Arbeiterbewegung und Vereinsrecht: Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB [1 ed.] 9783428431847, 9783428031849

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Arbeiterbewegung und Vereinsrecht: Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB [1 ed.]
 9783428431847, 9783428031849

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 16

Arbeiterbewegung und Vereinsrecht Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB

Von

Peter Kögler

Duncker & Humblot · Berlin

PETER

KÖGLER

Arbeiterbewegung und Vereinsrecht

S c h r i f t e n zum B ü r g e r l i c h e n Recht Band 16

Arbeiterbewegung und Vereinsrecht E i n Beitrag zur Entstehungsgeschichte des B G B

Von

Dr. Peter Kögler

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/ B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1974 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1974 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3 428 03184 9

Inhaltsverzeichnis Einleitung

9

1. Teil Beginn der Arbeiterbewegung und Grundlinien deutscher Sozialpolitik 1. Märzrevolution

11

2. K a m p f u m die Koalitionsfreiheit

14

3. Entstehung der parteigebundenen Arbeiterberufsvereine

19

4. Das Streben der Gewerkvereine nach Hechtsfähigkeit

23

5. Der Verein f ü r Sozialpolitik

26

6. Sozialistengesetze

28

7. Sozialgesetzgebung

31

8. Neuer sozialpolitischer K u r s

39

2. Teil Das deutsche Privatvereinsrecht bis zur Schaffung des BGB 1. Sonderprobleme des Vereinsrechts

43

2. Gemeines Recht

44

3. Kernpunkte der Lehre des Germanisten Otto v. Gierke

46

4. Wichtige Kodifikationen

47

5. Die Vereinsgesetzgebung insbesondere Sachsens u n d Bayerns

49

6. Reichsgesetzliche Regelungen

50

Inhaltsverzeichnis

6

3. Teil Die Entstehung des Vereinsrechts des BGB — historische Darstellung und Würdigung A . Die 1. Kommission a) Das Zustandekommen des 1. Entwurfs

52 52

1. Vorkommission u n d B i l d u n g der Hauptkommission

52

2. Der Redaktor des Allgemeinen Teils, A l b e r t Gebhard

54

3. Arbeitsweise der Kommission

56

4. Der T e i l e n t w u r f des Allgemeinen Teils u n d seine Beratung i n der Kommission

57

5. Die Aufnahme des Vereinsrechts i n der Öffentlichkeit u n d bei den Regierungen

61

b) Würdigung des ersten Entwurfs

66

1. Politische u n d gesellschaftliche Hintergründe f ü r die Arbeit der Kommission 66 2. K r i t i k an dem Verzicht auf Einführung des Normativsystems f ü r Idealvereine B. Die 2. Kommission

68 77

a) Entstehung des Entwurfs zweiter Lesung

77

1. Zusammensetzung der Kommission

77

2. Die Vorkommission des Reichsjustizamts

78

3. Geschäftsmäßige Behandlung des Vereinsrechts

79

4. Anträge zum Vereinsrecht

81

5. Die Entscheidung der Kommission

83

6. Die öffentliche K r i t i k des Vereinsrechts zweiter Lesung

84

7. I n i t i a t i v e n zur Verbesserung der Rechtsstellung nichtrechtsfähiger Vereine

87

8. Der Generalreferent Gottlieb Planck

88

Inhaltsverzeichnis b) Würdigung des Entwurfs zweiter Lesung . . .

90

1. Die neue Hauptkommission

90

2. Das Taktieren der Vorkommission des Reichsjustizamts

94

3. Der Entscheidungsspielraum des Kommissionsvorsitzenden

97

4. K r i t i k der Kommissionsentscheidung

99

5. Die verfehlte Kommissionspolitik bezüglich der nichtrechtsfähigen Vereine 104 6. Die Aufnahme des neuen Vereinsrechts i m Reich u n d i n Baden . . 105 C. Das neue Vereinsrecht i n Bundesrat u n d Reichstag

107

D. K r i t i k der Behandlung des Vereinsrechts durch die politischen Instanzen 113

4. Teil Die Entwicklung des Redits der nichtrechtsfähigen Vereine seit Inkrafttreten des BGB 1. Überblick über die erste Phase der Rechtsangleichung bis 1925

120

2. Die theoretische A r b e i t Heinrich Stolls

128

3. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Frage der aktiven Parteifähigkeit der Gewerkschaften 130 Quellen- u n d Literatur-Verzeichnis

135

Abkürzungsverzeichnis 1 ABGB

österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch.

ABR

Archiv f ü r Bürgerliches Recht.

AcP

Archiv f ü r die civilistische Praxis.

ADAV

Allgemeiner Deutscher Arbeiter Verein.

ALR BR Dresdner E.

Allgemeines Landrecht f ü r die Preußischen Staaten. Bundesrat. E n t w u r f eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse von 1866. Drucks. BR Drucksachen des Bundesrates. Drucks. R T Drucksachen des Reichstages. G.L.A. Generallandesarchiv, Karlsruhe. Gruchot-Beiträge Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, begründet v o n Gruchot. IAA Internationale Arbeiterassoziation.

JW L.Z. Mot. Mot. T E

Juritische Wochenschrift. Leipziger Zeitschrift f ü r Deutsches Recht. Motive. Begründung zum T e i l e n t w u r f Allgemeiner Teil.

Prot. Prot. I

Protokolle. M i t Datum, ohne S e i t e n z a h l . . . Die nicht durchgehend paginierten Protokolle der 1. Kommission bis zur Sitzungsperiode i m Oktober 1881. M i t D a t u m u n d S e i t e n z a h l . . . Die seit Oktober 1881 durchgehend paginierten Protokolle der 1. Kommission, 2. Legislaturperiode bis 1888. Metallographierte Protokolle der 2. Kommission. Metallographierte Protokolle der v o m Reichsjustizamt 1890 eingesetzten Vorkommission. Protokolle zum E n t w u r f eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse v o n 1866. Reichsoberhandelsgericht. Reichstagsrede. Reichsverfassung. Stenographische Berichte des Reichstages des Norddeutschen Bundes u n d des Deutschen Reiches. Warneyers Jahrbuch der Entscheidungen.

Prot. I

Prot. I I Prot. I I I Prot. Obligationenrecht ROHG RR RV Sten.Ber. Warn.

1 F ü r die hier fehlenden gebräuchlichen Abkürzungen der Juristensprache vgl. Kirchner, Hildebert: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 2. verbesserte u n d vermehrte Auflage, B e r l i n 1968.

Einleitung I m Anschluß an die Arbeiten von Schubert 1 und Mertens 2 , welche die bis heute noch immer lückenhaften Kenntnisse von der Entstehung des BGB und vieler seiner Rechtsinstitute durch Einzeluntersuchung bestimmter Rechtsgebiete erweitern, w i l l die vorliegende Arbeit die Entstehung des Vereinsrechts des BGB vor dem Hintergrund der aufstrebenden Arbeiterbewegung beschreiben. Das Vereinsrecht als ein besonders ergiebiges Untersuchungsfeld, wenn auch „wunder Punkt" des sonst besser ausgeglichenen Gesetzgebungswerkes, bot sich auch unter dem Gesichtspunkt der heute wieder lebhaft umstrittenen Frage, inwieweit alles Recht — einschließlich des Zivilrechts — politisch bedingt ist 3 , für einen weiteren Beitrag nach A r t der genannten Monographien an. Obwohl die Schriften zum Vereinsrecht des BGB schon nach Hunderten zählen, ist bis heute, soweit ersichtlich, nicht der Versuch unternommen worden, den politischen Problemen, i m Zusammenhang m i t der Neugestaltung des Privatvereinsrechts, durch Auswertung von Akten der Justizministerien einzelner damaliger Staaten nachzugehen. Es fehlt selbst eine genaue Analyse, der den gekürzten amtlichen Materialien zugrunde liegenden, i n wenigen Exemplaren noch existierenden umfangreichen Protokolle, Vorlagen und Teilentwürfe, besonders der 1. Kommission. Für die vorliegende Arbeit hatte der Verfasser die besondere Gelegenheit, die vollständigen Arbeitsunterlagen — gleichzeitig die kompletten „Urmaterialien" — des Redaktors des Allgemeinen Teils, Albert Gebhard, Mitglieds beider Kommissionen und Kommissars des Reiches bei der parlamentarischen Behandlung des Gesetzentwurfs, benutzen zu können. Sie waren ein Geschenk der Witwe des Redaktors an das juristische Seminar i n Heidelberg und befinden sich i m dortigen Archiv. Weil das Vereinsrecht bekanntlich m i t einem „ständigen mißtrauischen Seitenblick auf die Gewerkschaften" 4 geschaffen worden ist, und um die Tätigkeit der gesetzgebenden Faktoren am Vereinsrecht i m Zusammenhang und Wechselspiel der politischen Kräfte wertend dar1

Die Vorschriften des B G B über Besitz u n d Eigentumsübertragung — E i n Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB. 2 Die Entstehung der Vorschriften des B G B über die gesetzliche Erbfolge u n d das Pflichtteilsrecht (vgr. die dortigen Einleitungen). 3 Vgl. ζ. B. Wiethölter, Recht u n d P o l i t i k i n ZRP 1969, S. 155 ff. 4 Stoll, S. 61.

10

Einleitung

stellen zu können, war es erforderlich, der Arbeit eine abrißartige Beschreibung der frühen Arbeiterbewegung und der staatlichen Sozialpolitik voranzustellen und die Entstehungsgeschichte einzelner Vereinsrechtsvorschriften i m Detail zu erläutern. Zwar hat schon Schubert die Entstehungsvorgänge des BGB insgesamt geschildert, jedoch erschien i m Rahmen der vorliegenden Abhandlung eine noch detailliertere, auf das Vereinsrecht zugeschnittene Beschreibung der Entstehungsgeschichte des Allgemeinen Teils unumgänglich 5 . Die Arbeit beschränkt sich nahezu ausschließlich auf den Kernpunkt des Vereinsrechts, d. h. auf die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen gewissen körperschaftlichen Gebilden eine eigene Rechtspersönlichkeit zugestanden oder wieder entzogen werden kann. Sie behandelt Fragen der Vereinsorganisation oder der Haftung gegenüber Dritten nur, wo dies i m Zusammenhang m i t dem Kernproblem von Interesse erscheint. Da damals fehlende öffentlich-rechtliche Vereinsvorschriften oft durch die besondere Ausgestaltung der Privatrechtsnormen kompensiert werden sollten, ist an einigen Stellen auch auf das öffentliche Vereinsrecht eingegangen worden. Schließlich enthält die Arbeit einen Ausblick auf die Entwicklung der nichtrechtsfähigen Vereine, was insbesondere i m Zusammenhang m i t zwei neueren höchstrichterlichen Entscheidungen einen aufschlußreichen Einblick i n die Entstehung und die allmähliche Beseitigung einer gesetzgeberischen Fehlentscheidung ermöglicht. Die Bearbeitung des Themenkreises hat Herr Professor Dr. A. Laufs angeregt, dem ich darüberhinaus für die vielfältige Förderung der Arbeit zu aufrichtigem Dank verpflichtet bin.

5

Wie hier f ü r das Erbrecht Mertens, ebenda.

Erster

Teil

Beginn der Arbeiterbewegung und Grundlinien deutscher Sozialpolitik 1.

Märzrevolution

Erst seit der Revolution des Jahres 1848 kann man von einer nennenswerten deutschen Arbeiterbewegung sprechen 1. Unter Arbeiterbewegung werden hier die geistigen, politischen und organisatorischen Bemühungen der Arbeiterschaft und ihrer Berufsverbände verstanden, m i t denen soziale Gleichheit, Freiheit und Sicherheit für ihre Klasse errungen werden sollten. Der verzögerte Beginn einer deutschen Arbeiterbewegung ist darauf zurückzuführen, daß die Industrialisierung hier später und langsamer als i n England und Frankreich einsetzte m i t der Folge, daß ein Industrieproletariat, als die eigentliche Trägergruppe der Bewegung, nur zögernd entstand und länger als anderswo, trotz vielerorts entstehender Fabrikationsbetriebe, das hergebrachte Sozialgefüge erhalten blieb. Weiterhin bestanden neben den tatsächlichen auch rechtliche Hindernisse i n Form von repressiven Vereinsrechtsbestimmungen, die Arbeiterassoziationen fast gänzlich unmöglich machten. So verbot das preußische Vereinsedikt aus dem Jahre 17982 Gesellschaften und Verbindungen, „deren Zweck-, Haupt- oder Nebengeschäft darin besteht, über gewünschte oder zu bewirkende Veränderungen i n der Verfassung oder i n der Verwaltung des Staates oder über die M i t t e l wie solche Veränderungen bewirkt werden könnten . . . Beratschlagungen, i n welcher Absicht es sey, anzustellen". Außerdem war i n der Folge der Deutsche Bund scharf gegen oppositionelle Kräfte vorgegangen. Neben den Karlsbader Beschlüssen aus dem Jahre 1819, waren 1835 Maßnahmen gegen das Handwerksgesellentum und dessen Assoziationen und die Schriften des „Jungen Deutschland", einer literarischen Bewegung, beschlossen worden 8 . 1 Conze-Groh, S. 14, nennen die Arbeiter- u n d die Frauenbewegung als größte Folgeerscheinung der i m revolutionären Umbruch befindlichen Gesellschaft. 2 Huber, Dokumente Bd. 1, S. 58 ff. 8 Huber, ebenda, S. 136 ff.

12

1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

Aus diesen Gründen fanden sich vor Beginn der Revolution Ansätze deutscher Arbeitervereinigungen mit sozialrevolutionärem Programm nur i m Ausland 4 . Als solche bildeten sich i n der Schweiz unter Führung verfolgter Intellektueller (Demagogen) das „Junge Deutschland" 5 , i n Frankreich der Bund der Geächteten oder Gerechten und i n London der dem Chartismus nahestehende Zweigverband des Bundes der Gerechten 6 . Die Auslandsvereine und i h r Wirken dürfen allerdings nicht überschätzt werden. Die Mitgliederzahl blieb überaus gering, die Mitglieder selbst waren weniger Arbeiter als Handwerksgesellen, und auch der Ausdruck „Handwerkerproletariat" für diese Schicht ist zu weitgehend, da es an einem proletarischen Klassenbewußtsein fehlte. Auch ideologisch waren die verschiedenen Geheimbünde nicht gefestigt, vielmehr standen nebeneinander Bestrebungen für die deutsche Einheit und Freiheit, für Republik und Verbrüderung der Völker, für Freidenkerei, Urchristent u m und Kommunismus 7 . Es war eine Zeit des Gärens, i n der die mannigfachsten sozialistischen Lehren veröffentlicht und diskutiert wurden. Die Theorien und die Agitation der frühen Sozialisten schufen erst den Nährboden für den Kommunismus Marx'scher Prägung 8 . M i t dem Auseinanderbrechen des Deutschen Bundes i m Revolutionsjahr bildete sich sogleich eine Vielzahl von teilweise recht starken lokalen Arbeitervereinen 9 . A m stärksten waren der Kölner Arbeiterverein unter Dr. Gottschalk 10 , das Berliner Zentralkommitee für Arbeiter, der Berliner Arbeiterkongreß und das Zentralkommitee der deutschen A r beiterverbrüderung unter Stephan Born, einem Vertrauten von Marx und Mitglied des Kommunistenbundes 11 . Auffällig war, daß sowohl Born als auch Gottschalk sich mehr und mehr vom doktrinären Marxismus lösten und soziale Strukturverbesserungen innerhalb des bestehenden Systems anstrebten. Die ersten Arbeitervereine i n Deutschland endeten bereits m i t dem Sieg der Reaktion zu Beginn der fünfziger Jahre, u m jedoch m i t dem 4 I m einzelnen Wolf gang Schieder, Arbeiterbewegung, S. 35 ff., 68 ff.; ConzeGroh y S. 26. 5 Nicht identisch m i t der gleichnamigen literarischen Bewegung. 6 Ausführlich über diese Geheimbünde unter gründlicher Quellenanalyse Schraepler, Handwerkerbünde, S. 29 ff. 7 Schraepler, Handwerkerbünde, S. 31. 8 Daß M a r x vielfach auf die Frühsozialisten aufbaut, ist i n der Einleitung des Quellenbandes „die frühen Sozialisten" von Frits Kool u n d Werner Krause dargestellt. 9 I n der Verordnung über einige Grundlagen der künftigen preußischen V e r fassung v o m 6. 4. 1848 w a r bereits die Vereinsfreiheit gewährleistet worden, Huber, Dokumente Bd. 1, S. 367 ff. 10 Schraepler, Handwerkerbünde, S. 261 ff. 11 Schraepler, ebenda, S. 300 ff. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 1137.

1. Märzrevolution

13

Beginn der neuen Ä r a i m Jahre 1858 erneut, teilweise unter gleicher Führung, zu entstehen 12 . Der Konstitutionalismus i m Gefolge der 48er Revolution hatte jedoch für das Assoziationswesen neue Maßstäbe gesetzt: Während die Verfassungen des Frühkonstitutionalismus bis auf eine einzige Ausnahme 13 ein Grundrecht der Vereinigungsfreiheit nicht anerkannten, enthielten es i m Gegensatz dazu alle i m Gefolge der bürgerlichen Revolution entstandenen Verfassungen. Die alte Polarität zwischen Staat und Individuum hatte sich auf den Kampf von Gesellschaftsverbänden um ihre staatliche Anerkennung erweitert. I m Liberalismus des Vormärz hatte sich die Forderung nach Anerkennung eines Menschenrechts der Vereinigungsfreiheit durchgesetzt; es wurde vernunftrechtlich begründet und aus der persönlichen Freiheit abgeleitet 14 . Dementsprechend war i n § 162 Frankfurter Reichsverfassung das Recht der freien Vereinsbildung für alle Deutschen vorgesehen 15 . Dasselbe Grundrecht fand sich wieder i n der Revidierten Preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850: A r t . 30 Abs. 1 gewährte allen Preußen das Recht, sich i n Gesellschaften zu vereinigen, soweit sie nicht dem Strafgesetz zuwider laufende Zwecke verfolgten 16 . Der Absatz 2 stellte zur Ausfüllung des Grundrechts ein Ausführungsgesetz i n Aussicht, während i n Absatz 3 die Möglichkeit vorübergehender Beschränkungen und Verbote für politische Vereine i m Wege der Gesetzgebung vorbehalten worden w a r 1 7 . Das Ausführungsgesetz zu A r t . 30 wurde bereits am 11. März 1850 i n Form einer Verordnung über die „Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes" erlassen 18 . Das verhältnismäßig freiheitliche Gesetz verpflichtete i n § 2 die Vorsteher solcher Vereine, „welche eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezwecken", binnen drei Tagen nach Vereinsgründung ein Statuten- und Mitgliederverzeichnis vorzulegen. Außerdem waren die Vereinsversammlungen besonders anzuzeigen, worüber dann seitens der Polizeibehörde eine Bescheinigung ausgestellt werden mußte. I m Falle 12

Huber, ebenda. Grundgesetz f ü r die vereinigte landschaftliche Verfassung des Herzogtums Sachsen-Meiningen v o m 23. 8.1829. § 28; vgl. Müller, S. 252. 14 Müller, S. 260 ff. 15 Huber, Dokumente Bd. 1, S. 321. 16 Huber, ebenda, S. 404. 17 A r t . 31 hatte ein Gesetz über die Bedingungen, unter denen Korporationsrechte erteilt werden sollten, i n Aussicht gestellt. E i n solches Gesetz w a r jedoch nie erlassen worden. Die Vorschrift zeigt jedoch, w i e elementar schlichte V e r einsfreiheit u n d Rechtsfähigkeit als die passende Rechtsform f ü r größere Gruppierungen zusammenhängen. 18 Preußische Gesetzessammlung, S. 277. 13

14

1. Teil: Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

der Nichtbeachtung konnten die Versammlungen aufgelöst werden, § 5. I n § 8 war bestimmt, daß a) Frauen, Schüler und Lehrlinge politischen Vereinen nicht angehören oder beiwohnen dürften und b) das Inverbindungtreten m i t anderen Vereinen gleicher A r t „insbesondere . . . durch Komités, Ausschüsse, Zentral-Organe oder ähnliche Einrichtungen oder durch gegenseitigen Schriftwechsel" verboten sei. Verstöße gegen Bestimmungen des Vereinsgesetzes wurden m i t Geldstrafen bis 150,— Mark, Gefängnisstrafe zwischen 8 Tagen und drei Monaten oder Auflösung des Vereins geahndet §§ 16, 17. Eine Generalklausel, nach welcher Vereine bei Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Ruhe der Auflösung unterlegen hätten, enthielt das preußische Gesetz i m Gegensatz zu den Vereinsgesetzen anderer Bundesstaaten 19 nicht. Lediglich bewaffnetes Erscheinen und Aufforderung oder Anreizung zu strafbaren Handlungnen waren indiziert, § 5. Kurze Zeit nach der Verabschiedung des preußischen Vereinsgesetzes trat aber bereits der innenpolitische Umschwung i n Deutschland ein. Den vollständigen Sieg der restaurativen Kräfte kennzeichnete ein Beschluß des reaktivierten Deutschen Bundestages über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe i m Deutschen Bunde, insbesondere das Vereinswesen betreffend". § 8 des Beschlusses verpflichtete sämtliche Bundesregierungen, die auf ihrem Gebiet etwa noch bestehenden Arbeitervereine und Verbrüderungen, welche politische, sozialistische oder kommunistische Zwecke verfolgten, binnen zwei Monaten aufzuheben und die Neubildung solcher Vereine bei Strafe zu verbieten 2 0 . Zwar wurde der Beschluß i n Preußen, Bayern und Sachsen nicht verkündet und trat somit nicht i n Kraft, er verdrängte jedoch i n anderen Staaten wie Württemberg, Hannover und Hessen die liberaleren Landesgesetze21. 2. Kampf

um die

Koalitionsfreiheit

Der i n der Mitte des 19. Jahrhunderts i n vollem Umfang einsetzende Industrialisierungsprozeß brachte eine vollständige gesellschaftliche Neuorientierung m i t sich. Der Ubergang von der Handarbeit zur maschinellen Produktion m i t der Begünstigung von Großbetrieben, die einsetzende 19 Vgl. z.B. § 19 Bayerisches Vereinsgesetz v o m 26. 2. 1850; §§ 12, 23 Sächsisches Vereinsgesetz v o m 22. 11. 1850; § 4 Badisches Gesetz v o m 21. 11. 1867; § 5 Mecklenburg-Schwerinsche Verordnung v o m 2. 5. 1877; § 5 Braunschweigisches Gesetz v o m 4.8.1853; abgedruckt bei Lisco u. Rump. 20 Huber, Dokumente Bd. 2, S. 7. 21 Stimmt man m i t Müller, S. 331 darüber überein, daß die Geschichte der Vereinsfreiheit ein „recht zuverlässiger Spiegel der allgemeinen Verfassungsgeschichte" ist, so gibt die Vereinsrechtsentwicklung i n den meisten Staaten beredtes Zeugnis v o n der Rückwärtsentwicklg. nach 1850.

2. K a m p f u m die Koalitionsfreiheit

15

Landflucht m i t der Entstehung eines Industrieproletariats, die Umstellung der Wirtschaft vom Bedarfsdeckungs- auf das Uberschußprinzip, der Ubergang vom Natural- zum Geldlohn und die übrigen bekannten Folgeerscheinungen der neuen Wirtschaftsordnung hatten eine plötzliche Dekorporation, Disproportionierung und Entsittlichung der Gesellschaft zur Folge, wie Deutschland sie i n solchem Ausmaß nie zuvor erlebt hatte 2 2 . Die Auflösung der alten Gesellschaft und die Sprengung des hergebrachten Lebensrahmens weckten, insbesondere i n den unteren Gesellschaftsklassen, das elementare Bedürfnis zu neuer Assoziation. Es drohte der Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft i n die Klasse der Besitzenden und der Besitzlosen und damit der Kampf der besitzlosen Massen und ihren Anteil am Sozialprodukt. Dabei waren von Anfang an die Chancen der Arbeiterbevölkerung auf Verbesserung ihrer Lage durch den i m Gefolge gleichbleibender Produktion bei gleichzeitiger starker Bevölkerungszunahme entstehenden Pauperismus denkbar gering. Die wirtschaftliche Situation war so labil, daß jede ernsthafte Konjunkturkrise zur Strukturkrise führen mußte 2 3 . Die Hauptübelstände, deren Beseitigung die Arbeiterschaft erstrebte, waren geringes Einkommen und allgemein geringe Bedürfnisbefriedigung, Ubermaß an Arbeitszeit, Gefährlichkeit der Arbeit, Kinderarbeit, Frauenarbeit trotz großer zu versorgender Familien und katastrophale Wohnungsverhältnisse 24 . Lähmend w i r k t e aber auf jede Initiative vor allem die mangelnde Hoffnung der Lohnabhängigen auf Besserung der Lage durch eigene Kraft. Da von Seiten der Unternehmer nur vereinzelt Sozialleistungen gewährt wurden, teilweise aus Selbstsucht, teilweise wegen der schlechten Ertragslage bei erdrückender ausländischer Konkurrenz, war A b hilfe nur möglich durch Solidarität aller Lohnarbeiter i m Kampf u m sozialen Fortschritt. Nicht von der Arbeiterschaft jedoch, sondern überwiegend von liberalen Politikern, die teilweise i n Deutschland und i m Ausland schon vor 1848 Handwerker- und Bildungsvereine zur Verbesserung der Lage der Arbeiter gegründet hatten, gingen die Emanzipationsbestrebungen der Arbeiter aus 25 . Von dort wurde K r i t i k laut an der preußischen Gewerbeordnung von 1845, die aus Furcht vor Sozialrevolutionären Streikbewegungen i n den §§ 181 ff. Koalitionsverböte normiert hatte 2 6 : Schlechthin 22

Corize , Staat u n d Gesellschaft, S. 248. Fischer, S. 170. 24 Schraepler, Quellen, S. 46 ; ausführlich zur Lage der Industriearbeiter der 50er Jahre i n Deutschland Herkner, Bd. 1, S. 17 ff. 25 Bebel, Leben, S. 58; Kulemann, S. 1; vereinzelt waren auch Arbeiter die führenden Köpfe, w i e z. B. der Schneider W i l h e l m Weitling m i t seinen sozialen, an der christlichen Lehre orientierten Theorien, i m einzelnen Schraepler, Handwerkerbünde, S. 65 ff., Kool u. Krause, Bd. 2, S. 465 ff. 26 Z u m Folgenden Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1135 ff. 23

16

1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

verboten waren Verbände, die m i t Mitteln des Arbeitskampfes Verbesserungen erstrebten, während wirtschaftsfriedliche Organisationen der polizeilichen Genehmigung bedurften. Außerdem war der Bruch des Arbeitsvertrags, sogenannter Kontraktbruch, besonders strafbar. M i t der Aufnahme des Grundsatzes der Vereinsfreiheit i n die preußische Verfassung von 1850 und dem darauf ergangenen preußischen Vereinsgesetz entfiel der Erlaubnisvorbehalt für wirtschaftsfriedliche Koalitionen. Als Strafbestimmungen und damit gemäß § 5 des Gesetzes i n K r a f t blieben jedoch die Koalitionsverbote für „Streikvereine". Da jedoch nach außen keine Koalition des Arbeitsrechts Streik oder Boykott i n ihre Statuten aufnahm, konnte eine große Zahl von Verbänden entstehen. Auch Arbeitskämpfe wurden zu dieser Zeit geführt. Dennoch soll die Zahl der darauf ergangenen polizeilichen Repressivmaßnahmen bemerkenswert gering geblieben sein 27 . Als Neugründungen zu Beginn der „Neuen Ä r a " (1858) sind insbesondere zu erwähnen: der Tabakarbeiter-, Buchdrucker-, Zimmerer- und Schneiderverband. Anders als i n England waren aber die frühen A r beitervereine die einzigen, die nicht i m „Kielwasser" der politischen Parteien und damit ideologisch ausgerichtet, entstanden waren 2 8 . M i t Beginn der „Neuen Ä r a " hatten sich auch i n Preußen die Stimmen gemehrt, die für eine generelle Aufhebung des Koalitionsverbotes eintraten. Der Liberalismus und die Freihandelslehre waren dahin übereingekommen, daß der seit 1811 gewährleisteten Gewerbefreiheit das unbeschränkte Koalitionsrecht nicht entgegenstehe, sondern geradezu entspreche. I m Februar 1865 wurde erstmalig i m preußischen Abgeordnetenhaus seitens der Regierung das Einverständnis m i t der Aufhebung der Koalitionsverbote zum Ausdruck gebracht. Wegen der vorzeitigen Schließung des Abgeordnetenhauses i m Februar 1866 konnte jedoch ein entsprechender Entwurf nicht mehr verabschiedet werden, obwohl alle Parteien i h m bereits zugestimmt hatten 2 9 . Schließlich hob die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes (1869), die sich diesbezüglich an ein schon 1861 ergangenes sächsisches Gesetz anschloß, die Koalitionsverböte i n weitem Umfang auf. Wegen ihrer freiheitlichen Grundhaltung besonders bemerkenswert erscheinen die Motive des preußischen Entwurfs von 186630. Sie leiteten das „liberale Jahrzehnt nach Königgrätz" ein und waren zudem Aus27

Huber, ebenda, S. 1137. Ritter, S. 13; die nach 1863 gegründeten Vereine standen aber der sozialdemokratischen Bewegung zunächst sehr nahe. So w a r Fritzsche, der Gründer des Tabakarbeitervereins, Vizepräsident des A D A V , vgl. Schröder, S. 177. 29 Loening, S. 264. 30 Abgedruckt bei Berlepsch, S. 123 ff. 28

2. K a m p f u m die Koalitionsfreiheit

17

druck des Versuchs der preußischen Staatsführung, der i n der Einführung des allgemeinen Wahlrechts (1866) gipfelte, eine Verbindung mit der Arbeiterschaft gegen den oppositionellen Flügel der Liberalen herzustellen 31 . Die veränderte Einschätzung der politischen Lage kam schon auf den geheimen Konferenzen Bismarcks m i t dem Führer der politischen A r beiterbewegung, Lassalle, i m Jahre 1863 zum Ausdruck 3 2 , als sie sich ihrer übereinstimmenden Interessen i n bezug auf die Ausschaltung der liberalen Opposition innegeworden waren und weitere Berührungspunkte i n ihrer gemeinsamen patriotischen und monarchistischen Uberzeugung feststellten, wenngleich es dabei für Lassalle nicht klar war, ob das Königtum von der Dynastie Hohenzollern oder Lassalle sein sollte 33 . Lassalle erhoffte von Bismarck Gewährung der Koalitionsfreiheit und Einführung des allgemeinen Wahlrechts, während Bismarck i m Kampf gegen die Liberalen bei dem Arbeiterführer Rückhalt suchte. Die Anhängerschaft Lassalles war jedoch für ein echtes Tauschgeschäft zwischen Realpolitikern nicht ausreichend groß. Der frühe Tod Lassalles, er fiel 1864 i m Duell, ließ die Gespräche bloße Episode bleiben 3 4 . I n den Motiven zum Entwurf der preußischen Gewerbeordnung hieß es i n auffälligem Gegensatz zu späteren rückschrittlichen Entwicklungen: „Koalitionsverböte sind gegen Arbeitgeber ohne Bedeutung. Jeder industrielle Unternehmer bildet schon für sich seinen Arbeitern gegenüber die planmäßigste, konzentrierteste und stetigste Union. Er bedarf der Koalition nicht; . . . ist es von Wert, daß die Arbeiter i n der Vereinigung die K r a f t suchen können . . . , durch die Androhung gemeinschaftlicher Arbeitseinstellung ein richtigeres Verhältnis i n der Bemessung des Lohnes zum Unternehmergewinn herbeizuführen. . . . Die Koalition kann auch andere an sich nicht verwerfliche Zwecke haben, wie die Verbesserung gesundheitsschädlicher Einrichtungen i n Fabriken, die Änderung von Fabrikordnungen, welche den Arbeitern nachteilige Bestimmungen e n t h a l t e n . . . . Daß das Gesetz (Koalitionsbeschränkungen) dem Arbeitgeber gegenüber ohne praktische Bedeutung sei, ist dem Arbeiter nicht verborgen. Die Empfindung davon erzeugt das Mißverständnis, 31

Rothfels, Prinzipienfragen, S. 9 u n d 11. Na'aman, S. 55 ff. 33 Bismarck gab später auf Anfragen der Sozialdemokraten i m Reichstag seine Gespräche m i t Lassalle zu, verharmloste sie jedoch, w e i l sie dem v e r änderten politischen Konzept nicht mehr entsprachen. (Sten.Ber. 4. Legislaturperiode I), Session 1878, S. 66 ff. 34 Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 3, S. 322; Rothfels, Prinzipienfragen, S. 11; Na'aman, S. 69; ob Bismarck auch das Organ des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, das der Lassalle Nachfolger Schweitzer 1864 herausbrachte, finanzierte, wie i n der Schriftenreihe Demokratie und Sozialismus, S. 3, behauptet w i r d , konnte nicht bestätigt werden. 32

2 Kögler

18

1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

daß die Beschränkung lediglich zugunsten der Arbeitgeber bestehe und diesen die Macht verbleibe, die Löhne nach ihrem Vorteil zu bestimmen 3 5 ." Weniger weitgehend als der preußische Entwurf waren die schließlich für den Norddeutschen Bund zustandegekommenen Vorschriften der neuen Gewerbeordnung, die später auch für das Deutsche Reich fortgalt. § 152 gewährte das freie Koalitionsrecht 36 nur „gewerblichen Gehülfen oder Fabrikarbeitern", so daß es für landwirtschaftliche Arbeiter und Dienstboten bei den meist einschränkenden Gesindeordnungen der Einzelstaaten verblieb 3 7 . Außerdem enthielt der Absatz 2 den Koalitionsabreden den staatlichen Schutz vor, aus ihnen fanden weder Klage noch Einrede statt, es waren bloße Naturalobligationen. § 153 stellte den sogenannten Koalitionszwang unter Strafe; das war die Bestimmung anderer mittels Zwang, Drohung, Ehrverletzung oder Verrufserklärung, an Arbeitskämpfen teilzunehmen. Heftig umstritten war die Frage, inwieweit bestehende Verbote oder Strafbestimmungen gegen Arbeitskämpfe durch die neuen Bestimmungen hinfällig geworden waren. Unbestritten anwendbar blieben die allgemeinen Strafgesetze wie Nötigung und Erpressung 38 . Außerdem sollte nur die unmittelbare Einwirkung auf den anderen Teil zur Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen unter den Schutz des § 152 fallen; es mußte der konkrete Arbeitsvertrag Gegenstand des Tarifstreits sein. Demnach blieben die Landesgesetze einschlägig, soweit die Verbesserung der Lage der Arbeiter i m allgemeinen bezweckt wurde oder ein Verein i n das Gebiet der allgemeinen Sozialpolitik übergriff, etwa durch Vorschläge zur Gesetzesänderung oder Petitionen 3 9 . Diese Erkenntnisse waren von der Rechtsprechung herausgearbeitet worden 4 0 . Das Reichsgericht hate am 10. November 1887 entschieden: „Sobald i r gendwelche gewerbliche Koalitionen behufs Erlangung günstiger Lohnund Arbeitsbedingungen das Gebiet des gewerblichen Lebens m i t seinen konkreten Interessen verlassen, sobald sie hinübergreifen i n das staatliche Gebiet, sobald sie die Organe und die Tätigkeit des Staates für sich i n Anspruch nehmen, hören sie auf, gewerbliche Koalitionen zu sein und wandeln sich i n politische Vereine um, die als solche den Beschränkungen des Vereins- und Versammlungsrechts unterliegen. Nicht lediglich die 35

Berlepsch, ebenda. „Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger L o h n - u n d Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der A r b e i t oder Entlassung der Arbeiter." 37 Landmann, § 152, A n m . 2. 38 Landmann, § 152, A n m . 3e; Loening, S. 269. 39 Landmann, § 152, A n m . 3a; Loening, S. 265. 40 RGSt. Bd. 16, S. 383 ff.; Bd. 22, S. 339 ff. 36

3. Entstehung parteigebundener Arbeiterberufsvereine

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allgemeine Tendenz und das letzte Ziel, sondern zugleich Form und Mittel der Vereinsbestrebungen entscheiden darüber, ob sie politischen Charakter an sich tragen." I n der Praxis hatte das zur Folge, daß Arbeitervereine, sobald sie z.B. Fabrikgesetzgebung, Normalarbeitertrag oder Sonntagsruhe debattierten oder Resolutionen abfaßten, den Bestimmungen der Landesrechte über politische Vereine unterlagen. Für Preußen bedeutete dies wegen der Uberörtlichkeit der meisten Arbeitervereine gleichzeitig die Auflösungsmöglichkeit wegen Verstoßes gegen das Affiliationsverbot, gem. § 8 des Vereinsgesetzes. Arbeiterinnenvereine, die als Koalition i m Sinne der Gewerbeordnung erlaubt, als politische Vereine aber per se unerlaubt waren, konnten bei Behandlung öffentlicher Angelegenheiten aufgelöst werden 4 1 . Da die Arbeitervereine kaum losgelöst von den allgemeinen sie bedrückenden Fragen auf das konkrete Arbeitsverhältnis unmittelbar einwirken konnten, befanden sie sich immer wieder unter dem Damoklesschwert drohender Auflösung aufgrund der politischen Vereinsgesetze. Die strenge Anwendung des § 153 bei Koalitionszwang und das Fortgelten der allgemeinen Strafgesetze machten außerdem jeden Streik zu einem unwägbaren Risiko, jedenfalls immer dann, wenn Streikposten aufgestellt wurden. A u f diese Weise war die grundsätzlich gewährte Koalitionsfreiheit wiederum fühlbar eingeschränkt. I n späteren Entscheidungen trug die Rechtsprechung der Zwangslage der A r beitervereine allerdings insoweit Rechnung, als das politische Vereinsrecht immer seltener für anwendbar gehalten wurde 4 2 . 3. Entstehung

der parteigebundenen

Arbeiterberufsvereine

Nachdem die Koalitionsfreiheit erkämpft war, setzte nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, eine Welle planmäßiger Berufsvereinsgründungen 43 ein, vielmehr waren Zeitungsberichte, die Max Hirsch, Mitglied der Fortschrittspartei, i n dem Publikationsorgan seines Partei41 Das Reichsgericht hatte i n einem, soweit ersichtlich, nicht veröffentlichtem U r t e i l aus dem Jahre 1887 die Auflösung eines Arbeiterinnenvereins bestätigt, w e i l u. a. über die „Lösung der sozialen Frage", über Freiheit, Gleichheit, B r ü derlichkeit u n d die Erhöhung des Nähgarnzolles debattiert worden war, Acta Oberpräsidium A b t . 403 Nr. 6826, Schreiben v o m 4.4.1887, S. 21 ff. 42 Acta, ebenda, S. 83, zusammenfassender Zeitungsbericht über die Liberalisierung der Rechtsprechung des Reichsgerichts „Neue Presse" Nr. 256 v o m 1.11.92; vgl. auch RGSt Bd. 22, S. 339 gegenüber Bd. 16, S. 383. 48 „Die Berufs-, Fach- oder Gewerksvereine oder auch Gewerkschaften sind vereinsmäßige Verbindungen der Arbeiter eines u n d desselben Berufes oder Gewerbes, u m ihre Interessen zu verfolgen, um, unterstützt durch ein gemeinsames, gesammeltes Vermögen, durch Verhandlungen u n d Arbeitseinstellung den K a m p f u m bessere Arbeitsbedingungen k o l l e k t i v zu führen u n d ihre M i t glieder bei Arbeitseinstellungen, Arbeitslosigkeit u n d i n anderen Fällen zu unterstützen"; Definition nach Schmoller, S. 450.

2*

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1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

freundes Duncker, der „Berliner Volkszeitung", fortlaufend veröffentlichte, ausschlaggebender Anlaß zu Neugründungen. Hirsch berichtete i m Sommer 1868 über seine Erfahrungen, die er anläßlich einer Studienreise i n England m i t den dortigen trades unions gemacht hatte und empfahl schließlich die Nachahmung des englischen Beispiels i n Deutschland 4 4 . Schweitzer, der Präsident des 1863 von Lassalle gegründeten sozialdemokratischen Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 4 5 (ADAV) und scharfer politischer Gegner der Fortschrittspartei, griff den Gedanken der überregionalen Gewerkvereine auf und brachte bereits i m August 1868 auf der i n Hamburg tagenden Generalversammlung des A D A V den Antrag ein, Berufsorganisationen nach dem Vorbild der englischen trades unions ins Leben zu rufen 4 6 . Der Antrag wurde zwar abgelehnt, und es kam nur eine allgemeine Sympathieerklärung für die trades unions zustande, dies geschah aber, weil Lassalle Arbeiterberufsvereine abgelehnt hatte i n der Überzeugung, daß der Lohnkampf kein genügender Ansatzpunkt für die sozialistische Propaganda sei, sondern nur die politische Agitation zu rascher gesellschaftlicher Veränderung führen könne. Schweitzer plante jedoch, eine gewerkschaftsfreundliche Entscheidung auf dem für den 26. September 1868 i n Berlin geplanten A l l gemeinen Deutschen Arbeiterkongreß zu erzwingen und arbeitete eine Tagesordnung aus. Unterdessen war Hirsch aus England zurückgekehrt und bemühte sich sogleich, den der Fortschrittspartei nahestehenden Berliner Maschinenarbeiterverband für den Gedanken umfassender überregionaler Berufsvereine zu gewinnen. A u f einer Versammlung wurde beschlossen, eine Delegation von 12 Mitgliedern, darunter Hirsch, zu dem Schweitzerschen Arbeiterkongreß am 26. September zu entsenden. Auf dem Kongreß jedoch, bei dem 206 Delegierte 142 000 Arbeiter aus 10 Orten vertraten, kam Hirsch nicht zu Wort. Er und seine Delegation wurden für verkappte Agenten des Kapitals erklärt und m i t Gewalt aus dem Saale entfernt 4 7 . Der Kongreß beschloß dann die Gründung eines Deutschen Gewerkschaftsbundes, während die vergewaltigte Minderheit wenig später auf einem Gegenkongreß unter Führung von Hirsch, Duncker und Schulze-Delitzsch zur Gründung eines Bundes nach dem Muster der englischen Gewerkschaften schritt. Man distanzierte sich vom 44 Z u m Folgenden Schmöle, S. 1 ff.; Kulemann, S. 1 ff.; Schmoller, S. 450 ff.; Herkner, Bd. 2, S. 307 ff.; Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1141 ff. 45 Z u r Gründung der Sozialdemokratischen Partei ausführlich Herkner, Bd. 2, S. 285 ff.; Huber, ebenda, S. 91 ff. 46 Schmöle, S. 2. 47 Kulemann, S. 3; Huber, ebenda, S. 1142; Schröder, S. 178, beschreibt Hirsch u n d Duncker als „Störer" der Verhandlungen.

3. Entstehung parteigebundener Arbeiterberufsvereine

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Schweitzerschen System, das ausschließlich Klassenhaß wecken und schüren wolle, und einigte sich auf ein Programm zu allmählicher friedlicher Verbesserung der Lage der Arbeiter auf der Grundlage der Harmonie, der Interessen von Kapital und Arbeit 4 8 . A m 18. Mai 1869 erfolgte dann der Zusammenschluß der Fachorganisationen zum „Verband der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine". Der Verband umfaßte bereits i m ersten Jahr seines Bestehens 12 Gewerkvereine m i t etwa 30 000 Mitgliedern 4 9 . So war die deutsche Gewerkschaftsbewegung von Anfang an i n zwei Lager gespalten, die sich aufs äußerste befehdeten. Schweitzers Deutscher Gewerkschaftsbund wurde schon am 26. Mai 1869 aufgelöst und i n den straffer organisierten „Allgemeinen Deutschen Arbeiterunterstützungsverband" überführt. Da sich nur ein Teil der lassalleanischen Gewerkschaften an der Überführung beteiligte, sank die Mitgliederzahl immer mehr. Sie ging von anfänglich etwa 36 000 auf schließlich nur ca. 5 000 Mitglieder zurück. Auch die 1869 auf dem Eisenacher Kongreß unter Sezession vom A D A V durch Bebel und Liebknecht gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei beschloß, eine eigene Gewerkschaftsgruppe aufzubauen. Zwar stand diese Entscheidung i m Widerspruch zum doktrinären Marxismus, der eine schrittweise nichtrevolutionäre Verbesserung der Lage der A r beiter ablehnte; man wollte jedoch nicht das gesamte Feld den HirschDunckerschen und audi nicht den lassalleanischen Gewerkschaften überlassen. Nach dem Programm der Eisenacher Gewerkgenossenschaften sollten die Fachverbände nicht nur an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen arbeiten, sondern außerdem Schule für Klassenkampf und soziale Revolution werden 5 0 . Die marxistischen Genossenschaften waren außerdem Mitglied der Internationalen Gewerkschaftsbewegung, die sich an die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) anschloß. Doch auch die marxistischen Gewerkschaften hatten zu Anfang nur wenig Erfolg. Erst m i t der Einigung der beiden sozialistischen Parteien auf dem Kongreß i n Gotha (1876), der auch die Vereinigung der Gewerkschaftsbewegungen m i t sich brachte, ging eine Stärkung der Gewerkschaftsverbände einher. Für das Jahr 1877 wurde die Zahl der Mitglieder aller sozialistischen Gewerkschaften i m Reichsgebiet auf 50 000 geschätzt (das entsprach ca. 2 1/2 % der Industriearbeiterschaft), während die den liberalen Parteien nahestehenden Gewerkschaften bis dahin auf ca. 16 500 Mitglieder zurückgegangen waren 5 1 . 48

Kulemann, S. 3 ff. Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1142; etwas abweichende Zahlen f ü r die sozialdemokratischen Gewerkschaften bei Schröder, S. 181,189. 50 Ausführlich Schmöle, S. 26 ff.; Programm bei Schröder, S. 182 ff. 51 Zahlen bei Huber, ebenda, S. 1143; desgl. Schröder, S. 189. 49

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1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

Während der Dauer des Sozialistengesetzes (1878 - 1890) waren die sozialdemokratischen Gewerkschaften zunächst fast vollständig unterdrückt worden, hatten sich dann aber, sofern sie den Schein sozialdemokratischer Führung und Programmatik vermieden, weiterentwickeln können, so daß sie 1890 fast 300 000 und bis 1904 sogar 1 M i l l i o n M i t glieder zählten. U m ein Uberlaufen der katholischen Arbeiterschaft i n die sozialistischen Gewerkschaften zu vermeiden, begann auch der deutsche Katholizismus vom Jahre 1889 an, Gewerkschaftspolitik zu betreiben 52 . Daneben hatte sich i m Jahre 1890 der „Gesamtverband evangelischer Arbeitervereine Deutschlands" konstituiert. Aus der Mitte der Arbeiterschaft war jedoch immer dringender die Schaffung interkonfessioneller Gewerkschaften, bei denen die Gewerkschaftsarbeit i m Vordergrund und die Förderung christlicher Gesinnung mehr i m Hintergrund stehen sollte, gefordert worden 5 3 . I m Jahre 1899 fand der erste Kongreß christlicher Gewerkschaften i n Mainz statt. U m das Jahr 1900 hatten die christlichen Gewerkschaften etwa 80 000 Mitglieder 5 4 . Die staats- und sozialpolitische Haltung dieser Gewerkschaften war bestimmt durch das Bekenntnis zur bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung. Klassenkampf und Umsturz wurden abgelehnt, Streiks nur ausnahmsweise gebilligt, wodurch gleichzeitig die Kampfstellung zu den sozialistischen Gewerkschaften begründet war. Über die Arbeitskämpfe der frühen Gewerkschaften bis etwa 1890 gibt es wenig zuverlässiges statistisches Material. Von 1869 bis 1874 sollen wegen der Hochkonjunktur erste Streikwellen stattgefunden haben und Lohnsteigerungen von 20 bis 100 % erreicht worden sein 55 . Daneben w i r d von dem unglücklich verlaufenen sogenannten „Waldenburger Streik" berichtet, m i t dem ca. 7 500 Grubenarbeiter gegen das Verbot der Grubenbesitzer, sich gewerkschaftlich zu organisieren, protestiert hatten. Der Streik endete nach acht Wochen m i t einer völligen Niederlage der Grubenarbeiter und war für die Gewerkschaftsbewegung ein großer Rückschlag 56 . Während der Konjunkturkrise von 1874 bis 1888 soll es nahezu keine Streiks gegeben haben. Von 1888 an aber stieg die Zahl der Streiks m i t der sich verbessernden Wirtschaftslage erneut sprunghaft an. A n dem großen Ruhrbergarbeiterstreik des Jahres 1889 nahm mit 90 000 Arbeitnehmern fast die gesamte Arbeiterschaft des

52 Z u m Folgenden Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1228 ff.; S. 108 ff. 53 Kulemann, S. 148. 54 Rassow, Quellensammlung, S. 160. 55 Kulemann, S. 482. 56 Kulemann, S. 4.

Kulemann,

4. Das Streben der Gewerkvereine nach Rechtsfähigkeit

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Ruhrkohlenbergbaus teil 5 7 . Dieser Streik war politisch höchst bedeutsam und lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit vermehrt auf die sozialen Probleme, da durch die Arbeitseinstellung der Zusammenbruch der Kohleversorgung für das gesamte Reich — und vor allem auch die Marine — drohte. Außerdem war der Streik mitursächlich für die Auseinandersetzung Bismarcks m i t dem jungen Kaiser, der m i t Bismarcks Entlassung endete. Bis zum Jahre 1900 waren insgesamt mehr als 1 M i l l i o n Arbeiter i n den Ausstand getreten 58 . 4. Das Streben

der Gewerkvereine

nach

Rechtsfähigkeit

59

Nachdem Schulze-Delitzsch zur besseren Selbsthilfe für die Genossenschaften i m Jahre 1868 ein Gesetz erreicht hatte, das ihnen die Möglichkeit der Erlangung von Korporationsrechten nach dem Normativsystem erschloß, beantragte er am 4. Mai 1869, unterstützt durch seine Parteigenossen Hirsch und Duncker, die Zustimmung des Reichstages des Norddeutschen Bundes zu einem Gesetzentwurf, der den privatrechtlichen Vereinen den Erwerb der Rechtsfähigkeit nach dem Normativsystem ermöglichen sollte 60 . Die rechtsfähigen Vereine sollten nach diesem Entwurf den Gläubigern für die Verbindlichkeiten ausschließlich m i t dem Vereinsvermögen haften, § 12. Diese Vorschrift war i n der Kommission des Reichstages, wohin der Entwurf überwiesen worden w a r 6 1 , heftig umstritten. Sie wurde schließlich m i t 5 gegen 4 Stimmen angenommen 62 . Außerdem hatte die Kommission hervorgehoben, daß es für politische und religiöse Vereine bei den Vorschriften der Landesgesetze bleiben solle. I n der sich anschließenden Spezialdiskussion i m Reichstag hatte Schulze-Delitzsch betont, daß es i h m nicht u m ein Sondergesetz für Gewerkvereine gehe, sondern daß ein allgemeines neuzeitliches, aus den Fesseln des Konzessionsprinzips befreites Vereinsrecht entstehen solle 63 . Der Vereinsgesetzentwurf wurde schließlich am 57

Kirchhoff, S. 48 ff. Exakte Zahlenangaben f ü r die Zeit seit 1899 bei Rassow, Quellensammlung, S.163. 59 Welche Bedeutungen diese Bestrebungen f ü r den Redaktor des Allgemeinen Teils des BGB, Gebhard, hatten, zeigt die Tatsache, daß er sich alle diesbezüglich i m Reichstag verhandelten Vorgänge i n einem besonderen Band zusammenfassen ließ u n d darin i n erheblichem Umfange Anmerkungen u n d Unterstreichungen anbrachte. Diese Zusammenfassung befindet sich bei den nachgelassenen Schriften der BGB-Kommission; umfassend zu den Bestrebungen auch Thorndike, S. 113 ff., u n d Rassow-Born, Akten, S. 148 ff. 60 Reichstag des Norddeutschen Bundes, Sten.Ber., 1. Legislaturperiode 1869, Anlage Nr. 164. 61 Reichstag, Sten.Ber., ebenda, S. 958. 62 Reichstag, Sten.Ber., ebenda, Anlage Nr. 273, S. 13. 63 Reichstag, Sten.Ber., ebenda, S. 1336. 58

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1. Teil: Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

21. Juni 1869 vom Reichstag i n dritter Lesung angenommen. Wegen des Ausbruchs des deutsch-französischen Krieges kam es zu keiner Stellungnahme des Bundesrates. A m 16. Mai 1871 interpellierte der Antragsteller Schulze-Delitzsch beim Reichstage, ob eine Entscheidung des Bundesrates demnächst zu erwarten sei. Die Interpellation wurde dahin beantwortet, daß der Entw u r f i n einigen Punkten, insbesondere der Verleihung korporativer Rechte an Gewerkvereine, Bedenken gefunden habe, die noch nicht erledigt seien. Nachdem Schulze-Delitzsch den Entwurf erneut eingebracht hatte 6 4 , wurde das Gesetz zum erstenmal als das Mittel bezeichnet, den Arbeitervereinen ähnlich wie den trades unions i n England, die Möglichkeit zur adäquaten, friedlichen Vertretung ihrer Interessen zu gewähren. Der Entwurf gelangte erneut an eine Kommission des Reichstages. Hier polemisierte der konservative Abgeordnete von Stumm, ein erklärter Feind aller Gewerkschaftsbestrebungen 65 , der wie kein anderer die Entwicklung des Vereinsrechts bis um die Jahrhundertwende prägte, gegen die Einbeziehung der Gewerkschaften, weil dem Staate die Möglichkeit entzogen sei, die Gemeinnützigkeit eines Vereins vorab zu prüfen. Weil der Bundesrat nicht rechtzeitig zu dem Entwurf Stellung nahm, wurde von weiterer Beratung i n der laufenden Session abgesehen66. I m A p r i l 1872 kam der Antrag des Abgeordneten Schulze-Delitzsch erneut vor das Plenum 6 7 . Er fand dort sogleich scharfen Widerspruch des Abgeordneten von Keudell, eines Mitglieds der Deutschen Reichspartei, der hauptsächlich befürchtete, daß aufgrund des Entwurfs gemeinschädliche Vereine legal auf die Einführung der republikanischen Staatsform hinwirken könnten 6 8 . Neuerdings waren aber auch von liberaler Seite Bedenken laut geworden, weil der Staat nicht genügend prüfen könne, ob die Vereine bislang schon heilsam gewirkt hätten. Der Entwurf wurde erneut i n eine Kommission verwiesen, kam jedoch wegen des bevorstehenden Sessionsschlusses nicht mehr auf die Tagesordnung. „Als der Entwurf dann erneut auf der Tagesordnung erschien", schreibt Thorndike 6 9 , „genügte auf allen Seiten des Hauses seine bloße Erwähnung, u m die Vorstellung wachzurufen, daß hier etwas angeregt war, das die Beratung und Beschließung i n den Irrgarten der sogenannten sozialen Frage hinüberzuleiten drohte". I n der neuerlichen Kommissionsberatung war man sich einig, daß i m wesentlichen ein Gesetz über die Gewerk64 65 66 67 68 69

Deutscher Reichstag, Sten.Ber., 1. Legislaturperiode, I. Session 1871, Nr. 45. Vgl. Herkner, Bd. 1, S. 278. I m einzelnen Thorndike, S. 126. Reichstag, Sten.Ber., 1. Legislaturperiode, I I I . Session 1872, S. 74 ff. Reichstag, Sten.Ber., ebenda, S. 76 ff. S. 131.

4. Das Streben der Gewerkvereine nach Rechtsfähigkeit

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vereine vorliege, weshalb vorgeschlagen war, es seiner allgemeinen Natur zu entkleiden. Das geschah jedoch nicht, sondern es wurde lediglich bestimmt, daß nur solche Gewerkvereine rechtsfähig werden sollten, die vor Arbeitskämpfen statutenmäßig ein Schiedsverfahren festgesetzt hätten. Zu dieser Debatte i m Plenum kam es wie zuvor wegen Auseinandergehens des Reichstages nicht mehr. Parlamentarische Beratungen über einen Gesetzentwurf zur Rechtsstellung der Berufsvereine fanden zwischen 1872 und 1890 nicht mehr statt. Es gingen nur verschiedene Petitionen zu dieser Frage ein 7 0 . Seit Mai 1890 (Ende des Sozialistengesetzes) entwickelten die Fraktionen des Freisinns und vor allem des Zentrums wiederum besondere Aktivität, um ein Gesetz über die Berufsvereine zustande zu bringen 7 1 . Bis zur Jahrhundertwende waren nicht weniger als siebenmal Gesetzentwürfe des Zentrums und dreimal des Freisinns vorgelegt worden. Zu einem Gesetz kam es jedoch nicht, weil der Bundesrat seine Entscheidung immer wieder hinauszögerte oder sich gänzlich ablehnend verhielt. Schließlich wurde i m Jahre 1904 nach mehr als zwölf Gesetzesanträgen aus der Mitte des Reichstages, einer Resolution (1896) und einer Petition des Reichstages (1903) und ungezählten weiteren Petitionen und Interpellationen von privaten Verbänden, durch den Vorsitzenden des Bundesrates die Vorlage eines Entwurfs zur Rechtsfähigkeit der Gewerkschaften angekündigt 72 . Die Vorlage ging dann i m Oktober 1906 beim Reichstage ein. Zwar fehlte darin die den Berufsverbänden nachteilige Pflicht, dem Amtsgericht Mitgliederverzeichnisse vorzulegen 73 , jedoch waren i n § 13 so viele Fälle vorgesehen, unter denen Berufsvereinen die Rechtsfähigkeit entzogen werden konnte — satzungsfremder Zweck, Gefährdung der Sicherheit des Reiches, eines Bundesstaates oder von Menschenleben durch Arbeitskämpfe, Störung der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser und Licht — daß dies beim Reichstag als eine unzulässige Beschränkung der Koalitionsfreiheit erschienen war 7 4 . Der Gesetzentwurf kam daraufhin zu Fall. So erging schließlich i m Jahre 1908 ein publizistisches Reichsvereinsgesetz unter Verzicht auf gleichzeitige privatrechtliche Sonderbestimmungen über Erwerb und Verlust der Rechtspersönlichkeit. Es blieb insoweit bei der Regelung des BGB. 70

I m einzelnen Thorndike, S. 134 ff. Schon 1885 hatte der Zentralrat des Verbandes der deutschen Gewerkvereine (Hirsch-Duncker) eine Petition u n d 1890 einen vollständigen Gesetzentw u r f an den Bundesrat gesandt. I n dem E n t w u r f hieß es u. a.: „Die Arbeiterbewegung sei durch Anerkennung der gesetzmäßigen Organisation i n geregelte, befruchtende Kanäle zu leiten", Rassow-Born, Akten, S. 152 ff. 72 I m einzelnen Rassow-Born, Akten, S. 150 ff. 73 Die Arbeitgeber führten sogenannte schwarze Listen u n d stellten gewöhnlich keine Gewerkschaftsmitglieder ein, so Kuczynski, S. 293; RassowBorn, Akten, S. 149. 74 Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1244. 71

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1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

I n auffallendem Gegensatz zu den Bestrebungen der gemäßigten Gewerkschaften (Hirsch-Dunckersche Vereine, christliche Gewerkschaften) nach Rechtsfähigkeit stand die Zurückhaltung der sozialistischen Gewerkschaften i n dieser Frage. Die Sozialdemokratie hatte zwar immer das Prinzip der freien Körperschaftsbildung als alleinig-angemessen zur Erlangung der Rechtsfähigkeit bezeichnet 75 , weitere Vorstöße jedoch nicht unternommen. Dagegen richtete die Partei ihre ganze Energie darauf, ein freiheitliches öffentliches Vereinsrecht zu erkämpfen, insbesondere das Affiliationsverbot aufzuheben und das Koalitionsrecht der Arbeiter nicht durch die Anwendbarkeit von Landesgesetzen zu verwässern 76 . Anlaß zu dieser Zurückhaltung mögen Gerichtsentscheidungen anderer Länder gewesen sein, die den Gewerkschaften nach verschiedenen Streiks gewaltige Schadensersatzverpflichtungen auferlegt hatten 7 7 . 5. Der Verein

für

Sozialpolitik

I m Jahre 1872 wurde von liberalen Wirtschaftswissenschaftlern der Verein für Sozialpolitik gegründet 78 . Ziel des Vereins war, die immer stärker werdende Verelendung der Arbeiter durch steuernden Eingriff des Staates i n den Wirtschaftsablauf (Staatssozialismus) aufzuhalten. Dabei sollte i m Gegensatz zur Sozialdemokratie eine evolutionäre Verbesserung der Lage der Arbeiter erreicht werden. Von ihren Gegnern, den Anhängern des abstrakten Manchestertums (laisser faire, laisser aller) als Kathedersozialisten beschimpft, konnten die Vereinssozialisten die Verwirklichung eines Teiles ihrer maßvollen Vorstellungen insbesondere auf dem Gebiet der Fabrikgesetzgebung und des Arbeiterschut75 U. a. V o l l m a r i n einer Parteiversammlung 1891, vgl. Bernstein, S. 4; auch Bebel, Neue Zeit, S. 581 f.; Reichstag, Sten.Ber., 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895/96, S. 2744. 76 Bebel, ebenda. A m 26. 3. 1878 wurde der folgende, später mehrfach wiederholte Gesetzesantrag i m Deutschen Reichstag eingebracht: I. A l l e Einwohner des Deutschen Reiches haben das Recht, ohne polizeiliche Anmeldung oder Genehmigung zu jeder Zeit u n d an jedem Ort unter freiem H i m m e l wie i n geschlossenen Räumen sich zu versammeln u d Vereine zu politischen oder nichtpolitischen Zwecken zu gründen. I I . A l l e Vereins- u n d Versammlungsgesetze der Länder sind aufgehoben. (Zitat nach Töpfer, S. 126,145.) 77 Tafftalbahnprozeß i n England, vgl. Rassow-Born, Akten, S. 199; Rosenberg, S. 30. I n f o r m a t i v zur Schadensersatzpflicht deutscher Gewerkschaftsmitglieder: RGZ Bd. 47, S. 246 ff. I n vielen Fällen w a r bereits die A n k ü n d i g u n g von Streik als Erpressung u n d damit schadensersatzpflichtige unerlaubte Handlung gewertet worden. 78 Ausführlich Conrad, S. 37 ff.; Töpfer, S. 4 ff. I h m gehörten i n der Zeit seines Bestehens bis 1932 führende Sozialwissenschaftler u n d Politiker an, wie z. B. Schmoller, Brentano, Ad. Wagner, Hirsch, Duncker, Hitze Gierke etc.

5. Der Verein f ü r Sozialpolitik

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zes erreichen. Obwohl i n dem Verein neben Männern der Lehre und der Praxis auch fortschrittliche Unternehmer vertreten waren, forderte vor allem von Stumm regierungsseitiges Vorgehen gegen die „Irrlehrer des Staatssozialismus", die auch gleich nach ihrer Konstituierung die Rechtsfähigkeit für Arbeiterberufsvereine zum Programmpunkt erhoben hatten 7 9 · Bergwerkdirektor Stumm, der „König der Saar", dessen eigenes Sozialprogramm für seine Arbeiter ebenso wie das von Krupp, vorbildlich war, repräsentierte den Unternehmertyp seiner Zeit, für den das Schlagwort „Herr-im-Haus-Standpunkt" charakteristisch ist. Uberdeutlich kommt das i n den folgenden Worten Krupps zum Ausdruck: „ W i r wollen nur freie Arbeiter haben, die dankbar i m Herzen und i n der That dafür sind, daß w i r ihnen das Brod bieten, w i r wollen sie m i t aller Menschenliebe behandeln und für sie wie für ihre Familien sorgen, sie sollen das Maximum bei uns v e r d i e n e n . . . Dagegen soll aber niemand wagen, gegen ein wohlwollendes Regiment sich zu erheben und eher ist alles i n die L u f t zu sprengen, alles zu opfern als Arbeiterbegehr nachzukommen unter dem Drucke von Strike 8 0 ." Die Lage der Arbeiterbevölkerung hatte sich aber bis zur Jahrhundertwende kaum wesentlich verbessert. Pauschal war festzustellen, wie auch Bismarck dem Reichstag mehrfach vorrechnete 81 , daß eine Arbeiterfamilie bei ausreichendem Arbeitsangebot für alle Familienmitglieder auskömmlich existieren konnte. Ersparnisse, die Fortbildung oder gar den Sprung i n eine andere Gesellschaftsklasse ermöglicht hätten, konnten die Arbeiter jedoch i n aller Regel nicht bilden. Katastrophal wurde die Lage aber immer dann, wenn durch Arbeitslosigkeit oder I n validität eines oder mehrerer Familienmitglieder das Einkommen unter das Existenzminimum absank 82 . 79 Rassow, Quellensammlung, S. 25; auf Drängen Stumms wurden an preußischen Universitäten teilweise „Parallelprofessuren", die m i t einem „zuverlässigen M a n n " besetzt waren, durchgeführt. 80 Berdrow, S. 260 f.; die gleiche Einstellung findet sich bei Stumm, der auch sein gesamtes politisches Gewicht zur V e r w i r k l i c h u n g seiner Ideen einsetzte. Stumm verbot seinen Arbeitern bei Strafe der Entlassung die Lektüre des fortschrittlichen Neunkirchener Tageblattes u n d weiterer Blätter, außerdem die Zugehörigkeit auch zu äußerst gemäßigten, ζ. B. den christlichen Arbeiterverbänden (Herkner, Bd. 1, S. 278, A n m . 3). 81 Z . B . Poschinger, V o l k s w i r t Bd. I I , S. 106, RR v o m 9. 1. 82; Poschinger y ebenda, Bd. I I I , S. 18, RR v o m 15.1.1885. 82 Uneingeschränkt galt dies allerdings n u r bis zur Sozialgesetzgebung Bismarcks. Z u r Lage der Arbeiter i m einzelnen: Berlepsch, S. 163 ff.; Kuczynski, S. 251 ff.; Herkner, Bd. 1, S. 18 ff.; Schmoller, S. 191 ff.; zum Arbeitsalltag i n formativ die skandalöse Fabrikordnung abgedruckt bei Kuczynski, S. 282 f.; künstlerischen Ausdruck hat das Arbeiterelend besonders eindrucksvoll i n den plastischen Darstellungen v o n Käthe K o l l w i t z u n d den Werken Gerhard Hauptmanns gefunden; die A u f f ü h r u n g von „Die Weber" wurde 1892 v o m Berliner Polizeipräsidenten verboten, dann aber durch O V G - U r t e i l erlaubt.

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1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

Wenn auch der Verein für Sozialpolitik mit seiner Forderung nach Rechtsfähigkeit für die Gewerkschaften nicht durchdringen konnte, so bildet doch sein vermittelndes Wirken, von dem die Schriften des Vereins 83 Zeugnis geben, einen beachtenswerten Faktor der Sozialpolitik i n der damaligen Zeit. 6.

Sozialistengesetze

Die Vereinigung der Eisenacher m i t den Lassalleanern auf dem Einigungskongreß zu Gotha i m Jahre 1876 ließ die junge sozialdemokratische Bewegung zu einem wirklich beachtenswerten politischen Faktor werden. Zwar waren schon zuvor Sozialdemokraten i n den Parlamenten vertreten und hatten die etablierten Parteien durch ihre Reden aufhorchen lassen, ζ. B. Bebel, der 1871 i m Reichstag den Kampf der Pariser Kommune nur als „kleines Vorpostengefecht" bezeichnet und den Schlachtruf „Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Noth und dem Müßiggange" 84 als den des gesamten europäischen Proletariats prophezeit hatte; alles das und auch der Angriff der sozialdemokratischen Publikationen auf Monarchie, Militär, Eigentum und Kirche waren jedoch eher Randerscheinungen geblieben. Erst die Vereinigung, der Anstieg der Reichstagsmandate 85 und die wachsende internationalistische Ausrichtung der Partei 8 6 riefen verstärkt die Obrigkeit auf den Plan. Dies geschah, obwohl das Gothaer Parteiprogramm weit vorsichtiger abgefaßt worden war, als zuvor das Eisenacher und es die Erstrebung der sozialdemokratischen Ziele nur m i t allen gesetzlichen M i t t e l n vorsah 87 . Nachdem bereits 1874 und 1875 auf Betreiben der Polizei verschiedene sozialdemokratische Ortsvereine geschlossen worden waren, erging 1878 nach den Attentaten auf den Kaiser das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" (Sozialistengesetz). Seine Handhabung i n den ersten Jahren nach dem Erlaß brachte die gesamte 83 Es wurden 188 umfangreiche Bände m i t Vereinsschriften u n d Verhandlungsprotokollen veröffentlicht. Hier finden sich zuerst gründliche wissenschaftliche Enqueten u n d Bestandsaufnahmen über aktuelle soziale Probleme. 84 Reichstag, Sten.Ber., 1. Legislaturperiode, I. Session 1871, S. 291; erst diese Äußerung soll Bismarck nach eigenem Bekunden die Augen über die Sozialdemokratie geöffnet haben (Reichstag, Sten.Ber., 4. Legislaturperiode, I. Session 1878, S. 66 f.). 85 1871 1 Mandat, 1874 9 Mandate, 1877 12 Mandate; Zahlen bei Specht, S. 104. 86 Daß die deutsche Arbeiterbewegung weit nationaler w a r als die Führer wahrhaben w o l l t e n u n d die Polizei glaubte, weisen überzeugend nach: ConzeGroh, S. 75 ff. 87 Weidmann, S. 17; f ü r die Formulierung des Programms, das die scharfe K r i t i k von M a r x hervorrief, mag die Verurteilung v o n Bebel u n d Liebknecht i m Hochverratsprozeß 1872 eine tragende Rolle gespielt haben; Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1151, meint, seit Gotha sei die SPD auf dem Wege zur verfassungsmäßigen Reformpartei gewesen.

6. Sozialistengesetze

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sozialdemokratische Bewegung zum Erliegen 8 8 . Obwohl nicht gegen die Partei als solche, sondern nur gegen ihre revolutionären Bestrebungen gerichtet, wurden schlagartig nahezu alle Ortsvereine, Gewerkschaften, Hilfskassen und sonstige Organisationen der Partei aufgelöst. Selbst gedruckte Reichstagsreden der Sozialdemokraten, Wahlprogramme und Flugschriften wurden verboten. Insgesamt wurden 318 Vereine aufgelöst, 608 periodische und 1241 nicht periodische Druckschriften verboten, 900 Personen ausgewiesen und 1500 inhaftiert 8 9 . Für den preußischen Landesteil zeigt die Korrespondenz des Staatsministeriums m i t den Provinzregierungen deutlich die „Sozialistenhysterie" 9 0 : Die Eisenbahnverwaltungen wurden von Sozialdemokraten gesäubert 91 , die Urheberschaft an den Attentaten eindeutig den Sozialdemokraten zur Last gelegt, ein umfangreicher Spitzeldienst organisiert und der Ausbruch der Anarchie vorausgesagt 92 . Gleichzeitig wurden den Oberpräsidien regelmäßig Gerichtsentscheidungen über die Auslegung des Vereinsgesetzes mitgeteilt, darunter eine des Königlichen Kammergerichtes, i n der ein Sozialdemokrat als Redner auf einer unangemeldeten Versammlung bestraft worden war, w e i l er beim Begräbnis eines Genossen einen Kranz niedergelegt hatte m i t den einzigen Worten: „Diesen widmen D i r Deine Kollegen 9 3 (!)". I n den frühen 80er Jahren wurde das Sozialistengesetz milder angewandt, wogegen es von 1887 bis zum Außerkrafttreten i m September 1890 wiederum schärfer gehandhabt wurde 9 4 . Für die Zeit des Sozialistengesetzes ging die Partei i n den Untergrund. Die Parteitage fanden i m Ausland statt, die Programme wurden i m Sinne des revolutionären Marxismus verschärft 95 . Bei der ersten Wahl nach Ende des Sozialistengesetzes i m Jahre 1890 erhielten die Sozialdemokraten 1 427 000 Stimmen und 35 Sitze- womit sich das Sozialistengesetz als Fehlschlag erwiesen hatte 9 6 . Berlepsch, Bismarcks Nachfolger 88

Ausführlich Huber, ebenda, S. 1153; Steinhagen, S. 3 ff. Stern, Bd. 1, S. 10; etwas verschiedene Zahlen bei Berlepsch, S. 21. 90 Acta Oberpräsidium, Abt. 403, Nr. 6825; die gleiche panische Furcht w a r schon vorher bei anderen Anlässen zutage getreten, z. B. ani. der Überführung der balsamierten Leiche Lassalles, w e i l man Totenfeiern befürchtete. (Acta, ebenda, Nr. 6929.) 91 Die Bediensteten mußten schriftlich versichern, keine Anhänger der Sozialdemokratie zu sein. 92 Z u m gleichen Ergebnis k o m m t Pols, S. 56 ff., bei der Auswertung der entsprechenden A k t e n d. Staatsarchivs Marbg. 93 Acta, ebenda, Nr. 6826 v o m 10.10.1887, S. 41 f. 94 Stern, Bd. 3,1. S. X X X I X . 95 I m einzelnen Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1166. 96 Während die Konservativen infolge der Wahlkreiseinteilung 1871 i m E x tremfall n u r 9 000 Stimmen f ü r 1 Mandat benötigten, waren es bei den Sozialdemokraten 62 000 Stimmen, Schwarz, S. 123. 89

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1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

als Handelsminister, schrieb i n seinen Erinnerungen: „Man hatte die Wasser aufgestaut, nicht sie verschwinden lassen, und als das Stauwerk beseitigt war, brachen sie m i t verzehnfachter Kraft durch das Land 0 7 ." Noch während der Geltungsdauer des Sozialistengesetzes war i m Jahre 1884 das Sprengstoffgesetz wider anarchistisches Verbrechertum verabschiedet worden, das sich auch als Gesetz wider die Parteien des Umsturzes verstand, wenngleich die Sozialdemokraten sich immer wieder von den Anarchisten distanzierten 98 . Als sich während des Jahres 1894 die anarchistischen Anschläge gegen führende Politiker i n ganz Europa i n besorgniserregendem Umfang mehrten, hoffte die politische Führung, den Unwillen der Öffentlichkeit für eine bereits vorher geplante Verschärfung des Vereins- und Versammlungsrechts und der Aufruhrtatbestände ausnutzen zu können 9 9 . I m September 1894 rief Kaiser Wilhelm II. bei einer Rede i n Königsberg den preußischen Adel zum „Kampf für Religion, für Sitte und Ordnung gegen die Parteien des Umsturzes" 1 0 0 auf. Diese Kampfansage richtete sich nicht nur gegen den Anarchismus, sondern offensichtlich auch gegen den revolutionären Sozialismus. Anarchisten und Sozialisten müsse man i n einen Topf werfen, meinte der Kaiser 1 0 1 . Von Stumm begrüßte die Umsturzvorlage nachdrücklich, weil er i n ihr ein zweites Sozialistengesetz sah und forderte gleichzeitig den Kampf gegen den Universitätssozialismus 102 . Für i h n waren Sozialdemokraten und Anarchisten „ein Herz und eine Seele", für andere konservative Abgeordnete auf „halbem Wege steckengebliebene Anarchisten" 1 0 3 . Wegen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Fraktionen über die Ausgestaltung einzelner Vorschriften fand die Umsturzvorlage i m Reichstag keine Mehrheit. Als sogenanntes preußisches Sozialistengesetz oder kleines Sozialistengesetz wurde der Versuch der preußischen Staatsführung bezeichnet, eine erhebliche Verschärfung des Vereinsgesetzes von 1850 herbeizuführen 1 0 4 . Bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Friedens sollten alle Versammlungen und Vereine aufgelöst werden können. Wegen dieser weiten Fassung scheiterte das Gesetz i m

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S. 21. Ausführlicher m i t Nachweisen Steinhagen, S. 30 ff. 99 Z u m Nachfolgenden Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 256 ff. 100 Huber, ebenda, S. 259. 101 Hub er, ebenda. 102 Steinhagen, S. 46, gemeint waren v o r allem die akademischen Mitglieder des Vereins f ü r Sozialpolitik. 103 Steinhagen, ebenda. 104 Bezeichnend die starke Unterstützung des Gesetzes durch die Stahlindustriellen, Acta Oberpräsidium Nr. 6826, S. 343. 98

7. Sozialgesetzgebung

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Frühjahr 1897 i m preußischen Abgeordnetenhaus m i t 209 gegen 205 Stimmen 1 0 5 . Das letzte i n diesem Zusammenhang zu erwähnende Gesetz war die sogenannte Zuchthausvorlage 106 . Den Namen trägt das Gesetz nach einer Ankündigung Kaiser Wilhelm II., für alle Verstöße gegen das Verbot des Koalitionszwanges, die Zuchthausstrafe zu verhängen. Obwohl die Bestrebungen der Regierung, die sich häufenden Streikausschreitungen einzudämmen, keineswegs dahin gingen, für jede Zuwiderhandlung die Zuchthausstrafe einzuführen 1 0 7 , behielt das Gesetz während seiner Beratung i m Reichstag diesen Geruch. Das Zentrum als die stärkste Fraktion wollte den Wünschen der Reichsregierung nur dann entgegenkommen, wenn zuvor seine alte Forderung nach Rechtsfähigkeit der Arbeiterberufsvereine erfüllt würde 1 0 8 . Obwohl daraufhin zwischen den einzelnen Regierungen diesbezügliche Verhandlungen aufgenommen wurden, konnte keine bindende Zusage erteilt werden. Der Reichstag lehnte i n der Befürchtung unangemessener Einengung des Koalitionsrechts sogar die Überweisung des Gesetzentwurfs i n einen Ausschuß ab und brachte so der Regierung eine empfindliche Niederlage bei. Für das Gesetz hatten nur die Konservativen gestimmt. 7.

Sozialgesetzgebung

Bismarcks Sozialpolitik prägte den hier näher betrachteten Zeitraum. Wenngleich die Sozialpolitik, zumindest soweit sie Sozialverbände betrifft, gleichzeitig ein Stück Vereinspolitik bedeutet, verbietet sich i m Rahmen dieser Abhandlung aus Platzmangel eine eingehende Erörterung der komplexen und auch heute noch lebhaft umstrittenen Materie 1 0 9 . I n der gebotenen Kürze soll deshalb nur auf Entwicklungstendenzen eingegangen werden, die Voraussetzung für das Verständnis der vereinsrechtlichen Beschlüsse der BGB-Kommission sind. Als erstes Gesetz nach zwölf Jahren „sozialpolitischer Enthaltsamkeit" war i m Jahre 1876 das Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen 110 erlassen worden, das die Lage der Arbeiter i n Fällen sozialer 105 Die A r t der Behandlung des Entwurfs zeigt deutlich, daß es sich u m ein allerdings abgeschwächtes Sozialistengesetz handeln sollte, vgl. Acta Oberpräsidium, ebenda, S. 165. 106 Dazu Huber, ebenda, S. 1235 f. 107 Zuchthaus w a r n u r f ü r Extremfälle vorgesehen, gewollt w a r die Erweiterung des § 153 GewO. 108 Rassow-Born, Akten, S. 120 f. 109 v g l . Vogel; Rothfels, Prinzipienfragen, u n d Theodor Lohmann, S. 26 ff.; Lütge; Bosse, Reichsamt des Innern; Berlepsch, S. 29 ff.; Born, Motive u n d Staat u n d Sozialpolitik, S. 7 ff.; unkritisch die Diss, von Zeitlin; i n neuerer Zeit besonders Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1192 ff. u n d Stürmer. 110

RGBl. Nr. 9.

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1. T e i l : Arbeiterbewegung und Grundlinien deutscher Sozialpolitik

Not verbessern sollte 1 1 1 . Bei der Beratung des Gesetzes stellte sich erstmals die für alle späteren Sozialgesetze Bismarcks zentrale Frage, inwieweit der Staat befugt sei, i n Wirtschaftsabläufe regelnd einzugreifen (Staatssozialismus) und damit auch seine Machtposition zu erweitern. Außerdem zeigten die lebhaften parlamentarischen Auseinandersetzungen um die Frage, ob zwischen der Kasse und bestimmten Vereinen eine Verbindung bestehen dürfe 1 1 2 , den engen Zusammenhang zwischen Sozialpolitik und Vereinsrecht. Die Regierung lehnte alle Beziehungen zwischen Kasse und Verein ab und führte i n ihren Motiven 1 1 3 aus, daß nur die Kassen selbst und nicht etwa angeschlossene Vereine gestärkt werden sollten, weil sonst Vereinen, „deren politische, religiöse und wirtschaftliche Tendenzen der Staat zu bekämpfen Anlaß hat", der Weg geebnet würde, „eine kräftige Ordnung zu gewinnen und mittelst dieser, erfolgreicher gegen die staatliche Ordnung vorzugehen 114 ." Der Reichstag eröffnete aber dann aus Sorge vor einer Verkümmerung des gesamten Hilfskassenwesens die Möglichkeit, den Beitritt zur Kasse von der Beteiligung an Vereinen dann abhängig zu machen, wenn dies allgemein statutenmäßig vorgesehen w a r 1 1 5 . M i t den Kaiserlichen Botschaften an den Deutschen Reichstag aus den Jahren 1881 und 1883 wurden die noch zusätzlich geplanten umfangreichen Versicherungsgesetze angekündigt und dem Reichstag zur A n nahme empfohlen, u m die sozialen Schäden „nicht ausschließlich i m Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitung" zu heilen 1 1 6 . Als erstes dieser Gesetze wurde der Entwurf einer verbesserten A r beiterunfallversicherung vorgelegt. Er sah eine Reichsversicherungsanstalt vor und legte die Beitragspflicht nur den Arbeitgebern und dem Reich auf, während die Arbeiter außer von der Beitragspflicht auch von dem schwer zu führenden Nachweis schuldhafter Verursachung eines Unfalls durch den Betriebsleiter oder dessen Angestellte freigestellt werden sollten. Der Entwurf scheiterte i m Parlament, weil die Mehrheit durch einen derartigen Staatssozialismus eine bedenkliche Totalisierung 111 Wie schon bei dem Vereinsgesetzentwurf Schulze-Delitzsch ließ sich Gebhard auch die Vorarbeiten zu diesem Gesetz (Motive, Entwürfe, Parlamentsdebatten) zu seinem persönlichen Gebrauch i n einem Sonderband zusammenheften. 112 Reichstag, Sten.Ber., 2. Legislaturperiode, I I I . Session 1875/76, S. 1108 ff.; Träger der Hilfskasse waren vielfach die Gewerkschaften u n d zwar sowohl die Hirsch-Dunckerschen als auch die sozialdemokratischen, vgl. Huber, V e r fassungsgeschichte Bd. 4, S. 1200. 113 Reichstag, Sten.Ber., ebenda, Anlage Nr. 15, S. 36 f. 114 Bebel bezeichnete i m Reichstag diese Bestimmung als ein Stück Klassengesetzgebung, Sten.Ber., ebenda, 1110. 115 § 6, Abs. 2, des Gesetzes. 116 Huber, ebenda, S. 1197; Huber, Dokumente Bd. 2, Nr. 260,263.

7. Sozialgesetzgebung

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der Staatsmacht befürchtete. A u f der anderen Seite war aber für Bismarck gerade der Staatszuschuß von größtem Interesse, ohne den die Vorlage für ihn wertlos w a r 1 1 7 . Nachdem auch eine zweite Vorlage der Regierung zur Unfallversicherung gescheitert war, billigte der Reichstag i m Jahre 1883 als erstes der drei großen Versicherungsgesetze das Gesetz über die Krankenversicherung, das i m wesentlichen eine Verbesserung des Hilfskassengesetzes von 1876 war. Der dritte schließlich verabschiedete Entwurf des Unfallversicherungsgesetzes beruhte, wie schon die Vorentwürfe, auf dem Prinzip berufsgenossenschaftlicher Aufgliederung der Gewerbe und der zwangsweisen Mitgliedschaft, verzichtete jedoch auf den vorher hartnäckig verteidigten Reichszuschuß. Heute ist bekannt, daß Bismarck mit dieser Vorlage weitergehende politische Vorstellungen, die auf eine Entmachtung des Reichstages abzielten, verwirklichen wollte. Bosse 118 , Rothfels 1 1 9 und B o r n 1 2 0 schilderten die Pläne Bismarcks. Bosse schrieb wie folgt: „Ja, der Gedanke einer berufsgenossenschaftlichen Gliederung aller Gewerbe und Stände, mit dem Fürst Bismarck sich damals trug — und zwar ohne Zweifel m i t dem endlichen Ausblick auf eine künftig vielleicht mögliche Verwertung dieser Organe zu politischen Zwecken, insbesondere zu einer Reform des Wahlrechts —, dieser Gedanke hatte etwas Bestrickendes. Es lag darin eine geniale I d e e . . . Gewiß hatte dieser letzte politische Ausblick auf eine künftige Schaffung einer organischen Vertretung aller Volkskräfte zunächst nichts m i t der Unfallversicherung zu tun; aber der Fürst ließ ja diesen letzten Hintergedanken auch nur i n der äußersten Form durchblicken, er verbarg und verschleierte i h n sogar i n der richtigen Erkenntnisse seiner T r a g w e i t e 1 2 1 . . . " Theodor Lohmann, der Staatssekretär des Reichsamtes des Innern und einflußreichster sozialpolitischer Berater Bismarcks, überwarf sich mit seinem Vorgesetzten wegen dessen weitergehender Pläne, die für ihn nur eine unnötige Komplizierung der Vorlage bedeuteten. Für Bismarck dagegen war die geplante Ausgestaltung der Unfallversicherung unverzichtbar. Gegenüber dem Staatssekretär soll er geäußert haben: „Die Unfallversicherung an sich sei i h m Nebensache, die Hauptsache sei ihm, bei dieser Gelegenheit zu korporativen Genossenschaften zu gelangen, welche nach und nach für alle produktiven Volksklassen durchgeführt werden müßten, damit man eine Grundlage für eine künftige Volksvertretung gewinne, welche anstatt oder neben dem 117

Lütge, S. 57 m i t Nachweis. Bosse w a r v o r seiner Zeit als Staatssekretär des Reichsjustizamtes zehn Jahre i m Reichsamt des I n n e r n u n d dort Abteilungsleiter i m Wirtschaftsministerium, von wo die sozialpolitischen Vorlagen ausgingen. 119 Theodor Lohmann, S. 63. 120 Motive, S. 37. 121 Bosse, Reichsamt des Innern, S. 22. 118

3 Kögler

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1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

Reichstag ein wesentlich mitbestimmender Faktor der Gesetzgebung werde, wenn auch äußerstenfalls durch das M i t t e l eines Staatsstreichs 122 ." Wer Bismarcks Abneigung gegen den Reichstag und die Parteien, jene „Gelehrten ohne Gewerbe, ohne Besitz, ohne Handel, ohne Industrie, die von Gehalt, Honoraren und Coupons leben" 1 2 3 , kennt, w i r d verstehen, daß die Idee, die „realen Volkskräfte" zum politischen Machtfaktor auszubilden für den Kanzler etwas Faszinierendes hatte. Born meint, daß Bismarck Zugeständnisse i n der Sozialpolitik von diesem Zeitpunkt an nur von Fortschritten i n der Idee seiner Berufsgenossenschaften abhängig gemacht habe 1 2 4 . Auch das letzte große Versicherungsgesetz, die Alters- und Invalidenversicherung, war dazu bestimmt, eine Versöhnung der Arbeiterklasse m i t dem Staat herbeizuführen und sie den „sozialdemokratischen Utopien" zu entreißen. I m Anschluß an gute Erfahrungen der französischen Gesetzgebung sollte der Staat auch hier seinen Anteil zur Altersversicherung beitragen. Bismarck formulierte i m Reichstag: „Wenn w i r 700 000 kleine Rentner, die vom Reich ihre Renten beziehen, haben, gerade i n diesen Klassen, die sonst nicht viel zu verlieren haben und bei einer Veränderung irrtümlich glauben, daß sie viel gewinnen könnten, so halte ich das für einen außerordentlichen Vorteil; wenn sie auch nur 115 bis 200 Mark (seil, i m Jahr) zu verlieren haben, so erhält sie doch das Metall i n ihrer Schwimmkraft; . . . und ich glaube, daß wenn sie uns diese Wohltat von mehr als einer halben Million kleinen Rentnern i m Reiche schaffen können, Sie auch den gemeinen Mann das Reich als eine wohltätige Einrichtung anzusehen lehren werden 1 2 5 ." Was die Arbeiterschutzgesetzgebung anbetrifft, so muß man Bismarck eindeutig als Bremser bezeichnen. Er fürchtete bei Einführung des Normalarbeitertages, der Sonntagsruhe, der Einschränkung der Frauenund Kinderarbeit und eines wirksamen Fabrikinspektorats um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie und schob die wohlverstandenen Eigeninteressen der Arbeiter vor, u m solche Bestrebungen als Humanitätsduselei abzutun 1 2 6 . Man dürfe die eierlegende Henne nicht abschlachten, meinte Bismarck 1 2 7 . 122

Rothfels, Theodor Lohmann, S. 63. Born, Motive, S. 37; vgl. auch RR v o m 20. 3. 1884 bei Poschinger, Volksw i r t Bd. I I , S. 172; ebenso die Kernstellen i n den Memoiren, Erinnerung u n d Gedanke, S. 288,449. 124 Born, ebenda, S. 38. 125 RR v o m 18.5.1889 bei Born, Motive, S. 36. 126 I m einzelnen Huber, Verfassungsgeschichte, S. 1204 ff.; V o t u m Bismarcks v o m 30. 9. 1876 bei Poschinger, Aktenstücke, S. 233 ff.; RR v o m 9. 1. 1882 bei Poschinger, V o l k s w i r t Bd. I I , S. 103 ff.; RR v o m 9. 5. 1885 bei Poschinger, ebenda. Bd. I I I , S. 111 ff. 127 RR v o m 15. 1. 1885 bei Poschinger, ebenda Bd. I I I , S. 18; ebenso Poschinger, ebenda Bd. I I , S. 105. 123

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Von besonderem Interesse erscheint noch Bismarcks Einstellung zu Selbsthilfeorganisationen der Arbeiter. Es ist bekannt, daß er seit dem Jahre 1863 Weber-Assoziationen m i t Geldern aus der Privatschatulle des Königs unterstützt hatte und die Entwicklung dieser Verbände m i t Interesse verfolgte. Ebenso waren die von Lassalle angeregten Produktivgenossenschaften auf der Basis von Staatskrediten ganz i m Sinne Bismarcks 128 . Das Koalitionsrecht, notfalls auch den Streik, hielt er mit Einschränkung für legitime Kampfmittel der Arbeiter 1 2 9 . Allerdings dürfte Lütge kaum zu folgen sein, wenn er meint, Bismarck habe während seiner Amtszeit immer die Koalitionsbestrebungen der Arbeiter unterstützt 1 3 0 . Tatsächlich hat auch er hier Rückwärtsentwicklungen durchgemacht, die sich wohl aus seiner Furcht vor weiterer Ausbreitung sozialdemokratischer Ideen (cauchemar des révolutions) 1 3 1 und zuletzt seiner Absicht, Zwangsberufsgenossenschaften zu fördern, erklären 1 3 2 . Besonders informativ und prägnant i m Hinblick auf Bismarcks Einstellung zur sozialen Frage sind Teile seiner Reden, die er i m Reichstag bei Vertretung der Versicherungsgesetzentwürfe und i n bezug auf die Arbeiterschutzgesetzgebung hielt. Er führte u. a. aus, er sei über die Zunahme der Sozialdemokraten i m Reichstag gar nicht so unglücklich, denn dies sei ein Menetekel für die besitzenden Klassen, durch das die bisherigen mäßigen Fortschritte erst möglich worden seien 1 3 3 ; zum Drittelbeitrag des Staates i n der Unfallversicherung sagte er: „Ist dies Kommunismus, so ist m i r das wiederum gleichgültig, ich nenne es immer wieder praktisches Christentum i n gesetzlicher Bethätigung" 1 3 4 ; seinen Staatssozialismus umschrieb Bismarck so: „Es gehört zu den Traditionen der Dynastie, der ich diene, sich des Schwachen i m w i r t schaftlichen Kampfe anzunehmen. Friedrich der Große sagte schon: je 128 M i t t e l b a r zeigte sich das auch i n der wohlwollenden Behandlung des Genossenschaftsgesetzes von Schulze-Delitzsch aus dem Jahre 1868. 129 Lütge, S. 55, Born, Motive, S. 36; die Grenze w a r aber die Unantastbarkeit der Rechte D r i t t e r außerhalb der gewerblichen gegenseitigen Beziehungen, darunter Eigentum, Religion u n d Monarchie. Selbst die Exzesse der Bauernkriege, meinte Bismarck, seien nicht so weit gegangen, w i e die Ausschreitungen der Arbeiter, vgl. RR v o m 9. 10. 1878 bei Poschinger, ebenda Bd. I, S. 146 f. 130 S. 60. 181 Pols, S. 59. 132 Bereits i m A p r i l 1873 regte er i n der Regierung eine Regelung u n d Beschränkung des Koalitionsrechts, des Vereinswesens u n d der Freizügigkeit an. Anlaß w a r die Befürchtung, daß durch die A g i t a t i o n v o n B e r l i n aus sogar ländliche Arbeiter zum Streik veranlaßt würden, Poschinger, Aktenstücke, S. 185; andererseits allerdings ließ Bismarck noch i m Herbst 1889 durch seinen Geheimrat Gamp eine Denkschrift verfassen, i n der f ü r die Arbeiter die Schaffung einer staatlich organisierten Interessenvertretung angeregt wurde, bei Poschinger, V o l k s w i r t Bd. I I I , S. 278 ff. 133 RR v o m 9.5.1884, bei Zeitlin, S. 28. 134 RR v o m 2.4.1881, Poschinger, V o l k s w i r t Bd. I I , S. 60.

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serai le roi des gueux, und er hat es nach seiner A r t durchgeführt i n strenger Gerechtigkeit gegen Hoch und G e r i n g 1 3 5 . . . " Einmal bemerkte der Reichskanzler: „ E r sei eigentlich selbst Kathedersozialist, habe nur keine Zeit dazu 13 «." I n neuerer Zeit w i r d Bismarck vorgeworfen, seine Synthese von bürgerlichem Nationalismus und preußischem Militärstaat habe das Bündnis zur Abwehr des roten Gespenstes restauriert und der nationalen Machtstaatsidee den Vorrang vor der inneren Freiheit gesichert. Die Sozialgesetzgebung habe i h r Ziel, die Pazifikation des vierten Standes, ohne wirksame Arbeiterschutzgesetzgebung niemals erreichen können und sei damit auf ein „notwendiges Korrelat" zum Sozialistengesetz beschränkt geblieben 137 . Ob die letztere Ansicht richtig ist, erscheint i n hohem Maße zweifelhaft, nachdem der marxistische Historiker Engelberg nach Auswertung des SPD-Parteiarchivs i n Amsterdam überzeugend nachgewiesen hat, daß die Bismarcksche Sozialgesetzgebung die Sozialdemokratische Partei i n eine lang andauernde heftige Krise gestürzt hatte, i n deren Verlauf selbst Liebknecht zeitweise die Ansicht vertrat, der Staat habe so viele sozialdemokratische Forderungen erfüllt, daß man zu einer Politik der Kooperation übergehen könne 1 3 8 . Tatsache ist, daß Bismarck zeitlebens die Entstehung einer neuen Gesellschaftsschicht i m Zuge der Industriellen Revolution verkannte 1 3 9 . Für i h n war die soziale Frage immer eine Frage des Wohlwollens, deren politische Reichweite er nie vollständig erfaßt hatte 1 4 0 . Mehr dem landwirtschaftlichen M i l i e u verwachsen, reduzierte sich für i h n das Problem i n der Hauptsache auf den Wunsch der Arbeiterbevölkerung, i n gewisser sozialer Sicherheit auskömmlich leben zu können 1 4 1 . Diesen Wunsch hielt der Reichskanzler für legitim und suchte i h m auch, soweit als möglich, nachzukommen. Für die weitergehenden Forderungen nach gesellschaftlicher Gleichberechtigung und Umstrukturierung fehlte Bismarck das Verständnis, so daß die M i t t e l polizeilicher Repression als

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RR v o m 9.1.1882, Poschinger ebenda Bd. I I , S. 104. Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1192. 137 Stürmer, S. 15 ff. 138 Engelberg, S. 60 ff. 139 U. a. Töpfer, S. 26; i n einem Brief Lassalles an die Gräfin Hatzfeld hieß es i n der Schilderung einer der frühen Begegnungen m i t Bismarck, dieser habe von Anfang an den Wunsch gehabt, womöglich das soziale Element der A r b e i terbewegung durchzuführen, „moins das politische", Na' aman, S. 61. 140 Na'aman, S. 84. 141 Bismarcks Sozialpolitik w a r wohl, wie Born, Staat u n d Sozialpolitik, S. 21, richtig meint, eine Summe taktischer ad-hoc-Entscheidungen, desgl. Lütge, S. 48. 136

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die einzig angemessenen erachtet und vornehmlich während der Geltungsdauer des Sozialistengesetzes auch praktiziert wurden 1 4 2 . Aus der Tatsache, daß der Geburtsfehler des Deutschen Reiches, mangels Revolution innerlich nicht gefestigt zu sein, noch lange politische Wirkungen zeigte 143 , mag Bismarcks „cauchemar des révolutions" hergerührt haben. Er hatte zu Beginn seiner Reichskanzlerschaft m i t vielen Gruppierungen zu kämpfen, die sich nur i n ihrer Ablehnung des Deutschen Reiches, gegründet auf preußischen Schwertern, einig waren. Parlamentarisch konnte Bismarck sich zunächst nur auf die Nationalliberale Partei stützen, jenen Teil der Liberalen, der unter Abspaltung der mit dem Reiche nicht versöhnten Gruppe beim Aufbau des Reiches loyal mitarbeitete. Nicht nur ein Teil der Liberalen, sondern zunächst auch die Konservativen — i n der Hauptsache Obstelbier — verhielten sich ablehnend. So ist der Versuch Bismarcks zu verstehen, sich m i t den Anhängern Lassalles und dem allgemeinen Wahlrecht eine tragfähige Mehrheit zu verschaffen 144 . Als sich die zunächst nationale promonarchistische Arbeiterbewegung Lassalles jedoch mehr und mehr internationalistisch, republikanisch ausrichtete 145 , begann die Frontstellung zwischen der Monarchie und der jungen Linken, deren herausragender parlamentarischer Exponent August Bebel war. Gemeinsamkeiten m i t dieser revolutionären Sozialdemokratie erschienen ausgeschlossen, ebenso ihre an sich notwendige Eingliederung i n die neue Industriegesellschaft. Die Sozialdemokratie sollte zerschlagen und gleichzeitig ein Teil der als berechtigt anerkannten Arbeiterwünsche befriedigt werden. Dabei wären gerade die Gewerkschaften m i t einem Teil ihrer realen Forderungen als Verhandlungspartner vorstellbar gewesen, da sie weniger parteiideologisch indoktriniert als konkret auf den Arbeitsalltag ausgerichtet waren 1 4 6 . Die Nähe fast aller Gewerkschaften zu den sozialistischen Parteien mag aber hier Annäherungen von vorn142 Gegenüber der Sozialdemokratie befinde sich der Staat i m Zustande der Notwehr, meinte Bismarck, vgl. Pols, S. 29. 143 Conze-Groh, S. 102, meinen, dynastische Interessen hätten sich gegen völkische durchgesetzt u n d die organische Einigung durch das V o l k sei durch die mechanische v o n oben ersetzt worden, was zu immer neuen Konflikten geführt habe. Diese Stellungnahme erscheint einseitig, wenn m a n an die begeisterte Teilnahme des Volkes i m K r i e g v o n 1870/71 denkt u n d sich seine parlamentarische Repräsentation aufgrund allgemeinen Wahlrechts nach Maßgabe der Verfassung der Paulskirche vergegenwärtigt. 144 Bismarck, S. 287: „Die Aufnahme des allgemeinen Wahlrechts w a r eine Waffe . . . i m Kampfe f ü r die deutsche Einheit, zugleich eine Drohung m i t letzten M i t t e l n i m Kampfe gegen Koalitionen." 145 Dazu Conze-Groh, S. 11 u n d 92 ff.; die Neuorientierung begann nach Lassalles Tod durch seinen Nachfolger Schweitzer. 148 Die spätere Entwicklung beweist, daß die sozialdemokratischen Gewerkschaften v i e l eher noch als die Partei zur Mitarbeit i m bestehenden Staate auch ohne vorherigen revolutionären Umsturz bereit waren.

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1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

herein verhindert haben. Es liegt auch eine gewisse Tragik darin, daß die Staatsführung glaubte, m i t patriarchalischer Fürsorge die sozialen Schäden, die sich für sie und große Teile der Bourgeoisie häufig i n der Frage nach ausreichender Ernährung des Industrieproletariats erschöpften, vollständig reparieren zu können. I n Wirklichkeit erstrebte ein großer Teil der Arbeiter nicht Gewährung von Almosen, sondern gleichberechtigte Stellung i n der Gesellschaft und i m Arbeitskampf. Auch Bismarck dürfte grundsätzlich für die allmähliche Gleichstellung i m Arbeitskampf gewesen sein, wie schon sein frühes Eintreten für die Selbsthilfeorganisationen der Arbeitnehmer und das Streikrecht deutlich beweisen, jedoch war er zurückgeschreckt, als nicht materielle Verbesserungen, sondern zugleich systemändernde Umstrukturierungen gefordert wurden 1 4 7 . Diesen Ansprüchen nachzukommen, war die Staatsführung jedoch aus Angst vor Umsturz und i n Verkennung der gesellschaftlichen Entwicklung nicht bereit 1 4 8 . Selbst den kleinsten reformerischen Schritten, wie einer Reform des Vereinsrechts m i t Rücksicht auf die Gewerkschaften, stand man m i t heute fast grotesk anmutender Furchtsamkeit gegenüber. Durch die mangelnde Reformwilligkeit blieb aber die strukturelle Dauerkrise des Bismarckreichs, die darin bestand, daß die Industrielle Revolution sich durchgesetzt hatte, während sich doch gleichzeitig das vorindustriell-agrarisch geprägte Macht- und Wertesystem verfestigte, aufrechterhalten 149 . Soweit i n dem Werk Stürmers der Unwillen der Staatsführung, sich geänderten Gesellschaftsstrukturen anzupassen, als Teil eines Gesamtplanes gewertet 1 5 0 und weiter behauptet wird, die Angst vor der Anarchie und dramatisierte Gefahrensituationen wie Kulturkampf, Sozialistengesetze, Solidarprotektionismus von Roggen und Eisen seien hochgespielt worden, u m ζ. B. m i t dem Sozialistengesetz eine massive Rückwärtsrevision des gesamten Presse- und Vereins-, Streik- und Wahlrechts einzuleiten und den anonymen Kräften der Revolution und nicht zuletzt dem Liberalismus durch Paragraphen und Polizeimaßregeln zu begegnen 151 , erübrigt sich hier eine Stellungnahme. Für die Entstehung des BGB-Vereinsrechts mag dahinstehen, ob Reformen gezielt oder nur entwicklungsbedingt nicht durchgeführt wurden, es genügt als Ergebnis festzuhalten, daß, aus welchem Grund auch immer, eine ausgeprägte 147 Born, Staat u n d Sozialpolitik, S. 4, meint, die Arbeiter seien i m Sinne der Herrschenden k e i n politisches Subjekt, sondern Objekt zur Betätigung christlicher Nächstenliebe gewesen. 148 Born, Motive, S. 35; genauso f ü r spätere Zeiten Berlepsch, S. 173. 149 Ähnliches galt auch f ü r den Reichstag; j e mehr er massendemokratisch wurde, desto stärker traten die halbfeudalen Zustände monarchischer Regierungsgewalt zutage, Schwarz, S. 121. 150 S. 15 ff.; desgleichen Kuczynski, S. 18. 151 Stürmer, S. 143 ff.

8. Neuer sozialpolitscher K u r s

39

Ängstlichkeit gegenüber jedweden Reformen bestand, welche die Position der Arbeitnehmer strukturell hätten verbessern können. Der Wille zum Abbau sozialer Spannungen manifestierte sich somit fast ausschließlich i n dem Angebot obrigkeitlicher Fürsorge und fand seinen Ausdruck i n der Hauptsache i n der Sozialgesetzgebung, die trotz der Unzulänglichkeit beinahe zu einem Ausgleich m i t der Sozialdemokratie geführt hätte, was nur beweist, m i t welch geringem Entgegenkommen die Sozialdemokraten zu veranlassen waren, ihre viel weiter gesteckten Zielvorstellungen hintanzusetzen 152 . Bismarcks bemerkenswerter Versuch, durch Aktivierung der „realen Volkskräfte", den Reichstag auszuschalten, mußte gleichzeitig auf Einschränkung der Rechtsstellung der sozialdemokratischen Gewerkschaften gerichtet sein. Nach der Auffassung des Kanzlers konnten sie nicht Träger der volksnahen, auf den vordergründigen Bedürfnissen der repräsentierten Gruppen aufzubauenden neuen Bewegung sein. Falls Bismarck i n Wahrheit, wie Born ausführt, weitere Fortschritte i n der Sozialpolitik mar von Fortschritten i n der Idee seiner berufsständischen Vertretung abhängig machte, ist evident, daß m i t seinem Willen weitere Schritte i n Richtung auf eine Institutionalisierung der bestehenden Gewerkschaften, ζ. B. i n einem Gesetz über Arbeiterberufsvereine, nicht erwartet werden konnten. 8. Neuer sozialpolitischer

Kurs

Der Bergarbeiterstreik des Jahres 1889, die NichtVerlängerung des Sozialistengesetzes 1890 und Meinungsverschiedenheiten über die Notwendigkeit einer Arbeiterschutzgesetzgebung, waren entscheidende Vorgänge bei der Entlassung des alten Kanzlers durch den jungen Autokraten, Kaiser Wilhelm I I . 1 5 3 . Während Bismarck nicht unter dem Druck der Streikbewegung m i t den Kohlearbeitern verhandeln wollte 1 5 4 , gedachte der sozialpolitisch engagierte junge Kaiser den Forderungen der Bergleute, soweit sie i h m berechtigt erschienen, nachzukommen. Er veranlaßte den widerstrebenden Kanzler, der den Sozialdemokraten keinerlei Zugeständnisse mehr machen, vielmehr bei passender Gelegenheit die Sozialistenfrage m i t Waffengewalt lösen wollte 1 5 5 , ein Sozialprogramm zu entwerfen, das die Erfüllung einiger sozialdemokratischer Forderungen bereits i m Hinblick auf die Arbeiterschutzgesetzgebung 152 „Fürsorge auf der einen, die Panzerfaust auf der anderen Seite, das w a r die Bismarcksche Sozialpolitik", urteilte später Wilhelm II.; vgl. ders., S. 33. 153 Ausführlich Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 202 ff. m i t weiteren Nachweisen. 154 Desgleichen lehnten die Unternehmer dies getreu dem „Herr-im-HauseStandpunkt" ab. 155 Huber, ebenda, S. 215 f.; Pols, S. 58; Ritter, S. 21; Wilhelm II., S. 29.

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1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

verheißen sollte. Weisungsgemäß arbeitete der Kanzler ein weitreichendes Programm aus, das trotz nachdrücklicher Warnungen i m Februar 1890 ohne dessen Gegenzeichnung i n Form zweier kaiserlicher Erlasse an den Reichskanzler und die Minister für Handel und öffentliche Arbeiten veröffentlicht wurde 1 5 6 . Anknüpfend an die Botschaften seines Großvaters zur sozialen Frage stellte der Kaiser die Einberufung einer internationalen Konferenz zur welteinheitlichen Verbesserung der Fabrikgesetzgebung i n Aussicht. Damit sollten Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche nationale Arbeiterschutzgesetze ausgeglichen werden. I n dem Erlaß an den Handelsminister fand sich unter anderem folgender Satz: „ F ü r die Pflege des Friedens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind gesetzliche Bestimmungen über die Formen i n Aussicht zu nehmen, i n denen die Arbeiter durch Vertreter, welche ihr Vertrauen besitzen, an der Regelung gemeinsamer Angelegenheiten beteiligt und zur Wahrnehmung ihrer Interessen bei Verhandlung m i t den Arbeitgebern und den Organen meiner Regierung befähigt werden 1 5 7 ." Dieser Programmsatz kam dem sozialpolitischen Berater des Kaisers, Freiherr von Berlepsch, den er zum Handelsminister ernannt hatte und der sich als Regierungspräsident der Rheinprovinz während des Bergarbeiterstreiks einen Namen gemacht hatte, sehr entgegen. Berlepsch hatte schon während des Streiks die Bildung rechtsfähiger Arbeiterkoaltionen zur wirksamen Interessenvertretung empfohlen 1 5 8 . Er war als Handelsminister angetreten unter dem Zeichen, endlich ein Gesetz über Arbeiterberufsvertretungen und Gewerbegerichte zustande zu bringen. Ein Gewerbegerichtsgesetz erging bereits am 29. J u l i 1890 als erstes der neuen Sozialgesetze. Sodann wurden m i t dem Gesetz vom 1. Juni 1891 eine Reihe von Verbesserungen für das Berufsleben der Arbeiter verabschiedet. Einen gleichzeitigen Vorschlag der Regierung, die Strafbestimmungen über den Streikzwang (§ 153 Gewerbeordnung) zu verschärfen, verwarf der Reichstag. Das angekündigte Gesetz über die Arbeiterberuf s vereine konnte Berlepsch jedoch, obwohl er seinen Rücktritt androhte, nicht verwirklichen. Unmittelbar nach der Verabschiedung der Arbeiterschutzgesetze bestimmten reaktionäre Kräfte den sozialpolitischen Kurs — sogenannte Ä r a Stumm —. Die Reaktion versuchte, den letzten verbliebenen Träger des Neuen Kurses, Minister

156

Huber, Dokumente Bd. 2, Nr. 276,277. Die A n k ü n d i g u n g wurde allgemein so verstanden, als sollte den Gewerkschaften ein gesetzlich sanktioniertes Betätigungsfeld geschaffen werden, so Born, Staat und Sozialpolitik, S. 9, m i t Nachweisen. 158 Acta Oberpräsidium, Errichtung von Arbeiterausschüssen, Schreiben v o m 21. 12. 1889 an das Handelsministerium, S. 23 ff.; das w a r f ü r die damalige Situation ein bemerkenswert mutiger Schritt. 157

8. Neuer sozialpolitscher K u r s

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Berlepsch, i n allen seinen Gesetzesvorhaben zu blockieren 159 . Nachdem der Kaiser sich Stumm, dem erbittertsten Gegner Berlepschs, zugewandt hatte, sah dieser für seine Politik des sozialen Ausgleichs keine Chance mehr und nahm i m Jahre 1896 seinen Abschied. Während der plötzliche Umschwung i n der staatlichen Sozialpolitik nach 1891 allgemein aus der Grundhaltung, es sei nun genug für die Arbeitnehmer geschehen, oder aus der Enttäuschung über die ausbleibende Hinwendung der Arbeiter zum Staat erklärt wurde 1 6 0 , versucht B o r n 1 6 1 nachzuweisen, daß es sich nicht um einen Umschwung, sondern die vollständige Erreichung der sozialpolitischen Ziele gehandelt habe. Zwar seien i n den Februarerlassen mehr sozialpolitische Initiativen verheißen worden, dies sei jedoch ohne wirkliches Wollen aller Beteiligten geschehen, denn Bismarck habe das Reformprogramm bewußt übertrieben formuliert, u m die konservativen Kräfte zur Mäßigung des Kaisers zu veranlassen. Nachdem Berlepsch abgetreten war, wurde der sozialpolitische Kurs maßgeblich durch Innenminister Posadowsky bestimmt 1 6 2 . Dieser hatte zunächst eine unternehmerfreundliche Politik vertreten, war dann aber spätestens nach Scheitern der Zuchthausvorlage umgeschwenkt und trat entschieden für eine Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft ein 1 6 3 . Betreffend die Rechtsfähigkeit der Arbeitervereine, traten mehrmals Bestrebungen der Reichsleitung zutage, den Gewerkschaften die Rechtsfähigkeit zuzugestehen. Posadowsky sah schon i m Jahre 1899 durch das Konzessionssystem des BGB „odiöse" und unpopuläre Entscheidungen auf die Verwaltungsbehörden zukommen 1 6 4 . I n einem Bericht des badischen Gesandten Jagemann an seine Regierung hieß es, Posadowsky habe i h m mitgeteilt, „das BGB habe also rührigen Agitatoren und deren vorgeschobenen Männern gegenüber eine sehr schwierige Situation geschaffen. Dieser gegenüber wäre es seines Erachtens besser, zu gewähren, was tatsächlich doch erreicht werde" 1 6 5 (!). Selbst der Staatssekretär Nieberding, der noch während der Kommissionsarbeiten massiv gegen ein freies Vereinsrecht aufgetreten war, befürwortete gewisse Zugeständnisse an die Arbeitervereine, wenngleich wegen des BGB „ohne 159

Born, Staat u n d Sozialpolitik, S. 134. Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1222. 161 Staat u n d Sozialpolitik, S. 18 f. 182 Die I n i t i a t i v e f ü r die Sozialpolitik w a r nach Berlepsch mehr und mehr v o m Handelsministerium i n das Innenministerium übergegangen; Huber, ebenda, S. 1237. iss Born, ebenda, S. 163; vgl. Rassow-Born, Akten, S. 108 f., wo Posadowsky 1897 noch energisch f ü r die Verschärfung des preußischen Vereinsgesetzes von 1850 eingetreten war. 180

184 185

Rassow-Born, Rassow-Born,

Akten, S. 121 f. ebenda, S. 122; das Gespräch fand i m Oktober 1899 statt.

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1. T e i l : Arbeiterbewegung u n d Grundlinien deutscher Sozialpolitik

Freude" 1 6 6 . Bei einem gemeinsamen Vortrag Posadowskys und Hohenlohes beim Kaiser am 13. November 1899, betreffend die i n Arbeiterfragen einzuschlagende politische Linie, trug Posadowsky dem Kaiser vor, die Vereinsrechtsregelung des BGB sei gegenüber Arbeitervereinen i m höchsten Maße gehässig und würde zur Verschärfung der Klassengegensätze führen. Hinzu komme die Anwendbarkeit der Landesvereinsgesetze auf die Berufsvereine m i t ihren unzuträglichen Auswirkungen, insbesondere für weibliche Arbeiter 1 6 7 . Der Kaiser lehnte jedoch Konzessionen nach dem Scheitern der von i h m maßgeblich gewünschten Zuchthausvorlage grundsätzlich ab, erteilte jedoch die Ermächtigung zur Abgabe wohlwollender Erklärungen i n bezug auf die Aufhebung des Affiliationsverbotes und die Verbesserung der Rechtsstellung der Berufsvereine. Das BGB trat sodann i n Kraft, ohne daß die veränderten politischen Anschauungen schon eine Änderung des Vereinsgesetzes hätten herbeiführen können. Es ergab sich die Situation, daß von preußischer Seite die überwiegend bei den Verbündeten Regierungen bestehenden massiven Bedenken gegen eine Liberalisierung des Arbeiterberufsvereinsrechts ausgeräumt werden mußten. Mehrheitlich für die preußischen Absichten sprachen sich die Regierungen erst i n der Ausschußsitzung vom 5. Januar 1904 aus 168 . Posadowsky hatte i n dieser Sitzung als seine und auch die Auffassung des Reichskanzlers, noch nicht diejenige des Preußischen Staatsministeriums i n streng vertraulicher Weise vorgetragen, daß die Hoffnung Bismarcks, durch das allgemeine Wahlrecht die Massen beherrschen zu können, trügerisch gewesen sei und nur zu einem ungeheueren Anwachsen der Sozialdemokratie geführt hätte, die Beseitigung des allgemeinen Wahlrechts aber unverantwortlich gefährlich sei. Man müsse daher versuchen, die sozialdemokratische Bewegung i n „verständigere Bahnen" zu lenken und den berechtigten Forderungen der Arbeiter nach einer wirksamen Interessenvertretung nach Bestimmung gewisser Kautelen nachkommen müssen 169 . Aus den Bestrebungen Posadowskys erwuchs das Vereinsgesetz des Jahres 1906. Es wurde, wie zuvor schon erwähnt, wegen der vielen das Koalitionsrecht der Arbeiter einengenden Vorschriften vom Reichstag verworfen.

1ββ 167 168 189

Rassow-Born, ebenda, S. 123. Aufzeichnungen Posadowskys bei Rassow-Born, Rassow-Born, Akten, S. 167 ff. Rassow-Born, ebenda, S. 170.

ebenda, S. 125.

Zweiter Teil

Das deutsche Privatvereinsrecht bis zur Schaffung des BGB 1. Sonderprobleme des Vereinsrechts Nicht anders als das übrige Privatrecht 1 war auch das Vereinsrecht i n der Mitte des 19. Jahrhunderts vielfältig zersplittert. Eher zutreffend als zu weitgehend erscheint die Bemerkung Gierkes 2 , daß i n neuerer Zeit i n Ansehung der Gesamtauffassung des Gesellschaftsrechts, des Körperschaftsrechts und der juristischen Persönlichkeit die Grundmauern wankten und völlige Ratlosigkeit herrsche. Anders als bei den übrigen Rechtsgebieten lag der Grund für die Ratlosigkeit i m Vereinsrecht jedoch nicht nur i n der territorialen Zerrissenheit des Deutschen Reiches und i n der damit einhergehenden Rechtszersplitterung, sondern auch i n den unterschiedlichen rechtsphilosophischen Auffassungen, welche die Einstellung von Wissenschaft und Praxis zum Vereinsrecht entscheidend prägten. Hobbes, Pufendorf und Rousseau als Vertreter der Naturrechtslehre stimmten zum Beispiel darin überein, daß freie Vereine eine Gefahr für den Staat seien und nur m i t dessen Genehmigung gegründet werden könnten 3 . Nach der Naturrechtsdoktrin war zwar i n den Gesellschaftsverträgen, durch welche die Bürger den Staat gegründet und sich der Staatsgewalt unterworfen hatten, das natürliche und unverjährbare Recht auf Freiheit und Eigentum gewährleistet, jedoch war das Staatswesen nicht gehalten, andere unter Umständen mächtige und gefährliche Assoziationen neben sich zu dulden 4 . Diese Lehre vertrug sich gut m i t der absolutistischen Staatstheorie und so verwundert es nicht, daß es i m Zeitalter des Absolutismus keine starken politisch orientierten Verbände des Privatrechts gab 5 . I m Zuge des europäischen Konstitutionalismus kam die entscheidende Wende, als die Vereinsfreiheit zum Grundanliegen der sich aus den 1

Mertens, S. 3, m i t weiteren Nachweisen. Goldschmidts Zeitschrift Bd. 20, S. 302; Motive TE, S. 38. s Loening, S. 251; Z u r Geschichte des frühen publizistischen Vereinsrechts umfassend Müller, S. 42 ff. 4 Loening, ebenda. 5 Neubecker, S. 105, meint ganz allgemein, ein starker Staat bringe kein, ein schwacher Staat ein blühendes Vereinsleben hervor. Z u m Problem weiterh i n Gierke , GR I, S. 873 ff.; Doesseler, S. 9; Berger, S. 541 ff. 2

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2. T e i l : Deutsches Privatvereinsrecht bis zur Schaffung des B G B

Schranken der Adelsherrschaft befreienden Bürger wurde. I m ersten Drittel des 19. Jahrhunderts etwa begann der häufig erbittert geführte Kampf um Koalitionsrecht und -freiheit. Die Bedeutung des Koalitionsrechts für die Staatsbürger kennzeichnen treffend Burke und Gierke, wenn ersterer sagt: „Die Wirkung der Freiheit für Individuen ist, daß sie tun können, was sie wollen, aber Freiheit für Menschen, die i n Verbänden handeln, bedeutet Macht" 6 ; letzterer formuliert: „Was der Mensch ist, verdankt er der Vereinigung von Mensch zu Mensch 7 ." Die an dieser Stelle angedeutete Entwicklung des Vereinsrechts bet r i f f t das öffentliche Vereinsrecht und ist streng genommen sachfremd i n einer Arbeit, die das Werden des privaten Vereinsrechts zum Inhalt hat. Obwohl es teilweise fließende Übergänge gibt, kann man als öffentliches Vereinsrecht die Rechtssätze bezeichnen, welche die persönliche Freiheit des einzelnen zur Vereinsbildung beschränken und welche die Funktionen der Staatsbehörden i n bezug auf Vereine normieren. Zum privaten Vereinsrecht hingegen gehören die Rechtsverhältnisse der M i t glieder zu den Vereinsorganen wie untereinander, die Bestimmungen über die Organisation des Vereins und über seine Beziehungen zu dritten Personen. I n der historischen Entwicklung zeigt sich aber, daß öffentliches und privates Vereinsrecht sich gegenseitig bedingt haben und häufig m i t Mitteln des Privatrechts das öffentliche Vereinsrecht gestaltet wurde, wobei selbstverständlich ein privates Vereinsrecht sich erst entfalten kann, wenn das öffentliche Recht dies erlaubt oder mindestens duldet. Beim Vereinsrecht gilt mehr als anderswo, daß erst aufeinander abgestimmte öffentliche und private Vereinsrechtsnormen ein harmonisches Koalitionsrecht ermöglichen, falls man einmal grundsätzlich absieht von der Problematik, inwieweit öffentliches und privates Recht überhaupt scharf zu trennen sind 8 . 2. Gemeines Recht Bei der Darstellung des u m das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts geltenden privaten Vereinsrechts ist von dem Gemeinen Recht auszugehen, wie es sich nach der Rezeption i n den Pandektenlehrbüchern darstellte 9 . 6 7 8 9

Bei Staudinger Einleitung zu §§ 21 ff. V i l i 2 a. GR I, S. 1. Z u m Problem, Bullinger, S. 80 ff. z. B. Kausen, S. 21 ff.; Rump, S. 5 ff.

2. Gemeines Recht

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Streng durchgeführt war dort noch immer der römische Grundsatz von dem Unterschied zwischen der communio bzw. societas einerseits und der universitas personarum andererseits. Bei communio und societas waren Träger der gesellschaftlichen Rechte nach innen und nach außen die einzelnen Mitglieder, wobei communio eher die Zufallsgemeinschaft und societas die vertraglich gegründete Gemeinschaft bezeichnete, während bei der universitas personarum ein von den Mitgliedern verschiedenes, diesen und Dritten gegenüber selbständiges Subjekt Rechtsträger war. Die römische societas stellte eine Gesellschaft m i t einer kleinen relativ geschlossenen Zahl von miteinander bekannten und vertrauten Mitgliedern dar, während die universitas personarum zwar ein Substrat voraussetzte, i m übrigen aber losgelöst von einzelnen Mitgliedern i m Rechtsverkehr als solche auftreten konnte. I n engem Zusammenhang m i t dem Begriff der universitas stand die Fiktions- oder Persönlichkeitstheorie. Sie sollte die Entstehung einer Rechtsträgerschaft über die physische Person hinaus begründen helfen. Wo das Bestehen einer Berechtigung anerkannt werden muß, obwohl ein physisches Rechtssubjekt fehle, lehrten Puchta 10 und Savigny 1 1 , trete das objektive Recht dadurch vermittelnd ein, daß die Jurisprudenz ein künstliches Subjekt schaffe oder dessen Existenz fingiere. Die Schaffung des künstlichen Subjekts fiel der Staatsgewalt zu, die auf diese Weise wirksam auf Verbände Einfluß nehmen konnte und tatsächlich auch nahm. Die entstehende Abhängigkeit führte so weit, daß zeitweilig für die bloße Existenz eines Vereins, nicht nur für seine Rechtsfähigkeit, die Konzession als notwendige Voraussetzung erachtet wurde 1 2 . Für die späte gemeinrechtliche Doktrin, so wie sie sich bis zum Beginn der Arbeiten am BGB entwickelt hatte, galt jedoch das Erfordernis staatlicher Konzession 13 ausschließlich für die Erlangung der Rechtsfähigkeit 1 4 . Noch weiter ging Windscheid, der eine Verleihung der juristischen Persönlichkeit seitens der Staatsgewalt für überhaupt nicht erforderlich hielt. Nach seiner Lehre entstand sie schon dann, wenn die Personenvereinigungen sie nur erlangen wollten; das heißt, das Subjekt des vorhandenen oder zu erwerbenden Vermögens ihre gedachte Einheit sein sollte 15 . Welch große Bedeutung infolge des wissenschaftlichen Streites nunmehr der Rechtsprechung zur Entscheidung der auch praktisch bedeut10

Einleitung i n die Rechtswissenschaft, S. 79 f.; Pandekten, S. 40. System des römischen Rechts Bd. 2, S. 277; Motive TE, S. 40. 12 Ausführlich zum Ganzen m i t Nachweisen Wiedemann , S. 26 ff. 13 I n 4/s des Reichsgebietes soll 1896 noch das Konzessionssystem gegolten haben (Berichte R. T. Kommission, S. 21). 14 Vgl. die Ubersicht über den Stand der Meinungen bei Stobbe, S. 458 ff. (S. 463 A n m . 10). 15 Windscheid, S. 152 ff.; Meischeider, S. 1 ff. 11

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2. Teil: Deutsches Privatvereinsrecht bis zur Schaffung des B G B

samen Frage nach der Natur der nicht ausdrücklich konzessionierten Personenvereinigungen zukam, ist offensichtlich. Es fehlte allerdings auch von dieser Seite für den Geltungsbereich des Gemeinen Rechts eine klare Aussage 16 , so daß sowohl die Anhänger der Konzessionslehre als auch die Vertreter der freien Körperschaftsbildung sich zur Unterstützung ihrer Theorien auf obergerichtliche Urteile berufen konnten. Allgemein scheint jedoch die Tendenz vorgeherrscht zu haben, rechtmäßig bestehende korporative Vereine, allerdings ohne ausdrückliche Zubilligung der juristischen Persönlichkeit, für Vermögens- und prozeßfähig zu erachten 17 . Überwiegend korporationsfreundlich war insbesondere die Tendenz der Urteile des Obersten Landesgerichts für Bayern 1 8 , m i t der Folge, daß neben einigen Pandektenlehrern vor allem die Germanisten, geführt von Gierke, die Rechtsprechung zum Beweise 19 ihrer Theorie vom Fortbestehen des Systems der freien Körperschaftsbildung trotz der Periode seiner Unterdrückung während des Absolutismus heranzogen 20 . 3. Kernpunkte

der Lehre des Germanisten Otto von Gierke

Gierke — und m i t i h m die meisten Germanisten — gingen vom Fortleben des ursprünglich deutschen Systems der freien Körperschaftsbildung kraft Gewohnheitsrechts aus. Danach habe das germanische Verbandsrecht m i t seinen mannigfaltigen Ausprägungen i n Sippe, Marktgenossenschaft, Realgemeine, Gau, Hundertschaft etc. dank seiner K r a f t stets das Eindringen der römischen Theorie vom Entstehen der Körperschaft durch staatlichen Willensakt verhindert. Die Körperschaft sei eine reale Gesamtperson, die vom Recht genausowenig wie die Einzelpersönlichkeit geschaffen werde. Der tiefgreifende Unterschied zwischen Individuum und menschlichem Verband bestehe allein darin, daß die Heranbildung des Individuums der Rechtsordnung entzogen sei, während die Vorgänge, die eine Verbandseinheit zeitigten, eine rechtliche Seite hätten. Hier wie dort aber entstamme die zeugende K r a f t nicht dem Recht, sondern der geschichtlichen und sozialen Tat 2 1 . Über die Verschiedenheit der Auffassungen zur A r t und Weise der Entstehung der Rechtspersönlichkeit war auch der Gesellschaftsbegriff 16

Vgl. Zusammenstellung bei Rönne Bd. 3, T e i l I I , T i t . 6, §§ 12,13,14. Vgl. Denkschrift, S. 7. 18 Sammlung Bd. 12, S. 150 ff. 19 Gierke, Gen. Th., S. 56 ff.; Personengemeinschaften, S. 12. 20 V o n den Germanisten waren Stobbe u n d Roth Vertreter des Konzessionserfordernisses. Stobbe, S. 458 ff. Roth, Privatrecht, S. 412; Die Parteifähigkeit der Personenvereine wurde v o m Reichsgericht bejaht, nicht die Rechtsfähigkeit schlechthin, vgl. RGZ Bd. 4, S. 156, m i t Nachweisen; Bd. 8, S. 121. 21 Gierke, Gen. Th., S. 24. 17

4. Wichtige Kodifikationen

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selbst bei Pandektisten und Germanisten unterschiedlich. Die Germanisten prägten den Genossenschaftsbegriff, der Elemente sowohl der societas als auch der universitas i n sich vereinigte 22 . Nach deutschrechtlicher Auffassung stand die juristische Person nicht isoliert für i h r Substrat, sondern duldete neben sich eine selbständige Berechtigung der einzelnen. Sie bildeten Glieder, die als Organe bezeichnet wurden und i n ihrer Gesamtheit dem körperschaftlichen Willen Ausdruck verleihen sollten 2 3 . Aus dem Bereich der Genossenschaft als notwendig juristischer Person waren jedoch trotz naher Verwandtschaft solche Vereine ausgeschieden, die zwar, weil m i t einem gewissen korporativen Element durchwachsen, mehr waren als die römische societas, dennoch aber keine wirklichen Korporationen bildeten. Solche Gruppierungen waren nach deutsch^ rechtlicher Theorie sogenannte Rechtsverhältnisse zur gesamten Hand. 4. Wichtige Kodifikationen Weniger verworren und verschwommen bot sich das Vereinsrecht i n den Staaten dar, i n denen Kodifikationen das Gemeine Recht abgelöst hatten. Zwar war auch hier von einem klaren Vereinsrecht schon deshalb keine Rede, weil auf dem Vorhandenen aufbauend deutschund römischrechtliche Elemente i n bunter Mischung Eingang gefunden hatten. A l l e i n m i t der Kodifikation gingen jedoch eine Klarstellung und damit auch eine gewisse Rechtssicherheit einher. Bei der hier gebotenen Kürze sollen überschlägig die wesentlichen Gesichtspunkte des Vereinsrechts i m Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten, i m Code Civil, i m Badischen Landrecht, i m österreichischen ABGB und i m Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch aufgezeigt werden. Bei Abfassung des A L R ging die Absicht der Redaktoren dahin, die römischen Vorschriften über Sozietäten und Korporationen i n neuer und ergänzender Bearbeitung i n das Gesetzbuch aufzunehmen 24 . Das Institut der römischen societas hatte i n dem von den Gemeinschaften handelnden 17. Titel des ersten Teils i n 388 Paragraphen, das der universitas personarum i n dem „von Gesellschaften überhaupt und den Korporationen und Gemeinden insonderheit" handelnden 6. Titel des zweiten Teils i n 202 Paragraphen Aufnahme gefunden 26 . Das A L R war jedoch bei dem Gegensatz zwischen societas und universitas nicht stehengeblieben, sondern hatte vielmehr m i t den soge22 23 24 25

Gierke , GR I I , S. 26 ff. Ausführlich Motive TE, S. 13 ff. R O H G Bd. 18, S. 402. Vgl. Motive TE, S. 32.

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2. T e i l : Deutsches Privatvereinsrecht bis zur Schaffung des B G B

nannten „Privatgesellschaften", Teil II, Tit. 6, §§ 1 - 24, eine A r t Synthese zwischen den beiden Typen gesucht. I n §§ 3 - 10 dieses Abschnitts waren zunächst die unerlaubten, sodann i n den §§ 11-24 die erlaubten Privatgesellschaften behandelt. Erlaubte Privatgesellschaften waren solche, die eine größere Mitgliederzahl und eine korporative Organisation besaßen und nicht ausschließlich und unmittelbar auf die Erzielung von Gewinn gerichtete Zwecke verfolgten 2 6 . „Dergleich Gesellschaften stellen i m Verhältnisse gegen andere, außer ihnen, keine moralische Person vor und können daher auch als solche weder Grundstücke noch Capitalien auf den Namen der Gesellschaft erwerben", nach innen jedoch hatten „dergleichen Gesellschaften die Rechte der Corporationen und Gemeinen" 27 . Ob die so entstandenen Gebilde 28 aktiv und passiv parteifähig waren, war bestritten, wurde jedoch aus praktischen Gründen überwiegend von der Rechtsprechung bejaht 2 9 . Die erlaubte Privatgesellschaft war jedenfalls nach innen einer echten Korporation gleichgestellt 80 , was ihre Beständigkeit stark festigte. Korporationsrechte nach innen und außen kamen jedoch nur den staatlich genehmigten Verbänden zu 3 1 . Der Code Civil enthielt keine allgemeinen, die juristische Persönlichkeit betreffenden Vorschriften. Bis zum Erlaß eines Vereinsgesetzes i m Jahre 190132 galt uneingeschränkt der Satz: "L'état constitue, de plein droit une personne morale. Aucune autre personne morale ne peut se former ou s'établir au sein de l'état, sans la reconnaissance formelle ou tacite de la puissance publique 3 3 ." Entsprechend diesem Grundsatz konnte sich bis zum Inkrafttreten des Vereinsgesetzes von 1901 i n Frankreich kein freiheitliches Vereinswesen entwickeln, zumal parallel zum Code C i v i l der Code Pénal i n A r t . 291 - 294 bis zum Jahre 1848 die Möglichkeit eröffnete, jeden Verein m i t mehr als 20 Mitgliedern zu verbieten und das Gesetz vom 19. Juni 1849 trotz der i n die Verfassung vom 4. November 1848 eingeführten Vereinsfreiheit der Exekutive erlaubte, Vereine bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit jederzeit aufzulösen 34 . 26

A L R , § 16. A L R , §§ 13,14. 28 V o n Gier/ce, Gen. Th., S. 105, i m Anschluß an Koch als „halbe juristische Person" bezeichnet; von Dernburg, §§78, 79 u n d Ostheim, S. 65 f. als V o r läufer der nichtrechtsfähigen Vereine des B G B erkannt, v o n Wiedemann, S. 42, gar als „Mißgeburten" abgetan. 29 R O H G Bde. 8, S. 180 ff.; 18, S. 398 ff.; vgl. Zusammenstellung bei Rönne, I I , 6, §§ 13, 14; a. A . Motive TE, S. 33; zustimmend Bemerkungen Preußischer Justizminister, S. 12. 30 A L R , § 14. 81 A L R , § 25. 82 Dazu Reuper, S. 42. 88 Redaktionsmotive, S. 77, zit. bei Thomdike, S. 113; ebenso Motive TE, S. 77. 84 Loening, S. 255; Gierke, GR. I, S. 884. 27

5. Die Vereinsgesetzgebung i n Sachsen u n d Bayern

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Ebensowenig wie der Code C i v i l kannte das Badische Landrecht Bestimmungen über Arten oder Rechte korporativer oder korporationsähnlicher Privatgesellschaften. Hinzu kam, daß, anders als i m Gemeinen Recht 35 , die gewöhnlichen Personenvereine i m Gebiete des französischen Rechtskreises nach einer grundsätzlichen Entscheidung des Reichsgerichts 3 6 weder rechtsfähig noch parteifähig waren. Dagegen bestand scheinbar freie Körperschaftsbildung i m Geltungsbereich des österreichischen ABGB. § 26 sprach dort allen erlaubten Gesellschaften Rechtsfähigkeit zu. Die Erlaubtheit bestimmte sich aber nach VerwaltungsVorschriften, die zu verschiedenen Zeiten je nach politischer Lage verschieden gestaltet waren 3 7 . Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1862 statuierte i n § 52 ausdrücklich das Erfordernis staatlicher Anerkennung zur Erlangung der Rechtssubjektivität. Darüber hinaus waren i n fünf weiteren Vorschriften Bestimmungen über Vertretung, Sonderrechte, Beschlußfassung und Auflösung der juristischen Personen getroffen 38 . Für die nicht auf Erwerb gerichteten Vereine blieb nur das ihrer Natur unangemessene Gesellschaftsrecht, §§ 1359 ff. 5. Die Vereinsgesetzgebung insbesondere Sachsens und Bayerns Einen besonderen Weg hatte die neuere Gesetzgebung i n Sachsen und Bayern eingeschlagen. Dort war erstmalig durch Spezialgesetze vom 15. Juni 1868 und 29. A p r i l 1869 das Normativsystem eingeführt worden. Es bedeutete, daß Vereinigungen zu Wohltätigkeits-, Bildungs-, religiösen und geselligen oder sonstigen erlaubten Zwecken, sogenannte ideale Vereine, nach Erfüllung gewisser Voraussetzungen 39 als rechtsfähig anerkannt werden konnten und zwar nicht durch Spezialkonzessionen, sondern aufgrund Gesetzes. Z u den Voraussetzungen gehörte i n Bayern die Einreichung der Statuten beim Landgericht, i n dessen Bezirk der Verein seinen Sitz hatte, die nach Prüfung der weiteren Erfordernisse m i t dem Vermerk „Anerkannt nach dem Gesetze vom 29. A p r i l 1869" dem Vorstand zurückgegeben wurden. I n Sachsen entstand die Rechtsfähigkeit der Vereine nach dem dortigen Gesetz durch Eintragung i n ein Genossenschaftsregister 40 . Jedoch bedurften Personenvereine, die sich auf öffentliche Angelegenheiten bezogen, einer ausdücklichen Sondergenehmigung 85

Ausführlich Motive TE, S. 34 u n d 77. RGZ Bd. 18, S. 346; Hachenburg, S. 21; Bemerkungen Preußischer Justizminister, S .13; teilweise a. A . Gierke , Gutachten, S. 282. 87 Menger, S. 46; ausführlich zum Ganzen Ostheim, S. 76 ff. 88 Siebenhaar, S. 15 f. 89 Bayerisches Gesetz, A r t . 2 u. 3; Sächsisches Gesetz §§ 10 u. 11; zur Entstehungsgeschichte des bayerischen Gesetzes, Rump, S. 17 ff. 40 §§10 u n d 70. 86

4 Kögler

50

2. Teil: Deutsches Privatvereinsrecht bis zur Schaffung des B G B

des Ministeriums des Innern 4 1 . Entsprechendes galt für solche Vereine auch i n Bayern. 6. Reichsgesetzliche

Regelungen

Reichsrechtlich geregelt waren zu Beginn der Vorarbeiten am BGB nur die Vereine des Handelsgesetzbuches, d. h., die Gesellschaften, die auf Einrichtung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs abzielten. Vor allem waren dies die Offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die Aktiengesellschaft. Durch Reichsgesetz vom 4. J u l i 186842 war außerdem den Erwerbs- und W i r t schaftsgenossenschaften auf Drängen von Schulze-Delitzsch die Möglichkeit zur Erlangung der Privatrechtsfähigkeit eingeräumt worden 4 3 . Für die eingeschriebenen Hilfskassen war durch Gesetz vom 7. A p r i l 187644 das Normativsystem zur Erlangung der Rechtsfähigkeit reichsgesetzlich eingeräumt worden. Von Bedeutung ist schließlich noch der schon erwähnte ebenfalls von Schulze-Delitzsch ausgehende Versuch, i m Wege der Reichsgesetzgebung die privatrechtliche Stellung der Vereine m i t idealen Tendenzen zu regeln. Sie sollten nach dem System der Normativbestimmungen die Rechtsfähigkeit erlangen können 4 5 . Der 1869 i m Reichstag eingebrachte Entwurf war dem bayerischen Gesetz vom 29. A p r i l 1869 verwandt. Nach Kommissionsberatungen nahm ihn das Plenum i n dritter Lesung an 4 6 , ohne daß jedoch die Zustimmung des Bundesrates erfolgt wäre. Der Bundeskommissar hatte bei einer späteren Initiative die Erklärung abgegeben, daß gegen den Entwurf i m Kreise der Norddeutschen Bundesregierungen Bedenken geäußert worden seien, deren wichtigste sich auf die Hereinziehung der religiösen und politischen Vereine i n das Gesetz und auf die Verleihung korporativer Rechte an die sogenannten Gewerkvereine bezögen und daß der Bundesrat des Deutschen Reiches noch nicht i n der Lage gewesen sei, über die dem Entwurf gegenüber einzunehmende Stellung Beschluß zu fassen 47 . Der Entwurf wurde dann insoweit eingeschränkt, als nur solche Gewerkschaften die Rechtsfähigkeit erlangen sollten, die sich vor Streiks zu einer gesetzlichen 41

§ 72 Abs. 2; Brückner, S. 123, erwähnt, daß nach den M o t i v e n des Gesetzes gewerbliche u n d wirtschaftliche Assoziationen gefördert werden sollten: „ W o l l t e man politische Vereine von der Wohltat der Rechtsfähigkeit nicht gänzlich ausschließen, so schien doch eine strenge Kontrolle angemessen." 42 BGBl. Nr. 24. 43 § 11 des Gesetzes. 44 RGBl. Nr. 9. 45 E n t w u r f § 11. 46 Sten.Ber. 1869, Bd. I I , S. 957, 1315 - 1332, 1336; Bd. I I I , Nr. 164, 273, 277, 280, 281. 47 Motive, TE, S. 80.

6. Reichsgesetzliche Regelungen

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Schlichtung bereit erklärten 4 8 . Eine weitere Beratung des Entwurfs i m Plenum fand jedoch nicht mehr statt. Beachtung verdient zuletzt der sogenannte Dresdner Entwurf, den eine Kommission von 12 Mitgliedern aus verschiedenen Bundesstaaten i m Jahre 1866 vorlegte 4 9 . Er hatte zwar als Gesetzentwurf über Schuldverhältnisse naturgemäß keine Regelung über juristische Personen schlechthin treffen können; dennoch ist er als Material für die BGBKommission wegen der besonderen Ausgestaltung seines Gesellschaftsrechts bedeutsam gewesen 50 . Der Entwurf normierte i n seinen A r t i k e l n 812 - 849 eine sogenannte „Nichterwerbsgesellschaft". A r t i k e l 812 lautete: „Wollen bei einer Gesellschaft, welche weder eine offene Erwerbs- oder Handelsgesellschaft, noch eine Actiengesellschaft ist, die Gesellschafter unter einem Gesellschaftsnamen auftreten, so bedarf es zur Entstehung einer solchen Gesellschaft der Aufnahme einer gerichtlichen oder notariellen Urkunde über die Errichtung und den Inhalt des Statuts, sowie die Eintragung des letzteren i n das Handelsregister. Den Landesgesetzen bleibt vorbehalten, zu bestimmen, daß es zur Errichtung dieser Collectivgesellschaften oder einzelner Arten derselben einer besonderen staatlichen Genehmigung dedürfe". Es war hier also für Vereine mit idealen Tendenzen, wie aus den weiteren Vorschriften sich noch ergibt, ein Normativsystem m i t Registerzwang geplant. Besondere Anforderungen an das Statut waren nicht gestellt 51 . Die Gesellschaft sollte rechts- und parteifähig sein 52 . Ihre Form der Organisation war umfassend geregelt 53 . Hinsichtlich solcher Vereine, welche die Behandlung öffentlicher A n gelegenheiten bezweckten — für die das Institut der Nichterwerbsgesellschaft ebenfalls die passende Rechtsform darstellte 54 — postulierte der Entwurf keine Sonderbestimmungen. Er überließ lediglich den Landesgesetzen, Bestimmungen über eine besondere Genehmigung zu errichten und auch die Auflösungsgründe zu normieren 5 5 . Bemerkenswert ist aber, daß das Bundesrecht hier erstmalig ein System zur Verfügung stellte, nach dem grundsätzlich alle idealen Vereine Rechtsfähigkeit hätten erlangen können, wenngleich aus den Protokollen ersichtlich ist, daß nur die religiösen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen, die technischen und polytechnischen, die Kunst- und landwirtschaftlichen Vereine und verschiedene Versicherungskassen geregelt werden sollten 56 . 48 Kommissionsentwurf des Gesetzes § 1, Abs. 2, Ziff. 3 (Kommissionsentw u r f Deutscher Reichstag 1. Legislaturperiode, I I I . Session 1872, S. 2). 49 Franche, S. V I . 50 Motive, TE, S. 35 f. 51 Obligationenrecht, A r t . 814. 52 A r t . 819. 53 A r t . 820 ff. 54 A r t . 812. 55 A r t . 841, S. 2. 58 Prot. Obligationsrecht Bd. 4, Sitzung v o m 14.11.1864, S. 2748. 4*

Dritter

Teil

Die Entstehung des Vereinsrecht des BGB — historische Darstellung und Würdigung A . D i e 1. Kommission a) Das Zustandekommen des 1. Entwurfs

1. Vorkommission

und Bildung der Hauptkommission

Der Thibaut-Savignysche Streit 1 über den „Beruf" der Zeit zu einheitlicher Privatrechtskodifikation hatte den Beschluß des Bundesrates vom 12. Dezember 1873 vorbereitet 2 , dem Reiche die Gesetzgebungskompetenz für das gesamte Zivilrecht 3 zu übertragen und gleichzeitig eine Kommission zur Ausarbeitung eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich einzusetzen. M i t Bundesratsbeschluß vom 28. Februar 1874 wurde eine Kommission von 5 Juristen gebildet, deren Aufgabe es war, Vorschläge über Plan und Methode zur Ausarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuches einzureichen 4 . Diese sogenannte Vorkommission fertigte ein umfangreiches Gutachten, das dem Bundesrat am 16. A p r i l 1874 vorgelegt wurde 5 . Es sah i m wesentlichen die Bildung einer Kommission von 9 „theils redigirenden, theils überwiegend kontrolirenden und kritisirenden Mitgliedern" 6 vor. Aus deren Mitte sollten fünf Redaktoren für die Hauptteile des Gesetzbuches bestimmt werden; allerdings war beabsichtigt, das Immobiliarsachenrecht einschließlich des gesamten Pfandrechts und die übrigen Institute des Sachenrechts einschließlich des Besitzes durch zwei verschiedene Referenten bearbeiten zu lassen. Eheliches Güterrecht und Erbrecht dagegen sollten von einem einzigen Bearbeiter gefertigt werden 7 . Nach dem Gutachten war kein besonderer Redaktor für einen all1

Schubert, S. 4; Vierhaus, S. 9 ff.; Schwartz , S. 49. Prot. BR 1873, S. 440, § 601; nicht am 4. 12. 1973 wie Schubert u n d Mertens meinen! 3 F ü r das öffentliche Vereinsrecht bestand diese Kompetenz bereits nach der R V v o m 1.1.1971, A r t . 4, Nr. 16. 4 Prot. BR 1874, S. 90, § 130. 5 Drucks. BR, Nr. 53, Session 1874, S. 1. β Drucks, ebenda, S. 14 f. 7 Ausführlich Schubert, S. 16. 2

Aa. 1. Vorkommission u n d Bildung der Hauptkommission

53

gemeinen Teil vorgesehen. Vielmehr sollte er nach vorläufiger Feststellung sämtlicher Hauptteile durch einen von der Kommission zu ernennenden Hauptreferenten 8 unter „geeigneter M i t w i r k u n g " 9 der Redaktoren, die dazu jeweils die generellen Rechtssätze aus ihren Fachbereichen beisteuern sollten, erstellt werden. Materiell hatte die Vorkommission unter anderem empfohlen, „das Recht der juristischen Personen, vornehmlich der Korporationen und Genossenschaften" 10 , reichseinheitlich zu regeln. Dieselbe Empfehlung gab auch der Justizausschuß, dem die Vorschläge zur Begutachtung vorgelegt worden waren 1 1 . Zwar regte der Ausschuß an, beim Recht der juristischen Personen, Korporationen und Genossenschaften m i t „Vorsicht und Schonung" zu verfahren, bemerkte jedoch gleichzeitig: „Diese Vorsicht und Schonung w i r d sich indeß der Notwendigkeit gleicher Prinzipien unterordnen müssen. Die Handlungsfähigkeit, die Statusrechte, das Recht juristischer Personen, werden nicht von Land zu Land verschieden bleiben dürfen 1 2 ." Die Arbeitsweise zur Erstellung der Teilentwürfe hatte die Vorkommission sich als Verbindung von Einzelarbeit der Redaktoren und Tätigkeit der Gesamtkommissionen vorgestellt. Während der Arbeit an den Teilentwürfen sollte die Kommission sich bereits über gewisse grundlegende und über Abgrenzungsfragen verschiedener Rechtsgebiete einigen, um spätere zeitraubende Umredaktionen zu vermeiden. I n der Sitzung vom 22. Juni 187413 stimmte der Bundesrat den Vorschlägen von Vorkommission und Justizausschuß „ i m Allgemeinen" zu. Er setzte lediglich, wie vom Justizausschuß vorgeschlagen, wahrscheinlich zur stärkeren Berücksichtigung der Interessen einzelner Bundesstaaten 1 4 , die Zahl der Kommissionsmitglieder von 9 auf 11 herauf und überließ es der noch zu bestimmenden Kommission, ihren Geschäftsgang selbst zu regeln und die gutachtlichen Vorschläge „als Anhaltspunkte" zu benutzen 15 . I n der Sitzung vom 2. J u l i 1874 wählte der Bundesrat schließlich 11 Kommissionsmitglieder, die m i t Rücksicht auf die größten deutschen Staaten und Rechtsgebiete ausgewählt worden waren. Drei von ihnen stammten aus dem Geltungsbereich des Gemeinen Rechts, drei dem des ALR, zwei dem des französischen Rechtskreises und einer dem 8

Entgegen ihren ursprünglichen Plänen wählte die 1. Kommission nie einen Hauptreferenten. 9 Drucks., ebenda, S. 15. 10 Drucks., ebenda, S. 7. 11 Beschluß des BR v o m 19.4.1874; Prot. BR 1874, S. 156, § 213. 12 Drucks. BR, Nr. 78 Session 1874, S. 4. 13 Prot. BR Session 1874, S. 230. 14 Schubert, S. 19. 15 Die 1. Kommission hielt sich später überwiegend an die Vorschläge.

54

3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

des sächsischen Rechts. Von den beiden Professoren, die der Kommission angehörten — Windscheid 16 und Roth — war der eine Romanist, der andere Germanist 17 . Die Kommission tagte zum erstenmal i n der Zeit vom 17. bis 29. September 187418, wobei ausschließlich geschäftliche Angelegenheiten beraten wurden. Die Redaktoren für die einzelnen Sachbereiche wurden von dem Kommissionsvorsitzenden, Pape 19 , ausgewählt 20 . Auch für den Allgemeinen Teil wurde ein Redaktor bestimmt, nachdem die Kommission entgegen den Anregungen der Vorkommission die gemeinsame Ausarbeitung eines allgemeinen Teils durch den Hauptreferenten und die Redaktoren abgelehnt hatte 2 1 . Grund dafür waren die Arbeiten Windscheids, der i n einer Studie 2 2 einen sehr umfangreichen Katalog von Materien, die sich allgemeiner Regelung zugänglich erweisen sollten, zusammengestellt hatte. 2. Der Redaktor des Allgemeinen Teils, Albert Gebhard Der zur Ausarbeitung des Teilentwurfs — Allgemeiner Teil — gewählte Ministerialrat Albert Gebhard aus Karlsruhe entstammte einer badischen Beamtenfamilie 23 . Er wurde am 3.1.1832 als Sohn eines Gymnasialdirektors i n Lahr geboren 24 . Nach Besuch des Großherzoglichen Lyzeums i n Karlsruhe, das ihn i m September 1849 als „zum Studium der Jurisprudenz befähigt" entließ, begann Gebhard seine juristische Ausbildung m i t dem Wintersemester 1848/49 i n Tübingen, setzte sie zwei Semester lang i n Göttingen fort und studierte abschließend drei Semester i n Heidelberg. I m Jahre 1853 bestand er dort sein erstes Examen m i t der Note „gut befähigt". Gebhard hörte unter anderem Vorlesungen über Pandektenrecht bei den Professoren Waechter, Francke und Pagenstecher, über französisches und badisches Zivilrecht bei Professor Renaud und über römisches Privatrecht bei Professor Vangerow 2 5 . I n dem anschließenden Vorbereitungsdienst zeichnete sich Gebhard laut Praktikantenstationszeugnissen und Auskunft der Praktikantentabelle durch außergewöhnlichen Fleiß aus. Er wurde 1856 zum Referendar er16

Windscheid schied bereits 1883 wieder aus der Kommission aus. Ausführlich Schubert, S. 19. 18 Nicht bis zum 28. September w i e Schubert, S. 23 u n d Mertens, S. 9, meinen. 19 Über den Einfluß der verschiedenen Kommissionsmitglieder ausführlich Schubert, S. 19 ff. 20 Prot. I, 8. Sitzung v o m 29.9.1874. 21 Prot. I, 8. Sitzung v o m 29.9.1874. 22 Prot. I, Anlage Nr. 6. 23 Alphabetisches Verzeichnis Hof- u n d Staatsdiener, S. 40. 24 G. L . A. Personalakten Justizministerium 76/9928. 25 G.L.A. ebenda. 17

Aa. 2. Der Redaktor des Allgemeinen Teils, Albert Gebhard

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nannt, wiederum m i t „gut befähigt". Aufgrund seiner Leistungen erhielt er die 1. Stelle i n der Prüfungstabelle. Seine Zeugnisse aus der Zeit als Rechtspraktikant, desgleichen alle späteren Beurteilungen rühmten immer wieder seine sorgfältige, exakte Arbeitsweise, seinen Leistungswillen und seine Genauigkeit. Einmal hieß es i n einem der typischen Zeugnisse „etwas viel Gründlichkeit kann i h m nicht zum Vorwurf gemacht werden . . ." 2 e . Als Referendar war Gebhard seit 1857 zunächst i m Oberamt Emmendingen tätig, wurde 1860 Sekretariatspraktikant i m Handelsministerium und 1862 Assessor bei der Zolldirektion. I m Jahre 1860 erhielt er die dienstliche Erlaubnis, die Tochter des Oberpostrats Emilie Eberlin zu heiraten 2 7 . Aus der Ehe ging ein K i n d hervor. Von 1864 - 1868 war Gebhard Richter beim Kreisgericht i n Karlsruhe, von wo er i n das Großherzogliche Justizministerium berufen wurde 2 8 . Schon 1871 gehörte er der „Kommission zur Feststellung des Entwurfs einer deutschen Zivilprozeßordnung" an. Für die Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches war Gebhard dem Bundesrat vorgeschlagen worden, weil er zum einen i n Berlin bereits bekannt und „genauester Kenner" des badischen und des bezüglichen französischen Rechts sei und zum anderen, weil von badischer Seite der Heidelberger Professor Windscheid, gewiß ohne jeden Zweifel an seiner Qualifikation, nicht als echter Vertreter des badischen Rechtskreises galt 2 9 . Dieselben Erwägungen veranlaßten die Badische Regierung i m Jahre 1890 bei Bildung der 2. Kommission, wiederum den inzwischen i n Freiburg als Professor lehrenden Gebhard statt des Heidelberger Professors und Germanisten Schröder vorzuschlagen. Der Bundesrat hätte Schröder bevorzugt, nachdem Gierke sich an der Kommission nicht beteiligen wollte 3 0 . Nach Beendigung der Kommissionsarbeiten i m Jahre 1896 kehrte Gebhard nicht i n das Ministerium zurück, sondern nahm seine Lehrtätigkeit i n Freiburg wieder auf. Er starb am 23.10.1907 i n Heidelberg. Seine Witwe schenkte dem dortigen juristischen Seminar i m Jahre 1910 die gesamten Arbeitsunterlagen ihres Gatten über seine Gesetzgebungstätigkeit 31 . 26

G.L.A. Personalakten Finanzministerium 76/2630. G.L.A. ebenda, Schreiben v o m 11.9.1960. 28 G.L.A. Personalakten Kreis- u n d Hofgericht Karlsruhe 76/9928a. 29 G.L.A. Entstehung des B G B 234/3867 Schreiben v o m 10. 6.1874. 30 G.L.A. Entstehung des B G B 234/3548, Gesandtschaftsberichte v o m 19. 10. 1890 u n d 31. 10. 1890 Nr. 649 u n d 686/87, Gebhards W a h l konnte damals laut Bericht n u r „ m i t M ü h e " i m Justizausschuß durchgesetzt werden. Gierke hätte w o h l n u r dann akzeptiert, w e n n er zum alleinigen Redaktor bestellt worden wäre. 31 G.L.A. Personalakten Justizministerium 76/9928 Schenkungsgenehmigung des Ministeriums v o m 31.1.1910. 27

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Uber das Wirken Gebhards i n den Kommissionen gibt ein Nachruf des Generalreferenten der 2. Kommission, Gottlieb Planck, Aufschluß 32 . Planck beschrieb Gebhard als zurückhaltenden Menschen, dessen Tätigkeit nach außen wenig hervorgetreten sei. Wer i h n jedoch näher gekannt habe, wisse, wie segensreich und bedeutsam seine Tätigkeit gewesen sei. Gebhard habe das badisch-französische Recht genau gekannt, sei aber ebenso bewandert gewesen i m Gemeinen Recht, an dem seine Denkweise ausgebildet gewesen sei. Er habe daher auf einem ähnlichen Standpunkt gestanden wie Windscheid. Gebhard sei von außerordentlicher Gewissenhaftigkeit und unermüdlichem Fleiße und damit ein besonders wertvolles Mitglied beider Kommissionen gewesen. 3. Arbeitsweise

der Kommission

Die Redaktoren der 1. Kommission konnten sich bei der „Sammlung von Materialien, Erstattung von Gutachten, Ausarbeitung einzelner Entwürfe und sonstigen Vorarbeiten" 3 3 durch Hilfsarbeiter, die auf Antrag eines Redaktors durch den Präsidenten der Kommission zugewiesen werden sollten, unterstützen lassen. Bei der Auswahl der Hilfsarbeiter sollte auf diejenigen Rechtsgebiete Bedacht genommen werden, die noch nicht durch die Redaktoren vertreten waren. Z u m Hilfsarbeiter Gebhards wurde Heinrich Börner, damals Hilfskraft beim Appellationsgericht i n Leipzig und somit Repräsentant des sächsischen Rechtskreises, bestimmt 3 4 . Börner hatte nach Besuch der Fürstenschule i n Meißen und Leipzig die Rechte studiert und war 1867 i n den praktischen Dienst eingetreten. 1872 wurde er Assessor und erhielt dann i m Jahre 1873 die Berufung als Hilfsarbeiter zum Appellationsgericht i n Meißen 35 . Als Börner 1874 zu den Arbeiten am BGB abgestellt wurde, war er gerade 30 Jahre alt. Ihre Arbeitsweise hatte die 1. Kommission dahin festgelegt, daß die Redaktoren gehalten sein sollten, sich i n regelmäßigen Sitzungen über Form und Inhalt ihrer Arbeiten zu besprechen und gegenseitig zu verständigen 36 . Über den Stand der Arbeiten sollte sich der Präsident durch zeitweise Teilnahme an den Sitzungen informieren und auf gleichmäßige Förderung der Arbeit achten. Daneben waren Sitzungen der Gesamtkommission vorgesehen: „Die Feststellung des Systems des Gesetzbuchs, die Bestimmung der für die Ausarbeitung aller oder einzelner Hauptteile des Entwurfs maßgebenden 82 33 34 35 36

JZ 1908, S. 119 f. Prot. 1,8. Sitzung v o m 29. 9.1874; unrichtig insoweit Mertens, S. 10. Vierhaus, S. 64; Mertens, S. 14 A n m . 113. Angaben zum Lebenslauf aus Zeitgenossenlexikon Spalte 150/151. Anlage Nr. 7.

Aa. 4. Der Teisentwurf des Allgemeinen Teils u n d seine Beratung

57

Gesichtspunkte, sowie die Aufstellung der die einzelnen Hauptteile des Entwurfs beherrschenden Principien hat durch die Kommission zu erfolgen 87 ." Die Gesamtkommission tagte jeweils nur einmal i m Jahr während einer Dauer von vier bis sechs Wochen, i n denen die Vorlagen der Redaktoren, die der Beschlußfassung durch die Kommission unterliegen sollten, diskutiert wurden 8 8 . Die wöchentlich i n Berlin stattfindenden Redaktorenkonferenzen, i n denen die Redaktoren ihre Arbeit koordinieren sollten, waren ohne nachhaltigen Erfolg. Da keine Beschlüsse gefaßt werden konnten, hatten sie lediglich informatorischen Wert 3 0 . Eine häufigere Tagung der Gesamtkommission wurde entgegen den Wünschen Papes abgelehnt, da die Redaktoren eine „unzeitige Unterbrechung ihrer Arbeit besorgten" 40 . Über die Sitzungen der Gesamtkommission wurde ein Protokoll aufgenommen, das gemäß § 4 der Geschäftsordnung vom 19. September 1874 nur die Bezeichnung der anwesenden Mitglieder, den Gang der Diskussion i m allgemeinen und die Ergebnisse der Abstimmungen enthalten sollte. Nur auf Antrag konnte die Stimmenzahl, m i t welcher ein Beschluß gefaßt wurde, festgehalten werden 4 1 . Die streng nach der Geschäftsordnung abgefaßten Protokolle waren äußerst knapp 4 2 und enthielten regelmäßig weder die Namen der Redner oder Antragsteller 4 3 noch die AbstimmungsVerhältnisse. Genaue Aufschlüsse über den Ablauf der Sitzungen und Funktionen und Einfluß einzelner Kommissionsmitglieder sind daher nur schwer zu erhalten. Sie können nur mittelbar aus den spärlichen privaten Mitteilungen der Kommissionsmitglieder oder deren Hilfsarbeiter entnommen werden 4 4 . 4. Der Teilentwurf des Allgemeinen Teils und seine Beratung in der Kommission Nicht, wie man erhofft hatte, schon nach zweijähriger, sondern erst nach sechsjähriger Tätigkeit konnten die Redaktoren die Teilentwürfe fertigstellen. Dabei w a r der Entwurf des Allgemeinen Teils zuletzt fertig geworden, wenn man absieht von dem Teilentwurf des Obligationenrechts, der zunächst wegen Krankheit und schließlich Tod des Redak37

Anlage Nr. 8. Schubert, S. 24. 39 Schubert, ebenda; Vierhaus, S. 70. 40 Mertens, S. 10. 41 § 4 der Anlage Nr. 1 zur Sitzung v o m 19.9.1874. 42 I n „thunlichster Kürze" sollten sie nach der Geschäftsordnung v o m 4.10.1881, § 13, abgefaßt werden. 43 Ausführlich Schubert, S. 31 f. 44 Genauere Angaben über das W i r k e n Plancks i n der Kommission gibt dessen Biograph Frensdorff, S. 333 ff. 38

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

tors nie hatte vollendet werden können 4 5 . Noch auf der letzten Sitzung der Gesamtkommission vor Durchberatung der Teilentwürfe i m Jahre 1880 lag der Entwurf Gebhards, m i t dem die Beratungen begonnen werden sollten, nicht vor. Der Redaktor entschuldigte seine Säumigkeit m i t schwerer Krankheit, weswegen er sich i n ärztliche Behandlung habe begeben müssen 46 . Nachdem Gebhard die Fertigstellung seines Entwurfs für die Mitte des Jahres 1881 i n Aussicht gestellt hatte, beschloß die Kommission, sich am 1. Oktober 1881 erneut zu konstituieren, um dann endlich m i t der Durchberatung der einzelnen Vorschriften des Allgemeinen Teils zu beginnen. Der Teilentwurf Gebhards konnte bis zum vorgesehenen Termin fertiggestellt, m i t Motiven versehen, gedruckt und an die Mitglieder der Kommission verteilt werden. Er enthielt 217 Paragraphen, die auf 1143 Seiten 47 motiviert waren 4 8 . Die ersten 40 Paragraphen betrafen das internationale Privatrecht, das jeder Redaktor für sein Rechtsgebiet zu erarbeiten hatte. Die übrigen i m Allgemeinen Teil geregelten Institute, wie Natürliche Person, Erfordernisse der Rechtsgeschäfte, Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte, Bestimmungen und Berechnungen der Zeit, A n spruchsverjährung, Ausübung, Geltendmachung und Sicherung der Rechte haben i n ähnlicher Form schließlich i m BGB ihren Niederschlag gefunden. Bemerkenswert ist, daß entgegen den 1874 zuletzt von der Kommission formulierten Beschlüssen, die den Umfang des Bürgerlichen Gesetzbuchs betrafen 49 , kein Recht der juristischen Personen i n den Entwurf aufgenommen war. Gebhard hatte lediglich i n der Inhaltsübersicht zum Teilentwurf beim zweiten Abschnitt, nach dem 1. Titel I „Die natürliche Person" unter I I die juristische Person erwähnt, dazu jedoch keine einzige Norm aufgestellt. I m Gesetzestext selbst war i n einer Zeile der Titel I I „Die juristische Person § - §" eingerückt 50 . Dazu hatte der Verfasser angemerkt, daß die diesbezüglichen Paragraphen vorbehalten blieben. Darüber hinaus wies er auf den Vereinsrechtsbeschluß vom 2. November 1879 hin. Der Beschluß folgte einem Vorschlag des Redaktors des Allgemeinen Teils an die Gesamtkommission 51 . Er lautete wie folgt: „ I n dem 45

Prot. 1,1. Sitzung v o m 4.10.1881, Mertens, S. 14. Prot. 1,1. Sitzung v o m 28.12.1880. 47 Obwohl die Redaktoren des Schuldrechts u n d des Allgemeinen Teils i n der 1. Sitzung v o m 28. 12. 1880, Prot., ebenda, S. 4, zur Eile und Kürze bei Anfertigung der M o t i v e angehalten worden war. 48 E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuchs f ü r das Deutsche Reich . . . Buch Allgemeiner T e i l (Begründung). Vorlage des Redaktors Gebhard, B e r l i n 1881. 49 Anlage Nr. 10. 60 E n t w u r f eines BGB, S. 14. 51 Vorlage Nr. 5 von 1879; Die letzte zur Entscheidung der Gesamtkommission gebrachte Redaktorenvorlage. Anders als bei den übrigen Vorschlägen fehlte hier eine Begründung. 46

Aa. 4. Der Teisentwurf des Allgemeinen Teils u n d seine Beratung

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bürgerlichen Gesetzbuch sind Normativbestimmungen, durch deren Beobachtung Personenvereine juristische Persönlichkeiten erlangen, nicht aufzunehmen". Die Kommission nahm die Vorlage nach lebhafter Debatte an, weil sie mehrheitlich der Auffassung war, einem nach dem Normativsystem gestalteten freiheitlichen Vereinswesen stünden schwerwiegende politische Bedenken entgegen 52 . Außer dieser Entscheidung hatte die 1. Kommission bis zum Jahre 1880 keinen Beschluß über das Recht der juristischen Personen gefaßt. Erst lange nach Durchberatung des Allgemeinen Teils, die wie geplant i m Oktober 1881 begann und etwa ein halbes Jahr dauerte, legte Gebhard einen die juristischen Personen betreffenden Entwurf vor. Das genaue Vorlagedatum läßt sich nicht mehr feststellen, da auch dieser Entwurf wie die meisten übrigen nicht das Jahr seiner Drucklegung nennt. I n der 204 Seiten umfassenden Begründung zu den 25 Paragraphen 5 3 sind jedoch Gesetze bis zur Mitte des Jahres 1883 berücksichtigt 54 , so daß die Vermutung zutreffend sein dürfte, daß der Entwurf kurz nach seiner Fertigstellung von der Kommission beraten wurde, was vom 2. - 18. Januar 1884 i n Unterbrechung der Lesung des Obligationenrechts geschah55. Eine Bemerkung darüber, warum die Beratungen des Obligationenrechts zugunsten der Beratung des letzten Stückes des Allgemeinen Teils abgesetzt worden waren, findet sich i n dem Protokoll vom 2. Januar 1884 nicht. Materiell lag der Entwurf des Rechts der juristischen Personen auf der Linie des am 2. November 1879 gefaßten Vorbeschlusses. I n den Motiven wurde i n aller Breite begründet, welche durchgreifenden politischen Bedenken gegen ein, wenn auch wünschenswertes, aber praktisch nicht vertretbares, nach dem Normativsystem gestaltetes Vereinsrecht bestünden 56 . Demgemäß bestimmte der Entwurf i n dem entscheidenden § 4, daß für den Erwerb und Verlust der Rechtsfähigkeit von Vereinen das Landesrecht maßgebend sei und, falls dies keine Bestimmungen getroffen habe, juristische Persönlichkeit nur durch besondere i m einzelnen Fall zu erwerbende Verleihung seitens der Landesverwaltung erlangt werden könnte. Bei Beratung des Teilentwurfs i n der Kommission wurde der erste Teil der Vorschrift ohne größere Debatten angenommen, der zweite Teil jedoch, weil durch i h n subsidiäres Reichsrecht geschaffen würde, gestrichen. Außerdem meinte man, es würde ein Fall geregelt, der gar nicht 52 53 54 55 56

Prot. 1,4. Sitzung v o m 2.11.1879. Jeweils m i t §§ 80 1 , § 802 etc. bezeichnet. Motive, TE, S. 72. Prot. I, 276. Sitzung v o m 2.1.1884, S. 3087 ff. Motive, TE, S. 80 ff.

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3. Teil: Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

eintreten dürfe, nämlich, daß die Landesgesetzgebung i n Passivität verharre, obschon das Bürgerliche Gesetzbuch die Aufforderung zum Eingreifen enthalte, soweit ein Bedürfnis bestehe. Noch einmal am 28. 2. 1884, nach Beendigung der Lesung des Teilentwurfs über juristische Personen, wurde die Einstellung der Kommissionsmitglieder zum Vereinsrecht deutlich. Man trat i n die Beratung der bisher zurückgestellten Frage ein, ob i m Gesellschaftsrecht entsprechend dem Dresdner E n t w u r f 5 7 die sogenannten kollektiven Nichterwerbsgesellschaften geregelt werden sollten 58 . Die Kommission war sich jedoch darüber einig, daß dies die Anerkennung des Normativsystems für die privaten Vereine bedeutet hätte ein Ergebnis, das gerade vermieden werden sollte. Zwar war die Kommission sich der Tatsache bewußt, daß i h r Entwurf die nicht privilegierten Vereine m i t idealen Tendenzen i n ihrem rechtlichen Dasein behindere, jedoch bestand Zuversicht, daß alsbald i m Wege der Spezialgesetzgebung weitere Normierungen erfolgen würden 5 9 . I m übrigen ging die Kommission davon aus, daß die Vereine sich rechtlich schon so einzurichten wüßten, daß sie zweckentsprechend wirken könnten. Bemerkenswert erscheint noch ein Antrag aus der Mitte der Kommission, der vorsah, allen Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl aufzugeben, Mitgliederverzeichnisse zur Einsicht durch die Vereinsgäubiger vorzulegen 60 . Der Antrag wurde abgelehnt m i t der Begründung, so gerechtfertigt er sein möge, werde doch den betroffenen Vereinen dadurch eine Verkehrserleichterung gewährt (!), die m i t der prinzipiell gegenüber diesen Vereinen eingenommenen Stellung schwer vereinbar sei. Eine weitere Beratung des Vereinsrechts durch die 1. Kommission fand, abgesehen von der nur zu Redaktionszwecken durchgeführten zweiten Lesung 6 1 aller Vorschriften, nicht mehr statt. Somit lauteten die entscheidenden Vorschriften der 1. Kommission zur Rechtsfähigkeit idealer Vereine: § 41: „Personenvereine und Stiftungen können die Fähigkeit haben, als solche selbständig Vermögensrechte und Vermögenspflichten zu haben (juristische Persönlichkeit)." § 42: „Die juristische Persönlichkeit eines Personenvereins und der Verlust dieser Persönlichkeit bestimmen sich i n Ermangelung beson57

Dieser u n d das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch lagen den Beratungen zugrunde, soweit nicht der Redaktor des Schuldrechts v o r seinem Tode andere Vorschläge erarbeitet hatte. 58 Prot. I, 283. Sitzung v o m 18. 1. 1884, S. 3207 ff.; Die Frage w a r am 12. 12. 1883 zurückgestellt worden, u m sie nach Lesung des Rechts der juristischen Personen wieder aufzugreifen; Prot. I, 271. Sitzung v o m 12.12.1883, S. 3033. 59 Prot. 1,283. Sitzung v o m 18.1.1884, S. 3209. 60 Prot., ebenda, S. 3210. 61 Das w a r i n § 1 der Geschäftsordnung v o m 4.10.1881 beschlossen worden.

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derer reichsgesetzlicher Vorschriften nach den Landesgesetzen des Ortes, an welchem der Personenverein seinen Sitz hat." Die erste Beratung der Teilentwürfe hatte vom 4. Oktober 1881 bis Ende September 1887, die zweite Lesung vom 30. September 1887 bis 16. Dezember 1887 gedauert 62 . A m 12. Januar 1888 gelangte der Entwurf an den Bundesrat, der i h n an den Justizausschuß überwies 63 . Der Ausschuß schlug dem Plenum am 24. Januar 1888 die Veröffentlichung nebst Motiven vor. Noch i m gleichen Jahr wurde der Entwurf m i t fünfbändigen Motiven veröffentlicht. Die Motive zum Allgemeinen Teil waren von Börner verfaßt worden. Sie stellten eine knappe Zusammenfassung der Motive zu dem Teilentwurf und der Protokolle der Beratungen dar. Die Kommission hatte die Motive zu den einzelnen Büchern nie gebilligt. I h r Quellenwert ist daher vielfach zu hoch eingeschätzt worden, weil man sie einmal für das Werk der Gesamtkommission und zum anderen für vollständig hielt. Einen genauen Uberblick über die Motivationen der Schöpfer des 1. Entwurfs kann sich deshalb nur der verschaffen, der auf die umfänglichen Motive zu den Teilentwürfen und auf die Sitzungsprotokolle zurückgreift 64 . 5. Die Aufnahme des Vereinsrechts in der Öffentlichkeit und bei den Regierungen Die von der 1. Kommission getroffene Regelung des Vereinsrechts stieß auf eine überaus lebhafte K r i t i k 6 6 , vor allem bei den juristischen Praktikern, deren A r t i k e l auch i n der Tagespresse veröffentlicht 6 6 w u r den. Vom Sprachlichen her bemängelten zunächst Klöppel 6 7 , Meischeider 6 8 , Fischer 69 und Jastrow 7 0 die Verwendung des Ausdrucks „juristische Person", der eng m i t dem Fiktionsbegriff der Romanisten zusammenhänge und empfahlen stattdessen, die Rechtspersönlichkeit m i t der A u f zählung der ihr zustehenden Rechte zu beschreiben. Holder 7 1 und Goldschmidt 72 empfanden über dies den Ausdruck „Personenverein" als Pleo62

Schubert m i t Nachweisen, S. 34. Prot. BR 1888, S. 2, § 6. 64 Schubert, S. 35. 65 Z u r K r i t i k i m Allgemeinen Schubert, S. 35 ff.; zur Aufnahme der K r i t i k durch die Kommissionsmitglieder Frensdorf, S. 325 ff. ββ Zusammenstellung Gutachten, S. 69 ff. 87 Klöppel, S. 633. 68 Meischeider, S. 3 f. 69 Fischer, S. 30. 70 Tägliche Rundschau v o m 27. 10. 1888; Zusammenstellung Gutachten, S. 65. 71 Holder, Entwurf, S. 39. 72 Goldschmidt, S. 53. 63

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

nasmus. Kernpunkt aller K r i t i k war aber der Verzicht der Kommission auf eine reichsrechtliche Regelung der Materie des Vereinsrechts. I n sachlicher Hinsicht damit einverstanden waren nur Klöppel, Pfizer und die Handelskammer i n Leipzig, während alle übrigen K r i t i k e r — Gierke, Holder, Schilling, Kausen, Zrodlowski, Rosin, Bähr, Baron, S. Jacoby, Bingner, Hachenburg, Fuld, Boysen, die Mitglieder des Hanseatischen Oberlandesgerichts 73 , die Handelskammern i n Solingen und Köln, das Deutsche Tageblatt, das Berliner Tageblatt und der Badische Beobachter — sich ablehnend äußerten 74 . Besonders leidenschaftlich und erschöpfend war die K r i t i k Gierkes, deren Inhalt i n der Hauptsache nachstehend kurz wiedergegeben wird. Für Gierke war es eine besondere Enttäuschung, daß die Motive nicht einmal Stellung bezogen hatten zu den neuen deutschrechtlichen Lehren des Gemeinschaftsrechts, die auch Abteilung und Plenum des Deutschen Juristentages von 1888 sich unter seiner Führung zu eigen gemacht hatten 7 5 . Dort hatte man beschlossen: „Das bürgerliche Gesetzbuch hat, unter Vorbehalt der besonderen Reichs- und Landesgesetze über einzelne Körperschaftsgattungen, allgemeine Bestimmungen über Erwerb und Verlust der Körperschaftsrechte zu treffen. Es hat dabei das Prinzip der freien Körperschaftsbildung zu Grunde zu legen. Privatrechtliche K ö r perschaften, welche nicht unter ein Spezialgesetz fallen, — Vereine für ideale Zwecke und wirtschaftliche Vereine, wenn sie nicht auf einen kaufmännischen oder gewerblichen Geschäftsbetrieb gerichtet sind, erlangen die öffentliche Anerkennung ihrer Persönlichkeit, wenn sie aufgrund gesetzlicher Normativbestimmungen i n ein, von den Gerichten geführtes Vereinsregister eingetragen sind 7 6 ." Gierke erschien daher das gesamte Körperschaftsrecht des Entwurfs als Ausgeburt des „sterilen" römischen Prinzips der strengen Scheidung zwischen universitas und societas, die schließlich wieder darauf hinauslaufen müsse, originäre Rechtssubjektivität außerhalb der natürlichen Personen zu verneinen, u m sie schließlich wegen des Bedürfnisses i m Rechtsverkehr den Personengemeinschaften mittels der Theorie von der Fiktion des Rechtssubjekts i m Wege eines staatlichen Gnadenaktes zuzubilligen 7 7 . I n seiner K r i t i k versuchte er den Nachweis zu führen, daß die Kommission sich zwar formell entsprechend ihrer Absicht zu keinem der wissenschaftlich vorgeschlagenen Systeme zur Erlangung der Rechtsfähigkeit bekannt, sie materiell aber eindeutig auf den Boden des Konzessionssystems gestan73

Gutachten der Mitglieder Oberlandesgerichts, S. 293 - 306 (300). Genaue Nachweise i n Zusammenstellung Gutachten, S. 69. 75 Allerdings n u r die amtlichen Motive, nicht die M o t i v e zum Teilentwurf, die ausführlich zu den Theorien Stellung nahmen. 76 Verhandlungen 19. Juristentag Bd. 3, S. 220 ff. u n d S. 321 ff. 77 Gierke , Personengemeinschaften, S. 7. 74

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den habe. Schon aus der Einengung des Begriffs der Rechtssubjektivität auf die Fähigkeit Vermögensrechte und Pflichten zu haben, erhelle die Anlehnung an romanistische Vorbilder, da sich für die Germanisten diese Fähigkeit nicht i n Vermögensrechten erschöpfe, sondern unter anderem auch den Schutz des Rechts an Namen, Wappen, Zeichen und der Körperschaftsehre m i t umfasse 78 . Weiter sei die besondere überflüssige Erwähnung des Erbrechts der juristischen Person eine römisch-rechtliche Reminiszenz, wie auch die Aufstellung besonderer Vorschriften bei Verjährung und Ersitzung. Schließlich sei es reinstes römisches Recht, wenn der deutsch-rechtliche Begriff der Organschaft gänzlich dem römischen der Stellvertretung habe weichen müssen 79 . Die Anlehnung an das römische Vorbild und die fehlende Auseinandersetzung m i t der modernen körperschaftsfreundlichen Rechtsprechung kritisierte Gierke umso mehr, als er schon von einem Sieg des Genossenschaftsgedankens ausging. Gierke schrieb wörtlich: „Wer die deutsche Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts m i t unbefangenem Blick überschaut, w i r d nicht daran zweifeln können, daß das Conzessionssystem nur noch als eine durch die Uberlieferungen des Polizeistaats gestützte Ruine aufrecht steht, während seit der Wiederbelebung unseres durch den Staatsabsolutismus zwar eingeschnürten, aber nicht erstickten Körperschaftslebens und seit dem mächtigen Wiederaufschwingen der schöpferischen K r a f t des germanischen Assoziationsgeistes i n Wirklichkeit das altnationale Prinzip der Körperschaftsfreiheit von Sieg zu Sieg vorgeschritten ist 8 0 ." Die politischen Bedenken, die nach dem Inhalt der Motive ein liberales Vereinsrecht verhindert hätten, seien keineswegs durchgreifend, da den Gewerkschaften ohnehin durch ein repressives Vereinsrecht nicht Einhalt geboten werden könne und sie außerdem auch nicht auf eine Basis außerhalb der Rechtsordnung gedrängt werden sollten 8 1 . Eine Anerkennung der Vereine verschaffte diesen sogar größere Öffentlichkeit und damit mindere Gefährlichkeit und biete m i t der damit verbundenen Vermögensfähigkeit eine gewisse Bürgschaft für Wohlverhalten 8 2 . Es sei unfaßbar, daß dieser Entwurf, der um der Rechtseinheit w i l l e n vor keinem Eingriff i n die heilige Uberlieferung des Volksrechts zurückbebe, nunmehr vor den Traditionen des Polizeistaates haltmache 83 , zumal das öffentliche Vereinsrecht m i t all seinen Verboten bezüglich politischer Ver78

Gierke, Gierke, 80 Gierke, 81 Gierke, 82 Gierke, S. 43; Rosin, 83 Gierke, 79

ebenda, S. 9. ebenda, S. 23. Gutachten, S. 266. Personengemeinschaften, S. 18. Verhandlungen 19. Juristentag Bd. 3, S. 228; Holder, S. 144. Personengemeinschaften, S. 11.

Entwurf,

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

eine unberührt bleibe. Solange das öffentliche Prinzip der Vereinsfreiheit bestehe, könne es nicht Aufgabe des Privatrechts sein, publizistische Beschränkungen zu normieren 8 4 . Darüber hinaus werde das vorgeschlagene Vereinsrecht den modernen Bedürfnissen des Verkehrs nicht gerecht, da durch die Verweigerung der Rechtspersönlichkeit die Prozeßführung für große Vereine fast unmöglich sei und andererseits die Gläubiger unzureichend gesichert seien 85 . Als Fazit der gesamten K r i t i k ist der lebhafte Wunsch nach einem freiheitlichen, unkomplizierten, den Bedürfnissen des Verkehrs genügenden Vereinsrecht festzuhalten. I n einer K r i t i k der K r i t i k des 1. Entwurfs nahm Planck, das neben Pape und Windscheid w o h l einflußreichste Mitglied der 1. Kommission, ausführlich zu den teilweise polemischen Vorwürfen Gierkes und anderer K r i t i k e r Stellung 8 «. Der Entwurf sei kein i n Paragraphen gegossenes Pandektenkompendium, sondern habe nur die notwendige Konsequenz aus der Tatsache gezogen, daß sich die deutsche Rechtswissenschaft seit Jahrhunderten i n der Schule des römischen Rechts ausgebildet habe. Das aber bedeute, daß die deutschen Rechtsgedanken, wenn auch i m römischen System, soweit durchführbar, zur Geltung gekommen seien 87 . Der Entwurf sei deutsch, nur nicht germanistisch 88 . M i t Gierke bedauerte Planck, daß der Entwurf das Recht der idealen Vereine nicht geregelt habe, glaubte aber, daß angesichts der Bedenken des Bundesrates, die dieser schon gegenüber dem Entwurf von Schulze-Delitzsch geäußert habe, keine andere Regelung vertretbar gewesen sei 89 . Die entstandene Lücke hielt Planck aber für ohne Schwierigkeiten ausfüllbar, sobald nur ein ausreichendes öffentliches Vereinsrecht geschaffen sei. Was die K r i t i k Gierkes an der Konstruktion des Begriffs der juristischen Person betreffe, hielt Planck diese insofern für obsolet, als der Streit u m das Wesen der juristischen Person und ihr Verhältnis zum Vorstand (Vertreter oder Organschaft) ohne praktische Bedeutung sei. Der Entwurf habe deshalb auch keine Stellung dazu beziehen müssen und die Austragung des Streits der Wissenschaft überlassen können. I m Gegensatz zu den ablehnenden Reaktionen der wissenschaftlich orientierten Öffentlichkeit zum Vereinsrecht des Entwurfs standen die überwiegend positiven Stellungnahmen der verschiedenen Bundesre84 85 86 87 88 89

Gierke, ebenda, S. 17. Gierke, Gutachten, S. 287; Rosin, S. 142. Planck, A c P Bd. 75, S. 327 - 429. ebenda, S. 333. ebenda, S. 330. ebenda, S. 336.

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gierungen. Sie waren eingegangen aufgrund eines Rundschreibens des Reichskanzlers vom 27. Juni 188990, i n dem unter anderem der Verzicht der Kommission auf die reichsrechtliche Regelung des Vereinsrechts begutachtet werden sollte. Uneingeschränkt für die von der Kommission getroffene Regelung sprachen sich die Regierungen Preußens, Bayerns, Sachsens, Württembergs, Mecklenburg-Schwerins, Mecklenburg-Strelitz, Anhalts und Badens aus, wobei allerdings Bayern und Sachsen ihre Vereinsgesetze beibehalten wollten 9 1 . Schaumburg- Lippe, Lippe und ElsaßLothringen sprachen sich für eine reichsgesetzliche Regelung der Materie nach dem System der Normativbestimmungen aus. Anders als die meisten Regierungen, welche die i n den Motiven 9 2 dargelegten politischen Bedenken gegen ein liberales Vereinsrecht für durchschlagend hielten 9 3 , wurde unter anderem von Elsaß-Lothringen dargetan, daß die öffentlichrechtlichen Vereinsvorschriften bestehen bleiben könnten und für den Privatrechtsbereich das Normativsystem so m i t öffentlich-rechtlichen Vorschriften verbunden werden könne, daß keine Gefahren von einem freiheitlichen Vereinsrecht drohten. Baden hatte seine grundsätzlich positive Stellungnahme zum Vereinsrecht des Entwurfs dadurch eingeschränkt, daß es wegen der Nichtregelung des Rechts der privaten Personenvereine i m Gebiet des Badischen Landrechts, ein reichseinheitliches Vereinsrecht dringend begrüßt hätte 9 4 . Dies umso mehr, als die jüngste Rechtsprechung des Reichsgerichts 95 alle badischen nichtkonzessionierten Privatrechtsvereine rechtlos gestellt habe; denn i m Geltungsbereich des französischen Rechts fehlten die zwischen Korporation und Gesellschaft stehenden, i m gemeinrechtlichen Gebiet von der Rechtssprechung anerkannten Gebilde der modifizierten Sozietäten und der deutschrechtlichen Genossenschaften 96. Für Bayern führte der Ministerialrat Jakubetzky — späteres Mitglied der 2. BGB-Kommission — zusätzlich aus, daß die bayerische Rechtsprechung zu wiederholten Malen, allerdings i n „auffallendem Widerspruch m i t der Ablehnung der Freiheit der Körperschaftsbildung" entschieden habe, daß „solchen berechtigten Gebilden der Neuzeit" (nichtrechtsfähige Personenvereine) nicht deshalb das Leben zu „verkümmern" sei, „ w e i l sie i n die Schablonen des römischen oder sonst geltenden Rechtes nicht passen oder weil sie nicht i n die Reihe der eigentlichen 90 Zusammenstellung Äußerungen der Bundesregierungen — erste Lesung — V o r w o r t u n d S. 8. 91 ebenda, S. 8 - 12. 92 Amtliche Motive Bd. 1, S. 88 ff. 93 Badische Kommission, S. 13; Bemerkungen Mecklenburg-Schwerinsche Regierung, S. 14; Vorschläge Hessisches Ministerium, S. 10. 94 Badische Kommission, S. 12. 95 R G J W 1887, S. 133; RGZ Bd. 18, S. 349. 96 Ausführlich Badische Kommission, S. 12 f.

5 Kögler

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Rechtsinstitute aufgenommen worden sind" 0 7 . Aus diesen Gründen sollte es zumindest i n Bayern bei dem Genossenschaftsgesetz vom 29. A p r i l 1869 verbleiben 9 8 . Besonders strikt wurde von preußischer Seite für die Regelung der 1. Kommission votiert, wenngleich auch hier ein gewisses Bedürfnis für eine reichseinheitliche Regelung des Vereinsrechts nicht verkannt wurde 9 9 . Entscheidend seien aber die politischen Bedenken, da bei Anerkennung des Normativsystems die publizistischen Vereinsgesetze keineswegs ausreichten 100 . Die Einschränkung auf dem Gebiet des Privatrechts verstoße auch nicht gegen A r t . 31 der Preußischen Verfassung, da dort nur die Vereinsfreiheit, nicht aber gleichzeitig das Privileg der Rechtsfähigkeit gewährleistet sei 1 0 1 .

b) Würdigung des 1. Entwurfs

2. Politische und gesellschaftliche Hintergründe für die Arbeit der Kommission Nachdem als Folge der 48er Revolution alle deutschen Staaten das Recht zu freier Vereinsbildung i n ihre Verfassungen aufgenommen hatten, bedurfte es zu einem wirklich freien Koalitionsrecht über die öffentlich-rechtliche Gewährleistung hinaus auch freiheitlicher Privatrechtsnormen, u m Entstehung, Organisation und Geschäftsverkehr der Vereine zu regeln 1 0 2 . Dabei hätte größeren über die Individualität der Mitglieder hinausreichenden Gruppierungen zum Zwecke der ungehinderten Teilnahme am Rechtsverkehr die unkomplizierte Möglichkeit zum Erwerb der Rechtsfähigkeit eingeräumt werden müssen. Die Privatrechtsordnungen nahezu aller deutschen Länder waren jedoch auch nach der bürgerlichen Revolution noch vom Charakter des Polizeistaates geprägt; für die Vereinsbildung galt allenthalben das Konzessionsprinzip 103 . Die einzige Ausnahme bildeten die Normativsysteme Sachsens und Bayerns, falls man einmal von Zwischengebilden absieht, welche die 97

Jakubetzky, S. 11, m i t Nachweisen. Dort w a r nachgebildet dem i m Reichstag gescheiterten E n t w u r f SchulzeDelitzschs über die privatrechtliche Stellung der Vereine das Normativsystem zur Erlangung der Rechtsfähigkeit vorgesehen. 99 Bemerkungen Preußischer Justizminister, S. 12. 100 ebenda, S. 15. 101 ebenda, S. 14. 102 Daß die Vereine sich tatsächlich durch geschickte Abfassung der Statuten u n d treuhänderische Rechtsgeschäfte unter teilweiser Umgehung des Gesetzes zu arrangieren gewußt hatten, tat der Notwendigkeit eines formellen Gesetzes keinen Abbruch. 103 Dazu Sohm, S. 14. 98

Ab. 1. Hintergründe f ü r die Arbeit der Kommission

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Rechtspraxis — einem Bedürfnis des Verkehrs gehorchend — i n größerem Umfang zugelassen hatte. Da die Vereine des Handelsrechts bereits i m HGB geregelt waren, andererseits bestimmte Genossenschaften des Jagd-, Fischerei-, Deich- und Sielrechts 104 weiterhin landesrechtlich geregelt sein sollten, bestand ein Bedürfnis nach reichsgesetzlicher Regelung i n der Hauptsache für die Vereine m i t sogenannten idealen Tendenzen. Ein solches Bedürfnis war i n der Tat weit verbreitet. So beschreibt Wieacker 1 0 4 a das rechtsstaatliche Interesse an einem freien Vereins- und Körperschaftswesen als eines der drei Hauptargumente der Vorkämpfer für ein einheitliches Zivilrecht. I m gleichen Sinne wurde i n späteren Diskussionen darüber, ob das BGB Erwerb oder Verlust der Rechtspersönlichkeit regeln solle, immer wieder betont, daß ein reichsgesetzliches Vereinsrecht dem Gesetzbuch Anhänger schaffen könne und der Reichstag sich keineswegs damit abfinden werde, einer Zivilrechtskodifikation ohne Vereinsrecht zuzustimmen 1 0 5 . Neben dem rechtsstaatlichen Interesse an einem dem System öffentlich-rechtlicher Vereinigungsfreiheit angepaßten privaten Vereinsrecht stand gleichberechtigt der vordergründige Wunsch nach Rechtseinheit gerade auch auf diesem Gebiet, auf dem sich wegen mancher überregionaler Vereinsbildungen die bestehende Rechtszersplitterung besonders empfindlich bemerkbar machte. A m meisten störten die uneinheitlichen Kodifikationen m i t ihren unterschiedlichen Konzessionsverfahren und die unsichere Rechtslage nichtrechtsfähiger korporativ angelegter Vereine i n der Praxis der Gerichte. Der Streit zwischen Germanisten und Romanisten um das Wesen der juristischen Person und die A r t der Erlangung des Persönlichkeitsrechts war weitgehend ohne praktische Bedeutung, auch deshalb, weil sowohl Romanisten als auch Germanisten für das eine oder das andere Prinzip der Körperschaftsbildung eingetreten waren. Eine Entscheidung über die wissenschaftlich erbittert umkämpfte Streitfrage nach Wesen und Konstruktion der juristischen Person konnte daher von der 1. Kommission als i n der Praxis ohne Bedeutung bewußt umgangen werden. Für sie war die von keiner Seite umstrittene Definition der Rechtspersönlichkeit als der „Fähigkeit, auf den Namen des Substrats Rechte und Verbindlichkeiten eingehen zu können" 1 0 6 , ausreichende Arbeitsgrundlage. 104

Ausführlich Motive, TE, S. 73 ff. a S. 468. 105 G.L.A. Entstehung des B G B 234/3550, z.B.: Schreiben Gebhards v o m 24. 3.1894; Gesandtschaftsbericht Nr. 858 v o m 20. 9.1894. 106 Motive, TE, S. 46 ff., wobei allerdings zu beachten ist, daß sich f ü r die Germanisten die Rechte der juristischen Person nicht i n der Vermögensfähigkeit erschöpften. 104

5*

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

2. Kritik an dem Verzicht auf Einführung des Normativsystems für Idealvereine Der Vorschlag der Vorkommission, das Recht der juristischen Person reichseinheitlich zu regeln, entsprach dem Zeitgeist. Er konnte nur dahin verstanden werden, daß sowohl Entstehung, Auflösung und Organisation der Vereine als auch ihr Geschäftsverkehr geregelt werden sollten. I n die gleiche Richtung ging die noch deutlichere Empfehlung des Justizausschusses. Die uneingeschränkte Empfehlung erscheint verwunderlich, wenn man sich der Bedenken erinnert, die der Bundesrat schon 1871 bei Einbringung des Vereinsgesetzentwurfs von Schulze-Delitzsch i n bezug auf die Verleihung korporativer Rechte an Gewerkvereine geäußert hatte. Offentsichtlich hatten weder Vorkommission noch Justizausschuß alle Konsequenzen der geplanten reichsgesetzlichen Privatvereinssätze vorausgesehen. Da aber, aus welchen Gründen auch immer, der Bundesrat den Gutachten beider Instanzen i n vollem Umfang zugestimmt hatte, bestand für die Mitglieder der Kommission der Auftrag, ein vollständiges Recht der privaten Vereine i n den Entwurf aufzunehmen. Davon war die Kommission auch zunächst ausgegangen, wie die ersten Arbeiten, den Umfang der zu regelnden Materie betreffend, deutlich machen. Darin war nämlich von keiner Beschränkung i n der Behandlung dieses Rechtsinstitutes die Rede, so daß, nachdem die Kommission entsprechend den Vorschlägen Windscheids die juristischen Personen i m Allgemeinen Teil regeln wollte, Gebhard zum Entwurf eines umfassenden Rechts der juristischen Personen verpflichtet war. Von Arbeiten Gebhards am Vereinsrecht, etwa einer Vorlage an die Gesamtkommission wegen grundsätzlicher Probleme einer Regelung wie sie der Redaktor zu anderen Fragen häufig unterbreitete, ist aber bis zur Vorlage des Jahres 1879 nichts zu finden. Dementsprechend enthielten auch die spärlichen Berichte über die Arbeiten der 1. Kommission, die Gebhard dem badischen Justizministerium übersandte, keine Ausführungen zu Fragen des Vereinsrechts 107 . Zwar hatte der Kommissionsvorsitzende Pape i n einem der fortlaufenden Berichte an den Bundesrat am 30. Dezember 1876 108 geschrieben, das Recht der physischen und juristischen Personen sei fertiggestellt, dies kann jedoch bezüglich des letzteren nicht den Tatsachen entsprochen haben, denn sogar der 107 G.L.A. Entstehung des B G B 234/3867: die Berichte über die Tätigkeit i n der 1. Kommission beschränkten sich auf fortwährende Schilderung der finanziellen Situation der Kommissionsmitglieder m i t der Bitte u m Vorsprache i m Bundesrat zwecks Besserstellung, vgl. Schreiben v o m 28. 10. 1874, 6. 1. 1875, 29. 9. 1875 u n d 9. 2. 1876, das gleichzeitig das letztere Schreiben Gebhards bis zu den Arbeiten der 2. Kommission war. 108 BR Session 1876/77, Nr. 1 v o m 30.12.1876, S. 23.

Ab. 2. K r i t i k des Verzichts auf das Normativsystem f ü r Idealvereine

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fertige Teilentwurf, Allgemeiner Teil, aus dem Jahre 1881 enthielt kein Recht der juristischen Personen 100 . Die einzige Vorlage des Redaktors an die Gesamtkommission, die das Vereinsrecht betraf, gleichzeitig die letzte überhaupt vor Beratung der einzelnen Teilentwürfe, war die geschilderte Vorlage aus dem Jahre 1879, die vorschlug, i m BGB Normativbestimmungen zur Erlangung der Rechtsfähigkeit für Personenvereine nicht aufzunehmen. Die Debatte der Kommission über Gebhards Vorlage vermittelt einen ersten deutlichen Einblick i n deren Einstellung zu Fragen des Vereinsrechts. Bemerkenswert ist, daß einige Kommissare dem Vorschlag und der mündlichen Begründung zunächst energisch widersprachen. Sie wandten sich entschlossen gegen Gebhards zusätzliche Anregung, i n solchen Ländern, die nichts über den Erwerb der Rechtsfähigkeit von Vereinen bestimmt hätten, die Verleihung der Rechtspersönlichkeit nur durch besondere Konzession der Landesregierung zuzulassen 110 . „Von verschiedenen Seiten" war zur Hauptsache beantragt, die Regelung des i m Reichstag nicht erledigten Vereinsgesetzentwurfs Schulze-Delitzschs zu übernehmen. Dagegen wandten andere Kommissionsmitglieder ein, „so angemessen und so wünschenswerth" das Normativsystem auch erscheine, einem „lange gefühlten Bedürfnisse abzuhelfen, so habe doch die Erfahrung genügend gelehrt, welche wichtigen politischen Bedenken . . . sich erhöben". Die Kommission wollte daher die ganze Regelung über Erwerb und Verlust der Rechtsfähigkeit aus dem Gesetzbuch ausklammern, was am „Schlüsse der längeren Debatte" durch Mehrheitsbeschluß geschah. So kam es, daß der Teilentwurf Allgemeiner Teil bei Beginn der Einzelberatung i m Oktober 1881 kein Recht der juristischen Person enthielt und die Geschäftsordnung vom 4. Oktober 1881 dementsprechend vorsah, das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch insoweit zugrunde zu legen, als nicht der Entwurf bis dahin vervollständigt sei 1 1 1 . Fragt man sich, weshalb die Kommissionsmehrheit m i t der lapidaren Begründung politischer Bedenken beim Bundesrat auf das i n weiten Kreisen der Bevölkerung dringend gewünschte freie Vereinsrecht verzichtete, obwohl Justizausschuß und Bundesrat das entgegenstehende Programm der Vorkommission gebilligt hatten, so empfiehlt sich, die 109 Denkbar wäre freilich, daß die Kommission bereits 1876 einen E n t w u r f geschaffen hätte, der später unveröffentlicht geblieben wäre. Dafür fehlt allerdings jeglicher Anhaltspunkt i n den Kommissionsunterlagen u n d Regierungsakten. 110 Prot. I , 4. Sitzung v o m 2. 11. 1879; die Bestimmung, daß i n Ländern, die noch keine Regelung getroffen hatten, das Konzessionsprinzip gelten sollte, hätte subsidiäres Reichsrecht bedeutet u n d wurde auch nicht angenommen. Es ist jedoch bezeichnend, daß Gebhard den Rechtszustand, der i n Baden bestand, möglichst überall einführen wollte. 111 Prot. I, Geschäftsordnung v o m 4.10.1881, § 3.

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Gesamtsituation der Gesetzgebungskommission näher ins Auge zu fassen. Zunächst fällt schon bei Würdigung der Persönlichkeit ihrer M i t glieder auf, daß es eher besonders fähige Gesetzestechniker, als schöpferische, politisch engagierte Naturen waren 1 1 2 . Als Beamte oder dem Beamtenstand nahestehende Richter dürfte die Mehrzahl der Kommissare schon i n besonderem Maße bestrebt gewesen sein, i m Sinne ihrer Vorgesetzten und der politischen Führung für die Fortdauer der bestehenden Ordnung einzutreten. Gebhard, als badischer Ministerialrat, verkörperte diese Haltung als typisches Mitglied der Kommission. Ausgewählt war der recht farblose Vertreter Badens aufgrund der besonderen Kenntnisse des badischen Rechts und der „Bewährung" i m Justizministerium. Es ging der badischen Staatsführung einzig darum, bei der Sammlung der für das Reichsrecht infrage kommenden Gesetze eine Persönlichkeit zu wissen, die aufgrund ihrer Kenntnisse des Landesrechts auf dessen adäquate Vertretung hinzuwirken imstande sei 1 1 3 . Dementsprechend konnte sich Gebhard auftragsgemäß nur als Verfechter badischer Rechtstraditionen und nicht als Schöpfer eines neuen, gesellschaftliche Strukturen verändernden Gesetzgebungswerkes verstehen. Der Staatssekretär des Reichs justizamtes Nieberding nahm auch bei Vertretung des BGB i m Reichstag den Vorwurf, es sei eine bloße Kompilation bestehender Rechtsinstitute, bewußt hin. Die politischen Bedenken der Kommission, welche „die Erfahrung genügend gelehrt" habe, bezogen sich überwiegend nur auf das Erstarken der jungen politischen Arbeiterbewegung. Zwar wurden diese Bedenken nicht unter Hinweis auf ganz bestimmte Vereinsgruppen ausgesprochen, vielmehr hieß es zumeist „gemeinschädlich wirkende Verbindungen" 1 1 4 , jedoch geht aus späteren Beratungen und auch aus einzelnen Bemerkungen 1 1 5 deutlich hervor, daß man i n erster Linie die Sozialdemokratie i m Auge hatte, daneben auch sonstige politisch oder religiös mißliebige Vereine. Als die Kommission i m Jahre 1879 schließlich an die Regelung des Vereinsrechts heranging, war die Gewerkschaftsbewegung gerade 11 Jahre alt und nur ca. 70 000 deutsche Arbeiter (ungefähr 3 1/2 %>) waren 112 So auch Schubert, S. 21 ; besonders engagiert schienen die Kommissionsmitglieder n u r insoweit, als es u m die Durchsetzung besonderer Rechtsinstitute der von ihnen vertretenen Gebiete ging. Gebhard schrieb, daß über solche Fragen vertrauliche Gespräche unter den Kommissionsmitgliedern stattgefunden u n d meist zur Verständigung geführt hätten, G.L.A. Entstehung des B G B 234/ 3549, Schreiben v o m 28. 2.1891. 113 G.L.A. ebenda, 234/3867, Schreiben des Justizministeriums an das Staatsministerium v o m 10.6.1874. 114 Amtliche Motive, S. 90. 115 Amtliche Motive, ebenda: Die Bedenken seien vorwiegend sozial-politischer Natur.

Ab. 2. K r i t i k des Verzichts auf das Normativsystem f ü r Idealvereine

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i n Gewerkschaften, die zudem nicht einmal alle sozialdemokratischen Ursprungs waren, organisiert. Auch die Sozialdemokratie i m Reichstag war noch eine verschwindend kleine Gruppe 1 1 6 , ihre provokatorischen Forderungen, nicht nur i m Bereich des Arbeitslebens, sondern auch i n bezug auf Religion, Ehe und Familie, Eigentum etc. hatten jedoch das etablierte Bürgertum aufhorchen lassen und i n Unruhe versetzt. Beim Studium diesbezüglicher zeitgenössischer Behördenakten fällt stark ins Auge, welcher Unterschied zwischen den Berichten über Zahl und Tätigkeit von Sozialdemokraten, die eine bevorstehende Anarchie befürchten ließen und der tatsächlich nachgewiesenen Anhängerschar bestand 1 1 7 . Die einschlägigen Darstellungen formulierten höchst drastisch und gebrauchten ζ. B. folgende Wendungen: „Staat und Gesellschaft untergrabende, Geist und Gemüt vergiftende sozialistische Umtriebe" 1 1 8 , „Verwirrung der Rechtsbegriffe, Beunruhigung weitester Kreise, Beeinträchtigung gedeihlicher wirtschaftlicher Entwicklung, immer dreister werdende Agitation gegen Gesetz und Obrigkeit, Gesittung und Moral und die Liebe zu König und Vaterland" 1 1 9 . Als die Kommission i m November 1879 über das Vereinsrecht debattierte, war das Sozialistengesetz als Produkt der allgemeinen „Sozialistenhysterie" gerade i n der ersten und schärfsten Phase seiner Anwendung, so daß sich schon aus der Überlegung, arbeiterfreundliche Vereinsgesetze i m Augenblick zu vermeiden, eine besonders liberale Gestaltung des Entwurfs verbot. Aus der Besetzung der Kommission erklärt sich weiter, daß solche staatstragenden Erwägungen bereits bei Formulierung der Entwürfe zu bestimmten Ergebnissen führten, während man doch eigentlich hätte erwarten können, daß der Bundesrat und der Reichstag als die eigentlichen Instanzen der Politik i m weiteren Verlauf die politischen Auswirkungen bestimmter Privatrechtssätze kontrolliert hätten. So erklärt sich auch der Beschluß der Kommission bezüglich des Vereinsrechts, nicht das rechtlich allein Wünschenswerte, sondern das politisch Vertretbare zu schaffen. Bei einigen aus dem Besitzbürgertum stammenden Kommissionsmitgliedern mag bei der Zurückhaltung i n Fragen des Vereinsrechts zusätzlich die Abneigung gegen die sogenannten Streikvereine, deren 118

Erst 1877 hatte sie sich auf 12 Mandate i m Reichstag steigern können. Aufgrund der Berichte aller preußischen Regierungspräsidenten über die Stärke der Sozialdemokraten wurde 1878 ein Verzeichnis des Ministeriums angefertigt, wonach i n Preußen 28 Vereine, Kassen etc. m i t sozialdemokratischer Tendenz u n d 60 000 Mitglieder bestehen sollten, Acta, ebenda, S. 523; ebenso i m einzelnen auch Pols, S. 31 ff., 44 ff.; Richter, S. 22. 118 Acta Oberpräsidium 403/6825, S. 261, Resolution des Vereins zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen, versandt an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz. 119 Acta Oberpräsidium, ebenda, S. 193, Circular Erlaß des preußischen Innenministeriums v o m 1.6.1878; dazu auch Schuster, S. 39 ff. 117

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Wirken trotz bestehender Koalitionsfreiheit keineswegs als legitim angesehen wurde, eine Rolle gespielt haben. Erwägungen, daß man m i t einem liberalen Vereinsrecht auch vorteilhafte Entwicklungen innerhalb sozialpolitischer Gruppierungen begünstigen könne, etwa durch die m i t dem Normativsystem verbundene Publizität oder durch die erzieherisch wirkende Schadensersatzpflicht bei unerlaubten Handlungen wurden von der ersten Kommission, soweit ersichtlich, nicht angestellt. I n den Motiven des von Gebhard 1883 seinem Teilentwurf noch nachgetragenen Entwurf eines Rechts der juristischen Personen 120 waren die wichtigsten Bedenken wie folgt dargelegt 1 2 1 : Die Vermögensfähigkeit sei für die Stellung der Vereine i m öffentlichen Leben von der größten Bedeutung. Durch sie erst erlangten sie festen Halt, Stetigkeit der Organisation und die Gewähr dauernden Bestandes, durch die sie einer i m Voraus nicht ermeßbaren Machtentfaltung imstande seien. Die Möglichkeit, gegen Vereine repressiv vorzugehen, mache die vorgängige Prüfung nicht überflüssig, da zwischenzeitlich eine Schädigung des Gemeinwohls eintreten könne. Auch die harmlosesten Vereine könnten unter dem Einfluß politischer Ereignisse i n falsche Bahnen geraten. Außerdem könnten „Vereine, deren politischen Tendenzen der Staat zu bekämpfen Anlaß h a t " 1 2 2 , m i t Hilfe der Rechtsfähigkeit eine kräftige Organisation aufbauen und damit erfolgreich gegen die staatliche Ordnung vorgehen. Fast i m gleichen Atemzug m i t den teilweise apokalyptischen Visionen, die Gebhard für den Fall der Rechtsfähigkeit gewisser staatsfeindlicher Vereine beschrieb, führte er weiter aus, daß die Rechtsfähigkeit grundsätzlich nur i m Privatrechtsverkehr von Vorteil sei und von idealen Vereinen leicht entbehrt werden könne. „Unzählige der Persönlichkeit ermangelnde Vereine entstehen, führen ihr Dasein, blühen und wirken, ohne daß sie unter diesem Mangel zu leiden haben 1 2 3 ." Nicht nur diese Widersprüchlichkeit, sondern auch die Beschreibung der Vorteile des Normativsystems lassen erkennen, daß die Argumente gegen die Verleihung der Rechtsfähigkeit auf diesem Wege zum großen Teil ohne Uberzeugungskraft waren. Gebhard führte zugunsten des Normativsystems u. a. aus: „ A u f dem Gebiete des Privatrechts soll aber grundsätzlich nicht administratives Ermessen, sondern Rechtssatz und 120 U n t e r Verzicht auf die reichsrechtliche Regelung v o n Erwerb u n d V e r lust der Rechtspersönlichkeit. 121 Vgl. Motive, TE, S. 81 ff. 122 Die gleiche Formulierung fand sich i n der Regierungsbegründung zum Hilfskassengesetz von 1876, u m darzulegen, daß Verbindungen zwischen Kasse u n d Verein unstatthaft seien. Gebhard bezog sich auf die damals dort u n d bei Beratung des Vereinsgesetzentwurfs Schulze-Delitzsch regierungsseitig geäußerten Bedenken. 123 Motive, TE, S. 84.

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Richter den Betheiligten zu dem verhelfen, was ihnen zukommt und jedermann i m Voraus solcher Gewährung sicher sein. Und es handelt sich an sich u m den Bereich des Privatrechts. Das öffentliche Recht bleibt daneben unberührt. Glaubt der Staat, gewisse Vereine aus öffentlichrechtlichen Gründen nicht zulassen zu können, so bleibt i h m deren Verbot unbenommen; der verbotene Verein kann selbstverständlich Persönlichkeit nicht gewinnen, ist der Verein aber von keinem Verbote betroffen, somit zugelassen, so erscheint fraglich, weshalb i h m die beanspruchte privatrechtliche Rechtsfähigkeit nicht sollte gewährleistet sein 1 2 4 ." Dieser Satz für das Normativsystem erscheint so überzeugend, daß er i n den gestrafften amtlichen Motiven (1888) weggelassen wurde 1 2 5 . Erwägt man zusätzlich zu den schon von Gebhard beschriebenen Vorteilen, daß die m i t dem Normativsystem zwangsläufig verbundene Publizität die Vereine zu erhöhter Verantwortlichkeit genötigt hätte und wirklich staatsfeindliche Organisationen durch die Pflicht, den Amtsgerichten Mitgliederlisten einzureichen, nie um Rechtsfähigkeitsverleihung nachgesucht haben würden, so muß gefragt werden, welche Bedenken gegen das Registrierungssystem noch ernsthaft hätten vorgebracht werden können, zumal sich auch i n Sachsen und Bayern während der Geltung des Normativsystems keine festgegliederten staatsfeindlichen Organisationen deren „Machtentfaltung... sich i m Voraus nicht ermessen läßt" gebildet hatten und beide Staaten an ihrem System festhalten wollten. Nicht überzeugend ist die Behauptung, das publizistische Vereinsrecht dieser Staaten habe ein solches Vorgehen gestattet 1 2 6 , da alle größeren und fast alle kleineren Staaten ein m i t Schutzbestimmungen versehenes öffentliches Vereinsrecht hatten. Der viel zitierte Ausspruch der amtlichen Motive, daß die juristische Persönlichkeit „selbstverständlich" nicht i n der Weise zugänglich gemacht werden könne, daß sie i m Wege eines allgemeinen Rechtssatzes ausgesprochen werden könne (System freier Körperschaftsbildung), fehlt i n den ausführlichen Motiven des Teilentwurfs. Dort waren auch nicht, wie später von Börner i n den amtlichen Motiven, Konzessionssystem, Normativsystem und System freier Körperschaftsbildung nebeneinander gestellt und i n Vor- und Nachteilen abgewogen, sondern es wurden allein die Vor- und Nachteile des Normativsystems breit erörtert.

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Motive, TE, S. 81. Während sich die M o t i v e des Teilentwurfs noch so lesen, als habe der Redaktor geschwankt, welches System vorzuziehen sei, erscheinen die v o n Börner zusammengestellten amtlichen Motive zu Buch 1 über jeden Zweifel erhaben. Dieses Ziel ist i n der Hauptsache durch Kürzungen erreicht worden, aber auch einige Sätze sind eingefügt, ζ. B., daß die Bedenken gegen das V e r einsrecht sozialpolitischer Natur seien. 126 Amtliche Motive, S. 91. 125

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Nachdem 1879 die Grundsatzentscheidung, kein Normativsystem einzuführen, getroffen war, wurde diese Frage fünf Jahre später bei der Einzelerörterung des nachgetragenen Teilentwurfs der juristischen Personen nicht mehr aufgerollt. Lediglich bei der Beratung des Gesellschaftsrechts wurde der einmal gefaßte Beschluß bestätigt und davon abgesehen, sogenannte kollektive Nichterwerbsgesellschaften nach dem Vorbild des Dresdner Entwurfs i n das Gesetzbuch einzuführen. Es wurde richtig erkannt, daß dies praktisch doch die Einführung des Normativsystems für ideale Vereine bedeutet hätte. Bei den Schöpfern des Dresdner Entwurfs hatte es i m Jahre 1865 noch keinerlei Bedenken politischer A r t gegen die Schaffung dieses Rechtsinstituts gegeben. Damals stellte man zwar den Ländern anheim, gewisse Vereine zu überwachen, dies geschah ausweislich der Protokolle, jedoch nur, um zum Schutz der Gläubiger gewisse Versicherungs ver eine kontrollieren zu können 1 2 7 . Geht man davon aus, daß es auch zu jener Zeit politisch mißliebige Verbindungen gab, und vergleicht man dann auf der einen Seite die Nichterwähnung der ganzen Fragestellung und auf der anderen Seite die intensive Behandlung der Problematik, so erhellt, daß für das Vereinsrecht des BGB die seit 1865 erstarkende Arbeiterbewegung 1 2 8 tatsächlich ein maßgebender Faktor geworden war. Allerdings wurden die möglichen politischen Auswirkungen eines liberalen privaten Vereinsrechts, wie es beabsichtigt war, weit überschätzt. Bei kritischer vorurteilsfreier Betrachtung wäre die Einführung des Normativsystems ohne politische Risiken gewesen. Da Vereine auch ohne formelle Rechtsfähigkeit mittels treuhänderischer Wahrnehmung von Geschäften ein Mobiliar- und Immobiliarvermögen hätten ansammeln und sich auch eine kräftige Organisation hätten schaffen können, wäre die Rechtsfähigkeit zur Erleichterung des Geschäftsverkehrs keine völlig neue Chance zur Machtentfaltung gewesen. Bestand schon aus diesem Grunde kein Anlaß zu größter Besorgnis, so hätte die weitere Uberlegung, daß die sogenannten „Streikvereine" wegen der Gefahr von Repressalien durch die Arbeitgeber, sich niemals an die Verpflichtung, eine Mitgliederliste einzureichen, gehalten hätten 1 2 9 , dahin führen müssen, daß von der Einführung des Normativsystems, so wie es geplant war, 127

A r t . 812, Abs. 2; Prot. Obligationsrecht, Sitzung v o m 14.1.1865, S. 2981. Dieses Erstarken hatte schon 1871 u n d 1876 zu den Bedenken des Bundesrats i n bezug auf das» Vereinsgesetz Schulze-Delitzschs u n d das Hilfskassengesetz geführt, so daß die folgende diesbezügliche E r k l ä r u n g Börners (Hilfsarbeiter Gebhards i n der 1. Kommission) nicht richtig erscheint: „Die sozialpolitischen Bestrebungen hatten erst während der Beratungen und zunächst n u r schüchtern u n d tastend eingesetzt u n d sich erst dann zu greifbaren Ergebnissen verdichtet, als der E n t w u r f i n den Teilen, auf die es dabei ankam, fertig war." Z i t . nach Frensdorff, S. 344. 129 Eine condicio sine qua non f ü r die Rechtsfähigkeit. 128

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keine Gefahren drohten. Dies umso mehr, da Einigkeit darüber bstand, daß die publizistischen Vereinsgesetze der Länder weiterhin i n K r a f t bleiben sollten und somit verbotene Vereine nicht hätten rechtsfähig werden können. Es erscheint daher so, als habe sich bei der 1. und später auch der 2. Kommission ein gewisses allgemeines Unbehagen an der politischen Gesamtentwicklung i n der Gestaltung des Vereinsrechts niedergeschlagen, ohne daß man zuvor unbefangen kritisch die wirklich zu erwartenden Auswirkungen geprüft hätte. Eine unmittelbare Beeinflussung der 1. Kommission durch Behörden des Reiches oder der Länder ließ sich i n bezug auf das Vereinsrecht nicht nachweisen 130 . Es kann jedoch als sicher hingenommen werden, daß allein aus dem Selbstverständnis der Kommissionsmitglieder als Abgesandter ihrer Regierungen keine politischen Beschlüsse, die von der offiziellen Linie abgewichen wären, gefaßt wurden. Bekannt ist aber, daß sich die bayerische Regierung von ihrem Kommissar Schmitt (Redaktor des Erbrechts) fortwährend über den Fortgang der Arbeiten unterrichten ließ 1 3 1 , während nach einer vertraulichen Mitteilung von Oehlschlägers (Staatssekretär i m Reichsjustizamt) an den badischen Gesandten von Marschall, „die preußische Regierung sich u m die Arbeiten der Kommission überhaupt nicht gekümmert" 1 3 2 habe. Sie sei von dem ersten Entwurf „völlig überrascht" worden. Ähnlich dürfte es bei der Großherzoglich-Badischen Regierung gewesen sein, falls nicht bei den vereinzelt zwischen Gebhard und dem Justizminister stattgefundenen Gesprächen Vereinbarungen getroffen wurden, wofür jedoch die Akten keinen Anhalt bieten. Die Redaktoren, als Abgesandte ihrer Regierungen, hatten sich wahrscheinlich schon durch den engen Kontakt zum Reichsjustizamt — sie arbeiteten d o r t 1 3 3 und benutzen dessen Organisation und die des Reichskanzleramtes zur Sammlung von Arbeitsunterlagen 1 3 4 — und die Nähe zu ihren jeweiligen Gesandtschaften an der offiziellen Linie orientiert. Außerdem erhielten sie „ i n der ersten Zeit" Einladungen zu den parlamentarischen Abenden des Reichskanzlers Bismarck 1 3 5 . Was dieser selbst über das BGB urteilte, ist unbekannt. Bismarck soll sich lediglich 130 Bismarck hatte lediglich massiv interveniert, als das internationale P r i vatrecht veröffentlicht werden sollte. E r fürchtete dadurch außenpolitische Konsequenzen. G.L.A. Entstehung des B G B 234/3548, Schreiben des badischen Staatspräsidenten an das Justizministerium v o m 16.1.1888. 131 G.L.A. ebenda, 234/3548, Gesandtschaftsbericht Nr. 589 v o m 25. 10. 1889. 132 G . L A . ebenda. 133 Zunächst i m Reichsamt des Innern, später i m Reichsjustizamt. 134 ζ. B. Erkundung der i n Deutschland bestehenden Güterstände, Schreiben des Reichskanzleramtes v o m 28. 11. 75 an die Regierungen m i t der B i t t e u m Auskunft u n d statistisches Material. G.L.A. ebenda, 234/3867. 135 Frensdorff, S. 346.

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u n w i l l i g über die lange Dauer der Beratungen geäußert haben. I m übrigen bildete auch das Zivilrecht nicht den Gegenstand seines Interesses. Bei Auswertung der kritischen Stellungnahmen zum Vereinsrecht fällt insbesondere die engagierte Stellungnahme des Deutschen Juristentages für ein liberales Vereinsrecht und sogar das System freier Körperschaftsbildung ins Auge. Man darf diese Demonstration jedoch nicht zu hoch bewerten. Sie dürfte zu einem großen Teil auf den großen Einfluß Gierkes i n diesem Gremium zurückzuführen sein. Keineswegs darf unterstellt werden, daß die versammelten „honorigen Juristen" mittels des Prinzips freier Körperschaftsbildung anarchistischen Gruppen i n Deutschland Tür und Tor öffnen wollten. Richtig erkannt hatten sie jedoch, daß polizeistaatliche Erwägungen nicht i n das Zivilgesetz, sondern i n die öffentlich-rechtlichen Vereinsgesetze der Länder oder i n ein Reichsvereinsgesetz gehörten. Demgemäß wollten sie auch Schutzvorschriften gegen gefährliche politische Vereine i n den publizistischen Vereinsgesetzen und, dogmatisch sauber, ein nur an den Interessen des Rechtsverkehrs orientiertes privates Vereinsrecht i m BGB. Noch darüber hinaus gingen dagegen Gierkes Motivationen für ein liberales Vereinsrecht. Aufgrund seiner politischen Einstellung — Ablehnung des romanistisch individualistischen, Förderung des Genossenschaftsgedankens und des überindividuellen Zusammenschlusses auch i m politisch sozialen Bereich — trat er bewußt für eine Stärkung der Arbeiterbewegung ein, deren Notwendigkeit er erkannt hatte und die es i h m i n den Staat zu integrieren galt. M i t seinen K r i t i k e n fand Gierke i n weiten Kreisen des gebildeten Bürgertums erhebliche Resonanz. Ganz bezeichnend für Plancks K r i t i k der K r i t i k e n und die Haltung der 1. Kommission ist wiederum der Verweis auf die Bedenken des Bundesrates, die eine andersartige Regelung unmöglich gemacht hätten 1 3 6 . Die Stellungnahmen der Regierungen lagen alle vollkommen auf der Linie der gegen die Sozialdemokratie vertretenen Politik. Es kann heute nur verwundern, daß Versuche zur gleichberechtigten Eingliederung der arbeitenden Klasse i n die Gesellschaft, wozu die vollständige Legitimierung der nicht radikalen Arbeiterbewegung einen Ansatz hätte bilden können, nicht angestellt oder doch aus Furchtsamkeit immer wieder zurückgestellt wurden. 136 Bezüglich des Vereinsrechts wurde immer wieder auf die Stellungnahme des „Bundeskommisarius" gegen den Vereinsrechtsentwurf Schulze-Delitzschs hingewiesen, i n dem die Gefahr einer verstärkten Gewerkschaftsbewegung bedeutet worden war. 137 Frensdorff, S. 348.

Ba. 1. Zusammensetzung der Kommission

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Β. Die 2. Kommission a) Entstehung des Entwurfs zweiter Lesung

1. Zusammensetzung der Kommission Seit Juni 1890 fanden i m Reichsjustizamt Besprechungen zwischen Planck und Miquel über eine zweite Lesung des vorliegenden BGBEntwurfs statt. Einigung wurde darüber erzielt, daß auch diesmal die Arbeit von einer Kommission bewältigt werden sollte, die jedoch, wie von den K r i t i k e r n angeregt, nicht nur aus Juristen, sondern auch aus Praktikern anderer Berufe bestehen sollte, u m die Schaffung eines möglichst lebensnahen Rechts zu gewährleisten. Als Generalreferent der neuen Kommission war Planck, der Redaktor des Familienrechts 1. Lesung, i n Aussicht genommen 137 . A m 4. Dezember 1890 beschloß der Bundesrat die 2. Lesung des 1. Entwurfs und setzte dazu eine Kommission von zunächst 22, später 24 Mitgliedern ein 1 3 8 . Die 13 nichtständigen Mitglieder der erweiterten Kommission waren nur auf besondere Anordnung des Vorsitzenden zur Teilnahme an den Sitzungen verpflichtet. Die Kontinuität zur 1. Kommission wahrten als ständige Mitglieder die Professoren Gebhard, von Mandry und Planck, zu denen später noch Börner, der Hilfsarbeiter Gebhards i n der 1. Kommission, als Redaktor des Erbrechts hinzukam. Börner gehörte zunächst zu den drei Reichskommissaren, die bei allen Kommissionssitzungen ständig anwesend waren. Unter den nichtständigen Mitgliedern der Kommission waren zwei Rittergutsbesitzer, ein Hütten- und ein Brauereidirektor und ein Landforstmeister. Ein Teil von ihnen war nach parteipolitischen Grundsätzen ausgewählt worden: Zwei Abgeordnete gehörten den Konservativen, einer dem Zentrum, einer den Nationalliberalen, einer dem Freisinn und einer der Reichspartei an 1 3 0 . Insoweit war die Kommission praktisch i n drei Kategorien gespalten: Die erste bestand aus Juristen der i m Justizausschuß vertretenen Bundesstaaten, die zweite aus berufsständischen und die dritte aus parlamentarischen Repräsentanten 140 . Als Vorsitzende der 2. Kommission fungierten bis 1893 die jeweiligen Staatssekretäre des Reichsjustizamtes. Anders als i n der 1. Kommission bildeten nun nicht mehr die Richter die stärkste Gruppe, sondern die Mitglieder der Ministerialbürokratie, die allein sieben der elf ständigen Kommissare stellte. Außerdem war dadurch, daß ausschließlich Beamte des Reichsjustizamtes den Vorsitz führten und die Sitzungen auch i m 138

Z u m Nachfolgenden ausführlich m i t Nachweisen Schubert, S. 45 ff. Schubert, S. 47. 140 Zunächst hatte m a n sogar erwogen, einen Vertreter der Arbeiterschaft, nämlich den Frankfurter Stadtrat Flesch als nichtständiges M i t g l i e d aufzunehmen. G.L.A. Entstehung des B G B 234/3548, Gesandtschaftsbericht Nr. 649 v o m 19.10.1890. 139

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Reichsjustizamt stattfanden, eine sehr enge Verbindung m i t dem A m t und damit auch dem Reichskanzler gewährleistet. I n der ersten vorbereitenden Sitzung der 2. Kommission vom 15. Dezember 1890 wurde wiederum Albert Gebhard zum Spezialreferenten für den Allgemeinen Teil bestimmt 1 4 1 . Von den übrigen Spezialreferenten hatte keiner das gleiche Buch bereits i n der 1. Kommission bearbeitet. Außerdem gab sich die Kommission sogleich eine Geschäftsordnung, die, was die Anonymität der Darstellung des Sitzungsablaufs i n den Protokollen betrifft, weitgehend der vorangegangenen Ordnimg glich. 2. Die Vorkommission

des Reichsjustizamts

I n die sachlichen Beratungen trat die 2. Kommission am 1. A p r i l 1891 ein. Zuvor hatte der Vorsitzende zusammen m i t den Reichskommissaren 142 und den Referenten Vorbesprechungen durchgeführt. Diese Vorbesprechungen sind noch i n keiner Darstellung der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuches — selbst nicht i n den gründlichen Arbeiten Schuberts und Frensdorffs — beschrieben worden. Der jeweilige Teilnehmerkreis über die oben erwähnten Personen hinaus ist heute nur noch schwer feststellbar. I n den metallographierten Protokollen über die Vorbesprechungen, die i n 96 Sitzungen stattfanden und zwei Bände m i t insgesamt 970 Seiten füllten, wurde die Kommission als „Vorkommission des Reichs-Justizamtes für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs" bezeichnet 143 . Wie aus dem Nachlaß des Staatssekretärs des Reichs-Justizamtes und späteren Kommissionsvorsitzenden Bosse hervorgeht, gehörte dieser Kommission auch Planck als Mitglied an 1 4 4 . I n der Vorkommission wurde — ebenso wie später i n der Hauptkommission — der 1. Entwurf paragraphenweise, anfangend m i t dem Allgemeinen Teil, gelesen und dabei über die von reichswegen zu stellenden Anträge beschlossen. Bis zum 23. März 1891, nach insgesamt 37 Sitzungen, hatte man bereits den Allgemeinen Teil durchberaten 146 . Nach diesem Datum setzten die Beratungen aus und die Beratungen der Hauptkommission begannen (1. 4. 1891). Nachdem die Hauptkommission i m J u l i i n die Sommerferien gegangen war, begannen am 1. September 1891 zuerst wieder die Beratungen der Vorkommission, bevor am 12. Oktober die Hauptkommission erneut zusammentrat. I n 141

Prot. I I , S. 1 ff. (S. 2). Darunter Börner, Nachlaß Bosse, Reichsjustizamt, S. 169. 143 Prot. I I I , Bd. 1, S. 1, eine Anwesenheitsliste, w i e sie den Protokollen der Hauptkommission jeweils beigefügt ist, fehlt hier ganz. 142

144 145

Nachlaß Bosse, Reichs-Justizamt Bd. 1, S. 109. Prot. I I I , ebenda, S. 200.

Ba. 3. Geschäftsmäßige Behandlung des Vereinsrechts

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gleicher Weise gingen auch später die Sitzungen der Vorkommission alternierend m i t den Beratungen der Hauptkommission vonstatten, bis sie schließlich m i t der 96. Sitzung am 7. A p r i l 1893 bei Beratung des § 945 des 1. Entwurfs aufhörten. I m zweiten Band der Protokolle der Vorkommission schließen sich dann m i t der 1. Sitzung vom 25. September 1893 die Protokolle der „Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches — Subkommission für das eheliche Güterrecht" 1 4 6 — m i t Anlagen und Kommissionsvorlagen an. Außerdem waren noch von der Hauptkommission eingesetzt worden: Eine Subkommission für Inventarrecht 1 4 7 , eine Subkommission für gerichtliche und notarielle F o r m 1 4 8 und eine Subkommission für den Testamentsvollstrecker 149 . Die Vorkommission beschloß i n der 6. Sitzung am 10. Januar 1891 150 bei Beratung des Abschnitts über die juristischen Personen, von einer reichsgesetzlichen Regelung des Erwerbs und Verlusts der Rechtspersönlichkeit ohne zuvorige Regelung des öffentlichen Vereinsrechts „wenigstens zur Zeit" Abstand zu nehmen. Zur Begründung wurde auf die amtlichen M o t i v e 1 5 1 hingewiesen, welche die Schaffung eines reichsrechtlichen Vereinsrechts nach dem System der Normativbestimmungen als politisch i n höchstem Maße gefährlich und daher undurchführbar dargestellt hatten 1 5 2 . I n dieser Frage sollte daher von reichswegen für die Beibehaltung des 1. Entwurfs votiert werden. 3. Geschäftsmäßige Behandlung des Vereinsrechts I n der 5. Sitzung vom 6. A p r i l 1891 153 einigte sich die Hauptkommission zunächst auf einen zur Geschäftsordnung gestellten Antrag, die Beratungen über die juristische Person bis zur „Erörterung des die Gesellschaft regelnden dreizehnten Titels des zweiten Abschnitts des zweiten Buches (§§ 629 - 659) oder doch mindestens bis zum Schluß der Erörterung des Allgemeinen Teils auszusetzen" 154 . Als dann nach Beendigung der Lesung des Allgemeinen Teils i n der 42. Sitzung vom 12. Oktober 1891 erneut eine Vertagung angeregt wurde, beschloß die 146 147 148 149 150 151 152 158 154

Prot. I I I , Bd. 2, S. 1 - 70, v o m 25.9.1893. Prot., ebenda, S. 1 - 11, v o m 24.9.1894. Prot., ebenda, S. 1 - 11, v o m 17.11.1894. Prot., ebenda, S. 1 - 19, v o m 22.11.1894. Prot,, ebenda, Bd. 1, S. 23. Amtliche Motive Bd. 1, S. 88; der Verfasser w a r Börner. Amtliche Motive, ebenda. Prot. I I , S. 44. Ebenda.

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3. Teil: Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Kommission wiederum antragsgemäß 155 . Als Urheber dieses Antrags waren entgegen den üblichen Gepflogenheiten die „Herren Kommissare" 1 5 6 bezeichnet worden, die ihren Antrag damit begründet hatten, daß der Herr „Reichskanzler aus den für die Verhandlung i n der Kommission seitens einzelner Kommissionsmitglieder gestellten Anträgen Veranlassung genommen habe, m i t der Königlich Preußischen Regierung i n erneute Verhandlung über die einschlägigen Fragen einzutreten, daß eine Äußerung des Königlich Preußischen Staatsministeriums bisher aber noch nicht erfolgt sei, weshalb die Kommissare vorläufig noch nicht i n der Lage seien, sich über die Stellungnahme der Königlich Preußischen und der Reichsregierung zu äußern" 1 5 7 . Die Kommission beschloß daraufhin, die Beratung des Abschnitts über die juristischen Personen auszusetzen, sie jedoch wieder aufzunehmen, sobald seitens des Reichsamtes des Innern die Mitteilung von der Vollendung der dortigen Vorbereitungsarbeiten einginge 1 5 8 . Der Eingang dieser Mitteilung wurde den Mitgliedern der Kommission am 16. November 1891 i n der 58. Sitzung gemeldet 159 und auch insoweit mitgeteilt, daß es bei der Regelung des 1. Entwurfs hinsichtlich des Erwerbs und Verlusts der juristischen Persönlichkeit sein Bewenden haben solle. Man beschloß, zunächst noch die Beratung des Schuldrechts bis § 359 fortzusetzen, u m dann erneut i n die Beratung des Allgemeinen Teils einzutreten. Das geschah i n der 64. Sitzung am 30. November 1891 160 . Die Beratungen über die juristische Person währten dann bis zur 77. Sitzung vom 18. Januar 1892. I n den Protokollen erstrecken sich diese Verhandlungen über fast 300 Seiten 1 6 1 . Z u Beginn der 64. Sitzung verlas der Vorsitzende die oben bereits erwähnte Mitteilung — ein Schreiben des Königlich Preußischen Staatsministeriums an den Herrn Reichskanzler, das dem Staatssekretär des Reichs-Justizamtes und Kommissionsvorsitzenden Bosse abschriftlich mitgeteilt worden w a r 1 6 2 . Es hieß darin, daß die von Seiten einiger Kommissare gestellten Anträge nicht geeignet wären, die durch den

155

Ebenda. Ebenda, S. 555; gemeint waren die Kommissare der preußischen Ministerien, vgl. Bosse, Reichsjustizamt, S. 115. 157 Ebenda, S. 556. 158 Die M i t t e i l u n g dieser Vorgänge ist i n den amtlichen Protokollen unterblieben (Bd. 1, S. 278). 159 Ebenda, S. 837. 160 Ebenda, S. 957. 161 Ebenda, S. 957 - 1241. 162 I n den amtlichen Protokollen der 2. Kommission fehlen jegliche Hinweise auf diese Vorgänge. Es heißt dort n u r i n Bd. 1, S. 490 „ I m Anschluß an eine geschäftliche M i t t e i l u n g . . 156

Ba. 4. Anträge zum Vereinsrecht

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Preußischen Justizminister geäußerten Bedenken, „soweit die letzteren dem Gebiete des öffentlichen Rechts entnommen seien, völlig zu beseitigen" 1 6 3 . I m Anschluß an die Verlesung einigte sich die Kommission zunächst dahingehend, die prinzipielle Frage des „Ob" einer reichsrechtlichen Regelung offen zu lassen und zunächst über das „Wie" zu beschließen, da die grundsätzliche Zustimmung oder Ablehnung weitgehend von der Ausgestaltung der einzelnen Vorschriften anhängig sein würde 1 6 4 . 4. Anträge zum Vereinsrecht Zur Regelung des Rechts der juristischen Personen waren aus der Mitte der Kommission drei Hauptanträge gestellt, die m i t Α, Β und C bezeichnet worden waren. Antrag A sah bezüglich der hier interessierenden Fragen die folgende Regelung v o r 1 6 5 : Alle rechtmäßig bestehenden Vereine mit körperschaftlicher Verfassung sollten als solche vermögensfähig sein. Unter körperschaftlicher Verfassung war die Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten durch einen m i t satzungsmäßiger Vollmacht beliehenen Vorstand zu verstehen. Die Grundbuchfähigkeit sollte erst nach Eintragung i n das Vereinsregister bestehen. Zur Eintragung i n das Vereinsregister war ein Statut vorgesehen, das elf Anforderungen genügen mußte, darunter Festsetzung von Bedingungen des Ein- und Austritts der Mitglieder, A r t der Wahl und Zusammensetzung des Vorstands, A r t und Weise der Ausübung des Stimmrechts und Bestimmungen über die Form der vom Verein ausgehenden Bekanntmachungen. Zur Begründung des Antrags A war ausgeführt worden 1 6 6 : Der Vorschlag sanktioniere nur den tatsächlich bestehenden Rechtszustand, der sich durch die Rechtsprechung entgegen dem dogmatisch vorgesehenen Konzessionsprinzip i m Anschluß an die Lehre von der deutschen Genossenschaft durchgesetzt habe. Insoweit sei der Antrag eigentlich überflüssig, w e i l er nur legalisieren wolle, was bereits bestehe. Da der Entwurf nur die rechtmäßig bestehenden Vereine zu juristischen Personen erkläre, bleibe es völlig i n der Hand der Landesgesetze, öffentlichrechtliche Vorschriften über Erlaubtheit und Unerlaubtheit von Korporationen aufzustellen. Zuletzt war ausgeführt: „Sollte die Rücksicht auf die sozialdemokratischen Fachvereine als Gegenstand geltend gemacht werden, so sei darauf erwidert, daß für die Macht dieser Fachvereine die GeWährung oder Nichtgewährung der juristischen Persönlichkeit 168 184 165 166

Prot. I I , S. 958. Prot., ebenda. Amtliche Protokolle Bd. 1, S. 476 ff. Amtliche Protokolle, ebenda.

6 Kögler

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

tatsächlich ganz unerheblich ist, und namentlich, daß die Gerechtigkeit fordert, wie den Arbeitgebern gerade so auch den Arbeitern das Kampfmittel der Organisation, ohne irgend welche kleinliche Hindernisse, von Rechtswegen zu gewähren 1 6 7 ." Der Antrag Β sah zunächst bei Einschluß der Wirtschaftsvereine folgende Regelung v o r 1 6 8 : Erlaubte Vereine sollten als solche Vermögensfähigkeit durch Eintragung i n ein vom zuständigen Gericht geführtes Vereinsregister erlangen. Die Zulassungs- und Auflösungsbedingungen bestimmten sich nach den Landesegesetzen des Ortes, an dem der Verein seinen Sitz habe. Außerdem mußten die Statuten des Vereins, ähnlich wie i m Antrag A gefordert, gewissen körperschaftlichen Minimalbedingungen genügen. Alternativ war i m Antrag Β vorgeschlagen, i m Falle der Ausschließung der Erwerbsvereine aus der allgemeinen Regelung, die entscheidende Vorschrift wie folgt zu fassen: „Erlaubte (zugelassene) Vereine, deren Zweck, i m Gegensatz zu den Erwerbsvereinen, nicht i n einem wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe besteht, erlangen die Vermögensfähigkeit dadurch, daß sie i n ein von dem zuständigen Gerichte geführtes Vereinsregister eingetragen werden 1 6 9 ." Begründet wurde der Vorschlag Β folgendermaßen: Eine ersprießliche Förderung der dem öffentlichen Wohl nützlichen Vereine sei nur bei Verleihung der Vermögensfähigkeit an alle Vereine zu erreichen. Gerade die Berufsvereine müßten von der Gesetzgebung gefördert werden. „Weit entfernt, sozialdemokratischen Bestrebungen Vorschub zu leisten, seien die Berufs- und Fachvereine vielmehr dazu angetan, die Arbeiterbevölkerung den sozialdemokratischen Utopien zu entreißen und für die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu gewinnen 1 7 0 ." Der Antrag C sah i n seinen maßgeblichen Vorschriften für den Fall, daß die Kommission reichsrechtliche Regelung der Materie beschließen sollte, folgende Rechtsgestaltung vor: „Vereine, welche wohltätige, gesellige, wissenschaftliche, künstlerische, oder andere auf einen w i r t h schaftlichen Geschäftsbetrieb nicht gerichtete Zwecke verfolgen, erlangen Rechtsfähigkeit durch Eintragung i n das Vereinsregister des Amtsgerichts, i n dessen Bezirk sie ihren Sitz haben 1 7 1 ." „Die Ver167 Amtliche Protokolle ebenda, S. 479; als Urheber des Antrags A w i r d bei den späteren Debatten i m Reichstag, obwohl die Antragsteller i n den Protokollen nicht namentlich genannt wurden u n d daher die Urheberschaft f ü r einzelne Anträge regelmäßig verborgen blieb, Professor Sohm von dem Abgeordneten Stadthagen genannt, vgl. Sten.Ber., 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895/96, S. 2745. 168 Amtliche Protokolle, ebenda, S. 479. 169 Amtliche Protokolle Bd. 1, S, 480. 170 Amtliche Protokolle, ebenda. 171 Amtliche Protokolle, Bd. 1, S. 482.

Ba. 5. Die Entscheidung der Kommission

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waltungsbehörde kann gegen die Eintragung Einspruch erheben, wenn der Verein nach dem öffentlichen Vereinsrecht unerlaubt ist oder politischen oder religiösen Zwecken dient 1 7 2 ." Als Rechtsmittel war gegen den Einspruch das Verwaltungsstreitverfahren und, soweit ein solches nicht bestand, der Rekurs nach §§ 20, 21 Gewerbeordnung vorgesehen. I m übrigen sah dieser Antrag eine Fülle von wohldurchdachten Einzelregelungen für das innere und äußere Korporationsleben vor, deren ins einzelne gehende Beschreibung hier zu weit führen würde. Das nach dem Antrag C vorgesehene System wurde schließlich für den Fall eines reichsgesetzlichen Vereinsrechts 173 m i t 20 gegen 4 Stimmen dem Grunde nach gebilligt, obwohl zuvor seitens des Kommissars des preußischen Innenministeriums das Konzessionsprinzip als die allein annehmbare Grundlage eines einheitlichen Vereinsgesetzes bezeichnet worden w a r 1 7 4 . Für den Antrag Β wurden i n der Form der Nichteinbeziehung der Erwerbsvereine 7 Stimmen abgegeben 175 . Die Ablehnung des Konzessionsprinzips und des Systems der freien Körperschaftsbildung waren deshalb erfolgt, weil das eine als Rückschritt, das andere als den Bedürfnissen der Publizität und den politischen Bedenken nicht gerecht werdend empfunden wurde, besonders i n Anbetracht der, wie es hieß, vom Antragsteller zu A unterschätzten Bedeutung der Vermögensfähigkeit für Vereine i m öffentlichen Leben. Dem i n Antrag C vorgesehenen System der Normativbestimmungen m i t Einspruchsrecht der Verwaltung, wie es schon von Elsaß-Lothringen empfohlen worden war, hatte die Kommission den Vorzug gegeben, weil das Bedürfnis nach reichsrechtlicher Regelung der Vereine m i t idealen Tendenzen i m Wege des Eintragungsverfahrens unabweisbar bestünde, andererseits aber das Problem, ob und gegebenenfalls wie der Eintragung eine Kognition der Verwaltungsbehörde vorherzugehen habe, bei der späteren Einzelberatung gelöst werden könne 1 7 6 . 5. Die Entscheidung der Kommission I m Verlauf der Einzelberatungen entschied sich die Mehrheit dafür, der Verwaltung ein Einspruchsrecht bei politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereinen zuzugestehen 177 . Es könne dahingestellt bleiben, 172

Amtliche Protokolle, ebenda, S. 486. Amtliche Protokolle, ebenda, S. 491; i m Originalprotokoll, Prto. I I , S. 498, fehlt die Angabe der Gegenstimmen. 174 Amtliche Protokolle, Bd. 1, S. 491. 175 Amtliche Protokolle, ebenda. 176 Amtliche Protkolle, ebenda, S. 496. 177 Amtliche Protokolle, ebenda, S. 560 ff. 173

6*

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B —- historische Darstellung u n d Würdigung

entschied die Mehrheit, ob die politischen Bedenken zu recht bestünden. Jedenfalls bestünden sie bei der Stelle, die für die Politik verantwortlich sei und müßten aus diesem Grunde respektiert werden. Die Kommission müsse praktische Vorschriften erlassen, die später auch angenommen würden. Damit blieb es für die Vereine, gegen die sich die Bedenken vorzugsweise richteten, praktisch bei einer dem Konzessionssystem vergleichbaren Lösung. Die über den Antrag C hinausgehende Hereinnahme der sozialpolitischen Vereine sei eine vielleicht nicht notwendige, aber zweckmäßige Erläuterung, um die Bedenken der Regierungen auszuräumen. Uber das Einspruchsrecht beim Erwerb der Rechtsfähigkeit billigte die Kommission den Verwaltungsbehörden auch noch ein Auflösungsrecht bei solchen Vereinen zu, die durch gesetzwidrige Beschlüsse der Mitgliederversammlung oder durch gesetzwidriges Verhalten des Vorstandes das Gemeinwohl gefährdeten, sich entgegen dem Statut w i r t schaftlich betätigten oder einen religiösen, politischen oder sozialpolitischen Zweck annähmen 178 . Das so ausgestaltete Vereinsrecht wurde i n der abschließenden Entscheidung vom 17. Dezember 1891 i n der 73. Sitzung 1 7 9 m i t 14 gegen 9 Stimmen angenommen. Von den Befürwortern der Regelung wurde vor allem hervorgehoben 180 , daß nun endlich das dringend notwendige reichseinheitliche Vereinsrecht zustande gebracht sei, i n einer Weise, daß auch politische Bedenken nicht mehr m i t Fug und Recht geltend gemacht werden könnten. Nachdem jetzt ein privatrechtliches Vereinsrecht geschaffen sei, dürfe i n absehbarer Zeit auch ein publizistisches nachfolgen. Die Minderheit indessen hob hervor, daß man es besser beim Vereinsrecht des 1. Entwurfs belassen hätte, weil die Annahme der vorgeschlagenen neuen Regelung angesichts der Stellungnahme der Kommissare höchst unwahrscheinlich sei. Bei der zu Tage getretenen Verschärfung der politischen und gesellschaftlichen Gegensätze bestünde keine Hoffnung auf Beseitigung der politischen Bedenken, so daß man eine Normierung des Vereinsrechts besser für die Zukunft aufgespart hätte. 6. Die öffentliche

Kritik

des Vereinsrechts zweiter Lesung

I m Gegensatz zu dem erheblichen Widerhall, den die Veröffentlichung des 1. Entwurfs i m Jahre 1888 gefunden hatte, stand das mäßige Interesse der K r i t i k bei Veröffentlichung der einzelnen Bücher der 2. Kom178 179 180

Amtliche Protokolle, ebenda, S. 575. Prot. I I , S. 1135,1153. Amtliche Protokolle, Bd. 1, S. 578 ff.

Ba. 6. Die öffentliche K r i t i k des Vereinsrechts zweiter Lesung

85

mission 181 . Nur noch vereinzelt befaßten sich K r i t i k e r m i t dem Vereinsrecht, darunter Leonhard auf dem 23. Deutschen Juristentag 1 8 2 , Holder 1 8 3 , Bingner 1 8 4 und Sohm 1 8 5 i n einem vielbeachteten Vortrag, gehalten am 15. Juni 1895 i n der juristischen Gesellschaft zu Berlin. A u f dem 23. Deutschen Juristentag hatte Leonhard die Frage seines Gutachtens: „Sind die Grundsätze des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs I I . Lesung über die eingetragenen Vereine zu billigen?", dem Grunde nach bejaht. Zwar würde auch er ein freieres Vereinsrecht begrüßt haben, schien jedoch die politischen Bedenken der Kommission zu teilen und stimmte ihr schließlich zu, soweit sie es mit dem Sprichwort gehalten habe, „der Sperling i n der Hand sei der Taube auf dem Dache vorzuziehen" 1 8 6 . I m gleichen Sinne äußerte sich auch das Plenum 1 8 7 des Juristentages, jedoch m i t dem Zusatz, daß neben der grundsätzlichen Billigung des gewählten Systems, den Vereinen gegen ungerechtfertigte Einsprüche oder Auflösungen ein wirksamer Schutz gewährt werden müsse. Vor dem Plenarbeschluß hatte Gierke noch einmal, nachdem er resignierend auf die Durchsetzung des Systems der freien Körperschaftsbildung verzichtet hatte, heftige K r i t i k am Entwurf geübt und die Ablehnung des neu geschaffenen Vereinsrechts beantragt 1 8 8 . Der Hauptgrund für seine ablehnende Haltung war die Hereinnahme der sozialpolitischen Vereine i n die Reihe der dem Einspruchsrecht der Verwaltung unterliegenden Assoziationen, womit nach Gierkes Dafürhalten ein Ausnahmerecht gegen die Arbeitervereine geschaffen würde, was eine außerordentliche Gefährdung der gesamten sozialen Entwicklung bedeute 189 . Holder trug erneut eine ausgewogene K r i t i k des Vereinsrechts, das i h m grundsätzlich verbessert schien, bei 1 9 0 . A n der K r i t i k Holders zum 1. Entwurf hatte sich schon Gebhard orientiert, was aus den vielen Verweisungen am Rande seiner Arbeitsprotokolle hervorgeht. Auch Bingner hielt das neue Vereinsrecht für annehmbar 1 9 1 , da es einen gangbaren Mittelweg eingeschlagen habe. 181

Schubert, S. 51. 182 Verhandlungen 23. Juristentag Bd. 1, S. 249 - 276, Bd. 2, S. 14 - 67 u n d S. 427-430. 188 184 185 186 187 188 189 190 191

A c P Bd. 80, S. 15 - 24. S.9 - 1 4 . S. 14 - 17. Bd. 1, S. 254. Ebenda Bd. 2, S. 67. Ebenda Bd. 2, S. 62. Ebenda Bd. 2, S. 63. S. 15. S.9.

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Sohm, dessen Antrag A auf Verwirklichung des Systems der freien Körperschaftsbildung von der Kommission abgelehnt war, sah i n dem neuen Vereinsrecht eine große Verbesserung gegenüber dem früheren Recht. Einschränkend fügte er jedoch hinzu, dies gelte wohl nicht für die sozialpolitischen Vereine: „Hier hat die Furcht vor der sozialdemokratischen Bewegung dem Gesetzgeber die Feder geführt, und die Furcht ist immer ein schlechter Rathgeber. Man denkt etwa m i t der Versagung der juristischen Persönlichkeit den sozialpolitischen Vereinen der Arbeiter das Leben sauer zu machen. Als ob die Macht der Arbeiterbewegung durch Vorenthaltung der juristischen Persönlichkeit gemindert oder überhaupt beeinflußt werden könnte! Ein großer Irrtum. I n Wahrheit ist Gerechtigkeit stets die größte Klugheit, und die gleichmäßig Sonne und W i n d den Gesellschaftsklassen zutheilende Gesetzgebung die beste Grundlage für die Erhaltung der bestehenden Ordnung 1 9 2 . I n die K r i t i k des Vereinsrechts schaltete sich auch Bebel i n einem längeren Zeitungsartikel ein und betonte, allein wegen des politischen Klassencharakters dieser Ausnahmebestimmungen sei ein Nein der Sozialdemokraten zu dem gesamten BGB unumgänglich gewesen 193 . Auch von Seiten der Bundesregierungen waren wieder Stellungnahmen zu dem neuen Vereinsrecht eingegangen, die — wie bereits beim 1. Entwurf — i m Reichsjustizamt gesammelt und von dort veröffentlicht wurden 1 9 4 . Wegen politischer Bedenken und der Furcht vor möglicher Umgehung des neuen Vereinsrechts hielten nachstehend genannte Regierungen die Wiederherstellung des 1. Entwurfs geboten: Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und Reuß ä. L. Zuzustimmen schienen Preußen, Bayern und SchaumburgLippe, während Elsaß-Lothringen nur bedingt zustimmte und Baden zur Vertagung riet. Andere Regierungen hatten sich zur Frage des Erwerbs und Verlustes der Rechtspersönlichkeit nicht geäußert. Bezeichnend für die Einstellung der K r i t i k e r ist die Äußerung Leonhards i m Gutachten für den 23. Deutschen Juristentag, daß man den Sperling i n der Hand der Taube auf dem Dache vorziehen müsse. Daraus erhellt deutlich, daß es der wissenschaftlichen K r i t i k hauptsächlich darum gegangen war, das Vereinsrecht nicht mehr auf der „Verlustliste der deutschen Rechtseinheit" zu wissen, nicht aber darum, m i t dem Vereinsrecht Sozialpolitik zu betreiben. Eine Ausnahme bildete nur Gierke, der — wie beschrieben — i n der getroffenen Regelung ein Ausnahme192 193 194

bis 15.

S. 16. Bebel, Neue Zeit, S. 581 f. Zusammenstellung Äußerungen der Bundesregierungen, 2. Lesung, S. 3

Ba. 7. I n i t i a t i v e n zur Besserstellung nichtrechtsfähiger Vereine

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recht erblickte und darin eine außerordentliche Gefährdung der gesamten sozialen Entwicklung sah. 7. Initiativen zur Verbesserung der Rechtsstellung nichtrechtsfähiger Vereine Auch noch nach Veröffentlichung des 1. Buches und der ersten K r i t i k e n hatte die 2. Kommission sich m i t dem Vereinsrecht zu befassen. I n der 140. Sitzung vom 4. J u l i 1892 195 waren i m Anschluß an die Lesung des Gesellschaftsrechts des 2. Buches sieben Anträge gestellt, die sich m i t der Anwendbarkeit der Vorschriften des Gesellschaftsrechts auf die nichtrechtsfähigen Vereine befaßten 196 . Zwei dieser Anträge 1 9 7 bezweckten eine Verbesserung des Status der nichtrechtsfähigen Vereine. Sie sollten danach auch die volle Parteifähigkeit erhalten und haftungsrechtlich gegenüber den Gesellschaften bevorzugt sein. Zur Begründung wurde geltend gemacht, daß der tatsächliche schied, der zwischen Gesellschaft und Verein bestehe, sich auch rechtlichen Behandlung niederschlagen müsse. Der Gesetzgeber die nichtrechtsfähigen Vereine nicht einfach ignorieren, zumal Voraussetzungen für den Erwerb der Persönlichkeit nach den gefaßten Beschlüssen eng seien.

Unteri n der könne da die bisher

Die Mehrheit wandte dagegen ein, der Gesetzgeber dürfe wegen der politischen Bedenken nicht zulassen, daß sich nichtrechtsfähige Vereine unter Umgehung aller i m öffentlichen Interesse aufgestellten Kautelen i m wesentlichen die gleiche Rechtsstellung verschafften wie die eingetragenen Vereine. Gleichzeitig ging die Kommission davon aus, daß, obwohl die Vorschriften über die Gesellschaft für größere korporativ angelgte Vereine inadäquat seien, dennoch aber für diese kein passendes Recht geschaffen werden dürfe, damit „die Einsicht i n die Notwendigkeit der Registrierung der Vereine sich immer mehr einbürgere" 1 9 8 . Aufgrund dieser Erwägungen wurde dann beschlossen, Vereine ohne Rechtsfähigkeit wie bürgerlich-rechtliche Gesellschaften zu behandeln. Bei Beratung der für die Revision des 2. Entwurfs i m Mai 1895 gestellten Anträge stand erneut das Vereinsrecht zur Debatte. I n der 418. Sitzung 1 9 9 hatte die Kommission darüber zu beschließen, ob die über die Anwendung des Gesellschaftsrechts auf nichtrechtsfähige Ver195 196 197 198 199

Prot. I I , S. 2481. Amtliche Protokolle Bd. 2, S. 452. Amtliche Protokolle, ebenda, Anträge Nr. 4 u n d Nr. 7. Amtliche Protokolle, ebenda, S. 458. Prot. I I , S. 8503.

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3. Teil : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

eine getroffene Entscheidung nicht gestrichen und statt dessen bestimmt werden solle, daß die Vorschriften über die Gesellschaft insoweit A n wendung fänden, als die Natur des Verhältnisses es gestatte 2 0 0 . Wenigstens sollte die Vorschrift die entsprechende Anwendung des Gesellschaftsrechts vorsehen. Die Mehrheit verwarf jedoch diesen Antrag, w e i l sie darin „einen Ausläufer des Prinzips der freien Körperschaftsbildung sah", der geeignet sei, die i m E n t w u r f vorgenommene Regelung v ö l l i g zu untergraben oder wenigstens den Zwang, den man auf die Vereine zwecks Registrierung ausüben wolle, zu beseitigen. Die K o m mission beschloß m i t 11 gegen 8 Stimmen die Beibehaltung der u r sprünglichen Regelung 2 0 1 , nahm jedoch einen zweiten A n t r a g an, der eine Einführung der passiven Parteifähigkeit der nichtrechtsfähigen Vereine i n die Zivilprozeßordnung vorsah 2 0 2 . 8. Der Generalreferent

Gottlieb

Planck

Aus dem Nachlaß des Kommissionsvorsitzenden Bosse 203 ist zu entnehmen, daß der Generalreferent Planck den schließlich angenommenen A n t r a g C gestellt hatte 2 0 4 . A l l e i n deshalb und wegen Plancks überragender Stellung i n der Kommission erscheint es angemessen, kurz auf seine Persönlichkeit einzugehen: Gottlieb Planck t r a t 1846 nach guten Examina i n den hannoverschen Justizdienst ein 2 0 5 . Seine Tätigkeit als Abgeordneter i n der 2. hannoverschen Kammer und sein unerschrockenes Eintreten für die Reichs Verfassung von 1848 brachten i h n i n K o n flikt zu der reaktionären hannoverschen Regierung, die i h m auch bald seine Abgeordnetentätigkeit verbot und i h m zuletzt, nach Beurlaubung auf unbestimmte Zeit, i m Jahre 1859 wegen seiner liberalen Einstellung die Niederlassung als Rechtsanwalt verweigerte. Planck gehörte 1860 zu den Mitgründern des zunächst von staatswegen geächteten National200

Amtliche Protokolle Bd. 6, S. 206. Amtliche Protokolle, ebenda, S. 208. 202 Bei der Beratung eines entsprechenden Änderungsgesetzes der Z i v i l prozeßordnung durch eine andere Kommission i m Jahre 1897 fand der gleiche Streit statt, als von einer Seite wiederum Gewährung der vollen Parteifähigkeit f ü r die nichtrechtsfähigen Vereine gefordert wurde. Nachdem der Staatssekretär des Reichsjustizamts diese Regelung als gegen den Kompromiß des B G B verstoßend und daher unannehmbar bezeichnet hatte, wurde der A n t r a g m i t 16 gegen 2 Stimmen abgelehnt, vgl. Hahn Bd. 8, S. 84 und S. 286 f. 208 Manuskripte; E i n Jahr i m Reichsjustizamt. 204 Nachlaß Bosse, ebenda, S. 119; die Namen der Antragsteller sollten laut § 8 der Geschäftsordnung v o m 1. 4. 1891 (Protokoll I I , S. 1 ff.) nicht i m Protok o l l veröffentlicht werden. Die Anträge waren jedoch gedruckt dem Vorsitzenden und den Kommissionsmitgliedern vorzulegen, § 5. Gebhard übersandte alle das Vereinsrecht betreffende Anträge seiner Regierung zur Kenntnisnahme, so daß auch von daher die Antragsteller bekannt sind, vgl. G.L.A. E n t stehung des B G B 234/3549, Schreiben vom 6. 7. 91 und 13.10. 91. 205 Schubert, S. 20; ausführlich der Biograph Plancks-Frensdorff, S. 1 -115. 201

Ba. 8. Der Generalreferent Gottlieb Planck

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Vereins 206 , der späteren Nationalliberalen Partei. Schon vorher hatte er Mißfallen erregt wegen seiner Mitgliedschaft i n Arbeiterbildungsvereinen und deshalb einen ernsten Verweis des Justizministers Windthorst erhalten 2 0 7 . Motiviert wurde das Reskript m i t der staatsgefährlichen Tendenz der Arbeitervereine, deren Wirkung sich durch die Teilnahme von Staatsdienern unendlich verschlimmere, weil dann die Öffentlichkeit solche Vereine nicht mehr für gefährlich halte. Als Abgeordneter der Nationalliberalen Partei trat Planck schon i m Reichstag des Norddeutschen Bundes, später i m ersten Deutschen Reichstag für ein einheitliches Recht ein. Planck hatte ebenso wie Gebhard bereits 1871 - 72 der Kommission für die Reichszivilprozeßordnung angehört. Der Einfluß Plancks i n beiden Kommissionen dürfte ganz erheblich gewesen sein, wenngleich er i n der 1. Kommission neben Pape und Windscheid weniger zur Geltung kommen konnte als i n der 2. Kommission, i n der er der allein führende Kopf war. Bosse, der allerdings zum Schwärmen neigte, beschrieb Planck als die Seele der Hauptkommission, von „phänomenal" scharfem Verstände, der jedes Wort des 1. Entwurfs und dessen Entstehungsgeschichte gekannt habe 2 0 8 . Zweitbester Kenner des Entwurfs sei die Ehefrau Plancks gewesen, die ihrem seit 17 Jahren blinden Gatten alles vorgelesen und aufnotiert habe. Die Stimmung i n der Kommission beschreibt Bosse als angenehm, „es war eine Lust, dieser Kommission anzugehören und i n ihr zu arbeiten 2 0 9 ." Gegenüber den hohen Gelehrten i n der Kommission schilderte sich Bosse selbst als von kaum hinreichendem Verstände, da er schon zu lange aus dem Rechtsstudium heraus sei. Ursprünglich habe er auch den Vorsitz nicht übernehmen wollen, aus Angst, er könne wegen der Fülle des schwierigen Materials versagen. Miqüel und Boetticher hätten i h n jedoch ermutigt, „da das A m t des Staatssekretärs die Person decken müsse." Schließlich, nachdem er sich erneut i n die Pandektenlehrbücher Windscheids und Dernburgs eingearbeitet hätte, habe er bei äußerster Konzentration den Sitzungen zur Zufriedenheit aller vorstehen können. Bosse schreibt, sein Bestreben sei es vor allem gewesen, die schwerfällige, oft lehrbuchartige, doktrinäre, zuweilen nahezu unverständliche Fassung des Entwurfs volkstümlicher, verständlicher und einfacher zu gestalten. I n der entscheidenden Frage des Vereinsrechts selbst, habe er für den Vorschlag Plancks gegen die Mehrheit der Vorkommission gestimmt. Aus den späteren Beratungen des BGB i m Deutschen Reichstag geht hervor, daß Sohm den Antrag A — System der freien Körperschaftsbildung — gestellt hatte. Dies deckt sich mit den Vermerken, die Gebhard 206 207 208 209

Ders., S. 196. Ders., S. 194. Nachlaß Bosse, Reichsjustizamt, S. 109. Bosse, ebenda, S. 113.

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

auf die Protokollniederschriften gesetzt hat 2 1 0 . Gebhard wies als Initiator der nahe verwandten Anträge A und B, Sohm als Antragsteller zu A und Hoffmann als Antragsteller zu Β aus. Sohm stand, ohne ein Anhänger der Sozialdemokratie zu sein 2 1 1 , dem national sozialen Verein, später den Linksliberalen nahe 2 1 2 , so daß ein Engagement für das System der freien Körperschaftsbildung und die Gewerkschaften bemerkenswert erscheint, wenngleich er als Anhänger der germanistischen Lehre von Haus aus i n diese Richtung tendiert haben mag. Hoffmann, der i n seinem Antrag Β bei Ausschluß der Erwerbsvereine ebenfalls für das System der freien Körperschaftsbildung votiert hatte, war preußischer Richter. Aus Gebhards Randnotizen i n den metallographierten Protokollen geht außerdem hervor, daß Jakubetzky neben Börner und Planck die meisten Anträge bei Lesung des Vereinsrechts stellte, daß sich ferner m i t Anträgen vor allem an der Diskussion beteiligten: von Mandry, Dittmar, Sohm, Hoffmann, Küntzel, Cuny und Wolffson 2 1 3 . b) Würdigung des Entwurfs zweiter Lesung

1. Die neue Hauptkommission Schon die andersartige Zusammensetzung der 2. Kommission und die lebhafte öffentliche K r i t i k ließen eine geänderte Einstellung zum Vereinsrecht erwarten. Darüber hinaus deutete auch die hartnäckige Verteidigung Gebhards durch die badische Regierung auf eine Veränderung i n der Überwachung der Kommissionsarbeit hin. Nachdem die geschilderten Versäumnisse bei der Beaufsichtigung der 1. Kommission eingetreten waren, wünschten die Einzelstaaten nunmehr, die Arbeit der neuen Kommission gezielt zu beeinflussen. Zu diesem Zweck hatte der badische Staatsminister Turban den Anschluß der Kommission an Organe des Bundesrats vorgeschlagen, war aber i m Bundesrat nicht durchgedrungen 2 1 4 . Erreicht wurde dagegen ein unmittelbares Antragsrecht für M i t glieder des Bundesrates. I m Gegensatz zum Reich, das drei Kommissare als ständige Interessenvertreter i n die Kommission entsandte, machten die meisten Staaten i m späteren Verlauf von ihrem Delegationsrecht nur selten Gebrauch. Zwar 210 Prot. I I , S. 960; daß diese Protokollglossen nicht zuletzt wegen der E n t h ü l l u n g der Urheberschaft vieler Anträge erheblichen Quellenwert haben, liegt auf der Hand. 211 I m Reichstag w i r d Sohm später von den Sozialdemokraten als ihrer Partei so fernstehend bezeichnet, „ w i e i h r n u r jemand fernstehen kann", Sten.Ber., 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895/96, S. 2745. 212 Deutsche Biographie, S. 154. 213 Prot. I I , S. 960 - 1228. 214 G.L.A. Entstehung des B G B 234/3548, Gesandtschaftsbericht Nr. 649 v o m 19.10.1890.

Bb. 1. Die neue Hauptkommission

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hatten Verhandlungen zwischen verschiedenen Staatsministerien über die Frage ständiger Bundesratskommissare stattgefunden; Einigung konnten die Länder jedoch nur darüber erzielen, die Vertretung der jeweiligen Landesinteressen durch verstärkte Einflußnahme auf einzelne Kommissionsmitglieder wahrzunehmen. Der badische Gesandte von Brauer berichtete i n diesem Zusammenhang, er habe die Fragen mit dem württembergischen Bundesratsbevollmächtigten Stieglitz besprochen. Dieser habe i h m gesagt, falls das württembergische Mitglied nicht geneigt sei, die Spezialinstruktionen i n der Kommission zur Geltung zu bringen, werde er selbst zum Spezialkommissar bestellt werden 2 1 5 . Hieraus ergibt sich deutlich, daß alle von den Bundesregierungen i n die 2. Kommission entsandten Vertreter praktisch, soweit die Regierung sie instruiert hatte, Sprachrohre dieser Regierung waren. Die vorgestellte Ersetzbarkeit eines gewählten Kommissionsmitgliedes durch den Bundesratsbevollmächtigten selbst beweist das deutlich. Baden verfuhr verabredungsgemäß, als sein Justizminister den K o m missar Gebhard anwies, die „Badischen Bemerkungen" zu dem Entwurf zu vertreten 2 1 6 . Sie waren auf ein Rundschreiben des Reichskanzlers aus dem Jahre 1889 i m badischen Justizministerium ausgearbeitet worden und sahen m i t Bezug auf das Vereinsrecht vor, keine reichsrechtliche Regelung einzuführen, solange das publizistische Vereinsrecht nicht reformiert sei. Erst die einzelnen Bestimmungen des zu schaffenden öffentlichen Vereinsrechts könnten Maßstab dafür sein, ob das Konzessionssystem oder das Normativsystem eingeführt werde. Bezeichnend für den badischen Standpunkt zu der Frage waren darüber hinaus die Überlegungen, die man i m Justizministerium für den Fall der Annahme des 1. Entwurfs angestellt hatte. Dort hatte man beschlossen, mangels bestehender Vorschriften über Erwerb und Verlust der Rechtsfähigkeit von Vereinen, für diesen Fall „selbstverständlich" das Konzessionssystem einzuführen 2 1 7 . A u f die Weisungen des Justizministers antwortete Gebhard 2 1 8 , er werde sie jedesmal „ m i t gewissenhaftester Sorgfalt zu Rate ziehen" und vertreten. Falls er persönlich einmal anderer Meinung sei, wolle er zumindest den badischen Standpunkt i n der Kommission vortragen. I n der A n lage gab Gebhard seine K r i t i k zu den Badischen Bemerkungen ab, die sich fast i n allen Punkten mit den Vorstellungen der Regierung deckte. Daraufhin verzichtete Baden „vorläufig" auf die Entsendung eines eige-

215 21β 217 218

G.L.A., ebenda 234/3549 Gesandtschaftsbericht Nr. 112 v o m 13. 2.1891. G.L.A., ebenda, Schreiben des Justizministers v o m 23. 2. 91 an Gebhard. G.L.A. Entstehung des B G B 234/3548 Schreiben v o m 29.4.1888. G.L.A., ebenda 234/3549, Schreiben v o m 28. 2.1891.

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

nen Kommissars und teilte dies auch unter Berufung auf die Tatsache, daß der badische Vertreter den Wünschen seiner Regierung nachkommen wolle, dem württembergischen Staatsministerium auf Anfrage m i t 2 1 9 . Nicht nur die neuartige Zusammensetzung der Kommission und die politischen Ambitionen des Bundesrates, sondern auch die jüngere innenpolitische Entwicklung i m Zusammenhang m i t der Ablösung Bismarcks als Reichskanzler ließen Auswirkungen auf das neu zu schaffende Vereinsrecht erwarten. Nachdem der Streik der Ruhrbergarbeiter (1889) Auslösungsfaktor für die Kanzlerkrise war und der junge Monarch m i t seinen veränderten sozialpolitischen Vorstellungen auch selbst die Weichen für eine neue Politik gegenüber der Arbeiterschaft gestellt hatte 2 2 0 , wäre ein für die Rechtsstellung der Gewerkvereine günstiges Vereinsgesetz zu erwarten gewesen. Garant dafür schien Berlepsch, der als Handelsminister nunmehr i n Fragen der Sozialpolitik federführend war. Berlepsch war vom Kaiser gerade deshalb zum verantwortlichen Minister für Sozialfragen gemacht worden, weil er, wie der Monarch, entgegen Bismarck und anderen konservativen Regierungskreisen die baldige Verwirklichung eines großen Teils der als berechtigt anerkannten Forderungen der Arbeiter für notwendig erachtete. Berlepsch hatte während der Ruhrkrise am 21. Dezember 1889 ein Schreiben m i t Vorschlägen des Bergischen Vereins für Gemeinwohl befürwortend an das Ministerium für Handel und Gewerbe 2 2 1 weitergeleitet. I n dem Schreiben hieß es: „Die freiwilligen ständigen Einigungsämter, welche sich i n Solingen und Remscheid sehr bewährt haben, setzen fest geschlossene Vereinigungen der Arbeiter voraus. Die sogenannten Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine sind i m hiesigen Bezirk nicht stark vertreten und überhaupt nur als schwache Ansätze der an sich erwünschten Organisation der Arbeiter anzusehen. Der Mangel dieser Organisation macht sich bei dem jetzigen gespannten Verhältnis zwischen Grundbesitzern und Bergarbeitern sehr fühlbar. Eine reichsgesetzliche Regelung des Vereinsrechts und die Einräumung gewisser Rechte juristischer Personen an Gewerk- und Berufsvereine, welche gewisse Bedingungen erfüllen, dürfte ernstlich i n Erwägung zu ziehen sein, um die Organisation der Arbeiter zu fördern und i n die richtigen Bahnen zu leiten 2 2 2 ." Bismarck soll dieses Schreiben begrüßt und zur Vorlage an den Reichstag empfohlen haben 2 2 3 , während die Bergwerksdirektoren der königlichen Steinkohlengruben, entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Ministers 219 220 221 222 223

G.L.A., ebenda, Schreiben v o m 19.3.1891. Vgl. i m einzelnen Kirchhoff, S. 48 ff., u n d Kliersfeld, S. 24 ff. Bismarck w a r zu dieser Zeit Handelsminister. Acta Oberpräsidium, Errichtung v o n Arbeiterausschüssen 403/8169, S. 23. Acta ebenda.

Bb. 1. Die neue Hauptkommission

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für öffentliche Arbeiten, Arbeitervertretungen, die über Löhne und A r beitsordnungen mitbestimmen dürften, ausdrücklich ablehnten 2 2 4 . Sie meinten, daß die Arbeiter dazu nicht reif wären und i n der Nachgiebigkeit nur ein Zeichen der Schwäche erblicken würden. Unterdessen hatte Berlepsch verschiedene Gesetze über Arbeiterausschüsse entwerfen lassen und zur Begutachtung an das Innenministerium übersandt. Ergebnisse erzielte er bis zum Sturz Bismarcks jedoch nicht. Nach Berlepschs Ernennung zum verantwortlichen Reichshandelsminister war daher m i t einem völligen Umschwung i n der bisherigen Sozialpolitik zu rechnen, denn einerseits hatte er sich die Befreiung der Arbeiterberufsvereine aus den Fesseln des politischen Vereinsrechts ins Programm geschrieben 225 und andererseits versprachen auch die beiden Sozialerlasse des Kaisers ganz deutlich eine Wende. Gerade der i n dem Erlaß an den Handelsminister befindliche Programmsatz, wonach gesetzliche Bestimmungen für die Regelung von Arbeitervertretungen i n Aussicht zu nehmen seien, erscheint als die von Berlepsch und dem Kaiser als richtig anerkannte Konsequenz aus dem Ruhrarbeiterstreik. Immer blieb allerdings auch bei Neuorientierung der Sozialpolitik die Angst vor der Sozialdemokratie der Prüfstein für die Verwirklichung der neuen Ziele. Keinesfalls wollte man der Arbeiterpartei Vorschub leisten. Der Kaiser und die offizielle Politik unterschieden deshalb streng zwischen berechtigten Forderungen der Arbeiter und zu bekämpfenden Utopien der Sozialdemokraten. Demgemäß bestimmte ebenso wie bei Bismarck die Auseinandersetzung m i t der Sozialdemokratie nicht nur den Antrieb zur staatlichen Sozialpolitik, sondern auch deren Grenzen. I n die Zeit der Absichtserklärungen für eine neue arbeiterfreundliche Politik fielen auch das Ende des Sozialistengesetzes und der anschließende imponierende Wahlerfolg der Partei. Diese Tatsachen hatten i n Regierungskreisen ängstliche Reaktionen zur Folge, da nunmehr i m wesentlichen nur noch die öffentlichen Vereins- und Versammlungsgesetze der Länder als Handhabe gegen „gefährliche Bestrebungen der Sozialdemokratie" zur Verfügung standen. Für die Vertreter des Reformkurses führte dies zu einem Erfolgszwang ihrer Politik des Ausgleichs, zudem die beharrenden Kräfte nachdrücklich forderten, nunmehr die erstarkende sozialistische Bewegung m i t Waffengewalt gänzlich zu zerschlagen 226 . m Acta ebenda, Schreiben v o m 14. 1. 1890; die Unternehmer waren auch a l l gemein gegenüber allen Bestrebungen zur B i l d u n g v o n Arbeiterausschüssen negativ eingestellt; das sei „Loslösung der Arbeiter von ihren durch Gewohnheit, Sitte u n d Recht geschaffenen Beziehungen zu ihrem Arbeitgeber", Kuczynski, S. 90. 225 Berlepsch, S. 21,53. 228 Bismarck hielt schon den Ruhrarbeiterstreik f ü r den Konfliktfall, i n dem es keinen Ausgleich mehr gebe u n d i n dem die Bürgerkriegslage n u r noch durch gewaltsame Auseinandersetzungen m i t dem Sozialismus gelöst werden

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3. Teil: Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Während Berlepschs Politik anfangs m i t den 1890 und 1891 über Gewerbegerichte und Arbeiterschutz verabschiedeten Gesetzen Erfolg hatte, gelang es nicht, weitere Reformvorhaben zu verwirklichen. Keineswegs war aber m i t diesen beiden Gesetzen die von Berlepsch erstrebte neue Sozialverfassung m i t dem Ziel, die Arbeiter i n den Staat zu integrieren, schon erreicht. Zwar bedeutete das Gewerbegerichtsgesetz, das zur Regelung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und gewerblichen A r beitnehmern ein m i t einem unabhängigen Vorsitzenden und je einem Vertreter der beiden Seiten besetztes Gericht geschaffen hatte, schon einen Schritt i n Richtung auf die Gleichberechtigung der Arbeitgeber m i t den Arbeitnehmern; das von Berlepsch beharrlich weiter erstrebte Arbeiterberufsvereinsgesetz als Kernstück der Konsolidierung der A r beiterbewegung konnte aber, trotz steter Bemühungen, nicht erreicht werden 2 2 7 . Hatte man, aufgrund der innenpolitischen Kräfteverschiebung, konkrete Auswirkungen auf die 1891/92 stattgefundenen Vereinsrechtsberatungen des Bürgerlichen Gesetzbuches erwartet, so sah man sich getäuscht. Die Regierungen und auch die maßgeblichen Behörden des Reiches hielten hartnäckig an ihren Bedenken fest, wenngleich es scheint, als seien aufgrund der veränderten Situation und der aus der Mitte der Kommission gestellten befürwortenden Anträge auf Einführung eines liberalen Vereinsrechts neue Überlegungen angestellt worden. 2. Das Taktieren der Vorkommission

des Reichsjustizamts

Bemerkenswert neben dem Beschluß der Vorkommission des Reichsjustizamtes, das Vereinsrecht 1. Lesung beizubehalten und damit alle Reformbestrebungen zu negieren, war auch schon die Zusammensetzung der Vorkommission selbst. Neben den drei Reichskommissaren, die hier auch stimmberechtigt waren 2 2 8 , gehörten ihr Planck als Generalreferent und wohl auch alle Redaktoren, jedenfalls aber der Redaktor des Verkönne. E r hielt ein Sozialistengesetz alter A r t f ü r unzulänglich, da die sozialdemokratische F r a k t i o n i m Reichstag bei Weiterbestehen w i e ein trojanisches Pferd sei; vgl. Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 200, 219; Bismarck, S. 483; „ . . . schien m i r nach den Vorgängen des Bergwerkstreiks von 1889, daß zunächst nicht der Weg der Conzessionen, sondern der Verteidigung gegen sozialdemokratische Überwucherungen zu betreten sei"; auch militärische Kreise, insbesondere u m Graf Waldersee, neigten zur gewaltsamen Auseinandersetzung, ζ. B. Ritter, S. 20, 36. 227 Berlepsch wollte seine Vorstellungen allerdings i n einem Spezialgesetz v e r w i r k l i c h t wissen. Sein M i n i s t e r i u m nahm, soweit ersichtlich, keinen E i n fluß auf die BGB-Arbeiten, bekannt ist aber, daß Berlepsch gegen die V e r schärfung des preußischen Vereinsgesetzes, das den Sieg der Reaktion verkörpere (kleines Sozialistengesetz), Widerstand leistete, vgl. Pols, S. 20. 228 I n der Hauptkommission waren sie lediglich antragsberechtigt.

Bb. 2. Das Taktieren der Vorkommission des Reichsjustizamts

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einsrechts, Gebhard, an. I n der Praxis bedeutete das nichts anderes, als daß der Generalreferent und die Redaktoren m i t gewissen Einschränkungen die politischen Vorstellungen der Reichsregierung oder wenigstens des Reichsjustizamtes auch i n der Hauptkommission vertraten. Anders läßt nicht erklären, daß die Referenten hier bei der Abstimmung der reichsrechtlich zu stellenden Anträge mitwirkten. Die Möglichkeit, nicht regierungskonforme Anträge einzubringen, war somit praktisch ausschließlich i n die Hand der nicht zu Redaktoren bestellten Mitglieder der 2. Kommission gelegt. Eine Ausnahme bildete der von der offiziellen Linie abweichende Antrag des Generalreferenten Planck, der zwar die reichsgesetzliche Regelung des Vereinsrechts nach dem Normativsystem vorsah, den Regierungen bei Verletzung des öffentlichen Interesses jedoch Einspruchsmöglichkeiten gegen bestimmte Vereine eröffnete. Wesentlich weiterreichende Anträge hatten demgegenüber die nichtständigen Kommissionsmitglieder Sohm und Hoffmann gestellt. Alle diese Anträge zum Vereinsrecht wurden von Gebhard unverzüglich dem badischen Justizministerium vorgelegt 2 2 9 . I n einem Bericht führte er aus, daß noch nicht abzusehen sei, welche Ansicht — reichsoder landesgesetzliche Regelung — der Vereinsmaterie sich durchsetzen werde. Er hielt für denkbar, daß sogar das Reichsjustizamt sich für eine reichsrechtliche Regelung aussprechen könnte, falls die Abgeordnetenmitglieder dies wünschten, weil damit einem verbreiteten Wunsche, der auch i n weiten Kreisen des Reichstages Befürworter finde, entsprocher» werde und dadurch dem Gesetzgebungswerk Anhänger gewonnen werden könnten. Die Würdigung der politischen Bedenken müßte dann dem Bundesrate überlassen bleiben. Die Haltung der Abgeordnetenmitglieder i n diesem Punkte stehe jedoch noch nicht fest; sie müßten sich zuvor m i t ihren Parteigenossen abstimmen. Für die Beratung des Vereinsrechts, schrieb Gebhard weiter, seien auch noch Vertreter der verschiedensten Reichsbehörden und des preußischen Innenministeriums zu erwarten. Er selbst wolle, entsprechend den Instruktionen seiner Regierung, für die Beibehaltung des 1. Entwurfs stimmen, falls nicht bis dahin neue Instruktionen erteilt würden. Auf den Bericht hin hielt der Justizminister beim Staatsministerium Rückfrage, um sich zu vergewissern, ob dort hinsichtlich der politischen Fragen eine Meinungsänderung eingetreten sei 2 3 0 . Das Staatsministerium teilte auf Anfrage mit, daß bei reichsrechtlicher Regelung der Vereinsmaterie nur der Vorschlag Plancks annehmbar erscheine, sofern am Einspruchsrecht der Verwaltung i m öffentlichen Interesse festgehalten werde, „sonst könnten Vereine, die zu verbieten kein genügender A n 229 230

G.L.A. Entstehung des B G B 234/3549, Schreiben v o m 6. 7.91. G.L.A., ebenda, Schreiben v o m 13. 7.1891.

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

laß vorliegt, aber i m öffentlichen Interesse verboten werden müßten" (!), sich ungehindert entfalten 2 3 1 . Dieses Schreiben wurde Gebhard abschriftlich mitgeteilt und er u m nachdrückliche Vertretung des geänderten Standpunkts ersucht. Aus Gebhards A n t w o r t auf dieses Schreiben erfahren w i r , daß die weiteren i n Bezug auf das Vereinsrecht gestellten Anträge die Vorkommission veranlaßt hatten, die i n Rede stehenden Probleme erneut zu beraten 2 3 2 . Als Ergebnis der Beratungen war für den Fall, daß die Mehrheit für die reichsrechtliche Regelung der Materie stimmen sollte, ein Eventualantrag ausgearbeitet worden, der auch für diese weniger erwünschte Situation die ausreichende Sicherstellung der Interessen des Reiches und des Bundesrates versprach. Der Antrag enthielt bis ins Detail gehende Regelungen. Vor allem waren der Behörde Einspruchsrechte bei Entstehung und Auflösung bestimmter Vereine eingeräumt, ohne, daß es des Nachweises eines öffentlichen Interesses bedurft hätte. Der Antrag sollte i m Namen Plancks der Gesamtkommission unterbreitet werden 2 3 3 , obwohl Planck i n seinem ursprünglichen, von i h m allein verfaßten Antrag die Einspruchsmöglichkeit nur bei Entstehung der Vereine und bei Nachweis des öffentlichen Interesses eröffnen wollte. Hier wurde also ein Antrag des Reiches, den ebensogut die Reichskommissare hätten stellen können, als Antrag des Generalreferenten Planck ausgegeben. Das geschah offensichtlich nur deshalb, weil man sich durch die Autorität Plancks eine größere Chance für die Vorlage ausrechnete. Die Gesamtkommission wurde somit bewußt über die Urheberschaft eines Antrages getäuscht, u m die beabsichtigte Regelung durchzusetzen. Gebhard hatte i n der Vorkommission auch den Eventualantrag abgelehnt und für die Beibehaltung des 1. Entwurfs gestimmt, w a r aber i n der Minderheit geblieben, weil sich allgemein die Ansicht durchsetzte, der Reichstag lege größten Wert auf ein reichsgesetzliches Vereinsrecht und außerdem die Kontroverse i m Gebiet des Gemeinen Rechts über die Voraussetzungen der Körperschaftsbildung beigelegt werden sollte. Die i n der Vorkommission herrschende Ansicht war m i t Abstrichen auch die des Reichs justizamtes. Dort war aber, wie Gebhard nach Karlsruhe berichtete, noch nicht bekannt, wie sich das Reichsamt des Innern und die preußische Regierung zu dieser Frage gestellt hätten. Exakt vorausgesehen hatte Gebhard jedoch, daß die neue reichsrechtliche Regelung, 281

G.L.A. Entstehung des BGB, Schreiben v o m 12.8.1891. G.L.A., ebenda, Schreiben v o m 4. 10. 1891, vgl. auch Protokoll I I I , v o m 24.9.1881, S. 291 f. 288 Das w a r der als A n t r a g C bezeichnete Vorschlag Plancks; Gebhard wollte den A n t r a g nicht vertreten, u m i n der Kommission später freie H a n d zu behalten, w i e er dem M i n i s t e r i u m berichtete. 282

Bb. 3. Der Entscheidungsspielraum des Kommissionsvorsitzenden

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wie sie vorgesehen war, i n Wirklichkeit keinen politischen Bedenken unterliegen könne. Falls man bedenke, schrieb er, daß die publizistischen Landesgesetze über Zulassung, Schließung und Auflösung der Vereine unberührt blieben, außerdem ein Einspruchs- und Auflösungsrecht bei politischen und religiösen Vereinen bestehe, der Rechtsschutz der Vereine gegen Verwaltungsverfügungen aber nur so gestaltet sei, daß ausschließlich die Zweckbestätigung des Vereins geprüft werde (nur ob er tatsächlich politischer Natur etc. sei), so „löst sich der für die Materie erstrebte Rechtsschutz und die der Gewährung desselben entsprechende Beschränkung der administrativen Freiheit i n Schein auf". Das Reichsjustizamt hatte sich demnach für die Beratung des Vereinsrechts doppelt gesichert; einmal sollte für die Beibehaltung des 1. Entwurfs eingetreten werden und bei einer Abstimmungsniederlage hilfsweise der Eventualantrag Plancks durchgesetzt werden, was zwar nach außen einer Liberalisierung des Vereinsrechts gleichzukommen schien, i n Wahrheit aber bei den einzig wichtigen Vereinen, deren Regelung noch ausstand, die Beibehaltung des status quo bedeutete 234 . 3. Der Entscheidungsspielraum

des Kommissionsvorsitzenden

Trotz der unzulänglichen Gesetzesfassung war die Mehrheit der Kommission, wie der Staatssekretär i m Reichs justizamt und Kommissionsvorsitzende Bosse i n seinen Memoiren schrieb, überzeugt, eine vertretbare fortschrittliche Normierung des Vereinsrechts i n Plancks Vorschlag gefunden zu haben, wenngleich alle sich einig gewesen waren „nicht gerade das Ideal eines Vereinsrechts" 235 getroffen zu haben. Durch Bosse erfahren w i r auch mehr über die Hintergründe der immer wieder auf Antrag der Reichskommissare verschobenen Vereinsrechtslesung. Danach beruhte die „feige Zauderpolitik" auf der Furcht der preußischen Regierung, i n einer so wichtigen Frage Stellung zu nehmen. Was i m einzelnen zwischen dem Reichskanzleramt und der preußischen Regierung i n dieser Frage verhandelt wurde, war leider nicht feststellbar 236 . Offenkundig ist nur das Ergebnis. Es lautete, unbeeinflußt von den arbeiterfreundlichen Bestrebungen i n der Sozialpolitik dahin, daß es bei dem 1. Entwurf sein Bewenden haben solle. Die spätere Entwicklung zeigte jedoch, daß diese Entschließung wenigstens von reichswegen keineswegs hartnäckig verfolgt wurde. Das 234 Bebel meinte i m Reichstag, die BGB-Kommission habe allein die Sauf-, Skat- u n d Kegelvereine, nicht aber die m i t seriösen, entscheidend wichtigen Anliegen — die Arbeitervereine — geregelt. Sten.Ber., 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895/96, S. 2745. 235 Nachlaß Bosse, Reichs justizamt, S. 120. 236 Die A k t e n befinden sich i m Zentralarchiv i n Potsdam u n d erwiesen sich als schwer zugänglich.

7 Kögler

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3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Reichsjustizamt und wahrscheinlich später auch der Reichskanzler waren durchaus bereit, sich m i t einem Reichsvereinsgesetz auf der Grundlage des Planck'schen Vorschlags abzufinden. Nicht bereit waren sie jedoch, ein Normativsystem ohne die von Planck normierten Kautelen zuzulassen, wie das spätere Auftreten des Staatssekretärs i m Reichsj ustizamt, Nieberding, i n der Reichstagskommission bewies. I n der Kommission selbst war nicht allgemein bekannt, daß wenigstens von Seiten des Reichs j us tizamts notfalls auch die reichsgesetzliche Regelung der Materie i n Kauf genommen worden wäre, wie sich aus der Motivierung der 9 gegen die reichsrechtliche Regelung abgegebenen Stimmen ergibt. Richtig war bei der Vermutung, Reich und Bundesrat würden sich nicht m i t der getroffenen Entscheidung abfinden, die Einschätzung der Haltung des Bundesrats. Von dort kam der hartnäckigste Widerstand gegen die reichsgesetzliche Regelung. Neben dem Preußischen Innenministerium war zunächst auch der Reichskanzler Gegner der neuen Anträge. Ins Gewicht fiel aber auch die gemäßigte Haltung des Reichsjustizamtes, dessen Staatssekretär und Kommissionsvorsitzender schließlich sogar für das Reichsvereinsgesetz Partei ergriff. Bosse war, wie aus seinen Aufzeichnungen deutlich hervorgeht, immer ein loyaler Vertreter der Interessen seines Staates. Er war preußischer Beamter i m besten Sinne des Wortes. Daher gab er seine Stimme auch erst nach einer Unterredung m i t dem damaligen Staatssekretär des preußischen Innenministeriums, Minister von Boetticher, ab, der zusammen mit Berlepsch weiterhin versuchte, das Programm des sozialen Fortschritts, das m i t den Kaiserlichen Erlassen verheißen war, fortzusetzen. Daraus läßt sich schließen, daß die Abneigung gegen ein Reichsvereinsgesetz bei der Staatsführung keineswegs so ausgeprägt war, wie es den Anschein hatte. Ansonsten hätte der Kanzler wohl nicht gezögert, einmal den Kommissionsvorsitzenden, der als Beamter gehorsamspflichtig war, an seinem Votum zu hindern und zum anderen der Kommission des Reichsjustizamtes zu untersagen, Vorschläge für eine reichsrechtliche Regelung auszuarbeiten und sie dann unter fremdem Namen der Kommission zu unterbreiten. Die Richtigkeit dieser Ansicht wurde schließlich noch von Bosse selbst bestätigt, als er bezüglich der Wirkung seiner abweichenden Ansicht schrieb, daß Reichskanzler und Preußisches Innenministerium den Kommissionsbeschluß „nicht so tragisch" genommen hätten, wie die preußischen Kommissare m i t tiefernster Miene vorher hätten durchblicken lassen und daß einzelne Minister i h m i m freundschaftlichen Gespräch ihre andersartige Auffassung dargelegt hätten, jedoch „ohne jede Animosität und jeden Vorwurf. Kein Mensch ist m i r deswegen an die Räder gefahren 2 3 7 ".

237

Bosse, Reichsjustizamt, S. 120.

Bb. 4. K r i t i k der Kommissionsentscheidung

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Da sogar auf staatlicher Ebene die Meinungen über die Frage der reichsgesetzlichen Regelung divergierten, kann es nicht verwundern, daß auch i n der Kommission verschiedene Meinungen vertreten wurden. Vor allem die unabhängigeren Abgeordnetenmitglieder, aber auch einige Vertreter der Ministerialbürokratie bekannten sich zu dem freiheitlicheren Vereinsrecht. Immerhin ist aber auch bemerkenswert, daß Bosse i n dieser Frage wohl einen größeren Entscheidungsspielraum hatte, als die mit Instruktionen versehenen Redaktoren. Bei seinen Überlegungen hatte sich der Kommissionsvorsitzende nämlich nur davon leiten lassen, daß er i n der Kommission nicht sein Gesicht verlieren könne durch ein Votum entgegen seiner Uberzeugung zugunsten seines mittelbaren Vorgesetzten, des Reichskanzlers. Hieraus ergibt sich eine gewisse Unabhängigkeit bei seiner Entscheidungsfindung i n dieser Frage, wenngleich seine Überlegung, daß er noch eigentlich nicht eine andere Meinung vertreten dürfe als der Reichskanzler, wiederum deutlich macht, daß allein die Stellung als leitender Beamter der Ministerialbürokratie, selbst ohne bindende Instruktionen i n der Sache, eine sehr fühlbare Einengung des Entscheidungsspielraumes bedeutete. Jedenfalls galt das immer dann, wenn es u m ein Problem ging, an deren Lösung dem Staat i n der einen oder anderen Weise gelegen war. Zu beachten bleibt aber, daß von reichswegen außer an die Kommissare keine Spezialinstruktionen i n Fragen des Vereinsrechts erteilt worden sind, obwohl die etwas abweichenden Auffassungen des Reichsjustizamtes und noch mehr des Kommissionsvorsitzenden nicht verborgen geblieben sein dürften. 4. Kritik

der Kornmissionsentscheidung

Die Entscheidung der Kommission, über die Frage des Ob eines Vereinsgesetzes erst nach Beratung des Wie zu entscheiden, erscheint auf den ersten Blick umständlich, wenn man sich überlegt, wieviel nutzlose A r beit möglicherweise geleistet worden wäre. Sie war jedoch der einzig mögliche Kompromiß, wenn man bedenkt, daß die Kommission mehrheitlich allenfalls bereit war, ein ganz bestimmtes, m i t vielen Kautelen versehenes Normativsystem zuzulassen. Dementsprechend stimmte sie letztlich auch m i t 20 gegen 4 Stimmen für den Antrag Plancks, falls es überhaupt zu einem Reichsvereinsgesetz kommen sollte. Nur sieben M i t glieder waren für den Antrag des preußischen Richters Hoffmann i n seiner Alternative ohne Einbeziehung der Gewerbevereine eingetreten. M i t diesem Votum hatte sich die Minderheit mittelbar auch die Begründung des Antragstellers, der vor allem die Berufsvereine fördern wollte, u m die Arbeiter den „sozialdemokratischen Utopien" zu entreißen, zu eigen gemacht. Wie viele Stimmen zugunsten des Antrags 7*

100 3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

Sohm, der dem System freier Körperschaftsbildung zum Durchbruch verhelfen wollte, u m ebenfalls gleichzeitig die Arbeiterberufsvereine zu fördern, abgegeben wurden, erwähnen die Protokolle nicht. Wahrscheinlich war dieser Antrag allen übrigen Kommissionsmitgliedern zu weitgehend. Typisch auch für das Selbstverständnis der 2. Kommission sind die Begründungen, m i t denen die Mehrheit das i n den Anträgen Plancks vorgesehene Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden gegen politische und religiöse Vereine motivierte. Danach genügte auch wieder die bloße Tatsache von Bedenken bei Bundesregierungen und Preußischem Staatsministerium. Ob sie begründet seien oder nicht, spiele keine Rolle 2 8 8 . Die Kommission dürfe sich nicht dazu verleiten lassen, die Vereinsvorschriften nur so zu gestalten, wie sie vom Standpunkt des Privatrechts zu gestalten sein möchten (!). Damit ist evident, wie sehr die Mehrheit auch der 2. Kommission sich bei ihrer Arbeit staatlichen Interessen verpflichtet fühlte. Hier waren nicht überwiegend Wissenschaftler vertreten, die das Vereinsrecht nach den Erfordernissen des Verkehrs gestalteten, sondern Ministerialbürokraten, die staatstragende Beschlüsse faßten und nur diese zu verantworten glaubten. Wie die 1. Kommission hatte daher auch die zweite die Würdigung der politischen Bedenken nicht den politischen Instanzen überlassen, sondern wider bessere Überzeugung, das allein Praktikable geschaffen. Anders argumentierte jedoch die Minderheit. Sie stellte überhaupt i n Frage, ob die Vermögensfähigkeit tatsächlich einen so bedeutsamen Machtzuwachs für die Vereine bedeuten könne. Es herrschte die Ansicht vor, daß jedenfalls die dadurch entstehenden Gefahren weit überschätzt würden. Außerdem hatte die Minderheit auch die positiven Auswirkungen eines freiheitlichen Vereinsgesetzes auf den Gerechtigkeitssinn der Arbeiter ins Feld geführt, des weiteren die Tatsache betont, daß w i r k lich gemeingefährliche Vereine sich kaum um die Rechtsfähigkeit bemühen würden. Damit waren i n der 2. Kommission zum erstenmal alle Argumente für und wider ein liberales Vereinsrecht vorgetragen. Durch den Beschluß der Mehrheit, zwar ein Reichsvereinsgesetz zu schaffen 239 , dennoch aber ausreichend viele Kautelen hauptsächlich gegen

238

Amtliche Protokolle Bd. 1, S. 561. Z u r Begründung der reichsrechtlichen Regelung wurde erstaunlicherweise auf das für die 1. Kommission von Bundesrat, Justizausschuß u n d V o r kommission ausgearbeitete Programm, das die Aufnahme von Vereinsvorschriften i n das B G B vorsah, zurückgegriffen — Amtliche Protokolle Bd. 1, S. 579 —, während die 1. Kommission den A u f t r a g überhaupt nicht beachtet hatte. 239

Bb. 4. K r i t i k der Kommissionsentscheidung

101

die sozialpolitischen Vereine 2 4 0 aufzustellen, fühlte man sich nach außen hin fortschrittlich, weil man dem „lange gefühlten Bedürfnis der Gegenw a r t " nachkam, blieb i n Wirklichkeit jedoch weiterhin ängstlich und den Arbeitern gegenüber ungerecht, weil es für deren Vereine mit Einführung des uneingeschränkten Einspruchs- und Auflösungsrechts der Verwaltungsbehörden praktisch beim Konzessionssystem blieb 2 4 1 . Die Mehrheit hielt ihren Beschluß für einen „nicht zu unterschätzenden Fortschritt" i n der Vereinsrechtsentwicklung 242 . Die Minderheit dagegen fürchtete die Nichtannahme des neuen Vereinsrechtsentwurfs i m Bundesrat. Obwohl jeder mißliebige religiöse, sozialpolitische oder politische Verein ohne irgendeine Begründung nur unter Hinweis auf die A r t seiner Betätigung an dem Erwerb der Rechtsfähigkeit gehindert oder sie i h m nachträglich entzogen werden konnte und der Rechtsschutz der Vereine sich nur auf die gerichtliche Uberprüfungsmöglichkeit ihrer Tätigkeit erstreckte, prophezeite die Minderheit, die politischen Instanzen würden sich m i t dem neuen liberalisierten Vereinsrecht nicht abfinden. Wie die spätere Entwicklung zeigte, bestand diese Befürchtung zu Recht. Der Bundesrat nahm das neue Vereinsrecht erst an, nachdem das Rechtsschutzverfahren verändert und die Einspruchs· und Auflösungsmöglichkeit auf die Erziehungs- und Unterrichtsvereine ausgedehnt worden war. Die Erweiterung der Repressionsmöglichkeiten auf die Unterrichtsvereine ist wahrscheinlich sogar von Bosse, dem späteren Unterrichtsminister angeregt worden, der seine damals als Kommissionsvorsitzender getroffene Entscheidung später lebhaft bedauerte 243 . I n der Schlußabstimmung am 17. Dezember 1891, bei der 14 Kommissionsmitglieder für die reichsgesetzliche Regelung des Vereinsrechts nach Maßgabe des Antrags Plancks und 9 dagegen stimmten, fehlte der Forstrat Dankelmann als nichtständiges Mitglied wegen Krankheit. Gebhard verletzte das Abstimmungsgeheimnis, als er die Namen der Kommissionsmitglieder, die m i t Nein gestimmt hatten, dem heimischen Justizministerium preisgab 244 . Es waren dies Küntzel, Eichholz, Jakubetzky, Rüger, v. Mandry, v. Manteuffel, v. Helldorf, v. Gagern und Gebhard selbst. Es fällt auf, daß sämtliche als Referenten für die einzelnen Bücher bestimmten Mitglieder, d. h. alle Mitglieder der Vorkommission des Reichs240 Die Hereinnahme der sozialpolitischen Vereine sollte n u r eine „zweckmäßige Erläuterung" der Bestimmung sein. 241 Das hatte die Kommission auch genau erkannt, Amtliche Protokolle Bd. 1, S. 562. 242 Amtliche Protokolle, ebenda. 243 Bosse soll dies Gebhard mitgeteilt haben, G.L.A. Entstehung des B G B 234/3550, Gesandtschaftsbericht Nr. 836 v o m 14. 9. 94. 244 G.L.A. ebenda 234/3549; Schreiben v o m 18.12.1891.

102 3. Teil : Vereinsrecht des BGB — historische Darstellung u n d Würdigung

justizamtes, (Gebhard, 1. Buch, Jakubetzky, 2. Buch, Küntzel, 3. Buch, v. Mandry, 4. Buch, Rüger, 5. Buch) gegen ein Reichsvereinsgesetz stimmten und sich damit an der offiziellen Linie orientierten. Dagegen hatten m i t Hanauer als Direktor des Reichs justizamtes und Bosse als Staatssekretär höchste Vertreter der Behörde entgegen den Vorstellungen von Reichskanzler, Bundesrat und Preußischem Staatsministerium votiert. Insgesamt hatten 6 der 11 ständigen Mitglieder und 3 der 12 anwesenden nichtständigen Mitglieder gegen die Regelung gestimmt. Daraus geht deutlich hervor, daß es überhaupt nur durch die Einbeziehung von Praktikern anderer Berufe i n die 2. Kommission zu einem Reichsvereinsgesetz kam. Die nichtständigen Mitglieder hatten sich als unempfindlicher gegen die Bedenken der Regierungen erwiesen als die Ministerialbeamten und Richter, die sich abhängiger zeigten. Was die Abgeordnetenmitglieder i m einzelnen anbelangt, hatten die konservativen Rittergutsbesitzer von Helldorf und von Manteuffel gegen die reichsgesetzliche Regelung votiert. Ihnen angeschlossen hatte sich der dem Zentrum angehörende Rittergutsbesitzer von Gagern, obwohl das Zentrum zu dieser Zeit bereits massiv und geschlossen für ein Berufsvereinsgesetz eintrat. Spahn, der andere Zentrumsabgeordnete hatte sich für Plancks Vorschlag eingesetzt. Die Vertreter des Freisinns und der Deutschen Reichspartei stimmten ebenso wie die nationalliberalen Abgeordneten für die Aufnahme des gesamten Vereinsrechts i n das BGB. Insoweit spiegelten die Abgeordnetenmitglieder der 2. Kommission den W i l l e n der Reichstagsmehrheit wider, die seit der Vorlage von SchulzeDelitzsch i m Jahre 1869 immer wieder für ein Gewerkschaftsgesetz gestimmt hatte. Die fehlenden Auswirkungen der neuen sozialpolitischen Ä r a auf das Vereinsrecht des BGB und der Mißerfolg Berlepschs werden i n der K r i t i k allgemein auf das Ausbleiben von sichtbaren Erfolgen der Reformpolit i k zurückgeführt. Nur so erkläre sich das generelle Einsetzen der sozialpolitischen Reaktion und der Beginn der Ä r a S t u m m 2 4 5 Es sei den Vertretern der Schwerindustrie unter Hinweis auf den verstärkten U b e r t r i t t der A r beiter ins Lager der Sozialdemokratie gelungen, den Kaiser m i t Zweifeln an dem eingeschlagenen Weg zu erfüllen. Neue sozialpolitische Initiativen seien daher abgeblockt, die bestehenden Gesetze restriktiv ausgelegt und am Ende sogar eine Rückwärtsentwicklung i n Richtung auf ein neues Sozialistengesetz (Umsturzvorlage 1894, preußisches kleines Sozialistengesetz 1897) eingeleitet worden. Diese Interpretation hat einiges für sich, besonders wenn man an den wankelmütigen Kaiser denkt, sie erklärt jedoch nicht, wieso schon wenige Monate nach dem Kernstück der neuen 245

ζ. B. Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 4, S. 1222.

Bb. 4. K r i t i k der Kommissionsentscheidung

103

Sozialgesetzgebungsinitiative, dem Arbeiterschutzgesetz vom Juni 1891, die Verwirklichung des nächsten Zieles, nämlich eines Arbeiterberufsvereinsgesetzes unmöglich geworden sein soll. Der Erklärungsversuch Borns, daß die sozialpolitischen Erlasse mehr versprochen hätten als ernstlich gewollt gewesen sei 2 4 6 , kann bezüglich des Vereinsrechts nicht überzeugen, denn der Kaiser versprach ausdrücklich i n dem Erlaß an den von i h m ernannten und für das Gesetz eingenommenen Handelsminister, eine Initiative zur Schaffung einer wirksamen Vertretung der Arbeiterinteressen. Andhaltspunkte, daß dies i n Wahrheit nicht gewollt gewesen sei, bestehen keine, so daß man nur m i t Verwunderung feststellen kann, wie vor allem die Innenministerien Preußens und des Reiches an der alten Politik festhielten, ohne daß ersichtliche Anzeichen für veränderte Denkansätze aufgrund des neuen Kurses bestehen. Danach schien der sogenannte neue Kurs nur von wenigen Exponenten, wie ζ. B. Berlepsch, v. Boetticher, Lohmann und zeitweise dem Kaiser getragen worden zu sein, während für eine Umorientierung des konservativen Beamtenkörpers einfach die nötige Zeit fehlte. Hinzu kam, daß wegen der ausgeprägten Furcht der Staatsführung vor Sozialdemokratie und Anarchie, verstärkt durch das Auslaufen des Sozialistengesetzes, die W i r k u n g der neuen Gesetze nicht m i t der nötigen Gelassenheit abgewartet werden konnte. N u r rasche Erfolge, m i t deren E i n t r i t t allerdings bei solchen Fragen nicht ernsthaft gerechnet werden konnte, hätten den Reformern helfen können. Der alsbald einsetzenden abwartenden Pause i n der Sozialgesetzgebnug fiel dann der Fortschritt i n Fragen des Vereinsrechts zum Opfer 2 4 7 . Der unter Erfolgszwang stehende junge Kaiser resignierte bald und leitete die Rückwärtsentwicklung ein, während der neue Kurs bis dahin zu keiner Neuorientierung i n der Ministerialbürokratie geführt hatte. N u r daraus erklären sich fehlende Rückwirkungen auf die Vereinsgesetzgebung i m BGB. Zwar hatte der Kaiser dem Handelsminister Berlepsch immer wieder versichert, als dieser mehrfach m i t seinem Rücktritt drohte, er wolle uneingeschränkt an den Februarerlassen festhalten, nur müsse man eine langsamere Gangart einschlagen, dies geschah aber w o h l nur deshalb, u m von seinem Umschwenken i n das Lager der Industrie abzulenken. I m übrigen hatten auch die Fraktionen i m Reichstag nur noch ganz geringe sozialpolitische Initiativen gezeigt, so daß der Kaiser auch von dorther 246 247

So auch bei Gebhard-Grundmann, § 47, S. 294.

Puhle, S. 364, beschreibt die betreffenden Vorgänge so: „Das Fehlen der nationalen Integration u n d das politische Treibhausklima des Wilhelminismus . . . die Stärkung der konservativ nationalen Elemente i m Bereich der political culture als Ergebnis eines seit 1890 neuerlich vorangetriebenen V e r schiebungsprozesses der politischen Kräfte, trugen insgesamt entscheidend zur Schwächung des emanzipatorischen Potentials u n d seiner vornehmlich sozialistischen linksliberalen Trägergruppen bei."

104 3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

nicht auf breite Zustimmung für neue Sozialgesetze rechnen durfte. Wilhelm II. bemerkte ganz zutreffend, i n der Sozialpolitik sei i m Augenblick nur mit dem Zentrum und den Sozialdemokraten „etwas zu machen" 2 4 8 . 5. Die verfehlte Kommissionspolitik bezüglich der nichtrechtsfähigen Vereine Als die 2. Kommission Mitte 1892 über die Anwendbarkeit der Vorschriften des Gesellschaftsrechts auf die nichtrechtsfähigen Vereine beriet 2 4 9 , war keine Änderung ihrer Grundhaltung eingetreten. Die Mehrheit lehnte strikt eine Verwässerung des Vereinsrechts durch Anerkennung von zwischen rechtsfähigen Vereinen und Gesellschaften stehenden Zwischengebilden korporativ angelegter Vereine nach dem Vorbild der erlaubten Privatgesellschaften des A L R und der von der Rechtsprechung i m Gebiet des Gemeinen Rechts zugelassenen Genossenschaften ab. Besonders Gebhard war gegen solche Zwischengebilde eingetreten, wie aus seinen Berichten an das badische Justizministerium hervorgeht. Er und die Mehrheit der übrigen Kommissionsmitglieder wollten keiner Umgehung der i m öffentlichen Interesse aufgestellten Kautelen Vorschub leisten. Von besonderem Realitätssinn zeugte diese Auffassung der 2. Kommission jedoch nicht. Es war unschwer vorherzusehen, daß sich die Einsicht i n die Notwendigkeit der Registrierung doch nicht bei allen Vereinen würde durchsetzen können, m i t der Folge des Fortbestands korporativ angelegter Vereine ohne Rechtsfähigkeit. Diese Vereine nach dem Gesellschaftsrecht, das offensichtlich nicht paßte, behandeln zu wollen, konnte man von der Rechtsprechung nicht ernsthaft erwarten. I n dieser Fehleinschätzung der Kommission lag der K e i m für die unglückliche Entwicklung des Rechts der nichtrechtsfähigen Vereine begründet. Auch i m Jahre 1895 stand die 2. Kommission noch uneingeschränkt zu ihren Vereinsrechtsbeschlüssen 250 . Konsequent lehnte sie unter Beibehaltung des einmal eingenommenen Standpunktes den Antrag auf „ent248 Rothfels, Lohmann, S. 116; das galt jedoch nicht f ü r das Arbeiterberufsvereinsgesetz. Hier w a r nach w i e vor eine breite Reichstagsmehrheit aus Zentrum, Freikonservativen u n d Teilen der Nationalliberalen gewährleistet, wie die späteren Debatten über das Vereinsrecht des B G B i m Reichstag erwiesen. 249 Vgl. oben D r i t t e r T e i l A a 4. 250 Das deckte sich auch weiterhin m i t der offiziellen Politik. Noch am 20. 2. 95 w a r i m Deutschen Reichsanzeiger als A n t w o r t auf eine Interpellation v o n Zentrumsabgeordneten zur Schaffung eines Gesetzes über die Bundesvertretungen der Arbeiter ausgesprochen worden, daß entsprechende Entwürfe des Handelsministers v. Berlepsch i m Preußischen Staatsministerium besprochen worden seien, ein Beschluß darüber jedoch nicht gefaßt worden sei.

Bb. 6. Die Aufnahme des neuen Vereinsrechts i m Reich u n d i n Baden

105

sprechende" Anwendung des Gesellschaftsrechts auf nichtrechtsfähige Vereine ab, so daß es von Gesetzes wegen bei der Zweiteilung rechtsfähiger Vereine und nichtrechtsfähiger Gesellschaften blieb. 6. Die Aufnahme des neuen Vereinsrechts

im Reich und in Baden

Unterdessen hatte der Vereinsrechtsentwurf der 2. Kommission sowohl i m Reich, als auch bei den Regierungen zu ausgedehnten Überlegungen geführt. Zunächst hatte sich Baden — wie zuvor schon der Redaktor Gebhard — negativ über das Ergebnis geäußert. Das neue Privatvereinsrecht sei ohne öffentliches Vereinsrecht i m Grund unbefriedigend 2 5 1 . Allerdings meinte man von badischer Seite, keine besondere Veranlassung zu haben, gegen das neue Vereinsrecht vorzugehen; die Initiative dazu wollte man anderen stärker betroffenen Regierungen überlassen. Von reichswegen war es zunächst so erschienen, als sollte dem Wunsch der meisten Regierungen Rechnung getragen und das Vereinsrecht des 1. Entwurfs wiederhergestellt werden 2 5 2 . Uberraschend war jedoch dann i m Preußischen Staatsministerium eine Wendung eingetreten, dergestalt daß man sich neuerdings positiv zu dem Entwurf stellte. Zur Begründung war angegeben, die Regelung sei nunmehr „ u r b i et orbi" publiziert, so daß bei einer Ablehnung i m Reichstage m i t Sicherheit Schwierigkeiten entstünden und man sich nicht i n die Lage manövrieren wollte, das ganze Gesetz en bloc oder überhaupt zu gefährden, „sodann aber, w e i l möglichen Maßnahmen gegenüber der Sozialdemokratie durch die Sammlung des Vermögens i n offenen Verbänden eher ein günstiger Boden geschaffen werde, als daß man befürchten müsse, ihr zu helfen, zumal daneben die öffentlich-rechtlichen Mittel verbleiben 2 5 3 ." Als weiterer Punkt für die reichsrechtliche Regelung nach dem Normativsystem wurde noch die sächsische Gesetzgebung genannt, obwohl Sachsen die meisten sozialdemokratischen Vereine habe, wie Jagemann i n einem weiteren Gesandtschaftsbericht zweifelnd feststellte 254 . I m Reichs justizamt hatte man sich überlegt, notfalls das ganze Vereinsgesetz aus dem BGB auszuklammern, was aber nur äußerstenfalls geschehen sollte, weil man befürchtete, daß ein Spezialgesetz nie zustande komme und der Entwurf auch insofern einen Fortschritt bringe, als er für die Rechtsprechung, die bisher dazu tendiert habe, allen korporativ angelegten Vereinen die Rechtsfähigkeit zuzusprechen, einen 251 Kommissionsbericht der badischen Regierung v o m 2. 3. 94, S. 2, G.L.A. Entstehung des B G B 234/3550. 252 Gesandtschaftsbericht Nr. 836 v o m 14. 9.1894, G.L.A. ebenda. 253 Gesandtschaftsbericht Nr. 858 Jagemann an Brauer v o m 20. 9.1894, G.L.A. ebenda. 254 Gesandtschaftsbericht Nr. 862 v o m 20.9.1894, G.LA. ebenda.

106 3. Teil: Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

neuen klaren Boden schaffe 255 . Eine endgültige Stellungnahme von seiten des Reichsjustizamts war jedoch noch nicht erfolgt, weil man sich von den Beratungen über das Anarchistengesetz Auswirkungen auf das Vereinsrecht erwartete und außerdem das Unterrichtsministerium wiederu m Bedenken hatte, daß irgendwelche mächtigen rechtsfähigen Unterrichtsvereine das staatliche Schulsystem aus den Angeln heben könnten. Auffällig ist bei kritischer Würdigung der Stellungnahmen der offiziellen Politik zu den Vorschlägen der 2. Kommission, wie sehr immer die Sorge der bevorstehenden Reichstagsdebatten die Entwicklung eines etwas großzügigeren Vereinsrechts beschleunigt hat. Bereits innerhalb der 2. Kommission wirkte sich diese Überlegung aus, denn man befürchtete hitzige Debatten i m Parlament, falls das Vereinsrecht des 1. Entwurfs aufrecht erhalten bleibe. Da aber von seiten der Staatsführung ein vitales Interesse bestand, endlich zu einer einheitlichen Kodifikation zu gelangen 256 , wollte man nach Möglichkeit Ansatzpunkte für eine Konfrontation i m Reichstag vermeiden. Lange Zeit hatte man sogar gehofft, die Annahme des BGB en bloc, d. h. ohne Beratung der Einzelvorschriften, zu erreichen. Der Wunsch nach Annahme des BGB i m Reichstag ging einher m i t der Absicht, einem größeren Teil der Bevölkerung die Errungenschaften des neuen Rechts näherzubringen, wozu das liberale Vereinsrecht offensichtlich besonders geeignet erschien. Die Grenze der Kompromißbereitschaft bildete die Furcht vor einem Erstarken der Sozialdemokratie, so daß schließlich von preußischer Seite die gefundene Lösung als einerseits den Bedürfnissen von Reichstag und Bevölkerung entsprechend entgegenkommend und andererseits den politischen Bedenken Rechnung tragend empfunden wurde. Die zusätzliche Überlegung, mittels des neugestalteten Vereinsrechts aussichtsreicher einen Schlag gegen die Sozialdemokratie führen zu können, war abgesehen von der dahintersteckenden politischen Gehässigkeit ein deutlicher Beweis dafür, wie wenig gründlich und kritisch man die Auswirkungen des reichsgesetzlich geregelten Vereinsrechts bedacht hatte; denn nie hätten sich, und das wäre voraussehbar gewesen, wegen der einzureichenden Mitgliederlisten sozialdemokratische Gewerkschaften erkühnt, u m Verleihung der Rechtsfähigkeit nachzusuchen. Die Tatsache, daß für den Fall von Schwierigkeiten bei der Annahme des Vereinsrechts i m Reichstag, die Uberweisung i n ein Spezialgesetz vorgesehen war, zeigt deutlich zusammen mit dem Interesse des Staates an der Einführung des BGB, daß die später i n der Reichstagskommission 255

Gesandtschaftsbericht Nr. 934 v o m 9.10.1894, G.L.A. ebenda. 25β D e r Staatssekretär des Reichs justizamts hatte sogar vorgeschlagen, besondere Exposees f ü r die Presse i n den einzelnen Staaten anfertigen zu lassen, u m eine freundliche Aufnahme des B G B i n der Bevölkerung zu gewährleisten, G.L.A. Entstehung des BGB, Gesandtschaftsbericht Nr. 332 v o m 7.4.1895.

C. Das neue Vereinsrecht i n Bundesrat u n d Reichstag

107

aufgetauchte Alternative, das ganze BGB am Vereinsrecht scheitern zu lassen, sich i n dieser Form nie dargeboten hatte. Die Alternative war vielmehr die, das private Vereinsrecht i n einem Spezialgesetz zu normieren. Bemerkenswert ist i m übrigen die Erwartung des Reichsjustizamts, die Beratung des Anarchistengesetzes werde Auswirkungen auf den Vereinsrechtsentwurf haben. Bei unbefangener Würdigung erscheint es unerfindlich, wie derlei die öffentliche Sicherheit, nicht aber den Privatrechtsverkehr berührende Überlegungen Rückwirkungen auf das Vereinsrecht haben könnten. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich jedoch wieder die bekannte Strategie, mittels des privaten Vereinsrechts Sicherheitspolitik zu betreiben. C. Das neue Vereinsrecht in Bundesrat und Reichstag Nachdem alle Bücher des 2. Entwurfs fertiggestellt waren, kam der Entwurf am 24. Oktober 1895 vor den Bundesrat, der i h n sofort an den Justizausschuß überwies 2 5 7 . Die wichtigsten dort getroffenen Änderungen betrafen das Vereinsrecht. I n der Hauptsache wurde das Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden über die politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereine hinaus auf Erziehungs- und Unterrichtsvereine ausgedehnt 258 . Dasselbe wurde für das Auflösungsrecht bestimmt 2 5 9 . Eine weitere wichtige Änderung betraf die Rechtsbehelfe, welche die 2. Kommission zur Anfechtung der Einspruchs- und Auflösungsverfügungen vorgesehen hatte. Nicht das Verwaltungsstreitverfahren und ersatzweise der Rekurs nach §§ 20, 21 Gewerbeordnung, sondern nurmehr speziell zu schaffende Landesvorschriften sollten als Rechtsbehelfe gegen die behördlichen Akte dienen 2 6 0 . Schließlich sollten noch Vereine, die i n keinem Bundesstaate ihren Sitz haben würden, Rechtsfähigkeit nur durch besondere Verleihung des Bundesrates erhalten können 2 6 1 . Z u dem Entwurf der 2. Kommission war i m Reichs justizamt gleichzeitig eine Denkschrift ausgearbeitet worden, die zusammen mit der geänderten Vorlage am 17. Jan. 1896 an den Reichstag gelangte 262 . I n der Denkschrift waren noch einmal die Gründe gewürdigt, die zu dem Vereinsrecht der 2. Kommission geführt hatten 2 6 3 . Insbesondere wurde auf die Gefahren hingewiesen, die bei Anerkennung des an sich wünschens257 Schubert, S. 52. Dem Justizausschuß gehörten Vertreter Preußens, Bayerns, Sachsens, Württembergs, Badens, Hessens u n d der Hansestädte an. 258 Reichstagsvorlage, § 58 Abs. 2. 259 Ebenda, § 40. 260 Ebenda, §§ 41 u. 59 Abs. 2. 261 Ebenda, § 21. 262 Reichstagsvorlage, 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895/96, Nr. 87 der Anlagen. 263 Denkschrift, S. 6 - 15.

108 3. Teil: Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

werten Normativsystems von rechtsfähigen und damit mächtigen politischen und sozialpolitischen Vereinen ausgehen könnten. Diesen Gefahren wirksam zu begegnen, hielt man die i n den meisten Ländern bestehenden Vereinsgesetze nicht geeignet. Deshalb seien vor allem den politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereinen Beschränkungen hinsichtlich des Erwerbs der Rechtspersönlichkeit auferlegt worden 2 6 4 . Schon bald nach Eingang der BGB-Vorlage beim Reichstag fand die 1. Lesung des Gesetzesentwurfs statt. I n den Debatten vom 3., 4., 5. und 6. Februar 1896 legten Redner aller Fraktionen ihre grundsätzliche Stellungnahme zum BGB dar 2 6 5 . Von den Mitgliedern der 2. Kommission waren als Abgesandte des Bundesrates Struckmann, Planck, Jakubetzky, Sohm, Börner, von Mandry und Gebhard zur Vertretung des Entwurfs i m Reichstag zugegen. Der Staatssekretär des Reichs justizamtes Nieberding eröffnete die Debatte m i t einer Allgemeindarstellung des ersten reichseinheitlichen Privatrechts. Den Vorwurf, es sei vornehmlich eine Zusammenfassung vorhandenen Rechts und keine Neuschöpfung, nahm er bewußt hin, da das Deutsche Volk i m wesentlichen sein Recht habe beibehalten, nur m i t der Zerrissenheit ein Ende machen wollen. Die erste Stellungnahme zum Vereinsrecht gab der Zentrumsabgeordnete Rintelen ab. Namens seiner Partei erklärte er Bedenken gegen die A r t der Regelung der politischen, sozialpolitischen und religiösen Vereine. Es verletzte das Rechtsgefühl aufs tiefste, wenn die Vereine, die nur dem Vergnügen nachgingen, ohne Schwierigkeiten Korporationsrechte erhalten könnten, während dies m i t ernsten Problemen sich befassenden Assoziationen teilweise sehr erschwert würde. Er empfahl deshalb eine Abänderung des gesamten Vereinsrechts. K r i t i k am Vereinsrecht äußerte auch der Abgeodnete Schröder von der Liberalen Vereinigung. Er glaubte das Haus m i t sich einig, daß das Vereinsrecht als Ausgeburt des Polizeigeistes, der i n letzter Zeit i n „höchst bedauerlicher Weise seine Schwingen wieder besonders lebhaft regt", noch vom Plenum geändert werden könne. Vom Bundesrat, der, wie er bedauerte, noch hinter die Wünsche der Kommission zurückgegangen sei, erhoffte er eine Korrektur seiner Beschlüsse 266 . Gegen das vorliegende Vereinsrecht sprachen sich i m Laufe der 1. Lesung des Entwurfs noch die Abgeordneten von Dziembowski-Pomian, Polenpartei 2 6 7 , Kauffmann, Deutsche Freisinnige Volkspartei 2 6 8 , Förster, 264

Denkschrift, S. 8. Sten.Ber., 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895/96, S. 705 -794; ausführlich Schubert, S. 53 ff. 266 Ebenda, S. 725. 267 Ebenda, S. 728. 268 Ebenda, S. 732. 265

C. Das neue Vereinsrecht i n Bundesrat u n d Reichstag

109

Deutsch Soziale Reformpartei 2 6 9 , Enneccerus, Nationalliberale Partei 2 7 0 und Frohme, Sozialedemokratische Partei 2 7 1 aus. Sie bemängelten je nach politischem Standort mehr oder weniger pointiert das Vereinsrecht als kleinliches, freiheitswidriges und gefährliches „Angstprodukt" 2 7 2 . Eine breite Mehrheit fand sich vor allem dafür, den Berufsvereinen gesetzlich eine solide Basis zu verschaffen, damit sie ihre große soziale Aufgabe bewältigen und als Bundesgenossen i m Kampf für die sozialen Aufgaben der Gegenwart stehen könnten 2 7 3 . Polemisch formulierte Kauffmann: „Wenn der Verein glücklich die Scylla des Einspruchsrechts umschifft hat, dann droht i h m noch die Charybdis der Auflösung durch polizeiliches Belieben 2 7 4 ." Für das Vereinsrecht des Entwurfs trat Planck i n einer ausgewogenen Rede ein und betonte, wie auch schon zuvor i n der Kommission, daß öffentlich-rechtliche Belange wegen Fehlens eines publizistischen Reichsvereinsrechts haben berücksichtigt werden dürfen und müssen 275 . I m gleichen Sinne sprach sich auch Sohm als Vertreter des Entwurfs aus, wobei er jedoch seine persönliche Meinung über das noch etwas rückständige Vereinsrecht bezüglich der sozialpolitischen Vereine nicht ganz verhehlte. Er meinte jedoch, die Rechtsprechung werde es schon praktikabel machen und insbesondere auch eine Existenzbasis für korporativ angelegte nichtrechtsfähige Vereine schaffen: „setzen Sie einmal diesen Grundsatz (seil. Normativsystem) i n den Sattel! . . . er w i r d schon weiter reiten" 2 7 6 . Gegen eine Änderung des vorgesehenen Vereinsrechts sprach sich der Abgeordnete Stumm, Konservative Partei, aus. Er erklärte, daß bei Abänderung des Vereinsrechts i m Sinne der Linken eine Zustimmung seiner Fraktion zum ganzen Gesetz unmöglich sei 2 7 7 . Nach Schluß der Debatten 1. Lesung überwies der Reichstag den Entw u r f an einen Ausschuß von 21 Mitgliedern 2 7 8 . Der Ausschuß tagte unter dem Vorsitz des Zentrumsabgeordneten Spahn i n der Zeit vom 7. Februar bis zum 12. Juni 1896. Vor allem über die Frage des Vereinsrechts kam es zu lebhaften Auseinandersetzungen innerhalb der Kommission. Da die Argumente für oder gegen das Normativsystem 269 270 271 272 273 274 275 276 277 278

Ebenda, S. 768. Ebenda, S. 776. Ebenda, S. 784 f. Förster, ebenda. Kauffmann, ebenda. Ebenda. Planck, ebenda, S. 736 f. Sohm, ebenda, S. 758. Ebenda, S. 761. Ebenda, S. 793.

110 3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

i m wesentlichen bereits innerhalb der BGB-Kommissionen und von der K r i t i k vorgetragen worden sind, sollen sie hier i m einzelnen nicht mehr wiedergegeben, sondern nur die wesentlichen Anträge und Beschlüsse dargestellt werden. Die Kommission beriet die einzelnen Vorschläge i n zwei Lesungen. I n der 1. Lesung waren zum Vereinsrecht drei Anträge gestellt worden. Der sogenannte Antrag A sah wiederum uneingeschränkt das System der freien Körperschaftsbildung für die Erlangung der Rechtsfähigkeit v o r 2 7 9 . Der Antrag Β sprach sich für das Normativsystem aus, jedoch ohne Diskriminierung der politischen, sozialpolitischen, religiösen und pädagogischen Vereine 2 8 0 . Zurückweisung der Anmeldung und Auflösung der Vereine sollten nur bei Verfolgung eines wirtschaftlichen Zweckes und Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten möglich sein. Der Antrag C stellte sich cum grano salis auf den Standpunkt des Entwurfs, wollte jedoch Einspruch und Anfechtung nur auf politische und religiöse, nicht dagegen auf sozialpolitische und Erziehungsvereine angewandt wissen 281 . Als Rechtsmittel gegen Verwaltungsakte war wie i m Entwurf das Verwaltungsstreitverfahren und i n Ermangelung eines solchen der Rekurs nach §§ 20, 21 Gewerbeordnung vorgesehen. Gegen die Anträge A und Β wandte sich der Staatssekretär des Reichsjustizamts i n einer scharfen Rede 2 8 2 : Er empfinde es unerträglich, wenn nicht von Seiten der Verwaltung gegen Agitationsvereine, die ζ. B. für atheistische Anschauungen, für Abschaffung der Volksschulen oder für kommunistische Lehren Propaganda machten, eingeschritten werden könne. Die Anträge seien daher unannehmbar. Die Verbündeten Regierungen würden i m Falle der Annahme eines dieser Anträge durch die Kommission darauf dringen, das gesamte Gebiet des Erwerbs und Verlusts der Rechtspersönlichkeit wieder aus dem Gesetz zu entfernen und damit insoweit den 1. Entwurf wieder herzustellen. I m gleichen Sinne äußerten sich alle Vertreter der Verbündeten Regierungen 283 . Dennoch beschloß die Kommission i n prinzipieller Abstimmung m i t 13 gegen 8 Stimmen, von der Regelung des Antrags Β auszugehen, wobei jedoch von einer Seite betont wurde, man sei nicht bereit, die Vorlage am Vereinsrecht scheitern zu lassen. Bei der 2. Lesung stimmte die Kommission dann auch mit 16 gegen 5 Stimmen für einen Antrag II., der das Einspruchs- und Auflösungs279 280 281 282 283

Bericht R.T. Kommission, S. 9. Ebenda, S. 10. Ebenda, S . I I . Ebenda, S. 11 ff. Ebenda, S. 13.

C. Das neue Vereinsrecht i n Bundesrat u n d Reichstag

111

recht der Verwaltungsbehörden hinsichtlich politischer, sozialpolitischer und religiöser Vereine wiederherstellte und als Rechtsmittel wiederum das Verwaltungsstreitverfahren pp. vorsah 2 8 4 . Diese Regelung hatte der Staatssekretär Nieberding zuvor als äußerste Grenze der Konzessionsbereitschaft der preußischen Regierung bezeichnet. Nachdem die Reichstagskommission kein liberales Vereinsrecht durchsetzen konnte, wurde folgende Resolution gefaßt: „Der Reichstag wolle beschließen, die Verbündeten Regierungen zu ersuchen, thunlichst bald den Entwurf eines Reichsgesetzes, betreffend die Regelung der Berufsvereine, dem Reichstag vorzulegen 2 8 5 ." A m 19. Juni 1896 begann der Reichstag m i t der 2. Lesung des BGB i n der Fassung der Kommissionsvorlage 286 . Auch hier bildete das Vereinsrecht wieder Gegenstand hitziger Debatten 2 8 7 . Von sozialdemokratischer Seite wurde es i n breiten Stellungnahmen als Klassenrecht gegen die Arbeiter gebrandmarkt, da sich rechtsfähige Arbeitgebervereinigungen unbehindert bilden könnten, während rechtsfähige Gewerkschaften i n der Praxis nicht entstehen würden. Das einzige zeitgemäße System zur Erlangung der Rechtsfähigkeit sei das System freier Körperschaftsbildung, für das die i n der Kommission vertretenen Sozialdemokraten Frohme und Stadthagen 288 auch gestimmt hatten 2 8 9 . Ebenso nahm der Abgeordnete Lenzmann von der Deutschen Freisinnigen Volkspartei scharf gegen das vorgelegte Vereinsrecht Stellung. Er trug vor, daß durch den Sinneswandel des Zentrums i n der Parlamentskommission 290 , wiederum das reaktionäre Vereinsrecht der Verbündeten Regierungen obsiegt hätte. Lenzmann wies wie schon andere Redner vor i h m darauf hin, daß gerade wegen der Publizität, welche die Vereine durch die Registrierung erhalten würden, staatsgefährdende Assoziationen um Rechtsfähigkeit gar nicht nachsuchen würden, u m sich nicht zu enttarnen. Er schlug vor, das Haus solle die Verbündeten Regierungen dadurch erpressen, daß es nun hier für ein liberales Vereinsrecht votiere 2 9 1 . Dazu rief er vor allem die Abgeordneten des Zentrums auf. Er glaubte, die Regierungen könnten es sich nicht leisten, das ganze BGB am Vereinsrecht scheitern zu lassen, wenn sie das auch zur Einschüchterung der Kommission angedeutet hätten. Ein solcher 284 285 286 287 288 289 290 291

Ebenda, S. 17. Ebenda, S. 18. Sten.Ber., 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895/96, S. 2717 - 3038. Ebenda, S. 2735 - 2748. Berichte R.T. Kommission S. 9 u n d 180. Sten.Ber., ebenda, S. 2735. Das Zentrum verfügte über 6 Mandate i n der Kommission. Sten.Ber., ebenda, S. 2737.

112 3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung und Würdigung

Schritt würde dem gesamten Volksempfinden so stark widersprechen, daß schließlich die Regierungen einlenken müßten. Der Abgeordnete Gröber von der Zentrumsfraktion räumte i n seiner Antwortrede ein, daß sich die Abgeordneten des Zentrums bei der 2. Lesung dem Druck der Regierungen hätten beugen müssen 292 , gab aber auch zu verstehen, daß für die Ängstlichkeit der Bundesregierungen gewisse Gründe sprächen, so daß schließlich der gewählte Mittelweg als der gangbare Kompromiß erschienen sei. Stadthagen griff schließlich erneut i n die Diskussion ein und hob hervor, daß die Sozialdemokraten „keinen Pfifferling" auf die Rechtsfähigkeit der Vereine gäben 2 9 3 . Er kündigte an, daß wie zu Zeiten des Sozialistengesetzes neben dem Gesetz operiert würde. Stumm für die Konservativen bekräftigte erneut, daß die Zubilligung der Rechtsfähigkeit an alle Berufsvereine für seine Partei Grund genug sei, gegen das Gesetz zu stimmen 2 9 4 . Z u Beginn der Lesung des Einführungsgesetzes hatten die Sozialdemokraten zu A r t . 3 E G B G B 2 9 5 die Anträge gestellt, das landesrechtliche Affiliationsverbot für politische Vereine aufzuheben und Berufsvereine von Arbeitnehmern und Arbeitgebern keiner landesgesetzlichen Vorschrift zu unterstellen 2 9 6 . Der Antrag, das Affiliationsverbot aufzuheben 297 , hatte i m Hause Aussicht auf Erfolg. Daraufhin griff der Reichskanzler, Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, i n die Debatte ein und stellte für eine Zeit noch vor Inkrafttreten des BGB zu „Beginn des nächsten Jahrhunderts" 2 9 8 eine Beseitigung des Affiliationsverbotes i n Aussicht. Er empfahl daher die Ablehnung des Antrages. Das geschah auch, nachdem die Fraktionen des Hauses, die zunächst für den Antrag stimmen wollten, den Plan aus der Überlegung, auf die andere A r t schneller zu dem sogenannten Notvereinsgesetz zu kommen, fallen ließen. Es dauerte dann aber bis zum 7. Dezember 1899, bis die Verbündeten Regierungen eine Zustimmung zu dem Notvereinsgesetz ermöglichten 2 9 9 . 292

Ebenda, S. 2741. Ebenda, S. 2741. 294 Ebenda, S. 2744. 295 A r t . 3 E G B G B sah das Inkraftbleiben gewisser landesrechtlicher V o r schriften allgemein vor, während A r t . 55 ff. EGBGB den Ländern Rechte i n bezug auf die Bestimmungen über die juristische Person vorbehielt. 298 Sten.Ber., ebenda, S. 3017. 297 Sogenannter Notvereinsparagraph. 298 Ebenda, S. 3018. 299 Rassow-Born, Akten, S. 128; eine unmittelbare Folge der Aufhebung des Verbindungsverbots w a r die entsprechende Änderung des Parteistatuts der sozialdemokratischen Partei auf dem Parteitag zu Mainz i m Jahre 1900, vgl. 293

Schröder, S. 369 f.

D. K r i t i k der Behandlung durch die politischen Instanzen

113

Hohenlohe hatte zuvor, wohl u m vor dem Reichstag nicht sein Gesicht zu verlieren, i n einem Vortrag beim zögernden Kaiser seinen Abschied i n Aussicht gestellt, falls das Verbindungsverbot nicht aufgehoben würde300. Die sich an die Einzelberatungen anschließende 3. Lesung des BGB i n der Sitzung vom 30. Juni 1896 brachte neben Ausdrücken allgemeinen Bedauerns über die getroffene Vereinsrechtsregelung seitens einiger Abgeordneter keine besonderen Stellungnahmen mehr zum Vereinsrecht. So trat das Vereinsrecht i m K e r n i n der Form, die es durch die 2. Kommission erhalten hatte, m i t den übrigen Vorschriften des Gesetzes am 1. Januar 1900 i n Kraft. D. Kritik der Behandlung des Vereinsrechts durch die politischen Instanzen Die Mehrheit i m Reichstag verhielt sich so, wie man es befürchtet hatte: Sie lehnte das Vereinsrecht des Entwurfs ab, obwohl der noch polizeistaatlichere 1. E n t w u r f gerade m i t Rücksicht auf den Reichstag i n gewisser Hinsicht fortschrittlicher gestaltet worden war. Allgemein verbreitet war der Wunsch, auch für die Arbeiterberufvereine ein passendes Recht zu schaffen. Noch am 31. Januar 1895 war eine Interpellation der Zentrumsabgeordneten Hitze und Lieber an die Verbündeten Regierungen ergangen, w o r i n Auskunft verlangt worden war, welche gesetzlichen Bestimmungen zur Verwirklichung der das Vereinsrecht betreffenden Teile der Februarerlasse i n Aussicht genommen seien und ob der Gesetzentwurf über die Anerkennung der Arbeiterberufsvereine „baldigst" erwartet werden dürfe 3 0 1 . Lediglich die Konservativen, die von Anfang an scharf gegen das liberale Vereinsrecht Stellung bezogen hatten, zögerten nicht, sogleich den Reichstag zu erpressen, indem sie drohten, gegen den ganzen Entw u r f zu stimmen, falls die Linken das Vereinsrecht i n ihrem Sinne umgestalteten 302 . Damit waren die Fronten für die Arbeit i n der Reichstagskommission bereits abgesteckt. Die Regierungen i m Verein m i t den Konservativen 300 301

Rassow-Born, ebenda, S. 127. Rassow-Born, Akten, S. 159.

302 Da ohne die Zustimmung der Fraktion der Konservativen die Annahme des B G B i m Reichstag nicht gewährleistet war, stellte dies einen massiven Schritt dar, i m übrigen wollten die Konservativen das nationale u n d epochale Werk sogar an der Frage des Wildschadenersatzes scheitern lassen, was zeigt, daß ihnen an der Kodifikation nicht sonderlich gelegen war, zumal die H a n delsgesetze bereits vereinheitlicht waren.

8 Kögler

114 3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

erstrebten die unveränderte Annahme des Vereinsrechts, während die Mehrheit i n der Kommission eine Liberalisierung wollte. Aus diesem Grund bildete das Assoziationsrecht auch wieder den Gegenstand heftiger Debatten, wobei i m Vordergrund diesmal ausdrücklich die Absicht stand, den Gewerkschaften die Erlangung der Rechtsfähigkeit ohne besondere Hindernisse zu ermöglichen. Besonders merkwürdig i n der Stellungnahme Nieberdings waren die Ausführungen zur Haltung der 2. Kommission. Sie habe sich nach ihrer ganzen Zusammensetzung nicht i n der Lage befunden, die öffentlichrechtliche und politische Seite der Frage erschöpfend zu würdigen. Erst die Regierungen hätten durch die aufgrund praktischer Erfahrungen notwendigen Korrekturen ein annahmefähiges Vereinsrecht geschaffen. Daß sich die Vereine durch die Vermögensfähigkeit verantwortlicher gerierten, hielt der Staatssekretär für eine unbewiesene Behauptung. I n der jetzigen Lage seien die Regierungen zu keinerlei Risiko bereit. M i t deutlicher Blickrichtung auf die Zentrumsmitglieder innerhalb der Kommission nannte Nieberding als potentiell gefährliche Vereine auch solche, die atheistische Anschauungen verbreiteten und zum Kirchenaustritt aufwiegelten. Gegen solche Assoziationen müsse man Handhaben schaffen. Aufschlußreich ist die Zuordung der 13 für den liberalen Antrag Β abgegebenen Stimmen 3 0 3 . Sie kamen vermutlich von den sechs Zentrumsabgeordneten, den drei Freisinnigen, den zwei Sozialdemokraten und den beiden Mitgliedern der Deutschen Reichspartei, während wohl die vier Konservativen gemeinsam m i t den drei Nationalliberalen gegen eine Änderung des Vereinsrechts votiert haben dürften. Bei der Schlußabstimmung hatte sich dann das B i l d umgekehrt. Für den Antrag C (vergleichbar m i t dem Antrag Plancks i n der 2. Kommission) stimmten nunmehr 16 Abgeordnete, während fünf ablehnten. I n der Hauptsache hatte sich das Zentrum anders besonnen und entgegen seinen Absichten i n der Berufsvereinsgesetzgebung praktisch für den Entwurf gestimmt. Das mag sich zum einen daraus herleiten, daß man befürchtete, bei Ablehnung i n absehbarer Zukunft zu überhaupt keinem Vereinsrecht zu kommen, zum anderen erklärt es sich aus einem „Tauschgeschäft" wegen Entgegenkommens i n anderen Fragen. I n dem Kommissionsbericht heißt es: „Von denjenigen Mitgliedern, von denen die i n erster Lesung angenommenen Anträge Β ausgingen, wurde erkärt, sie erkännten das Entgegenkommen bei den Fragen des persönlichen Eherechts und einigen anderen Punkten dankbar an und seien dadurch zu einem Entgegenkommen auf dem Gebiete des Vereinsrechts bewogen worden, das auch ihnen recht schwer falle, von dem sie aber hoffen 303 j ) e r A n t r a g Β w a r v o m Zentrum formuliert.

D. K r i t i k der Behandlung durch die politischen Instanzen

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dürften, daß das Opfer dem großen nationalen Werk und dessen endlichem Zustandekommen sowie der Befriedigung der großen Mehrheit des Deutschen Volkes m i t dem Inhalte des Gesetzbuchs nicht umsonst gebracht sei 3 0 4 ." Das Zentrum tauschte hier also Entgegenkommen i n Fragen des persönlichen Eherechts gegen Wohl verhalten i n Fragen des Vereinsrechts! Damit war auch das Schicksal des Vereinsrechts endgültig besiegelt. Die Regierungen hatten nur ein gewisses Zugeständnis durch die Wiederherstellung des 2. Entwurfs gemacht, das auch die Konservativen akzeptierten. M i t der Einigung zwischen Zentrum, Nationalliberalen und Konservativen als der Parteien, auf deren Zustimmung zum Gesetzbuch es maßgeblich ankam, war die Durchsetzung des beschlossenen Vereinsrechts i m Reichstag sicher gewährleistet. Wie zur Beruhigung des Gewissens der Zentrumsabgeordneten schien die bei dieser Gelegenheit erneut an die Adresse der Verbündeten Regierungen gerichtete Resolution, nun endlich für die Verabschiedung eines Berufsvereinsgesetzes einzutreten 3 0 5 . Die Sozialdemokratie konnte den Vereinsrechtsbeschluß propagandistisch leicht ausschalten. Für sie war er wieder die Bestätigung, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber nach zweierlei Maß behandelt würden, was nur den Nimbus der Märtyrerhaltung verstärkte 3 0 6 . Eine A n t w o r t auf die oben bezeichnete Resolution des Reichstages ging erst i m Jahre 1898 ein: „Der Bundesrat lehnte (in seiner Sitzung vom 26. September 1898) einstimmig alle Reichstagsanträge wegen einheitlicher Regelung der Rechtsverhältnisse der Beruf s vereine ab 3 0 7 ." Ursprünglich hatte Preußen den Beschluß dahin formulieren wollen, daß die Reichstagsanträge nur „zur Zeit" abgelehnt würden. Hierin deutete sich schon ein Umschwung der unnachgiebigen Haltung Preußens i n Fragen des Vereinsrechts an. Zwar stand der Kaiser weiterhin allen Schritten i n diese Richtung ablehnend gegenüber 308 , jedoch wurden auf niedrigerer Ebene neue politische Bewegungen eingeleitet. Insbesondere der Staatssekretär des Reichsamts des Innern, Posadowksy, 304

Bericht R.T. Kommission, S. 16. Sicherlich interessant wäre es geworden, w e n n der Reichstag mehrheitlich, wie i n 2. Lesung vorgeschlagen, gegen das Vereinsrecht gestimmt hätte u n d damit die Reichsregierung gezwungen hätte, zu offenbaren, welche Zugeständnisse i h r das Inkrafttreten des B G B w i r k l i c h wert gewesen wäre. 306 Vgl. Bebel, Neue Zeit, S. 581 f. 307 Gesandtschaftsbericht des stellvertretenden württembergischen Bundesratsbevollmächtigten, Rassow-Born, Akten, S. 160; ein Bedürfnis dazu v e r mochte von einem großen T e i l der Verbündeten Regierungen nicht anerkannt werden, Töpfer, S. 153. 308 Gesandtschaftsbericht des badischen Gesandten v o m 20. 6. 1899, RassowBorn, ebenda, S. 120 f. 305

s*

116 3. Teil: Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

kann seit dem Scheitern der Zuchthausvorlage (1899) als der Verfechter der neuen Ideen betrachtet werden. Von diesem Zeitpunkt an trat er die Nachfolge des ersten bedeutenden Sozialreformers, Freiherrn von Berlepsch, an. Gegenüber Berlepsch, der allein das Handelsressort innehatte, besaß Posadowsky eine ungleich stärkere Position, denn er war Stellvertreter des Reichskanzlers. Als solcher war er der faktische Leiter der inneren Reichspolitik, denn sowohl Hohenlohe als auch Bülow ließen i h m i n hohem Maße freie Hand i n der Innenpolitik 3 0 9 . Sichtbar wurde Posadowskys Eintreten für das Zugeständnis der juristischen Persönlichkeit an die Berufsvereine i m Oktober 1899, als er vor einem Inkrafttreten des Vereinsrechts des BGB i n der beschlossenen Form warnte. Dabei leiteten i h n einmal taktische Überlegungen, denn wie erwähnt wollte das Zentrum der Zuchthausvorlage nur gegen Fortschritte i n bezug auf die Rechtsfähigkeit der Arbeiterberufsvereine zustimmen 3 1 0 , zum anderen dürfte er aber auch aus Überzeugung für ein Gewerkschaftsgesetz eingetreten sein. „Da über diesen Gegenstand die Rechtslage völlig verändert ist", forderte der badische Gesandte neue Instruktionen zu dieser Frage an. Obwohl noch nicht drei Jahre seit dem letzten entschiedenen Votum Badens i n dieser Angelegenheit verstrichen waren, erfolgte nunmehr auch von badischer Seite eine weit gemäßigtere Instruktion, welche die bedingte Zustimmung Badens zu einem derartigen Gesetz bei Beachtung einiger Kautelen i n Aussicht stellte 3 1 1 . Seit den Debatten i m Reichstag hatte sich aber die Rechtslage i n Sachen des Gewerkschaftsrechts nicht „völlig" verändert, so daß die nunmehr eingeschlagene Linie deutlich machte, wie wenig kritisch die Regierungen und das Reich damals die Gefahren, die von einem liberalen Vereinsrecht hätten ausgehen können, untersucht hatten und wie wenig entschlossen ihre Haltung war. Geradezu grotesk erscheint die Tatsache, daß der Reichskanzler zusammen m i t Posadowsky noch vor Inkrafttreten des BGB bei einem gemeinsamen Vortrag beim Kaiser das Vereinsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs als für Arbeiter i m „äußersten Grade gehässig" und zu dem „schärfsten Klassengegensatz" führend bezeichneten, während doch gerade die Vertreter des Reiches und der Regierungen dieses Vereinsrecht maßgeblich gewünscht und mitgestaltet hatten 3 1 2 . Z u einer Ände-

309 Rassow-Born, ebenda, S. 129. 310 I m Reichstag führte Posadowsky am 20. 11. 1899 aus, er lehne den v o m Z e n t r u m geforderten Ausbau des Koalitionsrechts nicht ab, müsse aber stärkere Sicherungen gegen Mißbrauch verlangen, Steinhagen, S. 56. 311 Rassow-Born, ebenda, S. 122 (23.10.1899). 312 Zusätzlich hatte Posadowsky dem Kaiser noch die Vorteile rechtsfähiger Berufsvereine wegen ihrer größeren Publizität u n d ihrer verschärften H a f tung, die zu größerer Verantwortlichkeit führen würde, geschildert.

D. K r i t i k der Behandlung durch die politischen Instanzen

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rung des BGB noch vor Inkrafttreten kam es jedoch nicht, erst sollten praktische Erfahrungen gesammelt werden 3 1 3 . Teilweise verständlich w i r d der krasse Meinungsumschwung bei Berücksichtigung der Tatsache, daß die Regierung vor allem der Zustimmung des Zentrums zu dem Flottengesetz Priorität einräumte und deshalb Entgegenkommen zeigte. Andererseits w i r d immer deutlicher, daß von verschiedener Seite erkannt worden war, daß der bislang beschrittene Weg zur Integration der Arbeiterklasse i n die Gesellschaft i n eine Sackgasse geführt hatte und nach neuen Möglichkeiten gesucht werden mußte. Die Differenzen i n den Auffassungen zwischen den nunmehr progressiven Führungen des Reichs und des Preußischen I n nenministeriums einerseits und den konservativen Regierungen andererseits zeigte m i t aller Deutlichkeit eine Ausschußberatung i m Bundesrat über die sogenannten Interpellation T r i m b o r n 3 1 4 . Während die überwiegende Mehrheit jede Konzession ablehnte, „solange der jetzige Terrorismus der Sozialdemokraten herrscht", sprach sich w o h l zum Erstaunen der Ausschußmitglieder Posadowsky ganz entschieden für die Verleihung der Rechtsfähigkeit an Arbeitervereine unter Berücksichtigung einiger Kautelen aus und empfahl den Bundesratsbevollmächtigten, ihren Regierungen „dringend ans Herz zu legen", wie wichtig es sei, nicht dann Entgegenkommen zu zeigen, wenn der Terrorismus der Sozialdemokraten aufgehört habe, sondern schon vorher, u m der Sozialdemokratie den Nährboden zu entziehen 315 . Daß diese Ansicht ausdrücklich als die des Reichskanzlers und die eigene, nicht die des Preußischen Staatsministeriums bezeichnet wurde, zeigt überdeutlich den Umdenkungsprozeß der Regierungen. Auch von württembergischer Seite wurde neuerdings eine Änderung der bisherigen Gewerkschaftspolitik gefordert 3 1 6 . I n der Arbeiterbewegung, so hieß es, träfen zwei große Bewegungen zusammen, einmal die revolutionäre Sozialdemokratie und zum anderen die wirtschaftlich orientierte Gewerkschaftsbewegung. Die letztere gelte es zu fördern, damit an die Stelle der haltlosen Utopien der Partei die nüchterne und 318 I n einem Rundschreiben v o m 2. 1. 1903 an die Regierungen sollte u. a. geklärt werden, ob Berufsvereine v o n der Möglichkeit der Erlangung der Rechtsfähigkeit Gebrauch gemacht hätten, was jedoch fast nirgendwo der F a l l war. 314 Der Zentrumsabgeordnete hatte wiederum unter Hinweis auf die Februarerlasse des Jahres 1890 Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Gewerkschaften gefordert; Rassow-Born, ebenda, S. 167 (Datum der Beratung: 5. 1. 1904). 815 Seit der Jahrhundertwende hatte man sich mehr u n d mehr daran gewöhnen müssen, i n der Sozialdemokratie schlechthin die Vertretung der A r beiterschaft zu erblicken. 316 Denkschrift des Innenministers v o m 15. 1. 1904, Rassow-Born, Akten, S.172.

118 3. T e i l : Vereinsrecht des B G B — historische Darstellung u n d Würdigung

fruchtbare Tätigkeit der beruflichen Interessenvertretungen der Arbeiter trete. Sogar öffentlich-rechtliche Vertretungen, sogenannte Arbeiterkammern, wie sie anderen Berufszweigen m i t den Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern, etc. bereits zugestanden waren, wurden i n Vorschlag gebracht. Die Initiative Posadowskys führte schließlich bei den Regierungen zum Erfolg. Anders als einige Wochen zuvor, sprach sich nunmehr die überwiegende Mehrheit der Regierungen für eine positive Behandlung der Interpellation des Zentrumsabgeordneten Trimborn aus. N u r das Königreich Sachsen und Hamburg als „Hochburgen" sozialdemokratischer Agitation beharrten auf ihrer ablehnenden Haltung, was erneut beweist, wie sehr die Sozialdemokratie nicht nur Motor, sondern auch Prüfstein für sozialpolitischen Fortschritt war; denn alle Sozialgesetzgebung kam den Arbeitern und damit auch den Sozialdemokraten zugute. Dies führte dann zwangsläufig zu der verhängnisvollen Entwicklung, daß allgemein als notwendig erkannte Maßnahmen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts unterblieben, w o m i t wiederum die Verbitterung der Arbeiter, die sich infolgedessen der sozialdemokratischen Bewegung anschlossen, einherging. Aufgrund der Zustimmung der Bundesregierungen wurde ein Spezialgesetzentwurf betreffend die gewerblichen Berufsvereine ausgearbeitet. Das Geheimschreiben des Reichskanzlers an die Verbündeten Regierungen vom 5. J u l i 1904 über Grundzüge und Begründungen des Gesetzes liest sich wie ein Eingeständnis jahrelang verfehlter P o l i t i k 3 1 7 . Zunächst wurde i n kurzen Züge die Geschichte des Berufsvereinsgesetzes dargestellt, woraus erhellt, wie jedesmal parlamentarische I n i t i a t i ven, zuletzt zumeist von seiten des Freisinns und des Zentrums, den Anstoß zur Beratung der Frage gaben. Aber auch die verstärkten Petitionen der Gewerkschaften, zuletzt die des „Ersten Deutschen Arbeiterkongresses" nicht-sozialdemokratischer Gewerkschaften (1903), hatten die Entwicklung maßgeblich beeinflußt. Sodann ging der Reichskanzler auf die Kernprobleme eines reichsgesetzlichen privaten Vereinsrechts ein. Eine rein dilatorische Behandlung der Frage sei unangemessen. „Gegenüber den sehr realen und unmittelbaren politischen Nachteilen, die ein solches Verhalten notwendig i m Gefolge haben würde, können bloße, ganz allgemein gehaltene Bedenken dahin, daß unter den heutigen Verhältnissen jede Stärkung der Machtbefugnisse der Beruf s vereine mißlich sei, nicht mehr durchschlagen. Sie können dies umsoweniger, als i n der Tat anerkannt werden muß, daß die Zusagen der Kaiserlichen Februarerlasse noch nicht voll eingelöst sind und daß den Arbeitern nicht auf die Dauer das versagt werden kann, was anderen Ständen 317

Rassow-Born, ebenda, S. 179 ff.

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bereits gewährt i s t 3 1 8 . " I n dem Schreiben wurde dann weiter ausgeführt, daß nunmehr i m einzelnen festzustellen sei, w o r i n i n Wirklichkeit die „zu besorgenden Übelstände" einer erweiterten Rechtsfähigkeit lägen (!). Ferner gab der Reichskanzler seiner Meinung Ausdruck, „daß die seither gegen eine Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse der Berufsvereine geltend gemachten politischen und wirtschaftlichen Bedenken teils unbegründet, teils weit über Gebühr bewertet worden seien". I n der Einzelbegründung des vorgesehenen Entwurfs rückte man dann auch expressis verbis von den i n den Motiven niedergelegten Bedenken der 1. Kommission gegen ein liberales Vereinsrecht ab; denn sie haben einen „besonders zurückhaltenden Standpunkt" vertreten 3 1 9 . Dieser Standpunkt lag aber, wie man nicht offen zugeben wollte, auf der damaligen offiziellen politischen Linie. Es ist nicht ohne Bedauern festzustellen, daß der Regierungsentwurf, der zum erstenmal m i t Sinn für die Realität unter kritischer Würdigung der Vor- und Nachteile der Rechtsfähigkeit für Gewerkschaften zustande gekommen war, vom Reichstag schlichtweg abgelehnt wurde. Zwar waren die aufgenommenen Kautelen immer noch von einer besonderen Ängstlichkeit geprägt, dennoch hätte sich auf der Basis dieses Entwurfs eine Gemeinsamkeit i m Reichstag herstellen lassen. Die politischen Schwankungen i n Fragen des Verhältnisses des Staates zur Sozialdemokratie haben sich demnach auch mittelbar auf das Vereinsrecht ausgewirkt und bieten sich dem späteren Betrachter als ZickZack-Kurs dar 3 2 0 . Es w a r daher mehr zufällig, daß nicht gerade eine sozialreformerische Periode das Vereinsrecht prägen konnte. Bedenkt man einerseits, wie wenig grundsätzlich die Ablehnung eines liberalen Vereinsrechts w a r 3 2 1 und wie zudem alle Mitarbeiter am Entwurf den provisorischen Charakter des neugeschaffenen Vereinsrechts betonten und andererseits wie überaus lange die unpraktikablen Vorschriften fortgalten, so erhellt, daß hier letztlich Zufälle über die Fassung des Gesetzes entschieden haben, Zufälligkeiten, deren spätere notwendige Korrektur durch die Rechtsprechung, zumal da sie contra legem erfolgen mußte, unendlich viel Schwierigkeiten bereitet hat.

318 819

Rassow-Born, ebenda, S. 182. Rassow-Born, ebenda, S. 198.

320 Gewissermaßen ursächlich f ü r die Schwankungen w a r natürlich auch die äußere Entwicklung; so nach 1900, als die Sozialdemokratie sich i n Teilen etwas gemäßigter darbot. Das k a n n aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es kein klares auf längere Zeit vertretenes Konzept gegeben hat. Die sozialpolitischen Entscheidungen waren vielmehr seit Bismarck eine lange Reihe von adhocEntschlüssen, trotz gelegentlicher Formulierung i n den Programmerlassen. 321 Jedenfalls seitdem die 2. Kommission die Arbeit aufgenommen hatte.

Vierter

Teil

Die Entwicklung des Rechts der nichtrechtsfähigen Vereine seit Inkrafttreten des BGB 1. Überblick über die erste Phase der Rechtsangleichung bis 1925 Schon bald nach Inkrafttreten des BGB erwies sich, was unschwer hätte vorausgesehen werden können: Die „naive L i s t " 1 des Gesetzgebers schlug fehlt; das Leben ließ sich seinen Lauf nicht durch den Buchstaben des Gesetzes vorschreiben. Die Einsicht i n die Notwendigkeit einer Registrierung der Vereine hatte sich nicht, wie die zweite Kommission erwartet hatte, mehr und mehr eingebürgert, sondern schon bald nach Inkrafttreten des BGB überstieg die Zahl der „neuen" nichtrechtsfähigen Vereine die der rechtsfähigen bei weitem, obwohl der Beitritt zu einem nichtrechtsfähigen Verein haftungsrechtlich einem „unverantwortlichen Leichtsinn" 2 gleichkam. Lehre und Rechtsprechung versuchten daher schon bald nach Inkrafttreten der neuen Vorschriften, die Rechtsverhältnisse der nichtrechtsfähigen Vereine erträglich auszugestalten 3 . Den Ansatzpunkt dazu hatte der Gesetzgeber selbst beigesteuert, indem er i n den Protokollen auf den dispositiven Charakter der meisten Vorschriften des Rechts der BGB-Gesellschaften hinwies 4 . Unabdingbar sollten jedoch insbesondere die haftungsrechtlichen Normen des Gesellschaftsrechts sein, so daß die zweite Kommission mehrheitlich offenbar von der Annahme ausging, sogar eine ausdrückliche Beschränkung der Haftung aller Mitglieder oder der Vollmacht des Vorstandes bis zur Höhe des Gesellschaftsvermögens sei nicht möglich, 1 Haupt-Reinhardt, Gesellschaftsrecht, zit. nach Soergel-Siebert-SchultzeV. Lasaulx, § 54, A n m . 5. 2 So formulierte es Gierke, Vereine ohne Rechtsfähigkeit, S. 38, schon i m Jahre 1900 u n d gab i n der vielzitierten kleinen Schrift Hinweise, wie eine V e r einssatzung aussehen müßte, u m die schlimmsten Folgen der nichtrechtsfähigen Vereine unter Gesellschaftsrecht abzumildern. 3 E i n T e i l der L i t e r a t u r hatte zwar ursprünglich vertreten, der nichtrechtsfähige Verein sollte tatsächlich zur Gesellschaft gemacht werden, Zitate bei Stoll, S. 56, jedoch wurde diese Lehre von der Praxis zur Vermeidung unerträglicher Folgen alsbald überwunden. 4 Mugdan, I, S. 642, die meisten Vorschriften waren durch Satzungsbestimmungen abdingbar.

1. Erste Phase der Hechtsangleichung

121

sondern nur durch die Wahl anderer „moderner Gesellschaftsnormen" 5 zu erreichen. Aus allem ergibt sich, daß die gesetzgebenden Faktoren damals m i t voller Absicht die ungeeigneten Gesellschaftsnormen durch § 54 BGB „strikte" zur Anwendung gebracht wissen wollten 6 ; den Vereinen ohne Rechtsfähigkeit sollte insbesondere der Vermögenserwerb so schwer als möglich gemacht werden. Trotz dieser eindeutigen Motivation des Gesetzgebers, mußte die Rechtsprechung schon alsbald mühevoll Kriterien zur Unterscheidung von nichtrechtsfähigen Vereinen und Gesellschaften entwickeln 7 , da der Anwendungsbereich des Gesellschaftsrechts für Vereine immer mehr eingeschränkt wurde. Durch die Einschränkung entstanden gerade wieder die Schwierigkeiten, welche die 2. Kommission aufgrund der schlechten Erfahrungen i m Geltungsbereich des Gemeinen Rechts hatte vermeiden wollen. Die Kommission und besonders Gebhard waren gegen irgendwelche Zwitterbildungen nach dem Vorbild der erlaubten Privatgesellschaften des ALR, der modifizierten Sozietäten oder der deutschrechtlichen Genossenschaften energisch eingetreten, so daß es nach dem Gesetz folgerichtig auch nur rechtsfähige Vereine und nichtrechtsfähige Gesellschaften gab, während die Bedürfnisse der Praxis schon bald wieder zur Rückkehr zum vormaligen Rechtszustand nötigten 8 . Einzelne Unterscheidungsmerkmale von allgemeiner Gültigkeit zur Abgrenzung von nichtrechtsfähigem Verein und Gesellschaft sind bis heute noch nicht erarabeitet und bestehen wohl auch nicht. Es kommt vielmehr auf das gesamte Erscheinungsbild an, wobei vor allem körperschaftliche Organisation, idealer Zweck, große Mitgliederzahl und lange Dauer für einen nicht rechtsfähigen Verein sprechen. Nach einer vielfach zitierten Definition von Boehmer ist der nichtrechtsfähige Verein eine „überindividuelle Verbandsperson", die Gesellschaft dagegen ein „interindividueller Personenverband" 9 . Die schnellste und weitestgehende Angleichung des Rechts der nichtrechtsfähigen Vereine an das der rechtsfähigen vollzog die Praxis auf dem Gebiet des inneren Vereinslebens. Schon die 2. Kommission ging davon aus, daß regelmäßig bei nichtrechtsfähigen Vereinen m i t korporativer Verfassung ein stillschweigender Satzungsbeschluß des Inhalts, 5 Mugdan , I , S. 641, Wissenschaft u n d Praxis sollten keine Handhabe finden, einzelne Sätze des Gesellschaftsrechts umzudeuten u n d damit „alles ins U n gewisse" zu stellen, Stoll, S. 52.

6

7

Stoll, S. 52.

Vgl. etwa die wenig einleuchtende langatmige Definition i n RGZ, Bd. 60, S. 94 ff. (1905). 8 Auch das hatte Gierke, ebenda, S. 12 schon i m Jahre 1900 vorausgesagt: „Diese Unsicherheit ist n u n freilich durch das System des B G B beseitigt, taucht aber an anderer Stelle i n neuer Gestalt wieder auf." 9

Boehmer, S. 169.

122

4. T e i l : Die Entwicklung der nichtrechtsfähigen Vereine

daß der Verband auch bei Ausscheiden von einzelnen Mitgliedern fortbestehen solle, zu unterstellen sei 10 . Das Institut der stillschweigenden Vereinbarung wurde sodann von der Rechtsprechung i n weitem Umfang genutzt, um die Verhältnisse der Korporation zu ihren Mitgliedern zweckmäßig zu gestalten 11 . Etwa ein Viertel] ahrhundert nach Inkrafttreten des BGB konnte das Reichsgericht programmatisch aussprechen 12 , daß infolge der körperschaftlichen Organisation, die Vorschriften über die körperschaftliche Verfassung rechtsfähiger Vereine „insoweit" auch auf die Vereine ohne Rechtsfähigkeit anzuwenden seien. Damit waren hinsichtlich des Wechsels der Mitglieder, der Mehrheitsentscheidungen, der Vereinsautonomie, des Ausschlusses des Auseinandersetzungsanspruchs — mit der Folge, daß eine Auflösung des Vereins durch einen Gläubiger ausgeschlossen war — um nur die wichtigsten Kriterien zu nennen, rechtsfähiger und nichtrechtsfähiger Verein gleichgestellt 13 . Darüber hinaus hatte das Reichsgericht i n einer aufsehenerregenden Entscheidung dem nichtrechtsfähigen Verein sogar die Fähigkeit zugesprochen, Träger von Persönlichkeitsrechten, insbesondere des Namensrechts zu sein 14 . Die Angleichung des Rechts der nichtrechtsfähigen Vereine an das der rechtsfähigen ging auf manchen Gebieten so rasch, daß bereits 1910 das revolutionäre Wort fiel, der nichtrechtsfähige Verein befinde sich „auf dem Wege zur Rechtsfähigkeit" und von anderen nach Beseitigung der „anstößigsten" Vorschriften von einer „juristischen Teilpersönlichkeit" des nichtrechtsfähigen Vereins gesprochen wurde 1 5 . Die Gesetzes treue des deutschen Richter turns erwies sich jedoch i m weiteren Verlauf „stärker als alle Lockungen der oft stürmischen Theorie", so daß die Entwicklung „auf halbem Wege steckenblieb" 10 . Schwierigkeiten bereiteten vor allem die Umdeutung und Angleichung der Gesellschaftsvorschriften über die Haftung der Mitglieder gegenüber Dritten 1 7 und die eigens für den nichtrechtsfähigen Verein erlassenen 10

Mugdan , I, S. 642. Nach Stoll, S. 79, pflegt die byzantinische Lieblingsvorstellung des pactum taciturn immer dann rettend zu erscheinen, w e n n m a n die wahren Gründe des Abgehens v o m Gesetz noch nicht erkannt hat oder nicht nennen darf. 12 I n L.Z. 1922, S. 12; auch schon Warn. 1917, Nr. 263. 13 I m einzelnen Stoll, S. 58 ff., Breitbach, S. 26 ff., Habscheid, S. 391. 14 RGZ Bd. 78, S. 101 ff. (1911); auch gewerbliche Schutzrechte wie Patent-, Warenzeichen-, Geschmacks- u n d Gebrauchsmusterrechte können dem Verein zustehen. 15 I m einzelnen m i t Nachweisen Boehmer, S. 173. 16 Stoll, S. 57. 17 Daß die Mitglieder nicht solidarisch haften können, erscheint angesichts des idealen Zweckes und der tatsächlichen Gegebenheiten naheliegend. Verein u n d Gesellschaft sind eben „konträre Gegensätze, wenngleich m i t allmählichen Übergängen" wie Neubecker, S. 19, formulierte. Die Grundsätze des 11

1. Erste Phase der

echtsangleichung

123

Bestimmungen über die Haftung des für den Verein Handelnden, § 54 BGB, seine Prozeß- und Konkursfähigkeit, § 50 Abs. 2 ZPO, § 123 K O und seine Rechtsstellung i n der Zwangsvollstreckung, § 735 ZPO. Zu Beginn erleichterte vor allem die Rechtskonstruktion der Gesamthandsgemeinschaft eine Annäherung des nichtrechtsfähigen Vereins an die Verhältnisse der juristischen Person ganz erheblich. Die Gesetzesväter dürften nicht i n voller Klarheit erkannt haben, wie sehr die Gesellschaft nach dem deutsch-rechtlichen Gesamthandsprinzip personenrechtlich orientiert ist und i m Vergleich zur rein obligatorischen römisch-rechtlichen Gesellschaft 18 . Zwar steht nach dem Gesetz das Gesamthandsvermögen allen Mitgliedern der Gesamthandsgemeinschaft gleichermaßen zu, jedoch ist es beim Verein wegen der fehlenden Verfügungsgewalt des einzelnen und des konkludent wegbedungenen Auseinandersetzungs- und Abfindungsanspruchs wie eine isolierte Vermögensmasse aufzufassen und damit einem selbständigen Surrogat, dem auch ohne Schwierigkeiten Rechtspersönlichkeit zugelegt werden könnte, sehr nahe 19 . So bildete sich schon bald eine wesentliche Änderung zum Gesellschaftsrecht heraus insoweit, als man die gesamtschuldnerische Verpflichtung der Vereinsmitglieder für die rechtsgeschäftliche Haftung als auf das Vereinsvermögen beschränkt auffaßte. Nur diese Beschränkung werde den tatsächlichen Gegebenheiten des Lebens gerecht, w e i l sich die Mitglieder idealer nichtrechtsfähiger Vereine, bei denen geschäftliche Betätigung nur Nebensache sei, allenfalls i n Höhe ihrer Beitragspflicht binden wollten 2 0 . Die juristische Konstruktion dieses § 714 BGB i. V. m i t § 427 BGB widersprechenden Ergebnisses machte jedoch wie alle Schritte der Angleichung des nichtrechtsfähigen Vereins an die juristische Person der eingetragenen Vereine ganz erhebliche Schwierigkeiten. Während i n neuerer Zeit die Beschränkung ganz einfach wie oben erwähnt aus den Gegebenheiten des nichtrechtsfähigen Vereins als „Nicht-BGB-Gesellschaft" hergeleitet wird, arbeiteten früher Rechtsprechung und Lehre m i t einer — möglicherweise auch konkludent — vereinbarten Beschränkung der Haftung auf das Vereinsvermögen oder m i t einer satzungsmäßigen Vollmachtsbeschränkung, die Vertragsverhältnisses, der Einstimmigkeit u n d der gemeinschaftlichen Geschäftsführungsbefugnis widersprechen evident dem Körperschaftsprinzip. Die persönliche Haftung der Vereinsmitglieder gefährdete diese u m so mehr, als i n dubio die Vertretungsmacht der Geschäftsführer der Gesellschaft so w e i t reicht, als ihre Geschäftsführungsbefugnis u n d regelmäßig sämtliche Beteiligten Geschäftsführungsbefugnis besitzen. 18 Gierke , Vereine ohne Rechtsfähigkeit, S. 13. 19 M a n denke n u r an die Rechtskonstruktion der Stiftung oder an die Theorien zur juristischen Person, die teilweise als i h r Wesen die selbständige V e r mögensmasse auffassen, vgl. Beseler, S. 139, der jede „Samthand" f ü r w e i t gehend rechts- u n d pflichtfähig hielt. 20 So Boehmer, S. 179; R G J W 1907,136, Nr. 16.

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4. T e i l : Die Entwicklung der nichtrechtsfähigen Vereine

den Vorstand nur zu einer Verpflichtung der Mitglieder m i t dem Vereinsvermögen ermächtigte. Beide Begründungen sind nicht überzeugend, da einmal der Dritte gerade i m Vertrauen auf die Kreditwürdigkeit einzelner Mitglieder sich vielleicht gar nicht auf eine Beschränkung der Haftung auf das Vereinsvermögen eingelassen hätte und er sich diese außerdem auch mangels Erkennbarkeit gar nicht entgegenhalten lassen müßte 2 1 . Schwieriger noch als bei der rechtsgeschäftlichen Haftung erwies sich eine interessengerechte Ausgestaltung bei der Haftung der Vereinsmitglieder und dessen Vereinsvorstandes für deliktische Handlungen. Während die Lehre schon frühzeitig und heute nahezu einhellig eine unumschränkte Anwendung des § 31 BGB auch für nichtrechtsfähige Vereine fordert, ist die Rechtsprechung bislang noch nicht zu einer einheitlichen Auffassung i n dieser Frage gelangt 22 . Überwiegend hält die Judikatur die Anwendung des § 831 BGB für unerlaubte Handlungen des Vorstandes geboten, wobei eine Beschränkung auf das Vereinsvermögen ausgeschlossen sein soll. Der Entlastungsbeweis soll grundsätzlich möglich sein, wobei jedoch bestritten wird, ob es genügt, daß ein einzelnes Mitglied sich exkulpieren kann oder jeder einzelne sich exkulpieren muß und ob den Mitgliedern culpa i n eligendo oder custodiendo vorwerfbar ist 2 3 . I m einzelnen gehen noch heute die Gerichtsurteile auseinander, wenn es auch den Anschein hat, daß der Bundesgerichtshof, ohne allerdings ausdrücklich zu der Frage Stellung zu nehmen, i n zwei neueren Entscheidungen zur Anwendung des § 31 BGB m i t der Beschränkung auf das Vereinsvermögen hinneigte 2 4 . Die Anwendung des § 31 BGB auch auf Vereine ohne Rechtsfähigkeit w i r d sich jedoch u m so dringlicher erweisen, je mehr diesen Vereinen i n Wirklichkeit die Rechte juristischer Personen zugestanden werdein. I n diesem Fall wäre es nur gerecht und zum Schutze des Verkehrs erforderlich, die Korporationen m i t ihrem Vermögen für unerlaubte Handlungen des Vorstandes einstehen zu lassen, zumal § 31 BGB sogar auf die weit weniger korporativ ausgerichtete OHG, ohne daß dies zu

21 I m einzelnen zum F ü r u n d Wider der gekünstelten Begründungen Stoll, S. 79 f., Boehmer, S. 179 f. 22 Vgl. Soergel-Siebert-Schultze-v. Lasaulx, § 54, A n m . 40, Palandt-Danckelmann, § 54, 2 A d. 23 Ebenso bestritten ist, ob der Entlastungsbeweis gewöhnlich m i t Aussicht auf Erfolg geführt werden k a n n oder nicht. Nach Palandt-Danckelmann, ebenda, soll der Entlastungsbeweis fast immer gelingen, da der Vorstand das Del i k t nicht „ i n Ausführung der Verrichtung" u n d zudem nicht „bestellt" begehen w i r d , während Stoll, S. 64 ff., unter Hinweis auf die Praxis meint, der E n t l a stungsbeweis könne regelmäßig nicht erbracht werden. 24 Β GHZ Bd. 50, S. 325 ff. (329), Β GHZ Bd. 42, S. 210 (221), die Entscheidungen betreffen die Gewerkschaften u n d nehmen hauptsächlich zur Frage der aktiven Parteifähigkeit der Gewerkschaften Stellung.

1. Erste Phase der

echtsangleichung

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besonderen Unzuträglichkeiten geführt hätte, gewohnheitsrechtlich A n wendung findet. Eine ganz besondere, allen sonstigen Haftungs- und Vertretungsregeln widersprechende Vorschrift ist die persönliche Haftung des Handelnden gem. § 54, S. 2 BGB für Geschäfte, die er i m Namen des nichtrechtsfähigen Vereins abschließt. Hier haftet unter Abweichung von den an sich einschlägigen Vorschriften über den Vertreter ohne Vertretungsmacht — §§ 177 ff. BGB — jeder für den Verein Handelnde, ob Mitglied oder nicht, selbst dann, wenn er Vertretungsmacht hatte, sie offenbarte und den Vertretenen wirksam verpflichtete. Dies kann dazu führen, daß der Angestellte einer Studentenverbindung für die Bezahlung von Schulden, die er i m Namen des Vereins kontrahierte, herangezogen w i r d oder der Vertreter einer Gewerkschaft, der einen Tarifvertrag abzeichnet, persönlich für Schäden aufkommen muß, den später Arbeitnehmer durch Streik — möglicherweise gegen seinen Willen — anrichten. So bezeichnete Beseler 25 die Vorschrift dann auch als irrationale Norm, der man den Gehorsam verweigern müsse. I n diesem Sinne hat auch die Rechtsprechung § 54, S. 2 BGB einschränkend ausgelegt, die Lehre seine A n wendung teilweise ganz verworfen 2 6 . Eine Einschränkung war jedoch wegen des zwingenden Charakters der N o r m nur insoweit möglich, als die Person des Handelnden auf den unmittelbar bei Geschäftsabschluß Tätigen beschränkt wurde, während eine stillschweigende Begrenzung der Haftung aus § 54, S. 2 BGB für unmöglich erachtet wurde 2 7 . Neben Fragen der Haftung w a r und ist insbesondere der Vermögenserwerb bei Vereinen ohne Rechtsfähigkeit lebhaft umstritten. Zwar ist anerkannten Rechtes, daß ein Gesamthandsvermögen selbständig gemäß dem Willen der geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter — das ist der Vorstand — am Rechtsverkehr teilnehmen kann, jedoch ergeben sich Schwierigkeiten immer dann, wenn besondere Rechtsformen für den Vermögenserwerb notwendig sind. Insbesondere ist umstritten, ob der nichtrechtsfähige Verein als solcher durch Schenkung oder Verfügung von Todes wegen Vermögen erwerben kann und wie dies gegebenenfalls juristisch zu konstruieren ist 2 8 . A m meisten praktisch und daher auch wieder Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen, die seit Inkrafttreten des BGB andauern, ist der 25

Juristische Miniaturen, S. 139. Die Vorschrift zeigte typisch, daß der Gesetzgeber den nichtrechtsfähigen Verein f ü r ein Vertrauens- u n d kreditunwürdiges Gebilde hielt, so sehr, daß zugunsten der Gläubiger jeder, der f ü r einen solchen Verein tätig wurde, quasi wie ein Bürge haften sollte. 27 Habscheid, S. 405, m i t Nachweisen. Eine ausdrückliche Haftungsbeschränkung soll möglich sein, sich jedoch noch nicht aus der bloßen Erkennbarkeit, daß n u r der Verein verpflichtet werden sollte, ergeben. 28 I m einzelnen Boehmer, S. 175. 28

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4. T e i l : Die Entwicklung der nichtrechtsfähigen Vereine

Erwerb von Grundvermögen durch die Vereine ohne Rechtsfähigkeit 20 . Die Rechtsprechung war überwiegend der Ansicht, daß dem Erfordernis der Eintragung des Berechtigten 30 durch die Eintragung des Vereins als solchem nicht genügt sei, da der Verein kein Rechtssubjekt sei. Vielmehr müßten sämtliche i m Augenblick der Eintragung vorhandenen Mitglieder unter Angabe des für die Gemeinschaft maßgebenden Rechtsverhältnisses (seil, der Gesamthand) namentlich eingetragen werden 3 1 . Ausdrücklich wurde i n der vorgenannten Entscheidung eine bereits i m Jahre 1905 ergangene Dienstanweisung des Bayerischen Justizministeriums für die Grundbuchämter, nach der bei großen Vereinen m i t voraussichtlich häufigem Mitgliederwechsel die Eintragung der „jeweiligen Mitglieder des nichtrechtsfähigen Vereins X als Miteigentümer zur gesamten Hand" ausreichend sei, für nicht billigenswert erklärt, da sie zu nichtigen Eintragungen führe. I n der Lehre sind viele Vorschläge zur Behebung der Schwierigkeiten erarbeitet worden, während die Praxis sich sehr bald m i t dem Rechtsinstitut der Treuhänderschaft half, was natürlich nicht ohne Risiko war und zu häufig wechselnden Eintragungen führen mußte. Vereinzelt wurden daher eigens zum Grunderwerb zur Umgehung aller Schwierigkeiten Kapitalgesellschaften gegründet 32 . Wie i m Grundbuchrecht die Eintragung der Vereine ohne Rechtsfähigkeit an der formellen Grundbuchstrenge scheiterte, so w i r d auch für das Wechsel- bzw. Scheckrecht eine Zulassung dieser Vereine von der Rechtsprechung überwiegend abgelehnt 33 , weil diese dem formellen Erfordernis der namentlichen oder firmenmäßigen Bezeichnung der aktiv und passiv beteiligten Personen und der materiellen Notwendigkeit 29 Nach dem W i l l e n des Gesetzgebers sollte kein von den jeweiligen M i t g l i e dern losgelöstes Grundvermögen durch den Verein als solchen erworben w e r den. 30 Vgl. § 47 GBO f ü r die Gesamthand. 31 RGZ Bd. 127, S. 311 (312/313); daß dies insbesondere f ü r Massenorganisationen nach Rechtsverweigerung schmeckt, u m ein Zitat Gierkes i m Zusammenhang m i t der fehlenden aktiven Parteifähigkeit zu gebrauchen — Gierke, Vereine ohne Rechtsfähigkeit, S. 45 — liegt auf der Hand. 32 Rosenberg hatte bereits 1903 einen Leitfaden f ü r die Gewerkschaften aufgestellt, m i t dem die größten Schwierigkeiten des neuen Rechts umgangen werden sollten. Auch i n der Begründung des i m Reichstag verworfenen E n t wurfs eines Gesetzes über die Arbeiterberufsvereine (1906) w a r das Werk zitiert als Beweis, daß sich i n p r a x i die Gewerksaften w o h l doch arrangieren w ü r d e n u n d damit die Erwartungen des Gesetzgebers fehlschlügen. Ausnahmsweise ließ der Bundesgerichtshof einmal die Eintragung einer Gründerorganisation einer G m b H unter deren Firmennamen zu, was praktisch nichts anderes war, als die Eintragung eines nichtrechtsfähigen Vereines unter seinen Namen (BGH N J W 1966, 1311 [1313]), das geschah aber w o h l n u r aus p r a k t i schen Gründen u n d n u r f ü r ein Übergangsstadium, u m eine neue Auflassung zu vermeiden. 33 Vgl. RGZ Bd. 112, S. 125, i n neuerer Zeit O L G Koblenz M d R 55, S. 424.

1. Erste Phase der

echtsangleichung

127

ihrer selbständigen Rechts- und Verpflichtungsfähigkeit nicht genügten. I n der Lehre w i r d neuerdings auch die Auffassung vertreten, der Verein sei Wechsel- und scheckfähig 34 . Als letzte wesentliche Abweichung des Rechts der Vereine ohne Rechtsfähigkeit von dem der rechtsfähigen bleibt noch die mangelnde aktive Parteifähigkeit der Vereine als solcher zu erwähnen, während umgekehrt den nichtrechtsfähigen Vereinen neben der Konkurs- und Vollstreckungsfähigkeit durch Novellierung der Zivilprozeßordnung als weiteres „Privilegium odiosum" die passive Parteifähigkeit zugestanden worden war. Diese hat allerdings nicht nur Nachteile, sondern umschließt aufgrund der weitherzigen Anwendung i n der Praxis auch das Recht der Vereine zur Einlegung von Rechtsmitteln, zur Widerklage, zur Inzidentfeststellungsklage und -Widerklage, zur Vollstreckungsgegenklage und Wiederaufnahmeklage, zur Beantragung der Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung und zur Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Vollstrekkung. Somit fehlt i m Prozeß nur das Recht der Vereine zu aktiver Klageerhebung 35 . Dies hat zur Folge, daß der Verein nicht einmal rückständige Mitgliederbeiträge einklagen kann, was zusammen mit der abgelehnten Erbfähigkeit der Vereine deutlich macht, wie schwer die beiden Ziele des Gesetzgebers — Schwächung des Vermögenserwerbs der Vereine einerseits und Gläubigerschutz andererseits — zu vereinbaren waren 8 6 . Der dem Vereinsvorstand von der Rechtsprechung und teilweise auch von der Lehre auferlegte Zwang, i n der Klageschrift sämtliche M i t glieder namentlich aufzuführen 37 , kann zu absurden Folgen führen. Sind die individuellen Personen bei Klageerhebung Vereinsmitglieder, bleiben sie es auch bei Ausscheiden aus dem Verein, während jede Neuaufnahme von Mitgliedern zu einer Klageänderung führen würde 3 8 . Auch für die Rechtskraft, die Kostentragungspflicht und die Möglichkeit, Mitglieder als Zeugen zu vernehmen, können sich groteske Folgen ergeben. Zur Vermeidung solcher Folgen schlug die Lehre teilweise vor, den Vorstand allgemein für befugt zu erachten, i n Vertretung der Gesamtheit der jeweiligen Mitglieder Klage namens des Vereins zu erheben, was von der Judikatur jedoch abgelehnt wurde. Die Praxis half sich wiederum m i t einer Umgehung, indem der Vorstand durch die Satzung zum treuhänderischen Inhaber des Vereinsvermögens erklärt und zur gerichtlichen und außergerichtlichen Inter34

M i t Begründung i m einzelnen Habscheid, S. 403 ff. L a u t Boehmer, S. 185, ist dies allerdings eine „Dekapitierung", Gierke , ebenda, S. 45, sah hierin den Zustand, „der nach Rechtsverweigerung schmeckt". 36 Stoll, S. 55. 37 Vgl. §§ 130, Nr. 1, 253 Abs. 2, Nr. 1 ZPO. 38 Boehmer, S. 185, m i t Nachweisen höchstrichterlicher Rechtsprechung. 35

128

4. T e i l : Die Entwicklung der nichtrechtsfähigen Vereine

essenwahrnehmung ermächtigt wurde. Vielfach arbeitete man auch m i t der Abtretung von Ansprüchen, was insbesondere bei den Persönlichkeitsrechten des Vereins problematisch wird. Das Institut der Prozeßstandschaft, das ebenfalls zur Geltendmachung Vermögens- und nicht vermögensrechtlicher Ansprüche vorgeschlagen war, wurde von der Rechtsprechung i n diesem Zusammenhang nicht anerkannt, da regelmäßig das eigene Interesse des Vorstandes fehle. Die bisher geschilderte Annäherung der nichtrechtsfähigen Vereine an den Status juristischer Personen w a r überwiegend schon bis zum Jahre 1926 erreicht worden. Demgemäß kann man i m Anschluß an Boehmer bezüglich dieser Änderungen von einem derogatorischen Gewohnheitsrecht sprechen 39 . A u f wichtigen Gebieten, insbesondere dem der deliktischen Haftung, des Grundbuchs und dem der Parteifähigkeit w a r aber eine befriedigende Rechtstellung der Vereine ohne Rechtsfähigkeit noch nicht erreicht worden, so daß die Fehlentscheidung des Gesetzgebers — „Musterbeispiel einer von Anfang an verfehlten, bewußt tendenziösen Vergewaltigung der Rechtswirklichkeit" 4 0 die Vereine noch immer zu gefährlichen Umgehungsgeschäften nötigte und nötigt und Rechtsprechung und Literatur i n großem Umfang veranlaßt 4 1 , den Vereinen ohne Rechtsfähigkeit „aus dem Prokrustesbett" des § 54 BGB zu helfen. 2. Die theoretische Arbeit Heinrich Stolls Stoll versuchte aus den genannten Gründen i m Jahre 1929 i n einem vielbeachteten Aufsatz, die Stagnation i n Fragen der Entwicklung des Rechts der Vereine ohne Rechtsfähigkeit zu überwinden, indem er darzulegen versuchte, daß ein Festhalten an der ursprünglichen gesetzgeberischen Entscheidung allgemein nicht mehr vertretbar sei. I m einzelnen führte Stoll aus 4 2 : Der Gesetzgeber habe sich von der Unterstellung der Vereine unter das Gesellschaftsrecht vor allem drei wesentliche Wirkungen versprochen, einmal sollte den unerwünschten und ge39 S. 172, die Änderungen gegenüber dem Gesetz i m Zusammenhang: 1) E n t stehen echter Mitgliedsschaftsrechte u n d Pflichten gegenüber dem Vorstand, 2) Führung u n d Schutz v o n Persönlichkeitsrechten, insbesondere des Namensrechts, 3) Beschränkung der vertraglichen Haftung gegenüber D r i t t e n auf das Vereinsvermögen, 4) Haftung gegenüber dem Verein entgegen § 708 B G B f ü r omnis culpa, 5) K e i n Auseinandersetzungsanspruch bei Ausscheiden v o n M i t gliedern, 6) Keine K ü n d i g u n g durch Gläubiger oder Auflösung durch Konkurs, vgl. zum Ganzen Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 188 ff.

40

Boehmer, S. 168.

41

Wieviel „juristischen Schweiß" die Fehlentscheidung des Gesetzgebers kostete, mag m a n bei Durchsicht der Literaturverzeichnisse etwa bei den A r beiten v o n Boehmer oder Breitbach ermessen. 42

Stoll, S. 53 f.

2. Die theoretische Arbeit Heinrich Stolls

129

fährlichen Dauerorganisationen die staatliche Anerkennung versagt und durch möglichst ungeeignete Assoziationsformen das Dasein erschwert werden, zum anderen sollte den Verkehrs- und den Gläubigerinteressen gedient werden. M i t dem Normativsystem sollte für den Laien ein leicht erkennbares Merkmal für rechtsfähige Vereine geschaffen werden, fehlte dieses Merkmal, so sollte der Gläubiger gewiß sein können, daß gleichgültig, ob ein Verein oder eine Gesellschaft vorliege, i h m die Mitglieder gesamtschuldnerisch m i t ihrem gesamten privaten Vermögen hafteten. Von der Tatsache einmal abgesehen, daß es schon allein unzulässig sei, auf dem Gebiete des Privatrechts m i t Verwaltungsmaßnahmen politische Erfolge herbeiführen zu wollen, führte Stoll weiter aus, seien auch alle Erwartungen des Gesetzgebers fehlgeschlagen. Politisch habe sich die Einstellung zu den Gewerkschaften radikal verändert 4 8 , sie besäßen nunmehr schon einen festen Platz i m öffentlichen Leben und erfüllten öffentliche Funktionen 4 4 . Nachdem die politischen Bedenken restlos weggefallen seien, könnten ebensowenig Verkehrsinteressen oder Interessen der Vereinsgläubiger für eine Fortgeltung des § 54 BGB streiten. I n der Praxis sei nämlich einmal die Zahl der nichtrechtsfähigen Vereine ungleich höher als die der rechtsfähigen. Zum anderen habe auch hier die Judikatur die Haftungsvorschriften für die gem. § 54 BGB dem Gesellschaftsrecht unterstehenden Vereine so gelockert, daß letzten Endes entgegen den gesetzgeberischen Absichten der rechtsfähige Verein den Gläubigern viel mehr Sicherheit biete als der nichtrechtsfähige. Da alle Absichten des Gesetzgebers durch entgegenstehende politische Entwicklung und entsprechende Gesetzgebung fehlgeschlagen oder durch andersartige Gerichtspraxis hinfällig geworden seien, das geschaffene Recht überdies höchst tendenziös und unbillig sei und es zudem auf breiter Front umgangen werde, sei nunmehr der Zeitpunkt erreicht, der eine Gebotsberichtigung durch die Judikatur erforderlich mache 45 . Schließlich führte Stoll noch die vielen widersprüchlichen Urteile selbst verschiedener Senate innerhalb desselben Gerichts zu § 54 BGB an,

43 Das gesamte Vereinsrecht sei m i t einem „ständigen mißtrauischen Seitenblick" auf die Gewerkschaften geschaffen worden, S. 61. 44 Seit Weimar waren die Gewerkschaften tariffähig u n d nach dem Arbeitsgerichtsgesetz auch a k t i v u n d passiv parteifähig. Unrichtig ist es, w i e die m e i sten Schriftsteller, darunter auch Stoll, es darstellen, daß sich die Beziehungen des Staates zu den Gewerkschaften erirt lange nach 1900 verbessert hätten u n d daß erst das öffentliche Vereinsrecht v o n 1908 die Voraussetzungen zu einem Privatvereinsrecht geschaffen hätte. Die vorliegende Arbeit beschreibt richtig, daß bereits 1899 die Reichsführung Skrupel hatte, das gewerkschaftsfeindliche Vereinsrecht einzuführen u n d bereits 1906 der E n t w u r f eines Gesetzes zur Regelung der Privatrechtsstellung der Gewerkschaften vorgelegt wurde. 45 Ganz i n diesem Sinne hatte ein E n t w u r f der Zivilprozeßordnung aus dem Jahre 1931 die uneingeschränkte Parteifähigkeit auch f ü r Vereine ohne Rechtsfähigkeit vorgesehen, so Wapler, S. 441.

9 Kögler

130

4. T e i l : Die Entwicklung der nichtrechtsfähigen Vereine

was zu einer Verunsicherung der Rechtssuchenden führen müsse 46 . Die Möglichkeit von Umgehungsgeschäften und die Haftungserleichterung der Praxis für Mitglieder von Vereinen ohne Rechtsfähigkeit hätten zudem dahin geführt, daß sich „wilde wirtschaftliche Genossenschaften" i m Rechtsgewande des Vereins ohne Rechtsfähigkeit sehr wohl fühlten, da sie sich auf diese Weise ohne Einhaltung der handelsrechtlichen Schutznormen leicht die Stellung einer GmbH verschaffen könnten. Obwohl die Ausführungen Stolls eindeutig und überzeugend die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung darlegten, erfolgte lange Zeit kein weiterer Fortschritt der nichtrechtsfähigen Vereine auf dem Wege zur Rechtsfähigkeit. Der einfache Grund dafür mag darin gelegen haben, daß die Angleichung so weit erfolgt war, daß keine genügend starke Gruppe mehr auf eine Weiterentwicklung drängte. Insbesondere die Gewerkschaften schienen sich i n der gewählten Rechtsform durchaus wohl zu fühlen. Haftungsrechtlich waren sie auf rechtsgeschäftlichem Gebiet den rechtsfähigen Vereinen gleichgestellt, i m Bereich der Deliktshaftung zogen sie die Haftung aus § 831 BGB der aus § 31 BGB vor. Für Grundstücks-, Wechsel- und Erbgeschäfte ließen sich die vom Gesetzgeber errichteten Hürden umgehen, so daß auch hierin kein dringender Grund für Änderungsanträge lag. Lediglich auf dem Gebiet des Prozeßrechtes und hier, insbesondere für die klageweise Geltendmachung von persönlichen und nicht übertragbaren Ansprüchen, traten unumgängliche Schwierigkeiten zutage, w e i l die Rechtsprechung die Geltendmachung durch den Vorstand i m Wege der Prozeßstandschaft nicht zuließ. So verwundert es nicht, daß gerade die Frage der aktiven Parteifähigkeit für die Geltendmachung höchstpersönlicher Ansprüche den Anlaß für die jüngste Weiterentwicklung der Rechtsstellung nichtrechtsfähiger Vereine bildete 4 7 . 3. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Frage der aktiven Parteifähigkeit der Gewerkschaften I n dem vom V I . Senat des Bundesgerichtshofs 1964 entschiedenen F a l l 4 8 hatte die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) gegen die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche geltend gemacht, da nach ihrer Darstellung die beklagte Gewerkschaft m i t unlauteren Mitteln M i t gliederwerbung betreibe. Besser als jede andere Beschreibung zeigt die 46

S. 59. I n der Theorie hatten 1952 Boehmer, 1956 Habscheid u n d 1963 Fabricius Wege gewiesen, u m endlich die noch bestehenden, die Vereine ohne Rechtsfähigkeit diskriminierenden Vorschriften durch Weiterentwicklung der Rechtsprechung zu überwinden. 48 B G H Z Bd. 42, S. 210 ff. 47

3. Urteile des B G H zur aktiven Parteifähigkeit der Gewerkschaften

131

unter drei verschiedenen Formen als Klägerin auftretende Gewerkschaft die Unsicherheit der für nichtrechtsfähige Vereine bestehenden prozessualen Situation 4 9 : Als Klägerin zu 1 trat zunächst die ÖTV als nichtrechtsfähiger Verein, vertreten durch die Mitglieder des geschäftsführenden Hauptvorstandes, auf; dann klagten die unter dem Namen der ÖTV handelnden Mitglieder der Gewerkschaft i n ihrer Gesamtheit, vertreten durch den Vorstand der ÖTV (Kläger zu 2), und schließlich erhoben noch die Mitglieder des geschäftsführenden Hauptvorstandes der ÖTV persönlich Klage zugunsten der Gewerkschaft (Kläger zu 3) — alle m i t dem gleichen Klageantrag. Während das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, gab das Berufungsgericht der Klage der Kläger zu 2 teilweise statt und wies die darüber hinausgehende Klage ab. I n dem Revisionsurteil führte der Bundesgerichtshof zunächst aus, daß die mangelnde aktive Parteifähigkeit Massenorganisationen praktisch das Klagerecht nehme, während kleinere Vereine weniger beeinträchtigt seien, da ihnen die Aufführung aller Mitglieder noch möglich sei. Sodann setzte sich das Gericht m i t den von Lehre und Rechtsprechung vorgeschlagenen Versuchen auseinander, auch den großen nichtrechtsfähigen Vereinen — damals vor allem Gewerkschaften und politische Parteien — die beschränkte Rechtsfähigkeit zu verleihen. Es lehnte zunächst die treuhänderische Geltendmachung nicht übertragbarer Ansprüche durch den Vorstand 5 0 ab, da es einmal regelmäßig an dem schutzwürdigen Interesse des Klagenden fehle und zum anderen dem Gegner nicht einfach ein Dritter als gegnerische Partei zugemutet werden könne. Die von Stoll, Boehmer und Habscheid vorgeschlagene Lösung, die Gesamtheit der Vereinsmitglieder unter dem Vereinsnamen klagen zu lassen, der sich auch das Berufungsgericht angeschlossen hatte, lehnte der Bundesgerichtshof ebenso ab, da sie zu Unklarheiten führe, die i m Prozeßrecht nicht vertretbar seien. I n einer „kühnen Wendung" lehnte der Senat vielmehr alle Krücken zur Begründung der aktiven Parteifähigkeit der Gewerkschaften ab und folgerte sie vielmehr i n „freier Rechtsfindung" aus der heute den Gewerkschaften vom Gesetzgeber zuerkannten Rechtsstellung, zunächst allerdings nur für die gerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzund Unterlassungsansprüchen 51 . Damit Schloß sich der Bundesgerichtshof i m wesentlichen der bereits bei Stoll vorgetragenen Argumentation an, wobei i h m noch entscheidend die Wertung unserer Verfassung zu Hilfe kam. Der Senat führte aus: Da das Grundgesetz i n A r t i k e l 9 Abs. 3 49 Stoll, S. 55, schrieb: „Es rächt sich hier auf das schwerste, daß der Gesetzgeber weder die Folgen der Anwendung des Gesellschaftsrechts auf Vereine bis ins einzelne durchdacht h a t . . . " 60 Praktisch die gewillkürte Prozeßstandschaft. 51 Der Senat lehnte ausdrücklich alle bisher vorgeschlagenen „Notlösungen" ab. 9*

132

4. T e i l : Die Entwicklung der nichtrechtsfähigen Vereine

das korporative Daseins- und Betätigungsrecht der Gewerkschaften geschützt habe, es überdies sogar Drittwirkungen i m privaten Bereich äußere und die Gewerkschaften auch eine Fülle öffentlicher Funktionen innehätten, müßte die Organisation sich auch gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen ihres Bestandes gerichtlich zur Wehr setzen können 5 2 . Die Bevorzugung, die dadurch die Gewerkschaften vor anderen nichtrechtsfähigen Vereinen erführen, erkläre sich aus ihrer öffentlich-rechtlichen Sonderstellung und sei von daher gerechtfertigt. So sehr dieses Urteil auch diejenigen befriedigen mag, die für eine angemessene Regelung der Rechtsstellung der Gewerkschaften eingetreten sind, so bleibt doch ein gewisses Unbehagen über diese Rechtsschöpfung praeter oder gar contra legem. Zwar w i r d gerade das Gesetz zitiert, noch dazu das höherwertige Verfassungsgesetz; es sollte jedoch dem Gesetzgeber überlassen bleiben, zu entscheiden, ob er m i t der programmatischen Norm des A r t . 9 Abs. 3 GG bestimmte Spezialvorschriften wie hier den § 50 Abs. 2 ZPO außer K r a f t setzen wollte. Bei fortdauernder Untätigkeit des Gesetzgebers und offensichtlichen Widersprüchen i m Gesetz w i r d man aber dem Richter ein Tätigkeitsfeld offenhalten müssen, damit nicht buchstabengetreue Gesetzesbefolgung zu ungerechten Entscheidungen führt 5 3 . Gelegenheit zur Fortentwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs i n Fragen der Parteifähigkeit von Gewerkschaften bot ein i m Jahre 1968 vom V I I . Senat des Bundesgerichtshofs entschiedener Fall 5 4 . Dort hatte eine fast 1 Million Mitglieder zählende Gewerkschaft schlichte Zahlungsklage gegen einen Verleger erhoben. Eingangs- und Berufungsgericht hatten die Klage abgewiesen und der Klägerin angesonnen, sich entweder i m Vereinsregister eintragen zu lassen oder von der Möglichkeit treuhänderischer Geltendmachung ihrer Rechte, bei denen es sich u m eine übertragbare Forderung handele, Gebrauch zu machen. Das zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1964 sei nur auf nicht abtretbare Ansprüche anwendbar. Das Berufungsgericht hielt es für nicht angängig, die zwingende Vorschrift des § 50 Abs. 2 ZPO unter Berufung auf A r t . 9 Abs. 3 GG außer Acht zu lassen. Der Richter sei durch den Verfassungsgrundsatz der Bindung an das Gesetz gehindert, der i m Rang der gleichstehenden Vorschrift des Art. 9 Abs. 3 GG Geltung zu verschaffen. 52

BGH, ebenda, S. 217. Hier soll nicht weiter vertieft werden, ob eine ungerechte Entscheidung allein ausreichender G r u n d ist f ü r die Abweichung v o m Gesetz oder ob erst ein Rechtsnotstand genügt u n d der Rechtsgedanke selbst Schaden leiden müßte u n d w i e groß der Freiheitsspielraum des Richters nach unserem Recht gegenüber dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist; darüber haben sich Stoll, Boehmer u n d Habscheid i n ihren Arbeiten verbreitet. 54 B G H Z Bd. 50, S. 325 ff. 53

3. Urteile des B G H zur aktiven Parteifähigkeit der Gewerkschaften

133

Anders entschied der V I I . Senat. Er bejahte die allgemeine aktive Parteifähigkeit der Gewerkschaften für alle Klageansprüche. Die Begründung war i m wesentlichen die gleiche, wie die des VI. Senats. Die ursprüngliche Gesetzesentscheidung sei verfehlt gewesen, man müsse unter Gesetz nicht nur die isolierte Norm verstehen, sondern die gesamte, besonders i n der Verfassung sich ausprägende Wertordnung des Gesetzgebers, hier die gesamte gesetzlich geordnete Rechtstellung der Gewerkschaften, heranziehen 55 . Bei Beachtung dieser Grundsätze könne von einer materiellen Derogation des § 50 Abs. 2 ZPO zumindest für die Gewerkschaften ausgegangen werden 5 6 . Der Umstand, daß der Gesetzgeber bisher davon abgesehen habe, die volle Parteifähigkeit der Gewerkschaften vor den ordentlichen Gerichten ausdrücklich auszusprechen, rechtfertige nicht den Umkehrbeschluß, er wolle sie ihnen bewußt auch vorenthalten. „Dafür spricht nichts, dagegen alles 57 ." M i t diesem Urteil fand die Weiterentwicklung des Rechts der Vereine ohne Rechtsfähigkeit ihren vorläufigen Abschluß. Weitere bahnbrechende Entscheidungen sind nicht zu erwarten, da das Recht der politischen Parteien i n einem Sondergesetz geregelt wurde und die Gewerkschaften i n der gewählten Rechtsform nunmehr ohne besondere Schwierigkeiten am Rechtsverkehr teilnehmen können 5 8 . Die übrigen noch bestehenden nichtrechtsfähigen Organisationen sind ohne die gleiche öffentliche Bedeutung wie die Gewerkschaften und werden sich für ihren geringen geschäftlichen Verkehr einzurichten wissen, da die wirklich „anstößigsten" Vorschriften für die nichtrechtsfähigen Vereine längst durch die Rechtsprechung und ein derogatorisches Gewohnheitsrecht beseitigt sind. So hat sich spät ein Wort Otto von Gierkes, das die Fehlentscheidung des Gesetzgebers treffend beurteilt, erfüllt: „Die Macht des Lebens bewährt ihre Überlegenheit über die formale Gesetzgebungskunst 59 ." Bedenkt man jedoch, wieviel Mühe und wieviel M u t der Rechtsprechung es kostete, die Folgen des leichtsinnigen Experiments des Gesetzgebers erträglich zu machen, so würde man entweder eine flexiblere Gesetzgebung oder aber einen sorgfältiger überlegenden Gesetzgeber wünschen. Ge55 I n aller Breite zählte der Senat, S. 329 f., die heute den Gewerkschaften zugestandenen Rechte, die von Tarifrechten, über Mitbestimmungs-, A n h ö rungs- bis zu Betriebsrechten und Rechten der Sozial- u n d Arbeitsverwaltung reichen, auf. 56 Ausdrücklich unentschieden ließ das Gericht, ob die volle Parteifähigkeit auch anderen Massenorganisationen zugebilligt werden könnte. 57 Ebenda, S. 333. 58 Dabei werden jedoch auf einigen Gebieten — insbesondere i m Grundbuchrecht — noch Umgehungsgeschäfte notwendig sein. Denkbar ist jedoch, daß über die Brücke des A r t . 9 Abs. 3 GG auch § 47 GBO modifiziert u n d den Gewerkschaften i n absehbarer Zeit die Grundbuchfähigkeit zugesprochen werden wird. 59 Gierke , Vereine ohne Rechtsfähigkeit, S. 12.

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4. T e i l : Die Entwicklung der nichtrechtsfähigen Vereine

setze erweisen sich oftmals, wenn sie erst einmal i n K r a f t sind, als langlebiger und schwerer zu beseitigen als ursprünglich angenommen. So war es auch hier der Fall, denn die 2. Kommission, genauso wie Reichstag und Reichsregierung waren davon ausgegangen, nur ein Ubergangsrecht zu schaffen, das allenfalls solange gelten sollte, bis das öffentliche Vereinsrecht auf Reichsebene geregelt sei. Vergegenwärtigt man sich dann aber den 70jährigen Kampf von Rechtsprechung und Literatur gegen diese „Übergangsvorschriften", so bleibt i n der Tat, wie Gustav Boehmer zutreffend formulierte, ein „peinlicher Eindruck" zurück: „Überblickt man das Ganze, so bleibt der peinliche Eindruck, daß auf diesem Gebiete noch mehr als bei anderen lebenswichtigen Fragen des bürgerlichen Rechts der Kampf zwischen engherziger Buchstabentreue und lebenszugewandter Aufgeschlossenheit für die Bedürfnisse der sozialen Wirklichkeit noch lange nicht endgültig ausgetragen i s t 6 0 . . . Immerhin ist es tröstlich, daß auch hier die Wertungsjurisprudenz, die der rechtsschöpferischen Macht der Rechtsprechung überall dort Bahn bricht, wo sture Gesetzesbefolgung zu zweck- und sinnwidrigen Entscheidungen führen würde, auf dem Marsch ist. . . . es ist zu hoffen, daß die künftige Entwicklung der Judikatur auf dem Wege weiterschreiten wird, den, i n Fortführung und Erweiterung des Programmes unseres Altmeisters Otto von Gierke, i n erster Linie Heinrich Stoll der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis gewiesen hat 6 1 ."

80 Wie zutreffend diese Vorhersage war, zeigt m i t aller Deutlichkeit die A r gumentation der Eingangs- u n d Berufungsgerichte i n den zuletzt dargestellten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs.

81

Boehmer, S. 186.

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Quellen und kritische Schriften zum BGB A. Ungedruckte Quellen

1. Archivalien Bundesarchiv

Koblenz

Nachlaß Bosse, Manuskripte Bd. 1 „Zehn Jahre i m Reichsamt des I n n e r n 1881 -1891"; Bd. 2 „ E i n Jahr i m Reichsjustizamt 1891 - 1892" (fotokopierte Abschriften), Nachlässe Nr. 16 u n d 17 (Zit.: Bosse, Reichsamt des Innern, Reichs justizamt). Staatsarchiv

Koblenz

Acta des rheinischen Oberpräsidiums, betreffend: Die Errichtung v o n Arbeiterausschüssen i m Bergbau u n d Bergwerks-Gewerbekammern. (Abteilung 403, Nr. 8169.) Die Ausführung des Gesetzes v o m 11. März 1850 über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit u n d Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- u n d Vereinigungsrechtes. (Abteilung 403, Bd. 1 u n d 2, Nr. 6825,6826.) Die Ausführung des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie v o m 21. Oktober 1878. (Abteilung 403, Nr. 6830.) Duelle. (Lassalle) (Abteilung 403, Nr. 6929). Zit.: Acta Oberpräsidium m i t jeweiliger Signatur. Generallandesarchiv

Karlsruhe

Generalia Deutsches Reich. Die Erweiterung der Reichsgesetzgebung auf das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht u n d das gerichtliche Verfahren u n d die Entwicklung eines Deutschen Civilgesetzbuches 1872 - 1896. (Abteilung 234, Nr. 3867.) (Zit.: G.L.A. Entstehung des B G B m i t Signatur.) Generalia Bürgerliche Rechtspflege. Der E n t w u r f eines Deutschen bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich I. T h e i l 1881 - 1890, I I . T h e i l 1891 bis 1893, I I I . T h e ü 1894 - 1896. (Abteilung 234, Nr. 3548, 3549, 3550) (zit.: G.L.A. Personalakten m i t Signatur). A k t e n Diener (Personalakten Gebhards). A k t e des Finanzministeriums (Abteilung 76, Nr. 2630); A k t e des Kreis- u n d Hofgerichts Karlsruhe (Abteilung 76, Nr. 9928 a); A k t e des Justizministeriums (Abteilung 76, Nr. 9928) (zit.: G.L.A. Personalakten m i t Signatur).

2.Ungedruckte Protokolle zur Entstehungsgeschichte des BGB Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs. Protokolle m i t Anlagen der Sitzungen von 1875 - 1880 nebst den Vorlagen der Redaktoren von 1875 - 1879, B e r l i n 1875 - 1880 (4 Bde.).

136

Quellen- u n d Literaturverzeichnis

Protokolle der 1. Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs f ü r das Deutsche Reich, metallographiert, Berlin 1881 - 1889 (28 Bde.) (Titel fingiert). Vorkommission des Reichs-Justizamts f ü r die zweite Lesung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs f ü r das Deutsche Reich, metallographiert, 1891 bis 1893 (2 Bde.). Protokolle der 2. Kommission zur Ausarbeitung eines Entwurfs eines B ü r gerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, metallographiert, B e r l i n 1890 bis 1896 (17 Bde.). (Benutzt wurden die i m juristischen Seminar i n Heidelberg archivierten, noch unsignierten Exemplare.) B. Gedruckte Quellen

1. Die wichtigsten Gesetze und Gesetzentwürfe Baden: Das Badische Landrecht nach Einführung der Reichsjustizgesetze unter H i n weis auf Reichs- u n d Landesgesetze, Verordnungen u n d Parallelstellen, nebst . . . Anhang u n d Sachregister. Herausgegeben von K a r l Kah. 2. bearbeitete u n d verbesserte Auflage Baden-Baden 1887. Bayern: Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, München 1756. E n t w u r f eines bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Königreich Bayern, nebst Motiven, T h e i l I H a u p t s t ü c k . . . V o n den Rechtsgeschäften; T h e i l I I Recht der Schuldverhältnisse, München 1861. Bayerisches Gesetz v o m 29. A p r i l 1869, die privatrechtliche Stellung von Vereinen betreffend, m i t Erläuterungen v o n M a x Rump, München 1895. Deutscher Bund und Deutsches Reich: Die Verfassung des Deutschen Reiches v o m Jahre 1849. Herausgegeben v o n L u d w i g Bergsträsser, Bonn 1913. E n t w u r f eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse, i m Auftrage der Kommission herausgegeben v o n B. Francke, Dresden 1866. Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines Allgemeinen Deutschen Obligationsrechts, 4. Bd., Dresden 1865 (zit.: Prot. Obligationsrecht). Gesetzentwurf, betreffend die privatrechtliche Stellung v o n Vereinen, i n : Stenographische Berichte des Norddeutschen Bundes, 1. Legislaturperiode, Session 1869, Anlage Nr. 164, Bd. 3, B e r l i n 1869. Bürgerliches Gesetzbuch u n d Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, i n : Reichsgesetzblatt 1896, B e r l i n 1896, S. 195 ff. Frankreich:

1

Code Civil, i n : Das Rheinische Civilrecht i n seiner heutigen Geltung. Dargestellt u n d erläutert von Cretschmar, Düsseldorf 1883. Österreich: Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch f ü r das Kaisertum Österreich sammt allen dasselbe ergänzenden u n d erläuternden Gesetzen u n d Verordnungen, 4. Abdruck, Wien 1870.

Quellen- u n d Literaturverzeichnis

Preußen: Preußische Verfassung v o m 31. Januar 1850. Preußische Gesetzessammlung, 1850, S. 17 ff. Allgemeines Landrecht f ü r die Preußischen Staaten von 1794, Textausgabe. M i t einer Einführung v o n Hans Hattenhauer u n d einer Bibliographie von Günther Bernert, Frankfurt, B e r l i n 1970. Sachsen: Das Bürgerliche Gesetzbuch f ü r das Königreich Sachsen nebst den damit i n Verbindung stehenden Reichs- u n d Landesgesetzen, erläutert von Eduard Siebenhaar, 4. Auflage, Leipzig 1879. Bundesgesetz, betreffend die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- u n d W i r t h schaftsgenossenschaften v o m 4. J u l i 1868 u n d das Königlich Sächsische Gesetz, die juristischen Personen betreffend v o m 15. J u n i 1868, von Theodor Brückner m i t erläuternden Bemerkungen herausgegeben. Leipzig 1869. Die öffentlichen

Vereinsgesetze der deutschen Staaten

Die Vereinsgesetze der deutschen Staaten u n d das Sozialistengesetz, abgedruckt bei: Hermann Lisco, Die Deutschen Vereins-Gesetze. M i t besonderer Berücksichtigung des Preußischen Vereins-Gesetzes u n d des Sozialisten-Gesetzes, 2. Auflage, B e r l i n 1881.

2. Quellensammlungen Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 - 1914, begründet v o n Peter Rassow, hrsg. v o n K a r l Erich Born, Otto Brauner, Wolfgang Köllmann, Theodor Schieder, Josef Vogt, 1. Bd., Einführungsband, bearbeitet v o n K a r l Erich Born, Hansjoachim Henning u n d Manfred Schick, Wiesbaden 1956 (zit. Rassow, Quellensammlung). A k t e n zur staatlichen Sozialpolitik i n Deutschland 1890 - 1914, hrsg. von Peter Rassow u n d K a r l Erich Born, Wiesbaden 1959 (zit. Rassow-Born, Akten).

3. Gedruckte Materialien

zur Entstehung des BGB

Bundesrat: Protokolle über die Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reiches; Sessionen 1872 - 1874,1888 - 1896, B e r l i n 1872 - 1896. Drucksache des Bundesrats Nr. 27 v o m 8. Februar 1874 (Berufung der V o r k o m mission). Drucksache des Bundesrats Nr. 53 v o m 16. A p r i l 1874 (Gutachten der V o r k o m mission). Drucksache des Bundesrats Nr. 78 v o m 9. J u n i 1874 (Bericht des Justizausschusses). Kommissionsarbeiten: Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches. E n t w u r f eines bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich. . . . Buch

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Quellen- u n d Literaturverzeichnis

Allgemeiner Theil, Vorlage des Redaktors Dr. Gebhard, Großherzoglich badischer Ministerialrath, B e r l i n 18811 (zit.: E n t w u r f eines BGB). Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches. E n t w u r f eines bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich. . . . Buch allgemeiner Theil, Begründung: Vorlage des Redaktors Dr. Gebhard, Großherzoglich badischer Ministerialrath, B e r l i n o. D a t u m 2 (zit.: Motive TE). E n t w u r f eines bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich. Erste L e sung. Ausgearbeitet durch die v o n dem Bundesrathe berufene Kommission. Amtliche Ausgabe, B e r l i n u n d Leipzig 1888. M o t i v e zu dem E n t w u r f eines bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich. Amtliche Ausgabe, 5 Bde., B e r l i n u n d Leipzig 1888 (zit.: Amtliche M o tive). E n t w u r f eines Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche f ü r das Deutsche Reich. Erste Lesung. Ausgearbeitet durch die v o m Bundesrathe berufene Kommission — Nebst Motiven. Amtliche Ausgabe, B e r l i n und Leipzig

1888. E n t w u r f eines bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich. Zweite L e sung. Nach den Beschlüssen der Redaktionskommission. A u f amtliche Veranlassung, B e r l i n 1894 - 1895. Protokolle der Kommission f ü r die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches. I m Auftrage des Reichs-Justizamts bearbeitet v o n A l e x ander Achilles, Albert Gebhard, Peter Spahn, 7 Bde., B e r l i n 1897 - 1899 (zit.: Amtliche Protokolle).

Zusammenstellung der amtlichen Materialien Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch f ü r das Deutsche Reich, I. Band, Einführungsgesetz u n d Allgemeiner Teil, herausgegeben v o n Mugdan, Benno, B e r l i n 1899 (zit.: Mugdan I).

Reichstag: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages. 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895 - 1896,1. u n d 2 Bd., B e r l i n 1896. Reichstagsdrucksachen Nr. 87 u n d 87 a. 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895 bis 1897: E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuchs u n d des Einführungsgesetzes nebst einer dazugehörigen Denkschrift, i n : Stenographische Berichte, B e r l i n 1896,1. Anlagenband S. 446 - 854 (zit.: Reichstagsvorlage). Reichstagsdrucksachen Nr. 440 - 440-d, 9. Legislaturperiode, I V . Session 1895 bis 1897: Kommissionsbericht über den E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuches u n d eines Einführungsgesetzes m i t einer Zusammenstellung des E n t wurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches, i n : Stenographische Berichte 1895 - 1897, B e r l i n 1896,2. Anlagenband S. 1935 - 2192. Sonderabdrucke daraus: Denkschrift zum E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuches, nebst drei A n lagen, Berlin 1895 (zit.: Denkschrift). 1 Der Band enthält neben dem 1. E n t w u r f des Allgemeinen Teils ohne V o r schriften zur juristischen Person auch noch die i m Jahre 1883 nachgetragenen Vorschriften zur juristischen Person, so daß das angegebene Erscheinungsjahr n u r f ü r den 1. E n t w u r f u n d nicht f ü r den ohne Datumsangabe abgedruckten Nachtrag gilt. 2 Frühestens i m 2. H a l b j a h r 1883 fertiggestellt.

Quellen- u n d Literaturverzeichnis Bericht der Reichstagskommission über den E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuches u n d Einführungsgesetzes, nebst einer Zusammenstellung der K o m missionsbeschlüsse. Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Enneccerus, Dr. v o n Buchka, Dr. Bachem, Schroeder, B e r l i n 1896 (zit.: Bericht R T Kommission).

4. Kritische Schriften zum BGB: Badische Kommission zur Begutachtung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich. I . Denkschrift des Referenten zum Ersten Buch des Entwurfs, Karlsruhe 1888 (zit.: Badische Kommission). Bahr, Otto: Schriften über den E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuchs f ü r das Deutsche Reich, i n : Kritische Viertel Jahresschrift 31. Bd. (1889), S. 351 bis 372. Bebel, August: Das Bürgerliche Gesetzbuch u n d die Sozialdemokratie, i n : Die neue Zeit. Revue des geistigen u n d öffentlichen Lebens, Stuttgart 14. Jg. (1895 - 96), S. 554 - 585 (zit.: Neue Zeit). Beiträge zur Erläuterung u n d Beurteilung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich, herausgegeben v o n Ernst Immanuel Bekker u n d Otto Fischer, B e r l i n 1889. Bemerkungen der Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Regierung zu den E n t w ü r f e n eines Bürgerlichen Gesetzbuchs f ü r das Deutsche Reich. 1. Bd., Schwerin 1891 (zit.: Bemerkungen Mecklenburg-Schwerinsche Regierung). Bemerkungen des Königlich Preußischen Justizministers über die i n dem Rundschreiben des Reichskanzlers v o m 27. J u n i 1889 hervorgehobenen Punkte, B e r l i n 1891 (zit.: Bemerkungen Preußischer Justizminister). Bingner, A d r i a n : Bemerkungen zu dem zweiten Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich, Leipzig 1893. Boy ens, Friedrich: Gesellschaft unter Vergleichung m i t anderen Rechtsgemeinschaften, i n : Gutachten aus dem Anwaltsstande (1890), S. 1015 - 1062. Fischer, Otto: Recht- u n d Rechtsschutz. Eine Erörterung der Grenzgebiete z w i schen Privatrecht u n d Civilprozeß i n Beziehung auf den E n t w u r f eines Bürgerlichen Gesetzbuches f ü r das Deutsche Reich, i n : Beiträge zur Erläuterung u n d Beurteilung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches (1889), Heft 6. Fuld, L u d w i g : Beiträge zur Erläuterung u n d Würdigung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs. Reichsrecht u n d Landesrecht, i n : Gruchot, 33. Jhrg. (1889), S. 628 - 638. — Das bürgerliche Gesetzbuch u n d die Sozialpolitik, i n : Gruchot, 35. Jhrg. (1891), S. 635 - 657. — Die Stellung der juristischen Personen i m zweiten E n t w u r f des BGB, i n : A c P Bd. 85 (1896), S. 134 - 137. Gierke, Otto: Die soziale Aufgabe des Privatrechts. Vortrag gehalten am 5. A p r i l 1889 i n der juristischen Gesellschaft zu Wien, B e r l i n 1889. — Der E n t w u r f eines bürgerlichen Gesetzbuchs u n d das Deutsche Recht, v e r änderte u n d vermehrte Ausgabe, Leipzig 1889 (zit.: Entwurf).

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Quellen- u n d Literaturverzeichnis

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II. Allgemeine Literatur Alphabetisches Verzeichnis der activen Hof- u n d Staatsdiener des Großherzogtums Baden nach dem Stande von Anfang September 1879, nebst kurzen Persnalnachrichten, Karlsruhe 1880 (zit.: Alphabetisches Verzeichnis H o f und Staatsdiener).

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