„Jesu, ach so komm zu mir‟: Johann Sebastian Bachs Frömmigkeit im Spiegel seiner Kantaten [Reprint 2020 ed.] 9783110882124, 9783110137729

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„Jesu, ach so komm zu mir‟: Johann Sebastian Bachs Frömmigkeit im Spiegel seiner Kantaten [Reprint 2020 ed.]
 9783110882124, 9783110137729

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Gottfried Simpfendòrfer Jesu, ach so komm zu mir"

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G

Arbeiten zur Praktischen Theologie Herausgegeben von Karl-Heinrich Bieritz und Christian Grethlein

Band 5

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1994

Gottfried Simpfendörfer

Jesu, ach so komm zu mir" Johann Sebastian Bachs Frömmigkeit im Spiegel seiner Kantaten

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1994

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Die Deutsche

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CIP-Einheitsaufnahme

Simpfendörfer, Gottfried: „Jesu, ach so komm zu mir" : Johann Sebastian Bachs Frömmigkeit im Spiegel seiner Kantaten / Gottfried Simpfendörfer. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1994 (Arbeiten zur praktischen Theologie ; Bd. 5) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1988 u.d.T.: Simpfendörfer, Gottfried: Johann Sebastian Bachs Umgang mit den Texten seiner Kantaten, ein Niederschlag seiner Frömmigkeit ISBN 3-11-013772-0 NE: GT

© Copyright 1994 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Eva Erdmann, Siegen Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz und Bauer, Berlin

FÜR

THEA

Vorwort Die Kantaten Joh. Seb. Bachs stellen den unerreichten Gipfel innerhalb dieser Gattung dar. Darüber besteht Einigkeit. Nach wie vor strittig ist jedoch, welche innere Stellung er ihnen gegenüber einnimmt: Bilden sie das Zentrum seines Schaffens, das Lebensziel, das er früh ansteuerte und - auf Umwegen - erreichte, oder sind sie im jeweiligen Dienstauftrag geschriebene Werke eines genialen Komponisten, der an sich selbst höchste Ansprüche stellte und ständig nach Verbesserung und Vervollkommnung seiner Kompositionen strebte, aber darin nichts von seiner persönlichen Frömmigkeit kundtat? Es war das Studium meiner Frau an der Arie "Herr, der du stark und mächtig bist" (BWV 10/2), das mir Eigentümlichkeiten in der Textbehandlung durch Bach in die Augen springen ließ und mich anregte, unter diesem Gesichtspunkt das gesamte Kantatenwerk durchzusehen. Ziel war es, umfassend aufzuzeigen, welche Aussagen der ihm vorliegenden Texte Bach bei der Vertonung besonders hervorhebt, weil sie ihm wichtig und bedeutsam erscheinen, um auf diese Weise nachprüfbar sichtbar zu machen, wo sein persönliches Herz schlägt. Die daraus erwachsene Untersuchung wurde im Sommersemester 1988 von der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Zur Veröffentlichung im Druck wurde sie leicht überarbeitet. Die Drucklegung wurde ermöglicht durch Druckkostenzuschüße der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sowie des Lutherischen Kirchenamts in Hannover und privater Gönner, wofür von Herzen gedankt wird. Wesentliche Hilfe gewährte Herr Prof. Dr. Christian Grethlein, der sich für diese Arbeit lebhaft interessierte und sie in die "Arbeiten zur Praktischen Theologie" aufnahm. Gewidmet ist dieses Buch ihr, die, ohne es zu ahnen, den entscheidenden Anstoß dazu gab: meiner Frau.

Die verwendeten Abkürzungen entsprechen denen von RGG 3 bzw. den BachJahrbüchem.

Inhaltsangabe Vorwort I. Einführung

VII 1

II. Durchsicht des Kantatenwerks 1. Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt 2. Wortverdoppelungen in Themen 3. Bach vertont Zeilen sukzessive 4. Einzelne Choralzeilen werden besonders hervorgehoben 5. Einzelne Worte werden isoliert wiederholt 6. Bach bildet Texte um 7. Bach ändert im Laufe der Komposition Texte ab . 8. Bach ordnet Textzeilen anders an 9. Bach nimmt innerhalb einer Zeile Inversionen vor 10. Bach faßt Teile zweier Zeilen zusammen 11. Fragen werden intensiviert 12. Bach verstärkt Imperative

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III. Eingriffe in Textvorlagen

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IV. Theologische Ergebnisse

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Literaturverzeichnis

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I. Einführung 1. Zwei zeitgenössische Zeugnisse Der Hamburger Musiker und Musiksschriftsteller Johann Mattheson bemerkt zu J. S. Bachs Kantate BWV 21: "Damit der ehrliche Zachau [sc. Händeis Lehrer in Halle] Gesellschaft habe, ... soll ihm ein sonst braver Practicus hodiernus zur Seiten gesetzt werden, der repetirt nicht für die lange Weile also:". Und nun beginnt Mattheson an Beispielen aufzuzeigen, wie Bach sprachlich den Kantatentext behandelte: "Ich, ich, ich ich hatte viel Bekümmerniß, ich hatte viel Bekümmerniß ..."1. Philipp Spitta urteilt dazu: "In Bezug auf das 'Ich, ich, ich' mag ein Tadel berechtigt sein", weist die übrigen Vorhaltungen zurück und bemerkt abschließend: "Es ist klar, daß er [sc. Mattheson] nur eine Gelegenheit vom Zaume bricht, Bach zu bemäkeln und der wenig freundschaftlichen Gesinnung, die er gegen seinen großen Zeitgenossen ... hegte, Luft zu machen."2 Albert Schweitzer gibt ebenfalls zu: "Ganz unberechtigt ist diese Kritik, was die dreimalige Wiederholung des 'Ich' betrifft, nicht!", er bedauert dann: "Mußte dem großen Hamburger Kunstorakel auch gerade diese in deklamatorischer Hinsicht nicht ganz unanfechtbare Kantate zu Gesicht kommen, als er sein öffentliches Urteil über den vollendetsten musikalischen Deklamator abzugeben sich anschickte!" Schweitzer fährt fort: "Wenn er sich die Mühe gegeben hätte, andere Vokalkompositionen Bachs kennenzulernen, wäre er eines Besseren belehrt worden"3. Er wäre aber auch auf weitere Kantaten gesto1

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Johann Mattheson, Critica música II, Hamburg 1725, 368, zit. nach Dok. II Nr. 200. Philipp Spitta, Johann Sebastian Bach, 2 Bd., Leipzig 1930 4 , Bd. I, 530. Albert Schweitzer, J.S. Bach, Wiesbaden 1957, 155. An anderer Stelle bemerkt er: "Es muß ihm [sc. Mattheson] zugestanden werden, daß die

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Einführung

ßen, von denen Schweitzer schreibt: "Nur gut, daß Mattheson diese Kantate nicht zu Gesicht bekam ..."4. Genau entgegengesetzt urteilt eine Generation später Friedrich Wilhelm Marpurg: "Ich erinnere mich noch mit Vergnügen einer gewissen Fuge des seel. Herrn J. S. Bach, über die Worte: Nimm was dein ist, und gehe hin5 ... Diese Fuge hatte auch bey den meisten der Musik ganz unkundigen Zuhörern eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit und einen besonderen Gefallen erreget, welche gewiß nicht aus den contrapunktischen Künsten, sondern aus der vortrefflichen Deklamation, die NB. der Componist im Hauptsatze und in einem kleinen besondern Spiele mit dem gehe hin, angebracht hatte, und deren Wahrheit, natürliches Wesen, und genau angemessene Richtigkeit, jedem sogleich in die Ohren fiel, herrührten. Dergleichen Fugen könnte ich ... von dem itztgedachten großen Meister mehrere anführen." 6 Soviel ist deutlich: Beiden Kritikern fällt die Art und Weise der Textbehandlung Bachs in seinen Kantaten auf, in diesen Beispielen speziell die mehrfache Wiederholung einzelner Worte bzw. Satzteile, auch wenn sie diese Beobachtung unterschiedlich beurteilen. So stellt sich die Frage: Trifft es zu, was Schweitzer zu BWV 21/2 bemerkt, daß solche Wortwiederholungen "nicht auf tiefer Überlegung" beruhen 7 , oder ist es ein Charakteristikum von Bachs Textbehandlung, "wenn er bestimmte Worte auffällig wiederholt und plötzlich mit besonderer rhythmischer Energie

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viermalige Wiederholung des Wortes 'Ich' zu Anfang nicht auf tiefer Überlegung beruht. Wir haben es hier mit einer Reminiszenz an den alten Motettenstil zu tun" (488f). Ebd., 505 zu BWV 24. Die Deklamation gibt für Schweitzer oft das Urteil ab, inwiefern es sich wahrscheinlich um eine Parodie handelt oder nicht, z.B. 516 zu BWV 194/5 und 8 (was hier zutrifft), 546, Anm. 11 zu BWV 144/2 und 5, 681 zu BWV 121/2. BWV 144/1. Friedrich Wilhelm Marpurg, Kritische Briefe über die Tonkunst, Berlin 24.5.1760, zit. nach Dok. III, Nr. 701 (146). Albert Schweitzer, J.S. Bach, a.a.O., (Anm. 3), 489.

Zwei zeitgenössische Zeugnisse

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nachdrücklich, kurz angebunden hinstellt, ja hervorstößt", wie es Philipp Wolfrum formuliert? 8 Es könnte doch sein, daß Bach sehr bewußt und überlegt so verfuhr und auf diese Weise Akzente setzte und das betonte, was ihm wichtig erschien.

2. Weitere Beobachtungen Außer diesen beiden gibt es eine ganze Reihe von Modellen, wie Bach Texte im einzelnen behandelte. Sie sollen nun vorgestellt werden: 1. Zu Beginn von BWV 21/2 wird ein einzelnes Wort durch mehrfache Wiederholung auf Akkorden vor dem eigentlichen Beginn der Chorfuge hervorgehoben. In diesem Fall ist es das Subjekt "ich". Ähnlich verfährt Bach später zu Beginn der Motette "Komm, Jesu, komm" mit dem Imperativ "komm". Alfred Dürr weist darauf hin, daß sich solche Eröffnungstakte, von Hugo Riemann "Vorhang" genannt, häufig in der Musik jener Zeit finden. 9 Wenn Bach hier diese Form wählt und das Subjekt "ich" dermaßen betont, dann unterstreicht er auf diese Weise den existentiellen Charakter des zugrunde liegenden Textes. Es ist keine distanzierte Aussage, hier spricht das betroffene Ich, d.h. es handelt sich um eine höchst persönliche, mich, den einzelnen Menschen betreffende Aussage.10 2. In BWV 144/1 verfährt Bach so, daß er den Gesamttext "Nimm, was dein ist, und gehe hin" dem Fugenthema unterlegt,

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Philipp Wolfrum, Johann Sebastian Bach, 2. Band, Leipzig 1910, 31f. Alfred Dürr, "Einführung in die Kantaten BWV 71, 172", in: Sommerakademie Johann Sebastian Bach 1979, Heft 1, 3-14, 9. Vgl. Schering, der diese Wortwiederholung als Selbstanklage interpretiert, in: Arnold Schering, Über Kantaten Johann Sebastian Bachs, Leipzig 1950 3 , 37.

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Einführung

während auf den Kontrapunkt, der in zweifacher Gestalt erscheint, die Schlußwendung "gehe hin" mehrfach gesungen wird.11 So sehr es sich musikalisch anbot, dem ruhigen Thema einen bewegten Kontrapunkt entgegenzusetzen, ist es doch sprachlich nicht zwingend, darauf "gehe hin" mehrfach wiederholen zu lassen. W. Gillies Whittaker erklärt diese Wiederholungen einfach damit: "The composer was in difficulties with his diminutive text."12 Das trifft nicht zu. Es ist nämlich zu beobachten, daß der Text in seiner Gesamtheit ausschließlich auf das Fugenthema vorgetragen wird, sonst läßt Bach nur "und gehe hin" bzw. "gehe hin" singen, somit auch in den Kontrapunkten. Dahinter steht eine Absicht Bachs. Er will unterstreichen: Was Gott dem Menschen gibt als das Seine, das ist genug; mehr kann er nicht bekommen, mehr braucht er auch nicht. Spitta bemerkt zurecht, daß in dieser Fuge "die energische, ja harte Abweisung der Forderungen werkgerechten Dünkels einen fast dramatischen Ausdruck gewinnt."13 3. Die Ratswahlkantate BWV 71 beginnt ebenfalls mit einem "Vorhang"14, bevor in T. 3 der Text "Gott ist mein König" in seiner Gesamtheit vorgetragen wird. Daneben ist die Textbehandlung in T. 5ff ebenfalls auffällig. Zunächst wiederholt Bach die Akkordschläge vom Anfang auf das Wort "Gott", in der Mitte von T. 6 fährt er fort mit "Gott ist", dann schließt der Gesamttext den Eingangsabschnitt ab. Dasselbe wiederholt sich am Satzende T. 34ff. Bach vertont also den Text "Gott ist mein König" sukzessive, Schritt um Schritt. Während der Gesamttext zweimal gesungen wird, erklingt "Gott" noch viermal, "Gott ist" noch einmal 11

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Die erste Hälfte mit dem Text "gehe hin, gehe hin" verselbständigt sich zu einem Motiv (T. 21, 23 T, T. 24 B, T. 26 S u.ö.). W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach, Vol. I und II, London 1978, I, 354. Philipp Spitta, Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 2), II, 248. Alfred Dürr, Einführung in die Kantate BWV 71, a.a.O. (Anm. 9). Den ganzen Chor analysiert Dürr in: Studien über die frühen Kantaten J.S. Bachs, Wiesbaden 1977 2 , l l l f .

Weitere Beobachtungen

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zusätzlich, also "Gott" insgesamt siebenmal. Unabhängig davon, ob diese Siebenzahl beabsichtigt ist oder nicht: durch die häufige Wiederholung des Subjektes "Gott" sowie die sukzessive Vertonung des Textes wird deutlich hervorgehoben: Gott, nur Gott, er allein ist mein König. Oder wie es Dürr schön ausführt: "Gott ist der wahre Regent, und alle irdische Regentschaft ist sein Werk."15 4. Zum 1. Advent 1714, dem Beginn eines neuen Kirchenjahres, schrieb Bach die Kantate BWV 61 "Nun komm, der Heiden Heiland". Der Eingangschor ist "eine feinsinnige Kombination von Choralbearbeitung und Französischer Ouvertüre."16 Was die Textbehandlung anbelangt, so fällt auf, wie deutlich die erste und die dritte Choralzeile gegenüber den anderen beiden, die in einen einfachen vierstimmigen Satz vertont sind, herausgehoben werden. Mag dies bei der dritten Zeile mit der Form der Französischen Ouvertüre zusammenhängen, deren Mittelteil sie bildet, so hätte sich im Falle der ersten Zeile, um den einleitenden GraveTeil nicht zu lang werden zu lassen, eine knappe Vertonung nahegelegt. Stattdessen "wird jedoch die erste Zeile durch aufeinanderfolgendes Zitat der vier Singstimmen sowie je ein voraufgehendes und eingeschobenes instrumentales Zitat (Continuo) erheblich ausgeweitet."17 Sie erklingt somit insgesamt sechsmal, so häufig wie keine andere! Das bedeutet, vom Text aus betrachtet: "Während des feierlichen Grave singt eine Stimme nach der anderen die bittende Choralzeile 'Nun komm' der Heiden Heiland."18 Auf 15

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Ebd., 5. Dies mag auch der Grund sein, weshalb Paul Mies in "Die geistlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs und der Hörer von heute", 3. Teil, Wiesbaden 1964, 156, "Gott" kursiv drucken läßt. Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, Kassel etc./München 1981 4 , 96. Eine eingehende Analyse bietet Dürr in: Studien zu den frühen Kantaten J. S. Bachs, a.a.O. (Anm. 14), 118. Ebd. Ebd., 494, vgl. die Behandlung dieser Zeile in dem Choralduett BWV 36/2.

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Einführung

diese Weise hebt Bach diese Choralzeile in besonderer Weise hervor. Bei der dritten Choralzeile "des sich wundert alle Welt", die als Fuge durchgeführt wird,19 läßt sich folgendes beobachten: Zunächst wird in dem lockeren Kontrapunkt, der im Sopran und im Alt dem Fugenthema folgt (T. 33ff), das Subjekt "alle Welt" verdreifacht. 20 Ferner wird besonders häufig die Wendung "alle, alle Welt" an das Zeilenende angefügt (T. 43ff im Alt, T. 40ff im Tenor, T. 50ff im Alt, T. 77ff im Tenor). Dazu kommt, daß auch sonst noch "alle" verdoppelt ist (T. 48ff im Tenor, T. 56ff im Sopran und Alt, T. 83ff im Sopran). Hier setzt Bach seinen Akzent nicht auf die ganze Choralzeile, sondern letztlich auf ein Wort, nämlich auf "alle". 5. Nach einem Rezitativ folgt die Arie "Komm, Jesu, komm zu deiner Kirche." Bach behandelt diese Zeile folgendermaßen: Sie wird zunächst einfach vorgetragen (T. 17-19), dann in einer freien Sequenz wiederholt, bevor die nächste Zeile angefügt wird. An diese wird unmittelbar auf die unbetonte Zählzeit zwei aus der ersten Textzeile der Imperativ "komm" mittels eines Septsprungs angehängt. Im nächsten Takt ertönt auf dieselbe Zählzeit wiederum dieser Imperativ. In T. 25 greift ihn Bach noch einmal auf, um die Zeile mit "zu deiner Kirche" zu Ende zu führen, woran der Zeilenanfang "komm, Jesu komm" angehängt wird. Dann wird nach einer kurzen Pause die erste Zeile normal vertont, woran wiederum, jeweils auf Zählzeit zwei, dreimal "komm" eingefügt wird (T. 29-31),21 bevor mit der zweiten Zeile fortgefahren wird. Diese Arie ist ein Beispiel dafür, wie Bach ein einzelnes Wort aus dem Text herausgreifen und isoliert herausstellen kann. 19

20 21

Analyse bei Alfred Dürr, "Einführung in die Kantate BWV 71", a.a.O., (Anm. 9). Eine Verdreifachung von "alle Welt" findet sich im Tenor T. 60ff. W. Gillies Whittaker bemerkt dazu: "A delightful device is the isolated cries of 'komm' on the second beat of the bar, which tell effectively against the flowing melodies", The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12), 148.

Weitere Beobachtungen

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6. Den Schlußchoral dieser Kantate bildet der zweite Teil der Strophe "Wie bin ich so herzlich froh." 22 Auffällig ist, wie Bach die Zeile "Komm, du schöne Freudenkrone" in den Begleitstimmen behandelt: 1. Im Baß wird als Vorspann achtmal die Aufforderung "komm" in Quint- bzw. Quartsprüngen vor dem eigentlichen Zeilenbeginn gesungen. 2. Alt und Tenor bilden ein auftaktiges Fugato, wobei "komm" im Thema verdoppelt ist. Ferner ist im Tenor an das Zeilenende noch einmal "komm" angehängt. 3. Darüber hinaus - und das ist neuartig - nimmt Bach T. 6 in beiden Stimmen eine kleine Textneubildung vor: Er greift noch einmal den Imperativ "komm" auf (im Tenor sogar zweifach) und verbindet ihn mittels des Bindewortes "und" mit der folgenden Zeile, so daß der Text entsteht: "Komm und bleib nicht lange." Zugleich trägt der Baß beide Zeilen in ihrer unveränderten Gestalt vor. Bach griff an dieser Stelle in den Text ein, um die Aufforderung "komm" noch einmal betont einfügen zu können. 7. Auch im Mittelteil der Arie "Heiligste Dreieinigkeit" (BWV 172/3) stellt Bach den Imperativ "komm" stark heraus, der schon in der Textvorlage viermal den Zeilenanfang bildet. Zunächst wiederholt er die Anfangszeile "komm doch in der Gnadenzeit" (T. 1 lf). Dann setzt er vor die Zeile "komm doch in die Herzenshütten" zusätzlich den Befehl "komm doch" auf einer aufsteigenden Koloratur, d.h. er verdoppelt den Zeilenanfang (T. 13f). Mit derselben Wendung, um eine Terz nach oben transponiert, leitet er die Zeile "komm und laß dich doch erbitten" ein (T. 16f), d.h. er greift auf den isolierten Anfang der vorvorgehenden Zeile zurück. 23 Die beiden Schlußzeilen werden T. 20f noch einmal ver-

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Dazu: Renate Steiger, "Amen, amen! Komm, du schöne Freudenkrone Zum Schlußsatz von BWV 61", in: MuK 59, 1989, 246-251. Zutreffend bemerkt Carl Otto Dreger, daf3 Bach hier "großes Gewicht auf das Wort 'komm' legt, das in drei Koloraturen jedesmal gesteigert zu Gehör gebracht wird und beim letzten Mal mit den Worten: 'komm und ziehe bei uns' den Höhepunkt erreicht" (Carl Otto Dreger, "Die Vokal-

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Einführung

tont, wobei die letzte etwas anders formuliert ist. Lautet sie T. 18f in Anlehnung an die vierte Zeile: "komm und kehre bei uns ein", wie auch im Textdruck von 1731 wiedergegeben, 24 so ist sie T. 21 ff umgeändert zu "komm und ziehe bei uns ein".25 Das ist ein sachlicher Unterschied. "Einkehren" hat mehr einen nur vorübergehenden, "einziehen" jedoch einen länger dauernden Aufenthalt zur Folge. Bach wollte also zum Ausdruck bringen: Die Dreieinigkeit möge nicht nur für kurze, sondern für längere Zeit in den "Herzenshütten" Wohnung nehmen. 8. In dem Textdruck von 1731 wird das Duett BWV 172/5 als ein Zwiegespräch zwischen der Anima und dem Spiritus Sanctus bezeichnet.26 Entsprechend selbständig werden die beiden Singstimmen geführt. Der Text der Anima ist dreimal umfangreicher als der des Spiritus Sanctus. Im zweiten Durchgang der beiden Anfangszeilen fügt Bach ein doppeltes "komm" zusätzlich ein (T. 6f), zwischen die fünfte und sechste Zeile schreibt er den Vokativ "liebste Liebe" aus der vierten Zeile ein. Die stärksten Eingriffe sind in der letzten dreizeiligen Strophe zu beobachten. Sie lautet:

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thematik Johann Sebastian Bachs. Dargestellt an den Arien der Kirchenkantaten", in: BJ 1934, 41-62, 52). Sämtliche von Johann Sebastian Bach vertonte Texte, ed. Werner Neumann, Leipzig 1974, 444. Alfred Dürr zitiert: "Komm und ziehe bei uns ein!" ("Einführung in die Kantate BWV 172", in: Sommerakademie Johann Sebastian Bach 1979, Heft 1, 15-25, 18). Da die Originalpartitur verloren ging und die erhaltenen Singstimmen 1731 von Kopisten angefertigt wurden, meint der Krit. Ber. zu NBA 1/13, 33, dies "wird vielleicht nur auf ein Versehen des Kopisten zurückgehen". Doch fährt er bezeichnenderweise fort: "Diese Abweichung könnte andererseits aber auch von Bach selbst herrühren, wie das Melisma auf 'ziehe' zu beweisen scheint". Das ist umso wahrscheinlicher, als sich dieser Vorgang noch häufiger beobachten läßt. BT 444.

Weitere Beobachtungen

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"Sei im Glauben mir willkommen, Höchste Liebe, komm herein, Du hast mir das Herz genommen." Bach vertont diesen Text zunächst wie erwartet und setzt vor seiner Wiederholung durch Pausen eine Zäsur (T. 30). Doch der musikalische Duktus verläuft anders. Schon am Ende der zweiten Zeile findet sich auf die Worte "komm herein" eine Kadenz (T. 28ff). Die unmittelbar anschließende letzte Zeile leitet etwas Neues ein, das, durch die oben erwähnte Pause unterbrochen, mit der Wiederaufnahme der Anfangszeile fortgesetzt wird. Dem entspricht die Interpunktion. Am Ende der Schlußzeile T. 30.35 steht nicht, wie erwartet, ein Punkt, sondern ein Komma. Unter der Hand, kaum hörbar ordnet Bach diese drei Zeilen anders, was beim Abgesang T. 42ff deutlich wird. Die neue Fassung der Strophe lautet: "Du hast mir das Herz genommen, Sei im Glauben mir willkommen, Höchste Liebe, komm herein!" Um den Zeilenanfang nicht in der Luft hängen zu lassen und dem Hörer kundzutun, wer mit "du" angesprochen wird, findet T. 41f eine Inversion der neuen Schlußzeile statt. Die Aufforderung "komm herein" wird, nach einer Pause, als Abschluß an die Zeile "sei im Glauben mir willkommen" angehängt. Der übrig gebliebene Vokativ "Höchste Liebe" bildet zugleich den Übergang zum Folgenden. Was sind Bachs Beweggründe für dieses Vorgehen? Zum einen wird die Anrede "du" an die Spitze der Strophe gerückt. Zum anderen bildet die Bitte "komm herein" das letzte Wort der Anima und stimmt zugleich im Reim mit dem Schlußwort "dein" des Spiritus Sanctus überein. Wie sehr Bach diese Bitte hervorhebt, zeigen die Wiederholungen dieser Wendung gleich zu Beginn auf einer vollständigen Kadenz (T. 27-29) oder später T. 3234.

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Einführung

9. In der Altpartie desselben Duetts findet sich T. 7ff eine sukzessive Vertonung der ersten Zeile: "Ich erquicke, ich erquicke dich, ich erquicke dich, mein Kind, dich, mein Kind." Bedeutsamer ist jedoch die Behandlung der dritten Zeile "ich bin dein, und du bist mein." Bach vertont diesen Text siebenmal, wobei nach dem vierten Mal "du bist mein" (T. 32), nach dem sechsten Mal "ich bin dein" (T. 35f) zusätzlich eingefügt ist. Etwa genau in der Mitte, in T. 37, vertauscht Bach beide Texthälften miteinander, so daß die Zeile nun "du bist mein, und ich bin dein" lautet, die Bach fünfmal vertragen läßt. Während er im vorderen Teil jeweils beide Texthälften zusätzlich einschiebt, konzentriert er sich im hinteren Teil ganz auf "und ich bin dein" (T. 39, 41), ja er stellt dies am Ende noch einmal betont heraus, indem er deklamiert "und ich, und ich bin dein" (T. 44). Dadurch hebt Bach zum einen das pointierte "ich" hervor, das dem betonten "du" im Sopran entspricht. Der Hl. Geist ist der, der in diesem Verhältnis Geist-Seele die dominierende Rolle einnimmt. Zugleich wird durch diese Inversion geradezu plastisch nachgezeichnet: Indem die ganze Passage mit "Ich bin dein" beginnt und mit "und ich bin dein" endet, wird veranschaulicht, wie das "du" der Seele vom "ich" des Geistes umgeben und umschlossen ist. "Du bist mein" hat seinen Grund in "ich bin dein". Die Gemeinschaft von Geist und Seele ist nicht eine Partnerschaft zwischen Gleichwertigen, sondern besteht darin, daß die Seele vom Geist umfaßt und gehalten ist. 10. In der Arie "Wenn kommt der Tag, an dem wir ziehen Aus dem Ägypten dieser Zeit" (BWV 70/3) wird nach dem ersten Vortrag dieser beiden Zeilen der fragende Hauptsatz "Wenn kommt der Tag" zweimal allein wiederholt (T.

Weitere Beobachtungen

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17f), bevor mit dem Text fortgefahren wird. Ehe derselbe Textabschnitt erneut behandelt wird, erscheint dieser Fragesatz im voraus, wobei das Fragewort "wenn" unmittelbar auf unbetonter Zählzeit mit einem Quartsprung nach oben angehängt wird (T. 26). Dann wird noch der Ausruf "ach!" aus der dritten Zeile eingeschoben, was eine Steigerung bewirkt. Es ist auffallend, wie stark hier das Fragewort betont wird, in diesem Fall die Frage nach dem alles entscheidenden Tag und seinem Kommen. 11. Die beiden letzten Zeilen dieser Arie lauten: "Wacht, Seelen, auf von Sicherheit Und glaubt, es ist die letzte Zeit!" Diese werden zunächst einfach vertont, wobei zur Schlußkadenz das Zeilenende "die letzte Zeit" wiederholt wird (T. Alf). Daran wird unmittelbar, auf unbetonte Zählzeit, mit markantem Quintsprung, ohne Instrumentalbegleitung der Imperativ aus der vorhergehenden Zeile "wacht auf' angefügt, wobei der Vokativ "Seelen" ausgelassen ist. Derselbe Vorgang wiederholt sich T. 50 in ähnlicher Weise. Die Auslassung des Vokativ bedeutet eine Konzentration auf das Wichtigste, nämlich auf den Imperativ. Die Häufung von Imperativen bedeutet nicht nur eine Intensivierung der Aufforderung im Sinne von "wacht doch auf jeden Fall auf', sondern auch einen Antrieb im Sinne von "wacht bald auf." 12. Im Schlußteil dieser Arie (T. 60ff) vertont Bach noch einmal den gesamten Arientext. Dabei findet sich T. 72 wieder das angehängte "wacht auf" wie T. 48. Die Singstimme endet dann mit folgendem Text: "Wacht auf, es ist die letzte Zeit!" Dabei handelt es sich um eine Zusammenfassung der letzten beiden Zeilen. Von der vorletzten wird der Imperativ "Wacht auf' ohne den dazwischen stehenden Vokativ mit dem Nebensatz der letzten verbunden. Auf diese Weise erreicht Bach zunächst eine Konzentration, wie es sich für den Schluß einer Arie anbietet. Doch tritt durch diese Kombination auch eine Verschiebung der Aussage ein: Der

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Einführung

Imperativ "wacht auf' bezieht sich nicht mehr auf "von Sicherheit", sondern auf "es ist die letzte Zeit". Diese Aussage hat in Verbindung mit "und glaubt" eine subjektivere Färbung: Die Menschen werden aufgefordert zu glauben, es sei die letzte Zeit. Das ist nicht für jedermann eindeutig, vielmehr eine Glaubenssache. In der neuen Verbindung heißt es kategorisch: "Es ist die letzte Zeit" - diese Aussage hat einen mehr objektiven Charakter bekommen. Sie gilt absolut, das ist keine Sache persönlichen Glaubens mehr. Insofern brachte Bach an diesem Punkt an seiner Textvorlage eine Korrektur an.27 Fassen wir zusammen, so lassen sich an Bachs Umgang mit seinen Texten folgende Beobachtungen feststellen: 1. Einzelne Worte bzw. Wendungen werden vervielfacht. 2. In Themen (Fugenthemen, Kontrasubjekten, Motiven) werden Worte vervielfacht. 3. Ein Text wird sukzessive vertont. 4. Innerhalb einer Choralbearbeitung werden einzelne Choralzeilen durch besondere Behandlung herausgestellt. 5. Einzelne Worte werden aus dem Zeilenzusammenhang gerissen und isoliert wiederholt, häufig auf unbetonten Zählzeiten, mittels Sprünge in exponierte Lagen. 6. Bach bildet neue Texte. 7. Bach ändert im Laufe der Komposition Texte ab. 8. Textzeilen werden anders geordnet. 9. Texthälften werden miteinander vertauscht (Inversion). 10. Teile zweier Textzeilen werden zu einer zusammengezogen. Ferner: 11. Fragen werden besonders intensiviert. 12. Imperative werden verstärkt, wobei der entsprechende

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Vielleicht störte er sich auch an der Formulierung "... und glaubt, es ist ...", die hier im Sinne der fides quae creditur zu verstehen ist.

Weitere Beobachtungen

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Vokativ weggelassen oder auch, wie später gezeigt werden soll, zusätzlich eingefügt werden kann.28

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Wie sehr Bach in seiner Art, Texte bei der Vertonung zu behandeln im Widerspruch zu der Ästhetik seiner Zeit stand, zeigte jüngst Günther Wagner in seinem Aufsatz "Instrumental-vokal als Problem der BachBewertung im 18. Jahrhundert" (in: BJ 1987, 7-17, bes. 9ff). Selbstverständlich finden sich ähnliche Textbehandlungen auch bei anderen Komponisten, nur längst nicht in diesem Umfang. Nachfolgend einige Beispiele: 1. Wortvervielfachung: Johann Ludwig Bach: Kantate Nr. 12, Arie Nr. 4 "Ich bin ein guter Hirt" (das Anfangswort "ich" ...) 2. Thematische Verdoppelung: Schütz: "Ich bin die Auferstehung und das Leben" (BWV 464) (Die Negation in "der wird nimmermehr sterben") 3. Sukzessive Vertonung, Inversion, Texterweiterung: Beethoven: Fidelio, Arie Nr. 2 (Schlußzeile T. 30ff, 64ff, 73ff). 4. Einzelne Worte werden isoliert wiederholt: Beethoven: Missa sollemnis ("non" nach "non erit finis" im Credo) Schumann: Frauenliebe und -leben, Lied Nr. 6 (am Schluß: "dein Bildnis") 5. Textumbildung durch Auslassung: Schubert: Messen (dazu: Walter Dürr, "Dona nobis pacem. Gedanken zu Schuberts späten Messen", in: ed. Wolfgang Rehm, Bachiana et alia musicologica. FS Alfred Dürr zum 65. Geburtstag. Kassel etc. 1983, 62-73. bes. 62, Anm. 6). 6. Textumgestaltung im Laufe der Komposition: Mozart: Entführung aus dem Serail, Arie Nr. 6, T. 18ff, 84ff 7. Zeilenumstellung: Händel: Der Messias ("Ich weiß, daß mein Erlöser lebt" wird in der Arie rondoartig wiederholt). Brahms: Ein deutsches Requiem, Satz Nr. 5 ("Ich will euch wiedersehen" am Schluß) Wolf: Er ist's. (Am Schluß: "Ja, du bist's").

II. Durchsicht des Kantatenwerks 1. Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt Vielfach ist das Anfangswort einer Zeile, besonders wenn es sich um das Subjekt eines Satzes handelt, durch häufige Wiederholung in besonderem Maß herausgestellt. Sehr deutlich ist dies im Eingangschor "Alles nur nach Gottes Willen" (BWV 72/1) der Fall, wo "alles" ständig wiederholt wird1, schon zu Beginn in den Stimmen, die noch nicht mit der Imitation einsetzen. Bis zu fünfmal nacheinander kann dieses Wort gesungen werden (T. 27ff Sopran, Alt, T. 39ff Sopran, T. 98ff Alt), um die Totalität des Willens Gottes unüberhörbar zu machen. Bei der letzten Zeile des Choralchors BWV 140/1 "ihr müsset ihm entgegen gehn" läßt Bach die Unterstimmen zu den beiden ersten Tönen des C.f. akkordisch "ihr" singen, bevor dann imitatorisch die ganze Zeile vorgetragen wird. Damit wird deutlich, wer in diesem ganzen Satz angesprochen ist. Beim Tuttieinsatz des Chores "Wir kommen, deine Heiligkeit, unendlich großer Gott, zu preisen" (BWV 195/5) singen die drei Unterstimmen vor dem Sopraneinsatz auf den Taktbeginn zusätzlich "wir" und wiederholen dies, bis sie selbst mit dem Thema folgen.2 Dasselbe wiederholt sich, von Veränderungen im Baß abgesehen, T. 77ff. Ferner wird in den drei Oberstimmen in T. 92f dieses Subjekt homophon zweimal vorangestellt.3 1

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W. Gillies Whittaker erwähnt "shouts of 'Alles'", The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 524. "The lower voices shout 'Wir' on the first beats of the bar before they take by", ebd., 384. In dem Chor "Wir haben keinen König" aus der Johannes-Passion setzt

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Durchsicht des Kantatenwerks

Am Ende des schon erwähnten Chores "Gott ist mein König" (BWV 71/1) wird das Subjekt "Gott" fünfmal nacheinander gesungen, meist betont auf Taktanfang. Das Subjekt des zweiten Teils der Arie BWV 181/1 ist "Belial mit seinen Kindern." "Belial is solemnly intoned thrice, the second time a tone higher"4, und zwar "in die Zäsuren des Instrumentalthemas." 5 Dies geschieht nicht nur einmal, sondern zu Beginn von beiden Abschnitten mit dem Text (T. 27ff, 52ff). In dem Duett "Die Armut, so Gott auf sich nimmt" (BWV 91/5) wird das Subjekt "die Armut" erst im Mittelabschnitt des Hauptteils vervielfacht, hier dafür besonders intensiv: Im Sopran ist es dreifach, im Alt sogar vierfach an den Zeilenanfang gestellt (T. 19ff), um zu zeigen, worin der Grund für das ewige Heil der Menschen liegt. Diese Armut zeigt sich in Jesu menschlichem Wesen, und entsprechend wird das Subjekt des Mittelteils "sein menschlich Wesen" T. 36ff im Sopran und T. 58ff im Alt verdreifacht. Der Beginn der Arie "Erfreute Zeit im neuen Bunde" (BWV 83/1) besteht aus einer zweifachen Einleitung mit "erfreute Zeit" (T. 16ff). Beim zweiten Textdurchgang wird dies noch ausgeweitet, indem diese Wendung insgesamt sechsmal gesungen wird (dreimal als Mittelteil auf langen Koloraturen, dreimal als Beginn des Dacapos). Dies fand auch musikalisch seinen Niederschlag. Schweitzer zitiert des Eingangsthema unter den Freudenmotiven 6 und nennt sie eine "freudvoll bewegte Eingangsarie". 7 Der Tod ist das Thema in dem Duett BWV 4/3. Darum ist schon zu Beginn der Anfangszeile "Den Tod niemand zwingen könnt" die Anfangswendung in beiden Stimmen zweimal voran-

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Bach ebenfalls zweimal pointiert "wir" voran. W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 713. Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 213. Albert Schweitzer, J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 470. Ebd., 512.

Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt

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gesetzt. Entsprechend ist innerhalb der Zeile "Davon kam der Tod so bald" das Subjekt "der Tod" im Sopran verdreifacht, im Alt verdoppelt. Beide Stimmen tragen diese Worte im Wechsel vor, so daß sie insgesamt fünfmal zu hören sind. Die Macht des Todes stellt Bach in T. 41ff sogar bildlich dar: Bei der Zeile "hielt uns in seinem Reich gefangen" unterschreitet am Ende der Sopran den Alt, wodurch diese Gefangenschaft wiedergegeben wird.8 Die übernächste Strophe (BWV 4/5) endet mit der Zeile "ein Spott ist aus dem Tod worden". Zum C.f. tragen die begleitenden Stimmen nur diese Wendung "ein Spott" vor, und zwar im Wechsel zwischen Sopran auf der einen, Tenor und Baß auf der anderen Seite.9 Dabei singt der Sopran dies insgesamt fünfmal, der Tenor viermal, der Baß dreimal. Auf diese Weise wird der Tod geradezu ausgelacht. Dem entspricht, wenn bei der Zeile "es hat den Tod verschlungen" der Baß das Objekt "den Tod" verdreifacht (T. 22). So wird hier die Niederlage des Todes und der Triumph über ihn deutlich herausgestellt.10 Der Mittelteil der Arie BWV 139/2 endet mit der Zeile "ihr Spötter seid mir ungefährlich". Gleich zu Beginn ist die Anrede verdreifacht (T. 92ff). Dann wird sie zweifach zusätzlich eingeschoben, wobei einmal "Spötter" mittels einer Koloratur breit dargestellt ist (T. 97ff); vor dem Abschluß ist sie noch einmal verdoppelt. Auf diese Weise werden die Spötter selbst verspottet!

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Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 233. Vgl. W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), , 211: "The accompanying voices reiterate antiphonally 'Ein Spott' to detached quavers". Gerhard Herz erwähnt"... taunting cries of 'ein Spott'", Cantata No.4. A Norton Critical Score, New York 1967, 104. Friedrich Smend bemerkt: "Der Spott Uber den vernichteten Tod ist scharf'. (Johann Sebastian Bach, Kirchenkantaten, erläutert von Friedrich Smend, Berlin 1966 3 ,1, 16). Schering beschreibt: "Der Spott... ist geradezu ein Kinderspott", Über Kantaten Johann Sebastian Bachs, a.a.O. (Anm. 10, Teil I), 57.

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Durchsicht des Kantatenwerks

Die erste und letzte Zeile der Arie BWV 144/5 besteht nur aus dem Subjekt "Genügsamkeit". Es ist aber zugleich das einzige, was Bach in der ganzen Arie überhaupt wiederholt. Zu Beginn jeder Textdurchführung ist das Wort verdoppelt (T. 7ff, 26ff), am Ende wird es vierfach (T. 21 ff) bzw. siebenfach (T. 33ff) gesungen, nachdem es am Anfang zum Abschluß des ersten Textteils zusätzlich angefügt wurde (T. 12f). Dieses Anfangswort kann auch ein Objekt sein, so im Mittelteil der Arie BWV 8/4. Bevor Bach die Vertonung des Zeilenpaares "nichts, was mir gefällt, besitzet die Welt" abschließt, setzt er zusätzlich dreimal "nichts"11 auf betonte Taktteile voran (T. 42). Dies ist der Gegenpol zu "vor Jesu zu stehn", wovon unmittelbar darauf die Rede ist. In dem Chorsatz "Alles nun, was ihr wollt" (BWV 24/3) ist "alles" u.a. dadurch besonders hervorgehoben, daß es insgesamt fünfmal nacheinander gesungen wird. Ähnlich verhält es sich im Chor BWV 10/1 bei der Wendung "alle Kindeskind", wo "alle" T. 66ff im Sopran dreifach und im Tenor vierfach wiederholt ist, ferner T. 73ff im Sopran vierfach und T. 74f im Alt dreifach.12 In anderen Arien bildet das Anfangswort eine Art Ausruf. So textiert Bach zum Anfang der Arie "Gottlob! nun geht das Jahr zu Ende" (BWV 28/1) auf den Ritornellbeginn "Gottlob, gottlob!" (T. 13f). In den nächsten Takten wird derselbe Text wiederholt, bis endlich nach einigen Pausen die ersten beiden Zeilen der Arie im Zusammenhang vorgetragen werden. Bei der Vertonung der Anfangszeile der Arie BWV 30/3 "Gelobet sei Gott, gelobet sein Name" setzt Bach T. 36ff, 156f. das Wort "gelobet" vierfach voran, und zwar in paarweiser Anordnung,wobei es zuerst kurz, dann auf eine über drei Takte gehende

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Philipp Wolfrum führt diese Passage als Beispiel dafür an, wie Bach "Worte ... durch scharfes Hervorheben ... oder auch Wiederholen auszeichnet", Johann Sebastian Bach, 2. Band, a.a.O. (Anm. 8, Teil I), 31, Notenbeispiel 4, Nr. 15. Vgl. "omnes, omnes generationes" im Magníficat.

Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt

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Koloratur gesungen wird. In dem Choralchor "Gelobet seist du, Jesu Christ" (BWV 91/1) singen der Alt und der Tenor bei der Begleitung dieser Choralzeile das Anfangswort, durch Pausen deutlich voneinander abgehoben, dreimal bzw. viermal nacheinander zu Beginn (T. 13ff). "Das Kopfmotiv [sc. der Arie BWV 133/2] ... ist ganz aus dem Text entwickelt, der ihm im Hauptteil unterlegt wird und den Hörer dreimal nacheinander das Wort 'Getrost' zuruft"13 (er fährt dann fort: "es faßt ein heiiger Leib des Höchsten unbegreiflichs Wesen"). Entsprechend wird dieser Text beim Dacapo wiederholt (T. 68ff). Bach greift das Thema der Singstimme T. 21ff noch einmal auf, setzt jedoch eine ausführliche Koloratur auf "getrost" voran, so daß dieser Ruf insgesamt viermal gesungen wird. Der Wunsch "Willkommen" in der ersten Zeile der Arie "Willkommen, werter Schatz" (BWV 36/5) wird gerne zusätzlich zu Beginn mittels eines kurzen Motivs herausgestellt (T. 9f., 13f, 15), bevor die ganze Zeile gesungen wird, zum Abschluß des Anfangsteils wird es sogar viermal unmittelbar nacheinander vorgetragen (T. 17ff). Das Gegenteil davon spricht die Zeile "Weg, schnöder Sündengraus" in der Arie 80/4 aus, freilich die Kehrseite der Bitte in der ersten Zeile "komm in mein Herzenshaus". Nachdem die ganze Zeile zweimal gesungen wurde, fügt Bach ein doppeltes "weg" auf einen Sextensprung an, wiederholt dies nach einer Pause sequenzierend. Bei der folgenden Wiederholung ist "weg" zu Beginn vierfach gesetzt, am Ende wird es doppelt angehängt14, bevor die Zeile zu Ende geführt wird. 13

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Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 135. Vgl. W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 336: "This word sung thrice to a rising arpeggio is the chief theme of the aria". W. Gillies Whittaker bemerkt: "The singer repeats 'Weg' with gestures of contempt", The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 226. Vgl. Christoph Wolff: Einführung in die Kantate BWV 80, in: Sommerakademie Johann Sebastian Bach 1979, Heft 1, 49-57, 54.

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Zu Beginn des Mittelteils der Arie BWV 22/2 wird die einleitende Wendung "wohl mir" insgesamt, durch Pausen unterbrochen, viermal nacheinander gesungen (T. 35ff), Ausdruck dafür, was das Verstehen der Passion für den Christen letztlich bedeutet. Innerhalb des Hauptteils der Arie "Wohl euch, ihr auserwählten Seelen, die Gott zur Wohnung ausersehn" (BWV 34/3) wird in T. 14ff die Anfangswendung verdreifacht, was Bach aus der Vorlage BWV 34a/5 übernimmt. Dem entspricht genau, wenn in der Chorarie BWV 67/6 der imitatorisch durchgeführten Zeile "Wohl uns, Jesus hilft uns kämpfen" die Wendung "wohl uns" zweimal homophon vorangestellt wird (T. 35ff). 15 In der dritten Zeile der Arie BWV 107/5 "solls sein, kein Mensch kanns wehren", nämlich was Gott ausrichtet, "'soll's sein' ... is repeated with leaning tones which stress 'sein"',16 insgesamt dreimal, durch Pausen voneinander getrennt. Innerhalb der Behandlung der Zeile "Welt ade, ich bin dein müde"(BWV 158/2) wird dieser Abschiedsruf T. 17ff viermal nacheinander gesungen, eingebaut in ein Ritornellzitat, ferner ist er T. 22f und 30f verdoppelt. In seiner Vertonung der Choralstrophe BWV 100/2 als Duett faßt Bach die vierte bis sechste Zeile "so laß ich mich begnügen an seiner Huld und hab Geduld" zusammen. Auffallend ist der Anfang dieses Abschnitts. Bach beginnt in beiden Stimmen mit einem doppelten "so", wiederholt es einfach nach einer Pause - stets auf unbetonten Zählzeiten, um

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Ein ähnlicher Vorgang liegt in dem Chor "Weg, weg mit dem" der Johannes-Passion vor, wo Bach das doppelte "weg" des Bibelwortes noch durch ständige Wiederholung verstärkt. Im Rezitativ BWV 197/7 ist "wohl dir" nicht nur ständig verdoppelt, sondern auch einmal vervierfacht (T. 17ff). W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Aran. 12, Teil I), 249.

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dann erst imitatorisch den Text vollständig zu behandeln. In diesem Wort ist gleichsam für ihn alles zusammengefaßt, was zuvor von Gottes Tun gesagt wurde, woraus nun der Christ bestimmte Konsequenzen ziehen kann, von denen unten die Rede sein wird. Am Ende der Bibelwortvertonung BWV 106/2b läßt Bach bei der Zeile "auf daß wir klug werden" die Anfangsworte "auf daß" dreimal betont auf fallende Terzen, die jeweils höher gesetzt sind, singen.17 In dem Duett "Nur Geduld, Geduld, mein Herze" (BWV 58/1) stellt Bach die Mahnung "nur Geduld" in T. 26ff zweimal sequenzierend voran, womit er im Grunde die Intention des Librettisten aufnimmt und verstärkt. Das Bibelwort, das dem Arioso BWV 45/4 zugrunde liegt, enthält die Anrede "Herr" doppelt. Bach verwendet sie stets dreifach18 auf gebrochenen Akkorden (T. 15f, 25f), um zu unterstreichen: Es stimmt, hier reden Menschen den Herrn an, dem sie Rechenschaft schuldig sind.19 Auch im Eingangschor der Johannes-Passion wird "Herr" in allen Stimmen verdreifacht (T. 19f, 23f, 40f) Alt und Tenor tragen in T. 37ff diese Anrede sogar fünfmal vor. Beginnt eine Zeile mit einem ganz kurzen Hauptsatz, so kann dieser auch für sich vervielfacht werden. So fängt der Solobaß der Arie "Er ists, der ganz allein die Kelter hat getreten" (BWV 43/7) mit einem dreifachen "er ists" an.20 Beim zweiten Text-

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Vgl. Arnold Schering: "bei dem dreimaligen 'auf daß"', Über Kantaten Johann Sebastian Bachs, a.a.O. (Anm. 10, Teil I), 187. W. Gillies Whittaker erwähnt: "the threefold leaping 'Herr'", The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 199. Das dreifache "Herr" zu Beginn der Arie "Herr, der du stark und mächtig bist" (BWV 10/2) gehört nur scheinbar hierher. Denn darauf folgt dreimal die restliche Zeile ohne Anrede, d.h. Bach vertont hier die Anfangszeile in zwei Abschnitte aufgeteilt. - Das dreifache "grolier Gott" in der Arie "Heiligste Dreifaltigkeit" ( B W V 172/3) ist nichts anderes als die sprachliche Wiedergabe der Trinität. W. Gillies Whittaker erwähnt: "The vocal opening, with its repeated 'Er

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Durchsicht des Kantatenwerks

durchgang jedoch verdreifacht er die Worte "ganz allein" (T. 16ff). Beides ergänzt sich insofern, als sie das Subjekt betonen, dessen Tätigkeit besonders im Continuo, aber auch in der Singstimme (T. 13ff, 19ff) deutlich musikalisch abgebildet ist.21 Den Text des Mittelteils der Arie BWV 113/3 bilden die Zeilen "Ich weiß, daß mir das Herze bräche, wenn mir dein Wort nicht Trost verspräche". Zweimal führt Bach nach einem Druchgang des gesamten Textes den Satz "ich weiß" zweimal zusätzlich ein,22 T. 25 unmittelbar an den vorangegangenen Text anschließend, T. 34f mehr als Einleitung zum folgenden. Beides unterstreicht das Wissen des Menschen um seine elementare Abhängigkeit vom Trost durch Gottes Wort. Auf die Frage der Seele "Wann kommst du, mein Heil" antwortet in dem Duett BWV 140/3 der Bräutigam "Ich komme, dein Teil". Dabei wird die Botschaft "ich komme" vervierfacht (T. 16ff), bzw. verdreifacht (T. 23ff, 71ff). Am Ende wird jeweils auf "dein Teil" verzichtet, damit die Ankündigung des Kommens wirklich das letzte Wort ist. Vor die letzte Zeile des Mittelteils im Baß "komm, liebliche Seele!" setzt er die dreifache Ankündigung "ich komme" (T. 43ff, 57ff). Gelegentlich beginnt eine Zeile mit einem Präpositionalausdruck, den Bach vervielfacht, so in der Zeile "nach nichts ich sonst mehr strebe denn was nur ihm gefällt" der Arie BWV 107/6. Er vertont diesen Text nur einmal, setzt aber zweimal "nach nichts", durch Pausen getrennt, zusätzlich voran (T. 10ff)-23 In der Arie BWV 2/3 werden die Feinde des Wortes

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ist's'", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 239. Albert Schweizter, J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 662. W. Gillies Whittaker dazu: "the repetition of 'ich weiß'", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 410. "The voice gaily repeats 'nach nichts"', W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 250.

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Gottes zitiert: "Trotz dem, der uns will meistern". Bach hebt diese Zeile nicht nur dadurch hervor, daß er sie T. 55ff auf die letzte Choralzeile singen läßt,24 sondern auch, indem er die beiden Anfangsworte deutlich verstärkt. Zu Beginn läßt er zweimal "Trotz dem" singen, dann folgt "Trotz dem, Trotz", bevor die Zeile zu Ende geführt wird. Nach dem Choralzitat wiederholt er noch einmal "Trotz", ehe die Zeile in ihrer Gesamtheit diesen Abschnitt beendet.25 Bei der Schlußzeile des Ariosos BWV 112/3 "auf dein Wort ich mich lasse" ist die Anfangswendung "auf dein Wort" durch Pausen voneinander getrennt, dreimal vertont (T. 18f), wobei besonders die Hervorhebung von "dein" durch Spitzentöne auf betonten Taktzeiten in T. 19 auffällt. Zahlreiche Wortwiederholungen finden sich an Zeilenenden, wo sich derartige Hervorhebungen geradezu anbieten. Gegen Ende des Hauptteils des Duetts "Wir eilen mit schwachen, doch emsigen Schritten, o Jesu, o Meister zu helfen, zu dir" (BWV 78/2) fügt Bach in beiden Stimmen zweimal die Wendung "zu dir" an, meist auf Quartsprüngen, und zwar komplementär, so daß sie insgesamt viermal zu hören ist (T. 36ff),26 dazu noch zu Beginn ohne jede Instrumentalbegleitung. Dasselbe ist der Fall, wenn er zum Abschluß diese Worte von beiden Singstimmen gemeinsam singen läßt (T. 42), gleichsam zur Bekräftigung. Die Zeile "ach, wie hungert mich nach dir" in der Arie BWV 162/3 vertont Bach zweimal nacheinander. Dazwischen fügt er auf absteigende Quartsprünge dreimal die Worte "nach dir" zusätzlich ein (T. 33f). Unter dem ausgehaltenen Schlußton der vierten Choralzeile des Choralchors BWV 123/1 wiederholen Alt und Tenor 24

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Alfred Dürr erwähnt das "Zitat der Choralmelodie ... auf die annähernd wörtlich beibehaltene Schlußzeile der 3. Strophe", Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 341. Vgl. W. Gillies Whittaker: "Trotz dem' is much repeated", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 343. Alfred Dürr erwähnt etwas pauschal "die vielfachen Wiederholungen ... der Worte 'O Jesu', 'zu dir'", Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 435.

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dreimal das Zeilenende "nach dir wallt", wobei freilich weitgehend die Musik von der zweiten Choralzeile übernommen ist.27 Der Mittelteil des oben erwähnten Duetts BWV 78/2 endet mit der Bitte "Es sei uns dein gnädiges Antlitz erfreulich". Dabei hebt besonders der Sopran das Schlußwort hervor: In der Schlußphase T. 86ff, die dann T. 95ff wiederholt wird, singt er "erfreulich" doppelt (der Alt nur einmal). Beide Stimmen fahren mit diesem Wort gemeinsam fort auf ein zweiteiliges, durch eine Pause unterbrochenes Motiv, das eine Variation des Eingangsritornells darstellt. Während der Alt dann die Zeile in ihrer Gesamtheit vorträgt, wiederholt der Sopran noch einmal das Schlußwort, so daß es insgesamt viermal von ihm gesungen wird. In der folgenden Arie BWV 78/4 lautet die dritte Zeile: "Ruft mich der Höllen Heer zum Streite". Bach hebt diese Wendung "zum Streite" auf verschiedene Weise hervor. Sie wird dreimal (T. 32ff) bzw. viermal (T. 46ff) zusätzlich angefügt. Dabei verwendet er zwei verschiedene Motive, zum einen markante Oktavsprünge,28 sodann gebrochene Akkorde umspielende Figuren, die sich über einen ganzen Takt erstrecken, wobei teilweise die Röte parallel mitgeht.29 Dem entspricht, wenn während des zweiten Fugato-Aufbaus in dem Eingangschor "Es erhub sich ein Streit" (BWV 19/1) der Baß jeweils zu Taktbeginn die Worte "ein Streit" einwirft, bevor er selbst T. 11 wieder als letzte Stimme mit dem Thema einsetzt. Etwas Ähnliches wiederholt sich T. 30ff.30 27

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Alfred Dürr meint, die Übernahme der Musik "erscheint durch die Textworte 'und nach dir wallt' wenig überzeugend begründet", Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 170. Jedoch zeigt die Neufassung der Baßpartie, daß Bach wohl nicht einfach automatisch die Begleitung der 2. Choralzeile übernahm, sondern auch in den Mittelstimmen ähnlich wie dort bewußt das Zeilenende hervorheben wollte. W. Gillies Whittaker erwähnt: "the detaches cries of 'zum Streite'", The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 383. Vgl. Arnold Schering: "Die Freude an der Auslegung des Streitens und Siegens ist ... groß", Über Kantaten Johann Sebastian Bachs, a.a.O. (Anm. 10, Teil I), 119. Auf ähnliche Weise verstärkt Bach in dem oben besprochenen Chor

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In dem Terzett BWV 116/4 lautet die zweite Zeile "und bitten nichts als um Geduld". In dem Thema schon hebt Bach die Wendung "um Geduld" hervor, indem er sie durch eine kurze Pause vom Vorhergehenden trennt. Ferner ist sie zu Beginn in allen Stimmen verdoppelt. Dies wird im Folgenden noch wesentlich verstärkt. Im Tenor ist sie T. 19ff dreimal zusätzlich angefügt, komplementär dazu im Sopran T. 22ff zweimal, und zwar auf eine chromatisch fallende Figur, die die demutsvolle Bitte geradezu abbildet. Ähnliches ist T. 30ff zu beobachten, wo der Sopran diese Wendung zweimal wiederholt, dagegen zur gleichen Zeit der Baß wiederum dreimal, wobei die ersten beiden Male wieder dieses Motiv verwendet ist. Diese Vorgänge werden T. 97ff wiederholt und finden sich ähnlich im Schlußteil T. 129ff im Tenor insgesamt viermal, dazu im Baß insgesamt dreimal.31 Durch die gegenseitige Ergänzung wird diese Bitte äußerst intensiv vorgetragen. Dem entspricht, wenn Bach in der ersten Zeile des Mittelteils "Es brach ja dein erbarmend Herz" das Subjekt gerne verdreifacht (T. 48ff, 63ff im Baß, T. 72ff im Tenor), während es in den anderen beiden Stimmen immer verdoppelt ist. Die Bitte um Geduld bestimmt auch den Mittelteil der Arie BWV 199/4. Gegen Ende fügt Bach an die Zeile "aber habe doch Geduld" nach einer Fermate bei verlangsamten Tempo zweimal die Worte "Geduld" an (T. 137ff), bevor er nach einer weiteren Fermate auf einer Pause weiterfährt.32 Oben wurden schon die vierten bis sechsten Zeilen des Choralduetts BWV 100/2 angeführt. Sie enden mit dem Vers "und hab Geduld". Dieses Schlußwort hebt Bach dadurch eigens hervor, indem es im Alt T. 44ff vervierfacht, im Tenor T. 43ff sogar

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BWV 123/1 am Ende der 2. Choralzeile den Begriff "bald" (T. 43ff). Vgl. W. Gillies Whittaker: "with repetitions of 'um Geduld'", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 482. "A halt is called on 'Geduld', which is sung thrice Adagio", W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 78.

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Durchsicht des Kantatenwerks

versechsfacht wird, wobei er, was in der Tenorstimme besonders deutlich wird, chromatisch fallende Seufzerfiguren verwendet. Gleich zu Beginn der Arie "Von der Welt verlang ich nichts" (BWV 64/7) wird das Schlußwort insgesamt vervierfacht, 33 und dabei bleibt es nicht. Bei der nächsten Zeilenwiederholung ist "nichts" verdoppelt (T. 16), ferner ist in T. 26 dieses Wort unmittelbar vor die Zeile gesetzt. Diese Betonung, von der Welt nichts zu erwarten, begegnet auch in BWV 8/4. "Ich komme bald" verheißt in dem Duett BWV 49/6 Christus der gläubigen Seele, und in T. 123ff wird die Zeitbestimmung "bald" fünfmal, im T. 121, 128 dreimal nacheinander gesungen. Dem entspricht später die vierfache Aufforderung "mach a u f (T. 147ff), wobei die teilweise identische rhythmische Struktur auffällt. In der Arie BWV 248/57 finden sich die Zeilen "O, so müssen sich sofort Sterblicher Gedanken wenden". Auch hier unterstreicht Bach den Zeitbegriff, indem er ihn beim ersten Textdurchgang viermal singen läßt, wobei die Sprünge im Dreiklang immer höher steigen, d.h. Bach hier die Figur der Aposiopesis anwendet.34 Den Schlußteil der Choralarie BWV 100/3 leitet Bach mit der Zeile "Gott ist getreu" ein.35 Dabei wird "getreu" zunächst einmal, dann dreimal, zuletzt zweimal nacheinander gesungen. Das Ende des Mittelteils des Duetts BWV 63/3 bezeichnet die Gaben Gottes als das, "was uns ewig nun vergnüget". Nachdem 35

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Ebd., 578: "the repeated 'nichts'". Nach Smend (V 48) versinnbildlichen "der 6/8-Takt und ebenso die rhythmische Führung der Singstimme und des Bläsers ... die Freiheit des Christen von den Schätzen der Welt". Walter Blankenburg, Das Weihnachts-Oratorium von Johann Sebastian Bach, München/Kassel etc. 1982, 130. Philipp Wolfrum führt diese Stelle an als Beispiel, wie sinnvoll Bach deklamiert.. "Er setzt ... die musikalische Zensur so, wie es der Sinn erfordert", Johann Sebastian Bach, 2. Band, a.a.O. (Anm. 11, Teil I), 31.

Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt

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Bach schon bei der Imitation das Schlußwort doppelt vertonte (T. 37ff), und diese Imitation begegnet insgesamt dreimal, zuletzt noch im Sopran verkürzt, wird es in beiden Singstimmen am Ende noch zweifach zusätzlich angefügt, so daß es vom Sopran dreimal, vom Alt viermal nacheinander gesungen wird. Im Mittelteil des Chores BWV 149/1 stellt Bach den Psalmabschnitt "die Rechte des Herrn ist erhöhet" (T. 166ff) breit dar, besonders aber das Schlußwort fast im Stil einer Permutationsfuge, wobei in jeder Stimme dieses Wort dreimal gesungen wird. Im Laufe der Fugendurchführung in BWV 79/1, der der Text "der wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen" zugrunde liegt, kann Bach das Objekt am Schluß mehrfach singen lassen, so T. 85ff viermal im Tenor, T. 94ff im Sopran, am Ende T. 112ff in Alt und Tenor jeweils dreimal. Umgekehrt kann er dies einmal auch einfach weglassen (T. 94 im Baß). In der Arie "Christi Glieder, ach bedenket" (BWV 132/5) wiederholt Bach nach der zweiten Zeile vierfach diese Aufforderung (T. 1 lff). Er verzichtet auf eine Sequenz, vertont vielmehr diese Worte jeweils verschieden, dadurch aber besonders akzentuierend. Die Zeile "Liebt, ihr Christen, in der Tat" (BWV 76/12) vertont Bach im Hauptteil sowie im Dacapo jeweils dreimal. Etwa in der Mitte, zwischen das zweite und dritte Mal, fügt er zweimal sequenzierend die Wendung "in der Tat" zusätzlich ein, um hervorzuheben: Liebe äußert sich in der Tat und nicht anders. In der Arie BWV 135/3 wird die Zeile "Denn im Tod ist alles stille" zwar nur einmal, dafür auf besonders ausdrucksvolle Weise vertont. Schon das einleitende "denn" ist einmal zusätzlich vorangestellt. Dann wird nach einer Pause die Wendung "im Tod" wiederholt. Zuletzt ist das Schlußwort "stille" verdreifacht,36 wobei teilweise chromatisch gleitende Seufzer die Trostlosigkeit des Todes wiedergeben.

36

W. Gillies Whittaker erwähnt: "'stille' sung thrice to expressive phrases", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 120.

28

Durchsicht des Kantatenwerks

Ähnlich vertont Bach zu Beginn des Mittelteils der Arie BWV 178/6 die Zeile "das Kreuz hat sie nur neu geborn", nur umgekehrt: Er stellt, unter Verwendung von Seufzerfiguren, "das Kreuz" zweimal zusätzlich voran, dann betont er vor dem Weitergang "Kreuz" auf einem lang ausgehaltenen Ton. Als nächstes Wort wird "neu" mittels einer Skalenfigur hervorgehoben (T.37) und unmittelbar daran die Wendung "nur neu" wiederholt, bevor die Zeile zu Ende geführt wird und ein Zwischenspiel des Orchesters folgt. In der Arie "Zerfließe, mein Herze" der Johannes-Passion ist ab T. 78 bei der Zeile "dein Jesus ist tot" das Schlußwort "tot" verdreifacht, am Schluß mit einer zusätzlich betonenden Fermate versehen wie schon T. 70; später T. 82f ist "tot" noch einmal verdoppelt. Zuvor hat Bach zweimal das Subjekt dieser Zeile verdoppelt (T. 66ff, 7lf)Ferner finden Wortvervielfachungen mitten in einer Zeile statt. So wird in der Choralzeile "der Würger kann uns nicht mehr schaden" (BWV 4/6) die Negation viermal nacheinander betont zum Taktanfang gesungen. Dadurch entsteht "a feeling of finality to the conquest of death".37 In der Choralzeile "des wir sollen fröhlich sein" aus dem Eingangschor derselben Kantate vervielfacht Bach das Adjektiv "fröhlich" in allen Begleitstimmen: im Alt viermal (T. 40ff), dann zweimal dreimal; im Tenor ebenfalls zweimal dreimal (T. 41f, 44f), ferner im Baß viermal (T.40ff), meist auf Melismen gesungen, die die Freude wiedergeben. Der Hauptteil der Arie BWV 136/6 spricht von dem Tag, "vor dem die Heuchelei erzittern mag". Im Vordersatz vertont Bach diese Zeile zweimal und verdoppelt beide Male das Subjekt (T. 17f, 24f), zuletzt nur noch einfach vertont. Nachdem im Mittelteil ebenfalls von der Heuchelei die Rede ist, verstärkt Bach wiederum eine Absicht des Librettisten, nämlich die Heuchelei als das hervorzuheben, wogegen sich Gott im Gericht vor allem wendet.

37

Gerhard Herz führt zugleich "four resolute and distinctly separated iterations of the word 'nicht'" an, Cantata No. 4, a.a.O. (Anm. 9), 109.

Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt

29

Bei der Zeile "Meine Augen sehen stets zu dem Herrn" des Chores BWV 150/6 verfährt Bach so, daß er "stets" in Sopran und Alt viermal, in Tenor und Baß dreimal singen läßt, und zwar betont auf Taktbeginn (T. 2-6). Dann wiederholt er dreimal nach Pausen die Wendung "stets zu dem Herrn". Bei der abschließenden Textbehandlung T. 14ff werden die Worte "sehen stets" verdoppelt. Der Chor BWV 16/3 endet mit dem Text: "Gottes Güt und Treu bleibet alle Morgen neu". Während er zum Abschluß des Eingangsteils "alle" nur in Sopran, Alt und Tenor verdoppelt, läßt er am Ende den Tenor dieses Wort insgesamt viermal singen (T. 64f), um die Beständigkeit von Gottes Güte und Treue hervorzuheben. Die Radikalität der Feinde der Kirche wird beschrieben, wenn in dem Choralduett BWV 42/3 beim Abschluß der Zeile "dich gänzlich zu verstören" das Wort "gänzlich" dreimal nacheinander gesungen wird.38 In der Arie BWV 161/3 vertont Bach die Zeile "und bei Christo bald zu sein" so, daß er bei der ersten Behandlung "bald" verdreifacht (T. 19f), dann das nächste Mal verdoppelt (T. 34) und zuletzt einfach singen läßt. Dabei spielt der Spitzenton e", der immer durch einen Sprung (T. 34 sogar eine None!) erreicht wird, eine betonende Rolle. Ähnlich verfährt er gegen Ende der Arie BWV 97/4 mit der Zeile "so wird mich nichts verletzen". T. 43 ist "nichts" verdreifacht, im folgenden Takt verdoppelt, T. 47f ist die Zeile einfach vertont. Freilich bildet dies in dieser Arie nur eine Form, die Negationen zu betonen. In der Arie BWV 54/3 wird die Zeile "hat sie [sc. die Sünde] sich gleich davon gemacht" zweimal sukzessive vertont, wobei 38

Bei der Zeile "völlig zu heilen" in der Arie "Von den Stricken" aus der Johannes-Passion wird "völlig" T. 59ff verdreifacht.

30

Durchsicht des Kantatenwerks

stets "davon" zuerst verdreifacht ist, dann verdoppelt.39 Ähnlich geht Bach am Ende des Chores BWV 182/2 in den drei Oberstimmen mit der Zeile "laß auch uns dein Zion sein!" vor, wenn er das Pronomen "uns" zweimal, durch Pausen pointiert herausgestellt, wiederholt. Innerhalb der Begleitstimmen des Choralchors BWV 135/1 wird bei der Zeile "daß ich mag ewig leben" im Tenor "ewig" verdreifacht, ferner im Sopran im Rahmen einer sukzessiven Vertonung dieses Textes. Ebenso ist innerhalb einer sukzessiven Vertonung der Zeile "ihr Wüten wird sie wenig nützen" (BWV 122/4) in der Tenorpartie das Adverb "wenig" verdreifacht (T. SSff),40 wie Bach auch am Ende des Mittelteils der Arie BWV 126/4 bei der Zeile "laß ihr Verlangen nimmer gelingen" (gemeint ist die feindliche Macht) die Negation "nimmer" dreifach auf eine aufsteigende Neapolitanische Sexte vor eine Zeilenwiederholung isoliert einfügt (T. 137ff).41 Bei der intensiven Vertonung des Verses "denn der Herr hat Großes an uns getan" innerhalb des Chors BWV 110/1 wird das Subjekt durch Wiederholung häufig hervorgehoben: Bei dem Baßsolo T. 128ff wird es viermal nacheinander gesungen, bei der ersten Behandlung tragen die Oberstimmen diese Wendung dreimal (T. 48ff) vor, sonst findet sie sich oft verdoppelt (T. 89, 92f, llOf). Genauso verfährt Bach in der Arie BWV 34a/3, wenn er bei der Zeile "der Herr wird dich segnen aus Zion" gleich zu Beginn das Subjekt betont verdreifacht, wobei zunächst in T. 33 "Herr" auf unbetonten Taktteilen ohne Continuobegleitung zu stehen kommt. Es ist interessant, wie gerade in dieser Arie auf diese Weise auch das betont wird, was Gott gibt. Dies beginnt bei der Anfangszeile "also wird gesegnet der Mann", wenn Bach T. 18ff 39

40 41

W. Gillies Whittaker beschreibt: "'Davon' is set to repeated leaps", The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 369. Das hindert Bach nicht, in T. 32ff das Wüten abzubilden. Dazu W. Gillies Whittaker: "The 'nimmer' ... is sung thrice to staccato groups, rising eacht time commandingly", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 447.

Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt

31

"der Mann" markant verdreifacht, bevor er weiterfährt "der den Herrn fürchtet", um dann noch einmal zweimal "der Mann" aufzugreifen und die Zeile wiederum zu Ende zu führen. Soll hier bewußt der Mann (in diesem Fall der Bräutigam) angesprochen werden? Dann wird am Ende der Vertonung der Zeile "daß du sehest das Glück Jerusalem dein Leben lang" die Zeitbestimmung "dein Leben lang" verdreifacht (T. 55), wobei sowohl "lang" wie "Leben" musikalisch hervorgehoben werden. Die Schlußwendung "und sehest deiner Kinder Kinder" beginnt mit einer doppelten Voranstellung der Verheißung "und sehest" (T. 69f), was in T. 75 einfach wiederholt wird. Bach vertont in dem Chor BWV 150/4 die Zeile "denn du bist der Gott, der mir hilft" folgendermaßen: Der Hauptsatz wird der Reihe nach vom Baß aufwärts bis zum Sopran gesungen. Auf das Ende der Phrase hin stimmen jeweils die anderen Stimmen ein, und zwar eine mit "du bist der Gott", die anderen nur mit "der Gott", so daß alle mehrmals nur "der Gott" singen, freilich durch Pausen unterbrochen. Der Mittelteil des Duetts BWV 167/3 endet mit der Zeile "haben wir gottlob erfahren". Beim Abschluß läßt Bach das Wort "gottlob" im Sopran viermal, im Alt dreimal singen, wiederum komplementär, so daß es insgesamt siebenmal nacheinander zu hören ist. Einmalig ist die Textbehandlung in den Mittelstimmen Alt und Tenor bei der Zeile "kräftiglich herausgerissen" innerhalb des Chores BWV 78/1, während der Sopran den C.f., der Baß das Chaconnethema vortragen. "The middle voices sing 'heraus-'... in imitation to the stepwise fifth", 42 im Tenor dreimal, im Alt zweimal, wiederum komplementär. In diesem Fall wiederholt Bach nicht ein ganzes Wort, sondern nur seine Vorsilben,43 um die Tat

42

43

W. Gillies Whittakter, The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 381. Vgl. "wohl-" in BWV 69/3, 100/3.

32

Durchsicht des Kantatenwerks

Christi deutlich hervorzuheben, die Befreiung des Menschen aus dem Machtbereich des Teufels und der Seelennot.44 Die wiederholten Worte können Verben sein. Das ist bei der Zeile "meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort" (BWV 131/3) der Fall, wo Bach die Aussage "ich hoffe" oft verdreifacht (T. 9f Baß, 1 lff Tenor, T. 16ff Sopran, T. 24ff Alt, Baß T. 26ff Sopran, T. 35ff Tenor, T. 38ff Alt, Tenor, Baß), ja sogar in T. 13ff, 20ff im Alt vervierfacht. Bei der dritten Zeile des Chores BWV 66/1 "es lebet der Heiland und herrschet in euch" ist es das Wort "herrschet", das verdreifacht wird, so T. 89ff in den drei Oberstimmen, T. 107ff in den drei Unterstimmen. Bei der Anfangszeile "ich fürchte nicht des Grabes Finsternissen" der Tenorpartie des Duetts BWV 66/5 ist die Anfangswendung "ich fürchte nicht" stets verdreifacht (T. 8ff, 19ff). Das Schlußwort der folgenden Zeile "und hoffete, mein Heil sei nicht entrissen" wird sogar fünfmal nacheinander gesungen (T. 1 lff, 23ff), zum Abschluß dreimal (T. 27ff). Femer wird im Mittelteil in Zusammenhang mit der sukzessiven Vertonung der Zeile "will ich in Gott zu siegen wissen" der Infinitiv "zu siegen" im Tenor T. 42ff viermal nacheinander, teilweise auf langen Koloraturen, vorgetragen. Ferner ist die Wendung "in Gott zu siegen" im Alt T. 41ff und im Tenor T. 55ff verdreifacht. Da die weltliche Vorlage nicht erhalten ist, muß freilich offen bleiben, inwiefern Bach die Textverteilung der Vorlage einfach übernahm. In der Altpartie des Duetts BWV 134/4 übernimmt Bach T. 102ff die Textverteilung der Vorlage, wobei aus der Zeile "der Heiland erscheinet und tröstet uns wieder" die Wendung "und tröstet" viermal nacheinander gesungen wird.

44

W. Gillies Whittaker charakterisiert diese Stelle "a vigorous shout of deliverance", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 381.

Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt

33

Die Arie BWV 133/4 beginnt mit den Zeilen: "Wie lieblich klingt es in den Ohren, dies Wort: mein Jesus ist geboren". Bach hebt "dies Wort" hervor, indem diese Wendung dreimal nacheinander gesungen wird, jeweils auf einen markanten Quartsprung, durch Pausen völlig isoliert, womit die Spannung auf das Folgende gelegt wird, nämlich auf den Inhalt dieses Wortes. In Zusammenhang mit der sukzessiven Vertonung der Zeile "ein unbegreiflich Licht erfüllt den ganzen Kreis der Erden" in dem Duett BWV 125/4 wird die Wendung "den ganzen Kreis" vervierfacht (T. 20ff Tenor, T. 41ff Baß) bzw. verdreifacht (T. 19ff Baß, T. 40ff Tenor), wodurch die Totalität unterstrichen werden soll. Bei der intensiven Vertonung des Bibelwortes "Heute wirst du mit mir im Paradies sein" in dem Duett BWV 106/3b fällt die häufige Vervielfachung der Wendung "im Paradies" auf. Sie wird T. 28ff, 37ff dreifach, T. 30ff sogar vierfach gesungen. Dazu kommen noch zahlreiche Verdoppelungen. In dem Chor "Gott ist mein König von alters her, der alle Hilfe tut, so auf Erden geschieht" (BWV 71/1) ist der letzte Satz in allen vier Stimmen sukzessiv vertont. Dabei wird im Sopran "auf Erden", im Baß "so auf Erden" insgesamt viermal nacheinander gesungen. Der Chor BWV 71/3 ist als Permutationsfuge 45 gestaltet, wobei die erste Texthälfte auf den ersten, die zweite "und Gott ist mit dir in allem das du tust" auf die übrigen Kontrapunkte verteilt ist. Dabei fällt auf, daß der Text des dritten Kontrapunktes "und Gott ist mit dir in allem, in allem" lautet, wobei das zweite "allem" auf eine aus acht Tönen bestehende Sechzehntelfigur vertont ist, die den zentralen Ton umspielt, und zwar in einer kreisförmigen Bewegung, d.h. "alles" abbildend (z.B. T. 6). Nun kann diese

45

Dazu: Alfred Dürr, "Einführung in die Kantaten BWV 71, 172", a.a.O. (Anm. 9, Teil I), lOf.

34

Durchsicht des Kantatenwerks

Figur sequenzierend weitergesponnen werden, so T. 17ff im Baß, T. 30ff im Sopran, T. 32ff im Alt, T. 33ff wiederum im Sopran zuletzt T. 36 im Baß. Die Hervorhebung dieser Wendung wird verstärkt, indem sie in einzelnen Stimmen für sich häufig wiederholt wird. In T. 17ff wird im Alt und Tenor viermal nacheinander "in allem" gesungen, und zwar im Anschluß an den zweiten bzw. dritten Kontrapunkt, so daß im Tenor sie sogar sechsmal nacheinander erklingt. Dasselbe wiederholt sich im Tenor T. 28ff im Anschluß an den 2. Kontrapunkt. Dazu kommt, daß kurz vor Satzende die drei Oberstimmen homophon "in allem" zusätzlich voranstellen. Das Duett BWV 20/10 warnt vor dem Schicksal des reichen Mannes in dem Gleichnis Jesu, "der in der Qual" keinen Tropfen Wasser bekommt. Beim ersten Textdurchgang läßt Bach in beiden Stimmen die Wendung "in der Qual" jeweils viermal singen, bei dem zweiten nur noch dreimal bzw. zweimal, dafür ist hier diese Qual über zehn Takte lang musikalisch abgebildet. Das Bibelwort "Sie werden euch in den Bann tun", das dem Duett BWV 44/1 zugrunde liegt, wird in den beiden ersten Abschnitten sukzessiv vertont, wobei im zweiten die beiden Stimmen gegeneinander ausgetauscht sind. Dabei ist die Wendung "in den Bann" in T. 26ff (Tenor) und 45ff (Baß) verdreifacht. Im Hauptteil der Arie BWV 24/1 "Ein ungefärbt Gemüte ... macht uns vor Gott und Menschen schön" wird T. 21 die Wendung "vor Gott" verdreifacht, nachdem sie zuvor isoliert an die Zeile angehängt wurde. Dabei ist einmal "Gott" nach einen Sextsprung auf ein betontes d" gesetzt, das durch eine Pause vom Folgenden getrennt ist. Bach vertont die Anfangszeile der Arie "Gott ist mein Freund, was soll das Toben" (BWV 139/2) so, daß er jeweils einen Teil verdoppelt. Dies ändert er im zweiten Abschnitt dahingehend ab, daß die erste Hälfte "Gott ist mein Freund" viermal nacheinander gesungen wird (T. 50ff). Dazu kommt, daß dieser Satz stets auf

Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt

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dasselbe Motiv vorgetragen wird, das aus dem Anfang des Ritornells entwickelt ist und in Originalgestalt oder in leichter Abwandlung durch die Instrumente immer wieder zitiert wird, so daß der Anfang des Arientextes gleichsam die Generalüberschrift über die ganze Arie darstellt. Auch sonst kann Bach Wortgruppen vervielfachen, so bei der Schlußzeile der Choralarie BWV 100/5 "da weichen alle Schmerzen". Selbstverständlich stellt er den Schmerz musikalisch dar, weil dieser ja noch Gegenwart ist; dennoch kann er den Anfang "da weichen" verdreifachen (T.48ff), um das ihm Wichtige hervorzukehren. Dem entspricht, wenn er in der vorhergehenden Zeile "mit süßen Trost im Herzen" die Anfangswendung ebenfalls verdreifacht (T. 37ff): Der Trost veranlaßt die Schmerzen zu weichen. Der Mittelteil der Arie BWV 139/4 endet mit den Zeilen: "da lern ich erst, daß Gott allein der Mensch bester Freund muß sein". Im ersten Textdurchgang setzt Bach die Wendung "da lern ich" zweimal zusätzlich voran (T. 42ff), später einmal (T. 53f), jeweils durch Pausen isoliert. Bach hebt hervor, daß Glaube nichts Fertiges ist, sondern erst erlernt wird durch die Erfahrungen, die ein Mensch mit Gott macht. Bei der Schlußzeile des Mittelteils der Arie BWV 61/5 "o wie selig werd ich sein" wird die Anfangswendung "o wie selig" zweimal sequenzierend vorangestellt. Ähnlich verfährt Bach in der Mitte des Hauptteils der Arie "Wie furchtsam wankten meine Schritte" (BWV 33/3) mit den Worten "wie furchtsam" (T. 22ff). Den Beginn der Zeile "Ach, unaussprechlich ist die Not" (BWV 116/2) vertont Bach besonders intensiv. Er läßt mit einem doppelten, sequenzierenden, durch lange Pausen isoliertem "ach" beginnen. Dann fährt er mit "ach, unaussprechlich" fort, bevor T. 19 endlich der Text in seiner Gesamtheit zum ersten Mal vorgetragen wird. T. 25ff folgt wiederum zweimal "ach unaussprechlich", bevor die Singstimme mit "unaussprechlich ist die Not"

36

Durchsicht des Kantatenwerks

weiterfährt. Zu Beginn des Schlußteils (T. 54ff) ist die Aussage "ach unaussprechlich" sogar verdreifacht, während in T. 64ff einfach T. 25ff wiederholt werden, freilich mit einem transponierten Schluß. In der Arie BWV 36/5 sind "Die Lieb und Glaube" das Subjekt, das dem willkommen geheißenen Christus Platz macht. Bach läßt diese aus der Theologie Luthers46 stammende Wendung gleich zu Beginn des zweiten Teils der Arie dreimal singen (T. 24ff), dasselbe ist T. 39ff der Fall, während sie beim Abschluß T. 46ff nur verdoppelt ist. Der doxologische Beginn der Arie "Kraft und Stärke sei gesungen" (BWV 149/2) ist T. 15ff verdreifacht, wobei beide Begriffe durch Pausen voneinander getrennt und infolge ihrer unterschiedlichen Silbigkeit auch unterschiedlich vertont sind. Im zweiten Teil wird die Ursache für diesen Lobpreis ebenfalls verdreifacht, nämlich "Ehr und Sieg" (T. 36ff), die den Frommen zuteil wurde. Die letzte Zeile des Duetts BWV 88/5 beginnt mit dem kurzen Hauptsatz "so hilft er gern". Diese Wendung ist stets verdreifacht (T. 56ff, 81ff), als Ausdruck dafür, wie der Mensch letztlich immer auf Gottes Hilfe angewiesen ist, wenn es gilt, seinen Forderungen zu entsprechen. Auch am Ende von Zeilen können Wortgruppen wiederholt werden. "Die Reichen läßt Gott bloß und leer" lautet eine Zeile in der Arie BWV 10/4. Bach wiederholt "bloß und leer" zweimal, immer mit derselben rhythmischen Struktur, Achtel und folgende Achtelpausen, das letzte Wort Viertel mit Viertelpause. Unter dem ausgehaltenen Schlußton der letzten Choralzeile des Chores BWV 97/1 singt der Tenor dreimal "Rat und Tat", nämlich das, was Gott zu allem Gelingen geben muß. Schon zuvor ist dieses Wortpaar verdoppelt, und im Anschluß daran wird der ganze zweite Teil der Strophe homophon wiederholt.

46

WA 38, 227, 6f: "... (Paulus) fasset kurtz zusamen / was ein gantz Christlich leben sein solle / Nemlich glaube vnd liebe".

Einzelne Worte bzw. Wortgruppen werden mehrfach wiederholt

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Der zweite Teil der Arie BWV 19/2 beginnt "Es lagert sich, so nah als fern um uns der Engel unsers Herrn". Beim zweiten Textdurchgang bricht Bach nach "so nah" ab und fügt dreimal "so nah als fern" an, durch Pausen isoliert, zweimal auch unterbrochen, wobei "so nah" tief, "fern" hoch gesungen wird. Durch diese tonliche Umfassung eines weiten Raumes soll dargestellt werden, was die Wiederholungen aussagen: Gottes Engel ist überall mit seinem Schutz da. In dem Duett "Der Herr segne euch je mehr und mehr" (BWV 196/4) fällt besonders die ausführliche Behandlung der Wendung "je mehr und mehr" auf (bes. T. 34ff, wo der Baß nur diese Wendung singt). Der Mittelteil des Duetts BWV 23/1 besteht aus einer Bitte, deren letzte Zeile lautet: "mir gleichfalls Hülf und Trost geschehen". Bach vertont diese Zeile nicht nur viel ausführlicher als die anderen, sondern läßt auch "Hülf und Trost", den zentralen Inhalt der Bitte, dreimal in jeder Stimme eigens wiederholen ((T.36ff). Bei den Zeilen "daß er uns in Kreuz und Not allezeit hat beigestanden" des Mittelteils der Arie BWV 51/1 ist die Wendung "in Kreuz und Not" zweimal wiederholt (T. 49ff). Dasselbe ist im Mittelteil der Arie BWV 2/5 bei den Zeilen "drum soll ein Christ in allen Stunden in Kreuz und Not geduldig sein" der Fall (T. 49ff). Kreuz und Not sind die Situationen, in der ein Christ Gottes Hilfe erfahren kann, wo sich Gottes Wort als wahr erweist.47 Auch Wortgruppen innerhalb der Textzeile hebt Bach mittels Repetition hervor. In der zweiten Zeile des Duetts BWV 134/4 "und bringen ein Opfer der Lippen vor dich" verdreifacht er das Objekt "ein Opfer der Lippen" zuerst im Tenor (T. 25ff) und entsprechend im Alt (T. 38ff), womit Dank und Preis als solches charakterisiert sind. 47

Im Mittelteil der Arie BWV 178/6 wird einmal die Wendung "Kreuz und Trübsal" (T. 54f) verdoppelt.

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Durchsicht des Kantatenwerks

Dem Duett BWV 192/2 liegt die zweite Strophe des Chorals "Nun danket alle Gott" zugrunde. Hier läßt Bach beim zweiten Durchgang der ersten beiden Choralzeilen im Sopran die Wendung "edlen Frieden" dreimal nacheinander singen (T. 43-46). Darum möchte er in besonderer Weise bitten. Die Arie BWV 125/2 beginnt mit den Zeilen: "Ich will auch mit gebrochnen Augen nach dir, mein treuer Heiland, sehn". In diesem Fall ist es nicht nur die Präpositionalwendung "nach dir", die Bach durch Verdreifachung hervorhebt, sondern mit ihr der folgende, freilich durch eine Pause abgetrennte Vokativ "mein treuer Heiland" (T. 29ff). Dabei ist die rhythmische Struktur weitgehend identisch, T. 3 lff bildet eine Sequenz von T. 29ff. Im freien Dacapo wird diese Passage wiederholt. Auffallend ist, wie "nach dir" jeweils auf einen markanten Quart- bzw. Quintsprung gesungen wird, ähnlich wie in BWV 78/2.

2. Wort Verdoppelungen in Themen Bach kann bei einem Fugenthema einzelne Worte des unterlegten Textes verdoppeln. Dabei ist es nicht so wesentlich, was zuerst da war: ein musikalischer Gedanke, dem der Text durch Verdoppelung einzelner Worte angepaßt wurde, oder die Absicht der Akzentuierung, nach der das Thema geformt wurde. Es lag ja immer in der Freiheit des Komponisten, welche Worte er verdoppelte und welche nicht. Dürr beschreibt den Hauptteil des Chors "Höchster, schau in Gnaden an" (BWV 63/7): "Nach zwei akkordischen 1- und 2 1/2taktigen Eröffnungsblöcken Permutationsfuge mit allmählichem Hinzutreten von Instrumenten"45. Dabei läßt Bach im Hauptthe-

48

Alfred Dürr, Studien über die frühen Kantaten J.S. Bachs, a.a.O. (Anm. 14, Teil I), 181.

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Durchsicht des Kantatenwerks

Dem Duett BWV 192/2 liegt die zweite Strophe des Chorals "Nun danket alle Gott" zugrunde. Hier läßt Bach beim zweiten Durchgang der ersten beiden Choralzeilen im Sopran die Wendung "edlen Frieden" dreimal nacheinander singen (T. 43-46). Darum möchte er in besonderer Weise bitten. Die Arie BWV 125/2 beginnt mit den Zeilen: "Ich will auch mit gebrochnen Augen nach dir, mein treuer Heiland, sehn". In diesem Fall ist es nicht nur die Präpositionalwendung "nach dir", die Bach durch Verdreifachung hervorhebt, sondern mit ihr der folgende, freilich durch eine Pause abgetrennte Vokativ "mein treuer Heiland" (T. 29ff). Dabei ist die rhythmische Struktur weitgehend identisch, T. 3 lff bildet eine Sequenz von T. 29ff. Im freien Dacapo wird diese Passage wiederholt. Auffallend ist, wie "nach dir" jeweils auf einen markanten Quart- bzw. Quintsprung gesungen wird, ähnlich wie in BWV 78/2.

2. Wort Verdoppelungen in Themen Bach kann bei einem Fugenthema einzelne Worte des unterlegten Textes verdoppeln. Dabei ist es nicht so wesentlich, was zuerst da war: ein musikalischer Gedanke, dem der Text durch Verdoppelung einzelner Worte angepaßt wurde, oder die Absicht der Akzentuierung, nach der das Thema geformt wurde. Es lag ja immer in der Freiheit des Komponisten, welche Worte er verdoppelte und welche nicht. Dürr beschreibt den Hauptteil des Chors "Höchster, schau in Gnaden an" (BWV 63/7): "Nach zwei akkordischen 1- und 2 1/2taktigen Eröffnungsblöcken Permutationsfuge mit allmählichem Hinzutreten von Instrumenten"45. Dabei läßt Bach im Hauptthe-

48

Alfred Dürr, Studien über die frühen Kantaten J.S. Bachs, a.a.O. (Anm. 14, Teil I), 181.

Wortverdoppelungen in Themen

39

ma und dem parallel dazu laufenden 2. Kontrapunkt "in Gnaden" zweimal singen. Inhaltlich legt es sich nahe, diese Worte hervorzuheben. Betrachtet man jedoch, wie in T. 13f das Hauptthema und der 1. Kontrapunkt miteinander verknüpft sind, so zeigt es sich, daß die zahlreicheren Worte unter dem Hauptthema in Gegensatz stehen zu den übergebundenen, gedehnten Worten des 1. Kontrasubjektes. Das sieht so aus, als stünden hinter der Wortverdoppelung rein formale Gründe. Dennoch zeigt die Verdoppelung gerade dieser und nicht anderer ebenfalls möglicher Worte, wie wichtig Bach der gnädige Gott ist. Das Fugenthema des Chores "Wer Dank opfert, der preiset mich" (BWV 17/1) ist symmetrisch gebaut mit Koloraturen auf "opfert" und "preiset", wobei zum Abschluß die Wendung "der preiset" noch einmal aufgegriffen wird. Mag in diesem Fall diese Verdoppelung bei der Textverteilung unter das Fugenthema entstanden sein, im Laufe der Fugendurchführung taucht sie auch in unthematischen Abschnitten auf, und zwar T. 59ff im Sopran, T. 65ff im Tenor, T. 69ff im Baß, stets in der Wendung "der preiset, der preiset mich". Bach ist also daran interessiert, das Dankopfer als Preisen Gottes herauszustellen. Das Thema des Chores "Halt im Gedächtnis Jesum Christ" (BWV 67/1) beginnt mit einem sich über zwei Takte erstreckenden Ton, bevor es unter Wiederholung des Anfangswortes "halt" weitergeführt wird. Für Friedrich Smend beginnt das Thema erst nach diesem langen Ton.49 Wie aber die Durchführung zeigt, gehört er wesentlich zum Thema, auch wenn ihn Bach gelegentlich weglassen kann (T. 64, 123 im Baß) oder durch andere Töne auf "halt" ersetzt (T. 115 im Tenor). Dieser lange Ton bildet das Halten ab, die Themenfindung ist eindeutig textbezogen.50 Wie

49

Friedrich Smend, Johann Sebastian Bach. Kirchenkantaten, a.a.O. (Anm.

50

Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 252; ders., Einführung in die Kantate BWV 67, in: Sommerakademie J.S. Bach 1982, Almanach Teil V", 100-105, 103.

10), I, 18.

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Durchsicht des Kantatenwerks

stark Bach diese Aufforderung hervorheben will, zeigen ferner die häufigen Rufe "halt" in den anderen Stimmen zu dem ausgehaltenen Themenbeginn (T. 17-19, 25-27) u.ö.), die Schweitzer beanstandet.51 Zu Unrecht, denn diese nachdrückliche Aufforderung hat ihren Grund in dem, was es zu behalten, nicht zu vergessen gilt, nämlich in der Botschaft vom auferstandenen Christus. Das Fugenthema des Chores "Es ist ein trotzig und verzagt Ding" (BWV 176/1) "charakterisiert die in dem Text innewohnenden Gegensätze 'trotzig' und 'verzagt' durch aufstrebende Dreiklangs- und Skalenbewegung einerseits sowie durch absinkende Chromatik andererseits, während die Streicher den Eingangsteil des Themas 'forte' und seine Weiterführung 'piano' begleiten".52 Dies trifft in leicht veränderter Form auch für das Kontrasubjekt zu. Mögen im Text "trotzig" und "verzagt" gleichwertig nebeneinander stehen, in der Vertonung durch Bach sind sie es gerade nicht. Schon allein dem Taktumfang nach ist "trotzig" breiter dargestellt als "verzagt". Dazu kommt vor allem: '"Ein trotzig' is emphasized by repetition",53 und diese Wiederholung wird durch eine Achtelpause deutlich markiert. Ferner wurde schon erwähnt, daß "trotzig" auf zwei, "verzagt" nur auf ein Motiv vertont ist. Faßt man alle diese Beobachtungen zusammen, so ist dem Urteil Spittas zuzustimmen: "Nicht auf die Verzagtheit legt er ... den Nachdruck sondern auf den Trotz".54 In dem Bibelwortchorsatz BWV 108/4 ist "der umfängliche Text ... in drei Abschnitte aufgeteilt und jeder dieser Abschnitte als Chorfuge komponiert".55 Die formale Gestaltung des Themas 51 52

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Albert Schweitzer, J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 539. Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 321 f. Schweitzer meint daher, "daß der ganze Chor auf das Herausarbeiten dieses unvermittelten Nebeneinanders von forte und piano angelegt ist", J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 671. W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 226. Philipp Spitta, J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 2, Teil I), II, 560. Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16,

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der mittleren Fuge auf den Text "Denn er wird nicht von ihm selber reden" weist Ähnlichkeiten mit obigem Beispiel auf: Es wird die Wendung "nicht von ihm selber" verdoppelt, wobei beide Abschnitte wiederum durch eine markierende Pause voneinander getrennt sind. Bach akzentueiert hier eine Negation, aber zugleich die entsprechende positive Aussage: Der Geist redet nur das, was er vom Vater hört.56 Im Thema des "Confiteor" der h-Moll-Messe ist das Eingangswort verdoppelt. Es legt sich der Gedanke nahe, dies rühre von der Textunterlegung unter das Thema her. Umgekehrt mag "confiteor" gegenüber "credo" eine stärker persönliche Färbung haben, so daß Bach hier das ganz persönliche Bekenntnis eines Christen hervorheben wollte. In dem Chor "nach dir, Herr, verlanget mich" (BWV 150/2) findet sich eine Verdoppelung nicht im Thema selbst, sondern im enggeführten Comes. Es handelt sich dabei um die Worte "dir, Herr". Gewiß wollte dadurch Bach den Text einfach dehnen. So bleibt es offen, ob die Betonung auf "dir" beabsichtigt war oder sich zwangsläufig ergab. In Doppelfugen kann eine Verdoppelung im zweiten Thema auftauchen. Das ist in dem Chor BWV 69/1 der Fall. Dem zweiten Thema ist die zweite Hälfte des Textes, nämlich "und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat", unterlegt. Dabei wird "vergiß nicht" verdoppelt. Damit wird erreicht, daß das zweite Thema von der Länge her zum ersten Thema paßt. Allerdings werden beide nur ein einziges Mal unmittelbar miteinander kombiniert (T. 95ff). Den Chor "Alles nun, das ihr wollet, das euch die Leute tun sollen, das tut ihnen" (BWV 24/3) gestaltet Bach formal als Präludium und Fuge.57 Auch wenn er in beiden Teilen den gesam-

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Teil I), 273. Zur theologischen Bedeutung dieser Wendung: Rudolf Bultmann, Das Evangelium des Johannes, KeK II, Göttingen 196418, 186, Anm. 2. Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16,

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ten Text vertont, so setzt er dennoch deutliche Akzente. Der erste Teil ist vor allem dem Textbeginn gewidmet. "Am Anfang wird viermal 'Alles', dann zweimal 'Alles nun' wiederholt; das Allegro vor dem Fugato bricht mit den Worten 'Alles nun, das ihr wollet' ab" - mit diesen Worten beschreibt Schweitzer,58 worauf Bach in diesem Teil den Hauptakzent legt. Der zweite Teil bildet eine Doppelfuge mit aufgeteiltem Text: Thema I "Alles nun ... tun sollen" Thema II: "Das tut, das tut, das tut, das tut ihr ihnen". Auffallend ist diese Vervielfachung des Imperativs "das tut". Bach führt hier weiter, was er zuvor T. 24ff in Alt und Tenor andeutete. Dürr beschreibt den Aufbau dieser Fuge: zuerst Concertisten, dann Ripienisten und Instrumente bis zum Einsatz der Trompete als 5. Stimme.59 Parallel dazu vollzieht sich eine Intensivierung der Aufforderung "das tut". Zu Beginn wird sie vor allem von der Stimme vorgetragen, die das zweite Thema führt. Bei der zweiten Themendurchführung durch die Ripienisten (ab T. 54) verzichtet Bach zunächst auf die Mitführung des 2. Themas, baut es ab dem zweiten Themeneinsatz (T. 59ff) so um, daß die Aufforderung "das tut" auf zwei Stimmen verteilt wird. So wird dadurch doppelt so oft, nämlich achtmal gesungen, wobei teilweise Echoeffekte erreicht werden. Den Themeneinsatz in der Trompete T. 74 nützt Bach dazu aus, jene Aufforderung zusätzlich in eine dritte Stimme zu legen, so daß sie, ebenfalls mit Echoeffekten, zwölfmal erklingt. Den Gipfel dieser Steigerung bilden die Takte 92ff: Der Sopran trägt die Aufforderung sechsmal, Alt und Baß jeweils fünfmal, der Tenor die Wendung "das tut ihr ihnen" viermal vor, bis sich in T. 96 alle Stimmen in diese vereinigen. Dies wird in den folgenden Takten wiederholt, wobeiSopran und Tenor gegeneinander ausgetauscht sind. Es ist deutlich: Das zweite Fugenthema trägt durch die Textverteilung einen

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Teil I), 354. Albert Schweitzer, J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 505. Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 354.

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Akzent, der im Laufe des Satzes immer breiter herausgestellt wird. In der Fuge des Chores "Ich harre des Herrn" (BWV 131/3) legt Bach dem Fugenthema den Text "meine Seele harret" unter, wobei "harret" auf gedehnte Synkopen gesungen wird, dem Kontrasubjekt die Fortsetzung "und ich hoffe auf sein Wort". Es bot sich an, der langen Dehnung nun kurze, abgesetzte Phrasen entgegenzusetzen. Dennoch fällt die Deklamation "und ich hoffe, und ich hoffe, ich hoffe, ich hoffe auf sein Wort" auf, da Bach den Text auch anders hätte verteilen können. 60 Das Bibelwort "Sie aber vernahmen der keines und wußten nicht das, was gesaget war" (BWV 22/1) vertont Bach ebenfalls so, daß die erste Satzhälfte dem Fugenthema, der Anfang der zweiten dem Kontrasubjekt zugeteilt ist. "The countersubject utilizes the next three words [sc. "und wußten nicht"] twice over"61. Und dieses so textierte Kontrasubjekt tritt sehr oft auf, wodurch die Unverständigkeit der Jünger gegenüber der Passion Jesu, wie sie im Rez. Nr. 4 deutlich ausgesprochen wird, herausgehoben wird.62 Der Chor BWV 144/1 wurde schon zu Beginn behandelt. In der Johannes-Passion ist die vom Chor vorgetragene Antwort des Volkes "Wir haben kein Gesetz" auf Thema, erstes und zweites Kontrasubjekt verteilt. Dabei fällt auf letzteres der Abschnitt "denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht", wobei die Schlußwendung "zu Gottes Sohn gemacht" verdoppelt ist. So wird dem ablehnenden Volk ein christologisches Bekenntnis in den Mund gelegt.

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W. Gillies Whittaker bemerkt: "The waiting of the soul is contrasted with a repeated expression of hope, in subjekt and countersubjekt", The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil 1), 35. Ebd., 175. Albert Schweizter bemerkt: "Der ... Chor ... gibt in einem geistreichen Durcheinander das Hin- und Herfragen der Jünger unter sich wieder", J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 503.

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Auch im Eingangschor der Kantate BWV 104 entwickelt Bach ein zweites Kontrasujekt, das freilich nicht in jeder Stimme erscheint, dem viermal die Bitte "erscheine" unterlegt ist (T. 59ff, 67ff, 94ff). Ferner ist ein zweites Kontrasubjekt am Beginn des fugierten Teils des Chores BWV 65/1 entwickelt, und zwar auf den dritten Abschnitt des Dictums "und des Herren Lob verkündigen". Dabei ist das Schlußwort verdoppelt (T. 24f im Baß, T. 26f im Tenor), es wird jedoch T. 34 im Sopran weggelassen. 63 Wortverdoppelungen finden sich auch in kurzen Fugatos, so bei der Choralzeile "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" (BWV 137/1). Bach läßt die Aufforderung "lobe" in allen Unterstimmen zweimal singen. Er verwendet dasselbe Thema bei der nächsten Zeile und, mit einer kleinen Veränderung, auch bei der Schlußzeile, aber immer ohne jede Wortrepetition. Werner Neumann stellt in seinem Aufsatz "Das Problem 'vokal-instrumental' in seiner Bedeutung für ein neues Bach-Verständnis" die Themenanfänge zusammen, um zu zeigen, wie jeweils Thema und unterschiedlicher Text miteinander verbunden werden. 64 Auch wenn zuerst der musikalische Gedanke da war, dem in einem zweiten Schritt der Text unterlegt wurde, so ist doch Bach in der Lage, durch Wortverdoppelungen auch in solchen Fällen das zu betonen, was ihm wichtig erscheint. In der fugierten Behandlung der Choralzeile "Wär Gott nicht mit uns diese Zeit" (BWV 14/1) verdoppelt Bach im Thema die beiden letzten Worte. Dieser Text bildet auch die dritte Choralzeile. Dort verzichtet jedoch Bach auf eine Verdoppelung und verkürzt entsprechend das Thema. Der Text des Eingangschors BWV 63/1 enthält eine ganze Reihe von Aufforderungen an die Christen. Erst gegen Ende des Mittelteils wird der Grund dafür genannt: "Denn der Strahl, so da einbricht, zeigt sich euch zum Gnadenscheine". Bach plaziert den

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Im Alt ist dies Wort T. 28f und 45f unthematisch verdoppelt. In: ed. Reinhold Brinkmann, Bachforschung und Bachinterpretation heute, Kassel 1981, 72-85, 80.

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Text "denn der Strahl, so da einbricht", womit in diesem Fall Weihnachten gemeint ist, nicht nur in das Zentrum des Mittelteils, sondern hebt ihn durch kanonische Stimmführung gegenüber den übrigen akkordisch gehaltenen Abschnitten ab. Dazu kommt, daß in diesem Kanon "der Strahl" verdoppelt ist, ja diese Wendung "denn der Strahl, der Strahl" wird ihrerseits in allen Stimmen unmitttelbar wiederholt, bevor der Abschnitt homophon auf das Zeilenende ausläuft. So betont Bach den Vorrang der Tat Gottes vor allen menschlichen Antworten, theologisch gesprochen: den Vorrang des Indikativ vor dem Imperativ. Die Wortverdoppelung in BWV 61/1 und 61/6 wurden schon angesprochen. Wortverdoppelungen finden sich in imitatorischen Unterstimmenbegleitungen von Choralchören, so in BWV 9/1. Bei der vierten Choralzeile "sie mögen nicht behüten" wird in Alt und Tenor "mögen nicht" verdoppelt. Diese Negation betont der Baß, indem er zweimal den Zeilenanfang "sie mögen nicht" singt, dann zweimal den Rest, beginnend mit "nicht", also "nicht behüten", so daß die Negation insgesamt viermal vorgetragen wird. Ebenso ist in der vorletzten Zeile "der hat g'nug für uns all getan" in allen Unterstimmen "g'nug" verdoppelt, wobei dieser Text teilweise durch auffallende abgesetzte Achtel mit folgender Pause herausgehoben ist.65 Bei den Stimmen unter der ersten Zeile des Chorals "Wachet auf, ruft uns die Stimme" (BWV 140/1) erstreckt sich die Imitation nur auf die ersten beiden Takte, im Baß

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W. Gillies Whittaker beurteilt diesen Chor äußerst negativ: "Yet it lacks warmth, it is cold reasoning, reasoning about faith instead of the glow of enthusiasm of faith itself' (The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 502). Zu dieser Zeile bemerkt er: "In the penultimate line some feeling manifests itself; 'der hat g'nung für uns all gethan' is set in all lower voices to detached quavers, the curious effect continuing for about six bars ... . One feels that the composer was making an abortive effort to get away from the icy statement of doctrine". Dieses Urteil zeigt, wie wenig W. Gillies Whittaker mit diesem Satz anzufangen weiß und ihn daher auch nicht versteht.

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sogar auf den ersten allein. Aber allen Stimmen gemeinsam ist, daß sie den Ruf "Wachet a u f verdoppeln, nachdem ihn zuvor schon der Sopran mit dem C.f. ganz allein vorgetragen hat. In dem Chor BWV 109/1 vertont Bach den Text "hilf meinem Unglauben" auf zwei Themen, einem kürzeren (T. 24, 27 Sopran, T. 48f Tenor) und einem längeren (T. 42ff allen Stimmen, ebenso T. 67ff, 73). In dem Takt vor einem Themeneinsatz kann nun zweimal auf dieselbe unbetonte Zählzeit die Bitte "hilf' vorangestellt sein, und zwar stets mit derselben Begleitung in den anderen Stimmen (T. 23, 26, 41f, 66, 72). Auf diese Weise betont Bach, wie sehr der Mensch zum Glauben der Hilfe Gottes bedarf, wie sehr Glaube ein Geschenk ist. Bei der imitatorischen Behandlung der letzten Zeile des Duetts BWV 63/3 "was uns ewig nun vergnüget" wird das letzte Wort wiederholt. Dieses Wechselspiel zwischen den beiden Stimmen endet T. 40, dann fügen beide noch zweimal dieses Wort an, wie schon erwähnt. In einer Reihe von Arien ist bei der Textunterlegung unter das Thema bzw. Motiv ein Wort doppelt gesetzt. Ein bekanntes Beispiel ist das Arioso "Heute wirst du mit mir im Paradies sein" (BWV 106/3b). Bach verwendet, von T. 49ff abgesehen, den Anfang dieses Textes nur thematisch, nämlich auf eine fallende Tonleiter, wobei stets "heute" verdoppelt ist. Auch wenn Bach dieses Christuswort sehr intensiv auslegt: Einer der Akzente, die er setzt, betrifft diese Zeitbestimmung: Heute und nicht erst morgen oder in irgendeiner fernen Zukunft wird der Verstorbene bei Christus sein. In der Arie "Mein Gott, ich liebe dich von Herzen" (BWV 77/3) findet sich dieses Verfahren gleich zweimal. Zunächst vertont Bach die erste Zeile zweigliedrig, wobei sich beide Teile, durch eine Pause voneinander getrennt, rhythmisch entsprechen. Dabei erhält der Text folgende Form: "Mein Gott, ich liebe dich ich liebe dich von Herzen". Diese Struktur wird in ihrer rhythmischen Gestalt beibehalten (T. lOff, 15ff). Mit der Anfangszeile des zweiten Teils "laß mich doch dein Gebot erkennen" verfährt Bach nicht so konsequent. Die Zeile ist eingliedrig vertont, wobei

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vor das letzte Wort die Wendung "mich dein Gebot" eingeschoben ist (T. 29f, 32f, 45f jedoch nicht T. 44). 66 Die Arie BWV 112/2 spricht von dem "reinen Wasser, das mich erquicken tue", wohin der gute Hirte weist. Bach verdoppelt immer "erquicken" in der dreimaligen Behandlung der Zeile, wobei er einmal einfach sequenzierend wiederholt. Im folgenden Arioso "Und ob ich wandert im finstern Tal" verdoppelt Bach stets die Schlußwendung "im finstern Tal". Er verwendet für den Zeilenbeginn ein Motiv mit einer fallenden Skala, das auch den Continuo beherrscht. Diese wie auch auffallende Sextensprünge und Wendungen nach Moll bilden das finstere Tal und seine Tiefe ab. Bei der vorletzten Zeile der Arie BWV 12/4 "Ich küsse Christi Schmach" setzt Bach "ich küsse" immer zusätzlich voraus, immer ist diese Aussage auf dasselbe Motiv vertont, das vor der eigentlichen Vertonung der Zeile in der Pause der Singstimme durch die 1. Violine vorweggenommen wird (T. 26, 29f)-67 Im Mittelteil der Arie BWV 81/5 vertont Bach zweimal den Text "dir sei ein Ziel gesetzet, damit mein auserwähltes Kind kein Unfall je verletzet" rhythmisch weitgehend identisch. Dabei wird das Objekt "mein auserwähltes Kind" jeweils dreimal gesungen, durch Pausen deutlich voneinander getrennt, wobei in der Mitte immer das Anfangsmotiv in der Singstimme erscheint (T. 54, 64). Damit wird deutlich: Der Sturm bedroht Gottes Kind, darum gebietet Jesus dem Unwetter: "Schweig, verstumme!"

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Daß Bach bei einer Wiederholung wie hier ein Wort auslassen kann, ist auch in der Arie BWV 177/3 T. 59f der Fall, wo er statt "bald möcht abkehren" "bald abkehren" formuliert. Vgl. BWV 172/5 T.20ff, wo Bach bei der Zeile "nimm von mir den Gnadenkuß" die letzten beiden Worte verdreifacht (allerdings sonst nie).

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Im Mittelteil der Arie BWV 133/2 bekennt die Singstimme: "Ich habe Gott ... von Angesicht zu Angesicht gesehen". Sieht man von der Erweiterung in T. 48-50 ab, so vertont auch hier Bach diesen Text zweimal rhythmisch identisch, wobei er die Wendung "von Angesicht zu Angesicht" verdoppelt. Diese direkte Schau Gottes, nach 1. Kor 13,12 Attribut der künftigen Vollkommenheit, ist an Weihnachten Wirklichkeit geworden beim Anblick Jesu. Die Aufforderung, zu weinen aufzuhören, wird in der Arie BWV 98/3 mit der Zeile begründet: "Gott, der Vater, lebet noch". Auch hier wird diese Zeile in T. 81 ff rhythmisch weitgehend gleich wiederholt, mit Verdoppelung der Aussage "lebet noch", wobei die Wiederholung dieser Aussage in T. 84ff auf einer Sequenz von T. 68ff gesungen wird. Dabei verwendet Bach Triolen, die sonst in dieser Arie fehlen, wodurch diese Aussage in ihrer Einzigartigkeit deutlich hörbar herausgestellt wird. Dies ist in ein Ritornellzitat eingebaut, dem Bach die Anfangszeile "Hört, ihr Augen, auf zu weinen" unterlegt. Dieselbe rhythmische Behandlung ist im Mittelteil der Arie BWV 34a/5 bei folgendem Text zu beobachten: "Sein Lohn wird dort am größten werden, den ihm der Herr bereits auf Erden durch seiner Rahel Anmut gibt". In seiner Vertonung bricht Bach nach "dort" ab, das er mittels eines Sprungs auf Taktbeginn auf einen Spitzenton setzt, und fährt nach einer Pause fort mit "wird dort...". Damit unterstreicht er den eschatologischen Ausblick auf den Lohn angesichts dessen, was der Bräutigam jetzt durch die Anmut seiner Braut empfängt. Bei der Anfangszeile der Choralarie "Ich bitt noch mehr, o Herre Gott" (BWV 177/2) verdoppelt Bach die Worte "noch mehr", sowohl bei der Devise als auch beim eigentlichen Beginn des Vokalteils. Beim letzteren umspielt er die erste Choralzeile,

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und durch die Verdoppelung ist er gezwungen, den Text am Ende anders zu verteilen.68 Den Mittelteil der Arie BWV 30/3 vertont Bach zweimal. Dabei wird die Schlußzeile "daß er den Weg dem Herrn bereit" fast notengetreu transponiert, mit Verdoppelung von "den Weg", wobei jeweils einmal dieser Weg mittels einer langen Koloratur abgebildet wird, wie auch T. 113ff zum Abschluß dieses Abschnitts. Bei den Schlußzeilen des Mittelteils der Arie BWV 144/2 "was dir dein Gott hat beschieden, er weiß, was dir nützlich ist" verdoppelt Bach die Wendungen "dein Gott" (T. 84f, 104f) und "dir nützlich" (T. 88f, 108f), wobei zum Abschluß die Schlußzeile breit sukzessive dargestellt wird (s.u.). Innerhalb des Rahmenverses "Aller Augen warten, Herr, du allmächtiger Gott, auf dich" des Chors BWV 23/3 verdoppelt Bach in den drei Oberstimmen stets den langen Vokativ (außer T. 129ff im Tenor; dafür ist im Baß "allmächtiger Gott" zweifach). Allerdings kann gelegentlich "Herr" fehlen (T. 82 in Alt und Tenor, T. 103 in den drei Oberstimmen). Dabei fällt auf, daß nach "Herr" gerne eine Pause folgt, bevor fortgefahren wird, dafür das zweite "Herr" unmittelbar angefügt ist. In diese Pause hinein wird gerne in einer anderen Stimme "Herr" gesungen. Innherhalb des Chors BWV 131/1 ist bei dem Vers "Herr, höre meine Stimme" die Anrede stets doppelt (T. 57, 59, 63, 67) und durch eine Pause voneinander getrennt. Bei der Zeile "Herr, von deinem Kreuzpanier" (BWV 182/6) ist die Anrede stets isoliert zusätzlich vorangestellt (T. 30, 57). In dem sehr intensiv vertonten Dictum BWV 45/4 finden sich thematische Verdoppelungen zweimal: Besonders charakteristisch die Negation "noch nie" innerhalb der Aussage "ich habe euch noch nie erkannt" (T. 38f, 43f, 55f),69 womit die folgende starke Aufforderung "weichet" begründet wird. Zuvor schon ist bei der

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Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 356f mit Notenbeispiel. Man beachte die beibehaltene rhythmische Struktur.

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Frage "... haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben?" das Schlußwort jeweils verdoppelt (T. 21f, 30f), nachdem die Anrede "Herr Herr" um ein weiteres "Herr" erweitert wurde (T. 16, 26).70 Den Psalmtext des Chores BWV 79/1 unterteilt Bach in drei Abschnitte, die er jeweils verschieden vertont. Der mittlere "der Herr gibt Gnade und Ehre" hat die Form eines Fugatos, in dem in drei Oberstimmen immer "Gnade" verdoppelt ist (T. 53ff, 72ff, 129ff). Auffällig ist auch die Verdoppelung von "gnädig" bzw. "genädig sein" in Alt und Tenor am Ende der Choralzeile "Es wolle Gott uns gnädig sein" (BWV 76/7), allerdings wird bei der Wiederholung und dem Choral BWV 76/14 entsprechend mit anderem Text verfahren. Dennoch legt sich die Vermutung nahe, daß Bach zunächst, um "gnädig" hervorzuheben, so textiert und dann eben die übrigen Choralzeilen anpaßt, ohne auf die entsprechenden Worte dieselbe Betonung zu legen. In der Arie BWV 158/2 vertont Bach die dritte Zeile "wo ich Gott in Ruh und Friede" so, daß er hinter "ich" durch eine Pause unterbricht (T. 36f, 49f), dann fortfährt mit "ich Gott",71 wiederum eine Pause einschiebt, bevor er die Zeile zu Ende führt. Dadurch werden Subjekt "ich" und Objekt "Gott" herausgestellt, das eine durch Verdoppelung, das andere durch einen Spitzenton jeweils. Die Schlußzeile der Arie BWV 183/4 "ich weiß, du sorgest für mein Wohl" vertont Bach zweimal in derselben rhythmischen Struktur, wobei die Angangswendung "ich weiß" verdoppelt ist.72 (T. 86f, 104f). Dabei ist dieser Zeilenbeginn unmittelbar an das Ende der vorhergehenden Zeile als musikalischer Abschluß angehängt. Nach einer kurzen Pause folgt die Wiederholung mit-

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W. Gillies Whittaker erwähnt: '"noch nie' repeated", ferner "the threefold leaping 'Herr'", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 199. W. Gillies Whittaker zitiert: "Wo ich, ich Gott", ebd. I, 108. '"Ich weiß' is repeated in dramatic detaches phrases", ebd. II, 141.

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tels eines Sprunges auf eine unbetonte Zählzeit. Nach einer weiteren Pause zu Beginn des neuen Taktes wird die Zeile zu Ende geführt. In der sechsten Choralzeile der Arie BWV 117/6 "die sonsten nirgend finden Ruh" ist die Negation "nirgend" stets verdoppelt (T. 29, 33) wobei die Aussage noch musikalisch durch die Pausen in den Instrumenten unterstrichen wird.73 Das wiederholte Wort ist wiederum durch Pausen abgesetzt, wobei in die jeweils erste Pause die Solo-Violine "nirgend" noch einmal zitiert.74 Bei dem Zeilenpaar "Ächzen und erbärmlich Weinen hilft den Sorgen Krankheit nicht" (BWV 13/5) ist, von dem Schluß abgesehen, immer die Negation am Ende verdoppelt.75 Teilweise wird diese Wiederholung durch einen Spitzenton auf einer unbetonten Zählzeit durch Pausen isoliert besonders hervorgehoben, um ganz deutlich zu machen, wie nutzlos "Ächzen und ... Weinen" ist, wo es allein auf den Blick zum Himmel ankommt. Die Zeile "Ich bin zum Sterben unerschrocken" im Mittelteil der Arie BWV 127/3 vertont Bach zweimal nacheinander, wobei er nicht nur "zum Sterben" jeweils wiederholt, sondern auf einund dasselbe Motiv singen läßt (T. 31f, 33f). Dabei gibt der Hauptteil den Grund an: Die Seele ruht in Jesu Händen. Die Macht des bezwungenen Todes hebt Bach in dem Duett BWV 4/3 hervor, wenn er bei der vorletzten Zeile "hielt uns in seinem Reich gefangen" nicht nur das allerletzte Wort verdoppelt,

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Friedrich Smend, Johann Sebastian Bach. Kirchenkantaten, a.a.O. (Anm. 10), IV, 24. W. Gillies Whittaker bemerkt: "... 'nirgend' is repeated and the rest between filled by an imitation of its falling second", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 463. Vgl. ebd., 149: "One interesting point is the stress laid on 'nicht, nicht'".

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sondern auch den Sopran unter den Alt führt, um diese Gefangenschaft regelrecht abzubilden. In der Eingangszeile der Arie "Geliebter Jesu, du allein" (BWV 16/5) ist in den meisten Fällen die Anrede "du" doppelt, in der ersten Hälfte immer, nur gegen Ende der zweiten Hälfte (T. 50ff) begegnet die Anrede in ihrer Originalgestalt. Dem entspricht, wenn er T. 29 zusätzlich "du, du allein", T. 50f "du allein" vor den Zeilenbeginn einschiebt. Damit wird die persönliche Beziehung zu Jesus und damit das solus Christus deutlich unterstrichen. Bei der Schlußzeile des Mittelteils der Arie BWV 74/7 "ich lache der Wut [sc. des Teufels]" hebt Bach die Anfangsworte nicht nur durch ständige Verdoppelung hervor, sondern durch die musikalische Gestaltung. Besonders die Triolenfiguren (T. 115, 123f) bilden geradezu das Lachen ab. Auf die Wut der Hölle ist das Lachen die einzig angemessene Antwort des Christen. Die Unterstimmen der dritten Choralzeile des Choralchors BWV 97/1 setzen imitatorisch mit "der alles, alles kann" ein, fahren dann freilich jeweils verschieden fort, bis sie gemeinsam enden, wobei im Alt und Tenor der Text sukzessive vorgetragen wird. Die fünfte Zeile des Chorals BWV 5/1 "wenn alle Welt herkäme" vertont Bach in den Unterstimmen so, daß Alt und Baß das aus der 1. Choralzeile entwickelte Thema in Dezimenparallelen vortragen, in die der Tenor eingeführt ist, so daß die Partie quasihomophonen Charakter hat. Dabei ist in allen Stellen das Subjekt "alle Welt" verdoppelt. Dasselbe geschieht zwei Takte später in Alt und Tenor allein, nachdem diese zuvor zweimal dieses Subjekt isoliert wiederholten. Auf diese Weise will Bach unterstreichen, wie nichts in der Lage ist, dem Menschen die Angst angesichts seiner Schuld zu nehmen. In der fünften Strophe des Chorals "was Gott tut, das ist wohlgetan" lautet die Fortsetzung: "Muß ich den Kelch gleich schmekken". In seiner Vertonung BWV 100/5 wiederholt Bach diese Zeile sequenzierend, wobei er jeweils hinter "Kelch" eine Pause

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einfügt, um mit "den Kelch" die Zeile zu Ende zu führen. Dieser Betonung des Kelches entspricht im Folgenden die des süßen Trostes, mit dem darnach Gott die Menschen ergötzt. Genauso verfährt Bach in dem Duett BWV 91/5 bei der Zeile "hat uns ein ewig Heil bestimmt". Hier sind es die Worte "ein ewig Heil", die Bach wiederholt, voneinander durch eine Pause getrennt. Da ab T. 25ff der Abschnitt T. 8ff mit vertauschten Stimmen wiederholt wird, kehrt auch diese Textverdoppelung wieder. Bach läßt es sich nicht nehmen, jeweils "ewig" breit darzustellen, jedoch in beiden Stimmen unterschiedlich: einmal mittels eines über einen Takt hinweg ausgehaltenen Tones, dann durch lebhafte Figuration. Die letzten beiden Zeilen des Mittelteils der Arie BWV 27/3 lauten: "Alle meine Plagen nehm ich mit". Bach vertont diese immer zusammenhängend, immer mit verdoppeltem Anfangswort, wobei T. 53f das zweite "alle" noch dazu auf eine lange Koloratur gesungen wird. Der Imperativ in der Zeile "Schweig, aufgetürmtes Meer" (BWV 81/5) ist stets verdoppelt; dasselbe trifft für die Zeile "Christenkinder, freuet euch" (BWV 40/7) zu, wobei hier freilich "freuet euch" noch häufiger gesungen werden kann. Ebenso ist die fragende zweite Hälfte der Schlußzeile der Arie BWV 8/5 "mich rufet mein Jesus, wer sollte nicht gehn" immer verdoppelt, ganz am Schluß verdreifacht. Das Duett BWV 88/5 endet mit der Zeile "so hilft er gern, damit es fruchten kann". Bach vertont die ganze zweite Hälfte des Satzes zweimal, und beide Male ist die Wendung "so hilft er gern" verdreifacht, dabei überträgt Bach einfach den Notentext von fis-Moll (T. 56ff) nach A-Dur (T. 80ff) und verziert die Abschlußkadenz etwas. Die Eingangszeile der Arie "Ach schlage doch bald, sel'ge Stunde" (BWV 95/5) vertont Bach insgesamt dreimal auf ein insgesamt sechstaktiges Motiv, wobei der Text sukzessive durchgeführt ist und zusätzlich noch einzelne Abschnitte unmittelbar wiederholt werden. Nach dem ersten Durchgang in D-Dur wird

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es um einen Ton höher nach e-Moll versetzt (T. 22ff). Zu Beginn der zweiten Hälfte des ersten Teils beginnt es in h-Moll (Terzlage, darum muß in T. 44 das letzte Achtel verändert werden), moduliert aber sofort nach D-Dur. Typisch ist, daß die Aufforderung "schlage doch" in diesem Motiv jeweils fünfmal gesungen wird. Im Chorsatz BWV 138/1 trägt bei den ersten drei Choralzeilen der Tenor diese zweifach vor, bevor sie vom Chor vierstimmig vorgetragen wird. In der dritten Zeile "nur um das zeitliche Gut" ist "das zeitliche" beide Male verdoppelt. Dabei stellt T. 27ff die Wiederholung von T. 25ff in der Oberquarte dar (mit einer leichten Kappung). In einer Reihe von Beispielen wird häufig ein Teil der Textzeile verdoppelt, jedoch nicht immer. Im Mittelteil der erwähnten Arie BWV 95/5 vertont er den ganzen Text zweimal, die letzte Zeile "du längst erseufzter Sterbenstag" sogar bei weitgehender rhythmischer Identität. Dabei verdoppelt er zunächst, durch eine Pause abgesetzt, den Anfang "du längst erseufzter" (T. 81f). Dann wiederholt er T. 84ff die Zeile ohne Verdoppelung, dasselbe geschieht noch einmal T. 99ff zum Abschluß dieses Teils, wobei allerdings "längst" durch einen lang ausgehaltenen Ton besonders hervorgehoben wird. Der Mittelteil der Arie BWV 114/5 besteht aus drei Zeilen, wovon Bach nur die letzte "und ruft mich einst zu sich verklärt und rein" mehrfach singen läßt. Dabei ist zweimal das Wort "verklärt" auf ein Melisma gesetzt und verdoppelt (T. 41, 45). Beim Abschluß verdoppelt Bach die Wendung "zu sich verklärt", wobei wiederum das Adjektiv besonders behandelt wird, zuerst durch einen ausgehaltenen Ton, dann durch ein neues Tempo (Adagio). In dem Chor BWV 196/5 verfährt Bach so, daß er zunächst die Anrede "Ihr seid" allein setzt. Nach einer Pause fährt er fort mit dem Rest des Verses "die Gesegneten des Herrn", wobei "die Gesegneten" verdoppelt ist. Dasselbe wiederholt sich einige Takte später transponiert. Vor dem abschließenden "amen" T. 17ff wird

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diese Zeile noch einmal eingeschoben, allerdings ohne Wortvervielfachungen. Den Text des Mittelteils der Arie BWV 133/4 vertont Bach zweimal, wobei innerhalb der Schlußzeile "der muß ein harter Felsen sein" das Prädikatsnomen beide Male verdoppelt ist. Zum Abschluß wird jedoch diese Zeile einfach vorgetragen, freilich mit einem für "harter" typischen chromatischen Motiv (T. 64, 69ff, 72). Bei der Vertonung der Zeile "doch der Gang zur Seligkeit" in dem Duett BWV 58/1 wird zweimal der Zielpunkt "zur Seligkeit" verdoppelt (T. 62ff, 69ff), jedoch beim dritten Mal darauf verzichtet. Das Hauptmotiv der folgenden Arie "Ich bin vergnügt in meinem Leiden" (BWV 58/3) ist zweiteilig, und Bach unterlegt zunächst den Text der Anfangszeile ohne eine Wortwiederholung. Erst später textiert er insofern anders, als er für den ersten Teil zwar dieselben Anfangsworte "Ich bin vergnügt" verwendet, für den zweiten jedoch "vergnügt" zusätzlich dem restlichen Text voranstellt, wobei auf dieses Wort durch einen Sprung nach oben zu Taktbeginn ein musikalischer Akzent gesetzt wird. In der Arie BWV 85/1 verwendet Bach für die Worte "Ein guter Hirt läßt sein Leben für die Schafe" ein festes Motiv (T. 1 lff, 15ff, 29ff, mit leicht verändertem Anfang T. 34ff). Das Motiv ist zweiteilig, durch eine Pause unterbrochen, wobei der zweite Teil nichts anderes ist als eine Sequenz der zweiten Hälfte des ersten Teils, mit einer abwärts führenden Skala und einem abfallenden Septimensprung kurz am Ende. Der Text ist nun so verteilt, daß der erste Teil auf "sein Leben" endet, der zweite mit diesen Worten beginnt. Daneben kann Bach diese Worte unmotivisch und daher auch ohne Wortwiederholung vertonten. Zu den verschiedenen Mitteln, mit denen in dem Chor "Man singet mit Freuden vom Sieg" (BWV 149/1) die Freude hervorgehoben wird, zählt auch die Verdoppelung der Wendung "mit Freuden", besonders auffällig in den homophon gehaltenen Partien T. 36ff, 52ff, wo dies in allen vier Stimmen zugleich der Fall

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Durchsicht des Kantatenwerks

ist. Manchmal ist es auch auf eine einzelne Stimme beschränkt (T. 44ff im Alt, T. 60ff in Alt, Tenor und Baß). Der Text des Hauptteils der Arie BWV 123/3 lautet: "Auch die harte Kreuzesreise und der Tränen bittre Speise schreckt mich nicht". Bach vertont diese Schlußzeile auf zweierlei Weise. Im Mittelteil (T. 16ff) ist dreimal die Wendung "mich nicht" verdoppelt, wobei in T. 18f das musikalische Motiv von T. 17f sequenziert wird. Zu Anfang und zum Abschluß wird zusätzlich zuvor die ganze Zeile wiederholt, wobei beide Partien rhythmisch weitgehend identisch sind. Auffallend ist vor allem die 32-tel-SkaIa auf "schreckt".76 Bach malt das Schreckenerregende aus, betont aber dennoch, daß dies auf Christen keine Auswirkung hat. In der Arie BWV 128/3 vertont Bach die Zeile "wer sucht mich anzufechten" zu Anfang und am Ende durchgehend. Dazwischen unterbricht er sie nach "mich", fährt dann unter Wiederaufnahme von "mich" weiter und wiederholt dies abwärts sequenzierend zweimal. Bei der Eingangszeile der Arie "Wer Gott bekennt aus wahrem Herzensgrund" (BWV 45/5) verdoppelt Bach bei der ersten und der letzten Behandlung die Schlußwendung "aus wahrem Herzensgrund" (T. 1 lf, 18f). Dasselbe wiederholt sich im Dacapo. Bei der Schlußzeile der Arie BWV 179/3 "können nicht vor Gott bestehen" wiederholt Bach gerne die Wendung "vor Gott" (T. 24f, 26f, 34).77 Charakteristisch ist, daß die erste Wendung "vor Gott" auf einen Sprung nach oben in die betonte Zählzeit hinein 76

77

Arnold Schering beschreibt: "Scharf tritt jedesmal die gewaltsame Geste 'schreckt mich nicht' heraus", Über Kantaten Johann Sebastian Bachs, a.a.O. (Anm. 10, Teil I), 26. Die Verdoppelung erwähnt er nicht. Die zweite Zeile der Arie BWV 113/3 "daß ich nicht recht vor Gott gewandelt" behandelt Bach nur ein einziges Mal. Er unterbricht nach "vor Gott" und fährt nach einer Pause weiter unter Wiederaufnahme von "nicht recht vor Gott" (T. 9f).

Wortverdoppelungen in Themen

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gesetzt (Quinte bzw. Septime) und dann durch eine kurze Pause von der Wiederholung abgehoben ist. Freilich kann Bach auch zweimal (T. 29f) auf die Verdoppelung verzichten. Die zweite Zeile des Mittelteils der Arie BWV 130/3 lautet "bald braucht er List". Bach vertont das Anfangswort "bald" sehr eigenwillig. Zuerst hängt er es, verdoppelt und auf einem Sprung nach oben, an die vorhergehende Zeile an (T. 36). Nach einer Pause fährt er fort und verfährt entsprechend, d.h. hängt wiederum "bald, bald"78 an, bevor er nach einer Pause weiterfährt und abschließend die kurze Zeile einfach vertont. Offensichtlich ist für Bach dieses "bald" schon Gegenwart, weshalb er es voranzieht. Die Choralarie "Warum willst du so zornig sein" (BWV 101/4) beginnt mit einem Choralzitat. Dann folgt diese Zeile dreimal frei, wobei jedesmal "so zornig" verdoppelt und auf Koloraturen gesetzt ist. Dem schließt sich ein weiteres Choralzitat an, bevor Bach von e-Moll nach einem Halbschluß von c-Moll moduliert und so die Frage nach dem Zorn Gottes geradezu abbildet. Bei der Anfangszeile der Arie BWV 193/5 "Sende, Herr den Segen ein" stellt Bach insgesamt dreimal "sende, Herr, Herr" zusätzlich voran (T. lOf, 16f, 38f), wodurch die Bitte nachdrücklich unterstrichen wird. "Ich komme bald" singt der Christus in dem Duett BWV 49/6. Und häufig ist "bald" verdreifacht (T. 116, 121, 128). In der Arie 164/1 liegt keine thematische Verdoppelung vor. Jedoch wird an die erste Baßrollung der zweiten Zeile "wo bleibet die Barmherzigkeit" in allen drei Teilen der Arie das Fragewort "wo?" unmittelbar angehängt, um die Frage zu intensivieren. Ein einmaliger Sonderfall liegt am Ende der Arie BWV 7/6 vor. Bach vertont zweimal nacheinander die Schlußzeilen

78

W. Gillies Whittaker: "'bald' is thrown into relief thrice", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 459.

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Durchsicht des Kantatenwerks

"Glaub und Taufe macht sie rein, daß sie nicht verdammlich sein" Beim ersten Mal verdoppelt er das Wort "verdammlich" auf einem kleinen Melisma (T. 350- Beim zweiten Mal wiederholt er die Wendung "nicht verdammlich" (T. 41f), nachdem er zuvor das Adjektiv auf eine lange Koloratur singen ließ. Bach scheint hier den Versuch zu unternehmen, sowohl das, was negiert ist, als auch die Negation in besonderer Weise herauszustellen.

3. Bach vertont Zeilen sukzessive Es lassen sich dabei zwei Grundmodelle feststellen. Das erste war in BWV 71/1 zu beobachten. Dabei wird das Anfangswort einer Zeile ständig wiederaufgegriffen und jeweils eines oder mehrere weitere Worte angefügt, bis der Text vollständig erscheint. Ebenso verfährt Bach in BWV 11/11 T. 40ff im Baß. Der Text wird folgendermaßer deklamiert: "Komm, komm, komm, stelle dich, komm, stelle dich doch ein." Es ist eindeutig wie in BWV 71/1: Das Wort, das ständig wiederholt wird, um das sich in anderen Modellen alles kreist, soll besonders herausgestellt werden. Schweitzer beschreibt den Anfang des schon erwähnten Chores "Alles nun, das ihr wollet" (BWV 24/3) folgendermaßen: "Am Anfang wird viermal 'Alles', dann zweimal 'Alles nun' wiederholt"79 Dann fährt Bach mit dem restlichen Text fort. Betrachten wir den Vorgang im Schema:

79

Albert Schweitzer, J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 505.

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Durchsicht des Kantatenwerks

"Glaub und Taufe macht sie rein, daß sie nicht verdammlich sein" Beim ersten Mal verdoppelt er das Wort "verdammlich" auf einem kleinen Melisma (T. 350- Beim zweiten Mal wiederholt er die Wendung "nicht verdammlich" (T. 41f), nachdem er zuvor das Adjektiv auf eine lange Koloratur singen ließ. Bach scheint hier den Versuch zu unternehmen, sowohl das, was negiert ist, als auch die Negation in besonderer Weise herauszustellen.

3. Bach vertont Zeilen sukzessive Es lassen sich dabei zwei Grundmodelle feststellen. Das erste war in BWV 71/1 zu beobachten. Dabei wird das Anfangswort einer Zeile ständig wiederaufgegriffen und jeweils eines oder mehrere weitere Worte angefügt, bis der Text vollständig erscheint. Ebenso verfährt Bach in BWV 11/11 T. 40ff im Baß. Der Text wird folgendermaßer deklamiert: "Komm, komm, komm, stelle dich, komm, stelle dich doch ein." Es ist eindeutig wie in BWV 71/1: Das Wort, das ständig wiederholt wird, um das sich in anderen Modellen alles kreist, soll besonders herausgestellt werden. Schweitzer beschreibt den Anfang des schon erwähnten Chores "Alles nun, das ihr wollet" (BWV 24/3) folgendermaßen: "Am Anfang wird viermal 'Alles', dann zweimal 'Alles nun' wiederholt"79 Dann fährt Bach mit dem restlichen Text fort. Betrachten wir den Vorgang im Schema:

79

Albert Schweitzer, J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 505.

Bach vertont Zeilen sukzessive

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"Alles, alles, alles, alles, alles nun, alles nun, das ihr wollet." Es läßt sich erkennen, wie Bach die Totalität von "alles" überdeutlich herausstellt, was dem vierfachen "tut" der folgenden Doppelfuge entspricht. Leicht variiert erscheint dieses Modell in der Arie BWV 158/2 T. 38ff, indem dort sozusagen noch einmal ein Rückschritt eingelegt ist. Der Baß singt: "ewig ewig ewig ewig

selig, selig schauen selig, selig schauen kann."

In dem zweiten Grundmodell greift Bach nicht auf den Zeilenanfang zurück, sondern auf ein schon vertontes Wort, woran er dann weitere Worte anhängt. Schön ist dies in der Altpartie des Chores BWV 9/1 zu beobachten. Sie deklamiert T. lOOff: "der hat g'nug, g'nug für uns, g'nug für uns all getan."80 Ähnliche Beispiele sind: die Altarie BWV 33/3 T. 49ff, 61 ff: "daß er für mich genung, für mich genung, genung getan."81

80

81

Phillip Wolfrum führt diese Stelle in der Notenbeilage II, 4 unter Nr. 14 an, Johann Sebastian Bach, 2. Band, a.a.O. (Anm. 8, Teil I). W. Gillies Whittaker bezeichnet diese Stelle als "consolatory repetitions", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 366.

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Durchsicht des Kantatenwerks

Bach unterstreicht zum Abschluß "genung" zusätzlich durch Vertonung auf einem lang ausgehaltenen Ton (T. 64f). Die Baßpartie des Duetts BWV 58/1 T. 38ff: "es ist eine böse, eine böse, böse Zeit." Dabei fällt die Pause nach "es ist" auf wie auch die verminderten, übergehaltenen Intervalle auf "böse", das zudem immer auf lange Töne gesungen wird. Der Mittelteil der Arie BWV 64f/7 T. 55ff: "daß ich ewig ewig nicht, nicht verderbe". "Ewig" wird auf Halteton dargestellt, "nicht" durch Tritonussprung sowie folgender kurzer Pause. In der Altarie BWV 85/2 gegen Ende des Textdurchgangs T. 18ff: "die ihm niemand, niemand rauben, rauben wird". Dabei ist "niemand" durch markante aufsteigende Terzsprünge herausgestellt, "rauben" durch eine lange, eine ganze Oktave abwärts und aufwärts durchziehende Koloratur, die wohl den Grund dafür darstellt, weshalb niemand Jesus seine Schafe rauben kann: er hat sie in der Hand, diese umfassen sie. In der Wiederholung T. 35ff ändert Bach etwas ab: "die ihm niemand rauben, niemand rauben, rauben wird".

Bach vertont Zeilen sukzessive

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Die Schlußzeile der Arie BWV 78/4 T.38ff: "daß ich beherzt, beherzt, beherzt und sieghaft, beherzt und sieghaft sei". Dabei ist das dreifache "beherzt" nicht nur rhythmisch identisch; "the voice thrice leaps upwards on 'beherzt' higher each time".82 Die vorletzte, im C.f. gedehnte Zeile des Chores BWV 135/1 in den Oberstimmen Sopran und Alt: "daß ich mag ewig, ich mag ewig, ewig, ewig leben" "daß ich mag ewig, ich mag ewig, ich mag ewig leben, ich mag ewig leben". Der Tenor trägt die Zeile einmal, aber mit dreifachem "ewig" vor. Die Arie BWV 170/3 T. 19ff: "wenn sie sich nur an Räch, an Räch und Haß, an Räch und Haß erfreun". Dabei wird jedesmal das Endwort breit musikalisch dargestellt. Die Tenorpartie in dem Terzett BWV 122/4 T. 32ff:

82

W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 383. Arnold Schering bemerkt, daß Bach die zweite Strophenhälfte besonders anzog. "Wie unnachahmlich ist z.B. das kleine Wort 'beherzt' in den Tonfluß gestellt", Über Kantaten Johann Sebastian Bachs, a.a.O. (Anm. 10, Teil I), 118f.

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Durchsicht des Kantatenwerks

"ihr Wüten wird sie wenig, wird sie wenig, wenig, wenig nützen". Auffallend sind die Spitzentöne, auf die dreimal "wenig" gesungen wird. BWV 66/5 T. 41ff im Alt: "will ich in Gott zu siegen, in Gott zu siegen, in Gott zu siegen wissen". Dabei wird einmal "siegen" auf ein über fünf Takte langes Melisma gesungen. Die Altpartie des Chores BWV 75/1 T. 28ff: "Die Elenden sollen essen, daß sie satt, daß sie satt, daß sie satt, satt werden". In einigen Fällen ist das Anfangswort bzw. die Anfangswendung verdoppelt, so bei der oben erwähnten Stelle des Schlußchores BWV 11/11 in Alt und Tenor, die parallel geführt sind: "Komm, komm, stelle dich, stelle dich doch ein". Während die Textverteilung im Baß eindeutig "komm" akzentuiert, ist hier mehr "stelle dich doch ein" hervorgehoben. Bezeichnend ist, daß im Alt diese Wendung im Anschluß an ein vollständiges Zeilenzitat noch einmal angeführt wird (T. 42f). Weitere Beispiele sind BWV 127/4 T. 33f: "und den Tod ewig, und den Tod ewig, den Tod ewig schmecken nicht".

Bach vertont Zeilen sukzessive

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Dabei ist "ewig" durch übergehaltene Töne (T. 33ff) und ein breites Melisma musikalisch dargestellt. BWV 4/6 T. 39ff: "das Blut zeichnet, das Blut zeichnet, zeichnet unser Tür".83 Um welches Zeichen es sich handelt, schreibt Bach T. 43ff und später T. 52ff in den Notentext: Es ist das Kreuzeszeichen, womit er zuvor T. 28 das Wort "Kreuz" darstellt, wobei er es noch eigens verdoppelte. BWV 9/1 T. 27ff im Baß: "Es ist das Heil, es ist das Heil, das Heil uns kommen her". Während der Tenor diese Zeile zweimal singt, fügt der Alt, nachdem er die Zeile einmal vortrug, "das Heil, das Heil uns kommen her" an, d.h. betont ebenfalls das Subjekt "Heil". Ferner T. 75ff im Baß: "sie mögen nicht, sie mögen nicht, nicht behüten, nicht behüten".

83

Gerhard Herz weist darauf hin, daß in T. 38ff "the continuo ... is alone for the first time since the movement began. It starts with the only anticipation of a choral phrase in versus V. The raising of the second cantus-firmus tone g to g# throws the word 'Blut' ... into sharp relief. The stift little fugato that the continuo engenders gives the effect of three wrong starts", Cantata No. 4, a.a.O. (Anm. 9), 108. Daraus zieht Herz theologische Konseqeunzen. Dieser Deutung von "wrong starts" vermag ich nicht beizupflichten. Die Führung der Singstimme zeigt vielmehr, daß sowohl der Continuo wie auch später die Streicher einfach die Aussage "Das Blut zeichnet" vorwegnehmen. Die Alterierung hat Zeichenfunktion: sie weist hin auf das Zeichen des Blutes, nämlich auf das Kreuz.

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Durchsicht des Kantatenwerks

In Alt und Tenor wird dieses Unvermögen ebenfalls hervorgehoben. Die Tenorpartie T. 39ff im Chor BWV 4/2: "Des wir sollen fröhlich, des wir sollen fröhlich, fröhlich, fröhlich sein." Dieses "fröhlich" wird in allen Stimmen deklamatorisch betont, ebenso durch eine auffallende Sechzehntelbewegung. BWV 125/4 T. 18ff im Sopran, T. 39ff im Alt: "erfüllt den ganzen erfüllt den ganzen den ganzen den ganzen den ganzen

Kreis, Kreis, Kreis, Kreis, Kreis der Erden".84

Das Bild des Kreises wird noch in anderer Weise dargestellt. Christoph Wolff verweist auf das zahlreiche Vorkommen der sog. "Zirkulusfigur" (T. 8f, 16ff, 30f, 36ff), die den Kreis abbildet.85 Dürr zeigt, daß der Hauptteil aus vier Gesangsabschnitten besteht. "Die ungewöhnliche Vierzahl könnte möglicherweise durch den Text verursacht sein ...; steht doch die Zahl vier nach alter Tradition u.a. für die vier Himmelsrichtungen." 86 Gelegentlich ist die Anfangswendung verdreifacht, nämlich in BWV 139/2 bei der Schlußzeile des Hauptteils (T. 42ff, 67ff). An beiden Stellen wird deklamiert: 84

85

86

Nach der Textwiedergabe in BT 157 handelt es sich hier um den zweiten Teil einer überlangen Zeile mit dem Anfang "Ein unbegreiflich Licht". Jedenfalls behandelt Bach an diesen beiden Stellen die zweite Zeilenhälfte völlig selbständig. Christoph Wolff, "Einführung in die Kantate BWV 125", in: Sommerakademie Johann Sebastian Bach 1979, Heft 2, 15-20, 19. Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 541 f.

Bach vertont Zeilen sukzessive

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"ich bin getrost, ich bin getrost, ich bin getrost, getrost bei Neid und Haß". Gegen Ende des Hauptteils der Arie BWV 180/2 deklamiert Bach T. 37ff: "ach öffne bald, ach öffne bald, ach öffne bald, öffne bald die Herzenspforte die Herzenspforte". Das ist nur eine Weise, wie er besonders die Aufforderung "öffne bald" herausstellt. Die dritte Form beginnt wie die zweite, mit dem Unterschied, daß zum Abschluß auf den Anfang zurückgegriffen und somit die Zeile in ihrer Gesamtheit vorgetragen wird. Dadurch erhält der Anfang gegenüber dem Zeilenschluß ein stärkeres Gewicht. Beispiele sind der Anfang des Mittelteils der Arie BWV 127/3: "Ach ruft mich ruft mich bald, ach ruft mich bald, ihr Sterbeglocken". Bach gliedert diesen Text mittels Pausen, wie hier wiedergegeben.87

87

Bach setzt ferner Akzente durch Spitzentöne: Zuerst "ruft" auf es", dann wird die Betonung auf das Wort "bald" verlagert, womit ein Aufstieg erfolgt, erst f' (beide Spitzen stehen auf unbetonten Zählzeiten), dann g" auf betonter Zählzeit. Die Wiederholung des Imperativs "ruft" ist als ein Zeichen der Ungeduld zu verstehen: "bald" sollen die Sterbeglocken rufen.

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Durchsicht des Kantatenwerks

Die erste Zeile der Choralarie BWV 177/4 T.löff: "Laß mich kein Lust, kein Lust noch Furcht laß mich kein Lust noch Furcht vor dir". Dabei wird die Deklamation wiederum durch Pausen verstärkt. Die Schlußzeile des Mittelteils des Duetts BWV 66/5 in der Altpartie T. 64ff: "will ich in Gott, in Gott zu siegen, will ich in Gott zu siegen wissen". In der Arie BWV 107/5 betont Bach auf verschiedene Weise, daß Gottes Wille zum Ziel kommt. Von dem, was er nicht will, heißt es in der vorletzten Zeile T. 19ff: "es muß zurücke, zurücke, es muß zurücke bleiben".88 Bach gliedert wiederum mittels Pausen, wobei das zweite "zurükke" eine Sequenz des ersten darstellt. In der Arie BWV 110/2 verfährt er genauso T. 22ff "und bedenkt, bedenkt, und bedenkt, was Gott getan".89 Weitere Betonungen dieser Aufforderungen finden sich T. 27f und T. 31. Der Mittelteil der Arie BWV 174/4 weist T. 82ff goldene Textverteilung auf:

88

89

W. Gillies Whittaker bemerkt: "'Zurücke' is repeated to a short, detached phrase", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 249. Ebd., 71: "The singer repeats 'bedenkt'".

Bach vertont Zeilen sukzessive

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"Glaubt getreu, getreu gläubt getreu bis an das Ende". Vorher (T. 57f) und nachher (T. 87f) wird "getreu" verdoppelt. Die letzte Zeile der 2. Hälfte des Mittelteils der Arie BWV 138/5 T. 102ff: "er will mich wunderlich, wunderlich, er will mich wunderlich erhalten". Dabei ist das erste "wunderlich" durch Pausen vom Kontext isoliert. Bei der unmittelbar folgenden Wiederholung der Zeile ist dieses Wort verdoppelt, mit einer Pause dazwischen, wodurch es ebenfalls akzentuiert wird. In der Baßpartie des Chorsatzes BWV 9/1 findet sich T. 119ff die Deklamation: "Er ist der Mittler, der Mittler, er ist der Mittler worden", nachdem zuvor einmal die Zeile ohne jegliche Wort Wiederholung gesungen wurde. Im Tenor wird T. 121 ff "der Mittler" verdoppelt. Der erste Sopraneinsatz in BWV 149/1 lautet: "Man singet mit Freuden, mit Freuden, man singet mit Freuden vom Sieg". Dies ist eine Form, wie Bach in diesem Satz "mit Freuden" betont. Der Mittelteil der Arie BWV 64/7 endet (T. 67ff): "daß ich ewig nicht, ewig nicht, daß ich ewig nicht verderbe".

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Durchsicht des Kantatenwerks

Bach gliedert den Text mittels Pausen, so daß "ewig nicht" besonders herausgestellt wird. Mit anderen Mitteln versucht er in diesem Teil, dieselbe Aussage zweimal (vgl. oben) zu unterstreichen. Gegen das Ende der Arie BWV 24/1 hin findet sich T. 96f die Deklamation: "macht uns vor Gott, vor Gott, macht uns vor Gott und Menschen schön". Dabei ist "Gott" immer auf längeren Tönen gesungen. Diese Wendung ist auch im Anfangsteil besonders herausgestellt. Die zweite Zeile der Arie BWV 7/2 wird T. 23ff gegen Ende des Hauptteils folgendermaßen gesungen: "Was Gott selbst, Gott selbst, was Gott selbst die Taufe heißt". Auch hier gliedert Bach mittels Pausen, wodurch die Wendung "Gott selbst" deutlich betont wird. Am Ende des Mittelteils der Arie BWV 35/2 hebt Bach die Wirkung der Wunder Gottes heraus: "hat sie taub und stumm, taub und stumm, hat sie taub und stumm gemacht", wobei er durch Pausen den Text in der entsprechenden Weise gliedert. Dazu kommt, daß unmittelbar zuvor "taub und stumm" isoliert dazwischen geschoben ist. Bei der dritten Choralzeile des Choralsatzes BWV 138/1 läßt Bach den Baß deklamieren: "Nur um das zeitlich, das zeitlich, nur um das zeitliche Gut".

Bach vertont Zeilen sukzessive

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Dabei ist die Verkürzung von "zeitliche" zu "zeitlich" dadurch bedingt, daß Bach diesen Text einem Basso quasi ostinato unterlegt. Daneben erreicht er eine zusätzliche Akzentuierung dieses Adjektivs. Der Mittelteil der Arie BWV 194/8 beginnt: "Vergehe, Welt, Welt, vergehe, Welt, mit deiner Pracht". Dabei trägt der Tenor den Anfang ohne Instrumentalbegleitung vor, dann folgt ein weiterer Vokativ auf eine unbetonte Zählzeit, bevor die Arie im üblichen Stil weitergeführt wird. Auf diese Weise sind Imperativ und Vokativ besonders betont. Gegen Ende des Hauptteils von BWV 182/2 deklarieren Alt und Tenor "laß auch uns, uns, uns, laß auch uns dein Zion sein", wobei wiederum "uns" jeweils durch Pausen deutlich herausgestellt ist. Nachdem Bach zuvor gerne "dein Zion sein" wiederholte, hebt er hier den existentiellen Bezug hervor. Im Mittelteil der Arie BWV 54/3 wird die Schlußzeile zweimal auf dieselbe Weise deklamiert (T. 30ff, 46ff): "hat sie sich gleich davon, davon, davon, hat sie sich gleich davon gemacht". Dieses "davon" hebt Bach mehrfach hervor: durch Isolierung mittels Pausen, gesetzt auf unbetonte Zählzeiten, durch eine Skala, die das Verschwinden abbildet (T. 34), durch einen Wechsel der Motive in den Oberstimmen, die eine verkürzte Skala spie-

70

Durchsicht des Kantatenwerks

len,90 und zuletzt mittels eines markanten Septimensprung abwärts.91 Dasselbe textliche Vorgehen läßt sich in dem oben erwähnten Duett BWV 125/4 beobachten, wo jeweils die andere Stimme singt: "erfüllt den ganzen Kreis, den ganzen Kreis, den ganzen Kreis, erfüllt den ganzen Kreis der Erden". Diese gegenseitige Ergänzung der beiden Singstimmen stellt heraus, daß es der ganze Kreis der Erden ist, den das Weihnachtslicht erfüllt. Kein Winkel bleibt davon ausgenommen. In dem Chor BWV 71/1 singt der Sopran T. 26ff: "so auf Erden, so auf Erden, auf Erden, auf Erden, auf Erden, so auf Erden, geschieht", d.h. der Zeilenanfang ist verdoppelt. Komplementär dazu singt der Tenor mit gleicher Textverteilung nur einmal "auf Erden" weniger. Auf verschiedene Weise unterstreicht Bach in der dritten Choralzeile des Choralchors BWV 97/1 das Wort "alles". Der Alt singt "der alles, alles kann, der alles kann und hat".

90

91

Vgl. Arnold Schering, Über Kantaten Johann Sebastian Bachs, a.a.O. (Anm. 10, Teil I), 194. W. Gillies Whittaker beschreibt: "'Davon' is set to repeated leaps, sometimes of a downward seventh", The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 369. "Sometimes" trifft nicht zu: Nur einmal findet sich die Septime.

Bach vertont Zeilen sukzessive

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Der Tenor weitet dies etwas aus zu "der alles, alles kann, alles alles kann, der alles kann und hat", während im Baß nur "alles" verdoppelt ist. Bach führt zunächst die Stimmen imitatorisch am Ende jedoch homophon, deshalb wird der Text unterschiedlich verteilt, aber dennoch dasselbe betont.92 Das letzte Beispiel findet sich in der Arie BWV 5/3. Dort deklamiert Bach die zweite Textzeile T. 56ff: "ach walle mit blutigen Strömen, mit blutigen Strömen, ach walle mit blutigen Strömen auf mich". Bach bildet hier "walle" und "Strömen" (T. 35ff) durch breite Sechzehntelbewegungen ab. Zum anderen wird für "wallet" und "blutigen" dasselbe rhythmische Motiv verwendet (T. 33f, 39), das T. 57ff etwas abgewandelt ist. Ein weiterer Sonderfall liegt bei der ersten Zeile der Arie BWV 95/5 vor (T. 16ff, 22ff, 44ff). Sie vertont Bach meist in folgender Textverteilung: "ach schlage doch bald, ach schlage doch bald, schlage doch,

92

Walter Blankenburg macht auf eine ähnliche Behandlung des Textes "Et in terra pax ..." in der h-Moll-Messe aufmerksam und bemerkt dazu: "Das ist ganz die Art, wie Schütz beim Komponieren vorging", "Das Wort-Ton-Verhältnis in J.S. Bachs h-Moll-Messe", in: ed. Ulrich Prinz, Johann Sebastian Bach. Messe h-Moll, "Opus ultimum", BWV 232. Schriftenreihe der Internationalen Bachakademie, Bd.3, Stuttgart/Kassel etc. 1990, 104-117, 108.

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Durchsicht des Kantatenwerks

schlage doch, ach schlage doch bald, sel'ge Stunde".93 Er wiederholt nicht nur den Anfangsteil, sondern verkürzt die Fortsetzung und das Schlußwort. Freilich wird gerade durch diese ständige Wiederholung des Imperativs der Zeitbestimmung "bald", auch wenn sie ausgelassen wird, starker Nachdruck verliehen. Die vierte Form unterscheidet sich von der dritten dadurch, daß auch bei der abschließenden vollständigen Zeile eine Textwiederholung stattfindet. In der oben erwähnten Arie BWV 78/4 verteilt Bach denselben Text am Ende folgendermaßen (T. 58ff): "daß ich beherzt beherzt daß ich beherzt und sieghaft, ich beherzt und sieghaft sei". Während zuvor neben "beherzt" auch "sieghaft" (man beachte die Skala T. 41) betont war, tritt nunmehr das "ich" in den Vordergrund. Der zweite Teil der Arie BWV 6/5 beginnt: "Laß das das laß das das

Licht, Licht, Licht, Licht deines Worts uns heller scheinen",

wobei stets vor der Wiederholung von "das Licht" eine Pause eingefügt ist. Nachdem in diesen Takten überwiegend das Triolenmotiv aus dem Ritornell vorherrscht, folgert Arnold Schering: "Die fast unausgesetzt konzertierend beschäftigte erste Violine scheint mit den beständigen Triolen- und Vorhaltsfiguren immer 93

Albert Schweitzer zitiert: "Ach schlage doch bald, schlage doch bald, sel'ge Stunde", J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 588. W. Gillies Whittaker erwähnt "short cries of 'schlage doch'", The Cantatas of Johann Sebastian Bach I, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 544.

Bach vertont Zeilen sukzessive

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nur um das eine zu bitten! 'Laß das Licht deines Wortes uns heller scheinen'".94 Der Mittelteil der Arie BWV 144/2 endet mit folgendem Text, wobei die Singstimme nur vom Continuo begleitet ist und die übrigen Streicher schweigen: "er er er er

weiß, weiß, was dir nützlich, weiß, weiß, was dir nützlich, dir nützlich ist."

Zwischen die Wiederholung von "er weiß" ist jeweils eine Pause zur Verdeutlichung gesetzt (T. 111, 113). Hier hebt Bach neben "dir nützlich" vor allem die Anfangswendung "er weiß" hervor. Dabei nimmt er die Akzente auf, die er zuvor durch die Verdoppelung von "dein Gott" (T. 84f, 104f) und "dir nützlich" (T. 88f, 108f) schon gesetzt hat. Die fünfte Form stellt eine Weiterentwicklung der vierten dar, indem bei der abschließenden Gesamtzeile nicht ein, sondern zwei Textrückgriffe stattfinden. Im Mittelabschnitt des Hauptteils der Arie BWV 180/2 textiert Bach T. 18ff, 27ff: "Ach öffne, öffne bald, ach öffne bald, öffne bald die Herzenspforte". Im ersten Abschnitt ist zusätzlich "die Herzenspforte" verdoppelt. In T. 42ff wird die Aufforderung "ach öffne, öffne bald"

94

Arnold Schering, Über Kantaten Johann Sebastian Bachs, a.a.O. (Anm. 10, Teil I), 65.

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dreimal nacheinander gesungen, bevor das Objekt die "Herzenspforte" folgt und die Zeile zum Abschluß des Hauptteils einmal ganz gesungen wird. Die Textverteilung ist durch Pausen deutlich hervorgehoben, ebenso verwendet Bach für die Imperative dieselbe rhythmische Struktur. Hier wird deutlich, daß die Wiederholung des Imperatives nicht nur der Intensivierung dient. Damit kommt auch ein Zeitfaktor ins Spiel, der in diesem Fall mit "bald" sogar im Text selbst begegnet. Bach ist nicht allein am Öffnen interessiert, sondern vor allem auch daran, daß dies bald geschieht. Die Arie BWV 20/5 beginnt: "Gott ist gerecht, gerecht, Gott ist gerecht, Gott ist gerecht, ist gerecht, gerecht in seinen Werken". Dabei fallen "die kräftigen, entschiedenen, weiten Intervallsprüge auf 'Gott ist gerecht' auf' 9 5 ebenso auf wie ein auftaktiges, in der Mitte aus Sechzehntel bestehendes Motiv, womit das Ritornell beginnt. In ähnlicher Weise vertont Bach diese Zeile unmittelbar anschließend T. 15ff. Die sechste Form unterscheidet sich von der fünften dadurch, daß sich der Textrückgriff am Ende noch einmal bis zum Anfang erstreckt, so daß die Zeile wie bei der dritten Form in ihrer Gesamtheit erscheint. So verfährt Bach im Mittelabschnitt des Hauptteils der Arie BWV 84/1 T. 32ff bzw. 123ff: "Ich bin vergnügt, vergnügt, ich bin vergnügt,

95

Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 332.

Bach vertont Zeilen sukzessive

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ich bin vergnügt, ich bin vergnügt in meinem Glücke". Dabei wird die ersten viermal "vergnügt" auf betonte Zählzeit gesetzt, teils mit Melismen, teils auf einem ausgehaltenen Ton. In dem Chor BWV 71/1 deklamiert der Alt T. 26ff: "so auf Erden, so auf Erden, auf Erden, so auf Erden, so auf Erden, so auf Erden geschieht". Hierher gehört auch das Ende der Arie BWV 39/5, wo der Text folgendermaßen verteilt ist: "willt du doch kein Opfer, doch kein Opfer willt du doch, willt du doch kein Opfer nicht". Mittels Pausen und Spitzentönen wird in der Vertonung "doch" zusätzlich herausgestellt. Die siebte Form unterscheidet sich von der dritten dadurch, daß Bach zum Abschluß nicht die Zeile in ihrer Gesamtheit vortragen läßt, sondern das Anfangswort wegläßt. Die Schlußzeile der Arie BWV 69/5 textiert Bach T. 49ff: "Gott hat alles wohl-, alles wohl-, hat alles wohlgemacht". Dabei scheut Bach sich nicht, daß Wort "wohlgemacht" auseinanderzureißen, wie er es ähnlich in BWV 100/3 T. 17 tut.96 96

Ein weiteres Beispiel ist das schon erwähnte "heraus-" in BWV 78/1, ferner die Behandlung von "Donnerwort" in BWV 20/1 (T. 16 in Alt und Tenor) sowie "allezeit" in BWV 123/5 (T. 60ff).

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Durchsicht des Kantatenwerks

Während er später (T. 67ff) das Wort "alles" herausstellt, kommt es ihm hier daneben noch auf "wohl" an: Gott macht alles gut und richtig. Der Mittelteil der Arie BWV 94/7 endet mit folgender Deklamation: "so kann ich reich und selig, selig, reich und selig werden". Das ist der Gipfel einer Steigerung: Im ersten Textdurchgang vertont Bach diese Zeile einfach, dann wiederholt er sie unmittelbar und fügt die zweite Zeilenhälfte noch an. Dadurch wird "selig" durch längere Koloraturen (T. 24ff, 33f) sowie durch ausgehaltene Töne (T. 34f) breit hervorgehoben. Ähnlich verfährt Bach in der Arie BWV 56/3, ebenfalls am Ende des Mittelteils: "o gescheh es heute, heute, gescheh es heute noch". Dabei ist in T. 79 "heute" besonders herausgestellt. In dem Duett BWV 44/1 singt der Sopran zu Beginn: "Sie werden euch in in in euch in

den den den den

Bann, Bann, Bann, Bann tun".

Im Alt verhält es sich genauso, nur fehlt einmal "in den Bann". Derselbe Vorgang wiederholt sich wenige Takte später, in die Dominante transponiert, mit vertauschten Stimmen. Dabei springen die weiten musikalischen Bögen auf "Bann" ins Auge, bis zu elf Takte lang! In dem schon erwähnten Duett BWV 66/5 deklamiert der Tenor T. 41ff

Bach vertont Zeilen sukzessive

"will in Gott zu zu zu zu in Gott zu

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siegen, siegen, siegen, siegen, siegen wissen".

Dasselbe ist im Alt T. 54ff der Fall, nur um ein zweifaches "zu siegen" kürzer. Das nächste Beispiel findet sich in BWV 106/3b. Abschließend singt der Baß (T. 49ff): "Heute, heute wirst du mit mir im Paradies, im Paradies, heute wirst du mit mir im Paradies sein", woran noch einmal "im Paradies sein" angefügt ist. Neben der Verdoppelung von "heute" im Themenkopf fällt die Häufung von "im Paradies" auf. Rein zahlenmäßig wird diese Wendung während der Vertonung des Bibelworts am häufigsten vorgetragen, nämlich insgesamt 23 mal. Darum kann Bach - und dies stellt die achte Form dar - noch einmal verdoppeln, wie es zuvor T. 43ff geschah: "Heute, heute wirst du mit mir im im mit mir im im

Paradies, Paradies, Paradies, Paradies sein".

Daneben fällt die Hervorhebung von "mit mir" ins Auge, die vor allem in der Komposition ihren Niederschlag gefunden hat. Dürr weist auf "die Imitation ... zwischen Solobaß und Continuo"97 hin. Sie findet an zwei Stellen statt: 1. Zu dem Eingangsmotiv auf den Text "Heute, heute wirst du mit mir" (z.B. T. 25f). 2. Bei der Wendung "im Paradies", die sich durch ihren synkopischen Cha-

97

Alfred Dürr, Studien über die frühen Kantaten Johann Sebastian Bachs, a.a.O. (Anm. 14, Teil I), 138.

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rakter deutlich abhebt und geradezu auf Ergänzung durch Imitation angelegt ist. Dürr verweist auf die darin enthaltene Symbolik, die das "mit mir" darstellt: "Heute mit mir" bzw. "im Paradies mit mir". Es ist deutlich, mit welcher Intensität Bach dieses Bibelwort durch eine dreifache Akzentuierung auslegt. An der schon erwähnten Stelle des Chores BWV 75/1 fährt Bach den Text im Sopran: "Die Elenden sollen essen, daß sie satt, satt, sollen essen, daß sie satt, satt werden". Genauso verhält es sich mit dem Tenor, nur ist hier das Subjekt zusätzlich verdoppelt. Das Wort "satt" wird auch in der Komposition besonders hervorgehoben. In T. 3 lf singen die drei Oberstimmen homophon "daß sie satt". Nach einer Viertelpause zu Taktbeginn fahren sie fort, wobei Sopran und Tenor "satt" aufgreifen. In die Pause hinein singt der Baß "satt", so daß dieses Wort insgesamt dreimal nacheinander zu hören ist. Ähnliches wiederholt sich T. 34f. Außerdem wird "satt" auf lange Töne (T. 33f ST, T. 34f A) und auf einer längeren Koloratur (T. 32ff B) gesungen. Ähnlich verfährt Bach mit der vierten Zeile des Terzetts BWV 38/5 in Sopran und Alt, die parallel geführt sind (T. 54ff): "daß alles, alles plötzlich, plötzlich, alles plötzlich, plötzlich von mir fällt"98.

98

W. G. Whittaker beschreibt dies folgendermaßen: "In 'Alles plötzlich von mir fällt' the first two words are repeated in leaping phrases and 'Alles' is broken by an emotional catch of the breath", The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 118. Vgl. die Verdoppelung von "plötzlich" in der Arie BWV 135/5 T. 72f.

Bach vertont Zeilen sukzessive

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Nach Arnold Schmitz liegt hier die Figur des Noema vor. Diese "bezeichnet den Höhepunkt des Satzes ... wobei das Noema wieder in sich Figuren enthält, z.B. eine höchst wirkungsvolle Ellipsis."99 Für ihn bedeutet diese ein "Staunen ausdrückendes AtemAnhalten". Diese Deutung trifft m.E. nicht zu. Vielmehr wird nach dem doppelten "plötzlich als Prolepse schon abgebildet, wie "alles ... von mir fällt" und verschwindet. Gelegentlich behandelt Bach Zeilen paarweise und vertont die zweite nur teilweise, um sie erst nach einer Wiederholung der ersten zu Ende zu führen. Bach beginnt die Arie BWV 38/3 mit der Zeile "Ich höre mitten in den Leiden". Diese wiederholt er sequenzierend und fügt unmittelbar den Anfang der folgenden an, so daß der Text entsteht: "Ich höre mitten in den Leiden ein Trostwort". Nach einer Pause wird, ebenfalls als Sequenz, die Wendung "ein Trostwort" wiederholt,100 bevor dann zum ersten Mal beide Zeilen ohne Unterbrechung durchgeführt werden. Bach hebt "Trostwort" mittels von Vorschlägen (T. 16f), eines markanten Oktavsprungs (T. 20) sowie einer längeren Koloratur (T. 30) hervor. Ferner weist auf dieses Wort der synkopische Rhythmus, der dem ganzen Satz "einen freudig-belebten Charakter" gibt.101 Im Schlußteil der Arie BWV 103/5 vertont Bach "mein Jesus läßt

99

100

101

Arnold Schmitz, Die Bildlichkeit der wortgebundenen Musik Johann Sebastian Bachs, Mainz 1950, Nachdruck Laaber 1976, 47. Aus dieser Art zu deklamieren schließen Albert Schweitzer und W. Gillies Whittaker, daß es sich hier um keine originale Komposition handle: Albert Schweitzer, J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 692 und W. Gillies Whittaker, The Cantatas of Johann Sebastian Bach II, a.a.O. (Anm. 12, Teil I), 115. Dagegen zeigt Friedrich Smend, wie das Hauptthema den Kopf des Chorals umspielt: Johann Sebastian Bach. Kirchenkantaten, a.a.O. (Anm. 10, Teil I), IV, 31. Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, a.a.O. (Anm. 16, Teil I), 496. Bach hebt ferner die letzte Zeile des Mittelteils "sein Trost wird niemals von dir scheiden" hervor, indem sie ohne Oboenbegleitung gesungen wird, femer durch das markante Schlußmelisma auf "scheiden" (T. 67ff).

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sich wieder sehen, o Freude!", bricht dann die zweite Zeile ab (T. 40) und führt sie nach einer Wiederholung des bisherigen Textes mit "der nichts gleichen kann" zu Ende. Das Wort "Freude" wird in diesem Abschnitt durch längere Koloraturen hervorgehoben, wovon eine sieben Takte umfaßt (T. 45-52) - ein seltener Vorgang. Von der Freude ist auch die Instrumentalbegleitung bestimmt. Hier "reißt das Freudenmotiv alle Stimmen des Orchesters zu wildbewegtem Tanze hin. Diese Musik soll die Worte 'O Freude, der nichts gleichen kann' ... verkörpern."102 In der Arie BWV 129/2 behandelt Bach ebenfalls die Schlußzeilen auf diese Weise (T. 90ff): "der mir im Glauben schenkt sich selbst der mir im Glauben schenkt sich selbst, das höchste Gut". Im Folgenden wird die Wendung "sich selbst" zweimal mittels markanter Septsprünge und ausgehaltener Töne dargestellt. Wie Bach den Wunsch nach dem Tod schrittweise intensivieren kann, wird im Hauptteil der Arie BWV 27/3 sichtbar, der aus den Zeilen besteht: "Willkommen! will ich sagen, Wenn der Tod ans Bette tritt". Bevor er diese wiederholt, schiebt er jeweils einen Ausschnitt aus dem Text ein, der immer unfangreicher wird. Er beginnt mit "willkommen!" (T. 18f). Dann folgt die ganze erste Zeile (T. 21f). Zuletzt wird die erste Zeile zweimal zitiert; daran wird aus der zweiten der Anfang "wenn der Tod" und nach einer Pause sequenzierend noch einmal "der Tod" angefügt (T. 24-27).103 Im Dacapo verfährt Bach genauso, nur mit dem Unterschied, daß vor

102 103

Albert Schweitzer, J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 660. Albert Schweitzer beurteilt dies ganz negativ: "Diese Arie ist ... alles eher als ein Muster des Sprechens in Tönen", J.S. Bach, a.a.O. (Anm. 3, Teil I), 579.

Bach vertont Zeilen sukzessive

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das Ganze noch einmal die erste Zeile gesetzt ist. Auf diese Weise stellt Bach den Tod heraus, der jedoch nicht gefürchtet, sondern willkommen geheißen wird. Innerhalb der Bibelwortvertonung BWV 45/4 textiert Bach zunächst nur "weichet alle" (T. 40f); erst bei den beiden nächsten Durchgängen dieses Abschnittes vertont er den restlichen Text "von mir, ihr Übeltäter" mit. Die ausführlichen Koloraturen auf "weichet" und "alle" zeigen an, daß es diese beiden Worte sind, die Bach am Ende dieses Bibelwortes besonders wichtig sind. In dem Rezitativ BWV 248/40 deklamiert Bach das zweite Zeilenpaar so: "Doch Liebster, sage mir: doch Liebster, sage mir:

wie rühm ich dich, wie rühm ich dich, wie wie, wie dank ich dir? wie?"

Dem entspricht, wenn er am Ende "Liebster, sage" zwischen die Fragenpaare der letzten Zeile zusätzlich einschiebt. Ein weiteres Beispiel findet sich in dem Chor BWV 16/3 T. 34ff: "Krönt und segnet seine Hand, ach, so glaubt, ach so glaubt, krönt und segnet seine Hand, ach, so glaubt, krönt und segnet seine Hand, ach, so glaubt, daß unser Stand". Stärker als bei der ersten Behandlung dieser Zeilen wird hier auf Gottes Tat Bezug genommen, freilich soll der Mensch sie nicht selbstverständlich hinnehmen, sondern sich bewußt machen, was dies für ihn bedeutet. Die Choralarie BWV 97/4 endet folgendermaßen (T. 44ff): "so wird mich nichts, nichts verletzen, nichts fehlen nichts fehlen, so wird mich nichts verletzen

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so wird mir

nichts fehlen, nichts fehlen, nichts fehlen, was mir nützt".

Dies ist ein Teil der besonderen intensiven Betonung des "nichts" in dem ganzen zweiten Teil dieser Arie. Zum Abschluß seien zwei Arien erwähnt, bei denen Bach zunächst Zeilen beginnt, sie abbricht und dann von vorne wiederholt und zu Ende führt. Das ist in der Arie BWV 150/3 dreimal der Fall. Die dritte Zeile "Kreuz, Sturm und andre Proben" ist zweimal nacheinander vertont, zuvor jedoch "Kreuz, Sturm" zusätzlich betont vorangestellt (T. 7). Nicht anders verfährt Bach bei der nächsten Zeile "Tod, Holl' und was sich fügt". Dabei wird sogar dasselbe Intervall vorweggenommen (T. lOf). Auch die Schlußzeile "Recht ist und bleibet ewig Recht" ist zweimal vertont, davor stellt Bach auf zwei aufsteigende, voneinander getrennte, auf den Zeilenanfang T. 17 zulaufende Quartsprünge die Worte "Recht ist" und "und bleibt". . Bei der Arie BWV 182/6 handelt es sich um die Zeilen "mich auch mit dir ziehen" und "so laß mich nicht fliehen". Immer bricht er vor dem letzten Wort mittels einer kurzen Generalpause ab (T. 15, 25, 47, 52, 83), bevor er die Zeile vollständig singen läßt. Diese Pause findet sich auch bei entsprechenden Zitaten im Continuo T. 28, 86. Wie das zusätzliche, betonte "mich" in T. 92 zeigt, geht es Bach wohl darum, den existentiellen Bezug, der in beiden Zeilen durch das Wort "mich" enthalten ist, zu betonen. Dies geschieht ferner dadurch, daß beide Zeilen auf ein- und dasselbe Motiv vertont sind.

4. Einzelne Choralzeilen werden besonders hervorgehoben Ein einfaches Mittel, eine einzige Choralzeile von den anderen abzuheben, ist deren Wiederholung. Dies ist in dem Chorsatz "Nimm von uns Herr, du treuer Gott" (BWV 101/1) der Fall. Es handelt sich um eine Art Cantus-firmus-Motette, in der jede Zeile

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so wird mir

nichts fehlen, nichts fehlen, nichts fehlen, was mir nützt".

Dies ist ein Teil der besonderen intensiven Betonung des "nichts" in dem ganzen zweiten Teil dieser Arie. Zum Abschluß seien zwei Arien erwähnt, bei denen Bach zunächst Zeilen beginnt, sie abbricht und dann von vorne wiederholt und zu Ende führt. Das ist in der Arie BWV 150/3 dreimal der Fall. Die dritte Zeile "Kreuz, Sturm und andre Proben" ist zweimal nacheinander vertont, zuvor jedoch "Kreuz, Sturm" zusätzlich betont vorangestellt (T. 7). Nicht anders verfährt Bach bei der nächsten Zeile "Tod, Holl' und was sich fügt". Dabei wird sogar dasselbe Intervall vorweggenommen (T. lOf). Auch die Schlußzeile "Recht ist und bleibet ewig Recht" ist zweimal vertont, davor stellt Bach auf zwei aufsteigende, voneinander getrennte, auf den Zeilenanfang T. 17 zulaufende Quartsprünge die Worte "Recht ist" und "und bleibt". . Bei der Arie BWV 182/6 handelt es sich um die Zeilen "mich auch mit dir ziehen" und "so laß mich nicht fliehen". Immer bricht er vor dem letzten Wort mittels einer kurzen Generalpause ab (T. 15, 25, 47, 52, 83), bevor er die Zeile vollständig singen läßt. Diese Pause findet sich auch bei entsprechenden Zitaten im Continuo T. 28, 86. Wie das zusätzliche, betonte "mich" in T. 92 zeigt, geht es Bach wohl darum, den existentiellen Bezug, der in beiden Zeilen durch das Wort "mich" enthalten ist, zu betonen. Dies geschieht ferner dadurch, daß beide Zeilen auf ein- und dasselbe Motiv vertont sind.

4. Einzelne Choralzeilen werden besonders hervorgehoben Ein einfaches Mittel, eine einzige Choralzeile von den anderen abzuheben, ist deren Wiederholung. Dies ist in dem Chorsatz "Nimm von uns Herr, du treuer Gott" (BWV 101/1) der Fall. Es handelt sich um eine Art Cantus-firmus-Motette, in der jede Zeile

Einzelne Choralzeilen werden besonders hervorgehoben

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in den Unterstimmen vorimitiert und dann vergrößert vom Sopran vorgetragen wird. Eine Ausnahme bildet das Ende der Zeile "verdienet haben allzumal". In T. 158ff "the sopranos break away from the Choräle for the only time in the fantasia repeating the words of the line to a free phrase"1