des Großkanzlers an Darjes, Garve, Fenderlin und Benekkendorff vom 6. 5. 1784. Laut Verteilungsplan der Exemplare der abgedruckten Ersten Abteilung des Entwurfs wurde der Entwurf an diese vier versendet. S. a. 03.01.0186: Nachweis Steindamms, wie die abgelieferten 98 Exemplare des Entwurfs verteilt worden sind. 03.01.0208: Dankschreiben von Darjes. Frankfurt a/O, den 23. 5. 1784. 03.01.0210: Dankschreiben von Beneckendorff vom 24. 5. 1784. 03.01.0205: Dankschreiben von Fenderlin mit Versprechen von Monita. Grüssau, den 16. 5. 1784. 8

14

Einführung

hatte sich in der von Carmer begründeten schlesischen Ökonomischen Gesellschaft betätigt; der Stiftskanzler im schlesischen Grüssau Lukas Fenderlin (1732–1791) hatte zwischen 1770 und 1773 „Gedanken ueber die Verabfassung eines allgemeinen Gesetzbuches zur Verbesserung derer Justitz-Verfassungen“ vorgelegt und einen Versuch eines Auszuges der römischen Gesetze in einer „freyen Uebersetzung zum Behuf der Abfassung eines Volks=Kodex, nach Ordnung der Pandecten“ verfaßt, der gerade in Breslau zu erscheinen begann. Der vierte Adressat war Darjes. Auch er stand seit langem mit Carmer und Svarez in Verbindung. Svarez hatte ihn, ungeachtet dessen, ob er zu Recht als Schüler von Darjes bezeichnet wird,11 während seines am 30. März 1762 aufgenommenen und im Frühjahr 1765 beendeten Studiums in Frankfurt an der Oder kennengelernt, an der Darjes seit dem 19. Oktober 1763 als professor iuris et philosophiae ordinarius lehrte.12 Überdies gehörte Svarez nicht nur zu den Wegbereitern der Frankfurter Wissenschaftlichen Gesellschaft, deren Präsident Darjes nach ihrer Gründung im Jahre 1765 geworden war, sondern war damals – auswärtiges – Mitglied zweier ihrer Klassen geworden. Seine fortdauernde Verehrung bezeugt, daß er Darjes 1786 mit rund 70 Freunden und ehemaligen Schülern zum 50jährigen Dienstjubiläum eine goldene Gedenkmünze widmete. Daß Carmer ebenfalls zu den Stiftern der Gedenkmünze gehörte, dem Darjes am 11. Juni 1786 für seinen „thätigen Antheil“ an der Verleihung besonders dankt, deutet daraufhin, daß auch er in einer alten Beziehung zu Darjes stand. Tatsächlich hatte er 1781 nur zwei Professoren die neue Prozeßordnung übersandt, beide waren in Frankfurt tätig, nämlich der ältere Madihn und Darjes.13 Wie er die Frankfurter Universität schätzte, erweist sich daran, daß er seinen ältesten Sohn dort – unter Führung des berüchtigten Kant-Zensors Gottlieb Friedrich Hillmer als Hofmeister – das rechtswissenschaftliche Studium beginnen ließ.14 Maßgeblich dürfte dabei nicht zuletzt der persönliche Eindruck ge11 Stölzel, Carl Gottlieb Svarez, Ein Zeitbild aus der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, 60–67; Dilthey, Gesammelte Schriften, XII. Band, S. 179; Thieme, Die Preußische Kodifikation, in: SZ Germ 57(1937), 365 Fn. 2; Wolf, Große Rechtsdenker, 431 ff.; Wesener, Naturrechtliche Lehre vom Eigentumserwerb, in: FS Nikolaus Grass, hrsg. v. K. Ebert, S. 442; zurückhaltend Pennitz, Die Rolle von J. G. Darjes in den preußischen Kodifikationsbestrebungen, FS für Gunter Wesener, 349. 12 Aeltere Universitäts-Matrikeln I. Universität Frankfurt an der Oder Hg. v. E. Friedländer, Bd. II., Osnabrück 1965 (Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1888), 206; 412. 13 14.01.0148: VertheilungsPlan des zweiten Theils der neuen ProceßOrdnung. 14 Johann Friedrich Heinrich von [sic!] Carmer, geboren in Rützen am 10. Januar 1765, nahm zusammen mit Nikolaus Otto Ferdinand von Debschitz am 30. April 1781 das Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt a. d. O. auf. Ihr Hofmeister war der zugleich eingeschriebene cand. iur. Gottlieb Friedrich Hillmer, der berüchtigte Zensor Kants. Am 27. April 1782 schrieb sich Carmer zusammen mit Karl Friedrich von Goldfus und Hillmer (alle drei aus Frankfurt a. d. O. kommend) in Göttingen ein, Bardong, Otto, Die Breslauer an der Universität Frankfurt (Oder). Ein Beitrag zur schlesischen Bildungsgeschichte 1648–1811, Würzburg, 1970 (Quellen und Darstellungen

Einführung

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wesen sein, den er während seines eigenen Studiums in Jena (1739–40) von den Vorlesungen des damals dort als Privatdozent tätigen Darjes gewonnen hatte. Jedenfalls ersuchte er in einem von Svarez konzipierten Schreiben vom 6. Mai 1784 den hochzuehrenden und hochgebohrenen Geheimen Rat Joachim Georg Darjes angelegentlich, den Inhalt des ihm übersandten Exemplars des ersten Teils des Allgemeinen Gesetzbuchs einer näheren Prüfung zu unterziehen und „solchergestalt an der allgemeinen Aufforderung des gesamten Sachverständigen Publici besondern Antheil zu nehmen.“ Damit war Darjes in den Kreis der Gelehrten eingeschlossen, die der preußische Großkanzler persönlich aufforderte, an einer Diskussion über ein Gesetzgebungsverfahren mitzuwirken, die ohne Vorbild war und ohne Nachfolge geblieben ist.15 Darjes ist der Aufforderung nicht nur pflichtgemäß, sondern „mit dem dankbaren Vergnügen des patriotisch Gesinnten“ nachgekommen.16 Die Ergebnisse seiner Bemühungen und die begleitende Korrespondenz sind unter der in der Repositur 84 des Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem gesammelten monita erhalten.

zur schlesischen Geschichte. Herausgegeben von der Historischen Kommission für Schlesien. S. 5, 37, 45, 127, insbes. 164, 236, 247 f. Da der erst Siebzehnjährige in Göttingen in Schulden geriet, wechselte der Großkanzler in Kooperation mit Stephan Pütter, mit dem er – vielleicht ebenfalls vom Studium her – gut bekannt war (Zwischen 1782 bis 1791 wechselten sie mindestens 32 Briefe.), den Hofmeister, um seinen verlorenen Sohn auf den rechten Weg zurückzubringen (nach Bardong sah Theodor von Schön in ihm 1797 einen lustigen Finken mit Alltagsfähigkeiten und einer gleichen Ausbildung, nicht dumm, aber durch vornehme Gesellschaft verschroben.). Hans Friedrich Heinrich hatte schon im Frühjahr 1781 das Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt a. d. O. aufgenommen, er hatte im April 1782 nach Göttingen gewechselt und sich dort so verschuldet, daß es zu einer tiefen Krise im Verhältnis zum Vater kam. Johann Friedrich Heinrich trat noch im Jahre 1783 in Berlin in Preußische Dienste. 1792 wurde der erst 27jährige Jahren Rat bei der Kurmärkischen Kammer als Geheimer Kriegsrat nach Breslau, gewiß haben dabei die Beziehungen seines Vaters zum schlesischen Finanzminister Hoym eine Rolle gespielt, denn sein Vorgesetzter in Berlin, der Kammerdirektor Bismark hatte ihm zwar Fähigkeiten und Kenntnisse, aber mangelnde Arbeitsamkeit attestiert. Er soll später Generallandschaftspräsident Schlesiens geworden sein (Bardong spricht von ihm aber als Vortragenden Rat beim schlesischen Generallandschaftsdepartement). Er heirate in Rützen am 14. Januar 1798 Maximiliane Wilhelmine Senfft von Pillach, am 17. Dezember. 1798 wurde in Breslau sein Sohn Johann Karl Heinrich geboren. Der jüngere Bruder Wilhelm Heinrich begann 1789 das rechtswissenschaftliche Studium in Halle. 15 Vgl. Thieme, Publizität der Gesetzgebung im absoluten Staat. Das Beispiel des fridericianischen Preußen, in: Kleinheyer/Mikat (Hrsg.), Beiträge zur Rechtsgeschichte, Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, 1979, S. 539 ff.; Krause, Carl Gottlieb Svarez, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches für die Preußischen Staaten, Bd. I, Erster Teil, Erste Abteilung, 1996, LXXVI. 16 Schreiben vom 23. Mai 1784.

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Welchen konkreten Einfluß Darjes dadurch auf das Gesetzgebungswerk und auf die preußische Gesetzesreform überhaupt genommen hat, ist bislang nicht im Zusammenhang untersucht worden,17 nur Details seiner naturrechtlich gestützten Zivilrechtslehre haben – wenn auch nicht im Rahmen eines eigenständigen Werks – gewisse Beachtung gefunden.18 Die Bedeutung von Darjes für die preußische Justizreform wird vielmehr auf die des maßgebenden akademischen Lehrers von Svarez reduziert. Wilhelm Dilthey hat sie mit der These verbunden, er habe – in ähnlicher Weise wie Nettelbladt – als Lehrer Ernst Ferdinand Kleins, dem er irrig ein gleiches Gewicht bei der Gesetzgebungsarbeit zumißt, den Redaktoren des Landrechts das Wolffsche Naturrecht in einer „für die Technik der Gesetzgebung angemessenen Form“ übermittelt.19 Ihr steht die Behauptung der Wissenschaftsferne des Allgemeinen Gesetzbuchs gegenüber. Sie nährt sich einmal daraus, daß Friedrich der Große in den Kabinettsordern über die preußische Gesetzgebung seinen Vorbehalten gegen die Rechtswissenschaft deutlich Ausdruck gegeben hat, sei es, indem er am 6. April 1780 davon abriet, die Professoren heranzuziehen, weil sie alles zu weitläufig machten, sei es, daß er am 14. April 1780 die Hoffung, daß „viele Rechtsgelehrte bey der Simplifikation dieser Sache ihr Geheimnißvolles Ansehen verlieren, um ihren ganzen Subtilitäten=Kram gebracht werden“, mit dem Verbot jeder Interpretation des neuen Gesetzbuches verbunden hatte.20 Dabei wurde freilich übersehen, daß das Gesetzbuch die Richter ausdrücklich zur Interpretation nach den bis heute anerkannten Regeln verpflichtete.21 Vornehmlich geht die Ansicht der wissenschaftsfernen Entstehung aber auf Gustav Hugo zurück, der in seiner Rezension des Allgemeinen Gesetzbuches feststellen zu können meinte,22 seines Wissens sei in den Preisausschreiben 17

Lediglich Pennitz, S. 331 ff., nimmt sich des Themas etwas ausführlicher an. Wesener, Dingliche Rechte und persönliche Rechte, FS Niederländer, S. 195; ders., Naturrechtliche Lehre vom Eigentumserwerb, in: FS Grass, Innsbruck 1986, S. 433 ff., 443; Huwyler (Huwiler), Der Begriff der Zession, Zürich 1975, S. 72. 19 Dilthey, Das allgemeine Landrecht, in: Gesammelte Schriften, Bd. 12, (Erste Auflage 1936) Stuttgart 1964, S. 131 ff., 152. 20 Die Anordnung in § 6 Einleitung ALR, daß „auf Meinungen der Rechtslehrer, oder ältere Aussprüche der Richter, bey künftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werden soll, ist keine Absage an die Wissenschaft. Wie sich aus dem Titel ergibt, unter den sie gestellt ist (Von den Gesetzen überhaupt), besagt sie nur, daß die lex posterior selbstverständlich den Vorrang vor Rechtsmeinungen und älteren Präjudizien beansprucht, gerade die Gesetzesbindung wollte allerdings die Autonomie beanspruchende Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts nicht anerkennen. 21 Einl. § 46. Den Richtern war nur untersagt, dem Gesetz die Anwendung unter dem Vorwand zu versagen, ihm lasse sich kein vernünftiger Sinn beilegen. Allein in diesem Fall waren sie – bis 1798 – zur Vorlage an die Gesetzkommission verpflichtet. 22 Hugo, in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1791, S. 1417. 18

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kein namhafter deutscher Rechtswissenschaftler ausgezeichnet worden. Zwar hatte Savigny23 ihm dezidiert widersprochen: „Die Stimme nicht blos der eigenen Geschäftsmänner,24 sondern aller Deutschen Gelehrten, ist aufgerufen und gehört worden25 und jeder unbefangene Beobachter wird einräumen, daß, was gethan und unterlassen worden ist, dem Sinn, und der Einsicht des Zeitalters vollkommen entsprach.“ Dennoch glaubte die Historische Schule wegen der von ihm geäußerten Bedenken gegen die Gesetzgebung an der Überzeugung festhalten zu müssen, das Allgemeine Landrecht tauge nichts, weil es ohne Beteiligung der Rechtswissenschaft entstanden sei, in ihm habe sich nicht das historisch gewordene Recht, sondern eine schlichte Praktikervernunft und die ungeschichtlichen Lehren des Naturrechts und der Aufklärung niedergeschlagen. Das verträgt sich allerdings kaum mit den Ausführungen von Svarez in seiner „Kurzen Nachricht von dem neuen Preußischen Gesetzbuche und von dem Verfahren bey der Ausarbeitung desselben.“26 Dort heißt es nämlich: „Schon bey der ersten Ankündigung des Unternehmens, und selbst noch da der Entwurf schon ans Licht getreten war, glaubte ein großer und sehr schätzbarer Theil des Publici, daß ein neues Gesetzbuch schlechterdings lauter neue, nicht den bisherigen Gesetzen, hauptsächlich nicht der Justinianeischen Compilation abgeborgte, sondern bloß aus der Natur und den Begriffen der Dinge, aus dem Zwecke des Staats und der Gesellschaft, aus der Entwickelung des bürgerlichen Vertrages abgeleitete, mit einem Worte lauter aus dem innersten Heiligthum der Philosophie herbey gehohlte Vorschriften enthalten müsse. Leser aus dieser Classe werden sich freylich in ihrer Erwartung getäuscht sehn, wenn sie finden daß die Grundlage des neuen Preußischen Gesetzbuches noch so sehr römisch sey, daß nicht Montesquieu, Rousseau und Mably, sondern daß Labeo und Capito, daß Sever und die Antonine die meisten Materialien dazu geliefert haben. Aber, sie bedenken nicht, daß nur der die Römische Gesetzsammlung 23 Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, Zweite, vermehrte Auflage. Heidelberg, bey J. C. B. Mohr. 1828 S. 92. 24 Geschäftmänner sind im damaligen Sprachgebrauch Beamte. Savigny wandte sich hier ausdrücklich gegen die These Hugos. 25 Das richtete sich gegen Hugo. 26 Kleins Annalen Band 8 (1791), S. XIII–XLVIII. Absätze wie im Manuskript, sonstige Abweichungen in Fußnoten nachgewiesen. Durchstreichungen im Manuskript. Klein erklärt selbst in seiner Besprechung von Erhard, Annalen Band 10, S. 323, nicht er, sondern ein bedeutenderer Mann habe die Nachricht verfaßt. Daß Svarez der Autor war, wird durch das Manuskript von Schreiberhand mit eigenhändigen Korrekturen von Svarez bestätigt (Repositur 92 des Geheimen Staatsarchivs, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin Dahlem, Nachlaß Svarez, Nr. 3 Entwurf der Crim.= Ordnung, S. 60 ff. In der Note zum Inhaltsverzeichnis heißt es: Dieser Aufsatz ist in den Kleinschen Annalen Bd. VIII. pag. XI–XXVIII. abgedruckt.).

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verachten und geringschätzen könne, der mit dem Inhalte derselben nicht bekannt ist, der es nicht weiß, daß ihr größter und wichtigster Theil nicht Sanctionen Byzanthinischer Despoten des 6ten Jahrhunderts, sondern Lehren, Entscheidungen, und Vorschriften enthalte, die in der schönsten Periode der freyen Republik, oder in dem goldnen Zeitalter der Monarchie, von Männern abgefaßt oder an die Hand gegeben worden, welche in den Schulen der Weltweisheit gebildet, die dort erworbenen Kenntnisse in das Forum und zu der Leitung der öffentlichen Geschäfte mit herüber brachten. Sie vergessen, daß hier nicht einem erst entstehenden Staate Gesetze gegeben werden sollten, sondern einem schon gebildeten, der sich bey seiner bisherigen Verfassung zu wohl befunden hat, als daß er eine gänzliche Umwandlung derselben wünschen könnte; daß dieser innern Verfassung, soweit sie die Privatrechte der Einwohner unter einander bestimmt, das Römische Recht zur Grundlage diene; daß der ganze Geist der Nation in Beziehung auf Rechts=Geschäfte und alles, was damit Verwandschaft hat, nach dieser Theorie gestimmt, und es sowohl leichter als sicherer sey, dieser Stimmung eine zweckmäßigere Richtung zu geben, als ein zahlreiches gebildetes Volk mit ganz neuen Begriffen, Maximen und Regeln seines Verhaltens auf einmahl zu überraschen; daß es besser und der Klugheit gemäßer sey, eine schon vorhandene gebahnte Straße zu bessern, zu ebenen, gerader zu führen, und bey den sumpfigen oder sandigen Gegenden, die den Fuß des Wanderers ohne Noth verweilen, oder bey Labyrinthen in denen er sich zu weit verirren kann, vorbey zu leiten, als ihn plötzlich, gleichsam durch einen einzigen Schwung des Zauberstabes, in ganz neue und unbekannte Regionen zu versetzen, und von ihm zu verlangen, daß er mit Zuversicht und Vertrauen einen vor ihm liegenden dunklen Weg antrete, den seine Führer selbst noch nicht gegangen sind, sondern ihn bloß von der Anhöhe der Speculation hinlänglich übersehen zu haben glauben.“ Was bei Svarez noch dazu diente, übertriebene Erwartungen zurückzuweisen, wird bei den frühen wissenschaftlichen Bearbeitern des Landrechts zu einer Apologie gegen die pejorativ gemeinte und empfundene Klassifizierung des allgemeinen Landrechts zu einer Naturrechtskodifikation, so bei Wilhelm Bornemann: „Das Landrecht ist nicht aus den Rechtsansichten dieser oder jener philosophischen Schule, oder gar nur aus dem s. g. Naturrecht, sondern aus den Röm. Rechtsbüchern Justinians geschöpft . . . Nun haben die Redaktoren desselben nicht nur die Ansichten der damaligen Kommentatoren des Röm. Rechts aufgefaßt, sondern sind auch in die Quellen selbst eingedrungen.27 Findet man eine Bestimmung, die sich aus den Grundsätzen des reinen Röm. Rechts nicht entwickeln läßt, so untersuche man zunächst, ob nicht schon das 27 Damit wendet er sich gegen die Auffassung, erst die Historische Rechtsschule habe das klassische römische Recht in den Quellen gesucht.

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gemeine Recht . . . eine Modifikation hatte eintreten lassen.28 Sodann sehe man, ob das Deutsche Recht von dem Röm. Recht abweichende Grundsätze enthielt, und diese, als dem Bedürfnis der Zeit angemessen, angenommen oder mit dem Röm. Recht verschmolzen worden sind.“29 Auch der andere Verfasser eines frühen Lehrbuchs zum Allgemeinen Landrecht, Koch,30 maß dem Naturrecht eine verwüstende Wirkung zu. Sie habe sich aber im Landrecht weniger ausgewirkt, weil die durch Nettelbladt und Darjes geprägte Schule der Rechtspraktiker31 einen so bedeutenden Einfluß auf die Gesetzgebung gehabt habe, daß das Preußische Landrecht als ihr Werk angesehen werden könne. Eine genauere Analyse dazu findet sich bei ihm allerdings nicht. Offenbar hat Wilhelm Dilthey die Lücke zu füllen versucht und dabei daran angeknüpft, daß Koch einige Seiten später meinte, es sei von Interesse,32 „die akademischen Lehrer kennen zu lernen, bei denen die Redaktoren ausgebildet worden sind.“ Er hat jedenfalls die Redaktoren des Allgemeinen Landrechts mit Svarez und Klein identifiziert, den einen als Schüler von Darjes, den anderen als Schüler von Nettelbladt ausgemacht, und Darjes und Nettelbladt zu Anhängern von Wolff gestempelt. Sie hätten ihren Schülern ein spezifisch preußisches Naturrecht vermittelt, das er mit dem Geist des Friderizianismus gleichsetzte, der dergestalt das Allgemeine Landrecht präge. Etwa gleichzeitig hat Stölzel auch eine positive Bewertung des Allgemeinen Landrechts als Gesetzbuch der Aufklärung versucht. Die Orthodoxie und das Schwärmertum, verkörpert durch die Rosenkreuzer, insbesondere Woellner und Bischofwerder, aber auch Danckelmann und Goldbeck, hätten sich gegen das Allgemeine Gesetzbuch gewandt und seine Suspension erreicht, weil ihnen seine aufgeklärten Regelungen mißfielen, die wiederum aus der aufklärerischen Haltung der Mitarbeiter an der preußischen Justizreform erwachsen sei.33 28 Einige Vertreter der Historischen Rechtsschule meinten freilich, die nachrömische Fortentwicklung des Gemeinen Rechts durch den usus modernus und die elegante Jurisprudenz als Fehlentwicklung ignorieren zu müssen. 29 Von Rechtsgeschäften überhaupt und von Verträgen insbesondere, nach preußischem Rechte, Berlin 1825, S. 5 ff. 30 C. F. Koch, Lehrbuch des Preußischen gemeinen Privatrechts Bd. 1 1845 S. 7. 31 Dazu wenig verständlich S. 5: Die Schule der Praktiker habe auf der einen Seite die Autorität der Gerichtspraxis und einzelner Rechtslehrer für höher als das Gesetz, und auf der anderen Seite sich berechtigt gehalten, von demselben abzugehen, sobald es ihr für die Gegenwart nicht mehr zu passen, oder eine vorausgesetzte Natur der Sache oder eine vermeintliche Billigkeit etwas anderes zu fordern schien. So suchte sie dem älteren Gesetze durch das Hinweisen auf die Natur der Sache fortzuhelfen und durch Befolgung älterer Präjudikate Uebereinstimmung des rechts herbeizuführen, anstatt die Rechtsinstitute in ihrem innersten Wesen zu ergründen und philosophisch aufzufassen. 32 S. 36.

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Das preußische Oberverwaltungsgericht hat parallel dazu in den Kreuzbergurteilen in das Allgemeine Landrecht eine naturrechtliche Einschränkung der Polizeigewalt hineingelesen, die es ihm ermöglichte, ein – rechtspolitisch gewünschtes – Ergebnis positivrechtlich, d. h. ohne das Naturrecht direkt bemühen zu müssen, begründen zu können.34 Bis zum Ende des ersten Weltkrieges ist die deutsche Staats- und Verwaltungsrechtslehre den Weg weiter gegangen.35 Hermann Conrad hat nach dem zweiten Weltkrieg in ihm abermals – aus dem Naturrecht erwachsene – rechtsstaatliche Züge ausgemacht.36 Nach allem gibt die Mitarbeit von Darjes als eines in seiner Zeit überaus prominenten Juristen und Philosophen Anlaß, zu untersuchen, ob die deutsche Rechtswissenschaft der Zeit von der Diskussion um die preußische Gesetzesreform und das Allgemeine Gesetzbuch ferngehalten wurde oder ihr ferngeblieben ist, wie Hugo meinte, und inwiefern das Allgemeine Landrecht als Kodifikation aus dem Geiste des Naturrechts angesehen werden kann, wie Dilthey glaubte. Schließlich ist die konkrete Einwirkung von Darjes auf das Landrecht und die Prozeßgesetzgebung nachzuzeichnen. Im Ganzen wird sich erweisen, daß Darjes ein Paradigma für das besondere Moment ist, daß die Entstehungsgeschichte des AGB begleitet: die Diskussion. Daher ist diese Arbeit nicht nur ein Versuch, die Wirkungs(rechts)geschichte Darjes’ zu ergründen, sondern in gleichem Maße auch, dieses besondere Moment hervorzuheben als das, was es ist: die Diskussion ist ein unselbständiger, aber wesentlicher Bestandteil eines Gegenstandes oder Vorgangs, nämlich der Preußischen Gesetzesreform. Daß diese einen Eigennamen verdient hat, verdankt sie ihrem wesentlichen Bestandteil. 33 Dieser These nachzugehen, erübrigt sich. Einmal ist sie aus verschiedenen Gründen irrig. Denn die Rosenkreuzer, zu denen Danckelmann nicht gehört, vor allem jedoch Woellner und Bischofwerder, aber sogar Hermes und Hillmer, waren keine Gegner der Justizreform. Auch befürwortete zumindest Carmer die Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. Schließlich ist die Differenz zwischen dem Religionsedikt und dem Landrecht weitaus geringer, als Stölzel unterstellt. Etwas anderes ist die von Hermes und Hillmer tatsächlich betriebene Politik. Vor allem aber reduziert Stölzel damit die Aufklärung und das Naturrecht auf eine Frage, die deren Anliegen nicht gerecht wird. 34 Vgl. dazu Krause, Das Allgemeine Landrecht als Naturrechtssurrogat. Zur Behandlung des § 10 II 17 ALR in Rechtsprechung und Literatur im ausgehenden Konstitutionalismus. Die Kreuzbergurteile des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, in: Das Menschenbild im weltweiten Wandel der Grundrechte. Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 889, 2002, S. 233–258. 35 Belege finden sich in zahlreichen Aufsätzen im Verwaltungsarchiv. 36 Hermann Conrad, Die geistigen Grundlagen des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten von 1794, 1958; ders., Rechtsstaatliche Bestrebungen im Absolutismus Preußens und Österreichs am Ende des 18. Jahrhunderts, 1961; ders., Staatsgedanke und Staatspraxis des aufgeklärten Absolutismus, 1971; ders., Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, in: Otto Büsch/ Wolfgang Neugebauer (Hgg.), Moderne Preußische Geschichte 1648–1947. Eine Anthologie, Bd. 2, 1981, S. 598–621.

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In der Rechtsphilosophie Hegels ist das „Moment“ ein notwendiges Durchgangsstadium im Verlauf der dialektischen Bewegung des Geistes. In diesem Durchgangsstadium hat Darjes mit wesentlichen Beiträgen mitgewirkt. Das zeichnet den bisher in seiner Bedeutung nicht entsprechend gewürdigten Rechtslehrer aus und spiegelt seine bleibende Leistung wider.

A. Das Allgemeine Landrecht und die Rechtswissenschaft seiner Zeit 1. Zur Einbeziehung der deutschen Rechtswissenschaft in die Ausarbeitung des Allgemeinen Gesetzbuchs (Landrechts) In seiner berühmten Rezension erklärte Hugo, das Allgemeine Gesetzbuch für die Preussischen Staaten sei „eine Arbeit von zehn Jahren, durch ein nicht sehr zahlreiches Collegium von Geschäftsmännern,1 die zum Theil noch andere Arbeiten, dabey besorgten, und die, so viel man weiß, weder von einheimischen noch von andern deutschen Gelehrten so unterstützt wurden, wie man nach der Wichtigkeit des Gegenstandes, und nach der Aufforderung bey dem Drucke des bloßen Entwurfs, hätte hoffen können. Rec. wenigstens erinnert sich keines einzigen, vorzüglich, berühmten Rechtsgelehrten, der bey den Preißertheilungen genannt worden wäre,2 da doch jedem Leser eine Menge Namen einfallen müssen, die höchstwahrscheinlich viel andere verdunkelt haben würden, so bald sie mit ihnen concurrirt hätten. Auch in den Büchern, die seitdem erschienen sind, war verhältnißmäßig selten Rücksicht auf den Entwurf genommen; Schlosser3 stand beynahe ganz ein1

Das war die Bezeichnung für Beamte. Das war freilich richtig, erlaubte aber nicht die gezogene Schlußfolgerung. Es gibt guten Grund, zu vermuten, daß zumindest einer der vorzüglich berühmten Rechtsgelehrten, nämlich Hoepfner, vergebens am Preisausschreiben teilgenommen hat. Vielleicht gehört Hugo sogar selbst zu den enttäuschten, namenlosen Bewerbern. Schlossers Briefe enthalten eindeutig Abschnitte einer nicht rechtzeitig fertiggewordenen Preisschrift zur 1. Abteilung (des 1. Teils) des Entwurfs. Auch haben zahlreiche Gelehrte durch Einsendung von Monita am AGB/ALR mitgewirkt, ohne um einen Preis zu konkurrieren. Insgesamt lassen sich 67 Preisschriften nachweisen, das sind etwa 11 für jede Abteilung, tatsächlich schwankt die Beteiligung aber außerordentlich. 31 Preisschriften wurden – wenn auch nur durch lobende Erwähnung – ausgezeichnet, dahinter verbergen sich jedoch nur 17 Verfasser, die häufig auch noch Monita unter ihrem Namen geliefert haben. Da die Anonymität der Verfasser, die nicht ausgezeichnet wurden, in der Regel nicht aufgedeckt wurde, lassen sich nur 33 Preisschriften namentlich zuordnen. 34 bleiben anonym, die Zahl ihrer Verfasser dürfte noch darunter liegen, weil von einzelnen Preisschriften zu unterschiedlichen Abteilungen bekannt ist, daß sie den gleichen Autor hatten. Unter den Preisträgern befindet sich zwar nur ein Universitätsprofessor, Eggers, aber eine Reihe bedeutender Namen wie Globig, Hippel, und Schneider. 3 Johann Georg Schlosser, Briefe über die Gesezgebung überhaupt, und den Entwurf des preusischen Gesezbuchs insbesondere, [. . .]. Frankfurt, Im Verlag bei Johann Georg Fleischer. 1789. Ders., Fünfter Brief über den Entwurf des Preussischen Gesetz2

1. Allgemeines Gesetzbuch (Landrecht)

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zeln da, und selbst mit ihm drehte sich die Erörterung bald auf bloße Nebenpuncte hin [. . .]. Dieser Mangel an Theilnahme bey unserm gelehrten Publicum ist um so mehr zu bedauern, da die Ehrfurcht für das Urtheil desselben und die Sorgfalt, jede, auch nur zufällige Bemerkung zu benutzen, einen für die Verfasser und für unsre Publicität ehrenvollsten Unterschiede dieses Gesetzbuchs von seinen Vorgängern ausmacht. Diesem Vorzuge unserer Zeiten, den der despotische4 Hof zu Constantinopel im sechsten Jahrhundert gar nicht kannte, verdanken wir es, daß manche wesentliche Puncte hier weit weniger anstößig sind als im Entwurfe.“5 Das hieß nichts anderes, seines Wissens sei das Gesetzbuch das Werk einer Handvoll wissenschaftlich inkompetenter, von sonstigen Amtsgeschäften überlasteter Beamter, die sich wohl um die Unterstützung der Wissenschaft bemüht, auch jedes ihnen hingeworfene oder zufällig niedergefallene Bröckchen begierig aufgelesen und dadurch Fehler zwar nicht vermieden, aber doch verringert hätten. Die Rechtswissenschaft habe sich dagegen – und das ist durchaus mit Genugtuung gesagt – um die Gesetzgebung kaum gekümmert, sie habe an ihr weder durch Einsendung von Erinnerungen und Beteiligung am Preisausschreiben noch öffentlich durch Druckschriften teilgenommen. Es liegt nahe, die „vorzüglich berühmten“ deutschen Rechtsgelehrten der Zeit (1784–1791), deren mangelnde Beteiligung Hugo behauptet, unter den bedeutenden akademischen „Deutschen Juristen“6 zu suchen, welche die Geschichte der Rechtswissenschaft für die Zeit nennt. Es sind Georg Ludwig Böhmer (1715– 1797), Joachim Georg Darjes (1714–1791), Nikolaus Thadäus Gönner (1764– 1827), Gustav Hugo (1764–1844), Ernst Ferdinand Klein (1743–1809), Georg Jakob Friedrich Meister (1755–1832), Friedrich Karl Moser (1723–1798), Daniel Nettelbladt (1719–1791), Johann Stephan Pütter (1707–1725), Johann Friedrich Reitemeyer (1755–1839), Karl Gottlob Rössig (1752–1806), Justus Friedrich Runde (1741–1807) und August Ludwig Schloezer (1735–1809). Daneben wird buchs insbesondere über dessen Apologie in den Annalen der preussischen Gesetzgebung, [. . .] Frankfurt am Main, bei Johann Georg Fleischer 1790. 4 Merkwürdigerweise spielte es für die historische Rechtsschule keine Rolle, daß das Corpus iuris unter einem Despoten entstand und die in ihm versammelten großen römischen Juristen nicht das Bürgertum einer freien Gesellschaft repräsentierten, sondern Funktionen im Dienst von römischen Kaisern ausübten, die ihre Macht zumeist rücksichtslos gebrauchten. 5 Zusammen mit einer rechthaberischen langatmigen Schlußbemerkung verdunkelt dieses böse Lob alles zuvor in scheinbarer Objektivität als positiv Hervorgehobene, wie die sprachliche Leistung und die staatsrechtlichen Regelungen, deren Rühmung ohnehin zweideutig bleibt, weil Hugo das Ausgreifen des AGB in das ius publicum als prinzipiellen Fehler rügte. Insgesamt ist die Rezension von der Abneigung der Gesetzgebung, der nicht im engen Sinne wissenschaftlichen Jurisprudenz und des Naturrechts getragen, die die historische Rechtsschule weiterhin kennzeichnen sollte. 6 Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, Herausgegeben von Kleinheyer und Schröder, 1. Auflage 1976, Personenregister.

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A. Das Allgemeine Landrecht

noch Ludwig Julius Friedrich Hoepfner als erster Zivilist seiner Zeit gerühmt,7 schließlich wird man Johann Heinrich Christian von Selchow (1732–1795) nicht übersehen dürfen. Einige von diesen – wie Moser – hatten 1783 die Universität schon wieder verlassen, andere – wie Gönner, Hugo, Reitemeyer und Rössig – wurden erst später bekannt. Zu Beginn der Veröffentlichung des Entwurfs waren daher als berühmte akademische Rechtslehrer nur Böhmer, Darjes, Hoepfner, Nettelbladt, Pütter und Schloezer anzusehen. Jedem von ihnen – einzig Böhmer ausgenommen – ließ der preußische Großkanzler das erste Stück des Entwurfs mit der Bitte um Kritik zusenden.8 Ersichtlich ging sein Bemühen dahin, die bedeutendsten Vertreter der universitären Rechtswissenschaft zur Mitwirkung zu gewinnen. Von den zum Zeitpunkt der Publikation in Ansehen stehenden Hochschullehrern9 fehlt neben Böhmer nur Claproth, was überrascht, da er zwischen 1773 und 1776 den „Ohnmaßgeblichen Entwurf eines Gesetzbuches“ vorgelegt hatte, dem der publizierte Text einiges zu verdanken hatte.10 Andererseits hätte ihre Berücksichtigung das schon zweimal vertretene Göttingen übermäßig ausgezeichnet. Darjes und Pütter lieferten alsbald Erinnerungen zur Gesetzgebung. Pütter11 und Schloezer rezensierten den Entwurf. Selchow hatte nicht nur die Prozeßordnung von 1781, sondern auch den Brief=Wechsel über die gegenwärtige Justiz=Reform12 in den Preußischen Staaten, angezeigt. Hoepfner versprach, Monita zu liefern; ob er sein Versprechen erfüllt hat, ist unklar; in den Materialien findet sich keine Kritik von ihm, möglicherweise hat er sie aber in Gestalt einer erfolglos gebliebenen Preisschrift oder sonst anonym vorgelegt. Nur der nahezu erblindete Nettelbladt nahm nicht näher Stellung. Von den jüngeren oben aufgeführten Juristen trat Reitemeier, der zeitweilig die Übernahme des preußischen Gesetzbuchs für ganz Deutschland empfahl, wie viele andere Professoren der Rechtswissenschaft13 von sich aus mit Carmer in Verbindung.14 Hugo selbst 7

Stintzing/Landsberg, S. 442. 03.01.0167: Verteilungsplan der Exemplare der Ersten Abteilung des Entwurfs. Die Rep. 84, Abteilung XVI, beinhaltet nach Nummern geordnete Akten und Materialien zum ALR (Nr. 01–07), zur Deposital- und Hypothekenordnung (Nr. 08–12) und zur Prozessordnung (Nr. 13–15). Die hier nach Krause, aaO., verwendeten Findnummern bezeichnen Nummer und Band (je zweistellig) und Folium (vierstellig). 9 Vgl. Stintzing/Landsberg, Band 3, Teil 1. 10 Auch das Fehlen von Biener, der früh ein Buch über die Kodifikation des Gemeinen Rechts vorgelegt hat, verwundert. 11 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, Juliheft 1784, S. 1049–1056. 12 Nebst einigen nach den Vorschriften der neuen Prozeß=Ordnung instruirten Acten. Erstes Heft. Berlin, 1780. Zweites Heft. Berlin, 1781. Drittes Heft. Berlin 1784. 13 Vgl. das Namensregister. 14 Allerdings erst spät: 05.01.0019. Schreiben Reitemeyers vom 10. September 1791 an den Großkanzler mit einer Schrift über das Studium der Staatswissenschaften. 8

1. Allgemeines Gesetzbuch (Landrecht)

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lieferte die angeführte Rezension, nachdem er sich schon in einem früheren Beitrag15 mit dem Entwurf auseinandergesetzt hatte. Runde schloß sich in seinen „Grundsätzen des gemeinen deutschen Privatrechts“, die er erstmals 1791 noch als Professor am Carolinum in Kassel veröffentlichte, ganz dem System des Allgemeinen Gesetzbuches an. Klein gehörte zu den Mitarbeitern bei der Gesetzgebung. Gönner sollte sich später intensiv mit dem preußischen Recht beschäftigen. Im übrigen gingen nach der Publikation des Entwurfs auch spontan Monita von vielen Privatpersonen ein, die auf die Teilnahme am Preisausschreiben verzichteten, darunter befanden sich auch die Professoren Eberhard, Foerster, Metzger, Robert, Steltzer, Wehrn, Zepernick. Auch wenn der Kreis der namhaften Vertreter der Rechtswissenschaft weiter zu schlagen ist,16 gibt es somit keinen Grund anzunehmen, daß sich die deutsche Rechtswissenschaft kaum an der preußischen Gesetzgebung beteiligt habe, zumal sich die rechtswissenschaftliche Publizistik in weit größerem Maße mit der preußischen Gesetzgebung beschäftigt, als Hugo glauben machen will.17 Schon 1780/81 erschienen eine Vielzahl von Publikationen zum Thema, etwa von Biener18, Paalzow19, Pietsch20 und Schall21, Eggers, Herman und Röslin 15

Gött. Anzeigen, Jahrgang 1789, S. 244. Stintzing/Landsberg liefern kaum weitere Namen; zeitlich in Betracht kämen wohl nur Adolf Dietrich Weber (1743–1797), von dessen Beteiligung nicht bekannt ist, Justus Claproth, Johann Christian Ernst Quistorp (1737–1795) und Hofacker (1749– 1793). Glück und Hugo sind bei Erscheinen des Entwurfs noch zu jung, um von Amts wegen beteiligt zu werden. 17 Mit dem Leipziger Magazin für Rechtsgelehrte hat sich in den Jahren 1784 und 1785 eine Zeitschrift ganz in den Dienst der Preußischen Rechtsreform gestellt. Sie beginnt mit dem Einleitungsaufsatz „Etwas über den Nutzen des philosophischen Denkens für den Rechtsgelehrten“ (Bd. 1. Leipzg 1784 S. 1). Im gleichen Heft wird auf „Des Königl. Preussischen Grosskanzlers Herrn von Carmers Aufforderung an das Publikum, zur Prüfung des Entwurfs zu einem neuen subsidiarischen Gesetzbuch für die Preussischen Staaten“ (S. 87) hingewiesen; das nächste Heft eröffnet das „Sendschreiben eines Weltbürgers [Grossinger] an die Herausgeber“, begleitet von „Ueber die Preussische Gesetzreform – eine Antwort auf vorstehendes Sendschreiben“ (S. 97 u. 102); in der Folge wird erklärt, daß „Juristisches [nicht philosophisches] Naturrecht – eine Chimäre“ sei (S. 193, 284, 481); dazwischen nimmt der Beitrag „Ueber die Preussische Justizverfassung. Auszug“ (S. 268) auf eine Diskussion in der Berlinischen Monatsschrift Bezug; worauf Franz Rudolf v. Grossinger mit „Freimüthigen Betrachtungen über den Entwurf eines allgemeinen subsidiarischen Gesezbuchs für die Preussischen Staaten [. . .]“ (S. 452) die Diskussion vorerst abschließt, in den er – wie schon vorherige Beiträge – fordert, auf die Subsidiarität des Gesetzbuchs zu verzichten. Doch wird sie im folgenden Band (S. 307) durch ein Neueres Sendschreiben an die Herausgeber, durch die Aufforderung des königl. preußis. Großkanzlers veranlaßt wieder aufgenommen. Ein weiterer Beitrag im 3. Band (1785) Unpartheiische Prüfung der Erörterung der Frage: Ist die Abschaffung der Advokaten dem Staat nüzlich, oder schädlich? (S. 193), reflekiert noch einmal die Diskussion um die Prozeßordnung. 18 Bedenklichkeiten bey Verbannung der ursprünglich fremden Rechte aus Deutschland und Einführung eines allgemeinen deutschen Nationalgesetzbuches, nebst einigen Betrachtungen über die Verbesserung der Gesetze in den einzelnen Staaten und Lan16

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A. Das Allgemeine Landrecht

ließen ihre Preisschriften erscheinen.22 Die beiden preisgekrönten Lehrbücher wurden veröffentlicht.23 deshoheiten des Heiligen römischen Reichs, Halle 1781, Vorrede vom 20. 10. 1780. Biener hatte sich dort zustimmend über die preußische Prozeßreform (Zum vorläufigen Unterricht v. 14. August 1780) geäußert (S. 75 f.) und hatte Vorschläge für die Bereinigung des materiellen Rechts gemacht. Biener wurde 1782 Professor des Naturund Völkerrechts in Leipzig, wo er in der üblichen Weise aufstieg, 1790 war er ordentlicher Professor. 19 Auch Christian Ludwig Paalzow versuchte durch sein Magazin der Gesetzgebung, besonders in den Königl. Preußischen Staaten. Bd. 1. Liegnitz u. Leipzig 1781. die unter Carmer aufgenommene preußische Gesetzreform zu begleiten und über Preußen hinaus für die Idee der Gesetzesverbesserung zu werben. An seinem Anfang steht eine Abhandlung „Über die Staatsgesetze“, die unter Hinweis auf Wieland die Kodifikation der Rechte und Pflichten der Fürsten, einschließlich des Militärwesens, als Repräsentaten nicht des Volkes, sondern Gottes fordert; sie schließen Grundrechte ein, wie ein Asylrecht für Verfolgte, Gleichheit, Gewerbefreiheit, Glaubens-, Denk- und Druckfreiheit und eine Förderung der Ehe sowie der Unterschichten durch Erziehung und Ablösung der Dienste. Vorgeschlagen wird, die Ressortverteilung nach Provinzen durchgängig durch eine nach Sachgebieten zu ersetzen (vgl. auch Bd. 2 S. 539). Den Abschluß bildet eine „ohngefähre“ Idee zum Kriminalrecht, die Milde in den Strafen und mit Mably die Zurückhaltung bei der Strafverfolgung (gegen Tortur, Denunziation und Ausspionieren) fordert. Der Herausgeber übersetzte gleichzeitig „Voltaires Commentar über Montesquieus Werk von den Gesetzen“, Berlin, Pauli 1780, und veröffentlichte einen „Versuch über die Gesetze. An seine Excellenz, den Königl. Preußischen Großkanzler von Carmer“, Breslau 1781. 20 Patriotische Betrachtungen über das Verderben des teutschen Vaterlandes, aus der unvollkommenen Verfassung des Justizwesens; nebst Vorschlägen zu dessen heilsamen Verbesserung; mit einiger Anwendung auf die königl. Preuß. Staaten. Halle 1780. 21 Über die Justiz auf deutsche Art und zum deutschen Gebrauch. Nebst einem Anhang über Hofraths Schlossers Vorschlag und Versuch der Verbesserung des deutschen bürgerlichen Rechts. Berlin und Leipzig, bey George Jacob Decker 1780. 22 Christian Ulrich Detlev von Eggers, Bemerkungen zur Verbesserung der Deutschen Gesetzgebung. Ein freyer Auszug aus seinen Preis-Schriften über den Entwurf des allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten. Erster Theil [von 2]. [. . .] Kopenhagen, bey Proft und Storch. 1798. Johann Heinrich Gottlieb Hermann, Fragmente und rechtliche Bemerkungen, besonders über den Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten. ([Tl. 1 u.] Fortsetzung. [zus. 2 Th.]) [. . .]. Eisenach, 1790. bey Johann Georg Ernst Wittekindt. Karl Ludwig Christoph Röslin, Kritische Versuche über Recht und Unrecht, zum Theil aus seinen Preisschriften in Druk gegeben [. . .]. Erstes Bändchen [von 2]. Tübingen, bei Jakob Friedrich Heerbrandt. 1791. 23 Eggers, Lehrbuch des Natur- und allgemeinen Privatrechts und gemeinen Preussischen Rechts in vier Bänden. Eine von der Königlich-Preussischen Gesetzcommission gekrönte Preisschrift. Erster Teil, Berlin, bey Georg Decker 1797. Zweyter Teil, Erster Band 1797. Zweyter Teil, Zweyter Band 1797. Dritter Teil 1797. Lehrbuch-Supplement. Institutiones iuris civitatis publici et gentium universalis. In usum praelectionum. Supplementum operis a nomothetarum in terris Borrussiacis collegio praemio ornati. Haffniae (Kopenhagen) 1796. Apud Proft et Storcu; Johann Carl Gotthelf Werdermann, Einleitung in das Gemeine Recht der Königl. Preussischen Staaten. Erster Teil, Leipzig, bey Siegfried Lebrecht Crusius 1797. Zweiter Teil, Principia iurisprudentiae naturalis secundum ordinem corporis iuris Borussici Communis. Ebd. 1798.

1. Allgemeines Gesetzbuch (Landrecht)

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Kein geringerer als Friedrich Carl von Savigny24 bestätigt, daß das Landrecht auf der Höhe der Rechtswissenschaft seiner Zeit stand: „Die Stimme nicht blos der eigenen Geschäftsmänner, sondern aller Deutschen Gelehrten, ist aufgerufen und gehört worden, und jeder unbefangene Beobachter wird einräumen, daß, was gethan und unterlassen worden ist, dem Sinn, und der Einsicht des Zeitalters vollkommen entsprach.“ Fragt man nach der Literatur, welche die Mitarbeiter an der Gesetzgebung angeführt haben, zeigt sich allerdings, daß sie bei der Arbeit am Landrecht vorwiegend Literatur zum römischen Recht zu Rate gezogen haben. So zitiert Svarez allein in den Vorträgen vor dem Staatsrat zur Umwandlung des Allgemeinen Gesetzbuches in das Allgemeine Landrecht 179425 25 Werke von 20 Autoren: 1.

a) Justus Henning Boehmer, Jus parochiale ad fundamentua genuina revocatum, Halle 1701; weitere Auflage: Halle 1721. b) Justus Henning Boehmer, Introductio in ius Digestorum, Halle 1704.

2.

Benedict Carpzow, Iurisprudentia forensis Romano-Saxonica secundum Ordinem Constitutionum D. Augusti Electoris Saxoniae, 1638, auch unter dem Titel Opus Definitionum forensium (weitere Auflage: 1721).

3.

a) Samuel von Cocceji, Jus Civile Controversum, Frankfurt a. d. O. 1713– 1718, weitere Auflage: Editio Quarta MDCCLXVI. (fünfzehnmal zitiert). b) Samuel von Cocceji, Project des Corporis Juris Fridericiani das ist Sr. Königl. Majestät in Preussen in der Vernunft und Landes-Verfassungen gegründeten Land-Recht, worinn das Römische Recht in eine natürliche Ordnung gebracht. Th. 1 Halle, 1749.

4.

Johann Ulrich Freyherr von Cramer, Anfangs=Gründe des Bürgerlichen Rechts, Ulm, Frankfurt, Leipzig 176726.

5.

Jakob Estor, Bürgerliche Rechtsgelehrsamkeit der Teutschen, 3 Bde., Marburg 1757/58 u. Frankfurt am Main 176727.

6.

Hugo Grotius, De jure belli ac pacis libri tres28.

7.

Hellfeld, Jurisprudentia forensis secundum Pandectarum ordinem, Jena 1764 (zehnmal zitiert).

24 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, Zweite, vermehrte Auflage. Heidelberg, bey J. C. B. Mohr. 1828, S. 92. 25 Svarez amtliche Vorträge bei der Schlußrevision des Allgemeinen Landrechts, in: Kamptz Jahrbücher; Bd. 41, S. 1 ff. 26 Wahrscheinlich dieses Werk. 27 Möglicherweise dieses Werk. 28 Svarez zitiert: Lib. 3. Tit. 33. Die mir vorliegenden Ausgaben sind aber nicht in Titel, sondern in Kapitel geteilt, kein Buch hat 33 Kapitel. Einschlägig wäre Lib. II Cap. XVII § XIII.

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A. Das Allgemeine Landrecht

8.

Johann Nicolaus Hert, Commentatorium atque opusculorium de selectis et rarioribus ex jurisprudentia universali, publica, feudali et Romama, nec non historia Germanica argumentis, 2 Bde., Frankfurt am Main 173729.

9.

Augustin Leyser, Meditationes ad Pandectas, Leipzig und Wolffenbüttel 1717–1748.

10. Heinrich Ferdinand Christian Freyherr von Lyncker, Praescriptiones pulici, Wien 1737. 11. Mevius: Repertorium Mevianum, quo Dav. Mevii decisiones juxta ordinem Pandectarum exhibentur, o. O. und o. J.30. 12. Johann Ernst Justus Müller, Promtuarium iuris novum, ex legibus et optimorum I[uris]c[onsul]torum tam veterum quam recentiorum scriptis ordine alphabetico congestum. Cum praefatione 13. D. Jo. Aug. Reichardti, Institutionum Professoris Publ. Ord. in Academia Jenensi. T. 1 Lips. 1784 T. 2+3 1785, T. 4+5 1786, T. 6+7 1787, T. 8+9 1788, T. 10+11 1789, T. 12+13 1790. 14. Jacob Rave, Principia universa doctinae depraescriptione adquisitiva et extinctiva et immemorali, Jena 1775. 3. Aufl. Halle 1790. 15. Johannes Schilter, Exercitationes ad 50 libros pandectarum, sive praxis juris Romani in foro Germanico, 1675 (wahrscheinlich in der Auflage: cum praefatione Chr. Thomasii, Frankfurt und Leipzig 1733). 16. Georg Adam Struve, Syntagma iuris feudalis, 2. Aufl. 1659, weitere Aufl. 11. = 1726, 12. = 1734. 17. a) Samuel von Stryck, Tractatus de cautelis testamentorum, 1703 (viermal zitiert). b) Samuel von Stryck, Specimen Usus Modernus Pandectarum, Wittenberg 1690–1726 (viermal zitiert). c) Samuel von Stryck, Tractatus de successione ab intestato, 1687 (dreimal zitiert). 18. a) Christian Thomasius, Dissertation de legitima viventis von 1700, Halle 1713 und Halle 1727. b) Christian Thomasius, Dissertation de aequitate cerebrina et exiguo usu practico Legis Anastasianae, occasione Juris Provincialis Prutenici, Lib. IV, Tit. VI, Art. 5 § 3, Halle 1717.

29 Möglicherweise aber auch ein anderes Werk, z. B. Giessensia responsa consilia juris civilis, 2 Bde., Frankfurt am Main 1729/30. 30 Wahrscheinlich dieses Werk.

1. Allgemeines Gesetzbuch (Landrecht)

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19. Arnold Vinnius, In quatuor libros institutionum imperialium commentarius accademicus et forensis, Nürnberg 1726. 20. Johann Voet, Commentarius ad Pandectas, 2 Bände, eventuell ed. nova Halle 1776–1780.31 Ernst Ferdinand Klein überschreitet den Kreis nur in geringen Maße; allerdings bezieht er im größeren Umfang das Naturrecht Grotius, Hoepfner, Nettelbladt, Thomasius und vor allem Wolff ein. In seinem Vorentwurf zum Sachenrecht zitiert er etwa neben den bei Svarez bereits genannten (Boehmer – dreimal; Cocceji – siebenmal; Grotius – achtmal; Leyser – dreimal; Stryk – dreimal; Thomasius und Voet je einmal) nur noch je dreimal Berger, Claproth und Nettelbladt, Jus Naturae, zweimal Höpfner, Naturrecht, einmal Richter, De contractu und 41 mal Wolff, Jus naturae. Darjes hingegen wird weder von Svarez32 noch von Klein zitiert. Der preußische Großkanzler übersandte nicht jedem Gelehrten alle Abteilungen des Entwurfs, vielmehr wechselte der Adressatenkreis. Stets berücksichtigt wurden nur sechs Professoren, nämlich Joachim Georg Darjes (1714–1791), Christian Garve (1742–1798), Johann Stephan Pütter (1725–1807), August Ludwig Schloezer (1735–1809), August Friedrich Schott (1744–1792) und Johann Heinrich Christian Selchow (1732–1795). Den Entwurf der ersten Abtheilung des ersten Teils ließ Carmer vom Verleger neben Selchow, Pütter, Schloezer und Schott an Nettelbladt, Schlettwein, und Hoepfner senden. Von den abgelieferten Stücken teilte er den Entwurf der Ersten Abteilung des Ersten Teils33 außer Darjes und Garve noch Beneckendorff und Fenderlin (1732–1791) mit. Insgesamt waren damit elf „auswärtige Gelehrte“ berücksichtigt. Nachträglich erhielt außer ihnen Moses Mendelssohn ein Exemplar.34 Daniel Nettelbladt (1719–1791), der prominenteste preußische Jurist seiner Zeit, den Dilthey als Lehrer Ernst Ferdinand Kleins neben Darjes zu einem der geistigen Väter des Allgemeinen Landrechts erklärt, erscheint in den Materia31

Wahrscheinlich dieses Werk. Auch nicht in den Kronprinzenvorträgen, in den Svarez selbst Wolff nicht anführt. 33 Schreiben des Großkanzlers an Darjes, Garve, Fenderlin und Beneckendorff vom 6. 5. 1784. 03.01.0167. Laut Verteilungsplan der Exemplare der abgedruckten Ersten Abteilung des Entwurfs wurde der Entwurf an diese vier versendet. (s. a. 03.01.0186. Nachweis Steindamms, wie die abgelieferten 98 Exemplare des Entwurfs verteilt worden sind). 03.01.0208. Dankschreiben von Darjes. Frankfurt a/O, den 23. 5. 1784. 03.01.0210. Dankschreiben von Beneckendorff vom 24. 5. 1784. 03.01.0205. Dankschreiben von Fenderlin mit Versprechen von Monita. Grüssau, den 16. 5. 1784. 34 03.01.0248. Schreiben an Moses Mendelssohn, mit dem ein Exemplar der ersten Abteilung des Entwurfs zum Allgemeinen Gesetzbuch für die Preußischen Staaten zur nähern Prüfung mitgeteilt wird. 10. August 1784. 32

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A. Das Allgemeine Landrecht

lien der preußischen Gesetzgebung nur an dieser Stelle; da er schon nahezu erblindet war, dürfte ihm eine sachhaltige Kritik nicht mehr möglich gewesen sein, vielleicht hat er das in einem – nicht nachgewiesenen – Dankschreiben mitgeteilt, jedenfalls wird er in der Folge nicht mehr berücksichtigt. Ähnliches könnte auch für Moses Mendelssohn (1729–1786) zutreffen, den trotz Kant berühmtesten Philosophen seiner Zeit, falls er bereits nach der ersten Lieferung – d. h. noch vor seinem Tode – aus dem Kreis der Bezieher ausscheidet.35 Schlettwein erhält wie diese nur den Entwurf der ersten Abteilung. Mit ihrer Ausnahme blieb der Adressatenkreis (Selchow – Pütter – Schloezer – Hoepfner – Schott – Darjes – von Beneckendorff – Garve – Fenderlin – und eventuell Moses Mendelssohn) der Zweiten Abteilung des Ersten Teils36 gleich. Da aber Boell, Büsch, Eybel und Lindenau hinzu traten, wurden diesmal 14 Gelehrte37 bedacht. Damit war das Maximum erreicht. Als Adressaten der Dritten Abteilung sind nur noch zehn Personen nachzuweisen,38 nämlich Boell, Darjes, Garve, Fenderlin, Hoepfner, Lindenau, Pütter, Schloezer, Schott und Selchow.39 Weggefallen sind diesmal Beneckendorff, der sich nicht näher geäußert hatte, und Büsch, der wohl nur als Handelsrechtler herangezogen wur-de. Bei der Ersten Abteilung des Zweiten Teils ist Fenderlin nicht mehr unter den nachweisbaren 9 Adressaten,40 dafür ist Johann Ernst Justus Müller41 aus 35 Zwar taucht sein Name noch im nächsten Verteilungsplan auf, wird aber nachträglich gestrichen: 03.02.0043. Verteilungsplan der Exemplare von dem Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuches: in Berlin 16. Moses Mendelssohn [gestrichen]. 03.02.0044. Nachweis über die geschehene Verteilung der gedruckten Exemplare der zweiten Abteilung des Gesetzbuchs: Ebenso ohne die Streichung. 36 Vgl. 03.02.0036. Konzept eines Schreibens des Großkanzlers an Darjes. 26. 3. 1785. 03.02.0036. an Lindenau. 03.02.0036. an Büsch. 03.02.0036. an Fenderlin, Garve, Beneckendorff. 03.02.0038. an Selchow, Pütter, Schloezer, Hoepfner, Schott, 03.02.0038. an Eybel. 03.02.0038. an Boell in Ansbach. S. a. ebenso 03.02.0043. Verteilungsplan. 03.02.0086. Verteilungsplan. Korrigierte Reinschrift. 37 Möglicherweise 15, da ein auswärtiger Gelehrter mehr gezählt, aber nicht benannt ist. 38 In der korrigierten Reinschrift 03.02.0086. sind aber aufgeführt: 3 Exemplare an: 1. Geheimrat Darjes 2. Hofrat Fenderlin 3. Prof. Garve. Ferner 7 Exemplare an auswärtige Gelehrte: 1. Lindenau 2. Pütter 3. von Selchow 4. Hoepfner 5. Schott 6. Boell 7. Schloezer. Unter den Berlinern ist Dohm aufgeführt. 39 03.02.0141. Konzept des Schreibens des Großkanzlers an Lindenau. 12. 4. 1786. 03.02.0141. an Pütter. 03.02.0141. an Hoepfner, Schott und Boell. 03.02.0141. an Schloezer. 03.02.0142. an Darjes. 03.02.0142. an Fenderlin. 03.02.0142. an Garve. 03.02.0143. an Selchow. 40 Vgl. 03.02.0268. Verteilungsplan: 9 Stück an Auswärtige 1. Lindenau 2. Pütter 3. Schloezer 4. Selchow 5. Hoepfner 6. Schott 7. Darjes 8. Garve 9. Boell. 03.02.0273. Konzept eines Schreibens an Pütter, Darjes, Hoepfner, Selchow, Boell, Schott vom 8. 5. 1787; 03.02.0273. an Lindenau. 03.02.0273. an Garve. Das Konzept des Schreibens an Schloezer fehlt. 41 03.02.0290. Schreiben des Kammersekretärs Müller an den Großkanzler, mit dem der 6. Band seines Promtuarii juris eingekommen ist. Schleusingen, 20. Juni

1. Allgemeines Gesetzbuch (Landrecht)

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Schleusingen hinzugetreten. Bei der Zweiten42 und der Dritten43 Abteilung des Sachenrechts ist Hoepfner nicht mehr dabei, vielleicht, weil er sein Versprechen, Monita einzureichen, nicht erfüllt hatte. Die Gesichtspunkte, nach denen die auswärtigen Gelehrten ausgewählt wurden, waren unterschiedlich. Die Professoren44 sind nur an evangelischen Universitäten tätig, nämlich in Göttingen (Pütter und Schloezer), Gießen (Hoepfner und Schlettwein), Frankfurt a. d. O. (Darjes), Halle (Nettelbladt), Leipzig45 (Schott) und Marburg (Selchow). Überhaupt findet sich nur ein Adressat aus dem katholischen Deutschland, nämlich der Linzer Eybel. Von den vier preußischen Universitäten sind Königsberg und Duisburg ganz übergangen. Duisburg war freilich unbedeutend und auch in Königsberg wirkten zwar mit Kraus und Kant46 zwei bedeutende Philosophen, aber kein ausgezeichneter Jurist; Reidenitz, den Hippel später als Verfasser eines Lehrbuchs für das preußische Recht ins Spiel bringen sollte, war noch nicht Professor. Die bedeutendste preußische Universität Halle ist nur durch Nettelbladt repräsentiert, der sofort wegfällt; sogar Woltär, der nicht ganz unbedeutend war, jahrelang Observationes ad ius civile et Brandenburgicum geliefert und über das positive preußische Prozeßrecht gelesen hatte, wurde nicht ins Auge gefaßt. Dabelow trat erst später hinzu. So bleibt der Frankfurter Darjes der einzige Universitätsprofessor im preußischen Dienst, dem der Entwurf ständig zugeschickt wird. Er gehört auch zu den 16 Gelehrten, nämlich Büsch, Gaedertz, Moller, Sieveking, Eggers, Pütter, Darjes,47 Dalberg,48 Martini,49 Biester,50 Stengel,51 Eberhard,52 Erhard,53 Hufe1787. 03.02.0291. Konzept der Antwort des Großkanzlers. 1. Juli 1787, sendet als Gegengabe ein Exemplar des ersten Teils des Sachenrechts. 42 Vgl. 03.02.0306. 43 03.03.0090. Verteilungsplan. 03.03.0085. Konzept des Schreibens des Großkanzlers an Pütter vom 26. 6. 1788. 03.03.0085. an Schott. 03.03.0085. an Schloezer mit der Bitte, von Zeit zu Zeit den Lesern seiner Zeitschrift Schloezers Staatsanzeiger einige Bruchstücke mitzuteilen, so den Inhalt der Vorerinnerung. 03.03.0086. an Darjes mit der Bitte, nach der Vorerinnerung zum letzten Teil des Entwurfs, ein Gutachten für den Plan, ein akademisches Studium einzurichten, zu erstatten und das in der Vorerinnerung erwähnte Lehrbuch auszuarbeiten. 03.03.0086. an Selchow mit der gleichen Bitte. 03.03.0086. an Lindenau. 03.03.0087. an Garve. Das Schreiben an Müller hat sich nicht erhalten. 44 Büsch und Garve lehren nicht oder nicht mehr an einer Universität. 45 Hier wird weder Biener, der sich mit seinen Bedenklichkeiten empfohlen hatte, noch Püttmann (Wechselrecht) berücksichtigt. 46 Der weitere prominente preußische Philosoph Eberhard wandte sich von sich aus an Carmer (s. o.) und erhielt später das Allgemeine Gesetzbuch. 03.03.0187. 47 Vgl. zu diesen 03.04.0107. 48 03.04.0108. Der Mainzer Koadjutor muß eher unter die Gelehrten als unter die Fürsten gerechnet werden. 49 03.04.0108. 03.04.0197.

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A. Das Allgemeine Landrecht

land54 und La Veaux,55 denen Carmer fertige allgemeine Gesetzbücher übersenden wollte. Die Professoren vertreten in ihrer Mehrheit das Naturrecht und die praktische Philosophie, und zwar besonders prominent, nämlich Darjes, Garve, Hoepfner, Nettelbladt und Schlettwein. Schwerpunkte bilden auch das Staatsrecht (Pütter, Schloezer, Schlettwein) und die Systematisierung des positiven Rechts (Darjes und Nettelbladt). Hoepfner ist – wie bemerkt – der bedeutendste Vertreter des Zivilrechts seiner Zeit; Schott ist zwar auch als Strafrechtler hervorgetreten, wird aber wie Selchow zentral der Privatrechtswissenschaft zugerechnet. Beide sind aber wohl nicht allein wegen ihrer besonderen Rechtskenntnisse, sondern – ebenso wie Schlettwein und Schloezer – als Herausgeber von anerkannten und verbreiteten Zeitschriften ausgewählt worden, um die weitere Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb des Faches anzusprechen.56 Pütter und Garve empfahlen sich zusätzlich durch ihr öffentliches Renommee und persönliche Beziehungen zu Carmer oder seinen Mitarbeitern. Büsch ist von Carmer – mit außerordentlichem Erfolg – ganz gezielt als der deutsche Experte des See- und Handelsrechts herangezogen worden, nachdem er von sich aus den Kontakt angeknüpft hatte. Der entsprechende Versuch, Eybel für eine Kritik des Kirchenrechts von Seiten des Katholizismus zu gewinnen, schlug fehl. Nicht allen „auswärtigen Gelehrten“ sandte Carmer den Entwurf zu, um sie zur Gesetzeskritik anzuregen; verschiedentlich, so bei Erman und Reclam, aber auch bei Garve und Müller, verwendete er ihn auch oder ausschließlich als Gegengeschenk. Teils entschieden ihre Publikationen, teils ihre Bereitschaft, sich an der Gesetzgebung zu beteiligen. Beneckendorff etwa war durch seine Oeconomia forensis bekannt geworden, die Klein auch für die Gesetzkommission erworben hatte.57 Wahrscheinlich hat er sich aber an einer Kritik des Entwurfs desinter50

03.04.0116. 03.04.0138. 52 03.04.0145. 53 03.04.0165. 03.05.0066. 03.05.0067. 03.05.0068. 03.05.0099. 03.05.0101. 03.05.0120. 03.05.0144. 03.05.0146. 54 03.04.0202. 03.04.0212. Seinen Versuch über den ersten Grundsatz des Naturrechts, 1785 hatte Klein für die Gesetzkommission angeschafft: 01.02.0197. Rechnung des Buchhändlers August Mylius vom 20. 4. 1787. 55 03.04.0203. 03.04.0204. 03.04.0214. Es geht um eine beabsichtigte französische Übersetzung. 56 Schott lieferte fleißig Rezensionen des Entwurfs in seiner Bibliothek, 1784 T. I, S. 1–4; 1785 T. I, S. 85–93; 1786 T. I, S. 1–8; 1787 T. I, S. 64–67; 1787 T. II. S. 408– 411; 1788 T. I, S. 112–117. Er besprach auch den von mir Svarez zugeschriebenen Beitrag „Über die neue preußische Justizverfassung“ aus der Berl. Monatsschrift 1784 in seiner Bibliothek 1784 T. I, S. 277. Im Streit mit Rebeur stand er auf Seiten Carmers, vgl. seine Bibliothek 1786 T. II S. 385 f. und 1788 T. I. S. 243. 51

1. Allgemeines Gesetzbuch (Landrecht)

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essiert gezeigt und wurde deshalb von der Fortsetzung des Entwurfs ausgeschlossen. Boell dagegen hatte sehr früh Gedanken über die Justizreform vorgelegt, suchte, wenn auch mit geringem Erfolg, die Gesetzgebung publizistisch zu begleiten58 und beteiligte sich mit mehreren Monita an der Diskussion um den Entwurf. Er und Lindenau sind zweifellos unter die Adressaten aufgenommen worden, weil sie sich von sich aus an den Großkanzler gewandt hatten, um zur Justizreform beizutragen. Ähnliches gilt auch für Müller, gleichwohl bleibt es erklärungsbedürftig, warum gerade diese drei und das auch erst zu dem bestimmten Zeitpunkt ausgewählt wurden, da noch andere Personen an Carmer herangetreten waren, die wie Cella, Röslin, Hermann und Gundelach durchaus viel zur Kritik beitrugen. Erstaunlich ist auch, daß keiner der übrigen Preisträger unter Zusendung der Fortsetzungen der Entwurf zu weiteren Erinnerungen aufgefordert wurde, selbst die vielfach ausgezeichneten Eggers und Hippel wurden nicht unter die Adressaten aufgenommen. Garve war Carmer, Svarez und Klein aus ihrer Breslauer Zeit bekannt, er war neben Moses Mendelssohn der prominenteste Vertreter der sogenannten Popularphilosophie der Aufklärung. Er übersandte Carmer regelmäßig seine Schriften, scheint sich aber nicht schriftlich an der Diskussion um den Entwurf beteiligt zu haben, es ist aber wahrscheinlich, daß er in persönlichen Gesprächen zu Rate gezogen wurde. Das gilt auch für Mendelssohn, der wohl als Naturrechtler mitwirken sollte und dem der erste Teil des Entwurfs wohl auf Betreiben Ernst Ferdinand Kleins, der seit längerem mit ihm in Fragen der Gesetzgebung zusammenarbeitete,59 nachträglich zugestellt wurde. Von den sonstigen Gelehrten waren Fenderlin60 und Schlosser durch ihre Vorschläge zu einer Kodifizierung des römischen Rechts bekannt geworden; Müller hatte ähnlich wie Beneckendorff durch sein Promtuarium einen erfolgreichen Versuch unternommen, das Rechtsgefüge durchsichtiger zu machen und 57 01.02.0197. 1787 4. 20 Berlin Handschrift m. e. U. Rechnung des Buchhändlers August Mylius für die Gesetzkommission 1786; 12. 1.: Oeconomia forensis. 58 Boell starb allerdings schon 1787. 59 Vgl. 03.01.0105. Schreiben von Klein an den Großkanzler vom 24. 9. 1782. 03.01.0108. Antwortschreiben des Großkanzlers vom 29. 9. 1782: Er sei mit den Bemerkungen Moses Mendelssohns einverstanden, nicht aber mit denen des Landesrabbiners. Er schlage vor, die Angelegenheit auf künftigen Winter auszusetzen. Die Jüdischen Ritual-Gesetze müßten allerdings besonders gesammelt und ausgearbeitet werden; da sie in das allgemeine Gesetzbuch nicht gehören; vgl. zur letzten Frage auch 03.03.0225. Konzept eines ähnlichen Schreibens des Großkanzlers. vom 28. 3. 1789. Mendelssohn, Jerusalem, Berlin 1783, 1. Teil S. 52 Anm.: „Auf dies sehr einleuchtende Auseinandersetzung der Begriffe bin ich von dem philosophischen Rechtsgelehrten, meinem sehr werthen Freude, dem Herrn Assistenzrat Klein geführt worden“. 60 Gedanken über die Verabfassung eines allgemeinen Gesetzbuches zur Verbesserung derer Justitz-Verfassungen, 1770. Später lieferte er noch einen Versuch eines Auszuges der römischen Gesetze, 1783–1789.

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A. Das Allgemeine Landrecht

war mit dem Großkanzler durch Übersendung dieses Werkes von sich aus in Verbindung getreten. Er sandte weitere Veröffentlichungen ein und erkundigte sich über die an das Lehrbuch gestellten Forderungen. Monita lassen sich ihm nicht zuweisen; es bleibt zweifelhaft, ob er sich erfolglos an den Preisausschreiben über den Entwurf und das Lehrbuch beteiligt hat. Lindenau, der zeitweilig die Übernahme in den preußischen Justizdienst anstrebte, muß gleich nach Publikation des Entwurfs Carmer die Anfertigung von Monita zugesagt haben; später machte er verschiedentlich weitere Angebote und wollte sich an dem Wettbewerb um das Lehrbuch beteiligen. Er reichte regelmäßig Monita und Preisschriften zum Entwurf ein, teilweise machte er seine Vorschläge vor der Veröffentlichung der entsprechenden Teile des Entwurfs. Hoepfner61 war nicht nur durch sein Naturrecht62 bekannt geworden, er gilt als „der bedeutendste Civilist seiner Zeit.“63 Im Jahre vor Beginn der Veröffentlichung des Entwurfs war sein Theoretisch-practischer Commentar über die Heineccischen Institutionen erschienen. Bei seinem Tod bereitete er nach preußischem Vorbild eine Kodifikation für Hessen-Darmstadt vor. Pütter stand spätesten seit 1782 in engen persönlichen Beziehungen zu Carmer, er galt als der bedeutendste Vertreter der Rechtswissenschaft seiner Zeit. Carmer hatte ihm schon während eines privaten Briefwechsels von seiner Gesetzgebungsarbeit berichtet und ihn dabei um Rat zum Prozeßrecht und zum Gesetzbuch gefragt. Ob Pütter darauf reagiert hat, läßt sich nicht feststellen. Es lag jedenfalls nahe, ihn sogleich zu Erinnerungen aufzufordern. Tatsächlich beeilte sich Pütter mit seiner Reaktion, besprach den Entwurf sehr wohlwollend, übersandte wie schon früher seine Druckschriften und legte auch Monita zum Entwurf vor. Schlettwein hatte in seinem Archiv, das Klein für die Gesetzkommission beschafft hatte, die preußische Prozeßreform zwar scharf, aber sachlich kritisiert.64 Er lieferte Monita, wurde aber später nicht mehr berücksichtigt. Schloezer, der Svarez bereits in seinem Briefwechsel zum Schlesischen Kreditwesen hatte zu Wort kommen lassen, war für seine Publikationen zu allen politischen Vorgängen in den deutschen Staaten bekannt und hatte in seinen StaatsAnzeigen die Berichterstattung über die Rechtsreform in Preußen fortge61 Für die Allgemeine deutsche Bibliothek Nicolais lieferte er regelmäßig – anonym – Rezensionen, darunter auch die über Briefwechsel, Heft 2 (AdB Bd. 52 II S. 315–331), Heft 3 (Bd. 65 I S. 82 f.) 62 Das in Berlin hohe Anerkennung fand, vgl. 05.01.0003. Konzept des Schreiben des Großkanzlers vom 2. 10. 1787 an Eggers, es gelte nicht, die vorhandenen Kompendien über das Naturrecht von Darjes und Hoepfner zu ersetzen. 63 Stintzing/Landsberg, II 1 S. 448. 64 Svarez hat sich damit im 3. Heft des Briefwechsels über die gegenwärtige Justizreform auseinandergesetzt.

1. Allgemeines Gesetzbuch (Landrecht)

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setzt. Er zeigte dort auch den Entwurf an. Carmer war an der weiteren Begleitung seiner Justizreform durch ihn sehr interessiert.65 Schotts Zeitschrift hatte Klein für die Gesetzkommission gekauft. Er selbst übersandte eine Druckschrift zur Strafgesetzgebung; doch sind Monita oder Preisschriften von ihm nicht bekannt. Selchow rezensierte die Justizreform nicht unkritisch66 und zeigte sich an einer weiteren publizistischen Begleitung der Gesetzgebung interessiert. Schon die Vorerinnerung zum letzten Teil des Entwurfs67 hatte die Gedanken auf den künftigen universitären Unterricht gerichtet.68 Angeregt durch die öf65 Vgl. 03.02.0164. Schloezer dankt dem Großkanzler für die dritte Abteilung des Entwurfs zum Allgemeinen Gesetzbuch und überreicht das 32. Heft seiner Staatsanzeigen. 2. 7. und praes. den 6. 7. 1786, das einen [03.02.01659] Auszug der Bestimmungen der dritten Abteilung des Entwurfs über das Ehrengericht enthält. 03.03.0048. Schreiben von Schloezer vom 23. 3. 1787 mit: 03.03.0049: Blatt aus Schloezers Staatsanzeigen S. 505/506, das eine Anzeige der zweiten Abteilung des Zweiten Teils des Entwurfs enthält. 03.03.0085. Carmer an Schloezer vom 26. 6. 1788 mit der Bitte, von Zeit zu Zeit den Lesern seiner Zeitschrift einige Bruchstücke mitzuteilen, so den Inhalt der Vorerinnerung 66 In: Selchow’s Juristischer Bibliothek (Bd. 5) 1782 S. 577–619); zur Autorenschaft s. Vorrede. Er hatte sich für weitere Rezensionen Unterlagen erbeten: 03.01.0217. Schreiben von Selchow an den Großkanzler, mit dem er für das erhaltene Exemplar des Entwurfs (1. Abt. 1. Teil) dankt und um Mitteilung der Prozeßordnung, der neueren Königlichen Reskripte und Briefwechsel wegen der alsdann zu formierenden Bemerkungen und Monita bittet, vom 2. 6. 1784, sowie 03.01.0219. Konzept der Antwort des Großkanzlers vom 9. 6. 1784. Allerdings hatte er zwei Hefte des Briefwechsels schon in seiner Bibliothek besprochen Bd. 5. 1782 S. 407–417; 417–423. Svarez setzt sich mir seiner Kritik der Prozeßreform im 3. Heft des Briefwechsels über die gegenwärtige Justizreform auseinander. 67 „Je mehr also das wichtige Werk der Preußischen Gesetzgebung sich seiner Vollendung nähert, desto nöthiger wird es, allgemach auf einen Plan zu denken, nach welchem künftig junge Männer, die sich zu Justiz=Bedienungen in den Preußischen Staaten bilden wollen, ihre akademischen Studien einzurichten haben werden, und den ihnen darüber zu ertheilenden Unterricht einigermaassen vorzubereiten. Zwar wird, durch die Einführung eines neuen National=Gesetzbuchs, der Vortrag des Römischen Rechts auf unsern Akademien nicht so ganz, wie manche zu glauben scheinen, entbehrlich werden. Ohne hier noch des großen Werths zu erwehnen, welchen die Kenntniß dieses Rechts, als Beytrag zur Geschichte des menschlichen Geistes überhaupt, und zur Geschichte der Rechtsgelehrsamkeit insbesondere, jederzeit behaupten wird, und ohne der Nothwendigkeit zu gedenken, daß die unsere hohen Schulen besuchende Ausländer, daselbst hinreichende Gelegenheit zum gründlichen Unterricht von dieser in ihrem Vaterlande noch geltenden Rechts=Theorie finden müssen, wird man leicht einsehen, daß selbst dem hiesigen praktischen Rechtsgelehrten, noch auf viele Jahre hinaus, Fälle vorkommen werden, die er ohne Kenntniß des Römischen Rechts nicht gründlich beurtheilen und entscheiden kann, weil die Handlungen und Begebenheiten, woraus diese streitigen Befugnisse und Obliegenheiten entspringen, noch in die Zeiten, wo das Römische Recht gesetzliche Kraft hatte, zurück gehen. Da überdem auch bekanntermaassen das Privat= Recht der Fürstlichen Häuser in Deutschland fast durchgehends, in so fern es nicht auf Haus=Verträgen beruhet, aus dem Römischen Rechte hergenommen ist, so wird das Studium dieses letztern einem jeden, welcher künftig in Staatsgeschäften seinem Vaterlande zu dienen gedenkt, immer unentbehrlich bleiben.

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fentliche Diskussion über den gedruckten Entwurf hatte noch vor seiner endgültigen Verabschiedung als Allgemeines Gesetzbuch ein anonymer Autor in der Berlinischen Monatsschrift den Folgen der Einführung eines deutschen Nationalkodex für die Wissenschaften nachgespürt.69 Unmittelbar nach der Publikation des Allgemeinen Gesetzbuches für die preußischen Staaten warf der Lehrer an der Liegnitzer Ritterakademie Werdermann sogar die Frage auf: „Wird es künftig in den Preußischen Staaten noch Rechtsgelehrte geben?“70 Die Vorerinnerung hatte zugleich einen Preis für ein Lehrbuch ausgesetzt: „Es fällt in die Augen, daß dieser Plan des Unterrichts für einen künftigen Rechtsgelehrten, ein noch nicht vorhandenes Lehrbuch voraussetze, welches dabey zum Grunde gelegt werden könne; und die Absicht der gegenwärtigen Vorerinnerung ist, Sachverständige Männer zur Ausarbeitung eines solchen Lehrbuchs aufzufordern. Nach dem, was oben bemerkt worden, wird dasselbe aus zwey Haupt=Theilen bestehen müssen, wovon der Erste das Natur=Recht, als Einleitung, und der Zweyte die Theorie des eigentlichen positiven Rechts enthalten soll. Unter Natur=Recht versteht man hier, im weitläuftigern Sinne des Worts, die Wissenschaft von den Rechten und Pflichten der Menschen, so weit als solche aus der Natur und den Begriffen der Dinge, mit welchen die Rechtsgelehrsamkeit sich zu beschäftigen hat, erkannt werden können. Ein solches Natur=Recht schränkt sich also nicht blos auf die Befugnisse und Obliegenheiten des im Stande der Natur lebenden Menschen ein, sondern es setzt zugleich die mancherley Zustände, Lagen, und Verhältnisse voraus, in welchen der Mensch Inzwischen wird freylich, nach Einführung des National=Codex, der Unterricht in der Rechtsgelehrsamkeit, für den bey weitem größten Theil dererjenigen, welche sich derselben wiedmen wollen, eine ganz andere Richtung erhalten müssen. Für allen Dingen muß das Studium einer gründlichen Philosophie den jungen Rechtsgelehrten zu seiner künftigen Bestimmung vorbereiten. Die Vernunftlehre muß ihm die Regeln des menschlichen Denkens bekannt machen, und durch den praktischen Theil derselben muß er zu einer richtigen Anwendung dieser Regeln angeführt werden. Die philosophische Moral muß ihn den Umfang der menschlichen Pflichten kennen lehren, das moralische Gefühl von Recht und Billigkeit in ihm erwecken, berichtigen, und auf deutliche und sichere Grundsätze zurückführen. Von dieser Moral wird er auf das Studium des Natur=Rechts übergehen, und dies wird die Einleitung zu der Theorie der positiven vaterländischen Rechtsgelehrsamkeit ausmachen. Eine philosophische Geschichte der Rechte, und der Gesetzgebung, wird ihn mit dem Geiste derselben näher bekannt machen, und ihn den Werth der Gesetze seines Vaterlandes richtig beurtheilen und schätzen lehren. Ein cursorisches Lesen des Gesetzbuchs selbst, unter der Anführung eines geschickten Lehrers, der ihm die richtige Anwendung der Gesetze, auf vorkommende einzelne Fälle, durch gut gewählte Beyspiele anschauend darstellt, wird den Schluß seiner akademischen Laufbahn bezeichnen.“ 68 Eine entsprechende Frage hatte schon früh Madihn gestellt. 69 Ueber den Einfluß eines römischen Gesetzbuchs auf die Wissenschaften. Berl. Monatsschrift Bd. 15, 1790, S. 238 ff. 70 . . . oder über das Studium des Rechts nach Erscheinen des neuen Gesetzbuchs, Schlesische Provinzialblätter, Bd. 14 (1791), S. 423–434. Werdermann bejahte sie um der geschichtlichen Kontinuität willen.

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sich in der bürgerlichen Gesellschaft befindet; es bestimmt aus der Natur und dem allgemeinen Zweck dieser bürgerlichen Gesellschaft, aus der Natur und den besondern Absichten der verschiedenen ihr untergeordneten Verbindungen, aus der Beziehung, in welcher die einzelnen freyen Handlungen der Menschen mit jenen allgemeinen und besondern Zwecken stehen, wie weit sich daraus allein, ohne Hinzutretung des positiven Willens eines Gesetzgebers, Rechte und Pflichten für den Menschen, als Menschen überhaupt, und als Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft insonderheit, herleiten lassen. Da das Lehrbuch eines solchen Natur=Rechts, welches man verlangt, zur Einleitung in die Theorie des positiven Rechts dienen soll, so folgt von selbst, daß die darinn aufzustellenden Begriffe und Grundsätze hauptsächlich aus dem Gesetzbuche selbst abstrahirt werden müssen. Kürze und Präcision wird eine Haupt=Erforderniß dieses Theiles seyn; da es hier vornemlich darauf ankömmt, den angehenden Rechtsgelehrten zum richtigen und zusammenhängenden Denken über Rechtswahrheiten anzuführen, und ihm gleichsam die Fächer anzugeben, deren Ausfüllung den Gegenstand seines fortgesetzten Studirens ausmachen soll. Der zweyte Theil, oder die Theorie des positiven Rechts, wird nichts andres seyn können, als ein mit philosophischem Geiste bearbeiteter Auszug des Gesetzbuchs selbst. Man wird dabey von den im Natur=Recht entwickelten Begriffen und Grundsätzen ausgehen, solche auf die mancherley Verhältnisse und Geschäfte des bürgerlichen Lebens noch näher anwenden, die daraus fließenden Folgen noch umständlicher auseinander setzen, und die positiven Bestimmungen, welche der Gesetzgeber dem Naturrecht hinzuzufügen nöthig gefunden hat, gehörigen Orts einschalten müssen. Bey den darinn aufzunehmenden Sätzen werden durchgehends die Beweisstellen aus dem Gesetzbuche selbst zu allegiren seyn, damit der Gebrauch desselben, durch das Nachschlagen und Nachlesen dieser Stellen, dem Zuhörer bey Zeiten bekannt und geläufig werde. Wegen der Methode, welche bey der Ausarbeitung eines solchen Lehrbuchs zu beobachten seyn möchte, ist man denjenigen, welche sich damit beschäftigen wollen, irgend etwas vorzuschreiben gar nicht gesonnen. Inzwischen würde es vermuthlich die Arbeit erleichtern, wenn dabey diejenige, welche der verdiente geheime Rath Darjes in seinen Lehrbüchern des Natur= und des Römisch=Deutschen Rechts gewählt hat, zum Grunde gelegt würde, da die Ordnung der Materien im Gesetzbuch selbst sich dieser Methode am meisten nähert. Zwar ist gegenwärtig nur noch der Entwurf des Gesetzbuchs vorhanden, und man darf nicht zweifeln, daß solcher, bey der nun bevorstehenden Umarbeitung, manche wichtige Zusätze und Verbesserungen erhalten, auch in Ansehung einzelner Materien hin und wieder Abänderungen erleiden werde. Da inzwischen das System, im Ganzen genommen, auf den unveränderlichen Grundsätzen des Natur=Rechts beruhet, und in Ansehung der meisten einzelnen Materien, besonders bey dem Sachen=Rechte, die Theorie des Römischen Rechts zum Grunde liegt, so darf man nicht fürchten, daß ein solches nach der Anleitung des Entwurfs ausgearbeitetes Lehrbuch, bey vollen-

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A. Das Allgemeine Landrecht

deter Umarbeitung des Gesetzbuchs selbst, unnütz oder unbrauchbar werden möchte: vielmehr werden alsdann die etwa nöthigen Verbesserungen oder Zusätze, ohne sonderliche Mühe und großen Zeitverlust, nachgeholt werden können. Was die Sprache betrift, so möchte es, zwar nicht eben nothwendig, aber doch in mancherley Neben=Rücksichten schicklich seyn, wenn der erste Theil, oder die Einleitung, lateinisch abgefaßt würde. Hingegen muß man diese Sprache bey dem zweyten Theile gänzlich verbitten, da hier die Einmischung römischer Terminologien gar zu leicht Mißverständnisse und Verwirrungen in den Begriffen und Grundsätzen der neuen Gesetzgebung hervorbringen könnte. Diejenigen nun, welche in sich Fähigkeit und Neigung fühlen, ein solches Lehrbuch zu unternehmen, werden dazu durch die Versicherung eines Preises von Fünfhundert Thalern in Golde, für die beste und zweckmäßigste Ausarbeitung, hiemit aufgefordert. Der Verfasser der Preisschrift, so wie alle seine Concurrenten, behalten außerdem die vollen Rechte eines Schriftstellers auf sein Werk. Die Einsendung der Ausarbeitungen, welche mit einem Motto bezeichnet, und denen die Namen der Verfasser in versiegelten mit eben dem Motto überschriebenen Zetteln beygefügt seyn müssen, wird bis zur Leipziger Neujahrs=Messe des Jahrs 1790 erwartet. Uebrigens ist es zwar keinesweges die Absicht, dasjenige Lehrbuch, welches den Preis davon tragen möchte, als die Grundlage des Unterrichts auf unsern hohen Schulen gesetzlich vorschreiben zu wollen; vielmehr ist man weit davon entfernt, die Einsichten und den Fleiß unserer akademischen Lehrer an ein solches Leitband zu fesseln. Inzwischen ist doch leicht voraus zu sehen, daß derjenige, welcher mit einem solchen zweckmäßig befundenen Werke zuerst die Bahn bricht, sich immer ein sehr vorzügliches Verdienst erwerben werde; und wenn er selbst akademischer Lehrer ist, oder werden will, bey vorausgesetzten übrigen Erfordernisse eines guten mündlichen Vortrags, auf vorzüglichen Beyfall, Beförderung, und Unterstützung rechnen könne; da es sich wohl von selbst versteht, daß künftighin, auf jeder innländischen Akademie, wenigstens eine der juristischen Lehrstellen, hauptsächlich zum Unterricht in den vaterländischen Rechten wird gewidmet werden müssen.71 Berlin, den 15ten Junii 1788.“ 71 Obwohl die fünf preußischen Universitäten Halle, Frankfurt a. d. Oder, Königsberg, Duisburg und Erlangen nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Landrechts Vorlesungen darüber angeboten haben (einer der Gesetzesverfasser, Ernst Ferdinand Klein, 1791 wurde sogar unmittelbar nach Fertigstellung des allgemeinen Gesetzbuches als Direktor der Universität und Senior an die Juristenfakultät nach Halle berufen, wo er zunächst einen Auszug aus dem Allgemeinen Gesetzbuch zum Gebrauch in den Vorlesungen und dann ein System des preußischen Zivilrechts vorlegte, das bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts aufgelegt wurde) und obwohl es anfänglich auch zur Voraussetzung für die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst der preußischen Justiz gehörte, Vorlesungen über das Allgemeine Landrecht besucht zu haben (Ernst Theodor Wilhelm – E. T. A. – Hoffmann jedenfalls legte bei seiner Anstellung im preußischen Justizdienst ein Zeugnis über den Besuch einer Landrechtsvorlesung vor; Zeugnis der Professoren Theodor Schmalz, Georg Friedrich Holtzhauer, Daniel Christoph Reidenitz und Fabian Goltz vom 18. Juli 1795 für Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann; ferner

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Die Frankfurter Professoren Woltär, Reitemeier und Meister wandten sich – angeregt durch die Vorerinnerung zum Entwurf – mit Gedanken über das künftige Studium und ein Lehrbuch an Carmer. Zeitweilig verfocht Reitemeyer die Übernahme des Allgemeinen Landrechts für ganz Deutschland. Dieser Erfolg stellte sich nicht ein. Offenbar war der Großteil der universitären Rechtswissenschaft der Zeit nicht in der Lage oder nicht willens, sich intensiv mit dem Allgemeinen Gesetzbuch/Landrecht zu beschäftigen.

2. Zum Allgemeinen Landrecht als Kodifikation aus dem Geist eines preußischen Naturrechts a) Geschichtsbild Die geläufige These Diltheys,72 das Naturrecht Wolffs sei vornehmlich durch Darjes (und Nettelbladt) in einer für die Technik der Gesetzgebung angemessenen Form an die Gesetzgeber des Landrechts übermittelt worden, ist bislang unwidersprochen geblieben. Indessen ist sie bereits von vornherein nur vor dem Hintergrund seiner ganz eigenständigen Geschichtsauffassung zu begreifen und richtig einzuordnen. Geschichte ist für Dilthey kein vom Menschen zeitlich getrenntes Geschehen, sondern wesenhaft identisch mit dem Leben selbst.73 Daher soll bereits im einzelnen Erlebnis die volle Struktur der Geschichtlichkeit angelegt sein.74 Auf diese Art ist das Erlebnis als das unmittelbare Wissen der Realität ein Vorgang, der allem geisteswissenschaftlichen Verstehen vorausliegt.75 Das heißt, daß Dilthey die Möglichkeit der allgemeingültigen Erkenntnis aus der subjektiven, persönlichen Erfahrung nicht hinterfragt, sondern voraussetzt. Die Struktur, die Dilthey in der Geschichte sucht, entspricht dieser SubjektiviBericht des Geheimen Justizrates Ernst Gottlob Morgenbesser über Hoffmanns erste Examen vom 22. Juli 1795, dieser habe Kenntnisse des Allgemeinen Landrechts gezeigt; beide abgedruckt in: E. T. A. Hoffman, Juristische Arbeiten, Herausgegeben und Erläutert von Friedrich Schnapp, München, 1973, S. 17 f.) kam es zu einer durchdringenden wissenschaftlichen Behandlung nicht. Vielmehr dürften selbst die Landrechtsvorlesungen bald eingeschlafen sein. Besondere Lehrstühle für das positive Recht kamen erst wieder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zustande. 72 Dilthey, Das allgemeine Landrecht, in: Gesammelte Schriften, Bd. 12, Stuttgart 1964, S. 131 ff., 179. Eigentümlich ist seine entgegengesetzte Äußerung: „Unter den schriftstellerischen Äußerungen waren die von Pütter, Schlosser und Mirabeau die bedeutendsten; sie repräsentieren die vornehmsten Stimmen der öffentlichen Meinung.“, aaO., S. 149. 73 Diwald, Dilthey, S. 78. 74 Bollnow, Dilthey, S. 144. 75 Diwald, S. 71.

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A. Das Allgemeine Landrecht

tät: Alles Historische ist individuell und alles Individuelle ist zugleich durch das Ganze bedingt. Die gesuchte Struktur wird dementsprechend gewonnen durch die Zuordnung von historischem Zusammenhang und Einzelerlebnis. Das Wesenhafte eines historischen Augenblicks oder Zeitabschnitts drückt sich in einer persönlichen Anschauung oder Handlung aus, umgekehrt ergibt sich jenes Wesenhafte aus der Summe der Individualitäten und ist ihr Spiegelbild. Daher ist es aus Diltheys Sicht durchaus zielführend, die friderizianische Epoche als großes Ganzes zu begreifen, ihr ein Raster abzugewinnen und dieses Raster auf die Einzelvorgänge anzuwenden. Mit dieser Geschichts-, Wirklichkeits- und Lebensauffassung ist es nicht notwendig, alle Materialien und Quellen zu sichten, ein Urteil ergibt sich aus dem Wesen einer Zeit, die auch sekundär zu begreifen ist. Dilthey ähnelt in seiner Methode Hegel, indem er die Wirklichkeit über die Idee zu verstehen trachtet. b) Preußische Gesetzgebung Dementsprechend ergeben sich seine Urteile über die preußische Gesetzgebungsgeschichte aus dem Blick auf das Ganze, dessen Ergebnisse den Blick auf das Einzelne bestimmen und bisweilen verstellen. Für Dilthey fand das 18. Jhrdt. die höchste Form der Objektivation seines Geistes in der preußischen Gesetzgebung.76 Diesem Geist, der sein Wesen im Landrecht aussprach,77 entspricht in seiner Perspektive ein aus der Zeit und mit dem Fortschreiten der Geschichte gewachsenes Beamtentum, das in dem Bewußtsein existierte, gemeinsam an der Entwicklung der Menschheit zu arbeiten.78 Daher sollen alle die Männer, die das Gesetzgebungswerk durchführten, von denselben Grundüberzeugungen getragen gewesen sein und darüber hinaus in dem schönsten persönlichen Verhältnis zueinander gestanden haben.79 Ausgerechnet Carmer wird von Dilthey als der Prototyp jenes einzelnen Beamten entworfen,80 das Muster des Bewußtseins von Gemeinschaft im Beamtentum der Aufklärung soll die Mittwochsgesellschaft,81 ihr Gegenentwurf – der Auffassung Stölzels82 entsprechend – natürlich die kirchlich-reaktionäre und absolutistisch-konservative Opposition der Wöllner, Bischofswerder, Danckelmann und Goldbeck gewesen sein, „die dem Orden der Rosenkreuzer angehören.“83 76

Dilthey, S. 132. Ders., S. 131. 78 Ders., S. 146. 79 Ders., S. 146. 80 Ders., S. 146. 81 Ders., S. 146. 82 Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung, Berlin 1888, Bd. 2, S. 315 f. 77

2. Zum Allgemeinen Landrecht

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Es ist nach Dilthey klar, daß darum auch diese Opposition den Kampf gegen das Allgemeine Gesetzbuch an-, und seine Suspension herbeiführte, weil die gegenseitige Verpflichtung des Staates und seiner Bürger auf das gemeine Wohl ihr die Vorteile des uneingeschränkten Absolutismus und der ständischen Ungleichheit des ancien régime nehmen würde. Daß es sachliche Einwände gegeben haben mag, die man für richtig oder falsch halten kann,84 ist im Kontext des von Dilthey gezeichneten Machtkampfes zwischen Aufklärern und Reaktionären unbedeutend. c) Das Preußische Naturrecht Mit der Etablierung der historischen Schule sah sich das ALR nicht mehr dem Vorwurf ausgesetzt, es habe dem Naturrecht zu wenig und der traditionellen Rechtswissenschaft zuviel Platz gewährt, sondern wurde als Kodifikation des Vernunftrechts und der Aufklärung gebrandmarkt. Im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts setzten daher die beiden bedeutendsten Landrechtswissenschaftler der Zeit, Bornemann und Koch, daher die von Svarez verwendeten Argumente zur Verteidigung des Gesetzgebungswerks ein, um zu erweisen, daß das preußische Landrecht nicht aus dem Vernunftrecht, sondern aus traditioneller Rechtswissenschaft und nüchterner Rechtspraxis erwachsen sei. Dilthey ging einen anderen Weg. Er sah statt des weiterhin verteufelten abstrakten Naturrechts im Landrecht ein preußisches, dem Geiste Friedrichs entsprungenes Naturrecht wirksam. Für ihn war die Grundlage, der verbindende Geist des ALR das Naturrecht,85 dessen Bestimmungen in § 83 der Einleitung zum ALR zusammengefaßt sind. Das spezifisch Preußische an der Feststellung, die allgemeinen Rechte des Menschen gründeten sich auf seine natürliche Freiheit, sein eigenes Wohl ohne Kränkung der Rechte eines anderen suchen und befördern zu können, soll dabei in der mit dem Staatsvertrag durchgeführten Erweiterung des Staatszwecks auf das allgemeine Wohl liegen, das in der Idee Rousseaus vom Gesellschaftsver83 Dilthey, S. 151. Wie wenig berechtigt dieses Urteil ist, zeigt Krause, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus, in: Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Berlin 1998, S. 131 ff., 165. Zu Wöllner vgl. Finkenauer, Vom AGB zum ALR, SZ (GA) 113 (1996), 40 ff., 202 ff.; Krause, Mit Kants schädlichen Schriften muß es auch nicht länger fortgehen, Trägt die Ära Woellner ihren Namen zu Recht?, in: Wolff (Hrsg.), Stillstand, Erneuerung und Kontinuität, Einsprüche zur Preußenforschung, Berlin 2001, S. 87 ff. Zu Goldbeck vgl. Finkenauer, Aufklärung, Bd. 9, S. 111 ff. 84 Vgl. Krause, S. 167 ff. Der Haupteinwand, den Danckelmann erhebt – ungenügende Vertrautheit von Publikum und Richterschaft mit dem neuen Recht – war allerdings berechtigt. 85 Dilthey, S. 152.

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A. Das Allgemeine Landrecht

trag, auch in der Thomasischen Zweckbestimmung des Friedensschutzes, noch nicht enthalten war.86 Diese Erweiterung führt Dilthey auf Wolff zurück, nach welchem der Staat das allgemeine Wohl, das in der Vollkommenheit aller Einzelnen besteht, befördern soll.87 Da am Anfang die Pflicht aller Einzelnen steht, die eigene Vollkommenheit zu erstreben, wird das Verbot, in die Freiheitsspähre der anderen einzugreifen, zum Gebot, die anderen in ihrem Streben zu unterstützen;88 dieses Gebot ist in § 73 der Einleitung normiert. Indessen läßt Dilthey unerwähnt, daß gerade diese Erweiterung des Staatszweckes nicht ohne Kritik geblieben und gerade im Zuge der Reform auf Widerspruch gestoßen ist.

3. Schlosser Insbesondere Johann Georg Schlosser89 erhob in seinen Briefen über die Gesetzgebung bis heute geläufige Einwände,90 mit denen sich Klein in seinen Annalen auseinandergesetzt hat.91 Schlosser stellt einen Sonderfall im öffentlichen Diskurs dar. Seine Veröffentlichung verfolgt zunächst einmal ganz äußerliche Ziele. Zum einen den schlichten Gelderwerb unmittelbar durch den Absatz der Briefe selbst und durch die Reklame für sich als polemischen Autor. Zum anderen will er sein Selbstwertgefühl pflegen, das mehrfach beeintächtigt ist. Denn er ist als der berufene Reformer des Gemeinen Rechts von Carmer und Svarez übergangen worden, zum andern hat er sich an dem Preisausschreiben zum Entwurf beteiligen wollen, ist aber damit nicht rechtzeitig fertig geworden und hat sein Scheitern bekannt werden lassen. Die sachlichen Kontroversen hat er dagegen nicht hinreichend geklärt und abgestimmt. Sie sind teilweise widersprüchlich. Schlosser verbindet dabei einen eigentümlichen konservativen Liberalismus, der den umfassend für das Gemeinwohl verantwortlichen Staat ablehnt und überkommenen ständisch-patriarchalischen Ordnung anhängt.

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Ders., S. 153, 158. Ders., S. 158. 88 Ders., S. 179. 89 Johann Georg Schlosser, geb. 1739, gest. 1799, Studium in Gießen und Altdorf, Amtmann in Emmendingen, 1790 Geheimnrat und Direktor des Hofgerichts Karlsruhe, 1798 Syndicus in Frankfurt am Main. 90 Schlosser, Briefe über die Gesetzgebung überhaupt, und den Entwurf des preußischen Gesetzbuchs insbesondere, Nachdruck der Ausgabe Frankfurt 1789, Im Verlag bei Johann Georg Fleischer. Laut Meßkatalog der Ostermesse 1789 gerade erschienen. Glashütten 1970. 91 Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preussischen Staaten, 4. Band 1789, S. 326 ff., 6. Band 1790, S. 3 ff. 87

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Das hindert nicht, daß seine Kritik am Entwurf sowohl im Detail wie im Prinzipiellen vielfach ins Schwarze trifft. Das gilt sowohl für die bis in die Gegenwart andauernde Problematisierung des Begriffs des Allgemeinwohls und der Kompetenz zu seiner Konkretisierung. In diesem Punkt erscheint Schlosser hellsichtiger als der naive Dilthey. In der Detailkritik schlägt seine Erfahrung als Richter und seine allen Mängeln zum Trotz vorhandene Kenntnis des Rechts immer wieder durch. Daß die Redaktoren des Gesetzbuches sie nicht übergingen, sondern ihr immer wieder Rechnung trugen, zeigt die Offenheit, auf den Diskurs zu reagieren, auch wenn er geradezu gehässig polemisch geführt wurde. Die vier „Briefe über die Gesezgebung überhaupt und den Entwurf des preußischen Gesezbuches insbesondere“ Johann Georg Schlossers sind nach Friedrich Carl von Savigny,92 „die bedeutendste Stimme, welche sich gleichzeitig dagegen erhoben hat.“ In der Tat sind sie – von Gustav Hugos Besprechung des Gesetzbuches93 abgesehen – die einzige literarische Stimme ihrer Zeit geblieben, die den „Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten“ rundum ablehnte. Die Wissenschaftsgeschichte hat Savignys auszeichnenden Hinweis übernommen, ohne zu vermerken, wie abschätzig er die rechtswissenschaftlichen Leistungsfähigkeit des promovierten Juristen Schlosser im Verhältnis zum Allgemeinen Landrecht beurteilt, das ganz auf der Höhe der Jurisprudenz seiner Zeit gestanden habe.94 Gleichwohl scheint sie Savignys Meinung geteilt zu haben, 92 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, Zweite, vermehrte Auflage. Heidelberg, bey J. C. B. Mohr. 1828, S. 93 fertigt sie knapp ab: Das ALR habe auf der Höhe seiner Zeit gestanden. „Selbst die bedeutendste Stimme, welche sich gleichzeitig dagegen erhoben hat ([Verweis auf Schlossers ,Briefe‘]), beweist mehr für als wider diese Behauptung. Ich verkenne nicht wie viel treffliches in Schlossers Ansichten und Urtheilen enthalten ist, allein das beste darin betrifft den allgemeinen politischen Charakter unsrer Zeiten, und mit den eigenthümlichen Bedürfnissen des bürgerlichen Rechts war er selbst keineswegs im reinen. Dieses erhellt theils aus der von ihm entworfenen Einleitung eines Gesetzbuchs (Briefe S. 246), theils auch noch weit mehr aus seinem Plan, das corpus juris auf ein caput mortuum eigentlicher Gesetze von weniger als zehn Bogen zu reduciren (Schlossers Vorschlag und Versuch einer Verbesserung der Deutschen bürgerlichen Rechte etc. Leipzig 1777. 8. – Schlossers Briefe s. 46, 342, in welcher letzten Stelle er sogar Westphals Schriften als sehr brauchbar für diesen Zweck rühmt.). Daß es ihm an Sinn für das rechte nicht fehlte, zeigt sein geistreicher und durchaus vortrefflicher Aufsatz über das Studium des reinen Römischen Rechts.“ 93 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, September 1791, S. 1417–1426. 94 S. 92: „Jede Regierung ist zu tadeln, welche die Einsichten ihres Zeitalters nicht kennt oder verschmäht. Von dieser Seite aber ist die Preußische Gesetzgebung gewiß keinem Vorwurf ausgesetzt. Die Stimme nicht blos der eigenen Geschäftsmänner, sondern aller Deutschen Gelehrten, ist aufgerufen und gehört worden, und jeder unbefangene Beobachter wird einräumen, daß, was gethan und unterlassen worden ist, dem Sinn, und der Einsicht des Zeitalters vollkommen entsprach.“ Das bedeutete zugleich eine Distanzierung von der jüngst noch einmal publizierten Rezension Hugos.

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da sie die konkrete Auseinandersetzung mit Schlossers Gesetzgebungsschriften vermieden hat. Sie hat nicht einmal darauf hingewiesen, daß Schlosser die Beteiligung der Stände an der Gesetzgebung eingefordert hatte. Vielleicht ist neben dem mangelnden Interesse an Schlosser auch die bislang zu beklagende Unklarheit über die Entstehung des Allgemeinen Landrechts dafür verantwortlich, daß es zu keiner Untersuchung der Fragen gekommen ist, ob und wie Schlossers Kritik an Inhalt und Fassung der einzelnen Bestimmungen des Entwurfs eines allgemeinen Gesetzbuchs dessen Umarbeitung zum Allgemeinen Gesetzbuch vorwegnimmt und in welchem Maße seine Einwendungen bei der Suspension des Allgemeinen Gesetzbuch und im Auftrag zu dessen Überarbeitung zum Allgemeinen Landrecht wiederkehren. Der bloße Nachweis von Übereinstimmungen reicht zwar nicht hin, um den Briefen eine Wirkung auf die Fassung, die Suspension und die Überarbeitung des Allgemeinen Gesetzbuchs zuzuschreiben, sie erlaubt und gebietet es aber, die Kritik am Entwurf und den Widerstand gegen das Allgemeine Gesetzbuch als Teil einer Auseinandersetzung unter Juristen zu betrachten, statt sie – wie häufig – auf das obskure Treiben einer Hofcamarilla oder unzeitgemäß den prokonservativen Widerstand, insbesondere der Stände oder gar der ,Feudalaristokratie‘, gegen eine Schmälerung von egoistischen Interessen zu erklären. Obwohl sich Schlosser Friedrich Wilhelm II. schamlos anbiedert und vor allem dessen Religionspolitik feiert, war er nicht käuflich, wegen der Entfernung konnte er an einer Berliner Hofintrige nicht beteiligt sein, als reichsstädtischer Bürgersohn war er auch kein natürlicher Verbündeter des Adels. Umgekehrt hat es der Briefe Schlossers kaum bedurft, um den zähen Widerstand gegen Carmers Gesetzgebungspläne auszulösen, der Großkanzler selbst sah sich schon 1786 als Opfer einer Hofcabale. Schlossers Buch hat gewiß auch weder Danckelmann dazu gebracht, dem König die Suspension vorzuschlagen, noch Friedrich Wilhelm II. veranlaßt, sie auszusprechen oder eine erneute Überarbeitung des Gesetzeswerks zu befehlen; es ist sogar wenig wahrscheinlich, daß es allen Gegnern der Carmerschen Rechtsreform überhaupt bekannt war. Gewiß ist jedoch, daß sich diese mit allen Argumenten auszustatten suchten, die nur zu finden waren; und es wäre befremdlich, wenn nicht eine Reihe von ihnen auf das von Schlosser eröffnete Waffenarsenal gestoßen und sich aus ihm gerüstet hätten. Die Gesetzesredakteure haben sich bei ihren Überlegungen zur Überarbeitung des Entwurfs zwar primär auf die eingereichten Monita und zugesandten Preisschriften konzentriert, sie haben aber auch Anregungen zur Kenntnis genommen und verarbeitet, die auf anderen Wege an sie herangetragen und öffentlich literarisch geltendgemacht wurden. Soweit sie plausibel erschienen, haben sie diesen auch bei der Umarbeitung stillschweigend Rechnung getragen. Aus – rudimentär erhalten gebliebenen – Rechnungen folgt, daß sie Literatur zur Gesetz-

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gebung beschafften, darunter eine Arbeit Schlossers. Da Svarez Schlosser zur Mitarbeit an der Gesetzgebung bewegen wollte, hatte er zusätzlichen Grund, dessen einschlägige Schriften zu verfolgen. Schlossers Briefe dürften daher von Carmer und seinen Mitarbeitern mit Spannung gelesen worden sein. Zunächst scheint die Kränkung überwogen zu haben, wahrscheinlich sahen sie in den Briefen eine ernsthafte Bedrohung für das ohnehin prekäre Vorhaben der Gesetzreform. Jedenfalls trat Ernst Ferdinand Klein ihnen in den „Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den preussischen Staaten“, die er erst ein Jahr zuvor auf Betreiben des Großkanzlers nicht zuletzt zur Verteidigung der Reformgesetzgebung gegründet hatte, scharf entgegen.95 Seine Rezension begnügte sich nicht damit, die grundsätzlichen Einwendungen Schlossers an der preußischen allgemeinen Gesetzgebung zurückzuweisen, sondern bemühte sich auch, zu erweisen, daß nahezu jedes Element seiner Detailkritik am Entwurf verfehlt war. Das war selbst Teil einer überzogenen Polemik. Selbst wenn man davon ausgeht, daß Schlosser an die Regelungen des Entwurfs stets mit der Absicht herangegangen wäre, seine vorgefaßte allgemeine These vom Unvermögen der Berliner zur Gesetzgebung im Detail zu bewähren, mußte er als tüchtiger juristischer Praktiker auf Mängel stoßen. Wie noch zu zeigen ist, hat Schlosser indessen seine Einzelkritik weitgehend als Teil einer Preisschrift zur 1. Abteilung und daher ganz unpolemisch mit dem aufrichtigen Ziel verfaßt, Carmer und seine Mitarbeiter zu unterstützen und einen Preis zu erhalten. Abweichend von Kleins Einschätzung hat dann Svarez bei der anschließenden Umarbeitung des gedruckten Entwurfs zum Allgemeinen Gesetzbuch den meisten der Beanstandungen Schlossers Rechnung getragen und die Vorschriften in deren Sinn abgeändert oder getilgt. Auch wenn ähnliche Einwände häufig von anderen Monenten erhoben worden waren, sind die Übereinstimmungen zu signifikant, als daß man jeden konkreten Einfluß der Schlosserschen Briefe auf das Allgemeine Gesetzbuch/Landrechts ausschließen kann.96

95 Nachricht von den Schlosserschen Briefen über die Gesetzgebung überhaupt und den Entwurf des preußischen Gesetzbuches insbesondere, welche zu Frankfurt am Mayn im Fleischerschen Verlage, im Jahr 1789. erschienen sind, Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preussischen Staaten, 4. Band 1789 (Vorrede vom 1. September 1789) S. 326 ff. Fünfter Brief über den Entwurf des Preussischen Gesetzbuchs insbesondere über dessen Apologie in den Annalen der preussischen Gesetzgebung, von Johann Georg Schlosser. Frankfurt am Main, bei Johann Georg Fleischer 1790. Ernst Ferdinand Klein, Von dem fünften Brief des Herrn Geh. Rath Schlossers über den Entwurf des Preussischen Gesetzbuchs, Annalen, 6. Bd. 1790 S. 5 (Vorrede vom 25. September 1790). 96 Offensichtlich war Klein, der vielleicht die Gesetzgebung in Gefahr sah, 1789 entweder nicht fähig, die Berechtigung der Einzelkritik Schlossers zu erkennen, oder glaubte sie ohne Rücksicht auf ihre Berechtigung zurückweisen zu müssen, weil er fürchtete, seine Apologie des Entwurfs zu erschweren, wenn er Schlosser mit einem Teil der Einwendungen recht gab. Das beschädigt so oder so das Bild von Klein als makellosen Aufklärers.

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Vor der genaueren Untersuchung der Frage nach den konkreten Auswirkungen der Briefe auf die preußische Rechtsreform ist ein Blick auf den Hintergrund von Schlossers kritischen Einwänden nötig, weil er nicht nur zusätzliches Licht auf deren Motivation wirft, sondern auch für ihre Aufnahme durch die Mitarbeiter der Gesetzgebung bedeutsam ist. Johann Georg Schlosser, von Jugend her mit Johann Wolfgang Goethe bekannt und durch seine Ehe mit der frühverstorbenen Schwester des Dichters Cornelia auch mit diesem verschwägert, hatte an der Reichsstädtisch-Nürnbergischen Universität Altdorf zum Doktor der Rechte promoviert und danach badische Dienste aufgenommen. Neben seiner Beamtentätigkeit war er mit hohem Anspruch, wenn auch nicht immer auf hohem Niveau, mannigfaltig literarisch tätig, vorwiegend um Geld zu verdienen und sich einen Namen zu machen, weniger von der Sache bewegt.97 1777 hatte er einen „Vorschlag und Versuch einer Verbesserung des deutschen bürgerlichen Rechts ohne Abschaffung des römischen Gesezbuchs“98 vorgelegt, der ihn dem neuen preußischen Großkanzler für die Erarbeitung des neuen subsidiären Gesetzbuchs zu empfehlen schien.99 Unmittelbar nachdem Friedrich der Große am 14. April 1780 den Gesetzgebungsauftrag erteilt hatte, suchte Svarez daher im Auftrage Carmers Schlosser zur Mitarbeit zu gewinnen.100 Der damals als Amtmann im badischen Emmendingen tätige Schlosser war nicht bereit, endgültig in preußische Dienste zu wechseln noch unter Inanspruchnahme eines Urlaubs beim Markgrafen länger in Berlin zu arbeiten. Seine Antwort vom 13. Mai 1780 beschränkte sich auf den Gegenvorschlag, „den Extract des Römischen Gesetzbuches an [seinem] dermaligen Aufenthalts-Orte ausarbeiten [zu] wollen.“ Das fand keinen Widerhall, zumal Schlosser allein für den Auszug sechs Jahre veranschlagte. Svarez wiederholte und präzisierte vielmehr am 30. Mai 1780101 das Angebot noch einmal: Schlosser sollte für zwei Jahre nach Berlin kommen, um dort mit oder ohne Beamtenrang bei der Gesetzkommission einen Auszug der über die verschiedenen Titel und Bücher verstreuten ,Leges‘ des Corpus iuris nach dem Muster seines ,Vorschlags und Versuchs‘ anzufertigen. Im Folgenden umriß er Tätigkeit, Besoldung und Reiz der Aufgabe näher, sicherte Schlosser bei ihrer Ausübung weitgehende Freiheiten, Ausstattung mit allen erforderlichen Bücher und dem erbetenen Assistenten sowie Angebot zu, nach ihrer Beendigung zwischen einem anständigen Amt in Berlin und der Rückkehr in den badischen Dienst entscheiden zu können. 97

Justus Mösers literarische Arbeit ist von ganz anderer Zielrichtung. Leipzig 1777. 99 Das ist – angesichts des durchgehend mittelmäßigen Charakters dieses Buchs – ein weiteres Indiz für die Unterschätzung der Aufgabe der materiellen Gesetzgebung durch Svarez und Carmer. 100 Der Brief hat sich nicht erhalten. 101 03.01.0005. Konzept einer Antwort (Breslau) auf das Schreiben Schlossers vom 13. Mai. 98

3. Schlosser

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Schlosser war jedoch – angeblich aus familiären und beruflichen Gründen – weiterhin nicht bereit, für zwei Jahre nach Berlin zu kommen. Am 20. Juni 1780 bot er – unter Aufrechterhaltung seiner Einschätzung des zeitlichen Aufwandes102 – abermals an, den Extrakt in sechs Jahren – neben seiner Tätigkeit in Emmendingen gegen ein Honorar von 600 Louisdor – anzufertigen. Wenn die Gesetzkommission gleichzeitig die schon vorhandenen „Statuten, Landrechte, Observanzen, ins Civile einschlagenden Polizeiordnungen“ zusammenstelle,103 könne sie anschließend, etwa in zwei weiteren Jahren, die beiden Extrakte in einen Gesetzentwurf zusammenfügen,104 wohl in der Meinung, die Gesetzgebung ginge über die Systematisierung des Corpus iuris nicht hinaus. Diesen Entwurf wolle er – in Emmendingen – revidieren, um anschließend in Berlin in drei bis vier Monaten zusammen mit der Gesetzkommission die Schlußredaktion vorzunehmen. Schlosser war also zu diesem Zeitpunkt bereit, an der preußischen Gesetzgebung verantwortlich mitzuwirken, ohne grundsätzliche Einwendungen gegen das Vorhaben überhaupt, seine Inangriffnahme zum gegebenen Zeitpunkt oder die ihm von Svarez vorgestellten Pläne zu erheben.105 Er suchte sogar den Beden102 Entgegen vielfältiger Kolportagen war Schlossers Einschätzung weit übertrieben. Als Dr. Volckmar nach weniger als zweijähriger Tätigkeit im Mai 1782 aus dem Dienst schied, lagen seine nahezu vollständigen Extrakte in einer Form vor, die Schlossers Arbeit aus dem Jahre 1777 an Qualität weit überragte. Daß Carmer Volckmar die schuldige Anerkennung versagte, ist eine andere Sache. Der falsche Eindruck, Schlosser habe mit seiner zeitlichen Prognose gegenüber Carmer und Svarez Recht behalten, beruht nur darauf, daß beide den Aufwand für die sich an die Sammlung anschließende Redaktion des Allgemeinen Gesetzbuchs weit unterschätzt hatten. Schlosser hat ihn allerdings noch geringer eingeschätzt. 103 Für diese Zusammenstellung veranschlagte Schlosser – realistischer als Carmer – den gleichen zeitlichen Aufwand. 104 03.01.0007. Brief Schlossers an Svarez vom 20. Juni 1780. 105 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, Zweite, vermehrte Auflage. Heidelberg, bey J. C. B. Mohr. 1828, S. 87 hätte nach seiner Bemerkung: „Es wäre interessant, wenn man wenigstens nach einzelnen Proben vergleichen könnte, wie Schlosser die Aufgabe gelöst haben würde. Vielleicht lag aber in dem Mechanismus des ganzen Geschäfts ein Grund, warum dieser Auftrag für einen Mann von Bedeutung und Selbständigkeit nicht passen gewesen wäre.“ Schlosser, der noch in den „Briefen“ seinen „Vorschlag und Versuch“ dem Entwurf eines allgemeinen Landrechts ausdrücklich als gelungenes Muster entgegenstellt, allerdings nur ernstnehmen müssen, um zu beurteilen, was von diesem zu erwarten war. Wenig hilfreich war es auch, daß statt Schlossers „Versuch“ mit Dr. Volckmars Auszügen und Entwürfen zu vergleichen, diesem die Qualifikation nach einem Blick auf die kaum einschlägige Schrift „Über ursprüngliche Menschenrechte. Breslau 1793.“, die ihm als wenig bedeutend erschien, abzusprechen und das Urteil über Volckmars Tätigkeit als nicht zufriedenstellend aus zweiter Hand zu übernehmen. Nur am Rande ist zu bemerken, daß Schlosser ausweislich seines „Vorschlags und Versuchs“ schlechterdings nicht befähigt war, das Römische Recht in seiner wahren Gestalt herzustellen, wie es die sogenannten ,Historische Rechtsschule‘ unternahm; er wäre auch dazu keineswegs gewillt gewesen, da seine Rechtsvorstellungen sich wesentlich von denen Savignys, Puchtas oder Windscheids unterschieden.

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ken wegen der Dauer Rechnung zu tragen: Erscheine das von ihm vorgeschlagene Verfahren als zu zeitaufwendig, könne man die Extraktion des Rechtsstoffes aufteilen,106 er sei in diesem Fall gegen Zahlung von 2000 Reichsthalern bereit, in zwei Jahren einen entsprechenden Teil des Römischen Rechts zu extrahieren. Allerdings hatte er das Vorhaben und die ihm dabei zugedachte Funktion falsch eingeschätzt. Offensichtlich ging er davon aus, daß das Gesetzbuch im wesentlichen in dem Auszug aus dem Römischen Recht und dem geltenden Gesetzrecht bestehen sollte, und erwartete, daß ihm bei dessen Abfassung die maßgebende Rolle zufallen würde. Ein derartiger Vorschlag war ihm nie gemacht worden. Er war nicht einmal als Referent noch als Korreferent für die Fassung des Gesetzbuchs vorgesehen. Vielmehr sollte er in der Gesetzkommission die Aufgaben nach §§ 4, 5, 16 des Entwurfs einer vorläufigen Instruktion vom April 1780 übernehmen, die nachher Dr. Volckmar übertragen wurden. Für diese Aufgabe suchte die Kommission offensichtlich jemanden, der im römischen Recht promoviert hatte. Wahrscheinlich hatte Svarez – auf das Scheitern der Verhandlungen eingestellt – schon unmittelbar nach dem Eintreffen von Schlossers erster Absage107 noch während seines Aufenthalts Ende Mai 1780 in Breslau mit Pachaly und Dr. Volckmar über die Möglichkeit ihrer Mitarbeit gesprochen. Denn schon am 19. Juli – als Schlossers Antwort kaum zwei Wochen vorlag – war die Entscheidung gefallen, einen Arbeitsstab zu bilden,108 in dem Volckmar den Schlosser zugedachten Part übernahm. Im übrigen ist der Briefwechsel nicht erhalten, so daß auch die letzte Antwort von Svarez an Schlosser fehlt. Das Verhältnis zwischen Carmer und Schlosser war seither getrübt. Als Svarez dem Großkanzler am 4. April 1784109 den Entwurf eines Schreibens an eine Reihe von Gelehrten vorlegte, wonach der Verleger den Auftrag habe, ihnen den Ersten Teil des Entwurfs des Allgemeinen Gesetzbuchs zur näheren Prüfung zu übersenden, kassierte nach einer Bemerkung des Kanzlisten Steindamm Se. hochfreyh. Excell. den an Schlosser gerichteten Brief. Vielleicht war ihm bereits klar, daß Schlosser aus gekränkter Eitelkeit nicht zu einer unvoreingenommenen Kritik fähig sein würde. Seine Mitarbeiter sahen sich übrigens dadurch nicht gehindert, Schlossers einschlägige Arbeiten für die Gesetzkommis106

Dabei sei für eine lückenlose Durchsicht aller Teile des Corpus iuris zu sorgen. Vom 13. Mai. 108 Svarez, Instruktion zur Anfertigung eines Auszuges aus dem römischen Gesetzbuch, 01.01.0006/07.01.0051 abgedruckt bei Daniels, Lehrbuch des preußisch. Privatrechts, 1851, Bd. 2, Anl. II. Svarez, Schema für Auszug aus dem corpore juris civilis Romani durch Dr. Volckmar, 07.01.0049. Möglicherweise hat der arrogante Anspruch Schlossers auf eine Art Oberleitung bei Carmer zu dem Entschluß beigetragen, den Mitarbeitern dauerhaft den kollegialen Status zu versagen. 109 03.01.0165. 107

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sion zu beschaffen; so lieferte Nicolai der Gesetzkommission am 21. November 1785110 „Die Wubdianer, eine nicht gekrönte Preisschrift über die Frage: Wie ist der Kindermord zu verhindern, ohne die Unzucht zu befördern?“111 Schlosser durfte nach dem von Svarez vermittelten Antrag annehmen, er sei die erste Wahl des Großkanzlers gewesen. Zusammen mit der Überschätzung der ihm zugedachten Funktion war er wohl überzeugt, er hätte der Solon oder Lykurg seiner Zeit werden können, die statt seiner zu preußischen ,Nomographen‘ berufenen Personen seien allenfalls zweitrangig. Das erklärt, daß er sie in seinen Briefen beständig durch den Vergleich mit Solon und Lykurg herabzusetzen suchte. Schon vor der Veröffentlichung seiner Briefe gab er seine Verachtung der Berliner Aufklärer zu erkennen, sei es, daß er sie dafür verantwortlich machte, daß das Angebot der Mitarbeit bei der Gesetzgebung gescheitert war, sei es, daß sein Widerwille gegen die Berliner Aufklärung ihn schon 1780 davor zurückschrecken ließ, längere Zeit in Berlin zu arbeiten und zu wohnen. In einem an Dohm gerichtetes Schreiben „Ueber die Duldung der Deisten“ wandte er sich gegen dessen Toleranzforderungen. Als die Berlinische Monatsschrift – wie sich später erwies, nicht zu Unrecht – den Darmstädter lutherischen Oberhofprediger Stark verdächtigte, heimlich katholisch geworden zu sein, stellte er sich öffentlich vor ihn und gab seiner Mißachtung der Berlinischen Monatsschrift offen Ausdruck. Er wiederholte das, als Cagliostro von Berlin (und Mietau) aus als Scharlatan entlarvt wurde. Und er fuhr Leuchsenring in die Parade, als dieser mit Lavater in Konflikt geriet. Als Zimmermann über die „Berliner Aufklärungssynagoge“ höhnte, trat er an dessen Seite und reihte sich damit in den Kreis der Gegner der Gesellschaft der Freunde der Aufklärung (Mittwochsgesellschaft) ein, der sowohl Dohm, Leuchsenring und die Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift Biester und Gedike wie die Mitarbeiter an der Gesetzgebung Klein und Svarez angehörten. Die Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Vernunft, die Kritik an der Aufklärung, besonders in ihrer Berliner Prägung, die Überzeugung, der beste Mann für ein Gesetzgebungsunternehmen zu sein, und der Ärger darüber, gleichwohl von der Mitarbeit bei der preußischen Gesetzgebung ausgeschlossen zu sein, machten Schlosser zu einem überaus kritischen Beobachter ihrer Ergebnisse. Als er erfuhr, was nicht verborgen bleiben konnte, daß Carmer andere Männer unter regelmäßiger Übersendung des Entwurfs zur Abgabe von Erinnerungen aufgefordert hatte, mußte er sich noch stärker ausgeschlossen fühlen, auch wenn er von der Kassation des Schreibens vom 4. April 1784 nichts gehört haben sollte.

110 111

01.02.0196. Rechnung vom 19. April 1787. Von Schlosser, erschienen 1785.

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Allerdings setzt sich Schlosser in seinen „Briefen“ nicht nur mit der Berliner Aufklärung auseinander. Das „I. Schreiben“ ist, wie sein Titel „Allgemeine Gründe, warum die Verfassung eines Gesetzbuchs zu unsern Zeiten nicht räthlich ist, gegen Filangieri; – besondere Gründe“ belegt, primär gegen das nicht lange zuvor erschienene Werk Filangieris „Della legislazione“ gerichtet. Da der erste Band112 mit seiner These, die Zeit für eine egalisierende Rechtsreform durch staatliche Gesetzgebung sei nach dem Ende der „Feudalanarchie“ gekommen, Anfang 1784 etwa gleichzeitig mit dem Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches auf deutsch erschien,113 wäre es denkbar, daß Schlosser den ersten Brief zu Papier brachte, noch ehe er sich mit dem Entwurf auseinanderzusetzen begann.114 Bei genauerer Hinsicht zeigt sich jedoch, daß die konkrete Kritik am Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten im dritten und vierten Brief mit der Polemik gegen Filangieri nicht verknüpft ist. Wenn Schlosser im ersten Schreiben seine Absage an die Vergesetzlichung des Rechts zum damaligen Zeitpunkt damit begründet, nur der von Filangieri totgesagte feudale Staat mit ständischer Verfassung sei im Stande, die alten Rechte zu gewährleisten, wogegen der monarchische Staat die Gesetzgebung zum Schutz der Rechte und Freiheiten der Bürger einsetze, um diese im Interesse der Staatsräson einzuschränken, hätte es nahe gelegen, dies im 3. und 4. Brief konkret an Einzelbestimmungen des Entwurfs zu belegen. Dazu fehlt jeder Ansatz. Selbst wo Schlosser Bestimmungen der Einleitung und des Familienrechts kritisiert, weil sie Frauen oder Bauern zu Lasten althergebrachter und daher nach seiner Ansicht schutzwürdige, ständische und patriarchalische Rechte begünstigen, verbindet er das nicht mit dem Vorwurf, der absolutistische Staat betreibe aus Gründen der Staatsräson eine schematische Egalisierung. Nur seine Kritik an der Abschwächung des Rückwirkungsverbotes, am Mangel einer Gewährleistung ständischer Mitwirkung bei der Gesetzgebung und an der durchgängigen Vergesetzlichung des Rechts läßt sein allgemeines Mißtrauen gegen die monarchische Gesetzgebung durchscheinen. Da Schlosser dem rationalen öffentlichen politischen Meinungsbildungsprozeß kein Vertrauen entgegenbringt, sondern allenfalls aus dem Herzen erwachsene Wertüberzeugungen anerkennt, kann er Garantien weder in der Aufklärung noch in der Pressefreiheit sehen. Er sieht zwar, daß die zunehmend komplizierteren Lebensverhältnisse einer neuen Regulierung bedürfen, menschliche Gesetzgebung aber sei dazu nicht im Stande, man müsse sie von Gott erwarten. Solange man über den Vorzug von Neuerungen nicht absolut gewiß sein könne, 112 Gaetano Filangieri, System der Gesezgebung. Erster Band. Anspach, in des Commercien=Commissair Benedict Haueisens, privilegirten Hof=Buchhandlung. 1784. Zweyter Band 1785; Dritter Band 1786; Vierter Band 1787; Fünfter Band 1790; Sechster Band 1791. 113 Klein hatte ihn im Namen der Gesetzkommission am 7. Juni 1784 gekauft. 114 Im II. Schreiben geht er auf den 4. Band ein.

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sei es für die allgemeine Glückseligkeit besser, am Alten, an den Frondiensten und der Leibeigenschaft, den Einschränkungen der Gewerbefreiheit, des Außenhandels und der Heiratsfähigkeit festzuhalten und die väterliche Gewalt zu bewahren. Damit spricht er nicht – wie man gemeint hat – seiner Zeit ab, zur Gesetzgebung reif zu sein, sondern schließt, da die geforderte Gewißheit nie eintreten wird, alle Zeiten von der Rechtserneuerung aus. Man habe „sich mehr um gerechte und verständige Richter, die mit Billigkeit urtheilen, umzusehen; als nach vollkommenen Gesetzen zu seufzen, die keiner Misdeutung, keinem Misbrauch ausgesetzt wären, und hinter die weder Richter noch Partien sich verstecken könnten, wenn sie das Recht gebeugt haben, oder beugen wollen“. Wäre es Schlosser damit wirklich ernst gewesen, hätte er sein Buch abschließen müssen und den Preußischen Entwurf allenfalls noch zur Erläuterung der prinzipiellen Unfähigkeit der Menschheit zur Gesetzgebung nutzen können. Tatsächlich zeigt Schlosser, indem er nach der pauschalen Absage an die Gesetzgebung überhaupt zur Detailkritik übergeht, daß ihm die Fähigkeit oder der Wille zu konsistentem Denken fehlt. Wahrscheinlich ist beides richtig. Es genügt ihm, einen Böller gegen die Monarchie und zugunsten der Stände abgebrannt zu haben. Nun sucht er keinen weiteren Triumph. Jedenfalls stellt seine Einzelkritik das Unternehmen der Gesetzgebung nicht mehr als solches in Frage, sondern nur die aus dem Geiste der – aus dem preußischen Religionsedikt wohlbekannten – falschen Aufklärung.115 Schlosser bietet sich damit an, die preußische Justizreform vor dem Fehlgehen zu bewahren. Sein „Vorschlag und Versuch einer Verbesserung des deutschen bürgerlichen Rechts ohne Abschaffung des römischen Gesezbuchs“116 ist ein Paradigma für eine Methode, die das Corpus iuris, viel besser als der Entwurf, auf Grundsätze zurückführt und deren Anwendung und Erklärung anschaulich darlegt. Ein nach diesem Vorbild ausgearbeiteter Kommentar bedürfe nur gesetzlicher Autorisierung, „um sich wenigstens die Commentatoren und Controversen zum Theil, vom Hals zu schaffen.“ Friedrich der Große, unterstellt Schlosser kaum verhüllt, habe bei dem Gesetzgebungsauftrag seinen „Vorschlag und Versuch“ vor Augen gehabt, das Allgemeine Gesetzbuch von dessen Vervollständigung erwartet und letztlich in ihm als Autor den geeigneten Bearbeiter des Gesetzbuchs gesehen. „Wenn ich mich nicht sehr betrüge, so ist das neue preußische Gesetzbuch, wenigsten aus einer ähnlichen Idee entsprungen, obgleich, da das Rad lief, eine andere Gestalt heraus kam.“117 Indem die Berliner „Nomographen“ nicht auf seine Wünsche eingingen, ihn schließlich ausbooteten und dann erwartungsgemäß ein schlechtes Gesetzbuch lieferten, hätten sie den Auftrag des Königs verfehlt. Seine Empfehlung an den Nachfolger Friedrichs, die preußische Gesetzgebung getrost ihm 115 116 117

So schon S. 8 f. Leipzig 1777. Eine biographische Deutung liegt nicht fern; vgl. u.

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selbst anzuvertrauen, ist nicht zu überhören, auch wenn Schlosser im vierten Brief118 noch deutlicher werden sollte. Vorderhand gesteht er noch zu, daß es in Wien, wo er ebenfalls abgeblitzt war, noch schlimmer gekommen ist: „Aber, wenn wir das neue österreichische Gesetzbuch ansehen; so scheint dieses weit mehr ansprechen zu wollen.119 und in eben dem Geist der Umschaffung verfaßt worden zu seyn, in welchem Filangieri sein: Es werde Licht gesprochen hat, ohne daß des wegen das Licht erscheinen wollte“.120 Seinem Wunsch, sich Friedrich Wilhelm II. anzubiedern, entspringt jedenfalls die merkwürdige Aussage zu Beginn des „II. Schreibens“, die im ersten Schreiben angestellte Betrachtung gehe „das Preussische Gesetzbuch, das ich vor mir liegen habe, nur ganz im Allgemeinen an. Denn vieles, was ich als unausgemacht, folglich noch nicht reif zur Gesetzgebung, dargestellt habe, kann in diesem Land vielleicht bestimmt und ausgemacht seyn.“ Dabei vertuscht Schlosser, daß er im I. Schreiben die Fähigkeit zur Gesetzgebung allen Menschen – a priori – abgesprochen hat. Damit zeigt sich seine allgemeine These als das, was sie ist, eine Phrase, die er selbst nicht ernst nehmen will. Der Analyse, ob Preußen wirklich die Reife zur Gesetzgebung besitzt, weicht er mit einem „vielleicht“ aus. Gewiß mußte es Schlosser schwer fallen, die preußischen Gesetzgebungsanstrengen für müßig zu erklären, an denen er einige Jahre zuvor mitarbeiten wollte. Im weiterem Gang des zweiten Briefs aber nimmt Schlosser von seiner anfänglichen These, die Menschen seien zur Gesetzgebung nicht fähig, ganz Abstand. Im Gegenteil – ebenso wie schon in seinem Brief an Dohm121 – erkennt nun nur noch das positive aus der staatlichen Gesetzgebung erwachsene Recht als Recht an und erhebt so die Legislation zu unausweichlichen Notwendigkeit. 118

S. 324 ff. Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch: Erster Theil. Wien, gedruckt bey Johann Thomas Edlen von Trattnern, kaiserl. königl.: Wohlgebohren bereits bekannt seyn wird, nun auch den 1.ten Abschnitt eines neuen Gesetzbuchs publiciren, und diesen wenigen Titel zugleich eine völlige gesetzliche Kraft beylegen laßen. Der Verfaßer dieses Gesetzbuchs folgt zwar im wesentlichen unserem EntwurfHofbuchdruckern und Buchhändlern. 1786. Vgl. ein ähnliches Urteil des preußischen Großkanzlers Carmer an Pütter: „Der Kayser welcher ohne Eifersucht die vorzüglichste Maximen unserer StaatsVerfaßung nachzuahmen schon gewohnt ist, hat wie Ewr, er läßt aber alle bisherige Rechte und Ver//fassungen in den Provinzen gäntzlich außer acht, und haut den Knoten, welcher ihm in Wege kommt, ohne an deßen Auflösung zu dencken gerade durch. Was für Unbilligkeiten und Beleidigungen der Rechte für manche Bürger des Staats aus dergleichen Despotischen Verfahren notwendig gewiß erfolgen müßen, ist leicht vorauszusehen. Unsere Brandenburger haben zuviel Muth, als daß sie sich auf diese Art sollen behandeln laßen. Ich empfehle mich zu beständiger Freundschaft und verharre mit der vollkommensten Hochachtung Ewr: Wohlgebohren ergebenster Diener v. Carmer Berlin den 12ten Februar 1787.“ 120 S. 46 f. 121 S. 21 ff. 119

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Auch der Einwand, daß ein uneingeschränkter Monarch zu einer gerechten Gesetzgebung unfähig sei, weil er die Staatsräson über das Recht stelle, wird nicht mehr aufrechterhalten, vielmehr wird auf Friedrich Wilhelms Gerechtigkeitsliebe verwiesen. Der vorgelegte Entwurf sei nicht schlechterdings verfehlt, sondern nur mangelhaft, weil er bestimmte Forderungen nicht beachte. Zu ihnen gehöre die Trennung der Zivilgesetze von der Staatsverfassung und den Regierungsgesetzen, einschließlich der Strafgesetze, und die Anordnung der Bestimmungen, was ein Stand sei und wie er erworben und verloren werde, gleich am Anfang eines Zivilgesetzbuchs. Die Forderungen werden beständig wiederholt, eine Begründung bleibt jedoch aus. Wer – mit Kant – die Möglichkeit einer allgemeinen Übereinstimmung über eine inhaltliche Moral und eine konkrete Rechtsordnung verneint, begründet die Entstehung der menschlichen Positivgesetze, sonderlich der Zivilgesetze nicht, da aus dem Mangel weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit des positivrechtlichen Ersatzes folgt. Schlosser belastet seine schwache Argumentation zusätzlich dadurch, daß er sich mit ihr auch gegen die Ausstellungen eines Rezensenten über sein Buch zu Shaftesbury zu verteidigen sucht. Daß die Überzeugungen einer jeden Nation von Recht und Unrecht allein durch die positiven, von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit unterschiedlichen Gesetze bestimmt werden, bleibt ein bloße Behauptung, die weder das Fortdauern der ethischen und naturrechtlichen Frage gegenüber den positiven Sitten- und Rechtsordnungen unterdrücken, noch die Verbindlichkeit der gegebenen Gesetze122 begründen kann. Wenn Schlosser dem Gesetzgeber rät, sich im Rahmen der bisher üblichen, von dem größten Teil der Nation gebilligten Rechtsüberzeugungen zu halten,123 weil er nur dann Erfolg haben könne,124 hält er die möglichen Konflikte zwar gering, muß aber dafür die vorhandenen kulturell und historisch gewachsenen Rechtsüberzeugungen für letztverbindlich erklären und das gesetzte Recht auf eine untergeordnete klarstellende Funktion beschränken und sieht sich sogleich dazu gezwungen, dem positiven Gesetz auch eine Verbindlichkeit zuzuerkennen, die „den Grundsätzen der natürlichen Billigkeit, wie der Menschenverstand sie einsieht,125 widerspricht.“

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Bindung kraft Zwanges oder kraft Anerkennung, oder kraft beider. Ebd. Das führt in einen Zirkel, die positiven Gesetze begründen die Rechtsüberzeugung, die Rechtsüberzeugung die positiven Gesetze: mit anderen Worten, es gilt, was gilt. Dieser Zirkel bleibt weit hinter Hegels Satz von der Wirklichkeit des Vernünftigen und der Vernünftigkeit des Wirklichen zurück. 124 Wohl im Sinne der Anerkennung. 125 Insgeheim, wie alle Positivisten, führt Schlosser dann doch ein absolutes naturrechtliches Kriterium ein, um es gleich wieder zu verlassen, und dann noch einmal und noch verdeckter und noch inhaltsloser wieder einzuführen: „Schadet das wenig.“ Denn dazu muß der Schaden einen verbindlichen Maßstab für das positive Recht abgeben. 123

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Die dafür gegebene utilitaristische Begründung, „wenn nur das Gesetz selbst zuverlässig, und nicht in seiner Anwendung eben so zufällig ist, als es vielleicht in seiner ersten Festsetzung war, so schadet das wenig“,126 weil, wie er ausführt, sich die Nachteile immer wieder ausglichen, ist in sich nicht nachvollziehbar127 und unzureichend. Nicht nachvollziehbar ist auch, warum das Zivilgesetzbuch vom Polizei- und Strafrecht abzugrenzen ist.128 Zwar kündigt Schlosser an, er wolle zwei Ursachen dafür129 angeben, tatsächlich aber weist er nur darauf hin, im Zivilrecht komme es prinzipiell nicht,130 im Straf- und Polizeirecht ganz wesentlich, wenn nicht allein,131 auf die Gesinnung an, ohne zu erklären, warum das eine Trennung der Gesetzbücher nötig macht. Im Gegenteil räumt er gleich darauf ein, weder die Funktionen noch die Regelungen des Zivil-, Straf und Polizeirechts ließen sich streng trennen.132 Letztlich flieht er in eine Beschwörung: „Indessen bleiben doch immer,133 beides, die Civil=Gesetzgebung, und die Strafgesetzgebung in der Hauptsache soweit unterschieden, daß, da ihre Entscheidungen aus verschiednen Gründen, auf verschiedene Zwecke gehen, sie nie mit einander vereinigt werden können, ohne den Gesichtspunkt einer jeden, und also, der ganzen Gesetzgebung zu verrücken.“134

126 Ebd. S. 107. Das Zitat beweist, daß sich Schlosser zu Recht brüstet, kein Aufklärer zu sein. Obwohl er eben das Naturrecht verworfen hat, führt er es sogleich wieder ein, zunächst noch, indem er von Grundsätzen der natürlichen Billigkeit spricht, wie der Menschenverstand sie einsieht, und indem er den Widerspruch für unbeachtlich erklärt. Am Ende des Satzes jedoch mißt er die Gesetzgebung schon wieder an seinen naturrechtlichen Prinzipien (schadet das wenig) und verlangt später sogar, die Warnung Glafeys in den Wind schlagend, in den Gerichtshöfen unmittelbar nach dem Vernunftrecht zu sprechen, ohne dessen zuvor konstatierte heillose Ungewißheit noch nur zu erwähnen. 127 Wenn man etwa an ständische oder geschlechtliche Differenzen denkt, auf die Schlosser wohlweislich nicht eingeht. 128 Kantisch gesprochen: die Freiheit des einen mit der der anderen zu einem System zu vereinigen. 129 S. 108. Tatsächlich ist nur ein unterscheidendes Element, aber kein Grund für die Notwendigkeit der Unterscheidung genannt. 130 Das wird auf S. 111 wieder zurückgenommen. 131 Das wird mehr behauptet als ernstgenommen. 132 Tatsächlich grenzen auch Straf- und Polizeigesetze als Schutzgesetze die Handlungsräume der Einzelnen ab. Und selbst die Genehmigung, die privaten Vorhaben ihre polizeirechtliche Unbedenklichkeit bescheinigen soll, kann zugleich dem Schutz von Freiheit und Eigentum des anderen dienen. 133 Damit begründet Schlosser, der eben noch Filangieri „affectirte Gelehrsamkeit, Unbedachtsamkeit und Geschwätzigkeit“ vorgeworfen hatte (S. 110), die Trennung von Zivil- und Strafrecht allein durch petitio principii. Tatsächlich mag es gute Gründe für die Trennung geben, Schlosser weist sie nicht auf. 134 S. 112 f.

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Schlosser gesteht dem Staat zu, sich neben der Gewährleistung der subjektiven Rechte der Bürger untereinander, weitere Zwecke zu setzen, die unter dem vielsinnigen Wort „gemeines Wohl“ zusammengefaßt werden können,135 wie Jagd, Eroberung, Verteidigung, Seeräuberei, mißt aber augenscheinlich dem Rechtszweck Vorrang bei. Eine nachvollziehbare Begründung des Vorrangs, die letztlich überpositiv sein müßte, ist aber nicht zu erkennen. Damit bleibt auch die Forderung unbegründet, die auf die anderen Zwecke gerichteten ,Regierungsgesetze‘136 von den Zivilgesetzen zu trennen. Wenn die Mittel zur Erreichung des Gemeinwohls, und wohl auch die Inhalte, die mit dem Gemeinwohl verbunden sind, mit „dem Lauf der Zeit flucktuiren“137 und daher nicht dauerhaft sind, gilt für das Zivilrecht prinzipiell nichts anderes, sofern sie nicht einen unveränderlichen Kern haben. Und die Gefahr, daß Regelungen „mißbraucht werden, um das Civilgesetzbuch seiner Zuverläßigkeit und Festigkeit in der Anwendung zu berauben“,138 wird prima vista durch die Trennung oder Vermischung von Regierungs- und Zivilgesetzen nicht größer oder geringer, davon abgesehen, daß Worte wie „Mißbrauch, Zuverlässigkeit und Festigkeit“ auf von der positiven Gesetzgebung unabhängige Werthaltungen verweisen, die es dem Ansatz zufolge gerade nicht geben könnte. Darüber hinaus beläßt es Schlosser mehr oder minder im Dunkeln, wie die Trennung zwischen Zivil- und Regierungsgesetzen zu gewährleisten wäre. Die Erwägung, den Zivilgesetzen einen Vorrang einzuräumen, weist er sogleich zurück und verwirft es eben so schnell als nicht praktikabel, den Staat auf den Rechtszweck zu beschränken. Letztlich werde es „nicht möglich seyn, den Civilcodex von dem Regierungscodex so entfernt zu halten, daß jener von diesem nicht täglich Einbrüche und Eingriffe 135 Die Beispiele sind in polemischer Absicht gewählt, als einzige ,vernünftige‘ Staatsaufgabe – neben der Garantie von Recht und Sicherheit – kam nur das ,Gemeinwohl‘ in Betracht. Auch insofern gibt es gute Gründe zwischen der Verfolgung des Rechtszwecks und des gemeinen Wohls zu unterscheiden, sie darzulegen erfordert aber mehr Anstrengung als bei der Seeräuberei. 136 Gebräuchlich war dafür der Begriff ,Polizei‘. 137 Das ist kein zureichendes Argument. Vor allem scheinen die Ziele zu fluktuieren. Überdies wird mit der größten Selbstverständlichkeit unterstellt, daß trotz der ebenfalls steter Veränderung unterliegender Rechtsauffassungen zumindest das Zivilrecht gleichsam ewige Geltung zu beanspruchen hat. Dauerhaftigkeit der Regeln auf der einen und ihre Fluktuation auf der anderen Seite sind jedenfalls für Schlosser das ausschlaggebende Motiv für die Absonderung des Strafrechts vom Zivilrecht; vgl. S. 140. 138 S. 115. Eine Begründung ist das kaum. Warum eine Regierungsgesetzgebung ein derartiges Ziel verfolgen sollte und unter welchen – etwa naturrechtlichen – Maßstäben die aus Gründen des Gemeinwohls angestrebte oder nur zufällig eintretende Einschränkung des Zivilrechts durch Regierungsgesetze als Mißbrauch anzusehen ist, bleibt offen. Da Mißbrauch der Gesetzgebung immer möglich ist, müßte zumindest angedeutet sein, daß er bei Gelegenheit der Zivilgesetzgebung weniger wahrscheinlich ist und daß die äußerliche Trennung der Regierungsgesetz von den Zivilgesetzen die Verfolgung und Verwirklichung der mißbräuchlichen Absicht ausschließt oder wenigstens erschwert. Dazu gibt Schlosser aber keine Auskunft.

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zu besorgen hätte.“139 Wenn er gleichwohl darauf drängt, „doch die innere Form des Civilcodex einigermassen rein zu erhalten“ und wenigstens zu verhindern, „daß keins von den Gesetzen, die unmittelbar auf das gemeine Wohl gehen, in das Civilgesetzbuch einschleichen,“ geht es ihm allem Anschein nach darum, die Rechte der Individuen unter einander nach besonderen – formalen? naturrechtlichen? – Kriterien abzugrenzen und diese Kriterien von solchen getrennt zuhalten, die die Rechte des Individuums zugunsten des Gemeinwohls beschränken. Das macht er aber nicht deutlich, sondern beruft sich statt dessen auf den guten Geist des Zivilrechts.140 Ganz in Trivialität versinken die anschließend den Großen gestellten Aufgaben141 und die Behauptung, eine Kodifikationsabsicht beweise, daß sie nicht bereit seien, ihnen zu gehorchen.142 Mit seiner Forderung, die innere Staatskonstitution vom Zivilgesetzbuch fernzuhalten, hat Schlosser die Kritik an der Aufnahme staatsrechtlicher Bestimmungen in EAGB und AGB vorbereitet.143 Sein Begriff der Staatsverfassung bleibt freilich blaß: Sie ermächtige den Regenten zur Gesetzgebung und zur Erwirkung des Gemeinwohls, habe mehr die Natur eines Vertrages und werde bei allen anderen Gesetzen vorausgesetzt. Entgegen seinem prinzipiellen Bekenntnis zur Positivität allen Rechts entnimmt er jedenfalls zum Schluß weder der positiven Staatsverfassung noch der ständischen Ordnung oder einer faktisch vorhandenen, positiven gemeinsamen Rechtsüberzeugung das Maß der Gesetzgebung, sondern einer diffus bleibenden Natur der Sache, deren nähere Entfaltung ein Platozitat ersetzt und deren Verbind139

S. 116. S. 118. 141 S. 116 f. 142 S. 117. 143 Eine entsprechende Kritik findet sich allerdings auch in der anonymen Preisschrift Natura duce eundem 07.38.0002–0173, Blatt 37 und in anderen Monita. Zum Problem der Aufnahme staatsrechtlicher Vorschriften s. Anm. zum EAGB 1. Teil 3 Abteilung 1. Titel „Von den Rechten und Pflichten des Staats überhaupt“: „Die allgemeinen Grundsätze, von den Rechten und Pflichten des Staats gegen die Bürger, sind in der Einleitung §. 50 = 60. vorgetragen. Die nähern Bestimmungen der Verhältnisse, zwischen dem Oberhaupt des Staats, und seinen Unterthanen, machen eigentlich das innere Staats=Recht der preußischen Monarchie aus, und gehören, als solche, nicht in das gegenwärtige Gesetzbuch. Es giebt aber unter diesen Verhältnissen einige, die auf den Privatzustand einzelner Bürger unmittelbare Beziehung haben, und wonach die Folgen ihrer Handlungen, in vorkommenden Fällen, von dem Richter bestimmt werden müssen. Es giebt andre, bey denen der Staat sich nur der Rechte der Privat= Personen bedient, und seine daraus entspringende einzelne Befugnisse oder Obliegenheiten, gegen seine Bürger, der Erörterung und Entscheidung der von ihm geordneten Richter=Stühle unterworfen hat. Es giebt endlich Rechte, welche der Staat einigen seiner Bürger zu übertragen pflegt, und woraus also zwischen diesen und andern Privat=Personen, Rechte und Pflichten entstehen können. Dergleichen Verhältnisse machen unstreitig einen Gegenstand der bürgerlichen Gesetzgebung aus, und sollen daher in dieser dritten Abtheilung des Personen=Rechts vorgetragen werden.“ Schwennicke S. 71 ff. m. w. Nachw. 140

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lichkeit er gleich wieder zurücknimmt: „Die Civilgesetzgebung, welche wahre Gesetze144 gibt, berechtigt den Regenten im Grund nicht,145 neue Gesetze zu machen. Sondern da, wie Plato richtig sagt, das Gesetz nichts anders ist, als ein Satz, der das Wesen und die Verhältnisse der Dinge angibt, wie sie sind; der Mensch aber nicht immer versteht, was die Gesetze dieser Art sagen:146 so soll im Grund der Civilgesetzgeber nur der seyn, welcher dieses Verhältniß so erklärt, daß alle Menschen dasselbe verstehen, und seine Authorität soll sich nicht anmaßen, die Dinge und deren Verhältnisse zu machen, sondern er soll nur deren Erklärung nach seiner besten Einsicht angeben; zufrieden, daß diese für Wahrheit gelten müsse.“147 Gleich darauf erkennt Schlosser dem Gesetzgeber die Macht zu, neue Verhältnisse zu schaffen, welche denen der Natur widersprechen.148 Die Schaffung eines Standes mit besonderen Rechten und Pflichten halte sich im Rahmen des Zivilrechts. Das Zivilgesetzbuch schließe daher Bestimmungen, die die natürliche Gleichheit149 der Menschen aufheben, keineswegs aus, notwendig sei es nur, „den Stand, der verschiedene Rechte geben soll, nach seinem Wesen, seinem Anfang und Ende genau bestimmen“.150 Eine Regelung, die unmittelbar das gemeine Wohl bezwecke, gebe dem dadurch Begünstigten dagegen nur eine rechtlich nicht gesicherte, jederzeit rücknehmbare Rechtsstellung und gehöre den Regierungsgesetzen zu. Daraus folgt, daß es Schlosser weniger um die Trennung von Gesetzbüchern, als um die Unterscheidung von justiziablen und rechtlich gesicherten subjektiven Rechten von Befugnissen und Vorzügen geht, die teils mit keiner gesicherten Rechtsstellung verbunden sind und daher nicht vor Gericht verfolgt und verteidigt werden können,151 teils als iura legibus soluta nicht zum Gegenstand einer gerichtliche Klage gemacht werden dürfen.152 Den letzteren scheint er so144 Das führt einen Maßstab ein, der letztlich wohl nur vernunftrechtlich auszufüllen wäre. 145 Den Anschein, als solle die Zivilgesetzgebung sich selbst berechtigen, mag man nur der sprachlichen Schludrigkeit zurechnen, die bei Goethes Schwager allerdings schärfer ins Auge fällt, er ist freilich ein Hinweis auf logische Unklarheit. Die Floskel ,im Grund‘ deutet auf Unschärfe. Als Begründung bleibt nur die Autorität Platos; sie verweist freilich auf die Ideen und damit auf ein ewiges Naturrecht, daß der Philosophenkönig in die Wirklichkeit umsetzt. Schlosser glaubt vermutlich so wenig wie Kant an den roi philosophe, dann ist der Bezug auf Platon aber verfehlt. 146 Offenbar gibt es danach nicht nur die faktische Rechtsüberzeugung, sondern ein ihr zugrundeliegendes Recht, daß in sie aber nicht notwendig eingeht, sondern durch eine wiederum nicht notwendig richtige gesetzliche Klarstellung. 147 S. 120. 148 S. 122. 149 Es wird nicht klar, ob es dabei um eine naturrechtliche verbindliche Kategorie handelt, oder bloß um eine Abstraktion. 150 S. 132. Möglicherweise suchte das AGB/ALR diese Forderung in Teil I Titel I §§ 1 ff. einzulösen. 151 Ansprüche, die im eigenen Namen bzw. aus eigenem Recht geltend gemacht werden können, gehörten dem Zivilrecht zu, Rechte, die im Namen des Staats ausge-

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gar die staatliche Strafbefugnis zuzurechnen. Die Einordnung der unterschiedlichen Regelungen in getrennte Gesetzbücher dient nur dazu, dem Richter ein eindeutiges Merkmal seiner Kompetenz zu geben und den Gesetzgeber zu der Entscheidung zu zwingen, ob er ein dauerhaftes Recht, eine ungesicherte Ausnahme, eine Hoheitsbefugnis oder ein Standesvorrecht des Regenten schaffen will. Die Verfasser des EAGB wollten das Gesetzbuch ebenfalls auf das Recht beschränken, das im Prozeß relevant werden konnte. Da sie aber keinen umfassenden Kodifikationsauftrag hatten, mußten sie eine pragmatische Lösung suchen, die die gerichtliche Entscheidung in jedem Fall ermöglichte. Sie hatten daher lange Debatten um die Aufnahme von Regelungen geführt, die wegen ihrer Zugehörigkeit zum Staatsrecht nicht unmittelbar Grundlage einer gerichtlichen Klage, aber doch für die gerichtliche Entscheidung präjudiziell werden konnten. Auch ohne Schlossers Vorstellung zu teilen, das Strafrecht sichere keine subjektiven Individualrechte, sondern verfolge lediglich polizeiliche Staatszwecke, insbesondere sei seine Anwendung nicht originär Gegenstand der Gerichtsbarkeit, war sie über seine Aufnahme uneinig gewesen.153 Im übrigen wollte Schlosser selbst die Staatsverfassung in einer gesonderten Einleitung dem Allgemeinen Gesetzbuch vorwegsetzen, vielleicht auch deswegen, weil das Corpus iuris selbst eine Reihe vor Verfassungsfragen behandelte. Die konkrete Kritik des Entwurfs, die Schlosser unter der Überschrift: „Allgemeine Anmerkungen über den Entwurf des preußischen Gesetzbuchs, – Besondere über die §§ der Einleitung – Begriff des Rechts – Versuch einer Einleitung nach meinen Begriffen“ im dritten Brief154 beginnt, ist vor den grundsätzlichen Überlegungen über die Gesetzgebung entstanden. Es spricht alles dafür, daß Schlosser unmittelbar nach der Veröffentlichung des ersten Stücks des Entwurfs im April 1784 zunächst wie viele andere, durch die Vorerinnerung angeregt, damit angefangen hatte, Erinnerungen zum System und zu den einzelnen Vorschriften zu verfassen, um sich am Preisausschreiben zu beteiligen. Nach seinen eigenen Angaben orientiere sich seine Kritik „nach dem Sinn der öffentlichen Aufforderung“ und suche die vorgelegten Normen, „in Rücksicht auf ihre Deutlichkeit, Bestimmtheit und Vollständigkeit prüfen“. Er sei mit ihr – durch andere Geschäfte aufgehalten – nicht über die erste Abteilung des ersten Teils hinaus gekommen, das folgende habe er nur in seinen übt werden müßten, dem Staatsrecht und können jederzeit entschädigungslos entzogen werden. 152 Standesvorrechte des Regenten seien Gegenstand des Zivilrechts, seine staatsrechtlichen Befugnisse gehörten in die Regierungsgesetze und die Staatskonstitution. 153 Daß es keine subjektiven Ansprüche auf Unterlassung von Straftaten gibt, ist im übrigen ebenso evident, wie die Verknüpfung zivilrechtlicher Ansprüche mit dem Verstoß gegen strafrechtliche und polizeirechtliche Schutzgesetze. 154 S. 141.

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allgemeinen Abteilungen übersehen. Tatsächlich hat er allerdings nicht einmal die Auseinandersetzung mit ersten Titels beendet, sondern sie nach dem sechsten Abschnitt abgebrochen. Da Svarez ihn 1780 von der Ungeduld des Königs unterrichtet hatte und die Vorerinnerung enge Zeitvorgaben enthielt, konnte er 1784 nicht damit rechnen, durch einen wesentlich späteren Druck seiner Anmerkungen auf die Gesetzgebung noch einwirken zu können. Der äußerst produktive Schriftsteller hätte aber seine knapp bemessene Freizeit gewiß nicht für eine Kritik des Entwurfs verwendet, die er für sich behalten wollte. Erst als Schlosser die Auseinandersetzung mit dem Entwurf abbrach, dürfte er die Absicht aufgegeben haben, sich am Wettbewerb zu beteiligen. Zwar war es nach der Ausschreibung nicht ausgeschlossen, auch eine Teilkritik einzureichen, aber dazu war er wohl nicht bereit, vielleicht weil er die Gefahr eines Mißerfolgs voraussah und das seinem Selbstwertgefühl widersprach, wie es seine Reaktion auf den Mißerfolg im Mannheimer Preisausschreiben belegt. Er war aber augenscheinlich auch nicht dazu bereit, seine Erinnerungen einzusenden, ohne einen Preis zu beanspruchen. So blieben sie vorerst in seinem Schreibtisch verschlossen. Es entspricht dem Verfahren eines produktiven Schriftstellers, liegen gebliebene Manuskripte doch noch zu verwerten. Möglicherweise hat Schlosser daher bereits zur Zeit des Abbruchs daran gedacht, die investierte Arbeit in einer Veröffentlichung zu nutzen; vielleicht hat die Absicht aber auch erst kurz vor dem Erscheinen der Briefe gefaßt. Jedenfalls konnte die Teilkritik des Entwurfs für sich kaum einen Verkaufserfolg gewährleisten, sie konnte nur in einem größeren Rahmen verwertetet werden; diesen Rahmen konnte eine umfassende Gesetzgebungskritik bieten. Darüber hinaus bot die Veröffentlichung der Entwurfskritik auch die Chance, sich vom Verdacht der erfolglosen Beteiligung am Preisausschreiben zu befreien. Wie aus dem ersten Satz des ersten Briefs hervorgeht, war es zumindest im Freundeskreis bekannt geworden, daß Schlosser sich mit der Kritik des Entwurfs beschäftigt hatte. Die Apologie ist in geschickter Weise zweideutig: „Sie sind unrecht berichtet worden, mein Lieber, wenn man ihnen im Ernst gesagt hat, daß ich etwas über den Entwurf des Preußischen Gesetzbuchs geschrieben, und um die ausgesetzten Preise gerungen hätte.“155 Es war zwar richtig, daß Schlosser sich nicht am Preisausschreiben beteiligt hatte. Auch wenn sich mit Sicherheit nur ausschließen läßt, daß er einen Preis erhielt, fehlt jeder Hinweis, daß eine der nicht ausgezeichneten und daher anonym gebliebenen Preisschriften von ihm eingereicht wurde.156 Es war aber falsch, daß er nie etwas über den Entwurf geschrieben 155

S. 5 f. Da er in den Briefen die Kritik des Entwurfs nicht über den sechsten Abschnitt des ersten Titels vorantreibt, käme nur eine Einsendung zum Ersten Teil, Erste Abteilung, in Betracht. Ein – überschlägiger – Vergleich der anonymen Monita und Preisschriften mit Schlossers Ausstellungen hat keine signifikante Übereinstimmung erkennen lassen. 156

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hatte. Tatsächlich gibt er das auch unmittelbar danach zu, in dem er begründet, warum er die fertiggestellten Bemerkungen zum ersten Teil nicht eingesandt habe. Aber auch die Begründung selbst ist dubios. Wer es für unangemessen hielt, etwas für eine Prämie zu tun, „was an sich, so herablassend, so weis, und aus so guter Absicht gefodert wurde, und was ich von selbst so gern gethan hätte“,157 legte der Vorerinnerung zufolge seine Monita dem Großkanzler unabhängig vom Preisausschreiben vor, wie viel andere selbstbewußte Gelehrte, darunter Darjes,158 ohne auf die Unvollständigkeit seiner Bemerkungen Rücksicht zu nehmen. Ob Schlosser, wie er behauptet, aus Zeitmangel die Prüfung abbrechen mußte, oder sich während der Prüfung ein grundsätzlicher Widerwille gegen den Entwurf und die mit ihm verbundenen durchgängige Vergesetzlichung des Rechts ergriff, mag dahinstehen. Jedenfalls ist – wie Klein zu Recht feststellt – seine Einzelkritik durch und durch negativ gestimmt. Schlosser war das nicht entgangen, er suchte sich mit der gebotenen Strenge der Kritik zu rechtfertigen: „Ich werde Ihnen bei dieser Prüfung freilich manchmal zu chicaniren scheinen; aber erinnern sie sich, daß eben diese Prüfung angestellt werden soll, um zu sehen, wie Gesetz chicanirt werden können.“ Das konnte den verächtlichen Ton kaum entschuldigen. Wenn „die Absicht der Preußischen Gesetzgebung unstreitig so rein und edel“ war, „daß niemand daran etwas auszusetzen haben wird“,159 war es vielmehr eine Ehrenpflicht, „zur Vervollkommnung eines für eine ganze Nation so äußerst wichtigen Werkes beyzutragen“; und tatsächlich hatten sich zahlreiche Gelehrte des In- und Auslandes uneigennützig an der preußischen Gesetzgebung beteiligt. Mußte sie „verfehlt werden“, weil „die Zeit“ ihr „nicht günstig“ war, war alle Anstrengung fruchtlos. Ein Grund, diejenigen dünkelhaft herabzusetzen, die sie weisungsgemäß gleichwohl unternommen hatten, bestand jedoch auch in diesem Falle nicht. Selbst wenn „ihre Ausführung“ in Gestalt des gedruckten Entwurfs unzulänglich war, gab es keinen Anlaß für eine polemische Schelte, hatten doch die preußischen „Nomographen“ die Unvollkommenheit ihrer Arbeit eingeräumt und das Publikum um kritische Unterstützung gebeten und durch ein Preisausschreiben zur Vorbringung von Ausstellungen ermuntert. Polemik war ein Mittel von Autoren, um den Absatz zu fördern.160 Schlosser hat sie vielfach dazu eingesetzt. Sie kann 157

Vgl. S. 7 f. „Von Männern, wie ich sie zu Beurtheilern wünsche, darf ich erwarten: daß schon der Gedanke, zur Vervollkommnung eines für eine ganze Nation so äußerst wichtigen Werkes beyzutragen, hinlänglicher Trieb und Aufmunterung für sie seyn werde. Da es aber dennoch unter ihnen einige geben kann, welche die Stunden, die sie der Prüfung des Entwurfs wiedmen wollen, andern Geschäften, die ihnen ihr Auskommen gewähren, entziehn müssen; so ist es billig, daß ihnen dafür einige Schadloßhaltung angebothen werde. Es wird also hiermit eine doppelte Prämie für diejenigen ausgesetzt, die ihre Kenntnisse und Bemühungen auf eine gründliche Prüfung des gegenwärtigen Entwurfs zu verwenden geneigt sind.“ 159 So nach der Vorerinnerung Schlossers, S. I. 160 So von Bahrdt, der von seiner Schriftstellerei leben mußte. 158

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aber auch Ausdruck des Mißmuts sein. Auch das paßt auf Schlosser, der sich wie kein anderer für die Gesetzgebung berufen ansah und es Carmer und Svarez nachtrug, 1780 nicht auf seinen Vorschlag eingegangen zu sein. Erklärt die latente Mißstimmung161 den Ton, auf den Schlosser seine Einzelkritik gestimmt hatte, begründet sie nicht, was Schlosser kurz vor dem erwarteten revolutionären Staatsumbau in Frankreich dazu veranlaßt, die Zeit für die Gesetzgebung zu verneinen. Zwar desavouierte er damit seine – in den ,Briefen‘ verschwiegene – anfängliche Bereitschaft, maßgebend an der Erarbeitung des Allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten mitzuwirken, und die von ihm begonnene Einzelkritik nicht gänzlich, denn er gestand ja zu, für Preußen könnten besondere Bedingungen gelten. Dennoch zeigt sich darin ein Sinneswandel. Wenn es nicht allein die sauren Trauben waren, dürfte Schlosser dazu durch Filangieri wie Beccaria gekommen sein, die von der Gesetzgebung des egalitär-absolutistischen Staates den Schutz vor richterlicher Willkür erwarteten; denn er suchte mit Montesquieu das Heil nicht im durchorganisierten Staat, sondern in einer – real nicht vorhandenen – noch zu konstituierenden feudalen bzw. ständisch gegliederten Gesellschaftsordnung. Er wollte zudem die Richter vor der Unterwerfung unter das Gesetz bewahren und die absolute Herrschaft des durchrationalisierten Gesetzes über das Recht verhindern. Zwar sind seine Bedenken gegen den Beruf seiner Zeit zur Gesetzgebung wenig substantiiert. Es läßt sich nicht einmal ausschließen, daß seine – von Anfang an vorhandene – Mißstimmung im zunehmenden Fortgange der Einzelkritik in prinzipiellen Widerwillen gegen das Gesetzbuch und die Gesetzgebung überhaupt umschlug, den er durch seine Kritik an Filangieri zu rationalisieren versuchte. Die im dritten162 und vierten Brief163 vorgelegte Einzelkritik des Entwurfs geht nicht über die Einleitung und sechs Abschnitte des ersten Titels der Ersten Abteilung des Ersten Teils hinaus, die seit fünf Jahren gedruckt vorlagen. Schon daß Schlosser sie begonnen hat, ist ein Indiz dafür, daß er zunächst die Zeit nicht für unreif hielt, eine Gesetzgebung zu unternehmen, sondern den Entwurf nur als verbesserungsbedürftig ansah. Nicht einmal der erste Abschnitt der Einleitung über ,die Gesetze überhaupt‘ gab ihm den Anlaß, die Möglichkeit einer Verbesserung des Rechts durch Gesetzgebung schlechthin und besonders in der gegenwärtigen Zeit in Frage zustellen; jedenfalls geht er bei dessen Kritik – noch nicht oder nicht mehr – darauf ein. Die Auseinandersetzung mit dem Eherecht, das kaum römischrechtlich, sondern – wo nicht kanonisch – ,deutschrechtlich‘ geprägt war, gestattete die Geltendmachung von prinzipiellen Zweifeln an der Gesetzgebung nicht mehr. Jedenfalls unterscheidet sich die Ein161 162 163

Klein spricht von einer üblen, spöttischen Laune. S. 141 ff. S. 262 ff.

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zelkritik Schlossers im Grundsatz nicht von den Erinnerungen anderer Monenten. Sie gibt allerdings den ständischen Interessen besonderen Raum und ist auch insofern atypisch konservativ, als sie der Verbesserung der Rechtsstellung der Frauen scharf entgegentritt. Im übrigen geraten die Monita Schlossers selbst da, wo sie der Sache nach plausibel sind, zum Pamphlet, das im Drang, die vorliegende Arbeit herabzusetzen, die Chance verringert, Einfluß auf Carmer und seine Mitarbeiter zu nehmen. Schlosser suchte dagegen Halt beim preußischen König, dessen Gerechtigkeitssinn er immer wieder lobt und dessen Mißtrauen in die Berliner Nomographen er zu wecken sucht, als habe er die Hoffnung, von ihm doch noch zum Mitarbeiter bei der preußischen Gesetzgebung berufen zu werden. Auf die Detailkritik der Einleitung und deren Einfluß auf die Umarbeitung des Entwurfs zum Allgemeinen Gesetzbuch soll weiter unten eingegangen werden. Das allgemeine Urteil über die Einleitung geht dahin, „daß sie mir weder dem Philosophen, noch dem Rechtsgelehrten, noch dem gemeinen Mann, für den doch das Gesetzbuch seyn soll, Genüge zu leisten scheint.“164 Der Jurist werde auf sie nur zurückgreifen, wo er um andere Gründe verlegen wäre. An die Philosophen habe man gar nicht gedacht, obwohl ohne Hilfe der Philosophie – genannt werden Montesquieu, Machiavelli, Hobbes, Bodin, Aristoteles und Platon – die Gesetze dem gemeinen Mann nicht faßlich gemacht werden könnten. Die Einleitung habe dem Publikum die Einsicht über das Wesen des positiven Rechts zu vermitteln: Unter Recht sei die subjektive Berechtigung und die ihr entsprechende Verpflichtung zu verstehen,165 es erfordere Übereinstimmung zwischen diesen. Zwar könne vorausgesetzt werden, daß alle Menschen über das Recht auf Unterlassung von Angriffen auf Leben und Eigentum, soweit das letztere überhaupt anerkannt werde, wie auf Vertragserfüllung einer Meinung seien; ganz gewiß sei nicht einmal das. Das positive Gesetz habe die Aufgabe, die kontingenten Rechtsauffassungen als notwendig festzusetzen und durch Sanktion wirksam zu machen. Demgemäß versucht Schlosser seine Einleitung zu formulieren.166 Es sei ein Staatsgesetzbuch, ein bürgerliches Gesetzbuch, ein Regierungsgesetzbuch und ein Strafgesetzbuch. Das Staatsgesetzbuch will er in den zweiten Teil der Einleitung zum Allgemeinen Gesetzbuch ausnehmen. Sie solle sagen, daß allein der König, und zwar nach Belieben, zur Gesetzgebung befugt und von den Gesetzen ausgenommen sei, andere von ihnen privilegieren könne; daß er sich die Interpretation seiner Gesetze bei offenbarer Dunkelheit und Unverständlichkeit vorbehalte, wie Gesetz bekannt zu machen seien, daß keinem Gesetz rückwirkende Kraft zukomme, wie Gesetze außer Kraft treten, schließlich erklären, daß das Gewohnheitsrecht in Kraft bleibe 164 165 166

S. 231. S. 233. S. 246–255.

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und die natürliche Billigkeit und das Recht der Vernunft lückenausfüllend heranzuziehen seien. Darauf läßt er eine besondere Einleitung in das Bürgerliche Gesetzbuch folgen.167 Der vierte Brief „Allgemeine Ordnung der Gegenstände des bürgerlichen Gesetzbuchs nach meinen Grundsätzen. --- Besondere Bemerkungen zu den §. §. des ersten Theils des Entw. von §. 1.---236. Vergleichung des Entwurfs mit der königl. Cabinets=Ordre.“ setzt sich mit einem Bruchteil des Eherechts (I. Teil I. Abteilung I. Titel) auseinander. Die anfänglich zum dritten Mal wiederholte Forderung, zunächst die Stände zu definieren und die Prinzipien anzugeben, nach denen die Standeseigenschaft erworben wird,168 und später die standesbedingten Unterschiede in der Rechtsfolge als Ausnahmen vom allgemeinen Prinzip im Zusammenhang der Sache zu behandeln, insinuiert, daß der Entwurf einem wesentlich anderen System gefolgt sei. Im Kern geht es um die Placierung des Handelsrechts, das Schlosser mit guten Gründen dem allgemeinen Zivilrechts zuteilen will.169 Es war daher erklärlich, daß Klein scharf reagierte. Um so mehr verdient es Bewunderung, daß er bei der Neufassung der Einleitung erfolgreich zahlreiche Änderungen vorschlug, die Schlossers Einwendungen Rechnung trugen, ohne sich auf diesen zu beziehen. Hinzuweisen ist darauf, daß Schlosser sich vordergründig auch mit seiner Warnung vor einer abrupten Beseitigung des partikularen Gesetzes- und Gewohnheitsrechts durchsetzte, da infolge des Ausbleibens der Provinzialgesetzbücher die angestrebte Vergesetzlichung des Rechts nicht zu Ende kam. Freilich bestätigte sich endlich doch Kleins Voraussicht, wonach die ungeschriebenen Sonderrechte mangels Kenntnis der Richter dem Untergang preisgegeben seien, so daß sich in der Folge das allgemeine Gesetzesrecht trotz der Subsidiaritätsklausel gerade in den Landschaften durchsetze, die kein Provinzialgesetzbuch hervorbrachten.170 Ein anderes war es, daß sich die universitäre Rechtswissenschaft bei ihrer Absage an die Gesetzgebung auf Schlosser berief, sich vom Gesetzesrecht abgewandt und auf die Bearbeitung des Römischen Rechts konzentrierte. Schlossers Hauptvorwurf gegen die Festschreibung des gemeinen Wohls als Staatszweck ist die vorgebliche Offenheit des Begriffs, die es dem Staat, vorwiegend in Person des Monarchen, erlaube, nahezu jeden Eingriff mit dem Hinweis auf das Gemeinwohlinteresse zu rechtfertigen.

167

Vgl. zu ihr S. 255–260. S. 262; vgl. hierzu I I §§ 6 ff. AGB/ALR. 169 Tatsächlich geht es nicht um ein besonderes Recht der Stadtbürger, sondern ein besonderes Zivilrecht. 170 Die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts erscheinenden Darstellungen der Provinzialrechte brachten nur eine geringe Abhilfe. 168

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Die solchergestalt simplifizierte „Staats=Maschine“, werde sich „immer auf eine Seite drehen: nur Einer, der auf der Seite steht, wird“ aus dem See des gemeinen Wohls „schöpfen, nur Einer wird die Ingredienzen des gemeinen Wohls, nach seinem Geschmack mischen, alle anderen aber, werden nur zum drehen da seyn, und zum Ausfüllen der See, woraus der Eine schöpfen will!“171 Die Idee des gemeinen Besten diene dem Staat nicht, wenn „seine Konstitution sie nicht so fest hält, daß sie in ihrer eigenen wahren Gestalt in ihm realisiert werden müsse.“172 Schlossers Kritik nährt sich aus der Sorge, der absolutistische Staat seiner Zeit werde seine Gesetzgebung nicht zur Sicherung von Freiheit und Sicherheit, sondern zu ihrer Einschränkung im Interesse der Staatsräson nutzen. Da er kein Vertrauen in den öffentlichen rationalen Diskurs hat, kann Schlosser weder in der Aufklärung noch in der Pressefreiheit Grantien sehen. Die Antwort von Klein fällt sehr deutlich aus: „Alles, was Herr Schlosser gegen die Idee des gemeinen Wohls vorträgt beruhet auf dem Misbrauche derselben. Man darf aber einen Mann, wie er ist, nicht erst daran erinnern, daß eine Sache, die an sich gut ist, des Mißbrauchs wegen nicht verworfen werden dürfe.“173 Freiheit und gemeines Wohl könnten grundsätzlich nebeneinander bestehen; dort, wo sie ausnahmsweise kollidierten, müsse, der, „welcher das gemeine Wohl, als der, welcher die Gerechtigkeit zu handhaben hat, von dem Grundsatz ausgehen, daß so wenig als möglich, Zwang herrschen müsse; und daß dieser Zwang nur das Mittel sey, die Freiheit derer, welche davon rechten Gebrauch machen, gegen die Eingriffe der Uebrigen zu schützen. Der Zweck der Gesetze ist nicht, wie manche sich wohl vorstellen mögen, die Einsicht des Gesetzgebers den Bürgern des Staates aufzudringen (. . .).“174 Freilich füllt auch Klein den Begriff nicht positiv aus. Dazu besteht auch kein Anlaß: Ein feststehendes Gemeinwohlinteresse, das über den Bestand und die Sicherheit des Staates hinausgeht, ist schwer auszumachen. Vielmehr ist es im Einzelfall zu bestimmen, ebenso wie das Einzelinteresse, das sich gegen das Gemeinwohl durchsetzen soll. Die Frage ist virulent geblieben. Daß auch heute der Staat unter Berufung auf das gemeine Wohl das Einzelninteresse selbstverständlich beschränken kann, ist unter anderem in Art. 14 III S. 1 GG ausgesprochen.

171 172 173 174

Schlosser, S. 12. S. 121. Klein, Annalen, Bd. 4, S. 330. Ders., S. 334 f.

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Im Ganzen zeigt die Auseinandersetzung zwischen Schlosser und Klein besonders deutlich, daß der öffentliche Diskurs, dem Schlosser nicht traute, an dem er aber gleichwohl selbst teilnahm, das wesentliche Moment der ganzen Gesetzesreform ist. In diesem Moment liegt ihre Stärke und ihre Schwäche gleichermaßen, denn zum Ende sollten die Einwände der Kritiker den König zur Suspension bewegen, für welche die Ablehnung eines allgemeinwohlorientierten Staates allerdings nicht ausschlaggebend war, sofern ständische Vorbehalte existierten, waren sie nicht prinzipieller, sondern schlicht egoistischer Art. Danckelmann dagegen wandte sich gegen die Vergesetzlichung des Rechts, dessen Entfaltung er der Wissenschaft vorbehalten wollte, aber auch er lehnte den dem allgemeinen Wohl dienenden Staat nicht schlechterdings ab. Der einzige Widerpart war Schlosser. Aber er fand kein Gehör, die Suspension ist sicher nicht auf seine Kritik zurückzuführen. Darüber hinaus macht diese Auseinadersetzung die sehr wage Behauptung Diltheys plausibler. Zwar gibt er selbst keinen Hinweis, welche einzelnen Elemente des Wolffischen, sprich: preußischen, Naturrechts durch dessen Schule vermittelt wurden und wie sich jene Vermittlung trotz der von Svarez und Klein durchaus wahrgenommenen Kritik vollzogen haben könnte. Da aber die Definition des Staatszwecks im Sinne Wolffs in das AGB/ALR aufgenommen wurde und eine direkte Verbindung zwischen den Reformern und dem Hallischen Philosophen ausgeschlossen war, steht die Vermittlung fest. Die Männer, die sie vorgenommen haben sollen, heißen Nettelbladt und Darjes. Es wird zu untersuchen sein, welche Berechtigung dieses Urteil hat.

B. Kontext der Gesetzesreform Die Frage nach der Bedeutung von Darjes für die preußische Gesetzesreform setzt die Bedeutsamkeit der Reform voraus. Wodurch zeichnete sie sich aus? Wie ist der Kontext ihres Verlaufs zu verstehen, der gleichsam den Kontext und die Bedingungen der Darjesschen Rechtsgelehrsamkeit beschreibt – und in vermittelter Form auf die Kodifikation zum AGB/ALR wirkt, indem sich Darjes an ihr beteiligt? Die brandenburgisch-preußische Staatsbildung ist zwar gekennzeichnet durch „einen stetig fortschreitenden, bald rascher, bald langsamer sich vollziehenden Umbildungsprozeß, durch den ein Aggregat kleinstaatlicher, ständisch territorialer Sonderbildungen zu einer neuen einheitlichen großstaatlichen Organisation verschmolzen worden ist.“1 Jedoch war das Hauptmerkmal jenes Umbildungsprozesses die Vereinheitlichung der Finanz- und Armeeverwaltung.2 Das geltende Recht im Brandenburg-Preußen des 17. und 18. Jhrdts. blieb hingegen in jeder Hinsicht partikular.3 Räumlich war es auf einzelne Territorien beschränkt, personell auf einzelne Gruppen der Einwohner, gegenständlich auf bestimmte Rechtsgeschäfte.4 So verlief die Normhierachie umgekehrt, indem „dieser oder jener Satz [. . .] so lange die Entscheidungsnorm ausmache, als nicht das Recht kleinerer Destricte oder gar einzelner Orte in dieser Provinz ihm entgegenstehe und seine Anwendung in diesem Destrict oder Ort aufhebe.“5 Weder konnte das sogenannte Gemeine Recht, das nichts weniger als gemein zu nennen war, noch konnten die verschiedenen Landrechte des 16. und 17. Jhrdts.6 der dadurch entstehenden Konfusion abhelfen, wie der Großkanzler 1 Hintze, Behördenorganisation und allgemeine Verwaltung in Preußen beim Regierungsantritt Friedrich II., AB, Bd. 6, 1. Hälfte, Berlin 1901, S. 4. 2 Schmoller, Über Behördenorganisation, Amtswesen und Beamtenthum in Deutschland und Preußen bis 1713, AB, Bd. 1, Berlin 1894, S. 107. 3 Krause, Zur Geschichte der Kodifikationsbestrebungen in Preußen, in: Carl Gottlieb Svarez, Gesammelte Schriften, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Bd. 1, Erster Teil, Erste Abteilung, S. XVI. 4 Krause, S. XVII. 5 Hufeland, Giebt es ein allgemeines deutsches Privatrecht im juristischen Sinne?, in: Beyträge zur Berichtigung und Erweiterung der positiven Rechtswissenschaften, Jena 1792, S. 69. 6 Etwa das Churfürstlich Brandenburgische revidierte Landrecht von 1685 für das Herzogtum Preußen oder die aus dem Jahre 1595 stammende Landesordnung für

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Cocceji7 im „Eingang zum Land=Recht“ feststellt.8 Daher war bereits Mitte des 17. Jhrdts. der Ruf nach einem Recht erklungen, das erstens „klar und vaterländisch“ sein sollte, sich in einem „handlichen Büchlein“ zusammenfassen ließe und „aus allen Quellen“ schöpfe, „was daraus verwendbar“ – das übrige sei „beiseite“ zu legen.9 Zur Unklarheit des materiellen Rechts trat die mangelnde Ausbildung des Justizpersonals, die Uneinheitlichkeit des Instanzenzugs und das Verfahren der Aktenversendung, das die Verschleppung der Prozesse beförderte. Erste Reformanstrengungen unternahm Friedrich I., nachdem Leibniz im Mai 1700 Präsident der „Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften“ geworden war und sein Reformprogramm zur Verbesserung des Justizwesens und des Prozesses formuliert hatte; es ist als erstes Blatt den Akten des preußischen Justizdepartements beigefügt, die die Kammergerichtsordnung von 1709 verbreiten, und wurde 1778 anonym veröffentlicht.10 Indessen blieb der entsprechend ausgerichtete Auftrag Friedrichs an die Juristenfakultäten in Frankfurt und Halle folgenlos – vermutlich wegen des kleinen Zeitrahmens von sechs Monaten, die der König den Fakultäten gesetzt hatte.11 Brandenburg von Christian Diestelmeyer; Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 354–359. 7 Freiherr Samuel von Cocceji, geb. 1679, gest. 1755, Sohn des Naturrechtlers Heinrich v. Cocceji, seit 1704 Rat der Regierung zu Halberstadt, seit 1710 Direktor derselbigen, 1723 Präsident des Kammergerichts, 1727 Etats- und Kriegsminister, 1738 Chef de Justice, seit 1747 Großkanzler. 8 Project des Corporis Juris Fridericiani, das ist Sr. Königl. Majestät in Preussen in der Vernunft und Landes=Verfassungen gegründetes Landrecht, in der Verlegung des Mäysenhauses, 1749, Eingang zum Landrecht. „§. 3. Da aber in Teutschland das confuse Corpus Juris Romani [. . .] beybehalten worden; so haben nothwenig verschiedene Inconvenientzien daher entstehen müssen. §. 7. Diese Confusion ist noch dadurch vermehret worden, daß in einigen Unsern Landen das Jus Saxonicum, insonderheit in Processualibus, eingeführet worden, welches von dem Jure communi in vielen Fällen differirt. Dahero dann weitläufige Processe entstanden, in welchen Fällen das Jus Saxonicum und das Jus Civile statt finden solle. §. 8. Ueberdem hat eine jede Provinz, ja fast eine jede Stadt, besondere Willkühre und Statua vorgeschützet, welche denen Unterthanen mehrentheils unbekannt gewesen; dahero dann unzählige Streitigkeiten und Processe, ob und wie weit diese Statuta gelten sollen, nothwendig folgen müssen. §. 9. Hiezu kommt, daß die unzählige Menge der Edicten Unsere Unterthanen confus gemacht, weil es fast nicht möglich, so viele besondere Casus, die in denen Special-Edicten decidirt worden, und sich oft contradiciren, im Gedächtnis zu behalten.“ 9 Conring, De Origine Iuris Germanici Liber Unus. 3. Aufl., Helmstedt 1655, S. 243. 10 Abgedruckt von Johann Wilhelm Bernhard von Hymnen, Fortgesetzte Geschichte des Cammergerichts zu Berlin, mit untermischten Nachrichten von der Pr. Justizverfassung, in: Beyträge zu der juristischen Litteratur in den Preußischen Staaten, Zweyte Sammlung, Berlin 1778, S. 263–269. 11 Krause, S. XXII.

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Auch der von Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1714 erteilte Auftrag an die Hallische Juristenfakultät, sie möge Konstitutionen zu einem Landrecht für die Kurmark nach der „natürlichen Billigkeit“ formulieren, zeitigte keinen Erfolg.12 Die Gründe hierfür sind unklar, fest steht jedoch, daß die Fakultät dem Auftrag nachgekommen ist.13 Mit der Berufung Coccejis zum Chef de Justice im Jahre 1738 geht der erste Plan einher, ein besonderes Gesetzbuch für alle Preußischen Staaten zu verfertigen.14 Nachdem Friedrich Wilhelm I. von diesem Vorhaben wieder Abstand genommen hatte, legt Cocceji nach dem Thronwechsel 1740 dem neuen König Friedrich II. im Jahre 1746 einen „unvorgreiflichen Plan wegen Verbesserung der Justiz“ vor, der – in der Hauptsache noch auf Verbesserungen des Verfahrensrechts gerichtet – in das Projekt eines Corpus Juris Fridericianum einmündet.15 Auch dieser Versuch scheitert, nur der erste und zweite Teil gelangen zum Druck.16 Mit dem Tode Coccejis im Jahre 1755 erlahmen die Reformbestrebungen, der neue Großkanzler v. Fürst17 zeigte keine Ambitionen, das preußische Justizwesen im Ganzen und einheitlich zu reformieren, sondern hielt sich bei Detailfragen auf und bekämpfte schließlich erfolgreich den Entwurf zu einer allgemeinen Prozeßordnung des schlesischen Justizministers v. Carmer. Friedrich II., der den Auftrag zum Entwurf erteilt hatte, verhält sich in dieser Angelegenheit höchst seltsam, aber charakteristisch, denn statt die Sache nach der Ablehnung des ersten Entwurfs auf sich beruhen zu lassen, beauftragt er Carmer mit der weiteren Ausarbeitung des Entwurfs, nur um dem erneuten Widerstand des Großkanzlers auch nochmals nachzugeben – ein Beispiel für die 12 Abgedruckt bei Laspeyers, Die Reception des Römischen Rechts in der Mark Brandenburg und die Preußische Gesetzgebung von König Friedrich II., ZDR 6 (1841), S. 1, 88 ff. 13 Krause, XXIII; Buchda, Über die verlorenen hallischen Konstitutionen zum Landrecht für die Kurmark Brandenburg (1714), in: ZRG 69 (1952), S. 385. 14 Kabinettsorder vom 1. März 1738, mit der Cocceji bestellt und ihm der Auftrag erteilt wird, ein beständiges Landrecht zu schaffen. 15 Kabinettsorder vom 31. Dezember 1746 „ein deutsches allgemeines Landrecht, welches sich bloß auf die Vernunft und Landes=Verfassung gründet, zu verfertigen . . .“ 16 Project des Corporis Juris Fridericiani, das ist Sr. Königl. Majestät in Preussen in der Vernunft und Landes=Verfassungen gegründete Land=Recht, In der Verlegung des Waysenhauses, 1749: Personen- und Familienrecht; Zweyter Theil des Corporis Juris Fridericiani, das ist Sr. Königl. Majestät in Preussen in der Vernunft und Landes=Verfassungen gegründeten Land=Rechts, 1751: Sachen- und Erbrecht. 17 Carl Joseph Maximilian Freiherr von Fürst und Kupferberg, geb. 1717, gest. 1790, seit 1740 Geheimer Justiz- und Oberappellations-Gerichtsrat, 1755 zum Präsidenten des zweiten Senats des Kammergerichts in Berlin ernannt, seit 1763 erster Präsident desselben und Geheimer Etats- und Kriegsminister, Ernennung zum Großkanzler im Jahre 1770, Entlassung aus dem Amt im Jahre 1779 als Folge des berühmten Müller-Arnold-Prozesses.

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Hilflosigkeit und Abhängigkeit auch des noch so aufgeklärten und absoluten Monarchen gegenüber seinen Räten, wenn es sich um das Recht handelt, und es stellt eine bemerkenswerte Parallele zum Verhalten Friedrich Wilhelms II. bezüglich der Suspension des AGB dar. Erst nachdem der König die Gunst der Stunde genutzt, v. Fürst im Zuge der Auseinandersetzungen um den Müller-Arnold-Prozeß entlassen und durch Carmer ersetzt hatte, wird der Reformprozeß durch die Kabinettsordern vom 6. und 14. April 1780 wiederbelebt, allerdings mit der Maßgabe, für jede Provinz je ein eigenes Gesetzbuch und zusätzlich ein allgemeines subsidiarisches Gesetzbuch abzufassen.18 Dabei war der Auftrag darauf begrenzt, das geltende Recht zu kodifizieren, eine umfassende Neuschöpfung hatte Friedrich nicht im Sinn.19

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Kabinettsorder vom 6. April 1780: „Im dritten Punkt, und was Ihr da wegen der Gesetze erwähnt, so habt ihr auch darin groß Recht, daß die Sammlung vom Kaiser Justinian und seinem Canzler bei weitem nicht vollkommen ist: Dabey aber muß Euch sagen, daß gewisse Gebräuche in den differenten Provintzien sind, wo also kein General Gesetz zu machen stehet, man muß daher immer mit auf die uralten Gebräuche in den Provintzien sehen, daß solche nicht übern Hauffen gehen, denn zum Exempel in Schlesien, wie Euch selbst bekannt ist, differiret es mit andern Provintzien wegen der Erbschaften, im Cleveschen differiret es, weil die Bauern dorten nur eigentliche Pächter sind: In Pommern und Westpreußen wegen der Leibeigenschaft, und in Oberschlesien eben so wohl, und so hatt eine jede Provintz ihre alte Gebräuche: Also ist nicht möglich, daß ein Gesetz General sein kann, sondern bei allen Provintzien, wo differente Gebräuche sind, muß ein Unterschied gemacht werden: Anlangend hiernächst Euren Vorschlag, wie eine Verbeßerung der Gesetze vorzunehmen, so bin Ich davon völlig zufrieden. Es kommt nur darauf an, welches besser ist, dazu Leute aus den Collegiis, oder Professores dazu zu nehmen, nur sind die letztern immer zu weitläufig, und also glaube Ich, wenn wir dazu habile, ehrliche, und recht zuverlässige Leute aus den Collegiis nehmen, daß Wir besser und weiter damit kommen: das dependiret nun blos von Eurer nähern Überlegung, wie Ihr das zum besten findet, so kann das gemacht werden, und daß Ihr dabey das Recht der Natur vor die Römischen Rechte vorziehet, darin habt Ihr auch ganz recht: Überhaupt ist Eure Idee admirable, und kommt es nur darauf an, wie das zum besten anzufangen und auszuführen, um die differente Weitläufigkeiten in allen Sachen zu coupiren, und um den Endzweck recht zu erreichen, möchte es wohl nöthig sein, nach den differenten Gebräuchen in den Provintzien für jede ein besonders Gesetz zu machen, nehmlich vor Schlesien, vor Preußen, vor Pommern und die NeuMark, vor die Chur-Mark, vor das Magdeburgische und Halberstädtische, vor Minden und Ravensberg, vor Cleve und die Grafschaft Mark, und vor Ostfriesland wieder ein anderes.“ Kabinettsorder vom 14. April: „Da nun aber fast jede Meiner Provintz ihre besonderen Verfaßungen, Statuten und Gewohnheiten hat, welche sehr von einander unterschieden sind, so muß für jede derselben ein eigenes Gesetzbuch gesammelt und darinn alles eingetragen werden, wodurch sich die Rechte der einen Provinz von der andern unterscheiden [. . .]. Es muß also nur das Wesentliche aus dem Natur=Gesetz und der heutigen Verfaßung übereinstimmende aus demselben abstrahirt [. . .] und solchergestalt ein subsidiarisches Gesetz=Buch [. . .] angefertiget werden.“

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B. Kontext der Gesetzesreform

Dementsprechend sah der ursprüngliche Plan Carmers vor, zunächst das geltende Provinzialrecht zusammenzufassen, tatsächlich jedoch kehrte sich der Arbeitsablauf aus unterschiedlichen Gründen um.20 Es ist wahrscheinlich, daß Friedrich, der noch 1776 selbst gar nicht an ein neues Gesetzbuch gedacht hatte,21 tatsächlich ein „handliches Büchlein“ vorschwebte, als er die Kabinettsorder verfaßte. Statt dessen legt ihm Carmer nach vierjähriger Arbeit den ersten Teil eines Gesetzbuchs vor, das 20.000 Paragraphen umfassen würde.22 Die Reaktion des Königs fiel dementsprechend aus und ist berühmt geworden: „Es ist aber Sehr Dicke und gesetze müssen kurtz und nicht Weitläuftig sein.“23 Um ein endgültiges Scheitern zu verhindern, deklariert Carmer den vorgelegten ersten Teil als Entwurf und setzt ihn der Diskussion mit der Öffentlichkeit aus. Das lag überhaupt nicht in seiner ursprünglichen Absicht, wie aus seiner früheren Vorgehensweise erhellt. So hatte er noch am 2. August 1783 die von ihm herangezogenen Gutachter angewiesen, den erhaltenen Gesetzestext unter keinen Umständen in fremde Hände zu geben, den Amtsschreibern hatte er sogar den Eid abverlangt, kein Wort über ihn zu verlieren.24 19 Krause, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens, in: Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, Berlin 1998, S. 151. 20 Ders., S. 155. 21 Birtsch, Reformabsolutismus und Gesetzesstaat, in: Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, Berlin 1998, S. 45. 22 Vgl. zur Entstehung des Entwurfs: Barzen, Die Entstehung des „Entwurf(s) eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten“ von 1780 bis 1788, Konstanz 1999. 23 Stölzel, S. 239. 24 Krause, S. 158. Schon vorher hatte Carmer seine Vorbehalte gegen eine öffentliche Diskussion deutlich gemacht. Als Reaktion auf ein Pamphlet Rebeurs verfaßte er ein Schreiben an das Kabinettsministerium, in dem er um seine Vorabeinschaltung nachsucht: „Von dem gegenwärtigen Zeitpunkte, wo das inn- und ausländische Publikum durch die nach der allerhöchsten Cabinets-Ordre vom 14ten April a. pr. vorgeschriebenen Sammlung und Revision der in den Königlichen Landen geltenden allgemeinen und Provincial-Rechte aufmerksam gemacht worden, sucht auch mancher Schriftsteller dadurch Vorteil zu ziehen, daß er seine oft allzu unreife Gedanken über die wichtigsten Gegenstände durch Druck öffentlich bekannt macht. So sehr ich von dem Nutzen der Preßfreyheit überzeugt bin, und so sehr es selbst zur Erleichterung des von seiner Königlichen Majestät mir geschehenen Auftrags gereichen würde, wenn wirklich geschickte und der Sache gewachsene Leute ihre Gedanken und Vorschläge über dergleichen Materien auch durch den Weg des Druckes eröffnen und mittheilen wollten, so kann es mir doch nicht gleichgültig seyn, daß auf diesem Wege dem Publico piècen in die Hände gelangen, die zu weiter nichts dienen können, als solches irre zu machen, und mit Vorurtheilen und unrichtigen Ideen zu praeoccupiren. Eure Exellencien ersuche ich daher ganz ergebenst, wenn dergleichen auf die Legislation sich beziehende Piècen zur Censur bey dem Departement gelangen mögten, mir von dem eingesandten Manuscript zuförderst gefällige Communication zu machen, damit ich über den Inhalt desselben mein Sentiment zur ferneren beliebigen Verfügung zu eröffnen Gelegenheit habe.“ GStAPK Rep. 9 F 2 a Fasz. 15, fol. 62 f., abgedruckt

B. Kontext der Gesetzesreform

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Nun sah Carmer sich jedoch gezwungen, das eigentlich betitelte „Corpus Juris Fridericianum. Zweytes Buch“ als „Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten“ der öffentlichen Kritik auszusetzen – im Urteil der Nachwelt wurde auf diese Weise aus einer aktuellen Notwendigkeit, um nicht zu sagen: Spitzfindigkeit, das Paradebeispiel eines aufgeklärten Gesetzgebungsprogramms.25 Das AGB/ALR als Naturrechtskodifikation oder als Aufklärungsgesetzbuch zu bezeichnen, ist in mancher Hinsicht berechtigt: So folgt das ALR der naturrechtlichen Systematik, die zunächst das Individuum und dann seine Einbindung in die Gemeinschaft behandelt, indem es das Sachen- und Schuldrecht unter dem Gesichtspunkt des Eigentumserwerbs und die daraus fließende Rechtsstellung des Individuums dem Familienrecht im weiteren Sinne voranstellt (nicht so das AGB) und zu den Rechten und Pflichten des Staats gegen seine Bürger übergeht.26 Nur darf man nicht glauben, der Komplexität der Ambitionen und Interessen, den geistesgeschichtlichen Grundlagen, den Intentionen und Zufällen bereits damit gerecht geworden zu sein, indem man dem Phänomen einen Begriff zuordnet. Die Zeitgenossen wußten spätestens seit der Französischen Revolution nicht mehr, was der Begriff „Aufklärung“ bedeuten sollte. Svarez verwendet ihn in den Kronprinzenvorträgen zwar verschiedentlich, aber er gebraucht ihn als Zustands- und Epochenbezeichnung, nicht in der von Kant gefaßten Definition, und er weist darauf hin, daß der Ausdruck „seit dem Anfange der Französischen Revolution in den Mund so vieler Menschen gekommen, die ihn gar nicht verstehen od. gantz irrig erklären, daß der ernsthafte Dencker sich beinahe wird schämen müßen, denselben ferner zu gebrauchen.“ Vielleicht bedeutet Aufklärung Einheit: Gemeint ist die systematische Begriffsfindung, die Definition von Begriffsinhalten, die Bewußtwerdung ihrer Bedeutung und die – dann erst – damit verbundene Möglichkeit der Diskussion, denn der Zufall als Vielheit – wohlgemerkt: nicht als Vielfalt in der Einheit – macht die Diskussion unmöglich. In diesem Sinne läßt sich das AGB/ALR als Aufklärungsgesetzbuch begreifen. Es ist spekulativ, Carmer zu unterstellen, er habe bei der Auswahl der Monenten27 darauf geachtet, von vorneherein nur diejenigen zu berücksichtigen, die der Gesetzesreform entweder bereits wohlwollend begegneten oder durch bei Krause, aaO., S. 158, Fn. 38. Die „wirklich geschickte(n) und der Sache gewachsene(n) Leute“ würde Carmer natürlich selbst ausgesucht haben wollen. 25 Barzen, S. 126 ff. 26 Vgl. Link, Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung – vom Systemgedanken zur Kodifikation, in: Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, hrsgb. v. Birtsch/Willoweit, Berlin 1998. 27 Damit sind die über die allgemeine Aufforderung hinausgehenden besonders ergangenen an bestimmte Personen wie Nettelbladt und Darjes gemeint.

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B. Kontext der Gesetzesreform

die Beteiligung auf die Seite der Befürworter gezogen werden sollten; freilich hätte ein solches Vorgehen nur in der Natur der Sache gelegen. Jedenfalls war bekannt, daß der Frankfurter Universitätsprofessor Darjes zu den Befürwortern zu rechnen war: So wurde auch er an diesem – zufälligen – Programm beteiligt.

C. Biographie 1. Jugend und Studium Joachim Georg Darjes1 erblickt am 23. Mai 1714 als Sohn des Predigers Joachim Darjes und dessen erster Frau Dorothea Elisabeth, geborene Stemwede, in Güstrow das Licht der Welt. Er hat zwei Schwestern, Anna Maria und Elisabeth Cathahrina, daneben auch noch mindestens einen, allerdings alsbald nach der Geburt gestorbenen Bruder; später kommen noch Geschwister aus der zweiten und dritten Ehe des Vaters hinzu. Eine ältere Form des Familiennamens ist möglicherweise von Bock. Die Namensumwandlung von „von Bock“ über „de Aries“ oder „d’Aries“ (Aries = der Schafbock, Widder) zu Darjes, Daries oder Darries ist bis heute in einzelnen Zweigen der Familie bekannt.2 Es existieren mehrere, im Familienarchiv einzusehende Belege aus dem 18. und 19. Jhrdt. zu dieser Herleitung. Sie geht vermutlich auf eine Mode des 16. und 17. Jhrdts. zurück. Eine Entstehung des Namens im Hochmittelalter aus dem Heiligennamen Isidorius oder Isidories ist gleichfalls denkbar. Er hatte sich zuerst als Rufname Darius mit Wegfall der Vorsilbe „Isi“ durchgesetzt. Aus diesem Rufnamen entstand dann der Familienname in den Formen Darius, Darries, Darges, Daries, Darjes. Joachim Georg erhält zunächst Privatunterricht bei seinem Vater und einem Familienfreund, das Gymnasium besucht er erst 1726. Bereits 17303 studiert er dann Theologie und Philosophie in Rostock und hört bei Aepinus4 und Burgmann5. 1 Vgl. zu Biographie und Werk vor allem: Bernet, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. XIX, Nordhausen 2001, Spalten 163–173; Pennitz, Die Rolle von J. G. Darjes in den preußischen Kodifikationsbestrebungen, in: Vestigia Iuris Romani, FS für Gunter Wesener, Graz 1992, S. 331; Weidlich, Biographische Nachrichten von den jetztlebenden Rechts-Gelehrten in Teutschland, Th. I., Halle 1781, S. 126; Schlichtegroll, Nekrolog auf das Jahr 1791, 2. Jg, Bd. II, Gotha 1794, S. 279, Meusel, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Bd. II, Hildesheim 1967 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1803); Darjes, Einleitung in des Freyherrn von Bielefeld Lehrbegriff der Staatsklugheit, Jena 1764, S. 1 f. 2 Die Hinweise hierzu ebenso wie zu den verwandtschaftlichen Verhältnissen verdanke ich Herrn Enrico Darjes, der das Darjessche Familienarchiv verwaltet. 3 Hofmeister, Die Matrikel der Universität Rostock, Bd. IV, S. 164b. 4 Franz Albrecht Aepinus, geb. 1673, gest. 1750, war außerordentlicher Professor der Logik (seit 1712) und ordentlicher Professor der Theologie (seit 1721) an der Universität Rostock.

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C. Biographie

1731 wechselt er an die Jenaer Salana und studiert Theologie, unter anderem bei Walch,6 vor allen Dingen aber bei Carpov,7 durch den er auch zu einem glühenden Anhänger Wolffs wird, dessen Kritiker er als persönliche Feinde betrachtet.8

2. Die Auseinandersetzung mit Lange Als Anonymus verfaßt er eine 1735 erscheinende Streitschrift, die er in Anlehnung an Spinoza tractatus philosophicus betitelt.9 Unter Anwendung der mathematischen Methode10 sucht er die Dreieinigkeit rational zu begründen und 5 Johann Christian Burgmann, geb. 1697, gest. 1775, war zunächst als Magister der Philosophie Privatdozent an der Universität Rostock, später daselbst Professor der Metaphysik (seit 1730) und der Theologie (seit 1735). 6 Johann Georg Walch, geb. 1693, gest. 1775, war zunächst außerordentlicher Professor der Philosophie und der Altertümer (seit 1718) sowie der Theologie (seit 1724) an der Universität Jena, später ordentlicher Professor der Theologie (seit 1728). 7 Jakob Carpov, geb. 1699, gest. 1768, studierte in Halle bei Wolff, promovierte 1725 in Jena zum Magister und begann seine philosophischen und theologischen Vorlesungen als Wolffianer. Später Lehrer und Direktor des Weimarer Gymnasiums. 8 Einleitung in des Freyherrn von Bielefeld Lehrbegriff der Staatsklugheit, 1764, S. 14. 9 Tractatus philosophicus in quo pluralitas personarum in Deitate qua omnes conditiones ex solis rationis principiis methodo mathematicorum demonstrata. Leovardiae 1735 (falsche Ortsangabe). Vgl. zum Streit darum: Ludovici, Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Bd. 2, in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, Hildesheim 1977, § 519; Mühlpfordt, in: Christian Wolff 1679–1754, Studien zum achtzehnten Jahrhundert Bd. 4, S. 244 ff. 10 Auch: mathematische Lehrart. Ihr Wesen besteht darin, alle Wörter, die einer Erklärung bedürfen, deutlich zu erklären, alle Sätze, die einen Beweis erfordern, zu beweisen und alle Sätze und Erklärungen so hintereinander zu stellen, daß die vorangehenden die nachstehenden umfassen; Darjes, Die Lehrende Vernunft=Kunst, Jena 1737, in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, Bd. 60, Hildesheim 2000, Lehr=Satz §. 626: „In dem Folge=Satz eines Schlusses muß nicht mehr und auch nicht weniger enthalten sey, als in den beyden Forder=Sätzen begriffen.“ Die Grundlagen einer Übertragung der mathematischen Schlußweise auf andere Wissenschaften findet sich u. a. in der Medicina Mentis, Amsterdam 1687, von Ehrendfried Walter v. Tschrinhaus, geb. 1651, gest. 1708, den Wolff 1703 persönlich trifft. Wolff entwickelt die mathematische Methode weiter in seinem „Kurzen Unterricht von der Mathematischen Methode“. § 1: „Die mathematische Lehrart fänget an von den Erklärungen, gehet fort zu den Grund-Sätzen und hiervon weiter zu den Lehr-Sätzen und Aufgaben.“ § 29: „Betrachtet Ihr dasjenige, was in den Erklärungen enthalten ist, und schließet unmittelbahr etwas daraus; so nennen wir solches einen Grund-Satz.“ § 31: „Grund-Sätze haben keines Beweises nöthig, sondern ihre Wahrheit erhellet, so bald man die Erklärung ansiehet, daraus sie fließet.“; vgl. Arndt, Einführung zu: Christian Wolff, Vernünftige Gedanken Von den Kräften des menschlichen Verstandes Und Ihrem richtigen Gebrauche in Erkäntniss der Wahrheit. Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet von Christian Freyherrn Von Wolff, Gesammelte Werke, I. Abt., Dt. Schrft. Bd. 1, Hildesheim 1965, S. 29.

2. Die Auseinandersetzung mit Lange

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attackiert sie auf diese Weise. Er ergreift damit Partei in einer sich gerade verschärfenden Auseinandersetzung zwischen Carpov und Lange,11 der 1734 „Hundert und dreyßig Fragen Aus der neuen Mechanischen Philosophie“ veröffentlicht hatte,12 mit denen er über Wolff zu Gericht sitzt und auf die Carpov mit einer „Nöthige(n) Antwort“ reagierte.13 Der auf die Veröffentlichung des tractatus philosophicus folgende Universitätsskandal, der den Hallischen Streit um Wolff14 unter anderen Bedingungen wiederholte, beschädigt Darjes’ Ansehen auf geraume Zeit: Die Schrift wird verboten und Carpov gerät in den Verdacht, der Urheber zu sein. Er kennt den wahren Verfasser und sucht einen Ausweg, indem er Darjes’ Traktat in einer eigenen Abhandlung widerlegt.15 Allein, die durch den Hallischen Streit sensibilisierte Universität gibt sich nicht zufrieden und beharrt darauf, Carpov möge den Namen des Verfassers nennen. Carpov fügt sich schließlich, gibt den Na-

11 Joachim Lange, geb. 1670, gest. 1744, zuerst Rektor des Friedrich Werder-Gymnasiums, seit 1709 Professor der Theologie in Halle, pietistischer Gegner Wolffs. 12 Hundert und drey ßig Fragen Aus der neuen Mechanischen Philosophie [. . .], Halle 1734, in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, Bd. 50, Hildesheim 1999. Die Abhandlung forderte den Zorn Friedrich Wilhelms heraus, der Cocceji anwies, „dem Langen hierinne Einhalt zu thun, und ihm auszubefehlen, daß er seine Funktion in fleißigen Lesen und Unterricht derer Studiosorum Theologicae, auch Vollführung seiner Biblescheu Wercke verrichten, aber von allen Streit= Schriften wider die Wolfische Philosophie abstrahiren soll.“, vgl Kabinetts-Order v. 24. Juni 1734, abgedruckt bei Zedler, S. 1094. 13 Nöthige Antwort auf die Hundert und Dreyßig Fragen des H. D. und Prof. Joachimi Langen aus der Wolffischen von ihm mechanisch genennten Philosophie, Franckfurth 1734, in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, Bd. 51, Hildesheim 1999; Zuschreibung durch Ludovici, in: Zedler, Band 58 (1748), 1098. Vgl auch: Carpov, Ausführliche Erläuterung der Wolffischen vernünftigen Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, Franckfurth 1735, aaO., Bd. 48, Hildesheim 1999. 14 Wolff hatte Halle 1723 auf königlichen Befehl verlassen müssen. Der Dekan der theologischen Fakultät Lange agitierte und intrigierte gegen Wolff, den er wegen seiner „Vernünftigen Gedanken“ für den Satan selbst gehalten haben muß. Wolff soll Lange darüberhinaus in einer Rede anläßlich des Übergangs des Direktorats der Hallischen Akademie als „Polygraphus“ bezeichnet haben. Er weigerte sich anschließend, diese Rede, in der er der heidnischen chinesischen Philosophie die gleiche Berechtigung wie seiner eigenen zusprach und damit nach damaligen Begriffen eine atheistische Haltung einnahm, vor Drucklegung der Theologischen Fakultät zur Zensur zu überreichen. Damit leugnete er ihre Priorität. Vgl. ferner zu der Auseinandersetzung zwischen Wolff und Lange: Der Theologischen Facultaet zu Halle Anmerckungen Über Des Herrn Hoff=Rahts und Professor Christian Wolffens Methaphysicam [. . .] Nebst beygefügter Hr. Hoff=R. und Prof. Christian Wolffens Gründlicher Antwort, Cassel 1724, in: Christian Wolff, Kleine Kontroversschriften mit Joachim Lange und Johann Franz Budde, Gesammelte Werke, I. Abt., D. Schrft. Bd. 17, Hildesheim 1980. 15 Animadversiones succinctae in tractatum philosophicum de pluralitate personarum in lucero missae a Jacobo Carpovio, 1735 (ohne Ortsangabe).

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C. Biographie

men preis und das freundschaftliche Verhältnis zwischen Carpov und Darjes findet sein Ende. Darjes, der sich mit einem Lehrverbot belegt sieht, muß widerrufen16 und sich bei Lange entschuldigen,17 dessen vorangegangenen Angriffen gegen Carpov er im tractatus scharf begegnet war. Damit ist der Streit nur für Darjes beendet, der seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen darf. Lange sieht jedoch die Gelegenheit, seinen eigentlichen Widersacher Carpov weiter in die Defensive zu drängen. Zwischenzeitlich hatte Darjes eine dissertatio de possibilitate creationis mundi ab aeterno verfaßt und war zum Magister promoviert.18 Noch unter dem Eindruck des erbittert geführten Streits um seinen tractatus stehend, wendet er sich 1737 von der Theologie ab und der Jurisprudenz und Kameralistik zu, allerdings liest er schon seit 1735 über das Natur- und Völkerrecht.19 Schon 1739 promoviert er zum Doktor, fünf Jahre darauf erhält er eine Professur für Moral und Politik in Jena.

3. Der Einfluß Wolffs Spätestens mit Erscheinen der Introductio in artem inveniendi seu Logicam im Jahre 1742 ist seine Einordnung als „Wolffianer“ zweifelhaft geworden.20 Ob es zutreffend ist, seine Emanzipation von Wolff nur auf den „Druck der Verfolgung“ im Zusammenhang mit dem von Darjes heraufbeschworenen Skandal zurückzuführen,21 oder ob Darjes nicht einfach durch selbständiges Denken auch eine selbständige Position erarbeitet hatte,22 sei dahingestellt. Das Etikett 16 Der Widerruf erschien 1736 in den Niedersächsischen Nachrichten von gelehrten neuen Sachen unter dem Titel „Summe Reverendae Facultatis Theologicae Jenensis Theses orthodoxae, erroribus tractatus philosophici, in quo pluralitas personarum in Deitate, qua omnes conditiones es solis rationis principiis methodo mathematicorum.“ und ist bei Ludovoici, S. 482 f., und bei Zedler, S. 952 f. abgedruckt. 17 Das entsprechende Schreiben ist gleichfalls bei Ludovici, S. 490 und Zedler, S. 957 abgedruckt und hat folgenden Inhalt: „Ew. Hoch=Ehrw. wird ohne allen Zweifel bakannt seyn, daß vor kurzer Zeit in Cale ein Scriptum herausgekommen sub tit. Tractatus Philosophicus de pluralitate personarum in Deitate etc. In dessen Vorrede Ew. Hoch=Ehrw. auf eine ungebührliche Art beleidiget worden. Ob ich nun zwar gestehen muß, daß ich diesen Tractat verfertiget, so kann ich doch unmöglich, weil er in grosser Eil und mit eingenommenen Gemüthe geschrieben, solches Scriptum für mein Scriptum ferner erkennen, sondern vielmehr für einen der Evangelischen Kirche zum Schandfleck liegenden Libell.“ 18 Dissertatio de possibilitate creationis mundi ab aeterno, methodo mathematicorum conscripta, Jena 1735. 19 Discours, Vorrede, S. 2. 20 Vgl. Arndt, S. 98. 21 Vgl. Mühlpfordt, S. 242. 22 Vgl. Arndt, S. 98.

3. Der Einfluß Wolffs

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ist ohnehin belanglos und sagt nichts aus: Jeder zeitgenössische Wissenschaftler sah sich, als Anhänger oder Gegner, der Wirkung der Wolffischen Philosophie ausgesetzt und die Differenzierung der „Wolffischen Schule“ ist nur aus der Perspektive einer Wolffischen Wirkungsgeschichte statthaft, die Perspektive seiner „Schüler“ ist eine ganz andere Sache.23 Einerseits geht Darjes über Wolff hinaus, wenn er den Eigentumsbegriff auf alle res corporales ausdehnt24 und den Eigentumserwerb in titulus und modus teilt; außerdem schränkt er die Anwendbarkeit des Satzes vom zureichenden Grunde25 ein. Andererseits sollte er der mathematischen Methode insgesamt verhaftet bleiben. Seine Naturrechtslehre weist ganz eindeutig eine Wolffische Prägung auf: Die Auffassung des Prinzips des Rechts als Pflicht zur Vollkommenheit, die allen Menschen obliegt; die als Pflicht den Menschen verbindet, eine Handlung nach dem Gesetz zu bestimmen26 und deren natürliche Verbindlichkeit zwar ihren zureichenden Grund in der Natur des Menschen findet;27 die menschliche Natur aber wiederum eine Schöpfung Gottes ist und darum Gott die eigentliche Quelle der Verbindlichkeit darstellt28 – diese Auffassung ist im wesentlichen auch Grundlage der Obligationenlehre im Discours bzw. in den Institutiones.29 23 Auch dieser Begriff ist nichts mehr als ein Etikett. Wenn mit ihm eine Beziehung zwischen zwei Menschen beschrieben sein soll, in welcher der eine sich am Denken und Handeln des anderen schult, ist der Begriff so allgemein, daß er zu einem wissenschaftlichen Befund nicht taugt, weil mit ihm über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede nichts ausgesagt ist. Werden indessen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Einzelnen beleuchtet, ist wiederum die Etikettierung ganz überflüssig. 24 Huwiler (Huwyler), Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht, Zürich 1975, S. 72. 25 Principium rationis sufficiens. Alles hat seinen zureichenden Grund, warum es ist, und warum es gerade so, und nicht anders ist. Der Satz vom zureichenden Grund geht zurück auf Leibniz (Principium rationis determinantis), der ihn aber unbewiesen läßt. Seinen Beweis tritt Wolff in §. 30. der deutschen Methaphysik an: Entweder ist jederzeit ein Etwas, woraus zu verstehen ist, warum ein anderes Etwas ist, oder es ist ein Nichts. Wenn Nichts ist, entsteht ein Widerspruch, weil Nichts keinen Begriff hat, also aus Nichts auch in der Folge kein Begriff entstehen kann. Das Nichts bleibt also folgenlos, so daß der Satz: es ist ein Nichts, woraus zu verstehen ist, warum ein Etwas ist, unmöglich ist. 26 „Officium dicitur actio juxta legem determinata, quatenus ad eam determinandam obligamur.“, Philo. pract. univers. I., § 224. (Als Pflicht bezeichnet man eine nach dem Gesetz bestimmte Handlung, wenn wir verbunden sind, diese [die Handlung] also [nach dem Gesetz] zu bestimmen.) 27 „Obligatio naturalis est, quae in ipsa hominis rerumque essentia atque natura rationem sufficientem habet.“, Philo. pract. univ. I., § 129. (Die natürliche Verbindlichkeit ist jene, die im Wesen und in der Natur des Menschen selbst den zureichenden Grund hat.) 28 „Obligationis naturalis auctor deus est.“, Philo. pract. univ. I., § 275. (Gott ist der Schöpfer der natürlichen Verbindlichkeit.) 29 „Datur obligatio naturalis. Per actionum nostrarum liberarum naturam cum iisdem conectuntur consectaria (§. 60.), quae illas effeciunt bonas vel malas (§. 59.).

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C. Biographie

4. Wirkung 1763 wird Darjes Professor beider Rechte an der Viadrina in Frankfurt, 1772 erstmals Rektor der Universität.30 Sein jährliches Gehalt beläuft sich auf 1.100 Reichstaler, zuzüglich Hörgeldern, Promotionsgebühren und einer Wohnung im Ordinariatshaus.31 Wenn man eine Promotionsgebühr von durchschnittlich 80 Talern annimmt, wird man durchaus von einer Summe um die 1.400 Reichstalern ausgehen dürfen, ein ungewöhnlich hohes Auskommen für einen Universitätsprofessor. Kant kam dagegen nur auf ein Gehalt von 400 Reichstalern.

Hanc bonitatem vel pravitatem actiomun distincte perspicere possumus (§. 62. 30.), ergo dant motiva (§. 33. 36.). Es quo sequitur, ut cum actionibus nostris liberis per harum naturam motiva sint connexa, atque ideo, ut obligatio quaedam naturalis existat (§. 75.).“, Darjes, Institutiones Iurisprudentiae Universalis, Editio Septima, Ienae 1776, PG I., Cp. II., §. 76. „Obligatio naturalis est etiam obligatio divina. Obligatio naturalis concipitur, dum per naturam actionum nostrarum liberarum cum iisdem consectaria connectuntur, quae earum bonitatem vel pravitatem definiunt (per dem. ad §. 76. et §. 65.). Quoniam autem eadem actionum liberarum moralias etiam cum actionibus nostris liberis motiva illa esse connexa, manifestum est. Sequitur itaque, ut obligatio naturalis simul sit obligatio divina (§. 76.), § 77. „Was heißt überhaupt: ich bin verbunden, etwas zu thun? Obligatus sum. [. . .] Worinnen bestehet diese Nothwendigkeit? Necessitas adest, quatenus oppositum subjecto est impossibile. E(rgo) Muß ich auch hier sagen: opposita actio mihi est impossibilis. [. . .] Das Oppositum Stehlen ist durch mich nicht möglich; doch nicht simpliciter, sondern hypothetice sub ea conditione, daß ich diese böse Folge vermeiden will. Diese conditio boni vel mali giebt die Motiva. Daher können wir mit b. Wolf sagen: Obligatio est nexus motivorum cum actionibus. [. . .] Alle Handlungen, die ich per motiva unternehme, sind moralische Handlungen. Wenn man demnach sagt: Obligatio est nexus motivorum cum actionibus, so hat diese Erklärung folgende Bedeutung: es sind solche Consectaria mit meinen Handlungen verbunden, daß mir das Oppositum actionis unmöglich wird sub ea conditione, daß ich die unangenehme Folgen vermeiden und die guten erlangen will. Man kann demnach die Definition von der Obligation auch also bilden: Obligatio est talis nexus, qui oppositum actionis nobis sub conditione evitandi mali vel adquirendi boni, dat impossibile.“, Discours über sein Natur= und VölkerRecht, Bd. I, Jena 1762, PG, Cp. II., §§ 71, 72, 73. „Quaeritur, ob eine Obligatio naturalis vorhanden sey? Die Pufendorfianer geben es nicht zu, daß eine Obligatio sine superiori denkbar sey. Wir wollen dieses aus dem Begriff der Sache beurtheilen. Was heißt es, naturaliter obligirt seyn? Resp. Es heißt so viel: ipsa natura atque notione actionis talia consectaria determinantur, die uns das Oppositum unmöglich machen sub conditione evitandi mali aut adquirendi boni. [. . .] So verbindet mich z. E. die Natur, Pacta zu halten, nicht zu steheln. Denn das unfleißig seyn, Pacta brechen, stehlen, ist mir ipsa actionum natura sub conditione evitandi mali unmöglich.“, aaO., § 76. „Quaeritur, ob wir diese Obligationem naturalem auch eine Obligationem divinam nennen können? Resp. Ja. “, aaO., Ad. §. 77. 30 Außerdem noch in den Jahren 1779 und 1788. 31 Vgl. das vom Großkanzler Fürst verfaßte und im Namen von Friedrich II. ausgefertigte Schreiben an Darjes vom 8. Juli 1763: „[. . .] und einer jährlichen Besoldung von Eilffhundert Rthalern zu berufen.“

4. Wirkung

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Zu berücksichtigen ist auch, daß Professoren kein großes Haus führen mußten, ihre Ausgaben folglich überschaubar blieben, hingegen die Bekleidung eines Regierungsamtes zwar ein noch höheres Einkommen sicherte – Svarez kam als Mitglied der Gesetzeskommission und Geheimer Oberjustizrat auf mehr als 3.000 Reichstaler – dies jedoch auch aufwendige gesellschaftliche Verpflichtungen nach sich zog: Dohm war mit 1.200 Talern gewissermaßen ein armer Mann.32 Als einer der ersten Professorenwitwen erhält Darjes’ Frau nach dessen Tod eine jährliche Pension. Auch das spricht für die Reputation, die sich Darjes erworben haben muß. Darjes ist es, der die kameralistische Staatswissenschaft an der Viadrina einführt und er betreibt sie gründlich, auch gründet er eine „Königlich gelehrte Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften“, um die Kameralistik zu fördern, aber insgesamt ist sein wissenschaftlicher Erfolg auf diesem Felde begrenzt, soweit man die Originalität der Gedankenführung und die Erforschung neuen Terrains zur Meßlatte erhebt.33 Als Philosoph und Naturrechtler soll er hingegen nach einem Worte Hoffbauers in seiner Zeit „eben so berühmt“ gewesen sein wie Wolff.34 Wenn man auch berücksichtigen muß, daß sich eine solche Bewertung kaum verifizieren läßt,35 ist zumindest der große Erfolg Darjes’ als akademischer Lehrer ein Indiz. In den Jenaer Jahren sollen bis zu 500 Studenten seine Vorlesungen besucht haben, die teilweise so überfüllt sind, daß die Studenten auf den Treppen sitzend oder auf Leitern stehend die Vorlesung durch die Fenster verfolgen müssen – im Ganzen sollen „mehr als zehntausend Zuhörer“ Darjes „in diesen verflossenen Jahren in diesem Geschäfte aufgemuntert“ haben.36 Seine Vorlesung über das Natur- und Völkerrecht ist populär genug, daß die zugrundeliegenden Institutiones Iurisprudentiae nicht nur sieben Auflagen erfahren, sondern daß mit den Vorlesungsnachschriften ein „ordentlicher Handel“ getrieben wird, den Darjes wohlwollend registriert, bis er Nachricht von der Absicht eines Verlegers erhält, die Nachschriften, wie sie gerade in Umlauf sind, zu drucken, so daß es ihm doch besser dünkt, die Sache in die Hand zu neh32 Christian Wilhelm von Dohm, geb. 1751, gest. 1820, Studium in Göttingen bei Schlözer und Pütter, zwischen 1776 und 1779 Professor am Karolinum in Kassel, nach Erhebung in den Adelsstand von 1786 bis 1796 Kreisdirektorialrat zu Köln. 33 Brückner, Staatswissenschaften, S. 251 f. 34 Hoffbauer, Das allg. oder Naturrecht, S. 5; Stölzel, Carl Gottlieb Svarez, Berlin 1885, 67. 35 Natürlich kann man die Stimmen zählen, die Darjes erwähnen, sicher ist auch, daß der 1735 von ihm hervorgerufene Skandal wenigstens an den anderen preußischen Universitäten wahrgenommen wurde. Aber Wolff gelangte schon damals über die preußischen Grenzen hinaus zu einiger Bekanntheit, was sich über Darjes nicht sagen läßt. 36 Discours, Vorrede, S. 2.

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C. Biographie

men und „selbst den Abdruck dieses nachgeschriebenen Discours (über sein Natur und VölkerRecht) zu regieren.“37 Jan Schröder hat darüber hinaus nachgewiesen, daß Darjes in der Zeit zwischen 1765 und 1779 der meistgelesene Naturrechtler an den deutschen Universitäten ist; gemessen am Anteil der Vorlesungen, in denen das jeweils meistbenutzte Kompendium zugrunde gelegt wurde, wird er im ganzen 18. Jhrdt. bis ins Jahr 1839 in der Spitze überhaupt nur von Höpfner übertroffen.38 Daraus allein kann freilich kein Rückschluß auf seine Wirksamkeit gezogen werden: Kant gehört nur in den Jahren zwischen 1795 und 1809 zu den meistgelesenen Autoren an den Universitäten.39

5. Verhältnis zu Svarez Die oftmals reproduzierte Behauptung, Carl Gottlieb Svarez habe zu den näheren Schülern von Darjes gehört, läßt sich weder stützen noch widerlegen.40 Einzige Hinweise sind die Universitäts-Matrikel der Universität Frankfurt an der Oder, nach denen sich Svarez am 30. 3. 1762 immatrikulierte und Darjes seit dem 19. 10. 1763 als professor iuris et philosophiae ordinarius lehrte, wobei zu berücksichtigen ist, daß Svarez bereits 1765, also etwas mehr als ein Jahr später, Frankfurt wieder verläßt;41 ob Darjes allerdings innerhalb dieses kurzen Zeitraums einen großen Einfluß auf Svarez gewinnen konnte, ist fraglich. Zum anderen zählte Svarez zu den ungefähr 70 Freunden und ehemaligen Schülern, die Darjes zum 50jährigen Dienstjubiläum eine goldene Gedenkmünze überreichten – jedoch bedankte sich der so geehrte mit Schreiben vom 11. Juni 1786 hierfür nicht bei Svarez, sondern bei Carmer, der nach Darjes’ Worten einen „thätigen Antheil“ an der Verleihung genommen hatte. Eine verwertbare Aufzeichnung von Darjes oder Svarez selbst ist bisher jedenfalls nicht nachgewiesen, wie schon Gossler bemerkt.42 Insgesamt wird man 37

S. 6. J. Schröder, Vorlesungsverzeichnisse als rechtsgeschichtliche Quellen, in: Die Bedeutung der Wörter, FS für Sten Gagnér, München 1991, S. 383, 394 f. 39 Ders. Siehe auch vom selben Autor: Kontinuität und Diskontinuität, in: Naturrecht – Spätaufklärung – Revolution, hrsg. v. Dann/Klippel, Hamburg 1995, S. 255. 40 Stölzel, Carl Gottlieb Svarez, Ein Zeitbild aus der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, 60–67; Dilthey, Gesammelte Schriften, XII. Band, S. 179; Thieme, Die Preußische Kodifikation, in: SZ Germ 57 (1937), 365 Fn. 2; Wolf, Große Rechtsdenker, 431 ff.; Wesener, Naturrechtliche Lehre vom Eigentumserwerb, in: FS Nikolaus Grass, hrsg. v. K. Ebert, S. 442; zurückhaltend bereits Pennitz, 349. 41 s. Aeltere Universitäts-Matrikeln I. Universität Frankfurt an der Oder. Hg. v. E. Friedländer, Bd. II., Osnabrück 1965 (Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1888), 206; 412. 42 Gossler, Beyträge zur Lebensgeschichte des Geheimen Ober-Justiz- und TribunalRathes Carl Gottlieb Svarez, in: Juridische Miszellen, H. 1, Berlin 1810, 60, 61 f. 38

6. Mitwirkung an der Reform

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der These einer Lehrer-Schüler-Beziehung daher mit Vorsicht begegnen müssen.43 Carmer hat Darjes in Jena gehört,44 auch läßt der Ton seiner Briefe auf einige Hochachtung schließen. Inwiefern eine intellektuelle Beeinflussung seitens Darjes angenommen werden kann, ist schon deswegen ungewiß, weil es an einem Nachweis wissenschaftlicher Befähigung auf Carmers Seite fehlt.

6. Mitwirkung an der Reform Gleichwohl lag es nahe, Darjes als angesehenen Naturrechtler am Gesetzgebungsverfahren zu einer Naturrechtskodifikation zu beteiligen – allerdings nicht in der von Dilthey geschauten Form. Jedenfalls ist die durch seine These formulierte Verkürzung auf Wolff, Darjes und Nettelbladt sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Verfahrens zweifelhaft. Zum einen ist die Idee, einen entworfenen Gesetzestext der Diskussion mit Rechtswissenschaftlern, Gerichten und anderen Praktikern auszusetzen und die je gewonnenen Erkenntnisse einzuarbeiten, bereits von Leibniz entwickelt worden; sein Gesetzgebungsprogramm aus dem Jahre 1700 befindet sich als erstes Blatt in den Akten des preußischen Justizdepartements, die die Kammergerichtsordnung von 1709 verbreiten, und wird 1778 anonym veröffentlicht.45 Zum anderen liegt das AGB/ALR inhaltlich näher bei Montesquieu und Kant als bei Wolff.46 Es ist seltsam, daß Dilthey die Distanzierung Ernst Ferdinand Kleins von Wolff und seiner Schule offenbar nicht wahrgenommen hat.47 Gleichwohl läßt sich der Nachweis führen, daß Darjes in starker Form am Gesetzgebungsverfahren mitwirkte. Dies zwar nicht aufgrund seines „Discours über das Natur- und VölkerRecht“ bzw. der Institutiones Iurisprudentiae Universalis oder der Institutiones jurisprudentiae privatae Romano-Germanicae, obgleich sowohl Carmer in der Vorerinnerung des Entwurfs zum Sachenrecht ausdrücklich auf diese beiden Lehrbü43

So bereits Pennitz, aaO., 349. Bardong, Die Breslauer an der Universität Frankfurt (Oder), Würzburg, 1970. 45 Abgedruckt von Johann Wilhelm Bernhard von Hymnen, Fortgesetzte Geschichte des Cammergerichts zu Berlin, mit untermischten Nachrichten von der Pr. Justizverfassung, in: Beyträge zu der juristsischen Litteratur in den Preußischen Staaten, Zweyte Sammlung, Berlin 1778, S. 263–269. 46 Winiger, Das rationale Pflichtenrecht Christian Wolffs, Berlin 1992, S. 298 ff., 300; Krause, Naturrecht und Kodifikation, in: Vernunftrecht und Rechtsreform, Hamburg 1988, S. 24. 47 Ernst Ferdinand Klein, Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft, S. 358 ff. S. zum Ganzen Krause, S. 23 f. 44

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cher hinweist, als auch in einem von Svarez verfaßten und von Carmer unterzeichneten, an Eggers gerichteten Schreiben die Empfehlung ausgesprochen wird, „im Nothfall“ könnten „einige schon vorhandene gute Compendia des Natur-Rechts z. E. das Darjessche od Hoepfnersche“ bei der noch vorzunehmenden Ausarbeitung des Lehrbuchs über die Preußische Rechtsgelehrsamkeit zu Grunde gelegt werden.48 Dieser Einschränkung der Tauglichkeit der bereits vorhandenen Kompendien auf den „Nothfall“, entspricht die persönliche Aufforderung Carmers, Darjes selbst möge die erforderliche Ausarbeitung eines neuen, auf das Gesetzgebungswerk zugeschnittenen Lehrbuchs durchführen oder durch einen seiner Schüler durchführen lassen.49 Auch hierin drückt sich die große Wertschätzung aus, die die Redaktoren Darjes entgegenbrachten. Denn, soweit ersichtlich, ergingen – neben der allgemeinen Aufforderung in der Vorrede zur letzten Abtheilung des Entwurfs – ähnliche persönliche Schreiben überhaupt nur an Eggers, Werdermann, und Selchow. Hinzu kommt die Bitte an Hippel, einen geeigneten Mann vorzuschlagen, den der Gebetene in Reidenitz gefunden zu haben glaubte.50 Tatsächlich gingen auch fünf Schriften bei der Gesetzeskommission ein, von denen in den Augen der Kommission allerdings keine den angestrebten Zweck erfüllte.51 48

Konzept des Schreibens des Großkanzlers an Eggers vom 8. Oktober 1788. Konzept des Schreibens des Großkanzlers an Darjes vom 26. Juni 1788. 50 Vgl. das Schreiben Eggers an den Großkanzler vom 26. Juni 1788. 51 Vgl. die „Nachricht über die als Preisschriften eingekommenen Lehrbücher über das Preußische Recht: „In der Vorrede zur letzten Abtheilung des Entwurfs eines Allgemeinen Gesetzbuchs d. d. den 15. Juni 1788 wurden sachverständige Männer zur Ausarbeitung eines Lehrbuchs über das neue Preußische Recht unter Aussetzung eines Preises von 500 Reichsthalern in Golde aufgefordert. Eben daselbst findet man die Eigenschaften speciell angegeben, welche man von einem solchen Lehrbuche erwartete. Die Einsendung der Ausarbeitung ward bis zur Leipziger NeujahrsMesse 1790 gewärtigt. In der Folge setzte man den Termin noch auf sechs Monate und im Juni 1791 abermals auf ein ganzes Jahr hinaus. Die bekannte Suspension und darauf erfolgte Umarbeitung des Gesetzbuchs war indeß die Veranlaßung, daß die Vorlegung der eingekommenen Preißschriften bei der GesetzCommission verzögert ward, und daß dieselbe erst am 10. December 1794 erfolgte. Die fünf eingelaufenen, um den Preis concurrierenden Schriften waren mit folgenden Denk-Sprüchen versehen: 1. In magnis voluisse sat est. 2. Docendo disimus. 3. Iustum omne continetur natura et constitutione. 4. Per te nulli unquam injuria fiat. 5. Ut ratio etiam causaeque rerum nosciantur. Die GesetzCommission war in ihrem Gutachten vom 14. April 1795 der Meinung: daß von allen fünf Schriften keine der ergangenen Aufforderung ein ganz zweckmäßiges Genüge geleistet habe; daß jedoch die unter No: 5 nicht als Lehr, so doch als Handbuch, ganz vorzüglichen Nutzen stiften könne, und sich zur Ertheilung des Preises am meisten qualificire; daß dieser die Schrift sub No: 4 am nächsten komme und daß außer selbiger noch das Werk sub No: 3 alle Rücksicht verdiene. Bei eröffnung 49

6. Mitwirkung an der Reform

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Die Arbeit von Darjes gedieh offensichtlich und er konnte dem Großkanzler den ganzen ersten Teil, der seine überarbeiteten Grundsätze des Naturrechts enthielt, und die Anwendung dieser Grundsätze auf das Gesellschaftsrecht im zweiten Teil übersenden.52 Jedoch starb er, bevor das Werk ganz fertiggestellt war, daher gelangte es nicht zum Druck. Ob es noch erhalten ist, bedarf weiterer Nachforschung. Aus dieser Richtung ist eine Wirkung auf das Gesetzgebungswerk jedenfalls nicht ersichtlich. Allerdings kommen hinsichtlich einer konkreten Mitarbeit von Darjes an der Ausarbeitung des AGB/ALR und einem konkreten Einfluß auf den Gesetzestext insbesondere die monita zum Entwurf und die begleitende, auf Seiten des Großkanzlers stets von Svarez verfaßte und von Carmer unterzeichnete Korrespondenz in Betracht.

der versiegelten Zettel fand sich hiernächst, daß die Schrift sub No: 5, welcher solchergestalt der ausgesetzte Preiß von 500 Reichsthalern in Gold zuerkannt worden ist, den Professor Eggers zu Copenhagen zum Verfasser habe, und daß die unter No: 4, welcher die Gesetz-Commission das Accessit ertheilt hat, sich vom Professor Wedermann zu Liegnitz herschreibe. Letzterem war auch, zum Beweis der Achtung für seine rühmliche Bemühungen, die kleinere goldne Preiß-Medaille über den Entwurf des Gesetzbuchs von 25 Dukaten vom GroßCanzler zugeschickt. Von diesen fünf eingekommenen Schriften nun haben sich zur Zeit im Archive des JustizDepartements nur zwei vorgefunden. Die beiden Piecien, welche den Preiß davon getragen hatten, sind unter der Voraussetzung, daß die Verfasser sie dem Druck übergeben werden, denselben zurückgesandt worden. Die erste Schrift ist auch wirklich im Druck erschienen. Ob auch Professor Werdermann die Seinige herausgegeben, hat Referent nicht mit Gewißheit ermitteln können. Auch der Aufsatz sub 1 mit dem Motto: In magnis voluisse sat est – ward dem Verfasser auf sein Verlangen im Juni 1795 wieder remittirt. Nur die beiden Picien sub No: 2 mit der Überschrift: Docendo discimus –, und sub No: 3 mit dem Denkspruch: Justum omne continetur natura et constitutione – sind daher übrig geblieben. Da dieselben eigentlich nicht zu den Materialien des Allgemeinen Landrechts gehören, so hat man es für zweckmäßig erachtet, sie als Anhang denselben folgen zu lassen. Der gegenwärtige erste Band dieses Anhangs enthält die Schrift mit dem Motto: Justum omne continetur natura et constitutione.“ Wahrscheinlich handelt es sich bei der von Eggers eingesandten Schrift um sein „Lehrbuch des Natur- und allgemeinen Privatrechts und gemeinen preussischen Rechts in 4 Bänden“, Berlin 1797; bei der Schrift Werdermanns könnte es sich um die „Principia iurisprudentiae naturalis secundum ordinem corporis iuris Borussici communis“, Leipzig 1798, handeln. 52 Vgl. das Schreiben Darjes’ an den Großkanzler vom 27. November 1790 und vom 27. Feb. 1791.

D. Die von Darjes eingebrachten Abhandlungen und monita Darjes hat monita zur Einleitung des Entwurfs, zum Familien-, zum Sachen-, zum Abschoßrecht, und Abhandlungen zum Unterschiede des billigen und strengen Rechts und zum Untersuchungsprozeß eingesandt.

1. Strenges Recht Abweichend von der zeitigen Abfolge der Einsendungen, wird hier die Abhandlung über das strenge Recht vorangestellt, weil sie zugleich ein Licht auf das damals allgemeine Verständnis von positiven und Naturrecht wirft und Gelegenheit gibt, die Bedeutung des Vernunftrechts für das Gesetzgebungswerk in den Vordergrund zu stellen. Zugleich kann das Mißverständnis beseitigt werden, die Gesetzesredaktoren hätten der positiven Bindungswirkung des Naturrechts kritisch gegenübergestanden. Die „Erläuterung meiner Gedankken von dem Unterschiede des billigen und strengen Rechts“ behandeln das Problem des Verhältnisses von strengem1 und Naturrecht, sprich: der natürlichen Billigkeit, im Falle der Kollision oder einer übermäßigen Härte. Der Begriff des strengen Rechts ist dabei genau umrissen: Das positive Recht schlägt genau dann in strenges um, wenn es unbillige Erfolge zeitigt, obgleich und gerade weil es rechtstechnisch korrekt angewandt wird. Maßstab der Billigkeit ist die Vernunft. Darjes berührt mit seiner Abhandlung ein Kernproblem des Rechts überhaupt und des Vernunftrechts des 18. Jhrdts. im Besonderen. Im Gegensatz zum Naturrecht der Antike und des Mittelalters, namentlich der Hoch- und Spätscholastik, beugte das Vernunftrecht der Aufklärung der Ableitung des Rechts aus empirisch ermittelten Bedürfnissen und Machtverhältnissen der der Schöpfung entspringenden natura naturata vor, indem es die Natur mit dem Lichte der Natur und der Vernunft auf eine Stufe stellte.2 1 Strenges Recht, Scharfes Recht, enges, genaues, das höchste Recht, Jus strictum, Jus summum. 2 Krause, Naturrecht und Kodifikation, in: Vernunftrecht und Rechtsreform, Hamburg 1988, S. 11.

1. Strenges Recht

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Es ist kein Zufall, daß diese Gleichsetzung und die daraus folgende Ausprägung eines Vernunftrechts niederländischen und deutschen Ursprungs ist: Die Erfahrungen aus den langen Kriegen im 16. und 17. Jhrdt. in den Vereinigten Provinzen und im Reich hatten erwiesen, daß die Berufung auf alte Rechtstexte und das Herkommen unzureichend waren, um den Rechtsfrieden zu erhalten bzw. eine Rechtsposition zu behaupten. Vielmehr war offenbar geworden, daß diese Tradition zuviele unterschiedliche Interpretationen und Rechtsauffassungen zuließ. Selbst mit dem ausgefeilten Vertragswerk des Westfälischen Friedens ließ sich das Problem der Verbindlichkeit des Rechts nicht beheben, weil die Trennung von Politik und Recht noch bis Ulric Huber nicht durchgeführt war.3 Vielmehr hatte das sogenannte ius pulicum der Durchsetzung politischer Notwendigkeiten oder Interessen gedient.4 Um die dadurch entstehende Unverbindlichkeit zu vermeiden, bediente sich das Allgemeine Staatsrecht zwar auch der Empirie in Form der Historie. Das ausschlaggebende Moment aber war die Deduktion allgemeiner Rechtsregeln aus notwendigen Grundsätzen. Die Methodik des Allgemeinen Staatsrechts wurde dann die Methodik des Rechts überhaupt und es entsteht das Vernunftrecht, das als Wissenschaft „objective Vernunfterkenntnisse aus allgemeinen Quellen der Vernunft, [. . .] d. i. Principien“ schöpfte.5 Auf diese Weise setzte es die prinzipielle Gleichheit aller Menschen als vernünftige Wesen voraus,6 das heißt, daß die tatsächlichen Unterschiede des menschlichen Daseins, die durch charakterliche Veranlagung, Geburt und soziale Stellung, Güterausstattung etc., entstehen, irrelevant sind: Das Recht wird so zu einer Idee der praktischen Vernunft. Es ist bereits oben auf die Wolffische Prägung der Darjesschen Naturrechtslehre hingewiesen worden: Die Auffassung des Prinzips des Rechts als Pflicht zur Vollkommenheit, die allen Menschen obliegt; die als Pflicht den Menschen verbindet, eine Handlung nach dem Gesetz zu bestimmen7 und deren natürliche 3 Vgl. zum Ganzen: Schelp, Das Allgemeine Staatsrecht – Staatsrecht der Aufklärung, S. 53 ff. 4 Aus Sicht des Allgemeinen Staatsrechts und des Vernunftrechts überhaupt ist die französische Tradition von Bodin, Montesquieu bis zu Rousseau politische Wissenschaft. 5 Kant, Critik der reinen Vernunft, 2. Aufl., 1787, S. 865; vgl. Krause, Kant und das Allgemeine Landrecht, in: Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats, FS für Hans F. Zacher, Heidelberg 1998, S. 423 ff., 429. 6 Ders., S. 8. 7 „Officium dicitur actio juxta legem determinata, quatenus ad eam determinandam obligamur.“, Philo. pract. univers. I., § 224. (Als Pflicht bezeichnet man eine nach dem Gesetz bestimmte Handlung, wenn wir verbunden sind, diese [die Handlung] also [nach dem Gesetz] zu bestimmen.)

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

Verbindlichkeit zwar ihren zureichenden Grund in der Natur des Menschen findet;8 die menschliche Natur aber wiederum eine Schöpfung Gottes ist und darum Gott die eigentliche Quelle der Verbindlichkeit darstellt9 – dieser Auffassung entspricht im wesentlichen auch diejenige der Gesetzesredaktoren, mit der Einschränkung allerdings, daß die Quelle des Rechts nunmehr ausschließlich im Begriff des Rechts, seiner Idee nach Maßgabe der Vernunft, verortet wird. In der Vorerinnerung des Allgemeinen Gesetzbuchs heißt es: „Unter Natur=Recht versteht man hier, im weitläuftigern Sinne des Worts, die Wissenschaft von den Rechten und Pflichten der Menschen, so weit als solche aus der Natur und den Begriffen der Dinge, mit welchen die Rechtsgelehrsamkeit sich zu beschäftigen hat, erkannt werden können. Ein solches Natur=Recht schränkt sich also nicht blos auf die Befugnisse und Obliegenheiten des im Stande der Natur lebenden Menschen ein, sondern es setzt zugleich die mancherley Zustände, Lagen, und Verhältnisse voraus, in welchen der Mensch sich in der bürgerlichen Gesellschaft befindet; es bestimmt aus der Natur und dem allgemeinen Zweck dieser bürgerlichen Gesellschaft, aus der Natur und den besondern Absichten der verschiedenen ihr untergeordneten Verbindungen, aus der Beziehung, in welcher die einzelnen freyen Handlungen der Menschen mit jenen allgemeinen und besondern Zwecken stehen, wie weit sich daraus allein, ohne Hinzutretung des positiven Willens eines Gesetzgebers, Rechte und Pflichten für den Menschen, als Menschen überhaupt, und als Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft insonderheit, herleiten lassen.“ Das Naturrecht der Aufklärung beließ es folglich bei den drei Erkenntnisquellen für das rechte Verhalten des Menschen: dem Lichte der Vernunft, der obrigkeitlichen Anordnung und, stetig schwächer betont, der göttlichen Offenbarung. Damit ist aus Sicht der Vernunft das Recht einerseits die Möglichkeit der Diskussion. Wo der Dialog unmöglich ist, entsteht das Unrecht. Das Gespräch erfordert die Begegnung im Anderen, es fordert und zeitigt die Erarbeitung, die Erkenntnis des Gemeinsamen. Insofern ist das Recht die Bedingung, sich auch im Dissens argumentativ begegnen und zu einer Einigung gelangen zu können: Die Diskussion ist ein Hauptmerkmal des Lichtes der Vernunft.

8 „Obligatio naturalis est, quae in ipsa hominis rerumque essentia atque natura rationem sufficientem habet.“, Philo. pract. univ. I., § 129. (Die natürliche Verbindlichkeit ist jene, die im Wesen und in der Natur des Menschen selbst den zureichenden Grund hat.) 9 „Obligationis naturalis auctor deus est.“, Philo. pract. univ. I., § 275. (Gott ist der Schöpfer der natürlichen Verbindlichkeit.)

1. Strenges Recht

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Andererseits kennzeichnet das Recht auch ihr autoritatives Ende, insofern die Unterwerfung unter das Recht notwendig ist: Ihr Korrelat ist die obrigkeitliche Anordnung. Diese Unterwerfung jedoch ist – als Einsicht in die Notwendigkeit – betätigte Freiheit. Die Vernunft sieht die Notwendigkeit der Unterwerfung ein, wenn und nur soweit sie das Recht als Garantie der Diskussion begreift; ohne diese Garantie wiederum die Unterwerfung ohne Vernunft sich vollzieht. Als Leistung der Vernunft findet die Unterwerfung bereits durch die Behauptung einer Rechtsposition statt, nicht erst durch das richterliche Urteil, weil in jener Behauptung die Gleichordnung der Rechtssubjekte vor dem und durch das Recht notwendig mitgedacht ist. Anders gewendet: Die Rechtsbehauptung bedeutet immer auch die Akzeptanz einer gegenteiligen richterlichen Feststellung. Das Rechtssubjekt vertraut dabei auf das Verfahren, das zwar selbst bereits im Begriff des Rechts enthalten ist, dessen Grund jedoch – auch seine Grenze – in jenem Vertrauen liegt. Anfangsgrund der Unterwerfung wie der Diskussion ist die Vernunft: die Vernunft ist das Prinzip des Rechts. Sie begreift das Recht als Idee, die Willkür der Rechtssubjekte unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zu vereinen. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Rechts, seiner Legitimation – warum soll Recht überhaupt sein und nicht vielmehr die Rechtlosigkeit? – ist insoweit irrelevant, weil sie über die Grenzen der Vernunft hinausweist und letztlich auf eine inhärente Gottesvorstellung oder ihre Ablehnung zurückführt, beides indessen nicht diskutabel, sondern beliebig ist, soweit man die Vorstellung eines Gottes nicht selbst wiederum mit Projektionen der Vernunft auflädt. Hingegen selbst für den Fall, daß einst die Unfreiheit des Menschen Gewißheit würde, seine Freiheit dennoch als Idee der praktischen Vernunft notwendig dem Begriff des Rechts innewohnte. Der Rückgriff auf eine Gottesvorstellung ist dabei genauso wenig notwendig, indessen weniger schädlich und noch weit einleuchtender als die Selbstbeschränkung auf den Inhalt einer Rechtsnorm, der sich die Positivisten unterwerfen. Die Berufung auf immer die letzte, positive Rechtsnorm oder eine Grundnorm führt nirgendwo hin.10 Ob man sie im einfachen oder Verfassungsrecht verortet, ist letztlich gleichgültig.11 10 Über den Inhalt einer Grundnorm im Sinne der Reinen Rechtslehre läßt sich bekanntlich nichts Bestimmtes sagen. Sie ist nur die Hypothese, welche der Deutung der wirksamen positiven Zwangsordnungen als normative Ordnungen vorausgesetzt wird. 11 Die Verfassungsgläubigen unter den Juristen haben Sinn und Entstehung der Loseblattsammlung vergessen. Nach 1933 hat der Beck-Verlag die Weimarer Reichsverfassung einfach durch das NSDAP-Programm ersetzt. Es wirkt natürlich glaubwürdiger und redlicher, wenn bei einem solchen Unternehmen keine Neuauflagen erscheinen müssen. Die Loseblattsammlung gibt sich dabei als Bibel, deren Inhalt je schon

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

Dabei ist die Einigung auf die Rechtsnorm entweder unmittelbar eine Leistung der Vernunft, oder sie versucht, bereits Vorhandenes, in Übung befindliches Recht zu kodifizieren – was an der Qualität der dann schon vor der Kodifikation erfolgten Einigung auf das, was Recht sein soll, nichts ändert: sie bleibt eine Vernunftleistung, soweit sie sich unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vollzieht. Daß das gesetzte, positive Recht auch in der Rechtsfindungswirklichkeit der Gerichte oft nicht hinreicht, erhellt gerade dann, wenn die Gerichte, um Gerechtigkeit herzustellen, das positive Recht in einer Weise auslegen müssen, die dem Inhalt der Rechtsnorm offensichtlich nicht mehr entspricht.12 In diesen Fällen herrscht oft Einigkeit, daß das herbeigeführte Ergebnis unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten wünschenswert sei, jedoch nicht mit der allgemeinen Technik der Rechtserkenntnis erzielt werden könne. Welche Rechtsquellen hat das Gericht herangezogen? Jedenfalls solche, die außerhalb des gesetzten Rechts liegen – das Gericht hat jedenfalls nicht Recht gesprochen, es ist zu keinem Rechtserkenntnis gelangt.13 Im schlimmsten Fall jedoch wendet es das Gesetz einfach an: so wird aus dem positiven das strenge Recht. Die Priorität des Vernunftrechts haben die Redaktoren des AGB/ALR zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogen; die Behauptung, sie hätten einem als Rechtsquelle verstandenen und nicht von staatlicher Bestätigung abhängigen Naturrecht kritisch gegenübergestanden,14 geht an der Sache vorbei: soweit kontigentes Naturrecht betroffen ist, stellt die Notwendigkeit der obrigkeitlichen Sanktion eine Selbstverständlichkeit dar. Dem typischen positivistischen Mißverständnis unterliegt insbesondere, aber stellvertretend Bornemann, wenn er meint, daß die Forderungen des Natur- und Vernunftrechts bereits in das Landrecht aufgenommen worden seien, mithin könne von einer neben dem ALR hergehenden Berücksichtigung dieser Forderung nicht weiter die Rede sein.

immer existierte, sein Herkommen kann nicht an alten Auflagen abgeglichen werden und ist geradezu unerklärlich. Dieser Geisteshaltung entspricht es übrigens, die Rechtmäßigkeit eines Krieges an einem Beschluß des VN-Sicherheitsrates zu messen: Der Sicherheitsrat hat es beschlossen – Amen! 12 Paradigmatisch ist das vielgerühmte sogenannte Kreuzbergurteil des Preußischen Oberverwaltungsgserichts, das nur ein besonderes Beispiel für den paradoxen Umgang der Rechtsprechung mit dem positiven Recht darstellt. Dazu Krause, Das Allgemeine Landrecht als Naturrechtssurrogat, in: Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 889, S. 233, 250 ff. 13 Es wird dann oft von rechtspolitischen Erwägungen gesprochen. Es steht zu hoffen, daß die Gerichte noch keine Rechtspolitik betreiben, obgleich wenig Anlaß zur Hoffnung besteht. 14 Schwennicke, aaO., S. 127.

1. Strenges Recht

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Mit den Forderungen des abstrakten Vernunftrechts dürften jedoch diejenigen allgemeinen Grundsätze, welche sich aus dem Landrecht selbst mittels wissenschaftlicher Auffassung seines Inhalts herleiten ließen, nicht verwechselt werden. Diese bildeten vielmehr die eigentliche Basis der landesrechtlichen Bestimmungen, oder seien die leitenden Prinzipien, von denen der Gesetzgeber ausgegangen sei, und von denen daher die Wissenschaft und Praxis gleichfalls ausgehen müßten. Tatsächlich verwechselt Bornemann Ursache und Wirkung: Die von ihm so genannten Forderungen und Prinzipien sind nicht Teil des geltenden Rechts, weil die Redaktoren sie normierten, sondern die Redaktoren normierten sie, weil ohne sie das AGB/ALR als einheitliches Gesetzbuch nicht denkbar war. Anders, allgemeiner gewendet: Die Normierung des kontigenten Naturrechts ist notwendig und selbstverständlich, weil es kontigent ist, die Normierung des notwendigen Naturrechts15 ist selbstverständlich, weil ein Gesetzbuch, das die prinzipielle Gleichheit und Freiheit des Menschen zugrunde legt16, ja, dessen eines seiner Hauptmotive die Sicherung der bürgerlichen Freiheit ist17, ohne eine entsprechende Deklaration nicht auskommt. Die bürgerliche Freiheit ist überhaupt eine Idee der praktischen Vernunft und sie ist positivistisch weder zu konstruieren noch zu schützen. Im Kontext der Kronprinzenvorträge wird besonders deutlich, daß eine mögliche Kollision von positivem und Naturrecht nicht dem Denken Svarez’ entsprach: Die Grenzen des Staates verlaufen in rechtlicher Hinsicht in einer Linie mit den Grenzen seines Zweckes, nur soweit geht sein Recht, nur soweit ist er überhaupt zur Rechtssetzung berufen.18 Daß die natürlichen Rechte ohne Stütze durch das Gesetz keine Klage geben, ist eine ganz andere Frage.

15 Vgl. insbesondere § 83 Einleitung ALR. Dazu Koch, Teil 1, Anm. zu § 81 der Einleitung: „Die allgemeinen Rechte sind diejenigen, welche, konkret ausgedrückt, aus dem status hominum naturalis fließen.“ 16 Svarez, Kronprinzenvorträge, aaO., Bd. 4.1, S. 19: „In dieser kurtzen Entwickelung des Umfangs der natürlichen Rechte und Pflichten liegt zugl. der richtige Verstand des Satzes: daß alle Menschen von Natur einander gleich sind. Jeder Mensch nehmlich ist von Natur berechtigt, alles zu thun, was seine Glückseligkeit erhält und befördert [. . .].“ 17 II 13 § 1, 2 AGB/ALR; Svarez, Kronprinzenvorträge, aaO., Bd. 4.2, S. 576: „Der Zweck des Staates ist, die äußere und innere Ruhe und Sicherheit zu erhalten, einen jeden bey dem Seinigen gegen Gewalt und Störung zu schützen und für Anstalten zu sorgen, wodurch den Einwohnern Mittel und Gelegenheiten verschafft werden, ihre Kräfte und Fähigkeiten aus zu bilden und dieselben zur Beförderung ihres PrivatWohlstands anzuwenden.“ Das tü meum scheint durch. 18 Svarez, Kronprinzenvorträge, aaO., Bd. 4.1, S. 33: „Eben daraus erhellen auch die Gräntzen des Rechts einer jeden Obergewalt. Sie kan nehmlich nie weiter gehen, als es dem Zwecke der StaatsVerbindung gemäß und zur Erreichung deßelben nothwendig ist.“ Svarez zeichnet den heute so genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

Darjes stellt seiner Abhandlung ein Fallbeispiel voran, das eine unbillige Härte demonstrieren soll, die durch einwandfreie Gesetzesanwendung entsteht: Caius hat eine Forderung gegen den Titus in Höhe von 6.000 Talern. Die Gesetze sehen keine Stundung vor. Auch das Naturrecht gebietet Caius als Folge aus seiner Pflicht gegen sich selbst, das Seinige (das tü meum) einzufordern. Müßte indessen Titus die Summe sofort als Ganzes zahlen, könnte er den Unterhalt für sich und die Familie nicht mehr bestreiten und würde in die Armut getrieben, das heißt seine bürgerliche Existenz würde vernichtet. Titus bietet an, die Summe auf drei Termine zu zahlen. Hier gerät nicht nur die Pflicht des Caius gegen sich selbst mit seiner Pflicht, den Titus zu erhalten, und die je korrespondierenden Rechte in Kollision, sondern auch das positive Recht mit der natürlichen Pflicht gegenüber dem Titus. Darjes löst das Problem pragmatisch, wenn auch dogmatisch nicht gerade kunstgerecht, indem er auf die entstehenden Unannehmlichkeiten abstellt: „Das Incommodum, welches Caius, wenn er Geduld hat, empfindet, ist offenbar geringer, als das Incommodum des Titii, wen er die Schuld auf einmahl bezahlen soll. Ist nun dies seine Pflicht, so kann Er auch in dieser Lage kein Recht behalten, die Bezahlung auf einmahl zu fordern. Die bürgerlichen Rechte können das Recht der Vernunft nicht aufheben. Daher würde der Iudex unrecht handeln, wenn er dahin das Erkenntnis abfassen wollte, daß Titius schuldig sey, die eingeklagten 6000 Th. auf einmahl zu bezahlen. Er muß vielmehr den Rechten gemäß auf die Particular-Solution erkennen.“ Darjes’ monitum zum § 103 der Einleitung zum Entwurf gibt diese Argumentation beinahe wörtlich wider, lediglich die Namen sind vertauscht: § 103 Einleitung EAGB: „Welches Recht das stärkere (Jus potius) sey, muß der Richter nach den Gesetzen bestimmen.“ [§§ 95, 96, 97 ALR]19

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Die Vorschriften lauten: § 95.: „Wenn das Recht des Einen der Ausübung des Rechts eines Andern entgegensteht, so muß das mindere Recht dem stärkern weichen.“ § 96.: „In Ermangelung besonderer gesetzlicher Vorschriften muß der, welcher durch Ausübung seines Rechts einen Vortheil sucht, dem nachstehen, der nur einen Schaden abzuwenden bedacht ist.“ § 97.: „Sind die in Kollision kommenden Rechte von gleicher Beschaffenheit, so muß jeder der Berechtigten von dem seinen so viel nachgeben, als erforderlich ist, damit die Ausübung beider zugleich bestehen köne.“

2. Publikation

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„Ad. p. 30. § 103. Dieses muß wohl der Richter nach den Gesetzen der Vernunft, das ist, nach der Billigkeit bestimmen, als nach welcher allemal das zu beurtheilen, was in der Collision Pflicht bleibt, aus welcher das wahre Recht entspringet. Z. B. Caius ist dem Titio eine gewiße Summe schuldig, Titius fordert die Bezahlung auf einmal, und er hat in abstracto das Recht, dies zu fordern. Gesetzt: Caius sey unter diese Umstände nicht aus Nachläßigkeit, sondern durch ein Schiksal gerathen, daß er die Summe nicht auf einmal bezahlen könne, wenn er nicht völlig untergehen soll; auf gewiße und sichere Termine will er bezahlen. Zu diesem Falle kommt die Pflicht des Titus gegen sich selbst, das Seinige zu fordern, mit seiner Pflicht gegen den Caium, diesen nach Möglichkeit zu erhalten, in Collision. Nach der Vernunft bleibt in dieser Collision dies die Pflicht, den völligen Untergang des Caii nicht zu bewirkken. Folglich muß der Richter auf die Solutionem particularem erkennen. Ich würde daher diese Regel also bilden: Welches Recht in der Collision das stärkkere sey, muß der Richter nach den Gesetzen der Natur, das ist, nach einer gegründeten Billigkeit bestimmen. Solte aber die Billigkeit zweifelhaft seyn, so müßte der §. 104. eintreten.“ Die Einlassung blieb im Ergebnis nicht ganz folgenlos. Wie bereits erwähnt, betrachtet das ALR Rechte, die nicht positiviert sind, als unvollkommene; sie geben daher zwar keine Klage oder Einrede.20 Anzumerken ist jedoch, daß die Vorschrift des § 96 der Einleitung eine Billigkeitsentscheidung zugunsten desjenigen normiert, der im Kollisionsfall ein Recht geltend macht, um einen Schaden abzuwenden. Dem Schuldner wäre im obigen Fall nicht geholfen, weil er ja gerade kein vollkommenes und damit einredegebendes Recht im Sinne des § 86 geltend machen kann. Gleichwohl liegt es nahe, in der Änderung eine Folge der Darjes’schen Intervention zu sehen, denn so wurde die Billigkeit wenigstens für eine Fallgruppe berücksichtigt.

2. Publikation § 17: „Mit der Unwissenheit eines gehörig publicirten Gesetzes kann niemand sich entschuldigen.“ [§ 12 ALR am Ende] Ad. p. 19. § 17. Quaeritur: wie viele Zeit ist von der Zeit der Publikation zu zählen, wenn die Unwißenheit die Kraft, sich zu entschuldigen, verliehren soll? Es ist fast unmöglich, diesen Termin in dem Tage der Publikation zu setzen, und mit dieser Einschränkkung würde auch der § 19. abgefaßet werden. 20

s. § 86 der Einleitung.

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

Mit seinem monitum zu § 17 EAGB berührt Darjes die Frage der Gesetzespublikation und das damit verbundene Problem der Normdurchsetzung.21 Die Rechtsunkenntnis der Juristen spiegelt sich in zahlreichen Verordnungen, Edikten und Rescripten Friedrichs II. an die Gerichte und Behörden wider, die die Anschaffung von Gesetzessammlungen anmahnen22 oder die Ergänzung bestehender Gesetze anordnen;23 die Unkenntnis der Laien war dementsprechend noch größer. Svarez sah sich daher der Schwierigkeit ausgesetzt, die Anerkennung der Rechtsunkenntnis als Einrede mit der damit verbundenen Einschränkung der Allgemeinheit des Gesetzes in Einklang zu bringen.24 Die im Entwurf enthaltene Regelung setzte in § 16 die gehörige Bekanntmachung jedes neuen Gesetzes voraus und schloß in § 17 die Einrede der Rechtsunkenntnis in Anlehnung an Wolff25 grundsätzlich aus, Ausnahmen sollten nach § 18 aber möglich sein. Dabei bedeutete Rechtsunkenntnis der Irrtum über Dasein und Inhalt eines Gesetzes. Von vorneherein nicht unter § 17 fielen Auslegungsirrtümer und die irrige Tatsachensubsumtion.26 Darjes hatte schon im Discours darauf hingewiesen, daß die Promulgation eines Gesetzes nicht seine „würkliche Erkenntniß“ bedeute, „sondern promulgiren heißt machen, daß dem, der das Gesetz beobachten soll, die Erkenntnis des Gesetzes omnimodo möglich sey; daß also das nicht wissen des Gesetzes in seiner Gewalt stehet.“27 Die Rechtsunkenntnis sei jedoch dann relevant, wenn die ignorantia iuris invincibilis sei.28 Dementsprechend sei es unmöglich, den Termin, an dem „die Unwißenheit die Kraft, sich zu entschuldigen, verliehren soll“, auf den Tag der Publikation zu legen. Das zugrunde liegende Problem, nämlich die Rechtsunkenntnis des Bürgers, wird durch die von Darjes angeregte Verschiebung des Termins jedoch im besten Falle gemildert, nicht beseitigt. Denn selbst die den Bürgern aufgegebene Pflicht, sich um die Gesetze des Staates zu kümmern, ist vergebens: „Wie unmöglich es sey, dieser Forderung zu genügen, erhellet schon daraus, daß Personen, welche ihre ganze Lebenszeit der Erlernung und Anwendung der Gesetze 21 Vgl. Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, S. 189 ff. 22 Reskript an die Königsberger Kammer zur Anschaffung der Myliusschen Sammlung vom 9. Dezember 1756, Acta Borussica, Behördenorganisation X, Nr. 56, S. 84. 23 Schreiben Jariges’ an das Generaldirektorium vom 10. Februar 1761, Acta Borussica, Behördenorganisation XIII, Nr. 223, S. 455 ff. 24 Schwennicke, S. 192. 25 Wolff, Vernünfftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem Gemeinen Wesen, 5. Auflage, 1740, § 417. 26 Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Bd. 1, Berlin 1878, S. 31. Fn. 20. 27 Discours, PG, Cp. III., § 110. 28 § 117.

3. Rechteeinteilung

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gewidmet haben, dennoch nicht selten sich erst in den Gesetzen und Rechtsbüchern Raths erholen müssen . . . Sind sie endlich so glücklich gewesen, ein Gesetz zu finden, . . ., so wenden sie es ohne Bedenken auf Personen an, denen es gar nicht möglich war, sich von der Existenz eines solchen Gesetzes zu unterrichten.“29 Darjes Erinnerung blieb demgemäß folgenlos, das AGB/ALR gab der Allgemeinheit des Gesetzes den Vorzug.

3. Rechteeinteilung Vorbehaltlich der von anderen Verfassern stammenden monita, läßt sich ein maßgeblicher Einfluß auf die im ALR vorgenommene Einteilung der Rechte vermuten. Der Entwurf zum AGB hatte in den §§ 128, 129, 130 der Einleitung eine Dreiteilung in Personenrechte (Jus personarum), dingliche Rechte (Jus reale) und persönliche Rechte (Jus personale) vorgesehen, obgleich Svarez bereits in seiner im ersten Band der Materialien befindlichen schematischen Übersicht über das Zivilrecht das Jus personarum als Sonderfall des Jus personale behandelt.30 Darjes wendet sich gegen die im Entwurf vorgesehene Dreiteilung und macht den Großkanzler in seinem einleitenden Brief ausdrücklich auf seine Einwände aufmerksam.31 In Anlehnung an seine Institutiones schlägt er vor, die Drei- durch eine Zweiteilung in Jus personale und Jus reale zu ersetzen, das Personenrecht ist nach seiner Einsicht nur ein besonderer Fall des einen oder des anderen Rechts.32 Als Begründung führt er aus, daß das Recht des einen Rechtssubjektes, ein anderes zu zwingen, nur auf zwei Wegen entstehen könne, nämlich durch Obligation oder durch die Qualität der Sache als dem Rechtssubjekte eigentümlich. Ein Personenrecht könne stets nur einen besonderen Entstehungsgrund der Obligation oder des dinglichen Rechtes darstellen. So zum Beispiel, wenn der 29 Klein, Giebt es Zwangs= und Strafgesetze, welche die Bürger des Staats, auch ohne vorherige Bekanntmachung verpflichten?, Annalen der Preußischen Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit, 1788, Bd. 1, S. 93 f. 30 Bd. 1, fol. 131. 31 „Insbesondere würde Eurer Exellenz Beyfall bey dem, was ich Ad pag 34 §. 128 ff. angemerket, mir eine wahre Freude machen, weil ich es glaube hievon überzeugt seyn, daß hiedurch Streitigkeiten können zernichtet werden.“ (Schreiben v. 13. Dezember 1784) 32 Institutiones (7. edit.), PG, S. I., Cp. IV., § 157.

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

Vater dem Sohn zu Unterhaltszahlungen verpflichtet sei. Dies sei ein persönliches Recht des Sohnes gegen den Vater, das seinen Entstehungsgrund in dem Stande des Vaters als Familienoberhaupt habe und daher ein Personenrecht sei. Wenn der pater familias das Recht habe, jeden anderen von einer Disposition über den Sohn auszuschließen, so handle es sich um ein dingliches Recht, das seinen Entstehungsgrund ebenfalls im Stande des Vater finde. Darjes entwirft einen seiner Vorstellung entsprechenden Gesetzestext. §. 128. Rechte, die auf gewiße Sachen, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Person, die sich insbesondere verbindlich gemacht, ausgeübet werden können, sind dingliche Rechte /:ius reale/: §. 129. Rechte, deren Ausübung nur gegen gewiße Personen, die sich besonders verbindlich gemacht, statt finden, heißen persönliche Rechte /:ius personale/: §. 130. So wohl die dinglichen als auch die persönlichen Rechte, wenn sie aus dem Stande oder dem persönlichen Verhältniße der Bürger des Staats entstehen, heißen Personen-Rechte /:ius personarum/: Zwar übernimmt die Kommission diesen Vorschlag nicht wörtlich, doch ist im ALR die Einteilung in seinem Sinne durchgeführt: Die §§ 128 ff. der Einleitung fallen weg, statt dessen findet sich in Teil 1 Titel 2 §§ 122 ff. die Zweiteilung in persönliche und dingliche Rechte, die Definition der Personenrechte taucht nicht mehr auf. Darüber hinaus entspricht die im ALR durchgeführte Rechteeinteilung exakt der von Darjes in seinen Instituitiones erarbeiteten.33 Denn das persönliche Recht teilt Darjes nochmals auf in ein eigentliches Forderungsrecht, das auf ein facere gerichtet ist (ius personale in specie), und ein Recht auf Leistung einer Sache (ius ad rem),34 das als verdinglichtes persönliches Recht von einer bloßer Forderung und dem eigentlichen Recht auf die Sache (ius in re) unterschieden ist. Wenn nun in I II § 122 ff. zwischen persön33

Dazu auch das monitum zum Sachenrecht. Darjes, PS, Cp. II, § 445: „Ius in entis cuiusdam substantia, seu ius de substantia entis pro arbitrio proprio disponendi vocatur dominium. Est itaque dominium species iuris in re.“; vgl. zur Historie: Wesener, Dingliche Rechte und persönliche Rechte, FS Niederländer, S. 195, 207 f.; s. auch Koch, Allgemeines Landrecht – Kommentar, 1. Bd., Berlin 1878, S. 109, Fn. 99. 34

4. Kriminalordnung

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lichen und dinglichen Rechten als Rechten auf die Sache differenziert und in I II § 124 ein persönliches Recht, welches „das Geben, oder die Gewährung einer bestimmten Sache, zum Gegenstande hat“ ein Recht „zur Sache genannt“ wird, biegt das ALR gleich Darjes von der deutschrechtlichen in die romanistische Tradition ein.35

4. Kriminalordnung Mit der von Svarez verfaßten Anmerkung36 zu I.III.VIII. § 82 EAGB wird eine neue Criminalordnung angekündigt, die die im AGB vorhandenen Lücken schließen sollte. Svarez hatte ursprünglich vorgesehen, das ganze Strafrecht in einem eigenen Codex zu regeln, weil die Strafbestimmungen nicht subsidiarisch, sondern vorrangig gelten sollten.37 Er war mit diesem Ansinnen beim Großkanzler nicht durchgedrungen, hatte es aber offenbar vermocht, die strafprozessuale Ausgestaltung des 8. Titels der 3. Abteilung „Von den Rechten und Pflichten des Staats, zur Verhütung und Bestrafung der Verbrechen“ auszulassen und sowohl das Publikum als auch den Großkanzler auf eine eigene Instruktion zu vertrösten, die „ausser der eigentlichen Criminal=Prozeß=Ordnung, wohin auch die Lehre vom Gerichts=Stand in peinlichen Fällen, vom Corpore delicti, von den Anzeigen, und von den Beweisen gehört, nähere Regeln enthalten“ werde, „wie der Richter bey Abfassung des Erkenntnisses zu verfahren habe.“38 Die Fadenscheinigkeit und Naivität der Begründung für diese Auslassung, „man würde dadurch nicht nur den Volks=Codex selbst, zu einer dem bestimmten Gebrauch ganz widersprechenden Weitläufigkeit ausdehnen; sondern man würde auch boshaften Verbrechern Schlupfwinkel öffnen, und Cautele an die Hand geben, wodurch sie dem Richter die Ausmittlung ihres Verbrechens erschweren, und sich der würklich verdienten gesetzmässigen Strafe, zum äußersten Nachtheil des Staats, entziehen könnten; man würde folglich den Hauptzweck der Strafgesetze, nemlich Abschreckung von Verbrechen, bey der Menge, nur gar zu leicht verfehlen“,39 lenkt das Augenmerk auf ihren wahren 35

Vgl. dazu Huwyler (Huwiler), Der Begriff der Zession, Zürich 1975, S. 72. Krause, Öffentlicher Akkusationsprozeß vor einem Judicium Parium, in: Zeitenwende? – Preußen um 1800, hrsgb. v. Hellmuth, Meenken, Trauth, Stuttgart 1999, S. 97 ff., 99. 37 Ders., S. 99, Anm. 8. 38 Siehe Anmerkung zu I. III. VIII. § 82 EAGB. 39 Diese hinterkünftige Begründung widerspricht ganz der Haltung, die Svarez ansonsten einnimmt. In den Kronprinzenvorträgen findet sich diese Notwendigkeit zur Geheimhaltung jedenfalls an keiner Stelle angedeutet. Sie wird auch entlarvt durch die Andeutung in der „Unterweisung für die Parteien zu ihrem Verhalten bei Prozessen und anderen gerichtlichen Angelegenheiten, nach Anleitung der allgemeinen Gerichts36

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

Grund. Nimmt man Svarez’ Ausführungen in den Kronprinzenvorträgen und seinen Plan zu einer Kriminalordnung ernst, so ergibt sich, daß er die Kodifizierung des Strafverfahrens mit seiner gleichzeitigen, umfassenden Reform verbinden wollte, die auf eine durchgreifende Verbesserung der Rechtsstellung des Angeklagten zielte. Insbesondere die endgültig verbriefte Abschaffung der Folter und das Bestätigungsrecht bei Todesurteilen waren ihm ein Anliegen äußerster Wichtigkeit.40 Im Jahre 1786 waren die gesellschaftlichen Verhältnisse jedoch noch nicht derart beschaffen, daß eine dementsprechende Bestrebung irgendeinen Erfolg zeitigen konnte außer dem, den Widerstand gegen die ganze Gesetzesreform noch zu verstärken. Daher schien es Svarez angezeigt, die Reform zu strecken, seit dem Jahr 1791 in der Hoffnung, mit der Inthronisierung des von ihm selbst vorbereiteten Friedrich Wilhelm III. – dem er lapidar vorgetragen hatte, die Folter sei seit langem abgeschafft41 – würden neue Voraussetzungen geschaffen sein; neben der Arbeit am AGB/ALR ist dies der Grund dafür, daß die Kriminalordnung nicht sogleich fertiggestellt wurde. Ihre Bearbeitung schritt indessen mindestens bis ins Jahr 1788 durchaus voran, wie sich an der Aufforderung Carmers an Darjes zeigt, er möge ihm seine Gedanken über den Untersuchungsprozeß zukommen lassen.42 Darjes’ zu Beginn des Jahres 1788 eingegangene Abhandlung43 über die „Erste(n) Gründe des Untersuchungsproceßes sowohl in bürgerlichen, als auch in peinlichen Sachen“ stellt geradezu ein Lehrbuch und die bei weitem umfangreichste Einsendung dar. Sie ist als Grundlage einer Vorlesung verfaßt, die Darjes im Sommer des Jahres 1788 gehalten hat.44

ordnung für die Preußischen Staaten entworfen von C.G.S. und C. G. Berlin, Stettin 1796, S. VII f.: „Da wir inzwischen eine revidirte Kriminalordnung nächstens zu hoffen haben, so verschieben wir es bis dahin, dem größern Publikum auch über diesen wichtigen Theil der Rechtswissenschaft einen ähnlichen Auszug vorzulegen.“ 40 Svarez, Kronprinzenvorträge, Bd. 1, S. 102. 41 Ders., S. 103. Richtig daran ist, daß Friedrich II. durch die Kabinettsorder vom 8. 8. 1754 den Freibeweis durchsetzen wollte. Der König selbst hatte aber durch seine Order vom 15. 1. 1776 eine wesentliche Einschränkung vorgenommen; vgl. Schmidt, Einführung in die Geschichte der Strafrechtspflege, 3. Aufl., Göttingen 1965, S. 270. 42 Schreiben v. 8. Dezember 1787: „Ohne Zweifel legen Ewr. Wohlgeb. dabey gewiße Sätze als dictata od. sonst, zum Grunde; und ich würde Ihnen ausnehmend dafür verbunden seyn, wenn Sie mir gegen Vergütung der SchreibeGebühren Communication derer zu nehmen belieben möchten, indem ich deßen bey der noch auszuarbeitenden CriminalProceßOrdn. guten Gebrauch würde machen können.“ 43 Eingesandt mit Schreiben v. 30. Dezember 1787. 44 Schreiben Darjes’ an den Großkanzler vom 30. November 1787: „Ich lese in diesem Sommer ein Collegium über die ersten Gründe des Untersuchungs-Processes in der Anwendung auf peinliche- und policey verbrechen, auch auf bürgerliche Angelegenheiten.“

4. Kriminalordnung

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Die Schrift hebt an mit dem Unterschiede zwischen Inquisitions- und Akkusationsprozeß. Beide Prozeßarten standen sehr ungeordnet nebeneinander, ihr Verhältnis war ebenso partikular bestimmt wie das materielle Recht. In der Kur- und Neumark hatte, wie sonst im Reich auch, der Inquisitionsprozeß vorgeherrscht, allerdings ohne den Akkusationsprozeß vollständig verdrängt zu haben.45 Umgekehrt war im Herzog- bzw. Königtum Preußen im Anschluß an Damhouder46 der Akkusationsprozeß durch das „Landrecht des Herzogthums Preussen“ von 1620 zum ordentlichen, der Inquisitionsprozeß zum außerordentlichen Prozeß erkoren worden.47 Jedoch war auch hier die Trennung nicht streng durchgeführt, vielmehr schränkte das Revidierte Preußische Landrecht von 1685 ein, der Akkusationsprozeß sei nur da notwendig durchzuführen, „wo ein Kläger vorhanden“48 Es entwickelten sich Mischformen, die es dem Richter in Anschluß an Brunnemann sogar erlaubten, jedes Anklageverfahren oder in welchen ein Fiskal als Kläger auftrat in einen Inquisitionsprozeß zu verwandeln;49 schließlich geht die Criminalordnung von 1717 „blos auf den inquisitorischen Prozeß“50, und Svarez spricht in seinen Vorschlägen für eine Kriminalprozeßordnung von dem Processus inquisitorius als der „Regel bey Cri:Unters:.“51 Darjes wendet sich in seiner Abhandlung dezidiert gegen den Akkusationsund spricht sich für den Inquisitionsprozeß aus. Der erste könne nicht mit der gesunden Vernunft bestehen, weil es unmöglich sei, die „Lage der Sache, nach ihrer wahren Quelle“ einzusehen, wenn der „Judex gehalten seyn“ solle, „dem Vortrage gemäß zu entscheiden.“52 Demgemäß erklärt er die Beteiligung von Advokaten bei dem Informationsprozeß für unstatthaft, da es dem Richter obliege, die Wahrheit zu ermitteln: Im Gegensatz zum Klageprozeß komme es nämlich nicht auf die beredte Überzeugung des Richters durch die Parteien an, sondern auf die Sachlage. Dementsprechend sei die Heranziehung gerichtlicher Beistände angezeigt.53 45 Vgl. zum Ganzen Regge, Kabinettsjustiz in Brandenburg-Preußen, Berlin 1977, S. 101 ff. 46 Damhouder, Praxis Rerum Criminalium, Cp. V, Nr. 1, Köln 1591, S. 9: „In omnibus judiciis crminalibus necessario proceditur ab accusatione.“ 47 Regge, S. 122; Schmidt, Fiscalat und Strafprozeß, München 1921, S. 74. 48 Churfürstlich Brandenburgisches Revidiertes Land=Recht des Herzogthumbs Preussen, Königsberg 1658, Art. II, § 1. 49 Brunnemann, Tractatus juridicus de Inquisitionis Processu, 9. Aufl., Frankfurt (Oder) und Leipzig 1714, Cp. I., Nr. 18: „Hic officium judicis esse putaverim, non obstante accusatione, ex officio veritati succurrere.“ 50 Biener, Beiträge zur Geschichte des Inquisitionsprozesses, Leipzig 1827, S. 182 ff. 51 Abgedruckt bei Krause, S. 109 ff., 111. 52 Erster Abschnitt, § 8 am Ende. 53 § 7.

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

Es ist durchaus denkbar, daß Svarez genau diese Ausführungen vor Augen hatte, als er selbst die Vorschläge für eine Kriminalprozeßordnung abfaßte – was gegebenenfalls die von Krause54 vorgeschlagene Datierung vor 1787 widerlegte. Allerdings ist es ebenso möglich, daß sich Svarez von der Natur der Sache oder der Anordnung beispielsweise im Revidierten Landrecht leiten ließ. Jedenfalls stellt auch er Überlegungen hinsichtlich des richtigen Klageverfahrens in Strafsachen voran.55 Anders als für Darjes jedoch, ist für Svarez der Akkusationsprozeß das Verfahren, das „vor dem inquisitorio [. . .] viele Vorzüge habe.“ Auch für ihn ist die Wahrheitsfindung ausschlaggebend, allein anders gewendet: Die Sicherheit der Bürger des Staates sei im Anklageverfahren sicherer gewährleistet als im Inquisitionsprozeß, denn „es ist in der Natur der Sache gegründet, daß jeder welcher sich lange u. mit Aufmerksamkeit mit Untersuchungen über die Wahrheit od. Unwahrheit einer Thatsache, über die Schuld od. Unschuld eines Menschen beschäftigt, unvermerkt und sich selbst unbewußt, Partei nehme, und durch dunkle Eindrücke einen Hang auf die eine od. andre Seite überkomme.“56 Schließlich entscheidet sich Svarez aus praktischen Gründen – Schnelligkeit des Verfahrens, Verwaltungs- und Kostenaufwand – doch für den Inquistionsprozeß als Regelverfahren, Ausnahmen schlägt er in den Fällen vor, in denen das Gesetz Geldstrafe vorsieht und bei Antragsdelikten wie Notzucht und Haus- und Familiendiebstahl.57 Nachdem Darjes den Akkusations- vom Inquisitionsprozeß geschieden hat, geht er über zu den „Verbrechen, die peinliche (Criminal) genannt werden, und den ihnen gesetzten Strafen.“ In den §§ 11 ff. definiert und differenziert er in überkommener Weise zunächst den Begriff des peinlichen Verbrechens (Crimina): darunter fallen solche Verbrechen, die die gemeinschaftliche Sicherheit des Staates verletzen; den Gegenbegriff bilden also die (Privat)delikte, um die sich die Obrigkeit ohne vorangegangene Klage nicht bekümmert. Aus dieser Differenzierung ergibt sich dann der erste Zweck der Strafe, die als Wiederherstellung bzw. Bewahrung der Sicherheit des Gemeinwesens ein Akt der Gerechtigkeitsgenugtuung darstellt, § 16; dabei ist Gerechtigkeit als objektiver Zustand gedacht, in welchem den Gliedern des Staates die Sicherheit garantiert wird: Ungerecht ist demnach die Gefährdung jener Sicherheit. Die Strafen selbst teilt Darjes in poenae capitales und non capitales. Die von ihm aufgestellte Liste der möglichen Strafen ist durchaus frühneuzeitlich. Sie reicht von den poenae simplices, das heißt dem Köpfen und dem Hängen, bis 54 55 56 57

S. 109, Fn. 44. Wie Fn. 80, S. 109. S. 110. S. 111.

4. Kriminalordnung

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hin zu allerlei Arten der poenae qualificatae, wie zum Beispiel dem Rädern, Sacken, Verbrennen bei lebendigem Leibe, dem Pfählen und dem Vierteilen, wobei bisweilen in zwei Grade der Bestrafung zu teilen ist. Hinzu können noch die exasperationes treten, das heißt die Hinzufügung von besonderen Schmerzen vor der eigentlichen Bestrafung, beispielsweise das Schleifen zur Gerichtsstätte, das Zangenreißen und das Abhauen gewisser Körperglieder, oder die postmortale Verstümmelung zwecks Abschreckung, wie das Pfählen. Die exasperationes finden statt, „wenn das Verbrechen, dem die gesezze eine bestimte Lebensstrafe gesezzet, mit einer außerordentlichen Bosheit ausgeübt worden“ oder, postmortal, „wenn keine Entschuldigung vorhanden, den Verbrecher von der Lebensstrafe zu befreyen; aber doch solche vorhanden sind, welche die Befreiung von der strängen Lebensstrafe, [. . .], mit Recht würken können.“ Diese Liste war schon zu Zeiten ihrer Abfassung zum größten Teil anachronistisch. Für Svarez war sie gewiß inakzeptabel. In den Kronprinzenvorträgen sieht er als schwerste Strafform das Rädern und das Verbrennen bei lebendigem Leibe für die Brandstiftung bzw. mörderischen Raub vor.58 Darjes wendet sich dann mit Beginn des fünften Kapitels der Abgrenzung zwischen General- und Spezialinquisition zu. Eine genaue Unterscheidung zu treffen sei notwendig, „weil wen es zur besondern Inquisition komt, die bürgerliche Ehre des Angeschuldigten geschwächt wird, so daß er auch alsdenn nicht mehr der Beschuldigte, sondern der Inquisit genannt wird.“59 Die inquisitio generalis verfolgte den Zweck, die Berechtigung zur specialis zu prüfen, also die Versetzung in den eigentlichen Inquisitionszustand vorzubereiten. Sie diente der summarischen Sammlung von Indizien und Zeugenvernehmung und war zunächst darauf beschränkt, dem Richter eine ungefähre Vorstellung von Tathergang und Verdächtigen zu vermitteln.60 Dabei war der Übergang in die specialis tatsächlich fließend, denn sobald ein Zeuge oder der Verdächtige selbst sich bei der uneidlichen Vernehmung in Widersprüche verstrickten, wurde aus dem Verdacht eine Anschuldigung und aus dem Verdächtigen ein Angeschuldigter.61 War allgemein anerkannt, daß die Vornahme der Generalinquisition schon aufgrund eines Gerüchtes, „von dessen Ungrund man nicht durch gegentheilige Beweise überzeugt ist“,62 erfolgen konnte, waren hingegen die genauen Voraus58

Svarez, Kronprinzenvorträge, aaO., Bd. 2, S. 799. Fünftes Kapitel, § 61. 60 Quistorp, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, 6. Auflage, 1796, 2. Bd., § 592; Biener, S. 182. 61 Biener, S. 182. 59

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

setzungen, unter denen von der General- in die Spezialinquisition zu schreiten war, umstritten und ungeklärt. Kriterien für den Übergang sollten einmal die Personalisierung des Verdachtes sein, ein anderes mal wird auf die Mittel der Vernehmung oder die vernehmende Behörde abgestellt.63 Dabei waren die Gründe und Motive für die Unterscheidung im Laufe der Zeit offensichtlich in Vergessenheit geraten, so daß die Frage im 18. Jhrdt. zu einem Formproblem verkommen war, welches die heimliche Vermutung, die Folter sei unhaltbar, verbarg. Svarez gehört dann zu den Ersten, die diese Vermutung als eine Selbstverständlichkeit, die sie wiederum nicht war, aussprechen. Darjes’ Ausführungen spiegeln einerseits diese Suche nach Orientierung wider, indem sie die Berechtigung der hergebrachten Unterscheidung fraglos voraussetzen und nicht an das Hergebrachte rühren: Er setzt sich damit der Notwendigkeit aus, eine Struktur für die peinliche Befragung zu konstruieren, die mit der von ihm vertretenen sogenannten mathematischen Methode64 von vorneherein nicht überzeugend zu konstruieren ist, weil diese Methode innere Widersprüche nicht kennt, indessen die Begründung der Tortur als Hauptmerkmal der Spezialinquisition mit dem damit verbundenen Anspruch, den Delinquenten vor übermäßiger Härte zu schützen, ohne inneren Widerspruch gar nicht auskommt. Wenn Darjes in § 76 als natürliche Folge aus der Regel Ius ad finem dat Ius non ad media abundantia, tamen ad media sufficientia die Unterwerfung des Inquisiten unter „härtere Mittel“ ausgibt, „um die wahre Lage zu entdekken“, dann wird aus seiner Methode eine einigermaßen verquere Logik: Denn entweder der Richter kennt die Wahrheit oder hat bereits eine hinreichende Vorstellung entwickelt und weiß also bereits vor Vernehmung den wahren Sachverhalt, dann ist die Vernehmung und insbesondere die Anwendung härterer Mittel sinnlos; oder er will den Sachverhalt noch ermitteln, dann hat er die Aussagen ernst zu nehmen. Sobald er sie unglaubwürdig oder widersprüchlich findet, ist eine Vorstellung schon da gewesen, die das Maß der Aussage war. Geradezu hilflos gerät das Ganze, wenn Darjes dann, ganz der allgemein gewordenen Ansicht folgend, in § 81 die Glaubwürdigkeit des Geständnisses fordert, um die Möglichkeit auszuschließen, der Gequälte habe nur gestanden, um die Folter zu beenden. Um nicht die eigentlich logische Konsequenz ziehen zu müssen, das ganze Verfahren, das ja immerhin der Wahrheitsfindung dienen soll, neu anheben zu lassen, soll das Geständnis „nach der Zeit auf richterliches Befragen in der Freiheit wiederholt“ werden, „welches gewöhnlich in 24 Stunden nach der ausgestandenen Tortur zu erforschen“ ist.65

62

Quistorp, § 593. Siehe Quistorp, § 592; Biener, S. 190. 64 Vgl. oben Fn. 35. 65 Vgl. Svarez, Kronprinzenvorträge, aaO., 4.1, S. 103: „Wiederruft er nach geendigter Tortur, so wird er von neuem auf die Folterbank gebracht, und dieß dauert so 63

4. Kriminalordnung

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Die Fragwürdigkeit der Wahrheitsfindung im Strafprozeß nach reinen Begriffen der Logik wird von Darjes dabei nicht angeschnitten. Die Gründe für den Übergang von der General- in die Spezialinquisition, die dem Richter als Instrument an die Hand gegeben werden und ihm gewissermaßen als Katalog die vermeintliche Sicherheit vermitteln sollen, die Marter sei in genau bestimmten Fällen darum legitimiert, nicht lediglich weil eben das Gesetz sie erlaube, sondern weil eindeutige Vernunftgründe sie geradezu erfordere, wählt er vielmehr einigermaßen willkürlich. Zunächst soll sich der Richter davon überzeugen, daß überhaupt ein Verbrechen begangen worden ist66 und dabei sein eigenes Urteil gegebenenfalls durch das eines Gutachters ersetzen.67 Wenn er sich dann als zweiter Voraussetzung der Spezialinquisition der Frage zuwendet, welche Person als Verbrecher verdächtigt werden soll,68 wird die Scheinrationalität seiner Argumentation offenbar. Denn als indicia qualificata, die eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit eines begangenen Verbrechen oder des gewissen Verbrechers anzeigen,69 nennt er nicht nur das „schlechte“ Leben der Eltern und die üble Kindererziehung,70 sondern auch die Willensausrichtung des Täters.71 Insbesondere der freiwillige und andauernde Umgang mit Verbrechern, der die „Vermutung einer bösen Gesinnung würket“, lasse auf eine allgemeine Willensdisposition zum Verbrechertum schließen, die zwar noch durch eine besondere Willensdisposition72 zu dem konkreten Verbrechen ergänzt werden könne, die aber als qualifiziertes Indiz eine Ahnung zu einem Verdacht verdichteten. Andererseits steht Darjes merklich vor Augen, daß es sich bei dem Delinquenten um ein menschliches Wesen handelt, den es vor ungerechtfertigten Härten zu schützen gelte. Jedoch dringt er nicht zu der Konsequenz durch, die Tortur ganz fallen zu lassen, sondern legt nur die Meßlatte ihrer Rechtfertigung fest. Anders Svarez: Er ist überhaupt von der Notwendigkeit der Einteilung in General- und Spezialinquisition nicht überzeugt und spricht sich gegen Darjes und dafür aus, sie ganz fallen zu lassen. Insbesondere der Übergang von der General- zur Spezialinquisition durch die formelle Einkleidung in die artikulierte Befragung scheint ihm grundlos und bloß „doctrinell“ motiviert; die sachliche lange, biß der unmenschliche Richter nunmehr hinlängliche Gewißheit seiner Schuld in seinem Geständniße zu finden glaubt.“ 66 Drittes Kapitel, § 40. 67 § 41. 68 § 43 ff. 69 Fünftes Kapitel, § 61. 70 Drittes Kapitel, § 44. 71 § 45. 72 § 46.

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

Zielrichtung der Befragung ändere sich in Wahrheit nicht. Daher dürfe diese Unterscheidung in ein Gesetz nicht aufgenommen werden.73 Tatsächlich erhellt der Grund, eine solche, auf den ersten Blick sachlich nicht zu rechtfertigende und vollkommen überflüssige Trennung vorzunehmen, nur dann, wenn man das Bemühen unterstellt, dem Mißbrauch der Folter vorzubeugen und den Schutz des Beschuldigten dadurch zu verbessern, daß die Tortur an strenge Formen gebunden wird. In Wahrheit sollte mit einer solchen Trennung keine wissenschaftliche Einkleidung vorgenommen, sondern an den Richter appelliert werden, den bereits erfolgten Entschluß, die Folter anzuordnen, am Gesetz zu prüfen. Denn die spezielle Einvernehmung des Beschuldigten setzte doch bereits die Annahme der Schuld voraus. Nur daher erklärt sich die Anforderung der artikulierten Befragung. Es bedeutet daher ein Mißverständnis, Darjes ein bloß dogmatisches Interesse zu unterstellen. Wie bereits erwähnt, war die Tortur für Svarez aber bereits indiskutabel. Daher findet er in der überkommenen Trennung keinen Sinn und versteht sie im Gegensatz zu Darjes auch gar nicht mehr, für den die Folter noch eine Selbstverständlichkeit ist. Gelegentlich dieses Unterschieds wird besonders deutlich, wie sehr Darjes’ Denken noch im späten 17. und frühen 18. Jhrdt. verhaftet ist und wie sehr Svarez der eigenen Zeit vorauseilt und sie beschleunigt.

5. Abschoßrecht Darjes’ monitum über das Abschoßrecht74 stellt eine dogmatische Fundierung der im Entwurf enthaltenen Vorschriften von den Auswanderungen und Abfahrts=Geldern dar, die eine umstrittene Materie regeln sollten. Ihre veränderte Anordnung gegenüber dem ersten Entwurf – der sie noch unter dem Titel von den nutzbaren Rechten und Regalien des Staates geführt hatte – unter den Titel über die Rechte und Pflichten des Staats zum besonderen Schutz seiner Untertanen, ebenso wie das monitum selbst machen die heterogene Struktur des seinerzeitigen Preußens und seine verworrenenen und ungeklärten, weil gewachsenen Verwaltungsstrukturen deutlich.

73

Wie Fn. 80, S. 113. Auch Abzugsgeld, Abschied, Nachsteuer, Gabella, Auszugsgeld. Der Abschoß betrug zumeist den dritten, zehnten oder den zwanzigsten Teil des ausgeführten Vermögens. Befreit waren je nach örtlicher Gewohnheit Geistliche, Kirchendiener, Professoren. Reichsrechtlich anerkannt in dem Reichsabschied von 1555, §§ 24, 55; vgl. Schomburg, Lexikon der deutschen Steuer- und Zollgeschichte, S. 5. 74

5. Abschoßrecht

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Entstehungsgrund des obrigkeitlichen Rechtes, Abschoß zu fordern, war nach verbreiteter Auffassung stets ein besonderes Statut oder Herkommen in den jeweiligen Jurisdiktionen. Daraus folgte zum einen, daß das Abschoßrecht nicht automatisch und einheitlich in allen Jurisdiktionen entstand, nämlich da nicht, wo kein entsprechendes Herkommen oder Statut solches vorsah; zum anderen blieb unklar, wer Berechtigter sein sollte. Denn wenn auch der Preußische König in einer immer mehr zur Realunion tendierenden Personalunion Provinzherr war, zB. war Friedrich Herzog von Cleve, so war es mit dieser Ansicht denkbar, daß auch eine niedere Obrigkeit aufgrund regionalen Herkommens oder Gewohnheit und der Bindung an die Gerichtsbarkeit Abschoß fordern konnte, und zwar auch dann, wenn der Vermögensübergang innerhalb der Provinz sich vollzog. Dieses auch praktisch weitestgehend durchgeführte Prinzip durchbricht der Entwurf in zweierlei Hinsicht. Zum einen bestimmt er in I. Teil III. Abteil. V. Titel §§ 12 ff., daß die Gerichtsbarkeit, auch die Patrimonialgerichtsbarkeit, ein von der höchsten Gerichtsbarkeit des Staatsoberhaupts, sprich: dem König, abgeleitetes Recht darstellt. Zum anderen bedarf es zwar noch der abschließenden Klärung, ob der Staatsbegriff des AGB/ALR stets Preußen als Ganzes oder auch seine einzelnen Provinzen meinte, gleichwohl war mit EAGB I. Teil III. Abteil. V. Titel § 77 ausgesprochen, daß die Abfahrts=Gelder zu den dem Staat vorbehaltenen nutzbaren Rechten zu zählen waren, der Staat folglich Berechtigter war, mithin immer der König entweder als Provinzherr oder eben als Preußischer König. Angesichts des erwarteten Widerstands der Stände kommt Darjes dem offenbar besonders erteilten, leider nicht mehr erhaltenen Auftrag Carmers,75 diese Regelung dogmatisch zu untermauern, nach, indem er den Abschoß zunächst als „eine gewiße Summe Geldes, welche von dem Vermögen des aus einer beständigen Jurisdiction unter eine andere ohne zurükkomenden Gewinn gehet, zurückbehalten wird“ definiert – er macht also wie der EAGB im I. Teil III. Abteil. V. Titel §§ 93 ff. noch keinen sachlichen Unterschied zwischen Abfahrtsgeld und Abschoß, hingegen das ALR im II. Teil XVII. Titel §§ 161 ff. nur noch Erbschaften als abschoßpflichtig behandelt, die einem Auswärtigen zugefallen sind und daher außer Landes gehen. Der Abschoß wird auf diese Weise gewissermaßen zum Spezialfall des Abfahrtsgeldes.

75 Daß ein solcher erging, geht aus dem Schreiben von Darjes an den Großkanzler vom vom 11. Juni 1786 hervor: „Ich habe vor einigen Wochen aus meinem Vaterlande den Auftrag bekommen, meine Gedanken von den Grund=Sätzen des Abschoß=Rechts zu entwerfen, und solchen Entwurf dahin zu übersenden.“ Ebenso denkbar ist, daß Darjes mit seinem Vaterland Mecklenburg meint.

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D. Die eingebrachten Abhandlungen und monita

Darüber hinaus nimmt Darjes den zurückkommenden Gewinn in seine Definition auf, was dem eigentlichen Sinn des Abschoß, die Kapitalflucht zu erschweren, schon immer entsprochen hatte. Die Entlastung z. B. für Kaufleute, die ihre Waren zum Verkauf in ein anderes Land und den Erlös wieder zurück ins Land brachten, war jedoch noch als Ausnahme verstanden worden. Das Recht, Abschoß zu fordern, sieht Darjes anders als beispielsweise Nettelbladt76 indessen nicht in den Statuten, Herkommen oder Gewohnheiten begründet, sondern betrachtet es als ius reale auf das innerhalb der Jurisdiction befindliche Vermögen, das stets dem Landesherrn als Folge aus dem dominio eminente zustehe. Eine niedere Obrigkeit könne folglich das Abschoßrecht als abgeleitetes Recht nur ausüben, soweit ihr durch den Landesherrn das dominium eminens verliehen worden sei, also das erstmals von Grotius definierte, von Svarez in den Kronprinzenvorträgen entsprechend gefaßte Majestätsrecht, das Eigentum des Bürgers zum gemeinen Besten zu verwenden.77 Darjes sagt jedoch nichts darüber, ob die Deligation der Gerichtsbarkeit automatisch auch das Abschoßrecht mit umfasse. Dementsprechend äußert der Großkanzler in seinem Antwortschreiben seine Freude darüber, daß Darjes’ Theorie mit der seinigen übereinstimme, hält aber die Frage, ob die Gerichtsbarkeit auch das Recht, Abschoß zu fodern, mit umfasse oder ob es noch besonders erlangt werden müsse, weiterhin für ungeklärt.78 Das ist um so bemerkenswerter, als Svarez sich in der Revisio sehr deutlich fasst: Ad § 111=114. 1) ad § 111.112. Der Satz, daß ein jeder, der mit der Gerichtsbarkeit beliehen ist, auch die Praesumtion für sich habe, daß ihm die Gabella compelire, ist viel76 Nettelbladt, Abhandlung vom gantzen Umfange der natürlichen und der in Teutschland üblichen positiven gemeinen Rechtsgelahrtheit wie auch seinen darauf gerichteten Vorlesungen, Nachdruck der Auflagen Halle 1772 und 1773, Hildesheim 1998, S. 287 ff., sieht den Abschoß nicht nur als natürliches Recht des Landesherrn über das Vermögen des Untertanen an, sondern stellt noch vielmehr auf die Reichsgesetze und die Gewohnheit ab. 77 De Jure Belli & Pacis III. 19. 7. c. XX. § 7; Darjes knüpft an die bereits in den Institutionen getroffene Unterscheidung zwischen dem dominium eminens ordinarium & extraordinarium an, Inst. PS V, II, § 700; Svarez beschreibt den Abschoß als nutzbares Recht, das vom Privateigentum abgesondert und dem Staat zur ausschließlichen Benutzung beigelegt worden ist, um öffentliche Bedürfnisse zu bestreiten, vgl. Kronprinzenvorlesungen 1791/1792, Zweiter Teil. Das positive preußische Recht, S. 698 f., in: Gesammelte Schriften, hrsg. v. P. Krause, Bd. 4/2, Stuttgart 2000. 78 Konzept der Antwort des Großkanzlers vom 15. Juni 1786.

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mehr nicht richtig. Gewöhnlich ist es freyl., aber doch immer contra principia; und ich finde es bedenkl. denselben aufzunehmen. Das mag daraufhin deuten, daß es in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Großkanzler und Svarez gegeben hat. Tatsächlich findet sich die Vorschrift in II XVII § 174 bzw. § 175–179 ALR wieder.

6. Sachenrecht Die Definition des Eigentums, sein Inhalt und Gegenstand, sein Erwerb und seine Nutzung, stellten die Schöpfer des AGB/ALR vor eine gleichermaßen theoretisch wie praktisch delikate Herausforderung. Theoretisch, weil zum einen das Eigentum selbst ein – vorstaatliches – Freiheitsrecht darstellt, das der Staat allenfalls garantieren und gegebenfalls zum Nutzen der Allgemeinheit einschränken, niemals aber begründen kann, die Freiheit selbst gerade durch die Ausübung jenes Rechts von vorneherein besonders stark gefährdet und gleichzeitig jedoch erst ermöglicht wird: die Dialektik des Eigentums ist damit nur angedeutet; zum anderen, weil sich am Ende des 18. Jhrdts. zwei Traditionen gegenüberstanden, verkürzt gesagt: die natur- und deutschrechtliche auf der einen und die romanistisch-historische auf der anderen Seite, wobei die Zuordnung nicht immer eindeutig vorzunehmen ist. Praktisch, weil die Eigentumsfrage auf ein Schlüsselproblem der Gesellschaft verwies, indem sie die überkommenen Rechte der ständischen Gesellschaft als legitime Eigentumstitel neu zu debattieren und zu begründen hatte.79 Damit ist ein tatsächlicher ständischer Widerstand nicht behauptet,80 jedoch hatten Svarez und Carmer die Sensibilität dieser Frage zu kalkulieren. Es war also angezeigt, den Entwurf dogmatisch abzusichern und diese Absicherung in der Vorerinnerung mitzuteilen. Auch die Darjes’sche Eigentumslehre nimmt ihren Ausgangspunkt bei Wolff, jedoch auch hier zweigt Darjes später in eigene Wege ab. Aus der Korrelation von Pflicht und Recht81 folgt, daß der Verpflichtung des Menschen zur eigenen Vervollkommnung eine Berechtigung zu den Mitteln gegenübersteht, deren er zur eigenen Vervollkommnung bedarf.82 Diese Berechti79 Eckhart, Noch einmal: Freiheit und Eigentum, in: Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, Berlin 1998, S. 80. 80 Vgl. hierzu Krause, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung, in: Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, S. 131 ff. 81 Darjes, Inst., (ed. 7.), PG, Cp. IV, § 151: „Possibilitas agendi respective talis dicitur potentia seu facultas. Enti ergo potentia tribuitur, quatenus per ea, quae eidem insunt, actio concipitur possibilis. Ex quo sequitur, enti facultatem agendi moralem inesse, quatenus ex iis, quae eidem insunt, actio moraliter possibilis potest concipi,

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gung verdichtet sich im tÎ nostrum, dem uns Gehörenden,83 das dem Menschen gemäß seiner Bestimmung zur Vollkommenheit und Glückseligkeit zukommt84 und welches auf rechtlicher Ebene alle Forderungs- und Eigentumsrechte umfaßt:85 das tÎ nostrum ist also mit Vermögen im weitesten Sinne zu übersetzen. Insofern nimmt Darjes den naturrechtlichen Gedanken der umfassenden Güterzuordnung durchaus auf.86 Damit ist bereits ausgesprochen, daß das Eigentum für Darjes eine spezielle Erscheinungsform des Vermögens darstellt. Die Spezialität des Eigentums ist damit natürlich noch nicht erschöpft. Vielmehr erklärt Darjes das Eigentum zu einer species des ius in re,87 welches er in das ius disponendi de rei substantiae und das ius disponendi de consectariis teilt. Während letzteres beispielsweise Nutzungen umschließt, meint ersteres das Recht auf das Wesen der Sache selbst und damit das Eigentum als konkrete Rechtsposition, über die im Gegensatz zum tÎ nostrum ein Rechtsstreit geführt werden kann. Gegenstand des Eigentums im rechtstechnischen Sinne sind für Darjes dabei lediglich die res corporales, Eigentum an Rechten findet nicht statt;88 auch hierin unterscheidet er sich fundamental von Wolff. Dementsprechend faßt Darjes auch seine Erinnerung zum Eigentum ab:

quae agendi ius audit, in quantum terminus sumitur, ut cum GROTIO loquar, pro qualitate personae (vid. §. 9. et 39. Pr.)“; vgl. Huwyler (Huwiler), aaO., S. 68 ff. 82 Huwyler, S. 71. 83 Darjes, PS, Cp. I., § 277: „Ea, quae obligationi nostrae convenienter, Quid seu, quae pro arbitrio nostro proprio ad nostram dirigere possumus felicitatem, constituunt tÎ nostrum.“ 84 Huywler, S. 69. 85 Darjes, § 278: „Iura nostra pertinent ad tÎ nostrum. Iura nostra sunt facultates pro arbitrio proprio agendi (§. 151.), sed pro arbitrio proprio nil agere possumus, nisi ea, quae nos statumque nostrum perfectum reddunt (§. 143. 144. 135.). Ideoque ad quae obligati sumus (§. 143. 98.). Ergo et iura nostra ad ea pertinent, quae obligationi nostrae convenienter ad nostram dirigere possumus felicitatem (§. 147.), atque ideo ad tÎ nostrum referenda sunt.“; aaO., PS, Cp. II., § 459: „Omne ius, quod habemus in re a nobis diversa, ergo et dominium ad tÎ nostrum acquisitum pertinent.“ 86 Huwyler, S. 78. 87 Darjes, PS, Cp. II, § 445: „Ius in entis cuiusdam substantia, seu ius de substantia entis pro arbitrio proprio disponendi vocatur dominium. Est itaque dominium species iuris in re.“ 88 Darjes, Discours, Bd. II., 1173: „Objectum dominii est res corporalis, id est tales, quae suam existentiam habere potest.“

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Tit: V. Vom Eigenthum ad § 1. Dieser Ausdruk von dem Begrif des Eigenthums könte eine Zweydeutigkeit verursachen. Wenn der Eigenthümer sein Guth verpachtet, so ist er nicht mehr befugt einen jeden andern von der Nuzung auszuschließen. Diese Zweydeutigkeit könte hiedurch gehoben werden. Wenn das Eigenthum als eine besondere Art von dem dinglichen Rechten betrachtet wird, so ist der Gegenstand eine körperliche Sache, und zwar die Substanz dießer Sache, wodurch Sie eine Sache von einer bestimten Art. Daher würde dieß der Begrif seyn: Eigenthümer einer körperlichen Sache ist derjenige, der das Recht hat, über die Substanz einer solchen Sache aus eigener Macht zu verfügen. Folglich einem jeden andern von der Verfügung über die Substanz, wodurch Sie eine Sache in ihrer Art ist, auszuschließen. II IV § 1 EAGB hatte folgenden Wortlaut: Eigenthümer einer Sache ist derjenige, welcher das Recht hat, über die Sache selbst aus eigener Macht zu verfügen, und jeden andern davon auszuschließen. Es scheint, als habe Darjes’ Einwand – wenn der Eigentümer sein Grundstück verpachtet, kann er den Pächter nicht mehr ausschließen und ist folglich kein Eigentümer im Sinne des § 1 – hinsichtlich der terminologischen Eindeutigkeit Erfolg gezeitigt. Denn in I VIII § 1 ALR heißt es: Eigenthümer heißt derjenige, welcher befugt ist, über die Substanz einer Sacheoder eines Rechtes, mit Auschließung Anderer, aus eigener Macht, durch sich selbst, oder einem Dritten, zu verfügen. Diese geänderte Fassung stammt von Svarez selbst, der in der Revisio auf die jeweiligen monita eingeht und insbesondere auch das Darjes’sche berücksichtigt: Tit. V. Vom Eigentum. Ad § 1=5.:/§1=5./: 1. Es wird zu diesem Titul eine Einleitung verlangt, in welcher der Nutzen und die Pflichten der in der bürgerlichen Gesellschaft geschehenen Einführung des Eigenthums und selbst der Ungleichheit desselben für die niederen Volks Klassen ausgeführt werden soll.

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19. Alleine dergl. Einleitung schickt sich nur in eine VolksMoral, nicht in ein Gesetzbuch. 2) Die Definition des Eigenthums wird getadelt, und andre vorgeschlagen, Eigenthum sey das uneingeschränkte Recht, über eine Sache nach Willkühr zu schalten. Eigenthümer einer Sache ist der, welcher das Recht hat, über der Substanz derselben aus eigener Macht zu verfügen, folgl. einen jeden anderen von der Verfügung über die Substanz, wodurch sie eine Sache in ihrer Art ist, auszuschließen. Eigenthümer ist der, welcher das Recht hat über eine Sache, und zwar sowohl über ihre Substanz, als Nutzungen zu verfügen, und sie, wenn er ihren Besitz verlohren hat, von jedem Inhaber zurück zu fordern. 21. Die Gründe des Tadels sind hauptsächlich 1) weil durch die Definition der Eigenthümer nicht genugsam von anderen Inhabern eines Iuris realis unterschieden werde, 2) weil sie nicht auf das durch Servituten, Pfandrechte, eingeschränckte Eigenthum passe 3) weil durch die Definition das Eigenthum der Infanten ausgeschlossen werde. 11. § 25.34. Allein ich würde die Definition, sowie sie ist, beybehalten, da die Einwendungen dagegen meist auf Wortspiele hinaus laufen. Alles was geschehen könnte ist, daß man den Einwand: der Begriff paße nicht auf das eingeschränkte Eigenthum; und nicht auf das Eigenthum der Kinder, der Blödsinnigen, durch eine kleine Änderung der Fassung umzubeugen suche. Eigentümer heißt der, welcher befugt ist, über die Substanz einer Sache od. eines Rechts, mit Ausschließung andrer, aus eigener Macht, durch sich selbst, od. durch einen Dritten zu verfügen. Es blieb also dabei, daß unter den Eigentumsbegriff sowohl des EAGB als auch des AGB/ALR ebenfalls Rechte fielen. Ausgenommen waren nur solche, über deren Substanz eine freie Verfügung nicht denkbar war, wie das Miet- und Pachtrecht. Sie galten als bloßes Vermögen.89 89 Bornemann, Systematische Darstellung des Preussischen Civilrechts, Bd. II, Berlin 1834, S. 3.

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Das AGB/ALR vollzog Darjes’ Wendung zur romanistischen Tradition also insofern nicht nach, sondern blieb bei der umfassenden Güterzuordnung der Wolffischen Lehre stehen. Diese Zuordnung entspricht der Haltung, die Svarez in seinen Kronprinzenvorträgen einnimmt: Die „Bestimmung des Menschen, der Zweck seines Daseyns ist Glückseligkeit“, zu der nicht nur die „Erhaltung und Vervollkommnung seiner angebohrenen Fähigkeiten“, sondern auch „die Erwerbung und der Genuß der verschiedenen Güter außer ihm, durch welche sein Daseyn erhalten od. froher und angenehmer gemacht werden kann“, gehören.90 Derart gewendet, ist Eigentum als die Summe aller angeborenen und erworbenen Rechte zu verstehen. Soweit Gegenstand und Inhalt des Eigentums betroffen sind, steht das AGB/ ALR der naturrechtlichen Lehre also näher als Darjes, der auf die romanistische Tradition zurückgreift, wenn er sie auch naturrechtlich einbettet. Über das Eigentum steht dem Menschen ein unbeschränktes Verfügungsrecht zu, er kann es verpachten, verändern und veräußern. Die Eigentumsveräußerung bzw. der -erwerb ist dabei zweigeteilt. Darjes führt die gemeinrechtliche Lehre dabei sehr konsequent durch.91 Zunächst entsteht durch den Titel ein ius ad rem: der schuldrechtliche Vertrag (titulus)92 schafft den Rechtsgrund für den Erwerb des dinglichen Rechts. Der Erwerb selbst vollzieht sich durch den modus acquirendi (auch: adquirendi),93 durch den sich das ius ad rem in ein ius in re verwandelt. Durch den Titel erwirbt der Berechtigte also nichts anderes als eine rein obligatorische Berechtigung gegenüber dem Verpflichteten auf Leistung.94 Dies stellt eine wesentliche Abweichung von Wolff dar, der zwar ebenfalls zwischen titulus und modus acquirendi unterschieden hatte, das Eigentum als facultas moralis aber bereits mit dem Konsens übergehen ließ,95 einer traditio sollte es nicht bedürfen. 90

Svarez, Kronprinzenvorlesungen, aaO., Bd. 1, S. 22. Wesener, Naturrechtliche Lehre vom Eigentumserwerb, in: FS Grass, Innsbruck 1986, S. 433 ff., 443. 92 Der übrigens die ratio sufficiens darstellt, s. Darjes, aaO., § 461. 93 Darjes, § 461: „Omne ius, quod in re quadam a nobis diversa habemus, mediante facto quodam acquisitum est (§. 459. Cor.). Hocce vero factum eiusmodi esse debet, ut rationem sufficientem, ex qua, cur illo producto ius in re sit aquisitum intelligi possit, contineat (§. 111. Ph. pr.). Ex quibus colligimus, ut, ius in re acquisitum esse, demonstraturus indicare debeat primo factum, quo eiusmodi ius acquisiuit, et deinde eiusmodi factum continere determinatae acquisitionis rationem sufficientem. Ratio haecce est caussa acquisitionis iuris in re remota, factum vero illud eiusdem acquisitionis caussa proxima dicitur. Caussa acquisitionis iuris inre remota vocatur titulus, proxima vero modus acquirendi. Ius itaque in re quadam constitutum esse, sine titulo atque acquirendi modo concipi nequit.“ 94 Huwyler, S. 76. 95 Wolff, Inst. § 320; vgl. Wesener, aaO., S. 441. 91

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Darjes hingegen kennzeichnet den Erwerbstatbestand inter vivos als traditio, d. h. die als Besitzergreifung zu verstehende Übertragung,96 die den hauptsächlichen modus acquirendi darstellt. Eine Ausnahme bildet die Erbschaft, wenn Eigentum und Besitz auseinanderfallen. Der Berechtigte erwirbt in diesem Fall das Eigentum durch Erklärung der Annahme, allerdings kein Volleigentum.97 Dementsprechend faßt Darjes auch seine Erinnerung zu II VI § 3 EAGB98 ab: Tit: VI. ad § 3. Dieser Saz läßt sich nicht allgemein vertheidigen, zumahl das Eigenthum zwar das Recht zur Besezung, aber noch nicht den würklichen Besiz faßt zB: Wenn ich das Erbschafts-Recht habe, und mich dahin erkläre, daß ich Erbe seyn will, so habe ich das Eigenthum von der Erbschaft erworben, ob ich gleich erst in der Folge den Besiz suchen muß. Daher die Petitio hereditatis ex iure hereditaris. Es muß daher wohl heißen. Zur vollständigen Erwerbung des Eigenthums zz: In diesem Fall bleibt Darjes’ monitum erfolglos. Gleichwohl entspricht die Regelung des Eigentumerwerbs im AGB/ALR, wie auch schon der Entwurf, seiner in den Institutiones und dem Discours vertretenen Auffassung.99

96 Huwyler, S. 74; Darjes, § 410: „Actus, quo res, quae nostra fuit, in tÎ suum alterius transit, dicitur rei traditio, quid igitur rem suam alteri tradere significet, facile inteliges.“ 97 Darjes, § 497: „Pacto hereditario inito acceptans mortuo promitte iuris expletione adquirit ius hereditarium. Pacto enim hereditario inito, quoniam est pactum in diem (§. 494. Cor. I.), acceptans habet ius a promittente postulandi, ut, existente illo die, promissa praestet (§. 420.), ideoque illi dominium hereditatis suae concedat (§.494. seq. coll. §. 402. et 445.). Dum vero promittens moritur, dies ille sit existens (§. 494.). Ergo et mortuo promittente acceptans habet ius ab illo dominium hereditatis postulandi. Quoniam vero eiusmodi promittens morte sequuta dominium illud acceptanti non potest concedere (quod ex natura mortis satis manifestum est), consequens est, ut acceptans habeat ius hereditatem illam in tÎ suum ita recipiendi, ut alius sine illius laesionem eandem in tÎ suum recipere nequeat (§. 356. et 328.). Atque ideo mortuo promittente acceptans ille habet ius hereditarium (§. 496.).“ 98 § 3: Zur Erwerbung des Eigenthums wird die Besitznehmung erfordert. 99 Bornemann, S. 226: „Zur Zeit der Redaction des Landrechts war darüber Streit, ob nach sogenannten naturrechtlichen Prinzipien schon durch die in dem Veräußerungsverträge enthaltene Erklärung oder aber erst mit der Uebergabe des Rechtsobjects das Eigenthum von dem bisherigen Eigenthümer auf den neuen Acquirenten übergehe. Mehrere Monenten stimmten daher für die erste Alternative, die Redactoren sind dagegen mit Recht bei der römischen Theorie stehen geblieben [. . .].“

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Dies kommt auch deutlich in der Revisio zum Ausdruck: Tit. VI. Erwerbung des Eitgenthums. Ad § 1=6.:/§1=6./: Einige Monenten behaupten, die natürliche Besitzergreifung sey zum Erwerb des Eigenthums nicht nothwendig. Eigenthum könne sehr wohl, ohne Besitz, auch Besitz ohne Eigenthum seyn. Es gebe viele Fälle, wo das Eigenthum ohne Besitzerfgreifung erworben wurde. Z. E. die Erlangung einer Erbschaft. N.5.10.14.20. Alleine eines theils verstehen die Monenten unter der Besitzergreifung nur die Apprehensionem corporalem; das Gesetz aber meint das Wort in dem weitläufigen Sinne, wie solche damit im Titul vom Besitz § 28 Sqq. verbunden werden. Anderntheils vermengen sie die Erwerbung des Eigenthums mit der (. . .) deßselben. Dominio kann, so wie Possessio, solo animo (. . .), aber nicht solo animo erworben werden. Die Natur der Sache, und die Gewißheit des Eigenthums, woran dem gemeinen Besten so viel gelegen ist, machen es nothwendig, daß zu dem titulo domino translatio auch irgend eine äußere Handlung hinzu komme, woraus erkannt werden könne, daß der Titel nunmehr würkl. sozusagen realisirt und die Sache, die bißher in niemandes od. in eines andern Eignethum war, in das Eigenthum des Titulati übernommen worden. Endl. So enthält ja auch der § 3. gegen welche die Monita gerichtet sind nur die Regel, welcher sogleich § 4 die Ausnahme der wenigen Fälle, wo das Dominium ipso iure übergeht, beygefügt ist. Setzt man in diesem § 4. zu dem Worte Begebenheit, noch hinzu Willensäußerung, so ist die Erwerbung der Erbschaften darunter mit begrifen, und jeder Zweifel gehoben.

E. Bewertung Es hat sich gezeigt, daß die deutsche Rechtswissenschaft der Zeit keinesfalls von der Diskussion um die preußische Gesetzesreform und das Allgemeine Gesetzbuch ferngehalten wurde. Vielmehr ist Darjes ein, vielleicht sogar das herausragende Beispiel ihrer Beteiligung. Bereits insofern, nämlich das Verfahren der Ausarbeitung in Form des öffentlichen Diskurses betreffend, ist es berechtigt, das Allgemeine Landrecht als Kodifikation der Aufklärung zu bezeichnen. Seinem Inhalt nach, setzt es die Einsicht in das Naturrecht selbstverständlich voraus, es ist aber eine unzulässige Verkürzung, das gesamte Werk auf den „Geist des Naturrechts“ zu reduzieren, wie dies Dilthey unternimmt. Denn wie sich gleichfalls gezeigt hat, sind die Mitarbeiter an der Reform ebenso exakte Juristen und Rechtshistoriker, wie sie Philosophen sind. Eine zusammenfassende Bewertung der Rolle, die Darjes im Naturrecht des 18. Jhrdts. im allgemeinen und im Gesetzgebungsverfahren des AGB/ALR im besonderen ausgefüllt hat, ist weder durch die überschätzende Verkürzung Diltheys, noch weniger aber durch die von Gustav Hugo vorweggenommene Ignoranz der späteren Zeit gerecht vorgenommen worden. Darjes’ Denken bleibt – trotz inhaltlicher Entfernung – insgesamt zu sehr im Denken des frühen 18. Jhrdts. verhaftet, um den Kritischen Idealismus zu überdauern. Das spricht nicht gegen ihn. Wer zwischen Wolff und Kant wissenschaftlich wirkte, kann im Nachhinein nur als Mann des Übergangs betrachtet werden.1 Wäre es anders, hieße der Mann Wolff oder Kant. Darjes’ akademische Biographie wird geprägt durch die Auseinandersetzung um Wolff. Seine Erfahrung aus dieser Episode ist offenbar, daß Überspitzungen und Polemik nicht lohnen, weil die Getroffenen sich im Zweifel der Diskussion einfach entziehen und an ihre Stelle die Machtausübung setzen. Fortan jedenfalls ist Darjes’ Sprache durchaus konventionell und ausgleichend, wenn er in der Sache auch immer eindeutig bleibt. Seine Perspektive auf die Zeit und auf das Denken, die Gesellschaft und das Recht seiner Zeit bleibt stets die des späten 17. und frühen 18. Jhrdts., seine Gelehrsamkeit lehnt sich immer an Traditionen an, die Darjes weiterdenken will: Sowohl in seinen Lehrbüchern als auch in seinen Erinnerungen zum Entwurf des AGB stützt er 1

So bereits Pennitz, S. 350.

E. Bewertung

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die Voraussetzungen seines Denkens auf Autoritäten, wie natürlich Wolff, aber auch Boehmer und Kreß. Sein unmittelbarer Einfluß auf das AGB/ALR ist schwer einzuschätzen und zu gewichten. Direkt auf Darjes’ Einlassungen zurückzuführende Änderungen finden sich bezüglich der Rechteeinteilung und im Sachenrecht. Wer behauptet, es handele sich hierbei um Marginalien, erklärt die betreffenden Stellen im AGB/ALR gleichfalls für nebensächlich. Zum Abschoßrecht liefert Darjes eine Dogmatik, die mit dem Wegfall des Abschoß und der einschlägigen Bestimmungen im ALR gegenstandslos wird. Die lehrbuchartigen Darstellungen bezüglich des Strafprozesses sind für Carmer und insbesondere für Svarez zu konservativ; Darjes ist auch hier nicht bereit oder fähig, die beanspruchte Reform als Fortschritt – also als Schritt fort von dem Bestehenden – zu deuten, sondern er denkt im Gegenteil alles zum Bestehenden hin. In den Augen der Redaktoren liegt seine Bedeutung wahrscheinlich ohnehin darin, als Schutzschild gegen die mögliche ständische Reaktion zu dienen: Seine Betonung der individuellen Freiheit und gleichermaßen der königlichen Gewalt hatte ein um so größeres Gewicht, als Darjes zu jener Zeit selbst als Autorität aus bereits vergangenen Zeiten betrachtet wurde. Eine Geschichte der Naturrechtskodifikationen hat ihn jedoch gewiß als bedeutendes Beispiel für die Beteiligung der akademischen Rechtswissenschaftler an einem deutschen Gesetzgebungsverfahren zu würdigen. Dies vielleicht weniger aufgrund einer direkten Wirkung, deren Nachweis durch die vorliegende Untersuchung nur partiell gelungen ist. Mit Sicherheit jedoch ist die Art und Weise seiner Beteiligung an der Gesetzesreform ein Sinnbild des tragenden rationalen Diskurses in der Epoche: Das zwischen den Gesetzesredakteuren und der durch die Monenten vertretenen Öffentlichkeit korrespondierende Interesse an der Erhellung der Sachfrage; der Versuch, sie ohne Rücksicht auf die Einzelinteressen allein aus ihrem Wesen heraus, nämlich: als Rechtsfrage oder Frage an das Recht, zu beantworten; diese Antwort nachträglich im Überkommenen finden zu wollen und somit Naturund positives Recht zu verbinden; dies ist das wesentliche Moment der Beteiligung Darjes’ an der Reform und seine bleibende Leistung.

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Schrifftmäßigen Gedancken der Verbindung der Welt-Weisheit, besonders der Wolffischen mit der Theologie zu behaupten gesuchet. Jenae 1741 16. Dissertation metaphysica, sistens de mundo ejusque conceptu mediationem. Joachim Georg Darjes (Resp.) – Johannes Fridericus Rau. Jenae 1741 17. Introductio in artem inveniendi seu logicam theoretico-practicam, qua analytica atque dialectica proponuntur. Jenae 1742/1747 18. Elementa Metaphysices Tomus prior, qui philosophicam primam, Ontologicam, Monadologam, Somatologiam atque Mechanologiam complectitur, et ad Philosophiam, inprimis de Animabus, Spiritibus, Deo, Mundo, atque civitae divina, cognitionem, viam sternit. Jenae 1743 19. Suckow, Sim Gabr.: Schreiben an Joachim Ludolph Mayohl in Rostock, darinnen desselben Einwürfe wider einige Stellen in dem ersten Theile der Metaphysik des Herrn Dr. Darjes untersucht und beantwortet werden. Jenae 1743 20. Elementa Metaphysices Tom. II. Qui Psychologiam atque Pneumaticam et Empiricam et Rationalem, Theologiam naturalem, et de Civitate Dei ejusque territorio mundo nimirum mechanico meditationem philosophicam complectitur. Jenae 1744 21. De vera atque ficta philosophica practica breviter dicit simulque ad audiendam orationem de oficiis eorum quibus honores praesertim proffesoris philosophiae moralis et politices conferendi atque collati sunt [. . .]. Jenae 1744 22. Commentatio Mathematica qua Evoluta Arithmetices Theoria eam summae scientiae speciem esse breviter docetur. Jenae 1744 23. Verteidigung seines Natur- und Völker-Rechts. O. O. 1745 24. Exercitatio philosophica de adquisitione hereditatis, ejusque effectibus secundum Jus Naturae. Jenae 1746 25. Introductio in artem inveniendi seu logicam theoretico-practicam. Qua analytica atque dialectica in usum auditorii sui methodo auditoribus commoda proponuntur. Jenae 1747 26. Erste Gründe der gesamten Mathematik, darinnen die Haupt-Theile so wohl der theoretischen als auch Praktischen Mathematik in ihrer natürlichen Verknüpfung auf Verlangen und zum Gebrauch seiner Zuhörer entworfen. Jena 1747/1757/1764/1777 27. Vorrede: Vom Reformiren der Wissenschaften, und Anwenden der Philosophie auf andere Theile. In: Stolle, Gottfried: Kurzgefaßte Lehre der allgemeinen Klugheit. Jena 1748 28. V. M. Joch. Georg Daries [. . .] quum fasces acad. d. 8. Febr. 1748 susciperet, pie gratulatur Laurentius Johann Daniel Succovius. Simulque de calcinatione corporum disserit. Jenae 1748

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F. Bibliographie

29. Anmerkungen über einige Lehrsätze der Wolfischen Metaphysic, welche einer großen Menge Zuhörern vorgetragen und mit einem ehemaligen Sendschreiben an [. . .] begleitet und herausgegeben von einem ehemaligen Zuhörer. Frankfurt, Leipzig 1748 30. Philosophische Nebenstunden. Bdd. IV. Jena 1749–1752 31. Institutiones Jurisprudentiae privatae Romano-Germanicae. In usum auditorii sui systematica adornatae methodo. Jenae 1749/1766 32. Erste Gründe der philosophischen Sitten-Lehre. Auf Verlangen und zum Gebrauch seiner Zuhörer entworfen. Jena 1750/1755/1762/1782 33. Erste Gründe der natürlichen Gottesgelahrtheit. Nebst der philosophischen und theoretischen Abhandlung von der Stadt Gottes. Jena 1751 34. Erste Gründe der philosophischen Sitten-Lehre. Jena 1750 35. Comparatio inter Euphratem philosophicum ac [. . .] Joachimium Georgium Daries [. . .] ab Henrico Friederico Eggers. Lipsiae 1750 36. Diss. de genuina juris voluntarii, speciatim divini indole, ejusque a Jure Naturali discrimine. Jenae 1750 37. Dissertatio iuris naturalis qua perillustris L. B. de Wolff. De potestate circa sacra et bona ecclesiastica, doctrina, adversus S. V. Rodtfischeri impugnationes defenditur. Praeside Ioachimo Georgio darjes [. . .] publ. Defendet Io. Fridericus Iulius commoda auditoribus methodo adornata. Jenae 1753 38. Reichart, Christian: Von vieljähriger Nutzung der Äcker ohne Brache und wiederholte Düngung. Benebst einer Vorrede Herrn Joachim Georg Darjes. Erfurt 1754/1769/1777 39. Via ad veritatem. Commoda auditoribus methodo demonstrata. Jenae 1755/ 1764 40. Erste Gründe der Cameral-Wissenschaften darinnen die Haupt-Theile so wohl der Oeconomie, als auch der Policey und besondern Cameral-Wissenschaft in ihrer natürlichen Verknüpfung zum Gebrauch seiner academischen Fürlesung entworfen. Jena 1756/1768. ND Aalen 1969 41. Wiebens, Carl Friedrich: Grundriß von den Wissenschaften bey Erziehung eines Prinzen. Nebst Vorrede des Herrn Hofrath Darjes [. . .]. Jena, Leipzig 1756 42. Einladungs-Rede zu der Feyer der teutschen Gesellschaft in Jena, mit welcher das Geburtsfest des Ernst August Constantin Herzogs zu Sachens begangen wird. Jena 1756 43. Zu der würdigsten Feyer der teutschen Gesellschaft in Jena mit welcher sie das höchste Geburthsfest ihres [. . .] Herrn August Constantin Herzogs zu

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Sachsens [. . .] begehen wird, geschiehet hierdurch die geziemende Einladung. Jena 1756 44. Pabsten, Johann Sebastian: Gründliche Anweisung zur Rechenkunst [. . .]. Benebst einer Vorrede von Joachim Georg Darjes. Jena 1758 45. Kurzgefaßtes Ackersystem, wodurch die Brachfelder nicht nur völlig, sondern auch mit Nutzen abgeschafft werden. In: Oeconomische Nachrichten, Bd. X, 115, 1758, 318–336 46. Jenaische Philosophische Bibliothek. Jena 1759–1760 47. Entwurf einer Real-Schule zur Erziehung armer Kinder. Zum Nutzen der wirtschaftlichen Beschäftigung. Jena 1761 48. Projet d’une école économique de charité pour l’éducation de pauvres enfants. À l’avantage des affaires économiques. Jena 1761 49. Discours über sein Natur- und Völker-Recht. Auf Verlangen herausgegeben. 3 Bände, Jena 1762–1763 50. Das erste Jahr der Real-Schule die den Namen der Rosen-Schule bey Jena führet. Jena 1763 51. Commentatione De Differentiis Iurisprudentiae Atque Politiae Quae vulgo Die Policey Dicitur Ad Audiendam Orationem Inauguralem Qua Post Religiose Nuncupata Vota Pro Potentissimi Regis Regnique Salute Modum Iurisprudentiam Docendi Philosopho Convenientem D. III. December MDCCLXIII. Francofurti ad Viadrum 1763 52. Einleitung in des Freyherrn von Bielfeld Lehrbegriff der Staatsklugheit. Zum Gebrauch seiner Zuhörer verfertigt. Jena 1764 53. Diss. de Jure vindicandi servos fugitivos. Francfurti ad Viadrum 1766 54. Dissertatio iuridica de rerum divisione quam divino numine adiuvante sub moderamine Ioachimi Georgii Darjes reginae borussorum maestati a consiliis secretioribus phil. et i. v. d. et prof. publ. ord. senat. acad. scient. util. elect. mogunt. assessori ordinarii etc. etc. Patroni et fautoris devenerandi. In illustris regiae Viadrinae auditorio maiori die XXIII. August 1766. Horis consuetis publico et solemni eruditorum examini sistit autor Gotthold Fridericus Theodorus Zimmerman saxo-electoralis. Francofurti ad Viadrum 1766 55. Meditationes ad Pandectas, quibus praecipua Juris capita ex fontibus philosophicis explicantur. Specimen Imum. Francofurti ad Viadrum 1766 56. Diss. de Jure reali in personis. Francofurti ad Viadrum 1767 57. Dissertatio iuris gentium de caussis belli pro aliis suscipiendi quam praeside Joachimo Georgio Daries potentiss. boruss. Regi a consiliis intimis, phil. atque iur. Doctore et illustr. Viadrina prof. publ. ordin. societatis scientiarum et

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artium quae in Viadrina floret praeside, etc. etc. in auditorio iuridico d. martii MDCCLXVIIII. Publico eruditorum examini sublicit Immanuel Gottlob Wentzel Frideberga-Neomarchicus L. L. cultor. Francofurti ad Viadrum 1769 58. Diss. Differentiae pacti voluntarii atque metu initi. Francofurti ad Viadrum 1772 59. Dissertatione academica de justo termino solutionis, quando in instrumento obligationis solutioni terminus non est praefinitus. Praeside Ioachimo Georgio Daries [. . .] defendet Christophorus Wilhelmus Lentz. Francofurti ad Viadrum 1775 60. Meine Gedanken von den Gränzen des Rechts der Natur. Frankfurth an der Oder 1775 61. Weg zur Wahrheit. Auf Verlangen übersetzt, mit Anmerkungen und Beiträgen begleitet. Frankfurth an der Oder 1776 62. Ordinis I[uris]C[onsul]torum In Academia Viadrina H. T. Pro-Decanus Ioach. Georg. Darjes Praemissa Commentatione De Differentia Iuris Aequi Atque Stricti 63. Des Billigen Und Strengen Rechts, Ad Dissertationem Inauguralem Et Solemni Inauguralia Canditati Clarissimi Friderici Georgii Braun Friso-Orientalis Emdani [. . .]. Die IX. Mart. MDCCLXXXV. [. . .] Celebranda Invitat. Viadrina 1785 64. Facultatis Iuridicae H. T. Pro-Decanus Joachim Georg Darjes Ad Dissertationem Inauguralem Et Solemnia Inauguralia Candidati Generosissimi Ioachimi Ab Exter Hamburgensis [. . .] Ad D. XXIII. Martii MDCCLXXXV. [. . .] Celebranda Invitat Et Praefationis Loco Ad Quaestionem An Feudum Recte Lehn Vertatur Respondet. Viadrina 1785 65. Ad virum perillustrem amplissimum doctissimum Joachim Georgium Daries boruss. reg. a consilliis sanctioribus academiae Viadrinae directorem jur. ac phil. in eadem p. p. ord. Doctorem suum quondam optimum odem hanc cum memoriali numismate in decem muneris professorii lustra feliciter et gloriose ab eo transacta mittere voluerunt debuerunt Amici. Berlin 1786 66. Das 44ste Geburts-Fest Sr. Königlichen Majestät Friedrich Wilhelm II. gefeiert 25. Sept. 1787 in einer öffentl. Zusammenkunft von der zum Nutzen der Künste und Wissenschaften allergnädigst bestätigten gelehrten Gesellschaft zu Frankfurt an der Oder. Cüstrin 1787

Materialien – monita, Abhandlungen und Korrespondenz Wer sich einmal an Handschriften aus dem späten 18. Jhrdt. versucht hat, weiß um deren Eigentümlichkeiten. Dem ganz Unerfahrenen will ich kurz dartun, was er zu beachten hat. Hinsichtlich der Orthographie ist anzumerken, daß ich mich bei der Transskription darum bemüht habe, den geschriebenen Text genau so zu übertragen, wie ich ihn vorfand. Es kommt nicht selten vor, daß der gleiche Begriff in dem selben Textabschnitt unterschiedlich geschrieben wird. Beispielsweise taucht „kann“ sowohl mit zwei als auch nur mit einem „n“ geschrieben und mit einem Doppelungszeichen versehen auf. Einmal ist „Gesezze“ zu lesen, ein anderes Mal „Geseze“ oder „Gesezte“, „fordern“ steht ebenso zu lesen wie „fodern“. Die Unterschiede zwischen den jeweiligen Schreibern sind naturgemäß noch größer. Ich sah mich nicht berechtigt, die Orthographie der heutigen anzupassen oder auf einen einheitlichen Standard zu bringen, weil das Verständnis durch die vorgefundene Schreibweise nicht beeinträchtigt und der Textfluß nicht wesentlich gestört wird. Hingegen waren Konjekturen bisweilen unvermeidlich, insbesondere hinsichtlich Darjes’ und Carmers Handschrift.

1. Zur Einleitung § 8 Einleitung EAGB: „Statuten einzelner Gesellschaften, Zünfte und Gewerke verbinden deren Mitglieder als Verträge.“ [-] Keine in AGB/ALR; vgl. aber § 2 Ad. p. 18. § 8. Solche Verträge haben entweder keine Wirkkung außer der Gesellschaft, außer der Zunft u.s.w. od. sie haben auch außer dieser Verbindung eine Wirkkung. Z. B. wenn die Zunft der Maurer einen Vertrag schließet, daß, wenn ein Bauherr aus der Zunft zu keiner Arbeit einen Meister erwählet, sich alsdenn kein anderer Meister einmal auf Verlangen des Bauherrn in diese Arbeit einlaßen soll. Dieser Vertrag würde außer der Zunft Wirkkung haben, und könnte Nachtheil verursachen. denn wenn nun der zuerst erwählte Meister nach-

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läßig od. nicht nach dem Willen des Bauherrn arbeitet, so würden alsdenn dem Bauherrn die Hände gebunden seyn, sich einen anderen Meister auszusuchen, und kein anderer Meister würde diesem Verlangen folgen. Daher würde ich diese Regel also bestimmen: Statuten einzelner Gesellschaften etc. verbinden deren Mitglieder als Verträge, in wie fern diese außer der Gesellschaft oder Zunft oder Gewerkke keine Wirkkung haben. Solten sie sich aber außer der Gesellschaft, Zunft und Gewerkke wirksam beweisen, so sind sie ungültig, wenn sie nicht von dem Landesherrn bestättiget worden. § 17: „Mit der Unwissenheit eines gehörig publicirten Gesetzes kann niemand sich entschuldigen.“ [§ 12 ALR am Ende] Ad. p. 19. § 17. Quaeritur: wie viele Zeit ist von der Zeit der Publikation zu zählen, wenn die Unwißenheit die Kraft, sich zu entschuldigen, verliehren soll? Es ist fast unmöglich, diesen Termin in dem Tage der Publikation zu setzen, und mit dieser Einschränkkung würde auch der § 19. abgefaßet werden. § 103: „Welches Recht das stärkere (Jus potius) sey, muß der Richter nach den Gesetzen bestimmen.“ [§ 96, 97 ALR] Ad. p. 30. § 103. Dieses muß wohl der Richter nach den Gesetzen der Vernunft, das ist, nach der Billigkeit bestimmen, als nach welcher allemal das zu beurtheilen, was in der Collision Pflicht bleibt, aus welcher das wahre Recht entspringet. Z. B. Caius ist dem Titio eine gewiße Summe schuldig, Titius fordert die Bezahlung auf einmal, und er hat in abstracto das Recht, dies zu fordern. Gesetzt: Caius sey unter diese Umstände nicht aus Nachläßigkeit, sondern durch ein Schiksal gerathen, daß er die Summe nicht auf einmal bezahlen könne, wenn er nicht völlig untergehen soll; auf gewiße und sichere Termine will er bezahlen. Zu diesem Falle kommt die Pflicht des Titus gegen sich selbst, das Seinige zu fordern, mit seiner Pflicht gegen den Caium, diesen nach Möglichkeit zu erhalten, in Collision. Nach der Vernunft bleibt in dieser Collision dies die Pflicht, den völligen Untergang des Caii nicht zu bewirkken. Folglich muß der Richter auf die Solutionem particularem erkennen. Ich würde daher diese Regel also bilden:

1. Zur Einleitung

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Welches Recht in der Collision das stärkkere sey, muß der Richter nach den Gesetzen der Natur, das ist, nach einer gegründeten Billigkeit bestimmen. Solte aber die Billigkeit zweifelhaft seyn, so müßte der §. 104. eintreten. § 128: „Rechte und Verbindlichkeiten, die sich auf den Stand, oder die persönlichen Verhältnisse der Bürger des Staats beziehen, heissen Personenrechte (Jus personarum).“ [-] § 129: „Rechte, die auf gewisse Sachen, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Person, ausgeübt werden können, sind dingliche Rechte (Jus reale).“ [-] § 130: „Rechte, deren Ausübung nur gegen gewisse Personen statt findet, heissen persönliche Rechte (Jus personale).“ [-] Ad. p. 34. § 128.129.130. Ich habe mich von der Gültigkeit dieser Abtheilung des Rechts, was die Menschen gegen einander durch einen Zwang, mithin auch durch die Obrigkeit ausüben wollen und können, daß es entweder ein ius personarum, oder ius reale, oder ius personale, niemals überzeugen können. Weder die Regeln, welche mir die Vernunft von den Abtheilungen vorschreibt, noch die Römischen Gesetze haben mir einen zureichenden Grund gegeben, diese Eintheilung zu vertheidigen. Ich muß vielmehr aus beyden dieses folgern. Das Recht, den Andern zu zwingen, ist entweder ein ius reale oder personale, und sowohl jenes als dieses wird in dem Falle, wenn es sich auf des anderen Stand beziehet, oder aus dem Stande des Menschen entspringet, ins besondere ein ius personarum genannt. Der Grund, den mir die Vernunft giebt, dieses zu behaupten, ist dieser: Wenn ich das Recht habe, den Andern zu zwingen, so habe ich das Recht, denselben von einer Freyheit, etwas zu unternehmen, auszuschließen, und dieses Recht habe ich entweder aus dem Grunde, weil der Andere solches zu thun obligirt, oder weil es keiner ohne meine Einwilligung unternehmen kan, das ist, weil die Sache, von der die Rede ist, die Meinige, und mir allein das Recht, solche zu besitzen, zustehet. In dem ersten Falle ist es das ius personale, weil ich dieses allein gegen denjenigen ausüben kan, der mir obligiret. In dem anderen Falle ist es das ius reale, weil ich dieses ius gegen einen jeden ausüben kan, wo ich die Sache finde, ohne darauf zu sehen, ob er sich mir verbindlich gemacht hat. Das Römische Recht ist mit diesem völlig einstimmig. Ulpianus, von dem das Gründlichste in dem Römischen Rechte abhänget, lehret L. 25. ss. De ob-

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ligat. et act. Duo sunt actionum genera, in personam et rem, und er hat bey Beyden die Begriffe also gebildet, wie ich solche zuvor angegeben. Es kan mir auch dies nicht entgegen stehen, daß es in dem corpore iuris romano heißet: tria sunt obiecto iuris, personae, res et actiones. Denn dies sind nur die verschiedenen objecta, auf welche das ius reale et personale anzuwenden. Wenn nun zum Beyspiel der Sohn von dem Vater den Unterhalt fordert, so ist dies ein ius personale, und weil der Vater ihm hierzu aus seinem Stande verbunden, ein ius personarum. Wenn der Vater, so lange der Sohn unter seiner Gewalt stehet, das Recht hat, einen Jeden von der Freyheit, über den Statum des Sohnes zu disponiren, auszuschließen, so ist dies ein ius reale, vermöge deßen er auch befugt, einen solchen Sohn von einem Jeden zu fordern, der ihm diesen entziehen will. Ferner, so ist das Recht, von welchem p. 25. §. 55. geredet, ein reelles Recht, das dem Staate auf Alle, die ihm angebohren, zustehet, ob es gleich ein ius personarum, weil es aus dem Stande entspringet. Imgleichen das Recht des Mannes, das §. 140. bestimmet. Mir ist dieser Gedankke sehr wichtig, weil er sehr viele Stükke in dem Rechte deutlich macht und viele Zweiffel auflöst. Wenn nun diese Voraussezzung wahr ist, wie ich solche noch für wahr halte, so könnten die angezogenen §.§. ohne Nachtheil des gantzen Lehr-Gebäudes, und um Streitigkeiten vorzubeugen, also gesetzet werden. §. 128. Rechte, die auf gewiße Sachen, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Person, die sich insbesondere verbindlich gemacht, ausgeübet werden können, sind dingliche Rechte /:ius reale/: §. 129. Rechte, deren Ausübung nur gegen gewiße Personen, die sich besonders verbindlich gemacht, statt finden, heißen persönliche Rechte /:ius personale/: §. 130. So wohl die dinglichen als auch die persönlichen Rechte, wenn sie aus dem Stande oder dem persönlichen Verhältniße der Bürger des Staats entstehen, heißen Personen-Rechte /:ius personarum/: Es würde wirklich Schade seyn, wenn in diesem so wohl (zusammengeschrieben als „sowohl“) und vernünftig ausgedachten Gesetz -Buche, die alte völlig ungegründete Abtheilung des Rechts, welche unendlich viele Zerstreuungen und Weitläufigkeiten gewirkket, dennoch solte aufgenommen werden.

2. Zu dem ersten Titul

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2. Zu dem ersten Titul der ersten Abtheilung Erster Abschnitt. § 3: „Zwischen Verwandten in auf=und absteigender Linie, ehelicher und unehelicher Geburt; Zwischen voll- und halbbürtigen, in oder außer der Ehe erzeugten Geschwistern, ingleichen Zwischen Stief- oder Schwiegereltern mit ihren angeheyratheten Kindern und Enkeln, sind eheliche Verbindungen gänzlich verboten.“ [II I § 3–5 ALR] Ad. p. 38. § 3. reg. 3. In dem göttlichen Gesezze ist es dem Stiefvater, in dem Falle, wenn die Frau verstorben, nicht verbothen, seine Stieftochter zu heyrathen. Es heißt Lev. 18. V. 17. ausdrücklich, er soll die Stieftochter nicht zugleich mit ihrer Mutter nehmen. Woraus es gewiß, daß dieses Gesez nur den Fall der Vielweiberey, die dazumal erlaubt gewesen, eingeschränkket. Ein Landesherr kan nun solche Heyrath verbiethen, es wird aber doch dies nur ein menschliches (?) Verboth, welches einer Dispensation unterworfen. Weil nun aber doch solche Fälle vorkommen, wobey es einem wirklich bedenklich wird, wie man die Bestrafung bestimmen soll, so würde es nach meiner Einsicht wohl gethan seyn, wenn diese dritte Regel diese Bestimmung erhalten könnte: woferne man nicht aus erheblichen Ursachen eine Dispensation gesucht, und solche von dem Landesherrn erhalten. § 24: „Mannspersonen können vor zurückgelegtem achtzehnten, und Personen weiblichen Geschlechts vor zurückgelegtem vierzehnten Jahre, keine verbindliche Ehe schließen.“ [II I § 37 ALR] Ad. p. 41. §. 24. In unserem climate sind die Mannespersonen selten eher ausgewachsen, als bis Sie das 21ste Jahr erreicht. Folglich ist ein früherer Beyschlaf gewiß ihrem Wachsthum nachtheilig. In unserem climate bekommen die Personen weiblichen Geschlechts ihre ordentliche monatliche Reinigung, als welche das natürliche Zeichen von dem, daß Sie mannbar, selten eher, als bis Sie das 16te Jahr erreicht. Dies ist vielleicht ein Grund, das in den §§. angesetzte Jahr bey den Ersten auf das 21ste, und bey den Anderen bis auf das 16te auszudehnen. Denn dem Staate ist daran gelegen, ausgewachsene und starkke Menschen zu erlangen.

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§ 33: „Kinder sollen sich, ohne Einwilligung ihres leiblichen Vaters, nicht verheyrathen.“ [II I § 45 ALR] Ad. p. 42. § 33. Hier scheint mir diese Einschränkkung nützlich zu seyn: ihres leiblichen Vaters, so lange sie noch unter der väterlichen Gewalt stehen; weil sie nur so lange die Freyheit nicht haben, über ihren Stand eigenmächtig zu disponiren.

3. Zum zweiten Abschnitt § 124: „Eheleute dürfen einander die eheliche Pflicht anhaltend nicht versagen.“ [II I § 178 ALR] Ad. p. 55. §. 124. P. 37. §. 2. ist mit Grunde vestgesezzet worden, daß eine eheliche Verbindung allein zur wechselseitigen Unterstützung könne geschlossen werden. Daher können gültige Ehegelöbniße entstehen, bey welchen man der ehelichen Pflicht entsaget, oder wo diese wegen des Alters der Verlobten natürlich ohne Wirkkung seyn würde. Aus diesem Grunde ist es nützlich, dieses Gesez dahin einzuschränkken: wenn nicht bey der Verlobung beyde Theile der Ausübung dieser Pflicht entsaget, oder wegen des Alters der Verlobten solche nach dem Lauf der Natur ihre Wirkkung verlieret. § 211: „Geschenke unter Eheleuten sind, wie unter Fremden, gültig.“ [II I § 310 ALR] Ad. p. 68. § 211. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Römer den Grund von der Ungültigkeit einer solchen Schenkkung, die unter Eheleuthen stante matrimonio geschlossen, mit in dem gesetzet, weil durch eine solche Schenkkung sehr leicht der Schenkkende in Noth der Nahrung verfallen kan, wenn er nemlich den Theil, dem er solches geschenkket, überleben solte, weil Sie eine solche Schenkkung alsdenn für gültig erkläret, wenn der Schenkkende solche bey seinem erfolgten Sterben nicht widerrufet. Dieser Grund ist nach meiner Einsicht wichtig und in Erwägung zu ziehen. Wenn dieses, so würde es wohl nicht ohne Nuzzen seyn, dieses Gesez also zu bestimmen: Geschenkke unter Eheleuten werden alsdenn nur, wie unter Freunden gültig, wenn der Schenkkende solche Schenkkung bey seinem Sterben nicht widerrufen.

4. Zum sechsten Abschnitt

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4. Zum sechsten Abschnitt § 237. § 237: „Die Gemeinschaft der Güter unter Eheleuten findet nur statt, wo solche durch Provinzialgesetze und Statuten eingeführt ist.“ [II I § 345, 346–349 ALR] Problema: Wenn es möglich zu machen, daß die Gemeinschaft unter Eheleuthen, wenigstens unter denen, die vom bürgerlichen Stande, allgemein eingeführet würde, solte dieses nicht in Ansehung des Nahrungs-Geschäftes von großem Nuzzen seyn? ich bejahe diese Frage; und zwar aus nachstehenden Gründen. Beyde Eheleute sind entweder Verschwender, oder gute Wirthe, oder der eine Theil ist ein guter Wirth und der Andere ein Verschwender. In dem letzten Falle muß die Gemeinschaft den guten Wirth nothwendig auf die Verschwendung des Anderen aufmerksam machen, und ihm Gründe geben, alle möglichen Mittel anzuwenden, der Verschwendung vorzubeugen, weil er durch diese Verschwendung selber in Gefahr gesezzet wird. In dem zweyten Fall giebt die Gemeinschaft einem jedem Theile noch mehreren Grund zur guten Wirthschaft, weil ein gemeinschaftlicher Nachtheil der Erfolg ist. In dem ersten Falle kan noch dieser Gedankke, daß die Verschwendung des einen Theils dem anderen Theil mit nachtheilig werde, einen Grund zur Aufmerksamkeit geben, der vielleicht eine Abänderung verursacht. Folglich würde diese Gemeinschaft einen wichtigen Grund zur guten Wirthschaft legen, welche die Seele eines blühenden Nahrungs-Geschäftes. § 407: „Verbesserungen werden dem Ehemanne, oder dessen Erben nur alsdenn vergütet, wenn die Frau schriftlich in den Aufwand gewilliget, und sich zu dessen Wiedererstattung verbunden hat.“ [II I § 586–591 ALR] Ad. p. 97. § 407. Dies scheinet in dem Falle hart zu seyn, wenn durch die Verbeßerung des Guts wirklich deßen Ertrag vermehrt worden. In diesem Verhältniß müßte wohl der Aufwand ersezet werden. § 497: „Ehebruch, dessen sich ein Ehegatte schuldig macht, berechtigt den andern, auf Scheidung zu klagen.“ [II I § 670–672 ALR] Ad. p. 111. § 497. Nach dem wahren Sinn, den das Wort Matth. V. 32. hat, ist der Ehebruch eine Verletzung der Pflicht, deren Beobachtung man durch das Band der Ehe ubernommen hat. In diesem §. wird es in der engern Bedeutung genommen, da nemlich ein Theil des Ehestandes mit einem Dritten den Bey-

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schlaf ausübet. Thut dieses die Frau, so ist es unläugbar ein Ehebruch, weil diese sich verbindlich gemacht, das Werkzeug zu seyn, wodurch der Mann seiner Gesellschaft Kinder zeuget. Allein in Ansehung des Mannes hat es nach meiner Einsicht eine andere Beschaffenheit. Gesetzt, daß dieser vollblütig, was soll er alsdenn zu der Zeit machen, da seine Frau schwanger ist, zumal es unläugbar unerlaubt ist, seiner schwangeren Frau ehelich beyzuwohnen. Denn da ein solcher Beyschlaf nach der Natur der Sache die Kinder-Zeugung nicht mehr zum Endzweck haben kan, vielmehr die Geburt schwer macht, so ist er unläugbar der Hurerey beyzuzählen. § 576: „Ist kein solcher Anschlag vorhanden, so muß die Frau den Wert bestimmen, und der Mann wählt alsdenn: ob er das Eingebrachte für diesen Preis behalten, oder ob er es zurück geben wolle.“ [-] Ad. p. 123. § 576. Diesen Werth müßte wohl die Frau mit Hülfe eines obrigkeitlichen bestimmen, denn im widrigen Fall könnte Sie den Werth so hoch ansetzen, daß hierdurch dem geschiedenen Manne die Behaltung völlig unmöglich gemacht würde, welches doch wider die Absicht des Gesetzes. § 745: „Die unterlaßne Einholung der grundherrschaftlichen Genehmigung (§. 54.) würkt auch an Orten, wo solche erforderlich ist, nicht Aufhebung der Ehe, so ndern nur Bestrafung.“ Ad. p. 148. § 745. Leibeigene können über ihren Stand ohne Einwilligung der Herrschaft nicht disponiren. Folglich verlezzet eine solche heimliche Verlobung die Rechte der Herrschaft und kan aus diesem Grunde nicht bestehen. Daher müßte wohl von dieser Regel bey der Leibeigenschaft eine Ausnahme gemacht werden. § 93: „Auch alsdenn nicht, wenn der Vater schon mehrmals die Schulden der Kinder bezahlt hat.“ Ad. p. 173. §. 93. Solte dies nicht den Gläubigern zur Last fallen, da der Vater durch sein mehrmaliges Bezahlen Sie in Sicherheit gesetzet, folglich hierbey in culpa von dem Zutrauen der Gläubigern. Daher müßte wohl diese Einschränkkung hinzu kommen, bezahlet hat, dieses aber doch mit Anzeigung eines Widerwillens gethan.

4. Zum sechsten Abschnitt

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§ 98: „Der Vorwand, daß sie sich für Personen ausgegeben, die nicht mehr unter väterlicher Gewalt stehen, macht den Vertrag oder die Schuld nicht gültig.“ Ad. p. 174. § 98. Dieses müßte wohl eine Einschränkkung in Beziehung auf den Vater bekommen, denn wenn der Sohn sich pro tali ausgegeben, und der Gläubiger hat bona fide gehandelt, so würde der Gläubiger durch den Betrug des Sohnes leiden, wenn dieser von der Verbindlichkeit, zu bezahlen, solte befreyet werden. Diese Einschränkkung rechtfertiget auch den nachfolgenden §. 107. und §. 152. § 143: „Ist den Kindern ein besondrer Curator zugeordnet, so liegt diesem ob, für die Sicherstellung zu sorgen.“ Ad. p. 181. §. 143. in der nota. Mir scheint es wahrscheinlich zu seyn, daß diese in dem Römischen Rechte befindlichen Einschränkkungen nicht sowohl in dem odio secundarum nuptiarum, als vielmehr in dem noch anjetzo in der Erfahrung gegründeten und aus psychologischen Begriffen zu erklärenden Vermuthung gegründet, daß in der zweyten Ehe die Neigung gegen die Kinder der zweyten Ehe größer wird, als sie in der ersten Ehe gewesen. Daher durch diese zweyte Verbindung das Intereße der Kinder erster Ehe sehr leicht in eine Verlegenheit verfallen kan. Diese meine Gedankken bestättiget L.b. pr. fec. nupt. und Nov. 22 cap. 77. § 389. „Nur der Vater kann dergleichen Verordnung auch über das eigenthümliche Vermögen des in der Unmündigkeit sterbenden Kindes treffen.“ Ad. p. 223. §. 389. Dieses scheinet hart zu seyn, weil hierdurch einem Vater die Gelegenheit gegeben wird, seine etwaige Feindschaft gegen die, welche dem Kind ab intestato erben würden, wirkken zu laßen. Aus welchem Grunde kan einem Vater das Recht zustehen, über das eigenthümliche Vermögen seines Kindes zu disponiren? Solte es daher nicht beßer seyn, das ius substituendi nur auf das Vermögen einzuschränkken, was das Kind von dem Vater erhalten? mithin die substitutionem pupillarem nach dem Begrif der Römer völlig aufzuheben? der folgende §. 393. seqq. unterstützet die rechtmäßigkeit dieser meiner Behauptung.

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32. § 16: „Dienstboten, welche bereits vermiethet gewesen, müssen die rechtmäßige Verlassung ihres vorigen Dienstes, durch ein schriftliches Zeugnis ihrer gewesenen Herrschaft, oder der Obrigkeit nachweisen.“ ad. p. 290. §. 16. Es würde nüzlich seyn, wenn bey den Worten: durch ein schriftliches Zeugniß, noch dieses solte hinzu gefüget werden: In welchem Zeugniß die gewesene Herrschaft den wahren Grund der Abschaffung umständlich und ohne Zurückhaltung ausdrükken muß, und es ist die Herrschaft dies zu thun bey fiscalischer Strafe anzuhalten. § 47: „Ist nichts verabredet worden, so wird bey städtischem Gesinde die Miethe auf ein Vierteljahr, bey demjenigen aber, welches zur Landwirtschaft gebraucht werden soll, auf ein ganzes Jahr für geschlossen angenommen.“ ad. p. 294. §. 47. Ein Vierteljahr. diese Kürzze der gesetzten Zeit kan sehr leicht die Gelegenheit geben, einem Anderen seinen Bedienten durch heimliche Versprechungen abzulokken.. Dieses zu verhindern und treues auch fleißiges Gesinde zu bekommen, würde es nützlich seyn, sowohl in Städten als auch auf dem Lande die Zeit, wo nicht auf zwey Jahre, doch wenigstens auf ein gantzes Jahr vestzusezzen.

5. Erläuterung meiner Gedankken von dem Unterschiede des billigen und strengen Rechts I Aus dem bürgerlichen Recht Casus A. Titius ist dem Caio 6000 Th. schuldig. Aus Caii Pflicht gegen sich selbst, sich und das Seinige zu erhalten, entspringt ihm das Recht, nicht nur von dem Titio die Bezahlung, sondern auch solche auf einmahl zu fordern. Und von dem bürgerlichen Rechte wird dieses Recht des Caii unterstützt. L. 27. ff. de solut. L. 9. C. eodem. Titius gesteht es nach erhobener Klage, daß Er diese 6000 Th. dem Caio schuldig und daß Er verbunden sey, solche zu bezahlen. Er demonstriret aber dem Judici, daß, wenn Er solches auf einmal bezahlen soll, Er alsdenn gäntz-

5. Erläuterung meiner Gedankken

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lich ruiniert wäre. Er verspricht das Capital auf 3. Terminen zu bezahlen, wie auch noch dem Rückstande die Interessen. Es wird von Ihm zugleich die Sicherheit bey der Erfüllung dieses Anspruches nachgewiesen. Bey dieser Lage der Sache kommt die Pflicht des Caii gegen sich selbst mit dieser Pflicht gegen den Titium, diesen zu erhalten, in Collision. Das Incommodum, welches Caiuis, wenn er Geduld hat, empfindet, ist offenbar geringer, als das Incommodum des Titii, wen er die Schuld auf einmahl bezahlen soll. Ist nun dies seine Pflicht, so kann Er auch in dieser Lage kein recht behalten, die Bezahlung auf einmahl zu fordern. Die bürgerlichen Rechte können das Recht der Vernunft nicht aufheben. Daher würde der Iudex unrecht handeln, wenn er dahin das Erkenntnis abfassen wollte, daß Titius schuldig sey, die eingeklagten 6000 Th. auf einmahl zu bezahlen. Er muß vielmehr den Rechten gemäß auf die . . . der Particular-Solution erkennen. Aus diesen Gründen lassen sich die Gedankken des XXX völlig rechtfertigen. Casus B Caius stirbt und hinterläßt 2. Söhne, Joannen und Petrum, welchen aus der Erbschaft ein Guth gemeinschaftl. zufällt. Petrus entsaget zwar nicht seinem Condominis, überläßt aber doch seinem Bruder den alleinigen Besitz des Guths, und stipulirt sich nur jährliche Abgaben von 200. Thalern. Nach einiger Zeit will Petrus sein ius condominii exerciren und seinen Antheil an das Guth vindiciren. Joannes giebt an, wie er bereits viele auf dem Guthe gehaftete Schulden getilget, auch vieles zur Verbeßerung des Guths verwendet. Daher diese bezahlten Schulden und die Verbeßerungs-Kosten müßten zur Rechnung gebracht und Ihm sein Theil davon widerum müßte bezahlt werden, ehe er seinem bruder seinen Antheil an das Guth abtreten könne. Er offerirt seinem Bruder gegen Abtretung des Condominii das Capital, welches er Ihm bis hiehin verzinset, a 4000 Thaler. Quaeritur: ob es bey dieser Lage der Sache ein wirkliches Recht seyn würde, dem §. 2. J. de officio iudicis gemäß zu erkennen, daß Joannes schuldig sey, dem Petro seinen Antheil des Guths cum . . . zu restituiren und alsdenn seine Gegen-Rechnung rechtlich auszuführen. Nach der angesetzten Theorie würde ich bey diesem Falle also urtheilen. Die Pflicht, welche Petrus ihm selber schuldig ist, das Seinige zu fordern, und aus diesem entspringet das recht, den Antheil an das Guth zu vindiciren. Er ist aber auch Joanni die Pflicht schuldig, diesen nicht in unnütze Weitläufigkeiten zu versetzen. Dies letztere würde offenbar geschehen, wenn Er sein ius vindicandi schlechterdings exercieren wollte. Denn

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a, die nothwendige Berechnung der Meliorationen würde unendlich viele Weitläufigkeiten machen. Weil es nicht genug, dies auszumalen, wie viel überhaupt zur Melioration verwendet worden, sondern auch dies, wie viel von dieser Melioration auf das Stück gekommen, was dem Petrus zu retsituieren. b, Ehe diese Sache und die Berechnung der bezahlten Schulden geendiget, kann sehr leicht vieles wiederum zu Grunde gehen. Da nun Petrus bis hieher nicht mit dem Abgeben der 200. Tahler zufrieden gewesen, und Er von diesem, wenn er die 4000. Thaler erhält, nichts verlieret, vielmehr alsdenn, wenn Er auf seinen Kopf bestehet, durch den weitläuftigen Prozeß Verschiedenes verlieren kann; so würde diese Collision es nothwendig machen, nicht auf die Restitution der Sache, sondern auf die Aestitmation zu erkennen. Nur müßte es der Richter nach der Lage der Sache beurtheilen, ob nicht das angebothene Quartamvon 4000 rT. eine Erhöhung erhalten könnte. Die Gedankken des Leysers Spec. 468. Med. 23. laßen sich aus diesem Grunde rechtfertigen. Bemerkungen Mir scheint diese Theorie von der größten Wichtigkeit und diejenige zu seyn, welche unsere Vorfahren behandelt, wenn sie von der Justitia commutativa und distributiva geredet. Ich glaube hiervon überzeugt zu seyn 1 daß diese Theorie den wahren Begrif von dem so beleibten arbitris Judicis faße; 2 daß diese Theorie das wahre Fundamentum von den actionibus sey, welche die Alten die actiones arbitraries genennet; Ferner 3 daß sie eine wesentliche Regel, den wahren Sinn eines Gesetzes bey deßen Anwendung vestzusetzen. Z. B. in der zweyten Abtheilung des ersten Theils von dem Entwurfe eines allgemeinen Gesetz-Buchs pag. 463. §. 525. ist es verordnet, wie es alsdenn zu halten, wenn über die Nothwendigkeit oder Arth einer Reperatur, zwischen dem Patron und der Gemeine ein Streit entstehet. Nun ist dieser Fall da. Ein Pfarrhaus wird wandelbar und es entstehet diese Frage: ob ein neues Haus zu bauen oder das alte zu repariren? Die Gemeine, als welche in beyden Fällen die Hand-Arbeiten zu leisten und das Baulohn zahlen muß, verlanget ein neues Gebäude. Der Patron aber, als welcher die Materialien liefern muß, will repariren. Der Patron läßt das alte Haus durch einen verpflichteten Baumeister besichtigen und von diesem sowohl einen Anschlag zum neuen Bau, als auch einen Anschlag zur zweckmäßigen Reparatur entwerfen. Dieser verfertiget von beyden den Anschlag und zeiget, daß eine zweckmäßige Reperatur zur Erhaltung des Gebäudes noch möglich sey.

5. Erläuterung meiner Gedankken

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Da es sich nun aus den Anschlägen ergiebet, daß das neue Gebäude sowohl den Patron, als auch der Gemeine, ein merkliches mehr kosten werde, als eine mögliche und zweckmäßige Reparatur; so faßet der Patron den Entschluß, es soll reparirt werden. Die Gemeine im Gegentheil bleibt eigensinnig und will ein neues Gebäude. Quaeritur: ob dieses annoch eine Sache, die zuvor nach dem angezogenen §. 525. zu entscheiden? Nach meiner Einsicht kann diese Verordnung bey dem vorliegenden Fall keine Anwendung haben. Denn da die Gemeine bey der Reparatur nichts verliehret, sondern weniger Ausgaben und Arbeiten bekommt, als bey dem neuen Gebäude, so würde, wenn in diesem Falle die Frage zuerst rechtlich müßte entschieden werden, der offenbare Eigensinn der Gemeine dem Patron lästig fallen können, und er würde in Gefahr gesetzt werden, einen unnötigen aufwand zu machen. Es würde auch hiedurch die alte in der Natur der Wirtschaft gegründete Regel: so lange die Reparatur noch möglich ist, so ist diese dem neuen Bau vorzuziehen; völlig entkräften. Folglich kann auch nicht behauptet werden, daß das angezogene Gesetz bey diesem Falle die Nothwendigkeit der richterlichen Entscheidung vestsetze. Vielmehr ist dieses Gesetz also zu verstehen: 1 wenn die Frage entstehet, ob ein Bau nothwendig, und die Interessenten können nicht einig werden, so soll diese Nothwendigkeit richterlich entschieden werden; 2 wenn es ausgemacht, daß ein Bau oder eine Reparatur nothwendig und die Interesenten streiten über die Arth des nothwendigen Baues oder der nothwndigen Reparatur, so ist dieser Streit richterlich zu entscheiden. So bald aber die Frage diese: Da ein Bau nothwendig, und die Interesseneten streiten, ob neu zu bauen oder zu repariren, und durch geschworne Sachverständigen ist eine Reparatur als möglich, zweckmäßig und vortheilhaft anerkannt worden, ob auch dies richterlich zu entscheiden? So hat das angezogene Gesetz hier keine Nothwendigkeit der Entscheidung vestgesetzt, weil dies unter der angesetzten Bestimmung kein Gegenstand eines Rechts-Streits seyn kann, zumahl es sich von selbst verstehet, daß eine mögliche und zweckmäßige Reparatur allemahl dem neuen Bau vorzuziehen. Sollte diese meine Erklärung ungegründet seyn? Ich habe über diesen Punkt bereits hierselbst mit so genannten strengen Juristen einen Streit gehabt, und ich kann mich noch nicht hiervon überzeugen, daß ich das angezogene Gesetz unrichtig erkläret.

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II. Aus dem Criminal-Rechte Der Inquisit N. N. ist von einem Crimine und deßen Dualitaet derart überzeugt, daß er nach den Gesetzen eine Todes-Strafe verdienet. Ex actio ergiebt es sich, daß N. N. außer diesem Vorfall sich nichts habe zu Schulden kommen laßen, und daß er in verschiedenen Stükken vorzügliche Geschicklichkeit besitze, wodurch er dem Staat würklich nützlich werden könne: Was ist bey dieser Lage Rechtens? In criminalibus entspringet das Recht, zu strafen, aus der Pflicht des Richters, das Wohl des Staats zu befördern. Folglich muß in der Collision allemahl die Pflicht bestehen, wodurch das Wohl des Staats am meisten kann befördert werden. Darum nach dieser Lage durch die Erhaltung des N. N. ein größerer Nutzen des Staats kann bewirkkt werden, als durch deßen Rechts-Strafe, so ist auch in dieser Lage kein wirkliches Recht vorhanden, den N. N. mit dem Tode zu bestrafen. Vielen aber nur solche Bestrafung unläugbar eine Dispositio de statu subditorum, mithin die Abweichung von den vorgeschriebenen Gesetzen dem arbitris iudicis subordinati nicht so kann entworfen seyn, wie in civilibus, vielmehr das ius, de statu subditorum Disponendi, ein reservatum Principis; so würde ich nach dieser Theorie das Erkenntniß also abfaßen: Daß N. N. seines Verbrechens halber den Gesetzen gemäß mit dem Schwerte vom Leben zum Tode zu betrafen; es wäre denn, daß es dem Landesherrn aus den in actis befindlichen Umständen (welche alle specifice anzuführen) gefallen wollte, die gesetzliche Strafe in ein ewiges Gefängnis zu verwandeln, wo er mit Sicherheit anzuhalten, dies oder dies (welches seine Geschicklichkeiten bestimmen müßten) zu arbeiten.

6. Gedanken von den Grundsäzen des Abschoßrechtes § 93 Th. I. Abth. III. Tit. V. Abschn. II [II XVII § 141 ALR] Von dem mit Erlaubniß des Staats aus dem Lande gehenden Vermögen, sind gewöhnlich Zehn von Hundert, als ein Abfahrts=Geld zu entrichten. § 94 [II XVII § 142] Wo mit auswärtigen Staaten dieserhalb besondre Verträge und Observanzen bestehen, hat es bey solchen auch ferner sein Bewenden.

6. Gedanken von den Grundsäzen

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§ 95 [II XVII § 143] Von dem Vermögen, welches nur aus einer Königlichen Provinz in eine andre geht, wird kein Abschoß bezahlt. § I. Abschoß, Abzugsgeld, Gabella, Census, ist eine gewiße Summe Geldes, welche von dem Vermögen des aus einer beständigen Jurisdiction unter eine andere ohne zurükkomenden Gewinn gehet, zurückbehalten wird. a.) Will man behaupten, daß das Vermögen aus einem Staate in einen anderen Staat übergehen muß, wenn der Abschoß soll gefodert werden, so würde diesem das entgegen stehen, daß auch eine niedere Obrigkeit Abschoß fodern köne von Güthern, die aus Ihrer Jurisdiction unter eine andere übergehen, wenn gleich beyde annoch in einer Provinz befindlich. Daher Engau in seinem Elem: Jur: Germ: Lib: II § 507 den Gabellam also definirt. Est certa pars transportandorum bonorum illi praestanda, cui ex bonisnondum exportatis ius erat collecta petendi. b.) Wenn ein Kaufmann seine Waaren in ein anderes Land zum Verkauf bringet, so giebt er von diesen ausgehenden Waaren keinen Abschoß, weil er ja das dafür gelößte Geld wiederum ins Land zurükbringet, oder doch, sich durch diesen Verkauf zum fernern Handel geschikt macht, und also gehen die Waaren nicht ohne zurükkomenden Gewinn aus der ersten Jurisdiction. § II. Das Recht von solchen ohne zurükkomenden Gewinn aus einer Jurisdiction gehenden Vermögen eine große Summe zurükzubehalten, heißt das Abschoß= Recht. § III. Es ist allerdings eine Sache von Wichtigkeit, die wahre Quelle zu entdecken, aus welcher dieses Abschoß-Recht entspringet. Denn fehlet diese Entdeckung, so ist es unmöglich, die bey diesem Geschäfte vorfallenden Fragen entscheidend zu beantworten. Will man den Grund von diesem Rechte mit Beyern Jus Germ:Lib:Cap: L § 4., Bergern Oec: Juris pag 98 und andern, in den statutis, den Herkomen, und den Gewohnheiten sezen, so würde dies die Folge seyn, wo nicht solche statuta, solches Herkomen, und solche Gewohnheiten, da kann auch dieses Recht nicht statt finden. Welches doch unmöglich zu vertheidigen. Die Logic lehret es uns, in solchen zweifelhaften Fällen, die in Fragen begriffene Sache auf ihr Genus zu bringen, und in dieser Ordnung zu denken, die

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Quelle davon zu entdecken. Wir wollen dieser Vorschrift folgen. Es lieget in dem Gedanken von diesem Rechte der Gedanke von dem iure quemcunque ab usu rei eiusdam certa ratione excludendi, folglich der Gedanke vom iure reali. Mithin muß das Abschoß-Recht eine Folge von dem iure reali seyn, was einer auf das Vermögen hat, was seiner Jurisdiction unterworfen ist. Aus diesem wird es sich leicht ergeben, daß es eine natürliche Folge aus dem Dominio eminente, nur muß man den Begrif vom Dominio eminente nicht zu körperlich bilden, und den Begrif von dem Dominio faßen, den man alsdenn hat, wenn man das Dominium als eine speciem Juris realis, die von den übrigen speciebus unterschieden, gedenckt. Sondern man muß den Begrif faßen, den mit diesem Worte alsdenn zu verbinden, wenn man es nach seinem Ursprunge von subiicio betrachtet. § IV. Das Dominio eminens ist eine natürliche Folge aus dem Imperio, und zwar das Jus reale was der Imperans auf das Vermögen hat, welches sich in den Gränzen befindet, die seinem Imperio unterworfen. Vermöge der Lehrsäze des Juris publici universalis gehet dieses Recht entweder dahin, von dem Ertrag eines solchen Vermögens einen Zuschuß zu fordern, zur Bestreitung der öffentlichen Ausgaben, alsdenn nennt man es das Dominium eminens ordinarium, oder dahin, im Nothfall durch den Gebrauch eines solchen Vermögens die Grenzen, und die Verbindungen in demselben von Ihrem Untergang zu retten, alsdenn ist es das Dominium eminens extraordinarium. vid: Daries Jus naturae im Jure publico universali Edit: 7. pag: 403. § 700. § V. Gehet nun das Vermögen aus einer Jurisdiction unter eine andere ohne zurückkomenden Gewinn, so verliehret hierdurch allemal das Imperium, was in den Grenzen, in welchen sich das Vermögen befunden, statt findet. Einmal wird hiedurch die Quelle geschwächet, aus welcher er den Zuschuß zur Bestreitung der öffentlichen Ausgaben fodern kann. Fürs andere, werden auch die Mittel geschwächet, mit welchen im Nothfall die Verbindungen von Ihrem Untergange könenn gerettet werden. Ist nun dies eine allgemeine Wahrheit, daß aus dem Jure ad finem praeceptino das Jus ad media sufficientia entstehe, so muß auch folgen, daß man vi imperii oder ex dominio eminente berechtiget sey, von solchen ausgehenden Güthern zur Ersezung des hierdurch entstandenen Schadens eine gewiße Summe Geldes zurück zu behalten, das ist: das Abschoß-Recht ist nur eine natürliche Folge aus dem dominio eminente. Vid: Thomasium de Regalibus fisci Principium germaniae circa adquisitionem praecipuam Cap: II § 9 Bemerkung Um allen Zweifeln vorzubeugen, will ich hierbey einige Punkte auseinandersezen.

6. Gedanken von den Grundsäzen

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1.) gehet das Vermögen aus der Jurisdiction nicht ohne Gewinn, so verliehret der Imperans hierdurch nicht. Der Werth deßen, was in seinen Grenzen gewesen, wird nicht vermindert. 2.) gesezt: es habe einer einem, der unter einer andern Jurisdiction stehet, gegen Interessen ein Capital geborget, so gewinnet der erste durch die Interessen, mit welchen in der Folge unter dieser Jurisdiction erworben wird. Wird das Capital wiederum bezahlt, so verliehret auch diese Jrisdiction nichts, weil sich alsdenn in deßen Grenzen weniger schulden befinden, welches ja ein Gewinn, und: so: w: § VI Nunmehro wird es leicht werden, die Hauptfragen die bey dem Abschoße aufzuwerfen zu beantworten. Die erste Frage: Wer hat das Recht den Abschoß zu fodern? Derjenige, der in den Grenzen, aus welchen das Vermögen gehet, das Dominium eminens hat. Da nun dieses in einem Staat ursprünglich vom Landes=Herrn ex superioritate territoriali zustehet, so muß auch diesem ein solches Recht in seinem Staate ursprünglich gehören. Eine niedrige Obrigkeit kann eine Jurisdiction oder Imperium nur in solche Grenzen ausüben, in welchen Sie von der Landes=Hoheit solche erhalten; folglich Ihr auch nur das Abschoß= Recht in soweit zukomen, in wieweit Ihr von der Landes=Hoheit in den Grenzen Ihrer Jurisdiction auch zugleich das Dominium eminens mit ist zugestanden worden. § VII. Die andere Frage: Von wem kann mit Recht das Abzugs=Geld gefodert werden? Es ist zuvor festgesezet worden, daß dieses Recht ein ius reale auf das Vermögen, das sich in den Grenzen befindet, in welchen man das Imperium, oder die Jurisdiction hat. Folglich wird der Abschoß nicht von Personen gefodert, sondern man hat das Recht solchen von den ausgehenden Sachen zu nehmen. Folglich kann es bey diesem Punkte nicht darauf ankomen, wem das Vermögen gehört, sondern darauf, wo es stehet. Der Eigenthümer mag unter der Jurisdiction stehen, oder ein Ausländer seyn. § VIII. Die dritte Frage. Ob der Abschoß auch mit Recht von Steuerfreyen Güthern könne gefodert werden? Aus diesem, daß Güthersteuer-frey, kann nichts weiter geschloßen werden, als daß Sie dem Dominio eminenti ordinario nicht unterworfen (§ IV.) Da nun dieses Abschoß-Recht auch aus dem Dominio eminente extraordinario fließet (§ V.) und eine Freyheit, die mit dem Untergang des Staats verknüpft, den Rechten gemäß nicht kann ertheilt werden, so muß auch

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dieß die nothwendige Folge seyn, daß solche Steuerfreye Güther dem AbschoßRecht, in so weit solches ex Dominio eminente extraordinario fließet, völlig unterworfen sind. Anmerkung. Z: B: Das Vermögen einer Kirche ist der Gewonheit nach steuerfrey; eine Kirche, will solches ohne zurükkomende Gewinne aus einem Lande in ein anderes ziehen, so muß Sie den Rechten gemäß den Abschoß geben. § IX Die vierte Frage. Von welcher Art des Vermögens kann überhaupt mit Recht der Abschoß gefodert werden? Der § IV und V festgesezte Grund von diesem Rechte giebt es genugsam zu erkennen, daß es ein Vermögen seyn müßte, was jährlich Einkünfte würken und durch deßen Anwendung man im Nothfall den Staat von seinem Untergange retten kann. Folglich muß es ein Vermögen seyn, das allemal als baares Geld zu behandeln. Daher denn die Bücher der Gelehrten, und andere Dinge von der Art billig als Abschoß freye Güther zu betrachten. § X. Die fünfte Frage : Zu welcher Zeit kann der Abschoß mit Recht genomen werden? In der Beantwortung dieser Frage denke ich mit dem Westphal in dem 1ten Theil seines Privat=Rechtes p: 39 einstimmig. Dies ist meine Antwort: Alsdenn wenn die Transportatis würklich erfolget. Denn wo der Grund wegfällt, da muß auch das wegfallen, was durch den Grund bestimmt wird. Erfolget nun die Transportatio noch nicht würklich, so bleibt ja das Vermögen unter der Jurisdiction, unter welcher es gestanden, folglich hat der Imperans auch noch keinen Verlust, er kann noch von deßen Ertrag den oben genandten Zuschuß fodern, er kann noch im Nothfall mit diesem Vermögen den Staat retten, folglich ist kein Grund von dem Rechte da, den Abschoß würklich zu nehmen (§ V.). Mithin würde es widerrechtlich seyn, in diesem Falle den Abschoß zu ziehen. § XI. Ja es würde ein solches Verfahren offenbar ein Nachtheil des Staats seyn. Gesezt der Eigenthümer des Vermögens ist einer andern Jurisdiction unterworfen, indem er entweder weggezogen, oder gestorben, und deßen Erbe, der die Erbschaft angenomen, unter einer andern Jurisdiction stehet, und so wohl jener als dieser will sein Eigenthum unter der Jurisdiction laßen, unter welcher es gestanden, der Imperans aber wollte dennoch schon den Abschoß nehmen, so würde ja nothwendig folgen, daß er hernach sein Jus reale auf das Vermögen verliehren, folglich auch von diesem mit Rechte weiter nichts nehmen könne. Sollte nun der Staat in Noth komen, und diese Noth würde den Angrif dieses Vermögens nothwendig machen: wie würde nun dieser Angrif annoch als recht-

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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mäßig können vertheidiget werden? Will man einwenden: Ein solcher Ausländer kann auf Mittel denken, sein Vermögen der Jurisdiction heimlich zu entziehen; so kann doch, wenn Gründe vorhanden seyn sollten dies zu befürchten, dies weiter kein Recht geben, als darauf zu dringen, daß ein solcher Ausländer eine Caution de Gabella solvenda bestelle. § XII. Die sechste Frage: Ob der Regent diesem Abschoß=Rechte mit Recht entsagen könne? Die Quelle aus welchem das Abschoß=Recht entspringet giebt es genugsam zu erkennen, daß der Regent solchen Abschoß nicht für sich, sondern zum Nuzen seines Staats, oder seiner Jurisdiction zu fodern befugt (§ X.) Folglich muß die Beantwortung dieser Frage allemal von dem Abhangen, wie weit ein Imperans seinem Staate, oder seiner Jurisdicton zu fodern mit Rechte etwas vergeben könne. Da nun dieses von dem Vortheil des Ganzen abhänget, so muß auch allem aus diesem zu leistenden Vortheilen in dem vorkomenden Falle die Beantwortung dieser Frage gefolgert werden, mit Beachtung der Regel: In collisione bonorum bonum maius praeferendum est. Anmerkung. Z. B. dies: Du mußt Abschoß=Geld geben, hält vielmehr einem von dem Wegziehen aus einer Jurisdiction zurük. Wenn nun der Imperans es erkennet, daß sehr leicht Nachbaren sich entschließen würden unter seiner Jurisdiction zu ziehen, wenn die Freyheit von dem Abschoß sollte verwilliget werden, und daß beyde Nachbahren durch die Mischung der Sitten gewinnen würden, so kann dies auch mit Recht ein pactum reciprocum würken, es reciproce geschehen zu laßen, daß der Nachbar ohne Abschoß umziehet u: s: w: § XIII. Die siebente Frage: Wie viel an Abschoß=Geld zu bezahlen? Diese Sume zu bestimen, ist wohl anderer Grund vorhanden, als welchen die Regeln der Politik anbiethen. Man bestimt solche entweder nach der bereits eingeführten Gewohnheit, oder auch nach den Regeln von dem Jure retorsionis.

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung des zweyten Theils des allgemeinen Gesetzbuchs vom Sachen=Rechte Um meine Anmerkungen deutlich zu machen, halte ich es für nöthig, zuvor meine Gedanken von dem Ursprung der Abtheilung der Gegenstände der Rechte auseinander zu sezen. Die Peripateti haben die Gegenstände ihrer Betrachtungen also abgetheilet.

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Wenn ich etwas betrachte, so kann ich solches entweder durch seinen eigenen Begrif denken. Dies haben wir eine Sache (Rem) genannt. Diese Sache kann entweder ihre eigene Wirklichkeit haben. Dies sind substantiae körperliche Sachen oder nur durch eine Bestimmung einer anderen Sache wirklich seyn. Diese sind accidentia unkörperliche Sachen oder ich muß allemal etwas voraussezen, wodurch es mir denkbar wird. Dieß sind die Handlungen, oder Nuzungen, die mir durch eine Sache denkbar werden. Wenn nun von einer Handlung, oder Nuzung in abstracto ein besonderer Begrif gebildet wird; so werden Sie mit als eine Sache betrachtet, welches auch in dem § 2 der Einleitung befindlich. Das Worth Jus oder Recht, das aus dem grieschichen Worte entstanden, giebt allemal das jenige an, was bey einem Gegenstande übereinstimt, oder nothwendig ist. Wenn nun gefragt wird, welches sind die Gegenstände, bey welchen das, was Recht ist, vestzusezen; so haben Sie die Andworth aus den alten philosophischen Abtheilungen genomen. Der Gegenstand des Rechts ist entw: eine Sache körperlich unkörperlich oder eine Handlung, oder Nuzung Unter der körperlichen Sache stehen auch die Menschen L: 1.91 ff. de Rer: Dimis: Die Menschen haben unter diesem Geschlechte die eminentiam daher werden Sie Personen genannt. Aus diesem ist die Abtheilung endstanden. Jus versatur. aut circa personas aut circa res. welche demnach diejenigen Sachen sind, die von Menschen unterschieden werden. Aus diesem folget, daß alle Rechte Sachen-Rechte sind. Ist nun die Sache eine Person, und nennet es alsdenn das Personenrecht; so macht die andere Abtheilung das Recht der Sachen, die von Personen unterschieden. Vielleicht wird es nüzlich seyn, wenn die Aufschrift dieser Abtheilung also könnte ausgedrückt werden

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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Vom Rechte der Sachen, die von Personen unterschieden Nach meiner Einsicht, wird es die Volge lehren, daß dies zur Deutlichkeit vieles beytragen könne. ad § 3. § 3: „Alles was zum Daseyn einer Sache nothwendig ist, gehört zur Substanz derselben.“ Das Worth Substanz wird wohl eigentlich nur alsdenn gebraucht, wenn die Rede von körperlichen Sachen ist, und da heißt alsdenn das die Substanz (die Proprietas, facies) der Sache, was macht wodurch die körperliche Sache ein ganzes in ihrer Art ist. Und alles, was hierzu erforderlich ist, gehört zur Substanz der Sache zB: Wenn die Rede von einer Wiese ist, so gehört dies zur Substanz der Wiese, daß Sie nicht umgeakkert wird. Wenn von unkörperlichen Sachen die Rede, so nent man dies, was dazu gehört, daß Sie ein ganzes in ihrer Art, das Wesentliche zB: so ist es das Wesentliche bey einem Kauf, daß der Werth der Sache vestgesezet wird. ad § 7–11 § 7: „Je nachdem eine Sache, ihrer Subsstanz unbeschadet, von einer Stelle zur andern gebracht werden kann, oder nicht, wird sie beweglich oder unbeweglich genannt.“ § 8: „Bewegliche Sachen werden als Theile einer unbeweglichen angesehen, wenn sie mit leztzerer durch die Natur dergestalt verbunden sind, daß, ohne sie, die unbewegliche Sache zu ihrer eigentlichen oder Hauptbestimmung nicht gebraucht werden kann.“ § 9: „Auch solche beweglichen Sachen, die durch ein Gesetz, oder durch den deutlich erklärten Willen eines Menschen, zum beständigen Gebrauch bey einer unbeweglichen bestimmt worden, sind als Theile dieer unbeweglichen Sache anzusehen.“

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§ 10: „Dergleichen bewegliche Sachen (§. 9.) werden Pertinenz=Stücke genannt.“ § 11: Pertinenz=Stücke nehmen, so lange sie zu der unbeweglichen Sache gehören, an allen Rechten und Lasten derselben Theil.“ Was wir jetzt die Bewegung nennen, das ist ehedeßen motus locatus genennet, und das Worth motus hat dasjenige angezeiget, was wir die Veränderung nennen. Dieß ist die Quelle von der Zweydeutigkeit des Worths beweglich, und unbeweglich. Welche nach meiner Einsicht also kann gehoben werden. Das Worth beweglich, und unbeweglich wird genommen absolute In diesem Verstande ist der § 7 gebildete Begrif gegründet relativisch In diesem Verstande würde ich die Begriffe also bilden Wenn etwas als eine Bestimmung einer Sache betrachtet wird, so kann Sie von der Sache entweder weggenomen werden, ohne daß Sie aufhört ein Ganzes in ihrer Art zu seyn Wenn dieses, so ist Sie bey der Sache beweglich. oder nicht Wenn dieses so ist Sie bey der sache unbeweglich. Und diese sind eigentlich die pertinenz Stükke. zB: so sind die Fenster bey einem Hause immobilia, den so lange diese fehlen, so ist das Haus noch kein ganzes in seiner Art. Ferner, wenn in einem Zimmer befindlich, so gehören diese entweder zum ganz machen des Zimmers, daß wenn man solche wegnimt, das Zimmer kein ganzes ausgebautes Zimmer in seiner Art verbleibt (in perpetuum rei usum definata) alsdenn sind Sie pertinenz Stükke von dem Zimmer; oder Sie können weggenommen werden, ohne daß das Zimmer aufhört ein ausgebautes Zimmer in seiner Art zu seyn, wenn Sie entwa nur zur Zierrath, und nicht zum ganzmachen gehören, alsdenn sind Sie bey dem Zimmer bewegliche Stükke. Wie dieses deutlich erhellet aus dem L. 245 ff. de V: S:

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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ad § 12–14. § 12: „Rechte werden als bewegliche Sache angesehen.“ § 13: Wenn aber die Befugnis zur Ausübung eines Rechts mit dem Besitz einer Sache verbunden ist, so gehört das Recht selbst zu den unbeweglichen Sachen.“ § 14: „Die Befugniße zur Treibung eines gewissen Erwerbes werden den unbeweglichen Sachen gleich geachtet, wenn solche, an einem Ort, auf eine gewisse Anzahl eingeschränckt sind.“ Rechte sind unkörperliche Sachen, daher könen Sie absolute genomen, weder bewegliche, noch unbewegliche Sachen genennet werden. Will ich solche aber als eine Bestimmung einer Sache betrachten, so gehören Sie entweder zum Gangmachen der Sache, oder nicht. Im ersten Falle sind Sie bey der Sache unbewegliche, und im anderen Fall bewegliche Bestimmungen, so ist zB: Die Gerichtsbarkeit bey einem würklichen Ritter-Guthe eine unbewegliche, bey einem Land-Guthe, das kein Ritter-Guth eine bewegliche Bestimmung. Diese Gedanken verfestigen zugleich die Wahrheit des § 13 und 14. ad § 38–46. § 38: „Persönlich heißen Rechte oder Verbindlichkeiten, wenn nur gewiße Personen zu deren Ausübung befugt, oder zu deren Erfüllung verpflichtet sind.“ § 39: „Ein persönliches Recht enthält die Befugniß, von dem Verpflichteten zu fordern, daß er etwas geben, leisten, oder verstatten solle.“ § 40: „In sofern dergleichen persönliches Recht die Gebung oder Lieferung einer bestimmten Sache betrifft, wird es ein Recht zur Sache genannt.“ § 41: „Ein Recht ist dinglich, wenn die Befugniß zur Ausübung desselben mit einer Sache, ohne Rücksicht auf eine gewisse Person, verbunden ist.“

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§ 42: Auch solche Rechte heißen dinglich, deren Gegenstand eine Sache ist, ohne Rücksicht auf die Person, bey welcher diese Sache sich befindet.“ § 43: „Dergleichen Rechte, die ihrem Gegenstand nach dinglich sind, werden Rechte auf die Sache genannt.“ § 44: „Rechte, die in Beziehung auf das Subjekt, welchem sie zukommen, dinglich sind, (§. 41.) können in Rücksicht ihres Gegenstandes, bloß persönlich, oder zugleich Rechte auf die Sache seyn.“ § 45: „Wenn die Gesetze von dinglichen Rechten ohne weiteren Beysatz reden, so werden darunter solche, die in Ansehung ihres Gegenstandes dinglich, oder Rechte auf die Sache sind, (§. 42.) verstanden.“ Die Rechte werden entweder als eine Eigenschaft einer Sache, oder als eine Befugnis einer Person betrachtet. Im ersten Fall heißt es recht sey, und in dem anderen Fall, ein Recht haben. Aus der ersten Betrachtung endstehet diese Abtheilung. Jus est vel personarum vel rerum und aus der anderen Betrachtung endstehet diese Abtheilung. Jus est vel personale vel reale. Und in dieser Beziehung ist es das Zwangs-Recht, oder das Recht einen anderen auszuschließen. Dieses giebt diese Frage zu beantworten. Wer ist derjenige, den ich von dieser Sache ausschließen kann? Die Beantwortung fließet entweder aus dem Verhalten deßen, den ich ausschließen will, gegen mich; oder aus dem Verhalten der Sache, von der ich andere ausschließen will, gegen mich.. In dem ersten Fall endstehet mein Recht aus dem, was sich der andere mir verpflichtet, daher kann ich auch nur diesen ausschließen, daher heißt es das persönliche Recht. In dem anderen Fall endste-

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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het die Andwort aus dem, weil die Sache die meinige, daher kann ich einem jeden davon ausschließen, und daher heißt es das Jus reale, das dingliche Recht. Diese Voraussezung giebt nun den Grund von diesem Rechte, da man sagt: ein Recht haben, den Zusammenhang meiner Gedanken also zu bilden. Jus alterum ab aliquo exetudendi aut quemcunque alium aut solummodo eum, qui se mihi obliganit Jus personale aut ad faciendum Jus personale in specie aut ad dandum Ein Recht zur Sache hocce Jus aut cum Jure de re ea disponendi connexum est aut de ipsa substantia (propritate, facie) Dominium A: de confectatiis Jus intendi et fruendi Quod est servitus, wenn die Sache quoad substantiam aliena. aut non. aut simpliciter. Hierher gehört das Jus hereditarium. A: solumodo in certum finem A: in scopum securitatis erediti Jus pignoris A: a nova rei adquisitione V:g: Retractus, das Recht zu jagen etc: solche Rechte können nun so wohl bey dem Jure personarum, als auch bey dem Jure rerum statt finden zB: Geißeln sind verpfändete Unterthanen. Dem Manne stehet das Jus ad vindicandi uxorem Fugitivam, das Jus exetudendi quemeunque a libertate de statu uxoris disponendi, und so weiter, welches unläugbar Jura realia in personis. Die Worthe Jus realis und personale bekomen noch eine besondere Bedeutung aus dem modo habendi Ich habe ein Recht erworben.

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entweder mit der Freyheit es nach meinem Willen zu veräusern realiter adquisini. (a.) oder ohne deßen Freyheit personaliter adquisini (b.) hier hat man die Adverbia in nomina verwendet, und nent a.) ein Jus reale, und b.) ein Jus personale. Nach dieser Bedeutung können sowohl jene Jura reale personaliter vel realiter adquisita, als auch jene Jura personalia personaliter vel realiter adquisita seyn. Auf diese Gedanken gründen sich vermeintlich die § 44. 45. 46. ad § 47. § 47: „Persönliche Rechte und Verbindlichkeiten können auf einen andern, nur mit Einwilligung dessen, der das Recht hat, oder dem die Pflicht auferlegt werden sol, übergehen.“ Das persönliche Recht, nur die persönliche Verbindlichkeit kann so wohl aus der Einwilligung deßen, der das Recht hat oder dem die Pflicht auferlegt werden soll, als auch unmittelbar aus dem Gesezzen endstehen zB: Wenn mir einer einen Schaden zugefüget, so habe ich das Recht von Ihm die Ersezung des Schadens zu fodern, dieß ist unläugbar ein persönliches Recht, obgleich der, welcher mir den Schaden zufüget, in die Ersezzung nicht einwilliget; ferner so ist das Recht der Kinder, von ihren Aeltern die alimentation zu fodern, ein persönliches Recht, wenn gleich die Aeltern in diese Obliegenheit ihre Einwilligung nicht geben. Aus diesem Grunde läßt sich auch die in dem § 48 gemachte Einschränkung erklären. ad § 57. § 57: „Die Erwerbung eines Rechts auf fremde Sachen, setzt bey dem Erwerbenden ein vorhergehendes persönliches Recht zur Sache (§. 40.) voraus.“ Wieder diese Grund-Lehre würde ich die adquisition des Juris hereditarii opponiren. Aus der bloßen delation der Erbschaft bekomt keiner das ErschaftsRecht, auch kein Jus personale, wenn solche kann zurükgenomen werden, wenn aber solche nicht abgeändert wird, so erhält man nach dem Tode des Besizers unmittelbar durch die Erfüllung des Rechts das Jus hereditarium, welches ein Jus reale, ohne daß ein Jus personale vorangegangen.

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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ad Tit: I. § 1. § 1: „Alle Sachenrechte gründen sich auf Handlungen oder Begebenheiten, womit die Gesetze das Entstehen derselben verbunden haben.“ Ich zweifle daran, daß dießer angegebene Grund von dem Sachen-Rechte allgemein könne vertheidiget werden. Soll das Recht so viel bedeuten, als das übereinstimmende (id quod conviniens) so ist dies zu beurtheilen unläugbar der Begrif der die Natur der Sache, von welcher die Rede ist; soll das Recht das, was bey einer Sache nothwendig ist, anzeigen; so kann der Grund von dieser Nothwendigkeit theils der Begrif oder die Natur der Sache theils der Wille deßen seyn, der verbinden kann zB: daß derjenige, der einen Kauf schlüßen will, den Gebrauch des Verstandes, und der Vernunft, auch der freien Disposition welcher den Gegenstand des Kaufs haben müßte, dieß ist durch die Natur, durch den Begrif eines Kaufs recht, und nothwendig, daß aber der Kauf der über 50 rTh. gehet nur alsden gültig seyn soll, wenn er schriftlich endworfen worden, dieß widerspricht zwar nicht den Begrif eines Kaufs, es hat aber seine Nothwendigkeit nur durch den Willen des Regenten. ad § 11 § 11: „Gewissensfreyheit kann durch keine Willenserklärung eingeschränkt werden.“ Es ist dieses zwar in Ansehung der Gewißensfreyheit eine Wahrheit, so bald es aber auf den Ausbruch der Gewißensfreyheit ankomt, so muß es wohl eingeschränket werden, weil dieser Ausbruch sehr leicht einen Leichtsinn würken kann, der dem Staat unläugbar nachtheilig ist zB: Es glaubt ein evangelischer Prediger keinen Teufel, so mag er dieses glauben, wenn er aber dieses öffentlich lehret, so wird dieß allerdings eine strafbare Unternehmung u.s.w. Diese Einschränkung ist auch der Grund von nachstehenden §§. ad § 31–33 § 31: „Aeußerungen des Willens, wozu jemand durch physische Gewalt genöthigt worden, haben keine verbindliche Kraft.“ § 32: „Ein gleiches gilt von solchen Willenserklärungen, wozu jemand durch Zufügung körperlicher Schmerzen vermocht worden.“

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§ 33: Ferner von denjenigen, welche durch gefährliche Drohungen erzwungen worden.“ Dieß ist wohl eine Sache, die jederzeit von dem Richter zu beurtheilen, ob eine solche Willensausübung eine Verbinlichkeit würke, oder nicht. Die alte Regel: Qui vi compulsus promisit, obligatur, scheint mir von der größten Wichtigkeit zu seyn, weil dies der Grund dieser Regel: Das Versprechen muß nicht endkräftet werden ein Mittel zu bleiben, sich von einer Gefahr befreien zu können. Daher es gefährlich, wenn einer so gleich von der verbindlichen Würkung eines solchen Versprechens frey seyn soll. Es muß vorher untersucht werden, ob nach der Lage der Sache eine solche Unwürksamkeit ohne Gefahr statt finden kann. Wohin die von dem Praetore bey der Gewalt eingeführte Restitutio in integrum gehet. ad § 73. § 73: „Ein gleiches gilt von einem Irrthum in der Person desjenigen, für welchen aus der Willenserklärung ein Recht entstehen soll.“ Dieser Saz muß wohl eine Einschränkung erhalten zB: Ein Kaufmann schlüßet mit dem Titio einen Handel, weil er es glaubet, er sey der Cajus. Nach geschlossenen Händel erkennet er diesen Irthum. Sollte dies wohl ein zureichender Grund seyn, den Händel zu zernichten? Es muß also wohl dieser Irthum wen er den angegebenen Effekt haben soll, einen Einfluß in das wesentliche der Handlung haben. ad § 77. § 77: „Irrthum in solchen Eigenschaften der Person oder Sache, welche dabey gewöhnlich vorausgesetzt werden, entkräftet ebenfalls die Willenserklärung.“ Wenn dieß Gesez statt finden soll, so würde folgen, daß wenn sich einer mit einer unverheirateten Person verlobet, und nach diesem es findet, daß Sie nicht mehr eine Jungfer, alsdenn so gleich die Verlobung ungültig seyn müßte. Welches wohl nicht zu verteidigen, daher ist wohl in der Stelle des Worths gewöhnlich, das Worth nothwendig zu setzen.

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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Tit: II. Von Verträgen ad § 4. § 4: „Zur Würklichkeit eines Vertrages wird wesentlich erfordert, daß das Versprechen angenommen.“ Das Versprechen, und die Annehmung des Versprechens machen noch keinen vollkommenen Vertrag, sondern es muß noch dieses hinzukomen, daß der Versprecher, nachdem er die Annehmung des Versprechens erfahren, entweder ausdrücklich, oder stillschweigend die Forddauer seines Versprechens zu erkenen gibt. Welches man den consensum reciprocum nent. Daher wird es auch so definirt: duorum in idem placitum i, e promissum, consensus. Die Annehmung des Versprechens ist nur eius in promissum consensus. Der consensus reciprocus ist der zweite, der annoch erforderlich. Folglich müßte wohl noch dieß hinzugesezzet werden. Daß das Versprechen angenommen, und von dem Versprecher, nachdem er diese Annehmung erfahren, die Fortdauer seines Versprechens entweder ausdrücklich, oder stillschweigend ist anerkandt worden. ad § 63. § 63: „Durch die Annahme eines gültigen Versprechens wird der Vertrag geschlossen.“ Das Vorstehende giebt zugleich einen Grund diesen Saz genauer zu bestimmen, und mit auf den consensum reciprocum zu sehen. ad § 280. § 280: „War der Vertrag schon in Erfüllung gegangen, so ist dessen durch wechselseitige erfolgende Wiederaufhebung, für einen neuen Vertrag zu achten.“ Dieser Saz erfodert wohl diese Einschränkung. woferne nicht die Gesezze eine solche Wiederaufhebung verbiethen – zb: die Verlobung ist ein Vertrag, und dieser gehet durch die Aufrichtung der Ehe in die Erfüllung, nun aber erlauben es die Gesezze nicht, solche durch wechselseitige Einwilligung wieder aufzuheben. Vielmehr bleibt eine solche Aufhabung ungültig.

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ad § 291. § 291: „Haben mehrere Personen zugleich sich einem dritten durch Vertrag verpflichtet, so werden sie als Eine Person angesehen, und haften demselben gemeinschaftlich, für das, wozu sie sich ihm verbunden haben.“ Bey diesem Stükke würde wohl zu erwägen seyn, ob die mehreren sich einem dritten aequaliter, oder inaequaliter, wo einer principaliter, und der andere nur in subsidium verbunden. Die ganze Abhandlung bis auf den § 315 sezet die erste Bestimung zum Grunde, daher müßte dieser wohl in dem § noch angemerket werden. Tit: III. Von der Turbation ad § 6. seqq. § 6: „Wer einen andern aus Vorsatz oder grobem Versehen beleidiget, muß demselben vollständige Genugthuung leisten.“ Solte es nicht hart seyn, bey der Ersezzung des Schadens, der e culpa endstanden, auf die gradus culpae zu sehen. Im Jure naturali heißt es: Qui in culpa versatur de damnatu quod quis sentit, damnum praestare debet. Auf die gradus culpae, wenn von Verbrechen die Rede ist, kan alsdenn nur gesehen werden, wenn die Rede von Bestrafung. ad § 30. § 30: „Unwillkührliche Handlungen können niemanden zugerechnet werden.“ Dieses nicht zu rechnen, kann nur bey der Bestrafung statt finden, nicht aber wen die Rede von der Ersezzung des zugefügten Schadens, bey diesem Stükke komt es nicht darauf an, ob die Handlung, wodurch der Schade zugefüget wird, eine willkürliche, oder unwillkürliche Handlung gewesen. Denn die Schadloshaltung suche ich von dem, der caussa damni ist. Woraus sich auch das erklären, und beweisen läßt, was pag: 84 in der nota ad § 34 sehr wohl ist angemerket worden.

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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ad § 41. § 41: „War aber der Auftrag unerlaubt, so haftet der Machtgeber, mit dem Bevollmächtigten, als Mitschuldner; auch wenn letzterer die Gränzen des Auftrags überschritten hat.“ Das lezte in diesem § scheint hart zu seyn zB: ein Herr giebt unerlaubter weise seinem Bedienten Befehl, jemand zu schlagen. Dieser treibt es so weit, daß er denselben todt schläget, solte es da nicht hart seyn, den Herrn als einen Todtschläger zu behandeln. Vielleicht konte die Sache also gefaßt werden: so haftet der Machtgeber, mit dem Bevolmächtigten, in wie weit er diesem den Auftrag gegeben, als Mitschuldner. Tit: IV. Vom Besitz. ad § 3–7. § 3: „Wer aber bey der Gewahrsam, zugleich die Absicht, über eine Sache für sich selbst zu verfügen, hat, der ist Besitzer der Sache.“ § 4: „Wer ein Recht für sich selbst ausübt, der ist im Besitz des Rechts.“ § 5: „Wer eine Sache zwar als eine fremde, jedoch in der Absicht, daüber für sich selbst zu disponiren, in seiner Gewahrsam hat, der heißt ein unvollständiger Besitzer.“ § 6: „Vollständiger Besitzer heißt der, welcher eine Sache oder ein Recht als sein eigen besitzt.“ § 7: „Beruhet dieser Besitz auf einem Rechtsgrunde, durch welchen das Eigenthum erlangt werden kann, so ist ein vollständiger titulirter Besitz vorhanden.“

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Mir scheinet es, daß diese Gedanken von dem Leser in nachstehender Wendung leichter könten gefaßt werden. Wer den würklichen Gebrauch von einer Sache hat, der ist Besizer der Sache (L: 115 ff. de v: S: wenn usus in statu genommen wird, i, e, pro actu:) Ist diese Sache eine körperliche Sache, so gründet der Besizer seinen Gebrauch entweder in einem dinglichen Rechte auf die Sache, oder nicht. Wenn dieses, so ist es eine bloße Besezung (Possesio grammatice sumta) zB: wenn mir jemand ein Beyel borget, so habe ich daran einen bloßen Besiz. Ist jenes, so ist es ein rechtlicher Besiz. (Possesio iuridice sumta.) In diesem Falle hat der Besizer entweder rechtliche Gründe das dingliche Recht auf der Sache zu behaupten, oder er maßet sich ein solches Recht ohne rechtliche Gründe an. Ist dieses, so ist er ein unrechtmäßiger Besizer (possesor male fidei.) Ist jenes, so ist er ein rechtfertiger Besizer (possesor bonae fidei.) Dieses dingliche Recht, in welchem der Besizer seinem Gebrauch gründet, ist entweder das Eigenthum, oder ein anderes dingliches Recht. Wenn jenes, so ist es ein vollständiger Besiz, wenn dieses ein unvollständiger Besiz zB: der Besiz den der Gläubiger auf die gemeinschaftlichen Güther des Schuldners erhalte. (L: 21. § 3 ff. de fideiuss:) Wie weit der Besizer die Sache gebrauchen könne, dies hängt von der Beschaffenheit des Titels ab, wodurch er das Recht erworben. ad § 35. § 35: „Die Uebergabe kann nicht nur körperlich, von Hand in Hand, sondern auch durch Zeichen (symbolisch) geschehen.“ Die Uebergabe ist eine Handlung, wodurch einer in den Besiz einer Sache, es mag ein bloßer, oder ein rechtlicher Besiz seyn, gesezt wird. ad § 113. § 113: „Die Vermuthung, daß Personen und Eigenthum frey sind, überwiegt jedoch die Vermuthung für die Rechtmäßigkeit des Besitzes.“ Der Grund dieser Lehre ist vermutlich diese Regel: Praesumtis est pro naturalis, donec contrarium satis probatum, welche Regel sehr vieles von dem Folgenden erläutern kann.

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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Tit: V. Vom Eigenthum. ad § 1. § 1: „Eigenthümer einer Sache ist derjenige, welcher das Recht hat, über die Sache selbst aus eigener Macht zu verfügen, und jeden andern davon auszuschließen.“ Dieser Ausdruk von dem Begrif des Eigenthums könte eine Zweydeutigkeit verursachen. Wenn der Eigenthümer sein Guth verpachtet, so ist er nicht mehr befugt einen jeden andern von der Nuzung auszuschließen. Diese Zweydeutigkeit könte hiedurch gehoben werden. Wenn das Eigenthum als eine besondere Art von dem dinglichen Rechten betrachtet wird, so ist der Gegenstand eine körperliche Sache, und zwar die Substanz dießer Sache, wodurch Sie eine Sache von einer bestimten Art. Daher würde dieß der Begrif seyn: Eigenthümer einer körperlichen Sache ist derjenige, der das Recht hat, über die Substanz einer solchen Sache aus eigener Macht zu verfügen. Folglich einem jeden andern von der Verfügung über die Substanz, wodurch Sie eine Sache in ihrer Art ist, auszuschließen. ad § 9–13. § 9: „Zum Eigenthums=Rechte gehört die Befugniß, die Sache zu besitzen, zu gebrauchen, und sich derselben zu begeben.“ § 10: „Das Recht über die Substanz der Sache zu verfügen, wird Proprietät genannt.“ § 11: „Das Recht, eine Sache zu seinem Vortheil zu gebrauchen, heißt das Nutzungs=Recht.“ § 12: „Das zum Eigenthum gehörende Nutzungs=Recht erstreckt sich auf alle Vortheile, welche die Sache gewehren kann.“

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§ 13: „Der Eigenthümer ist von dem Gebrauch seiner Sache, so weit es die Gesetze nicht ausdrücklich verordnen, niemand Rechenschaft zu geben schuldig.“ Diese Rechte fließen aus dem begrif des Eigenthums, nicht als wesentliche Stükke, sondern nur als accidentia naturalia, in wie weit es auf die Ausübung dieser rechte ankomt. Daher folgt dieses Hat der Eigenthümer das Nuzungs-Recht einem andern gegeben; so bleibt Ihm doch allein das Recht über die Substanz der Sache zu verfügen, und in so weit wird gesagt er habe die Proprietaet behalten. ad § 14. § 14: „Wem alle unter dem Eigenthum begriffene Rechte zukommen, der hat ein volles Eigenthum der Sache.“ Wem nicht nur das Eigenthum einer Sache zukomt, sondern auch alle Rechte zukomen, die aus der Natur des Eigenthums also fließen, daß Sie in zweifelhaften Fällen als Rechte des Eigenthümers zu vertheidigen, der hat ein volles Eigenthum der Sache. ZB: das Nuzungs-Recht fließet aus der Natur des Eigenthums, ist dieses aber einem andern verwilliget, so bleibt zwar der Eigenthümer ein würklicher Eigenthümer, aber sein Eigenthum ist alsdenn kein volles Eigenthum. ad § 21. § 21: „Daß das Eigenthum einer Sache getheilt sey, wird nicht vermuthet.“ Es muß wohl noch zur Deutlichkeit dieser Bestimmung hinzugefüget werden. Daß das Eigenthum einer Sache, und die Rechte, welche aus der Natur des Eigenthums fließen, getheilt ist, wird nicht vermuthet ad § 24 seqq: § 24: „Niemand darf sein Eigenthum zur Kränkung oder Beschädigung anderer mißbrauchen.“ Diese Abtheilungen sind alle gegründet, und sezen diese Theorie voraus.

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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Das Jus abutendi fließet aus der Natur des Eigenthums, nicht als ein wesentliches, sondern nur als ein außerwesentliches natürliches Recht, daher kan es salva natura dominii eingeschränket werden. Tit: VI. ad § 3. § 3: „Zur Erwerbung des Eigenthums wird die Besitznehmung erfordert.“ Dieser Saz läßt sich nicht allgemein vertheidigen, zumahl das Eigenthum zwar das Recht zur Besizung, aber noch nicht den würklichen Besiz faßt zB: Wenn ich das Erbschafts-Recht habe, und mich dahin erkläre, daß ich Erbe seyn will, so habe ich das Eigenthum von der Erbschaft erworben, ob ich gleich erst in der Folge den Besiz suchen muß. Daher die Petitio hereditatis ex iure hereditaris. Es muß daher wohl heißen. Zur vollständigen Erwerbung des Eigenthums zz: Tit: VI. Zum ersten Abschnitt. Da zur Erwerbung des Eigenthums die würkliche Besiznehmung nicht erforderlich, so wird es wohl die Deutlichkeit erfodern, in den Aufschriften dieser Abschnitte in der Stelle der Besiznehmung zu sezen: Erwerbung des Eigenthums ad § 7. § 7: „Die Besitznehmung solcher Sachen, auf welche noch niemand ein Recht hat, wird die ursprüngliche (originaria) genannt. Daher auch in der Abhandlung es heißen müßte. Der Erwerbung des Eigenthums solcher Sachen zz: § 10. Ist noch für keine Erwerbung des Eigenthums zu achten und: s: w: Meine Gedanken von dem Erwerb des Eigenthums sind diese: Was ich a.) haben will und haben kann. physice

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b.) i, e omni respectu eher als ein anderer haben kann. moraliter. c.) dies ist das Recht zur Erwerbung. dies ist mein. Hat nun auf die Sache niemand ein Recht, so lieget c. schon in der Natur der Sache, folglich komt bey dem Erwerb nun auf a, und b, an. ad § 17.18. § 17: „Nur alsdann ist eine Sache zu verlaßen zu achten, wenn der bisherige Eigenthümer den Besitz, in der ausdrücklich oder stillschweigend erklärten Absicht, sich seines Rechts daran zu entschlagen, aufgegeben hat.“ § 18: „Wer durch äußere Umstände genöthiget wird, Sachen wider seinen Willen aus seinem besitz zu laßen, der hat sich seines Eigenthums nicht begeben.“ Diese §§ zeigen es deutlich, daß a negatione possesionis ad negationem dominii nicht könne geschloßen werden. ad § 98. § 98: „Die Besitznehmung durch die Jagd ist erst alsdenn für vollendet zu achten, wenn das Thier, todt oder lebendig, in die Gewalt des Jagenden gekommen ist.“ Was ich ad § 7 angemerket habe, macht mir diesen Ausdruck, in der Gewalt des Jagenden zu komen, zweydeutig, soll es so viel heißen, als würklich in den Besiz des Jagenden gekomen, so könnte ich dies nicht vertheidigen, soll es aber so viel heißen: in solche Lage komen, daß es der Jagende eher hat zu sich nehmen können, als ein anderer; so sind alsdenn alle Erfoderniße zum Erwerb des Eigenthums vorhanden. Das Recht zu jagen wird vorausgesezt, die Tödtung giebt den Willen zu erkennen. Die Potentia physica, welche eigentlich die adprehensionem corporalem nicht erfordert, ist alsdenn auch da. Ergo diese Gedanken unterstüzen zugleich was § 99 bis 106 ist vestgesezet worden. ad § 157. § 157: „Auf öffentlichen Gewässern soll, zum Nachtheil der Fischereyberechtigten, niemand Endten halten.“ Das ist dies eine gewöhnliche Behauptung. Ich bin aber durch die Erfarung davon überzeugt, daß ein solches Verboth der Endten-Haltung der Fischery

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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mehr nachtheilig, als nüzlich ist. Die Fische legen die Leiche an den Ufern, wo sich mehrentheils die nakkende Schnekken, welche die Fisch-Leiche verzehren, einfinden. Die Endten freßen die nakkende Schnekken. Dieses giebt den Beweiß von meiner Behauptung. ad § 205. § 205: „Niemand darf durch Pflanzungen, oder andere Wasserbaue, das Anspühlen an die Ufer eines öffentlichen Flusses vorsetzlich beförden.“ Dieses scheint hart zu seyn. Habe ich das Eigenthum von einem Felde, das bis an die Oder stößt, warum soll ich nicht das Anspühlen an dem Ufer befördern können, wenn dies der Weg ist, das Ufer zu befestigen. Um diesen Zweifel zu beheben, könnt es heißen An den Ufern des öffentlichen Flußes, um hierdurch das Flus-Bette des Flußes zu verändern, vorsäzlich befördern Mit diesem zusaze stimet auch der nachstehende § 206 u 207. überein ad § 228. § 228: „Wegen einer bloßen Schmälerung oder Erweiterung des Flußbettes, welche durch die Natur selbst veranlaßt worden, kann keine Vergütung gefordert werden.“ Wie wird es in dem Fall zu halten seyn, wen auf den Akkern in Verhältnis seiner Größe eine Contribution geleget werden, und durch die Gewalt des Stroms, würde diese Größe merklich vermindert, oder vermehret? Alsdenn muß auch in dem ersten Fall die Contribution in der Verhältniß können vermindert, und in dem andern Falle verhältniß mäßig köne vermehret werden. Zum VIIIten Abschnitt. ad § 286. § 286: „Die Erbschaft eines Verstorbenen, oder für todt Erklärten, besteht aus dem Innbegriff aller seiner hinterlaßnen Sachen, Rechte und Pflichten.“ Wenn ich etwas erwerbe, so habe ich es entweder realiter d: i: mit der Freyheit es zu veräußern, oder nur personaliter d: i: ohne Freyheit es zu veräußern erworben. Das lezte gehört nicht zur Erbschaft (zB: mein Amt, ist kein Theil

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der Erbschaft:) sondern nur das erste. Daher muß wohl der Beweis von der Erbschaft also gefaßt werden. Die Erbschaft eines Verstorbenen bestehet aus dem Inbegrif aller seiner hinterlaßenen Sachen zz: die er mit der Freyheit, solche durch seinen Willen veräußern zu können, erworben. Welcher Zusaz auch der Grund von dem § 290 und 292. ad § 296. § 296: „Dieser erlangt das Eigenthum der Erbschaft, nebst allen damit verbundenen Rechten und Pflichten, ohne daß es weiter einer Besitzergreifung bedarf.“ Die bloße Berufung zur Erbschaft (Delatio hereditatis) kan keinem das würkliche Eigenthum der Erbschaft geben, sondern dieses Eigenthum erhält er nur alsden erst, wenn er sich dahin erklärt, daß er Erbe seyn wolle (aditio hereditatis.) Denn wäre dies nicht, so könnte ein jeder, dem die Erbschaft deferirt worden, sogleich nach dem Tode des Erblaßers belanget werden. Welches doch nicht angehet. Diese Anmerkung bestätiget noch der der folgende § 316 seqq: ad § 298. § 298: „Stirbt der Erbe, noch ehe er die Erbschaft in Besitz genommen hat, so geht dennoch sein Recht daran auf seinen Erben über.“ Dieses bleibet dennoch eine Wahrheit, denn stirbt der Erblaßer, und die Delation ist bey seinem Leben nicht wieder aufgehoben worden, so erbet derjenige, der zur Erbschaft berufen worden, durch die Erfüllung der Gesezze (Juris expletione (?) d: i: aus dem Principio: Jus ad finem dat ius ad media sufficientia) des Jus hereditarium. Folglich ist dieses Recht alsdenn schon ein Theil seiner Erbschaft. Ab adquisitione iuris hereditarii ad adquisitionem hereditatis kann nicht geschloßen werden. Diese folget erst praemia aditione ad § 301. § 301: „Haben sie sich, vor dieser Erfüllung, in den Nachlaß getheilt, so hat jeder Erbschafts=Gläubiger die Wahl: ob er sich an die Erben insgesammt, oder an jeden derselben, nach Verhältniß seines Erbtheils, oder an einen unter ihnen für das ganze halten wolle.“ ad, oder an einen unter ihnen für das Ganze halten wolle

7. Anmerkungen zu der ersten Abtheilung

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Dieser Saz scheinet mir hart zu seyn. Ein solcher Miterbe ist ja aus der Erbschaft dem Erbschafts=Gläubiger mit den übrigen Miterben nur collective genomen schuldig. Wen er nun nichts versehen hat, so kann ich keinen Grund finden, die seine Verbindlichkeit, für das Ganze zu stehen, würken köne. Zum IXten Abschnitt überhaupt. Nach meiner Überzeugung ist die Würkung eines langen Besizes, von der Verjährung genau zu unterscheiden. Jene ist die Vermuthung des Rechts für den Besizer. Diese aber würkt auf Seiten des Besizers die Erwerbung, und auf Seiten des gewesenene Eigenthümers den Verlust. Eine solche Verjährung ist nach meiner Einsicht von den Römern nur als eine Bestrafung der Nachläßigkeit erfunden worden. Daher denn auch wieder den, dem keine Nachläßigkeit kann beygemeßen werden, keine Verjährung gültig kann eingewendet werden zB: So kann keiner das Eigenthum einer Sache, die er einem andern verpfändet, durch die Verjährung mit Recht verlieren. Nach meiner Einsicht würde es vieles zur Anwendung der Lehre von der Verjährung beytragen. Wenn dieser angegebene Grund von der Verjährung in den Gesezen deutlich könnte ausgedrükt werden. Er stehet zwar in den § 409 ff. Allein es würde doch beßer seyn, solchen expresse anzugeben. Es würde dieß viele Streitigkeiten zernichten. ad § 402. § 402: „Jede Verjährung setzt voraus, daß der, gegen welchen sie statt finden sol, von seinem Rechte, innerhalb der durch die Gestze bestimmten Frist, keinen Gebrauch gemacht habe.“ Daher es wohl heißen müßte Keinen Gebrauch aus Nachläßigkeit gemacht habe. in dem folgenden § 409. Der bloße nachläßige Nichtgebrauch zz: ad § 408. § 408: „Auch das Recht, künftige Gefälle, Zehenten, Pächte, Erbzinsen, und andre dergleichen Prästatioonen, von der Person oder dem Grundstück eines andern zu fordern, kann durch den bloßen Nichtgebrauch verjährt werden.“

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ad Auch das Recht, künftiger Gefälle zz Aus dem angezogenem Grunde der Verjährung, scheint das hart zu seyn. Denn die Nachläßigkeit kann bey den zukünftigen Gefällen nicht angezogen werden, weil das Recht, solches zu fodern, järlich wiederum entstehet. Aber in Ansehung der vergangenen könte sich eine Nachläßigkeit vorfinden, daher wohl in der Stelle künftiger zu sezen, bereits verfallene. ad pag: 217. zur not: 1. not. 1: „Die Verjährung ist an sich nicht natürlichen Rechtens; denn in der Natur der Sache liegt nichts, warum ein Recht blos um deswillen, weil davon in einer gewissen Reihe von Jahren kein Gebrauch gemacht werden, verlohren gehen sollte. Um das Eigenthum der Dinge gewiß zu machen, und weit aussehende verwickelte Processe zu verhüten, ist sie durch positive Gesetze eingeführt worden. So wie aber überhaupt der Gesetzgeber die Obliegenheit, für die Vorbeugung und Verhütunmg solcher Processe zu sorgen, seiner Hauptpflicht, die Bürger des Staats bey ihrem Eigenthum und Rechten zu schützen, immer unterordnen muß, so müssen, auch bey der Verjährung, die Bestimmungen so gefaßt werden, daß nicht an sich klare und wohlhergebrachte Rechte, durch eine ganz unverschuldete Unwissenheit ihres Inhabers, oder durch unwidertreibliche Hindernisse in deren Verfolgung, verlohren gehen. Daher ist nöthig gefunden worden, den an sich so billigen und vernünftigen, aber durch den heutigen Gerichtsgebrauch gemeiniglich zu sehr eingeschränkten Grundsatz: non valenti agere non currit praescriptio, da, wo von dem Anfang der Verjährung die Rede ist, in einem größern Unfange beyzubehalten, und anzuwenden. Dagegen giebt die Anwendung eben dieses Grundsatzes bey Hindernissen, welche zwischen dem Anfang und Ablauf der Verjährung eintreten, und wieder aufhören, zu sehr weitläufigen Untersuchungen, und zu verwickelten oft sehr ins Kleinliche gehenden Zeitberechnungen Anlaß; und hat dennoch, für diesen Fall, keinen vernünftigen Grund; indem gar nicht zu vermuthen ist, daß jemand, der sich zwanzig oder dreyßig Jahre lang um sein Recht nicht bekümmert hat, just in den etlichen Wochen oder Monaten, wo er außerhalb Landes verschickt, wo die gerichte geschlossen gewesenetc. solches ausgeübt haben würde. Es darf also nur für den Fall, wenn die Verjährungsfrist, während der Bestehung eines solchen Hindernisses abläuft, oder das Hindernis erst kurz vor dem Ablauf der Frist gehoben wird, gesorgt werden. Hierauf gründet sich die §. 410=420. angenommene Theorie. Das Eigenthum der Dinge gewiß zu machen, ist wohl die Gelegenheit gewesen, warum der Nachläßigkeit die Verjährung als die Bestrafung ist gesezet worden. Dennoch aber kann die Bewürkung jener Gewisheit nicht als der Grund der Verjährung behandelt werden. Es würde dieß unangenehme Folgen

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haben zB: bey der Verpfändung würde eben dieser Grund statt finden, und doch kann auf eine Verjährung dabey kein Bezug gemacht weden. Im Völker=Recht würde diese Lehre zu nachtheilgen Folgen haben, die aber alle alsdenn wegfallen, wenn die Verjährung als eine Bestrafung der Nachläßigkeit behandelt wird. ad not: 7. not. 7: „Die Lehre von Verjährung der Verbrechen wird, wie auch schon bey dem achten Titel der dritten Abtheilung des Personen=Rechts bemerkt worden, in der Criminal=Instruktion vorkommen.“ Der Grund von der Verjährung der Verbrechen ist praesumta emendatis.

8. Erste Gründe des Untersuchungsproceßes sowohl in bürgerlichen, als auch in peinlichen Sachen Der erste Abschnitt. Von dem Proceß, und insbesondere von dem Untersuchungsproceß überhaupt. § 1. In dem Rechte der Natur ist es genugsam bewiesen worden, daß wir dadurch, daß wir einer Regierung unterworfen, die Freyheit verlohren, unsere Zwangsrechte durch unsere eigene Gewalt auszuüben: vielmehr ist alsdenn das Recht diese Ausübung zu bewürken, ein Recht des Beherrschers, und in so weit heißt er ein Richter. Wenn dieser andere verpflichtet, die Ausübung der Rechte derer, die seiner Regierung unterworfen sind, zu bewürken; so werden diese insbesondere Richter genennet, und in dieser Verhältniß heißt jener der Oberrichter. „Im Jure sociali sind die Renunciationes iurium erkläret worden, die aus der Subjectione superioris, wen wir uns darin begeben, folgen. Wennn wir also einer regierung unterworfen sind; so liegt in der Renunciation eine doppelte Art der Verbindlichkeit. 1.) daß wir unser Jus in relatione ad superiorem ganz aufgegeben haben, was denn der Lex de non resistendo superiori, den wir omni respectu zu beobachten 2.) daß wir der Freyheit entsagt, unsere iura cogendi nicht eigenmächtig auszuüben, sondern durch den Richter zum Genuß unserer Rechte zu gelangen suchen wollen. Wenn uns der Regent zur Ausübung unserer Rechte verhelfen soll; so heißt er in so fern ein Richter.

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§ 2. Die vestgesezte Ordnung, in welcher wir durch Hülfe des Richters zum Genuß unserer gekränkten Rechte gelangen können, heißt der Proceß. „Dieser Proceß, oder methodus procedendi ist nichts weiter als ein bellum civile § 3. Es sind demnach die wesentlichen Stüke eines Proceßes daß der Richter, bey dem man die Hülfe suchet, diese zu bieten würklich berechtiget, und verpflichtet (iudex competens:) daß der rechtmäßige Richter es erfahre, daß einem seine Rechte sind gekränket worden. daß dieser gekränkte, die Hülfe des Richters zu Erlangung seines Rechtes suche. daß sich der Richter davon überzeuge, daß das angebliche Recht würklich gegründet, und alsdenn die gesezliche Vorschriften beobachte, die Ausübung des gegründeten Rechtes zu bewürken. Ad I. Die Competentia iudicis ist doppelt. aut ratione causae „Wenn er das Recht erhalten hat in stati causa Untersuchung anzustellen, und richterliche Gewalt auszuüben aut personae „Wenn er auch das Recht erhalten hat, gegen den Menschen die richterliche Gewalt auszuüben „ad 2.) Der Richter muß ja wißen, daß Rechte gekränket worden. Den wie kan er jemanden zum Genuß seiner Rechte helfen, wen er es nicht weiß; er muß also untersuchen, ob ein crimen begangen; ob ein corpus delicti, wie es in criminalibus heißt, da ist, und davon gewiß überzeugt seyn. ad 3.) muß er ja wißen, ob der, deßen Rechte gekränket worden, auch Hülfe verlange, oder ob er seinem Rechte entsagen will. ad 4.) der Richter muß sich auch überzeugen, daß das Recht was er ausüben soll, gegründet ist, weil er sonst in Ausübung seiner Rechte keine Hülfe bieten kann: und ist er nun gewiß davon überzeugt, daß der andere ein Recht hat; so hat er alsden

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ad 5.) Die Gesetze, die ihm vorschreiben, wie er diese Rechte zur Execution bringen soll, beobachten § 4. Wer durch die richterliche Hülfe zum Genuß seines Rechtes gelangen will, der heißt überhaupt der Kläger; und derjenige, den er als einen solchen angibt, der seine Rechte gekränket, und wieder welchen er also seine Rechte, auszuüben suchet, heißt überhaupt der Beklagte. In criminalibus ist der Kläger der Staat, und er Beklagte der Angeschuldigte, der die Rechte gekränket hat, und wieder den man die richterliche Gewalt ausüben will, wenn man nehl: diese Worte im allgemeinen nimt. § 5. Die Beurteilung des Richters, ob das angebliche Recht des Klägers gegründet, oder nicht, wie weit es gegründet, oder ungegründet, kann, vermöge der Gesezze, entweder in dem gegründet werden, wie von beiden streitenden Theilen, die Sache im Gerichte ist vorgetragen worden; oder die Gesezze verpflichten den Richter, es selber zu untersuchen, wie weit die Sache gegründet. Wird von den Gesezen das erste nachgelaßen; so ist es der Processus accusationis: muß aber der Richter dem anderen Wege Folge leisten; so ist es der Processus informatorius. „Was ist eigentlich für ein Unterschied inter processum accusat: und informatorium. Kaiser Carl V. hatte hauptsächlich die Absicht in criminalibus den Processum accusat: abzuschaffen, un den Processum inform: einzufüren. Man nahm vorzüglich den 4ten Punkt vom wesentlichen des Proceßes per § 3 zur Unterscheidung an; nehmlich der Richter soll von dem überzeugt werden, wie weit das angebliche Recht würklich gegeründet sey, so wohl in criminalibus als civilibus zB: der Staat ist dadurch das T: einen Mord begangen in Unsicherheit gesezt. Da nun ein Richter wen ein crimen begangen den Staat allemal in Sicherheit zu sezen verbunden ist; so muß er sich zu überzeugen suchen, ob es auch wahr, daß T: den Mord begangen, und in welcher Verhältnis, damit er den Staat in Sicherheit seze. Oder T: klagt wieder den C:, er sey ihm noch ex contratctu 1000 rTh. schuldig, und der Richter sol ihm zum Grund seiner Rechte verhelfen, so muß sich doch der Richter davon überzeugen, ob es wahr, daß C: ihm so viel schuldig. Nun kan es der Richter entweder aus dem Vortrage der Theile beurteilen (denn entw: tragen sie ihre Sache selber vor, oder es sind Leute vestgesezt, die verpflichtet sind ihren Vortrag zu machen, welches die advocaten sind) oder er muß es selbst untersuchen, um dadurch die Sicherheit herauszubringen. Im ersten Fall nun, wen es die Gesezze dem Richter nachlaßen, die Sache aus dem Vortrage der Theile zu beurteilen, so ist es der Processus accusatorius. So ist es im Jure canonico; so war es auch vorher in crimina-

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lisbus. Der Richter sahe nun daß dieß in criminalibus sehr unrecht war; daher sezte er den zweyten Fall vest, daß der Richter die sache, oder das factum selbst untersuchen, und sich nicht nach dem Vortrage der Parteyen richten soll. Dieß ist der Processus informatorius, welcher auch informatinus genannt wird. darin liegt nun der wesentliche Unterschied inter accus: und informat: processum. Dieser lezte findet vorzügl: jetzt in der Preußischen Monarchie statt, den man auch in criminalibus den inquisitorium nent. Den der Processus accus: ist eigentlich wieder alle gesunde Vernunft. Um aber nun diesen Ausdruck zu rechtfertigen, und seine Quelle anzugeben; so müßen wir bemerken, daß er bey den alten Juristen den Suendendörfer in seinen Observationibus ad processum Fidigianum parte general: Cap: II not: 5 p. 8 stehet, wo er anmerket, man solle den Processum informatorium in conceptu generico informativum nenen; wo der Richter nicht nach den Vorträgen der Theile, sondern wo er selbst untersuchen, die Sache beurteilen, und entscheiden müßte § 6. Diejenigen Personen, welche das Recht erhalten, auf Verlangen der streitenden Partey, in ihrem Namen bey dem Streite zur Entscheidung des Richters die Vorträge im Gericht zu machen, werden die Advocaten genennet. Siehe Georg: Lud: Boehmer1 in principiis iuris cononici in der Vten Edition § 707 und Estor in den Anfangsgründen des Proceßes § 68. Diejenigen aber, welche nur dazu verordnet, einen streitenden Theil bey vorkomenden Streite zur genugsamen Entwicklung der Wahrheit Hülfe zu leisten, erhalten den Namen Beystände, wohin Scheidemantel in der Telgmanschen Einleitung zu der Geschichte des römischen Rechts in dem ersten Theil nicht ohne Grund die Judices pedaneos der Römer gezogen. Aus diesem folget, daß zwar ein Advocat ein gerichtlicher Beystand seyn könne, nicht aber ein jeder gerichtlicher Beystand mit Recht ein Advocat zu nennen. § 7. Da bey einem Processe informatius, es eine Verbindlichkeit die dem Richter obliegt, die Wahrheit aus ihrer Quelle zu entwikeln per. § 5: so ist dieß eine unläugbare Folge, daß bei einem Prozessu informatius keine Advocaten, wohl aber gerichtliche Beystände statt finden können, welche den Richter die volständige Entwikelung der Wahrheit erleichtern. § 8. Der Richter ist verpflichtet dem Kläger zum Genuß seines Rechtes zu verhelfen per. § 5. folglich ist es die Pflicht des Richters sich davon zu überzeugen, 1

Nicht zu verwechseln mit seinem Bruder Joh. Samuel Friedrich.

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in wie weit das angebliche Recht des Klägers gegeründet. Da es nun aus den Regeln der Logik gewiß ist, daß die Vorträge der Advocaten, in wie weit sie als solche betrachtet werden, dem Richter diese Ueberzeugung nicht würken können; so ist auch dieß eine unläugbare Folge, daß wenn die Vernunft eine Art des Processes wählen soll, sie alsdenn den processus informat: erwähle, folglich auch die eigentliche Advocaten abschaffen müße. Hierbey kan mit Nuzen gelesen werden, was Leyser in seinen Meditationibus ad ff. Vol: VII pag: 284. bis 322 abgehandelt hat. „Wenn gefragt wird, woher der processus accusat: entstanden, und man sagt die Römer hätten ihn gehabt; so müßten wir dieß schlechterdings läugnen. Denn ein anderes ist es, eine Anklage machen; ein anderes einen Processum accusat: formiren. Durch die Anklage bringe ich die Sache nur ad notiam iudicis; und alsdenn gehet erst der Proceß loß. Es gab in Rom sehr viele Judices pedaneos, und man kan derer mit Grunde auf einige hundert zählen. Wann nun einer kam, und wolte sein Recht suchen; so würde ihm so wohl als Kläger, als dem Beklagten vom Richter ein Judex pedaneos gesezt, welches ihr richterlicher Beystand war, welche die Sache untersuchen, und die Wahrheit eruiren mußten. Hätte aber einer von ihnen, wieder seinen iudicem pedaneum was einzuwenden, so wurde er ihm nicht aufgedrungen; sondern es wurden Zettel gemacht, die Namen der iudicum pedaneorum darauf geschrieben, und in ein Kästchen gethan, wo den ein jeder sich einen per sortem ausziehen mußte, u den er nun bekam den mußte er behalten. Der Processus accusat: komt eigentl: aus dem Jure canonico. Vielleicht ist dieß der Grund; daß weil die Gelehrsamkeit abnahm, doch auch dume Leute Richter zz. werden konten. Man findet davon im Jure canonico viele Spuren. Wenn wir behaupten, daß der Processus accusatorius mit der gesunden Vernunft nicht bestehen kann; so argumentiren wir so: wodurch der Richter von der Wahrheit der That, und Lage der Sache nach allen Umständen nicht kann überzeugt werden, das kann bey dem Proceß nach der Vernunft nicht statt finden. Soll der Judex gehalten seyn dem Vortrage gemäß zu entscheiden; so ist es nicht mögl: daß er die Lage der Sache, nach ihrer wahren Quelle einsehen köne, folglich kan das mit der gesunden Vernunft nicht bestehen. Soll ein Proceß vernünftig seyn; so muß er so geführet werden, wie es die Pflicht des Richters erfodert sich vonder Wahrheit der Sache nach der ganzen Lage zu überzeugen, wen er von der Sache völlig überzeugt seyn will. § 9. Die Rechte, deren Ausübung der Richter bewürken soll, sind entweder Rechte einzelner Glieder in dem Staat; oder Rechte des ganzen Staats, da nehmlich der Richter verbunden die Absicht des Staats durch die Bestrafung der Verbrechen zu schüzen. Jenes giebt den bürgerlichen Proceß; und wenn dieses; so gehet es entw: auf die natürliche, oder auf die wesentliche Absicht des

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Staats. In dem ersten Fall ist es der Policeyproceß; und in dem andern Fall der peinliche. Wenn mit diesen voraus gesezten Begriffen, diese bereits genugsam bewiesene Wahrheiten verbunden werden 1.) daß ein jeder seinem Rechte, das nur auf sein privat Intereße geht, freywillig entsagen kann 2.) daß etwas für sich bey einer Sache Rechtens seyn könne, was in der Lage in welcher sich diese Sache befindet unrecht ist; so wird es leicht seyn, diese Regeln, als wesentliche Regeln eines Untersuchungsproceßes zu verteidigen. Die erste: In bürgerlichen Sachen, ist es alsdenn erst die Pflicht eines Richters, einen Proceß zu eröfnen, wenn der Theil der sein Recht ausüben will, sich hierzu Hülfe des rechtmäßigen Richters erbittet. Da im Gegentheil, es in policey, und peinlichen Sachen zur Eröfnung eines Proceßes genug ist, wen der Richter von dem, was einem Grund giebt zu glauben, daß ein Verbrechen begangen worden, Nachricht erhält. Die zweyte: Bey der Untersuchung der vorliegenden Sache, ist es nicht genug, daß der Richter sich von der Wahrheit der vorkomenden Sache für sich betrachtet überzeuge: es ist vielmehr seine Pflicht die ganze Lage der Sache zu untersuchen, und zur Ueberzeugung zu bringen. „Hierbey ist es nöthig, daß man die im Jure naturali ausgefürte Meditation de iustitia commutativa, und distributiva durchdenke. Es ist hier des Richters Schuldigkeit sich zu überzeugen suchen, was ist hier Rechtens, nicht blos für sich, sondern in der ganzen Lage der Sache: soll er daher dieß können, so muß er selbst untersuchen. Der zweyte Abschnitt. Von dem Untersuchungsproceß in peinlichen Sachen. „Wenn wir die Anwendung auf peinliche Dinge machen wollen, so komt es auf folgende Punkte an. 1.) muß ich die Eigenschaften eines Verbrechens vestsezzen, wen es mit Recht ein peinliches Verbrechen soll genannt werden. 2.) muß ich die Eigenschaften eines Judicis, der in peinlichen Sachen iudex competens seyn will, vestsezen, und wie das Gericht in peinlichen Sachen muß geordnet seyn. 3.) muß ich die Data vestsezen, wodurch sich der Richter überzeugen kann, daß ein solches Verbrechen begangen worden 4.) muß ich die Data vestsezen, wodurch sich der Richter überzeugen kann von dem, der es gethan

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wenn wir mit diesem fertig sind (so weit gehet eigentl: die Inquisitis generalis) so muß ich 5.) vestsezen, wie sich der Richter von dem Grad der Moralität, wenn es geschehen, überzeugen kan (dieß läuft in die Inquisitis specialis) Wann daß ist vestgesezt worden: so muß ich 6.) zeigen, wie zu decidiren, und wen es Rechtskräftig werden kann: und endlich wen dieß, wie es 7.) in criminalibus zur execution kann gebracht werden. Wir wollen noch etwas zur Rubrik dieses Abschnittes preamittiren Queritur: Wie ist es zugegangen, daß in criminalibus hauptsächlich der Processus informatorius ist eingefüret worden, ist in §pho 84 bis 87 des zum Grunde gelegten Compendii der Bochmerschen Jurisprudentia criminalis beantwortet worden. Das erste ist, was man merken muß, ob die Römer den Processem inform: gehabt haben. Thomasius sagt, sie hätten blos den accusatorium gehabt, welches wir ihm nicht zugeben können Queritur: wie ist der Processus inform: in peinlichen Sachen entstanden? Hier haben die DD sehr viele Meinungen 1.) wird von sehr vielen behauptet, daß bey den Römern dieser Proceß unbekant gewesen vid: Thomasius de origine processus inquisitorii. Man muß die Periode in Rom distinguiren, da sich die Judices pedaneos noch nicht eingeführet, von den Zeiten, da sie diese hatten. In den ersten Zeiten kan es wohl seyn, daß sie den processum accusatorium gehabt haben. Es entstanden auch daher lauter Ungerechtigkeiten. Nachher finden wir, daß man die iudices pedaneos den Processum informatorum einfürte, dies finden wir Leg: I § 8 ff. de officiis Ac: 2.) Wird von sehr vielen behauptet, daß die alten Teutschen von dem processu inquisitorio gar nichts gewußt. Allein dieser Meinung opponire ich Leges Burgundiae Tit: 9 Capitularia, und zwar Capitulum 4. Art: 806 § 5. Cap: 3 Art: 812 § 22 aus welchen es unläugbar, daß unter den Fränkischen Königen die Richter ex officio die Actiones, und Grassatores verfolgen mußten, woraus schon Heineccius in seinen elementis iuris Germanici Lib: 3 § 309 Not: * gefolgert; daß ihnen der Processus inquisitorius nicht unbekant gewesen. 3.) Endlich ist dieser Processus informatorius in dem XII sacculo von dem Innocentio III. vid. Cap: 14.16.17.29. X de accusationibus in subsisium eingeführt worden, wovon Boehmer in seinem Jure ecclesiastico protestantium Lib: V. Tit: 1. § 86 umständl: gehandelt. 4.) Nachdem die erzbischöfe, und Bischöfe in Köln, Münster, Baderborn, und Münden die Jurisdictionem criminalem adquirirt, sind sie gleichfals darauf bedacht gewesen ad imitationem Juris canonici in peinlichen Sachen den proces-

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sum inquisitorium in Gange zu bringen, wovon nachzulesen Koch in der Historia iuris part: V Epoika V. Ahes: 5 5.) carolus Vtus hat in seiner peinlichen Halsgerichtsordnung, welche im heil: röm: Reich ein Jus commune Art: 6. 214. und 215 dieß genugsam approbirt. nun wollen wir von der Entfaltung der C.C.C. handeln. Als auf befehl des Kaisers Carls dieses Gesezbuch von zwey gelehrten Männern entworfen worden; so wurde dieß Project im Jahr 1521. auf den Reichstage zu Worms vorgelegt, wo aber noch keine Entschlüßung gefaßt wurde. Im Jahr 1529 wurde dieß auf dem Reichstage zu Speyer den Ständen nachmals vorgelegt, mit der Auflage, solches Project durch zwey Gelehrte aus jedem der 6 Kreise revidiren zu laßen. Im Jahr 1530 auf den Reichstag zu Augsburg kam diese Sache nach vorhergegangener Revision wiederum zum Vortrage: es wurde aber noch nichts beschloßen. Der Grund davon war dieser, weil der Kaiser seine peinl. Hals-Gerichts-Ordnung suo nomine, und nicht nomine der Reichsstände im Reiche publiciren wolte. Dieß wolten die Reichsstände nicht, weil der Kaiser im supremate regnorum nur das Direktorium hat, und nichts suo nomine publiciren konte, sondern es muß im Namen des Kaisers, und des Reichs geschehen. Endlich wurde 1532 die lezte revision vorgenomen, und das Werk zu stande gebracht vid: Thomasii Dissert: de occasione constitutionis criminalis. Kaiser Carl V., und des heiligen römischen Reichs, peinliche Reichs=Ordnung. I.)

De personis iudicium constitutionibus a.) de iudice et scabinis Articulus 1 bis 5. b.) de actuario Art: 180. 190. 202. 203.

II.)

De processu inquisitorio Art: 6 bis 10

III.)

De processu accusatorio Art: 11 bis 15.

IV.)

De iudiciis 1.) generatim Artic: 16 bis 32. 2.) speciatim a.) vom Todtschlager Art: 33 bis 37 b.) von Räubern Art: 38 bis 40 c.) von Mordbrennern Art: 41. d.) von der Verrätherey Art: 42. e.) von Diebstahl Art: 43. f.) von der Zauberey Art: 44.

V.)

Von Erforschung der Wahrheit, und zwar

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a.) in genere wo man auf die qualitas delicti sieht. a.) ohne Zeugen Art: 45 bis 62 b.) durch Zeugen Art: 63 bis 76. g.) durch die Beichtväter Art: 102. und 103. b.) in specie wo man auf die Arten der Verbrechen sieht wie man zur Wahrheit kommen soll Art: 147. 149. VI.)

Allgemeine Regeln, wodurch in Judicis zu verfolgen Art: 77 und 100

VII.) Was alsdenn zu beobachten, wenn resutirt wird Art: 91. VIII.) Von Abfaßung, und Eröfnung der Urtel Artic: 92 bis 95 ferner 219. 190. 201. und 101. IX.)

Von der execution der Urtel Art: 96 bis 98.

X.)

Von den Strafen, und zwar. 1.) in genere Art: 104 und 105. 2.) in specie Art: 106. 137. 148 insbesondere die betrafung des Diebstahls Art: 157. bis 177. und die Bestrafung von außerordentlichen verbrechen Art: 178 und 180.

XI.)

Von der Nothwehr Art: 138 bis 145

XII.) Vom homicidio casuali Art: 146 und 150 XIII.) Von der Unschuld Art. 99. 151. und 152 XIV.) Von den Kosten Art: 159. 169. 204. und 295. XV.)

Von der Defension der Angeschuldigten Art: 154. u 156.

XVI.) Rechte auf die Güther des Inquisiten Art: 214 bis 218 ZB: XVII.) Von einigen Nebenumständen Art: 214 bis 218 zB: wer den Galgen bauen soll, und dergleichen mehr, welches accidentalia. 6.) Jedoch hat Heineccius in seinen Elementis Juris Germanici Lib: 3. § 344 Tom: IIdi gewiesen, daß von dem carolo Vten der accusatorius in peinlichen Sachen nicht völlig aufgehoben worden 7.) da es indeßen gewiß, daß der accusatorius auch in peinlichen Sachen viele unverantwortliche Folgen hat, vid Hertium in Opuculis Tom: 3. Opuc: V. Puffendorff in processu criminali p: 8 et 9 Heineccium 10: cit: § 345 u 348 so ist leicht die Ursache einzusehen, warum in den brandenburgischen in peinlichen Sachen der accusatorius völlig abgeschaft vid: Knorr in der Anleitung zum Gerichtsproceß p: 595.

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8.) Jedoch ist auch in peinlichen sachen, noch in verschiedenen Provinzen der accusatorius gewöhnlich: ja viele wollen ihn sogar dem inquisitorio vorziehen, vid: Leyser Sp: 560 Med: 8 et 9 Kress ad Art: Constitutionem Criminalium 6 § 2 seqq: Questio Ima. Was muß derjenige der den Processum informat: in seiner Bothmäßigkeit haben will, verstehen? Es hat Joannes Fridrich Homberg eine Jurisprudentia rationalis geschrieben, wo er, und zwar mit Recht behauptet, daß wer den processum inform: in civil, policey, oder peinlichen Angelegenheiten in seiner Gewalt bringen will 1mo) die Logik verstehen müße. Weil nun die alten Richter mehrenteils keine Logik verstanden, so muß es ihnen allerdings entsezlich schwer geworden seyn, von dem Processu accusat: sich gleich in den inform: zu finden. 2do) muß ein solcher die ganze philosophiam practicam in ihrer volligen Ausdehnung verstehen, und überhaupt das Recht der Natur und die Moral. Denn er muß in Processu inform: die natürlichen Quellen wißen, damit er weiß, wie er ausfragen, und die Veststellungen beurteilen solle. Endlich muß er die Politik verstehen, damit er weiß geschikte Mittel zu finden, die Absicht auszuführen. Und wenn er zulezt den Weg der Klugheit weiß; so muß er von den arbitrariis der Teutschen die alten Redensarten verstehen, die in den Gesezzen vorkomen. Dazu nun aber sind folgende Auctores omnium instae brauchbar. Hoffmann de investigandis verborum in iure significationibus Wehneri observationes iuris selectae cum Sohilteri praefatio: Scheibnizii collectanea ethymologica Hertius de paremiis (Sprichworter) iuris Germanici Wachteri glossarium germanicum. Wenn dieß; so muß er auch noch historiam legum positivarum haben. Soll nun der Processus inform: in peinl: Sachen seine Anwendung haben; so muß er auch die medicinam legalem wissen, um zu beurteilen, ob würklich ein Verbrechen begangen, ob ein Mensch durch äußerliche Gewalt ums Leben gekomen, oder vergiftet worden zz. Um nun dieß zu können, wollen wir die hierzu erforderlichen besten Schriftsteller als Hülfsmittel anführen. Fasetii Gerichtliche Arzeney-Gelahrtheit zu Jena 1770 dieß ist zwar ein kleines aber doch solides Werk Ludewiqii Institutiones medicinae forensis zu Leipzig 1769 in 800. Roeders opuscula medica zu Goettingen 1769 in 470. Endlich ist noch nöthig, daß wir diejenigen Schriftsteller die wir in Processu inform: in peinlichen Sachen gebrauchen können, anführen. Wir haben nun folgende Compendia des KriminalRechts

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1.) Prosperii Farinatii Opera criminalia in 9 Folianten. Es ist dies Werk eine bloße samlung aller möglichen Verbrechen aberv kein System. 2.) Joh: Babtista Vulpinius hat aus diesen Operibum Farinatii einen Succum (?) herausgegeben, und in einen Folianten comprimirt Anno 1687 dies ist ein sehr brauchbares, und Hauptbuch 3.) Peter Müller Jurisprudentia criminalis die beste Editio ist von den alten Buchard Gotthold steno zu Jena 1708 in 4to. 4.) Georg: Beyer Delineationes iuris criminalis secundum Constitutiones crim: Dieß Buch enthält lauter kurze Thesen welche leicht zu übersehen, weil einem die Crimina ganz vor den Augen geleget, und die Characteris angegeben worden sind. edit hat ihn D: Gustav: Hein: Mylius zu Leipzig 1737 in 4to. 5.) Dietrich Herrmann Kemrichs Synopsis iuris criminalis Jenae 1731 in 8vo. 6.) Joh: Sam: Fried: de Boehmer Elementa iurisp: criminalis Halae 1732. Hona editis est aliis praeferendum. Dieß Buch ist den übrigen vorzuziehen, weil es einen rechten Aparatum in sich enthält, wo man diese, oder jene Dinge weiter nachlesen kann. Man macht ihm als dubium, daß er eine Unordnung hätte weil er den Proceß zuerst behandelt; allein dieß ist nach unsrer Einsicht eben der rechte Weg. 7.) Joh: Rud: Engow Elementa iuris criminalis Jenae 1738. 8.) Koch Jus criminale Giessae. Dieß ist sehr gut. 9.) Meister principia iuris criminalis Germaniae communis Goetting. 10.) Quistorps Grundzüge des teutschen Rechts. Dieß Buch ist gut zum nachlesen: allein daß er die Verbrechen nicht aus der wahren Quelle deviniert ist nicht gut zu loben. Er sagt zB: der Diebstahl entstünde aus Geiz: allein in dubio ist der Dieb allemal ein sanguineus. Folgende sind Commentare über das Criminalrecht. 1.) Petri Theodorici collegium criminale 1671. dieser ist von Joh: Adam Stern mit verschiedenen zusäzen in 4to wieder aufgelegt, welches die beste edition. 2.) Benedictus Carpzow practica nova rerum criminalium zu diesen hat der seel: Boehmer Noten gemacht 3.) Joh: Paul Kress: commentario in constitutionem criminalem Caroli Vti in 4to. Dies ist ein Hauptbuch, und ziemlich ordentlich. 4.) Joh: Sam. Fried: de Boehmer meditationes in constitutionem criminalem Carolinam 1770 in 4to.

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Das erste Kapittel. Von den Verbrechen, die peinliche (Criminal) genannt werden, und den ihnen gesezten Strafen.

§ 11. Verbrechen wodurch der wesentliche Zweck des Staats d:i die gemeinschaftliche Sicherheit verlezt wird, werden peinliche Verbrechen (Crimina) genannt. Was ist ein crimen? Man bilde die definition auf folgende Art: Das Genus ist vitium. Wo ich das Genus denke, da denke ich einen defectum perfectionis i,e deficit positiuum

Dieser defectus. A: est moralis, wen er sich in der Bosheit, und Nachläßigkeit gründet, relata ad libertatem. A: non – dieser kann casu geschehenzE: es wird einer blind gebohren Peccatum.

Dieser defectus moralis. A: dolose, i,e aus Bosheit A: quo quis alterum turbat Delictum (Verbrechen) wenn es eine turbation involvirt A: non – hier heißt es kein delictum (Verbrechen) sondern ein Peccatum zE: Cai: säuft sich voll. tunc A: salus publica violatur quomodo? A: quoad scopum essentialem A: solummodo quoad scopum naturalem

(a.) dies ist die gemeinschaftliche Sicherheit iuris fruendi causa Crimen (ein peinliches Verbrechen) A: non – Delictum privatum zE: Wenn ich mit jemand contrahire, und ihm mein Wort nicht halte.

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(b.) das ist das Nahrungsgeschäft dies nennt man ein Policey-Verbrechen, welches man nicht mit dem Leben bestraft. Engow in seinem Criminalrecht quält sich in Bildung des Begrifs vom crimine sehr. Er definirt crimen so: est delictum quod auctori suo instutari potest. Diese definition wäre recht, wen noch hinzu gethan würde a magistratu. Den um ein Privatdelictum kümrt sich die Obrigkeit, ohne vorangegangene Klage nicht: crimen aber muß sie ex officio, es mag geklagt seyn, oder nicht, untersuchen, und rügen. Criminare heißt so viel als culpare, accusare, videatur Cicero Lib: III de offic: hoc metui ne me criminaretur tibi. Ist also crminare so viel als Anklagen; so muß crimen ein verbrechen seyn; welches eine Anklage hervorbringt. estur: Art: 165 C.C.C.

§ 12. Der Unterschied der peinlichen Verbrechen, gründet sich theils in der sittlichen Eigenschaft der Handlung, und zwar überhaupt, ob sie nehl: mit Vorsaz (dolose) oder nur aus Unüberlegsamkeit (culpose) unternomen worden, und insbesondere a.) ob hierdurch zugleich der Verbrecher, eine Pflicht eines öffentlichen Amtes, das ihm ist anvertrauet worden, verlezt, oder nicht. b.) ob der Verbrecher sich bey Ausübung des Verbrechens majestätische Rechte angemaßt ZE: eigenmächtige Gewalt ausgeübt, falsche Münzen geprägt, oder ob in dem Verbrechen eine solche Anmaßung nicht befindlich. Wenn man die peinlichen Verbrechen einteilen will; so frägt es sich, worauf man zu sehen habe? Weil sie respectus moralis seyn sollen; so muß man auf die Moralität der Handlung sehen. Diese nun werden überhaupt, oder in besondere Verhältniße betrachtet. Ueberhaupt, ob das Verbrechen dolose, oder culpose begangen ZE: ob einer einen heimlich vergiftet, wo dolosus dandestinus, welcher mehr Strafe verdient. Dieß zu beurteilen muß man aus dem Jure Nat: die Lehre de quanto moralitatis wißen und de gradibus culpae. Aus dem quanto moralitatis kann man beurteilen, ob einer die besondere Pflicht einer öffentlichen Amts, das ihm ist anvertrauet worden, vistirt hat. estur Boehmer de violatione officii publici. Man hat aber auch darauf zu sehen; ob der Verbrecher bey Ausübung eines Verbrechens sich iura mage statica angemaßt. Im iure publico universali wird gewiesen: so bald einer in statu subjectionis; so hat er die Freyheit entsagt, seine iura eigenmächtig auszuüben. Wenn nur einer bey Ausübung des Verbrechens Gewalt ausübt, so ist es ein ius magestaticum wo mehrere Moralität da ist.

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Theils in dem Stüke der Sicherheit des Staats, was durch das Verbrechen verlezt worden. Es ist leicht zu begreiffen, daß aus der lezten Quelle die wesentliche Verschiedenheit der peinlichen verbrechen müßte gefolgert werden. § 13. Die Sicherheit des Staats, welche durch das Verbrechen verlezt wird, ist entweder deßen allgemeine Sicherheit, oder nur die zu erhaltende Sicherheit in Beziehung auf besondere Rechte. § 14. Ist es die allgemeine: so wird diese durch das Verbrechen entweder unmittelbar, oder mittelbar verlezt. Wenn jenes; so ist es die perduellio (vis publica, crimen fractae pacis publicae vid: Boehmer Sect: IIda Cp: 5. 7 u 8.). Wenn dieses; so ist es theils die Geringschäzung, und Verachtung der Religion, welche nichts als Leichtssinn würket: Inde crimen blasphemia, hereseos, magiae, periurii vid: Boehmerum l: cit: Cp: 2. 3 et: 4. wohin auch die fleischliche Verbrechungen zu ziehen, von welchen er Capute 28 seqq gehandelt: theils die Geringschäzung, und Verachtung der höchsten Gewalt im Staate vid: 2: c: Cap: 5. § 15. Ist es die Sicherheit die durch das Verbrechen in Beziehung auf besondere Rechte verlezt wird; so sind diese theils Rechte auf das zeitliche Vermögen: daher der Diebstahl, der Raub, die Wegelagerung, Mordbrennerey: vid: 2: cit: Cp: 24. 13. 14. 12. und 9. theils Rechte auf das Leben; daher die verschiedenen Arten von den Todtschlage, und Morde, vid: 2. cit: Cp: 16 seqq: Es ist aber zu merken, daß hierdurch zugleich die Sicherheit des Staats verlezt worden seyn muß. Leidet aber nun blos unsere Ehre, so komt daher das Pasquill, & Stuqorum zz. § 16. In Ansehung der Strafen ist es eine genugsam bewiesene Wahrheit, daß die Absicht von Zufügung der Strafe, entweder in dem Verbrecher, oder außer diesem gesezt wird. Wenn das erste; so ist sie die Beßerung. Wenn das andere; so ist sie entweder die Warnung anderer, oder die Erhaltung der Sicherheit des Staates, welche alsenn die Genugtuung der Gerechtigkeit genennet wird. Aus dem § 11 von den peinlichen Verbrechen gegebenen Begrif, ist dies eine unmittelbare Folge, daß bey peinlichen Verbrechen, die Hauptabsicht der Bestrafung die Genugtuung der gerechtigkeit seyn müßte. Ob nun zwar Vermöge des Gesezzes der Weisheit, so viel als möglich bey der Bestrafung auf die Erreichung aller Absichten zu sehen; so bleibt es doch gewiß, daß bey peinlichen Verbre-

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chen, wann nicht alle Absichten zugleich können erhalten werden, der Zweck der Genugtuung den übrigen vorzuziehen. Dieß ist eine Grundregel wohin man in Erkentnißen in criminalibus zu sehen hat. Die Strafe ist ein malum passionis, was einem ob moralem legum violationem zugefüget wird. Wenn einem ein malum ob aliam caussam zugefüget wird; so ist dies ein malum passionis. Denn malum passionis infliquitur. aut ob malum actionis Man sagt nicht gern ob delictum, weil auch peccata straffällig sind. aut in alium finem. zE: 1.) in scopum confesionis die Tortur. Hieraus fließen die Grundregeln, die man bey der Tortur beobachten muß. 2.) custodiae caussa das Gefängniß. cf: Boehmer Sect: II. Cp: 1. § 2. Die Absicht der Bestrafung ob moralem legum violationem wird gesezt. entweder in dem Verbrecher also ihm zu beßern (Emendatio) oder außer ihm dann geschieht es nun entw: andern eine Warnung zu geben ad exemplum strafen (poenae ad exemplum) oder die Sicherheit des Staats wieder die Verbrechen zu schüzen Strafen der Gerechtigkeit genug zu thun (Poenae in scopum satisfactionis) Hierbey entstehen 2 Hauptfragen: welches ist in Criminalibus der finis primarius von Strafen? Scopus satisfactionis, und also allemal Securitas. Quaerit: Komen die andern beyden Absichten nicht mit in Criminalibus in Consideration? Die Gesezze der Weisheit sagen; es ist entweder eine Bestrafung des Verbrechens möglich, wobey alle diese Absichten können bewürket werden, oder nicht. Im ersten Fall muß ich die Strafe allen andern vorziehen. Will ich zur Beßerung strafen; so kann die Sicherheit des Staates nicht bewürket werden, welches doch der scopus primarius. Also hic finis poenae in scopum satisfactionis est in criminalibus primarius; reliqui sunt secundarii, quod fluit ex natura criminis. Einige DD: wollen behaupten, scopus emendationis wäre finis primarius; sie berufen sich auf den Leg 20 ff et Leg: 14 C. de poenis; aber ohne Grund § 17. Kein Unterrichter kann einen peinlichen Verbrechen eine Strafe sezen, die nicht von der höchsten Gewalt im Staate, dem Verbrechen von der vorkomenden Art ist bestimmt worden.

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Denn durch die Zufügung einer solchen Strafe wird über den Zustand des Verbrechers zur Sicherheit des Staats disponirt. Ein solches Recht aber ist, vermöge deßen was in dem Jure publico universali abgehandelt worden, unläugbar ein majestätisches Recht, woraus folget. a.) daß einmahl abgeschafte Strafen von keinem Unterrichter zu gebrauchen. b.) daß kein Unterrichter einen Verbrecher am Leben bestrafen kann, wenn nicht von den Gesezzen, dem Verbrechen von der vorkomenden Art eine Lebens=Strafe ist gesezt worden. § 18. Aus diesem Grunde ist es nöthig, die Strafen in Ordnung zu bringen, die von den Gesezzen den peinlichen Verbrechen sind gesezet worden, siehe Boehmerum Sect: II Cp: Ims. Diese Strafen werden eingetheilt in Capital (poenae capitalis) und nicht Capital Strafen (poenae non capitalis). Die Capitales sind wiederum entweder wahre, oder nur analogice genomen. Die wahren sind vel simplices, vel qualificatae. Poenae criminales sunt. aut capitales Wenn ich einen strafe; so entziehe ich ihm ein bonum welches entweder das Leben Poena capitalis diese findet nicht statt, wenn nicht die Sicherheit des Staates ohne das Leben des Verbrechers bewürkt werden kann. oder was anders ist Poena non capitalis Diese Poena capitalis ist A: Vitae naturalis Poena vera, seu capitalis proprie sic dicta. Hier nimt man ihm das natürl. Leben; hae dividuntur A: in simplices wenn es blos in der privatione vitae besteht A: in qualificatas wenn es ein größer malum, als die privationem vitae involvirt. A: civilis Poena capitalis analogice talis zE: ewiges Gefängniß, ewiges Zuchthaus, weil er dadurch das bürgerliche Leben verliehrt.

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Ad simplices gehört A.) das Schwerdt, oder das Köpfen (decollatis). Diese Strafe ist Art. 119. 126. 137 u. 192 C.C.C. approbirt. Man hat hierbey zweierley zu merken die Alten haben an deßen Stelle das Beil gebraucht, wie man es noch in Dänemark, Engelland, und Rußland gebraucht ch: Doeplers Schauplaz von Leibes, u Lebensstrafen Lib: II Cp: 2. Das Schwerd ist allezeit nur poena honesta. Poena gladii quovis poena honestis wovon Ziriz in statis ad C.C.C. Art: 192 geredet. B.) der Galgen, oder das hängen (suspendium) vid: Art: 159. 162. u 192. An statt den Galgen hatte man ehedeßen das Kreuz. Dieses ist keine poena honesta, weil hier der arme Sünder, in Büttels, und Schinders Hände fält. Daher wenn ein Edelmann ein peinliches Verbrechen begangen, so daß er mit dem Galgen zu bestrafen; so muß ihm erst der Adel genomen werden vid: Stenzelii disert: de eo quod iustum est civilis poenas furorum et mauritius de nobilitate germanorum Thesi 47.

§ 19. Die Capital Strafen, wenn sie qualificatae, so liegt die Strenge entweder in dem Wesen der Strafe selber, oder nur in einigen Nebendingen, die mit ihr verbunden worden, welche man Exasperationes nennt.

Poena qualificate sunt Aut: quoad essentiam i, e intrinsecae qualificatae, wen das innerliche der Strafen schon mehrere Schmerzen verursachet, als zur Benehmung des Lebens erforderlich.

Hierher gehört I.) das Rad, oder das Rädern (mit dem Rade spielen, poenae rotae) vid: Art: 130. 137. und 192. Diese Todesart geschah sonst mit einer Keule. Es gibt zwey Grade dieser Strafe. das Rädern von oben herunter, welches der leichteste. Den da bekomt der arme Sünder den ersten Stoß auf die Brust, welcher ihn sogleich tödtet, und daher der Gnadenstoß heißt.

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Das Rädern von unten herauf, wo dem Delinqunten erst die Beine, und Arme gelähmt werden, ehe er den letzten Stoß bekomt, der ihn tödtet. Dieser letzte Stoß wird auch der Gnadenstoß genent. Ein solches Urtel wird ohngefehr so abgefaßet. „delinqunet ist seines Verbrechens halber mit dem Rade, wen ihm zuvor die Schenkel, und Arme zerstoßen, vom Leben zum Tode zu richten, und zu strafen. II.) das lebendige Verbrennen (combustio vini). Dieß war schon bey den Römern eine der härtesten Strafen leg: 28 ss. De poenis. Die ist Art: 111. 116. 119 approbirt. III.) das sakken (sufficatis in aquis) Bey den Römern war dieß die poena culii leg: 9 ss. De lege Pompeia de parricidiis. Man bestrafte damit die Elter= Mörder vid: Art: 130. 131. 159 und 192. Die Urtelsformel für diese Strafe ist „wird seines Verbrechens wegen in dem Sak gestekt, ins wasser geworfen, und so ertränkt. IV.) das Pfählen, und Begraben bey lebendigen Leibe Art: 191. vid: Dreyer de poena focsi vini u Jopachimi de vini sepultura. Diese Strafe war bey den Römern sehr gebräuchlich. Man grub ein Loch in die Erde, stelte dann den Menschen hinein, und geflügte den Kopf ab, welcher aus der Erde hervorragen mußte; oder man stekte durch den in der Erde gegrabenen Menschen einen Pfahl. Dieser letzte Art ist Art: 131. für die Kindermörderin approbirt, aber sie ist gar nicht mehr in Gebrauch. In vielen Provinzen führten sie statt desen das Schwerdt ein zE: Schwedischpommern. V.) das Vierteilen bey lebendigem Leibe Art: 124 und 192. Diese Strafe hat wieder zwey Grade. Der leichteste ist, wen der Uebelthäter mit einem Schwerdte in 4 Theile zerlegt wird. Der höchste Grad ist wen er durch 4 Pferde, welche an die Arme, und Füße gespannt, und nach verschiedenen Seiten hingetrieben werden, zerrißen wird. Die erste ist von der, wo man den Verbrecher mit Pferden zerreißen läßt, darin unterschieden, weil man leztere gebraucht, wen eine exaspiration nöthig gewesen. Die Urtelsformel dafür ist: seinen ganzen Leib in 4 Stükke zu verteilen, und also vom Leben zum Tode zu strafen. A: accidentales i, e, extrinsece qualificatae. Wenn noch andere Qualen mit der Todesstrafe verbunden, welche eigentlich dazugehörn Exasperationes § 20. Die exasperationes werden entweder vor (exasperationes antecadentes welche vor der Tödtung erfolgen) oder nach dem Tode (exasperationes consequentes welche der tödtung folgen) zugefügt. Jene sind

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Imo) das Schleifen zur Gerichts, oder zur Frohenstädte. Art: 193. 137. und 124. Die personae extrinsece qualificate oder exasperationes sind Nebenstrafen, welche den horrorem gegen ein Verbrechen noch vermehren sollen. Die exasperationes antecedentes müßen stets in solchem Maaße angebracht werden, daß sie den Todt nicht bewürken. Der Delinquent wird auf eine Ochsen Haut gebunden, daß der Kopf hinten herab hängt, und so durch den Schinder auf einer Schleife mit einem Pferde durch die Stadt zur Gerichtsstädte geschleift. Man hat zwey Arten von Schleifen nach der Gerichts-Städte, wo ihm das Urtel vorgelesen wird. Von da an muß er denn bis an den Ort wo die Execution geschieht, gehen. Oder er wird nur von der Urtels-Städte zur Frohenstädte wo die Execution soll vollführt werden, geschleift. Die Urtelsformel dafür lautet „ist seines Verbrechens wegen, auf einer Haut zur Gerichts-Städte zu schleifen. Boehmer in notis ad Carpzovium ad Quaest: 128 hat gewiesen daß sie compossibet wären, aber man müßte es dem Richter überlaßen, wie er es vor nöthig hielte die Strafe den Zuschauern desto fürchterlicher zu machen. Dies aber ist eine wichtige Regel der Politik: durch die Strafe muß kein Verbrecher das erlangen, was er durch das Verbrechen hat erlangen wollen. ZB: In Pommern hatte es einem faruenzimmer gefallen daß die Delinquenten durch Prediger zur Gerichtsstätte begleitet würden und so feyerlich sterben mußten. In dieser Absicht eben so zu sterben brachte sie ein Kind um. Es wurde in der Verschikung des Urtels von unserem Herrn Auktor diese politische Maxime beobachtet, und das Schleifen erkannt. IIdo) das reißen mit glühenden Zangen, jedoch so, daß die Todesstrafe noch statt finden könne. Vid: Art: 130. 124. 130. 131. 137. 194. Der Art: 130 ist nur deswegen allegirt, daß wen das Reißen mit glühenden Zangen erkannt wird; so muß es so eingerichtet werden, daß der Delinquent nicht stirbt, weil das Reißen nur ein praeludium zur Todtesstrafe seyn soll. III.) das Abhauen gewißer Glieder vor der Tödtung zE Die Hände, Zunge, nehmlich nur eines Stükes der Zunge damit die Tödtung möglich bleibt. Diese Strafe braucht man bey dem Crimine laesae Majestatis. Sie ist wohl nur da gebräuchlich wo man mit dem Beile den Kopf abhaut. Hat einer ZE: eine Gotteslästerung begangen; so wird ihm vor der Tödtung die Zunge abgeschnitten: hat er ein crimen laesae Majestatis begangen, oder einen falschen Eid

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geschworen, die Hände zz. Es frägt sich: kann man wohl einige dieser exasperationen verbinden? Ja, nach der Beschaffenheit des Verbrechens, doch sind diese Verbindungen selten zu gebrauchen cf: Boehmer ad Carpzovii crim: Diese sind Exasperationes consequentes. 1.) das Steken des Kopfes auf einem Pfahl 2.) das Flechten des getödteten Körpers auf dem Rade cF: Carpzow quaest: 28 not: 61. überhaupt finden diese consequentes dann statt, wen einige Umstände da sind, die den Delinquenten von der poena ordinaria befreiet. Gemeinigl: ist dies Flechten aufs Rad mit dem Köpfen verbunden. Der Kopf wird auf einen Pfahl geschlagen, und der Leib aufs Rad an den Kopf geflochten. 3.) das Verbrenen nach geschehener Enthauptung Wenn das Verbrechen so einer begangen, wo er eigentl: das Feuer verdient, aber noch einige Umstände dieses mildern; so wird der Verbrecher gemeinigl: enthauptet, und verbrant. 4.) das Viertheilen nach dem Tode. 5.) die confiscatio bonorum cftur: Carpzow Quaest: 128 Not: 61. et Boehmer Sect: IIda. Cp: I § 4 et 5. Die Römer hatten die Regel, wenn einer ad mortem condemnirt wurde, so sind seine Güther confiscirt. Aber dies hat schon Justinian in der Novelle geändert. Hat der mit dem Tode bestrafte Anverwandten bis ins 3te Glied so fällt sie weg, außer beym crimine laesaemajestatis. Karl V. hob dieß Art: 218 ganz auf, auch die Restriction bis ins 3te Glied , nur nicht beym Verbrechen der beleidigten Majestät. Ueber die Stelle Art: 218 streitet man sich sehr. § 21. Aus dem Begrif dieser Exasperationen folgt unmittelbar, daß die von der ersten Art (die nehmlich vor dem Tode zugefügt werden) eine Vergrößerung der Bestrafung des Delinquenten: die aber von der anderen Art, als eine solche Vergrößerung nicht zu behandeln, vielmehr diese Zufügung keine andere Absicht haben könne, als einen größeren Eindruck der Warnung zu machen vid: § 16. Dieß giebt den Grund der nachstehenden Regeln: Die erste: Die Exasperationes von der ersten Art, finden nur alsdenn statt, wenn das Verbrechen, dem die gesezze eine bestimte Lebensstrafe gesezzet, mit einer auserordentlichen Bosheit ausgeübt worden. Die andere: Die Exasperationes von der andern Art, müßten alsdenn stat finden, wenn keine Entschuldigungen vorhanden den Verbrecher von der Lebens-

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strafe zu befreyen; aber doch solche vorhanden sind, welche die Befreiung von der strängen Lebensstrafe, welche die Geseze dem Verbrecher gesezet, mit Recht würken können. § 22. Die Capital Strafen welche nur analogice tales sind. 1mo.) die Achtserklärung wen nehl: der Verbrecher, der den Todt verwürket, nicht zu bekomen ist vid: Boehmerum lo: cit: § 4. 2do.) das ewige Gefängnis vid: Art: 10 und 101. Diese Strafen benehmen dem verbrecher nicht vitam naturalem, sondern nur civilem. Es sind hier zwey Fälle: man kann den Verbrecher der ein Verbrechen begangen, worauf die Lebensstrafe steht. Entweder habhaft werden. Wenn dieß; so wird er in eine solche Strafe condemnirt, die allerdings als eine Lebensstrafe anzusehen. Ewiges gefängnis, Ewiges Zuchthaus. Oder nicht. – Ist dieß; so wird er in die Acht erklärt, wo ihn jeder der ihn trift impune tödten kann. § 23. Die poenae non capitales werden eingetheilt in corporales et non corporales. Jene sind wiederum von zwey Arten: Die erste: würket nur den Körper Schmerzen, und ziehet den verlust der Ehre nach sich, als. 1.) der Stangenschlag Art: 115–138 und 198 Man hat 3 Grade von Stangenschlag. wenn es nur gelinde seyn soll; so heißt es: mit Ruthen auszustreichen Etwas stärker: so heißt es: mit Ruthen auszuhauen wenn es heißt: geschärft auszuhauen, dieses ist so stark, als der Schinder hauen kann. 2.) das Brandmarken: Dies ist am Kopf nicht leicht zu zu laßen, sondern auf den Rüken vid: Tenzel de stigmate in facie

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§ 24. Die andere Art würket nicht blos dem Körper Schmerzen, sondern auch dem Verbrecher die Beraubung einiger Glieder, und zwar. die Abhauung der Hand, oder Finger Art: 198 und 157. (manus et digitorum imputatis) cftur: Wildvogel Dish: de iure manus dextra sectione VI. § 8. die Abhauung der Nase und Ohren Art: 123 und 198. die Abhauung des vörderen Theils der Zunge vid: Kress ad Art: 198 § 1. § 25. Die non corporales vide §phum 23 sind von dreifacher Art Die erste schwächet die Ehre, und zwar dieß dergestalt, daß der Verbrecher infam wird. Dahin gehört die Stellung am Pranger, oder nur so daß eine bloße Geringschätzung daraus entstehet, dahin das Halseisen gehört. Die zweyte Art, ist die Geldstrafe in wie fern sie als eine compensatio poenae corporalis zu betrachten, welches folget aus dem Art: 215 und 216 vid: Weidler de eo quod iustum circa mulctas (Geldbuße). Wenn man eine poenam capitalem erkent, und es nachläßt mit Gelde zu redimiren; so wird es in der Rüksicht eine poena criminalis zE: Wenn auf die Landesverweisung erkant wird, und man den Verwiesenen nachläßt daß er die Verweisung mit 50rth ad pias causas abkaufen kann; so sind diese 50rth poena criminalis weil sie in compensationem poenae criminalis müßen gegeben werden. Die dritte Art, die Beraubung der Freyheit durch Gefängnisse, oder Verweisung welche e loco und in locum geschehen kann vid: Art: 161. et Boehmerum l: cit: § 6. Sect: II. Cap: II. § 26. In Beziehung auf diese den peinlichen Verbrechen von den Gesezen bestimte Strafen werden sie eingetheilt, in Capital, und weniger Capital=Verbrechen: ferner in ordentliche und außerordentliche Verbrechen. Es dependirt nicht von der Art des criminis, ob es ordinarium oder extraordinarium sey, sondern wen es in der Art ausgeübet worden, daß die poena ordinaria a legibus constituta, applicabet; also ein Verbrechen den die Gesezze eine bestimte Strafe bestimt haben. Wenn es aber unter solchen Umständen begangen, daß die von den Gesezen bestimte Strafe nicht angewandt werden kann; so ist es ein crimen extraordinarium. So kann zE: ein furtum bisweilen ein crimen ordinarium, bisweilen extraordinarium seyn. Haben die Gesezze dem Verbrecher eine Capital Strafe gesezt; so ist es ein capital, wo nicht weniger Capital Verbrechen vid: de his Boehmeri Compend: § 31. Cap. 2 Sect: 1. et § 9 Sect: II Cp: I.

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§ 27. Wenn diese Strafen mit den Absichten der Bestrafungen verglichen werden: so giebt diese Vergleichung nachstehende Grundregeln. die erste: Wenn die Sicherheit des Staats durch die Beßerung des Verbrechers zu befördern; so kan, wen es nicht die äußerste Noth erfodert, keine CapitalStrafe statt finden. die zweyte. Wenn die Gesezze einem Verbrechen eine bestimte Strafe gesezet; so kann diese Strafe nur alsdenn statt finden, wen der Verbrecher dolose gehandelt, und ist alsdenn diese ordentliche Strafe nach dem Grade des doli zu verstärken. die dritte Wenn die Gesezze dem Verbrechen keine bestimte Strafe gesezt; so muß das gegenwärtige Verbrechen mit dem ordentlichen welche mit diesem unter einem Geschlechte stehen, verglichen werden wo alsdenn somit die, diesen gesezten Strafen so zu mäßigen, daß die Absicht der Bestrafung könne erreicht werden. siehe § 17 und 21. Der Unterrichter darf keine Strafen sezen, die nicht von den Gesezzen approbirt: auch muß sie nicht härter seyn, als die, welche die Gesezze dem Verbrechen namentlich bestimt haben cftur: Sect: II. Cp. I § 9 Comp: Boehm: Due vierte: Durch die Zufügung der Strafe muß der Verbrecher dasjenige nicht erlangen, was er durch sein Verbrechen hat erlangen wollen vid: §phum 178 meiner Politik. Das zweyte Kapitel. Von der peinlichen Gerichtsbarkeit, und Besezung des peinlichen Gerichts. § 28. Die nothwendige Eigenschaften eines Richters, die auch von den Gesezen bevestiget werden, und zwar die Competentia, so wohl in Ansehung der Sache, als auch in Ansehung der Person, wieder welche die Gerichtsbarkeit würken soll, und die habilitas, so wohl in Ansehung des Verstandes, als auch in Ansehung des Willens, die sind bereits in dem Pert: II. Sect: Ima Cp: 3. Iurisprud: civilis erkläret, und ausgefüret worden. Es ist demnach nur noch allhier zu untersuchen, ob nicht bey der peinlichen Gerichtsbarkeit, einige besondere Bestimmungen hinzukomen, die ihr Eigenthümliches Wenn wir den Iudicem betrachten; so muß derselbe competente und habilis seyn. Worin diese requisita iudicis eigentlich bestehen, wollen wir kurz untersuchen.

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1mo) die Competentia. Im Iure sociali, oder vielmehr im Iure publico universali part: spec: Sect: V. Cp: II §pho 123. haben wir folgenden Saz bewiesen: Wer in winwm Staate eine Iurisdiction exerciren will, der muß dazu von der höchsten Gewalt, die Gewalt erhalten haben, denn sie ist ein Ius majestaticum. Diese Gewalt nun so ihm a summo imperante ist verwilliget worden, nent man die Competentiam, welche darin besteht, daß der Richter das Recht hat, die leges ad facta cum effectu appliciren zu können. Diese Competentia iudicis wird eingeteilt A: ratione causae – wen er in tali controversia quae obvia die Iurisdiction exerciren kan. Daher wenn ein Collegium in einem Staate keine Iurisd: criminalem hat; so kan auch kein Kriminal-Prozeß von ihr geführet werden cftur Boehmer Sect: 1. Cp: 3. § 68. A: ratione personae Wo er die iurisdictionem wieder den bestimten Beklagten exerciren kan. dieß ist das forum competens in specie. Man hat deren wie wir bald sehen werden in criminalibus drey. a.) forum delicti b.) domicilii und c.) deprehensionis. 2do.) die habilitas. Soll der Iudex habilis seyn; so muß er die requisita haben, daß man durch ihn sein Recht exerciren kann. ergo muß er die requisita habilitatis haben aut quoad intellectum d: heißt er muß es verstehen, die Rechte, die er exerciren soll, zu beurtheilen A: quoad voluntatem i, e, er muß keine interessirte Absichten haben d: h: motiva gegen die Gerechtigkeit haben Quaerit: ob diese Requista necessaria iudicis, wen man von der Jurisd: crim: redet nicht einige besondere Bestimmungen bekomen? Ja, so wohl ratione competendiae quoad causam, et quoad personam, als auch ratione habilitatis, quoad intellectum, et quoad voluntatem. § 29. Wenn in dem peinlichen Gerichte die Competentia iudicis quoad causam in Erwägung gezogen wird; so giebt ihr dieß eine eigenthümliche Bestimmung, daß aus dem, es hat einer an einem Orte die Gerichtsbarkeit, nicht könne geschlossen werden, daß er auch die Obergerichte, dieß ist die Jurisd: criminalem

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erlanget, welche Regel so gleich durch den Begrif von der Jurisdiction in der Verbindung, mit dem Begrif von der Jurisdictione criminali zu folgen vid: § 17. Dieses giebt folgende Grundregeln: Wenn gleich einer eine Jurisdiction erhalten; so ist doch dieß nicht genug zu behaupten, daß er auch die Jurisdict: criminalem bekomen, sondern, wen einer auch diese behaupten will, so muß er es beweisen, daß sie ihm von der höchsten Gewalt mit ausdrüklichen Worten verwilliget worden. Dieses giebt ferner folgende Grundlehre: In zweifelhaften Fällen ist die Praesumtion für die Einschränkung der peinlichen Gerichtsbarkeit, allemahl wieder den Unterrichter vid: Boehmerum loc: cit: Sect: 1ma § 74. und 88. Die Gründe welche Carpzow in seiner Praxi criminali Quaestone 109 no: 92 dieser Theorie entgegen sezet, die sind vor einem Logiko sehr leicht zu heben. Carpzow sagt: wenn einer mit der Jurisdiction belehnet worden, so sey auch die praesumtion da, er sey mit der Jurisdic: criminali belehnt. Warum? den es sey ein Schluß der Logik: a genere ad speciem valet consequentia cftur Schol: 1. § 29 Sect: 1. der Logik unsers Herrn Autors. Denn ich kann nicht schlüßen, wo das Genus, da muß die species seyn. Wir argumentiren so: Worin besteht die Jurisdictio (Gerichtsbarkeit) Iursidictio est ius applicandi leges ad facta cum effectu Wie kann ich diesen Begrif bestimen A: involuit ius de statu rei disponendi Iurisdictio criminalis diese kann keinem zugefüget werden ohne de statu zu disponiren. Weil nun das Jus de statu subditorum zu disponiren ein majestaticum ist; so supponirt dieß nova facta: mithin muß der Superior dem Richter hier mehr iura verwilliget haben, als per ideam iurisdictionis nothwendig; folglich kann dieß nicht praesumirt; sondern muß bewiesen werden. Denn suma potestas muß seinem Juri aliquo modo renuncirt haben. Es muß daher auch in den allermeisten Fällen der Unterrichter um die confirmation der poena capitalis a summa potestate nachsuchen. Dieß nun beweisen wir aus dem Jure publ: universali Sect: V. Cp: 2 § 724 et 725 folgendergestalt. Leben wir in civitate; so haben wir unser Recht, unsre iura cogendi eigenmächtig zu exerciren entsagt. Da wir nun der Freyheit in comodum reipublicae unsere Jura cogendi sua vi zu exerciren renuncirt haben; so folgt, daß wir uns einem Imperis unterworfen. Alle iura in civitate nun sind, in wie fern sie sine subordinatione ad aliud imperium gedacht werden iura maiestatica. Die Jurisdictio criminalis ist ein Jus de statu subditorum zu disponiren; also ein Jus quod non in subordinatione ad aliud imperium. Ergo ein maiestaticum. Daß dieß nun in quemcumque magistratum transferirt kann nicht praesu-

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mirt, sondern muß bewiesen werden. Ueberdieß ist es per naturam civitatis nicht möglich, daß auf eine Pbrigkeit ein Theil des Imperii civilis sine subordinatione ad summum imperium übertragen seyn sollte, weil sie dann die Majestät häten. Aus diesem ist leicht einzusehen, warum sie um die confirmationem poenae capitalis bey dem Imperanti nachsuchen müßen cftur: Jus publ: univers: Sect: V. Cp: I. § 677 und 678. A: non Jurisd: civilis, In civilibus disponirt man nicht de statu subditorum sondern nur de eorum bonis atque factis vid: §722 Juris publ: univ: Cp: II Sect: V. nost: auct: § 30 Dieses faßet zugleich den Grund von der nachstehenden Regel: Stehet ein Verbrecher unter der Jurisdiction eines Richters, der keine Obergerichte hat; so ist es zwar eine Pflicht, und ein Recht dieses Richters, das angegebene Verbrechen zuerst zu untersuchen; so bald es sich aber ergibt, daß es ein peinliches; so muß er solches dem, der an dem Orte die Jurisdictionem criminalem hat, anzeigen, und diesem den Verbrecher ausliefern, vid: Boehmerum L: cit: § 74. hat einer die Jurisdiction; so hat er auch die Policey=Gerichte weil er da nicht de statu disponirt. § 31. In Ansehung der Competenz, in beziehung auf den Verbrecher, ist dieses bey der peinlichen Gerichtsbarkeit eine besondere Bestimmung, daß in Ansehung eines Verbrechers, und eines Verbrechens drey verschiedene fora competentia möglich sind: das forum domicilii delicti, et deprehensionis vid: Boehmerum L: cit: Sect: § 71 Seqq. Es wollen zwar verschiedene behaupten, daß bey den Römern nur das forum delicti bekannt gewesen cftur: Wahl de forro arrerti privilegiato § 9 und Boehmer de delictis extra territorium commisis § 4 bis 6. Allein nicht nur der Lex 7. ff de custodia exhibitione reorum, uind die Novelle 134 Cap: 5. wiedersprechen dieser Behauptung, sondern wen wir es auch erwägen a.) daß ein jeder, der sich in einem Territorio befindet, der Jurisdictioni territoriali unterworfen b) daß es die Pflicht eines Richters, dem die peinliche Gerichtsbarkeit anvertraut worden, die Sicherheit des Staats in seinem Gebiethe wieder die Verbrechen zu schüzen, folgl: auch wieder diejenigen, bey welchen eine gegründete Vermutung, daß sie etwas wieder die Sicherheit des Staats unternehmen werden

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c.) daß kein peinlicher Richter, einen eher in Verhaft nehmen könne, als bis er einen solchen Verdacht wieder sich erweket; so ist es leicht zu begreiffen, daß die angegebene Einteilung, von der foris competentibus in criminalibus, bereits in der gesunden Vernunft gegründet. das Forum domicilii bestehet darin, daß der Richter das Recht hat, den Delinquenten an seinem Wohznorte, wenn er gleich da kein delictum begangen, anzugreiffen. das forum delicti ist der Ort, wo einer ein Verbrechen ausgeübet hat. Dieß giebt dem Richter die Gewalt wieder den Verbrecher die Jurisdictionem criminalem auszuüben. Und endlich ist das forum arresti deprehensionis da, wo man wieder jemanden einen gegründeten Verdacht hat, wen er gleich nicht an dem Orte, sondern nur an einem andern ein Verbrechen begangen, und den animum securitatis territorii zu schwächen gehabt hat. Alle diese fora sie können eins; sie können auch alle verschieden seyn zb: wen einer ein foro domicilii delinquirt, und auch ergriffen wird. Man streitet sich sehr, ob nicht das forum delicti bey den Römern das eigentliche forum competentiae circa crimina gewesen? Wahl in loc: cit: huius §phi citato nebst Boehmern l: cit: will dieß’behaupten: allein es ist unwahrscheinlich. Wenn man den legem in hoc §pho citatem ließt; so findet man deutlich, daß man vermöge dieses Gesezes den Delinquentem von einer andern Obrigkeit ad forum delicti fordern können; aber nur praevia requisitione. Sie müßten also doch notwendig eine Idee vom foro deprehensionis gehabt haben, vermöge welcher sie das forum deprehensionis vom foro delicti unterschieden haben. Verbinden wir mit dieser Stelle noch das V Lag: der 135 Nov:; so finden wir unsere Meinung völlig bestetigt. Wenn wir die alte Teutsche Geschichte betrachten; so finden wir freylich, daß sie das forum delicti als das einzige forum competentiae betrachtet, und es scheint auch, daß es in den Reichsgesezzen bevestiget: daß außer dem foro domicilii kein forum als das forum delicti competens seyn soll. Denn es ist in der Reichskammergerichtsordnung Part: II. Tit: 1. ausdrücklich vestgesezet, daß keiner des andern Unterthanen pfänden, oder gefangen nehmen soll außer wenn sie crimina begangen haben. In dem Parte 2. Tit: 21. ist das forum delicti bevestiget. Indeßen müßen wir noch fragen, woher das forum deprehensionis komme? Man will den Grund aus der Erklärung der Glossatoren ad leg: 1. Cod: ubi de crim: agi oportet herleiten. Es liegt derselbe aber schon in der gesunden Vernunft; so bald einer ins Territorium trit, ist er auch subditus territorialis, und also der Jurisdictio criminal: territorii unterworfen. Daß dieß einen vernünftigen Grund habe, beweisen wir im Jure publ: universali wo wir aus dem §pho 681. 710 Carol: 1. 713. 714. 7390 u 740 folgenden oben schon angegebenen Schluß ziehen: so bald ich in das territorium civitatis cuiuslibet trete, so bin ich auch deßelben Jurisdition unterworfen, und stehe sogleich in subordinatione ad iuris-

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dictionemporaria. Nun aber muß der Richter vermöge seiner Kraft die Ruhe und Sicherheit des Staats zu erhalten suchen: also hat er auch das Recht, wenn sich einer gegründet, und zwar so verdächtig macht, daß die Sicherheit des Staats dadurch könne geschwächet werden, diesen ad examen rigorosum zu ziehen. Den obligatio ad finem dat, obligatio ad media sufficientia cftur § 158 I: N: Ueberdieß hat ja ein Volk durch die Natur eben die Pflicht, gegen andere Völker, die ein Mensch gegen den andern hat, folglich alles das aus dem Wege zu räumen, was dem allgemeinen Wohl deßelben zuwieder, und nachtheilig ist ZB: Caj: hat an einem Orte ein Verbrechen begangen, welches schlechterdings zur Sicherheit muß bestraft werden: er hält sich aber an einem andern Orte auf. Wenn dieß der Richter erfärt; so ist es seine Pflicht, ihn in Verhaft zu nehmen, ohne erst zu fragen, ob er es an diesem Orte begangen. Er hat schon per naturam das Recht der andern Obrigkeit in exercitio iuris Hülfe zu leisten. Dieß fließet aus dem allgemeinen Proncipio Iuris Nat: quilibet per naturam est iuris alterius executor, welches wir hinlänglich in 312 §pho part: gen: Sect: 2. Cp: 1 vest, und auseinander gesezet haben. Aus diesen beyden Principiis nun läßt sich leicht der Grund des fori deprehensionis abstrahiren. § 32. Dieses Verhalten von den foris competentibus, gründet sich in die Lehre von der Auslieferung des Verbrechers, wenn nehmlich der Richter in dem foro deprehensionis einem andern in dici competenti den Verbrecher, das Verbrechen zu untersuchen, und deßen Bestrafung zu bewürken, übergibt; so heißt dieß die Auslieferung (remittere, remisio). Dieser Judex competens hat entweder bey jenem, um die Auslieferung angehalten, oder nicht. Wenn dieses; so kann keiner zur Annehmung des Ausgelieferten gezwungen werden, weil ein jeder Richter seine Pflicht beobachten muß: es wäre denn, daß durch Landesgesezze die Auslieferung, und Annehmung der Verbrecher wäre gebothen worden vid: Puffendorff in Processu criminali Cap: V. § 12. Einige Criminalisten sagen: die Auslieferung müße dem foro delicti geschehen: allein es kann ja auch dem iudicii fori deprehens: geschehen, und das geschieht mehrentheils. ZB: Man hat den Delinquenten arretirt, er ist entwischt, und man bekömt ihn bey einem andern foro wieder, dann kann ja der Richter des fori deprehensionis seine Auslieferung fordern cftur Boehmer Sect: 1. Cp: III. § 70. Den Delinquenten ausliefern heißt ihn aus einem forro competente einem andern foro comp: übergeben. Hier zu Lande ist die Auslieferung und Annehmung bey den Soldaten gebothen die aber bewiesen werden muß cftur: Boehmer.

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§ 33. Wenn jenes; so wird die Auslieferung entweder schlechthin verlangt, oder nur zur Errichtung gewißer Mittel, ohne welche dieser Richter seine Rechte nicht würde ausüben können. In diesem Fall ist es unläugbar, daß eine solche Auslieferung iure gebothen werde, und daß diese, den fordernden Richter, ohne Beleidigung nicht könne versagt werden, welches nicht nur aus dieser Lehre des Juris nat: fließet: man soll keinen in der Ausübung seiner Rechte Hinderniße sezzen, sondern auch in dem Titulo ff de edendo genugsam bewiesen. Gesezt: es säße in Rostok eine Bande, von der man in Frankfurth auch delinquentes sizen hätte. Die Frankfurther sagten wieder die in Rostok sizenden etwas aus, welches diese nicht gestehen wollen. Der Obrigkeit in Rostok ist aber daran gelegen die Wahrheit zu erfaren, und bittet um eine Auslieferung zur Confrontation. Ist diese geschehen, und beide Theile sind ihre Aussagen einander ins Gesicht zu sagen, zusamen gebracht worden; so werden sie wieder nach Frankfurth zurückgeschikt. So wenn zb: in Frankfurth eine Kindermörderin säße, und in Rostok ein Mitgehülfe, und jene sagte, dieser habe das Kind vergraben, sie aber wisse nicht wohin; so bittet man um die Auslieferung, um das Corpus delicti zu finden; nachher aber schikt man ihn wieder zurük. Diese Auslieferung kann ein Richter de iure fodern. Den Ius ad findem dat ius ad media sufficientia. Denegirte man sie ihm, so würde man ihm Hinderniße in Exercitio seines Rechts sezen, und also laediren. § 34. Wird die Auslieferung schlechthin verlangt; so hat der Richter, der solche fodert, entweder schon auf den Verbrecher ein Ius reale verlangt, oder nicht. Jenes findet alsden statt, wen der Richter den Angeschuldigten schon gefangen genomen, weil er hierdurch unläugbar das Recht, einen jeden von den Angeschuldigten auszuschließen erworben: und dieses ist der Begrif vom Jure reali. Es folget demnach in diesem Fall aus den Begrif des Ius realis, daß wen der Angeschuldigte aus dem Gefängniß entlaufen, der Judex in foro deprehensionis den Entlaufenen, von einem jeden, wo er zu finden von Rechts wegen wieder fodern kann cft: Leyser Sp: L XXIV. Med: 8. Menius Part: IX Decis: 109 Menk in Theoria et Praxi Digestorium Titulo de custodia, et exhibitione reorum pag: 1524. § 35. Wenn dieses; so verbleibt nach der Regel die Auslieferung ein officium humanitatis wenn nicht besondere gesezze, oder Verträge vorhanden sind, die solche nothwendig machen. Dieß ist hiervon der Beweis: aus dem Begrif der Auslieferung (§ 32) ist es klar, daß diese nur bey dem Judice in foro deprehensionis

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könne gesuchet werden. Da nun dieser bereits auf den Angeschuldigten ein Jus reale verlanget (§ 34) so kann auch diese Auslieferung nicht gedacht werden, wenn nicht der Richter sein erworbenes Jus reale wiederum aufgibt, hierzu aber kann er nach der Regel mit Recht nicht gezwungen werden (§ 356 J:N:) § 36. Jedoch findet auch allhier das, was bereits in dem Jure nat: § 357 ist angemerket worden, seine Anwendung, daß nehmlich besondere, in der Billigkeit gegründete Ursachen vorhanden seyn können, die auch bey diesem Falle die Auslieferung nothwendig machen, und zwar. 1.) Wenn die Auslieferung von dem Iudice in foro delicti gefodert worden. Weil nicht nur in diesem Fall, die Strafe, welche der Verbrecher verdient, nach den, in dem foro delicti angenomenen Gesetzen zu bestimen vid: Nov: 69 Cap: I. A Leyser Sp: LXXIV. Med: 5. sondern auch das Wohl des Staats er sehr leicht erfodern könne, zur Warnung anderer, den Verbrecher an dem Ort zu bestrafen, wo er das Verbrechen ausgeübt vid: Leg: XXVIII. § 13 ff de poenis. 2.) Wenn die Auslieferung von dem Iudice in foro domicilii gefodert wird, um seinen Unterthanen den richterlichen Schuz angedeihen zu laßen. Um in solchen Fällen die Auslieferung desto leichter zu bewürken, sind die Reverse erfunden worden, in welchen ähnliche Beobachtungen solcher Pflicht, und daß hierdurch kein Recht zum Nachtheil des ausliefernden Richters soll gegründet werden, versprochen wird. Formeln von solchen Reversen findet man pag: 1273 und p: 1281. in dem Volkmanno a Georgio Baiero emendato A in Editione renovata welche in Jena 1763 in 4to herausgekommen ist. Vid: Boehmer in Elementis iuris criminalis Lect: 1. § 70 no: 8 tit: cit: Es sind doch zuweilen Gründe, welche die Verweigerung der Auslieferung unbillig machen, wir haben solche. Vom Judice in foro depreh: wird die Auslieferung gefodert, wer fodert sie: entweder der judex in foro delicti, oder der Judex in foro domicilii. Im ersten Fall, da sind die wichtigsten Gründe vorhanden, die die Auslieferung nothwendig machen. Der Verbrecher verdient die Strafe, die in foro delicti auf ein Verbrechen ist gesezzet worden, das ist so wohl in der Vernunft, als auch in den Gesezzen gegründet: den die Strafe in den foro delicti ist ja die Strafe, die ihn von den Verbrechen hätte zurückhalten sollen, dieß ist also die verdiente Strafe. ZB: In Jena ist ein Gesez: ein Wilddieb der einen Hirsch, und dergleichen schießt, soll gehängt werden. In Schwezen zu Chursachsen gehorig liegende Dorf ist das Gesez aber nicht. Ein Schwezener Bauer schießt auf den Schwezener Gebieth ein Reh, es läuft aber fort, da es angeschoßen, er verfolgt es, und es fällt auf das lauchstaedter Gebieth, welches Dorf zu Jena gehört, der Bauer nimt sei Reh und komt mit nach Jena. Da kriegen sie ihn also an. Jena ist also das forum deprehensionis. Schwezen das forum delicti. Nach der Regel ist er nach den Schwezener Recht

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bestraft worden, den wo einer delinquirt, da ist er den Gesezzen gemäß zu bestrafen. § 37. So weit von Competentia iudicis, in Ansehung der habilitaet vid: § 28. ist in dem Judicio criminali dieß die besondere Bestimung, daß keiner ein Mitglied in einem iudicio criminali seyn könne, der sich nicht ausdrücklich ad iudicium criminale, wenigstens in Ansehung des vorkommenden Falles eydlich verpflichtet, welches aus dem Art: 3–4 und 5 C.C.C. genugsam ersichtlich. Welches seinen Grund in der § 29 angegebenen Grundlehre hat. Und damit alle nur mögliche Behutsamkeit bey diesem Gerichte, wo es auf Ehre, Leib, und Leben ankomt, köne beobachtet werden; so ist es erfoderlich, daß sie den eyd zuvor, ehe das Gericht eröfnet wird ablegen vid: Boehmerum l: cit: Sect. I § 63. Habilitas est, vel quoad intellectum, vel qupad voluntatem Die Doctores sagen: ein Judex criminal: muß 3 Eigenschaften haben 1.) Sinceritatem 2.) Prudentiam 3.) Peritiam denn der soll 1.) die Wahrheit suchen 2.) er muß die Sache mit Ueberlegung treiben können 3.) Erfahrung, damit er auch weiß, den Torheiten der Leute vorzubeugen. Allein diese 3 Eigenschaften sind bey allen Iudicibus nöthig. Quaest: I. Ob man den Eyd ehe das Gericht eröfnet wird, ablegen muß, oder ob es genug ist, daß wen es geschloßen ist, und die Inquisition vorbei ist, alsdenn von den Richter, und Assessoren geschworen wurde, daß sie recht, und unparteiisch untersucht haben vid: Boehmer l: c: Einige sagen es ist einerley, und provociren auf die Stelle in Leyser Sp: 71. § 8. dieser soll es in dem gründen: quia omnis actus, quantum fieri potest, substinere debet (Leg: 80 ff. de verborum obligat:) Allein wir sagen: es ist beßer, daß sie zuerst schwören, denn die Erinnerung an den oben abgelegten Eyd wird sie zurückhalten unrecht zu handeln: hingegen wenn sie vorhero nicht geschworen, und sonst parteiisch untersucht, oder falsch gezeugt haben; so kann sie, wen sie hernach erst schwören sollen, die Schaam, ihr Verbrechen zu gestehen, reizen, falsch zu schwören vid: Berger in Supplom: 2. p. 47. Quaest: II. Ob ein solcher defectus querelam nullitatis würken könne? Sie haben vorher nicht geschworen ctr: Krers in Comm: ad Art: 1. § 8 sagt Nein! quia inquisito sufficere debet, si ei non facta sit iniuria. Allein man muß die Frage mit Ja! beantworten, weil ja bey solchen Defecten nicht gesezmäßig verfaren ist, und denn kann man ja querelam nullitatis anstreben. Es komt freilich auch immer auf Umstände an zb: wen die ganze That augenscheinlich, und genugsam bewiesen ist, denn kann wohl zuweilen die Untersuchung gelten, wen auch nachdem erst geschworen wird.

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§ 38. Die aus den zuvor angegebenen Gründen in dem peinlichen Gerichte nothwendig erforderliche Behutsamkeit, hat es zugleich verursachet, daß vermöge der Gesezze ein peinliches Gericht nicht für genugsam besezt zu achten, wen der Richter, und der Actuarius gegenwärtig, sondern es werden außer diesen noch 2 eydlich zum Gericht verpflichtete Beisizzer erfodert, welche es jederzeit bezeugen können, daß in dem Gerichte alles so behandelt, wie es in dem Protokol ist angemerket worden. Welche Beisizzer auch den Namen stume Schöppen, oder Horcher erhalten vid: Ludovici ad Art: 4. C.C.C. § 39. Die verknüpfung dieser bis hierher angezogenen Grundlehren giebt zugleich die nothwendige Eigenschaften eines in dem peinlichen Gerichte aufzunehmenden Protocolle zu erkennen, u zwar 1.) daß es in einem gesezmäßig besezten peinlichen Gerichte aufzunehmen, aus welchem Grunde in dem Protokolle die Personen, welche bey deßen Aufnehmung gegenwärtig gewesen, der Ort wo, und die Zeit, wenn es aufgenommen worden, anzumerken. 2.) daß in demselben von dem Actuario das, was vorgegangen, ohne seine Anmerkungen hinzuzufügen, deutlich, und ohne Abänderungen ist aufgezeichnet worden. 3.) daß das aufgenomene Protocoll denen Personen, welche in dem Gerichte gegenwärtig gewesen, wiederum vorgelesen, und 4.) nachdem von diesem nichts dabei erinnert, das Protocoll auch von dem Actuario ist unterschrieben worden. Das dritte Kapittel. Von der Ausforschung eines begangenen Verbrechens und es Verbrechers § 40. Aus dem, daß eine Unvolkommenheit würklich geworden, folget noch nicht, daß dies ein Verbrechen sey, und aus dem, daß einer in sich die Würklichwerdung dieser Unvolkomenheit gründet, kann es noch nicht geschloßen werden, daß er ein Verbrecher sey (§ 11.). Da wir um von der Wahrheit einer Sache nicht anders, als durch die Erfahrung, oder durch Schlüsse, oder durch Zeugniße, sie mögen geschriebene, oder mündliche seyn, können überzeugt werden, so ist es nöthig diese Stükke auf die angenomene Ausforschung anzuwenden.

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§ 41. In Ansehung des ersten Grundes, ist das angebliche Verbrechen entweder der Art, welche sinnliche Würkungen hinterlaßen, die ohne ein begangenes Verbrechen nicht möglich, oder nicht. Jene nent man delicta facti permanentis, diese delicta facti transeuntis vid: Boehmer l: cit: Sect: 1. § 34. Sind es Verbrechen von der ersten Art; so ist die natürliche Folge, daß sich der Richter von dem, daß ein Verbrechen begangen worden, zu überzeugen, von Sachverständigen die sache gehörig müße besichtigen laßen (ocularis inspectio= vid: Boehmer l: c: § 97 seqq. Hierbei sind nachstehende Regeln zu beobachten. 1.) die Besichtigung muß so geschwind veranstaltet werden, als möglich, damit durch die Länge der Zeit keine nachtheilige Veränderung vorfalle. 2.) die Sachverständige müßen zu dergleichen Besichtigung Geschworene sey Art: 149 C.C.C. 3.) Weil der Richter, und das Gericht hiervon muß überzeugt seyn, daß sich die Sache so vorgefunden, wie sie von den Sachverständigen angegeben wird, so ist es nöthig, auch in diesem Stükke der Vorschrift des Kaisers Art. cit: zu genügen; daß die Besichtigumng in Gegenwart des gesezmäßig bestellten peinlichen gerichts müße unternomen, und vom Actuario im Beisize der Sachverständigen, und des Gerichts alles was sich vorgefunden genau müße im Protocol aufgenomen werden vid: Leyser Sp: 77 Med: 9. 4.) das Gutachten über das, was sie bey der Besichtigung vorgefunden, ist von den dabey gebrauchten Sachverständigen pflichtmäßig aufzusezzen (visum repertum) Der Kaiser hat in Art: 149 befohlen, daß wenn eine Sache Chirurgo besichtiget wird, welche alle müßen geschworen haben, nicht allein der Richter, und der Actuarius, sondern auch das ganze dabey besezte Criminalgericht dabey seyn muß, daher müßen auch die stumme Schöppen da seyn. Wenn daher der Medicus sagt, dies hat sich vorgefunden; so ist es nicht genug, sondern der Richter muß es sehen, der Actuarius muß schreiben, daß es sich vorgefunden, und die Assessores müßen beweisen, daß es so, wie der Actuarius es niedergeschrieben, sich verhalten habe. Das Visum repertum muß alsdenn vom Medico geschehen, allein der Richter muß es erbrechen, und sehen, ob in demselben auch die data angegeben, die sich vorgefunden haben. § 42. Will man ein begangenes Verbrechen, und den verbrecher durch Schlüße entdekken, so müßen gewiße Gründe da seyn. Folgende sind ungültig, Astrolabium das Stern sehen, die Cludomantia das Sieblaufen, Dactilomantia das Ringstechen, Cruentatio cadaveris, wen man den Cadaver mit Blut besprengt; so kommen Figuren, aus dem wollen sie schlüßen, allein wie kann man daraus etwas

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schlüßen, sondern es müßen data seyn, die außer allen Zweifel sind vid: Kress Comment: Art: 14. § 1. hat diese Grundregel quoties inter fatis probatum et delictum non probatum adest nexus e praesentis facti statu aestimandus, toties illud est iudicium. Diese Grundregel des Kress beweiset es auch, daß wir auf rechten Wege seyn. Die Iudicia müße fatis probata seyn, sonst sind es nur opiniones zb: es ist in einer Stube gestolen, und da steht der Stuk des M: welchen er einige Tage vorher gehabt hat, welches gewiß; so ist das Iudicium woraus ich cum probabilitate auf den Verbrecher schlüßen kann. § 43. Diese Anzeigungen faßen entweder nur einen Grund auf ein Verbrechen überhaupt zu schlüßen (quoad conceptum genericum) oder auch auf ein in Frage begriffenes Verbrechen. Jene sind Indicia communia; diese propria. Ferner gründen sie es nur in sich, daß ein Verbrechen in den vorliegenden Fall möglich sey, oder auch dieses daß das Verbrechen ausgeübt worden. Jene sind remota, diese proxima, welche ungezweifelte Anzeigen genannt werden vid: Art: 29. C.C.C. ZB: Es hält sich ein Mensch an einen Ort auf, er wechselt beständig mit Kleidung, giebt sich bald diesen, bald jenen Namen, so kann man von diesen nur quoad conceptum genericum schlüßen, daß er verdächtig, und Verbrechen begangen, aber nicht was für ein Verbrechen in specie er begangen. § 44. Indicia remota gründen den Schluß auf diese Möglichkeit, entweder nur in abstracto, oder auch in concreto. In jenem Fall werden sie simplicia, und in diesem Fall werden sie qualificata genannt. ZB: Wenn die Eltern schlecht leben, ihren Kindern üble Erziehung geben, wenn sich jemand einen falschen Namen giebt. § 45. Die qualificata können wiederum in verschiedene Arten verteilt werden. Soll nehmlich die Ausübung eines Verbrechens durch einen in concreto möglich seyn; so muß solche möglich seyn durch die Disposition seiner Kräfte, und durch die Disposition seines Willens. In der ersten Bestimmung, so wohl für sich, als auch in der Beziehung; so wohl auf die Zeit, als auch auf den Ort. In der zweyten Bestimmung kann wiederum die Disposition des Willens, welche nur allgemeine Gründe giebt, von ihm die Ausübung eines Verbrechens zu vermuthen, von der Disposition aus welcher auf das gegenwärtige Verbrechen zu schlüßen unterschieden werden. In der ersten Abtheilung gehöret, ein ein glaubwürdiger übler Ruf, und der freywillige fortdauernde Umgang mit Verbrechern, weil ein solcher Umgang allemal die Vermutung einer bösen Gesinnung würket.

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Vor sich betrachtet in § 45 1.) er muß stark genug seyn 2.) wenn man Werkzeuge bey ihm findet, die zur Ausführung eines solchen Verbrechens erforderlich sind. In Beziehung auf die Zeit zb: Wenn er sich zu der Zeit, an dem Ort, wo das Verbrechen ausgeübt worden, aufgehalten, wo er sich sonst nicht aufzuhalten pflegte. Es giebt dieses zwar keine Gewisheit, allein eine starke Vermutung. Auf den Ort. Wenn er sich an solchen Ort befindet, wo das Verbrechen ist begangen worden, wo er sonst noch nicht gewesen. § 46. Die Disposition des Willens, aus welcher auf das gegenwärtige Verbrechen zu schlüßen, wird entweder aus solchen Gründen gefolgert, welche die facta des Angeschuldigten, oder aus solchen welche die Beschaffenheit der Anschuldigung zu erkennen geben. Die facta des Angeschuldigten werden entweder für sich betrachtet, oder in Beziehung auf den Beleidigten. Wenn jenes, so gehört hierher. 1.) die Verwirrung des Angeschuldigten, in welcher er nicht bey einerley Rede bleibt (perturbatio animae) 2.) wenn der Angeschuldigte die Flucht ergriffen, da er doch noch keine Gründe hat, sich zu fürchten. ad 1.) Quaerit: Wenn einer veritatem negirt; ob er hierdurch suspect wird zb: einer läugnet an einem Ort gewesen zu seyn, wo man mit Gewisheit weiß, daß er da gewesen, und dann gesteht er es wieder. Das würkt zwar eine praesumtion, aber keine moralische Gewisheit, den er kann ja aus Furcht geläugnet haben. ad 2.) an suspectus, qui fugit. Hier distinguirt man, entweder hat er schon Gründe gehabt sich vor die Arritirung zu fürchten, oder nicht. Im letzten Fall kann er suspect werden, den er muß innerlich davon überzeugt seyn, edaß er sich schuldig weiß cfr: Kress in Coment: ad Art: 25 § 9 behauptet: wenn der Gefangene aus dem Gefängniß läuft, macht es ihm nicht verdächtig, denn man präsumirt nur, er wolle seine Freiheit suchen, welche ihm ganz natürlich ist. Wenn dieses, so hat der Angeschuldigte schon vorher entweder es zu erkennen gegeben, wie er geneigt sey, den Beleidigten zu schaden (Minas vid: Boehmer § 119 Sect: II. nom: 5.) oder auch schon mit dem Beleidigten in einem wichtigen, und empfindlichen Streit gelebet (Litem de maxima parte bonorum) vid: Boehmer Sect: II. § 121.

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§ 47. Soll die Disposition des Willens aus der Beschaffenheit der Anschuldigung geschlossen werden; so ist es leicht zu begreifen; daß es hier auf die Beschaffenheit desjenigen ankomme, der die Anschuldigung gewußt, ob nehmlich dieser die nothwendige Eigenschaften eines Zeugen habe vid: Boehmer Sect: II § 120. A Streyk in Dissert: nalensib: Voll: II Diss: V. § 48. Die ungezweifelte Anzeigen (indicia proxima § 43) sind entweder also beschaffen, daß ssie wenigstens einen halben Beweis geben, oder nicht. Ist dieses, so könen sie nur als remota angesehen werden (§ 43) Wenn jenes, so sind sie entweder die Zeugniße deren Gültigkeit so wohl aus der Beschaffenheit des Zeugens vid: Boehemrum § 123 no: 2. als auch aus der Beschaffenheit der Angabe zu beurtheilen. Oder sie sind Bestimmungen des Angeschuldigten, und zwar, seine eigene Rede, wen solche mit glaubwürdigen Umständen angegeben worden vid: Boehmerum § 126 no: 4. Oder Bestimmungen aus welchen kann gefolgert werden, entweder daß er das vorliegende Verbrechen habe ausüben können, und dieß, daß er es nicht gewollt, nicht kan bewiesen werden vid: Boehmer § 122. Oder, daß er das vorliegende Verbrechen habe ausüben wollen, und dieß, daß er es nicht habe ausüben können, nicht kann bewiesen werden vid: Boehmer § 127. no: 5. § 49. Wenn der Richter hiervon überzeugt, daß ein Verbrechen würklich begangen, und wen er durch Hülfe der erklärten Anzeigungen, wenigstens wahrscheinlich auf die Entdeckung des Verbrechens ist geführet worden; so wird es dem Richter nicht schwer werden, es zu beurtheilen, ob es glaublich sey, daß es von dem, auf welchen die Vermuthung gefallen, allein ausgeübt worden; oder ob noch andere vorhanden, in welchen die Ausübung des Verbrechens mit gegründet. Dieß macht es nothwendig, annoch festzusezzen, wie ein Verbrechen in vielen könne gegründet seyn. Wenn die Würklichwerdung eines Verbrechens in vielen gegründet; so haben diese solches entweder unmittelbar durch ihre Thaten gewürket, oder nur mittelbar. Wenn jenes, so werden sie in der eigenthümlichen Bedeutung socii criminis genent vid: Boehmer l: cit: Sect: II. Co: 1. § 26 no: 5. Wenn dieses, so kann eine solche mittelbare Antheilnehmung an dem, von einem andern ausgeübten Verbrechen so wohl aus gewißen Unternehmungen (committendo) als auch aus gewißen Unterlassungen (omittendo) geschlossen werden. Wenn jenes so nennt man es den concursum proximum. Wenn dieses den cursum remotum.

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§ 50. Welche promxime bey einem Verbrechen concurriren, die geben entweder den Verbrecher nur Gründe zur Ausübung einer solchen That, oder sie leisten ihm würkliche Hülfe. Wenn jenes, so wird entweder der Verbrecher hierdurch zum Verbrechen bestimt, oder es wird ihm hierdurch nur die Ausübung erleichtert, und zwar entweder überhaupt die Ausübung einer bösen That, oder insbesondere die Ausübung des gegenwärtigen Verbrechens vid: Boehmer Sect: 2 Cp: 1. § 25 et 26. Hierher gehört 1.) nom: 1. mandans, wen ich einem Vollmacht gebe etwas zu thun 2.) no: 2. iubens 3.) no: 4. persuadens, wen ich einem überrede es zu thun 4.) no: 5. ich mache ihn Erleichtung bey Ausführung einer bösen That 5.) no: 9. wen ich einem zur Ausübung recht instruire 6.) no: 3. consilium speziale daß man ihm Anschläge giebt, wie er die gegenwärtige That ausüben soll. § 51. Wird würklich Hülfe geleistet, so ist diese Hülfeleistung entweder so beschaffen, daß ohne dieser die That nicht hätte können ausgeübt werden (dieses nent man socium principalem) oder so, daß hierdurch nur die Ausübung ist erleichtert worden (socios adjuvantes.) vid: Boehmer l: c: no: 6 et 7. ZB: steht einer, u nimt dem Dieb die gestohlne Sachen ab, oder zB: es will einer Feuer anlegen, und der andere schaft ihm die Materialien, das sind socii principales ZB: einer verhelt des Diebes Sachen, und ihm selbst hier muß man aber distinguiern Entweder hat er es ihm vor dem Diebstahl versprochen, denn ist man socius adiuvans oder nicht den verdient er zwar etwas Strafe, aber er ist kein socius. § 52. Wer remote bey einem Verbrechen concurrirt vid: § 49 der hat es entweder unterlaßen, die Ausübung des Verbrechens zu verhindern da er doch solches hätte verhindern können, oder er hat nur unterlaßen das Verbrechen anzuzeigen. Im ersten Fall, haben entweder die Gesezze die Verhinderung geboten, oder das Verhältniß gegen den Verbrecher (zb: es wäre mein Sohn) oder gegen den Beleidigten, faßet schon die Verbindlichkeit zur Verhinderung Boehmer l: c: no: 10.

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§ 53. Wer es unterläßt, das Verbrechen anzuzeigen, der hat es entweder vorher gewußt, daß es soll ausgeübt werden, oder er hat es nur nach der Ausübung erfaren, daß es geschehen. Ist das erste, so hat er es durch die Anzeigung verhindern können, folglich hindert alsdenn der § 52 seine Anwednung. Ist das zweyte, so kömt es darauf an, ob in concreto eine Verbindlichkeit zum Anzeigen zu beweisen vid: Böhmer l: c: not: 11. § 54. Sollte derjenige, der bey einem Verbrechen remote concurrit Geld, oder Waaren genomen haben, um die Verhinderung, oder Anzeigung zu unterlaßen; so ist diese Annehmung selbst ein Verbrechen, folglich ist auch ein solcher als ein Verbrecher zu behandeln. Das vierte Kapitel. Von den Mitteln die Gegenwart des Verbrechers in dem Gerichte zu erlangen. § 55. Ist wieder einen ein gegründeter Verdacht erwekt worden, daß er an dem Verbrechen entweder mittelbar, oder unmittelbar Theil genomen, so folgt aus dem § 5, daß es eine Pflicht des Richters sey, nunmehro den verdächtig gewordenen im Gerichte zu vernehmen. Ein solcher Verdächtiger ist entweder noch an einem Ort, wo er der Gerichtsbarkeit des Richters unterworfen, oder nicht. Ist jenes, so ist das ursprüngliche Mittel die erscheinung vors gericht zu bewürken, die Citation, welche entweder verbalis, oder realis. Da aber, weil harte Mittel zu gebrauchen, die realis, nur denn erlaubt ist, wenn gelindere nicht hinreichen, so kann die realis nur dann statt finden, wenn die verbalis nicht hinreichen. Es ist demnach genau zu untersuchen, aus welchem Grunde die verbalis für unzureichend zu achten. § 56. Dieses Urteil von der Unzureichlichkeit der mündlichen Ladung gründet sich entweder nur in dem Ungehorsam des Citirten, oder in dem, weil theils die Beschaffenheit des in Frage stehenden Verbrechens, theils die Beschaffenheit der vorhandenen Anzeigungen, theils die Lage des Verdächtigen einen Grund geben, es zu vermuthen, der Verdächtige werde die Flucht ergreifen. Ist nur der erste Grund vorhanden, so bleibt das gelindeste Zwangsmittel die Bestellung einer verhältnismäßigen Caution vid: Art: 13. C.C.C. Ist aber der zweyte, so wird es nothwendig, sich der Person des verdächtig gewordenen zu bemächtigen

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d: i: demselben in Verhaft zu nehmen vid: Art: 11 und 12 C.C.C. et Boehmerum Sect: 1. Cp: 7. Leyser Spec: 563 Med: 3 & 4. „Die Absicht der Incarceration ist nicht die Strafe leg: 8 § 9 ff de poenis. Das Carcer ist ein Ort, worin die Menschen von der Obrigkeit verwaret werden, damit sie nicht die Flucht ergreiffen cf: Art: 211 und 218.“ Scopus incarcerationis aut est custodia Arrest wen man eines Menschen Sicherheit sucht nicht ob crimina, sondern zb: ob debita. Gefängniß ob crimina A: poena. In dem Iure civili romano ist die incarceration nicht als eine Strafe zu betrachten, sollte dieses als eine Bestrafung angesehen werden, so müßte der Körper so gebunden seyn, daß er Schmerzen empfand vid: lib: 28 § 14 ff de poenis. Die Teutschen haben dieses erst als eine Strafe angesehen A: in causis criminalibus Gefängniß A: in causis civilibus Bürgerlicher Gehorsam. § 57. Da dieses Gefängniß keine Bestrafung, sondern nur eine Sicherheit wieder die Flucht des Verdächtig gewordenen, so folgen unmittelbar die Eigenschaften, die ein solches Behältniß nothwendig haben muß 1.) Es muß vermögend seyn, eine solche Sicherheit zu bewürken 2.) Es muß den Gefangenen kein härteres Urtel zufügen, als zur Erhaltung dieser Sicherheit erforderlich, folglich denselben nicht ungesund machen auch so lange es möglich ist, demselben nicht um seine Ehre bringen, hierdurch folgt diese Grundregel: Je größer der Verdacht, daß der Verdächtige die Flucht ergreiffen möchte, und je nachtheiliger diese Flucht dem Staate werden könnte, desto mehr Mittel müßen angewendet werden, durch die Gefangennehmung die Flucht zu verhindern vid: Brunnemann process: inquisit: Cap: 8.

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§ 58. Ist der Beschuldigte nicht mehr an einem Orte, welcher der Gerichtsbarkeit des Richters unterworfen, so weiß es entweder der Richter wo sich der Beschuldigte aufhält, oder nicht. Ist jenes, so ist dies die natürliche Folge, daß der Richter alsden sein Recht den Beschuldigten Gefangen zu nehmen, durch den Richter, unter deßen Gerichtsbarkeit der Flüchtige sich aufhält, ausübt, mithin bey diesem um deßen Gefangennehmung, und Auslieferung ansuchen müßte, welches das Requisitorial Schreiben genent wird. Um nun zu verhindern, daß dieser Richter keine Gründe beybringen möge, die Untersuchung dieser Angelegenheit zu beschönigen, so sind in diesem Schreiben nachstehende Punkte aufzuführen 1.) das begangene Verbrechen. 2.) der Grund des Verdachts wieder den Gefoderten. 3.) das Verlangen der Gefangennehmung deßelben in subsidium iuris auf Kosten des Bittenden. 4.) das Verlangen der Auslieferung mit allen Sachen, so man bey den Beschuldigten finden möchte. 5.) die Bitte, das darüber gehaltene Protocoll mitzusenden 6.) die Erbietung zur Ersezzung der Kosten, und ähnliche Hülfeleistung. „Die edictatis citatio da einer in verschiedenen Herrn Länder citirt wird, fällt in criminalibus weg; den das würde ja wieder die Absicht seyn. Hier komen zwei wichtige Fragen vor 1.) Ist er Richter des Orts wo der Flüchtige sich aufhält, auf Ansuchen verbunden, ihn zu arretiren? 2.) Wenn er ihn arretirt hat, ist er verbunden ihn auszuliefern? ad 1.) Ist er verbunden ihn zu arretiren? Wen er einsieht, der Bittende hat ein Recht ihn zu arretieren, so trit das principium ein, ein jeder ist verbunden dem andern in exercitio seines Rechts Hülfe zu leisten, dies wird in statu civili die Pflicht des Richters, nur muß er einsehen, daß der Bittende ein Recht dazu hat, daher muß in den Requisitorial Schreiben der Grund stehen, warum man wieder diesen Angeschuldigten den verdacht gefaßt hat ad 2.) Ist er verbunden den Arretirten auszuliefern? der Gefangengenomene hat entweder um Schuz bey dem Richter der ihn arretirt hat angesucht, und dieser hat ja ihn den Schuz versprochen, oder er hat nicht darum angehalten. Im ersten Fall kann er ihn nicht ausliefern, denn der Richter ist verpflichtet, den, der unvermögend ist, sich selbst zu verteidigen, zur Ueberzeugung seiner Unschuld Hülfe zu leisten. Im andern Fall kan der Richter sagen das macht

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Kosten, darum muß in dem Requisitorial Schreiben gesezt werden, daß man auf seine Kosten ihn ausliefern solle, damit der Richter dadurch, sich nicht entschuldigen kann. Man verspricht ihn auch darin in ähnlichen Fällen ihm Hülfe zu leisten, allein eigentlich ist es seine Pflicht nam quilibet per naturam iuris alterius executor.

§ 59. Ist dem Richter der Ort des Aufenthalts des Beschuldigten unbekannt, so hat der Beschuldigte entweder durch einen Bevolmächtigten glaubwürdigen Mann, bey dem Gerichte das Verbrechen gegeben, daß der Verdächtige sich allemal auf vorhergegangene Ladung zur Wahrnehmung sich im Gerichte stellen wolle, wen ihn die Sicherheit wieder die Gefangennehmung würde gerichtlich versprochen werden d: i: er hat um ein sicheres Geleit nachgesucht (salum conductum) oder nicht. Wenn das erste, so folgt aus der Nothwendigkeit, und aus dem Nuzen der würklichen Vernehmung, daß der Richter wenn die Gefangennehmung des Beschuldigten nicht möglich, demselben diese Sicherheit versprochen müße, und zwar des um desto mehr, weil ein solcher der um ein sicheres Geleit nachgesucht, schon die Vermuthung einiger Unschuld vor sich hat, ein solches richterliches Versprechen heißt schlechthin das sichere Geleit. Aus diesem ergiebt es sich 1.) daß es wieder die Pflicht eines Richters, wen er den, der um ein sicheres Geleite für den Beschuldigten nachgesucht, nach dem Ort wo er sich etwa aufhalte befragen wollte. 2.) daß dieses Geleite nur dann zu verwilligen, wenn die Gefangennehmung des Beschuldigten unmöglich, und zwar entweder wegen der Unwißenheit seines Aufenthalts, oder wegen den Zustand seines Körpers. 3.) daß dieses Versprechen ein gerichtliches Versprechen seyn müsse, daher es die Billigkeit erfodert, solches mit dem siquillo publico zu bestätigen. 4.) daß der Richter dieses Versprechen ob fidem publicam auf das genauste erfüllen müße. 5.) Allemal darauf zu sehen ist, in wie weit ihm die Sicherheit ist versprochen worden, ob es nehmlich überhaupt darin bestehe, daß der Bechuldigte an einem jeden Gerichtstage sicher zu, und abreisen möge. In dieser Bestimmung wird es salvus conductu generalis genannt, oder ob auch diese Clausul eingerükt worden „bis etwas peinliches wieder ihn werde erkannt seyn“ Alsdenn heißt es salvus conductus specialis vid: Knorr in seiner Anleitung zum peinlichen Proceß Lib: 3. Cap: 10 § 28.

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ad no: 2.) in Ansehung seines Körpers wen er nehl: gefärlich krank wird doch muß aber seine Sache schon so stehen, daß die praesumtion der Unschuld für ihn ist. ad no: 4.) 1.) dieses Verbrechen kann nur einen obligatorium effectum in relatione ad promittentem haben zb: der Angeschuldigte gehet durch das Territorium eines andern, da hilft das sichere Gelit des andern Richters nichts 2.) daws Verbrechen hat keinen Bezug auf andere delicta, als welche in Untersuchung stehen, in Ansehung deren man die Sicherheit versprochen. ad no: 5.) Engow in Iur: Crim: Lib: 2 tit: 27. § 128 bemerkt diesen Punkte: es müße in dem Salvo conducto diese Clausul mit ausgedrükt seyn „wen er sich auf jede Ladung vor gericht stellen würde“ (alsden sollte er nehmlich Sicherheit haben) Allein das ist nicht nöthig, den dieses liegt ja schon in dem Salvo conducto. Ponamus nachdem er sicheres gelit bekomen, kömt er nicht, so wird das sichere Geleit in poenam contumaciae aufgehobden. Quaerit: Ob die Erteilung des sicheren Geleits es verbieten, das Vermögen des Beschuldigten mit Arrest zu belegen? hier muß man unterscheiden ob es ein solches Vermögen ist, was er bey sich geführt zb: ein Mantelsak, eine Geldbörse etc: hierauf darf man nicht Arrest legen oder solches, was er nicht bey sich führt zb: ein Haus hierauf kan der Richter Arrest legen. Es wird also hierüber ein Curator gesezt, den es bleibt die Pflicht des Richters ihm die Flucht so viel als möglich zu erschweren. § 60. Ist das sichere Geleit nicht nachgesuchet worden, so bleibt nichts übrig, als die Verfolgung des Flüchtigen, welche entweder persönlich, oder schriftlich geschieht. Aus dem lezten entstehen die so genanten Stekbriefe, welche nichts sind als ein öffentliches Bitten, das an einem auswärtigen Richter gerichtet, den Beschuldigten, wen er sich würde finden laßen, zu arretiren. daher diese Stekbriefe alle wesentliche Eigenschaften faßen müßen, die bey dem Requisitorial Schreiben zu beobachten, wovon § 58 geredet. Weil es aber aus dem allgemeinen Staatsrechte schon gewiß ist, daß man in eines andern Grenzen keinen Gewalt ausüben könne, als durch Hülfe des Richters der daselbst die erforderliche gerichtsbarkeit hat, so muß man in beyden Fällen bey den Richter um die Gefangennehmung des Beschuldigten nachzusuchen. Den wesentlichen Inhalt solcher Stekbriefe ist aus dem § 58 zu nehmen.

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Das fünfte Kapitel. Von der würklichen Untersuchung des Verbrechens im Gerichte. § 61. Die würkliche Untersuchung des Verbrechens, wird in die allgemeine Inquisitio generalis, und in die besondere Inquisitio specialis verteilt. Die grenzen von diesem vestzusezzen ist um desto nöthiger, weil wen es zur besondern Inquisition komt, die bürgerliche Ehre des Angeschuldigten geschwächt wird, so daß er auch alsdenn nicht mehr der Beschuldigte, sondern der Inquisit genannt wird vid: Boehmer l: c: Sect: 1. Cp: 10 § 180. Diese Grenzen muß die Absicht der Untersuchung bestimen. Sie ist unläugbar diese: in dem Syllogismo imputatorio die propositionem minorem mit Gewisheit bilden zu können. Folglich kann ein Richter die Untersuchung unmöglich vollführen, ehe, und bevor er hiervon überzeugt ist. Aus welcher man wenigstens mit Wahrscheinlichkeit auf das Daseyn eines Verbrechens, oder auf den, der das Verbrechen ausgeübt, schlüßen könne. Diese Gründe (data) sind entweder genugsam bewiesen, oder nicht. Ist dieses, so können sie nach den Regeln der Logik keine Ueberzeugung würken. Da nun hier die Ueberzeugung schlechterdings erfoderlich (§37.) so muß dies erste seyn. Solche genugsam bewiesene Wahrscheinlichkeiten die einen Grund faßen, auf ein begangenes Verbrechen entweder auf die sache oder auf die Person des Verbrechers wenigstens mit wahrscheinlichkeit zu schlüßen, werden anzeigungen (Indicia) genannt. Die Ocularis inspectio gehet allen vor, ist aber diese nicht möglich, es ist entweder ein crimen facti permanentis, oder das corpus delicti ist nicht da; so ist die Erforschung durch Gründe zu bewürken. Wie müßen diese data beschaffen seyn. Sind sie nicht genugsam bewiesen; so kann nichts mit Gewisheit geschlossen werden. Art: 178 sagt der Kaiser: es müßen etliche scheinliche Werke seyn in 1ma editio steht, ehrliche Anzeigen müßen es seyn d: h: so viel als iusta, sufficientia indicia, es müßen also ganz gewiße Anzeigungen seyn. Woraus man wahrscheinl: schlüßen will Art: 8 et: 17. werden auch redliche Anzeigungen erfodert. Meinungen sind daher keine redliche Anzeigen, sind keine data woraus einer in criminalibus schlüßen muß. Stryk de Physionomia, manche wollen aus der Physionomie etwas schlüßen. Alle Superstitiones 1.) daß ein peinliches Verbrechen würklich begangen worden, dem die Gesezze überhaupt eine peinliche Strafe sezzen. 2.) daß es zum wenigsten mit einer moralischen Gewisheit zu behaupten, daß es von diesem, oder jenen als ein Verbrechen begangen worden.

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So lange der Richter nur bemüht ist sich diese Ueberzeugung zu verschaffen, so lange ist es gesezmäßig nicht möglich die bürgerliche Ehre eines Menschen zu schwächen, folglich macht diese Untersuchung, wodurch diese Ueberzeugung zu erhalten den partem generalem vid: Boehmer l: c: Cp: 5 § 96. Michaelis de inquisitione criminum 4to Lib: 14 et: 15. will die Grenzen so vestsezen: daß in dem parte generali der Richter sich nur von diesem überzeuge, daß ein delictum begangen, daß es ein criminale, und a quo, und daher nent michaelis den part: gen: den processum informativum. In speciali parte, welches er den processum assumtivum nent, da solte der inquisit nur überzeugt werden, daß er die Strafe verdient. Allein Michaelis hat aus unrichtigen principiis geredet. Wir glauben die Grenzen festzusezen Leg: 22 de regulis iur: § 62. Die Gründe, diese Ueberzeugung, und diese moralische Gewisheit zu erlangen sind bereits oben in den 3ten Kapitel genugsam beschrieben worden, daher komt es nur noch darauf an, wie solche in dem vorkomenden Falle anzuwenden. Diese Anwendung deutlich zu machen sind zuförderst nachstehende Erklärungen zu merken. Artikel sind einfache logikalische Fragen, in welche man die in Frage begriffene That zerlegt, um durch deren beantwortung ihre vollständige Bestimmung zu erkennen. Wenn man einen zum Protokoll vernimmt, so läßt man diesen entweder nur das erzelen, was er etwa von der vorliegenden Sache wiße, oder es werden ihm Artikel zur Beantwortung vorgelegt. Wenn jenes, so heißt sie Vernehmung eine summarische, und wenn dieses eine artikulirte § 63. Wir können aus diesem nachstehende Säzze festsezzen. 1.) Wenn der Richter dem, welchen er zum Protokoll sumarisch vernehmen will, einige Fragen vorlegt, um ihn hierdurch auf seine Angaben aufmerksam zu machen, so ist dies noch keine artikulirte Vernehmung, sondern es kann mit der Idee des summarischen bestehen, und ist, um die § 61 angegebene Absichten zu erreichen oft nothwendig; daher die Vernehmung wohl zu unterscheiden vid: Boehmer l: c: § 182. 2.) da man bey der allgemeinen Untersuchung die vollständige Bestimmung der That noch nicht entdeken kann, oder auch noch nicht entdeken will (§ 61.) so ist es gewiß, daß bey der allgemeinen vernehmung nur summarisch zu verfahren und die artikulirte Vernehmung mit Recht der Anfang von der besondern Untersuchung genent wird.

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§ 64. Aus diesem Begrif von der allgemeinen Untersuchung, und deren § 61 festgesezten Absicht folget es unmittelbar, daß es bey dieser auf folgende Stükke ankomt I.) Wer ist zu vernehmen? Ein jeder, von dem mit Grund zu vermuthen, daß er von der Sache, oder von dem Thäter einige Wissenschaft haben köne. Woraus es sich unmittelbar ergiebt a) daß auch der verdächtig gewordene bey der allgemeinen Untersuchung unter dem Vorwand eines Zeugens summarisch köne vernomen werden. b) daß es mit den Gesezzen bestehen könne, den verdächtig gewordenen auch schon bey der allgemeinen Untersuchung in Verhaft zu nehmen, wen nehmlich die hierzu nöthige Stükke vorhanden sind vid: § 56. § 65. II.) Daß bey dieser Vernehmung hauptsächlich darauf zu sehen, daß die angebliche Anzeigen genugsam könne bewiesen werden. Wenn demnach von den Zeugen der Thäter umständlich beschrieben, jedoch so, daß sie deßen Namen nicht wißen, oder wenn Sachen hervorgebracht werden, die den Thäter gehören sollen, so ist in dem ersten Fall der Verdächtige, wenn nehmlich derselbe zu haben ist, in dem Gerichte den Zeugen unter die Augen zu bringen, und alsdenn nach deßen Abwesenheit diese zu befragen, ob dies derjenige sey den sie bey der Taht gesehen. Und im den andern Fall sind die Sachen den Verdächtigen im Gerichte vorzulegen, mit der Anfrage, ob er solche für die seinigen anerkenne. Dies nennt man die Recognition, welche vel rei vel personae vid: Oldekopp in obs: crim: Lib: 4. Obs: 4. § 66. III.) Wenn 2 Deponenten (Zeugen) bey einem Punkt, der in der Berichtigung der Sache einen merklichen Einfluß haben kann, in ihrer Angabe nicht übereinstimen, so macht es die § 61 festgesezte Absicht nothwendig, einen jeden besonders in Ansehung dieses Punktes noch einmahl zu vernehmen, solte auch alsdenn keine Uebereinstimung erhalten werden, so bleibt nichts übrig, als einen Versuch zu machen, ob nicht durch Erwekung des pudoris dieser Wiederspruch könne gehoben werden. Diese Absicht zu erreichen, so werden die einander Wedersprechende ins Gericht gefodert, es wird ihnen dieser Wiederspruch vorgelegt; sie werden in Beziehung auf ihren Eid ermahnt, die Sache so anzugeben, wie sie gegründet ist, und alsdenn wird von einem jeden in Gegenwarth des andern die bestimte Antwort auf den Punkt, wo sie sich wiedersprechen gefodert. Eine solche gerichtliche Disputation von einer That, und deren Umstände wird die Confrontation genent vid: Boehmer l: c: Cap: 12.

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Quaest: I Ob in einem Iudicio in einem Proceß die Confrontation nothwendig? Ja! den der Richter muß ja alles mögliche thun, sich von der Wahrheit zu überzeugen, hat er die Confrontation nicht angestelt, so hat er ja nicht alles mögliche zur Erfarung der Wahrheit gethan, und wieder seine Pflicht gehandelt. Quaet: II. Gehört die Confrontation ad Inquisitionem specialem? hier frägt sich, wie man diese Frage versteht? entweder, ob in der Inquis: sp: auch solche Confront: statt finde? so antworten wir ja! oder, ob in der Inquis: gener: auch die Confrontation geschehen kann, so antworten wir wieder ja! was die Idee von der summarischen Unternehmung nicht aufhebt, folglich muß das auch bey der Inquis: gen: statt finden, folglich, so wohl in polizey, als bürgerlichen Sachen. § 67. Wenn um die summarische Vernehmung d: i: die Inquisitio generalis völlig geendigt, so können sich nachstehende Fälle ereignen. Der erste Fall: daß die Würklichkeit des angeblichen Verbrechens nicht ist bewiesen worden. Da es nun die Obligenheit des Richters, auch die Unschuldigen zu verteidigen, und keinen ohne zureichenden Grunde um seine bürgerliche Ehre zu bringen, so kann auch in diesem Fall keine Inquisitio specialis veranstaltet werden (§ 61.) § 68. Der zweyte Fall: Wenn ein solches Verbrechen noch nicht erwiesen, aber doch einer aus Indiciis remoto verdächtig gewordenen vid: § 43 seq: so kann aucdh in diesem Fall aus dem zuvor angenomenen Grunde nichts weiter unternomen werden. Hier werden die Acten geschlossen weil sich keine Umstände vorgefunden, wodurch das Corpus delictum hätte könen erwiesen werden § 69. Der dritte Fall: Wenn bey dem fehlenden Beweiß des Verbrechens aus Indiciis proximis wieder einen der Verdacht entstanden (§52.) in diesem Fall ist es nothwendig, die Sache durch ein Befreyungsurtel (absolutorium) von der Instanz zur Ruhe zu bringen vid: Quistorp in den Grundsäzzen des peinlichen Rechtes § 619. das absolutorium besteht darin 1.) die Akten werden verwart, und werden nicht für geschloßen gehalten 2.) auf den Angeschuldigten wird Aufmersamkeit angewendet, und nach befinden der Umstände kann man fodern, caution zu machen, es ist eine bloße Suspensio.

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§ 70. Der vierte Fall: Wenn das angebliche Verbrechen, als ein begangenes vollständig bewiesen worden, der Verdacht aber wieder einen ex indiciis remotis enstanden, in diesem Fall macht es jene allgemeine Regel nothwendig, es den verdächtig gewordenen zu überlaßen, ob er durch Ablegung des Reinigungseydes die fernere Untersuchung von sich ablehnen wolle; ja jene Regel kann es dem Richter zur Pflicht machen, durch die Auflegung eines solchen Eydes die fernere Untersuchung zu endigen. § 71. Der fünfte Fall. Wenn bey einem genugsam bewiesenen Verbrechen wieder einen ex indiciis proximis entstanden die etwas mehr als einen halben Beweiß geben (vid: § 52 et 45 seqq) so daß es moralisch gewiß, daß der Verdächtige der Thäter. und dieser sich alsdenn wieder die besondere anzustellende Inquisition nicht genugsam verteidigen könne, welches zu versuchen ihm völlig nachzulaßen vid: Art: 47. 83. 151. 154. 155. 156. C. C. C. Boehmer l: cit: Sect: I. Cp: 9, so wird alsdenn die Anstellung der special Inquisition nothwendig den Richter gemäß. Die Remedia pro avertenda inquisitione speciali sind. entweder: Defensio diese muß den angeschuldigten ex officio gegeben werden, was für Argumente finden hier bey der defension statt zb: Wenn der (a.) Beweiß noch nicht semi plena ist, so darf noch nicht inquisitio specialis erfolgen, oder auch zb: Wenn das Corpus delicti nicht da ist, sio ist das auch eine ratio sufficiens, daß die special Inquisition nicht statt findet. oder es sind andere adminicula wodurch man sich eigentlich verteidigen will quae l: sufficientia diese heißen Puncta gratiae als (b.) 1.) Oblatio poenae pecunaris vid: Böhmer § 174. 2.) die Abolition vid: Boehmer § 178 das ist: wen der Landesherr dem Unterrichter Befehl giebt, die Sache ruhen zu laßen. – Alle diesebeiden Stükke kann kein Unterrichter, sondern blos ein Landesherr verrichten. l: non dahin gehört 1.) die Contumacia vid: Boehmer § 173 (c.) Wenn der Angeschuldigte nicht kömt. 2.) provocatis ex Lege diffamari i, e wo ich Klage wieder einen, der mir böse Dinge beschuldiget, und ihn ein ewiges Stillschweigen auflege.

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§ 72. Wenn nun die Inquisitio specialis, weil sie gültig nicht kann abgelehnt werden zu verfolgen, so bleibt dies eine Grundregel: weil die Inquisitio specialis nachtheiliger, als die generalis (§ 61.) so kann auch bey der speciali alles unternomen werden, was vermöge der Geseze bey der general Inquisition zu unternehmen. § 73. Weil die Absicht der special Inquisition die angeschuldigte data zur vollständigen Bestimmung zu bringen, so ist es die nothwendige Folge, daß bey dieser mit der Vernehmung ad articulis der Anfang zu machen. Die Absicht dieser Vernehmung giebt es genugsam zu erkennen, daß der Richter aus den Akten der allgemeinen Inquisition so wohl Artikel bilden müße, durch deren Beantwortung eine Unschuld entstehen könne, als auch Artikel, woraus er die Schuld noch mehr an den Tag bringen könne. Alsdenn werden die allgemeinen Artikel von den besonderen unterschieden. Jene sollen nur überhaupt die Person des Inquisiten schildern zb: wo er gebohren, wer sein vater, wodurch er sich ernährt, wie alt er sey. Die besondern Artikel gehören nur eigentlichen zur Sache, sie müßen seyn. 1.) deutlich 2.) sie müßen den Inquisiten nicht die Antwort in den Mund legen 3.) sie müßen nicht allgemeine Fragen seyn, sondern solche, die sich auf vorliegenden Fall beziehen (singulares) 4.) sie müßen nicht von andern Dingen reden, als welche in der Inquisitione generali ist abgehandelt worden. Dazu gehört a.) daß man keine andere delicta einmische, sondern bey der einen Untersuchung bleibe b.) wenn er einmahl was eingestanden hat, so muß man nicht weiter in ihn dringen vid: Carpzow in Crim: Quest: 113. Und damit sich der Inquisit nicht zur Antwort vorbereiten könne, so ist es nothwendig, daß er von diesen Artikeln zuvor, ehe er befragt wird, keine Anzeige erhalte. § 74. Aus der absicht dieser artikulirten vernehmung ergiebt es sich unmitelbar, daß der Richter aus deren Beantwortung Spuren entdeken müße, die ihn zur erkentniß solche Stükke fügen können, durch deren Entwiklung er sich von der Schuld, oder Unschuld des Inquisiten so wohl in Ansehung der That, als auch

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in Ansehung der Moralität überzeugen könne, um in der Folge den minorem in dem syllogismo imputatoris zu bilden (§ 61.) Aus diesem fließen nachstehende Regeln. Die erste: Wenn in der Beantwortung der Artikel etwas vorkomt, von deren Entwiklung die Erreichung dieser Absicht ankomt, so muß der Richter aus diesem einige Nebenfragen so gleich bilden, und deren Beantwortung von den Inquisiten fodern, welche Nebenfragen, und deren Beantwortung der Actuarius genau ad Protocollum nehmen muß. die zweyte: Wenn in den Antworten des Inquisiten etwas enthalten, das mit der Angabe der bey der Inquisitione generali summarisch vernomenen Zeugen nicht übereinstimt, so sind nunmehro diese Zeugen über diese Punkte auch ad articulos eydlich zu vernehmen. die dritte: Beruft sich der Inquisit in seinen Antworten zur Bezeugung seiner Unschuld auf Zeugen, so müßen auch diese über diesen Umstand eidlich vernommen werden. die vierte: Ergiebt es sich, daß die That nicht ohne Mithelfer hat können ausgeübt werden, und der Inquisit giebt einige mit einer Angabe solcher Umstände an, die eine Vermuthung wieder diese würken können, so muß der Richter wieder diese, so wie wieder den Inquisiten verfahren, und zwar anfänglich mit der summarischen, und in der Folge nach Befinden der sache mit der artikularischen Vernehmung. § 75. Ergiebt es sich alsdenn, daß bey den Angaben der Zeugen noch ein Wiederspruch, oder daß die Angaben der Zeugen den Antworten des Inquisiten wiedersprechen, oder daß die Mitschuldigen mit den Antworten des Inquisiten nicht übereinstimen, so ist unläugbar der gelindeste Weg es zu versuchen diese Wiedersprüche zu heben, und zwar nach befinden der Umstände die richterliche Verfügung eine Recognition oder eine Confrontation vid: § 65 & 66. § 76. Wenn auch dieses die verlangte Würkung nicht hervorbringen will, so kann der Richter entweder die zu suchende Ueberzeugung ohne das Bekentniß erhalten, oder nicht. Ist jenes so fährt der Richter nach den Regeln fort: convictus damnetur vid: Art: 69 C. C. C. Ist aber die Entdekung des Verschwiegenen zur Ueberzeugung, oder zur Entdekung der wahren Lage der Sache nothwendig, und das ernstliche Zureden, die Wahrheit zu sagen, will nichts helfen, so bleibt nichts übrig, als dem Zurückhaltenden härtere Mittel zu unterwerfen, um alles zu versuchen das Bekenntniß heraus zu bringen, welches eine natürliche Folge

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aus der Regel: Ius ad finem dat Ius non ad media abundantia, tamen ad media sufficientia vid: tabor Diss: IV. Cp: I. not: 5. § 77. Es ist demnach die Frage: durch welche Mittel kann ein solcher Zurückhaltender zu den nothwendigen Bekennen gebracht werden? Die Natur des Willens giebt es zu erkennen, daß hierzu keine andere Mittel denkbar sind, als das Gewißen würksam zu machen, oder eine äußerliche Furcht zu erwekken. Im ersten Fall entweder die Schamhaftigkeit zu reizen, wohin die Recognition, oder Confrontation gehört, oder die Furcht nvor Gott gegenwärtig zu machen, welches durch das Juramentum purgatorium zu würken. Im zweiten Fall wird die äußerliche Furcht nur durch den dolorem corporis , oder durch den crusiatum corporis zu würken seyn, und zwar anfänglich mit der Bedrohung welche, wen es eine Bedrohung mit der Marter territio genannt wird, welche vel verbalis, vel realis, wen nehmlich denselben von dem Scharfrichter die Werkzeuge zur Marter vorgelegt werden, wovon der geringste Grad, wenn er den Inquisiten nicht angreiffen darf, der höchste, wen es würklich mit der Angreifung des Inquisiten geschieht oder die würkliche Zufügung dieses körperlichen Schmerzes, welche wen es eine Marter die Tortur genennt wird vid: Boehmer Cp: 15 § 260 et Cp: 13 § 229 seq l: cit: Viele wollen behaupten, es hätten die alten Teutschen schon die Tortur gehabt, und dieß wollen sie aus dem Lege Salica Tit: 43 beweißen, wo es heißt: Si talis caussa est, unde ingenuus 600 denarios, qui faciunt solidos 15 componere debeat, servus supra scamno trusus 120 ictus excipiat. Allein das ist keine Tortur, sondern diese Prügel können zuweilen bey manchen in der general Inquisition angewandt werden. § 78. Will die Recognition oder Confrontation nicht hinreichen, so entstehet die Frage: wann kann bey der inquisitio speciali das purgatorium; und wann können härtere Mittel erwählt werden. Diese Frage zu beantworten, muß die Natur eines solchen purgatorii, und deßen Folgen, mit der Natur der Tortur, und deren Folgen verglichen werden, um jene Regel de iuris expletione anwenden zu können. § 79. Dieses gründlich beurteilen zu können, wird es nöthig seyn, daß wir zuerst die Beschaffenheit der Tortur, und ihre Grade deutlich beschreiben. Die zur Tortur zu gebrauchende Werkzeuge sind in den C. C. C. nicht angegeben, welches aus dem Art: 58 erhelltr, sondern sind nur nach, und nach eingeführet wor-

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den. Weil nun eine jede Tortur eine dispositio de corpore subditi und dieses Recht in einem Staat ohne Einwilligung als domini territorialis von keinem auszuüben, so ist die von dem Kress und Beyer ad Art: 58 angegebene Regel genugsam gegründet: daß nehmlich keine ungewöhnliche, und abgeschafte Werkzeuge zu gebrauchen. 1.) Welche Werkzeuge sind abgeschaft. A.) die Gebräuche der Alten a.) daß sie den Missethäter stinkendes Waßer, oder Eßig in den Mund, und Nasenlöcher goßen b.) daß sie die Weiber an den Brüsten, und die Männer beym membro virili aufhingen. B.) der so genante lüneburgische Stuhl, dieser bestand aus lauter eisernen Zakken. C.) der lüneburgische Halskragen, ebenfals mit eisernen Zakken versehen D.) die pommersche Müze aich mit eisernen zakken vid: Doepler in Schauplaz der Leibes, und Lebens=Strafen. 2.) Welches sind die ungewöhnlichen. Dahin gehört a.) das bambergische Instrument d: i: ein Bok von Holz, durch Hülfe zweier unten eingeschlagenen Zaken werden ihn die Füße unten angezogen, und so wird er vorwerts herübergezogen, mit einem beinewantenen Hemde umgeben, steif angezogen, und so bekomt er vom Scharfrichter Prügel. b.) das mekelburgische Instrument, auch genant Springbok, da wird den kreuzweise die Finger auf den Zehen zusammengeschoben. Menzel im Iure criminali Meklenburgico, daß es in Meklenburg selbst nicht mehr in Gebrauch ist. Es sind nur noch in Gebrauch 1.) Die Daumstokke, oder Daumschrauben 2.) Die Schnüre 3.) Die spanische Stiefeln 4.) Die Leiter, den Inquisiten darauf zu spannen. 5.) Der gespikte Haase 6.) Der Kloben womit die Glieder ausgedehnt werden, diese geheret mit zu dem gespikten Haasen. Von diesem macht der Gebrauch des ersten, und zweiten den ersten Grad, den Gebrauch des dritten, und vierten den zweiten Grad, und den Gebrauch des fünften, und sechsten den dritten Grad, welches aus einem zur peinlichen Frage abzuvaßenden Urtheil am besten zu beurteilen. Bey einem solchen Urteil wird

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allemal der Theil, der dem Inquisiten zu publiciren, von dem Theil, der ihn nicht zu publiciren, unterscheiden. der erste Theil ist „daß wenn Inquisit sein Bekentniß anderweit in der Güte nicht thun will, er alsdenn mit der Schärfe angegriffen“ (Bey Abfaßung des zweiten Theils ist dies eine Hauptregel: man muß sich in solchen Urtel aller Zweideutigkeiten enthalten zb: im ersten Grad gelinde menschlicher weise, im zweiten peinlicher, im dritte scharfer weise) Der zweite Theil der nicht publicirt wird, der muß es nun anzeigen, ob es bei einer territione verbali zu laßen, dann heißt es: „den Scharfrichter vorzustellen, und durch denselben, als solte, und wolte er ihn angreiffen, jedoch unangegriffen befragen zu laßen, ob er bekennen will.“ Soll es eine teritio realis seyn, so heißt es: „Dem Scharfrichter auf diese Maaße zu übergeben, daß er ihn mag ausziehen, entblößen, zur Leiter führen, die zur Peinlichkeit gehörigen Instrumente vorzeigen, die Daumstökke anlegen, jedoch daß es bei dem wie jetzt gedacht verbleiben soll.“ Ferner geht es würklich auf Tortur, so heißt es bey dem ersten Grad „dem Scharfrichter übergeben, daß er ihn mag ausziehen, zur Leiter führen, die Daumstökke anlegen, und mit den Schnüren den Anfang machen.“ Wenn er nach diesem nicht bekennen will, so gehet es auf den zweiten Grad, wo es heißt: „mit den Schnüren fortfaren, die Beinschrauben anlegen, zuschrauben, und an der Leiter mäßig aufziehen.“ In so fern solches noch nicht fruchten will, so komt der dritte Grad, wo es heißt: „mit Aufziehung der Glieder an den so genanten Klobenfortzufaren, und den gespikten Haasen zu gebrauchen, wobey er alles Ernstes zu befragen, ob er bekennen wolle.“ vid: Boehmer Cp: 13. Weil aber die Tortur keine Bestrafung, sondern nur ein malum necessarium, mithin diese auch nicht die Kräfte des Inquisiten übersteigen muß, so ist die in der § 8 Bulle des Pabstes Paulus III gegründete Gebrauch, daß eine Tortur nicht länger als eine Stunde dauern müße, wen nicht der Richter die Verlängerung für unumgänglich nothwendig findet, ein vernünftiger Gebrauch vid: Wildvogel de arbitris iudicis circa tortura et Boehmer § 237 und 242. Querit: ist die Tortur erlaubt Grypner diss: de repetitione tormentis in cofessionem convicti § 1 seq hat die Argumente derer colligirt, welche sagen, sie ist nicht erlaubt, allein sie reden aus unrichtigen Begriffen. § 80. Die Beschreibung von der wesentlichen Beschaffenheit der Tortur, wenn sie mit der, in § 77 gesezten Absicht von dem Gebrauch derselben verbunden wird, giebt unmittelbar folgende nothwendig zu beobachtende Regeln: die erste: Die territio muß allemal der tortur vorgehen.

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die zweite Da die tortur die bürgerliche Achtung benimt, so muß auch das Verbrechen, weswegen einer torquirt werden soll, schon so weit mit Gewisheit da seyn, daß zum wenigsten in der Folge der Staubbesen darauf steht. die dritte: Wer in tali statu lebt, daß ihm die bürgerliche Achtung nicht kann genomen werden, der ist auch mit der Tortur nicht zu belegen vid: Boehmerum § 256 (so lange zb: ein Edelman nicht degradirt ist) die vierte: Wer zu schwach ist, eine Tortur auszuhalten, der kann nicht torquirt werden die fünfte: Wer soll torquirt werden? deßen Hartnäkigkeit dasjenige anzugeben, deßen Angabe dem Richter nothwendig, muß zuvor den höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit erhalten haben. die sechste: der Grad dieser Hartnäkigkeit, die Größe des Verbrechens, und die Kräfte des Verbrechers geben den Grund, den Grad der Tortur zu bestimen. § 81. Die Beobachter dieser Regeln, werden 1.) sehr leicht diese Frage bestimt beantworten, ob überhaupt die Tortur abzuschaffen, und wenn sie beizubehalten, wen, und in welchen Garde solche statt finden müße 2.) die wahre Würkung der Tortur zu erkennen geben, es hat entweder nehmlich der Inquisit die tortur ausgestanden, und nichts bekannt, so muß freilich der Richter davor halten, daß er nichts habe angeben können, dies nennen die Criminalisten die Purgation vid: Boehmer § 235. Hat er etwas bekannt, so bleibt nur noch diese Frage zu beantworten, ob das angegebene auch wahr sey? daher muß das Bekentniß glaubwürdig seyn, so wohl für sich, als auch in Beziehung auf die Umstände, die von demselben mit angegeben worden, aus deren nachfolgenden Untersuchung die Wahrheit des gesagten zu beurteilen. Soll das Bekentniß für sich glaubwürdig seyn, so muß es ein bekentniß sey. a.) daß er nicht in der Marter abgelegt vid: Art C. C. C. 48 seqq et Art: 58. b.) daß er es nach der Zeit auf richterliches Befragen in der Freiheit wiederholt, welches gewöhnlich in 24 Stunden nach der ausgestandenen Tortur zu erforschen vid: Boehmer l: c: Aus diesen Voraussezungen ist es leicht zu beurtheilen, wann die Wiederholung einer tortur rechtmäßig seyn könne, welches Gripner in seiner Dissertation gründlich ausgeführet hat.

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§ 82. Sollte es sich nun bey einer solchen Verschwiegenheit zeigen, daß der Schweigende nicht könne gemartert werden, weil moralische, oder physische Hinderniße vorhanden vid: Prop: 3 und 4 § 80, und doch auch keine Gründe vorhanden sind, zu befürchten, daß er einen Meineyde begehen würde, so ist alsdenn das Purgatorium zu ergreiffen vid: Schilter Exerc: 49 § 75. Das sechste Kapitel. Von der Hauptvertheidigung des Inquisiten § 83. Wenn es der Richter durch diese vorhin beschriebene Veranstaltungen so weit gebracht, daß er in dem Syllogismo imputatoris die Propositionem minorem bilden könne „N: N: ist auctor von einem facto in der bestimmten Qualitaet, so erfodert es die § 71 angegebene Pflicht des Richters den Inquisiten annoch es aufzugeben, daß er seine Anwendungen darwieder vorbringe, und dies um desto mehr weil solche Art: 47 und 88 C. C. C. deutlich ist vorgeschrieben worden. Diese Beibringung der Gründe wodurch der Inquisit seine Unschuld darzu thun bemüht, heißt die Hauptdefension vid: Boehmer Cp: 15. § 84. Weil die absicht der Hauptdefension nur dahin gehen kann zu beweisen, daß die That nicht so, wie sie angegeben, oder nicht in der angegebenen Größe der Moralität ist unternomen worden, so ist es eine unmittelbare Folge, daß sie bey allen Verbrechen statt finden müße, um hierdurch bevorstehende mala entweder ganz, oder doch zum Theil von sich abzulehnen vid: Boehmer § 261. § 85. Aus der zuvor angegebenen Pflicht des Richters folget ferner daß er bey den Vernehmungen alles im Protocoll müße anmerken laßen, was etwa in der Folge Gründe zur Defension geben könne, wie auch, daß er dem Inquisiten alle Mittel zur Defension an die Hand geben müsse, weil es auch des Richters Pflicht die Unschuld zu retten. § 86. Die Gründe zu einer solchen Defension werden teils aus der Art, und Weise genomen, in welcher der Proceß ist gefüret worden, diesen nennt man die formalia, oder sie werden aus der Thatt selbst genommen, das sind die materialia, und diese sollen entweder den Ungrund in Ansehung der That beweisen, wo-

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durch man sich von der Bestrafung frei machen will, oder nur beweisen, daß die That nicht in der höchsten Moralität begangen worden, wodurch also eine Minderung der Strafe statt findet. § 87. Weil es hier nun auf den Beweiß der Unschuld ankomt, die Unschuld aber die natürliche vermuthung vor sich hat, so ist es leicht zu begreiffen, warum die bey einer solchen Defension gebräuchliche Beweise nicht nach der Strenge des bürgerlichen rechts, sondern blos nach den regeln der Vernunft zu beurteilen vid: Boehmerum § 270 seqq: Das siebente Kapitel: Von dem, was in peinlichen Sachen beym Urteil, deßen Abfaßung, Publication, Execution, u:s:w: zu beobachten. § 88. I.) Wer kann in peinlichen Sachen das Urteil sprechen? Weil es sehr leicht möglich ist, daß die Untersuchung der Sache in dem Richter der Zorn, oder das Mitleiden lebendig gemacht, beide Leidenschaften auch sehr leicht eine falsche Vorstellung von der Sache würken können, so haben die Regeln der Klugheit diese gesezliche Vorschrift gegründet, daß bei allen Vorfällen, bey welchen die bürgerliche Ehre des Angeschuldigten könne aufgehoben werden oder welche sehr zweifelhaft, der Richter, der die Untersuchung gehabt, die Akten, an ein anderes Collegium, welche das Recht zu sprechen, befügt ist, versenden soll. Siehe C. C. C. Art: 7. 91. 146. 147. 150. 161. 199. Daher nur in den übrigen Fällen der Richter selber zu bearbeiten befugt ist cf: Boehmer l: c: Cp: 16. § 89. II.) Was hat der Referent in den Akten zu untersuchen, und zu beurteilen? Das was bis hierher ist ausgefüret worden, giebt es genugsam zu erkennen, daß es auf folgende Punkte ankömt A.) Ob in dem Modo procedendi alles genau, und gesezmäßig ist beobachtet worden, und wen dieses nicht, ob daraus eine nullitas entstehen könne. B.) Ob das Corpus delicti genugsam erwiesen, oder ob es noch an diesem fehole. C.) Ob ein genugsamer Beweis vorhanden, daß der Angeschuldigte würklich Auctor von der That.

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D.) In welchem Grade die Moralität die That ausgefüret, und bewiesen worden. E.) Ob Gründe vorhanden durch welche die Iustitia distributiva könne bewogen werden, die gesezliche Strafe zu vermindern, oder zu vergrößern cfr: Boehmer l: c: Cp: 16. § 90. Sollte es sich bey dieser Untersuchung finden, daß es bey A; bey B, oder bey C annoch woran fehle, so ist es auch nach der Natur des Syllogismi imputatorii noch nicht möglich definitive zu erkenen, es kann nur eine Sententia interlocutoria abgefaßt werden d: i: eine decision diese Mängel zu heben. Weil aber ein solches Erkentnis sehr leicht eine Ausdehnung des Proceßes verursachen kann, die Verkürzung des Proceßes aber aus verschiedenen Ursachen nöthig ist; so folget, daß wenn die Entscheidung bey einer Hauptsache durch einen mangel verursachet wird, der durch ein einziges Mittel zu heben, alsden das Urteil alternative abzufaßen vid: § 287 l: c: Boehmer. § 91. Wenn ferner aus den § 89 angesetzten Stükke alle mögliche Fälle entwikkelt werden, welche sich als denn ereignen können, wenn definitiv zu erkennen, so ergeben sich nachstehende Fälle. Casus I. Wenn das angebliche Verbrechen nicht einmal mit Wahrscheinlichkeit hat können erwiesen werden, alsden ist der Angeschuldigte völlig zu absolviren. § 92. Casus II. Wenn das angebliche Verbrechen zwar da ist, der Angeschuldigte aber völlig von der That entschuldigt, alsden ist er gleichfals völlig zu absolviren. § 93. Casus III. Wenn das Verbrechen wahrscheinlich, und der Angeschuldigte solche Anzeigen wieder sich hat, welche es nicht unglaubwürdig machen, daß wenn das Verbrechen würklich geschehen, er hierbei einige Hülfe könne geleistet haben, so ist er zwar zu absolviren, aber nur ab instantia.

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§ 94. Casus IV. Wenn das Verbrechen gewiß, es auch gewiß, daß der Angeschuldigte der Verbrecher, und doch der Grad der Moralität nicht bewiesen, in Ansehung deßen die Gesezze die Strafe bestimen, so kann auch nur auf eine außerordentliche Strafe entschieden werden. Hierbei entstehet die Frage, wie kann ein Richter regelmäßig eine ordentliche Strafe sezzen? Dies Problem aufzulösen sind folgende Stükke erforderlich. A.) Suchet die ordentliche Strafe, welche nach den Gesezzen bey der grösten Moralität statt findet. B.) vergleichet den bewiesenen Grad der Moralität, mit dem größten, um hieraus zu beurteilen, wie weit jener sich von diesem entferne. C.) alsdenn vergleichet die Strafen, die von den Gesezzen genehmiget worden, mit der ordentlichen Strafe, nach den Grad ihrer Strenge; so wird als denn die außerordentliche Strafe sehr leicht können bestimmet werden. § 95. Casus V. Wenn das Verbrechen, und der Verbrecher gewiß, auch der gesezliche Grad der Moralität erwiesen, so muß der Richter, weil dieser in den, durch die Gesezze festgesezten Strafen keine Abänderung machen kann, auf die ordentliche Strafe erkennen, daher heißt es: Den Akten gemäß, und in den Rechten gegründet. Das wesentliche der Formeln in welchen solche Urteile abzufaßen ist in dem Art: 192 C. C. C. angegeben worden. § 96. Casus VI. Wenn sich bey den 5ten Fall noch etwas in actis vorfinden sollte, wovon sub Litt: E § 89 ist geredet worden, so kann zwar der Richter die poenam ordinariam nicht abändern, jedoch erfodert es die iustitia distributiva, das Erkentniß alternative abzufaßen, und zwar mit dieser Formel: daß Inquisit den Akten, und Rechten gemäß mit der Strafe N. N. zu bestrafen, es wollte denn die höchste Landesherrschaft in Ansehung dieser in actis befindlichen Umstände. § 97. Weil ein absolvirendes Urteil die Unschuld verteidigt, mithin die praesumtion pro naturali unterstüzet, auch der Angeschuldigte genugsam hierdurch verteidiget ist, so ist es leicht zu begreifen, daß ein solches Urteil sogleich nach der Publication seine Rechtskraft erhalten müße vid: Boehmer l: cit: § 289 seqq; jedoch kann es nach den Umständen die Klugheit erfodern, den zu befreienden

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die Urfehde schwören zu laßen vid: die Crimin: Ordnung für die Chur, und Neu=Mark vom Jahr 1717 Cp: X. § 202. § 98. Ist im Gegenteil das Urteil ein Condemnatorium, so ergiebt es sich aus der nothwendigen Verteidigung der Unschuld, daß es alsden dem Verurtheilten annoch nachzulaßen, Remedia suspensiva wieder das gesprochene Urteil einzuwenden, wenn nur die beygebrachten Beschwerden einigen Schein der wahrheit haben können, und in eben diesen Grunde ist auch das gegründet, daß diese Einwendung an keine fatatia können gebunden sey (§ 83.) vid: Boehmer l: c: § 293. § 99. Wenn nun bey dieser Einwendung die Sache wiederum bis zum Spruch ist verhandelt worden, so ist dies die Hauptfrage: ob in dem abermals einzuholendem Urtel, die in dem Urtel a quo gesezte Strafe köne geschärft werden? Die welche diese Frage verneinen, gründen ihre Behauptung in dem, weil, wen in dem Urteil a quo bereits eine auserordentliche Strafe ist gesezt worden der Angeschuldigte hierdurch folglich von der ordinaria absolviret, mithin auch in so weit dasjenige eintreten müßte, was bereits § 97 ist angemerket worden. Wenn aber diese Sache nach ihrer wahren Lage betrachtet wird, so wird es unläugbar, daß wenn in dem Urteil a quo eine poena extraordinaria gesezt, es sich aber aus den Akten mit Gewisheit ergiebt. 1.) daß der Condemnirte die ordentliche Strafe verdiene. 2.) daß die Verlaßung dieser ordentlichen Strafe der sicherheit des Staats offenbar wiederspreche; so ist es auch alsdenn gewiß, daß das Urteil a quo wieder die Gesezze abgefaßt, welches zu thun ein Unterrichter nicht befugt ist, folglich muß auch unter diesen Umständen die aufgeworfene Frage bejaht werden, und kann das Urteil a quo nicht als eine absolution angesehen werden, sondern als ein Urteil, worin bereits der Condemnirte für straffällig ist erachtet worden, jedoch ist es nüzlich das Urteil nach dem was § 96 ist erinnert worden abzufaßen. § 100. Ist in dem publicirten Urteil eine würkliche peinliche Starfe erkant worden, so kann es nicht zur Execution gebracht werden, ohne über den Körper, und Zustand des Verbrechers zur Sicherheit des Staats zu disponiren (§ 17.) Da nun nicht nur eine solche Disposition von der höchsten Gewalt im Staat abhängt, sondern es auch noch darauf ankomt, ob nicht die höchste Gewalt annoch 2

Richtig § II.

8. Erste Gründe des Untersuchungsproceßes

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Gründe habe ob iustitiam distributionam die gesezte Strafe abzuändern; so folgt dieß als eine Grundregel: ein solches Urteil kann sine expressa confirmatione summae potestatis nicht zur Execution gebracht werden, wenn es nicht von dem Unterrichter kann bewiesen werden, daß ihm die Execution ohne eine Confirmation zu suchen, nachgelaßen worden vid: Boehmer l: c: Cp: 18. Von der Execution Bey der Execution komt es auf 8 Punkte an vid: Boehmer l: c: Cp: 18. 1.) Wenn eine solche Strafe zur Execution kome? Gleich nach der Publication, confirmation, u so bald sie rechtskräftig geworden ist; den es macht auch mehrere Kosten, und der Inquisit kann wärend der Zeit sterben. 2.) Wo muß eine solche Execution geschehen? In loco publico, damit es jederman sehen kann, weil die Absicht ist, daß die Leute davon ein Beyspiel haben. 3.) Wie sieht es mit den signis executivis aus? Boehmer § 303 C. C. C. Art: 215. Signa executiva sind zb: der Galgen, der Pfahl wo das rad darauf kömt, der Sandhügel 4.) Wo sollen diese Signa stehen? In locis publicis. Man muß sich hüten sie nicht zu nahe der Grenzen des Nachbars zu sezen; den wen es so nahe ist, daß der Schatten auf des Nachbars Feld fällt, so braucht er es nicht zu leiden. Die Ursache ist wohl die, daß wen einer hingerichtet wird, sich gemeiniglich viele Menschen versameln, welche sonst sein Feld zu nichts treten würden. 5.) Wer kann sie aufrichten? der die Iurisdictionem criminalem hat. vid: Art: 215. C. C. C. 6.) An wem kann man die Execution ausüben? auch an kranken Deliquenten? Hier kömt es darauf an, was es für eine Krankheit ist, und was für eine Strafe executiert werden soll. Ists eine Lebensstrafe, so geht sie, ohnerachtet der Krankheit vor sich, ists aber keine Lebensstrafe, sondern ZB: Staubbesen, so muß man warten, bis er gesund ist; den er könnte sonst davon sterben, und also härter bestraft werden, als er es verdient. Pon: Delinquent ist ein schwangeres Weibsbild, so muß man ihre Niederkunft abwarten, sie in der Zeit nicht in zu schlimer Kerker halten, damit die Frucht nicht Schaden leide, und hernach die Execution vollziehen. Dies ist zu beobachten so wohl in Lebensstrafen, als auch in bloßen Leibesstrafen. 7.) Wer exequirt? Vor Zeiten that es der jüngste im Collegio, der mußte zöpfen3, jetzt aber hat man eine eigene Person dazu, welche Scharfrichter, oder Nachrichter genennt wird. Der Scharfrichter ist nicht von der bürgerlichen Ehre 3

Es soll wohl köpfen heißen.

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ausgeschloßen, daher exequirt er auch nicht poenae intionestas zB: hängen, aber wohl poenas honestas zB: Köpfen. (8.) Pon: Es wird einer aufgehängt, der Strik reißt, kan man ihn noch einmahl hängen? Dies dependirt von den Umständen, dies läßt sich nicht überhaupt weder mit Ja! noch mit Nein beantworten de regula heißt es poena muß exequirt werden. Worin bestehet das hochpeinliche Halsgericht, welches gehalten wird, wen eine Lebensstrafe erkannt werden soll: Dies ist blos eine Solemnität, wen das Gericht gehalten werden soll, so werden alle Glokken geläutet, und Gericht entweder auf freien Plaze, oder im Rathhause gehalten. Der Richter sizet, und hat einen Stab in der Hand, frägt die Ssessores, ob das Gericht recht besezt, die Untersuchung wird noch einmal gehalten, er wird verurteilt, das Urteil wird dem Delinquenten vorgelesen, der Stab wird gebrochen, und weggeworfen, alsden ist es vorbey, er wird dem Scharfrichter übergeben. Wenn eine Lebensstrafe erkannt ist, so muß der Inquisit ad mortem damnatus zu Tode vorbereitet werden. Es wird ihm sein Todestag angekündigt, und er wird in ein beßeres Gefängnis gebracht. Vid: Willenbergii Diss: de oficiis ministri ecclesiae circa condemnatum ad mortem. Quaeritur: Ist es gut wenn ein armer Sünder vom Prediger zum Tode begleitet wird? Bey uns ist es abgeschaft, allein der Herr Geheimrath Darjes hält es nicht für gut, daß es abgeschaft ist, denn er glaubt daß es den größten Eindruk auf die Zuschauer mache, wen sie sehen, daß man doch die würde eines Menschen erkennt, und ihn nicht wie ein Vieh dahin schlept. § 101. Die lezte hierbey zu erörternde Frage: Wer soll durch einen solchen Proceß verursachten Kosten tragen? Kann aus den Regeln des natürlichen Rechts nicht anders beantwortet werden, als: daß der Verbrecher, wenn er Vermögen hat, solche tragen müßte; solte er aber kein vermögen haben, daß alsdenn dieser Aufwand mit zu den Lasten gehört, welche der Staat übernehmen muß; den die Sache ist in civitatis utilitatem unternomen worden. Aus diesem schlüßen wir in Ansehung des lezten Falls, wenn das Gericht in welchem ist die Sache verhandelt worden eine Kaße hat, von deren Ertrag solche Kosten können bestritten werden, so muß auch das Gericht solche Kosten tragen. Wenn aber das Gericht keine solche hierzu erfordeliche Kaße besizt, es eine Obliegenheit derjenigen, die dem Gerichte unterworfen, zur Tragung dieser Kosten zusamen zu schließen. Aus diesen Voraussezungen wird man die gewöhnliche Theorie von solchen Kosten leicht beurteilen können. vid: Boehmer l: cit: Cp: 21. Die gewöhnliche Theorie kömt beinahe mit dieser natürlichen überein, nur in einem Stükke ist sie lächerlich, nehmlich

8. Erste Gründe des Untersuchungsproceßes

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Expensae l: criminales i, e 1.) ausgaben bey der Execution der Sentenz zb: 2.) was der Nachrichter für die Tortur bestimt 3.) was dies peinliche Halsgericht kostet. 4.) der Prediger bekömt 5.) Der Scharfrichter für hängen Diese soll’s Gericht tragen, aus dem termino, qui vult comoda etiam ferre debet incommoda (a.) Fructus jurisdictionis Wir geben diese Theorie nicht zu, denn das Gericht hat keine comoda jurisdictionis, sondern res publica. l: processus criminales i, e den Aufwand der Untersuchung, Decision der Sache l: judicales 1.) Hiebegeld. 2.) Besichtigung 3.) Citationen 4.) Confrontations Gebühren 5.) Urtelsgelder 6.) Registeratur Gebühren. (b.) 7.) Schlüßgeld l: extra judicales 1.) Fiskal, u Advocaten Gebühren 2.) Arzeneilohn. 3.) Botenlohn. 4.) Wenn fremde Zeugen sind vernommen worden, ihnen die Reisekosten zu ersezzen (c.) 5.) Unterhalt des Inquisiten Wenn der Inquisit Vermögen hat, so muß er alle diese Unkosten selber tragen, quia est in culpa. vid: die Criminal=Ordnung für die Chur und Neumark von 17174. Finis. 4

Cp. II, § II.

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9. Die Korrespondenz zwischen Carmer und Darjes Nach dem Verteilungsplan der neuen ProceßOrdnung vom Mai 1781 erhielt Darjes ein Exemplar, das Anschreiben ist nicht erhalten. a) 03.01.0188. Concept des Schreibens des Großkanzlers an Darjes vom 6. Mai 1784 Berlin d. 6ten May 1784 An Herrn Geheimen Rath Darjes Wohlgeb. Hochgebohrener Herr Insonders Hochzuehrender Herr Geheimer Rath Ohne Zweifel wird die von dem Hofbuchdrucker Decker vorläufig ausgetheilte Vorerinnerung zu dem Entwurfe eines allgemeinen Gesetzbuches Ewr. Wohlgeb. ebenfalls bekannt geworden seyn. Da nunmehr Der Abdruck des Ersten Theiles vollendet ist, und Ewr. Wohlgeb. unter diejenigen Männer gantz vorzüglich gehören, von welchen ich Bemerkungen und Erinnerungen über diesen Entwurf, vornehmlich nach dem in der Vorrede angegebenen vierfachen Gesichtspunkte, zu erhalten wünsche, so übersende beygehend ein Exemplar denen; mit den angelegentlichen Ersuchen, den Inhalt einer näheren Prüfung zu unterziehen, und solchergestalt an der allgemeinen Aufforderung des gesamten Sachverständigen Publici besondern Antheil zu nehmen. Der ich in vollkommenster Hochachtung beharre, Carmer.5 b) 03.01.0208. Schreiben Darjes’ vom 23. Mai 1784 Hochwohlgeborener Herr Königl. Hochbestellter Groß-Canzler und wirklicher Geheimer Etats Kriegs und Justitz Ministre Hochgebietender Gnädiger Herr Den ersten Theil des allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten habe ich von den Händen Euer Exellenz als ein mir unschätzbares Geschenk zu erhalten das Glück gehabt. Ich verehre diese Gnade mit dem Ehrfurchtsvollstem Danke. Das Vergnügen, welches ich hiebey empfunden, kann ich mit der Feder nicht beschreiben. Dieß ist mein aufrichtigster Wunsch, daß die weißeste Vorsicht, welche die Ausübung der wahren Gerechtigkeit verlanget, die Kräfte Euer Exellenz würklich stärken wolle, alle Hinderniße fernerhin zu überwinden, 5

Abschrift an Garve und Beneckendorff.

9. Die Korrespondenz zwischen Carmer und Darjes

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dieß so wichtige Werk unter den Augen des preußischen Königs völlig zu vollenden, und sicher zu gründen, damit auch deßen Staaten es Euer Exellenz danken können, daß die wahre Gerechtigkeit in Ihnen wiederum hergestellet, und Sie andern Staaten ein Muster in deren Ausübung geworden. Patriotisch Gesinnte werden gewiß Euer Exellenz den Dank wißen, und der Seegen des Himmels wird sich auch aus diesem Grunde über Hochdero Familie ausbreiten. Ich werde diesen Theil des Gesetzbuchs nach der von Eurer Exellenz erhaltenen Vorschrift mit aller mir möglichen Aufmerksamkeit durchgehen, und mir alsdenn die Ehre nehmen meine hiebey gefaßten Gedanken zu übersenden, nicht aus Hofnung an den gesetzten Preisen einen Anspruch machen zu können, sondern lediglich um gehorsam zu seyn, und auch etwas weniges zum Nuzen des Gantzen bey einer so wichtigen Sache beytragen zu können. Wie lange habe ich es gewünscht, daß doch der Welt von den Juristischen Streitfragen mögte berfreyet werden? Jetzo ist der Zeitpunkt da, daß dieser mein Wunsch zur Erfüllung gehet. Es ist gewiß, daß mir dieß eine sehr angenehme Betrachtung ist. Mir erbitte ich die mir unschäzbare Fortdauer Euer Exellenz Gnade, der ich in der vollkommensten Devotion bin Euer Exellenz unterthänig-gehorsamster Diener Joach. Georg. Darjes Franckfurth an der Oder d. 23 May. 1784 c) 07.35.0285. Schreiben Darjes’ vom 13. Dezember 1784 Hochwohlgeborener Herr Königl. Hochbestellter GroßCanzler und würklicher Geheimer Etats- Kriegs- und Justitz Ministre Hochgebietender Gnädiger Herr (zur Collection) Den ersten Theil von dem Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs habe ich dazumal mit der größten Aufmerksamkeit durchgelesen, um mir einen deutlichen Begriff von dem gantzen Gange der Sache zu machen, und ich schäzte mit Ueberzeugung die preußischen Staaten glücklich, wenn dieses so vernünftige Gebäude unter Eurer Exellenz Fürsorge vollkommen wird ausgeführet werden. Gott wird Eurer Exellenz zur Bewürkung dieser Absicht gewiß erhalten. Eurer Exellenz die Anmerkungen, welche ich dabey gemacht, hierbey zu übersenden ist eine Würkung meiner Begierde zu gehorsamen, und ich wünsche, daß Sie nur etwas faßen mögen, das Eurer Exellenz Aufmerksamkeit ver-

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dienen könne. Insbesondere würde Eurer Exellenz Beyfall bey dem, was ich Ad pag 34 §. 128 ff. angemerket, mir eine wahre Freude machen, weil ich es glaube hievon überzeugt seyn, daß hiedurch Streitigkeiten können zernichtet werden. Mich emfehle ich zur ferneren Hohen Gnade, der ich in der vollkommensten Devotion bin Eurer Exellenz unterthänig-gerhorsamster J. G. Darjes Franckfurth an der Oder 1784 13 Decemb. d) 07.69.0108. Schreiben Darjes’ vom 25. März 1785 Hochwohlgebohrener Herr usw. Euer Exellenz werden es gnädigst vermerken, daß ich mir die Freyheit nehme meine letzten Arbeiten unterthänig zu übersenden. Insbesondere würde es mir sehr angenehm seyn, wenn einer in dem Programmate zur Doctor Promotion des jungen Doctoris Braun ausgelegte Gedanke von dem Unterschiede des billigen und strengen Rechts Hochdero Beyfall auch nur in einigen Stükken erhalten sollte. Mir scheint dieß eine Sache von sehr wichtigen Folgen zu seyn, welche den Grund von unendlich vielen Endscheidungen rechtlicher Streitsachen faßet zu seyn. Hätte es die Zeit und der Raum erlauben wollen, so würde ich sehr viele verschiedene Beyspiele auch aus dem Entwurf eines Allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten erläutert haben. Ich habe mir also dieses vorbehalten müßen. Der Gegenstand zur Inaugural-Disputation des Pp. von Escher ist Ihm aus Homburg vorgeschrieben worden, wäre dieß nicht, so würde ich hiezu gerne ein anderes vorgesehen haben. Könnte der in derselben endworfene Gedanke vom 2ten bis 9ten § den Beyfall Euer Exellenz erlangen, so würde dieß eine genugsame Belohnung dieser meiner Bemühung seyn. Der die Fortdauer Euer Exellenz Gnade ich mir erbitte und in der vollkommensten Devotion jederzeit bin Euer Exellenz unterthänigst-gehorsamster Joach. Georg Darjes Franckfurth an der Oder 1785 d 25 Martii

9. Die Korrespondenz zwischen Carmer und Darjes

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e) Concept der Antwort des Großkanzlers Berlin d. 3ten April 1785. An des Herrn Geheimen Rath Darjes Wohlgeb. P.P. Ewr. Wohlgeb. danke ich verbindlich für die mir zugeschickten Dissertationes. Was die Abhandlung de iuris Collegii dissoluti betrift, so habe ich mit Vergnügen bemerkt, daß wir in unserem Principiis über diese in den Heutigen Tagen so sehr kontrovers gewordenen Materien fast durchgehends übereinstimmen; wie Ewr. solches vielleicht schon selbst bey Durchlesung des ersten Titels im zweyten Theil des Gesetzbuchs werden wahrgenommen haben. Nur den § XVI et XVII. halte ich bloß in diesem Fall für richtig, wenn die Revenues des gemeinschaftliche Vermögens der freien Disposiotion und Verwendung der Mitglieder überlaßen waren, und diese durch gute Wirtschaft und Sparsamkeit etwas an diesen Revenues erspart und dadurch die VermögensSubstanz vermehrt haben. Ein solcher Fall wird schwerlich vorkommen und deßwegen ist er im Gesetzbuch nicht mit aufgenommen. Außer diesem haben die Membia Collegii auf das uns sie nicht sich, sondern dem Collegio aequirirten, kein Recht; sie konnten folglich auch keins auf ihn haben übertragen. Den Unterschied zwischen dem strengen und billigen Recht finde ich mit vielem Scharfsinn angegeben, und auch, so viel ich vor der Hand übersehen kan, in der Natur der Sache hinlänglich gegründet. Nur die daraus fließenden practischen Folgen, die Ewr. Wohlgeb. für so wichtig halten, wollen mir noch nicht gantz einleuchten; es würde mir daher angenehm sey, wenn Ewr. Wohlgeb., jedoch lediglich nach Der Zeit u Bequemlichkeit, diese Folgen durch ein od. etliche Exempel näher ins Licht setzen wollten. Der ich übrigens in vollkomenster Hochachtung bin, Carmer f) Schreiben Darjes’ vom 30. Mai 1785 Hochwohlgebohrener Herr Usw. Das mir unschäzbare Geschenk von der zweyten Abtheilung des ersten Theils des Endwurfs eines allgemeinen Gesetzbuchs verehre ich mit dem unterthänigsten Danke, und ich werde vielleicht noch vor Michaelis im Stande seyn, meine Betrachtungen dazu bestimmt unterthänigst zu überreichen. Die aufmerksame Durchlesung dieser zweyten Abtheilung ist mir in der Warheit eine rechte Aufmunterung gewesen. Sie faßt Gesetze die mit der Natur der

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Sache und mit der Vernunft übereinstimmen. Gott wird Euer Exellenz gewiß erhalten, daß dieses so wichtige Geschäft seine Vollständigkeit erhalten könne. Das Juristische Ansehen wird dadurch nichts verliehren, wie dieß verschiedne, mit welchen ich dieser Sache wegen beständig in Streit bin, befürchten, es wird vielmehr dadurch gewinnen. Denn der Jurist wird hiedurch kein Collectaneen-Buch, sondern ein wircklicher Prudens, wie dies schon Ulpianus verlangt hat. Der gnädige Beyfall, den euer Exellenz meinen Gedanken de bonis Collegii gegeben, wird mich aufmuntern, diese mit der Zeit umständlicher zu behandeln, und mit Beyspielen aus der Geschichte zu erläutern. Es ist mir leid, daß ich dazumal, da ich diese meditation endworfen, den zweyten Abschnitt des ersten Theils des Gesetzbuches noch nicht gehabt. Der erste Titel würde mir viele Dienste geleistet haben. Die Gedanken Eurer Exellez bey dem § 16 und 17 dieser Dissertation sind nach meiner Einsicht völlig gegründet, und zeigen daß meine Gedanken in diesen §§ nicht genugsam bestimmt sind ausgedrüket worden. Der Fall soll dieser seyn: Ein Mitglied des Collegi hat etwas erworben, nicht durch den Ertrag des gemeinschaftlichen Vermögens, sondern nur durch seine eigene Geschicklichkeit z.b. durch Dociren u.s.w., und diesen Erwerb dem Collegio zufließen laßen. Wenn nun das Collegium aufgehoben worden, wer soll alsdenn diesen Zufluß bekommen? Euer Exellenz hohem Befehl zu gehorsam habe ich beyliegende Erläuterungen meiner Gedanken von dem Unterschiede des strengen und billigen Rechts unterthänigst überreichen wollen. Höchst angenehm würde es mir seyn, wenn ich mit Eurer Exellenz auch in diesem Stükke einstimmig denken sollte. Die in dieser Erläuterung angegebenen praktischen Folgen zeigen zugleich den Grund, wodurch ich bewogen wurde diese Sache als eine höchst wichtige Sache zu behandeln; und ich glaube nicht zu irren, wenn ich es behaupte, daß durch Euer Exellenz Gesetzbuche Vorschriften die Warheit dieser Theorie völlig unterstützt werde. Nach der neuen Process-Ordnung muß der Richter die bürgerlichen Strteitigkeiten nicht mehr, wie ehedeßen, als solche behandeln, da es hieß: es sind jura partium, er muß vielmehr solches als seine Pflicht betrachten, einem jeden zu Erlangung seines Rechts zu verhelfen. Folglich macht es Ihm diese Pflicht nothwendig, die Pflichten der Partheien gegen einander zu erwägen, um zu beurtheilen, was bleibt in der collission des einen und des anderen Theils Pflicht, und aus diesem, was bleibt bey dieser Lage ein gegeründetes Recht, zu deßen Ausführung einer die richterliche Hülfe erlangen kann. Es ist wohl gewiß, daß ein solcher Richter das wahre Jus naturae verstehen, und einen philosophischen Kopf haben müße, es bleibt aber auch dieß gewiß, daß ohne diesem keiner ein vollständiger Richter seyn könne.

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Der Cammer-Gerichts Refrendarius Winterfeldt ist anjetzo hier um uns zu besuchen, er seufzet sehr nach Brod, dieß reizet mich diesen jungen Menschen der fürsorgenden Gnade Eurer Exellenz bestens zu empfehlen. Ich tue dieß mit Zuversicht, und in der Hofnung, daß Euer Exellenz solches gnädigts vermerken werden. Mir erbitte ich die Fortdauer Euer Exellenz Gnade, der ich in der vollkommensten Devotion bin Euer Exellenz unterthänigst-gehorsamster Joach-Georg Darjes Frankfurth an der Oder 1785 d 30 Mai g) 03.02.0036. Concept des Schreibens des Großkanzlers an Darjes vom 26. März 1785 6 Wohlgebohrener Herr usw. Mit Beziehung auf mein Schreiben vom 6ten May vorigen Jahres übersende ich Ewr. Wohlgeb. hierunten den zweyten Theil von dem Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuchs. Je weitläufiger und zusammen gesetzter die darinen vorgetragenen Materien sind, und je weniger über dieselben, da sie meist dem Römischen Rechte fremd sind, vorgearbeitet ist, desto angenehmer würde es mir seyn, wenn Ewr. Wohlgeb. mir auch darüber Dero Erinnerungen und Bemerckungen mit zu theilen belieben wollen. Der ich übrigens in vollkommener Hochachtung bin, Carmer h) 03.02.0142. Concept des Schreibens des Großkanzlers an Darjes vom 12. April 1786 Berlin den 12ten Apr. 1786. An des Herrn Geheimen Rath Darjes Wohlgeb. zu Franckfurth a. d. Oder Wohlgebohrener Herr usw. Ewr. Wohlgeb. übersende ich hierunten den dritten Theil von dem Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten; und ersuche dieselben, mir auch über die darinen vorgetragenen Materien Ihre Meynung und Erinnerungen mit gewohnter freundschaftlicher Offenhertzigkeit mit zu theilen. Es 6 Das vorige Schreiben Darjes’ vom 25. März 1785 ist am 29. März eingegangen. Daher die hier gewählte Reihenfolge.

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wird davon bey meiner künftigen Umarbeitung der bestmöglichste Gebrauch gemacht werden, und Ewr. Wohlgeb. werden durch solche Mittheilung die Hochachtung, wo möglich, auch vermehren, mit welcher ich bin, Carmer. i) 07.55.0232. Schreiben Darjes’ vom 11. Juni 1786 Hochwohlgebohrener Herr usw. Ich habe vor einigen Wochen aus meinem Vaterlande den Auftrag bekommen, meine Gedanken von den Grund=Sätzen des Abschoß=Rechts zu entwerfen, und solchen Entwurf dahin zu übersenden. Ich habe dieß gethan, und der 2te Abschnitt des 5ten Titels in der 3ten Abtheilung des ersten Theils des mir unschäzbaren Endwurfs des allgemeinen Gesetz=Buchs giebt mir Gründe diesen meinen Aufsatz der gnädigen Beurtheilung Ewr Exellenz hiedurch unterthänig zu überreichen. Eine Zurecht=weisung von der Gnade Ewr Exellenz wird mir gewiß jedezeit unschäzbar seyn. Hochgebietender Gnädiger Herr! ich bin hievon benachrichtiget worden, daß auf Ewr Exellenz an der mir zur höchsten Ehre gereichenden Verewigung meines Namens, die vor einigen Wochen ist gegründet worden, einen thätigen Antheil genommen.7 Es ist gewiß, daß keine Begebenheit mir bey meinem Alter eine größere Aufmunterung hätte machen können, als mir diese würklich gemacht hat, und ich weiß keinen anderen Weg als meine ehrfurchtsvolle Dankbarkeit zu beweisen, als daß ich mich mit allem mir möglichem Eifer bemühe, den fernergnädigen Beyfall Ewr. Exellenz auch noch in meinem Alter zu erlangen. Dieß hat mich so stolz gemacht um zu glauben, daß diese Uebersendung meiner Gedanken von Ewr Exellenz gnädig wird aufgenommen werden. Mein größter Wunsch ist es, bis an das Ende meiner Tage von der Fortdauer Ewr Exellenz mir unschäzbaren Gnade versichert zu seyn, der ich in vollkommenster Ehrfurcht jederzeit bin Eurer Exellenz unterthänig=gehorsamster wahrer und Diener Joach. Georg. Darjes Franckfurth an der Oder 1786 den 11 Jun.

7 Darjes feierte 1786 50jähriges Dienstjubiläum. Aus diesem Anlaß wurde eine Medaille geprägt und überreicht.

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k) Concept der Antwort des Groß Kanzlers vom 15. Juny 1786 Wohlgebohrener Herr Insonders Herr Geheimer Rath Ewr. Wohlgeb. danke ich recht sehr für die Mittheilung Ihrer Gedancken über das Abschoß Recht, und freue mich, daß Ihre Theorie davon mit der meinigen übereinstimmt. Ich halte solche für die eintzige, aus welcher das AbschoßRecht, so wie es gegenwärtig existiret, vernünftig erklärt werden kann; obgleich sonst aus der Geschichte dieses Rechts sich vielleicht noch manche scheinbare Einwendung dagegen machen ließe. Zwar schien es mir anfangs nicht recht miteinander zu harmoniren, daß Eur. Wohlgeb. das Recht, Abschoß zu fodern, aus dem Dominio eminenti herleiten, und doch in der Anmerkung ad. § I. annehmen, daß schon die Transportirung des Vermögens aus einer Jurisdiction in die andre, selbst in der nehmlichen Provinz, die Foderung des Abschoßes begründen könne. Allein der § VI. giebt hinlängliche Erläuterung über das, was in § I. unter dem Worte Jurisdiction zu verstehen sey. Inzwischen bleibt doch auch nach dieser Erklärung die Frage noch immer zweifelhaft: ob unter der indefinita nemlichen Jurisdiction auch das Recht, Abschoß zu fodern, mit begrifen sey, od. ob solches noch besonders müße erlangt werden. Euer. Wohlgeb. haben durch die mir beschriebene Empfindung des Vergnügens über die auf Ihr Amtsjubiläum geprägte Medaille gewiß die endliche Absicht aller Theilnehmer erfüllt. Ich freue mich, unter diesen gewesen zu seyn, und wünsche nichts mehr, als daß die Vorsehung Ihr für die Ausbildung der Jugend, dadurch auch für den gantzen Staat so nützliches Leben, in seiner bisherigen Munterkeit, wo möglich durch andere zehn Jahre erhalten möchte. Der ich übrigens mit wahrer Hochachtung bin Carmer.

l) 03.02.0310. Schreiben Darjes’ vom 30. November 1787 Hochwohlgebohrener Herr usw. Euer Exellenz es zu beweisen, daß ich noch lebe und auch noch thätig bin nehme ich mir die Ehre beygehende kleine Abschrift unterthänig zu überreichen, mit dem Wunsche, daß Sie einigen Beyfall erhalten könne. In wenigen Wochen werde ich auch die Ehre haben einige Juristische Anmerkungen in Ehrfurchtsvoller Ergebenheit zu überreichen. Ich bin seit einiger Zeit fast gänzlich in auswärtigen Acten vergraben gewesen, welche Lage alle meine müßigen Stunden besetzt hat. Dies hat jene Besorgung etwas zurückgehalten. Von auswärtigen Staaten bekommt die hiesige Universitaet noch verschiedene Acten. Nur ist es Schade, daß wenn diese kommen, daß Sie sich alsdenn auf einmal einfinden. Wo wir alsdenn in der Facultaet sehr gebunden sind, wie es heißt, so

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soll die Facultaet in der Folge aus dem Königl.-Ober-Auditorial keine Acta mehr erhalten. Sie wird zwar hiedurch mehrere Ruhe bekommen, es ist mir aber durch solche Zurückhaltung aus diesem Grunde nicht angenehm, weil hiedurch die Facultaet alemal einige Sporteln verliehret, und die Assessores fast alle Gelegenheit verliehren, den Unterschied in dem Gange der hiesigen Processe von dem Gange der Processe in auswärtigen Staaten sinnlich zu erkennen, welche sinnliche Anschauung mir gewiß nüzlich gewesen ist. Ich lese in diesem Sommer ein Collegium über die ersten Gründe des Untersuchungs-Processes in der Anwendung auf peinliche- und policey verbrechen, auch auf bürgerliche Angelegenheiten. Ich werde mir Mühe geben hiedurch Jünglinge zu bilden, die in der Folge in der GerichtsStube brauchbar werden können, um hiedurch den schönen Gang der Processe, den die hiesigen Staaten den Bemühungen Eurer Exellenz zu danken haben, und ewig danken werden den anfängern, so viel als möglich ist, natürlich zu machen. Zur Aufmunterung in meinem Gottlob noch munteren und nicht unthätigen Alter erbitte ich mir in Ehrfurchtsvoller ergebenheit die Fortdauer Euer Exellenz mir unschätzbaren Gande, der ich in vollkommenster Devotion bin Euer Exellenz unterthänig-gehorsamster Diener Joach. Georg. Darjes Franckfurth an der Oder 1787 d 30 Nov.

m) 03.02.0312. Concept der Antwort des Großkanzlers Berlin d. 8ten Decbr. 1787 An des Königlichen Geheimen Rath und Directoris Herrn Darjes Wohlgeb. Hochgebohrener Herr usw. Ewr. Wohlgeb. danke ich verbindlichst, daß Sie mir durch die übersendete Schrift, deren Inhalt, soweit ich urtheilen kan, des großen Gegenstandes würdig ist, eine abermalige Probe Ihres fortdauernden freundschaftlichen Andenkens haben geben wollen. Noch mehr aber freue ich mich aus dieser Schrift, so wie aus Ihrem schätzbaren Schreiben selbst, die in Ihren Jahren so seltene Munterkeit des Geistes, und die heitere Thätigkeit mit welcher Sie immer zum besten der Welt arbeiten, zu ersehen. Den versprochenen Erinnerungen sehe ich mit Vergnügen entgegen; und versichere, bey der nun bald vorzunehmenden Umarbeitung redlich benutzt werden sollen. Der erste Theil des SachenRechts gehört ganz eigentlich, wegen der vielen darin vorkommenden allgemeinen Theorie für den RichterStuhl eines Mannes, der wahre Philosophie und RechtsWahrheit so

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von jeher so glücklich und zweckmäßig anzuwenden gewußt hat. Auch freue ich mich sehr über den Gedanken, den Ewr. Wohlgeb. gehabt und ausgeführt haben, eine Theorie des processes nach den Grundsätzen unserer ProceßOrdnung zu liefern; welches gewiß für jungen Leute, die sich dem foro bestimmt haben, eine der nützlichsten Vorbereitungen ist. Ohne Zweifel legen Ewr. Wohlgeb. dabey gewiße Sätze als dictata od. sonst, zum Grunde; und ich würde Ihnen ausnehmend dafür verbunden seyn, wenn Sie mir gegen Vergütung der SchreibeGebühren Communication derer zu nehmen belieben möchten, indem ich deßen bey der noch auszuarbeitenden CriminalProceßOrdn. guten Gebrauch würde machen können. Es hat allerdings seine Richtigkeit, daß Se. Kgle. May: ganz aus eigener Bewegung die Versendung der Acten aus dem GeneralAuditoriat an die JuristenFacultaeten und SchöppenStühle verbothen und dagegen dann Vorlegung bey den LandesJustizCollegiis per modum comissionis verordnet haben. Der Grund deßen ist, daß dies die auswärtigen und selbst manche der innländischen Facultaeten und SchöppenStühle sich um unsere Gesetzen und Verfaßungen so wenig bekümmern, daß in verschiedenen Fällen aus den inadaequaten Entscheidungen derselben die ärgsten Confusionen zum Nachtheil der unschuldigen Partheyen enstanden sind. Ich empfehle mich Ewr. Wohlgeb. fernerem freundschaftlichen Andenken, wünsche Ihnen von Hertzen Gesundheit, Heiterkeit und die möglichste Verlängerung Ihres dem gemeinen besten so gantz gewidmeten Lebens und versichere, mit der wahrsten Hochachtung zu seyn, Carmer

n) Schreiben Darjes’ vom 30. Dezember 1787 Hochwohlgebohrener Herr usw. Wenn der Höchste die Kräfte Eurer Exellenz dergestalt stärket, daß diese das angefangene Höchst=wichtige Werk vollenden, und Euer Exellenz die Früchte dieser Vollendung durch eine unendliche Reihe von Jahren vergnüglich und mit vollkommenster Gesundheit empfinden können, alsdenn ist mein erstlicher Wunsch erfüllt, den ich bey diesem Jahreswechsel ich Ehrfurchtsvoll zu überschreiben ich mir die Ehre nehme. Mir erbitte ich hiebey auch noch in mienem Alter die Fortdauer Eurer Exellenz mir unschäzbaren Gnade. Eurer Exellenz gnädigem Befehl zu gehorsam nehme ich mir die Freyheit, die Dictata meines Colegii über den Process so weit ich solche bis jetzo dictiret und erläutert habe, zu übersenden. Mein Fiscal hat bey der Abschrift meiner dictirten Sätze das erforderliche aus meinen mündlichen Erläuterungen mit beygefüget, ich habe solches stehen laßen, in der Hoffnung daß auch diese Zufügungen nicht ungnädig werden aufgenommen werden. Das Folgende werde ich nach und nach, so wie es fertig, gehorsamst überreichen.

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Ich setze bey diesen Forlesungen dieß zum Grunde, daß meine Zuhörer die Logic, die Philosophicam practicam, und die wesentlichen Theorien juris verstehen, und ich will diesen nur durch diese Forlesungen den Weg erföfnen, auf welchem Sie in der Gerichts-Stube mit Nuzen werden fortgehen können. Mein Alter hat zwar diese Würkung, daß meine Arbeiten etwas langsamer gehen als ehedeßen, doch bin ich vergnügl., daß Sie noch gehen, und daß meine Denkungs-Kraft noch völlig lebendig ist. Ich verharre in Ehrfurchtsvoller Ergebenheit Euer Exellenz unterthänig-gehorsamster Diener JG Darjes Franckfurt an der Oder 1787 d 30 December o) Concept der Antwort des Großkanzlers Berlin, D. 5t Jan: 1788 An Herrn Geheim Rath Darjes Wohlgebohr. PP. Für die so freundschaftlichen und teilnehmenden Gesinnungen, welche Euer Wohlgebohr. mir bey Gelegenheit des Jahreswechßels haben bezeugen wollen, statte ich Ihnen hiedurch den verbindlichsten Danck ab, und wünsche von Grund des Herzens, daß die ewige Vorsehung Sie auch in diesem Zeitraum mit Gesundheit und Zufriedenheit als Ihrem besten Segen bedenken möge. Die mir überschickten Dictata über den Prozeß sind mir ein sehr angenehmer Beweiß Ihrer noch immer gantz ungeschwächten GeistesKräfte und zeigen zugleich, daß wahre und gründliche Philosophie zu allen Dingen nützlich sey. Ich bin versichert, daß die jungen Leute, welche dieß Collegium mit gebührender Aufmerksamkeit besuchen, darin Praeparation zu ihrer künftigen Bestimmung finden. Ich werde daher auch die Fortsetzung dieser Dictaten mit Vergnügen erwarten und verspreche mir deren guten Gebrauch bey der noch auszuarbeitenden CriminalProzeß=Ordnung. Der ich übrigens in vollkommener Hochachtung bin Carmer

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p) 07.56.0123. Schreiben von Darjes vom 17. Febr. 1788 Hochwohlgebohrener Herr Königl. Hochbestellter Groß Canzler und würklicher Geheimer Etats Kriegs und Justiz Ministre Hochgebietender Gnädiger Herr Ich nehme mir die Ehre meine bey der ersten Abtheilung des zweyten Theils des allgemeinen Gesetzbuchs vom Sachen-Recht gemachten Anmerkungen unterthänigst zu übersenden. Euer Exellenz werde meine Aufrichtigkeit um desto eher gnädigst aufnehmen, weil Sie ein Beweis von meinem Euer Exellenz schuldigem Gehorsam. Die bey der zweyten Abtheilung werden bald nachfolgen. Sehr angenehm wird es mir seyn, es zu vernehmen, daß diese Anmerkungen einigen Beyfall bey Euer Exellenz erhalten, zumal ich nichts mehr wünsche als es in der That zeigen zu können, der ich in Ehrfurchtsvoller Ergebenheit bin Euer Exellenz unterthänigst=gehorsamster Joch. Georg Darjes Franckfurth an der Oder 1788 den 17. Febr. q) 07.56.0137. Concept der Antwort des Großcanzlers Berlin d 23ten Febr: 1788 An Königlichen Geheimen Rath, Herrn Darjes Wohlgeb. Wohlgebohrener Herr usw. Eur. Wohlgeb. sage ich für die über den ersten Theil des Sachen Rechts mir zugesendeten Bemerkungen den verbindlichsten Dank. In jeder derselben erkennt man den geübten und über Rechtswahrheiten eben so hell als gründlich denkenden Philosophen. Freylich kan man in einem Gesetzbuch nicht die gantze Menge einer philophischen Methode befolgen, sondern man muß danrin oft nur die practischen Resultate theoretischer Speculationen hinsetzen, theils um dem Gesetzbuch nicht das Ansehen eines Compendii, theils um künftigen Auslegern nicht Anlaß zu unrichtigen, od. zu weit aus gedehnten Doktrinal Interpretationen zu geben. Inzwischen bleibt es doch ewig wahr, daß je genauer, zuverlässiger und richtiger die Praemissen sind, desto richtiger und gewißer auch die Conclusien seyn. Oft werden dafür die von Ewr. Wohlgeb. gelieferten Bemerckungen besonders bey künftiger Prüfung der in dem Entwurf angenommenen Begriffe und allgemeinen Grundsätze zuverläßig den ersprießlichsten Nutzen leisten. Die versprochnen Bemerckungen zur zweyten Abtheilung werde ich mit Vergnügen annehmen; und habe übrigens die Ehre in vollkommener Hochachtung zu seyn, Carmer

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r) 03.03.0086. Schreiben des Großkanzlers an Darjes vom 26. Juni 1788 Berlin d. 26ten Jun: 1788. An Des Königlichen Geheimen Rath und Academie Directoris Herrn Darjes Wohlgeb. Wohlgebohrener Herr usw. Scribatur ut Supra8, soweit es am Rande angestrichen ist, et addatur: Bey Gelegenheit der Vorerinnerung zu diesem letzten Theile, wünschte ich recht sehr, von Ewr. Wohlgeb. als hier vorzüglich competenten Richters Ihre eindeuthige Meynung und Urtheil über den darinn angegebenen Plan des akademischen Studiums für einen angehenden Preußischen Rechts Gelehrten zu erfahren. Auch würde es mir sehr angenehm seyn, wenn Ewr. Wohlgeb. da Ihre vielen Geschäfte es Ihnen schwerlich erlauben werden, sich selbst mit der Ausarbeitung des in eben dieser Vorerinnerung verlangten Lehrbuchs abzugeben jemand von Ihren geschicktesten Schülern, deren so viele in Deutschlands Akademien verbreitet sind, zu deßen Wahrnehmung wodurch er sich zu einer künftigen Professur qualifizieren könnte aufmuntern wollten. Der ich übrigens in vollkommenster Hochachtung bin, Carmer s) 16.01.0159. Schreiben Darjes’ vom 7. Juli 1788 Hochwohlgebohr. Herr Königl. usw. Da Ich mich damit beschäftige, Eure Excellenz durch die Wahrmachung der Fortsetzung meiner ersten Gründe des Untersuchungs-Processes meinen Gehorsam zu beweisen, mit dem Wunsche, daß dieser Entwurf, den Ich so bald es mir möglich seyn wird, weiter bearbeiten werde, bey Hochdero selber nur einigen Beyfall erhalten möge; so erhalte ich das große Vergnügen, von Euer Excellenz Gnade die Vollendung des Haupt-Gesetzbuchs zum Nutzen der Preußischen Staaten zu empfangen. Ich danke unterthäniggst. Meine Freude, daß Euer Excellenz dieses wichtige Werk so weit vollendet, ist unaussprechlich. Gott wird gewiß Euer Exellenz noch das Vergnügen schenken, die öffentliche Kraft 8 Ewr. Wohlgeb. übersende ich mit dem beyliegenden dritten Theil des Sachenrechts den Beschluß des gantzen Entwurfs zu einem allgemeinen Gesetzbuch für den hiesigen Staat mit welchem zugleich der Erste HauptTheil von dem gantzen Plan unserer GesetzVerbeßerung vollendet ist. Unter den würdigen Männern deren Beyfall mich in der Bearbeitung dieses weitläufigen Wercks bißher unterstützt hat, bin ich vorzügl. auch Ewr. Wohlgeb. den verbindlichsten Dank schuldig welchen ich Ihnen hiermit von Grund des Hertzens abstatte.

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dieses Werkes, und deßen nuzbare Würksamkeit nicht nur in den Preußischen Staaten sondern auch in einem größeren Theil der Welt zu erleben. In der Vorerinnerung haben Euer Exellenz Dero gnädigste Gesinnung gegen mich öffentlich mich höchst rühmend am Tage geleget. Es ist mir dieß in meinem Alter eine wahre Beruhigung. Gnädiger Herr! Ich kann meine Dankbarkeit durch nichts anderes beweisen, als daß ich alle meine Kräfte sammeln werde, dem nachzugehen, was nach dem gnädigsten Willen Euer Exellenz geschehen soll. Ich will so bald es mir möglich ist, den Plan hiezu völlig endwerfen. Diesen Eurer Exellenz vorlegen, und nach erhaltener Adprobation will ich schon hier, in Jena und Göttingen pp. von meinen alten Schulen Mitarbeiter ausmachen, die Ausarbeitung des Plans zu bewerkstelligen. Gottlob meine Denkungs-Kraft ist noch lebendig, nur mein Körper will dieser nicht recht gehorchen, daher gehet die Arbeit langsam, doch gehet Sie noch. Ich habe anjetzo in meinem Alter eine unerwartete Lage. Ich habe die Ehre Rector bey der Universitaet zu seyn, muß aber zugleich die Stelle eines Syndici vertreten. Gottlob es gehet. Hiedurch wird es mir jezuweilen eine Last. Ich wünsche, daß bey der Wiederbesetzung des Syndicats, der Director der Universitaet und ordinarius der Juristen Facultaet ein rechtliches Ansehen in dem officio academico erhalten könnte, sodaß er beständig dabey gegenwärtig sey, dieß ist wohl nicht möglich, wenn er sein Amt als Professor verwalten soll, allein wenn er das Recht hat alsdenn, wenn es seine Geschäfte zulaßen, in das officio academico mitzugehen, und mit Nachdruck nachzusehen, ob alles der vorgeschriebenen Ordnung gemäß besorget werde, die Zustehung dieses Rechts würde nicht ohne Nuzen seyn. Mir erbitte ich die mir unschäzbare Fortdauer Hochdero Gnade, der Ich in vollkomenster Ehrfurcht bin Euer Exellenz unterthänig-gehorsamster Diener Joach. Georg Darjes Franckfurt an der Oder 1788 d 7 Jul

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t) 16.01. Concept der Antwort des Großkanzlers Berlin den 11t Jul. 1788 An den Herrn Geh. Rath Darjes Wohlgebohr. Wohlgebohr. Herr, besonders hochzuehrender Geheimer Rath, Euer Wohlgeb. bin ich für die Mittheilung von dem Schluße Ihrer Theorie des UntersuchungsProzeßes sehr verbunden. Das Werk wird für unsere jungen Rechtsgelehrten von dem größten Nutzen seyn. Je nöthiger es ist, die Denck= und Urtheilskraft derselben auch ueber die Regeln des Proceßes in Zeiten zu üben und Sie lebhaft zu überzeugen, daß die Proceß-Ordnung zu deren Ausübung sie bestimmt sind, nicht aus bloß willkürlichen nur mit dem Gedächtniß zu faßenden und buchstäblich anzuwendenden Vorschriften bestehe, sondern auf würcklichen philosophischen Grundsätzen beruhe, die der Verstand richtig begreifen, und bey deren Befolgung die Urteilskraft geübt eingesetzt werden muß, wenn anders der Zweck des Gesetzes dabey erreicht werden soll. Wenn Ewr. bey der nochmaligen Bearbeitung dieses Werks mehr auf den hiesigen Usum modernum und auf die darüber ergangenen neueren Verordnungen z. E. bey der Lehre vom GerichtsStande in peinlichen Fällen, von der Verbindlichkeit der verschiedenen koncurirenden Jurisdictionen bey Übertragung der Lehre von der Defension der Inquisiten und wie denn solche ad substandiandum processum gehöre oder nicht Rücksicht nehmen wollten, so würde der practische Nuzen derselben dadurch desto ausgebreiteter werden. Das Versprechen, das Ewr. Wohlgeb. den Plan zu dem in der Vorerinnerung verlangten Lehrbuche selbst entwerfen, und zu der Ausarbeitung desselben einige Ihrer besten Schüler auffordern wollen, ist mir sehr angenehm. Auf diesem Wege kann mein gut gemeynter Zweck gewiß am ersten erreicht werden. Da auch die Ansetzung von Professoribus des Juris Patrii an unsern Universitäten nun bald nothwendig werden möchte, so würde es mir sehr angenehm seyn, wenn Ewr. Wohlgeb. zu Zeiten auf taugliche Subjecte dazu nuzend merken und mir solche in der Folge nahmhaft zu machen belieben wollten. An der ungenügenden Besetzung des Syndicats ist hauptsächlich der Umstand schuld, daß die Herrn D., mit Vorbeygehung so viel geschickter und durch mehrjährige Übung im practischen Fach bey dem Cammergericht formierten Refrendarien zu diesem nicht unwichtigen Posten einen unbekannten Menschen gewählt haben, deßen Geschicklichkeit niemand kennt und der also erst einer näheren gesetzmäßigen Prüfung unterworfen werden muß. Ewr. Wohlgebohr. Idee wegen einer dem Ordinario der Juristenfakultät bey dem Officio Academico einzuräumenden mehrern Mitwirkung scheint mir der Sache sehr gemäß und ich sehe keine erhebliche Schwierigkeit, welche meinem

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deßfalls bey dem jetztigen Chef des geistlichen Departements zu machenden Antrage entgegenstehen könnte. Allenfalls könnte Ewr. Wohlgeb. mir eine Vorstellung über diese Sache, worin also Ideen, und wie weit die vorgeschlagene Mitwürkung sich erstrecken solle näher entwickelt sind, zu schicken, die ich des Herrn Wöllners Excellenz abgeben und mit Ihm darüber conferieren werde. Der ich übrigens in der vollkommensten Hochachtung bin, Carmer

u) 03.04.0026. Schreiben Darjes’ vom 29. Oktober 1790 Hochwohlgebohrner Herr Königlicher Hochbestellter Groß-Canzler und würklicher Geheimer Etats-Kriegs und Justiz Minister Hochgebietender Gnädiger Herr Endlich habe ich so viel Zeit gewinnen können, mein systema Juris naturalis so umzuarbeiten, und genauer zu bestimmen, daß es nach meiner Einsicht sinnlich eine philosophische Grundlage aller willkürlichen Gesetze seyn könne. Euer Exellenz hohem Urtheil diese meine Arbeit vorzulegen, nehme ich mir, bey Ueberreichung des ersten und Haupt-Theils die Ehre. Der zweyte Theil, der sich mit der Anwendung der Gesetze auf die Handlungen der Menschen beschäftiget, wird auch in einigen Wochen nachfolgen, und ich hoffe in diesem Winter auch das Jus sociale also auszuarbeiten. Sollte diese meine Arbeit das Glück genießen Euer Exellenz hohen Beyfall zu erhalten, und sollte ich so glücklich seyn Hochdero Willen zu erfahren, in welchen Stükken etwas abzuändern, so werde ich diese Arbeit nochmal genau durchsehen, und duch solche Abänderungen vollkommen machen. Solte es alsdenn Euer Exellenz hoher Wille seyn, das Werk dann dem Druk zu übergeben, so werde ich mir dabey die Erlaubnis auserbethen, ein solches Werk zum öffentlichen Beweis meiner Devotion Euer Exellenz unterthänig zuzuschreiben. Ich habe hier jetzo eine lächerliche Lage. Der strenge Jurist ist wieder mich in vollem Eyffer. Die Vernunft soll aus dem Jure weichen, und das Jure naturae soll einem Juristen nur ein Neben Ding seyn, womit er sich etwa in dem letzten academischen halben Jahre, wenn er Zeit hat, beschäftigen könne. Der junge Schütz, der das Glück genoßen Eure Exellenz eine Disputation zu überreichen, und den ich schon dazumal hofender Gnade empfohlen habe, der wünscht ein universitäts-Lehrer zu werden und auch ich wünsche dieses, weil dieser junge Mensch gesetzt ist, und alle data zu einem solchem Endzweck besitzt. Ich sehe es aber nicht ein, wie er dazu gelangen könne. Er muß zuvor promoviren, und dieses würde Ihn wenigstens in dem gantzten Zusammenhange

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200 Thaler kosten. Diese hat er nicht, und meine Umstände erlauben es nicht, ihm damit zu helfen.Sollte sich nicht in Berlin ein Fond finden, aus welchem diesem jungen Menschen eine solche Hülfe zufließen könnte. Ich belaße dies Euer Exellenz gnädigster Fürsorge. Mir erbitte ich die mir unschätzbare Fortdauer Hochdero Gnade so ich in vollkommenster Devotion bin Euer Exellenz unterthänig-gehorsamster JG Darjes Frankfurt an der Oder 1790 d 29 Oktober v) 03.04.0028. Concept der Antwort des Großkanzlers Berlin d. 27ten Novbr. 1790. An Den Königlichen Geheimen Rath Herrn Darjes Wohlgeb. Wohlgebohrener Herr usw. Ewr. Wohlgeb. remittire ich hierneben das mir kommunizirte Manusscript von der Umarbeitung Ihres Lehrbuchs des NaturRechts. Ich kan mit Wahrheit sagen, daß mir diese Schrift viel Vergnügen gemacht, und daß ich darin den wahren philosophischen Geist, welcher selbst in den speculativen Theorien der Rechtswissenschaft mit der Gründlichkeit des Räsonements, Klarheit und beständigen Rückblick auf das was practisch nützlich ist zu verbinden weiß, in seiner ganzen Stärke wiedergefunden habe. Nach dieser meiner Überzeugung kan ich nicht anders, als Ewr. zur Fortsetzung dieser Arbeit aufmuntern und deren Beendigung aufrichtig wünschen. Zugleich werden Sie sowohl hieraus als noch mehr aus meinen Äußerungen über den Plan eines Lehrbuchs für künftige Rechtsgelehrte in den Preußischen Staaten, welche sich in der Vorrede zum letzten Theile des Entwurfs des Gesetzbuchs befinden, leicht abnehmen können wie ich um den Gegenstand Ihres jetzigen Streits über die Nutzbarkeit und Notwendigkeit des Natur Rechts bei dem juristischen studio denke. Für den jungen Schütz wünsche ich wohl etwas tun zu können, ich sehe aber noch nicht, wo der Fonds zu seinen PromotionsKosten herkommen soll. Ich werde mich erkundigen, ob das OberSchulenCollegium, das sich jetzt sehr angelegen seyn läßt, junge Leute zu Lehrern für unsere Academien zu bilden irgendeinen solchen Fonds habe, woraus pp. Schütz eine Unterstützung wiederfahren könnte. Nur wünschte ich, von Ewr. zu erfahren, ob er mit seinen Kentnißen auch die Gabe eines deutlichen und angenehmen Vortrags verbinde; ohne welchen, wie Sie selbst am beßten wissen, der academischen Lehrer bey der

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gründlichsten und ausgebreitesten Gelehrsamkeit seiner Bestimmung doch kein Genüge leisten kan, auch würde es in diesem Fall pp. Schütz zu Erreichung seiner Absicht beförderlich seyn können, wenn Ewr. Wohlgeb. selbst an den Herrn Minister Woellner schreiben und ihn den jungen Mann als ein Subject aus welchem ein nützlicher Lehrer für eine der königlichen Academien gebildet werden könnte bekannt zu machen belieben wollen. Ich bin übrigens in vollkommenster Hochachtung, Carmer w) 14.02.0139. Schreiben Darjes’ vom 27. November 1790 Hochwohlgebohrener Herr usw. Eurer Exellenz gnädigen Beurtheilung übergebe ich hierdurch den Schluß von dem Endwurf des allgemeinen Natur- und Völker-Rechts nach dem erfindlichen Inhalt eines alten Lehr-Gebäudes. Die Philosophische Anwendung auf die Gesellschaften der Menschen ist auch nunmehro in der Arbeit. Ueber diesen Endwurf lese ich anjetzo mein Jus naturae, und ich werde es gewahr, daß dieses bey den Zuhörern eine merkliche Erleichterung diese Wißenschaft zu faßen, wo von ich bey den angestellten Prüfungen überzeuget werde. Sollte dieser Endwurf so glücklich seyn, daß er Euer Exellenz Beyfall erhalte, so wird es mir niemals gereuen bey meinem Alter diese Arbeit unternommen zu haben. Ich habe bereits einen Plan endworfen, wie ein System von dem Landes-Gesetze in der Beziehung auf diesen Endwurf zum academischen Unterricht kann ausgearbeitet werden. So bald das Gesetzbuch wird publiciret seyn, so soll das System vorgeleget werden. Die Fortdauer Eurer Exellenz mir unschätzbaren Gande erbitte ich mir ergebenst, der ich in vollkommenster Ehrfurcht bin Euer Exellenz unterthänig-gehorsamster Joach.Georg Darjes Frankfurth an der Oder 1790 d 27. Nov. x) 03.04.0058. Schreiben Darjes’ vom 27. Feb. 1791 Hochwohlgebohrener Herr usw. Euer Exellenz die Fortsetzung meiner Bearbeitung des Natur und VölkerRechts, und zwar in Anwendung auf das Gesellschafts-Recht überhaupt, und auf die Privat-Gesellschaften überhaupt vorzutragen, nehme ich mir hiebey die Freyheit, und erbethe mir überhaupt über diese meine Arbeit Euer Exellenz hohes Urthel. Die Anwendung auf die öffentliche Gesellschaften ist auch meiner Arbeit bereits unterworfen. Angenehm ist es mir, daß Ich es hiebey verstehe,

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daß diese meine Unternehmung meinen Zuhörern nüzlich ist. Sie besuchen diese Vorlesungen mit Fleiß, und das angestellte Examinatorium giebt mir die Ueberzeugung, daß Sie solche auch mit Nuzen besuchen. So bald das neue Gesetzbuch vim juris erhalten, werde Ich alsdenn wenn diese meine Arbeit so glücklich seyn sollte einigen Beyfall von Euer Exellenz zu erhalten, dafür sorgen, daß bey meiner Arbeit jederzeit die Stükke aus dem Gesetzbuch angemerket werden, von welchen in dieser der natürliche Grund, um dadurch den Zuhörern Gelegenheit zu geben, die positiven Gesetze in Ihre Gewalt zu bringen. Jedoch wird diese Unternehmung von dem hohen Befehl Eurer Exellenz abhangen. Die Lehre von dem Strengen und billigen Rechte wird mir täglich aufmerksamer. Und ich wünsche, daß in dem neuen Gesetzbuche entweder in dem Vorworde oder in der Publication dieser Punkt könnte berichtiget werden. Nach meiner Einsicht ist dieß die Lehre von dem arbitra Judicis, von der so vieles in dem Römischen Rechte vorkommt. Der Fortdauer der mir unschätzbaren Gnade Euer Exellenz erbitte ich mir in Ehrfurchtsvoller Devotion, als in welcher ich jederzeit seyn werde, Euer Exellenz unterthänigst-gehorsamster Joach. Georg Darjes Franckfurth an der Oder 1791 d 27 Febr.

y) 03.04.0060. Concept der Antwort des Großkanzlers Berlin d. 5ten Martii 1791. Dem Königlich Geheimen Rath Herrn Darjes Wohlgeb. P.P. Ewr. Wohlgeb. remittiere ich hiermit die mir beliebigst kommunizierte Continuation Ihrer neuen Ausarbeitung des Natur und VölckerRechts. Ich werde immer mehr überzeugt, daß diese Arbeit der academischen Jugend den vorzüglichen Nutzen leisten werde; besonders wenn Ewr. Wohlgeb. ihrem Vorhaben gemäß dieselbe durch Allegirung die Stellen des Gesetzbuchs verbinden und sie auf die aus den philosophischen Grundsätzen hergeleiteten Folgerungen, od. auf die ex rationibus politicis gemachten Ausnahmen des Vaterländischen positiven Rechts aufmerksam machen. Von dem Unterschiede von dem strengen und billigen Rechte kan ich mir wie ich ofenhertzig gestehen muß, keinen deutlichen Begrif machen. Die Römer verstanden unter letzterem wohl nur das Jus Praetorium in Entgegensetzung mit dem Rechte der zwölf Tafeln; das Arbitrium Judicis kan nur bey der Anwendung der Gesetze und auch nur alsdenn eintreten,

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wenn das Gesetz gewisse nähere Bestimmungen, blos unter Beygebung der allgemeinen Gründe dazu der Beurtheilung des Richters überlassen hat. Es ist für die bürgerliche Freyheit nichts gefährlicher, als dem Arbitrio Judicis unbestimmte oder zu weite Grenzen zu setzen. Ich bin übrigens in der vollkommensten Hochachtung, Carmer. z) 03.04.0107. Konzept des Schreibens des Großkanzlers an Darjes vom 20. Juli 1791 An den Königlichen Geheimen Rath Wohlgebohren. Wohlgebohrener Herr usw. Ewr. Wohlgeb. übersende ich hierneben ein Exemplar von dem nunmehr publicirten allgemeinen Gesetzbuche für die Preußischen Staaten als einem Beweis der wahren und unwandelbaren Hochachtung mit welcher ich bin, Carmer am Rande: ist ehe die Abfassung geschehen können, gestorben.

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3. Gesetzestexte- und sammlungen Corpus Juris Frideriacianum, Erstes Buch von der Proceß=Ordnung, Berlin 1781 Entwurf eines Allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Berlin 1784– 1789 Project des Corpus Juris Fridericiani, das ist Sr. Königlichen Majestät in Preussen in der Vernunft und Landes=Verfassungen gegründetes Land=Recht, In der Verlegung des Waysenhauses, 1749 Sammlungen Preußischer Gesetze und Verordnungen, Zweiter Band, enthaltend die Jahre 1790–1794, Berlin 1816

Personenregister Beneckendorff 13, 29, 30, 33 Biener 25 Biester 31 Boehmer 27 Böhmer 23, 24 Büsch 30, 31 Carmer 12, 14, 31, 32, 35, 68, 70, 96 Carpov 74, 75 Carpzow 27 Claproth 24, 29 Cocceji, Samuel von 27 Danckelmann 19, 40, 65 Darjes 23, 29, 30, 31, 34 Dohm 49, 52, 79 Eberhard 25, 31 Eggers 22, 25, 31, 34, 82 Estor 27 Fenderlin 14, 29, 30, 33 Filangieri 50 Foerster 25 Friedrich II. 12, 16, 68, 70, 92, 103 Friedrich Wilhelm II. 44, 52 Friedrich Wilhelm III. 96 Garve 29, 30, 31, 32, 33 Goethe 46 Goldbeck 19, 40 Gönner 23, 25 Hellfeld 27 Hermes 20

Hillmer 14, 20 Hoepfner 13, 24, 29, 30, 34 Hoffmann, E. T. A. 38 Hufeland 32 Hugo 16, 22, 23, 24, 25 Kant 30, 53, 78, 80 Klein 16, 23, 29, 33, 45, 60, 63, 64, 81 Koch 19 Lange 75, 76 Leyser 28 Lindenau 30, 31, 34 Madihn 14 Meister 23 Mendelssohn 30, 33 Metzger 25 Moser 23, 24 Nettelbladt 13, 16, 19, 23, 24, 29, 31 Nicolai 49 Pütter 13, 23, 24, 30, 31, 32, 34 Reitemeier 23, 24, 39 Robert 25 Rössig 23 Runde 23, 25 Savigny 17, 27, 43 Schlettwein 12, 29, 30, 34 Schloezer 12, 23, 24, 29, 30, 31, 34, 35 Schott 12, 29, 30, 31, 35 Selchow 12, 24, 29, 30, 31, 35

Personenregister Stark 49 Steltzer 25 Struve 28 Svarez 11, 14, 15, 17, 18, 45, 46, 48, 59, 65, 71, 79, 89, 92, 95, 98

Volckmar 48 von Lyncker 28

Thomasius 28

Zepernick 25

Wehrn 25 Woellner 20, 40

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